Lesebuch zur Geschichte Bayerns [Reprint 2019 ed.] 9783486735482, 9783486735475


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German Pages 668 Year 1906

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Table of contents :
Vorwort
A. Verzeichnis des Inhalts
B. Verzeichnis der Abbildungen
Druckberichtigungen
1. Bayernlied
2. Wohnsitze, Namen und Sprache, Herkunft des Bayernvolkes
3. Die vorgeschichtliche geil des Landes
4. Das Land im Dämmerlichte der Geschichte
5. Auf dem Kastrum zur Pfünz (ad pontes) bei Eichstätt
6. Das Land unter der Herrschaft der Römer
7. Die Römerstratze
8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen, Grundlegung der bayerischen Kirchenverfassung
9. Der Sturz Tassilos
10. Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit des bayerischen Stammes, insbesondere aus dem Nordgau
11. Kloster Tegernsee
12. Die Ungarnschlacht an der Ennsburg (am 5. Juli 907)
13. Markgraf Luitpolds Heldentod in der Ungarnschlacht (907)
14. Die Ahnherrn des Wittelsbacher Fürstengeschlechts
15. Die Gründung des Bistums Bamberg
16. Der Bamberger Dom
17. Der Bayernstamm im alldeutschen Schrifttum
18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils
19. Der Regensburger Dom
20. Die Versöhnten
21. Deutsche Treue
22. Kloster Ettal und der Pfassenwinkel
23. Kaiser Ludwigs Ende
24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge
25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt
26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern bis zum Jahre 1500
27. Eine Festschule der Meistersinger
28. Ritter, Tod und Teufel (Kupferstich von A. Dürer)
29. Albrecht Dürer
30. Zur Geburtsfeier Albrecht Dürers
31. Nürnberg und feine Kunst
32. Die K. Hof- und Staatsbibliothek in München
33. Der Trifels
34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund
35. Augsburger Studien
36. Anteil bedeutender Bayern an der Begründung der modernen naturwissenschaftlichen Forschungsmethode im 17. Jahrhundert
37. Der Winterkönig
38. Tillys letzte Tage
39. Ein bayerischer Reitergeneral im Dreißigjährigen Kriege
40. Die Schlacht bei Alerheim an der Wörnitz gegen das französisch-weimarisch-hessische Heer 1645
41. Was uns die Residenzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt
42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I
43. Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler
44. Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz (2. Oktober 1649)
45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See
46. Der bayerische Hof im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus
47. Schleitzheim
48. Kurfürst Max Emanuel im Türkenkriege 1683—1688
49. Elisabeth Charlotte und das Heidelberger Schloß
50. Träume sind Schäume
51. Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege
52. Der Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges
53. Das G'sangl von Anno 1705
54. Die Sendlinger Bauernschlacht (1705)
55. Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht
56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main
57. Der kurfürstliche Hofbaumeister Franz Luvillies der Altere
58. Gründung der Akademie der Wissenschaften zu München 1759
59. Kulturelle Zustande in Bayern während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph
60. Herzogin Maria Anna von Bayern
61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores unter dem Kurfürsten Karl Theodor
62. Die letzten Jahrzehnte der Ludwig-Maximilians Universität in Ingolstadt
63. Ein Urteil über den bayerischen Volkscharakter
64. Eine Jugenderinnerung an Westenrieder
65. Eine geistliche Stabt
66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken
67. Johann Konrad Grübe! als Chronist des Lüneviller Friedens
68. Napoleon bei Abensberg und Regensburg
69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812
70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813
71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik
72. Die Isar als Derkehrsftrahe einst und jetzt
73. Ein Königsidyll vom Tegernsee
74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik
75. Ode an König Ludwig I
76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre
77. Ein Brief an Kaiser Franz I. von Österreich von Kronprinz Ludwig
78. Nachklage (1816)
79. An Herrn Mac Jver, meines Erstgebornen Erzieher
80. Die hohle Weide. (Herbst 1832.)
81. Die Walhalla
82. Walhalla
83. Gedanken Jean Pauls über feine Zeit
84. Ludwig I. und Goethe
85. Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller in Tölz
86. Christoph Schmid unter den Kindern
87. Goldbergwerke und Goldwäschereien in Bayern
88. Die Perlfischerei in Bayern
89. Das Münchener Künstlersest von 1840
90. Thorwaldsen im knorrkeller
91. Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842
92. An die Kronprinzessin Marie von Bayern, geb. Prinzessin von Preußen
93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes
94. Ludwig I. und die Kunststadt München
95. An München
96. Vor fünfundzwanzig Jahren
97. Vor dem Königssarge in der Münchener Basilika
98. Ludwigslied
99. Festgedicht zur Zentenarfeier König Ludwigs I. von Bayern (1888)
100. Burg Hohenschwangau
101. Der Schatz auf Hohenschwangau
102. König Maximilian II. von Bayern
103. Eine Fusseise mit König Max II
104. Ein Erinnerungsblatt an König Maximilian II
105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft
106. Am Ostersamstag (10. März 1864)
107. Mit einem Königsherzen
108. An König Ludwig II. von Bayern
109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig II
110. Der Feldzug Dom Jahre 1866 in Süddeutschland
111. Eine Reise König Ludwigs 11
112. Prinz Karl von Bayern (f 16. August 1875)
113. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71
114. Hurra, Germania! (25. Juli 1870.)
115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch
116. Die ersten Siege
117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August
118. Die Schlacht bei Sedan
119. Der Stratzenkampf in Bazeilles
120. Sedan
121. Die Waffenstreckung bei Sedan; Zusammenkunft der Generale zu Donchery
122. Moltke
123. Ein Siegesgruss aus den bayerischen Bergen
124. Der Volkskrieg an der Loire — ein neuer, zweiter Krieg
125. Vormarsch gegen die Loire. Einnahme von Orleans (11. Oktober). Der Tag von Coulmiers (9. November)
126. Eine gefährliche Eisenbahnfahrt
127. Ergebnisse der Schlacht von Orleans am 3. und 4. Dezember
128. Das Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Eravant (8 —10. Dezember); Rückkehr der Bayern nach Orleans
129. Das Lied vom von der Tann
130. Die Bayern an der Loire
131. Deutschlands Frauen 1870/71
132. Aus Vorposten vor Paris
133. Wir bleiben
134. Aus dem Briefwechsel zwischen König Ludwig II. von Bayern und Gras Bismarck
135. Die feierliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs
136. An Deutschland (Januar 1871)
137. Einzug der bayerischen Truppen in München
138. Gruß an das Heer
139. Schloß Neuschwanstein
140. Bayreuth
141. König Ludwigs II. Persönlichkeit
142. Unser Prinzregent Luitpold
143. An Prinz Luitpold, Regenten von Bayern
144. An das Bayerland
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Lesebuch zur Geschichte Bayerns [Reprint 2019 ed.]
 9783486735482, 9783486735475

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Lesebuch Zur

Geschichte Bayerns Bearbeitet

von

Dr. Otto Kronseder Gymnasialprofessor am K. Ludwigs-Gymnasium zu München

Mit 58 Abbildungen

München Druck und Verlag von R. Oldenbourg 1906

Vorwort. ieses Lesebuch zur Geschichte Bayerns ist entstanden

im Auftrag des

K. Bayerischen Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schul­

angelegenheiten.

Die hohe Unterrichtsverwaltung war hiebei von dem Wunsche

geleitet, es möchte künftighin an den Mittel- und Volksschulen der Unterricht in der Geschichte unseres engeren Vaterlandes „in einer anregenderen, die Herzen der Jugend erwärmenderen und so für das spätere Leben nachhaltigere Eindrücke

hinterlassenden Weise erteilt werden;

die lehrreichsten, rühmlichsten und so

wissenswürdigsten Partien der Geschichte Bayerns sollten in faßlicher, an­ ziehender Darstellung ohne alles gelehrte Beiwerk zur Veranschaulichung ge­ bracht werden".

Kirchengeschichtliches als speziell dem Religionsunterricht zu­

gehörig war von der Aufnahme überhaupt auszuscheiden; dagegen glaubte der

Verfasser dem Kulturgeschichtlichen einen breiten Platz einräumen zu müssen, zumal heute die allgemeine Forderung dahin geht, daß nicht bloß Kriegs- und

Waffen taten den Gegenstand des Geschichtsunterrichtes bilden sollen, sondern daß

auch die Entwicklung des inneren Volkslebens, aus der heraus erst die Gesamt­ zustände einerZeit richtig erfaßt werden können, zu anschaulicherDarstellung gelange.

Der Charakter

des Lesebuches

schlossener Einzeldarstellungen.

bedingte die Aufnahme möglichst ge­

Sie sind in erster Linie gedacht für den un­

mittelbaren Gebrauch beim Unterricht, also für die Hand des Lehrers.

Wer

Erweiterung der in den Lehrbüchern weniger ausführlich behandelten Gebiete für angezeigt hält, möge in vorliegender Sammlung Stoff und Anregung finden.

Zwischen den hier gebotenen kulturgeschichtlichen Ausführungen und

dem Lehrgang der politischen Geschichte den harmonischen Zusammenhang her­ zustellen dürfte nicht schwer fallen. Wer etwa in bestimmten Schulen für einfachere Verhältnisse anszuscheiden

entbehren

läßt.

Wer

tiefer

dringende

hat, wird leicht ersehen, was sich

Belehrung

sucht,

dem

wird

die

vom Herausgeber benutzte und zuverlässig zitierte Literatur eine willkommene

IV

Borwort.

Fundstätte sein; insbesondere sei auf die anziehenden Werke unserer namhafteste» vaterländischen

Geschichtsforscher

M. Doeberl,

Karl Theodor von Heigel,

Wilhelm Heinrich Riehl, Siegmund von Riezler hingewiesen. Neben dieser ersten

und

vornehmlichen Bestimmung möchte das Buch

auch der Privatlektüre im weitesten Sinne dienen.

In der Hand teilnehmender,

fortgeschrittener Schüler unserer Mittel- und Fortbildungsschulen sowie im

Besitze von Geschichtsfreunden möchte es zur Steigerung des Interesses an

den Schicksalen unseres Volkes und zum Verständnis der Gesamtentwicklung

unseres Vaterlandes beitragen. Um eine derartige Sammlung loser und doch des inneren Zusammen­ hanges nicht entbehrender Abhandlungen, Bilder, Charakteristiken bieten zu

können war einerseits die vorhandene Literatur durchzuprüfen, anderseits, be­ sonders für das kulturgeschichtliche Gebiet, die Unterstützung berufener Fach­ männer zu gewinnen.

Hier nun erfüllt der Herausgeber die angenehme Pflicht

allen denen, die aufs bereitwilligste seiner Bitte entgegenkamen und im Inter­ esse einer gemeinnützigen Sache die erbetenen wissenschaftlichen Beiträge für die ausschließliche Drucklegung in diesem Buche ausarbeiteten, auch an dieser

Stelle den geziemenden Dank zu erstatten.

Es sind dies die Herren Dr. Theodor

Bitterauf, Privatdozent an der Universität, Dr. Anton von Braunmühl, Prof,

an der Technischen Hochschule, Univers.-Prof. Dr. M. Doeberl, Dr. Max Fastlinger, erzbischöflicher Bibliothekar, Dr. Ernst Freys, Kustos an der Staats­

bibliothek, Dr. Christian Gruber, f Professor an der städtischen Handelsschule, Sr. Exzellenz Generalleutnant z. D. Karl Ritter von Landmann, Dr. Georg Leidinger, Sekretär an der Staatsbibliothek, Dr. Rudolf Louis, Toukünstler und Musikschriftsteller, Dr. Siegfried Graf Pückler-Limpurg, Privatdozent an

der Technischen Hochschule und Konservator an der K. graphischen Sammlung, Univers.-Prof. Dr. Henry Simonsfeld, Gymn.-Prof. und Privatdozent an der

Technischen Hochschule Dr. Hermann Stadler,

Gymn.-Prof. Dr. Thomas Stettner, Konrektor Dr. Hermann Stöckel, Kunstschriftsteller Dr. Karl Traut­ mann und Dr. Hermann Uhde-Bernays, Dr. Karl Voll, Univers.-Prof. und Konservator an der alten Pinakothek, Oberamtsrichter a. D. Dr. Franz Weber

und Gymn.-Lehrer Dr. Joseph Widemann, sämtliche in München; ferner Prof. Dr. Alois Geistbeck in Kitzingen, Gymn.-Prof. Hans Probst in Bamberg und

Univers.-Prof. Dr. Theodor Henner in Würzburg.

Durch solche weitgehende

Unterstützung war es möglich den Ausschnitten aus den Werken unserer nam­ haftesten bayerischen Historiker Originalbeiträge dieser fachwissenschaftlichen Autoren anzureihen und so eine Art literarisches Bayern zusammenzustellen. Zugleich ließ sich durch die Verschiedenartigkeit der schriftstellerischen Persönlich­ keiten ein vorteilhafter Wechsel in Auffassung, Stil und Darstellung erzielen,

ein Gesichtspunkt, der mitbestimmend war bei Anlage dieses Buches. Daß der Darstellung der neueren Zeit, insbesondere dem letzten Jahr­

hundert,

ein breiterer Raum überlassen wurde

und daß hauptsächlich das

V

Vorwort.

jüngste große Ereignis, der Deutsch-Französische Krieg, eine vielseitige Beleuchtung erfuhr, wird Billigung finden. Den deutsch-nationalen Standpunkt des Buches

erklärt und begründet das Wort unseres edlen Königs Maximilian II. „Wir

wollen gute Deutsche sein und treue Bayern bleiben!"

Mit den wenigen, an passenden Stellen eingestreuten Gedichten sollte nicht etwa Neues und Unbekanntes gebracht, sondern gewissen bedeutungs­

vollen Persönlichkeiten, Tatsachen, Stimmungen eine höhere Weihe gegeben werden. Die Verlagsbuchhandlung glaubt durch gediegene Gesamtausstattung und einen verhältnismäßig billigen Preis olles getan zu haben um dem Buche freundliche Aufnahme zu sichern; die wenigen, sorgfältig ausgeführten

Abbildungen wollte sie nicht als bloße Schmuckstücke, sondern als wesentlichen

und wertvollen Bestandteil dem Ganzen beigeben. Zum Schlüsse spricht der Herausgeber Sr. Exzellenz dem K. Staats­ minister des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten, Herrn Dr. Ritter

von Wchncr, für die Gewährung eines achtmonatigen Diensturlaubs behufs Bearbeitung vorliegenden Buches den ehrerbietigsten Dank aus.

Zu innigstem

Dank fühlt er sich verpflichtet seinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Dr. Karl Theodor von Heigel, Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in München, der

ihn durch vielfache Anregung und wertvolle Winke gefördert

hat, ferner gegenüber denjenigen Herren, die ihm bei der Durchsicht der Druckbogen ihre freundliche Unterstützung angedeihen ließen. Es sind dies

die Herren: Oberstudienrat Dr. Wolfgang von Markhauser, Gymnasialrektor Dr. Georg Gött, Gymnasialprofessor Josef Flierle und Reallehrcr Dr. Hans

Tempel.

Herzlicher Dank sei ferner

ausgesprochen

der Direktion und den

Beamten der Münchener Staatsbibliothek, die mit liebenswürdigstem Entgegen­

kommen dem Verfasser reiche Bücherschätze zugänglich gemacht haben. Garmisch im September 1906.

Dr. Otto Kronseder.

A. Verzeichnis des Inhalts * bezeichnet Originalartilel.

Überschrift

Nr.

1 9

3 4 5 6 7 8

9 10

11 12

13 14 15 16 17 18

19

20 21 22 23 24 25 26 27 28

29 30 31

Bayernlied Wohnsitze, Namen und Sprache, Herkunft des Bayernvolkes * Die vorgeschichtliche Zeit des Landes * Das Land im Dämmerlichte der Geschichte ?(uf dem Kastrum zu Pfünz (ad pontes) bei Eichstätt, Gedicht Das Land unter der Herrschaft der Römer Die Römerstrahe, Gedicht Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen, Grundlegung der bayerischen KirchenVerfassung * Der Sturz Tassilos Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit des bayerischen Stammes, insbesondere auf dem Nordgau * Kloster Tegernsee Die Ungarnschlacht an der Ennsburg (am 5. Juli 907), Gedicht Markgraf Luitpolds Heldentod in der Unqarnschlacht (907) Die Ahnherrn des Wittelsbacher Fürstengeschlechts Die Gründung des Bistums Bamberg * Der Bamberger Dom * Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils * Der Regensburger Dom (deutsche Gotik) LN'L}

Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel Kaiser Ludwigs Ende, Gedicht * Die Residenzen der bayerischen Herzoge Die Anfänge der Ludwig-MaximilianS-Universität in Ingolstadt * Die Einführung und Entwicklung der Buchdrucker­ kunst in Bayern bis zum Jahre 1500 Eine Festschule der Meistersinger Ritter, Tod und Teufel (Kupferstich von Albrecht Dürer), Gedicht * Albrecht Dürer

Zur Geburtsfeier Albrecht Dürers (21. Mai 1471), Gedicht ♦ Nürnberg und seine Kunst

Seite

Verfasser

Alois Dreyer .... Siegmund von Niezler.

1 1

Franz Weber .... Franz Weber ... Karl Zettel ....

5 15 23

Siegmund von Riezler. Hermann Lingg . . Joseph Schlecht . . .

23 27 27

Michael Doeberl . Michael Doeberl .

. .

33 40

Max Fastlinger . Friedrich Beck ....

43 49

Hugo Arnold ...

50

Karl Stieler .... Wilhelm von Giesebrecht Hans Probst .... Hermann Stöckel . . . Andreas von Regens­ burg, Aventtn u. a. . Siegfried Graf PücklerLimpurg .... Hermann Lingg . . {

53 56 61 70

Karl Trautmann . Franz Graf Pocci Joseph Widemann Max Haushofer .

Ernst Freys

. .

.

.

. .

. .

76 81 89 90 90 99 100 106

.... 113

August Sach .... Franz Gras Pocci . .

127 135

Siegfried Graf PücklerLimpurg..................... 137 Martin Greif .... 152

Hermann Uhde-Bernays 152

VIII

Nr.

32 33 34 35 36

A. Verzeichnis des Inhalts.

Überschrift

• Die K. Hof- und Staatsbibliothek in München Der Trifels * Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund AugSburger Studien • Anteil bedeutender Bayern an der Begründung der moberncn naturwissenschaftlichen Forschungs­ methode im 17. Jahrhundert 37 Der Winterkönig, Gedicht 38 Tillys letzte Tage 39 Ein bayerischer Reitergeneral im 30 jährigen Kriege 40 Die Schlacht bei Alerheim an der Wörnitz gegen das französisch-weimarisch-hessische Heer (1645) 41 * Was uns die Residenzfassade Kurfürst Maxi­ milians I. sagt 42 Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I. 43 • Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler 44 Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz (2. Oktober 1649); Wiederherstellung der Pfalz 45 * Der Bucintoro auf dem Starnberger See 46 Der bayerische Hof im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus 47 Schloß Schleißheim, Gedicht 48 • Kurfürst Max Emanuel im Türkenkriege 1683—88 49 j Elisabeth Charlotte und das Heidelberger Schloß 50 Träume sind Schäume 51 Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege 52 * Der Beginn des Spanischen Erbfolgetrieges 53 Das Gsangl von Anno 1705 54 Die Sendlinger Bauernschlacht, Ballade 55 Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht 56 • Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main 57 • Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuviMs der Allere 58 Gründung der Akademie der Wisienschaften zu München 59 Kulturelle Zustände in Bayern während der Re­ gierung des Kurfürsten Max III. Joseph 60 • Herzogin Maria Anna von Bayern 61 • Die Austrocknung und Besiedelung des Donau­ moores unter dem Kurfürsten Karl Theodor 62 Die letzten Jahrzehnte der Ludwig-MaximiliansUniversität in Ingolstadt. Ihre Übersiedelung nach Landshut. 63 Ein Urteil über den bayerischen Bolkscharakter 64 Eine Jugenderinnerung an Westenrieder 65 Eine..geistliche Stadt Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern 66 an das Haus Pfalz-Zweibrücken 67 ♦ Johann Konrad Grübet als Chronist des Lüneviller Friedens 68 Napoleon bei Abensberq und Regensburg (am 20. und 23. April 1809) 69 • Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812 Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. 0stöber 70 1813 71 Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik 72 * Die Isar als Berkehrsstraße einst und jetzt 73 Ein Königsidyll vom Tegernsee

Berfasser

Seite

Georg Leidinger . . . August Becker . . Karl Trautmann . . . Wilhelm Heinrich Riehl Anton von Braunmühl .

163 168 173 190 202

Hermann Lingg . . . Hugo Arnold .... Johann Heilmann . . Siegmund von Riezler.

207 208 211 214

Karl Trautmann .

.

218

Siegmund von Riezler. Karl Boll..................... Ludwig Häusser . . .

224 234 240

.

. .

244 250

Hermann Lingg . . . Karl von Landmann Ernst von Wildenbruch. Alfons Steinberger . . Michael Doeberl . . . Karl von Landmann Karl von Heigel . . . Hans Hopfen .... Anton Hoffmann. . . Theodor Henner . . . Karl Trautmann . . .

254 255 259 269 273 277 283 283 286 291 301

Henry Simonsfeld Michael Doeberl .

. .

Karl von Spruner

.

.

311

Wilhelm Schreiber

.

.

314

Theodor Bitterauf Christian Gruber.

.

.

319 327

.

.

.

332

Lorenz von Westenrieder Franz Graf Pocci . . Wilhelm Heinrich Riehl Karl Theodor von Heigel

335 338 340 349

....

356

Max Haushofer

Hans Probst

.

.

359

Karl von Landmans Johann Heilmann .

.

362 372

Paul von Lossow.

.

380

Christian Gruber. . . Karl Stieler ....

389 398

Albrecht Adam.

.

.

IX

A. Verzeichnis des Anhalts.

Nr.

Überschrift

Verfasser

Seite

74

Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik Ode an König Ludwig I. König Ludwigs I. Jugendzeit, und Lehrjahre Ein Brief an Kaiser Franz I. von Österreich (1815) Nachklage (1816), Gedicht An Herrn Mac Jver, meines Erstgebornen Er ziehen Unterrichtsinstruktion vom Jahre 1817 Die hohle Weide, (Herbst 1832) Gedicht Die Walhalla Walhalla, Gedicht • Gedanken Jean Pauls über seine Zeit • Ludwig I. und Goethe Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmellör in Tölz Christoph Schmid unter den Kindern * Goldbergwerke und Goldwäschereien in Bayern • Die Perlfischerei in Bayern * Das Münchener Künstlerfest von 1840 Thorwaldsen im Knorrkeller, München, 20. Juli 1841 Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842 An die Kronprinzessin Marie von Bayern, geb. Prinzessin von Preußen, Gedicht Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes Ludwig I. und die Kunststadt München An München, in das Goldene Buch der Stadt geschrieben Vor fünfundzwanzig Jahren (Februar 1893) Bor dem Königssarge in der Münchener Basilika, Gedicht Ludwigslied zur hundertjährigen Geburisfeier König Ludwigs I. von Bayern (1887) Festgedicht zur Zentenarfeier König Ludwigs I. von Bayern (1888) Burg Hohenschwangau Der Schatz auf Hohenschwangau, Gedicht König Maximilian II. von Bayern. (Aus der Erinnerung gezeichnet) Eine Fußreise mit König Max II. Ein Erinnerungsblatt an König Maximilian II. König Maximilian II. von Bayern und die Wissen­ schaft, Gedächtnisrede Am Ostersamstag (10. März 1864), Gedicht Mit einem Königsherzen An König Ludwig II. von Bayern, Ode Richard Wagners Berufung durch König Lud­ wig II von Bayern Der Feldzug vom Jahre 1866 in Süddeutschland Eint. Reise König Ludwigs II. Prinz Karl von Bayern (f 16. August 1875) Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71. Einleitung Hurra, Germania! Gedicht Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch Die ersten Siege (Weißenburg und Wörth) Die Schlacht von Beaumont (30. August)

Karl Theodor von Heigel

401

August Graf von Platen Karl Theodor von Heigel Kronprinz Ludwig . .

410 413 419

Kronprinz Ludwig Kronprinz Ludwig

. .'

420 420

Friedrich Rückert . . . Karl Theodor von Heigel Martin Greif .... Hans Probst .... Thomas Stettner. . . Johann Nepomuk Sepp

422 422 426 426 432 437

Alexander Schöppner Alois Geistbeck Herrmann Stadler . Thomas Stettner. . Ludwig Steub. . .

. . .

439 441 444 447 450

.

.

453

.

.

457

Karl Theodor von Heigel Siegmund von Riezler. Martin Greis ....

458 469 471

Karl Theodor von Heigel Karl Zettel.....................

471 476

Martin Greif ....

477

.

478

Karl Stieler .... Friedrich Beck .... Wilhelm Heinrich Riehl

478 481 482

Wilhelm Heinrich Riehl Franz von Kobell« . . Ignaz von Döllinger

488 496 500

Emanuel Geibel . . . Oskar von Redwitz . . Martin Greif .... Sebastian Röckl . . .

512 514 523 524

Heinrich Friedjung . . Friedrich Lampert . . Karl Stieler .... Graf Helmut von Moltke Ferdinand Freiligrath . M. Moser.....................

528 532 537 542 543 544

Georg Bleysteiner . . Karl Tanera ....

550 559

75 76 77

78 79 80 81 82 83 84 85

86 87 88 89 90 91

92 93 94 95

96 97 98 99

100 101 102 103 104 105 106 107 108 109

110 111 112 113 114 115 116 117

Ludwig Steub

.

Franz Graf Pocci

Hermann Lingg

.

. .

.

X

Nr.

118 119 120 121 122

123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134

135 136 137 138 139 140 141 142 143 144

A. Verzeichnis deS Inhalts.

Überschrift

Die Schlacht bei Sedan (1. September) Der Straßenkamps in Bazeilles Sedan, Gedicht Die Waffenstreckung bei Sedan; Zusammenkunft der Generale zu DonchLry Moltke (zum 90. Geburtstage, 26. Oft. 1890), Gedicht Ein SiegeSgruß aus den bayerischen Bergen Der Volkskrieg an der Loire — ein neuer, zweiter Krieg Vormarsch gegen die Loire, Einnahme von Orltans (11. Oktober), der Tag von Coulmiers (9. No­ vember) Eine gefährliche Eisenbahnfahrt Ergebnisse der Schlacht von Orleans am 3. und 4. Dezember Das Ende der dreitägigen Schlacht bei BeaugencyCravant (8.—10. Dezember); Rückkehr der Bayern nach Orleans Das Lied vom „von der Tann" Die Bayern an der Loire Deutschlands Frauen 1870/71, Gedicht Aus Vorposten vor Paris Wir bleiben Aus dem Briefwechsel zwischen König Ludwig II. von Bayern und Graf Otto von Bismarck Die feierliche Verkündigung des Deutschen Kaiser­ reiches am 18. Januar 1871 zu Versailles An Deutschland (Januar 1871), Gedicht Einzug der bayerischen Truppen in München Gruß an das Heer, Gedicht Schloß Neuschwanstein • Bayreuth König Ludwigs II. Persönlichkeit Unser Prinzregent Luitpold, Festrede An Prinz Luitpold, Regenten von Bayern (zum 12. März 1905) An das Bayerland, Gedicht

Berfafier

Seite

Hugo Arnold .... Karl Bleibtreu. . . . Karl Gero!..................... Wilhelm Onken . . .

566 573 577 578

Ernst von Wildenbruch.

590

.... ....

590 593

Karl Stteler Fritz Hönig

Theodor Lindner.

.

. 695

Adolf von Erhard . . Hermann Kunz . . . • Karl Tanera ....

601 605

Franz Trauttnann . . Karl Bleibtreu . . . Alois Dreyer .... Karl Stteler .... Adolf von Erhard . .

610 611 613 614 616 617

.

619

Emanuel Geibel . . . Hugo Arnold .... Wilhelm Hertz.... Karl von Heigel . . . Rudolf Louis .... Theodor Bitterauf . . Karl Theodor von Heigel Paul Heyse.....................

624 625 629 630 632 642 646 655

Martin Greif ....

656

Georg Bleysteiner

.

606

B. Verzeichnis der Abbildungen

Nr. des Lesestücke-

16

19 24 26

28 29 31

34 35 41

43

Der Bamberger Dom, Gesamtansicht Der Georgenchor im Bamberger Dom Das Fürstenportal am Bamberger Dom Grundriß des Regensburger Domes Inneres des Regensburger Domes Westansicht deS Regensburger Domes Der Alte Hof in München Druckprobe von Albrecht Pfister in Bamberg (um 1460) Druckprobe von Anton Koberger in Nürnberg (1493) aus Hartmann ........................................... Schedels Wellchronik Schlußschrift des ersten Münchener Druckes von Hans Schauer (1482) . Ritter, Tod und Teufel, Kupferstich von Albrecht Dürer Ruhe auf der Flucht, aus dem Marienleben von Albrecht Dürer . . . Nürnberg mit der Burg, Südansicht vom Turm der Lorenzerkirche aus . St. Lorenz, Westansicht Das Sakramentshäuschen in St. Lorenz von Adam Kraft Das Sebaldusgrab im Ostchor von St. Sebald von Peter Bischer . . Die St. Michaelskirche in München, Außenansicht von Südwest . - . Innere- der St. Michaelskirche in München Der Grottenhof in der Münchener Residenz Der Augustusbrunnen in Augsburg von Hubert Gerhard Die Fassade der Münchener Residenz im Jahre 1700 nach einem Kupfer­ stich von Michael Wening Ausschnitt aus Jakob Sandtners Holzmodell der Stadt München 1571 . Das Nordportal der Residenz zu München Die Patrona Bavariae an der Residenz zu München von Hans Krümper Die Stifter des Paumgartner Altares von Albrecht Dürer {

I 45 46 47 49

51 55

56

Seite

Abbildungen

»•» »"»•* »«'- ■ ■ (

Der Bucintoro auf dem Starnberger See Schloß Nymphenburg, Stadtseite; nach einem Sttche von M. Disel . . Schloß Schleißheim, Westseite Die Heidelberger Schloßruine von Nordost gesehen Das Heidelberger Schloß nach Merian (1645) Josef Ferdinand, Prinz von Asturien, nach dem Gemälde v. Jos. Vivien Jsarwinkler'Schütze ' 1 blSendlingerschlacht,Federzeichn.v.Ant.Hoffmann Letzte Szene des Kampfes am Kirchhof von Sendling Würzburg mit dem Marienberg von Nordwesten gesehen Das Grabmal des Abtes Trithemius im Neumünster zu Würzburg von Tilman Riemenschneider DaS Würzburger Schloß von Nordwest Eisengitter am Würzburger Hofgartentor von I. G. Oegg Die Amalienburg im Nymphenburger Schloßgarten (Außenansicht) . . Die Amalienburg (Grundriß)

63 66 68 82 83 85 103 114 121 125 136 137 153 155 158 159 179 181 183 191 218 219 221 223 236 237 238 239 247 251 254 261 268 275 286 287 290 291

295 298 299 307 308

xn

B. Verzeichnis der Abbildungen.

Rr. de» LeseftückeS

57 64 72 74 87 116

117

118 121 125

128 132

Abbildungen

Seite

Partie aus dem gelben Kabinett der Amalienburg........................................ Lorenz von Westenrieder, Federzeichnung von Franz Graf Pocci. . . Das WirtShausIzum grünen Baum in München nach einem Stich von Jungwirth........................................................................................................... Denkmünze vom Jahre 1806 aus die Annahme der Königswürde. . . Flußdukaten »ex auro Isarae« vom Jahre 1830 ........................................ Turko in voller Ausrüstung, Federzeichnung von Christian Speyer . . Französische Artillerie auf den Höhen hinter Wörth, Federzeichnung von Christian Speyer................................................................................................ Bayerische Jäger im Laufschritt während der Schlacht bei Beaumont, Feder­ zeichnung von Anton Hoffmann.............................................................. Französische Batterien auf der Flucht (in der Schlacht von Beaumont), Federzeichnung von Christian Speyer......................................................... Bayerische Infanterie in der Plänklerlinie, Federzeichnung von Anton Hoffmann........................................................................................................... Leichenfeld auf den Höhen vor Jlly | Federzeichnung vvn Frontmarsch der Bayern von Arlenay nach Orleans J Christian Speyer Bayerische Artillerie im Kampfe bei Coulmiers, Federzeichnung v. Anton Hoffmann........................................................................................................... Auf der Rückkehr nach Orleans 1 q, c Bayerische Batterie im Süden vor Paris f Federzeichnung v. Chr. Speyer

309 338

Druckberichtigungen. S.

17 Z.

S.

66 Z.

20v. o. lie- ornamentiertes statt ornamentierte. 6v. o. lies HerimanS statt HermanS.

6.199 Z. 15 v. u. lies HauSfreSken statt HauSfreSken.

S. 256 Z. E. 370 Z. S. 530 Z.

3v. u. lies seiner statt einer.

16v. u. lies General (I abgebrochen). 8 v. u. lies Österreicher statt Österreicher.

S. 583 Z. 10 v. o. lies Waffen statt Waffen.

S. 594 Z. 14 v. o. s heruntergerutscht.

397 407 444 551 554 563

565 567 579 597 599 609 615

1. Bayernlied. Don Mois Dreyer?)

Gut und Leben Iaht uns weihen Unserm deutschen Vaterland, Daß es möge froh gedeihen, Daß kein Feind mit frevler Hand, Neidend Deutschlands Ruhm, bedräue Seinen festgefügten Bau! Aber schwört auch inn'ge Treue Unsrer Heimat weiß und blau! Mächt'ge Ströme, klare Seen Grützen sie im Silberglanz. Dort begrünte, sanfte Höhen, Hier von Feld und Wald ein Kranz! Stolze Städte seh' ich blühen, Dörfchen schmuck birgt jeder GauDarum unsre Herzen glühen Für die Heimat weitz und blau.

Und das Volk in seiner Mitte Hat stets unentwegt bewahrt Gottesfurcht und schlichte Sitte Und der Väter deutsche Art.

Fleitz ziert es und Herzensgüte, Scheint sein Wesen oft auch rauh; Reich an jeder Tugend Blüte Ist die Heimat weitz und blau.

Bayerns Ruhm und Wohlfahrt heben Will sein Fürst, wie er versprach,Darum sind wir treu ergeben Unserm Hause Wittelsbach. Huldigend nah'n wir dem Throne, Unsre Liebe neu zu weih'n: Sie ist in der Fürstenkrone Wohl der schönste Edelstein.

Nie im Glück und in Gefahren Löst der Eintracht festes Band! Laßt uns Treue auch bewahren Dem geliebten Bayerland! Latzt die Hände ftoh uns falten: „Guter Gott, vom Himmel schau, Gnädig wollest du erhalten Unsre Heimat weitz und blau!"

2. Wohnsitze, Namen und Sprache, Herkunst des Bayernvolkes. Don^Siegmund von Riezler?)

Von allen deutschen Stämmen

Staate den Namen,

der wenigstens

gibt heute der bayerische allein einem den Kern der alten Stammlande zum

größeren Teile umschließt und in dessen Bevölkerungszahl der namengebende Stamm das Übergewicht hat. *) Auf lichten Höhen, S. 23. Dresden-Leipzig, 1897, E. Pierson. •) Geschichte Bayerns, I. Band, S. 4 ff. Gotha, 1878, A. Perthes. Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

2. Wohnsitze, Namen und Sprach«, Herkunft des Bayernvolkes.

2

Der bayerische Stamm, wiewohl unter zwei Staaten zersplittert, bildet noch heute eine durch Sprache und Art seiner Angehörigen unverkennbare

Einheit. Ihm gehören vollständig an vom Königreiche Bayern die Provinzen Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz und Regensburg und von der öster­ reichisch-ungarischen Monarchie die Erzherzogtümer Österreich ob und unter der

Enns und das Herzogtum Salzburg. Was von nichtbayerischem Volke in diesen Provinzen saß, ist sehr gering und frühzeitig bajuwarisiert worden.

Weit mehr von nichtbayerischen Elementen, insbesondere Slaven, haben die Bayern im Lande unter der Enns in sich aufgesogen. Von der bayerischen Provinz Schwaben und Neuburg sind die Bewohner des letzteren Gebietes

Bayern. In Oberfranken ist die Bevölkerung um das Fichtelgebirge, in Mittel­ franken, dessen Name den ethnologischen Verhältnissen nicht entspricht, die der südlichen und östlichen Teile, ungefähr ein Drittel bis zur Hälfte des Ganzen

von bayerischer Abkunft, reiner im Eichstättischen, mehr mit Franken gemischt

im Nürnbergischen; immerhin ist der Nürnberger Dialekt bayerisch, nur frän­ Nur auf Verkennung dieser Tatsachen beruht die zuweilen ausgesprochene Behauptung, daß im Königreiche Bayern mehr Franken als Bayern sitzen. Von Steiermark, Kärnten und Tirol ge­

kisch angehaucht, nicht etwa umgekehrt.

hört dem bayerischen Stamme die gesamte deutsche Bevölkerung an. Aber in ganz Deutschttrol — mit Ausnahme wahrscheinlich des nördlichsten Unterinntales und seiner Seitentäler — haben die Bayern nicht nur wie 'anderwärts ver­

einzelte Nichtgermanen sondern eine starke räto-romanische Bevölkerung baiuwarisiert. Endlich gehören dem bayerischen Dialekte und größtenteils wohl auch

dem Ursprünge nach dem bayerischen Stamme an die Deutschen in Ungarn und die im Egerlande, an den böhmischen Abhängen des Böhmerwaldes und an der Thaya. Die Seelenzahl des bayerischen Stammes wird man heute in

runder Schätzung etwa auf 9—10 Millionen anschlagen dürfen, von denen über 2^/2 Millionen im Königreiche Bayern, alle Ädrigen in der österreichisch­ ungarischen Monarchie leben. Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz und Regensburg, Neuburg, die bayerischen Teile von Mittelftanken, Österreich ob der Enns, Salzburg und Deutschttrol bilden die alten Stammlande, in denen sich die Bayern im Laufe

des 6. Jahrhunderts festgesetzt haben. lich weiter nach Osten aus.

Von dort aus breiteten sie sich allmäh­

In das 8. Jahrhundert fällt in der Hauptsache

die Besiedlung von Kärnten und Steiermark,

in

das 9. und 10. die der

Ostmark, in das 11. und 12. vornehmlich, wie es scheint, die Einwanderungen in

Ungarn

und

Böhmen.

Mit

der

Kolonisierung

des

Egerlandes,

die

wahrscheinlich am Schlüsse des 11. und in den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts erfolgte, hat die räumliche Ausbreitung des Stammes

ihren Höhepunkt und Stillstand erreicht^, und kaum ist dies geschehen, so nimmt seine schon vorher beginnende politische Zersplitterung 'größere Aus­

dehnung an.

2. Wohnsitze, Namen und Sprache, Herkunft des Bayernvolkes.

seine

3

Zuletzt unter den vier großen deutschen Stämmen hat der bayerische heutigen Wohnsitze gewonnen und diese Tatsache bestimmt bereits ein

gutes Stück seiner Geschichte.

Schon beginnen sich die Wogen der Völker­

wanderung zu glätten, schon hat im ganzen Westen und Nordwesten von Deutschland die bleibende Bevölkerung sich niedergelassen und Franken, Sachsen, Schwaben haben bereits eine Geschichte hinter sich, als die Bayern zuerst in

ihren heutigen Wohnsitzen erscheinen. Etwa um 520 nennt den Baioarier die sogenannte fränkische Völkertafel, ein kahles Verzeichnis von Volksnamen, dem

jedoch außer der ersten Nennung der Bayern auch der Umstand besonderen Wert verleiht, daß hier des Tacitus Scheidung der Germanen in Jngävonen,

Jstävonen und Herminonen, genauer Erminonen, noch einmal wiederkehrt.

Im

Jahre 565 sodann spricht der Dichter Venantius Fortunatus von dem Lande Baioarien, das er, von Italien zum fränkischen Könige Sigibert reisend, zwischen Inn und Lech durchwandert habe.

Als eines Volkes, das zwischen

Augsburg, dem Inn und den Alpen sitzt, erwähnt derselbe Venantius auch der Baioarier in seinem Lobgedichte auf den heiligen Martinus.

Die ältesten Namensformen, die bei Schriftstellern und in Urkunden, seit

dem 8. Jahrhundert auch in einheimischen Denkmälern auftreten, sind: Baioarii, Baiovarii, Baiuwarii, Baiuvarii, auch schon gekürzt: Bawarii und Bawari. In deutscher Sprache erscheinen zuerst in einer Wessobrunner Handschrift und

in den romanisch-deutschen Kasseler Glossen, beide aus dem 8. Jahrhundert, die Namen Peigira und Peigirolant, wie denn im Munde der alten Bayern jedes b im Anlaut zu p verhärtet wurde. Über die Bedeutung dieses Namens kann kein Zweifel obwalten, wenn

man sich der analog gebildeten Stammnamen Amsiwarii, Chatwarii, Ripuarii

erinnert. Baiuwarii sind die Bewohner des Landes Baia oder Baias. Baias nennt der Geograph von Ravenna einen Teil des ausgedehnten

Gebietes, das er nach seinem Hauptstrome als das Elbeland bezeichnet.

ist dasselbe Land, das dem Tacitus Boihemum heißt.

Es

Seine ältesten Be­

wohner in historischer Zeit waren die Bojer, ein keltischer Stamm.

Als sie

durch die Markomannen verdrängt wurden, gaben diese dem neugewonnenen Lande den Namen:

das Heim der Bojer, Boioheim, Böheim, Böhmen, der

noch heute sowohl am Lande als an seinen jetzigen Bewohnern hastet. Die Volksnamen Bayern und Böhmen haben also ursprünglich dieselbe Bedeutung: Bewohner von Böhmen.

in Böhmen.

Noch im 5. Jahrhundert saßen die Markomannen

Im siebten zuerst begegnen dort die slavischen Czechen, die aber

wahrscheinlich schon

früher, gleich nach dem Abzüge der Markomannen, ein­

gedrungen sind; wenigstens läßt sich zwischen den letzteren und ihnen kein

anderes Volk dort nachweisen. Die Bayern führen bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte rein

deutsche Personennamen und ^rein deutsch sind ebenso die Ortsnamen, die sie

ihren neuen Niederlassungen beilegen.

Nur in Zeiten,

denen das Licht der



4

2. Wohnsitze, Namen und Sprache, Herkunft des Bayernvolkes.

Sprachforschung noch nicht einmal dämmerte, war es möglich, die Bedeutung

solcher Tatsachen zu übersehen und diese Wolftregil und Poapo, Eigil und

Wazaman,

die Gründer von Feldmoching und Holzhausen,

Hessellohe und

Ebersberg für Nachkommen der keltischen Bojer zu erklären.

Indem man

richtig eine etymologische Verwandtschaft der beiden Namensvettern folgerte, übersah man doch, einmal, daß dieselbe noch keine leibliche in sich schließt,

und weiter, daß auch die etymologische erst durch den dazwischen liegenden Namen des böhmischen Landes vermittelt wird.

Schon im 7. Jahrhundert

hatte der Mönch Jonas von Bobbio Bayern und Bojer verwechselt.

Wie der Irrtum hier und in verwandten Heiligenleben nur beiläufig ausgesprochen

ward, hatte er auch keine weiteren Folgen. Seine Einführung in die bayerische Literatur rührt erst von der übelberatenen Gelehrsamkeit der Landeschronisten

des 15. und 16. Jahrhunderts, zuerst von Veit Arnpeck her. Am meisten zu seiner Einbürgerung hat dann Aventin beigetragen und länger als sonst wohl wahrscheinlich gewesen ward der falschen Hypothese dadurch das Leben gefristet, daß undeutsche Gesinnung in den Tagen des Rheinbundes sie begünstigte und politisch verwertete.

Können wir nur in einem germanischen Stamme, der einige Zeit in Böhmen den dauernden Wohnsitz hatte, die Ahnen unserer Bayern suchen, so

werden wir schon hierdurch zu dem Schlüsse gedrängt, daß die Bayern mit den Markomannen zusammenhängen. Dieses Ergebnis wird befestigt, wenn

wir jenem Führer folgen,

an den man sich in ethnologischen Fragen stets

zuerst zu wenden hat. Die Sprache der Bayern schließt nicht nur die keltische Abkunft des Stammes aus sondern zeigt auch, welcher Platz demselben innerhalb der germanischen Nation anzuweisen ist. Der bayerische Dialekt ist mit keinem anderen näher verwandt als mit dem schwäbischen. Mit diesem zu­ sammen bildet das Bayerische einen deutschen Hauptdialekt, das sogenannte

Oberdeutsche.

Die Schwaben oder Alamannen, was gleichbedeutend, gehören

zur suevischen Völkergruppe und haben deren Namen int verengerten Sinne bis heute erhalten; ihren Kern bildeten höchstwahrscheinlich die alten Semnonen.

Auch die Bayern müssen also der suevisch-erminonischen Gruppe zugewicsen werden.

Als Suevenstämme nennt Tacitus, der hier durch alle

sonstigen

Zeugnisse nur Bestätigung findet, außer den Semnonen die Langobarden, Hermunduren, Narisker, Markomannen, Quaden und die kleinen Völker der Marsinger und Burer. Von diesen sind die Langobarden nach Italien gewandert, die Hermunduren die Ahnen unserer Thüringer. Der kleine Stamm der Narisker

saß in der heutigen Oberpfalz, im Westen der Markomannen, von denen er- von die Ouaden, fast stets mit den Markomannen zusammen genannt, wohnten in deren Osten, im heutigen Mähren, Anfang an wohl nur einen Ableger bildete;

die Marsinger und Burer in deren Rücken, etwa um das Riesengebirge. Nehmen wir also Namen und Sprache des Volkes zusammen, so bleiben für die Frage nach seiner Herkunft nur zwei Antworten offen:

die Bayern

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes. sind

entweder

5

kein anderes Volk als die Markomannen

oder sie sind aus

einer Vereinigung suevischer Stämme erwachsen, in der die Markomannen den Kern bildeten, wozu überdies die Quaden, vielleicht auch Narisker und kleinere suevische Stämme stießen.

verwandten Stämme

Auf solchem Wege, durch die Verbindung mehrerer

sich sehr wahrscheinlich die drei anderen großen

haben

deutschen Stämme des Mittelalters, Franken, Sachsen und Schwaben gebildet.

Auch für die Bayern wird man geneigt sein, der Annahme einer Vereinigung,

aus Markomannen und einigen nahe verwandten und benachbarten Suevenstämmen, insbesondere Quaden, den Vorzug zu geben, wenn man die Analogie der

allgemeinen Entwicklung

besetzten Gebietes,

die Größe des von den Bayern

berücksichtigt,

die namhafte Schwächung,

welche die Markomannen und

ihre suevischen Nachbarn in den Romer-, wohl auch Hunnenkriegen erfuhren,

endlich den Umstand, daß gleichzeitig mit dem Markomannennamcn auch jener der Quaden verschwindet.

3. Die vorgeschichtliche geil des Landes. Von Franz Weber.* Die

des Menschen

Spuren

reichen

hinüber in vergangene Erdperioden.

wir gegenwärtig leben,

weit

über

geschichtliche Zeit

alle

Dem geologischen Abschnitt, in welchem

dem Alluvium,

ging eine lange Erdperiode voraus,

das Diluvium, deren Dauer von den Geologen auf 100000 Jahre berechnet

wird,

und dieser wieder eine andere, die Tertiärzeit.

Bis jetzt sind sichere

Spuren des Menschen im Tertiär nirgends gefunden worden, die Möglich­

keit seines Vorhandenseins auch in dieser frühen Periode ist aber keineswegs

ausgeschlossen.

gewiesen.

Dagegen

Tertiär und begann

in

ist seine Existenz

Während dieser

Erdperiode

sicher nach­

der Diluvialzeit

änderte

eine allmähliche Erkältung,

sich

das

Klima

milde

des

welche zur Vereisung eines

großen Teils des Kontinents führte, der sogenannten Eiszeit.

Man unter­

scheidet mehrere Eisperioden mit dazwischenliegenden eisfreien Unterbrechungen, den Zwischeneiszeiten, in denen die Vergletscherung etwas zurückging und Land­

striche eisfrei wurden, die beim Wiedervorrücken der Gletscher sich neuerdings mit Eis bedeckten.

In diesen Zwischeneiszeiten von sehr langer Dauer war die

Möglichkeit menschlichen Lebens auch in diesen Landstrichen gegeben, wie sie

in den

vom Eise nie erreichten Gebieten

Eiszeit immer vorhanden war.

wurden

denn

auch die

schon

sicheren Spuren des Menschen zuerst

Spuren, die über die Eiszeit,

dem Alluvium angesetzt wird, ves Bereichs

von Mitteleuropa

vor der

Hier, in Frankreich, Belgien, Mitteldeutschland,

nachgewiesen,

deren Beginn auf 15000—20000 Jahre vor

hinaufgehen.

Aber auch

in dem

der Gletscher gelegenen Gebiete Europas hat man

innerhalb

menschliche

Spuren gefunden, die auf seine Anwesenheit daselbst in einer Zwischeneiszeit,

jedenfalls in der postglazialen Zeit, Hinweisen.

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

6

Unser engeres Heimatland Bayern war znm Teil im Bereich der voll­ ständigen Vereisung ,'zum Teil außerhalb dieser. Von den Alpen im Süden gingen die Gletscher bis an die Donau hinaus. Jenseits dieser aber blieb das Land vom Eise frei. Es haben sich denn auch in den Höhlen an der Donau und im schwäbischen Ries wie in dem Fränkischen Juragebiet Reste des

Diluvialmenschen gefunden, am unzweifelhaftesten in den ungestörten Schichten in der Ofnethöhle und im Hohlenfels im Ries, während sich südlich der Donau bis jetzt dessen Spuren aus dem Diluvium nicht nachweisen ließen.

Die Reste des Menschen aus diesen ftühen Zeiten sind sehr spärlich und unscheinbar. Grauenhaft und schrecklich, von unserem Kulturstandpunkt zurück­

gesehen, muß sich das Leben in Mitte einer noch unwirtlichen Natur, in der Umgebung der gewaltigen und unheimlichen Tierreihen des Diluviums ab­ gewickelt haben.

In den Fundschichten dieser Periode zeigen sich weder Kohle

und Asche noch Scherben von Tongefäßen; der Mensch kannte noch nicht das Feuer, noch'nicht die roheste Töpferei. Unter den Knochen der Tiere in den

Höhlenschichten finden sich nur solche wilder Tiere; der Mensch hatte noch kein Haustier gezähmt. Er genoß das Fleisch der erlegten Tiere roh, trank deren

Blut und sog das Mark aus den aufgeschlagenen Knochen, die zahlreich mit den Spuren der Öffnung in den Fundschichten vorkommen. Als Waffe und Geräte dienten ihm nur der Baumast und der Stein, den er durch Behauen in verschiedene Formen brachte, so daß er ihn als Beil, Meißel, Messer und

Schaber verwenden konnte. konnte, den Feuerstein,

Er wählte

zur Bearbeitung.

das härteste Gestein,

das er finden

Auch die Kiefer der großen Tiere

benutzte er als Hiebwaffe, wie er die Schädel kleinerer als Trinkgeschirr gebrauchte. So armselig war der Hausrat des Menschen, der meist in natür­

lichen Höhlen Unterkunft suchte und fand, um deren Besitz er oft genug mit den Tieren

kämpfen mußte.

Und doch finden sich schon aus dieser frühen

Zeit, da der Mensch noch als völlig „Wilder" in die Erscheinung tritt, zwar

nicht bei uns, aber in Frankreich und in Italien, in den Wohnhöhlen Spuren

einer überraschenden naturalistischen Kunstübung in eingeritzten und mit Farben umrissenen Darstellungen von Tieren, wie sich auch in Schweizer Höhlen

plastische,

aus

Bein und Knochen

geformte Tiergebilde

von erstaunlicher

Natürlichkeit gefunden haben. In unseren Höhlen fanden sich wenigstens Rötelbrocken, von denen man annimmt, daß sie der Höhlenmensch zur Be­ malung des Körpers verwendete, sowie durchbohrte Tierzähne zum An­ hängen, womit also auch das Bedürfnis des Körperschmucks schon zum Aus­

druck kam. Von der Verwendung

des Gesteins zum Gebrauche als Waffe und

Werkzeug, deren Formen aber nur durch rohes Behauen der natürlichen Knollen hervorgebracht sind, nennt man diese erste nachweisbare Periode des

Menschen die „ältere Steinzeit" im Gegensatz zu einer nun folgenden vor­

geschrittenen Kulturperiode, der sogenannten „jüngeren Steinzeit".

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Lande-.

7

Keine bisher erkennbar überbrückte Kluft führt von dem „Wilden" der älteren Steinzeit zu dem mit einem Schlage schon von einer gewissermaßen

hohen Kultur umgebenen Menschen

der jüngeren Steinzeit.

Wie nach dem

Zurückweichen der Eismassen und dem Verlaufen der Wasserfluten auf den

Moränen und den Schlammniederschlägen sich allmählich ein freundliches Landschaftsbild mit grünen Matten, blauen Seen und lichten Flußarmen ent­

wickelte; wie die Tierwelt nach dem Untergang und der Auswanderung der ungeheuerlichen Typen der Diluvialzeit eine unserer jetzigen sich annähernde Gestaltung annahm, so hatte sicher auch das Äußere des Alluvialmenschen

nicht mehr Form und Gestalt des Wilden der älteren Steinzeit. Nach den körperlichen Überresten, die sich aus der jüngeren Steinperiode des Menschen

erhalten haben, glich dieser in Bau und Erscheinung schon vollkommen dem späteren Menschen und war der direkte Ahnherr des jetzt lebenden Geschlechts; von ihm reicht bis in unsere Tage der Faden

der Kulturentwicklung

ohne

Unterbrechung herab. Die Dauer der Alluvialperiode, in der wir gegenwärtig leben, und damit der Beginn der menschlichen Kultur der jüngeren Steinzeit

wird von den Geologen auf 7000—10000 Jahre geschätzt. Auch jetzt war der Mensch noch ohne jede Kenntnis der Metalle und ihrer Verwendbarkeit. Er schuf sich alle Waffen und Geräte, soweit nicht Holz oder Knochen hierzu Verwendung fanden, aus Stein.

Aber nicht mehr durch

bloßes rohes Behauen wußte er diesen zu formen; er hatte jetzt gelernt den Stein zu schleifen und zu glätten und gab seinen Bedarfsgeräten allmählich nicht nur äußerst praktische sondern auch gefällige Formen.

Es heißt daher

diese Periode die „jüngere Steinzeit" oder die Periode des geschliffenen Steines. Was aber diese int Vergleich zu der älteren charakterisiert, ist nicht bloß eine größere Fertigkeit in der Behandlung und Ausnutzung der Gesteinsarten, son­

dern eine auf ganz anderer Grundlage beruhende Lebensführung überhaupt. Wir kennen eine Menge Niederlassungen aus dieser Periode mit dem gesamten Hansinventar

der Menschen in den Pfahlbauten der Voralpenseen

ivie in zahlreichen Landansiedelungen ; speziell bei uns in Bayern sind solche in dem Pfahlbau an der Insel des Würmsees, der sogenannten Roseninsel, in den Landansiedclungen auf dem Atlhögl bei Hammerau (Bezirksamt Laufen), in den Ebenen bei Inzkofen (Bezirksamt Freising), bei Regensburg unb Strau­ bing, in den Höhlen des Fränkischen Jura und der Fränkischen Schweiz wie

in den zahlreichen Wohngrubenresten des Spessarts bekannt. Aus diesen reichlichen Überresten entrollt sich ein vollständiges Bild der Kulturstufe jener Periode.

Der Mensch lebte nicht mehr bloß in Familien

wie der der älteren Steinzeit, sondern hatte sich in dorfartigen Siedelungen

er hatte fast alle Haustiere, die wir er trieb Ackerbau und baute verschiedene Getreidearten;

zu Sippenverbänden zusammengetan; jetzt noch verwenden;

er verstand zu weben, flechten und spinnen;

die Töpferei war allgemein

Hausbetrieb wie die Verfertigung der Stein- und Knochcngeräte, Fischfang •

8

3. Die vorgeschichtliche Zeit deS Landes.

und Jagd wurden eifrig

gepflegt.

Außer dieser durch

die Notdurft des

Lebens gebotenen Tätigkeit hat sich aber auch das Bedürfnis wie der Sinn für eine Verfeinerung der Lebensführung

entwickelt: reichlicher Schmuck in

allen möglichen Formen aus Bein und Stein war in Verwendung, die Töpfer­ geschirre wurden mit von Geweben entlehnten Motiven in mannigfaltigster Weise verziert, die Formen der Waffen und Geräte nahmen künstlerische Ge­

stalt an, man begnügt sich nicht mehr den Stein nur zu schleifen, man bringt auch hier Verzierung durch eingeschliffene Linien und Kanten an.

Dagegen

fehlt jede Spur der vom Menschen der älteren Steinzeit geübten naturalistischen Kunst, deren Kenntnis wieder verloren gegangen zu sein scheint. Auch in dem psychischen Leben ging eine gewaltige Veränderung vor sich, wenn sich auch naturgemäß hiervon nicht so deutliche Spuren erhalten haben

wie vom mechanischen Leben. Während der „Wilde" der älteren Steinzeit seine Toten noch ohne Grauen in seiner Wohnhöhle unter seiner Lagerstätte

verscharrte, hatte der Mensch der jüngeren Steinzeit schon gesonderte Begräb­ nisplätze, in denen er seine verstorbenen Sippen mit gewissen Gebräuchen und unter Beigabe von Geschenken, von Schmuck, von Gefäßen mit Lebensmitteln

bestattete und so den Beweis dunkler Vorstellungen von einem Leben nach dein Tode gab. In der Hauptsache sehen wir also schon jetzt die Kultur der Vorzeit in

ihren Grundzügen ausgeprägt. Der Gesamteindruck, den die Ansiedelungen der jüngeren Steinzeit machen, ist ein freundliches, arbeitsfreudiges Lebensbild reger

Schaffenslust nach allen Richtungen mit hellen Lichtblicken in die sich hieraus entwickelnde Zukunft der Menschen.

Es steht somit nach den Funden unumstößlich fest, daß es einst eine reine Steinzeit in Bayern wie in ganz Mitteleuropa gegeben hat. Diese umfaßte einen sehr langen, über mehrere Jahrtausende reichenden Zeitraum und

es lassen sich verschiedene Zeitabschnitte in anffteigender Entwicklung unter­ scheiden. Aber irgend einen Anhalt für die ethnologische Feststellung der Stein­ zeitleute geben deren Überreste, wie sie bisher auf uns gekommen, nicht. Eine

gewisse allgemeine Verwandtschaft aber muß wenigstens in Bayern bei der

steinzeitlichxn Bevölkerung geherrscht haben. Die wenigen somatischen sowie die zahlreichen mechanischen Überreste weisen auf ein körperlich mäßig ent­

wickeltes Volk, von dem wir nicht wissen, ob es auf dem Boden des von ihm bewohnten Landes einheimisch oder dort eingewandert war.

Auf die jüngere Steinzeit folgt bei uns wie in den Nachbarländern die sogenannte Metallzeit und zwar als deren erste deutlich abgegrenzte Stufe die Eine eigentliche Kupferperiode, die der Bronzezeit vorangegangen läßt sich für Bayern wenigstens an der Hand der Funde nicht nach­

Bronzezeit.

wäre,

weisen, obwohl man nach der natürlichen Entwicklung eher annehmen müßte, daß Kupfer, der Hauptbestandteil der Bronze, ursprünglich allein verarbeitet wurde, ehe man auf die Legierung dieses Metalls mit Zinn und damit auf

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

die Herstellung der Bronze geriet.

9

Wie die Erdperioden reißen auch die

Kulturperioden nicht plötzlich und mit einemmale ab, sondern gehen langsam

ineinander über.

Schon

am Ende der jüngeren Steinzeit treten vereinzelt

Schmucksachen und Geräte von Bronze auf. In der Ansiedlung am Auhögl wurde Bronze verarbeitet, wie Reste von Gußklumpen und Tropfen, von

Schmelztiegeln mit anhaftender Bronzemasse, von Gußformen und einige wenige offenbar an Ort und Stelle gegossene Schmuckstücke (Spiralen und Nadeln) sowie Geräte beweisen. Das Haupterzeugnis der jüngeren Steinzeit war das Steinbeil, erst als Keil in Schuhlcistenform, später mit durchgebohrtem Loch

zum Anstecken eines Holzstiels, noch später zum förmlichen Steinhammer aus­ gebildet; außerdem kommen Pfeilspitzen und Dolche vor. Alle diese Gegen­

stände werden nun in anfänglich gleichen Formen in Bronze nachgebildet. Wie die Kenntnis der Bronze ins Land kam, vermögen wir vorerst noch nicht nach­ zuweisen, wahrscheinlich wurde sie schon als Rohmaterial eingeführt und dann

im Lande verarbeitet; denn man findet namentlich in Südbayern große Mengen rohgearbeiteter Bronzebarren in Ring- und Spangenform und erklärt sich diese Funde als Handelsware.

im Lande selbst

bereitet wurde,

Es wäre aber auch möglich, daß das Erz denn sowohl Kupfer als Zinn kommt in

Bayern vor, ersteres in den Gebirgen im Süden, letzteres im Fichtelgebirge.

Auch fertige Ware kam durch den Handel ins Land. Noch vor dem Jahre 2000 v. Chr. beginnt die Bronzezeit bei uns, auf deren frühester Stufe gleichzeitig noch Stein in Verwendung kam,

bald von dem neuen Material verdrängt wurde.

der aber

Auf dieser ältesten Stufe

der Bronzezeit fehlt von den Waffen noch das Schwert und die Lanze, obwohl man letztere schon in der Steinzeit kannte. Überhaupt wird das glänzende neue Material vor allen« zum Schmuck verwertet. Schon in dieser frühen Zeit lernte man nicht nur Bronze gieße«« sondern auch als Draht ziehen und zu Blech

aushämmern.

In Gräberfunde«« des südlichen Bayerns und zwar

sowohl im östlichen Teil an der Salzach wie nördlich

und

westlich an der

Donau treten übereinstimmend als Schmuckstücke auf: lange, dünne Blech­ röhren, deren mehrere untereinander in horizontalen Reihen auf beide«« Seiten der Brust am Kleide befestigt waren; ferner ziemlich große Spiralen aus Bronzedraht in Schneckenform aufgerollt, die als Kopfputz oder Haarschmuck

verwendet wurden.

Die Gleichmäßigkeit dieser Schmucka««sstattung im Osten

und Westen von Südbayern läßt auf eine gewisse Verwandtschaft der Be­

wohner schließen. Denn wenn auch die Bronzekultur im allgemeinen über ganz Europa verbreitet war und schon aus diesem Grunde nicht ein einziges

Volk als Träger dieser Kultur angenommen werden darf,

so

können

doch

lokale Eigentümlichkeiten für ein begrenztes Gebiet hervortreten, die für dieses

Gebiet auf einen einheitlichen Volksstamm Hinweisen. Noch deutlicher macht sich eine solche Verschiedenheit in der nachfolgenden Stufe der älteren Bronzezeit

bemerkbar,

insoferne hier nördlich der Donau mehrfach Formen des Bronze-

10

3. Dir vorgeschichtliche Zeit des Landes.

schmucks auftreten, die südlich dieser fehlen, wie z. B. die Kleidernadeln mir Radscheibenkopf, die herzförmigen Halsschmuckgarnituren u. a. Es gewinnt dadurch

die Annahme einen gewissen Halt, daß in Bayern in dieser Zeit nördlich der Donau ein anderer Volksstamm saß wie südlich.

In dieser zweiten Ent­

wicklungsstufe der älteren Bronzezeit sehen wir Technik und Stil auf einem

Höhepunkt, der später nur noch an Mannigfaltigkeit der Formen, nicht mehr

an Stilgehalt und Feinheit des Geschmacks übertroffen wird.

In den Hügel­

gräbern dieser Zeit, in denen nun im Gegensatz zu den Flachgräbern der Stein-

und ältesten Bronzezeit statt der Skelette Leichenbraud, wenn auch nicht aus­ schließlich, auftritt» findet man als Ausrüstung der Männerleichen wiederholt gleiche Waffengarnituren, bestehend in Schwert, Dolch und Beil von Bronze, neben ebenfalls typischer Schmuckausstattung mit einem Handreis und einer langen Nadel, die Mantel oder Gewand zusammenhielt; in den Frauengräbern

meist ein Paar solcher Nadeln und mehrere Arm- und Handgclenkringe von breiten Bronzebändern oder gewundenem Bronzestab; an Stelle der horizontal gelegten Bronzeröhren treten als Kleiderbesatz nun Zierbuckel in größerer oder kleinerer Form aus dünnem Bronzeblech, oft mit getriebenen, perlenförmigen

Punkten verziert, bis zu 50 Stück und mehr, auf; statt der Schneckenspiralen werden trichterförmige Hohlbleche im Haare getragen. Auch diese Ausstattung zieht sich in Südbayern von Osten bis zum Bodensee gleichmäßig durch. Als

Schmuckstücke treten jetzt auch Spiralen und Ringe von Gold, Perlen von Bern­ stein und blauem Glas auf, die jedenfalls durch einen ausgedehnteren Handels­

verkehr aus Norden und Süden ins Land kamen.

Der hochentwickelte Formen­

sinn der Zeit tritt ebenso in der Schönheit und Eleganz der Waffen hervor

wie in der Zierlichkeit der Schmucksachen, von denen namentlich die Finger­ ringe mit Spiralwindungen, der Halsschmuck von feinem gerollten Bronzedraht

mit im Kreise herabhängenden feinen Spiralscheibchen einen außerordentlich zierlichen Eindruck machen und fern von jeder Überladung sind. Auch die

Mannigfaltigkeit der Nadeln und des Arnischmucks weicht nie von einer gewissen einfachen Vornehmheit der Form ab.

Auf den beiden folgenden Stufen der

jüngeren Bronzezeit treten Zahlreiche neue Einzelheiten bei Waffen und Schmuck auf, im großen und ganzen bleiben aber die typischen Formen bestehen.

Die Keramik der Bronzezeit hat nicht mehr die reiche Verzierung der steinzeitlichen Gefäße, dafür hat sich aber deren Gestalt wesentlich stilvoller und schöner entwickelt.

Charakteristisch bleibt auch für die Bronzezeit wie für

die vorhergehende Steinzeit das Fehlen jeder Motive aus der Pflanzen- und Tierwelt bei der Verzierungsweise; auch keine Spur einer plastischen oder bildlichen Darstellung des Menschen ist bis jetzt bei uns gefunden. Es läßt sich vielleicht hieraus der Schluß ziehen, daß der Mensch der Bronzezeit sich

noch nicht zur Vorstellung persönlicher Götter erhob, die man allenfalls in menschlichen Gestalten nachgebildet hätte.

11

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

Unzweifelhaft

ist

in

unserem Lande

von der jüngeren Steinzeit ein

ununterbrochener Fortschritt der Entwicklung bis auf die Höhe der Bronze­ zeit zu erkennen. Wenn man die Überreste dieser beiden Perioden aufmerksam

verfolgt, sgewinnt man den Eindruck, daß hier ein und derselbe Bolksstamm sich zu einer ihm erreichbaren Kulturhöhe entwickelt hat.

Auch die wenigen

bisher gefundenen Wohnstätten mit ihrem Inventar deuten darauf hin, daß die Leute der jüngeren Stein- und der Bronzezeit in ununterbrochener Geschlechterreihe aufeinanderfolgten, daß kein Bevölkerungswechsel während dieser

Wie sich in den steinzeitlichen Niederlassungen auf dem Auhögl

Perioden eintrat.

und auf der Insel im Würmsee die ersten Spuren der Metallverwendung zeigen, so treten in der bisher einzigen im südlichen Bayern gefundenen bronzezeit­ lichen Niederlassung unter der Burgruine in Karl st ein bei Reichenhall die letzten Spuren der Verwendung von Steinmaterial neben der schon

herrschenden Bronze zutage.

Diese kleine, in entlegener Gebirgsgegend befind­

liche Ansiedlung gibt in ihren Resten nur das Bild von ärmlichen Behau­ sungen, nicht von der Höhe der bronzezeitlichen Kultur. Immerhin aber

gewährt sie einen Einblick in das Leben und Treiben ihrer Bewohner.

Am

Fuße des steilen Bergkegels und terrassenförmig am Berghang

übereinander

am Berg in der Weise in den Hang

eingeschnitten

lagen die Hütten,

die

waren, daß der natürliche Felsen die Rückwand bildete und der Aushub nach

vorn abgelagert wurde gestampft und Spuren

umRaum zu gewinnen. Der ebene Boden war fest­ vonPfostenlöchern lassen annehmen, daß Vorder- und

Seitenwände aus Holzstämmen zusammengefügt waren. Das Dach ruhte schräg auf dem Felsen der Rückwand und den Stämmen der Vorderwand. Eine oder auch zwei Feuerstellen waren im Hüttenraum aus großen Steinen halbkreisförmig angebracht.

Das Hausinventar bestand aus großen Tonkufen

für Wasservorrat, aus Mahlsteinen und Reibern von Granit, mit denen von

den Weibern jdas Getreide gemahlen wurde; viele Nähnadeln von Bronze, Spinnwirtel und Webstuhlgewichte von Ton deuten darauf hin, daß hier von ihnen gesponnen, gewoben und die Kleidung bereitet sowie Netze gestrickt wurden.

Denn die Männer oblagen dem Fischfang (Funde von Angeln aus

Bronze, vieler Netzsenkcr) und der Jagd (Pfeilspitzen von Feuerstein und Bronze); sie beschäftigten sich mit Bronzegießen (Gußklumpen, Gußform, Schmelztiegel­

reste, neue Stücke mit Gußnaht).

Viele vorkommende kleine Bronzepunzen

oder Stichel (wie sie auch in den Schweizer Pfahlbauten zahlreich auftreten)

dienten zu irgend einem hier betriebenen Handwerk. Am natürlichen Felsboden der Hütten und ihrer Umgebung fanden sich abgesprungene Schneiden von Bronzebeilen, ein Beweis, daß die Männer hier den Felsboden zur Herstellung der Hütten nnd das Holz der Stämme bearbeitet hatten. Außerordentlich

häufig waren die Scherben der Töpfe, die ebenfalls hier von den Weibern hergestellt wurden. Selbst ganz kleine Geschirrchen, offenbar Kinderspielzeug, fanden sich vor.

Zerbrochene oder verlorene Schmucksachen von Bronze ließen

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

12

erkennen, daß die Ansiedlung von der frühesten Bronzezeit bis an deren Ende

bewohnt war.

Auch Grabstätten dieser Zeit wurden in der Nähe unter dem

Schutt einer späteren römischen Niederlassung gefunden.

Ein anderes charakteristisches Kulturbild der Zeit geben die an vielen Orten Bayerns aufgefundenen Gießstätten und Vorräte neuer; fertiger Waren wie angesammelte zerbrochene Geräte und Schmucksachen, die wegen des kost­ baren Materials zum Einschmelzen bestimmt waren. Diese Funde deuten auf seßhafte oder herumziehende Bronzeschmiede, von deren Kunst die Sagen der

späteren Zeit berichten.

Wir lernen aus diesen wie aus den Massenfunden

der Rohmaterialien die Verkehrswege kennen, die durch das Land führten, und

die Richtung, die der Handel und die Einfuhr nahmen.

Diese Entwicklung

des Verkehrs deutet wieder auf eine lange, friedliche Periode, die auch die hohe Vollendung des Kunstgewerbes der Bronzezeit ermöglichte.

Diese tritt

namentlich in den Beigaben der in den Grabhügeln dieser Zeit Bestatteten hervor. Wie bei den Griechen wurden auch bei uns nur den Angesehenen des Volkes und ihren Frauen Hügel aufgerichtet und eine reiche Ausstattung mit ins Grab gegeben.

Die Bronzezeit des westlichen Europa entspricht über­

haupt zeitlich der im östlichen Teile herrschenden sogenannten mykenischen Periode und füllt ebenfalls in mehrfachen Abstufungen das zweite vorchristliche Jahr­

tausend aus, wenn sie auch nur ein schwacher Abglanz des reichen Kulturbildes

der letzteren in materieller und künstlerischer Hinsicht ist. Die Bronzezeit hat bei uns weit über ein Jahrtausend gedauert.

Über

die ethnologische Zugehörigkeit des Bronzezeitvolkes in unserem Lande sind wir noch ebenso ohne jede Kenntnis wie hinsichtlich der Steinzeitleute. Aber die somatischen Überreste nicht minder wie Waffen, Geräte und Schmucksachen

setzen einen schlanken und eher kleinen Menschenschlag voraus wie in der vor­ hergehenden Periode, so daß auch in dieser Richtung einer Kontinuität der Bevölkerung der Stein- und Bronzezeit nicht widersprochen wäre. Als ein wichtiges Kulturereignis in der Vorgeschichte ist das Auftreten

und die Verwendung

des Eisens zu bettachten.

Mit dem neuen Metall

entwickelte sich bald auch ein neuer Formenkreis, der sich ganz Mitteleuropa von den östlichen (nicht klassischen) Ländern bis an die Westküste Frankreichs eroberte.

Schon viel früher hatten die klassischen Länder des Mittelmeer­

gebietes Eisen kennen gelernt und anfangs als kostbares Metall nur zu kleineren Schmuckstücken oder als Einlage auf Bronze verwendet. Der Beginn der Eisenzeit ist daher für die europäischen Länder zeitlich ganz verschieden und'

so wenig wir die Bevölkerung, welche die Bronzekultur ausgenommen hat, als eine einheitliche, als ein Volk annehmen können, so wenig ist das für

den Kreis der Eisenkultur vorauszusetzen. Man hat in Deutschland und Österreich diese alte Eisenkultur nach dem ersten größeren Fundgebiet, wo sie deutlich als etwas Neues erkennbar auftrat, nach dem durch seinen Bergbau

auf Salz bekannten Gebirgsort Hallstatt im Salzkammergut, die Hall-

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

IS

stattperiode genannt und dieser Name ist ihr denn auch seither bei uns

geblieben. Man wird also das Auftreten der Hallstattperiode oder älteren Eisenzeit für jedes Land besonders erforschen müssen, da sie nicht auf einmal und gleichmäßig in den mitteleuropäischen Ländern sich verbreitet hat. In Bayern,

namentlich im Süden der Donau, macht sich schon gegen

das Ende der reinen Bronzezeit einer, gewisse Unruhe durch das Erscheinen mannigfacher neuer Formen und Typen bemerkbar,

die zwar noch sämtlich

aus Bronze hergestellt sind, aber in den früheren Abschnitten nicht auftreten. Alle diese neuen Erscheinungen kommen über die Alpen aus dem Süden, mit

dem schon während der Bronzezeit nachweisbar ein reger Verkehr stattfand. Es sind dies neue Schwerttypen, Messer von Bronze, geschweifte Messer mit dünnen, flachen Klingen und durchbrochenen Stielen, die man für Bartmesser hält, Nadeln mit verschiedenen neuen Kopfformen und als besonders wichtig die Sicherheitsnadeln (Fibeln). Diese Typen sind in Oberitalien zugleich mit

den ersten Eisenerzeugnissen gefunden worden und gehören dort schon dem neuen Kulturkreis an. Bei uns fanden sich mit diesen Typen noch keine Eisensachen,

insoweit das Eisen nicht als Einlagemetall z. B. an Schwert­

griffen erscheint. Man hat das Auftreten dieser noch ausschließlich aus Bronze bestehenden Typen bei uns als den ältesten Abschnitt der Hallstatt-Kultur be­ zeichnet, obwohl es kaum einem Zweifel unterliegt, daß es bei uns noch die bisherige bronzezeitliche Bevölkerung war, die diese neuen Formen bei sich aufnahm und einbürgerte. Dieser Abschnitt, den man als das letzte Aus­

klingen der Bronzezeit oder als das Aufdämmern einer neuen Kultur betrachten kann, umspannt etwa ein paar Jahrhunderte des 1. Jahrtausends vor unserer

Zeitrechnung.

Dann aber beginnt mit einemmale etwas Fremdartiges in

den Hügelgräbern unseres Gebietes aufzutreten.

Das Eisen,

bisher kaum

merklich vorhanden, ist jetzt bereits das herrschende Metall, Bronze tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Auch Formen, Stil und Größenverhältnisse der

jetzt im Grabinventar erscheinenden Gegenstände ändern sich.

Lange Eisen­

schwerter mit mächtigen Griffen von Bein und Horn, oft mit Goldblech über­ zogen, lange spitze Eisenlanzen, große Beile mit breiten und langen Lappen,

meist noch von Bronze,

aber auch schon von Eisen,

große Eisendolche mit

Bronzegriffen mit hörnerartig aufgebogenen Enden treten auf; die Bestatteten haben

breite

Bronzeblech,

Gürtel breite,

und

große

tonnenförmige Armreife von Fibeln mit Vogelgestalten

halbmondförmige

dünnem an den

Enden und herabhängenden Klapperblechen, ineinandergegossene Ringe von Bronze und sonstiges Gehänge an den Gürteln. Dieses so ausgestattete Volk liebte offenbar (das Glitzernde, Lärmende, Prunkvolle und die massigen und

breiten Formen setzen einen entsprechenden großen Körperwuchs voraus.

Als

ganz neues Element tritt jetzt auch das Figurale in Verzierungsmotiven auf: auf den Gürtelblechen wie auf Bronzegesäßen, ebenfalls eine neue Er­ scheinung im Grabinventar, sind Tiere (Vögel, Pferde, Hirsche rc.) dargestellt.

14

3. Die vorgeschichtliche Zeit des Landes.

auch Menschen

Ebenso ist die Keramik

in verschiedenen Körperstellungen.

eine andere als die der Bronzezeit, außerordentlich reichhaltig in den Formen,

unter

denen

namentlich

die

birnförmige

oft

Vase

in

sehr

großen

Ver­

hältnissen erscheint, und mit schönen Mustern teils in vertieften Eindrücken, teils in bunten Farben rot, weiß und schwarz bemalt. Zum erstenmal er­ scheinen jetzt auch Pferdegeschirre und Wagenreste in den Grabhügeln. Betrachtet man dieses auf drei Abschnitte der Hallstattperiode sich ver­

teilende Material, das mit dem einfachen, zierlichen Inventar der Bronzezeit

in auffallendem Gegensatz steht, so erscheint es innerlich unmöglich, daß beide Kulturarten einem und demselben Volk bei uns angehört haben. Nach Art wie Form der Typen ist man gezwungen an einen Bevölkerungswechsel zu denken.

Da zugleich in den Gräbern der reinen Hallstattzeit eine sehr kriegerische Aus­ stattung mit vielen Schwertern, Dolchen, Lanzen, Beilen, Streitwagen und

Pferdeausrüstung auftritt und die Hügel mit dem früheren Bronzeinventar

jetzt auch ganz verschwinden, wird man wohl an eine kriegerische Invasion eines fremden Volkes und an eine Unterwerfung der bisherigen bronzezeitlichen Bevölkerung zu denken haben. Die ganze neue Kulturwelt erscheint im klassischen Sinne als eine barbarische und da ihr Zusammenhang nach Osten weist, hat man an eine von thrakisch-illyrischen Stämmen ausgehende Wanderung nach Westen gedacht, die zur Überflutung des westlichen

Mitteleuropas führte.

Wie in den österreichischen Alpenländern hat sich auch

bei uns, wenn auch nicht annähernd so reich und prunkvoll wie dort, der Hallstattkulturkreis nördlich und südlich der Donau durch alle Phasen hindurch, bisher aber nur in Gräbern, nachweisen lassen. Wohnstätten der reinen Hall­ stattzeit sind bei uns noch nicht gefunden. Nur in Karlstein wurden aus der ersten Phase einige wenige Wohnstätten mit einem kleinen Begräbnisplatz auf­

gefunden, wobei jedoch noch keine Spur des Eisens zutage kam und deren Überreste offenbar noch demselben bronzezeitlichen Stamme angehören, der

dort seine Spuren aus der älteren Zeit zurückgelassen hat.

Man kann daher

die häusliche Kultur der Hallstattleute bisher nicht so erkennen wie die der

Stein- und Bronzezeit, eine besondere Industrie, eine Erweiterung des Kultur­

lebens läßt sich nicht aus den Funden entnehmen.

Daß auch jetzt der Handels­

verkehr nicht stillgestanden, ergibt sich aus dem Vorkommen von Gold- und Bernsteinschmuck und von Glasperlen wie bisher,

wogegen auch jetzt noch

Silber ganz fehlt. Die Gefäße werden noch nicht auf der Drehscheibe, sondern

aus freier Hand geformt. Der Grabritus wie die Form der Gräber scheinen keine Änderung erlitten zu haben. Von der Religionsanschauung und -Äußerung

dieser Zeit wissen wir so wenig wie von denen der früheren Perioden. Die als kriegerisches Herrenvolk auftretende Hallstattbevölkerung scheint

nach nicht sehr langer Zeit degeneriert zu sein.

Im jüngsten Abschnitt, etwa

dem 6. Jahrhundert v. Chr., werden die Grabhügel bei uns arm an Waffen und Schmuck, dagegen häufen sich die keramischen Beigaben, jedoch meist in

4. Das Land im Dämmerlicht« der Geschichte.

15

ärmlicher Ausstattung. Die Blütezeit der Kultur hat bei uns nur ein paar Jahrhunderte, etwa durch das 8. und 7. Jahrhundert v. Chr., gedauert. Über die ethnologische Zugehörigkeit der Hallstattbevölkerung Bayerns herrscht die Bermutung, daß sie illyrische Veneter waren, eine Annahme, die etymologisch

aus einigen Resten von topographischen Namen gestützt wird, wie dem alten Namen des Bodensees — lacus venetus, dem Namen des Venetberges in Tirol, vielleicht auch dem des Venedigers u. a.

Unbegründet und irrig aber ist

die weitverbreitete Bezeichnung der Bevölkerung sowohl der Bronzezeit als der Hallstattleute als „Kelten".

4. Das Land im Dämmerlichte der Geschichte. Don Franz Weber*

Mit dem Anbruch des 5. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung beginnt ein neues Stilelement in den im antiken Sinn barbarischen Ländern Mitteleuropas aufzutreten, das den größten Teil des Kontinents bis auf die klassischen Länder ergreift und auf Jahrhunderte beherrscht. Diese Stilart ist aber nicht wie die früheren von Süd und Ost her von den Mittel­ meergebieten hereingedrungen, sondern es läßt sich ihr Ursprung mit Sicher­ heit aus dem westlichen Europa, dem Sitz der keltischen Gallier, nachweisen.

Hier in Frankreich

hatte sich

feit alter Zeit unter dem Einfluß der grie­

chischen Küstenstädte ein nationaler Stil gebildet,

erreicht hatte.

der nunmehr seine Blüte Wahrscheinlich im Zusammenhang mit dieser erlangten Kultur­

höhe stehen die nach sagenhaften Nachrichten der antiken Schriftsteller um diese Zeit beginnenden Wanderzüge der Kelten, die durch die Vermehrung der

Bevölkerung

und das Bedürfnis nach Ausdehnung veranlaßt worden

sein und halb im Dämmer der Sage, halb im Frühlicht der Geschichte über Mitteleuropa bis Kleinasien und über Italien sich ergossen haben

Auf diesen Wanderzügen

sollen.

soll auch das Land zwischen den Alpen

das heutige Bayern, wie auch Böhmen von keltischen Stämmen dauernd besetzt worden sein und zwar nördlich von Helvetern und Bojern, südlich von Vindelikern und Norikern. Inwieweit zu diesem sagenhaften geschichtlichen Gerippe die archäologischen Überreste und Funde des Landes die und dem Main,

Gewandung abgeben können,

soll

hier

an deren

Hand näher untersucht

werden.

Der La Tenestil,

wie diese neue Periode

allgemein genannt wird,

hat seinen Namen von dem ersten ^größeren Fundort im Kanton Neuenburg in der Schweiz, der diese neue Stilrichtung deutlich erkennen ließ. Auch diese Periode zerfällt in mehrere Abschnitte, von denen die beiden ersten auf eine

ältere Stilart, die das 5. und 4. vorchristliche Jahrhundert ausfüllt, die beiden letzten auf eine jüngere Hinweisen, von denen die eine das 3. und 2., die andere das 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung umfaßt. Die ältere

16

4. DaS Land im Dämmerlichte der Geschichte.

Hälfte der Periode ist bei uns in Hügelgräbern, häufig auch in Nachbestattungen,

in solchen der Hallstattzeit, seltener in Flachgräbern vertreten.

Denn es ist ein

durch die spätere Vorgeschichte gehender allgemeiner Zug, daß man die schon vor­ handenen Begräbnisplätze immer wieder benutzte, so daß sich in Grabhügel­

feldern der Bronzezeit Gräber der Hallstatt- und La Tenezeit, unter Flachgräbern der späteren germanischen Zeit solche der La Tenezeit finden.

Die in den älteren

Gräbern mehr nördlich als südlich der Donau vorkommenden Funde unterscheiden sich vollständig von den Erzeugnissen der Hallstattzeit und haben mit diesen

keine Verwandtschaft. Sie bestehen in Eisenmessern mit geschweiften einschneidigen Klingen mit Holz- und Beingriff, Tierkopffibeln, Fibeln mit Menschenmasken, Gürtelschließen mit Tierköpfen, Kurzschwertern in Bronzescheiden, Metall­

gefäßen griechischen Imports (Massilia), geperlten Armreifen von Bronze mit petschaftförmigen Enden, Halsringen von Bronze und Eisen, Fibeln mit breitem Bügel und zurückgeschlagenem Fuß, winkelförmig gebogenen Arm- und Fuß­

ringen aus rundem Bronzestab, Gehängen von Glas- und Bernsteinperlen u. a.

Im allgemeinen ist aber, soweit sich dies jetzt schon erkennen läßt, die Verbreitung

des La Tenestils in dieser älteren Hälfte bei uns in Bayern nicht so durchgreifend, daß man an eine Einwanderung einer zahlreichen Volksmenge denken könnte, und jedenfalls sind die Überreste viel weniger reichhaltig und kostbar wie in den Gallien näher liegenden Rheinlanden.

Wohnstätten aus dieser Zeit sind bei

uns bis jetzt nicht aufgedeckt worden. Diese Verhältnisse ändern sich jedoch vollkommen in der zweiten Hälfte der La Teneperiode und deren beiden letzten Abschnitten vom 3. Jahrhundert n. Chr. abwärts.

Südlich der Donau

tritt jetzt

von der Ost- bis zur

Westgrenze Bayerns eine Anzahl von Begräbnisplätzen mit tiefeingeschnittenen Reihengräbern auf, in denen ein kriegerisches Volk in einer bisher unbe­

kannten Waffenrüstung und Frauen in vielfach neuen Schmucktypen ruhen.

Die nahezu gleiche Ausstattung der Männer mit zweischneidigen Kurzund Langschwertern mit dünnen, flachen Klingen in Eisenscheiden, Lanzen

mit breitem und langem Blatt und einem Eisenfuß

des langen Schafts,

großen ovalen Holzschilden mit breit geflügeltem Eisenbuckel in der Mitte, großen

Eisenfibeln und eisernen Armreifen, schweren Gürtelketten von Eisen

oder Ledergurten mit Eisenschließen; die mehr verschiedene der Frauen mit Bronze- und Eisenfibeln, großen Hohlbuckelarmreifen mit Scharnierverschluß,

geschlossenen Armreifen aus Lignit und weißem und blauem Glas mit gelber

Schmelzeinlage, Halsgehängen von kleinen kobaltblauen Glas- und von Bernsteinperlen, Gürtelketten von Bronze und von Eisen mit Tierkopfhaken, Email­ perlen u. a. deutet unzweifelhaft das Auftreten eines neuen VolksstammcS an.

Dazu kommen Tongefäße von ganz anderen Formen, ohne die bisherige

Berzierungsweise mit geometrischen Figuren, auf der Drehscheibe geformt und hart und klingend gebrannt. Das gleiche Grabinventar findet sich auch in

den übrigen Ländern, wo keltische Stämme saßen, so im Westen in Baden und

4. Das Land im Dämmerlichte der Geschichte.

der Schweiz, im Osten in Böhmen.

17

Die in Südbayern gefundenen zahl­

reichen Flachgräber gleicher Ausstattung gehören unzweifelhaft den Vindelikern und Norikern an, von denen wir aus den Zeugnissen der alten Schriftsteller

wissen, daß sie keltischer Abkunft waren und in unserem heutigen Bayern süd­ lich der Donau bis an den Fuß der Alpen ihre Wohnsitze hatten. Sind wir für die vorletzte Stufe der La Tenezeit in Bayern nur auf Gräberfunde angewiesen, so kommen für die letzte Stufe nunmehr auch Wohn­

stättenfunde in Betracht. An zwei Orten Südbayerns sind, soweit bekannt, bisher solche zutage gekommen, in Manching, Bezirksamt Ingolstadt, und in Karl­ stein bei Reichenhall. sich

In Manching, woselbst eine ausgedehnte Umwallung

befindet, wurde innerhalb dieser ein großer Fund von Geräten und

Schmucksachen gemacht, der unzweifelhaft auf eine Wohnstätte deutet. Es befanden sich darunter Bestandteile von Wagenbeschlägen, Rädern, Pferde­ geschirr, Bruchstücke von Luxusgeräten, große Glasringe, Fibeln, Tierfiguren von Bronze u. a. In Karlstein stieß man auf die Wohnstätten selbst, die sich als viereckige Blockhäuser, aus Balken gezimmert, mit Türen und Fenstern, Feuerstellen und Vorplatz erwiesen. Die gefundenen vielen Eisennägel und Klammern rührten von der Befestigung und Verbindung der Balken, die

Eisenblechbeschläge von Türbändern und Schlössern her, zu

denen auch die

Schlüssel von Eisen vorhanden waren. Ein reich ornamentierte viereckiges Eisengitter mag zu einer Fenster- oder Türöffnung gehört haben und setzt die Verwendung von Glas voraus. In der Kulturschicht der Wohnstätten kamen zutage ninbc Mühlsteine von Handmühlen, große Wasserkufen von Ton, Eisengeräte aller Art, darunter Sensen und Ketten, Spinnwirtel, Netz­ senker von Ton, Nähnadeln von Eisen und Bronze; an Schmuck Bruchstücke von blauen Glasarmreifen mit gelber Schmelzunterlage,

vergoldete Bronze­

blechbeschläge von Gürteln, Fingerringe von Bronze und Eisen,

eine Menge

Bronzezieraten, zum Teil mit Blutemail, au Waffen lediglich Pfeilspitzen von Eisen, ferner eine Menge Tongefäßreste,

hart gebrannt.

auf der Drehscheibe geformt und

Als besonders wichtig aber ist der Fund von Silbermünzen

keltischen Gepräges und der einer ägyptischen Bronzemünze von einem der drei ersten Ptolemäer zu verzeichnen, welche den regen Handelsverkehr der Zeit bis in das entlegene Gebirgsdorf andeuten.

den außerdem viele Eisenschlacken

Hier wie in Manching wur­

gefunden, welche auf Verschmiedung von

Eisen an Ort und Stelle Hinweisen. Neben diesen Wohnstättenfunden spielen jetzt auch die zahlreichen Funde

von goldenen Münzen, sogenannten Regenbogenschüsselchen, eine wichtige Rolle. Solche Funde wurden in Südbayern bis zur Donau zahlreich gemacht, darunter zwei große Schatzfunde, von denen jeder über 1000 Stück enthielt.

Eine solche

Menge Münzen kann nur da zum Vorschein kommen, wo diese als Zahl- und Verkehrsmittel umlaufen und geprägt werden. Auch diese gehören den beiden letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung an. KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bauern-.

2

18

4. DaS Land im Dämmerlichte der Geschichte.

Gräberfunde aus diesem letzten Abschnitt der La Teuezeit sind bisher wenige bekannt.

Diese schließen sich mit ihrem Inventar vollkommen an

die Wohnstättenfunde an. Auch hier kommen massive Gürtelbeschläge mit Blutemail, auf der Drehscheibe geformte Gefäße, Fibeln von Eisen und Bronze, blaue Glasperlen, Armreife und Fingerringe von Bronzedraht vor. Alle diese Funde werfen zusammen ein Helles Licht auf die Kulturstufe der

Vindeliker und Noriker in unserem Lande, die sicher seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert, vielleicht schon früher hier saßen, Die Überreste dieser Bewohner

beweisen, daß ihre Kultur schon eine hohe Rangordnung einnahm und sich von der späteren provinzialrömischen, auf die sich vieles von ihr fortpflanzte, nicht bedeutend unterschied, daß es also durchaus nicht die Römer waren, die

hier erst die Kultur ins Land brachten. Diese Überreste ergänzen und erläutern auch, was die antiken Schrift­ steller über die gallisch-keltischen Stämme berichten. Schon Cäsar erwähnt die soziale Gliederung des Volkes in drei Klassen, in Priester, Ritter und das

Arbeitsvolk.

In den Gräbern von Manching u. a. O. haben wir ohne Zweifel

den Ritterstand, den Adel des Stammes vor uns, darauf deuten die Reiter­ waffen und die kriegerische Ausrüstung. Die in La Tene-Wohnstätten gefun­ denen Eisenschlacken deuten auf die ebenfalls aus den Schriftstellern bekannte

Geschicklichkeit des Volkes in der Bearbeitung des Eisens. Auch die in Südbayern

in Wäldern und auf Heiden erhalten gebliebenen Hochäcker sind aller Wahr­ scheinlichkeit nach auf dieses Volk zurückzuführen. Sie setzen einen Großgrund­

besitz und ein höriges Arbeitervolk voraus, wie es Cäsar bei den Galliern schildert. Über den Götterkult sind wir durch die römischen Schriftsteller und die erhalten gebliebenen Altarsteine aus römischer Zeit einigermaßen unterrichtet, da die Römer diese Gottheiten unter die ihrigen aufnahmen. Es kommen

Lokalgottheiten wie Bedaius, Grannus, die Alounae u. a.

auf Inschriften

vor; es wurden also schon personifizierte Gottheiten verehrt. Handel und Verkehr sind durch die Funde der Münzen wie durch solche von Roheisen­

barren, Bernstein, Glasperlen und Bronzegefäße nachgewiesen. Sicher waren auch Straßenzüge vorhanden, die die Grundlage der späteren Römerstraßen

bildeten.

Es ist kein Zufall, daß die späteren großen Heerstraßen von Süd

und Ost ursprünglich auf Kempten — Cambodunum — gerichtet waren und erst später ihren Lauf nach Augsburg — Augusta Vindelicorum — erhielten;

ersteres war eben eine vindelikische Stadt, auf welche die alten Straßenzüge zu liefen, während letzteres eine römische Neugründung war.

Aus den Schrift­

stellern erfahren wir, daß die Kelten in Städten und Dörfern wohnten.

Tatsächlich

haben

sich in Vindelikien« und Norikum solche Ortsnamen

in

der römischen Periode erhalten, wie Cambodunum, Abodiäcum (Epfach), Iuvavum u. a., Orte, in denen überall vorrömische Funde zutage kamen, ferner viele Namen von keltischen Orten, die ihrer Lage nach noch nicht sicher

bekannt sind, wie Damasia, Urusa, Artobriga u. a.

Auch

viele Fluß-

19

4. Das Land im Dämmerlichte der Geschichte.

und Bergnamen

weisen auf die einstigen keltischen Bewohner des Landes

zurück, wie die der Isar, des Lechs, Inns u. a. Die Erhaltung aller dieser Namen beweist auch, daß die keltische Bevölkerung keineswegs von den Römern

ausgerottet wurde, wie man früher vielfach annahm, sondern daß sie unter römischer Herrschaft im Lande wie bisher fortlebte. Die Zivilisation des Volkes war eine augenscheinlich sehr entwickelte, die Wohnstättenfunde lassen auf eine gewisse Behaglichkeit der Wohnungen und auf deren Ausstattung mit vielem Luxusgeräte, wie Spiegeln, Bronzefiguren, Glasgefäßen, Zierat aller Art schließen; die Körperpflege wird durch die in Grabfunden vorkommenden Bartmesser, Haarscheren, Züngelchen u. a. als eine schon verfeinerte erwiesen. Gewebespuren an den Eisen- und Holzresten der Gräberfunde sowie die vielen Fibeln deuten auf das Tragen von Leib­

röcken und Mänteln, von langen Frauenkleidern und Kopsschleiern rc. hin. Der reiche Frauenschmnck steht dem der provinzial-römischen Zeit nicht nach. Auch die von Cäsar geschilderten gallischen Verteidigungsanlagen und Zufluchtsstätten (oppida) finden wir in unserem Lande. Der große Ringwall von Manching ist solch eine Volksberge in Kriegsnöten, wie ähnliche in Baden (Zarten) und Böhmen (Stradonitz) bekannt sind. Auch die eigentlichen Be­

festigungen an Flüssen,

wie z. B.

an der Isar,

der Mangfall, dem Lech,

welche unter dem Namen Bürgen, Burgen im Volke bekannt sind, rühren aller Wahrscheinlichkeit nach von den Vindeliker» her und stammen vielleicht aus deren letzten blutigen Kämpfen mit den Römern um ihre Unabhängigkeit.

Wir finden also unmittelbar vor der römischen Eroberung des Landes das Volk auf einer hochentwickelten, national eigentümlichen Kulturstufe, mehr oder

minder zivilisiert, in festem staatlichen Gefüge, mit gegliederten sozialen Ständen, einem entwickelten Industrie- und Handwerksbetrieb, einem eigentümlichen, ausgebildeten Ackerbau, in Städten und Dörfern wohnend, mit Verteidigungs­ anlagen und Volksburgen.

Zum erstenmal ist der Schleier, der über den Völkern der Vorgeschichte lagert, etwas gelüftet. Wir kennen die Stammeszugehörigkeit und den Namen des Volkes und vieler seiner Städte. Weit abgerückt ist seine Kultur von den uns mythologisch anmutenden dunklen Lebensverhältnissen der vorgeschicht­

lichen namenlosen Völker, die auf unserem Boden vorher wohnten. Diesen keltischen Stämmen der Vindeliker und Noriker, die ihre Wohnsitze noch behauptet hatten, als ihre nördlich angesessenen Stammverwandten, die Helveter und Bojer, schon dem Ansturm der Germanen weichen mußten, war es beschieden, daß sie mit den erprobten, festgefügten Legionen und der überlegenen Staatskunst Roms den Kampf aufnehmen mußten. Der Ausgang war schon mit Rücksicht aus die beiderseitigen Machtverhältnisse nicht zweifelhaft, auch wenn die

keltischen Stämme nicht, wie wir dies von den Galliern durch Cäsar bezeugt wissen, an steter Uneinigkeit gelitten hätten und politisch in fester Hand zu­ sammengehalten gewesen wären.

Die Vindeliker erlagen im Jahre 15 v. Chr. 2*

20

4. Da- Land im Dämmerlichte der Geschichte.

in vereinzeltem Kampf dem römischen Schwert, die Noriker, wie es scheint, der römischen Politik ohne Kampf.

Das Ende beider Volksstämme war ihr Unter­

gehen im römischen Reichs- und Staatsbürgertnm mit seinem kosmopolitischen internationalen Gepräge, in dem die Besonderheiten jedes selbständigen Volks­

tums verschwinden mußten. Sprache, Kult, Staatseinrichtungen, Lebensführung, Tracht und Sitte waren schließlich die des Reiches. Nur soweit sich Kunst und Handwerk des La Tene in dem provinzial-römischen Stis erhalten haben, geben sie auch in dieser Zeit noch Kunde von dem einstigen selbständigen,

künstlerischen Empfinden und technischen Geschick des Volkes. Meisterhaft verstand sich Rom auf die Durchführung der politischen Ziele wie auf nivellierende Kulturbeeinflussung. Es kam in den eroberten Provinzen zu keiner nationalen Erhebung mehr während der römischen Weltherrschaft.

Die politische Geschichte der Provinzen Norikum und Rätien (dem Vindelikien

angegliedert war) bietet, soweit wir sie aus den Schriftstellern kennen, nichts von Belang. Die Kulturgeschichte aber weist viele interessante Einzelheiten des provinzial-römischen Lebens während seiner fast 500jährigen Dauer auf. Man richtete sich alsbald nach der Unterwerfung des Gebietes auf die Dauer darin ein. Die Grenze bildete erst die Donau, später der sogenannte Limes, eine markierte Zoll- und Reichsgrenze gegen die Germanen, die an strategisch wichtigen

Punkten durch dahinter liegende Kastelle ihrem ganzen Lauf entlang ge­ sichert war. Im Binnenlande waren Befestigungen nicht nötig, wie hier auch ständige Garnisonen außer kleinen Wach- und Etappenposten nicht vorhanden waren. Das Militär lag in den Grenzkastellen. Ein Hauptaugenmerk war

dem Straßennetz gewidmet, dessen Grundlagen die vorrömischen Verkehrswege bildeten, soweit nicht militärische und politische Gründe eine Änderung ver­ langten. Das gleiche war mit den bisherigen Städten der Fall, die fortbe­ wohnt wurden; Neugründungen von Städten, die sich durch ihre römischen

Namen sofort kennzeichnen, wie z. B. Augusta Vindelicorum, Castra Regina u. s. tu., waren aus politischen und sttategischen Gründen veranlaßt. Man lebte unter den Juliern und Flaviern bis in die Zeit Mark Aurels in tiefem Frieden; man fühlte sich vor den Germanen jenseits der Grenze so sicher, daß z. B. hart am Limes ein reich ausgestattetes, mit Kunstwerken geschmücktes Wohnhaus sich befand (Westerhofen b. Ingolstadt). Überreste von Staatsge­ bäuden, Tempeln, Foren wurden in größeren Orten gefunden, wie in Augs­

burg, Regensburg, Kempten,

Salzburg, Epfach rc.

Im ganzen

römischen

Teile unseres Landes wurden große Meierhöfe mit vielen Funden von land­

wirtschaftlichen Geräten und Gebrauchsgegenständen aufgedeckt. Von allen römischen Bauwerken aber hat sich über dem Boden außer der eingebauten Porta praetoria in Regensburg und der (vielleicht römischen) Heidenmauer in Lindau nichts im Lande erhalten. Was noch an römischem Mauerwerk vor­ handen ist, steckt unter dem Boden und muß erst ausgegraben werden, wie

z. B. die Grundmauern der Limeskastelle uttb ihrer Gebäulichkeiten.

4. DaS Land im Dämmerlichte der Geschichte.

21

Auch von Kunstwerken, mit denen sich der reiche und gebildete Römer

gern umgab und wovon gewiß auch in die Grenzprovinz manches gelangte, haben sich nur wpiige Bruchstücke erhalten (Statuenreste, Skulpturen, Bronzen), die jetzt in den Museen aufbewahrt sind. Überhaupt ist von italischem Import wenig zum Vorschein gekommen; die meisten Überreste gehören einheimischen provinzialen Erzeugnissen an. Die gewöhnlichen Wohnhäuser waren nicht hoch, wahrscheinlich kaum mit einem Obergeschoß versehen. Jedes hatte aber mindestens ein heizbares Ge­ mach, dessen'Erwärmung aber nicht oberirdisch durch Öfen, sondern durch

Leitung der Wärme in die Seitenwände und den Fußboden von unten geschah (Hypokaustensystem). Die Wände waren zu diesem Behufe mit hohlen Kacheln verkleidet, über welche erst der Verputz kam. Die Zimmer waren mit Wand­

malereien (Arabesken, selten Figuren) geschmückt, der Fußboden, meist Estrich, war manchmal auch mit Mosaiken geziert.

Die Zimmer hatten Fenster mit

Glastafeln in Eisenrahmen. Man hatte keine großen Wohnräume, schon wegen der Schwierigkeit der Beheizung. Die Türen waren von Holz mit eisernem Beschläge; Schlösser und Schlüssel sind vielfach erhalten. Die Häuser selbst waren nicht aus gebrannten Ziegelsteinen, sondern aus Feld- und Bruchsteinen

in reicher Mörtelbettung gebaut.

Ziegel verwendete man nur zum Bodenbelag,

zu den Hypokausten und als Platten zum Dacheindecken.

Bei dem Wohnhaus

war meist getrennt von diesem ein Baderanm. Zahlreich sind im Schutt der Wohnhäuser die Überreste der häuslichen Gkbrauchsgcgcnstände aller Art, besonders von Keller-, Küchen- und Tafel­ geschirr, letzteres die sogenannten Sigillaten, hartgebranntes, rotes, mit Firnis

überzogenes Tongcschirr in Becher-, Schalen- und Tellcrform. Jedes Haus hatte davon einen großen Vorrat. In einer Abfallgrube eines römischen Hauses

bei Friedberg am Lechrain konnten Reste von 168 verschiedenen Gefäßen erhoben werden.

Außer Küchengeschirr aller Art, großen Vorratsbehältern für Flüssig­

keiten kamen Reste feinen Tafelgeschirrs von roter und schwarzer Farbe mit Bildwerk und von niedlichen Toilettegefäßchen in allen Farben vor. Auch Glas­

gefäße waren in Gebrauch. Aus Bronze und Eisen wurden Lampen, Glycken,

Schlüssel,

Messer,

Gabeln,

Seiher,

Gefäßhenkel,

Schnellwagen,

Gewichte,

Schreibgriffel, Scheren, Handwerkszeug aller Art, Garteninstrumente, Nadeln zum Netzstricken u. s. w. fast bei jedem Wohnhaus gefunden. An landwirtschaft­

lichem Inventar fanden sich in ausgegrabenen Meierhöfen: Wagenbestandteile und Pferdegeschirr aller Art, Ketten, Pflugeisen u. s. w.

Sensen und Sicheln, Kuhglocken, Radschuhe,

Die römischen Muster vieler dieser Gegenstände

blieben für das Mittelalter und selbst für unsere Zeit vorbildlich. Allch an Körperschmuck ergaben die Hausfunde reicheres Material als die Gräberfunde.

Es sind bei uns zwar keine so kostbaren Schmucksachen

zutage gekommen wie vielfach in Gallien und am Rhein,

immerhin legen

auch bei uns einzelne Funde von Fibeln, Armreifen, Nadeln, Fingerringen

22

4. DaS Land im Dämmerlichte der Geschichte.

aus Gold und Silber Zeugnis ab von dem einstigen Luxus im Römerreich.

Gewöhnlicher Schmuck aus Bronze kam überall massenhaft zum Vorschein. Ganz spärlich dagegen sind die Waffenfunde aus dem Innern des Landes,

abgefehen von den Grenzkastellen, von denen namentlich Eining (Abuaina, am Beginn des Limes an der Donau) einen Reichtum an Waffen aller Art geliefert hat. In den Hansfunden gehören sie zu den größten Seltenheiten, mit Ausnahme der kleineren Jagdwaffen; in den Gräbern verschwinden sie ganz.

Ersteres beweist den geordneten und langen Friedenszustand des Reiches, in dem nur der Berufssoldat Waffen trug; letzteres die geänderte Anschauung

gegenüber der vorrömischen Zeit. Weit verbreitet sind im ganzen südlichen Bayern die Münzfunde. Man darf die wieder ans Tageslicht gezogenen römischen Münzen sicher auf Hundert­ tausende schätzen. Natürlich hat sich davon nur der kleinere Teil in den

öffentlichen Sammlungen erhalten, der größere ist in Privatsammlungen und im Antiquitätenhandel wieder verschollen, ohne daß selbst nur die Fundorte bekannt wurden. Die erhaltenen Münzen reichen von Augustus bis an den Schluß der Kaiserzeit. Münzen der Republik und des oströmischen Reiches sind selten. Auch nach dem Ende der römischen Herrschaft zirkulierten diese Münzen noch als Geld in Bayern bis in die Tage der Karolinger. Größere,

einst vergrabene Schatzfunde beweisen die später zunehmende Unsicherheit in­ folge der Einfälle der Germanen. Nach den Geprägen dieser Funde läßt sich vielfach die Zeit dieser Einfälle annähernd feststellen.

Auf diese Weise tragen

auch sie zur Aufhellung der Lokalgeschichte bei. Der Grabritus der römischen Zeit ist ein ganz anderer als der der vor­ römischen.

Er wird nicht mehr von dem Gedanken eines Fortlebens in bis­

heriger Lebensweise bestimmt, so daß der Tote mit allem ausgestattet werden muß, wessen er im Leben bedurfte, sondern der Totenkult ist nur eine höherer geistiger Kultur entsprechende Erinnerungsfeier.

Der Tote bekommt noch Liebesgaben

mit, aber nur als Angedenken seiner Angehörigen. Die Leiche wird in der vorkonstantinischen Zeit verbrannt und die Asche in einem Gefäß beigesetzt, später womöglich in einem Steinsarkophag, einer Steinkiste oder wenigstens in einem Plattenbehältnis bestattet. Die antike Sitte, Denkmäler über dem Grab zu errichten, hat uns eine 'stattliche Zahl von Jnschriftsteinen, oft mit

figürlichen Darstellungen, erhalten, wenn diese auch nicht annähernd die Fülle

und Schönheit der rheinischen erreichen. Wir sehen also das bürgerliche Leben namentlich in der Blüte der Kaiserzeit bis zu Mark Aurel in hoher Kultur, auf der es sich noch bis in

die konstantinische Zeit trotz der schon beginnenden Zuckungen der sogenannten Völkerwanderungsperiode im allgemeinen erhält. Aber allmählich kommt die Gefahr näher; die harmotiische, geordnete Lebensführung hört auf, man muß

sich auf plötzliches Verlassen einrichten; Neues wird jetzt kaum mehr entstanden sein.

Erst muß die Grenze verlegt, das nördlich der Donau liegende Land

6. DaS Land unter der Herrschaft der Römer.

23

Dann bröckelt im Osten und im Westen immer mehr

preisgegeben werden.

Gebiet ab, Regensburg geht verloren, die Grenzen bilden jetzt schon im Osten Vallatum (bei Manching) und im Westen die Jllerlinie; schließlich können nur noch die mauerumgebenen Städte behauptet werden und am Ende zieht die

offizielle und besitzende Klasse mit dem Rest der Garnisonen über die Alpen

Rorikum und Rätien mit allen Städten, Staats­ gebäuden, Kunstschätzen, Staatseinrichtungen und allen Errungenschaften eines

nach Italien zurück (488).

fast 500jährigen zivilisatorischen Wirkens werden aufgegeben und sinken zu

einem guten Teil in Trümmer, bis neues Leben aus'^den Ruinen erblüht.

5. Auf dem Kastrum zur Pfünz (ad pontes) bei Eichstätt Don Karl Zettel?)

Wo die Spuren trotz'ger Quadermauer Unter Gras und Ginster liegen, Lenkt die Pflugschar jetzt der Ackerbauer Und es weiden einsam Ziegen; Wo die Tuba schmetternd weckte Ehedem die Lagerreih'n,

Bläst der in das Moos gestreckte Hirte klagende Schalmeien. Zittergras und Herbstzeitlosen Blüh'n um einen Weihestein Und ein Kranz von wilden Rosen Rahmt der Inschrift Zeichen ein.

6. Das Land unter der Herrschaft der Römer. Von Siegmund von Riezler.')

Mit der Eroberung durch die Römer beginnt die historische Periode für

das

Die Ausdehnung der römischen Herrschaft über die

bayerische Land.

Donaulandschaften war durch die Eroberung Galliens bedingt, dessen weit noch

Norden vorgeschobene Grenze eines Schutzes bedurfte. Im Jahre 15 v. Chr. bezwangen Tiberius und Drusus, die Stief­

söhne des Augustus, nach erbittertem Kampfe die Völkerschaften im heutigen

Tirol, in der Ostschweiz und auf der Schwäbisch-Bayerischen Hochebene westlich vom Inn.

Die unterworfenen Länder wurden von den Römern als zwei

Provinzen eingerichtet: Rätia und Norikum. Die erstere begriff auch Vindelikien und zeitweilig das obere Rhonetal, reichte westlich bis Pfyn (Fines) im Thurgau und in' das Gebiet der Donauquellen, östlich bis zum Inn, süd­ lich bis in die Gegend von Klausen und Meran. Bei Partschins und Seben standen Zollstätten.

Als glänzendste Kolonie Rätiens erhob sich Augsburg,

Augusta Vindelicorum.

Auf bayerischem Boden aber befand sich in Rätien

keine bedeutende Stadt und überhaupt war Rätien, wie es scheint, weniger

bevölkert als Norikum.

Schuld daran trug wohl nicht nur die höhere, also

auch rauhere Lage, sondern vielleicht auch der Umstand, daß die Bevölkerung *) Dichtungen, S. 130. Eichstätt und Stuttgart, 1874, Krüll. •) Geschichte Bayerns, I. Band, S. 34 ff.

24

6. DaS Land unter der Herrschaft der Römer.

hier durch einen nach Römerart grausam geführten Krieg unterworfen und

zum Teil ausgerottet worden war.

Unter Domitian ward, zugleich als Landesgrenze und Landeswehr zwischen Germanien und Rätien, der Grenzwall (limes) vorgeschoben und die Gegend zwischen ihm und der Donau bis zur Alb mit Rätien verbunden.

Eben dort hat sich im „Ries" der Name der römischen Provinz bis heute erhalten, nachdem er noch im 16. Jahrhundert einen größeren,' auch Augsburg umfassenden Bezirk bezeichnete. Seinen vollen Wert für die Verteidigung der Provinz erhielt der Grenzwall erst durch die dahinter liegende dichte Reihe von Kastellen. Er ging bei Eining von der Donau ab, setzte bei Kipfenberg

über die Altmühl und bei Ellingen über die Schwäbische Rezat. Das Volk nennt seine stellenweise noch sichtbaren Überreste die Teufelsmauer, wie es überhaupt Dinge, die ihm unerklärlich sind, gern mit dem Teufel in Verbindung bringt. Norikum ward westlich, wenigstens von der Gegend bei Rosenheim an,

vom Inn, nördlich von der Donau, östlich vom Ostabhange der Alpen be­ grenzt. Zollstätten begegnen in Boiodorum (Innstadt von Passau), in Trojana

(Atrans bei St. Oswald in Krain) und

in

der statio Escensis (Ischl?).

Ihrer vertragsmäßigen Unterwerfung verdankte diese Provinz eine glücklichere Lage als der westliche Nachbar, sie hatte zahlreichere Städte und nahm früher die lateinische

Sprache und italienische Kultur an.

Auch unter römischer

Herrschaft ward sie wohl noch als Königreich bezeichnet.

Beide Provinzen

aber blieben wie eine Hausmacht in der Hand des Kaisers, der sie durch einen Hausbeamten unter dem Titel Prokurator verwalten ließ. Der von Rätien

führte den Titel: Procurator et pro legato provinciae Raetiae et Vindeliciae et vallis Poeninae. So lange dieses Verhältnis währte, standen in beiden Provinzen nur Hilfstruppen, die, von den Untertanen gestellt, nach

heimischer Sitte unter den Waffen dienten. Aus den Rättern wurden mindestens acht, aus den Vindelikern vier Kohorten ausgehoben, die zu den geschätztesten Truppen des Reiches gehörten, während die Noriker weniger Mannschaft stellten.

An Stelle der bisherigen Organisation nach Völkerschaften oder Gauen trat nun in römischer Weise die nach Städten mit eigener Ver­

waltung, denen das umliegende Landgebiet „kontribuiert" war.

Kastelle und

Standlager, Schanzen und Warttürme, die sich nahe genug standen, um ihre

Signale vom einen zum andern tragen zu können, deckten die Straßen, be­

sonders aber die Donaulinie und den Grenzwall. Bedeutsamen Aufschwung nahmen Handel und Gewerbe, deren Ver­ treter man oft zu Genossenschaften verbunden findet.

Auch von dem Kun st­

ieben der Provinzen sind manche Zeugnisse, vornehmlich Skulpturen und Mosaiken, bewahrt; Schönheit und gute Erhaltung zeichnen besonders einen

in Westerhofen bei Ingolstadt gefundenen Fußboden aus. Vor allen Schöpfungen der römischen Herrschaft aber beansprucht das Straßennetz unsere Aufmerksamkeit, weil auf ihm sicher noch in der bayerischen

25

6. DaS Land unter der Herrschaft der Römer.

Zeit zuerst die germanischen Eroberer, dann die christlichen Sendboten vorge­

drungen sind.

Indem wir die Hauptstraßen verfolgen, werden wir auch zu den

wichtigeren Niederlassungen geführt, deren Lage ebenfalls zum großen Teil für die Entstehung der Städte in der bayerischen Periode bereits entscheidend war. Über den Brenner als niedrigsten Paß der Tauernkette, den nur mit Saumtieren vorher die Händler überschritten hatten, zog die Hauptstraße von Italien nach Rätien, die schon unter Drusus ausgesteckt, unter dessen Sohne,

dem Kaiser Klaudius, vollendet und nach ihm Claudia Augusta benannt Sie führte von Trient über Endidae (Egna, Neumarkt), Pons Drusi

ward.

(bei Bozen), Sublavio (Seben), Vipitenum (Sterzing), wovon das Wipptal den Namen trägt, Matreium (Matrei) nach Veldidena (Wilten, Vorstadt von Innsbruck), einem Verkehrsknotenpunkte von nicht geringerer Wichtigkeit als

Denn westlich ging hier die Straße nach Bregenz (Brigantium) ab,

heute.

nicht über den Arlberg, sondern über Lermoos, Reutte,

dann in nicht

nachzuweisender Richtung über Jmmeiistadt. Nordwestlich gelangte man nach Augsburg über Scarbia (wahrscheinlich Scharnitz), Partanum (Partenkirchen), und weiter auf doppeltem Wege, östlich über die Stationen: ad pontes Tessenios oder Tesseninos (nach der Meilenzahl in der Gegend von Spatzen­

hausen beim Staffelsee zu suchen), und Ambra (wahrscheinlich Schöngeising bei Bruck an der Amper), wo die Augsburg-Salzburger Straße kreuzte; west­ lich über das unbekannte Coveliacae, Abudiacum (Epfach), wo die Straße

von Pons Aeni nach Cambodunum (Kempten) kreuzte, und ad Novas (un­ bekannt).

Eine dritte Hauptstraße führte von Veldidena aus,

dem Laufe

des Inns folgend, nach Pons Aeni, dessen Name in Pfunzen fortlebt (Langen­ pfunzen am Inn, nordöstlich von Rosenheim), über die Zwischenstationen Masciacum (Matzen) und Albianum. Auch der Vinstgau hatte seine Straße, die über Töll, Rabland und Teriolis (Burg Tirol) zog. Durch das Puster­

tal führte die Straße, die Vipitenum mit Julium Carnicum (Zuglio) ver­ band, über Sebatum (St. Lorenz), Littamum (Jnnichen), Aguontum (bei

Lienz) und Loncium (bei Mauthen). In Pons Aeni kreuzte die Straße von Augsburg nach Salzburg, die sich großenteils noch heute verfolgen läßt, zuerst zwischen Althegnenberg und Jesenwang, dann über Gauting, Buchendorf, durch den Forstenrieder Forst, bei Baierbrünn über die Isar, durch den Grünwalder und Deisenhofer Forst

und über Hofolding. Die Stationen bis zum Inn sind: Ambra, Bratanianum (wahrscheinlich am rechten Jsarufer, südlich von Grünwald), Isunisca (bei Helfendorf). Nach Pons Aeni folgen Bedaium (Seebruck oder in dessen

Nähe)

und Ariobriga

(zwischen Teisendorf

und

Traunstein).

Juvavum

(Salzburg) ward gleich den meisten norischen Städten unter Klaudius zur Stadt

erhoben und hieß daher J. Claudium. Bei Helfendorf zweigte, wie man noch heute erkennt, eine Straße von Pons Aeni nach Regensburg ab, Erding, Moosburg und Gammelsdorf be-

6. Das Land unter der Herrschaft der Römer.

26

rührend, während ein anderer Straßcnzug, der von Pons Aeni über Turum

ünd Jovisura nach Castra (wahrscheinlicher Regensburg als Passau) führte, sich nicht bestimmen läßt. Reginum, Castra Regina wird auch einfach als legio oder castra bezeichnet; neben diesen lateinischen aber muß auch der keltische Name des Ortes, Radasbona, Ratispona, fortgelebt haben, da ihn

noch die mittelalterlichen Schriftsteller gebrauchen. Seit Mark Aurel war Regensburg das Standquartier einer Legion und der Hauptwaffen­

platz im bayerischen Rätien.

Von Regensburg zog eine Straße über Abusina, Vallatum (wohl Oberstimm bei Manching), Summontorium nach Augsburg und weiter über Guntia (Günzburg) und Celio Monte nach Cambodunum (Kempten). Abusina lag sicher bei Eining, wo das Lager jetzt aufgedeckt ist.

zweigte die Straße ab,

In Abusina

die zwischen dem Grenzwall und der Donau nach

Westen führte, über Celeusum (wahrscheinlich Pföring), wo man noch eine

römische Befestigung sieht, Germanicum, Vetoniana (wahrscheinlich Nassen­ fels), Biriciana (Weißenburg i. B., wo ebenfalls jetzt das Lager aufgedeckt ist), Iciniacum (Jtzing, nördlich der Lechmündung).

Römische Inschriften finden

sich in dieser Gegend ebenso wie um den Chiemsee und im Salzburgischen

ziemlich zahlreich, während das Gebiet zwischen Inn und Lech an solchen arm ist. Donauabwärts führte die Straße von Regensburg über Augusta, das

wenig oberhalb, und Sorviodurum (oder Serviodurum?), das bei Straubing zu suchen ist; ferner über Quintana (Künzing mit Lager) und Pons Rensibus am Vilsübergang bei Vilshofen nach Casteilum Boiodurum, der Innstadt bei Passau. Der Ort hieß auch Batavis nach einer hier liegenden Kohorte

der Bataver und daraus ist Passau entstanden.

Von Boiodurum

folgte

die Straße

dem Laufe

der Donau

über

Stanagum oder Stanacum, das bei Engelhardszell, und Joviacum, das bei Schlügen unweit Haibach gesucht werden muß. Über das Kastell Lentia

(Linz) erreichte sie dann Lauriacum (Lorch bei Enns), einen bedeutenden Platz, wiewohl er sich gleich Regensburg wahrscheinlich nie zur Stadt anfschwang. Südwestlich von Lauriacum lag an der Traun die Colonia Aurelia Antoni-

niana Ovilava (das heutige Wels).

Bon dort nach Juvavum war die

Straße geführt wie heute und berührte die Stationen Tergolape (vielleicht

Schwanstadt),

Laciaca

(Frankenmarkt)

und

Tarnanto,

weni'g

unterhalb

Neumarkt beim Wallersee. Sehr bevölkert war das Salzkammergut. Neben diesen Hauptstraßen fehlte es nicht an Verbindungen von mehr

örtlicher Bedeutung, wie denn von dem Municipium Teurnia oder Tibumia aus (St. Peter im Holz) sogar über die Krontauern ein Weg nach Gastein

führte, von dem man noch heute in einer „Heidenstraße" bei Malnitz un­ zweideutige Spsren erkennt.

Unter Mark Aurel trat in der Verwaltung beider Provinzen eine Änderung ein: jede erhielt nun eine Legion, Rätien die dritte, Concordia

27

8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen.

oder Italien, Norikum

die zweite, Italien, die vorher Pin hieß, und deren

Befehlshaber, die Legaten, vereinigten mit der militärischen auch die oberste

Zivilgewalt, führten daher den Titel Legatus pro praetore.

Diese Um­

wandlung konnte nur dazu beitragen, den Gang der Romanisierung der Bevölkerung zu beschleunigen, sie bildete den wirksamsten Hebel hiezu.

7. Die Römerstratze. Don Hermann Lingg.O

1. Man spricht im Dorf noch oft von ihr, Der alten braus) int tiefen Walde, Sie zeige sich noch dort und hier, Am Feldweg und am Saum der Halde.

6. Mir ist, Kohorten schreiten dort Gepanzert nach dem Lagerwalle, (Es tönt der Kriegstribunen Wort Dom Turm her zu der Tuba Schalle.

2. Sie zieht herauf und steigt hinab, (Es weidet über ihr die Herde; An ihrer Seite manches Grab: So liegt sie drunten in der Erde.

7. Und eine Villa glänzt am Strom, Wo Kähne landen, Sklaven lärmen; Der Herr des Hauses seufzt nach Rom, Nach Tibur und nach Bajäs Thermen.

3. (Es führt ob ihr dahin der Steg: Der Pflüger mit dem Jochgespanne Geht über ihren Grund hinweg Und Wurzeln schlägt auf ihr die Tanne.

8. Mit Das Der

4. Der Römer hat sie einst gebaut Und ihr den Ruhm, die Pflicht, die Trauer, Der Gräber Urnen anvertraut Und seines Namens ew'ge Dauer.

9. Der Prätor naht, vom Volk umringt, Liktoren zieh'n, behelmte Reiter Und wie sich Bild mit Bild verschlingt, Am Tag traumwandelnd schreit' ich weiter.

5. Und heut', aus ferner Zeiten Nacht Bewegt es mich wie nahes Wehen, Ein Lichtstrahl, wie von selbst erwacht, Ein Augenblick wie Geistersehen.

10. Da plötzlich ruft ein Laut mich wach, Ein Erdgedröhn auf nahen Gleisen: Ich steh' am Kreuzweg; hier durchbrach Den Römerpfad der Pfad von Eisen.

Zur Grustkapelle draußen wallt, Trauerspenden ihrem Sohne Grab zu schmücken, die Gestalt tiefverschleierten Matrone.

11. Und donnernd rollt der Wagenzug Dorbei den alten Meilensteinen Wie Blitz des Jeus und Geisterflug, Der Erde Völker zu vereinen.

8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen,

Grundlegung der bayerischen Kirchenverfassung. Don Joseph Schlecht.')

Das Blut der heiligen Märtyrer hat Bayerns Boden befeuchtet, bevor ihn eines Bayern Fuß betrat. Die Basilika der hl. Afra in Augsburg, die *) Gedichte, 3. Band, S. 372 ff. Stuttgart 1869. I. G. Cotta. ') „Bayerns Kirchen-Provinzen", S. 1 ff. München 1902. Allgem. Verl.-Ges.

8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen.

28

Martyrergräber in Regensburg, die Verehrung des hl. Maximilian und Florian, die Bischofssitze zu Seben und Chur, die ja im 7. Jahrhunderte in baye­

rischen Landen lagen, weisen in die Zeiten Diokletians zurück. Ist die Annahme richtig, daß die Bayern die Stammesbrüder der Markomannen sind — und sie findet kaum mehr einen Widerspruch — so lagen ihre ersten Siedelungen dicht

an den Grenzen

des Römerreiches mitten in jenem an grünen Tälern so

reichen Waldgebirge, das sich von der Donau zu den Quellbächen des Mains erstreckt und gegen die Elbe hin in fiuchtbaren Geländen absällt. Dann blühte aber auch des christlichen Glaubens zarte Blume schon zu Ende des vierten

Jahrhunderts im dunklen Hochwald, vom sonnigen Süden in Königin Fritigils Sie schickte ihre Gesandtschaft zu Mailands großem

Garten herüberverpflanzt.

Bischöfe, zum hl. Ambrosius, und bat ihn um schriftliche Unterweisung in der

christlichen Religion.

Und als sie seinen Brief, der einen förmlichen Kate­

chismus in sich schloß, erhalten hatte, eilte sie selbst nach Mailand; aber welcher Schmerz ergriff sie, als sie dort hörte, daß der Gottcsmann inzwischen aus

dem Leben geschieden seil Auch vom Westen durch das völlig christliche Pannonien und aus Norikum, wo der hl. Severin machtvoll wirkte, empfing das jugendkräftige Volk des Christen­

tums Samen. Der Name für den grundlegenden Religionsbegriff — Kirche — stammt aus dem Griechischen und die hellenische Bezeichnung für den

fünften Wochentag mußte Donars Herrlichkeit verdrängen.

Der Arianismus,

von dem ein Teil des Volkes angesteckt erscheint und gegen welchen noch die fränkischen Mönche Eustasius (gest. 625) und Agilus (gest. 636) zu kämpfen

hatten, mag auf diesem Wege und durch der Goten Nachbarschaft nach Bayern getragen worden sein.

Aber die Dynastie, abhängig vom Frankenreiche, war

katholisch und wie eine Lichtgestalt tritt uns aus des jungen Reiches Frührot das berühmte Königskind Theudelinde entgegen, Garibalds Tochter und seit 589 die Gemahlin des Langobardenkönigs Autharis, verständig, kunstsinnig

und fromm, im brieflichen Verkehr mit Papst Gregor dem Großen, der sie hoch­ schätzte und ihre Bemühungen die Langobarden vom Arianismus zur Kirche

zurückzuführen unterstützte.

Dann kam die Zeit, wo der hl. Valentin unter

den Bayern wirkte, die jetzt über Donau und Inn in die Gebirgstäler der

Alpen vorgedrungen waren, nicht die Römer vor sich hertreibend, wie ein Jahr­ hundert vorher Odoaker es getan, sondern im Frieden mit und neben ihnen wohnend. Heute noch erinnern die nach den Siedelungen der Welschen be­

nannten Seen und Ortschaften, die sich von Traunwalchen und Straßwalchen

bis nach Wahl bei Mittenwald erstrecken, an den geschlossenen Frieden.

Seit

der

Mitte

des

7. Jahrhunderts

unter

fränkischer

Oberherr­

schaft, wurde die Masse des bayerischen Volkes christlich, wenn auch wider­ strebend, so doch nicht aus Zwang; und obwohl der Merowingerkönig Dagobert (629—634) geboten hatte, daß jeder in seinem Reiche sich taufen lassen müsse, stehen doch immer noch unfern den Zellen der Mönche

und

8. Ausbreitung deS Christentums in den bayerischen Landen.

29

den Holzkirchen der Priester die unvergessenen Opfersteine der alten Götter

und das Hauptfest des Christentums muß sich nach der Frühlingsgottheit Ostara benennen lassen.

Damals reichten des Landes Grenzen vom Lech bis zur Enns, von den Kuppen des Bayerischen Waldes bis an die italienischen Seen; noch int Jahre

680 hält der bayerische Graf in Bozen Gericht. Die jetzige Rheinpfalz, die übrigens damals nicht zll Bayern gehörte, war längst völlig christlich. Aus

dem ehrwürdigen Wornis kam um 695 Bischof Ruprecht, ward von Herzog Theodo in Regensburg festgehalten, predigte, taufte, weihte Priester und

gründete dann auf den Ruinen der ausgedehnten Römerstadt Juvavia bei der Zelle des hl. Maximus die Abtei St. Peter und das Bistum Salzburg,

von nun an „eine Hauptburg des Christentums in bayerischen Auf ihn folgen andere Glaubensboten aus dem Frankenreiche:

Landen".

der Missionsbischof St. Erhard, dem in Regensburg die älteste christliche Kult­ stätte geweiht ist, St. Emmeram, „demütig gegen die Niedrigen, gegen die

Mächtigen aber mit Löwenmut sich aufrichtend", und zuletzt, ein Opfer seines hl. Berufes, St. Korbinian, nicht minder energisch im steten Kampfe gegen die

das Christentum befleckenden heidnischen Unsitten, der Begründer Freisings. So ward

an

den Hauptplätzen

des Landes,

wo

die

Herzoge Hof

hielten, das religiöse Leben erweckt und gepflegt, außen int „saatgrünen Lande"

aber erhoben sich bereits Kirchen und Pfarreien, waren klösterliche Nieder­ lassungen und einzelne größere Abteien gegründet, die Frucht der emsigen Arbeit

angelsächsischer Mönche, die beim Volke wegen ihrer milden, oft nur allzu nach­ sichtigen Lehre großer Beliebtheit sich erfreuten, manchmal aber auch, wie Kilian und seine Gefährten, wie Marin und Annian, ihren Opfermut mit dem Blute

besiegelten. Aber immer noch fehlte dieser Kirche die geschlossene Einheit, die feste Organisation.

Darum machte sich im Jahre 716 Herzog Theodo selber auf

den Weg nach dem Mittelpunkte der Christenheit, um mit dem eifrigen Papste

Gregor II. die notwendigen Schritte zu beraten, welche der Kirche seines Landes ein festeres Gefüge und damit zugleich seiner Herrschaft kräftige Unter­ lage und Stütze bieten sollten. Mit großen Ehren empfing Rom den bayerischen Herrscher; war er doch der erste seines Geschlechtes, welcher die Schwellen der

Apostclfürsten verehrend aufsuchte.

Zwei Jahre später sandte derselbe Papst

den großen angelsächsischen Mönch Wynfrith in das Frankenreich, der wie kein

anderer die Gabe besaß die Geister zu lenken und die edlen und rauhen Herzen

der Deutschen für des Glaubens Lehre und Gottes Gebot empfänglich zu machen. Aber es vergehen noch zwei Jahrzehnte, bis Bonifatius die Pläne jenes edlen bayerischen Fürsten ausführen kann. — Ihn umgibt ein Kranz wahrhaft schöner Seelen, seine Helfer und Mitarbeiter, Burchhard in Würzburg, Willi­

bald in Eichstätt, Wynnebald in Thüringen, sein Schüler Sturmi, eines bayeri­ schen Grafen Sohn, sowie die frommen Frauen Lioba in

Tauberbischofs-

8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen.

30

heim, Walburga in Heidenheim, Thekla in Kitzingen; sie alle wetteifern nicht

nur die Lehren des Evangeliums sondern auch die Segnungen der christlichen Kultur in Bayerns fruchtbaren Gefilden zu verbreiten. Die Herzoge Theodebert und Hugibert nehmen die Mönche und Nonnen dankbar auf und über­ lassen ihnen Grund und Boden; die Grafen des Landes machen ihre Stiftungen zu der friedlichen Stätte, wo Aus. den Tannenwipfeln ragte Eines Türmleins spitzer Kegel, First und Giebel eines Klosters Nach Sankt Denediktus' Regel.

($. Weber.)

Der stolze, kühne Herzog Oatilo, ein entschlossener Gegner der Franken, ein Mann des Schwertes und des Rates, förderte das Werk der Glaubens­ boten:

„Er begann die Kirchen Gottes zu bauen und zu bereichern und die

Diener des höchsten Herrn zu lieben."

Für das innerlich religiöse, jugendfrische Volk gibt es aber kein höheres Fest, als wenn wieder ein neues Gotteshaus

mit weißem Giebel in die Lande winkt und der Bischof kommt es einzuweihen. Da erscheint im Jahre 739 Bonifatius als päpstlicher Legat, durchreist die

Gaue, grenzt die Kirchensprengel ab und gibt ihnen würdige Vorsteher:

in

Freising wird Korbinians Bruder Erimbert, in Regensburg Gaubald, in Salz­

burg der Angelsachse Johannes eingesetzt. Vivilo von Lorch verlegt seinen Sitz nach dem sicheren Passau; wenige Jahre später kann der Legat seinen Freund Burchhard für Würzburg und seinen Verwandten Willibald für Eich­ stätt aufftellen, beide längst mit der bischöflichen Würde bekleidet. So hatte Bonifatius die Grundlegung

der

bayerischen Kirchenverfassung

im engsten

Anschlüsse an Rom durchgeführt, die apostolische Nachfolge der Bischöfe gesichert. — Das ist sein und Herzog Oatilos Verdienst. Im Jahre 747 wurde Bonifatius Erzbischof von Mainz und das von ihm bebaute Missionsgebiet in Alamannien und Bayern samt den alten Diö­

zesen Augsburg und Chur, die einst zu Aquileja und zu Mailand gehört hatten, in den Verband dieser großen, die gesamten Rheinlande bis gegen

Tongern umfassenden Kirchenprovinz ausgenommen. Es begann der Berzweiflungskampf der Agilolfinger gegen die fränkische Oberherrschaft, aber die Kirche war geborgen. Nach der Absetzung des „Königs" Tassilo III., für dessen Seelenruhe heute noch in manchen der vielen von ihm gestifteten Klöster

gebetet wird,

konnte Karl

der Große einen

festeren Zusammenschluß

der

bayerischen Kirche ins Auge fassen und 798, zehn Jahre nach Tassilos Sturz, errichtete Papst Leo III. im Einverständnisse

mit dem siegreichen Herrscher

die neue Kirchenprovinz mit dem Sitze in Salzburg, welches durch

den eifrigen hl. Virgil und durch die Missionierung der Donau- und Alpen­ länder Pannonien und Karantanien große Bedeutung erlangt hatte; dem Erz­ bischof Arn und seinen Nachfolgern wurden die Sprengel von Regensburg, Freising, Passau und ©eben, das früher ebenfalls zu Aquileja gehört hatte.

8. Ausbreitung des Christentums in den bayerischen Landen.

31

unterstellt sowie das Bistum Neuburg a. D., das jedoch von nur kurzer Dauer war und bald wieder zu Augsburg und damit zur Mainzer Kirchen­

provinz kam. Die neuen Kirchen und Abteien in Ungarn und Karantanien gehen

zumeist von Salzburg aus. Die letzten Karolinger residieren am liebsten in der alten Donaustadt Reganesburg; Karlmann nennt sich mit Vorliebe «König der Bayern" und haust in der Pfalz zu Ötting am Inn neben dem von ihm gestifteten Benediktinerkloster des Apostels Philippus, das durch die Kapelle der hl. Mutter Gottes eine so große Berühmtheit erlangt hat. Die Selbständigkeit Bayerns

ist untergegangen und die Versuche sie

wieder zu erringen, welche der sächsische Lehensherzog Heinrich der Zänker im Verein mit Bischof Abraham von Freising unternahm, scheiterten. Die Ungarn hatten inzwischen das Land mit den Trümmern der auf ihren Raubzügen zerstörten Kirchen und Klöster bedeckt und der edle Markgraf Luitpold war

mit den Besten des Landes im Kampfe gegen sie gefallen. Aber die Bistümer haben diesen und andere Stürme überlebt. Die Klöster blühten wieder empor

und es ist zum ehrenvollen Ruhmestitel der einheimischen Schyrenfürsten ge­

worden, daß sie fromme, eifrige Gönner und Beschützer, keine habgierigen Minderer des Kirchengutes waren. Schenkten sie doch ihr Stammschloß zu Scheyern den Söhnen des hl. Benediktus zum Preise der hl. Jungfrau Maria, die in der Burgkapelle verehrt wurde, in welcher des „Zänkers" tugendreiches Töchterlein Gisela dem Könige und Apostel der Ungarn die Hand zum Ehe­

bunde gereicht hatte.

Als ihr gleich frommer Bruder, Heinrich der Heilige, noch ein weiteres Bistum gründete, ward es keinem von den bestehenden Verbänden angegliedert, sondern dem hl. Stuhle unmittelbar untergeben. Als Abzeichen dieser Aus­

nahme erhielt der Bischof von Bamberg das Pallium und der römische Stuhl behielt sich das Recht vor ihm Bestätigung und bischöfliche Weihe zu erteilen. Unter Kaiser Heinrich III. erlebte dann die bayerische Kirche ihre ruhm­

reichsten Tage; denn aus ihrem Schoße bestiegen drei hochangesehene Bischöfe den Stuhl des hl. Petrus: Suidger von Bamberg nannte sich Klemens II. (1046—1047), Poppo von Brixen (natione Bojus) Damasus II. (1047—1048),

Gebhard von Eichstätt Viktor II. (1054—1057).

Der Mittelpunkt des geistigen

Lebens blieb Regensburg, wo der Eifer des großen Bischofs St. Wolfgang, der einst das Evangelium über Böhmen hinaus bis nach Ungarn getragen,

noch lange nachwirkte, wo von Geistlichen und Mönchen alle schönen Künste gepflegt wurden, so daß ein Zeitgenosse diese Stadt „das zweite Athen" nennt. Zur geistlichen Macht gesellt sich aber auch die weltliche; seit dem Ende des zehnten Jahrhunderts entwickelt sich schrittweise die politische Unabhängigkeit und Landeshoheit der Bischöfe, die ihren gesetzlichen Ausdruck findet in dem großen Frankfurter Privilegium des Kaisers Friedrich II. vom Jahre 1228.

Seitdem

erscheint das Schwert neben dem Krummstabe über dem bischöflichen Wappen.

8. Ausbreitung des Christentum- in den bayerischen Landen.

32

Die Regierungszeit der Welfen, von deren Freigebigkeit zahlreiche Stif­ tungen in Ottobeuren, Raittenbuch, Steingaden Zeugnis geben, bedeutet die Reform der bayerischen Kirche, deren Ruhm die Namen frommer, gelehrter,

tatkräftiger Männer wie Eberhard von Salzburg, f 1164, Hartmann von Brixen, t 1164, Otto von Freising, f 1158 zu Morimond, Geroch von Reichersberg, f 1169, verkünden. Ist doch auch der größte deutsche Epiker

des Mittelalters, der Sänger des heiligen Grals, bayerischen Stammes! Noch 1608 sah man in der Liebfrauenkirche zu Eschenbach im Bistum Eich­ stätt das Grabmal des sinnigen Ritters, der von heiligen Dingen so schön

gesungen, „daz leien mimt nie baz gesprach". Zu gleicher Zeit steht an der Spitze der Mainzer und zeitweilig auch der Salzburger Kirchenprovinz der große Staatsmann Erzbischof Konrad von Wittelsbach, der als Legat die

Sprengel des Landes in der Treue zum hl. Stuhl erhält, während sein Bruder Otto I. durch die Belehnung Barbarossas i. I. 1180 die Herrschaft

der neuen, jetzt noch grünenden Dynastie begründet. Freilich war das neue Herzogtum an Gebiet bedeutend geschmälert, seit Kaiser Friedrich I. die Ostmark als selbständiges Herzogtum an die Baben­ berger übergeben hatte. Aber auch die Kirchenprovinz Salzburg hatte sich Einschränkungen gefallen lassen müssen, indem Böhmen schon im Jahre

973 von Regensburg losgettennt und ein eigenes Bistum Prag

worden

war,

das

an Mainz

angeschlossen wurde.

errichtet

Ebenso löste König

Stephan I. von Ungarn im Einverständnisse mit Papst Sylvester II. da» durch, daß er die Hierarchie in Ungarn mit dem Mittelpunkte in Gran auftichtete, die Tochter von der bayerischen Mutterkirche und machte sie selb­

ständig. Immerhin war das Gebiet des Erzbischofs von Salzburg auch jetzt noch viel zu groß, als daß er es selbst hätte gebührend verwalten können.

Schon 1072 hatte deshalb Gebhard der Heilige, unterstützt von der seligen

Gräfin Hemma und mit Genehmigung des Papstes Alexander II.,

für die

Gebirgslande der südlichen Steiermark und Kärntens ein eigenes Bistum mit

dem Sitze in Gurk errichtet, dessen Besetzung er sich und seinen Nachfolgern vorbehielt. In ähnlicher Weise erfolgte nun durch den frommen Eberhard II. die Gründung der drei weiteren Bistümer Chiemsee (1216), Seckau (1218)

und Lavant (1228).

Vom hl. Stuhle wurden diese Stiftungen gutgeheißen

und Eberhard dafür mit der Würde eines ständigen Legaten und dem Vorrechte den Purpur zu trogen ausgezeichnet (1232),

ein Privileg, dessen sich

seine Nachfolger heute noch erfreuen. Von den neuen Sprengeln lag nur das Bistum Chiemsee zwar nicht

ganz, aber doch zumeist auf bayerischem Boden. Auf den durch die weite, abgrundtiefe Wasserfläche gegen feindliche Überfälle so gut gesicherten Inseln hatten schon unter den Agilolfingern zwei Klöster geblüht und in dem einen, für Männer, des hl. Virgil von Salzburg gelehrter Freund, der Schotte

9. Der Sturz Tassilos.

33

Dobda, als Abt Wissenschaft und fromme Zucht gelehrt, während in dem der Nonnen, einer Stiftung Tassilos III., die büßende Jrmingard, die Tochter Ludwigs des Deutschen, als Vorsteherin gepriesen und als Selige verehrt

Indessen war hier im Jahre 1215 die alte Zucht verfallen und der

wird.

Erzbischof dachte das Frauenstift aufzulösen und dessen Besitz zur Gründung

eines Hilfsbistums zu verwenden, aber der Papst bestimmte Herrenwörth, seit 1130 ein Chorherrenstift, zum Mittelpunkt des kleinen Sprengels, der nur

zehn, allerdings ausgedehnte und ins Gebirge tief hineinreichende Pfarreien umfaßte, und ernannte den jeweiligen Propst zum Bischof. Da er aber vom Erzbischof von Salzburg eingesetzt und belehnt wurde, erlangte er nie die Stellung eines Reichsfürsten.

auch

Um dieselbe Zeit hat Kaiser Friedrich II. dem Hause Wittelsbach die schöne, fruchtbare Rheinpfalz als erbliches Lehen verliehen und

seit 1214 herrscht nun auch der Bischof von Speyer über bayerisches ^Gebiet gleich dem von Eichstätt, während jene von Würzburg und Bamberg mehr als Grenznachbarn, Lehensherren und Schutzvögte in Bettacht kommen. In­ dessen wird auch der Bamberger noch bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts zu den Landtagen der Herzoge von Bayern

fürsten von Salzburg, Regensburg, Freising,

entboten,

gleich den Kirchen­

Eichstätt, Augsburg, Passau

und Brixen, welche diesem Rufe bis 1244 Folge leisten, ein Zeichen, die völlige politische Unabhängigkeit von der herzoglichen

daß

Gewalt erst jetzt

errungen wurde.

9. Der Sturz Tassilos. Don M. Doeberl*

Um die Wende des 5. und 6. Jahrhunderts begegnen uns die Bayern in ihren neuen Wohnsitzen südlich der Donau. Ihr Gebiet erstreckte sich damals

zwischen Lech und Enns, Alpen und Donau. Bald nach ihrer Einwanderung er­ scheinen sie in- politischer Abhängigkeit vom merowingischen Frankenreich. Wann und wie diese Abhängigkeit begann, erzählt keine Quelle; sicher aber ist, daß schon der Frankenkönig Theudebert (534—48) eine Art Oberherrschaft über sie

ausübte Der bayerische Stammes st aat erscheint seit seinem Auftreten in der Geschichte unter Herzogen aus dem Hause der Agilolfinger. Die ge­ schichtlich sicher beglaubigten Herzoge aus diesem Geschlechte sind: in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts Garibald I. und Tassilo I.; in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts Garibald II.; um das Jahr 700 Herzog Theodo mit seinen Söhnen Theobald, Theodebert und Grimoald und (dem Sohne oder Enkel) Tassilo II.; in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts Hugibert und Oatilo, endlich von 748—88 Tassilo III.

') Dgl. „Entwicklungsgeschichte Bayern-" I. S. 67 ff. München 1906. Oldenbourg. Kronseder, Lesebuch zur Geschickte Bauern«.

Z

9. Der Sturz Tassilos.

34

Der letzte Agilolfinger, Tassilo III., verließ auf dem vierten Feldzuge gegen den Herzog Waifar von Aquitanien daS Heer des Frankenkönigs Pippin und regierte seitdem wie ein völlig selbständiger Fürst. Aber unter dem Sohne Pippins, Karl

dem Großen, brach die Katastrophe über ihn herein: er und sein Haus wurden entsetzt, Bayern wurde eine fränkische Provinz.

„Die Katastrophe Tassilos ist keine Tragödie.

Nie ist eine Empörung so

töricht und knabenhaft geplant und ins Werk gesetzt worden als die seine; er

verstand nicht den rechten Augenblick zu ergreifen, in dem sein Abfall Aussicht auf Erfolg gehabt hätte; er verstand ebensowenig im ungünstigen Augenblick den Erfolg zu erzwingen, indem er alles aufs Spiel setzte. Wo er hätte

handeln sollen, zögerte er und als seine Sache bereits verloren war, handelte er." „Das schlimmste Urteil über ihn ist seine Begnadigung; denn sie beweist, daß ihn Karl aufs äußerste gering schätzte."

So lautet das strengste Verdikt, das über Tassilo III. und seine Regierung

gefällt worden ist. Sehen wir zu, ob das Urteil über die Schuld Tassilos an seinem Verhängnis ein gerechtes ist. Die oberste Pflicht des Geschicht­ schreibers ist nicht anzuklagen, sondern zu verstehen. Seit dem Jahre 763 war der Bayernherzog Tassilo tatsächlich unab­ hängig.

Aber diese Unabhängigkeit war auf keiner festen Grundlage aufgebaut.

Bayern war zu klein, um aus eigenen Mitteln innerhalb des europäischen Staatensystems seine Selbständigkeit auftechtzuerhalten, namentlich einer zu­

greifenden Nachbarmacht gegenüber — wenn man den Franken zum Nachbarn, aber nicht zum Freunde hatte.

Tassilo dankte nur einer besonders günstigen

Konstellatton der auswärtigen Verhältnisse die lange Auftechterhaltung seiner Unabhängigkeit.

Der Aufftand Aquitaniens gegen das Frankenreich, der Zwist im karolin­ gischen Königshause zwischen den Brüdern Karl (dem Großen) und Karlmann, der Rückhalt an dem Papste und dem verwandten Langobardenkönige waren,

ich möchte sagen, die Lebensbedingungen der bayerischen Selbständigkeit. Den Traditionen des karolingischen Hauses entsprach aber das Verhältnis Bayerns zum Frankenreiche keineswegs. Die Karolinger arbeiteten von Anfang

an, seit Pippin dem Mittleren und Karl Martell, bewußt auf das Ziel hin,

die westgermanischen Stämme, die von Chlodwig und dessen Söhnen in die Unterordnung unter das Frankenreich gebracht worden waren, in das alte,

wenn möglich in ein noch sttafferes Abhängigkeitsverhältnis zurückzusühren. Karl der Große ist den alten Traditionen seines Hauses nicht bloß treu ge­ blieben, in ihm hat — modern ausgedrückt — der karolingische Imperialismus seinen festesten und folgerichtigsten Vertteter gefunden. Es ist zu erwarten, daß er zu diesen Traditionen auch Bayern gegenüber zurückkehren werde von

dem Augenblicke an, da er sich der Fesseln entledigt, die ihm Tassilo gegen­ über die Hände gebunden haben. Hat doch Karl der Große später, nach der Einverleibung Bayerns ins Frankenreich, ausdrücklich erklärt, er habe nur zu-

9. Der Sturz Tassilos.

35

rückgewonnen, was die bösen Menschen Oatilo und Tassilo dem Reiche der Franken zeitweise entfremdet hätten.

Bereits ist der Widerstand Aquitaniens endgültig gebrochen. Karlmann ist gestorben und damit in der Person Karls des Großen die Einheit des

fränkischen Reiches wieder hergestellt.

Bereits ist auch das Langobardenreich

der Frankenherrschaft einverleibt und die römische Kurie in das engste Ver­ hältnis zu Karl dem Großen getreten. Selbst der Widerstand der bisher freien Sachsen ist so weit zurückgedämmt, daß man an die Einteilung des Landes in Missionsbezirke wie an die Einführung der ftänkischen Grafschafts­ verfassung denken kann.

Nunmehr erachtet Karl den Zeitpunkt gekommen um

Damit war dem baye­ rischen Herzogtum das Schicksal gesprochen, der Herzog konnte es durch sein Verhalten wohl beschleunigen, aber — bei der größten Befähigung — nicht

an die Lösung der bayerischen Frage heranzutteten.

aufhalten. Ostern 781 weilte Karl am päpstlichen Hofe. Eben hatte er dem langobardischen Reiche in seinem Sohne Pippin einen König gegeben und er suchte diese Neuordnung zu sichern gegen Angriffe im Norden wie im Süden. Das Ergebnis der in Rom zwischen König und Papst gepflogenen Verhandlungen

war die Abordnung einer gemeinsamen Gesandtschaft an Tassilo, um den Herzog an den Eid zu erinnern, den er Pippin, dessen Söhnen und den Franken

im Jahre 757 zu Compiegne geschworen habe. Völlig isoliert, jedes Rückhalts beraubt, kann Tassilo gegenüber dem päpstlich-fränkischen Bündnis an einen bewaffneten Widerstand nicht denken; hatte er ja wenige Jahre vorher den stärkeren Langobarden dieser Koalition

erliegen sehen. Wohl aber fordert der Herzog, dem schon damals das Schicksal seines langvbardischen Schwiegervaters vorschweben mochte, Geiseln

für seine persönliche Sicherheit.

Er erscheint dann auf einer Reichsversammlung

zu Worms, erneuert hier den Vasalleneid und stellt zwölf auserlesene Geiseln als Unterpfand dafür, „daß er alles halte, was er dem König Pippin eidlich gelobt, in Sachen des Königs Karl und seiner Getreuen".

„Getreuen"

des

Frankenkönigs

sind

Mit den

die königlichen Vasallen in Bayern

gemeint, die eine dem Herzogtum gefährliche Zwitterstellung einnahmen; trotz der Selbständigkeit Tassilos hatten noch 778 königliche Vasallen aus Bayern

am ftänkischen Feldzug teilgenommen. In Bayern herrschte nach dem Tage von Worms Stille; es war die Stille vor dem Gewttter.

Einzelne Vorgänge zeugten von der zunehmenden

Spannung. 785 kam es im Süden, bei Bozen, zu einem blutigen Zusam­ menstoß zwischen Bayern und Franken. Es findet sich kein Beleg, daß den

Herzog eine Schuld traf; es hat eher den Anschein, daß der Befehlshaber der Franken, Hrodbert, den Kampf auf eigene Faust unternahm. Ebenso wenig findet sich ein Beleg, daß der Herzog der Auflehnung seines Schwagers Arichs von Benevent gegen den Frankenkönig näherstand;

jedenfalls hat er

3*

36

V. Der Sturz Tassilos.

ihm gegen Karl keine Hilfe geschickt.

Sicher beglaubigt aber sind die Reibe­

reien zwischen dem herzoglichen Hofe und den fränkisch gesinnten Mitgliedern

des höheren Klerus, namentlich dem Bischof Arbeo von Freising. Sein Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhl von Freising hat später nach der Katastrophe von 788 den Schleier etwas gelüftet: „Tassilo und seine Gemahlin Liutbirga

hätten der Freisinger Kirche viele Gotteshäuser

entzogen aus Unwillen über den Bischof Arbeo, den sie beschuldigten, daß er

dem König Karl und den Franken treuer sei als ihnen." tiefer.

Der Grund lag

Als Ausfluß des germanischen Begriffes vom Eigentum an Grund

und Boden hatte sich in Bayern das Eigenkirchensystem, das Eigentum des Grundherrn an den von ihm gegründeten Kirchen, herausgebildet und im

Zusammenhang damit das Recht den Vorstand der Kirche zu bestellen.

Bischof

Arbeo von Freising suchte dieses Eigenkirchensystem zu zerstören und der alten kirchenrechtlichen Anschauung, daß die Bischöfe Eigentümer des gesamten Kirchenvermögens ihrer Diözese seien, Geltung zu verschaffen. Der Bischof

zwang die Eigenkirchenpriester die Kirchen an die Kathedralkirche zu übertragen. Auch die Grundherren selbst wurden veranlaßt ihre Eigenkirchen an die Kathedralkirche zu schenken. In vielen Fällen wurde das Ziel erreicht. Schwieriger war der Kampf gegen die Klöster. Die Bischöfe forderten Übergabe auch der klösterlichen Eigenkirchen in das bischöfliche Eigentum.

Sie forderten von den Mönchen namentlich Herausgabe der öffentlichen Kirchen und Einstellung ihrer Seelsorgetätigkeit. Die Bischöfe suchten und

sanden in dem Streite eine Stütze im Frankenreich, die Klöster suchten und fanden einen Rückhalt an der heimischen Dynastie.

Darüber kam es bei der

politischen Spannung zu einem schweren Konflikt. Die bischöfliche Partei beschuldigte den Herzog, namentlich aber die Herzogin Liutbirga der Feind­

seligkeit gegen die Bischöfe, der Begünstigung der Klöster. Dos herzogliche Haus beschuldigte den Bischof von Freising fränkischer Gesinnung. Es kam ebenso zu Reibereien zwischen dem Herzog und den ins ftänkische Interesse gezogenen, dem Herzog zu Aufsehern gegebenen königlichen Vasallen in Bayern. Das ist nicht bloß zu schließen aus der warmen Fürsorge, mit

der Karl deren Interesse gegen das Herzogtum im Jahre 781 vertrat, sondern auch aus den späteren Ereignissen des Jahres 788. Vermutlich strebten diese Vasallen eine Stellung außer oder über der bayerischen Stammesverfassung

an und wurden in diesem Bestreben von den Franken ermuntert, die sichtlich ihre Aufgabe nicht in einer Versöhnung, sondern

in einer Verschärfung der

Gegensätze erblickten. Zugleich scheint die Forderung unbedingter Heeresfolge auf den Wider­

stand des Herzogs gestoßen zu sein,

dessen Interessen wie früher so auch

damals auf dem avarisch-slavischen Kriegsschauplätze im Südostcn lagen. Unter diesen Verhältnissen ist es begreiflich, daß sich Tassilo zu Äußerungen hinreißen ließ: selbst wenn er zehn Söhne hätte, würde er sie lieber opfern

9. Der Sturz Tassilos.

37

als die beschworenen Verträge fortbestehen lassen, lieber sterben als ein solches Leben führen. Doch in seiner Bedrängnis, unmittelbar vor der hereinbrechenden Kata­

strophe ruft der Herzog

durch eine Gesandtschaft noch einmal die päpstliche

Der Augenblick schien günstig gewählt; eben damals (787)

Vermittelung an.

weilte Karl auf der Rückkehr vom Feldzug

gegen Benevent neuerdings in

Wirklich schien der Papst anfänglich entgegenzukommen.

Rom.

Doch Karl

hintertrieb das päpstliche Friedenswerk. In Anwesenheit des Papstes verlangte er von den Gesandten Übernahme gewisser Verpflichtungen. Die Erklärung

der Gesandten,

eine solche Bindung ginge über die ihnen erteilte Vollmacht

hinaus, gab dem Frankenkönig Gelegenheit den Bayernherzog als Störenfried hinzustellen. Nunmehr erklärte sich der Papst entschieden für das Recht des Frankenkönigs, ließ den Herzog Tassilo ermahnen dem König Karl und dem

Volke der Franken in allem gehorsam zu sein, damit es zu keinem Blut­ vergießen und zu keiner Verletzung seines Landes komme, bedrohte den Herzog mit dem Banne, wenn er die Pippin und Karl geschworenen Eide nicht halte, und machte ihn verantwortlich für all das Unglück, das er damit über Bayern

bringe; Karl aber und seine Franken sollten in ihrem Gewissen

von jeder

Schuld frei sein. Nach der Rückkehr ins Frankenreich ordnete Karl eine Gesandtschaft an Tassilo ab mit der Aufforderung dem Befehl des Papstes und seiner be­ schworenen Pflicht nachzukommen und sich vor dem König zu stellen. Tassilo,

der dem König nicht mehr traute, weigerte sich vor demselben zu erscheinen. Als aber Karl von drei Seiten her, von Süden, Westen und Norden, den

fränkischen Heerbann gegen Bayern fränkisch

aufmarschieren ließ, als nicht bloß

gesinnte Teil des Klerus und die

fränkisch

gesinnten

Lehensleute gegen den Herzog Partei ergriffen, als die Drohung päpstlichen Bann

auch unter der übrigen Bevölkerung zu

der

königlichen mit dem

wirken begann,

noch einmal sein Heil in einer vollständigen Unter­ werfung unter den Frankenkönig. Am 3. Oktober 787 stellte er sich im Lager suchte

der Herzog

Karls auf dem Lechfelde. Er mußte sich in allem schuldig bekennen und sein Herzogtum als verwirkt dem Frankenkönig symbolisch (unter Überreichung eines Stabes) auflassen.

Eide zurück.

Als Lehen erhielt er es nach Erneuerung der früheren

Fortan ist nicht bloß der Herzog Vasall, auch sein Herzogtum

ist ein Lehen des Frankenkönigs.

Bereits tritt Karl in unmittelbare Verbin­

dung mit den Untertanen des Herzogs; das gesamte Volk der bayerischen Lande muß dem Frankenkönig den Treueid leisten. Zugleich wurde dem

Herzog die Stellung weiterer zwölf Geiseln auferlegt,

darunter des eigenen

Sohnes, den er bereits zum Mitregenten angenommen hatte. Oktober des Jahres 787.

Das war im

Im Sommer des folgenden Jahres fand ein Reichstag zu Ingelheim statt.

Wie die anderen königlichen Vasallen findet sich auch der Bayernherzog

9. Der Sturz Tassilos.

38

ein.

In offener Versammlung wird er entwaffnet und festgenommen. Königs­

boten eilen nach Bayern und schleppen die Gattin, die Söhne, die Töchter, das zahlreiche Gesinde samt dem herzoglichen Schatze nach Ingelheim. Der Herzog, so lautete die Anklage, habe mit den Avaren verräterische Verbin­ dungen angeknüpst, er habe des Königs Vasallen zu verderben

gesucht, er

habe seine Untertanen ermahnt dem Frankenkönig den Treueid nur mit einem hinterlistigen Vorbehalt zu schwören, er habe hochverräterische Reden geführt. Als Ankläger bezeichnet der offizielle Berichterstatter „dem König getreue

Bajuwaren". Es sind zweifellos die ins fränkische Interesse gezogenen könig­ lichen Vasallen in Bayern; die Anklage stammt also aus dem Munde der

seit Jahren erbitterten Gegner des Herzogs. Anklage und Verfahren erregen die schwersten Bedenken. Nicht der Herzog erscheint als der Dränger, der d»rch sein Verhalten die Katastrophe heraufbeschwört, sondern der König, der

den Herzog beseitigen will; die königlichen Vasallen in Bayern sind die Werkzeuge in fränkischen Diensten. Der Eindruck der Mache wird noch erhöht durch das Urteil selbst. Um verurteilen zu können, greift man zurück auf das Vergehen Tassilos gegen König Pippin, erinnert man sich noch zu guter

Stunde,

daß sich Tassilo vor 25 (!) Jahren gegen Pippin

der Harisliz

(Desertion) schuldig gemacht habe. Und auf Grund dieser längst verjährten und vergessenen Schuld wird er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Doch die „Gnade" des Frankenkönigs verwandelt die Todesstrafe in lebens­

längliche

Einschließung in ein Kloster.

Mit Mühe ringt der unglückliche

Herzog dem Frankenkönig die weitere Gnade ab, daß er nicht schon in Ingel­ heim vor versammeltem Hof, sondern erst in St. Goar am Rhein zum Mönche geschoren wird, um dann im Kloster Jumieges (an der Mündung der

Seine), später int Kloster Lorsch (bei Worms) interniert

gleiche Schicksal traf die Familie des Herzogs.

zu werden.

Das

Die Söhne wurden geschoren,

Gemahlin und Töchter gezwungen den Schleier zu nehmen;

getrennt von­

einander endeten sie hinter der Klostermauer. Die Bayern aber — nach offiziellem Berichte seien es wenige gewesen — die sich nicht ruhig in die neue Ordnung fügen konnten, wurden „ins Elend geschickt".

Bayern scheint aber trotzdem nicht sobald zur Ruhe gekommen zu sein.

Die Regensburger Verschwörung von 792 scheint unter ihren Mitgliedern auch altergebene Anhänger des agilolfingischen Hauses gezählt zu haben. So wird denn, um die Gemüter zu beruhigen und dem Verfahren von 788 den Schein der Gerechtigkeit zu geben, Tassilo noch einmal aus der Enge der Klosterzelle hervorgeholt und muß auf einer der glänzendsten Versammlungen, die unter Karl dem Großen gehalten wurden, auf der Reichsversammlung zu Frank­

furt 794, um Verzeihung bitten für all das, was er unter Pippin und Karl gegen den König und das Volk der Franken verbrochen, und erklären, daß er

allen Groll wegen des Geschehenen aufgebe, endlich für sich und seine Kinder Drei Exemplare

allen Ansprüchen auf das Herzogtum endgültig entsagen.

9. Der Sturz Tassilos.

39

wurden von der Abdikationsurkunde ausgefertigt, eines für den König, eines für das Kloster des Herzogs, eines wird in der Kapelle des Palastes, im

Noch empfiehlt der unglückliche Herzog seine Kinder

Reichsarchiv, hinterlegt.

der Gnade des Siegers, seitdem ist er und seine ganze Familie für uns ver­ schollen; wir kennen nur seinen Sterbetag (11. Dezember), nicht sein Todesjahr,

nicht einmal mit Bestimmtheit den Sterbeort. gefunden wie Paulus Diaconus,

Bayern hat keinen Geschichtschreiber

der den Griffel aus der Hand legte, als er den Untergang des langobardischen Königshauses schildern sollte.

an

der Vernichtung

In Bayern haben sich sogar die eigenen Großen

des agilolfingischen Herzogs beteiligt.

wurde der letzte Agilolfinger nicht.

und

im Volke.

Dort

beging

Doch vergessen

Das Andenken lebte fort in den Klöstern

man jährlich den Sterbetag des freigebigen

Stifters, hier ließ man den letzten Agilolfinger in blutiger Feldschlacht erliegen. Auf Befehl des Siegers wird er nach der Sage geblendet, auf Bitten der Fürsten aber begnadigt und ihm die Freiheit zurückgegebcn.

er nach dem Kloster Lorsch.

Unerkannt kommt

Hier sieht der Frankenkönig während einer nächt­

lichen Andacht in der Kirche, wie der unbekannte Blinde von der Hand eines Engels von Altar zu Altar geleitet wird.

Erst im Todesfieber enthüllt Tassilo

seine Herkunft.

Tassilo verdient nicht weniger unsere Achtung als der Sachse Widukind.

Der Unbestand, den er vielleicht zuletzt zeigte, ist nicht einem schwankenden

Charakter zuzuschreibcn, sondern einer unseligen Verkettung der Verhältnisse. Die Verurteilung, die Tassilo in der Geschichte erfahren, geht auf den Bericht der annales Laurissenses maiores zurück und doch ergibt eine Prüfung der Annalen, daß sie von Anfang bis zu Ende die Tendenz verfolgen die Handlungs-

weise des Frankenkönigs zu rechtfertigen.

Je niehr Worte der fränkische Be­

richterstatter macht, desto mehr verrät sich das böse Gewissen, die Schwäche

der zu verteidigenden Sache; der Bericht macht den Eindruck einer bestellten Arbeit.

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das angebliche Geständnis Tassilos

zu würdigen.

Der Bayernherzog wird nicht frei von Schuld gewesen sein;

aber der letzte Grund seines Verhängnisses lag nicht in seiner Schuld, sondern in dem Bestand des bayerischen Herzogtums.

In seinem Schicksal liegt

eine Tragödie.

Tassilo ist nicht dem Mangel an Herrscherbefähigung erlegen — die innere Verwaltung Bayerns beweist das

Gegenteil — vielmehr den Mitteln eines

überlegenen Weltreiches, dem Willen einer alle Zeitgenossen überragenden und

erdrückenden Persönlichkeit. „Tassilo wurde später vor den König geladen und ihm nicht erlaubt

zurückzukehren."

Das sind die einzigen Worte, mit denen Einhard der für

Bayern wie für das Frankenreich so folgenschweren Ereignisse des Jahres 788 gedenkt.

Dieses Schweigen ist nicht minder vielsagend wie die Beredsamkeit

der Annalen.

40

10. Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit drS bayerischen Stammes.

Karls Regierung ist reich an Gewalttaten.

Wie sehr man seinen schöpfe­

rischen Geist, seine Willenskraft, seinen Unternehmungssinn bewundern mag, in einzelnen seiner politischen Maßregeln verrät er noch die Spuren altgermanischer

Barbarei. „Verschwunden hinter der Klostermauer" kehrt fast wie ein regel­ mäßiger Refrain in der Geschichte Karls des Großen wieder.

10. Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit des bayerischen Stammes, insbesondere aus dem Nordgau. Von M. Doeberl.')

Wie das Leben des einzelnen erst dann einen höheren Wert erlangt,

wenn er heraustritt aus dem engen und beengenden Kreise jener Tätigkeit,

die lediglich seiner Selbsterhaltung gewidmet ist, und sich in den Dienst einer größeren Gemeinschaft, in den Dienst einer höheren sittlichen Aufgabe stellt, so ist es auch mit dem Leben eines Volkes.

Eine höhere Mission erfüllt

ein Volk, wenn es entweder produktiv weiterarbeitet an der kulturellen Ent­

wicklung der Menschheit, oder wenn es seine Nationalität und die über­ kommene Gesittung schützt gegen den Ansturm barbarischer Völker, noch mehr, wenn es ihm gelingt diese Kultur und diese Nationalität hinauszutragen

in

barbarische oder halbbarbarische Nachbarländer und zugleich Raum zu ge­ winnen für nachkommende Generationen. Eine Kulturaufgabe nach beiden

letztgenannten Richtungen hin ist vornehmlich zwei deutschen Stämmen zuge­ fallen, die an der Ostmark des Reiches saßen und so manche Charaktereigenschaft miteinander teilten, dem sächsischen und dem bayerischen, jenem im Nordosten, diesem im Südosten. Man hat mit Recht diese Kolonisation des

Ostens die größte Tat des deutschen Volkes genannt; mehr als die Hälfte des heute von Deutschen bewohnten Gebietes ist so gewonnen worden, die Wiege unserer beiden deutschen Großmächte stand nicht innerhalb der alten Gebiete des Reiches, sondern auf einem Felde, das erst bayerische

und sächsische Kulturarbeit erschlossen.

Der Sieg des Deutschtums auf dem ungeheuren Gebiete von der Elbe bis zum Peipussee in Rußland, auf der noch heute sogenannten „wendischen Ebene", ist das Werk der nordöstlichen Kolonisation. Aber diese Ausbreitung des

Deutschtums erfolgte erst im 12. und

13. Jahrhundert.

Damals, als im

Nordosten der deutsche Ritter und der deutsche Bauer, wie der deutsche Mönch

über die Elbe drangen,

klangen bereits vom bayerischen Kolonisationsgebiete,

vom Hofe der Babenberger Markgrafen, in die deutschen Lande

herüber die

Lieder und Weisen eines Ritters von Kürenberg, eines Reinmar des Alten, eines Walter von der Vogelweide.

Der bayerische Stamm ist eben am ftühesten

•) Vgl. Beilage der Allgem. Zeitung, München 1904, Nr. 141 und 142, und M. Doeberl „Entwicklungsgeschichte Bayerns" I. S. 123, 132 ff.

10. Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit des bayerischen Stammes.

41

vor die Losung seiner Kulturarbeit gestellt worden, schon im 8. Jahrhundert, als die Sachsen ihre heidnischen Götter noch gegen fränkisches Christentum verteidigten. Diese Kulturarbeit des bayerischen Stammes erstreckte sich über ein weites, wcchselreiches Gebiet: im Norden bis zu den dunkelbewaldeten Granit­

massen des Fichtelgebirges, im Osten zu den weichen Wassern des Plattensees, im Süden, vorbei an hochragenden Firnen und tiefgründigen Schluchten, einer­

seits zu den Steinwüsten des Karst, anderseits zu den Pforten des Landes, „wo die Zitrone blüht und das blaue Gewässer dämmert unter der Sonne Homers". Das Arbeitsfeld liegt vornehmlich in den heutigen deutsch-öster­ reichischen Ostalpenländern oder Jnnerösterreich,

in den Landen an der

mittleren Donau oder Niedcrö st erreich, in den Landen nördlich der oberen Donau entlang dem Böhmcrwalde, ans dem sogenannten Nordgau.

Das Ergebnis dieser mehrhundertjährigen Tätigkeit war die vorherrschende Geltung

des Deutschtums in Steiermark, Kärnten und Krain, die ausschließliche Herr­ schaft des Deutschtums in Niederösterreich, in der heutigen Oberpfalz, in Teilen von Mittel- und Oberfranken und im Egerlande.

nisation

griff aber

auch

über

Die bayerische Kolo­

die politischen Grenzen deutscher Herrschaft

hinaus und gewann ausgedehnte Gebiete im nordöstlichen Italien, im west­

lichen Ungarn, im südlichen Mähren, im südlichen und westlichen Böhmen.

*

*

*

Die zukunftsreichsten Markenländer, Niederösterreich und Jnnerösterreich,

sind dem bayerischen Staate verloren gegangen. Der Nordgau ist zum größeren Teile bei Bayern verblieben. Hier, auf dem Nordgau, begann die Kolonisation schon in der Zeit der letzten Agilolfinger: in der Gegend von Cham hatten die Mönche von St. Emmeram schon im 8. Jahrhundert großen Besitz, schon damals erstand hier die „cella apud Cliambe“ (Chammünster). Indes systematisch wurde die Kolonisation erst betrieben seit der markgräflichen Organi­ sierung des Landes durch Karl den Großen.

Bei ihrer Einwanderung hatten die Bayern von dem nördlich der Donau

gelegenen Lande nur ein südwestliches Stück in Besitz genommen.

Noch bedeckte

weitaus den größeren Teil des späteren Nordgaus Urwald, vom Bayerischen Wald im Südosten bis zur Pegnitz im Nordwesten, vom Fichtelgebirge im

Norden bis tief herab ins Nabtal.

Es genügt hinzuweisen auf die zahlreichen

späteren Ortsnamen auf reut, schwand, brand, hau, gesell, loh, Wald, sowie auf die Ausdehnung, welche die Urkunden dem Nordwald geben, und auf die örtliche Lage einzelner Rodklöster.

Innerhalb dieses Waldlandes saßen zerstreut Slaven, sowohl Sorbenwenden, die von Norden und Westen her vordrangen, als auch Tschechen, die von Osten her einwanderten, ganz besonders in den Flußtälern der Eger,

Wondreb und Nab.

42

10. Kolonisierende und germanisierende Tätigkeit des bayerischen Stammes. Von Norden her waren die Slaven bis in die Gegend von Eichstätt einer­

seits, von Premberg (B-A. Burglengenfeld) anderseits vorgedrungen. Von Osten her hatten sie zum mindesten den mittleren Regen erreicht; noch in der Karolingerzeit begegnen Slaven in der Gegend von Pösing bei Cham.

Hier nun setzt die bayerische Kolonisation ein und dringt Schritt für Schritt nach dem Norden vor, indem man teils die slavischen Siedelungen besetzt teils auf neugerodetem Boden deutsche Kolonistendörfer anlegt. Noch

in dem Kapitulare von 805 erscheint das uralte Premberg als Grenzpunkt deutschen Lebens. Gerade ein Jahrhundert später, 905, ist man über Nabburg hinaus bis an die Luhe vorgerückt; ein Vasall des Markgrafen Luitpold erhält hier eine Hufe, die vordem ein Slave besessen. Um die

Wende des 10. und 11. Jahrhunderts erreicht man die Waldnaab, einen der Quellflüsse der Nab; hier, in der Gegend von Falkenberg, Altneuhaus

und Schwarzenschwal, scheint die deutsche Vorwärtsbewegung einige Zeit halt

gemacht zu haben.

Aber noch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts ge­

winnt man dem Urwalde und der slavischen Rasse eines der schönsten deutschen

Länder ab, das zwischen dem Böhmerwalde, Fichtelgebirge und Erzgebirge hinziehende Egerland; bereits in einer Königsurkunde von 1061 erhalten Kunde nicht bloß von der Existenz der Stadt Eger sondern auch von Reichsstraße, die Eger mit Nürnberg verbindet. Am Schlüsse des 11.,

sich wir der am

Anfänge des 12. Jahrhunderts ist man bis zur Grenze des Schönbacher Ländchens (int heutigen Vogtland), bis zum Fleissenbache vorgerückt. Ja be­ reits

greift

die

Kolonisation

nach

dem

sogenannten

Regnitzlande

bei

Hof über. Es war ein gewaltiges Resultat bajuwarischer Kulturarbeit; von Premberg bis zur Waldfleinkette und bis in das Vogtland bei Aadors hinein erinnern heutzutage nur mehr slavische Orts- und Flußnamen daran, daß hier ehemals

Diese nationale Verschiebung vollzog sich teils durch deutsche Einwanderung teils durch Entnationalisierung der Slaven, nicht aber durch Slaven gesessen.

Vernichtung derselben. Daß in dem heutigen Sprachgebiet auch nach der bajuwarischen Einwanderung eine nicht unbedeutende slavische Bevölkerung zu­

rückblieb, das beweist das Auftreten slavischer Personennamen in den Urkunden

noch des 13. und 14. Jahrhunderts und die Menge der slavischen Ortsnamen vorbajuwarischer Entstehung. Aber die Geschlossenheit der Ansiedelungen hält

die bajuwarische Kraft zusammen; nicht der Bayer wird zuletzt von dem Slaven assimiliert, sondern der Slave von dem Bayern. Auch hier geht wie in Inner- und in Niederösterreich die Kolonisation vom Großgrundbesitz aus. Bis an die Wende des 11. und 12. Jahr­

hunderts sind die Führer vorwiegend Laiengewalten: die Krone, die Mark­ grafen, namentlich die babenbergischen, ferner die gräflichen und freiherrlichen

Geschlechter, wie die Sulzbacher, Leuchtenberger, die Herren von Velburg, Alten­

dorf und Laber, endlich ganz besonders die zahlreichen Ministerialengeschlechter.

43

11. Kloster Tegernsee.

Hat sich schon bisher auch die Kirche an dieser Kulturarbeit beteiligt, die bischöfliche Kirche von Regensburg mit den Mönchen von St. Emmeram in der Gegend von Cham, die bischöfliche Kirche von Eichstätt zwischen Altmühl

und Pegnitz, die bischöfliche Kirche von Bamberg seit den Schenkungen Hein­ richs des Heiligen zwischen Pegnitz, Regnitz und Vils: so bekommt das Koloni­

sationswerk von geistlicher Seite her, während die Laienkräfte immer mehr auf den italienischen Boden abgezogen werden, neue Impulse durch die Klostergründungen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: Ensdorf, Michelfeld, Reichenbach, Speinshart, ganz besonders durch die Niederlassung der Zister­

zienser zu Waldfassen. Gerade die Ordensvorschrift fern von den Wohn­ stätten weltlicher Personen ihren Sitz aufzuschlagen ließ sie mit Vorliebe Sumpfund Waldgegenden für ihre Siedelungen wählen.

Solche fanden sie vereinzelt in

Jnnerdeutschland, überreich aber waren an solchen die dünn bevölkerten slavische^ Lande. Waldsassen ist für den Nordgau dasselbe geworden, was das Zisterzienser­ kloster Marienzelle für Meißen, Dobrilugk für die Niederlausitz, Lehnin und Zinna für die Mark Brandenburg, Doberan für Mecklenburg, Leubus für Schlesien ge­ wesen ist.

Waldsassen bringt nicht bloß neues Leben in die innere Koloni­

sation, in den Ausbau des dem Deutschtum bereits gewonnenen Bodens, es greift von Anfang an über die von der deutschen Kolonisation hier erreichte Siedlungsgrenze hinaus und gewinnt ausgedehnte slavische Gebiete dauernd

für deutschen Anbau und deutsche Kultur: im nordöstlichen Winkel der heutigen

Oberpfalz das Mähringer Ländchen, zwischen Erzgebirge und Egertal drei um­

fangreiche Gebiete, das Schönbacher Ländchen, einen Distrikt um Chodau und Ellenbogen, endlich einen noch größeren zwischen Erzgeb.rge, Kaaden und Saaz; das hier von Waldsassener Mönchen angelegte Neudorf ist der erste deutsche

Dorfname in Böhmen. Hieran stößt das Arbeitsfeld des in einem Ausbau des Erzgebirges gegründeten und noch heute bestehenden Waldsassener Tochter­ klosters Ossegg, das seine Besitzungen bis Leitmeritz erstreckte. So hat Waldsassen mit seiner Ossegger Kolonie zwischen den Hängen

des Erzgebirges und dem Tal der Eger ein deutsches Siedlungs- und Sprach­ gebiet geschaffen.

11. Kloster Tegernsee. Don Max Fastlinger. ♦

Um das Jahr 500 n. Chr. sind die Bajuwaren aus Böhmen in das heutige Altbayern eingewandert. Sie ließen sich zuerst auf dem von Kelten

und Romanen angebauten, damals bereits verlassenen Boden nieder.

Weite

Gaue des Landes aber, jetzt größtenteils Eigentum der bayerischen Herzoge und Adeligen, lagen noch wüst und mit Urwald bedeckt da. Einmal seßhaft geworden

vermehrte sich die bayerische Bevölkerung sehr rasch.

Zu ihrer Ernährung war

neues Ackerland nötig, das nun aus den Sümpfen und Urwäldern gewonnen tverden mußte.

44

11. Kloster Tegernsee.

Einer so schwierigen und umfangreichen Kulturarbeit jedoch waren die einzelnen Grundbesitzer nicht gewachsen.

Mit Aussicht auf raschen Erfolg konnte

damals nur eine im Mönchtum einheitlich geordnete und zahlreiche Arbeiterschaft

den Anbau ganzer Länderstriche wagen. Die Stiftung eines Klosters kam in jenen Zeiten einer wahren Großtat gleich; denn jedes Kloster bedeutete für seinen

weiten Umkreis einen Brennpunkt für das wirtschaftliche wie für das geistige

Leben.

Oatilo und Tassilo, die letzten bayerischen Herzoge aus dem Geschlechte der Agilolfinger, hatten ihr Land mit einem Netz von Klöstern überzogen. Mit ihnen wetteiferten die Edlinge, allen voran jene aus der Sippe der Housi, die so güterreich waren, daß man nach ihnen einen eigenen Gau, den Housigau, benannte.

Die Klöster Altomünster, Ilmmünster, Schlehdorf und Benedikt­

beuern, im Housigau gelegen, sind Stiftungen dieser reichen bayerischen Adels­ sippe. Doch auch im Sundergau, im Gebiete der Mangfall, besaßen die Housi

nicht wenige Ländereien. Und gerade hier sollte durch ihren praktischen, religiösen Sinn ein Kloster erstehen, das an äußerem Glanz und geistigem Streben nicht bloß alle anderen Housiklöster übertraf sondern sogar manches herzogliche Kloster gleich von Anfang an in den Schatten stellte, das Kloster Tegernsee. Vor fast 1200 Jahren gehörten der Tegernsee und seine weitere Umgebung

zwei Brüdern aus der Housisippe, namens Adalbert und Otkar.

Der Welt

entsagend hatten die beiden beschlossen sich selbst samt ihrem Eigentum Gott zu weihen. Dicht am östlichen Seeufer erhoben sich. ihrem Willen

gemäß bald ein Kloster nach der Regel des hl. Benediktus und eine Kirche,

die später einen kostbaren Schatz, den aus Rom feierlich übertragenen Leib

des hl. Märtyrers Quirinus, bergen sollte. Als erstes Weihtum wurden St. Quirins Mönchen der fischreiche See, die Berge, Wälder und Sümpfe ringsum und der benachbarte fruchtbare Warngau überlassen; ferner erhielten sie Salzquellen zu Reichenhall und Weinberge bei Bozen. Mit dem Weihtum hatten die Tegernseer die übliche Verpflichtung über­

nommen Sümpfe auszutrocknen und den Urwald zu roden. Am Nordufer des Sees breitete sich ein weites Moor aus. Da konnte man alsbald sehen, wie die Mönche das Gestrüpp ausbrannten, Gräben zogen um das Wasser abzuleiten, die Torfschollen zerstießen und umlegten und wie allmählich unter ihren nie rastenden Händen fette Wiesen und Weiden und die sogenannten Riederhöfe, dann Kailsried und Georgenried, Ortschaften bei Gmund gelegen, entstanden. Der nahe „Finsterwald", der schon durch den Namen seine frühere Wildnis

verrät, erdröhnte unter den Axthieben der Mönche. Erschien ihnen das Dickicht allzu groß, dann legten sie Feuer an und der Brand mußte die Arbeit der Menschenhände verrichten. Dicke Feuersäulen 'loderten zum Himmel empor, um dem Sonnenlicht den Zugang in die Waldesnacht zu bahnen und Platz für neue Siedelungen zu schaffen. Immer lichter wurde es im „Finster­ wald". Aus den Lichtungen aber schauten später Äcker und Wiesen, Gärten



11. Kloster Tegernsee.

und Gehöfte

hervor, die

an Klosterhörige gegen Reichung eines jährlichen

am St. Quirinstag fälligen Zinses verpachtet wurden.

Einige vordem wilde

Bergbäche flössen jetzt zahm und gehorsam in künstlich hergestellten Rinnsalen und waren gezwungen Mühlen zu treiben. Durch das ganze der Kultur neu erschlossene Land zogen sich Straßen und Wege, Brücken und Stege.

Von den Höhen herunter grüßte da und dort eine Kirche oder Kapelle, er­ baut zur Ehre Gottes und jener Heiligen, unter deren Schutz die Mönche

ihre Kulturarbeiten gestellt hatten. Als Schützer solcher Kulturarbeiten aber wurden mit Vorliebe Heilige gewählt, denen die altchristliche Kunst das Bild

des Drachen garet.

beigegeben hat, wie St. Georg, St. Michael oder St. Mar­

Der. Drache veranschaulicht

Satan, den Urheber alles Bösen, aller

Unfruchtbarkeit und aller Wildnis. Dumpffeuchte Moore und finstere Wälder

galten unseren Vorfahren als Wohnstätten Satans; hier hausten der Sage nach auch die Drachen, in deren Vernichtung der Hörnene Siegftied seine junge Kraft stählte.

ried

Nicht zufällig finden wir darum die Kirche in Georgen-

bei Gmund dem heiligen Georg,

die Kirche in Wald

bei Finsterwald

der heiligen Margaret geweiht; beide Ortschaften und Kirchen verdanken nämlich dem Kulturfleiß der Tegernseer Mönche ihre Entstehung. In Georgenried hatten sie also gleichsam den Moordrachen, in Wald den Walddrachen erlegt.

Zu dem so mühsam aus Moor und Urwald gewonnenen Neuland ge­

sellten sich im Laufe der Zeit Ländereien, geschenkt aus Liebe zum Kloster­

patron St. Quirinus und zwar so zahlreich,

daß bereits zu

Beginn

des

9. Jahrhunderts Tegernsee zu jenen Abteien des ftänkischen Reiches zählte,

die dem Kaiser außer Geschenken auch Kriegsdienste zu leisten hatten.

Die

Kriegsbereitschaft setzt für unser Kloster ein hochentwickeltes Handwerk voraus.

Ausdrücklich erwähnt denn auch die Klosterchronik Werkstätten und namentlich Schmiede und Drechsler. Für den tegernseeischen Salztransport aus Reichen­

hall, für den Weintransport aus Tirol war eine Brücke und Lände am Inn

von größter Wichtigkeit. Schon im Jahre 795 sehen wir die alte Römer­ siedlung Pfunzen (— pons) bei Rosenheim im Besitze des Klosters. Noch in unseren Tagen heißt dort ein Platz die „Weinländ"; die Straße aber, die

von Rosenheim am Fuß des Irschenberg vorüber nach Tegernsee zieht, die Scheiblerstraße.

heißt

Ihren Namen trägt sie von den Scheiblern, d. h. von

den Fuhrleuten, welche zu Klosters Zeiten von Reichcnhall her über Pfunzen

kommend das in Scheiben gepreßte Salz nach Tegernsee führten. zum

Dank dem wirtschaftlichen Geschick der Quirinusmönche hatte sich bis 13. Jahrhundert das tegernseeische Klostergebiet zu zehn großen Wirt­

schaftsämtern ausgegliedert. Warngau, der Hauptort des gleichnamigen Gaues, nahm als Stapelplatz die tegernseeischen Bodenerzeugnisse auf. Was

Kloster und klösterliche Meiereien davon entbehren konnten, wanderte zum Austausch oder Verkauf nach Holzkirchen auf den Kl ost er markt.

11. Kloster Tegernsee.

46

Tegernsees Grundbesitz und Handel stellte im südlichen Bayern eine wirtschaftliche Großmacht dar. Wie eine agrarische Katastrophe mag es darum

gewirkt haben, als der Bayernherzog Arnulf zu Beginn des 10. Jahrhunderts

das tegernseeische Klostergut an sich zog, um mit demselben den kostspieligen Reiterdienst zu entschädigen, den seine Vasallen im Kriege gegen die Hunnen zu leisten hatten.

Nur 114 Hufen Landes waren den Mönchen verblieben.

Alsbald zerfiel auch des Klosters innere Ordnung. In die von den Mönchen verlassenen Zellen drangen die herzoglichen Jäger ein; das Münster des heiligen Quirinus widerhallte vom Gebelle der Jagdhunde. Zuletzt zerstörte

eine mächtige Feuersbrunst Kirche und Kloster.

Adalberts und Otkars herr­

liche Stiftung lag in Trümmern. Ein Brennpunkt für die wirtschaftliche Kultur des südlichen Bayerlandes war erloschen, ein mächtiger wirtschaftlicher

Organismus war zerstört, doch nicht für immer.

Nach 70 Jahren gänzlicher

Verödung sollte neues Leben aus den Ruinen sproßen und Tegernsee zu einer zweiten und um so höheren Blüte gelangen, je mehr sich jetzt das geistige Leben in den Vordergrund drängte. Es war am 10. Juli 979, als Kaiser Otto IT. auf Bitten des Bayern­

herzogs Otto die Wiederherstellung des Klosters und die Rückgabe der meisten früheren Klostergüter anordnete. Auch Ottos unmittelbare Nachfolger wendeten dem Kloster Tegernsee ihre königliche Gunst zu. Besonders gut bedachte es

Kaiser Heinrich II., indem er dem heiligen Quirinus unter anderm im handels­ reichen Regensburg eine Hofstatt und in der Ostmark kostbare Weinberge überließ. Heinrichs Gemahlin aber, die Kaiserin Kunigunde, spendete dem

Quirinusmünster ihr Brautkleid.

Das

daraus gefertigte Meßgewand pflegte

man alljährlich am Kunigundentag (3. März) beim feierlichen Gottesdienste zu

gebrauchen.

Die Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. hinwiederum statteten

das Kloster mit umfassenden Vorrechten aus, während ihm Papst Urban HI. (1185—1187) den Besitz mehrerer Gotteshäuser bestätigte.

So ward der feste, materielle Boden gewonnen, auf dem Wissenschaften

und Künste gedeihen konnten. Den Reigen jener Äbte, die sich um Förderung des geistigen Lebens im neu erstandenen Kloster am angelegentlichsten bemühten, eröffnet Abt Gozbert

(982—1001). Er war von St. Emmeram in Regensburg nach Tegernsee berufen worden um hier das Studium der klassischen Literatur wieder in Schwung zu bringen. Mit Vorliebe lasen damals die Tegernseer Klosterschüler Horatius,

Persius, Cicero, Boethius und Priscianus. Abt Beringer (1004—1012), wirkte an

Unter Gozberts Nachfolger, dem

der Klosterschule als Lehrer der

klassischen Literatur der Dichter Froumund, dem einige auch die Dichtung „Ruodlieb" zuschreiben. Mit Froumund blühte in Tegernsee Hrotroh, der

Philosoph. Voll innigen Dankes spricht um das Jahr 1067 der berühmte Mönch und "Mystiker Otloh über Tegernsee als den Ort, wo er sich die ersten Kenntnisse der Klassiker erworben habe. Zehn Lehrer wirkten zu Otlohs

11. Kloster Tegernsee.

47

Zeiten in Tegernsee für den Unterricht der Jugend.

Unter Abt Rupert

(1155—1186) besingt der Dichter Metellus in klassischen Versen die Wunder des hl. Quirinus, Priester Werinher beglückt die fromme Welt mit einem anmutigen

Marienleben, geschrieben in deutscher Sprache.

Sein Buch schmückte Werinher

mit kostbarer Kleinmalerei, eine Kunstübung, die schon vor ihm Abt Ellinger

in dem berühmten Tegernseer Salbuch zu herrlicher Geltung gebracht hatte. In der Kunst der Glasmalerei behauptete Tegernsee, wenn diese Kunst

auch nicht bort erfunden ward, frühestens einen hervorragenden Platz. Ist doch von Abt Gozbert bekannt, daß er die bis dahin mit groben Tüchern verhängten

Kirchenfenster durch buntfarbige Glasgemälde ersetzen ließ.

Um das Jahr 1090

war das Kloster durch eine Feuersbrunst zerstört worden.

Münster fertigte

ein

anderer Werinher fünf Glasgemälde.

Für das neue

Der nämliche

Werinher war auch in der Goldschmiedekunst und Bildhauerei wohl bewandert

und darin den Spuren des Klerikers Adalrich, des ersten deutschen Glocken­ gießers, gefolgt, der seinerzeit im Auftrage des Abtes Gozbert die Ouirinnsglocke gegossen hatte. In Kunst und Wissenschaft, in strenger Selbstzucht und ernster Frömmig­

keit war Kloster Tegernsee vom 10. bis zum 13. Jahrhundert gleicherweise ausgezeichnet und sein Ruhm in aller Munde. Kein Wunder, wenn sich

ftemde Klöster gerade aus Tegernsee Mönche als Lehrer und Reformatoren des geistigen und geistlichen Lebens erbaten, wie das (1015) neu errichtete Kloster St. Ulrich in Augsburg, Kloster Feuchtwangen (1000), das verfallene Stift Benediktbeuern (1032).

Der Reformeifer der Tegernseer Mönche war

in dieser Periode vielfach zum Sauerteig geworden für das religiöse Leben und Stteben im südlichen Deutschland. Tegernsee hatte damit den Glanzpunft

seiner zweiten Blüte erreicht. Die nun folgenden zwei Jahrhunderte haben in der Geschichte des Klosters wenige Spuren hinterlassen. Im ganzen genommen war es jedoch eine Zeit des inneren und äußeren Verfalles.

Wiederholt geriet Tegernsee

in Streit mit den Mächtigen und war darob mit Brand und Plünderungen heimgesucht worden. Die Äbte umgaben sich mit fürstlichen Ehren und Ab­

zeichen und stürzten das Kloster in Schulden. Tegernsee die klösterliche Disziplin

gelockert.

Der Weltsinn hatte auch in Doch ftüher als in anderen

Klöstern setzte in unserm Kloster die Reform ein, hauptsächlich durch die

Tättgkeit des Abtes Aindorfer (1426—1461), Blüteperiode bezeichnet.

In

die den Beginn einer dritten

kurzer Zeit befreite er das Kloster von einer

drückenden Schuldenlast, brachte die herabgekommenen Gebäude in neuen Stand, verbesserte die lockere Disziplin und zog eine Reihe ausgezeichneter Ordensleute heran, die nachher als Äbte die Klöster Andechs, Benediktbeuern, Scheyern und Oberaltaich zu leiten berufen waren.

Aindorfers Nachfolger in

der Abtwürde, Ayrnschmalz (1461—1492), setzte das so glücklich begonnene Reformwerk fort, erbaute 1471 die Stiftskirche von Grund auf, schmückte sie

II. Kloster Tegernsee.

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mit herrlichen Gemälden und bereicherte die Stistsbibliothek mit 450 wertvollen

Handschriften.

Ein wichtiges literarisches Ereignis bildete die Einrichtung einer

Buchdruckerei durch Abt Quirin II. (1568—1594).

Eine Menge meist asketische,

aber auch geschichtliche Werke gingen aus dieser Druckerei hervor. Für den wissenschaftlichen Geist, der im 17. und 18. Jahrhundert noch immer das Kloster Tegernsee beherrschte, zeugen die Lehrer und Professoren, die, Tegernsee ent­ stammend, uns fast überall an den bayerischen Gymnasien und hohen Schulen begegnen, während es selbst wiederum fremden Schülern und Gelehrten jeder­ zeit edle Gastfreundschaft gewährte und ihnen seine literarischen Schätze zur

Verfügung stellte, wie z. B. (1683) dem berühmten Geschichtschreiber Mabillon oder (1717) dem gelehrten Bernhard Pez. Man braucht nicht lange zu fragen,

ob wohl ein für Wissenschaft so

hochbcgeistertes Kloster wie Tegernsee auch der Bildung des Volkes durch

Errichtung und Unterhalt von Volksschulen Rechnung getragen hat.

In Holz­

kirchen treffen wir bereits 1433 einen Jörg Rautter als „Schulmeister", 1494 einen solchen namens Pierochs, 1460 in Tegernsee selbst den „Schulmeister"

Wilhelm Schwalb; 1500 finden wir eine Schule in Egern, 1514 eine Schule

in Kreuth, 1520 eine solche in Gmund bezeugt. Holzkirchen, Egern, Kreuth, Gmund waren Tegernseeische Kirchorte; das Kloster unterhielt dort nicht nur

die Schulhäuser und Lehrer, sondern kam auch noch größtenteils für den Be­ darf an Lehrmitteln auf.

Am 17. Oktober 1753 beging Tegernsee das tausendjährige Jubiläum seiner Stiftung. Es sollte das letzte Jubiläum sein, das dort gefeiert wurde.

Der Geist der Aufklärung, der in Frankreich zur Revolution und zum Königs­ mord getrieben, hatte auch in Bayern seinen Einzug gehalten. Im Frühjahr 1803 teilte das Kloster Tegernsee mit den übrigen bayerischen Klöstern das Schicksal der Aufhebung und ward mit all seinen Besitzungen zum Staats­

eigentum erklärt.

Die Gebäude wurden teils abgetragen teils mit den übrigen

Habseligkeiten versteigert. Die Klosterbibliothek, welche damals 60000 Bände, darunter allein 2500 Handschriften und Erstlingsdrucke zählte, wurde aufgelöst. Wichtigere Bestandteile derselben kamen nach München und Landshut.

Die

Mönche zerstreuten sich um in der Welt draußen teils als Lehrer teils als Seelsorger einen Wirkungskreis zu finden. So ward der Stiftung Otkars und Adalberts nach einer

ruhmvollen Vergangenheit

ein

tragisches

Ende

bereitet.

Nur St. Quirins Münster war der Zerstörung entronnen.

Inmitten

eines weltlich-bunten Treibens, das sich heute an Tegernsees Ufern abspielt, blieben seine Türme fast die einzigen hochragenden Zeugen einer tausendjährigen Kultur, welche hier für einen weiten Gau unseres Vaterlandes ihren wirt­

schaftlichen und geistigen Mittelpunkt gefunden hatte und deren Geschichte aufs engste verknüpft ist mit der Geschichte der bayerischen Klöster nicht bloß sondern auch mit der Geschichte unseres ganzen altbayerischen Landes.

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12. Die Ungarnschlacht an der Ennsburg.

12. Die Ungarnschlacht an der Ennsburg (am 5. Juli 907). Don Friedrich Beck. ■)

1. Die Völker des Ostens, sie bringen heran, Sie zeichnen mit Flammen und Blut die Dahn, Sie brausen einher wie Sturmeswind — Weh Deutschland dir, dich leitet ein Kind! 2. Und Ludwig bebt: „Wer schützt mir die Mark? Auf, Bayerns Herzog, so kühn und stark!Der spricht: „Ich wahre dir treuen Sinn, Und willst du mein Leben, ich geb' es dir hin!" 3. Sie rüsten die Waffen, die spiegelnde Wehr, An der (Ennsburg schart sich der Deutschen Heer. Wo die Donau strömet vorbei mit Macht, Da lagern im Feld sie bei dunkler Nacht.

4. Ermattet vom Zuge, wie schlafen sie tief! Doch warnend die Stimme des Wächters rief: „Die Feinde stürmen!" Er rief es in Eil'; Schon stürzt er, getroffen vom Todespfeil. 5. Und im Flusse, so schaurig, da rauscht es und schäumt, Erwacht, ihr Getreuen! Nicht länger gesäumt! Dort schwimmt es und klimmt es am Uferrand; Schnell greifet zum Schwerte, zum Eisengewand!

6. Unholden vergleichbar im nächtlichen Traum Umschwammen die Heiden des Lagers Naum. Mit funkelndem Blick in die Christenschar Stürzt gierig des Mordes der wilde Magyar. 7. Rings schallt es von Hieben, Geschrei und Stotz, Aus tiefen Wunden das Blut entflotz. Und wie sich die Ebne vom Morgen erhellt, Deckt manche Leiche das Würgefeld. 8. Und als sich nun Freund und Feind erkannt, Ist heller am Tage ihr Zorn entbrannt. Sie ringen in grauset Dertilgungsschlacht Da dunkelt aufs neue hernieder die Nacht. 9. Doch stündlich mehrt sich des Feindes Wut Und Hord' um Horde, sie lechzt nach Blut. Nicht wanken die Deutschen am zweiten Tag; Am dritten endlich die Kraft erlag. •) Gedichte, S- 189 ff.

München 1844.

KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

Lit. art. Anstalt.

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13. Markgraf Luitpolds Heldentod in der Ungarnschlacht.

10. Da stürzt entseelt manch tapfrer Abt, Manch Bischof, edel und mutbegabt. Der Markgraf teilte der Seinen Not Und sank mit ihnen im Heldentod. 11. Herr Luitpold war es, der Schyren Ahn, Der erste auf Wittelsbachs Ehrenbahn. Er gab sein Leben dem Vaterland; Drum bleibe sein Name mit Preis genannt!

13. Markgraf Luitpolds Heldentod in der Ungarnschlacht (907). Don Hugo Arnold.')

Schlimme Tage sah Deutschland zu Beginn des 10. Jahrhunderts; denn

sein Szepter führten die schwachen Hände eines 13 jährigen Knaben und im Osten und Westen an seinen Grenzen erhoben sich mächtige Feinde, deren Ansturm die Schöpfung des großen Karl mit schweren Gefahren bedrohte. Mit festen Bollwerken hatte dieser das Reich gegen Osten gesichert, ein

die böhmische Mark im bayerischen Nordgau, die Ostmark im Lande von der Enns bis zum Wienerwalde nebst Ober- und

Gürtel von Marken schirmte es:

Unterpannonien bis zur Drau in dem Gebiete, welches den wilden Avaren in drei Kriegen abgenommen worden »var, und Kärnten nebst seinen Neben­

ländern.

Die Avaren zwar waren seitdem verschwunden, aber statt ihrer

waren in den ungarischen Tiefebenen die Magyaren oder Ungarn erschienen, ein Volk finnisch-uralischen Stammes,

welches die Petschenegen aus ihren

Siedelungen zwischen den Mündungen der Donau und des Dniepr -verdrängt

hatten.

Sie suchten neue Wohnsitze im Westen.

Das erstemal erschienen

sie im Jahre 862 an den deutschen Grenzen, 894 fielen sie in die pannonische Mark ein und richteten große Verheerungen an. Sechs Jahre später erfolgte ihr erster Einbruch in Bayern, wobei sie einen Landstrich von zehn Meilen in der Länge und Breite mit Feuer und Schwert verwüsteten. Auf die Nachricht

davon wurde der bayerische Heerbann aufgeboten, aber vor seinem Eintreffen

war bereits das ungarische Hauptheer mit seiner Beute heimgekehrt und nur eine Seitenkolonne wurde auf dem linken Donauufer von den Bayern eingeholt

und in einem glänzenden Kampfe vernichtet. Zum Schutze der Grenze erbauten dann die Sieger eine starke Feste, die Ennsburg, wozu sie die Bausteine aus

den Trümmern der alten, in Ruinen liegenden Römerbefestigung Lauriacum (b. h. Lorch) herbeiholten. Luitpold hieß der glückliche Feldherr der Bayern.

Karolingern nahe verwandt,

wahrscheinlich

durch

Er war mit den Kaiser Arnulfs Mutter

Liutswinde, und nahm unter den bayerischen Großen durch seine Macht die

erste Stelle ein;

denn er war Graf im Donaugau und hatte von Kaiser

•) Vgl „Das Bayerland", 3. Jahrgang, 1892, Nr. 5, S. 51 ff.

13. Markgraf Luitpolds Heldentod in der Ungarnschlacht.

51

Arnulf dazu noch die böhmische Mark, die kärntnische Mark und Ober­ pannonien verliehen erhalten. Welchem Geschlechte er angehörte, läßt sich mit vollkommener Sicherheit nicht angeben, aber unser vortrefflicher Geschichffchreiber

Siegmund von Riezler*) hat mit triftigen Gründen die hohe Wahrscheinlich­

keit nachgewiesen, daß er von den Housiern abstammt, von jener Familie des alten bayerischen Hochadels, welche nach dem Herzogshause der Agilolfinger

die mächtigste und vornehmste war.

Und Luitpold selbst wurde der Vater

eines ruhmvollen Geschlechts, das die Forscher mit seinem Namen verknüpfen und von dem sie wiederum mit nahezu völliger Bestimmtheit die Grafen von Scheyern, die Vorfahren der erlauchten Grafen von Wittelsbach ableiten, so daß er mit Fug und Recht als der Ahnherr unseres Königshauses gilt. Schlimm stand es damals um Deutschland.

Während im Westen die

Normannen die Küsten und die Uferlande plündetten, wüteten verheerende Fehden im Innern des Reiches, namentlich der blutige Zwist zwischen den Babenbergern und den Saliern, so daß die Ungarn ihre Einfälle in die bayerischen Grenzlande alljährlich wiederholen konnten. Genauere Nachrichten darüber sind uns nicht überliefert; aber wir wissen, daß sie in den Jahren 901, 902, 903

Niederlagen erlitten, daß 904 ihr Anführer Chussal von den Bayern zum

Gastmahle geladen und hier samt seinem Gefolge erschlagen wurde. Wie einst die Hunnen, die ebenfalls in den Pußten Ungarns hausten,

waren sie gefürchtete Feinde.

Ihr stürmischer Angriff war unwiderstehlich,

ihre Todesverachtung im Kampfe war unerschütterlich, die Schnelligkeit ihrer Pferde entzog sie den Verfolgern, gestattete aber ihnen selbst eine unablässige

Verfolgung.

Religiöser Fanatismus

trieb die wilden Heiden an; denn sie

glaubten, daß sie einst im Jenseits so viele Leibeigene zur Bedienung haben würden, als sie Feinde erlegten. Dabei beseelte sie ein derartiger Blutdurst, daß sie auf den Leichen der Erschlagenen wie auf Tischen schmausten und tranken; die gefangenen Weiber und Mädchen banden sie mit deren Haar­

zöpfen zusammen und trieben sie nach Ungarn.

Wo sie hinkamen, zerstörten

sie alles, sengten, brannten und vernichteten, was sie nicht mit sich schleppen konnten. Dieser Blutdurst, die unmenschliche Behandlung der Wehrlosen, die Zerstörungswut, dazu die häßliche Erscheinung der kleinen Gestalten mit gelben, breitknochigen Gesichtern und geschlitzten Augen, ließ sie den Deutschen wie höllische Unholde erscheinen und die Schnelligkeit, mit der sie — allerorten

den roten Hahn auf die Dächer setzend und das Land in eine Wüstenei ver­

wandelnd — plötzlich mitten im Lande erschienen und hinter den Rauchwolken

der niedergebrannten Gebäude mit ihrem Raube wieder verschwanden, trug nicht wenig dazu bei den von ihnen ausgehenden Schreckensbann zu vermehren. Im Jahre 906 hatten die Ungarn einen bedeutenden Erfolg errungen,

unter ihren wiederholten Angriffen war das große Reich der slavischen Mähren l) Geschichte Bayerns, I, 245 ff.

13. Markgraf Luitpolds Heldentod in der Ungarnschlacht.

52

zusammengebrochen, mit welchem die Deutschen zwar ebenfalls viele blutige Kriege geführt hatten, das ihnen aber doch als Vormauer gegen Osten gedient hatte. Noch im nämlichen Jahre dehnten die Ungarn ihre Stteifzüge bis in das Herz

Sachsens aus.

Die Bayern sahen sich somit bereits aus ihrer ganzen Ostfront

hinauf bis nach Nordosten von dem gefährlichen Feinde umfaßt. Diese drohende Lage, die fortwährenden Verwüstungen ihres Landes 'scheinen sie zu dem Entschlüsse gebracht zu haben mit dem gefürchteten heid­

nischen Feinde einmal gründlich abzurechnen; vielleicht trugen dazu auch die inneren Verhältnisse Ungarns bei.

Denn just war der große König Arpad au-

dem Leben geschieden, er, dessen kräftiger Arm den Magyaren ihr Reich erstritten hatte; sein Sohn Zoltan aber war noch minderjährig und mehrere Parteien standen sich mißgünstig gegenüber.

Im Juni 907 sammelte sich der gesamte bayerische Heerbann in der Ostmark, bei ihm befand sich der junge König Ludwig, genannt das Kind, den Oberbefehl führte der Ungarnsieger, Markgraf Luitpold. In der Ennsburg blieb der König mit seinem Hofe zurück, das bayerische Heer rückte den Feinden entgegen und am 5. Juli kam es zur Schlacht, deren Ausgang entscheidend für das Geschick des bayerischen Stammes wurde. Aventin gibt einen sehr

umständlichen, aber durchaus unglaubwürdigen Bericht über sie; allein wir

erfahren weder durch ihn noch durch einen der Chronisten weder etwas über den Ort, an dem sie vorfiel, noch die Ursache, warum gerade diese Haupt­ schlacht mit der gänzlichen Niederlage der Bayern endete, während sonst stets beim Zusammenstoß der Heere die Magyaren den kürzeren zogen.

Von den Bayern war die ganze waffenfähige Mannschaft, das Aufgebot

des Heerbannes, ins Feld gerückt und das ganze Heer, die Blüte des Stammes, blieb im Blute liegen auf der schrecklichen Walstatt.

„Der bayerische Stamm

ist nahezu aufgerieben", schrieb ein gleichzeitiger Chronist; mit dessen Söhnen fiel der Führer des Heeres, der erste Fürst im Bayernlande, der tapfere Mark­

graf Luitpold, es fielen mit ihm der erste kirchliche Würdenträger, der Erz­ bischof Theotmar von Salzburg, die Bischöfe von Freising und Seben, Udo und Zacharias, und zahlreiche Grafen, Äbte und edle Herren; Aventin nennt die Namen von

19 Grafen.

Vom König Ludwig erzählt er, daß er mit

genauer Not nach Passau entkommen sei. Die Folgen der Niederlage waren entsetzlich.

Zunächst fielen die Ungarn

sofort in Bayern ein, überschritten den Inn und verwüsteten das Land. Aventin nennt als Klöster, welche damals eingeäschert wurden: St. Pölten, St. Florian, Matsee, Otting, Chiemsee, Tegernsee, Schliersee, Schäftlarn, Benediktbeuern, Schledorf, Staffelsee, Polling, Dießen, Wessobrunn, Sandau, Siverstatt, Thier­

haupten, Ilmmünster, Münchsmünster, Oberaltaich, Niederaltaich.

flüchtete in die Rheinlande. Schlimmer noch wogen die politischen Einbußen.

Der König

Wie zu den Zeiten

der ersten Einwanderung der Bajuwaren ward die Enns wieder zur Ostgrenze,

14. Die Ahnherrn des Wittelsbacher FürstengeschlechtS.j

53

alles Gebiet östlich davon, das Karl der Große den Avaren mit dem Schwerte

abgenommen und der deutschen Kultur zugeeignet hatte, Pannonien und die Ostmark gingen verloren; wo der bayerische Kolonist den Pflug über die

gesegnete Flur geführt hatte, tummelte der Magyar sein Roß, nur das gebirgige Kärnten wurde gegen die ungarischen Reiterscharen behauptet. größeres Unglück den bayerischen Stamm getroffen.

Katastrophe ein Unglück,

nicht wiederholt hat.

Niemals hat ein S. v. Riezler nennt diese

wie es sich im Verlauf der bayerischen Geschichte

Mit einem Schlage gab sie die Errungenschaften vieler

Menschenalter der Vernichtung preis, entschied über den Verlust zweier herr­ licher Marken, knickte die Blüte, hemmte für lange Zeit die Entwicklung der Hauptlande und drängte für immer Bayern aus der bevorzugten Stellung, welche es zuletzt unter den deutschen Stämmen eingenommen hatte. Jahr um Jahr wiederholten sich von nun an die Einfälle der Ungarn,

welche die Gebiete der einzelnen Stämme verheerten, der Schwaben, der Franken,

der Sachsen. Vereinzelt sank die Kraft dieser Stämme dahin, da der männliche König fehlte, der sie geeinigt hätte. Erst die glorreiche Schlacht auf dem Lech­ felde (955), welche die um das kaiserliche Banner gescharten einigen deutschen Stämme schlugen, warf die Magyaren für immer in ihre Pußten zurück.

14. Die Ahnherrn des Mttelsbacher Fürstengefchlechts. Don Karl Stieler.T)

Es liegt eine herbe Kraft im Worte Bayern und doch zugleich ein Zauber, wie ihn nur jemals herrliche Landschaft, kerniges Volkstum und ur­

alte Geschichte bot.

Die blauen Berge dieses Landes sind das Wanderziel für

Tausende und in seinen Gauen herrschte schon zur Karolingerzeit eine mäch­ tige Kultur, wenn wir nur jene Klöster nennen, wie Benediktbeuern, Wesso­

brunn und Tegernsee, die Kunst und Wissenschaft in Tagen pflegten, da der

deutsche Norden fast noch eine Wildnis war. Fester in sich geschlossen als die Mehrzahl der deutschen Stämme ging dos bayerische Volk die Wege eigener Entwicklung und von allen Stämmen, die das neue Reich umfaßt, ist es der einzige, der noch auf den alten Wohn­ stätten unter den alten angestammten Fürsten erhalten blieb, wie ihn einst das Reich der großen deutschen Kaiser gesehen. Es gibt kein Franken und kein Schwaben mehr im alten Sinne, das heutige Sachsen ist etwas anderes als

das alte sächsische Stammland, nur in Bayern trifft noch Stamm und Staat

zusammen. Vor nahezu einem Jahrtausend bestiegen die ersten Schyren den Thron, den sie nun seit siebenhundert Jahren ununterbrochen besitzen. Zu den ver­ schiedensten Kronen der Welt, von Schweden bis nach Ungarn und Hellas, *) „Aus Fremde und Heimat", S. 201 ff.

Stuttgart 1886.

A. Bonz.

54

14. Die Ahnherrn des Wittelsbacher Fürstengeschlechts,

wurden ihre Söhne und Töchter berufen und selbst der deutsche Kaiserstuhl

trug dreimal einen Wittelsbacher Fürsten. Viel Glück und Not, viel Freud' und Leid liegt in der langen Frist

dieser Jahrhunderte und fester, als es wohl sonst geschehen mag, verwuchs

Man hat dies oft zur Unzeit „Partikularismus" genannt, aber man vergißt dabei, daß man die Treue zuerst im dabei das Volk mit seinen Herrschern.

eigenen Hause lernt und daß es dem Ganzen nur zustatten kommt, je inniger

sich dies Gefühl historisch entwickelt. Den besonderen Vorzug aber, den die eigenartige Gestaltung Deutschlands darbot, indem sie eine Mehrheit geistiger Mittelpunkte schuf, zeigt gerade Bayern in der glänzendsten Weise; trotz der

Abgeschlossenheit, der es bisweilen anheimfiel, trotz der schweren Prüfungen, die auf dem langen Wege vom Herzogtum zum Königreiche lagen, hat es doch zum Heile des Ganzen Unendliches geleistet. Nicht wir allein, ganz Deutsch­ land ist stolz auf eine Stadt wie München.

Mit den Tagen der Not, der Mutter alles Großen, beginnt auch die Geschichte des Wittelsbachischen Fürstenhauses. Es war um das Jahr 900, als das Karolingerreich schon sank und die wilden Horden der Ungarn über

die deutsche Grenzmark brachen; da stand unter den Tapfern, die ihnen ent« gegentraten, der Markgraf Luitpold auf. Er ist der Ahnherr der heutigen Wittelsbacher, und als er am 5. Juli 907 in blutiger Schlacht gefallen, er­

hielt sein Sohn, der Markgraf Arnulf, die bayerische Herzogswürde. Bis an die Adria und bis an den Wienerwald reichte damals der Name Bayern, wie ja auch heute noch der Stamm der Bayern weit über die Grenzen

ihres Landes hinausreicht und ganz Deutschösterreich, Salzkammergut und Tirol umfaßt.

Die Luitpoldinger, die mit Arnulf den Thron erlangt, den sie freilich zunächst nur kurze Zeit behaupteten, bilden gleichsam den „Prolog der Wittels­ bachischen Geschichte", wie Theodor Heigel, der geistvolle Historiker, sich aus-

drückti

Ihre Abstammung scheint nicht gesichert, aber aller Wahrscheinlichkeit nach

berühtt sich dieselbe mit dem Geschlechte der Karolinger, die in ihren Urkunden

auch den Markgrafen Luitpold stets „ihren lieben Verwandten" nennen; nach

anderer Meinung hängen sie mit den uralten Housiern zusammen, einem jener mächtigen Adelsgeschlechter,

die schon

im 6. Jahrhundert in Bayern auf«

traten. Da sie indessen mit der Reichsgewalt nur allzubald in Fehde kamen, gab Otto I. das bayerische Herzogtum an einen Angehörigen seines Geschlechtes und

die Luitpoldinger traten einstweilen wieder zurück, bis der ©taufe Barbarossa sie von neuem und nun für immer auf den bayerischen Thron berief.

Nach

der Burg zu Scheyern, die wohl schon Arnulf zu bauen begann, wurden sie auch die Schyren genannt; nach einer zweiten Burg, die am „Witilines-

bach" bei Aichach stand, heißen sie seit 1113 die Grafen von Wittelsbach.

14. Die Ahnherrn des WittelSbacher Fürstengeschlechts.

55

Unter diesem Namen tritt das Geschlecht von nun ab in die deutsche Geschichte ein, die damals — die Weltgeschichte war. Fast zweihundert Jahre waren seitdem vergangen, zwei große Kaiserdynastien, die Sachsen und die

Salier, waren ins Grab gesunken und in Friedrich Barbarossa hatte eben eine dritte, die der Staufen, ihren Höhepunkt erreicht. Die Zeit war reich an Streit und Leidenschaft; der Gegensatz zwischen Deutschland und Welschland, zwischen Reich und Rom erfüllte alle Gemüter, es gab in diesen Fragen nur Liebe und

Haß, nur Freund und Feind. Da tritt uns aus dieser sturmbewcgten Zeit die Gestalt des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach entgegen — eine Säule im Bau des Reiches; er ist der große Markstein in der Geschichte Bayerns. Feurige Kühn­

heit und weise Besonnenheit waren in seinem Sinne seltsam gepaart; als Krieger

wie als Staatsmann war er gleich stark und mit schrankenloser Treue hing er an dem Kaiser, der aus seinem Herrn sein Freund geworden. Die größte Tat seines Lebens aber, die stets in den Annalen der Geschichte prangen wird, das ist sein Heldenwerk in der Veroneserklause. Es war im Herbst 1155, Barbarossa war auf der Heimkehr von Italien, wohin

ihn der Pfalzgraf von Wittelsbach als Bannerträger des Reiches begleitet hatte, als ihm die Tücke der Welschen noch an der Heimatschwelle Verderben sann. Der Weg geht durch schmale Felsenpässe, senkrecht steigen die steinernen Wände empor, unten drängt sich der flutende Strom, so daß dem Heere kaum eine schmale Straße bleibt. Dort zog das Kriegsvolk des Kaisers, als man mit

einemmal auf allen Höhen Gewappnete gewahrte, die den Durchzug versperrten.

Unerbittlich, aber auch unerfüllbar waren die Bedingungen, die sie stellten;

denn sämtliche Ritter sollten ihnen Pferd und Harnisch überliefern und über­

dies ein hohes Lösegeld entrichten; dann mochten sie nach Hause ziehen ohne Ehre, ohne Habe, ohne Wehr. Es war unmöglich dies anzunehmen und doch nicht minder unmöglich schien ein Entrinnen — da ward in dieser Stunde höchster Gefahr der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach zum Retter. Seinem Mute war auch das Schwerste nicht zu schwer; in seinem Gefolge standen die

bergkühnen Söhne des bayerischen Hochlandes und zwischen den Felswänden emporklimmend, einer auf des anderen Schulter gestützt, erkletterten sie die

Höhen und fielen mit Jubelruf den Welschen in den Rücken, daß nicht ein einziger derselben entkam.

Die Ehre des Kaisers, die Ehre Deutschlands war

gerettet und diese Tat vor allem war es, die Barbarossa nie vergaß, die er belohnen wollte, als er nach der Empörung Heinrichs des Löwen die bayerische Herzogs­

würde an Otto von Wittelsbach verlieh. So steht eine Tat voll kühner Treue an der Wiege des Wittelsbachischen Geschlechtes, die Wiege seiner Macht aber steht in den Felsen der Veroneserklause.

Am 16. September 1180 erfolgte in Altenburg die feierliche Belehnung Ottos mit Bayern.

56

15. Die Gründung des Bistum- Bamberg.

15. Die Gründung des Bistums Bamberg. Don Wilhelm v. Giesebrecht.') Mit seltener Beständigkeit hatte bisher das Glück den jungen König Heinrich II. auf seinen gefahrvollen Pfaden begleitet, über all seine inneren

und äußeren Feinde hatte er gesiegt und seine Stellung nach allen Seiten

befestigt.

Ein bleibendes Denkmal dieser Siege ist das BistumBamberg,

dessen Errichtung nicht minder folgenreich gewesen ist als die Begründung der wendischen Bistümer durch Otto den Großen. Denn nicht so sehr darin

liegt die Bedeutung dieser Stiftung, daß sie noch einmal einen tiefen Einschnitt in die schon durch einen mehr als hundertjährigen Bestand geheiligte Diözesan­ einteilung Deutschlands machte; ihr wesentliches Interesse beruht vielmehr in dem, was sie für die Verbreitung deutschen Lebens, deutscher Sitte

und Sprache nach dem Osten leistete. Vor der Gründung des Bistums lagen die Gegenden am oberen Main und der Regnitz zum größten Teil verödet.

Die fränkischen Kolonisten und

nordalbingischen Sachsen, die einst dort angesiedelt waren, hatten die Stürme

des zehnten Jahrhunderts großenteils wieder verdrängt; nur eine dünne Be­

völkerung, meist slavischen Stammes, hatte sich in dem unsicheren und wenig ergiebigen Lande erhalten. Die Fichtenwaldnngen waren nur an wenigen

Stellen gelichtet, nur hier und da ragten kleine Burgen aus ihnen hervor, fast sämtlich den Babenbergischen Grafen gehörig und teils zur Verteidigung der Böhmengrenze teils zur Zwängung der slavischen Bauern im Lande bestimmt.

Wie anders nachher! Das Bamberger Land erblühte zu einer dicht bevölkerten Landschaft, in der die deutsche Art allmählich vollständig die Oberhand gewann. Der ausdauernde Fleiß deutscher Bauern, welche die Kirche in das Land zog, schuf es zu einem gesegneten Erntefelde um.

leben gedieh hier,

Und nicht allein äußeres Wohl­

auch geistige Früchte reiften.

Bamberg wurde für den

Klerus alsbald eine der ersten Schulen, die Kunst und Wissenschaft nach allen

Richtungen förderte.

Indem ein kräftiger Stamm echtdeutschen Kernes hier angepflanzt wurde, trieb er weithin seine Wurzeln und Äste und raubte dem andersartigen Ge­ sträuch, das bisher aufgeschossen war, die nährenden Säfte. Überall in den Landesstrichen zwischen dem Main, der Altmühl und dem Böhmerwalde starben

die Reste slavischen Wesens dahin, so daß vollkräftiges deutsches Leben Platz gewann.

Damals wird zuerst Fürth,

ein Menschenalter nach Bambergs

Gründung zuerst Nürnberg genannt. Nach und nach verschwanden auch im Würzburger Lande die slavischen Kolonisten. Im Osten von Bamberg

drangen selbst über die Grenze, die der Kamm des Gebirges zieht, deutsche

Sprache und Sitte in Böhmen ein. Denn auch das Egerland wurde jetzt von Deutschen angebaut. Und um ein Jahrhundert später zog ein Bam*) „Geschichte der deutschen Kaiserzeit", II. Band, S. 52 ff. Braunschweig 1875.

15. Die Gründung des Bistums Bamberg.

berget Bischof an

die Gestade

der Ostsee

57

um den entlegensten Stämmen

der Wenden das Christentum zu predigen und dadurch auch ihre Germanisierung vorzubereiten.

Man hat oft in der Gründung Bambergs nichts anderes

sehen wollen als das Werk frömmelnder Laune eines bigotten Fürsten; aber sicherlich war es ein Werk, auf welches der Himmel seinen Segen gelegt hat. Die Stiftung eines Bistums war im Deutschen Reiche keine geringe Sache. Welche Mühen hatte nicht der große Otto in aller seiner Kaisermacht zu be­ stehen um das Erzbistum Magdeburg ins Leben zu rufen und einige Teile

der Halberstädter Diözese für dasselbe zu gewinnen!

Wenn nun Heinrich int

fünften Jahre seiner Regierung angriff, was der gewaltige Kaiser kaum in zwanzigjährigen Anstrengungen erreichte, so zeugt dies vorweg für einen Mut,

der vor keiner Schwierigkeit zurückbebte, wie nicht minder für ein starkes Be­

wußtsein seiner gesicherten Macht.

Die Wege, die er zum Ziele einschlug, ent­

hüllen uns das innerste Wesen des eigentümlichen Fürsten. Nach dem gewaltsamen Sturze der Babenberger unter Ludwig dem Kinde war ein Teil ihrer Burgen und Güter nicht wieder zu Lehen ausgetan sondern

bei der Krone verblieben.

Zu ihnen gehörten die Burgen Babenberg und

Aurach im Gau Volkfeld, die Otto II. mit allen zugehörigen Ländereien im Jahre 973 an den Vater Heinrichs zu freiem Eigentum schenkte. Vom Vater gingen sie auf den Sohn über, der sich von ftüher Jugend an gern zu Bam­ berg aufhielt und für die Verschönerung der Burg keinen Aufwand scheute.

Bei seiner Vermähluyg mit Kunigunde verschrieb er sie als Leibgedinge seiner Gemahlin und fuhr auch als König fort das ihm liebe Besitztum auf alle

Weise zu verbessern.

Als ihm dann die Hoffnung Leibeserben von Kunigunden

zu erhalten zu schwinden anfing, erwuchs in ihm der Gedanke Bamberg dem

Dienste der Kirche zu widmen und ein Bistum daselbst zu begründen.

Längere

Zeit trug er nach seiner Sitte den Plan schweigend mit sich umher, bereitete indessen alles zu seiner Verwirklichung vor. Er begann den Bau eines großen

Domes mit zwei Unterkirchen und beschaffte alle Bedürfnisse einer bischöflichen Kirche mit emsiger Sorgfalt.

Vor allem aber bedurfte er um dem neuen Bistum einen genügenden Sprengel zuweisen zu können von den Bischöfen

von Würzburg und Eichstätt der Abtretung eines Teiles ihrer Diözesen im Volkfeld und Radenzgau. Im Jahre 1007 trat der König endlich mit seiner Absicht offen hervor.

Am 6. Mai, seinem Geburtstage, schenkte er seine Eigengüter im Volkfeld und

im Radenzgau an die Bamberger Kirche und berief auf Pfingsten eine Synode nach Mainz, auf der er seinen Plan durchzusetzen erwartete. Vier Erz­

bischöfe und dreizehn Bischöfe waren erschienen, unter ihnen auch der Bischof von Würzburg, während der Eichstätter ausgeblieben war.

Mit jenem trat

der König nun zunächst in geheime Verhandlungen und wußte ihn in der Tat zu den gewünschten Abtretungen zu bewegen, indem er ihm dafür sowohl 150 Hufen Landes in der Meinunger-Mark überließ wie auch die Erhebung

15. Di« Gründung des Bistum- Bamberg.

58

seines Bistums zu einem Erzbistum, dem Bamberg untergeordnet werden sollte, in Aussicht stellte. So ließ sich der Bischof bestimmen den beanspruchten Parochien zu entsagen und übergab zum Unterpfand dessen seinen Stab in die

Hände des Königs.

Die Entsagung des Bischofs wurde sofort der Synode

mitgeteilt, welche darauf in die Absichten des Königs einging und darin willigte,

daß zwei Kapellane desselben nach Rom gesandt würden um die Einwilligung des Papstes zur Stiftung des neuen Bistums und der dadurch bedingten Ver­

änderung der Diözesangruppen zu erlangen. Der Würzburger selbst unterstützte das Gesuch der Synode durch ein Schreiben und Papst Johann XVIII. nahm

keinen Anstand die Stiftung Kölüg Heinrichs anzuerkennen.

Im Juni brachte

der Papst auf einer Synode in der Peterskirche die Sache zur Verhandlung. Die Gründung des neuen Bistums wurde hier nicht allein genehmigt sondern dasselbe durch eine päpstliche Bulle auch in den besonderen Schutz des Stuhles Petri genommen. Der Bischof von Bamberg sollte seinem Metropolitanen, dem Erzbischof von Mainz, untergeben sein; die Hoffnungen des Würzburger

Bischofs auf eine Erhöhung seiner Kirche erfüllten sich also nicht. In der Tat hatte Heinrich nie ernstlich daran denken können Würzburg

zu einem Erzbistum zu erheben.

Es wäre dies ein tiefer Eingriff in die Rechte

des Mainzer Erzbischofs gewesen und nimmermehr hätte ein Mann wie Willigis, dem der König überdies seine Krone dankte, einen solchen ungestraft hingehen lassen. Des Königs Versprechen war nur ein Köder gewesen um den Würzburger desto sicherer in die Falle zu locken. Sobald der König die päpstliche Bulle in Händen hatte, eilte er das neue Bistum ins Leben zu rufen.

Jedes Bedenken, welches die Stiftung ge­

fährden könnte, suchte er jedoch vorsichtig zuvor zu beseitigen.

Er gewann die

Einwilligung seines Bruders Brun, den er vor kurzem zum Bischof von Augs­

burg erhoben hatte; er erlangte die Zustimmung der Herzoge und Grafen des Reiches; er versammelte endlich die stattlichste Synode, die noch jemals in

Deutschland gehalten war, um so den Anfängen seiner Stiftung eine ganz be­ sondere Weihe zu geben.

Am 1. November 1007 trat die Synode in Frankfurt zusammen.

Nicht nur die Anwesenheit aller deutschen Bischöfe hatte der König in Anspruch

genommen, auch aus Italien, aus dem burgundischen Reiche, das er schon als sein Erbe ansah, hatte er die geistlichen Würdenträger beschieden und selbst bis nach Ungarn, dem Reiche seines Schwagers, war der Ruf zur Synode erschollen.

So waren denn in Frankfurt vier deutsche, zwei burgundische Erz­

bischöfe und der Erzbischof von Ungarn erschienen; außerdem hatte eine große Zahl von deutschen, burgundischen und italienischen Bischöfen sich eingestellt.

Auch Bischof Brun von Augsburg, der Bruder des Königs, war unter den Anwesenden wie der Bischof von Eichstätt, obgleich dieser sich zu der Abtretung

des beanspruchten Teiles seiner Diözese auf keine Weise hatte bewegen lassen, so daß der König 'am Ende davon Abstand nahm. Dagegen fehlte in der

15. Die Gründung des BiStums Bamberg.

Versammlung der Würzburger Bischof.

59

Der Betrogene sann auf Rache: mit

einem Schlage wollte er die Hoffnungen des Königs im Augenblick ihrer

Erfüllung vernichten.

Er schickte deshalb seinen Kapellan Berengar zu

der

Synode mit der Weisung ab gegen die Errichtung des neuen Bistums ent­

schiedene Einsprache zu erheben. Der König sah sich inmitten der glänzenden Versammlung, die er zur Verherrlichung seiner Stiftung berufen hatte, so nahe dem gehofften Ziele,

plötzlich in die peinlichste Lage versetzt.

Die Einsprache des Würzburger

Bischofs konnte die Begründung des Bistums, wenn auch nicht völlig vereiteln,

doch gefährden oder auf ungewisse Zeit verschieben; alles mußte ihm daran liegen die Synode so für sich zu gewinnen, daß er mit der Wucht ihres Ansehens die vereinzelte Einsprache des Würzburgers niederzudrücken vermochte. Nur durch untrügliche Zeichen der tiefsten Ergebenheit konnte er hoffen die

versammelten Bischöfe ganz für sich und seine Absichten zu stimmen.

Kaum

war daher die Synode eröffnet, so warf er sich vor der Versammlung zum Staunen aller wie ein Schutzflehender zur Erde nieder. Seine Demütigung

gewann ihm die heiligen Väter der Kirche; nur so konnte er erreichen, was er bezweckte. Als der Erzbischof Willigis von Mainz schließlich die Versammlung um ihre Willensmeinung befragte, erklärte zuerst der Erzbischof von Magdeburg, es stehe nach den Worten des Königs der Errichtung eines neuen Bistums kein Hindernis mehr im Wege, und alle Anwesenden pflichteten dieser Mei­

nung bei.

Die ganze Versammlung gab endlich schriftlich ihre Zustimmung

zu dem Privilegium des Papstes für Bamberg und unterzeichnete die Verhand­

lungen der Synode. Später gab auch der Würzburger Bischof seinen Widerstand auf.

Er

schickte sich in den Willen des Königs und dieser nahm ihn wieder zu Gnaden

an. Am 7. Mai des Jahres 1008 trat Bischof Heinrich urkundlich mit Zu­ stimmung des Klerus, der Dienstmannen und des gesamten Volkes seiner Kirche die beanspruchten Teile seines Sprengels für ewige Zeiten ab;

da­

gegen stellte ihm der König gleichzeitig nicht nur über die früher in Tausch gegebenen Güter eine Urkunde aus sondern fügte auch eine neue Schenkung hinzu.

Obgleich der Bau des Bamberger Domes noch nicht vollendet war, trat doch sofort das neue Bistum ins Leben.

Als der erste Bischof wurde Eber­

hard, ein Verwandter des Königs, der ihm bis dahin als Kanzler treu gedient hatte, eingesetzt und noch am Tage jener Synode von Willigis geweiht. Zu­ gleich stellte der König 29 Urkunden aus, durch welche er dem Bistum sechs Abteien unterwarf und zahlreiche Schenkungen machte, sowohl in unmittelbarer Nähe Bambergs wie in weiterer Ferne, in Schwaben, im Elsaß, in Bayern

und Kärnten.

Der Bau des Bamberger Domes wurde im Jahre 1012 voll­ endet.

Der König hatte seinen vierzigsten Geburtstag zur Einweihung

15. Die Gründung des BiStumS Bamberg.

60

bestimmt und lange vorher alle Vorbereitungen zu derselben getroffen. 45 Erz­

bischöfe und Bischöfe versammelten sich in Bamberg; alle Großen des Reiches stellten sich ein. Die kaiserlichen Schwestern Ottos III., Sophie und Adelheid, erschienen und selbst Gesandte des Papstes kamen aus Rom.

In Gegenwart

dieser stattlichen Versammlung fand am 6. Mai die feierliche Weihe statt. Den westlichen und Hauptaltar weihte Bischof Eberhard selbst, die übrigen

Altäre wurden von den Erzbischöfen von Köln und Trier, Mainz, Salzburg,

Magdeburg und Ungarn geweiht. Eine zahllose Menge von Reliquien, auch Gebeine des heiligen Adalbett, wurden in den Altären niedergelegt. Kirche und Bistum wurden der Jungfrau Maria, den Aposteln Petrus und Paulus und den Heiligen Georg und Kilian gewidmet. Ein stattliches Kloster durfte dem neuen Bistum nicht fehlen und auch

hierfür trug Heinrich Sorge.

Es wurde auf einer Höhe bei Bamberg der

Bau eines Klosters begonnen, sollte.

das dem Erzengel Michael geweiht werden

Das Michaelskloster auf dem Engelsberg,

wie man es zuerst

nannte, wurde im Anfänge mit 15 Höfen ausgestattet, welche der König zum Teil im Jahre 1015 von den Klöstern Hersfeld und Fulda eintauschte. Die Urkunde, welche den Güterbestand des neuen Klosters verbriefte, ist am 8. Mai 1017 zu Frankfurt ausgestellt worden. Den Bau der Klosterkirche vollendete man erst im Jahre 1021, als die Einweihung durch die Erzbischöfe

von Mainz und Köln erfolgte.

Und nicht minder war der König auf die geistige Blüte und geistliche Belebung dieser Stiftung bedacht. Er wollte, Bambergs Klerus solle mit der Sittensttenge Hildesheims die gelehrte Bildung Lüttichs vereinen.

In

hohem Maße ließ er es sich angelegen sein eine reiche Bibliothek zu gründen. Die wertvollen Handschriften, welche Bamberg nach der Wegführung seiner Kleinode nach München geblieben sind, verdankt es großenteils Heinrich. Nicht

wenige Bücher hat er selbst für Bamberg schreiben und mit wahrhaft könig­ licher Pracht ausstatten lassen; alles, was die alternde Kunst von Byzanz noch leisten, was der in den Windeln liegende deutsche Kunstfleiß erreichen konnte, wurde an ihnen aufgewendet.

Andere Bücher wußte er aus älteren berühmten

Bibliotheken für Bamberg zu gewinnen; selbst aus weiter Ferne ward manches

durch ihn herbeigeschafft. Nicht ohne Verwunderung findet man jetzt dort Handschriften vereinigt, die ursprünglich St. Gallen, Lobbes, Stablo,

Piacenza, der

Reims oder einem normannischen Kloster angehört haben.

Bibliothek

kam

die

Stiftsschule

empor

und

gewann

alsbald

Mit

einen

bedeutenden Ruf.

Bald bildete sich um die bischöfliche Kirche eine umfängliche, ziemlich

bevölkerte Stadt.

Im Jahre 1020 war sie bereits umwallt, eine Brücke

führte über die Rcgnitz.

ES war damals, daß ein Papst durch das Stadttor einzog und ihm zu Ehren Feste gefeiert wurden, die alles an Glanz Über­ boten, was jene Zeit kannte.

Der Name Bambergs, noch vor einem Menschen-

61

16. Der Bamberger Dom.

alter kaum gekannt, erfüllte das ganze Abendland. Dieser entlegene Ort an den Grenzen der Slaven kam durch Heinrich ebenso schnell zu Bedeutung wie

einst Magdeburg durch Otto den Großen. In allem, was Heinrich für Bamberg tat, stand ihm seine Gemahlin hilfreich zur Seite. Hier, wie in allen Dingen, waren sie beide ein Herz

und eine Seele.

Kaiserin Kunigunde hat verdient, daß ihr Name mit dem

ihres Gatten unzertrennlich verbunden wurde, daß Bamberg ihrer mit gleicher Pietät wie Heinrichs gedenkt. In dem harmonischen Geläute, welches all­ abendlich

in den Straßen und Gärten Bambergs widertönt und

Seelen zum Gebete einladet, hallt beider Name und Andenken

fromme

noch heute

fort und wird zu den spätesten Nachkommen gelangen.*)

16. Der Bamberger Dom. Don Hans Probst.*

Bevor der Steigerwald mit der Regnitz sich westlich ins Maintal wendet, teilt er sich durch gleichmäßige Taleinschnitte in schmale Ausläufer, die sich erst sanft zur halben Tiefe senken um dann steiler bis an das Regnitzufer

abzufallen. Vorhiigel. Einst

Von unten aus scheinen diese Ausläufer eine Reihe selbständiger Einer der mittleren trug schon in alter Zeit einen fürstlichen Hof.

der Sitz der tapferen Babenberger war er kaiserliches Krongut,

ihn Otto II.

seinem Vetter Heinrich

dem Zänker

als Geschenk

bis

überließ.

Von da an weilte dieser Bayernherzog oft hier mit seinem Erstgebornen Heinrich, auf dessen Haupt dereinst die Krone der Ottonen übergehen sollte.

Diesem war so der Ort teuer durch Erinnerungen der Kindheit. Ost mochten hier den jagdfrohen Jüngling die nahen Wälder locken. Von hier sah er hinab ins breite Regnitztal, das ihn mit dem Süden, mit seinem bayerischen

Herzogtum verband, und ins Maintal, das ihm nach Norden wie nach Westen den Weg in die deutschen Lande öffnete. Hier, im Mittelpunkte seines kaiser­ lichen Machtbereiches, fand er auch Ruhe und heitere Sammlung in dem

freien Ausblick;

war er doch

ein Freund landschaftlicher Schönheit.

Die

Fluren Italiens zwar fesselten ihn niemals lange; dagegen versichert sein Chronist Thietmar, daß ihn unsere Gefilde, sobald er sie wieder sah, so heiter

anlachten. Wie sollten ihn da nicht vor allem die fränkischen Bergzüge an­ heimeln? Im Osten die lieblich geschwungenen Jurahöhen, nördlich die Aus­ läufer des Thüringerwaldes und der Haßberge? Nicht kühn und gewaltig sind sie, sondern überall freundlich und ebenmäßig; sie umgrenzen das Gesichts­

feld wohltuend, weder beengend noch ins Weite verschwimmend. Zum Erben dieses Lieblingsortes bestimmte der fromme, kinderlose Fürst frühe

schon

die Kirche

und

mit

königlicher Freigebigkeit

förderte

*) Die beiden großen Domglocken sind Heinrich und Kunigunde getauft.

er

die

62

16. Der Bamberger Dom

Gründung des neuen bischöflichen Sitzes.

Auf dem Burghügel erstand seit 1004

auf sein Geheiß ein Dom und wenige Jahre nachher stiftete er nördlich auf dem benachbarten Michelsberg ein Kloster, seine Gemahlin Kunigunde südlich

auf dem Stephansberg die Kirche.

Wer sich nun Bamberg vom Regnitztale

nähert, den grüßt als stolzes Wahrzeichen der Kranz von Kirchen und wie in der Mitte eines Ehrengeleites thronend der viertürmige Dom. Wie Burgen heben sich die Bauten ab und Bollwerke, Vorwerke des Deutschtums und Christentums sollten sie auch sein in dem damals von Slaven besiedelten Gau. Doch überragen sie nicht den abschließenden Höhenkreis, sondern indem sie auf

den Vorhöhen ruhen, bildet ihnen die Linie des Steigerwaldes den anmutigen Hintergrund. Nicht zum Himmel kühn anstreben wollte diese Bauweise, son­ dern sich in die Gegend gleichgestimmt einstigen.

Es ist eine wohlerwogene,

mit feinem Sinn durchdachte Gründung. Den Fuß des Domberges umschließen mächtige Strebemauern und Ge­

bäude.

Auf Herder machten, als er 1788 Bamberg besah, diese Domherrnhöfe

und die bischöfliche Residenz den Eindruck von Festungsmauern; ja noch heute sondert sich der ehemalige Fürstensitz rings von der übrigen Stadt wie eine

Akropolis ab.

Freilich dürfen wir nicht erwarten jene erste Schöpfung Hein­

richs selbst noch vorzufinden. Namentlich über den Dom berichten Chroniken und Urkunden allerlei Unglück; er wurde zweimal, nämlich 1081 und 1185, durch Feuersbrunst beschädigt oder großenteils zerstört und jüngere Geschlechter mit neuen Kunstformen nahmen den Bau wieder auf; 1237 fand eine feier­

liche Einweihung statt, 1274 wurde noch zur Förderung des Werkes ein Ablaß

gewährt. Der leicht gewundene Weg öffnet sich plötzlich zum weiten, steigenden Domplatz.

Der Dom wendet

uns seine

sanft an­ östliche Schmalseite zu

zwischen zwei grauen Türmen, die mit den spitzen, lichtgrünen Kupferdächern eine Höhe von 78 Meter erreichen und den Beschauer mit Ehrfurcht erfüllen. Dann an der nördlichen Langseite hinblickend sehen wir das Querschiff vor­

treten und über die Satteldächer die Westtürme aufstreben.

Nach dem ersten überraschenden Anblick schweift das Auge seitlich weiter über den freien Platz. Die alte und die neue Residenz umrahmen vornehm die drei übrigen Seiten

des Viereckes.

Wenig deutsche Städte gibt es, die sich eines Platzes von so

feierlicher Schönheit rühmen können.

Die Größe, die einheitliche Anlage, der

übereinstimmende Ton des Bausteines,

die selten gestörte Stille geben ihm

einen würdigen Ernst. Wir durchschreiten ihn bis zur Mitte und hier, von der Welt abgeschlossen und doch nicht durch den Abschluß beengt, können wir uns mit ruhiger Sammlung in den Aufbau des Domes vertiefen. Jetzt, in richtigem Abstand, erscheinen die zwei Turmpaare einheitlich und gleichmäßig;

sie fügen sich ruhig und schön in das Gesamtbild, starke Eck­

pfeiler, die den Hauptbau stützen und seine Endpunkte herausheben. Dieser selbst dehnt sich mit seinem Satteldach in ungeschmälerter Größe von Ost nach

16. Der Bamberger Dom.

63

West; denn die Aufgabe einen großen umschlossenen Raum für die Gemeinde zu schaffen wird im romanischen Baustil vornehmlich noch durch die Längs­

richtung erstrebt.

Das Querschiff betont, indem es mit gleichhohem Sattel­

dach das Hauptschiff durchschneidet, ein Wachsen ins Breite. Da es nicht an die Stirnseite, sondern nach Westen verlegt ist, so läßt es die Längsrichtung

des Hauptbaues frei und unverdeckt und gibt zugleich einen abschließenden Hintergrund. Als zweites Mittel den Jnnenraum zu verbreitern zieht sich das Seitenschiff längs des Hauptschiffes in halber Höhe hin, mit pultartigem

Der Vamberger Dom.

Dach angelehnt und zwischen Ostturm und Ouerschiff eingelagert.

Der gelbe,

vom Alter grau getönte Sandstein der großen Mauerflächen, die von rund­ bogigen Fenstern

durchbrochen sind, hebt sich ruhig ab vom schwarzblauen

Schiefer der Pult- und Satteldächer. Unter jeder Dachlinie läuft ein Gesims mit Rundbogenfries, das heißt einem Schmuckstreifen aus kleinen, aneinander gereihten Rundbögen, die auch mit den Giebellinien an den Schmalseiten des Haupt- und Querschiffes auf und ab steigen.

Dieses vornehmste Kennzeichen

romanischen Stiles betont deutlich die oberen Abschlüsse der Bauteile und ver­ stärkt ebenso wie der unten um den Bau führende Sockelsims den vorherr­

schenden Eindruck wagrechter Ausdehnung. Die flachen, bandartigen Streifen, die zwischen den Fenstern des Seitenschiffes emporführen, die sogenannten

Lisenen, schwächen diese Wirkung keineswegs ab, sondern verbinden nur die

64

16. Der Bamberger Dom.

Gesimse des Sockels und des Pultdaches und gliedern die lange Wand in Felder.

Der Bau ordnet sich also deutlich und übersichtlich; nirgends ist ver­ deckendes Scheinwerk, überwuchernder oder irreführender Schmuck.

Kraftvoll

in stolzer Einfachheit hebt sich der Hauptraum, die zwei hohen, sich durch­ schneidenden Hallen;

wohltuend ordnen sich die Seitenhallen unter.

Das

überall waltende strenge Ebenmaß, das weithin schon die paarweise ange­ ordneten Türme verkündeten, läßt uns sogar ergänzen, was dem Überblick nicht

offen daliegt. Da nämlich ein Mittelschiff auf der Seite, wo es von einem Querschiff durchschnitten wird, in einen Altarraum endigen muß, so haben wir

hier, der Apsis zwischen den zwei Osttürmen entsprechend, auch eine zwischen den zwei Westtürmen zu vermuten. Der romanische Stil in Deutschland liebt doppelchörige Kirchen. Er verzichtet allerdings damit auf einen großen Vor­

teil, nämlich auf ein Mittelportal an einer Schmalseite, von wo aus der Ein­ tretende sofort den ganzen Jnnenraum überschaut. Frei könnte alsdann das Auge die Haupthalle nnd die Decke entlang wandern, gegenüber an der Apsis

ruhen und seitlich durch die Arkaden in die Nebenschiffe schweifen. Unser Dom gestattet uns keinen so raschen und einheitlichen Überblick. Die Ostseite hat nur Türen im Untergeschoß der Türme, links die Adamspforte, rechts die Gnaden­

pforte ; jede führt zunächst in ein Seitenschiff, ebenso nördlich an der Langseite das Fürstenportal, an der Giebelseite des Querschiffes das Veitstor.

Wir

durchschreiten das Seitenschiff und wenden uns gegen die Mitte des Haupt­

schiffes, wo der hohe Sarkophag des Stifterpaares Heinrich und Kunigunde

steht, ein figurenreiches Meisterwerk Riemenschneiders aus Solnhofer Kalkstein. Dieser Standort ermöglicht uns eine gleichmäßige Umschau.

Die Höhe ist nicht mit einer flachen Holzdecke geschlossen, wie es im 11. Jahrhundert, zur Zeit des Stifters, noch üblich war; man hat, wohl durch die wiederholten Brände gewarnt, eine Wölbung mit Stein durchgeführt und

zwar offenbart sich bereits ein neues Kunstgesetz: den Halbkreisbogen verdrängte

der Spitzbogen.

Schon die starken Pfeiler,

die das Mittelschiff von den

Seitenschiffen trennen und die hohen Wände tragen, sind mit Spitzbögen zu Arkaden verbunden. Wohl sucht über den Arkaden ein wagrechtes Gesims

noch wie in alter Zeit unseren Blick zur Altarnische zu lenken; aber vom Pfeilergrund laufen vorgelegte Pilaster als kräftige Streifen aufwärts, durch­ brechen die horizontale Linie, setzen sich bis zum Gewölbe fort und vereinigen sich mit den entsprechenden Streifen der gegenüberstehenden Pfeiler zu spitz­ bogigen Gewölbegurten.

Doch nicht von allen Pfeilern der Arkadenreihe führen

Tragbänder empor; nur jedes zweite Pfeilerpaar bildet ein solches Joch.

Auch

seitlich schwingt sich in der Höhe des Gewölbeansatzes von Jochpfeiler zu Joch­ pfeiler ein schmaler Längsgurt und schließt die Wand über den rundbogigen Fenstern spitzbogig ab. Durch die Haupt- und Seitengurte ist nun das Ge­

wölbe in gleiche Felder mit quadratischem Grundriß geteilt; von Eck zu Eck

16. Der Bamberger Dom.

65

aber, als Diagonalen, steigen noch Rippen empor und treffen sich am Scheitel in einem Schlußstein.

Diese Gurte und Kreuzrippen tragen gemeinsam die

leichteren, dazwischen eingespannten Gewölbekappen.

Ein besonders großer

Schlußstein vereinigt die Rippen jenes Gewölbefeldes, das entsteht, indem sich Haupt- und Ouerschiff durchschneiden, die sogenannte Vierung.

Sie bildet

das Richtmaß, woran sich folgerichtig die übrigen Felder gliedern: je eines nach Westen, Norden und Süden und fünf nach Osten. An die beiden Enden Neben den fünf östlichen

der Längsrichtung schließen sich die Altarnischen.

Quadraten ziehen sich die Seitenschiffe hin, nur halb so breit und hoch.

Hier

führt von jedem Arkadenpfeiler ein Gurtpilaster empor, so daß die Wölbung

zehn quadratische Felder zeigt, doppelt soviel wie das Mittelschiff. Der Spitzbogen und das Kreuzgewölbe mit Rippen, die wesentlichen Merkmale der Gotik, sind demnach im Inneren schon durchweg angewandt. Von Ost nach West können wir am Gewölbe entlang den Fortschritt verfolgen.

Nur das Halbrund der Ostapsis ist noch mit einer glatten Halbkuppel überwölbt. Im vollsten Gegensatz weist die fünfeckige Westapsis in eine spätere Zeit; vor­

gelegte Halbsäulen führen in den Ecken als Rippen zu einem gemeinsamen Schlußstein empor. Ähnlich ist das davorliegende Gewölbeqnadrat, zwischen Apsis und Vierung, in zwei durchkreuzte Rechtecke zerlegt, ebenso die Flügel

des Querschiffes; das Gewölbe scheint zusammengeschoben; das reichere Rippen­ netz macht die Decke leichter; statt der Pilaster tragen Halbsäulen die Gurt­

bögen, setzen sogar erst in der Höhe auf Konsolen an. Doch stört dieser all­ mähliche Wandel vom Ostchor zum Westchor nicht den einheitlichen Eindruck. Die auf Ludwigs I. Befehl von 1828 bis 1837 vorgenommene Erneuerung hat zwar mit dem Verputz und Beiwerk späterer Zeiten auch die alte Bemalung ohne Gnade entfernt, so daß nun der Zauber der Farbe fehlt; die lichtgraue

Steinfarbe verstärkt den Eindruck schmuckloser Einfachheit.

Dafür wirkt aber

der wuchtige Aufbau zu einer Höhe von 25 Metern um so unmittelbarer; die auf­ wärtsstrebenden Träger mit den Gurten und Rippen verkörpern abgewogene Kraft; der Verzicht auf alles spielende Beiwerk verleiht dem Jnnenraum eine

vornehme, ernste Würde.

Die beiden Chöre rücken von der Apsis um zwei Quadratfelder in das Mittelschiff vor; der Boden ist um mehr als ein Dutzend Stufen erhöht, da

sich eine gewölbte Gruftkapelle darunter befindet.

Gegen die Seitenschiffe sind

sie noch mit aufgesetzten Steinschranken abgeschlossen.

man reich mit plastischem Schmuck.

Die Chöre allein bedachte

Teils zieht sich an der Innenwand der teils ist die Außenfläche der

Apsis unter den Fenstern eine Bogenreihe hin

Seitenschranken mit Blendarkaden und bedeutenden Figuren ausgezeichnet. Un­ vergeßlich bleibt jedem das Reiterbild Konrads III., der im Dom begraben liegt. Am Pfeiler links von den Stufen des Ostchores blickt er mit frei erhobenem Antlitz in den Kirchenraum; mit leichter Sicherheit sitzt er im Sattel.

Der

Ostchor führt den Namen Georgenchor; denn schon bevor das Bistum gegründet Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

5

wurde, waren die sogenannten Georgenbrüder auf diesem Grunde angesiedelt. Sie hatten also ältere Rechte; ihre Körperschaft bildete später das Domkapitel. Der Westchor entstand für den Bischof und wnrde dem Apostelfürsten geweiht, weshalb er Peterschor heißt. In seiner Mitte steht der Sarkophag Snidgers. Dieser, nach der Chronik Hermans von Reichenau ein Sachse, „der nach dem ersten Eberhard als der zweite die Babenberger Kirche schon im

Der Georgenchor Im Bamberger Dom.

sechsten Jahre leitete, wnrde, obwohl er sich sehr sträubte, zum obersten Bischof der römischen Kirche gewählt und mit einem neuen Namen Klemens II. genannt (1047). Eben dieser erhob an demselben Tage den König Heinrich III. durch die Einsegnung zum Kaiser. Er endigte im römischen Lande im neunten Monate nach seiner Erhebung sein Leben, wurde nach seinem Bistum Baben­ berg gebracht und dort beerdigt." Wenden wir uns wieder der Außenseite des Domes zu um sie genauer zu betrachten, als es beim ersten Überblick hatte geschehen können. Die Süd­ seite kommt nicht in Betracht, denn sie ist durch das anstoßende Domkapitel­ haus verdeckt. Die Ostseite bestätigt uns wieder, daß man den Chor mit

67

16. Der Bamberger Dom.

besonderer Vorliebe schmückte.

Die eingeschrägten Rahmen oder Leibungen

der Rundbogenfenster sind mit Halbkugeln, sogenannten Diamanten, belebt. Vom Fußgesims der Apsis, dessen niedrige Bogenöffnungen Licht in die Gruft­

kapelle einlassen, führen vorgelegte Säulen zwischen den Fenstern empor und geben dem eigentlich halbrunden Nischenbau äußerlich die Form eines Vieleckes.

Zwischen diesen Ecksäulen nun zieht sich unter den Fenstern ein außerordentlich

reiches Schmuckband

hin: zu oberst ein Schachbrettfries, dann ein Zahn­

schnitt und ein Rautenfries, dann wieder ein Zahnschnitt und schließlich ein Rundbogenfries.

Ebenso zieht oberhalb der Fensterreihe ein reicher, mit

Blattwerk verzierter Rundbogenfries herum.

Den oberen Abschluß bildet eine herrliche Triforiengalerie, aus je drei Rundbögen auf Zwergsäulen bestehend.

Nicht minder kunstreich sind die Eingänge. Sie sind die eigentlichen Prachtstücke der Außenseite romanischer Bauten. Sie verengern sich in stufen-

attigen Absätzen bis zur Mitte des Mauerdurchmessers, so daß es aussieht, als stünden viele Tore hintereinander, immer eines kleiner als das andere, mit der eigentlichen Türe als Abschluß. Allerlei Schmuckwerk macht diese

Gliederung noch lebendiger: am linken Ostportal Zackenlinien; in den Ecken der Mauerabstufungen stehen Säulen; deren obere Hälfte wird von lebens­ großen Gestalten verdeckt; sie stehen auf Konsolen und haben zu Häupten

Baldachine: links Heinrich, Kunigunde und Stephanus, rechts Petrus, Adam Edle Haltung, schöner Faltenwurf, ausdrucksvolle Köpfe zeichnen

und Eva.

die Figuren der Adamspforte aus. Da sie erst im Laufe des 13. Jahrhunderts der Leibung eingefügt wurden, kann die Darstellung des Kaiserpaares nicht

als geschichtlich treu gelten.

Die Gnadenpforte, rechts der Apsis, führt den

Säulenschmuck schon reicher aus, verzichtet aber noch auf seitlichen Figuren­

schmuck.

Damit sich die Säulen voneinander abheben, ist ihre Oberfläche

abwechselnd gestaltet, entweder glatt oder kanneliert oder wie mit einem Riemengeflecht überkleidet. Ähnlich sind die auf den phantastischen Kapitellen ruhenden Bögen unterschieden; einige sind, als wären gebogene Stäbe mit dicken Nägeln befestigt, mit „Diamanten" besetzt.

Das Bogenfeld über dem

Türsturz ist mit einem Steinrelief, Tympanon oder Lünette genannt, sinnig ausgefüllt:

es zeigt die Madonna, der sich rechts das Stisterpaar, links die

Heiligen Petrus und Georg huldigend nahen. Noch prächtiger ist das Fürstenportal am nördlichen Seitenschiffe. Tympanon stellt das Jüngste Gericht dar.

Das

Die Pforte tritt aus der Mauer

heraus um eine reichere Vertiefung zu ermöglichen; die Säulen sind zahlreicher und zeigen in der Oberfläche noch größere Mannigfaltigkeit als die der Gnaden­ pforte.

In der Mitte des Schaftes tragen sie einen Ring oder Wirtel.

Die

Figuren stehen zwischen den Säulen, immer zwei übereinander, eine auf den Schultern der anderen, eine Anordnung, die sinnbildlich Propheten und Apostel in ihrem Verhältnis andeutet.

Einige Figürchen links oben an der Wölbung

zeigen, wie unbefangen der Künstler, was die Lünette nicht zu fassen vermochte,

5*

68

16. Der Bamberger Dom.

ergänzend noch außerhalb des Reliefs fortsetzte.

An den Seiten des Portals

ist noch je eine Säule vorgelegt mit einer allegorischen Figur auf dem Kapitell:

links die Kirche, rechts die Synagoge, zwar nicht frei von archaischem Lächeln, aber mit Anmut behandelt; schön fließen die Falten des zarten, angeschmiegten Gewandes, die Ähnlichkeit mit den gleichen Gestalten am Straßburger Münster

ist unverkennbar.

Das Fürstenportal am Bamberger Dom.

Ein so reicher Schmuck wie am Fürstenportal konnte nicht mehr Über­ boten werden ohne zu verwirren;

man schlug neue Pfade ein.

Formen der

Gotik schmücken das nächste Portal an der Nordseite des Querschiffes.

Das Veitstor unter dem schönen Rundfenster des Giebels ist ein gedrückter Spitz­

bogen, seitlich durch schöne Blendarkaden mit Kleeblattbögen geschmückt.

Den

schlanken Säulenschaft umschließt in der Mitte ein Wirtel, das Kapitell zeigt

statt der Würfelform oder phantastischer Bänder und Tiere einen zierlichen Kelchknauf, ein Knospenkapitell. Ein Gesims über diesem jüngsten Portal hat statt des Rundbogenfrieses ein Konsolenfries wie die Zisterzienserkirche im

benachbarten Ebrach.

Der ausblühende Zisterzicnserorden, der vor Mitte des

69

16. Der Bamberger Dom.

12. Jahrhunderts auch Deutschland schon besiedelte, war von Frankreich aus­

gegangen und hatte die neue Bogen- und Wölbeform, woraus sich die gotische Bauweise entwickelte, bei seinen Kirchenbauten verwendet. 1200 wurde mit

dem Bau der Ebracher Klosterkirche begonnen.

Dazu kam noch, daß Bischof

Ekbert, der eifrigste Förderer des Dombaues in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts, Beziehungen zum westlichen Nachbarlande hatte; denn seine

Brüder waren Pfalzgrafen von Burgund. der gotischen Formen

nach Bamberg

Damit sind für die Vermittelung

wichtige Fingerzeige

gegeben.

Wir

beobachteten schon im Inneren, je mehr wir uns dem Westchore näherten, um so bestimmter die Formen des Übergangsstiles. So sehen wir auch an der Außenseite der Westapsis spitzbogige, große Fenster;

das Mauerwerk bildet

nicht mehr die großen Flächen; die aufstrebenden Stützen treten bewußter hervor; man bildete nicht mehr mit der alten Liebe und Sorgfalt die wagrechten roma­ nischen Zierstreisen. Überhaupt läßt sich die westliche Apsis an Schmuckwerk

nicht mit der östlichen vergleichen. Nur in den Türmen vermochte man noch die Vorgänger zu überbieten. Man hatte damals Freude an Türmen, das beweist ihre Zahl. Man ver­ zichtete zwar auf den Kuppelturm über der Vierung, wie ihn der Wormser Dom zeigt; dafür gestaltete man die Ecktürme um so kunstreicher.

Osttürme sind voll Schönheit.

Schon die

Sieben würfelförmige Stockwerke sind seitlich

mit Lisenen, wagerecht mit Gesimsen aus Zahnschnitt und Rundbogen umrahmt und abgetcilt; dem achten Stockwerk sind die Seitenkanten abgeschnitten, die

so verengerten Seitenflächen, in Giebel ausmündend, tragen das schlanke Dach. Die Stockwerke sind, je höher, mit desto lichteren Fensteröffnungen durch­ brochen. So wird das Mauerwerk immer leichter und macht den Eindruck lebendigen Aufstrebens.

Dies Mittel die Wände zu durchbrechen ist an den

Westtürmen mit überraschender Schönheit weitergebildet. ist noch wuchtig;

Der Unterbau zwar

aber sobald er über die Vierung emporschaut,

wird

die

Grundform achtseitig; an Stelle der bisherigen Kanten sind erkerartige Lauben

vorgebaut; mit schlanken Säulen steigen sie übereinander aus; die dazwischen liegenden, verschmälerten Seiten sind mit schlanken Spitzbogenöffnungen durch­

brochen; diese und die Ecklauben lassen die Türme von allen Seiten durch­ sichtig und außerordentlich zierlich erscheinen. Sie sind die Krönung des

Werkes; sie sind das Vorbild für die Domtürme in Naumburg, wie sie ihrer­

seits Nachahmungen der Kathedralkirche von Laon sind. Wie liebgewordene Freunde grüßen sie den Scheidenden noch weithin. Auch wir nehmen hiermit Abschied vom Bamberger Dom. Er bleibt uns un­ vergeßlich als einer der herrlichsten Vertreter des Übergangsstiles in Deutschland;

denn er hat noch teil an der reichen Fülle des ausgebildeten Rundbogenstiles

und vereinigt damit in stufenmäßigem Fortschritt die Anfänge der Spitzbogen­ architektur;

er bietet uns die reifen Früchte der romanischen Bauweise und

die ersten Blüten der Gotik.

70

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

17. Der Bayernstamm im alldeutschen Schrifttum. Don Hermann Stöckel.*

Jedem,

der die Geschichte des

drängt sich von Anfang

auf,

die sich

aus

an

deutschen

Volkes

aufmerksam verfolgt,

eine gewisse Mannigfaltigkeit der Erscheinungen

der Verschiedenheit

der

Stämme unserer Nation ergibt.

Können sie auch alle — der schweigsame Friese wie der ernste Sachse, der

bewegliche Franke

wie der frohsinnige Thüringer,

der tüchtige Schwabe wie

der treuherzige Bayer — als Söhne eines und desselben Hauses die Gemein­

samkeit der Abstammung nicht verleugnen, so zeigt doch auch jeder von ihnen

eine so

ausgeprägte Sonderart,

die er von jeher in einem kräftigen Eigen­

leben betätigte, daß darin ein Hauptreiz der Beschäftigung mit der Geschichte

des deutschen Volkes liegt.

Und wie die natürliche Veranlagung der Brüder

verschieden ist, so auch das, was jeder von ihnen zur Ausgestaltung der Grund­

züge des gemeinsamen deutschen Wesens beigesteuert hat.

Wenn vom wetter­

festen Friesen, dem äußersten Hüter deutscher Erde gen Nordwesten, der von

jeher den „goldenen Gürtel" seiner Deiche gegen das beutelüsterne Meer zu schützen hatte, ein alter Spruch sagt: „Krisis non cantat“, so bewies der

südöstlichste der deutschen Stämme, der um die stolze Donau und im erhabenen Alpengebirg seine Heimat gefunden, von Anfang an eine ausgesprochene Nei­ gung und Befähigung zum Singen und Sagen.

Und so ist dieser Stamm

der Bajuwaren, wenn er auch als letzter in die Geschichte eingetreten,

doch

nicht der letzte an geistiger Begabung und an Betätigung dieser seiner Geistes­

gaben in dem friedlichen Wettkampf, in dem die Söhne Germanias die Jahr­ hunderte deutscher Geschichte hindurch ihre Kräfte maßen.

„Tole sint uualhä, spähe sint peigirä; luzic ist spähe in uualhum,

inera hapent tolaheiti denne

späht“,

toll (unklug) sind (die)

Molchen

(Welschen), spähe (klug) sind (die) Bayern; wenig ist Spähe (Klugheit) in (den)

Walchen,

mehr

haben (sie) Tollheit (Unklugheit)

denn

uns

ringen

befremdenden

Selbstgefühls,

das

sich

dem

Spähe (Klugheit) —

überlieferten Bekenntnis nicht ge­

mit diesem in den Kasseler Glossenx)

Gebaren

einer anderen

Volksart gegenüber in naivem Selbstlob äußert, tritt der Bayernstamm in das deutsche Schrifttum ein.

Bald aber beansprucht er nicht nur sondern beweist er auch geistige Reg­

samkeit, indem er teilnimmt an der Entwickelung der althochdeutschen Dichtung. „Das hort' ich unter den Lebenden als bas höchste der Wunder, Daß Erde nicht war noch Überhimmel, Noch Daum (nicht stund) noch Derg nicht war, Nicht (der Sterne) einer noch Sonne nicht schien, Noch Mond nicht leuchtete noch die mächtige See.

') Eines der sachlich angeordnetcn Wörterbücher der Karolingerzeit, das in bayerischer Mundart abgefaßt, in einer Handschrift aus dem Kloster Fulda auf uns gekommen und nach seinem Aufbewahrungsort benannt ist.

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

71

Als da nichts nicht war der Enden und Wenden, Und da war der eine allmächtige Gott, Der Manner mildester, und da waren auch manche mit ihm Gute Geister." . . .

Diese neuen Eingangsverse eines stabreimenden Gedichtes über den Anfang aller Dinge, mögen sie nun altsächsischen Ursprungs sein oder nicht, fanden

jedenfalls in Bayern, vielleicht zu St. Emmeram in Regensburg,

ihre Auf­

zeichnung und wurden in dem bayerischen Kloster Wessobrunn auf die Nachwelt gebracht. Aber auch eine zweifellos selbständige Leistung steuert der

Bayernstamm in so früher Zeit zu dem Schatze der deutschen Dichtung

bei,

das in den kraftvollen Klängen der altbayerischen Mundart gehaltene, in mar­

kiger Schilderung sich ergehende prophetische Gedicht vom Ende aller Dinge,

Muspilli, das zu Regensburg, dem Sitze Ludwigs des Deutschen, in der nächsten Umgebung des Königs, vielleicht gar von ihm selbst niedergeschrieben ist. Und nicht nur die alte Römerstadt, der Fürstensitz der Arnulfinge und der Kar­

linge, war Mittelpunkt literarischer Bestrebungen, auch eine der kirchlichen Zentralen des Bayerlandes entfaltete nachweisbar eine nicht unwichtige schrift­ stellerische Tätigkeit.

Im Freisinger Petruslied, um minder Bedeutendes

beiseite zu lassen,

ist uns das älteste Beispiel geistlichen Volksgesanges auf

deutschem Boden erhalten, eine Art Wallfahrtslied oder ein Bittgesang den heiligen Petrus, dessen Fürsprache bei Gott erfleht wird.

an

Als weiterer Beleg für die schriftstellerische Betätigung des geistlichen Standes in Bayern sei die Übersetzung des Hohenliedes durch den ge­

wandten, ehrgeizigen und weltlich gesinnten AbtWilliram von Ebers berg

genannt, der dem großen Schulleiter von Sankt Gallen, Notker dem Deutschen, noch am nächsten kommt ohne ihn übrigens zu erreichen.

Inzwischen hatte sich neben der geistlichen auch eine ausgesprochen welt­ Ihr gehört

liche Richtung im Schrifttum unseres Volkes Bahn gebrochen.

an „der älteste erfundene Roman der europäischen Literatur, der erste Ritter­ roman der Weltliteratur", wie Wilhelm Scherer das Gedicht bezeichnet, das um

1024

in

dem bayerischen Kloster Tegernsee in lateinischen Hexametern

verfaßte Epos Rnoblieb, das uns die früheste Ankündigung des erwachenden Minnesangs in dem lateinisch-deutschen Liebesgruß überliefert hat: „Melde ihm, Bote, von mir aus treu ergebenem Herzen Soviel Liebes (liebes) als nun auf Bäumen sprosset des Laubes (loubes), Soviel als Liederwonn« (wunna) der Bögel, künde ihm Minne (minna), Soviel als Gras und Blumen ersprießen, entbiet ihm der Ehren!"

Und wie beim Ruodlieb ein geistlicher Verfasser sich einen weltlichen Stoff gewählt hat, so überttug wiederum ein Geistlicher das nationale Helden­ gedicht der Franzosen ins Deutsche und zwar war es wieder ein bayerischer Dichter,

der pfaffe Kuonrät, der am Hofe Heinrichs des Stolzen (1126—1138) zu Regens­ burg das deutsche Rolandslied schuf. Derselbe Konrad scheint auch der

72

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

Verfasser der Kaiserchronik gewesen zu sein, der ersten der im Mittelalter

-so beliebt gewordenen Reimchroniken. Sicher ist sie aus dem Kreise der Re­ gensburger Geistlichkeit hervorgegangen, wie sie denn besonders bayerische Über­ lieferungen mit sichtlicher Vorliebe behandelt, so eine Erinnerung an die Besitz­

ergreifung des Etschlandes durch den bayerischen Stamm, die Sage vom Herzog Adelger, dem Kaiser Severus Haar und Gewand zum Schimpfe

kürzen läßt, worauf das treue Bayernvolk dadurch die Schmach von seinem Herrn wendet, daß es die dem Herzog zur Demütigung aufgezwungene Tracht

zur allgemeinen

erhebt

tapferem Kampfe auf

und unter seiner Führung

den Angriff Severs in

dem Felde zu Brixen zurückweist, wo Severus Sieg

und Leben verliert, Herzog Adelger aber seinen Speer am Haselbrunnen in die Erde stößt mit den Worten: „Das Land hab' ich gewonnen den Bayern

zur Ehre, die Mark soll ihnen fortan dienen immer mehre." Hatten die zuletzt genannten Dichtungen trotz ihres weltlichen Inhaltes

noch Geistliche zu Verfassern, so ttat in den nun folgenden Spielmanns­ epen das Laientum in Stoff wie Verfasserschaft immer stärker hervor.

auch dabei zeigte sich Bayern als ein Land des Gesanges.

Und Hier dichtete um

1150 ein aus den Rheinlanden stammender Spielmann das Lied von der Königs- und Mannentteue, das Heldengedicht vom König Rother; hier fand

auch die Sage von der Freundestreue im Lied vom Herzog Ernst gleichfalls

durch einen rheinischen Spielmann um 1175 ihre erste künstlerische Fassung. Und die Vagantenpoesie, diese reizvolle Frühblüte mittelalterlicher Lyrik, die im Archipoeta am Hofe Friedrich Rotbarts ihren glänzendsten Vertreter

gefunden, sie scheint in Bayern besonders beliebt gewesen zu sein; wenigstens

hat ein Kloster dieses Landes, Benediktbeuern, die wichtigste Sammlung dieser eigenartigen lateinisch-deutschen Mischdichtung, bie Carmina Burana, auf uns gebracht. Aber auch der deutsche Minnesang ließ gerade im bayerisch-öster­ reichischen Stammesgebiet seine frühesten und seine frischesten Weisen erklingen.

Der ersten, schüchternen Knospe, die uns Ruodlieb in jenem lateinisch-deutschen

Liebesgruß geboten, reiht sich in den Briefen Wernhers von Tegernsee die zarte Erstlingsblüle an:

„Dü bist mln, ich bin din, Des soll dü gewis sin. Dü bist beslozzen In minem herzen; Verlorn ist daz slüzzelin: Dü muost immer drinne sin.“ Und der Kürenberger sowie Dietmar von Aist, deren schlichte Herzens­ töne noch heute nach siebenhundert Jahren ihres Eindruckes nicht verfehlen, sind sie nicht als Oberösterreicher bayerischen Stammes? Aber auch im eigent­ lichen Bayern erklang die Ritterharfe hell und wohltönend genug. So in

den Liedern des Burggrafen von Regensburg

und des von Rieten-

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

73

bürg, die wohl beide einem Geschlechte angehörten, wie es scheint, demselben, an dessen Hof auch Herger, der älteste uns bekannte Spruchdichter, gast­

freundliche Aufnahme fand, und in den mannhafte Gesinnung atmenden Weisen des bayerischen Ritters Albrecht von Johannsdorf.

Und wie schon „Minnesangs Frühling" auf bayerischem Boden manch

herzerquickende Blüte getrieben, so erschloß sich auch die ganze Sommerpracht ritterlicher Liebesdichtung in

der kurzen ersten Blütezeit des deutschen Schrift­

tums gerade im bayerisch-österreichischen Sprachgebiet zu herrlichster Entfaltung. Dem bayerisch-österreichischen Stamme gehörte wahrscheinlich schon von Geburt,

sicher seinem Bildungsgänge nach der glänzendste Vertreter der gesamten Lieder­ und Spruchdichtung unseres Mittelalters an, der Sänger der süßen Minne

wie der deutschen Zucht und Sitte, der furchtlose Verfechter deutscher Kaiser­

herrlichkeit,

der

treue Mahner

der Bogelweide.

Wenn

und Warner seines Volkes, Walter

wir

auch

hier

von

von

einer eingehenden Wür­

digung dieses größten deutschen Lyrikers vor Goethe Abstand nehmen, da wir uns auf Bayern im engeren Sinne beschränken wollen, so bleibt uns doch noch derjenige

unter den ritterlichen Dichtern unseres Volkes, der neben Walter

der größte gewesen, Wolfram von Eschenbach.

Im Grenzgebiet der Bayern und Ostfranken, zu Wildenberg (jetzt Wehlen­ berg) bei Gunzenhausen beheimatet, nach Eschenbach bei Ansbach benannt, rechnet sich Wolfram selbst den Bayern zu:

Ein pris, den wir Beier tragen, muoz ich von Wäleisen sagen: di sint törscher denne beiersch her unt doch bi manlicher wer. swer in den zwein landen wirt, gefuoge ein wunder an im birt. Wenn irgend etwas, müßte die schalkhafte Laune, die aus diesen Versen

spricht, für die Zugehörigkeit Wolframs zu dem Stamme zeugen, dem er sich

selbst zuzählt. Volksart,

Der unverwüstliche Humor, dies köstliche Erbteil der bayerischen

für deren Fähigkeit zu harmloser Selbstironisierung wir Goethes

Wort in Anspruch nehmen möchten:

„Wer sich nicht selbst zum besten haben

kann, der ist gewiß nicht von den Besten", dieser goldene Humor war es denn

auch, der dem wenig begüterten Ritter hinweghalf über die Unzulänglichkeiten des Lebens, der ihn befähigte über die Schwächen anderer wie seiner selbst zu

lachen, der ihn überall als den überlegenen Geist sich bewähren läßt, der über

den Dingen steht, Mitgefühls.

aber nicht kalt und teilnahmslos, sondern voll warmen

Gerade die angeführte Probe gutmütiger Selbstverspottung,

die

einen so auffallenden Gegensatz zu dem naiven Selbstlob der Kasseler Glossen l) Ein Lob, das sonst wir Bayern tragen, Muß ich von den Waleisen sagen: Die sind noch dümmer gar als wir,

Doch mannhaft, voller Kampfbegier. Ist einem von uns Witz verliehn, Der wird als Wunderkind beschrien. (W. Hertz.)

74

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

bildet, zeigt die Überlegenheit dieses größten dichterischen Vertreters des ganzen

Bayernstammes am schlagendsten:

was

mißgünstige Nachbarn den Bayem

nachsagen mochten, eine gewisse Unbeholfenheit im Auftreten, gerade das benutzt der Dichter um die Tapferkeit seines Stammes in Helles Licht zu rücken.

Aber

auch sonst vergoldet ihm die menschenfreundlich-heitere Grundstimmung seines Wesens

das ganze Leben

und

verleiht seiner Darstellungsweise wie seiner

Sprache einen eigenen Reiz, eine Frische, eine Ursprünglichkeit und Anschaulich­ keit, durch die sie hoch über der gedankenblassen Ausdrucksweise anderer höfischer

Dichter steht. genug

Es kam Wolfram zugute, daß seine bayerische Heimat weit

von Frankreich,

und

der Wiege

dem Musterland höfischen Wesens,

ablag um nicht so stark von dorther beeinflußt werden zu können wie das Rheinland und Alamannien.

Mochten die Alamannen immerhin den Bayern

vorwerfen, daß ihren Dichtungen der Stempel höfischer Vollkommenheit fehle,

mochte Gottfried von Straßburg

über

den

großen Ungenannten, der nur

Wolfram sein kann, als über einen „viudaere wilder maere,

der maere

wilderaere“J) den Stab brechen: wir freuen uns, daß sich Wolfram gerade die Eigenschaft unverkümmert erhielt, die auch heute noch das beste Erbteil

des bayerisch-österreichischen Stammes in seiner Unverbrauchtheit ist, naturftische Ursprünglichkeit.

Von ihr beseelt und durchdrungen verzichtet Wolftam gern

auf erkünstelten Ernst und erzwungene Würde, von ihr geleitet tritt er herz­

haft an die Dinge heran, sieht und schildert er sie, wie sie sind: je bezeichnender

der Ausdruck, je anschaulicher das Bild, desto lieber ist es ihm.

Wohl streift

er dabei gelegentlich die Grenze des ästhetisch Zulässigen, ja er überschreitet

sie auch ab und zu, aber immer ist es frisch pulsierendes Leben, das er uns

bietet, nichts Totes, Erstarrtes, nichts Ausgeklügeltes, nur Erdachtes.

Aber derselbe Dichter, der so trefflich zu schildern versteht, er haftet nicht an der Außenseite der Dinge;

derselbe Mensch, der so herzlich lachen

kann, ist auch des tiefsten Ernstes fähig.

Schon die Wahl des Stoffes zu

seinem Hauptwerk Parzival, mehr noch dessen Ausführung zeigt, daß Wolftam

eine religiöse Natur im besten Sinne des Wortes, d. h. ein Mensch durch­ drungen vom Walten einer höheren Macht, aber frei von jeder ungesunden Welt- und Lebensflucht und fern von jeder kaltherzigen Verfolgungssucht war. Auch darin scheint uns der liebenswürdige Dichter ein echter Sohn des Bayern­

stammes zu sein, der sich durch die Jahrhunderte seiner Geschichte in menschlich­

schöner Weise freigehalten hat von jeder Art von Zelotismus, aber stets ein tiefes Bedürfnis bekundete

zu stehen.

zu seinem Gott

in einem herzlichen Verhältnis

Darum konnte auch Wolftam die vielfach äußerlichen Geschehnisse

seiner Vorlage in tiefere innere Beziehung zueinander setzen, das Ganze aus der Fülle seines Innenlebens bereichern und ihm eine Seele einflößen, so daß

Wilhelm Scherer ihm gar wohl nachrühmen durfte:

„Ein schriftunkundiger

*) „Ein Erfinder befremdlicher Abenteuer, ein Geschichtenjäger.

17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.

75

Deutscher hat den tiefsten Gehalt des europäischen Rittertums künstlerisch verewigt."

Aber auch Wolframs Zeitgenossen und die nach ihm Kommenden

hatten eine Ahnung von dieser Tiefe seines Wesens, so besonders sein Lands­

mann Wirnt von Gravenberg, wenn er von dem „wisen man von Eschen­ bach“ sagt:

„Sin herze ist ganzes Sinnes dach: Leien munt nie baz gesprach.“ ')

Kann demnach der bayerische Stamm stolz darauf sein den tiefsinnigsten

und größten jener Epiker sein eigen zu nennen, die sich bemühten die wirren

Mären der Bretonen zu sinnvollen Taten zu läutern und die nationalen Vor­ kämpfer der Kelten zu Spiegelbildern reinsten Rittertums umzuformen, so ging aus ihm auch, die größte aller zeit- und sittenschildernden Dichtungen unseres

Mittelalters, der Meier Helmbrecht von Wernher dem Gartenäre, hervor, jenes vorzügliche Zeitgemälde, das uns die Übeltaten eines dem Raub­ wesen verfallenen Adels und die verderbliche Überhebung seiner bäuerlichen

Spießgesellen in Bildern von überzeugender Lebenstreue vor Augen stellt. Aber noch einen anderen Beweis seiner Begabung für kraftvolle Wirklich­

keitsschilderung hat der bayerische Stamm erbracht. Wir meinen die höfische Dorfpoesie, die wie mit dem Pinsel eines Niederländer Meisters die derben Sommer- und Wintervergnügungen eines kraftstrotzenden, selbstbewußten Bauern­

geschlechtes uns vergegenwärtigt.

Ein bayerischer Ritter, Neidhart von

Neuental, war es, der diese neue Richtung aufbrachte, die einzige wirklich

neue, die nach Walter von der Vogelweide in der höfischen Lyrik noch aufkam. Bringen wir außer dem bisher Betrachteten noch in Anschlag, daß das mehrmals erwähnte Kloster Tegernsee uns im Antichristspiel das groß­ artigste Drama,

das im Mittelalter auf deutschem Boden entstanden, auf­

bewahrt hat; berücksichtigen wir, daß die N i b e l u n g e n s a g e um 990 zu Passau auf Geheiß des Bischofs Piligrim zunächst in lateinischer Sprache ausgezeichnet wurde, um 1200 aber ebenso wie die Gudrunsage im bayerisch-österreichischen

Stammesgebiet ihre herrlichste Ausgestaltung in deutscher Sprache erfuhr; be­

denken wir, daß Bayern den gewaltigsten Prediger des ganzen deutschen Mittelalters, Bertold von Regensburg, hervorgebracht hat, dessen erschütternden Worten Tausende auf freiem Feld in Zerknirschung lauschten; ziehen wir in Rechnung,

daß Bayern

auf der Höhe des Mittelalters den

großen Geschichtschreiber

Otto von Freising, zu Ende dieses Zeittaumes den trefflichen Aventin uns geschenkt hat, so kann kein Zweifel über die Tatsache herrschen, daß der bayerisch-österreichische Volksstamm während des Mittelalters in der Pflege des

heimischen Schrifttums hinter keinem deutschen Stamme zurückstand, ja, was Zeit und Wert der Leistungen anbelangt, vielen mit rühmlichem Beispiel voran­ schritt.

Um so auffallender muß die andere Tatsache des fast gänzlichen Ver*) „Sein Inneres birgt lauterste Weisheit; Laienmund hat nie besser gesprochen."

76

18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils,

stummens eines so reich begabten Volksschlages in der Folgezeit, insbesondere in der zweiten Blütezeit der deutschen Dichtung, genannt werden.

Die Ursache

dieser betrübenden Erscheinung ist in der gewaltsamen Absperrung des Bayern­

stammes vom Geistesleben der deutschen Nation zu erkennen, einer Maßregel, die keine andere Folge haben konnte als geistige Unfruchtbarkeit.

Erst das

freisinnige Walten des letzten Sprossen aus Kaiser Ludwigs Stamm, Max III.

Josephs, hat die Eisdecke des langen Winters gebrochen und die einsichtige Fürsorge

des Hauses Zweibrücken hat dem lang erstarrten Boden wieder Blüten und

Früchte entlockt, durch die Bayern wieder geworden, was es einstens war: eine Heimstatt der Kunst, eine Pflegestätte der Wissenschaft.

18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chroniftensttls. a) Andreas von Regensburg?) Don Herczog Stephan Ingelstat.

Herczog Stephan von Bahren Jngelstat, herczog Ludweigs und frawen Elyzabeth, künigin zu Frankchreich, Vater, ist gewesen klayner und durchgeadelter

Person.

Er ist gein mäniklich ein freymilder Herr gewesen.

Darumb het in

auch mäniklich lyeb. Er was eines tags zu Mayland bei seinem swecher?),

Herren Galiacz,

und da sh nach fürstenlicher gwonhait heten ir chürczweil von irem tuen und vermögen mit Worten gegen einander und sh auch also prüften dH groß huet^), *) Aus „Andreas von Regensburg, sämtl. Werke", herausgegeben von Georg Leidinger, S. 653. München, M. Rieger, 1903. — Andreas, Chorherr im Augustinerstift zu St. Mang in Stadtamhof 1400 bis etwa 1440, von den Regens­ burger Bürgern der bayerische Livius genannt, auch von Aventin hochgeschätzt und als Hauptquelle benutzt, schrieb Werke, die nicht nur für die Geschichte Bayerns sondern auch für die deutsche Reichsgeschichte von unvergänglichem Werte sind. In erster Beziehung sind zu nennen zwei Chroniken über die bayerischen Fürsten (eine lateinische und eine deutsche); zu diesem ersten bayerischen Geschichtswerk war die Anregung von einem Wittelsbacher Fürsten (Herzog Ludwig von Bayern-Ingolstadt) ausgegangen und der fürstliche Auftraggeber hatte den rechten Mann gefunden. In zweiter Hinsicht sind erwähnenswert seine allgemeine Chronik, seine Chronik des Konstanzer Konzils, sein Tage­ buch und seine Hussitenchronik. 2) swecher — Schwiegervater, sagt Andreas irrtümlich; Herzog Galeazzo Biskonti von Mailand war der Schwager des Bayernherzogs, denn Thaddäa Diskonti, die Tochter des Herzogs Barnabas Biskonti und seit 1364 die Gemahlin des Ingolstädters, war die Schwester Galeazzos. Aber trotz dieses Irrtums verdient die Tatsache, daß ungefähr­ em Jahrhundert, bevor der Württembergische Herzog Eberhard im Barte auf jenem Reichs­ tag 1495 „einst zu Worms im Kaisersaal" sich als „reichster Fürst" pries, ein Wittelsbach er Fürst (etwa 1390) jenes stolze Wort von der Liebe und Anhänglichkeit seines Volkes gesprochen hat, besondere Beachtung. 3) Leibwache.

18. Bayerisch« Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils.

77

dy der von Moyland het, und dy forcht der sehnen gegen im, da ward erweget herczog Stephan von trawens wegen, das er het zu den sehnen, und

sprach: Wir haben zu den unsern in unserm lannde ein solichs trawen, das

feiner ist, wir walten ein nacht an sorg in seiner schoße slaffen.

Dicz wart

schäczt gar hoch der von Mayland. Er ist abgangen von todes wegen umb dy zeit, als man zalt 1414 und

ligt im frawenchloster zu Schönfeld.

b) Hans Cbran von Wildenberg?) Von Ludwig des Bayern Kaiserwahl; Schlacht bei Mühldorf.

Ludbig, fürst von Beim, ward erhielt zu einem römischen konig von

dem bischof zu Maintz und von dem bischof zu Triels und von dem marggrafen von Brandenburg und von dem konig zu Beheim, und ward wider

in erwelt hertzog Friderich von Österreich von den andem drei kurfürsten. Das geschach nach der menschberdung Cristi 1315 jare?) und nach der wal zügen die zwen erhielten konig züfeld mit großer macht für die stat zü Frankfurt,

und die stat was mit konig Subbigen,

so lag der von Österreich zü der

andern feiten mit seinem Here, und das wasser, genant der Männ, was zwischen ir, das sie nit züsamen mochten, darnach kamen die zwen fürsten züsamen

in Swabenland bei der stat Eslingen und stritten daselbs miteinander, das auf beben feiten vil volcks erschlagen ward, und rawmbten beb teil die Walstatt, also das man nicht west, wer den sig behalten hett. darnach zoch hertzog Friderich heim gern Österreich und warb sich bei dem konig von Hungern und bischof zü Saltzburg. der konig von Hungern schickt im zü lieb 2200 glasen4l )** *und 4000 pogenschützn.

so sambt er aus

seinen Landen und mit dem bischof zü Saltzburg 1800 glasen und 24000 man züfüssen und er zoch mit der großen macht herauf in Beim. , hie enzwischen sambt sich konig Ludbig auch mit einem großen Here,

wann6)* der konig von Beheim, der bischof von Triel und der burgkgraf von Nürmberg und ein graf von Hennenberg, die Herren all, schickten konig Ludbig

1900 glasen und 18000 man züfüssen.

die zwen obgedachten erwelten konig

kamen züsamen mit großer macht nachend bei Müldorf und stritten do mit­ einander einen Herten streit an sand Michelstag, und konig Ludbig behüb den l) „Quellen unb Erörterungen zur bayerischen und deutschen Ge­ schichte." Neue Folge, II. Band, 1. Abteilung. „Des Ritters Hans Ebran von Wildenberg Chronik von den Fürsten aus Bayern." Herausgegeben von Friedrich Roth. München 1905. S. 113 ff. — HanS Ebran von Wildenberg, etwa um 1430 geboren, gestorben vor 1503, Hofmeister am Landshuter Hof, ward von feinem Fürsten Ludwig dem Reichen zum Geschichtschreiber begeistert, „sollt' des Lob, ritter­ liche und streitbare Händel nicht in zukünftigen Zeiten gedacht werden, kränkets mein Gemüt." 8) Trier. — 8) Ein Irrtum des Chronisten; die Wahl fand am 20. Oktober 1314 statt. — 4) Lanzenreiter. — 8) denn.

78

18. Bayerische StammeSangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils,

fig, und der hertzog von Österreich ward gefangen und groß ritterschast mit im, auch wurden ir vil erschlagen. Do nu der streit geendet ward, do wurden die ritter und knecht aus Peheim, Beirn und Franckhen vast kriegn1), dann jeder wolt den freidigen

hertzog von Österreich gefangen haben,

do sprach der surft: „des kriegs will

ich euch wol bescheiden; tragt mir für ein jeder seinen Wappen rock und die flcinot*3),4 *die 6 er auf dem hawpt gefurt hat, so wil ich den zeigen, dem ich vancknuß gelobt hab", und do nu die kleinat für den surften von Österreich gebracht wurden, do klopft er auf ein kuemawl und sprach: „das kuemawl kund ich hewt weder mit stechen noch schlahen von mir bringen; dem hab ich

gelobt."

Das was ein beirischer edelman, genant Ringsmawl.8)

c) Beit Arnpeck?) Des römischen Königs Maximilian I. Besuch in Landshut, Freising und München.

Anno 1491 am smalzigen sambstag8) kam der römisch küng gen Landshut. do das erhört sein swager Herzog Albrecht, am gaylmontag8) von München

für er ab auf der User gen Landshut.

darnach am aschermitbochen kam der

küng mit 700 pfarden gen Freising, der bischof, weichpischof, abt von Beichenstefen, all drei in iren infelen, der brobst von der Neuenstift mit seinem stab, thumherren, korherren und alle briesterschaft in korkappen mit dem heiltum

und die hantberchzünst mit irn gemalten und vergülten kerzen giengen im engegen aus dem thum herab in di stat mit der Proceß bis zu dem heiligen geist. do wartet man sein lang, es was im aber nit gemaint.7) er schicket

wol etlich fürsten vor.

darnach schuf man die Proceß ab.

er rait nachet

sam bei der nacht ein und was über nacht in dem geschloß in der neuen turnij8) und kamer.

der bischof antbortt9) ihm die schlüssel zu dem geschloß.

Herzog Albrecht was in des bischofs stuben und kamer und der bischof in der alten turniz und silbcrkamer und hielt den küng und alle, di mit im da waren,

frey aus mit essen und trinken und fuetter. am pfinztag10) im chor sungen sein finger11) ain ambt von sand Sigmund, und der Weichbischof sang das ambt, und zwen tumherren dienten im, und das heiltum stund als auf dem altare.

auch hett man amen tisch beraitt vor dem sacramentgeheus. darauf las meß am ersten ain reichspfründener und darnach des küngs caplan. dem küng ») = gerieten fast in Zank. — *) Helmzierden. — s) Albrecht von Rindsmaul, Pfleger zu Neustadt an der Donau. 4) AuS seiner bayerischen Chronik, cod. germ. Nr. 2817, fol. 414 b—417 a. — Beit Arnpeck, Pfarrer zu Landshut, lebte um 1440—1495. Seine Werke sind in chronologischer Ordnung: 1.' eine österreichische Chronik (lateinisch), 2. eine bayerische Chronik (lateinisch), 3. eine deutsche Umarbeitung der letzteren, 4. eine lateinische Chronik der Bischöfe von Freising. 6) auch feister Samstag genannt, d. i. Sonnabend vorEstomihi — Fastnachtssonntag. — •) Fastnachtsmontag, Montag nach Estomihi. — 7) es war ihm nicht gefällig, lieb. — ®) Gaststube in Höfen und Schlössern — Dürniz. — •) überantwortet. — 10) Donnerstag. ") seine Sängerkapelle.

18. Bayerische Stammesangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils.

79

hett man aufgelegt ain guldeins tuch und ain seideins küß. in dem ersten stand'), do man herauf get bei dem sagran, do stund der tüng, nach im Herzog Albrecht, darnach ain Herzog von Braunsweig, darnach ain landgraf

von Hessen, darnach bischof Sixt, darnach über zwen ständ2) des türkischen kaisers bruder.3) do man das ewangelium gelesen hett, gieng der bischof hinauf und nam das Puch von des küngs caplan und kredenzt das mit ainem roten seyden tüchlein und gab das dem küng alain zu küssen, also tet er auch mit dem agnus, nam er di Paten mit der credenz und gab das dem küng zu küssen, do das gotlich ambt volbracht ward, gieng der küng auf gen sand Sigmund und darnach in di burk.

er schiket etlichs Volk gen Augspurk.

do

nun der bischof all fürsten und ir Volk wol gespeist hett, rait der küng mit den fürsten obgenant auf gen München,

der bischof gab im das gelait, so

weit sein land weret. Zu München ward der küng gar frolich von seiner sbesteren empfangen, man machet im zu lieb di selb nacht amen tanz, er tanzet zwir') mit seiner sbester.

d) Johannes Turmair, genannt Aoentinus?) Beschreibung des Baierlands in der gemein auf das Kürzest.

Das ganz land in der gemain ist vast3) fruchtpar, reich an salz traid Viech vischen Holz Waid wildprät und kurz alles, so zu der schnabelwaid7) dient,

ist allda übrigs genueg. Viech salz traid wird in ander lant getriben, gestiert und verkauft. Wein pringt man aus andern landen auf land und wasser, nemlich ab dem Rein, Neckar, auß dem Elsaß, welschen landen, Chrain, Histerreich3), Veltliner tal, Tramm, Franken und Österreich. Und, als das gemain geruech, niendert lebt und ligt man Paß?)

stund, der kürzest bei acht stunden lang.

Der lengst tag ist über sechzehen

Oster- u. Westerwind, den man ober

und nider nent, wäen dick'") und oft und gegen denen pflegt man nit zu pauen; der oberwind pringt gern regen und ungewitter, der ander schoen und

staet Wetter. Beschreibung der fisten des lands auf das Kürzest und in der gemain.

Das baierisch Volk (gemainlich davon zu reden) ist geistlich, schlecht und

gerecht, get, läuft gern kirchferten"), hat auch vil kirchfart; legt sich mer auf

•) Kirchenstuhl. — ’) d. h. zwei Kirchenstühle hinterhalb. — •) Prinz Dschem, Bruder des türkischen Sultans Bajazeth, der von den Johannitern gefangen und von dem König von Frankreich an König Maximilian alS Gefangener ausgcliefert worden war. — *)**)zweimal. •) „Sämtliche Werke", auf Veranlassung Sr. Majestät deS Königs von Bayern herauSgegeben von der Kgl. Akademie der Wissenschaften, IV. Band, bayerische Chronik, herausgegeben von Matthias Lexcr, München 1883, S. 41 ff. •) sehr, oft. — ’) Speise. — 8 Istrien. — •) wohnt man besser. — 10) wehen häufig. **) Wallfahrten

80

18. Bayerische StammeSangehörige als Vertreter des mittelalterlichen Chronistenstils,

den ackerpau und das viech dan auf die krieg, denen es nit vast nachläuft; pleibt gern dahaim, raist nit vast auß in frembde land;

trinkt ser,

hat vil

linder; ist etwas unfreuntlicher und ainmüetiger *) als die nit vil auß kommen, gern anhaims eralten2), wenig Hantierung treiben, fremde lender und gegent haimsuechen; achten nit der kaufmannschast, hinten auch die kaufleut nit vast zu inen. Und im ganzen Baierland sein dreierlai ständ, die da zu eren und Ver­

waltung laut und leut geproucht werden. Der gemain man, so auf dem gä8) und land sitzt, gibt sich auf den ackerpau und das viech, ligt demselbigen allain ob, darf sich nichts ongeschast der öbrikait understen, wird auch

in kamen rat genomen oder landschaft ervodert; doch ist er fünft frei, mag auch frei ledig aigen guet haben, dient seinem Herren, der sunst kam gewalt über in hat, jerliche güld4) zins und scharwerk8), tuet sunst was er will, sitzt tag und nacht bei dem wein, schreit singt tanzt kart spilt; mag wer8) tragen,

schweinsspieß und lange messer.

Große und überflüssige Hochzeit, totenmal

und kirchtag haben ist erlich2) und unsträflich, raicht kainem zu nachtail, kumpt kainem zu übel.

In nidern Baiern, so sich des rechtpuechs nit braucht, sitzen

sie auch an der landschrannen8) und müessen nrtail schepfen, auch über das Pluet richten. Die von den ständen sein prelaten, adl, purger.

Prelaten haben

große mechtige reiche gotsheuser, sotten tag und nacht zu bestirnter zeit des gotsdienst mitsambt irrn geistlichen brüedern außwarten, got und seine heiligen

loben, danken und für die fürsten (so solche clöster, pfrüend und stiften gestift haben) pitten. Man will sprechen, sie sein reicher und vermögen mcr dan die andern zwen stend, man gibt in mer gelts und guets dan den andern zwaien

stenden mitsambt den fürsten und Helts für mechtiger. Der adl wont auf dem land außerhalb der stet, vertreibt sein zeit mit

Hetzen paißen8) jagen; reiten nit zu Hof dan wer dienst und sold hat. Die burger regieren ir stet und markt selbs, sein handwerchsleut Wirt paurn, etlich kramer ftagner oder fürkeufl10), die armen tagwerker und taglöner. Ganz wenig haben am auskommen von iren gülden und zinsen und jerlichem

einkommen oder aufhcben und werden „die von dem geschlecht" genant.

Es

sein auch wenig kaufleut, die großen Handl füeren.

Die fürsten haben vollen gewalt von allen andern dingen, so land und leut antrist, zu handeln, und alle treffenlich fachen werden dergleichen zu

Hof vor den fürsten außgericht, es sei dan fach"), das man kriegen22) müeß oder steuer und dergleichen anlegen sol oder zwitracht und Uneinigkeit zwischen den Herrn erwachsen und erstanden ist. Wo dergleichen groß seltsam ungewönlich *) eigensinniger. — ’) daheim altern. — 8) Gau. — 4) Entgelt. — *6) Fronarbeit. —

6) Wehr. — 7) ansehnlich. — 8) Landgericht. — •) baizen. — 10) Fürkäufler — Kleinkrämer. — n) es sei denn der Fall. — 1S) Krieg führen.

81

19. Der Regensburger Dom.

fachen fürfallen, werden die stend alle drei an ein bestimbt ort auf ain außgeschribnen tag in ein landschast zam gevodert, ein jetlicher von den prelaten

und dem adl erscheint für sich selbs, die burger und stet schicken einen oder

zwen auß inen; alda wird ein ausschus gemacht und erwelt, der macht und gewalt hat zu handeln.

So vil sei nun,

als

geschicht eraischen,

gschaffen

die notturft und

gesagt von

der

brauch

der

wärhaftigen

sitten,

landschast,

recht-

breuchen

der

Baiern.

19. Der Regensburger Dom. (Deutsche Gotik.)

Don Siegfried Graf Pückler-Limpurg. * Wenn wir von deutscher Baukunst des Mittelalters sprechen, dann denken wir zuerst an unsere gotischen Dome.

Seit die Romantik unsere Blicke wieder

dem Mittelalter zugewandt und unser Verständnis für seine Schöpfungen neu

geweckt hat,

erfreuen vor allen anderen Bauwerken diese sich der Liebe und

Bewunderung des deutschen Volkes.

und

noch

Boden: der Dom von Regensburg.

Münstern

nicht

messen,

Nur einer von den ganz großen Domen,

einfachste von ihnen,

dazu der kleinste und

steht auf bayerischem

Aber kann er sich auch mit den rheinischen

so überragt er doch an Größe und Schönheit die

übrigen gotischen Kirchen des Landes und gibt einen guten Begriff von dem,

was die Gotik in ihrer höchsten Entfaltung geleistet hat. Betrachten wir zuerst das Innere des Domes;

alles

durch den inneren Raum bedingt,

Bedürfnis des Baues.

denn bei der Gotik ist

die Außenseite ergibt sich aus dem

Eine mächtige dreischiffige, spitzbogig überwölbte Halle

umfängt uns; das Hauptschiff, in dem wir stehen, ist breiter und höher als die beiden Seitenschiffe.

Alle drei münden in ein Querschiff von der Höhe des

Hauptschiffes; von gleicher Höhe ist der Chor mit vieleckigem Abschluß, der jenseits

des Querschiffes das Ende des Raumes bildet.

Das alles ist nichts Neues für

den, der romanische Dome kennt; aber die technischen und künstlerischen Mittel, mit denen der Bau durchgeführt ist, sind völlig verschiedene.

Was den roma­

nischen Domen das ernste und schwere Aussehen gibt, die großen Wandflächen,

das fehlt hier ganz.

sondern

Die Höhe der Seitenschiffe ist nicht mehr ein Dritteil,

zwei Dritteile

des Hauptschiffes.

Die Pfeiler steigen

brechung bis zum Gewölbeansatz des Hauptschiffes an;

ohne Unter­

zwischen ihnen,

über

den Scheidbögen des Seitenschiffes, öffnen sich große Fenster, von den darunter liegenden Bogenscheiteln durch eine zierliche Bogenreihe, die Triforiumsgalerie, getrennt.

an

Die Pfeiler selber tragen keine Bögen, sie sind ungegliederte Masse;

sie angelegt

und mit ihnen verbunden sind schlanke, kleine Säulen mit

Kapitellen, die Dienste.

Längsrichtung

Von jedem Dienst geht eine Rippe aus, welche in der

die Scheidbögen,

senkrecht zu

KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-.

diesen die Gnrtbögen und in 6

82

19. Der Regensburger Dom.

diagonaler

Richtung

die

Gewölberippen

bilden.

Diese Rippen

sind

das

wichtigste Kennzeichen der Gotik; man baut nicht mehr wie in romanischer

Zeit schwere massige Gewölbe, sondern konstruiert diese Rippen und setzt zwischen dieselben leichte Gewölbekappen ein. Hier in Regensburg ist noch

die Form des Kreuzgewölbes beibehalten; später hat man die willkürlichsten Gewölbeformen erfunden, die soge­ nannten Netzgewölbe. Dort, wo

die Rippen sich im Gewölbescheitel treffen, ist der ost reich verzierte Schlußstein.

Durch diese Rippenkonstruktion und in Verbindung mit ihr durch den Spitzbogen ist eine ganz neue Anordnung der Pfeiler entstan­

den. Der romanische Baumeister konnte nur Bögen gleicher Spann­ weite zu einem Kreuzgewölbe tier­ einigen, war also an den quadra­ tischen Grundriß gebunden.

Der

Gotiker wählt den Grundriß recht­ eckig, so daß die Breite des Haupt­ schiffes viel größer ist als die der

Scheidbögen.

Ebenso

wird

der

Gewölbegrundriß im Seitenschiffe

rechteckig gewählt; das Breitenverhältnis beider

strenge

Schiffe

von zwei zu eins ist nicht mehr nötig, der Zwischenpfeiler zwischen

den Haupffchiffspfeilern, den der unbedingt brauchte,

Romaniker

kommt in Wegfall. Grundriß des Regensburger Domes.

a Ouerschiff; b nördlicher Turm.

Endlich läßt

sich auch das Querschiff beliebig verkürzen; so kommt es, daß hier

in Regensburg seine Schmalwand

in gleicher Linie mit den Außenwänden der Seitenschiffe liegt. An der Außen­ wand der Seitenschiffe setzt sich diese ganze Konstruktion fort. Es ist eigentlich nur eine weitere Pfeilerreihe von gleicher Anlage wie die innere Reihe, deren Bögen ausgefüllt sind von einer niedrigen Mauer und großen Fenstern. Auf der andern Seite des Querschiffes bildet der Chor den Abschluß der Kirche.

Anlagen mit doppeltem Chore an beiden Enden des Langschiffes,

wie wir sie bei vielen romanischen Domen finden, kennt die reine Gotik nicht. Hier in Regensburg entspricht jedem der drei Langschiffe ein eigener Chor,

83

19. Der Regensburger Dom.

jeder in den

bildet.

andern.

gleichen Maßverhältnissen wie das Schiff,

Der Chor

dessen Abschluß es

des Hauptschiffes ist fast doppelt so lang als die beiden

An Stelle der halbrunden Apsis im romanischen Stile ist hier ein

eckiger Abschluß

getreten,

dessen Grundriß

von

fünf Seiten eines Achtecks

Inneres des Regensburger Domes.

gebildet wird.

zu anderen

Die Form des Regensburger Chores ist einfach im Vergleich

gotischen Domen;

bei den meisten derselben wird,

den Seiten­

schiffen entsprechend, ein Umgang um den Chor des Hauptschiffes geführt, bei den

größten und prächtigsten diesem Umgang noch ein Kranz von Kapellen

angefügt, deren Grundriß im kleinen den des Hauptchores wiederholt. Treten wir nun heraus und betrachten das Äußere, so werden wir finden, daß es den inneren Aufbau getreulich widerspiegelt.

Die Pfeiler der Längs-

wand sind mit Streben verstärkt, die nach unten staffelweise sich verbreitern;



19. Der Regensburger Dom.

84

die Bekrönung eines jeden derselben bildet eine kleine turmartige Spitze, die

Fiale.

Hinter der Fiale spannt sich ein Halbbogen nach dem überragenden

Pfeiler des Hauptschiffs.

Dieser „Strebebogen" hat seinen besonderen Zweck.

Durch die Rippenkonstruktion lastet die ganze Schwere des Gewölbes auf den

Pfeilern; um sie nun zu entlasten ist dieser Halbbogen angefügt,

der den

Druck auf die Außenpfeiler des Seitenschiffes überträgt; hier nehmen ihn wieder die Streben auf und leiten ihn auf ihren breiten Unterbau herab. So bildet von den ungefügen Gründmauern der Streben bis zum Schlußstein

der Rippen alles ein einziges wohldurchdachtes System, in dem auch dem

kleinsten Teil seine bestimmte Funktion zugewiesen ist. Das ist der Kernpunkt des gotischen Kirchenbaues, dieser genialsten Schöpfung, die jemals die Bau­ kunst hervorgebracht hat. Das eigentliche Schmuckstück der Außenseite ist in Regensburg wie an den meisten gotischen Domen die Fassade an der Schmalseite, die hier zwei­ türmig angelegt ist. Sie zeigt in wagrechter wie in senkrechter Richtung die klassische Dreiteilung, freilich nicht in jener Vollendung wie das Straßburger

Münster.

Vier mächtige Pfeiler teilen die ganze Fläche in die Stirnseite des

Hauptschiffs und den vor den Seitenschiffen liegenden Unterbau der Türme. Eine auch um die Pfeiler herumlaufende Galerie trennt das Unter- und

Mittelgeschoß,

ein Ornamentstreifen

zwischen den Pfeilern das Mittel- und

Obergeschoß. Die ganze Fassade steht auf einer Untermauerung, zu der breite Freitreppen hinaufführen. In der Mitte des Untergeschosses liegt das Haupt­ portal, durch

einen Mittelpfeiler in zwei Türen

getrennt;

sein besonderer

Schmuck ist eine zierliche Vorhalle von dreieckiger Grundform. Zu beiden Seiten entsprechen ihm kleine Türen und über diesen große Fenster. Im

Innern ist dies Untergeschoß der Türme mit in den Kirchenraum hineingezogen, aber durch stärkere Pfeiler und andere Gewölbestellung von den Seitenschiffen geschieden. In das Mittelfeld des Mittelgeschoffes gehört bei der edelsten Gotik die Rose, ein großes, reich verziertes Rundfenster. Das unerreichte

Vorbild hierfür ist das Straßburger Münster; aber auch in Bayern haben wir ein schönes Beispiel davon an der Fassade der Lorenzkirche in Nürnberg.

Dem Regensburger Dome fehlt dieser Schmuck aus später anzuführenden Gründen; wir sehen an seiner Stelle zwei Fenster, darüber ein kleines Rund­ fenster und ein Kreuz. Das Obergeschoß ist hier nicht mehr einheitlich durch­ geführt.

In der Mitte steht der Hauptgiebel, bekrönt von einem in späterer

Zeit stilwidrig ausgebauten Türmchen; zu beiden Seiten erheben sich völlig losgelöst die Turmgeschosse mit großen Fenstern. Bis hierher war der Bau gediehen, als er zu Ende des Mittelalters eingestellt wurde; die Vollendung

erfolgte erst int 19. Jahrhundert und zwar, da kein Riß aus dem Mittelalter

sich erhalten hat, nach einem fremden Vorbild: dem Kölner Dome. Wie dort, wurde auch hier das vierte Turmgeschoß aus dem viereckigen Grundriß in den achteckigen überführt und mit einem durchbrochenen Helme gedeckt.

An Höhe

85

19. Der Regensburger Dom.

und Reichtum der Ausführung steht der Regensburger Bau freilich weit hinter seinem Vorbild zurück.

Bei

keinem anderen Stile

Konstruktion

verbunden

wie

bei

sind der

die Schmuckformen Gotik;

sie

haben

so

eng

vielfach

mit der

eine

ganz

Westansicht des Regensburger Domes.

besondere Bedeutung bei der Ausgestaltung des Baues. Die Fialen sind oben schon erwähnt; sie haben die Gestalt kleiner massiger Türme. Über der Außenseite der

Wimperge. gesims.

Fenster

sitzen

Um das Dach

Giebel,

läuft

die

den

Spitzbogen

überdachen,

ein reichgegliedertes Gesimse,

die

das Kranz­

Unter dem Kranzgesims ragen Fratzen in Menschen- oder Tierform

mit geöffnetem Maule vor, bestimmt das Regenwasser weit hinaus ablaufen

19. Der Regensburger Dom.

86 zu

lassen, die Wasserspeier.

Auf allen Giebelschenkeln sitzen

gebogene, dem Kohlblatt ähnliche Blätter, die Krabben.

krause,

auf­

Die Bekrönung der

Türme, Fialen und Wimperge bilden die Kreuzblumen, ein vieleckiger Schaft,

an dem in halber Höhe vier nach allen Seiten wagrecht ausladende Krabben sitzen.

Weniger regelmäßig ist das Pflanzenornament.

Meist sind es bestimmte

Pflanzen von allegorischer Bedeutung, wie der Weinstock (Christus), die Rose (Maria), der Efeu (Treue), die hier verwendet werden.

Es werden Kapitelle,

Friese unter Gesimsen, auch wohl Flächenfüllungen daraus gebildet. Solche Formen gehören meist der Frühzeit der Gotik an, am Regensburger Dome

beginnen sie schon spärlich zu werden. Ungleich wichtiger ist das Hauptornament der entwickelten Gotik,

das

Maßwerk. Es sind dies geometrische Formen, die aus gebogenen Stäben ge­ bildet werden. Sie dienen zur Füllung des oberen Teiles überhöhter Flächen,

so der Fenster, der einzelnen Abschnitte der Triforiumsgalerie und des Kranz­ gesimses, auch der Vorderseite der Streben; der Bestimmung entsprechend sind sie bald

durchbrochen

bald reliefartig

auf geschlossener Grundfläche.

Die

wichtigsten Formen sind: ein durch einspringende Zacken, „Nasen", dreifach

geteilter Bogen, der „Kleeblattbogen"; ein Kreis, an dessen innerem Rande

durch Nasen mehrere Kreissegmente gebildet werden, nach der Zahl der Seg­ mente „Dreipaß", Vierpaß" usw. genannt; die „Fischblase", ein Kleeblattbogen,

dessen Schenkel zu einem spitzen Winkel zusammenlaufen. Die Kleeblattbögen bilden stets die Grundlage des Maßwerks, ihre herablaufenden Schenkel teilen pfeilerartig den größeren unteren Teil des zu füllenden Raumes; über ihnen werden die anderen Formen eingefügt.

Bei den Rosen der Fassaden laufen

die Schenkel konzentrisch nach dem Mittelpunkte zusammen.

In der ältesten

Zeit wurden diese Formen möglichst rein nebeneinander gestellt, keine durfte

in die andere übergehen, ja nicht einmal die andere an mehr als einem Punkte berühren. Gerade für diese Gattung des Maßwerks bieten die Chorfenster des

Regensburger Domes prächtige Beispiele.

Später tritt das Bestreben hervor

die große Fläche durch enges Aneinanderdrängen lückenlos zu füllen, einstweilen

noch ohne die Reinheit der Einzelform aufzugeben. Erst in der spätesten Zeit der Gotik unterliegen all diese Schmuckformen merkwürdigen Veränderungen, bei denen die Willkür an die Stelle der Gesetz­ mäßigkeit tritt. An der Fassade des Regensburger Domes, besonders den Obergeschossen derselben, tritt uns diese Änderung deutlich vor Augen. Der Giebel über den Fenstern ist oft ersetzt, durch eine konstruktiv unmögliche Zier­ form, den „Kielbogen" oder „Eselsrücken", der etwa einer geschweiften Klam­

mer zu vergleichen ist.

Im Maßwerk verdrängt die Fischblase alle anderen

Formen; sie läßt sich durch Biegung und Zerrung in jeden Raum hinein­ drängen, so daß die Umrisse sich enge aneinander schmiegen und miteinander verschmelzen.

Die Füllung wird dadurch phantastisch, oft bizarr, verliert aber

87

19. Der Regensburger Dom.

Am Untergeschoß des linken Turmes sehen wir sogar

ihre strenge Schönheit.

einen Fries aus Giebeln, die ohne Stützen zackenartig in der Luft hängen — eine völlig sinnwidrige Verwendung des Giebels. Ebenso eng wie der ornamentale ist auch der figürliche Schmuck mit dem gotischen Stile verbunden.

Auch er gehorcht bestimmten Gesetzen in Bezug

auf die Art und den Ort der Verwendung. Hier kommt zunächst das Portal in Betracht. An den abgeschrägten Wänden desselben, den „Leibungen", stehen zwischen den Diensten, welche den Bogen tragen, Statuen. In der Füllung des Bogens über der Türe, dem „Tympanon", sind Reliefs eingelassen, die meist in zusammenhängender Folge die Kindheitsgeschichte Christi, die Passion

oder, wie hier in Regensburg, den Tod und die Krönung Mariä darstellen. Auch der Pfeiler der dreieckigen Vorhalle des Regensburger Portales ist mit Im Innern sind Standbilder an bestimmte Plätze

Standbildern ausgestattet.

gebunden; sie stehen hier an der Innenseite der Hauptschiffspfeiler, etwa in halber Höhe des Seitenschiffs. Überall sind sie entweder auf Pfeiler gestellt,

die mit Maßwerk geschmückt sind, oder auf Konsole, die aus Laubornamenten

oder Figuren gebildet sind; über ihrem Haupte ist ein „Baldachin", ein aus der Wand vorspringendes Dach, das von einer Fiale gekrönt wird. Durch den beschränkten Platz, in den sich die Standbilder hineinpassen müssen, ist ihr Stil an besondere Eigenart gezwungen worden.

Sie sind nicht völlig

frei gearbeitet, sondern schließen sich rückwärts an die Wand oder den Pfeiler

Verwickelte Stellungen und ausladende lebhafte Bewegung sind unmög­ lich. Dem Bildner ist ruhige, feierliche Haltung für seine Werke aufgenötigt. Die besten Standbilder dieser Art, zu denen wir getrost auch die am Regens­ an.

burger Domportal rechnen können, machen dadurch einen ernsten, großartigen Eindruck; die große Menge freilich blieb steif und unbeholfen. Einen Versuch

stärkerer Belebung hat der gotische Bildhauer doch gemacht,

die sogenannte

gotische Biegung. Es liegt ihr der Gedanke an Standbein und Spielbein zu­ grunde; aber der Bildhauer hatte noch nicht Kenntnisse genug dies richtig durchzuführeu.

die Hüfte

nach

Er der

schiebt

einfach

Bein

anderen Seite vor.

Frauen, verleiht dies anmutigen Reiz;

und

Schulter

nach

Manchen Gestalten,

der

einen,

besonders

meist jedoch wirkt es gesucht und

unnatürlich. Neben dem plastischen Schmuck tritt der malerische stark zurück. Die die sich zur Bemalung eignen. Nur bei

Dome haben keine Wandflächen,

kleineren Kirchen, namentlich denen der Bettelorden, treten bemalte Wände an

Stelle der Außenpfeiler.

Reiche Verwendung findet die Malerei nur in einer

Form, der Glasmalerei.

Alle die großen Fenster der gotischen Dome waren

ursprünglich mit farbigen Darstellungen geschmückt, die leider nur zu einem kleinen Teil erhalten sind. Da damals die eigentliche Glasmalerei noch auf

sehr niedriger Stufe stand,

wurden

diese Fenster meist aus Stücken farbig

gegossenen Glases zusammengesetzt und mit Blei verbunden.

Daher haben die

19. Der Regensburger Dom.

88

Farben jener alten Fenster den eigenartig tiefen, für die Glasmalerei uner­ reichbaren Glanz.

Schon der Rundgang hat uns deutlich gezeigt, daß der Regensburger Dom nicht das Werk eines einzigen Meisters, sondern das Ergebnis einer

langen Bauzeit war.

Gleich seinem wenig älteren Gefährten, dem Kölner

Dom, erlebte er eine Arbeitszeit von fast 250 Jahren und blieb dann noch

unvollendet stehen; erst die ueueste Zeit brachte ihm die Vollendung.

1275 wurde der Grundstein gelegt.

Im Jahre

Wer der erste Baumeister war, wissen

wir nicht; sicher ist nur, daß er in Frankreich gelernt haben muß.

Der Volksglaube betrachtet gewöhnlich die Gotik als den ursprünglichsten

deutschen Stil., Tatsächlich ist sie nicht in Deutschland, sondern in Frankreich entstanden. Wohl haben wir in Deutschland einen Übergangsstil, der die Romanik durch Einfügen des Spitzbogens der Gotik annähert; Bewegung blieb ohne Ergebnis.

allein diese

Die wirkliche Gotik ist nicht daraus hervor­

gegangen, sondern fertig aus Frankreich übernommen worden. Das Straß­ burger Münster, das Langhaus des Freiburger Münsters und der Chor des Kölner Domes beruhen auf französischen Vorbildern. Damit ist aber nicht

gesagt, daß die Gotik immer französisch blieb.

Gerade am Kölner Dom hat

sie im Laufe des Baues deutsche Eigenart angenommen, durch Vereinfachung und Vergrößerung der Formen, Weglassung unnötigen Zierates, vor allem durch Unterdrückung aller wagrechten Gliederung; die Fassade des Kölner

Domes ist das beste Beispiel rein deutscher Gotik.

In Regensburg hat sich

das französische Element lange gehalten. Französisch ist die Triforiumsgalerie, ist die Dreiteilung der Fassade. Sogar die Rose nach französischem Vorbild

war ursprünglich geplant; wir haben unausgeführte Aufrisse aus dem 14. Jahr­ hundert, welche eine Rose über dem Hauptportal aufweisen. Bis jene Teile zur wirklichen Ausführung kamen, war aber schon das 15. Jahrhundert angebrochen. Um die Zeit kam die Bauleitung in die Hände einer Baumeisterfamilie, die ihr durch vier Generationen Vorstand und die mehr deutsche Beziehungen pflegte, die Roritzer.

Damals wurde an Stelle der

Rose das Doppelfenster eingefügt; damals auch die dreieckige Vorhalle und

der Turm auf dem Giebel entworfen, die beide ihr Vorbild an der Frauen­ kirche zu Nürnberg haben.

Als der Nachfolger des letzten Roritzer, Erhard

Heydenreich, 1524 starb, erstarb mit ihm auch die Bautätigkeit am Dome.

Der Dom von Regensburg bietet uns ein Beispiel jener großen gotischen Bauten, die als Dome und Münster bezeichnet werden.

Die kleineren Stadt­

pfarrkirchen haben zum Teil diese Bauten in verkürztem Maßstab nachgeahmt, zum Teil aber einen eigenen vereinfachten und deshalb passenderen Typ ge­ schaffen, den Hallenbau. Das Wesentliche an diesem ist, daß die Seitenschiffe gleiche Höhe haben wie das Mittelschiff. Das verwickelte Strebesystem wird

dadurch sehr vereinfacht, von seinen äußeren Merkmalen bleiben nur die Strebe­ pfeiler übrig.

Das Querschiff kommt in Wegfall.

Auch die Gliederung des

89

20. Die Versöhnten.

Baues wird einfacher und weniger fein, ein großer Teil der Fialen, Wimperge,

Galerien und Gesimse findet keinen Platz mehr. Die spätere Zeit hat diesen Typ sogar für Bauten größter Art verwendet: die Stephanskirche in Wien und das Ulmer Münster sind beide Hallenkirchen. Alle gotischen Formen sind auf den Bau mit Hausteinen berechnet. Nur zwei Gebiete haben, aus Mangel an guten Steinbrüchen, gotische Kirchen in

Backsteinen gebaut: das norddeutsche Tiefland und die bayerische Hochebene. Im ersten Gebiet hat sich dieser Backsteinbau in eigener Weise sehr reich ent­ wickelt. In Bayern blieb er auf sehr einfacher Stufe; man betrachtete den Backstein hier nur als Notbehelf und versuchte gar nicht, etwas Besonderes aus

ihm zu machen.

Das beste Beispiel hierfür und zugleich für den Hallenbau

ist die Frauenkirche zu München. Zwei Umstände haben hier also zusammen­ gewirkt um diesen Bau zu einer der schmucklosesten gotischen Kirchen zu Massig, ungegliedert steigen die Außenwände auf; die Pfeiler im Innern sind dick und schwer; sie haben achteckige Form ohne Dienste, die Rippen setzen unter dem Gewölbe auf Konsolen an. Deshalb geben sie dem Raume ein düsteres Aussehen. Wo Schmuckformen angebracht sind, da ist machen.

Haustein zu Hilfe genommen;

das Formen des Maßwerks aus Backstein wie

im Norden war in Bayern unbekannt.

Die Münchener Frauenkirche ist so das genaue Gegenteil des reich­ gegliederten Regensburger Domes. Von außen würde man beide wohl kaum demselben Stile zuteilen wollen. Aber hier können wir am besten beobachten, was schon zu Anfang gesagt wurde: der ganze Bau der gotischen Kirche ist stets

aus dem Jnnenraum heraus entwickelt.

Das Innere aber verbindet trotz aller

Unterschiede wieder den Bau an der Isar mit dem an der Donau: bei beiden trotz aller Unterschiede derselbe konstruktive Plan, derselbe in Pfeiler aufgelöste Raum, dasselbe Emporstreben aller Linien und Formen. Darin liegt der große Zauber der Gotik, der noch in den kleinsten und einfachsten Bauten fortwirkt und

den gotischen Kirchen ihre unerreichbare Stellung in der Baugeschichte verleiht.

20. Die Versöhnten. Don Hermann Lingg.l)

Noch hing der Schnee am Berge, Der Himmel wurde blau, Man sah schon sanft sich schmücken Mit Blumen Wald und Au.

(Es kam der Kaiser Ludwig Jur Trausnitz angeritten; Da trat er zum Gefang'nen Und sprach: „Ich komm' mit Bitten!

(Es sollte Frühling werden Und Friede auch zugleich Und wieder sollte blühen Eintracht im deutschen Reich.

„Verheert vom langen Kriege Ist unser beider Land, Ich biete zur Versöhnung, Ium Frieden dir die Hand."

*) „Vaterländische Balladen und Gesänge." S. 102.

München 1869. I. I. Lentner.

22. Kloster Ettal und der Pfasfenwinkel.

90

Sein kummervolles Antlitz Hob Friederich empor, (Er sprach: „Ich bin es, Detter, Der Land und Leut' verlor.

Ludwig der Bayer reichte Ihm froh die Rechte dar, Die Hostien dann nahmen Sie beide am Altar.

„Ich will vor meine Treuen, Wo meine Banner weh'n, Hintreten und sie mahnen Dom Kampfe abzusteh'n.

Umarmten sich und schwuren Den Treu- und Friedensbund Im Angesicht des Himmels Und froh mit Herz und Mund.

„Sieh mich bereit dem Szepter Des Reiches zu entsagen, Soll mir noch einmal Freiheit Rach Nacht und Kerker tagen."

Und frei und ohne Lösgeld Zog Friedrich aus der Haft, Beteuernd, sein Gelöbnis Zu halten auch in Kraft.

21. Deutsche Treue. Von Hermann ßingg. *)

(Es waren kaum vier Monde Verflossen seit dem Tag, Ans Tor der Burg zu München Geschah ein starker Schlag; Der Pförtner hob die Fackel, (Ein Ritter stieg vom Roß Und ging mit raschen Schritten Die Trepp' hinan im Schloß. Und vor den Hocherstaunten, Den Kaiser Ludwig, trat Der Herzog Friedrich sprechend: „Mein Wort ist worden Tat; Den Frieden dir zu bringen Dermocht' ich nicht derzeit, Aufs neu' erglühte wieder Der alte, bitt're Streit. Ich konnte nicht gebieten Dem Sturm, so will ich dein, Wie ich gelobt, auch wieder Als dein Gefang'ner sein."

Da legt ihm auf die Schulter Der König sanft die Hand: „Nein, nicht als mein Gefang'ner, Doch bleib bei mir als Pfand, Als Pfand der Lieb' und Treue, Die zwischen uns besteh'n Und nimmermehr soll wanken Und nimmer untergeh'n." An einem Tisch nun saßen Fortan bei jedem Mahl Die Könige und ttanken Aus einem Goldpokal. (Es stund in jedes Siegel Des andern Name vor; Die Welt, verwundert, blickte Zu solcher Treu' empor. Jahrhunderte verflossen Der Fürsten Biederkeit Erhebt noch aller Herzen Und sttahlt in alle Zeit.

22. Kloster Ettal und der Pfasfenwinkel. Don Carl Trautmann.8)

Wir sitzen in der traulichen, holzgetäfelten Gaststube des Klosterwirts­

hauses.

Spät

am Nachmittage,

als die Sonne bereits hinter den grauem

*) Ebenda S. 105. s) Aus „Oberammergau und sein Passionsspiel", Bayerische Bibliothek, 15. Band.. S. 1 ff. Bamberg 1890. C. Buchner.

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

91

Schroffen des Wettersteines hinabsank, sind wir noch den Saumpfad herauf­ gezogen, der sich so steil den Ettaler Berg entlang windet, und noch zittert in

uns jene wundersam wohlige Stimmung nach, welche den Städter überkommt, wenn die bergfrische Einsamkeit ihm entgegengrüßt, wenn er neben sich den schäumenden Gießbach in seinem felsigen Gelände rauschen hört und zum ersten Male wieder nach langer Zeit würziger, moosdurchfeuchteter Waldgeruch die Brust schwellt. In der überfüllten Stube geht's gar lustig her; es ist ja heute Samstag und der Bauer, der die Woche über schweigend seiner einförmigen Arbeit

nachgeht, liebt es am Feierabende der Rede freien, lauten Lauf zu lassen. Jetzt gerade hat der eifrige Disput seinen Höhepunkt erreicht, und wer von

draußen den Lärm hört, der durch die niederen Fenster in die Dämmerung hallt, könnte wohl glauben, daß ein heller Streit im Anzuge sei. Da läutet man in der Klosterkirche drüben zum Abendsegen. Alsbald verstummt das Johlen, andächtig falten die Männer ihre lvetterharten Hände und das Flüstern der betenden Lippen zieht allein noch durch die regungslose Stille. Leise ver­

klingen die letzten Glockentöne, die Anwesenden machen das Zeichen des Krenzes und mit einem behäbigen „Guten Abend" nimmt der Wirt die unterbrochene Unterhaltung wieder auf. In solchen Augenblicken erfährt es der Fremde, daß noch die uralten

Gepflogenheiten streng kirchlicher Frömmigkeit im Bolle sich erhalten haben. Auch die Straße, die er gegangen ist, hat ihn darüber belehren können. Am blühenden Rain und unter den weitschattenden Bäumen stehen die rohgezimmerten

Wegkreuze mit dem Bilde des Erlösers; die sogenannten Marterln haben ihn mit schlichten Worten aufgefordert ein Vaterunser für jene zu beten, welche jählings hier aus dem Leben geschieden sind, und tritt er von der Straße ins

Wirtshaus, so leuchten ihm an der Türe die Anfangsbuchstaben der Namen der heiligen drei Könige, mit Kreide angeschrieben, entgegen, denen die Macht innewohnt die bösen Geister von der Schwelle zu bannen, während in der Stube zuerst sein Blick auf den geschnitzten Herrgott mit dem geweihten Palm­ zweiglein fällt, der zwischen den Fenstern seinen Platz gefunden hat. Denn mag auch die Zeit sich gewandelt haben, mag modernes Leben und städtische

Anschauungsweise

übermächtig

in diese weltverlorenen Hochlandsdörfer ge­

drungen sein, etwas vom ehemaligen Klosteruntertanen steckt noch in jedem Bewohner des Ammergaues.

Und geistliches Gebiet ist ja der Gau gewesen seit urvordenklichen Zeiten. Das langgestreckte, von der grünen Ammer durchflossene Gebirgstal, das sich vom einsamen Plansee an Ettal vorüber bis zum Passionsdorfe Oberammergau hinzieht, bildete einst einen Teil des Pfaffenwinkels, wie der Bolksmund jene weitgedehnten Gebiete nannte, welche eine festgefügte Kette stattlicher Klöster gegen die Hochebene hin abschloß, und von denen es hieß,

daß man vierzehn Tage darin herumreisen und alle Mittage und Abende auf

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

92

einer andern Prälatur oder Abtei speisen und schlafen konnte.

Von Füssen

drüben, wo das Stift des heiligen Magnus auf die schäumenden Wellen des

Lech herniederschaut, reichte diese Kette in weitem Bogen bis an den Fuß der Benediktenwand.

Da war Steingaden, die alte Welfenstiftung, und das

Augustinerkloster Rottenbuch, da waren Wessobrunn und Polling, Diessen und Bernried, Schlehdorf und Benediktbeuern und als äußerste Hochwart in das Flachland vorgeschoben ragte auf dem „Heiligen

Berge" das gnadenreiche Andechs empor über den blauen Fluten des Ammer­ sees. Jeder dieser Namen bedeutet einen Markstein in der Geistesgeschichte unseres Altbayernlandes, denn nichts lag den Bewohnern dieser stillen Mauern ferner als ihre fromme Weltflucht bis zur Kulturfeindlichkeit zu steigern. Seit

den Tagen, da die ersten Glaubensboten mit wuchtigen Axthieben die einsame Wildnis rodeten um ihren Siedel zu erbauen, bis zur Klosteraufhebung im Jahre 1803 haben geistiges Schaffen und künstlerisches Tun hier eine alle­ zeit gastliche Heimstätte gefunden. Allezeit sagen wir und nicht bloß, wie es ja männiglich bekannt ist, nur während des Mittelalters. Gerade in dem Zeitabschnitte der Gegenreformation, der den katholischen Süden im Gegen­

satze zum Norden Deutschlands auf so eigenartige, mit romanischen Elementen durchsetzte Kulturbahnen wies,

als die Kunst des Barock und des Rokoko

ihren Hauptsitz in Altbayern aufgeschlagen hatte, erleben diese Klöster eine prächtige Nachblüte. Damals entstanden jene herrlichen, mit allen Mitteln sinnberückender Kunst ausgestatteten Kirchenbauten und Prälaturen, die noch

heute

gleich Fürstenschlössern

die Landschaft beherrschen und die in ihren

geräumigen, wohlgeordneten und planvoll vermehrten Büchereien so reiches

Rüstzeug für die gelehrten Forscher aller Nationen bargen. Man braucht nur die alten Reiseberichte zu durchblättern um zu ersehen, welch großsinnige Gast­

freundschaft, welch reges, feinfühliges Interesse hier für alles vorhanden war, was der menschliche Geist in Kunst und Wissenschaft Hervorragendes zeitigte. Dieser ganze Gau führt uns „ein Bild warmherzigen Schaffenseifers süd­

deutscher Architekten" vor, dem erst die kunsthistorische Forschung der jüngsten Tage wieder gerecht zu werden beginnt. Hier wurden, wie unser Westenrieder im'Jahre 1788 hervorhebt, „unzählige Jünglinge, an welchen man die Spuren

guter Köpfe bemerkt, von Klöstern und Pfarrern gleichsam an Kindesstatt an­ genommen, unentgeltlich erzogen und in den Anfangsgründen der Wissenschaften unterrichtet". Als am 22. Oktober 1758 in dem alten gotischen HauseT) an der Burg­ gasse in München jene Gemeinde hochstrebender Männer sich zusammenfand,

aus welcher die bayerische Akademie der Wissenschaften hervorgehen sollte, da war es ein Kind des Pfaffenwinkels, der treffliche Lori, der, wie

er jederzeit gerührt anerkannte, „vom Kloster Steingaden herausgehoben und x) Heute noch unverändert erhalten, Haus Nr. 5.

22. Kloster Ettal und der Pfaffcnwinkel.

93

verpflegt worden,"

welcher die Ziele der gemeinsamen geistigen Arbeit in

feurige Worte faßte.

Und wackere Kämpen der Aufklärung haben diese Klöster

selbst, zuvörderst Stift Polling, der neuen Akademie gestellt. Da waren, um nur zwei zu erwähnen, der bescheidene Dechant Eusebius Amort, ein Kind des Jsarwinkels, und der gelehrte Pater Gerhof Steigenberger, der sich zum Leiter der kurfürstlichen Bibliothek in München emporrang, ein armer

Häuslerssohn aus der Gegend von Peißenberg, „von geringen, aber gar ehr­ lichen und frommen Eltern geboren," dem das Kloster „auf eigene Hauskosten"

zu seiner Ausbildung in Paris und Rom die Mittel bot. Wohin auch der Lebenspfad solcher Männer sich wenden mochte, die An­

hänglichkeit an das Mutterkloster ist ihnen geblieben, es zog sie immer wieder zurück nach den stillen Räumen, wo sie die schönsten Jahre verlebt und an die ihre Jugenderinnerungen sich knüpften. Wohl mochte auch unserem Steigen­ berger das Herz höher schlagen, wenn er in späteren Jahren bei einem Be­ suche Pollings den hallenden Korridor hinabwandelte und die Bibliothek be­

trat, in welcher über achtzigtausend Bände der seltensten und kostbarsten Art aufgespeichert waren, wenn ihn dort sein Lehrer, der ehrwürdige Prälat

Franziskus, der vortreffliche Bücherkenner, inmitten der Folianten begrüßte, die er mit selbstloser Aufopferung Jahrzehnte hindurch in aller Herren Länder,

hinab bis Spanien und Portugal, hatte sammeln lassen. Und wenn die beiden dann ihre gelehrten Gespräche unterbrachen um an das geöffnete Fenster zu

treten und ihr sinnender Blick über die wunderstille Gottesnatur schweifte zu den blauenden Bergen, an deren Abhängen der Staffelsee emporglänzte, da empfanden sie wohl mit inniger Befriedigung, daß auch sie nach tausend Jahren den gleichen Bestrebungen treu geblieben waren, welche auf der idyllischen Insel drüben bereits in den Tagen der Karolinger hochgehalten wurden, in dem wasserumspülten Benediktinerklösterlein Staffelsee, das vor seiner Zer­ störung durch die räuberischen Ungarnhorden neben einem Reichtume kostbarer Kirchengeräte auch einen namhaften Schatz von Büchern barg. Die Klöster des Pfaffenwinkels sind durch die Jahrhunderte unentwegt die Träger des Kulturfortschrittes gewesen;

an ihre Schulen,

Seminarien,

Büchereien und Meierhöfe knüpft sich in jenen Zeiten des erschwerten Verkehres die Entwickelung des Gaues.

Die wirtschaftliche Entwickelung nicht minder wie

die intellektuelle; und wenn der Abt von Wessobrunn in den ersten Jahrzehntert des 16. Jahrhunderts eine eigene Klosterdruckerei errichtete, so oblagen die Prälaten von Benediktbeuern mit gleichem Eifer der Fischzucht und jeder, der

einmal zu Andechs oder sonst in einem kühlen Klosterbräustüblein einen frohen Nachmittag vertrank, hat es an sich selbst erfahren, daß die frommen Jünger des heiligen Benedikt, getreu ihrer Ordensregel, welche nicht nur ernstes

Studium und die Anlegung von Bibliotheken vorschrieb sondern auch Hand­

arbeit, die für Bayerns wirtschaftliches Wohlergehen so bedeutsame Fähigkeit

einen trefflichen Tropfen zu brauen bis in unsere Tage herübergerettet haben.

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

94

Vom Kloster aus spannen sich diese Fertigkeiten hinüber nach den Hütten der Bauern, nach den Häusern der Bürger in den Märkten und erweckten dort

regen Sinn und kräftige Betriebsamkeit.

Aus dem Kloster Rottenbuch, wo

schon um das Jahr 1111 die Holzschnitzerei heimisch war, ist diese Kunst nach

Oberammergau

verpflanzt worden;

Wessobrunn

in

während

erblühte

des

18. Jahrhunderts ein Stamm trefflicher Stukkaturarbeiter**), nach den napoleoni­ schen Kriegen noch über 100 Mann zählend, der seine Angehörigen bis nach Frankreich und Rußland sandte und dessen geradezu virtuose Leistungen in der

Kirche zu Ettal ungeteilte Bewunderung erregen. In solchen

Streiflichtern auf die Kulturgeschichte

des Pfaffenwinkels

erging sich das Gespräch, als wir am schweren Holzüsche des Wirtshauses das schäumende Bier von Ettal uns ttefflich munden ließen.

Spät nachts bin ich dann noch hinaus ins Freie getreten.

Mir gegen­

über stiegen die mächtigen Mauern des ehemaligen Klosters schweigend empor,

mildträumerisches Mondlicht umspielte die feinen Umrisse der hochgewölbten Kirchenkuppel und zitterte auf den glänzenden Flächen der Kupferbedachung, in dunklem Zuge griffen die finstern Tannenwälder hinan von der Bergeslehne. Ein unbeschreiblicher

und unergründlicher Friede waltete über dem

weltver­

gessenen Landschaftsbilde, ein wundersamer Reiz, der die Gedanken mit leisem

Zuge zurückträgt

in längst vergangene Zeiten.

sagenumflüstert wie Ettal ist sicherlich

Und so erinnerungsreich, so

kein zweiter Fleck int weiten Umkreise

unserer bayerischen Berge, es ist eine vielhundertjährige Geschichte, welche an diesen Mauern und an diesen Wäldern haftet.

Eine trotzige Gestalt steht zuerst vor uns, wenn wir Kunde geben von diesen Geschehnissen.

stolze Geschlecht

Es ist

der Welfe

Ethiko.

Weithin

auf seinen freieigenen Gütern im Gaue,

herrschte

dieses

es war den Karo­

lingern verschwägert, seit Ludwig der Fromme im Jahre 819 die schöne Jutta, die kunst- und wissensfreudige Welfentochter, sich zur Gattin genommen.

Da

ließ sich Ethikos Sohn Heinrich um die Besitzungen des Hauses zu mehren herbei

dem Kaiser zu Lehen zu gehen.

In tiefstem Herzen ergrimmt,

daß

einer der Seinen zum Vasallen sich erniedrigt, zog sich der alte Welfe in die schauerlich einsamen Öden dieses Tales zurück und lebte hier mit zwölf seiner Genossen in klösterlicher Gemeinschaft.

palissadenumftiedeter,

Von diesem Sitze, der wohl noch ein

nach altgermanischer Weise

gefügter Holzbau

soll das ganze Tal seinen Namen erhalten haben — Ethikos

gewesen,

Tal, das im

') Die Bedeutung Wessobrunns als Sitz einer hervorragenden Bildhauer­ und Stukkatorschule ist erst durch neuere Forschungen erhellt worden. Mit reich­ lichen Aufträgen versehen waren diese geschickten Leute allenthalben in Süddeutschland wie auch in der Schweiz und in Österreich viel beschäftigt und es fällt die Blütezeit

dieses Kunstzentrums mit der des Rokoko zusammen. Friedr. v. Thiersch, „Die Baugeschichte des Klosters Ettal." 1899. *) Andere geben andere Deutungen: Bon Ödtal — Tal in der Einöde, £tal =

Stätte des Gelöbnisses.

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

Dort bestatteten ihn seine Gefährten,

Laufe der Jahre in Ettal sich gewandelt.

das Jahr 910 aus

als er um

Rodungen

wieder

zu

Leben

Dann

die

verwuchsen

in welchem

ihre Fährte zogen

schweigend

ihr lichtscheues Wesen trieben.

Raubgesellen

schied.

undurchdringlichem Urwalde,

grimmige Bär

Elch und der

dem

95

der schlanke und

ungefüge

Jahrhunderte vergingen.

Von

den Welfen waren die Siedelungen der Gegend durch Kauf an die Hohen­

staufen, gekommen, von diesen hatten sie die Wittelsbacher ererbt, als der letzte jenes Stammes,

der junge Konradin,

hatte lassen

Leben

müssen.

auf dem Blutgerüste in Neapel

sein

Kaiser Ludwig

der

Ein Wittelsbacher —

Bayer — ist es gewesen, der durch eine Klostergründung gar eigener Art

neues Leben in das öde Tal brachte. Es waren schwere und doch auch ruhmvolle Zeiten damals für Bayern.

Am 20. Oktober 1314 hatte man in der Kirche des heiligen Bartholomäus an

der

alten Wahlstätte zu Frankfurt

dem

32 jährigen Bayernfürsten als

deutschem Könige gehuldigt, am 28. September 1322 war in hartem Strauße

auf der Ebene von Mühldorf sein Gegenkönig Friedrich der Schöne von Österreich geschlagen und gefangen worden und in der rückhaltslosen Aus­

söhnung mit seinem Gegner hatte Ludwig seinen milden, edlen Sinn betätigt. Dann war er nach Wclschland gezogen.» In Rom hatte er am 17. Januar

1328 die Kaiserkrone empfangen, doch nicht aus des Papstes Händen, der damals in Avignon weilte und in heftigem Streit schweren Kirchenbann über

ihn verhängte.

Vergeblich

hatte Ludwig

versucht des Reiches Ansehen

in

dem zerrissenen Italien herzustellen; schwer enttäuscht ob des nutzlosen Kampfes war er in den ersten Wochen des Jahres 1330 nach Bayern zurückgekehrt. An der Stelle, wo er zuerst wieder nach Überschreitung des damals noch freisingischen Gebietes um Partenkirchen den

heimischen Boden betreten, hat

der Fürst das Kloster „ze unser Frawen Etal" gegründet „unserm Herrn Got ze Lob und unser frawen ze Ern", damit „unserm Herren als löblich und als andechtichlich darinne gedient werde, das wir und alle unser Vorder» und

Nachkommen

und

alle Kristenheit

an Seel und an Leib

gen Got

getröstet

werden", und hat am Montage nach Mariä Himmelfahrt 1332 die seltsame

Regel gefestet, der zu Willen die geistlichen und weltlichen Insassen des Stiftes fürder leben sollten.

Denn

nicht allein ein Kloster

sollte

hier erstehen

sondern auch ein

Pfründehaus für ritterbürtige Genossen, welche dem Kaiser in seinen Kriegen gute Dienste geleistet.

Den 20 Mönchen nach Sankt Benedikts Regel waren

13 Ritter mit ihren Frauen beigegeben und sollen, besagt der herzige Stif­ tungsbrief, „die Munich iren Orden und die Ritter und Frauen ir Ee recht

und redlich halten".

Einer von den Rittern stand der Gemeinde als Meister

vor, auf daß er „des Chlosters pfleg mit allen Sachen", Geistliche und Laien aber umschlang das gemeinsame Band der Gottesverehrung, und wenn auch die Ritter mit des Meisters Erlaubnis standesgemäße Kurzweil mit Armbrust-

96

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

schießen, Birschen, Beizen und Jagen üben dursten, so waren sie nicht minder geistlicher Zucht unterworfen. Jeglicher hatte die Pflicht bei der Frühmette und bei allen Tageszeiten des Chores in der Kirche zu erscheinen und fünfmal im Jahre „unsers Herrn Leichnamen" zu empfangen. Kein Glücksspiel war erlaubt, „weder Wurfzabel noch khein ander Spiel umb Gelt". Trunkenheit

und wüstes Leben waren höchlich verpönt, bei Tische herrschte lautlose Stille, die nur des Vorlesers Stimme unterbrach, der in deutscher Sprache etwas berichten mußte „daz gütlich sei".

Die Kinder, welche auf der Hofstatt geboren

wurden, durften nur 3 Jahre bei ihren Eltern weilen, „nit länger", dann mußten sie auswärts in Pflege kommen. Die Ritter verpflichteten sich in ihrer Kleidung keine anderen Farben zu tragen denn blau und grau, die Frauen nur blau. Also war des Stiftes Leben geordnet bis zum kleinsten herab. Welchen Idealen wollte der Kaiser in dieser eigenartigen Stiftung feste

Gestaltung verleihen?

War es wirklich seine Absicht in der einsamen Berges­

wildnis einen Gralstempel erstehen zu lassen? Sicherlich lebte noch in Ludwigs Brust die Erinnerung fort an den „Parzival" des Dichters Wolstam von Eschenbach,

der ja selbst ein Ritter aus Bayerland gewesen, wohl mag auch

er, gleich seinen Zeitgenossen, dieser hohe Lied des Rittertums wertgehalten haben, dessen bestrickender mystischer Zauber uns . modernen Menschen durch

die Werke des tongewaltigen Meisters von Bayreuth, durch „Lohengrin" und „Parsival" wieder so nahe gerückt worden ist und dessen geistigen Mittelpunkt der Gral und der Berg der Erlösung Munsalväsche^) bilden. Der Gral, jene wundersame Schüssel,

welche Christi Hand beim Abendmahle berührte,

in der Joseph von Arimathäa das Blut des Erlösers aufgefangen und zu der alljährlich vom Himmel eine Taube herniederstieg um ihre Wunderkraft neu zu stärken, die hochragende Heilsburg Munsalväsche mit ihrem weithin­ leuchtenden Tempel, wo die Templeisen des heiligen Hortes warten, ein aus­ erwählter Kreis von geistlichen Rittern, welche aller weltlichen Minne entsagt haben und

denen in keuscher Gemeinschaft eine Schar von edlen Jungstauen

und von Priestern zugesellt ist.

Unwillkürlich schweifen unsere Gedanken in

*) „Man darf mit Sicherheit annehmen, daß der Gedanke ein »Monsalwatsch* zu gründen schon in der Jugendzeit des hochgemuten Kaisers entstand, als ihn die Kenntnis­ nahme von Parzival und der Gralsage begeistert hatte, daß aber die poetische Idee erst auf seinem Römerzuge zur Reife gedieh, als er unter vielen anderen Baptisterialbauten namentlich die glänzenden Bauschöpfungen der Ghibellinenstadt Pisa kennen lernte. Die näheren Umstände der Gründung sind legendarisch, geradezu rührend aber ist die Sage, wonach der gebannte Kaiser das marmorne Weihebild, wohl ein pisanisches Werk, auf dem Sattelbogen durch Oberitalien und Tirol herausbrachte und auf dem langen Wege den Plan der zwölfeckigen Rotunde ersann. Er scheint sich demnach, wie fünf' Jahrhunderte später Kronprinz Ludwig in Tilsit, auch in schwerbedrängter Zeit mit Fragen der Kunst beschäftigt zu haben." Franz v. Reber, „Die Anfänge der Kunstpflege des Wittelsbachischen Hauses." 1901.

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

97

jüngst vergangene Tage zu einem andern Wittelsbacher, dem hochsinnig an­ gelegten König Ludwig II. In ihm waren die Ideale der höfischen Epik

des Mittelalters durch das Medium von Richard Wagners Tonschöpfungen in bewußter und nachweisbarer Gestalt zur Tat geworden.

den Gralsritter Lohengrin

schuf

er das

Anknüpfend an

herrliche Neuschwanstein, welches

jedem, der es vom bergumfriedeten Alpsee aus in blendender Weiße über dem

düstern Tannicht erschaut hat, den Wunderanblick der Gralsburg am See Brnmbane vor die Seele zaubert; Wolframs Parzival hielt des Königs Sinn gefangen, seiner Verherrlichung sind die farbenstrahlenden Bilderreihen an den Wänden des mit märchenhafter Pracht gezierten Sängersaales gewidmet und

nicht genug damit sollte dem Gral zur Ehre auf der schwindelnden Felskuppe ein in den feierlich-ernsten

des Falkensteiu im Schwangaue

Schmuck von

Mosaiken gekleidetes Monsalvat gefügt werden, wie man ein solches niemals

gesehen in deutschen noch in welschen Landen. Ihn, der nach den höchsten Zielen der Menschheit strebte, den vom göttlichen Ursprünge seines Amtes zu tiefst durchdrungenen,

mit schwerem geistigem Siechtume ringenden Herrscher,

dessen Nachen in mondhellen Nächten die melancholischen Gewässer einsamer

Hochlandsseen durchfurchte, können wir uns wohl als einen andern „roi pecheur"

denken, als ein Spiegelbild des wunden Gralskönigs Amfortas, der so gerne

auf den Fluten von Brumbane weilt, wo die Süße und Linde der Luft sein Leiden kühlt. Ob aber solche Stimmungen

in seinem Ahnherrn, dem

heiteren Kaiser

Ludwig, gelebt und ob auch er sie baulich verkörpern wollte,

wer vermag

das heute noch zu ergründen und zu erweisen? Was wir von ihm, dem glaubensfrommen, aber durchaus nicht in idealem Schwünge das Leben er­

fassenden und ausgestaltenden Fürsten wissen, zu solcher Auslegung seiner Persönlichkeit.

gibt uns historisch

Freilich

kein Recht

klingt mancher Zug in

der Ordensregel von Ettal an die Gemeinde der Templeisen an, die zum Schutze des Grales bestimmt waren, aber gerade das, wie mir dünkt, bestim­

mende

ideale Moment .des jeglicher

Frauenminne abschwörenden,

chelosen

Standes der Ritter suchen wir vergeblich, und ohne dieses bleibt Ettal doch mehr ein nach dem Sinne der Zeit klösterlich geordnetes Pfründehaus. Un­ umstößlich aber dürfen wir in der Stiftung des Kaisers den Ausdruck seines menschenfreundlichen Wollens erblicken,

seiner tiefen, durch zahllose Guttaten

an die Kirche bezeugten Glaubenstreue und sonderlich jener von den Wittels­

bachern allezeit gehegten herzinnigen Verehrung der Gottesmutter, der ja seine

letzten Worte galten: „Süße Königin unser Fraue, bis bei meiner Schidung,"

als er

am

11. Oktober 1347

auf

der Waldwiese

bei Kloster Fürstenfeld

entseelt vom Pferde sank.

Aber mag dem sein wie da wolle, der Zauber des Eigenartigen, des welcher schon die erste Herrschergestalt in diesem Tale, den

Geheimnisvollen,

greisen Welsen Ethiko, in mystisches Dunkel RronSeber, Lesebuch zur Geschichte Bauerns.

hüllt, waltet auch

über dem 7

22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.

98

kaiserlichen Wittelsbacher und über seinem Stifte Ettal, und wo die geschicht­ lichen Quellen spärlich fließen, da rankt um so üppiger die Sage. Mit ihrem verklärenden Schimmer hat sie die Gründung des Klosters umwoben. Sie

führt uns nach Italien, wo der Kaiser aus seiner Romfahrt eines Tages in brünsügem Gebete in seiner Zelle kniete um von der Gottesmutter die Wendung seines widrigen Geschickes zu erflehen. Da ging zn ihm „durch

verschlossene Thür", so berichtet eine alte Inkunabel aus Kloster Wessobrunn, „ein alter eyß grober münch yn schwarzer Klaydung vnndt tröstet den Kayser

in seinem laydt."

Alles würde

„ein Fürgang erlangen", wenn er

„seiner

liebsten muter Marien" zu Gefallen an einem Orte in Bayern, genannt Ampftang, den Jüngern des heiligen Benedikt ein Kloster baue. Zum Pfande

zog der Alte aus seiner Kutte „ein weyß Marien pildt vnnd gabs dem Kayser jm von got gesanndt." Wie der Mönch gesagt, so ging es in Erfüllung, und als Herr Ludwig zurückkam in deutsche Lande, da fragte er in Partenkirchen einen Jäger aus

Ammergau nach dem Orte, wo er seines Gelübdes ledig werden sollte. Und man wies ihm den Pfad, „vnnd so der Kayser kam auff den Ampffrang, da fach er nichts dan eine große wiltnuß vnd gar am dicken waldt, darein in der jeger

thet fueren vnnd kämmen zu ainer große Dannen daruor des Kaysers pferdt zu drey mal nieder fiel auff die fordem knye. Unndt wolt nit weytter gehen. Das ward ein merklichs zaychen. Das daselbs das Kloster gepawn

soll werden."

Und

der Kaiser

ließ

den

ganzen

Wald

niederlegcn

und

das Kloster bauen mitsamt der lichten Kirche und reichlich begabte er das

Sttst mit Gütern und mit Gülten.

Und auf den Hochaltar setzte er das

Liebftauenbild, das er mitgebracht aus Welschland, und verordnete dazu, daß, wenn er von hinnen scheide, man seinen Leib beisetzen möge im Chor

des Münsters. Sein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen.

Jm Dom zu Unser

Lieben Frauen in München harrt sein irdisch Teil ftoher Urständ entgegen; dort hat ihm sein Nachkomme, Herzog Albrecht III., um das Jahr 1438 jenen herrlichen Grabstein gesetzt, auf dem, von Hannsen des Steinmeißels kunstvoller Hand geformt, die milden Züge des Kaisers so lebenswahr und lebensfrisch

uns anblicken. Nach Ludwig des Bayern Tod zerfiel das Ritterstift, das Benediktiner­

kloster aber erhielt sich und ist bis zu seiner Auflösung geistig wie religiös der ideale Mittelpunkt des Gaues geblieben.

Die Geschichte Ettals weiß vieles

zu berichten von den guten und schlimmen Zeiten, die das Kloster mit dem Lande

Bayern geteilt,

von der übermächtigen Wallfahrt, die nun anhub zu dem

wundettätigen Gnadenbilde, von den Drangsalen, die Ettal zu erdulden gehabt, als die Scharen des Kurfürsten Moritz von Sachsen anno 1552 hier brand­ schatzten und achtzig Jahre später der Schreckensruf „der Schwede kommt"

die Mönche zur Flucht in die Berge trieb, und dann hinwieder von geistigem

23. Kaiser Ludwigs Ende.

99

Schaffen, von den trefflichen Gelehrten, die sich unter den Konventualen her­ vorgetan, von der Ritterakademie für Söhne vornehmer Geschlechter, welche

der seit dem Jahre 1709 als Abt so segensreich waltende Plazidus Seitzx) ins Leben gerufen

hatte und die bald die Blüte des süddeutschen Adels in

ihren Hörsälen vereinte, von den bedeutenden Männern,

die hier zu Gaste

geweilt, oder, wie der gottbegnadete Sänger Jakobus Balde im Jahre 1640, die steile Straße zogen an Ettals Mauern vorüber, „die Gehölz umgrünt

und geweihte Schatten lockig umwehen", von dem furchtbaren Brande, der

am Abend von Peter und Paul 1744 die Stiftung Ludwigs des Bayern innerhalb weniger Stunden in Asche legte, von dem prächttgen Wiederaufbau in der indes im Ammergaue heimisch gewordenen Stilweise des Barock — kurz die Kunde all der Wandlungen, die das Kloster durchgemacht im Laufe von nahezu fünf Jahrhunderten.

Im Jahre 1803 fiel das herrliche Kloster Ettal dem ttagischen Geschicke der Säkularisation anheim. Die ausgedehnten Baulichkeiten und die reichen Be­ sitzungen wurden an Private veräußert, die Mönche erhielten einen Gnaden­

gehalt und lebten damit, zumeist an der ihnen liebgewordenen Stätte oder in den Gebirgsdörfern der Nachbarschaft, ein bescheidenes Dasein weiter. Nur einer nicht, der letzte Abt, Pater Alfons Hafner. Im Innersten hatte den Sechzigjährigen das gewalttätige Ende seines Stiftes erschüttert. Gebrochen an Leib und Seele entfloh er nach Venedig, wo er auf der Insel San Giorgio

Maggiore ein jAsyl fand in den ernsten,

schweigsamen Klostermauern.

Dort

siechte er dahin mit der zehrenden Erinnerung im Herzen an das sonnige Idyll im walddurchrauschten Bergestale, bis er am 7. Mai

1807

aus dem

Leben schied.

23. Kaiser Ludwigs Ende. Don Franz Graf Pocci. ’)

Zu Fürstenfeld im Bayerland Das Hifthorn ftoh erschallt, Es reitet Kaiser Ludwig dort 3m grünen Tannenwald.

Hallo, hallo! ein wilder Bär Trabt über jenen Plan, Der edle Held verfolget ihn Auf seiner Fährte Bahn.

*) „Dieser vielseitige, kunstsinnige Abt hatte einen fast vollständigen Neubau des Klosters und eine wesentliche Umgestaltung der Kirche vornehmen lassen nach dem Ent­ wurf des Münchener Hofarchitetten Enrico Züccali, des Erbauer- des Schleißheimer Schlosses und der Theatinerkirche zu München. An der Ritterakademie entfaltete sich ein reges geistiges Leben. Sogar die Kriegskunst wurde gepflegt. Die jährlich abgehaltenen Manöver wurden in Kupfer gestochen. So berichtet Westenrieder in seinen Beiträgen über eine im September 1734 abgehaltene Lust-Attacke und eine um aufgeworfenen Preis vorgenommene Artillerie-Exercice, was sehr ergötzlich zu lesen ist." Thiersch a. a. O. •) Dichtungen, S. 22, Schaffhausen 1843, Hurter.

100

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge.

Der Rüden Meute jagt und bellt, Es stürmt der Reiter Troß In froher Weidlust jubelnd nach Dem Kaiser hoch zu Roß.

„Was ich gefehlt, vergib, o Herr! Bin ich von Schuld nicht rein, War treu mein Glaube, treu das Herz, Nimm auf die Seele mein!"

Wie plötzlich aber ist die Lust In Trauer umgestimmt, Es jammert eines Hornes Schall, Den man weithin vernimmt.

So endigte des gähen Tods Ludwig elendiglich, Die Kaiserwiese heißt der Ort, Wo er so schnell erblich.

Der Bayer-Kaiser stürzt vom Roß, Ihn hat der Tod erjagt; Den Sterbenden umsteht 's (Befolg, Das weinend um ihn klagt.

Sein Prunkbett war ein Wiesenfleck, Das Laub sein Baldachin, Der Krone Gold ein Sonnenstrahl, Der ihm das Haupt beschien.

Sein Leichenstein wird in dem Dom Jur Lieben Frau geschaut, Den Herzog Sigismundus hat Zu München auferbaut.

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge. Von Joseph Widemann.*

Als um das Jahr 500 die Bajuwaren in das nach ihnen benannte Land

zwischen Donau und Alpen einwanderten, gab es hier bereits eine beträchtliche Anzahl fester Städte. Wie in allen Provinzen, so hatten die Römer anch in Vindelizien und Norikum an geeigneten Punkten Standlager errichtet, die sich zu mehr oder minder ansehnlichen Städten entwickelten.

Die bedeutendste der­

selben war Castra Regina, Regensburg. Schon die Kelten, die ältesten bekannten Bewohner des Landes, hatten

hier am Eintritt der Donau in die weite niederbayerische Ebene, nahe der Mündung zweier nicht unbedeutender Nebenflüsse, eine Ansiedlnng gegründet,

wie der alte Name der Stadt, Ratisbona, beweist.

Regensburg wurde denn

auch die Residenz der bajuwarischen Herzoge aus dem Agilolfiugergeschlecht. Hierher kam der heilige Emmeram an den Hof des Herzogs Theodo; hier besuchte Bischof Rupert von Worms, der Gründer des Bistums Salzburg, den Bajuwarenherzog und predigte seinem Volke. Nach dem Sturze Tassilos kam Bayern an die Karolinger.

Auch jetzt

behauptete Regensburg seinen Rang als erste Stadt des Landes. Hier rüstete

Karl der Große 791 zum Heereszug gegen die Avaren; int nächsten

Jahre

versammelte er hier eine Synode, auf der die Lehren des Bischofs Felix von Urgel und der Adoptianer verdammt wurden.

Lndwig der Deutsche und der

tatkräftige Arnulf wählten Regensburg mit Vorliebe zu ihrer Residenz. Unter der Regierung des schwachen letzten Karolingers, Ludwigs des Kindes, kam das Volksherzogtum in Bayern wieder empor.

Hinter Regens-

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge.

101

burgs Mauern leistete Herzog Arnulf den Königen Konrad I. und Heinrich I. Mit der Erstarkung der Macht des deutschen Königtums ver­

Widerstand.

schwindet wie in den übrigen deutschen Herzogtümern auch in Bayern das Fürsten aus sächsischem und fränkischem Geschlecht, meist

Volksherzogtum.

nahe Verwandte des jeweiligen Königs, zum Teil dessen Söhne, werden mit

Bayern belehnt.

Sie stehen dem Volke, über das sie gesetzt sind, mehr oder

weniger als Fremde gegenüber; über ihre Tätigkeit in und für Bayern haben sich denn auch sehr wenige Nachrichten erhalten.

Mit den Welfen erhält 1070

wieder ein süddeutsches, wenn auch nicht einheimisches Geschlecht die Herr­ schaft über Bayern, die sie mit einer kurzen Unterbrechung über ein Jahr­ hundert innehaben.

Heinrich

der Stolze erbaut zu Regensburg die berühmte

Eben dieser Herzog wird aber von Kaiser Lothar auch mit

steinerne Brücke.

dem Herzogtum Sachsen belehnt und sein Sohn Heinrich der Löwe widmet seine Sorgfalt vorzugsweise diesem Herzogtum, während er in Bayern nur

vorübergehend sich aufhält. Im Jahre 1180 kam endlich wieder ein ein­ heimisches Herrschergeschlecht zur Regierung, die Wittelsbacher, die Nachkommen

der alten Volksherzoge. Regensburg war damals durch seinen Handel und seine Gewerbtätigkeit

nicht bloß

die erste Stadt Bayerns sondern

ganz Deutschlands.

eine

der bedeutendsten Städte

Im Bewußtsein ihres Ansehens und Reichtums strebten

die Bürger der Stadt mehr und mehr nach Selbständigkeit; es beginnt die allmähliche Entwicklung Regensburgs zur reichsunmittelbaren Stadt. Die ersten Freiheiten scheint die Stadt von Kaiser Friedrich Barbarossa erhalten zu haben. Die Urkunde hierüber ist nicht mehr erhalten, doch nimmt das Privileg König

Philipps vom Jahre 1207 darauf Bezug.

Die Bürger erhalten das Recht

der Selbstverwaltung und Selbstbcstenerung.

Allerdings besaßen

bayerischen Herzoge noch verschiedene Rechte in

der Stadt:

auch

die oberste

die Ge­

richtsbarkeit, Münze, Zölle gehörten ihnen; sie hatten dort auch ihren eigenen Hof. Daneben machte aber auch der Bischof von Regensburg manche Rechte

geltend.

Zwischen ihm und dem zweiten wittelsbachischen Herzog, Ludwig I.

(dem Kelheimer),

kam es sogar zum Krieg; in den Friedensverträgen von

1205 und 1213 wurde unter anderm bestimmt, daß Bischof und Herzog ver­

schiedene Rechte in Regensburg gemeinsam ausüben sollten. In der Folgezeit aber wußten die Bürger Regensburgs mit kluger Benützung der Geldverlegen­ heiten der Herzoge und Bischöfe immer mehr Rechte, der Verpfändung, an sich zu bringen.

meist auf dem Wege

Außerdem begünstigten die deutschen

Kaiser, besonders Friedrich II. und später Ludwig der Bayer, die aufstrebende

Stadt und erteilten ihr wichtige Privilege. So erscheint denn im 14. Jahr­ hundert die Entwicklung Regensburgs zur freien Reichsstadt bereits vollendet.

Nur vorübergehend (von 1486 bis 1492) stellte sich die Stadt freiwillig noch­ mals unter die Regierung Herzog Albrechts IV. von Bayern, in der Erwar­ tung

hierdurch

einen

neuen Aufschwung

ihres

damals

darniederliegenden

102

24. Dir Residenzen der bayerischen Herzoge.

Handels herbcizuführen.

Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts bei der Neu­

gestaltung der politischen Verhältnisse Deutschlands ward Regensburg wieder dauernd mit dem neuen Königreich Bayern vereinigt, aber nicht mehr als Hauptstadt; von seiner früheren Größe und Bedeutung hatte es beträchtlich cingebüßt. Zur Zeit der ersten wittelsbachischen Herzoge kann von einer eigent­

lichen Landeshauptstadt, d. h. von einem ständigen Regierungssitze des Landes­ fürsten. kaum die Rede sein. Regensburg war wohl die bedeutendste Stadt

des Landes, aber die herzogliche Macht war dort schon sehr beschränkt.

Die

Herzoge erscheinen, soweit sie nicht am Hof des Kaisers weilen, bald da bald dort im Lande, Recht sprechend und die Angelegenheiten ihrer Untertanen ordnend. Bald erheischte die Belehnung mit der rheinischen Pfalzgrafenwürde (1214) auch ihre häufige Anwesenheit am Rhein.

Gründung verschiedener Ludwig I. auf dem

bayerischer Landstädte.

In jene Zeit fällt die

Im Jahre 1204 erbaute

das östliche Ufer der Isar begleitenden Höhenzuge die

Burg Trausnitz und zu deren Füßen die Stadt Landshut.

1218 legte er

die neue Stadt Straubing an westlich von der alten Ansiedlung, die sich an

das einstige Römerkastell angeschlossen hatte.

1220 folgte die Gründung von

Abbach, 1224 die von Landau an der Isar. Landshut scheint der bevorzugte Aufenthaltsort Ludwigs!, und seiner

Nachfolger geworden zu sein. In dem großen Stadtrechtsprivileg vom Jahre 1279 hebt Herzog Heinrich XIII. ausdrücklich hervor, daß Landshut der häufigste Wohnsitz seines Großvaters (Ludwig) und Vaters (Otto) gewesen sei, daß er selbst hier auferzogen wurde und hier auch begraben zu werden wünsche. Im nahen Kloster Seligental, das nach der Ermordung Ludwigs I.

(1231) von dessen Witwe Ludmilla (gestiftet wurde,

fanden viele Mitglieder

des wittelsbachischen Hauses ihre letzte Ruhestätte. Neben Landshut erscheinen jedoch den Urkunden der Herzoge zufolge noch viele andere bayerische Städte als deren Aufenthaltsort; besonders häufig

werden München, Sttaubing, Ingolstadt, Burghausen genannt.

Burghausen

war nach dem Aussterben des nach dieser Burg benannten Grafengeschlechtes am Ende des 12. Jahrhunderts an Bayern gekommen.

Ebenso fiel um die

Mitte des 13. Jahrhunderts Wasserburg nach dem Aussterben der dortigen Grafen den Wittelsbachern zu fund wurde von den Herzogen in der Folge gerne als Aufenthaltsort gewählt.

Im Jahre 1255 teilten die herzoglichen Brüder Ludwig II. und Heinrich XIII. ihre Länder. Ludwig erhielt Oberbayern und die Pfalz. Unter ihm und seinen Nachfolgern wurde München zur Hauptstadt Ober­

bayerns.

Ursprünglich Tegernseer Klosterbesitz ((daher der Name

„zu den

des Löwen, der hier eine Brücke, Münz- und Zollstätte errichtete, rasch empor­ Mönchen") war dieser Ort besonders seit den Zeiten Herzog Heinrichs

geblüht. Ludwig soll hier die erste herzogliche Burg, den jetzigen „alten Hof",

103

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge.

erbaut haben; er hielt sich jedoch nur zeitweise in München auf, weilte viel­

mehr abwechselnd in den verschiedenen bayerischen und pfälzischen Städten oder

auch am königlichen Hofe.

Von seinen Söhnen und Nachfolgern,

besonders

von Kaiser Ludwig dem Bayern, erhielt München viele wichtige Privilege.

In Niederbayern regierten Heinrich und seine Nachkommen. blieb wohl die erste Stadt des Landes,

Herzogs zu sein.

ohne jedoch

Landshut

ständige Residenz des

Eine Hoford­

nung vom Jahre 1293 bestimmt, daß der Herzog mit seinem Hofe „allermeist zu Landshut, Strau­ bing und Burghausen wohnen soll". Indes wurde diese Ver­ ordnung

keineswegs

streng

be­

obachtet. Die Herzoge — damals regierten die Söhne Heinrichs, Otto, Ludwig und Stephan ge­ meinsam — weilten mit ihrem Hofe nach wie vor hier und dort

im Lande auf längere oder kürzere Nicht selten wurden auch

Zeit.

die Klöster mit einem Besuche be­ dacht. Vom Kloster Aldersbach

bei Vilshofen ist noch ein Rech-

nungsbuch vom Ende des 13. und

Anfang des 14. Jahrhunderts erhalten, worin wiederholt Ein­ träge über die Anwesenheit des herzoglichen Hofes und die dem

Kloster dadurch erwachsenen Un­

kosten

sich

finden.

Mitunter

scheinen diese Besuche sehr unerwartet gekommen

einmal berichtet,

daß Herzog Stephan,

zu sein.

So wird

uns

der seiner Gemahlin Juta zu Ehren

einen großen Jagdzug veranstaltete, am 14. September 1300 während des Hauptgottesdicnstes unverhofft ins Kloster kam und mit seinem zahlreichen

Gefolge, Männern und Frauen, die ganze Kirche bis zum Hochaltar vor er­ füllte.

Entrüstet unterbrach der zelebrierende Priester,

der eben mit dem

Gloria begonnen hatte, die Messe; die Mönche löschten alle Lichter aus und entblößten die Altäre. Der Herzog, darüber aufgebracht, verließ mit den Seinen die Kirche; doch gelang es später dem Abt, der zur Zeit des Vor­ falles abwesend war, und einigen Edlen ihn wieder zu versöhnen. Übrigens

erwiesen sich die bayerischen Herzoge gegen die Klöster auch erkenntlich; Güter­ schenkungen und Verleihung von Privilegien, besonders Zollfreihcit für die

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge.

104

Durchfuhr von Salz und anderen Lebensmitteln, bildeten die Entlohnung für die oft erwiesene Gastfreundschaft.

Es darf jedoch hier nicht unerwähnt bleiben, daß die Beherbergung des Herzogs, seiner Amtsleute und Diener eine

Pflicht der Klöster war dafür, daß der Herzog als Vogt sie in ihren Rechten schützte.

Freilich wurde diese Herbergspflicht späterhin namentlich von den

herzoglichen Jägern und Falknern arg mißbraucht, so daß die Klöster sich

schließlich gezwungen sahen mit großen Opfern sich von diesem drückenden Dienste loszukaufen.

Im Jahre 1340 erlosch mit dem Tode des noch unmündigen Herzogs Johann die Nachkommenschaft Heinrichs von Niederbayern. Ober- und Nieder­ bayern wurden auf kurze Zeit wieder vereinigt. Doch schon unter den Söhnen Kaiser Ludwigs des Bayern kam es in den Jahren 1349—1353 wiederholt zu Landesteilungen.

Der älteste, Ludwig der Brandenburger, erhielt Ober­

bayern mit München als Residenz.

Da er als Gemahl der Margareta Maul­

tasch die Grafschaft Tirol besaß, weilte er sehr häufig auch in diesem Lande, wo Innsbruck, Bozen und Schloß Tirol seine gewöhnlichen Aufenthaltsorte bildeten. Die Markgrafschaft Brandenburg, die er außerdem noch inne hatte, trat er 1351 endgültig seinen jüngeren Brüdern Ludwig dem Römer und Otto ab.

Stephan, der zweitälteste, übernahm die Regierung Niederbayerns und

wählte Landshut zum dauernden Wohnsitz. Ein Teil Niederbayerns mit Vilshofen, Deggendorf, Straubing, Cham, Kelheim, Landau und anderen Städten fiel bei der Teilung vom Jahre 1353 an Wilhelm und Albrecht, die

dazu noch Holland und Hennegau erhielten. Albrecht, der bald die Regentschaft für seinen geisteskranken Bruder Wilhelm übernahm, wählte, soweit er in Bayern sich aufhielt, Straubing

zur Residenz;

er erbaute hier um das Jahr

herzogliche Burg.

1356 die jetzt noch stehende

Nach dem Tode seines jüngsten

Sohnes Johann 1425

wurde das Straubinger Erbe unter den damaligen bayerischen Herzogen auf­ geteilt. Die Stadt Straubing selbst fiel an Herzog Ernst von München.

Dieser sowohl

wie sein Sohn Albrecht III. und sein

weilten hier sehr häufig.

Enkel Albrecht IV.

Hier wurde Agnes Bernauer, die unglückliche Ge­

mahlin Albrechts III., 1435 in der Donau erttänkt.

Als Ludwig der Brandenburger 1361

starb und schon zwei Jahre

später ihm sein jugendlicher Sohn Meinhard ins Grab nachfolgte, übernahm Stephan mit seinen Söhnen die Regierung Oberbayerns, während Tirol da­ mals an Österreich verloren ging. Der Regierungssitz wechselte nun zwischen Landshut und München, doch scheint, nach den Urkunden der Herzoge zu schließen, München den Vorzug erhalten zu haben. Hier teilten auch Stephans Söhne 1392 nochmals ihr Erbland.

Niederbayern (mit Ausnahme des Strau­

binger Gebietes) erhielt Friedrich, der zweitälteste der drei Brüder.

Seine

und seiner Nachkommen Hauptstadt wurde wieder Lanhshut. Doch behauptete daneben Burghausen gewissermaßen den Rang einer zweiten Hauptstadt. Die

24. Die Residenzen der bayerischen Herzoge.

Herzoge hielten dort sehr häufig Hof.

105

Auf dem dortigen Schlosse speicherte

Heinrich, der Sohn Friedrichs, seine Schätze auf; hier verlebte Heinrichs Sohn, Ludwig, eine freudlose Jugend, hier verbrachte Georgs des Reichen Gemahlin, Hedwig von Polen, ihr einsames Leben.

Die beiden andern Brüder Friedrichs, Stephan und Johann, teilten Oberbayern unter sich; Stephan wählte Ingolstadt zur Residenz, Johann

behielt München.

1395 vereinigten beide Herzoge nochmal ihre Länder und

Stephan weilte nun wieder meist in München.

Nach Johanns Tod (1397)

aber verlangte dessen Sohn Ernst sein väterliches Erbe.

Es

kam zwischen

ihm und seinem Oheim Stephan zu einer langwierigen Fehde. Nach deren Ausgang (1403) nahm Stephan wieder seinen früheren Wohnsitz in Ingolstadt ein, während München seinen Neffen Ernst und Wilhelm verblieb.

Stephan

und sein Sohn Ludwig der Gebartete erweiterten Ingolstadt und verliehen der Stadt viele Privilegien; Ludwig schmückte sie besonders durch die Frauen­ kirche, eine der schönsten gotischen Kirchen in Bayern. Als der unglückliche Ludwig in der Gefangenschaft seines Vetters Heinrich zu Burghausen 1447 starb ohne einen Leibeserben zu hinterlassen, nahm Heinrich das Ingolstädter Herzogtum in Besitz.

stadt.

Ingolstadt verlor wieder seinen Rang

als Residenz­

Gewissermaßen zum Ersatz dafür stiftete dort Heinrichs Sohn, Ludwig

der Reiche, 1472 die bayerische Landesuniversität. Doch auch der Landshuter Linie war keine lange Dauer beschieden.

1503 starb

Georg der Reiche ohne männlichen Erben.

Albrecht IV. von

München vereinigte nun wieder, freilich erst nach schwerem, blutigem Kampfe, die gesamten bayerischen Lande unter seiner Regierung. Seine Hauptstadt München wurde jetzt die Hauptstadt von ganz Bayern.

Es erübrigt noch einige Bemerkungen über die Residenzen der

pfäl­

zischen Wittelsbacher anzufügen.

Schon die ersten Wittelsbacher, welche die rheinische Pfalzgrafenwürde bekleideten, bevorzugten, wenn sie am Rheine weilten, vor allen anderen Städten Heidelberg.

Im Vertrag

von Pavia 1329

trat Kaiser Ludwig

der Bayer den Söhnen seines verstorbenen Bruders Rudolf die Rheinlande nebst einigen Gebieten im bayerischen Nordgau ab, die in der Folge den Namen Oberpfalz erhielten. Residenz der Pfalzgrafen, denen durch die goldene Bulle Kaiser Karls IV. auch die Kurwürde zugesichert wurde, blieb Heidel­

berg.

Hier gründete 1386 Pfalzgraf Ruprecht I. die Universität, eine der

ältesten Deutschlands. *) Bald kam es auch in der Pfalz zu wiederholten Landesteilungen. 1410 teilten die Söhne Kaiser Ruprechts: Ludwig, der älteste, behielt die Kurwürde

und Heidelberg als Residenz;

seine

drei jüngeren Brüder

teile mit den Hauptorten Neumarkt, Simmern und Mosbach. l) Die dritte nach Prag und Wien.

bekamen Landes­ Von der Linie

106

25. Dir Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt.

Simmern zweigte später die Linie Zweibrücken ob, die ihrerseits wieder in

verschiedene Teillinien zerfiel. Auf diese Weise gelangten viele kleinere Städte

wie Zweibrücken, Veldenz, Neumarkt, Neuburg, Sulzbach u. a., zum Range von Residenzstädten. Die Pfalzgrafen der oberpfälzischen Linien weilten sehr häufig

auch in Amberg, das übrigens schon im 13. Jahrhundert nicht selten als Aufenthaltsort der bayerischen Herzoge erscheint. Doch kam all diesen Rest« denzstädten nur eine untergeordnete Bedeutung zu im Vergleich zu Heidelberg,

der Residenz des Kurfürsten. Die Verhältnisse liegen also wesentlich anderals in Bayern, wo die Hauptstädte der einzelnen Teilherzogtümer, Landshut, München, Ingolstadt, Straubing, einander an Rang gleichstehen, bis endlich

München als alleinige Hauptstadt übrig bleibt lediglich dadurch, daß die dort regierenden Herzoge die anderen Linien überleben. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts blieb Heidelberg ausschließlich die Residenz der pfälzischen Kurfürsten.

Nach der barbarischen Zerstörung der

Stadt durch die Franzosen im Jahre 1689 machten ihr andere Städte den Rang streitig. Kurfürst Johann Wilhelm residierte gewöhnlich in Düssel-

dorf, wo er die berühmte Gemäldegalerie gründete; sein Bruder und Nach­ folger Karl Philipp erhob Mannheim zur Residenz. Hier regierte auch dessen Nachfolger Karl Theodor bis zum Jahre 1777.

In diesem Jahre er­

losch mit dem Tode Maximilians III. Joseph die bayerische Linie des Hauses Wittelsbach. Karl Theodor übernahm den wittelsbachischen Hausverträgen zufolge neben der pfälzischen Regierung auch die von Bayern, mußte aber eben diesen Verträgen gemäß seine Residenz nach München verlegen. So wurde München die Hauptstadt von Kur-Pfalz-Bayern und bald darauf die

des neuen Königreichs.

25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt. Von Max Haushofer.')

Ludwig den Reichen nennt die Geschichte jenen bayerischen Herzog, welchem die ehrwürdige Münchener Universität ihre Entstehung verdankt. Wenn auch seine Zeitgenossen, als sie ihm jenes Prädikat erteilten, dabei seinen

Reichtum an irdischen Schätzen im Auge hatten, so weiß doch die Geschicht­ schreibung, daß Ludwig auch reich war an allen edlen Eigenschaften des Geistes und des Herzens, die einem Fürsten zur Zierde gereichen können. Reich war aber auch jene Zeit an großen Menschen und an großen Ereignissen. War's doch um dieselbe Zeit, als der Portugiese Bartholomäus Diaz das Kap der guten Hoffnung entdeckte;

um die Zeit, als Christoph

Kolumbus auf der Universität Pavia über seinen Plänen brütete.

Und wohin

x) Akademische Monatshefte, VI, Jahrgang, Heft 1, München 1890, Mühlthaler.

25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt.

107

man blickt im Rundkreis der damals bekannten Welt, überall sieht das Auge

des Geschichtschreibers große und glänzende Gestalten auftauchen. Frisch und begeisternd wehte durch die Völker Europas jener Strom geistigen Lebens, der aus dem wiedererschlossenen Gedankenschatze des Altertums entsprang. Tausend Jahre hindurch war die Wissenschaft im Alleinbesitze des

Klerus gewesen — nun ward sie wieder weltlich. Wie eine mächtige Strömung kam es in das Bewußtsein der Völker, daß Wissenschaft und Kunst große und

heilige Aufgaben des Menschengeschlechtes seien und daß man auf den Resten der antiken Kultur weiterbauen müsse. Das Wiederaufleben der Wissenschaft hatte zuerst die italienischen Univer­

sitäten und die Pariser Hochschule, im Deutschen Reiche die Hochschulen zu Prag, Wien und Heidelberg zu jenen Stätten gemacht, wo deutsche Jünglinge

ihrem Bildungsstreben genügen konnten.

In Deutschland waren zunächst Köln

und Erfurt, Leipzig, Rostock und Freiburg gefolgt.

Jeder patriotische Fürst

konnte in jener Zeit den lebhaften Wunsch empfinden, daß die Jünglinge seiner Nation nicht bloß durch die Vermittlung ausländischer Universitäten an dem machtvoll zunehmenden Bildungsschatze der Welt Anteil erhalten möchten. Dieser Wunsch war nicht bloß durch die Freude an der Wissenschaft selbst sondern auch durch staatsmännische Erwägungen gerechtfertigt. In jener Zeit galt die Anschauung, daß der römische Papst nicht allein

in geistlichen sondern auch in wissenschaftlichen Dingen die höchste Autorität sei. Als daher Herzog Ludwig den Plan faßte eine Universität in seinen Landen zu gründen, wandte er sich an den damaligen Papst Pins II. (Enea Silvio) um diesem obersten geistlichen Lehnsherrn seinen Wunsch vorzutragen.

Der Papst antwortete hieraus zustimmend. Diese Erlaubnis des geistlichen Oberherrn war in finanzieller Hinsicht von Wichtigkeit. Denn zur Aus­ stattung neu entstehender Universitäten war es damals sehr wertvoll,

wenn

die Mittel geistlicher Pfründen und Kanonikate der Sache gewidmet werden durften. Die Universität sollte ihren Sitz in Ingolstadt haben.

Aber zwischen

den ersten Plan des Herzogs und die Ausführung drängten sich politische Hindernisse, ein Krieg gegen Albrecht von Brandenburg und Kaiser Friedrich III. Erst nach dem Siege bei Giengen (1462) konnte Herzog Ludwig den Plan

wieder aufnehmen. Es dienten ihm dabei teils vorhandene verfügbare Stiftungs­ mittel teils die achtungswerte Bereitwilligkeit des Klerus die neue Universität mit Geldmitteln auszustatten. Den Hauptbestandteil dieser Geldmittel bildete eine Pftündnerstistung, welche nach dem Willen des Stiftüngsbriefes auch

einem „besseren und heilsameren Zwecke" zugewandt werden durfte. Die Summe der für die Universität verfügbaren Mittel belief sich auf eine Jahres­ rente von rund 2500 Gulden, eine Summe, welche für die damaligen Ver­

hältnisse einen Wert hatte, wie ihn heutzutage 80000 Mark repräsentiert.

etwa ein Einkommen

von

108

von

25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt.

Ingolstadt selbst, der Sitz der neuen Universität, war an sich kein Crt sonderlicher Berühmtheit. Die Meinungen der Zeitgenossen gehen in

Lob und Tadel weit auseinander.

Der Stadt fehlte es ohne Zweifel an

landschaftlichen Reizen, wie sie unter den damaligen Universitäten Heidelberg

und Freiburg besaßen;

sie hatte auch nicht den Reiz einer großen geschicht­

lichen Vergangenheit und einer reichen Bevölkerung,

wie Prag, Wien und

Köln; aber es mochte wohl leidlich billig daselbst zu leben sein.

Die Eröffnung der Universität erfolgte im März 1472. Das schon im Januar erlassene Eröffnungspatent machte bekannt, daß die Lehrer und Studenten

dieselben Privilegien und Ehren genießen sollten, wie einst zu

Athen und dazumal zu Wien und Bologna, daß für erprobte Doktoren und Magister gesorgt sei und daß nur Gerechtes,

Vernünftiges, Anständiges und

Nützliches gelehrt werden solle. Der Herzog ernannte als ersten Vizercstor den Professor Dr. Kyrmann aus Donauwörth, welcher bis zum 25. Juli desselben Jahres 489 akademische Bürger immatrikulierte.

Diesem hoffnungs­ vollen Anfänge der jungen Hochschule tat es kaum Eintrag, daß schon im Juni sechs Studenten exkludiert werden mußten; einer davon wegen Schmäh­ schriften wider Herzog Ludwig. Die feierliche Einweihung der Universität fand am 26. Juni statt; ihn feiert heute noch die Münchener Hochschule als ihren

Stiftungstag.

Der Herzog wohnte mit feinem siebzehnjährigen Sohne Georg

und einer Reihe erlauchter Festgäste der Feier bei;

die Festrede hielt der

herzogliche Rat Martin Mair. Die erste Promotion fand im folgenden Jahre statt, bei welcher Gelegenheit Herzog Ludwig ein glänzendes Festmahl gab. Die Professorengehalte beliefen sich auf 80—125 Gulden. Die Universität gliederte sich in vier Fakultäten: die theologische, juristische, medizinische und artistische (philosophische).

Die Studenten unterlagen nach dem Universitätsstatut der Gerichtsbar­

keit des Rektors.

Es war ihnen verboten nach Gebetläuten ohne Licht aus­

zugehen, auf den Straßen zu schreien oder unanständige Lieder zu singen, sich zu Würfel- und Kartenspiel in Wirtshäuser zu setzen, Verbal- oder Real­

injurien zu begehen. Da der Herr Rektor den vierten Teil der Strafgelder erhielt, konnte er übrigens nur wohlgefällig schmunzeln, wenn die Studenten recht oft in Strafe verfielen.

Betrachten wir uns die einzelnen Fakultäten genauer. Bei den Studenten der Theologie ward ganz besonders auf Sittenrein­ heit und religiösen Wandel gesehen; sie mußten auch stets in einer cappa Die Vorlesungen währten für die

(einem langen, dunklen Rocke) erscheinen.

Theologen ein ganzes Jahr; Ferien gab es von Peter und Paul (29. Juni) bis Bartholomäus (24. August).

Das ganze Studium repräsentierte eine

Stufenreihe verschiedener Promotionen; der Student wurde zuerst zum Cursor (Baccalaureus), dann zum sententiarius, zum licentiatus und endlich zum magister resumptus promoviert. In der theologischen Fakultät konnte

25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt.

109

man aber nur promoviert werden, wenn man schon Doktor oder Lizentiat

einer anderen Fakultät war oder eine ähnliche Würde bereits erlangt hatte. Überhaupt erscheinen die Anforderungen, die an die Theologiestudierenden

streng und ganz

gestellt wurden,

dazu angetan unlautere Elemente

fern­

zuhalten. Über die besonderen Einrichtungen der juristischen Fakultät ist aus der Gründungszeit der Universität nichts 'mehr bekannt.

Erst die später (1524)

erlassenen revidierten Statuten dieser Fakultät werfen einiges Licht auf ihre

Einrichtungen. Darnach durften sich die Studenten der Juristenfakultät weit freier bewegen als die der theologischen. Studenten unter 17 Jahren mußten

einen Präzeptor haben; auch ältere durften nur mit besonderer Erlaubnis des Rektors für sich allein wohnen. Als fleißig galt jener Student, der in zwei aufeinanderfolgenden Monaten wöchentlich wenigstens vier Vorlesungen hei jedem seiner Professoren gehört. Die Fleißzeugnisse wurden in jedem

Semester von

der Fakultät beraten.

Baccalaureus der Rechte konnte man

nach zweijährigem Studium werden; dazu mußte man in einem Examen einen

Paragraphen der Institutionen erklären. Die Gebühr für das Baccalaureat beider Rechte betrug acht Gulden, dazu „einige Becher Wein" und dem Pedell einen halben Gulden. Wer aber Lizentiat beider Rechte werden wollte, mußte sieben Jahre lang Vorlesungen gehört, rigorose Prüfungen gemacht und einen mündlichen Vortrag über gegebene Aufgaben nebst anschließender Disputation gehalten haben. Die Würde des Doktorgrades war nach dem Lizentiaten­ examen nur an eine äußere Formalität und an Gebührenzahlungen geknüpft.

Die medizinische Fakultät bestand anfangs bloß aus drei Professoren. Das Studienjahr

der Mediziner

zerfiel von Anbeginn in zwei Semester;

Hundstagsferien währten vom 20. Juli bis 24. August; außerdem konnte der Dekan Ruhetage ansagen. Um Baccalaureus der Medizin zu werden mußte

man 3 Jahre studiert haben und ein Examen bestehen, welches sich aber auf das Hersagen einiger von der Fakultät bestimmter Punkte aus den Werken des Hippokrates und Avicenna beschränkte. Auch mußte man geloben sich an die bestehende Kleiderordnung zu halten, sich nicht als Doktor zu gerieren u. a. mehr. Zur Erlangung des Doktorgrades waren zwei weitere Studien­ jahre erforderlich, während welcher der Kandidat fleißig disputieren, selbst Vorlesungen halten und schließlich ein Tentamen bestehen mußte, welches

aber nur der Vorläufer war für ein Examen rigorosum aus dem Gesamt­ gebiete der Medizin. Der medizinische Doktorgrad wurde noch besonders erschwert durch die Verpflichtung, daß der angehende Doktor jedem Mitgliede

der medizinischen, theologischen und juristischen Fakultät ein Barett, jedem Universitätslehrer überhaupt ein Paar Handschuhe verehren mußte. Dafür war der Doktor der Medizin zur ärztlichen Praxis berechtigt, wobei ihm jedoch wechselseitige Liebe gegenüber seinen Kollegen anbefohlen und die Gemeinschaft

mit Pfuschern (emperici) untersagt ward.

110

25. Die Anfänge der Ludwig-MaximilianS-Universität in Ingolstadt.

Die vierte Fakultät war die der Artisten oder philosophische.

Sie hatte

in der ersten Zeit der Ingolstädter Universität die größte Bedeutung unter allen Fakultäten.

Ihre Statuten waren ziemlich genau denen der Wiener

Universität nachgebildet. Damals trat in den philosophischen Fakultäten aller Hochschulen ein eigentümlicher Gegensatz zweier Richtungen auf, die „via antiqua“ und die „via modema“.

Dieser Gegensatz fand auch in Ingolstadt seinen

Ausdruck, indem die Artistenfakultät hier wieder in zwei Fakultäten zerfiel, deren jede ihren Dekan und ihr Konsilium hatte.

Auch in dieser Fakultät war das Ziel alles Studiums die Promotion. wissenschaftlicher Hinsicht wurde die Fakultät völlig vom Geiste des Aristoteles beherrscht. Wer Baccalaureus werden wollte, mußte Grammatik, In

Rhetorik, Logik, Astronomie (Sphaera materialis), Arithmetik und die ersten Bücher des Euklid studiert haben.

Zum Magisterexamen aber waren noch

eingehendere Studien über die Werke des Aristoteles erforderlich sowie Meta­ physik, Ethik und die Theorie der Planeten. Die Artistenfakultäten jener Zeit sahen eben ihren Gegenstand immer noch in den uralten sieben freien Künsten (artes liberales seu ingenuae). Als solche galten: Grammatik, Arithmetik,

Geometrie, Musik, Astronomie, Dialektik und Rhetorik.

Die Mitglieder der Artistenfakultät wohnten in sogenannten Bursen

beisammen. Es wurde überhaupt kein Student zu einer Promotion zugelassen, der nicht entweder im Kollegium oder in einer autorisierten Burse wohnte. Ausgenommen von diesem Zwange waren

bloß die Reichen,

die sich einen

eigenen Magister halten konnten, sodann jene armen Studenten, die bei einem

andern Studenten

als

dessen Diener

wohnten,

endlich

die Ingolstädter

Bürgerssöhne. Die Bursen standen unter der Oberaufsicht der Fakultät; jede Burse hatte zum Vorstande einen ehrenwerten Magister, welcher als

Honorar Wohnung und Kost in der Burse, außerdem wöchentlich Geldzahlungen, Repetitionsgelder und Geschenke erhielt.

Er präsidierte bei Tisch, visitierte

die Zimmer der Mitglieder, beobachtete ihre Besuche und schloß die Burse im Sommer bei Sonnenuntergang, im Winter um 6 Uhr abends. Wer bei Torschluß noch außen war, mußte dem Dekan angezeigt werden. Nächtliches Aussteigen war verpönt (dürfte aber trotzdem eine sehr beliebte Turnübung

bei Strafe waren auch verboten: Poltern und Schreien vor

gewesen sein);

den Türen des Hauses, unschickliches Musizieren, Spiel um Geld, Schimpf­ worte und Prügel sowie das Tragen von Waffen. Die in der Burse wohnen­ den Studenten dursten unter sich nur lateinisch sprechen.

So waren die wichtigsten Einrichtungen der vier Fakultäten.

Einrichtungen

und einer durchschnittlichen Zahl von 5—600

Bürgern trat die Ingolstädter Hochschule

Mit diesen

akademischen

vollberechtigt in den Kreis ihrer

Schon in den ersten zwei Jahren zählte sie unter ihren Studenten junge Leute aus Württemberg, aus der Schweiz, aus Hessen, Thüringen, Sachsen, Österreich und sogar aus Paris. Bald fanden sich auch Schwestern ein.

25. Die Anfänge der Ludwig-MaximilianS-Universität in Ingolstadt.

Polen,

Schweden, Ungarn und Italiener ein.

111

Bon Anbeginn aber scheint

die Lebenslust der Studenten, was ihnen auch keineswegs zu verargen, sich gegen die Statuten aufgebäumt zu haben. Denn kaum bestand die Universität einige Monate, so sah man sich schon veranlaßt, die Bursenvorstände daran zu erinnern, daß die Studenten keine Waffen tragen dursten; und schon 1474 wurde die Kleiderordnung verschärft und den Studenten verboten Mummerei zu treiben, Tanzböden zu besuchen und bei Hochzeitsfesten Skandal zu machen.

Dafür mußte aber auch 1477 den Herren Professoren verboten werden in den Sitzungen Injurien gegen ihre Kollegen zu verüben; und im Jahre 1488

erhielt die Universitätsverwaltung sogar eine recht ansehnliche Nase vonseiten der herzoglichen Regierung, weil mancherlei Übelstände eingerissen waren.

Insbesondere mußte auf Einhaltung der Kleiderordnung gedrungen werden, da die Studenten in eitler Pracht es dem weiblichen Geschlechte gleich tun wollten.

Die Namen der Lehrer, welche in der Jugendzeit der Ingolstädter Hoch­ an ihr wirkten, sind urkundlich aufbewahrt. Der hervorragendste Mediziner jener Erstlingszeit, I. Parreut, schrieb über aristotelische Logik schule

statt über Medizin. Reiche Anregung verbreitete der Dichter und Philosoph Konrad Celtes, welcher in den Jahren 1492—1497 zu Ingolstadt dozierte.

Für Süddeutschland war er der erste, der den frischen Geist der Renaissance

in der Poesie vertrat.

Der Student von damals bedeutete mehr als heutzutage. Es war sogar nicht ausgeschlossen, daß einmal ein Student Rektor werden konnte. Auch konnten 1478 die Studierenden des kanonischen Rechtes eine Bitte um

Anstellung eines Professors direkt an den Herzog richten, ohne daß ihnen das

als eine Anmaßung ausgelegt worden wäre.

Die persönliche Freiheit der

Studenten aber, ihre individuelle Entwicklung war durch die starre Disziplin, namentlich in den Bursen, äußerst beschränkt.

Und doch muß man zugestehen,

daß ohne diese Disziplin das Studententum der damaligen Zeit allzuleicht in Büberei und Roheit versunken wäre. Eine charakteristische Sitte jener Zeit war, wie auch an anderen Hochschulen, die „depositio“, eine Zeremonie,

durch welche die neueintretenden Studenten, die „beani“, zu Studenten geweiht wurden und wobei es an Bexationen und Mißhandlungen der Ankömmlinge

nicht fehlte.

erhalten.

Eine Erinnerung an diese depositio hat sich im Fuchsenbrennen

Die „fontonia“

waren Massenausflüge in die Nachbarschaft der

Universitätsstadt, wobei wohl Mutwillen genug vorkam, da man sich genötigt sah, diese Spaziergänge auf bestimmte Tage im Jahre zu beschränken. In die Erstlingszeit der Universität fällt noch eine zweite, verwandte

Stiftung, die des „Collegium Georgianum“. Dasselbe wurde von Herzog Georg dem Reichen, dem Sohne des Stifters der Universität, im Jahre 1494 gegründet und mit den nötigen Gebäuden, Grundstücken und Renten aus­

gestattet.

Es sollte eine Heimstätte für arme Studenten sein, eng verbunden

mit der Universität, eine Art Burse.

Dabei war vom Stifter zwar beabsichtigt,

112

25. Die Anfänge der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt.

daß die in dieses Stift aufgenommenen Studenten zuerst ein

paar Jahre

Philosophie, hernach Theologie studieren sollten; doch gingen sie keine bindende Verpflichtung ein wirklich Theologen zu werden.

Die Stiftung war anfangs

für einen Magister als Regens und 11 Studenten berechnet und 11 baye­ rische Städte hatten das Recht je einen Studenten für einen solchen Freiplatz

in Vorschlag zu bringen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte vermehrten sich die Mittel dieser Stiftung durch freiwillige Geschenke sehr ansehnlich und sie wurde schließlich zu einem heute noch bestehenden Priesterseminar, dessen

schöne, geräumige Baulichkeiten zu München dem gegenwärtigen Universitäts­ gebäude gegenüber in der Ludwigsstraße stehen. Nachdem die erste Generation der Ingolstädter Professoren im Grabe Ruhe von ihrer Lehrtätigkeit gefunden, zeichnete sich unter den Nachfolgern

besonders Johann v. Eck aus, welcher 1510 von Freiburg nach Ingolstadt übersiedelte, um durch eine Reihe von Jahren als geistige Macht zu dominieren;

als anregender Theologe wirkte er hier bis zu seinem Tode (1543); auch der später als Historiker berühmt gewordene Wigulejus Hund lehrte an der Juristen­

fakultät drei Jahre (1537—1540). Als Mathematiker wirkt? einer der hervor­ ragendsten Gelehrten seiner Zeit, Petrus Apianus, von 1527—1552, fruchtbar als Lehrer wie als Forscher.

Erbitterte Streitigkeiten innerhalb des Schoßes

der Artistenfakultät störten am Anfänge des Jahrhunderts den Frieden unter den Ingolstädter Gelehrten. In welchem Tone dazumal Gelehrte gegeneinander schrieben, mag aus einer Streitschrift des nach Freiburg abgegangenen Ingol­

städter Professors Jakob Locher, genannt Philomusus, wider seinen vormaligen In dieser Streitschrift nannte Locher den Zingl

Kollegen Zingl hervorgehen.

„versipellem acheronticum atque delirium senein, colubrem venenatissimum, viperam stridentem, cornutam et vitatam bestiam, crimen saeculi“:c. Übrigens ward Locher, ein geistreicher und anregender Philologe und lateinischer

Dichter, nachträglich wieder nach Ingolstadt zurückberufen, wo er als beliebter

Lehrer und hochgeachteter philologischer Schriftsteller bis 1528 wirkte.

Auch der Geschichtschreiber

Johannes Turmair,

genannt Aven-

tinus, Erzieher der herzoglichen Prinzen Ludwig und Ernst, der jüngeren

Brüder Herzog Wilhelms IV., hielt eine zeitlang (1507) Vorlesungen zu Ingolstadt und gründete daselbst unter Mitwirkung seines fürstlichen Zöglings,

des Prinzen Ernst,

auch eine

gelehrte Gesellschaft,

die

„societas literaria

Angilostadensis“, deren Protektorat zuerst Herzog Ernst und später der berühmte bayerische Kanzler Leonhard von Eck übernahm. Einen unvergäng­ licheren Namen

fteilich verschaffte sich Aventin durch seine historischen Werke,

die Annalen („Annales Boiorum“ 1521) und die deutsche Bearbeitung der­ selben, die „Bayerische Chronik" (1533), beide im Auftrag seiner Gönner, der Obgleich

er nicht förmlich als

erscheint seine Einwirkung

auf die Ingolstädter

Herzoge Wilhelm und Ludwig, Professor angestellt war,

entstanden.

Universität als eine sehr glückliche.

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

113

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern bis zum Jahre 1500. Don Ernst Freys./

Schon vor der am 28. Oktober 1462 erfolgten Eroberung der Stadt Mainz durch Adolf von Nassau, welche als der Hauptanlaß zur raschen Ver­

breitung der Erfindung Gutenbergs angesehen wird, hatte die letztere in zwei

Städten Deutschlands ihren Einzug gehalten, nämlich in Straßburg und Bamberg, wo bereits 1460 Typographen nachweislich tätig sind. In dem Bayern der Jetztzeit nimmt sonach Bamberg den Ruhm für

sich in Anspruch die älteste Druckstadt zu sein und Albrecht Pfister war es,

der hier die erste Presse errichtete.

Woher er stammte und wie sein

Lebensgang war, darüber ist so gut wie nichts bekannt; ebensowenig hat man

bis jetzt Sicheres über seine Beziehungen zu Gutenbergs typographischen Unter­ nehmungen,

besonders zur sogenannten 36zeitigen Bibel, feststellen können.

Doch ist die Annahme berechtigt, daß Pfister,

1420 angesehen

wird,

während

er

gegen

als dessen Geburtsjahr etwa

gestorben

1470

Buchdruckerkunst bei dem Erfinder selbst erlernte und

Bamberg übersiedelte.

sein

soll,

die

1457 von dort nach

Ursprünglich mag er das Geschäft eines Holzschneiders

betrieben haben, denn er ist der erste Drucker, der es unternahm seine Bücher

mit Illustrationen auszuschmücken.

Zu den ftühesten der von ihm hergestellten

Druckerzeugnisse, deren Mehrzahl in deutscher Sprache abgefaßt ist, dürften

wohl die beiden kleinen, mit Metallschnitten versehenen Schriften „Die sieben Freuden Mariens" und „Die Leidensgeschichte Jesu" zu rechnen sein,

die um

1460 entstanden sind und sich nur in einem einzigen, in der Hof- und Staats­

bibliothek zu München befindlichen Exemplare erhallen haben.

Nach einer da­

mals nicht selten geübten Sitte enthalten sie weder das Jahr des Erscheinens noch auch den Namen und Wohnort des Druckers; erst in der 1461 erschienenen

Fabelsammlung des Berner Dominikaners Ulrich Boner, welche den Namen

„Edelstein" trägt, wird Bamberg zum ersten Male als Druckort und in dem „Buche der vier Historien von Joseph, Daniel, Judith und Esther", einem

Auszuge aus der Biblischen Geschichte, von 1462,

erschienenen Werke des Jakobus

de Theramo

sowie in dem ohne Jahr

„Belial

oder der Trost

der

Die Behauptung, daß er

Sünder" Pfister ausdrücklich als Drucker genannt.

auch der erste gewesen, der überhaupt in deutscher Sprache druckte, ist nach dem Auffinden älterer

stammen, nicht mehr wesen,

deutscher Druckfragmente, aufrechtzuerhalten.

Lange

die

ist

er

sicher

von Gutenberg

indes nicht tätig ge­

denn seit 1463 ist er verschollen und eine ganze Reihe von Jahren

hindurch in Bamberg, dem die inneren Bedingungen für eine gedeihliche Ent­ wicklung der Kunst fehlten, keine Presse mehr vorhanden, bis Johann Sensenschmidt, ein geborener Egerer, aus Nürnberg, wo er seine Tätigkeit begonnen,

dorthin kam und seit 1481 teils allein teils zusammen KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

mit Heinrich Petzen-

8

114

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Sagent.

steiner, der aus Nürnberg stammte, bis Anfang 1491 druckte.

Sie leisteten

Hervorragendes in der Herstellung liturgischer Werke, von denen das Meßbuch für den Benediktinerorden von 1481 und das Freisinger Brevier von 1482 die frühesten sind.

Nach dem Tode Joh. Sensenschmidts trat an seine Stelle

ein Bamberger Bürger, Johann Pfeil, der 1491 und 1492 im Verein mit Petzensteiner und Lorenz Sensenschmidt, dem Sohne des Johann, druckte, dann

aber allein bis ins 16. Jahrhundert hinein mit Erfolg chpographisch tätig

ÖJ Ueber harcheül mitt als vübrekUklKtutzen ptft erstatt ben an arm Dritten tag mm drmtoüemtbptlterlchmeu dem« beben muttrimv tnana warte auch den anton demen heben üingtrn und [y ttfrtiotlt als Du lprachlt Lerbchlepvne^uchÄls bch tr hm las mich auch also rrktewet tntrDtn an Dem iün Osten tag vnD grb uns nach Diltmlrttnin Deines uater mchdas noig leben amen Aus „Leidensgeschichte Jesu", gedruckt um 1460 von Albrecht Pfister in Bamberg.

war. Außer liturgischen Werken gingen, besonders im 16. Jahrhundert, ver­ schiedene Staatsschristen aus seiner Presse hervor, von welchen die 1507 auf

Veranlassung des Bamberger Fürstbischofs Georg III. erschienene Halsgerichts­ ordnung, die Grundlage der nachmaligen peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V., die historisch merkwürdigste ist.

Neben diesen größeren Druckereien

waren auch einige kleinere vorübergehend in Betrieb, so seit 1487 die des Hans

Sporer, ebenfalls eines Nürnbergers, der kleinere Volksbücher und Lieder in deutscher Sprache herausgab, weil er aber ein Spottlied auf den Herzog Albrecht von Sachsen gedruckt hatte, gezwungen ward Bamberg zu verlassen, und die

des Markus Ayrer, eines wandernden Buchdruckers, der 1492 und 1493, teilweise mit Hans Bernecker zusammen, gleichfalls kleinere deutsche Schriften veröffentlichte.

26. Die Einführung und Entwicklung der Buckdruckerkunst in Bayern.

115

Zu weit höherer Blüte und viel größerer Bedeutung für ihre Gesamt­

entwicklung überhaupt gelangte die Buchdruckerkunst in den beiden Städten,

welche damals die Hauptzentren des Handels uub der Kunst waren, Augs­ burg und Nürnberg.

In der alten Augusta Vindelicorum ward sie ein­

geführt durch Günther Zainer von Reutlingen,

der in Straßburg wohl

bei Johann Mentelin, dem frühesten Drucker dieser Stadt, sich mit der Erfin­ dung Gutenbergs vertraut gemacht hatte. Spätestens 1467 dürfte er Straß­

burg verlassen haben, denn schon am 12. März 1468 ging das erste datierte (b. i. mit der Angabe des Druckers, Druckortes und Jahres versehene) Werk aus seiner Presse hervor, die von nun an bis zu seinem am 13. April 1478 erfolgten Tode ununterbrochen tätig war und ganz bedeutende Leistungen zu verzeichnen hatte. Von den zirka 80 bis 90 Drucken, die aus derselben stammen und von denen die Mehrzahl in lateinischer Sprache abgefaßt ist, gehört ein

großer Teil der Theologie und Erbauungsliteratur an; daneben sind aber

auch Erzichungs- und Arzneibücher, Schriften erzählenden Inhalts u. a. ver­ treten. So entstanden in Zainers Werkstätte neben dem ersten datierten Werke Augsburgs, den „Betrachtungen über das Leben unseres Herrn Jesu Christi" von Bonaventilra, gegen 1473 bzw. 1477 zwei Ausgaben der deutschen Bibel,

die schon durch ihr Format alle anderen überragen. bzw.

sechsten Platz ein

in der Reihe

Sie nehmen den vierten

der 14 hochdeutschen Bibelausgaben,

die vor Luther erschienen sind; ferner die erste lateinische Ausgabe jenes Buches, das nächst der Bibel die weiteste Verbreitung auf der Erde gefunden hat, der Nachfolge Christi des Thomas a Kempis, weiter ein Neudruck der unter dem

Namen Catholicon bekannten Realenzyklopädie des Dominikaners Johannes Balbus von Genua, die an Schönheit des Druckes wie an Seltenheit dem

berühmten, von Gutenberg selbst gedruckten Originale nicht viel nachsteht, die erste Ausgabe des Schwabenspiegels u. s. w.

Nicht zu

vergessen zahlreicher

auf Folioblätter gedruckter Kalender, deren ältester, ein deutscher auf das Jahr 1470, einer der frühesten Kalender dieser Art überhaupt ist. Nicht lange ist Zainer der einzige Typograph Augsburgs geblieben; denn schon 1470 erscheint ein weiterer dort tätig, Johannes Schüßler, der aber nur kurze Zeit

Es sind verhältnismäßig wenige, aber sehr gut ausgeführte und den

druckte.

tüchtigen Meister kennzeichnende Werke, die seiner Presse entstammen; das erste, das dieselbe am 28. Juni 1470 verließ, ist die älteste Übersetzung des jüdischen

Geschichtschreibers Flavius Josephus, der sich das früheste wissenschaftliche Buch

über Landwirtschaft u. a. anschließen.

Das letzte Buch, das seinen Namen

trägt, ist vom 2. Juli 1472. Noch in demselben Jahre verkaufte er fünf Druckpressen nebst Zubehör an das Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra, dessen gelehrter und auf die Pflege der Wissenschaften sorgsam bedachter Abt Melchior

von Stamham

die

hohe Bedeutung

der Erfindung

Gutenbergs

richtig erkannte und sie für die Zwecke seines Klosters dienstbar zu machen

suchte.

Die Werkstätte,

in welcher die sämtlichen Verrichtungen wie Setzen, 8»

116

26. Di« Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

Drucken, Rubrizieren und Binden, von Klosterangehörigen verrichtet wurden,

ward noch vor Ablauf des Jahres vollendet und in Gebrauch genommen. Sehr groß war die Zahl der aus ihr hervorgegangenen Werke, die vorzüglich der Theologie und Geschichte angehören, allerdings nicht, da nach dem Tode des Abtes Melchior (1474) von dessen Nachfolgern die Pressen nicht weiter scheinen in Anspruch genommen worden zu sein. Fast gleichzeitig mit dieser Klosterdruckerei,

die eine der frühesten in

Deutschland war, trat eine neue Offizin ins Leben, welche an Zahl und Be­

deutung ihrer Erzeugnisse die beiden letztgenannten weitaus übertraf, die des

Johann Bämler aus Augsburg. Das früheste Buch, das seinen Namen nennt, verließ 1472 die Presse, aus der dann in einem Zeitraume von mehr als 20 Jahren eine große Menge von Drucken hervorging, die ihn als einen sehr

fleißigen Typographen erkennen lassen. Die meisten dieser Werke, welche zum Teil der populären theologischen und juristischen, in der Mehrzahl aber der schönwissenschaftlichen und gemeinnützigen Literatur angehören, sind in deutscher Sprache geschrieben, so daß ihm zusammen mit dem später zu nennenden Anton Sorg das Verdienst gebührt die erste deutsche Volksliteratur auf den

Markt gebracht zu haben. So erschienen bei ihm z. B. neben den „Statuten der Rosenkranz-Bruderschaft" und der „Auslegung der hl. Messe" die Histo­

rien „Von den sieben weisen Meistern", „Von der Zerstörung Trojas", „Von der schönen Melusine", „Von der Kreuzfahrt Gottfrieds von Bouillon" u. a., von denen viele mit Holzschnitten entsprechend ausgeschmückt sind. datierte Druck ist ein Augsburger Brevier von 1495.

Der letzte

Im Gegensatze zu Bämlers Werkstatt steht die eines Zeitgenossen, die nur ganz wenige Drucke veröffentlicht hat, aber dadurch wichtig ist, weil sie

sich rühmen kann, daß aus ihr nicht nur die früheste Bibel Augsburgs son­ dern auch die erste illustrierte deutsche Bibel überhaupt, welche in der Reihe der vorlutherischen hochdeutschen Bibelausgaben den dritten Platz ein­

nimmt, hervorgegangen ist. Es ist dies die Presse des Jodokus Pflanzmann, der das Amt eines „Prokurators und Fürsprechs am Hofe zu Augsburg" be­ kleidete und von 1470—1490 daselbst wohnte. Seine Tätigkeit als Drucker hat nicht lange gewährt, denn außer der genannten Bibel, einem hervorragenden

Druckwerke aus zwei Bänden, das um 1473 entstanden ist, sind nur noch zwei

minder umfangreiche Schriften, deren eine das Datum des Jahres 1475 trägt, von ihm bekannt. Einen wesentlich anderen Charakter hatte die Tätigkeit Anton Sorgs

aus Augsburg, der wohl als der produktivste der dortigen Trucker anzusehcn ist. Er wirkte von 1475—1493 und überragte nicht allein durch die große Zahl seiner Erzeugnisse alle seine Vorgänger sondern brachte auch eine Menge neuer Werke auf den Markt, die geeignet waren das Interesse weitester Kreise Wie Bämler legte auch er großes Gewicht darauf Bücher in

zu wecken.

deutscher Sprache zu veröffentlichen und teilt sich deshalb mit jenem in den

117

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

Ruhm an der Verbreitung deutscher Schriften im 15. Jahrhundert

hervor­

ragenden Anteil zu haben. Unter den zahlreichen Werken seiner Presse, zu denen u. a. eine Ausgabe des wichtigsten deutschen Rechtsbuches des Mittel­ alters, des Sachsenspiegels, die früheste deutsche Übersetzung der Nachfolge Christi und der erste deutsche Briefsteller gehören, verdienen vorzüglich

die

beiden Ausgaben der deutschen Bibel von 1477 bzw. 1480 Erwähnung, von denen die erstgenannte die älteste deutsche Bibel ist,

welche volle Datierung

hat. Auch für die illustrative Ausschmückung seiner Drucke entfaltete Sorg eine rege Tätigkeit, als deren Hauptwerk das berühmte Konstanzer Konziliums­

buch des Domherrn Ulrich von Reichcnthal zu nennen ist, welches neben der wörtlichen und bildlichen Darstellung des Verlaufs dieser Kirchenversaminlung nicht weniger als 1156 Wappen aller damals in Konstanz anwesenden vor­ nehmen Männer der ganzen Christenheit enthält. Eine Leistung, die vorher

noch von keiner Seite versucht worden war und die dem Buche selbst mit Recht die Bezeichnung des ältesten gedruckten Wappenbuches eingetragen hat.

Die lange Reihe seiner Drucke schloß Sorg 1493 mit einer deutschen

Ausgabe der Evangelien und Episteln; bald darauf scheint er auch gestorben zu sein. Ein neuer Meister trat mit Johann Schönsperger dem Älteren

auf, der durch die reiche bildliche und typographische Ausstattung, die er seinen

Werken zuteil werden ließ, sich einen hervorragenden Namen erwarb.

Seine

Tätigkeit begann 1481 und dauerte bis weit in das erste Viertel des 16. Jahr­

hunderts hinein. Bis zum Jahre 1500 erstreckte sie sich nicht so sehr auf die Herstellung neuer, bisher noch nicht gedruckter Bücher als vielmehr auf den

Nachdruck solcher, die zu jener Zeit oft begehrt waren und unter denen neben einer Reihe von Ausgaben der deutschen Evangelien und Episteln, der Heiligen­ leben u. a. sich wieder zwei deutsche Bibeln von 1487 und 1490 mit hübschen, der sog. Kölner Bibel entnommenen Holzschnitten befinden.

er indessen

erst,

der Zahl nach war,

seine

Hauptbedeutung

nm dies kurz zu erwähnen, im 16. Jahrhundert,

So produktiv

erlangte er doch

als er von Kaiser

Maximilian zum kaiserlichen „Diener und Buchdrucker" ernannt wurde und

nun im Auftrage seines Herr» jene typographischen Meisterwerke schuf,

die

seinen Namen mit der Geschichte der Buchdruckerkunst für immer verbinden: jenes herrliche, nur in zehn Exemplaren auf Pergament gedruckte Gebetbuch

des Kaisers von 1514, von dem die Hof- und Staatsbibliothek in München ein mit eigenhändigen Randzeichnungen Albrecht Dürers versehenes Fragment als einen ihrer kostbarsten Schätze verwahrt, und den mit Recht als Meister­

werk der Typographie gepriesenen „Theuerdank" von 1517 und 1519, der in

poetischer Form die Brautfahrt Maximilians schildert und von Schäufelein, Burgkmair, Beck u. a. künstlerisch ausgeschmückt ist. Nicht nur völlig ebenbürtig sondern in vieler Beziehung Schönsperger noch überragend reiht sich ihm Erhard Ratdolt an, einer der bedeutendsten

18

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

Typographen seiner Zeit und unbestritten der hervorragendste Augsburgs, der

lange, bevor er hier selbständig tätig war, schon jenseits der Alpen durch seine Geschicklichkeit und seine Erfolge auf dem Gebiete der Kunst Gutenbergs dem Ruhmeskranze seiner Vaterstadt ein neues, unverwelkliches Blatt eingefügt hatte.

Aus einer Augsburger Künstlerfamilie stammend wandte er sich 1475, um in der „schwarzen Kunst", die er in seiner Heimat erlernt, weitere Ausbildung

äic genießen, nach Italien und errichtete im Verein mit seinem Landsmanne Bernhard Maler oder Pictor aus Augsburg und Peter Löslein aus Langen­ zenn bei Nürnberg in Venedig eine Presse, aus der schon 1476 das erste Werk hervorging.

Zwei Jahre hindurch dauerte diese Gemeinschaft,

der wir eine

Reihe schöner Werke verdanken; im Jahre 1478 trennte sich Ratdolt von den Genossen und war in der Lagunenstadt acht Jahre lang in eigener Offizin

tätig. Selbst in Kunst und Literatur wohl erfahren legte er nicht nur auf die äußere Ausstattung seiner Preßerzeugnisse hohen Wert sondern war auch darauf bedacht vorzüglich solche Werke zu veröffentlichen, die der Förderung und Verbreitung der Wissenschaften dienten. Wie er einerseits seine Drucke

durch prächtige Anfangsbuchstaben und Randleisten schmückte und

auch

der

erste war, der künstlerisch gestaltete Titelblätter in der heute üblichen Weise gebrauchte, so wendete er anderseits sein Hauptaugenmerk auf mathematische

und astronomische Werke und ist als

der Drucker zu rühmen,

welcher das

früheste Buch mit eingedruckten mathematischen Figuren, die Geometrie des

Euklid von 1482, veröffentlichte. Daneben entstammen seiner Venediger Presse auch Drucke anderen Inhalts, die sämtlich den Ruhm ihres Verfettigers nicht

bloß in Italien sondern auch diesseits der Alpen verbreiteten.

Es ist begreif­

lich, daß unter solchen Verhältnissen die Bischöfe von Augsburg, zumal nach­ dem Ratdolt ein Brevier für seine Heimatdiözese hergestellt hatte, die Rückkehr

des geschickten Meisters in seine Vaterstadt dringend wünschten. äußerten Wünschen leistete dieser endlich Folge und

Den oft ge­

siedelte zu Beginn des

Jahres 1486 nach Augsburg über, wo er nun 30 Jahre hindurch ununter­ brochen mit nicht minderem Erfolge tätig war. Das erste Stück, welches hier am 1. April des genannten Jahres seine Presse verließ, war ein Folioblatt, das Probedrucke in nicht weniger als 14 Schriftarten enthält und ein anschau­ liches Bild von der Reichhaltigkeit des Typenmaterials der Ratdoltschen Offizin gibt.

Das Blatt, das sich in einem einzigen Exemplare in der Mün­

chener Staatsbibliothek erhalten hat, ist ein vorzüglich schöner Druck, der auch einer modernen Presse Ehre machen würde. Als erstes von Ratdolt in Augs­

burg gedrucktes Buch erschien dann am 1. Februar 1487 ein Rituale Augsburger Bistums,

des

dem sich neben anderen Werken hauptsächlich Bücher

liturgischen Inhalts anschlossen, da die Ausstattung, die solchen zuteil wurde, auch andere Diözesen veranlaßte, die für den kirchlichen Gebrauch nötigen Bücher bei dem Augsburger Meister herstellen zu lassen.

So entstanden z. B.

in Ratdolts Werkstätte neben den vier für Augsburg gedruckten Meßbüchern

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

119

deren drei für Freising, fünf für Passau, drei für Konstanz und je eins für

Brixen, Aquileja und Chur. Als sein letzter Druck gilt das Konstanzer Brevier

von 1516; nach demselben scheint er bis zu seinem Tode (1527 oder 1528)

typographisch nicht mehr tätig gewesen zu sein. Wie schon anfangs neben Bämler und Sorg, so wirkte auch am Ende

des 15. Jahrhunderts neben Schönsperger und Ratdolt eine Anzahl kleinerer selbständiger Drucker, deren Pressen aber nur kürzere Zeit arbeiteten und deren Erzeugnisse weder der Ausstattung noch dem Inhalte nach wesentliche Bedeu­

tung erlangt haben; unter ihnen auch Johann Schobser (1485—1498) und Johann Schauer (1491—1500), die um deswillen erwähnenswert sind, weil sie sich um die Einführung des Buchdrucks in München verdient gemacht

haben. Würdig an Augsburg schließt sich das heute noch im Glanze zahlreicher Denkmäler mittelalterlicher Kunst und Kultur strahlende Nürnberg an, wo der schon genannte, später in Bamberg wirkende Johann Sensenschmidt aus Eger 1470 die erste Druckerei begründete. Anfangs allein tätig verband er

sich 1473 mit Heinrich Kefer aus Mainz, einem der beiden Gehilfen Guten­ bergs,

die aus dessen Prozeß mit Fust urkundlich nachweisbar sind.

Das

älteste Buch, das Nürnbergs Namen trägt, ist das theologisch-moralische Werk

des Dominikaners und Wiener Professors Franciscus de Retza „Comestorium vitiorum“ von 1470, während das Hauptwerk Sensenschmidts und Kefers die „Pantheologia" des Rainerus de Pisis, ein alphabetisch geordnetes Kom­ pendium der gesamten Theologie, vom 8. April 1473 ist, welches zugleich in

hervorragender Weise die Leistungsfähigkeit der ersten Nürnberger Presse doku­ mentiert.

In demselben Jahre noch verschwindet Heinrich Kefer und an seine

Stelle tritt Andreas Frisner von Wunsiedel, mit dem zusammen Sensenschmidt

bis 1478 eine beträchtliche Anzahl Werke herausgab, unter denen die zweite illustrierte deutsche Bibel sowie eine lateinische Bibel von 1475 hervorgehoben zu werden verdienen. Nach 1478 verließen Sensenschmidt sowohl wie Frisner Nürnberg, der eine um nach Bamberg, der andere um nach Leipzig über­

zusiedeln.

Zu diesem Schritte mag sie wohl die steigende Bedeutung des

Mannes bewogen haben, dem allein Nürnberg seine hervorragende Stellung in der Geschichte der Typographie verdankt und der auch heute noch als der

größte Buchdrucker und Buchhändler seiner Zeit angesehen wird.

Anton Koberger, der als Sproß eines angesehenen und wohlhabenden Nürnberger Bürgergeschlechts gegen 1440 das Licht der Welt erblickte, muß bald nach Sensenschmidt seine Druckerei begründet haben, denn schon 1472 erschienen mehrere Schriften, die sicher aus derselben stammen, während das früheste Buch,

das seinen Namen

trägt, das Hauptwerk des Philosophen

Bokthius „de cousolatione philosophiae“ mit dem Kommentar des heiligen Thomas von Aquin, am 24. Juli 1473 ausgegeben ward. In der ersten Zeit war Kobergers Produktivität nicht groß, seit dem Ende der siebziger Jahre

120

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

aber nahm sie so zu,

daß bis 1500 schon über 200 Werke,

ganze Reihe mehrbändiger, von ihm gedruckt waren.

darunter eine

In seiner Werkstätte

arbeiteten täglich 24 Pressen und über 100 Gesellen, die nicht bloß das Setzen, Drucken und Korrigieren sondern auch das Illuminieren und Binden der Bücher

besorgten.

Doch reichten auch diese nicht aus allen Anforderungen zu ge­

nügen und so sah sich Koberger genötigt noch im Auslande, so z. B. in Basel und Lyon, fremde Pressen für sich drucken zu lassen. Neben der Her­

stellung der Bücher selbst verwandte er ein ganz besonderes Interesse auf deren Vertrieb und sein zielbewußtes, tatkräftiges Vorgehen in dieser Richtung, das

ihm nach und nach in allen Handelsplätzen des In- und Auslandes Nieder­ lagen seiner Druckwerke sicherte, bewirkte eine Ausdehnung seines Geschäftes, wie sie bis dahin gänzlich unbekannt gewesen war. Alle von ihm hergestellten

Werke zeichnen sich durch fehlerlosen Druck, durch Schönheit der Typen, durch

scharfe Ausprägung der Buchstaben und dlirch kunstfertigen Satz aus.

Ihrem

Inhalte nach gehören sie vorzugsweise der Theologie, Philosophie und Juris­

prudenz an und zählen unter sich verhältnismäßig wenige, die Sprache abgefaßt sind. Am meisten gedruckt wurde die Bibel,

in deutscher von welcher

Koberger bis zum Ende des 15. Jahrhunderts allein 15 Ausgaben veran­

staltete. Unter ihnen befindet sich nicht nur die früheste in Nürnberg her­ gestellte sondern auch die erste lateinische, welche mit Illustrationen versehen ist; ferner eine deutsche von 1483, welche, gleichfalls mit Holzschnitten geziert, als eine der schönsten deutschen überhaupt angesehen wird.

Sie ist wohl die

erste Frucht der Bestrebungen Kobergers den Ruf seiner Preßerzeugnisse durch

illustrative Ausschmückung noch zu erhöhen, Bestrebungen, die durch die Verbindung mit Michael Wohlgemuth, dem Lehrer Albrecht Dürers, in einem solchen Maße verwirklicht wurden, daß Nürnberg auf dem Gebiete der Buchillustration alle anderen Städte weit überragte. Das früheste Werk, das aus dieser Gemeinschaft hervorging, ist der „Schatzbehalter oder Schrein

der wahren Reichtümer des Heils" von 1491, ein volkstümliches Andachts­ und Betrachtungsbuch, das nicht weniger als 96 blattgroße Holzschnitte von der Hand des Künstlers enthält. Übertroffen wird dasselbe noch durch die 1493 in lateinischer und deutscher Ausgabe erschienene Weltchronik des

Nürnberger Arztes und Humanisten Hartmann Schedel,

die mit ihren weit über 2000 Holzschnitten sich als das größte illustrierte Werk des

15. Jahrhunderts darstellt. Der Bilderschmuck, bei dessen Herstellung Wohlgemuth von seinem Stiefsohne Wilhelm Pleydenwurff unterstützt wurde,

dient zur Erläuterung der biblischen und weltlichen Historien und bringt von

der Schöpfung der Welt an die bekanntesten Begebenheiten, Personen, Länder und Städte, darunter manche der letzteren mit historischer Treue, zur Darstellung. Mit der Wende des Jahrhunderts ließ die Drucktätigkeit Kobergers, die in den neunziger Jahren noch sehr groß war, allmählich nach,

bis am 17. Juni 1504 als letztes Erzeugnis der eigenen Presse der

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern. Schlußband einer Ausgabe des Corpus iuris civilis erschien;

von

121

ab

da

beschäftigte er nur noch die Werkstätten anderer Trucker und war selbst bloß als Verleger bis zu seinem am 3. Oktober 1513 erfolgten Tode tätig.

seine Vaterstadt, zu deren Ruhm er so viel beigetragen,

Wie

schon zu seinen Leb­

zeiten ihn dadurch ehrte, daß sie ihn in den Rat der Stadt berief, so ist auch heute noch sein Andenken dortselbst nicht erloschen; an seinem Hause prangt seit 1880 eine von den deutschen Buchhändlern gestiftete Gedenktafel und eine Straße unterhalb der Burg trägt seit 1882 seinen Namen.

Nürnberg nach H. Schedels Weltchronik, gedruckt von Anton Koberger in Nürnberg 1493; verkleinert.

Neben einem so einzigartigen Geschäftsbetriebe war cs anderen Drucke­ reien, die nicht mit ähnlichen Mitteln arbeiten konnten, natürlich sehr schwer festen Fuß zu fassen.

Es ist daher erklärlich, daß die meisten der damals in

Nürnberg entstandenen Pressen an Bedeutung und an Dauer ihrer Wirksam­ keit hinter jener Kobergers zurückbleiben mußten.

Zeitlich und auch ihrer

Leistungsfähigkeit nach am nächsten stehend war die des Fri cdrich Creußner, der wohl aus Nürnberg selbst stammte und seit 1472 fünfundzwanzig Jahre

lang dort tätig war.

In der nicht unbeträchtlichen Reihe seiner Drucke, die sich

durch saubere Ausführung lote schöne Lettern auszcichneten, erschien als erster

datierter 1472 das sog. Ehestandsbüchlcin des Eichstätter Domherrn Albrecht von Eyb, während

der inhaltlich interessanteste die früheste deutsche Ausgabe

der Reisebeschreibung Marco Polos, des ersten Asienforschers, von 1477 war; der letzte verließ 1497 die Presse. Über die Persönlichkeit Creußners wissen

wir nichts Näheres; um so bekannter ist das Leben des Typographen, der

gleichzeitig neben ihm arbeitete, Johannes Regiomontanus, eigentlich

122

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

Johann Müller aus Königsberg in Franken.

Dieser berühmte Astronom und

Mathematiker, der am 6. Juni 1436 geboren ward und bei Georg von Peur-

bach in Wien studierte, war nach mehrjährigem Aufenthalte in Italien 1469 an den Hof des Königs von Ungarn, Matthias Corvinns, gekommen. 1471 siedelte er von Ofen nach Nürnberg über, um daselbst seinen Studien zu leben und die Veröffentlichung der zahlreichen aus Italien mitgebrachten Hand­

schriften vorzubereiten. Unterstützt von seinem Freunde Bernhard Walther er­ richtete er dortselbst nicht nur eine Sternwarte und eine mechanische Wcrfftätte sondern auch, da die sonstigen Pressen den Satz der griechischen Lettern und der mathematischen Zeichen nicht ausführen konnten, eine eigene Druckerei. Die Erzeugnisse derselben waren Kalender und sonstige astronomische und mathe­ matische Werke, unter welchen die „Ephemeriden", die für jeden Tag die Kon­ stellation der Gestirne von 1475 bis 1506 vorausberechneten, die erste Stelle

einnehmen. Die Ernennung des Gelehrten zum Bischof von Regensburg und die gleichzeitige Berufung desselben nach Rom (1475) zur Teilnahme an der von Papst Sixtus IV. beabsichtigten Kalenderreform bereiteten den wissen­ schaftlichen Plänen wie der typographischen Tätigkeit Regiomontans ein vor­

zeitiges Ende. Ebenfalls nur für eigene Zwecke bestimmt war die Presse des als Meister­ sänger nicht unbekannten Hans Folz aus Worms, der das Geschäft eines Stadtwundarztes versah und seine volkstümlichen, mit Holzschnitten versehenen

Gedichte 1479 und 1480 selbst druckte.

Zur gleichen Zeit trat 1479 in dem

Kloster der Augustiner-Eremiten, dessen Räume jetzt zum Germanischen Museum gehören, eine Werkstätte ins Leben, die bis 1491 arbeitete, von der aber außer etwa einem Dutzend Drucke weitere Erzeugnisse nicht bekannt sind.

Ihr

schlossen sich an die Druckereien des Konrad Zeninger (1479 bis 1489) und des Peter Wagner (1483—1500), von denen die erste meist kleinere Sachen, darunter auch ein mehrmals aufgelegtes lateinisch-deutsches Wörterbuch, er­

scheinen ließ, während die zweite sich besonders um die Herausgabe von Volks­ und Schulschriften verdient machte. Aus der Reihe der weiteren Drucker, die von jetzt an bis 1500 in Nürn­

berg sich noch niederließen und unter denen Hans Mair und Peter Vischer

nur um deswillen zu erwähnen sind, weil ihnen Würzburg, Nürnberg und Bamberg die frühesten Ausgaben ihrer sog. Heiligtumsbüchlein (d. s. Beschrei­ bungen der daselbst aufbewahrten Reliquien) verdanken, hat es eigentlich nur Georg Stuchs aus Sulzbach in der Oberpfalz zu einer hervorragenden

Bedeutung gebracht. Das erste von ihm gedruckte Werk, ein Meßbuch von 1484, war in so mustergültiger Weise ausgeführt, daß er bald von den ver­ schiedensten Diözesen und Verlegern Aufträge zur Herstellung liturgischer Bücher erhielt;

in der großen Zahl der von ihm bis zum Jahre 1517 gelieferten

Druckwerke, deren letztes gleichfalls wieder ein Missale war, finden sich nur wenige, die einem anderen Gebiete angehören. Wie kein zweiter Drucker jener

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

123

Zeit pflegte er diesen Zweig der Literatur und nicht bloß der Süden, auch

der Norden und Osten Deutschlands bezogen die verschiedenen, zum kirchlichen

Gebrauche nötigen Bücher von dem Nürnberger Meister. ihm

nahestehende

Hieronymus Holzel

Der an Bedeutung

von Traunstein

begann zwar

schon 1496 zu drucken, entfaltete seine Haupttätigkeit aber erst im 16. Jahr­ hundert. Nach Nürnberg trat Speyer in die Reihe der druckenden Städte ein. Von wem lind in welchem Jahre hier die erste Presse gegründet wurde, ist unbekannt. Das erste Werk, das Speyer als Druckort bezeichnet, die „Postilla super Apocalypsin et Cantica Canticorum“ ist 1471 gedruckt und gibt

ebensowenig wie eine Reihe anderer hierher gehöriger Schriften den Namen

des Typographen an. Der früheste, der als solcher namhaft gemacht wird, ist Peter D r a ch, der Sproß einer angesehenen Speyerer Familie. Als erster datierter Druck verließ 1477 ein Vocabularius iuris utriusque seine Werk­

stätte, die unter ihm und seinem gleichnamigen Sohn und Enkel bis ins 2. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts blühte und eines so großen Ansehens sich erfreute, daß ihr auch Druckaufträge aus solchen Städten zuteil wurden, die selbst angesehene Druckereien besaßen, wie das von ihr im Jahre 1497 im

Auftrage des Erzbischofs Berthold von Henneberg gedruckte Meßbuch für Mainz beweist. Schon 12 Jahre nach dem Drucke des ersten Speyerer Buches entstand neben der Drachschen Presse eine zweite, die von den Brüdern Johann und Konrad Hist ins Leben gerufen ward und an Zahl wie an Ausstattung ihrer

Drucke sich mit der ersteren wohl messen konnte, ja in letzterer Hinsicht sie noch übertraf. Sie war von 1483—1515 tätig. Über die Herkunft und die

Persönlichkeit der beiden Drucker ist nichts bekannt; der eine von ihnen scheint früh gestorben zu sein, denn von 1492 an wird nur Konrad Hist als Typo­

graph genannt. Auf die alte Reichsstadt folgte 1473 der Geburtsort des Albertus Magnus,

das kleine Städtchen Lauingen, dem damit die Ehre zufällt, der älteste Druckort des damaligen Herzogtums Bayern zu sein. Es ist ein Folioband von 106 Seiten, die Schrift des hl. Augustinus de consensu Evangelistarum, der 1473 dortselbst erschienen ist. Über den, der ihn gedruckt, ist nichts bekannt,

wie auch unter den sämtlichen Werken des 15. Jahrhunderts sich kein zweites findet, das dort hergestellt ist. An Lauingen schließt sich Würzburg, die Hauptstadt des Franken­

landes, an, wohin Fürstbischof Rudolf von Scherenberg die „erfahrenen Meister der Buchdruckerkunst" Stephan Dold, Georg Rehs er und Johann Beckenhub berief, um die für den kirchlichen Bedarf nötigen Bücher zu drucken und so

den Geistlichen des Bistums einheitliche liturgische Texte zu verschaffen. Die einzige Leistung dieser Druckergemeinschaft war ein Brevier vom 20. Septem­ ber 1479, welches auch um deswillen Beachtung verdient, weil es das erste in Deutschland erschienene Buch ist, das einen Kupferstich enthält. Bald

124

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

nach seiner Herstellung verließen Dold und Beckenhub Würzburg und Reyser, der anscheinend von Anfang an der eigentliche Typograph gewesen war, führte die Druckerei allein fort. Die Erzeugnisse derselben, zu deren Herstellung er

sich eigenartiger, nach ihm benannter Typen bediente, sind in der Hauptsache liturgische Bücher und Kalender und vorzugsweise für die Zwecke des Würz­ burger Hochstifts bestimmt. Was sie für die Geschichte der Buchdruckerkunst bedeutungsvoll macht, ist der Umstand, daß in ihnen, speziell in dem Missale von 1481, sich sehr frühe, wenn nicht die frühesten mit beweglichen Typen gedruckten Musiknoten gotischer Form vorfinden, so daß Georg Reyser als einer der ersten Musiknotendrücker überhaupt anzusehen ist.

Derselbe, der auch bei dem folgenden Fürstbischöfe, Lorenz von Bibra, in hohem Ansehen stand

druckte zuletzt 1503 und muß bald darauf gestorben sein, da im Oktober 1504 das Druckprivilegium einem anderen, Martin Schubart nämlich, erteilt

wurde. Bald nach Würzburg begann Memmingen zu drucken, wo Albrecht Kunne von Duderstadt, der schon im Jahre 1473 zu Trient als Typograph tätig gewesen war, die Druckkunst einführte.

Da er seiner Herkunft nach ein

Mainzer Untertan war, ist es möglich, daß er auch in Mainz selbst die Kunst erlernte. In Memmingen fing er etwa 1480 an zu wirken; sein erstes datiertes Werk indes, eine Ausgabe des damals außerordentlich verbreiteten und oft

gedruckten Handbuches der Weltgeschichte des Karthäusers Werner Rolevink, das den Titel Fasciculus temporum trügt, erschien erst 1482. Bis zum Jahre 1519 war seine Presse tätig, aus der allein bis zum Jahre 1500 weit

über 60 Werke hervorgingen. Geringere Bedeutung erlangte die Buchdruckerkunst in Passau,

wo

Benedikt Mayr, zuerst mit Konrad und Nikolaus Stahel, dann mit Johann

Alakraw, arbeitete und 1482 als erster datierter Druck „Eusebius, epistola de

morte Hieronymi“ erschien. Die Genannten gehörten wohl alle zu den sog. wandernden Typographen, da ihre Tätigkeit in Passau nicht lange dauerte

und sie selbst, abgesehen von Nikolaus Stahel, von dem weiteres nicht bekannt ist, bald darauf an anderen Orten nachweisbar sind. Seßhafter war ihr Nachfolger Johann Petri, aus dessen Presse in der Zeit von 1485—1493 eine ganze Reihe von Drucken, darunter einige gut ausgeführte Meßbücher,

erschienen. Erst an neunter Stelle int jetzigen Bayern ist München zu nennen; doch genießt es den Vorzug, daß sein erster Typograph der älteste bekannte Drucker

des damaligen Herzogtums ist.

Hans Schauer war es, in dessen Offizin

das erste in Bayerns Hauptstadt gedruckte Buch „am St. Peter- und Pauls-

Abend"

1482 fertiggestellt wurde.

Das Schriftchen, eine deutsche Ausgabe

der „Mirabilia urbis Romae“, ist nur in einem einzigen aus dem Kloster Tegernsee stammenden Exemplare bekannt und zählt zu den Kostbarkeiten der Münchener Staatsbibliothek.

Es ist ein Führer für die Rompilger, der das

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

125

Wissenswerteste über die ewige Stadt, ihre Geschichte und Kirchen enthält.

Schauers Presse muß nicht bedeutend gewesen sein; nur ganz wenige Produkte sind aus ihr bekannt und schon 1485 wurde er selbst vom Rate der Stadt

nach Augsburg geschickt, um dort den Druck von 600 Schützenbriefen für das große Schießen, welches die Stadt München im Jahre 1486 veranstaltete, zu

bestellen.

Bielleicht lernte er bei dieser Gelegenheit den blühenden Stand

des Augsburger Druckgewerbes genauer kennen und wurde dadurch bewogen dorthin überzusiedeln, wo er von 1491—1500 druckte. Einen Nachfolger fand er in Benedikt Buchbinder, von dem nur drei kleine im Jahre 1488 hergestellte

(DMb bat vH pücblein ain env • Jhcsun vn SPa tia vnsern kumerwenv €>ttnuiht Vnb vol rne vet von ’lOans lcbawer;u Vmcben ♦ Onno hommi V» ccccdjqcjcq- iatan sant Peter vnö pnc Pauls abent. Schlußschrift des ersten Münchener Druckes „von der Stadt Rom", gedruckt von Hans Schauer 1482.

deutsche Schriftchen, darunter zwei Unika in der Kgl. Bibliothek Bamberg, be­ kannt sind.

Wesentlich erfolgreicher war die Wirksamkeit des dritten Münchener

Druckers, Johann Schobser.

Schon von 1488—1498 in Augsburg tätig

wurde er gegen 1499 als herzoglicher Buchdrucker nach München berufen, wo bald darauf als sein erstes Werk das Predigtbuch des Passauer Theologie­ professors und Domprcdigers Paulus Wann erschien, dem dann bis tief ins 16. Jahrhundert hinein zahlreiche andere, unter ihnen auch die erste Samm­ lung deutscher Reichsgesetze von 1501, folgten.

In Eichstätt, das sich zeitlich an München anschließt, erschien 1484 versehene Werk. Es enthält die Synodalstatuten der Eichstätter Diözese und ist von Michael Reyser, wohl

das erste mit Datum und Druckernamen

einem Berivandtc» des Würzburger Prototypographcn, gedruckt, der von dem Bischof Wilhelm von Reichenau dorthin berufen anscheinend schon 1482 daselbst

tätig war.

Aus seiner Werkstätte ging bis zum Jahre 1494, in welchem Jahre

dieselbe zum letzten Male arbeitete, eine größere Anzahl schön ausgeführter Werke hervor, von denen die meisten liturgischer Art waren.

Regensburg, wo 1485 die Buchdruckerkunst ihren Einzug hielt, scheint im 15. Jahrhundert eine ständige Presse nicht besessen zu haben. Wenn auch

Johann Sensenschmidt und Johann Beckenhub, die uns schon in Bamberg begegnet sind, im genannten Jahre auf Veranlassung des Bischofs

26. Die Einführung und Entwicklung der Buchdruckerkunst in Bayern.

126

Heinrich dortselbst ein Meßbuch für die Regensburger Diözese herstellten, so

haben sie die Stadt doch unmittelbar nachher wieder verlassen. Ebenso kurz war die Drucktätigkeit des Dombaumeisters Matthäus Roritzer, der 1486 zwei kleine Büchlein hier druckte, und die des uns ebenfalls schon bekannten Markus Ayrer, der für 1491 und 1492 je einen Kalender in der alten Reichs­

stadt erscheinen ließ.

Von größerer Bedeutung war Ingolstadt, das seit 1472 eine Hoch­ schule in seinen Mauern sah. Wer hier die Druckkunst einführte, ist nicht

bekannt; man weiß nur, daß 1487 das erste Werk, das Ingolstadts Namen trägt, eine Rhetorik des dortigen Hochschullehrers Paul Lescher, erschienen ist. Ihm folgte eine Reihe anderer, die aber gleichfalls den Typographen nicht angeben.

Nur von zwei Pressen des 15. Jahrhunderts sind die Namen der

Druckherren bekannt; die eine ist die des Johann Kachelofen, der von 1492—1499 tätig war, während die zweite von Georg Wirffel in Ver­ bindung mit Markus Ayrer 1496 und 1497 betrieben wurde. hundert sah Gutenbergs Kunst hier in vollster Blüte.

Erst das 16. Jahr­

Den Beschluß der bayerischen Frühdruckstädte machen Zweibrücken, das in einem 1492 von Georg Geßler, einem sonst unbekannten Typographen,

hergestellten Buche als Druckort genannt wird, und Freising, wo Johannes Schäffler, der schon vorher und dann wieder von 1497 an in Ulm druckte, 1495 ein lateinisches Schulbuch erscheinen ließ, ohne daß ihm weitere Nach­

folger entstanden wären.

Damit schließt die Reihe der Städte und der Männer, die während des 15. Jahrhunderts in dem jetzigen Bayern für die Verbreitung der „schwarzen

Kunst" gewirkt haben.

Nur einen Zeitraum von rund 40 Jahren umfaßt

ihre Tätigkeit und schon sind es in diesem verhältnismäßig kleinen Teile unseres deutschen Vaterlandes nicht weniger als 14 Orte, in denen Gutenbergs Er­

findung Eingang gefunden und zumeist auch festen Fuß für immer gefaßt hat. Über 70 Jünger des Altmeisters haben hier von 1460—1500 dessen Kunst

geübt und was sie in dieser Zeit geleistet, war von so hervorragender Be­ deutung, daß die Namen dreier bayerischer Städte mit der Geschichte der Buch­ druckerkunst aufs innigste verbunden sind: Bamberg, aus dessen Mauern

die ältesten illustrierten Bücher hervorgegangen sind, Augsburg, das mehr als jede andere Stadt Deutschlands für die Verbreitung der deutschen Bibel wie der deutschen Sprache und Literatur überhaupt gewirkt hat, und endlich Nürnberg, das die eigentliche künstlerische Ausschmückung des Buches be­ gründet hat und in technischer Hinsicht sowohl für den Buchdruck wie für den

Buchhandel allen anderen Städten ein leuchtendes Vorbild gewesen ist.

27. Eine Festschule der Meistersinger.

127

27. Eine Festschule der Meistersinger. Don August Sach?)

Wer um das Jahr 1550 nach Nürnberg kam, konnte um die $ fingst* zeit ein Seil von St. Sebaldus nach dem Rathause gezogen erblicken, woran

in der Mitte ein bemaltes Schild hing.

Jedes Nürnberger Kind wußte, daß

die wohllöblichen Meistersinger wieder eine Festschule in der St. Katharinen­ kirche veranstalten wollten und durch das Schild jeden, der daran teilzunehmen

gedachte, dazu laden ließen.

Auch aus weiterer Ferne waren diesmal manche

Genossen herbeigekommen, um sich an dem Hauptsingen berühmter Meister

und an ihren neuen Tönen zu ergötzen. Denn in Nürnberg ward seit langen Zeiten die holdselige Kunst besser gepflegt als sonst in deutschen Landen. Wie vor Jahren hier der Barbier Hans Foltz und der Briefmaler Hans Rosen­

blüt sich einen Namen gemacht, so war jetzt Hans Sachs, der Schuster und Schüler des Leinwebers Nunnenpek, schon seit einem Menschenalter und länger das Haupt und das leuchtende Vorbild aller kunstreichen Meister. Überall,

wo die Singerschulen blühten, in allen süddeutschen Reichsstädten, in Mainz und Straßburg, in Kalmar und Frankfurt, in Augsburg und Regensburg,

in Ulm, München und Würzburg, ja in Prag, Breslau und in dem nordischen Danzig pries man seinen Namen und dichtete man in seinen Tönen. Selbst aus sächsischen Landen, wo außer in Zwickau keine Schulen blühten, hatten sich Liebhaber des Sanges eingestellt, deren Väter einst auf der Wanderung

durch Süddeutschland Mitglieder einer Singschule geworden waren und auch

nach der Rückkehr in die Heimat die in der Fremde gelernte Weise noch fort­ geübt hatten. Schon war ihnen daheim manche Belehrung über die löbliche Kunst ge­ worden, die nicht allein zur Freude und Ergötzung der Menschen sondern

auch zur Erinnerung göttlicher Wohltaten und zur Andacht des Herzens dienen sollte; hier aber in Nürnberg fand jedermann reiche Gelegenheit die Weise

nnd die Ordnungen der berühmten Meister genauer kennen zu lernen und sich in der Kunst weiter zu bilden. Wer ihrer noch unkundig war, ließ sich wohl zunächst die Bedeutung der Tafel mit ihren Figuren erklären, die frei in der

Luft auf dem Seile schwebte. Oben sah man einen gevierten Schild, der in zwei Feldern den Reichs­

adler und in der Mitte die Königskrone trug; das war der Meistersinger Wappen, darunter waren zwölf Männer sichtbar, wie sie einen Garten be­ stellten, aber dabei von einem wilden Tiere gestört wurden. Sie stellten die

zwölf berühmten Sänger dar, welche die erste Singschule eingerichtet, und das wilde Tier war der Neid, der von außen her, und die Zwietracht, die von innen her ihrem Gedeihen schade. Wer aber nach den Namen dieser zwölf Wundermänner fragte, erhielt von einem kundigen Meister zur Antwort, was *) „Deutsches Leben in der Vergangenheit", II. Band, S. 277 ff. Halle a. S. 1891.

27. Eine Festichule der Meistersinger,

128

die sagenhafte Überlieferung ohne sich um geschichtliche Widersprüche zu kümmern

weiter berichtete. „Es waren teils Gelehrte teils Ritter und Bürger.

Einer war ein

Glasbrenner, einer ein Schmied, einer ein Musikant, einer ein Fischer, einer

ein Seiler; aber von diesen ist nichts weiter zu erzählen, desto mehr aber von dem Ritter Wolftam von Eschenbach, von Nikolaus Klingsor, der freien Künste Magister, von Walter von der Vogelweide, von Heinrich von Ofterdingen

aus Eisenach und von Heinrich Frauenlob aus Meißen, der heiligen Schrift Doktor zu Mainz. Dieser erhob mit unsterblichen Gesängen der Frauen Schön­

heit und Sittigkeit und zum Dank trugen ihn dieselben in Mainz zu Grabe, denn nicht dem Lebenden allein sondern auch dem Toten sollte ihre Tugend offenbar werden. Im Dom zeigt man noch seinen Leichenstein, den die Frauen mit Tränen und Wein benetzten. Von ihm leiten wir unsere Kunst her; denn

er stiftete einen Verein von Dichtern und Freunden des Singens, unter­ richtete Schüler und die Schüler wurden wieder Meister und so bis aus den

heutigen Tag." „Ja, so ist es," fuhr wohl ein anderer fort; „wir find Bürger und Handwerker und treiben nebenbei die Kunst; zu Singergesellschaften vereinigt haben wir unsere Regeln und richten uns nach den Vorschriften unserer löb­ lichen Zunft.

Wer die Kunst erlernen will, der geht zu einem Meister, der

wenigstens einmal in der Singschule den Preis gewann, und dieser unterweist ihn unentgeltlich.

Er lehrt, was es heißt zur Ehre der Religion singen, und

weiht ihn ein in die Geheimnisse der Tabulatur, wie wir die Gesetze unserer Singkunst nennen. Hat er sich wohlgehalten, die Lehrsätze und eine ziem­

liche Anzahl von Tönen, insonderheit die vier gekrönten, begriffen, so wird er auf der Zech oder in dem Wirtshaus, wo die gewöhnlichen Zusammenkünfte

geschehen, gemeinlich am St. Thomastage, der Gesellschaft durch den Lehr­ meister vorgestellt mit der Bitte ihn aufzunehmen. Darauf stellen die „Merker"

eine Prüfung mit ihm an und erforschen, ob er ehelicher Geburt, stillen und

ehrbaren Wandels sei und die Singschule stets besucht habe; sie machen eine Probe mit ihm, ob er die Kunst genugsam gelernt und wisse, was es mit den Reimen nach Zahl, Maß und Bindung für eine Beschaffenheit habe, ob er mit der gehörigen Zahl von Tönen bekannt sei und im Notfälle ein Lied

„merken" könne. Man gibt ihm dabei im Singen sieben Silben vor; wenn er darüber verfingt, kann er nicht ausgenommen werden, gelingt ihm aber die Probe, so wird sein Wunsch gewährt. Feierlich gelobt er der Kunst stets

treu zu sein, die Ehre der Gesellschaft wahrzunehmen, sich stets friedlich zu betragen und kein Meisterlied durch Absingen auf der Gaffe zu entweihen. Dann zahlt er das Einschreibegeld und gibt zwei Maß Wein zum besten. Hat

er sich eine Zeitlang auf den Schulen zur Zuftiedenheit der Meister hören lassen und auch sonst untadelhaft verhalten, kann er um die Freiung auf den

Stuhl anhalten, daß er auf offener Singschule fteigesprochen und für einen

129

27. Eine Festschule der Meistersinger.

Meister erklärt werde.

Mit einem Gruße stellt er sein Begehren und der

Meister begrüßt ihn wieder mit einem Gruße und Gesang und legt ihm dann Fragen vor über den Ursprung der Kunst und ihre Gesetze.

Hat er hierauf

genügend geantwortet, so singen ihm die Meister zu, daß er zu ihnen eintrete

um die Meisterschaft und den Kranz zu empfangen."

„Wie nun die Bräuche der Meister sind, sollt ihr bei der Singschule

erfahren;

da geht es anders her als bei den gewöhnlichen Zusammenkünften,

wenn wir uns in den Schenken versammelt haben; da könnt ihr auch manch herrliches Lied hören; aber in den Festschulen werden nur Gedichte vorge­

tragen, deren Inhalt aus der Bibel oder aus den heiligen Sagen geschöpft ist. Wer am fehlerfreiesten singt, wird mit einer goldenen Kette geschmückt, wer nach ihm am besten besteht, erhält einen Kranz zum Lohn; wem aber

grobe Fehler nachgewiesen werden, der muß es mit Strafgeld büßen. So fließt das Leben der Meistersinger unter erbaulichen Gesängen hin, und wenn einer aus dem frohen Kreise abberufen wird, so versammeln sich seine Genossen um sein Grab und singen ihm das letzte Lied." Der Nachmittag des Pfingsttages rief alles zur Festschule zusammen; die Meistersinger, ehrwürdige alte Herren, junge Schüler, welche die Tabulatur

noch studierten, Schulfreunde, welche die Poetik und Metrik der Meister schon inne hatten, Singer, die bereits einige fremde Gesänge schulgerecht vortragen konnten. Dichter, die nach den Tönen der Meister einen eigenen Gesang zu

dichten verstanden, zogen festlich geschmückt der Katharinenkirche zu.

Am Ein­

gänge derselben hielt der Kirchner zu einem Trinkgelde die Mütze hin, um das

Gesindel. abzuhalten, das ehrbare Leute in der Erbauung stören könnte. Die Kirche war im Innern schön aufgeputzt und vom Chore, wo die Vornehmen Platz fanden, hingen kostbare Decken herab.

Gar feierlich nahm

sich der Verein der edlen Meister aus, die umher auf den Bänken saßen, teils

langbärtige Greise teils jugendliche Männer, alle so still und ernst, als wenn sie zu den Weisen Griechenlands gehörten.

Sie prangten in Seidengewändern,

grün, blau und schwarz, mit zierlich gefalteten Spitzkragen.

Unter ihnen fehlte

auch nicht der ehrwürdige Hans Sachs, noch immer in jugendlicher Rüstigkeit. Neben der Kanzel war der Singstuhl errichtet, nur kleiner, sonst wie

die Kanzel selbst und heute mit einem bunten Teppich geschmückt. Vorn im Chor sah man ein niedriges, mit schwarzen Vorhängen umzogenes Gerüst auf­ geschlagen, worauf ein Tisch mit Pult stand; eine Kette mit vielen Schau­

stücken und ein Kranz aus seidenen Blumen hingen an der Seite desselben. Das war das Gemerke, wo diejenigen Platz fanden, welche die Fehler der Sänger gegen die Gesetze der Tabulatur anmerken mußten. Ihrer waren vier. Der älteste hatte die Bibel vor sich auf dem Pulte liegen, um die von dem

Singer angegebene Stelle, woraus sein Lied genommen, aufzuschlagen und

fleißig aufzumerken, ob dasselbe mit dem Inhalte der Schrift übereinstimme, der zweite, der dem ersten gegenübersaß, hatte auf die Gesetze der Tabulatur zu Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns. 9

130

27. Eine Festschule der Meistersinger.

achten und die Fehler wie die Strafen, deren Höhe in Silben angeschlagen

wurde,

auf

dem Pulte mit einer Kreide anzuschreiben.

Der dritte sollte

eines jeden Verses und Reimes Endsilbe merken und die Verstöße gegen den

Reim notieren, der vierte wegen des Tones Sorge tragen, damit man den

recht halte und nicht verfälsche, auch, ob in allen Strophen, die jedesmal den Text zu zwei sich wiederholenden und einem dritten selbständigen musikalischen

Satze bildeten, immer die beiden Stollen und der Abgesang die Gleichheit be­ wahrten. Die Merker sollten treu und fleißig nach Inhalt der Kunst und nicht nach Gunst merken einem wie dem andern, je nachdem ein jeder sang, nicht anders, als ob sie dazu vereidigt wären, ob man zwar darüber nicht

schwören sollte noch konnte. Wenn eines Merkers Vater, Sohn, Bruder, Better oder Schwager sang, hatte er sein Amt, so lange jener sang, einzu­ stellen und ein anderer Gesellschafter an seine Stelle zu treten.

Fehler konnten

dem Singer nach dem Gutachten der Merker entweder sogleich nach dem Singen

oder erst nach gehaltener Schule, besonders damit ihn andere nicht verhöhnten, angezeigt werden. Neben den Merkern saß ein Meister, der in der vorigen Singschule den Preis davongettagen, um sie zu erinnern, wenn sie etwas überhört, und bei allen Stteitigkeiten sein Urteil abzugeben. Als alles geordnet war und die Genossen still und geräuschlos dasaßen,

erhob sich ein ftemder Gesell,

der aus Straßburg herübergekommen war,

setzte sich fein züchtig auf den Singstuhl, zog sein Barett ab und begann nach

einer kurzen Pause zu singen ein schönes Lied „von dem Streite gegen die Türken, den Feind der Christenheit"; gar zierlich setzte er seine Weise und ohne Tadel nach der „Hammerweise" Lienhart Nunnenpeks mit siebenund­

zwanzig Reimen.

Die Merker horchten auf, bemerkten aber nichts, denn bei

dem „Freisingen" konnte man außer dem Ruhm nichts gewinnen, man machte es auch noch so gut.

Ihm folgten noch mehrere andere nach; der eine sang

„ein schön Lied von dem Pfarrer im Federfaß" im grünen Ton, ein anderer „ein schön Lied von den drei löblichen Bäuerinnen" int Rosenton, ein vierter

ein „neu Lied wider das große Fluchen und Gotteslästern, so jetzund in deutschen

Landen gemein ist," in des Frauenlob blühendem Ton.

Damit schloß das Freisingen; alsbald begann einer der Meister ein Lied, in das alle anderen einsttmmten, um den Beginn des eigentlichen Hauptsingens anzukündigen. • Ein greiser Meister betrat den Singstuhl

und nach kurzer

Pause erscholl vom Gemerke der Ruf: „Fanget an!" Es war Konrad Nachtigall, ein Schlosser, der so sehnsüchtig und klagend sang, daß er seinen Namen wohl

mit Recht führte. Von dem himmlischen Jerusalem und von der Gründung des neuen sagte er viel Schönes in gar künstlichen Reimen und Redensarten. Jedesmal, wenn er einen Abgesang vollendet, hielt er inne, bis der Merker wieder rief: „Fahret fort!" Nach ihm kam die Reihe an einen jungen Meister, Fritz Kothner, einen Glockengießer; der hatte die Schöpfungsgeschichte zum Gegenstände seines Gesanges gewählt. Aber hier hieß es nicht: „und Gott

131

27. Eine Festschule der Meistersinger.

sah, daß alles gut war".

Der Arme war verlegen, er stockte und eifrig sah

man die Merker Striche machen; er hatte Silben versungen und mußte zu­ letzt auf Geheiß des Merkers den Stuhl verlassen. In der „Hageblüten Weise" ließ sich dann vom Singstuhl herab vernehmen der würdige Hans Sachs; sein

Kopf war schon glatt und nur das Kinn schmückte ein voller Bart.

Alles

horchte voll Andacht auf, als er in einem neuen Tone gemäß der Offenbarung den Herrn beschrieb, an dessen Stuhl der Löwe, der Stier, der Adler und

ein Engel Preis, Ehre und Dank sangen. Als er geendet, da waren alle voll Entzücken und kaum konnte noch nach ihm ein junger Meister Niklas Vogel von schwäbischer Herkunft, der im Hoftone des Schillers „ein neu Lied von

dem verlorenen Sohn" anstimmte, die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesseln. Auch bei ihm sah man eifrig die Merker ihre Striche machen und die Silben

zählen, die er versungen. Als er sein Gedicht beendet, verließen die Merker ihren Sitz um zu Rate zu gehen, wie ein jeder bestanden. Die beiden jungen Meister hatten manche Fehler gegen die Tabulatur begangen; der eine hatte eine „blinde Meinung"

verbrochen und war durch Auslassung von Worten unverständlich geworden. So viel Worte blind d. h. ausgelassen waren, für so viel Silben sollte er

bestraft werden; ein Merker warf ihm auch „Laster" vor, d. h. unreine Vokal­ reime, vor allem aber wurde dem einen der „Stutz" schlimm angerechnet, weil er stillgehalten, wo er nicht anhalten durfte. Niklas Vogel hatte seine schwä­

bische Aussprache noch nicht ganz abgelegt, aber doch die Reinheit der Vokale beobachtet; schlimm aber war es, daß er sich der „Klebsilben" nicht enthalten, „keim" für „keinem", „im" für „in dem",

auch „Milben" gebraucht und statt

„vom" für „von dem" gesungen,

„singen" „singe" gesagt um auf „Dinge"

zu reimen. Am Ton war weniger zu tadeln; keiner hatte denselben durch und durch anders gesungen,, als ihn der Meister gedichtet. Sonder Zweifel hätte

Nachtigall den Preis gewonnen, wenn nicht nach ihm Hans Sachs gesungen;

nur einmal wollte der Merker eine „falsche Blume" gehört haben, wodurch an einer Stelle der Ton unkenntlich geworden sei. So trat denn der erste Merker an Hans Sachs heran und hing ihm eine lange silberne Kette von großen, breiten, mit den Namen der Geber be­

zeichneten Gliedern um, woran eine Menge von Pfennigen verschiedener Art gebunden war.

Konrad Nachtigall ward der zweite Preis zuteil, ein von

seidenen Blumen verfertigter Kranz, den ihm der andere Merker aufs Haupt setzte.

Es war Brauch, daß die Meistersinger, insonderheit die jüngeren, sich

nach der Festschule in eine nahegelegene Schenke begaben, wo in demselben Grade ftohe Ungebundenheit herrschte als in der Kirche heiliger Ernst. Hier sollte ehrbare, ehrliche, friedliche Zech gehalten nnd ein Zechkranz zum besten

gegeben werden, damit, wer wolle, darum singen möge.

Alles Spielen, un­

nützes Gespräch und überflüssiges Trinken, alle Strafer und Reizer (Strafund Reizlieder), woraus Uneinigkeit entstehen könnte, waren untersagt; keiner

9*

132

27. Eine Festschule der Meistersinger.

durste auch den andern auffordern um Geld oder Geldeswert zu singen. Der

den Kranz gewonnen hatte, mußte aufwarten und fürtragen; konnte er es allein nicht bestreiten, so hatte ihm der, so auf vorhergegangener Schule den Kranz davongetragen, dabei zu helfen. Wer die Kette oder den Kranz ge­

wonnen oder glatt gesungen, erhielt zwanzig Groschen, ein Merker zwanzig Kreuzer. Die Zeche ward von dem Gelde bezahlt, das man auf der Schule erhoben; war nicht genug zusammengekommen, so ward das fehlende aus der gemeinen Büchse entnommen.

Die Meistersinger, mehr als zwanzig an der Zahl, gingen über die Gasse

paarweise hintereinander von der Kirche bis zur Trinkstube. Der bekränzte Konrad Nachtigall eröffnete den Zug, hinter ihm her schritt würdig Hans Sachs, mit der Kette geziert.

Die geputzten Gäste stachen sonderbar genug

von der Stube ab, die von außen und innen gleich beräuchert erschien. In dem langen Zimmer standen hölzerne Tische und Bänke, einige mit geschnitzten

Tierköpfen versehen.

An den Wänden war Getäfel angebracht; auch fehlten

daran nicht allerlei Sprüche, die auf die Kunst der Genossen Bezug hatten. Tisch an Tisch ward zusammengeschoben, das „Gewehr" der Sitte gemäß zur

Seite gelegt und zu beiden Seiten setzten sich die Singer; nur die Merker hielten sich gesondert, damit sie nicht gestört würden. Niemand durfte sich unaufgefordert an ihren Tisch setzen.

Oben nahm Hans Sachs Platz.

sah er aus in seiner festlichen Tracht.

Würdig

Die Jacke war von meergrünem Zeuge

mit mehreren Schlitzen auf der Brust, durch die das Hemd hindurchschimmerte, dessen faltiger Kragen den Hals scheibenförmig umschloß. Die Ärmel, mit

Fischbeinstäbchen gesteift und von schwarzem Atlas, tooryt zackige Einschnitte in bestimmten Linien künstlich eingesetzt waren, ließen überall das helle Unter­ zeug hindurchblicken. Mitten auf der Tafel stand ein Weinfäßchen unh einer der Meister hatte

das Geschäft des Zapfens. Als alle Becher gefüllt waren, erhob Hans Sachs die Frage, wer außer ihm singen wolle. Zwei Meister reckten die Hand empor; es waren Georg Wachler, ein Zimmermann, und Ludwig Binder, ein Stein­ metz, die nach der Ehre strebten mit dem Altmeister der Kunst zu wetteifern. Hans Sachs sollte eine Streitfrage aufwerfen und hob an: Ihr Freunde, saget mir, wenn ihr wißt, Wer wohl der künstlichst« Werkmann ist?

Zuerst erwiderte Georg Wachler: Das ist fürwahr der Zimmermann; Wer hat es ihm jemals gleichgetan? Durch Schnur und Richtscheit ward ihm kund Die höchste Zinn' und der tiefste Grund; Ihn loben stattliche Lustgemächer, Hoch strebet sein Ruhm wie seine Dächer. Reich an Erfindungen ist sein Geist,

133

27. Eine Festschule der Meistersinger.

Mühlwerk und Wasserwerk ihn preist; Er schützet durch Bollwerk Deich und Schanz, Die heilige Schrift weiht ihm den Kranz; Er zimmerte die starke Arch', Drin Noah war, der Patriarch; Wie rings auch kräusele die Flut, Er ruhte in ihr in sicherer Hut; Mit den Seinen er gerettet ward, Mit allen Tieren jeder Art. Er zimmerte nach weisem Rat Jerusalem, die Gottesstadt, Des weisen Salomo Königshaus, Das führte er mächttg und prächtig aus. Denkt an das Labyrinth zum Schluß: Wer ist geschickt wie Dädalus?

Als er geendet, sah man den zweiten Merker mit einer Kreide einen großen Strich wegen der Klebsilbe auf den Tisch malen.

Dann begann so­

gleich Ludwig Binder folgenden Spruch zur Erwiderung: Das Holz verfault, der Stein bleibt Stein; Der Steinmetz muß der erste sein. Ringmauern baut er, kühne Türme, Basteien auch zu Schutz und Schirme, Gewölbe pflanzet er, die sich kühn Aufrankend in die Lüfte zieh'n, Schwindliche Gänge, durchsichtig und fest, Mit Säulen und Bildwerk geschmücket aufs best'. Den schiefen Turm von Pisa schaut, Den Wilhelm von Nürnberg hat erbaut; Iu Jerusalem den hohen Tempel, Der trug der höchsten Vollendung Stempel; Der himmelhohe Turm zu Babel, Das Grab des Mausolus ist keine Fabel, Die Pyramiden, die künstlichen Berg', Sie überragen weit alle Werk'.

Er bekam einen Strich von dem zweiten Merker wegen der Klebsilbe

und von dem dritten wegen zweier unreiner Reime zwei.

Alles war gespannt

auf Hans Sachsens Erwiderung, als er sich zu folgendem Spruch erhob: Vermag auch Beil und Meißel viel, Schwach sind sie gegen den Pinselkiel. Er bringt nicht nur Häuser und Städte hervor, Türmt Schlöfler und schwindlichte Watten empor Nein, was zu Anfang Gott erschuf Durch seines göttlichen Wottes Ruf, Das schaffet der Maler zu aller Zeit: Gras, Laubwerk, Blumen auf Feld und Heid', Den Vogel, wie in der Lust er schwebt, Des Menschen Antlitz, als ob er lebt,

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27. Eine Festschule der Meistersinger. Die Elemente beherrschet er all', Des Feuers Wut, des Meeres Schwall. Den Teufel malt er, die Höll' und den Tod, Das Paradies, die Engel und selbst Gott, Das macht er durch Farben dunkel und klar Mit geheimen Künsten euch offenbar. Das hebet sich mächttg durch die Schattierung Nach schön entworfener Visierung. Er kann euch alles vor Augen bringen, Nicht schöner möget ihr je es singen. Wie mutz er sinnen Tag und Nacht! 3n Traumgebilden sein Geist stets wacht. Er ist an Phantasien reich Und fast dem kühnen Dichter gleich; Um alle Dinge weiß er wohl, Wie er sie alle bilden soll: Wer zu allen Dingen hat Schöpferkraft, Den rühmet die höchste Meisterschaft.

Trotz des Beifalls, den Hans Sachs von den Genossen davontrug, gab sich der Steinmetz noch nicht verloren; er begann wieder: Du lobst den Maler mir zu sehr, Der Steinmetz bringt uns Nutzen mehr. Des Malers können wir enttaten, Er schafft von jedem Ding nur Schatten: Sein gemaltes Feuer wärmt uns nicht, Seine Sonne spendet nicht Schein noch Licht, Sein Obst hat weder Schmack noch Saft, Seine Kräuter nicht Duft und Heilungskrast, Seine Tiere haben nicht Fleisch noch Blut, Sein Wein verleiht nicht Freud' und Mut.

Wie er geendet, erhob sich Hans Sachs noch einmal leuchtenden Auges

zur Lobpreisung der Malerei und eines längst dahingeschiedenen Freundes: Das Sprichwort immerdar noch gilt, Daß, wer die Kunst nicht hat, sie schilt. Wie nützlich auch ist die Malerei, So nenn' ich euch jetzt nur der Dinge drei: Was bewahrt die Geschichte als teures Vermächtnis, Das prägt sie uns ein in unser Gedächtnis: Wie der Nürnberger Heer unter Schweppermann glänzte, Wie den Dichter hier Kaiser Friedrich bekränzte. Wer sich auch nicht auf die Schrift versteht, Des Malers Schrift ihm nicht entgeht; Er lehret, wie Bosheit uns Mißgeschick, Wie Frömmigkeit bringet Ehr' und Glück. Was verscheuchet mehr denn die Malerei Uns der Einsamkeit Tochter, die Melancholei? Sie lichtet der düsteren Schwermut Schmerz,

135

28. - Ritter, Tod und Teufel. Verkläret das Auge durch Lust und Scherz. Zuletzt doch jegliche Kunst erkennt 3n des Malers Kunst ihr Fundament: Der Steinmetz, Goldschmied und der Schreiner, Hornschneider, Weber, der Werkmeister, keiner Entbehret sie je, weshalb die Alten Sie für die herrlichste Kunst gehalten. Wie strahlte der Griechen Namen hell, Ieuxis, Protogenes, Apell! Gott hat zu Heil dem deutschen Land Der Künstler manchen mit hohem Verstand Wie Albrecht Dürer uns gegeben, Des Kunst verschönernd schmückte das Leben. Was er mit Fleiß gesäet, wachs' Dem Volk zu reichem Segen, fleht Hans Sachs.

So sang der Poet und die Gegner schwiegen.

Alle zollten ihm reichen

Beisall und Ludwig Binder war nicht der letzte. Auch Konrad Nachtigall begrüßte herzlich seinen alten Freund, nahm sich den Kranz ab und setzte ihn

Hans Sachsen aufs Haupt, Nürnbergs kunstreichem Schuster.

28. Ritter, Tod und Teufel (Kupferstich von A. Dürer). Von Franz Graf Pocci.')

1. Durch dunkle Waldesnacht Und wilde Felsenschluchten Jur Burg, der lang gesuchten, Lenkt seines Rosses Schritt 2. Ein Ritter und es folgt Der Spur des schnellen Hufes Der treue Hund, des Rufes Gewärtig seines Herrn. 3. Es glänzt der blanke Helm, Das scharfe Schwert zur Seite, Die Lanze, und ins Weite Der Eisenharnisch tönt.

4. Der Zur Und

Erblickt wohl etwa nicht wack're, kühne Reiter Rechten den Begleiter jenen, der ihm folgt?

5. Ins Antlitz grinst der Tod, Auf einer Mähre reitend; •) „Dichtungen", S. 87.

Auf raschen Füßen schreitend Eilt Satan hinterdrein. 6. Nichts ficht den Ritter an; Er ziehet seiner Wege Durch dunkles Waldgehege Mit festem, frommem Sinn.

7. So zieht der wahre Christ, Das Bild soll dies wohl sagen, Willst nach dem Sinn du fragen, Durch diese wüste Welt. 8. Der treue Hund, der wacht, Ist wohl ein gut Bewifien, Er wird es nicht vermissen, Es mahnet Tag und Nacht.

9. Der schöne Waffenschmuck, Schwert, Speer und Pickelhaube Und Harnisch sind der Glaube, Des edlen Streiters Schutz.

Schaffhausen 1843.

Hurter.

136

28. Ritter, Tod und Teufel.

Ritter, Tod und Teufel, nach einem Kupferstich von Albrecht Dürer, 3/5 verkleinert.

10. Wer kennt wohl so die Furcht, Wer sollte da wohl fliehen, Will er zur Heimat ziehen, Jur hohen, festen Burg?

11. Auf! Rüstet ungesäumt Euch! Seid mit Mut bereitet! Es droht, was euch begleitet, Der Satan und der Tod!

29. Albrecht Dürer.

137

.Die Ruhe aus der Flucht, nach einem Holzschnitt aus dem Marienleben von Albrecht Dürer, >/, verkleinert.

29. Albrecht Dürer. Don Siegfried Graf Pückler-Limpurg.*

Es ist ein Holzschnitt von Albrecht Dürer, den wir hier vor uns haben — von Albrecht Dürer, den Deutschland als den berühmtesten Maler seiner

Worzeit feiert und dessen Name bei uns volkstümlich geworden ist wie kein z',weiter Künstlername.

Ein Holzschnitt ist es und zwar aus einer Folge —

29. Albrecht Dürer.

138

sagen wir: ans einem Bilderbuche —, worin das Leben der Jungfrau Maria dargestellt wird. Über solche Holzschnitte und Bilderbücher soll später Genauere-

gesagt werden.

Einstweilen betrachten wir einmal den, der vor uns liegt.

Er stellt die heilige Familie in ihrer häuslichen Beschäftigung dar: Joseph, der

Zimmermann, geht seiner Arbeit nach, während Maria neben ihm am Spinn­ rocken sitzt und das Christkind wiegt. Ein religiöses Bild also, eine Szene aus dem Neuen Testament.

Allein

wollte man sie in irgend einem Evangelium aufsuchen, man würde sie nirgends finden. Das ist von Wichtigkeit. Dürer ist kein Illustrator, d. h. kein Künstler, der irgend eine in einem Buche geschilderte Szene genau in der Zeichnung darzustellen sucht; er erfindet vielmehr aus dem Geiste der Schilderung heraus ganze Szenen oder wenigstens Einzelheiten, die nirgends, beschrieben sind.

Er

steht unabhängig neben seinem textlichen Vorbilde. Nun könnte es freilich noch eine andere Art Vorbild für ihn geben. Für eine Reihe biblischer Szenen

hat sich in den Wandmalereien und den Bildern in Handschriften (beit „Minia­ turen") ein Herkommen gebildet, das festsetzte, welche Szene dargestellt werden sollte und in welcher Weise — in der Hauptsache

zufassen sei.

wenigstens — sie auf­

Allein auch solche Vorbilder existieren für diese Szene nicht, sie

ist Dürers eigene Erfindung und gerade deshalb sehr bezeichnend für seine persönliche Kunstweise. Dürer war in erster Linie religiöser Maler.

Er selber sagt einmal in

einer uns erhaltenen Handschrift: „Dann durch Malen mag angezeigt werden das Leiden Christi und würd gebraucht im Dienst der Kirchen. das Gemäl die Gestalt der Menschen nach ihrm Sterben."

Auch behält

Damit umschreibt

er selbst seine Haupttätigkeit, zumal in seinen Bildern; nur in einigen Kupfer­ stichen und Zeichnungen greift er über diese Grenzen hinaus. Und innerhalb derselben beschäftigt ihn tatsächlich das am meisten, was er in jenen Worten voranstellt: das Leiden Christi, das Leben Christi überhaupt, während er die vor ihm so beliebte Heiligenlegende selten behandelt; das liegt übrigens im

Zuge seiner Zeit, die mehr und mehr durch die deutschen Bibeln angeregt wurde, schon lange vor der Reformation. Eine häufig wiederkehrende Darstellung bleibt auch bei ihm wie bei seinen Vorgängern das Christkind im Arme seiner Mutter, die ja auch auf unserem Bilde die Hauptperson ist. Wer an das Marienideal der italienischen Hochrenaissance gewöhnt ist — ein jeder hat doch zu Hause eine der berühmten Madonnen Rafaels ge­

sehen —,

der ist wohl von

dieser Maria enttäuscht.

Es ist ein herbes

Gesicht, das nichts vom weichen Linienfluß jener Italiener zeigt.

Wer sich

aber mehr mit diesem Gesichte beschäftigt, wird bald finden, daß es manche fein beobachtete persönliche Züge aufweist, die den Italienern ja so häufig

fehlen.

Wenn diese am Spinnrocken sitzende Maria manchem etwas hausbacken

vorkommt, so mag er dazu bedenken, daß in Deutschland zu jener Zeit nicht jener äußerliche Glanz und Prunk herrschte wie in den viel reicheren Städten

29. Albrecht Dürer. Italiens.

139

Noch etwas ist für Dürer wie für jeden selbständig vorgehenden

Künstler maßgebend: sein Verhältnis zu seinen Vorgängern. vor ihm

Das Jahrhundert

hatte für die Mutter Gottes ein bestimmtes Schönheitsideal:

ein

eirundlängliches Gesicht mit sehr hoher Stirne, schmalen Augen, gerader Nase und kleinem Untergesicht. Es ist ein Teil bewußter Auflehnung gegen dies

zum Schema gewordene Ideal in Dürers Marienköpfen: auf unserem Bilde sehen wir ein rundes Gesicht mit leicht gebogener Nase, lebhaften runden Augen, vollen Lippen und kräftig abgesetztem Kinn — lauter Züge, die Dürer durch eigene Beobachtung gefunden hat. Suchte er so durch lebhaftere Betonung persönlicher Züge die Madonna

uns menschlich näher -zu bringen, so bleibt ihm doch jenes Streben der Italiener nach völliger Vermenschlichung fremd;

Maria wird niemals, wie bei jenen,

einfach die liebenswürdig-schöne junge Mutter mit einem spielenden Kinde. Auf unserem Bilde sehen wir hinter der Wiege vier anbetende Engel stehen, das dienende Gefolge des menschgewordenen Himmelskönigs. Oben aus den Wolken aber blicken Gott Vater und der Heilige Geist wachend und segnend hernieder.

Damit ist die an sich so einfache Gruppe dem Gewöhnlichen und

Alltäglichen entrückt, sie erhält einen Zug feierlichen, weihevollen Ernstes. Nicht nur in den Bildern stillen Daseins, auch in der Darstellung des höchsten Schmerzes bleibt Dürer diesem feierlichen Ernste treu.

In der ge­

nannten Folge „Marienleben" ist ein anderes Bild, der Abschied Christi von seiner Mutter. Da ist die inzwischen stark gealterte Maria in den Armen

einer anderen Frau

zusammengebrochen, Christus

tung, halb schon zum Abschied gewendet, hier an ein Bild gleichen Gegenstandes

steht in einfacher Hal­

segnend vor ihr. Ich denke von dem Venezianer Maler

Lorenzo Lotto; da sind alle Beteiligten aufgelöst vor Schmerz, Christus kniet

mit gekreuzten Armen, seiner kaum noch mächtig, Maria ist aufschreiend hin­ gesunken. Einer solchen äußersten Steigerung rein menschlichen Schmerz­ empfindens war Dürer niemals fähig, er vergißt niemals den höheren leitenden Gedanken.

Seine Maria kämpft willensstark gegen ihre Trauer, ein leises

Stöhnen, nicht ein würdeloser Aufschrei, öffnet ihre Lippen, nur das brechende Auge zeigt ihren Seelenzustand.

Auch das Gesicht Christi ist schmerzvoll ver­

zogen, zumal in den Augen erkennt man die tiefe Ergriffenheit, aber seine Haltung ist ruhig und gefaßt, fest schreitet er dem Unabwendbaren entgegen.

Dieser oft bis zum tiefsten Schmerz gebeugte, aber nie gebrochene, immer von seinem erhabenen Beruf aufrechterhaltene Christus,

wie ihn Dürer in seinen

Passionsbildern geschaffen, ist eine der ergreifendsten und herrlichsten Gestalten,

die jemals die Kunst hervorgebracht hat. Doch nun zurück zu unserem Bilde; es gibt noch vieles daran zu sehen! Neben der sitzenden Maria steht Joseph, der Zimmermann, eben in eifriger Arbeit; anscheinend ist es ein Türstock, den er behaut.

Eine Schar lustiger

Engelknaben hilft ihm die Späne in einen Korb zusammenzutragen und treibt

29. Albrecht Dürer.

140

dabei allerhand muntere Spiele. als Genrekünstler.

Dürer zeigt sich hier von einer neuen Seite:

Das Genre, die einfache Darstellung irgend einer beschei­

denen Einzelheit aus dem täglichen Leben, ist im Norden entstanden und hat erst in Deutschland seine künstlerische Weihe empfangen. Wohl hat schon lange vor Dürer die französische Kunst ähnliche Darstellungen gekannt, allein

sie beziehen sich ausschließlich auf die Minnedichtung und den Ritterroman.

Die niederländische Malerei hat dann einzelne derartige Züge auf Legenden­ bildern angebracht, aber nur schüchtern an untergeordneter Stelle. Erst deutsche Kupferstecher, insonderheit Dürers großer Vorgänger Martin Schon­

gauer zu Kalmar, geben Szenen aus dem täglichen Leben als selbständige

Kunstwerke wieder.

An diese knüpft Dürer an; unter seinen Kupferstichen und

Holzschnitten finden sich mancherlei Darstellungen aus diesem Gebiete.

Bald

gestaltet er, wie hier, einen religiösen Stoff zu einem Genrebilde um, bald gibt er ein solches selbständig wieder:

ein paar Landsknechte

Ritter oder Edeldamen auf der Reise,

Bürger beim Spaziergang auf dem

oder jagende

Lande oder ftänkische Bauern, wie sie nach Nürnberg auf den Markt kamen. Für den Kulturhistoriker sind das Dokumente. Das Beil, das Joseph führt,

der Rechen, mit dem der eine der Engel arbeitet,

und der Hut, den dieser

trägt, das sind Wiedergaben von urkundlicher Genauigkeit, die jene ganze Zeit vor unseren Augen lebendig werden lassen. Nun wird aber mancher erstaunt fragen:

„Wie kommt ein Zimmerplatz Solche Frage wird gern

aus Dürers Zeit in die Kindheitsgeschichte Christi?" leichthin beantwortet,

das komme von der Naivität der ftüheren Zeit, die

kulturhistorische Studien noch nicht gekannt habe.

Nun, letzteres ist richtig;

aber man würde Dürer doch etwas zu viel „Naivität" zumuten, wollte man

bei ihm den Glauben voraussetzen, daß sich die Leute zu Christi Zeiten ebenso getragen

hätten wie zu seiner eigenen.

Da ist schon eines

beachtenswert:

Christus selbst und die Apostel erscheinen bei ihm stets in einer Tracht, die

noch deutlich an die antike (Tunika und Toga) erinnert. Bei Maria schlägt er einen Mittelweg ein: auf unserem Bilde trägt sie einen Ausputz an Hals und Schultern, der den damaligen Schmuckformen entspricht, dazu aber einen Mantel halbantiker Art. Nur Joseph ist völlig in Zeittracht dargestellt. Wir können verfolgen, wie dies enfftanden ist. Die oben beschriebene Tracht Christi war im frühen Mittelalter jene, in der alle Personen biblischer Vorgänge dar­ gestellt wurden; sie war eine Überlieferung aus altchristlicher Zeit. Erst später

wandte man Zeittracht an, zuerst bei den Henkersknechten der Passion, nach

und nach bei allen Personen mit Ausnahme der erwähnten.

Nicht naive Un­

wissenheit ist also der Grund, sondern das Bestreben die Vorgänge lebendiger und volkstümlicher zu gestalten, der Mitwelt näher zu rücken und des Fremd­

artigen zu entkleiden. Dem gleichen Zwecke dient auch das Häuschen auf unserem Bilde links im Hintergründe.

Mit dem weidengeflochtenen Zaune und der überdachten

141

29. Albrecht Dürer.

Holztüre ist es das getreue Abbild eines fränkischen Bauernhofes der damaligen Zeit, wie ihn Dürer und manche seiner Zeitgenossen oft dargestellt haben.

Damit stehen wir bei einem anderen Punkte seines Schaffens: bei der Land­ schaft. Auch hier fußt Dürer auf seinen Vorgängern. Schon hundertfünfzig

Jahre vor ihm brachte man, vor allem in Frankreich, Andeutungen einer Land­ schaft, wie einen Baum, einen Hügel, auf Heiligenbildern an.

Achtzig Jahre vor

ihm schufen dann Niederländer, wie Jan van Eyk, aber

auch Deutsche auf

ihren Bildern große landschaftliche Hintergründe. Aber allen bis zu Dürers Vorläufern herab fehlt die Einheit zwischen dem szenischen Vorgang und dem

Hintergründe; das Bild zerfällt in zwei Teile: die Figuren im Vordergründe und die Wiesen, Berge und Städte in der Ferne. Der Übergang zwischen

beiden, der „Mittelgrund", ist mehr oder weniger geschickt verdeckt oder mit kulissenartigen Bauten verstellt. Erst Dürer gelingt es die Landschaft von

vorne bis zum Horizont ununterbrochen durchzuführen. Folgen wir ihm ein wenig auf unserem Bilde! Da ist vorne hinter dem niederen Gemäuer ein Hof, in dem ein Faß und unbehauenes Holz liegt und Hühner picken. Dann kommt die vielgestaltige Ruine mit der vorgebauten Treppe, dem Brunnen,

dem Holzgang und dem noch bewohnten Anbau.

Daran schließt sich der er­

wähnte Bauernhof und weiter ein zerfallenes Tor. Und noch hinter diesem Tore, zum Teil durch dasselbe, sehen wir den Felskopf mit der Burg, ein Tal und fernes Gebirge.

So zwingt uns der Künstler, an hundert kleinen Zügen

nach und nach die ganze Weite des Raumes bis zum Horizont zu durchmessen. Ausfallen mag, aus welchen Teilen Dürer seine Landschaft zusammen­

setzt; besonders die in ihren Einzelheiten so reizvoll phantastische Ruine wird

wenn sie auch anderseits an moderne Romantik erinnert. Gerade in ihr liegt aber ein echt deutscher Zug. Die Ruinenromantik war Erstaunen erregen,

den Deutschen und Niederländern schon lange eigen und lieb geworden, be­ sonders bei Darstellungen aus der Kindheit Christi; der Stall in Bethlehem

ist fast immer in eine Ruine verwandelt. entspringt derselben Gefühlsrichtung.

Auch die Burg im Hintergründe

Während

der Italiener gerne einen

Phantasiebau in strengen, vollendeten Renaissanceformen auf seinen Bildern

anbringt, liegt es dem Deutschen viel näher den melancholischen Reiz zer­ fallenden Gemäuers oder die Vielgestaltigkeit seiner heimischen Burgen zu schildern.

Betrachten wir nun noch die Mittel, dieser Raumweite erreicht.

mit denen Dürer den Eindruck

Ich muß hier kurz von Perspektive reden, wenigstens

von einem Hauptgrundsatz derselben. Parallele Linien, die vom Beschauer wegführen, scheinen zu konvergieren und würden sich, in ihrem scheinbaren Verlaufe bis außerhalb der Sehweite verlängert, alle in einem Punkte schneiden. Dieser auf der Zeichnung konstruierbare Punkt heißt der Augenpunkt.

Be­

obachten wir nun Dürers Landschaft nach dieser Richtung! Da sehen wir auf der linken Bildseite eine Menge solcher Linien: die wagrechten Fugen der

142

29. Albrecht Dürer.

Mauer und der Holzwand, die Dächer, die Tür- und Fensterstürze, sie laufen

alle unter sich parallel und scheinen daher zu konvergieren.

Legen wir ein

Lineal an, so finden wir auch, daß sie sich schneiden würden in einem Punkte,

der etwa im unteren Drittel der Toröffnung im Hintergründe liegt- Die Höhe dieses Augenpunktes im Bilde ist abhängig vom Standpunkt des Be­

schauers; je weiter dieser in der Wirklichkeit von der Linie entfernt ist, die der Künstler als vorderen Bildrand bestimmt hat, desto niederer liegt er.

In

unserem Falle stehen wir also ziemlich nah. Daher kommt es auch, daß wir z. B. in die Wiege hineinschauen, daß wir die Oberseite von Josephs Beil er­

blicken und auf die Engelkinder von oben herabsehen.

Für Dürer lag eine so starke Betonung der perspektivischen Mittel sehr nahe.

Nicht immer waren sie nämlich bekannt.

nur eine schwache Ahnung von ihnen.

Dürers Vorgänger hatten

Dagegen hatten die Italiener, gestützt

auf ihre mathematischen Studien, sie schon hundert Jahre früher gefunden und gerade diese Kenntnis hatte der italienischen Kunst ihre große Überlegen­

heit über die des Nordens verliehen.

Dürer nun hatte die Kenntnis der

Perspettive von italienischen Künstlern und Theoretikern erlernt und sie zuerst in das deutsche Kunstleben eingeführt. Kein Wunder, daß er sich nun dieses neuen Könnens besonders freut

und

es dem Beschauer recht deutlich vor

Augen führen will. Da sind wir nun bei einem wichtigen entwicklungsgeschichtlichen Moment

angelangt, bei der Raumgestaltung Dürers. Denn hierin liegt die Stellung des einzelnen Künstlers zum Fortschritt der Gesamtkunst. Auffassung, Ge­ danken, Kraft der Darstellung wechseln nach Persönlichkeiten und Zeiteinflüssen; die Raumgestaltung aber schreitet ununterbrochen fort, von den ersten Anfängen

der mittelalterlichen Malerei, wo einzelne Heiligengestalten als körperlose Fläche auf teppichartigem Grunde gezeichnet worden, bis zu den Deckenmalereien

des Barock, die in unermeßlichen Weiten schwelgen.

Bei Dürer sehen wir

einen wichtigen Abschnitt vollendet: die Linearperspektive. Dürer ist imstande jeden Raum vollkommen einwandfrei zu zeichnen und die einzelnen Gegen­ stände und Personen in beliebiger Entfernung vom vorderen Bildrande richtig

anzubringen.

In diesem Punkte war über ihn hinaus kein Fortschritt mehr

möglich. In anderer Hinsicht aber ist Dürer noch unfertig, in der Luft­ perspektive. Durch die Brechung der Luft nämlich verschwimmen die Farben

in einer gewissen Entfernung vom Beschauer und zwar manche früher als andere. Die Reihenfolge, nach der dies geschieht, entspricht genau der Farben­ folge des Sonnenspekttums: die roten Töne verschwimmen zuerst, die blauen

zuletzt. Dies Gesetz ahnten wohl die Maler schon vor Dürer; sie malen die Berge des Horizontes blau und dämpfen lichte Töne, je weiter sie vom Vordergmnd entfernt sind. Richtig erforscht wurde das Zusammenwirken der Farbe jedoch erst nach Dürers Zeit und deshalb muten uns seine Bilder viel alter­

tümlicher an als alle seine schwarz-weißen Werke.

143

29. Albrecht Dürer.

Hand in Hand mit der Entwicklung der Raumdarstellung ging auch der

Fortschritt in der Anatomie. Auch hier finden wir bei Dürer im Vergleich zu seinen Vorläufern den Übergang vom unsicheren Tasten zum bewußten Können. Dürer war der erste deutsche Künstler, der sich — wieder an der Hand italie­

nischer Lehrer — eingehend mit dem Bau des menschlichen Körpers beschäftigt

und hierzu eine Reihe von Studien gezeichnet hat. So gut wie der Körper selbst beschäftigte ihn auch die Kleidung, wie uns ebenfalls eine große Zahl von

Zeichnungen beweist.

So war er von allen deutschen Künstlern zuerst imstande

eine Figur richtig darzustellen, wenigstens so lange es sich um einfache, ruhige Stellungen handelte. Allzu erregte und verwickelte Bewegungen, wie sie spätere Virtuosen liebten, hätte er wohl noch nicht zuwege gebracht. Allein von

diesen hielt ihn schon seine ganze Kunstweise fern. Überhaupt ist die Bewegung ein Gebiet, das besonders besprochen sein

will; es fällt durchaus nicht immer mit der Anatomie zusammen. Hundert­ fünfzig Jahre vor Dürer zeichneten französische Miniatoren die überzierlichen, gesuchten Modebewegungen der damaligen Stutzer und Damen mit fabelhaftem Geschick ohne jede Kenntnis der Anatomie. Die Art, wie ein Bein über das andere geschlagen, ein Handgelenk abgebogen, ein Finger ausgespreizt wird, ist charakteristisch wiedergegeben, das Bein aber oder die Hand selbst sehr oft ver­

zeichnet. Später strebte man mehr nach richtiger Form, die Feinheit der Be­ wegung wurde darüber vergessen. So ist es auch bei Dürer: ich muß hier

gerade auf den schwächsten Punkt unseres Künstlers Hinweisen. Feinheiten der Bewegung konnte Dürer nie beobachten. Sehen wir die Hände Josephs an! Wohl sind sie trefflich gezeichnet, aber kein Zug deutet uns an, ob die Axt eben gehoben werden soll oder der Schlag gerade zu Ende ist; man glaubt,

sie verharrten ruhig in dieser Stellung.

Auch von den Händen Marias mit

Faden und Spindel gilt dasselbe. Trefflich in dieser Hinsicht sind nur die Engel im Vordergründe, namentlich jener, der eben Holzabfälle am Boden

zusammcnrecht.

Der Mangel in

der Bewegung

bei Dürer ist

gerade die

Ursache, warum so vielen seine Figuren steif und hölzern erscheinen. Wollen wir einen Künstler kennen lernen, so müssen wir auch seine Fehler erkennen. Sind wir uns aber über dieselben einmal klar geworden, dann können wir über sie hinwegsehen, wir können dann hier trotz der mißlungenen Bewegungen die kraftvolle Zeichnung und den wundervollen Ausdruck der Gestalten vollauf würdigen und genießen.

Zum Schluß muß ich noch ein Gebiet in Dürers Kunst erwähnen, ohne

das ihr Bild nicht vollständig wäre: die Ornamentik.

Denn auch hier war

Dürer in gewissem Sinne ein Bahnbrecher; er war einer der ersten, der das Ornament der italienischen Renaissance in Deutschland eingeführt hat. Freilich hat er sich nie so eingehend

damit beschäftigt

wie seine Augsburger Zeit­

genossen oder seine Nachfolger in Nürnberg. Es interessierte ihn nur gelegent­ lich zur Ausschmückung seiner Darstellungen, vor allem der Gebäude; nur in

144

29. Albrecht Dürer.

Holzschnitten und Zeichnungen, die er im Auftrage Kaiser Maximilians machte, spielt das Ornament eine größere Rolle und ist dementsprechend reicher.

Auf

unserem Bilde sind nur zwei Spuren zu finden, die allerdings manches Lehr­ reiche sagen. Die eine ist das Doppelfenster im Innern der Ruine, zwei Bögen, die auf einer Säule mit kelchartigem Kapitell ruhen. Nichts wird auf den ersten Blick an die der Renaissance zugrunde liegenden antiken Formen

erinnern; in der Tat haben diese auch eine zweimalige Umformung durchmachen müssen.

Die erste schon in Italien und zwar in Norditalien.

Hier wurden

die in Toskana wiedererstandenen antiken Formen der bisherigen gotischen Bauweise mehr oder minder geschickt eingepaßt und so ein Mittelding zwischen beiden Stilen geschaffen, welches mehr malerisch als dem Geiste der verwendeten

Formen entsprechend war. Solche Vorbilder kannte Dürer und suchte sie in freier Weise nachzubilden. Da wird nun aus der oberitalienischen Loggia ein halbromanisches Doppelfenster, aus dem dorischen ein Kelchkapitell.

Nicht

minder bezeichnend ist weiter der Koller des einen Engelknaben, der ohne jede sachliche Genauigkeit einen antiken Harnisch nachahmt. In jenen Arbeiten für Kaiser Maximilian finden wir solche Umbildungen in reicher Anzahl. Korin­ thische Kapitelle werden mit allen möglichen Blättern geschmückt', der Schaft wird mit Pflanzenornamenten überzogen und oft flaschenartig gebaucht, im Rankenornament mischt sich der antike Akanthus mit der gotischen Phantasieblnme und naturalistischen Zweigen und Blüten. Was Dürer hier gab, war

erst eine Anregung, zwar bunt und mannigfaltig, aber nicht einheitlich genug um selbständig fortzuwirken. Es bedurfte der Säuberung durch seine Nach­ folger, um aus diesem Gewirre einen wirklichen Stil zu formen. So hätten wir die Darstellung unseres Bildes völlig erschöpft; es bleibt noch ein Wort über die Technik zu sagen. Unser Blatt ist ein Holzschnitt, also ein Druck, der von einer Holzplatte („Holzstock") gemacht wurde. Ich

erwähnte, daß Dürer auch Kupferstiche gemacht hat, und will deshalb den Unterschied beider Druckarten kurz erklären. Beim Kupferstich wird die Linie, die gedruckt werden soll,

in die Metallplatte vertieft;

durch eine bestimmte

Art der Einfärbung bleibt die Druckerschwärze nur in diesen Vertiefungen haften und nur diese drucken sich auf das Papier ab. Beim Holzschnitt da­ gegen wird aus dem sorgfältig geglätteten Holzstock'alles herausgeschnitten, was weiß bleiben soll, die stehen gebliebenen Teile der Oberfläche drucken sich dann

Bemerkt sei hier jedoch, daß der Holzschnitt, obwohl schon sehr alt, doch von Hause aus nichts mit dem Buch­ druck zu tun hat, sondern erst dreißig Jahre nach dessen Erfindung zur Illu­ stration von Büchern herangezogen wurde. Auch in der Holzschnittechnik war Dürer ein Bahnbrecher; zwar hat ebenso ab wie ein Satz in Buchdrucklettern.

er, wie wir aus manchen Umständen sehen, nie selbst in Holz geschnitten.

Er

zeichnete npr auf den Holzstock; allein die ausführenden Holzschneider arbeiteten nach seinen Angaben und er wirkte auf sie schon durch die Art seiner Vor-

145

29. Albrecht Dürer.

Zeichnung. Die älteren Holzschnitte sind durchweg mehr oder minder rohe Handwerkerarbeiten. Erst einmal hatte ein bekannter Maler für den Holz­ schnitt gezeichnet: Dürers Lehrer, der Nürnberger Michel Wohlgemuth.

Allein

seine Zeichnungen wurden von den ungeübten Holzschneidern gänzlich verdorben, vielleicht schon deshalb, weil sie sich der Technik zu wenig anpaßten. nun verfolgte von Anfang an — einige unbedeutende Jugendarbeiten

Dürer aus­

genommen — den Grundsatz alles in einfachen, klaren Strichlagen vorzu­ zeichnen. Im Anfang fielen diese, dem geringen Können der Holzschneider ent­ sprechend, ziemlich derb aus, nach und nach wurden sie immer feiner. Er legte diese Strichlagen dann so, daß schon durch ihren Verlauf Rundung und Form der Körper hervorgehoben wurde.

Blatte sehr deutlich.

Wir sehen dies Verfahren an unserem

Hier ist von der Kunst des Holzschneiders schon viel

vorausgesetzt, vor allem beruht hier ein gut Teil der Wirkung darauf, daß

der Verlauf der Linie, die größere oder geringere Entfernung der Schatten­

striche voneinander genau eingehalten sind. Damals hatte Dürer schon Holz­ schneider herangebildet, denen er jede Schwierigkeit zumuten konnte. Nun wird wohl mancher fragen, wer eigentlich der Mann war, von dessen Kunst wir so viel gesprochen, was er alles leistete und wie sein Leben

verlief. Das ist freilich schwer in Kürze zu berichten. Wie Dürers Kunst so ist auch sein Leben unendlich reich und vielseitig, seine Besttebungen sind weit ausgreifend wie bei keinem anderen deutschen Künstler und sein Werk ist

bunt) seinen unermüdlichen Fleiß und seine wunderbare Schaffenskraft stattlich

und umfangreich. Albrecht Dürer war der Sohn eines aus Ungarn nach Nürnberg ge­ kommenen Goldschmiedes und war ant 21. Mai 1471 geboren.

kam er

als Lehrling

in die Werkstatt seines Vaters.

Etwa IZjährig

Goldschmiede waren

damals in enger Beziehung mit Malerei und Plastik, manch tüchtiger Künstler

war aus diesem Gewerbe hervorgegangen, vor allem war die Kupferstichkunst

bis auf Dürer meist von den im Gravieren erfahrenen Goldschmieden ausgeübt worden. Am 30. November 1486 trat der junge Dürer als Lehrling auf drei Jahre bei dem Maler Michel Wohlgemuth in Nürnberg ein.

„In der

Zeit", schreibt er später, „verliehe mir Gott Fleiß, daß ich wol lernete. ich viel von seinen Knechten mich leiden mußte."

Aber

So eine Malerwerkstatt sah

damals ganz anders ans als ein heutiges Atelier; denn der Maler war damals Handwerker, genau so wie der Schreiner

oder

der Bäcker.

Da waren je

nach dem Rufe des Meisters wenige oder viele Gesellen und Lehrlinge, denen

die gewöhnlichen und schlecht bezahlten Arbeiten und die Vorbereitungen über, lassen blieben — besonders auf Wohlgemuth trifft dies zu. Denn damals gab es noch keine grundierten Malbretter und fertigen Farben zu kaufen. mußte in der Werkstatt gemacht werden.

Alles

Da wurden die Bretter geglättet

und mit einer Schicht geschlemmter Kreide überzogen; diese wurde meist ver­ goldet, auch bann, wenn die Darstellung nicht auf Goldgrund, sondern vor Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

10

29. Albrecht Dürer.

146

einer Landschaft

oder einem bunten Teppich stehen sollte.

Erst zu Dürers

Zeiten fing man an, den Goldgrund durch farbige Untermalung zu ersetzen. Dann wurden die rohen Farben gerieben und mit dem Malmittel vermischt. Im 15. Jahrhundert diente als solches eine ölhaltige Mischung („Ölemulsion"), welche gestattete die Farbe dünnflüssig ähnlich der Wasserfarbe aufzutragen, aber dauerhafter war als diese. Die zähe, dicke Ölfarbe von heute wurde erst später bekannt. All diese Handwerksgriffe mußte der Lehrling damals durch die Übung lernen, denn Lehrbücher und akademische Vorträge darüber gab es

noch nicht. Nach Ablauf der Lehrzeit, um Ostern 1490, zog Dürer nach damaligem Handwerksbrauch

vier Jahre auf die Wanderschaft.

Wohin ihn sein Weg

führte, wissen wir nicht, nur das eine ist sicher, daß er Kalmar und Basel aufsuchte. Pfingsten 1494 war er wieder in Nürnberg; dort heiratete er bald

darauf Agnes Frey und ließ sich als selbständiger Meister nieder.

Zu tun

gab es zunächst noch nicht viel für ihn; ein paar Bildnisse mögen schon in jener Frühzeit entstanden sein. Um so eifriger arbeitete er als Zeichner und Kupferstecher, manches zum Broterwerb, mehr noch zur eigenen Übung. So

reiste denn langsam das Werk heran, das ihn zuerst bekannt machte: eine

Holzschnittfolge, die Bilder zur „Heimlichen Offenbarung" oder Apokalypse Johannis, deren erste Ausgabe 1498 erschien.

Es ist noch manches hart und

unausgeglichen darin, die Linienführung ist sehr derb und die Bewegung der Figuren ungeschickt; trotzdem ergreift das Werk durch seine Größe der Auf­

fassung und die Kraft des Ausdruckes.

Die starke Wirkung auf die Mitwelt

erkennt man am besten daraus, daß das Buch im Jahre 1511 schon seine dritte Auflage erlebte und auf Jahrzehnte hinaus für die Art die Apokalypse zu illustrieren vorbildlich blieb.

Zwei Jahre später soll ein Werk entstanden sein, das so volkstümlich ist wie kein zweites unseres Meisters: das Selbstbildnis in der Alten Pina­

kothek zu München, das die Jahreszahl 1500 trägt.

Wenn wir uns heute

die Züge Dürers vorstellen wollen, so tritt uns immer dies Bild vor Augen;

eine Menge von Vervielfältigungen hat

gemacht.

es in ganz Deutschland

bekannt

Freilich hat die neuere Forschung es als wahrscheinlich erwiesen, daß

das Bild im Jahre 1500 nur entworfen, dagegen erst viel später fertig gemalt wurde. Damals trat Dürer auch in Beziehungen zu den Humanisten seiner

Zeit, vor allem zu den Nürnbergern Willibald Pirkheimer und Lazarus Spengler, dann auch zu den meistens in Wien lebenden Gelehrten Konrad Celtes und Johann Stabius.

malige Zeit.

Das war etwas Außergewöhnliches für die da­

Wie schon gesagt, galt die Malerei damals als Handwerk, nicht

als >ars liberalis«,

als freier Beruf eines gebildeten Mannes,

und keiner

von Dürers Nürnberger Zeitgenossen konnte sich einer gleichen Auszeichnung rühmen. Die Tatsache ist fteilich durch den Humanismus erklärlich: die Männer,

die in den griechischen Klassikern so viel vom Ruhme des Zeuxis

29. Albrecht Dürer.

147

und Apelles lasen, fühlten das Bedürfnis auch der Malerei ihrer Zeit näher­ zutreten. Daß sie aber gerade Dürer zum Umgang wählten, zeigt, daß sie

an ihm nicht nur das große Talent sondern auch

das rastlose geistige Vor­

wärtsstreben und die menschliche Liebenswürdigkeit zu schätzen wußten, während

sie von anderen Künstlern der Mangel gelehrter Bildung fernehielt. Aus jener Zeit stammt auch Dürers Bekanntschaft mit einem seltsamen Manne, dem italienischen Maler Jacopo de' Barbari, der damals unter dem Namen Jakob Walch (= der Welsche) in Deutschland lebte und namentlich

an verschiedenen Fürstenhöfen als Porträtmaler herumzog. Dürer bewunderte anfänglich die überlegene Schulung des an sich recht unbedeutenden Mannes und suchte namentlich von dessen Kenntnis in der Proportion des Menschen etwas zu lernen; aber der andere wollte es ihm „nit klerlich weisen", wie er selbst erzählt. So griff er auf die Quelle zurück, aus der auch der Italiener

sein erstes Wissen geschöpft, auf den römischen Architekten Vitruv, den ihm sein Freund Pirkheimcr übersetzen mußte. Das Studium der Proportionslehre blieb von nun an eine Lieblingsbeschäftigung Dürers und brachte ihm trotz vieler Irrtümer auch manche förderliche Erkenntnis.

Auf Jacopo aber war

er später nicht mehr gut zu sprechen, als er wirklich große italienische Meister kennen gelernt und dadurch den Unwert jenes unstet herumziehenden Malers erkannt hatte. Um jene Zeit flössen Dürer die Aufträge auf Altarwerke und Bildnisse

in reichem Maße zu.

Er hatte damals mehrere Gesellen in seiner Werkstatt,

denen er manchmal, wenn auch selten, Teile seiner Altäre zur Ausführung überließ. Daneben schritten seine Arbeiten in Kupferstich und für Holzschnitt­

werke rüstig fort.

Es entstand in jenen Jahren der größte Teil einer Holz­

schnittfolge, die das Leiden Christi schildert und ihres Formates wegen meist „die große Passion" genannt wird. Auch das Marienleben, dem unser Bild entnommen ist, wurde damals begonnen.

Beide Bücher erlebten erst viel später

ihre Vollendung. Die Arbeiten wurden unterbrochen durch einen Ruf, der den ersten großen Triumph Dürerscher Kunst und in gewissem Sinne den größten seines Lebens

bedeutet: im Jahre 1505 erhielt Dürer den Auftrag für die Kapelle in dem neuerbauten Hofe der deutschen Kaufleute in Venedig (fondaco dei tedeschi) das Altarwerk zu malen. Ende des Jahres traf er in der Lagunenstadt ein.

Wir sind über sein Tun wohlunterrichtet durch eine Reihe von Briefen, die

er von dort an Pirkheimer schrieb

und die noch erhalten sind.

Da hören

wir, daß er vom Neide der Venezianer Maler mancherlei zu leiden hatte; aber der größte unter ihnen, der alte Giovanni Bellini, kam ihm wohlwollend ent­

gegen. Das großartige Leben der Seestadt, besonders die freiere Stellung der dortigen Künstler, macht ihm tiefen Eindruck. „Wie wird mich nach der

Sunden frieren", ruft er beim Abschied aus, „hie bin ich ein Herr, doheim ein Schmarotzer." Auf das Bild selbst verwendet er unendlichen Fleiß; erst nach 10*

29. Albrecht Dürer.

148

sieben Monaten ist es vollendet. Es stellt Maria und den heiligen Dominikus dar, die an Vertreter aller Stände, voran den Kaiser und den Papst, Rosen­

kränze verteilen; im Hintergründe stehen Dürer und Pirkheimer.

Der Doge

und der Patriarch von Venedig kamen in die Werkstatt des Künstlers zur Besichtigung. Und Dürer selbst schreibt darüber: (Die Künstler) „sagen, daß

sie ein erhaben leblicher Gemäl nie gesehen haben".

Lob zu berichten.

Er hatte wohl recht dies

Noch lange wurde das Bild allgemein bewundert und ein

eifriger Dürersammler, Kaiser Rudolf II.,

kaufte es um eine hohe Summe

für seine Galerie. Später fteilich ward es nicht immer so in Ehren ge­ halten und so ist es nur in arg verdorbenem Zustand aus uns gekommen, beschmutzt und teilweise übermalt, so daß nur wenige Züge von seiner alten Schönheit reden. Es wird im Kloster Strahow zu Prag verwahrt. Nach Erledigung einiger anderer Aufträge zu Venedig zog Dürer noch

weiter nach Italien hinein.

Er schreibt,

er wolle in Bologna jemanden auf­

suchen, der ihm Unterricht in der Perspektive geben könne. Wir wissen nichts Näheres hierüber; nur das eine ist bekannt, daß ihm die Künstler von Ferrara

ein Festbankett gaben. Dürers Ruhm aber drang noch weiter nach Italien Rafael selbst ließ ihn um eines seiner vielgerühmten Aquarelle bitten

vor.

und Dürer schickte ihm ein Selbstbildnis in dieser Malweise; leider ist es uns nicht erhalten. Ein Gehilfe Rafaels aber, der Kupferstecher Marc-Anton Raimondi, studierte nicht nur eifrig Dürers technische Fortschritte sondern er

kopierte auch vielfach Dürersche Stiche und tat damit dem Meister manchen Schaden. Erst zu Anfang des Jahres 1507 kehrte Dürer nach Nürnberg zurück. In der folgenden Zeit entstanden mehrere große Altäre, vor allem einer, der

unter dem Namen „der Hellersche Altar" berühmt ist; er wurde im Jahre 1509 von einem Kaufmann Heller für die Dominikanerkftche in Frankfurt

bestellt.

Auch hier besitzen wir wieder Briefe von Dürer, die uns zeigen, mit

welch liebevoller Sorgfalt er dies Werk ausführte und wie stolz er auf seine

Leider hat hier das Schicksal noch schlimmer gespielt. Das Mittelbild, eine Himmelfahrt Mariä, wurde vom Kurfürsten Maximilian I. Vollendung war.

von Bayern für seine Sammlung erworben und

ging bei einem Brande der

Münchener Residenz im Jahre 1729 zugrunde; die erhaltenen Flügel aber, die in Frankfurt blieben, sind nur Gesellenarbeit.

Im vollen Glanze sttahlt

aber noch heute ein anderes Werk, das Allerheiligenbild aus dem Jahre 1511, das jetzt die Wiener Galerie schmückt; der wohl nach Dürers Entwürfen reich­

geschnitzte Rahmen ist in Nürnberg geblieben. Daneben ruhte auch die graphische Arbeit Dürers nicht.

1510 erschien

eine neue Holzschnittfolge zum Leiden Christi, die „Kleine Passion".

Dann

wurden die Große Passion und das Marienleben vollendet und 1511 heraus­ gegeben. 1512—1513 schuf er noch eine dritte Pafsionsfolge, diesmal in Kupferstich. Man könnte meinen, diese oftmalige Behandlung desselben Themas

29. Albrecht Dürer.

149

müßte eintönig wirken; allein jede dieser Folgen zeigt neue Gedanken, birgt

eigene Reize und spätere Zeichnungen beweisen, daß Dürers Ideenreichtum noch lange nicht erschöpft war. Seit dem Jahre 1512 tritt in Dürers Schaffen eine Wandlung ein. Er wendet sich von der Malerei immer mehr ab, theoretische Studien be­

schäftigen ihn hauptsächlich.

Nur der Stift des Zeichners und der Griffel

des Kupferstechers ruhen nimmer.

Da

sei zunächst Dürers Teilnahme an

einem großen Unternehmen genannt, vielleicht dem größten Druckunternehmen, das je begonnen wurde und das trotz seiner Nichtvollendung ein stolzes Denk­

mal deutscher Kunst bildet.

Kaiser Maximilian I. wollte gleich auswärtigen

Fürsten seiner Zeit ein Gedenkzeichen seiner Taten errichten; und würdig des Herrschers in dem Lande, das den Buchdruck erfunden,

sollte dasselbe nicht

aus einem Prunkbau, sondern aus Meisterwerken der Druckkunst bestehen. An den beiden Hauptwerken, der Ritterdichtung „Teuerdank" und dem historisch­

politischen Roman „Weißkunig", war Dürer nicht beteiligt.

Ihm fiel die dritt­

größte Aufgabe zu, die „Ehrenpforte". Es war ein etwas seltsamer Gedanke: in Holzschnitt ausgeführt die Abbildung eines großen (nie wirklich erbauten) das mit Standbildern von

Tores nach dem Vorbild antiker Triumphbögen,

Ahnen des Kaisers und Szenen aus seinem Leben geschmückt ist; es ist in reichen,

phantastischen Renaissanceformen gehalten

und

hat zusammengesetzt mehrere

Natürlich konnte es nicht auf einem Holzstocke Platz finden, es waren deren 92 nötig; ein Teil derselben ist von Gehilfen gezeichnet. Im

Meter Höhe.

Jahre 1515 war die Zeichnung vollendet, die Fertigstellung des Holzschnittes

erlebte der Kaiser nicht mehr; der erste vollständige Abdruck aller Stöcke wurde erst im 18. Jahrhundert, der beste sogar erst 1886 veranstaltet. Die Holzstöcke sämtlicher Werke sind in Wien erhalten. Nur einzelne Teile entwarf Dürer zu einem vierten Werke des Kaisers,

dem „Triumphzug", der in einem — nur erdachten — Aufzuge die Taten

des Kaisers allegorisch darstellt.

Dürers Hauptwerk darin ist der Triumph­

wagen des Kaisers selbst. Auch die Vollendung dieses Werkes erlebte der Kaiser nicht, ein Teil desselben kam überhaupt nicht zur Ausführung. In

Zusammenhang mit diesen Ärbeiten stehen zwei Holzschnittbildnisse Maximilians, von denen eines, in reichem Renaissancerahmen, erst nach des Kaisers Tode erschien.

Zugrunde gelegt ist beiden eine Zeichnung nach dem Leben,

auf

der Dürer den Kaiser „zu Augspurg hoch oben auf der Pfalz in seinem kleinen

Stüble kunterfet, do man zahlt 1518 am Montag nach Johannis Täufer" (28. Juni). Das Köstlichste aber, was Dürer für seinen kaiserlichen Herrn geschaffen,

ist das „Gebetbuch" oder richtiger die Randzeichnungen zu einem Teile des­

selben.

Maximilian hatte sich ein Brevier in besonders schönen Lettern, mit

breitem Rand, in acht Exemplaren drucken lassen.

Eines davon gab er ver­

schiedenen Künstlern, damit sie den Rand mit Zeichnungen schmückten.

Zwei

29. Albrecht Dürer.

150

Bruchstücke davon sind erhalten, eines in München und eines in Besancon; in dem Münchener Teile sind 45 Blätter von Dürer verziert. Es ist das Phantasiereichste, was der Meister geschaffen hat; in einer Fülle von Ranken­

werk erscheinen Gebilde der verschiedensten Art, bald reine Schmuckformen, bald der Gekreuzigte und Heilige, dann aber auch profane Gestalten, Landsknechte,

Bauern, Tiere.

Alles ist mit der Feder gezeichnet, ohne eine Korrektur, mit

einer Klarheit und Sicherheit, die ihresgleichen nur schwer findet. In den Jahren 1513 und 1514, mitten zwischen diesen großen Arbeiten,

entstanden auch drei Kupfersüche, die gewöhnlich zusammen genannt werden, obwohl sie von Haus aus keinen Zusammenhang haben, und die mit Recht als die edelsten Perlen Dürerscher Kunst gelten: es sind dies „Ritter, Tod und

Teufel", „Hieronymus im Gehäuse" und die „Melancholie".

Das erste Blatt

stellt einen Ritter dar, der ruhig durch eine wilde Schlucht reitet, unbekümmert darum, daß ihn der Tod auf gefährlichen Pfaden begleitet und der Teufel

hinter ihm steht — der Typus des unerschrockenen, unerschütterlichen Mannes der Tat. Hieronymus ist eigentlich nicht der Kirchenvater, sondern der deutsche Gelehrte; über die Arbeit gebeugt sitzt er in seinem traulichen, vom Sonnen­

licht durchsttahlten Stübchen, vor dem Tische liegt, gleich einem Hunde, der zahme Löwe der Legende. Am schwersten verständlich ist das dritte Blatt wegen des vielen allegorischen Beiwerks.

Die Hauptfigur, eine sitzende, in

Nachdenken versunkene Frauengestalt, bedeutet jedenfalls das rastlose, stets un­

zufriedene und nie beglückende Grübeln.

Einen Fingerzeig gibt eine an der

Wand hängende kabbalistische Zahlentafel, die sich in das Todesdatum von Dürers Mutter (17. Mai 1514) auflösen läßt. Wir wissen aus Auszeichnungen

des Künstlers, wie nahe ihm dieser Tod gegangen ist; in dieser Schmerzens­ stimmung ist auch die düstere „Melancholie" entstanden. Kaiser Maximilians Tod im Jahre 1519 ward mittelbar die Veranlassung zu einem für Dürer bedeutsamen Ereignis. Der Kaiser hatte dem Künstler ein Jahrgeld („Leibgedinge") von 100 Gulden (536 Mark heutige Währung,

allein etwa gleich 2000 Mark nach heutigen Preisverhältnissen) ausgesetzt.

Um

sich vom neuen Kaiser, Karl V., die Bestätigung dieser Rente zu erbitten, reiste Dürer im Sommer 1520 nach den Niederlanden. Ein sorgfältig geführtes Tagebuch gibt uns über diese Fahrt Auffchluß; es erzählt uns von Kreuz-

und Querzügen, von Menschen, die Dürer kennen lernte, von interessanten Ereignissen, die er miterlebte; auch seine Ausgaben und der Vertrieb seiner Bücher und Einzeldrucke sind sorgsam ausgezeichnet. Erst nach langem Warten

erreichte er seinen Zweck und kehrte Ende Juli 1521 nach Nürnberg zurück. Die Berührung mit der niederländischen Kunst führte Dürer, der in den letzten Jahren kaum gemalt hatte, wieder zur Malerei zurück. Schon während seines Aufenthaltes in den Niederlanden hatte er einige Bilder, meist Porträts, gemalt; auch eine Reihe von Entwürfen entstand dort, die später unverwertet blieben.

Aus der folgenden Zeit, nämlich aus dem Jahre 1526, stammen die

151

29. Albrecht Dürer.

beiden reifsten und abgeklärtesten Bilder des Meisters: das Porträt des Hiero­ nymus Holzschuher und die vier Apostel. Mit vollem Rechte gilt das Bildnis

deutscher Porträtkunst.

des Holzschuher als eine Perle

Beachtenswert ist hier, daß nicht eine berühmte Persön­

lichkeit uns fesselt — wir wissen von dem alten Herrn nicht viel mehr als seine äußeren Lebensumstände — sondern daß der Künstler einen Unbekannten

uns so nahe zu bringen weiß. Es ist kein Repräsentationsbild, wie es die Italiener malten, auch kein Bild von so wunderbarer malerischer Weichheit wie die Bildnisse Holbeins.

wiedergegeben, scharf betont,

Aber hier ist jede Einzelheit getreu und schlicht

die charakteristischen Züge,

die sich sofort einprägen,

aber keine gesuchte Einseitigkeit,

Ausdruck stört die strenge sachliche Einfachheit.

sind

keine Pose in Haltung und In dieser Art der Porträtkunst

ist Dürer unerreicht und sein Holzschuher das unübertroffene Meisterwerk. Die vier Apostel — besser vier Temperamente

Künstlers Testament an seine Vaterstadt Nürnberg.

genannt — sind

des

Hier hat er sein ganzes

Können auf vier stehende Gestalten zusammengefaßt,

die Apostel Johannes,

Petrus und Paulus und den Evangelisten Markus, die gleichzeitig die Typen der vier Temperamente darstellen sollen. Bei einem solchen Vorwurf können

Bewegung und Anordnung nichts mehr geben, alles liegt in dem wunderbaren Ausdruck der Köpfe und der einfachen, monumentalen Ruhe der Haltung.

Ein

Werk von solcher verinnerlichter Größe konnte nur ein Künstler schaffen, der ein reiches Leben voll Arbeit und Erfahrung hinter sich hatte. Ein Jahr­

hundert hat seine Vaterstadt das Werk hoch in Ehren gehalten.

Dann aber

verkaufte sie es, zum Teil aus politischen Rücksichten, an Maximilian I. von

Bayern und heute bildet es ein Kleinod der Alten Pinakothek zu München?) Die Bilder des Jahres 1526 waren Dürers letzte künstlerische Tätigkeit; Schon 1525 erschien

von nun an widmete er alle Zeit theoretischen Studien.

die „Unterweisung in der Messung mit Richtscheit und Zirkel", eine Belehrung über Perspektive, Konstruktion und Ähnliches. 1527 folgte der „Unterricht zur Befestigung der Stett". bnch der Malerei werden.

Sein Hauptwerk aber sollte ein vierbändiges Lehr-

Schon lag der — später auch in Druck erschienene

— erste Baud, die „Menschliche Proportion", fertig vor ihm, da nahm der Tod dem rastlosen Manne die Feder aus der Hand. Auf seiner niederlän­ dischen Reise hatte er sich ein Leiden zngezogen, von dem er sich nie mehr

ganz erholte; am 26. April 1528 erlag er dieser Krankheit.

Sein Tod tonrbe damals allenthalben beklagt und die Wertschätzung seiner Werke stieg von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Zu Anfang des 17. Jahrhnnderts suchten drei hochgestellte Sammler alles zu erlangen, was verkäuflich war: Kaiser Rudolf II., Herzog (später Kurfürst) Maximilian I. von Bayern und der englische Graf von Aruudel.

Ihre Sammlungen bilden den Anfang

r) Über die Erwerbung dieses und anderer Gemälde Durers vgl. Nr. 43, S. 234 ff.

152

31. Nürnberg und seine Kunst.

der Dürerschätze, die heute in Wien, München und London verwahrt werden. In der Zeit völligen Niederganges des deutschen Wesens nach dem Dreißig­ jährigen Kriege blieb Dürers Name neben dem Holbeins der einzige geachtete

aus der deutschen Vergangenheit. Goethe spricht trotz seiner Vorliebe für die Antike mit größter Bewunderung von ihm. Und als im 19. Jahrhundert die Liebe zur deutschen Kunst neu erwachte, da ward bald Dürer der ausge­

sprochene Liebling des deutschen Volkes. Und das mit Recht. Wohl mag es größere Künstler und geschicktere Maler gegeben haben; allein es gab keinen anderen, der hohe, ernste Kunst mit schlichter Volkstümlichkeit zu verbinden wußte so wie er, keinen zweiten, der sich von jeder Pose so ferne hielt, der nie für Feinschmecker arbeitete, sondern nur zur einfachen, wahren Empfindung sprechen wollte. Das ist echt deutsche Art, die stete Liebe und Bewunderung

verdient.

30. Jur Geburtsfeier Albrecht Dürers. Don Martin Greif?)

Deutscher Kunst erhab'ner Meister, Dein Vermächtnis wird nicht alt, Noch bewegst du alle Geister Wie mit Jugend-Allgewalt. Deines Volkes Wunderleben Quoll aus deiner Hand hervor, Durch dein grenzenloses Streben Stieg es höher noch empor.

Aber all dein sich'res Können Hat dir nie die Glut geraubt, Denn der Deutsche will bekennen, Was er fühlt und was er glaubt. Mit dem Pinsel, mit der Feder Gleich vertraut und gleich geschickt, Hat doch deiner Tage jeder Dich urmächtig neu erblickt.

Ohne Schmuck und fremde Zierde Gibst du ganz das Eigne nur Und mit fröhlicher Begierde Endlich selber die Natur. Wie »sie sich dir offenbaren, Stellst du alle Dinge dar: Engel- oder Teufelscharen, Alle malst du treu und wahr.

Deiner Arbeit war kein Ende, Wie du dir das Ziel gestellt, Und die Werke deiner Hände Sind bestaunt in aller Welt. Schon das hohe Künstlerzeichen Weckt uns Stolz und Rührung auf Keiner wagt dich zu erreichen Jemals in der Zeiten Lauf.

31. Nürnberg und feine Kunst?) Don Hermann Uhde-Bernays.*

Mit dem Namen Nürnbergs, der alten Reichsstadt, eint sich untrennbar

die Erinnerung an die Herrlichkeit und Größe alten deutschen Wesens und alter deutscher Macht.

Was „deutsch ist und echt", hat hier den Ausdruck

*) „Gesammelte Werke", 1, 313. Leipzig 1895, Amelang. *) Da der Kunstweise Albrecht Dürers ein besonderer Abschnitt gewidmet wurde, ist dieser Meister hier nur soweit berücksichtigt, als er im Rahmen der Gesamtdarstellung nicht übergangen werden konnte.

31. Nürnberg und seine Kunst.

153

der edelsten, reichsten, weil auf einheitlicher Bahn durchgeführten Vollendung gefunden.

Wie auf den Fingerzeig einer gütigen Gottheit gelangten

hoch­

begnadete Meister in dem Augenblick zur Entfaltung ihres segensreichen Wirkens, als ihre Vaterstadt gerade ihrer Vermittlung bedurfte. Durch ihre

sich ergänzende Tätigkeit erhob sie sich auf eine ungewöhnliche Höhe künst­ lerischen und wissenschaftlichen Gestaltungsvermögens. Als dieser Augenblick eintrat — um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert — begann zugleich jene PalaS.

Linwellturm.

Kaiserstallung

Luginsland.

Nürnberg mit der Burg, Südansicht vom Turm der Lorenzerkirche aus. . (Nach Steinhausen, Kulturgeschichte. Bibl. Institut, Leipzig.)

auf die vorbildlichen Arbeiten der Nürnberger Künstler fast allein begründete Epoche der deutschen Kunstentwicklung, welche wir „deutsche Renaissance"

nennen uns gewöhnt haben.

zu

Aber kaum länger als ein Menschenalter erhielt

sich Nürnberg in seiner führenden Stellung.

Mit dem Aufsteigen einer neuen

Zeit ging sein Niedergang Hand in Hand. Wie ganz Deutschland brach es unter dem Dreißigjährigen Krieg zusammen um sich nicht mehr zu erholen. Der Nachwelt bleibt neben den herrlichen Zeugnissen einstmaligen Ruhmes die Freude an den Bauwerken der Stadt, welche den Forderungen der Gegenwart zum Trotz

ihren mittelalterlichen Charakter so treu wie möglich zu wahren bestrebt ist.

Weit hinaus in die fränkischen Laude leuchtet das helle Not der Ziegel, die Nürnbergs Burg decken. Dem breiten Gebäude stehen in künstlerischer Unregelmäßigkeit schlanke Wachttürme zur Seite. Nordwärts zeugt der Graben

von der vormaligen Notwendigkeit ernster Verteidigung, südlich umschließt als

31. Nürnberg und seine Kunst.

154

stimmungsvoller Übergang zu der Stadt selbst ein unentwirrbarer Kranz alter Häuser die Abhänge des Burgberges.

auf dem Burgfelsen

Obwohl in mehreren Jahrhunderten gebaut wurde und obwohl verschiedene Herrscher dort

oben gewohnt haben, macht das Bild doch einen einheitlichen Eindruck.

Von der Wohnung, in welcher die Burggrafen von Nürnberg aus dem

Hause Hohenzollern einst walteten, ist wenig mehr zu sehen. Mit der eigent­ lichen Kaiserburg, die von Kaiser Friedrich Barbarossa angelegt wurde, aber l'tändig bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts und dann sogar in der neuesten

Zeit Veränderungen erfuhr, haben sie, bereit Aufgabe es war als Amtmänner im Namen des Kaisers die Oberaufsicht über die Stadt zu führen, nichts zu tun gehabt.

Ein Zeuge der vielen Streitigkeiten zwischen ihnen und Nürn­

bergs Kriegern steht heute noch. Es ist der östliche Wachtturm, der Lugins­ land, der nur zu Beobachtungszwecken erbaut worden ist. An diesen stößt die Kaiserstallung,

wie der Name

deutet,

der Aufenthaltsort des kaiserlichen

Marstalles auf die Dauer des Hoflagers, ein ehemaliges Heumagazin. Daneben ragt das älteste Baudenkmal Nürnbergs, der fünfeckige Turm, ein Weinlaubund efeuumrankter, an tausend Jahre alter Geselle, über dessen Errichtung keine Chronik berichtet. Dafür hat sich die Sage seiner bemächtigt; sie läßt

ihn gar in der Römerzeit, unter Neros Herrschaft sNeroberg —Nürnberg) gebaut sein.

Sie behauptet weiter, daß hier von dem freien Platz aus der fränkische

Raubritter Eppelein von Gailingen

mit kühnem Sprung über Mauer und

Graben gesetzt sei. Wahrscheinlicher klingt die Erzählung, nach welcher die nunmehr verdorrte Linde im Burghofe von Kunigunde, der Gattin Kaiser Heinrichs des Heiligen, gepflanzt worden ist.

Genaueste Aufzeichnungen setzen

für die Vollendung des Sinwellturmes, der vor dem Eingang in die eigentliche Burg als schlanker Rundbau kühn in die Höhe strebt, das Jahr 1561 an. In den nächsten, den Margareten- oder Heidenturm, sind

die übereinander

gelegenen Burgkapellen eingebaut. Gleichwie die Burg ständigen baulichen Veränderungen unterworfen war, als deren Folge die Zerstörung der meisten aus der ersten Epoche der Bau­ arbeit stammenden Reste zu betrachten ist, so wurde, veranlaßt durch die Ver­

größerung der Stadt, auch ihr Mauergürtel mehrfach verlegt und erweitert. Von den Befestigungen der ältesten Zeit ist nur wenig mehr zu sehen.

Dagegen blieb die zweite Anlage, aufgeführt am Beginne des 14. Jahrhunderts, fast ganz erhalten. Bei den Wanderungen in der Innenstadt gibt gerade sie, welche bei dem Henkersteg und dem anstoßenden Weinstadel zu einer künstlerisch einheitlichen, oftmals abgebildeten Gruppe sich zusammenschließt, die getreulichste Anschauung alter Zeiten. Der dritte, äußerste, doppelt aufgeführte Mauerkranz mit seinen Gängen und Türmchen, mit so vielen malerischen Einzelheiten und Unregelmäßigkeiten,

vier Diese

wurde einst durch vier mächtige Haupttürme neben den

Stadttoren (Frauentor, wuchtig

drohenden,

Spittlertor, Laufertor,

kunstlosen

Kraftgestalten,

Neues Tor) die

als

geschützt.

Wahrzeichen

31. Nürnberg und seine Kunst.

155

Nürnbergs dem eintretenden Wanderer die richtige Stimmung mit auf den Weg geben, schaffen in der Phantasie ein gutes Abbild von der einstigen Kraft der alten Reichsstadt, deren Bewohner gegen ernste Kriegsnot sich wohlbedacht

sichern mußten.

Auch in der inneren Stadt erzählt noch manches Haus von

St. Lorenz, Westansicht.

der Wehrhaftigkeit seiner vormaligen Besitzer, der Lorenzkirche.

wie das Nassauerhaus

nächst

Die Notwendigkeit die Stadt so stark zu befestigen ward hervorgcrnfcn durch ihren mehr und mehr steigenden Reichtum. Was die große Republik Venedig für den Suden bedeutete, einen Mittelpunkt, welchen wichtige Handels­ beziehungen mit den fernsten Ländern verbanden, das wurde Nürnberg für

31. Nürnberg und seine Kunst.

156

den Norden. Es trat in Verbindung mit den großen Hansastädten und sandte in Martin Behaim, dem Verfertiger des ersten Globus, einen der berühm­

testen Seefahrer aller Zeiten auf das Meer.

Aber nicht allein nach äußeren,

materiellen Vorteilen trachtete Nürnberg, sondern es strebte mit dem gleichen Eifer nach dem Ruhme, den höchste Bildung allein verleiht. Die Wissenschaften, befördert durch humanistische Bestrebungen, die schönen Künste kamen zur Blüte,

die deutsche Dichtung fand in dem Meistersinger Hans Sachs, die deutsche

Malerei in Albrecht Dürer die edelsten Vertreter. Der künstlerische Sinn der Bevölkerung betätigte sich zunächst bei der Erbauung der beiden Kirchen St. Sebald und St. Lorenz.

Im Jahre 1274

wurde ein Teil der Sebalduskirche geweiht (der Chor der Löffelholzkapelle), im gleichen Jahre begann der Bau der Lorenzerkirche. Deutlich ist in der westlichen Hälfte der ersteren der romanische Stil zu erkennen, demzufolge die Gesamtansicht der Kirche ein sehr bemerkenswertes Beispiel der Übergangs­ zeit zur Gotik bildet.

St. Lorenz zeigt den gotischen Stil im schönsten und

reinsten Gepräge. So stellt es sich den erhabenen Bauten in Straßburg und Köln würdig an die Seite. Neben diesen beiden Hauptkirchen kann die große Zahl der übrigen Gotteshäuser nur einen bescheidenen Platz beanspruchen, obwohl es keine unter

ihnen gibt,

die nicht irgend etwas Sehenswertes erfthielte.

Bei weitem die

größte Aufmerksamkeit gebührt der Frauenkirche mit ihrer schönen Vorhalle und dem künstlichen Uhrwerk, einem Gegenstand besonderer Neugierde für alle diejenigen, welche zur Mittagszeit auf dem Hauptmarkte sich einfinden. Zur

Erinnerung an den Erlaß der goldenen Bulle durch Kaiser Karl IV. wurde

des Kaisers Abbild hoch oben über dem Chor angebracht, von Posaunenbläsern Mit dem Schlag 12 Uhr schreiten die sieben Kurfürsten um den

umgeben.

Herrscher, verneigen sich und nehmen eine gnädige Handbewegung entgegen, während die Bläser die Posaunen zum Munde führen.

Auf dem Hauptmarkte selbst befindet sich der „schöne Brunnen", der als Beweis dafür anzusehen ist, daß die spätere gotische Kunst auf jede Festigkeit

verzichtete, um sich ganz der Ausschmückung zu überlassen.

In Form eines

Achtecks steigt er gegen 20 m hoch aus dem Wasserbehälter. Oben spitzt er sich zu einer Pyramide zu. Er ist reich verziert, farbig bemalt und in den

unteren beiden Abteilungen von Statuen umgeben.

Er ist der einzige größere

Brunnen in Nürnberg, der aus früherer Zeit stammt. • Der Tugendbrunnen

Benedikt Wurzelbauers

neben

der Lorenzkirche

wurde 1590,

der kürzlich

erneuerte Neptunbrunnen auf der Südseite des Hauptmarktes, ein Werk des

Bildhauers Schweigger, erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts aufgestellt. Damals stand noch die alte Egidienkirche. Der jetzige Barockbau wurde nach dem großen Brande von 1698 aufgeführt, der erfreulicherweise die angebauten

drei Kapellen verschont hat. Diese sind romanischen und gotischen Ursprungs. Das Äußere der Jakobskirche und der Spitalkirche wirkt unbedeutend.

31. Nürnberg und seine Kunst.

157

Was nun die begeisterte Freude an dem Anblick des schönen Brunnens

und noch mehr der St. Sebalduskirche so berechtigt erscheinen läßt, das ist das

Vorhandensein einer unendlichen Fülle des Reichtums, der die Ausschmückung so künstlerisch abwechslungsreich gestaltet hat. Kaum ist es möglich einen Platz zu finden, welcher eine genaue Betrachtung des bei aller Verwirrung doch

so

einheitlich

ausgeführten

Ostchores

der

Sebalduskirche

gestattet.

Schlanke viereckige Pfeiler mit Baldachinen, unter welchen Heilige stehen, ragen

über die Galerie des Dachrandes. Die Umrahmung der zwischenliegenden Fenster spitzt sich zu Kreuzblumen zu, die ebenfalls über das Dach hinaus­ streben.

Kleine heitere Szenen aus dem Leben einzelner Heiligen sind, derb

und wahr, verwendet.

da und dort eingelassen, die Ornamente als Tiere und Blumen Ernster stimmt der Anblick der Lorenzerkirche. Über dem großen

Portal ist ähnlich wie auf dem Straßburger Münster die Rosette angebracht, deren meisterhafte Ausführung besonders von einiger Entfernung in abendlicher Beleuchtung gesehen zur Geltung kommt. Das berühmte Portal unter der Rosette, vollendet schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts, erfordert ein

genaues Studium.

Die Darstellung der Kindheit des Herrn, der Passion

und des Jüngsten Gerichts, nach der Sitte jener Zeit eng zusammengeschlossen und von zwei Reihen von Heiligen und Propheten, Adam und Eva umgeben, ist edler und einfacher, aber nicht so dekorativ wirksam wie die ganz ähnliche

oben genannte schöne Vorhalle der Frauenkirche.

Der Reichtum der Stadt, der die Möglichkeit der Erbauung von zwei so überaus prächtigen Kirchen gewährte, sorgte zugleich in verschwenderischer

Weise für ihren inneren Schmuck.

Mit besonderer Genugtuung kann Nürnberg

sich rühmen, daß alle die großen Meister, welche hieran mitgearbeitet haben, innerhalb seiner Mauern geboren worden sind. Freilich hat die Nürnberger Bildniskunst nicht gleich die stolze Höhe erreicht, auf der sie zur Zeit der

Vollendung der Lorenzerkirche (1477) und in den nächsten Jahrzehnten stand. Aber auch ihre Anfänge sind beachtenswert. Das Chörlein (d. h. der nischen­ artige, meist außen mit Reliefs verzierte und mit kunstvoller Steinmetzarbeit nach oben abgeschlossene Erker) des Nassauer Hauses, vor allem ein gleiches

am Sebalder Pfarrhofe sprechen für die früh erworbene hohe Fertigkeit mit dem Meißel umzugehen.

Ist auch die Ausführung manchmal noch roh und

unbeholfen, so entschädigt dafür der kindliche Sinn, der aus allen Darstellungen spricht und der bereits die erste Stufe auf dem Wege zur Vollendung bedeutet.

Die Namen der ehrsamen Handwerker sind uns nicht überliefert, wir kennen nicht einmal den Schöpfer des eigenartigen Grabdenkmals, das in der Spital­ kirche über den Gebeinen ihres Stifters Konrad Groß errichtet ist. Der älteste Meister, von dem die Geschichte erzählt, ist Hans Decker,

der hochbegabte Künstler, der in seiner in der Wolfgangskapelle neben der Egidienkirche befindlichen, durch die vollendete Wiedergabe des auf den

Gesichtern

lagernden

Schmerzes

ausgezeichneten

Grablegung

Christi

ein

158

31. Nürnberg und seine Kunst.

wirkliches Meisterwerk

geschaffen

hat.

Decker

war der unmittelbare Vorgänger des ältesten der drei gleichwertigen Großen unter Nürnbergs plastischen Bildnern, A d a m K r a f t s. St. Lorenz

besitzt in dem weltberühmten Sakramentshäuschen (b. i. der vormalige Wandschrank zur Bewahrung der Monstranz, der zuerst nur mit einfachen Ver­

zierungen umgeben und nach und nach zu der Form eines eigenen selbständigen Häuschens ge­

langt war) das kostbare Zeugnis für den erstaun­ lichen Fleiß und die vielseitige Begabung, die Adam Kraft zu eigen war. Die Elemente der spätgotischen Kunst zu einer letzten Verklärung

zusammenzufassen ist seinem künstlerischen Genius gelungen.

Wenn wir die Kirche betreten, ergreift

uns die grandiose Höhe, über welcher die Decke

des Mittelschiffes sich ausbreitet, die regelmäßige Gliederung der Pfeiler und der hallenartige Charakter des Chores. Die bunten Glasmalereien der Fenster, die zahlreichen Wappenschilder der vornehmen Geschlechter bringen freundliche Ab­

wechslung in den Ernst dieses Eindrucks.

Auf

der linken Seite des Chores nächst dem Altar steht, auf schmaler Grundlage sich erhebend und

die Spitze noch unter der Wucht der Decke ein­

ziehend, das Sakramentshäuschen Krafts. endlich viel ist auf ihm zu sehen.

Un­

Gott Vater

mit zahlreichen Heiligen, Bilder aus der Passion, ganz oben der Heiland am Kreuz — Gestalten,

die gekrönt und umgeben sind von einem kunst­ reichen Gewirr von Blumen und Ranken, von Türmen und Säulchen.

Unfaßlich erscheint es,

daß ein einziger Künstler diese Riesenarbeit be­

wältigte, und die Sage wird verständlich, die Adam Kraft der zauberischen Fähigkeit bezichtigte

des Steines Härte mit beschwörenden Sprüchen mildern zu können. Außer dem Sakraments­ häuschen stammen aus seiner Werkstatt das Schreyerschc Grabdenkmal am Ostchor der Sebalduskirche, zwei große Grabdenkmäler in der Das Sakramentshauschen in St. Lorenz von Adam Kraft.

Frauenkirche und die Leidensstationen, welche einst den Weg zum Johannesfriedhof geschmückt haben,

159

31. Nürnberg und seine Kunst.

aber nunmehr aus Rücksicht auf ihren baulichen Verfall dorthin gelangten, wo sämtliche Reliquien Altnürnberger Kunst bewahrt sind, in das Germanische Nationalmuseum. Daß Meister Adam Kraft einen liebenswürdigen Humor besaß, davon erzählt das erheiternde Relief an der Stadtwage.

Das Sebaldusgrab im Ostchor von St. Sebald von Peter Vischer.

Neben dem Sakramentshällschen Adam Krafts birgt St. Lorenz eine der schönsten Schnitzereien, die Veit Stoß, der Steinschneider und Holz­ schnitzer,

gefertigt hat, den Englischen Gruß.

der Kirche ist die lebensvolle Gruppe

Durch

sichtbar.

das ganze Mittelschiff

Liebliche Engel halten das

Gewand der heiligen Jungfrau, die von der göttlichen Gnade überwältigt das Haupt senkt. Von oben blickt Gott Vater herab, unten, an dem mit Medaillons

verzierten Rosenkranz, hängt die Schlange mit dem Apfel des Paradieses. Veit Stoß hat längere Zeit in Krakau zugebracht und erst spät ist er wieder

31. Nürnberg und seine Kunst.

160

Daher muß eine Reihe seiner Hauptwerke

in seine Vaterstadt zurückgekehrt.

916er der Englische Gruß in seiner hoheitsvollen

in Krakau gesucht werden.

Ruhe, mehr noch die höchst realistische Darstellung des Jüngsten Gerichts (an

der Osttür der Südseite der Sebalduskirche), dann die lebendigen drei Stein­ reliefs im Innern der Sebalduskirche, das Abendmahl mit den Bildnissen der damaligen Ratsherren, Christus am Ölberg und der Judaskuß, endlich der Rahmen zu Dürers Allerheiligenbild geben eine deutliche Vorstellung von den künstlerischen Absichten, die Veit Stoß hegte.

getreue Wiedergabe

dieser Bestrebung ist er aber allein geblieben.

wieder

Sein Ziel war die möglichst

In

ohne Rücksicht auf ästhetische Bedenken.

der Natur

die vollendeten Formen

zu erreichen.

Spätere Holzschnitzer suchten Am

besten

gelang dies einem

Unbekannten, dem sogenannten Meister der Nürnberger Madonna, deren liebliche Sie hat

Erscheinung an die schönsten Statuen italienischer Kunst erinnert.

eine ebenbürtige Genossin in der tiefempfundenen Madonna der Pietä in der Jakobskirche.

Wenn

überhaupt

einem Nürnberger Meister Einfluß

Frauengestalten zugeschrieben

werden darf,

auf

diese beiden

so ist es Peter Vischer,

der

Das Grab des heiligen Sebald, das in der Mitte

hervorragende Erzgießer.

der lichten Sebalduskirche steht, hat er unter Mithilfe seiner fünf Söhne in 13 Jahren ausgeführt. Werken

Während Veit Stoß und Adam Kraft dem von den

der italienischen Renaissancekunst

ausgehenden Einfluß

sich

fernzu­

halten suchten, hat Peter Vischer sich der neuen Bewegung begeistert zugewandt. Das fremde Element mit dem deutschen zu einem neuen Stil zusammenzu­

schließen war sein erfolgreiches Bemühen. Sebaldusgrab zu betrachten.

In diesem Sinne haben wir das

Auf verziertem Sockel ruht der silberne Sarg,

neben dem sich aus einer gemeinsam von Schnecken getragenen Grundlage das

Gehäuse erhebt.

Dieses

besteht

unter der dreifachen Kuppel.

Gestalten als Sinnbilder

aus acht Pfeilern

und

ebensoviel Säulen

Acht Apostel stehen an den Pfeilern, mythologische der Kraft,

antike Gottheiten

sind

an der unteren

Hälfte des Gehäuses angebracht, daneben vier prächtige Leuchter. oberen Rand

knäblein.

umgeben zahlreiche

als Jünger gedachte Figuren

Auf dem das Jesus-

Ruhelos wandert das Auge von der Sebaldusstatue der Westnische,

von dem Selbstbildnis Peter Vischers an der Ostseite zu ihm hinauf.

Trotz

all diesem Einzelschmuck dient jeder Teil dem Ganzen, dem Schrein, der die

Reliquien des Heiligen umschließt.

Besonders freut man sich der überall herum­

spielenden, mit heiterer Lebensfreude und köstlicher Naivität ausgeführten Englein.

Unter den späteren Werken Peter Vischers und seiner Söhne nimmt der Apollobrunnen mit dem bogenschießenden Apoll im inneren Hofe des Rathauses

den ersten Platz ein.

Zu seinem Lobe kann nichts Höheres gesagt werden, als

wenn man rühmt, daß diese Figur zu den wenigen Werken der neueren Kunst

gehört, welche wirklich mit den Wundern der Antike in gleichem Atem genannt werden dürfen.

31. Nürnberg und sein« Kunst.

161

Als Peter Vischer im Jahre 1529, ein Jahr nach Dürer, gestorben war,

verlor mit dem Hinscheiden dieser beiden Gewaltigen Nürnberg in künstlerischer Beziehung nach und nach an Bedeutung und Ansehen.

Wohl blieb die Stadt

verschont von den Schrecken des Bauernkrieges und der Bilderstürmer, aber

konnte auf den Gebieten,

dennoch

die jene beiden großen Meister beherrscht

hatten, ein rechter Schwung nicht mehr aufkommen.

Ein Künstler war freilich

als der trefflichsten einer wenige Jahre zuvor in Nürnberg eingewandert, Peter Flötner. Er, der feine und vornehme Erbauer des Hirschvogelsaales,

steht den Italienern vielleicht am nächsten.

Wundersam vereinigt er romanische

Schmiegsamkeit und deutschen Ernst in den Friesen und Reliefdarstellungen des Tucherhauses und des Hirschvogelsaales. Und während er als Modelleur von Goldschmiedearbeiten und als Verfertiger von Plaketten bescheidene Auf­

gaben löste, welche bedauern lassen, daß er kein im großen Stil gearbeitetes plastisches Werk hinterlassen hat, bewies Pankraz Labcnwolf außer durch

ein kleines Brünnlein im Rathause durch sein „Nürnberger Gänsemännchen", daß er die Vischersche Überlieferung hochzuhalten gewillt sei. Eine Reihe bedeutender Männer, die in verschiedenartiger Weise tätig gewesen sind, muß hier eingeschaltet werden, damit die historische Übersicht

halbwegs gewahrt bleibe. Die Glasmalerei, wie die bunten Fenster der Lorenzkirche beweisen, und die kunstreiche Behandlung der Ofenkacheln wurde

durch

die Familie Hirschvogel

druckerkunst

besonders

nutzte Anton Koberger als

gefördert.

Die Erfolge

der Buch­

großer Buchhändler und Verleger

wirksam aus; cs sei nur an eines der berühmtesten Bücher jener Zeit, an die Weltchronik des gelehrten Humanisten Hartmann Schedel erinnert. Zugleich

betätigte sich die Miniaturmalerei und Schreibkunst, erstere durch Glockendon, letztere gegen

durch Neudörfer, das Ende

Wenzel Jamnitzer,

des

den Begründer

16. Jahrhunderts,

der

heutigen

feierte

der Kupferstich in Virgil Solis

Schrift.

Später,

die Goldschmiedekunst

die

höchsten

in

Triumphe

deutschen Kunstfleißes. Die alte Nürnberger Malerschule hatte schon in den Meistern des Jmhoffschen Altares (Lorenzkirche), des Tucheraltares (Frauen­ kirche) und des Löffelholzaltares (Sebalduskirche) sehr bemerkenswerte Ansätze selbständigen künstlerischen Denkens gezeigt, welche dann bei Pleydenwurff und weiter bei dem Lehrer Dürers, Michel Wohlgemuth, zu einer festen und sicheren

Grundlage sich bildeten. Auf dieser konnte Albrecht Dürer die höchsten Äußerungen deutscher Kunst schaffend gestalten. Unter Dürers Schülern und Nachfolgern haben die Brüder Beham, Hans von Kulmbach und Georg Pencz

eine reiche Wirksamkeit entfaltet.

Es ist begreiflich, daß diese vielen bedeutenden Männer, die zur gleichen

Zeit

gelebt haben,

durch

ihren wechselseitigen Verkehr

sich anregten

und

Nach des Tages Müh und Arbeit fand man sich zusammen in den Keinen Wirtsstuben, von denen das Bratwurstglöcklein noch heute seine

ergänzten.

Anziehungskraft bewährt.

Eine

herzliche,

Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

gut deutsche Gastlichkeit 11

waltete

31. Nürnberg und seine Kunst.

162

in den geräumigen Häusern der Nürnberger Handelsherren. Haus etwa zur Mitte des

Wie ein solches

16. Jahrhunderts ausgesehen hat, verrät das

Tucherhaus .in der Hirschelgasse.

Es spricht von einem biederen,

schlichten

Sinn, der für die innere Ausschmückung der Wohnung ebenso wie für schone Bauart der Höfe bedacht war. Neuen, anerkennenswerten Anregungen gegen­ über wohlgesinnt und freidenkend griff der Nürnberger Patrizier gegen Abend

zu einem Folianten

und bemühte sich

die

ernsten Worte

der Lutherschen

Bibelübersetzung, die Schriften Melanchthons und Huttens zu studieren.

Die

Reformationsbewegung fand in Nürnberg eifrige Unterstützung und starken Rückhalt. Mit begeisterten Worten sang Hans Sachs, der teure Meister, von der wittenbergischen Nachtigall. Seine Dichtungen, so frei und derb sie auch

den heutigen Leser anmuten, übertreffen doch die aller gleichzeitigen anderen deutschen Poeten. Wenn seine Vorgänger, die ehrsamen Meistersinger,

mechanisch und trocken gereimt hatten, schrieb er mit innerer Freude, in kraft­ voller Sprache seine Schauspiele nieder. Dem Volke entstammt, dem Volke gern angehörend darf Hans Sachs den Ruhm des größten deutschen Volks­ dichters für sich ansprechen. Seine Nachfolger suchten sich eng an seine Spuren zu halten, um alsobald in einen öden Nachahmerton zu verfallen.

An Stelle der dichtenden Angehörigen des Volkes trat der Dilettantismus der Vornehmen. Unterdessen waren mehrere große Neubauten im Stil der deutschen Hoch­

renaissance entstanden.

Das stattliche Haus des reichen Martin Peller am

Egidienplatz erweckt mit seiner wohlerhaltenen Fassade und dem stimmungs­ vollen Hofe die Erinnerung an die Jahre vor dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Man glaubt die rauschenden Gewänder vornehmer Patrizierinnen,

den schweren Schritt würdevoller Kaufleute und Ratsherren zu

vernehmen.

Damals empfing auch die Westftont des Nürnberger Rathauses seine jetzige

äußere Gestalt. Während vier verschiedener Epochen wurde daran gearbeitet. Zu bewundern bleibt, daß trotz der Enge der umgebenden Gassen und Häuser,

obwohl schon zu Baumeister Behetms Zeiten von einem Flickwerk gesprochen

zweckdienlicher Gebäudekomplex entstanden ist. Die erwähnte Westftont, ganz im Stil der italienischen Spätrenaissance, haben die Brüder Wolf hergestellt, während Jamnitzer und Kern die Verzierungen in Auftrag ein

wurde,

erhielten.

Leider konnte infolge der schlechten Finanzlage der Stadt der Plan

auch die Ost- und Südseite einheitlich anzuschließen nicht ausgeführt werden. Die Bedürfnisse der Neuzeit haben weitere Umbauten in den Jahren 1888/89 und die Aufführung eines monumentalen Neubaues veranlaßt.

Im Erdgeschoß

liegt der große Rathaussaal, mit Reliefs und Fresken geschmückt, welch letztere nach Dürers Angabe von mehreren Schülern gemalt wurden. Saal,

Der ehrwürdige

in welchem die kampffrohe Jugend sogar Turniere veranstaltete, hat

manche bedeuffame Feier gesehen. Aber nur wenige konnten wohl an Pracht und Aufwand dem Festmahl sich vergleichen, welches nach Beendigung des

32. Di« K. Hof- und Staatsbibliothek in München.

163

Dreißigjährigen Krieges den Gesandten anläßlich des Abschlusses des Westfälischen Friedens am 25. September 1649 gegeben worden ist.

Die Wunden, welche der lange Krieg geschlagen, verheilten nicht. Der Wohlstand der schwer geschädigten Stadt sank mehr und mehr. Die Sorge

um den Verdienst hinderte hier wie überall in deutschen Landen das Aufbrechen einer verheißungsvollen Blüte neuer Kultur und neuer Kunst. Vereinzelte Ausnahmen blieben ohne Einfluß auf die Gesamtheit.

Die Gelehrsamkeit zog

sich auf die Hochschulen nach Altdorf und später nach Erlangen zurück, wo sie im Staub dogmatischer Lehren ein pedantisches Dasein führte. Im Laufe

des ganzen 18. Jahrhunderts ging Nürnberg langsam einem völligen Verfall entgegen.

Im Jahre 1806 verlor die Stadt auch ihre politische Selbständig­

keit ; sie gelangte unter die Herrschaft des neugeschaffenen bayerischen Königreichs.

Seitdem hat die Entwicklung der Stadt andere Bahnen eingeschlagen als ein halbes Jahrtausend zuvor. Wohl sucht ein kleiner Kreis alteingesessener Familien das Möglichste zu tun um den künstlerischen Lorbeer der Vergangenheit wieder zu gewinnen. Die Gründung des Germanischen National­ museums im Jahre 1852, vor allem die Errichtung des Bayerischen

Gewerbemuseums sollten Marksteine

bilden für eine künftige Besserung,

deren schwache, aber lediglich durch ftemdes Verdienst und die begeisterte Initiative weniger Männer hervorgerufene Anzeichen nunmehr deutlich zu

verspüren sind.

Weit wichtiger war freilich die Eröffnung der ersten deutschen

Eisenbahn, der Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth (1835).

Sie bedeutete

ein glückliches Vorzeichen für die neuen Ziele, denen das Nürnberg des 19. Jahrhunderts erfolgreich zugestrebt hat. Aus der großen Kunststadt ist

die große Industriestadt geworden.

32. Die K. Hof- und Staatsbibliothek in München. Don Georg Leidinger.*)

Unter die bleibenden Verdienste, die sich Herzog Albrecht V. von Bayern

um sein Land und seine Residenzstadt erworben hat, gehört die Gründung der unschätzbaren Büchersammlung

zählt.

die heute unter dem Namen wichtigsten Bibliotheken der Welt

in München,

„K. Hof- und Staatsbibliothek" zu

den

In ihr besitzt der kleine Staat Bayern eine Sammlung, auf die er

onderen, größeren Staaten gegenüber,

deren Büchersammlungen nicht an die

seinige hinreichen, mit vollem Recht stolz sein kann. Don Tausenden das geistige Vermächtnis An Schätzen aller Art, Cs liegt da aufbewahrt Ium Frommen uns, den Gebern zum Gedächtnis.

Man ist darin einig, daß Albrecht V. durch seine Kunstsammlungen den

ersten Grund zu Münchens Bedeutung als Kunststadt gelegt hat; ebenso sicher 11»

164

32. Die K. Hos- und Staatsbibliothek in München.

ist es, daß seine Büchersammlung für Münchens Stellung in Wissenschaft und Literatur von ausschlaggebendem Einfluß geworden ist.

Hatte sich in der Minchener Residenz wohl schon von ftühen Zeiten her ein ansehnlicher Vorrat von Büchern angesammelt, so wurde die eigent­

liche Gründung der Bibliothek von Herzog Albrecht V. durch den Erwerb

dreier großartiger Einzelbüchersammlungen vollzogen. Der Nürnberger Arzt und Geschichtschreiber Hartmann Schedel, eine echte Sammlernatur, hatte von Jugend an in Deutschland und Italien Bücher und Handschriften gesammelt, selbst geschrieben und illuminiert, schön binden

lassen und zu eigenen Werken, von denen das berühmteste seine 1493 von Koberger in Nürnberg gedruckte, von Michael Wohlgemuth mit Holzschnitten geschmückte Weltchronik ist, fleißig benützt. Als er 1514 starb, hinterließ er

einen wahren Schatz von Büchern, hauptsächlich an lateinischen Handschriften historischen und philologischen Inhalts und an wertvollen Wiegendrucken. Diese Bibliothek erwarb Herzog Albrecht. Kaum ein Band ist darunter, der nicht durch schriftliche Einttäge oder durch Ausschmückung mit eingeklebten Minia­ turen, Kupferstichen oder Holzschnitten die Liebe des Nürnberger Humanisten zu den Büchern offenbart, und in vielen Bänden grüßt der fteundliche Bücher­ spruch: Lege feliciter, von Hartmann Schedels Hand geschrieben, über die Jahrhunderte herüber den modernen Benützer.

Die zweite Einzelbibliothek, welche der Münchener Sammlung einverleibt

wurde, war die des Staatsmannes und Humanisten Johann Albrecht Widmanstetter oder, wie der Name latinisiert gebraucht wurde, Widmestadius. Geboren um das Jahr 1506 in dem zum Gebiet der Reichsstadt Ulm gehörigen Dorf Nellingen war der an deutschen Hochschulen gebildete Gelehne in jungen Jahren

nach Italien gekommen und hatte sich dort im Umgang mit den gelehrtesten Männern der Zeit bald so außerordentliche Kenntnisse besonders in den orien­

talischen Sprachen erworben, daß ein Zeitgenosse von ihm sagte, seit Johannes

dem Täufer sei kein Mann von gleich umfassender Sprachkenntnis erstanden. Griechisch, hebräisch, arabisch, syrisch sprach er mit gleicher Gewandtheit und seine Vertrautheit mit den Literaturen dieser Sprachen war eine so hervor­ ragende, daß er eine syrische sowie eine arabische Grammatik, eine lateinische Übersetzung des Koran, ein arabisch-syrisches und ein kabbalistisches Wörterbuch neben anderen Werken verfassen konnte.

In die deutsche Heimat zurückgekehrt

wurde Widmanstetter Rat des Herzogs Ludwig von Bayern, Wilhelms IV. Bruder, nach Ludwigs Tode bei Erzbischof Ernst von Salzburg, dem dritten Bruder der Herzoge Wilhelm und Ludwig, danach Kanzler des Augsburger Bischofs, des Kardinals Otto Truchseß von Waldburg, schließlich in Diensten König

Ferdinands Kanzler für die österreichischen Länder.

Widmanstetter hatte sich

im Laufe seines Lebens eine außerordentlich umfangreiche und wertvolle Biblio­ thek gesammelt, welche das Staunen und die Bewunderung seiner gelehrten Zeitgenossen erweckte.

Kostbare orientalische wie auch abendländische Hand-

32. Die K. Hof- und Staatsbibliothek in München.

schriften waren darin mit seltenen Drucken aller Literaturen vereinigt.

165 Diese

literarischen Schätze kamen nach Widmanstetters Tod in den Besitz des kaiser­

lichen Rates Georg Siegmund Seld, dann aber erwarb sie Herzog Albrecht V.

von Bayern für seine Büchersammlung. Ein Glanzstück darunter war die berühmte Papyrushandschrift des Codex traditionum' ecclesiae Ravenua-

tensis.

Aber auch sonst enthielt Widmanstetters Bibliothek zahlreiche auser­

lesene Stücke, und wer bei seinen Studien in der K. Hof- und Staatsbibliothek

heutzutage einen jener Bände zur Hand bekommt, in welche fast sämtlich Widmanstetter mit eleganten Zügen seinen Namen eingeschrieben hat, wird dem

geläuterten Sammeleifer des Gelehrten frohen Dank wissen, nicht minder aber dem herzoglichen Bücherfteund, der jene Schätze vor der Zerstreuung bewahrte, Anerkennung zollen. Auch des Johann Jakob Fugger hervorragende Büchersammlung wanderte in des Herzogs Bibliothek. Zuerst kaiserlicher Rat, später Herzog Albrechts Hofratspräsident hatte Fugger zahlreiche seltene und kostbare Handschriften, zumeist griechische, zusammengekauft. Gewandte Altertumskenner und erfahrene Bibliothekare waren für ihn tätig gewesen und hatten besonders aus Italien oft um hohe Summen wertvolle Stücke für ihn erworben. Bor seinem Tode bot er seine Sammlungen Herzog Albrecht an und so wurden auch diese

literarischen Schätze der bayerischen Hofbibliothek einverleibt. Ein ehernes Stand­

bild Fuggers zu Augsburg, welches König Ludwig I. errichten ließ, ehrt den

hochsinnigen Sammler. Aber nicht bloß ganze Bibliotheken fügte Herzog Albrecht seiner Samm­ lung an sondern auch dem Erwerb einzelner Werke wendete er in eigener Person den größten Eifer zu und die noch vorhandenen Hofzahlamtsrechnungen

berichten von vielen interessanten Fällen dieser Art.

Den glänzendsten Aus­

druck gab er seiner Bücherliebhaberei, als er die Bußpsalmen seines Hofkapell­ meisters Orlando di Lasso und die Motetten des Cyprian de Rore in riesigen Pergament-Prachtfolianten aufs kunstvollste schreiben und von dem MalerHans Müelich mit den köstlichsten Miniaturmalereien verziereir ließ. 416 Minia­

turen, Kunstleistungen ersten Ranges von unerschöpflichem Reichtum der Er­ findung und meisterhafter Farbengebung, schmücken die zwei silberbeschlageneu Saffianbände der Bußpsalmcn Orlando di Lassos, 83 ähnliche Kunstwerke

den Band der Motetten Rores. In der Neuen Feste zu München erstand auf Herzog Albrechts Geheiß für seine Bibliothek und Antiquitätensammlung „eine neue Behausung", jener

Bau, der — im Laufe der Zeit allerdings vielfach umgeändert — heute noch den Namen Antiquarium trägt.

Es dauerte nicht lange, so hatte sich der Ruf

der Münchener Bibliothek weit verbreitet und die Zeitgenossen verkündeten laut den Ruhm Herzog Albrechts als ihres Gründers. Der Humanist Jakobus

Strada z. B. schrieb in der Vorrede seiner Caesar-Ausgabe, welche er dem Herzog widmete, „Albrecht könne sich rühmen, daß es keinen Fürsten auf dem

166

32. Die K. Hof- und Staatsbibliothek in München.

gallzen Erdenrund gebe, der einen so unglaublichen Bücherschatz besitze; wollte ihm jemand die berühmten Bibliotheken Italiens, Frankreichs, Spaniens, Deutsch­

lands und anderer Länder dagegen vorhalten, der möge [mit ihm jene Mün­ chener beschauen und er werde dann ohne Widerrede dieser die Palme und

den ersten Rang zuerkennen".

Schon durften auch hervorragende Gelehrte

die Schätze der Büchersammlung benützen und sogar nach auswärts fanden einzelne Entleihungen statt.

Auch Albrechts Nachfolger, Herzog Wilhelm V., zeigte persönlich viel Verständnis für die Bibliothek und förderte nach Kräften ihr Wachstum. Wieder

stossen bedeutende Einzelsammlungen ihr zu: es wurde vom Herzog die Biblio­ thek des Augsburger Ratsherrn Johann Heinrich Hörwart, die besonders an musikalischen Werken reich war, käuflich erworben, ebenso jene des Augsburger

Domherrn Johann Georg von Werdenstein, eine umfangreiche. Sammlung von auserlesenen Stücken. Zur Ordnung, Katalogisierung und Verwaltung der herzoglichen Bibliothek waren von Anfang an Bibliothekare angestellt worden. Schon als Prinz und in noch erhöhtem Maße als Herzog und Kurfürst

wendete Maximilian I. dem Wachstum und Gedeihen der Hosbibliothek die größte Aufmerksamkeit zu, wie er denn in alle Zweige der Staatsverwaltung persönlich den genauesten Einblick hatte. Wie gut er die Bibliothek kannte, zeigt die Tatsache, daß er anzukaufende Werke oft selbst bezeichnete und daß

er häufig im einzelnen bestimmte, welche Werke den in seinem Auftrag literarisch tätigen Gelehrten aus der Hosbibliothek zugestellt werden sollten. Eine allge­ meine Instruktion für die Verwaltung der Bibliothek stattete er mit eigen­ händigen, sachverständigen Randbemerkungen aus. Um eine Übersicht der in den Klosterbibliotheken seines Landes vorhandenen Handschristenschätze zu ge­

winnen verordnete er, daß aus allen Klöstern Verzeichnisse der dort vorhan­ denen Handschriften an ihn eingeliefert würden.

Diese Verzeichnisse sind in

der Bibliothek heute noch vorhanden und bilden wertvolle literargeschichtliche

Hilfsmittel.

Von den Katalogen der Hofbibliothek wurde jener über die grie­

chischen Handschriften 1602 sogar im Druck veröffentlicht.

Die Bibliothek war

unterdes aus den Räumen der Neuen Feste in den Alten Hof übertragen worden. Trotz der Kriegslasten des Dreißigjährigen Krieges wurden namhafte Summen aus ihre Vermehrung verwendet. Als nach der Erstürmung Heidelbergs durch die ligistische Armee 1622 Tilly die berühmte dortige Bibliothek, die Palatina, als Kriegsbeute für Maxi-

niilian wegführen lassen konnte, hätte letzterer Gelegenheit gehabt sie mit seiner Hofbibliothek zu vereinigen. Allein Gründe, die uns zum Teil unbekannt sind,

veranlaßten ihn zu der bekannten, in Deutschland viel beklagten Schenkung der Palatina an den Vatikan in Rom.

Bald aber geriet seine eigene Biblio­

thek in die höchste Gefahr. Als die Schweden 1632 siegreich in Bayern ein­ drangen, mußten auf Maximilians Befehl die wichtigsten Schätze der Bibliothek in Fässer verpackt und in die Feste Burghausen gebracht werden. Am 17. Mai 1632

32. Die K. Hos- und Staatsbibliothek in München.

167

hielt König Gustav Adolf von Schweden seinen Einzug in München.

Die

Bürgerschaft hatte gegen eine hohe Summe Sicherheit des Eigentums sich er­ kauft, welche auch gut gehalten wurde. Aber dennoch fanden u. a. in der

kurfürstlichen Kunstkammer und Bibliothek Plünderungen und Beschädigungen statt, über deren Umfang jedoch die Berichte zu verschieden lauten, als daß

bisher eine sichere Feststellung möglich gewesen wäre. Als zwei Jahre später, nach der Schlacht bei Nördlingen, Tübingen mit der in dem dortigen Schlosse

gesammelten Bibliothek in die Hände der Liga fiel, nahm Maximilian diese Bibliothek für sich in Anspruch und ließ sie nach München überführen, um dadurch die durch die Schweden in seinen Bibliothekbeständen erlittenen Ver­ luste auszugleichen, „die Scharte auszuwetzen", wie er schrieb.

Bei jener Ge­

legenheit kam insbesondere eine prächtige Wittenberger Bibel mit den von Lukas

Cranach d. I. gemalten Bildnissen des Kurfürsten August von Sachsen, Luthers

und Melanchthons nach München. Dank der Maximilianischen Instruktion für die Verwaltung der Bibliothek

nahm letztere in der Folgezeit unter Maximilians Nachfolgern, von meist tüch­ tigen Bibliothekaren geleitet, eine stetige gute Entwicklung, wenn auch in Kriegs­ zeiten oft manches Förderliche unterbleiben mußte. Wichtig für die Sammlung der einheimischen Literatur war die 1663 erlassene Verordnung des Kurfürsten Ferdinand Maria, daß von allen im Lande gedruckten Büchern ein Pflichtexemplar

unentgeltlich an die kurfürstliche Bibliothek eingeschickt werden müsse, ein Gesetz,

welches mit gewissen Erweiterungen heute noch gilt. Unter den Bibliothekaren

des 18. Jahrhunderts ragt Andreas Felix von Oefele hervor, der sich durch die

Geschichtsquellen (Rerum boicarum scriptores) einen berühmten Namen gemacht hat.

Erforschung und Herausgabe der vaterländischen

Reichen, außerordentlichen Zuwachs erfuhr die Bibliothek unter Kurfürst Karl Theodor, der auch ihre Übertragung in bessere Räume, nach dem Akademiegebäude, vornehmen ließ.

Karl Theodor hatte als pfälzischer Kur­

fürst seine kurfürstliche Bibliothek zu Mannheim aus persönlichem, regem Interesse für literarische Schätze besonders an Handschriften namhaft vermehrt. Gelehrte waren für ihn in Italien und Frankreich zwecks Erwerbung wert­

voller Bücher tätig.

Für die Münchener Hofbibliothek wurde unter ihm die

berühmte Bibliothek des italienischen Philologen Petrus Victorius, eines der

größten Gelehrten seiner Zeit, angekauft.

sie in die bayerische Hauptstadt.

Zum Verdrusse der Römer wanderte

Für die Mannheimer Hofbibliothck war 1766

u. a. die Handschriftensammlung des Freiherrn von Redinghoven worden,

eine wichtige Fundgrube für

erworben

die Geschichte von Westfalen, Jülich,

Kleve, Berg und den Rhein landen. 1769 folgte die Erwerbung der großartigen handschriftlichen Sammlung der vier Gelehrten Camerarius, einer unerschöpf­

lichen Quelle zur politischen und literarischen Geschichte des 16. und 17. Jahr­ hunderts.

Alle jene Mannheimer Schätze wurden bald nach Karl Theodors

Tode nach München übertragen und der Hofbibliothek einverleibt.

33. Der Trifels.

168

Die große Säkularisation brachte auch den Übergang der Klosterbibliotheken

an den Staat mit sich und die Handschriften» und Bücherschätze der in den altbayerischen Gebieten gelegenen Klöster wanderten in die kurfürstliche Hof­ bibliothek. Mag man über die Säkularisierung denken, wie man will, sicher ist, daß durch die Zentralisierung der alten Bücherschätze des Landes der Wissenschaft ein unschätzbarer Gewinn erwuchs und die Münchener Bibliothek

damit zu der ersten Bibliothek Deutschlands wurde.

Und wie um die Zentra­

lisierung zu rechtfertigen machten in der Folge die gelehrten Bibliothekare der

Hofbibliothek bei der Ordnung der neu zugeströmten Bestände eine wichtige literarische Entdeckung um die andere. Unsterblich glänzt in der Geschichte der Bibliothek der Name des Bibliothekars Johann Andreas Schweller.

Die

Kataloge, die er über die gewaltigen Handschriftenbestände mit staunenswerter Gelehrsamkeit und unerreichtem Fleiß angelegt hat, verkünden wie die gelehrten

Werke, die er herausgab, seinen Ruhm.

Auf sein Bayerisches Wörterbuch darf

das Gesamtvaterland stolz sein. Längst reichten für die Massenbestände der Büchersammlung die alten

Räume nicht mehr aus.

Da erstand auf König Ludwigs I. Geheiß, von

Meister Friedrich Gärtner in florentinischem Stil entworfen, in den Jahren 1834—1842 der prächtige Palast in der Ludwigstraße, der heute die K. Hosund Staatsbibliothek birgt. Ein herrliches Stiegenhaus führt zu den Räumen der Bibliothek, welche sich heute noch rühmen darf die reichste und erste Deutsch­ lands zu sein und welche ihrem alten Inhalt nach immer die erste bleiben wird, auch wenn die eine oder andere moderne Bibliothek mit reicheren Geld­ mitteln sie an Bändezahl überholen sollte. Sie ist und bleibt eine wahrhaft

königliche Bibliothek.

Und in der Gegenwart sucht die Bibliotbeca regia

emsig mitzugehen im allgemeinen Fortschritt, und im elektrischen Licht erglänzen an den Winterabenden die Räume, in denen Hunderte Wissensbelehrung suchen und in denen gar manches für Jahrhunderte wichtige Werk Fortgang und

Förderung fand und findet.

33. Der Trifels. Don August Becker.')

Vor uns liegt wie Dom Himmel gefallen der Trifels in seiner ruinösen

Herrlichkeit auf drei hintereinander liegenden, dunkel bewaldeten Fels­ pyramiden, zu seinen Füßen eine tiefe Talschlucht, in der sich das Dörflei»

Bindersbach versteckt und weiter hinaus ein von der Sonne und dem Sand­ stein rot gefärbtes Stück des Annweiler Tales mit den Häusern des Städt­ chens Annweiler.

Die Bergmasse des Rehberges, hinter ihm der Asenstein

und drüben der Adlersberg fassen das prachtvolle Bild ein, so recht ein „histo­

risches Landschaftsbild" sondergleichen. ') „Die Pfalz und die Pfälzer," S. 513 ff.

Obgleich wir den Trifels schon Leipzig 1858, I. I. Weber.

33. Der Trifels.

169

mehrmals aus der Ferne gesehen, ist doch der Eindruck seiner großartigen Erscheinung an dieser Stelle ein überwältigender, welcher von den historischen

Erinnerungen, die sich an die alte Kaiscrburg knüpfen, nur noch geheiligt und gehoben wird. Hochberühmt war er von alters her und schon Rudolf von Ems, ein Zeitgenosse der letzten hohenstaufischen Kaiser, singt in seiner Welt­

chronik: „Och sollt ir vil wol wissen daz, Da zwischent Strasburg, als ich las, Ust Spire lit brüte berc, Als uns seit der warheit werc; Davon er drioels ist genant, In allen landen wol bekant."

Der Trifels ist die Perle in der Krone von all den Burgen des Mittel­ alters, welche Deutschlands und Europas Berge krönen.

Die Wartburg nicht

ausgenommen hat kein anderes Bcrgschloß diese große Geschichte; es ist ja die Geschichte des Deutschen Reiches selber, der untergegangenen Größe und Macht unseres Volkes, das wenig mehr von seiner einstigen Herrlichkeit hat wie der Trifels, der in Trümmern liegt.

Doch es sind gewaltige Trümmer

und Ehrfurcht erweckend noch in ihrem Fall und aus dem Schutt erhebt sich die Poesie unb der Geist der alten Zeit und wir lullen uns ein in die Träume von der großen Vergangenheit und von der schönen Zukunft, die kommen

wird, wenn der alte Barbarossa im unterirdischen Gewölbe der Burg erwacht aus seinem langen Zauberschlas. Dann wird sein Volk wieder einig und stark

werden vor den Völkern der Erde und das Reich wird mächtig sein wie da­ mals, da der Kaiser hier aus seiner Lieblingsburg wohnte und Europa sich vor ihm beugte. des Erwachens?

Aber wann wird das sein? Wann kommt die rechte Stunde

Lage, Geschichte und Sage vereinigen sich um für den Trifels das Interesse zu erregen, das er vor allen anderen Burgen der Pfalz für sich in

Anspruch nimmt.

Kühn streben diese Bergkegel aus dem Tale der Queich

empor, der schönste Buchenwald umfaßt ihre Hänge und die Spitzen krönen die gewaltigen Türme und festen Mauern auf noch gewaltigeren Fclsenlagcrn. Die uns zunächstliegende der drei Burgen heißt im Volksmunde „die Münz'",

in den Chroniken jedoch Scharfenberg. Ein schöner Waldweg führt an dem Abhange des Berges, von welchem

der hohe Turm der „Münze" finster heruntcrblickt, und weiter an dem zweiten Burgberg hin, der die noch mehr zerfallene Mittelburg Anebos trägt; ihre Trümmer bieten noch mehr ein Bild des Zerfalles und wilder Verwüstung. Rur hohe Felsengrate ragen aus dem Walde über den wilden Bergrücken; die Spuren einer Ringmauer sowie die in einen breiten Felsspalt eingehauene Treppe, welche in ein tiefes Gewölbe führte, lohnen nicht der Mühe des Er­

steigens.

33. Der Trifels.

170

Wir haben jetzt den Kegel, auf welchem die Haupt bürg, dereigent-

liche Trifels, thront, erreicht; eine Talschlucht trennt ihn von den beiden andern Bergspitzen und alle drei ruhen auf der gewaltigen Masse des Sonnen­ berges oder des Haags, wie der dreifältige Berg auch genannt wird. Ein freier, geebneter Rasenplatz breitet sich hier in beschränkter Runde aus, der Tanzplatz. Über ihm steigt ein ungeheurer, überhängender Felsen empor,

der sich düster über den Buchenwald neigt und uns jetzt die ganze Burg mit ihren Türmen verdeckt. Schon dieser Anblick macht einen gewaltigen Eindruck

und wir staunen über die große Vergangenheit, welche auf diesen Fels hinauf ihre Paläste gebaut. Der Weg fängt an zu steigen und windet sich rund um den Berg durch

den tiefsten Schatten des Buchenwaldes. Endlich stehen wir vor Quader­ mauern, zur Rechten ein hoher, massiver Brunnenturm, von dem ein kühn gesprengter Bogen sich zu gegenüberstehendcn Mauern wölbt. Unter diesem Bogen hindurch gelangen wir zur Burgtreppe, die uns zum Hauptturm und

auf den Burghof führt, der die ganze obere Fläche des mächtig sich senkenden Felsens cinnimmt. Dieser freie Platz scheint wie eine Scheibe in der Luft zu schweben, und wenn wir an den Rand hintreten, erfaßt uns Schauder und Schwindel.

Wir blicken über die Felsenplatte hinunter, tief unten rauscht und

flüstert es in den Wipfeln der hohen Buchen und dort am südöstlichen Rande gegen die beiden Nebenburgen hin klafft ein fürchterlicher Riß.

Der Fernblick ist schön und weit.

Die starre, abenteuerliche Felsenwelt

der Pfälzischen Schweiz, dazwischen die Dörfer des Gossersweiler Tales, das

Annweiler Tal, das sich vor unserem Auge ins Innere des alten Vogesus zieht, tief unten das Städtchen selbst, der Blick in die tiefe Waldespracht der inneren Haqxdt, aus welcher die grauen Mauern von Ramberg, Scharfeneck

und Meisterseele schauen, und dann über Anebos und Scharfenberg hinaus durch die Schluchten des Hohenbergs und Rotenbergs und die Öffnung des Queichtales einige herrliche Perspektiven auf die Ebene — dies Rundgemälde

hat so wechselnde und mannigfaltige Reize, daß schon ihretwegen der Trifels sich den sehenswertesten Burgen anreiht.

Jedoch nun vollends die Treppe hinauf nach dem schönen Hauptturm, der heute noch eine Höhe von 50 Fuß erreicht und zum Schutze vor zer­

störendem Wetter wieder überdacht ist. Die Festigkeit des Turmes, seine schönen

Formen im romanischen Stil, die Durchführung der Altanfenster und Pforten, des Sockels und der Gesimse, sowie die Gewölbe im Innern selber geben dem Turme Interesse für den Kunstfreund. Aus dem unteren Saale führen zwei verschiedene Treppen in die Burgkapellc hinauf, deren Kreuzgewölbe und Nischen zu den schönsten Überresten der romanischen Baukunst gehören. Hier wurden

die Insignien des Reiches verwahrt, deren Besitz das Anrecht des ersten Thrones der Christenheit gewährte: Krone, Szepter, Reichsapfel, Mantel, Gürtel, goldner Rock, das dalmatische Kleid Karls des Großen, die mit Edelsteinen geschmückten

33. Der Trifels.

171

goldenen Handschuhe, das Schwert des großen Karl, die Albe von weißem Samt, die heilige Lanze und Dornenkrone des Herrn und andere Kleinodien

und Reliquien mehr, welche einige hier wohnende Mönche des nahen Klosters Eußertal alljährlich dem zuströmenden Volke zeigten. Hier war auch die Schatzkammer der Kaiser, wo der energische Heinrich VI. die sizilianische Erb­ schaft nach Tankreds Tode niederlegte. Über der Burgkapelle befand sich der prachtvolle Marmorsaal, den

der alte Barbarossa erbauen ließ und bewohnte.

Er ist im Verlaufe der

Zeiten eingestürzt und die von den späteren Herzogen von Zweibrücken aus dem Schutt genommenen Marmorplatten und Säulen wurden teils nach Annweiler teils weiter verschleppt. — Daneben befindet sich der tiefe, feste Brunnen­

turm am Burgtor.

Sonst ist wenig mehr übrig als das hinter dem Turme sich in die Felsen senkende Burgverlies, in welches man durch viereckige Öffnungen von oben hinunterschaut. Es erhält sein Licht einzig von oben durch die vier mit Quadern ausgemauerten Löcher — ein schauerlicher Auf­ enthalt. Mehr als dieses Kerkers bedarf es auch nicht um die Geschichte dieser Kaiserburg in ihrem vollen Glanze vor uns erstehen und die Poesie der alten

Zeit sich über sie breiten zu sehen. Kaiser und Könige haben hier in ihrer Herrlichkeit gethront, Kaiser und Könige ihr Elend beweint und im finstern Kerker geschmachtet. Der alte Heinrich IV. saß auf der festen Burg seiner Väter, als der Bannfluch auf

ihm lastete, die Fürsten des Reiches von ihm abfielen und der eigene Sohn gegen ihn sich erhob.

Niemand war ihm treu geblieben, niemand erbarmte

sich des greisen Herrschers als die Felsen und Mauern des Trifels, welche ihn vor der Wut seiner Feinde schützten, — denn sie war „eine sehr starke

Feste", sagt schon der alte sächsische Chronist. — Adalbert von Saar­ brücken, Erzbischof von Mainz, büßte hier den Verrat gegen Kaiser und Reich. Auch der Markgraf von der Lausitz, WiPracht von Groitz, der tapfere Waffengefährte des auftührerischen Pfalzgrafen von Orlamünde fühlte hier Kaiser Heinrichs V. Zorn.

Besonders aber bevölkerte des alten Rotbarts Sohn, der energische Hein­ rich VI., die Verliese des Trifels. König Richard Löwenherz von England wurde von Leopold von Österreich (wegen Beschimpfung seiner Flagge auf den

Wällen von Ptolemais) auf der Heimreise vom Kreuzzuge gefangen genommen und nach Dürrenstein an der Donau gebracht. Doch „nur ein Kaiser darf

einen König gefangen halten", fangenen

auf den Trifels.

sprach Heinrich VI.

und

führte

den Ge­

Zehn Monate lang saß hier der löwenherzige

Held, fern seiner Liebe und seinem Volke. Vor eine Reichsversammlung gebracht verteidigte er sich gegen die Beschuldigungen seiner Feinde in einer

Weise, welche einen tiefen Eindruck auf den Kaiser machte, der ihn umarmte, aber — dennoch nur gegen 150000 Mark Silber und gegen Stellung von 60 Geiseln losließ. — Manche Sage weiß noch heute im Volksmunde von

33. Der Trifels.

172

dieser Gefangenschaft des Löwenherz zu erzählen.

Einst klang durch des Turmes

Mauern Harfenklang und ein Lied, das nur ihm und dem treuen Blondcl, seinem Sänger, bekannt sein konnte. draußen rief es:

Er sang dazu die zweite Strophe und

„O Richard, o mein König!" Es war Blondel selbst, der

an allen Burgen nach seinem geliebten Herrn gespäht und nun mit 50 Ge­

fährten den Trifels gestürmt haben soll. Das Lösegeld Richards

auf Sizilien durchzusetzen.

setzte

Heinrich

zog der Kaiser am 9. Mai 1194 hier ein

beraten.

VI. instand

seine

Ansprüche

Mit 24 Fürsten, Grafen und Edeln seines Reiches um den Angriff aus Italien zu

Konstanzens Erbe ward gewonnen, fürchterliches Strafgericht über

die sizilianischen Großen gehalten, viele derselben wurden auf den Trifels

geschleppt, darunter der kühne Seeheld Margaritone und Graf Richard selbst,

der Kaiserin eigener Vetter, nachdem beide vorher geblendet worden waren. Der Ausspruch des englischen Chronisten, „daß keiner diesen Kerkern mehr ent­

ronnen, der einmal hinabgestiegen", rechtfertigte sich jetzt nur zu sehr unter der Regierung eines Herrschers, dessen Leichnam noch nach fünfhundert Jahren

den finstern Ernst und Trotz zeigte, der sich in seinem Leben so gewaltsam aussprach. Unter Philipp von Schwaben seufzte der Erzbischof Bruno von Köln

in den Kerkern des Trifels und als Friedrich II. das Reich zu altem Glanze zu bringen suchte, ließ er seinen Sohn Heinrich als römischen König auf dem

Trifels zurück, wo er in der Burgkapelle dem Vater die Treue schwor, da dieser in den Kampf gegen die Ungläubigen zog.

Doch der irregeleitete Jüng­

ling vergaß der Treue, empörte sich, und als der erzürnte Vater in seine Staaten zurückeilte, floh der Sohn auf den Trifels, der jedoch dem Kaiser die Tore öffnete.

Im Gefängnis büßte der Sohn seine Untreue, bis er starb.

Des Kaisers jüngerer Sohn empfing die Feste, deren Besitz über das Schicksal der Krone und des Reiches entschied.

So war sie stets die Lieblingsburg und die Hauptstütze des großen hohenstaufischen Herrscherhauses gewesen und

der romantische Dust, sderj um die

Heldengestalten dieses Geschlechts sich breitet, weht um die einsamen Mauern

und die verfallenen Türme des Trifels mehr als um alle anderen Burgen

Europas. Alle die lieber- und sangesreichen, alle die heldenmütigen, unglücklichen

Stammgenossen dieses Geschlechtes wandeln vor dem träumenden Blicke durch die hohen, zerfallenen Hallen; und er vor allen, der so gerne hier weilte, des

großen Rotbarts großer Enkel, der schöne Sohn der holden Konstanzia, Fried­ rich der Zweite, der über sein Jahrhundert cmporragt, einsam wie der

Trifels über den dunkeln Wald— strahlend und übergossen von dem ganzen Zauberlichte der Poesie seiner Zeit und in dem Glanze der Geschichte Deutsch­

lands, Italiens, Europas — prangend gleich

der Sonne selber.

Aber diese

Sonne an dem hohenstaufischen Sternenhimmel ging unter hinter Firenzuolas

173

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

Mauern, in den welschen Apenninen und der letzte Stern sank blutigen Glanzes auf dem Markte Neapels; — einsam trauerten Deutschland und des Reiches Feste wie die verlassene Braut.

Wilhelm von Holland „erreichte jetzt das Ziel aller seiner Wünsche, den Trifels samt seinen Heiligtümern", wie er hocherfreut seinem Kanzler, dem Bischof von Speyer, schreibt. Im Triumphe zog er ein, seine Gemahlin sollte nochkommen, wurde aber von dem Rietberger samt ihrem Gefolge aufgehoben.

„Die Besitznahme von Trivellis ist eine der ersten Maßnahmen, welche ein römischer Kaiser zu ergreifen hat," schreibt der Papst an Richard von Korn­ wallis nach dessen Wahl.

Und dies nahm sich der Engländer zur Lehre.

So blieb der Trifels die erste Feste des Reiches und seit Kaiser Hein­

richs V. Tod wurden hier die Reichsinsignien nach dessen noch auf dem Toten­ bette gemachten Verordnungen verwahrt, bis sie Rudolf von Habsburg

nach Kyburg in der Schweiz brachte.

Jedoch Adolf von Nassau brachte sie

wieder hierher. Ludwig der Bayer pflanzte die Rcichsfahne hier auf, aber er verpfändete die Burg samt dem freien Reichsstädtchcn Annweiler an das pfälzische Haus, wodurch beide zuletzt an die Herzoge von Zweibrücken

kamen. Da erblich die Herrlichkeit des Trifels mit der Herrlichkeit des Reiches, als die Fürsten des Reiches sich über die Würde des Kaisers erhoben — die Bauern konnten bereits die alte Kaiserburg plündern — einsam stand der Trifels und gebeugt unter die Gewalt kleiner Herrscher. Da traf ihn der Himmel noch mit seinem Blitzstrahl, wodurch der größte Teil der Burg ab­

brannte.

Notdürftig ausgebessert sah die einst so herrliche Burg,

welche

Kaiser und Könige beherbergt hatte, arme flüchtige Landlcute im Dreißigjährigen Kriege in ihren Mauern und wilde Horden aus Spanien, Schweden und

Ungarn, bis die Pest alle ihre Einwohner vollends vertrieb.

Als die Fran­

zosen im Reunionskriege auf den Trifels kamen, fanden sie nichts als Ruinen. So ruht nun der Trifels auf seinen gewaltigen Felsen in Schutt und Trümmern, immer noch ein großer, wenn auch trauernder Zeuge einer großen Vergangenheit.

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund. Don Karl Trautmann.*

Wenn einer um das Jahr 1600 nach dem damals noch so weltverlorenen Schleißheim seine Schritte lenkte, um etwa bei einer der traulichen, in Waldes­

dümmer versteckten Klausen seine Andacht zu verrichten oder Herz und Auge an all dem Gottessegen zu erlaben, der da draußen, auf Feld und Flur, so

reich sich erschloß,

so konnte er wohl einem ernsten, mildblickenden, alten

Herrn begegnen, der, geistlich gekleidet wie ein Kanonikus, in stille Betrachtung versunken, einsam seines Weges ging. Es war Herzog Wilhelm V., zubenannt der Fromme.

174

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund. Aber nicht mehr der herrschgewaltige Landesfürst von Bayern; es war der

stille Mann, welcher, dem übermächtigen Zuge seiner melancholischen Natur folgend, Abschied genommen hatte von irdischer Macht und Grütze um allein

seinem Seelenheile zu leben und den Werken christlicher Barmherzigkeit.

Ja, er

war nun wirklich zum Klausner geworden in den träumerischen Einsiedeleien mit ihren Quellen und schilfumsäumten Wassern, die er in der Einsamkeit um Schlotz

Schleitzheim sich hatte bauen lassen.

Hier fand seine milde, beschauliche Natur

die Welt, wo ihm so recht glücklich und zufrieden ums Herz war und die er selbst in München in

seiner späteren Residenz — der heutigen Maxburg — Gar anschaulich berichten uns Augenzeugen von

nicht hatte missen wollen.

der Wildnis, die er hier in seinem Garten sich angelegt, wie da alles mit ein­

gehauenen Zellen, mit Tannen und wilden Bäumen besetzt sei, wie ein Wässer­

lein aus dem Felsen herausquille, das ein Büchlein und Weiherlein mache, darinnen schöne Forellen schwimmen und alles „gar finster, melancholisch, an­ dächtig, ja forchtsam" aussehe, etwa so, wie in den „gemählen und kupferstuckhen" die Pattes und Eremiten abkonterfeit sind.

Und in der Tat waren die damals in Kupferstichen über die ganze katho­ lische Welt verbreiteten Szenen aus dem Einsiedlerleben,

welche der nieder­

ländische Maler Martin de Vos geschaffen, das Vorbild für Wilhelms Anlagen,

jene liebtrauten Blätter,

die

in Altbayern als Wandschmuck

nicht nur

im

Schlosse zu Schleitzheim und in der Münchener Residenz sondern allüberall in den Bürgerhäusern

wertgehalten

wurden

und die uns die frommen Männer

zeigen, wie sie in Höhlen Hausen oder in einer Klause unter weitschattenden Lindenbäumen, in inbrünstiges Beten versunken, ein heiliges Buch lesend und

ihren hinfälligen Körper kasteiend, Hinwider auch mit emsiger Arbeit in Feld und Garten beschäftigt oder arbeitsmüde, sinnenden Auges hinausblickend in weite,

friedselige Landschaften.

Und

dazu

treten

die

unzerttennlichen

Ge­

fährten des Einsiedlers, nickende Blumen und die Geschöpfe des Waldes. Das schlanke Reh, das durch das Dickicht bricht, die emsig schaffenden Bienen, die

im Wasser spielende Forelle, die Vögelein, die in ttaulicher Gemeinschaft bem stillen Manne von alters her zugetan sind und an deren liebevoll beobachtetes Treiben er seine frommen Bettachtungen knüpft über des Schöpfers Allmacht, Güte und Weisheit auf Erden und die er weiterspinnt in wundersam eindrucks­

reichen Gleichnissen. Es

ist

eine stumme,

beschauliche Welt voll unendlichen Friedens,

voll

holdseliger Poesie und tiefsten inneren Glücksgefühles, die aus diesen Blättern zu uns spricht — es ist die Welt, die Herzog Wilhelm V. sich geschaffen nach

seiner Thronentsagung

um in frommer Betrachtung nur Gott zu leben und

seiner innern Läuterung. So wie ich es in leichten Strichen angedeutet, lebt sein Bild noch heute in der Erinnerung fort.

Sonst weiß man wenig mehr von ihm zu erzählen.

Höchstens noch, daß er die Münchener Michaelskirche erbaut mit dem Jesuiten-

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

175

kollegium daneben und das alte Schloß in Schleißheim, das durch die Nach­ barschaft seines glänzenden Rivalen aus der Barockzeit für die große Menge ganz in den Schatten gestellt wird, trotz seiner gewinnenden, liebenswürdigen Schlichtheit.

Und liebenswürdig und herzgewinnend tritt uns bei näherer Betrachtung auch sein Erbauer, Herzog Wilhelm, entgegen, als Mensch nicht minder wie

als Freund und Förderer der Kunst, die ihm von Jugend auf eine treue Lebensgefährtin geworden und eine hoheitsvolle Trösterin in den schweren Stunden innerer Kämpfe, die auch ihm, dem Fürsten, nicht erspart geblieben

sind.

Der warmfühlende Mensch, der feinsinnige Kunstfreund, der Großes ge­

wollt, geplant und, wie die gewaltige Kirche von St. Michael beweist,

auch

ausgeführt hat; der Sammler und Kenner, der seinerzeit weithin berühmt ge­

wesen in deutschen Landen, hat die Vergessenheit nicht verdient, die ihm ge­ worden. Es war ein Verhängnis für ihn, daß seine von 1579—1597 währende, Politisch wenig ergebnisreiche und in finanzieller Beziehung für Bayern sogar tieftraurige Regierungszeit zwischen zwei der glänzendsten uni), was nicht ver­

gessen werden darf, bereits eingehender durchforschten Perioden Wittelsbacher Kunstpflege füllt. Ihm voran geht sein Vater, Herzog Albrecht V., für dessen

Wirken es genügt an Orlando di Lasso, an Hans Müelich und seine Minia­ turen, die Goldschmiedearbeiten der Reichen Kapelle

und der Schatzkammer

zu erinnern und an die für Schloß Dachau gefertigte Holzdecke im Stiegen­ hause unseres Bayerischen Nationalmuseums.

Und was Wilhelms großer Sohn

und Nachfolger, Kurfürst Maximilian I., für die Kunstpflege bedeutet, davon erzählen uns in München die Residenz und ihre meisterhafte Innenausstattung,

die Mariensäule, das Erzdenkmal Kaiser Ludwigs in der Frauenkirche und all die Werke, die uns die Nennung nur der Namen Peter Candid, Angermayr und Hans Krumpper ins Gedächtnis ruft und die im Geiste zurückversetzen in jene trotz der schweren Drangsale des beginnenden Dreißigjährigen Krieges für unser Altbayern so unvergleichlichen Tage, wo die Kunst mit ihrem Zauber

selbst den unscheinbarsten Gegenstand des täglichen Gebrauches adelte.

Aber

gerade die Erinnerung an diese schöne Zeit darf uns nicht vergessen lassen, daß Herzog Wilhelm V. es gewesen, der durch seine stille, unermüdete Anteil­ nahme für die Kunst jene Keime legte, die unter seinem Sohne zu so herrlicher

Ernte heranreifen sollten. Und nicht zum letzten aus diesem Grunde soll berichtet werden, tvie der Fürst zum Freund und Förderer der Künste geworden und wie er als solcher dachte und handelte.

Schönere Tage hat München wohl kaum mehr gesehen wie damals, als

im Februar 1568 Kronprinz Wilhelm Hochzeit hielt mit Renata von Lothringen. Mit seinen wechselreichen Ringelrennen, Schlittenfahrten, Turnieren, mit den heiteren Komödien und feierlichen Tänzen, in deren Ausstattung alle Künste sich vereinigt hatten um Bilder von geradezu märchenhafter Farbenpracht zu

176

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

schaffen und damit die freudige Stimmung der Teilnehmer aufs höchste zu

steigern war es ein Fest geworden, das noch lange die Einbildungskraft des Volkes, auch außerhalb Bayerns, beschäftigte und das sogar in der Sage von

Doktor Faust fortlebt, die den Erzzauberer auf seinem Mantel eigens nach München fliegen läßt um diese Herrlichkeiten anzusehen.

Es war die glänzende

Ouvertüre zu des Fürsten Lebensgange. Mit seiner Vermählung war Wilhelm selbständig geworden

und der

neunzehnjährige Thronfolger erhielt nunmehr seine eigene, vom Vater unabhängige Hofhaltung. Albrecht V. hatte dem jungen Paare Landshut als Residenz an­ gewiesen, den ehemaligen Herrschersitz der reichen Herzoge von Niederbayern

und seines Großoheims Herzog Ludwig, eine Stadt, wie sie reizvoller kaum gefunden werden konnte im Bayerland. Georg Huffnagel, ein gewerbekundiger Kaufmann aus Antwerpen, der die kampfdurchwühlten Niederlande verlassen und sich „vnder den schütz vnnd schirm deß friedsamen Fürsten Hertzog Albrechten in Beyern gegeben, bey welchem er dann der Kunst Menig oder Zinnober zu machen fridlich obliget", hat uns aus eben dieser Zeit eine begeisterte Schil­ derung deS damaligen Landshut hinterlassen.

Gar lieblich und lustsam dünkt

ihm Ort und Gau, „welcher von der natur und mutter aller dinge reichlich begabt ist". Er rühmt die Fruchtbarkeit des Bodens, die wogenden Getreide­ felder, die grünen, lustigen Wiesen und Weideplätze, die „mancherley baumfrücht

vnd vberanß köstlichen Wein, welcher zugleich Got vnd die Menschen erquicken soll" und meint schließlich, „daß dise gegend billich mit den allerlüstigsten vnnd

fruchtbarsten in gantz Europa kan verglichen werden". Man sieht, dem vielgereisten Manne ist es ordentlich wohl geworden beim Anblick dieser friedlichen Natur und ihres reichen Erntesegens.

Und wie an­

mutig ist nicht die Stadt selbst, die „von schönen, lüstigen gebäwen" glänzet, und der wunderliebliche, neue Hofgarten vor der Stadtmauer, welchen Wilhelm

seinem lieben Ehegemahl „durch spitzfündigkeit vnd hülff etlicher Frantzösischer gärtner vor wenig jaren bawen lassen". Huffnagel dessen Reize.

Kein Wunder,

Mit großer Anschaulichkeit rühmt meint er, daß „der durchleuchtigste

Hertzog mit seinem außerwelten gemahel dise stat vornemlich zu seinem Sitz vnnd Hoffhaltung erwehlet, so es doch sonst vil andere stattliche statt in

Beyern hatt".

Bom Hofgarten an der Isar führt uns der Niederländer in seiner Be­ schreibung hinauf nach der alten Burg Trausnitz, die Kronprinz Wilhelm, der ihm „ein außbund der tugent zu vnserer zeit" dünkt, „welcher sich kurtzweiliger vnd außländischer ding höchlich annimpt" und „darzu ein sonderlich freygebiger

Patton vnnd liebhaber aller sinnreicher leut ist", zu einem Fürstensitze der Renaissance umgestalten läßt. Bereits hat er des Schlosses „vornehme Säl vnd Gemach mit wunderschönen Gemähten, auch alten vnd newen Bildern", malen und zieren lassen, „darinn jm dan nicht allein die sehr schöne gelegen» heit vnd natur deß orts sonder auch der grausam sinn- vnd kunstteiche Meister

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

177

Fridrich Sustris, ein geborner Holländer, aber auß Welschland dahin kommen,

behülfflich gewesen, welcher auch noch täglich darmit vmgehet, daß er jn mit seiner täglichen arbeit vnd newen fünden ziere, als mit lustigen Bächlein, die

allenthalben dardurch rauschen, mit lieblichem fliegen und gesang mancherley Gevögels, mit Nymphen oder Junckfrawen Bildern, Gemähten, Kräuterfeldern vnd dergleichen dingen mehr, die zur ergetzlichkeit vnnd Wollust dienlich sind, also, daß beyde, der durchleuchtigste Fürst vnd auch der sinnreiche Meister,

lvelcher wol wehrt ist, daß er vmb einen solchen Fürsten vnnd Patronen sey, höchlich zu loben und zu preisen". Aus diesen Worten Huffnagels erhellt unzweideutig, daß nicht Herzog

Albrecht V., sondern Kronprinz Wilhelm während seines Landshuter Auf­ enthaltes von 1568—1579 es gewesen ist,

der die alte Trausnitz baulich

und gärtnerisch zu dem gemacht hat, was sie trotz ihres bedauernswerten Verfalles noch heute geblieben ist — ein Schatzkästlein der Renaissance, ein

Heim, wo Natur und Kunst, wo der Zauber der Erinnerung an vergangene Zeiten des altbayerisch gemuteten Besuchers Sinne gar wundersam gefangen nehmen. Von

diesem sonnigen,

gestaltiges Hofleben ab.

kunsterfülltcn Hintergründe hebt sich ein viel­

Der Hofstaat ist, wie Herzogin Renata es von ihrer

Heimat Lothringen her gewohnt war, auf großem Fuße eingerichtet.

Außer

den zahlreichen Dienern, Kämmerlingen und Verwaltungsbcamten stehen ita­ lienische Komödianten und Springer in Diensten, französische Gärtner,

die

herrschenden Moden widerspiegelnd ein deutscher, ein spanischer, ein französischer

Schneider, dazu Mohren, ein Löwenwärter, ein Leopardmeister, Zwerge und viel ander minderes Volk — fürwahr, man glaubt in eines der farbenglühenden Bilder Meister Paolo Veroneses zu schauen.

Vor allem aber hatte der Fürst einen auserlesenen Kreis von Musikern und Sängern um sich versammelt; denn seine frühesten Kunstneigungen galten der Musik und hierin es seinem Vater Albrecht V. gleichzutun bildete seinen ersten Ehrgeiz. Kronprinz Wilhelm selbst war musikalisch hochgebildet. Er spielte die Laute, Zither, Lyra und andere Instrumente und war, wie berichtet wird, ein guter Sänger. Sein Berater in allen musikalischen Fragen ist seines Vaters Kapellmeister Orlando di Lasso, mit dem ihn bald und zeitlebens herzliche

Freundschaft verband.

Gast auf der Trausnitz.

Orlando ist ein häufiger und stets freudig begrüßter Und die zahlreichen, von mehr oder minder gepfeffer­

ten Witzen übersprudelnden Briefe, die der Meister an den Kronprinzen richtet,

bleiben ein wertvolles Denkmal dieses Bundes, schon deshalb, weil sie uns lehren, daß der vertraute, niemals den Gebieter zeigende und Vertrauen er­ weckende persönliche Verkehr mit seinen Künstlern — und nicht allein mit den großen unter ihnen — ein Hauptzug ist in dem liebenswürdigen Bilde Herzog Wilhelms als Kunstfreund. KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-.

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34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

Auch sonst herrschte, der mit Renata eingeführten

Hofsitte entsprechend,

freieren französischen

das heiterste Treiben auf der Trausnitz.

Der junge

Kronprinz war in jenen Jahren wirklich jugendfroh mit den Jungen, ein Mensch mit fröhlichem Sinne und Herzen, den man seiner späteren Entwicklung nach gar nicht in ihm vermuten sollte, und durchaus kein Spielverderber. Fest ließ

er auf Fest folgen.

Da gab es Turniere, Ringelrennen, Kübelstechen; Ball­

spiele wechselten mit sog. Bauernhochzeiten, jenen lustigen Mummereien, welche später unter Kurfürst Ferdinand Maria eine Ausgestaltung fanden, die sie geradezu zu einer Spezialität des bayerischen Hofes machten. Zur Winterszeit, wenn die Flocken recht dicht herabwirbelten, wurden umfangreiche Schneeschlösser auf­

geführt und von den hohen Herrschaften im Sturm genommen,

woran die

jungen Hofdamen gar wacker sich beteiligten, gehüllt in „Turckisch Klaider vnnd lannge reckh". Hatte man im Freien genug getummelt, so zog man sich zurück in die behaglichen Gemächer zu Musik und Gesang.

Auch hier fehlt es nicht

an Abwechslung. Bald läßt ein „Allgeyerischer Pfeiffer" sich hören oder ein ungarischer Dudelsackblaser, der aus Preßburg berufen worden, bald schenkt

man „zwayen geigern vnnd der leirerin" seine Aufmerksamkeit, der regelmäßigen Vorträge der Hofvirtuosen nicht zu gedenken. Auch am städtischen Theater­

leben nimmt man teil und besucht jedesmal die Handwerkerspiele und die all­ jährlich stattftndenden Komödien des Stadtpoeten und der Pfarrschüler von

St. Martin und St. Jodok. Daß die bildenden Künste zur Verschönerung dieser Feste beigezogen wurden, war selbstverständlich und lag ja im Geiste und in den Gepflogen­ heiten der färben- und formenfteudigen Renaissance. Aber noch fehlte die achtunggebietende Persönlichkeit von universeller künstlerischer Begabung, die all

dem Zweck und Richtung geben und die mehr als nette Spielereien zu bettachten­ den Ansätze ausbauen sollte zu einer wirklichen Kunstpflege mit bedeutungs­

vollen Zielen und nachhaltigen Ergebnissen. Diese Persönlichkeit erschien in Friedrich Sustris. Es war ein denkwürdiger Tag in Wilhelms Leben, als er im Jahre 1573

zum ersten Male dem Künstler ins Auge blickte und in ihm alsbald den rich­ tigen Mann erkannte, dem er seine künstlerische Erziehung anvertrauen durste. Denn mochten auch seine Hofkavaliere und die in überschwenglichen Lobes­ erhebungen sich ergehenden Jtaliani seiner Umgebung

Fürstert bereits als unvergleichlichen,

den zwanzigjährigen als unfehlbaren Mäcen und Kunstkenner

preisen, so hat Wilhelm in seinem bescheidenerr Sinne wohl niemals sich ver­ hehlt, wie sehr er eines gereisten und ehrlichen künstlerischen Beirates bedürfe um seine noch tastende Schaffenssteudigkeit auf diesem Gebiete in ersprießliche

Bahnen zu lenken.

Und daß dem wirklich so gewesen, beweist nichts schlagen­

der als das unbedingte, niemals erschütterte Vertrauen, das Susttis trotz aller

Wandlungen in den Lebensanschauungen seines Gebieters über ein Vierteljahr­ hundert, bis zu seinem Tode um Pfingsten 1599, genoß und das Georg

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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Huffnagels schönes Wort wahr gemacht hat, daß der sinnreiche Meister gewiß­ lich wert gewesen um einen „solchen Fürsten vnnd Patronen" zu weilen. Sustris lohnte seinem Gönner diese Hingabe. Alles, was Herzog Wilhelm Bedeutendes geschaffen, hat dieser Künstler erdacht und ausgeführt, zum letzten nicht die drei Marksteine in des Fürsten Wirken als Bauherr — die Traus­ nitz, die Michaelskirche und den Grottenhof der Münchener Residenz. Als Maler war Friedrich Sustris im Jahre 1573 nach Landshut ge­

kommen. Etwa 30 Jahre alt und angeblich zu Amsterdam ge­ boren gehört er zu jener großen Schar italienisch gebildeter Nieder­ länder, die damals — es sei nur

an Giovanni da Bologna, Adriaen de Vries, Peter Candid erinnert — ansingen bedeutsam im Kunstleben Europas neben den reinen Italie­

nern hervorzutreten. Zumeist sind es tüchtige Arbeitskräfte von soli­ dem Können und reicher, freilich

nicht allzu origineller Phantasie, die rasch und ungezwungen

in

das künstlerische Milieu sich ein­ leben, wohin ihre unstäte Wander­

fahrt sie trägt.

So auch Sustris, der in Italien seine Ausbildung sich ge­ holt, in Florenz unter Basari und später in Venedig gearbeitet hatte. Als Maler in seinen figürlichen

Bildern nicht eben bedeutend ist er

dagegen der geborene Dekorateur und von einer geradezu erstaunlichen Vielseitigkeit, nach dieser Richtung ein

echtes Kind der italienischen Renaissance. Mit spielender Hand zeichnet er Kostüme für den Hofstaat oder für Schauspiele und Festzüge, er fertigt Entwürfe für

Goldschmiede und Plattner, vor allem aber läßt er sich schon damals als Architekt verwenden

und entwickelt sich an dieser Tätigkeit zu dem, was er

später amtlich geworden ist, zu einem geradezu idealen Generaldirektor der

bildenden Künste am bayerischen Hofe, mit dem unvergleichlichen und nicht

allzuhäufigen Talente, die richtigen Leute an richtiger Stelle zu verwenden. Dazu war ihm jene rücksichtslos durchgreifende Energie zu eigen, die für solch

einen Posten unumgänglich notwendig ist und die gerade nicht zu den Eigen­ schaften seines gütigen Gönners Herzog Wilhelm gehörte.

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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Freilich fehlte es ihm nicht an Gegnenr und Neidern und jener Zug von Bitterkeit um Mund und Augen, den sein in der Bamberger Galerie befind­ liches Bildnis zeigt, berichtet genugsam von den Anfeindungen, die er hierzulande

erlitten, wo man ihn von feiten des Hofbauamtes als Baudilettanten behandelte,

als welschen Eindringling und Windbeutel, von dem Augenblicke an, da er Kronprinz Wilhelms Gunst sich errungen. Und da er als echter Künstler weder auf Geld

noch Arbeitszeit Rücksicht nahm, wenn ihn etwas künstlerisch

nicht befriedigte, ließ man nicht ab seine Entlassung zu beantragen. Glücklicherweise stets ohne den geringsten Erfolg, so daß er von dem unentwegten, mächtigen Schutze seines Gönners getragen zunächst auf der

Trausnitz seine reiche Begabung verwerten konnte. Kronprinz Wilhelm hatte mit Vorbedacht die landschaftlich so entzückend über der Stadt Landshut gelegene Burg zum ständigen Aufenthalte gewählt und nicht die von Häusern eingeengte Residenz, die sein Großoheim Herzog

Ludwig erst 30 Jahre vorher als italienischen Palazzo an der Hauptstraße errichtet.

Denn er war ein leidenschaftlicher Freund der Natur und ihres

stillen Webens und seine Wohnsitze mit blühenden Gärten zu schmücken war ihm kaum eine mindere Lust als das Bauen selbst. Und man schätzt Wilhelms V.

Schöpfungen als Kunstwerke nur unvollkommen ein, indem man diese bisher allerdings fast unbekannte Betätigung seiner Kunstpflege außer acht läßt.

Und wie nun Sustris die Aufgabe löst, die Trausnitz gärtnerisch mit ihrer Naturumgebung in Verbindung zu setzen, ist interessant und charakteristisch und kann am besten deutlich gemacht werden durch den Vergleich mit den

gärtnerischen Anlagen eines anderen, gleichfalls wittelsbachischen Fürstenschlosses, das in seiner landschaftlichen Lage eine oftmals schon hervorgehobene Ähnlichkeit mit der Trausnitz besitzt.

Ich meine das Heidelberger Schloß, wo Kurfürst

Friedrich V. seit 1615 durch den französischen Ingenieur Salomon de Caus einen großen Prachtgarten anlegen ließ. Durch ausgedehnte Felssprengungen,

dann durch Aufführen von Mauern

bis zu 80 Fuß Höhe, die gegen den

Erddruck durch Reihen von Pfeilern und Bogen gesichert sind, wird neben dem Schlosse und mitten im Bergeshange jene gewaltige Terrasse geschaffen, deren

Fläche den Gartenkünsten der Renaissance zum Schauplatz dient. Ganz anders verfährt Sustris in Landshut.

Nicht nur baulich, auch

landschaftlich wahrt er den Charakter der alten Burg. Aber wo zwischen den Ringmauern und Türmen ein freies Plätzchen ist, legt er ein Blumenparterre

an, einen Laubengang, ein Lusthaus, einen architektonisch und malerisch aus­ gestatteten Pavillon für Singvögel oder seltene Tiere und umgibt so, ohne daß es vom Fuße des Berges aus störend auffällt, die ganze Burg mit einem Kranze reizender Gärtchen.

Besonders gepriesen von diesen Schöpfungen,

die alle im Geiste der

italienischen Renaissance regelmäßig angelegt und reich mit Statuen, Gemälden,

Wandbrunnen, Fontänen und Vexierwassern ausgestattet sich zeigten, war der

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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sogenannte Uraniagarten auf der nach München schauenden Südseite der Burg,

zwischen dem massigen Wittelsbacherturm und dem zu einem Sommerhause mit Belvedere und wahrscheinlich auch astrologischem Observatorium umgestalteten,

Inneres der Michaelskirche in München.

gegen die Stadt hinabblickenden Wasscrturme. Hier war nicht allein die Anlage sondern auch die Vegetation eine ganz südliche. Weinreben rankten an

den Wänden empor und bedeckten die Laubengänge, zu deren Wartung ein

eigener „Weinzierl" angestellt war, die Schloßrechnungen sprechen von „Pomerantzen, Feigen und Lorperpaum", die im Sommer dort zur Aufstellung kamen, ebenso von einem „Wappen" aus Steinchen, das in einem der Parterres

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34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

gelegt lvurde.

Auch ein Labyrinth findet sich in der „Urania" oder, wie der

Volksmund sie nannte, die „Urüni".

Den Bergrücken mit seinen Bäumen läßt der Meister unangetastet.

Er

umfriedet ihn zum sogenannten „Haag", zu einem von Wegen durchschnittenen Naturparke, wo sich 400 zahme Hirsche und Rehe tummeln, und bringt drinnen

die einzelnen Tiergehege unter, welche zu Wilhelms Zeiten eine Sehenswürdigkeit der Trausnitz bildeten, den Kinigl- oder Kaninchengarten, die drei Fasangärten, den Fuchsgarten, Hasengarten, Straußengarten, das Schwanenhaus. Ja, was ließe sich nicht alles von diesen Tierankäufen und

den

Bemühungen des Kronprinzen ihretwegen berichten! Einmal werden in Genua ein paar lebendige Schildkröten „zimelich groß, Ettliche Henne vnnd hen, zwen papegey", ein grauer und ein grüner gekauft,

außerdem für 5 Kronen ein

Affe, Geflügel aus Algier, „Allerley seltzsame Mörvisch".

Ein andermal läßt

Wilhelm ebendort Nachfrage halten nach „allerley seltzsamen vnnd Turggischen Dingen", dann gibt es wieder Anschaffung von babylonischen Hennen oder es wird ein Bär gebracht, ein Löwe, ein Leopard. Anno 1576 erfolgt die Übersendung eines auserlesenen.Papageies und vorsorglicherweise macht der Agent darauf aufmerksam, daß er „In der erst nit gleich wirt anfahen zu

reden, Aber so balt er anfacht, so schwetzt er vil". Über seinen zoologischen Garten, denn das ist es doch gewiß, läßt sich der Herzog, wenn er abwesend ist, von seinem Burgpfleger genau Bericht

erstatten und erfährt dabei einmal, daß Seiner Fürstlichen Gnaden „Thier vnnd gefigl alles frisch vnnd gesundt ist",

ausgenommen die weiße Elster,

„die hatt vrlaub genomen". Was für Erfolge die Kaninchenzucht erziele und wie viele Kaninchen man schon erzogen, fragt Wilhelm an und der Pfleger erwidert alsbald, daß er

„die kuniglen, so heraust im garten sint, nit erzelen, derhalben auch wievil derselben sindt nit wiessen kunne".

Dieser Tiergarten, über 60 Tagwerke groß, breitete sich längs des ganzen Höhenrückens aus. Und wo int Norden der Stadt die duftige Waldesfrische des Buchenhages, gegen die Isar hin sich senkend, ein Ende nimmt und freundliche Wiesengründe sich erstrecken in der Nähe des rasch dahinfließenden,

angenehme Kühlung spendenden Gebirgswassers, erst dort beginnt wieder die

Herrschaft der Kunst und wird der neue Hofgarten angelegt oder, wie er in

den Rechnungen

heißt, der „Neue Lust- vnnd Jhrrgarten".

Es war dies

eine Lösung der gestellten Aufgabe, wie sie gerade im Gegensatze zu Heidelberg,

wo alter Waldbestand

geopfert werden mußte,

um eine große Fläche zu

gewinnen, nicht feinsinniger und glücklicher gedacht werden kann. Huffnagel, der wohl oftmals dort gewandert, weiß das Werk nicht genug zu rühmen, „darin selzame außlendische flücht von köstlichen büwmen, frembde

trauter vnnd gewechß, Blumen auß Welschland, Hispanien und Franckrich herzubracht, mit kleinen feldlein, Irrgarten vnd kamerladen zusehen, die alle

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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voll mancherley Humen vnd frucht stehen vnnd wunder künstlich gemacht sind",

dessen „zeun von mancherley kleinen bäumlein oder gestreuchen gemacht, durch einander gezeunt, mit villerley art Humen, wie ein seltzam gewürckter Teppich

gesprenckelt vnnd darneben mit roten äpfflein, als Küttenäpfflen, Wespeln vnd andern außlendischen flüchten mehr beladen", das sogar „hin vnnd wider mit bildern vnnd gemahlen geziert ist" und dessen „vngläubich große tust, zierd

vnd schönheit, ja auch Nutzbarkeit" derart sei, „daß alles vngläubtich scheinet,

was man davon sagt".

Der Grottenhof in der Münchener Residenz

Und heute ? Alle diese Blumenpracht ist spurlos verschwunden und an ihrer Stelle erhebt sich der trostlos nüchterne Kaserncnbau der Schweren Reiter. Auch die Trausnitz ist verödet. Die Gärten sind nicht mehr mit ihren schimmernden Marmorbildern und den plätschernden Brunnen. Verlassen und jedes Schmuckes bar schaut die Urania hernieder und

selbst die lateinische

Inschrift ist erloschen, die über der Pforte verkündete, daß hier der Eingang sei in Wilhelms Gartenlust, den Hain der heiteren, leichtbeschwingten Musen, in fein herzbezwingendes,

leuchtendes Elysium.

Und wenn wir,

etwa wenn

der Abend leise hereinbricht über die unermeßliche Ebene, aus der weithin die Wasser der Isar aufleuchten unter den Strahlen der sinkenden Sonne, dort

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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oben die Spuren des Fürsten und seines Meisters aufsuchen, die so oft geweilt

an dieser einst so kunsterfüllten Stätte,

so finden wir nur eines noch, was

geblieben ist, herzerfreuend und erhebend wie vordem, der Blick in das wunder­

volle, lachende Altbayernland.

dem,

Was also auf der Trausnitz sich erhielt, ist nur ein kleiner Teil von was Sustris geschaffen. Dazu gehört außer dem im Jahre 1575

begonnenen sogenannten Italienischen Anbau —

einem .dem Schlosse nach

Süden vorgelegten Eckpavillon von vier Fensterbreiten — die architektonische Umgestaltung des alten Burghofes mit der hübschen Frcitteppe und den Arkadengängen, welche unter des Meisters Leitung seit 1579 ins Leben traten,

als die Veränderungen und die dekorative Ausstattung der Repräsentations-

räume und Zimmer des ersten Obergeschosses bereits im Fortschreiten waren. Diese dekorative Ausstattung nun, besonders die entzückenden Grotesken,

gehören wohl zu dem Köstlichsten,

was die Renaissance in Altbayern hinter­

lassen. Die Entwürfe hierzu rühren von Sustris her; die Ausführung, wie er selbst berichtet, lag in den Händen seines Schwagers Alessandro Paduano

und des Antonio Ponzano, des Meisters der berühmten Badezimmer im Fuggerhause zu Augsburg, der gleichzeitig mit Carlo Pellago die Stukkaturen besorgte.

Auch der biedere Altbayer Hans Thonauer findet Beschäftigung, wie cs überhaupt nicht zu Sustris' Gepflogenheiten gehörte die Einheimischen zurückzusetzen. den

Im Gegenteil spornt er sie an im Wettbewerb mit den in

neuen Techniken

der

Stuckierung

und Groteskenmalerei

erfahreneren

Italienern und Niederländern ihr Bestes zu geben. Wie später Cuvillies an den Reichen Zimmern der Residenz und der Amalienburg, erzieht Sustris eine

tüchtige Schule einheimischer Meister, und was München hierin ihm zu danken hat, sagt allein schon der Name Hans Krumpper. Als blutjunges Weilheimer Büblein, aus einer dort alteingesessenen, vom

Vater auf den Sohn für den bayerischen Hof arbeitenden Bildschnitzerfamilie stammend, war Krumpper nach München gekommen, wo der gütige Herzog Wilhelm sich seiner annimmt und ihn das „Maler- und Bosirer-Handwerk" lernen läßt. So wächst er allgemach hinein in das großzügige Kunstleben jener Tage.

Er ist beim Grottenhofbau dabei und bei der Michaelskirche

und Sustris, dessen scharfer Blick in dem frischen Gesellen einen jener Aus­ erwählten erkannt hat, von denen er meint, daß es

fördert ihn in jeglicher Weise.

„gute Leute" werden,

So durfte er 1590 nach Italien ziehen.

Und

als er zurückkehrt, gerecht in aller Arbeit als Maler, Bildhauer und Architekt und seine Begabung immer bedeutsamer sich enttoickelt, da gab's eines Tages ein frohes Fest in Sustris' Hause

an der Herzogspitalgaffe, das wohl die

ruhmreichen Namen alle, die Münchens Kunst damals ihr eigen nannte, an einer Tafel vereinigte: es war das Hochzeitsfest von Meister Friedrichs Tochter Katharina mit Hans Krumpper von Weilheim.

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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Und als Sustris nach schwerem körperlichen Leiden und vielen Bitter­

nissen in seiner Familie im Jahre 1599 die Augen schloß, da sorgte Wilhelm V.

nicht nur großmütig für die letzten Lebenstage der Witwe, er trat gleichsam auch das künstlerische Vermächtnis des Verstorbenen an und nahm dessen Schwiegersohn in seine persönlichen Dienste. Und des Fürsten Privatarchitekt und Kunstintendant ist Hans Krumpper bis zum Jahre 1609 geblieben, um als Baumeister der Münchener Residenz an

dann bei Herzog Maximilian

erste Stelle zu rücken. Diese treue Anhänglichkeit an jene, die ihm redlich und mit bestem Können gedient, ist der schönste Zug im Bilde Herzog Wilhelms als Kunst­ freund und

mit das Geheimnis

seines Erfolges.

Wen er einmal ins Herz

geschlossen hatte, an dem hielt er fest und kein noch so scharfer Widerstand seiner Beamten machte ihn mehr wankend in seiner Überzeugung. Seine

Künstler konnten sich auf ihn verlassen wie er auf sie. Auf diesem gegenseitigen Vertrauen beruhte das selten harmonische Zusammenarbeiten dieses Kreises, der in den gleichen künstlerischen Anschau­ ungen herangewachsen war und dessen geistigen Mittelpunkt eben das Sustris-

haus bildete, wo in herzlicher Freundschaft ebenso Peter Candid verkehrte

wie dessen scharfer Konkurrent bei den Malereien der Michaelskirche und des

Grottenhofes,

der welsche Pittore Antonio Maria Vianino,

der Sustris'

zweite Tochter Livia heimführte und im Jahre 1592 von München aus als oberster Baumeister nach Mantua an den Hof der Gonzaga berufen wurde. Doch auch Wilhelms V. weniger gute Eigenschaften in seiner Kunstpflege dürfen nicht verschwiegen werden. Vor allem, daß er kein Rechner war. Denn unähnlich hierin einem anderen Wittelsbacher, unserem zielbewußten und

sparsamen Könige Ludwig I., der mit Stolz von sich rühmen durste, daß er

nie einen Bau in Angriff genommen ohne für die Zahlung des letzten Steines Sorge getragen zu haben, unähnlich auch seinem eigenen Sohne Kurfürst Maximilian,

der sein Wollen

nur auf das nach

den verfügbaren Mitteln

El-reichbare beschränkt, das Begonnene aber mit unbeugsamer Energie zu Ende führt, schrittweise und wohlbedacht, spielt bei Herzog Wilhelm die Kostenfrage überhaupt keine Rolle. Und noch ein weiterer, für einen Kunstsammler wie für einen Bauherrn höchst bedenklicher Nachteil war ihm eigen: cs fehlte

seinem Beginnen an Planmäßigkeit und Stetigkeit.

Ein Projekt jagte das

andere und nur selten kam etwas zu glücklichem Abschlüsse.

Eine glänzende Ausnahme, wenngleich der Turm nicht vollendet ist, bildet nur die Münchener Michaelskirche mit dem anstoßenden Jesuiten­ kollegium, doch dürfte das Verdienst hieran zu nicht geringem Teile der Gesellschaft Jesu zufallen.

Und in allem, was er tat und plante, lag bei Wilhelms beschaulicher und grüblerischer Natur stets die Gefahr nahe, daß sein anfangs über­ schäumender Eifer im Kleinen und Kleinlichen zerflatterte.

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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So beschleicht ihn bei Anlage des Gartens der Maxburg in München gar verführerisch der Gedanke, wie erfreulich und nutzbringend es wäre hier

eine Weintraubenkultur anzulegen und echten „Münchener" zu keltern. Was könnte man nicht an Geld ersparen, das jetzt für teuren Wein ins Ausland

gehe. Und so läßt er „mit großen Unkosten" Weinreben „aus Vngern, Oesterreich vnd vom Rhein, Neckhar, Tauber, auß Italia, Frankhreich vnd andern orten" kommen und setzt sie zusammen, „damits ein Heurath abgeben",

und alsbald reiften, sorglich gehegt, die Trauben heran.

Von den 50 Eimern,

die er im Jahre 1610 von diesem Gewächse erzielte, hatte er dem Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer bei seinem Besuche in München „zur nachtmalzeit zwo große Flaschen" geschickt, „einen rotten, den Sie Rappes nennen vnd ein schiller, der so schön imm glaß, als wanns ein Carfunkel were", und dieser trank ihn wirklich und gab sein Urteil dahin ab, daß er „kein schönern wein

nie gesehen habe, vnd ist nit nur schön, sondern auch guet darneben". Ein andermal soll er für seine Schwester, die Erzherzogin Maria in

Graz, die Mutter des späteren Kaisers Ferdinand II., ein „Jesukind" kleiden, ihr für die Karwoche ein „heiliges Grab" zusammenstellen, weil er das ja so

meisterhaft

besorgen.

verstehe,

einen

Hinwider

blauen Kachelofen

für

ihr

„Stübl"

fällt seinen ihn vergötternden Neffen und

Oder der alte Herr

Nichtlein in die Hände, die nicht eher Ruhe geben, bis er ihnen einen „Wurz­ garten" für ihr „Kripperl" einrichtet, und wie hätte er, der große Freund und Förderer dieses liebenswürdigen, besonders in München gepflegten Kunst­

zweiges, solch herziger Bitte aus Kindermund widerstehen können? Alle diese Kleinigkeiten wurden von ihm mit gleicher Hingabe wie seine großen Bauten überdacht und ausgeführt, weil ihm eben jede menschliche Fertigkeit als eine Gottesgabe galt, die sorgsam gehegt und gefördert werden müsse.

Im Jahre 1579

starb

Herzog Albrecht

und

Wilhelm

siedelte

als

Herrscher nach München über, wohin Sustris ihm alsbald nachfolgte. Ich habe vielleicht zu lange bei der Kronprinzenzeit Wilhelms V. verweilt. Aber ich tat es mit Absicht, weil mir vor allem daran liegt an der Hand bisher unverwerteten Materials einen Einblick

zu gewähren

nicht

in

die

künstlerische Detailarbeit jener Tage, sondern vornehmlich in die Ideen und

Stimmungen,

aus denen heraus

der Fürst zum Freund und Förderer der

Die 10 Jahre seines Landshuter Wirkens sind auch für den jugendlichen Fürsten die „Epoche seiner Entwickelung" gewesen, jene Zeit­

Künste heranreifte.

spanne im Leben, von der einst der greise Goethe meinte, als er Rückschau hielt auf Erstrebtes und Erlebtes, daß eigentlich sie „die bedeutendste Epoche eines Individuums" bilde; was später noch folge, sei „der Konflikt mit der Welt" und „dieser hat nur insofern Interesse, als etwas dabei herauskommt". Was Herzog Wilhelm nunmehr anbahnt in seiner Kunstpflege als

Landesfürst,

also

von 1579

bis zu seiner freiwilligen Thronentsagung

im

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern alL Kunstfreund.

Jahre 1597,

187

und weiter bis zum Abschlüsse seines Lebens in Schleißheim

draußen am 7. Februar 1626, ist die unbeengte Verwertung des Errungenen. In Friedrich Sustris hatte er den hochbegabten, verlässigen und treuen Mitarbeiter zur Durchführung seiner künstlerischen Absichten gewonnen und in den

trüben

Erfahrungen mit den

Beamten Herzog Albrechts, die allen

Plänen des Meisters hemmend und voll Hochmut entgegengetreten waren, die felsenfeste Überzeugung, daß er diese Absichten nach seinem Sinne nur ver­ wirklichen könne durch einen entschiedenen Bruch mit der bisherigen Bau­

bureaukratie des Herzogtums. Nun, da er alleiniger Herr geworden im Bayern­ lande, sollte auch sein Sustris als wirklicher Künstler schaffen dürfen, frei und

unbeeinflußt. Es erfolgt die Einrichtung eines eigenen Bauamtes, das seine Weisungen unmittelbar und ausschließlich vom Fürsten erhält und an dessen Spitze

Sustris tritt.

Zu seinem Geschäftskreise gehören

lediglich die Bauten, die

der persönlichen Initiative Wilhelms ihre Entstehung verdanken und sozusagen seine Privatunternehmungen sind. Zunächst der „Neue Garttenpaw im Jägergäßl", dessen Überreste den Grottenhof der Residenz umfassen und wo die

Arbeiten bereits im Juli 1581 ihren Anfang nehmen und die Michaelskirche, deren Grundstein der Herzog in feierlicher Weise am 18. April 1583 legt. Das bisherige sogenannte Hofbauamt, dem seit dem Jahre 1587 der aus Augsburg berufene Wendel Dietrich vorsteht, ist hiermit aus dem Kunstbetriebe Herzog

Wilhelms ausgeschaltct. Es bleibt wie bisher der Hofkammer als oberster Baubehörde unterstellt und erledigt die Obliegenheiten des heutigen Land- und Flußbauamtes.

Wenn Wendel Dietrich also am Bau der Münchener Michaelskirche teilnimmt, so tut er es, modern gesprochen, lediglich als der den technischen und administrativen Teil der Bauführung leitende und überwachende Ministerialkommissür. In künstlerischen Fragen lag die Entscheidung bei Sustris.

Um aber auch nach außen hin über die Stellung der beiden Meister

zueinander jeden Zweifel unmöglich zu machen erließ Wilhelm V. unterm 26. Juli 1587, also genau beim Eintritt Dietrichs in bayerische Dienste, ein Dekret, in welchem er ausdrücklich erklärte, daß Sustris „wie bisher, Rechter vund Obrister Paumaister haißen, auch sein vnnd bleiben solle", daß er alle „Intentionen,

vnnd angeben"

disegna vnnd außthailung machen und

„Jme

alle

Maler,

vnnd

Scolptori

alle ding beuelchen

vnnd

Handwerchsleut

gehorsamb sein vnd Jr Jeder sein Arbeit, nach seinem beuelch, angeben vnd haissen" zu verrichten und zu machen habe. Wendel Dietrich ist also zu ganz unverdientem Ansehen gelangt, als man in ihm den langgesuchten Meister der Michaelskirche gesunden zu haben glaubte. Diese Ehre gebührt Friedrich Sustris. Jetzt heben sonnige Tage an für die Münchener Kunst, eine blütenschwere

Zeit beginnt, durch deren freudiges Planen und Schaffen es hindurchzieht wie

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

188

ein Frühlingshauch.

Und daß es in langem gemeinsamen Überlegen aus­

gereifte Baugedanken waren, keine Augenblicksschöpfungen, die nunmehr zur Tat werden, beweisen eben die beiden Werke, in welchen die Kunstpflege Wilhelms V. ihren Höhepunkt und ihren vollendetsten Ausdruck findet.

Als Verwirklichung

seines

hochsinnigen Wahlspruches

»Servire Deo

regnare est«, als monumentales Bekenntnis des unbeugsamen Feschaltens als Landesfürst an dem altererbten Väterglauben entsteht die Ordenskirche von St. Michael.

Es lebt eine himmelanstrebende Großzügigkeit in diesem Baue,

die ihn als Raumschöpfung

hoch hinaushebt

über alles,

was damals in

Deutschland ins Leben trat, etwas unendlich Ernstes und Feierliches, das un­

willkürlich das Wort zum Flüstertöne dämpft, wenn der Blick die in pracht­

vollem Schwünge sich wölbende Halle umfaßt. Nichts kühl Vornehmes, nichts verstandesmäßig Berechnetes. Es ist der Geist tiefsten inneren Empfindens

und Erfassens des Göttlichen, der hier zu uns spricht, der Geist, aus dem heraus Orlando di Lasso seine in mächtig fortreißenden Rhythmen einher­ rauschenden Tonwerke gedichtet. Und neben diesen Hymnus an den Erlöser tritt einschmeichelnd

und

graziös wie eine italienische Canzonetta das lauschige Idyll des Grottenhofes,

jenes stille, kunstgeweihte Plätzchen voll Blumenduft und Brunnengeplätscher, das Wilhelm inmitten der weitläufigen Hofburg sich eingerichtet und wo er einsam träumen konnte oder in trauter Zwiesprach sich ergehen mit seinen Künstlern und Getreuen. Gewiß nichts erzählt uns eindringlicher von Sustris'

hoher Meisterschaft, als daß es ihm baulich gelungen ist, zwei so ganz ver­ schieden gearteten Stimmungen gleichzeitig und in gleich vollendeter Weise

gerecht zu werden. Und ehe ich abschließe, will ich noch von einem Unternehmen berichten, das während der letzten Regierungsjahre Wilhelms V. bedeutsam in den Vordergrund tritt und dessen Geschichte getreulich die Wandlung widerspiegelt

im Seelenleben des Fürsten. Das 16. Jahrhundert mit seinem gesteigerten Ruhmbedürfnis ist an fast allen Höfen Europas das Zeitalter der Errichtung der großen Familien­ grabdenkmale.

Was in Italien die Päpste und die Mediceer gewollt,

uns allein schon der Name Michelangelo.

sagt

In Saint-Denis, der ehrwürdigen

Begräbnisstätte der Könige Frankreichs, planen die Valois eine gewaltige Rundkirche, im Eskorial läßt Philipp II. von Spanien durch Leone und Pompeo Leoni für sich und seinen Vater Karl V. ein kostbares Bronzedenk­ mal schaffen, die Habsburger fördern das Innsbrucker Werk ihres Kaisers

Maximilian

und selbst kleinere Herren bleiben nicht zurück, wie das Beispiel

des Grafen Ernst von Schaumburg-Holstein beweist, der die Ausführung seines Grabmonumentes in Stadthagen dem gewandten Niederländer Adriaen de Vries, dem Meister des Augsburger Merkur- und Herkulesbrunnens, an­

vertraute.

34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.

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Da müßte es seltsam zugegangen sein, wenn von unseren Wittelsbachern nicht Ähnliches zu berichten wäre.

Vielleicht gleichzeitig mit der durch den Turmeinsturz veranlaßten Er­ weiterung des Chores der Michaelskirche im Jahre 1590 faßt Herzog Wil­ helm den Gedanken, zunächst für sich und seine Gemahlin Renata dortselbst

ein Grabmonument ins Werk zu setzen. Im Laufe der Planungen scheint die Idee dann ins Großartige gesteigert worden zu sein, zu einem Gcsamtdenkmale der Häuser Wittelsbach und Lothringen, das mit der Menge seiner erz­ gegossenen Statuen das Monument Kaiser Maximilians in der Franziskaner­ kirche zu Innsbruck an Umfang weit übertroffen hätte.

Die Entwürfe dazu, die natürlich von Sustris stammten und deren Aus­ erster Linie dem Meister des Augsburger Augustusbrunnens

führung in

Hubert Gerhard anvertraut war, sind leider verloren gegangen, aber noch

erhaltene Aktenstücke und Rechnungen setzen

uns

in

den Stand

die Idee

wenigstens in ihren Hauptzügen festzulcgen. Den Mittelpunkt des Monumentes, den wir uns etwa so zu denken haben wie den Hauptbau des Kaisermausoleums in der Münchener Frauen­ kirche, bildet ein hochragendes, gegen den Hauptaltar schauendes Kruzifix. Zu beiden Seiten in zwei knienden Gruppen Herzog Wilhelm mit seinen Söhnen und die Töchter mit Renata von Lothringen an der Spitze, ein Motiv, dessen feierliche Würde die Betergruppen des Familiengrabes im Eskorial ahnen

lassen, die an hoheitsvoller Würde kaum ihresgleichen finden dürften. Im Unterbau sind vier Bronzereliefs eingelassen, an den Langseiten die Erweckung des Lazarus und der Tochter des Jairus, an den Schmalseiten

Christi Auferstehung und die Vision des Propheten Ezechiel.

Um das Mauso­

leum reihen sich in drei Ordnungen die Fürsten des Hauses Wittelsbach, ob als

Statuen oder nur in Wappenreihen, läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen. An den Ecken knien, wie in der Frauenkirche, vier Standarten haltende Wächter.

Das ganze Monument ist von Schranken umschlossen, auf denen 16 Vor­ fahren der Herzogin Renata stehen. Ihre Reihenfolge wird in den Mitten der Langseiten durch zwei überhöhte Postamente unterbrochen, welche die

Statuen Albrechts V. und des Herzogs Franz von Lothringen, Renatas Vater, tragen.

Zwei weitere Figuren befinden sich außerhalb der Schranken, der

Stammvater des Geschlechts, Otto von Wittelsbach, und ein dem Langhaus der Kirche zugewendeter Engel mit dem Weihbrunnbecken. Als Ganzes ist das Werk niemals ins Leben getreten und wir haben damit den Verlust eines Kunstwerkes zu beklagen, in dem Sustris gewiß sein

reifstes Können niedergelegt hatte.

Besonders wenn wir auf die Bruchstücke

blicken, die bei Wilhelms Thronentsagung im Jahre 1597 bereits fertig gestellt

waren und die überallhin zerstreut heute noch erhalten sind.

Vor allem der

herrliche, meist fälschlich als Cäcilia angesprochene Weihbrunnengel im Quer­ schiffe der Michaelskirche, wo an den Wänden die allerdings weniger gelungenen

35. Augsburger Studien.

190

Bronzereliefs zu sehen sind, wahrscheinlich auch die Bronzekandelaber am Chor­ aufgange und die schildhaltenden Löwen vor den Portalen der Residenz und sicher die vier „Wachter", die in der Frauenkirche Verwendung fanden am

Denkmale Kaiser Ludwigs des Bayern, mit welchem wohl bescheidener aber nicht minder kunstvoll der Sohn zur Tat machte, was der Vater mit seinem Mausoleum des Hauses Wittelsbach erstrebt.

Wilhelms V. eigenes Grabdenkmal ist das große Kruzifix geworden, dessen Fuß in tiefstem Weh die Gestalt der Magdalena umklammert. Und von all dem Totenprunk, der für die majestätischen Hallen von Sankt Michael geplant war, ist schließlich nur die Gestalt des Erlösers übrig geblieben, in ihrer er­

greifenden Schlichtheit die wahrste Verkörperung des Fürsten, der den Leitstern seines Erdenwallens in den Worten gefunden hatte: „Auf dich, o Herr, hab ich

gehofft mein Leben lang und mein Vertrauen wird nicht zu Schanden werden."

35. Augsburger Studien. Don Wilhelm Heinrich Riehl.')

Vier Flüsse lassen die alten Augsburger am Augustusbrunnen zu den Füßen des Imperators lagern, der ihre Stadt gegründet. Wer nicht orts­ kundig ist, der muß eine genaue Spezialkarte zur Hand nehmen um diese

vier Flüsse aufzufinden; er entdeckt dann als dritten und vierten Fluß neben Lech und Wertach die Singold und den Brunnenbach und lächelt darüber. Dieses Lächeln ist aber voreilig. Denn die beiden Bäche repräsentieren nicht bloß ihren eigenen Wasserfaden sondern je einen ganzen Strang von kleinen

Parallelbächen, ein Netz von Quellen, wodurch die Lech- und Wertachauen mit

zahllosen nassen Gräben durchschnitten, die Stadt Augsburg nach außen ver­ teidigt, nach innen mit dem reichsten Schatze nutzbaren Wassers versehen wird. Keine in der Ebene gelegene deutsche Stadt ist so reich wie Augsburg an trefflichen Brunnen und Quellen und dieser Reichtum hängt mit dem wunderlichen Wassersystem von Singold und Brunnenbach eng zusammen. In den letztvergangenen Jahrhunderten war es der besondere Stolz des Augs­ burger Bürgers, daß seine Stadt vor allen Städten des Reiches die größte

Fülle von Brunnen besitze und daß in fast jedes reichere Haus fortwährend

reines Wasser zuströme.

Noch jetzt gehören die vielen Prunkhaften,

oft mit

schönen kleinen Metallfiguren geschmückten Brunnen im Innern der Höfe zu den anziehendsten häuslichen Altertümern der Stadt, wie an den großen drei *) „Kulturstudien aus drei Jahrhunderten", S. 26t ff. Stuttgart 1873', Cotta. — Seit Niederlegung der alten Festungswerke haben sich neue, schöne Stadtteile im Westen und Süden Augsburgs entwickelt, im Osten und Norden sind beträchtliche Fabriken erstanden; aber trotzdem und obschon auch das einst so farbenfrohe Straßenbilderbuch stark abgeblaßt, manches von W. RiehlS geistreichen Ausführungen, vor nunmehr 50 Jahren nieder­ geschrieben, heute nicht mehr allgemein giltig ist, dürste dennoch die Ausnahme dieser meisterhaften kulturgeschichtlichen Studie noch ihre Berechtigung haben.

35. Augsburger Studien.

191

Brunnen der Maximiliansstraße die monumentale Plastik ihr Bestes versucht

und geleistet hat und die kunstreichen Wasserwerke und Brunnentürme als

eine rechte Stadtmerkwürdigkeit noch immer den Fremden gezeigt werden.

^ibtius »td Sirrticb uitni’ dem yertodj

^rüiuviu, aiijf

Der Augustusbrunnen in Augsburg von Hubert Gerhard.

Aber nicht bloß Trinkwasser ergoß sich aus jenen Quellen und Bächen nach Augsburg; im Verein mit den Lech- und Wertachkanälen treiben sie ein vielverzweigtes Aderngeflecht des mächtigsten Gefälles durch die Stadt und deren Bann

und

geben

ihr seit Jahrhunderten den Beruf zum Groß­

gewerbe. Friedrich List pflegte zu sagen, die Stadt Augsburg allein habe mehr natürliches Wassergefälle als alle englischen Fabrikbezirke zusammen­

genommen.

Als vor etlichen Jahren ein unerhörter Wassermangel die Augs-

35. Augsburger Studien.

192

bürget Fabriken belästigte, ward der Schaden trotz der bei den meisten großen

Werken befindlichen Dampfmaschinen sofort auf

enorme Summen berechnet

und die Leute liefen in echt deutscher Art zum Magistrat und schrien nach Wasser wie der Hirsch im Psalter.

Alle, auch die neuesten Augsburger Fabrikanlagen beschränken sich auf

das Mündungsdreieck von Lech, Wertach, Singold und Brunnenbach.

Obgleich

jetzt keine politische Schranke mehr wehren würde, Fabriken auf dem kaum einen Büchsenschuß entfernten altbayerischen Boden anzulegen, blieb man doch auf dem alten Augsburgischen Gebiete, weil es allein der höchsten Gunst des

Wasserlaufes teilhaftig ist.

So sprechen die vier Flußgötter am Augustus-

brunnen in der Tat auch für unsere Zeit eine tiefe Wahrheit aus: die Wahr­ heit, daß Augsburg die natürlichste und notwendigste Stadt auf weit und breit für alle Epochen sei. Der Lech hat die Eigenart, daß er, kanalisiert, in und vor den Stadt­ mauern Augsburgs dem fleißigen Gewerbsmann willig seine Dienste bietet; draußen aber im natürlichen Bett als reißender Hochgebirgsstrom unbändig

die Brücken abwirft, die Ufer scheidet und verheert. Den Bauer schädigt er, den Bürger macht er reich; nach außen wehrt er den Zugang zur Stadt, im Innern öffnet er dem Fleiße des Bürgers tausend Wege, ein Wehrstrom nach außen, ein Nährstrom nach innen. Strecke von Landsberg

Man kann sagen, auf der ganzen weiten

bis zur Mündung ist kein Punkt, wo der Lech dem

Menschen freundlich gesinnt wäre, außer bei Augsburg.

natürliches Privilegium der natürlichen und

Dies ist wiederum ein

gewordenen Stadt,

wertvoller

vielleicht als alle die vielen kaiserlichen Privilegien, womit sie in alten Tagen

so reich begnadet wurde.

Darum besaß der Lech für Augsburg niemals eine

Handelsbedeutung, aber oft eine strategische und immer eine gewerbliche. Nicht einmal die ftüher öfters versuchte freie Holztriftung, die sich auf der Isar bis auf diesen Tag erhalten hat, vermochte auf dem Lech zu bestehen. Doch kann man noch immer in einer für Handwerksburschen und Volksnatursorscher recht empfehlenswerten Weise per Lechfloß in 10 bis 14 Tagen von

Augsburg direkt nach Wien fahren. Ein solches kleines Lechfloß ist das einzige Handelsfahrzeug der Augsburger zu Wasser. Um so tiefer mag man den Hut ziehen vor jenen alten Augsburgischen Kaufleuten,

die im 16. Jahrhundert

Schiffe nach Ostindien rüsteten und dieses Geschäft glorreich zu Ende führten mit 175 Prozent Gewinn. Als vor hundert Jahren Macht und Reichtum der Stadt unaufhaltsam

zerrann, schob man diesen Unstern auf die geographische Lage, die eben keine

rechte Handelslage mehr sei. Denn Städte und Völker wie der einzelne suchen die Ursache ihres Mißgeschickes immer lieber außer sich als in sich. Allein die Handelsbedeutung Augsburgs war immer nur hervorgewachsen aus der gewerb­ lichen. Der Beweis steht auf der Landkarte geschrieben. Auch in den Ge­ schichtsbüchern.

Erst als das Augsburgische Gewerbe im 14. Jahrhundert

193

35. Augsburger Studien.

aufblüht, kann sich der Platz neben so viele echte Handelsstädte des Rheinischen

Bundes und der Hansa stellen, deren Handelsmacht bis dahin die )einige weit

übertroffen.

Ebenso gewinnt Augsburg nach dem Dreißigjährigen Kriege noch

einmal eine Nachblüte des Reichtums auf Grund seines Gewerbfleißes;

der

In der alten Augsburger Zunftverfassung nehmen zwar die Kaufleute den ersten bloße Handel würde ihm so wenig wie heutzutage dazu verhalfen haben.

Rang ein, die Weber den zweiten; der Natur der Dinge nach hätten aber die Weber voran gehört, wie auch aus ihrer Zunft das mächtigste Kaufmanns­

geschlecht der Reichsstadt und das glänzendste im ganzen Reiche hervorgegangen ist. In der geographischen Lage der Stadt ist ausgesprochen, daß Handels­ macht möglich war, Gewcrbsblüte aber notwendig. Eine Stadt von natürlichem Beruf zu einem großen historischen Namen

muß so gelegen sein, daß man die Position sofort in wenigen Schlagwörtern nach ihrer vollen Originalität charakterisieren kann. offen,

Augsburg, von Natur so fest abgeschlossen und doch zugleich so verkehrs­ war durch lange Jahrhunderte der wahre strategische Mittelpunkt des

oberen Donaulandes, die Burg der Lech-Donaulinie. Darum setzten die alten bayerischen Herzoge den Augsburgern die Feste Friedberg vor die Nase, ein

rechtes Trutz-Augsburg und für die Bürger der Reichsstadt nichts weniger als ein Berg des Friedens.

Die kriegerische Geltung Augsburgs war für Römer­

zeit und Mittelalter ebenso naturnotwendig wie später seine gewerbliche Größe. Deshalb rühmt sich hier auch die weiland vornehmste Zunft — der Weber —

ebensogut der Großtaten mit dem Schwert als mit dem Webschiff und hat ihr rot und goldenes Wappen auf dem Schlachtfeld gewonnen.

Auf der äußersten Spitze des Lechfeldes gegen die Donauniederung und ihre Hügelzone gelegen

thront Augsburg

wie auf einem Vorgebirg.

Die

ungeheure Geröllflüche des Lechfeldes aber ist zugleich der letzte Ausläufer, der

weithin gestreckte Trümmerschutt des Hochgebirges, die Grenzmark der süd­ bayerischen Hochflächenzone. So öde und ungesegnet das obere Lechfeld ist,

so kostbar wird seine unterste Spitze für die begünstigte Reichsstadt; es hebt sie über die Sumpfniederung der vielen hier zusammenrinnenden Gewässer, sammelt und entläßt an seinem Rande die reichen Quellen,

die es meilenlang eigens

zum Profit der Augsburger bei sich behalten zu haben scheint, und macht so

die Stadt zur Beherrscherin dieser mannigfaltigen Wasserschätze, während in der ganzen Nachbarschaft umgekehrt das Gestade von dem Wasser beherrscht wird. Die Vorgebirgslage zeichnet in den Grundplan Augsburgs die glückliche

Doppelart einer Hoch- und Tiefftadt, einer patrizisch dominierenden Anapolis

neben gewerbfleißigen, von Kanälen durchschnittenen Vorstädten, und wenn der Augsburgische Pattiot seine Phantasie ein wenig erwärmt, so kann er seine Vaterstadt auf sieben Hügeln über dem Gestade gegründet erkennen wie Rom und Konstantinopel. Das Lechfeld gibt der Umgebung jenes Gepräge der Dürfttgkeit und mäßigen Ackersegens, der fast wie eine Vorbedingung zum Krons eder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns. 13

35. Augsburger Studien.

194

Aufkommen natürlicher Großstädte erscheint.

Große Menschen

wachsen

ja

auch in der Regel nicht in allzu fetter Umgebung. Im fettesten Fruchtboden gibt es viele reiche Dörfer und Kleinstädte, aber weil sie es je für sich allein zu gut haben, so zwingen sie sich nicht zur Sammlung. Auch hierin mag die Kolonialstadt des Augustus, splendidissima Rhaetiae Colonia, sich trösten

mit der Mutterstadt: Rom hat seine Campagna, Augsburg sein Lechfeld. Wir haben also in Augsburg den letzten großen städtischen Vorposten des hochgebirgigen Oberdeutschlands gegen Mitteldeutschland, die Burg der Lech-

Donaulinie, die beherrschende Fabrikmetropole des ganzen oberen Donaulandes, den notwendigen Straßenmittelpunkt zwischen der Donau und den Alpen, so­ wohl in Zeiten, wo man nach Römerart Straßen anlegte zur Fesselung des Landes, wie in der unsrigen, in der die Straßen das Land frei machen.

Und bei alledem sind diese unvergleichlichen Vorzüge der Lage dem Blick des flüchtigen Reisenden ebenso versteckt als helleuchtend dem schärferen Be­ obachter, ein Zug, der uns bei unserer schwäbischen Reichsstadt von vornherein recht schwäbisch anmutet; denn die Schwaben sind ja überhaupt in der Regel

viel gescheidter als sie aussehen. Eine Stadt wie Augsburg, die zugleich einen Staat in sich beschloß und zwar einen doppelten, den geistlichen des Bischofs und den weltlichen der bürgerlichen Republik, muß natürlich schon in ihrer äußeren Physiognomie gar eigenartige Linien zeigen. Hier war nicht nur die gesamte Stadt eine kleine Welt für sich, sondern jedes Quartier, jede Straße

verkörpert wiederum eine besondere Phase des Volkslebens. Die stolze Maximilianstraße mit

ihrer Umgebung

führt uns in die

patrizische Welt. Fast alles, was Augsburg an vornehmen Häusern besitzt, lagert sich auf dem Plateau der oberen Stadt. Die Stätte der Römerkolonie, die Altstadt mit dem ehrwürdigen Stammbaum, ist zugleich durch alle Jahr­ hunderte die adelige Stadt geblieben. Man behauptet sogar, daß die vor­ nehmsten Gebäude der römischen Augusta den Grundbau zu den meisten der jetzt noch stehenden monumentalen Hauptgebäude dieses Stadtteils hätten ab­ geben müssen.

Von den Baudenkmalen römischer Macht und Pracht über der

Erde ist freilich nichts mehr sichtbar geblieben und nur das demütigste Römer­ werk soll sich bis auf unsere Tage erhalten haben — die Kloaken.

Wenig ist mehr von den stolzen Patrizierhäusern des Mittelalters erhalten. Der charakteristischsten eines war das Jmhofsche Haus?) Mit seiner turmartigen Bekrönung und den hohen Zinnen erschien es als eine Burg, an die Stadt­ burgen der großen Geschlechter Oberitaliens erinnernd, und weislich war die

gut gedeckte, hohe Einfahrt an der Seitenfront angelegt. Die Grundformen des Hauses versetzten uns in die Hohenstaufenzeit zurück und eine graue, abge­ witterte Farbe breitete sich als der Schleier hohen Altertums über das Ganze. *) Nicht zr;m Vorteil des gesamten Straßenbildes hat dieses ehrwürdige Altertum

einem Neubau Platz machen müssen.

35. Augsburger Studien.

195

Und gerade solche trutzige patrizische Stadtburgen mußten uns bekunden,

daß es die Zünfte doch zuletzt gewonnen haben über die Geschlechter. Denn das Herrenhaus war zum Miethaus geworden und Kaufläden aller Art durchbrachen das einst zur Verteidigung fensterlos abgeschlossene Erdgeschoß.

So steht auch

das wichtigste Zunfthaus, das Weberhaus, bedeutungsvoll in Reih und Glied mit den alten Palasthäusern der Maximilianstraße und das Bäckerzunfthaus

steigt am Perlachberg ganz breit und sicher aus dem eigentlichen Quartier des Handwerks empor und blickt mit der vorderen Schmalseite keck in die Staats­ straße der vornehmen Häuser. Sonst kann man fast sagen, die Rangabstufung der Gesellschaft lasse sich bei dem alten Augsburg in einem Höhenprofil nach der höheren oder niederen Lage der drei Hauptmassen der Stadt bildlich darstellen. Denn so, wie man

von dem vornehmen Plateau den Perlachberg hinabsteigt, lagern sich am Ab

hange die wichtigsten Gewerbestraßen; auf der Höhe dominierten die Patrizier, an der Höhe die Zünfte, unten in der Talsohle aber liegt die Vorstadt, vor­ wiegend das Viertel der kleinen Leute und der Proletarier. Oben sind die

Straßen breit und groß und tragen vornehme Namen; am Hügel werden sie enge, aber Wohlstand und Betriebsamkeit blickt auch hier aus den altersgrauen, winkeligen Gebäuden; unten kommen die kleinen Häuschen, die engen Gäßchen, kommt die berühmte Stadt der Armen, die Fuggerei, und schon die oft sehr wunderlichen Namen melden uns, welche Volksschicht hier seit alters vorwiegend,

wenn auch nicht ausschließend, wohnt. Statt der prunkenden öffentlichen Gebäude fanden sich meist solche hier,

deren Nachbarschaft gemieden wird, z. B. das Nothaus am Vogeltor, das Arbeits-, Pulver-, Blatternhaus, das Schneidhaus für chirurgische Kuren. Es ist be­

zeichnend für das alte Augsburg, daß mitten unter diesen Häusern auch das

alte Theater (jetzt Lagerraum) steht, in seiner Fassade obendrein fast mehr einem Nothaus als einem Kunsttempel ähnlich. Was das ehemalige Pulver­

haus betrifft, so stand es ursprünglich nicht in dieser Vorstadt.

Die Schwaben

sind vorsichtige Leute: weil Pulvermachen eine so gefährliche Sache ist, so ließ man im 15. Jahrhundert zu Augsburg das Pulver im sichersten und festesten Hause der Stadt verfertigen — nämlich im Rathause. Erst später schob man die Pulverfabrikation aus dem Mittelpunkte der vornehmen Welt in das

Viertel der geringeren Leute.

Wie in den Fürstenstädten des 18. Jahrhunderts die Prunkstraßen oft nur auf fürstlichen Befehl und mit gelindem Zwang hergestellt werden konnten, so mußte man vor Zeiten in Augsburg den Ausbau des Quartiers des

„eigentlichen Volkes", der Jakobervorstadt, auf dem Zwangswege betreiben Im 14. Jahrhundert ließ man nur gegen das Versprechen ein Haus bei St. Jakob zu bauen Ankömmlinge zum Bürgerrecht zu.

Es liegt übrigens auf der Hand, daß die standesmäßige Straßengliedc-

rung unserer alten Reichsstadt nicht gar zu buchstäblich verstanden werden 1:;*

196 darf.

35. Augsburger Studien.

Man muß das im großen und ganzen

Bauern.

nehmen

wie der Teufel die

Auch in der Jakobervorstadt stehen vereinzelte Häuser, welche noch

die Trümmerspur von

wahrhaft patrizischem Luxus zeigen,

und gar nicht

weit vom Blatternhaus lagen die Prunkgärten der Fugger im Banne dieses

untersten Viertels. Auch die Hochstadt, das vornehme Plateau, ist nicht durch­ weg vornehm gewesen: aber das Zentrum war patrizisch, die Achse der Hoch­

stadt gehörte entschieden der patrizischen Welt. Geht man von der Maximiliansttaße gegen die oberen Tore, so wird das

Sttaßengepräge immer bürgerlicher, je mehr man sich der Stadtmauer nähert;

an der Mauer selber wird es wohl gar ein bischen proletarisch, ja auf der Mauer standen einst die ganz kleinen Zwingerhäuschen *) der ehemaligen Stadt­ gardesoldaten.

Nicht in der Peripherie,

wie bei den Millionärsttaßen der

modernen Städte, sondern im Zentrum, im Herzen des pulsierenden Verkehrs, lagen die Paläste der Reichen: dies zeigt an, daß aus dem Herzen des bürger­ lichen Lebens der Adel der Geschlechter hervorgewachsen ist. Nicht draußen

am Tore in halber Landschaft war der stolzeste Wohnsitz, sondern mitten im Staub und Gewühl des Handels und Wandels, der bürgerlichen Arbeit. Wo das Rathaus steht und das Weberhaus, da war die Palaststraße. Übrigens begreift man erst bei solcher ständisch-organischen, nicht fasten«

haft mathematischen Gliederung der Augsburger Straßen das Geheimnis der

Fuggerei, der traulichen kleinen Stadt der arbeitsamen Armen innerhalb der großen Stadt. Wo der Grundplan der sozialen Gruppen schon in den archi­ tektonischen Stadtplan

eingezeichnet war,

da

schämte sich auch der fleißige

Arme nicht in einer eigenen Armenstadt zu wohnen. Wollte heute auch ein Menschenfteund so großartig verfahren wie die Brüder Ulrich, Georg und

Jakob Fugger, da sie die Fuggerei erbauten, er fände höchstens noch Gesindel, aber nicht fleißige Arme, die ihm in seine Armenstadt einzögen.

Denn der

moderne arme Arbeiter will lieber für teuer Geld in einem Loche wohnen als

gratis in einem hübschen Häuschen, welches die Touristen angaffen als ein interessantes Armenhaus. Sein Bier würde ihm abends sauer werden bei dem

Gedanken, daß sein Nachbar auf der Bierbank im stillen zu sich spräche: da neben mir sitzt auch einer, der wohnt in der Armenstadt.

Wie von einigen Nürnberger Tortürmen die Sage geht, daß Albrecht

Dürer den Plan gezeichnet, so sind mehrere Augsburger Tore von dem größten Baumeister der Stadt, von Elias Holl, erbaut. Denn das Tor soll nicht bloß verteidigen, es soll auch repräsentieren; es soll dem Fremden schon von

fernher verkünden, was hinter der Stadt steckt.

Darum schmückten die Alt-

*) Heule sind sie alle verschwunden, die letzten erst vor wenigen Jahren am Wertachbrucker- und am Jakobertor. Es waren kleine Wohnhäuschen von je nur einem Geschoß, lauter selbständige Familienwohnungen. Diese „Zwingerhäuschen" waren einstens ein Dorf der kleinen Leute in der Stadt; die Soldaten, auf die Stadtmauer quartiert, mußten mit der Stadt zunächst ihren eigenen Herd verteidigen.

197

35. Augsburger Studien.

vorder« ihre Tore sinnvoll und symbolisch

und eine Stadt ohne Mauer und

Tor war ihnen nicht bloß ein Mann ohne Harnisch sondern auch ein Mann

ohne Rock. So prangt das Bogeltor mit schöner gotischer Steinmetzenarbeit x), am Jakobertor ist das Kaiserbild, ein alter Stadtpyr und ein Römerstein zur

Schau eingemauert, der zerstörte Festungsturm auf dem Luginsland galt für einen der reichsten gotischen Türme der Stadt und unter jedem Torbogen sehen wir eine gemalte Tafel mit der Kreuztragung Christi aufgehangen: das

macht sich alles würdevoll und reichsstädtisch.

Nehmt Augsburg seine male­

rischen Tore2) und Mauern und ihr habt den schönsten und eigentümlichsten Zug ausgelöscht, der noch von der äußeren Physiognomie der ehrwürdigen Das fühlten die Nürnberger wohl, als sie

Reichsstadt übrig geblieben ist.

zur Erleichterung des modernen Verkehrs Fahrbahnen zur Rechten und Linken ihrer stolzen Tortürme brachen, die Türme aber selber ungebrochen ließen.

Triviale englische Anlagen kann jede neugebackene Stadt fürs Geld haben, aber so poetische und malerische Wälle und Mauern und Tore und Stadtumgänge, wie die Augsburgs und Nürnbergs, sind gleich dem echten alten Adel: wer sie nicht ererbt hat, der wird sie nimmer gewinnen. Wenn wir uns das Stadtbild Augsburgs recht genau vor Augen rücken, schauen wir zugleich meilentief in die deutsche Kulturgeschichte hinein. Und zwar ist es zunächst die Kulturgeschichte der Renaissance, die vor uns im reichsten

Bilde ausgebreitet liegt. Nicht bloß architektonisch ist Augsburg das deutsche Pompeji der Renaissance. Der Schwerpunkt seiner ganzen Geschichte ruht in der Übergangsperiode vom Mittelalter zur neueren Zeit. Nicht das

Mittelalter, sondern der Bruch mit dem Mittelalter gewann unserer Reichsstadt

die tiefste Originalität. Weil Augsburg alle die bewegenden Ideen der Renaissance

— die großen Erfindungen und Entdeckungen, den Humanismus, die Bezwingung und Verjüngung ausgelebter germanischer Einseitigkeit durch den Romanismus und die Antike, die Reformation — wie in einem Brennpunkt sammelte, festhielt

und im kleinen charaktervoll verkörperte, erhielt es erst die Signatur einer eigenartigen, einer wirklich weltgeschichtlichen Städte

Dies aber unterscheidet

die natürlichen und gewordenen Städte von den gemachten, daß sie solch einen

auszeichnenden Beruf irgend einmal erfaßt und mit der Einseitigkeit und All­

seitigkeit eines Genies durchgeführt haben und daß man sagen muß, in einer Epoche wenigstens ist die Stadt um einen Kopf größer gewesen als alle ihre Schwestern, es unterscheidet sie der Adel eines historischen Namens.

Drei große Meister sind es, die uns die ganze Macht, womit die Renaissance

das höhere Geistesleben Augsburgs ergriff, in persönlicher Verkörperung dar-

*) Das längst verschwundene Klinkertor trug kräftigen Freskoschmuck. •) Freilich auch manche der schönen und malerischen Tore Augsburgs sind in­ zwischen niedergelegt worden, z. B. das Klinkertor, daS Gögginger-, Steffinger- und Fischer­ lor; doch immer noch bestehen beachtenswerte Reste aus früherer Zeit.

35. Augsburger Studien.

198

stellen: Konrad Peutinger,

der Gelehrte, Hans Holbein, der Maler,

Elias Holl, der Baumeister.

Elias Holl brachte im Anfänge des 17. Jahrhunderts die neue italienische Bauweise aus Venedig nach Augsburg, wo man allerdings schon längere Zeit

eine minder entwickelte Renaissance gekannt hatte. Sein Vater hatte noch gotisch gebaut. Der Einfluß des zur neuen Lehre der Renaissance bekehrten Sohnes aber ist so schlaghast und einzig, daß wir den Mann recht als den kühnsten Revolutionär unter den Architekten anstaunen müssen. Fast genau in

denselben vier Jahren, da Holl das Augsburger Rathaus ausführte, hat Eucharius Holzschuher das neue Rathaus zu Nürnberg errichtet, gleichfalls ein

Renaissancewerk und an Kunstwert dem ersteren wohl ebenbürtig. Aber Nürn­

berg blieb trotz dieses Rathauses dieselbe mittelalterliche Stadt, die es gewesen; Holl dagegen baute mit seinem Rathause zugleich ganz Augsburg um. Den

gotischen Türmen nahm er die spitzen Hüte ab und setzte ihnen runde, welsche Kappen auf, so daß in der ganzen Stadt kaum eine einzige gotische Turm­ pyramide mehr übrig geblieben ist; Zunfthäuser und Kirchen, Paläste und Festungstürme wurden binnen wenigen Jahrzehnten so massenhaft in den Renaissancestil umgeschmolzen, daß die halbe Stadt wie uniformiert erscheint bis auf diesen Tag.

Was Holl selber stehen ließ, das bewältigten rasch seine

Nachfolger; denn in Revolutionszeiten des Geschmacks wie der Politik hat man keinen Pardon für geschichtliche Überlieferungen. Die Volksbauart in den ein­

zelnen Quartieren, die vorgedachte gattungsmäßige mittelalterliche Anlage, mußte

erstarren, seit ein solcher Gewaltmeister wie Elias Holl die Architektonik nach akademischen Heften in die Hand nahm. Wie die Volkspoesie gegen die Kunst­

poesie, so tritt das alte Augsburg jetzt gegen das neue zurück.

Ich kenne keine

zweite Stadt, wo dieser Umschwung gleich rasch und entschieden erfolgt wäre und so siegesgewaltig durchgefochten durch einen einzigen Mann. Dafür lebt aber auch Elias Holl im Volksmunde seiner Vaterstadt wie wohl selten ein

Baumeister und die malerische Physiognomie Augsburgs erstarrte in den Zügen, die Holl so keck umrissen, daß es heute noch dreinschaut wie aus dem Grabe

des 17. Jahrhunderts erstanden, das deutsche Pompeji der Renaissance. Als aber die Altvordern so viele mittelalterliche Bauten abtrugen um

moderne an ihre Stätte zu setzen, hatten sie wenigstens reichsstädtischen Gemein­ geist genug die Holzmodelle der alten Werke auf dem Rathause aufzustellen. Diese Modelle lehren uns gleich den noch vorhandenen romanischen und gotischen Denkmalen, daß bei reicher Schönheit im einzelnen dennoch eine epochemachende

und schöpferische Entwickelung der mittelalterlichen Baukunst nicht von Augs­

burg ausgegangen ist. Die Kraft sparte sich auf für eine spätere Zeit. Bekanntlich ist aber auch innerhalb der Renaissance die Baukunst nicht die schöpferische Kunst gewesen, sondern vielmehr die Malerei. Der größte Maler aber und zugleich der größte Künstler Augsburgs, HansHolbein, ist es wiederum, der gleich seinem großen Geistesbruder Dürer die Schranken der

199

35. Augsburger Studien.

mittelalterlichen Malerei zerbricht unb, ohne der vaterländischen Tradition untreu zu werden, eine neue Welt des Naturstudiums, der klassischen Formenanmut

und der freien modernen Gedankenfülle für seine Kunst erobert.

Ist Holbeins

äußeres Leben gleich nicht so eng an seine Vaterstadt Augsburg gefesselt wie

das Dürers an Nürnberg, so war doch seine künstlerische Entfaltung eine ebenso charakteristisch altaugsburgische, als er zu den wahren Propheten der Renaissance

im edelsten Sinne zählt.

Doch soll hier nicht die kunstgeschichtliche Bedeutung der Augsburgischen Malerschule verfolgt werden, sondern vielmehr der volkstümliche Einfluß

Kunst, der in Augsburg höher entwickelt ward als irgendwo in Deutschland. Schon die Straßen der Stadt predigen diese Tatsache. Vor

dieser

50 Jahre» noch sollen sie anzuschauen gewesen sein wie ein großes Bilderbuch, dessen Blätter die mit Fresken bedeckten Häuserwände waren.

Jetzt nimmt sich

dieses Buch freilich fast aus wie eine Fibel, die unter die Hände allzu bildungs­ begieriger Kinder geraten ist; die eine Hälfte der Blätter ist herausgerissen, die andere zerfetzt. Aber trotzdem kann man aus diesen zerstückten Blättern noch immer eine

Bilderchronik des innern Volkslebens der alten Reichsstadt zusammensetzen, die klarer belehrt und anschaulicher als die meisten gedruckten Geschichtswerke. Ich selber habe jahrelang die vielen Straßengemälde betrachtet und wieder be­

trachtet und Augsburgische Geschichte daraus gelernt, bevor mir irgend eine andere Chronik der Stadt in die Hand gekommen war. Denn dies ist über­ haupt eines der wichtigsten Handwerksgeheimnisse des Volksstudiums, daß man die lebendigen und die monumentalen Quellen erforscht, ehe man die geschrie­ benen auch nur von ferne ansieht. Dadurch lesen wir Neues aus den letz­

teren heraus, während wir bei der umgekehrten Methode nur die toten alten Historien in die lebendige Gegenwart hineinbuchstabieren. Die Augsburger Haussresken bekunden zuvorderst eine merkwürdige kunst-

gcschichtliche Tatsache. Ausgezeichnete Meister versuchten sich in ihnen, vor allen: Hans Burkmeyer, Albrecht Altdorfer, Hans Rottenhammer,

Matthias Kager, Johann Holzer, Julius Licinius, genannt der jüngere Pordenone, Antonio Ponzano.

Sie malten aber fast alle diese Fresken

mit weit mehr Genie und Tüchtigkeit als ihre übrigen Bilder, so daß man sagen kann, sie stellten ihre Meisterstücke auf die Gasse zum Schmucke schlichter Bürgerhäuser. Namentlich gilt dies von den fünf Letztgenannten. Der jüngere

Licinius z. B., ein arger Manicrist, würde mit Recht ganz vergessen sein, wenn

er seine Augsburger Fresken nicht gemalt hätte, ein kolossales mythologisch­ allegorisches Werk an dem Hause des reichen Hieronymus Rehlinger in der Philippine-Welserstraße, ein Rokokostück voll der abenteuerlichsten Phantasie,

dessen Sinn und Verstand gewiß kein Sterblicher mehr enträtseln kann, aber bei aller barocken Manier so übermütig keck und mit so flottem, breitem Pinsel

auf den Kalk geworfen, daß man vor Staunen über des Meisters Mut und

200

35. Augsburger Studien.

Vermessenheit und über manchen wahrhaft pompösen Einzelzug erst nachträglich

dazu kommt sich über die Geschmacklosigkeit des Ganzen zu ärgern. Hätte er viele solcher Bilder gemalt, so würde er als der riesenhafteste Geschmacksver­ derber unsterblich geworden sein. Ähnlich ergeht es mit Antonio Ponzano, einem sonst kaum genannten Meister.

Seine Fresken in den Jnnenräumcn

der Fuggerhäuser galten lange für Werke Tizians.

Erst in neuester Zeit hat

man durch äußere Beweise dargetan, daß jene höchst geistvollen und lieblichen

Kompositionen, die gar mancher Kenner als Zeugnisse der Anwesenheit des

großen Venezianers in Augsburg gläubig bewunderte, nur von dessen Schüler

Ponzano herrühren.

Matthias Kager hat, als ein echter Bürgermeister der

kunstreichen Reichsstadt, das Rathaus, das Weberhaus, das Stadtgefängnis und zwei Stadttürme mit seinen Fresken geschmückt. Bei ihm wie bei seinem Ruhmesgenossen Holzer staunen wir darüber, daß in der verderbten Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts zwei deutsche Meister noch so tüchtig und in so würdevollem Stile Fresko malen konnten. Wiederum sind Kagers Ölgemälde

ohne allen Vergleich schwächer als seine Fresken, besonders die frisch und un­ befangen und in großen Zügen gemalten Bilder am Weberhause. So edel stilisierte historische Kompositionen aus der jammervollen Periode des Dreißig­

jährigen Krieges gibt es in Deutschland wahrlich nicht viele. Es ist dazu eine originelle Geschichte, daß der Bürgermeister von Augsburg an den Häuser­ wänden Fresko malte, während draußen schon der Donner des Dreißigjährigen Krieges von ferne heranrollte. Diese ihre Hausfresken hielten die Augsburger so hoch in Ehren, daß

sie manche derselben in Kupfer stechen, von andern auch erklärende Beschrei­ bungen drucken ließen.

Erst als das reichsstädtische Bürgertum zum tiefsten

Fall gekommen, mißachtete man diese Zeugen vergangenen künstlerischen und politischen Glanzes und schlug viele der besten Bilder ohne Not von den Wänden herunter. In unsern Tagen wird dann wieder geschützt und aus­

gebessert, was noch zu retten ist.

Augsburg hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts allein unter allen schwäbischen und bayerischen Städten bereits eine wahre Straßenbilder-

galerie von Freskowerken aufzuweisen. Eine ganze Schar kulturgeschichtlicher Motive mußte in einem Zeitpunkte hier Zusammentreffen, damit dies geschehen

Der Zeitpunkt war eben im Durchbruche der Renaissance. Mit Bewußtsein wurden die neuen Ideen in dem durch Kaiser Maximilian

konnte.

damals so hoch gehobenen Augsburg ergriffen; sie finden ihren reichsten künst­

lerischen Ausdruck in der Malerei. Konrad Peutinger, Augsburgs größter Staatsmann und Gelehrter, wirkt für die „neurömische Art" in der Kunst. Er gibt selber die Gegenstände an, welche am Rathause und den Fugger­ häusern gemalt werden sollen: es sind historische Szenen aus der Zeit­ geschichte, zugleich zur Verherrlichung Kaiser Maximilians. Man hat diesen

„letzten Ritter" unter den Kaisern scherzweise den Bürgermeister von Augs-

35. Augsburger Studien.

201

bürg genannt; wer die Physiognomie Augsburgs zur Zeit der Renaissance zu erkennen weiß, für den beschließt dieses Scherzwort einen tiefen Sinn. Eine solche historische Malerei, wie sie Peutinger als eine Ehrentafel für Maximilian

forderte, bezeichnete schon ganz die neuere Zeit.

So war Peutinger auch anderswo recht im modernen Sinn ein Mann des historischen Geistes. In Italien gebildet verpflanzt er den italienischen Humanismus nach Augsburg. Er sammelt Bücher und Münzen, ein Ahnherr so vieler prunkliebender Sammler unter den spätern Patriziern Augsburgs; er erbittet sich seltene Handschriften als „Beutepfennige" aus Maximilians Kriegen;

er ediert historische Quellenschriftsteller und rettet römische Denksteine; er macht sein Haus zu einem antiquarischen Museum und beginnt die Geschichtsquellen der Vaterstadt zu sammeln.

Dies sind lauter Züge, die uns bezeugen, daß die

Die besten Bürger der Reichs­ stadt werden von ähnlicher Begeisterung für Kunst und Wissenschaft ergriffen und Sonne des Mittelalters im Niedergänge steht.

die Stadt der Handelsleute rechnet es sich zum höchsten Ruhme eine Kunststadt zu heißen. Als damals (1555) ein Fugger von dem Rate begehrte, er möge ihm ein Haus im St. Annenhofe zu einer Reitschule gewähren, entgegnete der Rat: es schicke sich nicht neben einer Schule der Wissenschaft Pferde abzurichten,

vielmehr sei der Rat gesonnen eine Bibliothek in dieses Haus zu stellen. In monumentaler und künstlerischer Beziehung hatte Augsburg am Aus­

gange des Mittelalters manches nachzuholen. In einer bruchsteinlosen Gegend war es mit seinen Bauwerken zurückgeblieben hinter anderen Städten und erst 1385 wurde das Rathaus (vordem das „Dinghaus" genannt) aus einem Holzbau in einen ziemlich unbedeutenden Steinbau verwandelt. Später aber

boten die der Gotik so ungünstigen breiten Wandflächen des Backstcinbaues um so prächtigeren Raum für die Malerei.

Der Einfluß Italiens kam hinzn

und die vorgedachten ideellen Motive trafen wiederum mit allen diesen zu­ sammen und so ward wie vom Blitz das Opferfeuer einer neuen und eigenen

monumentalen Kunsttätigkeit entzündet. Das Feuer flackerte nicht bloß, es brannte fort, hell und nachhaltig. Denn dies gerade verkündet Augsburgs

Ehren als einer wahren Kunststadt, daß es selbst in den Bedrängnissen des 17. Jahrhunderts die Kunst nicht fallen ließ, daß es seine kolossalsten Bau­

werke in einer geldarmen Zeit aufführte, ja den großen Rathausbau mit unter­ nommen haben soll um armen Leuten Brot zu schaffen, und daß sein Bürger­

meister noch Fresken an die Häuser malte, als der Dreißigjährige Krieg schon

vor den Toren donnerte. Darum kehrte in Augsburg aber auch rasch der alte Kunstfleiß zurück, als sich der Pulverdampf dieser Greueljahre verzogen;

in anderen Städten war er verloren für länger als ein Jahrhundert. Und wie die Stadt damals geworden ist, so blieb sie stehen bis auf diesen Tag. Nürnberg teilt den Ruhm der schönsten mittelalterlichen Prospekte mit mehreren deutschen Städten, Augsburg aber steht einzig da in unserm Vaterlande als das Pompeji der Renaissance.

36. Bayerns Anteil an der Naturwissenschaft!. Forschungsmethode im 17. Jahrh.

202

36. Anteil bedeutender Bayern an der Begründung

der modernen naturwissenschaftlichen Forschungsmethode im 17. Jahrhundert. Don Anton von Braunmühl.* Beständige Bewegung, ein ewiges Werden kennzeichnet die Naturwissen­ schaft.

Methoden, die lange vorzügliche Dienste geleistet haben, müssen durch

neue ersetzt werden, wenn sie den wachsenden Anforderungen nicht mehr ge­

nügen, Theorien, die alle bisher bekannten Erscheinungen zu erklären ver­ mochten, müssen anderen Platz machen, wenn neue Entdeckungen ihnen wider­

sprechen, ja selbst Tatsachen, die unabänderlich festzustehen scheinen, werden durch neue verdrängt, die die rastlos fortschreitende Forschung zutage fördert, mit einem Worte, in der Wissenschaft gibt es wie in der Natur kein Stille­

stehen: Bewegung allein ist Leben, Ruhe ist ihr Tod. — An der Richtigkeit

dieser Sätze wird heute wohl niemand mehr zweifeln und doch gab es Zeiten,

in

welchen

die

gerade entgegengesetzte Anschauung

und

herrschte,

schwere

Kämpfe kennzeichnen den Durchbruch der neuen Auffassung.

Das System des

großen Aristoteles, das die scholastische Philosophie

des Mittelalters an die Spitze gestellt hatte, beherrschte noch im hundert die ganze Wissenschaft

mit ungebrochener Gewalt.

Nur

16. Jahr­

was

die

Schriften dieses Weisen lehrten, oder besser, was die Gelehrten jener Zeit aus ihnen herauslasen oder in sic hinein

Aristoteles

interpretierten,

sollte Geltung haben;

war die einzige Autorität und der blinde Autoritätsglaube ver­

hinderte jeden wirklichen Fortschritt wissenschaftlicher Forschung.

Da erschien

ein Mann von ebenso gewaltigem Geiste wie streitbar veranlagt und nahm den Kampf gegen das veraltete System auf, indem er mit genialem Blick er­ kannte, daß Beobachtung und Experiment an die Spitze der Forschung gestellt

werden müßten, um der Naturwissenschaft neuen Boden zu bereiten.

In rascher

Folge entdeckte Galileo Galilei, der Begründer der modernen Naturforschung,

(1564 in Pisa geboren), die physikalischen Gesetze des freien Falles und der

Bewegung auf der schiefen Ebene sowie die Gesetze der Pendelschwingungen und der schwimmenden Körper und bewies sie durch experimentelle Versuche, die

er seinen zahlreichen Schülern

in Pisa

und Padua vorführte.

Seine

eminente Rednergabe und sein glänzendes Lehrtalent unterstützten ihn hierbei vortrefflich und

sein Name war bald auf den Lippen aller Gebildeten.

Da

kam die Nachricht von der Erfindung des Fernrohres in Holland und Galilei, der sich von dorther einige Glaslinsen zu verschaffen wußte, gelang es alsbald

selbst ein Instrument zusammenzusetzen, dessen Konstruktion heute noch unter

dem Namen des Galileischen Fernrohres bekannt ist.

Dieses stellte er sofort

in den Dienst der Wissenschaft, indem er es gegen den gestirnten Himmel

richtete, und der beispiellose Erfolg, den er damit erzielte, bewies die Richtig-

36. Bayerns Anteil an der naturwissenschastl. Forschungsmethode im 17. Jahrh.

203

feit seines Prinzipes die Beobachtung an die Spitze der Forschung zu stellen. Ungeahnte Wunder enthüllten sich trotz der Mangelhaftigkeit seines Instru­

mentes dem sorgfältigen Beobachter.

Er erkannte die gebirgige Oberfläche des

Mondes und gab sofort eine Methode an die Höhe der Mondberge zu messen, die Milchstraße zerlegte sich vor seinen Blicken in unzählige Fixsterne und der

Gürtel wie auch der Nebel des Orion erschienen ihm als Sternhaufen.

Seine

wichtigste Entdeckung aber war der Nachweis, daß der Planet Jupiter das

Bervegungszentrum von vier Monden sei, sowie die etwas später erfolgte Fest­

stellung der Phasengestalten des Planeten Venus.

Ob Galilei, wie er später

behauptete, auch damals schon sein Fernrohr nach der Sonne gerichtet und

auf ihr dunkle Flecken erkannt hatte, läßt sich nicht mehr absolut sicherstellen,

jedenfalls aber fand er diese Beobachtung nicht für besonders wichtig, denn in seinem „Nuntius sidereus“, durch den er noch im gleichen Jahre dieser Ent­

deckungen (1610) seine Resultate der Gelehrtenwelt bekannt machte, findet sich nichts darüber.

Ungeheuer war das Aufsehen, welches das Erscheinen des „Boten aus

der

Sternenwelt" unter den Astronomen hervorrief.

Wie sollte man

auch

einen Mond, der eine Erde wie die unserige mit Bergen und Tälern ist, wie

die wechselnden Luftgestalten der Venus und wie erst gar ein Weltsystem im Kleinen, wie das des Jupiter, der von vier Planeten umkreist wird, mit den

altehrwürdigen Anschauungen des Aristoteles von der Unveränderlichkeit des

Himmels und mit den astronomischen Lehren eines Ptolemäus, für den es nur ein Bewegungszentrum, die Erde, gab, in Einklang bringen? Darüber zer­

brachen sich die Anhänger des Stagiriten vergebens die Köpfe und hätte nicht

Galilei in den Gärten des Kardinals Bandini zu Rom einer großen Gesell­ schaft berühmter Männer mit seinem Tubus die neuen Wunder gezeigt,

man

würde sie sicher in das Reich der Fabel verwiesen haben. Drüben aber über den Alpen, im fernen Deutschland, fanden sich einige

hellere Köpfe, die, ohne durch den Augenschein überzeugt worden zu sein, den Worten des großen Gelehrten Glauben schenkten und sich sofort an die Arbeit machten seine bereichern.

Entdeckungen zu kontrollieren und womöglich durch neue zu

Zu diesen Männern gehörten drei, deren Wiege in dem heutigen

Königreich Bayern stand; in erster Linie der berühmte Johann Kepler, der

Astronom Simon Mayr (Marius) aus Gunzenhausen, der sogar die Jupiters­ trabanten vor Galilei entdeckt haben wollte, und der Jesuitenpater Christoph Scheiner,

der damals als Professor der Mathematik und Astronomie an der

Hochschule in Ingolstadt lehrte. als rechnender Astronom

Kepler war weniger als beobachtender denn

hervorragend und seine geniale Entdeckung der Ge­

setze der Planetenbewegung hat ihm, wie weltbekannt, den Lorbeer der Un­

sterblichkeit auf die Stirne gedrückt.

Simon Mayr ist in der Folgezeit wenig

mehr hervorgetreten, dagegen sind Christoph Scheiners Verdienste namentlich in der beobachtenden Astronomie, also auf den von Galilei eingeschlagenen Wegen,

204

36. Bayerns Anteil an der naturwissenschastl. Forschungsmelhode im 17. Jahrh,

so bedeutend und mit jenen des großen italienischen Naturforschers so eng verbunden, daß sie unser ganzes Interesse in Anspruch nehmen. Christoph Scheiner, in dem Dorfe Wald bei Mindelheim in Schwaben 1573 geboren, war frühzeitig in den Jesuitenorden eingetreten und hatte sich zu einem tüchtigen Mathematiker und Astronomen ausgebildet. Auch war sein Name schon durch die Erfindung des sogenannten Pantographen oder Storch­ schnabels bekannt geworden, eines noch heute in Verbesserter Form vielfach ver­

wendeten Instrumentes zur proportionalen Vergrößerung oder Verkleinerung von Zeichnungen.

Er hatte kaum von Galileis Entdeckungen Nachricht er­

halten, als er sich sofort in den Besitz mehrerer der damals noch sehr seltenen

Fernrohre zu setzen wußte und die Sonnenscheibe zu betrachten begann. Zu seiner großen Überraschung nahm er, wie er erzählte, im März des Jahres 1611 auf derselben dunkle Flecken wahr und bestätigte diese Entdeckung durch

wiederholte Beobachtungen, bei denen ihn sein Schüler und Freund, der Schweizer Johann Cysat, unterstützte. Diese Entdeckung mußte ihm, einem Anhänger der Aristotelischen Philosophie,

der Scheiner seiner Erziehung gemäß war,

geradezu unbegreiflich erscheinen; denn nach jener Lehre konnte die Sonne als das Weltauge nur von absoluter Reinheit sein. Nur zaghaft legte er daher eine Reihe seiner zwischen dem 26. Oktober und dem 14. Dezember 1611 auf das genaueste angestellten Beobachtungen mit 40 Abbildungen versehen in drei

Briefen nieder, die er an den Augsburger Patrizier Markus Welser, seinen hochmögenden Gönner, richtete. Dieser übergab sie nach Scheiners Wunsch unter dem Pseudonym „Apelles latens post tabulam“ am 5. Januar 1612 dem Drucke und sandte zugleich Galilei und Kepler je ein Exemplar

davon, um die Ansicht der beiden berühmten Männer über die neue Erschei­ nung zu vernehmen.

Schon im Mai des folgenden Jahres beantwortete

Galilei Scheiners Briefe, indem er, wie schon erwähnt, die Priorität der Ent­

deckung für sich in Anspruch nahm, obwohl seine erste wissenschaftliche Beobach­

tung erst vom 5. April 1612 datierte. Zugleich gab er eine mit unseren heutigen Anschauungen in der Hauptsache übereinstimmende Erklärung der Sonnenflecken; er bezeichnete sie nämlich als wolkenartige Gebilde einer die Sonne umgeben­

den Hülle, während Scheiner damals noch der Ansicht war, dieselben seien dunkle Gestirne, welche die Sonnenkugel gleich Monden umkreisten. Diese Ansicht gab er jedoch, durch weitere Beobachtungen eines Besseren belehrt, sehr

bald auf und pflichtete trotz Aristoteles Galileis Anschauung bei.

In drei

weiteren Schreiben aus demselben Jahre, die „Apelles" noch durch Welser in Druck geben ließ, vervollständigte er seine Beobachtungen und wies namentlich auf eine merkwürdige Erscheinung hin, welche heute unter dem Namen der Eigenbewegung der Sonnenflecken bekannt ist. Dieselbe besteht darin, daß

diejenigen Flecken, welche weiter vom Sonnenäquator abliegen, sich langsamer

um die Sonne bewegen als jene, welche sich in seiner Nähe befinden.

In

späteren Antwortschreiben, die schon einen ziemlich gereizten Ton zeigen, ob-

36. Bayerns Anteil an der Naturwissenschaft!. Forschungsmethode im 17. Jahrh.

205

wohl Scheine! dazu nicht die mindeste Veranlassung gegeben hatte, griff Galilei

namentlich diese Behauptung

des Apelles auf das schärfste an, während sich

ihre Richtigkeit in der Folgezeit glänzend bestätigte. erfahren zu haben,

Galilei scheint erst 1614

wer jener Apelles eigentlich war, mit dem er wiederholt

Briefe gewechselt hatte, und es ist nicht unmöglich, daß die Zugehörigkeit des letzteren zum Jesuitenorden,

unter dessen Mitgliedern

der berühmte Natur­

forscher mit Recht seine gefürchtetsten Gegner vermutete, den Umschwung seiner anfangs freundlichen Gesinnung gegen Scheiner verursachte.

Jedenfalls reizte

er diesen, indem er ihn 1623 in einer Streitschrift, die gegen ein Werk des Jesuiten Grassi gerichtet war, in der ungerechtesten Weise des Plagiates an

seinen Briefen bezichtigte, obwohl die Daten derselben die Unmöglichkeit eines

solchen beweisen.

Nun erst nahm Scheiner den Kampf mit ihm auf, suchte

sich in einem großen Werke, das er erscheinen liefe, von dem Vorwurfe des Plagiates durch eine langatmige Verteidigung zu reinigen, beanspruchte für sich direkt die Priorität der Entdeckung und ärgerte Galilei noch außerdem

dadurch, daß er daselbst einige allerdings nicht unerhebliche Irrtümer desselben

aus jenen Briefen aufzählte.

Das Widerlichste aber an dem nun in

Hellen

Flammen auslodernden Prioritätsstreite der beiden so bedeutenden Männer ist

die Tatsache, daß sie beide (wider besseres Wissen, wie die neueste Forschung unwiderlegbar

nachgewiesen

hat)

den

des

Namen

wirklichen

ersten

Ent­

deckers und Beobachters der Sonnenflecken, des jungen friesischen Astronomen

Johann Fabricius einfach totschwiegen,

obwohl derselbe bereits zur Leipziger

Herbstmesse 1611 ein kleines Büchlein hatte erscheinen lassen, in dem er seine Entdeckung vom 9. März desselben Jahres mitteilte und sogar aus der Um­

laufszeit der beobachteten Flecken bereits auf eine Rotation des Sonnenkörpers

Nur Simon Mayr und der große Kepler traten für Fabricius ein

schloß.

ohne sich jedoch weiter an dem Gezänke der beiden Gegner zn beteiligen. Wenn der letzterwähnte Umstand uns den Charakter unseres Landsmannes keineswegs sympathisch zu machen vermag, so können wir doch seinem ausge­

zeichneten Beobachtungstalent, das ihn für alle Zeiten in die Reihe der ersten

beobachtenden Astronomen stellt, unsere Bewunderung nicht versagen.

Denn

mit erstaunlichem Eifer setzte Scheiner sowohl in Ingolstadt wie in Rom, wo­

hin ihn sein Orden im Jahre 1624 schickte, seine Sonnenfleckenbeobachtungen fort und

häufte ein gewaltiges Material an,

testen und wichtigsten Schlüsse

zu

aus

ziehen wußte.

dem

So

er

die

interessan­

fand

er

außer der

schon erwähnten merkwürdigen Eigenbewegung der Flecken, daß dieselben aus einem tiefliegenden dunklen Kern bestehen, der von einem Hellen Rande, der Pänumbra, wie er ihn nannte, umgeben ist, verfolgte die Veränderung und

Zerteilung, die die größeren Flecken bei ihrer Wanderung über die Sonnen­ scheibe oftmals zeigen, entdeckte zuerst die sogenannten Sonnenfackeln, das sind Gruppen besonders hell leuchtender Stellen, in die sich zuweilen die Flecken

auftösen, und berechnete aus der Umlaufszeit besonders charakteristischer Sonnen-

206

36. Bayerns Anteil an der Naturwissenschaft!. Forschungsmethode int 17. Jahrh,

flecken die Rotationsdauer der Sonne zu 25,33 Tagen, während die voll­ kommeneren Beobachtungsmittel der Neuzeit 25,234 Tage ergeben, gewiß eine sehr bemerkenswerte Übereinstimmung. Vielleicht die wichtigste seiner Ent­ deckungen aber war, daß die Bahn der Flecken und damit die Drehungsachse der Sonne gegen die Ekliptik oder Sonnenbahn geneigt ist, eine Neigung, für die er als Mittel aus unzähligen Beobachtungen 7° 30' erhielt, während

sie in neuerer Zeit auf 7° 15' bestimmt wurde.

Diesen Umstand namentlich

hatte Galilei übersehen und daraus stammten jene oben erwähnten Irrtümer, die ihm Scheiner in seinem großen Werke, das er im Jahre 1630 veröffent­

lichte, zum Vorwurf machte. Dieses Werk, welches während seines Aufenthaltes in Rom erschien, führt den merkwürdigen Titel Rosa Ursina. Ein Geschichtschreiber der Mathematik

aus dem 18. Jahrhundert, A. G. Kästner, erklärt diesen Titel in launiger Weise, wie folgt: „Weil der damalige Herzog von Bracciano aus der Familie der Ursi (Orsini) war und weil die liebe Sonne nichts dagegen hat, wenn

man sie mit einer Rose vergleicht, so heißt das Buch von der Sonne, dem Herzog dediziert, Rosa Ursina". Wegen dieses Titels und des noch weit alberneren Titelblattes mit seinen Rosenstöcken und den drei in Höhlen sitzenden

Bären, von denen der eine das Sonnenbild aufhängt, der andere seine Jungen

beleckt und der dritte an den Tatzen saugt, wurde Scheiner von seinen Gegnern vielfach verspottet. Doch hätten dem Buche diese Äußerlichkeiten schließlich wenig geschadet, wenn es nicht mit so unglaublicher Weitschweifigkeit geschrieben wäre. Ja schon seine Dickleibigkeit allein und die Breittretung der Priori­

tätsfrage, welche auf 66 Folioseiten abgehandelt wird, mußten von seiner

Lektüre abschrecken.

So werden denn die meisten Leser nur die 70 schönen

Sonnenbilder angesehen haben, die einen Teil von Scheiners Originalbeobach­ tungen wiedergeben, während der Text wohl wenig Beachtung fand. Diese

Sonnenbilder hat Scheiner in der Weise erhalten, daß er die Strahlen durch

ein Fernrohr mit konvexem Objektiv und Okular in ein dunkles Zimmer eintreten ließ und dann das Okular soweit herauszog, bis auf einem dem letz­

teren gegenüberstehenden weißen Schirme ein scharfes Sonnenbild entstand, in dem die Flecken, die Fackeln, die Helligkeitsunterschiede der Sonnenscheibe usw.

deutlich beobachtet werden konnten. Diese Methode Scheiners sand später allgemeinen Eingang und nur der Formlosigkeit seines Buches hatte er es zu verdanken, daß viele seiner schönen Entdeckungen unbekannt blieben und in unseren Tagen wieder neu aufgefunden werden mußten.

Aber nicht nur als beobachtender Astronom hat Scheiner Bedeutendes geleistet, auch in dem mit der Asttonomie so eng verbundenen Gebiete der

Optik wird sein Name mit Ehren genannt; und wie er dort der gewissenhaften

Beobachtung seine Entdeckungen verdankte, so war es hier das Experiment, das ihn zu neuen Resultaten führte. Ihm verdanken wir z. B. den ersten experimentellen Beweis dafür, daß die Netzhaut des Auges das eigentliche Organ

37. Der Winterkönig.

207

«es Sehens ist; er erbrachte denselben dadurch, daß er an Ochsen- und Schafaugen und später in Rom sogar an einem Menschenauge in die obere Wand (sclerotica) derselben eine Öffnung einschnitt, wodurch es möglich wurde die Bilder leuchtender Objekte auf der Netzhaut wirklich wahrzunehmen. Außer­

dem hat er, um den Gang der Sehstrahlen im Auge zu verfolgen, eine Reihe höchst sinnreicher Versuche angestellt, die noch heute in der Physik seinen Namen führen; auch fand die damals allerdings schon bekannte Akkomodationsfähig­

keit des Auges durch ihn zum erstenmal einen experimentellen Nachweis. So hat denn unser Landsmann dadurch, daß er sich die Methoden seines Gegners zu eigen machte, ein gut Teil zu dem Aufschwung der naturwissen­

schaftlichen Forschung im 17. Jahrhundert beigctragen und durch die geachtete Stellung, die er bei seinen Ordensgenossen cinnahm, auch in ihrem Kreise der

neuen Richtung Bahn gebrochen.

Besaß er auch nicht den beweglichen Geist

und den allumfassenden Genius seines weltberühmten Gegners, so ließen ihn doch seine echt deutsche Gründlichkeit und sein eiserner Fleiß Erfolge erzielen, die seinen Namen mit Recht der Nachwelt erhalten haben.

37. Der Winterkönig. Don Hermann Lingg?)

Der Winterkönig! Da denkst du vielleicht, Das ist ein grauer Geselle, Dem weißer Bart bis zum Gürtel reicht, Der gehüllt ist in BärenfelleAls furchtbaren Herrscher denkst du dir ihn, Sein Szepter von Gis, die Krone Das Nordlicht und die Flammen darin Don Sternen der eisigen gone.

Rein, Kind! Der Winterkönig, der lacht! Don lieblichen Lautenklängen Erschallt es um ihn und mild ist die Nacht Und belebt von Liebesgesängen. Ein Mundschenk füllt den Goldpokal Mit herrlichen südlichen Weinen, Und neben ihm thront sein hold Gemahl 3m Schimmer von Edelsteinen. Wohl wogt ein schneeiger Hermelin Um seine Schultern, wohl knistert Das Feuer im schöngeschnitzten Kamin Und es rauscht umher und flüstert-

Hoffräulein schweben vorüber im Tanz Und Masken hin und wieder, Es flattern Scherz und Mummenschanz Im Prunksaal auf und nieder. -

Was donnert draußen, was klirrt so schwer? Auf fliegen die Doppeltüren, Lin Reiter tritt ein, man sieht es woher, Man kann den Blutgeruch spüren; Sein Blick noch stiert vom Wüten der Schlacht, Die Stimm' ist heiser geschrien. „Wir sind geschlagen," ruft er, „macht Luch schleunig bereit zu fliehen!" Auf springt der Winterkönig bleich, Lr sucht sich vergebens zu fassen, Verstummt ist die Musik sogleich, Der Saal verödet, verlassen. Wie wurden zusammengerafft und gepackt Die Silbergeschirre, die Decken! Die Maske fiel und kahl und nackt Steht da der grinsende Schrecken.

l) Vaterländische Balladen und Gesänge, S. 125.

38. TillyS letzte Tage.

208

Das war am Tage der Schlacht bei Prag, Das war der König von Böhmen; Er hatte gesessen beim Festgelag' Und draußen floß Blut in Strömen. -

Horch, wie es brauset und heult und klirrt Und weiße Flocken stieben! Der flüchtige Winterkönig irrt Aus seinem Reiche vertrieben.

38. Tillys letzte Tage. Don Hugo Arnold.') Die Schlacht bei Breitenfeld am 17. September 1631, seit jener am

Weißen Berge bei Prag der wichtigste Entscheidung-kampf, hat den Nimbus der Unbesiegbarkeit, der bisher Tillys Haupt umstrahlte, zerstört.

Von diesem

Tage an hat das Glück dem fast 73 jährigen, unermüdlichen und bis dahin

unbesiegten Heerführer den Rücken gelvandt.

Aber Tilly blieb, wie er allezeit

gewesen, gefaßt, unverzagt, ergeben, ohne Bitterkeit gegen diejenigen,

die zu­

Mit Wunden bedeckt und von seinen treuen

nächst das Unglück verschuldet.

Wallonen aus dem Getümmel der Schlacht geführt schreibt er einen Brief,

den

selbst

einer' seiner

eifervollsten Ankläger,

der

englische Geistliche

und

Geschichtschreiber Harte, ein Muster christlicher Gelassenheit an einem großen,

sieggewohnten Heerführer nennt. „Es ist Gottes Ratschluß gewesen" — sagt Tilly in dem Schreiben —

„unseren Sachen ein anderes Ansehen zu geben und uns endlich mit einer augenscheinlichen Züchtigung heimzusuchen. . . .

Dieses kann

mit Recht der

Umsturz unseres Glückes genannt werden, nach welchem wir uns, statt unsere

Absichten mutig durchzusetzen, den Schlummer erlaubten.

Gott, der uns viel­

leicht aufzuwecken und durch dies Unglück zu ermuntern gedenkt, kräftige uns inskünftige mit einer doppelten Aufmerksamkeit und doppeltem Eifer." Aber es kamen wettere Prüfungen.

Der Verrat umlauert ihn.

Bei

Gunzenhausen legte ein von den Schweden bestochener Konstabler Feuer unter

ein Pulverfaß und der ganze Pulvervorrat von 125 Zentnern Luft mit unsäglicher Verwüstung.

flog in die

In schmerzlichem Gram rief der alte Feld­

herr aus: „Ich sehe, daß das Glück mir nimmer wohl will!" Die Entscheidung rückt näher und Tilly bedarf vor allem Hilfstruppen. Jeder Kränkung uneingedenk wendet er sich an Wallenstein mit herzlich ein­

dringlichen Bitten,

„jetzt

in

der Stunde

der Not

operieren, ihm Hilfe aus Böhmen zuzuschicken".

gemeinsam

mit ihm zu

Aber der arglose Mann muß

das Bittere über sich ergehen lassen, von dem tückischen Wallenstein, dem gegen­ über er sich jederzeit edelsinnig, willfährig, opferwillig wie ein ganzer Ehren­ mann gezeigt hatte, mit schönen Worten hingehalten, getäuscht, hilflos ver­ lassen, verraten zu werden.

Er ertrug es klaglos.

x) Vgl. „Das Bayerland", 3. Jahrg. 1892, Nr. 3, S. 31 ff. München, R. Oldenbourg.

38. Tillys letzte Tage.

209

Der Augenblick, da es den Schutz des bedrängten Vaterlandes galt, traf das bayerische Heer in einer so mangelhaften Verfassung wie nie vorher während

des langen Krieges. Es kam die Kanonade bei Rain (15. April 1632), wo Tilly dem Schwedenkönig den Übergang über den Lech streitig machen wollte. Doch Gustav Adolf führte hier eines der kühnsten Wagnisse aus, indem er angesichts

des feindlichen Heeres den wenn auch nicht sehr breiten, doch reißenden und auf der bayerischen Seite vom Ufer überhöhten Lech überschritt und, den Fluß im Rücken, den Gegner zum Weichen brachte. Die Generale Aldringen und Cronberg wurden verwundet und kampfunfähig und bald nachher ward Tilly

selbst von einer Falkonetkugel das rechte Schenkelbein zerschmettert. Fall entmutigte den anwesenden Kurfürsten wie die Truppen.

des

15. April ward

der Rückzug

Sein

In der Nacht

donauabwärts gegen Ingolstadt an­

getreten. Dorthin wurde auch Tilly verbracht. Doch der Schwerverwundete ver­ gaß auch unter den Schmerzen und der tödlichen.Erschöpfung nicht des Amtes, das er für des Reiches Ehre und Einheit so lange verwaltet, und die letzten Tage des alten Helden spiegeln seine ganze Laufbahn wieder. Er läßt sich immerfort noch von seinen Obersten Bericht erstatten; er läßt seine Sekretäre

fortwährend in seinem Zimmer arbeiten und erteilt mit der alten Geistes­ gegenwart seine Befehle. Noch am 25. April 1632, wenige Tage vor seinem Verscheiden, protestierte er in einem Schreiben an den schwedischen Feldmarschall

Horn nachdrücklich gegen eine von den Schweden zu Augsburg ausgeübte Ver­ letzung des Völkerrechtes. Es ist das letzte Schreiben von seiner Hand, zugleich ein letzter Beweis seiner warmen Fürsorge für den geringsten seiner Soldaten. Von da ab schwanden seine Kräfte. Eine Anzahl Knochensplitter mußten aus

der Wunde des zerschmetterten Beines gezogen werden. Klage, kein Ruf des Schmerzes kam über seine Lippen.

voll patriotischer Sorge.

Aber kein Laut der Er litt, die Seele

Wenn sein bekümmerter Kurfürst zu ihm kam um

in den letzten Stunden seinen treuen Diener zu trösten, so richtete sich Tilly

immer wieder zu der Meinung auf: „Regensburg, vor allem hütet Regens­ burg!" Denn hier lag das Bollwerk Süddeutschlands, der wichtigste Knoten­ punkt zwischen Bayern und Österreich; hier, meinte er, stehe die Kaiserkrone mit dem bayerischen Kurhute auf dem Spiele. — Kurfürst Maximilian hat

auch die treue Mahnung wohl beherzigt; von dem alten Feldherrn konnte er nicht anders scheiden als mit Tränen und Bewunderung. In dem Hause des Universitätsprofessors Dr. Arnold Rath zu Ingolstadt

des Feldherrn.

war das Sterbelager

Da lag der würdige Greis, der sieggekrönte Heerführer und

Soldatenvater, klagelos, auch von Verrat und Unglück ungebeugt. Wohl, er konnte mit freier Seele auf seine Laufbahn zurückblicken, die reich war an Taten und Mühen. Viel Kummer und Mühsal lag hinter ihm,

aber kein verdienter Fluch, keine Träne belastete sein Gewissen. KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-.

Was mensch14

38. Tillys letzte Tage.

210

lichc Kraft nach Maßgabe der Umstände zur Linderung der unsäglichen Not

der Zeit vermochte, das

hatte er geleistet

und der Umschwung der Dinge

konnte einen Mann nicht unvorbereitet treffen, den keiner seiner Siege über­

mütig gemacht. Er ordnete seine irdischen Dinge um mit der Welt abzuschließen.

Über

seine älteren Besitztümer hatte er schon einige Jahre zuvor die letztwillige Zu seinen Erben setzte er die Kinder seines Bruders

Verfügung getroffen.

Jakob, vorzugsweise den Grafen Werner v. Tilly ein.

Das Besitztum Tillys

war gering. Der Uneigennützige hatte nie danach getrachtet, und was er etwa erworben, gern verschenkt. Namentlich sein Lieblingsort Altötting, seine nunmehrige Ruhestätte, wurde zu verschiedenen Malen bedacht. Die Infantin

Isabella hatte ihm einst eine kostbare Halskette mit prachtvollen Diamanten übersendet; alsbald weihte er sie der Heiligen Jungstau zu Altötting, der „Freude meines Herzens, meiner lieben Frau und Gebieterin". Die Stadt Hamburg

hatte ihm einmal

unerwartet ein Geschenk von

1000 Rosenobel (engt. Goldmünze) verehrt; er bestimmte sie zu einer täglichen Messe in Altötting. Endlich erwähnen mehrere Geschichtschreiber noch einer Summe von 60000 Reichstalern, welche Tilly sterbend seinen Wallonen ver­ macht habe, die ihn, „ihren Vater Johann", in der Schlacht bei Breitenfeld mit ihren eigenen Leibern gedeckt hatten. Während der greise Held ergeben seinem Ende entgegenharrte, draußen vor den Mauern der Stadt der Schwede.

tobte

Gustav Adolf war vor

Ingolstadt erschienen und hatte die Laufgräben zum Sturme eröffnet.

Aber

noch vom Sterbebette aus wirkte der Geist des alten Heerführers auf seine Truppen und sein Neffe, Werner Tilly, entflammte mit eigenem Beispiele den

Mut der Soldaten.

In der letzten Nacht, welche Tilly auf dieser Erde ver­

brachte, liefen die Schweden zweimal Sturm gegen die Stadt.

Während dieser

schreckensvollen Stunden hörte der Sterbende nicht auf, die Offiziere, welche ihn umgaben, zur Pflichterfüllung aufzumuntern;

er schickte sie bis auf den

letzten nach den Wällen und schien noch einmal aufzuleben um am Kampfe teilzunehmen. Seine Worte riefen, als sie den Soldaten hinterbracht wurden, die lebhafteste Begeisterung hervor. Die Schweden wurden mit ungeheuren

Verlusten zurückgeschlagen und noch einmal schien dem großen Manne der Sieg lächeln zu wollen, der ihn so lange begleitet hatte. So kam der 30. April herauf, der seinem Leben die Marke setzte.

Sein

Beichtvater war beständig um ihn, nach dem eigenen.Willen des Feldherrn.

Gegen die Abenddämmerung gab Tilly, indem er das Kreuz machte, ein Zeichen, daß die Todesstunde näher rücke. In diesem Augenblicke ließ er seinen Neffen Werner an sein Bett treten, segnete ihn.

reichte ihm zum letzten Male die Rechte und

Seine alten Freunde Witzleben und Ruepp ließen sich, mit Tränen

in den Augen, jetzt auf die Kniee nieder und baten gleichfalls um seinen Segen. Er erteilte ihn und empfahl Ruepp, dem Generalkommissar, der ihn seit langen

39. Ein bayerischer Reitergenrral im Dreißigjährigen Kriege.

Jahren auf allen Fahrten begleitet, sein Hausgesinde.

211

Dann legte er sich

zurück und sammelte sich im Gebete. Eine Stunde später bemerkte der Beicht­ vater, daß Tilly seine Augen mit einem gewissen Ausdruck des Bangens nach seiner Seite hin wende. Alsobald rief der Ordensmann: „In te, Domine,

speraVi, non confundar in aeternum.“ — „Auf dich, o Herr, habe ich ge­ hofft; in Ewigkeit werde ich nicht zu Schanden werden!" Es waren die Worte des königlichen Sängers, welche Tilly selbst von seinem Beichtvater in der Sterbestunde sich zugcrufen wünschte. Als er sie

jetzt vernahm, schien er erquickt und gehoben und seine Gesichtszüge erheiterten sich. Er warf einen letzten Blick voll Liebe auf das Bild des Heilands und gab dann seine Seele Gott zurück.

39. Ein bayerischer Reitergeneral im Dreißigjährigen Kriege. Don Johann Heilmann?)

Nach der Schlacht bei Nördlingen hielt der französische Hof es an der Zeit, die Feinde Deutschlands, die Dänen und Schweden, nicht bloß durch

reiche Hilfsgelder zu unterstützen, damit das verderbliche Kriegsfeuer nicht er­ lösche, sondern mit eigenen Heeren auf der großen Kampfesbühne zu erscheinen. Der Kaiser sollte um jeden Preis matt gesetzt werden; dann konnte Frankreich endlich seinen Teil an deutscher Beute einstreichen und den weltbeherrschenden Platz einnehmen, welchen Deutschland bisher behauptet hatte. Neben Öster­

reich war es vor allem Bayern, welches den harten Kampf mit so vielen Feinden weiterführte.

Der unternehmendste bayerische Reiterführer. dieser Zeit,

der

durch kühne Streifzüge den Schrecken vor den wilden bayerischen Reitern bis in die Hauptstadt Paris verbreitete, war der Feldmarschallcutnant Johann von Wert h?) l) Die Bayern int Kriege, S. 78 ff. München 1864, Lentner-Stahl. s) „Johann von Werth, zu Büttgen im Jülichschen geboren, entstammte einer Familie des unbemittelten Landadels. Er selbst nannte sich, wohl mit absichtlicher Über­

treibung, einen Bauernsohn, richtig aber einen Gesellen der Fortuna, der seinem Degen alles verdanke. Als gemeiner Reiter unter Spinola in spanische Dienste getreten, war er gleich Tilly aus der Schule des spanisch-niederländischen Krieges hervorgegangen, aber der bedächtigen Schwerfälligkeit, die ein Hauptkennzeichen dieser Schule war, stand niemand ferner als er. Sein Element war der frische Reiterangriff, rastlose Beunruhigung des Feindes, Überfälle im Quartier oder auf dem Marsche — um den Feind nicht aufmerksam zu machen, marschierte er stets ohne Trommelschlag und Trompetenschall — und in der ganzen Kriegsgeschichte ist vielleicht kein Gerwral zu nennen, der mit kühnem Wagemut in Überraschung des Gegners so Großes geleistet hätte wie Werth. Seit 1630 im baye­

rischen Dienste war er seit Februar 1634 Generalwachtmeister und befehligte im Sommer dieses Jahres zwei Regimenter z. Pf. und ein Dragonerregiment. An dem Siege bei Nördlingen gebührt ihm ein Hauptverdienst. Der Kaiser dankte ihm durch Erhebung in den Freiherrnstand, sein Kurfürst durch die Beförderung zum Feldmarschallcutnant." Siegm. v. Riezler, Gesch. Bayerns V, S. 508 ff.

212

39. Ein bayerischer Reitergeneral im Dreißigjährigen Kriege.

Mit Glück versuchte sich Werth gegen den neuen Feind.

Anfangs Februar

1635 geht er über den gefrorenen Rhein, „über die von Gott dem Allmäch­ tigen verlehnte Brücke", und nimmt Speyer.

Dann rückt er auf Fürweiler,

das von etlichen Kompagnien französischer Reiter besetzt war, wo er sich „mit diesem neuen Feind einmal versucht, welches auch gottlob wohl abgangen, mehrerteil allesamt niedergemacht worden, 3 Standarten erobert, und es soll

des Königs aus Frankreich Leibgarde, so neuerlicher Tage von Paris kommen,

dabei gewesen sein, viele französische Edelleute geblieben; haben also unsere Soldaten das französische Blut einmal versucht". So berichtet er in einem Schreiben an seinen Kurfürsten, Am 12. Juli meldet Werth seinem Herrn, daß er seit seiner Vereinigung mit dem Herzog von Lothringen, Ende Juni, einige Male gegen die Franzosen ausgerittcn sei und 37 Fähnleins und Kornels erobert habe, „und solche Konfussion hinter sie gebracht, daß sic sich nicht mehr logieren dürfen, sondern

schon etliche Städte in Lothringen derentwillen quittiert; verhoffe, es werde bald zu einem Treffen geraten und mit der Gotteshülf eine glückliche Viktoria erlangen". In den verschiedenen „Rencontres", die Werth mit den Franzosen hatte,

eroberte er bis zum 1. Oktober 50 Fahnen und Standarten. Am 16. September ritt er mit 60 Pferden aus um den Feind zu rekogno­ szieren. Er stieß auf 200 Pferde unter dem Obersten Sosoncour, rieb die­

selben ganz auf und machte den Oberst und mehrere Offiziere zu Gefangenen. Bald darauf vernichtete er drei Kompagnien französischen Fußvolkes, welche die Stadt Char besetzen wollten. Anfangs Oktober rückte Werth mit 600 Pferden gegen Nancy „in Meinung

die wiederum nach Hause ziehende französische Noblesse zu ertappen und ihnen

einen Streich zu geben". Während Werth vergeblich auf die „Noblesse" wartet, verläßt eine Proviantkolonne von 1500 Wagen unter Bedeckung von 2 Fuß­ regimentern und 5 Reiterkompagnien Nancy um ins Lager zu ziehen. Werth fällt über die Kolonne her, jagt die Reiterei in die Flucht, haut 1200 Fuß­

knechte nieder, nimmt viele Offiziere gefangen, erobert 22 Fahnen und erbeutet alle Wagen, „welches blutige Scharmützel durch ganz Frankreich erschollen und den Franzosen das Herz ziemlich benommen".

Werths Verlust bestand

nur in 12 Mann, „dann, obwohl die Franzosen zwei Salven unter ihm gegeben, sind doch beide ganz zu hoch gangen". Hierauf stößt er auf die 200 Pferde starke „Noblesse" und jagt sie in die Mosel, wo sie fast alle ertranken. Es war keine Übertreibung, wenn nun der bayerische General-Kommis-

sarius Schäffer, der sich im Hauptquartier des Herzogs von Lothringen be­ fand, am 11. Oktober an Kurfürst Maximilian schrieb: „Er hat bisher

dem Feind mehr Abbruch getan als die ganze Gallassche Armee, welche vier­ mal stärker als der Feind".

39. Ein bayerischer Reitergeneral im Dreißigjährigen Kriege.

213

Im folgenden Jahre (1636) stieß Werth mit 11 bayerischen Regimentern — 5 zu Fuß, 5 zu Pferd und 1 Dragonerregiment — zu dem Kardinalinfanten Thomas von Savoyen um von den Niederlanden aus einen Vorstoß ins Herz von Frankreich zu machen.

Bei Capelle vereinigen sich

Werth, Piccolomini und der Herzog Franz von Lothringen mit dem Kardinalinfanten, der mit spanischen Truppen diese Stadt belagerte. Capelle kapitu­ Auf die Nachricht, daß der Graf von Soissons mit 8000 Mann und 5 Geschützen in La Fere liege, rückte Werth mit 3000 Pferden an Guise lierte.

vorüber um den Grafen zu überfallen.

Werth hatte schon mit seinen Dra­

gonern einen „Paß" geöffnet, als die spanische Reiterei plötzlich „tornetetta" machte. Hierdurch war sein Anschlag vereitelt. Werth erobert hierauf

Ribemont,

rückt wieder bei der Armee ein und wohnt der Eroberung von

Catelet bei. Nachdem er den Übergang über die Somme zwischen Bray und Corbie forciert halte, vernichtete er das Regiment Raymond. Dann verfolgte er die Franzosen mit einigen tausend Pferden, ereilte ihre Nachhut bei Noyon, hieb

150 Mann nieder, eroberte 2 Standarten und machte viele Gefangene. Feind zog nach Compiegne, wo er sich verschanzte.

Der

Am 1. September vernichtete Werth das Regiment Plancy zwischen Compiegne und Montdidier und am 2. eine Kompagnie Kürassiere, „so sich zip Paris von des Königs Gesindlein zusammengeschlagen".

Werths Name verbreitete solchen Schrecken, daß sich ein großer Teil der Bewohner von Paris nur hinter der Loire sicher glaubte und aus der Haupt­

stadt flöt,.1) Paris wäre mit leichter Mühe erobert worden, wenn der Kardinalinfant dem Rate Werths gefolgt und statt sich vor Corbie aufzuhalten den Schrecken in Paris benutzt hätte. Als aber Richelieu sah, daß die Gefahr, welche Paris bedrohte, nur vou einigen tausend Reitern, die sich in der Umgebung *) „Vorläufer des „Marschall Vorwärts" schlug er dem Kardinalinfantcn vor stracks auf Paris loszugehen und ans dem Louvre den kaiserlichen Doppeladler auszu­ pflanzen. Schon verbreitete sich der Schrecken vor den wilden bayerischen Reitern bis in die Hauptstadt und die von Paris nach Süden und Westen führenden Landstraßen be­ deckten sich mit Fliehenden. In dem Volksliede:

»Petita enfants, qui pleurera ? Voici Jean de Vert, qui a'avance l< lebt noch heute in Frankreich das Andenken des schrecklichen Reitergencrals fori: »Jean de Vert dtant un brutal,

Qui fit pieurer le roi de France, Jean de Vert ötant gdndral A fait trembler le Cardinal.« Den Ruhm, der 1870 den kühn vorausschwärmendcn Ulanen in denselben Gegen­ den zu teil ward, haben in diesem pikardischen Feldzuge von 1636 die bayerischen Reiter geerntet." Siegm. v. Riezler, Gesch. Bayerns V, S. 515.

214

40. Die Schlacht bei Alerheim 1645.

Herumgetrieben, verursacht worden war, ermannte er sich und bewaffnete die

Bürgerschaft zum Widerstand.

Mit 50000 Mann rückte der König nach

Compiegne und statt des Marsches auf Paris mußten nun die Verbündeten

bald den Rückzug antreten.

Doch noch in der Nacht des 4. Oktober zwischen 11 und 12 Uhr über­ fiel Werth mit der bayerischen Reiterei in Montigny sechs feindliche Regimenter, erbeutete 5 Standarten, über 1000 Pferde und alles Gepäck.

Der Graf von

Degenfeld, der junge Prinz von Württemberg samt andern Offizieren „haben

sich in den Kirchhof salvo honore in der Schlafhosen und Pantoffel salviert,

die übrigen aber sind teils niedergemacht teils in dem Dorfe neben den andern Kornels verbrannt worden". Indem der Kommissarius Forstenhauser dem Kurfürsten diese Tat Werths

meldet, fügt er bei: „Kann demnach Euer Kurfürstliche Durchlaucht gnädigst

abnehmen und erachten, daß allhiesige Truppen nicht allein nicht feiern, sondern diejenigen sind, welche allein dem Feinde Abbruch tun und denselben Tag und Nacht strapazieren, denn ich mich nach der Zeit, als ich bei der Armada mich befinde, nicht erinnern kann, daß solcher Einfall oder anderer Abbruch dem Feind von den Kaiserlichen oder Spanischen wäre ins Werk gesetzt worden." Nach diesem Übersoll räumte Werth das französische Gebiet, wo sein

Name noch lange nachher mit Schrecken genannt wurde.

40. Die Schlacht bei Alerheim an der Wörnitz gegen das

französisch-weimarisch-hessische Heer 1645. Don Siegmund von Riezler?)

Am Jahrestage der ersten Freiburger Schlacht, 3. August, ward bei

Alerheim, nahe dem Schlachtfelde von Nördlingen, die Entscheidungsschlacht dieses Kriegsjahres geschlagen. Dort, am rechten Ufer der Wörnitz, hatte der General Franz von Mercy, seit Tilly das größte strategische Talent unter

den bayerischen Heerführern, vom Wenneberg über das Dorf Alerheim bis zum gleichnamigen Schlosse eine von Natur feste Stellung besetzt, deren Front

und Flanken er durch Schanzen noch verstärkte. Mit den Kaiserlichen etwa 15000—16000 Mann stark mit 28 Geschützen stand er etwa 6000 Franzosen, 5000 Weimarern und 6000 Hessen, also 17 000 Mann mit 27 Geschützen,

unter dem gemeinsamen Oberbefehl des Herzogs von Enghien?) und des Marschalls Turenne gegenüber. Die Schlacht begann erst zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags mit dem Angriffe des Herzogs von Enghien auf das langgestreckte Dorf Alerheim im ’) Geschichte Bayerns, V. Band, S. 584 ff. Gotha 1903, Perthes. ’) Ludwig II. von Bourbon, Prinz von Conds, der große Conds genannt, einer der größten Feldherrn seines Jahrhunderts.

40. Die Schlacht bei Alerheim 1645.

Zentrum.

215

Wie bei Freiburg packte Enghien den Stier bei den Hörnern und

wie dort mußte er seine Kühnheit mit furchtbaren Verlusten bezahle». Der Kampf um den Besitz des Dorfes gehört zu den blutigsten des großen Krieges

— ein Dorfgefecht, das an Bazeilles erinnert — inmitten brennender Häuser, welche die Angreifer angezündet hatten. Hier fiel der Marschall Graf Marfin, Enghien selbst, tapfer wie immer, ward zweimal verwundet, fast alle Offiziere

seines Gefolges getötet oder schwer verwundet.

Mercy den Platz hinter dem Dorfe,

Etwa gegen 6 Uhr verließ

von wo er bisher den Kampf geleitet

hatte, um seine Leute im Dorfe persönlich anzufeuern. Da traf ihn eine feindliche Musketenkugel, auf der Stelle tödlich, in den Kopf und entschied

über das Schicksal des Tages. In Alerheim jedoch konnten die Franzosen auch nachher keine Fortschritte machen, ja zuletzt ward, was von ihrem Fußvolk hier noch am Leben war, von den Bayern unter Ruischenbergs Führung aus dem Dorfe hinausgeworfen und irrte in völliger Auflösung in der Ebene umher.

Ungefähr um dieselbe Zeit, da Mercy fiel und, wie es scheint, ohne davon zu wissen brach Werth mit der bayerischen Reiterei des linken Flügels zum Angrifi hervor, an einer Stelle, die eine französische Offizierspatrouille vorher als für Reiterei ungangbar bezeichnet hatte.

Der Feind versah sich datier hier keines Angriffes, und als die bayerischen Reiter hcransprcngtcn, stob

die ganze, an Zahl weit überlegene Reitermasse des französischen rechten Flügels in wilder Flucht davon — ein Vorgang, sagt der französische Marschall Gramont, wie er sich vielleicht nie wiederholen wird.

Auf ihrer Flucht riß

diese Kavallerie auch 4 Bataillone hessischen Fußvolkes mit sich fort.

Auch

die französische Reserve dieses Flügels wurde geschlagen und in die allgemeine Flucht verwickelt. 70 Fahnen und Standarten und 8 Geschütze wurden hier von den Bayern erobert. Nur die Regimenter Fabert und die Irländer Walls hielten eine Zeitlang stand. In diesem Kampfe wurde der Führer des

rechten französischen Flügels, Marschall Gramont, von dem Rittmeister Sponheim des bayerischen Kürassierregiments Lapierre gefangen genommen,

sein ihn mit Aufopferung verteidigendes Gefolge größtenteils getötet. Zug, der Mercys Leiche

seiner Witwe zuführte,

brachte den

Derselbe gefangenen

Gramont nach Ingolstadt. Zwei Regimenter Werths setzten die Verfolgung der aufgelösten französi­ schen Reiterei zwei Stunden weit fort und drangen in das Gepäck des Feindes, ohne daß das zu seiner Bedeckung aufgestellte Regiment es hindern konnte.

Als endlich der linke französische Flügel unter Turenne zum Angriff

gegen den Wenneberg schritt, standen die Dinge für die Franzosen so schlimm als möglich. Auch Turenne geriet anfangs hart ins Gedränge, bis die Reserve der Hessen und Weimarer, die Reiterei unter Geiso, Oehm und dem Land­ grafen Ernst von Hessen, das Fußvolk unter Uffeln eingriff.

Dann erst

wurde der durch Abordnungen in das Dorf Alerheim sehr geschwächte rechte bayerische Flügel, wo auch die Kaiserlichen standen, durchbrochen, sein Befehls-

40. Die Schlacht bei Alerheim 1645.

216

Haber Geleen, die kaiserlichen Obersten Graf Holstein und Hiller, die bayerischen

Royer, Stahl, Cobb gefangen. Ein Teil der Reiterei dieses Flügels floh bis Donauwörth zurück, so daß später auf Befehl des Kurfürsten über zwei Ritt­ meister das Kriegsrecht gehalten wurde.

Alle Geschütze auf diesem Flügel

gingen verloren, auch die vom siegreichen linken Flügel eroberten Stücke sielen — freilich unbrauchbar gemacht — in die Hand des Feindes zurück, da die Fuhrknechte mit den Pferden und Protzen durchgingen. Als Werth mit dem größeren Teile seiner Reiterei von seinem Sieges­ ritte gegen Alerheim zurückkehrte, senkte sich schon die Nacht auf das Schlacht­ feld. Turenne urteilt, daß die siegreiche hessisch-weimarische Reiterei nicht

imstande gewesen wäre einem Angriffe Werths in ihrem Rücken zu widerstehen

und auf diesem Ausspruche fußend hat Napoleon Werth getadelt, daß er nicht

in der Diagonale umkehrte?) Aber Werth wußte nicht, wie die Dinge auf dem rechten Flügel standen. Hier machte sich eben der Fall Mercys fühlbar, der Mangel eines Oberleiters, der die allgemeine Lage

überschaut und den

Unterführern die entsprechenden Weisungen gegeben hätte. Zunächst blieben die zwei siegreichen Flügel, der linke bayerische und der linke französische, in Schlachtordnung voreinander stehen. Da aber die feindliche Reiterei etwas über das Dorf Alerheim vorgedrungen war, ergaben sich die Kompagnien des Regimentes Gil de Hasi,

an Turenne

die den Kirchhof und die Kirche verteidigt hatten,

ohne zu wissen,

daß ihre Landsleute ganz nahestanden.

Wie

diese Ergebung so war es wahrscheinlich auch voreilig, daß die Bayern in der zweiten Hälfte der Nacht — in guter Ordnung — den Rückzug nach

Donauwörth antraten. Nach Werth war der Mangel an Munition dafür bestim­ mend. Nach Turennes Ansicht hatten die Bayern, abgesehen vom Verluste ihres Oberfeldherrn, nicht mehr Grund das Schlachtfeld zu räumen als die Franzosen.

Die ungeheueren Verluste der Franzosen, nächsten Tagen

nicht

mehr

als

von deren Fußvolk in den

12000—15000 Mann zusammengebracht

werden konnten, stempelten ihren taktischen Erfolg zu einem Pyrrhussieg. Drastisch zeichnet die Lage die Äußerung der Madame de Montpensier, als sie in Paris zum Tedeum ging: es wäre besser ein De profundis anzustim­ men. Der altbewährten Tapferkeit der bayerischen Regimenter hat König Ludwig von Frankreich ein beredtes Zeugnis ausgestellt, wenn er in einem Briefe an die Landgräfin von Hessen von der „furchtbaren und ruhmbedeckten bayerischen Armada" spricht, die nun geschlagen sei. Die Kraft der Franzosen aber war durch ihre schweren Verluste zu sehr erschüttert, als daß der Sieg,

den sie allein ihren deutschen Verbündeten verdankten, strategische Folgen haben *) „Statt auf den bedrängten rechten Flügel zu eilen zog er sich in seine alte Stellung zurück. Durch dieses Benehmen verlor Werth, der tapferste Soldat des bayerischen Heeres, den Ruhm eines umsichtigen Feld Herrn." Heilmann.

40. Die Schlacht bei Alerheim 1645.

217

konnte. Daß sich die Stadt Nördlingen am 9. August den Franzosen ergab, die jedoch nach den Übergabebedingungen keine Besatzung in die Stadt legen

durften, ward mehr durch die von der Bürgerschaft eingenommene Haltung als durch die Alerheimer Schlacht herbeigeführt.

Am 24. August besetzten

die Franzosen auch Dinkelsbühl. Aber zum Angriff auf Bayern, wo bereits Bußübungen und Gebete zur Abwendung der Gefahr angeordnet wurden, und zu neuem Kampfe mit dem bayerischen Heere fehlten

ihnen Mut und

Vielmehr wandte sich Turenne — Enghien war erkrankt nach Frank­

Kraft.

reich zurückgekehrt — zur Belagerung Heilbronns, dessen Besatzung Maximilian, die strategische Bedeutung der Stadt richtig würdigend, schon vor der Schlacht auf 1200 Mann unter Fugger verstärkt hatte. Der gefangene Geleen (Gott­ fried Graf Huyn von Geleen), der im Beginne des Krieges in bayerischem,

seit 1636 aber in kaiserlichem Dienste stand, war gegen Gramont ausgewechselt und vom Kurfürsten (28. Sept.) als Feldmarschall an die Spitze des bayeri­ schen Heeres gestellt worden. Werth, seit 31. Mai 1643 General der Kavallerie, der nach Mercys Fall als der dienstälteste General den Befehl übernommen

hatte, ward übergangen. Die Feldzüge der Bayern unter Mercy

gegen

die Franzosen

in den

Jahren 1643—1645 gehören zu den bedeutendsten militärischen Leistungen

des großen Krieges. Dank seinem genialen Führer errang das bayerische Heer in diesen Jahren nochmals die hervorragende Tüchtigkeit und annähernd ebenso glänzende, wenn auch nicht so wirksame Erfolge wie in dem ersten Jahrzehnt des Krieges unter Tilly — Erfolge, die dem Feldherrn um so

höher anzurechnen sind, als er durch die Notlage und immer wiederholte Befehle seines Fürsten auf die größte Schonung seiner Truppen angewiesen war.

Welche Beliebtheit sich dieser Fremdling in Bayern errungen hatte,

ward dem Marschall Gramont klar, als seine Leiches nach Ingolstadt gebracht

wurde.

Als Stratege unübertroffen, als Taktiker mit allen Fortschritten der

Kriegskunst vertraut, Meister in der Ausnutzung

des Geländes,

bei

aller

Strenge doch ein Vater seiner Soldaten, für deren Verpflegung er einsichtsvoll

sorgte,

ein

lauterer und

uneigennütziger Charakter,

würde Mercy

in

den

Blättern der Kriegsgeschichte wohl einen ebenso klangvollen Namen besitzen wie Tilly, hätte nicht die feindliche Kugel in Alerheim seinem Leben ein vor­

zeitiges Ende bereitet?)

T) Beigesetzt in der Michaelskapelle der St. Moritzkirche ebendort. — Mercy ent­ stammte einem lothringischen Adelsgeschlechte.

a) Der Herzog von Enghien, Mercys begabtester Gegner, hat dessen Feldherrn­ befähigung anerkannt. Auf der Stelle, wo er gefallen, ließ er einen Denkstein setzen mit der Inschrift: „Sta viator, herocm calcas!“ — Adlzreiter nennt ihn „Ducem vinci ncscium“. Seine Büste ist in der bayerischen Rnhmeshalle ausgestellt.

218

41. Was uns die Residenzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt.

Die Restdenzfafsade im Jahre 1700 nach einem Kupferstiche von Michael Wening.

41. Was uns die Residenzfasfade Kurfürst Maximilians I. sagt. Don Karl Trautmann.*

Wohl kaum ein Bau neben den hochragenden Kuppeltürmen der Frauen­ kirche ist dem Münchener so sehr ans Herz gewachsen wie die Residenz und lieb und traut von Kindheit an bleibt ihm das Bild ihrer altersgrauen Fassade

mit den feierlich prächtigen Marmorportalen, den grimmen Wappenlöwen und

der Madonna, zu deren Füßen, wie an einem schlichten Bürgerhause, in röt­ lichem Scheine das „ewige Licht" glimmt, das Kurfürst Maximilian I. gestiftet. Für uns ist eben der Bau, vor dem einst in den Maitagen des Jahres 1632 der Schwedenkönig Gustav Adolf sein Pferd anhielt und in bewundernden Worten seines großen Gegners Schöpfung anerkannte, nicht nur die Verkörperung der seit Jahrhunderten wirkenden, zum Herzensbedürfnis gewordenen Kunst­

pflege der Wittelsbacher, die bevorzugte Stätte, wo so überraschend zutage tritt, was jeder von ihnen in künstlerischen Dingen gefühlt und erstrebt, er ist,

wie der Münchener vordem das Vaterhaus nannte, die liebe, alte „Heimat" unseres aus dem Bayernstamme hervorgegangenen Herrschergeschlechtes, der

Bau, dessen Mauern gleichsam zum Träger der Erinnerung geworden sind an all die glücklichen und schweren Zeiten, die Fürst und Volk gemeinsam durch­ lebt in unentwegter Zusammengehörigkeit.

Ringsum freilich hat alles sich gewandelt.

Aus der engen Schwabinger­

gasse von ehedem ist ein von den mächtigen Gebäuden der Feldherrnhalle und

der Theatinerkirche begrenzter Platz geworden mit dem Ausblick in eine impo­ sante, kilometerlangc Prachtstraße, und wer heute die ursprüngliche Umgebung sich vor Augen führen will, muß in unser Bayerisches Nationalmuseum gehen

und des kunstfertigen Drechslers Jakob Sandtner Holzmodell betrachten, das uns mit so unvergleichlicher Anschaulichkeit zurückversetzt in das München

des 16. Jahrhunderts. Dann aber wird ihm klar werden, was mit dieser Fassade gewollt war. Unmittelbar an der Straßenlinie, nicht etwa durch Graben und Mauern von dem Getriebe des Alltagslebens geschieden, steigt der Bau hoch empor über dem trauten Gewirre der Giebel, der Erker und der Türmchen gegenüber. Aber gerade hier, wo jedes der schmalen, bescheidenen Bürgerhäuser sein eigen­ artiges Gesicht zeigte, muß die Residenz in ihrer selbstbewußten Größe und

41. WaS uns die Residenzfasjade Kurfürst Maximilians I. sagt.

219

herben Geschlossenheit um so hoheitsvoller gewirkt haben. Nicht ein Fürstensitz der

deutschen Renaissance tritt uns entgegen mit reichbewegter Umrißlinie, malerisch empfunden und durchgeführt, sondern eine Monumentalität, die in italienischer

Schulung gereist, ihr Rüstzeug in den Wirkungen der einheitlichen Massen und der wagrechten Linien findet, eine Weiterentwickclnng jener Baugedanken, die mit den beiden unmittelbar vorhergehenden Schöpfungen des Herrscherhauses, dem

Die Umgebung der Residenz im Jahre 1571 nach Jakob Sandtners Holzmodell. (Die Residenz ist späterer Zusatz.)

Jesuitenkollegium an der Neuhausergasse, dem heutigen Akademiegebäude, und

der Herzogmaxburg im Münchener Stadtbilde bereits zu Wort gekommen waren.

Aber um wieviel strenger, durchgeistigter als dort erscheint alles an der Residenz Kurfürst Maximilians in Anlage wie in Durchführung — ein wahres

Abbild des großen Bauherrn, der das Werk in ernster Zeit, unmittelbar vor dem Ausbruche des großen Krieges, entstehen ließ und der, wie es in seiner herrsch­ gewaltigen Natur lag, das Schaffen seines Künstlerkreises wohl tiefer beeinflußt haben mag als man bisher annahm. Es ist sein Wesen, das hier waltet, wie wir es aus den Schilderungen jener kennen, die ihm einst im Leben

nahestanden, und wie es uns die Bildnisse zeigen: die unter schweren Sorgen

220

41. Was uns die Residenzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt.

frühgealtcrten Züge, tiefernst und stahlhart und von

wie sein Wollen und Vollbringen,

unbeugsamer Energie

das scharfe, durchdringende Auge,

das

schneidende Metall der Stimme, vor deren Anrede selbst die kampfgcwohnten Feldobersten erzitterten, jeder Zoll ein Fürst, zu tiefst durchdrungen von der göttlichen Würde, noch mehr aber von den Pflichten des Herrschcrtumes, in

deren Dienst er in geradezu idealer Hingebung sein ganzes Leben stellte.

Ein solcher Fürst läßt sich sein Heim wohl anders bauen als ein sorg­ loses, fcstesfreudiges Wcltkind. Auch anders wie sein Vater Herzog Wilhelm V.,

dessen milde, beschauliche Natur in den träumerischen Einsiedeleien, die er um Schloß Schleißheim hatte bauen lassen, die Welt fand, wo cs ihm so recht glücklich ums Herz war und als dessen Wohnstätte in der Münchener Residenz der Bau am Grottenhof sich erhob, jenes lauschige Idyll voll Blumenduft und Brunnengeplätscher. Was Maximilian schuf, trägt andere Züge.

Es ist die ernste Hoheit der

Kaisertreppe, von deren Wänden die Ahnen der Wittelsbacher herniederschauen, die weiträumigen, lichtdurchflutetcn Korridore, die gemessene Pracht der Stein­ zimmer — eine wunderbar feierliche und großzügige Architektur, wie kein gleich­

zeitiger Bau in Deutschland sie ausweist.

Und dazu als Bilderschmuck nicht

etwa ein heiteres Spiel mit antiken Göttersagen, sondern die Verkörperung dessen, was seines Lebens Richtschnur und Inhalt gewesen: Gottesfurcht und Herrschertugend. Was dem Innern des Baues seine Signatur gibt, das spricht schon die Fassade aus. Ihre gewaltige, durch keine Gliederung unterbrochene Länge veranlaßt den Meister in weisem Maßhaltcn dazu, die Hauptwirkung auf drei Punkte zu sammeln, auf die beiden Portale und die zwischen ihnen liegende Madonnennischc, nur diese plastisch zu gestalten, das weitere aber der Malerei zu überlassen.

Wie bekannt, war München schon während des Mittelalters ein bevorzugter Sitz dieser Schmuckart und in den Tagen der ausgehenden Renaissance weit­ berühmt wegen der farbigen Zier seiner Behausungen. Als die Residenz Maximilians entstand, besaß die Fassadenmalcrei längst Hcimatrecht auf alt­

bayerischem Boden;

hervorragende Künstler wie Hans Müelich, Bocks­

berger, Christoph Schwarz hatten in unserer Stadt Reizvolles auf diesem Gebiete geschaffen und mit Recht sang bereits Anno 1577 ein fahrender Poet

von den Wohnstätten der hiesigen Bürger: Die Heisser sein gmallt, sollt glauben mir,

Don anten Historien und Geschichten.

Mich wundertt, wie manss Khan erdichten,

Don den Schlachten, di« man hatt gethan,

Dass mass als schön gemalt daran.

Wie hübsch das aussah, zeigen uns erhaltene Aquarelle und Kupferstiche,

in denen die nunmehr kahlen Häuserflächcn unserer Altstadt zum Leben er-

41. Was uns die Residcnzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt.

wachen und wieder zur kunsterfülltcn, farbenfrohen,

im Stadtbilde so bedeut­

sam mitsprechenden Bilderchronik werden, die sie ehedem gewesen. alte Art,

die

ihre

buntbewegten Schlachtenszcnen,

221 Es ist die

ihre Wappen, Allegorien,

Fürstenbilder und Grotesken mehr lustig und genial als

organisch über die

Das Nordportal der Residenz in München.

ganze Fläche verstreut, und gerade im Anblicke solcher Werke, die ja ihre täg­ liche Umgebung bildeten, mußte in den Meistern der Residenz wohl die Über­

zeugung sich befestigen, daß jede freiere Gestaltung, jede vielfarbige Wirkung der Malerei den

getragenen Ernst ihrer für damalige Verhältnisse riesigen

Front unbedingt zerstören müßte.

Und so entstand im bewußten Gegensatze zu

der Hellen Freude an bunter Zier, wie er dem Altbayernstamme im Blute liegt

und noch jetzt an den Bauernhäusern unseres Hochlandes uns entgegen jubelt,

jenes fast alles ornamentale Beiwerk verschmähende Architekturgerüste, das gewiß eine der strengsten Fassadenmalcreien darstcllt, die jemals geschaffen wurden.

222

41. WaS uns die Residenzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt.

Es war eine hochglückliche Lösung, fast möchte man sagen die mit Natur­ notwendigkeit sich ergebende. Neben der Wucht der Portale kann und will

die Malerei nicht selbständig wirken und sie ist mit ihren durchgehenden Pilaster­ ordnungen in der Tat nichts weiter als das ruhige Ausklingen der dort angeschlagenen Stimmung über die ganze Fassade hin, gleichsam der sanfte, ebenmäßige Wellenzug auf einer im leichten Windhauch bewegten stillen Seeflächc. -

Daß nicht mehr gewollt war, beweist auch die Farbenstimmung der Be­ malung: ein gebrochenes Steingrau mit einem grünlichen Anfluge, der sich, wie bei den Bronzen des Portalschmuckes, einem Edelröste gleich über die Mauern legte und in der Ausführung die auf den Kupferstichen der Fassade

so hart und steif wirkenden Architekturglieder nur wie leicht verschleiert zlir Geltung kommen ließ. Nicht wie ein farbensattes Bild, an welchem jede Einzel­

heit greifbar lebendig sich abhebt, sollte diese Malerei wirken, nur wie ein ver­ blaßter Wandteppich, der den sanft getönten, stimmungsvollen Hintergrund bildet für die herrlichen Kunstwerke in Erz und Marmor. Der architektonische Schwerpunkt aber liegt in den beiden triumphbogen­ artig gestalteten Portalen, welche die Fassade vollauf beherrschen und die allein genügen würden um den Charakter des Baues als Fürstensitz zum Aus­ druck zu bringen. Es sind strenge Gebilde von hoher Monumentalität, und wiewohl sie kräftig genug sich profilieren um für sich zu wirken, sind sie mit

ihrer in dem ruhigen, erlesenen Material des roten Marmors und der Bronze durchgeführten Pilasterarchitektur doch wieder so fein gehalten, daß sie nicht aus der Fassadenmalerei herausficlen noch durch barocke Säulenhäufungen und Ausladungen die schlichten, niederen Häuser gegenüber erdrückten. Es zeigt

sich eben auch hier, wie später bei den Münchener Palästen des 18. Jahr­ hunderts, daß diese sinnigen Meister nicht in selbstsüchtiger, nur das eigene Werk im Auge habender Weise schufen, sondern mit steter Rücksicht auf die örtliche Umgebung, mit richtigem Empfinden für den aus Klima, Material und

Arbeitstradition heraus erwachsenen Baucharakter des Stadtbildes. Und darum fügte sich die Residenz trotz ihrer mächtigen Abmessungen der alten Schwabinger­ gasse ebenso ungezwungen ein wie etwa Cuvillies' reich und doch so zart ge­

haltene Stuckfassaden in die einst so fein gestimmten, jetzt aber als Gesamt­ kunstwerke leider ihrem Untergange unrettbar zueilenden Straßenbilder der Theatiner- und Promenadestraße. Und dazu tritt nun der Figurenschmuck der Portale: die mit den Giebel­

stücken wie verwachsenen Verkörperungen der Regententugenden, die ehrfurcht­

gebietenden, meisterhaft ausgeführten Fraucngestalten der Weisheit und Gerech­ tigkeit, der Stärke und Mäßigung. In ihnen werden schon am Äußeren des Baues die ersten ergreifenden Akkorde jenes so tief durchdachten und volltönend dahinrauschenden Hymnus auf die Ideale des Herrschertums angeschlagen, in welchem vordem die ganze malerische und plastische Ausstattung der Residenz Kurfürst Maximilians zusammenklang.

41. Was uns die Residenzfassade Kurfürst Maximilians I. sagt. Aber der Herrscher,

223

der sich dieses Heim erbaut hatte, war ein katho­

lischer Fürst, der mutige, aufopferungsvolle Vorkämpfer in bett 30 Kriegsjahren für den alten Väterglauben, den

er mit un­

erbittlicher Strenge seinem Volke erhalten wissen

wollte — ein katholischer und ein altbayerischer Fürst. Darum thront als geistiger Mittelpunkt

der Fassade an der Stelle, wo der welsche „Principe" wohl stolz das Wappenschild seines Geschlechtes eingefügt hätte, in anmutiger Würde das

Standbild

der Himmelskönigin

mit

dem

Jesukindlein und als leiser, holder Beiklang die

aus einem Engelreigen so entzückend

sich ent­

wickelnde Laterne für das „ewige Licht". Und über der Statue, dem ersten Denkmale jener

zartsinnigen Madonnenverehrung, der Maxi­ milian später noch in der Münchener Mariensäule einen so volkstümlichen Ausdruck gab, zwei Himmelsknaben den in seinem demütigen Gottvertrauen für den kampferprobten Fürsten so bezeichnenden Hausspruch: Sub turnn

halten

praesidium confugimus, sub quo secure laetique degimus, oder wie es der ehrenfeste

Jurist Johannes

Schmid

im Jahre 1685 in

deutschen Verslein wiedergab:

Die sich dir ergeben, In Sicherheit leben.1) Es ist der uralte, so rührend-schlichte Brauch des „Hausbildes", der uns hier ent­ gegentritt, des geschnitzten oder gemalten „Haus­

patrones", dem man Schutz und Wohlergehen der Heimstätte anvertraut, und es mutet wirklich

Die Patrona Bavariae.

herzerwärmend an in monumentaler Steigerung an dem Fürstenschlosse wiederzufinden, was selbst heute noch der bescheidensten Svldnerhütte nicht fehlen darf, die vom einsamen Waldessäume unseres Alpen­ vorlandes hinausblickt in die schweigende Bergeswelt. Das ist der altbayerische Zug an unserer Residenzfassade.

*) Vgl. Jakobus Balde carin. lyr. IV, 43: Qui Palatinae tua signa moli, Wer an seines Schlosses Portal dein Bildnis, Virgo, praefixit, colit eminentem Jungfrau, aufstellt, ehrt dich als seine Herrin Non foris tantum sed et intus ipso in Nicht nach außen nur, nein, er trägt dich lies im Pectore gestat. Innersten Herzen!

224

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I. Don Siegmund von Riezler.')

Maximilian ist der einzige unter den deutschen Fürsten, der Beginn und Ende des Dreißigjährigen Krieges erlebte, der einzige, der in allen Phasen des Kampfes mit im Vordergründe steht. Und in seiner Politik im Kriege spiegelt sich getreu der Charakter des großen deutschen Bürgerkrieges: hier wie dort vermengen

sich die religiösen Triebfedern mit Besitz- und Machtfragen, hier wie dort geben die ersteren den Anstoß zum Kampfe und behalten während des Kampfes das Übergewicht. Als treuer und gehorsamer Sohn seiner Kirche ist Maximilian trotz seiner Friedensliebe einer von jenen geworden, welche die Fackel zuni

Brande des großen Krieges anlegten. Selbst seine anfängliche Zurückhaltung in den konfessionellen Streitigkeiten im Reiche ist zum guten Teil durch das religiöse Motiv zu erklären, daß ihm die Abwehr der mohammedanischen Türken

noch wichtiger und vordringlicher erscheint als die der Protestanten.

Dann

aber gibt er durch sein Eingreifen zum Schutze der katholischen Einrichtung der Prozessionen in Donauwörth das Signal zum Zusammenschlüsse der Pro­

testanten in einem Bündnisse.

Der katholische Gegenbund, der dessen natür­ Er rät dem

liche Wirkung ist, wird von ihm ins Leben gerufen und geleitet.

Kaiser Matthias davon ab in Böhmen religiöse Zugeständnisse zu machen, zu denen sich dieser in seiner Notlage einen Augenblick fast gezwungen sieht und die den Ausbruch des Krieges wahrscheinlich verhindert hätten. Er selbst, der jede Einmischung in die inneren Wirren Österreichs vordem so entschieden ab­

lehnte, hätte dann in den böhmischen Krieg nicht eingegriffen, hätte es nicht gegolten dem gut katholischen Kaiser zu helfen, den kalvinischen Fürsten zu vertreiben, der Gefahr einer protestantischen Mehrheit im Kurfürstenrate und damit der Möglichkeit einer protestantischen Kaiserwahl für die Zukunft vor­

zubeugen. Auch die ehrgeizigen Ziele, die er dabei sogleich ins Auge faßt, sind nicht frei von religiöser Färbung: die Kur und die pfälzischen Lande als Preise davonzutragen erscheint als Gewissenspflicht, da die katholische Mehrheit im Kurfürstenrate gesichert und die pfälzische Bevölkerung dem Katholizismus zurückgewonnen werden soll. Als endlich die Ohnmacht der besiegten Prote­ stanten dem Kriege ein Ende zu bereiten scheint, dringt Maximilian darauf, daß als Siegespreis die Zurückstellung der säkularisierten Stifter und Güter an die katholische Kirche gefordert und durchgeführt werde — und sieht sich

nun gezwungen auch den Kampf mit Gustav Adolf aufzunehmen, der nicht nur als politischer Rivale Habsburgs um die Ostseeherrschaft sondern auch als Schirmer und Befreier seiner bedrängten Glaubensfreunde in Deutschland landet.

Da die Religion unvergleichlich

höher steht als die Nationalität,

9 Geschichte Bayerns, V. Band, S. 673 ff. Gotha 1903, A. Perthes.

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

225

wenden sich die Protestanten zu ihrem Schutze gegen andersgläubige Volks­

genossen unbedenklich an den fremden Glaubensgenossen. Zu spät entschließt sich der Bayernfürst zu gewissen Zugeständnissen — der schwere Fehler, der in der Überspannung der Ansprüche nach dem Siege lag, ist nicht wieder gut­ zumachen. Gegenüber der neuen politischen Gestaltung versagt der französische Rückhalt, den er sich vorsorglich für Notfälle sichern wollte: Richelieu wie seinem Nachfolger Mazarin liegt die Schädigung Habsburgs noch mehr am

Herzen als der Schutz der katholischen Sache.

Bayerns Ringen mit Frank­

reich ist der einzige Abschnitt des großen Krieges, in dem das religiöse Motiv nicht direkt wirksam war. Vorher aber war dem Kampfe in keinem Lager der Charakter als Religionskrieg so stark ausgeprägt wie int bayerischen.

Maximilians Hauptziele in der inneren Politik waren Erhaltung der Glaubenseinheit wenigstens in seinem eigenen Lande, da sie im Reiche nicht mehr möglich war, und eine religiös-sittliche Erziehung der Untertanen,

wie sie den Geboten seiner Religion entsprach; im Reiche: die Erhaltung der geistlichen Fürstentümer und ihres Besitzstandes und Sicherung des katho­

lischen Charakters des Kaisertums auch für die Zukunft.

Diese Ziele wurden

nur teilweise erreicht und nur um den Preis eines mörderischen Bruderkrieges, der das eigene Land wie die ganze Nation dem tiefsten Elende preisgab. Und

auf die Dauer ließ sich das Errungene doch nicht festhalten: mit ehernem Fuße über alles, was Maximilian ansttebte, hinwegschreitend hat die Zeit seine kon­ fessionelle Politik als unfruchtbar verurteilt.

Wie sein Anteil am Kriege überwiegend durch religiöse Gründe bestimmt ist, so wurzelt in seiner Religiosität auch seine Treue und ehrerbietige Unter­

ordnung gegen das Reichsoberhaupt. Gewiß war er gut deutsch gesinnt — oft genug hat er seiner Abneigung gegen das Vordringen des ausländischen, besonders spanischen Wesens in Deutschland lebhaften Ausdruck gegeben; ent­ scheidender aber als seine nationale Gesinnung ward für sein Verhältnis zu

Kaiser und Reich, daß ihm Gehorsam und Treue gegen diese von Gott ge­

setzten Ordnungen als religiöse Pflicht erschien.

Der heilige Charakter des

Reiches war es, was den sonst so klar Blickenden noch in den Zeiten des tiefsten

Verfalles von dem „herrlichen Korpus des Römischen Reiches" sprechen ließ. Neben aller Ergebenheit gegen das katholische Reichsoberhaupt machten sich doch in seinem Verhältnis zu diesem auch sein starkes,

leicht verletztes

Selbstgefühl und seine hohe Auffassung von den Rechten der deutschen Fürsten nachdrücklich geltend. Johann von Werth hat an ihm außer seiner hohen Klugheit und anderen großen Tugenden gerühmt, daß er der einzige sei, der

die Hoheit und Autorität eines deutschen Fürsten gegen den Kaiser wie gegen männiglich zn „manutenieren" wisse.

In seinem Widerwillen gegen die habs­

burgische Unersättlichkeit und in seiner starken Betonung des fürstenaristokra­ tischen Charakters

des Reiches

berührte sich der Retter

der habsburgischen

Monarchie sogar einigermaßen mit dem habsburgfeindlichsten Publizisten, dem KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

15

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

226

schwedischen Hauptmann und Historiographen Hippolitus a Lapide von 1640, wiewohl er, fern von dessen Leidenschaftlichkeit, da- deutsche Königtum nicht zur Ohnmacht herabgedrückt und nicht die habsburgische Dynastie, sondern die

fremden Nationen vom deutschen Boden verdrängt sehen will.

Wie sehr doch,

trotz aller Verstimmungen, besonders seit seiner zweiten Heirat die Neigung zu Habsburg überwog, lehrt uns sein Testament von 1641, worin er seinem Sohne empfahl besonders mit dem löblichen Hause Österreich gute Freund­ schaft zu halten.

In allen Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten möge er

zum Kaiser nicht nur als seinem Oberhaupte sondern auch als nächstem Vetter seine Zuflucht nehmen, nicht anders wie zu seinem Herrn Vater. Daß Maxftnilian die ftanzösischen Forderungen zum Schaden des Reiches beim Friedenskongresse unterstützte, geschah weit mehr in der klaren Einsicht,

daß ohne dieses Opfer der Friede nie erzielt würde, als in selbstsüchtigem Interesse.

Durch die entsetzlichen Leiden des Krieges gebeugt und vom Kaiser

selbst bedroht hat er freilich gegen das Ende des furchtbaren Kampfes Frank­ reich schutzflehend und unterwürfig umworben, aber auch damals seine Pflicht gegen Kaiser und Reich sich vorbehalten und eben durch diese Gewissenhaftig­

keit selbst nicht am wenigsten zum Scheitern seines französischen Bundesplanes beigetragen. Über ein Jahrzehnt aber brachte kein deutscher Fürst größere Opfer um die Fortschritte der Franzosen aufzuhalten und ihre Forderungen unmöglich zu machen.

Der Kaiser hat am Rhein seine eigenen Lande, Maxi­

milian hat dort aufopfernd das Reich verteidigt.

Seine Persönlichkeit

hinterläßt

der

geschichtlichen Betrachtung

nichts

Zweifelhaftes oder Unerklärtes. Der religiöse Glaube ist an erster Stelle das Prinzip, aus dem sein Tun und Lassen entspringt. Auf ihm beruht sein strenges Pflichtgefühl und die imponierende Selbstzucht, mit der er seine

Leidenschaften gebändigt, ja die Sinnlichkeit nach Jesuitenmuster ertötet hat. Auf ihm beruht seine Arbeitsamkeit, die unablässige Sorge für alles, was nach seiner Anschauung sein und seiner Untertanen Seelenheil befördern kann, die stets opferwillige Freigebigkeit für kirchliche Zwecke. Auf ihm beruhen int Grunde auch die wichtigsten Handlungen seiner äußeren Politik, nur daß hier

die Wirklichkeit der starren Durchführung des Prinzips noch engere Schranken setzt als im Innern und daß die Verbindung von nüchternem Verstände und festem Willen, die ihn auszeichnet, ihn in ter Politik fast stets nur das Er­ reichbare, dieses aber mit äußerster Konsequenz und Ausdauer anstteben läßt.

Auf diesem Gebiete ist er, dank seinen natürlichen Anlagen, fast immer be­ sonnen und überlegt, umsichtig und maßvoll.

Wo er hier Fehler begeht, liegt

die Schuld daran, daß er in dem gehobenen Machtgefühle des Siegers seiner

natürlichen konfessionellen Neigung freien Lauf läßt.

Doch die Politik hat

ihr eigenes Leben — so weit erstreckt sich die Macht seiner religiösen Gesin­ nung nicht, daß sie aus seiner Staatskunst alle der christlichen Moral wider­ sprechenden Mittel verbannt, daß sie ihm verwehrt hätte Gegner oder auch

227

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

Verbündete durch Mangel an Aufrichtigkeit und Wahrheit zu überlisten. gerade in diesem Punkte durchaus

kompetenten Beurteiler,

Einem

dem Kardinal

Mazarin, erschien er listig und verschlagen im höchsten Grade, ein Mann, dem

zu mißtrauen man allen Grund habe und der nichts so sehr liebe wie sein eigenes Interesse.

Aber der Gedanke, daß sein persönliches Interesse irgendwo

vor dem religiösen sich geltend machen dürfe, kommt bei ihm gar nicht in Betracht, nur Friedensliebe und die Forderungen der Realpolitik vermögen

ihm Zugeständnisse in religiös-politischen Fragen abzuringen.

Auch sein unge­

mein starkes Standes- und Selbstgefühl fügt sich ungezwungen seiner religiösen Weltanschauung ein: Gott ist es, der ihm diesen erlauchten Posten als Fürst

und Kurfürst des Reiches angewiesen hat.

Wie Loyola bleibt er trotz aller

Aszese und Frömmigkeit eine ganz auf Handeln und Herrschen angelegte Natur. Mit der christlichen Demut aber verträgt sich in seiner Seele das stärkste fürstliche Selbstbewußtsein. Und indem dieser Zug mit der Tradition zusammenwirkt, die am Münchener Hofe und unter den bayerischen Beamten schon ausgebildet war, wird Maximilian zum kraftvollen Vertreter der landes­ fürstlichen Kirchen hoheitsrechte und der Selbständigkeit des Staates gegenüber

der Kirche. Vergleicht man ihn mit dem jugendlichen Großvater und Urgroßvater,

so springt in die Augen, in welchem Maße die streng religiöse Richtung des Zeitgeistes die menschliche nnd fürstliche Persönlichkeit veredeln konnte.

Das

herzogliche Ehepaar, berichtete der niederländische Arzt Thomas Fyens aus München an Justus Lipsius, ist außerordentlich fromm, gütig und klug, der

Herzog selbst in jeder Art des Wissens bewandert, des Lateinischen, Italieni­ schen, Französischen völlig mächtig, in den Sitten bescheiden,

von reifem Ver­

stand, in Mienen und Benehmen Ernst mit einem gewissen Wohlwollen ver­

bindend. Vierziger.

Wiewohl kaum neunundzwanzig Jahre alt sieht er aus wie ein Ein schöner Mann von mittlerer Größe, in der Gesichtsbildung

mehr einem Niederländer oder Italiener gleichend.

Die trunksüchtigen, leicht­

fertigen, trägen Menschen haßt und verachtet er; an seinem Hofe ist alles auf

Tugend, Bescheidenheit, Frömmigkeit gestellt, jedes Laster verbannt, alle Adeligen bescheiden, wohlgesittet und ehrlich. Auch Ägidius Albertinus *) hebt die Ein­

gezogenheit, die gute Ordnung und Rechtspflege am Münchener Hofe hervor

und nennt es schon 1599 als allgemein bekannt, welch gelehrter, sinnreicher, mäßiger, nüchterner, eingezogener, gottesfürchtiger,

milder, gerechter, eifriger

und sorgfältiger Regent dort walte. Die vornehme Feinheit seiner Umgangs­ formen erregte die Bewunderung eines französischen Hofherrn, des Marschalls v. Gramont; diesem erschien er als der höflichste und feinste aller Fürsten.

*) Herzoglicher Bibliothekar und seit 1618 Ratssekretarius. Seine überaus zahl­ reichen Schriften sind zu München erschienen, bestimmt der allgemeinen Bildung oder der Erziehung einzelner Stände zu dienen.

228

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian 1.

Maximilians Arbeitsamkeit suchte ihresgleichen. Jeden Morgen um 4 Uhr begann er sein Tagewerk, in dem die Arbeit mehr mit Gebet und An­ dachtsübungen als mit Zerstreuungen wechselte.

Der Fürst ist eine riesige

Arbeitskraft, sagte Jocher 1619 zu Plessen, über alles muß ihm referiert werden, kurze und seltene Spazierfahrten, im Frühjahr etwa einmal die Reiher­ beize, sind fast seine einzige Erholung. Soweit wir die Reihe der bayerischen Fürsten zurückverfolgen können, sind er und sein Vater die ersten, die — aus Pflichtgefühl, nicht aus Mangel an Neigung — der Jagd nicht leidenschaftlich

frönten. Die größte Rekreation dieses Fürsten, sagt Hainhoferx), sind schöne Pferde und Gestüte, Reiher- und Falkenbeize, „Gioie" oder Kleinodien, Kunst

und Malerei und das Drehwerk, wie er denn selbst gar schöne Sachen dreht. „Überflüssigem Essen und Trinken, Spielen, zu vielem Jagen, Ritterspielen und

anderen Vanitäten fragen Ihre Durchlaucht nit nach, halten ein gutes Regi­ ment, überlesen die Supplikationes und andere Schriften zum Unterschreiben selbst, korrigieren selbst, dekretieren oft selbst und hör ich Ihrer Durchlaucht

hohen Verstand und Indizium von Räten und anderen sehr rühmen."

An

diesem Hofe, schildert der nämliche scharfe Beobachter, ist treffliche, gute Ord­ nung in allen Sachen, schleunige Bezahlung, ein nüchternes, stilles und fried­ liches Leben.

Der regierende Herr macht sich von all seinen Räten fürchten

und lieben, „gibt guet Filz aus" (Verweise), belohnts auch reichlich, machts hurtig und fleißig, ist früh und spät in der Arbeit, hört alle Morgen seine Meß, und wenn er dazu oder davon geht, nimmt er von den armen Unter­

tanen die Supplikationes an.

Die Arbeit zu lieben, den Müßiggang als Brunnquell aller Laster zu Behaglich

fliehen hat Max auch den Sohn in seinem Testamente gemahnt.

hatte der Großvater im Kreise seiner Musiker und Künstler, Spaßmacher und

Jagdfreunde das Leben genossen.

Daneben waren in ihren Amtsstuben die

Minister und Räte gesessen, deren Aufgabe es war Zustände, Wünsche und Bedürfnisse des Volkes zu erforschen.

Kreisen war gering,

Die Fühlung zwischen diesen beiden

sie hatten sich eher gegenseitig abgestoßen.

Jetzt aber,

welcher Wechsel!

Maximilian war der Gegensatz eines Fürsten, der herrscht

und nicht regiert.

Seine ganze Regierungsweise, dieses System zahlloser, bis

in die kleinsten Einzelheiten eindringenden Vorschriften und, was man bisher weniger gewohnt war als diese, die unablässige und persönliche Überwachung

des Vollzugs hat die gewissenhafteste Ausnutzung der Zeit zur Voraussetzung. Keine Kleinigkeit erschien dem Regenten zu geringfügig für seine Sorge; er kümmerte sich um Dinge wie um die Zahl der in der Hofkammer zu heizenden Zimmer.

Was Ranke von Joseph II. sagt, gilt auch von ihm: ein geborener

*) Augsburger Ratsherr; als Gesandter in diplomatischer Beziehung vielfach ver­ wendet; wertvoll als zuverlässige Quellen sind die Briefe und Tagebücher deS schreib­ frohen Mannes.

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

Bureaukrat, tätig im kleinsten!

229

Seine häufigen Randglossen zu den ein­

gelaufenen Berichten und Konzepten erinnern in ihrer Prägnanz und Derb­ heit zuweilen an die Art Friedrichs des Großen. „Den Regensburgern werden die Hosen zittern," schrieb er auf den Bericht, worin Aldringen das Anrücken „Wollt' nur gern wissen,

einer spanischen Kompagnie gegen Schärding meldet.

wer der Sprachmeister, so täglich was Neues aufbringt!" — „Man muß nit zweimal schreiben, was zu rechter Zeit auf einmal geschehen kann." — „Ist ein großer Unterschied zwischen dem Blei und Papier" saus Anlaß eines nicht ernsthaft geführten Krieges). Von den Äpfeln der Freia hatte er nicht gegessen. Einen „lieben, herzigen Mann" nennt ihn zwar die Erzherzogin Cäcilie Renata und bereit

Schwester Maria Anna (noch ehe sie ahnen kann, daß es sich um ihren künf­ tigen Gemahl handle) erklärt das Urteil, daß Maximilian nie lache und böse aussehe, als unzutreffend.

Indessen scheint unbestreitbar, daß schon in dem

Jüngling etwas Griesgrämiges lag. „Etlichermaßen melancholici humoris" schildert ihn sein Rat Jocher 1619. In den Akten begegnet man häufig

mürrischen Randbemerkungen von seiner Hand: „An wemb lauth das Schreiben? Man kanns nit schmöckhen!" „Es ist zum Erbarmen, daß so wenig Hirn in

so dicken Köpfen!" u. a. ähnlicher Art.

Als dann

gar,

vereint mit dem

Alter, Leiden und Mißerfolge des Krieges auf ihn einstürmten, bekamen Beamte

und Generale die Bitterkeit seiner Gemütsstimmung oft schwer zu empfinden,

wenn auch sein christliches Pflichtgefühl zu gut geschult war, als daß eine Aufwallung der Laune ihn leicht zu übereilten oder ungerechten Handlungen

hingerissen hätte. Seine Intelligenz war von jener Art, die aufs engste mit Fleiß und Arbeit zusammenhängt. Der Bann des zeitgenössischen kirchlichen Aberglaubens, den doch viele geschichtlich hervorragende Geister schon durchbrachen, hielt ihn fest umfangen. Nicht neue, schöpferische Gedanken zeichneten ihn aus, aber

ein klarer und durchdringender Verstand, soweit dieser nicht durch die Art seiner religiösen Erziehung in Fesseln geschlagen war, eine vollständige Be­ herrschung des Tatsächlichen

in den Geschäften.

Jede Regicrungshandlung

wurde vorher auf das sorgfältigste überlegt und nach allen Seiten geprüft. Kein Fürst war in seinem Entschlüsse selbständiger — keiner hat die Ansichten und Ratschläge seiner Umgebung und Beamten in ausgedehnterem Umfang eingeholt und aufmerksamer gewürdigt. In der Ausführung einer so wohl

vorbereiteten Sache machte sich dann die unerschütterliche Festigkeit seines Willens geltend. Zu der weichen, bestimmbaren, schwankenden Natur seines kaiserlichen Ahnherrn Ludwig bildet er den ausgeprägten Gegensatz.

dem

kleinlichen Ehrgeiz,

der darauf

ausgeht

bewundert

Frei von

und beneidet zu

werden, war er voll von dem hohen, seinen Willen und seine Zwecke durchznsetzen. Dieser Fürst fängt nichts an, was er nicht ausführt, urteilt ein Zeitgenosse.

230

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

Für seine Familie und Untertanen hatte er ein warmes Herz, doch war als sein Verstand und weit

sein Gemütslcben entschieden weniger entwickelt

öfter als Liebesbeweise bekommen die Untertanen seine Sttenge und die drücken­ den Folgen seiner Polittk zu spüren. Wo ein religiöser Grund wirksam war,

konnte die Sttenge sogar in grausame Härte ausarten. Als ein Jngolstädttr Bürger von dem ordentlichen Gericht wegen Gotteslästerung zur Stadtver­ weisung verurteilt wurde, setzte er an Stelle dieser Sttafe den Tod. Seine Religiosität hatte eine so ausgeprägt konfessionelle Färbung wie nur möglich. Darum hatten es Konvettiten, wie man an Wallenstein, Pappen­ heim u. a. gewahrt, immer leicht seine Gunst zu erwerben. Er verordnete, daß jeder seiner Untertanen einen Rosenttanz besitzen müsse; er hielt seine

Beamten bei Geldsttafe zur Teilnahme an den wöchentlichen Prozessionen an;

er selbst konnte sich in Prozessionen und Wallfahrten kaum genug tun. In seiner Verehrung der heiligen Jungfrau lag ein schwärmerischer Zug, der bei seinem nüchternen Wesen um so auffallender ist. In Altötting ließ er — „Peccatorum Coryphaeus“ — eine mit seinem Blute geschriebene Widmung

an sie hinterlegen. Wichtige Aktionen verlegte er, wenn es anging, auf einen Marienfesttag, so den Aufbruch des Heeres gegen Donauwörth 1607 auf Mariä Empfängnis, seine Vereinigung mit Bucquoy 1620, den Einmarsch in

die Oberpfalz 1621, seinen Einzug in Regensburg zu Ferdinands III. Königs­ wahl auf Mariä Geburt. In der Schlacht auf dem Weißen Berge bestimmte er seinen Truppen den Namen der heiligen Jungfrau als Feldgeschrei. Und während er den Bischöfen von Freising und Regensburg wegen der großen Zahl der bestehenden Feiettage die Einführung des Korbinians- und Wolfgangs­

tages als Feiertage abschlug, bewog er 1638 den Episkopat seines Landes zu den zahlreichen Frauenfesttagen zwei weitere festzusetzen: Mariens Besuch und ihre Darbringung im Tempel.

Täglich, sagt der Stifter der Mariensäule in der

Jnsttuttion für die Erziehung seines Erstgebornen, erfahre ich, daß nach Gott die Mutter des Erlösers unsere größte Beschützerin und Patronin ist. Er machte es seinem Sohne zur Pflicht außer einem Sonn- oder Feiertage jedes

Monats auch an allen Marienfesttagen zur Beichte zu gehen. Er gab diesem Sohne, was gegen alle Gewohnheit war, neben dem Namen seines mütter­ lichen Großvaters auch den Namen Maria und bürgerte damit in Bayern die Sitte ein, daß dieser Vorname auch von Männern an zweiter Stelle ge­

führt wird. In den Jesuiten bewunderte und verehrte er die Männer, die nach seiner Überzeugung dem Reiche Gottes auf Erden die besten Dienste leisteten, und ihre Mitwirkung bei den Aufgaben eines gottesfürchtigen Fürsten schien ihm unerläßlich. Darum scheute er keine Opfer für sie, empfahl auch dem Nach­ folger in seinem Testament sie gegen männiglich zu schützen, zu lieben, zu ehren und in besonderer Affettion zu halten,

legte ihm ihre Kollegien zu

München, Ingolstadt, Regensburg, Landsberg, ihre Niederlassung in Altötting

42 Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

231

und was er selbst mit Stiftung des Collegium anglicanum in Lüttich und in Burghausen und Mindelheim für sie getan, auch die Kollegien zu Landshut

und Straubing, denen er landesherrlichen Konsens und Förderung erteilt habe,

ans Herz. Warme Unterstützung fanden bei ihm die Jesuitenmissionen in Ost­ asien, deren Fortschritte er mit Freuden verfolgte. Durch den gelehrten Astro­ nomen des Ordens, den Jesuiten Adam Schall aus Köln, ließ er dem Kaiser von China eine in Wachs modellierte Darstellung der Heiligen drei Könige vor dem Christkind überreichen. Für die Kanonisation Loyolas hat er in Rom seine Fürsprache eingelegt.

Eine Anzahl der von Tilly eroberten Fahnen und

Standarten ließ er in der Münchener Jesuitenkirche aufstellen. Folgte er aber in der Hauptrichtung seines Tuns und Lassens den von den Jesuiten gewiesenen Bahnen, so dürfte man doch nicht sagen, daß er zu einem Werkzeuge des Ordens herabgesunken wäre. Überhaupt war sein Urteil zu selbständig, sein Wille zu fest, sein fürstliches Selbstgefühl zu ausgeprägt, als daß er Übergriffe des Klerus in seine fürstlichen Rechte geduldet hätte.

Selbst dem Papste gegenüber verstand er die Person

scheiden.

wohl vom Amte zu

Wenn er 1647 durch seine Gesandten am französischen Hofe sich

gegen die Ausfassung verwahrte, als ob er den Jesuiten Einfluß auf die äußere

Politik gestatte,

war dies im großen und ganzen nicht unberechtigt.

wenn er in solchen politischen Fragen,

Auch

bei welchen ein kirchliches Interesse

hereinspielte — was allerdings wohl bei der Mehrzahl zutraf — die Stimme

seiner jesuitischen Berater einholte, behielt er sich doch stets die Entscheidung

darüber vor, ob es zweckmäßig sei von den rein kirchlichen Gesichtspunkten

sich leiten zu lassen.

Wenigen Fürsten schwebte ein so hohes Ideal ihres Berufes vor und keiner ist wohl in seinem Wirken dem eigenen Ideal so nahe gekommen wie er.

Tugend — so lautete einer seiner Aussprüche — ist eine Zierde aller

Menschen; vor allen anderen aber muß durch sie glänzen der Fürst, den der Titel des „Durchlauchtigsten" auszeichnet. Und in seinem Testament gab er seinem Sohne zu bedenken, daß der wahre Glaube ohne Gottesfurcht und tugendsamen Wandel wenig nütze.

Das Leben des Fürsten, sagt er hier, ist

die beste Lehre für Beamte und Untertanen und eifert mehr zur Tugend an

als viele Mandate und Strafen. Berühmt sind die Monita paterna, die 1639 für den Kurprinzen Ferdinand Maria verfaßt, die Pflichten eines Fürsten gegen Gott, gegen sich selbst und die Untertanen schildern.

Sie zeichnen das

Idealbild eines katholischen Fürsten im Sinne der Gegenreformation und der

Jesuiten und widerlegen aufs wirksamste jeden, der den gewaltigen sittlichen Ernst dieser Richtung unterschätzen wollte.

Vergleicht man diese und die anderen

von Maximilian für seinen Sohn hinterlassenen Vorschriften mit der Schilde­ rung Albrechts V. durch seine Räte, dann hinwiederum mit dem Charakter­ bilde des Enkels, des ffivolen Max Emanuel, so springt das große historische

Gesetz der sich ablösenden Gegensätze rein wie selten in die Augen.

Die Monita

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

232

paterna wurden zuerst von Maximilians Beichtvater, P. Vervaux, veröffentlicht und dieser Jesuit, nicht der Kurfürst, wird als ihr Verfasser zu betrachten

sein.

Wie sie aber in Maximilians Auftrag entstanden, entsprechen sie auch

vollständig seinen eigenen Anschauungen — ohne dies hätte er sich nicht ge­ fallen lassen, daß sie ihm in den Mund gelegt wurden.

Maximilians eigenes Werk sind dagegen zweifellos die 1650 für den Kurprinzen ausgezeichneten „Treuherzigen väterlichen Lehrstücke, Erinnerungen

und Ermahnungen", neben dem theoretischen System der Monita paterna

mehr Anweisungen zu praktischer Politik. Die Höhe, Verantwortlichkeit, Pflichten­ fülle des Fürstenberuses wird in beiden Aufzeichnungen auf das Stärkste be­ tont.

Lange vor Friedrich dem Großen, der den Fürsten als ersten Diener

des Staates bezeichnet, schrieb.Maximilian: „Eifrige, arbeiffame Potentaten und Fürsten sind den brennenden Kerzen zu vergleichen, welche sagen könnten: „Aliis lucendo consumorl“

Für Maximilians Charakterbild sind alle hier

erteilten Lehren überaus wichtig, weil sie genau dem entsprechen, was er täglich und stündlich ausübte. Dies gilt von den Mahnungen zu eingezogener Ökonomie und Mäßigkeit wie von jenen zu fleißigem Nachfragen über die Haltung der Gebote und Verordnungen, gilt von der Weisung die Landschaft streng in

ihren Schranken zu halten wie von jener auf sorgsame Erhaltung der Autorität, aber deren richtige Temperierung durch Freundlichkeit, Sanftmut und Demut. Die sorgfältige Auswahl und Überwachung der Beamten, die Scheu vor Günst­

lingen und Schmeichlern, die Warnung vor neuer, ungewohnter, „alamodischer" Kleidung, die Geheimhaltung der Geschäfte, die Vermeidung unnützer Worte,

die Regel nur langsam, verständig und mit gutem Bedacht zu reden, die Weisung, daß der Fürst zwar jedermann Gehör schenken, aber sich nicht gleich ex tempore, ohne vorhergehende Information, Rat und Berichtseinholung

entschließen, etwas abschlagen oder versprechen soll — alles dies sind Grund­

sätze, die in Maximilians Tätigkeit fort und fort verwirklicht wurden.

Nur

die Mahnung sich möglichst der fremden, ausländischen, besonders welschen ^italienischen) Offiziere und Diener zu enthalten, welche meistens nur Dienste

suchen um

sich zu bereichern, scheint erst aus üblen Erfahrungen während

der eigenen Regierung entsprungen zu sein. Von Annahme hoher Orden (besonders des goldenen Vließes) rät Maximilian ab, da dieselben nach und

nach zu gemein gemacht worden seien.

Die äußere Politik berührt er nur in

einem Satze: wo er in seinen Ermahnungen Anlaß hatte gegen das Haus Österreich Warnung und Erinnerung zu tun, seien nicht die Herren selbst als

ihres Hauses nächste Blutsverwandte, sondern die widrigen, passionierten und übel affekttonierten Minister und Räte gemeint. In der inneren Regierung war Maximilian ausgesprochener Autokrat, der sich leichten Herzens über die verbrieften Rechte der Landschaft hinweg­

setzte.

Ist auch unter Maximilians Nachfolger noch einmal ein Landtag ;u-

sammengetteten, so muß doch er als der Fürst bezeichnet werden, der dem

42. Charakterbild des Kurfürsten Maximilian I.

233

freilich schon vorher sehr geschwächten altlandständischen Wesen in Bayern den

Todesstoß gab. Was er für das Heerwesen geleistet, zeigte der Sieg, der über ein Jahr­ zehnt den bayerischen Fahnen als treuer Genosse folgte.

Vielleicht das Beste

tat hier die Menschenkenntnis und die sorgfältige Prüfung bei der Auswahl seiner Generale. Seine unverdrossenen Bemühungen für die Landwehr aller­ dings erwiesen sich im Ernstfälle ziemlich fruchtlos; bei der ersten Überflutung durch die Schweden hat die Landwehr sehr wenig für die Verteidigung des

Landes geleistet.

Wie ließ sich aber voraussehen, daß man je mit einem so

zahlreichen, wohlgeübten und gefährlichen Feinde zu kämpfen haben werde! Im letzten Feldzuge war auch die Beihilfe der Landwehr nicht zu unterschätzen,

und wenn Bayern in der zweiten Hälfte des Krieges durch Werbungen, die jetzt zum größten Teil nur mehr im eigenen Lande angestellt werden konnten,

noch so treffliche Heere aufbrachte, wäre dies ohne den im Volke neu belebten kriegerischen Geist wohl nicht möglich gewesen. Als Oberbefehlshaber verfolgte er von Tag zu Tag mit schärfster Auf­

merksamkeit alle Vorgänge beim Heere und überwachte, unterstützt von den fortlaufenden Berichten seiner Kriegskommissäre, die Anordnungen der Gene­

rale ebenso sorgfältig wie er dies gegenüber der Amtsführung seiner Beamten gewohnt war. Der Prätensionen und Insolenz der höheren Offiziere, wie sie bei solchem Übergewicht des Kriegswesens üppig emporschießen, verstand er sich

energisch zu erwehren. In seinem Dienste hätte ein Wallenstein nicht auf­ kommen können. Keine Kleinigkeit entging seinem Späherblick; er wies Tilly

an sich mehr auf Feldbefestigungen zu werfen, er kannte und kritisierte die Menge der verschossenen Munition, die Zahl der abgängigen Pferde. In keinem Punkte war der Kontrast dieser Regierung zu der der Vor­

gänger so grell wie in den Finanzen. Während es vorher auch die spar­ samsten Fürsten nicht bis zur Ansammlung eines Kriegsschatzes gebracht hatten,

trat er mit wohlgefüllten Kassen in den großen Krieg ein und die ans Un­ erschöpfliche grenzende Nachhaltigkeit seiner Geldmittel gab den Zeitgenossen stets neuen Stoff zur Bewunderung. In der Tat lag hierin ein guter Teil

von dem Geheimnis seiner Erfolge begründet. Sehr bezeichnend für seine politische Auffassung beginnt er die seiner Gemahlin und den Erben hinter­ lassenen Mahnungen mit dem Kapitel der Finanzen. Er stellt den Grundsatz an die Spitze, daß an einer verständigen, klugen Ökonomie und „Wohlhausen" hauptsächlich Reputatton und Wohlstand des Landessürsten und der Unter­

tanen gelegen sei, und schließt mit dem Urteil: Das gute Vermögen ist nervus

rerum agendarum et conservandarum. In der Form von Lehren für seine Nachfolger hat er auch hier sein eigenes Verfahren besser geschildert, als ein dritter es schildern könnte.

Zu wohlbestellten Finanzen, sagt er, braucht

man treue und verständige, fleißige, eingezogene und erfahrene Räte, deren nützlichen Ratschlägen man folgen soll. Man muß oft nachfragen, wie den

234

43. Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler.

aufgestellten Instruktionen und Ordnungen nachgelebt wird, muß die Räte so

viel als möglich, zumal selbst, visitieren, muß sich über den Stand des Kammer­

wesens und das Verhalten der Beamten Bericht erstatten lassen.

Die gute

Wirtschaft besteht in Vermehrung der Einnahmen und Sparsamkeit im Aus­ geben. Er zitiert den alten deutschen Spruch: In jeder Hauswirtschaft muß man einen Zehrpfennig, Ehrpfennig und Sparpfennig haben.

Freigebigkeit ist

zwar eine Tugend der Fürsten, muß aber chre Schranken haben.

Man muß

oft bilanzieren, erwägen, ob man vor sich oder zurückhaust, nach den Ursachen

forschen und, wo es möglich ist, zur rechten Zeit abhelfen. Dadurch werden auch die Diener in guter Sorge und Aufmerksamkeit erhalten. Besonders die Ämter des Salz- und Brauwesens sind jährlich zu revidieren und die Kassen zu visitieren.

Er selbst forderte von seinem Hofzahlamte jeden Monat einen

Auszug von allen Einnahmen und Ausgaben ein. langte er dieselbe peinliche Sparsamkeit,

Von seinen Beamten ver­

die er sich selbst zur Pflicht ge­

macht hatte. Im Guten wie im Schlimmen spiegelt sich in Kurfürst Maximilian die Weltanschauung des dogmatischen Zeitalters der Gegenreformation und der

Jesuiten mit unübertrefflicher Schärfe. Weitere Züge zur Abrundung seines Charakterbildes liefern seine Kunst­ liebe und sein feines Kunstverständnis.

43. Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler. Von Karl Doll.*

Albrecht Dürer hat schon zu seinen Lebzeiten viele Förderung von den deutschen Fürsten erfahren und unter diesen hat ihn Kaiser Maximilian vor allen anderen Meistern ausgezeichnet. Der ritterliche Kaiser hatte nun eine Nichte namens Susanna, die in erster Ehe an den Markgrafen von Brandenburg,

später aber an den Pfalzgrafen Otto Heinrich von Neuburg verheiratet war

und wie ihr Onkel in guten Beziehungen zu dem großen Nürnberger Maler stand. Sie ist die erste aus dem Hause der Wittelsbacher, die Dürers Bedeutung zu fassen wußte, und seit ihrer Zeit ist das Interesse an ihm bei

den Wittelsbachern immer lebhafter geworden. In der Münchener Residenz vereinigten sich im Laufe der Jahrhunderte die besten Werke Dürers, so daß sie an ihnen reicher war als Nürnberg selbst,

und noch heute kann in Bezug auf Dürer sich keine Galerie

der Münchener Pinakothek,

an die diese Kostbarkeiten

der Welt mit

abgetreten wurden,

messen. Derjenige, dem Bayern in dieser Hinsicht am meisten dankt, ist Kurfürst Maximilian I., der einer der umsichtigsten und glücklichsten Kunstsammler

gewesen ist, von denen die neuere Geschichte zu melden weiß. Seine Regierung fällt in ihrem späteren Verlauf mit dem Dreißigjährigen Krieg zusammen und

43. Kurfürst Maximilian I. alS Dürersammler.

235

es ist aus der politischen Geschichte bekannt genug, wie eng des Kurfürsten

Tätigkeit mit dem großen Krieg verbunden war;

weniger allgemein bekannt

aber ist, daß er trotz aller Aufregungen der Diplomatie als ein rechter Lieb­ haber der schönen Künste Muße und inneres Gleichgewicht der Stimmung fand, um die schon damals berühmten Wittelsbacher Sammlungen aus­

zubauen. Wir sind heute gewohnt die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Geschichte der deutschen Kultur als eine unglückliche und wenig rühmliche

Zeit zu bettachten;

aber in

der Wirksamkeit dieses

großen Kunstfreundes

offenbart sich doch ganz klar, daß die Lehren der Renaissance auch in Deutsch­ land, vor allem in Süddeuffchland, selbst in jenen unruhigen Zeiten noch

immer nicht vergessen waren, daß auch damals sich noch immer ein künstlerisch

fein geschultes Geschlecht um die Weiterentwicklung der Kunst kümmerte; von da aus erst lernen wir verstehen, warum München von dem letzten Viertel

des 17. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag eine solch bedeutende Rolle in der allgemeinen Kunstgeschichte hot spielen können. Aus einem um das Jahr 1628 angelegten Inventar der Kunstsammlungen Maximilians erfahren wir, daß er nicht weniger als 14 Werke von Albrecht Dürer besaß, von denen er nur eines, die heute in der Alten Pinakothek befindliche Lukrezia, von seinen Vorfahren ererbt hatte. Alle übrigen hat er selbst erworben und zwar lehren uns die Urkunden, daß er bei seinen An­

käufen nicht nur mit großer Umsicht sondern auch mit feinem, sicherem Geschmack verfahren ist. Die Art, wie er seine umfangreiche Dürerkollektion zusammenbrachte, deren Reste noch heute die stattlichste existierende Vereinigung

von Hauptwerken des großen Nürnberger Meisters bilden, soll im nach­ folgenden an einigen besonders interessanten Fällen geschildert werden, weil diese für die damalige Kulturgeschichte ein immerhin recht wichtiges Material liefern. Maximilian hatte, wie alle Fürsten der früheren Zeit, die Kunstwerke

sammeln wollten, in den verschiedenen Ländern und Städten sachverständige

Agenten, die ihm Kundschaft geben mußten, wo immer sie Gelegenheit zur Erwerbung eines in seine Sammlung passenden Gemäldes erfuhren. So hatte er auch in Nürnberg seine Vertrauten, die ihm behilflich waren von den Werken Albrecht Dürers so viele zu erwerben wie nur möglich war. Aber obwohl Nürnberg nicht wenige Arbeiten seines kunstfertigen Mitbürgers besaß,

so war es doch sehr schwer von der Stadt' auch nur ein einziges zu erlangen. Der Rat der Stadt war stolz auf das Erbe der Vergangenheit und schlug

immer wieder die Bitten auch der erlauchtesten Kunstfreunde ab, wenn diese ein im öffentlichen Besitz befindliches Werk Dürers begehrten. Selbst Kaiser Rudolf II., der vor Maximilian der bedeutendste und erfolgreichste Dürersammler gewesen war, konnte es nicht erreichen, daß ihm die Stadt die von ihm ge­

wünschten Gemälde alle überließ.

43. Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler.

236

Eines dieser Bilder war der schon in alter Zeit hochberühmte „Paum-

gartneraltar" in der Katharinenkirche, der in den Beschreibungen von Nürn­ bergs Sehenswürdigkeiten immer in erster Reihe genannt wurde.

Aus diesen

hatte nun Maximilian, ungeachtet der ihm wohlbekannten Schwierigkeiten, sein Augenmerk gerichtet und im Jahre 1612

ließ er den Rat der Stadt in einem sehr freundlichen Schreiben um die Überlassung des kostbaren Altares ersuchen.

Für die

Stadträte von Nürnberg war damit eine schwierige Lage geschaffen.

Der Kurfürst

war ein mächtiger Herrscher, dessen Gebiet

das

an sehr

viel

grenzte und dessen Gunst

ihre

sie

für

Aber sie

bedeutete.

hatten als Vertreter des auf seine künst­ lerische Bedeutung

so

wesens doch

ein

auch

stolzen sehr

Gemein­

bestimmtes

Gefühl dafür, daß sie den nachfolgenden Geschlechtern den Schatz erhalten müßten.

So standen politische Klugheit und Pietät einander

gegenüber.

Sie versuchten es

zunächst mit Bitten, die uns auch heute noch,

wir sie in den

wenn

vergilbten

Ratsprotokollen lesen, rühren und bewegen. Als aber die Bitten

nichts

halfen, so

dachten sie dem Kurfürsten das kostbare

Werk zu verleiden, indem sie die Altar­

flügel, die noch

heute der schönste

und

stattlichste Teil des Ganzen sind, in ihrem

Wert herabsetzten und sie als Kopien be­ zeichneten.

Maximilian

war jedoch

zu

genau über den wahren Sachverhalt unter­

richtet und ließ sich durch keine Gegenrede

täuschen. So überlieferte ihm endlich 1613 Lukas Paumgartner,

die Stadt den Altar in allen seinen Teilen.

Stifter de» Paumgartneraltars, Gemälde von Albrecht Dürer, 1llt verkleinert. (Nach einer Photographie von Frz. Hanfstängl, München.)

war,

der Zukunft gedacht und

gartneraltar nicht wahr

das

letzte

und fand

Die

Nürnberger

diesem Handel, der

hatten

dem Kurfürsten geschrieben,

Werk Dürers

innerhalb

bei

daß der Paum-

der Stadt sei.

auch in München keinen Glauben.

nun

ihnen sehr ärgerlich

Das war

Allgemein wußte

man ja, daß der große Meister kurz vor seinem Tode dem Rate der Stadt zum

ewigen Gedächtnis

an

ihn

das

letzte große Hauptwerk seiner Hand

geschenkt hatte, die berühmten vier Apostel, die heute unter die wichtigsten

43. Kurfürst Maximilian I. als Dürersammler.

237

Im Jahre 1627

ließ der Kurfürst

Gemälde der Alten Pinakothek gehören.

nach offenbar sehr vorsichtigen und langwierigen Vorbereitungen offiziell die Stadt um diese zwei Tafeln angehen. Der Verdruß und die Verlegenheit waren in Nürnberg größer als jemals; denn nun ging es wirklich an das letzte Haupfftück von Dürers Kunst, das

sich noch

in seiner Vaterstadt

befand.

Wenn ihr dieses auch entführt wurde,

dann blieben ihr nur mehr Werke zweiten Ranges und so setzten sich die Stadtväter

hartnäckig zur Wehr.

Sie griffen endlich,

als keine Ausrede verfangen wollte, zu der damals sehr aussichtsreichen List dem Kur­

fürsten zu schreiben, daß ihm ausgezeichnete Kopien nach den vier Aposteln zur Ver­

fügung ständen; von den Originalen selbst müßten sie ihm abraten, da sie sich für den katholischen Münchener Hof nicht eig­ neten : Dürer habe Unterschriften von aus­ gesprochen protestantischer Tendenz unter

sie gesetzt. Es schien auch wirklich, als ob

dieser Einwand, der in alten Zeiten ja viel zu bedeuten hatte, stark genug wäre um den Kurfürsten von seinem Plan abzu­

bringen ; aber bald genug fand Maximilian

einen Ausweg. Nicht ohne Humor schlug

er den Nürnbergern vor, daß sie die Ko­ pien, wenn diese doch so ausgezeichnet wären,

behalten,

ihm

aber die Origi­

nale geben möchten. Was die Unter­ schriften anlange, so hätte der Rat aller­

dings recht und so wäre es das beste sie von den Bildern abzusägen. Der Kur­ fürst lege ohnehin nur Wert auf den Besitz der Gemälde.

Und so geschah es

denn, daß die Stadt Nürnberg sich mit den Kopien bescheiden

ihr von Dürers schriften blieben.

mußte und daß

Stephan Paumgartner, Stifter de- PaumgartneraltarS, Gemälde von Albrecht Dürer, Vn verkleinert. (Nach einer Photographie von Frz. Hanfstängl, München.)

hochherzigem Geschenk nur der Rahmen und

die Unter-

Auch in Frankfurt a. M. befand sich ein Werk von Albrecht Dürer, die Himmelfahrt Mariä, die der Kaufmann Jakob Heller in das Dominikaner­

kloster gestiftet hatte. An keine andere Arbeit hatte der Meister nach seinem eigenen Zeugnis so viele Mühe verwendet und die noch vorhandenen Studien

238

43. Kurfürst Maximilian I. alS Durersammlcr.

bestätigen diese Aussage.

Um den stolzen Altar hatte sich schon mancher

Sammler, darunter auch Kaiser Rudolf II., vergeblich bemüht; erst dem Kur­

fürsten Maximilian gelang es das kostbare Werk dem Kloster zu entführen. Noch ist das Schreiben vorhanden, worin ihm gemeldet wird, daß das Kapitel ihm

den Altar verehren wolle; wirkliches

Geschenk

hat

aber um ein

es

sich

dabei

doch nicht gehandelt. Der Kurfürst mußte

sich und sein Haus für ewige Zeiten ver­ pflichten dem Kloster jährlich 400 Gulden zu zahlen.

Diese schwere Verpflichtung

wurde auch bis 1777 eingehalten. Altar war sogar

im Jahre 1729

Der

bei

einem Umbau der Münchener Residenz verbrannt und noch immer erhielt das Kloster diese Jahresrente. Erst als Kur­ fürst Karl Theodor zur Regierung kam,

wurde die Zahlung eingestellt. Das Kloster begann wohl einen Prozeß, dieser wurde aber in den Wirren der

flanzösischen Revolutionskriege niederge­ schlagen.

Unter den sonstigen Werken von Albrecht Dürer, die Maximilian in München vereinigte, sei noch zum Schluß das berühmte Gebetbuch Kaiser Maximi­

lians I. erwähnt, dessen erster und wich­

tigster Teil, die prachtvollen und launigen Randzeichnungen, auf eine bis heute un­

erklärte Weise aus dem Buche getrennt wurden und dann in den Besitz des Kurfürsten gelangten.

Durch diese Arbeit,

die einen Stolz der Hof- und Staats­ bibliothek bildet, hat München, das sonst an Zeichnungen von Dürer sehr arm ist, Evangelist Johannes und Apostel Petrus,

Gemälde von Albrecht Dürer, XIX6 verkleinert.

einen herrlichen Schatz auch

Gebiet, dem keine oder Bibliothek etwas Ähnliches zur Seite stellen kann.

andere

auf diesem Sammlung

Was nun Maximilian I. an Werken des Albrecht Dürer zusammengebracht

hatte, war auf einem wichtigen Gebiete doch recht arm.

Wenn man von den

als Heilige dargestellten Stiftern des Paumgartneraltars absieht, hat er keine

Porträts von Dürers Hand besessen.

Diese waren ihm offenbar nicht an-

43. Kurfürst Maximilian L als Dürersammler.

239

genehm und er hat deswegen auch auf verschiedenen Bildem die kleinen Donatorenfiguren zumalen lassen: so die auf dem Mittelstück des Paumgartner-

altars, die erst in neuerer Zeit wieder freigelegt wurden, und die der Beweinung Christi, die noch unter der Übermalung verborgen sind.

Und doch sind die von

Dürer gemalten Bildnisse, die heute mit Recht so hochgeschätzt werden, unter

das Beste von allem zu

rechnen, was uns der große Meister hinterlassen hat. Maximilian hat eben als echter Ver­ treter des prunkliebenden Barocks,

das

die reich ausgeschmückten Repräsentations­ bildnisse liebte, an den so ganz schlichten, äußerlich unscheinbaren Bildnissen der gut bürgerlich gesinnten Zeitgenossen und Freunde Dürers kein Wohlgefallen gehabt.

Das war eine durch den Geschmack seiner Zeil zu erklärende und zu entschuldigende

Einseitigkeit. Die Privatsammlung des Kur­ fürsten hat darunter gelitten. Die Samm­ lungen der Wittelsbacher haben jedoch als Ganzes nicht dadurch zu leiden gehabt;

denn im 19. Jahrhundert haben die Nachfolger Maximilians, König Max I.

Josef und besonders Ludwig I., der ihm als Kunstfreund geistig so nahe verwandt war, die Lücke ergänzt. Sie haben die großartige Kollektion der Porträts von

Dürers Hand angelegt, unter denen das berühmte Selbstbildnis des Meisters das bedeutendste

ist.

Diese alle

aber

hat

Ludwig I. mit der Maximilianischen Dürer­ sammlung vereinigt und ihr so den wür­ digen

Abschluß

gegeben.

Sie hängen

nun mit den stolzen Resten des Schatzes, den Maximilian I. erworben hat, in der Alten Pinakothek.

So ist das,

Apostel Paulus und Evangelist Markus,

Gemälde von Albrecht Dürer, */ib verkleinert.

was

wir heute in der schönen Galerie scheinbar zusammenhanglos in den verschiedenen Sälen verstreut finden, in der Tat ein organisch gewachsenes Ganzes. In einer durch die Jahrhunderte gehenden Tradition hat die Ver­

gangenheit daran gearbeitet; baren Sinne genießen!

möge es die Gegenwart im rechten und dank­

240

44 Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz.

44. Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz (2. Oktober 1649). Wiederherstellung der Pfalz. Don Ludwig Häufler.')

Als Kind hatte Karl Ludwig seine Heimat verlassen, damals, wie „die

Pfalz nach Böhmen gezogen" war, jetzt kehrte er dorthin zurück, 32 Jahre alt. Welche überwältigende Last von Leiden, Entbehrungen, Unfällen und schmerzlichen Erinnerungen lag zwischen diesen

beiden Zeitpunkten! Seines Sieges beinahe sicher war damals (1619) der unglückliche Vater mit knaben­

haftem Leichtsinn seinem Verhängnisse zugeeilt, hinter sich ein blühendes, reiches Land und eine Bevölkerung, die seit sechzig Jahren, seit dem Erheben der

simmerischen Linie, wenig Ursache gehabt über ihre Fürsten zu klagen. Und jetzt kam der Sohn zurück, beinahe um ein Jahrzehnt älter, als der Vater damals die Stammburg verlassen,

arm in ein verarmtes Land;

aus

dem

prangenden Garten war eine Wüste geworden; die Bevölkerung war auf ein Fünfzigteil herabgesunken und aus den Mienen der Zurückgebliebenen sprachen

Hunger und Elend einer dreißigjährigen Kriegszeit. Es war ein Moment schmerzlicher Freude, als der angestammte Fürst, der Friedensbringer, den pfäl­

zischen Boden wieder betrat.

Selbst aus dem Kummer und dem Drucke der

Vergangenheit trug sich aber in den Herzen der Untertanen noch ein reiches Pfund treuer Anhänglichkeit und ftoher Hoffnung ihm entgegen, auf dem die große Verantwortung lag dies edle Kapital nicht zu vergeuden.

Wie mußte

beiden zumute sein, dem Fürsten und dem Volke, als Karl Ludwig in die erste pfälzische Stadt, Mosbach, einzog und den ersten Gottesdienst wieder auf

heimischem Boden feierte! Die ganze Bürgerschaft empfing den Fürsten mit Jubel; es war ein echtes Volksfest.

Eine Anzahl Knäblein von sechs bis zwölf

Jahren zogen mit der Bürgerschaft ihm entgegen und es preßte manche Träne

aus, wie die junge Generation dem Bringer des Glückes und Friedens in harm­

loser Freude entgegenjubelte.

Am 7. Oktober zog Karl Ludwig iy Heidelberg wieder ein, nachdem zwei Tage vorher die bayerischen Soldaten die Unterpfalz geräumt und den hessischen Exekutionstruppen Platz gemacht hatten,

am 14. zedierte Bayern

förmlich seine bisherige Besitznahme und die vom Kaiser beauftragten Kommis­ sorien übertrugen dem Kurfürsten das ganze unterpfälzische Land „mit allen geistlichen und weltlichen Gütern, Rechten und Zubehör, welche vor der böhmischen

Unruhe die Kurfürsten von der Pfalz im Besitze gehabt".

Aber in welchem

Zustande fand er das Erbteil seiner Vorfahren! Der blühende Landstrich, der

sich im Neckartal und an den beiden Rheinufern, von Boxberg, Mosbach an stromabwärts bis gegen Oppenheim, Alzey und Bacharach hin ausdehnte, der, von der Bergstraße und dem Hardtgebirge eingeschlossen, jene üppige Ebene *) Geschichte der rheinischen Pfalz, II. Band, S. 682 ff. Heidelberg 1845, B. Mohr.

44. Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz.

241

umfaßt, die selbst im fruchtbarsten Süden Deutschlands wie ein prangender Garten hervorstrahlt, war eine Einöde; die Felder toarc« mit Dorngestrüpp umzogen, die Weinberge lagen wüst da und statt reicher, dichtgesäter Ortschaften

stieß man nur auf ärmliche Hütten, in denen Armut und Elend, oft Raub und Verbrechen ihre Zuflucht fanden.

Vor dem unseligen Kriege hatten die

Städte mächtiger geblüht als jemals in der pfälzischen Zeit: Frankenthal hatte

1800 Bürger, Oppenheim 800, Kreuznach 2000 Familien gezählt; Mannheim, Heidelberg, Neustadt und die andern Amtsstädte fanden sich in gleich blühen­

dem Zustand. Jetzt rechnete man, daß noch der fünfzigste Teil der ganzen Bevölkerung übrig sei und auch der war durch Krieg, Raub, Anarchie und

mehrfache Konfessionswechsel so verwildert, daß er das Gedeihen des Ganzen mehr hemmte als förderte. Heidelberg lag zum Teil in Trümmern; das alte Stammschloß der pfälzischen Wittelsbacher, das vor Friedrichs V. Wegzug mit seinen Prachtgebäuden, zierlichen Gärten, Wasserkünsten und Statuen als be­

wunderter Lustort mit allen Höfen Europas rivalisierte, war jetzt in so trau­ rigem Zustande, daß Karl Ludwig nicht einmal eine anständige Wohnung für sich dort finden konnte.

Hier galt es zu handeln.

Der Unterschied zwischen dem traurigen An­

blicke, den die Gegenwart bot, und den reizenden Schilderungen, welche die alten pfälzischen Beamten entwarfen, war zu grell, als daß nicht Karl Ludwig angespornt worden wäre hier ein Wiederhersteller zu werden. Der Eindruck

so schmerzlicher Zustände konnte auch ein ganz leichtfertiges Gemüt ernster stimmen; Karl Ludwig aber hatte in dem schweren Druck der letzten zehn Jahre die wüsten Freuden seines Jünglingslebens wohl vergessen und das Unglück hatte ihn rasch zum Manne groß gezogen.

Mit allem Ernst und

Eifer nahm er sich jetzt seines unglücklichen Landes an. Was mit Gesetzen und fürstlichen Befehlen für Zurückführung der Ord­ nung geschehen konnte, geschah; der Rest der Bevölkerung ward allmählich

wieder an Gehorsam und Ordnung gewöhnt; Sicherheit und ein behagliches Gefühl des Schutzes von oben, das man in den letzten drei Jahrzehnten nicht

mehr gekannt hatte, kehrten zurück. Um den armen Bewohnern aufzuhelfen ward die Steuer so weit verringert, als es die Deckung der notwendigsten Bedürfnisse erlaubte, und der Kurfürst selbst, so genußsüchtig er sonst war, versagte sich jede unnütze Ausgabe zum Wohle seiner bedrängten Untertanen. Sie vor Erpressung zu schützen verbot er den Beamten streng irgend eine

außerordentliche Geldumlage, heiße sie wie sie wolle, ohne kurfürstlichen Befehl zu erlassen oder auch nur Ursache und Anlaß dazu zu geben. Das menschen­ leere Land mit neuen Bewohnern zu beleben und den wüsten Boden zu kulti­ vieren wurden die ausgewanderten Pfälzer zur Rückkehr in die Heimat ein­

geladen; und nicht etwa nur unbebautes, ödes Besitztum erhielten sie ange­ wiesen, sondern die Bedingungen waren so günstig, daß bei einem so reich gesegneten Boden, wie der pfälzische war, bald die traurigen Spuren der Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.



44. Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz.

242

dreißigjährigen Verwüstung schwinden mußten.

Wer alte Häuser ausbessere,

heißt es in einer Verordnung vom 7. Mai 1650, solle auf zwei Jahre, und wer neue baue, auf drei Jahre von jeder Häusersteuer frei sein; wüste Felder

anzubauen machte ein Jahr frei von Abgaben; wer ganz verwilderte Plätze anbaute, war auf drei Jahre, wer Weinberge wieder anpflanzte, auf sechs Jahre von jeder Auflage durchaus entbunden. Nicht nur die verjagten Pfälzer kamen wieder, auch Kolonisten aus fremden

Ländern, aus der Schweiz, aus Holland, Frankreich, England sammelten sich. Eine kleine Schar von friedlichen Bewohnern des Luzernertales in Piemont

siedelte sich noch spät (1665) im Amt Germersheim an und erhielt außer der Steuer-, Gewerbe- und Abzugsfreiheit ihre eigene Gemeindeverwaltung und ihre selbstgewählten Geistlichen.

Die Städte erhielten ihre munizipalen Freiheiten

bestätigt oder sie wurden mit neuen bereichert und in wenigen Jahren waren die Ruinen wieder in Sitze bürgerlichen Fleißes umgewandelt. Der Kurfürst selbst munterte auf, wo er konnte, und half auch mit Geld, obwohl seine eigenen Mittel so beschränkt waren, daß er zur Reise auf den Reichstag (1652)

von einzelnen Städten als Vorschuß auf die Steuern sich 50 Taler borgen mußte. So lebendig man bemüht war das materielle Wohl zu heben und so

glücklichen Erfolg die Gunst der Natur jenen Bemühungen zu teil werden ließ,

so hatte doch an dem neu aufkeimenden Wohlstände des Landes jener edle und freie Sinn einen großen Anteil, womit religiöse Formen jeder Art ge­ duldet und geschützt wurden. Karl Ludwig, in der Welt und im Leben viel herumgetrieben und mit einer reichen Bildung ausgestattet, dachte über die kirchlichen Formen viel freier als seine calvinisch strengen Vorfahren jemals

sich gestattet hätten.

Von jener naiven Glaubenseinfalt seines Ahnen Fried­

rich III., dem calvinisch warmen Eifer seiner Vorfahren Johann Kasimir und Friedrich IV. oder der ängstlich kirchlichen Befangenheit seines Vaters war in

dem mehr nach außen gerichteten, weltmännisch gebildeten Karl Ludwig nichts zu finden: in jenem Augenblicke ein großes Glück für Land und Untertanen.

Es wurde nicht noch der Form des Bekenntnisses und den kirchlichen Zeremonien

gefragt, wenn man fleißige und brauchbare Bürger suchte, und Karl Ludwig ward einer der ersten deutschen Fürsten, der durch die Tat jenes unselige Vorurteil widerlegte, man müsse um gut regieren zu können Untertanen einerlei

Bekenntnisses haben. Die auswärtigen Verhältnisse hatten indessen den Kurfürsten viel be­ schäftigt, namentlich die vollständige Durchführung des Westfälischen Friedens. Noch wurden der Pfalz verschiedene Hoheitsrechte entzogen, ein großer Teil von Ortschaften und Ämtern vorenthalten. Was aber den Kurfürsten am

meisten beschäftigte, war das Schicksal des getreuen Frankenthal, das die spanische Besatzung nicht mehr räumen zu wollen schien. Die Truppen der Spanier, Schweden und Franzosen hausten, wo sie noch als Besatzung lagen, trotz des Friedens wie in der Kriegszeit; in Alzey ward, während sich der

44. Karl Ludwigs Rückkehr in die Pfalz.

243

Kurfürst huldigen ließ, von der französischen Besatzung aus der Feste geschossen,

die Spanier in Frankenthal trieben am Rheine offen das Raubsystem und das speyerische Bruchsal ward von den Franzosen noch vor dem Abzüge (1651)

geplündert. In dem Nürnberger Exekutionsrezeß, wo Karl Gustav die pfäl­ zische Sache kräftig vertrat, hatte man nach vielen vergeblichen Bemühungen

Frankenthal frei zu machen (es war sogar von einer Belagerung durch Reichs­ truppen gesprocherl worden) endlich sich dahin verglichen (Juni 1650), der Kurfürst solle monatlich 3000 Taler Entschädigung und als Pfand die Reichs­

stadt Heilbronn erhalten, wo eine ihm allein verpflichtete Besatzung mit 8000 Talern monatlich auf Reichskosten sollte bezahlt werden.

Frankenthal selbst

sollte in seinen städtischen Verhältnissen ungestört, die pfälzische Bevölkemng von jedeni Beitrage zum Unterhalte der dortigen Besatzung befreit sein. Zu solchen Mitteln mußte man greifen, weil Reich und Kaiser zu ohnmächtig

waren ihre eigenen Verpflichtungen zu erfüllen. So blieb denn auch Frankenthal, das schwergeprüfte, in den Händen der spanischen Truppen: denn diese fanden es sehr bequem sich auf Reichs­ kosten im Besitze der besten pfälzischen Festung behaupten zn können. Karl Ludwig bot aber alles auf und seine Vorstellungen beim Kaiser, bei der kur­

rheinischen Versammlung zu Frankfurt (1651), seine Erklärung, auch seiner­

seits die noch übrigen Verpflichtungen nicht erfüllen zu wollen, wenn man das

ihm Versprochene länger vorenthalte, bewirkten wenigstens, daß die Sache nicht einschlief; auch ließ sich nicht verkennen, welche Mühe sich der Kaiser gab seine Verpflichtung zu erfüllen; aber er war über die Truppen seiner eigenen Verbündeten nicht Herr.

Als endlich noch vielen mühseligen Verhandlungen zwischen den Höfen zu Wien und Heidelberg der Auszug auf den 26. April 1652. festgesetzt war

und der Kurfürst Karl Ludwig mit seinem ganzen Hofstaate und einem Heer­ haufen von 1800 Mann vor der Festung erschien, wußte der spanische Komman­

dant Frangipani abermals mit Vorwänden den erwarteten Abzug zu verzögern;

wirklich war auch Troß und Gepäck so massenhaft, daß cs einiger Vorbereitung bedurfte zu einem vollständigen Abzüge. Bis zum 1. Mai ward der Kurfürst zu Worms hingehalten, dann versprach man ihm, der Auszug werde bestimmt

am andern Tage stattfinden; er kam mit seinen Truppen nach Frankenthal und — abermals bat der Gouverneur um Frist; die Truppen, hieß es, hätten

heute ihren Sold empfangen, seien jetzt in trunkenem Zustande und bei einem Auszuge müsse man Exzesse besorgen. Run bestimmte Karl Ludwig den Aus­

zug auf den folgenden Morgen (3. Mai); da zog denn die Besatzung von 1000 Mann hinaus, und obwohl die Hälfte zu Land ihren Marsch antrat, bedurfte man doch 28 Schiffe, um den Rest samt dem Trosse und den Vor­

räten fortzubringen. Wie diese „Verbündeten" des Kaisers in dem ihrem Schutze befohlenen Reiche seit den dreißig Jahren ihrer Anwesenheit gehaust haben mochten, läßt 16»

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

244

dieser Auszug einigermaßen vermuten.

Hundertundfünfzig Wagen mußten zwei­

mal den Weg von Frankenthal an den Rhein machen um die Beute fortzu­

schleppen ; an Vorräten allein waren es 300 Achtel Haber, 400 Malter Mehl, 300 Malter Korn und über 70 Fässer Wein! Kein Wunder, daß die spanischen

Hungerleider mit Wehmut eine Stadt verließen, die sie seit 30 Jahren in

solch ungeheurem Maße ausgebeutet hatten; kein Wunder, daß der Komman­ dant beim Herausziehen die liebe Erde küßte und segnete, die so ergiebig ein ganzes Menschenalter die Taschen der Fremden gefüllt hatte! Wie er aber den Frankenthalern noch unter bittersüßem Abschied und glatten, entschuldigenden Versicherungen das freche Witzwort hinwarf: sie glaubten doch an kein Fegfeuer, drum hätte Gott ihn zur Strafe geschickt, und die Bürger ihm nach­

riefen: ja, eine Zuchtrute sei er für ihre Sünden geworden, aber sie hofften auch, Gott werde einst die Rute ins Feuer werfen, — da ritt der spanische Hidalgo seiner Wege ohne Erwiderung.

Der Kurfürst war erst jetzt seines

vollen Besitzes recht froh; er beschenkte die fremden Offiziere noch reichlich, er­

stellt genug, daß sie dem Lande endlich den Rücken wandten. Bald war aus dem jammervollen Zustande der Pfalz ein behaglicher,

aus der soldatischen Anarchie wieder ein gesetzliches Verhältnis geworden, die lange gestörten Beziehungen zu den Nachbarn waren wieder angeknüpst, der Kaiser versöhnt und die Pfalz wieder in den Kreis der geregelten Entwicklung zurückgekehrt. Karl Ludwig — denn seiner Fürsorge gebührt der wesentlichste Ruhm — hatte angesangen die Schuld seines Vaters an dem ererbten Lande abzutragen.

In kurzem blühte das pfälzische Land wieder empor; Städte und Dörfer

erstanden neu und der reiche Segen der Natur kam dem Fleiße der Menschen­

hände aufs glücklichste zu Hilfe.

Wie überraschend der Gegensatz war, erzählt

uns der stanzösische Feldmarschall Gramont,

der 1646

mit seinem Heere

durch das verwüstete und verwilderte Land gekommen war und es 12 Jahre

später auf einer diplomatischen Reise wieder berührte. Wie war der Franzose erstaunt, als er das Land wieder in austeimendem Wohlstände sah, die Dörfer neu aufgebaut, das kurfürstliche Schloß hergestellt und innen schön geschmückt, Heidelberg und das ganze Land so bevölkert, „als wenn niemals Krieg geführt

worden wäre".

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See. Don H. Simonsfeld.*')

Die Regierung Ferdinand Marias (1651—1679), des Sohnes des ersten bayerischen Kurfürsten Maximilian I., ist in mehrfacher Beziehung eine der wichtigsten Perioden unserer bayerischen Geschichte. Ist es doch die Zeit, wo auch in Bayern wie anderwärts der Übergang zur neueren und neuesten *) Vgl „Jahrbuch für Münchener Geschichte", Band IV, S. 175 ff. Bamberg 1890. Buchner.

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

245

Geschichte sich vorbereitet, wo auch hier wie anderswo vor allem die ernstesten Versuche gemacht werden die schweren Schäden des unheilvollen Dreißig­ jährigen Krieges wieder gutzumachen, die Ordnung wieder herzustellen, tfen tief darniedcrliegenden Wohlstand des Volkes wieder aufzurichten, den zerrüt­

teten Finanzen des Landes auf die verschiedenste Weise wieder aufzuhelfen. Wenn dieses am besten wohl der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von

Brandenburg und Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz verstanden haben, so dürfen neben diesen doch auch andere deutsche Fürsten, wie Ernst der Fromme von Gotha, Georg II. von Hessen und besonders unser Kurfürst Ferdinand Maria hier gleichfalls rühmlich erwähnt werden;

denn sie alle waren in gleicher Weise

auf das Eifrigste um das Wohl ihrer Untertanen bemüht. Wie sehr man auch die auswärtige Politik Ferdinand Marias beklagen mag, welche unter dem Einflüsse von dessen ehrgeiziger Gemahlin Adelheid,

der französisch erzogenen Prinzessin von Savoyen, die verhängnisvolle Schwenkung zu Frankreich einleitete — jedenfalls unbestreitbar sind die Ver­ dienste, welche Ferdinand Maria und seine Gemahlin sich um die wirtschaftliche, geistige und kulturelle Hebung Bayerns erworben haben. Die geistvolle,

lebenslustige Kurfürstin, begeistert für das Schöne, voll Sinn und Verständnis für alle Künste, in welchen, besonders in der Literatur, sie sich auch selbständig versuchte,

hat nicht bloß das damalige Hofleben

in französisch-italienischem

Geiste umgestaltet sondern auch in mannigfachster Beziehung durch die Fremden, welche mit ihr und durch sic nach München kamen, durch industrielle und wirtschaftliche Unternehmungen,

die

sie begünstigte,

durch Bauten

wie

die

Thcatinerkirche und Schloß Nymphenburg, auf die ganze Bevölkerung

und auf lange Zeit hinaus im Vereine mit ihrem Gemahl befruchtend und

segensreich gewirkt. Ferdinand Maria und Adelheid liebten den Glanz und den Prunk; und

wenn auch diese Prachtliebe ein Ausfluß ihres absolutistischen Selbstherrlich­ keitsgefühles war, so galt sie ihnen doch zugleich als Mittel zum Zweck: sie wollten auch hierdurch dazu beitragen den Wohlstand ihres Volkes zu erhöhen So fällt ein Abglanz der mit großer Verschwendung gefeierten Feste auf die

Zeit ihrer Regierung

selbst,

nach deren

fast 28 jähriger Dauer Ferdinand

Maria feinem Sohne Mäx Emanuel eine gefüllte Schatzkammer, eine stattliche Armee von 20000 Mann und ein aufblühendes Land hinterlassen konnte. Eine Zeit, in welcher bayerische Truppen in Ungarn und in venezianischen

Diensten auf

der Insel Kandia

gegen

die

Türken

gekämpft

haben,

wo

man an die Gründung einer bayerischen Kolonie in Südamerika dachte, in der in München eine Seidenmanufaktur und in Schleißheim eine Acker­

bauschule

errichtet

wurde,

die

hier

in München

ein

italienisches

Opern­

haus und auf dem Starnberger See eine Nachbildung des venezianischen Bucintoro erstehen sah, bietet gewiß des Interessanten und Wissenswerten eine

reiche Fülle.

45. Der Bucintoro aus dem Starnberger See.

246

Auf alles dies sei hier nicht näher eingegangen, sondern nur kurz hin­

gewiesen, dagegen soll etwas mehr von dem Bucintoro erzählt werden. Wer hätte/ wenn von der einzigartigen Lagunenstadt, dem unvergleichlich schönen Venedig die Rede war, nicht auch von dem goldstrotzenden Bucintoro

Jenem glänzenden Prachtschiffe, das bei den meisten Festlichkeiten der

gehört?

Republik Venedig verwendet wurde: beim Empfang fremder Fürstlichkeiten, z. B. König Heinrichs III. von Frankreich, ebenso wie bei der Rückkehr der Königin

Katharina Kornaro nach ihrem erzwungenen Verzicht auf die Insel Cypern.

Auf dem Bucintoro fuhr alljährlich am Himmelfahrtstage der Doge, umgeben von den höchsten Würdenträgern und Beamten und Ratsherren der Republik, unter dem Donner der Kanonen, dem Geläute der Glocken und dem Schmettern

der Trompeten, umringt von einer ganzen Flotille festlich geschmückter Fahr­ zeuge, hinaus in das Adriatische Meer, um die symbolische Vermählung der

Republik mit dem Meere, der Adria, zu feiern.

Die Pracht und der Luxus,

womit dies prunkvolle Staatsschiff ausgestaltet war, hat nicht verfehlen können auf alle Fremden, welche die stolze Königin der Adria besuchten, einen tiefen So wird es als eine der Sehenswürdigkeiten Venedigs in den meisten Reisebeschreibungen erwähnt, welche die nach dem Heiligen

Eindruck zu machen.

Land reisenden, in Venedig sich einschiffenden Pilger uns hinterlassen haben.

Die Kunde davon war natürlich auch nach Bayern, nach München gedrungen. Es ist irrig, wenn man gesagt hat, erst nach dem Besuche des Kurfürsten

Ferdinand Maria und seiner Gemahlin in Venedig im Jahre 1667 sei der bayerische Bucintoro entstanden — derselbe war vielmehr bereits im Jahre 1663 vollendet?) Übrigens hatten die bayerischen Herzoge schon immer zu ihren Lustfahrten

auf dem Starnberger See ihre eigenen Schiffe.

Herzog Albrecht V. „belebte

den See mit einer Luftflotte, darunter eine königliche Fregatte,

drei Schiffe

von Lärchenholz mit eichenen Säulen darauf, Gondeln nach Vene di scher Art, alles zierlich geschnitzt, bemalt und vergoldet." Wann freilich Ferdinand Maria oder seine Gemahlin zuerst den Ge­

danken gefaßt den Bucintoro selbst nachzubilden ist unbekannt;

unsicher auch,

wen er zuerst aus Venedig zur Leitung des Baues berufen hat. Es werden die italienischen Zimmermeister Anastasio Margiolo und Francesco Zanti als

diejenigen haben,

genannt,

welche den Bau im Jahre 1661 oder 1662 begonnen

Francesco Santurini und Francesco Mauro

Baues bezeichnet.

als die Vollender des

Im Jahre 1664 ist noch ein venezianischer Arsenalarbeiter,

namens Nicolo, aus Venedig gekommen um das neue Schiff „auszutaakeln

und in Trimm zu bringen". l) Was die Etymologie des Wortes Bucintoro anlangt, so-scheint es am richtigsten von dem lateinischen buceus, bussius, bucia, buccia, bussa, buza abzuleiten zu sein, welches ein größeres Fahrzeug bedeutet und italienisch „buzo“ lautet; Bucintoro wäre dann ein buzo d’oro oder buzin d’oro.

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

247

Als Vorbild diente der venezianische Bucintoro, welcher im Jahre 1605

hergestellt worden war. Man ahmte ihn jedoch nicht sklavisch nach, sondern es ward in einem wesentlichen Punkte eine Änderung vorgenommen. Der venezianische Bucintoro

das eine unten,

hatte immer nur zwei Stockwerke:

in welchem sich die Ruderer befanden, und das obere für den Dogen, sein Gefolge, die Gäste. Der Bucintoro auf dem Starnberger See aber hatte

drei Stockwerke oder Etagen, von denen die erste für die Matrosen, die zweite für den Hof und die höchsten Herrschaften, die dritte für die Musiker usw.

Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

bestimmt war. Schon dadurch wie durch die prächtigere Ausschmückung muß der bayerische Bucintoro dem damaligen venezianischen gegenüber einen groß­

artigeren Eindruck gemacht haben. Die Länge des unseren betrug 100 (110), die Breite 25 (30), die Höhe (ohne

die oberste Galerie) 17 Fuß.

Die Hauptfarben von außen waren blau und Gleich vom Wasser

rot und die Schnitzwerke waren mit gutem Gold gefaßt.

auf erblickte man rings

um das Schiff einen Tanz der Sirenen, Najaden

und Tritonen, von Johann Spilberger in München gemalt.

die Ruderstangen

und Kanonen

Mannschaft sich befand.

hervor aus Öffnungen,

Darüber sahen hinter denen die

Rings um die Mitte des Schiffes erhob sich darüber

als zweite Etage eine Galerie, von geschnittenen und durcheinander geflochtenen Fischen und gedrehten Säulen gezogen, zu welcher am Hinterteile des Schiffes zwei Treppen führten,

bildeten.

die den Hauptzugang zu den beiden oberen Etagen

Die Galerie hatte die Form

eines Balkons;

am Ende derselben.

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

248

auf dem Vorderteile des Schiffes stand Neptun auf einem Delphin mit der Flagge statt des Dreizackes in der Hand. Hinter dieser Galerie befanden sich in der nämlichen zweiten Etage ein großer Saal und zwei Kabinette, nach außen durch runde Scheibcnfenster verschlossen, die auf der Außenseite durch weibliche Karyatiden abgcteilt waren, die hinwiederum das Gesimse der dritten Etage trugen. Der Saal befand sich auf dem Vorder-, die beiden Kabinette

auf dem Hinterteile des Schiffes; dazwischen war ein Borraum oder ein Vor­

zimmer.

Unter dem Eingang zum großen Saale war das bayerische und das

savoyische Wappen abgcbildct mit einer entsprechenden vergoldeten Inschrift

darunter und der Jahreszahl 1663. Der Saal war 45 Schuh lang und 9 Schuh hoch.

Beim Einttitt, wo

der erste Mastbaum angebracht war, stand die ©Iahte des Herkules und in der Mitte des Saales, auf einem Delphin reitend, Neptun in einer großen, von vier Najaden getragenen Muschel. Der Gott goß mit der hocherhobenen Linken aus einem Krug Wasser in eine mit der gesenkten Rechten gehaltene Schale; aus dieser floß plätschernd das Naß in die große Muschel. Dieser

eigenartige Springbrunnen wurde in späterer Zeit vom Kurfürsten benutzt,

um daraus alle diejenigen, welche den Bucintoro zum ersten Male betraten, mit Wasser zu bespritzen.

Saal und Vorzimmer und

beide Kabinette, von

denen jedes 15 Schuh, das Vorzimmer 20 Schuh lang war, waren mit kunstvollen Malereien von Spilberger und Kaspar Amort reich und prächtig verziert. Von dieser zweiten Etage führten zwei Stiegen, die sich am Vorderteile des Schiffes befanden, nach der obersten Galerie oder dem dritten Verdecke,

welches offen, unbedeckt, aber von einer Balustrade eingefaßt war, an welcher man Wasserspeier für das ablaufende Wasser angebracht hatte. Sie war rings mit kleinen Laternen und kleinen Fahnen geschmückt, während die beiden

Mastbäume, an deren Wipfeln ebenfalls die bayerischen Fahnen lustig in den Lüsten flatterten, mit den daran befindlichen Segeln sich darüber stolz erhoben.

Die Galerie war vorzugsweise für die Trompeter und Pauker und andere

Musici besttmmt. Außerdem hatte hier der Steuermann seinen Platz, der von da aus das mächtige, vergoldete Steuerruder ant Hinterteil des Schiffes leiten mußte.

Die dritte Etage, speziell das Hinterteil des Schiffes, krönte

ein giebelförmiger Aufbau,

an

dessen

Spitze sich

zwei vergoldete Löwen

befanden, welche eine große, aber dabei sehr zierliche, vergoldete Laterne trugen. Oben beim Schnabel des Schiffes standen vier Kanonen und deren

zwölf weitere befanden sich im untersten Verdeck — nicht bloß zur Zierde und zu anderen Zwecken sondern besonders auch um dem Schiffe das nötige Schwergewicht zu verleihen. Sie schauten aus Öffnungen dicht über dem Wasserspiegel hervor.

Hier im untersten Verdeck befand sich ferner die Rudermannschast, welche wie bei dem venezianischen Bucintoro nicht sichtbar war.

An den vergoldeten

45. Der Bucintoro auf dem Starnberger See.

249

und bemalten großen Rudern arbeiteten paarweise, in die bayerischen National­

farben gekleidet, 68 Mann, an den kleineren 32 Mann.

Acht Mann waren zum

Anker, der am Vorderteile des Schiffes herabhing, und zwei Mann zum Aus­

pumpen bestimmt; somit hatten im untersten Verdecke 110 Arbeiter ihre Stelle. Überhaupt waren oft bei 500 Personen auf dem Schiffe. Dennoch erreichte

dessen Senkung unter den Wasserspiegel niemals ganz die Tiefe von drei Schuh

und es blieb daher immer gefährlich, bei heftigem Wind zu fahren oder sich der Segel zu bedienen.

Es begreift sich, daß bei so reicher Ausschmückung der Bucintoro einer­

seits als ein Wunderwerk gepriesen wurde, anderseits aber auch die Herstellungs­ kosten desselben nicht geringe gewesen sind.

Sie mögen sich auf die Summe

von etwa 20000 Gulden belaufen haben. Wenn der Bucintoro „in See stach", war er immer von einer Anzahl welche zum Teil nach der äußeren Farbe benannt

anderer Schiffe umgeben,

waren und zusammen mit dem prächtigen Bucintoro, angefüllt mit einer heiteren,

gekleideten

festlich

Menge,

einen

überaus

malerischen,

entzückenden

Anblick

gewährt haben müssen.

Die Geschichte des Bucintoro auf dem Starnberger See ist wesentlich

eine Geschichte der Festlichkeiten, die mit demselben und auf demselben gefeiert

wurden, sei es daß fremde Gäste zum Besuche des bayerischen Hofes kamen, wie z. B. 1671 der Erzbischof Maximilian Gandolf von Salzburg, oder aus

wie im Jahre 1722 gelegentlich der Vermählung

besonderen Anlässen,

des

Kurprinzen Karl Albrecht mit der österreichischen Kaisertochtcr Maria Amalia. Eine der häufigsten und beliebtesten Festivitäten war eine Hirsch-Seejagd, wie

eine solche sehen ist.

auf einem Gemälde

im neuen Nationalmuseum

zu München zu

Man jagte den Hirsch durch eine Waldeslücke an den Ufern in den

See, ihm nach stürzten unzählige Jagdhunde; alle Fahrzeuge eilten dem schwim­ menden Hirsch

nach, umzingelten das geängstigte Tier, dessen Leben endlich

ein Stoß mit einer gewichtigen Partisane inmitten des Sees endigte. Kurfürst Karl Albrecht war der letzte Herrscher Bayerns, der sich auf

dem Bucintoro vergnügte.

Im Jahre 1741 oder 1745 mußte das Pracht­

schiff ans Land gebracht werden,

Ausbesserung bedurfte.

wären,

nahm man

von

weil

es schadhaft

geworden war

und der

Da aber die Kosten hierfür nicht unerhebliche gewesen

einer solchen Abstand.

In den Jahren 1753 und

1757 wurde der Gedanke einer völligen Wiederherstellung oder Neuerrichtung

des Bucintoro mehrmals erwogen, aber schließlich ebenfalls wegen der Höhe der hierzu nötigen Summe aufgegeben, vielmehr (12. Januar 1758) beschlossen

den Bucintoro ganz abzubrechen, was dann auch alsbald ausgeführt wurde. Von dem ganzen Prachtbau ist heutigentags nichts mehr vorhanden als die

oben

erwähnte Statue

der Pallas,

welche das bayerische Nationalmuseum

1862 als Geschenk erhielt, und ein paar Laternen, die sich im Privatbesitze

befinden.

250

46. Der bayerische Hos im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus.

Aber auch der historisch ungleich bedeutungsvollere venezianische Bruder des Bucintoro hat ein ähnliches unrühmliches Ende gefunden. Im Jahre 1727 prächtiger als je neu erbaut fiel er der französischen Revolution, welche 1797

der Republik Venedig selbst den Todesstoß versetzte, zum Opfer.

deten Teile

Die vergol­

desselben wurden auf dem freien Platze der Insel S. Giorgio

von einer fanatischen, demokratisierenden Menge am Morgen des 9. Januar

1798 verbrannt; der Rumpf des Schiffes wurde in eine Batterie verwandelt

und diente einige Zeit zur Verteidigung der Lagune, dann als Strafgaleere, bis er 1824 vernichtet wurde.

Heutzutage ist nur mehr ein Modell von dem

berühmten Bucintoro im Arsenal zu Venedig zu sehen.

46. Der bayerische Hof im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus. Don M. DoebcrL1)

„Der allmächtige Erschaffer der Erde, welcher von sich selbst und durch

seine einzige Hand nach seinem Gefallen könnte die Welt regieren, hat jedoch solche Gewalt den Fürsten mitgeteilt, die er gleichsam als Verweser seiner Macht und Herrlichkeit aufgestellt.

Die Liebe, die er zu den Menschen trägt,

hat ihn vermocht auch seine Autorität mit denselben zu teilen. Gleichwie er in dem Himmel und am Firmament erschafft und gesetzt die Engel, welche

man inteiligentias nennt, um vorzustehen der Bewegung derselben: also hat seine göttliche Weisheit für gut angesehen dergleichen Kreaturen auch auf Erden zu bestätigen, welche das Amt trügen die Fürstentümer zu regieren." So urteilte man in höfischen Kreisen Bayerns über das absolute Fürsten­ tum des 17. und 18. Jahrhunderts. Man wird gemahnt an die überschweng­ lichen Worte, mit denen in Frankreich die Berechtigung des absoluten König­

tums von den juristischen Hofpublizisten aus dem römischen Rechte, von den geistlichen aus der Bibel bewiesen wurde. Der Verherrlichung des absoluten Fürstentums diente die Prachtent­

faltung des kurfürstlichen Hofes.

Wie am stanzösischen Hofe zu Versailles

reihte sich in München und Nymphenburg, in Schleißheim und in den übrigen kurfürstlichen Schlössern Fest an Fest: Opern, Ballette, Schauspiele, Komö­ dien, Schäferspiele, Wirtschaften, Maskenfeste, Feuerwerke, Tänze, Kopfrennen,

Turniere, Hirschfaiste, Schweinehatzen, Wasserjagden, Wasserfahrten auf dem Starnberger See, „inter blanditias zephyrorum et nympharum, in ter fides et tubas et in cymbalis bene sonantibus“. Der Grundsatz „le roi s’amuse“ begann am bayerischen Hofe heimisch zu werden.

Allen voran die

Kurfürstin Adelheid, die an Vielseitigkeit alles überbot, jagte, tanzte, schau­

spielerte, musizierte, sang, dichtete, komponierte, malte und — wallfahrtete. ’) Aus „Innere Regierung Bayerns nach dem Dreißigjährigen Kriege", Forschungen zur Geschichte Bayerns, Band XU, S. 32. München 1904, R. Oldenbourg.

46. Ter bayerische Hof im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus.

251

Der Verherrlichung des absoluten Fürstentums diente die Muse der Hofdichter: eines Maccioni, des Dichters der „Ardelia", eines Bissari, des Dichters des „L'Erinto", eines Marchese Pallavicino, des Dichters der „Antiope",

eines Domenico Gisberti, des Prototyps eines höfischen Gelegenheitsdichters. Nicht innerem Drange, sondern höfischen Festlichkeiten entstammten ihre Dich­ tungen, dem Kaiserbesuch 1658, der Geburt der Kurprinzessin Marianne Chri­ stine, des Kurprinzen Max Emanuel: es waren höfische Gelegenheitsdichtungen. Nicht Verherrlichung sittlicher Ideen, die Apotheose des kurfürstlichen Hauses war ihr Ziel; der ganze Olymp vereinigte sich in Lobpreisungen des neu­

Schloß Nymphenburg, Stadtseite; nach einem Stiche von M. Disel. (Nach „Die Baukunst". W. Spemanu, Berlin.)

geborenen Thronfolgers und seiner erlauchten Eltern. Dem Milieu des Hofes war die Sprache, war die Gedankenwelt, waren die Motive angepaßt; höfischen Charakters ist die Vorliebe für die Allegorie, für die verkttnstelte Welt der französischen Preziösen. Für „Ardelia", für „L'Erinto" gab die Kurfttrftin

den Dichtern die Grundidee: „Die Blüten sammelte Adelaide". Damals ge­ hörte es zum Glaüze eines fürstlichen Hofes, nicht bloß eigene darstellende sondern auch eigene schaffende Künstler zu haben. Damals wollte man nicht bloß Opern und Schauspiele geben, sondern jeder Hof wollte seine eigene Oper, sein eigenes Schauspiel bringen, womöglich nach den Ideen einer leitenden Persönlichkeit.

Der Verherrlichung des absoluten Fürstentums diente die musikalische Kunst der Leiter der Hofkapelle: eines Giacoppo Porro, eines Johann

Kaspar Kerll, eines Ercole Bernabei.

Ihre Leistungen waren notwendige Bei­

gaben zu höfischen Festlichkeiten und Festspielen, die anspruchsloseren deutschen

Musiker mußten entweder zurücktreten oder sich in die fremde höfische Art einleben.

252

46. Der bayerische Hos im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus.

Der Verherrlichung des absoluten Fürstentums dienten die bildenden Künste, namentlich die Architektur, die sich besonderer Bevorzugung erfreute,

weil hier die Auftraggeber weniger hinter den Künstler zurücktraten; ihr diente

ein Agostino Barelli, ein Amort, ein Triva, ein Sandrart. Die Theatinerkirche und das Theatinerkloster entstanden nicht allein wegen des Gelübdes der kurfürstlichen Eltern, das fürstliche Selbstgefühl wollte eine zweite S. Andrea

della Valle schaffen, wie gleichzeitig mit Nymphenburg eine Kopie Venerias, des Lustschlosses Herzog Karl Eugens von Savoyen. Der höfische Charakter, chie höfische Fesfftimmung, die höfische Neigung zur Prachtentfaltung, zu über­ ladener Dekoration durchzieht selbst das Innere der Theatinerkirche, verrät sich

in den üppigen Formen der Stuckornamentik. Die treibende Kraft für alle diese künstlerischen Bestrebungen war nicht innerer Drang, nicht tieferes Verständnis für das wahre Wesen der Kunst, nicht beim Kurfürsten, vielleicht nicht einmal immer bei der Kurfürstin, so sehr auch höfische Schriftsteller der Zeit ihren Geist feiern mögen, so sehr sie auch gewisse künstlerische Allüren und Freude an verfeinerter Geselligkeit besaß. Es war aber auch nicht bloß das unruhige Temperament, die Eitelkeit und Mode­ sucht der Kurfürstin, die Fügsamkeit des Kurfürsten.

Wie Ludwig XIV., wie

jenes repräsentative Zeitalter überhaupt, so erblickte auch der bayerische Hof in der Entfaltung fürstlicher Pracht ein Herrschermittel, weniger um das

Volk zu künstlerischem Verständnis als vielmehr zur Bewunderung zu er­ ziehen; die Bewunderung erleichtere den Menschen die volle Hingabe an das

absolute Fürstentum, ein Fürst müsse, wie Napoleon später äußerte, in allein seinen Tun und Reden auf die Phantasie der Menschen zu wirken suchen. „Die Magnifizenz und die Pracht verleiht die höchste Zierde der Herrlichkeit

einem fürstlichen Hofe und ist diese das einzige Mittel, welches die Fürsten

berühmt macht und ihnen auch größeren Gehorsam und Respekt bei den Unter­

tanen verursacht," äußert ein bayerischer Zeitgenosse unter ausdrücklichem Hin­

weis auf das Beispiel Ludwigs XIV.

Gerade dieses Moment hat auf Ferdi­

nand Maria mehr als alle anderen eingewirkt, seine Abneigung gegen die

repräsentativen Pflichten, gegen die Ruhelosigkeit des Hoflebens, gegen die hohen finanziellen Ansprüche etwas beschwichtigt. Weil es zu den Gepflogenheiten

des damaligen Hoflebens gehörte, ließ der Kurfürst die Mitglieder des kur­ fürstlichen Hauses in der Oper, in dem Ballette, im Schauspiele persönlich

mitwirken, übernahm er selbst in der „Antiope" die Rolle des Königs Solon, der für die von Theseus beleidigte Antiope eintritt. Die Bewunderung des Auslandes war ein anderes Ziel des da­

maligen absoluten Fürstentums, auch Ferdinand Marias. Bayern hat zu den verschiedensten Zeiten der Pflege fremder Kultur eine Heimstätte bereitet. Da­ mals hatte das nicht bloß seinen Grund in der Vorliebe Adelheids für Frank­ reich und für das Land ihrer Väter, die sie bestimmte, Künstler und Künstle­ rinnen aus ihrer Heimat zu berufen, man strebte den Ruf eines fürstlichen

46. Der bayerische Hof im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus.

253

Daher erklärt es sich, wenn zuerst italienische, seit dem Anschluß Bayerns an Frankreich auch französische Künstler gastliche Mäzenatentums im Auslande an.

Aufnahme am bayerischen Hofe fanden, wenn nicht bloß Meister wie Mignard

sondern selbst Künstler und Dichterlinge dritten Grades sich der liebenswürdigsten Auszeichnungen erfreuten. „Es geziemt sich, wenn ein Fürst seine Glorie und Herrlichkeit auch außer Landes verkündigen will, daß er sich gegen die Benach­

barten und Ausländer ein großer Herr zu sein bezeige.

Die Ehre, welche er

ihnen antut, ist ein Sonnenstrahl seiner Majestät, welcher sich durch die Reflexion wiederum in seine Person ergießt, indem durch Empfang von der­

gleichen Ehrenbezeugungen den Fremden und Ausländern dagegen obgelegen

ist sich allerorten in dessen Lobsprechung herauszulassen". Und die fremden Künstler erwiesen sich wirklich dankbar: sie feierten Bayern als „das achte Wunder im Reiche der Welt", als das „Apulien Deutschlands", die Haupt­ stadt München als „eine der lieblichsten, bestgebauten und hervorragendsten

Städte der Welt". Ferdinand Maria fügte sich oft nur gezwungen und widerwillig dem

von seiner Gemahlin eingeführten italienisch-französischen Zuschnitt des Hofes.

Mit ganzer Seele lebten in dieser neuen höfischen Welt der Sohn und der Enkel der savoyischen Prinzessin, Max Emanuel und Karl Albert. Was damals höfische Prachtentfaltung, höfisches Vergnügen, höfische Kunst zu leisten vermochte, das zeigte dem staunenden Auge die Vermählungsfeier des Kur­ prinzen Karl Albert mit der Kaisertochter Marie Amalie: selbst die verwöhnte Tochter des Kaiserhauses war überrascht; „der Münchener Hof ist einer der glänzendsten in Europa, die Vergnügungen überstürzen sich," schließt ein Zeit­ genosse die farbige Schilderung dieser Festlichkeiten. Noch heute sind lebendige Zeugen dieser Periode die reichen Zimmer der Münchener Residenz, die neuen Schloßbauten zu Schleißheim und Nymphenburg (wenn sie auch Fragmente

geblieben sind wie die weltumspannenden Pläne der Kurfürsten), die Bauten

im Nymphenburger Parke mit der Perle der Rokokoschlösser, der duftigen Amalienburg, die unter dem Einfluß der kurfürstlichen Kunstschöpfungen ent­ standenen Bauten der weltlichen und der geistlichen Aristokratie innerhalb wie außerhalb Münchens.

Der üppige Hofhalt verschlang Summen, die zu den Einkünften in keinem Verhältnis standen, und entzog die wirklichen Mittel dringenderen Lebens­ aufgaben des Staates, doppelt verhängnisvoll in einer Zeit folgenschwerer Entscheidungen. Unter dem äußeren Firnis barg sich oft Frivolität und Un­ sittlichkeit; die Überhebung der höfischen Gesellschaft erweiterte die Kluft zwischen den höheren Kreisen und dem gemeinen Mann. höfischen Zeitalters bedeutete doch einen

Aber die Kultur des fürstlich­

Fortschritt im Vergleich zu dem

„grobianischen" Wesen und den Trinkfreuden des 16. Jahrhunderts: sie schuf unter französischer Führung eine neue gesellschaftliche Bildung bis herab zu

den heutigen Tischsitten, sie weckte in den höheren Gesellschaftskreisen den Sinn

254

47. Lchleißheim.

für geistige Interessen, sie half die Pedanterie der Gelehrten wie die Unduld­ samkeit der Theologen überwinden, sic modernisierte den deutschen Menschen. Sie brachte zwar nicht wie in Frankreich auf dem Gebiete der Literatur, aber

doch auf dem der bildenden Künste Werke von dauerndem Wert hervor.

Schlotz Schleitzheim, Westfront.

47. Schleitzheim. Don Hermann ßingg.1)

Es ragt ein Königsschlotz, umgeben Don Wald und düst'rer Einsamkeit, Bewohnt nur von dem Geisterleben Gewaltiger Vergangenheit.

Und Don Don Don

Da glüh'n im Abendsonnenscheine Die hohen Fenster zauberhaft Und etwas blitzt um diese Steine Wie Stolz und wilde Leidenschaft.

Einst rauschten hier die Marmortreppen, Wenn aus den Sälen trat ein Kranz Don schönen Frau'n in seid'nen Schleppen An Festen voller Pracht und Glanz.

Und wie von Tränen, längst geweinten, Wo schon erblichen Gold und Erz, Aus all dem Prunke, dem versteinten, Spricht's still: Hier schlug ein tapfres Herz. Und wenn von jenen Föhrenhainen Heraufzieht die Gewitternacht, Dann ist's, als seh' ich ihn erscheinen, Den „blauen König", in der Schlacht.

In jeder Säule tritt ein Mahnen An Größe würdevoll hervor, Aus jedem Bild der Fürstenahnen Im goldgeschmückten Korridor.

Es blitzt sein breiter Ungarsäbel Im Kampf, ein Engel Azrael Steigt auf aus dunklem Pulvernebel, Der Kurfürst Max Emanuel.

reiche Schlachtgemälde melden weltberühmter Tapferkeit, Sobieskis Ruhm, des Helden, all den Tapfern seiner Zeit.

9 „Vaterländische Balladen und Gesänge", S. 140.

München 1869, I. I. Lentner.

48. Kurfürst Max Emanuel im Türlenkriege 1683—1688.

Dor seinen muterfüllten Truppen Erstürmt er kühn die Türkenschanz' Und über der Moscheen Kuppen Erbleicht des Halbmonds Siegesglanz.

255

Die Schar Seldschuken und Arnauten Entflieht und sinkt im blut'gen Fall, Im Feld der weiß und blauen Rauten Trotzt Bayerns Leu von Belgrads Wall.

48. Kurfürst Max Emanuel im Türkenkriege 1683—1688. Don Karl v. Landmann.*

Als Kurfürst Max Emanuel am 11. Juli 1680 im Alter von 18 Jahren die selbständige Regierung Bayerns antrat, befand sich das Deutsche Reich in äußerst bedenklicher Lage. Von Westen her drängten die Franzosen, die unter ihrem ländergierigen König ein Stück nach dem andern von Deutschland ab­ rissen. Im Osten standen drohend die Türken, die bereits im Besitz der

Königsstadt Ofen und

des

größeren Teiles von Ungarn waren und ihre

Macht auch auf deutsches Gebiet auszudchncn trachteten. In diesem Kampfe um den Fortbestand des Deutschen Reiches wollte der junge Kurfürst nicht den Zuschauer spielen. Im Gegensatze zu seinem

Vater, dem Kurfürsten Ferdinand Maria, der den Frieden geliebt und in vor­ sichtiger Neutralität nur an die Erhaltung seines Besitzstandes gedacht hatte, brannte Max Emanuel vor Ehrgeiz sich unsterblichen Kriegsruhm zu erwerben und sein Land Bayern größer und mächtiger zu machen. Glaubte er diesen Zielen im treuen Festhalten an Kaiser und Reich näherzukommen, so war

er sich zugleich klar, daß hierzu vor allem ein schlagfertiges Heer notwendig sei. Zunächst gewann er in Hannibal Freiherrn von Degenfeld, der als Feldmarschalleutnant aus dänischem in bayerischen Dienst übertrat, einen erprobten Kricgsmann als militärischen Berater. Unter dessen Leitung wurde alsdann

aus den 35 einzelnen, dem Hofkriegsrat unmittelbar unterstellten Kompagnien,

welche die ganze damalige Kriegsmacht Knrbayerns bildeten, ein neues Heer von 7 Infanterie- und 4 Kavallerie - Regimentern,

entsprechender Artillerie geschaffen.

4 Dragonerkompagnien

und

Vier von den damals errichteten Regi­

mentern bestehen als 2. und 10. Infanterie-, 1. und 2. Chevaulegersregiment noch heute. Der Abschluß der Neuaufstellung des Heeres fand seinen Ausdruck in der im Herbst 1682 erfolgten Anordnung eines Übungslagers bei Schwabing

unmittelbar nördlich von München. Die unter Degenfelds Leitung stattfindenden Übungen dauerten vom 12.—24. Oktober und bestanden in Manövern in zwei Parteien gegeneinander, in einem Manöver des ganzen Korps ohne Gegner

und in einer Belagerungsübung. Kaum war das neue kurbayerische Heer gebildet, so fand es auch Gelegenheit sich im Kriege zu bewähren. Am 2. Januar 1683 erklärte Sultan Mohammed den Krieg an Kaiser Leopold und alsbald erging der Ruf um Hilfe an das Reich und nach auswärts. Der erste, der dem Kaiser seinen Beistand im Kampfe gegen die Ungläubigen zusagte, indem er mit

48. Kurfürst Max Emanuel im Türkenkriege 1683—1688.

256

Vertrag vom 26. Januar 1683 8200 Mann zu stellen versprach, war Kur­ fürst Max Emanuel.

Er war auch der erste, der mit seinem Hilfskorps, der

Infanterie mit den Regimentsgeschützen zu Wasser auf der Donau, der Kaval­

lerie auf dem Landwege, in der Versammlung bei Krems eintraf, bis wohin die

kaiserliche Armee unter Karl von Lothringen

Türkenheere zurückgegangen war.

vor dem übermächtigen

Nachdem die übrigen Reichskontingente und

König Sobieski mit den Polen eingetroffen waren, fand am 12. September

die große Schlacht am Kahlenberg statt,

deren siegreicher Ausgang die von

Starhemberg mutvoll verteidigte Kaiserstadt Wien rettete und unberechenbares

Unglück von Deutschland abwendete.

Hier erhielt Max Emanuel mit seiner

jungen Armee die Feuertaufe. Nach dem Abzüge des geschlagenen türkischen Heeres nahm Max Emanuel noch an der Belagerung von Gran teil.

Um die Rückeroberung von Ungarn durchzuführen begann der Herzog von Lothringen im Jahre 1684 mit dem deutschen Heere die Belagerung der stark befestigten Hauptstadt Ofen,- unter ihm befehligte Max Emanuel den Angriff auf die Südseite des Schlosses. Ungünstige Umstände verschiedener Art und der tapfere Widerstand der Verteidiger ließen jedoch das ganze Unter­

nehmen scheitern.

Es gelang zwar einen Entsatzversuch erfolgreich abzuschlagen,

aber der Besatzung von Ofen vermochte man nichts anzuhaben.

Im Juni 1685 feierte Max Einanuel seine Vermählung

mit Maria

Antonia, der Tochter Kaiser Leopolds I., durch welche Verbindung sich ihm

die Aussicht auf den einstigen Besitz der spanischen Niederlande eröffnete. Die Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse hielt ihn aber nicht ab sich noch am Feldzuge dieses Jahres zu beteiligen, für den sich der Herzog von Lothringen die Eroberung der Grenzfestung Neuhäusel zur Aufgabe gestellt

hatte.

Während die Belagerung sich bereits dem erfolgreichen Abschluß näherte,

brach ein türkisches Heer über Ofen auf Gran vor und begann diesen erst vor zwei Jahren von den Deutschen zurückeroberten Platz zu belagern. Unter Zurücklassung der erforderlichen Truppen vor Neuhäusel rückte der Herzog

von Lothringen zum Entsatz heran und brachte am 16. August in der Schlacht

bei Gran, in der Max Emanuel

den linken Flügel des deutschen Heeres

kommandierte, den Türken eine vollständige Niederlage bei.

Drei Tage nachher

fiel Neuhäusel durch Sturm in die Hände der Deutschen.

Im Jahre 1686 erlaubten die der Armee in Ungarn zugeführten Ver­ stärkungen, insbesondere auch von Brandenburgern unter Schöning, die Be­

lagerung von Ofen erneut zu unternehmen.

Dem Wunsche Max Emanuels

entsprechend, ein ständiges Kommando zu haben, war die Einteilung der Armee

derart getroffen worden, daß ihm 20000 Mann, davon 8000 Bayern, unter­

stellt waren,

während

der Herzog

von Lothringen etwa 40000 Mann zu

einer unmittelbaren Verfügung hatte. Die starke Besatzung der Festung ver­ teidigte sich mit äußerster Tapferkeit unter wiederholten Ausfällen und unter häufiger Anwendung von Minen.

Trotzdem gelang es dem todesmutigen Wett-

257

48. Kurfürst Max Emanuel im Türkenkriege 1683—1688.

eifer

aller beteiligten Führer

und

Truppen

diesesmal

nach

wiederholten

Stürmen und Abweisung eines Entsatzversuches der feindlichen Feldarmee das stärkste Bollwerk osmanischer Herrschaft in tember).

Ungarn zu erobern

(2. Sep­

Der Halbmond, der 145 Jahre lang auf der Hauptkirche von Ofen

geglänzt hatte, mußte dem Kreuze wieder weichen. einer Schlacht ausweichend

Da die türkische Armee

donauabwärts zurückging,

wurde in der Folge

noch das ganze Gebiet bis Esseg und Szegedin besetzt. Für den Feldzug 1687 stellte der Kaiser wie im Vorjahre ein Heer von 40000 Mann unter dem Herzog von Lothringen und ein zweites von 20000 Mann unter Kurfürst Max Emanuel auf. Am 15. Juli fand die Vereinigung beider Heere bei Valpovo auf dem südlichen. Drauufer statt;

weiter südöstlich bei Esseg stand in verschanzter Stellung unter dem Groß­ wesir Suleiman das etwa gleichstarke türkische Heer. Nachdem der Versuch die türkische Stellung anzugreifen wieder aufgegeben worden war, ging der

Herzog von Lothringen über die Drau zurück und ihm folgte alsbald der Großwesir. Nach Ausführung von Märschen und Gegenmärschen, deren

eigentlicher Zweck sich nicht sicher feststellen läßt, kam es am 12. August am Berge Harsan (zwischen Mohacz und Siklos) zur entscheidenden Schlacht. Durch waldiges Gelände begünstigt griff der Großwesir

die den deutschen

linken Flügel bildende Armee des Kurfürsten überraschend gerade zu dem Zeitpunkte an, als wegen der Geländeverhältnisse die in einer Seitwärts­

bewegung begriffene Armee des Herzogs von Lothringen nicht sofort eingreifen

konnte. Max Emanuel wies jedoch den Stoß erfolgreich ab und ging sodann unterstützt durch einige Regimenter des rechten Flügels selbst zum Angriff

über. Die Türken wurden vollständig geschlagen und bis zur einbrechenden Nacht von der deutschen Kavallerie unter dem damaligen kaiserlichen General­ feldwachtmeister Prinz Eugen von Savoyen verfolgt.

Max Emanuel hatte

an diesem Tage raschen Blick, Entschlußfähigkeit und Tatkraft, notwendige Eigenschaften eines Heerführers, in ganz hervorragendem Grade gezeigt. Er verließ jedoch am 3. September die Armee, da sich für ihn keine weitere Gelegenheit zu selbständiger Kommandoführung ergab. Da die Widerstands­

kraft der türkischen Feldarmee durch die erlittene Niederlage gebrochen war, so gelang es im Laufe des Feldzuges noch Siebenbürgen und Slawonien der kaiserlichen Gewalt zu unterwerfen.

Im Jahre 1688 erfüllte Kaiser Leopold den heißesten Wunsch des nach kriegerischem Lorbeer strebenden Kurfürsten: er übertrug ihm an Stelle des erkrankten Herzogs von Lothringen den Oberbefehl über das in Ungarn ver­ einigte Heer. Als Hauptaufgabe für den Feldzug konnte die Belagerung des wichtigen Platzes Belgrad um so mehr in Aussicht genommen werden, als

man mit dem Erscheinen größerer türkischer Streitkräfte kaum zu rechnen hatte; im türkischen Heere war unter der Nachwirkung der erlittenen Niederlage Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

17

258

48. Kurfürst Max Emanuel im Türkenkrieg« 1683—1688.

eine Empörung ausgebrochen, die in Konstantinopel einen Thronwechsel und

andauernde Wirren zur Folge hatte.

Am 28. Juli traf Max Emanuel bei der um Peterwardein an der Donau versammelten Armee ein und ließ sofort die Operationen beginnen.

An der Einmündung der Save in die Donau gelegen war Belgrad im Westen, Norden und Osten durch breite Wasserläufe geschützt. Ein Angriff war daher nur von Süden her möglich und hierzu mußte die Save überschritten werden. Da das jenseitige Ufer von türkischen Truppen besetzt war, hatte der Kriegsrat gegen einen Übergang Bedenken, aber Max Emanuel wollte keine Zeit verlieren

und beschloß den Übergang zu wagen.

Hiezu wurden Schiffe aus der Donau

auf Geschützlafetten verladen und auf dem Landwege an die von Max Emanuel ausersehene Übergangsstelle geschafft. Am 8. August um 1 Uhr nachts begann

das Übersetzen über den einige hundert Meter breiten Fluß und um Tages­ anbruch waren bereits 4000 Mann jenseits angelangt. Da die Türken den Übergang anderswo vermutet hatten, waren nur Vorposten zu überwältigen gewesen, und als stärkere türkische Abteilungen herankamen, hatte der Kurfürst schon soviel Truppen übergesetzt, daß alle Angriffe abgewiesen werden konnten.

Unter dem Schutze dieser Avantgarde begann sodann die Herstellung der Schiff­ brücke. Diese war am 8. August abends vollendet und nun konnte der Übergang

des Hauptteils der Armee vor sich gehen, der die ganze Nacht und den folgen­ den Tag hindurch fortdauerte. Bor den 40000 Mann, die nun auf dem süd­ lichen Saveufer versammelt waren, zog das etwa 10000 Mann starke türkische Beobachtungskorps, von den bayerischen Husaren verfolgt, in Richtung auf

Semendria ab. Sofort traf nun Max Emanuel die erforderlichen Anordnungen zur Belagerung von Belgrad; zunächst erging Befehl das in Ofen bereitgestellte Belagerungsgeschütz auf der Donau bis Semlin heranzuschaffen.

Schon in

der Nacht vom 12. zum 13. August wurden die Laufgräben vor der Festung eröffnet und am 17. August konnte die Beschießung der feindlichen Festungs­

werke aus den bei der Armee schon befindlichen schweren Geschützen beginnen. Am 24. August langte die Belagerungsartillerie aus Ofen an und nun begann

der Bau einer größeren Zahl von Angriffsbatterien und sodann eine kräftige Beschießung der Festung. -Max Emanuel trieb rastlos vorwärts; unbekümmert

um das feindliche Feuer weilte er Tag und Nacht in den Laufgräben.

Am

2. September .erhielt an seiner Seite der kaiserliche Feldmarschalleutnant Prinz

Eugen von Savoyen eine schwere Schußwunde am Knie, die ihn für längere Zeit dienstunfähig machte.

Um diese Zeit war bereits in die innere Graben­

wand Bresche geschossen, und nachdem sodann die äußere Gräbenwand mittels Sprengung durch Minen eingeworfen war, konnte Max Emanuel den Befehl

zum Sturm geben. Dieser erfolgte am 6. September zugleich an fünf Stellen und wurde von Max Emanuel persönlich geleitet. Als infolge des verzweifelten Widerstands der Türken der Angriff zum Stocken kam, zog der Kurfürst selbst

259

49. Elisabeth Charlotte.

den Degen und brachte die Wankenden zu erneutem Sturme vorwärts.

Nach

vierstündigem Kampfe war Belgrad genommen. Am 8. September ließ Max Emanuel einen feierlichen Dankgottesdienst

abhalten und nachher empfing er im Schlosse von Belgrad eine türkische Ge­ sandtschaft, die die Thronbesteigung des neuen Sultans anzeigen und sich zu

gleichem Zwecke wie zur Einleitung von Friedensunterhandlungen nach Wien begeben wollte. Vielleicht war es bei dieser Gelegenheit, daß der Kurfürst

den Beinamen erfuhr, König"

den ihm die Türken gegeben hatten.

nannten sie ihn, denn blaue Röcke trug sein

Den „Blauen

tapferes Fußvolk und

als ein König zeigte er sich im Kampfe. Durch den Übergang über die Save und die Eroberung von Belgrad

rechtfertigte Max Emanuel das Vertrauen seines kaiserlichen Schwiegervaters so glänzend wie nur möglich; in der ganzen Christenheit wurde sein Name

mit freudiger Anerkennung genannt.

Noch heute erinnert eine in der Frauen­

kirche zu München aufgehängte türkische Fahne an den 6. September 1688.

49. Elisabeth Charlotte und das Heidelberger Schloß. Von Ernst von Wildenbruch. •)

Wir stehen auf dem Philosophenweg zu Heidelberg und steigen hinunter zum Ufer des Neckar und auf Karl Theodors steinbogengeschwungener Brücke schreiten wir den Neckar hinüber und gehen hindurch durch die Stadt, denn

von den Höhen über ihr kommt es wie ein Rufen, wie ein leiser, lockender Ton. Wir horchen darauf hin und nun vernehmen wir aus dem Getöne ein Wort.

Dieses Wort ist ein Name und „Liselotte" klingelt es uns zu den

Ohren, „Liselotte".

Von droben kommt es, allem Anschein nach von da, wo

der rotbraune Trümmerpalast sich erhebt.

Wohlan denn, hinauf auf einem

der vielen Wege, die zu ihm emporführen! Und jetzt — in den Büschen dort über uns knickt es und knackt es und jetzt kommt etwas, aus Büschen und Sträuchern bricht es heraus und auf dem Wege da vor uns bleibt es aufatmend stehen. Ist das ein Hirsch? Ist das

ein Reh?

Ein Tier des Waldes überhaupt? — Von all dem nichts, es ist

ein Mensch, ein junger Mensch, ein ganz junger sogar, ein Mägdlein, eigent­ lich noch ein Kind; nicht so gekleidet, wie heute Mädchen es sind, sondern so,

wie sie vor zweihundertfünfzig Jahren sich trugen: ein Barettlein auf dem braunblonden Haupt, einen Jagdspieß in der Hand, das einfache Gewand eng flatternd um junge, magere, eckige Glieder.

So steht es da, das geheimnis­

volle Geschöpf, um sich blickend mit zwei Augen, leuchtend blau, aus denen das Leben hervorschießt wie ein Strahl, ein verkörperter Sonnenstrahl das *) „Aus Liselottes Heimat, ein Wort zur Heidelberger Schloßfrage", von Ernst von Wildenbruch. Berlin 1904, G. Grote. 17*

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49. Elisabeth Charlotte.

ganze Ding, dessen junges Herz man lachen und jauchzen hört unter dem

wogenden Mieder, nicht mehr gehörig zu unseren Tagen und der äußeren Er­ scheinung unserer Welt und doch so zugehörig zu unserem Sein und Wesen,

zu unseres Wesens innerstem Teil, daß wir es in die Arme fassen, an uns drücken und sagen möchten: „Du bist unser, du bist unser."

Und jetzt, aus

den Büschen, durch die es herabgebrochen ist, das wilde Ding, kommt ein klagendes, schier verzweifeltes Rufen: „Liselotte, wo seid Ihr? Liselotte, wo steckt Ihr?"' Und da öffnet sich in dem lachenden Gesicht der Mund, was man

so Mund nennt, obschon es eigentlich zwei aufeinander gepreßte, süßrote Kirschen sind, und „hier ist die Liselotte" ruft es in die Gesträuche hinauf, „komme sie nur, Jungfer Kolb, der Weg zu mir daher ist gar annehmlich und bequem". Zappend und schnappend nach Luft, die Kleider sehr »en ddsordre« von Sträuchern und Dornen, kommt sie denn nun des Wegs daher, die arme

Jungfer Kolb, der die Aufficht anvertraut ist über die durchgängerische Liselotte und: „Ach, was Ihr einen rauschenbeuttelichen Kopf habt, Liselotte", fängt sie vorwurfsvoll an, „wahrlich, wahrlich, Jhro Gnaden, der Kurfürst, Euer Herr

Vater, wenn er Euch Rauschenblattenknechtlein genannt, er hat Recht".

Weiter

aber kommt Jungfer Kolb mit ihrem Strafsermone nicht, denn schon wie ein Bienchen, das sich auf eine Blume stürzt, hat sich die Liselotte an sie ge­

hängt, beide Arme um ihren Hals und „filze Sie mich nicht, Jungfer Kolb," ruft sie, „ich gebe Ihr auch Kirschen zu essen, so viel als Sie haben will."

Und damit sitzen sie schon beide nebeneinander auf einem und demselben Wurzel­

knorren und in die Tasche greift die Liselotte und holt Kirschen daraus her­ vor und aus der anderen Tasche einen Knust schwarzen Brots, da beißt sie

hinein mit Zähnen, weiß wie Milch, wie Marmor stark und: „Sieht sie, Jungfer Kolb", sagt sie, „wie ich für sie sorge? Frühmorgens heute um fünf bin ich ins Kirschenstück gegangen am Burgwall, habe mir die Taschen brav

vollgestopft, daß ich zu essen hätte nachher und

die Jungfer Kolb mit mir".

Aber die Jungfer Kolb, die sagt schon kein Wort mehr, keinen Tadel, keinen

Vorwurf; schweigend ißt sie die Kirschen, die Liselottes kleine Hand ihr in den Mund stopft, lautlos blickt sie es an, das holde, holdselige, liebenswürdige Geschöpf an ihrer Seite, blickt es mit Augen an, die in Liebe schwimmen, wie die Augen aller, die auf der Liselotte ruhen. Und um sie her die Bäume, die heute so alt sind, damals aber noch jung waren, stecken die Köpfe zusammen, rücken dichter aneinander, als wollten sie einen Wall um sie bauen, damit er nicht

fort von ihnen könne, ihr Liebling, ihr „Rauschenblattenknechtlein".

Denn die

Bäume sind klug, klüger als Menschen, darum ahnt ihnen, daß das heut so

glückliche deutsche Kind einstmals eine Frau sein wird, eine unglückliche Frau

im fremden Land, daß es sich heimsehnen wird nach der Heimat am Neckar, nach dem rotbraun getürmten Schloß, und daß es die Heimat nie wieder sehen wird, trotz Sehnen und Tränen nie wieder, nie mehr.

49. Elisabeth Charlotte.

261

Wir aber, die wir noch immer lautlos gefangen stehen und das lebendig

gewordene Stückchen alter Zeit noch immer staunend betrachten, „wer ist es denn nun eigentlich", fragen wir uns, „dieses wundersame Geschöpf? diese Liselotte? dieses Rauschenblattenknechtlein?"

Und als hätte sie unsere stumme Frage verstanden, erhebt sie sich von

ihrem Sitze; Jungfer Kolb hat ihr zugeflüstert, daß es Zeit sei ins Schloß

zurückzukehren, wo Fräulein von Uffeln ihrer wartet, die Erzieherin, und Herr Ezechiel Spanheim, der hochgelahrte Präzeptor. Den Weg hinunter, der zum

Die Heidelberger Schlohruine von Nordost gesehen.

rotbraun getürmten Schlosse führt, schreitet sie dahin, wir folgen ihr nach.

Und während wir hinter ihr drein gehen, wird die lebensprühende Gestalt zum Schatten, der Schatten zum Schemen, das Märchen weicht der Wirklichkeit, und indem sie jetzt wie ein verwehender Hauch in der Pforte des Otto-Hein-

rich-Baues verschwindet, ist plötzlich zwanzigstes Jahrhundert wieder da; nicht mehr der Otto-Heinrich-Bau in seiner einstigen, prunkenden Pracht, nur eine vermorschte Ruine steht vor uns, durch deren leere Fensterhöhlcn der Himmel blickt, in deren ausgebrannte Gemächer der Regen herabträuft ivie in eine

Zisterne. Wir aber, von der Begierde getrieben jedem Schritte zu folgen, den ihre schlanken Füße gegangen, steigen ihr nach in das verödete Haus. Da

entdecken wir in der unwirtlichen, steinernen Höhle ein paar Zimmer, nicht

bewohnbar und auch nicht zum Wohnen eingerichtet, aber durch eine Bedachung vor dem Herabströmen des Regenwassers gesichert und zur Aufnahme von Sammlungen instand gesetzt: ein Museum. Ziemlich durcheinander gewürfelt

49. Elisabeth Charlotte.

262

ist der Inhalt, der es erfüllt, das Wichtigste darin eine Galerie von Porträts

und unter diesen ist eines, darauf steuern wir zu: ein kleines Mädchen mit

vollwangigem Gesicht; aus diesem Gesicht herausblickend zwei Augen, leuchtend blau, aus denen das Leben hervorschießt wie ein Strahl — wahrhaftig — das Abbild des wundersamen Geschöpfes, das wir droben im Walde soeben

gesehen. Name:

Und wenn noch ein Zweifel bliebe — unter dem Bilde steht ja der

„Liselotte".

Liselotte, weiter nichts.

Mehr braucht es auch nicht.

Denn indem wir das Bild betrachten, fühlen wir, daß wir einem Stückchen

Menschheit gegenüberstehen, das nicht erst durch Abstammung, Familie und Verhältnisse etwas wird und ist, nein, sondern einem Wesen, das ganz nur aus sich selbst, durch sich selbst ist, so nur lebend und webend in Fülle und Saft der eigenen Persönlichkeit, so umwittert vom Erdgeruch des Bodens, aus dem es stammt, daß es wie ein Erzeugnis dieses Bodens, ein Gewächs daraus,

eine Blume, ein Baum erscheint.

Ein Vollblutmensch — diese Empfindung

springt uns geradezu an — eine Persönlichkeit, die nie und unter keinen Um­

ständen anders wird sein können als so, wie die Natur sie geprägt hat, eine

geniale.

Um sie her und über ihr die Bilder ihrer Angehörigen: dort neben

ihr der Bruder Karl, dessen verträumt-vergrämtes Gesicht so aussieht, als ahnte

der Knabe schon, daß er dereinst der letzte Mann seines Stammes, der letzte

Kurfürst aus dem Hause Pfalz-Simmern sein und daß sein Hingang das Signal zu unermeßlichem Greuel werden wird. Über ihr das Bild ihres Paters, Karl Ludwigs des Kurfürsten.

Neben diesem das Bild ihrer Mutter, Char­

lotte von Hessen, und neben dieser wieder die schöne Luise von Degenfeld, die ihr Vater zur Frau nahm, nachdem er sich von der Charlotte hatte scheiden

lassen.

Haupt!

So viel häuslicher Schatten über dem jungen, vom Licht umflossenen

Und dort zur Seite ein noch finsterer Schatten: die Bilder dort ihres

Großvaters und ihrer Großmutter, der beiden Schicksalsmenschen, des Kur­

fürsten Friedrich V., des Winterkönigs, und seiner Gemahlin Elisabeth, der

Tochter König Jakobs I. von England.

Der Kurfürst in goldstrotzendem Pracht­

gewand, die Frau neben ihm von prachtvoller, kalter, furchtbarer Schönheit; zwei Augen

in ihrem Kopfe, groß, rund wie Kugeln, aus denen der unsäg­

liche, verachtungsvolle Hochmut blickt,

mit

dem

die Engländerin auf alles

Deutsche sieht, Augen, von denen man die Empfindung bekommt, als hätte

der schwächliche Mann an ihrer Seite zerknicken müssen, wenn sie sich mit dumpfer Frage auf ihn wälzten:

wollen?

„Was?

Nicht König von Böhmen werden

Zu feige dazu, Euer Liebden?" — Und nachdem wir so ihre Verwandt­

schaft durchmustert, kehren wir zurück zu der, auf die allein es uns ankommt,

bei der wir bleiben, zu der Elisabeth Charlotte, genannt Liselotte, zu dem Maienkinde Heidelbergs, das hier im Schlosse, vielleicht im Otto-Heinrich-Ban,

vielleicht in dem Zimmer, wo heut ihr Bild hängt, das aber damals freilich anders aussah, am 27. Mai 1652 geboren wurde.

Kehren zurück zu ihrem

Bilde und sagen uns, daß es gemalt worden ist in der Zeit, von der sie

49. Elisabeth Charlotte.

263

später, viele Jahre später einmal aus dem kalten Versailles schreiben sollte:

„damals war ich lustiger als jetzt". Arme kleine Liselotte, was hat man dir getan, daß du später nicht mehr lustig sein konntest? Ein Blick aus die gegenüberliegende Wand sagt es

uns; denn an dieser Wand hängt wieder ein Bild von ihr, aber da ist sie kein Kind mehr, sondern eine Frau, nicht mehr rotwangig, sondern blaß und

über den blassen Zügen liegt die Müdigkeit, die sich auf menschlichen Gesich­ tern lagert, wenn der Gram zu Besuch kommt und seinen Besuch ungebühr­ lich ausdehnt und nimmer, nimmer wieder davon geht. Und dieser Gram

— woher? Wir brauchen nur zur Seite zu sehen, nach dem Bilde des Mannes, das dort neben dem ihrigen hängt, des widerwärtig, süßlich lächelnden Mannes,

der so recht wie das aussieht, was man einen „ekligen Kerl" nennt.

Dieser

Mann nämlich, das ist der „Monsieur" von Frankreich, Herzog Philipp von Orleans, der Bruder Ludwigs XIV., dem die Liselotte mit neunzehn Jahren

zur Frau gegeben wurde und dreißig Jahre lang, bis zu seinem Tode, Frau bleiben mußte und Frau blieb, treue, ehrliche, rechtschaffene Frau, obgleich das Sumpfgezücht, in dessen Mitte sie zu leben verdammt war, alles daransetzte sie zu einer untreuen Frau zu mache», und als ihm das nicht gelang, alles daransetzte ihren Gatten, den „Monsieur", glauben zu machen, sie wäre eine solche. Das ist ihr Gatte, ihr Herr und Gemahl, von dem sie am 7. März 1696 nach fünfundzwanzig Jahren ehelichen Lebens an ihre Tante, die Kur­

fürstin Sophie in Hannover, schreibt: „Der hat nichts in der Welt im Kopf als seine jungen Kerls, um da und gibt ihnen unerhörte Summen

ganze Nächte mit zu fressen, zu saufen,

Geld.

Nichts kost' ihn noch ist's zu teuer für die Bursch'.

seine Kinder und ich kaum, was uns nötig ist.

Unterdessen haben

Wenn ich Hemder und Lein­

tücher vonnöten habe, muß Jahr uud Tag drum gebettelt werden und in derselben Zeit gibt er 10000 Taler an den La Carte, um sein Weißzeug in Flandern zu kaufen. Alles Silberzeug, so aus der Pfalz kommen, hat

Monsieur verschmelzt und verkauft und alles den Buben geben. Alle seine Juwelen werden verkauft und versetzt, Geld drauf gelehnt und den jungen

Leuten geben, also daß, da Gott vor sei, wenn Monsieur heute zum Sterben kommen sollte, muß ich morgen bloß von des Königs Gnaden leben und werde das Brot nicht finden." Arme kleine Liselotte, reiner, junger Quell, in was für einen Morast hat man dich geleitet!

Schöne, frische Knospe aus dem deutschen Walde, was

für schlimme Hände haben dich zwischen die Finger genommen! Und daß es der leibliche Vater sein mußte, der die schnöde Hantierung begann und das holde Geschöpf, das ihm Gott zur Tochter gegeben hatte, verkaufte um ein politisches Geschäft mit ihr zu machen! Diesem Karl Ludwig nämlich, ihrem

Vater, dessen ganze Lebenstätigkeit eigentlich darin bestand die Groschen Stück

nach Stück wieder zu sammeln, die Papa und Mama Winterkönig mit einem

49. Elisabeth Charlotte.

264

„Hui" aus dem Fenster geworfen hatten, muß dieser lebenslange Umgang mit

der Sorge allmählich in Blut und Seele gegangen sein.

Darum fürchtete er

sich so entsetzlich, fürchtete sich vor dem unheimlichen „großen Mann" jenseit»

des Rheins, jbent Sonnenkönig Frankreichs, Ludwig XIV., den er im Geiste fortwährend auf dem Sprunge sah über seine Pfalz herzufallen und sie ein­

zusacken.

Etwas ganz besonders Gescheites glaubte er darum zu tun, wenn

er sich mit den Bourbonen verschwägerte, und so mußte sein Töchterchen dem „Monsieur", dem Witwer^ als zweite Gattin die Hand reichen. Unseliger Rechenkünstler, der Schwager werden wollte und Vasall wurde! Liselotte war der Heine Finger, den er dem Teufel hinreichte — noch mit eigenen Augen

sollte er es erleben, wie dieser nach der ganzen Hand griff. Als Karl Ludwig im Kriege Frankreichs gegen die große Koalition neutral zu bleiben wagte,

schickte ihm der freundliche Schwager den Turenne und den Vaubrun über den Hals, die ihm die Pfalz mit Feuer und Schwert verwüsteten. Den Nach­ folger und Überbieter Turennes, den fürchterlichen Melac, der sein Heidelberg zerstören und das Schloß seiner Väter in Trümmer legen sollte, den noch zu erleben, davor bewahrte ihn das Schicksal, das ihn 1680 sterben ließ.

Wie aber Liselotte als Tochter und Weib gelitten, wie sie das brutale Spiel empfunden hat, das mit ihr gespielt wurde, das erfahren wir, wenn wir ihre Briefe aus Frankreich lesen und darin Worte finden wie diese:

„Hätte mich mein Herr Vater so sehr geliebt

als ich Jhro Gnaden,

hätten Sie mich nicht in ein so gefährliches Land geschickt wie dieses und wohin ich wider Willen, aus purem Gehorsam, gegangen bin." Und Worte wie die, richtet:

die sie an die Tante Kurfürstin in Hannover

„Papa hatte mich auf dem Hals, war bang, ich möchte ein alt Jüng-

ferchen werden, hat mich also fortgeschafft, so geschwind er's gekonnt hat." Fast durch alle Briefe Liselottes, auch die traurigsten, klingelt ja, wenn

auch verhalten, das sonnige Lachen hindurch, das sie von ihrer sonnigen Heimat, der Pfalz, überkommen hatte, der göttliche Humor, der sie instand gesetzt hatte, 50 Jahre lang das kluge Köpfchen emporzuttagen, daß es von

dem schwarzen Wasser nicht verschluckt wurde, das um sie her war. In Worten, wie die eben angeführten, klingt das Lachen denn aber doch etwas bitter; und noch etwas machte diese Worte charakteristisch: so wie sie hier schreibt, könnte füglich jedes kleine Bürgermädchen schreiben, das vom Vater

zu einer unliebsamen Heirat genötigt wird.

Davon, daß sie wie ein Börsen­

papier verkauft wurde, daß die ganze Heirat eine politische Spekulation war, scheint sie keine Ahnung gehabt zu haben.

Wäre Liselotte dumm gewesen, so

wäre ja kein Wort darüber zu verlieren; aber sie war keineswegs dumm, im Gegenteil, wenn sie von den Menschen ihrer Umgebung spricht, zeigt sie einen durchdringenden Blick, in der Beurteilung der gesellschaftlichen und kulturellen Zustände, in deren Mitte sie lebt, ist sie geradezu überlegen. Hier also

49. Elisabeth Charlotte.

265

kommen wir an die Schranke dieser Natur: Nur das absolut Menschliche ist

für ihren Gesichtskreis vorhanden.

Sobald etwas abstrakt wird — und alle

Weltpolitik ist doch schließlich ein kombinatorisches Spiel mit abstrakten Größen — ist es für die Liselotte einfach

nicht mehr da.

Daher dann durch den

ganzen Verlauf ihrer zahllosen Briefe hindurch die merkwürdige Erscheinung, daß diese von einem leidenschaftlichen, beinahe elementaren Gefühl für ihre

deutsche Heimat erfüllte Frau für Deutschland

als politischen Begriff keine

Spur von Verständnis zeigt. Heimat fühlt man — Vaterland muß man denken können, und was Liselotte nicht fühlt, kann sie auch nicht denken.

Wenn sie Nachrichten bekommt über die Verwüstung der Pfalz, die Zerstörung

Heidelbergs,

wacht sie zur Nacht

im Bette vom Schlafe

auf und kann

vor Weinen nicht wieder einschlafen — wenn sie von den Kriegen Frank­

reichs mit dem Deutschen Reich,

vom

Raube Straßburgs hört,

steht sie

wie eine unbeteiligte Zuschauerin zur Seite. Ist das ein Mangel? Jeden­ falls ist es deutsch, typisch deutsch, und dies eben, daß uns die Eigen­ schaften der deutschen Art in dieser Tochter ihres Landes mit einer Unmittel­ barkeit, Naivität und Handgreiflichkeit entgegentreten, daß man von ihr wie

von einem aufgeschlagenen Buche alle Vorzüge und alle Mängel der deutschen Natur ablesen kann, das macht uns Deutschen die Gestalt dieser unserer Elisabeth Charlotte, genannt Liselotte, zu einem bleibenden Wertstück für alle Zeiten.

Und einer solchen Frau mußte es beschieden sein, daß eine Ehe, in die sie „wider Willen

und aus purem Gehorsam"

gegangen war, dazu benutzt

wurde, ihre unschuldsvolle Person zur Brandfackel zu machen, mit der man ihre Heimat und das Haus, in dem sie geboren war, in Asche legte; denn

von Pfalz-Simmern 1685 erlosch und die Linie Pfalz-Neuburg die Herrschaft über die Pfalz antrat,

als mit Karl Ludwigs Sohne Karl der Mannesstamm

benutzte Ludwig XIV., der inzwischen die Politik der Reunionskammern begonnen hatte, die von ihm behaupteten, in Wahrheit gar nicht vorhandenen Erbau­ sprüche seiner Schwägerin Elisabeth Charlotte um seinerseits Rechte auf die

Pfalz geltend zu machen. daran denke

Tränen und Beteuerungen Liselottes, daß sie nicht

Ansprüche zu erheben,

gingen natürlich an den Ohren eines

Louvois, der die Seele all dieser Dinge war, wie ein Vogelgezwitscher vorüber.

Karl Ludwig aber, ihr Vater, der über die oben erwähnten Plünderungen Turennes.so außer sich geraten war, daß er an diesen geschrieben und ihn,

„weil er ohne ebenbürtiges Heer kein anderes Mittel der Rache oder Genug­ tuung durch eigene Hand habe", persönlich zum Zweikampfe gefordert hatte,

legte sich mit dem verzweifelten Gefühl, daß seine Lebensarbeit und die Auf­ opferung seines Kindes eine vergebliche gewesen, am 28. August 1680 zum Sterben. Das Haus Karl Ludwigs aber, das Haus,

worden war, was wurde aus ihm?

in dem Liselotte geboren

49. Elisabeth Charlotte.

266

In dem Zimmer des Museums im Otto-Heinrich-Bau,

in dem wir

Liselottes Bild gefunden, hängt an einem Pfeiler, abgesondert, als sollte es mit keinem andern in Berührung kommen, das Porträt eines Mannes mit

einem Banditengesicht; das ist der Gras Melac, der Mann vom 2. Mürz 1689; Held kann man nicht sagen, denn Gott weiß es, das, was er an dem Tage getan hat, war kein Heldenstück. Im September 1688 hatte Ludwig XIV. sein Manifest erlassen: „Daß weil der römische Kaiser mit verschiedenen Teutschen und

„anderen Höfen heimliche Abrede und Anschläge gemacht, seine siegreiche

„Waffen nach einem nun bald zu schließenden Frieden mit den Türken an

„den Rhein und gegen Frankreich zu wenden, der König in Frankreich „sich gemüßiget sähe, sich aller der Orte am Rhein und Neckar zu versichern,

„woraus ihm Schaden entstehen könne, bis der Madame von Orleans wegen

„ihrer Erbschaft die Gnüge an Geld, der ihr angestorbenen Väter- und „Brüderlicher Allodial-Güter und Fahrnuß geschehen rc. rc. ?c." Am 27. September wurde dieses Manifest übergeben, schon vorher aber, am 15. September, waren Bouflers und La Breteche mit dem sianzösischen

Heer vor Kaiserslautern erschienen, hatten die ganze Pfalz weggenommen, auch Speyer, Oppenheim, Worms und Mainz. Der Dauphin kam hinterdrein und nahm Philippsburg und am 24. Oktober kapitulierte Heidelberg vor dem

Marschall Durras. In der von dem Daupyin ratifizierten Kapitulationsurkunde hieß es: „Daß alle Mobilien im Schlosse unangetastet beibehalten, nichts am Schlosse veräußert, daß an allen Gebäuden in und vor der Stadt nichts ver­

äußert, die Bürgerschaft mit Plünderung, Brandschatzung oder anderer Be­

schädigung verschonet bleibe." Kommandant von Heidelberg wurde der General Graf Melac. Am 14. Februar 1689 — o der sausenden Geschwindigkeit — wurde

darauf zu Regensburg das Reichsgutachten abgefaßt:

„Daß die allen Glauben vergessende Cron Frankreich wegen der vielen friedbrüchigen Tätlichkeiten und Eingriffe in die Teutschen Lande, Rechte u. a. m.

als ein Reichsfeind zu erklären und alle Reichsgliedcr gegen dieselbe mit zu gehen verbunden sein sollen."

Daraus, wie der alte Meister Gottsried in seiner „fortgesetzten historischen

Chronik" berichtet, „zog der Gras Melac, als er von der Annäherung der Reichstruppen gehört, mit einiger Reuterey von Heidelberg aus, steckte Rohr­ bach, Laimen, Nußloch, Wiesloch, Kirchheim, Bruchhausen, Eppelheim, Neckar­

hausen, Nenenheim und Handschuchsheim in Brand."

Und als es nun kein

Halten mehr in Heidelberg gab, beschloß er in einer Weise Abschied von der Stadt zu nehmen, daß seines' „Daseins Spur" für immer sichtbar bleiben sollte.

Schon seit einigen Tagen

hatte man französische Minierer beschäftigt

gesehen in Mauern und Türme des Schlosses Bohrlöcher zu treiben und sie mit Pulver zu laden. Am 2. März 1689, frühmorgens um 5 Uhr, stand

49. Elisabeth Charlotte.

267

alsdann die französische Besatzung des Schlosses marschfertig auf dem Schloß­ hof. Zwei Signalschüsse ertönten, der Artilleriekommandant erschien, ließ seine Leute Pechkränze und Fackeln aufnehmen und Feuer in die Paläste werfen. Nach einer halben Stunde stand alles in Flammen und als die Dachgiebel niederkrachten, zog die Besatzung über Altan und Burgweg eilend

davon.

Einige Minierer blieben zurück,

die den

„Dicken Turm"

und den

„Krautturm" in Stücke sprengten. „Solcher Gestalt ist das uralte, magnisique, in und außer Deutschland berühmte kurfürstliche Residenz-Schloß innerhalb eines Vormittags mit allem, sv noch hin

und wieder in den Gemächern

bis auf die unteren

befunden,

Gewölbe und Keller abgebrannt und Steinhaufen geworden."

großenteils

So lautete der Kurfürsten.

der kurfürstlichen Beamten an den

offizielle Bericht

zu

einem Aschen- und

Doch nehmen wir Abschied von der altehrwürdigen Stätte, Abschied von Liselotte und kehren wir zurück in ihren Heidelberger Wald! Den Weg, den wir gekommen sind, steigen wir wieder hinunter, vom Bergwalde zur Stadt. Wieder überschreiten wir den Neckar, abermals stehen wir auf dem Philosophen­

wege und noch einmal geht unser Blick zu dem rotbraunen Trümmerpalaste hinüber, der sich über der grauen Stadt erhebt. Wie schön er ist!

Mit seinen zerfetzten Mauern,

seinen

enthaupteten

und zersprengten Türmen, seinen ausgeweideten Palästen, wie schön! Wie ein in Stein gehauener Klagegesang, der jeden Morgen von neuem anhebt und mit dumpfer Mahnung hinuntertönt in die lachende Landschaft: „Vergeßt nicht, daß alles Schönste und Größte dem Menschen

nur so lange gehört,

als die Größe in seiner Seele im Verhältnis bleibt zu dem, was er besitzt!"

Die Heidelberger Schloßruine in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist etwas in der Welt absolut Einziges. geschaut, wer gesehen hat,

Wer sie auch nur ein einziges Mal mit Augen an­ wie sich das rot-braune Getrümmer in die Arme

der umgebenden Waldungen einbettet und einschmiegt, wie das Grün

der

Bäume aus dem Tale heraufsteigt und das Grün des Efeus an den Mauern

emporklimmt, als wollte es all die alten, immer noch schmerzenden Wunden und Spalten mit tröstender, kühlender Hand verhüllen und bedecken, der weiß,

daß durch das Zusammenwirken geschichtlicher Ereignisse und nie aufhörender, triebkräftiger Natur ein Schönheitsbild entstanden ist, wie es eigenartiger nicht gedacht, geschweige denn nachgeschaffen werden könnte. Es muß einmal ausgesprochen werden, was gar nicht allgemein genug

bekannt ist, daß die jetzige Schloßruine zehntausendmal schöner ist als es das alte, nicht zerstörte Schloß war. Wer diesem Worte nicht glaubt, der sehe sich den Merianschen Stich aus dem 17. Jahrhundert an, wo das alte Schloß klassisch treu in seiner unangerührten Gestalt dargestellt ist. Alles, was heute

in den freistehenden Mauern wundervoll

lustig

und leicht emporsteigt,

war

49. Elisabeth Charlotte.

268

damals ein Gebäudekomplex von erdrückender Schwere.

Nicht nur ein schwerer

sondern zugleich ein abenteuerlicher Komplex, weil er zur Hälfte Prunkbau, zur andern Festung, regelrechte, enorme Festung war. Die jetzt enthaupteten und zerborstenen Türme, die, wie namentlich der Dicke Turm und der Kraut­

turm, gerade dadurch so malerisch wirken,

daß sie uns in ihre aufgerissenen

Eingeweide hineinsehen lassen, waren plumpe, runde, mit unschönen Helmen geschlossene, von schmalen Fenstern und Schießscharten durchbrochene, an Elefantenbeine erinnernde Kolosse. Und vor allem der Otto-Heinrich-Bau mit

Das Heidelberger Schloß nach Merians Topographia Palatinatus Rheni (1645).

seiner heute frei aufsteigenden, italienischen Renaissancefassade, dieser in seiner heutigen Zerstörtheit geradezu geheimnisvoll schöne Bau, wie sah er damals aus? Auf den Renaissanceunterbau waren in unbegreiflicher architektonischer Verfehlung

niederländische Giebel als Bedachung aufgesetzt, so daß das ganze Gebäude um seine ursprünglich gewollte Schönheit gewissermaßen betrogen wurde. Indem Melac Feuerbrand und Pulverminen an das alte Schloß legte,

hat er uns, sicherlich ganz gegen sein Wollen, an Stelle des Zerstörten etwas unendlich viel Schöneres hinterlassen.

Zwei Jahrhunderte sind verflossen, seitdem das Heidelberger Schloß zur Ruine wurde. In diesen zwei Jahrhunderten ist die Ruine zu einem Gebäude mit selbständigem Leben, zu einem historischen, im eminentesten Sinne histo­

rischen Bau geworden, weil die Hände der Weltgeschichte selbst sie zu dem geformt haben, was sie jetzt ist. Darum hat sie die Pietät zu fordern, die jedem historischen Bau zusteht. Pietät aber heißt einem historischen Bauwerk gegenüber „nicht anrühren".

50. Träume sind Schäume-

269

Und wenn auch dermalen einst der Otto-Heinrich-Bau in sich zusammen sinken wird, so wird das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von heute zu morgen, es wird langsam, im Laufe der Jahrzehnte, vielleicht der Jahrhunderte, vor sich gehen; die allmählich sich auflösende Ruine wird in ihrem langsamen

Sterben immer schön, vielleicht sogar noch schöner sein als gegenwärtig, und jahrzehnte-, vielleicht jahrhundertelang wird sie den Augen entzückter Beschauer

das Bild gewähren, das immer und ewig am tiefsten auf die Menschenseele wirken wird, den feierlichen Anblick der großen Tragödie.

50. Träume sind Schäume. Don Alfons Steinberger?)

Schon neigte sich das Jahr 1698 seinem Ende zu, als durch den Ärmel­ kanal eine herrliche Flotte, die schwellenden Segel vom Winde gebläht, gegen

Osten steuerte.

Sie kam von

den fernen Gestaden

des

südlichen Spaniens

und war bestimmt den Prinzen von Asturien wie int Triumphe uach seinem zukünftigen Weltreiche zu bringen. Wer aber war der Prinz von Asturien? — Kein anderer als der kleine, noch nicht 7jährige Joseph Ferdinand, der Sohn

Max Emanuels, des Kurfürsten von Bayern und Statthalters der Niederlande! Die Rücksichtslosigkeit, mit welcher die Höfe in Versailles und Wien die spanische Erbschaftsstage zu lösen suchten, indem sie noch bei Lebzeiten des

Königs Karl eine förmliche Teilung der Weltmonarchic verabredeten, den sterbenskranken König aufs äußerste erbittert.

hatte

Mit raschem Entschlüsse

durchkreuzte er die Pläne jener habgierigen Mächte, setzte

den

bayerischen

Prinzen Joseph Ferdinand zum Universalerben der spanischen Monarchie ein

und ernannte ihn sofort zum Prinzen von Asturien. Ebenso groß als der Jubel über diese unerwartete Erhöhung des wittelsbachischen Hauses in Bayern war auch die Überraschung und Entrüstung der­

jenigen Mächte, die das unermeßliche Erbe schon in Händen zu haben glaubten. Der glücklichste der Menschen tvar aber in diesen Zeiten Max Emanuel. Wie mit einem Zauberschlag sah er nun seine kühnsten Träume verwirklicht, ja übertroffen.

Erdkreises!

Sein Sohn der alleinige Erbe der größten Monarchie des

Welche Aussichten eröffneten sich nun dem Hause Wittelsbach!

Max Ematiuel war wie trunken vor Freude und Glück. Mittett im Winter hatte er sein Söhnchen aus München zu sich nach Brüssel kommen lassen; an der Seite des künftigen Königs eines Weltreiches wollte er die

langweiligste aller Jahreszeiten unter glänzenden Hoffesten verleben. kleine Joseph,

sein,

Der

jetzt der Inbegriff all seines Glückes, mußte in seiner Nähe

dann erst wollte er sich den Freuden und Lustbarkeiten des Winters

widmen. *) Aus Bayerns Vergangenheit, 3. Bd., S- 65 ff. Regensburg 1894.

G. Manz.

50. Träume sind Schäume.

270

Antonia, des Erbprinzen Mutter, lag in ihrer Väter Gruft zu Wien

begraben, in München war der künftige König Spaniens zumeist von fremden

Menschen umgeben,

besser also,

wenn er vor der Abreise in fein Königreich

noch an der Seite des Vaters in Brüssel lebte.

*

-!-

*

Das Ballfest im Palaste des Statthalters der Niederlande versprach einen glänzenden Verlauf zu nehmen.

Die Botschafter und Gesandten der

fremden Mächte sowie die Aristokratie der Hauptstadt hatten sich, sttahlend von Gold und edlem Gesteine, in den Prachtsälen des hohen Gastgebers ein­

gefunden um sich wieder einmal dem ganzen Zauber des Prunkes und Glanzes hinzugeben, wie er am Hofe des glücklichen Bayernherrschers in fast unerschöpf­ licher Fülle geboten wurde.

Und glücklich war ja Max Emanuel, glücklich, wie nur ein Sterblicher sein konnte. Herrscher über ein Volk, auf dessen Liebe und Treue er bauen konnte, Statthalter in einem Land, dessen Reichtum groß und dessen Handel

und Gewerbe blühend war, und Vater eines Sohnes, der zum Erben eines

Weltreiches bestimmt wurde, in der Tat, die Götter, hätten sie noch wie ehedem die Welt regiert, mußten auf das Glück dieses Mannes neiderfüllte

Blicke werfen! Jetzt ließen sich in dem von vielen hundert Wachskerzen taghell erleuch­ teten Festsaal schmetternde Fanfaren vernehmen; sie verkündeten das Erscheinen des königlichen Statthalters und mit ihm den Beginn der Festlichkeiten.

Die Brust von blitzenden Ordenssternen

bedeckt und am rotseidenen

Bande das goldene Vließ, so zeigte sich die hohe und schlanke Gestalt des bayerischen

Kurfürsten

am

Eingänge

des

Saales.

Eine Reihe

prächtig

gekleideter Edelknaben, in der Rechten eine brennende Wachsfackel, schritt dem

Statthalter mit seinem Gefolge voraus, eine andere schloß den glanzvollen Zug.

Neuerdings ertönten

die rauschenden Klänge der Festmusik.

An die

effektvolle Polonaise, bei der die Paare langsamen Schrittes den Saal durch­

maßen, reihte sich erst eine gravitätische Sarabande, dann eine bewegte, heitere Gigue, ein zierliches Menuett.

Zuletzt erklangen die gemessenen Töne einer

Marche und der Oberstzeremonienmeister bat den Statthalter unter tiefer Ver­

beugung um die Erlaubnis das Zeichen zum Beginne eines „Festspieles" geben zu dürfen. „Was für Überraschungen!"

rief Max Emanuel heiter lächelnd, indem

er mit leichtem Kopfnicken die nachgesuchte Erlaubnis erteilte.

Kaum hatte

er den ihm bestimmten Ehrenplatz eingenommen, da teilte sich im Hintergründe des großen Saales ein Vorhang und die einzelnen Gruppen des Festzuges begannen sich unter den Klängen eines Kriegsmarsches zu entwickeln und

langsamen Schrittes vor den Augen vorüberzuwandeln.

des Gefeierten und der Gäste desselben

50. Träume sind Schäume

271

Dem Ganzen lag die Idee einer Huldigung zugrunde, welche die ver­ schiedenen Volksstämine der spanischen Monarchie dem Herzoge von Asturien,

ihrem zukünftigen Könige, darbrachten.

Da sah man in den farbenprächtigsten

Trachten Spanier, Italiener, Niederländer, jede Nation wieder nach einzelnen

Stämmen, Ständen und Gewerben gesonderte Gruppen bildend.

Den meisten

Beifall erregten die Indianer, mit Perlen und Federn geschmückt, schwere Goldringe in den Ohren tragend. Als der ganze Zug an dem über die sinnige Überraschung hocherfreuten

Fürsten vorübergekommen war, formierte er sich int Hintergründe zu einer großartigen Gesamtgruppe. Plötzlich teilte sich aufs neue der Vorhang und

von blendendem Lichtglanze umstrahlt zeigte sich ein ergreifendes Bild: auf sonnigem Hügel, fast ganz von Blumen bedeckt, schlummerte ein reizender Knabe. Beim ersten Blick erkannte man in ihm den künftigen Herrscher Spaniens, Max Emanuels Sohn, Joseph Ferdinand. Die leise Melodie der Musik, die bisher den Schlummernden in liebliche Träume gewiegt hatte, ging allmählich in lebhaftere Weisen über, der Knabe erwachte, richtete sich auf und int selben Augenblicke senkte sich, indes die Musik einen Siegesmarsch ertönen ließ, von oben auf rosafarbenen Wolken eine liebliche Erscheinung hernieder, die Glücks­

göttin Fortuna. Die herrliche Gestalt in wallende Schleier gehüllt schwebte auf einer goldenen Kugel; in der Linken trug sie eine schimmernde Königs­ krone

und

mit holdem Lächeln

Haupte des Knaben.

hielt sie dieselbe

über dem blondgelockten

Die Rechte aber führte ein wallendes Banner mit dem

Wappen des Hauses Wittelsbach. Der Eindruck, den dieses Bild auf alle, insbesondere auf den Kurfürsten machte, war ein ergreifender und lauter Beifall ertönte; die huldigenden Gruppen aber beugten unter stürmischen Jubelrufen ihre Kniee und begrüßend

streckten sie die Arme zu dent neuen Herrscher empor. Beim Souper, das gegen Mitternacht eingenommen wurde, wollten einige Gäste, die in der Nähe des Statthalters saßen, die Wahrnehmung

machen, daß sich in den Zügen des Herrschers eine gewisse Unruhe zeigte.

Die

Bemerkung schien nicht ohne Grund zu sein, denn kurz nach Beendigung des Mahles verließ zu nicht geringer Überraschung der Gäste Max Emanuel das

Fest; hastigen Schrittes suchte er dem rauschenden Treiben zu enteilen. Während aber das Fest nach dem Wunsche des Statthalters seinen un­ gestörten Fortgang nahm, begab sich dieser, nur von einem Kammerherrn

gefolgt, in die Gemächer eines entlegenen Flügels des Palastes, die der junge

Herzog von Asturien

bewohnte.

Auf der Schwelle eines hell erleuchteten

Vorzimmers trat dem Kurfürsten ein Kammerherr leisen Schrittes entgegen.

„Ich bitte Euer Durchlaucht, keine unnötige Erregung!

des gnädigsten Prinzen hat sich etwas verschlimmert." „Verschlimmert!

Und das sagt Ihr mir erst jetzt?"

Das Befinden

272

50. Träume sind Schäume.

Ohne die weiteren Entschuldigungen des Hofmannes anzuhören

sich Max Emanuel, von einer schrecklichen Angst ergriffen, Herzogs begeben.

hatte

ins Gemach des

Kaum aber war der Kurfürst dort angelangt, als die Kunde von der ernstlichen Wendung, welche das vermeintliche Unwohlsein des künftigen Königs

von Spanien zu nehmen drohte, gleich einem Blitzstrahl in das ftöhliche Treiben der Gäste drang. An Stelle des sorglosen Lächelns und der ftöhlichen Festlaune war jetzt auf einmal Angst und Bestürzung auf allen Gesichtern zu lesen. In kurzer Frist waren die Festsäle, in denen soeben noch bei Kerzen­ glanz und Blumendust und den lockenden Klängen der Musik die Sinne sich

gesättigt hatten, verödet.

Wie wenn der rauhe Herbstwind über die blumen­

geschmückten Fluren streicht und mit eisigem Hauche Dust und Farbe tötet, also war auch in den Palast des glücklichsten Mannes statt der alles belebenden Freude auf einmal die bleiche Sorge eingezogen.

*

*

*

Noch lag starre Finsternis über der Erde — man stand in den ersten Tagen des Februar — als in dem Palaste des königlichen Statthalters der

Niederlande sich ein wahrhaft herzerschütterndes Ereignis vollzog. Der bayerische Erbprinz und künftige König Spaniens lag im Todes­ kampfe. Während ein ganzes Kollegium von Ärzten in den Nebenzimmern mit dem Aufgebote aller Kunst, die Wissenschaft und Erfahrung bot, dem Tode die vornehme Beute abzuringen bemüht war, kniete Max Emanuel am Bette

des geliebten Kindes und mit tränenleeren Augen flehte er zu demjenigen um Erbarmen, der hier allein noch zu helfen vermochte.

War es denn Wirklichkeit, was er da alles erlebte, oder hielt ein böser,

entsetzlicher Traum die gemarterte Seele umfangen? Aber, bei Gottes Barmherzigkeit, es war kein Traum, es war grauen­ volle Wirklichkeit. Fest hielt er die erkaltende Hand seines kleinen Lieblings

in der seinigen.

War denn all die Liebe seines väterlichen Herzens, das heiße,

brennende Verlangen der sehnenden Brust nicht imstande den erbarmungslosen Tod von der Schwelle dieses Gemaches hinwegzubannen? „Mein Gott, mein Gott," rief der geängstete Vater aus und preßte die

Hände an die beiden Schläfen, als fürchtete er ein Zerspringen des im Fieber glühenden Hauptes, „nimm mich von dieser Welt hinweg, aber laß dies Kind, unschuldsvoll wie deine Engel, am Leben und nimm mich dafür zum Opfer hin!" Aber die Bitte fand keine Erhörung. Seit einer Stunde war Joseph Ferdinand, der bayerische Kurprinz und Herzog von Asturien, tot. Aber Max

Emanuel wollte nicht daran glauben. Wie geistesabwesend saß er noch in derselben Haltung am Bette. Keiner der Höflinge wagte es, dem ungeheuren

Schmerze dieses Mannes durch ein Wort des Trostes entgegenzutreten; heilige Scheu hatte alles vor der Größe eines derartigen Schicksalsschlages.

so

51. Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege.

Endlich näherte sich

273

ein greiser Priester dem Verzweifelnden, und als

es ihm gelungen war dessen Blicke auf sich zu lenken, wies er schweigend, aber voll milden Ernstes auf das Gemälde über dem Haupte des entschlafenen Kindes. Ein sanfter Lichtstrahl der soeben erwachten Morgensonne glitt über dasselbe hinweg: Christus auf dem Ölberge lag von tiefster Seelenangst durchschüttert halb zu Boden, betend: „Vater, nimm diesen Kelch hinweg von mir! Doch nicht, was ich will, geschehe, sondern was du willst!"

Ein schwerer Seufzer entrang sich beim Anblick dieses Bildes der Brust Max Emanuels. Dann erhob er sich, allein, ohne Beihilfe und schritt einen

letzten Blick auf sein zerschelltes Glück werfend von der Stätte des Todes

hinweg.

Es war, als ob er mit einem Male Trost gefunden hätte.

51. Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege. Don M. Doeberl.

Es war am Morgen des 6. Februar 1699.

In dem königlichen Schlosse

zu Brüssel bot sich dem Auge ein erschütterndes Schauspiel. Vor dem Leichnam eines sechsjährigen Kindes, das noch vor kurzem in königlicher Pracht dem

Pinsel des Malers gesessen war, an dessen Zukunft sich weltumspannende Hoffnungen geknüpft hatten, ein vor Schmerz und Verzweiflung Her Ohn­ macht verfallener Vater. Das Kind, Kurprinz Joseph Ferdinand von Bayern, war am 28. November 1698 zum Erben des Reiches Karls V.

eingesetzt worden.

Ein grausames Geschick, eine Krankheit von wenigen Tagen,

hatte alle die glänzenden Pläne des Vaters, des Kurfürsten Max Emanuel, zerstört: das Phantom eines wittelsbachischen Königtums in Spanien verflog in die Lüfte.

Im folgenden Jahre, am 1. November 1700, trat ein Ereignis ein, mit dem sich die Diplomaten und die diplomatischen Aktenstücke seit Jahrzehnten beschäftigt, mit dem auch die bayerisch-französische Allianz von 1670 gerechnet

hatte: Karl II., der letzte vom spanisch-habsburgischen Mannesstamme, hauchte sein sieches Leben aus. Über sein Erbe entbrannte ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Leopold I., dem Haupte des deutsch-habsburgischen Hauses, und zwischen Ludwig XIV. Karl II. hatte in zwölfter Stunde den zweiten Enkel

des Franzosenkönigs, Philipp, zum Universalerben bestellt. Es war der letzte Sonnenblick in dem verdüsterten Lebensabend Ludwigs XIV., der sich freilich nur zu bald als das Moment der letzten Spannung vor der Katastrophe ent­

hüllen sollte.

Ludwig XIV. opferte mit der Anerkennung des Testamentes

Karls II. das Interesse seines Staates dem Interesse seines Hauses, lenkte

von der Politik Richelieus und Mazarins, von der Politik der Grenzberichtigung

und Arrondierung, in die Bahnen der Familienpolitik des habsburgischen Hauses *) Aus „Bayern und Frankreich", Seite 557 ff. München, 1900. C. Haushalter. KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

18

51. Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege.

274

ein. Der Waffengang zwischen den beiden Mächten, die seit Generationen die Welt in zwei feindliche Lager schieden, zog Europa in Mitleidenschaft. „Zahlte uns die Krone Spanien die in die Niederlande gesteckten Millionen, wollten wir alsdann wohl wieder den Rückweg nach Bayern finden!"

Diese

Worte eines bayerischen Staatsmannes sind der Ausdruck der ersten Stimmung, die sich des Kurfürsten von Bayern und seiner Umgebung nach der Katastrophe

vom 6. Februar bemächtigt hatte. Doch diese Resignation, wenn sie über­ haupt jemals ernstlich existiert hat, war und mußte von kurzer Dauer sein. Bayern in die Mitte zwischen die beiden ringenden Weltmächte gestellt konnte jetzt ebensowenig wie früher eine wirkliche Neutralität aus eigenen Kräften auftechterhalten; Bayern von dem umklammernden Österreich in seiner Existenz stetig beengt durfte nicht mit gefalteten Händen der Möglichkeit in das Auge sehen, daß der durch die Angliederung Ungarns zu einer Großmacht empor­ gewachsene habsburgische Nachbar sich neuerdings einseitig stärke; Bayern mußte

im Interesse der eigenen Lebensfähigkeit die Gelegenheit zu einer Mehrung seiner Macht ebenso benutzen, wie es andere deutsche Reichsstände, wie es Hannover, Preußen, Sachsen taten.

Das konnte nur geschehen in mehr oder minder

offenem Anschluß an eine der beiden ringenden Großmächte.

mußte nach

den von den Vorfahren,

nach

den auch

Den Ausschlag

von Max Emanuel

gemachten Erfahrungen nicht die Treue gegen das Haus Habsburg, sondern die größere oder geringere Aussicht auf Gewinn geben. Seit Dezember 1700 verhandelte ein Vertrauter Max Emanuels, Graf

Monasterol, in Versailles, seit Anfang des Jahres 1701 ein Vertreter Frankreichs am Hofe des Kurfürsten. Am 9. März 1701 führten diese Verhandlungen

zu einem Vertrage zwischen Bayern und Frankreich.

Gegen monatliche Subsidien-

gelder von 30000 Talern, gegen Garantierung der zu Gunsten der spanischen Niederlande verwandten bayerischen Gelder, gegen Eröffnung von Aussichten auf Erwerbung der römischen Kaiser- und Königswürde versprach der Kurfürst Aufrechthaltung einer Frankreich wohlwollenden Neutralität, Aufftellung einer

Observationsarmee von 10000 Mann um den kaiserlichen Völkern den Durch­ zug zu verwehren, Werbung der südwestdeutschen Kreise für dieselbe bewaffnete

Neutralität. Der Kurfürst hielt sich daneben den Weg zu einer Verständigung mit dem Kaiser noch immer offen. Im Frühjahr 1701 machte der Wiener Hof durch Sendung des Grafen Schlick den

zum Anschluß an den Kaiser zu gewinnen.

ersten Versuch Max Emanuel

Anfangs Juni 1702 erschien Graf

Schlick zum zweiten Male in Bayern. Er schied mit Worten, die einen günstigen

kaiserlichen Bescheid in kürzester Frist erhoffen ließen. Damals führte aber auch Frankreich mit dem Vertreter Max Emanuels in Versailles energische Verhandlungen, um den Kurfürsten über die Neutralität

hinaus zum Waffenbündnis zu bringen. Gerade die Verhandlungen Bayerns mit Österreich und die Nähe der militärischen Entscheidung bewirkten, daß man

ftanzösischerseits um den

letzten Bundesgenossen zu erhalten,

immer

51. Kurfürst Mar Emanuel am Scheidewege.

weiter cntgegenkam.

275

Man bewilligte die Erhöhung der monatlichen Subsidien-

gelder um 26000 Taler, man sicherte dem Kurfürsten die Erwerbung der Rheinpfalz und Pfalz-Neuburgs mit der Königswürde zu oder die erbliche Statthalterschaft der Niederlande mit dem Eigentumsrecht an den Provinzen

Joseph Ferdinand, Prinz von Asturien. (Nach dem Gemälde von Jos. Bivien au- der Galerie Lchleißheim.)

Geldern und Simburg.

Aus dieser Grundlage unterzeichnete Monasterol am

17. Juni 1702 einen neuen Vertrag. Max Emanuel schob die Ratifikation hinaus, erhob immer neue Schwierig-

Ikeiten und Forderungen, bangte förmlich vor einer raschen Erfüllung der letzteren. Wie ernst es ihm damals mit den Verhandlungen mit Österreich war, wie

glaubwürdig seine spätere Beteuerung, daß er bei größerem Entgegenkommen

18*

51. Kurfürst Max Emanuel am Scheidewege.

276

des Kaisers Anschluß an Österreich gesucht hätte, bezeugt seine Korrespondenz mit dem bayerischen Residenten (Gesandten) am Wiener Hofe und mit dem

Grafen Schlick. Aber Woche um Woche verstrich, der kaiserliche Bescheid blieb aus. Zuletzt stellte der Kurfürst ein Ultimatum. Am 5. August wurde endlich am Kaiserhofe das Aktenstück unterzeichnet, das über das Schicksal Bayerns im Spanischen Erbfolgekriege entscheiden sollte.

Am 12. August brach Graf Schlick zum dritten Male nach München auf.

Am 17. August 1702 fand in dem Neubau zu Schleißheim die denklvürdige Unterredung zwischen Max Emanuel und dem Grafen Schlick statt.

Der Kurfürst beklagte sich über die Langsamkeit des Kaiserhofes, schilderte ihm die Verlegenheit, in welche ihn die großen Anerbietungen Frankreichs, dos

Zögern des Wiener Hofes gebracht hätten, er sei aber entschlossen mit seinen Soldaten für Kaiser und Vaterland ins Feld zu ziehen.

Nun ergreift Schlick

das Wort um mit einem Aufgebot diplomatischer Beredsamkeit die kaiserlichen Anerbietungen zu entwickeln. Zwei Stunden waren bereits verflossen, als Max Emanuel, längst unruhig geworden, mit fieberhafter Spannung nach den

territorialen Anerbietungen fragt. Schlick erwidert mit dem Hinweis auf die Gebietes welche die Flotten Englands und Hollands in Spanien und in Indien erobern würden, welche unter

dem Szepter des bayerischen Kurfürsten zu

glänzendstem Wohlstand aufblühen könnten.

Max Emanuel unterbricht ihn,

in völlig geändertem Ton erhebt er sich zu einer energischen Anklage gegen die Wiener Regierung und gegen Schlick, der sich zu einer solchen Rolle hergegeben: Das sei die Antwort, auf die man ihn neun volle Wochen habe warten lassen, dafür habe er 23 Millionen Gulden und 42000 Mann Soldaten Österreich geopfert.

Man biete ihm weniger, als Schlick bereits bei seiner ersten Gesandt­

schaft in Aussicht gestellt.

Man biete ihm Subsidien, die keinen Wert hätten

ohne die Garantie Englands und Hollands, man biete ihm Territorien, die sich die Spanier nie entreißen lassen würden, die nur mit großen Flotten be­

hauptet werden könnten.

Frankreich dagegen habe ihm alles bewilligt, was

er gefordert, er habe sich Bedenkzeit ausbedungen bis zum 22. August, morgen müsse der Kurier, wenn der Termin eingehalten werden solle, mit dem Be­ scheide expediert werden. *Sn diesem Augenblicke wurde die Unterredung durch das Eintreffen eines Hofbeamten unterbrochen. Am Nachmittag fand eine zweite Konferenz statt. Schlick bat um acht Tage Frist um eine neue Instruktion

cinzuholen.

„Es ist zu spät!" war das letzte Wort des Kurfürsten.

Am 19. August 1702 verständigte Max Emanuel den Grafen Monasterol, daß er den Vertrag mit Frankreich ratifiziere, am 21. August ging ein Kurier mit der Ratifikationsurkunde nach Frankreich ab.

Unmittelbar darauf bricht

Max Emanuel auf und bringt noch im September die Reichsstädte Ulm und Memmingen in seine Gewalt um sich die Verbindung mit den durch die Schwarz­ waldpässe heranrückenden Franzosen zu sichern.

52. Ter Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges.

277

52. Der Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges. Don Karl v. Landmann.*

Am 1. November 1700 starb Karl II., der letzte König aus der spani­

schen Linie des Hauses Habsburg, nachdem er letztwillig seinen Neffen Philipp von Anjou, den zweiten Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich, als Nachfolger

eingesetzt hatte.

Kaiser Leopold I. als Haupt der deutschen Linie des Hauses

Habsburg forderte dagegen die spanische Monarchie für seinen zweiten Sohn Karl und entschloß sich zum Kampfe gegen Ludwig XIV., der die angeblichen In dem nun beginnenden Kriege handelte es sich somit zunächst nur um einen Erbstreit zwischen den Häusern Habsburg und

Rechte Philipps vertrat.

Bourbon und nicht etwa um eine deutsche Angelegenheit. Hatte das deutsche Volk keinen Vorteil davon gehabt, daß Spanien bisher von Habsburgern regiert wurde, so konnte es ihm auch gleichgültig sein, ob in Zukunft ein Habsburger oder ein Bourbon auf dem Königsthron von Spanien saß. Diesem Gesichtspunkte entsprach es, wenn Kurfürst Max Emanuel vorerst versuchte eine

neutrale Haltung einzunehmen.

Nachdem sich dies als unmöglich erwies und

eine bestimmte Partei gewählt werden mußte, wäre es der Eigenschaft eines

deutschen Reichsfürsten angemessen gewesen, daß auch Max Emanuel sich auf die Seite des Kaisers stellte. Nun wollte aber Leopold I. für den Beistand Max Emanuels, der sich bereits im Türkenkrieg 1683—1688 und im Krieg gegen

die Franzosen 1689—1697 unleugbare Verdienste um Kaiser und Reich er­ worben hatte, keinerlei Vorteile in Aussicht stellen, wogegen Ludwig XIV.

den hochstrebenden Wünschen des Kurfürsten in verführerischer Weise entgegen­ kam. Der König von Frankreich versprach seine Hilfe zur künftigen Erwerbung der Rheinpfalz und Pfalz-Neuburgs nebst der Königswürde (Vertrag vom 17. Juni 1702) und Max Emanuel ergriff nach langen, vergeblichen Unter­ handlungen mit dem Kaiser die Partei Frankreichs.

Durch das Bündnis mit Frankreich brachte sich Max Emanuel vorerst in

eine äußerst ungünstige militärische Lage.

Das kleine, annähernd das heutige

Ober- und Niederbayern und die Oberpfalz umfassende Kurfürstentum war von allen Seiten von feindlichen Gebieten umschlossen und hatte eine für die Ver­ teidigung höchst unvorteilhafte Gestaltung seiner Grenzen. Allerdings hatte

das mächtige Frankreich seine Hilfe zugesagt, die Verbindung mit dem Burldes-

genossen führte aber über

den vom Gegner

besetzten Schwarzwald,

Name damals noch einen unheimlichen Klang hatte.

Landesherr

bei Beginn eines Krieges in ungünstigerer Lage

damals Kurfürst Max Emanuel.

dessen

Nicht leicht hat sich ein

befunden

als

Es gehörte das durch reiche Kriegserfahrung

gesteigerte Selbstvertrauen und der ganze Wagemut des Eroberers von Belgrad dazu um unter solchen Verhältnissen überhaupt einen Krieg zu beginnen. Vor allem war Max Emanuel darauf Bedacht, die Verbindung mit der

ihm von Ludwig XIV. in Aussicht gestellten französischen Hilfsarmee, welche

52. Der Beginn des Spanischen Erbsolgetrieges.

278

unter Marschall Billars Möglichkeit herzustellen.

bei Hüningen über den Rhein

gehen sollte, nach Rasch entschlossen setzte er sich daher noch im Sep­

tember 1702 gewaltsamcrweise in den Besitz der freien Reichsstädte Ulm und Memmingen. Ulm ließ er von dem Oberstleutnant v. Pechmann durch Über­ fall nehmen und Memmingen ergab sich ihm selbst nach kurzer Beschießung

durch Artillerie Nicht minder wichtig schien ihm die Besetzung der pfalz-neuburgischen Hauptstadt Neuburg a. D., wo vor kurzem einige Bataillone und Eskadrons Reichstrnppen eingerückt waren.

Ende Januar 1703 traf er mit 8000 Mann

vor der Stadt ein, nahm sie nach kurzer Beschießung durch Artillerie mit Sturm und richtete dort eine bayerische Besatzung ein. Inzwischen waren immer bedrohlichere Nachrichten von der Ansammlung feindlicher Truppen an den Grenzen Bayerns eingelaufen. In Oberösterreich

wurde ein gegen 20000 Mann starkes Korps unter dem kaiserlichen Feldmarschallcutnant Graf Schlick zusammengezogen, an der Westgrenze der Ober­

pfalz ein etwa halb so starkes Korps unter dem kaiserlichen Feldmarschall Graf Limburg-Styrum; beide hatten angenscheinlich die Aufgabe in Bayern einzurücken. Max Emanuel erkannte sofort die Gefahr, die ihm drohte, wenn die beiden Gegner sich zu erdrückender Überlegenheit vereinigen würden, und

beschloß daher ihnen zuvorznkommen.

In möglichster Eile versammelte er

die verfügbaren Truppen in der Stärke von 9000 Mann am Inn; in der Nacht zum 11. März 1703 ging er sodann mit dem ganzen Korps bei

Schärding über den Fluß um den Feind in seinen im Innviertel bezogenen Quartieren zu überfallen.

In Schardenberg gelang es ihm die dort liegende Kavallerie vollständig zu überraschen

lind zu zersprengen,

bei Eisenbirn warf er die zum Gefecht

aufgestellten Truppen nach hitzigem Kampfe zurück.

Konnte Max Emanuel

hoffen, durch diesen Erfolg das Schlicksche Korps, das mit dem Hauptteil der Infanterie bei Passau stand, für einige Zeit eingeschüchtcrt zu haben, so ließ

anderseits die eingetroffcne Meldung über den Vormarsch überlegener feind­ licher Kräfte in der Oberpfalz seine Anwesenheit dort dringend notwendig erscheinen. Mit Zurücklassung von 5000 Mann unter Generalwachtmeister v. Lützclburg gegenüber Schlick marschierte er daher mit den übrigen Truppen

zur Unterstützung des in der Oberpfalz kommandierenden Feldmarschalleutnants

v. Weickcl eiligst ab. Bei Schmidtmühlen an der Vils traf er auf Truppen des Styrumschen Korps und schlug diese am 28. März so nachdrücklich, daß Styrum den Rückzug antrat und die Oberpfalz wieder räumte.

Max Emanuel wollte nun seinen Truppen einige Tage Ruhe gönnen und dann Styrum folgen, aber die Nachricht von einem Vormärsche Schlicks aus Passau veranlaßte ihn sich alsbald wieder gegen diesen Gegner zu wenden.

Da er fürchtete, Schlick habe es auf die Reichsstadt Regensburg abgesehen, beschloß er sich selbst in den Besitz der Stadt zu setzen. Nachdem er den

52. Der Beginn des Spanischen Erbsolgekrieges.

279

Generalwachtmeister Graf Tattenbach mit Infanterie und Artillerie über Kel­

heim auf das füdliche Donauufer entsandt hatte, schloß er am 8. April die Stadt auf beiden Ufern ein.

Die Drohung mit einer Beschießung bewog den

Stadtrat an Max Emanuel die Donaubrücke zu überlassen und eine bayerische

Brückenbesatzung aufzunehmen.

Der Kurfürst rückte

hierauf in Eilmärschen

nach Vilshofen, bis wohin Schlick inzwischen vorgedrungen war, aber dieser trat auf die Nachricht von dem Anmarsche des Kurfürsten sofort wieder den Rückzug nach Passau an.

Max Emanuel war eben im Begriff die Verteidigungsanstalten an der Ostgrenze neu einzurichten, als ihm die Mitteilung zukam, daß Marschall Villars den Rhein überschritten habe um den geplanten Vormarsch über den

Schwarzwald nun wirklich anzutreten.

Zugleich war das Verlangen gestellt,

der Kurfürst solle mit seiner Armee bis Tuttlingen entgegenrücken und so den Franzosen den Übergang über das Waldgebirge erleichtern. Max Emanuel beschloß daher sich an der Ostgrenze verteidigungswcisc zu verhalten und in möglichster Stärke in den Schwarzwald zu marschieren. In aller Stille ließ

er vom 12. April an die an der Ostgrenze entbehrlichen Truppen teils auf dem Landwege teils auf der Donau die Richtung auf Ulm nehmen und zog im Vormärsche alle sonst noch verfügbaren Truppen heran. Von Ulm ab

wurde der Marsch donauaufwärts fortgesetzt und bereits am 6. Mai fand bei Tuttlingen die erste Begegnung der Bayern und Franzosen statt. Max Emanuel sah sich jetzt an der Spitze einer aus 30000 Franzosen und 14000 Bayern bestehenden Armee und seine Absicht war, mit dieser an­ sehnlichen Streitmacht alsbald gegen das Korps Styrum zu rücken, das in­ zwischen über Nördlingen herangekommen war und aus dem bisherigen Korps Schlick beträchtliche Verstärkungen

erhalten

hatte.

Villars erklärte jedoch,

seine Truppen seien der Ruhe bedürftig und müßten für einige Wochen in Erholungsquartiere gelegt werden, und schloß damit jede entscheidende Unter­ nehmung von vornherein aus, dagegen gestand er die sofortige Abstellung einer französischen Jnfanteriebrigade für den Fall zu, daß der Kurfürst mit seinen

eigenen Truppen etwas zu unternehmen beabsichtige.

Maßgebend

für das

eigentümliche Verhalten des Marschalls war der Umstand, daß vertragsgemäß dem Kurfürsten, wenn er sich bei der französischen Armee befand, der Oberbefehl

zukam, weshalb Villars von Anfang an bestrebt war Max Emanuel möglichst

fernzuhalten.

Nebenbei ergab sich für Villars Gelegenheit sich durch Kontri­

butionen im reichen Schwabenlande persönlich zu bereichern. War durch die Weigerung des Marschalls der Vorteil der ftanzösischen Hilfe zum Teil schon verloren, so wollte doch Max Emanuel selbst die Lage möglichst ausnützen.

Nachdem er den Plan sich Passaus zu bemächtigen auf

Grund ungünstiger Nachrichten aus der Oberpfalz während der Ausführung

wieder aufgegeben hatte, wollte er gegen Nürnberg ziehen um diese Reichsstadt zu besetzen, die mit ihrem Kontingent die Unternehmungen gegen die Oberpfalz

280

52. Der Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges.

unterstützt hatte. Schon waren alle Vorbereitungen, darunter auch die Bereit­ stellung von schwerem Geschütz in Ingolstadt, getroffen, als er sich durch den französischen Gesandten und einen

von Villars eigens abgesandten General

überreden ließ diesen Plan wieder aufzugeben und dafür die Eroberung von

Tirol in Aussicht zu nehmen.

Der Besitz von Tirol war immerhin nicht nur

für das Zusammenwirken der französischen Heere in Deutschland und Italien von Vorteil sondern auch im Sinne einer allenfallsigen Gebietserweiterung für Bayern anstrebenswert.

Mit dem gewohnten Feuereifer ging Max Emanuel an die Ausführung des neuen Planes, wozu er über etwa 12000 Mann, darunter 2500 Franzosen, verfügte.

Am 20. Juni wurde Kufftein durch einen kühnen Handstreich ge­

nommen, am 23. Juni fiel die Feste Rattenberg und am 4. Juli nahmen die Vortruppen die Verschanzungen auf der Höhe des Brenner. Der Verabredung

gemäß hätte nun Marschall Vendöme, der in Oberitalien nur eine schwache

kaiserliche Armee gegen sich batte,

in entsprechender Stärke von Süden her

vorrücken sollen und Tirol wäre.behauptet worden. Vergeblich wartete aber der Kurfürst über zwei Wochen am Brenner und Vendöme kam nicht. Statt dessen trafen auf gegnerischer Seite zur Verteidigung des Landes beträchtliche

Verstärkungen aus Oberösterreich durch das Pustertal ein, während die Gebirgs­

bevölkerung sich zu entschlossenem Kampfe ermannte und allenthalben die baye­

rischen Postierungen mit überlegenen Kräften anfiel. Von vorne und im Rücken angegriffen befand sich Max Emanuel plötzlich in einer äußerst gefähr­ lichen Lage, aus der ihn nur ein rascher Entschluß retten konnte, und der hieß: schleuniger Abmarsch.

Am 22. Juli nachts um 2 Uhr begann er mit

dem Hauptteil des Jnvasionskorps den Rückzug und marschierte in einem Zuge nur mit den notwendigsten Rasten bis Innsbruck; tags darauf ließ er die Stellung der Tiroler bei Zirl stürmen und dadurch die direkte Straße nach Bayern wieder freimachen. Es war an diesem Tage, daß Max Emanuel

durch einen Zufall dem Tode entging, indem ein feindlicher Schütze den kur­ fürstlichen Kammerherrn Graf Arco,

den er für den Kurfürsten hielt, aus

sicherem Versteck niederschoß. Nachdem der Rückzug aus Tirol, wenngleich unter namhaften Verlusten, glücklich gelungen war, mußte der Kurfürst neue Truppenentsendungen vor­ nehmen um die abermals bedrohte Ostgrenze zu schützen. Mit dem ihm noch

verbleibenden geringen Rest an Truppen beschloß er dann zu Villars zu stoßen

und den Oberbefehl über die französische Armee wieder zu übernehmen. Villars war inzwischen in aller Ruhe an der Donau gestanden ohne etwas gegen das an Zahl schwächere Korps Styrum zu unternehmen. Als nachher der

Reichsfeldmarschall Markgraf Ludwig von Baden mit einem Teil der Armee,

die bisher am Rhein dem französischen Marschall Tallard gegenüber gestanden war, herangezogen kam um sich mit Styrum zu vereinigen, war die beste Gelegenheit zum Schlagen versäumt; Villars mußte sich damit begnügen sich

52. Ter Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges.

281

in einer Stellung zwischen Lauingen und Dillingen so zu verschanzen, daß ihn

Markgras Ludwig nicht anzugreisen wagte. Bereits zwei Monate stand Villars im Lager bei Dillingen untätig, als Max Emanuel am 1. September dort eintraf. Er fand den Marschall in großer Aufregung, weil Markgraf Ludwig mit dem größeren Teil seiner Armee donauaufwärts marschiert war und man sich den Zweck dieses Marsches nicht

erklären konnte. Das Nächstliegende wäre nun wohl gewesen, über den unter Styrum zurückgebliebenen Teil der Reichsarmee, der, allerdings in verschanzter Stellung, bei Haunsheim gegenüberstand, mit allen Kräften herzufallen. Aber Villars war zu sehr daraus bedacht, sich vor allem die bedrohte Verbindung mit Frankreich zu sichern, und das Ergebnis eines erregten Kriegsrates war eine Teilung: am 2. September rückten Max Emanuel und Villars mit

20000 Mann in Staffeln auf der Straße nach Ulm vor, während im Lager von Dillingen Generalleutnant Usson mit 14000 Mann zurückblieb.

Da kam

noch am gleichen Tage abends die überraschende Meldung, daß Markgraf Ludwig nach Umgehung von Ulm in vollem Marsche über Memmingen auf Augsburg sei.

Nun wurde wieder umgekehrt, aber zu spät, und mit einem

kleinen Vorsprunge kam der Gegner vor der freien Reichsstadt an, die ihm nach kurzem Zögern ihre Tore öffnete.

Der Vorschlag des Kurfürsten den Markgrafen Ludwig in seiner Stellung bei Augsburg anzugreifen fand bei Villars keine Zustimmung und es war

daher notwendig weitere Maßnahmen zu treffen.

Diese ergaben sich erst aus

einem Ausgleich zwischen den auseinandergehenden Wünschen der beiden Heer­ führer. Villars, dem die Lage seit geraumer Zeit etwas unheimlich geworden

ivar, drängte nach Westen und schlug vor nach Ulm zu rücken; der Kurfürst dagegen wollte seiner durch die feindliche Armee ständig bedrohten Hauptstadt näher bleiben. Schließlich einigten sie sich dahin, daß die Armee nördlich von Augsburg beiderseits des Lech, verbunden durch eine bei Thierhaupten geschlagene

Brücke, mit dem Hauptquartier in Nordendorf postiert werde.

Von da schreibt

am 17. September der junge Generaladjutant Graf Törring an seine Mutter: „Gestert hat der Maröchal de Villars und schier alle französischen Generalle in des Feldmarschalls Arco Lager gespeist", was darauf schließen läßt, daß

die berechtigte Unzufriedenheit Max Emanuels mit dem Verhalten des Villars der bayerischen Gastfreundschaft keinen Eintrag tat. Aus der ihm aufgezwungenen Lage wurde Max Emanuel unerwarteter

Weise durch den Gegner befreit.

Am 18. September verließ Graf Styrum,

der von Markgraf Ludwig den Befehl erhalten hatte sich Donauwörths zu bemächtigen, seine feste Stellung bei Haunsheim und marschierte flußabwärts.

Villars, der gerade in Dillingen anwesend war, brachte diese Nachricht sofort nach Nordendorf. Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges über Styrum war so offen­ liegend, daß Villars dieses Mal dem Kurfürsten keine Schwierigkeiten machte,

sondern ganz damit einverstanden war dem Gegner eine Schlacht zu liefern.

52. Ter Beginn des Spanischen Erbsolgetrieges.

282

Indem der Kurfürst mit dem Hauptteil der Armee mittels eines Nacht­

marsches über Donauwörth von Osten her und Usson aus Dillingen von Westen her gegen das Korps Styrum vorrückten, brachten sie dieses am 20. Septem­ ber bei Höchstädt zwischen zwei Feuer; nur der festen Haltung der Nachhut

unter Fürst Leopold

von Anhalt-Dessau hatte der Gegner es zu danken,

daß ihm der Rückzug nach Nördlingen noch gelang. In der richtigen Erwägung, daß der errungene Sieg nur dann seine

volle Bedeutung gewinne, wenn der durch ihn erzielte moralische Eindruck wie die erlangte numerische Überlegenheit sofort zu einem Schlage gegen den noch bei Augsburg stehenden Markgrafen Ludwig ausgenutzt würden,

sah Max

Emanuel von weiterer Verfolgung Styrums ab und wendete sich sofort gegen Augsburg. „Nun geht es auf den Prinz Louis los," schrieb am 21. Septem­

ber der die Avantgarde

führende Feldmarschall Graf Arco,

„und wollen

wir ihm auch den Weg aus Bayern und dem Schwabenland weisen."

Als

aber die Armee bei Augsburg angelangt war, weigerte sich Billars die franzö­

sischen Truppen verwenden zu lassen, weil des Gegners Stellung zu stark sei, und der von Max Emanuel geplante Angriff mußte unterbleiben. Von neuem drängte Villars nach Westen, und da er dieses Mal geltend machen konnte, daß Verstärkung durch französische Truppen unter Tallard

zugesagt sei, ließ sich Max Emanuel überreden mit der französischen Armee nach Ulm zu marschieren,

während Feldmarschall Arco mit den bayerischen

Truppen zur Deckung von München an der Augsburg-Münchener

zurückblieb.

Straße

Diese Operation hatte die unerwartete Wirkung, daß Markgraf

Ludwig unter Zurücklassung einer starken Besatzung Augsburg Mitte Oktober verließ und südlich ausbiegend über Kempten nach Westen abzog. Max Emanuel folgte anfangs nach und

besetzte bei dieser Gelegenheit

die Reichsstadt Kempten, ließ aber dann den Markgrafen ruhig in die Winter­ quartiere abziehen, indem er seinen Vorteil wohl erkannte.

Die um diese Zeit

seinen Antrag erfolgte Abberufung des Marschalls Villars und dessen Ersetzung durch den gefügigeren Marschall Marsin gab ihm ohnehin mehr freie

auf

Hand über die französischen Truppen zu verfügen und so beschloß er trotz der vorgerückten Jahreszeit sich noch der Reichsstadt Augsburg zu bemächtigen. Nachdem Generalwachtmeister Marquis Maffei das erforderliche Belagerungs­ geschütz von München und Ingolstadt herangeschafft hatte, begann am 8. De­

zember die Beschießung der Festungswerke aus 4 Kanonen- und 5 Mörser­ batterien. Die Besatzung ließ es jedoch nicht zum Sturme kommen und bereits

am 14. Dezember gelangten die Verhandlungen zum Abschluß, die die alte Reichsstadt in Max Emanuels Besitz brachten.

An der Süd-, Ost- und Nordgrenze Bayerns hatten inzwischen die Waffen auch nicht geruht. Im Süden hielt Kufstein unter Graf Törring der an­ dauernden Belagerung durch kaiserliche Truppen stand, so daß es Max Emanuel möglich war die Festung entsetzen zu lassen. Im Osten hielt sich in gleicher

54. Die Sendlinger Bauernschlacht (1705).

283

Weise die Feste Schärding, doch blieb das Innviertel von Kaiserlichen besetzt. Auch

der nördliche Teil der Oberpfalz

war in den Händen des Gegners

geblieben, nachdem die Feste Rothenberg und die Städte Amberg und Cham

noch mutvoller Verteidigung kapituliert hatten. Trotzdem konnte Max Emanuel mit höchster Befriedigung auf den bis­ herigen Verlauf des Krieges zurückblicken. Nachdem er im Kampfe mit dem Gegner wiederholt siegreich geblieben, hielt er nun das ganze Land zwischen

Lech und Iller,

die freien Reichsstädte Regensburg,

Ulm, Augsburg, Mem­

mingen und Kempten, das Herzogtum Neuburg und in Tirol das feste Kufstein

besetzt und war imstande seine Bundesgenossen

auf erobertem Gebiet in die

Winterquartiere zu legen. Hätten es die Verhältnisse Max Emanuel gestattet, den Krieg mit gleichem Erfolge im Jahre 1704 fortzusetzen, so würde das Haus Wittelsbach wohl

schon damals den Kurhut mit der Königskrone vertauscht haben. Aber nun betrat mit Prinz Eugen von Savoyen auf gegnerischer Seile ein größerer Feldherr den deutschen Kriegsschauplatz und von da an vermochte Max Emanuel nicht mehr zu siegen.

53. Das G'sangl von Anno 1705. Don Karl v. Heigel.*)

Max Emanuel ist verbannt!

Weihnacht ist da; es läuft zur Metten, Wir aber wollen die Kinder2) retten, Erretten aus fremder Hand Die Kinder! Bauer oder Knecht, Heut' sind wir gleich und sind im Recht, Wir kämpfen für das Bayerland!

Ts ist für uns kein ander Heil, Die Flint' zur Hand und Sens' und Beil! Max Emanuel ist verbannt! Wir raufen, Einer gegen gehn, Doch die Büchsen treffen, die Sensen mäh'n, Wir Kämpfen für das Bayerland!

Die Kinder retten! Schlagt zu, schlagt tot! Die weißblaue Fahn' mutz werden rot, Der Ehristbaum steh' in Brand! Wir raufen heute nicht um Klein's, Und fallen wir, ist alles eins Dreimal Hoch das Bayerland!"

„Weih' unser Schwert du, der uns kennt, Das Feuer weih', das in uns brennt, Wir kämpfen für das Bayerland! Kaiserlich Bolk knecht't unsern Leib, Raubt unser Kind, schänd't unser Weib,

54. Die Sendlinger Bauernschlacht (1705). Don Hans Hopfen.') Run wollen wir aber heben an Don einer Ehristnacht melden:

Aus den Bergen zieh'n gen München heran

Fünftausend männliche Helden.

I Der Gemsbart und der Spielhahnschweif I Sind drohend gerückt nach vorne, An ihren Bärten klirrt der Reif,

Ihr Auge glüht von Zorne.

*) „Im Isartal", eine Erzählung von K. v. Heigel, S. 87. Dresden 1902, E. Pierson. 2) Die gefangenen Prinzen. 5) Gedichte, S. 47 ff. Berlin 1883, 91. Hofmann & Co.

284

54. Die Sendlinger Bauernschlacht (1705\

Sie schwenken die Sense, die Keule, das Schwert, Fünfhundert sind mit Büchsen bewehrt, Und wie die Schneelahn wächst die Schar Don den Bergen rollend im Monde klar. Ein Fähnlein himmelblau und weiß Trägt vor dem Zug ein riesiger Greis; Das ist der stärkste Mann des Lands, Der Schmied von Kochel, der Meier Hans ; Don seinen Söhnen sieben Ist keiner zu Haus geblieben.

„0 Kurfürst Max Emanuel, Wir müssen's bitter klagen, Daß du für Habsburg Leib und Seel' So oft zu Markt getragen! Du Delgradstürmer, du Mohrentod, Du mußtest ins Elend wandern Und brichst französisch Gnadenbrot Zu Brüssel jetzt in Flandern. Es irrt dein Weib auf der Landesflucht, Deine Waisen weinen in Feindes Jucht, Gebrandschatzt darben die reichen Gau'n, Man sengt die Fluren, man schändet die Frau'n, Man rädert die Männer um leisen Ver­ dacht, Man reißt die Söhne vom Stroh zu Nacht Sie nach Ungarn zu trommeln ins heiße Blei Das Maß ist voll, es birst entzwei; Drum lieber bayrisch sterben Als kaiserlich verderben! Auch hat die Münchner Bürgerschaft Uns einen Brief geschrieben, Daß sie mit ungebrochner Kraft In Treue fest geblieben. Wenn wir den roten Isarturm Nach Mitternacht berennten, Erhöben drinnen sich zum Sturm Die Bürger und Studenten. Denn wie den letzten, teuersten Schatz Vergruben sie am geheimsten Platz, Was ihnen geblieben an Waffen und Wehr.

Sie sprechen am Tage sich nimmermehr, Doch tief in den Kellern bei Fackelbrand Reicht sich die ganze Stadt die Hand; Allnächtens zieht von Haus zu Haus Ein unterirdisches Gebraus, Ein: Lieber bayrisch sterben Als kaiserlich verderben! Wir klopfen ans Tor, nun laßt uns ein!" — Da geht von den Wällen ein Blitzen Und feurigen Tod zum Willkomm spei'n Gutkaiserliche Haubitzen; Und Straßen aus und Straßen ab Musketen und Granaten Wer hat die Landsleut' an das Grab, An Österreich verraten? Der Pfleger von Starnberg war der Wicht! Mein Lied nenn' seinen Namen nicht, Berdammnis und Vergessenheit Begrab' ihn heut' und allezeit; Sein Kleid sei gelb, sein Haar sei rot, Sein Stammbaum des Ischariot! In Tränen flucht die Bürgerschaft, Ihr blieb keine Klinge, kein Rohr, kein Schaft; Sie ward in wenig Stunden Entwaffnet und gebunden.

Doch spie' die Höll' aus dem roten Turm: Der Landsturm von den Bergen, Er nimmt die Münchner Stadt mit Sturm Trotz Kaiser Iosephi Schergen! Die Brücke dröhnt, die Nacht wird hell, Hie Wirbeln, Schreien, Knallen, Dom „Hurra, Max Emanuel!" Die Gassen widerhallen. Schon rief der Feldmarschall von Wendt: „Die Sache nimmt ein schlimmes End'; Wo bleibt des Kriechbaum Reiterei? Ich rief sie doch im Flug herbei!" Da rasselten über den Brückenkopf Mit rotem Mantel und doppeltem Zopf Die fremden Schwadronen die Kreuz und die Quer.

54. Die Sendlinger Bauernschlacht (1705).

Don den Wällen schlugen die Bomben

schwer. Die Landsleut' in der Mitten, Die haben viel hart gestritten.

285

Daß die Dreihundert, die wir noch sind, Heimziehen dürfen zu Weib und Kind - “ Drauf ist unter Blitz und Knallen Der Sprecher vom Stein gefallen.

Sie flohen über die Heide breit Durch tief verschneite Fluren, 3m Rücken und an jeder Seit'

Da schlossen ums flammende Gotteshaus Die Landsleut' eine Kette Und knallten und schrien in die Nacht

Kroaten und Panduren. Dort sind wohl ihrer tausend und meh

hinaus Eine furchtbare Weihnachtmette. Als der Hahn im Dorfe zu krähen begann, War all ihr Blei verschossen, Sie hingen würgend Mann an Mann Auf den schäumenden Ungarrossen. Und als an die Glocken der Frühwind fuhr, Da stand von den Bauern ein einziger nur. Das war der stärtzste Mann des Lands, Der Schmied von Kochel, der Meier Hans; Mit einer Keule von Eisenguß Drasch er sie nieder zu Pferd und Fuß. Doch als die Sonne zur Erde sah, Seine sieben Söhne lagen da Ums Fähnlein, das zerfetzteDer Dater war der letzte.

Unter Rosseshufe gesunken Und haben den blutigen Weihnachtschnee Als Wegzehrung getrunken. Ein Friedhof steht am Hügelrand Den erklommen die Bauern mit Knie und Hand, Auf dem Glatteis ringend im Einzelkampf Unter Kolbenstößen im Pulverdampf, Bis von dem Rest der treuen Schar Der steile Hof erklettert war. Da stieß in ein verschneites Grab Der greise Schmied den Fahnenstab:

„Hie lieber bayrisch sterben Als kaiserlich verderben!"

Heiß kochte der Schnee, die Nacht war lang, Durchs Knattern der Musketen Zog sich's wie Orgel- und Glockenklang,

Wie fernher wanderndes Beten. Und ein Bauer ein weißes Tuch aufband, Er tat's an der Sense schwenken, Er mußte des Jammers im bergigen Land,

Der Witwen und Waisen gedenken. - „ Bon der Iugspitz bis zum Wendelstein Nur Sturmgeläut' und Feuerschein, Derweil zwischen Hufschlag, Schnee und Blei Wir fruchtlos fallen vor Hahnenschrei. Wir haben's verspielt ohne Nutz und Lohn, Drum, feindlicher Obrist, gib uns Par­ don,

Nun tröst' euch Gott im Himmelreich, 3hr abgeschiednen Seelen! Es wird von solchem Bauernstteich Noch Kindeskind erzählen. Wohl manch ein Mann, wohl manch ein Held Geht um in deutschen Weisen, Wir wollen den, der Treue hält, Dor allen andern preisen, Der ttotz Derrat und Hochgericht Don seinem Wort kein Jota bricht. Jetzt aber sagt, wo kehren wir ein? Ich denk', heut' soll's in Sendling sein. Dorbei am Friedhof führt die Sttaß', Da grüßen wir unters verschneite Gras: „Hie lieber bayrisch sterben Als kaiserlich verderben!"

55. Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht.

286

55. (Eine Szene aus der Sendlinger Vauernschlacht. Don Anton Hoffmann.')

Die bange Nacht ist um — blaugrau schleicht der zagende Tag ins Schneefeld. Aus mattroter Sonnenscheibe fällt glanzlos durch den Dunst ein fahler

Schein über die Ebene, von deren kalten, westlichen Schatten sich eine frostige Schneewand emporringt, aurorafarbige Flatterwölkchen voraussendend, die im grüngelben Licht des östlichen Horizontes untertauchen. Drüben im Feld unterhalb Sendling ist die Arbeit getan, aus vielen Hunderten zerfleischter Leiber dampft das Blut zum Himmel. Kaiserliche Husaren und Grenzvölker, venvilderte, im lebenslangen Krieg

gegen den Erbfeind

der Christenheit erbarmungslos

gewordene Räuber, schweifen zwischen den zuckenden

Haufen umher, gewohnt in der armseligen Habe der Unterlegenen Ersatz für seltene Löhnung zu finden,

plündernd und letztes, flackerndes Leben mordend, im mildesten Falle die bis aufs Hemd Ausgeplünderten

im Schnee ihrem Schicksal überlassend. Bis

zur

schmerzhaften

Kapelle

am

Kirchhof

St. Stephan können wir den Leidensweg verfolgen an den dunklen Silhouetten Gefallener; noch folgen verspätet einzelne Reiterschwärme, denen der Gefechts­

lärm neue Arbeit und neue Beute verspricht

Dort in den Auen längs der Stadtmauer zwischen Isar- und Angertor, zwischen Jsararmen, Mühlen und Bleichen verröchelten heute in früher Morgenstunde

schon Hunderte, die die erste wilde Jagd niederstreckte. Stumm und regungslos liegt die turmreiche Stadt im Morgenlicht, winken

von den Höhen jenseits der Isar die Vorstädte Giesing, Au und Haidhausen;

da lauschen Tausende banger Menschen beklommenen Herzens dem Kampflärm vor den Mauern, dem Laufschritt durch die Straßen, eilenden Fußvolkes, dem Huffchlag vorbeitrabender Geschwader. Als die Musketensalven unten im Feld in die ungeordneten Haufen schmetterten, die Husaren ihre unbändigen Mähren in das wirre Gedränge

hetzten,

da brach der letzte geschlossene Widerstand der Landesverteidiger.?)

*) „Führer durch das Kolossal-Rundgemälde, ausgestellt auf der Theresienhöhe 2a bei München." Selbstverlag, 1905 München.

*) Die gesamte Streitmacht der „churbayrischen Oberlandesdefension", ca. 5000 Mann stark, war gegen München herangezogen, entschlossen mit Hilfe der Bürgerschaft die Landeshauptstadt der schwachen kaiserlichen Besatzung zu entreißen, die Wegführung

55 Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht.

Nun galt's nicht Kamps mehr um Sieg und Freiheit,

287

jetzt ging es ums

arme Leben.

Der Rücken war noch frei bis zur nahen Dorfumfassung; dort in Zäunen und Hecken gab es noch Hindernisse für die Verfolger, in Häusern, Scheunen, Ställen noch Deckung gegen das mörderische Blei, auf Straße und Feldweg vielleicht noch ein Entkommen.

Was noch stand, wirbelte in Haufen die Hänge

und die hohle Straße am Kirchhof hinauf. Hier hetzt der kaiserliche General Kriechbaum selbst sein Fußvolk den Fliehenden aus den Nacken.

In dichten Massen schieben sich die Kolonnen den Berg heran, inmitten der Kommandant des Entsatzkorps mit seinem Gefolge, Grenadiere voraus, die den vom freien Feld sich Zurückziehenden auf dem Fuße folgen. Schonungs­

los wird hier

das Dolchbajonett gebraucht, die

neue Waffe des Fußvolks, welche, mit dem Holz­ heft in die Mündung gepflanzt, die Muskete zum wuchtigen Spieß machte. Was nützt dagegen die dünne Sensenklinge, was Gabel, Sichel und Knüppel!

Nur der wuchtige Morgenstern, von ner­ vigem Arm geschwungen, die schneidende Axt und

die altertümliche Hellebarde mag dagegen bestehen. „Zum Freithof" brüllt da oben der Sensenmann

an der Mauer und durch die enge Pforte schiebt sich das hastige Getümmel um Schutz bei Altar und geweihtem Boden zu finden.

Jsarwinkler Schütze.

Das Spundbajonett im Lauf der Infanterie­ muskete hindert den Schuß, aber oben von der Mauer blitzt es, pafft und knallt es wie beim Scheibenschießen. Hier halten noch Jsarwinkler im grünen Rock mit dem kurzen gezogenen Radschloßstutzen stand gegen den geschlossenen Ansturm des kaiserlichen Fußvolkes.

Wohl werden auch hier schon die Grabhügel zum harten, kalten Sterbe­ bett derer, die aus dem Gemetzel im Wiesengrund hierher sich noch schleppend verbluteten, und die alte Kirche aus ferner, eisenharter Zeit sah nie noch solch Getümmel um ihre altersgrauen Mauern, wo das Blut der Gemordeten, das über die Altarstufen rieselte und an die kalten Wände spritzend verrauchte, dem Ort des Friedens und ewiger Ruhe selbst die Weihe nahm. der kurfürstlichen Prinzen zu hindern und, einmal im Besitz der Hauptstadt, von hier aus der österreichischen Herrschaft ein Ende zu machen. Hauptsächlich waren es wehr­ hafte Männer vom Oberlauf der Isar und dem Land zwischen Loisach und Mangfall -- Jsarwinkler — die selbstbewußt, trotzend auf eigene Kraft, den blutigen Strauß tvagten.

55. Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht.

288

Des Verhaus knorriges Astwirrsal vermochte den Stürmern nicht halt zu gebieten, nicht Schutz den Verteidigern zu geben, denn schlecht taugt zum

Nahkampf das zum Streitgerät geformte Ackerwerkzeug, nutzlos ist es auf die Ferne. Man ballt sich zu Knäueln zusammen die Wehr vorstreckend; so lehrten es die kriegserfahrenen Offiziere und Soldaten, die aus dem Verbände der auf­

gelösten kurbayerischen Regimenter in die Reihen der Landesverteidiger traten — „lieber dem Teufel zu dienen denn dem Kaiser". Der Leiter des gesamten Aufstandes, der Jägerwirt von Tölz, auf schnau­ bendem Schecken reitend, starrt trüb und unschlüssig die Straße hinab, wo es in erdrückenden Massen heraufzieht. — „Alles verloren!" — „Wenn's schon zum Sterben ist, dann drauf!" „Lieber bayrisch sterben als kaiserlich verderben!" Da werfen die Verzweifelnden und Zagenden sich den Grenadieren des Regiments „Bischof von Osnabrück" entgegen, die das Dorf umgehend durch die Gasse einbrechen. Der kleine Tambour schaut zaghaft ins Getümmel: das ist anders, als

wenn man sich daheim im Dorfwirtshaus an die Gurgel fuhr oder mit dem Schlagring die Köpfe zerbeulte, das ist bitteres Sterben in einem erbarmungs­

losen Ringen. Da „scheppert" die dünne Sensenklinge gegen den starren Gewehrlauf, die Axt gegen die Partisane, hier würgt das Messer gegen den

Degen, da prasselt tödliches Blei in die Leiber. Doch auch durch die Dorfgasse wälzt sich im Laufschritt von Neuhofen

und Thalkirchen

herüber

fränkisches Fußvolk vom Regiment „Jahnus von

Eberstätt". Es soll der Arbeit nicht viel mehr finden.

In dichtem Knäuel bahnt

hauend, stechend und schießend der Haufe der Jsarwinller sich eine Gasse ins Freie, mit ihnen der französische Gardekapitän Gauthier, einer ihrer Führer. Ihr sicheres Blei hält die Verfolger in Achtung und wenn auch viele stürzend

den Weg zeichnen zur Heimat, die Braven erreichen fechtend den schützenden Wald.

Den breiten „crabatischen" Krnmmsäbel oder die lange Radschloßpistole in der Faust jagen über den Heil. Geisthof die Cusanihusaren herein von de Wendt, dem Kommandanten der kaiserlichen Besatzung Münchens, selbst geführt.

Mit Roß und Waffen wohl versehen boten diese Reiter von den Ufern der Drau, Sau und östlichen Donau als leichte, flüchtige Scharen dem ihre

Dienste, der ihnen Sold und Beute versprach. Schrecken und Furcht, aber auch Haß und bitteres Rachegefühl erweckten überall ihre barbarischen Gepflogenheiten. Hoch in den Bocksätteln mit auf­ gezogenen Knieen sitzend neigen sich die Vordersten zu wahllosem Hieb und Schuß in die dichte Masse der Sensenmänner, die die Wucht des Galopp­ sprunges hinwegsegt. Manch nervige Bauernfaust klammert sich

da in die Zügel

oder die

haarige Roßschnauze, daß das Tier scheuend auffährt oder vorprellend den

55. Eine Zzene aus der Zendlinger Bauernjchlacht.

Widerstand zu Boden reißt.

289

Mancher Gaul, in dessen Brust die Sense zischend

sich vergraben, kollert mit plumpem Fall hauend und schlagend in den Schnee, aber

brutale Hiebe lösen

die knochigen Hände von

den Zügeln

und der

brausende Reitersturm rächt den Fall des Kameraden. In den Haufen verstreut erkennt man an den Uniformen

Soldaten

aufgelöster bayerischer Regimenter, die hier mit ihren bäuerlichen Kriegsgenossen die Mannentreue zu ihrem Fahneneid mit dem Leben bezahlen. Schon klimmen am Hang beim Wimbauernhof auch grauröckige Mus­ ketiere herauf. Noch schwanken die Vordersten vor der entschlossenen Haltung eines verzweifelten Häufleins; da duckt sich ein herkulisch gebauter, waffenloser

Knecht zum Sprung gegen den zaudernd das Gewehr vorstreckcnden Musketier,

doch die Chargierten treiben die Zaghaften an zum Vollzug des Mordwerks. Da hieben die Zimmerleute von der Au, die sich den Aufständische» ange­

schlossen hatten, ihre letzten Späne, da schlugen die Schmiede vom Oberland ihre letzten nervigen Schlüge, der Letzten einer jener heldenhafte Schmied Balthes, von dem kein Dokument zu berichten weiß, den aber treues Volks­

gedenken überliefernd aufstellte als das Urbild starren, zähen Mutes und nimmer­ wankender Treue zur Fahne seines Landes. Mit der Linken das Symbol kriegerischer Treue ans Herz drückend, mit

der hammergewohnten Rechten den schmetternden Morgenstern regierend, stier­

nackig dem Feinde Trotz bietend und nicht achtend des ihn umtobenden Ver­ derbens sei er uns durch alle Zeiten die Jdealgestalt bayerischen Löwenmutes und bayerischer Treufestigkeit. Das Feld war geräumt, der Sieg erfochten; aus den Leichenhaufcn, aus den Häusern, Ställen und Scheunen sollte die blutgesättigtc Soldateska sich

jetzt ihren Lohn holen.

Beutegierig brachen Husaren, Panduren und Kroaten

in die Höfe, die Türen krachten und von neuem verrichteten Natagan, Säbel

und Faustrohr entsetzliche Arbeit. Inmitten des über sie zusammenschlagendcn Verderbens verkrochen sich die geängstigten Bewohner hilflos in ihren Hütten, retteten zwar das Leben,

ihre Habe aber fiel der Plünderung zum Opfer. Die Bauern Artillerie, kleine, wirkungslose Stücke, die sonst in den Klöstern zu Tegernsee und Benediktbeuern friedliche Dienste zum „Antlaß-

schießen" taten, fallen neben sechs Fahnen und einigem Fuhrwerk als Tro­ phäen den Siegern in die Hände, mit ihnen die Führer: die Leutnants Clanze und Aberle und als letzter der kurfürstliche Hauptmann Mayer, der, nach­ dem Widerstand nutzlos, um dem überlebenden Rest der Landesverteidiger das Leben zu erwirken, selbst seine Person einsetzte. Über das Feld aber, gegen

den Forstenrieder Wald tobt die Verfolgung. Ring

Längst schon ist der Ort eingekreist durch zahlreiche Reiterei, die den immer enger schließend jeden der Fliehenden wie parforce gejagtes

Wild hetzt. KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

290

55. Eine Szene aus der Sendlinger Bauernschlacht.

Viele durchbrechen den Ring; mancher bahnt sich durch einen glücklichen Schuß eine Lücke, so der Student Passauer, der Freund des Jägerwirts, welcher, verfolgt durch Husaren, im kritischen Moment, da sein Bauernroß das Hindernis verweigert, einen Verfolger vom Pferde schoß und durch Kreuz- und Querhiebe mit dem Degen sich die Meute vom Leibe haltend glücklich entkommt.

Zwischen 10 und 11 Uhr des Christtags war alles vorüber, verstummt Vom

das prasselnde Gewehrfeuer, erloschen das Geschrei der Kämpfenden.

Letzte Szene des Kampfes am Kirchhof von Sendlings

weiten Leichenfeld nur scholl noch das Röcheln Sterbender und das Jammer­ geschrei Verwundeter oder das Wehklagen der Ortsbewohner, denen das Vieh

aus den Ställen getrieben wird. In der Ferne, den blauen Bergen zu, verhallt der Lärm der Verfolgirng und über die Dachfirste springt der rote Hahn eine braune Rauchwolke über das Dorf wälzend und das Bild von Mord, Brand und Plünderung vollendend. —

Wo in breiten Blutlachen sterbende Landeskinder einst verscheidend sich

wälzten den Rosenkranz um die kalten, zitternden Finger geschlungen, wo ein letztes Vaterunser im stockenden Atem verhauchte und nackte Verwundete in Ecken und Winkeln vor dem Wintcrfrost zitternd sich verkrochen, wo der Hufschlag der Rosse und der Feldschritt stürmender Bataillone einst den Zornesausbruch

eines zerschlagenen Volkes zermalmend

rollt jetzt der brausende Verkehr der Großstadt.

zu Boden trat,

da

291

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Mai».

Wie mancher mag im Drange des alltäglichen Treibens und Hastens achtlos an St. Äkargareta, dem bescheidenen Kirchlein von Sendling, vorbei

gehen nicht denkend, daß sein Fuß denselben Staub tritt, den eines Helden­

volkes vergeblich vergossenes Blut netzte. Vergeblich — aber nicht nutzlos, wenn zur Weihnachtszeit uns die Glocken des alten Kirchleins in der Christmette die Worte läuten: „Vergeßt der treuen Toten nicht"

todes, ihres Bayerneid:

und wir im Gedächtnis der Großtat ihres Opfer­

hehren Beispiels,

Nacheiferung

uns geloben

mit dem alten

„3n Treue fest!»

Würzburg mit dem Marienberg von Nordwesten gesehen.

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main. Don Theodor Henner.*

Von den Höhen des Fichtelgebirges kommend bewegt sich der Main in stattlicher Längenausdehnung von Osten nach Westen durch jene Lande, denen dauernd der Name Franken verblieben ist; nicht etwa die Urheimat des Frankenstammes, sondern ein Gebiet, in das sich vorher alamannische und

thüringische Bewohner geteilt hatten, bis durch große geschichtliche Wandlungen am Übergang vom 5. zum 6. Jahrhundert das fränkische Element hier schließlich zum herrschenden geworden ist. Nicht ohne Grund hat der Begriff „Main­ linie» eine namhafte Bedeutung in der inneren Entwicklung Deutschlands gewonnen; in diesem Flußgebiet scheidet sich gewissermaßen der eigentliche Süden von dem mittleren und nördlichen Deutschland. Nicht in einheitlich

gestrecktem Laufe verfolgt der Main seine Richtung, sondern vielinehr in wieder­

holten starken Ausbiegungen nach Süden und Norden, und an einer derselben, ungefähr in der Mitte des ganzen Flußlaufes, liegt Würzburg, eine Nieder­ lassung, deren erste Anfänge wohl in graue Vorzeit zurückgehen, in jene

Zeiten, da keltische Völkerschaften als Vorläufer der Germanen das mittlere und südliche Deutschland bewohnten. Allein sein eigentliches Licht und Leben bekam der Ort doch erst unter dem Einfluß der stänkischen Herrschaft.

292

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

Zu beiden Seiten des Mains baut sich Würzburg auf und da ragt

am linken Ufer auf steil ansteigender Felsenhöhe, dem Marienberg, jene alte Feste „Unser lieben Frauen Berg" empor, welche den ganzen Talkessel, in den die Stadt gebettet liegt, beherrscht.

Sie gibt dem ganzen Städtebild

seinen eigenartigen, romantischen Reiz, sein charakteristisches Gepräge und steht andern Bergschlössern, an die man sich unwillkürlich erinnert fühlen mag,

wie Hohensalzburg, der Willibaldsburg bei Eichstätt, in keiner Weise nach. Deshalb sei dieser auch für die ganze geschichtliche Entwicklung der Stadt so bedeutsame Marienberg hier im Bilde wiedergegeben.

Dort auf jener Burg

herrschten

bis zu Beginn

des 8. Jahrhunderts

die unter der Oberhoheit der Frankenkönige stehenden fränkisch-thüringischen Volksherzoge über ein weites Gebiet insbesondere gegen Norden hin. Unter ihnen fand als neue Botschaft von folgenreichster Wirkung auch für

die gesamte Kultur der Mainlande das Christentum seinen Eingang, Auch hier waren es britische Mönche, St. Kilian und seine Gefährten, denen das mühevolle Werk gelang; für alle Folgezeit sind sie die gefeierten, volkstümlichen Apostel Frankens geblieben. Durch den kulturverbreitenden Eifer der Mönche, die sich dann bald dort niederließen, begann jedenfalls schon in sehr früher Zeit der Weinbau, der bis heute Frankens Reichtum und Stolz geblieben ist;

gerade an den Abhängen des Marienbergs wächst eine der edelsten Arten.

Von entscheidender Bedeutung für Würzburgs Zukunft wurde aber die mit Hilfe der Karolinger bewirkte Gründung eines Bischofssitzes durch den

großen Organisator der Kirche des Frankenreiches, Bonifatius, im Jahre 741. Durch diese bischöfliche Kirche und das, was sich in ihrer Umgebung sammelte,

erwuchs recht eigentlich die spätere Stadt und zwar so, daß nun auch auf dem

rechten Flußufer eine wohl schon früher vorhandene Ansiedelung rasch sich ausdehnte und dann bald zum Schwerpunkte des Ganzen geworden ist.

Groß

war

das

geistliche

Machtbereich

dieser

Spessart und Fichtelgebirge bildeten die Grenzen

nördlich

reichte es

Württemberg.

weit nach Thüringen

hinein,

Würzburger

Bischöfe;

gegen Westen und Osten,

südlich

bis

ins

heutige

Aber auch die weltliche Ausstattung des Bischofsstuhles war

gleich von Anfang an eine wahrhaft glänzende und die folgenden Jahrhunderte

vermehrten sie dann immer noch weiter mit Gütern, mit ganzen Grafschaften

und Gerechtsamen verschiedenster Art. Der Bischof von Würzburg war schließlich der reichste und mächtigste Herr und Fürst in Franken; in jenem Titel eines Herzogs von Ostftanken, der vom 15. Jahrhundert an regelmäßig von ihm geführt wurde, der aber schon älteren Ursprungs ist, hat diese ganze

Stellung ihren beredten Ausdruck gefunden. Der eigentliche Lebensnerv dieses ganzen Gebietes war aber der Flußlauf

des Mains, sein Mittelpunkt Würzburg.

Und dieses Würzburg konnte, als

man später aus wohlerwogenen Gründen weiter mainaufwärts an die Gründung eines neuen Bistums in Bamberg ging und als anderseits das später so

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

293

glänzende Nürnberg eben erst deutlicher hervorzutreten begann, bereits auf

eine mchrhundertjährige bedeutsame Geschichte zurückschauen. In der Zeit vom 8. bis zum 11. Jahrhundert begann Würzburg allntählich in seinem Äußeren städtisches Aussehen zu gewinnen. Zu einer erst­

maligen Ummauerung kam es wohl durch die lange, schwere Ungarnnot, die

als schreckliche Geißel ein halbes Jahrhundert hindurch die deutschen Lande heimgesucht hatte, und diese Eigenschaft einer befestigten Stadt hat es dann durch alle weitere Folge behalten, zuletzt ausgestaltct zu einer starken Festung nach Vaubanschem System.

Erst in

der zweiten Hälfte des vorigen Jahr­

hunderts wurde im Zusammenhang mit den großen Umwälzungen im Bcsestigungswescn, die unterdessen eingetreten waren, zuerst für die Stadt und dann auch für den Marienberg die Festungseigenschast völlig aufgehoben.

Innerhalb jener alten ersten Mauern hatte sich vor allem der Dom erhoben, ursprünglich nur ein Holzbau, dann aber nach wiederholter Zerstörung durch Feuer als Steinbau. In der Zeit zwischen dem 11.—13. Jahrhundert gewann er in der Hauptsache die Gestalt, die er heute noch zeigt, eine vier­ türmige Pfeilerbasilika, die durch ihre mächtigen Verhältnisse, vor allem in

der Längenausdehnung zu den ansehnlichsten deutschen Kathedralen romani­

schen Stils gehört. In der gleichen Stilart erstanden dann noch andere kirchliche Bauwerke, die heute noch als bedeutsame Denkmäler dieser Epoche

vor uns stehen;

so das stattliche Neumünster, dessen westliche Krypta durch

St. Kilians Grab zum Nationalheiligtum der Franken wurde; sodann die zu

Ehren St. Burkards, des ersten Würzburger Bischofs, errichtete Kirche im Mainviertel mit ihrem schönen Paradies; die Kirche der Schottenmönche usw.,

während die uralte Rundkirche auf dem Marienberg damals auch ihre jetzige Gestalt gewann. Mit diesem baulichen Heranwachsen hielt aber die politische Bedeutung

der Bischossstadt gleichen Schritt.

Häufig schlugen hier unsere Kaiser ihre stets

wandernde Hofhaltung auf und hielten wichtige Reichstage ab und wiederholt wurden kaiserliche Kanzler auf diesen Bischofsstuhl erhoben.

Ihren Höhepunkt

fand diese bevorzugte Stellung Würzburgs in der Zeit der staufischen Kaiser. Gern und oft hielten sich die Staufer in dem ihnen gehörigen, leider jetzt völlig verschwundenen Hof zum Katzenwicker auf und es war ein Moment höchsten Sonnenglanzes in der Geschichte Würzburgs, als in seinen Mauern Kaiser

Friedrich Rotbart

im Jahre 1157

die Hochzeit

mit Beatrix

von Burgund feierte, ein Vorgang, den später Tiepolos Meisterhand in leuchtendem Farbenglanz in den Räumen der Residenz künstlerisch verherrlichte. Würzburg galt damals nach den Erzbistümern als das erste und vornehmste unter den Bistümern des Reiches; hätte doch Kaiser Friedrich einen seiner

eigenen Söhne, Philipp von Schwaben, ursprünglich dort zum Bischof wählen lassen. Auch von einem gewissen poetischen Zauber erscheint Würzburg gerade in diesem Zeitalter verklärt: nach einer allerdings erst späteren Über-

294

56. Würzburg, dir alte Bischofsstadt am Main.

lieferung hat Walther von der Vogelweide hier den Abend seines vielbewegten Sängerlebens verbracht und sein Grab im Kreuzgang von Neumünster

gefunden. Mit all diesem Glanz nach außen ging eine bedeutsame innere Ent­ wicklung Hand in Hand. Unter den schützenden und fördernden Einwirkungen

kaiserlicher Privilegien wie auch des

bischöflichen Stadtregiments reiste all­

mählich ein kraftvoll selbstbewußtes städtisches Bürgertum heran.

Aber wie

es mehr oder weniger überall in diesen Bischofsstädten zu gehen pflegte, kam auch hier bald die Zeit, da die Interessen und Ansprüche des bischöflichen Stadtherrn und der emporstrebenden Bürgerschaft auseinandergingen und in feindlichen Gegensatz zueinander gerieten, zum erstenmal unter dem gewaltigen Bischof Hermann I. von Lobdeburg im Jahre 1254. Seitdem zogen sich die Bischöfe auf ihr Bergschloß, die Marienburg, zurück um von dort aus

den Trotz bürgerlicher Selbstherrlichkeit leichter bändigen zu können und nur

allzuoft waren die beiden gegenüberliegenden Stadtseiten wie feindliche Heerlager geschieden, wobei die Bürgerschaft dann gerne bei den Kaisern Anlehnung und Rückhalt suchte. Mit wechselvollem Erfolg hin und her wogend zogen sich

diese Kämpfe bis zum Jahre 1400 hin, wo es der fürstbischöflichen Streitmacht schließlich gelang in der Schlacht bei Bergtheim einen entscheidenden Sieg über

die Bürgerschaft zu erringen.

Zertrümmert lagen

damit

nun die lange

genährten Hoffnungen auf reichsfreie Stellung und Selbstherrlichkeit zu Boden

und mehrfach entschlossen sich bürgerliche Geschlechter zur Auswanderung, wovon besonders Nürnberg Vorteil gezogen haben soll.

Die Herrschaft des Bischofs

war damit für die weitere Folge besiegelt und Würzburg zu einer landsässigen Stadt geworden.

Trotz dieser vielfach so sturmbewegten Zeitläufte nahm das Wachstum und die Verschönerung der Stadt doch ungestörten Fortgang. Auch das Zeitalter der Gotik hat hier hochbedeutende Denkmäler geschaffen; so die

Kirche der Minoriten in den herben, strengen Formen der Frühgotik; dann die wundervolle, leider jetzt so ruinenhaft gewordene Kirche der Deutschherren,

vor allem aber die dem Würzburger tief ins Herz gewachsene Marienkapelle

am Markt, eine Dichtung in Steinen im schönsten Sinne des Wortes;

bald

nach einer grausamen Judenverfolgung hatte man sie auf dem früheren Judenplatz gewissermaßen zur Sühne dafür erstehen lassen. Dazu dann die stattlichen Kurien der Domherren mit ihren weiten Hofräumen und zierlichen

Kapellen, deren noch erhaltene Reste vielfach von so malerischer Wirkung sind. Allerdings ist vieles davon späteren Umgestaltungen, besonders im vorigen Jahrhundert, zum Opfer gefallen. In Bamberg blieb weit mehr von solchen

alten Höfen erhalten. Auch in der Plastik hatte man sich in Würzburg allmählich zu achtungs­ werter Höhe emporgearbeitet. Sprechende Belege dafür sind die zahlreichen

Grabdenkmäler der Bischöfe im Dom seit Ende des 12. Jahrhunderts;

wie

56. Würzburg, di« alte Bischofsstadt am Main.

eine steinerne Chronik des Hochstists muten sie den Beschauer an.

295 Und da

trat dann gegen Ende des 15. Jahrhunderts jener Meister auf, der Würzburgs Namen in der deutschen Kunstgeschichte wie wenige verewigt hat, Tilman

Riemen schneide r.

Seiner Geburt nach

ein Westfale war er in früher Jugend

nach

der

kommen ,

stänkischen die

ihm

Bischofsstadt

zur zweiten

ge­

Heimat

werden sollte; in ihren Mauern entwickelte sich sein ganzes künstlerisches Wirken und

sie darf ihn darum mit Recht den Ihrigen nennen. Es sind meistens Gegenstände aus dem Bereich religiöser Darstellung, in denen sich sein Schaffen bewegt; ergreifende Darstellungen des gekreuzigten Heilands, liebliche Madonnen- und Heiligengestalten verschiedenster Art; sodann die meister­ haften Grabdenkmäler der Bischöfe Rudolf

von Scherenberg und Lorenz von Bibra im Dom und des Schottenabtes Johannes Trithemius und vor allem sein eigentliches Meisterwerk,

das

Grabmal des Kaiser­

paares Heinrich und Kunigunde im Bam­ berger Dom. Jenes tiefinnerliche religiöse Gefühl, wie es sich in engem Zusammen­ hang mit der Literatur der Mystiker gerade in Deutschland in so hervorragender Weise herausgebildet hatte, fand in diesem frän­ kischen Meister einen seiner sinnigsten Ver­

treter im Reiche der Kunst; eine Stim­ mung, die sich vor allem in der edlen, zarten Gesichtsbildung und den zierlichen Händen verkörpert zeigt, und dabei noch

als eigenartiges Merkmal ein Zug sinnen­ der Wehmut. Riemenschneiders Formen­ welt ist noch ganz die der ausklingenden Gotik; allein er gehört doch auch wieder

zu jenen Meistern,

die unwillkürlich auch

Das Grabmal des Abtes Trithemius

im Neumünster zu Würzburg.

von einem mächtigen neuen Zuge ergriffen wurden und in einzelnen Werken sich schon als Jünger der beginnenden Renaissance zeigen.. 1531 ist er gestorben. Unbedenklich kann man ihn den

großen Nürnberger Meistern, einem Adam Kraft und Beit Stoß an die Seite stellen.

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

296

Aber nicht nur in der Kunst sondern auch auf den wichtigsten anderen Gebieten äußerten in jener Zeit des Übergangs vom 15. zum 16. Jahrhundert

neue Strömungen und Kräfte ihre Rückwirkung auf Würzburg.

Jener über­

spannte kommunistische Schwärmer und Prediger Hans Böhm, genannt der

„Pseiferhans", der in Niklashausen im Taubergrund eine so mächtige Bewegung zu entfesseln vermochte, hatte schließlich auf dem Richtplatz in Würzburg int

Jahre 1476 sein tragisches Ende gefunden.

Er war einer von jenen Bor­

läufern der gewaltigen Sturmflut gewesen, die ein halbes Jahrhundert nachher

über Deutschland hereinbrach, jener aus agrarischen, politischen und religiösen

Momenten hervorgewachsenen Revolution, die gemeinhin mit dem Namen Bauernkrieg bezeichnet wird. Von Schwaben ausgehend hat diese Bewe­ gung in gewissem Sinn ihren Höhepunkt in den fränkischen Landen erreicht.

Bereits war die Stadt Würzburg auf der Seite der Aufftändischen; die noch einmal wach gewordene Hoffnung die früher vergeblich angestrebte Reichs­ unmittelbarkeit jetzt erlangen zu können hatte die Bürgerschaft dazu gedrängt. Nur noch der Marienberg, verteidigt von dem tapferen, gelehrten fürstbischöf­ lichen Hofmeister Sebastian von Rotenhan und einer kleinen, heldenmütigen

Schar ragte wild umtost von den feindlichen Haufen wie ein einsames, letztes Bollwerk der konservativen Sache empor, die freilich nicht ohne eigene schwere

Schuld in eine solche verzweifelte Lage gekommen war; nie zu einer andern Zeit ist die Bedeutung dieses Bergschlosses größer gewesen. Und der Entsatz, der dann in der letzten Stunde endlich herankam, bildete den Wendepunkt der ganzen Bewegung, die gewissermaßen in ihrem eigenen Blute erstickte.

Mancherlei andere Gärung und Bewegung hat dieses inhaltschwere Jahrhundert auch in seinem weiteren Verlaufe noch über Würzburg gebracht, bis gegen Ende desselben

hier eine Herrschergestalt auftrat,

geistesstark uud

willensmächtig genug um der weiteren Entwicklung aller Verhältnisse in der

Stadt und im Hochstift ihre festen Bahnen zu weisen, der Fürslbischof Julius

Echter von Mespelbrunn. Sein mehr als vier Jahrzehnte währendes Regiment bedeutete eine umfassende, durchgreifende Restauration nach den verschiedensten Seiten hin. Einem Zustand von Unklarheit und Schwanken auf religiösem Gebiet, wie er seit Beginn der religiösen Neuerungen gerade

auch in den fränkischen Landen eingetreten war, machte er mit unerbittlicher Strenge im Geiste der sogenannten katholischen Gegenreformation ein Ende; mit Maximilian I. von Bayern gehörte er zu den Begründern der Liga.

für seine Politik

nach dieser Richtung hin

einen

Um

enffprechenden geistigen

er 1582 die Würzburger Universität. Schon zu einer sehr frühen Zeit, im Jahre 1402, war durch Fürstbischof

Rückhalt zu

gewinnen gründete

Johann v. Egloffstein eine solche Hochschule dort ins Leben gerufen worden. Allein diese erste Gründung hatte nicht recht Wurzel fassen können, sie welkte

früh dahin.

Um so dauerhafter und lebenskräftiger erwies sich dann diese Neu­

gründung Julins Echters.

Zur Unterstützung der leidenden Menschheit rief

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

297

er seine großartige, heute noch blühende Hospitalstiftung ins Leben mit reicher materieller Ausstattung. Bei all diesen Aufwendungen fand er durch seine

hervorragende Finanzkunst noch die Mittel in seiner Hauptstadt wie in den Stiftslanden als ein baulustiger Herr aufzutreten, wie das in der ganzen Geschichte Würzburgs einzig dasteht. Schon längere Zeit war in der Baukunst die Renaissance zur Herrschaft gelangt, wovon in Würzburg sich noch schöne In diesem Stil ließ Julius weiterbauen, aber mit nochmaliger starker Beimischung gotischer Motive, wie das am merkwürdigsten

Proben erhalten haben.

in der Neubaukirche in Würzburg und in der Wallfahrtskirche 511 Dettelbach zum Ausdruck kommt, eine Mischung, die übrigens in dieser Zeit auch noch

anderwärts versucht wurde. So nach allen Seiten hin neu gefestigt vermochte Würzburg dann auch die schwere Zeit des Dreißigjährigen Krieges, obwohl sie die Schrecken einer Erstürmung

des Marienberges

und eine mehrjährige schwedisch-weimarische

Zwischenregierung mit sich brachte, glücklich zu überdauern. Eben auf diese Er­ fahrungen hin gingen seitdem die Fürstbischöfe, zuerst Johann Philipp v. Schönborn, zugleich Kurfürst von Mainz, mit allem Eifer daran Würzburg zu einer starken Festung neuen Stils umzugestalten. Allein im großen und ganzen hatte doch die jetzt folgende Zeit bis zu den französischen Kriegen am Ende des 18. Jahrhunderts für Würzburg einen friedlichen und glücklichen Charakter.

Die damaligen Fürstbischöfe waren feingebildete und viel­

fach prachtliebende Herren, aber dabei auch eifrige, tüchtige Regenten.

So kam

dann auch das Kunstleben besonders im 18. Jahrhundert nochmals zu hoher Blüte. In der Übergangszeit vom 17. zum 18. Jahrhundert war zunächst der Barockstil herrschend; in einer Reihe bedeutender Bauwerke kam er in Würz­ burg zur Anwendung, insbesondere durch den welschen Baumeister Antonio Petrini, dessen pompöser Neubau der Kirche von Stift Haug mit der kühn

geführten Kuppel sowie auch des rückwärtigen Teiles des Juliusspitals diese Kunstform in achtungswerter Weise vertreten. Als das glänzendste Gestirn leuchtete aber bald darauf der aus Eger stammende Balthasar Neumann, den man unbedenklich als einen der genialsten Architekten des kunstfrohen 18. Jahrhunderts bezeichnen darf. Die zwei weiteren Fürstbischöfe, die Würz­

burg aus der Familie Schönborn erhalten hat, sind es gewesen, die dieses Talent erkannten und ihm die richtige Lust, zu seiner vollkommenen Entfaltung

verschafften.

Es ist die unterdessen aus Frankreich herübergekommene neue

Stilrichtung des Rokoko, die dieser Meister gerade hier in Würzburg mit dem unerschöpflichen Reichtum seiner künstlerischen Phantasie und mit höchster tech­

nischer Virtuosität in ihrer ganzen entzückenden Feinheit anzuwenden wußte. Sein Wirken blieb keineswegs auf Würzburg beschränkt, aber immerhin hat es hier seinen Schwerpunkt gefunden. Hatten ihm doch seine Schönbornschen Mäzenaten jenen Auftrag gegeben, durch dessen Ausführung er seinen Namen unsterblich machte, nämlich zum Bau einer neuen fürstbischöflichen Residenz

298

56. Würzburg, die alte Bischossstadt am Main.

unten in der Stadt, ein Kunstwerk, in mehr als einer Hinsicht epochemachend für die Entwicklung Würzburgs. Dabei ist zu bedenken, wie unterdessen die Zeit eine

andere geworden,

war; mit anderen Augen sah man gewisse Dinge an. Vorüber war die Zeit, in der man noch ein Gefühl für die Romantik der Bergschlösser besaß; das

Sinnen und Trachten der fürstlichen Herren war jetzt anders geartet.

Man

stieg herab von den alten Burgen in die Ebene um sich da neue, glänzende

Schlösser, vielfach von grandiosem Umfang, zu bauen und man schuf sich künstlich eine neue, eigenartige Natur in den mächtigen Schloßgärten mit ihren architektonisch streng gezogenen Baumlinien; allem zwang man gewissermaßen

den Willen der absolut gewordeuen Fürstenherrlichkeit aus, die damit sich selbst

Das Würzburger Schloß von Nordwest. (Nach „Die Baukunst". W. Spemann, Berlin.)

verherrlichen wollte. So kehrten die Pfalzgrafen am Rhein der alten Heidel­ berger Romantik den Rücken um sich in Mannheim und Schwetzingen ein

neues, glänzendes Heim zu schaffen und ebenso

stieg auch der Fürstbischof

von Eichstätt von seiner Willibaldsburg hinunter in die Stadt, wo dann um das neue Fürstenschloß sich eine neue Ansiedelung in diesem Stil bildete. So war es eben auch hier in Würzburg;

seit Beginn des 18. Jahrhunderts

wurde der Marienberg als Fürstensitz verlassen. Was da nun Neumann binnen kurzer Zeit als neue, eines Fürsten würdige Wohnung hervorzauberte,

ist weltbekannt und hat kaum seinesgleichen; das wär der richtige Auftrag um seine ganze künstlerische Kraft und Leistungsfähigkeit zu erproben. Wie es

dann in solchen Fällen zu gehen pflegt, schlossen sich an dieses gewaltige Werk noch andere Kunstleistungen in ebenbürtiger Weise an. Für dieses neue Fürstenschloß schuf der Venetianer Tiepolo seine berühmten Fresken, einzig­

artig in der Kühnheit des Entwurfs bei den gewaltigsten Raumverhältnissen

wie auch in der Leuchtkraft des Kolorits. Hier fertigte der aus Tirol her­ berufene Kunstschlosser Oegg jene eisengetriebenen Tore, noch heute vielbe­ wunderte Muster dieser Kunstfertigkeit, während für den plastischen Schmuck,

299

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

besonders auch

in

dem daranstoßenden

reizenden Hofgarten,

Bildhauer van der Auvera und Wagner sorgten. seiner Art

ganz einzig dastehendes Kunstleben,

wie

die

tüchtigen

In der Tat ein in

es sich

damals

in der

(Bitter am Würzburger Hofgartentor von 3. G. Oegg.

fränkischen Bischofsstadt entwickelt "hat, so daß diese Erscheinung auch in der allgemeinen Kunstgeschichte einen bedeutsamen Platz beanspruchen darf. Abgesehen

von diesem großartigen Hauptwerk hat Neumann auch auf das gesamte Bau­ wesen in Würzburg umgestaltend und verbessernd eingewirkt.

gehört

die zeitgemäße llmgestaltung zahlreicher Kirchen an,

Diesem Zeitraum ein Eingreifen,

das man ja vom kunstgeschichtlichen Standpunkt aus nur beklagen kann, das

56. Würzburg, die alte Bischofsstadt am Main.

300

aber doch wieder ein Beweis dafür ist, daß man die Kraft und den Trieb zu

origineller Neugestaltung in sich fühlte. Unter dem feingebildcten Fürstbischof Adam Friedrich v. Seinsheim fanden die jene Zeit mehr und mehr beherrschenden Ideen der Aufklärung

auch hier Aufnahme und Verbreitung; insbesondere wurde das Volksschulwesen

durch Gründung eines Schullehrerseminars gefördert.

Nicht minder traf aber

auch für zeitgemäße Hebung und Förderung der Universität verständnisvolle Fürsorge Seinsheims Nachfolger Franz Ludwig v. Erthal, unter dem mit

großer Prachtentfaltung ihre zweite Säkularfeier begangen wurde. Die hohe Blüte des Medizinstudiums, die ja später als ein charakteristisches Merkmal dieser Hochschule erscheint, geht in ihren Anfängen bis in diese Zeit zurück. Da begannen u. a. die Gelehrtenfamilien der Siebold und Heine ihr gefeiertes Wirken; Philipp Franz v. Siebold, der nachherige berühmte Japan­

forscher erblickte hier 1796 das Licht der Welt; Johann Georg Heine bekam

einen Weltruf als Begründer der Orthopädie. Franz Ludwig von Erthal, unter dem zum letztenmal die Herrschaft über die beiden Nachbarbistümer Würzburg und Bamberg in einer Hand vereinigt

war — sechsmal ist es im ganzen der Fall gewesen —, zählte zu den treff­ lichsten Fürsten in jenen letzten Zeiten des alten Deutschen Reiches, ein wahres Muster eines erleuchteten und gewissenhaften Regenten. Aber die vom westlichen

Nachbarlande heranziehenden Stürme brachten dann im Verlauf weniger Jahre die

schwersten

Ordnung.

Erschütterungen und den Zusammenbruch

der ganzen

Nur von vorübergehender Wirkung war der ganz

in

alten

der Nähe

von Würzburg erfochtene glorreiche Sieg der deutschen Waffen unter Erz­

herzog Karl im Jahre 1796 gewesen; bereits 6 Jahre später sah sich Fürstbischof Georg Karl v. Fechenbach durch den allgemeinen Umschwung, wie ihn

der Friede von Luneville zur Folge hatte, veranlaßt in einer er­

greifenden Proklamation

von seinen Untertanen Abschied

zu nehmen.

Die

geistlichen Staaten, diese eigentümlichen Gebilde des alten Deutschen Reiches, hatten aufgehört zu sein und damit kam nun auch für Würzburg eine ganz neue Zeit.

Zuerst griff die Herrschaft des pfalzbayerischen Kurhauses in den beiden ftänkischen Nachbarhochstiftern Platz; aber während Bamberg nun dauernd in diesem Verhältnis verblieb, wurde Würzburg vorübergehend noch einmal zum Mittelpunkt eines eigenen Staatswesens, das man für den früheren Groß­

herzog vonToskana neu gebildet hätte, das Großherzogtum Würzburg, eines jener ephemeren staatlichen Gebilde' der Rheinbundszeit, dessen Dasein darum auch mit der Macht des Protektors Napoleon stand und fiel. Darauf

trat zum zweitenmal und dauernd die Herrschaft Bayerns ein und 7 Jahre nach diesem für die ganze weitere Entwicklung Würzburgs so bedeutsamen Ereignis wurde hier in den Räumen der herrlichen Residenz im Jahre 1821 der Wittelsbacher geboren, in dessen Händen gegenwärtig die Leitung Bayerns

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuviMs der Ältere.

301

liegt, unser Prinzregent Luitpold, ein Umstand, der nur dazu beitragen

konnte, unsere fränkischen Lande und ihre alte Hauptstadt noch enger mit Bayerns edlem, erlauchtem Herrscherhausc zu verbinden.

57. Der kurfürstliche Hofbaumeister Franz Luvillies der Allere. Don Karl Trautmann.*

Der 13. August des Jahres 1704 war ein Unglückstag für unser Bayerland. Seit der Morgenfrühe standen bei Höchstädt die Österreicher und Engländer in heftigem Kampfe den Heerhaufen der verbündeten Bayern und

Franzosen gegenüber.

Der Augenblick war gekommen, der über die Vorherr­

schaft in Deutschland zwischen Habsburg und Wittelsbach entscheiden sollte. Mit einer selbst von seinen Feinden bewunderten, sieghaften Todes­ verachtung warf sich Max Emanuel den in endlosen Scharen anstürmenden Panzerreitern entgegen und brachte sie in stundenlangem, gewaltigem Ringen

dreimal zum Weichen.

Doch alle seine Tapferkeit war umsonst.

Das über­

legene Feldherrntalent seines großen Gegners, des Prinzen Eugen, obsiegte, und als die Sonne hinabsank hinter den bewaldeten Donauhöhen, da war die

Niederlage der Bayern und Franzosen entschieden, eine der blutigsten Schlachten war geschlagen und Bayeni auf Jahre hinaus dem Feinde preisgegeben. Drei Tage später schrieb Max Emanuel im Angesichte von Ulm jenen Brief an Ludwig XIV., in welchem er seinem Bundesgenossen Kunde gab,

daß das Kriegsglück gegen ihn entschieden habe. Damit begann für den hochstrebenden Fürsten fernab von Bayern ein unstätes Wanderleben, das ihn auf ein Jahrzehnt nach Paris und in die Nieder­

lande führte, deren Besitz ihm von Frankreich zugcsichert war.

Am 1. Oktober

hielt er seinen Einzug in Brüssel. Zu

seinem

Soignies an

neuen

Herrschergebietc

gehörte

auch

das

Landstädtchen

der großen Heerstraße, die von Brüssel über Mons, der

Heimat unseres gewaltigen Tondichters Orlando di Lasso, nach der französischen

Grenze führt.

Es ist ein stiller, gartenreicher Ort, der sich um den alten

Zisterzienserbau seines Kollegiatstiftes lagert und dessen fleißige Bevölkerung ihren Erwerb

aus

den

Granitbrüchen

zieht,

die

unweit

des

Städtchens

zutage treten. In Soignies nun war es, wo am 23. Oktober 1695 der Mann geboren

wurde, dem es auf seinem Lebensgange beschieden war der Münchener Kunst des 18. Jahrhunderts den Stempel seines Geistes tiefer einzuprägen,

als irgend einer seiner altbayerischen Zeitgenossen es vermochte,

und dessen

Name an erster Stelle genannt werden muß, wenn von dem Schaffen jener Tage die Rede ist — Franz Cuvillies der Ältere, der Schöpfer der

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz Cuvillies der Ältere.

302

Amalienburg,

der Reichen Zimmer, des Residenztheaters und so vieler hervor­

ragender Privatbauten Münchens, der Meister und Bahnbrecher des Rokoko

inAltbahern.

Die Cuvillies,

heute nur noch

die

schlichte Handwerker

als

belgischen Städtchen leben, waren vordem angesehen in Soignies.

in

dem

Sie gehörten

zum Amtsadel und sind wohl hierdurch bald zu ihrem neuen Landesherrn in

Wie dem auch sei, so viel steht fest, daß Max Emanuel

Beziehungen getreten.

in

Jahr 1706

den

damals

aufnahm und zwar,

wie

der Sohn des Meisters erzählt,

um

das

Doch die Akten berichten anders.

11 jährigen

Cuvillies

seinen Hofstaat als Edelknaben.

Aus ihnen ergibt sich, daß der geniale

Künstler an Körperbau ein Zwerg gewesen ist und daß wahrscheinlich dieser

Umstand allein den Kurfürsten veranlaßte dem Knaben seine Aufmerksamkeit

zuzuwenden. Es ist ein weiter Weg vom Hofzwergen bis zum Schöpfer der Amalien­ Und daß

burg.

es gewesen,

die kunstsinnigen Wittelsbacher

Weg geebnet,

die ihm

Verhältnissen

erspart

das mühsame Emporringen

und

hinausgehoben

ihn

die ihm diesen

aus kleinlichen,

unfreien

zu menschenwürdigem Dasein

und freier Künstlerschaft, das hat er ihnen nie vergessen.

Jahrzehnte später,

als er der weithin gefeierte Meister geworden und mehrere deutsche Fürsten

ihm

das Vierfache

dessen boten,

was er in Bayern

als Besoldung

genoß,

wenn er sich entschließen würde München zu verlassen, da wies er alle diese glänzenden Anerbietungen als bescheiden waren.

zurück,

In dem

trotzdem

seine Vermögensverhältnisse mehr

kleinen Manne

großdenkende Seele gewohnt zu haben,

scheint

der die Pflicht

eben

eine

das, was ihm sein Gönner Gutes erwiesen, die erste Pflicht war.

widmete er unter

drei Regenten

sein reiches Können

vornehme,

der Dankbarkeit

für

Und so

unserem Fürstenhause,

für das er seine herrlichsten Werke geschaffen hat. Kurfürst Max Emanuel war ein väterlicher Beschützer für den jungen

Cuvillies, dessen hervorragende geistige Begabung er bald erkannte. ihm

eine glänzende Erziehung

Jngenieüroffizier werden sollte,

angedeihen

und

zum Fähnrich

ernannte ihn,

Er ließ

da er zuerst

im Leibregimente.

Als aber

der Kommandeur gegen diese Verwendung mit dem Bedeuten Protest einlegte,

daß Cuvillies als Zwerg würde,

diesem Elitekorps

zu

geringem Ansehen gereichen

da war der Kurfürst rasch entschlossen und sandte seinen Schützling

nach Paris um ihn in der königlichen Bauakademie zum Architekten ausbilden zu lassen.

Damit hat zwar das Leibregiment einen Leutnant verloren, München

aber einen Cuvillies gewonnen.

Als Cuvillies 1720 nach der französischen Hauptstadt kam, war er 24 Jahre

alt.

Es ist das Paris der Regencezeit,

in das er versetzt wird, die Stadt

mit ihrem tollen, lustigen Leben, ihren feinen, anmutigen Gesellschaften, den Börsenspekulationen, die das Geld in Menge auf den Markt werfen, das Paris, das vom Banne der würdevollen Etikette Ludwigs XI V. befreit auf allen Gebieten

57 Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz Cuvillies der Ältere.

des Schaffens nach neuen Gestaltungen ringt.

303

Bei den intimen politischen

Beziehungen, die zwischen Versailles und München bestanden, waren die jungen

Bayern, die zu ihrer künstlerischen Ausbildung nach Paris kamen, und dank der Freigebigkeit Max Emanuels waren es ihrer viele, gern gesehene Gäste in der französischen Hauptstadt. Und da der Name unseres Kurfürsten einen

guten Klang hatte in den dortigen Künstlerkreisen, so fehlte es dem jungen Cuvillies gewiß nicht an Anschluß und Anregung. Ein glänzendes, temperamentvolles Kunstleben umwogt den Lernbegierigen,

ein Kunstleben, imponierend durch das prächtige Zusammenwirken auf allen Gebieten, anregend und belehrend anderseits durch die Kontroversen, die in

geistvoller Polemik die gegensätzlichen Anschauungen in künstlerischen Fragen zum Ausdruck bringen. Überall sprüht und gärt es. Man hat sich von der schweren Pracht der Versailler Schule losgemacht, die in dem italienischen Barockstil wurzelt; man drängt in architektonischen und ornamentalen Dingen einer neuen Entwicklung entgegen, die bestrebt ist den veränderten Lebens- und Gesellschaftsformen gerecht zu werden.

Der Hauptzug dieser Entwicklung geht auf die Bequemlichkeit, die Ein­

fachheit und die Leichtigkeit.

Man verlangt bequeme und künstlerisch durch­

dachte Anordnung des Grundrisses, an den Einfachheit die Hauptsache, jede Überladung

Fassyden ist Klarheit mit Architekturgliedern

und und

Skulpturenschmuck wird strenge verpönt und für die Ausstattung der Innen­

räume gilt fortan ein Prinzip, das in den Worten gleicht und licht" am besten seinen Ausdruck findet.

Die Frage,

die damals

die Architektenwelt

der französischen Landes­

hauptstadt am lebhaftesten beschäftigte, war die vollendete Gestaltung des Privatbaues, des Adelspalastes sowohl wie des Bürgerhauses. In jenen Tagen wurde ihr Typus sestgelcgt und in dem gewaltigen Aufschwünge der

Pariser Bautätigkeit in allen seinen Variationen mustergültig zum Ausdruck

gebracht.

Daß Cuvillies

während

seines Aufenthaltes diese Bewegung

offenen

Auges verfolgte und aus ihr gewinnbringende Belehrung zog, beweisen seine

Münchener Palastbauten, die wohl mit zu dem Besten gehören, was im Deutschland des 18. Jahrhunderts auf diesem Gebiete geleistet wurde. Cuvillies

hat die Wandlung der Kunstweisc des Zeitalters Ludwigs XIV. zum Rokoko an der Geburtsstättc des Stiles miterlebt und er ist in München der Ver­ künder der neuen Richtung geworden.

Mit der Anstellung als Kurfürstlicher Hofbaumeister, welche am > 5. Sep­ tember 1725, also 6 Monate vor dem Ableben seines Gönners Max Emanuel, erfolgt und Cuvillies, vorerst mit einem Jahresgehalte von 600 Gulden,

dauernd an Altbayern fesselt, nehmen seine Wanderjahre ein Ende und ein Schaffen beginnt nunmehr, das ihn bis zu seinem Tode am 14. April 1768 zum Mittelpunkte des Münchener Kunstlebens machen sollte.

304

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz Cuvillies der Ältere.

Als Max Emanuel im Jahre 1680 als selbständiger Gebieter die Regierung übernahm, herrschte in Stadt und Land noch der italienische

Barockstil, der besonders durch den Einfluß der Mutter des Kurfürsten, Adelaide von Savoyen,

in

ganz Altbayern festen Fuß gefaßt hatte.

Italienische Architekten sind es, welche nach München kommen um die Bauten zu entwerfen und auszuführen, die dieser Kurfürstin ihre Entstehung verdanken.

14. April 1663 trifft der Bolognese Agostino Barelli ein um die Theatinerkirche zu errichten; der gleiche Meister plant das alte Schloß in

Am

Nymphenburg, den jetzigen, allerdings stark veränderten Mittelbau.

Wiederum

beginnt eine Invasion von Italienern, die mächtigste, die Altbayern seit Herzog Wilhelms V. Tagen gesehen. Und zwar zogen jetzt nicht mehr

einzelne Meister über die Alpen, sondern ganze Familien von Künstlern und Handwerkern. Damals setzten sich bei uns die Mscardi fest, die Perti, Andreota, Riva, Porta, die Sciassa, Appiani und wie die Welschen alle heißen,

die in der Folge an den Bauunternehmungen des Hofes

und

nicht minder

beim Kirchen- und Prälaturenbau unseres Alpenvorlandes eine

so hervor­

ragende Rolle spielten. Und damals war auch der Meister nach München gekommen, welcher dem ersten Baugedanken des jungen Fürsten, dem neuen Schlosse in Schleißheim, feste Form gab und der, wenigstens bis zum Jahre

1704, den maßgebenden Einfluß in allen Unternehmungen des Hofes ausübte — der Graubündner Enrico Zuccali.

Ein erstklassiger Künstler ist Zuccali nicht gewesen, aber ein tüchtiger, formensicherer Architekt, der es allezeit trefflich verstand den vielseitigen Wünschen seines Auftraggebers sich anzupassen und der auch im Kirchenbau seinen Mann stellte.

Seit 1675 liegt die Vollendung

der Theatinerkirche in seiner Hand

und später leitet er in Kloster Ettal jenen Chorbau, durch dessen Ausführung

Max Emanuel das Andenken seines kaiserlichen Ahnherrn ehrte. Und noch im Austrage des Kurfürsten Ferdinand Maria entwirft er für den Gnadenort Altötting die Pläne zu einer mächtigen, die Heilige Kapelle als Rotunde über­ wölbenden Wallfahrtskirche, die freilich schon in den Anfängen liegen blieb.

Vor allem aber widmet er sich Jahre hindurch dem Schloßbau in Schleißheim, der in seinen fortgesetzt wechselnden Projektierungen so recht ein Spiegelbild von Max Emanuels unstätem Wollen und Charakter geworden ist. Was Zuccali und seine Heimatgenossen Bayern vermittelten, war eigentlich Kunst von gestern, etwas bereits Veraltetes und Überholtes, das bald von dem mächtigen Einfluß Frankreichs in den Hintergrund gedrängt wurde

Nicht die imponierende Herrschergestalt Ludwigs XIV. allein wirkte damals so blendend auf ganz Europa, nicht sein kriegerischer Erfolg, es war dastehende und durch den Gegensatz mit dem Elend des Dreißigjährigen Krieges noch mehr gehobene Aufschwung auf wirtschaftlichem, der ohnegleichen

literarischem und künstlerischem Gebiete, der die Kulturländer in den Bann Frankreichs zwang, zum letzten nicht unser Bayern, das seit langem schon den

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz Cuvillies der Ältere.

305

Mittelpunkt der französischen Politik bildete. Auch Max Emanuel strebte nach einer solchen Kunstblüte, die zugleich der Verherrlichung des Fürsten und dem Volkswohlstände diente, und hat sie, besonders nach seiner Rückkehr aus der

Verbannung im Jahre 1715, nach seinem Sinne zu verwirklichen versucht durch intensive Ausbildung der einheimischen Kräfte in den Werkstätten der tonangebenden Pariser Meister der Kunst und des Kunstgewerbes.

Gewann zwar damit die französische Kunstweise bei uns immer mehr an Boden, so ist es zu einer Berufung ausländischer Architekten doch nicht mehr gekommen.

Denn auch Cuvillies war für Max Emanuel kein Fremder, er

galt ihm als Landeskind jenes Großbayern,

das die spanischen Niederlande

umfaßte und von dem der Fürst in hochfliegendcr Hoffnung so oft geträumt am verglimmenden Wachtfeuer, in einsamen Lagerstunden, als er noch auf sein

stolzes Heer blickte, vor der Höchstädter Niederlage. An Stelle Zuccalis tritt ja in der obersten Leitung des Hofbauamtes der urwüchsige Dachauer Gärtnersohn Joseph Effner, der Begabtesten einer aus jenem so mächtig und schaffensfroh Heranwachsenden Kreise junger, einheimischer Meister, die nunmehr zu Worte kommen und den Ruhm der bodenständig alt»

Jene schlichten, uns schier sagenhaft gewordenen Männer: der geniale Johann Michael Fischer, die bayerischen Knnst hinaustragen sollten in alle Welt.

Gebrüder As am und so viele andere, die ihre begeisterten und opferfreudigen Auftraggeber in den großsinnigen, aus unserem kernigen Bauern- und Bürgertum hervorgegangenen Prälaten fanden, die in Monumentalität der Baugesinnung es Fürsten gleichtaten. Und jubelnd drängen sich uns die Namen der stolzen Kirchen und Klöster auf die Lippen, die draußen Wache halten vor unseren Bergen: Rott am Inn, Diessen, das hochragende Andechs, Ettal, Berg am Laim

— ein Hohelied der Schönheit, dem das Altbayern des 18. Jahrhunderts mitverdankt, daß es selbstbewußt und ebenbürtig treten kann neben die gleich­

zeitigen

Werke anderer

Geisteskultur.

deutscher Stämme

auf

anderen

Gebieten unserer

Nicht Lessings Nathan der Weise allein, auch Glucks Iphigenie

und Mozarts Schöpfungen, auch Effners wunderbarer Dom zu Ottobeuern, jene Raumdichtung sondergleichen, bedeuten Großtaten deutschen Geistes, Geistestaten des katholischen Bayernstammes.

Der ganze Umfang von Cuvillies' Wirken ist von der Forschung noch lange nicht klargelegt; nur was mit urkundlicher Sicherheit ihm zugehört, mag Zunächst in München der Palast des Grafen Piosasque de Non (Theatinerstraße Nr. 16) und das jetzige erzbischöfliche Palais an der erwähnt werden.

Promenadestraße, zwei Bauten von eigenartig vornehmem und von dem Pariser Typus stark abweichendem Gepräge, die für den jugendlichen Künstler einen vollen Erfolg bedeuteten. Denn trotzdem Effner gleichzeitig in dem Palaste des Grafen Preysing (der jetzigen Hypothekenbank neben der Feldherrn­

halle) auf gleichem Gebiete eine Meisterleistung schuf, KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

blieb Cuvillies fortan 20

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuvillitS der Ältere.

306

für die Bedürfnisse der vornehmen Kreise die maßgebende Persönlichkeit und errichtete, wie uns sein Sohn erzählt, „eine große Anzahl Häuser". Zum ersten Male ganz selbständig am kurbayerischen Hofe arbeitend, tritt er uns in dem Neubau und der inneren Ausstattung der sogenannten

Reichen Zimmer entgegen.

Wohl jedem Besucher der Münchener Residenz

bleibt der lauschige Grottenhof unvergeßlich, jenes grünende Idyll mit seiner kühlen Muschelhalle, dem plätschernden Brunnen und dem zierlichen Bilder­ schmuck.

In den Räumen, welche diesen reizenden Fleck Erde umgeben, hatte

schon der Erbauer der Residenz, Kurfürst Maximilian I., seinen Wohnsitz auf­ geschlagen und zwar gerade da, wo die Reichen Zimmer sich befinden, in jenem Südflügel, dessen Fenster diesseits in den Grottenhof hinabgingen,

auf der anderen Seite aber den Ausblick gewährten über den bis an das ehemalige Franziskanerkloster sich hinziehenden, sogenannten Schönen Garten und seine Laubengänge und Wasserwerke.

Auch Max Emanuel war diesen

Räumen treu geblieben und hatte sie zweimal seinem wechselnden Geschmacke folgend ausstatten lassen, zuerst 1680—1704 durch Zuccali italienisch und später dann kurz vor seinem Tode französisch durch Effner.

Ein Brand, der

am 22. Dezember 1729 diese Zimmer zerstörte, war die Veranlassung zu ihrer

Neugestaltung durch Cuvillies. Die Aufgabe, welche der Meister zu ausgedehnte.

lösen hatte, war räumlich keine An Stelle der vernichteten Gelasse sollten sogenannte „Chambres

de parade“ treten, also eine Zimmerflucht, die in erster Linie der Repräsen­

tation bei Empfängen zu dienen hatte. Erweitert war das alte Programm durch einen neu zu erbauenden Flügel für einen großen Festsaal, der zugleich

Gemäldegalerie ist,

und für eine Prachtstiege, welche den direkten Zugang

zu letzterer vermittelte. Die Bauzeit dauerte sieben Jahre. Am 4. No­ vember 1737, am Namenstage des Kurfürsten Karl Albert, öffneten sich die

von 2000 Wachskerzen feenhaft erleuchteten Räume den zum Feste geladenen

Gästen. Hier hat Cuvillies ohne irgend welches Raffinement in der Grundriß­

bildung aus einer Flucht rechteckiger und quadratischer Räume Interieurs geschaffen von einem Reichtum und einer Vornehmheit, wie sie sonst in Deutsch­ land sich nirgends wiederfinden.

Und doch war des Meisters Begabung noch einer Steigerung fähig. Cuvillies' Entwürfe für die Reichen Zimmer befriedigten Karl Albert in hohem Maße.

Nun endlich hatte die leidenschaftliche, so ganz lyrische Natur

des sensiblen Fürsten den Genius gefunden, der sein Schönheitsideal — die Vereinigung von höchster Pracht mit vollendeter künstlerischer Eleganz nicht

in mächtigen Hallen und weiten Sälen, sondern im kleinsten Raume — zu verkörpern verstand.

Und als er kurze Zeit später, im Jahre 1734, zu Ehren

seiner Gemahlin, der Kaisertochter Maria Amalia, ein Lusthaus für Garten­ feste und Konzerte in linden Sommernächten plante, das in seiner Silber-

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuvillUs der Ältere.

307

dekoration etwas ganz Neues werden sollte, da war es wieder sein Lieblings­ architekt,

der einen Bau schuf,

der des Meisters Ruhm im Volke lebendig

erhielt.

Wenn heute der Name Cuvillies genannt wird, so denken wir Münchener zunächst an die Amalienburg, die für uns gleichsam untrennbar verbunden ist

mit der Erinnerung an die fröhliche, selige Kinderzeit, da wir hinausgewandert mit Eltern und Geschwistern in den Nymphenburger Park,

zu dem in lau­

schigem Waldesgrün so versteckten, geheimnisvollen „Silberschlößchen". Dorthin lenke deine Schritte, etwa im Spätherbst, wenn die letzten Strahlen der

Die Amalienburg im Nymphenburger Schlohgarten. (Nach „Die Baukunst"'. W. Spemann, Berlin.)

sinkenden Sonne durch das Gewirre der Stämme glühen und nichts die Stille

ringsum unterbricht als der leise, melancholische Zug der fallenden Blätter,

und versenke dich in ihren Anblick. Es ist nur eine einfache Fassade, die sich vor dir erhebt,

ausgestattet

mit den bescheidensten Mitteln, und die manchem vielleicht nichts weiter ist als

ein Wechsel von Fenstern und Mauerflächen. Und doch, welch holder Rhythmus in dieser Schöpfung! Es liegt etwas wie Musik in ihr, das uns des Meisters innerstes Wesen erschließt: jenes entzückende Maßhalten bei aller überquellenden

Gestaltungsfülle, jenes vollendete Gleichgewicht zwischen architektonischer Glie­ derung

und leichtbeschwingtem Ornament, welches

Reichtum in vollendete Harmonien löst. Diener

selbst den verwirrendsten

Und nun öffnet uns der freundliche

die Flügeltüren und schauend und bewundernd

treten wir

in das

Innere.

Ein Gleißen und Schillern und Flimmern ringsum nimmt uns gefangen, ein zuckendes Aufleuchten von Silberblitzen auf dem gelben Grunde der Gemächer und den in Kristallspiegeln sich auflösenden Wänden des Kuppel-

20*

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuvillitS der Ältere.

308

saales, eine traumselige Stimmung, die am Tage schon uns ahnen läßt, welch

Bild von märchenhaftem Zauber

erwachen

Strahlen der Lüster und Girandolen.

Silber,

die uns umschmeichelt,

wird

unter den

tausendfältigen

Es ist eine berückende Symphonie in

das Höchste,

dessen die Kunst des Rokoko

überhaupt fähig war. Und dieser Zauber ist dem Werke des unscheinbaren Zwergleins geblieben

bis heute.

Selbst in jenen Tagen, als der pietätlose Bildersturm anhob in

was das kunstfteudige Jahrhundert des Barock

Wort und Tat gegen alles,

da ist keiner aufgestanden zum Kämpft

und Rokoko in Altbayern geschaffen,

Grundriß der Amalienburg. A. Spiegelsaal, B. Gelbe- Kabinett, C. Blaue- Kabinett, D. Rettrade, E. Hundezimmcr,

F. Borplatz,

G. Jagdzimmer, H. Indianische- Kabinett, J. Küche.

(Nach „Die Baukunst".

gegen

die Amalienburg.

Sie

alle,

Romantiker, haben instinktiv gefühlt,

W. Spemann, Berlin.)

mochten

sie

nun

Klassizisten

sein

oder

was unser für die Denkmale bayerischer

Vergangenheit so warmempfindender König Ludwig I. durch seine Vorliebe für den Bau zum Ausdruck brachte — daß das Meisterwerk Cuvillies'

zu jenen

Schöpfungen gehört, die man weder ändern noch bessern, die man in ihrer

unvergleichlichen Eigenart eben nur genießen kann.

Wie ist's so still und feierlich da draußen im Schatten der alten, würzigen Fichten, unter denen wohl schon der Meister geträumt von neuen Werken oder

von den Schicksalen und Sorgen seines Lebens.

Aber wer vermag noch zu

ergründen, was sein Innerstes bewegte in jenen Stunden, da er in sinnendem Ausruhen Stimmung suchte und frische Kraft zu weiterem Schaffen?

nur von dem Künstler wissen wir, nicht von dem Menschen.

Denn

Wir besitzen

keine Zeile, die uns Einblick tun ließe in sein Denken und Fühlen, ja nicht einmal die Züge seines Angesichtes sind uns bekannt, nur die Schilderung,

die eine französische Landsmännin eUtwarf, die mit ihm am Hofe zu Kassel

67. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz Cuvillies der Ältere.

im Jahre 1749 zusammentraf und die berichtet:

309

„Er ist sehr klein, aber in

guten Verhältnissen gebaut; er ist weder schön noch häßlich, aber sehr mager und scheint keine gute Gesundheit zu haben.

Er spricht nicht viel, was er

Partie aus dem Gelben Kabinett der Amalienburg. (Nach „Tie Baukunst".

aber spricht,

ist wohlgesagt.

W. Spemann, Berlin.)

Sein Wissen kann ich nicht beurteilen, aber es

scheint mir nicht, als ob er prahle.

Ich finde sein Wesen sehr sanft nnd

gesetzt." Also

Berus

ein stiller,

hastig

und

bescheidener,

rücksichtslos

kränklicher Mann,

vordrängender

Streber.

kein in Leben

Das

und

Erdenwallen

310

57. Der Kurfürstliche Hofbaumeister Franz CuviMs der Ältere.

solcher Charaktere ist äußerlich meist schlicht und ereignislos. Und so wäre nur zu berichten, daß trotz allen bureaukratischen Übelwollens, das auch ihm

nicht erspart blieb, die Wittelsbacher des hochbegabten Mannes Wert stets zu schätzen wußten und welch aufrichtiger Achtung er sich erfreute in Altbayerns

warmherzigen Künstler- und Handwerkerkreisen.

Auch von seiner Anhänglichkeit

an unser München wäre zu erzählen, das zu verlassen er nimtner sich ent­ schließen konnte und wo er, in der engen Wohnung in der Burggasse, dem Hause gegenüber, in dem sein unsterblicher Geistesverwandter Mozart den

Jdomeneo vollendet, im Kreise seiner Familie ein Dasein führte, das einzig

und allein der Arbeit gewidmet war. Denn auch auswärts ist Cuvillies ein vielbegehrter Meister. Er schafft in den Rheinlanden, zu Kassel, Würzburg, Wien und entwirft für Dresden

den Plan zu einer Stadterweiterung und einem neuen Residenzschlosse.

Dazu

treten Arbeiten in den altbayerischen Klöstern, wie der Hochaltar der herr­ lichen Kirche in Diessen am Ammersee oder der Bau des Münsters von

Schäftlarn, und endlich jene Hunderte von Kupferstichen, die Bruchstücke einer groß angelegten Veröffentlichung über die Zivilarchitektur, die uns den tiefsten Blick tun lassen in die Welt, die seine schönheitstrunkene Seele erfüllte. In München wieder hat er die drei Werke ausgeführt, welche die bedeut­ samen Marksteine seiner späteren Kunstweise geworden sind: das nunmehr

leider abgebrochene Cottahaus in der Theatinerstraße, das Residenztheater und

die mächtige Front der Hostirche von St. Kajetan — also einen Palast, der

bereits hinüberleitet zur Einfachheit und Strenge des wiedererwachenden Klassizismus, ein in dem Farbendreiklang weiß, gold, purpur entzückend gehaltenes Rokokointerieur und

eine Fassade, deren vornehme Würde und

reizvolle Grazie gewiß nicht ahnen läßt,

daß ein mit schwerem Siechtum

ringender, siebzigjähriger Greis sie erdachte. Alle diese Werke bedeuten Höhepunkte des Kunstschaffens in Altbayern,

mögen es auch keine altbayerischen Kunstwerke sein. Denn ein altbayerischer Ehrlich und aufrichtig, wie er war, hat

Meister ist Cuvillies nicht gewesen.

er auch fern

von

seiner Heimat

künstlerisch allezeit

seine

Muttersprache

geredet und die war französisch. Er hat stolze Paläste gebaut, reizende Schlößchen im Waldesgrün, Opernhäuser und Prunkgemächer von hinreißender

Pracht, was die altbayerische Seele erfüllt,

hat er nicht verkörpert.

Die

trauliche, zu Herzen dringende Gemütlichkeit spricht nicht zu uns aus den Reichen Zimmern der Residenz und nicht aus der Amalienburg, die lebt in

ihrer ganzen seelenvollen Wärme in dem, was unsere wackeren, freilich von

Cuvillies vielfach angeregten, geschulten und geförderten einheimischen Meister gebildet in Stadt und Land, in Bürgerhaus und Prälatur und Kirche. Das Ideal Cuvillies' war das Ideal der vornehmen Kreise, jene damals

international gewordene ftanzösische Kunst des Rokoko, die Friedrich den Großen nicht minder in ihren Bannkreis zog wie unsern Kurfürsten Karl

58. Gründung der Akademie der Wissenschaften zu München 1759.

311

Albert, und daß er diesem Ideal als großer Meister Leben gab, wird niemand bestreiten, der seinen Schöpfungen unbefangen gegenübertritt. Und als großen Meister, als der Herrlichsten einen, die in Altbayern gewirkt, wollen wir ihn

in Ehren halten und dauernd uns an dem erfreuen, was er geschaffen.

58. Gründung der Akademie der Wissenschaften zu München 1759. Von Karl von Spruner.1)

Ein frischer Luftzug, wie er sich oft als Vorbote eines bereits im Osten dämmernden Morgenrotes erhebt, strich nach dem Beginn der zweiten Hälfte

des 18. Jahrhunderts über Deutschland hin und begann die schweren Dünste zu verjagen, welche sich während des traurigen Dreißigjährigen Krieges und

besonders seit dem Ende desselben vorzüglich über den südlichen Teil unseres Vaterlandes gelagert hatten. Auch für Bayern war diese vielverheißende Morgenröte mit dem Regierungsantritte des Kurfürsten Maximilian III.

heraufgestiegen. Der Friede zu Füssen am 22. April 1745,

den

der junge Kurfürst

widerwillig und nur dem Andringen seiner Mutter und der österreichischen Partei am Hofe nachgebend unter stetem Abmahncn der jungen, geistvollen und tatkräftigen Maria Anna, der Gemahlin seines Vetters Klemens, geschlossen hatte, gewährte dem Lande eine lange Reihe voll Friedensjahren, obschon seine Krieger erst im österreichischen Solde und dann als Reichskontingent

nicht unrühmlich vor Schweidnitz, bei Breslau, Freiberg und Leuthen gegen Friedrich von Preußen gestritten. Sie, vereint mit den Zweibrückern, deckten den Rückzug bei Roßbach und tapfer schützten bayerische Grenadiere die Flücht­

linge gegen die versolgenden preußischen Husaren.

Hat auch die Philosophie des 18. Jahrhunderts gar manchen eitlen und hohlen Wortkram zutage gefördert, ja selbst an den Grundpfeilern des Christentums zu rütteln gewagt, das alles liegt vergessen hinter uns, wogegen

ihr ideales Streben und ihre reichen Schöpfungen alle hochsinnigen Gemüter­ für wahre Geistessreiheit, für eine edlere, ethische Auffassung der Lehren unseres Heilandes, für eine daraus hervorgehende höhere Würdigung der Persönlichkeit

des Menschen selbst geweckt und die Herzen durch den lebenswarmen Strahl wahrer Humanität entzündet haben.

Reben ihnen liefen dann freilich,

wie

das unvermeidliche Schattenbild neben jedem edlen Streben, der Mißbrauch und die Karikatur, als Unglaube, lächerliche Empfindelei und falsche Philan­

thropie her. Leibniz und Wolf verdrängten den scholastischen Wust aus den Schulen und mit der in den höheren Ständen herrschenden Sprache Frank*) „Die Wandbilder des Bayer. Nationalmuseums, historisch erläutert." München 1868, I. Albert.

S. 210 ff.

312

58. Gründung bet Akademie der Wissenschaften zu München 1759.

reichs drang auch die Literatur jenes Landes über den Rhein.

Statt der

liederlichen und obszönen lyrischen Dichtungen und unflätigen Possen, statt der geschmacklosen, furchtbar langweiligen Romane und halbverrückten drama­

tischen Staatsaktionen eines Lohenstein, Hoffmannswaldau oder Ziegler, statt

der „christlichen Handpistolen" und dem „geistlichen, Leib und Seele zusam­ menhaltenden Hosenträger" wurden Bossuet und Fenelon, Racine und Moliere, freilich auch Voltaire und die Enzyklopädisten, immer eifriger gelesen. Der

Geschmack an den Werken der neuerwachten deutschen Geistesbildung fand immer größere Verbreitung; aus Klopstocks Messias,

aus Höltys und der

Stolberge Schriften erkannte man hehren christlichen Sinn, glühenden Patrio­

tismus. Lessings Minna von Barnhelm und Emilia Galotti erklärte der Kurfürst als seine Lieblingsstücke und seine Gemahlin hatte nicht verschmäht

selbst als deutsche Schriftstellerin aufzutteten. So vereinte sich alles um den Bemühungen jener Männer den Boden zu bereiten, deren Namen als die der Pioniere der neuerwachten Bildung in unserem Vaterlande in ewigem dankbaren Andenken bleiben werden. Der Bergrat Georg Lori, eines Bauern Sohn von Gründ! bei Steingaden,

ein Schüler des hochverdienten Jckstatt,

der auch

des Kurfürsten Lehrer

gewesen, und der Münzrat Dominik Limbrun, dessen Vater Landgerichts­ schreiber zu Viechtach war, sind die beiden, welche für den Ruhm glühten

die Leuchte der Wissenschaft, die einst so hell in ihrem Vaterlande gelodert, wieder neu zu entzünden. Sie faßten den Entschluß gleichstrebende Geister

ihrer Heimat zu einem gelehrten Vereine zu verbinden. Am 12. Oktober des Jahres 1758 traten mit ihnen zuerst der Hoftat der Lehrer Stigler vom Kadettenkorps,

Stubenrauch, Advokat Bergmann, Ministerialsekretär

Lipowsky,

dann

die Benedikttner Döpsel,

Amort

und

Goldhofer von Polling, Propst Innozenz und Leeb von Schlehdorf, Kennedy von den Regensburger Schotten, Pfarrer Miedamer,

die Augustiner Meyer und Manz, der Theologieprofessor Huber und Wagenecker, des Herzogs

Klemens Hofkaplan, zu jenen Zwecken zusammen. Der Bergwerkspräsident GrafSiegmundvon Haimhausen wurde zum ersten Präsidenten erwählt, der Minister Graf Törring und

der Kanzler Kreittmayr für die edle Sache

gewonnen. Am 28. März 1759, seinem Geburtstage, unterzeichnete Max fteudig

bewegt die Stiftungsurkunde und Statuten für die neue Akademie der Wissen­ schaften, die sich in zwei Klassen, eine historische und philosophische, teilte. Er

verlieh ihr ein eigenes Siegel mit der Umschrift „Tendit ad aequum“ und die Sclbstzensur für die Arbeiten ihrer Mitglieder, deren die junge Gesellschaft schon nach einem Jahre 96 zählte.

Durch die

öffentlich

ausgesprochenen

Worte: „Ohne Vaterlandsgeschichte keine Vaterlandsliebe", ermunterte er besonders das Wirken der historischen Klasse. Kennedy, Braun, Osterwald

und der Protestant Lambert wurden als Professoren an die neue Anstalt

58. Gründung der Akademie der Wissenschaften zu München 1759.

berufen, welche schon im Jahre 1763 ihre eigene Buchdruckerei erhielt.

313

Auch

das astronomische Observatorium auf dem Gasteig entstand und wurde von

dem geistlichen Ratsdirektor Osterwald geleitet, dem ein Fräulein von Schnee­

weiß als gelehrter Gehilfe zur Seite stand.

Unter den Mitgliedern prangen in überraschender Zahl die Namen der ersten Adelsgeschlechter des Landes; das Wirken der neuen Gesellschaft war

über die Mauern der Klöster, besonders der Benediktiner, der anderthalbtausend­ jährigen Pfleger der Wissenschaften, gedrungen und ihre Edelsten zierten die Reihen der Akademiker. Geistliche und Weltliche, Adelige und Bürgerliche beeiferten sich in diesen Blütetagcn des Instituts mit edlem Freimut der Wahrheit zu dienen.

Ein frisches, wissenschaftlich aufklärendes Streben

ging damals durch alle Gauen Süddeutschlands, Ständen Liebe und Begeisterung für das Edle kümmert

Schlechte

es entfachte in allen und Schöne. Unbe­

Genossenschaft oder Personen ward alles Verrottete und schonungslos aufgedeckt und verfolgt. Ohne alle Selbstsucht

um

eiferten aufgeklärte Geistliche gegen jahrhundertelang gehegten Aberglauben. Der edle Graf Savioli, selbst Besitzer großer Güter, spricht goldene Worte

für den bisher tief verachteten Landmann und fordert energisch zu dessen Ent­ lastung von drückenden grundherrlichen Fronden und bureaukratischer Willkür

auf.

Graf Haslang schildert in feierlicher Sitzung schonungslos die sozialen

und politischen Gebrechen Bayerns und gießt über das verrottete Zunftwesen den bittersten Spott. „Der Zunftzwang", sagte er, „versagt dem geschicktesten Arbeiter, wenn er arm ist, den ihm von der Natur verliehenen freien Gebrauch

seines Kopfes und seiner Hände und verdammt ihn zu lebenslänglicher Dienst­

barkeit.

Meister werden nur Meistersöhne oder solche, die sich entschließen

können mit irgend einer zahnlosen Meisterswitwe oder einer buckligen Meisters­

tochter vor den Altar zu treten.

Das hält uns im alten Schlendrian fest,

macht uns zum Spotte der Nachbarn und entvölkert das Land, dessen tüch­ tigste Söhne ihr Glück auswärts suchen." Er eifert für volle Freiheit des Handels und erklärt, daß jenes Land das reichste sei, welches die größte

Bevölkerung zähle und die ausgebreitetste Industrie besitze, kurz der hellsehende Patriot sprach bereits 1772 Worte, die heute jedem Fortschrittsmanne Ehre machen würden. Und so blieb unter der segensvollen Regierung Maximilians III. trotz

manchem inneren bald wieder beigelegten Zerwürfnis die Akademie im schönsten Aufblühen. Ihre ferneren Schicksale unter den nachfolgenden Herrschern zu verfolgen ist hier nicht am Platze, das eine aber möge noch erwähnt werden, daß sie mit würdiger Feier und Pracht, unter Teilnahme des für Förderung

alles Edlen und Nützlichen begeisterten Königs Maximilian II. und einer Menge aus weiter Ferne herbeigeeilter Festgäste int Herbst des Jahres 1859

ihr erstes Jubiläum beging.

314

59. Kulturelle Zustände während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph.

59. Kulturelle Zustande in Bayern während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph. Don Wilhelm Schreiber.')

Anfänglich hatten die bayerischen Akademiker wegen ihrer wissenschaft­ lichen Leistungen mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil unrichtige An­ schauungen von der Natur und ihren Kräften und allgemein angenommene

Man hielt die Akademie

Irrtümer tiefe Wurzeln im Volke geschlagen hatten.

für einen Verein von Freigeistern, welcher die Religion unterdrücke.

Unwissende

oder falsch berichtete Leute bekreuzten sich beim Erblicken eines Akademikers und schrieben jede mißliebige Regierungshandlung und alle elementaren Unglücks­ fälle den Freidenkern zu.

Allmählich jedoch verschwanden die Vorurteile gegen sie und ihre Schriften erweckten in immer größeren Kreisen eine strebsame Liebe für das Edle und Schöne.

Ihre wissenschaftlichen Arbeiten suchten sie dadurch zum Gemeingut

zu machen, daß sie Zeitschriften über alle Fächer der Wissenschaft veröffent­

lichten. Die beliebtesten Blätter wurden „Der Patriot in Bayern", das „Jntelligenzblatt" und das „Münchener Wochenblatt". Die einzigen politischen Zeitschriften „Münchener Bote" unh „Münchener Zeitung" waren wie in allen deutschen Ländern einer strengen Zensur unterworfen.

Von der Münchener Akademie trennte sich die Naturwissenschaft

und der Rektor des Gymnasiums und Lyzeums in Burghausen, Dr. Franz v. Hoppenbichl, Mitglied zahlreicher Gesellschaften, stiftete in Verbindung mit mehreren Geistlichen, Jesuiten, Beamten und Offtzieren (1759) in Altötting eine

landwirtschaftliche Akademie.

Der ursprüngliche Zweck des neuen Vereins war

Verbesserung der deutschen Sprache und Förderung moralischer Wissenschaften und des Haushalts; nach kurzem Bestände dehnte sich seine Tätigkeit auf die Landwirtschaft und die einschlägigen Naturwissenschaften aus. Max III. bestätigte diese Akademie unter dem Namen

„Kurbayerische Landesökonomie-

Gesellschast" mit dem Rechte ihre Verhandlungen durch

den Druck zu ver­

öffentlichen. Als 1772 die landwirtschaftliche Akademie nach Burghausen, dem Sitze eines Rentamts- und Regierungsbezirkes, mit einem Gymnasium und

Lyzeum, vielen Beamten und Professoren, verlegt wurde, hielt der Präsident derselben, Freiherr von Hartmann, in der ersten öffentlichen Sitzung (28. März) eine Rede über die Beschaffenheit und Verbesserung der Erdarten, deren Ver­ öffentlichung ihn auch im Auslande bekannt machte; König Gustav Wasa von Schweden verlieh ihm den Wasaorden. Die Burghausener Akademie machte sich um die Landwirtschaft sehr verdient; sie lehrte lange vor dem Nationalöko­ nomen Thaer die Wechselwirtschast und verurteilte die Abtreibung der Wal­

dungen und die Zertrümmerung der Landgüter. ’) „Geschichte Bayerns," II. Band, S. 170 ff.

Aus ihrer Mitte

Freiburg 1891, Herder.

gingen

59. Kulturelle Zustände während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph.

315

treffliche Abhandlungen hervor über die Brache, den Hopfen-, Reps-, Mais­ und Rübenbau, über Stallfütterung und Viehzucht, Wiesenbau, Gipsdün­

gung rc.

Zur Pflege und Verbreitung der Bienenzucht wurden Bienenmeister

angestellt und Schriften über Bienenzucht herausgegebe».

Die von der Aka­

demie gestellten Preisfragen über den Getreidehandel, Vorsorge gegen Teuerung lind die beste Obstbaumzucht wurden zur allgemeinen Befriedigung gelöst.

Den Abhandlungen war auch ein belehrender Kalender über alle in der Land­ wirtschaft auf jeden Monat treffenden Verrichtungen beigefügt und in der akademischen Zeitschrift „Bayerisch-ökonomischer Hausvater" auf wichtige wissen­

schaftliche Arbeiten des Auslandes und landwirtschaftliche Erfindungen, nament­ lich die neuen, verbesserten Ackerbaugeräte'und Maschinen, aufmerksam gemacht.

Die Burghausener Akademie erstellte sich besonders der Gunst des Konferenz­ ministers Grafen von Berchem, der sie über die Münchener Akademie stellte,

weil sie, wie er in einem Briefe an Freiherrn v. Hartmann bemerkte, dem Lande zu größerem Nutzen gereiche. Während der napoleonischen Kriegszeit mußte der Verein (1802) seine ersprießliche Tätigkeit aussetzen, unter König Max I. gingen (1810) aus demselben die landwirtschaftlichen Vereine hervor.

Während die Naturwissenschaften mit immer größerem Eifer und Erfolge

gepflegt wurden, beherrschte die deutsche Literatur mit wachsender Macht das geistige Leben. Wie in Frankreich unter Ludwig XV. und in England unter Karl II. der Widerstand des Bürgertums gegen die Despotie der Regierung und die privilegierten Klassen und die Anhänglichkeit an das häus­

liche und familiäre Leben in der Literatur lebhaften Ausdruck fand, so nahm

auch die deutsche Literatur zu gleicher Zeit eine neue Richtung, welche in der Leipziger und Hallenser Dichterschule durch Rabener, Gellert, Gleim, Uz, Kleist und Klopstock vertreten war.

Rabener sprach in seinen vertrauten Briefen

mit Hohn und Schmerz von der Verschwendung der Höfe, dem Steuerdruck

und Elend der Untertanen.

Mit seinen eifrig gelesenen und in viele Sprachen

übersetzten Satiren regte er bei den Deutschen das Selbstbewußtsein und die Erkenntnis des eigenen Wertes an und geißelte die Ungerechtigkeit im Handel und Wandel und im Richteramte.

Auch Gellert begann seine schriftstellerische

Tätigkeit mit der Satire, indem er in seinen „Fabeln"

und

„Erzählungen"

die Gebrechen der Gesellschaft und die Mißstände des öffentlichen Lebens schilderte. Als Lehrer an der Universität Leipzig (1744—1769) wirkte er auf

das sittliche Gefühl und die Erhöhung der Frömmigkeit besonders unter den bürgerlichen Klassen.

Seine geistlichen Lieder wurden in die lutherischen und

reformierten Gesangbücher ausgenommen und selbst in katholischen Ländern mit Beifall gelesen. Auch in den Kirchen Bayerns fand (1772) der Volks­

gesang allmählich Eingang; doch ward er vom Landesherrn nicht begünstigt; Kurfürsten Max III. gab der figurierten Musik den Vorzug mit der Er­ klärung, die Figuralmusik stimme auch zur Andacht und durch den allgemeinen Gesang verlerne das Volk das Beten. Durch Gellerts vielseitige Wirksamkeit

316

59. Kulturelle Zustände während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph,

blieb Leipzig die Hauptstadt der deutschen Literatur und in derselben vereinigte sich die vornehme und wohlhabende Jugend aus Deutschland und den fremden

Staaten um neben den ernsten Studien die feinen Sitten einer größeren Stadt kennen zu lernen und zu üben.

Eine Zierde der Leipziger Schule war der Bayer Michael Huber, der (1727) in Frontenhausen in Niederbayern geboren und von unbekannter, vor­ nehmer Abkunft war.

Nach Vollendung der höheren Studien begab sich

Huber (1754) nach Paris,

wo er mit seltener Gewandtheit- und Meisterschaft

deutsche Gedichte ins Französische übersetzte um die deutsche Literatur auch in Frankreich zu verbreiten und den Franzosen Achtung vor deutscher Bildung einzuflößen. Seine ersten Übersetzungen wurden in Frankreich beifällig gelesen

und erwarben ihm die Verehrung aller seiner Zeitgenossen.

Seinen Ruhm

erhöhte er (1766) durch Veröffentlichung einer auserlesenen Sammlung deutscher Dichtungen nebst einer vorzüglichen Übersicht der Geschichte der deutschen Dicht­

kunst. Dieses in einem fließenden Französisch geschriebene Werk widmete er dem Kurfürsten von Bayern in der Absicht, daß er von ihm in sein Vater­ land auf einen Lehrstuhl gerufen werde; allein sein Wunsch wurde nicht berücksichtigt. Durch Vermittlung seiner Freunde in Deutschland und der

sächsischen Kurfürstin-Witwe Marie Antonie, einer bayerischen Prinzessin, wurde Huber (1767) an die Universität Leipzig berufen um den erledigten Lehrstuhl

der ftanzösischen Sprache und Literatur zu übernehmen.

Durch seine geistvollen

Vorträge über die ftanzösische Literatur und durch seine unübertroffenen Übersetzungen der klassischen Werke der Deutschen erhöhte er den Ruhm der

Leipziger Schule.

Durch Hubers umfassende und gründliche Kenntnisse in

der Kunst wurde sein Haus in Leipzig der Mittelpunkt aller Künstler und Kunstfteunde in und außer Deutschland,

namentlich zur Zeit der Leipziger

Messen. Alle ausgezeichneten Staatsmänner und Dichter, unter ihnen v. Gagern und Schiller, wurden von ihm und seiner Familie gastlich ausgenommen und lernten bei ihr Übung in der ftanzösischen Sprache und eine vornehme

Gesittung; auch Fürsten und Grafen, unter ihnen der preußische Staatskanzler Fürst von Hardenberg, besuchten ihn wiederholt und erfreuten sich an dem

Reichtume seiner Kenntnisse und der Feinheit seiner Bildung. Die literarische Bewegung in Norddeutschland drang in Bayern um so

leichter ein, als die Münchener und Burghausener Akademie in allen Schichten der Bevölkerung ein aufblühendes geistiges Leben angefacht hatten.

Seit Max

Emanuel beherrschte in München die ftanzösische Dichtung das ganze Gebiet

der Literatur und des Schauspiels und an der Hofbühne kamen nur noch Dramen von Corneille, Racine, Moliere, Merville rc. zur Aufführung. In den größeren Städten veranstalteten die Jesuiten mit ihren Zöglingen lateinische

Schauspiele, Tragödien und Opern, die an festlichen Tagen mit bewunderter Gewandtheit und Prachtentfaltung gegeben wurden.

Zahllose Komödienttuppen

durchwanderten das Land und verdarben mit dem Inhalte ihrer Produktionen

59. Kulturelle Zustände während der Regierung des Kurfürsten Max III. Joseph.

317

und ihrer rohen Darstellungsweisc die Sitte und den Kunstsinn des Volkes. Während der Fastenzeit wurden in den Städten und Märkten Passionsspiele

in so ärgerlicher Weise von unfähigen, nichtswürdigen Personen aufgeführt, daß die heiligsten Religionsgeheimnisse geschändet wurden.

Kurfürst Max III.,

ein Freund der deutschen Dichtung und Kunst, ernannte (1753) den Grafen Joseph von Seeau,

einen entschiedenen Gegner alles Franzosentums,

zum

Hvftheater- und Hofmusikintendanten mit dem Auftrage das ganze Schau­ spielwesen umzuschaffen. Die große Aufgabe löste Seeau dadurch, daß er

die französischen Komödianten von der Hofbühne entfernte und in München

eine Schule zur Heranbildung befähigter Schauspieler und Schauspielerinnen errichtete. Nur jene, welche in der dramatischen Schule zu München unter­ richtet worden waren, erhielten die Erlaubnis in den Städten und auf dem Lande solche Schauspiele aufzuführcn, welche den Sinn des Volkes für die

Kunst besserten

und die Sittlichkeit hoben.

Der Rechtspraktikant Johann

Nieser bildete mit großem Geschick eine Schauspiclertruppe, über die er selbst die Oberleitung übernahm. Im Faberbräuhause in München eröffnete er (1771) in Anwesenheit der kurfürstlichen Familie und der höchsten Hofbeamten

sein neu errichtetes deutsches Theater mit dem Schauspiele

„Der Tambour

bezahlt alles"; diesem folgten „Minna von Barnhelm" und „Emilia Galotti". Als Lessing (1775) mit dem Prinzen Leopold von Braunschweig durch München

reiste und der Aufführung seiner Dramen

int Faberbräuhause

beiwohnte,

spendete er dem Direktor Nieser ehrendes Lob und die Akademie der Wissen­ schaften in München zeichnete ihn durch eine goldene Medaille mit einem Preis­ diplom aus?)

An jedem Gymnasium wurde das Schuljahr mit einem Schauspiele oder einer Oper geschlossen, welche die Schüler der Rhetorik (oberste Gymnasial­

klasse) aufführten

und meist selbst verfaßt hatten;

namentlich taten sich die

Kandidaten am Freisinger Lyzeum durch rühmliche Leistungen hervor.

Alle

gebildeten Stünde wurden von einem unwiderstehlichen Triebe ergriffen zu dichten und Theaterstücke zu schreiben. Diese poetischen Erzeugnisse, welche

zumeist dem historischen Gebiete angehörten, waren zwar von einer poetischen Vollendung weit entfernt, aber von deutschem Geiste durchhaucht und von deutscher Sitte getragen.

Max III. begünstigte das eifrige Streben nach deutscher Schauspielkunst, wandte sich jedoch mit Vorliebe der Tonkunst zu. In seiner frühesten Jugend hatte er sich mit großer Begabung musikalischen Studien gewidmet ') Auf dieser Bühne, die als ein echtes und richtiges Volkstheater zu gelten hat, wurden zwei Jahre nach der Premiere des Stückes in Mannheim (Januar 1782) Schillers „Räuber" aufgeführt „mit gnädigster Bewilligung", nämlich am 26. Januar und 2. Februar 1784; „Kabale und Liebe" und „Don Carlos" folgten alsbald (1788 und 1789). Vgl. Karl Trautmann, „Sieben Theaterzettel", Festgabe zur Münchener Schillerfcier 1905.

318

59. Kulturelle Zustände während der Regierung deS Kurfürsten Max III. Joseph,

und auf dem Klavier, der Violine, dem Violoncell und der Gambe (eine Art

Violoncell) eine meisterliche Fertigkeit erreicht.

Noch als Kurfürst ließ er sich

von dem Kompositeur Bernasconi im Kontrapunkt unterrichten und komponierte

mehrere kirchliche Stücke, darunter ein lobwürdiges „Stabat Mater".

Bei Hof­

konzerten glänzte Max Joseph als Solist auf dem Violoncell. Mit ihm wett­ eiferte seine Schwester Marie Antonie, die spätere Kurfürstin von Sachsen,

welche in der lateinischen und den modernen Sprachen wie in der Malerei

trefflich unterrichtet war und sich zu einer gefeierten Sängerin und Pianistin Marie Antonie komponierte mehrere Kantaten und Opern und

ausbildete.

dichtete selbst den Text in lateinischer und französischer Sprache.

Die musi­

kalische Akademie in Rom ernannte sie zu ihrem Ehrenmitgliede.

Bei der Aufführung ihrer Oper „Talestri“ in Dresden sang sie selbst die „Talestri“ und wurde als Sängerin und Komponistin allgemein angestaunt.

Max

Joseph

erbaute

nach

dem Plane

des

Architekten

Ihr Bruder

Franz

Cuvillies

(1752—1760) neben der Residenz ein neues Opernhaus, eines der damals schönsten Theater in Deutschland, mit einem Kostenauswande von 170000 Gulden und befahl,

daß an jedem Montag freier Eintritt sei.

Die italienische und

französische Musik, die vorzüglich am Münchener Hoftheater gepflegt wurde, ward allmählich von den großen Tondichtern Händel und Bach verdrängt

und durch ihre meisterhaften Schöpfungen der deutschen Tonkunst der Weg gebahnt.

Der Begründer der modernen Musik wurde Christoph Gluck,

der (1714) in Weidenwang in der Oberpfalz geboren den ersten musikalischen Unterricht in Böhmen, wo sein Vater auf den Gütern des Fürsten Kaunitz

im Dienste stand, unter steter Rot und Arbeit erhalten hatte.

Rach einer

Reise durch Italien und England begab sich Gluck nach Wien, wo er zum

Kapellmeister der Oper ernannt wurde.

Seine Kompositionen zeichnen sich

durch altklassische Einfachheit und natürliche Wahrheit aus; seine Musik gibt den Gedanken des Textes wieder. Am neuen Residenztheater in München

wurde (1773) die erste Oper von Gluck „Orfeo ed Euridice“ gegeben und

nach zwei Jahren folgte Mozarts Oper „La finta giardiniera“, bei deren Ausführung der geniale Komponist selbst zugegen war. Der junge Mozart verweilte einige Zeit in München und reichte (1777) beim Kurfürsten ein Bittgesuch um Aufnahme in die bayerische Hofmusikkapelle ein; allein damals herrschte noch die italienische Musik vor und Max gab dem deutschen Ton­

dichter den Rat, er solle vorher nach Italien reisen und sich berühmt machen. Hierüber bemerkte Mozart in einem Briefe an seinen Vater: „Da haben wir's; die meisten großen Herrn haben einen entsetzlichen Welschlandsparoxysmus."

Das neue Leben auf dem Gebiete der Literatur und Musik drang auch

in die bildenden Künste. Die christliche Malerkunst war längst unter­ gegangen und man wandte sich im 18. Jahrhundert vorzugsweise der Land­ schaft, dem Genre, der Mythologie und zum Teil der Geschichte zu.

Max III.

stiftete (1770) eine Akademie der bildenden Künste unter dem Namen „Die

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

319

neue Maler- und Bildhauer-Akademie; er ließ begabte Jünglinge

im Auslande auf seine Kosten

unterrichten und ernannte die tüchtigsten zu

Professoren der Akademie um einheimische Talente für die bildenden Künste zu wecken. Die neue Anstalt leistete für Verbesserung des allgemeinen Geschmackes

durch Anleitung der Talente und Hinweisung auf das antike Schöne Ver­ dienstliches. Es entstanden mehrere schöne Privatbauten, wie das nach dem Plane Cuvillies gebaute Cotta-Haus in bet Theatinerstraße, das zur Unter­

bringung der kurfürstlichen Bibliothek bestimmt war, die Paläste des Grafen Törring (jetzt Hauptpostgebäude) und des Grafen von Preysing (Bankhaus),

welche von Cuvillies und Effner im französisch-italienischen Stile erbaut wurden. Die beiden Künstler und Brüder Ägid und Kosmas Asam erbauten auf eigene Kosten und nach eigenem Entwürfe die St. Johanniskirche in der Sendlingerstraße. Max Joseph hatte als sechsjähriger Knabe (16. Mai 1733)

den Grundstein zu dieser Kirche gelegt, welche (1746) im reichen französisch­ italienischen Prunkstile ausgeführt wurde. Auch der Kurfürst ließ neue Bauten aufführen, soweit es die mißliche Finanzlage gestattete.

Nach Vollendung des Residenztheaters erbaute er die „Jsarkaserne" und ersetzte (1759—1765) die zwei über die Isar führenden hölzernen Brücken nach der Vorstadt Au durch steinerne, weil der Verkehr durch das Anwachsen der Münchener Bevölkerung

immer stärker wurde. Zugleich legte er den Grundstein zu einem Militärlazarett, das 1777 eröffnet und nach 110 Jahren in das Luitpoldgymnasium umgeändert wurde. Zur Heranbildung brauchbarer Offiziere stiftete Max (1756) eine Militärschule (Kadettenkorps) und verlegte sie in das von Herzog Klemens

erbaute Schloß außerhalb des Karlstores. der Kaiserin Amalie,

die

Nach dem Beispiele seiner Mutter,

(1754—1760) das St. Elisabethspital gegründet

hatte, ließ er den Barmherzigen Brüdern und Schwestern außerhalb des Sendlinger Tores Kloster nebst Kirche bauen, aus denen später das allgemeine Krankenhaus hervorging. Das Waisenhaus, welches der Faßbinder Poppel

von der Vorstadt Au, ein geist- und gefühlvoller Bürger, nach dem österreichi­ schen Erbfolgekriege gestiftet hatte, unterstützte der Kurfürst im geheimen mit bedeutenden Geldsummen.

60. Herzogin Maria Anna von Bayern. Don Theodor Bitterauf*

Politisierende Frauen scheinen vielen ein Unding zu sein, weil durch sie

weder die Interessen der Politik noch das Wesen der Weiblichkeit gewinnen könne. Und doch hat Fürst Bismarck einmal bedauert, daß den Frauen bei

uns nicht mehr Einfluß auf die politischen Verhältnisse gestattet ist: „Halten die Frauen fest zur Politik, so halte ich die Politik für gesichert. . . In der Hauptsache möchte ich sagen: das, was den Unfug verhindert, zu dem die Männer geneigt sein könnten, das ist hauptsächlich die Aufgabe der Damen."

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

320

Dieser Aufgabe ist vor mehr als 100 Jahren eine bayerische Fürstin in geradezu einzigartiger Weise gerecht geworden, indem sie mehr als ein halbes Jahrhundert unermüdlich für das Wohl Bayerns, für das Aufblühen

Deutschlands unter Preußens Führung tätig war und sich den Ruhm erwarb eine erste Vorkämpferin des Gedankens gewesen zu sein, der uns Deutsche seit 1870 mit gerechtem Stolze erfüllt;

ihrer Tatkraft verdankt Bayern seine

Existenz.

Herzogin Maria Anna Josepha Charlotte von Bayern, der so große Aufgaben zu erfüllen Vorbehalten waren, wurde geboren zu Schwetzingen am 22. Juni 1722 als zweite Tochter des Pfalzgrafen Joseph Karl Emanuel von

Sulzbach und seiner Gattin

Elisabeth Auguste von Neuburg.

Nach

dem

stützen Tode ihrer Eltern kam die Siebenjährige mit ihrer älteren Schwester an den Hof des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz nach Mannheim.

Hier fand am 17. Januar 1742 eine Doppelhochzeit statt. Maria Annas ältere Schwester Elisabeth Augusta vermählte sich mit dem Herzog Karl Theodor von Sulzbach, ihrem Vetter, dem späteren Kurfürsten von Kurpfalz

und (seit 1777) auch von Bayern;

Maria Anna selbst folgte dem Herzog

Klemens Franz von Paula, dem Sohne des Herzogs Ferdinand Maria von Bayern, nach München. Eine dritte Schwester, Maria Franziska Dorothea, wurde

durch ihre Ehe mit Friedrich Michael von Zweibrücken (1746) die Mutter unseres ersten Königs Maximilian Joseph. Als Maria Anna nach München kam, war eben Kurfürst Karl Albert in Frankfurt zum Kaiser gekrönt worden als Karl VII.; er sollte seine Residenz erst wieder als ein Sterbender betreten;

auch die junge Herzogin

Klemens mußte mit ihrem Gemahl nach Augsburg flüchten und erst nach dem Frieden von Füssen schienen wiederzukehren.

für sie die Tage der Ruhe und des Glückes

Bei den Hoffestlichkeiten war die Dreiundzwanzigjährige wegen

ihres leichten, rheinischen Blutes und ihres Frohsinns gern gesehen; der Kurfürst selbst, der erst 1747 eine sächsische Prinzessin heiratete, fand viel

Gefallen an ihr. Ihre Briefe, besonders an ihren „eher Papa“ Herzog Christian von Zweibrücken, schäumen oft über von jugendlichem Übermut; ihr

geistreicher Spott wirkt manchmal sehr scharf.

An englischen Hunden

und

schnellen Pferden, aber auch an französischen Komödien und italienischen Opern, an Maskeraden und Mummereien fand sie ihre helle Freude; ein Bild in Schleiß­ heim stellt sie dar mit einer Larve in der Hand. Ihr Gemahl war selbst ein vortrefflicher Sänger und unterhielt eine ausgezeichnete Hosmusik, die sich

bei festlichen Gelegenheiten hören ließ. Er besaß eine erlesene Gemäldesamm­ lung und eine stattliche Bibliothek; gerne verkehrte er mit Gelehrten und Künstlern.

Sein Sekretär war der spätere Hofbibliothekar Andreas v. Oefele,

der vor der Gründung

der Akademie

vielleicht

der gelehrteste Mann in

München war. Auch Johann Georg v. Lori, der um die Gründung dieses wissenschaftlichen Instituts in München sich besonders verdient machte, und

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

321

noch viele andere Gelehrte unterhielten Beziehungen zu dem Hause des Herzogs Klemens. Das Lieblingsstudium dieses Fürsten bildete die Chemie und die Alchimie; in dem Streben nach Bestiedigung dieser wissenschaftlichen Neigung

hatte er das Unglück bei einem Experiment sein Augenlicht beinahe völlig einznbüßen.

Das Jahrhundert der Freimaurer und Jlluminaten, des Wilhelm Meister und der Zauberflöte schuf sich auch am Hofe Max III. Josephs von Bayern ein Organ, in welchem die Bedürfnisse eines gesteigerten Gefühlslebens und die Neigung zu geheimnisvollen allegorischen und symbolischen Spielereien ihre

Befriedigung fanden.

Des Kurfürsten Schwester Maria Antonia, die Friedrich

der Große die Blüte der deutschen Prinzessinnen nennt, gründete die Gesellschaft der Inkas, deren Mitglieder hervorragende Beweise abgelegt haben mußten, daß sie einer wahrhaften Freundschaft fähig seien.

In diesem Kreise begegnet

uns auch Maria Anna wieder mit dem bezeichnenden Beinamen „Constante“, während ihr Gemahl als Ordensmitglied „Timide“ heißt. Doch die Zeiten waren zu ernst und der Sinn der Herzogin stand nach Höherem, als daß sie in solchen Tändeleien sich ganz verloren hätte. Sie empfand den Füssener Frieden, der Bayern nötigte allen Ansprüchen auf österreichischen Besitz zu entsagen, als eine Schmach und darum suchte sic

ihren Gemahl zu einem förmlichen Proteste dagegen zu bestimmen oder wenigstens seinen Beitritt zu diesem Verzicht zu hintertreiben. Die Kühnheit dieses Planes,

dem in seiner abgeschwächten Form auch der Herzog von Zweibrücken bcitrat, zu ermessen muß man sich gegenwärtig halten, daß Herzog Klemens von seiner Großmutter her die Herrschaft Reichsstadt und andere Güter in Böhmen

besaß und daß daher der kaiserliche Hof die gewünschte Beitrittserklärung zu den Präliminarien durch Repressalien an diesem Besitz erzwinge» konnte. Zur Abwendung dieser Gefahr trat Herzog Klemens schon am 10. Mai 1745 seine Rechte an seinen Schwager Karl Theodor von Kurpfalz ab, und als man

sich im Herbste dieses Jahres alle Mühe gab ihn zur Teilnahme an einer Reise des Kurfürsten zu

bewegen, die dieser zu einer Begegnung mit dem

Kaiserpaar unternahm, war es wiederum Maria Anna, die ihren Gemahl trotz aller Gegenvorstellungen in München zurückhielt, in der richtigen Voraus­ setzung, man wolle ihm nur bei dieser Gelegenheit den Verzicht auf seine Ansprüche entlocken.

Noch bedeutender aber war der Einfluß, den die Herzogin auf den Kurfürsten selbst ausübte. Im 18. Jahrhundert pflegten die kleineren deutschen Fürsten um Geld anderen Staaten ihre Truppen zu überlassen.

Wohl ver­

dammten unsere Lessing, Schiller, Seume mit beredten Worten solchen Menschen­

handel; wohl schreibt auch Friedrich der Große mit Entrüstung über einen bayerischen Subsidientraktat: „Sollte die Freiheit, dieses kostbare Vorrecht, im 18. Jahrhundert den Fürsten weniger teuer sein, als sie es den Patriziern

im alten Rom gewesen ist?"

Aber die Landstände bezeichneten dieses System

Kronseder, Lesebuch zur Geschickte Bayerns.

21

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

322

selbst gelegentlich als wünschenswert und eine von moralischen Gesichtspunkten getragene Opposition gegen diesen Seelenverkauf wurde vor dem Siebenjährigen Krieg nicht laut.

Nach dem Frieden von Füssen handelte es sich nun für

Maria Theresia um nichts anderes, als die bayerischen Truppen auf solchem

Wege zum Kampf gegen Friedrich II. von Preußen zu gewinnen, der doch im Österreichischen Erbfolgekriege Bayerns Bundesgenosse gewesen war. Wenn es dazu nicht kam, so war das lediglich das Verdienst der Herzogin, die in

diesem Fall den Münchener Hof zu verlassen drohte.

Ihre Gegner, die öfter*

reichische Partei am Hofe, hätten sie deshalb gerne zu ihren rheinischen Ver­ wandten geschickt um ihren Einfluß bei Max Joseph zu brechen.

Sie aber

ging darauf nicht ein und wünschte nun erst recht das Ohr ihres Vetters z»

besitzen um ihn von seinen bösen Ratgebern zu befreien.

„Sie können nicht

glauben, wie man ihn täuscht und peinigt," schreibt sie an den Herzog von

Zweibrücken; verderben.

„er muß sogar zum Werkzeug dienen die redlich Denkenden zu

Kurz, er ist zu beklagen und ohne schuldig zu sein ist er daS

Opfer fremder Interessen. . .

Was mich betrifft, die kein Interesse als das

ihres Hauses kennt, so sehe ich darüber hinweg, daß man es vielleicht lächerlich finden wird, wenn eine Frau sich mit solchen Dingen beschäftigt; ich spreche davon und setze Himmel und Erde in Bewegung, daß jeder redliche Mensch

dem Kurfürsten von einem ähnlichen Entschluß abrät."

„Ich spreche freimütig

zum Kurfürsten," bekennt sie ein andermal, „und das entzückt mich um so mehr, da der Nutzen unseres Gesamthauses das Ziel aller meiner Worte ist.

Man beurteilt mich hier sehr verschieden und hält mich für unwürdig genug

der französischen Partei anzugehören, in einer Zeit, wo ich nur den Interessen des Hauses dienen will und dienen werde. Daraus kann man sehen, daß sie

die anderen nur nach sich selbst beurteilen. anderen als seinem Herrn anzuhängen."

Denn es ist schimpflich einem

Ein andermal wies sie das unwürdige

Ansinnen eines Diplomaten mit den stolzen Worten zurück, durch mehrfache Bande an das Haus Wittelsbach geknüpft wolle sie an dessen Vergrößerung

arbeiten, so lange sie könne. Ihr Lehrmeister in der Politik war kein anderer als der preußische Gesandte Klinggräffen, der den Leistungen seiner Schülerin alle Anerkennung zollt; er war es auch, der der Herzogin durch den ftanzösischen Gesandten Chavigny von König Ludwig XV. ein Geschenk von 1500 Dukaten erwirkte. Man hat sie darum als undeutsch verurteilt; aber man übersieht, daß solche

Geschenke und Pensionen damals die Stelle unserer Ordensauszeichnungen vertraten,

daß nicht nur die bayerischen Staatsmänner solche „Handsalben"

nicht verschmähten sondern auch die Minister Maria Theresias für ihre Zwecke ähnlicher Mittel sich bedienten. Und wie verwendete Maria Anna dieses Geld?

Getteu ihrer Devise lediglich im Interesse des Gesamthauses Wittels­

bach, indem sie auf einer Reise nach Mannheim und nach Bonn, der Residenz des Kurfürsten Klemens August von Köln, sich bemühte die drei Höfe enger

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

1746/47 ist im wesent­

Die wittelsbachische Hausunion von

zu verknüpfen.

323

lichen ihr Werk.

Durch ihren Gemahl, der die Stellung eines Hofkriegsratspräsidenten bekleidete, ward sie auf die Bedeutung einer tüchtigen Heeresmacht aufmerksam

und darum wurde sie nie müde dem Kurfürsten, der nicht zum Soldaten

geboren schien,

die Notwendigkeit einer solchen vor Augen zu stellen.

Als

der Finanzminister Berchem aus Sparsamkeitsrücksichten die Röcke der Soldaten

für überflüssig erklärte und sie auch für den Winter in schlechte Lcinenkittcl stecken

ließ, schrieb Maria Anna

dem Kurfürsten,

wenn er seine Soldaten

nicht mehr kleiden könne, wolle sie selbst die Sorge dafür übernehmen; denn so sei es eine Schande für die bayerische Nation. Als im Jahre 1778 der neue Kurfürst Karl Theodor die von seinem Vorgänger gegründete Kadetten­ anstalt aufhob und der bisherige Vorstand derselben, Oberst Ancillon, sich in seiner Bekümmernis an die Herzogin Klemens wandte, tröstete sie ihn: „Sei

er unbekümmert, lieber Oberst; ich werde mir's von meinem Schwager zur Gnade ausbitten, daß ich Mutter dieser Verlassenen sein darf." Auf ihr Geheiß fertigte der Oberst eine Zeichnung, die sie darstellt, wie sie die zu ihr

flüchtenden Eleven unter ihren schützenden Mantel nimmt.

Diese Zeichnung

überreichte sie dem Kurfürsten und volle elf Jahre bestritt sie die Kosten für

die Herzogliche Marianische Landesakademie, bis diese mit der neuen Militär­ akademie verschmolzen wurde. Schon beim Ausbruche des Siebenjährigen Krieges, in welchem Bayern

der Kaiserin Maria Theresia Heeresfolge leistete, offen auf die Seite des Königs von Preußen.

stellte sich Maria Anna Sie wußte mit seinem

Minister in Regensburg, dem Freiherrn von Plotho, und mit dem hannove­

rischen Gesandten

daselbst Beziehungen

anzuknüpfen.

Nach der Niederlage

bei Hochkirch und dem Tode von Friedrichs Lieblingsschwester, der Markgrüfin von Bayreuth, sandte Plotho seinem Gebieter zum Trost und zur Illustrierung der Tatsache, daß „an Orten, wo es nicht vermutet werden sollte, ein heim­ liches attachement an ihn vorhanden sei", jenes merkwürdige Schreiben der Herzogin, in dem sie nicht nur der aufrichtigen Teilnahme an dem doppelten

Unglück des Königs sondern auch der Hoffnung auf den endlichen Sieg der

gerechten Sache denkwürdigen Ausdruck verleiht: „Wäre es möglich, daß der Himmel erlaubte, daß der Stolz und die Ungerechtigkeit triumphieren und über das Verdienst den Sieg davon tragen?"

Später fand sie Gelegenheit

auch mit dem Prinzen Heinrich Briefe zu wechseln, der sie jedoch an seinen

königlichen Bruder verwies. so patriotisch

als

Dieser war über den Eifer der „würdigen und

rechtschaffen

gesinneten Prinzessin"

sichtlich

„gerühret".

„Was vor ein Glück würde es vor Teutschland und vor die Erhaltung des

Reichssysteme sein," schreibt er am 18. Januar 1762 an Plotho, „wenn ver­ schiedene teutsche Prinzen mit solcher Solidite und Penetration auf die wahre

Wohlfahrt des Vaterlandes und dessen Freiheit gedächten und arbeiteten." 21«

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

324

Wacf) der Niederlage von Hochkird) hatte er Plothos Bitte ein Handschreiben an die Herzogin zu richten, welche dann den eifrigsten Minister für den König

abgeben würde, nicht entsprochen;

jetzt schob er auf erneuten Antrag seines

getreuen Edart in Regensburg es nicht länger auf, derselben schriftlich seinen lebhaftesten Dank auszusprechen, daß sie in einer Zeit, in der die ganze Welt

sich gegen ihn erklärte, bei jeder Gelegenheit ihre Anhänglichkeit an seine Interessen bezeugte. In ihrer Antwort vom 2. März dämmte Maria Anna diese Anerkennung, die sie mit der höchsten Freude und der ganzen Genugtuung

erfüllte, „die es gewährt, der Stimme der Billigkeit immer treu geblieben zu

sein", dahin ein, gemein,

die respektvolle Bewunderung Friedrichs sei ihr mit allen der Eigennutz und der Schwindelgeist der Zeit

die die Mißgunst,

nicht dafür

unempsindlid)

gemacht

habe;

in

heißem Gebete wende sie sich

täglich zu Gott, er möge die geheiligte Person des Königs nicht nur erhalten sondern auch ihrer friedlichen Beschäftigung wieder zuführen und ihr solche Siege gewähren, die ohne Blutvergießen

die Herzen

der Gegner gefangen

nehmen. Und als sich am 23. März Friedrich mit ihr in dem Wunsche zusammenfand, die Vorsehung möge bald die Schreden des Krieges ver­

schwinden lassen und die Annehmlichkeiten eines guten, soliden Friedens zurückführen, schloß die Herzogin am 5. Juni einstweilen den Brieswechscl aus Rücksicht auf die kostbare Zeit des Königs, die ihm ebenso wertvoll sei, als

sic denen teuer erscheine, die daran Friedrichs Glück und ihr eigenes knüpften.

Es waren im Geiste der Zeit gehaltene Höflichkeitsbezeugungen, in denen sich

die neu begründete Freundschaft der erleuchteten Geister zunäck)st noch bewegte; aber bald sollte zu den graziösen Formen sich ein für beide Teile ersprießlicher Inhalt gesellen. Als kurze Zeit darauf der König den Rcichsständen, die sich von dem „österreichisck)cn" Krieg lossagten, Neutralität anbot, benutzte der Kurfürst die Beziehungen seiner

„lieben

konstante"

mit Preußen

Frieden zu

sck)ließen.

Ein Separatvertrag zwischen beiden Ländern erneuerte nicht nur die Freund­ schaft unter ihnen, er enthielt auch das Versprechen des Königs nicht zuzugebcn,

daß einige dem Kurhause Bayern nachteilige Absichten zur Ausführung kämen. Kurfürst Maximilian III. Joseph besaß keine Kinder. Von den Nachkommen der Herzogin

verließ keiner lebend das erste Bad:

immer wieder um ihre

Hoffnung betrogen dem Land einen Erben zu schenken klagt sie mit Bitterkeit,

ihr Leben sei nichts als ein Gewirk von Pein, Herzeleid und Ungemach. Nack) dem Hausvertrag von Pavia sollte bei dem Aussterben der Wilhelminischen Linie in München die ältere Nudolfinisck)e Linie Bayern und Pfalz wieder vereinigen. Schon im Siebenjährigen Kriege hatte man Beweise erhalten, daß Österreick) das älteste wittelsbachische Hausgesetz nicht anzuerkennen geneigt sei.

Durch den Anschluß an den preußischen Staat war die frühere bayerische

Gepflogenheit gegen den habsburgischen Vogesen auszuspielen hinfällig geworden.

Kaiser den

Reichsfeind jenseits der

Schon 1761 wagten die Wittels-

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

325

bacher in einer neuen Hausunion Maria Theresia zu trotzen.

den Tod ihres Gemahls (f 6. August 1770) vereinsamt,

Obwohl durch

war Maria Anna

unablässig tätig die sich entgegenstehenden Interessen der einzelnen Wittelsbacher

zu versöhnen und in den bedeutsamen Verträgen von 1766, 1771 und 1774

den

österreichischen Prätensionen

ein rechtliches Fundament entgegenzusetzen,

das für die Erhaltung Bayerns als Einheit nicht zu unterschätzen ist.

Noch

war Max Joseph am Leben, da beabsichtigte die Herzogin persönlich dem großen König ihre Huldigung darzubringen und ihn um seinen Schutz und

die Garantie der Erbverträge anzugehen; aber ihre Gesundheit erlaubte die weite Reise nach Berlin nicht. Max III. starb und sein Nachfolger Karl Theodor war bereit in dem Vertrage vom 3. Januar 1778 die österreichischen Ansprüche zum Teil anzuerkennen. Friedrich sandte jedoch den Grafen

Eustachius von Görtz nach München und dieser hatte im Hause der Herzogin, in der Herzog-Maxburg, wo in ihrem Arbeitszimmer das Bild des Preußen­ königs hing, mit den Ministern des Herzogs Karl, Hofenfels und Esebeck, geheime Konferenzen. Die Beschlüsse, die damals auf Betreiben der Herzogin gefaßt wurden, führten zur Einmischung Friedrichs in die bayerische Angelegenheit

und so wurde der Bayerische Erbfolgekrieg ohne Teilnahme des bayerischen Militärs zwischen Österreich und Preußen geführt. Mit bewunderungswürdiger Klarheit

überblickte

die Prinzessin

die ganze Situation,

wußte sie alle ihre

Pläne den Gegnern verborgen zu halten.

Die Briefe, die sie mit ihrem „Freund" Friedrich und seinen vertrauten Räten wechselte, verraten eine glühende Vaterlandsliebe und eine männliche Energie. Zeigt auch ihr Bild aus dieser Zeit beinahe männliche Züge, so blieb sie doch

Frau insofern, als sie Gefühls Politik trieb, die Friedrich selber fremd war. „Ach, gnädigste Frau," schreibt ihr der König am 13. Februar 1778, „warum

sind Sic nicht Kurfürst?

Wir würden dann die schimpflichen Ereignisse nicht

haben eintrcten sehen, über die jeder gute Deutsche bis in den Grund seines Herzens erröten muß. Wenigstens wird es Bayern E. Dlt. verdanken, daß das Übel so viel als möglich beseitigt worden ist. . . In welcher

Entfernung ich mich von E. Dlt. befinden mag, stets bin ich einer von Ihren Bewunderern gewesen. Ich habe Ihnen von weitem Beifall gewinkt, wie die Christen die Engel feiern,

deren Wunder

sie verkündigen,

die sie aber

niemals erblicken." „Wenn ich Kurfürst wäre . . . hätten Sie in mir einen sehr treuen Bundesgenossen, der für die Interessen E. M. kämpfen würde", antwortet darauf Maria Anna; „aber leider bin ich nur eine Frau— — —"

„Es wäre schön, eine alternde Pallas an der Spitze der Bayern zu sehen,"

gesteht sie dem Grafen Görtz.

„Ich möchte die Geister meiner Ahnen herbei­

rufen um das Vaterland zu retten, so empört fühle ich mich; es gibt selbst Augenblicke, wo ich ehrgeizig genug bin um Wünsche zu hegen und zu bedauern, daß ich nicht Kurfürst bin." Am 8. März scherzt der König:

„Wenn wir Erfolg haben, werde ich ihn dem Verdienst der heiligen Clementine

60. Herzogin Maria Anna von Bayern.

326 zuschreiben,

die uns zu

schützen geruht."

„Retten Sie ein unterdrücktes

Land," lautet die Antwort, „dieser Ruhm ziemt Ihnen, er ist würdig des großen Friedrich; dann wird die heilige Clementine das Wunder vollbringen alle Bayern um Ihre Fahnen zu scharen und mein Neffe wird als der erste

meinen Eifer unterstützen mit den Waffen in der Hand." Nie wird sie müde den Beschützer Bayerns, den Freund Karls VII. und seines Sohnes, zu beschwören ihm alle tapferen Bayern zur Verfügung zu stellen.

„Der König

hat selbst sein teures Leben für Bayern in die Schanze geschlagen;

aber die

geringste Zerstückelung unseres Kurstaates muß eines Tages den Umsturz des Reiches nach sich ziehen." Friedrich antwortet auf alle diese warmherzigen Ergüsse immer höflich,

aber mit der Kälte des Realpolitikers:

„Wenn alle

Vereinbarungen durchaus nur von meinem Willen abhingen! . . . Wenn wir,

ich und meine Bundesgenossen, uns die Feindschaft Rußlands und Frankreichzuziehen wollten, so wäre das nur ein Gewinn für die Sache Österreichs." Der Friede von Teschen,

der von Bayern

das Innviertel abtrennte,

wurde

denn auch von den Patrioten mit geteilten Gefühlen ausgenommen; aber wa-

wäre ohne die patriotische Herzogin, dem Lande geworden?

ohne die Unterstützung Preußens all­

Es war Maria Anna nicht mehr vergönnt

„den erstaunlichsten aller

Menschen" von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wie sie mehrfach gewünscht hatte. Auch die Briefe zwischen beiden werden immer seltener. Einmal

kondoliert sie ihm noch zum Tode seiner Schwester und dann,

als neue

Tauschpläne Karl Theodors durch die Gründung des Fürstenbundes vereitelt waren, gesteht sie, ihr Eifer seine Befehle zu erfüllen werde das Verdienst

vertreten bei ihr. „Meine ganze Nation denkt ebenso und bewundert und schätzt Sie, glücklich über den Schutz E. M., die zweimal Bayern gerettet hat;

erfüllt von Dankgefühl für eine so große Wohltat wird sie nie aufhören für die Erhaltung ihres großen Beschützers zu beten."

Daneben war die edle Frau eifrig bemüht den Kurfürsten mit dem Herzog von Zweibrücken zu versöhnen.

Sie demütigte sich vor dem Fürsten

von Bretzenheim und war bereit, wenn sie bei Hofe erschien, sich manche Kränkung gefallen zu lassen. Besonders schmerzlich mußte sie es empfinden, daß der Kurfürst ihre Getreuen auf das härteste verfolgte. Ihr Hausgeistlicher Kirchmair entzog sich nur durch die Flucht der Verhaftung.

Lori starb in der

Verbannung mit dem Trost eines guten Gewissens: „Ist halt doch gut sterben, wenn man ehrlich gelebt hat." Der Geheimrat Obermayr, der das gleiche Schicksal hatte, bekannte, wenn auch sein Haupt unter dem Beil des Henkers fallen sollte, werde er sich dem aus Vaterlandsliebe unterwerfen; aber seine Grundsätze verleugnen werde er nicht. Wie warm sich die energische Frau ihrer Getreuen annahm, beweist die Weigerung Kreittmayrs sich der Papiere

ihres Privatsekretärs Andre zu bemächtigen, da er bei der bekannten Heftigkeit der Herzogin nicht wisse, ob er wieder lebend aus der Herzog Maxburg

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores.

herauskomme.

327

Andre, der zwei Jahre auf dem Rotenberg gefangen gehalten

wurde und München erst nach dem Tode der Herzogin wieder betreten durfte, stand ihrem Herzen besonders nahe, so daß sie sich heimlich mit ihm trauen ließ. Zu all dem Unglück kamen immer wieder Gerüchte über Tauschpläne mit Österreich. Um die Einheit des Landes zu sichern wäre die Herzogin

jetzt sogar bereit gewesen dasselbe bei dem Aussterben der Wittelsbacher an die Welfen zu bringen. So hat sie sich von einer Vorkämpferin für die Interessen ihres Hauses in 50 jährigem Ringen zur Patrona Bavariae

entwickelt, wenn anders es erlaubt ist eine unvollkommene Sterbliche mit dem Nimbus des Heiligen zu umgeben. Der einzige Trost ihrer Witwenjahre war es, daß ihr Gemahl ihr ein Einkommen hinterlassen hatte, groß genug um jederzeit Gutes zu tun. In geradezu mütterlicher Weise nahm sie sich ihrer pfälzischen Verwandten an; die Fortschritte des Herzogs Max verfolgte sie schon mit regem Interesse, als

er noch ein Knabe war. Es war ihr nicht mehr beschicden — sie starb am 25. April 1790 — ihn als Herzog von Zweibrücken, als Kurfürsten und

König von Bayern zu begrüßen.

Aber ihr Geist beseelte die Fürsten aus

dem Hause Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld von der Stunde an, wo Max Joseph seinen Einzug in München hielt, bis zu dem Tage, da Ludwig II. dem Hohenzollern Wilhelm die deutsche Kaiserkrone anbot und jene Freundschaft

zwischen Preußen und Bayern zu einer dauernden machte, für die die mutige

Herzogin zeitlebens gekämpft hatte.

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores

unter dem Kurfürsten Karl Theodor. Don Christian ©ruber. *

Südbayern ist nicht nur das Land schmucker, waldumrahinter Seen sondern auch dasjenige weit ausgespannter, eintöniger Moorflächen. Sie finden sich zwischen den Schutthügeln der Morünenlandschast und rings an den Ge­

staden der stehenden Gewässer im Süden, wie auf den breiten Schotterebencn

in der Mitte und längs der Talrinncn des Nordens der Schwäbisch-baye­ rischen Hochebene. Den bedeutendsten Flußläufen sind auch die größten und

zugleich geschlossensten Moorgebiete eigen. Unter ihnen treten wiederum das von der Isar durchschnittene Doppelmoor in der Münchener Talweite mit über 46 000 und das von Neuburg a. D. gegen die Paar hinstreichende Donaumoor mit rund 17000 Hektar Flächeninhalt besonders hervor. Die Landesfürsten und die Staatsverwaltung haben diesen

kranken

Teilen unserer Heimat und ihrer Urbarmachung von jeher Aufmerksamkeit zu­ gewendet. Besonders Kurfürst Karl Theodor aber suchte durch die Aus­

trocknung des Donaumoores seinen menschenfreundlichen Ruf zu erhöhen, die Zeit seines Regiments mit tiefer Schrift in die Geschichte der Landwirtschaft

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores.

328

in Bayern- einzugraben.

Er hatte eine Kulturtat im Sinne, wie sie Friedrich

dem Großen durch die Urbarmachung der Brüche an Oder, Warthe und Netze

gelungen war. Auch er wollte dem vaterländischen Boden an seinem Haupt­ strome eine „neue Provinz" in friedlichem Vorgehen abringen. Männer hoch­ patriotischen Denkens mit Weitblick, technischer Gewandtheit und bewährter Er­ fahrung standen ihm bei diesem Unternehmen zur Seite. Es mag in unserer Zeit, wo Tausende der einsichtsvollsten Geister die Augen auf das Meer, auf Erwerbung und Ausbeute fremder Küsten richten, wohl angehen an jene

Arbeiten zu erinnern, welche Kolonisation in der eigenen Heimat zum nahe­ gelegenen Ziele hatten.

An kein staatliches Unternehmen in Bayern wurden während des 18. Jahr­ hunderts wohl so wenige und zugleich so viele Erwartungen geknüpft als an die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores. Keine ältere Kultivationsarbeit wurde aber auch so widersprechend beurteilt als diese, was sich

großenteils aus der Art und Weise erklärt, wie man die Bodenverbesserungei: selbst vornahm. Letztere wurden durchaus nicht stetig und ununterbrochen auch nur während eines Jahrzehnts durchgeführt, sondern rucklveise und lücken­

haft. Hierdurch erhielt das gesamte, so großartig gedachte Werk den Charakter eines mehrfach aufgegriffenen bodenwirtschaftlichen Experiments. Bei deniselben

war man vor allem auf die ausgiebige Beihilfe der Bewohner jener Landschaft angewiesen, in welcher es vor sich ging. Daß man diese Unterstützung er­ giebiger in Anspruch zu nehmen vergaß, hinderte eine rasche Vollendung der angestrebten Kulturtat in gleicher Weise wie die Naturverhältnisse, des Moores überhaupt, die unzweckmäßige Verteilung des neugewonnenen Bodens und die

geringe wirtschaftliche Befähigung zahlreicher Kolonisten. Als nach dem Tode des vielgeliebten Maximilian III.

die gesamten

wittelsbachischen Besitzungen wieder vereinigt wurden, unterbreitete der damalige Statthalter des Herzogtums Neuburg, Reichsgraf zu Pappenheim, Ende Mai

1777 Karl Theodor den Vorschlag das Donaumoor für die Kultur zu ge­ winnen.

Sofort ordnete der Kurfürst die Planausnahme des letzteren an.

Sie wurde allerdings in unvollkommener Weise von dem Priester Lanz durch­ geführt

und

sollte

als Grundlage für

den Austrocknungsentwurf dienen.

Eine eigene Hoskommission leitete die Ausführung des Unternehmens.

Ihr

gehörten unter dem Vorsitze des Staatskanzlers Kreittma yr drei edelgesinnte Männer an: Georg v. Aretin, Adrian v. Riedl und später Stephan von Stengel. Welche Summe von Schwierigkeiten ihrem selbstlosen Eifer entgegentrat und

welchen Ernst es erforderte um dieselben zu überwinden,

schildert Aretin mit folgenden Worten: „Wir hatten, als wir den Auftrag er­ hielten das Moor trocken zu legen, einen unabsehbaren Sumpf vor uns, von dem, den einzigen Lanzischen Generalplan ausgenommen, alle Nachrichteir tief unter dem Staub der Archive und Registraturen gemodert hatten. Es waren keine Rechte der Einzelbesitzer ausgeschieden, keine Grenzen bestimmt. Wir

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores.

hatten keine Vorgänger in einem ähnlichen Unternehmen.

329

Wir hatten, wenn

wir es nach der Größe des Flächeninhalts messen, kein Beispiel in Deutsch­

Wir mußten uns die Grundlagen selbst suchen, auf die wir bauen sollten." Als erste, dringendste Aufgabe galt der Kommission die Entwirrung

land.

der Ansprüche auf Eigentum

und Lehensbesitz im Donaumoore.

Sodann

glaubte sie die Kultivationsarbeiten dadurch rascher fördern zu können, daß sie die Lehensbarkeit der Moorgründe aufhob und diese ihren Besitzern gegen

geringes Entgelt als freies Eigentum überließ.

Um die für die Austrocknungsarbeiten erforderliche Geldsumme aufzu­ bringen war es notwendig eine Aktiengesellschaft zu gründen. Ihr mußten die am Donaumoor teilhabenden Gemeinden und Einzelbesitzer Stücke ihres Grundes obgebcn und konnten dafür später verbessertes Land in der Nähe ihres Wohnorts beanspruchen. Die Hälfte der dem Ackerbau nutzbar gemachten Flächen aber blieb den Aktionären als Entschädigung für die aufgewandten

Kulturkosten überlassen. Inzwischen vollendete Oberst v. Riedl die Pläne znr Anstrocknung des

Moores. Er hatte bei ihrer Herstellung sowohl die Ableitung des Wasser­ reichtums im Innern des Moores und jene der Quellergüsse an seiner Um­ rahmung als auch

die Anlage der nötigen Straßen

und Wegbauten vor

Augen. Karl Theodor genehmigte schon während dieser vorbereitenden Arbeiten 34000 Mark aus seiner Kabinettskasse. Im Frühling 1790 ging man an die Ausführung des Projektes.

Das

rasche und gründliche Vorschreiten der Entwässerung leistete die sichere Gewähr, daß v. Riedl die Ursachen der Moorbildung richtig erkannt hatte und die kürzesten Wege zu ihrer Beseitigung einzuschlagen verstand. Zum Bau der Abzugsgräben für das Wasser zog man anfangs Militär, später gewöhnliche

Akkordarbeiter heran.

Außer ihnen halfen einige hundert Schulkinder der be­

nachbarten Ortschaften, ferner gefänglich eingezogcne Landstreicher oder geringere

Verbrecher unter kundiger Aufsicht mit.

Jahre

So war man imstande noch im ersten

2670 Hektar Sumpfland trocken zu

legen.

Im folgenden Winter

wurde der Moorinspektion bereits der Auftrag in den der Aktiengesellschaft zufallenden Anteilen Plätze für Kolonien auszusuchen, welche festen Boden für

die Errichtung von Wohnungen böten und von wo aus die Verteilung der Gründe für jede Familie zwanglos die hinreichende Anzahl von Äckern und

Wiesen ergeben würde. Zu Beginn des Jahres 1791 waren 10 bis 15 Häuser im Entstehen; große Materialmagazine und eine Zicgelhütte mit Torfbrand wurden

errichtet.

Dies * war der Anfang zur ersten Siedelnng im Moor,

Karlskron. Feindlicher jedoch als alle Ungunst der Naturverhültnisse kämpften Neid

und Mißtrauen in diesen Jahren gegen die Bestrebungen zur Bodenverbes­ serung und Kolonisation im Donaumoore. Der nicht erwartete Fortschritt der Landgewinnnug weckte nnberechtigten Eigenmitz.

Als die Aktiengesellschaft

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores.

330

die ihr gesetzlich zugesprochene Hälfte der 1790 dem Sumpf abgewonnenen Landstriche in Besitz nahm, entstand eine Fülle von Beschwerden. Allenthalben klagte man über Kränkung der Privatrechte. schien ein neuer Prozeß zu erwachsen.

Aus jeder frischgewonnenen Scholle

Parteiische Stimmen erhoben sich über­

laut: man hätte das Moor nicht in so starkem Maße austrocknen sollen;

die Kanäle seien Monumente für die Ewigkeit, aber deshalb zu kostspielig; Jagden und Fischereien gingen zu Grunde, geräumige Weideflächen könnten nicht entbehrt werden. So heftig wurde gegen die Kulturkommission angestürmt, daß Stengel und Aretin eine besondere Verteidigungsschrift für nötig hielten,

in welcher sie die Bodenaustrocknung mit schlagenden Beweisen rechtfertigten. Zugleich bat man den Kurfürsten um sein gerechtes Urteil. Er bestimmte, daß ein besonderes Gericht in der Folge alle Gebietsstreitigkeiten zu schlichten hätte. Noch war das Unternehmen kaum zur Hälfte vollendet, eben schnitt die Pflugschar die ersten Furchen in das der Vermoorung entrissene Land, als

die Unruhen der Revolutionskriege eintraten.

Unter ihrem Druck ging die

Austrocknung zwar beschwerlicher, nichtsdestoweniger aber stetig fort. Bald konnten fast 4000 Hektar den Aktienteilhabern für die Gründung von Kolonien überlassen werden. Aretin, Stengel und Riedl Übergaben ihr Werk nach ihren eigenen Worten als ein Denkmal der goldenen Zeiten Karl Theodors der Nachwelt. Im August 1793 bestimmte der Kurfürst vier Gebiete zur Hebung der

Kolonie Karlskron. Bei Anlage derselben waren nach H. v. Pechmann nach­ stehende Grundsätze maßgebend: Eine Familie, welche ausschließlich vom

Ackerbau leben wollte, erhielt kostenlos 3 Hettar Land und 765 Mark teils bar

teils an Materialien. Nach 15 Jahren sollte mit der ratenweisen Rückzahlung dieser Summe begonnen werden. Außerdem durfte jeder Ansiedler ein Ge­

schenk von 51 Mark zum Ankauf von Nutztieren erheben. Handwerker wurden ebenfalls mit 765 Mark bedacht. Hingegen mußten sie das Tagwerk ent­ wässerten Bodens zu 85 Mark übernehmen und, 5 Jahre nach der Nieder­ lassung angefangen, innerhalb 15 Jahren bezahlen. Jedem, der im Moor

kolonisierte und ein

Haus erbaute,

gewährte man 30 Jahre Freiheit von

Steuern und Abgaben, von Frondiensten, von Rekrutenaushebung und Ein­ quartierung. Nur 12 Pfennig (4 Kreuzer) wurden ihm vom Tagwerk seines

Eigentums für die Unterhaltung der Kanäle und Gräben alljährlich abgefordert (der Kanalbatzen). Die Wohnungen errichtete man nach einem gemeinsamen,

rationell erprobten Plan aus Backsteinen. Am Ende des Jahres 1794 standen in den Gemeinden Karlskron, Karlshuld und Fruchtheim bereits 39 Häuser.

Indes so ungewöhnlich freigebig der Staat auch vorging, die erwähnten

Bestimmungen bargen doch eine der tiefgreifendsten Ursachen zur frühen Ver­ kümmerung der Kolonien in sich. Drei Hektar Land vermögen ihren Besitzer wohl zu ernähren, wenn sie der Feldwirtschaft bereits ausgiebig dienen, nicht

61. Die Austrocknung und Besiedelung des Donaumoores.

aber in unkultiviertem, ärmlich sterilem Zustand.

331

Hauptsächlich der zu kärglich

bemessene Anteil an Boden machte es der Mehrzahl aller Kolonisten unmög­

lich jenen Grad von Wohlstand und Zustiedenheit zu erreichen, welcher nach den für die Kultivation des Moores aufgewandten Summen erhofft wurde. Nach Karlskron wurden bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts unter reger Teilnahme von Privaten nachstehende bedeutendere Kolonien im Donau­ moor gegründet:

Karlsruhe, Josephenburg, Frankmoosen und Wal­

ding 1792; Bofzheim und Fruchtheim 1793; Rösing, Stengelheim, Karlshuld, Diebling und Wegscheid 1794; Kochheim und Brautlache 1795; Lichtenheim 1796; Mändelfeld und Grillheim 1798, Grasheim 1800, Sturmfeld 1801. Um Anlage und Gedeihen der jungen Siedelungen zu stützen errichtete der Staat zu Karlskron ein eigenes Moorgericht, das

freilich nach kurzem Bestand wieder aufgehoben wurde. Die Kolonisten waren aus allen Teilen Südbayerns, aus Württemberg, Franken, in besonders auf­ fallender Zahl aber aus der Rheinpfalz herbeigekommen. Vielen unter ihnen fiel landwirtschaftliche Arbeit und die Behandlung des neugewonnenen Bodens

Hierdurch verzögerte sich der Fortschritt des Anbaues inner­ oberen Teile des Moores ebenso, als ihn die Vernachlässigung

äußerst schwer.

halb der

der ausgetrockneten Gründe von den anliegenden Gemeinden in den mittleren und unteren Gebieten gefährdete. 1797

befahl Karl Theodor

ihm Hauptvortrag

über

die

vollendete

Trockenlegung des Donaumoores, die Abfertigung der Aktionäre, die Heim­ zahlung der aufgenommenen Kapitalien und die Übernahme des Moorbezirkes

als Staatseigentum

zu

Die Forderungen

erstatten.

betrugen nahezu 900000 Mark.

der

Aktiengesellschaft

Nun wäre es das Vorteilhafteste gewesen,

wenn man derselben ihre Ausgaben

ersetzt

und die trocken

gelegten Moor­

flächen durch den Staat übernommen hätte. Als dieses indessen nicht geschah, verkaufte die Gesellschaft ihre Mooranteile an den westfälischen Kommerzienrat Bresselau.

Dieser sollte allen

Aktionäre bisher zu erfüllen

Kulturforderungen hatten.

Er

nachkommen,

welche

die

kümmerte sich indessen um jene

Verbindlichkeiten nichts, hob lediglich Kulturbeiträge ein, nahm Hypotheken auf und leistete keine Zahlungen an die Aktiengesellschaft. Infolgedessen ging

der Kauf zurück

und der Staat übernahm nun doch das Donaumoor durch

einen Vergleich mit Bresselau. Seine Bestkebungen zur Austrocknung

und Besiedelung des Donau -

moores gereichen Karl Theodor ebenso wie die Anlegung des Englischen

Gartens bei München und die Pflege der Kunst und Wissenschaft besonders in den pfälzischen Landen zu dauerndem Ruhme.

Freilich vermochte er nicht

die gesamte und endgültige Kultivation dieses ehemals so verrufenen und geiniedenen Gebietes zu vollenden. Das geschah erst unter König Max I. Joseph durch Kling, der außer den Kolonien Ober- und Untermaxfeld

noch Neuschwetzingen, Probfeld und Neuhohenried anlegte, und später

332

62. Die Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt und Landshut.

noch unter H. v. Pechmann und durch die gründlichen Arbeiten verschiedener bayerischer Moorkulturkommissionen. Wenn aber gegenwärtig das Donaumoor

großenteils einem lachenden, wertvollen Fruchtlande gleicht, wo Sommer- und Winterkorn, Haber, Kartoffeln, Rüben, Kohl und Reps prächtig gedeihen, wo

an 5000 Menschen in langzeiligen, gartengeschmückten Ortschaften meist behäbig leben, wo von Birken beschattete Landstraßen den Verkehr erleichtern, die Korb­ flechterei

in Karlshuld

blüht und

eine starke Torfausbeute den Kolonisten

lohnenden Verdienst gibt, so hat dazu Kurfürst Karl Theodor den ersten und umfassendsten Grund gelegt.

62. Die letzten Jahrzehnte der Ludwig-MaximiliansUniverfitat in Ingolstadt. Ihre Übersiedlung nach Landshut. Don Max Haushofer.

Eine Periode glänzenden Aufschwunges begann für das ganze bayerische Bildungswesen mit dem Regierungsantritte des Kurfürsten Max III. Joseph. Für die Universität speziell begann dieser Zeitraum mit dem Eintritte I. A. Jckstatts, des vormaligen Lehrers und Erziehers des Kurfürsten (1746). Wenn es jemals einen Fürsten gab, der alle edlen Eigenschaften im reichsten Maße

besaß und benutzte um wie mit einem Zauberworte sein ganzes Volk auf eine höhere Stufe der Gesittung zu heben, so war dies Max III., wert, daß ihm der Segen der Nation durch alle Jahrhunderte nachklingt. Untrennbar aber mit dem Ruhme des Kurfürsten verbunden ist der seines Lehrers I. A. Jckstatt.

Jckstatt, 1702 zu Vockenhausen bei Frankfurt geboren, hatte zu Mainz, Paris und Marburg studiert, war Soldat in französischen und österreichischen Diensten gewesen, hatte Holland, England, Schottland und Irland durchreist, hernach als Professor zu Würzburg gelehrt und war 1741 Lehrer des Erb­ prinzen Max Joseph geworden, welcher ihn im Jahre 1746 als Direktor und

als Professor für öffentliches Recht nach Ingolstadt setzte „zur besseren Ein­ richtung der in große Abnahme versallenen Universität". Seine Aufgabe war

cs zunächst die von den Fakultäten eingelaufene» Verbesserungsvorschlüge zu ordnen und einheitlich zu redigieren, auf die Einhaltung der Vorlesungen zu sehen

und ein gutes Einvernehmen mit dem Statthalter und dem Militär herzustellen.

Als erste glückliche Folge seiner Tätigkeit erscheint cs, daß der Universität,

welcher im Jahre 1676 wegen chaotischer Zustände die gesamte Verwaltung ihres Vermögens abgenommen worden war, nunmehr wieder die „Mitobsorge"

dieser Verwaltung anvertraut wurde (1746) und daß im gleichen Jahre noch der „dumme Unfug" (Jckstatts Worte) der Reposition2) aufgehoben wurde. T) Akademische Monatshefte, VI. Jahrgang, Heft 2. München 1890. Mühlthaler. *) Vgl. das Seite 111 hierüber Gesagte!

62. Die Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt und Landshut.

ZZZ

Im gleichen Jahre erneute der Kurfürst die Verordnung, daß jene Inländer, ivelche nicht in Ingolstadt ihre Studien machen, in Bayern keine Anstellung

zu erwarten hätten. Jckstatt blieb von Anfeindungen nicht verschont. Schon von Anbeginn erschienen seine Werke einzelnen seiner theologischen Kollegen zu freisinnig, Jckstatt selbst als neuerungssüchtiger Despot. Anklagen gegen ihn flogen nach München; der einsichtsvolle Kurfürst aber und seine Regierung entschieden zu Gunsten Jckstatts. Eine Kräftigung seiner Wirksamkeit fand Jckstatt durch die Anstellung des trefflichen Lori.

Die lang im geheimen glimmende Feindseligkeit gegen Jckstatt steigerte sich 1752 zu einem heftigen Sturme gegen dessen ganze Lehrtätigkeit; aber der klare Geist des Kurfürsten rettete

damals die Freiheit der Wissenschaft

und gab ihrem edlen Verfechter Raum für seine Geistestätigkeit.

Und wenn

auch der treffliche Lori, Jckstatts Mitstreiter, aus Ingolstadt entfernt wurde, so kam er nicht in trostlose Verbannung, sondern an einen ehrenvollen und einflußreichen Posten nach München. Auch Jckstatt wurde im Jahre 1763 seiner Professur enthoben, aber nur um in München seine Tätigkeit als Direktor

der Universität fortzusetzen. Im Jahre 1769 tauchte zum ersten Male ganz entschieden der Gedanke

auf, die Universität von Ingolstadt nach München zu verlegen. Dieser Ge­ danke findet sich in einem Schriftstücke ausgesprochen, tvclches wohl von Jckstatt selbst herrührcn mag. Als Beweggründe zur Verlegung werden darin ange­ die Nachteile einer Festung als Universitätsstadt, die günstigeren Ver­

führt:

hältnisse Münchens, wo sowohl für die Studenten weit mehr Annehmlichkeiten

als auch für die Professoren die Benutzung der Bibliotheken und Archive, für die Juristen der Verkehr mit den Gerichtstcllen, für die Mediziner die

Übung in den Spitälern mannigfache Vorteile boten. Diese Anregung hatte jedoch damals noch keinen Erfolg.

Als Jckstatt, der unablässige Förderer der Universität, im Jahre 1776 starb, trat an seine Stelle eine Universitätskommission, in welcher unter einem

Präsidenten und Vizepräsidenten

die Mitglieder Lori, Wolter, Lippert und

H. Braun die Sachen der juristischen, medizinischen, philosophischen und theo­ logischen Fakultät zu vertreten hatten.

Die Hauptaufgabe dieser Kommission

war cs Gutachten der Fakultäten cinzuholcn, für tüchtige Besetzung der Lehr­ stühle und für den nötigen Frieden unter den Professoren zu sorgen. Ein Jahr nach Jckstatt starb Kurfürst Maximilian Joseph (30. Dezember 1777).

Wenn Bayern an ihm einen der edelsten Fürsten, die Universität

einen einsichtsvollen und gütigen Schutzherrn verlor, die segensreichen Folgen seines Wirkens konnten nimmer verloren gehen.

Tic Verlegung der Universität von Ingolstadt lag schon lange in der Luft.

Der Nachfolger Maximilian Josephs, Kurfürst Karl Theodor, beauftragte 1779 seine Obcrlandesregierung einen Bericht über die Möglichkeit einer Ver-

334

62. Die Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt und Landshut.

Man dachte an Lands­

legung der Universität nach Landshut zu erstatten.

hut, weil dort wegen Aufhebung der Landshuter Regierung eben Raum ge­ worden war.

Rücksichten

auf die wissenschaftliche Tätigkeit der Universität

sprachen entschieden für eine Verlegung; einige Professoren, deren Blick in die

Zukunft reichte, waren für eine Verlegung nach München.

Vorläufig aber

scheiterte der Plan der Verlegung an dem Kostenpunkte.

Kaum war nach dem Tode des Kurfürsten Karl Theodor der neue Erbe seines Thrones, Kurfürst Max IV. Joseph, von ganz Bayern jauchzend begrüßt in München eingezogen, da wurden durch die neue Regierung von allen Universitätsprofessoren Berbesserungsvorschläge eingeholt und noch im Jahre 1799 erging eine Verordnung bezüglich der neuen Einrichtung der

Hochschule. Die wichtigsten Punkte dieser neuen Einrichtung aber waren folgende: das Institut der Privatdozenten ward eingeführt; die Professoren wurden zu Staatsdienern; das veraltete und sinnlose Vorrücken in andere Lehrstühle ward

aufgehoben, Vorlesungspflicht und Ferien wurden neu geregelt, die Studienzeit auf vier Semester für den philosophischen Vorkursus, auf sechs Semester für die Fachwissenschaften festgesetzt, zum Übertritt an die Universität das Reifezeugnis

eines Gymnasiums oder Lyzeums für nötig erklärt.

Die wesentlichste Ver­

änderung aber lag in der Verlegung der Universität aus Ingolstadt.

Als

im Jahre 1800 wieder einmal die Kriegsgefahr an Ingolstadt heranrückte, wurde (Mai 1800) die kurfürstliche Entschließung erlassen, daß die Universität

provisorisch nach Landshut verlegt werden solle. ins Werk gesetzt.

Nach

Sofort wurde der Umzug

dem Luneviller Frieden erhoben

sich zwar einige

Stimmen für die Rückverlegung nach Ingolstadt, doch vergebens; die Universität blieb vorläufig in Landshut. Nur kurze Zeit, vom Jahre 1800 bis 1826, währte die Landshuter

Periode der Universität. Im Jahre 1802, als die provisorische Verlegung in eine definitive umgewandelt war, erhielt die Hochschule offiziell die Bezeichnung

„Ludwig-Maximilians-Universität".

Allgemein

gab

sich

Freude

kund, daß man nicht wieder auf den „unwirtlichen" Boden Ingolstadts zurück­ zukehren brauchte.

Als Räumlichkeiten erhielt die Universität das Dominikaner­

kloster als Hauptgebäude, die Aula des Jesuitenkollegiums, das Franziskaner­ kloster für Anatomie und Chemie, ein Nonnenkloster für die Unterbringung

des Georgianums, Grundstücke für einen botanischen Garten u. s. f. Ein Teil der Burg Trausnitz wurde zur Sternwarte; ein Platz im Kapuzinergraben zur Reitbahn. Die Renten zweier Klöster, zusammen im Betrage von 10000 Gulden, gingen an die Universität über, welche somit größtenteils auf dem Besitze untergegangener Klöster installiert ward. Das konnte geschehen, weil zur selben Zeit das Verhältnis von Staat und Kirche in Bayern völlig umgestaltet ward. Unter Max Joseph kam mit dem neuen Jahrhundert die Religions­ freiheit; sie brachte den Protestanten das Recht zur Ansässigmachung und

63. Ein Urteil über den bayerischen Bolkscharakter.

335

Verehelichung sowie Zulassung zum Staatsdienste und freie Ausübung ihres Gottesdienstes.

Und 1802 begann ier Feldzug gegen die Klöster, deren Güter

infolge der Säkularisation dem Landesherrn zur Verfügung standen.

Somit fehlte es der Universität in ihrer neuen Heimstatt weder an der

nötigen Geistesfreiheit noch an den nötigen irdischen Gütern. Die Frequenz nahm zu Landshut in erfreulicher Weise zu, indem durch­ schnittlich 220 Studenten jährlich neu immatrikuliert wurden. Zu den Lands­

huter Studenten gehörte im Jahre 1803 auch der damalige Kronprinz Ludwig,

später König Ludwig I. Für die Studenten muß schon hinsichtlich ihres Lebens die Übersiedelung

nach Landshut als eine entschiedene Wendung zum Bessern bezeichnet werden. Man kann wohl sagen, daß die ganze Universität einen Wust von häßlicher Erinnerung, von mittelalterlicher Roheit wie ein Gewand von sich streifen konnte, als sie Ingolstadt verließ. Vollständig sollte die Studentenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität freilich erst zum Bewußtsein ihrer hohen Aufgaben kommen, als mit der Übersiedelung nach München auch das gesell­

schaftliche Leben für sie einen ganz anderen Charakter annehmen mußte.

63. Tin Urteil über den bayerischen Volkscharakter. Don Lorenz von Westenrieder.')

Wenn das, was bei einzelnen Meitschen unwidersprechlich ihren Charakter

beweist, auch bei ganzen Nationen gilt, so gibt es kein bestimmteres Mittel sie kennen zu lernen, als sie bei den Dingen, wo sie sich selbst über­ lassen sind, bei den Übungen, die sie zu ihrem Vergnügen sich wäblen, bei den Feierlichkeiten, womit sie ihre wichtigsten Handlungen

begehen,

zu

beobachten. Der Bayer verachtet in der Stunde der Ruhe alles Ausruhen; wenn er sich von seinen Arbeiten erholen will, so muß, was ihn ergötzen soll, wieder eine Arbeit sein. Jene gemeinschaftlichen Freudenfeste und Übungen der Leibes­

kräfte, welche von den Alten aus den weisesten Absichten eingeführt und aus

einer unverantwortlichen, nachlässigen Unwissenheit ost so gröblich außer acht gelassen werden, sind steilich gemeiniglich mit vielen Zusätzen und Mißbräuchen, aber in frischem Gedächtnisse vorhanden. Die Pferderennen sind die gemeinsten Belustigungen;

in manchen Orten sind sie gestiftet (so wie jeder Bürger ge­

wisse Jahre zum Scheibenschießen angehalten ist) und selten wird ein länd­ liches Fest oder auch die Hochzeit eines vermöglicheren Landmannes ohne

dieselben gefeiert. Wenn dann nach einem fröhlichen Mahle die Munterkeit allgemein aufgeweckt und die Lust nach den Dingen, worin sie Ehre zu finden ') „Bayerische Beiträge zur schönen und nüplichen Literatur", II. Jahrgang, 2. Band S. 951 ff. München 1780, I. B. Strobl.

336

63. Ein Urteil über den bayerischen Bolkscharatter.

glauben, erweckt wird, dann entstehen Gewette, wer größere Lasten tragen,

geschwinder laufen, einen Stärkeren zu Boden werfen oder sonst etwas, wozu außerordentliche Kräfte erfordert werden, verrichten kann.

So sind alle ihre

Spiele, und sogar ihre Tänze sind äußerst ermüdend und nicht selten der Gesundheit gefährlich. Mit dieser Bestrebung nach mühsamen, kühnen Beschäftigungen verbindet

der Bayer einen Hang nach einer hohen Melancholie. Mit heiliger Ehrfurcht geht er durch grauenvolle Wälder eine alte, finstere Kapelle zu besuchen und

gern setzt er sich manche freie Stunde an einen gräßlichen Wasserfall oder an

einen einsiedlerischen Steg und denkt im einsamen Schatten an die Abwesenheit seiner Väter und an den Lauf, der Zeiten. Dies Gepräge ist an allen seinen wichtigen Handlungen sichtbar und was er in den Fällen tut, wo die Redlich­ keit und ein deutscher Handschlag Bürge steht, das geschieht mit einem rührenden

Ernste.

Sein Ausdruck und Betragen ist voll feuriger Leidenschaft, wo das

Herz an einer Handlung den größten Teil nimmt, und nichts gleicht dem höchstzärtlichen Lebewohl, womit eine Tochter (indes der Bräutigam mit seinen jungen, berittenen Freunden vor dem Hause wartet) mit feierlichen Formeln

erst in der Stube, dann noch unter dem Türpfosten von allem, was sie im Hause lieb gehabt und endlich und immer und immer wieder von ihren lieben

Eltern, denen sie danket und die Hände drücket und um Segen bittet, Abschied nimmt und sich endlich auf den Wagen heben läßt, der sogleich mit ihr unter Sausen und Jubelrufen davonjagt.

Ich sehe solche Auftritte, die mir der beste Bürge verborgener Fähigkeiten sind, mit vielem Vergnügen, vergesse gerne der harten Reimlein und der Schulsehler im Silbenmaß und weine noch dazu herzlich die süße Betrübnis mit und glaube, es wäre Sünde und Schande, ohne es zu tun, den umstehenden Eltern und Vettern und Basen mit grauen Haaren und den bekränzten

weinenden Jungfräulein in die nassen Augen zu sehen.

Der Bayer spricht gerne von Verstorbenen und pflegt bei einem Feste, das sich jährlich erneuert, immer, wenn er guter Laune wird, sich der Ab­ wesenden zu erinnern, daß dieser und jener vor einem Jahre auch dagewesen, daß er so und so geredet und daß eine Zeit kommt, wo keiner von ihnen

zugegen sein wird. In dem feierlichen stillen Heranrücken eines Ungewitters befindet er sich (den Kummer für die Feldfrüchte weggenommen) wohl und

besser als das aufmu.nterndste Lustspiel wird ihm Lear und Hamlet bekommen.

Immer glaubt er ächzende Schatten der Abgeschiedenen zu sehen und Rächte durch hängt er an dem Munde derjenigen, welche die Geschichten von Geistern und Gespenstern am besten zu erzählen wissen; und je grauenvoller und schrecklicher einer die gräßlichen Bilder aus den schweigenden Abgründen und Fclsenklüsten zu holen weiß, je lebhafter er seine Geschöpfe in dürre, unab­ sehbare Heiden oder öde Gebirge, wo sie verlassen und einsam jammern, wo sie nur zuweilen den Wanderer irreführen, zu versetzen weiß, desto besser ist

63. Ein Urteil über den bayerischen Volkscharakter.

die Erzählung.

Das sind

denn

337

aber Schwärmereien, wird mancher kalte

Leser sich denken und ich kenne den gewöhnlichen, oft gefährlichen Einfluß derselben so gut wie jeder, der das mir einwenden kann; aber ich weiß auch, daß zu dieser Schwärmerei eine Stärke der Einbildungskraft und Nerven ge­ hören, die mancher Nation (man muß auch darun, ihre Nüchternheit nicht eine

geläuterte Denkungsart nennen) versagt worden ist.

Ich für meinen Teil halte

nichts auf den Menschen, der keinen Hang dazu hat, und wer am Abende zittert,

weil er den abgeschiedenen Freund kalt an seiner Seite zu fühlen glaubt, ist mir als Freund, als Gelehrter, als Vater, als Beamter, als Soldat miklionenmal lieber, als wer des Verstorbenen sich erinnern und kaltblütig sprechen kann: hin ist hin! Und tot ist tot!

Und so behandeln die Bayern mit hartnäckiger Leidenschaft jeden wich­ tigen Gegenstand und wo sie einmal mit ihrer Seele an etwas hängen, davon wird nur der Tod sie entfernen. Mit Enthusiasmus handelt der Bayer beim Aufgebote zum Shriege und beim Rufe des Vaterlandes. Nirgends kann vielleicht ein Fürst besser ver­

sichert sein, daß er aufrichtig und inwendig geliebt werde, wie von den Bayern, und in dem allemal unglücklichen Falle, daß er genötigt wird sie ins Feld zu rufen, so rasen sie, ohne, wenn ich so sagen darf, sich um Zelt

und Säbel zu bekümmern, von Norden und Süden und von Osten und Westen auf und glauben den Feind, wenn sie ihn nur einmal sehen sollten, mit den Händen erschlagen zu können.

Eine Beschäftigung, die so wie der

.Krieg unterhält und ermüdet, scheint ihm notwendig zu sein und in Ruhe

und Untätigkeit würde manche Seuche sich ausbreiten. Wenn ein Bayer etwas Vortreffliches zustande bringt, so sehen es die andern an und „es ist schon gut gemacht" sagen sie, gehen davon und lassen sich nicht einfallen aus dem Manne mehr als aus sich selbst zu machen.

Nie­

mals wird ein wahrer Bayer sich selbst loben und seine Verdienste heraus­ streichen. Es gibt keinen auffallenderen Kontrast als etwa einen ausländischen Maler, dessen Hauch aus dem Munde und dessen erstes und letztes Wort eine unsinnige Prahlerei und Erhebung eigene Große verhüllten,

seiner selbst ist,

und einen

schweigenden Bayern zu sehen.

in

seine

Und wenn nicht

Fremde kommen, die den Gelehrten und den Künstler bekannt machen, die In­ länder werden es der Welt selten sagen, daß er vorhanden sei. Ich finde in diesem Betragen, das den Bayern keineswegs den Mut be­

nimmt, sehr viel Großes, zumal da die Menschen, die gar zu gerne viel Rühm­ liches von sich sprechen hören, nicht allemal viel Rühmliches ausüben. Was bei den Bayern entsteht, das entsteht aus innerem Triebe, entsteht aus Liebe zur Sache.

338

64. Eine Jugenderinnerung an Westenrieder.

64. (Eine Iugenderinnerung an Westenrieder. Don Franz Graf von Pocci ')

Zu dem alten Geheimrat von K . . ., meinem Onkel, in dessen Hause

meine Eltern wohnten, kam ich als Knabe wohl mehr als einmal des Tags, denn er war ein gar leutseliger und wohlwollender Mann;

Fest war mir bei ihm jeder Freitag Nachmittag.

aber ein besonderes Vor dem Sofa, das mit

glänzend grünem Leder überzogen war, stund ein ovaler Tisch. Ein sauberes Tischtüchlein ward einige Minuten vor 3 Uhr darüber gebreitet, zwei Tassen wurden darauf gesetzt und einige treffliche Bretzeln und Eierwecken gaben diesem Still­

leben einen mir, dem Knaben, sehr willkom­ menen Glanzfirnis. Diese Vorbereitungen geschahen aus keinem andern Grunde, als „weil der Herr Kanonikus zum Kaffee kam". Ich, für meine Person, ohnerachtet des Seitenblicks auf gewisse oben­

erwähnte Bretzeln und Eierbrote, war schon immer die ganze Woche auf den Freitags­

kaffee gespannt gewesen: denn ich hatte den Herrn Kanonikus sehr lieb; und wenn es Punkt 3 Uhr schellte — die beiden alten Herrn hielten etwas auf Pünktlichkeit — so lief ich freudig hinaus um den Gast zu emp­ Westenrieder, nach einer Federzeichnung von Franz Pocci.

fangen. Der Herr war ein sonderbarer Mann' und wurde von vielen nicht für so gut ge­

halten als er wirklich war, da aus dem stechenden Blicke der unter schwarzen, buschigen Brauen liegenden Augen sein wohlwollendes Gemüt nicht immer herausschauen wollte. Ich kannte aber dieses Herz gar gut und sprang immer an dem Herrn Kanonikus, sobald er

durch die Gangtür eingetreten war, hinauf, während er mit einem sanften „Ho, Ho, Männl!" meine etwas ungestümen Liebkosungen abwehrte.

Der Herr Kanonikus trug auf seinem glänzend weißen, sauber gewickelten Haare einen großen, dreigestülpten Hut, den ich ihm abnahm. Die beiden

alten Herren, obschon auf sehr freundschaftlichem Fuße, machten sich immer sehr respektable Kratzfüße, bis die „untertänigen und gehorsamen Diener" sich

jeder in eine Ecke auf das Sofa setzten.

Der Kaffee ward hercingebracht

und ich bekam entweder von meinem Onkel oder vom Herrn Kanonikus meine

Bretzel.

Während des Kaffeetrinkens war das Gespräch ziemlich abgebrochen

und einsilbig, desto lebhafter ging es nachher vonstatten, so daß es zwischen *) „Deutsches Hausbuch", herausgegeben von Guido GörreS. München 1874.

II. Pgnd, S. 86?

64. Einr Jugenderinnerung an Westrnrieder.

339 Ich hörte auf­

den beiden Freunden oft zu bedeutenden Diskussionen kam.

merksam zu, guckte aber dabei zum Fenster hinaus in Erwartung, bis auch an

mich ein Wort gerichtet würde. Da rief mich dann meist der Kanonikus zu sich: „He, Männl, wie steht's mit der Jahreszahl? Wann ist Kaiser Ludwig

der Bayer gestorben? Hast du das Zettelchen noch, worauf es steht? — Ich mache es auch nicht anders; wenn ich mir eine Jahreszahl merken will, schreibe ich sie auf ein Zettelchen und stecke es in die Westentasche.

Untertags

ein paarmal angesehen — und sie bleibt mir im Kopfe! Merk dies, Männl!" — Nach solchem Examen trat ich gewöhnlich ab oder lauschte noch etwas den Schlußverhandlungen der beiden Alten, wenn es über die schlechten Zeiten herging. Dabei war aber der Kanonikus größtenteils der Ansicht, daß es doch immer besser gehen werde und daß zwischen altem Plunder und dem guten Alten wohl zu unterscheiden sei. Mein Onkel hielt aber immer fest am Alten. Nachdem man sich doch in der Hauptsache vereinigt hatte, drückte man sich die Hände und schied unter gegenseitigen Respektsbezeugungen. Der Herr Kanoni­

kus wandelte die Treppe hinab und nicht selten durfte ich noch ein Stückchen Wegs an seiner Hand auf der Straße gehen, worauf ich mir nicht wenig ein­ bildete. Im Jahre 1829 hieß es eines Freitags: „Heute kömmt der Herr Kano­

nikus nicht zum Kaffee, er ist krank." „Der Herr Kanonikus ist gestorben."

Und ein paar Tage darauf hieß es:

LorenzWestenrieder war tot.

Bei unsäglichen Leiden, die ihm der

Gesichtsschmerz verursachte, erreichte der edle, unvergeßliche Mann ein Alter von 80 Jahren.

Von

Geburt

an

scheinbar

nicht

sehr

begabt ward er

Bayern — ja Deutschland — einer der achtbarsten Geschichtschreiber seiner Zeit und sein durchdringender Geist ermangelte nie der Grundlage der edelsten Herzensgesinnung. Unermüdlich war er in seiner Tätigkeit: um 4 Uhr morgens begann er im Winter und Sommer sein Tagewerk damit, daß er die Messe

las; dann schaffte er ohne Aufhören, bis er sich des Abends frühe zu Bette legte, um in den qualvollsten Schmerzen Jahre hindurch seine Nächte zuzu­ bringen. Nichts aber hemmte seine Tätigkeit. Wie oft sah ich ihn selbst in

diesen Leiden.

Kein Schmerzenslaut kam über seine Lippen.

Eines Tages

besuchte er wie gewöhnlich meinen Onkel und sagte: „Heute habe ich mir den letzten Zahn ausziehen lassen, aber es hat mir doch nicht geholfen." Nahe an hundert Bände, kleiner oder größer in ihrem Umfange,

sind das Ergebnis des rastlosen Schaffens dieses merkwürdigen Mannes. Seiner rauhen Außenseite wegen oft verkannt betätigte er sein wohl­

wollendes inneres Leben wohl am schlagendsten dadurch, daß er — nach einem wahrhaft anachoretisch geführten Leben — an milde Stiftungen die Totalsumme

von 41500 Gulden als Vermächtnis hinterließ.

65. Eine geistliche Stadt.

340

65. Eine geistliche Stabt. Don Wilhelm Heinrich Riehl.')

Eine geistliche Stadt — so nenne ich Freising. Damit ist freilich noch nicht viel Unterscheidendes gesagt; denn es gibt auch außerdem geistliche Städte genug in Deutschland und darunter größere und berühmtere.

Allein

eine geistlichere Stadt unter unseren geistlichen Städten gibt es schwerlich. Darum nehme ich jenes Beiwort hier im engen, gesteigerten Sinne und präge es dadurch zu einem unterscheidenden, für unsere Stadt besonders charakte­ ristischen Worte.

Was Freising war und teilweise heute noch ist, das wurde es durch den Freising ist berühmt in der deutschen Geschichte, aber nur durch seine

Klerus.

Kirche und Schule, durch seine Bischöfe und geistlichen Gelehrten. Als Hauptstadt der Diözese lag es vortrefflich; als Landeshauptstadt des Hochstiftes höchst ungünstig, am äußersten Nordsaume eines zerstückten, zum Teil weit entfernten Gebietes. Der Bischof konnte bequem seinen Sprengel beherrschen, aber die Stadt beherrschte kein Land. Der Freisinger Domberg ragt, auf viele Meilen

sichtbar,

weit über die endlose Ebene

bis zu

den

fern auf­

schimmernden Alpen; die Stadt liegt versteckt hinter dem Berge. Volkreich, politisch groß, selbständig in der Macht des Bürgertums ist sie niemals geworden.

Sie besaß kein reiches Patriziat, keine trutzigen Zünfte, kein eigen­

artiges Gewerbe, keinen bedeutenden Handel, keine erhebliche Wehrkraft und die Kriegsgeschichte Freisings ist überwiegend eine Leidensgeschichte.

Freising hat seine eigentümliche Rechtsentwicklung; sie wurde aber nicht wie anderwärts im Kriege gegen die Bischöfe und im Streben nach reichs­ städtischer

Selbständigkeit

gewonnen,

sondern

auf

friedlichem

Wege

und

großenteils durch die Bischöfe.

Die klerikalen Einflüsse umschlangen und durchdrangen das bürgerliche

Leben Freisings allerorten. Und zwar gilt dies alles nicht bloß vonl Mittelalter sondern auch von den folgenden Jahrhunderten bis zur Säkulari­ sation.

Ja selbst auf unsere Zeit ist noch ein Schattenbild jener alten Zustände

übergegangen, schattenhaft gegen sonst, aber doch deutlicher als bei fast irgend einer andern modernen, weiland gefftlichen Stadt. Ein Blick auf andere deutsche Bischofsstädte möge zeigen, daß ich nicht indem ich Freising den besonders reinen und ausschließenden Typus der geistlichen Stadt beilege.

zu viel gesagt,

Das heilige Köln war neben seiner Heiligkeit zugleich auch Ouartierstadt

der Hansa, handelsmächtig, und wenn man im Mittelalter von den „Herren

von Köln" sprach, so dachte man dabei nicht an die Geistlichen, sondern an die Kaufleute und Tuchmacher, welche sich wohl auch eines Kampfes mit dem *) Wanderbuch, als zweiter Teil zu „Land und Leute", S. 219 ff. Stuttgart 1869, Cotta.

341

65. Einr geistliche Stadt.

Erzbischof getrauten.

Trier als älteste Stadt Deutschlands blickte fast stolzer

noch aus seine heidnische Urgeschichte als auf den Glanz seiner Bischöfe, es rang mit ihnen um reichsstädtische Freiheit, die es auch durch drei Jahrhunderte

nahezu besessen hat. Das goldene Mainz, das deutsche Rom, ,stand an der Spitze des rheinischen Städtebundes, seine herausfordernd selbständige und lebenslustige Bürgerschaft war zur Zeit des Erzbischofs Siegfried so wenig wie in den Tagen der Klubisten dem Klerus besonders unterwürfig und

auch ohne die Residenz des vornehmsten geistlichen Reichsfürsten würde Mainz doch immer als Rheinfeste und Rheinhafen bedeutend gewesen sein. Andere berühmte deutsche Bischofssitze sind berühmter noch als Kaiser­

städte öder sonst hervorragende Schauplätze der Reichsgeschichte wie Speyer,

Paderborn, Magdeburg, Halberstadt, Merseburg, Regensburg, Augsburg, wozu sich meistens dann auch die politische Selbständigkeit der Stadt, Kämpfe der Bürger mit den Bischöfen und eigene, mitunter überwiegende Handels- und

Gewerbemacht gesellen. Und obendrein sind alle die eben genannten Städte schon im 16. Jahrhundert ganz oder teilweise protestantisch geworden. Im deutschen Norden bietet wohl

Parallele zu Freising.

nur

noch Münster

eine

wirkliche

Geistlich schon nach dem Sinne seines Namens trägt

Münster in seiner baulichen Physiognomie wie in seiner Geschichte entschieden das Gepräge der geistlichen Hauptstadt. Allein eben diese Geschichte zeigt zugleich

durch Jahrhunderte das Schauspiel des Ringens der Bürger nach

reichsstädtischen Rechten und nach Abschüttelung der landesherrlichen Gewalt

des Bischofs.

Den endlichen Sieg gewann der Bischof nach dem Siege über

die Wiedertäuferei.

Münster ist zudem nicht

bloß als geistlicher,

überhaupt als städtischer Mittelpunkt Westfalens bedeutend, Sitz des westfälischen Adels, dessen patrizische Häuser mit Gebäuden wetteifern;

inan würde Münster zu wenig tun,

sondern

dann als ein den klerikalen

wollte

man es

schlechtweg eine geistliche Stadt nennen. Im Gegensatze zu den bischöflichen Großstädten, swclche allesamt über

die bloß geistliche Stadt hinausgewachsen sind, und zu den ehemaligen Bischofs­ sitzen unseres protestantischen Nordens gibt es nun allerdings einige Städte

im katholischen Süd- und Mitteldeutschland, die mit Freising im rein geistlichen Charakter zu wetteifern scheinen:

Salzburg, Passau,

Eichstätt,

Bamberg,

Würzburg, Fulda. Allein Salzburg hatte seine bürgerlichen und seine Reformationskämpfe,

die Freising nicht kennt, Salzburg war als Landeshauptstadt eines Gebietes von 174 Quadratmeilen ein so hervorragendes politisches Zentrum, wie es Freising niemals werden konnte. Passau, das Donau-Koblenz, würde durch

seine handelswichtige Festungslage auch dann einer der notwendigsten Städte­ punkte Oberdeutschlands gewesen sein, wenn niemals ein Bischof dort gesessen hätte. Ähnlich Bamberg und Würzburg, zwei durch die Natur der Boden­

plastik vorgezeichnete Städte,

welchen der Keim selbständiger wirtschaftlicher

65. Eine geistliche Stadt.

342

Entwicklung für alle Zeit schon geographisch verbürgt ist. Fulda rücken dem Charakter Freisings

sehr nahe; wo

Nur Eichstätt und man

sie überhaupt

nennt unter den deutschen Städten, da tut man's wegen ihrer geistlichen Geschichte. Eichstätt ist aber doch nur ein Bischofssitz untergeordnetertn

historischen Ranges und wenn Fulda in ältester Zeit Freising überragt durch seine Nerikale Kulturmacht, so hat es dieselbe doch nicht so lange und andauernd zu steigern und bis nahe zur Gegenwart zu behaupten gewußt. Man sieht aus alledem, daß ich das Beiwort „geistlich" bei Freising schon unterstreichen darf. Das Einzelbild dieser Stadt soll, zum Gattungs­ bild geworden, als eine Studie zur vergleichenden Kenntnis des deutschen

Städtewesens dienen. Die reiche freisingische Spezialliteratur wird schon in ihren Büchertiteln

und Autornamen zum lebendigen Bilde und versetzt uns unmittelbar auf den geistlichen Boden, der die Stadt und ihre Geschichte trägt.

Fast alle Haupt­

autoren, die über Freising geschrieben haben, von der ältesten bis zur neuesten Zeit, sind Geistliche gewesen und der Bibliothekar kann bei den meisten Schriften zur Geschichte Freisings in Verlegenheit geraten, ob er dieselben unter der Rubrik historia ecclesiastica ausscheiden soll. Die um­

fassendste oder doch mindestens am sorgsamsten und selbständigsten gepflegte

Sammlung der Frisingensia befindet sich dementsprechend auch in geistlichem Besitze, in der Bibliothek des Domkapitels zu München.

Eine Geschichte der Stadt Freising ist noch nicht geschrieben; um so fleißiger schrieb man die Geschichte der freisingischen Bischöfe. Wie ein Heiliger (Korbinian) das Bistum gründete (724) und ein anderer Heiliger (Bonifatius)

dasselbe zu einem ständigen Bischofssitze erhob (739), so beginnt auch die Spezialliteratur Freisings mit einem Heiligenleben, der Biographie Korbinians von Aribo.

An

dem Faden

Geschichte Freisings weiter wir dann gelegentlich

der Biographie der Bischöfe spinnt sich

und

die

aus der Perspektive des Domberges können

auch die Entwicklung

der Stadt beobachten.

Ganz

ähnlich findet sich's anderwärts bei den echten Residenzstädten weltlicher Fürsten. Nicht bloß die Geschichte, auch die Geschichtschreibung der Stadt wird von der

Fürstcngeschichte aufgesogen;

in den Reichsstädten dagegen ist der fruchtbare

Keimbodcn der bürgerlichen Städtechroniken. Unter den Vertretern der historischen Literatur Freisings erscheinen Bischöfe, Mönche, Domherren, Dompröpste, ein Domdechant, ein Kaplan, geistliche Profes­

soren und Priester anderer Grade. Nun wäre es eben nichts Besonderes, wenn im früheren Mittelalter bloß Geistliche über diesen geistlichen Fürstensitz geschrieben hätten;

allein auch zur Zeit der Renaissance

(Veit Arnpeck und Joh. Frei­

berger) und im 18. Jahrhundert (Meichelbeck) herrschen die geistlichen Federn. Ja man kann sagen bis zur Säkularisation

ist keine namhafte selbständige

Schrift über Freising erschienen, die nicht entweder einen geistlichen Herrn

zum Verfasser hatte oder in den wenigen Ausnahmefällen mindestens solche

343

65. Eine geistliche Stadt.

Laien, die in Brot und Würden des Bischofs standen.

Auch nach der Säku­

larisation bis zur Gegenwart waren es überwiegend Geistliche, welche sich mit selbständigen Beiträgen zur Geschichte Freisings beschäftigten. Die historische Literatur Freisings gliedert sich sehr einfach in drei Perioden. Die erste geht vom 8. bis zum 15. Jahrhundert und umfaßt

lauter Bücher, welche nebenher Beiträge zur Geschichte von Freising liefern, obgleich ihr Hauptinhalt weder auf eine Geschichte der Stadt noch des Bistums

gerichtet ist.

Hierher gehört der Bischof Aribo (764—784) mit dem Leben

des hl. Korbinian; der Mönch Kozroh mit seinem über traditionum antiquus (810—848); Bischof Otto I. (1138—1158) mit seiner Chronik und

dem Buche de gestis Friderici primi; der Domherr Radevich (oder Ragewin) mit

der

Fortsetzung

der

letztgenannten

Schrift;

ein

anderer sreisingischer

Domherr des zwölften Jahrhunderts, Conradus Sacrista, als Verfasser eines weiteren Schenkungsbuches und endlich auch ein Laie, der Notar Ruprecht

mit seinem Stadtrechtsbuch von 1328. Die zweite Periode der freisingischen Geschichtsbeiträge geht vom 15. Jahr­

hundert bis zur Säkularisation; sie beginnt mit Veit Arnpcck und gipfelt in

Meichelbeck.

In dieser Zeit herrschen die Chroniken oder Kataloge der Bischöfe

von Freising. Die Lektüre dieser Chroniken mutet uns an wie der Gang durch eine Ahnengalerie; aus den chronologisch zusammengestellten Bildnissen

der einzelnen Bischöfe spricht die Geschichte des Bistums.

chronisten zählt im

Zu diesen Bischofs-

15. Jahrhundert der bischöfliche Kaplan Veit Arnpeck,

im 16. Jahrhundert der Domherr Johannes Freiberger. Solche biographische Verzeichnisse der Bischöfe wurden dann von Geistlichen bis gegen die neueste

Zeit geschrieben.

Auch die Kunst half den Catalogus episcoporum darstellen.

Joachim Haberstock setzte ihn in Verse, ich will nicht sagen in Poesie, und im 18. Jahrhundert wurde die Reihenfolge der Bischöfe für den „Fürstengang"

(zwischen Schloß und Dom) gemalt nebst den Ansichten der wichtigsten Orte des hochstiftischen Landes und kurzen biographischen Aufschriften.

Dieser halb

gemalte, halb geschriebene Katalog reicht bis 1789. Für den letzten, nach der Säkularisation gestorbenen Bischof wäre nur noch notdürftig Platz gewesen,

wenn man die zwei Bilder an der oberen Schmalseite eng zusammengerückt hätte, dann aber für keinen mehr; es waltete also ein ähnliches Spiel des Zufalls wie bei den Kaiserbildern im Römer zu Frankfurt.

Die alten Bio­

graphien der Bischöfe sind in Meichelbecks Historia Frisingensis zu einem großen Geschichtswerke eniporgewachsen, welches, reich mit Urkunden belegt, vielfach über die Geschichte des Bistums hinausgreift.

Die dritte Periode freisingischer Geschichtsliteratur (im 19. Jahrhundert) hat viel älteres Material gesichtet, veröffentlicht, vervollständigt, aber auch wesentlich Neues dazu gewonnen. So gab Baumgärtner, ein Geistlicher, den

deutschen Auszug von Meichelbecks Geschichte neu heraus (1854) und führte

die Chronik bis zur Gegenwart.

Hoheneichner (weiland fürstbischöflicher Hofrat

65. Eine geistliche Stadt.

344

und Archivar) sammelte mannigfache monographische Beiträge.

Vor allen aber

machte sich Dompropst Martin v. Deutinger verdient durch den Abdruck so

vieler älteren Quellenwerke in seinen „Beiträgen zur Geschichte u. s. w. des Erzbistums München und Freising" (1850). In diesem reichen Sammel­ werke gab dann Gentner, ein Geistlicher, die Geschichte des Klosters Weihen-

stephan, welche uns in

immer weiterer geistlicher Perspektive wiederum auf

eine eigene Mönchschroniken-Literatur zurückweist. Nach zwei Seiten hat unsere Zeit ober auch neue Themen freisingischer Spezialforschung angeschlagen: in der Kunst und Rechtsgeschichte, v. Hecken-

staller und Gandershofer erinnerten zuerst wieder in besonderen Schriften an die hohe monumentale Bedeutung des Freisinger Domes.

Was diese beiden

Geistlichen nur erst angeregt, das führte ein dritter, Lyzealprofessor Sighart aus; er gab uns umfassende Kunde von sämtlichen Kunstschätzen Freisings die gebührende Stelle in der bayerischen

und sicherte ihnen

und deutschen

Bei den rechtsgeschichtlichen Studien aus der freisingischen Geschichte treten überwiegend juristische Schriftsteller in den Vordergrund,

Kunstgeschichte.

v. Maurer, Häberlin, Gengler, Foringer u. a.

der in

tische Bearbeitung

Meichelbecks

Allein Häberlins „Systema­

historia Frisingensis

enthaltenen

Urkundensammlung" ist wenigstens, wie schon der Titel besagt, durchaus auf das urkundliche Material des gelehrten Benediktiners und freisingisch-geistlichen Rates Meichelbeck gebaut und jene Schriften bieten überhaupt viel mehr Beiträge

zur deutschen Rechtsgeschichte

aus fteisingischen

Quellen

als Beiträge zur

Geschichte Freisings.

Man ersieht aus alledem, der gelehrte Berg von freisingischen Geschichts­

büchern ist fast durchaus ein geistlicher Berg, so gut wie der wirkliche „gelehrte Berg", welcher Schloß und Dom trägt, und die Überschau bloßer Büchertitcl wird an sich schon zu einem kulturgeschichtlichen Bilde, darin sich die geistliche

Physiognomie der alten und neuen Stadt in klaren Zügen spiegelt. Das alte Freising liegt hinter dem Domberg und neben dem Kloster­ berg von Weihenstephan. Es wird im Nordosten und Südwesten von drei Klöstern flankiert: von Neustift, Weihenstephan und St. Veit; gegen Süden liegt ihm der Domberg vor. Nur den Rücken — nordwestlich —

hatte die Stadt frei; Dort öffnet sich

dort grenzt keine dominierende geistliche Besitzung an.

aber auch keine große Verkehrsbahn;

von Südwest nach

Nordost flutete das Leben, nach Nordwest trägt man die Toten schon seit

300 Jahren zur Ruhe.

Hier, an der Rückseite der Stadt, öffnete sich kein

Haupttor, hier drängten sich viele kleine Häuser und unbedeutende Straßen

an die Mauer

und eine lange Zeile neuer Tagelöhnerhäuschen, welche seit

einigen Jahren über den alten Stadtbering hinausgewachsen sind, bezeugt uns,

daß auch heute noch auf dieser Seite die Stadt zum Lande übergeht. Das weithin sichtbare, landschaftliche Wahrzeichen Freisings sind die zwei geistlichen Berge, Weihenstephan und der Domberg. Beide sind sehr mäßig

65. Eine geistliche Stadt.

345

hoch, der eine erhebt sich nur 50, der andere nur 32,5 m über den Isar­ spiegel, allein beide herrschen, nicht nur weil sie die höchsten Punkte sind, sondern weil sie zugleich mit ihren breiten, langgestreckten Rücken für feste,

abgeschlossene und ausgedehnte Besiedelung Raum boten. Ein jeder der beiden Berge hat seine Vorzüge und beim abwägenden

Vergleichen ihrer Lage tut einem die Wahl wehe.

Doch haben die Bischöfe

klug gewählt, als sie sich auf dem Berge festsetzten, welcher die natürlichen Straßenlinien zu Wasser und zu Land und folglich die Stadt beherrscht, und

die Mönche, als sie die Höhe behielten, welche für Garten und Feld und also auch für die Herrschaft über das umliegende Kulturland den günstigen Raum bot. Die größten und reichsten Erinnerungen der Sage und Geschichte ruhen nicht auf dem Tale, auf der Stadt Freising, sie haften an den beiden Bergen. Dort hinauf blicken wir zuerst beim Aufsuchen von Römerspuren

wie von sagenhaften oder historischen Zügen aus der Zeit des Frankenkönigs Pipin oder der alten bayerischen Herzoge. Das Wirken des hl. Korbinian in Freising bewegt sich wesentlich zwischen den beiden Höhen und der Weg, welchen er zur Gründung des Bischofssitzes genommen, ist auch örtlich bezeichnet durch den Weg, welcher sich-vom östlichen Rücken des Weihenstephaner Berges

hinüber zum Domberge zieht, gleich einer Reihe von Stationen mit Erinne­

rungsmalen seines Namens geschmückt.') Seit dem 8. Jahrhundert und dann durchs ganze Mittelalter und herauf bis zur Gegenwart sind die beiden Berge überwiegend die Träger der histo­

rischen Bedeutung

Freisings und zwar ging auch

die Geschichte

denselben

Weg wie der hl. Korbinian: sie zog von Weihenstephan mehr und mehr zum Domberge als der geschichtlich steigend wichtigeren Höhe. Wie aber Korbinian

auf jedem der beiden Berge bereits eine Kirche vorfand, so sollen die zwei Berge sogar in germanischer Urzeit schon eine Art geistlicher Berge gewesen sein. Die Südseite des Dombcrgs war früher großenteils ein Weingarten, welcher am Fuße des Abhanges in Obst-, Gemüse- und Blumengärten überging.

Dieser freisingische Weinbau ist bereits vom hl. Korbinian begründet worden

und folglich die Rebenkultur an unseren Jsarhöhen um volle 100 Jahre früher historisch beglaubigt als bei irgend einer der hochberühmten Lagen des Rheingaues. Obgleich nun der Weinberg, auf Merians Bild von 1642 noch sichtbar, längst verschwunden ist,

so breitet sich doch noch immer ein äußerst

fruchtbares Gartenland über einen Teil des Domberges und an den sonnigen Mauern der obersten Terrasse reift neben der Traube sogar die Feige, trotz

der absoluten Höhe von 477 m. Der Domberg überragt aber die zu Füßen

liegende Stadt

und

ihr

Gebiet nicht bloß durch seine Fruchtbarkeit sondern auch durch seine Festigkeit. ') Auch der uralte, ehrwürdige Baum, die Korbinianslinde, an deren Grünen der Volksmund das Gedeihen der Stadt Freising knüpfte, stand auf dem Osthange des Weihenstephaner Berges. Sie brannte im Jahre 1865 vollständig nieder.

65. Eine geistliche Stadt.

346 Er ist ihre Burg,

ihre Zitadelle und eine Zitadelle taugt nach Umständen

bekanntlich eben so gut eine Stadt zu zügeln als sie zu verteidigen. Das alte Freising war nicht besonders fest, Mager und Graben waren

sehr einfach und klein, die fünf Tortürme unbedeutend.

Um so fester stand

der Domberg

über der Stadt. Ringsum steil abfallend war er nur von Osten durch einen Fahrweg zugänglich, von Westen durch einen steilen Reitweg (beide durch stattliche Tortürme auf der Mitte des Berges geschlossen),

tioit

Süden durch einen leicht zu sperrenden Fußsteig. Im Süden bot schon am Fuße die Mosach eine natürliche Deckung, im Osten Mosach und Isar; die

westliche und östliche Höhe des Berges war mit Verteidigungstürmen bekrönt,

von welchen eine hohe Mauer zum Münchener Tore herunterzog, und noch fünf bis sechs andere Mauern stiegen vom Plateau in Querlinien zum Tale nieder.

Die Domherrnhäuscr auf der zur Stadt gekehrten Rückseite sahen im

17. Jahrhundert zum Teile selbst noch festungsartig ins Tal hinab: auf hohen,

fensterlosen Untermauern erhoben sich mehrere derselben am Abhange turmartig aufsteigend und wehrten das Eindringen quer den Berg herauf so gut wie ein

förmliches Verteidigungswerk.

Am südlichen

Rande des Plateaus aber

war' Dom und Schloß durch eine besondere Mauer mit Türmchen gegen einen etwa den Weinberg heranstürmenden Feind geschützt. Der Domberg erscheint demgemäß als eine selbständige Feste, von der Stadt durch Mauern und Tore abgeschlossen, und der Umstand, daß sich auf dem Berge nicht bloß geleitetes

Wasser befand sondern für den Notfall auch eigenes Quellwasser, machte seine Stärke noch unabhängiger.

Wie aber der Domberg gleich einer Burg über der Stadt thronte, so war auf dieser großen Feste eine engere Burg noch einmal besonders befestigt, das Schloß der Fürstbischöfe, durch Mauer und tiefen Graben. Und nicht bloß militärisch war der Domberg von der Stadt abgeschlossen

sondern auch sozial.

Bischof Otto I., der große Geschichtschreiber,

verfügte

bei seiner Erneuerung der Regeln des Domstistes, daß kein Laie innerhalb der beiden Tore des Domberges wohnen solle. Der ummauerte Berg glich also fast einem großen, festen Kloster, wie denn auch zur Zeit des hl. Korbinian ein wirk­ liches Kloster der älteste Kern seiner weiteren geistlichen Besiedelung gewesen ist. Schon durch diese Eigentümlichkeiten der Lage findet die geistliche Burg

des Domberges in Deutschland schwerlich ihresgleichen.

In andern deutschen

Bischofsstädten hatten zwar auch die geistlichen Herren ihr fest begrenztes Quartier; allein der Bischofssitz als Kristallisationskern der ringsum anschließenden Stadtteile verliert entweder später seine uralte Absonderung oder

der Fürstenhof

des Bischofs

übersiedelt

burglichen Abgeschiedenheit in die Stadt.

wohl

gar aus der früheren

Letzteres geschah z. B. in Würzburg,

dessen Marienberg als Residenz der Bischöfe seit dem 13. Jahrhundert manche Ähnlichkeit mit dem Freisinger Domberge bietet. Der Würzburger Dom aber

liegt unten in der Stadt und im 18. Jahrhundert baute auch der Bischof da

65. Eine geistliche Stadt.

drunten sein neues Schloß.

347

In Freising vermochte sich weder der Domberg

mit der Stadt zu verschmelzen noch konnte die Stadt den Bischofssitz vom

Berge herabziehen. Einziger noch als durch diesen Umstand erscheint uns jedoch die Stätte des Domberges, wenn wir erwägen, was alles innerhalb ihrer zwei Tore lag.

Auch ein Berg (ober eine Stadt) kann seine aerugo nobilis haben, seinen edlen Altersrost, so gut wie ein Erzbild. Diese aerugo ist der tiefe Trümmerschutt, welcher jetzt die oberste Bodendecke des Domberg-Plateaus bildet. Neuere Erdarbeiten zeigten, daß der Schutt stellenweise bis 8 Fuß

hinabsteigt und

in dieser Tiefe fand man römische Münzen; 3 Fuß

unter

dem Boden aber mittelaltrige (brandenburgische und kölnische) Goldmünzen des 15. Jahrhunderts,

Silbermünzen des 16. Jahrhunderts.

Von Münzfunden

in der Stadt ist mir nichts bekannt, dagegen erzählte mir Professor Sighart,

dem ich die vorstehende Notiz verdanke, von einer Menge Spielmarken des Mittelalters, welche dort in alten Häusern gefunden worden seien. Also droben bei den geistlichen Herren die Dukaten, unten bei den Bürgern die Rechenpfennige. Über jenem Schutt, den der zerstörende Gang der Jahrhunderte auf

dem Domberge gehäuft, erhebt sich nun der Dom mit anderen Kirchen, das Schloß, die alten Domherrnhäuser und sonst noch genug Gebäude, alle einstmals den Bedürfnissen der geistlichen Kolonie gewidmet. Am merkwürdigsten ist die Überzahl der Kirchen, wie sie vordem dicht­

geschart

der enge Raum umschloß.

Vor der Säkularisation zählte man

nicht weniger als 14 Kirchen und Kapellen da droben: den Dom, St. Benedikt,

St. Johannes, St. Peter, St. Andreas, St. Martin, St. Salvator, dann die bischöfliche Hauskapelle und

die Kapellen in

der Domdechantei, in der

Dompropstci, im Propsteigebäude von St. Andreas, im Lerchenfeldhof, Kolonnahof und Waldkirchhof. Man wird schwerlich einen zweiten Ort in Deutschland finden, wo so viele Kultusstätten auf so kleiner Fläche zusammengedrängt

waren und trotz des Abbruches einzelner Kirchen auch heute noch sind. Auf dem Domberge bestanden vier Kanonikate: beim Dom, bei St. Paul, St. Johannes und St. Andreas. Seltsam genug aber hauste inmitten all des wimmelnden geistlichen Lebens sogar auch ein Einsiedler, ein Seitenstück zu den neun Einsiedlern, die bei Schleißheim je ein paar Büchsenschüsse von­ einander saßen.

Rechnet man zu den Kirchen des Domberges noch die drei Kirchen von Neustift, dann die sieben Kirchen an und auf der Höhe von Weihenstephan (die Klosterkirche, St. Jakob, St. Veit, die Abteikapelle, die Magdalenenkapelle, die Korbinianskapelle und die Frauenkapelle) und endlich die Kirchen der Stadt

(St. Georg, die Kirche des Franziskanerklosters, des Hl. Geist-Spitals, die Gottesackerkirche, die Münchenerkapelle u. a.) — so kommt über ein Viertel­

hundert heraus

und es begreift sich, wie das turmreiche Freising auf alten

65. Eine geistliche Stadt.

348

Bildern so ganz anders drcinschaut als sonst jene mittelalterlichen Städte, bei

welchen die Festnngstürme mit den Kirchtürmen wetteifern, ja sie an Masse überbieten, während Freisings unansehnliche Tor- und Mauertürmchen von der Schar großer und kleiner Kirchturmspitzen tief in Schatten gestellt sind.

Schon von fernher verkündete sich dem Auge die geistliche Stadt. Die Säkularisation von 1803 trachtete bei Freising vor allen Dingen den Charakter der geistlichen Fürstenstadt zu verwischen;

sie wandte darum

ihren Zerstörungseifer besonders scharf gegen die beiden Berge Weihenstephan und den Domberg. Wer es nicht weiß, der sieht dem Berge des hl. Stephan jetzt nicht entfernt mehr an, daß dort einmal zwei Klöster mit so vielen Kirchen und Kapellen gestanden haben; alle Bauwerke von irgend kirchlichem

Charakter sind entweder abgebrochen oder umgebaut.

Auch auf dem Domberge

wurde beträchtlich aufgeräumt. Man nannte ihn damals lieber den „Residenz­ berg"; Dom klang zu dumpf und dunkel. Wo früher die Andreaskirche

stand, wurde Wäsche getrocknet *), die Stätte der Peterskirche bezeichnete ein Kreuz, die Johannes- und Martinskirche wurden in Magazine verwandelt und auch der Abbruch der altehrwürdigen Domkirche war bereits beantragt wegen vorgeblicher Baufälligkeit. Den ersten Anstoß zu ihrer Rettung gab ein fran­

zösischer Dragoneroberst, welcher im Jahre 1805 den längst geschlossenen Dom als den besten Platz erkannte um eine Kirchenparade zum Geburtsfeste des Kaisers Napoleon abzuhalten.

Mit dem Verschwinden des Domes würde die Phy­

siognomie von Freising ganz anders, das heißt höchst charakterlos geworden sein.

Nicht dies aber ist zum Verwundern,

daß so viel zerstört wurde auf

dem Domberg, sondern daß man so viel übrig gelassen hat. Obgleich kein Bischof mehr da droben sitzt und keine Domherren, kein geistlicher Hofstaat und kein Einsiedler, obgleich längst schon Laien genug innerhalb der beiden

Tore wohnen, so ist der Domberg doch auch heute noch ein geistlicher Berg. Er beherrscht nicht mehr die Stadt, aber auf seiner Höhe herrschen wenigstens

sozial die Geistlichen

und

durch

den Domberg

entschieden geistlichen Zug, wenn man es auch

behauptet Freising einen

nicht mehr schlechthin eine

noch von dem „gelehrten" Berge sprechen wegen der vielen geistlichen Lehranstalten (Lyzeum, Klerikal­

geistliche Stadt nennen kann.

Man darf auch

seminar, Knabenseminar, Gymnasium, Realschule, Schullehrerseminar), die auf seiner engen Fläche vereinigt liegen,

gleichsam

als

die letzten Absenker der

Ist er auch nicht mehr ein gelehrter Berg fürs römische Reich wie zu den Zeiten Ottos2), so ist er doch ein gelehrter Berg für Freising uralten Domschule.

und Altbayern. *) Nunmehr stehl ebenda der imposante Neubau des Klerikalseminars. •) Verfasser meint den Fürstbischof Otto I., den Oheim Kaiser Friedrichs I. Barbarossa, den berühmten Geschichtschreiber, der außer einer Chronik ein weiteres wichtiges Quellen­ werk „Die Taten des Kaisers Friedrich" hinterlassen hat. Sein würdiges Denkmal von K. Zumbusch ziert seit 1855 den Domplatz.

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken.

ist seit der Säkularisation

Viel Geistliches

349

wieder restauriert worden

Man hatte zeitweilig Kürassiere hinaufgelegt und das

auf dem Domberge.

Landgericht und das Taubstummeninstitut.

Allein das alles haftete nicht an

dem Berge; die Geistlichen behielten zuletzt doch die Oberhand. Auch die äußerlichen Verwüstungsspuren der Säkularisation wurden möglichst wieder ausgeglättet.

Die Altäre erhielten aufs neue ihren verlorenen Schmuck, die

aus den Kirchen genommenen Reliquien wurden bei einem eigenen „Reliquien­ fest" 1828 wieder in

den Dom zurückgebracht,

die gotische Johanniskirche,

nachdem sie fast vierzig Jahre als Magazin gedient, sorgsam wiederhergestellt und wenn auch in der Martinskirche kein Gottesdienst mehr gehalten wird, so ist sie dafür seit etlichen Jahren ein Diözesanmuseum kirchlicher Kunst­

altertümer geworden, gesammelt von einem Geistlichen (Professor Sighart) und zunächst fruchtbar Berges.

für den

Unterricht der Klerikalalumnen

des

geistlichen

Zu den Männern, welche unersetzliche Kunstaltertümer aus der Sturm­ flut der Säkularisation retteten, zählt vor allen der Domdechant Heckenstaller

und der Priesterhausdirektor Dr. Zarbl, welcher im Verein mit den Münchener Künstlern Gärtner und Ludwig Schwanthaler die ersten Gedanken und Pläne

zur Restauration des Domes anregte und viele bedeutende Altertümer (z. B. die alten Wandgemälde des Langschiffes, die berühmte hölzerne Monstranz

u. a.) wieder entdeckte,

behütete

und wieder Herstellen ließ.

In ähnlichem

Geiste wirkte nachgehends Professor Sighart; er hat nicht wenige verschüttete Kunstaltertümcr Freisings wieder ans Licht gezogen und geordnet, anderes vor Zerstörung bewahrt. Ohne das treue Walten solcher Kunst- und Geschichtsfrennde vom Dombcrge würde Freising gewiß nicht entfernt mehr jenes charaktervolle Bild der alten

geistlichen Stadt bieten, wodurch es jetzt den Gebildeten fesselt. hier wühlten Leute genug, die,

Denn auch

wie König Ludwig I. vordem so treffend in

Sachen Nürnbergs sprach, nicht eher ruhen wollten, als bis sie alles so glatt gemacht hätten wie ihre eigenen Schädel.

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-gweibrücken. Von Karl Theodor von Heigel. *)

Die Zeit vor hundert Jahren kann der verstockteste laudator temporis acti nicht die „gute, alte Zeit" nennen. Karl Albert von Bayern, als Träger der kaiserlichen Dornenkrone Karl VII., kein Übermensch wie sein Zeitgenosse Friedrich, aber wohlwollend x) Rede, gehalten beim Stiftungsfest der Universität München am 26. Juni 1899. „Neue geschichtliche Essays," S. 51 ff. (gekürzt). München 1902, Oskar Beck.

350

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an daS Haus Pfalz-Zweibrücken,

und volksfreundlich, hatte den kurzen Kaisertraum mit dem Ruin seines Landes

Die dem Deutschen Reiche angegliederten Völker des Ostens hatten Bayern in so furchtbarer Weise verheert, daß man in der deutschen Geschichte

gebüßt.

bis zu den Ungarnzügen des frühen Mittelalters zurückblättcrn muß um ein

Beispiel ähnlicher Kriegführung zu finden.

Auch in Friedenstagen stach gegen

den Glanz des Hofes die Armut des Landes häßlich ab.

Und das Geistes­ leben, die Volksbildung war in gleichem Maße zurückgegangen wie der Volks­ wohlstand. König Friedrich nennt Bayern in seinen „Denkwürdigkeiten" ein „von Schweinen bewohntes Paradies." Das grobe Wort war vor allem von Abneigung gegen Rom eingegeben, doch auch Eingeborne wie Westenrieder, der sowohl an seiner Kirche wie an seiner Heimat hing, fanden die Kulturzustände

in Bayern unwürdig und beklagenswert. Was war aus dem Stamme ge­ worden, dem das deutsche Volk die erste klassische Literaturepoche, das tief­ sinnigste Kunstepos und herrlichen Minnesang verdankte!

Und kaum daß es

unter Max III. Joseph und seinen treuen Helfern, den Münchener Akademikern, zu dämmern begann und für die Volkswirtschaft wie für die Schule bessere Tage kamen, vernichtete der Tod des beliebten Fürsten die Hoffnungen, wie Meltau eine junge Saat.

Denn der neue Regent brachte dem Volk, in dessen

Mitte er nach den Hausverträgen fortan leben sollte, kein Herz entgegen. Karl Theodor von der Pfalz,

„der erste Kavalier des Heiligen römischen

Reiches," wie er von seinen Höflingen genannt wurde, zog dem vieltürmigen München das „feine" Mannheim und den bayerischen Bergen seinen Schwetzinger Park vor.

Diese Kühle des zur Regierung in Bayern berufenen Fürsten war

in Wien wohl bekannt; darauf stützte sich der Plan Kaiser Josephs II. durch Einverleibung Bayerns um so leichter die Germanisierung der vielsprachigen österreichischen Monarchie durchzusetzen und zugleich dem Erzhause für alle Zeiten die Übermacht in Deutschland zu sichern. Wie der unwürdige Länder­

schacher eingefädelt wurde, ist bekannt.

Welche Entrüstung er in Deutschland

hervorrief, bezeugt das zornige Wort Schlözers:

Der Landgraf von Hessen

habe nur ein paar tausend Landeskinder verkauft, der Kurfürst von Bayern aber wolle gleich sein ganzes Land losschlagen und preisgcben. Allerdings nach Amerika sollten die Bayern nicht, aber der Kurfürst wollte aus Bayern!

Es ist klar, daß sich Friedrich II. nicht aus Großmut mit der patriotisch­ bayerischen Partei, deren Seele die Witwe des Herzogs Klemens, Maria Anna,

war, und mit dem mutmaßlichen Erben von Pfalz-Bayern, Herzog Karl August von Zweibrücken, verbündete. Friedrich hatte die schwer errungene Stellung Preußens in Deutschland und Europa zu verteidigen. Do, ut des! ist die

Seele aller politischen Verträge und Uneigennützigkeit nur eine Privattugend. Wenn Friedrich sich Bayerns annahm, dachte er sicherlich nicht an Bayern, sondern an Preußen. Doch die Beweggründe verbergen sich ftüher oder später,

die Tat und ihre Früchte bleiben.

Tatsache ist, daß nur durch Friedrichs

Hilfe die Selbständigkeit Bayerns gerettet wurde.

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken. Das wurde damals in Bayern auch willig anerkannt.

351

Der Kabinetts­

sekretär Karl Theodors, Karl v. Stengel, erzählt in seinen Denkwürdigkeiten, nicht zur Freude der Psälzer sei der Namenstag Friedrichs in München allent­ halben mit Beleuchtungen, Gastmählern und Bällen gefeiert worden. Der

Buchhändler Strobl hatte im Ladenfenster das Bildnis des Königs zum Ver­ kauf ausgestellt; als eines Morgens die Wache vorbeimarschierte, kommandierte der Feldwebel: Halt! Rechtsum! Front! und ließ die Mannschaft vor dem

Bilde das Gewehr präsentieren.

in der Münchener Zeitung

Die liebenswürdigste Huldigung widmete ihm ein nicht berühmt gewordener bayerischer Poet

Franz Xaver Hueber in Versen von schlichter Herzlichkeit: „Der Vater wird es seinem Sohn Und der dem Enkel sagen, Wie gut es war dem Bayerland In König Friedrichs Tagen! Sie werden dann mit Segen noch Sein Angedenken feiern, Der keiner war von Wittelsbach Und doch so gut den Bayern!"

Im Teschener Frieden erlangte Kaiser Joseph ein stattliches Stück baye­ rischen Landes, das Inn- und Hausruckviertel; im großen und ganzen aber war sein Plan gescheitert. Nicht aufgegeben. Was mit Waffengewalt nicht zu erzwingen war, sollte nun durch Lockmittel aller Art erreicht werden. Fünf Jahre später gab das Wiener Kabinett nach Berlin einen Wink, daß eine neue

Teilung Polens eine schöne Gelegenheit zu freundlicher Einigung wäre; das Erzhaus werde gern die Abtretung von Thorn und Danzig an Preußen begünstigen,

falls der König

den Verhandlungen

des Grafen Lehrbach in

München keinen ernsten Widerstand entgegensetze. Doch König Friedrich war auch dafür nicht zu haben. Er erklärte rundweg seinen Ministern für das Wachstum einer so gefährlichen Macht nicht arbeiten zu wollen. Ein besonderes Verdienst um die Abwehr der Josephinischen Gelüste er­

warb sich der zweibrückensche Minister v. Hofenfels. Dieser Staatsmann war es, der zuerst um seinem Herrn die bayerische Erbfolge zu retten einen Bund der deutschen Staaten unter preußischer Führung ins Leben zu rufen

trachtete, während die Projekte anderer süd- und mitteldeutscher Minister nur eine Partikularunion der kleineren Staaten in Vorschlag brachten. Seit Sep­

tember 1783 war Hofenfels in Berlin für seinen Plan unermüdlich tätig. Am zweibrückenschen Hofe nahm er mit Entschiedenheit Partei gegen das da und

dort beliebte Buhlen um französischen Schutz. Noch immer habe dieser aus­ schließlich Frankreich Vorteil gebracht; nur die patriotische Gesinnung des Siegers von Roßbach verbürge den Vollbestand des Deutschen Reiches und der deutschen Rechte.

Mit ausdrücklicher Genehmigung seines Herzogs legte Hofen­

fels diese Ansichten in der Denkschrift vom 10. Februar 1784 dar; sie enthält im Keim die deutsche Reichsverfassung von heute.

352

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken.

Die preußischen Minister, Hertzberg an

der Spitze, zauderten; man

müsse, meinten sie, bis zum Tode des Kurfürsten von Bayern warten, man dürfe Rußland nicht ins österreichische Lager treiben u. s. w. Da war es König Friedrich selbst, der in einem Signat vom 6. März 1784 gegenüber der wachsenden Übermacht und Vergrößerungssucht des Kaiserhauses festes Zusammen­

halten der deutschen Fürsten forderte und den „Entwurf eines Bündnisses der deutschen Fürsten nach dem Vorbilde desjenigen von Schmalkalden" niederschrieb. Mit ihrer Ahnung russischer Einmischung hatten Friedrichs Minister recht. Im Januar 1785 erschien Graf Romanzow, russischer Botschafter in Wien, bei Herzog Karl August in Zweibrücken als Versucher. Der Kurfürst sei bereit

Bayern gegen ein Königreich Burgund auszutauschen; der Vertrag zwischen

ihm und dem Kaiser sei dem Abschluß nahe und werde schon demnächst und unwiderruflich in Kraft treten; dennoch wolle man den Herzog für freundliche Zustimmung belohnen.

Eine Million Gulden dem Herzog, eine halbe

seinem Bruder Max Joseph! Karl August war durch seine kostspieligen Schloßbauten tief verschuldet, doch stärker als seine noblen Passionen war sein dynastisches Gewissen.

Ohne

Zögern wies er das lockende Anerbieten zurück und rief den Schutz Preußens an „gegen ein Vorhaben, das die Entfernung des wittelsbachischen Hauses

aus Deutschland bezwecke".

Der Hilferuf fand nicht nur in Berlin Gehör. So beunruhigend wirkten die Umtriebe des kaiserlichen Kabinetts, daß geistliche und weltliche, katholische und evangelische Reichsstände sich zu einem Schutz- und Trutzbündnis, dem Fürstenbund, unter preußischer Führung einigten.

Doch was nützten kluge Pläne und Bündnisse und alle Vorsicht in bent Sturm, der nun von Paris aus über ganz Europa brauste, wie ein richtiges Elementarereignis nichts verschonte und morschen Plunder wie heilige Altäre über den Haufen warf! Auch in Straßburg, wo Max Joseph von Zweibrücken bisher als Oberst des Regiments d'Alsace verweilt hatte, war bald kein Platz mehr für deutsche

Fürsten und königstreue Offiziere.

Max Joseph verließ die ehedem so gastliche,

jetzt von Revolutionären der radikalsten Richtung regierte Stadt und zog nach

Mannheim.

Als der Koalitionskrieg ausbrach, erbot er sich zu Kriegsdiensten

in der preußischen Armee. Max Joseph selbst schrieb an den König (7. Juni 1792): „Das Beispiel, das Ew. Majestät allen Fürsten Europas vor Augen stellen, indem Sie selbst dem unglücklichen König von Frankreich zu Hilfe eilen, muß. alle Herzen entflammen. Ich brenne vor Begierde mich unter Ihrem Ober­

befehl zu schlagen und mein Blut zu vergießen für den Ruhm Eurer Majestät

und für die Verteidigung des Deutschen Reichs." Friedrich Wilhelm II. mußte' jedoch das Anerbieten des Prinzen ablehnen, weil nach Vereinbarung mit dem Wiener Kabinett weder bei preußischen noch bei österreichischen Truppen Frei­ willige ausgenommen werden sollten.

66. Ter Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken.

353

Durch das unerwartete Ableben seines älteren Bruders (1. April 1795) wurde Max Joseph regierender Herzog von Zweibrücken; doch er war nur

ein Fürst ohne Land, denn die Sansculotten hielten sein ganzes Gebiet besetzt.

Auch das bayerische Erbe war gefährdet. Der französische Emigrant General Heymann, der das besondere Vertrauen des Herzogs genoß und deshalb vom Berliner Kabinett zum Geschäftsträger an dem kleinen Hofe in Mannheim

und Rohrbach ausersehen worden war, berichtet eine Menge von Zügen, die das

eifrige Werben des Wiener Hofes um den Prinzen beweisen.

Schon zwei Tage

nach dem Tode der ersten Gemahlin Max Josephs, Augusta von Hessen, erschien ein höherer österreichischer Offizier um dem Witwer die Hand einer Erzherzogin anzubieten, erntete jedoch für seine Bemühungen keinen Dank.

Für die Erleichterung des Loses seiner in Feindeshand geratenen pfälzi­ schen Untertanen wie für die Existenz und Unabhängigkeit Pfalz-Bayerns war

der Herzog unermüdlich tätig. Seine stärkste Hoffnung setzte er nach wie vor auf Preußen, doch suchte er sich vorsichtigerweise auch von Frankreich Schutz

seiner Rechte zu sichern. Die unverkennbare Hinneigung Max Josephs zu Frankreich erklärt sich aus seiner früheren Stellung wie aus dem Wunsche mit Hilfe

der Republik für seine elsäßischen Herrschaften ausgiebigen Ersatz

zu gewinnen. Da aber immer deutlicher zutage trat, daß das Berliner Kabinett auf Grund der Abmachungen zu Basel noch weiter mit Frankreich unterhandle, sandte Max Joseph seinen Minister Getto nach Paris um auch für sich die Gunst des Siegers zu erwirken. Als in Rastatt ein Kongreß zur Ordnung

der Reichsangelcgenheiten aus Grund der offenen und geheimen Abmachungen zu Basel und Berlin eröffnet wurde, galt der Herzog von Zweibrücken schon

als Mittelpunkt der Franzosenfreunde in Deutschland. Doch gab er die Fühlung mit Berlin nicht auf. „Der Moment," schrieb er an Graf Haugwitz,

„wo der Rastätter Kongreß zusammentritt um die Dinge Deutschlands zu ordnen, ist auch der Zeitpunkt, wo man offene Farbe bekennen muß, um die französische

Regierung zur Einlösung ihres Versprechens zu veranlassen und die ehrgeizigen Pläne Österreichs zu vereiteln, das fortwährend bereit ist die großen Staaten zu schwächen um so das Corps Germanique zu beherrschen." Im Winter 1798 tauchte das erste Projekt eines Rheinbundes auf

Das preußische Ministerium schrieb am 14. Dezember an Heymann, er werde wohl schon gehört haben, daß deutsche Fürsten ein Bündnis mit Frankreich

zu schließen gedächten um sich willkommene Entschädigungen zu erwirken. „Ein ruchloser Plan, dessen Ausführung schließlich nichts anderes zur Folge haben würde, als daß alle diese Fürsten zu Vasallen herabsinken würden, zu gehorsamen Dienern des französischen Despotismus."

Auf die Anfrage Heymanns

bestätigte Max Joseph, daß ihm das Anerbieten gemacht worden sei an die Spitze des Bundes zu treten; doch — so versicherte er — seine Unterhandlung

mit Frankreich, die er nicht ohne die Zustimmung Preußens angeknüpft habe, KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

23

354

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bayern an das Haus Pfalz-Zweibrücken,

bezwecke nichts als das Los seiner Untertanen zu erleichtern

und auch Frank­

reich zum Protest gegen die Auslieferung Bayerns an Österreich zu bewegen. Die Lage Bayerns sei ja so traurig wie denkbar.

„Gänzlich besetzt von öster­

reichischen Truppen, die darin Ivie in einer Provinz ihres Staates schalten und walten, die Untertanen erschöpft durch Frondienste und Lieferungen aller Art, entmutigt, beunruhigt, voll Abneigung gegen eine Regierung, gegen die

man sie unablässig gehetzt hat und die sich nicht mehr halten kann." Das ganze Land sei mit kaiserlichen Truppen so übersponnen, daß es, wenn heute der Kurfürst stürbe, ganz ins Belieben der kaiserlichen Befehlshaber gestellt wäre, ob sie den Nachfolger zum Regiment gelangen lassen wollten oder nicht.

Die eigene Regierung ohne Ansehen, der Staatsschatz leer, die Schulden in

keinem Verhältnis zu den Einnahmen, aber alles mit einem dichten Schleier

verhüllt um dem Kurfürsten zu verbergen, wie ein großer Teil der Einnahmen in den Taschen feiler Beamten verschwinde. Die Steuern ungerecht verteilt, fast ausschließlich auf Bürger und Bauersmann lastend. Die Armee schwach, auch mangelhaft verteilt und aller Zucht entwöhnt, das Volk zurückgeblieben unter geistlichem und weltlichem Druck.

„Die Leiden Bayerns," schreibt Heymann am 28. Januar 1799, „wachsen mit jedem Tage; schon int vorigen Monat waren die Ausgaben für die ein­

heimischen und fremden Truppen auf 1400000 Gulden gestiegen und die Summen mußten von den Einnahmen für das kommende Jahr vorweggenommen werden" .... „Alle Berichte, die aus dem Lande kommen, sprechen nur vom Verlust des Eigentums, von der Unzufriedenheit des Volkes, vont Ruin, der alles bedroht, wenn es nicht gelingt die Österreicher zur Zurückziehung ihrer

Truppen bei gleichzeitiger Räumung der Rheinuser durch die Franzosen zu bewegen." Der Herzog erwarte Hilfe gegen die einen, wie gegen die anderen nur von Preußen.

„Man

wird mich vermutlich," sagte Max Joseph zu

Heymann, „der Hinneigung zu Frankreich zeihen; ich weiß, daß viele sich diese gewagte Behauptung erlauben, aber man erwäge nur meine Lage und beurteile

dann, ob ich mich geradsinniger und offenherziger verhalten konnte!"

Zu Beginn des Jahres 1799 waren österreichische Truppen über das ganze bayerische Gebiet verteilt, Erzherzog Karl stand an der Grenze. Herzog Wilhelm von Birkenfeld machte seinem Vetter Max Joseph wenig tröstliche

Mitteilungen über eine Unterredung mit dem Führer der österreichischen Truppen. Der Erzherzog sprach ganz offen von einer zwischen den Höfen von Wien und München getroffenen Vereinbarung, wonach 15000 Bayern in die öster­ reichische Armee eingeteilt werden sollten.

In Bezug auf die Erbfolge äußerte

sich der Erzherzog mit erschreckendem Freimut.

„Es unterliegt keinem Zweifel,"

fährt Herzog Wilhelm fort, „wenn der Wiener Hof beabsichtigt sich Ihrer

Besitzergreifung nach dem Tode des Kurfürsten zu widersetzen und wenn seine Truppen so wie gegenwärtig über das Land verteilt sind, so sehe ich kein

Mittel, das verhindern könnte, daß wir dem Gesetz des Stärkeren uns beugen

66. Der Übergang des Kurfürstentums Pfalz-Bagern an das Haus Pfalz-Zweibrücken.

355

müssen, und das einige Gewähr leisten könnte, daß die Würde lind die Sicher­

heit Ihrer Person nicht gefährdet wäre.

Ich hoffe, daß es mir gelingen wird

in die Hauptstadt zu kommen; sich darin zu behaupten scheint mir alles zu sein, was sich tun läßt, und nicht einmal dies wird sich 24 Stunden lang durchführen lassen, wenn man gegen offene Gewalt anzukämpfen haben wird. Ich flehe Sie an, teurer Herr Bruder, mir für diesen Fall bestimmte An­

weisung zu geben, wie weit man im Widerstand gehen soll, denn es handelt

sich nicht bloß darum, daß wir nicht als Feiglinge erscheinen, sondern auch daß kein unnützes Blut vergossen wird." Darauf erwiderte Max Joseph, er müsse die Entscheidung dem König von Preußen überlassen; wenn dieser wie sein Vorgänger für Bayerns Rettung eintreten wolle, sei er für seine Person

zu jeglichem Widerstand bereit. Am 3. Februar 1799 gibt der preußische Geschäftsträger am Münchener Hofe die Zahl der in Bayern und - der nächsten llmgebung lagernden öster­ reichischen Truppen auf 55 Bataillons Fußvolk und 81 Eskadrons Reiterei, im ganzen also etwa 80000 Mann, an. Was von der Zuchtlosigkeit dieser Soldateska erzählt werde, übersteige alles Glaubhafte.

Eben noch hatte die Münchener das Gerücht erregt: „Der Kurfürst ver­ läßt demnächst die Stadt, flüchtet nach Wien oder Prag, die Hauptstadt Bayerns kommt unter österreichisches Regiment," da verbreitete sich — am 12. Februar — neue Kunde: „Karl Theodor ist vom Schlag gerührt!" Und so war's. Während der Kurfürst mit General v. Hertling L'hvmbre spielte, trat die Katastrophe ein. Die Ärzte gaben keine Hoffnung. Bei Hofe war man ent­ schlossen den Ernst der Lage so lange wie möglich zu verheimlichen; nur an den Herzog von Zweibrücken ging sofort ein reitender Bote ab. Allein das

Gerücht drang doch auch in das österreichische Hauptquartier und Erzherzog Karl entsandte den Grafen Colloredo nach München.

Als dieser mit dem

österreichischen Botschafter Graf Sailern in der Residenz erschien

und den

Kranken sehen wollte, wurde ihnen der Zutritt von der Kurfürstin verweigert. Sailern beschwor sie die Hilfe des Kaisers anzurufen; sie wies auch diesen Rat zurück. In den Höfen und Empfangszimmern der Residenz sieht man zwar eine Menge Menschen und feierliche Mienen, doch die Kirchen, wo für die Genesung

Karl Theodors Andachtsübungen gehalten werden, bleiben leer. So wenig ist man bei Hofe der Liebe des Volkes sicher, daß an den Herzog Max Joseph

die Bitte gerichtet wird, er möge nachts und heimlich in die Stadt kommen; man ahnte, mit welchem Jubel die Bürgerschaft ihren Liebling begrüßen würde, und wollte diese Kränkung des Landesfürsten, des Sterbenden, vermeiden. Vier Tage lang lag Karl Theodor noch atmend, doch bewußtlos. Am

16. Februar nachmittags 3 Uhr verschied er. Nun kamen die umsichtigen Bestimmungen der Herzogin Maria Anna

und

die

kluge Verteilung der Rollen

doch zur Geltung.

„Alles ging am

°3*

356

67. Johann Konrad Grübel als Chronist deS Lüneviller Friedens.

Schnürchen."

Der Herzog von Birkenfeld ließ unverzüglich alle Hofbeamten,

Minister und Generale dem rechtmäßigen Nachfolger Treue schwören, die Garnison stellte sich auf den Plätzen der Stadt in Reih und Glied und

wurde vereidigt.

Ein Hofbxamter von einer Reitertruppe begleitet fuhr dem

neuen Landesherrn mit der amtlichen Nachricht vom Ableben des Oheims ent­ gegen. Die Papiere des Grafen Zeschwitz und des Kabinettssekretärs von Lippert, den Westenrieder in seinem Tagebuch mit wunderlicher Übertreibung

den „bayerischen Robespierre" nennt, wurden versiegelt, dem Fürsten von Bretzenheim, Karl Theodors natürlichem Sohn, die Auflösung der bayerischen Ritterloge vom Malteserorden angezeigt. Die Bevölkerung machte Feiertag. Trotz der Februarkälte und dem Schnee auf den Straßen war es allenthalben lebendig. Zahlreiche Flugblätter erschienen,

gedruckt und geschrieben, alle siegesfrohen, aber nicht alle reinlichen Inhalts. Geschmacklose Gesellen begeiferten mit Hohn und Spott den Mann, der doch für

immer die Waffen gestreckt, der München den Englischen Garten geschenkt hatte. Am 20. Februar traf Max Joseph in München ein, vom Herzog von

Birkenfeld und von den städtischen und ständischen Würdenträgern empfangen, mit siohem Zuruf von den dichtgedrängten Massen auf Straßen und Plätzen

und aus den Fenstern der geschmückten Häuser begrüßt.

Der Jubel des Volkes war der Ausdruck seiner zuversichtlichen Erwartung: „es wird jetzt besser werden im Bayernland!"---------

Dankbar bestätigt nach hundert Jahren die Geschichte, daß dieser Hoff­ nung eine glückliche Erfüllung beschieden war.

67. Johann Konrad Grübe! als Chronist des Lüneviller Friedens. Von Hans Probst.*,

Der ersten Gedichtsammlung, die Johann Konrad Grübet als angehender

Sechziger im Jahre 1798 herausgab, spendete namentlich Goethe freundlichen Beifall;

er hob

hervor, es zeige sich darin „ein Mann von fröhlichem Ge­

müt und heiterer Laune, der die Welt mit einem glücklichen, gesunden Auge

sieht."

Als nach einigen Jahren neuerdings Werkchen des Stadtfläschners er­

schienen, fand Goethe es besonders merkwürdig, „wie er in schlimmen Tagen sich in gleichem Humor erhielt." In der Tat war es in den schlimmen Tagen,

die es um die Wende des Jahrhunderts wie überall so auch in Nürnberg gab, für den alternden Volksdichter ein Kunststück die gute Laune nicht völlig zu verlieren. Die Drangsale, die seine Vaterstadt vom Dezember 1800 an aus­ zustehen hatte, schildert er frisch und anschaulich in einer kleinen Reimchronik. Wöi Mancher haut's niht überlebt! Ich bin, Gott Lob! noh bau.

67. Johann Konrad Gcilbel als Chronist des Lüneviller Friedens.

357

Es war gerade um die Zeit des Weihnachtsmarktes, wo die Nachbarschaft auf etliche Stunden im Umkreis nach Nürnberg zu kommen und reichlich ein­ zukaufen pflegte. Dau haut mer g'sagt, Franzus'n fenn Ner noh a Stund von höi; Dau iß scho Manch'» wur'n nau, Mir ah, ih waß niht wöi.

Und, leider! sell'n Nammittog, Su niht goar lang »auch Zwa, Dau senn's scho draus g'wöst our'n Thur, Und drin halt ober ah.

Bald ist jedes Haus mit Soldaten überfüllt; die herrischen Gäste ver­

langen das Beste aus Küche und Keller und zu alledem ist es nichts mit dem Weihnachtsmarkt, der Handel steht still, man nimmt keinen Kreuzer Geld ein.

Da verbreitet sich nach einigen Tagen die Kunde vom Anmarsch der Kaiser­

lichen; am 17. Dezember rücken die Franzosen aus; am 18. und 19. hört man das Schießen bis in die Stadt; von der Burg aus läßt sich der Kampf be­ obachten. Dau haut mer ganzi Wög'n vuhl I'Racht's noh Blesseirti braucht (gebracht),Und bös noh in der gräuht'n Kott. Su wer'n die Menschen plaugt!

Vom Samstag

bis zum Montag

hinter Nürnberg zurück,

ziehen sich die Franzosen allmählich

die Reichstruppen

Jubel empfangen und verpflegt.

werden

von

den Bürgern mit

Nun gibt es doch noch einen „Kindlesmark"

und frohe Christbescherung! Aber schon am andern Weihnachtsfeiertag wendet sich das Blatt, die Kaiserlichen räumen die Stadt wieder den Franzosen. Vor Einquartierung denkt niemand ans Neujahrwünschen; sogar in schmalen Haus­ gängen sind Pferde eingestellt.

Zwei Faschingsbälle, die von den Franzosen

mit großem Geschick veranstaltet werden, bringen einige Zerstreuung in der

traurigen Zeit. Nau'n neuzehnt'n Februar Da der Paradi noh, Dau haut ha Mensch on Fried'n denkt, Ka Wurt niht g'red't dervoh.

Aff amahl werd a Lärma bau Und aff franzöisch a G'schra Von Republik und Bonapart Und Vivat ober ah.

Die Stadt wird "lluminiert, die ganze Nacht wird geschossen. Gott Lob! 'n Fried'n hätt'n mer öiz! Haut ans zon Andern g'sagt: Woi's ober halt noh weiter geiht Und wos^mehr mit uns macht!?

Einem Pariser Kommissär muß die Stadt wertvolle alte Bilder und Bücher ausliefern und endlich, 5 Wochen nach der Friedensfeier, am 30. März,

358

67. Johann Konrad Grübel als Chronist des Lüneviller Friedens.

ziehen die Franzosen ab, teilweise sogar von ihren Quartierherren noch beschenkt,

was Grübel zu der köstlichen Bemerkung veranlaßt: Präsent haut freilich Mancher hröigt As manch'n Haus nah mit; Mih ober haut's Kan Kreuzer hofft, Döi Sprauch versteih ih niht.

Nun tritt die Frage in den Vordergrund, was wohl mit der ehrwürdigen

freien Reichsstadt geschehen wird.

Aber mit erhabener Ruhe legt der Dichter

das Geständnis ab: Ih freu mih niht, i förchf mih niht, Ih will's derwarfn halt.

Der verständige Bürger läßt sich daran genügen, daß sich sein eigenes, bescheidenes Dasein wieder behaglicher gestaltet; der schon vor Jahren in der

endlosen Kriegszeit geäußerte Neujahrswunsch: Daß mer su roöi sunsfn könnt' Sei Mäißla trink'n schöi in Rouh Und raucht sei Pfeiff Tobak derzou,

er ist dem Redlichen von einem guten Geschick erfüllt worden.

So tönt uns

aus dem Gedicht „Die Bekanntmachung des Friedens" kein begeisterter Jubel

entgegen; er bemerkt nur schlicht und trocken: No, mir Könna doch um viel Rouhiger öiz löb'n;

war einem doch schließlich jede Gesellschaft verleidet worden, weil fast nur noch

von Erschießen geredet wurde.

Dem fleißigen Nürnberger Handwerksmeister

ist die Hauptsache, Wenn die Handling Widder geiht Frei on all'n Ort'n, Dös iß scho a Glück für uns.

Alles andere, die endgültige Regelung des Schicksals so vieler deutscher

Lande, überläßt er mit philosophischem Gleichmut den Diplomaten. Werd a Zeit noh rummer göih, Bis mer bau wos häiert, Und bis Alles ausg'macht werd, Wos an Ied'n g'häiert. Wenn's ner niht goar z'lang ohsteiht, Dast mer's doch derlöb'n.

Mag die Zukunft über den Landbesitz der Großen entscheiden! Ten kleinen Bürger beschäftigt weit fühlbarer die jüngste Vergangenheit, die ihn

um sein bischen Eigentum brachte: Dös wär' halt des Allerbest', Wenn mer's Könnt'n mach'n,

| |

Wenn mer Alles häit'n noh, Unser Woar und Sach'n.

359

G8. Napoleon bei AbenKberg und >Neiicnöbutfl.

68.

Napoleon bei Abensberg und Regensburg. (Am 20. und 23. April 1809.) Von Albrecht Adam.')

Der Tag (19. April) neigte sich zu Ende und der Sieg war auf allen Punkten entschieden. Der grossen Tapferkeit der österreichischen Truppen ließ man von allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren, aber Napoleons Feldherrn­ talent und Glück triumphierte auch hier wieder.

Die Zeit war noch nicht ge­

kommen, wo auch er die Wandelbarkeit des Glückes erfahren sollte. Die Truppen lagerten auf dem Schlachtfelde und in den wenigen nahe gelegenen Ortschaften. Abensberg war überfüllt; dort lag das Hauptquartier. Am

20.

wurde die Schlacht unter

größerer Ausdehnung fortgesetzt.

dem Befehle Napoleons

in

weit

Auf das Geivitter des vorigen Tages war

ein kalter, feuchter Morgen gefolgt, schwere graue Wolken hingen tief am Horizonte herab, auf der Erde lag Nebel. Die Lagerfeuer brannten rot, der Rauch schlich am Boden hin und stieg nur mühsam in die Höhe.

Nachdem ich meinen Magen mit schlechtem Kaffee ein wenig erwärmt hatte, setzte ich mich wieder zu Pferde, ritt dem nächste» Lagerplatze, wo ich gestern die Truppen verlassen hatte, zu und suchte mir einen erhöhten Punkt um möglichst

viel übersehen zu können. Das Glück lenkte heute meine Schritte. Auf einer Anhöhe am Saume eines kleinen Waldes fand ich den General von Raglovich, umgeben von seinen Adjutanten und Offizieren an einem Feuer sitzen.

Die

ganze Gesellschaft war in Mäntel gehüllt und recht malerisch um das Feuer

gruppiert; den interessanten Hintergrund bildeten die Lager rundherum. Sogleich begann ich eine Zeichnung zu machen, war aber noch nicht zu Ende,

als von der Ferne her ein lärmendes Rufen sich vernehmen ließ, das immer näher

kam: „Der Kaiser!" Er, der Held des Jahrhunderts, der belvunderte und zugleich gefürchtete kleine große Mann, der siegte, wo er sich zeigte, an dessen

Unüberwindlichkeit jeder glaubte, erschien bald darauf, umgeben von seinen Generälen,

begleitet

vom

bayerischen

Kronprinzen,

dem

Generalleutnant

Wrede und einer großen Suite, auf der Anhöhe, wo ich mich befand.

Welch'

eine Erscheinung für mich, der zum erstenmale seiner ansichtig wurde! machte mich so nahe hinzu als mir möglich.

Ich

Da saß er auf seinem kleinen

arabischen Schimmel in etwas nachlässiger Haltung mit dem kleinen Hute auf dem Kopfe und mit dem bekannten staubfarbenen Oberrocke bekleidet, in weißen Beinkleidern und hohen Stiefeln, so unscheinbar, daß niemand in dieser Per­ sönlichkeit den großen Kaiser, den Sieger von Austerlitz und Jena, vor welchem

sich Monarchen demütigen mußten, ,vermutete, wenn man ihn nicht schon so vielfältig in Abbildungen gesehen hätte.

Er machte auf mich mit seinem bleichen

*) „Aus dem Leben eines Schlachtenbummlers", Selbstbiographie von Albrecht Adam, 1786—1S62; herausgegeben von H. Holland, S. 63 ff. Stuttgart 1886, I. G. Cotta.

360

68. Napoleon bei Abensberg und Regensburg.

Gesichte, den kalten Zügen, dem ernsten, scharfen Blicke einen fast unheimlichen

Eindruck;

der Glanz der vielen Uniformen um ihn her erhöhte den Kontrast

dieser unscheinbaren Erscheinung.

Napoleon befahl, daß man aus den verschiedenen bayerischen Regimentern Offiziere herausrufen solle, ließ diese einen Kreis um sich und den Kronprinzen schließen und hielt an sie eine Ansprache, welche der Kronprinz ins Deutsche übersetzte. Unter anderm sagte er, daß er sie in einem Monate nach Wien führen und Bayern den Schaden, welchen ihm jetzt Österreich zufüge, reichlich ersetzen wolle.

Ein lautes Vivat erscholl, als er geendet, der Kreis löste sich

und Napoleon stieg vom Pferde. Er entfernte sich, nur von Wrede begleitet, ging in eifrigem Gespräche mit diesem auf und ab, stand still, sprach wieder

im Gehen, die Hände auf den Rücken gelegt und den Kopf etwas gesenkt, stand abermals still und klopfte Wrede auf die Schulter. Man konnte sichtlich be­ merken, daß er mit ihm sehr zufrieden und in guter Stimmung war. Napoleon sammelte darauf seine Generale um sich, ließ eine große Karte auf dem Boden

ausbreiten, setzte sich nieder und traf seine Dispositionen. Man sagte, er habe die Punkte bezeichnet, wo er die Österreicher schlagen wollte. Die vielen mili­

tärischen Größen hier auf dieser Anhöhe um den Mann, welcher bereits die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen hatte, versammelt und sich bewegen zu sehen war für mich als stillen Beobachter von größtem Interesse. Während dessen hatten die Truppen Stellung genommen. Napoleon war unerwartet erschienen und mit ihm ein starkes französisches Heer, das im Vereine mit den Bayern und Württembergern sich nach allen Richtungen aus­

breitete.

Es schien als wüchsen die Leute aus der Erde heraus.

Nachdem die Dispositionen getroffen waren, flogen die Generale und Adjutanten nach allen Richtungen auseinander; auch Napoleon bestieg sein Lieblingspferd wieder, den Ali, welchen er aus Ägypten mitgebracht; noch sehe

ich ihn lebendig vor mir, wie er den Hügel hinabsprengte und um die Ecke eines Waldes verschwand.

Bald darauf donnerten die Geschütze auf allen Seiten.

Prachtvoll, wahrhaft imposant waren die großen Massen ftanzösischer Kürassiere, welche in langen, geschlossenen Reihen in vollem Trab ins Treffen rückten; der Boden zitterte unter ihren Bewegungen und die Scheiden ihrer

Schwerter erzeugten dabei

einen eigentümlichen, unheimlichen Ton.

Dieser

Anblick machte einen gewaltigen Eindruck, nian fühlte sich leicht zu dem Ge­ danken veranlaßt, daß solche Massen alles niederwerfen müssen; und doch war

ich schaudernd Zeuge, wie später auch diese Eisenmänner ganze Felder mit ihren Leichen überdeckten. Der Mut mich immer so weit vorzuwagen als nur möglich verschaffte mir, als es schon zu dämmern begann, nbch einen höchst interessanten Anblick.

Ich hatte mich nämlich bis an den Platz vorgedrängt, auf dem Napoleon stand und wunderte mich selbst, daß ich dort geduldet wurde. Aber es war so lebendig in seiner Nähe, daß meine unbedeutende Persönlichkeit gar nicht bemerkt wurde.

68. Napoleon bei Abensberg und Regensburg.

361

Der Sieg des Tages war, obwohl teuer erkauft, ein vollständiger.

Es

wurden viele Gefangene gemacht und mehrere Tausend derselben marschierten an Napoleon vorüber, als ich eben dorthin kam. Er stand am Eingänge

eines Dörfchens bei einer Scheune, umgeben von einer sehr zahlreichen Suite und musterte über eine halbe Stunde jene mit Aufmerksamkeit, sprach sehr wenig und schien bisweilen in tiefes Nachdenken versunken. Vielleicht entwarf er in jenem Augenblicke schon den Vernichtungsplan für den folgenden Tag. Es vergingen auch nicht 24 Stunden, so hatte er in der Tat über einen Teil der. österreichischen Armee bei Landshut schon Verderben gebracht. Nicht mit der Miene des triumphierenden Siegers saß er auf seinem kleinen Schimmel,

ein tiefer Ernst schwebte um seine Stirne; wer ihn sah, war wohl versucht zu glauben, er gehe in diesem Augenblicke noch mit viel Größerem um als mit dem Siege dieses Tages.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, als Napoleon wegritt, und der Zug der österreichischen Gefangenen hatte noch nicht geendet. Das Entwirren dieses Knäuels von Offizieren, Equipagen, Handpferden, welcher sich hier anhäufte, glich einem Ameisengewimmel, das mit einem Male aufgestört und lebendig

Die Dragoner der stolzen Kaisergarde, welche Napoleon als Schutz­ wache begleiteten, lind im Gegensatze zu ihnen die armen, gedemütigten öster­

wird.

reichischen Gefangenen, die Toten und Verwundeten, auf die man überall stieß,

die am Boden zerstreuten Waffen, Armaturstücke und Kanonenkugeln, die ein­ brechende Nacht, der mit schwarzgrauen Wolken überzogene Himmel, an dem man nur tief am Horizonte hin einen blutroten Streifen sah, welchen die lange schon untergegangene Sonne znrückgelassen: das alles machte als Schlußakt dieses Tages auf mich einen großartigen, tragischen Eindruck.

Daß ich aber

durch besonders günstigen Zufall Napoleon am Morgen vor der Schlacht und abends als Sieger so in der Nähe beobachten konnte, läßt mich den 20. April niemals vergessen.

*

Am 23. früh rückte alles gegen Regensburg vor. Noch in der Nacht machten wir einen Teil des Weges und kampierten vor einem Dorfe, dessen Namen ich nicht aufzeichnete.

burg

Die aufgehende Sonne verkündete einen schönen Tag, aber für Regens­ sollte es ein Tag des Schreckens und Entsetzens werden. Da auf der

Hauptstraße der Truppenzug von Kavallerie und Artillerie sehr groß war,

marschierten wir abseits über ein mit vielen tausend Toten, mit Waffen und Armaturstücken übersätes Feld. Gegen 8 Uhr kamen wir auf einer Anhöhe vor Regensburg an und erblickten das Opfer dieses Tages, die würdige alte Stadt im Glanze der Morgensonne. Gegen 9 Uhr begann die Schlacht. Hier war es mir vergönnt einen schönen Überblick über alles, was vorging, zu bekommen; denn von jener An­

höhe konnte man mit so scharfen Augen wie die meinigen fast jeden einzelnen

362

69. Das bayerische Heer in den 3°hrcit 1800 mit 1812.

Besonders imposant waren die ungeheuern Massen schwerer

Mann unterscheiden.

Kavallerie, namentlich der majestätischen Grenadiere ä cheval anzusehen.

Diese

zogen in einem grossen, doppelten Vierecke von immenser Ausdehnung in schräger

Richtung über die Ebene; mir fielen dabei die Worte Schillers ein: „Schwer und dumpfig, (Eine Wetterwolke, Durch die grüne Lb'ne schwankt der Marsch, Ium wilden, eisernen Würfelspiel Streckt sich unabsehlich das Gefilde."

Das Geplänkel um die Stadt herum dauerte fort und fort.

Inzwischen

wurden verschiedene Batterien nahe vor die Stadt postiert, welche ihre furcht­

baren Geschosse in dieselbe schleuderten.

Bald zeigten hohe Rauchsäulen und

ouflodcrnde Flammen die Wirkungen. Es brannte beinahe gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen und bei der herrschenden Windstille stieg der Rauch in rötlich-grauen Säulen himmelhoch, schauerlich majestätisch empor. Da ich das alles gleichsam zu meinen Füßen vor sich gehen sah und ein Plätzchen

fand, wo ich ungestört zeichnen konnte, packte ich sogar meine Farben aus und entwarf an Ort und Stelle ein Aquarell von dem brennenden Regensburg.

Gegen Abend hatte man eine Bresche in die Stadtmauern geschossen. Und mit wahrer Todesverachtung begannen die Franzosen den Sturm und waren auch bald in die Stadt eingedrunge». Der Kampf dauerte nun in den Straßen fort, bis die Österreicher Schritt für Schritt zurück über die Brücke auf das

jenseitige Ufer der Donau geworfen waren.

Bei diesem Gefechte wurde die

ganze Vorstadt Stadtamhof ein Raub der Flammen. Napoleon, welcher den ganzen Tag hindurch anwesend war und allent­

halben gesehen wurde, stand gegen Abend nicht ferne von mir auf der An­ höhe mit einer ungeheuren Suite von mehr als hundert Köpfen; fast alle Generale mit ihren Adjutanten hatten sich in einer Entfernung von etwa 40 bis 50 Schritten hinter ihm versammelt. Abendsonne beleuchtet.

Das Ganze war prachtvoll von der

Unverwandt blickte er nach der Stadt in das mittler­

weile bedeutend gewachsene Feuer. Nero. —

Er schien mir unheimlich, ich dachte an

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812. Von Karl v. Landmann.*

Nach dem Siebenjährigen Kriege trat allenthalben in Deutschland ein Stillstand in der Entwicklung des Heerwesens ein und nebenbei machte sich eine Vernachlässigung der kriegsmäßigen Ausbildung zu Gunsten des Wachund Paradedienstes sowie militärischer Spielereien mehr oder minder geltend. Auch in Bayern war es mit dem Heerwesen zu Ende des 18. Jahr­ hunderts nicht glänzend bestellt, wenngleich anznerkennen ist, daß Kurfürst Karl Theodor der Verbesserung der Heerescinrichtungen sein Augenmerk zuwendete.

69. Tas bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

363

Da sich für diese Aufgabe in Bayern scheinbar kein geeigneter Offizier vor­

fand, so nahm der Kurfürst einen ihm empfohlenen englischen Offizier, den Amerikaner Benjamin Thompson, in seinen Dienst. An die Spitze verschiedener

Verwaltungszweige gestellt machte sich der später zum Grafen Rumford erhobene geistvolle Amerikaner durch gemeinnützige Einrichtungen aller Art in hohem Grade verdient,

aber im Heerwesen kam

es,

abgesehen von einigen

rühmenswerten Anläufen, nicht zu durchgreifenden Verbesserungen. Im Februar 1799 starb Karl Theodor und ihm folgte als Kurfürst

der 43 jährige Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken, der vor Ausbruch der Revolution in der französischen Armee gedient hatte und die Bedeutung der Wehrkraft für den Staat verständnisvoll zu würdigen wußte. Unter

feiner Regierung sollte das bayerische Heer einen außerordentlichen Aufschwung und eine glänzende Zeit kriegerischen Ruhmes erleben. Vorerst

erfolgten aber,

durch

den Gang der Ereignisse

veranlaßt,

schwere Schicksalsschläge für Bayern, die neben anderen Forderungen der Zeit auch die Notwendigkeit einer Neugestaltung des Heeres noch mehr vor Augen

fuhren mußten.

Kurfürst Max Joseph sah sich veranlaßt dem großen Bündnis

gegen die französische Republik beizutreten und außer seinem kleinen Reichs­

kontingent noch eine Infanteriedivision von England bezahlt wurde.

anfznstcllen, deren Unterhalt jedoch

Diese Division kämpfte im Verbände des öster­

reichischen Heeres, das im Frühjahr und Sommer 1800 unter unglücklichen Gefechten von den Franzosen unter General Moreau vom Rhein bis an den Inn zurückgedrüngt wurde und, als es zu Ende des Jahres die Offensive ergriff,

bei Hohenlinden am 3. Dezember eine entscheidende Niederlage erlitt. In dieser Schlacht wurde eine bayerische Brigade vollständig zersprengt,

39 Offiziere derselben gerieten in französische Gefangenschaft und 24 bayerische Geschütze gingen verloren.

Durch de» darauffolgenden Frieden von Lnncville (9. Februar 18011 büßte Bayern seine schönen pfälzischen Länder ein und

erhielt dafür die Aussicht aus Entschädigung durch die Einziehung kleinerer reichsunmittelbarer Gebiete, denen ihre bisherige selbständige Stellung genommen

werden sollte. Max Joseph ließ sich nunmehr neben einschneidenden Reformen in allen übrigen Zweigen der Staatsverwaltung die allmähliche Verbesserung der Heereseinrichtungen mit aller Kraft angelegen sein.

Zum Glück fehlte es ihm

nicht an Männern, die ihm in seinem Werke mit Rat und Tat zur Seite stehen konnten. Für die Neugestaltung der Armee waren es hauptsächlich die

Generale und Brigadekommandeure Erasmus v. Dcroy und Karl Freiherr v. Wrcd e, beide Pfälzer von Geburt, und der Gencralquartiermeister Johann v. Triva, der Sohn eines kurbayerischen Hosrats.

Vor allem war es notwendig den in seiner Tüchtigkeit und in seinem Ansehen gesunkenen Osfizierstand zu heben. Wie konnte ein guter Geist im Offizierskorps herrschen, wenn nur durch hohe Gönnerschaft oder durch Geld

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

364

ein Vorwärtskommen möglich war! Höchst schädlich mußte namentlich das eingerissene Übel des Stellenkaufs wirken, der es z. B. dem jüngsten Leutnant

des Regiments möglich machte sich mit einigen Tausend Gulden eine Hanptmannstelle zu erwerben und auf diese Weise seine älteren Kameraden zu über­

springen; durch diese Einrichtung war der Unfähigkeit Tür und Tor geöffnet. Eine der ersten Regierungshandlungen des Kurfürsten war es

daher

gewesen, daß er den Kauf und Verkauf der Offizierstellen abschaffte und den Grundsatz aufstellte, daß nur tüchtige Leute zu Offizieren vorgeschlagen werden bürsten.

Dazu geschah, was finanziell möglich war um die Stellung der

Offiziere wie auch der Militärbeamten zu verbessern, indem die Gehälter und

die Militärpensionen erhöht wurden; zur Abhilfe des Elends der Offiziers­ witwen erfolgte die Gründung eines Militärwitwenfonds. Die bisherige die nach ihrem Lehrplane den Bedürfnissen der Armee als Osfizierpflanzschule nicht entsprach, wurde als Kadettenkorps in eine rein

Militärakademie,

militärische Anstalt umgewandelt. Um die Offiziere noch mehr zu tapferen Taten anzuspornen, wurde das für Auszeichnung im Kriege seit 1795 bestehende

Militär-Ehrenzeichen in

den mit besonderen Vergünstigungen ausgestatteten

Militär-Max-Joseph-Orden umgewandelt.

Nicht minder erstreckte sich die Sorgfalt des Kurfürsten auf die Hebung

des Loses und der Stellung

der Mannschaften.

Das stehende Heer wurde

damals noch durch Werbung ergänzt und nebenbei bestand eine gesetzliche

Bestimmung, wonach Landstreicher, Arbeitsscheue, Trunkenbolde und ähnliche Subjekte behufs Besserung eingestellt werden konnten; es mochte daher gewiß nicht als Ehre gelten des Kurfürsten Rock zu tragen und war auch nicht zu verwundern, daß solche Leute in schwierigen Lagen wie in den Waldgefechten bei Hohenlinden einfach Reißaus nahmen und ihre Offiziere im Stiche ließen.

Zunächst wurde daher die Einreihung von übel beleumundeten Leuten zum

Zwecke der Züchtigung und Besserung verboten.

Alsdann kam nach franzö­

sischem Muster an Stelle der Werbung die Aushebung der militärdiensttaug­

lichen Mannschaften zur Einführung, wodurch die Pflicht des Staatsbürgers

zur Verteidigung des Vaterlandes, wenngleich noch mit ziemlich weitgehenden Ausnahmen zu Gunsten der bemittelten Stände, festgesetzt und die Einstellung besserer Elemente in die Reihen des Heeres gesichert wurde.

Auch

ergingen

Verordnungen znr Verbesserung der Verpflegung wie auch der Behandlung der Mannschaften. Bemerkenswert ist vor allem ein Armeebefehl vom 9. Juli 1804, der sich mit den Soldatenmißhandlungen befaßt, in dem der Kurfürst unter

anderem sägt: „Wir waren nie gesinnt, Unsere geliebten Untertanen den lau­ nischen, eigenmächtigen Ausfällen unmenschlicher Mißhandlungen je preiszugeben,

sondern Wir wollen dieselben gegen jede Bedrückung, welche aus dem Miß­ brauche der Gewalt entstanden ist, in Schutz nehmen, und verordnen daher, daß es jedem Offizier und Unteroffizier ohne Unterschied des Grades und der Waffe verboten sei einen Mann willkürlich mit dem Stocke,

Säbel, Degen

365

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

ober wohl gar mit der Faust zu schlagen ober zu stoßen. Jene Offiziere,

welche

zur Ehre

Gehorsam, würbige,

des Dienstes

bie Neigung

unb

menschlichen

ihrer

Gesinnungen

ben

burch eine

unb das Vertrauen ihrer Untergebenen

liebevolle Behanblung zu gewinnen unb daburch ein erhebendes

Selbstgefühl, festen Mut und Treue für ihr Vaterland in den Herzen derselben zu erhöhen suchen, machen sich vorzüglich um Unsere höchste Gnade verdient, jenen aber, welche sich ihrer Charge durch erniedrigende Gewalttaten und

rohes, menschenfeindliches Betragen gegen die Mannschaften unwürdig bezeigen,

jenen werden Wir ihre ungesetzliche Härte mit einer strengen, unerbittlichen Gerechtigkeit ohne Unterschied des Ranges vergelten und selbe ohne Nachsicht

aus den Linien Unserer Armee entfernen." Um auch äußerlich kund zu tun, daß ein neuer Geist im Heerwesen

Einzug gehalten habe, erließ schließlich der Kurfürst „zur Beförderung der Reinlichkeit bei den Truppen" den Befehl, daß der bisher zur Ausstattung der Offiziere und Mannschaften gehörige Zopf vom Obersten abwärts abzulegen

unb das Haar kurz geschnitten zu tragen sei. In Bezug auf die militärische Ausbildung wurden ebenfalls neue Wege eiugeschlageu, nachdem mit Beginn der Revolutionskriege zunächst bei der

Infanterie eine veränderte Kampfesweise sich Bahn gebrochen hatte. In ebenem Gelände exakte Bewegungen in langen, geschlossenen Linien auszuführen und

Sohlen feuer auf Kommando

abzugeben,

erwies

sich als unzulänglich

gegenüber der französischen Infanterie, bie eine neue, ungewohnte Form, den Kampf in zerstreuter Ordnung, zur Anwendung brachte und durch gleich­

zeitigen Gebrauch von Schützenschwarm, Linie und Kolonne eine überraschende Beweglichkeit auch in durchschnittenem Gelände entwickelte. Da das bisherige bayerische Infanterie-Exerzierreglement nur das Gefecht in geschlossener Ordnung

nach den Regeln der sogenannten Lineartaktik kannte, so ergab sich die Not­

wendigkeit Infanterie.

der

Herstellung

völlig

neuer

Ausbildungsvorschriften

für

die

Mit dieser Aufgabe betraute der Kurfürst den General Deroy,

der sich hiezu

noch Wredes Beihilfe erbat.

den 1. und 2. Abschnitt

Im Frühjahr 1804 legte Deroy

„Rekruten- und Kompagnie-Unterricht"

vor, dann

folgte der 3. Abschnitt „Bataillons- und Regiments-Exerzieren" und schließlich ein „Unterricht für die Schützen und Plänkler". Diese Vorschriften wurden

nur in wenig Exemplaren schriftlich vervielfältigt und auf dem Wege münd­ licher Anweisung weiter bekannt gegeben.

Im Jahre 1805 erließ Deroy an

die ihm als Divisionskommandeur unterstellten Truppen eine Instruktion, in der der Gedanke des selbständigen Auftretens der Kompagnie im Gefecht —

die 40 Jahre später gelehrte Kompagniekolonnen-Taktik — schon damals zum Ausdruck gebracht ist,

wie denn überhaupt Deroy

als ein hervorragender,

seiner Zeit voranschreitender Taktiker zu gelten hat. Die Kavallerie erhielt 1802 ein neues, den Anforderungen

der Zeit

entsprechendes Exerzierreglement, das sich durch Klarheit, Kürze und Gediegenheit

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

366

auszeichnete und dazu beitrug, daß die Leistungsfähigkeit dieser Waffe in kurzer Zeit auf eine zuvor nicht geahnte Höhe stieg.

Es wird in diesem Reglement

u. a. betont, daß der Offizier feine einzige,

wahre Ehre in

der Erfüllung

seiner Pflichten suchen müsse, daß beim Exerzieren alle Künsteleien wegfallen

sollen; dem richtigen Betrieb des Meldewesens ist nicht minder Gewicht beigelegt wie einer guten Pferdepflege, da von ihr auch der fechtende Stand abhängig sei. Die Artillerie, die sich wurde neu

gebührt

organisiert

hauptsächlich

und

in einem sehr verwahrlosten Zustande beträchtlich

vermehrt.

Das Verdienst

dem General Graf Manson, einem

befand,

hiefür

aus russischen

Diensten übernommenen französischen Emigranten; ihm verdankte die Artillerie die Errichtung einer Schule für Artillerieoffiziere, die Gliederung in Batterien als taktische Verbände, die Förderung von Schießübungen als eines wichtigen Ausbildungsmittels und die ständige Zuweisung einer militärischen Bespannung,

wodurch sie beweglicher wurde. Im Herbst 1804 fand zwischen Schwabing und Nymphenburg ein Übungslager statt, in dem 17000 Mann unter der Oberleitung des Kurfürsten vereinigt waren um sowohl die neuen Ausbildungsvorschriften insbesondere für das zerstreute Gefecht zu erproben und einzuüben als auch Manöver abzuhalten. Am letzten Tage der Übungen befehligte der Kurfürst in eigener

Person die eine Partei gegen Wrede, und als er von diesem besiegt wurde, gestand er ihm rückhaltlos die Überlegenheit zu, indem er sich hiebei beglück­ wünschte einen so tüchtigen General zu haben. Während

die Neugestaltung

der Armee vor sich

ging,

trat auch ein

Umschwung in politischer Beziehung ein. Der Kurfürst hatte in Erfahrung gebracht, daß in geheimen Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich wiederholt die Besitzergreifung von Bayern durch letztere Macht zur Sprache

gekommen war, wogegen sich Preußen in Norddeutsehland durch entsprechende

Annektierungen bewahren

in

schadlos

eine

halten wollte.

Um Bayern

vor der Gefahr zu

österreichische Provinz verwandelt zu

werden,

sah Max

Joseph keinen anderen Ausweg, als sich in einem geheimen Vertrag (24. August 1801), dem erst später ein offenes Bündnis folgte, an Frankreich anzuschließcn.

Im März 1804 schickte Napoleon, der damals als erster Konsul an der Spitze

von Frankreich stand, zwei Großkreuze der französischen Ehrenlegion an die bayerische Regierung, von denen das eine für den Minister des Äußeren Graf Montgelas, das andere für General v. Deroy bestimmt war. Schon im Jahre 1805

bot sich

die Gelegenheit

den Bündnisfall als

gegeben zu erachten und zugleich die neue Armee einer ernsten Probe zu unterstellen. Von England angestachelt, das durch eine Landung des nun­ mehrigen Kaisers Napoleon bedroht war, erklärte Österreich den Krieg an

Frankreich und drang alsbald mit einer starken Armee über den Inn in Bayern ein. Ohne sich mit der Übermacht in einen Kampf einzulassen zog der Kurfürst

69. Das bayerische .deer in den Jahren 1800 mit 1812.

367

gemäß getroffener Vereinbarung seine sämtlichen Truppen nach Franken um dort

das Herankommen

der großen

unter Napoleon

französischen Armee

abzuwarten.

Bei Würzburg vereinigte sich die unter Deroys Befehl stehende Armee

1. französischen Armeekorps Bernadotte, das den linken Flügel der

mit dem

konzentrisch

gegen die obere Donau vorrückenden Armee Napoleons bildete.

Am 12. Oktober wurde München von

den Bayern

österreichische Besatzung zum Rückzüge

bis an

wieder

besetzt und die gezwungen.

den Inn

Die

bayerische Armee und das 1. französische Armeekorps blieben nun bei München stehen, da bereits ein russisches Korps zur Unterstützung der Österreicher am Inn eingetroffcn war, während Napoleon mit dem Hauptteil seiner Armee die

von General Mack befehligte österreichische Armee in ihrer Aufstellung in der Linie Ulm—Memmingen von rückwärts angriff. Nach verschiedenen Gefechten wurden die Österreicher in einzelnen Gruppen, Mack selbst mit 27 000 Man»

am 20. Oktober bei Ulm, zur Waffcnstrcckung gezwungen; nur ein Teil der Kavallerie schlug sich nach Norden durch. Nach diesem großen Erfolge vollführte Napoleon mit dem Hauptteil der Armee den Vormarsch auf Wien ohne auf nachhaltigen Widerstand zu stoßen und ivcndcte sich nach Besetzung der Kaiser­

stadt nach Mähren, wo sich in der Umgegend von Brünn die zurückgcivichcnen österreichischen und russischen Streitkräfte mit neu angckoinmenen russischen Verstärkungen vereinigten. Zur Deckung dieses Vormarsches gegen ein

in Tirol

stehendes Korps

unter Erzherzog Johann war das Korps Bernadotte zurückgeblieben, bei dem sich auch Dervy mit vier bayerischen Brigaden befand.

Er erhielt beit Auftrag

mit zwei Brigaden zur Besetzung von Innsbruck vorzurücken und nahm hiezu seinen Marsch über Reichenhall auf Loser. Die zwischen beiden Punkten

liegenden Pässe tvurden von Deroys Avantgarde genommen, aber am Strub­

paß westlich Loser gelang cs trotz schwerer Verluste nicht den Feind zu ver­

treiben.

Hier wurde Deroy selbst verwundet und Bernadotte zog hierauf die

bayerischen Truppen nach Reichenhall zurück.

geschlossen und am 8. November genommen.

Zunächst wurde Kufstein ein­ Tirol wurde in der Folge ohne

erheblichen Widerstand von Erzherzog Johann geräumt. Glücklicher als Deroy traf es Wrede, der mit zwei Brigaden zur Haupt­ armee herangezogen worden Ivar.

Während sich die Entscheidungsschlacht bei

Austerlitz vorbereitete und abspielte, hatte er den Rücken der Armee Napoleons gegen das aus Böhmen vorrückendc österreichische Korps des Erzherzogs Ferdinand zu

decken.

In

wiederholten Gefechten

Stöcken und Jglau

gegen den

in den ersten Tagen

übermächtigen

des Dezember

Feind

bei

löste Wrede diese

Ausgabe so glänzend wie nur möglich und trug dadurch mittelbar zu Napoleons großem Erfolg nicht unwesentlich bei.

Durch den Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) erhielt Bayern

bedeutenden Länderznwachs,

wogegen es nur das Herzogtum Berg abgeben

368

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

mußte; von jetzt ab bestand das Königreich Bayern aus einem zusammen­

hängenden, abgerundeten Gebiete von 1618 Quadratmeilen Landes.

Für die

Armeeverwaltung, an deren Spitze General v. Triva stand, veranlaßte dieser

Gebietszuwachs neue Arbeit, indem der Rahmen der Armee wiederum ent­

sprechend erweitert werden mußte und eine Anzahl kleiner und kleinster Truppen­ kontingente in den bayerischen Heeresverband auszunehmen waren. Der 1. Januar 1806 wurde ein denkwürdiger Tag für Bayern und das Haus Wittelsbach. Kurfürst Max Joseph nahm unter Zustimmung des Kaisers Napoleon die Königswürde an. Napoleon, dem auf dem europäischen Kontinent

niemand mehr entgegentrat, griff nun noch weiter in die Verhältnisse des absterbenden Deutschen Reiches ein. Er brachte den Plan zur Ausführung die süd- und mitteldeutschen Staaten zu einem besonderen von Österreich und Preußen

unabhängigen Bunde zu vereinigen und diesen vertragsmäßig unter Frankreichs Führung zu stellen.

Auf diese Weise entstand der von Bayern und 15 andern

deutschen Staaten gebildete Rheinbund mit Kaiser Napoleon als Schutzherrn. Eine bei diesem Anlaß erfolgte abermalige Gebietsvermehrung sollte Bayern nicht geschenkt sein; denn noch im gleichen Jahre mußte cs den Bestimmungen

des Rheinbundes gemäß zum Kriege gegen Preußen und Rußland neuerdings seine Streitkräfte ins Feld stellen.

Während Napoleon mit dem Hauptteil seiner

Armee bei Jena und Auerstädt die erste Entscheidung hcrbeiführte, standen die in

zwei Divisionen gegliederten bayerischen Truppen wegen der unsicheren Haltung Österreichs in Bayern in Bereitschaft. Später bildete Napoleon bei Dresden

aus den bayerischen Divisionen, der Württembergischen Division und den über­ getretenen sächsischen Truppen ein 9. Armeekorps, an dessen Spitze er seinen Bruder Hieronymus als kommandierenden General setzte. Dieses Armeekorps

erhielt den Auftrag

sich iil den Besitz der schlesischen Festungen zu setzen;

daher nahmen bayerische Truppen in der Folge an der Belagerung der festen Plätze Glogau, Breslau, Kosel, Glatz und Silberberg teil. Ausgenommen hiervon ist nur ein Chevaulegersregiment, das unter Oberst Graf Pappenheim

von Napoleon

nach Polen befohlen wurde und in der Schlacht von Eylau

sowie im Gefecht von Heilsberg zum Eingreifen kam.

Nach der Schlacht bei

Eylau zog Napoleon die 2. bayerische Division zur großen Armee nach Polen heran und teilte sie dem 5. französischen Korps Masscna zu; unter dem Kommando des Kronprinzen Ludwig, dem Wrede zugeteilt war, bestand

sie bei Pultusk ein erfolgreiches Gefecht gegen die Russen. Inzwischen dauerte der Festungskrieg in Schlesien fort, der für die Division Deroy nicht nur einen anstrengenden Belagerungsdienst sondern auch wiederholte Gefechte mit Abteilungen

preußischer Feldtruppen

Gefechte am 14. Mai 1807

im Gefolge

hatte.

Bei einem dieser

kam die Fahne eines Bataillons in dringende

Gefahr vom Feinde genommen zu werden und entging diesem Schicksal nur

dadurch, daß der schwerverwundete Junker Chlingensberg sich mit ihr in den hochgehenden Fluten der wilden Weistritz begrub.

69. Das bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

369

Während des Krieges mußte von Bayern noch eine weitere Brigade

unter General Vincenti aufgestellt werden, die alsdann im Verbände eines neugebildeten Armeekorps unter Marschall Brune den Schweden bei Stralsund

gegenüberstand und nachher die Insel Rügen besetzte. Nachdem der Friede von Tilsit im Juli 1807 dem Kriege ein Ende gemacht hatte, blieben die bayerischen Truppen noch bis zum Herbst in Nord­

deutschland in Quartieren und kehrten dann in die Heimat zurück. Der Krieg 1809 sollte dem bayerischen Heere neue Gelegenheit geben in

hervorragender Weise kriegerischen Ruhm zu erwerben, nachdem das Jahr 1808 mit abermaligen Rüstungen und Übungen vorüber gegangen war. Die mittel­ bare Veranlassung zu diesem Kriege gab Napoleons Aufenthalt jenseits der

Pyrenäen. Da dieser fast seine sämtlichen Armeekorps nach Spanien hatte marschieren lassen, so erachtete Österreich die Lage für günstig um durch einen abermaligen Krieg sein gesunkenes Ansehen wieder zu heben und die verlorenen Länder zurückzugewinnen. Im Hinblick auf die offenkundigen Rüstungen Österreichs erging daher bayerischerseits schon Ende Februar 1809 der Befehl

zur Mobilmachung der Armee in der Stärke von 3 Divisionen, jede aus 2 Jnfanteriebrigaden, 1 Kavallcriebrigade und 4 Batterien bestehend, und wurde alsdann Aufstellung

mit an den Inn vor­

an der Isar genommen

geschobenen Kavallerievorposten. Als ein Zeichen des Mißtrauens Napoleons in

seine Bundesgenossen muß es hiebei gelten, daß der Oberbefehl

über das

bayerische Armeekorps dem französischen Marschall Lefebre übertragen wurde, während doch Deroy, der älteste der bayerischen Generale, den Anforderungen

eines Korpsführers gewiß ebenso gut entsprochen hätte. Bis zum Eintreffen Napoleons aus Spanien leitete Marschall Berthier der in Süddeutschland stehenden französischen und Rhein-

die Bewegungen

bund-Truppen.

In falscher Auffassung der Befehle des Kaisers und durch

unzutreffende Nachrichten über den Gegner irregeleitet verzettelte er die ihm unterstellten Streitkräfte in eine Aufstellung zwischen Landshut, Regensburg und Augsburg und brachte sie dadurch in Gefahr vereinzelt geschlagen zu werden. Als die österreichische Hauptarmee unter Erzherzog Karl mit etwa 120000 Mann in breiter Front gegen die Isar vorrückte, stand an diesem

Flusse und zwar bei Landshut nur die Division Deroy. Trotz der erdrückenden Übermacht beschloß der tapfere Deroy, die Wichtigkeit seiner Aufgabe erkennend,

solange als möglich stehen zu bleiben, als am 16. April der Gegner erschien. Durch ein meisterhaft geleitetes Gefecht gelang es ihm den Österreichern vom

Morgen bis gegen 2 Uhr nachmittags den Übergang über die Isar zu vermehren und dann durch einen mustergültigen Rückzug ohne erhebliche Verluste den

Anschluß an die weiter rückwärts stehenden Divisionen zu gewinnen. Der durch Deroy den Österreichern an der Isar bereitete Aufenthalt erwies sich für die Gesamtlage der Armee Napoleons von großem Nutzen.

Inzwischen war nämlich

der Kaiser über Ingolstadt bei der Armee eingetroffen; in Eilmärschen konzenKronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

24

370

69. DaS bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

inerte er die verfügbaren Streitkräfte und rasch erhielt nun die Kriegslage eine andere Gestalt. Am 20. April griff er mit den beiläufig in der Mitte seiner

Armeefront stehenden Bayern (Divisionen Wrede und Kronprinz in erster Linie, Division Deroy in Reserve) und Württembergern bei Abensberg die Mitte der

österreichischen Armeefront an und durchbrach sie dergestalt, daß ein Teil nach Osten, der andere Teil nach Süden gedrängt wurde. Den letzteren warf er nach

weiteren heftigen Gefechten über Landshut zurück, von wo sodann die Division Wrede und ftanzösische Truppen die Verfolgung fottsetzten. Hierauf wendete sich

Napoleon im Eilmärsche nach Norden, brachte am 22. April dem rechten Flügel der österreichischen Armee unter Erzherzog Karl bei Eggmühl eine vollständige Niederlage bei und nötigte ihn zum Rückzug über Regensburg. An der Schlacht bei Eggmühl nahmen die bayerischen Divisionen Kronprinz und Deroy ruhm­

vollen Anteil, insbesondere gebührt der bei Deroy eingeteilten Kavalleriebrigade Seydewitz das Hauptverdienst an der Wegnahme einer feindlichen Batterie von 16 Geschützen, die aus äußerst günstiger Stellung das Angriffsfeld wirksam bestrich. Beim weiteren Bormarsche Napoleons gegen Wien wurde Marschall

Lefebre mit den drei bayerischen Divisionen beauftragt die Graffchaft Tirol wieder zu unterwerfen, die sich mit Beginn des Krieges von der bayerischen Herrschaft frei gemacht hatte.

Während die Division Kronprinz als Rückhalt

bei Salzburg stehen blieb, drangen die Divisionen Deroy und Wrede von zwei Seiten, über Kufftein und Loser, in Tirol ein. Nach mehreren kleinen Ge­

fechten wurde Innsbruck besetzt und der Aufstand schien gedämpft.

Am 21. und

22. Mai wurde jedoch die französische Hauptarmee bei Aspern von Erzherzog Karl geschlagen und Napoleon sah sich daher genötigt mit anderen Ver­ stärkungen auch die Divisionen Wrede und Kronprinz gegen Wien heranzuziehen. Die Division Deroy stand infolgedessen allein in Tirol, als sich die Landes­ verteidiger unter Andreas Hofers Führung durch Linienttuppen unter Genera. Chasteler unterstützt von neuem zu tatkräftigem Widerstand erhoben. Deroy sah

sich nach äußerst heftigen und Verlustteichen Kämpfen zu dem Entschluß ge­

zwungen Tirol wieder zu räumen.

Durch rechtzeitige und umsichtige Einleitung

des Abzugs aus Innsbruck gelang es ihm auch den Rückzug nach Bayern glücklich zu bewerkstelligen. An der Schlacht bei Wagram (5. und 6. Juli) nahm Wrede mit seiner Division hervorragenden Anteil. Am zweiten Schlachttage von Kaiser Napoleon selbst mündlich zur Unterstützung des in der Mitte der Schlachtftont fechtenden Korps Macdonald beordert griff Wrede äußerst wirk­ sam ein, wobei sich insbesondere die Artillerie seiner Division auszeichnete; er

selbst wurde verwundet.

Den großen Leistungen der Division bei Wagram

setzte ihre Kavalleriebrigade unter General Graf Preysing in den Verfolgungs­

gefechten am 9. und 10. Juli die Krone auf, indem sie mit ihren Regimentern

mehrmals erfolgreich attackiette.

Die Division Kronprinz stand während der

Entscheidungstage von Wagram bei Linz um hier die linke Flanke Napoleons

und die Donaubrücke zu decken.

69. DaS bayerische Heer in den Jahren 1800 mit 1812.

371

Da trotz des am 12. Juli bei Znaym geschlossenen Waffenstillstandes

die Tiroler im Aufftand beharrten, ergab sich die Notwendigkeit sie mit Waffen» gewalt zur Unterwerfung zu zwingen. Unter dem Oberbefehl des Marschalls Lefebre drangen die Divisionen Kronprinz und Deroy bis Innsbruck vor. Hier angekommen hielt aber Lefebre seine Lage, namentlich wegen Gefährdung seiner Verbindungen, für zu bedenklich und auf seinen Befehl wurde Tirol zum

zweitenmal geräumt.

Napoleon ordnete zum drittenmal die. Eroberung von Tirol an. Von Norden her sollten die drei bayerischen Divisionen, an Stelle des unentschlossenen Lefebre von General Drouet d'Erlon kommandiert, von Osten und Süden her Truppen des Vizekönigs von Italien in das Gebirgsland eindringen.

Am

1. November stürmte die Division Wrede die Stellung der Tiroler am Berg Jsel bei Innsbruck und Andreas Hofer erklärte sich nun bereit die Waffen niederzulegen. Trotz dieser Zusage fachte er durch falsche Nachrichten und kleine Erfolge irregeführt in Südtirol den Aufstand von neuem an und es

bedurfte noch des Eingreifens der italienischen Armee und weiterer blutiger

Kämpfe, bis endlich die Ruhe hergestellt war.

An dem schließlichen Schicksal

des Andreas Hofer, der von einem Landsmann verraten und von französischen Soldaten in Mantua kriegsrechtlich erschossen wurde, hat die bayerische Regierung

keinen Anteil, König Max Joseph war sogar sehr peinlich berührt, als er die Nachricht von der stattgehabten Exekution erhielt. Im Frieden von Schönbrunn, 14. Oktober 1809, erhielt Bayern das Inn­

viertel, die Gebiete von Salzburg, Berchtesgaden und Regensburg sowie im Jahre

1810 die Markgrafschaft Bayreuth; obwohl es dafür das südliche Tirol teils an Italien teils an den neugebildeten Staat Illyrien abtreten mußte, waren die neuen Erwerbungen in jeder Beziehung als ein abermaliger Gewinn zu erachten.

Nachdem in den Friedensjahren 1810 und 1811 die Verluste des acht Mvnare langen Feldzugs wieder ersetzt worden waren, hatte die von König Max Joseph umgestaltete Armee zu Anfang 1812 den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht.

Sie setzte sich zusammen aus 12 Regimentern und 6 leichten Ba­

taillonen Infanterie, 6 Regimentern Kavallerie und

1 Regiment zu 3 Ba­

taillonen Artillerie. Kommandiert von einsichtigen, tatkräftigen und kriegs­ erfahrenen Führern bestand sie aus Truppen, die, im Feld- und Gebirgskriege

vor dem Feinde geschält, hinsichtlich ihrer militärischen Leistungsfähigkeit den

weitgehendsten Anforderungen entsprachen;

ein durch drei siegreiche Feldzüge

aufs höchste gestiegener kriegerischer Geist beseelte alle Grade vom einfachen

Soldaten bis zum General. Aber dieser prächtigen Armee war keine lange Dauer mehr beschieden; als halb Europa von Napoleon zum Kriege gegen Rußland aufgeboten wurde, sollte ihr das Bundesverhältnis zu Frankreich ver­

hängnisvoll werden. Die bayerischen Truppen bildeten im Kriege 1812 das vom französischen Marschall Gouvion St. Cyr befehligte 6. Korps der „Großen Armee", das

24«

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

372

aus zwei starken Divisionen bestand, die von Deroy und Wrede geführt wurden. Am 14. Juli fand bei Wilna Vorbeimarsch vor Kaiser Napoleon statt, den die Haltung der Bayern sehr befriedigte.

Nachher wurden die beiden bayerischen

Kavalleriebrigaden abgctrennt um im Verbände der Hauptarmee den Vormarsch

nach Moskau anzutreten;

sie nahmen an den Schlachten bei Smolensk,

Borodino, Malojaroslawez und Miasma sowie am BercsinaÜbergang teil. Der Hauptteil der Bayern blieb inzwischen im Verbände einer französischen Armeeabteilun^ an der Dwina zurück um die linke Flanke der Hauptarmee gegen ein russisches Korps unter Wittgenstein zu decken, das auf

der Petersburger Straße stand. Am 17. und 18. August fand die für die Bayern ruhmvolle Schlacht bei Polozk statt, in welcher der 69jährige General Deroy tödlich verwundet wurde. Die Bayern mußten hierauf in fortwährender Berührung mit dem Feinde und unter den größten Entbehrungen an der Dwina stehen bleiben, bis sie im Dezember in den unheilvollen Rückzug hineingezogen wurden, der dem russischen Kriege ein schaudervolles Ende bereitete. Durch Ruhr und Typhus, durch Hunger und Kälte fand die „Große Armee" ihren

Untergang; der geringere Teil fiel im Kampfe oder geriet in feindliche Ge­

fangenschaft.

Die schönen Regimenter, die unter Deroy und Wrede den Riemen

überschritten hatten, gingen fast ganz zugrunde; nur spärliche Reste kamen in die Heimat zurück um die Überlieferungen einer glänzenden Vergangenheit auf eine neu zu schaffende Armee zu übertragen.

Teuer hat Bayern es dem Kaiser Napoleon bezahlen müssen, daß es durch ihn groß geworden ist. Den weitaus schmerzvollsten Posten in dieser weltgeschichtlichen Abrechnung bilden die nahezu 30000 Mann, die in Ruß­

land ihr Grab gefunden haben.

Nach solch großem Menschenopfer konnte König

Max Joseph die Dankesschuld Bayerns an Napoleon als getilgt ansehen.

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813. Don Johann Heilmann.')

Nach der Katastrophe in Rußland mußte man in Bayern vor allein bedacht sein die Streitkräfte des Landes wieder in Achtung gebietenden Stand

zu setzen, um von den Ereignissen nicht überrascht zu werden. Es mußte ein völlig neues Heer geschaffen werden, da das alte kampferprobte in Rußland

umgekommen war.

Nachdem General Graf Wrede nach Bayern zurückgekchrt

war, widmete er sich mit gewohnter Tätigkeit der Organisation und Aus­ bildung der neuen Streitkräfte. Neben der Ergänzung der Armee ging noch die Errichtung von freiwilligen Korps sowie die Landesbewaffnung her. Auf die Nachricht vom erfolglosen Ausgange der Prager Unterhandlungen

(30. Juli bis 10. August) brach General Wrede mit dem neugebildeten bayerischen *) „Die Bayern im Kriege," S. 189 ff.

München 1864, I. I. Lentner.

373

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

Heer aus dem Lager bei München auf um eine Verteidigungsstellung am Inn

zu nehmen, da auch eine österreichische Heeresabteilung unter dem Fürsten von Reuß sich gegen die bayerische Grenze in Bewegung gesetzt hatte. So beruhte denn das ganze Schicksal Bayerns in jener Stunde auf dem am Inn aufgestellten Heere, das bereit war in voller Hingebung für

seinen König auch den ungleichsten Kampf mit erprobter Tapferkeit zu bestehen. Zum Glücke Bayerns wandte Wrede diese Gefahr ab. Nach langen Unter­ handlungen gelang es ihm trotz der Gegenwirkung des bayerischen Ministers Montgelas den Vertrag von Ried am 8. Oktober 1813 zum Abschluß zu bringen.

Wredes Name ist dadurch an einen der wichtigsten Wendepunkte

der neueren Geschichte Bayerns geknüpft. Der erste und mächtigste Fürst des Rheinbundes hatte hicmit das erste Beispiel zur Rückkehr zur deutschen Sache gegeben.

Es war in einem Augenblick

gegeben, in welchem die Masse des französischen Heeres noch unzerstört, ferner Napoleon noch Gebieter der Elbe und im Besitze einer Reihe gewaltiger Festungen im Rücken der Verbündeten war. Wrede hatte nach Abschluß des Rieder Vertrages drei Operationspläne

entworfen, von deren Ausführung er für die ihm unterstellte, nunmehr aus Österreichern und Bayern bestehende und über 50000 Mann mit 134 Ge­

schützen starke Armee die erfolgreichste Mitwirkung an dem Befreiungskriege erwartete.

Als Grundlage dienten denselben die Stellung der Heere in Nord­

deutschland zu Ende September.

Er wollte nämlich in möglichster Eile nach

Erfurt in den Rücken des französischen Heeres dringen oder über Würzburg nach Fulda oder über Ansbach, Heilbronn nach Mannheim marschieren, dort über den Rhein gehen, die nächsten Festungen überrumpeln und Strcifkorps

nach Frankreich senden. Dieser letzte, in seiner Idee kühn und genial, war Wredes Lieblingsplan. Allein

Seine Ausführung würde gewiß große Resultate herbeigeftthrt haben.

trotzdem ihn der General

mit genauester Sorgfalt ausgearbeitet

und

den

verbündeten Monarchen zur Annahme dringend empfohlen hatte, wurde dessen Ausführung dennoch nicht genehmigt. Im großen Hauptquartier entschied man sich mit einigen Abänderungen

für den zweiten Plan.

„Wrede solle," hieß es in einem Befehl vom 13. Oktober,

„über Regensburg nach Bamberg operieren und die Mainlinie als Basis nach eigenem Ermessen schleunigst befestigen lassen, sonach auf die Kommunikation

des Feindes nach Umständen gegen Frankfurt a. M. oder Fulda wirken, ferner alles aufbieten um Magazine am Main zu errichten."

Nachdem der Vertrag einmal abgeschlossen war, zögerte Wrede auch nicht mehr länger.

Schon am 10. Oktober, fast eine Woche früher, als die

Ratifikationen des Vertrages und die Bezeichnung des Operationsplanes ein­ getroffen waren, hatte er seine Bayern gegen die Donau in Bewegung gesetzt:

374

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

er selbst wartete mit den Österreichern diese ab und folgte dann rasch den

vorausmarschierenden Bayern. Wrede hatte mit dem Oberbefehl

des österreichisch-bayerischen Heeres

nicht bloß eine militärische, sondern auch eine politische Rolle übernommen. Der Rheinbund bestand noch;

wichtige Glieder desselben — Württem­

berg, Baden, Würzburg, Frankfurt, Hessen — schienen wenig geneigt schon

jetzt der deutschen Sache beizutreten.

Wrede war es, der den Rheinbund im Südwesten militärisch aufrollte, in dem Maße, als sein Marsch diese Staaten in seinen Bereich brachte.

Die Staatsverträge, durch welche die südwestdeutschen

Staaten zu Anfang November dem Rheinbund entsagten, waren im Wesen nur die bindende Form für Zusagen, die Wrede bereits militärisch erzwungen hatte. So hatte Württemberg auf Wredes Drohung hin, daß er, wenn es

den Rheinbund nicht verlasse, das Land feindlich behandeln werde, schon am 23. Oktober einen Militärvertrag mit dem bayerischen General geschlossen, durch welchen der König dem Rheinbünde entsagte und 4500 Mann zu dem österreichisch-bayerischen Heere stellte. Sie schützten während der Hanauerschlacht den Mainübergang bei Aschaffenburg. Ähnliches geschah mit Hessen und Würzburg und

auch mit Baden

war es eingeleitet.

Das Großherzogtum

Frankfurt nahm Wrede förmlich in Besitz und vereidete dessen Regierung im

Namen der Verbündeten. Am 24. Oktober traf Wrede über Landshut, Neustadt, Neuburg, Donau­

wörth, Nördlingen, Dinkelsbühl, Ansbach, Uffenheim vor Würzburg ein. Er hatte den bestimmten Befehl die Mainlinie zu gewinnen, Würzburg zu nehmen und dann im äußersten Falle bis gegen Frankfurt mainabwärts zu gehen.

Die Berennung von Würzburg hatte indessen nicht die erwartete rasche Kapitulation zur Folge. Auch ein politisches Motiv wirkte verzögernd: der Großherzog hielt mit der kategorisch verlangten Lossage von Napoleon zurück und es galt wesentlich darum auch dieses Glied vom Rheinbünde zu lösen. Erst am 26. übergab der französische Kommandant, General Thurreau, die Stadt und die Regierung erließ ein Manifest, das den Rücktritt des Groß­

herzogs vom

Rheinbünde verkündete.

unter Wredes Befehl.

Die würzburgischen Truppen traten

Die Stadt wurde mit 3 Bataillonen besetzt.

Jetzt handelte es sich um ein entscheidendes Eingreifen in die Operationen gegen das bei Leipzig geschlagene französische Heer.

Die nächste Marschlinie

lief am Main abwärts. In Aschaffenburg sollte sich die gesamte Armee ver­ einigen. Was dann weiter zu geschehen habe, war eine Frage, die nur durch die Nachrichten beantwortet werden konnte, die man über Napoleons Rückzug erhielt. Die bayerische Division Lamotte, das österreichische Reservekorps unter Trautenberg und Spleny und die Reiterbrigade Vieregg waren schon im Vor­

rücken gegen Aschaffenburg. Am 27. Oktober folgten die bayerischen Divisionen Rechberg und Beckers,

Division Fresnel.

die übrige bayerische Reiterei und die österreichische

70. Sie Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

375

In Betreff der wahren Rückzugslinie Napoleons durchkreuzten sich die widersprechendsten Nachrichten.

Kosakendetachements, die das feindliche Heer

seit Leipzig unausgesetzt begleitet zu haben vorgaben, bezeichneten Wetzlar als den Rückzugspunkt Napoleons; nur 20000 Mann, hieß es, zögen über Gelnhansen nach Hanau.

Dies bestätigte der russische Parteigänger Kaisaroff.

Noch mehr Glaubwürdigkeit gewannen diese Meldungen durch die Mitteilungen

des Fürsten Schwarzenberg, welche sie mit dem Zusatze bestätigten, das verbündete Heer folge dem französischen auf dem Fuße nach. Nur der öster­

reichische Streifkorpskommandant Oberst von Scheibler meldete gestützt auf die Aussagen seines Kundschafters schon am 26. aus Schweinfurt, daß Napoleon mit dem Hauptheere über Fulda ziehe. Als der bayerische General in Aschaffenburg von dem Zuge ftanzösischer

Abteilungen durch Hanau Nachricht erhalten hatte, sandte er das 1. Chevau­ legerregiment dorthin;

am 28. morgens 7 Uhr rückten die ersten Bayern in

die von den Franzosen verlassene Stadt. Bald darauf kam auch der übrige Teil der Reiterbrigade Vieregg mit einer leichten Batterie vor Hanau an, ging durch die Stadt und suchte auf der Chaussee gegen Gelnhausen vorzudringen. Überlegene feindliche Abteilungen zwangen aber die Brigade zum Rückzug. Erst als Generalmajor Deroy (her Sohn des in Rußland gestorbenen Generals

Deroy) mit der Vorhut der Infanteriedivision Lamotte eintraf, wurde Hanau wieder und nachts 10 Uhr auch die jenseits der Kinzig gelegene Vorstadt vom

Feinde gesäubert und besetzt.

Die Brigade Deroy rückte bis an den Lamboy­

wald vor. Wrede hatte die feste Überzeugung gewonnen, daß Napoleon die große Straße rechtsab verlassen und den offenen Weg über Kassel nach Koblenz genommen habe um dort den Rhein zu überschreiten. In solchem Sinne

schrieb er an Schwarzenberg. Im großen Hauptquartier teilte man diese Ansicht und die gesamten Maß­ regeln zu der ohnehin schon von Anfang an völlig kraftlos geleiteten Verfolgung

waren danach bemessen. So kam Napoleon geradezu unverfolgt und in ge­ sammelter Kraft bei Hanau an; der gleiche Irrtum seiner Gegner vor und

hinter ihm gab dem Kaiser einen letzten Sieg auf deutschem Boden. Am 29. Oktober morgens wollte eine ungefähr 3000 Mann starke feind­

liche Kolonne aus dem Lamboywalde hervorbrechen. Deroy griff dieselbe an, nahm sie großenteils gefangen und eroberte zwei Kanonen. Er stellte sich hierauf

bei Rückingen auf.

Seinen Platz nahm die Brigade van der Stockh ein.

Von Aschaffenburg aus schickte Wrede am 29. die Infanteriedivision Rechberg mit 2 Eskadronen und 2 Batterien über Seligenstadt und Offenburg

zur Besetzung von Frankfurt.

Anfänglich sollte die Württembergische Brigade

Walsleben nach Frankfurt gehen. Da sie aber einen anderen Weg einge­ schlagen, übertrug ihr Wrede, wie schon gesagt, die Überwachung des Main­ überganges bei Aschaffenburg.

376

70. Dir Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

Die Entsendung einer ganzen Division nach Frankfurt, die jedensalls bei Hanau bessere Dienste geleistet hätte, findet ihre Entschuldigung in Wredes damaliger Absicht seinen Marsch

gegen Wetzlar zu richten und so das fran­

zösische Hauptheer, das er auf dessen Rückzüge gegen Koblenz dort finden mußte,

in Flanke und Rücken zu fassen. Mit dem Hauptteil der Armee nahm Wrede die Richtung auf Hanau,

in seiner rechten Flanke rückte

die leichte Brigade Volkmann auf Geln­

hausen. Volkmann schlug von Aschaffenburg den Weg über Damm, Jo­ hannesberg, Membris, Michelbach, Somborn gegen Gelnhausen ein; seine Flankendeckung ging über Schimborn, Schöllkrippen. Wegen des schlechten Weges hatte Volkmann seine Batterie zurücklassen müssen.

Eine Operation

in dieser Richtung mit der ganzen Armee war also wegen ungenügender Wegsamkeit nicht wohl ausführbar. Überdies waren die Truppen zu ermüdet um noch rechtzeitig an

den

Engpässen

von Gelnhausen einzutreffen.

Im

günstigsten Falle wären vielleicht die Spitzen der Kolonnen am Platze an­ gekommen. Mit Spitzen aber hätte man gegen 72000 Mann mit 140 Ge­ schützen unter Napoleons Führung sicherlich ebensowenig ausgerichtet als

Vollmann auszurichten imstande war. Statt dessen führte ein ebener Weg nach Hanau. Von dort konnte dann in Masse, wenn Zeit und Um­ stände es noch erlaubten, gegen die Engpässe von Gelnhausen oder von Haitz bis Höchst vorgerückt, oder bei Hanau, wie es dann wirklich geschah, Position

genommen werden. Am 29. Oktober nachmittags 2 Uhr traf Wrede in Hanau ein. Ihm folgte das österreichisch-bayerische Heer in der Stärke von 30000 Mann. Die Gefechte seiner vorausmarschierten Truppen hatten gegen 5000 Gefangene er­ geben und zugleich den Beweis geliefert, daß der Gegner, mit dem man es bis jetzt zu tun hatte, moralisch und physisch gebrochen war. Bestimmte Nach­

richten fehlten noch immer. Während die eingetroffenen Streifkorps angaben, daß der Kaiser bis Schlüchtern die von Fulda nach Hanau führende Straße

nicht verlassen habe, trafen noch fortwährend Meldungen ein, die versicherten, daß er sich von dort rechts gewendet habe. Alle aber hatten nur demorali­ sierte Haufen gesehen, was mit den eigenen Anschauungen bei Hanau nur

zu wohl stimmte. Noch am Abend des 29. streckten nach einigem Hin- und Herreden 2000 Franzosen vor der Front der Division Lamotte das Gewehr,

ein Umstand, der Wrede in seiner Anschauung der Sachlage nur bestärkte. Man überließ sich, durch diesen neuen Vorteil verleitet, der Idee, daß es kaum mehr besonders viel zu tun geben würde. Unterdessen war das feindliche Hauptheer oberhalb Gelnhausen mittels dreier Brücken auf das rechte Kinzigufer übergegangen und rückte ohne Wider­

stand gegen Hanau.

Volkmann zog sich, nachdem er ein kleines Gefecht be­

standen, von Altenhaslau nach Hailer und in der Nacht vom 29. auf den 30.

in die Stellung bei Hanau.

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

377

Diese hatte Wrede folgendermaßen gewählt. Auf dem rechten Flügel stand die bayerische Division Beckers (Brigaden Pappenheim und Zoller) nebst

einer Batterie ä cbeval der vom Lehr- nach dem Neuhof führenden Straße. Das 1. Szekler-Grenzinfanteriereginient bildete eine Vorpostenkette in der Nähe des Neuhofs.

Hinter der Division Beckers stand

Infanterieregiment Jordis als Unterstützung.

das österreichische

Die Mitte bildete südlich von

der Gelnhausener Straße die bayerische Division Lamotte.

Die Brigade Deroy

anfänglich bei Rückingen stehend rückte später als zweites Treffen hinter die Brigade van der Stockh. Auf und zu beiden Seiten der nach Gelnhausen führenden Straße lvaren 28 Geschütze in einer Batterie aufgefahren.

Die

Bedeckung dieser Batterie bildete das österreichische Infanterieregiment Erz­ herzog Rudolf. Hinter dieser Geschützlinie stand die gesamte Reiterei in drei Treffen. Das 3. österreichische Jägerbataillon und zwei Kompagnien vom Regiment Erzherzog Rudolf standen am Krebsbach, das österreichische Streifkorps auf der Strecke nach Windeck und Friedberg. Am Morgen des 30. hatten sich zum erstenmal gegenüber der Brigade Deroy feindliche Truppen gezeigt, die sich völlig von den ungeordneten Haufen

unterschieden, mit denen

man

es

bisher zu tun gehabt.

Napoleon hatte

nämlich alle maroden und kampfunfähigen Leute vorausgeschickt. Was sich aber am 30. zeigte, war der Kern der Armee, darunter die Prätorianer des Imperators.

Die Starke dieser Truppen wird zu 60000 Mann Infanterie,

12000 Reiter mit 140 Geschützen angegeben.

Desungeachtet war man noch immer der Ansicht, daß Napoleon einen

andern Weg eingeschlagen. Der Minister Albini in Hanau hatte Berichte seiner Beamten aus Fulda erhalten, welche die bis jetzt festgehaltene Annahme,

daß Napoleon seinen Rückzug gegen Koblenz genommen, als sichere Tatsache

bestätigten.

Noch am Mittag des 30. sprach Wrede in Befehlen an seine

Generale bestimmt die Absicht aus nach Gefangennehmung der Seitenkolonne, die hier durchdringen wolle, zur Verfolgung des Kaisers aufzubrechen und so den Operationsplan, wie er ihn am 28. an Schwarzenberg gemeldet, auszuführen.

Erst während der Schlacht, als das Auftreten der Garde die Gewißheit

gab, daß man den Kaiser selbst mit einem noch tüchtigen Heereskerne gegen sich habe, erkannte Wrede und sein Stab den bisherigen Irrtum. „Jetzt ist nichts mehr zu ändern," antwortete Wrede aus die Meldung, „wir müssen als brave Soldaten unser Möglichstes tun." Und das ist wahrlich in einer Weise geschehen, welche die vollste Hochachtung verdient. Wrede und seine

Bayern haben bewahrheitet, was der General aus den Vorschlag Stellung auf dem linken Kinzigufer zu nehmen entgegnet hatte:

„Wir sind zu neue

Freunde um nicht unsern Willen mit blutigstem Ernste zu betätigen." Übrigens war Wrede zur Annahme berechtigt, daß das geschlagene Heer

von den Verbündeten lebhaft verfolgt werde.

Hatte ihm ja Schwarzenberg

versichern lassen, daß „er den Franzosen hart auf dem Nacken bleiben werde".

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

378

Selbst noch ein Schreiben Schwarzenbergs aus Dörnbach vom 30. Oktober, das begreiflicherweise zu spät kam um auf die Ereignisse Einfluß zu üben,

enthielt, obschon es den Irrtum über die Rückzugslinie hob, die wiederholte

Versicherung, daß Blücher und Bubna den Feind, den Degen in den Rippen, hart verfolgten. Schon seit dem frühen Morgen vom Feinde angegriffen behauptete sich die

Brigade Deroy bis 10 Uhr in der Nähe von Rückingen. Als aber der Feind um diese Zeit neue Streitkräfte entwickelte, zog sie sich Schritt für Schritt durch den Lamboywald zurück.

Die Brigade hatte kaum ihren Platz

in der Schlachtstellung eingenommen, als sich auch schon die Plänkler des Generals Charpentier am westlichen Saume des Waldes zeigten. Mehrere Versuche derselben aus dem Walde hervorzudringen, scheiterten an dem Feuer

der Batterie und den im ersten Treffen stehenden Bataillonen der Brigade

van der Stockh. Nun versuchte der General Dubreton mit 2000 Plänklern und einigen Geschützen den rechten Flügel der Verbündeten zu werfen; allein er sand so tapferen Widerstand, daß auch ihm das Vordringen aus dem Walde unmöglich

wurde. Mehrere Stunden wogte der Kampf auf der ganzen Linie hin und her, ohne daß der Feind in die Ebene zu gelangen vermochte.

Endlich um 3 Uhr

nachmittags stand die französische Gesamtmacht zum Hervorbrechen aus dem Walde in Bereitschaft. Napoleon wollte nämlich mit Übermacht einen kräftigen Stoß gegen den linken Flügel des verbündeten Heeres ausführen und sich

hier, wo die Chaussee lief, den Weg an den Rhein öffnen. General Curial drängte mit 2 Bataillonen der alten Garde die Plänkler Lamottes zurück. Dadurch wie durch das Feuer von 15 Geschützen, deren Zahl der Kaiser bis auf 50 steigerte, ward das Hervorbrechen der schweren Reitermassen ermöglicht.

Diese stürzten auf die Artillerie und

Bataillone der Division Lamotte.

auf einige

Die Reiterei der Verbündeten drückte zwar

die gepanzerten Massen in mehreren Angriffen in den Wald zurück; allein das Feuer jener 50 Geschütze zwang sie zum Rückzug. Fast gleichzeitig hicmit verließ die starke Batterie der Verbündeten, nachdem sie den größten Teil

ihrer Munition verschossen hatte, ihre Stellung und ging auf das linke Kinzig­ ufer zurück.

In

dieser

kritischen Lage ordnete Wrede fortwährend erneute

Reiterangriffe an und vorzüglich sein ritterliches Beispiel, sein ermunterndes

Wort waren Ursache, daß hier das Schlachtfeld bis zum Abend behauptet wurde. Damals, als das französische Geschütz sich in eine große Masse ver­ einigte um das „dvdnement" — Einbrechen mit der Garde und der Reserve — vorzubereiten, hatte die Brigade Pappenheim auf dem rechten Flügel bereits

sehr gelitten. Diese Brigade war um die Mittagsstunde, als das Szekler Regiment sich nicht mehr am Walde halten konnte, über die Lamboybrücke und in die Stellung zwischen Neuhof und Kinzig gerückt. Wrede ließ sie nun

70. Die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813.

379

durch die Brigade Zoller ablösen und letztere noch durch das österreichische Regiment Jordis verstärken. Als der Generalleutnant Graf Beckers diese Brigade persönlich vorführte, drang der Feind mit Übermacht aus dem Walde

hervor. Auch die Division Lamotte hatte um diese Zeit nach heißem Kampfe ihren Rückzug durch Hanau nach Groß-Auheim angetreten.

Ohne Artillerie

und Reiterei hatte sich diese brave Infanterie stundenlang gegen die Angriffe weit überlegener, gemischter feindlicher Truppenmassen aufs tapferste behauptet. Die unaufhörlich aus dem Walde sich entwickelnden Massen drängten

endlich den rechten Flügel der Verbündeten an die Lamboybrücke zurück.

Die

Brigade Pappenheim und 28 Geschütze, welche der bayerische Artilleriegeneral

Colonge auf dem linken Kinzigufer auffahren ließ, verteidigten die Zugänge zur Brücke.

Die Franzosen zogen sich, nachdem einzelne mutige Grenadier­

abteilungen bis an die Brücke vorgedrungen waren, wieder in den Wald zurück. Während die teilweise zerstörte Lamboybrücke die Nacht über besetzt blieb und einer österreichischen Brigade die Verteidigung Hanaus übertragen wurde,

vereinigte Wrede seine Truppen in einer Stellung hinter dem Lehrhof und der Aschaffenburgerstraße, so daß diese vor der Front lief. Wrede nahm sein Hauptquartier in Großauenheim. Später erstreckte sich die Stellung kinzig­ auswärts, so daß sie die genannte Straße durchschnitt. Am 31. morgens 2 Uhr wurde ein Teil der Stadt Hanau in Brand geschossen. Die Österreicher räumten die Stadt, worauf sie von einigen feind­

lichen Regimentern

besetzt wurde.

Unter

einem heftigen Geschützfeuer von

beiden Seiten setzten die Franzosen ihren Rückzug gegen Frankfurt fort.

Um

3 Uhr nachmittags beschloß endlich Wrede Hanau wieder zu nehmen und auf das rechte Kinzigufer überzugehen.

Dieses Ergreifen der Offensive nach einer blutigen Niederlage ist sowohl für den Feldherrn wie für sein Heer ein Beweis

von seltener Tüchtigkeit. Persönlich zog Wrede um diese Stunde an der Spitze von sechs österreichischen Grenadier- und Jägerbataillonen gegen die Stadt, in seiner rechten Flanke durch das wirksame Feuer einer bayerischen Batterie

unterstützt.

Wrede sprang zuerst in den Stadtgraben um mitten im stärksten

Kugelregen durch persönliches Beispiel die Stürmenden anzufeuern und die

Einnahme der Stadt zu erzwingen. Das Tor wurde aufgesprengt, alle Eingänge trotz der hartnäckigsten Gegenwehr erobert. Im Laufschritt stürmte man durch die Stadt die Feinde vor sich herjagend gegen die Kinzigbrücke. Wrede war so rasch vorausgeeilt, daß nur die Spitze der Kolonne hatte folgen können. Mit kaum 20 Grenadieren und Jägern erreichte er die Brücke; da traf ihn eine Flintenkugel in den Unterleib; er sank rückwärts und wurde in ein be­

nachbartes Haus 'gebracht. Die Entfernung des bayerischen Generals brachte eine Stockung in den Gang des Gefechtes. Der Übergang des Heeres auf das rechte Kinzigufer wurde hiedurch verzögert und die Franzosen konnten ihren Rückzug ohne besondere Störung fortsetzen.

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

380

Erst am folgenden Tage rückte das bayerisch-österreichische Heer nach

Frankfurt, wo Abteilungen der Division Rechberg ein rühmliches Brückengesecht

bestanden hatten.

Die Vorhut der Hauptarmee der Verbündeten, welche von

traf, statt wie auf das be­ stimmteste versichert war, am 30. Oktober, erst am 3. November, sohin am

Fulda an die Verfolgung übernommen hatte,

vierten Tage nach der Schlacht, bei Hanau ein.

Der Gesamtverlust des österreichisch-bayerischen Heeres betrug im ganzen über 9000 Mann. Davon treffen auf die Bayern 121 Offiziere und über 4000 Mann. Die Franzosen hatten allein an Gefangenen 10000 Mann, darunter vier Generale und viele Stabs- und Oberoffiziere verloren. Den

Verbündeten fielen zwei Geschütze, eine große Anzahl Munitionswagen u. s w. in die Hände, während sie selbst keine einzige Trophäe verloren. Trugen die Anstrengungen am 30. Oktober auch nicht die Früchte, die

sie nach den gegründetsten Voraussetzungen haben konnten, so war doch das

französische Heer einen Tag lang aufgehalten,- Gewinn genug, wenn — was Wrede immer glaubte — die Verbündeten rechtzeitig im Rücken Napoleons

erschienen und dessen Macht teilten.

Jedenfalls hatte hier Bayern die Auf­

richtigkeit seiner Gesinnungen für die deutsche Sache durch die Tat glänzend

bewährt, ein Umstand, weshalb die Schlacht bei Hanau mehr nach politischen als strategisch-taktischen Rücksichten zu beurteilen sein möchte.

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik. Don Paul v. Lossow.') a) Joseph v. Utzschneider, Georg v. Reichenbach und Joseph v. Fraunhofer.

Eine stattliche Reihe bahnbrechender Ideen auf dem Gebiete der Technik und der technischen Wissenschaften ist von Bayem ausgegangen und nicht selten hat die Technik kräftige Anregung und Förderung durch weitblickende und für­ sorgende Wittelsbacher Fürsten erfahren, die frühzeitig den Segen tech­ gesamte Volkswohl erkannt haben. In dieser

nischen Fortschritts für das Beziehung

wird Bayern nur von wenigen anderen Ländern Deutschlands

übertroffen. Lenken wir unsere Blicke um 100 Jahre zurück, so finden wir in München drei Männer tätig, die sich unsterbliche Verdienste um die Technik

erworben haben: Joseph v. Utzschneider, Georg v. Reichenbach und Joseph v. Fraunhofer.

Utzschneider war nicht Techniker, sondern Verwaltungsbeamter; aber die erfolgreiche Tätigkeit dieser drei Männer ist so eng untereinander verknüpft, l) „Die geschichtliche Entwicklung der Technik im südlichen Bayern," Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Jahrgang 1903, S. 1 ff. München, Ernst Reinhardt.

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

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daß man keinen der drei Namen nennen darf ohne der beiden anderen zu gedenken. Der vormalige kurfürstliche Hofkammerrat und spätere Direktor bei der 1799 neu errichteten General-Landesdirektion, als welcher er Vorstand der Maut- und Kommerzdcputation war, ist einer der wärmsten Vaterlandsfreunde

und in staats- und volkswirtschaftlicher Beziehung einer der verdienstvollsten Männer gewesen, die Bayern je besessen hat. Da er aber in Bezug auf die damalige Zerrüttung des bayerischen Finanzzustandes (man wußte vor

Utzschneider weder die wahre Größe der Staatsschulden noch den wirklichen Ertrag der Staatsgcsälle) als den einzigen Weg bezeichnet hatte „die häufigen

und tiefliegende»,

die Regierung immer

lähmenden Staatsgebrechen radikal

und definitiv zu heilen", so zog er sich viele Feinde zu, die ihn als einen Revolutionär verdächtigten und das Gerücht verbreiteten, der Geheime Refe-

rendür Utzschneider stehe in Verbindung mit der französischen Republik und sei vorläufig zum Präsidenten von Süddeutschland bestimmt. Seine Stellung wurde unhaltbar und Kursürst Max Joseph versetzte ihn (1801) mit Fortgcwährnng seines vollen Gehalts in den Ruhestand. Was Utzschneider nach dieser Verfügung nicht mehr als Beamter wirken konnte, wollte er als Privatmann tun

und er wählte sich

hiezu das Gebiet der

Industrie. Alles, was ihren Aufschwung fördern und den Interessen seiner Mitbürger dienen konnte, ergriff sein scharfblickender und energischer Geist.

Reiche Quellen nützlicher Arbeit zu schaffen und die Fähigsten durch sein Bei­

spiel zu Gleichem zu ermuntern war das Losungswort des Mannes, welcher „den Wohlstand aller, nicht den Reichtum einzelner" wünschte und dem Geld­

gewinn fcrnlag.

Nachdem

er eine Ledermanusaktnr errichtet hätte, die sich

bis in die neuere Zeit erhalten hat,

wurde er mit zwei Männern bekannt,

die Bayern bis heute seine größten Techniker nennt: Reichenbach und Fraunhofer. In Fraunhofers Lebcnsgeschichte erzählt Utzschneider selbst:

„Der baye­

rische Artilleriehauptmann Georg Reichenbach, der Sohn eines sehr begabten Bohrmeisters in pfalzbaycrischen Diensten, war vom Kurfürsten Karl Theodor

auf Antrag des Grafen Rumford zu seiner weiteren Ausbildung nach England geschickt worden. Nachdem er dort auch große Werkstätten für die Verfertigung

mathematischer Instrumente kennen gelernt hatte, faßte er bald nach seiner Rückkehr den Entschluß durch Errichtung einer solchen Werkstätte in Bayern sein Glück zu versuchen.

Er verband

sich zu

diesem Zwecke mit Joseph

Liebherr, einem fähigen Uhrmacher und Mechaniker, der bereits eine kleine Werkstätte besaß.

Nach dieser Verbindung äußerten mir Reichenbach und

Liebherr den Wunsch ihrer Werkstätte eine größere Ausdehnung zn geben und ein ordentliches Institut zur Erzeugung großer und kleiner Instrumente

und Maschinen mit ihnen zu gründen.

Ich »ahm um so weniger Anstand

auf ihren Wunsch einzugehen, als aus einem solchen Institute seinerzeit tüchtige junge Mechaniker hervorgehen könnten, woran Bayern einen großen Mangel hatte.

Der Gesellschaftsvertrag kam am 20. .August 1804 unter uns zustande

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

382

und das mathematisch-mechanische Institut von Reichenbach, Utzschneider und

Liebherr begann seine Geschäfte mit großer Rührigkeit."

Die Seele dieser Vereinigung bedeutender Männer war ohne Zweifel Reichenbach, damals 32 Jahre- alt, feurig und tatkräftig, theoretisch und praktisch wohlgeschult, ein mechanisches Genie, dem es ebenso leicht wurde

für die Beobachtung des gestirnten Himmels wie für die praktische Verwertung von Naturkräften neue Hilfsmittel zu erfinden oder schon vorhandene zu ver­ bessern.

Reichenbach befand sich während seiner zweijährigen Studienreise in

England inmitten einer auf Erfindungsgeist und gewaltige Geldmittel gegrün­ deten und mächtig aufstrebenden Industrie, welche ihn durch ihre täglich sich mehrenden wunderbaren Leistungen

aufs äußerste anregte; dennoch

galten

seine Studien nicht ihr allein, sondern fast ehenso eifrig jenen Stätten, wo die Mechanik des Himmels gepflegt wird. Diese Reise gestaltete sich für Deutschland zu einer förmlichen Entdeckungsreise; denn sie vermittelte unseren Fabrikanten die Fortschritte der Engländer im Maschinenbau, namentlich im Bau der Dampfmaschine, welche gerade damals von James Watt durch die Erfindung des Kondensators eine so durchgreifende Umgestaltung erfahren hatte, daß sie erst von da an als das wichtigste Kulturmittel gelten konnte.

In den großen Werkstätten für Feinmechanik und den zum Teil berühmten Sternwarten empfing Reichenbach die ersten Anregungen später selbst eine solche Werkstätte zu errichten und dabei alle jene Mängel zu vermeiden, welche sein

scharf beobachtender Geist an diesen Instituten

durch die Vorzüge hindurch

erkannt hatte. Zu der Einsicht gekommen» daß die damaligen geodätischen und astronomischen Meßwerkzeuge an überflüssiger Größe und Schwerfälligkeit und anderen Unregelmäßigkeiten litten, war er aufs lebhafteste davon überzeugt, daß sich diese Übelstände nur durch eine vollkommen gleichmäßige Teilung der zur Winkelmessung dienenden Kreise beseitigen ließen. Es lag also für ihn die Aufgabe vor eine Kreisteilmaschine herzustellen, welche selbst die von Bird

und Ramsden in London ausgeführten

Genauigkeit zu übertreffen habe.

besten

Teilmaschinen der Welt an

Von der Wichtigkeit genauer Kreisteilungen,

z. B. für die Seeschiffahrt, mag es einen Begriff geben, wenn man anführt,

daß ein Fehler von nur zwei Minuten in der Bestimmung des Winkels zwischen Mond und Sonne den Standort des Schiffes schon um 20 Seemeilen falsch

angibt. Einen Fehler von zwei Minuten erzeugt aber ein Sextant von 16 cm Halbmesser schon dann, wenn seine Teilung zwischen den beiden für die Bestimmung des Winkels maßgebenden Teilstrichen des Kreisbogens nur um den 20. Teil eines Millimeters falsch ist. So ist es wohl erklärlich, warum schon vor mehr als 100 Jahren die um alle Interessen der Schiffahrt ängstlich

besorgte englische Admiralität die höchsten Preise

für genaue Längenbestim­

mungen auf dem Meere ausgesetzt und ausbezahlt hat. Nachdem die neue Teilmaschine allen Erwartungen aufs vollkommenste

entsprochen hatte, stand der Errichtung einer größeren Anstalt für Anfertigung

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

383

von Präzisionsinstrumenten nur noch der Mangel an Geldmitteln im Wege und hier griff Utzschneider entscheidend ein, was zu dem schon erwähnten

Gesellschaftsvertrage (1804) führte. Das kostbarste Werkzeug des neuen Insti­ tuts war die besprochene Kreisteilmaschine, welche, ungeschwächt in ihrer Wirkung,

beinahe 100 Jahre fortarbeitete und unzählige und unschätzbare Dienste leistete; obwohl noch immer gebrauchsfähig, ist sie (1900) um ihres geschichtlichen Wertes willen vom bayerischen Staate angekauft worden.

Das mechanische Institut von Reichenbach,

Utzschneider

und Liebherr

wurde in der Tat die Pflanzschule für Feinmechanik; denn schon wenige Jahre nach seiner Gründung ließen sich im In- und Auslande jüngere Mechaniker nieder um sogenannte Reichenbachsche Werkstätten einzurichten, die sich seitdem über ganz Europa verbreitet haben, England nicht ausgenommen.

Anfangs

aber hatte das Institut mit bedeutenden Hindernissen zu kämpfen: es fehlte an brauchbarem Flint- und Kronglase und an einem fähigen Optiker um die

Glaslinsen für die Meßgeräte mit welcher deren Kreise geteilt waren.

*

derselben Genauigkeit zu

*

schleifen,

mit

*

Am 21. Juli 1801 stürzten in der Nähe der Frauenkirche zwei baufällige Häuser, darunter das des Spiegelmachers Weichselberger, so plötzlich ein, daß

nur dieser, welcher eben unter der Haustür stand, der Gefahr verschüttet zu werden entging, seine Frau und der Lehrjunge aber nicht. Die Meisterin

wurde erst einige Tage nach dem Einsturz tot aus dem Schutte gezogen; über den Lehrling aber fielen die Trümmer so glücklich, daß er nicht erdrückt wurde. Während der anstrengenden und gefahrvollen Rettungsarbeit eilte der allverehrte, herzensgütige Kurfürst und nachmalige König Max Joseph selbst

an die Unglücksstätte und ermunterte durch Zuruf den noch lebenden Knaben wie die braven Arbeiter, die das Rettungswerk vollzogen. Nach vierstündigem Bemühen hatte man den Knaben befreit; der gerettete Glaserlehrling war aber kein Geringerer als der später so berühmt gewordene Fraunhofer.

Max Joseph

gab Befehl auf seine Kosten für die Heilung des verletzten Knaben zu sorgen.

Nach seiner Genesung ließ er ihn nach Nymphenburg bescheiden, unterhielt sich mit dem treuherzigen Knaben

in

der leutseligsten Weise und gab

ihm

ein

Geschenk von 18 Dukaten. Utzschneider sah den Verunglückten zum erstenmal, als er eben aus dem Schutt hcrvorgezogen war.

Später besuchte er ihn wiederholt und brachte

ihm mathematische und optische Lehrbücher, damit er aus ihnen die theore­ tischen Kenntnisse schöpfe, welche allein imstande waren ihn zum Schleifen brauchbarer Glaslinsen zu befähigen, das er in seinen Mußestunden betrieb.

So schwer es ist gerade die Anfangsgründe der Mathematik ohne Lehrer sich anzueignen, Fraunhofer brachte es doch zuwege. Da sein Meister für diese Studien des lernbegierigen armen Knaben kein Verständnis hatte, so mußte

384

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

sich dieser oft in arbeitsfreien Tagesstunden auf stille Plätze flüchten um hinter Hecken oder unter Bäumen seinen Wissensdurst zu stillen. Eine Wiese vor dem Karlstore, der jetzige Botanische Garten, war das Gymnasium, welches

Fraunhofer, Klügels Lehrbuch der Optik unter dem Arme, besuchte.

Vermögens­

lose Lehrlinge wie Fraunhofer mußten nach damaligem Brauch sechs Jahre lang auch die Dienste eines Laufburschen für Küche und Werkstätte verrichten.

Als ihm aber sein Lehrmeister nachts Licht zu brennen verbot und ihm den Besuch der Feiertagschule verkümmerte, verwendete er den Rest vom Geschenke

des Kurfürsten dazu dem Meister das letzte halbe Jahr der Lehrzeit abzukaufen und sich eine Schleifmaschine anzuschaffen, mit der er eifrig arbeitete. Nebenbei verfertigte er Visitenkarten um etwas Geld zu verdienen. Sein Ideal war

ein guter Brillenmacher zu werden. Als sich Utzschneider 1807 seines Schützlings wieder erinnerte und ihn

den Teilhabern des Instituts vorstellen ließ, tat Reichenbach, von der Gabe aus scheinbar geringen Anzeichen das Talent zu erkennen erleuchtet, den ent­ scheidenden Ausspruch: „Das ist der Mann, den wir suchen; der wird das

leisten, was uns noch fehlt."

Unter der wissenschaftlichen Leitung Schieggs

und im Umgang mit Reichenbach und, Liebherr entwickelte sich der neben dem geschickten Optiker Niggl arbeitende neue Gehilfe ungemein schnell und berechnete und schliff schon ein Jahr darauf allein und selbständig aus den von Guinand

in Benediktbeuern geschmolzenen Glasstücken alle Linsen, deren das Institut für die von ihm verfertigten Meßgeräte bedurfte. Fraunhofers Talent machte sich hiebei in so hohem Grade bemerkbar, daß Utzschneider und Reichenbach beschlossen den optischen Teil ihres mechanischen Instituts ganz nach Benedikt­ beuern zu verlegen und unter die Leitung des

noch nicht

22 Jahre alten

Fraunhofer zu stellen. Am 7. Februar 1809 wurde die Firma Utzschneider, Reichenbach und Fraunhofer gegründet und dem letzteren damit die Möglichkeit geschaffen seine volle Kraft auf höhere Ziele als die bisher von ihm und dem Institut ver­

folgten zu richten.

In der Tat beginnt von diesem Zeitpunkt an Fraunhofers

bahnbrechende Wirksamkeit

im Gebiete der Optik und die Steigerung

des

Ansehens des von ihm geleiteten Instituts zu einem Weltrufe. Zunächst ersann Fraunhofer nach einer Idee Liebherrs die heute noch im Gebrauch stehende Pendelschleifmaschine und ihr folgte alsbald die noch sinnreichere Konstruktion

einer Poliermaschine, deren wesentliche Aufgabe es ist die durch das Schleifen

gewonnene Grundform der Linse unverändert zu erhalten und doch mit der Glättung die unvermeidlichen kleineren Fehler des Schliffes zu beseitigen. Die Fraunhofersche Poliermaschine verhindert auch, daß der zu schleifenden Linse eine Unachtsamkeit des Arbeiters gefährlich werde; sie ist eine durchaus eigen­ artige Erfindung deshalb, weil sie die Übereinstimmung der ausgeführten

Linsenfläche mit ihrem Ideal, der geometrischen Kugelgestalt,

trügliche optische

durch eine un­

Erscheinung, nämlich durch die Newtonschcn Farbenringe,

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

385

welche sich beim Aufeinanderdrücken plan- und bikonvexer Linsen als farbige, zu einem dunkeln Fleck gleichachsige Kreise darstellen, sehr gut erkennen läßt

— etwas, woran vor Fraunhofer weder ein Physiker noch ein Mechaniker

gedacht hatte.

Fraunhofer führte nicht bloß das sogenannte Farbenfleckpolieren

in die Optik ein sondern bereicherte sie auch noch durch vorzügliche Geräte

zur Prüfung der Genauigkeit der Linsenoberflächen; denn seine Sphärometer und mechanischen Taster lassen Gestaltfehler von dem 4000. Teil eines Milli­ meters noch erkennen.

Sodann beschäftigte sich Fraunhofer mit den beiden wichtigen Fragen: Ist das zll den Linsen verwendete Glas wirklich so gleichartig, wie es sein soll?

Und ist die übliche Berechnungswcise der optischen Geräte auch streng genug? Nach

wesentlichen Verbesserungen des Glasofens und der zum Schmelzen

erforderlichen Maschinen brachte Fraunhofer schon im Jahre 1812 ein Objektiv von 7 Zoll Öffnung fertig. Die Lösung der zweiten Frage gelang ihm so

vorzüglich, daß unsere besten Mathematiker erst 30 Jahre nach seinem Tode die Bedingung für die Genauigkeit der Bilder außerhalb der Mitte des Gesichts­ feldes aufstellten und nachwiesen, Fraunhofer habe auch noch eine Reihe anderer Bedingungen zu erfüllen und damit der Herstellung seiner Objektive einen

geradezu unübertrefflichen Grad von Vollkommenheit zu geben verstanden. Bei seinen weiteren Untersuchungen kam Fraunhofer auf die Linien des

Spektrums,

und um sich zu überzeugen,

daß diese dunkeln Linien

nicht von

der Natur des Glases oder der Atmosphäre, auch nicht von einer Beugung der

durch einen engen Spalt eintretendcn Sonnenstrahlen herrühren, sondern zum Wesen dieser Strahlen gehören und folglich Ausdruck einer bisher unbekannten

Eigenschaft des Sonnenlichtes sind, änderte er seine Versuche mannigfach ab, immer aber mit dem Ergebnis, daß die dunkeln Linien in der gleichen Reihen­

Es ist unmöglich

folge und dem gleichen Entfernungsverhältnis auftraten.

die umfang- und erfolgreichen Untersuchungen Fraunhofers hier auch nur anzudeuten. Nach Überwindung zahlreicher praktischer und theoretischer Schwierigkeiten gelang ihm die Herstellung achromatischer Fernrohr-Objektive in so hervorragender Weise, daß sie alles Ähnliche, was damals in England,

Frankreich und Deutschland geleistet wurde, weit übertrafen.

Die Fraunhofer­

scheu optischen Instrumente sind indessen nicht bloß durch ihre unvergleichlichen Objektive ausgezeichnet, sie enthalten auch bewunderungswürdig feine Meß­

vorrichtungen oder Mikrometer und ihre Mechanik ist durch Reichenbachs Mit­

wirkung so sinnreich und zweckmäßig gestaltet, daß die zentnerschweren Fernrohre den scheinbaren Bewegungen der Gestirne mit einer Stetigkeit und Genauigkeit folgen, daß man nach W. Struve bei allen, selbst mit den stärksten Vergröße­ rungen anzustellenden Beobachtungen nach unbeweglichen Punkten des Himmels

zu sehen glaubt. für die

Derselbe berühmte Berichterstatter nennt den von Fraunhofer

Sternwarte

in Dorpat hergestellten Refraktor

Kunstwerk der Optik und fügt bei, KronSeder, L.sebuch zur Geschichte Bayerns.

das vollkommenste

daß er das größte Herschelsche Spiegel25

386

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

teleskop an Schärfe der Messung und Mannigfaltigkeit weit hinter sich lasse.

Mit dem Fraunhoferschen Heliometer allein vermochte Bessel seine Beobach­ tungen so zu verfeinern, wie nötig war um den Abstand eines Fixsternes „von dem Unermeßlichen in das Meßbare überzuführen".

Den Weltruf, in

welchem die Fraunhoferschen Instrumente schon vor 80 und mehr Jahren standen, haben sie sich bis auf den heutigen Tag ungeschwächt erhalten und werden ihn bewahren, solange die Dauer ihrer Bestandteile ihren Gebrauch gestattet.

Der Wunsch, den Fraunhofer am Schlüsse seiner den akademischen Denk­ schriften einverleibten Abhandlung aussprach: es möchten geübte Naturforscher dem von ihm eingeschlagenen Wege Aufmerksamkeit schenken, da er zu interessanten Ergebnissen führen könne, ist 40 Jahre später (1859) in Erfüllung gegangen,

als Kirchhoff und Bunsen in Heidelberg die Spektralanalyse erfanden. Reichenbach schied am 17. Februar 1814 aus "bcm optischen Institut zu Benediktbeuern um die mechanische Werkstätte auf eigene Rechnung zu führen

und 1819 siedelte auch die optische Anstalt nach München über, mit Ausnahme der Glasöfen, welche in Benediktbeuern blieben. Am 20. Februar schlossen Utzschneider und Fraunhofer einen neuen Vertrag zur Fortführung ihrer

optischen Anstalt ab und von diesem Zeitpunkt an entwickelte Fraunhofer als

Direktor

des

optischen

Instituts

eine

noch größere Tätigkeit als

bisher;

jedenfalls hatte er eine zahlreichere Arbeiterschaft als früher zu leiten und zu überwachen, da sich die Bestellungen von allen Seiten fortwährend ver­

mehrten. Alle einzelnen Erfindungen und Verbesserungen von Meßgeräten zu besprechen, welche man Reichenbach verdankt, kann hier nicht der Ort sein; es genügt zu sagen, daß er der praktischen Astronomie die Vorteile einfacher, leichter, sicherer und genauer Beobachtung verschafft und ihren Hauptapparat

auf nur wenige Instrumente zurückgeführt hat, die ausnahmslos von ihm eine neue und verbesserte Anordnung und Ausführung erhielten wie der Meridian­ kreis, das Passageinstrument, das Äquatoriale und der astronomische Theodolit. Auf dem Gebiete der praktischen Geodäsie knüpft sich an die Basisapparate,

die Theodoliten, die Spiegel- und Nivellierinstrumente wie an die Entfernungs­ messer sein Name entweder als Erfinder oder als Umgestalter. gegründeten, von Reichenbach und Fraunhofer geleiteten Institute sind wahre Werkstätten mathematisch-mechanischen Scharf­ Die von

Utzschneider

sinns gewesen und haben durch die allgemeine Verbreitung ihrer Präzisions­

instrumente München zum vornehmsten Sitz mechanisch-optischer Technik gemacht. Diesen wohlerworbenen Ruf hat ein hervorragendes Mitglied der europäischen Gradmessung, der spanische General Ibanez, mit den Worten verkündigt: München habe ^durch seine von Utzschneider, Reichenbach, Fraunhofer und Stein heil gegründeten mechanisch-technischen Institute für die europäische Gradmessung mehr getan als irgend eine Stadt der Welt.

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

387

Reichenbach und Fraunhofer starben wenige Tage nacheinander im Jahre 1826 und ruhen unter den Arkaden des südlichen Friedhofs; das einfache Grabmal Fraunhofers trägt die kurze,

aber bezeichnende Inschrift:

Approximavit sidera. „Bon alles Wissens reiner Kund« Ob eine nur an jene reicht,

Di« durch den Raum zum Weltengrund« Erspähend mißt, berechnend gleicht?

Dem Augenlichte Geistesschwingen, Bestätigung Bedachtem bringen,

Wie hehr steht solch Erringen da: Approximare sidera!

(»ermann Lingg

b) Johann Baptist Stiglmaier und Ferdinand v. Miller.

Die im Laufe des 18. Jahrhunderts in Deutschland fast völlig verloren gegangene Technik und Kunst des Erzgusses wurde in München aufs neue und zwar in ganz hervorragender Weise ins Leben gerufen. Schon 1819 erhielt der damalige Bildhauer und K. Münzgraveur I. B. Stiglmaier den Auftrag in Italien neben der Stempelschneidekunst

auch die Erzgießkunst zu erforschen und wenn möglich praktisch zu üben. In Neapel, in einem Keller des Palazzo Caniotti, entstand nicht ohne große Schwierigkeiten sein erster Gliß,

eine zwei Fuß hohe, von

dem Münchener

Bildhauer Haller modellierte Phidiasfigur. Als Stiglmaier zwei Jahre später nach München zurückkehrte, wurde er mit dem Titel „Inspektor" zum Leiter der von dem Hofarchitekten Leo v. Klenze im Auftrag des Königs Maximilian I.

aus dessen Privatmitteln erbauten Erzgießerei ernannt, welche man aus Furcht vor Feuersgefahr weit hinaus vor die Stadt in die sogenannten Neuhauser Felder gelegt hatte. Die damals geübte Formtechnik war die des Wachs-Ausschmelzverfahrens,

welches jedoch neben manchen Vorteilen auch viele große Nachteile hatte, so

daß sich Stiglmaiers Aufmerksamkeit bald der von den Franzosen schon zu einer gewissen Vollkommenheit gebrachten Stückformerei zuwandte, die für die

Sicherheit des Gusses mannigfache Vorzüge hatte.

Ein großer Flammenofen

wurde gebaut, in welchem es möglich war 12500 kg Erz auf einmal in Fluß zu bringen. Das erste daraus gegossene Standbild war die von Rauch modellierte und von dem Magistrat München bestellte Bildsäule König Max I. König Ludwig I.

ließ aus eroberten französischen Kanonen den 29,2 m

hohen Obelisken gießen, der heute den Karolinenplatz in München schmückt.

Diesem folgten

die Bildsäulen Jean Pauls für Bayreuth,

des Markgrafen

Friedrich von Brandenburg für Erlangen, die erzenen Tore der Glyptothek

und der Walhalla, die von Thorwaldsen in Rom modellierte Reiterstatue des Kurfürsten Maximilian u. a. m. •>5e

71. Anteil hervorragender Bayern an der Entwicklung der Technik.

388

Am 11. März 1844 starb Stiglmaier, nachdem er den Erzguß in

Deutschland zu hoher Blüte gebracht hatte, und sein Neffe und bisheriger Mit­ arbeiter Ferdinand Miller (der Ältere) wurde von König Ludwig I. als

sein Nachfolger bestimmt. Als bedeutungsvollste Aufgabe traf diesen die Aus­ führung des Gusses der von Schwanthaler modellierten Riesenfigur der

Bavaria (15,768 m hoch und 65511 kg schwer). Seit den Zeiten der griechischen Meister war solche Aufgabe einem Gießer nicht mehr gestellt worden; alle Bedingungen für den Guß so großer Massen mußten erst gefunden und neue Erfahrungen gesammelt werden.

Außer der Bavaria, die heute noch die größte gegossene Erzfigur ist, seien aus der überaus großen Zahl von Monumentalarbeiten, welche seitdem aus der K. Erzgießerei hervorgegangen sind, genannt: die 10,5 m hohe Bild­ säule der Germania auf dem Niederwalddenkmal, 2 Kolossalquadrigen, 9 Bronzetore, worunter die Tore für das Kapitol in Washington mit Hoch­ reliefs und Figuren bedeckt, 22 Reiterstatuen, 24 Monumentalbrunnen mit 62 Figuren, weit über 200 Standbilder und Monumentalwerke mit Figuren, sowie unzählige kleinere Kunstwerke.

Die Technik des Gusses

hat in der langen Zeit manche Änderungen

Der ursprünglich geübten Wachsformerei folgte die französische Sandformerei, dieser wieder, besonders für große, in einem Stück auszuführende

' erfahren.

Arbeiten, die nasse sogenannte Massaformerei. Durch Einführung elastischer Zwischenformen wurde das Wachs-Ausschmelzverfahren wesentlich verbessert,

so daß es seit einer Reihe von Jahren in der K. Erzgießerei wieder fast aus­ schließlich in Gebrauch ist.

Eine ganz besondere und einzig dastehende Leistung

dieses Kunstinstituts war die vorher als tollkühnes Unternehmen

betrachtete

Feuervergoldung großer Bildsäulen, vor allem der zwölf von Schwanthaler modellierten Ahnenstatuen im Thronsaal der K. Residenz in München. Gelungene Versuche im Überziehen von Naturformen mit Kupfer auf galvani­ schem Wege wurden in der K. Erzgießerei schon 1841

für größere Kunst­

gegenstände ausgeführt; mehrere dieser Arbeiten sind noch erhalten.

Im Jahre 1871 ging die Anstalt unter Belassung des Titels „K. Erz­

gießerei" in den Privatbesitz Ferdinand v. Millers und seiner Söhne über, von denen sie heute geführt wird.

1878 starb

Ferdinand

v. Miller;

König

Ludwig II. hatte den ehemaligen Goldschmiedlchrling in Anerkennung seiner vielfachen und vielseitigen Verdienste 1876 in den erblichen Adelsstand erhoben. Unter den jüngsten Arbeiten der Erzgießerei seien die Reiterstatuen Kaiser .Friedrichs III.

und

Kaiser Ludwigs

des

Sr. K. Hoheit des Prinzregenten erwähnt.

Bayern

sowie

ein

Standbild

72. Die Isar als BerkehrSstraße einst und jetzt.

389

72. Die Isar als DerKehrsftrahe einst und jetzt. Don Christian ®ruber.*

Der Verkehr auf der Isar, der zentralen Wasserader Südbayerns, nicht bloß im geographischen sondern auch im geschichtlichen Sinne, wurde seit alters durch eine Reihe günstiger Naturverhältnisse gefördert.

Die Quellandschaften

des Flusses umfassen gemeinsam mit denjenigen der Loisach und Ammer das Herz der waldbeschatteten Bayerischen Alpen. In sie kamen die Mittelpunkte der heimischen alpinen Hausindustrie zu liegen: Mittenwald, Partenkirchen, Garmisch und Oberammergau. Weiterhin erfolgt die Entwickelung der Isar zum flößbaren Bergbach hauptsächlich infolge des Aufbaues des Karwendel­ gebirges in vier parallel von Osten nach Westen

außerordentlich rasch.

streichenden Hauptkämmen Bereits 20 km von ihren äußersten Quellen entfernt

kann jene mit Flößen befahren werden, nämlich vom Engpässe bei Scharnitz an. Und so ist denn auch der flößbare Laufabschnitt an der Isar fast 14 mal solang als die nicht zu befahrende Strecke (275 gegen 20 km). Für die einstige Handelsbedeutung der Isar war es ferner von ein­

schneidender Wichtigkeit, daß die Floßbarkeit des Flusses an einer Stelle ansetzt, welche den für Deutschland bequemsten Übergang zwischen dem Süd- und dem Nordrande der Alpen vermittelt, unmittelbar auf die Senke des Brenners und damit auf eine seit uralter Zeit bekannte Verbindungsstraße zwischen dem Reich und Italien hinweist. Als sich Venedig in der zweiten Hälfte des Mittelalters zum Hauptplatz für den auswärtigen Handel Südbayerns erhob, dem gestei­

gerten Warenumsatz zwischen den transalpinen Republiken und den Reichs­ städten der Weg zu Land aber kaum genügen konnte, wünschten die deutschen Kaufleute die Schaffung regelmäßiger Floßfuhren und die Aufstellung eines

nicht allzu hohen Frachttarifs vom Mittenwalder Rat.

Doch erst 1430 kam

besonders auf wiederholtes Andrängen der Nürnberger eine feste Wasscrrottordnung zustande. 1450 besaß Mittenwald schon ein Floßbassin samt Ländstadel.

Die Aufzählung jener Güter, die in dieser Art Warenhaus einst bis

zur Weiterverfrachtung niedergelegt wurden, beweist nicht allein die Lebhaftigkeit

und den Umfang der damaligen deutsch-italienischen Handelsbeziehungen sondern weist vor allem auch darauf hin, wie sehr man die Raschheit zu schätzen wußte, mit welcher die Wellen unseres Flusses die schwanken Fahrzeuge der Floßleute

nach den unteren Jsarstädten und zur Donau hinabtrugen. Der alpine Charakter, welchen sich die Isar bis nahe zu ihrer Mündung bewahrt, übt nach einer doppelten Richtung Einfluß auf den Verkehr. Er unterstützt denselben einerseits durch das ansehnliche Gefälle und die bedeutende, allerdings mit den Wafferständen wechselnde Geschwindigkeit des Flusses. (Bei Mittelwasser brauchen die Flößer von Mittenwald bis Jsarmündt rund 40 Stunden Fahrzeit, legen sonach stündlich fast 7 km zurück.) Er beschränkt ihn jedoch anderseits durch den alljährlichen Gang der Wasserführung, welcher

72. Di« Isar als Verkehrsstraße «inst und jetzt.

390

die Floßfahrt vom Dezember bis zum April überhaupt sperrt, und durch den

launischen Wechsel der Wassertiefe.

Die Entwickelung des Floßverkehrs auf

der Isar wird aber auch durch den ansehnlichen Reichtum der sich stets ver­

jüngenden Bergwälder des Jsarwinkels

beträchtlich

gefördert.

Wie gewaltig

zeitweise die Massenlieferungen an Bauholz waren, welche der Fluß bei der Errichtung von Kirchen und Staatsgebäuden nach München verfrachten mußte,

erweist der Umstand, daß für das Gerüst- und Balkenwerk der Frauenkirche allein 1400 Flöße zu je 15—16 Stämmen nötig waren und beim Bau der Herzog Maxburg 5800 Floßbäume aufgebraucht wurden. Auch in der Gegen­

wart tragen die eiligen Fluten der Isar noch Tausende von Bergtannen hinab zur bayerischen Hochebene.

Diese aber sind wieder mit Eichen-, Ahorn-, Lärchenund Eschenstämmen, mit Bretterwaren, Brennholz und Holzkohlen, mit Kalk, Gips, Kreide, Pech, Sand und Fichtenlohe beladen. Trotz des hemmenden Einflusses,

welchen die

nach Tölz und Garmisch-Partenkirchen

Schienensttänge nunmehr auf den Floßverkchr ausüben,

führenden

kündeten im Jahre

1900 in München 5190 Flöße und der Wert ihrer Ladungen bemaß sich auf rund 24/6 Millionen Mark. Allerdings sind heute auf den Jsarflößen alle

aus Nordtirol und von jenseit des Brenners kommenden Waren verschwunden, vor allem Wein, Südfrüchte und Wollstoffe;

auch sucht man auf ihnen die

in den Quellgebieten unseres Flusses hergestellten Erzeuguffse alpiner Haus­ industrie vergebens.

Trotzdem hat die Bedeutung der Isar als Transportstrabe für Bayerns München ist vielmehr seit einigen Jahr­

Hauptstadt keineswegs viel eingebüßt.

zehnten der ausschließliche Sammel- und Endpunkt für den Floßverkchr auf

jener. Während in dem Jahrzehnt zwischen 1860 und 1870, wo die moderne Jsarflößerei ihren Höhepunkt erreichte und in einem Jahre rund 10000 Fahr­ zeuge den Fluß hinabschwammen, noch ein Drittel aller in München angekom­

menen Flöße den Weg gegen die

unteren Jsarstädte und die Donau hin

fortsetzte, gingen 1900 von dett erwähnten 5190 Fahrzeugen nur 26 noch weiter flußabwärts.

In dieser Konzentration des Flußverkehrs auf München

liegt die Wichtigkeit der gegenwärtigen Jsarfloßfahrt begründet.

Neben den

am Ostuser des Flusses

auSgebreiteten Gründen von Löß und Lehm,

die

zwischen Haidhausen und Unterföhring lagern,

fördert kein Umstand

so sehr

die bauliche Entwickelung der bayerischen Hauptstadt wie die von der Isar all­ jährlich gebrachten Holzfrachten. So traf denn auch der Künstlerblick Karl

v. Pilotys das Chctrakteristische, als er nahe der Mitte des großen Geschichts­ bildes, welches den Sitzungssaal der Gemeindebevollmächtigten im Münchener

Rathause ziert, die Quellgottheit des heimischen Flusses anbrachte und hinter sie die kühne Gestalt eines axtbewchrten Floßmannes stellte. Es liegt im Charakter der natürlichen Bedingungen, denen die Floßfahrt unterworfen ist, daß sich die Beschaffenheit der Fahrzeuge seit alters gleichgeblieben ist.

Jetzt noch wie vor 500 Jahren

findet man an ihnen durchweg Holz-

72. Die Isar als Verkehrsstraße einst und seht-.

391

bestandteile mit Ausnahme des sogenannten Floßhakens, mittels dessen beim Anländen das Seil am Floß befestigt wird.

Neben dem Ländseile ist des

Floßmanns treuester Begleiter die Axt.

Wie sich nun das Wesen des Flusses seit alters gleichgeblieben ist und

die Fahrzeuge unverändert sich erhalten haben, welche er zu Tal trägt, so auch der Floß mann, nicht bloß in seinen von einem altererbten Konservatismus

Geschmeidigkeit

im

unverfälschten Anhänglichkeit

an

herangezogenen Charaktereigenschaften, seiner stahlharten

Kampfe

gegen Wasser und Wetter,

Heimat,

Herrscherhaus und

seiner

religiösen Glauben,

sondern bis herab

auf die

Farbe der Tracht. Schon auf halbverblichenen Votivtafeln erscheint der Floß­ mann in dunkelblauem Gewand; heute noch trägt er dieses manchmal, wenn

auch in anderem Schnitt, neben dem wärmenden grauen Lodenanzug. Zur Leitung gewöhnlicher Fahrzeuge reichen meist zwei Flößer,

der

Ferge an der vorderen, der Steurer an der hinteren Schmalseite. Dieser ist jenem untergeordnet und muß, wie das Volk sagt, „auf ihn achtgeben". Ist

noch ein weiterer Fährmann zur Lenkung des Fahrzeuges nötig, so hat er seinen Platz gleichfalls am vorderen Teile desselben. Man hieß ihn früher Drittferge. Gegenwärtig verfrachten die Floßleute auf eigene Rechnung nur eine verschwindend geringe Anzahl von Flößen.

Sie stehen im Solde Mün­

chener Firmen, sind also keineswegs selbständige Unternehmer,

sondern bloß

Akkordanten, welche die von Holzhändlern und Baumeistern im Gebirge ange­

kauften Stämme, Bretter und Brennmaterialien mit Hilfe ihrer Knechte um ver­ gleichsweise niedrigen Frachtlohn nach der Landeshauptstadt führen.

Der Schimmer einer besonderen sozialen Stellung, eines im wirtschaft­ lichen Leben des Bergvolkes scharf hervortretenden Standes, welcher ftüher auf der Flößerzunft und

deren Meistern lag, ist gewichen;

einer geschichtlichen Tatsache geworden.

*

er ist bereits zu

*

Die Ansänge der Floßfahrt auf den südbayerischen Alpenflüssen liegen vollständig im Dunkel der Vorgeschichte begraben.

Man hat nun zwar versucht

durch Herleitung einer Anzahl von Orts-, Bach- und selbst Flößernamen aus dem Lateinischen ein sehr hohes Alter der vaterländischen Flößerei nachzuweisen.

Indessen läßt sich mit Sicherheit nur annehmen, daß bei der Einfachheit eines

so nahegelegenen und von der Natur zwanglos dargebotenen Verkehrsmittels, wie es einige roh aneinandergefügte Baumstämme darstellen, auch auf den alpinen Gewässern Altbayerns die Floßfahrt sehr bald begann.

Der älteste, vereinzelt stehende Hinweis auf die Befahrung der Isar mit Floß oder Kahn dürfte wohl in den Überlieferungen über die letzten Lebens­ schicksale des hl. Emmeram enthalten sein. Die Leiche des Missionars wurde von dem schon zu Zeiten der Agilolfinger berühmt gewesenen Aschheim nord­

östlich von München aus an die Isar und bei Oberföhring (Emmeramskapelle) auf ein Fahrzeug gebracht, welches die Strömung des Flusses bis zur Donau trug.

72. Die Isar als Berkehrsstraße einst und jetzt.

392

Vor der Gründung Münchens und Landshuts scheint sich der Verkehr

der Isar in recht bescheidenen Grenzen gehalten zn haben. Damals bildete schon seiner Lage nach Kloster Schäftlarn, dessen Stiftung bis in die Mitte

des 8. Jahrhunderts zurückreicht und das einen Wasserzoll erhob, zugleich mit dem Übergang bei Föhring eine der wichtigsten Stellen am Flusse. Auch bei'

Pullach wird 1040 eine Anlände samt Steg urkundlich erwähnt. Bereits in der zweiten Hälfte des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts sprechen urkundliche Andeutungen für eine lebhafte Entwickelung des Jsarverkehrs.

Auf

der unteren Isar wäre der Weg über München und Föhring nach Freising, Landshut, Dingolfing und Landau bis zur Donau gegangen. Als Märkte von größerer Bedeutung werden diejenigen von Landau und Dingolfing genannt.

Eine wichtige Einfuhrware bildete u. a.

„Obst auf der Isar aus Tirol in

großen Flößen bis nach Landshut kommend".

Ferner bezogen schon damals

die im Jsargebiete gelegenen Klöster und auch Ettal Weine aus dem Etschland

auf Flößen. Jene Weinsuhren haben jedoch zweifellos als vereinzelte Erscheinungen gegenüber den umfangreichen Holzfrachten zu gelten, welche das Emporwachsen der Gründung Heinrichs des Löwen und anderer Jsarstädte hervorrief. Schon die erste, wahrscheinlich bis an das Ende des 13. Jahrhunderts zurückgehende

Sammlung magistratischer Verordnungen für München enthält eine Reihe von Vorschriften über die Flößerei.

Kaiser Ludwig

der Bayer aber suchte den

Handel seiner im Verhältnis zu Augsburg und Regensburg so jugendlichen

und auch geographisch weniger günstig gelegenen Residenz nicht nur durch die „Freyung" des dortigen Marktes (1315) und die Verleihung des Monopols der Salzniedcrlage (1332) kräftig zu heben, er wollte auch den Verkehr auf der Isar und den anderen ihm zugehörigen oberdeutschen Flüssen durch Verzicht

auf das sogenannte Grundruhr- oder Strandrecht erleichtern. Nach demselben konnten sich bekanntlich der Landesherr sowie die umwohnenden Leute, die das Eigentumsrecht von beiden Ufern her bis in die Milte des Wassers beanspruchten, die auf Schiffen und Flößen verunglückten Waren als »res nullius« (herren­

lose Sache) zueignrn. mittel"

Ludwig entsagte diesem „widerrechtlichen Bereicherungs­

im Februar 1316 zu Ingolstadt.

Ferner bewilligte der Kaiser —

wahrscheinlich um die Warenbewegung, welche aus Italien ihren Weg durch

Bayern nach Nürnberg nahm, zum Teil über München zu lenken — den Nürn­ bergern zollfreien Handel zu Wasser und zu Land nach München und seinen

Münchenern dasselbe Vorrecht beim Handel nach Nürnberg. Dem gleichen Bestreben mochte es entsprechen, wenn Kaiser Ludwig 1340 drei Venezianer Kaufleuten gestattete 200 Ballen Waren durch -seine Länder zollfrei nach

Brügge zu führen. In der Tat bezeugen auch Urkunden mehrfach „München als Station der Venezianer auf dem Wege von oder nach Flandern". Der

Magistrat der Stadt war seinerseits für die Instandhaltung eines brauchbaren Fahrweges auf der Isar von Tölz abwärts besorgt und scheute keine Ausgaben

393

72. Die Isar als Berkehrsstraße einst und jetzt.

für die Wegräumung der Felsen im Flusse.

Ebenso sollen die Tölzer ihrerseits

bereits um 1370 für Regelung und Sicherung der Flußfahrt Sorge getragen haben. Einen großartigen und anhaltenden Aufschwung erfuhr der Durchgangs­ handel Mittenwalds und das Frachtwesen aus der Isar am Ende des 15. Jahr­ hunderts. Siegmund von Tirol lag damals mit den Venezianern in Zwistig­ keiten. Er ließ 1487 gelegentlich eines der großen Märkte in Bozen, auf

denen deutsche und italienische Kaufleute gegenseitig Abrechnung pflogen, 130 der letzteren festnehmen und in Gewahrsam bringen. Über diese Gewalttat

erzürnt und auf eine Siegmund empfindlich schädigende Gegenmaßregel bedacht scheinen die Venezianer längere Zeit ihren persönlichen Verkehr mit den großen Kaufhäusern der süddeutschen Reichsstädte nach Mittenwald verlegt zu haben. Jedenfalls hob sich infolge der Streitigkeiten mit Siegmund das Speditions­

wesen Mittenwalds in bedeutendem Maße.

Wenn es auch, wie ältere Geschicht­

schreiber meinen, sehr unwahrscheinlich ist, daß der deutsch-venezianische Handel nahezu zwei Jahrhunderte — nämlich von 1487 bis 1679 — von dem beiden Teilen so günstig gelegenen Bozener Stapelplatze entfernt und in Mittenwald konzentriert gewesen sein soll, so ist doch sicher, daß gegen Ende des 15. und

während des 16. Jahrhunderts in dem letzteren Gebirgsmarkte ein geräusch­ volles Leben herrschte. Dessen Spuren kann jeder noch wahrnehmcn, der

durch die kulissenartig einander vorgeschobenen, bildergeschmückten Häuserreihen des Ortes

mit ihren

torähnlichen Einfahrten,

gewölbten Gängen und eisen­

beschlagenen Läden und Türen im Schatten der Karwendelspitze dahinschreitet.

Der mit der Verlegung der Welthandelswege im Zeitalter der großen geogra­

phischen Entdeckungen

eng

verknüpfte

allmähliche Niedergang Venedigs,

die

Ableitung des Zuges der Handelsgüter nach Augsburg über Füssen und die Folgen des großen Religions- sowie des Spanischen Erbfolgekrieges beschränkten indessen nach und nach das Mittenwalder Speditionswesen zu Wasser und zu Land beträchtlich.

Welcherlei Waren beförderten nun die Floßleute auf der Isar im 15. und 16. Jahrhundert? Die urkundlichen Nachrichten wissen von einer un­ gewöhnlich mannigfaltigen Fülle von Gütern zu melden, womit die Flöße

damals

beladen wurden.

anvertrauten schwanken

Ihre Aufzählung erweist,

Fahrzeuge in jenen Zeiten

daß die dem Flusse

eine

durchaus

ähnliche

Bedeutung für den Warentransport hatten wie die Lastwagen der Rottleute zu Lande, die Eisenbahnen im heutigen Wirtschaftsleben. Vor allem aber

tritt unzweideutig die Wichtigkeit der Isar für die Zufuhr italienischer und südtirolischer Handelsgüter in vollem Maße hervor. Während die Floßleute des Loisachgebietes nur gebogenes Eibenholz, Papier, Pferdedecken, Käse, Schafwolle, Pflastersteine, Leinwand, Barchent und gestrickte Hemden, Kreide,

Schuhe, Kupferwasser und Schmalz herbeiführten, brachten die Tölzer außerdem Hausgeräte, Rüstungsgegenstände, Nahrungsmittel (neben Käse und Schmalz

72. Die Isar als Verkehrsstraße einst und jetzt.

394

auch Fische und Knoblauch), Handschuhe, Sensen und Sichel, Beuteltücher für Müller, Krämer- und Buchdruckerwaren, „welsche Früchte", Baumwolle, Lorbeerblätter, Reis, „Schamlot und Arras", Teppiche, Silbergeschirr, Tuch, Pergament, Draht, Wetz- und Schleiffteine.

Noch vielseitiger war endlich die

Ladung der aus München kommenden Fahrzeuge.

Auf ihnen traf man nicht

nur die sämtlichen eben aufgeführten Gegenstände sondern ferner noch Felle, Kleidungsstücke,

Filzhüte, Kürschnerwaren, Gewürze, Wein und Weinbeeren,

Pomeranzen, Zwetschgen, Bier, Kupfer, Pulver, Glas, Blei, Galmei, Flaschen, Hirschgeweihe, Pfeifen zum Musizieren, Schreiner- und Kistlerarbeiten.

Im 17. Jahrhundert erfuhr zwar der Floßverkehr auf der Isar haupt­ sächlich wegen des Dreißigjährigen Krieges — litt doch selbst der Jsarwinkel

mehrmals unter den Einfällen der Schweden — vielfache Hemmnisse.

Trotzdem

erfolgten Fahrten die Donau abwärts bis nach Ungarn gerade vonseiten der Oberländer Flößer häufig. Darauf weist so manche Grabschrift oberhalb der Greiner Stromenge unterhalb Linz nicht minder hin als die in den Tölzer

Pfarrbüchern öfters verzeichnete Tatsache, daß Floßleute der „ungarischen Krankheit" (wahrscheinlich einer Art Dysenterie) erlagen, welche sie aus Ungarn eingeschleppt hatten.

Heute noch sind in Ofen und Pest Nachkommen uralt

angesehener oberländischer Flößerfamilien ansässig. Als leichte Rückfiacht wurden aus Österreich gewöhnlich seidene, nach orientalischen Mustern geblümte

und gefranste Brust- und Halstücher für Frauen und Mädchen mitgebracht. Auch in den Dienst der Kriegführung wurden die Flößer des Jsarwinkels gestellt und zwar besonders gegen Ende des 17. Jahrhunderts.

Ihre Bekannt­

schaft mit dem Wasserwege nach Ungarn sowie die Raschheit und Billigkeit der

Provianttransporte auf Isar und Donau war

besonders in den Feldzügen

Max Emanuels gegen die Türken willkommen.

So kam z. B. von der kur­

fürstlichen Hofkammer 1684 Befehl nach Tölz 30 Flöße mit Nahrungsmitteln und Schießbedars nach Ungarn gehen zu lassen — und der Aufforderung ward Folge geleistet.

In demselben Jahre wurde auch die Hofmark Hohen­

burg (bei Lenggries) angehalten 30 Fergen zur gleichen Fahrt nach Ungarn aufzubringen. Während der.Belagerung Ofens durch die 8000 Mann starke

bayerische Hilfsarmee mußte der Pflegeamtsverwalter von Tölz 90 ausgewählte, jeder Gefahr gewachsene Jsarwinkler mit Vorräten verschiedenster Art ins kur­ fürstliche Lager abgehen lassen.

Sie kamen samt ihren Fahrzeugen glücklich

vor Ofen an und diejenigen, welche die Dysenterie verschont hatte, zogen im September 1686 mit den Kriegsleuten in die eroberte Festung. — Ähnlich wurde im Kampfe der Landesverteidiger mit den Österreichern 1705 den zum

Entsatz Münchens herbeigeeilten Bauern des Oberlandes zu Wasser Mundvorrat und Proviant nachgeführt. Man erzählt sogar, daß die Flößer von der Lände wegstürmten

um am letzten, todesmutigen Ringen in Sendling teil­

zunehmen. Daraus erklären sich vielleicht die harten Maßregeln, welche der österreichische Statthalter auch gegen sie erließ. Noch am 6. Februar 1708

72. Die Isar als Berkehrsstraße einst und jetzt.

395

ordnete er an, daß kein Fahrzeug auf der Isar München verlassen dürfe, ehe die abfahrenden Personen bei der Kanzlei sich angemeldet. Überhaupt lähmten

die infolge des Spanischen Erbfolgekrieges in Bayern hervorgerufenen Ver­ hältnisse den gesamten Floßverkehr auf der Isar ein volles Jahrzehnt, was wohl Mittenwald am bittersten zu fühlen bekam.

Ungleich geringfügiger war

im Vergleiche hierzu der Rückschlag, den der Pandureneinfall in den Jsarwinkel während der Streitigkeiten des Kurfürsten Karl Albert mit Maria Theresia im Österreichischen Erbfolgekrieg verursachte.

Die durchaus friedliche und volksfreundliche Regierung des Kurfürsten Maximilian III., des Vielgeliebten, konnte in dem Floßverkehr, soweit er nicht auf München lokalisiert war, keinen anhaltenderen Aufschwung bringen. Die damalige Teuerung der Forstprodukte infolge einer maßlos vermehrten, höchst

lohnenden Allsfuhr

über die Landesgrenze erforderte,

daß ihrer Weiterver­

frachtung sowie der Ausfuhr von Floßstämmen die festesten Schranken entgegen­

gesetzt wurden. Anderseits wurde der Jsarverkehr zwischen dem Oberland und der Landeshauptstadt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus­ giebig durch die blühende Entwickelung des Gewerbelebens in Tölz gefördert.

Und zwar vor allem durch den Aufschwung der dortigen Bierbrauerei. wärtig noch erkennt auch der eiligste Wanderer

Hauptstraße dieses Marktes an

den

auffallend

Gegen­

bei einem Gange durch die

vielen Braufirmen,

Ruhmes sich das Tölzer Bier früher erfreuen mochte.

welches

1610 gab es bereits

in Tölz 18, 1631 22, 1784 24 Brauereien. Deshalb meinte auch ein Schrift­ steller aus der Zeit Karl Theodors: „Ungeachtet der Markt Tölz sehr gewerbig und die Zahl der Wirte, welche das Bier von Tölz holen, nicht klein ist, so möchte die Zahl der Bräuer dennoch zu groß sein, wenn nicht alljährlich im

Herbst vieles Tölzer Bier auf der Isar nach München geführt würde."

Mit

welcher Vorliebe dasselbe früher in der Hauptstadt getrunken wurde, bezeugt

die Angabe, daß im Jahre 1782 nicht weniger als 8730 Eimer davon auf

Flößen nach München gingen. Neben dem Bier gewannen bald auch die sogenannten „Tölzer Waren" für die Ausfuhr Bedeutung. Alle Quatember brachten die Tischler und Kistler­ meister des Ortes Erzeugnisse ihrer Kunstfertigkeit zu Wasser nach München und jährlich einmal nach Landshut. Es waren aus Fichtenholz verfertigte, mit Ölfarben angestrichene, häufig auch mit blumenähnlichen Zeichnungen und

religiösen Bildern verzierte Möbel, die sofort von der Lände weg in die Stadt geführt und von den Bauern der Umgegend, von Dienstboten und geringeren

Bürgern gerne gekauft wurden. Von günstigstem Einfluß auf den Jsarverkehr des 17., 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war jedenfalls auch die Einrichtung der

Ordinarifuhren.

Sie waren ein regelmäßiges Verkehrsmittel im Sinne

der heutigen Postwagen und Bahnzüge und wurden für Personenverkehr und

Güterfracht sehr stark benutzt.

Bon Tölz fuhren Ordinariflöße in der Regel

72. Die Isar als Verkehrsstraße einst und jetzt.

396

wöchentlich zweimal nach München (Montags und Freitags).

Auch den Verkehr

nach den unteren Jsarstädten und Wien besorgten während des ganzen 18. Jahrhunderts zwei Ordinarifuhren. Später freilich wurde diese Floß­ verbindung auf eine einmalige Fuhr in der Woche beschränkt, die allerdings nicht selten mit mehreren aneinandergesügten oder, wie das Volk sagt, aneinander­ gestrickten Fahrzeugen ausgeführt wurde. Auf eine landläufige Benutzung dieser Ordinariflöße nach dem altbayerischen Unterlande und Österreich darf

auch daraus geschlossen werden, daß die Floßmeister in den Kalendern die Zeiten der Abfahrt und die feststehenden Fahrpreise öffentlich bekanntgaben. Die Wegfahrt nach Wien geschah am Montag und zwar im Sommer um 1 Uhr, im Frühling und Herbst um 12 Uhr mittags, im Winter aber, wenn

überhaupt gefahren werden konnte, schon um 10 oder 11 Uhr. Nach Lands­ hut ging allwöchentlich außerdem zwischen April und Oktober ein Floß Donners­ morgens ab. Genügten jedoch diese auf bestimmte Tage festgesetzten Fahrten nicht, so konnten für Personen und Güter jederzeit noch weitere Flöße tag

bestellt werden.

Die im Verhältnis zum Landweg ausnehmend niedrigen Fahr­

preise betrugen von München bis Landshut 30 Kreuzer, bis Plattling 1 Gulden 6 Kr., Passau 1 Gulden 30 Kr, Linz 2 Gulden, Wien 3 Gulden.

Für das

Reisegepäck war keine Fracht zu entrichten. Diejenigen Reisenden, welche die auf dem Floß aufgestellte, zur rauheren Jahreszeit geheizte Hütte benutzen

wollten, hatten doppelten Fahrpreis zu entrichten. Für Kaufmannsgüter und andere Waren mußten bis Wien 3 Gulden für den Zentner bezahlt werden.

Wenn bei sonnenhellem,, lindem Wetter das Ordinarifloß sachte über die Wellen der Isar glitt, mag cs auf ihm gar fröhlich zugegangen sein.

Alt

und jung, Künstler und Gelehrte, Kaufleute und Bergnügungsreisende ver­

trauten sich demselben an und verkehrten zwanglos untereinander. Auf dem Ordinarifloß gelangt z. B. auch der junge Franz Lachner voll Hoffnungen und Plänen von München nach Wien und kein Geringerer als sein Freund Moritz v. Schwind hat diese billige und kurzweilige Fahrt des Meisters der Töne in „die Zukunft" humoristisch in seiner „Lachnerrolle" *) verherrlicht.

Das Wahrzeichen des alten Floßverkehrs in München war das Wirts­

haus zum „grünen Baum". Wer des bewegten und zugleich heiter-behäbigen Lebens gedenken möchte, welches so lange Jahre in und vor diesem geherrscht hat, der beschaue das beigefügte Bild. Maler Stephans hat es zur Zeit der gesegneten Regierung Max III. Joseph entworfen, Meister Jungwirth den Stich ausgeführt.

Es liegt ein Schimmer des Sonnenglanzes dieser Friedenszeit

über dem Ganzen. Hart im Vordergrund ruht ein mit Faßgut beladenes, zur Abfahrt bereites Kaufmannsfloß samt Schutzhütte. Im Hintergrund aber *) „Franz Lachner", eine biographische Skizze zur Erinnerung an seinen 100. Ge­ burtstag verfaßt, S. 40 ff. Leipzig 1903, Breittopf & Härtel und Altbayerische Monats­ schrift IV. 2 u. 3.

72. Die Isar als Berkehrsstraße einst und jetzt.

397

öffnet sich dem Blick ein Teil der Lände, welche damals zugleich als Holz­

lagerplatz zu dienen hatte.

Das festtäglich ungezwungene Treiben unmittel­

bar am Strande der Isar aber und die Sorgfalt, mit welcher die Gewan­ dung all der einzelnen fröhlichen Menschengruppen wiedergegeben wurde, läßt

uns ahnen, daß die Künstler der Wahrheit die Ehre gaben.

Seit Jahren

ist diese vielbesuchte und unter König Ludwig I. auch in Künstlermund viel­

Das Wirtshaus zum „(Brünen Baum" in München.

genannte Stätte Altmünchens nicht mehr. Die Ordinarifuhren jedoch sind längst durch die Eiscnbahnzüge verdrängt worden. Mag die Isar jedoch dem Ver­ kehr gegenwärtig auch ungleich geringere Dienste leisten als in vergangenen Tagen, ihr Tal wird der lebensvollen und seinem Aussehen so durchaus an­ gepaßten Staffage, welche ihm die Floßfahrt verleiht, auch in künftigen Zeiten

keineswegs entbehren müssen. Am wenigsten aber dann, wenn einst München durch eine Kanalverbindung an den Großschiffahrtsweg angeschlossen ist, der zum Segen für Bayerns wirtschaftliche Gesamtverhältnisse das Donaugebict mit den Main-Rheinlandcn verknüpfen wird.

73. Ein Königsidyll vom Tegernsee.

398

73.

Ein Königsidyll vom Tegernsee. Von Karl Stieler.')

An den blauen Ufern des Tegernsees, wo einst der grübelnde Mönch vor seinem Pergamente gesessen, hatte König Maxi, sich ein Tuskulum ge­

gründet, das ihm bald gar tief ins Herz wuchs. Als er das jetzige Schloß im Jahre 1817 kaufte, waren alle Verhältnisse des Ortes noch von der primittvsten Art: das schmale Sträßlein, von Vergißmeinnicht umwuchert, lief so

dicht am See hin, daß die Räder des Wagens vom Wasser bespült wurden; man sah noch die langen bräunlichen Röcke mit den vielen Knöpfen, wie sie

die alten Votivtafeln zeigen; die Weiber aber trügen die Pelzkappe und den roten Goller und Gewänder von schwarzem Wollstoff. Im ganzen Dorfe gab es nur eine einzige Taberne und auch diese war so recht vom alten Schlage.

Denn als Prinz Karl einmal (noch vor den Freiheitskriegen) mit

einem Kavalier nach Tegernsee kam und sein Wagen vor dem Wirtshause

anhielt, da sah die Wirtin, den Arm in die Seite gestemmt, hinein und sprach: „Herrgott noamal, is dös a sakrisch-sauberer Bua! Machts jetzt nur glei', daß's wieder weiterkommts; mit so schöne Herrschaften kann unsereiner nix ausrichten."

König

Das waren noch die alten, echten Bauernzeiten von Tegernsee; aber dem ward wohl inmitten ihrer Einfachheit. Wie mußte ihm nach den

Stürmen der Napoleonischen Zeit jene tiefe Ruhe behagen und sein Herz,

das nie an höfischem Prunk hing, mochte wohl auch die Gefühle teilen, die der alte Plinius einst ausgesprochen, wenn er von seinem Landsitze auf den

blauen Comer See hinaussah:

„Hier bin ich nicht gequält von Sorge und

Hoffen, hier dringt kein Wort aus meinem Mund und an mein Ohr, das mich

gereuen müßte.

Nie hör' ich in bitterem Ton über die Menschen schmähen."

Der Leutseligkeit des Königs aber, die ihm so sehr Bedürfnis war, stand ein

kerngesundes, aufgewecktes Volkstum gegenüber, das der Liebenswürdigkeit wert war und den Frohsinn verstand, womit ihm sein Herrscher begegnete. Wenn man ihn damals wandeln sah im grünen Rock und Kappenstieseln, das Stöckchen

in der Hand, wenn man ihn mit jedem Bauer sprechen und scherzen sah —

das war nicht nur das Bild eines menschenfreundlichen Fürsten, es war das Bild eines Glücklichen. Das letzte und innerste Geheimnis dieses Glückes aber lag in dem Familienleben, an dem er hing mit seinem ganzen Herzen und das er gerade

dort auf dem Lande so zwanglos pflegen konnte. Dieser schöne, rein mensch­ liche Zug ist es gewesen, der ihn dem Volke so nahe brachte; darin wurde er ja am besten verstanden, auch vom gemeinen Manne; das machte ihn so un­

endlich populär. ') Aus „Fremde und Heimat" S. 241 ff.

Stuttgart 1886.

A. Bonz.'

399

73. Ein Königsidyll vom Tegernsee.

Sechs blühende Töchter erwuchsen in seinem Hause; aber wenn er von

den erlauchten Prinzessinnen sprach, nannte er sie niemals anders als „meine Mädeln", und wenn er mit ihnen spazieren ging, wies er mit Stolz darauf: „Das ist mein Postzug!"

fügte er lachend hinzu:

Und nachdem sich die ersten zwei vermählt hatten,

„Jetzt kann ich nur mehr vierspännig fahren!"

Die Einrichtung des Schlosses zeigte eine wahrhaft rührende Einfachheit: Jede der Töchter hatte nur ein einziges Zimmer; die Möbel waren mit buntem

Pers überzogen und ein schmalfüßiges Spinett stand in der Ecke.

Wenn man

des Morgens vorüberging, hörte man eifrig durchs offene Fenster die Skala

spielen oder es ward eine Lehrstunde erteilt; nachmittags sah man die jungen

Prinzessinnen rudern, und wenn ein Spaziergang nach Egern führte, ward nicht selten die öffentliche Fähre benutzt. Mit beiden Händen vor dem Munde riefen sie dann jodelnd hinüber: „Überfahren, überfahren!" Ja, als Elisabeth, die spätere Königin von Preußen, nach Jahren wieder in ihr heimatliches Tegernsee kam, erbat sie sich von ihrem hohen Gemahl die Gunst, daß sie wieder wie damals selber nach dem Schiffe rufen dürfe. Friedrich Wilhelm IV. aber fand

an diesem zwanglosen Gebaren so viel Reiz, daß er es gern teilte.

„Willst

du deinem Vater einen Gruß von mir bestellen?" sprach er eines Tages zu meiner kleinen Schwester, die unter der Gartentüre stand, und als das Kind

ernsthaft erwiderte: „Ich kann ja keinen Gruß bestellen, ich weiß ja nicht, wer du bist", fügte er lachend hinzu: „Sag nur vom Herrn Friedrich Wilhelm." Bei König Max I.

verging

wohl kein Tag, ohne daß er irgend ein

Bauernhaus betrat oder mit dem nächsten besten Holzknechte ein Gespräch an­

band; die Leute ließen sich dabei vollkommen gehen und redeten, wie's ihnen eben in den Sinn kam. Der eine klagte, wie schwer es sei ein großes Bauern­

gut richtig zu regieren.

„Was soll denn ich erst sagen," erwiderte der König,

„ich muß das ganze Land regieren!"

„Wissen S' was," sprach der Bauer,

„da tat i's halt an Ihrer Stell' amal a Zeit verpachten." Meister Hanfftängl, der vor kurzem starb und in der Nähe von Dietramszell geboren war, traf

als halbgewachsener Junge eines Tages den König ohne zu wissen, wer vor

ihm stand. „Wo bist du denn her?"

fragte der König.

„Aus dem Tegernseer Landgericht", erwiderte der Junge. „Was, aus dem Tegernseer Landgericht?" rief jener mit ungeheuchelter

Freude, „dann sind wir ja Landsleut', da bin ich ja auch daheim."

Alm

Ungescheut nannten die Sennerinnen, die in der Nähe der Kaltenbrunner ihre Weiden hatten, den König „Herr Nachbar". Und wenn er auf

einem seiner Gänge den blauen Rauch aus einem Hause steigen sah, dann blieb er bisweilen stehen denn heut?"

und rief durchs offene Küchenfenster:

„Knödel gibt's", erscholl es von innen.

„Was gibt's

„Ah, das ist recht,"

400

73. Ein KönigSidyll vom Tegernsee.

rief dann der König, „da esse ich auch gleich mit — jetzt hab' ich doch .so viele Köche daheim und doch kann mir kein einziger noch richtige Knödel machen."

Diese Vertraulichkeit des Königs suchten die Bauern natürlich mit allen Wenn ihm irgend ein alter schöner Baum gefiel, so machte der Besitzer ihn sofort Sr. Majestät zum Geschenk erdenklichen Aufmerksamkeiten zu erwidern.

und eine Reihe der herrlichsten Linden ist in Tegernsee nur dadurch von der Axt verschont geblieben. Wo er neue Wege anzulegen wünschte, gab man ihm Grund und Boden ohne Entschädigung; vor allem aber lag ihm ein Wald­

pfad zum „Bauer in der Au" am Herzen.

Als derselbe vollendet war und

der König ihn zum erstenmal allein beging, fand er plötzlich mitten im Walde einen blanken eichenen Tisch und auf demselben waren Butter und Milch, Erd­

beeren und Kirschen sorgsam zugerichtet; davor ein stattlicher Großvaterstuhl

und weit und breit niemand zu sehen. Er ließ sich nieder und schmauste, die Bauern aber waren ringsum in den Gebüschen versteckt und weideten sich daran, wie ihre Kost dem Fürsten mundete.

Erst als er wieder aufbrechen wollte,

kamen sie hervor und einer von ihnen, der Seppl von Abwinkel, hieß ihn mit

einer kurzen Ansprache willkommen. All das sind nur kleine einzelne Züge und dennoch sind sie wahr — denn aus denselben atmet die Seele jener Zeit. Dazwischen gab es freilich auch mitunter ein hochgesteigertes öffentliches Leben, die Kaiser von Rußland und Österreich, die Fürsten aller erdenklichen Länder kamen nach Tegernsee zum Besuch und großartige Beleuchtungen des

Sees oder der Berge wurden zu ihren Ehren veranstaltet.

Wenn wichtigere

Beratungen nötig waren, kamen die einzelnen Minister heraus und eine Reihe

der bedeutsamsten Gesetze und Verordnungen (wir erinnern nur an die berühmte „Tegernseer Erklärung" zum Konkordat) trägt das Datum dieses Ortes. Selbst die Kammern des Landes wurden einmal vom König nach Kaltenbrunn und Kreuth geladen und dort bewirtet.

,

Im ganzen aber überwog doch unendlich die — Idylle; sein Verhältnis zu den Bewohnern

war noch immer am richtigsten bezeichnet durch jenes

rührende, naive Wort, das ihm beim Einzug einst ein Münchener Bürger in den offenen Wagen rief: „Ra, Maxl — weilst nur Du da bist!" Seine Nähe

allein, seine Persönlichkeit hatte etwas Beglückendes für das Volk.

Am letzten

Tage seines Lebens, am 12. Oktober 1825 (es war sein Namenstag), hatte er ein Bild des Schlosses zum Geschenk erhalten; er betrachtete es lange und

zuletzt hielt er die Hände vor das tränende Gesicht und sprach halblaut: „Mein liebes Tegernsee!" — Noch in derselben Nacht war Maxi, eine Leiche.

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.

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74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik. Don Karl Theodor von Heigel.')

Der Kongreß zu Rastatt hatte durch die Erneuerung des Kampfes mit der ftanzösischen Republik ein jähes Ende genommen. Roch war der Krieg nicht erklärt, als schon eine österreichische Armee in Bayern erschien. Die

Erinnerung an Ereignisse, die noch kaum der Vergangenheit angehörten, rief sofort bange Gerüchte wach: die Österreicher seien nicht zum Kampf gegen die Franzosen, sondern zur Besetzung des Landes bestimmt. Ratlos und auf das Äußerste gefaßt sah das Volk der Wiederkehr der Zustände entgegen, welche

der Unglückstag von Höchstädt im Gefolge gehabt hatte, da erscholl plötzlich die Kunde, der Kurfürst sei, vom Schlagfluß gerühtt, verschieden (16. Februar 1799).

Mochte der Tod des ungeliebten Fürsten manche Befürchtungen zerstreuen, so war das Ereignis anderseits wohl dazu angetan die schon herrschende Verwirrung noch zu steigern. Die Staatsregierung ohne Ansehen, die wichtigsten Ämter in unwürdigen Händen, der Staatsschatz leer, die Armee schwach und schlecht organisiert, die Landschaft ohne Achtung und Einfluß, Handel und Gewerbe daniederliegend, noch trauriger Volksbildung und geistiges Leben,

so gemahnten die inneren Zustände Bayerns allenthalben an Verfall und Auflösung. Vom Reich war kein Schutz zu erwarten, denn dahin war alle Kraft und Größe. Schon ließ sich mit Sicherheit voraussehen, daß auch die letzten Bürgen der Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme, Reichstag und Reichskammergericht, verschwinden würden. Nirgend ein Anwalt, nirgend ein Freund, Bayern konnte nur durch ein letztes Zusammenraffen der eigenen Kräfte gerettet werden oder mußte seiner Selbständigkeit verlustig gehen. Alles hing ab von der Persönlichkeit des Fürsten, der in so wild bewegter Zeit an

die Spitze des Staates trat, Wohl oder Wehe, Rettung oder Untergang. Und siehe! Der Genius Bayerns berief einen Mann auf den Thron,

derbem bayerischen Volke Freund, Vater, Retter ward! Max Joseph, ein klarer Geist und edles Gemüt, gab dem Volke das Beispiel eines wahren Patrioten, er weckte in der dumpfen Brust wieder den göttlichen Funken: die Begeisterung für den heimischen Herd und den Willen politisch und geistig frei zu sein. Schon die Tatsache, daß Max Joseph zur Regierung von Pfalz-Bayern gelangte, erscheint wunderbar, wenn man bedenkt, daß bei seiner Geburt (1756) die Zweige von Bayern und Pfalz noch in kräftiger Blüte standen, daß er

selbst nur der zweitgeborene Sohn eines mit dem kleinsten Teil der Wittelsbachischen Hausgüter begabten Fürsten war.

Dieser Vater, Friedrich Michael,

aus der Linie Zweibrücken-Birkenfeld, war niemals regierender Fürst gewesen; *) Vgl. „Die Wittelsbacher", Festschrift zur Feier des 700 jährigen Regierungs­ jubiläums des Hauses Wittelsbach, S. 72 ff. München 1880, M. Rieger. Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

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74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik,

erst sein ältester Sohn Karl August, der beharrliche Verteidiger der Wittels-

bachischen Hausrechte, war durch das Ableben seines Oheims Christian IV. Regent des kleinen Herzogtums Zweibrücken geworden. Sein Bruder Max Joseph trat, wie es bei nachgeborenen deutschen Prinzen nicht ungewöhnlich, in

französische Kriegsdienste und lebte als Oberst des Regiinents d’Alsace in

Straßburg, streng und pünktlich im Dienst, heiter und leutselig im gesellschaft­ lichen Verkehr mit jedermann.

Nach Ausbruch der Revolution zog er sich

in ländliche Einsamkeit nach Rohrbach an der Bergstraße zurück, da sah er sich plötzlich durch den Tod seines Bruders 1795 zum Herzog von Zwei­

brücken, durch das Ableben Karl Theodors 1799 auf den bayerisch-pfälzischen Kurstuhl erhoben. Sein Einzug in München war ein wahrer Festtag für das Volk. Den ersten Gruß erhielt er an der Maxburg von dem in Stadt und Land wohl­

bekannten Kaltenegger Bräu; der ergriff mit seiner derben, schwieligen Hand

die des Fürsten und rief dabei:

„Na, Maxl, weil nur du da bist!"

Der

derbe Ausdruck ftoher Erwartung entsprach der Volksstimmung: alles brachte dem neuen Regenten die zuversichtliche Hoffnung entgegen, daß nun für Bayern

eine bessere Zukunft anbrechen werde. Bald ließ sich auch erkennen, daß mit dem neuen Regenten ein guter Geist eingezogen sei, wenn sich auch natürlich nicht wie mit einem Zauber­

schlag die traurige Lage des Staates ändern konnte.

Es waren ja die reichen

linksrheinischen Landesteile in Feindeshand und das Militärwesen heischte in

der kriegerfüllten Zeit erhöhten Aufwand. In der äußeren Politik blieb Max Joseph vorerst in den Geleisen der Politik seines Vorgängers, er ließ seine Truppen an der Seite der Österreicher

fechten. Der Feldzug nahm für sie den ungünstigsten Verlauf, sie wurden fast allerorten zurückgedrängt. Am 28. Juni 1800 sprengten die ersten französischen Reiter durch das Karlstor in München ein und ein volles Jahr hindurch hatte

die Stadt Tausende und Abertausende ungebetener Gäste zu bewirten. Die Plätze und Straßen boten damals ein bewegtes, farbiges Bild. Man sah Soldaten und Offiziere von allen möglichen Farben und Waffengattungev. Der unan­ sehnliche, kleine Volontär tummelte sich neben dem stattlichen Karabinier; hier stand eine Truppe Grenadiere, dort Husaren; Marketenderinnen, Lieferanten und Troßknechte, alles drängte sich durcheinander, man schimpfte und fluchte oder sang und war guter Dinge. Nach einer damals veröffentlichten Flug­ schrift soll die Mehrzahl der Franzosen gar verwahrlost und unkriegerisch

ausgesehen haben, „daß man hätte glauben mögen, ein deuffches Regiment

nehme es mit vier solchen auf". Die Pantalons der Soldaten bestanden aus jenem gestreiften Zeug, welches man in den Landstädten zu Fenstervorhängen und Bettüberzügen benutzt, so daß man den Ursprung leicht erraten konnte. Die Offiziere waren fast durchgängig sehr junge Leute. Die Generale quar­ tierten sich in die Paläste der Adeligen ein, die mit dem Kurfürsten geflohen

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.

403

waren, und veranstalteten auf Kosten ihrer abwesenden Wirte glänzende Bälle

und Schmausereien.

Doch ließen sich die Franzosen auch die edleren Genüsse

nicht entgehen, die ihnen die Stadt bieten konnte.

Wie Moreau große Vorliebe

für die deutsche Literatur hegte, so war General Desolle ein enthusiastischer Verehrer der deutschen Tonkunst. Auf seinen Wunsch wurde durch die kur­

fürstliche Kapelle, die einen hohen Ruf genoß, Haydns Schöpfung aufgeführt,

die selten ein so begeistertes Publikum gefunden haben mag wie jene französischen Offiziere. Ihre Verehrung für die bildenden Künste bekundeten jedoch die Sieger in eigennützigster Weise.

Als der Kommissär der Rheinarmee, Neveu,

in den Gemäldesaal der Residenz trat, rief er überrascht aus: „Wie war es nur diesen kleinen Herzogen und Kurfürsten von Bayern möglich Kunstschätze zu

sammeln, wie sie die Tuilerien nicht besitzen!" Sofort schrieb er auf diejenigen Gemälde, die ihm am besten gefielen, mit Kreide: Republique Francaise, zur Anweisung für die Grenadiere, welche den Raub abholen mußten.

Vorstellungen

bei dem Gouverneur der Okkupationstruppen erzielten nur die Antwort: „Es kann nicht die Rede sein von Bedingungen und Schwierigkeiten zwischen Sieger und Besiegten; der erste befiehlt, der andre gehorcht gutwillig oder weicht der Gewalt." Auch die der Stadt auferlegte ungeheure Brandschatzung ließ die Einwohner über ihr Verhältnis zu den „Befreiern der deutschen Völker", wie die Franzosen in ihren Proklamationen sich nannten, nicht int Zweifel. Auch bei Hohenlinden konnten die Österreicher und Bayern über MoreauS

überlegenes Feldherrngenie nicht obsiegen, die Franzosen drangen in die kaiserlichen Erblande ein, so daß der Kaiser für seine Hauptstadt Wien bangend Waffenstillstand schloß und Unterhandlungen anknüpfte, die zum Frieden von

Luneville führten.

Dem wachsamen Montgelas, dem einflußreichsten Minister

des Kurfürsten, blieb nicht unbekannt, daß vonseiten des Wiener Kabinetts neuerdings Anstrengungen gemacht wurden, um für die an Frankreich abzu­ tretenden Gebiete Ersatz durch Einverleibung eines Teils von Bayern zu ge­

winnen. Es war demnach in Wahrheit nur ein Akt der Notwehr, daß Bayern um sich seiner Freunde zu erwehren mit Frankreich einen Vertrag abschloß (24. August 1801), wodurch es allen Ansprüchen auf das linke Rheinufer ent­ sagte, sich dagegen eine Entschädigung an Land verbürgen ließ, „das so günstig

als möglich gelegen wäre um als Ersatz für alle Verluste zu dienen". Da durch die Bestimmungen des Luneviller Friedens überhaupt eine Umgestaltung von ganz Deutschland notwendig geworden war, wurde ein Kon­ greß nach Regensburg berufen, dessen Hauptschluß erst am 27. April 1803

zum Vollzug kam.

Dank den freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich wurde Bayern bei dem Gebjetsaustausch in hohem Maße begünstigt. Es er­

hielt die Hochstifte Würzburg und Bamberg, die zu den schönsten und best­ kultivierten Territorien des Reiches zählten, die Hochstifte Augsburg und Freising und eine große Anzahl wichtiger Reichsstädte. Erst durch diese Erwerbungen in Franken und Schwaben war zu einer politischen Entwicklung Bayerns die

404

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik,

wichtigste Vorbedingung erfüllt, erst durch die Verschmelzung der schwer be­ weglichen altbayerischen Bevölkerung mit den regeren und lebhafteren Volks­

elementen der neuen Provinzen hatte die selbstgenüg^ame, schädliche Absperrung Bayerns gegen das übrige Deutschland ein Ende. Denn dieses Ziel strebte Max Joseph an: Bayern den besten Kultur­

staaten ebenbürtig zu machen, das Staatswesen den Anforderungen der neuen Zeit entsprechend zu reformieren und sogar ihre überschäumenden Ideen der

herrschenden Gewalt dienstbar zu machen. Minister Graf Montgelas.

Die Seele dieser Besttebungen war

Bis zu seiner 1817 aus Betreiben des Thron­

folgers erfolgten Entlassung genoß der Graf das unbedingte Verttauen des Monarchen, in seinen Händen liefen alle Fäden der inneren und auswärtigen Politik Bayerns zusammen.

Eine Menge von Edikten namentlich auf kirchenpolitischem Gebiet wurde erlassen, das wichtigste brachte Gleichstellung aller christlichen Konfessionen. Der Volkserziehung wurde ernsteste Sorgfalt zugewandt, die Zensur für poli­

tische Schriften aufgehoben. Der Kampf zwischen einem absterbenden Alten und einem werdenden Neuen mußte Mißgriffe und Mißstände mit sich bringen und die schonungslose Härte, womit Montgelas und die Vollstrecker seines

Willens die Vernichtung alles historisch Gewordenen in Szene setzten, ist nicht

zu rechtfertigen. Insbesondere bei Aufhebung der Klöster zeigte sich, daß die sogenannten Aufklärungsmänner nicht immer als die wahren Lichtfteunde sieb erwiesen; denn durch den Vandalismus, den sie bei diesem Anlaß betätigten,

ging der Staat der erhofften Vorteile gänzlich verlustig und noch schmerzlichere Verluste erlitten Kunst und Wissenschaft. „Gleichwohl aber," sagt Häusser,

„war die Auflösung des Alten wirklich unvermeidlich und selbst diese gewalt­ tätige Periode hat eine Menge Fesseln gesprengt und eine Fülle von Lebens­ keimen zu wecken angefangen."

Bedeutender Fortschritt wurde auf dem Gebiet

der Landeskultur erzielt; am 31. August 1808 priesen Hunderttausende von

freien Staatsbürgern den einsichtsvollen Monarchen, der die Leibeigenschaft in

seinen Staaten aufgehoben hatte. Für den Handel wurde durch Erleichterung des Verkehrs gesorgt, für das Gewerbe durch Lösung von drückenden Zunstfesseln, gemeinnützige Anstalten aller Art wurden durch die Regierung ins Leben ge-

rtlfen.

Ebenso aus der persönlichen Vorliebe des Kurfürsten wie aus der

drohenden Zeitlage erklärt es sich, daß dem Militärwesen ganz besondere Auf­ merksamkeit gewidmet ward. Kleine, undisziplinierte Soldatenhoufen bildeten unter Karl Theodor die ftagwürdige bayerische Armee. Binnen wenig Jahren stand ein stattliches Heer unter der weißblauen Fahne.

Die tapferen Taten

desselben trugen wesentlich dazu bei, daß der Staat, der nur noch ein Wrack

schien, nur noch als Sttandbeute galt, bald eine Achtung gebietende Stellung unter den europäischen Staaten einnahm.

Beim drohenden Wiederausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Österreich war es Max Josephs Wunsch neutral zu bleiben, doch das war

405

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.

Unmöglichkeit, sollte nicht der kleinere Staat im Anprall der beiden Mächte

zermalmt werden. Thiers enthüllt in seiner Geschichte des Konsulats und Kaiserreichs das Motiv, das angeblich dem Zaudern des Kurfürsten ein Ende

setzte und ihn zum Bündnis bewog. „Der unglückliche Fürst von Bayern/ schwankend zwischen Österreich, welches sein Feind, und Frankreich, welches sein Freund war, jenes aber nah und dieses fern, und zugleich eingedenk, daß

Bayern in früheren Kriegen beständig bald von diesem bald von jenem er­ drückt und beim Frieden stets vergessen war, dieser Fürst wußte nicht, an wen er sich anschließen sollte. Er wußte wohl, daß, wenn er es mit Frankreich halte, er nicht bloß auf Erhaltung sondern auch auf Erweiterung seines Landes hoffen

dürfe, sprach auch immerwährend mit dem französischen Gesandten an seinem Hofe, Herrn von Otto, von einem Bündnis mit Frankreich, wagte aber nicht es abzuschließen.

Erst als Napoleon an ihn schrieb und ihn benachrichtigte, daß

er den Feldzug gegen England aufgeschoben habe und unverzüglich mit 200000 Mann nach Deutschland marschieren werde, auch beisetzte, der Kurfürst werde zur rechten Zeit Beistand erhalten, gab dieser zum Bündnis seine Einwilligung." Was aber jedenfalls noch dringlicher die Einigung mit Frankreich empfahl, war die Nachricht, Österreich habe sich in einem mit Rußland abgeschlossenen Vertrag den Gewinn Bayerns bis zum Inn garantieren lassen, Bei unpar­ teiischer Erwägung aller Verhältnisse, vor allem der Tatsache, daß eben damals

in jedem Lager selbstsüchtige Politik getrieben wurde und Recht wie Moral gleichsam verhüllt und vertagt waren, wird man das Bündnis, das Bayern am 24. August 1805 mit Frankreich schloß, wenn auch nicht rechtfertigen wollen,

so doch entschuldigen müssen. Die bayerische Armee wurde unter Napoleons Oberbefehl gestellt; dagegen versprach dieser Bayern gegen jeglichen Angriff zu schützen und verhieß ihm beim nächsten Friedensschluß so reichen Länder­

gewinn, daß es sich künftig aus eigener Kraft der österreichischen Einverleibungs­ gelüste erwehren könne. Die erste Zusage wurde glänzend gelöst.

Im raschen Siegeslauf nahm

der große Schlachtenmeister bei Ulm eine ganze österreichische Armee gefangen,

eilig mußten

und

die Kaiserlichen das kurz

am 24. Oktober 1805

vorher

ertönte zum erstenmal

in den Straßen einer deutschen Stadt.

Doch

Wenige Wochen

später

der geborene Soldat.

besetzte München verlassen das Vive Napoleon!

nur kurze Rast gönnte sich schlug

er

die Schlacht

bei

Austerlitz und die hier erlittenen ungeheuren Verluste nötigten seine Feinde den Frieden zu Preßburg zu schließen. Er brachte auch für Bayern eine Erhöhung. Am 1. Jänner 1806 verkündete ein Herold in den Straßen Münchens,

daß Kurfürst Max Joseph Titel

und Rechte

eines

Königs angenommen habe. Napoleon, der am Tage der Pro­ klamation in München verweilte, wurde, wo er sich zeigte, freudig be­ grüßt.

Feier.

Glockengeläute, Kanonendonner, Jubel des Volkes verherrlichten die

406

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.

Die Teuerung der Lebensmittel war aufs höchste gestiegen, aber der

Sieg ließ alle Sorge vergessen; eine unzählige Zuschauermenge sand sich täg­ lich bei den militärischen Schauspielen ein, die abwechselnd von den bayerischen Man gefiel sich in der Idee

und französischen Truppen veranstaltet wurden.

der Verwandtschaft der angeblich boiischen Vorfahren mit den Galliern, — der Sieg berauschte, vor dem Sieger beugten sich alle. Man muß sich um

diese Volksstimmung gerecht zu beurteilen vergegenwärtigen, welch bannenden Eindruck auch anderwärts Napoleons Erscheinung hervorrief. Johannes Müller, seiner idealen Richtung und patriotischen Wärme wegen insbesondere

von der Jugend gefeiert und geliebt, schrieb noch im Jahre 1806:

„Ich mache

nur zwei Abteilungen politischer Menschen: solche, die Napoleon hassen, und solche, die ihn lieben, und mit jenen ersten, wer sie auch seien, bin ich!" Wenige Monate später aber, nachdem er inzwischen Napoleon persönlich kennen

gelernt hatte, schrieb er:

„Die an das morsch gewordene Alte nutzlos ver­

schwendeten Kräfte müssen auf das Neue übertragen werden, Gott ist es ja,

der die Regierung einsetzt: man muß sich umdenken."

Und ebenso emphatisch

ruft Hegel aus, nachdem er Napoleon, die „Weltseele", gesehen hatte: „Es ist eine ganz wunderbare Empfindung ein solches Individuum zu sehen, das hier,

auf einen

Punkt

konzentriert,

über

die

Welt

greift

und

sie

be­

herrscht." — Das deutsche Verhängnis erfüllte sich.

Das Band, das die deutschen

Staaten bisher noch lose zusammenhielt, war schon zerrissen; vollends besiegelt

wurde die Auflösung des Deutschen Reiches durch eine neue Vereinigung der süd- und mitteldeutschen Staaten zum sogenannten Rheinbund unter dem Protektorat Napoleons. Preußen erkannte zu spät, daß es durch die seit dem Baseler Frieden verfolgte Politik nur den Vorteil Frankreichs gefördert habe;

als es sich zum Waffengang mit Napoleon aufraffte, stand es allein.

Bayerische

Regimenter stürmten die schlesischen Festungen und bei Pultusk flocht sich Kronprinz Ludwig ein Lorbeerreis um das jugendliche Haupt, aber sein Herz

blutete ob dieser Bruderkämpfe; wieder wie in den unseligen Religionskriegen wurden Deutsche gegen Deutsche ins Feld gestellt, die Großmächte lagen zu

Boden geschlagen und die rheinbündischen Staaten waren zwar dem Namen nach souverän, in Wahrheit jedoch Frankreichs Vasallen. Während aber in anderen deutschen Staaten die gebotene Unterwürfig­

keit unter Napoleons Willen auch trage Gleichgültigkeit in Fragen der inneren Politik im Gefolge hatte, herrschte bei der Regierung Bayerns das regste Stteben das alte Stammland mit den neugewonnenen Gebieten zu einem wohl­

gegliederten, zukunftsfähigen Staatskörper zu verschmelzen und den Eintritt Bayerns in die Reihe der stimmberechtigten Mächte Europas vorzubereiten.

Auf Umwandlung der Mosaik von verschiedenartigen Reichsterritorien in ein einheitliches Ganzes zielten alle Unternehmungen und Maßregeln des Ministeriums Montgelas ab.

74. Des Kurfürsten und Königs Mar I. Joseph innere und äußere Politik.

407

Mit gleicher Energie fuhr es fort Mißstände, die in veralteten Über­ lieferungen wnrzeltcn, zu beseitigen.

gehen

Wo das häufig allzu rücksichtslose Vor­

des Ministeriums Erbitterung und Widerstand hervorrief, wirkte die

herzliche Zuneigung des ganzen Volkes zu seinem König wieder ausgleichend Auch die Schwaben und Franken, denen unter mannigfacher

und versöhnend.

Botinäßigkeit längst in ihren engen Kreisen alles politische Leben abhanden

gekommen war, ließ das milde Regiment des volksbeliebten Königs den Verlust

der Selbständigkeit minder schmerzlich empfinden.

Noch mochten die Nürnberger,

die Augsburger in jenen Tagen eine Kränkung darin erblicken, daß nicht mehr vor einem selbstgewählten Stadtrat die Abzeichen der souveränen Gewalt ein­ hergetragen wurden, aber auch sie konnten sich nicht verhehlen, daß die aller-

Denkmünze vom Jahre 1806 auf die Annahme der Königswürde.

orten gesunkene Volkswohlsahrt nur durch Anschluß an ein größeres Gemein­ wesen gehoben werden könne, — und an welches Land hätte man sich lieber

angeschlossen als an jenes, wo Edelmann, Bürger und Bauer gleich ver­

trauensvoll zu ihrem König aufblickten? Auf den blutgetränkten Auen wogten wieder goldene Saaten, Handel

und Gewerbe hoben sich, allein das Friedensglück war dem Lande und dem

friedliebenden Fürsten nicht lange beschieden.

Immer neue Opfer verlangte

die Freundschaft mit dem unberechenbaren Eroberer. Wie schmerzlich empfand dagegen der humane Max Joseph den Fluch der nimmer endenden Kriege, welche seinem Lande die kräftigsten Söhne, den Familien die Stützen raubten! Von den 30000 Bayern, welche nach Rußland gezogen, sahen nur wenige

die Heimat wieder.

Der furchtbare Ausgang jenes russischen Unternehmens erschütterte alle, nur nicht den Urheber. Als dieser mit der Verblendung eines dem Unter­ gang Geweihten von den Bundesgenossen neue Rüstungen verlangte, zögerten die Regierungen, im Volke aber blickten Tausende mit

aufrichtigen Segens­

wünschen auf Preußen, weil es den Befreiungskampf mit Napoleon aufnahm.

408

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik.

Ein Akt der Notwehr gegen den übermächtigen und drohenden Nachbar

war daS Bündnis des Hauses Wittelsbach mit Bonaparte gewesen. Von einem „Verrat an Deutschland" konnte damals nicht die Rede sein, denn es gab kein Deutschland mehr.

In der allgemeinen Verrottung und Versumpfung

der europäischen Politik hatte die Erscheinung des Helden wohltätig wie ein Gewitter gewirkt. Aber der Kaiser hielt nicht, was das Programm des Konsuls

versprochen. Er wollte Vorsehung der Menschheit sein und wurde ihre Geißel. Max Joseph sah sich und sein Volk durch den Übermütigen auf abschüssige Bahn gedrängt, sah zwischen seinem ältesten Sohne und Napoleon unheilbare Entfremdung, hörte den Sehnsuchtsruf der deutschen Stämme nach Versöhnung,

Einigkeit, Verbrüderung.

Er mußte zum Abfall sich entschließen.

Der russische Kaiser tat gegen Bayern die ersten vertraulichen Schritte, Österreich führte die Verhandlungen weiter. Mit den Vorstellungen der Diplomatie und den besorgten Äußerungen Marschall Wredes vereinigte der patriotische

Kronprinz seine feurigen Bitten. Der Vertrag von Ried (8. Oktober), durch Wredes Bemühungen zustande gebracht, bezeichnete den Politikwechsel des Wittelsbachischen Hau­

ses, die Rückkehr des ersten und mächtigsten Fürsten des Rheinbundes zur deutschen Sache. Zwar kämpften die Bayern nicht in der großen Leipziger Schlacht mit, aber durch den Tag von Hanau traten auch sie ein in die Waffenbrüderschaft zur Befreiung der deutschen Heimat.

Schon im nächsten Jahre wehten die Fahnen der Verbündeten auf franzö­ sischem Boden. In den Kämpfen, durch welche Napoleon den überlegenen Feind vom Wege nach Paris abzulenken versuchte, leisteten die bayerischen Truppen treffliche Dienste. Die bayerischen Reiterbrigaden zwangen bei Bri enne

die sieggewohnte Kaisergarde und den Kaiser zur Flucht; das 10. bayerische

Infanterieregiment erstürmte Bar an der Aube; das ganze Korps Wrede nahm

an den blutigen Kämpfen um Ar cis rühmlichsten Anteil. Durch Kühnheit im Angriff und Verwegenheit in der Verfolgung tat sich namentlich der acht­ zehnjährige zweite Sohn des Königs, Prinz Karl, hervor. Durch die Bayern int Rücken gesichert vollbrachte die Hauptmasse der Verbündeten glücklich den Marsch auf Paris und zog am 31. Mai 1814 mit

klingendem Spiel dort ein; am folgenden Tage grüßten auch die bayerischen

Truppen das Wahrzeichen der Notredame. *

überwundenen Weltstadt, *

die Türme von

*

Endlich, nach der gänzlichen Niederwerfung Napoleons, durfte Max Joseph voll und ganz das sein, wozu ihn seine natürlichen Anlagen bestimmten:

ein Friedensfürst, seinem Volke ein immer und überall hilfsbereiter, großher­ ziger Freund.

Für die schweren Prüfungen von fast zwei Jahrzehnten sah er

sich schließlich doch reich entschädigt als Herr über ein Gebiet von mehr als 1300 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von vier Millionen Seelen. Die

74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äuhere Politik.

409

Fruchtbarkeit und vorteilhafte Handelslage des Landes verhießen dem Fleiß

der Bewohner sichere Erfolge. Noch aber war die Bevölkerung der alten und neuen Gebiete durch Einzelverfassungen und verschiedenes Gesetz in dis­ harmonische Massengruppen geschieden.

Dieser Sonderung machte Max Joseph

vorerst durch eine neue Landeseinteilung ein Ende, wobei nach französischem Vorbild nur auf natürliche, nicht auf historische Grenzen der einzelnen Provinzen

Rücksicht genommen wurde.

Nachdem solchermaßen die Staatsverwaltung er­

leichtert und vereinfacht worden war, löste Max Joseph zuerst von allen Fürsten, welche die Wiener Verträge unterzeichnet hatten, sein Wort ein und gab Bayern

eine Versüssung. Freiwillig schloß der gute König mit seinem Volke einen Vertrag, kraft

dessen es fürderhin an der Regierung wahren und wesentlichen Anteil haben

sollte, kraft dessen sich die herrschenden humanen Regierungsgrundsätze den

Nachfolgern auf dem Throne nicht nur als fromme Wünsche sondern als Pflicht vererben sollten. Indem der hochsinnige Monarch freiwillig des ab­ solutistischen Charakters seiner Herrschaft sich entäußerte, beseitigte er mit eins alle Schwierigkeiten, die der Verschmelzung der verschiedenen Stammescharaktere

entgegenstanden, und schuf ein wahrhaft einiges, starkes und freies Volk.

Am

26. Mai 1818 wurde die Verfassungsurkunde proklamiert, welche Bayern für einen souveränen, monarchischen Staat erklärt, der mit allen seinen Bestandteilen an Land und Leuten, Gütern, Regalien und Renten eine unver­

äußerliche Gesamtmasse bildet. Sie regelt die Thronfolge, gewährt Freiheit der Gewissen, völlige Gleichstellung der christlichen Konfessionen, sichert die

Unantastbarkeit der geistlichen Gewalt in kirchlichen Dingen, gewährt Sicherheit der Personen und des Eigentums, Unaufhaltbarkeit der Rechtspflege und Gleich­ heit der Gesetze und vor den Gesetzen mit Ausschluß aller Spezialgerichtshöfe. Sie verbürgt gleiches Recht jedes Bürgers zu allen Graden des Staatsdienstes, aber auch gleiche Verpflichtung zur Ehre der Waffen.

Endlich verfügt sie den

gleichen Anteil aller an den Lasten des Staates, aber auch einen geregelten Haushalt in demselben und gesicherte Verwendung der bewilligten Mittel. Eine Standschaft hervorgehend aus allen Klassen der ansässigen Staatsbürger mit

dem Rechte des Beirats, der Zustimmung und Willigung, des Wunsches und der Beschwerde, ward zum Wächter der Verfassung eingesetzt um sie gegen willkür­ lichen Wechsel zu schützen, aber im Fortschritt zum Besseren nicht zu hindern. Nie erschien das Königtum ehrwürdiger, als da Max Joseph von seinen Kindern und den Kronbeamten begleitet in die Versammlung der Stände trat und jene freiwillig übernommenen Pflichten des Monarchen gegen seine Unter-.

tonen beschwor. Nichts vermochte die Gewalt und das Vermächtnis jenes Maientages zu beeinträchtigen und König und Volk in ihrer Treue zueinander zu erschüttern.

Davon gab der 16. Februar 1824 das beredteste Zeugnis, als Bayern die Gedächtnisfeier des vor 25 Jahren erfolgten Regierungsantritts seines Herrschers

75. Ode an König Ludwig L

410

beging. Ein Volksfest war's im wahren Sinne des Wortes; alle Gemüter waren frohbewegt und die Segenswünsche für den „besten König" erfüllten wie Musik alle Lüfte.

Noch erinnern sich manche Zeitgenossen mit Rührung des allem

Prunk und aller Etikette abgeneigten, immer heiteren und leutseligen „Vater Max", von dessen Herzensgüte zu erzählen das Volk nie müde wurde.

Wie

ein schlichter Privatmann promenierte er in den Straßen Münchens und hatte ein sieundliches Wort für Bekannte und Fremde. Eine erhabene Bescheidenheit, denn dank diesem Manne holte Bayern binnen wenigen Jahren ein, was es

in Jahrhunderten versäumt hatte!

Die Worte, die Max Joseph an seinem

Jubeltag zum Bürgermeister von München sprach, sind so recht charakteristisch für seine schlichte Größe: „Daß ihr Münchener mich liebt, die ihr mich immer in eurer Mitte habt, die ihr wißt, wie gut ich es mit jedem meine, das ist mir begreiflich; aber wie ich so viel Liebe in den Dörfern an den äußersten Grenzen verdient habe, wo man mich nie gesehen, das versteh' ich nicht. Allerdings war mein Wille immer rein und gut und meine Bayern sind eben ein treues, biederes Volk. Das habe ich schon offen zu den Kaisern von Österreich und Rußland gesagt: ich möchte nicht mit ihren größeren Reichen tauschen.

Ich hab' es immer gesagt und sage es jetzt als Greis wieder:

Alles für

meine Bayern, tun sie ja doch auch alles für mich!" Dem schönen Leben, dessen Wahlspruch: Licht und Liebe! war, beschied

Gott ein schönes Ende. Von Tegernsee, wo der König, wie in jedem Jahre, inmitten einer glücklichen Familie und im Genuß einer herrlichen Natur den Spätsommer 1825 verbrachte, begab er sich zur Feier des Oktoberfestes in die Landeshauptstadt.

Am Abend des 12. Oktober wohnte er einem Balle bei,

den der russische Gesandte zu Ehren des königlichen Namensfestes veranstaltete.

Max Joseph war ernster als gewöhnlich, entfernte sich bald und still und kehrte nach Nymphenburg zurück. Am nächsten Morgen fand man ihn tot in seinem Bette, ein letztes Lächeln auf den Lippen. Wie im griechischen Mythos die

Lieblinge der Götter rasch und unerwartet der Erde entrückt werden, so war der Gute in süßem Schlaf hinübergegangen, während ihm zu Ehren in allen Städten die Fenster festlich schimmerten und auf sein Wohl und seine Gesundheit die Gläser klangen.

75. Ode an König Ludwig I. Don August Graf von Platen. *)

Dom Sarg des Vaters richtet das Volk sich auf, Zu dir sich auf, mit Trauer und Stolz zugleich: Dertrau'n im Blick, im Munde Wahrheit, Schwört es dem Sohne der Wittelsbacher. l) Sämtt. Werke 2. Band, S. 113, herausgegeben von Karl Goedeke. 1881, Cotta. — Diese Ode übersandte der Dichter am 9. Dezember 1825.

Stuttgart

75. Ode an König Ludwig I.

411

Des Thrones glatte Schwelle, wie selbstbewußt, Wie fest betrittst du sie, wie gereift im Geist! Ja, leichter hebt dein freies Haupt sich, Seit die metallene Last ihm zufiel. Dir schwellt erhabne Güte das Herz, mit ihr, Was mehr noch frommt als Güte — der tiefe Sinn: Wo dieser Schöpfer mangelt, sehn wir Alles zerstückelt und schnell verunglückt.

Dein Auge spähte durch die Vergangenheit, Es lag das Buch der Jetten auf deinem Knie, Gedanken pflücktest du wie Blumen Über dem Grabe der deutschen Dorwelt.

Dein Dolk, du kennst es. Jeglichem Zeitgeschick, Das ihm zuteil ward, fühltest und sannst du nach Und still, in eigner Brust verheimlicht, Trugst du den lachenden Lenz der Zukunft. Du hast mit uns erlitten den Fluch des Kriegs, Gezählt die Todesnarben der Jünglinge, Die deiner Ahnherrn Strom, der Rhein, sah Seelen verhauchen für deutsche Freiheit.

Und nicht umsonst verhauchen, du fühlst es wohl! Nach jenes Cäsars tragischem Untergang Was könnten klein're Scheindespoten Anders erregen als frostig Lachen? Du aber teilst die heilige Glut mit uns, Dor der in Staub sank jener geprüfte Held,

Und fallen ließest du mit uns ihr Eine begeisterte, warme Träne. Dem Stein des Rechts **), den edelgesinnt und treu

Dein Dater legte, bläsest du Atem ein, Du siehst im Marmor keinen Marmor, Aber ein künftiges Iovisantlitz. Allein wie sehr du Wünsche des Tags verstehst, Richt horchst du blindlings jedem Geräusch, du nimmst Das Zepter, jenem Joseph s) ungleich, Richt in die weltliche Faust der Reu'rung.

Ehrfurcht erweckt, was Däter getan, in dir, Du fühlst verjährter Zeiten Bedeutsamkeit, Ins Wappenschild uralter Sitte Fügst du die Rosen der jüngsten Freiheit. x) Der Dichter meint die von König Maximilian I. im Jahre 1818 seinem Volke verliehene Verfassung. •) Kaiser Joseph II.

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75. Ode an König Ludwig I.

Heil dir und Heil der Lieblichen neben dir,

Heil jedem Sprößling, welchen sie dir gebar! Wenn Kinder dich und Volk umjubeln, Leerst du, als Becher, des Segens Füllhorn!

Wie eine Rebe, schattig und traubenschwer, Die schon den Keim des werdenden Rausches nährt, Umschlängelt deinen angeerbten Blühenden Zepter der goldne Friede.

Rückwärts erblickst du Flammen und Krieg und Mord, Doch mild am Gürtel trägst du das reine Schwert; Du stehst wie jener fromme Dietrichs) über den Leichen der Nibelungen.

So sei (du warst es immer, erlauchter Fürst!) Des Friedens Schirm und jeglicher Kunst mit ihm, Die nur an seiner sanften Wärme Seelenerquickende Knospen öffnet. Des Bildners Werkstatt wimmelt von Emsigkeit, Es hascht der Maler seltengebotnen Stoff, Die Bretter, Schauplatz jeder Größe, Biegen sich unter dem Gang der Dichtkunst. Und jenen Festsaal2), Gütiger, öffnest du, Doll edler Formen, wie sie ein Meißel schuf,

An befien Würde, dessen Kraft wir Gerne verschwenden das Ach der Sehnsucht.

Früh war die Schönheit deines Gemüts Bedarf Und Schönes ist ja Göttliches, leicht verhüllt

Durch einen Flor, den uns des Denkers Wesenerforschendes Auge lüftet.

Und nicht vergeblich sogst du mit Emsigkeit Das tiefste Mark altgriechischer Bildung ein! Wofür als fürs Dollkommne schlüge Solch ein erhabenes Herz wie deines? Es geht die Sage, daß du als Jüngling einst An deiner Salzach2) buschigem Felsenstrand, Abschüttelnd Weltgeräusch und Hofzwang, Rur mit homerischen Helden umgingst. *) Dietrich von Bern, der als letzter in den Kamps eingreift und allein diesen überlebt. •) Gemeint ist die Glyptothek aus dem König-Platz in München, für die wertvollen Skulpturen bestimmt, die Ludwig schon als Kronprinz gesammelt hatte. •) Als Statthalter des 1809 gewonnenen Inn- und Salzachkreises residierte Ludwig abwechselnd in Innsbruck und Salzburg.

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

413

Und zürnst du noch, wenn trunken ein Dichter dir Ausgießt des Lobes Weihungen? Zwar es sind Nur Tropfen Taus, doch deine Sonne Macht sie zu farbigen Regenbogen. Vergib, o Herr, dem Dichter, der ohne dich Verlasien stünde, fremd in der Zeit und stumm: Dein fürstlich Dasein löst den Knoten Seiner verworrenen Lebensrätsel.

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre. Don Karl Theodor von Heigel.

„Das sollte mir die teuerste Siegesfeier sein, wenn diese Stadt, in der ich geboren bin, wieder eine deutsche Stadt sein würde!"

Dies patriotische Wort wurde von dem bayerischen Kurprinzen Ludwig im Jahre 1805 zu Straßburg gesprochen, als dort Kaiserin Josephine ihr Hoflager hielt und die französischen Erfolge in Süddeutschland durch glänzende

Feste feierte.

Sein Wunsch aber galt dem schönen Straßburg und schmerz­

lich ist's, daß der Fürst den Tag nicht mehr sah, an welchem jener Traum

seiner Jugend in Erfüllung ging und wieder deutsche Fahnen vom Münster wehten. Es steht zu Straßburg ein stattlicher Palast im Renaissancestil, der

Zweibrücker Hof genannt, mit seinen Fassaden nach der Promenade le Broglie und der Brandgasse gekehrt. Hier wohnte Herzog Maximilian von PfalzZweibrücken, während er als Oberst des Regiments d'Alsace sich in Straßburg

aufhielt, und in diesem Hause erblickte sein erstgeborner Sohn Ludwig Karl August am 25. August 1786 das Licht der Welt.

König Ludwig XVI. von Frankreich und der regierende Herzog von Zweibrücken Karl August waren seine Paten. Die Geburt des Prinzen wurde um so freudiger in der Pfalz wie in Bayern begrüßt, als sie die Zukunft des

Fürstenhauses sicherte; denn Karl Theodor wie der regierende Herzog von Zweibrücken waren kinderlos.

Allenthalben wurden Festlichkeiten veranstaltet

und herzlich gemeinte Jubelreden gehalten.

berg war Jung-Stilling.

Einer der Festredner in Heidel­

Die Stadt München entsandte eine Bürgerdeputation

an den glücklichen Vater.

Der nahm die Segenswünsche sehr gnädig entgegen, hob den Prinzen selbst aus der Wiege und legte ihn einem der Bürger in die Arme.

„Sagt den Euern zu Hause," sprach er, „daß ich sie nicht minder

liebe wie diesen meinen Sohn!" Die Nachrichten über Ludwigs Mutter, Augusta, jüngste Tochter des

Landgrafen Georg

von Hessen-Darmstadt, sind nur spärlich,

') „Ludwig I., König von Bayern", S. 1 ff.

aber überein-

Leipzig 1872, Dunker & Humbloi.

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

414

stimmend darin, daß sie eine liebenswürdige Erscheinung und von überaus milder und gütiger Sinnesart gewesen sei.

Sie war eine warme Freundin

der Kunst; ein von ihr gemaltes Aquarell wird im Münchener Nationalmuseum aufbewahrt.

Die trefflichen Eigenschaften von Ludwigs Vater sind bekannt; sie bildeten, als er später den bayerischen Thron bestieg, das Glück seines Volkes und der Jurist Feuerbach, der wahrlich kein blinder Bewunderer der bayerischen Zu­ stände jener Periode war, gab nur der Wahrheit die Ehre, da er Maximilian

Bayerns Heinrich IV. nannte.

Zu Straßburg war er wegen seines jovialen

Charakters, seiner Freigebigkeit und Leutseligkeit der allgemeine Liebling, und

wie seine Soldaten an ihm hingen, zeigt eine heitere Episode aus den Tagen kurz nach der Geburt des Erbprinzen. Bei einer Musterung seiner Grenadiere bemerkte er mit Erstaunen, daß alle Knebelbärte verschwunden waren. Auf

seine Frage wurde ihm statt der Antwort ein Wiegenkissen präsentiert, das mit den Bärten der Soldaten gepolstert war. Ein seltsames Wiegengeschenk, aber das Opfer war jedenfalls manchem schwer geworden.

Der Heranwachsende Prinz erhielt eine durchaus militärische Erziehung; das Patengeschenk Ludwigs XVI. war ein französisches Oberstenpatent gewesen. Die Anschauungsweise des Vaters blieb immer der französischen verwandter als der deutschen; aber der Sohn bewahrte sich bis an sein Lebensende, das ihn, wie der Zufall wunderlich spielt, ebenfalls auf französischem Boden über­

raschte, die wärmste deutsch-patriotische Gesinnung.

Dem Aufenthalt der herzoglichen Familie in Straßburg wurde ein uner­

wartetes Ende gesetzt. Auch dort bildete sich im ereignisschweren Jahre 1789 ein Jakobinerklub, dessen Initiative bald Willige und Unwillige zum Kampf gegen das Bestehende rief; das Rathaus wurde gestürmt, die rote Fahne auf­ gesteckt und das Martialgesetz proklamiert. Max Joseph mußte Straßburg ver­

lassen.

Nach vorübergehendem Aufenthalt in Darmstadt und Rohrbach ließ

er sich mit den Seinen in Mannheim nieder. Sein Haus war allen Emi­ granten, von denen damals die Rheingegenden überfüllt waren, gastlich geöffnet.

Hier in Mannheim, dem ein wahres Eden, der Schwetzinger Park, an­ grenzt, verlebte Prinz Ludwig seine Knabenjahre.

In einem 1809 geschriebenen

Gedichte gibt er der Erinnerung an jene sonnigen Tage Ausdruck: „Dich vergesse ich nie, die du Aufenthalt warst meiner Kindheit, Pfalz! und auch, Pfälzer, euch nie; liebe euch, die ihr mich liebt! ... Wiederum sehe ich mich in Schwetzingens Barten mit meiner Mutter, der besten, die's gab, die unvergeßlich mir ist. Liebliche Stelle, woselbst das Mahl wir, das ländliche, nahmen, Dor dem Hügel, auf dem raget der Tempel Apolls ... O (Erinnerung jener zu eilig entschwundenen Tage, Freundliches Andenken du, immerfort bist du mir frisch!" ...

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

415

In jenen liederreichen Gauen umschlingt, wie Eichendorff singt, der Frühling Haus und Hof und Wald und alles Gewöhnliche; die Märchen der Vorzeit werden in der Brust lebendig, ein Hauch der Romantik weht überall.

In diesen gesegneten Tälern Heidelberger Schloßruine erinnert ein­

Aber auch an ernster Mahnung fehlt es nicht.

wütete

ein räuberischer Feind,

die

dringlich genug an Melac und seine Horden. Solche Tage der Trauer kehrten für die Pfalz gerade damals zurück.

Der Krieg gegen Deutschland fand im April 1792 in der Pariser National­ versammlung berauschte Zustimmung und bald ergossen sich die streitenden Heere

über Pfalzbayern, das auf lange Zeit Schauplatz des Krieges blieb. Da eine Beschießung der Stadt Mannheim in drohender Aussicht stand, mußte die herzogliche Familie abermals nach Darmstadt flüchten. Der Kriegs­ tumult brachte die düstersten Bilder vor die Augen des Knaben. In den Straßen drängten sich die Flüchtlinge, in ihrem Geleit zogen Unruhen, Schrecken,

Verwirrung ein, hinter ihnen loderten alle Greuel eines furchtbaren Krieges auf. Des Prinzen königlicher Pate starb auf der Guillotine. „In welcher Zeit," rief damals Johannes Müller aus, „zu welchen Aussichten hat Gott uns bestimmt! Rasende, wie einst im Tschilminar der trunkene Sohn Philipps, laufen

mit Fackeln in der Hand in dem alten Gebäude der Staatsverfassungen umher; da brennt ein Turm auf, dort bricht eine Zinne herab, bald sinkt alles in

den Staub!" Die Wehrkraft des Deutschen Reiches zeigte sich von der kläglichsten Seite. Das gegenseitige Mißtrauen

der

beiden

deutschen

Großmächte lähmte alle

Unternehmungen, die Regierungen der kleineren Staaten waren ohne Kraft und Energie. Feindlicherseits zeigte die Jakobinerphrase Custines: „Krieg den Palästen, Friede

den

Hütten!"

bald ihren wahren Wert:

die Neufranken

pflanzten in der Pfalz ihre Freiheitsbäume nur zwischen Ruinen. Schon im Jahre 1796 verlor der fürstliche Knabe seine Mutter.

Von

ihr war noch zur ßeitung des Unterrichts ein einfacher Landpfarrer berufen worden, Joseph Anton Sambuga, dessen Lehre und Beispiel von dauerndem

Sambuga hielt sich über seine Unterrichts­ stunden und die dabei geführten Gespräche ein Tagebuch, das nach seinem Tode durch Sailer veröffentlicht wurde. Diese Aufzeichnungen beweisen, daß Einfluß auf den Zögling war.

der Lehrer nicht bloß als frommer sondern auch Bildungswerk förderte.

als denkender Mann das

Er bezeichnet selbst als Hauptprinzip seiner Methode,

es sollte im Schüler bei allem das Selbstdenken gefördert werden, und diese Anregung in frühester Jugend ging nicht verloren.

Das Streben sich selbst

von allem Erforderlichen zu überzeugen tritt bei den Regierungshandlungen

des nachmaligen Königs überall hervor. Es kann dem Kunstmäzen Ludwig als Hauptyerdienst zugerechnet werden, daß bei allen seinen großartigen Plänen zur Förderung der Kunst ein metho­

discher Zusammenhang zu erkennen ist, der nicht selten bis in die Studien

416

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

und Liebhabereien der Jugend zurückreicht.

Der Gedanke zur Verewigung

der Verdienste großer Männer einen Ehrentempel zu bauen erwachte schon in dem Knaben. Als Ludwig einst mit Sambuga von einer Spazierfahrt nach Schwetzingen zurückkehrte, fragte er seinen Erzieher, ob es denn einem edeln

Fürsten erlaubt sei so große Summen für sein Vergnügen aufzuwenden, da es ja doch so viele Arme gäbe.

Sambuga erwiderte, die Vernunft habe nichts

dagegen einzuwenden, wenn Fürsten ihr eigenes Geld für die Liebhabereien

verausgaben; es sei aber doch jedenfalls der Frage wert, ob nicht in - den Hallen einer Fürstenwohnung die Bildnisse eines Friedrich des Siegreichen,

eines Rupert und anderer verdienter Männer des Vaterlands besser ständen als mythologische Figuren. Der Prinz horchte gespannt auf und blieb dann schweigsam, als ob ein Gedanke in ihm zur Reife käme. Er zeigte für Geschichte entschiedene Vorliebe.

Als er später mit Johannes Müller persönlich bekannt

wurde, war dieser erstaunt über das ausgebreitete historische Wissen des Prinzen. Übrigens scheint Sambugas Beispiel auch auf die barocke Schreibweise

Ludwigs bestimmend eingewirkt zu haben; wenigstens wurde auch gegen ihn der Vorwurf wirren Durcheinanderschiebens der Worte und Sätze erhoben.

Mit Sambuga teilte sich Kirschbaum, ftüher Lehrer des Staatsrechts an der Hochschule zu Straßburg, in die Unterrichtsstunden. Er machte sich auch besonders um die Weckung des Kunstsinns in seinem Zögling verdient. Die stillen Lehrstunden zu Rohrbach an der Bergstraße wurden plötzlich durch die Berufung des Herzogs von Zweibrücken auf den bayerisch-pfälzischen

Kurstuhl nach dem Tode des kinderlosen Karl Theodor unterbrochen. Am 6. März 1799 zog Kurprinz Ludwig mit seinen Geschwistern in der Landes­ hauptstadt München ein. Der Empfang vonseiten der Bürgerschaft war herzlich, obwohl man sonst den „Fremden" nicht gerade geneigt war.

München an der Grenzscheide des 18. Jahrhunderts!

Alle jene Stadt­

teile, die in der Folge glänzenden Neubauten weichen mußten, wurden vorher auf Befehl des königlichen Bauherrn ausgenommen und diese Gemälde, die

in den Kabinetten der Neuen Pinakothek Platz fanden, geben uns noch ein treues Bild von Altmünchen, der behäbigen, leichtlebigen Ackerstadt.

Durch

einige treffliche Bauten und Kunstwerke, namentlich aus dem 17. Jahrhundert, hatte der Name München in der Geschichte der Künste guten Klang gewonnen,

im vorigen Jahrhundert aber hatte die Entwickelung der Stadt fast gar keine Fortschritte gemacht.

Wer hätte geahnt, welch großartige Veränderungen der

blasse, schmächtige Prinz, der an der Seite des Vaters durch die engen und krummen Straßen Münchens fuhr, in dieser Stadt hervorrufen werde, so daß.

das unbeachtete Nazareth am Aufschwung der nationalen Kunst ruhmvollsten Anteil gewann! Im Mai 1803 bezog Ludwig die Landesuniversität Landshut.

Kirschbaum

und Sambuga begleiteten ihn. Seine Tätigkeit und sein Lerneifer wurden allgemein rühmend erwähnt. Von seiner frühesten Jugend bis in seine Greisen-

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

417

tage blieb Ludwig der Gewohnheit treu schon vor 5 Uhr morgens an die Arbeit zu gehen. Neben den Privatvorlesungen seiner Lehrer hörte er zu Landshut deutsches und bayerisches Staatsrecht, Staatsökonomie und natur­ historische Fächer bei den Professoren Gönner, Milbiller, Schrank und Feßmaier.

Bedeutenderen Einfluß aus seine geistige Entwickelung und Charakterbildung gewann der Professor für Moralphilosophie Sailer, in dessen Hause sich die

Tüchtigsten der akademischen Jugend zu versammeln pflegten. Im Herbst 1803 siedelte Ludwig an die Hochschule zu Göttingen über,

die als Mittelpunkt in Deutschland für wissenschaftliche Behandlung des Staats­ rechts und der Geschichte galt, für welche Disziplinen der Prinz besonderes Interesse zeigte.

Er besuchte die Vorlesungen Schlözers mit pünktlichster Ge­

wissenhaftigkeit. Auch der berühmte Naturforscher Blumenbach wurde sein Lehrer wie 36 Jahre später der Lehrer des Kronprinzen Max. Nach Verlauf von 50 Jahren, im Jahre 1853, sandte die philosophische Fakultät der Georgia

Augusta dem ehemaligen Zögling als „Ausdruck wahrer Ehrerbietung, Dank­ barkeit und Pietät gegen einen deutschen Fürsten vonseiten einer deutschen Hochschule" das Ehrendiplom eines Doktors der Philosophie, „da kein Fürst jemals die Würde des königlichen Namens durch

liebevollere Fürsorge für

Kunst und Wissenschaft verherrlichte". Mit den Studiengenossen stand der bayerische Kurprinz in leutseligstem

Verkehr.

Er pflegte sich nicht selten

als Gast bei

festlichen Gelagen der

Studenten einzusinden und war fröhlich unter Fröhlichen ohne dabei je seine

Stellung zu vergessen.

ist charakteristisch.

Eine Episode aus der Zeit des Aufenthalts zu Landshut

Als bei einem Kommerse das Lied: Ich bin der Fürst von

Toren!" gesungen werden sollte, richtete ein Bursche an den Prinzen die dreiste Bitte, er möge die Rolle des Vorsängers übernehmen. Witz lehnte der Prinz ab:

Mit schlagfertigem

„Fürst bin ich schon und ein Fürst von Toren

möchte ich nie genannt werden!" — Die Ferientage benutzte er zu Ausflügen nach den norddeutschen Hauptstädten, wo er besonders die Denkmale der Kunst und des Altertums studierte. Mehr als die schuldige Aufmerksamkeit eines Schülers, begeisterte Ver­ ehrung brachte er dem Geschichtschreiber Johannes Müller entgegen, dessen Werke seine Lieblingslektüre noch im späten Alter blieben, wie sie ihrer Gefühls­ wärme und ihres deutschen Patriotismus halber das Ideal seiner Jugend waren. Erst im Jahre 1806 trat er dem verehrten Meister persönlich näher. Die Briese, die in der Folge zwischen dem jungen Königssohn und seinem Ratgeber gewechselt wurden, sind für beide ein ehrendes Zeugnis. Auch nach Beendigung der Universitätsstudien hielt Ludwig seine Lehr­ jahre nicht für vollendet. Der treffliche Jakobi wurde beauftragt ihm über

griechische Geschichte und Literatur Vorträge zu halten und lateinische Klassiker mit ihm zu lesen, ein Auftrag, der dem Lehrer, wie er in seiner Selbstbiographie sagt, „Gelegenheit gab ihm nah genug zu treten um das edle Blut des Kronseder, Lesebuch»zur Geschichte Bayerns.

27

76. König Ludwigs I. Jugendzeit und Lehrjahre.

418

Wittelsbachischen Stammes in ihm zu erkennen, seinen Eifer Kenntnisse zu

sammeln, seinen Ernst in wissenschaftlichen Beschäftigungen, die lebendige Achtung, die er gegen alles Große und Schöne hegte, sein Streben nach Großem und Ruhmwürdigem, seinen Haß endlich gegen Gewalttätigkeit und Unrecht zu lieben

und zu bewundern".

Auch der gelehrte Thiersch stand mit dem Prinzen in

regstem Gedankenaustausch über hellenische Kunst und Geschichte.

Ludwig blieb stets ein eifriger Freund klassischer Lektüre. Thiersch schreibt 1826 an Lange: „Als ich das letzte Mal den König in seinem Kabinett sprach, einem kleinen Gemach mit einem Fenster, in dem man sich vor der Menge Skripturen und Konvolute, Portefeuillen und Bücher kauin umdrehen kann, sagte er über seine griechischen Studien:

„Da liegen meine alten guten Freunde

Herodot und Homer neben mir zwischen den Papieren. Sonst habe ich zwei, drei Stunden täglich Griechisch gelesen. Sie haben es mir übel genommen.

Hätte ich noch einmal soviel Zeit am Spieltisch zugebracht, .das wäre in der

Ordnung gewesen, aber zwei Stunden lang Homer und Thukydides lesen, das war ein unverzeihliches Betragen. Jetzt findet sich die Besserung von selbst; nur in kleinen Zwischenräumen komme ich noch darüber, so von einem Portefeuille zum anderen; doch es wird schon besser werden." Da der Prinz für Reiten und Jagen keine Vorliebe hatte und auch an den militärischen Übungen nur selten, um dem Wunsche des Vaters nach­ zukommen, teilnahm, konnte er neben den gelehrten Studien noch manche Mußestunde der Lektüre der deutschen Dichter widmen. Früh war, wie Platen

singt, die Schönheit seines Gemüts Bedarf und nicht vergeblich sog er mit Emsigkeit das tiefste Mark altgriechischer Bildung ein. Schiller und Goethe

namentlich ehrte er als die Dichterfürsten.

Oft pflegte er zu äußern, er habe

nur deshalb gewünscht ftüher auf den Thron zu gelangen um seinem Lieblings­

dichter Schiller eine sorgenfreie Existenz und namentlich die Mittel zu einem längeren Aufenthalt in Italien bieten zu können. Den Toten ehrte er noch dadurch, daß er aus eigenem Antrieb bei einem Enkel Schillers Patenstelle übernahm.

Zu Goethe trat er später in ein innigeres Verhältnis.

Wenn Ruhe und Stille dem inneren Sein ein freieres Walten gestatteten, versuchte der Prinz auch selbst Spiegelbilder seines eigenen geistigen Lebens

in poetischer Form zu geben.

Diese Dichtungen des Prinzen wie des Königs

bieten nicht nur den dankenswertesten Beitrag zur Charaktergeschichte — sie enthüllen uns die Lebensfragen, die an den Dichter herantraten, und die Lösung, die er diesen Rätseln abgewann — sondern enthalten überdies eine Fülle echter Lebensweisheit.

Ludwig war kein Dichter, aber der hohe Adel der Ge­

sinnung und die Geistesschärfe, die in seinen Gedichten zum Ausdruck gelangen, zeigen uns, daß er verdiente König zu sein.

77. Ein Brief an Kaiser Franz I. von Österreich von Kronprinz Ludwig.

41U

77. Lin Vries an Kaiser Franz I. von Österreich von Kronprinz Ludwig?) Durchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser,

freundlich vielgeliebter Herr Bruder und Better!

Vertrauensvoll wende ich mich zu Euerer Kaiserlichen Majestät, hierin« bestärkt durch die gütige, und ich darf sagen, liebevolle Aufnahme, so mir von Höchstderselben in Heidelberg wurde. Voriges Jahr war die Gelegenheit, nun,

fast wunderbar, ist sie von neuem, und dann wohl nie mehr, wieder zu erlangen,

was durch Verrath und Waffenglück Franzoßen von unserm Vaterland an sich

gerissen.

Aufrichtigkeit lieben Euere Kaiserliche Majestät, und aufrichtig sage

ich meine Meinung für am zweckmäßigsten zu halten, sich nicht in lange Unter­ handlungen einzulassen, als worinn die Franzoßen gefährlich, sondern in Paris zu erklären, was man will. Ruhmvolleres hat noch nie ein Kaiser vollbracht, als wenn Euere Majestät machen, daß nebst den int letzten Frieden erhaltenen Bezirken Elsaß, Lothringen nebst Metz, Toul und Verdun, die in jenem ein­ geschlossen, von Frankreich gesondert werden, wonach dieses immer noch größer

bleibt, als es war, da es Deutschland verderblich wurde. Darum beschwöhrc ich Euere Kaiserliche Majestät, daß wenigstens Elsaß mit Deutsch-Lothringen

und das Vogesen-Departement doch wieder Teutsch werden; es wäre zu traurig, wenn dieses nicht geschähe, Südtentschlands Gränzen ferner jedem Einfall offen

stünden.

Es waren, sind und bleiben Deutschlands Feinde die Franzoßen,

welche Familie sie auch regiere.

Obiges erwarten die Teutschen,

und daß

Frankreich die Kriegskosten zahle, wie daß es angehalten werde zur Rückgabe

dessen, was es in Europa geraubt an Kunst- und Wissenschaftlichen-Werken. Ich sage dieses, obgleich Baiern sehr wenig Bedeutendes nur verlohr.

Es

ziemt mir vielleicht nicht, mich so gegen Euere Kaiserliche Majestät zu äußern, aber Höchstdero Wohlwollen gegen mich und die Tugend, welche Euere Majestät nebst so vielen andern besitzen, Offenherzigkeit zu lieben, ließen mich dieses

schreiben.

Vergebung, wenn ich gefehlt.

Höchstdieselben um Dero fernere Ge­

wogenheit ersuchend verbleibe ich

mit vorzüglichster Hochachtung und dienstwilligster Ergebenheit

Euerer Kaiserlich Königlichen Majestät! Dienstw., ganz ergebenster Bar le Duc den 3ttn

Bruder, Vetter und Diener

Julii ii 1815.

Ludwig, Kronprinz. Format 4°.

') Wiener Staatskanzlei, Bayern, Hofkorrespondenz.

420

79. An Herrn Mac Jver, meines Erstgebornen Erzieher.

78.

NachLlage (1816).

Don Kronprinz Ludwig. *)

Nur die Leiden habe ich getragen, Um das Vaterland den tiefen Schmerz, Seine Schlachten durste ich nicht schlagen, Ach! vergeblich sehnte sich mein Herz. Wie die übersehungslosen Wogen Kamen Völker kämpfend hergezogen, Alles schimmerte in Waffenglanz, Ich allein entbehr' den Siegeskranz. Kriege mag es viele künftig geben, Doch ein solcher kommt uns nimmermehr, Nie von neuem dieses heil'ge Streben, So ein gottbeseeltes, hohes Heer.

Freudig hatte sich's geweiht dem Sterben Um der Heimat Freiheit zu erwerben, Zu des Wütrichs Sturz vom Erdenthron Eine Palme nur verlangt zum Lohn.

Ihr seid glücklich, die ihr fielt im Glauben An des deutschen Sinnes neue Macht, Welchen unsre Tage gräßlich rauben, Niemals aus dem Traume ihr erwacht. Und in jenen befiern, schönern Wellen Lohnet euch das ewige Vergelten; Aber Trauer immer mich umragt, Denn mir wurde jener Kampf versagt.

79. An Herrn Mac Jver, meines Erstgebornen Erzieher. Unterrichtsinstruktion vom Jahre 1817 von Kronprinz Ludwig?)

Vor Allem die Bezeugung meiner Zustiedenheit mit der, schon in der kurzen Zeit, daß Sie bei meinem Sohne sind, bewirkten vorteilhaften Ver­ änderung.

Was den Unterricht betrifft, setze ich Folgendes fest: Von Anfang

November bis Ende Dezember (Sonntag und Feiertag ausgenommen) täglich zwei halbe Stunden, in welchen Sie ihn werden lesen lernen.

Ich sage zwei

halbe Stunden, weil sie nicht in dieselbe Tageszeit fallen dürfen; dieses gilt

für alle folgende Unterrichtszeit gleichfalls.

Januar bis Februar täglich zwei

Dreiviertelstunden; März bis Juni täglich zwei Stunden. Mit dem Monat März kann auch nebst dem täglich eine Viertelstunde, aber nicht sitzend, sondern im Zimmer auf- und niedergehend, mit dem Kopfrechnen zu lernen verwendet werden, aber zu keiner bestimmten Zeit im Tage. Mit dem Monat März hat der förmliche Religionsunterricht, den Sie gleichfalls erteilen werden, zu

beginnen, und im Juni, die vom Hofbibliothekar Lichtenthaler zu geschehende

Unterweisung im Klavierspielen, welches beide auch in zwei zum Unterrichte festgesetzten Stunden zu verrichten; von welchem im Juni zum Klavier täglich eine Viertelstunde zu

nehmen.

Dieses gilt,

bis ich

anders

bestimme.

In

welchem dieser Monate Sie es für geeignet finden, beginnen Sie meinem Sohne kleine Fabeln und Erzählungen auswendig lernen zu lassen. Das Gedächtnis,

was für einen Fürsten so wichtig ist, muß geübt, muß geschärft werden. Dahin streben Sie, daß religiöses Gefühl meinen Sohn durchlebe, wie

das Blut den Körper, so jenes die Seele. Gottesfurcht, mehr noch Gottesliebe *) „Gedichte des Königs Ludwig von Bayern", I. Band, S. 198. München 1829, Cotta. ') Vgl. Karl Theodor v.Heigel: „Ludwig I., König von Bayern", S. 65. Leipzig 1872, Duncker & Humblot.

79. An Herrn Mac Jver, meines Erstgebornen Erzieher.

fühle er, Liebe ist das Höchste.

421

Teutsch soll Max werden, ein Bayer,

aber teutsch vorzüglich, nie Bayer zum Nachteil der Teutschen!

Wie die Briten sind wir Teutsche, und noch ein Volk, obgleich unter mehreren Fürsten. — Was mein Sohn verspricht, das halte er, der zu gewöhnen ist,

nicht leichtsinnig zu versprechen. Zuverlässigkeit ist eines jeden Menschen, vorzüglich aber eines Fürsten seiende Haupteigenschast. Zutrauen macht stärker noch als Heere, aber es muß verdient werden.

Abneigung flößen Sie meinem

Sohne gegen Frankreich, Teutschlands Erbfeind, und gegen das französische Wesen

(unser Verderben) ein! Wie kann ein Teutscher Frankreich Freund sein? So lange es wenigstens Elsaß noch von Teutschland abgerissen, unterworsen behält, von Teutschland, zu dem es gehört und durch Sprache und Lage immer gehören

soll. — Mensch im höheren Sinne des Wortes muß mein Sohn werden, Mensch und Christ (der veredelte, zur Vollkommenheit strebende Mensch ist Christ,) er achte die Menschheit und liebe die Menschen. Achtung gegen das Alter, Anhänglichkeit an das Alte, wenn es nicht schädlich, bekenne derselbe, überhaupt nichts Bestehendes zu ändern, wenn dieser Grund nicht obwaltet.

Gegen Selbstsucht (Egoismus), die Pest unserer Zeit, ist sehr bei Max zu arbeiten.

Gehorsam gegen den König,

gleichviel

wer die Würde

bekleidet,

ist ihm einzuprägen, Gehorsam, Verehrung und Liebe gegen seine Eltern. Das fehlte nie, und wird nie fehlen, daß sich Leute zwischen den regierenden Vater und den thronerbenden Sohn zu stellen trachten; darum kann das

herzliche, innige Band zwischen beiden nicht fest genug geschlungen werden, nie

des Sohnes Aufrichtigkeit dem Vater zu viel sein. Keine Vorlesungen sind über diese Gegenstände zu halten, aber im täglichen Leben, bei den so oft sich ergebenden Gelegenheiten einzuprägen, daß es zu einem eigenen Gefühle, zu eigener Denkweise werde.

Darauf werde gehalten, daß mein Sohn sich wirklich

beschäftige, seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand anhaltend richten lerne.

Auf Wahrheit werde unerbittlich strenge gehalten. Obgleich Du mir angenehm klingt, soll dennoch bewirkt werden, daß

Max, wenn ich zurückkomme, nur Sie zu mir sage; wenn es schon gegen

andere Väter ratsam ist, bestehet dieses um so mehr gegen den fürstlichen Vater, der wahrscheinlich Herrscher einstens wird, den König uub Vater ver­ einigend. — Die Sinne, Ohr und Augen, vornehmlich letztere, sollen auf Spaziergängen einstimmig, und nur daß es meinem Sohne Freude gewährt,

geübt werden.

Wann mein Sohn Griechisch und Latein, was von Lichtenthaler,

Englisch, was von Ihnen wird gelehrt werden, beginnen soll, wie überhaupt, was andere Unterrichtsgegenstände betrifft und von wem solche vorzutragen, werde ich künftig bestimmen,

der ich meine Zufriedenheit mit Ihnen wieder­

holt bezeuge und meine Freude, Mac Jver gefunden zu haben. Würzburg, 6. Oktober 1817.

Ludwig, Kronprinz.

81. Die Walhalla.

422

80. Die hohle Weide. (Herbst 1832.) Don Friedrich Rückert.')

Der Morgentau verstreut im Tale Sein blitzendes Geschmeide, Da richtet sich im ersten Strahle Empor am Bach die Weide.

Sie weichen auseinander immer Und wer sie sieht, der schwöret, Es haben diese Stämme nimmer Zu einem Stamm gehöret.

Im Nachttau ließ sie niederhangen Ihr grünendes Gefieder Und hebt mit Hoffnung und Derlangen Es nun im Frührot wieder.

Doch wie die Lüfte drüber rauschen, So neigen mit Geflister Die Zweig' einander zu und tauschen Noch Grüße, die Geschwister;

Die Weide hat seit alten Tagen So manchem Sturm getrutzet, Ist immer wieder ausgeschlagen, So ost man sie gestutzet.

Und wölben überm hohlen Kerne Wohl gegen Sturmes Wüten Ein Obdach, unter welchem gerne Des Liedes Tauben brüten.

Es hat sich in getrennte Glieder Ihr hohler Stamm zerklüftet Und jedes Stämmchen hat sich wieder Mit eigner Bork' umrüstet.

Soll ich, o Weide, dich beklagen, Daß du den Kern vermissest, Da jeden Frühling auszuschlagen Du dennoch nie vergissest ?

Du gleichest meinem Daterlande, Dem tief in sich gespaltnen, Don einem tiefern Lebensbande Zusammen doch gehaltnen.

81. Die Walhalla. Don Karl Theodor von Heigel?)

Als den schönsten Festtag seiner langen Regierungszeit bezeichnet Ludwig selbst den Tag der Grundsteinlegung zur Walhalla. Am 2. Oktober 1808

hatte der Jüngling an Johannes Müller geschrieben:

„Walhalla ist kein Werk

für einen Kronprinzen, wäre zu kostspielig; soll ich einst König werden, errichte

ich es!"

Seit dieser Zeit aber waren in seinem Auftrag durch Künstlerhand

nach und nach die Brustbilder der berühmtesten Deutschen geschaffen worden. Der Platz für die Halle wurde schon 1810 bei Gelegenheit eines Besuches

des Fürsten Taxis gewählt. Im Herzen Deutschlands, nördlich von der ehr­ würdigen Karolingerstadt Regensburg, von der Goethe sagt: „Es liegt gar schön, schon die Gegend mußte eine Stadt herbeilocken!", bis zu dem alten

Stauf hinab,

wo

einst Albettus Magnus die

geheimnisvollen Gesetze der

Naturkräste zu ergründen strebte, zieht sich eine langgestreckte Hügelkette längs v) „Gesammelte Werke" III, S. 33.

Leipzig 1897, Gustav Fock.

„Ludwig I., König von Bayern", S. 106 ff.

81. Die Walhalla.

423

des schönen Donaustromes hin. Eine isoliert sich erhebende Höhe, der Breuberg, sollte das Gebäude tragen. „Groß muß es werden," schrieb Ludwig an Müller, „nicht bloß kolossal im Raume, Größe muß auch in der Bauart sein, nicht

zierlich und hübsch, hohe Einfachheit, verbunden mit Pracht, spreche sein Ganzes

aus, würdig werdend dem Zweck!" Bauplan betraut. dorischen

Peristyl

1821 wurde Leo von Klenze mit dem

Er entwarf den Riß zu

umzogen,

und Ludwig

einer Tempelhalle, von einem seine Einwilligung. Wohl

gab

ivurden schon damals Wünsche laut, die für die deutsche Walhalla einen Bau in altdeutschem Stil forderten, doch ließ sich nicht ohne Berechtigung entgegnen,

ein gotisches Münster sei eben wieder nicht passend zur Aufnahme von Büsten nach antiken Vorbildern. Endlich gedieh der Plan zur Reife. Am Jahrestag der Leipziger Schlacht 1830 zog eine festlich geschmückte Flottille von Regensburg stromabwärts.

Auf beiden Ufern jubelte eine un­

ermeßliche Volksmenge, von der Stadt tönte feierlicher Glockenschall herüber,

Böllerschüsse krachten, denen das Echo der Hügel antwortete. Auf der aus­ erwählten Stätte hinter Donaustauf sammelte sich der Kreis der Geladenen.

Eduard v. Schenk hielt die Festrede, dann machte der König selbst die üblichen

drei Hammerschläge.

„Möchten in dieser sturmbewegten Zeit," sprach er dabei,

„fest, wie dieses Baues Steine vereinigt sein werden, alle Deutschen zusammen­

halten !" Von nun an regten sich tausend fleißige Hände am Donaugestade, der königliche Gedanke wurde rasch zur Tat.

Auch bei diesem Gebäude wurde

wie bei der Glyptothek den drei Schwesterkünsten Gelegenheit geboten vereinten Kräften zu wirken.

Durch

die Anwendung

mit

der Lithochromie int

Innern wurde jene harmonische Pracht erzielt, die auf jeden Beschauer er­ greifenden Eindruck ausübt und ihn leicht vergessen macht, daß in der Mischung

römischer und griechischer Details in der Halle innere Widersprüche vorlicgen. Die Bildwerke in den äußeren Giebeln, die Besiegung der Römer und der

Franzosen durch die Deutschen darstellend, gehören zu den bedeutendsten Marmor­ gruppen, die seit Jktinos' und Kallikrates' Zeit überhaupt wieder erstanden.

Wie läßt sich ihnen gegenüber am Vorwurf festhalten, Schwanthalers Werke seien nur für den Guß, nicht für den Marmor geschaffen!

Mit ihrem Bildner

ringen Joh. Martin Wagner, der im Saalfries die Entwickelung des deutschen

Kulturlebens darstellte, und Christian Rauch durch seine lieblichen Ruhmes­ genien um die Palme. Das prächtige eiserne Hängewerk der Decke ist nach Schinkels Idee gefertigt. Für die Auswahl der Namen und Bildnisse, die in die Halle der Ver­ klärten ausgenommen werden sollten, blieben im allgemeinen die Bestimmungen

des Geschichtschreibers Johannes Müller vom Sommer 1807 maßgebend. Während sich damals, nach dem Siege bei Friedland, in der norddeutschen Hauptstadt französische Frivolität breitmachte, die französischen Marschälle in den Palästen

unter den Linden residierten und auf dem Exerzierplatz Feuerwerke abgebrannt

81. Die Walhalla.

424

wurden, die den Ruhmestempel Napoleons im Strahlenglanz erscheinen ließen,

in jenen Tagen der tiefsten Erniedrigung Deutschlands hatte der bayerische Prinz den Entschluß gefaßt dem deutschen Genius diesen Ehrentempel, seine

Walhalla, zu bauen.

„Es macht den Eindruck," sagt Döllinger, „wie wenn

ehedem römische Senatoren dem von der Niederlage bei Kannä heimkehrenden Konsul Varro entgegengingen und ihm bansten, daß er doch am Vaterland nicht verzweifelt habe." Schon bei einem früheren Besuch in Berlin (Neujahr 1807) lenkte er seine ersten Schritte zu Schadow um für seine Walhalla eine Büste

Friedrichs des Großen in Auftrag zu geben.

Außer bei Schadow bestellte

Ludwig dann noch bei Rauch, Tieck und Wichmann Büsten deutscher Geistes­ heroen. Während selbst die edelsten Patrioten trübe resignierten, hatte Kronprinz Ludwig niemals das Verttauen verloren aus die geistige Kraft des Volkes, die früher oder später das Vaterland wieder aufrichten, das Gefühl der Zusammen­

gehörigkeit wecken müsse. Damals, als der Prinz täglich gezwungen war mit Betthier, Ney und anderen französischen Marschällen in Berührung zn kommen,

war das Gedicht entstanden: „Auf, ihr Teutschen, sprengt die Ketten, Die ein Korse euch hat angelegt;

Eure Freiheit könnet ihr noch retten, Teutsche Kraft, sie ruhet unbewegt . . .

Auch auf den Wunsch des Prinzen war Joh. Müller eingegangen, „alle diese Männer, nicht gelehrt, ohne alles Zitat, aber mit lebendiger Vorstellung

dessen, was jeder war und was zu sein er uns lehrt, aufzuzeichnen".

Doch

starb Müller, bevor er 'den Plan ausgeführt hatte, und Ludwig übernahm nun selbst die Abfassung kurzer biographischer Skizzen über die „Walhalla­

genossen". Man mag den Stil barock nennen und den einen und anderen Verstoß gegen die Geschichte tadeln, aber man muß der Objektivität des Ver­

fassers Gerechtigkeit widerfahren lassen. Zwölf Jahre nach der Grundsteinlegung, wieder am Jahrestag des Leip­

ziger Befreiungskampfes,

tempels.

öffneten sich die ehernen Tore des deutschen Ehren -

Unter den Klängen des von Stunz komponierten Walhallaliedes

schritt der König mit großem Gefolge die majestätische Marmortreppe hinan. Das Gelübde, das er vor 35 Jahren nach der Schlacht bei Jena den zürnenden Walküren geleistet, war gelöst. Auch bei dieser Feier gab er dem Wunsche

Ausdruck, Walhalla solle vor allem zur Erstarkung deutschen Sinnes beitragen. Im Jahre 1830 war auch für ein einiges Dentschland kaum mehr als der Grund stein gelegt. Im Laufe der folgenden zwölf Jahre war an dem Bau nicht lässig fortgearbeitet worden, obwohl ein ausschweifender Partikularismus in gleicher Weise wie das Streben nach unbedingter Einheit, das sich zu anarchischer Tendenz verirrte, die Entwickelung der Einheitsidee schädigte. Aber es waren doch wenigstens die Glieder des deutschen Volkes nicht mehr durch Zollschranken

zerrissen und die deutsche Bewegung im Jahre 1840 hatte gezeigt, daß die

425

81. Die Walhalla.

Widerstandskraft dieser Nation trotz der schwachen Form ihrer Vereinigung

nicht mißachtet werden dürfe. Ein Herbsttag im Jahre 1870 neigte sich schon zur Rüste, als der Ver­ fasser den Eichenwald durchschritt, der die Walhalla auf der Landseite bis zum Gipfel des Berges den Blicken verbirgt, und endlich die herrliche Halle vor

sich liegen sah. „Tretet ein! Man vergißt die Walhalla nie.

Auch hier sind Götter."

Der Kunstkritiker Hermann Riegel, den man

nicht der Parteilichkeit für den königlichen Bauherrn oder für den Architekten zeihen wird, gesteht: „Mir ist die Walhalla, deren Lage schon an Ägina er­ innert, stets wie ein Tempel des Zeus Pangermanikos erschienen, wie ein wirkliches Heiligtum deutscher Ehre, in dem man Andacht üben kann!" Welche

Erinnerungen werden wach, wenn wir die langen Büstenreihen überblicken! Hier das energische, der Kaiserkrone würdige Haupt Friedrich Barbarossas,

dort der herrliche Dürerkopf, der männliche Scharnhorst, der häßliche und doch so anziehende Kant! Die letzten Sonnenstrahlen brachen eben durch das Dach werk und beleuchteten die Bildnisse Steins und Gneisenaus; allmählich zog sich ihr Schimmer hinüber zu dem ernsten Lutherbild.

Trittst du hinaus durch die Erzpforte, welch reizendes Bild!

Weithin

in der Ebene ein Kranz von Dörfern, deren Namen das altdeutsche Gepräge nicht verleugnen, zu beiden Seiten Hügelgebilde, von Hopfen und Reben über­ rankt, und mitten in dunkelm Forst, vom dämmernden Himmel sich geisterhaft

abhebend, die weiße Marmorhalle mit dem hell schimmernden Treppenbau! Das Rauschen

der Donau,

von alter Macht

in der sich schon die Sterne spiegeln,

und Herrlichkeit;

erzählt

die feierliche Stille einer heiligen Ein­

samkeit lockt in Träume. Zur Walhalla schreiten die Götter auf dem Iris­ bogen über den Strom. Wie sich Helena und ihre Gespielinnen beim Anblick

der Ritterburg,

die

Phorkyas

ihnen

zeigt,

scheuer

Furcht

nicht

erwehren können, so staunen auch die Schutzgötter Germanias ob der fremd­ artigen Pracht. Da blitzen in der nahen Stadt feurige Garben auf!

Der Dom, dessen

himmelanstrebende Türme der Erbauer Walhallas vollenden half, steht in einem Feuermeer.

Die Stadt, in welcher Ludwig der Deutsche begraben liegt, feiert Das Aufleben

ein deutsches Siegesfest und die Wiedergeburt des Reiches.

der alten nationalen Begeisterung half den deutschen Waffen zum Sieg. Dank

den Fürsten, die sich als Träger der nationalen Idee bewährten, ist als schönstes Siegesmal ein starkes, glückliches Deutschland wieder erstanden, —

die edlen Wünsche des Gründers des nationalen Heiligtums Walhalla sind zur Tat geworden.

82. Walhalla.

426

82. Walhalla. Don Martin Greif?) Auf Walhallas Stiegen Satz ich einsam da, Alle Fluren schwiegen

Fern und nah. Nur die Amseln sangen Drüben noch im Wald, Abendglocken klangen

Und verstummten bald.

Rosenrot umflossen Fern der alte Dom Und der Mond ergossen Auf dem Strom. Leuchtende Gestalten Iiehn zum Tempel hin, Hohe Kränze halten Die Viktorien drin.

Die Viktorien bieten Hohe Kränze dar, Stille herrscht und Frieden Wunderbar. Aber nah und ferne Lebenshauch und Drang, Keimen goldner Sterne Sonnenuntergang!

In die weh'nden Lüfte, In den ros'gen Strahl, In die Bergesklüfte, In das Tal! Atmen, wandeln, weben Könnt ihr droben nicht, Alles ist das Leben, Alles ist das Licht.

Blauer Wellen Blinken, Grüner Donaustrand! Duft'ge Schleier sinken Auf das Land. Helden! Sänger! Meister! Wär's nicht einz'ges Glück, Führten sel'ge Geister Euch zu uns zurück?

83. Gedanken Jean Pauls über feine Jett. Von Hans Probst.*

Die ersten Werke Jean Pauls bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein sind voller Spott über das morsche Reich: er geißelt den Druck der kleinen Fürsten und ihre Soldatenspielerei, die unkriegerischen Reichstruppen und die verknöcherte Rechtspflege; er schildert mit bitteren Worten das Leben

der unfreien Bauern; nur die Reichsstädte nennt er die „deutschen Niederlassungen

und Absteigequartiere der Göttin der Freiheit." Ebenso unbefriedigt zeigt er sich als Beobachter der Ereignisse in Frankreich, „wo Revolutionen sich durch

die Revolution wälzen und der Staat ein Meer wird, dessen Bewohner sich bloß fressen und jagen;" er findet, daß die Revolution „wie eine weite, elektrische Wolke die Kröten und die Frösche und den Staub in die Höhe zog, indes sie die erhabenen Gegenstände umschlug." Die Koalitionskriege machen seine

Seele „beklommen vom Bedauern des edlen, kriegerischen Blutes."

In der

„Huldigungspredigt vor und unter dem Regierungsantritt der Sonne, gehalten am Neujahrsmorgen 1800“ ruft er das Lichtgestirn an:

„Ziehe dem Jahr­

hundert, diesem wilden Titan, das Schwert aus der Hand und gib ihm deinen geheiligten Ölzweig ins Grab! Wie, war nicht seine letzte Bahn wie

die

einer Königsleiche mit Trauertuch

belegt und

wird es nicht wie diese

unter Kanonen eingesenkt? — Gib uns Liebe und Friede, Mutter des Lebens und der Wärme!" *) Gesammelte Werke, L, S. 297.

Leipzig 1895 •

83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit.

427

Das einzige, was ihn über die verstimmende Gegenwart erhebt, sind große Menschen. Sein deutscher Held ist Friedrich der Große, bei dessen Hinscheiden er schreibt: „Gewisse Menschen bringen auf einmal die ganze Menschheit vor unser Auge."

Lichtgestalt.

In der französischen Revolution ist ihm Charlotte Corday eine

„O selig," ruft er noch 1801 in dem Aussatz über diese Heldin

aus, „selig ist der, welchem ein Gott eine große Idee beschert, für die allein er lebt und handelt, die er höher achtet als seine Freuden, die, immer jung und wachsend, ihm die abmattende Eintönigkeit des Lebens verbirgt." Ohne solche hohe Geister wäre ihm das Leben schal. „Es erscheine ein Jahrhundert

lang in einer Literatur kein Genie, in einem Volke kein Hochmensch:

kalte Wasserebene der Geschmack- und Sittenlehrc! ...

welche

O, ich möchte in

keinem Leben leben, das kein großer Geist anrührte und durchgriff!"

Ebenso

beurteilt er anfänglich den ehrgeizigen Korsen. „Alle Größen und Berge in der Geschichte, an denen nachher Jahrhunderte sich lagerten und ernährten, hob das vulkanische, anfangs verwüstende Feuer solcher Übermenschen, z. B.

Bonaparte Frankreich . . . kühn auf einmal aus dem Wasser."

„Wer nun

diese Kraft besitzt, hat das Gefühl derselben oder den Glauben und darf unter­

nehmen, was für den Zweifler Vermessenheit und Sünde wäre bei seinem Mangel des Glaubens und folglich auch der Kraft."

Unwillkürlich zieht er

zwischen ihm und den deutschen Heerführern seine Vergleiche. „Zur französischen Kriegskraft gehört ihre geistige Jugend und ihre Wahl der körperlichen; beides

führt wieder zur sieghaften Schnelle.

Wenn bei den Deutschen ein Mann

nicht eher einige Regimenter befehligen und stellen durfte, als bis er selber

kaum mehr stehen konnte — kurz, wenn man, den Fürsten ausgenommen, nicht früher ein Heer weise anführen konnte, als bis man mehrere Millionen Male rasiert geworden, so ahmen die Franzosen mehr den Griechen nach, welche den Mars ganz jung und ohne Bart darstellten."

Roch erwartet er, der Kriegsmeister werde sein Werk als Friedensfürst krönen.

Im Februar 1808 schreibt er in der „Friedensprcdigt": „Es ist eine

vorteilhafte Erscheinung, daß die Natur allen großen Helden — von Alexander und Cäsar an bis zu Karl dem Großen und Friedrich II. und Napoleon herüber — gleichsam als einen Wundbalsam für verblutete Völker Liebe und Eifer für die Wissenschaft auf die verheerende Laufbahn mitgegeben." Er meint Anzeichen davon zu sehen. „Der Knoten lösende Maschinengott Europas

hat durch mehrere neueste Schritte kundgetan, daß er nichts als Frieden brauche

und ihn künftig über Erwarten bewahren werde um Friedrich den Einzigen zum zweiten Male zum Muster zu nehmen. Im Krieg ist Friedrich II. nicht der Einzige; bleib' er's auch im Frieden nicht und werd' er nicht nur erreicht

sondern auch übertroffen! — Und dann ist die Welt beglückt und ihre Ver­ wundung entschuldigt!" Doch bereits 1809 schwindet ihm sichtlich diese Hoffnung. In dem Aufsatz „Kriegserklärung gegen den Krieg" heißt es: „Was dem

Frieden die Wohltaten verfälscht und schmälert, ist eben, daß er alte Kriegs-

83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit.

428

wunden zu verschließen und zu neuen auszuholen hat.

Wollte ein großer

Staat nur die Hälfte seines Kriegsbrennholzes zum Bauholze des Friedens

verbrauchen; wollte er nur halb soviel Kosten aufwenden um Menschen als

um Unmenschen zu bilden, und halb soviel sich zu entwickeln als zu ver­ wickeln: wie ständen die Völker ganz anders und stärker da! Wie viel mehr hat das kleine, ftiedliche Athen für die Welt getan als das würgende Riesen-

Rom!"

Deutlich klingt schon der warnende Hinweis auf das Schicksal der

großen Eroberer durch: „Immer glitten die durchstochenen, durch ein Schwert aneinander gereihten Länder wieder davon ab, sobald die blutschwarze Hand,

die es hielt, sich vor dem Tode senken mußte."

Offenbar anspielend auf den

unersättlichen Soldatenkaiser schreibt er: „Alexander hätte sich gewiß nicht mit dem winzigen Trabanten der kleinen Erde begnügt, dem Monde, wenn

er eine Aufziehbrücke dahin gefunden hätte, sondern er wäre gerade auf die Hauptstadt des hiesigen Planetenreiches, auf die Sonne, losgegangen und hätte daselbst, nach der Eroberung, Kriegskarten vom Hundsstern verlangt." Auch in anderer Hinsicht vollzieht sich in Jean Paul eine Wandlung.

Er hörte in Bayreuth in den ersten Oktobertagen 1806 die vor seinen Fenstern

„vorübergetragene Kriegsmusik,

welche mit ihrem Freudenanklang das Herz,

wider dessen Vaterland sie zog, schmerzlich seltsam teilte;" er durchlebte eine Zeit, „wo die Kanonen die Stunden schlugen und die Schwerter sie zeigten;" nun steht er dem Vaterlande nicht mehr mit kaltem Spott gegenüber, sondern nimmt wärmsten Anteil.

„Der Krieg hat über Deutschland ausgedonnert,

. . . mit den deutschen Wunden sind zugleich auch die deutschen Ohren offen; daher rede Heilsames, wer es vermag! ... Oftmals sind Länder vorbereitet und umgepflügt mit Schwertern, gedüngt mit Blut — und bleiben doch brach,

weil der Geist nicht kommt, der den guten Samen aussäet, sondern bloß der Feind mit Krallen voll Unkraut. . . . Noch hat uns . . . das Unglück nicht so viel Vaterlandsliebe gegeben, als das Glück den Franzosen davon gelassen, ja

zugelegt." Aber nicht in Vorwürfen will er zu seinem Volke sprechen, sondern tröstend und aufmunternd. Nach Jahren sagt er einmal: „Übrigens geht

durch alle meine politischen Aufsätze, von des ersten Konsuls Drucke an bis zu des letzten Kaisers Drucke, etwas ungebeugt und aufrecht, was ich jetzo am

liebsten darin stehen sehe — die Hoffnung."

(Fastenpredigten 1816.)

Er

schlägt schon 1808 in der Vorrede zu seiner Friedenspredigt diesen Ton an.

„Wir brauchen vielerlei Hoffnungen; schon das Glück kann ohne diese nicht genossen werden, geschweige das Unglück getragen oder geheilt. In jedem Falle ist Hoffen besser als Fürchten."

Eine Hoffnung ist, daß nun die Deutschen ihre alten Schwächen ablegen. „Der Krieg ist die stärkende Eisenkur der Menschheit, und zwar mehr des Teils,

der ihn leidet, als des, der ihn führt.

... So muß der Krieg den nächsten

Zeiten mehrere wahre Männer zugebildet und zurückgelassen haben und dem Vesuve gleich geworden sein, nach dessen Aschenwürfen (das Kriegsfeuer liefert

H3. Gedanken Jean Pauls über sein« Zeil.

429

ja Häuserasche und Menschenasche genug) der anfangs durch sie erstickte Pflanzen­ wuchs üppig emporschießt. — Und was begehren wir mehr für die Zukunft als Männer?" Man muß sich in die neuen Verhältnisse einleben. „Neue Staats­ schiffe lassen wie neue Boote noch Wasser ein, bevor sie zugequollen sind."

„Wir wohnen jetzt noch im Baugerüste der Zeit — und freilich ist ein Gerüste

nicht die bequemste Wohnung.

Aber unsere vorige war ja noch zerlöcherter

und durchsichtiger als irgend ein Gerüste, gleichsam nur das Gerüste zu einem Gerüste." In die Abhängigkeit unter Frankreich muß man sich zunächst finden,

so gut es geht. „Seit den letzten Kriegen teilen wir wieder gern den gemein­ schaftlichen Namen Franken und erinnern uns aus der Geschichte, daß die Mehrheit in Frankreich nicht Gallier, sondern versetzte Germanen sind." Freilich ist das nur ein Scheintrost; wichtiger sind ihm die ersten sichtbaren Zeichen beginnender Verjüngung. Seine im Anfang des Jahres 1809 geschriebenen

„Dämmerungen" sprechen dies deutlich aus. „Als der Donner in Lykurgs Grab einschlug, galt es für ein günstiges Zeichen. In Potsdam fuhr der Strahl in das Grab eines ähnlichen kriegerischen Gesetzgebers; auch hier erscheint es als kein

böses Zeichen, indem er daraus zwar nicht den Gesetzgeber, aber doch verklärte Gesetze aufweckte." „Das Kriegsfeuer hat gewiß etwas Besseres entzündet als Häuser, nämlich Herzen für Deutschland.

Es finden deutscher Norden und

deutscher Süden — bisher so widerspenstig einander eingcwachsen zu einem Reichskörper als zuweilen Zwillinge am Rückgrate zu einem Leibe — und

ferner die deutschen Zwischenstaaten finden sich einander jetzt verwandter, zu­

sammentreffend auf demselben Dornensteig von Leiden und auf der Wett- und Rennbahn ähnlicher Selbstverbesserung. Ein herrlicher Auferstehungsgeist arbeitet und glüht jetzt int vorigen Reichskirchhof und beseelt Scheintote und

beleibt Gerippe.

Einerlei Ziel löscht den Unterschied unter deutschen Staaten

immer mehr aus."

Nur eines ist jetzt noch vonnöten:

ein starker, alle diese

gärenden Kräfte einigender Mann. „Die neueste Geschichte voll umgeworfener und voll aufgerichteter Throne predigt uns allen das Übergewicht der Einzelnen über die Masse."

Dieser „Einzelne" muß ein Fürst sein.

„In Deutschland

läuft der Efeu der Vaterlandsliebe mehr am Throne empor als auf dem Boden umher; nämlich wir haben immer einen großen Fürsten — groß entweder

geographisch oder heroisch oder sittlich — vonnöten um erst an ihm das Vaterland zu lieben. ... Nie vermag — wie Österreich, Preußen u. s. w. zeigen —

ein Fürst über sein Volk mehr als nach Landesunglück und Landesschmälerung. Zumal wenn sie ihre Kräfte

Was werden also nicht unsere Fürsten vermögen?

nur nach innen, nicht nach außen kehren.

Dachten deutsche Fürsten jemals

deutsch, so müssen sie es jetzo noch mehr tun. Deutsche lieben so sehr ihre Fürsten; ist's denn also für einen von diesen so schwer, Millionen liebende

Herzen mit einem einzigen zurückzulieben?" Allerdings wurde noch im selbigen Jahre, 1809, das Vertrauen in Deutschlands Zukunft auf eine harte Probe gestellt. Über die Aufsätze, die er

430

83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit.

1810 bis 1811 schrieb und die er 1816 unter dem Titel „Politische Fasten­ predigten" zusammenfaßte, äußert er sich in der Vorrede dazu, sie seien „in

jenen lastenden Jahren geschrieben, wo weiter keine andern Federn kühn und stolz sich bewegen durften als die auf Helmen und wo man in Schafskleidern gehen mußte um Wölfen nicht anstößig zu werden.

So wird man sich über

die Stellen dieses Buches nicht entrüsten, wo ich mit den Wölfen zwar nicht heulte, aber auch nicht über sie."

In der „Traumdichtung in der ersten

Nachmitternacht des Jahres 1813" schreibt er im Dezember 1812:

„Unsere

Zeit, gewaltiger und umgreifender als eine, leidet eben darum keine Propheten:

sie läßt keinen Monat Zukunft von sich weissagen; ja, wir haben genug zu blicken um nur die Vergangenheit zu erraten und zu sehen." Aber unge­ beugt ist sein Vertrauen. „Wer hofft, hat schon gesiegt und siegt weiter." Als endlich der große, ersehnte Umschwung erfolgte, da äußert sich seine

Freude in der Vorrede zu „Mars' und Phöbus' Thronwechsel" am 10. Februar 1814: „Verfasser darf sich zuerkennen, daß er schon in seinen frühern Werken statt der Furcht die Hoffnung gepredigt und genährt. . . Und so schimmerten ihm denn die ewigen Sterne der Vorsehung durch den Nordschein einer langen

Nacht hindurch und dieser Schein hat ausgeprasselt und jene sind still in ihrem Lichte fortbestanden." Noch kann er sich zwar nicht so frei äußern, tote er möchte.

„Wenn der Leser es tadeln will, daß ich in eine so taten- und

folgenreiche einzige Zeit, ungleich anderen Schriftstellern, statt eines Sturmvogels

oder eines Beizfalken, einen leichten Sommer- und Schneidervogel, wie diese nur scherzende Flugschrift ist, hinausschicke: so fall' er den Zensor an, ... der es verbot! Dieser . . . verbot dem Sommervogel den Eingang in ein berühmtes Wochenblatt, weil er ihm als ein Totenkopfschmetterling gegen die Fran­

zosen bedenklich schien;

mit anderen Worten: er verbot mir gegen die Leute

zu schreiben, gegen welche er und ich (auf Befehl unserer Regierungen) sogar zu schießen haben." Doch bricht die Freude über die große Gegenwart mit fast dithyrambischem Schwünge durch: „Wo zeigt uns die Geschichte einen ähn­

lichen kosmopolitischen Krieg, welcher Fürsten und Völker fast eines Weltteils zur Wiedergeburt der Freiheit und nicht für Eroberungen, sondern für Er­

oberte vereinigt und begeistert und worin die moralische Macht der Ideen die

verschiedene Macht der Waffen ausgleichend nach einem Ziele richtet? Wo hoben sich je gebeugte Völker und Fürsten unter wilderen Stürmen empor? . . . Eine Völkerauferstehung wie die jetzige bliebe, wenn ihr auch die Be­ glückung der nächsten Zttkunft fehlschlüge, für die ferne durch Beispiel ein fort­

wirkendes Heil." Doch der Hinweis auf ein mögliches Fehlschlagen der nächsten Zukunft klingt wie eine leise Sorge durch. „Nicht als ob so leicht ein Zersprengen

des großen Bandes drohte, woran Fürsten und Völker, wie Wanderer auf Eisfeldern über die Eisspalten aneinander geknüpft, über die gemeinschaftliche

Gefahr hinüberschreiten."

Eine aitdere Frage beschäftigt ihn: ob ein kräftiger,

83. Gedanken Jean Pauls über seine Zeit.

weitblickender Fürst die Forderungen der Zeit versteht.

431

„Jetzo muß zugleich

in Kürze und auf lange hinaus gebaut werden; der Anspannung folgt Ab­ spannung, dem Bewußtsein der Opfer Hoffnung reicher Entschädigung und dem Ausruhen eine schlimmere Mattigkeit, als die des Anstrengens ist. . . . Für das Volk ist genug und gut geschrieben worden, aber wenig für Fürsten

und Große, was freilich ebenso schwierig als verdrießlich ist." diesen

verlangt, deutet er vorerst nur bildlich an:

alle Thronhöhen überwogenden Blutsündflut

Was er von

„Nach der gewaltigen,

des Jahrhunderts

wölbet über

Europa einen Regenbogen des Friedens!" Deutlicher spricht er sich in den Fastenpredigten aus: „Wir sind erst der bittern Vergangenheit los, aber der fruchttragenden, süßreifen Zukunft noch nicht Herr."

Besonders in dem Ab­

schnitt „Nutzanwendung der Zeit" entwickelt er seine Zukunftsgedanken: „Eine Höhenzeit stand sonnenwarm über Griechenland nach dem Siege über Xerxes:

in ihr sprangen alle alten Blüten auf und alle jungen Früchte reiften.

Eine

solche Zeit arbeitet jetzo in Deutschland nach dem Siege über den neuesten Lerxes und zwar in Deutschland am meisten; denn nur dieses litt am längsten und

härtesten und nur in ihm wurden Länder und Jahrhunderte mit Kanonen­ rädern umgeackert....

Glaubt ihr, das; das Volk unten, das in der Feuers­

brunst des Krieges aus Not und Rache mit einer Verdoppelung von Kräften

Riesenlasten bewegte und Rettwunder verrichtete, jetzo im Frieden die An­ spannung werde wiederholen anstatt nachlassen wollen"? . . . Im Volke muß öffentlicher Geist, großer Geineinsinn erst gebildet werden und zwar dadurch, daß man ihn befriedigt; und wie man alles Höchste erst durch das Besitzen erkennt und Gutes tun muß um cs recht zu lieben, so muß das Volk höhere

Güter freier Regierung umsonst bekommen um ihrer nachher würdig zu werben. So wird das Volk seine Verfassung, nicht bloß den persönlichen Fürsten lieben. Das Volk, das euch künftig umgibt, kein erniedrigtes, sondern ein aufgerichtetes, ihr Fürsten und ihr Staatenlenker, nur dieses malt euch groß in der Geschichte,

aber nicht schimmernde Siege mit dem Schwerte oder Ländergewinste mit der Feder. . . . Den Fürsten stehen nun zum mächtigsten, heiligsten Einwirken die Kräfte einer von der Zeit beseelten Jugend zu Gebote. . . .

Den Fürsten

stehen außer diesen Feuergeistern noch die Lichtgeister der Zeit zur Seite, eine Cincinnatusgesellschast hochgesinnter Schriftsteller in allen deutschen Kreisen und in allen wissenschaftlichen Fächern; . . . gleichsam Uhren in einer großen

Stadt, welche alle ineinanderschlagend zwar das Zählen erschweren, aber doch alle eine Stunde ansagen."

Also „können Fürsten mit keinem Mangel an

treuen, warmen Gehilfen oder an fremder Vorbearbeitung sich entschuldigen, ja nicht einmal mit einem Mangel an fürstlichen Mustern und Vorgängern selber, wenn sie im Besitze solcher Hände, Herzen und Köpfe den ewigen Ruhm

versäumen, ein schöneres Deutschland zu pflanzen, als das halbverwelkte, halb­

gemähte gewesen. . . . Bedenkt noch, ihr gekrönten und besternten Machthaber aller Art: ihr tragt in der Zukunft entweder alle Schuld oder allen Glanz."

432

84. Ludwig I. und Goethe.

Mit den Fastenpredigten hat Jean Paul als politischer Schriftsteller seinen

Höhepunkt erreicht.

Wenn er von da ab noch zuweilen über die deutschen

Verhältnisse spricht,

so geschieht es nicht mehr so ausführlich und mit solcher

Begeisterung; man hört aus manchen Zeilen schon wieder den Satiriker heraus. In den „Saturnalien" 1818 faßt er nochmals einige Wünsche zusammen im

Gegensatz zu denen,

„welche durch Polizeidiener gern ein korrektes Universum

„Fürst und Adel sollen nicht . . . auf das göttliche Ebenbild des

hätten:"

Menschen

mit Füßen treten, . . . gegen

das Feuerwerk des Witzes sollen

Zensur und Polizei keine Feuertrommeln rühren und keine Lärmkanonen richten

gegen Raketen;" es solle „keine halbe und keine beschränkte Preßfteiheit geben,

sondern eine ganze;" es solle „überall Landstände geben;" „Weimar, das aus einem Parnasse der deutschen Musen zu einem Sinai der Verfassungen geworden,

soll die deutsche Keblah sein." So leuchtet aus den Werken Jean Pauls, mag er in strafendem Spott, in warnender Sorge oder in fteudiger Begeisterung schreiben, ein echt deutscher

Sinn.

Die Grundbedingungen für das Blühen und Gedeihen des Vaterlandes

sind ihm treffliche Fürsten,

eine freie Verfassung und

allgemeine Bildung,

„Einsichten des Volkes;" denn „in der Geschichte hat wie in der Göttergeschichte

Minerva am meisten die Götter gegen die Giganten beschirmt."

84. Ludwig I. und Goethe. Don Thomas Stettner.*

Was ein jeder unserer beiden Dichterfürsten ihm sei, hat König Ludwig I. in den knappen Worten eines Epigramms ausgesprochen: „Wenn ich erwache, bevor ich betrete den Kreis der Geschäfte,

Les' ich in Schiller sogleich, daß mich's erhebe am Tag; Aber nach geendigtem Lärmen, in nächtlicher Stille, «Mchf ich zu Goethe und träum' fort dann den lieblichen Traum."

Man kann kaum treffender die Verschiedenheit dessen, was ein jeder von

ihnen uns geben kann, bezeichnen:

der feurige, vorwärts drängende Schiller

soll uns begeistern zur Arbeit des Tages; überschauen wir aber in des Abends Sülle prüfend die abgelaufenen Stunden

und unser Wirken in ihnen,

dann

wird Goethe in seiner abgeklärten Ruhe unsere beste Gesellschaft sein. In seiner dichterischen Eigenart stand Schiller dem Könige näher, mit Goethe aber verband ihn neben der höchsten Bewunderung mannigfache Über­

einstimmung in Neigungen und in der Auffassung des tätigen Lebens:

beide

liebten Italien als das Land der Sehnsucht, beide erblickten in der antiken Kunst die Höhe und deshalb die bleibende Norm künstlerischen Schaffens und

auch in den Fragen des politischen Lebens standen sich ihre Ansichten nahe.

Goethe aber verehrte in König Ludwig den mächtigen Beschützer und Förderer der Wissenschaften und Künste, der im großen zur Tat machte, was er selbst

433

84. Ludwig I. und Goethe.

im kleinen Kreis

unermüdlich anstrebte,

die Wiedererweckung einer großen

deutschen Kunst. Goethe hat München ein einziges Mal besucht, auf dem Wege nach Italien 1786.

Es war damals keine Blütezeit für die Stadt.

Noch war sie in die

Mauern der alten Befestigung eingeengt, kaum ein Gelehrter oder Künstler, dessen Ruhm, über Bayerns Grenzen gedrungen wäre, weilte in ihr und auch

die Sammlungen enthielten nicht allzuviel Bedeutendes. So können wir begreifen,

daß sein Auge an jenem rauhen Herbsttage vom Frauenturm aus sehnsüchtig den Süden suchte und daß er nach kurzer Rast weiterzog. Welch andere Stadt hätte er getroffen, wenn er, des Königs wiederholter Einladung und dem Drängen seiner Freunde folgend, etwa ein halbes Jahr­

hundert später sie wiedergesehen hätte!

Schon unter Ludwigs Vater war

inmitten der Kriegswirren das wissenschaftliche Leben neu erwacht, mit der Thronbesteigung des Sohnes war dort ein wahrer Frühling für die Kunst angebrochen. Junge Künstler strömten zukunftsgläubig von allen Seiten dahin,

ein froher Wettstreit aller Künste begann. Und überall war der König der Anregende und Helfende. Die Sammlungen waren durch die Einverleibung der Düsseldorfer Galerie und durch die Kunstschätze der aufgehobenen Klöster

bedeutend gewachsen; hochherzig wies er ihnen zu, was er selbst gesammelt hatte und mit den größten persönlichen Opfern neu erwarb. Herrliche Bauten führte er auf um diese Schütze würdig zu verwahren. Kam Goethe nun auch nicht selbst, so verfolgte er doch aus der Ferne mit dem größten Interesse alles, was der König unternahm und was sonst

für die Kunst Bedeutendes geschah.

Da mancher seiner Freunde vom König

für immer nach München gezogen wurde oder für kürzere Zeit dort weilte,

wurde er durch deren Berichte stets auf dem laufenden erhalten.

In früherer

Zeit war sein vertrauter Jugendsteund Fritz Jacobi, der zum Präsidenten der

Akademie der Wissenschaften berufen wurde, sein Hauptberichterstatter (er gibt z. B. Nachricht über Senefelders Erfindung, für die Goethe das größte Interesse

und ein weitblickendes Verständnis bewies); als der König die herrliche Samm­ lung altdeutscher Bilder der Gebrüder Boisseree, die jetzt die ersten Säle der

Pinakothek ziert, erwarb, siedelte Sulpiz Boisseree nach München über und erstattete von nun an ausführlichste Berichte über alle Vorgänge daselbst. Aus dem reichen Briefwechsel der beiden sehen wir, wie Goethe im stillen Weimar bis ins kleinste an allem Anteil nahm, was in München zutage gefördert wurde; wie er bewundert und lobt, auch wohl sich sorgt, ob der Fürst nicht zu raschen Schrittes in seinen Unternehmungen vorgehe; und als es zwischen

diesem und den Ständen wegen der großen Ausgaben für. die Bauten zum Konflikt kam, bedauert er den König, dem es bei den Zeitgenossen zu ergehen

scheine wie den frommen Bauherren des Mttelalters bei der Nachwelt, die ihre großen Entwürfe nicht vollendet haben. — Auch die Früchte seiner dichterischen Tätigkeit schätzte er als Ausfluß einer hohen Denkungsart und KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

28

84. Ludwig I. und Goethe.

434

als Werke eines Fürsten,

der sich die

„angeborene schöne Menschlichkeit"

gerettet habe. Da keine Einladung Goethes Reiseunlust zu überwinden vermochte, machte

der König durch einen hochherzigen Entschluß dem Verkehr aus der Ferne ein

Ende.

Am Geburtstag des Dichters im Jahre 1827 fuhr unvermutet ein

Wagen an seinem Hause vor und in jugendlicher Hast entstieg.demselben der König. Er war von Brückenau tags zuvor aufgebrochen und hatte die Nacht im Wagen verbracht um Goethe seine Glückwünsche zum Festtag selbst zu

überbringen. Als Angebinde überreichte er ihm das Großkreuz des Kronenordens und hierbei spielte sich eine Szene ab, die charakteristisch ist für das Verhältnis

Goethes zu seinem Fürsten.

Trotz aller vertrauten Freundschaft fühlte und

gab er sich in allen dienstlichen Dingen stets als den Beamten und so wandte

er sich auch jetzt, ehe er den Orden annahm, mit aller Förmlichkeit an Karl August: „Wenn mein gnädiger Fürst erlaubt." — Dieser aber, der jene Scheidung nie anerkannt hatte, rief lachend: „Alter Kerl, mach doch kein dummes Zeug!"

Den größten Teil des Tages verbrachte der König in Goethes Haus; was ihm daneben und neben dem Besuch bei Hof an Zeit blieb, widmete er Schillers Andenken; er besuchte sein Haus, und als er auf der Bibliothek sah,

in welch wenig angemessener Weise dort aufbewahrt wurde, was von seiner sterblichen Hülle erhalten war, gab er den Anstoß dazu, daß dies eine würdigere Ruhestätte fand. — Abends war zu Ehren des Festtags Ball im Schützenhaus, auf dem der König durch seine Liebenswürdigkeit, seine lebhafte, geistvolle

Unterhaltung und den herzlichen Anteil, den er an Weimars großer Ver­

gangenheit nahm, alle Herzen für sich gewann. Die große Freude, die der Dichter über diese fürstliche Auszeichnung empfand, und der tiefe Eindruck, den des Königs Persönlichkeit auf ihn machte, klingt aus allen Äußerungen wieder, die er mündlich und in Briefen über

diesen Besuch machte.

Es sei nichts Kleines, äußerte er zu Kanzler Müller,

einen so großen Eindruck, wie die Erscheinung des Königs, zu verarbeiten; ihm

sei es unschätzbar ihn gesehen zu haben: in derselben Zeit zu leben und diese Individualität, die mit aller Energie seines Willens so mächtig auf die Zeit­ gestaltung einwirke, nicht durchschaut zu haben, würde unersetzlicher Verlust gewesen sein.

Der König schreibt von jenem Tag an ihn:

„Wie kurz nur

genoß ich Ihres lehrreichen Umgangs; aber Augenblicke mit Goethe zugebracht wiegen Tage, wiegen Monate auf. Die mit Ihnen verlebte Zeit ist keine Vergangenheit geworden, sie bleibt als ewig erfreuende Gegenwart."

In ganz

Deutschland aber staunte man über diese Ehrung eines Dichters und ein zufälliger Zeuge jenes Besuchs schreibt: „Dieser Vorgang machte ein Aufsehen wie selten eine Begebenheit in Zeiten des Friedens." Lange ging Goethe mit sich zu Rate, womit er seiner Dankbarkeit sicht­ baren Ausdruck verleihen könnte; aber nichts schien ihm zu genügen, bis er

endlich eine Gabe fand, wie sie schöner nicht gedacht werden kann: er widmete

435

84. Ludwig 1. und Goethe.

ihm das „wundersame" Buch, das er damals der Welt schenkte, den Briefwechsel zwischen Schiller

und ihm, das Denkmal

einer einzigartigen Freundschaft.

Und wie schön weiß er diese Widmung zu begründen! Als der König in Weimar die engen Räume sah, in denen Schiller gewohnt hatte, äußerte er: „Hätte ich nur damals schon freie Hand gehabt, ich hätte ihm Villa Malta

in Rom eingeräumt!"

Anknüpfend an diese Worte gibt Goethe in der Widmung

dem Schmerz darüber Ausdruck, daß es seinem verewigten Freunde nicht auch vergönnt gewesen sei die königliche Gnade zu genießen. „Durch Ihre Gunst," fährt er fort, „wäre sein Dasein durchaus erleichtert, häusliche Sorgen entfernt,

seine Umgebung erweitert, derselbe auch wohl in ein heilsameres Klima versetzt worden und seine Arbeiten hätte man dadurch belebt und beschleunigt gesehen." Von jenem Besuch an wanderte mancher Brief und manches Geschenk — z. B. zum 80. Geburtstag der Abguß des Niobidentorso in der Glyptothek wie vorher

jener der Medusa Rondanini — von München nach Weimar und Goethe

antwortete stets sehr erfreut; doch da nach des Königs letztwilliger Verfügung sein schriftlicher Nachlaß noch für eine Reihe von Jahren uneröffnet bleiben soll, ist dessen Kenntnis Späteren Dorbehalten.

Um eine sichtbare Erinnerung an die Tage in Weimar zu besitzen sandte Ludwig ein Jahr danach seinen jungen Hofmaler Joseph Stieler, dessen fein durchgeführte Bilder die damalige Welt entzückten, nach Weimar mit dem Auf­ trage ein Porträt Goethes anzufertigen. Dieser ließ sich sonst nur mehr ungern dazu herbei für ein Bildnis zu sitzen, und wenn wir hören, wie oft er darum

angegangen und wie sehr er dann manchmal von denen gequält wurde, denen er es gewährte, werden wir es begreifen — hier aber war er mit Freude

bereit; selbst einen neuen Rock ließ sich der sparsame Hausvater — allerdings erst auf das dringende Zureden der Freunde! — für diesen Zweck anfertigen und sein vertrauter Freund Zelter, der kurz vorher den König gesprochen und Goethe eine sehr originelle Schilderung von München und den Münchenern zugesandt hatte, ermahnte ihn, er möge dem Maler geduldig sitzen und ihm

„die Fenster seines Geistes öffnen". Der junge Maler hatte als Probe seines Könnens eines der schönsten Frauenbildnisse mitgebracht, die jetzt als „Schönheitsgalerie" in der Residenz vereinigt sind, und Goethe meinte lachend: „Stieler war gar nicht dumm! Er brauchte diesen schönen Bissen bei mir als Lockspeise und schmeichelte meiner

Hoffnung, daß auch jetzt unter seinem Pinsel ein Engel entstehen würde, in­

dem er den Kopf eines Alten malte."

Aber es bedurfte solcher Künste nicht: Stieler war ihm als Mensch sympathisch, seine saubere, ins Detail arbeitende Technik fand seinen vollen Beifall; er freute sich „in diesem Jahrhundert einen Maler zu finden, der malen kann", und bald war ein lebhafter Gedankenaustausch im Gang über die allgemeinen Fragen der Kunst und insbesondere über Münchener Kunst

und Künstler,

auf

die Goethe

damals

etwas

schlecht

zu

sprechen 28*

war,

436

84. Ludwig I. und Goethe.

da sie ihm zu sehr im Fahrwasser der Romantik zu segeln schienen und die An­

regungen vernachlässigten, die er gab. ein harter Schlag:

Da traf den Dichter ganz unvorbereitet

Karl August war auf der Reise Plötzlich gestorben — die

Vollendung des Bildes schien, da die Sitzungen eingestellt wurden, in Frage

gestellt.

Aber es sollte anders kommen.

Goethe war gewohnt, wenn schweres

Leid ihn betraf, dies ganz für sich allein in der Stille zu verarbeiten:

als er

nach einer Woche die Sitzungen wieder aufnahm, sprach nicht mehr der Schmerz über den Verlust aus seinen Zügen, sondern es lag über ihnen der Abglanz

all der Erinnerungen an alte schöne Zeit, die er in ihm aufgeweckt.

Es ist,

als blicke er der Gegenwart vergessend zurück in eine Welt schöner Vergangen­

heit, und so zeigt uns dies Bild den Dichter, während uns die anderen Porträte des alten Goethe nur den zurückhaltenden, gemessenen Minister geben. Geduldig saß Goethe selbst noch zu den Äußerlichkeiten; zuletzt trug

Stieler auf das Blatt, das jener in der Hand hält, die Anfangsverse von

des Königs Gedicht „An die Künstler" ein — das Bild war fertig, und zwar Goethe war hochbefriedigt, nicht weniger der

zur allgemeinsten Zufriedenheit.

König, beim Publikum aber erregte es „einen Enthusiasmus der Teilnahme". Am fröhlichsten aber war der Künstler: Goethe sagt selbst, dieser sei in seinem

Hause

ganz wie ein Angehöriger geworden.

Freundliche, anregende Briefe

setzten dies schöne Verhältnis fort und noch in späten Jahren erzählte Stieler

mit Begeisterung von jenen Wochen im Goetheschen Hause. — Das Original­ bild überwies der König hochherzig der Neuen Pinakothek; eine Kopie, die er Goethe schenkte, nimmt heute noch ihren Ehrenplatz im Goethehaus ein. In seinen letzten Lebensjahren nahm der Dichter noch liebevollsten, fördern­

den Anteil an einem anderen jungen Münchener Künstler, an Eugen Neureuther, an dessen Zeichnungen er sich mit geradezu jugendlicher Begeisterung erfreute.

Einen seiner letzten Briefe richtete er an ihn um ihm für die „Randzeichnungen zu deutschen Klassikern" zu danken; schloß der Brief.

„ich bin sehr verlangend auf die Folge",

Aber als sie erschien, weilte Goethe nicht mehr unter den

Lebenden — wenige Wochen

nach jenem Brief war der Unermüdliche ins

Land der einigen Ruhe hinübergeschlummert. Der König aber ehrte den Toten, wie er den Lebenden geliebt.

Seine

Büste wurde in der Walhalla aufgestellt und die Worte, die er in Bezug auf

sie schrieb, beweisen, wie klar er seine fortwachsende Bedeutung fürs deutsche Volk erkannte; in Rom ließ er an dem Hause, in dem er gewohnt hatte, eine Tafel anbringen, und als der Plan für ein Denkmal Schillers und Goethes

in Weimar auftauchte, erbot er sich sogleich das Erz dafür zu liefern. Wie wir ihn im Verkehr mit den beiden Münchener Künstlern Stieler und Neureuther kennen gelernt haben als den teilnehmenden Freund, das ist der echte alte Goethe, der aus dem Schatz seiner Welterfahrung jedes Streben mit Rat und Tat unterstützte.

Dessen Bild sestzuhalten ist Stieler gelungen

und deshalb ist keines aus den vielen Goethebildern mehr beliebt und mehr

85. Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller in Tölz.

verbreitet als dieses.

437

Wenn uns seine milden Züge grüßen, dann möge cs

uns aber nicht nur an den Dichter mahnen sondern auch an den fürstlichen Freund und an das schöne Verhältnis, das gewaltet hat zwischen dem Herrscher

aus dem Thron und dem Fürsten im Reiche der Geister.

85. Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller in Tölz. Don 3** N. Sepp.1)

Wenn man mit dem Volke in seiner Mundart redet, erfährt man vieles; verkehrst du vollends als alter Bekannter und erzählst ihnen vorher etwas, alsdann werden sie zutraulich.

Dies hat vor anderen der Sohn eines Kürbenzeuners (= Korbflechters) von Tirschenreut, unser erster Sprachforscher Andreas Schmeller, verstanden und er wurde so der Begründer der deutschen Dialektforschung. Ohne sichere Lebensstellung, wie er war, hatte er sich als Soldat in Spanien anwerben lassen, hat 1814 und 1815 den Deutschen Befreiungskrieg mitgemacht, bis er

nach verschiedenen Lehrschulen zuletzt an der Staatsbibliothek und Universität

in München zu wirken vermochte. Seine Sprachstudien führten ihn vor anderen zu den sogenannten Cimbern in den Veronesergebirgen, den sieben und dreizehn Gemeinden, welche verlassen mitten unter Welschen leben und entweder bajuvarischen oder langobardischen Geschlechtes sich erweisen.

trieb brachte unseren Schmeller auch nach Tölz; Volkssprache näher kennen lernen.

Derselbe Forscher­

denn er wollte die dortige

So hat er durch den Volksmund belehrt

und bereichert in seinen „Mundarten Bayerns" (1821) und im „Bayerischen

Wörterbuch"?) eine wahre Schatzkammer für Sprachkunde eröffnet. Beim „Kolber" setzte er sich mitten unter die Landleute und

vielleicht den Steffelbauer

von Sachsenkam, ein

bekam

lebhaftes Männlein,

den

Waldherr von Wackersberg, den Bartlmann von Lehen oder den Wicham von

Gaißach zum Tischnachbarn;

ein andermal

den Pföderl von Fischbach oder

den Cham, den Lambrecht lind Oswald von Lenggries, den Orterer und Lui-

polder ans der Jachenau, den Kifersauer oder Jaud am Sauersberg, welche

er dann ausfragtt. „Grüß Gott, Landsmann! Mir gefallt's bei Enk heroben." erwiderte der Angesprochene. daheim,

Wie geht's, wie steht's mit Leib und Leben? „Kannst gleich einmal in Kirta kömmen",

Schmeller fährt fort: „So, hast du eine Frau

die gute Nudel kocht?" — „Na, Frau hob i keine, aber ein Weib

*) „Denkwürdigkeiten aus dem Bayeroberland", S. 371 ff. München 1892, I. Lindauer. *) In 4 Bänden 1827—1837 ' erschienen. Eine neue Auflage im Auftrage der Hist. Kommission bei der Kgl. Akademie der Wissenschaften wurde (1872—1877) heraus­ gegeben.

438

85. Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller in Tölz.

und dies eine dunderschlachtige", versetzt der Bauer. Und Schmeller geht weiter: „Nun, da wird dir deine Bäurin schon was verzähl'n und du weißt gewiß auch allerhand vom Vater und Ahnl her?"



„Was nit gar vom

Urahn! und Guckahnl?" meint der Nachbar. — „Dunderschlachtig", „Guckahnl"

waren Ausdrücke, die sich der Professor notierte. „Das ist mir Ineu," schwatzt der Gilgenrainer drein, „daß ein Stadtherr

von unsereinem etwas lernen und aufschreiben will." — „Warum denn nit," entgegnet Schmeller. „Ein Landler ist eine andere Musik als die in der Stadt und so ist's auch mit enkerer Sprachweis." „Ehr' g'nug," meint der Brand­ „daß sich der Herr mit uns gemein macht, er braucht darum, mein

hofer,

Eichel, doch keine Lederhos und keine Kniestrümpf' anzuziehen." „Wie nennt ihr Hosen in eurer Sprach?" die Ueksen (Achsel) schaut.

„G'saß," ruft der Heiß, der dem Professor über „Na," wirst der Trischberger ein, „wir heißen's

Braxen." Sofort notierte sich Schmeller, daß im Jsarwinkel noch die Beteuerung „Mein Eichel" und das keltische Wort „Braxen" daheim sei, und zwar seit wenigstens 2000 Jahren, wovon einst Gallia braccata, das Hosengallien, hieß.

„Seid's Mannet oder Sueben," fährt der Sprachmeister fort, „jeder

Loder kann a Maß auf meine Rechnung trinken; so jung kommen wir nimmer zusammen."

„Wir sind net so anhabig," äußert der Lambert, halb beleidigt,

„ich bin von keiner Fretten daheim und nit auf der Bettelumkehr. I trau' mir mein Renken Brot schon zu verdienen, kann mir auch mein Bier selber zahlen und braucht mir niemand z'beiten und a nix z'schenka." — „Du darfst di nit so progeln, der Herr hat's nit bös g'meint", läßt sich der Freundelein aus der Fischbacher Gemain hören, der jeden mit diesem Worte begrüßte und

davon selber den Namen erhielt. So hat der gute Schmeller bei uns im Jsarwinkel manches erfragt.

Einmal wäre es ihm aber beinahe schlecht ergangen.

Die Bauersleute und

vereinzelt ein Bürger saßen gemächlich um den Akademiker bankweise herum

und nicht bloß dem Professor ging bei den Fragen und Antworten

über

manches ein Licht auf: da läßt sich vom Nebentische eine Stimme vernehmen und so ein Flößlcr wirft grimmige Augen herüber. „Dies G'schmatz wird mir schon bald zuwider," schrie der Rammelmair inzwischen, der ein strittiger Mensch war,

und schlug mit der Faust auf den Tisch,

„da mögst ja gleich

damisch werden. Der Herr hat nix Gut's im Sinn, daß er uns so angel ausfragt. I trau denen falschen Schreibern nit. I bin g'rad ein talketer Bauer,

aber das merk' i schon, es geht wieder auf eine neue Steuer außi.

Saxenti!

Da schlag' i gleich gar drein."

Dabei griff er nach dem Maßkrug,

als wollte er dreinwerfen. Der Professor ist ganz erstaunt. So gilt der altdeutsche Schwur beim Kriegsgott Saxnote auch bei uns noch und der

Ausdruck gibt ihm nicht wenig zu denken. Der Griesmann fällt jenem lärmend in den Arm. und Gischpel!

„Sei kein so Hiempel

Därf ent nit verschmachtn, Herr Professor, er hat wolta resch

86. Christovh Schmid unter den Kindern.

Irunko.

Tust halt so winni, weil du wieder z'viel

denkt Schweller.

439

hast!"

Molte volle

Sogleich ist auch der Wirt aufgesprungen und beschwichtigte

den Rammelmair: „Geh, wer wird denn so ein'Rüepel machen! Du brauchst nix z'fürchten, der Herr tragt kein' roten Kragen. Vertreib mir doch meine

Gäste nit! Meinst du denn, ich lade sie ein, damit wir eine höhere Steuer kriegen?" — „Du wärst mir schon ein Guttüchener," spricht der Burgerbauer, dich hat g'wiß noch keiner lachen sehen;

du gehst, mein bad!

auffi, wenn du ein freundliches Gesicht machen willst!"

unters Dach

„Du, mach mi nit

fuchti!" antwortet der Rammelmair. „Dies war mir schon zu dumm; jetzt geh' i gar, wo ist mein Ranzen? Kellnerin, was bin i schuldi?" „Mein,

was wirst schuldi sein", versetzt das Burgei, „hast gotzige drei Maß!" — „Anhabig", „progeln", „gotzig" schreibt der Professors wieder in sein Büchel und überlegt bei sich, ob das letztere Wort nicht gar zu gotisch stimme.

86. Christoph Schmid unter den Kindern. Don Alexander Schöppner. *)

Anno 1796 erhielt Christoph Schmid, der allverehrte Jugendschriftsteller,

ein sogenanntes Schulbenefizium im Marktflecken Thannhausen an der Mindel

in Schwaben.

Diese Stelle ertrug einen Gehalt von etwa dreihundert Gulden,

auch war der Titel eines Schulinspektors damit verbunden.

Der Inhaber

l) Schweller, geboren im gleichen Jahre mit Jakob Grimm, am 6. August 1785, zu Tirschenreut in der Oberpfalz, fand seine Heimat in Altbayern, in Rimberg bei Pfaffenhofen a. d. Ilm, wohin die kinderreichen Eltern schon im zweiten Jahre seines Lebens übersiedelten. Der Pfarrherr seines Ortes, Anton Nagel, nahm ihn zuerst in seinen eigenen Unterricht und brachte ihn hierauf in das Senlinar des Stiftes Scheyern. Auf dem Gymnasium zu Ingolstadt (1797) und zu München (seit 1799) setzte er seine Studien fort, mit Not und Entbehrung ringend. Während er im Lateinischen, in Philosophie und Naturwissenschaften die Fortschritte eines tüchtigen Schülers machte, beschäftigte ihn bereits das interessante Problem des Gegensatzes von Schriftsprache und Bolksmundart, an dem die deutschen Grammatiker seit den Tagen seines Landsmannes Aventin gleich­ gültig vorübergegangen waren. — Durch Staatsurlaub und Geldunterstützung ward Schweller später in den Stand gesetzt das Land in seinen verschiedenen Teilen zu bereisen; schon vorher hatte er als Oberleutnant mehrere Jahre hindurch seine Forschungsergebnisse durch planmäßige Vernehmung der jungen Rekruten gefestigt und ergänzt. Später standen ihm für die älteren Sprachstufen die überreichen Schätze der K. Staatsbibliothek zur Verfügung; endlich gesellten sich neue Helfer und Mitarbeiter im ganzen Bayerlande dazu. E. Schröder, Allgem. deutsche Biogr. 31, 786.

„Des Lebens Müh'n hat er durchkostet, Bevor das Höchste ihm gelang, Das seinem Fleiß, der nie gerostet, Glanz und Unsterblichkeit errang."

„Er hat die Sprache, die wir sprechen, In ihren Festen aufgerührt, Der Forschung Quell, der Weisheit Bächen Ein neues Leben zugeführt." (Frz. X. Seidl.)

’) „Lehrreicher Schulmeisterspiegel", 2. Bändchen, S. 38 ff. I. I. Lentner.

München

1859,

86. Christoph Schmid unter den Kindern.

440

dieses Benefiziums hatte die Verpflichtung über die Schule des Ortes die Auf­

sicht zu führen und den Religionsunterricht zu erteilen.

Christoph Schmid

zog dahin, nahm seine jüngere Schwester Franziska zu sich und fing eigene Haushaltung an. Er fand die Schule in so unvollkommenem Zustande, daß er sich entschloß selbst Schule zu halten.

Bald gelang es ihm die Thann­

hauser Schule zu einer wahren Musterschule zu erheben und es fanden sich bei den Prüfungen und auch sonst viele jüngere Lehrer und Geistliche ein um seine Methode zu beobachten und ihre Schule danach einzurichten. Viele Stunden brachte der Benefiziat in der Schule unter den Kindern zu und diese hingen mit einer Liebe und Hochachtung an dem Kinderfreunde, daß das

Lernen und Lehren ihnen und ihm zur Lust wurde.

Um die Kinder für ihren Fleiß zu belohnen veranstaltete er zuweilen kleine Kinderfeste, auch verfaßte er Schauspiele, welche sie aufführten. An schönen Frühlings- und Sommermorgen ging er mit ihnen hin und wieder

auf einen Hügel vor dem Orte hinaus und erwartete in ihrer Mitte das

herrliche Schauspiel der ausgehenden Sonne.

Er lehrte sie hier den allmächtigen

Schöpfer in seinen Werken kennen und lieben und machte sie auf die reinen Freuden aufmerksam, die ein schuldloses Herz in Gottes schöner Schöpfung genießen kann. Auch seine Schwester Franziska, eine sehr gebildete Jungfrau, die der berühmte Naturforscher Schubert nur „Maria-Martha" hieß, unterstützte

ihren Bruder in dem edlen Geschäfte der Jugendbildung.

Da sie eine Meisterin

im Nähen, Stricken und Sticken war, so eröffnete sie auf seinen Wunsch eine Arbeitsschule für die weibliche Jugend. Während der Arbeit wußte sie immer etwas Nützliches und Lehrreiches zu erzählen und nicht nur die Hände sondern

auch den Geist zu beschäftigen. Oft wurden auch schöne Lieder unter der Arbeit gesungen, von denen die schönsten Christoph verfaßte. Vieles trug sie

so zum Lebensglück ihrer Zöglinge bei. Viele dieser Mädchen wurden vor­ zügliche Hausfrauen und Hausmütter; andere traten in weibliche Erziehungs­

anstalten und wirkten als tüchtige Lehrerinnen, besonders der Industrie.

Auf

diese und andere segensreiche Weise wirkten hier beide Geschwister zur echten Bildung und Veredlung der Jugend. In Thannhausen war es auch, wo sich die ersten Blüten von Christoph

Schmids schriftstellerischer Tätigkeit entwickelten. Zuerst gab er 1801 seine allbekannte „Biblische Geschichte" heraus, durch welche er sogleich die Aufmerk­

samkeit des großell Publikums auf sich lenkte.

Diesem glänzenden Versuche

folgte „Der erste Unterricht von Gott", ein kleines Lesebüchlein für die An­

fänger in der Schule. Dann erschienen „Die Ostereier" „Die Genoveva" und andere bekannte Schriften. Im Anfang schrieb Christoph nur für die Schul­ jugend zu Thannhausen und las seine Geschichten aus dem Manuskript nach der Sonntagsschule den Schülern vor; erst später gab er sie auf vielfältigen Wunsch heraus. Über den Eindruck, den diese Erzählungen auf die Jugend

87. Goldbergwerkr und Goldwäschereien in Bayern.

441

machten, als sie der Verfasser zuerst selbst vorlas, schreibt eine seiner Schü­ lerinnen :

„Mit Sehnsucht warteten wir, bis sich die Türe öffnete und der ge­

liebte Jugendfreund mit der Schrift in der Hand eintrat. Der eben behandelte Gegenstand wurde beendigt und der Lehrer selbst wie seine Schüler horchten nun mit gespannter Aufmerksamkeit dem überaus schönen Vortrage.

Nicht selten wurde die Rührung groß, Tränen flössen und ein lautes Schluchzen enfftand.

Wir merkten die vorgeschrittene Zeit nicht und bestürmten mit Bitten

den ermüdeten Vorleser fortzufahren.

Von einem Sonntag zum anderen freute

man sich, wenn eine Erzählung angefangen war, auf die Fortsetzung derselben

am nächsten Sonntag.

Zuweilen bekamen wir als Hausaufgabe den Auf­

trag eine Erzählung nachzuschreiben. Die schönen Erzählungen blieben aber nicht bloße Gedächtnissache, sie bestimmten auch die Handlungsweise sehr vieler Jungfrauen Thannhausens.

Man sah recht viele sittsame, unschuldige und

fleißige Mädchen aufblühen, die sich die hervorleuchtenden Tugenden einer ,Genoveva', einer ,Rosa von Tannenburg' und einer Maria im Blumen­ körbchen' zu Musterbilder» wählten und fern von Weltsinn und Eitelkeit ihre Freude in Gott und stillen häuslichen Tugenden suchten zur Freude ihrer

Eltern und Lehrer." Diese Erzählungen zuerst in einem unbekannten Dorfe verfaßt und der Dorfjugend

dortselbst

vorgelesen

fanden

allmählich den Weg durch ganz

Europa und sogar über den Ozcan.

87. Goldbergwerke und Goldwäschereien in Bayern. Don A. Geistbeck.*

Vom sagenumwobenen Argonautenzug an, dessen Verlauf noch dem Dunkel der vorgeschichtlichen Zeit angehört, bis zum jüngsten Kriegszug der Engländer

ins friedliche Burenland, immer und überall hat das Gold, das mit Recht als „König der Metalle" gepriesen wird, in den Beziehungen der Menschen unter­ einander, im Handel unb Verkehr, in der Kunst und Wissenschaft eine bedeutsame Rolle gespielt, freilich nicht immer in segenbringender Weise. Der römische Ge­ schichtschreiber Tazitus preist daher die Deutschen glücklich, daß ihnen eine gütige Gottheit das Gold versagt habe.

In der Tat, Deutschland ist niemals

ein Goldland gewesen, wie man nach der Zahl der Schürfbricfe und nach der Fülle der Literatur hierüber schließen könnte; es ist vielmehr nur kärglich mit Gold ausgestattet, obwohl seine Berge und Flüsse im Süden, Osten und Westen Gold halten. Dessen spärliches Vorkommen wie die kostspielige Ge­

winnung schließen eine Ausbeutung im großen aus, so daß das edle Metall

billiger und bequemer vom Auslande bezogen wird. In früheren Jahrhunderten lagen indessen die Verhältnisse anders als heutzutage. Die ungeheuren Goldschätze der Nordamerikanischen Union, AustraLens und Südafrikas waren noch unerschlossen, das gleißende Metall war

87. Goldbergwerke und Goldwäschereien in Bayern.

442

daher viel seltener und höher im Werte und an manchen Stellen unseres Vaterlandes konnte ein lohnender Bergbau auf Gold betrieben werden.

So

nennt der gelehrte Humanist Agricola Goldbergwerke im Fürstentum Waldeck,

in Thüringen, im Erzgebirge und im Riesengebirge.

Im Thüringer Walde

bestanden nicht weniger als hundert Gruben, die bis in die Zeiten der Hussiten­ kriege an tausend Menschen beschäftigten, und auch im Bereiche des heutigen Königreichs Bayern fehlte es nicht an Goldlagerstätten.

Große Berühmtheit genossen die goldhaltigen Quarzgänge der Grauwacken­ schichten um Goldkronach im Fichtelgebirge. Ihr Abbau ist sehr alt und manches Sprichwort erinnert noch an die jetzt verschütteten Schätze. „Mancher

wirst einen Stein nach der Kuh," so heißt es im Volksmunde, „und der Stein

ist mehr wert als die Kuh."

Auch von den goldsuchenden Walen und deren

geheimnisvollen Büchern mit den Angaben der Fundorte und der Methoden zur Gewinnung wußte man dort in stüheren Zeiten viel zu sagen. Vielleicht

verbergen sich unter dem Namen der Walen oder Venediger Erinnerungen an stühere, bergbautreibende Bewohner des Landes — Wenden oder Kelten — eine Meinung, die mehr und mehr Boden gewinnt. Geschichtlich erweisbar ist der Goldbergbau im Fichtelgebirge bereits unter den Burggrafen zu Nürnberg; unter Kaiser Karl IV. gelangte er zu größerer Bedeutung. Die Ausbeute der Goldkronacher Werke dürfte damals eine ungemein

reiche gewesen sein; sie wird von einem älteren Schriftsteller auf wöchentlich

2400 rheinische Gulden Reinertrag angegeben.

Goldkronachs Glanzzeit fällt

in die Jahre 1395—1430. Diese Erfolge ermutigten auch anderweit im Fichtelgebirge

nach

dem

kostbaren Metalle zu schürfen und in der Tat begegnet man dort noch viel­ fachen Spuren alten Goldbergbaues, so bei Konradskreut, Steinbach und Ober­

steben, deren Goldseifen ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Zwischen Münchberg und Hof entstanden um Plösen, am Röthenbach und Goldgraben neue Anlagen

im 16. Jahrhundert, andere tauchten erst int 18. Jahrhundert auf, so jene bei Ahornberg (1744), bei Unter-Pferd und Oberkotzau nächst Hof (1789).

Waren auch die Erträgnisse des älteren Bergbaues günstiger, so scheinen sie doch großen Schwankungen unterworfen gewesen zu sein; Agricola schätzt die wöchentliche Goldausbeute des ganzen Fichtelgebirges zu 1500 rheinischen Gulden.

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts waren die alten Halden bereits drei- bis viermal umgewendet und die Kosten überstiegen den Gewinn. Der Dreißigjährige Krieg dürste die letzten Reste vertilgt haben.

Zweimal noch wurden ernste Versuche zur Wiederbelebung des alten

Goldkronacher Bergbaues unternommen, doch jedesmal ohne lohnenden Erfolg. Als nämlich Ende des 18. Jahrhunderts die Markgrafschaft Bayreuth mit Pretißen vereinigt wurde (1791), nahm der Staat den Betrieb der Fürsten­ zeche, Goldkronachs Hauptbergbau, unter Alexander v. Humboldts Leitung

87. Goldbergwerke und Goldwäschereien in Bayern.

443

auf, ließ aber infolge der ungünstigen Ergebnisse das Werk wieder eingehen. Nach der Einverleibung der Markgrafschaft in das Königreich Bayern ging man neuerdings an die Verwertung der Gold- und Silbererze in der Fürsten­

zeche und im Jahre 1856 erreichte die Ausbeute silberhaltigen Goldes sogar den Betrag von 4357 % Gulden.

Doch eine Privatgewerkschaft, die bald darauf

die Gruben übernahm, stellte den Betrieb schon 1861 wieder ein, weil sich die Gänge für einen lohnenden Abbau zu erzarm erwiesen.

Seitdem ruht der

Bergbau in Goldkronach bis auf unbedeutende Betriebe. Auch sonst noch ist in den vergangenen Jahrhunderten da und dort im Gebiete des heutigen Königreichs Bayern Bergbau auf Gold getrieben worden,

so bei Waldsassen im Oberpsälzer Wald, bei Bodenmais am Fuße des Arber im Böhmerwald und bei Oberammergau. Alle diese Betriebe sind erloschen. Älter als der Bergbau auf Gold sind die Goldwäschereien an den Flüssen

Bayerns.

Schon Otfried, der gelehrte Weißenburger Mönch, gedenkt in

seiner Evangelienharmonie, wo er mit begeisterten Worten die Schönheit und

den Reichtum seines elsässischen Heimatlandes preist, des „Goldes im Sande der Flüsse," hauptsächlich wohl im Rheinsande, und Goldwäschereien am Weißen Main führten zur Entdeckung und Erschließung der goldführenden Gänge von

Goldkronach. Der hl. Rupert, der im Salzburgischen das Evangelium predigte, fand an der oberen Salzach, int Pongau, Goldwäschen vor und Bischof Aribert

von Freising (764—784) nennt seine Heimat das beste Land, voit anmutiger

Bildung und reich an Waldnngen, Wein, Getreide und Herden, an Gold und Silber. Damals umfaßte das Herzogtum Bayern allerdings noch die Lande Tirol und Salzburg, wo die Hohen Tauern mit ihren zahlreichen nach Norden

zur Salzach entwässernden Tälern die Hanptfnndorte des Goldes in den Alpen

waren. Noch heute wird in der Rauris hart an der Grenze des ewigen Eises Gold bergmännisch gewonnen. Im Umkreise des heutigen Altbayern begann erst im 15. Jahrhundert mit dem allgemeinen Aufschwünge des Bergwesens die nachhaltige, gesetzlich überwachte und geregelte Ausbeute des Goldgehaltes der Flüsse.

An der Isar,

dem Inn, der Salzach und Donau, ja selbst in der Alz, Traun und Windach

— diese ein Nebenfluß der Amper — wurde Gold gewaschen und zahlreiche Dekrete der bayerischen Landesfürsten, worin den Goldwäschern Stenern und

Abgaben erlassen wurden, ermunterten zur Ausbeute der bezeichneten Gewässer. Eigentümlich ist dabei die Tatsache, daß der Sand dieser Alpenflüsse erst in

größerer Entfernung vom Hochgebirge anfängt das edle Metall zu enthalten, die Isar von Moosburg abwärts, der Inn von Neuötting, die Salzach von

Laufen, die Donau erst von Kelheim an.

Dies deutet, wie Gümbel sagt,

darauf hin, daß die Flüsse das Gold dem vielfach den Zentralalpen entstammenden

Moränenschutt der Hochebene entnehmen, ans dem sie im weiteren Laufe die Goldteilchen ausscheiden. Iller und Lech, deren Moränenmaterial den nördlichen Kalkalpen und Flyschvorbergen entstammt, entbehren fast allen Goldgehaltes.

88. Die Perlfischerei in Bayern.

444

Die Menge des gewaschenen Goldes war in den

verschiedenen Zeit­

räumen wechselnd, niemals aber beträchtlich und die Goldwäscherei gewöhnlich

nur ein Nebengewerbe der Fischer.

Von 1631—1640 erreichte das abgelieferte

Waschgold einen Wert von 132 Dukaten, von 1661—1670 einen solchen von 202 Dukaten.

Durch die Bemühungen der Regierung Max Emanuels stieg

dann die Goldausbeute im Jahre 1718 auf rund 2000 Mark heutigen Geldes

und erreichte 1728 noch 1500 Mark.

beschäftigt.

Etwa 50—60 Personen waren damit

Die Lust zum Goldwäschen an den bayerischen Flüssen blieb bis

in die Mitte des 19. Jahrhunderts rege und lieferte z. B. 1847—1853 noch 1953 Kronen, somit in einem Jahre 199 Kronen — nahezu 2000 Mark.

Am Rhein belief sich die Zahl der Goldwäschen in Baden auf ungefähr

400, in der Pfalz auf 40—50. Von letzteren gewann man 1841—1843 Gold im Werte von 1354 Kronen, im Jahre also 451 Kronen — 4510 Mark. Durch die fortschreitenden Flußkorrektionen, deren Zweck die Beseitigung der Flußalluvionen, d. i. eben der Goldfelder, ist, erlitt die Goldwäscherei starke

Einbuße, nicht minder durch die Aufhebung aller staatlichen Kontrolle dieses Gewerbes und seine völlige Freigabe. 1879 wurden an die K. Münze in

München nur noch 0,113 kg Waschgold abgeliefert. Ehedem prägte man aus dem heimischen Golde eigene Flußdukaten, welche

auf einer Seite das Porträt des regierenden Fürsten, auf der anderen das Bild eines Flußgottes mit einer Urne trugen, woraus er Wasser gießt. Im

Hintergründe ist die Münchener Frauenkirche, aus anderen Münzen der Dom von Speier sichtbar. Die Münzen führten die Inschrift: Ex auro Oeni,

Isarae, Danubii, Rheni.

Flutzdukaten ,,Ex auro Isarae“.

88. Die Perlsischerei in Bayern. Don Hermann Stadler. *

Edle Perlen liefern hauptsächlich die Sceperlmuschel (Meleagrina mar-

garitifera) und die Flußperlmuschel (Margaritana margaritifera). Erstere bewohnt mehrere Teile der Südsee; eine Kenntnis ihrer Schalen (Perlmutter) und Perlen läßt sich bis in die babylonisch-assyrische und altägyptische Zeit

hinauf verfolgen. Die Flußperlmuschel dagegen kommt so ziemlich in ganz Europa und Nordasien vor, doch ist sie an kalkarme Gewässer gebunden und also in Bayern nur im Gebiete des Granits, Gneises und Glimmer­ schiefers, der Hvrnblendegesteine, das Syenits und Tonschiefers zu finden.

88. Die Perlfischerei in Bayern.

445

Nach historisch-geographischen Gesichtspunkten zerfallen die Perlgewässer

1. die Bäche des altbayerischen Gebiets in Nieder­ bayern und der Oberpfalz — Bayerischer und Böhmerwald — meist Zuflüsse Bayerns in drei Gruppen:

des Regen, der Naab und Donau; 2. die Bäche des ehemaligen Fürstbistums Passau, zumeist zur Jlz fließend, und 3. die Gewässer der früheren Mark­

grafschaft Bayreuth — Fichtelgebirge — zu Saale, Eger und Main gehörig. Die erste Erwähnung geschieht der Perlfischerei in Bayern in einem Erlaß der Herzoge Ernst und Albrecht von München aus dem Jahre 1437, worin sie „als in unserer Herrlichkait und Landgerichten in dem Niederland zu Baiern vor und in dem Wald in allen Flüssen und Wassern und sunderlich

in dem Regen und in der Teyschnach Vein Perlen wachsen und valln . . . ihren Diener und Getrewen Frantzn Zaler" beauftragen, für die nächsten sechs Jahre überall im „Niederland" die Perlen zu suchen und an den herzoglichen Hof abzuliefern, also bereits diese Fischerei für ein Kronrecht erklären, was

sie denn für immer geblieben ist. Zahlreiche Klagen über Diebstahl veranlaßten Wilhelm V. 1579 und 1581 zu scharfen Verordnungen. Man machte die Perlbäche „pänig", stellte Schnellgalgen und Warnungstafeln auf, schränkte die landwirtschaftliche Benutzung der Gewässer möglichst ein und setzte auf

Diebstahl harte Leibesstrafen.

Noch eifriger als sein Vater nahm sich Maxi­

milian I. der Perlfischerei an: eigene Perlinspektorcn wurden ernannt, Perl­ ordnungen erlassen, kurz alles wohl geordnet. Da brach der große Krieg herein und vernichtete den besten Teil des mühevoll Geschaffenen. Aber kaum war

etwas Ruhe im Lande, so nahm der energische Kurfürst seine Bemühungen

wieder auf und fand in dem Perlinspektor Leonhard Vischer eine vorzügliche Hilfskraft. Maximilian zu Gefallen schrieb auch 1637 der Münchener Stadt»

und Hofarzt Malachias Geiger eine eigene Perlschrift (Margaritologia), worin

er die bayerischen Perlen besonders für ärztliche Zwecke empfahl.

Dieselbe ist

zwar ohne jeden wissenschaftlichen Wert, da er einfach die von der Seeperl­ muschel handelnden Stellen der Alten auf dies jenen ganz unbekannte Fluß­ tier bezog und überhaupt nur den Zoologen Ulysses Aldrovandi ausschrieb,

machte aber doch weitere Kreise auf die bayerische Perlmuschel aufmerksam. So berichtet 1687 der Rechtsgelehrte Aulus Apronius (Adam Ebert) von Donau-

und Jlzperlen auf Schloß Ambras in Tirol und von einer feuerfarbenen Jlzperle zu Augsburg, die auf 2000 Taler geschätzt wurde. Auch Ferdinand Maria tat viel für die Hebung der Perlfischerei, dagegen stellte Max Emanuels

prunkvoller Hofhalt an die Bäche zu große Ansprüche. Im Spanischen Erb­ folgekriege verkam während der österreichischen Okkupation der Betrieb fast gänzlich. Auch Karl Alberts wohlgemeinte Bestrebungen vereitelte der Öster­

reichische Erbfolgekricg, in dem der berüchtigte Pandurenoberst Trenk die Bäche durch die staatlich bestellten Fischer zwangsweise ausräumen ließ. Max III. Joseph ließ von 1758 ab mit großen Kosten viele Tausende von Muscheln in den Nymphenburger Kanal bei München einsetzen um so in nächster Nähe Beob-

446

88. Die Perlfischerei in Bayern.

ochtungen und Versuche anstellen zu können; allein die empfindlichen Tiere gingen in dem für sie zu kalkreichen Wasser der Würm bald alle zu Grunde.

Dagegen haben sich die von Karl Theodor gleichzeitig in einige Bäche bei

Heidelberg im Gebiet des kalkarmen Buntsandsteins eingesetzten Tiere bis heute

erhalten. Hernach geriet die Perlfischerei durch eine Reihe von Fehlern und ver­ kehrten Maßregeln immer weiter in Verfall. Man ernannte zu Perlinspek­ toren statt ortskundiger Fischer und Forstleute Münchener Goldschmiede, die hohe Reisespesen verrechneten und vielleicht mehr auf ihr eigenes Geschäft be­

dacht waren als auf den Vorteil des Hofes, so daß fortwährend die Aus­

gaben größer waren als die Einnahmen. Endlich wurde in den unruhigen Zeiten Napoleons durch fortwährende Truppendurchzüge die Ordnung in diesen Gegenden vielfach gestört und die Perlfischerei hörte ganz auf. Begreiflicherweise erlosch damit auch das Interesse für diese Tiere, und wenn auch unter der Regierung der Könige Ludwig I. und Maximilian II. wieder ein erfreulicher Aufschwung eintrat, so hatte er doch keine lange Dauer. Schließlich wurde der Regiebetrieb im bayerischen und ehemals Passauischen

Gebiete aufgegeben und von 1866 ab sogar eine Anzahl niederbayerischer Bäche samt den Perlenrechten an Private verkauft.

Nun riß seitens der

Berechtigten sowohl wie von Unberechtigten eine heillose Ausbeutung der Bäche

ein.

Wagenladungsweise führte man die Schalen in gewisse sächsische Fabriken,

welche sie abschliffen um Geldtäschchen und andere Galanteriewaren daraus herzustellen. Um daher den noch vorhandenen Beständen einen gewissen Rechts­ schutz zu gewähren erließen von 1886 ab die Regierungen von Niederbayern

und der Oberpfalz Verordnungen, welche heute noch zu Recht bestehen.

Neuer­

dings hat sich auch die bayerische Staatsregierung in dankenswertester Weise

entschlossen zur Wiedererhebung und Erhaltung der Perlfischerei int Baye­ rischen Walde einen alljährlichen Zuschuß zu leisten. Zunächst wurde bei

Regen ein Musterbach eingerichtet, aus welchem in der Folgezeit die nächst­

liegenden Bäche neu bevölkert toerben sollen; nach und nach sollen auch in anderen Bezirken solche Musterbäche entstehen um von ihnen aus allmählich

alle die ausgeraubten Perlenbäche wieder zu besetzen. Dieser Musterbach wird auch zugleich als Versuchsbach benutzt; denn die Lebensvorgänge des

Tieres wie auch die Pcrlbildung selbst sind noch nicht nach allen Richtungen erforscht. Ohne Unterbrechung erhalten haben sich die Fischereien der früherett Markgrafschaft Bayreuth. Schon Konrad Celtes erwähnt um!1502 die Perlen des Main, später werden noch Regnitz, Göstrabach, Selbitz und Lamitz genannt, weiterhin der Grünaubach, die Ölschnitz und Schwesnitz und der

Lübitzer Bach bei Gefrees.

In diesen Gewässern, in den Rentämtern Hof,

Marktschorngast und Selb, wird die Perlfischerei in Regie heute noch unter der Leitung der Forstbchörden betrieben. Die gefundenen Perlen gelangen zunächst

447

89. Das Münchener Künstlersest von 1840.

an die K. General-Bergwerks- und Salinenadministration, wo sie verwahrt bleiben, bis das Ergebnis mehrerer Jahre die Vornahme einer Versteigerung verlohnt. Vor der Versteigerung werden ausgesuchte Stücke der Krone zur

Einverleibung in den K. Hausschatz angeboten. Solche Prachtstücke sind es, die wir in der K. Schatzkammer bewundern; aus solchen bestand auch die

Halskette, welche Prinzregent Luitpold der Prinzessin Gabriele bei ihrer Ver­ mählung mit seinem Enkel Prinz Rupprecht überreichte.

89. Das Münchener künstlersest von 1840. Don Thomas Stettner.*

Wenn die rasch vorüberrauschende Schönheit eines Maskenzuges noch im Andenken von Kind und Enkel nachklingt, wenn wir noch nach zwei Menschen­

altern der Erzählung der wenigen überlebenden Zeugen desselben andächtig lauschen wie einem schönen Märchen aus guter alter Zeit, dann müssen besonders glückliche Sterne über ihm geleuchtet haben. Solche waren wie kaum je einem Fest dem Dürerfest von 1840 beschieden.

Die romantische Schule war vornehmlich unter Münchens Führung zum vollen Sieg in der Kunst gelangt und frohe Tätigkeit herrschte allent­

halben, doch nirgends mehr als in München; riesige Baugerüste stiegen zum Himmel empor, der Meißel des Bildhauers erklang, im stillen Atelier genügte

den Malern Pinsel, Kohle

und

Stift kaum die überquellende Fülle von

Erfindungen aufs Papier zu bringen; die Gußhäuser rauchten wie einst in den goldenen Tagen von Florenz: kurz, es war eine Lust zu leben. Und wie

die Künstler das geistige Leben der Hauptstadt führten, so waren sie auch gesellschaftlich mit allen Kreisen eng verwachsen und überall gern gesehene Gäste. Da mochte denn der Wunsch sich regen der Freude an der schönen Gegenwart und

der Dankbarkeit gegen ihren fürstlichen Beschützer dadurch

sichtbaren Ausdruck zu verleihen, daß man — im Verein mit allen kunst­ liebenden Kreisen der Stadt — die Schönheit der vergangenen Zeit, in der man im Gedanken lebte, im lebendigen Bild erstehen ließe.

Dies Fest mußte

gelingen. Gedacht, getan. Das Programm war bald entworfen, die Vorbereitungen bald in vollem Gange. Als Stoff lag ihnen zu Grunde die Verleihung des Künstlerwappens an Dürer durch Kaiser Maximilian. Das Ganze sollte aus

drei Abteilungen bestehen: einem Aufzug der Bürger, dem Zug des Kaisers und einer Mummerei zur Belustigung des Kaisers.

Ausklingen sollte es in

-eine Huldigung für König Ludwig. Im Hauptquartier ging cs bald lebhaft zu.

Da peinlichst darüber

gewacht wurde, daß jeder zu seiner Rolle passe und daß die Kostüme ganz

der Zeit entsprächen, ward über beides strenges Gericht gehalten. Jeden Abend fanden sich die Teilnehmer ein, deren Gewandung vollendet war, und

448

89. Da- Münchener Künstlerfest von 1840.

„auf den Tisch

gestellt, umgab sie mit kritischem Blick das Komitee"

änderte unerbittlich alles nicht echt Erscheinende.

und

Sorge machte vor allem

die Wahl eines passenden Vertreters des Kaisers; aber während eben beraten

wurde, trat der kurz vorher nach München gekommene Lichtenheld in den

Saal, eine Verkörperung des ritterlichen Max — diese Sorge war gehoben. Auch die Wahl der anderen Figuren

gelang so gut,

daß

der Bericht stolz

melden konnte: „Jeder war, der er sein sollte und wollte." Aus einem anderen Raume ertönten die Chöre, die Franz Lachner, Stuntz und Kunz für das Fest komponiert, und daneben exerzierten die 60 Landsknechte — es gestaltete

sich eine originelle Welt im kleinen.

Endlich war alles fertig. Am Abend des 17. Februar herrschte im Hoftheater reges Leben. Die Bühne und ein Teil des Zuschauerraumes waren in einen Saal verwandelt, in den Gängen drängten sich die zum Zuge antretenden Künstler und Kunstgenossen. Die Logen und das Parterre waren von einer schaulustigen Menge gefüllt.

Trompeten und Pauken ertönen, der

Zug betritt den Saal. Voran schritten die Zünfte in ihren kleidsamen, farbenreichen Trachten:

zuerst die Zunft der Meistersänger mit dem in dunkelm Pelzmantel einher­ schreitenden Hans Sachs, daran anschließend die Zunft der Bader mit Rosenblüth und dem hageren Hans Foltz.

Dann kamen die Schlosser, die Buchdrucker

und Formschneider mit Hans Schäufelin und Koberger, dem größten Buch­ händler der damaligen Zeit, die Silber- und Goldschmiede als glänzendste Gruppe, jene in himmelblauen und roten Gewändern mit weißem Überwurf, diese hochrot und schwarz mit goldgestickten Mänteln.

Als Meister der Orna­

mentenschneider schreitet im polnischen Rock Veit Stoß einher. Ein rührender Anblick ist die Zunft der Gelb- und Rotgießer, denn Peter Vischer und seine Söhne bilden sie allein; er ist ein Bild des Glücks, wie er im Arbeitskittel,

mit Schurzfell und runder Filzkappe vorübergeht.

Die hünenhaften Zimmer­

leute folgen; zuletzt kommt die Zunft der Maler und den Beschluß macht Albrecht Dürer zwischen seinem Lehrer Michel Wohlgemuth und Adam Kraft.

Zwei Edelknaben tragen ihm das Wappen vor, das Maximilian der Maler­ zunft verliehen haben soll und das seitdem zum allgemeinen Künstlerwappen

geworden ist.

Nun kommen die Vertreter der Stadt Nürnberg: der Stadthauptmann, Bürgermeister und Rat und endlich die festlichen Reihen der Geschlechter, die Männer in reichen Seidengewändern und neben ihnen, von Gold und Edel­

steinen funkelnd, die Frauen und Töchter. Eine zweite Reihe von Trompeten und Pauken zieht in den Saal, gefolgt von einem Haufen Landsknechte mit einem Wald von Spießen; dann wird es plötzlich feierlich still — der Kaiser naht. Das kaiserliche Panier wallt hoch über allen, die Leibwache mit Flambergen, eine Schar Edelknaben

und Jäger gehen voran, dann schreitet in wundervoller Ruhe im goldenen

89. Das Münchener Künstlerfest von 1840.

449

Brustharnisch und Hermelinmantel von Goldstoff, auf dem Barett die Krone, umgeben von Fackelträgern mit vergittertem Gesicht, Maximilians hohe Gestalt vorüber. Hinter ihm aber folgen waffenklirrend alle die, welche durch so viel

Länder in Nord und Süd für ihn die Waffen getragen, ein Frundsberg und Sickingen und Mark Sittich von Ems nnd ungezählte andere.

Gar bescheiden

nimmt sich gegen sie das Häuflein Gelehrte aus mit Wilibald Pirkheimer und Melchior Pfinzing in der Mitte.

Unmittelbar hinter ihnen rauscht der Mum­

menschanz einher und beendet in toller Lustigkeit den Zug. Nachdem der ganze Aufzug dreimal den Raum durchschritten, traten alle in der Mitte des Saales zusammen, das vom Landschaftsmaler Felix v. Schiller

gedichtete und von Franz Lachner komponierte Festlied erscholl im mächtigen Chor, dann, ein gewaltiges Lebehoch auf den König. Dieser dankte sichtlich erfreut: er wußte, daß diese Huldigung von Herzen kam.

Durch die Säle und Korridore der Residenz und durch die Arkaden des Hofgartens zog man dann gar eilig über den regenfeuchten Platz in den großen Odeonssaal. Dort reihte sich Tafel an Tafel. Chöre, Schwänke, Narreteien kürzten in buntem Wechsel die Zeit: nach dem Mahle ging das Fest in einen

Tanz über;

— als die Morgensonne durch die Fenster des Saales schien,

mahnten die Sprecher den Mummenschanz zu beschließen. Der Eindruck des ganzen Festes war ein gewaltiger.

Das war kein

Maskenzug, es war ein historisches Gemälde, die Berkörperung einer großen, vorbildlichen Zeit. Die Blätter brachten begeisterte Berichte; künstlerische und

historische Betrachtungen wurden daran geknüpft; ein Feld im Außenschmuck der Neuen Pinakothek wurde der Darstellung des Festes gewidmet, kurz, das

Schauspiel war zu einem Ereignis geworden. Am 2. März mußte, da Bitten und Drängen darum nicht nachließ, der

Maskenzug wiederholt werden.

Es war ein überwältigender Anblick, als er

in seinen leuchtenden Gewändern und schimmernden Gewaffen durch die lange Reihe von Pechflammen und Fackeln,

diesmal bei klarem Nachthimmel, aus

dem Theater ins Odeon zog, wo scherzhafte Aufführungen und Tanz die Zeit füllten. Die Sonne stand schon hoch, als der Rest des Zuges nach dem

„Englischen Cafe" zog; — das helle Morgenlicht umstrahlte die Pracht der Kostüme.

Dann ging's zu Wagen und zu Fuß nach der Menterschwaige und

auch die zweite Morgensonne traf noch nicht alle als Schlafende. Das gütige Geschick hat aber auch dafür gesorgt, daß uns ein Nachhall

von der Festesfreude und -schönheit erhalten blieb;

denn in jenen Wochen

kam ein junger Künstler nach München und warf sich mit begeistertem Herzen in die Wogen des Künstlerlebens, um nach jahrelangen« Ringen zum Entschluß

des Entsagens zu kommen, da ihm auf anderen Höhen der Lorbeer winkte. Es war Gottfried Keller, der uns im „grünen Heinrich" eine so ausführliche und lebenswarme Schilderung des Festes gibt. Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

29

90. Thorwalds«» im Knorrkeller.

450

Wir können uns der Erinnerung an dasselbe mit ganzem Herzen freuen;

denn die Künstlerfeste, deren Reigen eben jenes Dürerfest so glänzend eröffnete,

sind in München bis heute heimisch geblieben. Mag auch im Laufe der Zeit mancher Gegensatz in den einzelnen Lagern der Münchener Künstlerschast sich herangebildet haben, gilt es ein solches Fest, so treten sie alle zu fröhlichem

Beginnen zusammen.

Und wie damals nehmen heute alle Kreise der Bevöl­

kerung Münchens an ihnen genießend Anteil und freuen sich der Fülle von Schönheit und von jugendfrischem Humor, der in ihnen lebt. Und dieses Erbteil

aus der Frühlingszeit der Münchener Kunst wird auch in Zukunft weiter blühen.

90. Thorrvaldsen im knorrkeller. München, 20. Juli 1841. Don Ludwig Steub.')

Wer sich unter dem Sommerkeller eines Münchener Bräuers etwa einen

Keller vorstellen wollte, wie ihn die übrige Welt auch hat, der befände sich in einem großen Irrtum. Es sind dies keine von jenen kleinen Grüften, wo die Hausftau ihre Weinfäßchen aufstapelt und ihr Flaschenbier, sondern viel­

mehr ungeheure Gewölbe, in die man allenfalls vierspännig einfahrcn kann

und die aus ihrem Rücken mächtige Gebäude, wie Edelsitze und Schlösser, tragen, welche weit rankende Arme ausstrecken, mit Sommerwohnungen für den Eigen­ tümer, kühlen Hallen für die heißen Sommertage und netten gemalten Zimmerchen

für die Stammgäste.

Diese Burgen stehen in einem weiten Gehöft, das gar

Mannigfaltiges aufzuweisen hat.

So vor allem die vielen Ruhebänke für die

labedurstigen Gäste, malerisch auf die schönsten Plätze hingestellt, unter das Dach alter Linden oder stolzer Kastanienbäume.

Ferner gehört ein kleiner Wald dazu, durch welchen einsame Kiespfade ziehen oder auch die breite Heerstraße

für die Bierwagen.

Im Gehölze selbst aber finden sich Blumcngärtchen, Rosen­

hecken, Stachelbeergebüsche, grünes Geländer, ländliches Treppenwerk, stille, stimmungsvolle Lauben und endlich auch eine wundervolle Aussicht über die

Münchener Hochebene ins Abendrot oder auf die blauen Züge der fernen Alpen. In einem solchen Keller nun, und zwar in einem der schönsten, bereiteten am Abend des 20. Juli 1841 die Künstler Münchens dem großen Thorwaldsen ein Fest.

Der lange Sommertag begann sich zu neigen und der Keller mit

Haus und Hof, Garten und Wald, reichlich geschmückt mit Laubbögen zu ebener

Erde, mit wallenden Flaggen auf den Zinnen, war voll harrender Verehrer,

voll von Jüngern der Kunst aus allen deutschen Gauen, voll von anderen Herren und Damen und voll lieber Jugend.

Ein sanfter Anstieg führt aus der waldigen Talenge, welche die Einfahrt bildet, allmählich hinauf gegen die kleine Hochebene.

Dort sammelte sich nun,

*) „Kleinere Schriften", IV. Band, S. 1 ff. Stuttgart 1875, Cotta.

451

90. Thorwaldsen im Knorrkeller.

als der gefeierte Gast von der hohen Warte, die das Dach krönt, erspäht war, der Reigen der Festgeber, voran auf grünem Rasenflecke ihre jungen Frauen,

deren sie sehr schöne haben, hinter ihnen die Haufen der kunstliebenden Münchener,

die den Wundermann erschauen und sein Bild zur unvergeßlichen Erinnerung mit nach Hause nehmen wollten.

Der Wagen rollte unter Böllerkrachen vor.

Thorwaldsen, der stattliche Nordländer, mit dem Löwenkopfe und den langen Silberhaaren, begleitet von den ersten künstlerischen Zelebritäten, die mit ihm

gekommen waren, schritt jugendlich, alle Blicke auf sich ziehend, den Anstieg

hinauf, während alle Häupter sich entblößten, alles sich verneigte und ein donnernder Willkomm ihm entgegenscholl. Dort oben bot ihm auch der gastfreundliche Herr des Kellers seinen Gruß, den der schöne Greis mit kraftvollem Händeschütteln erwiderte. Jetzt ging's mit fröhlichem Drängen hinein in die Banketthalle.

Dazu

war die uuernießliche Hausflur eingerichtet worden, die das Erdgeschoß des Kellcrgebäudes bildet. Sie ist eigentlich ein Vorratshaus für die tausend Fässer, die unser Brauherr nötig hat; aber jetzt in ihrem Festschmucke konnte sie niemand mehr dafür erkennen. Über die Gewände spannten sich jene schönen, alten

Tapeten, welche nach Peter Candids Zeichnungen gewirkt sind und die Taten Ottos, des tapferen Wittelsbachers, darstellen, wie er für Kaiser Friedrich focht in den italienischen Schlachten, wie er die Klause bei Verona stürmte oder wie er die Griechen von Byzanz aus der Mark Ankona vertrieb.

Die Decke ver­

schönerte eine glückliche Improvisation dekorativer Malerei; die rauhen Dielen des Bodens verhüllte frisches Grün; in der Höhe zogen duftende Blumen­ gewinde durch den Saal. Von dem vorjährigen Dürerzug, wo die ganze Pracht des späteren Mittelalters wieder auferstanden war, ist den Malern und Bildnern eine große Vorliebe geblieben für den Geschmack jener gepanzerten Zeiten, so daß ihnen jetzt Waffenglanz und gotische Geräte als der schönste Schmuck

für ihre Trinksäle gilt.

Demgemäß starrten die Pfeiler von ritterlichen Rüstungen,

Harnischen und Pickelhauben, von Turnierspeeren, Panieren und alten Flam­

bergen.

Ein Dutzend Kronleuchter sandten ihr funkelndes Licht von der Decke;

unten zog sich unabsehbar die festliche Tafel hin, reich verziert mit goldglänzenden Kandelabern, Blumensträußen und mit einer unendlichen Front von glitzernden Gläsern.

Auf der langen Zeile jener Tische, wo die „Löwen" saßen, prangten

die vergoldeten Statuetten der Wittelsbacher Fürsten, wie sie Schwanthaler

geschaffen, auf der anderen die der großen Maler des 16. und 17. Jahrhunderts von demselben Meister. Gigantische Humpen mittelalterlichen Ansehens standen nachbarlich neben diesen Bildern. Zu Handen des Gefeierten war ein goldener Pokal zu sehen von reicher, gotischer Arbeit, vor ihm ein kleines Bronzebild

der Reiterstatue Maximilians, seines eigenen Meisterwerkes, ihm gegenüber auf der anderen Tischreihe ein verjüngter Gipsabguß des Schillerstandbildes, hinter

diesem aber und somit gerade im Angesicht des Gastes war in einem Haine von Lorbeerbüschen und Pomeranzenbäumen die Büste unseres Königs aufgestellt. 29*

452

90. Lhorwaldsen im Knorrkeller.

Alles das glänzte und funkelte herrlich durcheinander und wer weiß, ob der

pilgernde Heros

auf seinem Triumphzuge

durch Deutschland

eine Feslhalle

betreten hat, die der unsrigen an überraschender Gewalt des Eindrucks gleich­

stehen möchte. In diesen einladenden Räumen setzten sich also die Tischgenossen zur Tafel.

Was München von artistischen Berühmtheiten aufzuweisen hat, war da zusammen­

gekommen um mit dem großen Meister des Abends froh zu werden — auch mancher Staatsmann, mancher Gelehrte von gutem Namen hatte sich eingefunden.

In das fröhliche Summen der heitern Zecher traten nach und nach belebend die Trinksprüche ein,

ausgebracht in feierlicher Stille,

wogegen donnernde

Vivatrufe und schmetternde Trompetenstöße ihnen folgten.

daß es unsere Maler an solchen Tagen

Nun muß man aber wissen,

bei gemütlichem Zusammentrinken nicht bewenden lassen, sondem immer auch zur Erhöhung des Jubels dramatische Maskeraden in das Treffen führen, die

geistreich erfunden sind und mit drastischer Komik an uns vorübergehen.

gab's denn auch heute einen Schwank, den wir laut dem Libretto:

So

Schieds­

richterliches Urteil des alten Vaters Zeus in Sachen München, Stuttgart, Mainz

und Konsorten die

berühmten

wider Ritter Thorwaldsen

betiteln

Es traten da

dürfen.

Städte München, Mainz, Stuttgart, Kopenhagen und Rom,

repräsentiert durch die Bildwerke, die sie von dem Meister besitzen, als Guten­

berg, Schiller, Maximilian, welcher gar zu Pferde war u. s. w., angemeldet durch den alten Gott Merkurius als den Gerichtsboten, vor den lächelnden Feiergast und begannen in humoristischen Streitreden darüber zu hadern, welcher von ihnen er eigentlich angehöre.

In das Plaidoyer mischte sich zuletzt auch

die weißarmige Juno von hohem Stuhle herab, leichter erkenntlich an dem Fächer von Pfauenfedern, mit dem sie agierte, als an dem braunen Schnurr­

barte,

der ihren

Göttermund

beschattete.

In Anbetracht

des letztgedachten

Charakteristikums klang es komisch genug, als sie in tiefem Basse also sprach:

„Was wollen die Menschen in dieser Sache Mit ihrer Rede konfusem Sinn? Fürchten sie nicht meine glühende Rache, Wissen sie nicht, daß ich Juno bin? Wissen sie nicht, daß du all meine Söhne Mit der Wahrheit durchdringender Macht Rachgebildet in strahlender Schöne, Wie's noch kein Sterblicher jemals vollbracht?" Den Streit schlichtet Zeus, der schreckliche Donnerkeile schwingt,

unwiderruflich entscheidet, wie folgt:

„Rein, dieser Mann gehört nicht einem Lande, Richt einer Stadt allein gehört er an; Denn er umfaßt mit seines Geistes Bande Die ganze Welt, nur ihr, der Welt gehört er an!" ein llrteilspruch, der von stürmischem Jubelrus begrüßt wurde.

und

91. Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842.

453

Kaum war aber der Bater der Götter und Menschen mit seiner Gemahlin, mit den klagenden Parteien und mit dem Gerichtsboten Merkur wieder ab­

getreten, so brach der Liederkranz herein, zwciundsechzig Männer, denen süßer Wohllaut in der Kehle schläft, an der Spitze Meister Kunz, der treffliche Musikus. Diese richteten sich in der Mitte des Saales ein und sangen nun zum Nachmahle

ihre schönen Lieder, vor allem das begeisterte „Helden, laßt die Waffen ruhen",

das „Walhallalicd" mit seinen Heldentönen, das bei uns bereits zum Volks­ gesang geworden ist. So ging es fort in herrlichster Fröhlichkeit; Trinksprüche, Vivatrufe, lustige Scherze, prächtige Lieder und Musikstücke wechselten miteinander ab,

bis endlich nach Mitternacht Thorwaldsen in milder Rührung dankend Abschied nahm.

Wie einen jungen Hochzeiter begleiteten sie mit spielenden Musikanten,

jauchzend und jodelnd, den greisen Meister an den Wagen und unter hallendem Lebehoch fuhr er aus ihrer Mitte.

91. Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842. Don Ludwig Steub.1)

Bei uns ist alles voller Freuden, die fröhlichste Aufregung geht durch alle Gassen der Stadt, von einem Ende des Weichbildes bis zum anderen, vom Erdgeschoß bis ins Dachstübchen. Der Reigen unserer Feste ist eröffnet seit

dem Tage, als die junge Kronprinzessin ihre neue Heimat in unserer Königs­ burg betrat. Daß die liebliche Braut, die Prinzessin Marie von Preußen,

mit herzlichem Willkomm werde ausgenommen werden, war vorauszusehen, aber die jubelnde Aufgeregtheit bei ihrem Empfange war am Ende doch noch

überraschend.

Es war in der Tat ein schöner Tag,

als selbst die kolossale

Ludwigstraße zu eng wurde für die Tausende, welche im Sonnenschein auf und ab wogten, die voll Freude und Spannung durcheinander drängten in der

festlich geschmückten Gasse, aus deren Fenstern ungeheure Banner flaggten.

An ihrem Anfänge, wo das Gebiet der Stadt beginnt, war dagegen ein grüner Triumphbogen erbaut, auf welchem der Willkomm zu lesen, den die Harrenden der Erwarteten, längst Ersehnten mit Herz und Mund entgegen­ trugen. Alle die Freudenbezeugungen der Städte, der Märkte und Dörfer an der Straße — noch im letzten Orte, zu Schwabing, standen die Landleute mit einem sinnigen Gruße bereit — alle diese Huldigungen hatten die Ankunft

etwas über die angesagte Stunde verzögert; endlich aber ging ein ftoher Ruf durch die Menge, welcher deutlich kundgab, daß der rechte Augenblick gekommen sei. Über dem bunten Gewimmel sah man die Helme der Kürassiere funkeln, die dem Zuge voranritten, die Gasse öffnete sich, der Wagen nahte,

die Reiter zogen vorüber,

ein tausendfacher Willkomm stieg

■) „Kleinere Schriften," IV. Band, S. 33 ff.

donnernd auf und in

Stuttgart 1875, Cotta.

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91. Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit tut Oktober 1842.

offenem Viergespann erblickten wir an der Seite der Eltern, des Prinzen Wilhelm von Preußen und seiner Gemahlin, ein holdes, jugendliches Frauen­

bild, lieblich gerötet von der Aufregung des Tages, mit zauberhafter Freund­ lichkeit die Bürger grüßend, die sie jubelnd in ihre Stadt geleiteten. Es ist

unter allen, die da waren, nur ein Entzücken über die frohe Feierlichkeit dieser

Stunde, nur

eine

Freude über

die

anmutige Persönlichkeit der schönen

Fürstin. Der Vollständigkeit nach wäre nun zu erzählen,

wie sich von da an

Feier an Feier drängte: es wäre der reiche, noch lange nicht endende Kranz der großen und kleinen Feste zu besprechen, die vom Hofe, von der Stadt,

von den Familien gefeiert wurden, die hohe Vermählung selbst, die Theater­

stücke, Festspiele, beleuchteten Häuser, die Bälle, Gastmähler und Bankette — indes wir wollen, um bald zum heutigen Festtage zu gelangen, nur etwa den unendlichen Jubel hervorheben, der an dem Abend erscholl, als die hohen Neuvermählten zum erstenmal das Theater besuchten und an die Brüstung der

königlichen Loge vortretend sich dem zahllosen, glänzenden Publikum zeigten

— diesen Jubel, der, gar nicht mehr zu beschwichtigen, in immer neuen Salven aufschlug und nur spät erst die Trompeten nach langen, fruchtlosen Versuchen zu Worte kommen ließ.

Seit drei Tagen ist nun auch die ganze Stadt hochzeitlich aufgeputzt. Von den Firsten herunter senken sich mächtige Fahnen, blau und weiß, schwarz

und weiß, in die volkreichen Gassen und an den Wänden hinauf von unterst bis

zu

oberft

blühen

freundliche Ziergärten

mit Bildern,

Namenszügen,

Wappenschilden, mit Flaggen, Tapeten und anderem prangenden Ornate aus­

gelegt.

Manche Fronten sind so reich und zierlich,

so prachtvoll und so

glänzend, daß man glauben sollte, das Portal führe unmittelbar in einen Feenpalast — am besten von allen Gegenden der Stadt hat uns aber der

feierliche Schrannenplatz *) gefallen. So stehen wir denn ant heutigen Tage, den die Freude der Bayern über die Hochzeit ihres Königssohnes so bedeutsam und so volkstümlich verschönt

hat. Wir haben nun vor allem der 36 Brautpaare zu erwähnen, welche die acht bayerischen Kreise ausgestattet und hierher gesendet haben. Es war gewiß ein preiswürdiger Gedanke alle Gauen des Landes durch solche Festgesandte an der Feier und an ihren Freuden teilnehmen zu lassen.

Die Idee hat hier höchlich angesprochen und ebenso groß wie die Freude unserer Landsleute, sich

als Hochzeitsgäste in der wunderreichen Hauptstadt zu finden, war wohl die Neugier der Münchener die Stellvertreter aller Gebiete des Königreichs im Feierstaate sich gegenüber zu sehen.

Heute früh 10 Uhr war nun die bestimmte

Stunde, wo der Festzug vom Rathaus herunter über den Schrannenplatz und

durch die Kaufingerstraße zur Trauung in die Kirche ziehen sollte; *) Jetzt Marienplatz vor dem Rathause.

und so

91. Des Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842.

455

stand denn geraume Zeit vorher schon aus dem Platze und in der Gasse un­ zähliges Volk.

Endlich kommt der Zug.

Voraus ein Bannerträger mit der Fahne von

München, dem Mönche im goldenen Felde, und dann die Bergschützen von Lenggries und Wackersberg, über 100 Mann, mit ihren Spielleuten, welche

die Schwegelpfeife bliesen und die Trommel rührten, prächtige Hochländer mit buschigen Schnurrbärten und roten Backen in ruhig fester Haltung einher­ schreitend, mit grünen Rocken, den grünbebänderten Hut mit den Spielhahn­ federn und dem Gemsbarte auf den« Haupte, den sichern Stutzen im Arm.

Auf die grünen Schützen der Berge folgten also die 36 Hochzeitszüge. Die Brautleute erschienen mit ihren Brautführern

und Hochzeitladern,

den

jugendlichen Kränzeljungfern, mit dem Ehrenvater, der Ehrenmutter und den Gästen — alle zusammen an 400 Personen. Einzelne Genossenschaften waren zu Fuß, andere saßen in langen, reichverzierten Wagen, die von vier stolzen,

urkräftigen Rossen

gezogen wurden.

Da gab es viele wunderliche Trachten

zu beschauen, die zum größten Teil noch jetzt im Ansehen sind, wenn auch

hier und da mit lobenswertem Takte um einige Dezennien zurückgcgriffen wurde um alte, funkelnde Prachtstücke, die jetzt vielleicht außer Übung gekommen,

wieder glänzen zu lassen.

Es wäre aber zu große Arbeit den farbenreichen

Zug nach all seinen Gewandstücken zu schildern und die 36 Landsmannschaften gesondert abzumalen und so wollen wir denn nur einzelne herausheben.

Zuerst kam also

der elegante Brautwagen

der Landeshauptstadt,

von

welchem die hübschen Töchter von München herablächelten, die zierlichen Gestalten mit dem blitzenden Riegelhüubchen und dem reichverschnürten Mieder, an dem die hundertjährigen Hccktaler hängen.

Mit den Oberbayern erschienen

auch die Reichenhaller, denen die heimatlichen Bergschützen das Geleit gaben, Mit den Mädchen von München in ihrer modernen städtischen Zierlichkeit mochte man die Hochzeiterin von Schroben­

mit graue» Joppen und spitzen Hüten.

hausen, „der Stadt an der stillen Paar, treu dem Königshause immerdar", zusammenhalten, die in alter bäuerlicher Pracht, die Haare gepudert und abwärts mit roten Bändern in einen dicken Zopf geflochten,

eine schwere,

weitausgreifende Krone auf dem Haupte trug.

Nach dem Brautpaare aus dem Gebirge von Rosenheim fuhren die rotjackigen Jungen von Straubing, die mächtig auf ihren Trompeten bliesen, stolz auf ihre Hochzeiterin, die auch in roter Jacke prangte.

Hierauf in offener Kalesche die Passauer, die schönen Mädchen von Passau mit den goldenen Hörnern auf den Köpfchen, sämtlich

jenes berühmten Schlages, der am Jnnstrom erblüht von seinen Quellen in

Engadin

durch Tirol und durch das bayerische Hügelland hinunter bis zu

seinem Einfluß in die Donau.

Dann die Rottaler Bauernjungfern mit kufen­

förmigen Kronen von Flittergold und nach diesen die ferne Pfalz in städtisch züchtiger Einfachheit — den Reichtum ihrer Herzen beweist das Geschenk der Burg Hambach, das die Pfalz am Rhein in diesen Tagen dem Königssohn

91. Drs Kronprinzen Maximilian Hochzeit im Oktober 1842.

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zu Füßen legte.

Ferner die Oberpfälzer von Kemnath, wo der Bräutigam

mit dem Säbel zur Hochzeit geht, die Mädchen mit hohen, dünnen Zylindern auf dem Scheitel, welche seltsam nicken, und die Hemauer, denen der Braut­

führer das Schwert vorantrug.

Mit den Oberpfälzern waren 76 Bergknappen

gekommen, die nun in schwarzer Bergmannstracht, den Hammer im Arme, in Reih und Glied vorüberzogen, ihre Trompeter voran — ein in unserer Ebene selten gesehenes Korps.

Dann folgten die Bambergerinnen mit den gigantischen Barthauben und wieder im offenen Wagen die Ratsherren von Kronach in schwarzem, spanischem Gewände mit goldenen Ketten, sehr stattlich anzusehen

— ein beneidenswertes Bild für alle anderen schwarzfrackigen Ratsherren unserer Zeit.

Hierauf die kräftigen Männer aus dem oberfränkischen Mistelgau mit

breiten schwarzen Hüten in alteigentümlicher Landestracht. Ans Mittelfranken waren die Knoblauchsbauern da, die um Nürnberg wohnen und große Blumenfreunde sind — aus Unterfranken waren Hochzeit­ leute von Würzburg gekommen und feine Mädchen damit, mit niedlichen Flor­

häubchen geschmückt, in weiße Stoffe gekleidet, leicht und elfenhaft und wohl berechttgt mit den Töchtern von München und Passau um den Preis der

Zierlichkeit zu ringen. Diesen folgte ein Hochzeitszug aus dem reichen Schweinfurtergau, wo das Frauenvolk hohe, kegelförmige Hauben trägt, deren Ausläufer als breite Bänder über den Rücken flattern.

Die Mädchen dieses

Gaues erfreuen sich besonders schmächtiger Füßchen und behaupten mit koketter Ironie, sie hätten nicht Geld genug sich große Schuhe machen zu lassen.

Den Schluß bildeten die Schwaben.

Zuerst ein Zug von Trompetern

aus Augsburg in altdeutschen Sammetröcken und Baretten, dann die zwei Brautzüge aus der alten Augusta, 32 Personen. Die Frauen von Augsburg trugen noch die goldenen reichsstädtischen Boggelhauben,

die Mädchen

von

Kempten aber jene riesenhaften scheibenförmigen Gebäude, die sie Radhauben nennen.

So zogen also in spannender Mannigfalttgkeit der Gewänder, glitzernd

in Gold und Silber und in reichem Spiel der Farben die jungen Brautpaare,

ihre Verwandten und Landsleute in die Kirchen zur Trauung.

Von

den

Dächern herunter wallten ihnen die Festbanner entgegen, aus den bekränzten vollen Fenstern bewunderten sie die Herren und Frauen, auf der Gasse freute

sich unzähliges Volk an den stattlichen Männern und den anmutigen Jung­ frauen,

welche lächelnd vorüberfuhren,

während

die Trompeten und Wald­

hörner, die im Zuge reichlich verteilt waren, ermutigend dareinschmetterten. Als sie, die Katholiken in der Michaelskirche, die Protestanten in der Matthäuskirche getraut waren, kamen sie wieder zusammen und begaben sich allerwege durch dichtes Gedränge des Volkes in den Pschorrkeller, wo ihnen

in dem weiten Raume ein Mittagsmahl bereitet war, das die Stadt München

gab, welche überhaupt die Honneurs des Festes mit großartiger Freigebigkeit zu machen wußte. Im weiten Hofe des Pschorrkellers stellten nun die Fest­ ordner den Zug wieder auf zum feierlichen Gange über die Theresienwiese.

92. An die Kronprinzessin Marie von Bayern.

457

Hier kamen auch die festlichen Symbole hinzu, die ihm die letzte Weihe gaben — alle Landsmannschaften ließen ihre Banner wehen und allen voran wehte

die große Fahne mit dem Wappen des Königreichs.

Nun ging's freudig hinab

in die Wiese, auf welche eine herrliche Herbstsonne herunterleuchtete, und vors königliche Zelt, wo die Mistelgauer einen heimischen Brauttanz begannen und ihre Jungfrauen weidlich schwangen, zum großen Vergnügen der Hundert­

tausende, welche auf dem Tanzplatz standen.

Dann reihten sich alle auf die

Bänke, die für sie aufgeschlagen waren, gegenüber den königlichen Herrschaften, um das Rennen zu beschauen. Wir unterlassen die weitere Schilderung der

müssen uns aber noch bei dem tiefen Eindruck aufhalten, den der

Feier,

Festzug auf alles Volk, hoch und nieder, hervorbrachte. Manchem Beschauer wurden die Augen feucht und selbst weither gekommene ausländische Gäste gestanden gern ihre Rührung ein. Es ist das Volkstümliche, das so wirkt,

die Freude an der Art des eigenen Stammes, der Gedanke, wie viel Schönes und Herrliches, anscheinend Unmögliches sich durch einträchtigen Sinn, durch Liebe und Begeisterung für teure Namen ermöglichen lasse. Es ist etwas Prächtiges um ein volkstümliches Volksfest!

Wollte Gott, wir Deutschen alle

hätten bald Anlaß ein großes, deutsches Volksfest zu begehen, sei's an den Ufern des Rheins

oder der Donau, wo dann

und die Weinbauern der Pfalz,

die Seemänner von Danzig

die Dittmarscheu und die Zillertaler neben­

einander erscheinen mögen im pangermanischcu Festzug!

92. An die Kronprinzessin Marie von Bayern, geb. Prinzessin von Preußen. Don Franz Graf von Pocci.

Zieh Ins Wir Das

ein, o königliche Braut, neue VaterlandBayern harren sehnsuchtsvoll, Banner in der Hand.

Das Freudenbanner in der Hand, Es flattert weiß und blau Und spricht zu dir im Farbenspiel: „Komm Unschuld!" und „Vertrau!"

Sieh unsre Scharen dichtgedrängt, Wie sie um dich sich reih'n, Und dir und unserm Königssohn Die Huldigungen weih'n! Der Demant aus dem tiefen Schacht Schmückt deiner Krone Glanz, *) „Dichtungen", S. 110.

Der Myrte dunkelgrünes Laub Soll winden sich zum Kranz. Und wie der Demant, stark und fest, Wird unsre Liebe sein, Der Bayern Herzen treubewährt O glaub es! - sie sind dein.

Und wie der Myrte Blätter nun Um deine Stirne blüh'n, So werden, wie am heutigen Tag, Die Herzen stets erglüh'n! Das Danner weht, die Myrte blüht, Es glänzt der Diamant; Zieh ein, o holde Königsbraut, Ins neue Vaterland!

Schaffhausen 1843, Hurler.

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher iemeS Boltes.

458

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes. Don Karl Theodor von Heigel.

Das Wort Goethes, daß „das Große doch wieder nur von bedeutenden

Menschen richtig erkannt und beurteilt werden" könne, gilt von den Lebenden.

Der Richter über die Toten, ein strenger, aber gerechter Richter ist die Zeit. Ein Jahrhundert ist seit der Geburt des Fürsten, dem mein Festgruß gilt, vergangen, ein Jahrhundert, reich an blutigen Kriegen und glorreichen

Siegen, an politischen Ereignissen, welche die Wiedergeburt von Nationen zur Folge hatten, an Errungenschaften der Wissenschaft und Technik, welche die Welt aus den Angeln hoben, aber sein Stern leuchtet heller denn je, Bayerns Ludwig ist nicht nur ein Name, sondern lebt heute jenes schönste Dasein:

lebt in den

Idealen des deutschen Volkes fort.

Mit dem

leidenschaftlichen Herzen

eines Künstlers

verband

er einen

klaren Verstand, mit Begeisterung verband er Besonnenheit, und seine Nerven waren ehern wie sein Wille.

Vor allem hatte er bei seiner ungeheuren und

verschiedenartigen Tätigkeit immer feste und hohe Ziele.

geschaffen,

Nicht allein was er

ist bewundernswert, sondern auch wie und warum er es schuf.

Nero baute Rom nach dem Brande prächtiger wieder auf.

ihm keinen Dank dafür.

Die Geschichte weiß

Denn daß Macht vor Recht geht, mag man behaupten

und beweisen, doch niemals hörte man sagen, daß Macht vor Größe geht! Ein Zug von Größe aber ist das bezeichnende Merkmal seines Willens

und Schaffens, seines Lebens vom Jünglings- bis zum Greisenalter. Nur einige Beispiele!

Während Napoleon die entscheidenden Schläge gegen das alte römische

Kaisertum deutscher Nation führt, muß Prinz Ludwig in seiner Geburtsstadt Straßburg in der Umgebung Josephinens weilen.

Schon war für ihren Eugen

des Prinzen Schwester als Braut ausersehen und die bayerischen Truppen fochten unter den französischen Adlern.

Deshalb überhäuft die Gattin Napoleons

den Prinzen mit Artigkeit; sie und ihr Hof huldigen dem jungen Fürstcnblut; Ludwig darf nur wollen, nur ein wenig weniger gerade sein und er ist der

Erste bei den glänzenden Siegesfesten.

Was sagt er da, so daß die Ergebenen

Josephinens, seine Schmeichler, es hören können:

„Das sollte mir die teuerste

Siegesfeier sein, wenn diese Stadt, in der ich geboren bin, wieder eine deutsche

Stadt sein würde!"

Ist das nicht selbstlos, edel, groß gedacht?

Als Kronprinz muß

kämpfen.

er,

dem Vater gehorsam, unter den Franzosen

Er gehorcht und zeichnet sich bei Pultusk durch Unerschrockenheit

und Umsicht aus.

Aber er hat keine Freude an diesem Lorbeer.

Er muß im

l) Festrede, gehalten am 29. Juli 1888 im Münchener Rathaus zur Begrüßung der Festgäste der Zentenarfeier Ludwigs I. Abgedruckt in „Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte Bayerns". Neue Folge S. 409 u. ff. München 1890, M. Rieger.

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes

Gefolge der französischen Marschälle in Berlin einziehen.

459

Da ist sein erster

Gang zu Schadow, um eine Büste — Friedrichs des Großen zu bestellen; in­

mitten der deutschen Zerrissenheit und Entmutigung ahnt er die Wende, faßt

er den Entschluß, dem deutschen Genius einen Ehrentcmpel, die Walhalla, zu

bauen! --------Den Männern in seiner Umgebung ist über dem persönlichen Vorteil und über dem Buhlen um die Gunst des Augenblicks alle politische Fernsicht, alles Gemeingefühl entschwunden. Er allein erkennt, wer das Recht und die Zukunft

für sich habe.

Darum sieht er in den Tirolern, obwohl sie die bayerischen

Wappenschilder in Trümmer schossen, nicht Feinde, sondem natürliche Bundes­ genossen und wünscht ihrer Erhebung Glück und Erfolg! Und im Besreiungsjahr selbst! Während die königlichen Räte aus Furcht vor dem Kommenden und in der Angst um das Errungene vor jedem ent­ schiedenen Schritt warnen, schreibt er schon im Frühjahr, während Napoleon noch Sieg über Sieg erkämpft, an den leitenden Minister: „Es gibt nur ein Mittel uns die Achtung der Nation wieder zu gewinnen: sofort unsere Waffen

von der französischen Streitmacht zu trennen!" War es nicht groß gedacht, wenn er das bayerische Verfassungswerk, um dessen Zustandekommen er sich schon großes Verdienst erworben hatte, gegen die Mächtigsten des Zeitalters schirmte und an den Vater die Mahnung richtete: „Wir haben die Verfassung beschworen, wovon uns niemand entbinden kann; Sie können nicht wollen, daß eine Verletzung derselben, also ein Eidbruch geschehe!" Wer hat den „anbrechenden Tag im Osten" mit wärmerer Begeisterung begrüßt, wer mit Rat und Tat die staatliche Wiedergeburt des Griechenvolkes

gefördert wie er, zu einer Zeit, da das Wort Hellene an allen andern Höfen

Europas verpönt war, da die Freunde der hellenischen Sache noch alle Mächtigen, alle Spötter und die stumpfe Menge wider sich hatten! — War es nicht ein mutiges Wort,

Münchens ging:

mit dem er an die Verschönerung

„Ich will aus München eine Stadt machen, daß niemand

Deutschland kennen soll, der München nicht kennt!" War es nicht ein erhabenes Wort, das er zu Cornelius sprach, als er ihn vor dem Bilde der Zerstörung Trojas in der Glyptothek mit seinem Orden schmückte: „Man schlägt den Sieger auf dem Schlachtfeld zum Ritter, Sie sind hier gleichfalls auf Ihrem Feld der Ehre, ich mache Sie also hier zum

Ritter!" — Schon als Knabe hatte er den Plan gefaßt dem erkrankten Schiller ein

Heim auf dem Palatin in Rom zu schaffen.

Als Mann und König reiste er

1827 nach Weimar, wo er den Geburtstag Goethes mitfeierte und dem Dichter das Großkreuz seines Hausordens überreichte „um den Orden zu ehren!"

War es nicht echt königlich, wenn er auf einen Kammerbeschluß, der ihm die Mittel zum Pinakothekbau versagte, mit einer großartigen Spende an die

Armen antwortete, wenn er am Tag nach seiner Abdankung, zu der ihn

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.

460

doch namentlich die Haltung der Münchener Bürgerschaft bewogen hatte, die Mittel anwies zum Bau eines griechischen Prachttores, das den herrlichsten Platz

Münchens, den Königsplatz, würdig abschließen sollte!" Aber solche Züge einer großen Seele zu erzählen würde ich kein Ende finden. Ich muß mir versagen, an seinem Lebenslauf zu zeigen, daß er ein

echter Fürst von Gottes Gnaden war; ich will nur einen Punkt seiner Wirk­

samkeit herausgrcifen, will nur daran erinnern, wie er ein Führer, ein Erzieher seines Volkes gewesen ist. Diejenigen sind die besten Erzieher, welche sich selbst ihr Leben lang als Schüler betrachten. Von solcher Denkart war König Ludwig. „Wer's ehrlich

meint mit Leben und Streben," schreibt er einmal an seinen hochverehrten

Lehrer Blumcnbach, „der bleibt Student sein Leben lang."

Ludwigs Freude

zu lernen erlosch nur mit seinem Leben. Eifrig eignete er sich noch in reiferen Jugendjahren diejenigen Kenntnisse an, die er von seinen ersten Lehrern nicht

erlangen konnte, die er selbst aber für wesentlich zur Bildung hielt.

Er ruhte

nicht, bis er die griechischen und lateinischen Klassiker geläufig lesen konnte, und das hörte nicht mit den Jünglingsjahren auf, bis an sein Lebensende und täglich suchte er in der Lektüre Homers oder Herodots Erholung nach der

Jakobs und Thiersch haben der Belesenheit wie dem Verständnis des königlichen Schülers hohes Lob gezollt. Französisch und italienisch sprach er

Arbeit.

fließend.

In feinen Studienjahren trieb er russisch.

Zu Rom im Jahre 1817,

als alle Zeichen einen Aufftand der Hellenen ankündigten und er, ein Freund, ein Mitkämpfer, nach Griechenland gehen wollte, lernte er neugriechisch. Um

seine Absicht zu vereiteln ließ König Max Joseph die Verfassung rascher, als er anfänglich geneigt gewesen war, veröffentlichen und rief den Kronprinzen

zur Beeidigung zurück.

Mit dem Studium der spanischen Sprache beschäftigte

er sich 1846, als er eine Reise durch Spanien zur Erwerbung von Kunst­ schätzen plante. Er übertrug in der Folge sein Lieblingsdrama Don Carlos ins Spanische und mehrere spanische Lustspiele ins Deutsche. Kurz, er lernte unermüdlich

um Altertum und Gegenwart zu begreifen.

Er erkannte auch

den vollen Wert historischer Forschung und Betrachtung; er, der in seinen Jugendtagen

begeisterte Briefe

mit Johannes v. Müller gewechselt

hatte,

blieb zu allen Zeiten ein Freund der Geschichtskunde und Geschichtskundigen. Von den exakten, den streng beweisfähigen Wissenschaften, zog ihn die Rechts­ wissenschaft am meisten an; ihr Studium galt ihm als unerläßlich für einen

Fürsten. Keine bedeutende literarische Erscheinung entging ihm; er war ein eifriger Benutzer der Hof- und Staatsbibliothek, denn nur nachdem er ein Werk

selbst geprüft hatte, ließ er es für seine eigene Bücherei anschaffen.

So er­

langte er die gründlichsten Kenntnisse in allen Zweigen, die für Erledigung seiner Regierungsgeschäfte von Belang waren. Und wie gewissenhaft oblag er diesen Pflichten!

Man kann ohne Über­

treibung sagen, daß er an Arbeitsdrang und Arbeitskraft dem großen Friedrich

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.

glich.

461

Tausend und aber tausend Urteile und Entscheidungen in fast sämtlichen

Akten der höheren Behörden des Königreichs zeugen von seiner allumfassenden

Tätigkeit. „ Und König Ludwig lebt, als müht' er Werben um, di« er besitzt, die Kron«!"

„In Eile schreibe ich Ihnen diesen Abend," schrieb er bald nach seiner

Thronbesteigung (3. Dezember 1825) an Martin Wagner, „der ich eben Auf­ wartungen hatte und Aufwartungen nachher noch bekomme; meine Zeit ist

ungeheuer in Anspruch genommen, obgleich ich jetzt schon um */„5 Uhr in der

Frühe täglich ausstehe!"

„Mein Licht," bemerkte er zu Graf Pocci, „ist immer

das erste, wenn ich frühmorgens auf den Max-Josephsplatz hinaussehe; dann kommen nach und nach Lichter in den Bürgerhäusern zum Vorschein, und wenn

andere auf ihre Bureaus gehen, habe ich schon alle Mappen durchgearbeitet!" Wie er sogar auf Erholungsreisen der Arbeit oblag, zeigt uns ein Brief, den er am 10. April 1839 von Neapel aus an seinen Sekretär Kreuzer richtete: „Daß

ich meinen heiteren Sinn behalte und meine innere Jugend und die Kräfte, dieses gehört zu meinen hauptsächlichsten Wünschen. Nachdem ich zwei Tage, den

ersten nur sehr kurz, den anderen mit längerer Unterbrechung von x/4

nach 5 Uhr in der Frühe bis abends gearbeitet, arbeitete ich gestern eilf Stunden, nur unterbrochen von Frühstück, und war recht wohl und munter dabei, kann weit mehr noch arbeiten wie früher." Zu dieser rastlosen Tätigkeit spornte den Regenten ernstes Pflichtgefühl, zur Pflege der Kunst drängte ihn die Neigung des Herzens. Die Kunst zu schützen und zu fördern hatte er einst gelobt, da er als Jüngling in den Kreis „der guten Geister," der deutschen Künstler in Rom, getreten war. „ Denn Kunst, die zwar ihr sich'res Erbteil droben 3m Himmel hat, bedarf, solange sie Auf Erden geht, des ird'schen Schutzes wohl! "

Wie treu hat er jenes Versprechen gehalten! Wie herrlich ist das in Rom gelegte Saatkorn anfgegangcn! Im Verhältnis zu den Einkünften des

Königs waren die Ausgaben für Kunst bedeutend, an sich aber die Mittel be­ scheiden, mit denen er so Stolzes, so Außerordentliches leistete. Eigenschaften:

Einfachheit und Ordnung

„Nur zwei

miteinander verbunden," sagt Abt

Haneberg in seiner Trauerrede auf Ludwig, „machen es zum Teil erklärlich, wie er Größeres schaffen konnte, als viele Kaiser oder Beherrscher von zehn­

mal größeren Ländern vollbracht haben!"

Doch nicht bloß ihm selbst sollte die Kunst Leitstern seines Lebens sein: in ihr erblickte er auch die edelste Erzieherin des Volkes. König Ludwig dachte sich die Kunst in lebendiger Wechselwirkung mit

allem, was die Nation aus den Tiefen der Wissenschaft und der Poesie ge­ schöpft hat; er wollte nicht bloß gute Maler, sondern echte Künstler um seinen Thron versammeln.

„Alle Künstler sind meine Kinder!"

äußerte er oft bei

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Bolles.

462

ernstem und heiterem Anlaß. In einem Briefe an Minister Eduard Schenk drückt er den ernsten Wunsch und Willen aus, daß der Künstler in allen

Streifen der Bevölkerung geachtet und geehrt werde; mit Mißfallen sehe er, daß Künstler und Gelehrte mit 'den Münchener Adelskreisen fast keinen Ver­ kehr hätten. Nur zu hohen, kühnen, ja selbst waghalsigen Flügen spornte er seine Künstler. Die Tempelhallen von Ägina und Pästum, die Athene Promachos

der Akropolis, die Sixtinischen Fresken des Michel Angelo stellte er ihnen als Beispiel hin.

Der Meister zeigt sich auch im kleinen, aber man erzieht am

großen zum Meister. Unterschätzen wir doch den Anteil nicht, den Begeisterung und Ehrgeiz an der schöpferischen Kraft haben! Und wie glänzend wurde, wenn nicht in allen, doch in vielen Fällen, das Vertrauen gelohnt!

Es war

eine schöne, eine große Zeit heiteren Sinnes, uneigenniitzigen Strebens, mutigen Schaffens, es war — um mit Cornelius zu reden — „eine gesunde, lebens­ kräftige Wärme, erzeugt durch die hell auflodernde Flamme der Begeisterung,

wovon jene Werke mit allen ihren Mängeln das Zeichen an ihrer Stirne tragen!"

Allein nicht bloß den Künstlern sollte nach des Königs Absicht die erziehliche Kraft echter Kunst zugute kommen, sondern dem ganzen Volke. Er wollte nichts für sich allein genießen, alle seine Unternehmungen waren für die Öffentlich­ keit, für die Allgemeinheit bestimmt. Als 1829 die Fresken in den Münchener Hofgartenarkaden enthüllt wurden, gab er nicht zu, daß eine Wache aufgestellt

„Man muß," meinte er, „ohne Mißtrauen zu zeigen, den Geringsten im Volke an den Anblick des Schönen gewöhnen!" Als Rottmann von einer Studienreise nach Italien und Griechenland, die er in des Königs Auftrag werde.

unternommen hatte, eine Fülle herrlicher Landschaftsbilder seinem königlichen Gönner heimbrachte, beschloß dieser sofort die eines Claude Lorrain würdigen Kunstwerke zum Gemeingute zu machen.

Sie wurden allen zugänglich gemacht,

wie sie bis heute das Entzücken aller sind. König Ludwig glaubte an die Aufgabe und Macht der Stuiift zu sittigen und zu bilden; er hoffte von ihrer Pflege einen geistigen Aufschwung des bayerischen Stammes, vor allem der Bevölkerung Münchens. Und daß bei dieser der Kunstsinn erheblich zugenommen hat, läßt sich mit Leichtigkeit beweisen. Man

sehe nur die Feste, welche von den Künstlern Münchens veranstaltet werden. Mit ebensoviel Freude wie Verständnis kommt man ihnen nicht etwa nur im

Kreise der Wohlhabenden, sondern in allen Schichten der Bevölkerung entgegen. Die Künstler würden nicht so volkstümlich sein, wie sie es tatsächlich sind, wenn

das Volk keinen Herzschlag für die Kunst hätte! Aus Ludwigs Eifer auf die geistige und sittliche Entwicklung der Gesamt­ heit läuternd einzuwirken entsprang auch die Fürsorge für die öffentlichen Samm­ lungen und Kunsthallen.

Unablässig sann er auf Mehrung der Kleinodien, die heute der Stolz der Jsarstadt sind. „Nur das Beste ist gut genug!" war die Losung, die er

463

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Boltes.

immer wieder seinen getreuen und uneigennützigen Mitarbeitern zurief.

Ich

erinnere nur an die Glyptothek, nach Professor Urlichs' Wort König Ludwigs

eigenstes Werk.

Da ist keine Statue, deren Erwerbung er nicht selbst angeregt

oder doch mit seinen Künstlern und Vermittlern beraten hätte! Ich erinnere an die Boissereesche Sammlung altdeutscher Gemälde, deren Ankauf Böhmer für eine nationale Tat, ebenbürtig dem Ausbau des Kölner Domes, erklärte, an die Erwerbung der Wallersteinschen Galerie, der Altertumssammlung des Kardinals Fesch, der Liponaschen Vasen, der Dodwellschen Terrakotten, der

kostbaren chinesischen und japanesischen Altertümer, — welch ein Aufwand von Mühe, Klugheit und Geld war zur Ansammlung aller dieser Schätze erforderlich!

Keine Statue wurde in Rom oder Athen ausgegraben, kein Wandgemälde in Pompeji aufgedeckt, keine Kunstversteigerung in Köln oder Paris abgehaltcn, kein antikes Bildwerk neu gedeutet, kein Münzschatz in den Handel gebracht, ohne daß sich daran eingehende Anfragen und Weisungen des königlichen Sammlers an seine mit seltenem Geschick gewählten und überall hin verteilten Geschäftsvermittler geknüpft hätten. Des königlichen Sammlers! Denn dieser wahre Freund der Kunst

und Künstler verbarg seine Herrlichkeiten nicht hinter verschlossenen Türen:

er

baute Paläste für dieselben, aber Paläste, die als Tempel für die Eingeweihten, als Schule für die Laien immer offen stehen. Unter keinen Umständen duldete er, daß von den Hunderttausenden seiner Gäste, den Besuchern der Sammlungen,

unter irgend welcher Form eine Steuer erhoben werde.

„Was Kunst hervor­

gebracht, wie die Wissenschaft, muß auch allgemein sein wie das Sonnenlicht!" Wer verargt cs ihm, daß er München mit seinen großmütigsten Geschenken

bedachte? Hier verweilte er die längste Zeit, hier war die Bevölkerung am dichtesten, hier war ein starker Fremdenverkehr, hier waren die meisten wissen­ schaftlichen Lehranstalten und bedeutendsten Kunstschulen.

In seinen Tagen

fehlte es freilich nicht an Kurzsichtigen, die gern die Boissereesche Sammlung

geteilt und die knidische Venus zerstückelt hätten, damit die Engländer genötigt seien, in jedem bayerischen Städtchen ein Glas Bier zu trinken.

Heute hält

jeder die Bevorzugung der Haupt- und Residenzstadt des Landes für berechtigt. Auch beschenkte er keineswegs nur München. Es gibt kaum eine größere Stadt

in Bayern, wo nicht ein Monumentalbau, eine Kunstsammlung, ein Standbild von der erziehlichen Fürsorge des Königs Zeugnis gäbe!

Lieb und wert war

ihm jede Stätte, wo die schönen Künste gehegt und gefördert wurden.

So

war es z. B. seine Absicht in Düsseldorf, das damals allein als Kunststadt mit München wetteiferte, den berühmten Jakobischen Garten anzukaufen um für die dortige Küustlerschaft ein trauliches Heim zu schaffen. König Ludwig, der Schutzherr und Apostel der Kunst, ist weltbekannt. Seine Verdienste um die Kunstbildung sind — ich möchte sagen — allen greifbar.

Dagegen sind die Beweise von seiner ebenso werktätigen Begeisterung

für die Wissenschaft schwieriger zu erbringen.

Bei allen Völkern, die sich

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93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.

einer hochentwickelten Knltlir erfreuen, werden „Kunst und Wissenschaft" immer zusammen genannt, weil überall empfunden wird, daß das Streben nach Schön­

heit Hand in Hand gehen muß mit dem Streben- nach Wahrheit. Diese Überzeugung war auch in Ludwig lebendig. Indem er, wie ich schon schilderte,

an den Fortschritten des menschlichen Wissens dauernden Anteil nahm, konnten ihm der Nutzen und die Wichtigkeit der deutschen Hochschule nicht entgehen. Eine seiner frühesten Regierungshandlungen war die Verlegung der altbayerischen

Hochschule in die Landeshauptstadt.

Damals wurde sie von wenigen gebilligt,

heute zählt man sie zu seinen erfreulichsten Taten. Mit Recht hielt er den Verkehr in einer großen Gemeinde für die Charakterbildung der Studierenden für ersprießlich, mit Recht erwartete er, daß der Hort kostbarer wissenschaft­ licher wie künstlerischer Schätze den Gelehrten Anregung und Schwung geben,

Hinwider die Gegenwart der Vertreter der Wissenschaft auf die städtische Bevölkerung wohltätig zurückwirken werde. Man lese die Verordnungen Ludwigs zur Neugestaltung der Akademie, die damals nur noch ein unfruchtbarer Überrest

aus dem Hausrat der Zopfzeit war, auf daß auch sie der Wissenschaft und dem Leben, dem Gelehrtenstaat und dem Vaterland Nutzen bringe! Man lese die mit Minister Schenk gewechselten Briefe wegen Heranziehung neuer

Lehrkräfte nach München!

Männer wie Oken, Görres, Schubert, Thiersch, Martins, Schweller folgten dem Rufe. Namen von verschiedenartigem Klang, aber: „So ist's gut!" urteilte Anselm von Feuerbach, „Wasser und Feuer ver­ trügt sich in der Natur auch nicht und doch grünt die Saat und keimt die Frucht!"

Nicht nur in der Chemie sind die Gürungserreger wichtig und nützlich. Freilich war König Ludwig der rein atomistischen Auffassung der Welt abhold und allen Leugnern der Gottesidee ein unversöhnlicher Gegner. Aus diesen Gesichtspunkten mochte er in einzelnen Fällen ein Veto, in seinen späteren Regierungsjahren sogar ein sehr barsches Veto einlegen: im großen und ganzen

hielt er die Freiheit der Forschung hoch und war überzeugt, daß die Hochschule in ihrer Gesamtheit die Wissenschaft nach allen in ihr lebendigen Strömungen darzustellen habe. Als Rektor Dresch bei der feierlichen Eröffnung der Münchener Hochschule freimütige Gedanken über die Würde der Wissenschaft äußerte,

erwiderte der König:

„Nichts konnte mir besser gefallen, als was über die Un­

abhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung, über Freiheit des Wortes und der Mitteilung gesagt wurde. Es ist auch meine lebendigste, meine tiefste Überzeugung, daß hier jeder Zwang, jede Zensur, auch die billigste, verderblich

wirkt, weil sie statt des gegenseitigen Vertrauens, bei dem allein die menschlichen

Dinge gedeihen, den Argwohn einsetzt." — — Es liegt auf der Hand, daß ein Fürst, der so hell ins Leben blickte wie Ludwig von Bayern, auch auf Ackerbau und Handel und Gewerbe reformatorisch

einzuwirken suchte.

Der zwiefache Nutzen der landwirtschaftlichen Vereine, „einerseits die Regierung, anderseits die Landwirte zu belehren," bewog ihn neben dem seit

93. Ludwig I. von Bayern ats Erzieher seines Volkes.

465

1768 bestehenden Verein eine neue landwirtschaftliche Gesellschaft zu gründen. Prämien wurden von ihm ausgesetzt um intensivere Wirtschastsmethoden an­

zuregen, Ausstellungen landwirtschaftlicher Geräte und Erzeugnisse veranstaltet, landwirtschaftliche Schulen errichtet.

Ich muß mich auf diese dürftigen Finger­

zeige beschränken, kann nur im allgemeinen darauf Hinweisen, daß er auch auf diesem Gebiete der Volkserziehung das Goethesche Wort wahrhaft und aufs

schönste erfüllte: „Du im Leben nichts verschieb«, Sei dein Leben Tat um Tat!"

Trotz des Gleichgewichts und der harmonischen Entwicklung seiner geistigen Kräfte, bei aller Energie des Charakters blieben innere Kämpfe nicht aus.

Seine Künstlerseele empörte sich nicht selten gegen die Forderungen seines

Verstandes.

Während er als Kronprinz Baaders Erfindung einer Eisenbahn

die wärmste Teilnahme zuwandte und 1819 auf eigene Kosten im Nymphen­ burger Hofgarten das Modell einer solchen Herstellen ließ, war er der groß­ artigen und dabei so vernunftgemäßen Entwicklung dieser Idee durch Beiziehung

der Dampfkraft, wodurch die Erfindung erst ihre unvergleichliche Wichtigkeit gewann, durchaus nicht hold. „Ein schnelles Beförderungsmittel ist die Eisen­ bahn," schreibt er (8. Juni 1854) an Martin Wagner, „um von einem Ort

in einen anderen versetzt zu werden, aber das Innere der Städte umgeht sie, als wenn sie nicht beständen, und vom Genuß der schönen Natur kann nicht mehr die Rede sein,.... einer eingepackten, willenlosen Ware gleich schießt durch die schönsten Naturschönheiten der Mensch, Länder lernt er keine mehr kennen."

Aber ein Geist wie der seine konnte die weltumgestaltende Bedeutung dieses neuen Beförderungsmittels nicht unterschätzen. Nur seiner persönlichen energischen Einwirkung ist es denn auch zu danken, daß 1837 der bayerische

Landtag für eine Eisenbahnlinie von der südlichen bis zur nördlichen Grenze des

Königreichs die nötigen Mittel und gesetzlichen Anordnungen genehmigte.

Ohne

die bessere Einsicht des Königs würde Bayern auf lange Zeit vom allgemeinen

Handelsverkehr ausgeschlossen worden sein. Von seinen wirtschaftlichen Reformplänen seien nur hervorgehoben die

vom König angeregte und durchgeführte Anlage des Kanals, der Nordsee und Schwarzes Meer in Verbindung setzte, und der leider nicht ins Werk umgesetzte Gedanke München mittels Benutzung von Amper, Ilm und Isar und ergänzen­

der Kanalbauten in unmittelbare Verbindung mit der Donau zu bringen und

dadurch gewissermaßen zu einem Hafen- und Stapelplatz zu erheben. Vor allem sei daran erinnert, daß die segensreichste Tat aus den Zeiten

des Deutschen Bundestags, die Zo lleinigung der deutschen Staaten, nächst König Wilhelm von Württemberg dem weitblickenden, opferwilligen Bayern­ könig zu danken ist.

Auch auf die Veredlung des Gewerbes erstreckte sich Ludwigs erziehliche Tätigkeit. Daß der Aufschwung der schönen Künste günstigen Einfluß auf das Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

30

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93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.

Handwerk üben mußte, liegt zutage.

Ein Frühlingshauch drang auch in die

bürgerlichen Werkstätten. Indem die Handwerker Mitarbeiter bei der Her­ stellung, Einrichtung und Ausschmückung stilvoller, großartiger Bauwerke wurden, gewannen sie nicht nur Geld, sondern mehr: ihr Geschmack ward geläutert, künstlerischer Takt auch in ihnen entwickelt. Und ebenso mußte der Anblick

so vieler in den Sammlungen vereinigter Meisterwerke aus der Zeit, da jeder Handwerker, wie Semper sagt, in seiner Art ein Künstler war, jedem überhaupt Empfänglichen die Brust erweitern. Daß diese Tatsache in den gewerblichen

Kreisen anerkannt wurde, zeigte sich 1850 bei dem Festzug gelegentlich der Enthüllung der Bavaria. Der König selbst berichtete hocherfreut an Wagner (13. Oktober 1850): „Erst wollten nur die Künstler die Enthüllung feyern,

dann gesellten sich die bey dcu Bauten betheiligten Gewerbe hinzu, hierauf alle, denn wenn sie auch nicht unmittelbaren Gewinn davon zogen, doch mittel­ baren, und er geht fort, nicht nur durch die bewirkte Vervollkommnung der Gewerbe, sondern auch durch die alljährlich zuströmende Menge von Fremden!" Fachschulen wurden errichtet, die Gelegenheiten für den Strebsamen sich zu unterrichten vermehrt, durch Preisausschreiben und Ausstellungen ein rühm­

licher Wetteifer zu entfachen gesucht. Wohl würden die edlen Absichten kräftiger durchzuführen und noch be­

deutendere Wirkungen zu erzielen gewesen sein, wenn die Mittel reicher ge­ flossen wären. Ludwig besaß jene Eigenschaft, welche den Glanz einer Regierung in den Augen der Zeitgenossen wesentlich mindert und doch zu den notwendig­

sten Merkmalen großer Regenten gehört: Sparsamkeit. Wie sehr diese sittliche Kraft unseres Fürsten seinem Staat zum Heil gereichte, weiß jeder, der den kläglichen Stand der Finanzen und die Zerrüttung im Staatshaushalt während

der ersten zwei Jahrzehnte des Königreichs kennt. Als 1827 der Finanz­ minister dem Landtag die Erklärung abgab, daß zum erstenmal seit Bestehen der Verfassung kein Defizit vorliege, brachen die Mitglieder aller Parteien in

Hochrufe auf den König aus: so überraschend, so beglückend wirtte auf sie

jene Nachricht. Und abgesehen von der Besserung der Finanzlage: der weise Haus­ halter auf dem Throne wurde ein Beispiel für das Land! Ludwigs Ordnungs­

liebe, seine Abneigung nicht gegen große, durch höhere Zwecke gerechtfertigte Ausgaben, aber gegen jede Verschwendung waren beim wichtigen Werke der Volkserziehung unschätzbar wesentliche Kräfte.

Vorzüglich dadurch gewann er

sich das Vertrauen des Volkes, jenes unerschütterliche Verttauen zur Krone,

' ohne welches der monarchische Verfassungsstaat nicht denkbar, sicherlich nicht haltbar ist. Ludwig erinnert darin an den prunklos tätigen Vater des großen Friedrich. Wie dieser sah auch er in bürgerlichen Tugenden des Regenten und seiner Diener die Grundfesten des Staates, wie dieser wurde Ludwig der Schöpfer eines neuen, strammen, arbeitsamen Beamtentums. Er selbst war unermüdlich tätig, er hielt seine Mittel zusammen und sah auf peinliche Ordnung

93. Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes.

467

und so verlangte er auch eisernen Fleiß, Pflichttreue und Pünttlichkeit von

jedem, der sich in den Dienst des Staates stellte. Mit der Vetternwirtschaft, dem Schlendrian, dem leeren Formelwesen, der alten Bureaukratie hat er gründlich gebrochen! —

Alles in allem: Ludwig erkannte und erfüllte die Pflichten des König­ tums. Auch ihm galt als erste Sorge das Fridericianische: Alles für Gott und das Volk!

Erst in jüngster Zeit erfuhr man in weiteren Kreisen, welch bedeutsamen Anteil Ludwig als Kronprinz am bayerischen Verfassungswerk nahm und daß in der Stunde der Gefahr ihm die Rettung dieses Palladiums zu danken war.

Später freilich, als er, der sich fteudig in den gemeinsamen Dienst mit dem Volke gestellt hatte, seinen Eifer durch Lahmheit oder Übelwollen in manchen Kreisen gehemmt glaubte, empfand er die Beschränkung seiner Machtbefugnisse

Dann mochte er wohl wünschen: Alles für das Volk, nichts

mit Unbehagen.

durch das Volk! Doch wie stark die Versuchung war, niemals erlaubte er sich einen Verfossungsbruch.

Die Begrenzung der Gewalt ist auch eine Verringerung der

Verantwortlichkeit.

Ludwig war zu lebendig vom Bewußtsein seiner Pflicht

durchdrungen, als daß er nicht darin eine Wohltat erblickt hätte! „Herrlich, über freies Volk zu walten, Nicht nach Willkür grenzenlos zu schalten, Sondern in den Schranken, die bestehn: In dem Tdelen sein Volk erhöh'»

Immerhin läßt sich nicht verkennen, daß Ludwig seit 1831 den Anteil des Volkes an der Regierung mit wachsender Eifersucht betrachtete und lieber

vermindert als vergrößert wünschte.

Er faßte den Fürstenberuf mehr und

mehr in selbstherrlichem Sinne auf, doch niemals im vermessenen des Roi soleil. Die Gewalt — dies ist seine Auffassung, seine felsenfeste Überzeugung — ist den

Fürsten von Gott selbst übertragen, doch nur zur Förderung des Gemeinwohls, der res publica.

In jenen Tagen, da von namhaften Lehrern des Staats­

rechts noch das persönliche Eigentumsrecht der deutschen Fürsten an Land und Leuten verfochten ward, erkannte er selbstlos an, was die Völker von den Deshalb konnten unter ihm trotz Beschränkung

Fürsten zu beanspruchen haben.

der Presse und des Vereinswesens die politischen Tugenden des Volkes für eine freiere Zukunft heranreifen. Diese glückliche Fortentwicklung des politischen Sinnes in Bayern wurde

noch dadurch begünstigt, daß Ludwig in allen Lebenslagen ernst und treu zum deutschen Vaterlande hielt. Davon zeugen die Jugendgedichte, die Worte und Taten des Regenten, die großen, dem ganzen deutschen Volke gewidmeten

Bauwerke. In verblendeter Selbstgenügsamkeit wiegte man sich in Bayern,

da

Kronprinz Ludwig schon mit Herz und Geist auffeiten der Befreiungskämpfer stand.

468

93. Ludwig I von Bayern als Erzieher seines Bolke».

>C’est qu’il saut une France & la Baviöre !< ist der Trostspruch des leitenden Staatsmannes beim Scheiden des französischen Gesandten nach Abschluß des Rieder Vertrags. Man lese, was die von der Regierung beeinflußte sowie die unabhängige bayerische Presse auch nach der Gründung des Deutschen Bundes von den Vorteilen sogenannter internationaler Freundschaftsbeziehungen preisend sagte! Und dann rufe man sich die stolzen deutschen Worte ins Gedächtnis, die bei der Eröffnung der Walhalla, der Befreiungshalle der königliche Bauherr

sprach; wie er sich glücklich nannte, daß er zu friedlicher Beilegung der Kölner Wirren in Preußen beitragen konnte; wie er entzückt die lang ersehnte, endlich erreichte Eintracht der deutschen Fürsten feierte! Die Wende des germanischen Schicksals! Ludwig selbst kennzeichnet sie am glücklichsten, indem er von der „Nacht im Frühling seines Lebens" und dem „lichten Tage seines Herbstes" spricht.

Die Heranbildung seiner Bayern zu guten Deutschen preist er als den schönsten Lohn seines erzieherischen Waltens; in diesem stolzen Bewußtsein ruft er: „Ich

hab' vergebens nicht gelebt!"--------Nein, sicherlich nicht vergebens! Von seiner Jugend, da der Pulverdampf

der Schlacht sein Antlitz schwärzte, bis zum Greisenalter hat er die Pflichten

eines Fürsten erfüllt. Jeder Tag war eine Tat! Und so sind heute nicht nur die Söhne Bayerlands versammelt um den großen Toten zu ehren, sondern aus allen Gauen des Reiches kamen Vertreter deutscher Kunst und deutscher Arbeit; denn ganz Deutschland trat sein Vermächtnis an!

Und wie die Erinnerung an ihn als einen Edlen und Großen lebendig ist, bezeugt die Botschaft der beiden Städte, deren Verdienste um die Erziehung des Menschengeschlechtes ohnegleichen, unerreichbar, unvergänglich sind. Es huldigt Rom, das ewige Rom, das Ludwig als seine zweite Heimat liebte, wo er zuerst das Gelübde tat ein Schutzherr der Kunst und der Künstler zu werden, wo ihn die Kraft und die Herrlichkeit der Antike und des Cinquecento zu immer neuem Schaffen begeisterten und stärkten. Es huldigt Athen, die Seele Griechenlands, für dessen Größe Ludwig

wie Winckelmann, wie Goethe das sonnenhafte Auge hatte, dessen Befreiung

aus Sklavenbanden er glühend wünschte und mutig verlangte, dessen politische Wiedergeburt eine seiner schönsten Lebensfreuden war! Dein Italien, dein Hellas, dein Deutschland huldigen dir! .. . Wir, die wir dir aufs tiefste verpflichtet sind, wir wollen dein schönstes Vermächtnis, dein

Beispiel, hochhalten! Das Vaterland soll uns immer treu, die geistigen Güter der Menschheit sollen nie bei uns einen Verächter finden l Wir geloben es freudig und voll Vertrauens in die Zukunft.

hier sind deine Ideale.

Denn hier ist dein Sohn, hier ist dein Blut,

Scharen wir uns um ihn und unsre Freude, unsre

Dankbarkeit finde Ausdruck in dem Rufe:

Gott erhalte und beschirme unser Haus Wittelsbach!

94. Ludwig I. und die Kunststadt München.

469

94. Ludwig I. und die Kunststadt München. Von Stegmuni) von Riezler?)

Mit Ludwig I. bestieg den Thron Bayerns eine ganz eigenartige, scharf

ausgeprägte Individualität, ein Fürst von so hervorragender Begabung, wie Bayern seit dem Kurfürsten Maximilian I. wohl keinen gehabt hatte, und von einer Art der Begabung, wie sie unter den Wittelsbachern noch nie aufgetreten war. Der Kern seines Wesens war Schwung, eine stets jugendfrische, un­ begrenzte Eindrucksfähigkeit, Begeisterung für das Schöne und Große.

Kronerbe und Träger der Krone brallchte er nur seinem Genius zu

folgen und sich auszuleben um der Erzieher seines Volkes und ein Bahn­ brecher für die bildendell Künste in Dentschland zu werden. Eine Vorbedingung seiner großen Leistungen war aber auch, daß er eine Eigenschaft besaß, die man

bei

schwungvollen Naturen

selten

findet:

haushälterischen Sinn und

Spartalent. Indem Ludwig sein Volk in die Bahnen der Kunstpflege wies, hat er schlummernde Kräfte der Volksseele geweckt, ist er der Begründer der

modernen Kunststadt und hierdurch der Großstadt München geworden.

Ein

Cornelius hätte seine Eigenart nie voll entfalten können, Hütte ihm nicht der

königliche Mäcenas monumentale Aufgaben gestellt, und München wäre nicht, was es heute ist, lväre nicht durch seine Kunstsammlungen und sein srisch auf­ blühendes Kunstleben der Fremdenstrom hingelenkt worden. Wie richtig man jetzt bemerkt, daß München als Kunstmarkt zurückgehen wird, wenn nicht eine

blühende Industrie den Reichtum in seiner Bevölkerung mehrt, so richtig ist es, daß erst in der Kunststadt München allmählich auch Industrie, Handel und Volkszahl heranwuchsen. Gleich Nürnberg, Augsburg, Würzburg hatte ja München schon seit

dem 16. Jahrhundert und länger eine nicht zu unterschätzende Kunsttradition. Aber die napoleonische Periode, auf lange die letzte, die ihren eigenen, wenn auch frostigen Kunststil erzeugte, war die ärmste an Kunstsinn gewesen. Unter

Max Joseph ist (1808) die Akademie der Künste gegründet, ist die Düsseldorfer Galerie nach abenteuerlichen Irrfahrten mit den älteren Münchener Beständen vereinigt worden. Aber welchen Einblick in den vorherrschenden Mangel an Kunstsinn gewährt uns der damals erfolgte Abbruch des berühmten Kaiser­

saales in der Residenz, des Schönsten, was München an Innenarchitektur besaß!

Der Einsicht und Begeisterung König Ludwigs I.

verdanken wir es

nun, daß. das Bayerland und seine Hauptstadt zu Trägern einer besonderen, den Anlagen und Neigungen seiner Stämme am meisten zusagenden Kultur­

mission erhoben und der deutschen Kunst in München ein bleibender Mittel­ punkt begründet wurde. *) „Das glücklichste Jahrhundert bayerischer Geschichte", 1806—1906, S. 24—28. München 1906,'O. Beck.

470

94. Ludwig I. und die Kunststadt München.

Bayern und Berufene haben dabei zusammengewirkt:

neben den Ein­

heimischen Schwanthaler, Miller, Ainmiller, Ohlmüller, Stiglmayer, Ziebland, Schraudolph, Bürkel, Spitzweg Männer aus allen deutschen Gauen: Cornelius

und Kaulbach, Klenze und Gärtner, Schwind und Schnorr v. Carolsfeld, Rottmann und die Heß. Auch von der Kunst gilt das schöne Wort, mit dem Thiersch die all­

gemeine deutsche Kultur zeichnete:

ein Baum,

der seine Wurzeln nach allen

Seiten hin ausstreckt, aus allen Provinzen Leben zieht und dafür freigebig an jeden seine Früchte verteilt. Aber unter den Bäumen deutscher Kunst steht der mächtigste Stamm auf bayerischem Boden und eine unerläßliche Voraus­ setzung seines hier besonders fröhlichen Gedeihens ist doch die durch die baye­ rische Stammesnatur bedingte erstischende Atmosphäre eines gesunden und farbigen Volkslebens, eines unbewußten Schönheitssinnes im Volke, wie er sich z. B- in den einzig schönen Bauernhäusern des bayerischen Gebirges und

der Vorberge ausspricht, einer zwanglosen und nicht durch allzu starre Standes­

unterschiede eingeschnürten Geselligkeit.

Auf unsere Feste darf man das Wort

des Dichters anwenden, daß die Zauber der Freude wieder binden, was die Mode streng geteilt. In dem gemütlichen München, sagt Knapp, haben die Berufe das Schöne, daß sie ihren Trägern nicht das Mark aussaugen.

„Ein

festlich heiteres Volk" hat Treitschke die Bayern genannt und ein solches wird in der Kunstpflege vor den arbeitsameren und ernsteren, aber prosaischeren Stämmen des Nordens immer viel voraus haben. Dazu kommt die engere Fühlung Münchens

mit Italien,

dem ewigen

Lande der Kunst. 1830 schrieb Montgelas: „München ist ein wahrer Leichnam, bedeckt mit einem Tuche von Goldbrokat, der, ohne selbst fetter zu werden, die

ÄrSfte der Provinzen aufsaugt."

Jetzt lächeln wir darüber, nicht nur wegen

der kühnen Schiefheit des Bildes. Wir lächeln ebenso über die Prophezeiung Lewalds von 1835, daß es zur Ausführung der Ludwig- und Briennerstraße

in der Länge, wie sie geplant seien, einer Bevölkerung bedürfe, die für München

niemals denkbar sei. Und wenn sich anfangs wohlverdienter Spott über die Münchener ergoß, daß sie in ihren Bilder- und Skulpturtheken durch stän­ dige Abwesenheit glänzten, werden heutzutage München und Nürnberg in Liebe

und Verständnis für die Kunst von keiner deutschen Stadtbevölkerung über­

troffen, von äußerst wenigen erreicht. Mögen nun andere deutsche Städte, darunter Berlin, mit reicheren materiellen Mitteln den Wettstreit in der Kunst­ pflege mit der bayerischen Hauptstadt ausgenommen haben, es liegt doch keine Überhebung und keine Unklarheit in unserem Bewußtsein, daß bei uns zwischen

dem Durchschnittsfühlen und -denken des Künstlers und der großen Masse keine so breite Kluft gähnt wie in Berlin und daß unser Boden für Kunstpflege geeigneter ist als der nordische.

471

96. Bor fünfundzwanzig Jahren.

Heimat der Kunst. Don Martin Greif?)

Glücklich die Stadt, die, geschmückt mit dem bräutlichen Kranze der Schönheit, Ihren Markt mit dem Glanz seliger Bilder erfüllt. Frommer die Menschen wohnen darin; gern ziehen die Götter Durch das geöffnete Tor in ihr beschütztes Gebiet.

95. An München. In das Goldene Buch der Stadt geschrieben von Martin Greif.')

Mein München, du vieltraute Stadt, Wer mag aus dir noch scheiden, Der deinen Sinn erkundet hat, In Freuden und in Leiden? Du trägst dein Antlitz unverstellt Und kennst kein Überheben,

Gewohnt nur dich vor aller Welt, So wie du bist, zu geben. Mein München, o wie strebst du kühn Dem Raub der Zeit zu wehren! Wohl einer Linde gleicht dein Blüh'n, Der stets die Blätter kehren. Gesunken sind die Mauern dir Wie auch die grauen Türme. Du prangst dafür in junger Zier, Daß Gott dich fürder schirme! Mein München, ja du thronst, geschmückt Durch Tempel und Paläste, Und deiner Schätze Pracht entzückt Die Scharen deiner Bäste.

Auch dienen dir zu hehrer Schau Die Zinnen, die dort blinken, Wo in der Ferne zartem Blau Die hohen Alpen winken.

Mein München, allen Künsten hold Ehrst du auch jed' Gewerbe, Doch über irdisch' Gut und Gold Gilt Treue dir im Erbe. Es malt sich ab die schlichte Art, Die dir seit alters eigen, Im Bild der Kuppen, die gepaart Dir himmelan entsteigen. Mein München, du vieltraute Stadt, Wer kann aus dir noch scheiden, Der deinen Sinn erkundet hat In Freuden und in Leiden? Du trägst dein Antlitz unverstellt Und kennst kein Überheben, Gewohnt nur, dich vor aller Welt, So wie du bist, zu geben.

96. Vor fünfundzwanzig Jahren. (Februar 1893.) Don Karl Theodor von Heigel?) In Frankreich wurde einer der besten Fürsten und Freunde des deutschen Volkes, Bayerns

gestorben;

großer König Ludwig I., geboren,

doch Straßburg

war auch

zur Zeit

in Frankreich

ist er

seiner Geburt deutscher

Boden, Nizza ist heute noch in Erscheinung und Lebensäußerung eine italie­

nische Stadt.

Das Münster Erwins v. Steinbach steigt über seinem Vaterhaus

•) „Gesammelte Werke", I. Band, S. 384. Leipzig 1895, Amelang•) Ebenda S. 345. •) Vgl. Das Bayerland, IV. Jahrgang, Nr 23. München, 1893, R. Oldenbourg.

96. Bor fünfundzwanzig Jahren.

472

empor; aus seiner letzten Wohnung sah er auf Palmen und auf das Meer, wieder auf Sinnbilder der Unvergänglichkeit!

25 Jahre sind seit seinem Tode vergangen. erwägen

Eine Spanne Zeit!

Doch

wir die Fülle von Ereignissen, die Umwälzungen im Schicksal der

Völker, im Staatsleben, in Kunst und Wissenschaft, die erstaunlichen Wand­ lungen der öffentlichen Meinungen gerade innerhalb dieser Spanne! Nichts

beweist die Eigenart, Kraft und Wirkung König Ludwigs I. deutlicher als die Tatsache, daß sein Andenken alle diese Stürme überdauert hat.

Eine neue Zeit brach an, ein anderes Geschlecht erstand, doch er ist für sie kein Fremdling, kein Schatten; die Gegenwart hat hellere Augen und wärmere Dankbarkeit für ihn als seine Zeitgenossen!

Wie glänzend gab sich

dies kund, als das Zentenarium seiner Geburt gefeiert wurde!

Erinnern wir

uns an die Farbenpracht, an die einmütige Begeisterung jener Münchener Tage! Wie kein Haus ungeschmückt blieb; wie am Vorabend, von tausend Feuergarben beleuchtet,

Bavaria den Kranz zu

den Sternen hob;

erinnern

wir uns an die Huldigung ohne gleichen, auf welche das Standbild des Königs niedersah, an den endlosen Pilgerzug zu seinem schlichten Grabe.

Wohl hatte München vor allen anderen bayerischen Städten Ursache das Zentenarium mit königlicher Pracht zu feiern, denn glorreich eingelöst

wurde das Wort, das er kühn als Jüngling sprach:

„Ich will aus München

eine Stadt machen, die Deutschland so zur Ehre gereichen soll, Deutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat!"

daß keiner

Doch das ganze bayerische Volk hat den Fürsten zu verehren, der, mit einer Künstlerseele begabt, das Gemeinwohl dennoch über den Dienst der Schönheit stellte.

Sehr hoch hielt er seine Fürstenrcchte, doch hat er jemals

seine Fürstenpflicht vergessen? Bei aller Freude an der Kunst, bei allen Taten und Opfern für die Kunst verlor er nie den Sinn für das Nützliche. Er war voll Schwung, doch ohne Überschwang, zugleich ein Künstler und ein Hausvater und guter Rechenmeister. Aber auch an der Elbe und an der Spree hat man alle Ursache des Verstorbenen, dennoch Unsterblichen, dankbar zu gedenken.

Denn was Ludwig

für das Wiedererwachen deutscher Kunst getan, war Licht und Wärmx für tausend Äste, von unschätzbarem Werte für die geistige Entwicklung des ganzen deutschen Volkes.

Auch nach seiner Thronentsagung fuhr er fort für gemeinnützige Zwecke zu arbeiten, zu opfern, zu gründen und zu bauen. Streng hielt er sein Wort, das er sich und dem Sohne gegeben, die Regierung nicht zu beeinflussen; er

ließ die Hand von aller Politik, widerstand allen Versuchungen zu einem Griff in die Zügel.

Oft sicherlich nicht ohne schweren Kampf, obwohl er in

Briefen an Martin Wagner und andere Vertraute den Verzicht auf politische

Doch er unterzog sich dem schwersten aller Gelübde, dem Verzichte auf Macht, nicht um die behagliche Ruhe und den

Tätigkeit eine Erlösung nannte.

96. Bor fünfundzwanzig Jahren.

473

träumerischen Frieden eines Einsiedlers zu gewinnen. Auch die Jahre des Privatmannes waren volles, tätiges, erfolgreiches Leben. Er war keine poli­ tische Macht mehr, aber noch im Greisenalter eine tveithin wirkende Kraft!

Trotz der Erfahrungen, die so bitter waren, daß ihn der Verlust der königlichen Rechte fast ein Glück bedünkte, bewahrte er sich warme Empfindung

für Wohl und Wehe des Vaterlandes.

Es genügt ein Beispiel um zu zeigen,

wie er sich bezwingen und das beleidigte Ich vergessen konnte, wenn es sich

um ein Werk handelte, das für Volk und Stadt von dauerndem Werte war. Am 20. März 1848 legte er, durch die feindselige Haltung der Münchener Bürgerschaft bewogen, die Krone nieder; am 21. März verordnete er, daß der

schönste Platz Münchens einen würdigen Abschluß durch ein griechisches Pracht­ tor, die Propyläen, erhalte. Bewundernswerte Arbeitskraft, geistige und körperliche Rüstigkeit blieben

ihm treu bis ans Ende. Wenn erst der Briefwechsel zwischen ihm und seinem „Kunstgeneralbevollmächtigten, Staatsrat, Hofskulpteur, Hausmeister, Gärtner und Zimmermaler" in der Villa Malta in Rom, Martin Wagner, veröffent­ licht ist, wird alle Welt aus den hundert und hundert Blättern mit Staunen ersehen, welche Riesenpläne den greisen Fürsten noch beschäftigt haben. Diese Briefe werden auch am klarsten zeigen, wie Ludwig seine Kunstunternehmungen

aus langer Hand vorzubereiten pflegte, wie jede neue Schöpfung ein not­ wendiges Glied in der Kette und das schön Gedachte zur rechten Zeit in das Leben tritt. Sobald er für seine geistige Spannkraft fürchtete, fuhr er über die Alpen um sich in der ewigen Stadt gesund zu baden im Genuß der Antike und eines fröhlichen, bunten Künstlerlebens. In welchem Grade er sich seiner sicher

glaubte, bewies er im Herbste 1867. Damals, schon 81 Jahre alt, besuchte er seine Vaterstadt Straßburg, dann Paris und hier wanderte er in den Hallen der Weltausstellung von früh bis spät umher. „Von 4 Uhr morgens bis 4 Uhr abends stehe ich allezeit zu Gebote", erwiderte er auf die Anfrage

Napoleons III., um welche Zeit er den Besuch seines Gastes erwidern dürfe. Was er dort in der exposition des beaux arts sah, war ein anderes, als was er einst von Rom nach München verpflanzt hatte, doch war er geistig so reich und frei,

daß er keinen Stillstand der Kunst verlangte,

anderen Grundsätzen als den seinen sich bekehrte.

weil sie zu

Er gab zu, daß eben das

echte Künstlerstreben, das Suchen nach Wahrheit und Natur immer

wieder

auf neue Wege führt, wenn sie uns auch zeitweilig nur Sackgassen dünken. Er war freudig bewegt, daß die Münchener Pilotyschule in der Seinestadt,

die noch immer die Metropole der Kunst ist, rühmliche Triumphe feierte. die Franzosen nicht", schrieb er an einen Künstler,

„Liebe

„sie sind, so lange sie

wenigstens Elsaß nicht herausgeben, Teutschlands Erbfeind; aber es hat mich gefreut, daß sie Münchens Künstler so hoch schätzen, ihnen so viele Medaillen zuerkennend."

96. Bor fünfundzwanzig Jahren.

474

Dieses Mal jedoch hatte er seine Kräfte überschätzt.

müde kam er im November nach Nizza.

Abgespannt, geistig

Wie stärkend die milde Seeluft auf

seinen Körper, wie berauschend der Zauber des Hesperischen Gartens auf seine Phantasie wirkte, beweisen die Strophen, die er wenige Wochen vor seiner letzten Erkrankung an einen Abendzirkel bei der Gräfin Sophie Lodron richtete (28. Dezember 1867): ,0 könnte ich euch doch versetzen In dies« ew'g« Blumenflur,

Euch fühlen lassen das Ergötzen In der bezaubernden Natur,

Wo auch im Winter Rosen blühen

Und Immergrün die Bäume schmückt,

Die goldnen Früchte glänzend glühen, Wo überall es uns entzückt!

Vermöchte doch auf Zephyrs Schwingen Ein Zauberwort ins Zauberland Euch, Teuere, zu mir zu bringen

An diesen heitren Meeresstrand!"

Bis Anfang Februar 1868 liefen über den Gesundheitszustand des greisen Königs aus Nizza nur günstige Nachrichten ein. Am 12. Februar zeigte ein

Telegramm an, daß sich Se. Majestät infolge rotlaufartiger Anschwellungen am Fuße einer Operation unterziehen mußte, daß dieselbe zwar gelungen sei, der Zustand des Kranken aber immerhin Bedenken errege.

Er hatte nicht geduldet, daß zur Operation ein Arzt aus Nizza beigezogen werde, sein Leib­

arzt mußte alles allein besorgen:

„Ich möchte nicht, daß ein Fremder mich

etwa einen Schmerzensschrei ausstoßen hörte!"

Auch chloroformieren ließ er

er hielt die Schmerzen ruhig aus und begann unmittelbar danach in gewohnter Weise zu scherzen. „Ich danke Ihnen," sagte er zum Arzt,

sich nicht;

„daß Sie mir so wohltätige Schmerzen verursacht haben!"

Nachdem er auch

eine zweite Operation, die bald darauf notwendig geworden war, geduldig ertragen hatte, fühlte er sich wieder so wohl, daß er schon an Wiederauf­

nehmen der gewohnten Spaziergänge dachte, doch es war nur ein letztes Auf­ flackern der Lebenskräfte! Wenige Tage nachdem sein Enkel Ludwig mit einer jugendschönen Gattin festlichen Einzug in München gehalten hatte, .trafen auS Nizza beunruhigende Nachrichten ein. Die Prinzen Luitpold und Adalbett eilten ans Krankenlager des Vaters. Am 26. Februar wurde für den König in seinem Hause eine Messe gelesen, dann empfing er bei vollem Bewußtsein die heiligen Sterbsakramente.

Unmittelbar darauf nahm die Schwäche zu,

auch Delirien stellten sich ein, doch rang er sich immer wieder zu voller Be­ sinnung durch. Er wußte, daß sein Ende bevorstehe, aber er sah der Auf­ lösung gefaßt entgegen. „Glauben Sie nicht," sagte er zu Oberstabsarzt Cabrol, „daß ich den Tod fürchte, ich habe ihm schon mehrmals ins Auge

geschaut!"

Am Abend des 27. Februar sagte er:

„Wenn

ich heut' nacht

96. Bor fünfundzwanzig Jahren.

sterbe, dann ist der König von seinen Leiden erlöst!"

475 Etwas später richtete

er sich auf dem Lager in die Höhe und sprach mit fester Stimme: „Allen, allen in München meinen Dank!" Nach Mitternacht erwachte er nochmals aus der Betäubung und sagte: „Ein Uhr, und ich bin noch nicht tot!"

Das

waren seine letzten Worte. Am nächsten Tage blieben seine Sinne umnachtet. Noch einmal, als ihm am 29. Februar frühmorgens die letzte Ölung gereicht wurde, schien er zur Besinnung zu gelangen, doch bald darauf um 8 Uhr

35 Minuten entschlief er ruhig — ohne Todeskampf.

Tieferschüttert knieten

die beiden Söhne am Sterbelager.

Die Leiche wurde einbalsamiert; dann blieb sie, bis die mit der Abholung

nach München beauftragte Hofkommission unter Führung des Hofmarschalls

Freiherrn v. Laroche in Nizza eintraf, im Totenhause auf dem Paradebett ausgestellt. Das Antlitz des Toten war nicht entstellt, sondern durch einen rührenden Zug von Milde verschönt. Am 6. März wurden die Exequien mit solcher Pracht und unter so lebhafter Beteiligung der Bevölkerung abgehalten, als gälte es einem Fürsten

des Landes die

letzte Ehre zu erweisen;

der Rö amante delle belle arti

genoß ja in ganz Italien einer großen Popularität.

Kaiser Napoleon III.,

der schon während der Krankheit des Königs Beweise seiner Teilnahme gegeben hatte, ließ sich bei der Trauerfeier durch seine persönlichen Adjutanten, General Reille und Herzog von Elchingen, vertreten. Die gesamte Garnison von Nizza wurde zur Spalierbildung aufgeboten;

eine französische Fregatte, die eigens

von Toulon herübergekommen war, stellte sich gegenüber der Behausung des Königs auf, hißte am Hauptmast die bayerische Flagge und gab, solange die

Exequien dauerten, Trauersalven.

Um 10 Uhr wurde die Leiche vom Klerus

unter Führung des Bischofs von Nizza abgeholt; auf einem von acht Rappen

gezogenen Traüerwagen wurde sie unter dem Geläute aller Glocken nach dem

Dom gebracht, viele Offiziere, Beamte, Bürger und Fremde gingen in feier­ lichem Zuge mit. Nachmittags brachte wieder ein prächtiger Kondukt den Sarg zum Bahnhof; eine große Menschenmenge gab auch dahin das Geleite.

Die Reise ging über Marseille, Lyon, Straßburg und Ulm; in allen größeren Städten wurde die Königsleiche mit Trauermusik begrüßt und durch Kranz­ spenden geehrt. Längst hatte Ludwig für sein Begräbnis alle Anordnungen getroffen. Seine sterblichen Überreste sollten an der Seite seiner Gemahlin Therese in

der mit schlichtem Marmorsarkophag geschmückten Gruft in der Basilika bestattet, an Stelle des nach Altötting gebrachten Herzens sollte sein Trauring gelegt

werden. Am 9. März setzte sich von der Hofkapelle aus der Leichenzug in Be­ wegung; der Verstorbene selbst hatte den Weg vorgezeichnet, auf welchem er als „stiller Mann" znr Gruft gebracht sein wollte. Ein königlicher Weg! Der Trauerzug durchquerte die prächtige Ludwigstraße, welche ihre Anlage und

476

97. Bor dem Königssarge in der Münchener Basilika.

«ine Reihe monumentaler Bauten dem Könige verdankte, dann lenkte er ein in die Briennerstraße, deren Name an eine glänzende Waffentat der Bayern er­ innert, vorbei an dem Meisterwerk Thorwaldsens, dem Standbild Maximilians I., am Wittelsbacher Palast, dessen östlicher Eckturm das sonnige Lieblingsgemach des Königs umschloß, am ehernen Obelisk, an der Glyptothek, die dm guten

Münchenem lange Zeit zur Zielscheibe ihres Witzes gedient hatte, bis sie er­

kennen lernten, welch unvergleichlichen Schatz das Marmorhaus für München und die Welt bedeute, durch die Propyläen, das Denkmal der großen Gesin­ nung des königlichen Bauherm, das Denkmal des kleinlichen Undankes des Und nun öffneten die Glocken der Basilika ihren ehernen

Griechenvolkes . . .

Mund, das Trauergeleite wandte sich langsam zur Grustkapelle, Männer­

stimmen hoben zu klagen an: »In memoria aeterna erst justus

«

Eine eigene und eigenartige Totenfeier veranstalteten die Künstler ihrem fürstlichen Freunde und Beschützer. Am Abend des 12. März zogen sie mit Fackeln und Fahnen nach dem herrlichen Königsplatz. In fahlgrünem Flacker­

licht schimmerten die Marmorwände des dorischen Tempels. Von den Stufen der Glyptothek herab klang die Gedächtnisrede, aus der Säulenhalle der Pro­

pyläen die Trauerhymne auf den Geschiedenen. Dann öffneten sich die ehemen Torflügel der Glyptothek und aus dem Atrium leuchtete weithin die Büste des gefeierten Toten.

Die Fahnen und Standarten

der Künstler, Oriflammen

unblutiger, dennoch heißer und ruhmreicher Kämpfe, senkten sich und der Redner bekränzte das Marmorhaupt mit goldenem Lorbeer. Draußen aber stand Kopf an Kopf eine unübersehbare Menge, nicht nur Künstler, alle die

Seinen, ein trauemdes Volk . . . schweigend . . . tief erschüttert . . .

97.

Vor dem Königssarge in der Münchener Basilika. Don Aorl Zettel.')

Die Abendsonne schickt den letzten Glanz Durch matte Fenster diesem Tempelhause; Ihr Strahl verflattert noch in müdem Tanz, Indes verstummt des Tages wirr Gebraus«. Dom Turme zittert noch ein Glockenschlag Und mählich stirbt die Rosenglut Um jenen würd'gen Königssarkophag, Auf dem nun heil'ger Friede ruht.

D welch ein Leben, hehr und sonnengleich, Liegt hier in Staub und Todesnacht gesunken! Noch schwelgen wir in seinem lichten Reich, Don jenem gottgegebnen Feuer trunken. ') „Dichtungen" S. 298, 4. Aufl. Stuttgart 1894.

98. Ludwigslied.

477

Ein Purpurleuchten glüht noch jetzt empor Aus dieses Sarges Heiligtum Und mächtig schlägt noch lang an unser Ohr Des großen Bayernkönigs Ruhm.

Denn was er sann und fühlte, war geweiht Dem ew'gen Reich des Wahren und des Schönen; Und stets war ihm die stolze Brust gefeit So gegen Torheit wie der Mißgunst Höhnen. Was klein und niedrig sich durch Engen wand, Dem zürnte sein erhabner Sinn; Und all sein Denken und sein Wollen fand Rur in der Grobheit Dollgewinn. Und wenn es galt im weiten Fürstenrat, In dem er lange saß, der besten einer, Zu wählen rechtes Wort und große Tat, War weiser wohl kein Haupt, kein Wille reiner. Sein Lieben glühte heiß dem Bayerland, Doch auch ein grimmer Bannerwart, Entbot er Schutz gen welschen Trug und Tand Dem deutschen Sinn, der deutschen Art. Drum steh' ich traumverloren manchen Tag, Wenn sich des Abends letzte Strahlen wiegen, O hoher Fürst, vor deinem Sarkophag Und kann ein Weh, ein tiefes, nicht besiegen, Daß auch zu Grab der Größte sinken muß, Des herben Todes flücht'ger Raub. — Du aber nimm der Ehrfurcht heil'gen Gruß Und still gesegnet sei dein Staub!

98. Ludwigslied. Jur 100jährigen Geburtsfeier (1887) König Ludwigs I. von Bayern. Don Martin Greif.

Baser Ludwig, Sproß der Schyren, Der du für dein Volk erglüht, Großes sannest zu vollführen Im beharrlichen Gemüt, Deine Saat hat Frucht getragen, Die noch immerfort gedeiht! Aller Bayern Herzen schlagen Dir voll heißer Dankbarkeit.

Für das Edle zu begeistern War dein frühes Trachten schon Und, umschart von Deutschlands Meistern, Saßest du auf lichtem Thron. Werke, von der Welt bewundert Rief dein Schöpferwort hervor. Blicken wird ein spät Jahrhundert Sehnsuchtsvoll zu dir empor.

l) „Gesammelte Werte", I. Band, S. 299.

Leipzig 1895, Amelang.

478

100. Burg Hohenschwangau.

Hochgestimmte Deinen Ruhm Wo die Halle Am geweihten

99.

Lieder melden dem Vaterland, strahlt den Helden, Donaustrand.

Ihnen nach hast du gerungen Und der Sieg hat dich gekrönt. Mancher Name ist verklungen, Wenn noch laut der deine tönt.

Festgedicht zur Zentenarfeier König Ludwigs I.

von Bayern (1888). Don Herman Lingg ’)

Schmettert, Trompeten! Festglocken, läutet! Einen König ragen Sah Bayerland, Als ob von Sagen Aus alten Tagen Ein Held auferstand l

I Wenn er die Straßen durchschritt I Seiner erblühenden Stadt,

Wo Marmor stieg und Akanthusblatt, Unter Gerüsten zum Mauerwerk Und den edlen Gebilden darinnen, Überall war sein Augenmerk, Urteil, Wink und großes Ersinnen. -

Groh war und heldenhaft Seiner Vaterlandsliebe Kraft Und Feuer in ihm und Schwung Edler Begeisterung. Sein Walten war weise Und kühn zugleich, An Huld war er reich Dem Kind wie dem Greise. Er mochte gern Den Gruß erwidern Hohen und Niedern; Auch kam von nah und fern Das Volk ihn zu schauen, Den mächtigen Herrn, An dem es hing mit Vertrauen.

100.

Jahre, Jahrhunderte ziehen Uber den Werken der Menschen dahin, Deine, großer König, beglänzt Morgenlicht deutscher Einigkeit, Deutscher Macht und Größe, deine bekränzt Bayerns Dank in fernster Zeit.

Schmettert, Trompeten! Festglocken läutet! Töne, Thorgesang I Töne, mächtig durchdrungen Dom Geisterklang Großer Erinnerungen!

Burg Hohenschwangau. Don Karl Stieler. •)

Fast in jedem Sinne ist Hohenschwangau klassischer Boden.

Alle großen

Entwicklungsstufen deutscher Geschichte und deutschen Lebens von der Völker­

wanderung bis in die Tage der Reformation sind mit dem Namen dieser Burg verknüpft, mag man von der Kulturmission der ersten Christenboten sprechen oder von den Kaisergeschlechtern des Mittelalters, von kriegerischen Taten oder

vom stilleren Zauber des Liedes.

Immer wieder begegnet uns Schwangau

*) Jahresringe, neue Gedichte von H. Lingg, S. 287. Stuttgart 1889. Cotta. ’) Natur- und Lebensbilder aus den Alpen, S. 133 ff. Stuttgart, A. Bonz & Co., 1890.

479

100. Burg Hohenschwangau.

und so ist die schöne Landschaft gleichsam erfüllt von schönen Gestalten, von jenem Reichtum der Begebenheiten, der sie in vollem Maße zur historischen

Landschaft macht.

Den feinen und nachhaltigen Reiz,

den dieser Umstand

verleiht, wird kein Gebildeter verkennen; dadurch allein gewinnt die Betrachtung immer wieder neue-Seiten; die geistige Beleuchtung, in der wir eine Örtlichkeit erblicken,

ist ja nicht minder wirksam

als die Beleuchtung,

auf sie fällt. Wer zum erstenmal in jene Gebiete kommt,

die vom Himmel

wird überrascht durch die

mächtigsten Gegensätze. Es ist die Grenze, wo bayerisches und schwäbisches Volkstum seit uralter Zeit ineinander greifen; alamannische Art, die bedächtiger, kühler, berechnender ist, hat schon das rauhere, kühne Wesen des bayerischen

Gebirgscharakters gedämpft. Und wie die Völkerstämme — grundverschieden — hier ineinandergreifen, so stößt ebenda die breite, volle Ebene an die gewaltige Bergeswildnis.

Wer den Blick hinaussendet, sieht weit in niederes,

fruchtschweres Land; wer ihn bergwärts wendet, sieht hart vor sich die himmel­ ragenden Wände, grüne Tannenwälder und, zu ihren Füßen eingeschlossen,

zwei blaue Seen, die den Burgfelsen bespülen. Den eigentlichen Schlüssel der Landschaft aber, den mächtigen Angelpunkt

derselben bildet der Durchbruch des Lech bei Füssen (Fauces Alpium), der einen der ältesten Wege und Engpässe zwischen Deutschland und Welschland bezeichnet. Seine Bedeutung war schon dem großen Gotenkönige Theodorich bewußt, der die strengste Bewachung desselben befahl; an den Namen Füssen

knüpfen sich auch die Taten des Mannes, der als geistiger Held dieses Land dem Christentum gewann. Es war der heilige Magnus, dessen Kelch und

Stab noch heute daselbst verwahrt werden.

Wie eine holde Idylle lag waldversteckt und abseits von dem mächtigen Heerwege die Burg Hohenschwangau. Es war nicht bloß eine, es waren mehrere Burgen, die übereinander standen, und es scheint kaum zweifelhaft, daß

ehedem ein römischer und ein gotischer Wartturm daselbst gewesen. und mehr streift bald die Weltgeschichte

Aber mehr

das waldumsäumte Idyll;

Schönheit mag der Pinsel des Malers schildern;

seine

wir aber wollen erzählen

von den Taten, die sich unvergeßlich mit dieser Scholle verbinden.

Aus ihrer dämmernden Einsamkeit treten uns bereits im 10. Jahrhundert die ersten Urkunden entgegen. Als Kaiser Otto III. im Jahre 997 nach

Italien zog, hielt er hier seine Rast; auf Hohenschwangau empfing Anno 1004 Kaiser Heinrich II., der Heilige, die Gesandten des Ungarnkönigs Stephan. Als gebietender Name tritt uns in den vergilbten Pergamenten jener Zeit das

uralte Welfenhaus entgegen, das in diesen Gauen vor allem begütert war, und als Urkundszeugen finden wir die Schwangauer unterzeichnet, die den berühmten Bischof Wicterp von Augsburg (750) unter ihre Ahnherren zählten. Am berühmtesten unter ihnen aber ist wohl Hiltebold von Schwangau

geworden, der gefeierte Minnesänger, dessen Siegel mit dem Schwane uns nicht

100. Burg Hohenschwangau.

480

selten begegnet und dessen Liebeslieder an die schöne Elsbeth in der Manesseschen Handschrift stehen.

eigentlich klassischen Zeit sein Leben dahin;

Er war um 1200 Burgherr zu Schwangau, also zur

des deutschen Minnegesanges.

Reich bewegt ging

er verkehrte mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit

und auch Walter von der Vogelweide, der eben um jene Zeit durch die bayerischen Alpen zog, hat aller Vermutung nach auf Hohenschwangau Einkehr gehalten. Den Höhepunkt seiner Fahrten aber, seiner Taten und Leiden

bildete der Kreuzzug nach Syrien, wo er aus dem. tiefsten aller Liederbronnen schöpfte, aus dem Heimweh.

Bald wandelt sich für Schwangau das Bild; die sonnigen Töne ver­ schwinden und an ihre Stelle tritt die tiefste Tragödie, welche die deutsche Geschichte jemals gesehen: es ist der Abschied Konradins. Der unglückliche letzte sprosse des Staufengeschlechts war am 25. März

1252 auf der Herzogburg zu Trausnitz bei Landshut geboren;

sein Vater,

Kaiser Konrad IV., hatte ihn nicht mehr gesehen. Seine Mutter aber war Elisabeth, die Tochter des bayerischen Herzogs Otto des Erlauchten, die mit 15 Jahren vermählt und mit 22 Jahren verwitwet war; dann lebte sie am Hofe ihres Bruders Ludwig des Strengen und längere Zeit auf der Burg zu Schwangau, bis sie nach fünfjährigem Witwenstande dem mächtigen Grafen

Meinhard von Tirol die Hand reichte.

Der kleine Konradin war über diese

zweite Ehe so ungehalten, daß er es verweigerte sich zu erheben, wenn seine

Mutter in den Saal trat;

er war das Königskind, sie aber hatte sich zur

Gräfin erniedrigt.

Oft genug freilich wich diese Härte, die bei dem leidenschaftlichen und stolzen Sinne des Knaben keineswegs unglaublich scheint, weicheren Herzens­ tönen und dann sehen wir nur die schöne, junge Mutter, die das Verhängnis

ihres Hauses ahnend in der Seele trägt und bekümmert niederschaut auf den

blonden Sohn, der ahnungslos diesem Verhängnis entgegenreift. Die alte Streitfrage, ob Konradin wirklich in Hohenschwangau udn seiner Mutter und von der Heimat Abschied nahm, bevor er nach Italien ins

Verderben zog,

„erwächst beinahe zur urkundlichen Gewißheit"

durch einen

Stiftsbrief, den Elisabeth mit Bezug auf die Abreise ihres Sohnes den Nonnen von Voldepp ausgestellt. Derselbe ist datiert von „Schloß Schwangau", den 22. August 1267, und als Zeugen dienen die sämtlichen Edlen und Ritter, denen wir nun auf dem ganzen Zuge als ständigen Begleitern Konradins begegnen.

Sie hatten sich offenbar auf der Burg Schwangau zur Heeresfolge versammelt; hier war demnach der Ort ihres Auszugs und Abschieds.

Das Ende dieses Weges freilich ward mit Blut in die Tafeln der Geschichte geschrieben, als der letzte ©taufe auf dem Marktplatze zu Neapel enthauptet ward.

Noch mancher Held aus den folgenden Kaisergeschlechtern hielt auf Hohenschwangau Rast: Ludwig der Bayer, der am Plansee sein Jagdgebiet

101. Der Schatz auf Hohenschwangau.

481

hatte, wo noch heute der Kaiserbrunnen nach ihm genannt ist; Maximilian, der letzte Ritter und der kühnste Jäger seiner Zeit, der von hier bis Zirl

und Innsbruck sein Weidwerk hegte. Unter Karl V. endlich kam die Feste an ein Augsburger Patrizier­ geschlecht (d. Paumgarten) und der internationale Charakter dieses Kaisers,

in dessen Reich die Sonne nicht unterging, mag schon daraus hervorgehen, daß die Bestätigungsbriefe über das einsame Bcrgschloß von Neapel und Madrid datieren.

Damals soll auch Martin Luther als Flüchtlingsgast die

Feste bewohnt haben, die nun bald mehr und mehr zerfiel.

Die Boten des

Erzherzogs Ferdinand, die sie besichtigen sollten, geben bereits eine klägliche Schilderung; dann kamen der Dreißigjährige, der Spanische und Österreichische Krieg und zuletzt die Zeit Napoleons, — Hohenschwangau wäre auf Abbruch versteigert worden, wenn nicht Fürst Öttingen es gerettet hätte. So ward

die Burg für den feinsinnigen König Max II. erhalten, der sie als Kronprinz (1832) gleichsam neu entdeckte und dnrch Künstlerhand zu dem gemacht hat, was sie heute bedeutet.

101.

Der Schatz auf Hohenschwangau. Don Friedrich Beck.^

Von Hohenschwangaus alter Burg Geht bei dem Volk die Sage, Daß ihres Berges hohler Grund Einen Schatz verborgen trage.

Es schwebt um sie manch Heldenbild Der Welfen, Staufen, Schyren; Sie war es wert, daß Kunst und Lied Wetteifern sie zu zieren.

Zuweilen nur erhebt er sich, Don Geisterhand gezogen; Dann steht auf Schwangaus Höhen licht Ein farb'ger Regenbogen.

Doch lange blieb sie ungeschmückt, Verstummt war Sang und Sage; Da kam ein edler deutscher Fürst Und hob den Schatz zutage.

Und ruht bei heitrer Luft die Burg Recht in des Glanzes Wonnen, Dann flüstert man sich heimlich zu: „Run will der Schatz sich sonnen."

Und willst du schau'n, wie reich er prangt, Geschirmt vom Bergesschotze, So halt im Tale fröhlich Rast Beim Wirt zur Alpenrose.

3a glaubt! 3ch hab' es selbst erlebt, Der Schatz, der will sich sonnen, Und wer das Märlein euch erzählt, Hat Lügen nicht gesponnen.

Da liegt vor dir so spiegelglatt Der grüne See gebreitet, Durch den der Silberschwäne Schar Am Ufer ruhig gleitet.

Rur denket nicht an rotes Gold, Ist Gold doch nicht das Beste! Der Schatz, der ist das Felsenschlotz, Die kühne Ritterfeste.

Biel goldne Lichter spielen bunt Auf Blumen rings und Bäumen; Du blickst hinaus zur Königsburg, Die Fels und Wald umsäumen.

*) „Stifleben, lyrische Dichtungen", S. 83, München 1861, Fleischmann. KronSeder, Lesebuch zur Geschickte Bauern».

ZI

482

102. König Maximilian II. von Bayern.

Die Türme ragen hell empor, Die kühlen Brunnen springen, Die Luft durchzieht's wie Harfenton, Und Lied und Sage klingen.

Dir aber ward die Märe klar, Ihr Schlüssel ist gewonnen: Ein Schatz, der lang versunken lag, Stieg hier ans Licht der Sonnen!

102. König Maximilian II. von Bayern. Aus der Erinnerung gezeichnet von Wilhelm Heinrich Riehl').

König Maximilian II. von Bayern hatte in seinem ganzen Wesen wenig

Leidenschaftliches, aber eine Leidenschaft erfüllte ihn, welche bei Fürsten selten sein mag: die Leidenschaft zu lernen.

Er erzählte gerne von seiner Göttinger Studentenzeit und

versicherte, daß er ein echter und ganzer Student und nicht bloß ein „studierender Kron­ prinz" gewesen sei, daß er jeden Tag pflichtgemäß mit der Mappe unterm Arm ins Kolleg gegangen und seine Hefte so sorgsam ausgearbeitet und studiert

habe wie irgend einer. Besonders tiefgreifend hatten damals Heerens Vorträge auf ihn gewirkt, und er bewahrte diesem Gelehrten durchs ganze Leben das treueste Andenken.

Auch seinen philosophischen Lehrer Schelling hielt er allezeit in höchsten Ehren. „Schelling der große Philosoph", so ließ er auf den Sockel des Denkmals schreiben, welches er ihm in München errichtete. Ein dritter Meister und Lehrer des Kronprinzen war Leopold Ranke, der sich trotz vorschreitenden Alters auf der Höhe seines Wirkens hielt.

Erschien ein neues Werk von Ranke,

so mußte es alsbald und von Anfang bis zum Ende gelesen werden, auch wenn die Zeit des Königs gerade knapp bemessen war oder der Inhalt des Buches seinen Studien fern lag.

Er wollte den Arbeiter ehren, indem er mitarbeitete,

den Meister, indem er von ihm lernte.

Dies war sein oft ausgesprochener

und betätigter Grundsatz. In dem letzten Lebensabschnitte des Königs ist diese Ehre des Mitarbeitens

und Lernens wohl keinem unmittelbarer zuteil geworden als Liebig. Poesie, Philosophie und Geschichte hatten dem Könige seit den Jünglingsjahren nahe

gelegen, auf ihrem Gebiete fühlte er sich heimisch; die Naturwissenschaft, nament­ lich nach ihrer exakten Methode, stand ihm fern. Allein er ahnte die umbildende theoretische Macht dieser modernen Wissensgruppe und erkannte wohl noch klarer ihren praktischen Einfluß auf das ganze Volksleben. Darum berief er nicht nur den berühmtesten deutschen Forscher an die Münchener Hochschule, sondern er zog ihn auch persönlich in seine Nähe um einige Anschauung der neuen und ftemden Disziplin zu gewinnen und genügendes Verständnis ihrer

Anwendung auf die Bedürfnisse des Lebens. Die naturwissenschaftlichen Ge­ spräche und Vorträge in dem gelehrten Freundeskreise des Königs, woran ') Kulturgeschichtliche Charakterköpfe, Nachfolger.

S. 175 ff.

Stuttgart 1899’,

Cotta'sche

102. König Maximilian II von Bayern.

483

neben Liebig später auch der Physiker Jolly, der Anatom Bischoff und andere

teilnahmen, boten für den Beobachter des Fürsten ein ganz besonderes Interesse. Ich habe niemand gekannt, der gleich ehrlich die Lücken seines Wissens und die Mühsal seiner Erkenntnis eingestanden hätte.

Mancher Fürst wähnt, als Prinz habe er zwar offenkundig lernen dürfen, nach der Thronbesteigung hingegen heische es der Nimbus der Majestät, daß er vor dritten immer nur als Wissender erscheine und also höchstens noch heimlich nachlcrne. Und vielleicht hat aus diesem Grunde manches gekrönte Haupt niemals nachgelernt, was es ungekrönt zu lernen versäumte.

Von Maximilian II. konnte man umgekehrt sagen, daß er als König noch offener und eifriger an seiner Fortbildung arbeitete denn als Kronprinz. Schickte er

doch sogar noch im Sommer 1854 einen Stenographen in das Kollegium eines Münchener Professors, dessen Gegenstand ihn besonders anzog, um sich das vollständige Heft zur Herbstlektüre nach Hohenschwangau mitzunehmen.

Der Trieb des reinen Forschers, welcher den Gelehrten macht, führte ihn nicht zur Wissenschaft, sondern die Erkenntnis, daß universellste Bildung

dem modernen Fürsten unerläßlich sei.

Er lernte aber auch keineswegs um

seiner selbst willen, sondern viel mehr noch, weil er sein Volk zum Lernen drängen wollte.

Sein großer Lebensplan war:

Das bayerische Volk durch

freie Bildung höher zu heben. Ich berühre hier eine Schranke in der Natur des Königs und will meine ehrliche Überzeugung noch weiter aussprechen.

König Max war ein rezeptives, kein schöpferisches Talent; ein gesund begabter, kein hochbegabter Geist. Sein Vater, der alte König Ludwig, über­

ragte ihn an sprühender, zündender Geisteskraft; er überragte den Vater — als Charakter.

Die Bildung des Vaters war originaler, autochthoner; die

Bildung des Sohnes harmonischer.

Die Größe des Sohnes quoll darum nicht,

wie beim Vater, aus der Hingabe an die Inspirationen seines Genius, sondern gegenteils aus dem steten pflichttreuen Kampfe mit sich selbst, aus der Selbst­ bezwingung, die ihn zur Leidenschaft des Lernens führte und die sich ebenso­ gut in den traulich-ernsten Unterhaltungen mit seinen Poeten und Gelehrten

aussprach wie in dem späteren Umschwünge seiner Regierungspolitik. Als die politische Welt im Jahre 1848 sich ganz anders drehte, wie König Ludwig I. erstrebt und erwartet hatte, da konnte dieser eigenherrische Geist nicht weiter mitgehen und sprach:

„Ich will nicht länger König sein!"

Als dagegen König

Max im Jahre 1859 eine Krisis der inneren Politik Bayerns hereinbrechen

sah, die seinem Dichten und Trachten kaum minder widerstrebte, zwang er sich zum Frieden mit seinem Volke, er suchte politisch von vorn zu lernen und wurde nun erst recht König. Der König lernte aus Büchern, aber weit lieber noch im persönlichen Umgänge mit Männern der Literatur und Wissenschaft. - Diesen Umgang wußte

er in ganz eigener Weise zu organisieren.

102. König Maximilian II. von Bayern.

484

Anfangs sprach man nur von dem „Dichterkreise", welchen der König allwöchentlich einmal zum Souper und Billard bei sich versammele.

Tat überwog von 1853—55 das poetisch-literarische Interesse.

In der

Der Mann,

welchem neben der königlichen Initiative das Verdienst der ersten Anregung

und Organisation dieser Zusammenkünfte gebührt, Dünniges, war Diplomat, Gelehrter und Poet zumal; Geibel, der nicht bloß durch seine Verse sondern auch

durch seine Persönlichkeit die besondere Zuneigung des Königs gewann, entwarf und leitete meist das poetische Programm des Abends, Heyse, Schack, Bodenstedt

kamen hinzu, Kobell, Pocci, Thiersch vertraten das ältere Münchener Element.

Schon um die Räume, wo wir uns versammelten, wob sich der Zauber der Poesie.

Durch seit Jahren unbenutzte Prunkzimmer eines Seitenflügels

gelangte man in ein schönes, reiches Rokokogemach aus der kurfürstlichen Zeit,

dessen Wände mit alten Historienbildern, Porträts und Landschaften, gleich einer

Gemäldegalerie, bedeckt waren; ein völlig einsamer, stiller Raum, der, wie der Überrest eines längst verlassenen Schlosses, mitten in dem belebten modernen Residenzschlosse geborgen lag.

Hier stand der einfache Tisch mit der grünen

Lampe, um welchen wir so manchen Abend saßen, in ernste Gespräche vertieft, oft auch erregt in stürmischer Debatte.

Liebig, zur Linken Geibel.

Dem König zur Rechten saß allezeit

Ein an das Zimmer unserer Tafelrunde anstoßender

kleiner Saal im style de l’empire aus der Zeit Max Josephs enthielt das Billard, auf welchem wir nachgehends eine oder zwei Partien spielten um dann

zum Anhören eines Gedichtes und zum Abendessen noch einmal in das Rokoko­

zimmer zurückzukehren.

Ein Thronhimmel an der Wand, dem aber der Thron

und die übrige ebenbürtige Ausstattung des Raumes fehlten, zeigte an, daß dieser Billardsaal früher vornehmeren Zwecken gedient hatte.

Wie der König

erzählte, war er selber hier getauft worben und er erklärte es für ein bedeutsames Omen, daß Platen bei seiner Taufe als Page fungiert habe. Vor allen Künsten liebte er nicht nur die Poesie zumeist, er übte sie

auch und trug sich mit dem Gedanken seine Gedichte drucken zu lassen.

Als

ihm jedoch Geibel, dem er dieselben zur vorläufigen Kritik übergeben, davon

abriet, legte er sie ruhig wieder in das Pult mit jener Selbstbescheidnng, welche

ihm durchweg eignete. Es war durchaus bedeutsam, daß der König mit den Poeten anfing und mit den gelehrten Spezialisten schloß.

Der „Dichterkreis" war die Ouvertüre,

die „Historische Kommission" das Finale.

Rur auf diesem Wege konnte der

Fürst zu seinem universellen Wirkey kommen, auf dem umgekehrten wäre er selbst im gelehrten Spezialismus stecken geblieben; für einzelne Forschungen

hätte er vielleicht mehr geleistet, für den geistigen Umschwung seines Volkes ohne Zweifel weniger.

Seit länger als einem Jahrhundert hat die deutsche

Wissenschaft immer in nächster Fühlung mit der Kunst, insbesondere mit der

Poesie gestanden, und der wissenschaftliche Geist unserer besten Dichter, der

künstlerische unserer größten Gelehrten bedingt den eigentümlichsten Glanz unserer

102. König Maximilian II. von Bayern.

Nationalliteratur.

485

Ob der König dies klar erkannte, ob er es bloß ahnte?

Ich weiß es nicht. Jedenfalls handelte er demgemäß. Übrigens hatten die gesellig heiteren Zusammenkünfte des Dichterkreises schon frühe einen lehrhaften Anstrich.

Mit dem Vortrage der eigenen neuesten

Arbeiten wechselten planvoll geordnete Proben aus der Weltliteratur aller Zeiten und die kritische und kunsthistorische Debatte ergab sich dann von selbst. Nun war aber schon durch Liebig ein rein wissenschaftliches Element in

den Dichterkreis gekommen, andere Gelehrte wurden gleichfalls als Stammgäste geladen und so bildete sich — seit 1855 — der Dichterkreis unvermerkt in

Die Dichter fehlten zwar niemals und ein Gedicht gab dem Abende auch fürderhin seinen künstlerischen Schmuck und Abschluß.

einen Gelehrtenkreis um.

Allein die Wissenschaft gewann denn doch die Vorhand, ja nicht selten leitete sie uns von der Theorie zur Praxis, zur Erörterung politischer, sozialer, religiöser Fragen des Tages. Wir selbst begannen unsere Tafelrunde um diese Zeit nicht mehr den Dichterkreis, sondern das „Symposion"*) zu nennen; *) „Die Symposien folgten einander schon in kurzen Zwischenräumen weniger Tag«. Der König schien großes Gefallen daran zu finden und brachte immer neue Fragen aufs Tapet, über die er zunächst den gerade Sachverständigsten unter uns zu hören wünschte. Doch verliefen die späteren Abende nicht ganz wie die ersten. Mehr und mehr wurde es Brauch, daß in der ersten Stunde ein wissenschaftliches Thema aus den verschiedensten Gebieten durchgesprochen wurde, ein naturwissenschaftliches oder ästhetische und literarhistorische, dann vorwiegend soziale und völkerpsychologische Probleme. Hierauf erhob sich der König und ging in das Billardzimmer voran, wo eine Partie Boule gespielt wurde, während deren er einen oder den anderen in eine Fensternische zog und mit ihm besprach, was im Augenblicke ihn beschäftigte. War dies beendet, so verfügte man sich wieder an den langen Tisch und nun hatten die Dichter das Wort, die sorgen mußten, daß immer etwas zum Vorlesen bereit war. So verklang der Abend nach manchen, oft stürmischen Debatten tönereich und harmonisch und man blieb, wenn die Majestät sich zurückgezogen hatte, in heiterer Stimmung beisammen. Was diesen Abenden einen besonderen Reiz und Wert verlieh, war die unbedingte Rede­ freiheit, die zuweilen sogar in sehr unhöstschem Maße an die Grenze des Zanks sich ver­ irrte. Hatte man in der Hitze des Gefechts dann vergessen, daß die Gegenwart des Königs doch einige Rücksicht erheischte, und hielt plötzlich inne mit einer Entschuldigung, daß man sich zu weit habe fortreißen lassen, so bemerkte der König mit freundlichem Lächeln: *Jch bitte sich ja keinen Zwang anzutun. Ich habe nichts lieber, als wenn die Geister auf­ einander platzend Als eS tiefer in den Sommer hineinging, wurden die Symposiasten nach Nymphen­ burg geladen, in die reizenden Rokokosäle der Amalienburg und Badenburg, wo man, wenn man nicht gerade das Protokoll zu führen hatte, die Augen zu der offenen Flügeltür hinaus über den kleinen See schweifen lassen und sich an der glänzenden Sternennacht erquicken konnte. So sehr war der König von der Wichtigkeit dieser Abendunterhallungen durch­ drungen, daß er, so gütig er sonst sich mir bewies, meine Bitte einige Tage vor dem Schluß der damaligen Symposien entlassen zu werden nicht gewährte. Ich erhielt nicht eher Urlaub, als bis ich die Reinschrift des letzten Protokolls in der Kabinettskanzlei ab­ geliefert hatte." Paul Heyse, „Jugenderinnerungen und Bekenntnisse." V. König Max und das alte München. S. 230 ff. Berlin 1900.

486

102. König Maximilian II. von Bayern.

offiziell und im Munde des Königs hatte sie gar keinen Namen; die Einladungen

lauteten: „zum Billard". Ich bezeichne aber diese zweite Periode, welche unter der Hand aus der rein poetischen hervorgewachsen war, als die enzyklopädische; das Wort paßt dann

nicht bloß auf unsere Zusammenkünfte sondern auch auf die ganze Kulturpolitik,

wie sie der König in den Jahren 1855—59 energischer und selbständiger als je zuvor und hernach entwickelte, ja mit einer drängenden Hast, als fühle er, daß ihm nur noch kurze Frist vergönnt sei. Die Hauptwerkstätte seiner mannig­ fachen Bildungspläne war in jenen vier Jahren, aber auch nur damals, ohne

Zweifel das Symposion. Der Kreis der geladenen Gäste erweiterte sich und die sehr verschieden­ artigen Persönlichkeiten stellten für sich schon eine kleine Enzyklopädie dar. Aus der bunten Reihe erwähne ich neben den stammhaltenden Dichtern Geibel,

Heyse, Schack, Badenstedt, Kobell und meiner Person die Gelehrten Liebig, Bischoff, Jolly, Thiersch, Sybel, Löher, Bluntschli, Dollmann, Carriere, Gietl, Windscheid, Siebold, Petteukofer, Cornelius, Hermann, Ringseis, Schafhäutl und die Künstler Kaulbach, Piloty, Klenze, Adam u. a., wobei nicht vergessen werden darf, daß auch unter den Kavalieren des königlichen Dienstes Männer sich fanden, die, wie von der Tann und Spruner, an den wissenschaftlichen Auf­

gaben des Abends ebenso berufen als eifrig teilnahmen.

Bei der Zahl der

Vorgenannten ist aber dann doch wieder ein engerer und ein weiterer Ring zu unterscheiden: regelmäßige Gäste, oder richtiger mitarbeitende Gäste, auf welche bei den Vorttägen und den nachfolgenden privaten Beratungen des

Königs gezählt wurde, und Ehrengäste, die ab und zu einmal gebeten waren. Ich habe bei meiner Aufzählung die ersteren vorangestellt. Meistens waren wir unser 12, selten mehr; 13 durften es niemals sein, der König fürchtete die verhängnisvolle Zahl.

Als einmal in Hohenschwangau, trotz aller Vorkehr,

dennoch der dreizehnte Mann durch Zufall an den Tisch kam, mußte, einer der

Adjutanten an einem der kleinen Tischchen in der Ecke Platz nehmen. nannten dies „am Altar des Aberglaubens essen".

Wir

Methodisch in allen Dingen, brachte der König auch eine Art Geschäfts­

ordnung in das enzyklopädische Symposion.

Er gliederte den Abend in zwei

Teile, ich möchte sagen in einen theoretischen und einen prakttschen. Der zweite war wichtiger als der erste, aber wer nicht zu den Eingeweihten zählte, wer nur gelegentlich einmal als Ehrengast erschien, der merkte gar nicht, was alles im

zweiten Teile vorging und entschieden wurde. Der eine Akt spielte in dem Rokokozimmer, wo wir bei einem kleinen Imbiß und nachher der Zigarre — dem modernen Symbol der ausgleichenden Vertraulichkeit — versammelt

saßen um einen Vorttag anzuhören und das Thema im allgemeinen Gespräch weiter zu erörtern, der andere Att im Billardsaale. Hier bildeten sich Gruppen während der Pausen des Spieles, man ging auf und ab und der König sprach mit einzelnen unter vier Augen.

Er beriet sich über seine Pläne, gab unb

entwarf Aufträge und nahm mündliche Berichte über den Fortgang der von ihm angeregten Arbeiten entgegen. Dazu konnte man bei dieser Gelegenheit auch unaufgefordert ein offenes Wort mit ihm reden. Fremde, welche sich über die langen Spielpausen wunderten, merkten es freilich nicht, daß inzwischen vielleicht ein weittragendes Unternehmen beredet und beschlossen worden war, wenn der König endlich ein paar Worte in sein kleines Notizbuch schrieb oder sich auch kurzweg einen Knopf zu mehreren bereits vorhandenen Knöpfen ins Taschentuch machte um dann wieder unter die seiner Kugel harrenden Billard­ spieler zurückzukehren. Ganz im Einklänge mit seiner methodischen Art sah er in jedem von uns den Vertreter eines besonderen Faches und praktischen Erfolg hatte fast allezeit nur, was der einzelne aus dem Gebiete dieses Faches, gefragt oder ungefragt, vorbrachte. Wohl hörte er uns mitunter auch gerne über Dinge reden, die wir nicht gerade aus der Schublade unseres „Faches" holten, aber das Notiz­ buch hat er daun kaum jemals hervorgezogen, ja nicht einmal das Taschen­ tuch. Was der einzelne je aus seinem Fachkreise mitteilte, das schien ihm beachtenswert, was er etwa darüber hinaus vortrng, und wäre es auch noch so originell und bedeutsam gewesen, flüchtige Unterhaltung. Das Symposion als Ganzes war enzyklopädisch und der König, welcher unsere Verhandlungen an kaum merkbaren Fäden sicher leitete, die Enzyklopädie in Person; aber der einzelne unter uns sollte beileibe kein Enzyklopädist sein. Äußerst empfindlich wurde der König berührt, sowie er merkte, daß irgend jemand persönliche Ziele anstrebte oder überhaupt auch sachlich einen dominierenden Einfluß üben wollte. Seine Person vordrängen war das sicherste Mittel um von ihm zurückgeschoben zu werden, ja selbst die beste Sache, welcher man dabei etwa dienen wollte, zu verderbe». König Max fürchtete sich argwöhnisch vor allem Günstlingswesen. Wer daher seine Freundschaft — ich sage absichtlich nicht seine „Gunst" — dauernd zu bewahren wünschte, der mußte warten, bis er gefragt wurde, bann aber ehrlich und geradeaus antworten, gleichviel ob er angenehme oder unangenehme Wahr­ heiten zu sagen hatte; er mußte den Umgang mit dem Könige durchaus betrachten Wie den Umgang mit einem hochgeachteten Privatmanne, wobei das Vergnügen und die gegenseitige geistige Frucht des Verkehrs das einzige Ziel ist und der einzige Lohn. Auch der König faßte den geselligen Umgang mit seinen Freunden, sei es an den Münchener Abenden oder auf der Jagd und Reise, durchaus im Geiste des liebenswürdigen Wirtes auf; das bekundete seine ganze Haltung, das bezeugten aber auch seine ausdrücklichen Worte: er ließ niemals merken, als wolle er uns eine Gunst oder Ehre erweisen, dagegen dankte er uns um so anmutiger für unsere Ausdauer und frische Teilnahme. Das war denn freilich die feinste Gunst und Ehre und er hatte ein Recht zu erwarten, daß wir dieselbe mit gleichem Zartgefühl erwiderten und uns allen vordringlichen Wesens, aller eigennützigen Wünsche und Pläne sowohl ihm selbst gegenüber wie nach außen streng enthielten.

103. Eine Fußreise mit König Max ll.

488

Der König war karg mit seinem Lobe; er erwartete aber auch von uns keine Schmeicheleien.

Jener literarische Kreis zählte Männer genug, welche

ihn in der Presse laut hätten lobpreisen können und die, was mehr ist, auch Geist und Geschick besessen hätten, ihn geschmackvoll zu preisen. Keiner von uns hat das getan und der König würde es auch von keinem begehrt haben. Das hätte auch dem ganzen Wesen unseres gegenseitigen Verhältnisses wider­ sprochen: einen Gönner mag man öffentlich rühmen, einen treuen Freund rühmt man nur in der Sülle. Die historische Gestalt dieses so originalen und doch so zart und gemischt

organisierten Fürsten läßt sich in folgenden kurzen Worten plastisch skizzieren: König Maximilian förderte und ehrte Kunst und Wissenschaft, indem er mit Künstlern und Gelehrten arbeitete und lernte.

Die Aristokratie des Geistes

Seiner Natur nach ein humaner,

stand ihm höher als die Geburtsaristokratie.

aufgeklärter Absolutist, regierte er verfassungstteu und wurde zuletzt ein frei« sinnig-konstitutioneller Monarch aus Pflichtgefühl und Rechtssinn. Er zeigte

die Liebe zu seinem Volke, indem er es mit rastloser Hingabe studierte und förderte und den eigenen Frieden an den Frieden mit seinem Volke setzte. König Max war nicht der letzten einer unter den eifrigen Hütern des guten deutschen Geistes in schwüler Zeit. Und wenn sich das bayerische Volk in den schwersten Stunden des Jahres 1870 als echt, treu und deutsch erprobt hat,

wenn jetzt ein ganz anderer Geist im Lande weht als vor Jahrzehnten, wenn Bayerns Volk und Staat im neuen Deutschen Reiche eine würdigere und be­

deutendere Rolle gewonnen haben als jemals im alten Deutschen Bunde, dann vergesse man angesichts alles dessen nicht, daß König Max es war, der mit redlicher, mühevoller Arbeit zu solchen Früchten den Boden bereiten half.

103. Eine Fuhreise mit König Max II. Don Wilhelm Heinrich Riehl.')

Es war am 4. März 1864, als König Max von Bayern die gelehrte Tafelrunde des sogenannten „Symposions" nach längerer Pause wieder ein­

mal bei sich versammelt sah. In altgewohnter Weise hatten wir zuerst in dem ttaulichen, bildergeschmückten Rokokosaale der „grünen Galerie" beim ein­

fachsten Abendbrot und dampfender Zigarre den Vortrag eines poetischen Frag­ mentes angehört und von literarischen Dingen gesprochen, bis ein Wink des Königs das Zeichen zum Aufstehen Zimmer zum Billard verfügten.

gab

und wir uns in das anstoßende

Wir spielten meist sehr lässig; denn das Spiel sollte mehr nur den An­ laß bieten uns freier zu bewegen und in Gruppen zu unterhalten und der König liebte es, während der oft äußerst langen Pausen mit dem einen oder *) Kulturgeschichtliche Charakterköpfe, S. 245.

Stuttgart 18993, Cotta.

103. Eine Fußreise mit König Max II.

489

anderen auf und ab zu gehen und unter vier Augen seine wissenschaftlichen und künstlerischen Pläne zu

So ist bei diesem Billard im Laufe

besprechen.

der Jahre viel Schönes unb Bedeutsames angeregt und beschlossen worden. Die Partie war ausgcspielt, als der König am Abende jenes 4. März

noch einmal in unseren größeren Kreis trat und mit lebhaften Worten einer Reise gedachte, welche er im Sommer 1858 gemacht hatte, vom Bodensee quer

durch den Bregenzer Wald, die Algäuer und Bayerischen Alpen sowie die an­ grenzenden Tiroler Täler nach Berchtesgaden — einer langen Reise bei kurzem

Wege; denn es wurden Seitenausflüge nach rechts und links eingeschoben. Berge bestiegen und ausgiebige Rasttage an besonders fesselnden Orten ge­

halten, so daß die kleine Karawane gegen sechs Wochen unterwegs war.

Mit fast wehmütiger Freude redete der König von jenen Tagen und erklärte, das sei seine vergnügteste Reise gewesen, nie habe er sich unterwegs

so frei, frisch und heiter gefühlt wie damals.

Ich hatte die Reise mitgemacht

und nach meiner Gewohnheit ein Tagebuch geführt, wovon der König wohl wußte.

Jetzt entsann er sich dessen und fragte, ob ich ihm nicht eine Abschrift

oder einen Auszug geben möchte, da er auf der Gemsjagd im kommenden

Herbste unseren damaligen Weg auf gar manchen Punkten kreuzen werde und

dann in frischester Erinnerung Momente jener schönen Zeit noch einmal nach­ leben wolle.

Ich versprach eine treue Federzeichnung unserer bunten Wandererlebnisse. Dieses Versprechen war das geredet habe.

letzte Wort, welches ich mit dem edlen Fürsten

Unmittelbar nachher verabschiedete er sich, rascher und plötzlicher,

als er sonst pflegte, nach — sechs Tagen war er gestorben. —

Maximilian II. ist bereits eine historische Gestalt geworden, deren vor­

treffliche und liebenswürdige Züge man warm und dankbar darstellen darf ohne den Schein der Schmeichelei.

Die Pietät gab mir die Feder in die Hand,

die echte Pietät aber ringt vor allem nach ungefärbter Wahrheit. —

des

Die Reisegesellschaft

Königs

bestand

aus

drei

Kavalieren

seines

Dienstes: dem General von der Tann als Reisemarschall, dem Obersten Graf Pappenheim und dem Hauptmann Baron Leonrod, dann ans vier Gästen: dem Grafen Ricciardelli, Franz von Kobell, Friedrich Bodenstedt und dem

Schreiber dieser Zeilen. — Der originelle Charakter unserer „Fußreise"

spiegelt sich vielleicht

am

schärfften in einer Skizze unserer Reisestrapazen. Denn Mühsal und Genuß, Zwang und Freiheit, Entbehrung und Überfluß reichten sich fortwährend in

abenteuerlichstem Wechsel

die Hand.

Es

herrschte

überhaupt

der Reiz der

Gegensätze. Die größte körperliche Ausdauer von uns allen bewies der König.

Ihm

war kein Weg zu weit, kein Wetter zu schlecht und nach seinem Sinne hätten

wir unsere Reise noch wenigstens zwei Wochen lang durch die Tiroler und Salzburger Täler fortsetzen sollen, als wir anderen schon allesamt froh waren

490

103. Eine Fußreii'e mit König Max II.

demnächst Berchtesgaden zu erreichen und uns dort gründlich zu erholen und auszuruhen. König Max konnte die Stubenluft nicht ertragen; in der schwülen Atmosphäre des höfischen Repräsentationslebens fühlte er sich leidend; auf

der Jagd, auf der Reise hingegen kehrten ihm Frische und Kraft zurück. Wer ihn darum bloß in seiner Residenz sah, der ahnte jene schwache Konstitution, welche leider so ftühen Tod herbeisührte; wer ihn hingegen bloß draußen in den Bergen beobachtete, der würde dem rüstigen Weidmann noch ein langes

Leben prophezeit haben. —

Der König wußte guten Bescheid in seinem Lande und ganz besonders war er mit den Örtlichkeiten und Volkszuständen des Hochgcbirgs vertraut. Da „kannte er sich aus", wie die Bayern sagen.

Unterwegs wollte er aber

nicht bloß aus den Büchern und Akten, die wir mitführten, sich noch immer genauer über die Gegend unterrichten: er wollte auch aus dem Munde des Volkes lernen. Und manche Kenntnis, die er so gewann, führte rasch zur

fördernden Tat. „Ich muß studieren um zu regieren" war sein oft wieder­ holter Wahlspruch. — Wir waren zum Höllental an der Zugspitze hinaufgestiegen.

Dort spannte

sich ein Steg, aus alten mächtigen Stämmen gefügt, wie sie jetzt nicht mehr auf diesen Höhen wachsen, über die wohl 50 Fuß breite und mehrere 100 Fuß tiefe Felsenschlucht.

Allein

die

alten Balken waren vermorscht und

eine

Warnungstafel verbot das Beschreiten des baufälligen Steges bei Strafe. „Königliches Landgericht Werdenfels" stand mit großen Buchstaben unter dem Verbot.

Der König hatte das gelesen; trotzdem gelüstete es ihn in hohem

Grade über oder wenigstens auf den Steg zu gehen; denn der Blick von dort in die Tiefe mußte grauenhaft schön sein und überdies lagen unten die Trümmer einer Lawine, welche wir vom diesseitigen Rande des Abgrundes nicht erblicken konnten. Nun hatte einer der Führer das Wort fallen lassen, man könnte sich wohl bis zur Mitte des Steges wagen, wenn einer hinter dem anderen gehe und jeder sich genau auf dem linken Balken halte. Da waren denn alle unsere Gegenreden vergebens, daß der König sich nicht nutzlos so großer Ge­

fahr aussetzen möge; er wollte durchaus die Lawine sehen und bestand um so mehr darauf, als er ärgerlich war über eine andere Lawine, die, nach Aus­ sage der Jäger, tags vorher weiter oben niedergegangen sein sollte und unseren

Plan vereitelt hatte den Gipfel der Zugspitze zu besteigen. Als aber alles Zureden und Bitten nichts half, deutete einer von uns auf die landgerichtliche Tafel und sprach: „In Ew. Majestät Namen ist dieses Verbot erlassen, die Strafe in Ihrem Namen angedroht; Sie dürfen Ihr eigenes Gesetz nicht mißachten! Betreten wir den Steg, so bricht höchstens der

Balken; betreten Sie ihn, so bricht Ihr eigener Rechtsboden unter Ew. Majestät Füßen, auch wenn der Balken hält."

491

103. Eine Fußreise mit König Max II.

Der König, schon mit einem Fuße auf dem Steg, stutzte, sah den Sprecher lächelnd an und sagte:

„Sie haben recht!" und kehrte augenblicklich um.

Wir lagerten uns ein paar Schritte seitab unter einer Buche, durch

deren

grünes Gezweig Graf Pappenheiin unsere zusammengesteckten Plaids

ganz malerisch zu einer Art schattenden Baldachins schlang, und stühstückten aus der Faust, was wir eben mitgebracht hatten, bei heiterem Plaudern.

Ich konnte aber in nachklingendem Eindruck der Szene am Steg den steundlichen

Herrn, der seine Erdbeeren verzehrte, nicht ansehen ohne zu denken: Das ist

ein wirklicher König! Und die mit Stecknadeln zusammengehefteten Plaids waren

so gut ein Thronhimmel wie irgend ein anderer von Sammet und Goldstoff. Nach den Lebensjahren war der König keineswegs der Jüngste unter

uns, aber in einem Stücke fühlte er jugendlicher als wir alle: er hatte sich eine Begeisterung für die reine Naturschönheit, für die landschaftliche Poesie bewahrt, wie sie nur dem Jünglingsalter eigen zu sein pflegt. Sonst ein durch­ aus moderner Mensch, erschien er in dem feinen Auskosten der Lyrik eines anmutigen Naturbildes fast wie ein Zeitgenosse Höltys oder besser Hölderlins. Denn er liebte es, gleich letzterem, den sinnlich reizenden Eindruck durch Ge­

dankenbilder zu beseelen. Wie häufig sahen wir ihn mit dem Buche in der Hand unter einem Baume rasten, indes er wechselnd in der Landschaft schwelgte

und stimmnngsverwandte Verse las! Bei einem Abendspaziergang int Nymphenburger Park

führte er mich

einmal — es war lange vor unserer Gebirgsreise — zu einer mit dichtem Gehölz bedeckten Insel, welche in einem Kanal zwischen den verwachsenen

Ufern gar lauschig versteckt liegt, und erzählte mir, die stille Schönheit dieses Eilandes habe ihn als Knaben zu seinem ersten Gedicht verlockt. Damals sei

ihm nämlich der unwiderstehliche Wunsch erwacht die Insel souverän zu be­ sitzen und er habe sich dann Besitz und Herrschaft in Versen von seinem Vater erbeten.

Der König wie der Poet war zugleich in ihm geweckt

worden durch die schöne Natur.

Ob ihm der Vater die Bitte gewährte? Ich

entsinne mich dessen nicht mehr.

Aber was der Prinz als Knabe gewünscht, das schuf er sich in späteren Jahren doch, geraume Zeit bevor er den Thron bestieg: Hohenschwangau ward dem jungen Manne die Verwirklichung jenes kindlichen Wunsches, der freie, fürstliche Herrschersitz in der einsamen Hochgebirgsnatur. Wir rasteten auf unserer Reise einige Tage auf dieser reizenden Burg. Als ich mit dem Könige eine Rundfahrt durch die nächste Umgebung Hohen­ schwangaus machte, gestand er freilich, daß er dem einsamen Asyle neuerdings

etwas untreu geworden sei:

„Die Waldstille," so etwa sagte er, „zog mich

hieher, ich suchte die schweigende, von Menschen unberührte Natur. Denn in unserer Jugend lockt und befriedigt uns das traumhafte Naturleben voll und

ganz. In reiferen Jahren aber wollen wir Menschen sehen, wir suchen das Walten des gegenwärtigen Volkes oder die Denkmale der Geschichte, verklärt

492

103. Eine Fußreise mit König Max ll.

und gehoben durch die Landschaft.

Und während uns früher die Menschen

bloß Staffage waren, die Landschaft Hauptbild, wird uns späterhin die Land­

schaft Hintergrund und das menschliche Treiben fesselt uns als Hauptgruppe. Darum zieht es mich jetzt aus Hohenschwangau, der einsamen Ritterburg, fast

allzu häufig zu der modernen Villa bei Berchtesgaden, wo das bunteste Menschmtteiben so anmutig Tal und Matten belebt." Über solche Dinge pflegte der König sinnig nachzudenken und fein sich

anszusprechen. —

König Max liebte es den Cicerone zu machen, den Weg zu führen, versteckte Schönheiten, die er früher entdeckt, anderen zu zeigen und sich an ihrer Überraschung zu erfreuen. Jeder echte Wanderer hat ein Stück von dieser Leidenschaft des Cicerone, mag er nun Landschaften, Kunstwerken, Alter­

tümern nachgehen oder dem gegenwärtigen Volksleben, und wir wandern darum jeden fesselnden Weg am liebsten zweimal: zuerst allein um selbständig zu suchen

und zu finden und dann mit Freunden um ihnen das Gefundene wie unser Eigentum zu zeigen.

Mehrmals sagte mir der König unterwegs, da ich in

meinen Büchern den Wald so

kräftig verteidigt habe, so wolle er mich nun

auch selbst durch seine Wälder führen und mir ihre heimliche Pracht entdecken. Bei einem Nachtlager ans dem Brunnenkopf hatten wir uns abends in

den nahen Wald zerstreut; der König war arbeitend in dem Jägerhäuschen zurückgeblieben, wo ihn Depeschen aus München festhielten, als plötzlich ein prächtiges Alpenglühen von den Tiroler Bergen in sein Fenster herüberleuchtete.

Sofort eilte er in den Wald und suchte uns, laut rufend, im Dickicht und ruhte nicht, bis er uns alle beisammen hatte, um uns „sein Alpenglühen", wie er's nannte, zu zeigen.

Er hätte einen Bedienten nach uns schicken können,

aber die Entdeckerfreude will sich selber mitteilen und mag keinen Bedienten.

Am liebsten speiste der König im Freien, an einem weittragenden Aussichts­ punkte ober am Gestade eines Sees, unter der Linde, in tiefer Waldeinsamkeit,

aber auch am Rande einer belebten Landstraße, gleichviel, wenn der Ort nur

ein malerisches Bild bot.

So haben wir am vorletzten Reisetage im lauschigsten

Waldesdtinkel hinter der Unfener Klamm Tafel gehalten und am letzten un­ mittelbar neben der Reichenhall-Berchtesgadener Chaussee bei der Schwarzbachwacht.

Bei unserer unberechenbaren Art zu reifen hing es aber von hundert

Zufällen ab, ob wir mittags oder abends zu dem ausgewählten schönen Punkte

gelangten. Daher ein steter Wechsel von Hunger und Entbehrung und von Überfluß, der bei so vielerlei Sttapazen eben doch nicht überflüssig war. Der

König allein empfand jene Entbehrungen nicht; er aß äußerst wenig, trank noch weniger und hatte von dem richtigen Wanderhunger eines gesunden Fuß­ gängers eigentlich gar keinen Begriff.

Geschah es doch einmal, daß wir von

morgens sieben bis abends sieben fuhren, ritten und stiegen ohne einen Bissen

oder Tropfen über die Lippen zu bringen. abends

hoch

oben

unter

Dafür tafelten wir dann auch

der obersten Felskuppe des Wendelsteins bei der

493

103. Eine Fußreise mit König Max II.

Bayrisch-Zeller Alm.

Und während wir in einer Reihe am langen Tische

saßen, um der Aussicht willen, breiteten sich vor uns die Tiroler Berge im

Seitab rechts und links

Abendsonnenschein zum wundervollsten Panorama.

lagerten die Leute von Zell, welche uns den ganzen Tag begleitet hatten, in

bunten Gruppen. Wir hatten zwei Tage, völlig eingeregnet, in dem Jagdschloß der Vorderriß verweilt, als endlich der 10. Juli den sehnlich erwarteten blauen Himmel brachte.

Ein sonnenheller, kühler Frühmorgen weckte uns, die Berge waren

mit frischgefallenem Schnee bedeckt, „angeschneibt", was als gutes Wetterzeichen gilt, und wir rüsteten uns zu einem Zuge über das Plumser Joch (in Tirol), um von dort zum Achensee niederzusteigen. Durch das großartige Alpental zur hinteren Riß wurde gefahren; dort bestiegen wir die Reitpferde, während unsere Wagen auf großen Umwegen über Bad Kreuth zum Achensee gingen, wo sie uns am nächstfolgenden Tage erwarten sollten. Wir ritten zwei

Stunden einen rauhen Fußpfad hinan bis zur Hagelhütte; hier mußten wir absitzen, die Pferde wurden zurückgeschickt und das Steigen begann. Der König führte bei solchen Gelegenheiten einen Spruch, den er Saussure beilegte, im

Munde: „Man muß auf die Berge steigen, als ob inan niemals hinaufkommen

wollte" — und richtete sich nach dieser Regel.

Er stieg äußerst langsam,

aber sicher und ausdauernd und kam zuletzt doch immer ans Ziel, obgleich es den Begleitern manchmal schien, als sei der Gipfel gar nicht zu erleben. So

erreichten wir denn auch den wohl gegen 6000 Fuß hohen Rücken des Joches ’) erst um zwei Uhr nachmittags. Da droben sah es prächtig aus: die Julisonne

leuchtete

blendend auf den

frisch gefallenen Schnee, aus welchem an den

steileren Seitenhängen ganze Fluren rotblühender Alpenrosen hervorschauten, hier und da auch ein vereinzelt blühendes Edelweiß.

Nun hätten wir oben

unseren Mittagstisch halten sollen angesichts des großartigen Umblickes, der sich links in die tiefe Schlucht des Achensees, rechts in die Wildnisse der Hoch­

alpenkette öffnete. Allein mitten im Schnee, der obendrein bereits wieder zu schmelzen begann, ließ sich das denn doch nicht durchsetzen. Rottenhöfer (der K. Mundloch) war schon frühmorgens mit vielen Trägern und seiner ganzen Küchenausrüstung heraufgegangen.

Er hatte unfern des ungastlichen Joches

eine Sennhütte, die Plumser Alm, gefunden, welche wenigstens Obdach bot. Aber

an ein Aufschlagen der Tafel in der Hütte, wo nur eben das Bett der Sennerin neben dem Herde und dem Käskessel Platz hatte, war freilich nicht zu denken. Rasch entschlossen, ließ er darum den einzigen größeren bedeckten Raum, den

Kuhstall, ausräumen. Der Boden wurde zur Vertilgung ländlicher Gerüche dick mit frischem Heu belegt, die Wände mit Gewinden von Knieföhrenzweigen und Alpenrosen malerisch maskiert; vor der schlimmsten Partie aber waren

zwei blendend weiße Bettücher in groß stilisiertem Faltenwürfe aufgehangen l) Das Plumser Joch, 1653 m hoch, mit großartiger Aussicht.

494

103. Ein« Fußreis« mit König Max II.

und reich mit Alpenrosen bekränzt. Die Türöffnung war so niedrig, daß man nur gebückt hereinkommen konnte, Fenster waren nicht vorhanden. Zum Ersatz fiel durch die zahlreichen Löcher des Daches eine Art Rembrandtisches Oberlicht in das geheimnisvolle Helldunkel.

In Ermangelung eines Tisches diente die

Stalltüre als Tafel, zwei Bänke von alten Brettern, auf Klötze gelegt, statt der Stühle.

Da jedoch diese Bänke etwas höher geraten waren als der Tisch,

so ragten unsere Kniee einen halben Fuß über die Tafel, die Füße schwebten in der Luft und wir mußten die Teller beim Essen in den Händen halten. Im Gegensatze zu alledem war nun aber die Stalltüre mit dem feinsten Tafel­ zeug gedeckt, wir speisten auf kostbaren Tellern, tranken aus silbernen Reise­ bechern und, wie jeden Tag, lag das kalligraphisch zierlich geschriebene „Menu" neben dem Gedecke des Königs.

Der Kontrast gegen die Umgebung war so

abenteuerlich, daß uns der König zur feierlichen Eröffnung der Tafel dieses nach allen Regelw französisch verfaßte Menu vorlas — von der Reissuppe

mit Huhn, zu den Forellen mit neuen Kartoffeln, dem Rindsbraten mit Sauce ä. la Montpensier, den Koteletten mit neuen Erbsen und Bohnen, dem Reh­ ziemer in Lorbeerblättern gebraten, bis zum „Schmarren d, la Plumser Alp", der Erdbeertorte, den Kirschen und Melonen und dem Konfekt, woran sich

zuletzt die Tasse Mokka reihte mit einer Havanna, welche Seine Majestät vom bayerischen Konsul in Havanna als das erlesenste Produkt der berühmten Insel zum Geschenk erhalten hatte. Es war alles echt mit einziger Ausnahme des Gerichtes, welches eigentlich das echteste hätte sein sollen, des „Schmarrens ä la

Plumser Alp", und der König, welcher auf seinen Jagdzügen auch die Original­ küche seines Volkes gar wohl kennen gelernt hatte, meinte, dieser zivilisierte Schmarren erinnere ihn an eine gewisse Sorte von Dorfgeschichten.

So fanden

wir auch das mitgebrachte Hofbräuhausbier nebst Rheinwein und Champagner echter als dos Trinkwasser, welches uns der Berg bot; denn das war in Er­

mangelung einer Quelle aus einem Schneebache geschöpft und gewann keinen Beifall. Bei der schneidenden Kälte, die in dem Stalle herrschte, zogen wir unsere Mäntel und Überzieher an, bedeckten die Kniee mit den Plaids und zitterten

trotzdem vor Frost, bis Essen und Trinken uns die gehörige innere Wärme gab. Die wunderliche Situation entfesselte unseren Humor; niemals in meinem Leben habe ich einer fröhlicheren Tafel beigewohnt Geist, Witz und Laune

sprudelten in dem Tischgespräche und die heitere Stimmung erreichte

ihren

Gipfel, als wir uns beim Braten plötzlich von außen belagert sahen. Den Kühen war es nämlich draußen zu kalt geworden, sie kamen zu ihrem Stall zurück und suchten brüllend durch die offene Türe einzudringen, wurden aber von den servierenden Bedienten mit ihren Servietten tapfer bekämpft und

endlich zurückgeschlagen.

Schade, daß sich kein Maler zur Stelle fand; die

Hoftafel im Kuhstalle würde ihm Stoff zum originellsten und sttmmungsvollsten

Genrebild geboten haben.

103. Eine Fußreise mit König Max II.

495

Nach Tische besuchten wir alle Rottenhöfers improvisierte Küche, die er

sich in der Sennhütte auf einem Herde, der bis dahin nur einen großen Käs­ kessel geheizt, höchst sinnreich aufgebaut hatte. Es war ihm in der Tat gelungen alle jene Gerichte so vollendet zu bereiten, wie nur immerhin in der Münchener Schloßküche.

Weise,

Also ehrte der König auch hier den Künstler nach seiner gewohnten

nicht indem er ihn lobte, sondern indem er ihn in der Werkstatt

belauschte.--------Es war der letzte Reisetag. Wir hatten in Unken übernachtet; der König arbeitete einsam auf seinem Zimmer noch tief in den Vormittag hinein; unsere

ganze übrige Gesellschaft war schon frühe vorausgeritten über Reichenhall zur Schwarzbachwacht, wo sie uns erwarten sollte. Da mich an diesem Tag die Reihe traf im Wagen des Königs zu fahren, so war ich ganz allein bei ihm

zurückgeblieben.

Wir fuhren erst spät ab.

Der König war heiter, gesprächig

und doch sichtbar gemütlich tiefer bewegt; er empfand den Abschied von der kurzen, aber reichen Zeitspanne dieses originellen Wanderlebens. Als wir Reichenhall passiert hatten und das Viergespann etwas gemäßig­

teren Ganges unseren Wagen den langen, steilen Berg hinaufzog, begann er vergleichend und fragend auf unsere gesamten Erlebnisse zurückzublicken. In seiner Jugend, als Kronprinz, hatte er, nur von zwei Herren begleitet, eine Reise durch Niederdeutschland und Holland nach England gemacht unter dem

Inkognito eines „Kaufmann Schmidt".

„Doch ist das eben" — so etwa

sagte er — „ein Stück der großen Tour durch große und kleine Städte gewesen, in fremdem Land; und so habe ich diesmal, wo ich als König im eigenen

Lande gewesen bin, die Freiheit des Wanderers voller genossen als auf jener Fahrt, wo man mir nicht einmal überall den „Herrn Schmidt" hat gelten

lassen wollen und

die Maske ahnte.

Ob der Fürst dem Volke inkognito

gegenübertritt, darauf kommt wenig an; wichtiger ist cs, daß das Volk sein

Inkognito angesichts des offenkundigen Fürsten ablege."

Wie er nicht mit

Unrecht glaubte, war dies oftmals auf der gegenwärtigen Reise geschehen.

Und

darüber freute er sich von Herzen. Es war damals des Königs Vorsatz, nachdem dieser erste Versuch so

schön gelungen, jedes kommende Jahr eine ähnliche Wanderfahrt durch einen anderen Teil seines Landes zu unternehmen. Er fühlte tief die verjüngende Kraft der innigeren Berührung mit Land und Volk. So ward fürs nächste Jahr jetzt schon das Fichtelgebirge in Aussicht genommen.

Aber im nächsten

Jahre schrieb man 1859! Der italienische Krieg brach aus, die Friedensepoche war vorüber, die beginnenden politischen Erschütterungen ergriffen das Gemüt

des Königs gewaltiger, als die meisten ahnen mochten.

Er wurde ein anderer

Mann in seinen letzten fünf Lebensjahren. Den feinen poetischen und humanen Sinn, welcher ihm den Plan zu unserer Reise eingegeben, beivahrle er bis ans Ende; aber seine Gesundheit nahm ab und die ganze Zeit bot nicht Muße und Stimmung dergleichen zum zweitenmal auszuführen.

104. Ein Erinnerungsblatt an König Maximilian II.

496

Ich komme zum Schluß.

den Gefährten wieder zusammen.

Auf der Schwarzbachwacht trafen wir mit Der König rastete nach seiner Gewohnheit

eine halbe Stunde, indem er unter einem Baume gelagert las, bis wir uns unter freiem Himmel zu Tische setzten. Der Rückblick auf die ganze jüngste Vergangenheit gab dem Tischgespräche den ernsten und heiteren Grundton.

Dann stiegen wir zu Pferde.

Der tiefblaue Himmel umzog sich; zwei schwere

Gewitter kämpften gegeneinander und verfingen sich in diesen engen Tälern, der Regen rauschte in Strömen auf uns herab, die Blitze zuckten, der Donner krachte unaufhörlich über unseren Häuptern, während wir durch die Ramsau

trabten.

Das Wasser troff von uns und unseren Pferden, daß wir förmlich

am Sattel klebten, als wir endlich die königliche Villa von Berchtesgaden in Sicht bekamen. Da zogen die Wetter ab und mit den fernhin rollenden Donner­

schlägen mischte sich jetzt der freundlichere Donner der Böller, die uns begrüßten. Auf der Treppe der Villa empfing die Königin ihren Gemahl. Nur eine Viertelstunde, und wir waren alle verwandelt, der nasse, zuletzt ganz feldmäßig gewordene Reitanzug war mit dem jetzt nicht weiter verpönten, trockenen, hoffähigen Frack vertauscht, wir versammelten uns im Salon und

freuten uns, wieder einmal unter Damen zu sein, deren Umgang wir lange

entbehrt hatten und denen wir nun von unseren Abenteuern erzählen konnten. Dies war die erste und letzte Fußreise des Königs Max.

104. Lin (Erinnerungsblatt an König Maximilian II. Don Franz v. Kobell.') Es haben andere den edlen dahingcgangenen König Maximilian II. ge­ würdigt in seinen großen Schöpfungen, wie sie zu Bayerns Wohl und Ehre blühen und blühen werden; mir sei es erlaubt ein Erinnerungsblatt zu geben, welches, wenn auch nur mangelhaft, den erlauchten Herrn als Freund der Natur und Gönner des Weidwerks zeichnet und Verhältnisse berührt, die, an

sich unscheinbar, seine liebenswürdige Persönlichkeit bekunden, unbeeinttächtigt von dem Glanze einer Krone, dem Schimmer des Purpurs. Der König liebte Gottes freie Natur, man kann sagen mit einem kind­ lichen Gemüte, und ein ritterlicher, poetischer Zug in seinem Wesen machte ihn

empfänglich für die Reize des Weidwerks, die ja in dem Naturleben ihre Heimat haben. Die Berge unserer Alpen mit ihren großartigen Schönheiten waren daher sein liebster Aufenthalt.

Mit ganzer Seele gab er sich dem Genusse der mannig­

faltigen Szenerien hin, die den Morgen, die untergehende Sonne begleiten oder die sternhelle Nacht, wenn sie über die phantastischen Formen der Kuppen und Felshörner und über die mit wogenden Nebeln verschleierten Talgründe sich lagert. Immer wurden die schönsten Plätze für die Birschhänser gewählt

) München, 1864.

104. Ein Erinnerungsblatt an König Maximilian II.

497

und sich ihrer auch anderwärts in der Erinnerung zu freuen wurde der Maler Rottmann beauftragt getreue Bilder derselben zu fertigen und in ein Album

zusammenzustellen.

Der König erkannte wohl, daß sich an das Treiben des Weidwerks auch

ein heiteres und wohltätiges Begegnen mit dem Volke knüpse, und er liebte ein solches mit den srischen Männern, die beim Jagen beschäftigt waren, und

besprach sich gerne mit den bei diesen Gelegenheiten sich einfindenden Zu­ schauern. Es wurde darum auch überall freudig begrüßt, daß der Herr dem Weidwerk zugetan war; sein Erscheinen weckte ja die Hoffnung auf Erfüllung so

mancher Wünsche und nie fehlte die Hilfe, wo Not und Unglück sich kundgab. Auch der geringste Mann wurde dabei berücksichtigt und ich wüßte viele Fälle

zu erzählen, wo der Herr unaufgefordert den überraschten Beteiligten den

trüben Himmel klärte, der sie umfing, nnd Leid in Freude verwandelte. Es waren aber diese Verhältnisse nicht denen zu vergleichen, wie sie wohl aus älteren Zeiten in der Jagdgeschichte bekannt sind, es waren die ge­ spendeten Wohltaten nicht Pflaster auf verschuldete Wunden, welche übertriebene

Weidlust geschlagen, denn niemals ist unter König Max II. zum Schaden des Landmannes Wild gehegt worden, niemals durften die Jäger ihre Befugnisse

überschreiten. Der König liebte seine Bayern wie ein Vater seine Kinder und den guten Kern von Redlichkeit und Treue, der gottlob noch bis auf diese Tage trotz der Umtriebe einer schlechten und frivolen Zeit in ihnen steckt, lebendig zu erhalten war fortwährend sein Bestreben. Er wollte die gesunde Denk­ weise und den heiteren Sinn, wie sie namentlich im Gebirge heimisch, nicht

verkommen lassen und wie die ernsten Verhältnisse Gegenstand seiner Sorge, so war er auch bedacht zu Fest und Freude eine Spende zu geben.

Es ge­

hört hierher unter anderen die Stiftung der Königsschießen und die von ihm angeordnete Sammlung der oberbayerischen Volkslieder. Es ist damit ein von der Meisterhand v. Rambergs illustriertes Büchleins Entstanden, welches in

Senn- und Jagdhütten mit Jubel empfangen wurde.

Vor allen jdie „Singe­

rinnen" freuten sich daran und brachten die Lieder zu neuem Leben; denn viele hatten beim Chorsingen in der Kirche die Noten kennen gelernt und wußten daher die Singweisen andern mitzuteilen. Gab es dann Gelegenheit, so sangen sie dem König bei einem Alpenbesuch, bei einer Kirchweih oder Jagdfahrt *) „Oberbayerische Lieder mit ihren Singweisen", herausgegeben von Franz von Kobell, im Auftrage und mit Unterstützung Sr. Majestät deS Königs ge­ sammelt, erschienen zu München bei Braun & Schneider in vielen Auflagen. Die 3. Strophe der Widmung „an die Landsleut in die Berg" lautet: „Und weiln der Kini d' Gsangln liabt „Und weil er'S gern tust hörn, „So will er ent dees Liederbuach „Als Andenka verehrn". Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bauerns.

104. Ein Erinnerungsblatt an König Maximilian II.

498

vor und es gewährte ihm Freude, wenn sie ihn, teils für die Gabe dankend

teils darum bittend, umringten und dann in lautem Juchzen ihren Jubel kundgaben. Es ist bekannt, wie wohl unterrichtet der König war und wie er sich namentlich mit historischer und poetischer Literatur gerne beschäftigte; es war

daher bei seinen Jagden auch darauf Rücksicht genommen und in die Gesell­ schaft mancher Gelehrte und Dichter gezogen, die eben keine Jäger waren,

immer aber auch leidenschaftliche Freunde des Weidwerks, damit dem Jagen die eigentümliche Färbung und Auftegung nicht fehle, welche von solchen aus­

geht.

Wo es möglich war, hielt man das Jagdmahl im Freien und dabei

wurden dann die Erlebnisse in ftöhlichster Weise besprochen.

Der König liebte

es bei solchen Gelegenheiten, wenn ein besonderer Fall in launiger Poesie hervorgehoben wurde. Besonders gefeiert war immer der Hubertustag, dabei durste ein poetischer Spruch nie fehlen. Freudig wurde dann getrunken und die Gläser klangen, der König selbst aber war so mäßig, daß er gewöhnlich

nur

ein, Glas Champagner trank, andere Weine gar nicht; er hielt es

„oqiötov töioy“ (das Beste ist Wasser) und allerdings spendeten die Bergquellen einen köstlichen Kristall, der in seiner Art oft die Gaben

mit dem

der Rebe übertraf. —

Die Abende wurden bei der Zigarre zum Teil mit Vorlesen zugebracht und immer war eine reichliche Auswahl älterer und neuerer Literatur vor­ handen. Gedichte und Novellen, Fragmente von Reisebeschreibungen oder historischen Werken kamen abwechselnd an die Reihe und ebenso die Ortssagen, welche der König gerne erzählen hörte; gab er doch auch Veranlassung, daß

sie in einem eigenen Werke *) gesammelt wurden. Ehe sich der König zurückzog, was gewöhnlich vor 10 Uhr geschah, wurde noch der kommende Tag be­ sprochen und die weitere Jagdfolge. So oblag man oft mehrere Tage nach­

einander dem Weidwerk, wenn das Wetter günstig war, aber auch bei schlechten! Wetter wurde zuweilen gejagt und nicht selten, wenn schon Schnee gefallen war, wobei jedoch der König immer das Gutachten des Forstmeisters erholte, ob cs ohne Gefahr für die Treiber geschehen könne.

An Sonn- und Feiertagen

ruhte das Weidwerk; der König besuchte regelmäßig die Messe; war kein Geist­ licher im Orte, so wurde einer aus der Nachbarschaft Herbeibeschieden, so in der Riß, wo jedesmal ein Franziskaner vom sogenannten Klösterl in der

Hinterriß den Gottesdienst besorgte. Ich kann nicht umhin hier zu erzählen, daß bei einer solchen Messe in der winzigen Kapelle der Ministrant, ein Bauernbub aus der Gegend, sich plötzlich zum König wendete und ihm ganz gemütlich zuflüsterte: „Herr Kini, koa' Wei' is nit da!"

Der König über

diese Naivität lächelnd, winkte dem nahestehenden Adjutanten, der das Gesagte l) „Sagenbuch der bayerischen Lande", herausgegeben von A. Schöppner, 3 Bände, München 1852/53.

104. Ein Erinnerungsblart an König Maximilian II.

499

auch vernommen hatte, und so kam der Wein noch rechtzeitig zur Stelle. — Naive Äußerungen, Fragen und Bitten kamen natürlich oft genug vor und es machte dem Könige Vergnügen, darauf Bescheid zu geben, wie er auch immer Interesse bezeugte an den Eigentümlichkeiten des Bolksdialektes, oder

wenn ihm von den Leuten von altem Brauch und Herkommen erzählt wurde,-

was oft in sehr ansprechender Weise geschah.

Bei der geistigen Tätigkeit, die ihm eigen war, möchte man sich wundern, wie der König die Geduld gehabt habe, drei bis vier Stunden, denn so lange und oft länger dauerten die Gemstriebe, auf dem Stande auszuhalten; er hatte aber immer Bücher bei sich und pflegte zu lesen, bis die achthabenden Leibjäger ihn aufmerksam machten, daß das Wild im Anzug sei.

schöner Gegend

sich lesend

von ihm. Die königliche Kanzlei

zu

beschäftigen

war

In einsamer, überhaupt eine Neigung

folgte stets den Jagdfahrten

und

der König

arbeitete gewöhnlich schon am frühen Morgen. Wenn der Kaiser Maximilian im Jahre 1495 schrieb: „Wir haben den Tag zu Wurms auf dem Rein ge­ kürzt und den in daz gepirg zu den wilden Gemsen gelegt", so kam Ähnliches beim Könige nicht vor und die Jagd durfte die Arbeit der Regierungsgeschäfte nicht beeinträchtigen. Und lag auch manche .Wolke in den Papieren der Portefeuilles und manche unerfreuliche Kunde, die lebendig strahlende Sonne

in der freien Natur, die Bewegung in Wald und Wildnis und die frische Luft der Höhen wirkten stets wohltätig auf Geist und Körper und stählten dem Herrn die Kraft und das Vertrauen zu jenem höheren Regiment, welches alle Geschicke lenkt und regelt. So war dem König« der Berge Lust (Ein Wunderquell, der sein« Macht bewies, Daß sorgenfrei er zauberte die Brust Und dem Gemüte Blumen sprossen ließ.

Und wenn der Herr im Gemsgebiete dann Die weit« Fernsicht still genießend stand, Wie knüpfte sich da stets die Freud« dran: „Dies schöne Land, es ist mein Bayerland!"

Nun nimmer bringt ein Weidruf an sein Ohr, Die Alpenrose sieht er nicht mehr blüh'n, (Es trugen (Engel ihn zum Reich empor, An dem er ost begrüßt der Sterne Glüh'n. Wir Und Das Wie

aber trauern, daß es so gescheh'n, was di« Zeit auch trümmert und zerstiebt, Zeugnis wird lebendig fortbesteh'n, treu und innig ihn sein Volk geliebt.

500

105. König Maximilian U. von Bayern und die Wiffenschaft.

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wiffenschaft. Don 3gnp3 von Döllinger?)

Fürstliche Pflege der Wissenschaften hat zu verschiedenen Zeiten in der

Geschichte des menschlichen Geistes tiefgehende, bleibende, in ihren Wirkungen

jetzt noch fortlebende Resultate erzeugt.

Wenn wir absehen von den auf ein

engeres Gebiet beschränkten Bestrebungen der Könige von Pergamum, so sind es die Ptolemäer in Ägypten, welche durch weisen Schutz und verständige

Unterstützung ihr Alexandrien zum geistigen Mittelpunkte der Welt in den zwei letzten Jahrhunderten vor Christus und noch Jahrhunderte nachher machten.

Die Bibliothek, die sie gebildet, war die vollständigste der Alten Welt, ihr Museum die erste Akademie oder ein Vorspiel einer solchen.

Von Alexandrien

empfing Byzanz hellenische Wissenschast und Literatur und von Byzanz kam dieses kostbare Erbe an den lateinischen Westen, so daß der Einfluß, welchen die Ptolemäer auf unsere gesamte geistige Bildung, auf unsere Wissenschast

und

Literatur

mittelbar

geübt

haben,

wirklich

kaum

groß

genug

gedacht

werden kann.

Sehen wir ab von dem, was Karl der Große und Alfred geleistet, in deren Zeit eine Wissenschaft eigentlich nicht existierte, so müssen wir über viele

Jahrhunderte wegschreiten um Monarchen zu finden,

an

deren Namen sich

die Erinnerung großer, der Wissenschaft geleisteten Dienste knüpfte.

Einzelne Fürsten

des Mittelalters

und des

sechzehnten Jahrhunderts

förderten die Wissenschast nicht als solche, sondern dieses oder jenes spezielle Studium aus ganz persönlichen Gründen; sie förderten nicht sowohl die Chemie als die Alchimie, nicht sowohl die Astronomie als die Astrologie und damit ist

auch das Motiv solcher Förderung schon bezeichnet. Dem Kaiser Friedrich II. hat man nachgerühmt, daß er alle Fürsten des

Mittelalters in seiner rastlosen Tätigkeit für die Wissenschaft übertroffen habe; aber diese Tätigkeit beschränkte sich doch auf die Veranstaltung von Über­

setzungen aus dem Griechischen und Arabischen. Unter den zu allen Zeiten sehr seltenen Fürsten, welche ihre Liebe und

ihre hilfreiche Teilnahme nicht bloß einem bevorzugten Fache, sondern einem erweiterten Kreise des Wissens geschenkt haben, war Cosimo de' Medici viel­ leicht der erste. Historiker, Dichter, Philologen, Rechtsgelehrte, Ärzte, Physiker

fanden Zutritt in seinem Palaste zu Florenz, welcher überhaupt der Sammel­

platz der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit geworden war.

Er und sein

Enkel Lorenzo haben gezeigt, zu welchem Ruhm und Glanz eine einzelne Stadt als

geistige Metropole,

als Sitz

Fürsten erhoben werden könne.

der Kunst und Wissenschaft unter weisen Lorenzos Sohn, Leo X., dem jedes Mittel

der Förderung und Belohnung in reichster Fülle zu Gebote stand, vermochte ’) Rede, gehalten]: in der Festsitzung der K. Akademie der Wissenschaften zu München am 30. März 1864; München, im Berlage der K. Akademie.

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

501

noch weit Größeres zu leisten; unter ihm wurde das päpstliche Rom, was es nie vorher, nie mehr nachher gewesen, ein blühender Sitz klassischer Gelehr­

samkeit und umfassender wissenschaftlicher Studien und so ist seine Regierung in

den Augen der Nachwelt in den Nimbus eines hellstrahlenden Glanzes gehüllt. Das Beispiel Italiens und der Medicis hatte damals auf Frankreich und

dessen König gewirkt.

Unter dem Schutze Franz' I. kam zwar nicht gerade

ein bedeutendes wissenschaftliches Werk zustande,

Humanisten

aber Künstler und gelehrte

erfreuten sich seiner Gunst und die Wirkung reichte weit über

seine Zeit und sein Land hinaus.

Nach ihm hat das Jahrhundert der kirchlichen Kämpfe kein Bild eines die Wissenschaften ernstlich pflegenden Fürsten aufzuweisen, doch wird es unter

den deutschen Kaisern späterer Zeit dem milden, schwachen Rudolf II. stets als Ehre angerechnet werden, daß die Gründer der neuen Astronomie, Tycho

Brahe und Kepler, an seinem Hofe Schutz und Gunst fanden, wiewohl dieser

Monarch, allzusehr wissenschaftlicher Dilettant, am Schmelzofen über seinen alchi­

mistischen Hoffnungen und auf der Sternwarte beim Mitberechnen astronomischer

Tafeln der Kaiserpflichten und der Reichsgeschäfte vergaß. Bis in die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts müssen wir herab­

steigen um eine Regierung zu finden, welche endlich den Gedanken faßte und

ausführte, die Wissenschaft im großen, in ihrem damaligen Umfange, durch

sl)stematischc Pflege auf eine höhere Stufe zu erheben. geschah

dies

in

Frankreich

Zum ersten Male

unter Ludwig XIV. nicht sowohl durch diesen

persönlich allzu ungebildet gebliebenen König, der nur eben dem Kranze seines Ruhmes

auch dieses Blatt

Minister Colbert.

einflechten wollte, als durch den einsichtsvollen

Damals wurden jene Akademien gestiftet, jene Einrichtungen

geschaffen, die, wenn auch mit veränderten Namen und Formen, heute noch

fortbestehen, die reiche Früchte getragen und Frankreich zu einer gebietenden

Weltmacht auch im Reiche der Geister gemacht haben. Europa

Zum ersten Male in

kamen jetzt wissenschaftliche Unternehmungen von größerem Umfange

mit Beihilfe des Staates zustande.

Fremde Gelehrte, wie Cassini, Huyghens,

Römer, wurden nach Paris gezogen, andere empfingen Jahresgehalte und Be­

lohnungen,

ohne daß man sie ihrem bisherigen Kreise entrückt oder besondere

Anforderungen an sie gestellt hätte. Seitdem, in anderthalb Jahrhunderten, ist kein Monarch mehr zu nennen,

der sich die Pflege der Wissenschaften zur persönlichen Lebensaufgabe gemacht hätte.

Friedrich II. von Preußen, von dessen hoher Geistesbildung derartiges

zu erwarten gewesen wäre, war zu sehr dem damaligen französischen Literaten­ tum ergeben und in Voltaireschen Anschauungen befangen, als daß deutsche

Bildung und Wissenschaft, die

er im Grunde verachtete, auf seinen Schutz

Hütten hoffen dürfen. In neuester Zeit haben einzelne Regierungen, die französische, die englische,

zeitweilig auch die österreichische und preußische, für die Herausgabe bedeutender

502

106. König Maximilian IL von Bayern und die Wissenschaft.

Werke große Summen aus Staatsmitteln gespendet, aber unter den Fürsten ist Maximilian II. der einzige gewesen, der mit persönlicher Liebe und per­

sönlichen Opfern seinem Volke, ja der Mitwelt und in noch höherem Maße der Nachwelt eine reiche, geistige Ernte bereitet hat. Es war besonders Schelling,

der durch seine Ratschläge in dkr Seele des jungen Prinzen bereits den Ent­ schluß geweckt und befestigt hatte, die Pflege der Wissenschaft nicht bloß für

Bayern, sondern für ganz Deutschland in die Hand zu nehmen.

Der König

hatte sich als leitenden Grundsatz auf Schellings Empfehlung das zum Augen­ merke gemacht: „Darauf soll bei der Wissenschaft, bei aller sonstigen Freiheit gesehen werden, daß die Achtung vor göttlicher und staatlicher Ordnung stets ge­

wahrt bleibe, daß der Mensch das Menschliche dem Göttlichen unterzu­

ordnen habe." Als er den Thron bestiegen, da hatte er nicht gleich anderen Fürsten, die mitunter als Gönner der Gelehrten gepriesen werden, eine besondere wissen­ schaftliche oder künstlerische Liebhaberei zu befriedigen. Niemand weiß von einer

exklusiven Neigung für dieses oder jenes, welcher der König mit Hintansetzung

anderer Gebieie und Richtungen gefrönt hätte. Er betrachtete das Reich der Wissenschaft nicht mit dem Auge eines Gelehrten oder eines Dilettanten, sondern mit dem Auge eines Königs, der das Ganze überschaut und alle Teile dieses Ganzen mit unparteiischer Liebe umfaßt, der auch hier keine Günstlinge und keine Stiefkinder hat, gleich der'Sonne, die ihre Strahlen aussendet, nicht etwa nm einen abgelegenen Winkel zu erleuchten, sondern um der ganzen Erde und allen Geschöpfen Licht und Wärme zu spenden. Wohl wußte der König, daß Theologie und Rechtswissenschaft wichtige Aufgaben zu vollbringen hätten, aber er nahm an, daß die juristische Leistung

keiner besonderen fürstlichen Unterstützung bedürfe,- da der Staat selbst und die ganze Nation bei dem Zustandekomnien der Gesetzbücher unmittelbar be­ teiligt seien und die Staatsmittel vollkommen dafür ausreichten. aber,

Die Theologie

das fühlte er, könne nur in völliger Unabhängigkeit, nur den rein

religiösen Impulsen folgend, nur von religiösen Motiven geleitet, an dem schwierigen Problem der Lösung konfessionellen Zwiespalts mit einiger Hoffnung des Erfolges arbeiten.

Maximilians Geist war durchdrungen von Hochschätzung der deutschen Philosophie. Schellings Vorträge, die er, während sie ihm gehalten wurden, aufzeichnen ließ und sorgfältig studierte, hatten bleibenden Eindruck auf ihn hervorgebracht.

Gleichwohl galt ihm auch die Philosophie nicht als eines der

Gebiete, auf welche seine Fürsorge sich zu erstrecken habe. Er wußte, daß hier mit äußerer Nachhilfe nichts zu erreichen sei; nur das eine glaubte der König für dieses Gebiet tun zu können, das Erscheinen von Gesamtausgaben der

Werke deutscher Denker mit ansehnlichen Summen zu unterstützen, und das hat er getan.

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschast.

503

So blieben denn die historischen und politischen, die mathematischen und

physischen Wissenschaften als das eigentliche Feld königlicher Hilfe und Libe­ ralität.

Dabei aber erschienen ihm doch immer alle einzelnen Disziplinen als

ebensoviele Zweige des einen mächtigen Baumes der menschlichen Erkenntnis, an welchem jeder Ast und jedes Blatt berechtigt sei, der in seinen Wurzeln

Nahrung ziehe aus der Vergangenheit, in seinen Früchten Nahrung biete den

künftigen Geschlechtern gegenwärtige Menschheit.

und seinen

erquickenden Schatten ausbreite über die

Dieser Baum des Wissens war es, den er pflegen

lvollte zum Gewinne und zur Ehre Bayerns, Deutschlands, der Menschheit. Denn sein erster Gedanke galt immer Bayern.

Was frommt meinem Volke?

lautete die erste Frage, die er an sich stellte.

Die zweite war: Was ist

geeignet das deutsche Wissensgebiet zu erweitern,

die deutsche Literatur zu

so

bereichern und zugleich,, als von Bayern ausgegangen, Bayern in den Augen des übrigen Deutschland zu heben und ihm Ehre zu bringen?

Wir betonen hier Bayern und Deutschland, aber wir wissen wohl, daß die Wirkung der königlichen Gedanken nicht auf dieses Volksgebiet beschränkt

bleiben konnte.

Der Monarch eines ansehnlichen Reiches nimmt eine Stellung

ein, welche ihm die richtige Auffassung und Beurteilung der Dinge, die Schätzung ihres Wertes einerseits erschwert, anderseits

leichtert.

aber auch in hohem Grade er­

Es ist wahr: auf der einsamen Höhe seines Thrones befindet er sich

wie auf einem hohen, tiefer abwärts von dichten Wolken umlagerten Berge;

sein Blick vermag nicht durch diese dunkeln Schichten hindurch zu dringen; was unten im Tale vorgeht, das Treiben der Menschen im einzelnen, ihre Leiden

und Freuden, ihre Gebrechen und ihre Bedürfnisse, das alles entzieht sich seiner Wahrnehmung und es sind großenteils nicht deutliche Stimmen, es ist häufig nur ein wirres Getöse, das von da unten

her an sein Ohr schlägt.

Dagegen aber, wieviel freier, klarer, weiter dringend ist sein Blick auf der Höhe, wohin ihn seine Würde gestellt hat, wenn er nur überhaupt ein ge­

sundes Auge besitzt und es zu gebrauchen versteht!

Er atmet und schaut in

reineren, ätherischen, nicht durch die Nebel und Dünste des Alltagslebens und

seiner Bedürfnisse getrübten Lüsten, er erkennt besser die Verknüpfung der Dinge, die Bedeutung des einzelnen für das staatliche Ganze; die gemeinen, niedern Triebfedern der menschlichen Handlungen haben keine Macht über ihn.

Wir Gelehrten, die wir jeder von uns ein bestimmtes Wissensgebiet bebauen

und pflegen, sind vor allem der Versuchung der Einseitigkeit ausgesetzt; nur schwer und selten erheben wir uns zu jener unbefangenen und großartigen Auffassung, die das eigene Fach nicht überschätzt und dem fremden Fache volle

Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Wer ist nicht schon im Leben Gelehrten begegnet,

welche jeden Kieselstein in dem Garten ihrer Wissenschaft für einen Diamant

ansehen, dagegen in den Diamanten anderer nur Kieselsteine erkennen wollen?

Erhaben über solche Täuschungen und Einseitigkeiten urteilt, handelt ein König, welcher der Wissenschaft, nicht etwa bloß diesem oder jenem Fache, seine

504

105. König Maximilian ll von Bayern und di« Wissenschaft.

Gunst,

seinen Schutz angedeihen läßt.

Er besitzt nicht die durchdringende

Kenntnis des einzelnen, aber er hat hingegen, und das ist in seiner hohen

Stellung wichtiger, den Maßstab für ihren Wert als Ganzes.

Unser Monarch besaß diesen Maßstab, aber er besaß noch überdies als eine ihn auszeichnende Gabe den festen Glauben an die unvergängliche Würde der Wissenschaft, an ihre unfehlbar zum endlichen Siege sich durchkämpfende Wahrheit, an ihre zuletzt immer wohltätigen Wirkungen. Diesen Glauben

ließ er sich auch durch widrige Erfahrungen, durch das egoistisch-unlautere Treiben einzelner nicht erschüttern. Für ihn gab es im Reiche des Geistes keine öden Steppen, die den Anbau nicht vertrügen oder nicht lohnten. Überall zeigte sich seinem

durch umfassende Bildung und durch steten Umgang mit

hochbegabten Männern geschärften Blicke treffliches Ackerland, welches nur der rechten Hände harre um zum Heile der Menschen seine Früchte hervorzubringen. Wenn Goethe im Tasso seinem Herzoge Alfons die Worte in den Mund legt:

„Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst, Der die Talente nicht um sich versammelt" —

so ist damit nur das selbstsüchtige Bewußtsein ausgesprochen, daß ein Fürsten­ thron, gehoben durch die Folie eines Kranzes von Gelehrten und Dichtern, sich stattlicher, ansehnlicher ausnehme. Diese sollen dann nur als Trabanten den fürstlichen Planeten umkreisen, sollen nur leuchten um den Glanz seines

Gestirnes zu erhöhen.

Unser König dachte größer, sein Patronat war uneigen­

nütziger, edler. Die Wissenschaft und ihre Priester standen ihm zu hoch. Sie, die in seinen Augen die hehre Lehrmeisterin der Kulturvölker war, konnte er

nicht als ein bloß zum Schmucke seines Hofes bestimmtes Prunkstück ausnutzen wollen; ihren Dienern hatte er Besseres, Würdigeres zugedacht als die Rolle einer zur Erhöhung des königlichen Pompes dienenden Gefolgschaft. Darum konnte auch der entfernte, persönlich ihm unbekannte Gelehrte, wenn es um

eine bedeutsame Bereicherung der wissenschaftlichen Literatur sich handelte, auf seine Teilnahme, seine Unterstützung rechnen. Wir dürfen es also sagen: nicht sich, nicht seiner persönlichen Verherr­

lichung, sondern seinem Volke wollte der König dienen;

ganz Bayern zu­ nächst sollte die Früchte seiner Liberalität ernten und genießen. J)

v) Man vergleiche die Worte, die König Maximilian in seinem „letz 1 en Willen" (schon am 16. Dezember 1851) niederschrieb: „Möge der Allmächtige mein teures, braves, herrliches Bayernvolk auch ferner und in alle Zukunst in seinen heiligen Schutz nehmen, seinen reichsten Segen ihm verleihen! Ich habe es von Jugend auf treu im Herzen ge­ tragen, eS war der Gegenstand meiner Arbeiten, meiner Sorge, meiner Leiden und Freuden. Sein Glück war das meine. Mein ernstes, eifriges Streben ist es und wird es immer sein, meines Landes materielle und geistige Wohlfahrt nach allen Kräften zu fördern und ihm denjenigen Rang unter den Nationen einzuräumen, auf welchen es durch seine Stellung und seine alte, ruhmreiche Geschichte Anspruch hat. Meine Liebe zu ihm wird mein Leben überdauern. Für mein Volk werde ich wirken und beten, solange ich wirken und beten kann." I. M. Söltl, „König Max II. von Bayern", S. 196. Augsburg 1867, Schlosser.

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

505

Vergessen wir nicht, daß der König in einer Sache, die ihm so sichtbar

persönliche Herzensangelegenheit war, mit Sicherheit aus den tief dynastischen

Sinn seines Volkes rechnen durfte.

Er wußte, daß das vom Throne herab

gegebene Beispiel im Guten wie im Bösen mit unwiderstehlicher Anziehungs­

kraft auf dieses Volk wirke, und er vertraute, daß, wenn er ihm die Fahne

des wissenschaftlichen Strebens hochhalte, die begabteren Geister des jüngeren Geschlechtes sich fteudig um dieselbe scharen würden.

Fassen wir

um

unserem

unvergeßlichen Monarchen

völlig gerecht zu

werden, um klar zu erkennen, daß er nicht etwa erträumten Gütern und

phantastischen Schattenbildern nachjagte, die Sache noch etwas tiefer und ver­

setzen wir uns auf seinen Standpunkt, in seinen Gedankenkreis.

Pflege der

Wissenschaft hieß bei ihm nicht etwa bloß Sorge für das Zustandekommen

gelehrter Bücher, noch weniger bedeutete das bei ihm soviel

einer Anzahl

als gute Bezahlung einiger Gelehrten um von diesen dann als großmütiger

und erleuchteter Mäzen gepriesen zu werben.

Dem Könige war es, als er

diesen Beruf sich gab, auch nicht etwa bloß um den Gewinn an Ehre und staatswirtschaftlichem Nutzen zu

tun,

der

für Bayern dabei herauskommen

werde, sondern darum vor allem war es ihm zu tun, daß in feinem Volke

der wissenschaftliche Geist geweckt und verbreitet würde, jener fein aus­

gebildete, zugleich auf Reinheit des Willens und auf Schärfe der Intelligenz beruhende Wahrheitssinn. Der König hat, indem er für die Erweckung und Erhaltung des wissen­

schaftlichen Sinnes in seinem Lande Sorge getragen, nicht etwa bloß dem

Königreiche Bayern

eine Anzahl

von Männern

geben wollen, welche eine

größere oder geringere Quantität von Kenntnissen besäßen und sie anderen

mitteilten, sondern er hat eine Schule, einen Herd des wissenschaftlichen Geistes, das heißt, des geübten und feinen Wahrheitssinnes in Bayern errichten wollen, überzeugt wie er war, daß dieser Geist, wenn er nur einmal vorhanden und

lebendig, nicht in den engen Schranken eines Fachstudiums eingeschlossen und

festgebannt bleiben werde, daß er vielmehr als ein ungreifbares, überall gegen­ wärtiges Fluidum in alle Poren und Öffnungen des gesellschaftlichen Körpers eindringen und allenthalben läuternd, erleuchtend, segensreich wirken werde. Der König hat überhaupt die geistigen Kräfte im Volke wecken, durch

Darbietung eines würdigen Stoffes und erhabener Ziele sie in Tätigkeit setzen wollen; er hat geglaubt und mit Recht geglaubt,

daß die heilsame Nach­

wirkung hiervon sich mit der Zeit in allen Gebieten menschlicher Wirksamkeit, auch in den scheinbar weit abgelegenen, fühlbar machen werde.

wird gestehen:

es

ist

das vielleicht

Wohltat, welche ein Monarch seinem Volke leisten kann.

Geisteskraft

Würde,

und

Geistestätigkeit

ist

zuletzt

gleichbedeutend

mit harmonischem Gleichgewicht, mit

nationalen Lebens.

Und man

der größte Dienst, die dankenswerteste

Frische

und

Denn eine solche Macht

und

Gesundheit

des

mit

506

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

Indem Maximilian zu

größeren, ein Zusammenwirken von mehreren

Kräften erfordernden Arbeiten den Anstoß und die Mittel gab, hatte er noch

einen besonderen Vorteil im Auge, den er seinem Volke damit zuwenden wollte. Wer nämlich als Autodidakt sich seine Bahn mit Mühe und auf mancherlei

Umwegen und Irrwegen hat brechen müssen, der kann später nicht ohne ein schmerzliches Gefühl daran zurückdenken, welcher Verlust an Zeit, welche Ver­

geudung an Kraft sich aus dem Mangel eines verlässigen Führers für ihn ergeben habe. Der junge aufstrebende Gelehrte bedarf vor allem zweier Dinge: Schule und Ermunterung, und es ist für ihn eine besondere Gunst des Himmels, wenn er zur Mitarbeit an einem wissenschaftlichen Unternehmen unter der Leitung älterer, erfahrener Fachmänner beigezogen, wenn ihm so die doppelte

Sicherheit des richtigen Verfahrens und des nicht vergeblichen Arbeitens von vorneherein geboten wird-

Darum gab der König besonders solchen Unternehmungen seinen Beifall,

durch welche nicht nur neue Werke geschaffen sondern auch Männer gebildet würden, welche das Begonnene einst fortsetzen und eigene neue Werke unter­ nehmen könnten. Bayern wird es ihm noch lange Dank wissen, daß er den

wissenschaftlich strebenden Söhnen des Landes durch solch große, literarische Unternehmungen sowie durch die Errichtung der Seminarien an den Univer­ sitäten Schulen gelehrter und schriftstellerischer Tätigkeit eröffnet und damit ein wirksames Heilmittel dargeboten hat gegen einen nur allzuhäufig an unseren

jüngeren Männern wahrgenommenen Zug, den Zug nämlich: über sich selbst zu brüten ohne etwas auSzubrüten.

Die Stiftung des Maximilians-Ordens für Wissenschaft und Kunst, dieser

Gesellschaft der fünfzig ausgezeichnetsten Gelehrten und Künstler von ganz Deutschland mit dem Rechte sich selbst durch Neuwahlen des Ordenskapitels zu ergänzen, war eine Ankündigung, gleichsam ein Programm dessen, was der König fernerhin zu tun, zu erstreben gedachte. An diese königliche Schöpfung

schloß sich einige Jahre später die Stiftung der Maximilians-Medaille an. Sie sollte, mit einem beträchtlichen Geldpreise, jedes Jahr den Verfassern der vier besten Werke auf den -Gebieten der Staatswissenschaften, der Geschichte,

der Philologie, der Naturwissenschaften zuerkannt werden. Auch als Preis für die Lösung einer vom Könige zu stellenden wissenschaftlichen Aufgabe sollte die Medaille zugleich mit der ausgesetzten Summe gegeben werden. War es hier das Kapitel des Maximilians-Ordens, welchem der König

das Richteramt übertrug, so empfing auch die Akademie bei mehr als einer Gelegenheit sprechende Beweise seiner Huld und teilnehmenden Aufmerksamkeit. Es sind wohl nur wenige unter uns, die er nicht zu wissenschaftlichen Unternehmungen ermuntert und dabei unterstützt hätte. Dann gab er der Akademie in der freien Wahl aller ihrer Mitglieder ihre volle Autonomie

zurück; er erweiterte ihren Wirkungskreis durch die Stiftung und Ausstattung

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

507

zweier ihr einverleibten Kommissionen, der historischen und der naturwissen­ schaftlich-technischen. Durch letztere sollte das weite Gebiet der Technik all­ mählich wissenschaftlich durchdrungen, die bisher von keinem wissenschaftlichen Sinne getragene Praxis gereinigt, vergeistigt und mit unvergänglicher Lebens­

kraft ausgestattet werden. Der König war aufmerksam geworden auf die eigentümliche Anlage des südbayerischen Stammes zu technischen Leistungen, wie sie schon in der Vor­

züglichkeit der in manchen Gebirgsgegenden verfertigten Schnitzwerke und Drechslerarbeiten sich kundgibt. Er hatte beachtet, wie die wissenschaftliche, dem technischen Talente beigesellte Begabung in der Verbindung dreier Männer: Fraunhofer, Reichenbach und Utzschneider, jene bis dahin nicht erreichten In­

strumente zustande gebracht habe, durch welche im Beginne dieses Jahrhunderts eine neue Epoche der beobachtenden Astronomie angebahnt wurde.

Damals

hatten die Sternwarten aller Länder wetteifernd mit Instrumenten aus dem

Münchener optischen Institute sich versehen und so war Münchens Ruhm und vieler Bürger Wohlstand erhöht lvorden. Da ließ der König mittels einer jährlich ausgesetzten Summe feine physikalische Instrumente von Mechanikern der Hauptstadt ausführen, die dann an die Lehranstalten des Landes verteilt

wurden.

Die Folge war, daß, während früher alle feineren Instrumente aus

dem Auslande bezogen werden mußten, die Werkstätte eines bis dahin mit Armut ringenden Münchener Mechanikers sich rasch emporarbeitete und nun nicht nur das Inland mit Instrumenten versieht, sondern sie bereits nach England, Rußland, Amerika versendet.

Bei Betrachtung der königlichen Tätigkeit auf dem weiten Gebiete ge­ schichtlicher Forschung und Darstellung darf wohl daran erinnert werden, daß

Maximilian II. bei aller wissenschaftlichen Unparteilichkeit doch sich persönlich am stärksten zu der Geschichte hingezogen fühlte, daß er die bedeutenderen Er­ scheinungen auf diesem Felde mit erhöhtem, mitunter mit gespanntem Interesse verfolgte, daß die Hervorrufung gewisser historischer Werke sogar zu seinen

liebsten, schon frühe gehegten und beharrlich festgehaltenen Wünschen gehörte. Die Geschichte war seiner Geistesrichtung am meisten verwandt. Die erste größere Tat des Königs auf diesem Gebiete galt Bayern speziell. Er schuf im Jahre 1855 eine Kommission für die Veröffentlichung der in den Archiven und Bibliotheken des Königreichs vorhandenen, noch ungedruckten

Quellenschriften. Diese Kommission, die reichlich mit Geldmitteln versehen nur wenige Jahre bestand, bis sie in die für die deutsche Geschichte gebildete

Kommission überging, hat in der kurzen Zeit ihres Wirkens und obgleich zwei der bedeutendsten Mitglieder ihr bald durch den Tod entrissen wurden, doch in acht Bänden eine Fülle wertvoller Geschichtsquellen eröffnet. Daß dem Könige die bessere Erforschung und Bearbeitung der deutschen Geschichte vor allem am Herzen lag, ist nach dem Gesagten selbstverständlich.

Gerade der Aufschwung, den die deutsche Geschichte seit der Herausgabe der

105. König Maximilian II. von Bayern und di« Wissenschaft.

508

Monument» Gennaniae, also seit etwa 30 Jahren, genommen hat, machte die zahlreichen Lücken, an denen sie noch litt, erst recht fühlbar.

Es war, wie

wenn ein dunkler Saal plötzlich durch ein Licht erleuchtet wird und man nun erst wahrnimmt, wie nackt die Wände, wie spärlich noch das Geräte in diesem

Raume sei.

Man erkannte, daß wir Deutsche noch weit davon entfernt seien

unserer großen Vergangenheit auch nur die notdürftigste Gerechtigkeit erwiesen

zu haben, daß noch eine große Menge von vorbereitenden Arbeiten, von mono­ graphischen Leistungen not tue, bis nur einmal daran gedacht werden könne, eine der Nation würdige deutsche Geschichte zu schreiben. mit vollem Rechte an,

daß die geistigen Kräfte,

glücklichem« Erfolge verwendet werden könnten,

handen

seien,

daß

sie

die in diesem Gebiete mit

in Deutschland reichlich vor­

aber der Ermutigung,

Fällen auch einer Remuneration bedürften,

Der König nahm

der Leitung

und

wie sie der Verleger

in

vielen

nicht ge­

währen kann. Er rief daher die historische Kommission ins Leben, welche unter

ihrem Vorstande Leopold Ranke die angesehensten Historiker Deutschlands um­ faßt und in ihren jedes Jahr wiederkehrenden Sitzungen über eine Dotation

von jährlich 15000 Gulden zu verfügen hat.

Es ist bemerkenswert, wie der

König hier und auch sonst ganz anders verfuhr, als Monarchen zu verfahren

gewohnt sind.

Diese Pflegen ihre Gaben ganz dem eigenen Ermessen vorzu­

behalten, damit sie rein als persönliche Gunst und Gnadenbezeugung erscheinen möchten und ihnen allein der Dank dafür zuteil werde.

Maximilian hingegen

gab die Verwendung der ansehnlichen Summen, die er bewilligt hatte, ganz

aus der Hand; er setzte einen wissenschaftlichen Gerichtshof ein, der rein im

Interesse der Sache darüber entscheiden sollte, und selbst die Bezeichnung bei­ ferner hinzutretenden Mitglieder dieses Tribunals überließ er den Männern,

die nun einmal sein volles Vertrauen besaßen.

Und doch, wenn er dann in

seiner huldreichen, freundlich ausdrucksvollen Weise dem Empfänger seine Be­ friedigung über das Geleistete oder seine Hoffnungen bezüglich eines gewünschten

und erwarteten Werkes aussprach, wenn er eine ihm vorgelegte Schrift so auf­ nahm, als sei damit ihm persönlich ein dankenswerter Dienst erwiesen worden,

dann hatte wohl jeder die Empfindung,

daß

es nicht bloß der Wahrspruch

eines wissenschaftlichen Gerichtshofes, daß es mehr noch die Güte, das Wohl­ gefallen des trefflichen Monarchen sei, worin sein schönster Lohn liege, und

daß für solche Gunst und Billigung kein Preis zu hoch, keine Anstrengung

zu groß sei.

Damit noch besser erkannt werde, wie ersprießlich das Eingreisen des Königs in den Gang unserer geschichtlichen Tätigkeit gewesen, so sei die Be­ merkung mir hier gestattet, daß große wissenschaftliche Werke historischen In­

haltes in der Regel

ohne fürstliche oder staatliche Unterstützung

heutzutage

nicht mehr zustande gebracht werden können. Früher war dies teilweise anders. Die zahlreichen Klosterbibliotheken im südlichen Europa machten das Erscheinen

105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

509

großer und kostspieliger, dem geschichtlichen Gebiete angehöriger Werke möglich. Diese Bibliotheken sind aber verschwunden und überhaupt werden große Privat,-

bibliotheken, die als Fideikommisse jahrhundertelang bei der Familie blieben,

heutzutage nicht leicht mehr gebildet oder auch nur fortgesetzt. Jedermann be­ dient sich jetzt der öffentlichen Bibliotheken; die Gelehrten sind eben nicht zu­ gleich die Reichen und die Reichen sind nur sehr selten die Gelehrten. Dank der königlichen Aufträge und Mittel sind eine Reihe der bedeu­ tendsten Werke, Denkmäler deutscher Forschung und Gelehrsamkeit, ins Leben gerufen worden: es entstand die Sammlung der deutschgeschriebenen Chroniken der deutschen Städte (im 15. und 16. Jahrhundert); die deutschen Reichstags­ akten seit dem Erscheinen der goldenen Bulle, eine großartige Publikation,

versprechen Helles Licht nicht nur auf die deutsche sondern auch auf die euro­ päische Geschichte zu werfen; die Jahrbücher der deutschen Geschichte, die For­

schungen zur deutschen Geschichte, die Sammlung mittelalterlicher Formel- und Prozeßbücher, die Geschichte der deutschen Wissenschaft (aus 23 Einzelwcrken bestehend, für die allein der König die Summe von 50000 Gulden aus seiner Privatkasse bewilligte) werden Fundamentalwerke wissenschaftlicher Forschung

werden; durch Preisausschreibungen für Biographien berühmter Deutscher und verdienter Bayern sind bereits tüchtige Werke erzielt und viele andere be­ deutungsvolle Bereicherungen unserer historischen Literatur (z. B. die historischen

Lieder der Deutschen vom 15. bis 17. Jahrhundert,

die Korrespondenz der

Fürsten des Wittelsbachischen Hauses von 1550—1650) sind durch die Muni-

fizenz des Königs ermöglicht worden; der König war es auch, der zuerst den Gedanken eines Werkes wie die Bavaria faßte und nicht bloß den

Plan schon

im allgemeinen sondern auch im Detail entwarf, und der jetzt sehr günstige Erfolg des nur erst zur Hälfte vollendeten Werkes

beweist, welch treffendes Urteil, welch richtigen Blick er in Dingen des eigenen Landes besaß. Wenn der Berdienste Maximilians II. um die Wissenschaft gedacht wird, darf über das bayerische Nationalmuseum nicht geschwiegen werden. Denn der Gewinn aus dieser einzigen Sammlung kommt doch auch der Ge­ schichte zugute, und wer immer Bayerns, ja Deutschlands frühere Sitte, Kultur und Kunsttätigkeit in dem Jahrtausend von der Karolingischen bis zur Napo­

leonischen Zeit gründlich,

das heißt, anschaulich kennen und studieren will,

der muß fortan nach München zu diesem Museum wandern und an dieser überraschenden Fülle künstlerischer Erzeugnisse Geist und Herz erfrischen. Wie Vieles und Kostbares ist hier vom sicheren Untergange gerettet, wie Vieles,

das in seiner Verborgenheit bisher unbeachtet, in seiner Vereinzelung tot und bedeutungslos geblieben, hat hier erst durch seine Einfügung in ein großes symmetrisches Ganzes, durch seine örtliche Verbindung mit Verwandtem Leben

und Gedankengehalt empfangen!

Wir dürfen Paris um sein Hötel de Cluny

nicht mehr beneiden, denn unser Museum ist jetzt schon gehaltvoller und groß-

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105. König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

artiger und wird es in Zukunft, da es für fortwährendes Wachstum angelegt

ist, noch mehr werben.1)

Es ist mir gestattet worden Einsicht zu nehmen von dem authentischen Verzeichnisse aller Summen, welche der König für wissenschaftliche Leistungen

bewilligt hat. Da muß ich denn bekennen: durch das früher darüber Ver­ nommene war meine Erwartung hoch gespannt; sie ist aber durch den Blick

in dieses Verzeichnis noch weit übertroffen worden

und ich darf wohl sagen:

mir ist im ganzen Umfange der Geschichte kein Fürst bekannt, der aus seiner Privatkasse mit solch einsichtsvoller Liberalität die wissenschaftlichen Forschungen

und literarischen Erzeugnisse in ihren mannigfaltigen Verzweigungen unterstützt und gefördert hätte wie König Maximilian II. Da finden sich zuerst wahr­ haft königliche Unterstützungen zu wissenschaftlichen Reisen, dann Stipendien

für Studierende und angehende Gelehrte zum Besuche auswärtiger Universi­

täten

oder auch Gaben an fremde Gelehrte zum Aufenthalte in München,

Summen für Anschaffung wissenschaftlicher Instrumente, für Herstellung von Apparaten oder für Verfertigung verschiedenartiger Karten; großartige Unter­

stützungen für Anstellung von Forschungen im Auslande; beträchtliche Beiträge zur Herausgabe der Werke von lebenden oder verstorbenen Gelehrten. Im ganzen und großen sind die Gaben wohl verwendet, ist bleibender, geistiger Gewinn damit

erreicht worden.

Nirgends zeigt sich dabei eine Nebenabsicht, eine Bevorzugung

’) Das bayerische Nationalmuseum ist wohl das vornehmste Denkmal von König Maximilians hoher Gesinnung, der Künste und Wissenschaften, insbesondere die Erforschung und Darstellung der vaterländischen Geschichte mehrfache Anregung und wahr­ haft königliche Förderung zu danken haben. Der Plan zur Gründung der Sammlung wurde aus Anregung des Freiherrn Karl Maria von Aretin im Januar 18.54 ausgestellt, die neue Sammlung zuerst in der Herzog-Maxburg in München unter dem Namen „Wittelsbacher-Museum" untergebracht. Nach des edlen Königs eigenster Verfügung aber sollte es ein bayerisches historisches Museum im weitesten Sinne des Worte- werden, dessen zeitlicher Rahmen die Zeit­ abschnitte der Agilolfinger, der romanischen und gotischen Kunst und der Renaissance umfassen sollte; was zur Charakterisierung der vergangenen Jahrhunderte des geistigen und materiellen Volkslebens, der herrschenden Zeitrichtungen, besonders in Bezug auf Kunst und Gewerbe diente, sollte gesammelt werden. Am 30. Juni 1854 setzte ein K. Handschreiben die endgültige Bezeichnung „Bayerisches Nationalmuseum" fest. Dem nunmehr geweckten Sammeleifer bot die damalige Lage des Marktes noch besondere Gunst. Erfolgreiche Tätigkeit entfaltete besonders der K. Konservator I. H. von Hefner-Alteneck. Bald füllten sich die verfügbaren Räume und als schon im Jahre 1865 die Sammlungen dort 30 Säle, Hallen und andere Räume einnahmen, mußte an die Neubeschasiung eines geräumigen Obdaches gedacht werden. Die Lösung der Frage brachte der hochherzige Entschluß des königlichen Stifters seiner Lieblingsschöpfung aus eigenen Mitteln eine neue Stätte zu bereiten. So entstand in den Jahren 1858—65 das stattliche Museumsgebäude an der Maximiliansstraße, an dessen Schauseite die Widmungsworte des Königs prangen „Meinem Volk zu Ehr und Vorbild". Der historische Charakter des Gebäudes sollte im Innern durch eine Reihe trefflicher Wandgemälde aus der Geschichte des bayerischen Herrscherhauses und Volkes zum Aus-

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105 König Maximilian II. von Bayern und die Wissenschaft.

dieser oder jener Richtung oder Partei; vielmehr ist durchweg nur der reine

objektive Sinn für das, was der Wissenschaft wahrhaft frommt, für Bayerns

und Deutschlands geistige Bereicherung zu erkennen.

Und wenn die Gaben,

welche der speziellen Geschichte Bayerns und den Erforschungen der bayerischen Zustände gewidmet wurden, besonders reichlich ausgefallen sind, so werden wir

das nur natürlich finden.

War es doch sein Wille, daß jedes Talent, welches in

Bayern für irgend ein Gebiet der Wissenschaft oder Kunst sich hervortue, gepflegt,

unterstützt und mit fortwährendem Wohlwollen im Auge behalten werden solle.

Was sagt uns nun die lange Aufzählung all dieser edlen Stiftungen? Sie sagt uns,

oder

vielmehr der verewigte König redet durch seine Taten und

Gaben aus dem Jenseits herüber zu uns:

Ein reiches Vermächtnis habe ich

euch hinterlassen, euer Dank dafür möge leuchten in Taten, in der Benutzung

und Fortführung des Begonnenen!

Beweiset, daß der Same, den ich aus­

gestreut habe, nicht auf steiniges, unfruchtbares Erdreich gefallen ist! daß ihr

Fleiß,

mit der Empfänglichkeit auch die zähe Ausdauer,

den nachhaltigen

die nicht erkaltende Begeisterung für hohe Ziele besitzet!

gründlicher Wissenschaft ist zündet und

Zeiget,

Das Feuer

nunmehr ans dem Altare des Vaterlandes ent­

verbreitet weithin seinen Schein:

sorget ihr, daß es stets unter­

halten und genährt werde, auf daß es niemals mehr in Bayern erlösche!

druck gebracht werden.

Die Überführung der Sammlung aus der Herzog-Maxburg er­

lebte der edle Herrscher nicht mehr; sie begann im Herbst 1865, die feierliche Eröffnung fand am Namenstag des Stifters (12. Okt.) 1867 statt, und würdig trat das bayerische Nationalmuseum in die Reihe der großen Sammlungen der Landeshauptstadt ein, ja es wurde bald die volkstümlichste unter den großen Sammlungen Münchens und übte dank den unvergleichlich mannigfaltigen Schätzen den größten Einfluß aus aus das empor­ strebende Münchener Kunstgewerbe. Rasch dehnte sich der Umfang der überreichen Sammlung aus und bald stellte sich neuerdings ein wesentlich erhöhtes Raumbedürfnis ein. Als gründlichstes Mittel gegen­ über diesen und manchen anderen Bedenken wurde die Errichtung eines ausgedehnten Neubaues an anderer Stelle mit dem dreifachen Raume und allen Einrichtungen der modernen Technik erkannt. Für den Neubau wurde vom Lande die Summe von 4000000 M. bewilligt und als Stätte die in der Entstehung begriffene Prinzregentenstraße gewählt zu Ehren Sr. K. Hoheit des Prinz rege ulen Luitpold und seiner stets bewährten Kunstliebe. Der Bau wurde nach den Plänen des Architekten Professors Gabriel von Seidl in den Zähren 1894—98 ausgeführt, mit der Übersiedlung der Samm­

lungen im September 1898 begonnen, die innere Einrichtung von dem Ehrenkonservator und K. Akademieprofessor Rudolf von Seitz geleitet. Die Räume sind mit ihrem Inhalt zu einem anziehenden künstlerischen Gesamtbilde vereinigt. So hat der Schatz, den zunächst und im reichsten Maße die Liberalität des er­ lauchten bayerischen Herrscherhauses, sodann die fortdauernde Fürsorge der K. Staats­ regierung und zu einem beachtenswerten Teil auch der edle Stiftersinn aufopfernder Bürger anhäusten, eine neue würdige Heimstätte erhalten, die seinen hohen Wert in künstlerisch vollkommener Weise zur Geltung gelangen läßt. Mit vollem Recht aber prangt auch an der Schauseile dieses Neubaues der Wahlspruch des königlichen Stifters „Meinem Volk zu Eh-r und Vorbild".

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106. Am OstersamStag (10. März 1864).

106. Am Ostersamstag (10. März 1864). Don Emanuel (Beibcl.:)

Am Ostersamstag war's, da schritt ich füll Ins Land hinaus,- zu meinen Füßen schoß Der Isar grüne Woge strudelnd hin Und fern im Duste lag das Hochgebirg. Und wie vom halbentwölkten Himmel her Ein lindes Säuseln kam und über mir Die erste Lerch' unsichtbar wirbelnd stieg: Da schmolz in meiner Brust das stumme Leid Und feuchten Auges warf ich mich ins Gras Und dacht' an unsern teuren König Max.

Und sieh, mir war's, er stände vor mir da, Lebendig wieder, mit dem milden Blick Und doch verklärt von ernster Majestät: Der Friedensfürst, den mehr als jedes Wort Das freie Glück des Stamms, den er beherrscht, Die stohe Blüte seines Reiches preist; Der stille Überwinder, der sich selbst Besiegt um seinem Volk genug zu tun Und jeder Willkür, jeder Leidenschaft Den Zügel des Gewissens angelegt; Der echte Sohn vom Stamme Wittelsbach, Getreu, beharrlich, heil'gen Willens voll, Der mit dem letzten Atemzuge noch Einstand für deutsches Recht und dem der Zorn Um deutsche Schmach den Todespfeil geschärft.

Das war der König! Bayern weint um ihn, Wie an des Baters Gruft die Tochter weint,

Und Deutschland legt den Kranz auf seinen Sarg.

Und andre Bilder stiegen vor mir auf. In seiner Hofburg sah ich ihn, umringt Dom Kreise seiner Lieben, stohgelöst Aufatmen von der Last des Herrscheramts, Ein fürstlich Dorbild reiner Menschlichkeit; Und durchs Gewühl der Gassen, die sein Ruf In reichem Schmuck erstehn hieß, folgt' ich ihm Und sah ihn wandeln unter seinem Dolk, Leutselig, liebreich, jedes fremden Glücks Sich mitersteuend, hilsteich jeder Rot. Denn köstlicher als seine Krone war Das Herz, das unter seinem Purpur schlug, *) Gesammelte Werke, 3. Band, S. 238 ff.

Stuttgart 1888, Cotta.

106. Am OstersamStag (10. März 1864). Das lautre, stets sich selbst getreue Herz, Aus dem aus alles, was er sprach und schuf, Ein Sonnenstrahl der reinsten Güte fiel. Das war's, was ihm die Seelen unterwarf; Und wenn er grüßend durch die Menge schritt Und jedes Auge glänzte, das ihn sah, Wer spürt' es nicht, daß noch ein schöner Band Als angestammter Treue hier sich wob Aus Dankbarkeit, Hingebung und Vertraun!

Und jener trauten Stunden dacht' ich dann Im hohen, bilderdunkeln Teppichsaal, Wo er, mit ernsten Männern im Gespräch, Das stillgeschäst'ge Walten der Natur, Der Vorzeit Bücher sich enträtseln liefe. Denn eine nimmermüde Sehnsucht zog Ihn zu des Lebens Tiefen. Nicht begnügt Mit der Erscheinung, sucht' er ihr Gesetz Und jede neuerkannte Wahrheit galt Ihm eine Stufe, die er sich erkämpft, Und oft, wenn vor bem wissensdurst'gen Geist Ein Strahl ihm aufging jener Gotteskraft, Der ewig Einen, die im leisen Blüh'n Der Pflanze wie im Auf- und Niedergang Der Völker und der Zeiten sich enthüllt: Da flog ein Leuchten über seine Stirn Und höher schlug sein Herz, als wär' er selbst Der Weisheit Jünger, nicht ihr Vogt und Hort. Doch liebt' er's, wenn um solcher Stunden Ernst Erheiternd sich der Kranz des Schönen flocht. Und wie er selbst in jungen Jahren wohl Geprüft die Saiten, bis des Szepters Pflicht

Ungern das holde Spiel ihn meiden liefe, Verlangt' ihn nach der Muse Gastgeschenk. Denn göttlichen Geschlechts noch ehrt' er sie Und in der Forscher strengen Kreis entbot Er, die ihr dienten, dafe sie mit Gesang Des Busens Wellenschlag ihm schwichteten. Auch mir beschied sein königlicher Ruf Die neue Heimat; hold gewährt' er mir, Wonach des Dichters Herz zumeist begehrt: Sorglose Freiheit und ein fteundlich Ohr, Das seinen Weisen lauscht. Und was ein Gott In hohen Stunden mächtiger beschwingt Mir auf die Lippen legte, wurde sein. Ach, würd'ger einst die vollgereifte Frucht, KronSeder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

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107. Mit einem AönigSherzen.

Die unterm Herbstlaub meines siebens schwillt, Ihm darzubringen hofft' ich und, dafern Ein Kranz mir je noch blühte, sollt' er ihm Zuerst gehören, der ihn mild gepflegt. — Da riß ein allzufrüh Geschick ihn fort Zu jenen Sphären, die kein sterblich Lied Erreicht, und nichts als Tränen heißen Danks Für den geliebten Toten hab' ich heut'. Den Toten? Nein! Ob auch das Gruftgewölb' Den schmerzensmüden Leib empfing: er lebt! Nicht in den Blättern der Geschichte bloß, Nicht bloß im Mund des Liedes, noch im Erz, Das fromme Treue dankbar ihm erhöht: In seines Landes Segen und Gedeih'n, In seines Volks Gesittung lebt er fort, Er lebt in unsern Herzen, lebt im Sohn, Der, was er anhub, zu vollenden ringt; Und daß er also fortlebt, sei uns Trost In unserm Leid! Denn fein’s verging in Glanz. So dacht' ich und erleichtert hob sich mir Die schwerbeklemmte Brust. Ich sprang empor Und sah zum Himmel, sah den Strom hinab; Da brach die Sonne leuchtend durchs Gewölk, Daß jede Well', in ihren Strahl getaucht, Der Hoffnung goldnes Bild zu tragen schien, Und durch das Tal im Wind herwogend kam Der Osterglocken Auferstehungsruf.

107. Mit einem Königsherzen. Don Oskar von Redwitz.')

Das edle Herz unseres höchstseligen Königs Max II. hat die letzte Stätte seiner irdischen Ruhe gesunden.

Und es ist wohl ein sehr natürliches Gefühl,

wenn es mich, als einen der wenigen beständigen Augenzeugen, nach meiner Rückkehr drängt, all denen, die im weiten, treuen Bayernlande um den Hin­

gang ihres geliebten Königs vor vier Monaten aus aufrichtiger Trauer geweint haben, nun auch in Wahrheitstreue von der uns allen ewig denkwürdigen Fahrt zu erzählen, auf der wir das königliche Herz von der prächtigen Königsstadt

auf der Hochebene der Isar bis zur unscheinbaren Muttergotteskapelle in der Niederung des Inn im letzten Ehrendienste begleiten durften. Möge indessen niemand ungewöhnliche Schilderungen einer durch äußeren Pomp besonders großartigen Totenfeier erwarten! — Ging dieser in seiner l) „Eine Fahrt von München nach Altötting, dem bayerischen Volke erzählt." München 1864, Manz.

107. Mit einem KönigSherzen.

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Art so seltene Trauerzugx) zwei Tage in feierlichem Schritte doch nur durch

eine einzige kleine Stadt, durch zwei bescheidene Märkte, unbekannte Dörfer und zerstreute Weiler und gar lang oft nur auf einsamer, heißer Landstraße inmitten wogender Ährenfelder oder am schattigen Saum eines rauschenden

Forstes! Aber von einer viel wettvolleren Totenfeier, wie sie keine Residenz einem beweinten Monarchen würdiger bereiten kann, habe ich zu berichten — von der Totenfeier einer wahrhaft rührenden Liebe und Pietät für den königlichen Verklärten, die seinem gebrochenen Herzen auf allen Wegen dieser letzten Fahtt

entgegenkam. Wie viele von den Hunderten, die in dichten, sinnenden Reihen am frühen Morgen des 11. Juli dem aus seiner Residenzstadt unter dem Trauerklang aller Glocken scheidenden Herzen ihres vielgeliebten Königs Max den letzten

stummen Abschied sagten, überkam nicht eine eigene Wehmut, als der Trauerzug jene herrliche Straße hinunterfuhr, die Entstehen und Namen diesem nun längst erkalteten Herzen verdankt, an dessen stolzer Schönheit es so manches Jahr mit solcher Wärme gehangen, in der es so manche neue Zierde nimmer erleben durfte! — Wie vielen Hunderten sind nicht wie vor vier Monaten die Augen wieder naß geworden, als sich die Wagen über die neue Jsarbrücke bewegten

und die nach langer, düsterer Regenzeit zum erstenmal wieder in der Morgen­

sonne glänzenden, prächtigen Gasteiganlagen diesem für Naturschönheit so be­ geisterten Herzen ihres königlichen Schöpfers den letzten Abschiedsgruß herüber­ rauschten! — Und als dann die alte Leibgarde, die den ernsten Zug von der Königsburg durch alle die vollendeten Bauwerke des Höchstseligen bis zur Höhe

des noch unfertigen Maximilianeums begleitet hatten, nun ebenfalls dem Herzen

ihres einstigen Gebieters Lebewohl sagten und der noch formlose Koloß wie ein stummberedter Mahner an irdische Vergänglichkeit auf die Silberurne mit

dem Herzen seines königlichen Bauherrn herniederschaute, der sich an seiner Vollendung nimmer erfreuen durste: welchen denkenden Zuschauer hätte da nicht tiefer Lebensernst ergriffen! So fuhren die drei Wagen dann mit den funkelnden Kürassieren hinaus aus der stolzen, menschendurchwogten Königsstadt durch die einsamen Gefilde der weiten Hochebene. Die vaterländische Alpenkette glänzte in durchsichttger Bläue zu uns herüber und die Lerchen stiegen jubelnd in den sonnigen Himmel.

Das Geläute der Dorfglocken nah und fern gab der ganzen Landschaft eine sonntägliche Stimmung.

Und mitten in dieser blühenden, duftenden und klin-

*) Den Zug eröffneten zwei berittene Gendarmen, dann folgten ein vierspänniger, hieraus ein sechsspänniger Wagen mit den beiden K. Kämmerern Frhr. v. Redwitz und Gras Irsch, endlich zwölf Kürassiere in Gala vor und zwölf hinter dem mit sechs Rappen bespannten letzten Wagen mit dem königlichen Herzen, das an der Seite eines K. HoskommissärS der K. Hofstiftsdechant Lehner in einer umflorten silbernen Urne trug.

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107. Mit einem Königsherzen.

genden Natur dieser Zug mit dem toten Herzen des geliebten Königs! — Ein Gegensatz, der auf der langen, zweitägigen Fahrt sich auf allen Wegen wieder

aufs neue geltend machte. Aber auch von den vielen Tausenden, denen der Trauerzug begegnete, störte nicht ein einziger diese feierliche Stimmung. Mit entblößten Häuptern in lautloser Ehrfurcht, meist auch mit gefalteten Händen und im sonntäglichen

Kleid standen sie längs den Häusern ihres Dorfes oder sie hatten sich an den Seitenwegen auf freiem Feld und unter Baumgruppen versammelt, während

der Kirchturm ihres oft in weiter Ferne abseits liegenden Dorfes sein Trauer­ geläute zur Landsttaße herübersandte. — Und hatte auch gar manche dieser

erste günstige Tag auf Feld und Wiese zur lang verschobenen Arbeit verlockt, so hielten sie doch damit ein, sobald.sie nur aus der Ferne den Zug gewahrten, und entblößten das Haupt und manch eine Gruppe von Landleuten sahen wir mitten in ihrem Felde niederknien und dem Herzen ihres Königs ihr

gläubiges Gebet mit auf den letzten Weg geben. Wenn dann der hochwürdige Stiftsdechant all den großen und kleinen, andächtig harrenden Reihen in den

Dörfern, am Feldrain und am Waldsaume die silberne Urne mit dem Trauer­ flor darhielt, da sah man es den Leuten an den Augen an: das war keine

gemachte oder erheuchelte Rührung, sondern der schlichte Ausdruck altbewährter bayerischer Treue und Ehrfurcht für ihr Königshaus, daraus dieses Herz als

eines der edelsten für das Wohl und den Frieden des Landes so aufrichtig gesorgt, so wohlmeinend geschlagen hatte. Auf der Höhe von Neufahrn blickten wir nochmals nach München zurück,

das ein sonniger Hauch überwob, und fuhren dann bergab, während der An­ zinger Forst in dunkler Fläche hinter dem gleichnamigen Dorfe sich ausdehnte. Schon auf der Landstraße wurde der Zug in feierlicher Prozession von der Geistlichkeit, den Beamten und dem zusammengesttömten Volke eingeholt und so zogen wir durch das Dorf Anzing und geleiteten unter dumpfen Po-

saunenstößcn das königliche Herz in die Kirche an demselben Försterhause vor­

über, in dem es so manches Jahr nach glücklich vollbrachtem Weidwerke bei fröhlichem Mahle sich ergötzt hatte. — Man war in München im Zweifel ge­ wesen, ob sich wohl zur Ehrenwache in Anzing genug Landwehrmänner vor­ finden würden, und schon waren zur Vorsorge die Kürassiere zu diesem Dienste

beordert. Aber zwei vollständige Kompagnien Landwehr, von je einem Major geführt, von denen die eine von Grafing, die andere von dem fünf Poststunden entfernten Erding aus völlig freiem Antriebe herübergekommen waren und

durch das Dorf bis an die Kirche Spalier gebildet hatten, bewiesen deutlich, wie das Volk, das einst den lebenden König so hoch gehalten, nun auch jetzt für sein totes Herz, ohne jeden amtlichen Befehl, aus treuer Liebe von selbst zu sorgen wußte.

Nachdem der Stiftsdechant unter Assistenz einer Menge

von Geistlichen aus der Umgegend das königliche Herz auf dem würdig ver­ zierten Katafalk beigesetzt hatte, während ein Männerchor nach besten Kräften

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107. Mit einem König-Herzen.

einen Trauergesang ausführte, nahm der Ortspfarrer das Offizium ab.

Kinder

in weißen Kleidern mit schwarzen Schärpen standen von der Türe bis zum Altare und hier wie überall hielten Unteroffiziere der Landwehr die Toten­ wache.

So hatte das kleine Dorf im Vereine mit der weiten Umgegend sicht­

lich all seine

bescheidenen Kräfte aufgewendet um das königliche Herz so

würdig als nur irgend möglich zu empfangen und zu beherbergen, und diese Überzeugung wirkte ergreifender als ein hundertmal größerer Pomp bei viel­ leicht mehr denn tausendmal größeren Mitteln.

Um 2 Uhr zogen wir weiter gegen Haag, das wir um 6 Uhr er­ reichten. Schon aus der Ferne wehte uns von dem malerischen Turm des alten Schlosses der Grafen von Haag eine riesige schwarze Flagge entgegen.

An der Grenze des Marktes umwogte den Zug eine dichtgedrängte Volksmenge und eine für diesen bescheidenen Flecken über alle Erwartung große Prozession von Geistlichen, Beamten, Zünften mit wehenden Fahnen, Bürgern mit bren­ nenden Fackeln, zahlreichen Abgeordneten der Gemeinden und einer Schar von Mädchen in weißen Kleidern mit über die Brust niederwallendem Flor geleitete den Zug durch das Spalier der Landwehr unter Trauermusik in das Innere

des Marktes. Noch mehr aber waren wir erstaunt, als wir bei dem höchst feierlichen Einzug fast von jedem Giebel eine schwarze Fahne niederwehen und alle Wände der Häuser von schwarzen Tüchern und unzähligen, mit Flor umschlungenen Kränzen geziert sahen. Auch dem kleinsten Hause fehlte nicht

sein so gut gemeinter Trauerschmuck und wäre es auch nur ein schwarzes Hals­ tuch gewesen, das zwischen zwei Tannenkränzen mit schwarzen Papierstreifen aus dem niedern Fenster niederhing, au8 dem ein altes Mütterlein betend herab­ schaute. Aber sicherlich war die Absicht so gut und ehrlich, als sie das größte

Banner offenbarte, das mit silbernen Sternen um den bayerischen Schild auf dunklem Grunde von einem der schönen, im gotischen Stile nach dem Brand neuerbauten Häuser in den heiteren Abend flaggte. Säulen aus grünem Fichtenreis standen längs der Straße bis zum Portale der Kirche, die zur Nachtherberge des königlichen Herzens, seiner völlig würdig, mit allem Aufwand

sinnigen Geschmackes und völlig auf eigene Kosten der Gemeinde zu

Hause der Trauer auf das reichste ausgeschmückt war.

einem

Nach dem Offizium

hielt der würdige Pfarrer des Marktes eine sichtlich aus dem Herzen kommende patriotische Anrede und forderte die Kinder auf, einen prachtvollen Blumen­ kranz vor dem Katafalke niederzulegen, der auf seidenen Bändern die Inschrift trug: „Dem besten Herzen unseres unvergeßlichen Königs die dankbare Markt­ gemeinde Haag."

Darauf bat er den K. Hofkommissär den Kranz mit in

die Königsgruft nach München zu nehmen, welche Bitte gerne erfüllt worden ist. Als er endlich sich gegen die silberne Urne wandte und sagte: „König­ liches Herz, so bleibe gerne hier diese Nacht, du sollst bei uns gewiß gut auf­

gehoben sein!" und sodann die dichtgedrängte Schar in der Kirche und be­

sonders auch die Kinder zum Gebet in dieser Nacht ermahnte, da sahen wir

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107. Mit einem Königsherzen.

gar manche aufrichtige Träne rinnen,

vor allem aber auch aus den Augen

der treuen Diener ihres verklärten Herrn, die rechts und links den Katafalk

umstanden. Es lag eben in dieser ganzen Totenfeier so gar nichts Gemachtes oder Befohlenes. Alles ging unmittelbar zum Herzen, aus dem es auch ge­

kommen, und wirkte darum um so tiefer. Bei Anbruch der Nacht loderten aus den grünen Säulen vor dem Kirchen­

portale wie in den Straßen düster qualmende Pechflammen in den unbewölkten, sommermilden Sternenhimmel und der Mahnung chres Seelsorgers treulich folgend füllte betendes Volk die hell erleuchtete Kirche bis zum frühen Morgen.

Das zwei Stunden entfernte Redemptoristenkloster Gars am Inn hatte zur Nachtwache seine Patres hergesandt. Und von Stunde zu Stunde der Nacht

wechselten vor dem blumenreichen Katafalk kniende Mädchen. Am anderen Morgen, den 12. Juli, Schlag 6 Uhr, nach vorher mit Choral sehr würdig abgehaltenem Requiem ging der Zug weiter gegen Ampfing.

— In glühender Sonnenhitze gab die Landwehr mit Musik dem königlichen

Herzen noch eine volle Stunde das Ehrengeleite. Und als wir auf der steilen Höhe von Ramsau noch einen Blick auf den malerischen Markt warfen, den auch an diesem Morgen die Alpen in heiterster Fernsicht umsäumten, da war unter uns allen nur ein Gefühl, daß die braven Haager wirklich in herzlichem

Patriotismus alles Erdenkliche getan hatten um das Herz ihres „unvergeßlichen

Königs" zu ehren. Auf dem Wege von Haag nach Ampfing stand mitten auf der Land­ straße, zu der aus einem unter Obstbänmen versteckten, ziemlich entfernten Dorfkirchlein der Glockenklang zu uns herüberwehte, eine kleine Schar Schul­ kinder in sonntäglichem Kleide zu beiden Seiten des Weges und grüßten mit chrem Lehrer mit ganz

besonders ehrerbietigen Verbeugungen. — Als wir

dann nochmals zurückschauten, sahen wir die Straße, wo die Kleinen standen, mit Laubwerk und Blumen dicht bestreut. Wie hieß dieser sinnige Lehrer?

Wie hieß dies entlegene Dörflein?

Wir wußten es nicht.

Aber das wußten

wir, daß, wenn'der verklärte König von diesen seinem Herzen zu Ehren auf einsamer Landstraße von Kinderhänden hingestreuten Blumen etwas wissen

könnte, sie ihn gewiß ebenso freudig gerührt haben würden wie uns selber. Wir sagten uns später alle, daß dieser also überstreute Weg zu den schönsten Erinnerungen auf dieser ganzen, an erhebenden Bildern so reichen Fahrt

gehörte. - Um 10 Uhr erreichten wir den althistorischen Boden der Ampfinger Walstatt. Welch neuer Vergleich drängte sich unserer Stimmung wieder von selber auf! Das Herz des kaiserlichen Ahnherrn vor mehr denn fünf Jahr­ hunderten auf dem damals von Eisen und Schlachtgeschrei wild durchdröhnten Gefilde, in blutigster Streitlust entbrannt und heute das Herz dieses bayerischen

Friedensfürsten durch dieselben von Lerchen umsungenen Fluren auf seiner stillen Fahrt zur letzten Ruhe!

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107. Mit einem KönigSherzen.

Was soll ich von dem Orte selber Neues berichten? Auch Ampfing zollte dem königlichen Herzen im selben Maße wie Anzing den vollen Tribut dankbarer Liebe. Nach würdiger Beisetzung und Abholung des königlichen Herzens be­ gleitete die Geistlichkeit und ein Bataillon Kraiburger Landwehr nebst 70 Zög­

lingen des Salesianer-Institutes aus dem nahe gelegenen großartigen, vor­

mals gräflich Geldernschen Schlosse Zangenberg noch bis an die Grenze der Ampfinger Markung den Zug durch eine zahllose Volksmenge. Auch dieser kleine Ort hatte vollkommen bewiesen, daß Treue und Liebe des Volkes zu

seinem Königshaus in Bayern noch keine leeren, unwahren Begriffe sind. Gegen halb 4 Uhr kamen wir auf die Höhe von Ecksberg. Unter uns rauschte der Inn mit wildgeschwollener Flut ins weite, stuchtbare Talgefild. Die Schneehäupter der Salzburger Alpen glänzten in hehrer Majestät

zu uns herüber.

Die Glocken der Kirche von Ecksberg vermengten ihren

Trauerklang mit einem anderen fernen Geläute tief unten im Tal. Und als der Trauerzug langsam vorüberfuhr, da stand — welch eigentümlich weh­ mütiges Bild in dieser steien, erhabenen Natur! — der durch seine hochherzige Anstalt weithin bekannte Pfarrer von Ecksberg an der Spitze seiner bemit­ leidenswerten, stumpfsinnigen Pflegekinder und sie hielten alle die rechte Hand

aufs Herz und grüßten mit blödem Antlitz den ernsten Zug, den ihr geistiges Auge wohl nur wie durch einen Schleier verdüstert beschaute.

Bald darauf verkündeten noch auf der

Höhe ferne

Böllerschüsse die

Nähe von Mühldorf am tiefen Ufer des Inn. Da dort nach dem ursprüng­ lichen Programm gar nicht still gehalten werden sollte, hatten die Bewohner Mühldorfs in München die Bitte gestellt, daß das königliche Herz, wenn auch nur eine Viertelstunde, in ihrer Stadtkirche beigesetzt werden möge, damit sie

ihm wenigstens int Gotteshause ihre Liebe und Dankbarkeit sichtlich beweisen könnten.

Diese Bitte ward ihnen denn auch gewährt.

Ich will nun gar nicht reden von der überaus zahlreichen und. festlichen

Prozession, die den Trauerzug durch die mit ihren flachen Dächern und arkadenartigen Hallen völlig an südlichen Typus mahnende Haupfftraße ge­ leitete. Besonders die reichen Standarten der Zünfte und die Scharen von weißen Mädchen und Jungstauen mit weißen Rosen und Myrten im Haar

schufen einen wahrhaft poetischen Anblick.

Dazu der Trauermarsch der Land­

wehr, durch deren Reihen der Zug in die Kirche wallte, und über allem ein unbewölkter Himmel, schweigend und feierlich, wie die an den Fenstern und

auf der Straße dichtgedrängte Volksmenge — eine Stimmung so

ganz des

toten Königsherzens würdig, dem dies ehrfurchtsvolle Schweigen galt. Aber von ihrer Kirche will und muß ich den Mühldorfern laut zum

Ruhme nachsagen,

daß ich wie die anderen Mitglieder der Hofkommission

wohl nicht leicht ein mit reicherem Aufwand und ausgesuchterem Geschmack geschmücktes Gotteshaus gesehen habe. Der ganze Chor der alten, auch

107. Mit einem KSnigSherzen.

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architektonisch sehr malerischen Stiftskirche war in einen duftenden Gatten umgezaubett. Aus großen Beeten von Moos leuchteten die seltensten Blumen­ gruppen, wie sie nur der hiesige Glaspalast im Mai uns schauen ließ, und

Hunderte von Kerzen,

jede von

einem Flor umschlungen, umstrahlten aus

funkelnden Leuchtern, stufenweise aufgestellt, den sichtlich völlig neuen, silberbefranzten

Katafalk,

darauf

die

Silberurne

stand.

Den dunkeln Hinter­

grund schmückten sehr schön ausgefühtte Wappen und Schilder.

Ausschmückung

trug den Stempel der Wahrheit an sich,

Die ganze

daß es der Stadt

mit ihrer Trauer heiliger Ernst war. Wahrhaftig, ich wünschte beim An­ schauen dieser Stiftskirche eines kleinen Provinzialstädtchens recht von ganzem Herzen, es hätten alle Bayern,

die Höchstgestellten in der Residenzstadt wie

der ärmste Bauer eines Dorfes im Spessart, mit uns ansehen und bewundern können, mit welcher sinnigen Pietät und opferfteudigen Liebe diese bescheidene Stadt Mühldorf das Herz ihres Königs zu beherbergen wußte — für eine

einzige, flüchtige Viertelstunde! Bald darauf fuhren wir über die bedeckte Jnnbrücke, ebenfalls eine

des königlichen Namens Maximilian. Die ganze Schar der so schön geschmückten Kinder und Jungfrauen hatte sich dott zu beiden Seiten Trägerin

zum Abschied aufgestellt.

In der gehobensten Stimmung zogen wir in der

Niederung des Inn weiter gegen das Ziel dieser unvergeßlichen Fahtt — dem altberühmten Wallfahrtsorte Altötting zu. Auf dem Wege dahin will ich indessen auch des kleinen Weilers Teising nicht vergessen, der dem königlichen Herzen eine Einzugspforte errichtet hatte mit der Inschrift:

„Ausdruck der

innigsten Liebe und tiefsten Ehrerbietigkeit." Schon weit über eine Stunde vor Altötting, dessen schlanke Türme wir

längst vor uns sahen, wuchs an jedem Seitenwege die Schar der dotthin Wandernden und eine Viertelstunde vor dem Wallfahrtsort umwogte den Zug eine solche Volksmenge, daß er sich nur mit Mühe bei dem stets wieder stockenden Gedränge fortbewegen konnte. Aber trotzdem störte nicht ein einziges lautes Wort die feierliche Haltung des immer dichter zusammenströmenden Volkes, das längs der Straße harrte oder auf den Bäumen saß, ja bei den

ersten Häusern in Altötting sogar auf den Dächern stand. In unabsehbarer Prozession an das Pottal der Stiftskirche geleitet ward die Hofkommission von dem hochwürdigsten Herrn Bischof von Passau im Pontifikalschmucke nebst vier Domherren empfangen, ebenso von mehreren

Adeligen, von Beamten des Bezirkes und von der vollzähligen Landwehr. Hierauf ward das königliche Herz in der Stiftskirche auf einem reichen, von Kerzen umstrahlten Taburet beigesetzt.

Vor dem Presbyterium stand ein

mit Krone, Szepter und dem königlichen Wappen geschmückter, prachtvoller Katafalk. Unter Anwesenheit von mehr als 150 Geistlichen, deren einige aus

dem tiefsten Bayerischen Wald herbeigeeilt, ward hierauf von dem hochwürdigsten Herrn Bischof die Vigil abgehalten.

Die Kirchentüren blieben während der

107. Mit einem Königsherzen.

ganzen Nacht offen.

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Die geräumigen Hallen waren keine Minute von beten­

dem Volke leer. — So harrte das Herz König Max' II. bis zum andern Morgen auf uralt historischem, geweihtem Boden, nur wenige Schritte von den Gebeinen Karlmanns, des Enkels Karls des Großen.

Noch bis zum Jahre 1861 waren auf einem marmornen Denkmale auf dem Fußboden des Chores die mehr als merkwürdigen Worte zu lesen,

die

aus dem Lateinischen übersetzt also lauten: „Im Jahre 1119 nach Christi Geburt sind aus der Mitte der Kirche hierher übersetzt worden die Asche und Überreste der wenigen Gebeine Karl­

manns, Königs von Italien und Bayern und Erbauers dieses Gotteshauses, welcher im Jahre 880 dahier gestorben ist." Die Grausamkeit der Hunnen hat durch Raub und Brand alles von Grund aus zerstört. Heute befindet sich dieses Denkmal an der Seitenwand der Pfarrkirche

und eine einfache Aufschrift auf einer Marmorplatte innerhalb des Speise­ gitters zeigt an, daß die wenigen Gebeine Karlmanns noch hier liegen. Karlmann und Maximilian II. — Welches welthistorische Riesengrab von Vernichtung liegt zwischen diesen beiden Namen! — Und die nun noch

zwei Jahrhunderte ältere „Heilige Kapelle", dieses winzige Kirchlein mit seinem hölzernen Muttergottesbilde des heiligen Rupert, dem Gegenstände zwölf­

hundertjähriger gläubiger Verehrung» steht noch

alten Platze.

heute

unversehrt auf dem

Ein Gedanke, der sich jedem Denkenden hier aufdrängt, mag er

noch so viel oder noch so wenig von dem Glauben jener vielen Millionen

halten, die seit der grauen Vorzeit der ersten Christen in Bayern bis zu diesem Tage des 19. Jahrhunderts vom erhabenen deutschen Kaiser bis herab zum niedrigsten Untertan um Trost und Hilfe hieher gepilgert sind. Am anderen Morgen ward in der Stiftskirche mit aller Pracht des katholischen Kultus von dem hochwürdigsten Herrn Bischof das Requiem zelebriert unter Mozarts tiefergreifenden Tönen. — In großartigem Zug, wie

ihn das Programm . vorschrieb,

trug der hochwürdige Stistsdechant Lehner

unter dem Baldachin, von je zwölf Kürassieren geleitet, das königliche Herz um den weiten, freien Platz.

Eine Abteilung Landwehr schloß den ernsten,

langen Trauerzug, über dem aus düsterem Himmel

heute schwere Gewitter­

drohend niederhingen, während die lang gezogenen, ergreifenden Posaunenstöße im Verein mit dem Geläute aller Glocken und den vielen wolken

schwarzen Trauerflaggen die Stimmung tiefsten Ernstes noch erhöhten. Dazu diese zahllose Volksschar, lautlos harrend, betend und ergriffen. Wahrhaftig eine Haltung von all den Tausenden, des Verklärten und seines treuen, baye­

rischen Volkes würdig. Wie könnte ich sie alle namentlich erwähnen diese Abgesandten der Ge­

meinden aus Ober- und Niederbayern, die freiwillig herbeigeeilt waren, um hier wie auf dem ganzen Wege dem königlichen Hofkommissär den Ausdruck der Trauer um den Vater und der Liebe und Ergebenheit für den Sohn in

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107. Mit einem Königsherzen.

den herzlichsten Worten kundzugeben. Aber eine Deputation muß ich aus­ drücklich mit Namen nennen. Der reiche Kranz von Edelweiß an dem Kata­ falke in der Stiftskirche, der von ihr aus weiter Ferne hergebracht ward, um

das Königsherz auch noch hier zu ehren, das sich so manches Jahr in chrer prächtigen Gebirgsheimat so wohl gefühlt hatte, dieses letzte sinnige Pfand der Pietät mahnt mich an diese Pflicht zu laut: das waren die Abgesandten

aus den Bergen von Berchtesgaden. Vor der heiligen Kapelle bildete der große Zug einen weiten Kreis.

Das königliche Herz zog ein in das von fünf Lampen Tag und Nacht er­ leuchtete, zwölfhundertjährige, enge, dunkle Oktogon mit dem Gnadenaltare.

Der hochwürdigste

Bischof,

die königliche Hofkommission und die Beamten

folgten. In der anstoßenden, größeren, im 15. Jahrhundert von Siegmund, Erzbischof von Salzburg, angebauten Kapelle erklang ergreifend ein hundert­ stimmiges Benediktus der Priester. — Der Bischof sprach die letzten Gebete. Die

Silberurne ward des Flores entledigt. Und bald darauf hatte das königliche Herz seine letzte Stätte gesunden in einer mit Glas bedeckten silberumrahmten Nische, dicht über dem schmalen Portale, dem uralten Muttergottesbilde zu­ gewendet, vor dem in so vielen Jahrhunderten Kaiser und Könige, Herzoge

und Kurfürsten gekniet und gebetet haben. Nach altem Brauch bei jeder Bei­ setzung eines fürstlichen Herzens nahm der Bischof noch das Gnadenbild aus

seinem mit Gold und Silber reich verzierten Zelte und bot es der Hof­ kommission zum Kusse dar. — Flüchtig beschauten wir all die anderen Nischen mit den Herzen aus dem bayerischen Fürstenhause, von dem des großen Kur­

fürsten Maximilian L, das seit 1651 hier ruht, bis herab zum „besten Herzen" des ersten Bayernkönigs Max. Nochmals warfen wir einen scheidenden Blick auf die Urne mit dem letzten teuern Herzen und der inhaltsvollen Inschrift unter dem Königswappen: „Gott und mein Volk". Der Trauergesang ver­

stummte;

unsere Kerzen

wurden

ausgelöscht.

Die

hehre

Totenfeier

war

zu Ende. Gewiß! — Wenn der Verklärte von dem ersten Auszuge aus seiner weiten ehemaligen Königsburg bis hierher in diese enge Nische der Altöttinger

Gnadenkapelle sein Herz im Geiste hätte mitbegleiten können, er würde bei diesem vollgefüllten Maße von Pietät und Liebe auf diesem langen Wege voll freudiger Rührung ausgerufen haben: „Mein Volk, ich danke dir!"

Und der königliche Sohn, der mit dem Szepter auch die ganze Liebe des treuen Bayernlandes erbte, er möge auch diese glorreiche Fahrt mit dem Herzen des höchstseligen, vielgeliebten Vaters als ein Pfand dafür erkennen, welch beneidenswertes

Los ihm unter den Fürsten dieser Welt zugesallen, der König eines solchen Volkes zu sein.

108. An König Ludwig II. von Bayern.

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108. An König Ludwig II. von Bayern. Don Martin (Breif.1)

Selig der Fürst, Dessen Thron die Musen Rah umstehn!

Aber des strahlendsten Ruhms erfreut sich Unter den waltenden Herrschern Doch des Gesanges Freund.

Ihrer Anmut Stimme Füllt sein Haus mit Wohlklang; Zwischen der Säulen Dämmer Fortgehallt vom Gewölbe Tönt ihr Reigen; Zugekehrt dem Horchenden Singen sie wechselnd Und sie Kränzen im Thore Seinen huldgeneigten, Mild gebietenden, Friedlichen Szepter Still mit unwelklichem Lorbeer.

An der Menschheit heiligsten Kämpfen Nimmt er tätig teil Ohne zu erlegen schicksalsvoll Den verhangenen Preis in Blut und Tränen. Seine Scharen bilden Geister ja Und die Waffen, die sie klingend führen, Sind der mächtigen Kunst Lichte Gedanken. Doch befeuernd allen voran Zieht er selbst, gewappnet königlich; Weit gepriesene Großmut ist sein Heer­ horn Und sein Schild ist die Weisheit. So gewinnt er ringend ewige Kränze. Die sonst alles verwüsten, die neidischen Jahre, Müssen sein Recht ihm lassen; Seinen Stern bewältigt nimmer ein Dunkel.

Wer hat je gehört, daß ein König verging, Dem ein dauerndes Leben Eine der Musen Kundig geweissagt?

Machtvoll in des Ruhms Posaune Stößt der starke Schlachtengott Und in beneideten Marmorgrüften Schläft nach tatvollem Leben, Heiß erstrittener Ehren müde, Glorreich gebettet der einsame Sieger. Selbst Barbaren stammeln des Eroberers Namen, Hochgelobt sind der Reiche Gründer: Aber auch ihren Taten folgt Endlich Vergessen. Alle gekreuzten Trophäen Und im Triumphkleid strotzende Riesen­ bogen Wiegt als Denkmal auf das trautere Bild, Das in des treuen Volkes Herz Unverwandelt webend Wie im Moos die Blume Spät noch an den Helden erinnert.

Ihn lobpreist das entfernteste Alter Und Geschlecht von Geschlecht lernt Rings auf der Erde Seinen auf des Liedes Fittich Schwebenden, dankbar Fortgesungenen Namen.

Seiner Tage Morgenlicht, Herrlich glänzt es die Dahn zurück Und es dringt zu den fernhin Lebenden Immerdar sein erweckender Schimmer. Aus der Gebilde Reihen, Die sein Wunsch hervorrief, Atmet er wieder. Ihren haftenden Duft beut Auferschlossen die Blume der Dichtung Stets, wie da sie zuerst ihm erschienen.

1 „Gesammelte Werke", I. Band, Z. 309.

Leipzig 1896, Amelang.

524

109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig II.

Heil dir, o Herr, der du dem zagenden Sänger zuriefst, Fühlend in teilnahmloser Zeit: Singe! Doller rauscht sein Saitenspiel, Seit er weiß, daß manchmal Du ihm lauschest. auch möchte des Beglückten Hand Dir ein Weihegeschenk erheben, Schimmernd gefügt, Reingestimmt und lauter, Würdig deines ernsten Sinnes; Gern

Aber bewegt vom Gedanken Sinkt ihm der Mut fast.

Statt die festliche Halle Dir empor zum Giebel zu kränzen Und ins verschlungene Laubgewinde Einzuweben dichte Knospen in Füll«, Streut er in Ehrfurcht heute Leicht auf den Pfad dir Wenige Blumen. Selig der Fürst, Dessen Thron die Musen Nah umstehn!

109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig II. Don Sebastian Röckl.l) „Womit kann Eurer Majestät ein Herzenswunsch erfüllt werden?" „Ich will Richard Wagner kennen lernen." — Es zeugt von freiem, hochsinnigem Mute und einer wahrhaft königlichen Begabung, daß der so streng erzogene junge Ludwig II. mit stolzer Vorurteils­

losigkeit eine geniale Persönlichkeit berufen wollte, die in seinen Kreisen schon wegen ihrer politischen Vergangenheit schwerlich der schärfsten Beurteilung ent­ gangen war, daß er entschlossen die Bahn seines Vaters und Großvaters ver­ folgte, die beide den schöpferischen Geistern in Kunst und Wissenschaft überall

jene Hochachtung gezeigt hatten, die man damals an manchen anderen deutschen Fürstenhöfen vergeblich suchte, daß er ein seit mehreren Dezennien für Bayern als segensreich bewährtes System im ganzen übernahm und doch wieder eine

vollständig neue Richtung in demselben einschlug. Begründet wird die Berufung gewöhnlich mit dem Entzücken, welches der fünfzehnjährige Kronprinz über Wagners „Lohengrin" empfand. Gewiß

mußte diese Oper aufs lebhafteste seine Phantasie erregen, nicht weil sie ihm eine neue Welt erschloß, sondern weil sie in derjenigen spielte, welche ihm von seinem Lieblingsaufenthalt Hohenschwangau innig vertraut und damals seine

Welt war. Leopold von Ranke äußerte sich 1868 einmal, er habe erfahren, daß gerade das Wort „Zukunft" Ludwig für die Wagnersche Musik gewonnen hat. Der phantasievolle Jüngling, der seinen Ideenflug ost durch ein nüch­ ternes Wort seiner Umgebung gehemmt sah, dessen Traum von einem schönen Königtum man nicht selten die rauhe Wirklichkeit gegenüberstellte, fand seine *) König Ludwig II. und Richard Wagner 1864/65, S. 1 ff. Oskar Beck.

München 1903,

109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig U.

525

wünschenswerte Welt, die Vorstellung seiner mehr gefühlten als begrifflich

geordneten Zukunft vor allem in den Tönen der Musik zum Ausdruck gebracht. Als er nun einmal anläßlich eines Besuches bei den Prinzessinnen Max von

demselben Meister, dessen „Lohengrin" und „Tannhäuser" auf ihn einen so tiefen Eindruck gemacht, die Schriften „Das Kunstwerk der Zukunft", „Zu­ kunftsmusik" auf dem Klavier liegen sah, da griff er mit brennender Begierde

danach, las diese Offenbarungen, studierte mit glühendem Eifer auch die übrigen Bücher Wagners und erkannte in jenen Schriften das Evangelium der Zukunft der Kunst. Die schmerzliche Frage, die der Meister am Schlüsse des Vorwortes zur Dichtung vom Ring der Nibelungen stellt: „Wird der Fürst sich finden, der

die Aufführung meines Bühnenfestspiels ermöglicht?" beantwortet der Jüng­

ling mit dem Ausruf:

„Wenn ich einst den Purpur trage, will ich der Welt

zeigen, wie hoch ich das Genie Wagners zu stellen wissen werde."

Kaum besteigt er den Thron, so rettet er den im äußersten Elend Schmachtenden in elfter Stunde und mit ihm ein wesentliches Stück Unsterb­ lichkeit deutschen Geistes. Wagner hält diese Rettung für ein wundervolles

Glück von göttlicher Abkunft; denn enge Beziehungen bestanden zwischen seinem

und seines Schirmherrn Leben. „In dem Jahre (1845) der ersten Aufführung

meines Tannhäuser,"

schreibt Wagner an Frau Willes, „des Werkes, mit dem ich meinen neuen, dornenvollen Weg betrat, in dem Monat (August), in welchem ich zu so über­ mäßiger Produktivität mich gestimmt fühlte, daß ich den Lohengrin und die Meistersinger zu gleicher Zeit entwarf, gebar eine Mutter mir meinen Schutz­

(25. August 1845.) „In der Zeit, wo ich in Luzern meinen Tristan beendigte, mich unsäglich

engel."

mühte die Möglichkeit einer Niederlassung auf deutschem Boden mir zu ge­ winnen und endlich verzweiflungsvoll mich nach Paris wandte um dort in Unternehmungen mich abzumühen, die meiner Natur zuwider waren, damals

wohnte der fünfzehnjährige Jüngling zuerst einer Aufführung meines Lohengrin bei, die ihn so tief ergriff, daß er seitdem aus dem Studium meiner Werke und

Schriften seine Selbsterziehung in der Weise bildete, daß er offen eingesteht, ich sei sein Erzieher und Lehrer gewesen.

Er- verfolgt meinen Lebenslauf und

meine Nöten, meine Pariser Widerwärtigkeiten und nährt nun den einzigen Wunsch die Macht zu gewinnen mir seine höchste Liebe beweisen zu können.

Im Anfang März dieses Jahres ward mir das Mißlingen jeden Versuches meiner zerrütteten Lage aufzuhelfen klar: allem dem, was so abscheulich un­ würdig eintraf, sah ich offen und hilflos verzweifelnd entgegen. Da — ganz unerwartet — stirbt der König von Bayern und mein mitleidvoller Schutz­

engel besteigt den Thron.

Vier Wochen nachher ist bereits seine erste Sorge

‘) Brief vom 26. Mai 1864.

526

109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig TL

nach mir auszusenden: während ich den Leidensbecher bis auf die untersten Hefen leere, sucht mich der K. Abgesandte bereits in meiner herrenlosen

Wohnung in Penzings) auf.“ Wagner ist aus Penzing vor seinen ungeduldigen Gläubigern entflohen,

wendet sich nach Mariafeld bei Zürich und fällt dort der ihm befreundeten Familie Wille als Gast ins Haus. Doch auch von hier treibt ihn nach un­ gefähr sechswöchigem Aufenthalt die Verzweiflung weiter, zunächst nach Stuttgart. An demselben Tage, da er sich gerade vorbereitet „irgendwo in der Welt zu verschwinden“, wo ihn die Dränger nicht finden könnten, als er

den Koffer packt um in die Einsamkeit der Rauhen Alb zu flüchten, wird ihm ein Besuch gemeldet; die Visitenkarte lautet: v. Pfistermeister, secrötaire aulique de 8. M. le roi de Bavifere. Von Wien nach Mariafeld, nach

Stuttgart war der Abgesandte des

bayerischen Herrschers dem Flüchtling

nachgereist. Er überreicht Wagner eine Photographie des Königs und einen kostbaren Rubinring und verkündigt ihm im Namen Ludwigs II., daß, so wie dieser Stein glühe, auch er vom Verlangen ihn zu sehen brenne. Wagner eilt in Begleitung des Abgesandten nach München. Am andern Tage macht er dem jungen König seine erste Aufwartung. Noch abends be­ richtet er fieudettunken der Freundin in Mariafeld von der wunderbaren Wen­ dung seines Geschickes: „Sie wissen, daß mich der junge König von Bayern auffuchen ließ. Heute wurde ich zu ihm geführt. Er ist leider so schön

und geistvoll, seelenvoll und herrlich, daß ich fürchte, sein Leben müsse wie ein flüchtiger Götterttaum in dieser gemeinen Welt zerrinnen.

Er will, ich

soll immerdar bei ihm bleiben, arbeiten, ausruhen, meine Werke aufführen; er will mir alles geben, was ich dazu brauche; ich soll die Nibelungen fertig machen und er will sie aufführen, wie ich will. Ich soll mein unumschränkter Herr sein, nicht Kapellmeister, nichts als ich und sein Freund. .. . Alle Not

soll von mir genommen sein, ich soll haben, was ich brauche — nur bei ihm soll ich bleiben. Von dem Zauber seines Auges können Sie sich keinen Begriff machen. Wenn er nur leben bleibt! Es ist ein zu unerhörtes Wunder. . ." Voll rührenden Mitleids, zarter Sorge, dankbarer Liebe und glücklich im Bewußtsein helfen zu können schreibt der König am nächsten Tage an den über seinen mächtigen Schutz Überseligen: „Seien Sie überzeugt, ich will alles tun, was irgend in meinen Kräften steht, um Sie für vergangene Leiden zu enffchädigen; die niedern Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, da­ mit Sie im reinen Äther Ihrer Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können! — Unbewußt waren Sie der Quell meiner Freuden,

von meinem Jünglingsalter an ein Freund, der mir zum Herzen sprach, mein

Lehrer und Erzieher.“ x) bei Wien.

109. Richard Wagners Berufung durch König Ludwig II.

527

Nach einigen Tagen setzt Wagner seine Reise nach Wien fort.

„Was

nur die verzweifelte Energie mit persönlicher Aufopferung hätte erreichen können,

ist nun zu ordnen ein leichtes Geschäft." Aus königlichen Mitteln bezahlt der mit Hast Bedrohte seine bettächtlichen Schulden. Nach wenigen glücklichen Stunden im Freundeskreis kehrt er leichten Herzens in seine „neue, letzte Heimat"

zurück um hier, „getrogen von der göttlichsten Liebe, das wundervolle Glück

zu genießen," das ihm sein Leiden geboren. — „Eine ruhige, schöne Wohnung, ein Garten mit ein paar prächtigen,

alten Bäumen" war immer einer der Lieblingswünsche Wagners. Am 14. Mai bewillkommnet ihn im Auftrag des Königs v. Pfistermeister im Pelletschen

Landhaus bei Kempfenhausen am lachenden Starnbergersee. stört ganz seiner Muse leben. Sein Wonnegefühl jubelt

aus

Hier soll er unge­

folgendem Briefe an seinen

Freund

Weißheimer.T) „Nur zwei Worte, um Ihnen das unbeschreibliche Glück zu bestätigen, welches mir zuteil geworden ist. Alles ist so eingetroffen, wie es sich schöner gar nie träumen ließ. Ich bin durch die Liebe des jungen Königs für alle Zeiten gegen jede Sorge geschützt, kann arbeiten, habe mich um nichts zu be­

kümmern; keinen Titel, keine Funktion, keine Art von Verpflichtung.

Nur, so­

bald ich etwas von mir aufführen will, stellt mir der König alles, was ich

irgend brauche, zur Verfügung."

„Der junge König ist für mich ein wundervolles Geschenk des Schicksals. Wir lieben uns, wie nur Lehrer und Schüler sich lieben können.

Er ist selig

mich zu haben und ich ihn ... . Er ist dabei so schön und tief, daß der Umgang mit ihm jetzt täglich hinreißend ist und mir ein völlig neues Leben gibt." Am 25. August ist des Königs Geburts- und Namensfest. Wagner eilt zur Beglückwünschung nach Hohenschwangau. Als Geburtstagsgabe überreicht

der Meister den „Huldigungsmarsch", in dem er dem Gefühl der Dankbarkeit

gegenüber seinem Genius begeisterten Ausdruck gibt, und mit dem im Juli erschienenen Klavierauszuge der „Walküre" folgende Widmung:

Dem königlichen Freunde. D König! Holder Schirmherr meines Lebens! Du, höchster Güt« wonnereicher Hott! Wie ring' ich nun, am Ziele meines Strebens, Nach jenem deiner Huld gerechten Watt! 3n Sprach' und Schrift, wie such' ich es ver­ gebens: Und doch zu forschen treibt mich's fort und fort Das Wort zu finden, das den Sinn dir sage Des Dankes, den ich dir im Herzen trage.

*) Bom 20. Mai 1864.

Was du mir bist, kann staunend ich nur fassen, Wenn mir sich zeigt, was ohne dich ich war. Mir schien kein Stern, den ich nicht sah er­ blassen, Kein letztes Hoffen, deffen ich nicht bar: Auf gutes Glück der Weltgunst überlaffen, Dem wüsten Spiel auf Vorteil und Gefahr, Was in mir rang nach freien Künstlertaten, Sah der Gemeinheit Lose sich verraten.

528

110. Der Feldzug vom Jahre 1866 in Süddeutschland.

Der einst mit frischem Grün sich hieß be­ lauben Den dürren Stab in seines Priesters Hand, Lieh er mir jedes Heiles Täuschung rauben, Da auch des letzten Trostes Täuschung schwand, 3m Inn ren stärkt' er mir den einen Glauben, Den an mich selbst ich in mir selber fand: Und wahrt' ich diesem Glauben meine Treue, Nun schmückt' er mir den dürren Stab aufs neue. Was einsam schweigend ich im Innren hegte, Das lebte noch in eines andren Brust; Was schmerzlich tief des Mannes Geist er­ regte, Erfüllt' ein Iünglingsherz mit heil'ger Lust: Was dies mit Lenzessehnsucht hinbewegte Ium gleichen Ziel, bewußtvoll unbewußt, Wie Frühlingswonne muht' es sich ergießen, Dem Doppelglauben frisches Grün ent­ sprießen.

Du bist der holde Lenz, der neu mich schmückte Der mir verjüngt der Zweig' und Aste Saft; Es war dein Ruf, der mich der Nacht ent­ rückte, Die winterlich erstarrt hielt meine Kraft. Wie mich dein hehrer Segensgruß ent­ zückte, Der wonnestürmisch mich dem Leid entrafft, So wandl' ich stolzbeglückt nun neue Pfade 3m sommerlichen Königreich der Gnade. Wie könnte nun ein Wort den Sinn dir zeigen, Der das, was du mir bist, wohl in sich faßt? Nenn' ich kaum, was ich bin, mein dürftig Eigen, Bist, König, du noch alles, was du hast: So meiner Werke, meiner Taten Reigen, Er ruht in dir zu hold beglückter Rast: Und hast du mir die Sorge ganz entnommen, Bin nun ich um mein Hoffen selbst ge­ kommen.

So bin ich arm und nähre nur das eine, Den Glauben, dem der deine sich vermählt: Er ist die Macht, durch die ich stolz erscheine, Er ist's, der heilig meine Liebe stählt. Doch nun geteilt, nur halb noch ist er meine, Und ganz verloren mir, wenn dir er fehlt. So gibst nur du die Kraft mir dir zu danken Durch königlichen Glauben ohne Wanken.

110. Der Feldzug Dom Jahre 1866 in Süddeutschland. Bon Heinrich Friedjung?)

Die preußische Hauptarmee war unter persönlicher Führung Moltkes binnen vier Wochen von der sächsischen Grenze bis an die Donau vorgedrungen. Auch im mittleren Deutschland fiel den Waffen König Wilhelms ein Erfolg nach dem anderen zu: alle deutschen Stämme bekamen in diesem Feldzuge die militärische Überlegenheit Preußens zu fühlen. Unmittelbar nachdem die Han­ noveraner bei Langensalza am 29. Juni die Waffen gestreckt hatten, erhielt

General Vogel von Falckenstein Auftrag die süddeutschen Staaten zu unterwerfen. Falckenstein hatte durch den Feldzug im Norden alles Wünschens­

werte erreicht, aber nicht ohne von seiner Aufgabe mehrmals abgewichen zu *) „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866", II. Band, S. 439 ff. Stuttgart und Berlin 1905 ®, I. G. Cotta.

529

110. Der Feldzug vom Jahre 1866 in Süddeutschland.

fein; es bedurfte wiederholter dringender Mahnungen seitens Moltkes um ihn rechtzeitig zur Umzingelung des Heeres König Georgs zu veranlassen.

Nun wandte er sich nach Süden, wo er es mit zwei Gegnern zu tun

hatte.

Der stärkere Feind Ware« die Bayern unter dem Oberbefehle ihres

Prinzen Karl; dann sammelte sich bei Frankfurt das 8. Bundeskorps, aus Württembergern, Badenfern, Hessen und Nassauern bestehend, denen die öster­

reichische Division Neipperg beigegeben war.

Das 8. Korps, die Reichsarmce

benannt, zog unter schwarzrotgoldener Fahne ins Feld. Es war Falckensteins natürliche Aufgabe die Vereinigung dieser beiden Truppenkörper zu hindern und jeden Teil vereinzelt zu schlagen. Die Bayern waren um den bedrängten Hannoveranern die Hand zu bieten nach Norden gezogen und bis Meiningen vorgedrungen, wo sie die Unglücksnachricht von der Kapitulation König Georgs erhielten. Darauf brachen sie nach Westen auf um ihre Vereinigung mit dem 8. Bundeskorps zu vollziehen. An dessen

Spitze stand Prinz Alexander von Hessen, der in der österreichischen Armee die Stellung eines Feldmarschalleutnants bekleidete und liessen in Italien ge­

wonnene Kriegserfahrungen ihn zu einem leitenden militärischen Posten zu be­ fähigen schienen. Prinz Alexander wollte den Bayern durch Kurhessen entgegenziehen und

sich etwa bei Fulda mit ihnen vereinigen.

Das aber mußte General Vogel

von Falckenstein verhindern. Auch sein Ziel war Fulda, weil er sich hier am leichtesten zwischen die feindlichen Heere drängen konnte. Indem nun die Preußen und Bayern von verschiedenen Richtungen demselben Punkte zueilten, stießen sie ftüher, als beide Teile vermuteten, aufeinander und maßen sich am

4. Juli in dem hitzigen Gefechte von Dermbach. Die Preußen zeigten sofort die Überlegenheit ihrer Taktik, aber das bayerische Fußvolk schlug sich wacker; Prinz Karl hielt sich nicht für besiegt, wich aber etwas aus um sein Heer zu konzentrieren und dann den Kampf mit besserem Erfolge aufzunehmen.

Er sah

indessen, daß es ihm nicht mehr möglich sei sich mit dem Bundeskorps bei

Fulda zu vereinigen; er hielt jedoch den richtigen Gedanken fest sich in den Hauptkampf nicht ftüher einzulassen, als bis er seine Bundesgenossen an sich gezogen hatte. Deshalb forderte er den Prinzen von Hessen dringend auf zu

ihm zu stoßen und bezeichnete ihm einen südlicheren Punkt, Kissing en, als

den Ort einer gefahrlosen Vereinigung. Da aber zeigte es sich, wie ungeeignet der Deutsche Bund durch seine militärische Verfassung für eine tüchtige Kriegführung war.

Wohl stand der

Prinz unter dem Oberbefehle des bayerischen Heerführers, aber dieser konnte

ihn nicht bestimmen sich dem wohlerwogenen Plane unterzuordnen. Denn der Bundestag, der noch zu Frankfurt tagte, wünschte, daß das 8. Korps vor allem diese Stadt decke, und ebenso sträubten sich Württemberg und Baden dagegen ihre Truppen von dem unteren Main abziehen zu lassen, weil ihr Land dadurch den Preußen geöffnet wäre. Jeder Landesfürst wollte vor Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-.

34

530

110. Der Feldzug vom Jahre 1866 in Süddeutschland.

allem das eigene Gebiet schützen und ließ dabei das Hauptziel des Krieges Besiegung des gemeinsamen Feindes, außer acht. ES widerfuhr somit bet Bayern das Schicksal, das sie dem österreichischen Heere bereiten halfen. Zwschen den Generalen Benedek und v. d. Tann war zu Olmütz verabrede

worden, daß die bayerische Armee nach Böhmen ziehen und sich mit dem öste> reichischen Heere vereinigen solle.

Die Münchener Regierung versagte aber de

Genehmigung dieses richtig gedachten Kriegsplanes um das eigene Land z»

schützen. General Falckenstein hatte nach dem Gefecht von Dermbach von bet Bayern abgelqssen um sich Frankfurts zu bemächtigen — ganz gegen die An ordnungen Molktes, der ihm vorschrieb

vor allem über die Bayern het-

zufallen und mit ihnen reinen Tisch zu machen. Wie ihm aber das 8. Bunden korps bis nach Frankfurt auswich, wandte er sich abermals um mit der Ab sicht den Bayern bei Kissingen an den Leib zu gehen. Manches läßt siy gegen seine Kriegführung einwenden und wirklich zürnten der König uw Moltke ernstlich über seine Eigenmächtigkeit. Aber die Schnelligkeit feinte

Märsche zeigte, daß er ein Befehlshaber von großer Energie war, und treffew wurden seine Bewegungen mit den Zügen des Springers auf dem Schachbrett

verglichen. Bei Kissingen nun griff er die Bayern am 10. Juli in ihrer Ver­ einzelung an. So tapfer sie auch kämpften, so waren sie doch dem Angriff

Göbens und seiner Westfalen nicht gewachsen und diese eroberten in einen blutigen Straßenkampfe die Stadt. Dann hielten ihnen die Bayern auf den hinter Kissingen sich erhebenden Sternberg stand, doch auch diese Stellung er­ stürmten die Preußen. Wohl wurde sie ihnen von den zähen Gegnern noy einmal abgenommen, aber zuletzt behielten sie auch hier die Oberhand und b«endeten den Tag mit einem entscheidenden Siege. Die Bayern zogen sich darauf gegen Osten, mainaufwärts, zurück, siy dadurch immer weiter von dem Korps des Prinzen von Hessen entfernend Falckenstein folgte ihnen nicht, sondern warf seine Truppen jetzt endlich rasy

gegen Frankfurt, wie er es schon längst ersehnte.

Wohl verlegte ihm dcö

Bundeskorps den Weg, aber er schlug dessen Vortruppen, die Hessen, zueri

bei Laufach am 13. Juli aus dem Felde und der auch hier siegreiche Göbet folgte dem Feind mit Macht nach Aschaffenburg. Die Stadt wurde von 700) Österreichern unter Neipperg besetzt gehalten, die sich vereint mit 10000 Hesse: aus Darmstadt am 14. Juli zur Wehr setzten. Aber die Österreicher wurdet

von den letzteren im Stiche gelassen und dann von der Überzahl der Feinte überwältigt; ein Teil von ihnen zog über die Mainbrücke ab, aber da de Preußen sich des Übergangs rasch bemächtigten, fielen die Zurückgebliebener

in die Hand des Siegers.

Nun konnte Falckenstein endlich in Frankfurt eiv-

ziehen, der Bundestag war auseinandergesprengt und floh nach Augsburg, tro er sein rühmloses Dasein beschloß.

110. Der Feldzug vom Jahre 1866 in Süddeutschland.

531

In Frankfurt fand Falckensteins Triumphzug ein Ende. „Die Länder nördlich des Mains liegen zu Eurer Königlichen Majestät Füßen" meldete er dem König am 16. Juli ; fünf Tage früher jedoch war aus Böhmen der Befehl Wilhelms I. abgegangen, der ihn des Kommandos enthob und ihn zum General­

gouverneur Böhmens ernannte. Er war Sieger, aber ihm konnte nicht ver­ ziehen werden, daß er im Kampfe gegen König Georg wie gegen die Bayern zu wiederholten Malen den Weisungen des Hauptquartiers nicht entsprochen

hatte. Moltke verlangte pünktlichen Gehorsam selbst von den verdientesten Generalen; auch im französischen Kriege wurde streng darauf gehalten und Steinmetz büßte seine Eigenmächtigkeit 1870 gleichfalls mit dem Verluste seines Kommandos.

General Manteuffel hatte den Oberbefehl über die Main­

armee erhalten. Wohl hatte inzwischen das bayerische Heer Zeit die längst beabsichtigte Vereinigung mit dem Bundeskorps zu vollziehen; die Verbündeten waren jetzt 80000 Mann stark; aber die erlittenen Niederlagen führten zu Mißhellig­ keiten und allgemach begann jeder Landesfürst an einen Sonderfrieden zu denken, zumal da zwischen Preußen und Österreich am 22. Juli Waffenruhe eintrat.

Die letzten Tage dieses Feldzuges konnten nicht kläglicher verlaufen.

Manteuffel ergriff mit 40000 Mann die Offensive und überschritt den Main; er hegte die Zuversicht, daß ihm zudem ein Reservekorps zu Hilfe kommen werde, welches bei Leipzig gesammelt wurde und, 25000 Mann stark, unter dem Großherzog von Mecklenburg über Hof im östlichen Bayern ein­

brach.

Die Süddeutschen, so erfuhr Manteuffel, lagen hinter der Tauber, dem

Nebenfluß des Mains. Es gelang ihm zuvörderst die bayerischen Generale durch einen Scheinangriff zu täuschen; sie vermuteten den Feind im Norden, zogen acht Meilen in dieser Richtung und waren so wieder von dem Bundeskorps getrennt. Über dieses nun fiel Manteuffel her und erzwang sich in den Ge­ fechten bei Bischofsheim und Werb ach den Übergang über die Tauber. Diesmal waren es die Badenser, die zuerst das Weite suchten; ihr Prinz Wil­

helm zog so rasch mit ihnen davon, daß der Befehlshaber Prinz Alexander erst des Nachts erfahren konnte, wohin sie sich in Sicherheit gebracht hatten.

Rüstig verfolgte der preußische General seinen Vorteil; er schlug in einer Reihe kleinerer Gefechte das Bundeskorps und die allzu spät zu Hilfe kommen­ den Bayern bei Neubrunn und Roßbrunn. Er trieb beide so glücklich vor sich her, daß sie nicht nach Süden gegen ihre Heimat ausweichen konnten,

sondern in kläglicher Verfassung bei Würzburg auf das Nordufer des Mains übertraten. Inzwischen begannen auch hier die Verhandlungen über den Waffenstill­ stand; der Großherzog von Baden wartete aber ihren Schluß gar nicht ab,

sondern berief seine Division noch früher vom Bundeskorps ab. Da aber der Waffenstillstand erst am 2. August begann, versagten die Preußen noch im

letzten Hauche des Krieges ihren süddeutschen Gegnern Schonung, und während 34»

111. Sine Reise König Ludwigs II.

532

diese schon alles beendet glaubten, zersprengte der Grobherzog von Mecklenburg

bei Seubottenreuth am 29. Juli ein vereinzeltes bayerisches Bataillon. Die verrottete Wehrverfassung des Deutschen Bundes stürzte die tapferen Truppen ins Unglück, die 1870 unter preußischer Führung Sieg auf Sieg errangen.

111. (Eine Reise König Ludwigs 11. Don Friedrich Lampert?)

Noch gegen das Ende des traurigen Jahres (1866) faßte der jugendliche König den im ganzen Lande jubelnd begrüßten Entschluß die durch den Krieg

am meisten bedrängt gewesenen Provinzen Bayerns, die drei Franken, zu besuchen und so persönlich seine Teilnahme an seines Volkes Geschicken zu bezeugen. Am 10. November, vormittags 11 Uhr, erfolgte die Abreise von München.

Ohne Aufenthalt fuhr der Königszug nach Bayreuth, als der ersten Stadt, welche, in die Kriegsmitleidenschaft hineingezogen, nun der Ehre des tröstenden

Besuches des Landesherrn teilhastig werden sollte.

Um %6 Uhr abends war

die Ankunft des Königs erfolgt und er durch die beleuchtete Stadt zum neuen Schloß gefahren, auf dessen Balkon er noch, vom Jubelrufe des dichtgescharten

Volkes begrüßt, erschien. Der Sonntag und Montag wurden in Bayreuth und teilweise auch auf der Eremitage, auf welcher der König schon als Kind mit seinen Eltern verweilt, verbracht. Am Dienstag den 13., um 10 Uhr vormittags, erfolgte die Weiterreise nach der Grenzstadt Hof, wo man um 12 Uhr anlangte.

Die Stadt hatte festlichen Schmuck angelegt und prangte

abends in glänzender Beleuchtung.

Gerade nach 24 Stunden, Mittwoch den 14., mittags 12 Uhr, verließ der König Hof und traf um 3 Uhr 30 Minuten in Bamberg ein. Hier hatten sich der Stadtmagisttat, das Offizierkorps und sämtliche königlichen

Behörden sowie der damals in Bamberg hofhaltende König Otto von Griechen­ land zum Empfange eingefunden. Letzterer geleitete seinen königlichen Neffen zur Residenz, wo Familiendiner stattfand. Um 7 Uhr abends begann die Jlluminatton der Stadt, welche der König mit dem griechischen Königspaare

in den Haupffttaßen durchfuhr. Auf dem Rückwege ersttahlte der alte herr­ liche Dom Kaiser Heinrichs II. in bengalischem Lichte und die Landwehr brachte einen Fackelzug. Der folgende Tag, Donnerstag, brachte Audienzen, große Tafel und abends einen Ball der Gesellschaft Konkordia in deren

schönem, am Flusse gelegenen Hause; der König, munter und liebenswürdig gegen jedermann, blieb bis nach Mitternacht. Am 16., dem Freitag, besuchte

er den schwer erkrankten Erzbischof von Deinlein sowie das Schmidffche Institut l) Ludwig II., König von Bayern, ein Lebensbild, S. 68 ff. München 1890. I. Roth.

111. Eine Reise König LudwigS II.

533

für Porzellanmalerei und nahm um 1 Uhr mittags auf dem Exerzierplätze

die Besichtigung der gesamten Garnison vor, nämlich des 5. Infanterie- und

des 1. Ulanenregiments. Von hier aus ritt der König in das Militärkrankenhaus um die dort befindlichen verwundeten und kranken Soldaten zu besuchen.

Für den 17. war Hofball angesetzt, zu welchem 180 Personen geladen waren. Noch heute rühmt sich manche vornehme Bam­

Am Abend war Festtheater.

bergerin

eine Runde mit der

jugendlichen,

in unvergleichlicher

Schönheit

prangenden Majestät getanzt zu haben. Am Sonntag den 18. hörte der König früh noch eine Messe im Dom­

chore, worauf alsbald unter demselben Zeremoniell, mit welchem er empfangen worden war, die Abreise über Schweinfurt nach Kissingen erfolgte.

Eine

katarrhalische Affektion, welche er sich in den letzten Tagen zugezogen hatte, und leichte Fieberschauer legten ihm den Wunsch möglichst schnellen Eintreffens in Kissingen nahe, wo er auch erst mehrstündiger Bettruhe pflegen mußte, ehe er die erbetenen Audienzen zu erteilen vermochte. Abends wurde ihm eine Serenade gebracht, die geplante Illumination der Stadt machte ein heftiges Schneegestöber zunichte.

Ungünstiges Wetter erschwerte auch folgenden Tages die Fahrt über das Schlachtfeld jenes 10. Juli, an welchem von den Bayern so todesmutig

und doch so unglücklich gekämpft worden war. Am 20., am Dienstag, 20 Minuten vor 1 Uhr, wurde Kissingen ver­ lassen und die Reise zu Wagen über Hammelburg, Gemünden und von

da wieder mit der Bahn über Lohr nach Aschaffenburg fortgesetzt.

Auch

in den beiden ersteren Städten erkundigte sich der König eingehend nach ihren Kriegserlebnissen. In Aschaffenburg läuteten wiederum die Glocken, über­ reichten Jungfrauen

Blumensträuße,

sangen

die Gesangvereine

die Volks­

hymne und eine Ehrengarde berittener Bürger geleitete den König nach dem

über dem Steilufer des Mains hochaufragenden Schlosse, das sein Großvater erbaut und in dem er mit Vorliebe geweilt.

Zwischen dem Aufenthalte in

Aschaffenburg und dem folgenden in Würzburg lag ein Besuch am ver­ wandten Hofe von Darmstadt, für den König eine Erholung von den Ansttengungen der vergangenen und eine vorbereitende Ruhe für die kommenden

Tage.

Denn auch die weinumkränzte Hauptstadt Frankens wollte dessen Herzog

die gebührende Ehre erweisen.

Auch sie hatte ja lange fremde Fahnen gesehen;

lustig flatterten nun die weiß-blauen Fähnlein in der Luft und durch die mit

vielen Emblemen geschmückte Ehrenpforte am Bahnhöfe hielt der König am Samstag den 24. November, nachmittags 4 Uhr, seinen Einzug in die Stadt.

Deren Bürgermeister hatte er schon auf dem Bahnhöfe versichert, wie es ihn

freue seine treuen Würzburger besuchen zu können.

Die freudigen Zurufe

der den weiten Residenzplatz füllenden Scharen dankend erwidernd zeigte sich der König, gleich nachdem er das Schloß betteten, auf dem Balkon desselben und fuhr selben Abend noch durch die beleuchteten Straßen zum Theater.

111. Eine Reise König Ludwigs H

534

Am Sonntag den 25. nahm der König am Gottesdienste im Dome teil,

hierauf empfing er, jeden einzelnen mit freundlichster Ansprache beehrend, die gemeindlichen Kollegien, die Beamten, das Osfizierkorps der Garnison und der Landwehr sowie den Lehrkörper der Universität.

Nach einem Fackelzuge

besuchte er den von der Gesellschaft Harmonie in ihren prächtigen, vollgcdrängteu Räumen gegebenen Ball. Dafür mußten am Montag den 26. alle geplanten Fesllichkeiten sistiert werden, da der König durch einen abermaligen heftigen

Fieberanfall genötigt wurde das Bett aufzusuchen.

Doch trat schon am nächsten Tage eine Besserung ein, so daß der König einen Spaziergang machen und dem russischen Gesandten Audienz erteilen, den Hofieller und die Militärspitäler besuchen konnte. Wie es schon in Kissingen geschehen, so sollten auch in Würzburgs Um­

gebung die traurigen Erinnerungen an die Unglückstage des Monats Juli nicht vermieden werden. Der König suchte sie am 29. November auf den Schlacht­

feldern von Roßbrunn, Helmstadt und Üttingen auf. In letzterem Orte ging er auf den Friedhof, auf welchem die größte Zahl der damals heldenmüttg Gefallenen, Bayern wie Preußen, zur Ruhe gebracht worden war, von Grab zu Grab; dann überreichte er der dortigen Gutsherrin, Freiftau von

Wolfskeel, die mit ihrer Tochter durch hingebendste Pflege der Verwundeten

und Kranken sich ausgezeichnet und diesen ihr ganzes Schloß eingeräumt hatte, eigenhändig das Militärverdienstkreuz. Die Rundfahrt über all die Stätten,

die noch so unverkennbar die Spuren des über sie hingegangenen Unheils hatte den König so ernst gestimmt, daß er es nicht über sich zu

trugen,

bringen vermochte, an jenem Abende noch, wie es geplant war, das Theater zu besuchen. Der Aufenthalt in Würzburg war um das Doppelte der anfänglich in

Aussicht genommenen Tage ausgedehnt worden und hätte vielleicht noch länger gedauert, wenn nicht der Bürgermeister von Nürnberg persönlich beim Monarchen mit der Bitte erschienen wäre, den Nürnbergerinnen nicht die Freude des Festballes zu vereiteln, der bei Nichteinhaltung des Programmes

durch die eintretende Adventzeit unmöglich gemacht werden würde. Darum versprach der König seine Wiederkehr nach Würzburg für den Sommer und trat am Freitag den 30. die Weiterfahrt nach Nürnberg an. In Kitzingen wurde ihm zum Willkommgruß durch ein Mädchen ein Gedicht vorgetragen,

in dem eine Stelle lautete: Als guter (Engel durch das Land Gehst du zu heilen und zu stillen

Mil rast» und ruheloser Hand, Wo noch des Kummers Tränen quillen. Gesegnet sei dir Hand und Fuß!

Bott schmückt dich mit der schönsten Krone, Des Volkes Blick, des Landes Gruß Folgt dir auf Weg und Steg zum Lohne!*

111. Eine Reise König Ludwigs II.

535

Kurz vor 4 Uhr bei herrlichstem Winterwetter traf der Königszug in

Nürnberg ein. Er habe sich gefreut, sagte der König, nach Nürnberg zu kommen und sich vorgenommen alle Wunden, die leider der Krieg geschlagen, zu heilen; freuen würde es ihn auch, wenn Handel und Industrie wieder er­

blühten; für die loyale und taktvolle Haltung Nürnbergs während der preu­ ßischen Besetzung müsse er seine vollste Befriedigung aussprechen. Das Hoflager wurde auf der alten Hohenzollernburg genommen.

Um

der neubefesttgten Freundschaft zwischen den beiden Königshäusern und Staaten einen symbolischen Ausdruck zu geben hatte König Ludwig in einem Schreiben vom 30. August des Jahres dem Könige von Preußen angeboten

die ehr­

würdige BuiA seiner Ahnen gemeinsam mit ihm zu besitzen und bei etwaiger Anwesenheit in Bayern zu bewohnen. Mit Dank nahm König Wilhelm dies entgegenkommende Anerbieten an und wenigstens sein Sohn, Kronprinz Fried­ rich, hat später davon Gebrauch gemacht.

Am Abende feines Ankunftstages erschien der König noch im Theater, wo er trotz eines wieder auftretenden Hustens bis zu dem erst um Mitternacht erfolgten Schluffe der Vorstellung blieb.

Am Samstag den 1. Dezember brachten die vereinigten Sänger Nürn­ bergs dem hohen Burgherrn ein Morgenständchen, worauf wieder großer

Empfang erfolgte, und abends 8 Uhr erschien der König auf jenem in der

festlich geschmückten Turnhalle abgehaltenen Bürgerballe, für welchen der Bürgermeister schon in Würzburg eingeladen hatte. „Wir zweifeln," schrieb am anderen Tage ein Korrespondent der „Allgemeinen Zeitung", „ob seit der Einführung der strengen Hofetikette durch Louis le Grand, der nur mit dieser

atmen zu dürfen glaubte, ein König je in solcher gemischten Gesellschaft als Ballgast ausgetreten ist und im vollsten Sinne diese so zu beleben wußte, wie es unser jugendlicher Monarch unter herzlichster Hingabe und wirklicher Auf­

opferung tat.

Denn er hüstelte etwas, wohl infolge der nicht geringen Er­

müdungen, denen er auf seiner ersten Provinzreife tagtäglich verfallen muß,

wenn er überall so wie hier sich allen Anmutungen hingibt. Volle vier Stunden tanzte der König oder unterhielt sich mit Frauen von allen Lebens­ altern und mit Herren, die ihm vorgestellt wurden, mit der ihm eigenen, ge­

winnenden Liebenswürdigkeit. Die Herzen unserer Damenwelt faszinierte er. Er versteht es den Fluß der Rede im Geleise zu erhalten, immer neue Wen­ Erst nach Mitternacht ent­ fernte er sich, nochmals freundlich dankend für das ihm zum Geleite zudungen sinnend, gewöhnliche Worte meidend."

gerufene tausendfache Hoch. Der Ausgang des Burghofes wie der Burgberg war stets von Tausen­ den, namentlich Landleuten, belagert, die gekommen waren „um ihren jungen

König zu sehen."

Am 2. Dezember gab es wieder Audienzen, darunter an

die Deputation der Universität Erlangen und große Hostasel. abends kam der König von der Burg

Um 7 Uhr

herab um die große Illumination zu

111. Einr Reise König Ludwig- II.

536 sehen.

Am Fuße der Burg brannte ein riesiges gotisches L mit der Krone, das in Gasflammen gezeichnete An den Kirchen und auf den großen

am Rathause umgaben sprühende Sterne bayerische und städtische Wappen.

Plätzen glühten farbige Lichter auf; auch manche Dörfer der Umgebung er­ schienen, als ob sie in Feuer stünden.

Erst gegen 9 Uhr fuhr der König am

Theater vor, wo auf allerhöchsten Befehl der „Troubadour" und zwar so

vollendet gegeben wurde, daß jener durch den Bürgermeister dem gesamten Personale seinen Dank aussprechen ließ. Am 3. Dezember machte der König einen Spaziergang durch die Stadt, besuchte die Kirchen und andere Gebäude, gab abermals Tafel und erschien

dann im großen Konzerte im Rathaussaale. Auch die Truppen sollten ihren Kriegsherrn sehen;

darum hielt der

König am Dienstag den 4., mittags 2 Uhr, in Marschallsuniform auf dem Ludwigsfelde große Parade über die Garnison ab, nestelte mit eigener Hand

an vier Fahnen das Militärdenkzeichen von 1866, worauf General Stephan eine Ansprache hielt, die er mit einem von den Truppen aufgenommenen Hoch auf den Monarchen schloß.

Dieser ließ noch einige Evolutionen im Feuer

vornehmen und ritt dann allein mit einem Adjutanten nach Fürth, wo er am Rathaus abstieg und hier vollständig überraschte. Allein die Fürther

wußten sich schnell zu fassen.

Als der König mit dem Bürgermeister und dem

Rechtsrate das Rathaus verließ um einen Gang durch die Stadt zu machen, ertönte das Geläute aller Glocken und erstrahlten alle Häuser in schnell im­ provisierter Beleuchtung; der König besichtigte noch die Synagoge und einige nahe gelegene Fabriken und fuhr dann mit der Ludwigsbahn wieder nach

Nürnberg zurück um noch im Theater, dort stürmisch begrüßt, dem „Fidelio"

anzuwohnen. Der folgende Tag, der 5. Dezember, galt dem Besuche industrieller Etablissements, wie der Bleistiftsabrik von Faber in Stein, der Zeltnerschen Ultramarinfabrik und der Cramcr-Klettschen Eisengießerei.

Letztere betrat der

König in dem Augenblicke, als die Arbeiter die riesige Form seines Namens­ zuges mit der Krone mit flüssigem Eisen von oben durch einen Kanal voll­ laufen ließen, was bei der bereits eingetretenen Dunkelheit einen prachtvollen

Anblick gewährte.

Eine volle Stunde weilte König Ludwig mit besonderem

Interesse trotz des betäubenden Maschinenlärmes

in

der in einer Stunde

*/< Million Stifte liefernden Stiftfabrik. — Auch die Universitätsstadt Er­ langen sollte mit dem königlichen Besuche überrascht werden. Am 6. De­ zember nachmittags 2 Uhr begab sich der König dahin, der akademische Senat

und die Studentenschaft fanden sich rasch zur Huldigung für den erhabenen

Rector magnificentissimus zusammen. Der Freitag, der 7., wurde wieder mit Audienzen,

so auch an die

Deputation deS Lehrervereines, und Besichtigung verschiedener Anstalten ver­ bracht. Mit großer Aufmerksamkeit wohnte der König der Zusammensetzung

des eben vollendeten Keplerdenkmales in der Lenzschen Erzgießerei bei, besah

112. Prinz Karl von Bayern.

537

sich in der Kunstgewerbeschule das Atelier Meister Krelings und die Samm­ lungen des Germanischen Museums, in welchem Direktor von Essenwein den Führer machte. Auch die Fleischmannsche Papiermachefabrik wurde der Ehre des allerhöchsten Besuches gewürdigt.

Auf diesen Gängen war der König von seinem Bruder begleitet, welchen er, von dem Aufenthalte in der alten Noris so befriedigt, eingeladen hatte, an

den letzten Tagen desselben noch teilzunehmen. Prinz Otto war am 5. dieser Einladung gefolgt und mittags auf der Burg eingetroffen. Das Interesse und die Huldigungen der Bevölkerung teilten sich nun zwischen den beiden fürstlichen Brüdern. Hatte schon die ideale Erscheinung des älteren, des

Königs, alle Herzen erobert, so sielen dem jüngeren, der in noch größerer Schönheit zu blühen schien, fast noch mehr Triumphe zu. Auch Prinz Otto war, wo und mit wem er verkehrte,

So auch bei der großen Tafel,

von bezaubernder Liebenswürdigkeit.

die am 8. gegeben wurde, und bei dem

zweiten Konzerte im Rathaussaale, das am Abende desselben Tages König und Prinz besuchten. Am Samstag den 10. Dezember mittags 2 Uhr verließen die hohen Herrschaften Nürnberg unter den Versicherungen huldvollsten Dankes für die

Aufnahme, die sie dort gefunden, und dem Versprechen baldiger Wiederkehr, «in Versprechen, das dort und anderswo nie mehr eingelöst werden sollte.

Reiche Geldspenden waren in allen vom Könige berührten Städten für die Armen und Kranken an die Bürgermeister ausgehändigt worden. Mit

dem gleichen festlichen Gepräge,

mit dem die Königsreise ihren Anfang ge-

uommen hatte, ging sie auch ihrem Ende zu. Auch auf dem Rückwege wurde der König an allen Stationen, namentlich in Augsburg, freudig begrüßt, in München selbst jubelnd empfangen. Und gleicher Empfang wurde ihm am Abende auch im Theater, das er noch besuchte.

Dies war die einzige Königsreise,

die König Ludwig in seinem Lande

unternommen. Mochte er vielleicht auch in späteren Jahren noch ähnliche Entschlüsse gefaßt haben, zur Ausführung sind sie nicht mehr gekommen.

112. Prinz Karl von Bayern (f 16. August 1875). Don Karl Stieler. *)

Die Zeit des Todes ist nicht der Augenblick um den historischen Inhalt eines Lebens zu erschöpfen, vor allem, wenn ein Leben über Generattonen

hinwegreicht. Aber es ist die Stunde, wo wir vielleicht am meisten das Bedürfnis fühlen die menschliche Gestalt, die ganze Persönlichkeit noch einmal voll zu *) „Aus Fremde und Heimat", S. 229 ff.

Stuttgart 1886, A. Bonz.

112. Prinz Karl von Bayern.

538

erfassen und in diesem Sinne sind die folgenden Zeilen geschrieben.

Worten

kurzen

darzustellen,

möchten

wie

engen Grenzen

es

mag

wir

der

es

das Bild

versuchen

eigene Anblick

die Schilderung

in

uns

eines edlen

zurückgelassen.

Mit

Mannes

Auch in

ein gewisses historisches Gepräge ge­

winnen, denn er selbst, seine ganze Persönlichkeit, war

eine historische Er­

scheinung. l)

Prinz Karl war der Inbegriff einer vergangenen Epoche, deren Ver­ ständnis dem lebenden Geschlecht zum Teil verloren ging, aber es waren nicht

die Schatten,

sondern die schönen, die liebenswürdigen Eigenschaften dieser

Epoche, die er vertrat. Der Grundzug seines Wesens läßt sich in einem Worte zusammenfasseu

— er war ein Fürst im vollendetsten Sinne.

Dazu hatte ihn seine Geburt

bestimmt und sein ganzes Streben war: der Würde seines Namens auch die Würde der Persönlichkeit hinzuzufügen.

Schon die Natur kam ihm dabei zu

Hilfe, indem sie ihm jene Art von vornehmer Schönheit gab, die sich in jeder Hülle und in allen äußeren Situationen gleichbleibt.

Eine dichte, fast unbändige

Lockenfülle wuchs ihm in die gewölbte Stirn, tiefblaue Augen blickten aus den feinen, vornehm weichen Zügen, etwas Elastisches lag in seiner ganzen

Gestalt. So war er damals, als er 1814 den König Max I. zum Wiener Kon,

greß

begleitete,

wo man ihm bald den Namen gab:

>le beau prince de

') „Er war der zweite Sohn deS Herzog- von Pfalz-Zweibrücken, Maximilian

Josephs, des späteren Kurfürsten von Pfalz-Bayern und ersten Königs. Geboren am 7. Juli

1795 zu Mannheim wurde er für die militärische Laufbahn bestimmt und dieser Bestim­

mung gemäß erzogen.

1813 und 14 nahm er alS Generalmajor an Wredes Seite fast

an allen Schlachten des Befreiungskrieges teil, in welchen das bayerische Korps in Aktion trat.

In der Schlacht bei Brienne, deren glücklichen Ausgang die Verbündeten haupt­

sächlich Wredes Eingreifen zu danken hatten, focht Prinz Karl in den vordersten Reihen; rühmlich war auch feine Mitwirkung in der Schlacht bei Arcis (20. März 1814).

Nicht

höfischer Courtoisie, sondern allseitig anerkanntem Verdienst verdankt er die Ritterkreuze der militärischen Orden Bayerns, Österreichs und Rußlands, Auszeichnungen, welche

statutengemäß nur aus dem Schlachtfelde erworben werden können. — Nach dem Tode Wredes trat er an die Spitze der bayerischen Armee. Am 16. Januar 1841 wurde er

von seinem königlichen Bruder zum Feldmarschall und Generalinspekteur der Armee ernannt. 1860 wurde ihm der Oberfehl über das VH. deutsche BundeSarmeekorpS übertragen,

im Kriege des JahreS 1866 erhielt er das Kommando über die bayerischen und die übrige» süddeutschen Bundeskonttngente, das VII. und VIII. Korps. Der Plan Prinz KarlS mit

den beiden Korps vereint zu operieren wurde durch die alsbaldige Kapitulation der Hannoveraner und durch die Niederlage der Österreicher auf dem böhmischen Kriegs­ schauplatz vereitelt. — Nach den unglücklichen, aber nicht unehrenhaften Gefechten bei Kissingen und Hammelburg, später noch bei Würzburg,

kam eS zum Waffen­

stillstand und am 22. August zum Frieden zwischen Bayern und Preußen.

Sofort

nach dem Friedensschluß legte Prinz Karl alle militärischen Würden nieder und zog fich vom öffentlichen Leben ganz zurück." C. Theodor von Heigel, Allgem. deutsche-

Biogr. XV.

258.

112. Prinz Karl von Bayern.

539

Bavifcre«; so steht sein Bild in der Erinnerung derer, die ihn zu Beginn der zwanziger Jahre in Kreuth gesehen, wenn er neben dem Stuhle seines Vaters Die übrigen Kinder

stand und dieser sachte den Arm um seine Hüfte legte.

des Königs machten sich eben zu einem Ausflug auf den Weg.

du mitgehen, Karl?"

fragte ihn der Vater in seiner milden Weise.

mitgehen willst,

du nicht recht gern Freudenstrahl

flog

„Möchtest

es

über

dann

bleib

das Antlitz des

mir!“

bei

guten

Max,

„Wenn

Und wie ein

wenn

sich

der

Sohn dann plaudernd bei ihm niederließ, er war ja vor allen anderen sein Liebling. Bis in die spätesten Jahre blieb ihm diese vornehme Schönheit eigen, aber sie war nur die äußere Erscheinungsform jenes fürstlichen Zuges,

der

durch sein ganzes Wesen ging. Noch unendlich entschiedener und prägnanter trat dieser Zug in seinen geistigen Eigenschaften, in seinem Charakter, in seiner Lebensgewohnheit hervor. All sein Denken und Fühlen war getragen vom Selbstbewußtsein seiner Würde,

aber nicht nur der Rechte, sondern vielleicht noch mehr der Pflichten, die ihm diese Würde gab, war er sich bewußt.

Er war vielleicht der reinste Typus jener echten Aristokratie, die immer mehr in unserer Zeit verschwindet;

er war die

lauterste Verkörperung der

historischen Idee: noblesse oblige. Selbst in den kleinsten Beziehungen des täglichen Lebens betätigte sich dieser Zug; nicht nur im Sinne des Kavaliers, sondern im höchsten und besten

Sinne des Wortes war er ein „ritterlicher Charakter“.

Auch denen gegen­

über, die unter ihm standen, hat er niemals diese Noblesse vergessen, und wenn er die volle Ehrerbietung in Anspruch nahm, die seiner Stellung gebührte, so

erwiderte er sie seinerseits durch jene feinfühlige und rücksichtsvolle Art, in der

sich die Achtung vor den Menschen kundgibt.

Kein geringschätziges Wort kam

über seine Lippen, gegen hoch und niedrig wahrte er die gleiche

Delikatesse

und selbst der gemeine Mann fühlte die innere Vornehmheit heraus, die in diesem Benehmen lag

Seine Pünktlichkeit ist beinahe sprichwörtlich beruhte auf seiner rücksichtsvollen Natur, eine innere Gewohnheit.

Ansage gelautet,

wenn

Diener voraus

als seine

um den unfreiwilligen

mehr als einmal entschuldigte er sich nach Wochen,

er Personen nicht erkannt

begrüßt als sonst.

aber auch sie

Wenn er nur zehn Minuten später kam,

so sandte er einen

Aufschub zu melden und

geworden,

sie war ihm keine äußere, sondern

und sie deshalb vielleicht weniger herzlich

Einen Nachbar hatte er mündlich beruhigt, daß er ihm

nicht die Aussicht durch Erhöhung einer gegenüberliegenden Scheuer verbaue»

werde, war,

und als nach 30 Jahren der Neubau jener Scheune wirklich nötig da konnten die dringendsten Gründe der Zweckmäßigkeit ihn nicht be­

wegen das Dach auch nur um einen Zoll zu erhöhen.

ich es versprochen,

„Der Mann,

dem

ist zwar seit 15 Jahren tot und die ©einigen wissen viel-

112. Prinz Karl von Bayern.

540

leicht nicht einmal darum, aber dennoch bin ich es seinen Kindern schuldig

mein Wort zu halten."

Es sind dies kleine alltägliche Züge, allein sie sind vielleicht bezeichnender für seine Denkart als seitenlange Reflexionen; sie zeigen uns am klarsten jene

Rechtlichkeit und jenes menschenfreundliche Wohlwollen, das Prinz Karl selbst dann noch festhielt, als er sich längst von den Menschen zurückgezogen.

jenigen aber, denen es

Die­

vergönnt war ihm näher zu treten, wurden Zeugen

einer Liebenswürdigkeit, die etwas Herzgewinnendes hatte: niemals vergaß er der Dienste, die man ihm, wenn auch pflichtgemäß, erwiesen;

niemals war

seine Sympathie, wenn man sie je erworben, dem Wechsel der Stimmungen oder der Jahre preisgegeben.

Auch

hierin,

auf dem Gebiete des

edelsten

Empfindens, war er konservativ, Pietät war ihm ein Lebensnerv; er übte das alte Ritterwort „Treue um Treue bietend." Es liegt nahe,

daß ein Fürst,

der seine persönlichen Beziehungen mit

diesem Vollgefühle erhöhter Pflichten mißt, auch im Bereiche materieller Ver­

bindlichkeiten die

volle Hand

betätigt;

untrennbar von

Freigebigkeit ist ja

wahrer Vornehmheit. In dieser Hinsicht aber war Prinz Karl beinahe einzig, seine Generosität

war ohne Grenzen und sein Wohltun ist zum Segen für Tausende geworden. Einfach und

bedürfnislos für sich selbst,

machte er sofort den höchsten An­

spruch,

sobald es galt zu repräsentieren; die Fülle und Pracht, die sich bei

solchen

Gelegenheiten

Stellung schuldig.

entfaltete,

war er seinen Gästen und

Sie schien ihm nicht

seiner

eigenen

minder eine Pflicht als seine Mild­

tätigkeit gegen die Armen. Was er diesen geleistet hat, beziffert sich auf Millionen fund Millionen betragen die Summen, die noch nach seinem Tode diesem edlen Zwecke dienen), in allen Nöten war Prinz Karl die erste und letzte Hilfe.

Freilich konnte es

dabei nicht fehlen, daß auch so mancher Mißbrauch mitunterlief; es gab wohl

Leute, die sich nicht scheuten ein Reitpferd für ihren Sohn und einen Logen­ platz für ihre Tochter zu erbitten (rote er es selbst versicherte), großmütig genug

nie

seine

Hand

dem

doch er war

wirklichen Bedürfnis zu

entziehen,

weil manch erheucheltes Bedürfnis seine Hilfe in Anspruch nahm.

Auch im

Gebrauche seiner Güter galt ihm die Norm »noblesse oblige«

und man

sühlte wohl den Gegensatz, in dem dieser historische Reichtum zum modernen

Reichsein stand.

Alles, was ihn umgab, sein Hofhalt, seine Dienerschaft, der

ganze äußere Apparat seines Lebens war nach diesem Sttle bemessen; es hätte wohl der zehnte Teil für sein eigenes Bedürfnis genügt, aber sein Grundsatz

war:

Ich brauche die Leute fteilich nicht, allein sie brauchen mich.

So blieb das Bewußtsein fürstlicher Pflicht und Würde gleichsam der Brennpunkt seines ganzen Wesens, in dem sich all seine Neigungen, all seine Vorzüge und kleinen Schwächen konzentrierten; denn welcher Sterbliche ist

112. Prinz Karl von Bayern.

541

ganz von solchen frei? Das Fürstentum war der Standpunkt, von dem aus er

die Welt und ihre Ereignisse betrachtete; die Natur selbst hatte ihn auf diesen Standpunkt gestellt und er maß sich vielleicht nicht einmal das Recht bei ihn zu verlassen. Wer so mit dem höchstgespannten Pflichtgefühle seine Stellung auffaßt

und ihr gerecht zu werden strebt, den muß es freilich erschütternd berühren,

wenn seiner redlichsten Bemühung der äußere Erfolg versagt ist. Und dies war im Jahre 1866 der Fall, es war der Wendepunkt in seinem äußeren und inneren Leben — eine andere Zeit hatte begonnen.

Kurz nach dem Friedensschlüsse vom 22. August, bevor die bayerischen Truppen auseinandergingen, war noch eine große Revue bei Ingolstadt. In Strömen goß der Regen auf die Tausende herab, die da versammelt waren;

wir standen regungslos in Reih und Glied, hier sah ich den Prinzen Karl zum letztenmal in Uniform. Blaß und gebückt ritt er im Schritt die Front entlang; es lag eine Müdigkeit in seinen Zügen, die nicht den Körper allein berührte. Ohne es zu ahnen war er Zeuge geworden, wie jener morsche Bau zusammenbrach, bei dessen prunkvoller Gründung er einst vor 50 Jahren in Wien zugegen war: nun stand er einer neuen Ära nnd einer fremden Welt

gegenüber. Es ist bekannt, daß er alsbald seine sämtlichen Würden und Ämter

niederlegte und völlig aus dem politischen Leben schied, aber wenige wissen,

wie er innerlich dabei gekämpft und gelitten.

Im alten Schlosse zu Tegernsee,

wo ihm einst das Glück der Jugend erblühte, suchte er nunmehr ganz seine Heimat; dort lebte er im Kreise liebenswürdiger Töchter und Enkel; doch wenn der Winter kam, dann sandte er auch sie nach Hause und blieb allein mit

seinen Gedanken und Erinnerungen. Es ist wahr, er lebte in der Vergangenheit und ging dem Lärme der Menschen fast scheu aus dem Wege, aber dennoch wäre es verfehlt deshalb zu glauben, daß er den Menschen gram geworden sei.

Im Gegenteil, mehr

als man es ahnt, waren die Tage dieser Einsamkeit von einem vertieften Innenleben erfüllt und mit wachem Blicke folgte er den Fragen der Gegen­

wart, wenn er auch nicht mehr tätig in dieselben eingriff. Wie oft und schmerzlich beklagte er den jetzigen Mangel an Heimatssinn, wenn er sah, wie

die Leute ihre prächtigen Höfe, die jahrhundertelang im Besitze der Familie waren, um schnödes Geld verhandelten; der Schutz der Wälder war ihm eine stete Sorge; und als die Truppen im Jahre 1871 siegreich nach Hause kehrten,

nahm er an dieser Stunde tiefer teil, als wohl die meisten wissen. „Sie alle, alle fanden noch Gelegenheit und Kraft sich wieder hervorzutun und die herben Erinnerungen von .damals' zu tilgen — nur ich, nur ich . . ." So sprach er mit zögernder Stimme und feuchten Augen; er machte kein Hehl daraus, wie er sich damals gewünscht, daß eine Kugel ihn getroffen hätte. Seitdem ging^em Zug von Wehmut durch sein Wesen, eine Seelenstimmnng,

542

113. Der Deutsch-Französisch« Krieg 1870/71.

für welche die Gegenwart nur schwer ein Verständnis hat, und dies war eS vielleicht, was ihn vom Lärme der Welt und von den Menschen am meisten

trennte.

Allein trotz alledem gehörte er der Gegenwart doch weit mehr an,

als er es selbst wußte, denn der Grundgedanke unserer Zeit, der unter allem Lärm und all der treibenden Hast pulsiert, ist doch die große, echte

Humanität und sie war auch der Grundgedanke seines Lebens.

Sie war

es, die ihm den Dank und die Liebe von Tausenden erwarb und die chm

selbst die Verehrung derer sicherte, die er nicht für seine Freunde hielt. Davon gab noch die Feier seines achtzigsten Geburtstages ein lebendiges Zeugnis und mit inniger Rührung nahm er all die zahllosen Beweise stemder

Liebe hin.

Es war zum letztenmal, daß er diesen Tag begehen sollte, nur wenige Wochen später — dann war es still und öde im Schlosse zu Tegernsee und einem Toten widmem wir dies letzte Wort.

Wir glauben, es ist im Sinne

vieler Tausende gesprochen und vom Segen vieler Tausende begleitet, denn

wohl niemand, der je mit ihm in Berührung kam, wird ohne edle Regung seiner gedenken und selbst der letzte Wille, den er hinterließ, gibt noch ein Zeugnis seltener Großmut und Menschenliebe. Das ist die Tat eines Fürsten! Fürwahr,

wir sind mit voller Seele die Kinder unserer mächtigen Gegen­

wart, aber wir würden es nur begrüßen, wenn auch die Gegenwart jene

Eigenschaften reger pflegen möchte, deren edelster Vertreter Prinz Karl von

Bayern war.

113. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71. Einleitung. Don Graf Helmut v. fljloltitc.l)

Es sind vergangene Zeiten, als für dynastische Zwecke kleine Heere von

Berufssoldaten ins Feld zogen um eine Stadt, einen Landstrich zu erobern, dann in die Winterquartiere rückten oder Frieden schlossen. Die Kriege der Gegenwart rufen die ganzen Völker zu den Waffen, kaum eine Familie, welche nicht in Mitleidenschaft gezogen würde.

Die volle

Finanzkraft des Staates wird in Anspruch genommen und kein Jahreswechsel setzt dem rastlosen Handeln ein Ziel. Solange die Nationen ein gesondertes Dasein führen, wird es Streitig­ keiten geben, welche nur mit den Waffen geschlichtet werden können, aber im

Interesse der Menschheit ist zu hoffen, daß die Kriege seltener werden, wie sie furchtbarer geworden sind. ') „Geschichte deS Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71". E S. Mittler & Sohn.

Berlin 1895,

114. Hurra, Germania l

543

Überhaupt ist es nicht mehr der Ehrgeiz der Fürsten, es sind die

Stimmungen der Völker, das Unbehagen über innere Zustände, das Treiben der Parteien, besonders ihrer Wortführer, welche den Frieden gefährden.

Leichter wird der folgenschwere Entschluß zum Kriege von einer Versammlung

gefaßt, in welcher niemand die volle Verantwortung trägt, als von einem einzelnen, wie hoch er auch gestellt sein möge, und öfter wird man ein fried­ liebendes Staatsoberhaupt finden als eine Volksvertretung von Weisen!

Die

großen Kämpfe der neueren Zeit sind gegen Wunsch und Willen der Regierenden entbrannt. Die Börse hat in unseren Tagen einen Einfluß gewonnen, welcher die bewaffnete Macht für ihre Interessen ins Feld zu rufen vermag. Mexiko und Ägypten sind von europäischen Heeren heimgesucht worden um die Forderungen der hohen Finanz zu liquidieren. Weniger kommt es heutzutage darauf an, ob ein Staat die Mittel besitzt Krieg zu führen, als darauf, ob

seine Leitung stark genug ist ihn zu verhindern.

So hat das geeinigte Deutsch­

land seine Macht bisher nur dazu gebraucht den Frieden in Europa zu wahren; eine schwache Regierung beim Nachbar aber ist die größte Kriegsgefahr.

Aus solchen Verhältnissen ist auch der Krieg von 1870—1871 hervor­ gegangen.

Ein Napoleon auf dem Throne von Frankreich hatte seinen An­

spruch durch politische und militärische Erfolge zu rechtfertigen. Nur eine Zeitlang befriedigten die Siege der französischen Waffen auf fernen Kriegs­ schauplätzen, die Erfolge des preußischen Heeres erregten Eifersucht, sie er­

schienen als Anmaßung,

als Herausforderung und man verlangte Rache für

Sadowa. — Die liberale Strömung des Zeitalters lehnte sich auf gegen die Alleinherrschaft des Kaisers, er mußte Bewilligungen zugestehen, seine Macht­

stellung im Innern war geschwächt und eines Tages erfuhr die Nation aus

dem Munde ihrer Vertreter, daß sie den Krieg mit Deutschland wolle!

114. Hurra. Germania! (25. Juli 1870.) Don Ferdinand Freiligrath.')

Hurra, du stolzes, schönes Weib, Hurra, Germania! Wie kühn mit vorgebeugtem Leib Am Rheine stehst du dal 3m vollen Brand der Juliglut, Wie ziehst du risch dein Schwerti Wie trittst du zornig-frohgemut Ium Schutz vor deinen Herd! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Du dachtest nicht an Kampf und Streit; In Fried' und Freud' und Ruh' Auf deinen Feldern, weit und breit, Die Ernte schnittest du. Bei Sichelklang im Ährenkranz

Die Garben fuhrst du ein: Da plötzlich, horch, ein andrer Tanz! Das Kriegshorn überm Rhein! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

*) Gesammelte Dichtungen, H. Band, S. 298.

Stuttgart 1871.

544

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse; FeldzugSplan, Aufmarsch.

Da fuhrst du auf in Hellem Zorn, Ties atmend auf im Nu; Schlugst jauchzend in die Hände dann: Willst du's, so mag es sein! Auf, meine Kinder, alle Mann! Zum Rhein, zum Rhein, zum Rhein! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Mag kommen nun, was kommen mag. Fest steht Germania! Dies ist All-Deutschlands Ehrentag; Nun weh dir, Gallia! Weh, daß ein Räuber dir das Schwert Frech in die Hand gedrückt! Fluch ihm! Und nun für Heim und Herd Das deutsche Schwert gezückt! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Da rauscht das Haff, da rauscht der Belt, Da rauscht das Deutsche Meer, Da rückt die Oder dreist ins Feld, Die Elbe greift zur Wehr. Neckar und Weser stürmen an, Sogar die Flut des Mains; Dergeffen ist der alte Span: Das deutsche Volk ist eins! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Für Heim und Herd, für Weib und Kind, Für jedes teure Gut, Dem wir bestellt zu Hütern sind Dor ftemdem Frevelmut; Für deutsches Recht, für deutsches Wort, Für deutsche Litt' und Art, Für jeden heil'gen deutschen Hort, Hurra, zur Kriegesfahrt! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Schwaben und Preußen Hand in Hand! Der Nord, der Süd ein Heer! Was ist des Deutschen Vaterland? Wir ftagen's heut' nicht mehr. Ein Geist, ein Arm, ein einz'gerLeib, Ein Wille sind wir heut'! Hurra, Germania, stolzes Weib! Hurra, du große Zeit! Hurra, Hurra, Hurra! Hurra, Germania!

Auf, Deutschland, auf und Gott mit dir! Ins Feld! Der Würfel klirrt! Wohl schnürt's die Brust uns, denken wir Des Bluts, das fließen wird; Dennoch das Auge kühn empor! Denn siegen wirst du ja! Groß, herrlich, frei wie nie zuvor! Hurra, Germania! Hurra, Viktoria! Hurra, Germania!

Da warfst die Sichel du ins Korn, Den Ährenkranz dazu,

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch. Don M. Moser.')

Bei gespannter europäischer Lage, aber dem Zeitpuntte nach doch völlig überraschend

führte Frankeich im Juli 1870 den seit Sadowa beschlossenen

Bruch mit Preußen herbei.

Nationale Eitelkeit und Eroberungssucht

sowie

dynastisches Interesse vereinigten sich in dem Wunsche den um seinen Waffen­

ruhm beneideten Nebenbuhler zu demütigen, das Erstehen eines Frankeichs

Vorherrschaft in Europa gefährdenden, einheitlichen deutschen Staates zu ver*) Kurzer strategischer Überblick über den Krieg 1870/71. Berlin 1900, E. S. Mittler

& Sohn.

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch.

545

hindern und gleichzeitig die niemals aufgegebene Hoffnung auf den Erwerb

des linken Rheinufers zu verwirklichen.

Mit verdächtiger Eile und Leiden­

schaft ergriff die ftanzösische Regierung die Anfang Juli austauchende Frage

der Hohenzollernschen Thronfolge in Spanien zu dem Versuche diplomatischer Brüskierung des Königs Wilhelm und leitete aus dessen gebührender Abferti­

gung den Kriegsvorwand ab; schon am 15. Juli erging auf französischer, am

16. Juli auf deutscher Seite der Befehl zur Einberufung der Reserven, welchem am 19. Juli die förmliche Kriegserklärung Frankreichs folgte. So blieb denn zu Kriegsvorbereitungen in letzter Stunde auf beiden Seiten keine Zeit mehr.

Alle Mängel und alle Vorzüge der militärischen Organisation mußten daher

bei dem ersten Akte des gewaltigen Kampfes, der Mobilmachung und dem strategischen Aufmarsch, als das Ergebnis der von beiden Kriegführenden zu erwartenden äußersten Krastanstrengung voll in die Erscheinung treten.

In Frankreich hielt und erklärte man die Armee für archipr6te; in Wahrheit aber krankte sie an schweren inneren und äußeren Gebrechen. Die kaiserliche Armee von 1870 befand sich inmitten einer von Marschall Mel im Jahre 1868 begonnenen Reorganisation; bei vielen Vorzügen hatte sie doch den entscheidenden Schritt vom Werbeheere zum Heere der allgemeinen Wehrpflicht nicht getan.

Die ungleichartige Zusammensetzung des Mannschafts­

standes aus jungen Ausgehobenen und altgedienten Stellvertretern, des Offi­ zierkorps aus der Front entstammenden Troupiers und aus Zöglingen der Offizierschulen, die von jenen durch Herkunft und Erziehung geschieden und in der Beförderung übermäßig bevorzugt wurden; ferner Mißvergnügen in dem materiell unbefriedigend gestellten Unteroffizierkorps; offenkundiges Günst­ lingswesen und bis in die Armee getragener Parteigeist, schließlich die Kämpfe

auf den außereuropäischen Kriegsschauplätzen hatten zusammengewirkt um die

Disziplin in bedenklicher Weise zu lockern, den Geist der Kameradschaft und der Treue zu untergraben und an deren Stelle vielfach Egoismus und per­ sönlichen Ehrgeiz zu setzen. Der Armee und ihren Führern fehlte, trotz der fast ununterbrochenen Kämpfe der letzten 20 Jahre in allen Weltteilen, die Schulung für den großen Krieg; leicht erworbene Lorbeeren hatten vielmehr, neben einem übermäßigen Vertrauen in die Allmacht der Routine, ein Gefühl der Selbstüberhebung hervorgerufen, welches um so gefährlicher war, als damit Unkenntnis der Organisation und der Leistungen der Nachbararmeen sowie der Gesetze der modernen Kriegführung Hand in Hand ging.

Aber auch taktisch

und technisch befand sich die Armee nicht überall auf richtiger Bahn; ins­ besondere hatte man, verführt durch die Güte des Chassepotgewehres, die

Infanterie durch scharfe Betonung der Vorzüge der Defensive auf eine der stanzösischen Tradition wie dem stanzösischen Naturell gleichmäßig wider­ sprechende Kampfweise hingeleitet, auch war die Kavallerie für ihre wichtigen Aufgaben ungenügend vorbereitet, die Artillerie mit wenig wirksamem Geschütz­

material bewaffnet. Kron-eder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-.

35

546

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, FeldzugSplan, Aufmarsch.

Ließ so die Qualität der Armee viel zu wünschen übrig, so war ander­

seits auch ihre numerische Stärke der Bevölkerungszahl und Machtstellung deS Landes nicht entsprechend. Die Armee bestand aus der aktiven Armee, bereit schwachen Reserven und aus der Mobilgarde (garde nationale mobile). Da aber die letztere militärisch nicht ausgebildet war, Ausrüstung und Bekleidung

völlig fehlten, so kann sie nicht zu den sofort mobilisierbaren Streitkräften

Frankreichs gerechnet werden. Nach Abzug der zur Bildung eines Beobachtungs­ korps gegen Spanien, zur Besetzthaltung Algiers und Roms sowie als Be­ satzung-- und Ersatztruppen im Innern Frankreichs erforderlichen Kräfte ergibt

sich als Gesamtleistung Frankreichs an sogleich nach außen verfügbaren Feld­

truppen die überraschend geringe Zahl von 300000 Mann. Eine nennens­ werte Reservearmee ist bei Ausbruch des Krieges weder vorhanden noch kann sie in den ersten Wochen ins Leben gerufen werden. Aber selbst diese schwache Armee war zum schnellen Übergang auf den

Kriegsfuß keineswegs bereit.

Die getrennte Unterbringung der Regimenter

und ihrer Depots, die Anhäufung der notwendigsten Feldausrüstungsgegen­ stände an wenigen Orten, weiterhin eine übertriebene Zentralisation des Kom­ mandos und der Verwaltung in dem Kriegsministerium, welche der selbst­ tätigen Mitwirkung der Unterführer keinen Spielraum ließ, mußten den Gang

der Mobilmachung in hohem Grade erschweren;

vor allem aber war die

gründliche Vorbereitung der Mobilmachungsgeschäfte und des Massentransportes durchaus versäumt, vielmehr alles der Selbsthilfe der Truppen wie des Per­ sonals der Eisenbahnen überlassen.

Im lebendigen Gegensatze dazu war in Preußen und in den mit ihm durch geheime Bündnisverträge verbundenen süddeutschen Staaten seit dem Jahre 1866 in erfolgreichem Wetteifer danach gestrebt worden die Armee zahlreich, kriegstüchtig und kriegsfertig zu machen. Aufgebaut auf dem Grundsätze der allgemeinen Wehrpflicht umfaßte sie alle Kreise der Bevölkerung; ein pflichttreues, vortrefflich geschultes Unteroffizierkorps und ein durchaus gleichartiges Offizierkorps von hoher allgemeiner und militärischer Bildung,

von kameradschaftlicher Gesinnung und charakterfester Selbständigkeit hatten die Armee mit dem Geiste wahrer Manneszucht, lebendiger Treue und Vater­

landsliebe zu erfüllen gewußt. In gemeinsamer, hingebender Arbeit der Kriegs­

ministerien und des Generalstabs waren die reichen Erfahrungen der Feldzüge von 1864 und 1866 zu Verbesserungen auf allen Gebieten des Heerwesens verwertet worden; die Taktik der drei Waffen, insbesondere der Kavallerie und der Artillerie, war den Anforderungen des großen Krieges angepaßt, die

letztere durchweg mit gezogenen Hinterladern bewaffnet, die ganze Armee aber

in dem Geiste energischer Offensive erzogen worden.

In der Verwaltung

herrschten mustergültige Ordnung und planvolle Dezentralisation; das Verpflegungs-, Etappen- und Lazarettwesen waren auf großer Grundlage neu geregelt. Namentlich aber war die schnelle Überführung des Heeres auf den

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch.

547

Kriegsfuß und sein Transport an die Grenze in bis dahin unerreichter Voll­

endung vorbereitet. Von größter Bedeutung für den ganzen Verlauf des Krieges mußte außerdem das Vorhandensein einer starken Reservearmee sein,

Schule des aktiven Heeres durchlaufen Ausrüstung und Belleidung

welche die

hatte und für welche Bewaffnung,

vollzählig bereit lagen.

Im ganzen verfügte

Deutschland für den bevorstehenden Kampf an Kombattanten über eine Feld­ armee von 520000 Mann und eine Armee zweiter Linie von 364000 Mann Besatzungs- und Ersatztruppen. War demnach die deutsche Armee der fran­ zösischen an Zahl, gleichmäßiger Güte und Kriegsbereitschaft weitaus über­

legen, so gaben ihr anderseits ein von Selbstüberhebung freies, aber sicheres Gefühl der eigenen Kraft, ein festes Vertrauen in die obere Führung und das in allen deutschen Stämmen mit elementarer Gewalt er­ wachte Gefühl der Zusammengehörigkeit in dem Kampfe für Deutsch­ lands Einheit und Selbständigkeit auch ein hohes moralisches Übergewicht. Wenn man französischerseits Geist und innere Stärke des deutschen Heeres durchaus verkannte, so hatte man doch von der numerischen Über­

Des­ halb faßte der französische Feldzugsplan in erster Linie eine Trennung beider

legenheit der vereinigten nord- und süddeutschen Streitkräfte Kenntnis.

ins Auge. Man nahm an, daß die preußische Armee in defensiver Absicht hinter

ihrer starken Rheinfront aufmarschieren werde, währenddem sich die süddeutschen Streitkräfte zur Verteidigung des Schwarzwaldes versammelten.

Zwischen

beide hinein sollte die Masse der ftanzösischen Feldarmee — 250000 Mann — bei und unterhalb Straßburg den Rhein überschreitend sich als trennender

Keil einschieben und zunächst die süddeutschen Staaten, bei welchen man ftanzösische Sympathien voraussetzte, mit oder ohne Kampf zur Neutralität be­ wegen. Dann erst sollte die preußische Armee ausgesucht und bekämpft

werden. Von dem ersten Waffenerfolge, an dem man nicht zweifelte, erhoffte man den Anschluß Österreichs, Italiens und vielleicht auch Dänemarks zur

weiteren Niederwerfung Preußens.

Der großen Angriffsbewegung der fran­

zösischen Hauptarmee über den Rhein hatte ein bei Chälons für Marne zu

versammelndes Reservekorps von 50000 Mann durch Vormarsch

auf Metz

Flanke und Rücken zu decken; gleichzeitig sollte die stanzösische Schlachtflotte mit einem starken Landungskorps die Osffeeküste anlaufen um dort durch ihr

Erscheinen einen Teil der preußischen Streitkräfte festzuhalten. Schnelle Versammlung

der schlagfertigen Armee im Unterelsaß wäre

erste Vorbedingung dieses weitausschauenden, aber auf politisch und strategisch unsicheren Grundlagen aufgebauten Kriegsplanes gewesen. Allein die Gestaltung

des ftanzösischen Eisenbahnnetzes war für den beabsichtigten Aufmarsch keines­ wegs günstig; nur 100000 Mann konnten im . Elsaß ausgeschifft werden, 150000 Mann mußten bei Metz ausladen und waren von dort, in der Haupt85*

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, FrldzugSplan, Aufmarsch.

548

fache mit Fußmarsch, über die Vogesen nach der Gegend von Straßburg heranzuziehen.

Um trotzdem den Aufmarsch zu beschleunigen, griff man zu

einem ebenso gefährlichen wie trügerischen Mittel: man befahl den Transport

der Armee in immobilem Zustande an die Grenze.

Bon den acht Armee­

korps, in welche nunmehr erst die französische Feldarmee eingeteilt wurde, sollten vier — das 2., 3., 4. und Gardekorps — vorwärts Metz zwischen

Mosel und Saar, zwei — das 1. und 7. — im Elsaß bei Straßburg und

bei Belfort sich zur Vollendung ihrer Mobilmachung versammeln; als Ver­

bindungsglied zwischen beiden Gruppen wurde das 5. Korps nach der Gegend

von Bitsch gewiesen, während das 6. bei Chälons für Marne die Reserve der Armee zu bilden hatte.

Die ganze Armee, Rheinarmee genannt, unterstand zu den

dem Oberbefehl des Kaisers Napoleon. Ende Juli hoffte man Operationen, d. h. zu dem Rechtsabmarsch, schreiten zu können.

Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Zwar erreichten die immobilen Korps im allgemeinen die ihnen angewiesenen Aufmarschpunkte, aber der Eisen­ bahnbetrieb erlitt schnell schwere Stockungen, die Reservisten trafen verspätet, unvollzählig und mangelhaft ausgerüstet bei den Korps ein, die Aufstellung der Stäbe für die erst zu schaffenden höheren Kommandostellen, ihre Ver­

sorgung mit Trains, Lazaretten und Verwaltungspersonal kam nicht zum Ab­

schluß.

Da die Anlage von Magazinen im Aufmarschgebiet versäumt war,

so trat sogleich empfindlicher Verpflegungsmangel ein; ein Zurückgreifen auf die Bestände der Grenzfestungen erwies sich als unausführbar, da diese sich selbst bezüglich der Verproviantierung wie auch der Armierung im übelsten Zustande befanden. Am 31. Juli steht die französische Armee, in vorderer Linie an der deutschen Grenze kaum 200000 Mann stark, ungegliedert und innerlich unfertig, im ganzen auf einer Strecke von 35 Meilen von Belfort bis Diedenhofen zerstreut.

Der überstürzte Aufmarsch ist mißglückt, der Feld­

zugsplan in der ersten Ausführung gescheitert, die Initiative verloren. Die Armee, schon jetzt wankend in ihrem Vertrauen auf Sieg und Führung, bleibt an der Grenze stehen und nimmt Front gegen den Mittelrhein, an dem sich angeblich ein starkes feindliches Heer versammelt. Ein fianzösisches

Korps, das 2., ist seit dem 19. Juli zur Deckung des Aufmarsches und als Beobachtungskorps gegen die Saar bei Saarbrücken vorgeschoben. Demgegenüber hat sich auf deuffcher Seite eine gewaltige und ziel­

bewußte Bewegung vollzogen und hat mit Sicherheit zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Der deutsche Feldzugsplan gründete sich auf eine schon im Winter 1868/69

ausgearbeitete Denkschrift des Generals von Moltke. In diesem Meisterstück strategischer Weisheit, Klarheit und Voraussicht wird zunächst in überaus vor­ sichtiger Abwägung der Stärkeverhältnisse die numerische Überlegenheit der deutschen Armee nachgewiesen und daraus sogleich die Forderung energischer Offensive abgeleitet. Zu dem Zwecke sollen nach planmäßig beendigter

115. Kriegserklärung, Kräfteverhältnisse, Feldzugsplan, Aufmarsch.

549

Mobilmachung sämtliche Streitkräfte Deutschlands, in drei Armeegruppen ge­ gliedert, vorwärts des Rheins, etwa in der Linie Wittlich—Homburg—Landau,

versammelt werden.

Sogleich nach bewirktem Aufmarsch soll sodann die fran­

zösische Hauptarmee aufgesucht,

mit überlegenen Kräften angegriffen und im

weiteren Verlaufe der Operationen sowohl von ihrer Verbindung mit dem reichen Süden Frankreichs als auch von derjenigen mit Paris abgedrängt

werden, dessen Eroberung von vornherein in Aussicht genommen

ist.

Schlagend wird nachgewiesen, daß die Bereinigung aller Streitkräfte in

der Pfalz wirksamer als jede andere Versammlung Süddeutschland und den Ober­

rhein schütze, die feindliche Hauptmacht an die lothringische Grenze fessele und gleichzeitig das schnelle Ergreifen der Offensive mit vereinigten Kräften begünstige. Auf Grund dieses einfachen, auf den sichersten Voraussetzungen be­ ruhenden Feldzugsplancs kam der deutsche Aufmarsch zur Ausführung. Als schon am 23. Juli, acht Tage nach Einberufung der Reserven, die ersten Truppen ihre Mobilmachung beendigt hatten, war der immobile Aufmarsch der ftanzösischen Armee von den an der Grenze belassenen schwachen, aber

äußerst tätigen deutschen Fricdensgarnisonen von Trier, Saarlouis, Saar­ brücken und Landau erkannt. Dementsprechend vollzog sich in musterhafter Ordnung

und

Schnelligkeit

auf

neun

durchlaufenden

Eisenbahnlinien

der

Massentransport in das nach riickwärts durch die Linie Trier—Mainz—Karls­

ruhe begrenzte Aufmarschgebiet, in welchem für alle Korps die Versammlungs­ gebiete abgegrenzt, die Marschlinien festgelegt und durch Anlage großer Magazine die Verpflegung sichergestellt war. Am 31. Juli steht die deutsche Armee in glücklicher Gruppierung und Gliederung, ein mächtiges Zentrum mit zwei vorgeschobenen Flanken, schon

jetzt an 300000 Mann stark, vor der fertig armierten Mittelrheinfront, stra­ tegische Avantgarden am Feinde, ebenso bereit zur Abwehr ivie zum demnächstigen Übergang zur Offensive.

13 deutsche Armee-Korps haben das Aufmarschgebiet erreicht und sind in 3 Armeen geteilt: diel, mit 60000 Mann unter dem General der Infanterie Steinmetz steht östlich Trier, die II. mit 190000 Mann vorwärts Mainz unter dem Prinzen Friedrich Karl von Preußen, die III. Armee mit 130000 Mann —

bestehend aus dem 5. und 11. preußischen, dem württembergisch-badischen und den beiden bayerischen Armee-Korps (von der Tann und Hartmann) — unter dem Oberbefehl des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen steht auf der Linie Landau-Karlsruhe. Während die I. und II. Armee gemeinsam die feindlichen Hauptkräfte an der Saar angreift und sie bei Spichern (6. August) zurückwirft, sucht die III. Armee die im Elsaß versammelten französischen Streitkräfte auf in der Absicht sie von der Verbindung mit ihrer Hauptarmee abzudrängen, was ihr durch das Gefecht bei Weißenburg (4. August) und durch den entscheidenden Sieg bei Wörth (6. August)

gelang.

550

116. Die ersten Siege.

116. Die ersten Siege. Don Georg Bleysteiner.')

Während in den Zeiten der Uneinigkeit Deutschlands die französischen

Armeen meist mit unfehlbarer Sicherheit den Vorstoß gegen die deutschen

Grenzen richten und das alte Ziel ihrer Eroberungsgelüste, die Pfalz, mit Truppen überziehen konnten, war es diesmal der deutschen III. (Süd-) Armee gelungen ihrerseits die Unternehmungen im Feindesland zu beginnen. Weißen­ burg, der Preis des ersten deutschen Sieges in diesem Kriege, war eine alte

deutsche Stadt, die im Jahre 1247 zu einer der zehn freien Reichsstädte des Elsasses erhoben, aber vom französischen König Ludwig XIV. im Jahre 1673 erobert wurde.

Im Jahre 1744 und 1793 wurde sie von den Deutschen zwar

zurückerobert, beidemale aber später von Frankreich wieder geraubt. Dieses legte stets den größten Wert auf den Besitz der „Weißenburger Linien", so daß, als der General Beauharnais, der Großvater Napoleons HI. (mütterlicherseits), sie 1793 gegen das deutsche Heer unter General Wurmser und dem Prinzen von Waldeck verlor, Beauharnais auf Befehl des stanzösischen Konvents aufs Schaffst geschleppt und hingerichtet wurde.

Nur infolge der Uneinigkeit der deutschen

Verbündeten war die französische Armee damals entkommen. Gottlob, daß jetzt die Deutschen einig waren und unter einem Oberbefehlshaber gegen den Enkel jenes Beauharnais kämpften! Der 4. August war der erste der glänzenden Siegestage,

welche die

deutsche Armee, nach Ergreifen der Offensive unaufhaltsam auf französischem Boden vorrückend, auf ihre Fahnen schrieb. Da an dem Erfolge dieses TageS Preußen, norddeutsche Bundestruppen und Bayern in gleich ruhmvoller Weise

beteiligt waren, so empfing am 4. August zugleich die neue Waffenbrüderschaft

der deutschen Stämme ihre erste Feuerprobe und Bluttaufe. Die amtliche Meldung des bayerischen Kriegsministeriums lautete: „Preußen und Bayern im Vormarsch, haben am 4. August die Lauter überschritten und Weißenburg

und den dahinter liegenden Geisberg erstürmt." Die Siegesbotschaft verbreitete sich noch am nämlichen Tage wie ein

Lauffeuer durch ganz Deutschland und wurde überall mit endloser Freude aus­ genommen.

Schon abends 11 Uhr lief an das Kriegsministerium in München

folgende Depesche vom äußersten Nordosten Preußens ein: „Marienburg. Die

treuen deutschen Brüder an der Ostsee ein donnerndes Hoch den tapferen bayerischen Waffenbrüdern!" In allen Redaktionsräumen wurden massenhaft

Extrablätter verlangt, welche die Nachricht augenblicklich über alle Teile des Landes und besonders auch an die noch durchziehenden Truppen gelangen ließen. Waren doch aller Augen und Herzen nach dem deutschen Rheine ge­

richtet, erwartete man doch mit fiebernder Spannung die ersten Nachrichten

') „Aus großer Zeit", S. 108 ff.

Augsburg 1897, M. Rieger.

116. Die ersten Siege.

651

über den Gang der Ereignisse. Von diesem hing cs ab, ob es gelingen würde den Krieg

in Feindesland hinüberzutragen, oder ob er unsere eigenen Gaue überziehen sollte. Jetzt durchzuckte frohe Hoffnung ganz Deutschland. Im Süden begann jetzt insbesondere die Be­ sorgnis vor einem Einfalle der ftanzösischen Armee zu schwinden. Hatte schon die Nachricht von der Er­

stürmung Weißenburgs ganz Deutschland mit

freudiger Zuversicht erfüllt, so sollte sich diese

zum hellsten Jubel steigern, als zwei Tage darauf die Kunde von der Hauptschlacht bei Wörth eintraf.

Hier hatte die III. Armee

mit dem Feinde einen zweiten Kampf be­ standen, noch heißer und blutiger, aber auch

noch glänzender und entscheidender in seinen Er­ gebnissen als der erste. Der berühmteste Feld­ herr in Frankreich, Marschall Mac Mahon, war aufs Haupt geschlagen und die unter ihm stehende Südarmee zersprengt worden;

was von dieser Armee, die ursprünglich zum

Einfalle in Süddeutschland bestimmt war und der man absichtlich die dunkelfarbigen, wilden Krieger und die Zuaven, den Abschaum der

Turko in voller Ausrüstung.

großen Städte, beigegeben hatte, nicht aufgerieben oder gefangen war, wälzte

sich in wilder Flucht teils auf Reichshofen teils in nordwestlicher Richtung aus Jägertal teils auch nach dem Süden zurück. Auch diese Siegesbotschaft kam von der Armee des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der neben den Preußen

auch die Bayern, die Württemberger, die Badener, die Hessen und die Thüringer

angehörten.

So war in den beiden ersten Siegen der deutschen Waffen zu­

gleich ein bedeutsames Wahrzeichen der nun vollzogenen Einigung aller deutschen

Stämme gegeben.

Es war eine gewaltige Schlacht, wie schon lange keine mehr auf französischem Boden geschlagen worden war. Nur eine Entfernung von wenigen Kilometern trennte die beiden Schlachtfelder von Weißenburg und Wörth und

doch welch bedeutsames Stück der Geschichte spielte sich auf diesem Boden abl Die Armee des Kronprinzen war am 5. August in die Linie der Selz

vorgerückt, rechts die beiden bayerischen Korps, in der Mitte das 5. und das 11. preußische Korps, auf dem linken Flügel die Württembergische und die badische Division, in der Reserve die Reiterdivision. Der Kronprinz setzte an diesem Tage seinen Marsch fort ohne auf ernstlichen Widerstand zu stoßen.

116. Die ersten Siege.

552

Die von ihm dirrchschrittenen Ortschaften waren von französischen Verwundeten

angefüllt.

Der tiefe Eindruck des Gefechtes bei Weißenburg war unverkennbar.

In der Nacht vom 5. bis 6. August biwakierten die einzelnen Korps bei Lem­

bach und Jngelsheim, bei Preuschdorf und Sulz, bei Aschbach und Schönen­ burg. Jenseits der Sauer erblickte man in der Nacht zahlreiche feindliche Biwakfeuer; die französischen Vorposten standen auf den Höhen westlich von der Sauer, gegenüber von Wörth und Gunstett.

Für den 6. August hatte

der Kronprinz noch keine Angriffsbefehle ausgegeben, da es ursprünglich gar nicht in der Absicht lag, an diesem Tage eine Schlacht zu liefern. Nur eine

engere Vereinigung nach vorwärts war angeordnet worden. Da die Nach­ richten vom Feinde besagten, daß er auf den Höhen westlich von Wörth mit dem Gesicht nach Osten stehe, mußte die gegen Süden aufmarschierte Armee des Kronprinzen eine Schwenkung nach rechts machen und es mußten hierbei

der rechte Flügel und die Mitte früher an den Feind gelangen als der ent­ fernter stehende linke Flügel. Mit Tagesanbruch jedoch, während diejenigen Korps, die ihre Stellungen zu verändern hatten, soeben ihre Bewegungen be­ gannen, entspannen sich bei den beiderseitigen Vorposten der Sauer entlang kleine Scharmützel. Um 6 Uhr früh sandte das 5. preußische Artillericregiment

dem Feinde den Morgengruß hinüber, der sofort antwortete, zunächst ohne großen Schaden zu tun, da die französischen Granaten fast sämtlich hier in dem durch anhaltende Regengüsse aufgeweichten Boden erstickten. Noch früher waren die Bayern mit den französischen Wachen auf den Höhenzügen in ein

Plänklergefecht verwickelt worden. Man stieß auf die Hauptmacht Mac Mahons, die sich hier dem Heere des Kronprinzen in den Weg stellte.

Mac Mahon hatte gleich nach der Nachricht von der Niederlage der Division Douay bei Weißenburg Vorbereitungen getroffen in der Stellung

von Wörth und Gunstett eine Schlacht zu liefern, da er nicht zweifeln konnte, die Armee des Kronprinzen werde auf der von hier aus beherrschten Straße

nach Hagenau vorrücken. Der Marschall hatte ein solches Vertrauen zu der Vorzüglichkeit seiner Stellung, daß er ausrief: „Meine Herren Preußen, nun hab' ich euch!" lich gewählt.

In der Tat war seine Stellung in taktischer Hinsicht vortreff­

Sie wurde gebildet durch das etwa 800 Schritt breite Tal der

von Norden nach Süden fließenden Sauer, dessen Westrand, von steiler Höhe

begrenzt, die natürliche Front des französischen Heeres bezeichnete.

Das süd­

westlich von Wörth gelegene Dorf Elsaßhausen, durch seine Lage auf einem steilen Berge eine Art rückwärtiger Bastion, war der Schlüsselpunkt, das Dorf

Fröschweiler hinter Wörth der Stützpunkt der Stellung.

Die Hügel, auf denen

die Franzosen festsaßen, waren etwa 60 m hoch, sehr steil und an den Ab­

hängen größtenteils mit hochgestocktem Wein, oben aber mit Laubholz dicht

bewaldet.

Die Hauptstellung war durch Schützengräben, Verhaue, Schanzen

und Drahtsperren verstärkt.

Die gegenüberliegenden östlichen Talabhänge, teil­

weise ebenfalls mit Wein bepflanzt, was den Bewegungen der deutschen Truppen

553

116. Die ersten Siege.

sehr hinderlich wurde, fielen steil gegen die Sauer ab und wurden zudem vom

jenseitigen Ufer überhöht.

Der kleine Fluß, zwar nur zehn Schritte breit,

chatte aber einen äußerst steilen Uferrand und nach dem anhaltenden Regen starkes Gefälle. Im Talkessel lag das Dorf Wörth. Als sich am Morgen des 6. August die deutsche Armee gegen diese furcht­

bare Stellung heranbewegte, stieß zuerst die Division Bothmer vom 2. baye­

rischen Korps Hartmann

mit den Vortruppen der französischen Division

Ducrot zusammen. Das Gefecht war hitzig und ernsthaft, die Bayern verfolgten die errungenen Vorteile über Lembach hinaus auf Langensulzbach.

Mac Mahon, überzeugt, daß der Feind noch nicht so weit vorgerückt sein könne, hielt dies für eine bloße Scheinbewegung und glaubte auch seinerseits, daß die Schlacht erst für den folgenden Tag bevorstünde. Somit hatte der Marschall hinsicht­

lich der Entfernung von Weißenburg bis Wörth und der hierauf gegründeten Nur hatte er die außerordent­

deutschen Anordnungen ganz richtig geurteilt.

liche Begeisterung und Kampfeslust der deutschen Offiziere und Mannschaften nicht in Rechnung gezogen, die den Sieg um 24 Stunden verfrühten, ent­ gegen der ursprünglichen Absicht ihres Oberbefehlshabers.

Bald nach dem Vorgehen der Bayern war auch der Befehlshaber der Vorhut des preußischen 5. Korps in der Mitte der Schlachtreihe in einen Kampf verwickelt worden.

Auch die Vortruppen des 11. Korps stießen auf französische Geschütze und

Fußvolk und eröffneten das Feuer. So war um 9 Uhr auf der ganzen Linie der Kampf entbrannt, obwohl die größere Masse der deutschen Korps noch weit zurück war. Beim 5. Korps hatte bereits ein ernstlicher Angriff gegen Wörth begonnen. General v. Kirchbach befahl, als sich die Überlegenheit der

deutschen Geschütze herausgestellt hatte, Wörth zu nehmen und sich womöglich auf den jenseitigen Vorbergen festzusetzen. Das Dors Wörth war zunächst frei von Feinden; diese hatten sich auf den westlich dahinter liegenden Wein­

bergen stark verschanzt.

Aber kurze Zeit, nachdem die Artillerie des 5. Korps

auf den östlichen Höhen gegen Wörth aufmarschiert war, hatte der Kronprinz

befohlen das Gefecht so lange abzubrechen, bis die übrigen Korps in genügen­ der Stärke heranmarschiert wären. Ehe aber dieser Befehl beim 5. Korps an­

langte, hatte fälschlicherweise auch die bayerische Division Bothmer, die bereits über Langensulzbach

hinaus vorgedrungen war,

den Befehl zum Gefechts­

abbruch erhalten, infolgedessen sie nach Langensulzbach zurückging.

Diese Er­

leichterung auf seiner linken Flanke verschaffte dem Marschall Mac Mahon die

Möglichkeit seine volle Kraft nach Wörth zu wenden. Dies führte zum kritischen Moment der Schlacht. In dreimal wiederholtem Ansturm versuchte das 5. preußische Korps vergeblich über Wörth hinaus vorzugehen.

Die Truppen,

die den Fluß im stärksten Gewehr- und Granatfeuer, bis an die Brust im Wasser stehend, durchwatet hatten, erklommen im verheerenden Feuer des Feindes die Höhen, die gelichteten dünnen Reihen aber wurden durch starke

Angriffe französischer Reserven den Berghang wieder heruntergeworfen.

Der

554

116. Di« ersten Siege.

Feind hatte sich auf dem mit Hecken, Steinwällen, Gehöften und Anpflan­

zungen dichtbesäten Abhang derart festgesetzt, daß er überall günstige Gelegen­ heit fand dem preußischen Fußvolke überraschend entgegenzuttetm und es mit mörderischem Kugelhagel zu überschütten. Frische Truppensendungen hatte« während des ganzen Vormittags die französischen Regimenter verstärkt; man

konnte bemerken, wie die Eisenbahnen ohne Unterbrechung neue Truppenzüge hcrbeibrachten, die aus den Wagen stürzten und sofort an die Schlachtstätte eilten.

Die Franzosen drangen sogar mehrere Male bis nach Wörth nnd dar­

über hinaus vor, so daß Teile des Dorfes einmal in französischer, dann aber wieder in deutscher Hand waren.

Französische Artillerie auf den Höhen hinter Wörth.

So stand bis gegen 1 Uhr die Schlacht, anderthalb Stunden hin und

her wogend unter immer wieder zurückgewiesenen, heftigen Angriffsstößen der französischen Armee, bis sich um diese Zeit der Kronprinz, begleitet vom General­ leutnant v. Blumenthal, auf das Schlachffeld,

wo der Kampf am stärfften

wütete, begab. Durch die Ankunft des Kronprinzen wurde nun der Anfandes unaufhaltsamen Vordringens der deutschen Heersäulen bezeichnet. Nachdem

5 Stunden lang einzelne Divisionen den Kampf gegen eine große ftanzösische Übermacht auftecht erhalten hatten, stellte sich erst jetzt ein Gleichgewicht in

der Zahl her, das sich durch das Eintreffen neuer Scharen mit jedem Augen­ blicke zu Gunsten der Deutschen vollendete, bis schließlich das Übergewicht auch

in dieser Hinsicht ganz auf deuffcher Seite war. Auf dem äußersten linken Flügel erschien die Württembergische Division und verstärkte in Gunstett daK 11. Korps in den unternommenen Angriffsbewegungen, auf der äußersten

Rechten nahm das 2. bayerische Korps das Gefecht von neuem seiner Seite

begann

sich

das sehnlich erwartete

auf,

an

1. bayerische Korps mit

den Spitzen bereits der Schlachtlinie zwischen Langensulzbach und Görsdorf

zu nähern.

555

116. Die ersten Siege.

Nun griff auch das 5. Korps von neuem die Stellung von Wörth an. Es gelang den unwiderstehlich vorrückenden deutschen Truppen, das Dorf nach hartnäckigem Widerstande ganz zu nehmen.

Die Deutschen drängten in das

Dorf, stürmten die Häuser und gingen mit Hurra durch die zwar nicht breite, aber verhältnismäßig tiefe und reißende Sauer.

Im jenseitigen Teile des Dorfes

nahm der Kampf eine äußerst leidenschaftliche Form an, Haus für Haus mußte genommen werden unter beständigem Granatfeuer des Feindes, der sich auf den Höhen hinter dem Dorfe, auf der Straße nach Fröschweiler, im hoch­ stämmigen Wein verschanzt hielt. Festungsähnlich waren die Stellungen des Dazu empfing der Feind die Deutschen mit einem Höllenfeuer.

Feindes.

Er

hatte die Entfernungen vorher gemessen und sich durch Beseitigung zwischen­

liegender Gegenstände ein fteies Schußfeld geschaffen, weshalb er sehr sicher

schoß.

Die Kugeln der weittragenden Chassepotgewehre fielen so hageldicht

in die deutschen Glieder hinein, als würde ein Sack voll Erbsen darüber aus­

gegossen.

Man mußte oft fast ausschließlich sich auf dem Bauche weiterarbeiten;

denn sobald einer aufstand, war er weggepustet.

Und doch wich keiner der

Tapferen, ja sie überhörten wiederholt das Rückzugszeichen, immer weiter vor­

wärts dringend.

Unter den französischen Geschützen, die einen Kugelhagel aus­

spien, machten sich die Mitrailleusen durch ihr eigentümlich rauschendes Knattern

bemerkbar;

sie spielten wie Drehorgeln auf und rasselten, wie wenn schwere

Ankerketten niedergelassen würden.

Als die erste Ladung dieser Kugelspritzen

bei den Deutschen einschlug, pochte manchem das Herz; doch bald gewöhnte man sich an das Schwirren.

Aber auch das ftanzösische Chassepotgewehr schoß

viel weiter und schneller als das deutsche Zündnadelgewehr. die Deutschen immer weiter aufwärts.

Trotzdem stürmten

Oft erkannten sie dabei die Stellung

des verschanzten Feindes nur aus dem auffteigenden Pulverdampfe; oft aber auch stürzten die Turkos und Zuaven mit gellendem, rasendem Geheul aus

den Verhauen plötzlich den Deutschen bis auf 20, ja 5 Schritte entgegen und eröffneten das Handgemenge.

Die weißhosigen Turkos,

diese

braunen

und

schwarzen Schufte, fochten wie der leibhaftige Teufel, gaben niemals Pardon, sie kämpften nicht, sie mordeten

und

sengten

aus bestialischer Leidenschaft.

Waren sie selber aber in die Enge getrieben, so warfen sie das Gewehr weg, fielen auf die Kniee und jammerten um Gnade. Zweimal warfen sich neue ftan­

zösische Kolonnen auf die deutschen Regimenter ihnen Wörth wieder zu entreißen, aber es ward behauptet und während die deutschen Tambours unaufgefordert

Sturm wirbelten, ging es mit Hurra ttotz des furchtbaren Feuers vor, bis die

Franzosen, fortwährend fechtend, aus einer Stellung in die andere wichen.

Auf

der Höhe selbst entbrannte der Kampf aufs neue, das Schlachtfeld zog sich hier über eine Stunde lang hin bis zu dem Dörfchen Fröschweiler, in dessen

großem kaiserlichen Schlosse Mac Mahon sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.

Unterdessen griff eine Division des deutschen 11. Korps Elsaßhausen an.

Unter blutigem Kampfe drang man hier Schritt für Schritt vor, bis es um

116. Die ersten Siege.

556

2 Uhr gelang im Verein mit Abteilungen des 5. Korps das brennende Dorf zu nehmen.

Zwischen 1 und 2 Uhr »hatte sich der Bogen der deutschen An­

griffsreihe enger und fester um die französische Stellung zusammengezogen und begann nun von Norden und Süden umfassend die verzweifelten Angriffsstöße des Marschalls Mac Mahon zu ersticken. Vergeblich unternahm der Marschall

von Fröschwciler aus, in der Absicht die deutsche Mitte zu durchbrechen, mit Infanterie- und Kürassierregimentern einen wütenden Angriff. Er ward ab­ geschlagen. An das 5. Korps schloß sich jetzt das 1. bayerische Korps, das trotz des zurückgelegten langen Marsches sofort entscheidend in die Schlacht eingriff, und an dieses von Norden her das 2. bayerische Korps. Die tapferen

Bayern — das 1. Korps unter von der Tann — trieben mit unwider­

stehlicher Gewalt den französischen linken Flügel vor sich her, wobei sie, wie der Kronprinz von Preußen nach der Schlacht anerkannte, durch eine geschickte Flankenbewegung viel zur Entscheidung des Tages beitrugen. Links an das 1. Korps reihte sich die Württembergische Division. So wurde Frösch­ weiler, der Mittelpunkt und Hauptstützpunkt der französischen Stellung, an­

gegriffen. Ohne zu wanken standen sich hier längere Zeit beide Linien fast wie unbeweglich gegenüber, während von dem ganzen Schlachtfelde überall aus brennenden Gehöften und Dörfern die Rauchwolken emporstiegen. Jetzt aber

stürmten und beschossen die Preußen das Dorf von vorn und die Württem­ berger drangen von links ein, während die Bayern nach hitzigem Kampfe, der sich um den kleinen Sulzbach, einen reißenden Bergstrom mit steilen Ufern,

drehte,

das Dorf von der rechten Seite

angriffen.

Im letzten Augenblick

der Entscheidung warf hier Mac Mahon noch zwei Kürassierregimenter den Deutschen entgegen um in altnapoleonischer Weise durch die Wucht ihrer

Massen die deutsche Schlachtreihe zu durchbrechen.

Der Marschall Mac Mahon

setzte sich selbst mit seinem Stabe an die Spitze dieses letzten Angriffes.

Es

war ein großartiger Anblick, als die blanken Panzergeschwader zwischen den

Waldpartien glänzend hervorbrachen; sie kamen wie ein Gewittersturm, die Erde dröhnte. Als sie bis auf 240 Schritte heran waren, gab das deutsche Fußvolk Feuer, die Salven rollten von drei Seiten her und wie über den Tisch gefächerte Karten sanken die vordersten Glieder Mann an Mann.

An

anderen Stellen lagen sie wie ein wirrer Knäuel von Mann und Roß.

Ge­

stürzte Reiter hier, ledige Pferde dort. zurück.

Der Rest sprengte in wilder Flucht

Zwei Regimenter auseinandergefegt wie Spreu.

Um S1^ Uhr ward

Fröschweiler endgültig genommen. Die Bayern im Norden, die Preußen im Osten und Westen und die Württemberger im Süden drangen umzingelnd ein und nahmen das Dorf samt mehreren Tausend darin eingeschlossener Feinde. Die Hitze in dem brennenden Dorfe war stellenweise unerträglich. Einzeln

wurden die Häuser gestürmt, die Türen mit dem Kolben eingestoßen.

Auf

Leitern mußte man die Scheunen ersteigert, aus denen die Turkos noch schossen.

55T

116. Die ersten Siege.

Am Fuße des zusammenstürzenden Kirchturmes trafen die einzelnen deutschen Regimenter von verschiedenen Seiten her zusammen. Endlich

war

der letzte Widerstand

Schlacht war damit endgültig entschieden.

zugsstraßen.

in Fröschweiler gebrochen.

Die

Der Feind warf sich auf die Rück­

Mac Mahon selbst, der von dem mißlungenen Angriff seiner

Reiterei unverwundet zurückgekommen war, leitete den Rückzug.

„Den Degen"

— so schilderte ihn ein französischer Bericht in diesem Augenblick — „hatte er an der Klinge gefaßt und schwang ihn wie eine Keule. Unablässig bearbeitete er mit den Sporen sein großes, schaumbedecktes, schwarzes Pferd, das dritte Pferd an diesem Tage. Sein Rock hing in Fetzen, seine Krawatte war fort, das offene Hemd ließ die nackte Brust sehen. Er aber zündete sich eine Zigarre an und gab kaltblütig die Rückzugsbefehle." Doch was halfen Befehle, wo schon alle Ordnung aufgelöst war! Schon längst hatte die sinnlose Angst alle Truppenteile erfaßt und trieb sie dahin,

wo nur ein Ausweg zur Rettung noch zu entdecken war. Der Reiterangriff hatte wenigstens einem Teile der französischen Armee Luft gemacht und ihm Zeit und Gelegenheit zum Eiltweichen verschafft; diese Gelegenheit wurde auch allerseits so schnell wie möglich benutzt. In wilder Flucht zogen sich die fran­

zösischen Regimenter, die trotz äußerster Tapferkeit keinen Erfolg hatten er­

ringen können, zurück, Geschütze, Fahnen und zahlreiche Gefangene in den Händen der Sieger zurücklassend. Die Straße nach Hagenau bedeckte sich mit Flüchtlingen; es war ein schauderhaftes Durcheinander unter dem nach­ gesendeten Geschützfeuer der Deutschen, das sich von Minute zu Minute zu verdoppeln schien.

Als der Abend einbrach, wurde die Unordnung in der

Dunkelheit noch entsetzlicher, Geschrei,

Geheul,

Flüche,

ein höllisches Wett­

rennen nach der Eisenbahn zu der Station Brumath. Hier galoppierten ledige Pferde, den Sattel unterm Bauche schleppend, zum Stadttore von

Hagenau herein; dann folgte ein Kürassier auf blut-

und schaumbedecktem

Pferde, ohne Küraß, ohne Waffen; dann ein Kanonier auf ungesatteltem Pferde — auf allen Gesichtern lag unaussprechliche Angst. Dann kamen ganze Schwärme von Reitern; oft saßen zwei Zuaven auf einem Pferde. Andere schwangen ihre Säbel und hieben wie wahnsinnig auf die armen Pferde ein; wieder andere warfen den Helm, den wuchtigen Säbel und den

schwerfälligen Panzer von

sich

um schneller vorwärts zu

kommen.

Nun

mischte sich auch Fußvolk unter die Reiter; die militärische Ordnung war voll­

ständig gebrochen.

DaS waren keine Soldaten mehr, die da vorbeirasten; das

waren arme, furchtsame Kinder geworden, einzig und allein auf die Sicherung ihrer schon mehr oder weniger schadhaften Haut bedacht. Immer größer ward

der Lärm; unter die Haufen der Kürassiere mischten sich Ulanen und Husaren; alles drängte sich durch die Straße; ledige Pferde liefen, als wären sie von

gleicher Furcht getrieben, an allen Orten mit dem Schwarme; Zugpferde mit abgeschnittenen Zugsttängen, von Fußsoldaten oder Kanonieren geritten. Wie

116. Die ersten Siege.

558

die wilde Jagd eilten die Reiter der Stadt zu und ohne Aufenthalt durch.

An den Stationen warfen gesunde Fußsoldaten die Verwundeten aus dm Bahnwagen und setzten sich selbst hinein.

Als der Zug davonsauste, warm

alle Wagen überfüllt; auf den Wagendächern hingen sie, an den Türgriffen, auf dm Trittbrettern, mit halbem Leibe in der Lust, einige in voller Rüstung, andere halb nackt. Auf der Straße kam nun Fuhrwerk aller Art, Protzm ohne Geschütze, Kanzleikqrren, Ambulanzwagen, aber mit Gesunden bepackt. Jetzt sauste und polterte ein zerbrochener MunittonSkarren einher, dann ein

Bauernwagen mit Bettzeug und allerlei Habseligkeiten — ohne ihre Besitzer. Ein Zuave leitete die Pferde, zwei gräßlich verstümmelte Turkos lagen auf

dem Wagm quer über, ein Haufe unbewaffneter Soldaten klammerte sich außerdem noch oben an. Dann kamen verschiedene Marketenderwagen. Die Reiterei sämtlicher deutscher Divisionen übemahm sofort die Ver­ folgung und setzte sie 6 Meilen weit bis Zabern fort. Wie überstürzt die Eile war, womit die Franzosen die Flucht antraten, geht schon daraus hervor,

daß Marschall Mac Mahon selbst seinen Stabswagen, der die Papiere seines Bureaus und seine Briefschaften enthielt, zurückließ. Außerdem wurde die Kriegskasse, bestehend in 360000 Francs, erbeutet sowie zahlreiches wertvolles Troßgepäck.

Auch die Bevölkerung der ganzen Umgegend flüchtete in blinder

Flucht karawanenarttg dem Wasgenwalde zu. Der Verlust der Franzosen betrug an Toten und Verwundeten 5000 Mann, an Gefangenen 8000 Mann, darunter 2500 Verwundete. Vonseiten der Deutschen war der Sieg mit einem Verlust von 489 Offizieren, 10153 Mann

an Toten und Verwundeten erkauft. Und doch erschien beim Anblick der eroberten Stellungen diese schreckliche Zahl fast gering! Nachdem die Fran­

zosen die Vormittagsstunden hindurch auch zahlenmäßig die Oberhand gehabt

hatten, waren schließlich den 60000 Franzosen in ihrer fast uneinnehmbaren Stellung 90000 Deutsche als Angreifende gegenübergestanden.

Ein trauriges Bild der Zerstörung bot Wörth. Die Häuser der Hauptsttaßen waren alle verwüstet, Fenster und Türen zerschlagen und zerschossen. Langsam brach der Abend über die wechselnden,

Bilder herein.

oft herzzerreißenden

Aber je schwerer der Kampf, um so herrlicher der Sieg.

Und

diesen hatten die Deutschen in erhebendster Weise gewonnen. Selten wurden Schlachten mit einer solchen idealen Hingebung, mit solcher überschäumenden und alles durchdringenden natürlichen Begeisterung geschlagen wie die Anfangs­ schlachten dieses Krieges bei Weißenburg und Wörth. Der Gedanke „Vater­ land!" und das Bewußtsein dieses vor der rücksichtslosen Mißhandlung eines haßerfüllten geschworenen Feindes zu retten, retten zu müssen beseelte die Brust jedes einzelnen Kämpfers mit feurigem Mute und triumphierte mächtig

über alle Gefahren, Anstrengungen, Nöten und Leiden des Kampfes. Ja auch alle Schrecknisse des Todes besiegte das durchmannende Gefühl dieser hohen Aufgabe.

Ein wahrhaft homerischer Geist von ursprünglichem Kampfeszorn

569

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

unb unüberwindlichem Heldentum sprach aus den einzelnen Zügen dieser Tage.

Die glühende Liebe zum Vaterland, der Glaube an dessen unbesiegliche Macht, die Überzeugung von der neuen Herrlichkeit, zu der dasselbe aus dem blutigen Kampfe emporsteigen mußte, schuf ihre Taten. Schon zeigte es sich, auf welche Seite der von den zwei mächtigsten Völkern Europas angerufene „Gott der Schlachten" treten wollte.

Noch vor vier Tagen hörte man die Pariser

Redensarten von der promenade militaire ä Berlin und heute bereits war eines der drohenden französischen Heere zerbrochen und aufgelöst. Sämtliche deutsche Truppen, die gefochten hatten, bezogen auf der Wal« statt ihr Biwak.

Es war ein schöner, stiller Sommerabend, die Fahnen flat­

terten, die Militärmusiken bliesen den Choral „Nun danket alle Gott", die

„Wacht am Rhein" und Arndts „Was ist des Deutschen Vaterland?"

Alles

umarmte und küßte sich vor Freude; manchem tapfern Kameraden wurde im Sterben die Hand gedrückt. Manchem Schwerverwundeten reichte man die Feldflasche und fragte, wie es ihm gehe. „Gut, denn wir haben gesiegt!" antwortete der eine gefaßt; „Ich sterbe, aber für Deutschland!" ein anderer,

als er, durch den Leib geschossen, sein Leben aushauchte. Trotz der grausigen Zerstörung hörte man an diesem Abend niemand wimmern.

Der Kronprinz beritt am Abend das ganze Schlachtfeld und begrüßte unter freudigem Jubelgeschrei von Offizieren und Mannschaften seine siegreichen Truppen. Er ritt an die Brigadegenerale heran und drückte ihnen die Hand. Dann sich zu den Truppen wendend sprach er seine Anerkennung in mann­ haften Worten aus: „Soldaten!

Ihr habt euch wacker gehalten!

Der Sieg,

den ihr miterrungen habt, ist zum Wohle und zur Ehre Deutschlands erfochten

worden!"

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August. Don Karl Tanera.')

Wir Jäger waren bei Wörth eigentlich auch dabei, denn wir standen

dort während des Kampfes in erster Reserve und wurden nachher noch ein Stück zur Verfolgung verwendet. Aber man hatte doch nicht das Gefühl, daß man wirklich die Feuertaufe erhalten; denn wenn auch damals einige ver­ lorene Granaten über uns hinweggesaust waren, so erlitt doch unser Bataillon keine Verluste — und die gehören einmal dazu wie das Wasser zur Taufe,

sonst ist sie eben nicht echt. Morgen aber sollten wir gründlich daran kommen. Jeder großen kriegerischen Aktton gehen Gerüchte voraus, von denen kein Mensch weiß, .wo sie Herkommen. Sie sind da und verbreiten sich bis zu den jüngsten Soldaten und meistens haben sie wenigstens einigen Grund und darum erzählt sie jeder nach. *) Ernste und heitere Erinnerungen eines Ordonnanzoffiziers im Feldzug 1870/71 1. Reihe, S. 18 ff. Nördlingen 1888-, C. H. Beck.

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

560

So war es auch in unserem Biwak bei Sommerance.

„Ihr werdet

sehen, morgen kommen wir zum Handkuß!" meinte unser Adjutant und recht hatte er, denn 24 Stunden später knattetten unsere Podewilsbüchsen so tüchtig, daß den Franzosen Hören und Sehen verging. Vor und nach diesem 29. August haben wir oft biwakiert; aber kein Lager ist mir in so schöner Erinnerung als jenes unübersehbare, gewalttge

damals bei Sommerance.

Unsere Division biwakierte bei diesem Dorfe selbst;

links von uns die erste bayerische, neben dieser das 5. preußische Korps; rechts vorwärts von uns die Armeekorps des Kronprinzen von Sachsen, hinter uns die bayerische Kürassierbrigade, kurz, wo man hinsah, Soldaten, nichts als Soldaten. Das war herrlich zu sehen und wohl jedermann, nicht mich allein, über­

kam damals ein Gefühl unbedingten Verttauens zu unserer oberen Führung, die es so gut verstand uns auf dem Marsche auseinander zu halten, damit

sich die Truppen nicht gegenseitig genierten, für das Gefecht aber alles zu­ sammenzuballen, damit wir jeder auch noch so schweren Aufgabe gewachsen und immer, wenn irgend möglich, stärker als der zu schlagende Feind waren.

Wir hatten uns schon so recht gemütlich eingerichtet, was man eben unter gemütlich in einem Biwak im Feindesland versteht. Unsere Jäger hatten Kartoffeln in Menge gefunden, Wasser war geholt worden, Holz lieferte der

nahe Wald, Salz und Brot gaben die Tornisterbestände.

Die Kochlöcher

waren gegraben, das Feuer loderte, das Wasser brodelte, kurz alles war fertig:

nur die Hauptsache fehlte: das Fleisch. Endlich kam unser Requisitionskommando zurück. Wir Jäger erhielten einen Prachtstier. Der Metzger stand bereit, ein Axthieb und — der Stier ging pleine carrifere durch, rannte einen Jäger um, daß dem das Blut von der Stirne lief, und nahm seine Richtung gerade auf unsere Kompagnie. „Achtung! ein Ochs kommt!" schrie ein Mann.

„Das kann ein schönes Unglück geben," rief unser Hauptmann und „Macht ninxn," meinte der Gefreite Mögele, „dem wer'n mers glei zoagn!" — Kaltblütig packte er seine Büchse, spannte den Hahn und zielte; paff, da lag der Stier, zuckte noch einige Male und war tot.

Der gute Schuß hatte alle

Jäger herzlich gefreut und — jedermann hatte Hunger. Sofort spannten sich

etwa zehn Mann an die jetzt so zahme Bestie; sie wurde hinter die Wagen geschleppt und bald brodelte sie, in etwa 1000 Teile zerlegt, in den Feld­ kesseln der Leute. Gegen 3 Uhr war das Diner fertig.

Suppe, Brot, Zunge, Stierfleisch,

Kartoffeln, Salz, Wein; was wollte man mehr!

Am Abend bei herrlichstem

Wetter spielte unsere Musik. Lange saßen wir beisammen und plauderten von den Aussichten für morgen. Für uns gab es keinen Zweifel mehr, daß es

zur Schlacht kommen würde.

561

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

Ziemlich spät begab man sich zur Ruhe, man schlief ziemlich aufgeregt, denn am Abend vor der Schlacht hat man an so mancherlei zu denken, was den Schlaf lange fernhält. In aller Frühe ging's los.

Ehe die Sonne langsam über den Wald

östlich Sommerance heraufkroch, waren wir alle munter und warteten ungeduldig auf den Marschbefehl. Es dauerte noch ziemlich lange. Endlich 5x/2 Uhr setzte sich die Avantgarde in Marsch, leider die 4. Brigade. Wir folgten beim Gros. Aber unser Bataillon war wenigstens da an der Spitze. Es ging

über St. Georges, Champigneulle, Verpel nach Buzancy. In den Ortschaften gewahrten wir an den Fensterläden ftanzösische Quartierbezeichnungen. Genau wie wir hatten sie es gemacht und auf Läden und Türen konnte man mit Kreide angeschrieben lesen, daß am 27. August hier das 12. Regiment Chas­

seurs ä cheval und das 4. Regiment chasseurs d’Afrique übernachten sollten, hätten sie nicht die sächsischen Ulanen und Reiter des Generals von Pilsach unliebenswürdigerweise wieder fortgejagt. Dicht vor dem Städtchen Buzancy marschierten wir in Bereitschafts­

stellung auf.

Es wurde gehalten.

Ein Ordonnanzoffizier galoppiert vorüber.

— „Was gibt's Neues?" — „Wir greifen an!" — „Bald?" —

„Weiß

nicht!" — Fort war er. — Also wir greifen an! Aber wo und wann denn? Man sieht ja weit und breit nichts vom Feinde! Und doch war er da, keine 10 Kilometer vor uns.

Wir in der Truppe wußten es damals nur noch nicht.

Aufregung wir uns befanden, läßt sich gar nicht beschreiben.

In welcher

Es war aber

auch zum Berzweifeln. Generalstabsoffiziere und Adjutanten ritten hin und her; dort vorne

stand General von der Tann mit seinem Stabe, Ordonnanzoffiziere sausten weg und kamen zurück, aber keiner ließ etwas hören, sie hatten alle keine Zeit mehr mit uns zu sprechen; wir wußten nichts als „wir greifen an". „An die Gewehre!" O, unsere Leute standen schon an den Pyramiden.

Vergingen sie ja

gerade so wie wir selbst vor Ungeduld vorwärts zu kommen und den Rothosen zu zeigen, wie bayerische Jäger schießen.

Sommauthe.

Wir setzten lins in Marsch auf

Das Tempo wurde immer schärfer.

Jeder drängte vor.

Die

Hinteren Regimenter mußten oft Laufschritt machen. Uns Jägern war dies einerlei. Da trabte ein preußisches Dragonerregiment an uns vorbei. Herrgott,

daß wir nicht auch traben konnten!

Jetzt jagte eine Batterie im Galopp

links vor. „Was ist denn das? Die protzen ja ab!" — Es war so; aber kein Schuß fiel. Wir marschierten weiter. Eigentlich war es jetzt ein wahrer

Eilmarsch.

„Hört, hört, es schießt!" Rechts vorne krachte es. Da kam auch Leben Das rechte Flügelgeschtttz begann, Kron-eder, Lesebuch zur Geschichte Bayern-. 36

in die Batterie, die links vorwärts stand.

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

562

die anderen folgten, genau so, wie es zu Hause auf dem Kasernhof geübt wurde. Wir sahen die Granaten in die Lust stiegen, dann verschwanden sie hinter einem Hügel, der uns jede Aussicht versperrte, wir wußten nicht wohin, jeden­

falls auf den Feind.

Wir marschierten weiter.

Es ist ein eigentümliches Gefühl, wenn man so direst in die Schlacht

geht.

Man denkt schneller als sonst; man sieht und hört alles; jeder Sinn

ist erregt, das Herz schlägt heftiger; die Pulse fliegen.

Man möchte sich ver­

doppeln um nur recht schnell überall zu sein und alles zu erfahren.

Noch

sahen wir nichts. Aber das Geschützfeuer wurde immer stärker und nun klang es dumpf, als ob auch Gewehrschüsse vernehmbar würden.

Plötzlich kamen wir auf den Rand des Hügels, der uns so neidisch bisher jede Aussicht versperrt.

Das ganze Schlachtfeld von Beaumont bis

Thibaudine lag offen vor uns. — Welch ein Anblick! Als ob man in einem Haufen von roten Ameisen mit einem Stocke herumgestiert hätte, so wimmelte es dort unten, kaum 2 Kilometer, von Rot­ hosen bunt durcheinander. Der Höhenrand uns zur Linken und Rechten spie Feuer hinunter und unten im Tal selbst vom Waldrand aus krachte und

knatterte es, daß man meinte, ein Hagelschlag prahle auf die Glasscheiben eines Gewächshauses und schlage alles kurz und klein. Jenseits auf einem langgestreckten Höhenzug stand die französische Artillerie und wetterte herüber

und bäld galten ihre Grüße auch uns.

Jetzt hatten wir das Dorf Sommauthe passiert. Links an der Straße lag ein Felsblock. Auf diesem stand unser Feldgeistlicher. Über seinem schwarzen Talar hing eine silberne Stola. Mit einem Kruzifix erteilte er uns Unsere Leute, wir selbst, alles befand sich in wahrhaft gehobener Stimmung. Da stimmten sie hinter uns an, alle sieten ein und noch nie erklangen den Segen.

die Lieder unserer Jäger so stisch als gerade dort auf dem Wege von Som­ mauthe bis hinunter an den Wald.

„Unser König soll leben, Prinz Luitpold

daneben, alle Generäl und Offizier, die tapfern Bayern san mir!" hieß es vorne, scholl es von hinten. — „Rechts heran! — Platz machen!"

Unsere Divisionsartillerie trabte vor. „Hurra, Kanoniere!" — „Hurra, Jäger!

Heut' gilt's!" —

„Kavallerie muß attackieren, Infanterie gibt Salven ab, das ganze Jäger­

korps rückt aus mit Sack und Pack!" — „Aufhören! — Ruhe! — Lad 's Gewehr!" —

Jetzt wurde es ernst.

Als ob jeder die Biacht dieses Augenblicks zu­

gleich empfunden hätte, herrschte sofort tiefe Stille. Nur die Gewehre raffelten,

als die Zylinder auf- und zugeklappt wurden, und die Hähne knackten, wenn man sie in Ruhe setzte. Bon der Schlacht sahen wir nichts mehr, desto mehr hörten wir.

Man meinte damals, ärger könne es gar nicht zugehen, und doch

kam es dicker bei Sedan, bei Orleans, Coulmiers, Ligny und Beaugency.

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

663

Er hatte genau die Richtung

Nun bogen wir in einen Waldweg ab.

auf jene französische Schimmelbatterie, die wir schon vorhin von oben be­ merkt hatten. An einer Lichtung passierten wir den ersten bayerischen Verbandplatz. Da walteten die Ärzte schon ihres schaurigen Amtes. Wir waren froh, daß uns der Wald bald wieder aufnahm.

Nichts wirkt auf die Leute ungünstiger

als der Anblick von Amputationen, wie sie dort gerade an einem Unteroffizier

des 10. Regiments vorgenommen wurde.

„Vorwärts, Jäger!

Laufschritt!

Vorwärts!"

Meine Kompagnie war an der Spitze. einer Lichtung. „Donnerwetter!

Was soll das heißen?

Der Weg verbreiterte sich zu Das sind ja unsere Leute, die

zurückweichen!" Eine schwache Abteilung unserer Avantgarde war in der Flanke gefaßt

worden.

Eine ganze feindliche Division, die 1. des 7. französischen Korps,

hatte sie von links gepackt und drohte sie vollständig aufzurollen.

„Meine Herren, halten Sie Ihre Züge fest geschlossen!

Wir dringen

durch und reißen sie mit!" — Ich hatte unserem kleinen Hauptmann eine so

mächtige Stimme gar nicht zugetraut. Wir sprangen zu unseren Jägern. „Uns nach, Jäger! — Fest beisammen bleiben! — Keinen der Unsrigen durchlassen! — Vorwärts, Jäger! Laufschritt, vorwärts!" Kein Mann blieb zurück. Wie eine feste Mauer drang unsere Kom­

pagnie durch und riß die Wankenden mit sich.

Rechts von uns machten es 36»

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August,

564

die zweite und erste ähnlich, die vierte folgte als zweites Treffen. spiel wirkte.

Dies Bei­

Nun wurde der Wald lichter. „Ausschwärmen!" — „Bajonette aufpflanzen!"

— „Vorwärts, Jäger,

vorwärts!" Die Flügel kamen kaum hinaus, so drängte die Mitte vor. jetzt im Hellen Lauf. Und wie hielten sie aus, die braven Kerls!

Alles war Für diesen

Dauerlauf verzieh ich ihnen all die Müh' und Plag', die mir das Algäucr Phlegma in der Garnison so oft verursacht hatte.

Der Wald hörte auf.

Eine etwa 200 Schritt breite Lichtung lag vor

uns. Eine weiße Dampflinie bezeichnete den jenseitigen Rand. Dazwischen beleuchtete die Sonne rote Hosen. Dort standen sie also, die Herren Fran­ zosen. Richtig, das sind die Chasscpots, die so lustig uns um die Ohren Pfiffen. — Tut nichts;

werden schon aufhören. — Wir aber hörten nicht auf,

nämlich zu laufen. Nicht einen Schuß gaben wir ab. „Vorwärts!" schrie der Hauptmann; „vorwärts, Jäger!" riefen wir ihm nach und hinaus ging's aufs freie Feld. Da stürzten freilich gleich einige nieder. „Hurra! hurra!" — Wie das durch die Nerven ging!— „Hurra! hurra!" schrie, nein, brüllte die ganze Kompagnie und vorwärts ging's in einem Lauf, bis wir dort waren, mitten unter ihnen drin, daß sie meinen mußten, eine Wolke habe uns aus­

gespien zu ihrem Verderben. Den Waldrand faßte ein kleiner Graben ein. Da stürzten die vordersten der Unsrigen hinein; ich sprang flott drüber weg, war noch ein junger Kerl damals und nicht umsonst von jeher ein gewandter Turner und Fechter. Hinter mir folgte mein rechter Flügelkorporal. Dann kamen unsere Jäger und von den Franzosen riß der größte Teil aus, als wir dicht vor ihren

Gewehrmündungen standen und sie nur hätten losdrücken dürfen um noch manchen flotten Jäger dahinüber zu schicken, wo man zwar als treuer Soldat

gut ausgenommen wird, aber doch nicht gerne freiwillig hingeht.

Ein anderer Teil jedoch blieb stehen und wehrte sich verzweifelt.

Half

Immer mehr Jäger, auch die Zehner kamen heran und glichen alsbald das Zahlenmißverhältnis so ziemlich aus. Noch gellt's mir in den Ohren, wie unser guter Oberleutnant v. Z. einen großen Burschen ihnen aber nicht viel.

anschrie: „d bas les armes!“ als dieser auf zwei Schritte auf ihn anlegte.

Dem Kerl fiel das Gewehr aus der Hand, als ob es glühend geworden wäre. Dem schmächtigen Franzmann, der es auf meinen armen Schädel ab­ gesehen hatte, ging es nicht so gut. Er lag im Anschlag und zielte; da rannte

ihm ein Jäger das Bajonett mitten

durch die Brust.

in die Höhe gegangen, mir hat er nichts getan.

webel schlug ich den.Säbel aus der Hand.

Der Schuß war

Einem stanzösischen Feld­

Er bat um Pardon.

117. Die Schlacht von Beaumont, 30. August.

565

Wir hielten uns nicht lange auf. Was noch Wider­ stand leistete, wurde

erschossen; es wa­ ren aber nur we­

nige; die Mehrzahl war gefangen oder floh, so rasch sie tonnte. Jetzt knall­ ten

auch

unsere

Büchsen; nicht so hell und scharf wie

J

die Chassepots, aber . r gut genug um zu treffen und dies ist

ja doch die Haupt­ sache.

Franz-fische Batterien auf der Flucht vor Beaumont.

Etwas lang­ samer — denn schließlich geht ja sogar einer Lokomotive der Puster aus, geschweige denn einem Jäger, der nur eine Lunge im Leibe hat, aber einen

Tornister und noch mehr auf seinem Körper —, jedoch immer noch schnell genug folgten wir den Fliehenden nach. Bald erreichten wir den jenseitigen Waldrand; dort hielten wir und nun ging ein echtes, richtiges Scheibenschießen

los auf die armen Kerls, die sich todmüde über die Felder hinüberwälzten. Als es nichts mehr zu schießen gab, drangen wir wieder vor; unser

guter „Alter" marschierte zu Fuß mit geschwungenem Säbel voraus.

Wer

geglaubt hatte, der „Alte" sei alt, der hatte sich gründlich getäuscht.

Wenn es galt Strapazen zu ertragen, große Leistungen zu machen, den Feind an­

zugreifen, dann war er jung; da tat's ihm keiner zuvor und nur wenige

waren ihm gleich. Unterdessen hattd die 4. Kompagnie links von uns einen tüchtigen Vor«

sprung erreicht.

Da winkte der „Alte" und sprang vor die Front.

„Auf,

Jäger! Vorwärts!" Von neuem ging die Jagd los; wir hatten ja wieder frische Kräfte. Jetzt protzten die Franzosen auf und jagten davon. Flink machten sie ihre Sache, aber doch nicht flink genug, daß die 4. Kompagnie

nicht noch zwei Geschütze samt Bedienung und Bespannung erwischte. Freilich waren wir auch gleich droben, aber die 4. Kompagnie war dieses Mal die erste.

Nun, wir gönnten es ihr; denn wir waren ja schon gründlich getauft

worden, sie bisher aber noch nicht.

Nachdem das ganze Bataillon sich zusammengefunden hatte, und zwar allein, denn die anderen waren noch weit zurück, beglückwünschten wir uns

118. Dir Schlacht bei Sedan.

566

gegenseitig und erzählten und fragten, wie es eben ein solcher Moment mit sich bringt.

Unser „Mter" — er wird verzeihen, daß ich ihn immer so

nenne —

Ja, so hatte er sich seine Jäger gedacht, so

strahlte vor Glück und Wonne.

hatte er sie erzogen, hart gegen Sttapazen, ausdauernd in Mühseligkeiten, tapfer, schneidig, vorzüglich im Gefecht. war, ich glaube ein Gefreiter:

Da rief einer, ich weiß nicht, wer es

„Unser Alter, der Herr Oberstleutnant, lebe

hoch!" und das ganze Bataillon schrie „hoch, hoch und nochmals hoch!"

So von Herzen habe ich selten jemanden leben lassen als dort unseren lieben, guten Oberstleutnant.

Er war aber auch gerührt bis zu Tränen; ja

wahrhaftig, dem wetterharten Manne, dem wir nachgesagt hatten, er könne

nicht einmal lachen, liefen Tränen über die Wangen und er genierte sich nicht und wir verargten's ihm nicht; wir haben ihn darum nur um so mehr geehrt.

Für uns war die Schlacht zu Ende. sammen und schauten, wer fehlte. geglaubt.

Es gab doch bedeutendere Lücken, als man

Immerhin hatten wir einen ganz außerordentlichen Erfolg verhält­

nismäßig billig erkauft.

Wir bekamen viel Lob und Lohn für diesen flotten

Angriff der ersten bayerischen Jäger.

war,

daß

Wir stellten unsere Züge zu­

man

Was uns aber doch am meisten freute,

auch höheren Orts unseren „Alten" erkannte und ihm die

höchste militärische Auszeichnung Bayerns, den Max-Josephs-Orden, für Beau­

mont verlieh. In der folgenschweren Nacht von Beaumont wurde der rechte Flügel

der Armee Mac Mahons schwer erschüttert.

Zwei Tage darauf schließt sich

um die ganze Armee, die mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte noch den trüge­ rischen Schutz der Festung Sedan erreicht hat, der eiserne Ring, den zu durch­

brechen ihr ttotz tapfersten Verzweiflungskampses in der Schlacht bei Sedan

nicht gelingt.

118. Die Schlacht bei Sedan. Don Hugo Arnold.') Nach den vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm ausgegebenen Dispositionen hatte das 1. bayerische Korps am 1. September in seiner Stellung bei Remilly

zu verbleiben und in die Schlacht nach Maßgabe des Vorgehens der Maasarmee

einzugreifen, die um 4 Uhr morgens gegen den Givonneabschnitt vorrückte. Ausdrücklich wurde aber die Weisung beigefügt, es bleibe dem General Frhrn.

von der Tann überlassen auch ftüher anzugreifen,

wenn dadurch der Feind

in seiner Stellung festgehalten werden könne.

Schon am Abend des 31. August hatte es den Anschein gewonnen, als ob die vor uns stehenden Franzosen sich nach rückwärts, auf den Höhen von La Moncelle,

konzentrierten,

was

auf die

Absicht

eines

Rückzuges

gegen

’) „Unter General von der Tann", I. Bd., S. 121 ff. München 1896, Oskar Berk.

118. Die Schlacht bei Sedan.

567

Zogen die bei Bazeilles lagernden Truppen laut­

los um Mitter­

nacht

konnten

ab, sie

so bis

Tagesanbruch für die

Maasarmee

und unser Korps uner­

reichbar ge­ worden sein. Deshalb ent­ schloß sich Ge­ neral Frhr. von

der Tann dazu noch vor Tages­ anbruch Bazeilles auzugreifen, den Feind dort in einen Kampf zu verwickeln und ihn gleichsam festzubinden; durch die Wegnahme des Ortes wurde ferner die Möglichkeit gewonnen über die Maas zu debouchieren und später mit der vorrückenden Armee des Kronprinzen von Sachsen zu kooperieren. Das Fest­

halten des Feindes war aber nur möglich, wenn man ihm direkt auf den

Leib ging; er mußte überfallen werden. Nach Mitternacht war mit dem Einfall des Nebels drüben bei den Franzosen Ruhe eingetreten, bloß dumpfe Töne drangen polternd herüber.

Es mochte 3% Uhr geworden sein, da krähte im Orte Pont Maugy ein un­

vorsichtiger Hahn — und wir hörten ein leises Rascheln, wie wenn der Weid­ mann durch das Gebüsch pirscht, dazu das Klappern und Klirren von Waffen, ein Kollern und Poltern ferne zu unserer Rechten. Das war das 2. Regiment,

welches die Eisenbahnbrücke überschritt, während Pontonbrücke zum Angriff auf Bazeilles vorrückte.

die

1. Brigade

über die

Gleich darauf wurde mir der Befehl meine Posten einzuziehen und zum Regiment an die Eisenbahnbrücke zu marschieren. Unser Oberst hatte den

Auftrag erhalten mit der ihm

unterstellten Halbbrigade die Brücke und den

Bahndamm zu besetzen und dort weitere Verfügungen

abznwarten.

Wir

nahmen nun diesseits der Brücke Aufstellung und harrten lange Stunden. Sehen konnten wir im Nebel absolut nichts, einzelne verlorene Kugeln zischten

über uns weg. Dafür hörten wir um so mehr, wiewohl wir glaubten, der dicke Nebel müßte den Schall dämpfen. Die Besatzung von Bazeilles, die Marine-Jnfanteriebrigade Martin des Pallieres, hatte die Ortschaft zu hartnäckigster Verteidigung eingerichtet,

118. Die Schlacht bei Sedan.

568

wobei ihr die massive Bauart der großen steinernen Häuser sehr zustatten

kam; in den Straßen waren durch Barrikaden Abschnitte hergestellt.

Allein

wie fast immer handhabten die Franzosen den Sicherheitsdienst so gut wie gar nicht, sie hatten keine Posten aufgestellt und schlummerten im Schlafe der Gerechten innerhalb der Häuser. Unsere Truppen überfielen sie daher im buchstäblichen Sinne des Wortes, einzelne kleinere Abteilungen drangen, wie

tags vorher die Jäger, bis an die Nordumfassung des Dorfes vor. Doch plötzlich tat sich der Schlund der Hölle auf: aus allen Gebäuden brach rasendes Feuer auf die Eindringlinge los, die ihrerseits dahin trachteten die Häuser

in ihre Gewalt zu bringen. So entspann sich von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus der schrecklichste Kampf, der noch grausiger dadurch wurde,

daß sich die in den Kellern versteckten Einwohner daran beteiligten und aus den bereits genommenen Häusern den Feinden in den Rücken schossen oder die Verwundeten massakrierten. Schon am vorausgegangenen Tage hatten

unsere Granaten an verschiedenen Stellen gezündet, nun brachen durch das Gefecht in mehreren Gehöften die Flammen hervor, dazu wurde an einzelne Gebäude, in denen den Verteidigern nicht beizukommen war, Brand gelegt und bald war der ganze Ort nur ein einziges wogendes Flammenmeer, in dessen

Lohe und Glut der Kampf mit

um

so

größerer Erbitterung

und

unter

wechselndem Glücke fortgeführt wurde. Zu uns hinter dem Bahndamm tönte das plötzlich losbrechende Toben

des Kampfeslärmes ganz unheimlich herüber, unaufhörlich rollte das Knattern des Feuergefechtes durch die tiefe Stille der Nacht und in die wallenden Nebel

hinein wie der Aufruhr von Dampf und Lärm im Krater eines

Vulkans. Langsam und allmählich lichteten sich die Nebel — es ging auf 6 Uhr — dann drang über Bazeilles der Schein heller Röte herüber; aber es war

nicht die rosenfingrige Eos, sondern der Schein der Flammen, welche die Ge­ bäude verzehrten. Nach und nach wurde es heller und heller, der dichte Nebelbrei ballte sich zusammen, die Wolken hoben sich und einzelne gebrochene

Sonnenstrahlen stahlen sich durch die wallenden Schleier. Nun ward es auch oder uns auf der Höhe lebendig. Schon längst waren die wackeren Kanoniere

ungeduldig an ihren Geschützen gestanden; wie sich jetzt die Nebelschleier ver­ zogen, begannen sie das Feuer gegen die nordöstlich von Bazeilles sich zeigenden feindlichen Heereshaufen und mit einem Male rollte dröhnender Kanonendonner

über das weite Tal hin.

Eine der ersten Granaten verwundete früh 6 Uhr

den in die Nähe von Bazeilles vorgerittenen Marschall Mac Mahon.Z

Die

*) Den Oberbefehl über die Gesamtarmee der Franzosen übertrug der verwundete Marschall mit Übergehung von zwei älteren Korpsführern dem General Ducrot. Dieser erteilte sofort die nötigen Befehle um den jetzt vielleicht noch möglichen Rückzug nord­ westwärts auf Mezieres anzutreten. Allein der erst kürzlich aus Algier eingetroffene General von Wimpffen trug eine ministerielle Vollmacht bei sich, die gegebenen Notfalls

118. Die Schlacht bei Sedan.

569

französischen Batterien blieben die Antwort nicht schuldig und nun krachten

ohne Pausen die Feuerschlünde, das Knattern und Toben des Kampfes in Bazeilles verschlingend. Wie es bei Wörth gewesen war, so geschah es auch hier.

Die Erschütterung der Atmosphäre durch das gewaltige Schießen fegte

das Nebelgewölke völlig weg,

der Himmel lachte im freundlichsten Blau und

goldener Sonnenschein überflutete die Walstatt. Nun konnten auch wir die Blicke auf den Kampfplatz senden.

Die Wut

schien immer mehr zu wachsen; offenbar hatte der Feind Verstärkungen herbei­ geführt. Auch von uns wurden frische Kräfte herangezogen und in das Dorf geworfen; die 2. Division ging über die Pontonbrücken. Über dem größten Teile des Ortes schlugen die Flammen empor und schwarze Rauchwolken ver­

finsterten den Horizont. So schwer es war bei dem rasenden Getöse sich ein Urteil zu bilden, schien das Gefecht immer noch unentschieden hin und her zu schwanken; bloß das eine war zu erkennen, daß der südliche Teil des Dorfes

von den Unsern festgehalten werde. Allmählich nahm die Ausdehnung der Schlacht zn. Kronprinz Albert von Sachsen griff ein, die Höhen östlich vom Givonnebach krönten sich mit den feuernden Batterien der Sachsen, die wir zwar nicht sahen, aber an den in langen Linien aufsteigenden weißlichen Wolken des wallenden Pulver­ dampfes erkannten. Soweit unser Auge reichte, bis an die waldigen Höhen

fern im Norden erdröhnten Kanonen und ballten sich die weißgrauen Wolken

zusammen; in weitem Gürtel schoben sich die Korps der Maasarmee heran — unser Korps hatte den Feind an den Hörnern gepackt und festgehalten. Der Wunsch besser Umschau halten zu können trieb einige Offiziere und

Mannschaften auf den Bahndamm hinauf; kaum aber standen sie oben, als

eine ober Bazeilles aus der Höhe stehende Mitrailleusenbatterie die Lust an­ wandelte den Damm zu kehren. Sie sandte einige Lagen herüber und ihre Geschosse verwundeten mehrere Leute, so daß wir das gefährliche Observa­ torium räumten. Im Fortgänge der Schlacht war ein Wendepunkt eingetreten.

Über die

Pontonbrücke zu unserer Rechten gingen ununterbrochen Batterien auf Bazeilles vor; über die Eisenbahnbrücke an uns vorbei marschierte die 4. Brigade, dann nach einer Pause die 5. und nach einiger Zeit auch die 6. Brigade, die beiden

letzteren zum 2. bayerischen Armeekorps gehörig, sämtliche auf Bazeilles zu,

wo das Gefecht unverändert zu stehen schien.

Unablässig währte auch der

Artilleriekampf fort. So weit wir schauen konnten, standen auf den Höhen des linken Maasufers unsere Batterien im lebhaftesten Feuer, die sausenden ihm den Oberbefehl einräumte. Da General Wimpfsen den Rückzug nordwestwärts für völlig unausführbar hielt und im geraden Gegenteil nach Carignan durchdringen wollte, machte er — zu seinem Unstern — die ihm erteilte Vollmacht gellend. General Ducrot -fügte sich ohne Weigern; es mochte ihm vielleicht nicht unlieb sein sich einer schweren Verantwortung entledigt zu wissen. Moltke, S. 64.

118. Di« Schlacht bei Sedan.

570

Granaten von Freund und Feind kreuzten sich über unseren Köpfen und die

in den weichen Wiesengrund einschlagenden Projektile rissen tiefe Furchen.

Dazwischen rasselten die knarrenden Mitrailleusen mit ihrem ohrenzerreißenden, schrillen, widerlichen Spektakel. Einzelne Schüsse und Kanonenschläge waren nicht mehr zu unterscheiden, ununterbrochen über das ganze weite Tal hin

rollte der dröhnende Donner der Geschütze, daß die Erde bebte und die Lüste zitterten. Von allen Höhen und den Waldmauern der Forste auf den fernen Bergen wurde der Widerhall tosend in hundertfachem Echo in das Tal zurück­

geworfen,

wo

die Schallwellen

zusammenschlugen

und

in einem einzigen

dumpfen Brausen sich vereinten, daß die Kämpfer noch tagelang es im Trommelfell summen zu hören vermeinten. Nur das Rasseln der Mitrailleusen drang durch diesen tosenden Chor durch, das Knattern der Gewehre wurde vom Brüllen der Kanonen verschlungen. — Ich bin in 16 Schlachten und Gefechten im Feuer gestanden, habe aber niemals ein so gewaltiges, fürchter­

liches Höllenkonzert erlebt. Endlich, es war um die Mittagstunde, schien das Eingreifen der Ab­

teilungen unserer 2. und 3. Division sich geltend zu machen, indem der Kampf

sich mehr nach Norden und Osten zog.

Doch brach das Gefecht in Bazeilles

nicht ab. Die Häuser und Scheunen am Eingänge des Dorfes waren mit Ver­ wundeten überfüllt und das schöne Schloß Dorival als Aufnahmsspital ein­

gerichtet. Im reizenden Parke lagen und saßen die Verwundeten auf dem Rasen; die Ärzte hantierten; Stöhnen, Wimmern und Schmerzensschreie er­

schollen. Fortwährend wurden Verwundete hereingetragen, darunter auch Hauptmann Heinrich Frhr. von Harold vom 2. Jägerbataillon, dem ich noch bei Wörth zugejubelt hatte, als er mit einem riesigen Transporte von Ge­

fangenen bei uns vorbeikam.

Jetzt lag er mit durchschossenem Beine auf der

Bahre und nach zwei Monaten erlag er seiner Wunde in der Heimat. Die Häuser in den Straßen vor uns standen lichterloh in Flammen, kein Mensch versuchte zu löschen; unter dem Schutte und zwischen den glimmenden Balken lagen zahlreiche Leichen, zum Teil angekohlt. Patrouillen brachten Einwohner,

die heimtückisch aus den Kellern den Unsrigen in den Rücken gefeuert, Ver­ wundete massakriert und in die Flammen geworfen, sich mit den Waffen in der Hand widersetzt haben sollten; wir mußten ihre Bewachung übernehmen. Die Unglücklichen sahen schrecklich aus, viele waren mit Kolben und Säbel schlimm zugerichtet worden, die Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Leibe. Das war im Kampfe geschehen.

Auf den verzerrten Gesichtern aber prägten

sich die wilden Leidenschaften aus, der Fanatismus, der ihnen die Waffen in die Hand gedrückt hatte, die Haare hingen zerrauft ins Antlitz und die blut­

unterlaufenen Augen loderten in wilden Gluten. Wenige werden wohl den folgenden Morgen überlebt haben; über ein Ehepaar saß ich selbst tags darauf im Standgerichte.

118. Die Schlacht bei Sedan.

571

Während rings um uns die Schlacht in ununterbrochener Heftigkeit fort­ tobte und auf den und so wohlbekannten Höhen von Remilly statt der ab­

gefahrenen Batterien unseres 1. solche vom 2. bayerischen und vom 4. preußi­ schen Korps in Aktion getreten waren, erlosch allmählich vor uns der Kampf; unsere 3. Division hatte Balan genommen.

Doch lange vermochte sie es nicht zu halten.

Sie wurde plötzlich so

heftig angegriffen, daß sie dem Stoße weichen mußte, Balan räumte und auf Bazeilles zurückging, dessen nördliche Umfassung von der 4. Brigade besetzt

war. Das war der verzweifelte Versuch, durch den General v. Wimpffen sich den Weg nach Carignan (ostwärts in Richtung auf das seit zwei Wochen be­

lagerte Metz) bahnen und uns Bayern in die Maas werfen wollte. Gegen dieses unerwartete Vorgehen fuhr aber jetzt die gesamte hier vorhandene Artillerie auf, deren Feuer auch von den auf der Höhe oberhalb Remilly

stehenden Batterien unterstützt wurde;

zugleich gelang es die 3. Division vor

den an den Nordwestausgang von Bazeilles vorgezogenen Truppenteilen des 1. Armeekorps zum Gegenstoß zu verwenden. Das Feuer der Artillerie und Infanterie brachte jetzt den Feind zum Stehen. Dieser plötzliche Vorstoß rief die Besorgnis hervor, daß die Franzosen

doch noch den Durchbruch auf Carignan versuchen könnten, und veranlaßte Gegenmaßregeln.

Deshalb wurden alle hier disponiblen Truppen vorgezogen;

das ganze 1. Korps und nebenan bei La Moncelle die Sachsen und die Preußen rückten vor. Es war ungefähr 5 Uhr abends. Die 2. Brigade

marschierte um das in Flammen stehende Dorf BazeilleS an der Ost- und

Nordseite herum und nahm rittlings der Straße nach Balan Stellung, das 2. Regiment südlich, wir (11. bayer. Jnf.-Reg.) und das 4. Jägerbataillon nördlich der Straße.

Es war ein erhebender Anblick, als wir vor Bazeilles

angelangt waren, die Sonnenstrahlen aus den glitzernden Bajonettenwäldern blitzten,

die Kolonnen mit wehenden Fahnen und unter den

begeisternden

Klängen des Avanciermarsches über den Boden vorgingen, den unsere Tapferen

am Vormittage mit ihrem Herzblute getränkt hatten, Ringen den Feind zu werfen.

mutig bereit im letzten

Doch es war kein Eingreifen mehr nötig.

Der

Angriff Wimpffens war erlahmt, die Franzosen fluteten zurück.

Wir machten Halt.

Hinter den die Ackergrenzen

säumenden Hecken

lagen die Gefallenen, herüben meist Angehörige des 10. und 13. Regiments, Mann an Mann, wie sie in Reih und Glied gefochten hatten, die meisten

durch den Kopf geschossen, und ihnen gegenüber auf 100 Schritte Entfernung lagen ebenso die Franzosen, in der Mehrzahl Mariniers. Die Toten reihten sich so dicht aneinander, daß wir sie wegschieben oder über sie hinwegsteigeu mußten um unsern Marsch fortzusetzen. So weit wir nach Norden sehen

konnten, erstreckten sich die Reihen der entschlafenen Tapferen, Leute aller bayerischen Regimenter, die hier gefochten hatten, nebst Preußen und Sachsen und Rothosen, das Hin- und Herwogen des Kampfes und die einzelnen

572

118. Die Schlacht bei Sedan.

Momente markierend.

Die Schauer des Leichenfeldes

machten einen tiefen

Eindruck auf unsere Leute. Gegen 6 Uhr, nach 14 stündigem, hartem Ringen, verstummte das tobende

Feuer auf allen Punkten des blutgetränkten Schlachtfeldes.

Die französische

Armee war eingeschlossen und von allen Seiten her in die Festung zurück­ geworfen worden; durch unsere Reihen verbreitete sich die frohe Äunbe, daß auf den Wällen von Sedan die weiße Flagge wehe.

Um 7 Uhr erhielten wir den Befehl auf die Biwakplätze am Bahnhöfe

zurückzukehren.

Mit Einbruch der Dämmerung erreichten wir sie.

Nun

machte der knurrende Magen seine Ansprüche geltend. Auf dem Bahnhöfe stand ein langer Proviantzug der Franzosen, die Wagen gefüllt mit Rauch-

sieisch, Speck, Zwieback, Kaffee und Zucker.

Rasch wurde ausgeteilt, noch

rascher nahm jeder einige Bissen zu sich, die Pferde fütterten wir mit dem letzten Stück Brot und mit Zucker aus der Beute, denn Furage war nicht

vorhanden. Dann sank ein jeder auf der Scholle nieder, wo er stand, und streckte sich zum Schlafe. Zwei Nächte hintereinander hatten wir auf Vor­ posten gewacht, drei Tage hintereinander hatten wir geschlagen, jetzt forderte

die Natur ihre Rechte, der Schlummer senkte sich auf die bleischweren Lider. Wir wußten, daß wir einen großen, herrlichen Sieg errungen hatten, aber die

Größe des Erfolges erfuhren wir erst am folgenden Tage. Der Morgen des 2. September brach hell herein, er sollte nach drei Tagen blutiger Kämpfe der erste friedliche Tag sein. Aber Ruhe fanden wir wenig.

Von Tagesbeginn an marschierten preußische Truppen an unserem

Freilager vorbei, sendeten den tapfern Bayern brausende Hurrarufe zu und empfingen ebenso begeisterte Antwort; dann kamen lange Züge von französischen Gefangenen, die gestern auf freiem Felde die Waffen gestreckt hatten. Sachsen

eskortierten sie nach rückwärts, sie mochten beiläufig 6000 Mann zählen.

Später rief uns traurige Pflicht; es begannen die Bestattungen der Gefallenen und der während der Nacht auf den Verbandplätzen und in den Aufnahms-

Feldspitälern ihren Wunden Erlegenen, voran der Offiziere; an geeigneten Stellen in den Feldern, an den Gartenhecken oder unter den Wipfeln uralter

Bäume fanden die Braven ihre letzte Ruhestätte.

Die Musikkapellen an der

Spitze schritten die langen Züge heran, Bahre hinter Bahre, und immer neue Bahren schlossen sich aus dem Parke des uns gegenüberliegenden Schlosses an; der Mantel verhüllte mitleidig die vom Todeskampf verzerrten oder von den Kugeln entstellten Gesichter; gar mancher mir persönlich liebe Kamerad

war unter ihnen.

Rührend war es zu schauen, wie die Anhänglichkeit und

treue Liebe der Untergebenen die Bahren gar mancher Offiziere mit Blumen geschmückt, die letzten blühenden Rosen aus den vom Blute der Streiter ge» tränkten Gärten über das letzte Lager gestreut hatte.

Und selten wohl ist

der ergreifende Trauermarsch Beethovens so zu Herzen gedrungen wie damals den Leidtragenden. — Aber der Soldat darf sich nicht grämen!

Schlaft

573

119. Der Straßenkamps in BazeilleS.

wohl, ihr Tapfern,

in fremder Erde!

Mit uns, euern treuen Kameraden,

trauert tun euch das ganze deutsche Vaterland! Es mochte ungefähr 10 Uhr vormittags sein,

ungemein rege Bewegung geltend machte.

als sich plötzlich eine

Generalstabsoffiziere und Adjutanten

galoppierten hin und her; aus der Ferne vernahmen wir brausende, nicht enden wollende, stets stärker anschwellende Hurrarufe und die Töne rauschender

Musik. Wir standen und fragten. Da sprengte unser Divisionskommandeur, der ritterliche Generalleutnant von Stephan, in unser Biwak. Der alte Herr strahlte vor Begeisterung und rief mit weithin schallender Stimme:

„Sedan

ist über! 83000 Franzosen sind gefangen! Kaiser Napoleon hat dem König Wilhelm seinen Degen übergeben! Hurra dem König! Hurra unserm König!" Die Luft erbrauste von donnernden Rufen, die Leute warfen ihre Mützen in die Luft, die Kameraden fielen einander in die Arme und Tränen der Freude rannen gar manchem in den verwilderten Bart. Die Kapellen

waren rasch versammelt und stimmten die Königshymne an, die in hellem Jubel vom tausendstimmigen Chor der Krieger mitgesungen wurde. Se. K. Hoheit Prinz Luitpold

erschien um selbst bei der Verkündigung dieser

hehren Botschaft in Mitte seiner treuen Bayern zu sein und wurde gleich

mehreren Generalen, die zur Begrüßung der Truppen kamen, mit begeisterten Zurufen empfangen; anfänglich vermochte der erlauchte Herr der stürmischen Huldigungen sich kaum zu erwehren.

Unter dem Sturmliede der Kanonen hatte mit gewaltigen Hämmern Glied an Glied des ehernen Ringes fest die deutsche Siegerfaust geschmiedet.

„Sieg! Der Kaiser ist gefangen!" brauste es jubelnd durch die Lüfte, brauste

es vom Tale zu den Bergen, von den Bergen zurück ins Tal und der Wind trug den Jubel auf seinen Fittichen hinüber über Vogesen und Rhein, in die

Häuser und Hütten der Heimat. Der Verwundete, der sich stöhnend auf seiner Schütte Stroh krümmte, streckte sich und der Held, um dessen brechendes Auge schon der Todesschatten florte, hob sein blutendes Haupt empor und

legte sich zufrieden zurück zum Sterben.

Dem Franzmann aber klang es wie

die Todesglocken von seines Vaterlandes Ehre. Unter Blut und Eisen stürzte jäh der Thron des welschen Cäsars zusammen und über seine Trümmer weg, auf vom blutigen Schlachtgefilde, hob stolz zur Kronfahrt seine Schwingen der deutsche Kaiseraar.

119. Der Stratzenkamps in Bazeilles. Don Karl Bleibtreu.')

Von beiden Seiten warf man immer neue Truppen hinein um den feuerspeienden Krater zu speisen. Ich habe von diesem tollen Gemetzel nur *) »Dies irae«, Erinnerungen eines französischen Offiziers an die Tage von Sedan» S. 84 ff. Stuttgart 1882. Karl Krabbe.

574

119. Der Straßenkampf in Bazeilles.

noch unvollkommene Vorstellungen. Es wurde mit der blutdürstigen Rachgier lebenslänglicher Todfeinde gestritten. Auf deutscher Seite langgenährter Haß,

auf französischer die Erbitterung hochmütiger Weltbeherrscher über die An­ maßung herausfordernder Parvenus. War es doch unbewußt bei jedem einzelnen ein Zweikampf der zwei kriegerischesten Nationen der Neuzeit um die

Welthegemonie! Dieses instinktive Bewußtsein riß wohl auch die Einwohner fort sich an dem Blutbade zu beteiligen.

Sie taten es in der Uniform von National­

gardisten, aber wie Meuchelmörder. Man hat erzählt, die Bayern hätten ganze Familien in die Flammen gestoßen; aber ich habe selber gesehen, wie

ein bayerischer Jäger ein altes Mütterchen, das in der brennenden Straße vor Mattigkeit zusammenbrach, durch einen Trunk aus seiner Feldflasche er­ quickte und ihr dann half das Bündel mit ihren Habseligkeiten auf den Rücken zu heben. Ich habe ferner beobachtet, wie ein Einwohner einen verwundeten Bayern in ein brennendes Haus zu schleifen suchte und wie der Frevler von

den herzueilenden Kameraden niedergemacht und dann selber in die Flammen geschleudert wurde. Keiner von beiden verdient Vorwürfe:

Völkerhaß ist unerbittlich.

Bazeilles war längst in Brand geschossen; Hitze und Qualm machten es in vielen Straßen unmöglich den Kampf fortzusetzen. Teilweise war ja auch der blühende Flecken schon eingeäschert. Überall geschwärzte Ruinen! Achtzig

Häuser, nicht Hütten, nicht Lehmkaten, sondern zweistöckige Quaderbauten, aus massivem Sandstein aufgeführt, lagen in Trümmern.

Die heldenmütigen Ver­

teidiger ließen sich einfach mit den Bauten verbrennen. Zuletzt trat der elementare Dämon, der in jeder Menschenbrust steckt, in

seine Rechte. würgte sich.

Man fiel sich mit den Naturwaffen an, man umkrallte und Ich sah Leute, die mit abgerissenem Bajonett aufeinander los­

gingen und sich, nur an die Vernichtung des Gegners denkend, zu gleicher Zeit beim ersten Stoße niedermachten; Offiziere, die einander ohne zu parieren den Degen durch den Leib rannten; Sterbende, die sich in ihre Sieger krampf­

haft verbissen oder Vorüberschreitende umzureißen suchten.

Man warf die

Verteidiger summarisch zum Fenster hinaus, daß das Gehirn umherspritzte. Man

schmetterte sie von hinten mit Steinen nieder, wo sie, obwohl allerseits umgangen, bis zuletzt hinter Schutthaufen und Mauerresten am Boden liegend, feuerten

ohne sich um den Todesstteich zu kümmern, der sie vom Rücken her bedrohte. Es war ein berserkerhafter Kampfzorn. Ich sah auf der Hauptstraße einen Marinesoldaten mit zerschmettertem Beine liegen, in seinem Schmerze fast verschmachtend.

Ein bayerischer Oberst bot ihm einen Trunk Wasser und Wein

aus seiner Feldflasche, eine aufopfernde und erbarmungsvolle Tat mitten im Feuer. Aber der Sterbende wies ihn zurück, knirschte mit den Zähnen und lästerte Gott.—

Wilde Flüche, das unheimliche Klirren des Bajonettkampfes, dazwischen gellendes Angstgcschrei flüchtender Weiber, Schmerzensgebrüll >

Und durch das

119. Der Straßenkampf in Bazeilles.

575

Schmettern der Hörner und Rollen der Trommeln hindurch bestialisches Tiger­ geheul und hyänenhastes Wutgelächter! — Pardon wurde überhaupt weder verlangt noch gegeben. Nur eine Tugend scheint noch lebendig — denn die Tapferkeit wird bald

zu wüstem Morden und tierischem Instinkt — das ist ein gewisser vager Patriotismus.

Nicht mehr war es die blinde Vergötterung militärischer Götzen,

wie bei Waterloo, wo man Grenadiere den linken zerschmetterten Arm mit dem

rechten in die Lüfte werfen sah: ,,Vive l’Empereur jusqu'ä la mortl“ — nicht mehr folgte man allein der Trikolore, der Iris des Sieges, und dem „heiligen Kreuz" des Ruhmes, dem Stern der Ehrenlegion. Die Austerlitzsonne war im

Sinken. Sie leuchtete uns nicht mehr vor in die ewige Nacht. — Immer ver­ einzelter scholl das „Vive l’Empereur!“ der Offiziere und immer stärker schwoll das donnernde Schlachtgeschrei, das wir dem Feinde entgegenschleuderten: „La France!“ .... Und doch mußten die Deutschen siegen. Sie hatten eine

Idee auf ihrer Seite — und die siegt immer. Es war Mittag, als Bazeilles verloren ging. Wimpffen ordnete mit vieler Umsicht unsere zweite Position in Balan. Mich schickte er gegen Givonne vor um den dortigen Zustand der Dinge zu erkunden.

Es war ein großartiger Anblick, wie er wohl kaum je einem menschlichen Auge geboten ist. Auf einem unverhältnismäßig schmalen Raume kämpften Noch wurde unter mir im Grunde von Daigny um die Brücke mit Heldenmut gerungen; aber das unheimliche Knarren der Zehntausende von Menschen.

Mitrailleusen, das sonst durch allen Schlachtenlärm vernehmlich gewesen war, ließ sich nur noch in langen Zwischenräumen hören. Unsere auf dem Plateau

zusammengequetschten Massen wurden um so mehr von schweren Verlusten heim­

gesucht, als Wimpffen die Divisionen Pelle und L'Heriller zu Douay, dieser aber mehrere Brigaden zur Verstärkung nach Balan entsendet hatte. Diese Truppen drängten und kreuzten sich nun im Marsche.

Noch jetzt aber zeigte sich keine Spur von Entmutigung.

Obwohl aus

tausend Wunden blutend stellte sich der umringte Löwe doch überall brav und trotzig entgegen und versuchte bald hier bald da einen Vorstoß zu machen um dem verderblichen Netze zu entrinnen. Überall brachen sich unsere dezi­

mierten Sturmsäulen an dem ehernen Ring und wurden in den Kessel zu­ rückgetrieben, in welchem Tod und Vernichtung unbarmherzig wüteten. Die feindlichen Granaten wirkten Erstaunliches. Sie flogen mit der Präzision einer gut gezielten Büchsenkugel.

Tiralleurschwärme wurden auf eine Entfer­

nung von 300 Schritt zur Umkehr gezwungen, größere Massen zerstoben wie

hilflose Herden von Wölfen angefallen.

Aus der Hölle von Bazeilles auf die Höhe von Jlly gekommen zu sein hieß aber nur aus dem Regen in die Tranfe geraten. Das Feuer dort oben war

beispiellos.

Man denke sich ein schmales Plateau, von einer dicht zusammen­

gedrängten Armee besetzt, das von 20000 Granaten gefegt wird!

Es war das

576

119. Der Strahenkampf in Bazeilles.

großartigste und entsetzlichste Schauspiel, das ich je gesehen habe.

Auf den

amphithcatralisch gelegenen Waldbergen ringsum Hunderte feindlicher Geschütze, die Tod und Verderben über die Täler ergossen.

gelassen.

Die ganze Hölle schien los­

Es sauste und heulte durch die Luft, es krachte und platzte hierhin

und dorthin. Fortwährende Explosionen! — Drei Dörfer brannten lichterloh — aus Sedan leckte bereits eine blutrote Flamme empor. Feuerschein und Pulver­ qualm mischten sich zu einer unbeschreiblich unheimlichen Atmosphäre und über

der ganzen Szene schien eine Wetterwolke zu hängen, aus der es unaufhörlich blitzte und bornierte. Es war, als ob die Engel des Jüngsten Gerichts die Schalen des Zornes über eine Dantesche Hölle ausschütteten.

Endloses Erdbeben schüttelte den Boden unter den Kämpfenden, als ob die große Mutter sich in Krämpfen winde. Die Halme und Ähren lagen ge­ knickt und in jeder Ackerfurche die lebende Blüte des Landes in Stücke zerfetzt.

Fast jeder Baum warf zitternd Splitter und Blätter als Bahrtuch für die Ge­

fallenen herab. — Ein Chaos der Verwüstung, so weit das Auge blickte! Unablässig drangen die Blauen unten vor, unablässig warfen sich ihnen die

Unsern entgegen. Nie ist mit standhafterer Hingebung gefochten worden als hier von den Besiegten von Wörth. Da fesselte meine Aufmerksamkeit eine merkwürdige Szene. Aus einer total zerschossenen Hütte, welche einzustürzen drohte, trat ein Mann, warf sich

aufs Pferd und ritt dann mit wenigen Begleitern langsam querfeldein nach Sedan zu.

Jeder erkannte ihn:

der Kaiser war es! Sein Gesicht war erd­

fahl, seine Augen stier und glanzlos, als wären sie nach innen gerichtet.

Ich

konnte mich nicht des Mitleids für den unglücklichen Monarchen erwehren, der hier buchstäblich den Tod gesucht hatte: er sollte ihn auf dem Felde der Ehre nicht finden.

Hier und da begrüßte den Vorüberreitenden ein vereinzeltes:

„Vive l’Empereur!“, aber auch drohende Rufe erhoben sich.

Nicht selten richtete

sich ein Verwundeter auf um ihm mit geballter Faust und schäumender Lippe ein Schimpfwort nachzuschleudern. Es war seine Kalvarienstraße. Ich mußte an

Napoleons I. Abendritt bei Aspern denken.

Ob er wohl die Leichenhügel

zählte?! — „Das Gespenst des Kaiserreichs!" dachte ich, als ich den bleichen Schemen vorüberschlendern sah ... . Dieser Anblick konnte entmutigen.

„Angeschlossen!"

„En avant!“ „Es

lebe der Kaiser!"

„Ach was!" knurrte ein alter Sergeant. ,,A bas Bonaparte! Cochon ? . . . . Vive la France I“ Mit Begeisterung wurde dies Feldgeschrei aus­ genommen, und während Granate nach Granate ganze Sektionen zu Boden

riß, ging es unter dem Gesänge der Marseillaise, die wie durch elekttischen Elan von allen Seiten angestimmt wurde, in den Kugelregen hinein: „Uhr Söhne des Vaterlandes, herbei!

Der Tag des Ruhmes ist gekommen" ....

577

120. Sedan.

120. Sedan. Don Karl Gerok.')

Wie Märchen klingt's und doch im Jubelton Durch alle Straßen wälzt sich's freudebrausend: „Sie haben ihn, den Schelm Napoleon! Sie haben ihn und seine achtzigtausend!" Die Kinder rufen's in den Gassen aus, Den Männern rollen Tränen von den Wangen, In Flaggen hüllt sich festlich Haus um Haus; „Viktoria! Der Kaiser ist gefangen!"

Viktoria! - So wuchtig lag die Frucht Vollreifen Siegs noch nie in deutschen Händen, Seit Hermann in der Teutoburgerschlucht Roms Heer zerquetschte zwischen Felsenwänden. Nicht Leipzig ist's, nicht Waterloo fortan, Wo deutscher Kraft ihr Bestes ist gelungen, Dort hat es halb Europa mitgetan, Bei Sedan haben wir's allein gezwungen. Viktoria! - So jählings lag, so tief Der Deutschen Todfeind niemals noch danieder, Augustus nicht, als er verzweifelnd rief: Gib, Darus meine Legionen wieder! Nicht König Franz, der nach Pavias Strauß Dem deutschen Ritter übergab die Wehre Und aus der Haft des Kaisers schrieb nach Haus: Alles verloren, aber nicht die Ehre.

Du brachtest nicht die Ehre mit ins Feld, Du nimmst sie nicht vom Feld mit ins Gefängnis. Ein kecker Spieler warst du, doch kein Held, Nicht groß im Glück und klein in der Bedrängnis. Des Siegers Mitleid, deines Heeres Hohn Und deines Volkes Fluch wird mit dir gehn, Und zürnend wird dein Ohm Napoleon Allnächtlich neben deinem Lager stehn.

Ein Gottesurteil ist's, ein Weltgericht, Wie keins in der Geschichte Buch geschrieben. Die Lüge bläht sich, doch besteht sie nicht; Gott bläst darein, die Blase muß zerstieben. Der Pharao begrub im Roten Meer, Nebukadnezar zwang den Staub zu essen ') „Eichenlaub", deutsche Gedichte aus dem Jahre 1870, S. 27. Fr. Lipperheide. Kronseder, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

Berlin 187P.

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

578

Und Sanherib zerschlug mitsamt dem Heer, Ist wieder einmal zu Gericht gesessen.

Ihr aber rollt aufs neu' die Fahnen auf. Glorreiche Helden, deutsche Gottesstreiter! Mit Gott voran im blutigen Siegeslauf! Dis hierher half er und noch hilft er weiter! Auf nach Paris, ins stolze Babylon! Kein Halt, bis seine trotzigen Mauern fallen! Dann soll's noch lauter, soll im Donnerton Viktoria! durch die deutschen Lande hallen!

121. Die Waffenftreckung bei Sedan; Zusammenkunft

der Generale zu Donchery. Don Wilhelm Onken.') Hier?) schossen die Batterien wie auf dem Schießplatz nach der Scheibe,

ohne selbst noch irgend welchen Verlust zu haben.

Endlich schien der Augen­

blick zum Angriff gekommen und eine Salve aus sämtlichen Geschützen sollte der Infanterie das Zeichen geben. Die Salve krachte Punkt 2% Uhr und die Infanterie stieg den Berg hinan.

Der Widerstand war hier fast Null.

An

den meisten Stellen kamen die entmutigten Franzosen unseren Truppen mit dem Rufe entgegen: »Mich pitiö, nous ne pouvons plus, nous sommes ^crasös par le feu de votre artillerie«. Um dieselbe Zeit, da so der rechte Flügel der Franzosen gewissermaßen

in Stücke zerrissen ward, machte ihre heldenmütige Reservereiterei (Divisionen Marguerite und Bonnemains) die letzten verzweifelten Anstrengungen den linken Flügel vor demselben Schicksale zu bewahren. Drei-, viermal waren bei Floing

und Cazal Lanciers, Kürassiere, Chasseurs und Husaren in dichten Massen gegen das preußische Fußvolk der 43. Brigade vorgestürzt und durch die auf­

gelösten Schützenlinien hindurchgesprengt, dann aber überall in ein vernichten­

des Schnellfeuer geraten, das die geschlossenen Kompagnien von vorn, von rechts und links her auf sie abgaben, indem sie die Reiter ohne Viereck zu

bilden bis

auf

100 —150 Schritte

herankommen

ließen und

dann

ihnen

kaltblütig ihre mörderischen Salven entgegensandten. Mit Hinterlassung der Hälfte ihrer Offiziere und Mannschaften, die sich, Mann und Roß durch­ einander, zerfleischt im Staube wälzten, jagten die Reste der tapferen Schwa­ dronen zurück.

Der ganze äußere Höhenhalbkreis, welcher den inneren mit der Stadt Sedan wie ein höheres Stockwerk überragte, war mit 500 deutschen Geschützen

und die wichtigsten Stellungen innerhalb waren unwiderruflich von deutscher ') Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, II. Band, S. 150 ff. •) D. i. um die Höhen von Jlly, nördlich Sedan.

Berlin 1892.

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

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Infanterie besetzt,

als König Wil­ helm, der auf der Höhe hinter Fre-

nois auf dem linken Maasufer, östlich von Don-

chery, die Oberlei­ tung der Schlacht

Leichenfeld auf den Höhen von Illy.

geführt hatte, um 4 Uhr den Befehl gab, die ganze auf dem linken Maasufer verfügbare Artillerie solle ihr Feuer auf die Stadt Sedan vereinigen um dadurch eine Waffenstreckung zu erzwingen, die dem deutschen Heere fernere Opfer ersparen

würde. Zu dem Zwecke wurden auch die Württembergischen Batterien aus Donchcry herangczogen und zu beiden Seiten der großen Straße, östlich von Frenois, in Stellung gebracht. Nach den ersten Schüssen des nunmehr verstärkten Geschützfeuers schlugen in Sedan an mehreren Stellen die Flammen in die Höhe. Die Spitzen des

5. bayerischen Jägerbataillons näherten sich dem westlichen Fcstungstore, fanden dort nur wenig Widerstand und waren eben im Begriffe die Palisaden zu übersteigen, als über der Stadt die weiße Fahne sichtbar ward und auf feind­

licher Seite das Feuer verstummte, ein Beispiel, das alsbald auf deutscher Seite allgemein Nachahmung fand. Um 6 Uhr war der Kampf zu Ende und seine Beendigung durch das Aufhissen der weißen Flagge war das persönliche Werk des Kaisers Napoleon gewesen, dem die Generale Ducrot, Lebrun, Douay vorgestellt hatten, jeder Widerstand sei vergeblich, die Truppen, seit zwölf Stun­

den im Feuer, ohne Ruhe und ohne Speise, seien vollkommen entmutigt, alle

die, die nicht in die brennende Stadt zurückgekonnt, seien in den Gräben und an den Mauern des Platzes angehüuft: alles in allem eine Lage, die schleunige Lösung forderte.

Indem er diese Entschließung traf, begriff Napoleon III. die ganze Schwere der Verantwortung, die er auf sich nahm, und hörte in Gedanken

all die Anklagen, deren Gegenstand er sein würde.

Die Lage erschien ihm

in ihrem ganzen Ernste und die Erinnerung einer ruhmvollen Vergangenheit vermehrte ihre Schmerzlichkeit durch den Widerspruch mit der Gegenwart.

Der

Ruhmesglanz, den die französische Armee mit Recht genossen, sollte also an einem Tage erlöschen und angesichts eines Unheils ohnegleichen der Kaiser, obwohl den gefaßten Entschließungen fremd, vor den Augen der Welt allein

verantwortlich bleiben für alles Leid, das der Krieg im Gefolge haben mußte?

Und wie wenn in dieser Schreckensstunde nichts fehlen sollte um das Maß

des Unheils voll zu machen, sandte nun auch der General Wimpffen dem Kaiser seine Bitte um Entlassung ein, so daß diese ungezügelte Armee sich

121. Die Daffenstreckung bei Sedan.

580

ohne Haupt und ohne Leitung befinden sollte, gerade da die äußerste Tatkraft

nötig war um nur etwas Ordnung herzustellen und mit etwas besserer Aus­ sicht auf Erfolg mit dem Feinde zu unterhandeln.

Die Entlassung ward nicht

angenommen und der Obergeneral begriff, daß, nachdem er in der Schlacht befehligt, er auch die Pflicht habe in so kritischen Umständen seinen Posten

nicht fahnenflüchtig zu verlassen. Während die weiße Fahne aufgezogen ward, erschien ein preußischer Offizier, Oberstleutnant Bronsard von Schellendorf, der ins Hauptquartier

geführt werden wollte. Von ihm erfuhr man, daß der König Wilhelm vor den Toren der Stadt sich befinde, und darum glaubte der Kaiser, das Beste für ihn werde sein sich

unmittelbar an das Haupt des Norddeutschen Bundes zu wenden. „Man hatte", schreibt der Kaiser, „in den Zeitungen so oft gesagt, der König von Preußen führe den Krieg nicht gegen Frankreich, sondern nur gegen den Kaiser,

daß

dieser überzeugt war, wenn er von der Bühne verschwände und sich in die Hände des Siegers begäbe, er würde vorteilhaftere Bedingungen für die Armee erlangen und gleichzeitig der Regentin leichter die Möglichkeit verschaffen in Paris Frieden zu schließen." Wir wissen, die Unterscheidung zwischen Frank­ reich und dem Kaiser, von der hier Napoleon redet, war wohl im Jahre 1814

und 1815, aber im Jahre 1870 niemals gemacht worden, niemals vom König Wilhelm und niemals von irgend einem deutschen Blatt. Beim Überschreiten der Grenze Frankreichs hatte König Wilhelm aus­

gesprochen, er fechte nur gegen das bewaffnete, nicht gegen das unbewaffnete Frankreich, nur gegen Soldaten, nicht gegen friedliche Bürger.

Aber das war ja etwas ganz anderes,

als was hier der Kaiser sich

selber vorgespiegelt hat. In diesem Wahn schrieb

der Kaiser

an den König Wilhelm den be­

rühmten Brief?)

Der General Reille war's, der diese Zeilen auf der Höhe von Frenois dem König Wilhelm übergab und dann dessen Antwort nach Sedan zurück­ brachte.

Der Inhalt des Briefwechsels hatte sich wie ein Lauffeuer bei den

Truppenteilen verbreitet, und als Reille zurückkam, da vernahm er ein tausend­ stimmiges Hurra, das fortrollte von Truppe zu Truppe, von Höhe zu Höhe und endlich das ganze Tal ausfüllte mit immer neuem Widerhall; dies Hurra

feierte den entscheidendsten aller Siege und begrüßte den Frieden, den alle Welt näher glaubte,

als er wirklich war.

Erst offenbaren sollte sich, was

*) Monsieur mon frerc, N’ayant pas pu mourir au milieu de mes troupes il ne me reste qua remettre mon epöe entre les mains de Votre Majeste. — Je suis de Votre Majeste le bon frere Sedan le 1. sept. 1870. Napoleon.

581

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

damals niemand ahnte: der Degen, den Napoleon übergeben hatte, war nur der Degen eines gewesenen Kaisers, aber der Degen Frankreichs war es nicht. Die eigenmächtige Aufhissung der weißen Fahne war die letzte Handlung, welche Napoleon III. kraft seiner rechtlich noch nicht erloschenen Eigenschaft In dem Briefe, den er gleich danach an König Wilhelm schrieb, sprach kein Staatsoberhaupt und kein Oberfeldherr mehr.

als Souverän verrichtet hatte.

Weder von der Festung noch vom Heere, weder vom Waffenstillstand noch vom Frieden war darin die Rede; nur den Verzicht auf die Fortsetzung eines un­ widerruflich verlorenen Kampfes hatte er persönlich angemeldet, aber nicht die

mindeste Andeutung hinzugefügt über den Sinn und Umfang, in dem dieser Verzicht auch für andere gelten sollte. Der Hintergedanke, der in diesem Ver­ fahren lauerte, offenbarte sich nicht auf den ersten Blick.

Einen Brief gerade

solchen Wortlautes hatte der König Wilhelm nicht erwartet. um ^7 Uhr General Graf Reille mit

Als am Abend des 1. September dem Briefe des Kaisers nach der Höhe der König mit dem Kronprinzen, den lassen, inmitten eines Halbkreises, den

von Frenois heraufgeritten kam, stand er von Donchery hatte herrüberrufen mit Bismarck, Moltke und Roon die

anwesenden Fürsten um ihn bildeten.

Zehn Schritte vor dem König stieg der

Parlamentär ab, ging auf ihn zu, zog die Mütze und übergab ihm einen großen, rotgesiegelten Brief. Nun traten alle von dem König zurück, der das

Schreiben öffnete und las.

Während er las, herrschte Totenstille unter der

immer zahlreicher gewordenen Umgebung und nur das wirre Summen der Tausende von Kriegern, die sich im Tal noch drohend gegenüberstanden, drang Nachdem er gelesen, übergab der König den Brief dem Grasen Bismarck, der ihn dem Kronprinzen und den Generalen von Moltke und

den Berg herauf.

Roon vorlas.

Hierauf erhielt Bismarck den Befehl die Antwort zu entwerfen,

die dieser dem Grafen Hatzfeld diktierte.

Stehend schrieb dann König Wilhelm

an den Kaiser in französischer Sprache:

„Mein Herr Bruder!

Mit Bedauern über die Umstände, unter denen

wir zusammentreffen, nehme ich den Degen Ew. Majestät an und bitte Sie einen Ihrer Offiziere ernennen zu wollen, der bevollmächtigt wird über die Bedingungen der Ergebung der Armee zu unterhandeln, die sich unter Ihren Befehlen so tapfer geschlagen hat. Meinerseits habe ich den General von Moltke dazu bestimmt.

Ew. Majestät guter Bruder Wilhelm."

Vor Sedan, 1. September 1870.

Als Reille mit der Antwort fort war, fielen sich der König und der

Kronprinz um den Hals.

Jetzt drängte sich alles herbei um Glück zu wünschen

In unbeschreiblicher Begeisterung, in Um­ armungen, Freudenttänen und Jubelrnfen löste sich die bis dahin fieberhafte

zn dem entscheidendsten aller Siege.

Spannung der Gemüter auf.

In des Königs Augen las man die freudige

582

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

Bewegung, die sein Inneres erfüllte, aber auch die ernsten Sorgen, die ihr

das Gegengewicht hielten. Für alle Glückwünsche und verwegenen Hoffnungs­ worte dankte er nur mit einem Händedruck. Unter vielen Trunkenen schien

ex der einzig Nüchterne zu sein und zum Grafen Bismarck sagte er:

„Dies

weltgeschichtliche Ereignis, fürchte ich, bringt uns den Frieden noch nicht." Noch in der Nacht fand zu Donchery die erste Zusammenkunft der Be­ vollmächtigten statt, deren Aufgabe war den Vertrag über die Waffenstreckung

des französischen Heeres abzuschließen. Zu dieser Zusammenkunft begab sich der General von Moltke, begleitet von seinem Generalquartiermeister und

dem Generalstab; auf Befehl des

Königs wohnte auch der Bundeskanzler Graf Bismarck der Unterredung bei,

die der Rittmeister Graf Nostiz an Ort und Stelle zu stenographieren hatte. Auf dem Wege nach Donchery

erwogen Bismarck und Moltke

die Frage,

inwieweit es möglich sein werde die Achtung vor der Tapferkeit, mit der der Feind sich geschlagen hatte, in den Bedingungen zu betätigen, die ihm jetzt gestellt werden mußten, und sie einigten sich rasch in dem Entschlüsse den Satz festzuhalten, daß ein Volk, welches vier Jahre lang diesen Krieg gefordert habe um eine von ihm selbst gar nicht erlittene Niederlage zu rächen, die Nieder­

lage, die es nunmehr selbst erfahren, niemals verschmerzen und folglich auch großmütige Schonung nie verzeihen werde. Daraus ergab sich von selbst die Forderung: Niederlegen der Waffen und Kriegsgefangenschaft der ganzen Armee.

Im Quartiere des Grafen Bismarck zu Donchery fand nachts 10 Uhr die Unterredung statt. Die Franzosen waren schon seit zehn Minuten versammelt, als General von Moltke mit Graf Bismarck, General von Blumenthal und einigen Offizieren eintrat.

Nach kurzer Begrüßung fragte er den General von Wimpffen, ob er

Vollmachten besitze, und auf dessen bejahende Antwort verlangte er sie zu sehen und zu prüfen.

Nachdem dies geschehen war, stellte General Wimpffen seine

Begleiter, den General Castelnau und den General Faure, vor.

Auf die Frage

des Generals von Moltke, in welcher Eigenschaft diese beiden Generale gekommen seien, antwortete General Faure, er sei gekommen als Stabschef des Marschalls Mac Mahon um General Wimpffen zu begleiten, habe aber sonst keinen amt­ lichen Auftrag, und der General Castelnau sagte, er habe eine mündliche und halbamtliche Mitteilung des Kaisers zu überbringen,

diese Mitteilung werbe

aber erst am Ende der Unterredung ihre Wirkung tun; an der Unterredung

selber anderweitig teilzunehmen habe er keinen Auftrag. Darauf nannte General von Moltke mit einer Handbewegung den Grafen Bismarck und den General von Blumenthal und man setzte sich an den Tisch, der in der Mitte

des Zimmers stand.

Auf der einen Seite dieses Tisches, auf dem eine rote

Decke lag, saß Moltke mit Bismarck zur Linken und Blumenthal zur Rechten, auf der anderen saß allein der General von Wimpffen; hinter ihm, im Schatten fast verloren, die Generale Castelnau und Faure und die anderen französischen

583

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

Offiziere; außerdem waren noch sieben oder acht preußische Offiziere anwesend,

von denen der Graf Nostitz auf einen Wink des Generals Blumenthal sich au den Kamin setzte, um der Unterredung mit der Feder zu folgen. Nachdem man sich gesetzt hatte, trat eine Pause erwartungsvoller Stille

ein; der General Wimpffen wollte nicht anfangen, aber als Moltke in eisigem Schweigen verharrte, entschloß er sich endlich das Wort zu nehmen. „Ich möchte," sagte er, „die Bedingungen kennen lernen, welche Se.Maj.

der König von Preußen geneigt ist uns zu bewilligen." „Sie sind sehr ein­ fach," erwiderte Moltke; „die ganze Armee ist kriegsgefangen mit Waffen und Gepäck; man würde den Offizieren ihre Waffen lassen als Zeichen der Achtung vor ihrem Mut, aber sie werden Kriegsgefangene wie die Mannschaften auch." „Diese Bedingungen sind sehr hart, General", erwiderte Wimpffen, „und mir scheint, für seinen Mut verdient das ftanzösische Heer ein besseres Schicksal. Könnten ihr nicht folgende Bedingungen eingeräumt werden? Ihnen bliebe die Festung mit den Geschützen, der Armee aber würde gestattet mit Waffen, Ge­

päck und Fahnen abzuziehen mit der Verpflichtung während der Dauer dieses Krieges nicht mehr gegen Preußen zu dienen; diese Verpflichtung würden der Kaiser und die Generale für die Armee, die Offiziere jeder für sich schriftlich eingehen und dann würde die Armee in einen von Preußen zu bestimmenden Teil Frankreichs oder nach Algerien geschickt werden um dort bis zum Friedens­ schlüsse zu bleiben." Ohne eine Miene zu verziehen antwortete General von Moltke, seine Forderung sei unwiderruflich und unabänderlich.

Nun hielt

ihm General Wimpffen eine große Rede über die ganz unsagbar peinliche Lage,

in die er persönlich sich gesetzt finde, er, der vor 48 Stunden in der Sand­ wüste Afrikas aufgebrochen sei um jetzt seinen ehrlichen Kriegernamen für immer zu beflecken durch Unterzeichnung eines Vertrages von solch unerhörtem Inhalte, und doch habe er die Schlacht, um deren Ergebnis es sich handle, gar nicht selbst eingeleitet, müsse vielmehr büßen für das, was andere getan oder unterlassen hätten. Als er sah, daß General von Moltke sich durch diese Betrachtungen nicht rühren ließ, rief er in fast drohendem Tone: „Wenn Sie

mir nicht bessere Bedingungen gewähren, so lege ich Berufung ein an meine Armee und ihre Ehre und es wird mir gelingen entweder einen Durchbruch zu machen oder mich in Sedan zu verteidigen!" Da fiel General von Moltke mit den Worten in die Rede: „Ich habe

große Achtung vor Ihnen, ich würdige Ihre Lage und bedaure nichts von dem tun zu können, was Sie verlangen; aber ein Durchbruch ist für Sie ebenso unmöglich als ein Aushalten in Sedan. Gewiß, Ihre Truppen sind wirk­ lich ausgezeichnet. Ihre Elite-Infanterie ist hervorragend, Ihre Reiterei kühn und unverdrossen, Ihre Artillerie bewunderungswürdig und hat uns viel zu viel

Schaden getan; aber ein großer Teil Ihrer Infanterie ist außer Rand und Band, wir haben heute mehr als 21000 Mann unverwundet gefangen ge­

nommen.



Augenblicklich

haben Sie

nur

noch 80000 Mann.

Unter

584

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

solchen Umständen können Sie sich nicht durchschlagen,

denn ich habe jetzt

rings um Sie her noch 240000 Mann mit 500 Feuerschlünden, von denen schon 300 in Stellung sind um auf Sedan zu schießen, die 200 anderen werden morgen bei Tagesanbruch in Stellung sein.

Wollen Sie sich davon

überzeugen, so kann ich einen Ihrer Offiziere in die verschiedenen Aufftellungen unserer Truppen führen lassen und er wird die Richtigkeit dessen, was ich sage,

bestätigen können.

In Sedan aber sich zu verteidigen ist Ihnen erst recht

unmöglich: Sie haben nicht für 48 Stunden mehr zu leben und Munition haben Sie gar nicht mehr." Jetzt zog General Wimpffen andere Saiten auf; er riet durch Großmut

den Dank Frankreichs zu erwerben und dadurch dem künftigen Frieden Bürg­ schaften der Dauer zu geben. „Sie werden Frieden schließen," sagte er, „und wünschen ohne Zweifel ihn bald zu schließen; mehr als jede andere ist die französische Nation hochherzig und ritterlich und folglich auch empfänglich für die Großmut, die man ihr erweist, und dankbar für die Schonung, die man

ihr zeigt.

Wenn Sie uns Bedingungen bewilligen, die dem Selbstgefühle der

Armee schmeicheln, wird sich das Land auch geschmeichelt fühlen, das wird in den Augen der Nation den Schmerz der Niederlage mildern und ein unter solchen Umständen geschlossener Friede wird Aussicht auf Dauer haben, denn Ihr hochherziges Handeln wird die Türe geöffnet haben für die Wiederkehr

der Empfindungen der Gegenliebe, wie sie zwischen zwei großen Nachbarvölkern bestehen sollen und wie Sie sie auch wünschen müssen. Wenn Sie dagegen auf Maßregeln der Strenge wider uns beharren, so werden Sie Zorn und Haß

in jeder Soldatenbrust entzünden:

das Ehrgefühl der ganzen Nation wird

unheilbar verletzt; denn sie wird sich eins fühlen mit der Armee und dieselben Empfindungen haben wie diese. So werben Sie alle schlechten Triebe wieder anfwecken, welche der Fortschritt der Gesittung eingeschläfert hatte, und Sie

werden zwischen Frankreich und Preußen endlosen Krieg entflammen."

Das war das Stichwort, auf das Graf Bismarck gewartet hatte. Den Wert dessen, was man im Jahre 1815 „moralische Garantien" genannt, die

Unausrottbarkeit der Rhein- und Rachegelüste der Franzosen hatte er ja in vieljähriger Erfahrung gründlich kennen gelernt und alles, was er früher um des lieben Friedens willen gewaltsam in sich zurückgehalten, das strömte er jetzt aus in einer der glänzendsten Stegreifreden, die jemals in so engem Kreise

gehalten worden sind: „Ihre Schlußfolgerung,

Herr General,"

sagte er,

„scheint beim ersten Blicke bündig zu sein, in Wahrheit ist sie bloß bestechend und hält keiner Prüfung stand.

Im allgemeinen muß man auf Dank sehr

wenig, auf die Dankbarkeit eines Volkes aber gar nicht rechnen.

An die

Dankbarkeit eines Souveräns, im Noffalle an die seiner Familie kann man glauben, unter Umständen sogar mit aller Zuversicht darauf zählen, aber ich

wiederhole, von der Dankbarkeit einer Nation

muß man nichts erwarten.

Wäre das französische Volk ein Volk wie andere,

hätte es gediegene Ein-

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

richtungen,

585

erwiese es wie das unsere diesen Einrichtungen den Dienst der

Achtung und Verehrung, hätte es einen Fürsten, der fest auf dem Throne säße, so könnten wir an die Dankbarkeit des Kaisers und an die seines Sohnes glauben und Wert legen auf diese Dankbarkeit; in Frankreich aber sind seit 80 Jahren die Regierungen so wenig dauerhaft, so buntscheckig gewesen, sie

haben so rasche und unberechenbare Wechsel durchgemacht, daß man in Ihrem Lande auf nichts bauen kann und daß, wenn eine Nachbarnation ihre Hoff­ nung auf die Freundschaft eines französischen Souveräns setzen wollte, dies einfach Torheit sein würde, cs hieße in die Luft bauen. Überdies wäre es ja

sinnlos sich einzubilden, Frankreich könnte uns jemals unsere Erfolge ver­ zeihen. Sie sind ein reizbares, neidisches Volk, eifersüchtig und hochmütig bis zum Übermaß. Seit 200 Jahren hat Frankreich dreißigmal an Preußen, (sich

verbessernd) an Deutschland den Krieg erklärt; und diesmal haben Sie ihn uns erklärt, wie immer aus Eifersucht, weil Sie uns unsern Sieg bei Sadowa

nicht vergeben konnten, und doch hatte Sadowa Ihnen nichts gekostet konnte Ihren Ruhm nicht schmälern. Aber es schien Ihnen, als wäre Sieg ein Erbe, auf das außer Ihnen niemand ein Recht hätte, als wäre Waffenruhm für Sie ein Monopol. Sie konnten nicht ertragen, daß

und der

der an

Sadowa haben Sie uns nicht verziehen, wo weder Ihre Interessen noch Ihr Ruhm im Spiele Ihrer Seite eine Nation erstand, ebenso stark wie Sie.

waren. Und Sie sollten uns Ihren Zusammenbruch bei Sedan vergeben? Niemals! Wenn wir jetzt Frieden machten, so würden Sie in fünf, zehn

Jahren, sobald Sie könnten, den Krieg von vorne beginnen.

Das wäre die

ganze Dankbarkeit, die wir von der französischen Nation zu erwarten hätten!

Im Gegensatz zu Frankreich sind wir eine rechtschaffene und friedliebende Nation, die niemals Eroberungslust in Versuchung führt und die nichts anderes möchte als im Frieden leben, wenn Sie nicht beständig mit Ihrem Hange zum Streit und Übergriff dazwischen kämen. Heute ist es endlich genug. Frank­

reich muß gezüchtigt werden für seinen Dünkel und für seinen ewig friedlosen Endlich wollen wir die Sicherheit unserer Kinder festlegen und dazu brauchen wir ein Glacis zwischen Frankreich und uns; wir brauchen ein Land, Festungen und Grenzen, die uns für immer gegen jeden Überfall von Angriffsgeist.

seiner Seite sicherstellen.Der. General Wimpffen widersprach:

Die französische Nation sei nicht

mehr, was sie im Jahre 1815 gewesen und dürfe nicht beurteilt werden nach den Versen einiger Dichter und den Artikeln einiger Zeitungsschreiber.

dem Wohlstände,

den das Kaisertum verbreitet,

Dank

hätten sich jetzt alle Köpfe

auf Spekulation, Geschäfte, Gewerbe und Künste geworfen.

Jeder wolle sein

persönliches Behagen steigern und denke an sein Sonderinteresse mehr als an den Ruhm. Man sei in Frankreich ganz bereit die Verbrüderung der Völker

auszurufen. Welch ein Erbhaß habe nicht zwischen Frankreich und England geherrscht und wo sei der hingekommen? Seien die Engländer heute nicht die

121. Die Wafsenstreckung bei Sedan.

586 besten

Freunde Frankreichs?

So

würden

die

Franzosen auch die besten

Freunde Deutschlands werden, wenn dieses sich großmütig zeige und nicht durch unzeitgemäße Härte erloschene Leidenschaften wieder anfache. Hier unterbrach ihn Graf Bismarck mit den Worten: „Nein, Frankreich hat sich nicht

geändert, es hat selbst den Krieg gewollt und um diesem nationalen Ruhmes­ wahne in dynastischem Interesse zu schmeicheln hat der Kaiser Napoleon III. uns herausgefordert. Wir wissen sehr wohl, daß der vernünftige und be­ sonnene Teil der Nation nicht zum Kriege trieb; nichtsdestoweniger hat er den

Gedanken desselben gerne angenommen.

Wir wissen sehr wohl, daß die Armee

uns durchaus nicht am meisten feind war, aber der Teil Frankreichs, welcher zum Kriege trieb, ist eben derjenige, welcher die Regierungen macht und stürzt. Bei ihnen ist es das Gesindel und auch die Journalisten und die wollen wir

züchtigen; deshalb müssen wir nach Paris. Wer weiß, was geschieht?

Vielleicht

bildet sich bei Ihnen irgend eine Regierung, die vor nichts Achtung hat, die

Gesetze nach ihrem Belieben macht und den Ergebungsvertrag nicht anerkennt, den Sie für die Armee schließen werden, die vielleicht die Offiziere zwingt die Versprechungen zu brechen, die sie uns gegeben haben, denn ohne Zweifel wird man sich verteidigen wollen um jeden Preis. Wir wissen wohl, daß

man in Frankreich schnell Soldaten macht;

aber junge Krieger wiegen feuer­

feste Krieger nicht auf, und was man nicht aus dem Stegreif macht, das ist ein Offizierkorps, das sind selbst die Unteroffiziere.

Wir wollen den Frieden,

aber einen dauerhaften Frieden und unter den Bedingungen, die ich Ihnen

schon angegeben habe; zu dem Zweck müssen wir Frankreich unfähig machen uns zu widerstehen.

Das Los der Schlachten hat uns die besten Soldaten,

die besten Offiziere der französischen Armee in die Hände gegeben; sie gut­ willig freigeben um sie von neuem gegen uns marschieren zu sehen wäre

Wahnwitz, hieße den Krieg verlängern und sündigen wider das Wohl unserer

Völker.

Nein, General, wie warmen Anteil wir nehmen mögen an Ihrer

Lage, wie schmeichelhaft unsere Meinung sein mag von Ihrer Armee — wir können Ihre Forderung nicht bewilligen und nichts ändern an den ersten Be­ dingungen, die Ihnen gestellt worden sind." — „Wohlan," sagte General Wimpffen würdevoll, „dann ist mir ebenso unmöglich eine solche Kapitulation zu unterzeichnen und wir fangen die Schlacht von neuem an." Jetzt ergriff der General Castelnau das Wort und sagte mit stockender Stimme: „Ich glaube, der Augenblick ist gekommen die Botschaft des Kaisers

auszurichten." — „Wir hören, General,"

sagte Graf Bismarck. —

„Der Kaiser," fuhr General Castelnau fort, „hat mich beauftragt Sr. Majestät dem Könige von Preußen zu bemerken, daß er ihm seinen Degen ohne Bedingung zugesandt und sich persönlich ganz seiner Gnade übergeben habe, aber nur in der Hoffnung, daß der König gerührt sein werde durch solch vollständige Hingabe, daß er dies Opfer würdigen und darum der französischen Armee eine ehrenvolle Kapitulation bewilligen werde, eine solche, wie ihr Mut sie verdient habe."

587

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

„Ist das alles?" fragte Bismarck. — „Ja", antwortete der General. — „Aber wessen Degen ist denn eigentlich der, den der Kaiser Napoleon III.

übergeben hat? Ist es der Degen Frankreichs oder nur sein eigener Degen? Ist es der Degen Frankreichs, so können die Bedingungen ganz erheblich ge­

mildert werden und Ihre Botschaft hätte ein ganz außerordentliches Gewicht." — „Es ist nur der Degen des Kaisers", antwortete der General. — „In

diesem Falle," sagte General Moltke, „ändert sich nichts an den Bedingungen; für

seine

Person

aber

wird

der

Kaiser

erhalten,

was

immer

er

ver­

langen mag." Der Brief des Kaisers war also nur eine Falle gewesen, welche der Großmut des Königs Wilhelm gestellt war.

Wenn er nicht durchschaute, was der kaiserliche Brief absichtlich im Dunkeln ließ, so sollte er in dem

Glauben, Frankreich selber liege ihm zu Füßen und ein rascher Friede sei schon ein Opfer wert, so lange gelassen werden, bis er gerührt durch das

schreckliche Schicksal des Kaisers die Zusage gegeben hätte, er wolle die Armee entlassen und dann erst sollte er erfahren, daß er nicht das Oberhaupt Frank­ reichs, sondern lediglich einen ganz gewöhnlichen Schlachtenbummler gefangen genommen habe. Das war die Hinterlist, die durch dieses Gespräch zu Donchery gleichzeitig aufgedeckt und vereitelt ward. Dem General Wimpffen blieb jetzt nichts übrig als Unterwerfung oder neuer Kampf und zum letztern schien er entschlossen.

Er erklärte dem General Moltke:

„Wir nehmen den

Kampf von neuem auf", worauf Moltke antwortete: „Die Waffenruhe erlischt morgen früh um 4 Uhr.

Genau um 4 Uhr eröffne ich das Feuer."

Alles war aufgestanden um nach den Pferden zu rufen. Seit den letzten Worten des Generals Moltke herrschte ein eisiges Schweigen, niemand sprach ein Wort, da wandte sich Graf Bismarck von neuem an den General

Wimpffen und sagte:

„Ja,

General,

Sie haben tapfere und heldenmütige

Soldaten, ich zweifle nicht daran, daß Sie morgen Wunder der Tapferkeit

verrichten und uns empfindliche Verluste beibringen werden; aber was würde

das helfen?

Morgen abend werden Sie nicht weiter sein als heute, nur

werden Sie das ganz unnütz vergossene Blut Ihrer und unserer Soldaten auf dem Gewissen haben. Lassen Sie sich durch einen Augenblick des Unmuts

nicht bestimmen die Beratung abzubrechen. Der General von Moltke wird Sie,

wie ich hoffe, überzeugen, daß jeder Widerstandsversuch Ihrerseits Torheit wäre." Man setzte sich wieder und General Moltke begann von neuem:

„Ich

wiederhole Ihnen die Versicherung, daß ein Durchbruch niemals gelingen kann, selbst wenn Ihre Truppen sich in den allerbesten Stellungen befänden; denn, abgesehen von der großen Überlegenheit meiner Streiterzahl und meiner

Artillerie, nehme ich Stellungen ein, aus denen ich Sedan in einigen Stunden in Brand schießen kann.

Diese Stellungen beherrschen alle Ausgänge, durch

welche Sie versuchen könnten den Kreis, der Sie umschließt, zu verlassen und sie sind so stark, daß es unmöglich ist sie wegzunehmen."

588

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

„Oh, sie sind nicht so stark, wie Sie behaupten, diese Stellungen" — warf der General Wimpffen ein.

Da versetzte General Moltke in scharfem

Ton: „Sie kennen einfach die örtliche Lage der Umgebung von Sedan nicht

und das ist ein sonderbarer Umstand, der so recht geeignet ist den Dünkel und den Leichtsinn Ihrer Nation zu malen.

Beim Beginne des Feldzuges

haben Sie an Ihre Offiziere Karten von Deutschland ausgeteilt,

aber die

Geographie Ihres eigenen Landes konnten Sie nicht studieren, weil Sie die Karten Ihres eigenen Landes nicht besaßen. Wohlan: Ich sage Ihnen, unsere

Stellungen sind nicht bloß sehr stark, sie sind furchtbar und unbezwinglich." — Auf diesen Ausfall wußte General Wimpffen keine Antwort, denn die

Tatsache war richtig und unwidersprechlich. werde Gebrauch machen, General,

Nach einer Pause sagte er: „Ich

von dem Anerbieten, das Sie beim Be­

ginne der Besprechung mir gemacht haben,

ich werde einen Offizier beauf­

tragen diese furchtbaren Stellungen einzusehen, von denen Sie sprechen, und bei seiner Rückkehr werde ich zusehen und Beschluß fassen."

„Sie werden niemand schicken, es ist unnütz," lautete die trockene Er­ widerung, „Sie können mir glauben; außerdem haben Sie nur noch wenig Zeit zum Überlegen, denn jetzt ist Mitternacht; um 4 Uhr läuft die Waffen­

ruhe ab und ich werde Ihnen keinen Augenblick Aufschub bewilligen." Jetzt verzichtete General Wimpffen auf die Besichtigung und bat nur um

Frist um seine Kollegen zu befragen, ohne diese könne er doch seinen Entschluß

nicht fassen, und da er sie zur Stunde in Sedan gar nicht auffinden könne, so sei eine Verlängerung der Waffenruhe unbedingt nötig. Da General Moltke nicht nachgeben wollte, so flüsterte ihm Graf Bismarck einige Worte zu und das Ergebnis war, daß die Waffenruhe bis auf 9 Uhr erstreckt ward; das sollte aber die äußerste Frist sein morgens.

und so trennte man sich gegen 1 Uhr

Da die Waffenstreckung der Armee nunmehr für zweifellos zuge­

standen gelten konnte, so wurden die Bedingungen derselben noch in der Nacht vom Generalstabe des Großen Hauptquartieres festgesetzt und darin mit Rück­ sicht auf die tapfere Gegenwehr der Armee allen Generalen und Offizieren sowie den höheren Beamten mit Offiziersrang die Freilassung samt Waffen

und Privateigentum angeboten, wenn sie sich schriftlich mit ihrem Ehrenwort verpflichten wollten bis zur Beendigung des gegenwärtigen Krieges die Waffen gegen Deutschland nicht zu ergreifen und in keiner Weise gegen die Interessen Deutschlands zu handeln.

Der Vertrag gewährte also schließlich doch mehr, als ursprünglich in Aussicht gestellt war. Bei der Unterzeichnung des Graf Bismarck zugegen.

weltgeschichtlichen Schriftstückes war auch

In seinem Berichte an den König hebt er hervor,

das Verhalten des Generals von Wimpffen sei ebenso wie das der anderen Generale am Abende vorher ein sehr würdiges gewesen und die Bewilligung

121. Die Waffenstreckung bei Sedan.

589

der Entlassung der Offiziere auf ihr Ehrenwort mit lebhaftem Dank entgegen­

genommen worden als ein Ausdruck der Absicht des Königs Wilhelm den Gefühlen einer Truppe, die sich tapfer geschlagen, nicht über die Linie hinaus zu nahe zu treten, die durch das Gebot der eigenen politisch-militärischen Interessen mit Notwendigkeit gezogen werde. Dies Gefühl habe denn auch

General von Wimpffen nachträglich in einem Schreiben ausgesprochen, in dem er dem General Moltke gedankt habe für die rücksichtsvollen Formen, in denen er die Verhandlung geführt habe. Mit der unterschriebenen Vertragsurkunde erschienen Graf Bismarck und

General von Moltke um halb 12 Uhr beim Könige, der sie auf den Höhen über Frenois erwartete. Bei dem Könige waren der Kronprinz, der Prinz Karl, der Großherzog von Sachsen-Weimar, Prinz Luitpold von Bayern,

Herzog Ernst von Sachsen-Koburg, Prinz Wilhelm und Herzog Eugen Erd­

mann

von

Württemberg,

die

Erbgroßherzoge von Sachsen-Weimar und

Mecklenburg-Strelitz, der Erbprinz von Hohenzollern und der Prinz von Augustenburg. Der König stand mit dem Kronprinzen und den Fürsten im Vordergründe, nahe dem Bergabhang, int Halbkreis umher standen Generale

und Adjutanten, Minister und Räte,

die Mitglieder der Hauptquartiere, im

ganzen wohl 200 Personen.

Der König ließ die Urkunde durch seinen Generaladjutanten, General­

leutnant von Treskow, vorlesen und sprach dann inmitten des Kreises, der sich um ihn gebildet hatte, folgende Worte: „Sie wissen nun, meine Herren, welch großes geschichtliches Ereignis sich zugetragen hat. Ich verdanke dies den ausgezeichneten Taten der vereinigten Armeen, denen ich mich gerade bei

dieser Veranlassung gedrungen fühle meinen königlichen Dank auszusprechen,

um so mehr als diese großen Ereignisse wohl geeignet sind den Kitt noch fester zu gestalten, der die Fürsten des Norddeutschen Bundes und meine andern Verbündeten — deren fürstliche Mitglieder ich in diesem großen Moment zahlreich um mich versammelt sehe — mit uns verbindet, so daß wir

hoffen

dürfen

einer

glücklichen

Zukunft

entgegenzugehen.

Allerdings ist

unsere Aufgabe mit dem, was sich unter unseren Augen vollzieht, noch nicht vollendet; denn wir wissen nicht, wie das übrige Frankreich es aufnehmen und

beurteilen wird. Darum müssen wir schlagfertig bleiben; aber schon jetzt meinen Dank jedem, der ein Blatt zum Lorbeer- und Ruhmeskranze unseres Vaterlandes hinzugefügt."

Dabei reichte er dem Prinzen Luitpold von Bayern und dem Prinzen

Wilhelm von Württemberg die Hand.

590

123. Ein Siegesgruß aus den bayerischen Bergen.

122. Mottke. (3«m 90. Geburtstage, 26. Okt. 1890.) Don Ernst von Wildenbruch.')

Er hat getan gleich seinem Lande, Das lange schweigt und stumm erträgt, Bis das Gedulden schwillt zum Rande Und bis zur Tat die Stunde schlägt.

Wilhelm der Held, der Gott-Erwählte, Bismarck, der Mächtige im Rat, Der Plan war fertig, eins noch fehlte, Aus Moltkes Händen kam's: die Tat.

Er hat gewartet und gewogen Stumm wie der Steuermann am Schiff, Bis daß die Wettervögel flogen Und bis der Sturm herüberpfiff.

Dor seinem Geiste lag geglättet, Was andren unentwirrbar schien, Er hat den Kriegsgott angekettet Und zwang vor Deutschlands Wagen ihn.

Da, als der Feinde Stimmen grollten, Stand er bereit, dem Sturm bewehrt, Und als sie uns ans Leben wollten, Gab er in unsre Hand das Schwert.

Und Das Wes Des

Es kam die wundervolle Stunde, Da Größe sich zu Größe fand, Wir sahen, wie im mächtigen Bunde Das Dreigestirn von Männern stand.

Sein Name war's, den kein Jahrhundert Verlöschen wird int deutschen Land; Geliebt, gepriesen und bewundert, Don jeglichem Geschlecht genannt.

als auf Sedans grünen Hügeln Banner sich der Deutschen schwang, Name war es, der auf Flügeln Jubels da zum Himmel drang? -

So wird er sein, so wird er bleiben; So wird er mit den Deutschen gehn Und die Geschichte wird ihn schreiben Dahin, wo ihre Großen stehn.

123. Ein Siegesgruh aus den bayerischen Bergen. Don Karl Stieler?)

Gott ist mit uns!

Auch diese Schlacht ist gewonnen!

Ergriffenheit ging durch Deutschland an jenem Tage,

Eine furchtbare

da die Kunde kam;

wir zitterten vor Jubel, wir waren starr vor all dem Herzeleid.

Wie ein Gewitter über das Weltmeer geht und die Wogen aus der Tiefe an den Himmel wirft, so ging die Kunde durch ganz Deutschland. Das

erste Gefühl war fromm — es war fast beklommen von Demut und Dank, daß wir wieder begnadigt sind, daß der Segen so sichtbar auf unserer Sache lag.

Dann aber brach die Freude mit allen Stimmen los, nicht die dithyrambische Freude, mit welcher Frankreich einst seine Siege feierte, sondern jenes Herzens­

glück, das in der deutschen Seele so tiefe Wurzel hat. ') „Lieder und Balladen", 7. Auflage, S. 246. Berlin 1900, G. Grote. ’) „Durch Krieg zum Frieden", Stimmungsbilder aus den Jahren 1870/71, S. 60. Stuttgart 1886, Bonz.

123. Ein Siegesgruß aus den bayerischen Bergen.

591

Bis zum fernsten Ende, wo die Nordsee brandet, drang die glückliche Botschaft; die Kanonen riefen sie weit hinaus übers Meer; in der Hütte und im Palaste, im Herzen des Greises und im Herzen der Kinder stand derselbe Gedanke. Wie großartig waren diese Stunden nun gar in den gewaltigen Städten,

wo das reiche Leben in tausend Sprachen spricht, wo alle Kirchen ihr Geläute und alle Türme ihre Flaggen zur Feier senden! Zahllose Menschenmassen

drängen sich durch die Straßen,

ohne Unterlaß schafft die Presse und der

elektrische Draht; jeder freut sich seiner Arbeit, aber niemand schämt sich der Rührung. Jedes Städtlein, so weit die deutsche Zunge reicht, trägt seine deutsche Fahne. Das ganze Vaterland ist geeinigt in dieser Freude, ein Fieber

hämmert in allen Nerven, wir fühlen es, daß wir stark sind.

Ferne — in blauer, unermeßlicher Ferne — liegen die Alpen, der heilige Wall, mit welchem Deutschland beschirmt ist. Wie stille ist es hier, wie einsam und ftiedvoll! In den Wäldern rauscht der Nachtwind, am Felsenhang sprossen die Zyklamen; aber niemand kommt und bricht die feinen Blüten; all die Fremden, die sonst so fröhlich im Grünen waren, sind fort. Sie sind im Kriege oder daheim, am eigenen Herde, denn der Ernst der Pflicht und die Größe der Zeit hat sie abberufen.

Im Kriege? Wer möchte es hier ahnen, daß Krieg ist! Noch nie standen die Alpenhalden so schön und die Blumen so dicht; die Glocken der Herden tönen so friedvoll, wenn sie abends zur Hütte kommen. Goldübergossen

sinkt die Sonne hinab über den einsamen Bergen. daß Krieg ist!

Wer möchte es ahnen,

Und dennoch tönt kein Jodler hinaus in den schweigenden Abend, dennoch wissen es auch die Berge. Vor wenigen Wochen, als die Vollmondnacht über den weiten Wäldern lag,

da klopfte es leise ans Fenster der Sennerin, da

kam der Jägerbursch zu seinem Schatz und sagte ihr, daß es morgen früh „ins Feld" geht. Kein Zug der Trauer lag über dem kühnen Gesicht, frisch und freudig ging es hinaus, es machte ihn so stolz, „daß wir alle beisammen stehen". Ja fürwahr, auch der schlichte Bauer hat die Vernunft der deutschen Einheit

begriffen,

auch

die Herzen von Süddeutschland (nicht

bloß die

Waffen) sind mit in den Kampf gezogen. Wie mag es wohl gehen draußen im Kampfe?

Es ist wieder Abend, die Sennerin sitzt vor der Hütte und denkt an ihren Liebsten, bis die Sonne versinkt, bis die Sterne am Himmel blinken.

Wie mag es wohl gehen? Da hallt mit einem Male ein Juhschrei herüber, wo der Weg über den steilen Grat emporführt. Zwei alte Männer mit grauem Schnurrbart,

mit Rucksack und Axt

bewaffnet, kommen gegangen, denn die jungen sind alle fort. Was mag es sein, daß sie noch so spät in die Berge kommen, daß sie so flink und rüstig

den mühsamen Weg emporklettern?

Eine schlimme Botschaft ist's ja kaum,

592

123. Ein SiegeSgruß aus den bayerischen Bergen.

denn für die hat ja niemand einen Jodler übrig.

Da widerhallt es von

neuem — hutra, die beiden kommen zum Freudenfeuer! Auch in das stille Land der Alpen war der Siegesruf der Deutschen gekommen, es wußten manche nicht, wo Frankreich liegt, aber das wußten alle

bald, daß die Deutschen Frankreich überwunden hatten.

Auf dem kleinen Bahnhof der Station war die Nachricht von der sieg­ der Bote, der über Land ging,

reichen Schlacht an die Mauer geheftet;

nahm sie mit und wo er ins Haus trat, schwenkte er schon den Hut von weitem. Der Postillon, der die kleine Karriole fährt, griff heute zum schönsten Federbusch und blies auf der langen Straße ein Lied ums andere. So kam die Siegesbotschaft ins Gebirge, die Zeitungsblätter kamen und der Jubel hatte kein Ende! Es war nirgends ein Befehl von oben erschienen,

und doch, als es Abend wurde, brannten auf allen Höhen die Freudenfeuer. Das ganze Jnntal entlang und vom Inn bis zu den Quellen der Isar, im Chiemgau und in den Bergen des Königssees, überall schlug die Freude in

lichten Flammen empor.

Da stand der Wendelstein, die alte Warte der Bergesfteiheit und des Berggesanges, und grüßte leuchtend hinüber ins Leizachtal; da stand die Kampen-

wand und winkte herab auf die weiten Gefilde zu ihren Füßen. Wie ein Freudenstrahl leuchtete der Feuerschein um die alten, steinernen Züge des Karwendelgebirges; der Watzmann, ein König im Osten, trug sein brennendes

Diadem, und nun gar der Untersberg, dem durste seine Krone nicht fehlen! Im Untersberg sitzt ja der alte Kaiser und harrt auf die deutsche Einheit und

auf die Wiedererstehung der deutschen Macht. Es ist ein weiter Weg von den Ufern der Maas bis zu seiner Gruft,

aber mich deucht, er hat den Schlag

gehört und die Freudentränen flössen ihm in den weißen Bart. O, wer in solcher Stunde auf den Bergen stand! Es war eine Sternen­

nacht, so klar und glühend, als hätte der Himmel sich geschmückt, als hätte er seinen prächtigsten Mantel angetan zu unserem Feste.

Hier auf den

steinernen Wällen brannten die Wachtfeuer der deutschen Treue und drunten

lag unermeßlich das schöne, heilige Deutschland.

Es waren dieselben Sterne,

die über dem Schlachtfelde glänzten und über den Wogen der Nordsee! Wir waren einig und sind es; wie ein Freudenschauer ergreift es uns — die Über­

macht dieses Gedankens. In den Wäldern rauschte der Wind; auch die Wälder sind deutsch. Mit einer Art von Frömmigkeit hängt der Deutsche an seinem Wald, kein Volk hat ihn so tief verstanden und so treu gepflegt wie wir.

Er hat das Gemüt

der Jugend erzogen wie das der Ahnen; und wenn das Gemüt unser Kleinod

vor allen Nationen ist, dann ist der Wald sein Tempel; wenn das deutsche Gemüt uns den Sieg gegeben, dann war es recht, daß mitten im Kranze der deutschen Wälder die Siegesfeuer brannten! Horch, wie es rauscht! Rings

liegt die tiefe, schweigende Einsamkeit, und doch welche furchtbare Macht der

124. Der Volkskrieg an der Loire — ein neuer, zweiter Krieg.

593

Sprache wohnt in dieser Stille; wie wächst die Ergriffenheit an solchem

Schweigen! Drunten liegt das deutsche Land, das Land, das mehr getan für die

Erlösung des Geistes als irgend ein anderes und dennoch mehr gelitten als irgend ein anderes. Seine Geschichte ist eine Messiade in der Weltgeschichte. Elend und Schmach ist über uns ergangen, 30 Jahre hat der Krieg in unseren Gauen gewütet, der Druck der Fürsten und die Gier der Eroberer

haben das deutsche Volk, das edelste unter den Völkern, gebeugt. Und dennoch schritt es in stiller Arbeit weiter, dennoch konnten sie ihm eines nicht rauben,

das war die Treue und die Kraft seines Herzens. Mit dem Herzen hat es heute die große Tat der Befteiung vollbracht

und an dieser Tat hat der ärmste Mann, hat jedes Kind sein Teil, das die Hände zum Himmel erhob und für Deutschland gebetet hat. Das ist der wahre Boden unserer Einigkeit; im Herzen liegt unsere Kraft. O Vaterland, wie schön bist du, wie blühend liegst du zu unseren Füßen, so reich an Schmerzen und so reich an Ruhm! Hell lodern die Freudenfeuer auf allen Alpen.

Und wenn sie noch so ferne sind,

aus ihren Flammen

schlägt doch ein Stück vom deutschen Geiste zum Himmel und der Himmel

wird ihn beschirmen.

124. Der Volkskrieg an der Loire — ein neuer, zweiter Krieg. Don Fritz Hornig.')

Mit dem Volkskrieg an der Loire trat der Krieg unter der fran­ zösischen Republik in eine neue politische Phase. Ursprünglich nur von den

geführt nahm er nunmehr einen völlig veränderten Charakter an und gestaltete die Aufgabe der Strategie, je nachdem sich die Operationen mehr an den Grenzen oder im Herzen des Landes abspielten, beiderseitigen Heeren

weit schwieriger und erhöhte die Mühen und Anstrengungen der Truppen

erheblich. Die deutschen Heere kämpften nicht nur gegen eine andere Regierung,

sie kämpften vor allen Dingen gegen eine andere Armee. Dabei befanden sie sich in großer Unterlegenheit an Zahl, aber in der Überlegenheit an Tüchtig­ keit.

Der Kriegsschauplatz an der Loire war sehr verschieden von dem im Die regnerischen Novembertage im Verein mit den kurzen

Osten Frankreichs.

Tagen und langen Nächten legten den Operationen empfindliche Fesseln an und ließen in vielen Fällen das als unmöglich erscheinen, was zur Soinmerszeit auf festen Straßen und bei langen Tagen ausgeführt werden kann. Hiezu trat dann noch vor allen Dingen die Erhebung, in der sich das republikanische Frankreich seit dem Tage von Coulmiers (9. November) ') „Der Volkskrieg an der Loire im Herbste 1870."

I. Sb., S. 5 ff.

Berlin 1893,

E. S. Mittler & Sohn. Kron»eder, Lesebuch zur Geschichte Bayern».

38

694 befand.

124. Der Volkskrieg an der Loire — ein neuer, zweiter Krieg.

Man kann diese Erhebung, streng genommen, keinen Aufstand nennen,

etwa in dem Sinne des spanischen Aufstandes gegen Napoleon I. Allein der Grad der Volkserhebung und sein Einfluß auf die deutschen Operationen schuf

neue Schwierigkeiten, mit welchen nicht nur die deutsche Heeresleitung in Hinsicht der Erlangung von Nachrichten und folgerichtig ihrer Anordnungen und

Ziele, sondern auch die Truppenführung, herunter bis zur einfachen Patrouille,

gerade in der Periode von Coulmiers bis zur zweiten Einnahme von Orleans

zu kämpfen hatten. Die deutschen Heere an der Loire hatten im November zwei Gegner: der eine waren die neuen Armeen, der andere war das feindselige und be­ waffnete Volk.

Beide vereinigten sich darin, der deutschen Heeresleitung

jeden Schritt zu erschweren, nämlich durch die systemattsche Zerstörung aller Kommunikations- und Verkehrsmittel, durch die Absicht der mechanischen Ab­

schließung des eigenen Besitzes von Fremden. Ob die Wege zu Nachrichten überhaupt verstopft werden, ob die Pattouille von einem bewaffneten Bauer oder einem Soldaten heruntergeschossen wird, ob Sttaßen, Wege, Wegweiser,

Eisenbahnen, Telegraphen von Soldaten oder Freischärlern oder Bauern un­

die Armee oder das feindselige Volk die Mittel des Unterhalts für die gegnerische Armee vernichtet, ob ihre benutzbar gemacht werden, ob die Regierung,

rückwärtigen Verbindungen von der Armee oder dem Volke unterbrochen und

bedroht werden usw., das ist für die einfache Tatsache nicht von Belang. Die verschiedenen Tatsachen zusammen, besonders wenn, wie es hier der Fall war, System darin liegt, verändern nicht nur den Charakter des Krieges, sondern

erschweren die Operationen in einem Grade, der wieder nur dann richtig abgeschätzt werden kann, wenn über die Gestaltung und den Charakter des Kriegsschauplatzes völlig richtige Begriffe vorhanden sind. Hiebei fällt der Charakter des Volkes, sein Temperament, sein nationaler Stolz, sein Ver-

ttauen in seine Mittel und die geographische Gestalt samt den Kommunikationsmitteln zu Lande und zur See ins Gewicht, und wenn dies zusammen

berücksichtigt wurde, so war das Frankreich von 1870 ein Land, dessen fernere Widerstandsfähigkeit seit der Vernichtung der kaiserlichen Heere bei Sedan und

Metz schwer genau beurteilt werden konnte, die aber auch nicht unterschätzt werden durste. Neben allen diesen Gesichtspunkten sprachen aber auch die Einheit und Gleichheit eines großen Volkes in Bezug

gewichtig mit.

auf seinen

hohen Kulturzustand

Es gibt Länder und Völker, welche nach der Beseitigung ihrer

Feldarmee ohne weiteres eines längeren Widerstandes unfähig werden, weil die Hilfsquellen sehr ungleich über ihr Gebiet verteilt sind und es an Kommuni-

kattonen u. s. w. gebricht Truppen und Armeebedarf sicher und schnell nach

jeder beliebigen Richtung

hin

überzuführen.

Ein solches Land

war

das

Frankreich von 1870 nicht. Selbst wenn es zur Hälfte vom Feinde unter­ worfen war, konnte die andere Hälfte vermöge ihres Reichtums an Menschen

595

125. Bormarsch gegen die Loire.

und Mitteln sich neu organisieren, weil Frankreich eben ein alter, zentrali­

sierter Staat mit einer gleichmäßig über seine Territorien verteilten Kultur

und — folgerichtig in diesem Falle — Kriegsmitteln war.

Südfrankreich

kann z. B. noch beträchtliche Streitkräfte aufstellen und erheblichen Wider­

stand leisten, wenn ganz Nordfrankreich, Paris eingeschlossen, unterworfen sein sollte.

Die Gründe hiefür sind recht mannigfaltig,

zustatten kommt

Frankreich hiebei seine maritime Machtstellung und Lage, seine Rücken- und

Flankensicherheit sowie für die Organisation des Widerstandes die Möglichkeit einer Verteidigung nach großen strategischen Abschnitten.

Der Krieg an der Loire bedeutete für die Deutschen gewissermaßen einen neuen, zweiten Krieg und dieser zweite Teil des ganzen Feldzuges ist dadurch besonders eigentümlich, daß die Ungewißheit über Stärke und Ab­ sichten des Gegners etwas lange vorhielt, daß man die Anstrengungen der Republik anfangs unterschätzte, seit Coulmiers an manchen Stellen von Ge­

wicht überschätzte.

125. Vormarsch gegen die Loire. Einnahme von Orleans (11. Oktober). Der Tag von Coulmiers (9. November). Don Theodor Lindner.')

Als die eiserne Sperrkette um Paris ihre Glieder schloß, besaß Frank­ reich an Truppen nur eine unvollständige Division bei Bourges, einige Ab­

teilungen im Osten und Scharen bretonischer Mobilgarden im Westen.

Durch

das Land, soweit es von den Deutschen berührt war, ging ein ziemlich all­ gemeiner,

wenn auch zerstreuter Widerstand,

der nicht unbeachtet bleiben

durfte. Ihn hatte schon die kaiserliche Regierung hervorgerufen und die Republik sofort nach besten Kräften bestärkt und verstärkt. Die Behörden

verteilten Waffen, soweit sie nicht schon vorhanden waren, um allenthalben Scharen von unregelmäßigen Kämpfern auszurüsten. Diese nannten sich Franktireurs, Freischützen oder Freischärler und führten neben den in die Mobilgarde und in die Marschregimenter gestellten Mannschaften den Krieg

auf ihr eigenes Glück und Wagen, fteilich für nicht geringen Sold.

Die

meisten trugen eine Kleidung, die sie als Miliz kennzeichnete, kurze, schwarze Blusen, Pluderhosen mit roten Streifen und farbige Schärpen und vereinigten sich zu geschlossenen Haufen.

Ihr Zweck war der kleine, der Guerillakrieg.

Sie umschwärmten die Deutschen auf den Märschen und schnitten Zurück­ gebliebene ab, suchten kleine Abteilungen oder Wagenkolonnen zu überfallen, kurz, taten Abbruch, wo es ging. Meist der Gegend genau kundig, mit der ') „Der Krieg gegen Frankreich", S. 102 ff.

Berlin 1895, Asher.

125. Vormarsch gegen die Loire.

596

Bevölkerung im Einverständnis kamen und verschwanden sie, lagen im Hinter­

halt, wichen fliehend einem ernsten Angriff aus und erschienen bald wieder an einer anderen Stelle.

Sehr viele aber trieben ihr Wesen mit Heimtücke.

Sie trugen nur Schärpe oder farbiges Halstuch um sich vor ihren Lands­ leuten und im Falle der Gefangenschaft als Soldaten auszuweisen.

Gar

oft kam es vor, daß solche „Hannes" oder „Pisangs", wie unsere Soldaten

die Bauern (paysans) nannten, in der landesüblichen blauen Bluse, breit­ beinig, die Hände tief in der Hosentasche, den Pfeifenstummet im Munde, ruhig den Vorbeimarsch von Truppen mit ansahen, dann rasch ihre Flinten ergriffen und von der Seite oder von hinten feuerten; wurde dann der

Wald oder das Dorf abgesucht, versteckte der Franktireur Gewehr und Ab­

zeichen und stand in aller Unschuld als harmloser Bauer da.

Die große

Kriegführung konnte dadurch nicht gehemmt, wohl aber im einzelnen viel Unheil angerichtet werden und das Schlimmste war als unvermeidliche Folge gegenseitige wütende Erbitterung. Den Franzosen selber trug diese veraltete,

nur fälschlich als patriotisch betrachtete Kriegsweise den größten Schaden ein. Die moderne, menschlich gewordene Zeit führt allein Krieg mit den Soldaten und will die bürgerliche Bevölkerung schonen; das kann jedoch nur geschehen,

wenn diese sich selber jeder kriegerischen Handlung vollständig enthält.

Die

deutsche Oberleitung wachte mit eiserner Strenge über der Schonung von Privatleuten und ihrem Eigentum; um so weniger durfte jener heillose Unfug

geduldet werden. Daher verfuhr man mit diesem feigen Gesindel sehr kurz; die Ortschaften, deren Einwohner die Waffen erhoben hatten, wurden nieder­ gebrannt, den Gemeinden außerdem schwere Geldstrafen auferlegt.

Diese ver­

meintliche Härte kam als Warnung den Franzosen selbst zustatten und ver­ fehlte nicht ihre Wirkung. Gewöhnlich wurden in den besetzten Orten die Waffen eingefordert und vernichtet und die Behörden waren oft recht eifrig

sie aufzuspüren und einzuliefern.

Denn die Franktireurs belästigten auch ihre

eigenen Landsleute und neben sonst ehrlichen, nur verblendeten Männern gab es unter ihnen genug, die unter dem Deckmantel der Vaterlandsliebe nur schändliche Räuberei trieben. Es ließ sich gar nicht übersehen, wie stark diese Scharen und ob sie

nicht die Vorläufer von regelmäßigen Truppen waren; denn sie dienten auch zur Deckung

und Verschleierung

neu entstehender Truppenkörper.

Da die

Armee bei Paris vor jedem Angriff gesichert werden mußte, schwärmte die

starke deutsche Reiterei, sechs Divisionen, nach allen Seiten aus um auszu­ kundschaften und auch Lebensmittel aufzutreiben. Ringsum fielen kleine Ge­ fechte vor und als die 4. Kavalleriedivision feststellte, daß sich vor Orleans bedeutende Streitkräfte sammelten, wurde zu ihrer Bekämpfung am 6. Oktober

eine besondere Heeresabteilung dem General von der Tann unterstellt, bestehend aus dem 1. bayerischen Korps und der 22. Division (die thüringisch-hessischen Regimenter 32, 95, 83, 94) unter General von Wittich.

125. Einnahme von Orkans.

597

Die 2. und 4. Ka­ vallerie - Division begleiteten auf beiden Flügeln,

die 6. sollte west­ lich die sichern.

Flanke

Nördlich von der Loire erstreckt

sich die eintönige, ober fruchtbare Landschaft der Frontmarsch der Bayern von Arlenay gegen Orleans. Beauce, der Kornkammer von Paris. Diese „schöne Au", eine leicht gewellte Ebene, erzeugt auf ihrem weichen, unerschöpflich tragfähigen Tonboden die herrlichsten Getreide­ ernten und nährt einen bedeutenden Viehstand, besonders Pferde und Schafe. Daher liegt Dorf an Dorf, Ferme an Ferme; die Bevölkerung ist dicht und

wohlhabend, doch selbst ihre Landsleute urteilen über sie ungünstig.

Für den

großen Krieg eignet sich das Land wenig; die Gegend ist schwer zu übersehen, der starke Anbau hindert die Truppenbewegungen, beherrschende Punkte gibt es kaum.

Weder die Artillerie noch die Kavallerie vermögen sich dort recht

zur Geltung zu bringen und der Kampf muß sich meist in kleineren Gefechten von Ort zu Ort hinziehen. Unter den zahlreichen

Städten

ist die wichtigste das nur 270 km

von Paris entfernte altberühmte Orleans, am rechten Ufer der prächtigen,

schiffbaren Loire, mit den Vorstädten auf dem linken Ufer durch eine schöne, über 300 m lange Brücke verbunden. Reich an stattlichen Bauten, ein Haupt­ sitz der Industrie, mit wissenschaftlichen Anstalten ausgestattet und umgeben von breiten Boulevards, erfreut sich die Stadt mit ihren mehr als 50000 Ein­ wohnern eines blühenden Wohlstandes und vermittelt den Verkehr des Südens

mit dem Norden und namentlich mit Paris. General von der Tann stieß auf das erste der neu aufgestellten fran­ zösischen Korps, das XV., unter de la Motterouge, das 128 Geschütze

und 60000 Leute, fast nur junge Mannschaft, zählte. wich der Feind,

in seinen Flanken von

Trotz seiner Stärke

der Kavallerie umklammert,

nach

längerem, für ihn verlustreichem Gefecht bei Arte nah (10. Oktober) vor den ersten drei bayerischen Brigaden. Der Rückzug wurde so fluchtartig, daß Motterouge das nördliche Loireufer zu räumen beschloß. Am folgenden Tage marschierte Tann in breiter Front nach Süden gegen Orleans. Die 22. Division auf dem rechten Flügel geriet zuerst an

den Feind und stürmte nach langem Gefecht das etwa eine Stunde nord­ westlich von Orleans gelegene verschanzte Dorf Ormes, konnte dann aber nur

125. Einnahme von Orleans.

698

langsam durch Gärten und Häuser bis zur Vorstadt Le Petit St. Jean vor­

rücken. Auf dem linken Flügel fand die 3. bayerische Brigade, welche die große, schnurgerade Straße von Paris her verfolgt hatte, heftigen Widerstand bei Bel Air.

Da von hier die auf beiden Seiten bis in die Stadt hinein

dicht mit Häusern besetzte Straße leicht zu verteidigen war, suchten die Bähen« im Rücken zwischen Straße und Eisenbahn vorwärts zu kommen und gerieten

darüber in hartnäckigen Kampf gegen die Gasfabrik und den Bahnhof Les Aubrays; auch die 4. Brigade, die rechts neben der 3. Brigade über Saran die feindliche Linie durchbrochen hatte, konnte nur die westliche Häuser­ reihe nehmen.

Daher ließ Tann den entscheidenden Stoß von Nordwesten

her führen, indem er um 5 Uhr die 1. Brigade zwischen die 4. und die 22. Division einschob. Es gelang den 32ern, den Bahndamm zu über­ schreiten und den Feind zum Weichen zu zwingen; durch die Vorstadt St. Jean

stürmte dann das 1. bayerische Regiment vor bis an das den Eingang in die Stadt sperrende Zollgitter. Major von Lüneschloß und sämtliche Offiziere setzten sich an die Spitze; durch eine gesprengte Nebentür drangen sie in die

Stadt ein und

bis zum Martroiplatz, auf

dem das Reiterstandbild der

Jungfrau von Orleans prangt, die einst die Stadt vor den Engländern ge­ rettet hatte. In den Straßen trafen sich Bayern und Thüringer; hier an der Loire wurde die bisherige Waffenbrüderschaft zur innigsten Freundschaft. Die 1. bayerische und die 43. Brigade besetzten noch am Abend die wichtigsten Gebäude und die Loirebrücke. Die glänzenden Siege beider Tage kosteten etwa 1100 Mann, von denen ein beträchtlicher Teil auf die 3. bayerische Brigade fiel. Die Franzosen verloren 4200 Mann, davon 2700 Gefangene.

Zwei Tage vor der Einnahme von Orleans hatte Gambetta in Tours die Regierungsgeschäfte übernommen, das Innere und den Krieg, und mit mächtigem Wort das Volk zum Kampfe aufgerufen: „Große Pflichten werden euch auferlegt! Die erste dieser Pflichten ist, daß ihr keinen anderen Gedanken habt als den Krieg!"

Gambetta trat auf als Diktator; mit der

gewaltigen Kraft seines Willens riß dieser einzige, vielumfassende Kopf Frank­

reich mit sich fort und ergoß einen neuen Geist durch das Volk.

Ihm allein

war die ungeheure Anstrengung zu verdanken, der sich das Land unterzog. Nicht weniger als elf Armeekorps, 600000 Mann, stampfte er innerhalb von

vier Monaten wie aus der Erde.

Bewaffnung und, keineswegs schlechte Aus­

rüstung für diese Massen wurden blitzschnell besorgt, anfangs unter der starken

Beihilfe Amerikas und Englands, deren Kaufleute bereitwilligst Gewehre und Patronen lieferten. 1404 neue Feldgeschütze kamen ins Feuer; die Granaten

erhielten jetzt Schlagzündung und wirkten weit mehr als die früheren. Schnell hergestellte Kriegskarten belehrten die Offiziere über die ihnen unbekannten Gegenden; ein tüchtiges Geniekorps bildete sich aus Privatleuten, meist Tech­ nikern der Fabriken. Vortrefflich verstand die Armeeleitung das Eisenbahnnetz auszunutzen. Ganz Frankreich war ein mobiles Kriegslager.

125 Einnahme von Orkans.

599

Der Krieg, der vielen schon fast beendet schien, trat in völlig neue Ver­ hältnisse ein und verlängerte sich ins Ungewisse. Wieder nahm er einen dramatischen Zug an, der seit Metz und Sedan geschwunden war, die Ent­

wickelung erregte aufs neue erwartungsvolle Spannung. Ganz Europa, dessen Völker die unerhörten Siege der bisher gering geachteten Deutschen

nicht ohne einige Mißgunst gesehen hatten, verfolgte mit höchstem Interesse den wiederbelebten Waffengang.

Bayerische Artillerie im Kampfe bei Toulmiers.

Da der Feind über die Loire bis nach Salbris gewichen war, beschränkte sich Tann bei der geringen Zahl seiner Truppen darauf den Flußabschnitt

bei Orleans zu halten, während die 22. Division und die 4. Kavalleriedivision die zahlreichen Freischaren im Nordwesten vertreiben sollten. Am 18. Oktober fanden sie die offene Stadt Ehäteaudun durch Barrikaden verschlossen und von Franktireurs, denen sich die Einwohner kämpfend zugesellten, hartnäckig

verteidigt. Die Division stürmte die in Brand geschossene Stadt noch spät abends in gräßlichem Handgemenge; Ehäteaudun, großenteils ein rauchender Schutt­

haufen, büßte mit fast völligem Ruin. Durch sein grausiges Schicksal gewarnt, ergab sich am 21. Chartres, wo den regulären Truppen Abzug gewährt

wurde. Der von Gambetta ernannte neue Oberbefehlshaber, General d'Aure lle de Paladines, der in kurzer Zeit durch Strenge und fleißige Übung seine

125. Der Tag von CoulmierS.

600

lockeren Scharen zu leidlich brauchbaren Kriegern machte, vereinigte das XV.

und das unter General Chanzy eben gebildete XVI. Korps und zog, von starker Artillerie und Kavallerie begleitet, von Blois her auf dem rechten

Loireufer gegen Orleans mit der Absicht zugleich dem Gegner den Rückzug abzuschneiden. General von der Tann, der die Stärke des Feindes nicht kannte und

durch den Abmarsch der 22. Division geschwächt war, beschloß den Feind westlich von der Stadt zu empfangen, da sie selbst zur Verteidigung ungeeignet war. Am Morgen des 9. November mußten die Bayern vor der Mehrzahl und dem starken Geschützfeuer der Franzosen, die in guter Haltung heran­ rückten, erst Bqccon, dann nach langem Widerstand um 2 Uhr auch La Renar-

diere aufgeben und sich nach dem Saume des Waldes von Montpigeau zurück­

ziehen. Im Norden vereitelte die 2. Brigade unter General von Orff alle Umgehungsversuche und erstritt Vorteile, bis die Übermacht des Feindes es

ratsam machte vom Angriff abzusehen und nur die Stellung bei St. Sigismond aufs äußerste zu verteidigen. Nachdem die 4. Brigade mehrere Gewalt­ anstürme des Feindes auf Coulmiers kräftig zurückgewiesen hatte, wollte Tann nicht seine Reserve daransetzen und ließ deshalb das Gefecht um 4 Uhr

abbrechen.

In bester Ordnung, den Feind stets zurückhaltend, zog das Korps

über Artenay nach Toury zurück, wo es stehen blieb.

Die Stadt Orleans

war bereits am Nachmittage geräumt worden, nur die Lazarette mit den Ver­

wundeten und Kranken blieben zurück. Stadt aufs neue.l)

Am Abend besetzten die Franzosen die

Dieses Treffen von Coulmiers ist das einzige größere, das die Deutschen in diesem Kriege verloren haben. Aber ihrer 15000 mit 90 Geschützen hatten

71000 Feinde mit 140 Geschützen gegen sich. Mit Ruhm und ohne allzu große Verluste war sieben Stunden lang gestritten worden und die Franzosen

wagten keine Verfolgung.

Und wenn diese nach jeder verlorenen Schlacht

der Auflösung anheimfielen, kamen die Deutschen nicht einen Augenblick in Verwirrung, obgleich manche Abteilungen seit 36 Stunden nicht geruht hatten?) Die Franzosen zauderten daher ihren Erfolg auszunutzen; dennoch waren sie ’) Erst nach schweren Kämpfen

bei Beaune la Rolande (28. Nov.), Bille-

Pion (1. Dez.), Loigny- Poupry (2. Dez.), Orleans (3. und 4. Dez ), nachdem

die Armee d'Aurelle de Paladines' auf der ganzen Linie geworfen, im Zentrum durch­ brochen und zu exzentrischem Rückzug auf Bourges bzw. Tours genötigt worden war, fällt Orleans zum zweitenmal und dauernd in die Hände der Deutschen.

’) „Der Rückzug

nach

einem Gefecht bleibt immer die bitterste Prüfung des

militärischen Wertes einer Truppe, aber sie mag noch so gut bestanden werden, ein ver­ drießlicher Moment ist es doch. Das 1. bayerische Korps hatte bis jetzt in sechs Schlachten

und Gefechten gekämpft, ohne daß es jemals zurückweichen mußte; wir waren etwas ver­

wöhnt und mehr erstaunt als geärgert, daß das siebente Mal der Sieg nicht gelungen. Wenn man sich auch wiederholt die große Überlegenheit des Gegners in das Gedächtnis rief, gegen welche mit unseren geringen Kräften einen dauernden Widerstand zu leisten

126. (Sine gefährliche Eisenbahnfahrt.

601

höchst befriedigt und dieser Sieg half ihnen sogar über die Bestürzung hin­ weg, welche die Kapitulation von Metz (27. Oktober) hervorgerufen hatte. So viel hatten sie auch wirklich erreicht: die Loirearmee, an deren Wert viele nicht hatten glauben wollen, war eine Tatsache geworden, mit der ernst­ lich gerechnet werden mußte.

Die deutsche Heeresleitung hatte mit den größten

Schwierigkeiten zu kämpfen;

Paris fesselte zu viele Kräfte,

während fort­

während ringsum neue Armeen aus der Erde schossen. Es war die höchste Zeit, daß Metz fiel, sonst wurde die weitere Belagerung der Hauptstadt in

Frage gestellt.

126. Line gefährliche Eisenbahnfahrt. Don Adolf von Erhards)

Von der Eisenbahn-Geniekompagnie des Genie-Regiments (heute 1. und *2. Pionier-Bataillon), die selbst zur bayerischen „Feldeisenbahn-Abteilung" ge­ hörte, war ein Detachement in der Stärke von 3 Unteroffizieren und 36 Mann am 14. Oktober

1870 zu

Bahnhofsarbeiten

in

Etampes

zurückgeblieben,

am 22. in Orleans eingetroffen um daselbst bis 9. November den Bettieb auf der Strecke Orleans-Juvisy zu leiten und vereinigte sich erst nach ver­ schiedenartigen Verwendungen am 20. Januar 1871 wieder mit der Abteilung.

Kaum graute der Morgen des 9. November, so begannen die Geschütze bei Coulmiers zu spielen und bald ließ der ununterbrochene Donner der Kanonen auch in Orleans erkennen, wie heftig im Westen der Stadt um den Sieg gerungen wurde. Von der großen Übermacht der entgegenstehenden

französischen Loirearmee hatte man in den uneingeweihten Kreisen keine Ahnung, wohl aber zeigten die freudigen Mienen der gut unterrichteten Stadtbewohner und deren plötzlich schroff hervortretendes, feindseliges Gebühren gegen die noch anwesenden Deutschen, welchen Hoffnungen sie sich Hingaben. Bon dem Generalstabschef des 1. bayerischen Armeekorps von Hein­ te th war der Feldeisenbahn-Abteilung morgens der Befehl übermittelt worden,

den ganzen int Bahnhof von Orleans vorhandenen Fahrpark zum Rückzug in

der Richtung gegen Paris bereit zu halten und sobald die Meldung erfolge, daß auch die letzte Kompagnie des Jnfanterie-Leibregiments, welche am Vornicht möglich war, — der Eindruck, daß man bei Nacht, in Schnee und Regen, still, ohne Signale zurückmarschierte, ließ sich nicht verwischen und, gestehen wir es ein, das Bewußt­ sein, daß gerade uns Bayern dies passieren mußte, milderte diesen fatalen Eindruck eben nicht." Vgl. Hugo Helvig „Das 1. bayerische Armeekorps von der Tann im Kriege 1870/71." S. 207. München 1872, R. Oldenbourg. „General von der Tann hatte sich mit Geschick und Glück einer mißlichen Lage entzogen - eine Verfolgung fand überhaupt nicht statt." Moltke a. a. O. S. 127.

*) „Bayerische Einzeltalen und Gefechtsbilder aus dem Deutsch-Französischen Kriege 1870/71." Nr. 15, S. 47. München 1899, I. Lindauer.

126. Eine gefährliche Eisenbahnfahrt.

602

mittag des 9. noch die Wache in Orleans hielt, abgezogen sei, mit dem ganzen

Fahrpark und allem,

was in demselben untergebracht werden könnte, dm

Bahnhof zu verlassen. Hierzu stand aber nur eine seit 7. November not­ dürftig zusammengeflickte, ftanzösische Lokomotive „Bucephale", mit höherer

Erlaubnis „von der Tann" umgenannt, zu Gebote. keit

war nicht zu viel zuzumuten,

Deren Leistungsfähig­

während der Ernst der Dinge immer

klarer wurde. Schon in den Morgenstunden gingen Gerüchte, in der Stadt sei auf Deutsche geschossen worden. Der Ingenieur Gustav Ebermayer, Führer der

hier tätigen Arbeitssektton der Feldeisenbahn-Abteilung, teilte die sämtlichen vorhandenen Wagen, etwa 40 an der Zahl, in zwei Transporte, um sie nach­ einander aus Orleans wegzubringen. Um x]29 Uhr vormittags kam von der

Stadtkommandantschaft der Befehl mit der Abfahrt noch zu warten, bis die ersten Nachrichten vom Schlachtfelde da seien. Gegen ^11 Uhr traf die Ordre ein nunmehr alles nach Artenay, der nahezu 20 km von Orleans

gelegenen Station der Pariser Linie, in Sicherheit zu bringen und kurz darauf Der Führer

dampfte die Maschine mit dem ersten Zug zum Bahnhof hinaus.

hatte Aufttag von Artenay sogleich mit der Maschine zurückzukehren um auch

den zweiten Zug, für dessen gleichzeitige Fortschaffung die Stärke der Lokomottve nicht ausgereicht hätte, fortzuführen. Inzwischen begannen die Ereignisse zu drängen.

Um */212 Uhr zog die

Bahnhofwache mit der letzten Kompagnie des Leibregiments ab und mit der­ selben befehlsgemäß auch der auf der Straße mit den Rüstwagen sich be­ wegende Teil des Detachements.

Am Bahnhof befand sich jetzt nur noch ein

Keines Häuflein von Geniesoldaten, welches zur Deckung des Zuges dienen sollte, ungefähr 25 Mann, und außer dem Ingenieur ein Maschinenmeister

und Bahnmeister, nebst Hilfspersonal, alle sehnsüchtig der rückkehrenden Ma­ schine harrend, denn die Lage im Bahnhöfe fing an höchst ungemütlich zu

werden. Massen von Pöbel, Blusenmännern, deren Orleans als Fabrikstadt viele Tausende zählte, hatten sich, sobald die Stadt von allem deutschen Militär entblößt war, in den Bahnhof hineingedrängt und nähetten sich unter Geschrei und Gejohle immer mehr dem bayerischen, zur Abfahtt bereit stehenden Zuge. Es war bereits

Uhr und von der Lokomotive, welche längst zurück sein

sollte, ließ sich noch immer nichts sehen.

Wenn nun der notdürftig geflickten

Maschine ein Unfall begegnet wäre, der sie überhaupt an der Rückkehr hinderte? — Diese schlimme Möglichkeit mußte allmählich in Erwägung gezogen werden,

und als auch gegen 1 Uhr dem in die Ferne spähenden Auge von der er­ sehnten Rauchsäule sich nichts zeigte, der Andrang der Volksmenge aber immer

stärker wurde, durfte Ebermayer die Verantwortung für längeres Zuwarten nicht mehr übernehmen und befahl daher den Abmarsch. Dieser wurde zu Fuß auf der Bahnlinie bewerfftelligt und das not­ wendigste Gepäck aus kleinen, mit der Hand geschobenen Bahnwagen mitgeführt.

126. Eine gefährliche Eisenbahnfahrt.

603

Die wenigen in dem zurückgelassenen Bahnzuge befindlichen bayerischen Kranken, Verwundeten und Rekonvaleszenten, welche noch marschsähig waren, schlossen

sich an und mit tiefer Betrübnis den Bahnzug im Stiche lassend'kehrten die Angehörigen der Feldeisenbahn-Abteilung als die Letzten der Stadt Orleans den Rücken. Zögemd marschierten die Bayern rückwärts, aber noch war die Hoffnung nicht erloschen, daß die rettende Lokomotive sich nahe. Erst als

der Bahnhof allmählich außer Sicht kam, schwand alle Hoffnung den zurück­ gelassenen Zug zu bergen. So erreichte die kleine Schar Les Aubrais, den wenige Kilometer von Orleans gelegenen großen Rangierbahnhof und hier, wo alles noch in tiefer Ruhe und kein Mensch zu sehen war, machten die Bayern nochmals Halt, sich fast die Augen nach ihrer Retterin ausschauend.

Da — plötzlich — lieblicher hat kaum je eine Musik lauschenden Ohren ge­ klungen — der Pfiff einer Lokomotive; das konnte nur der „von der Tann"

sein und mit Jubelruf empfangen danipfte auch schon die Maschine heran. Allerlei kleine Unfälle, Rostverschlackung, Wasseraufnahme u. a. m. hatten sie aufgehalten.

Nun aber war guter Rat teuer.

Sollte man nochmals in die Löwen­

höhle zurück, wo vermutlich der bayerische Zug schon gestürmt und demoliert und das Schicksal der Gefangenschaft, wenn nicht Ärgeres, den Umkehrenden sicher war?

Befehlen konnte man das nicht;

so rief der Ingenieur: Frei­

willige vor, und im Augenblicke saßen und standen etwa 20 der wackeren Geniesoldaten, alle mit den gefürchteten Chassepots wohlbewaffnet, auf dem

Tender, während Ebermayer mit dem Bahnmeister die Maschine bestiegen hatte; und vorwärts ging es wieder nach Orleans, was die Maschine laufen konnte.

Da stand noch der verlassene Zug, unangetastet, wenn auch wild umtobt

von dem andrängenden Volke.

Einzelne deutsche Soldaten, welche erst nach

dem Abmarsch der Bayern sich noch aus der Stadt an den Bahnhof gerettet,

hatten mit ihren Waffen die andrängende Menge immer noch im Schach ge­ Im Nu war die Maschine an den Zug angekuppelt, alles schien ge­

halten.

wonnen, da — meldet der Zugführer ganz phlegmatisch, daß die Maschine kein Wasser mehr habe! Man muß wissen, was eine Lokomotive ohne Wasser

ist, eine unbehilfliche, tote Masse, um den ganzen Schrecken der Leute zu er­ messen.

Und die Wasservorrichtungen im Bahnhof unheilbar zerstört! Hatte

man doch auch schon tags vorher und desselben Tages früh die Maschine nur

mittels Schlauches und einer von der Stadt requirierten Feuerspritze mit Wasser versehen können! Aber die Spritze mußte noch an einem benachbarten Weiher stehen und richtig, sie zeigte sich unberührt, und als, wie auf einem

lecken Schiffe, das Kommando

ertönte:

„Alle Mann

an die Pumpe!",

da

wurde die Pumpe mit einem Feuereifer bedient, wie vielleicht vorher selten bei

der größten Feuersbrunst.

Es vergingen peinliche Minuten, bis endlich das

Wasser am ersten Probierhahnen sprang.

Nun genug!

Schon

will der

Führer Dampf geben, doch Halt! Man mußte auch sorgen, daß, wenn unter-

126. Eine gefährliche Eisenbahnfahrt.

604

Wegs wieder Wassernot eintritt, man nicht hilflos sei; also schnell mit vereinten

Kräften die Feuerspritze beigefahren,

aufgepackt

und

in

einen

Bahnwagen

hinein und-mit ihr die rasch auseinandergeschraubten Schläuche — kein Stück davon wurde zurückgelassen.

Nun aber fort!

Triumphierend dampft der „von der Tann" mit feinern Bahnzuge, teils besetzt von Kranken und Verwundeten,

teils

beladen mit allen

möglichen

Gegenständen: Ersatzmonturen, namentlich Stiefeln und Wäsche, Liebesgaben, Furage u. s. w. unter dem Wutgeheul und den Verwünschungen der ange­

sammelten Volkshaufen zum Bahnhof hinaus.

Vor dem Bahnhof führte eine

Wegbrücke über das Geleise, dicht besetzt von Franzosen, welche bei unserem Abzüge zu Fuß vor einer Stunde ein Hohngeschrei aufgeschlagen hatten, bei unserer Wiederkehr mit der Maschine uns mit Verwünschungen überschütteten,

jetzt aber, als wir den von ihnen schon als gute Beute erachteten Bahnzug

davonführten, Miene machten Steine und was sie sonst zur Hand bekommen konnten

auf uns niederzuschmettern;

einzelne von ihnen waren mit Waffen

versehen. Aber die 20 vom Tender aus auf sie gerichteten Chassepots hielten

sie doch in Respekt weh.

und ihr Verwünschungsgejohle tat den Abziehenden nicht

In Les Aubrais luden diese ihr Gepäck und die zurückgebliebenen Ge­

nossen ein und kamen unbehelligt nach Artenay, wo der erste Zug schon hinter­

stellt war. Hier erhielt das Detachement der Feldeisenbahn-Abteilung gegen Abend

die Kunde von dem Ausgang des Treffens bei Coulmiers und brachte noch den einen der beiden Bahnzüge bis Etampes, einer zwischen Paris und Orleans,

etwas näher an ersterer Stadt gelegenen Bahnstation, wo die Maschine über­

nachtete um am andern Morgen (10. November) mit Tagesgrauen wieder auf­ zubrechen und die Sachlage bei Artenay zu erkunden.

Wiederum verzögerten kleine Unfälle an der Maschine die Fahrt.

Auf

dem Wege nach Toury — etwa 13 km vor Artenay — wurde dem Ingenieur

von der Weiterfahrt dringend abgeraten, da Artenay bereits von den deutschen

Truppen geräumt sei.

Aber auch der dort noch stehende Zug, obwohl zum

weitaus größten Teile bereits geleert, sollte nicht im Stiche gelassen werden,

da schon das Wagenmaterial an sich für die Bayern zu wertvoll war.

Das

Detachement machte sich daher trotz aller Warnungen auf den Weg. Zwischen Toury und Artenay zieht die Bahnlinie fortwährend in geringer Entfernung

von der Landstraße hin, auf welcher die von Coulmiers herkommenden deutschen

Truppenkörper sich

gegen Toury

bewegten.

Alle Augenblicke

kamen

nun

Offiziere von der Straße her gegen unsere Maschine angesprengt mit dem Zu­

rufe, Artenay sei geräumt, wir sollten uns hüten noch dahin zu fahren. Mit dem oftmaligen Aufhalten verlor man viel Zeit.

Da

bedeutete

halbwegs

Artenay dem tapferen Ingenieur ein Generalstabsoffizier, daß die Abholung des dort stehenden Zuges noch nicht unmöglich sei, und nun war kein Halt

mehr.

Mit Volldampf sauste die Lokomotive trotz alles Winkens von der

605

127. Ergebnisse der Schlacht von Orleans am 3. und 4. Dezember.

Landstraße mit Taschentüchern und Gewehren, trotzdem ganze Truppenabtei­

lungen stehen blieben vor Verwunderung

tollen Jagen in Feindesrachen zu rennen.

über

das unsinnige Beginnen

im

Nichts hielt den Ingenieur und

seine Begleiter mehr auf, der Bahnhof war in Sicht, von französischem Militär nichts zu bemerken; daher ward mit gemäßigter Geschwindigkeit in den einsam

und verlassen daliegenden Bahnhof eingefahren, gelegt und angekoppelt.

die Maschine vor den Zug

Zurück geht es mit dem Zuge

an den Augen der

eben noch so besorgten Leute an der Landstraße vorüber.

Nach weniger als

einer halben Stunde befand sich auch dieser Zug zu Toury in Sicherheit und das

Detachement konnte stolz sein, die bei dem Rückzüge von Orleans ihm zuge­ wiesene Aufgabe trotz der schwierigsten Umstände voll und ganz erledigt jit

haben.

127. Ergebnisse der Schlacht von Orleans

am 3. und 4. Dezember. Von Hermann Kunz.*)

Die Ergebnisse der zweitägigen Schlacht von Orleans waren glänzend,,

die eigenen Verluste der Sieger dabei gering zu nennen.

Der Haupterfolg

der Schlacht liegt aber nicht in der Masse der gemachten Gefangenen und der eroberten Geschütze, sondern in der Zersprengung der französischen Loirearmee

und in dem großen Niedergang des moralischen Elements bei den Franzosen.

Nicht leicht dürfte es schärfere Gegensätze in der moralischen Verfassung

eines und desselben Heeres geben, weniger Tage feststellen konnten.

wie wir sie

bei der Loirearmee binnen

Am 1. Dezember gingen die Massen dieses

Heeres mit frohester Siegeszuversicht vorwärts,

begeistert durch die Lügen­

proklamationen Gambettas, stolz auf die angeblichen Erfolge der Pariser

Armee,

begierig darauf

es

Fröhlichkeit herrschte vor,

den

Pariser Kameraden

gleichzutun.

die berühmte >gatte gauloiae«,

Heitere

auf welche die

Franzosen nicht ohne Grund stolz sind, spiegelte sich auf den Gesichtern der

Tausende ab, die bei Villepion in den Kampf zogen.

Als nun gar noch ein

Sieg die Anstrengungen dieses Tages lohnte, da gab es kein Halten mehr.

Jetzt war nur noch von Enthusiasmus die Rede.

Man fürchtete ordentlich,

die verhaßten »Prussiens« würden sich dem gallischen Anstürme noch recht­

zeitig -entziehen

und

dadurch

einer Niederlage entgehen.

war sicher; wehe dem, der etwa daran gezweifelt hätte! wagt hätte

solche Zweifel

auszusprechen,

Aber der Erfolg

Wer aber gar ge­

den hätte man einfach für einen

Verräter gehalten.

So war die Stimmung am Morgen des 2. Dezember, am Jahrestage

der Schlacht von Austerlitz. 1 • „Die Schlacht von Orleans", S. 239.

Berlin 1894, Mittler.

606

128. Das Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Travant.

Am späten Abend des 4. Dezember fluteten dieselben französischen Massen, an Zahl sehr herabgemindert, durch Feuer und Schwert zersprengt, blutend,

hungrig, vor Frost zitternd, hoffnungslos, vielfach auch führerlos, im Dunkel der Nacht trübselig zurück, nach Westen, nach Süden, nach Osten. Schlag ans Schlag hatte die siegestrunkenen Franzosen getroffen, einer immer vernichtender

als der andere.

Die vielgeschmähten »Prussiens« waren nicht ausgewichen,

sie hatten sich vielmehr mit vollster Wucht dem Feinde entgegengeworfen und den wilden gallischen Ansturm am 2. Dezember gründlichst abgewiesen.

Dann

waren sie sogleich selbst zum Angriff vorgegangen, nicht so leidenschaftlich enthusiasmiett wie die Franzosen, dafür aber ruhiger, zielbewußter und von

vorttefflich bewährten Führern geleitet. Jetzt lag das stolze Feldzeichen Frank­ reichs danieder. Tieffte Entmutigung war an Stelle der hell lohenden Be­ geisterung getreten. Alles eilte nach rückwärts, vielfach ohne zu wissen wohin. Nur fort aus der Nähe der siegreichen Deutschen, möglichst weit fort, das war das Losungswott auf ftanzösischer Seite. „Wir können nicht mehr und wir wollen nicht mehr", sagten dieselben Soldaten, welche vier Tage ftüher sich schon die Freuden eines Einzugs in das befreite Paris ausgemalt hatten.

So stellt sich die Bilanz der Schlacht von Orleans dar. An Stelle einer

an Zahl den deutschen Heeren weitaus überlegenen Armee, welche soeben noch siegesfteudig aus den Stern Frankreichs tiertraute, gab es jetzt nur noch ge­ schlagene Armeekorps, zersprengte Divisionen, welche nach drei verschiedenen

Richtungen hin sich dem Nachdrängen des Siegers zu entziehen ttachteten.

Wenn es wahr ist, daß die Franzosen sich leicht für eine Idee begeistern,

daß sie sogar mit glänzendem Elan für eine Idee zu sterben bereit sind und dabei nach der Zahl der Opfer nicht fragen, so ist es nicht minder wahr, daß schwere und plötzliche Mßerfolge die Stimmung der Nachkommen der alten Gallier auss nachhaltigste beeinflussen und daß Mutlosigkeit, ja Verzweiflung

ebenso schnell dort Platz greift, wo zündende Begeisterung sich kurz vorher ganz

allein gezeigt hat.

128. Das Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Eravant (8 —10. Dezember); Rückkehr der Bayern nach Orleans. Don Karl lanera.l)

Bis zum vollständigen Eintritt der Dunkelheit hatte das Gefecht gebauert.

Nun aber erkannte man deutlich, daß der Feind auf allen Teilen des Schlacht­

feldes entschieden abgewiesen sei und daß man jetzt doch hoffen dürfe,

die

Armee des Generals Chanzy werde sich endlich zur Flucht wenden. Wie von einem Alp entlastet begrüßte man bei den höheren Stäben die am Abend des 9. Dezember einlaufenden Meldungen. *) „An Loire und Sarthe", S. 207 ff.

München 1892, Oskar Beck.

607

128. DaS Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Cravant.

Dennoch wollte bei uns Bayern keine rechte Freude aufkommen. Wir hatten wieder am meisten verloren, nämlich 8 Offiziere und 320 Mann, und unsere Truppen waren auf Zahlen herabgesunken, die einfach eine jede

Die meisten Bataillone

größere Leistung für die nächste Zeit ausschlossen.

mußten in zwei, eine ganze Reihe sogar in eine Kompagnie zusammengestellt werden; viele Bataillone wurden von Leutnants, die Mehrzahl der Kompagnien von Feldwebels geführt trotz des nun auch für die erste Division angekom­

menen Ersatzes an Offizieren und Mannschaften und die Artillerie war selbst

durch Ausgleich nicht mehr imstande jedes Geschütz mit der unbedingt not­ wendigen Bespannung und Bedienung zu versehen. Ich selbst habe in der Nacht zum 10. Dezember den Rapport der 3. Brigade aufgestellt.

Er ergab 33 Offiziere, 123 Unteroffiziere und 2124

Mann. Unter letzteren befanden sich 102 Landwehrjäger, 603 ältere und 1298 Ersatzleute, welch letztere kaum drei Monat ausgebildet waren. So sah eine aus 7 Bataillonen bestehende, normal 160 Offiziere und 7000 Mann starke Brigade aus. Mit solchen Truppen haben wir wieder am 9. Dezember stundenlang fest und ruhig im ärgsten Feuer ausgehalten; mit solchen Truppen haben wir am

9. Bauvert und Villorccau gestürmt, und mit solchen Truppen haben wir be­ wiesen, daß man die Bayern Physisch vernichten, niemals aber ihr soldatisches

Ehrgefühl, ihre Pflichttreue untergraben kann. Alles aber hat eine gewisse Grenze, und daß unsere physischen Kräfte nachließen — nachstehende Tabelle beweist, warum. Nach den Strapazen, Märschen und Gefechtsverlusten des November, als wir dachten, durch die

2. Armee abgelöst zu werden um uns zu erholen, trafen uns folgende Verluste: Gefecht bei Villepion

.

.

.

1. Dez.

37 Offiziere

802 Mann

Schlacht bei Loigny Poupry .

2.

100



Schlacht bei Orleans

.

3.



3



2203 20

,, „

...

4. 7.

„ „

9



301



8

„ „

94 1986

„ „







.

.

Gefecht bei Meung . . . Schlacht b. Beaugency-Cravant 8., 9,10. Dez.

88

,

245 Offiziere 5406 Mann.

„Somit hatte das 1. Korps in 10 Tagen 8 Gefechtstage und hierbei ein Dritteil der Mannschaft und mehr als die Hälfte der Jnfanterieoffiziere auf dem Schlachtfelde verloren." Von den Erftorenen, durch Krankheiten und Marschstrapazen Zugrunde­ gegangenen spricht man nicht einmal. In der Nacht zum 10. Dezember standen die 17. und 22. Division in erster Linie mit Vorposten von Beaugency über Clos Moussu bis Cernay, da­

hinter, bei und südlich Montigny, die Bayem und rechts von ihnen die 4.,

links die 2. Kavalleriedivision.

128. Da- Ende der dreitägigen Schlacht bei Beaugency-Cravant.

608

Ein Befehl des Prinzen Friedrich Karl bestimmte, daß unsere Armee­ abteilung am 10. Ruhetag haben und das bayerische Korps als Besatzung

nach Orleans abrücken sollte. Die Freude hierüber wurde jedoch wieder zu Wasser. Bei General Chanzy war nämlich Gambetta eingetroffen. Dieser be­ stimmte jenen Armeeführer noch einmal stehen zu bleiben und sogar angriffs­

weise vorzugehen. Schon früh 7 Uhr, gerade als sieben Kompagnien der 32 er (Thüringer, vom X. preußischen Korps) auf den Sammelplatz der Brigade nach rückwärts

abmarschiert waren, stürmten dichte Massen des Feindes gegen Crigny an. Die dortigen fünf Kompagnien der 32er wehrten sich wie verzweifelt, allein schließ­ lich erlagen sie der Übermacht und verloren das Dorf. 150 wurden gefangen,

die übrigen schlugen sich mit der blanken Waffe durch, nachdem sie ihre Munition Das war ein schlechter Ruhetag. Kaum gelangten die Meldungen hiervon nach rückwärts, so machten sich Preußen und Bayern auf, die Kameraden zu rächen. Letztere stellten, der Auf­ verschossen.

forderung des Generals von Wittich folgend, sofort ihren Abmarsch ein und kehrten freiwillig ins Gefecht zurück. Die 34. und 44. preußische sowie die 2.

und 4. bayerische Brigade drangen nun vor. An Artillerie kamen aber nur zwei preußische und vier bayerische Batterien zur Tätigkeit, denn fast alle Ge­

schütze der 22. Division und ein Teil der bayerischen waren durch Ausbrennen der Zündlöcher unbrauchbar geworden.

Für diese reichte auch die noch vor­

handene Bedienungsmannschaft annähernd aus. So war es also mit der Rückkehr nach Orleans noch nichts!

Nur das

schon dorthin abgerückte Leibregiment und die 1er beließ man im Marsche. Wir andern, wir schlugen wieder drein.

Bald kamen unsere sämtlichen noch gefechtsfähigen Batterien angefahren — angetrabt konnte man nicht mehr

sagen, weil die wenigen abgehetzten Skelette von Pferden keinen Trab mehr zuwege brachten — und bald war wieder der Rummel los wie alle Tage. Das unerwartete Vorgehen des Feindes am 10. hatte zur Folge, daß der Befehl, die Bayern sollten am 11. Orleans besetzen, um einen Tag ver­ schoben wurde. Die ganze Armeeabteilung des Großherzogs von Mecklenburg bereitete sich also in der Nacht vom 10. zum 11. noch einmal zum Kampfe vor. Überall bedauerte man, daß es so sein mußte, aber niemand murrte.

Doch heute täuschten wir uns zu unser aller Freude.

Die Franzosen, selbst

ihr energischer General Chanzy, hatten nun endlich doch genug. Die erlittenen Verluste, der mit Riesenschritten zunehmende Verfall jeder Disziplin und Ord­ nung und schließlich das den Rücken der Loirearmee bedrohende Vorgehen des IX. preußischen Korps und der 6. Kavalleriedivision aus Blois bestimmten Chanzy noch am Abend des 10. am folgenden Tage den Rückzug auf Vendöme

anzutteten.

Damit hatte also die dreitägige Schlacht der zweiten französischen

Loirearmee gegen die Armeeabteilung des Großherzogs

Cravant ihr Ende erreicht.

bei Beaugency-

Wir konnten uns nicht einen so glänzenden

128. Rückkehr der Bayern nach Orleans.

609

zuschrei­

Sieg

ben wie bei Loigny-Poupry oder Or­ leans. Allein

drei Tage hatten wir der vierfa­ chen Übermacht,

großenteils ganz

frischen

Trup­

erfolgrei­ chen Widerstand geleistet, alle pen ,

ihre

Versuche

waren an unse­ rer Gegenwehr vollständig

ge-

icheitert und ver­ Auf der Rückkehr nach Orleans (12. Dezember). geblich erwiesen sich selbst die Bemühungen Gambettas die Entsatzarmee von Paris vorwärts zu bringen.

Das hatte des Großherzogs Armeeabteilung geleistet; die Armee

des Prinzen Friedrich Karl konnte jetzt an die Vernichtung des entmutigten, abgewiesenen Gegners denken. Am 11. früh standen alle Truppen fast auf den gleichen Plätzen wie am 10. kampfbereit.

Es kam aber nur zu unbedeutenden Scharmützeln mit

den Arrieregarden des abziehenden Feindes. Das nun vollständig herangerückte X. Korps schob sich vor die Truppen des Großherzogs. Am 12. schied das bayerische Armeekorps als solches aus der Armee-

abttilung des Großherzogs von Mecklenburg aus.

Nur die 4. Jnfanteriebrigade

und sechs Batterien verblieben noch in ihrem Verbände und kamen wiederholt

ins Feuer. Am gleichen Tage zwischen 1 und 3 Uhr rückten die 2. und 3. bayerische Brigade nach herzlichen Begrüßungen mit den aus der Stadt ausmarschierenden

Voran ritt der jetzt ganz weiß ge­ Wie verschieden war dieser Einzug von den

Brandenburgern wieder in Orleans ein.

wordene General von der Tann.

vorhergehenden!

Beim ersten (am 11. Okt.) strahlte alles in der Siegessieude

und war fröhlich und guter Dinge; der zweite (am 4. Dez.) fand schon unter

dem Drucke großer Strapazen statt; jetzt aber zog der Rest eines schönen, starken Korps ernst und still, trauernd um so viele schmerzliche Verluste ein. Von uns allen im Juli mit ausmarschierten Offizieren waren nur noch sehr wenige da. Über 530 lagen auf unseren mehr als 20 Schlachtfeldern. Trotzdem

ließen wir, als wir durch das wohlbekannte Tor Faubourg Madeleine einzogen fttonleber, Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

39

129. Das Lied vom von der Tann.

610

und vor unserem kommandierenden General defilierten, die Köpfe nicht hängen. Im Gegenteil!

Frei konnten wir trotz der Lumpen, die uns kleideten, trotz

der zerrissenen Stiefel, die kaum mehr die Füße bedeckten, trotz der klepper­

dürren Rosse, auf denen wir ritten, seinem festen Blick begegnen, denn ein er­

hebendes Bewußtsein durchwogte uns alle und wir lasen die Bestätigung davon in seinem Auge, das stolz auf seinen Bayern ruhte und es deutlich aussprach:

„Ihr habt euere Pflicht erfüllt bis aufs äußerste!" Das Korps von der Tann blieb

nunmehr

bis zum 24. Dezember in

Orleans mit Ausnahme der oben erwähnten Truppen.

Es erholte sich in dieser

Zeit und war, als es im Januar bei der Belagerung der Hauptstadt wieder Verwendung fand, bei frischen Kräften.

Durch den Abzug der Bayern nach Orleans löste sich deren engere Ver­

bindung mit jenen preußischen Divisionen, mit denen sie im Süden von Paris so manchen Sieg erfochten, so manches Ernste durchgemacht.

Treue Kamerad­

schaft hatten wir gefunden und gewahrt; gleicher Opfermut, gleiches Stteben

hat uns Bayern von Iller, Lech, Isar, Inn und Donau, aus den südlichsten Gauen des Reiches mit den Mecklenburgern und Hanseaten des äußersten Nor­

den-, mit den Thüringern und Hessen der Mitte und mit schlesischen, pommerschen, posenschen und preußischen Reitern des Ostens vereint;

wir. haben

uns gegenseitig kennen und achten gelernt und wir haben empfunden, daß wir alle zu einem großen, mächtigen Volke gehören, daß wir alle nur eine Heimat haben, unser geliebtes deutsches Vaterland. Don ihnen jeder ist ein Held,

Sie stehen auf dem Siegesfeld Dom ersten Tag an sichtbarlich. Hier hat der Sanger nur zu preisen,

Auf Opferleichen hinzuweisen, Und betend zu verhüllen sich.

(Martin Greif.)

129. Das Lied vom von der Tann. Don Franz Trautmann. *)

En avant, marchons, en avant, marchons, Liebe Bruder von dere grrrande Nation! Wire sein sie sicher der Victoire, Wire hab' sie schone unserige Gloire! La la Gloire, la Gloire, la Gloire, la Gloire, La Gloire, la grande Victoire! Wire fürcht' sie keiner Preuß-?oltron8, Wire fürcht' sie keiner Herr Saxons, Keiner Bademann, Würtenberbouregois, Keine böse, blauer Bavarois! ') „AuS der KriegSzeit 1870", S. 30.

Berlin 1870, Fr. Lipperheide.

611

130. Die Bayern an der Loire.

En avant, en avant, Enfants, Enfants, Wire slag' ihre tot bei die Orleans! He, he, le Tann, le le Tann, le Tann, Sie sie seine eine geflogene Mann, (Beflogene Mann, die Tann!

Und es sprengt heran der v o n d e r T a n n, Der deutsche Held, der deutsche Mann. Und kaum geschaut, schon schlägt er los Ci da macht er Augen, der Franzos! Ha parbleu, parbleu, parbleu, parbleu, 8auv', sauv’, sauv’, sauv', quipeut! Ere hau sie drein, schieß mit Canons, Ere gib sie gare kein Pardon! Pfiffi paff, wir fall' sie um wie die Muck, Lauf, lauf sie, Frfcres, lauf sie suruck! Retirons, retirons, sacre Bataillon, Retirons, retirons, retirons!! Le le Tann, le Tann, le le Tann, le Tann, Sie sie seine eine sehr böse Mann, Sacre bleu, die Tann, die Tann!

Ja Jst Ja Jst

So nun kennt ihr unsern von der Tann Und wißt, wenn Bayern rücken an, Ja da ist's vorbei mit der Victoire Und da ist es aus mit euriger Gloire! Ja, da Hilst euch nichts, als Reiß­ reißaus, Erzählt's zu Haus, zu Haus! Und wenn euer Hochmut gar nicht ruht Und euch wieder steigt zum Kopf die Wut Denkt an „Pfiffi paff, fall' sie um wie die Muck", An die „Lauf sie, Frfcres, lauf sie suruck!" Sonst geht es euch, chäris Enfants, Als wie's euch ging dort bei Orleans! General, Soldat, ein jeder Mann, bei uns ein von der Tann!

das merk, Franzos, ein jeder Mann bei uns ein von der Tannein von der Tann im Herzen jeder deutsche Mann!

130. Die Bayern an der Loire. Don Karl Bleibtreu.')

Da das Korps von der Tann abtrat, ziemt sich ein Rückblick.

jetzt (11. Dezember) vom Schauplatz

Die Süddeutschen haben vornehmlich an der zweiten Hälfte des Deutsch«

Französischen Feldzugs hervorragenden Anteil genommen,

ja sie sind

hier

geradezu in den Vordergrund getreten.

Die Württemberger empfingen bei Champigny

in der großen Pariser

Ausfallschlacht (30. November) ihre hauptsächliche Feuertaufe und bestanden sie mit Ruhm, die Badenser in gleicher Weise bei Dijon (21. und 23. Januar).

Die bayerischen Truppen, so glänzend sie bei Wörth, Sedan und vor Paris fochten, haben ihre schönsten Lorbeeren an der Loire gepflückt, so besonders

bei Coulmiers am 9. November die Artillerie. Zwischen Coulmiers und Ormeteau waren fünf Batterien aufgefahren und ihre aufopfernden Bemühungen *) Kritische Beiträge zur Geschichte deS Krieges 1870/71, S. 214 ff. H. Costenoble.

Jena 1896,

612

130. Die Bayern an der Loire.

retteten die dünne Linie des weichenden Fußvolkes vor dem Durchbruch feind» licher Übermacht. Sie avancierten mehrere hundert Schritt um die feindlichen Geschütze näher zu fassen unb Batterie Baumüller stand am rechten Flügel

der Verteidiger des Parkes von Coulmiers, unerschüttett ttotz herbster Ver­ luste, vorne in der Plänklerlinie. Ungewöhnlich zeichnete sich hier auch Oberst Graf Isenburg aus, der

mit dem 13. Infanterieregiment und versprengten Abteilungen des 10. Schloß

und Park Coulmiers hielt, nachdem er die Verteidigung durch Distanzmarkie­ rungen und Schließung einzelner Mauerlücken vorbereitet. So wehrten sich die Bayern 6 Stunden lang gegen die Massen der Division Barry vom 16.

und der Brigade Daries vom 15. Korps.*) In der Schlacht bei Beaugency-Cravant tat sich auch Prinz Leopold

von Bayern als Batteriechef besonders hervor und ermutigte die Mann­ schaften durch kaltblütige Haltung. Die fünf Batterien der Artilleriereserve unter Major Schleitheim wirkten hier mit ähnlicher Hingebung wie jene bei Coulmiers. Die 3. Jnfanteriebrigade avancierte unter heftigem Feuer auf Gelände gegen zahlreiche Weinberge und trotz herbster Verluste (schon im Treffen von Orleans hatte diese Brigade den stärksten Verlust am

ebenem

11. Oktober und ebenso bei Loigny) stockte der Angriff keinen Augenblick.

Doch gelang es erst der 2. Brigade Orff und der etwas später eingreifenden 1. Brigade

den

Feind

zurückzudrängen.

mehrere Bataillone fast kampfunfähig.

Dabei

machte

Munitionsmangel

Das nachfolgende Biwak der Sieger

stellte letztere auf harte Geduldprobe. Es war bitterkalt, die Verpflegung glänzte durch Abwesenheit, da die Proviantwagen sich in der Dunkelheit nicht zu ihren Truppenteilen durchfinden konnten. Am Flügel rechts bei Cravant nahm das bayerische 9. Jägerbataillon „am Kampfe rühmlichen Anteil-, wie der preußische

Divisionsgeneral von Wittich (22. Division) in seinem Tagebuch bezeugt. Am folgenden Tage (9. Dezember) focht wieder das

13. Infanterie­

regiment bei Villechaumont mit Energie und Graf Isenburg, jetzt Komman­ dierender der 4. Brigade, harrte aus, bis die 22. Division ihn aus der kritischen Lage befreite. Hiebei hatte die Sechspfünderbatterie Kriebel, der

sich zwei Vierpfünder anschlossen, einen besonders schweren Stand. Feindliche Granaten räumten unter Stücken und Bemannung dermaßen auf, daß nur noch 14 Mann und 3 Geschütze übrigblieben.

Am rechten Flügel nahm General

Orff den wichtigen Ott Beauvert glänzend mit Sturm. Am 10. Dezember beschäftigte das arg gelichtete bayerische Korps das 21. französische Korps am Walde von Marchenoir. Am 11. Dezember schied es aus der Front und kehrte am 12. Dezember

nach Orleans zurück um endlich auf einige Wochen Feierabend zu machen. *) Graf Usenburg und Major Baumüller erhielten den Max-Josephs-Orden, ebenso später Hauptmann Reder, ein anderer Ches der obengenannten 5 Batterien.

131. Deutschlands Frauen 1870/71.

613

Seine Kompagnien zählten durchschnittlich nur noch 100 Mann, 1 Offizier.

Seit dem 8. November (Vorabend vor Coulmiers) bei Kälte, Wind, Regen auf

dem Marsche und immer am Feinde, hatte es allein seit dem 1. Dezember 5750 Mann (darunter 245 Offiziere) in acht Gefechten verloren, überhaupt seit Anbeginn 539 Offiziere und 9303 Mann.

Das 2. bayerische Infanterie­

regiment — mit 58 Offizieren ausmarschiert — verlor 62 inklusive späteren Ersatzes. Kein anderes deutsches Korps hatte so viele Schlachten

und Strapazen durchstritten und durchlitten. Die stärkste Einbuße erlitt es bei Loigny durch rund 2300 Mann; die 3. Brigade allein 39 Offiziere und 765 Mann, dazu 2 Offiziere beim Brigadestab. Bei Coulmiers hatte sich bereits eine Batterie genötigt gesehen ihre Bedienungsmannschaften mit Chassepots auszurüsten und so einen Anlauf

französischer Tirailleurs abzuwehren.

Bei Villepion (Schlacht von Loigny

beim ungestümen Andrang der Brigade Deplanque, kurz vorher ward Divisionsgeneral von Stephan durch Granat­ splitter und Jnfanteriegeschoß schwer verwundet, die dritte Sechspfünderbatterie

am 1. und 2. Dezember) sah sich

zum Abfahren genötigt.

Da brachte Prinz Leopold den vorstürmenden

Feind zum Halten.

Nur noch vier seiner Geschütze waren gefechtsfähig, er aber gab uner­ schrocken Schnellfeuer mit Granatkartätschen ab.

Zwei Kompagnien des Leib­

regiments, die sich total verschossen hatten, hielten gleichwohl bei den feuernden Geschützen als Bedeckung aus um sie im Notfall mit dem Bajonett zu ver­

teidigen.

Erst als ein Regiment der Brigade Bourdillon unter persönlicher

Führung des opfermutigen Kontre-Admirals Jaureguiberry in der Dunkelheit

vordrang, wich die schwache bayerische Gefechtslinie auf Loigny zurück. Rechnet man die Verluste der bayerischen Artillerie, die hier durchweg das Höchste

leistete, zusammen, so betrug ihr Verlust bei Villepion 37, bei Loigny 121 Mann

(die Reservebatterie des Regiments „Königin-Mutter" davon allein 45), bei Beaugency 204 Mann, ein relativ ganz außerordentlicher Verlust. Bei Gravelotte z. B. verlor das 7. preußische Korps an Artillerie 122, das 9. Korps bei Verneville 232 Mann, — größte sonstige Artillerieverluste in einer Haupt­ schlacht.

131.

Deutschlands Frauen 1870/71. Don Alois Dreyer.')

Wenn ihr den Enkeln stolz erzählt Don jenem Krieg, dem großen, hehren, Wo jeder deutsche Mann ein Held Des Vaterlandes Ruhm half mehren; *) „Auf lichten Höhen", S. 27.

Wo dies, vom argen Zwist befreit, Den Erbfeind glücklich hat bezwungen, Dann fragt auch, wer in dieser Zeit Den schönsten Lorbeer hat errungen!

Dresden-Leipzig, 1897, E. Pierson.

132. Aus Vorposten vor Paris.

614

i Es konnte sich in größter Not Es standen fest in heißer Schlacht Die Männer all aus Deutschlands Gauen, \ Ihr herrlich Wirken voll entfalten. Man sah sie, von Gefahr umdroht, Doch Großes haben auch vollbracht, Gleich Engeln ihres Amtes walten. Wie sie, die edlen deutschen Frauen. Wo mit dem Tod ein Krieger rang, Daniederlag an schwerer Wunde, Da halfen sie und es erklang Gar reicher Trost aus schönem Munde. I

Wenn oftmals schon verloren schien Des wackern Helden junges Leben, Hat ihre treue Pflege ihn Den Seinen noch zurückgegeben.

Drum, preiset chr die große Zeit, Die Kämpen all aus deutschen Gauen, Ein voller Kranz sei auch geweiht Dem Opfermut der deutschen Frauen!

132. Aus Vorposten vor Paris. Von Karl Stieler. •)

Folgen wir der Kompagnie, die heute Nacht den Vorpostendienst zu ver­ sehen hat und lautlos durch die Dämmerung dahinzieht! Eine. Grabesstille

herrscht unter den Soldaten;

in gebückter Stellung

geht es weiter, an den Mauern entlang, zwischen den Gängen der Gärten und Häuser hin; immer näher kommen wir an den Feind; man kann die Mündung der Geschütze erkennen, die hinter den Schießscharten vorstarren, man kann das Weiße im Auge des Gegners sehen, wie der Soldatenausdruck lautet. Kaum 150 Schritte stehen sich die Vedetten gegenüber,

hinter ihnen wartet

das Feldpikett, das von den Trümmern einer zerstörten Villa gedeckt ist. Nur sachte — sachte! — Wie ein Mann sich bewegt, fällt drüben ein Schuß auf ihn. Und „drüben" liegt Paris — Paris, die Magdalena dieses Jahrhunderts; sie, die einst im Jubel der Weltlust glänzte und jetzt in Sack und Asche da­ niederliegt! Paris, das Medusenhaupt, vor dessen finstern Blicken Europa bebte, dem unter allen Völkern nur das deutsche Volk furchtlos in die Augen

geschaut. Fürwahr, es ist ein Vulkan an Kraft und ein Ozean an Stürmen, dies stolze Paris, und heute stehen die deutschen Heere zum dritten Male auf

seiner Erde und pochen an seine Pforten. So glühen wohl die Gedanken, wenn man draußen steht auf dem ein­

samen Posten, wenn Auge und Ohr hinüberspäht. Alles ist still in weiter Runde — man hört das Getöse und das Ge­ wogt der Weltstadt, wie man auf Meilen hin die Wogen des Meeres hört, die ans Ufer branden; man hört die Glocken läuten und die Arbeit dröhnen in all den langen Straßen, man atmet die Seufter der sterbenden Magdalena.

So stehen wir auf unserem Posten die lange, bange Nacht, eigentlich recht

allein und verlassen, —- aber auch die Weltstadt ist allein; und was ist Ein’) „Durch Krieg zum Frieden", S. 142 ff.

Stuttgart 1886, Bonz.

615

132. Aus Vorposten vor Paris.

samkeit des einzelnen gegen jene, die in der Seele von Paris lebt! ja gewohnt die leuchtende Hauptstadt der Welt zu sein.

Es war

Hunderte von Wegen

führten zu ihren Toren und Millionen von Menschen lagen an ihrem Herzen, jede Stunde gab neuen Wechsel, an jedem Orte wohnten ihre Neider, es war

eine Königin von Saba. — Und nun? Nun kommt nicht einer mehr in die verfemten Mauern, nicht einer entrinnt aus dem Innern; Paris ist abge­

schnitten von der Welt, — cs ist zur Waise geworden und lebendig be­

graben.

Bayerische Batterie im Süden vor Paris.

Fast ist es schwer sich eigentlich die Vorsehung,

dieser Gedanken

zu entschlagen, in denen ja

man möchte sagen die Gerechtigkeit, dieses Krieges

liegt und doch darf man nicht allzuviel denken, wenn man draußen auf Posten steht. Jede Minute droht ein Überfall, jeden Augenblick kann die feindliche Kugel treffen

und diese Spannung, in welcher Leib und Seele ge­

halten wird, ist wohl die größte aller Kriegsmühen. Dazu kommt das Gefühl der ungeheuren Verantwortung;

denn die

Sinne eines Sterbenden sind scharf und die Wachsamkeit, welche da- hoffnungs­ lose Paris besitzt, übertrifft selbst die Erwartung der deutschen Führer. Man

ist fast zum Tode erschöpft, wenn nach 20 Stunden die Ablösung kommt und die verhängnisvolle Pflicht auf andere Schultern legt.

Mühsam gewinnt man

133. Mr bleiben.

616

eine kurze Ruhe und will sich schlafen legen, aber plötzlich wird von neuem alarmiert, man plaudert mit den Kameraden und zu gleicher Zeit fällt eine Granate mitten ins Biwak und reißt zwei Soldaten wörtlich in Stücke. Auch die Verpflegung legt den Truppen herbe Entbehrung auf; denn das Fleisch ist oft viele Tage lang ferne und die Kartoffeln der umliegenden Felder sind zerstört oder aufgebraucht.

Ein lichter Punkt in all den Mühen, ja fast ein festlicher Moment ist es, wenn abends der Bataillonstambour erscheint und die Feldpost unter Namensaufruf verteilt wird. Wie viel Freude machen die wenigen Zeilen,

wie viel Glück umschließt oft ein kurzer Gruß! Das ganze liebe Blld der Heinrat steht auf einem zerknitterten Blatt vor uns. Und wenn nun vollends ein Zeitungsblatt kommt, — ein Brief für alle, — das ist ein Luxus, ein Leckerbissen der wertvollsten Art. Auch hier fehlt es nicht an reizenden Szenen; so erhielt, um nur ein Beispiel anzuführen, ein junger Gelehrter, der als Landwehrmann im Felde stand,

als er kaum aus dem Treffen kam,

eine Nummer der . . . Zeitung, in welcher sein jüngstes Werk auf das rühm­ lichste besprochen ward. Dieser Mann ist gemeiner Soldat im deutschen Heere!

133. Wir bleiben. Don Adolf Erhard.')

Aus den 4. Januar 1871 war die Eröffnung des Feuers für die Batterien des Südangriffes vor Paris befohlen worden, doch des dichten Nebels

wegen konnte man weder ein feindliches Fort noch eine Batterie des Gegners erkennen. Man mußte also warten. Der Befehl vom 4. kam tags darauf zum Vollzug.

Um 9 Uhr früh begann die deutsche Batterie Nr. 17, erbaut

und besetzt von der 2. Fußbatterie „Limprun" des 1. bayerischen ArtillerieRegiments „Prinz Luitpold", das Feuer, welches völlig erst in der Nacht vom

26. zum 27. Januar enden sollte. In diese Batterie kam am 8. Januar 1871 abends die Ablösung unter Kommando des Oberleutnants Karl Landmann, wegen des hohen Kranken­

standes zur Hälfte aus preußischen und bayerischen Kanonieren zusammengesetzt. Mit Rücksicht auf die ungewöhnlich starken Verluste, welche die Batterie erlitten, und darauf, daß sie ihre Aufgabe die feindlichen Geschütze in und bei Jssy

niederzukämpfen vollständig erfüllt hatte, gab Hauptmann Ritter von Limprun dem ablösenden Oberleutnant im Einvernehmen mit dem Stabsoffizier vom

Tage den Auftrag, falls die Herstellung der Schulterwehr zur Deckung gegen

Flankenfeuer nicht gelingen sollte, die Batterie zu räumen.

Obschon nun diese für längeres Besetzthalten gestellten Bedingungen mangels genügender Arbeitskräfte nicht erfüllt werden konnten, wollte Ober*) „Bayerische Einzeltaten und Gefechtsbilder", Nr. 30, S. 85.

134. AuS dem Briefwechsel zwischen König Ludwig II. und Graf Bismarck.

617

leutnant Landmann die Batterie gleichwohl nicht verlassen, da diese, wenn sic

auch ihren Hauptzweck erreicht hatte, dennoch bei einem etwaigen Ausfall der Franzosen sehr wirksam werden konnte.

Anderseits mochte den Offizier große

Verantwortung treffen, falls im Laufe des 9. Januar abermals erhebliche Verluste durch das Flankenfeuer verursacht würden. Er entschloß sich daher mit nur zwei Geschützbedienungen in der Batterie zu bleiben, hierzu Freiwillige zu verwenden und die übrige Mannschaft abrücken zu lassen.

„Freiwillige

vor!" hieß es und rasch hatte sich die nötige Geschützbedienung gefunden. Mit Spannung sah die kleine Besatzung dem anbrechenden Tage entgegen,

dichter Nebel machte langsames Feuer notwendig, welches auch von französischer Seite nur matt erwidert wurde. Infolgedessen konnte man mit den Jnstandsetzungsarbeiten fortfahren, so daß der Abend des 9. die Batterie aber

in bester Ordnung fand.

Beim Eintreffen der Ablösung herrschte kein Zweifel,

daß die Batterie sich auch in den kommenden Tagen halten müsse.

Die Art,

wie die bayerischen Artilleristen auf diesem verlorenen, Tod und Verderben bringenden Posten ausharrten und kämpften, ist das schönste Ruhmesblatt der Fußartillerie in dem letzten Feldzuge.

Zur Anerkennung erhielt die Batterie

Nr. 17 am 15. Januar den Ehrentitel „Generalinspekteur" und sie wird stets unter den ersten genannt werden, wenn es gilt auf Beispiele unerschütterlicher Disziplin, freudigen Opfermutes und echt bayerischer Tapferkeit hinzuweisen.

Die Fußbatterie „Limprun" war die einzige bayerische Truppe, welche an der Parade vor dem Deutschen Kaiser am 3. März in Longchamps teilnahm. Hiebei riefen mehrere höhere preußische Offiziere aus dem Gefolge Kaiser

Wilhelms I. der Batterie Beisallsbezeugungen zu und der Kaiser selbst sprach sich gegenüber dem kommandierenden General des 2. bayerischen Armeekorps, Jakob Ritter von Hartmann, bezüglich der Leistungen der Batterie höchst

lobend aus.

134. Aus dem Briefwechsel zwischen König Ludwig II. von Bayern und Gras Bismarck?) a) Versailles, 27. November 1870. Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König,

Allergnädigster Herr! Für die huldreichen Eröffnungen, welche mir Graf Holnstein auf Be­

fehl Eurer Majestät gemacht hat, bitte ich Allerhöchstdieselben den ehrfurchts­

vollen Ausdruck meines ^Dankes entgegennehmen zu

wollen.

Das Gefühl

meiner Dankbarkeit gegen Eure Majestät hat einen tiefern und heitern Grund als den persönlichen in der amtlichen Stellung, in welcher ich die hochherzigen ') „Gedanken und Erinnerungen" von Otto Fürst von Bismarck, I. Band, S. 353 ff. Stuttgart 1898, Cotta.

618

134. Aus bem Briefwechsel zwischen König Ludwig U. und Gras Bismarck.

Entschließungen Eurer Majestät zu würdigen berufen bin, durch welche Eure'

Majestät beim Beginne und bei Beendigung dieses Krieges der Einigkeit und» der Macht Deutschlands den Abschluß gegeben haben. Aber es ist nicht meine,,

sondern die Aufgabe des deutschen Volkes und der Geschichte

dem

durch--

lauchtigen bayerischen Hause für Eurer Majestät vaterländische Politik und für' den Heldenmut Ihres Heeres zu danken. Ich kann nur versichern, daß ich» Eurer Majestät, solang ich lebe,

in ehrlicher Dankbarkeit anhänglich und er­

geben sein und mich jederzeit glücklich schätzen werde,

wenn es mir vergönnt

wird Eurer Majestät zu Diensten zu sein. In der deutschen Kaiserfrage habe ich mir erlaubt dem Grafen Holnstein einen kurzen Entwurf vorzulegen,

welchem der Gedankengang zu Grunde liegt, der meinem Gefühl nach die deutschen Stämme bewegt: der deutsche Kaiser ist ihrer aller Landsmann, der König von Preußen ein Nachbar, dem unter diesem Namen Rechte, die ihre Grundlage nur in der freiwilligen Übertragung durch die deutschen Fürsten und Stämme finden, nicht zustehn.

Ich glaube, daß der deutsche Titel für

das Präsidium die Zulassung desselben erleichtert, und die Geschichte lehrt, daß die großen Fürstenhäuser Deutschlands, Preußen eingeschlossen, die

Existenz des von ihnen gewählten Kaisers niemals als eine Beeinträchtigung ihrer eigenen europäischen Stellung empfunden habend)

*

*

*

v. Bismarck.

b) Hohenschwangau, 2. Dezember 1870. Mein lieber Graf! , Mit lebhaftem Vergnügen habe ich bemerkt, daß Sie trotz zahlreicher und dringender Geschäfte Muße gefunden Ihren Gefühlen gegen mich Aus­ druck zu verleihen.

Ich sende Ihnen deshalb meinen wärmsten Dank; denn ich lege hohen Wert auf die ergebene Gesinnung eines Mannes, nach dem das ganze Deutsch­ land fteudigen Stolzes seine Blicke richtet. Mein Brief an Ihren König, meinen vielgeliebten, hochverehrten Oheim, wird morgen in dessen Hände gelangen. — Ich wünsche von ganzem Herzen, daß mein Vorschlag beim Könige, den übrigen Bundesgliedern, welchen ich geschrieben, und auch bei der Nation vollsten Anklang finde,

und ist es

mir ein befriedigendes Bewußtsein, daß ich vermöge meiner Stellung in Deutschland wie beim Beginne so beim Abschlüsse dieses ruhmreichen Krieges in der Lage war einen entscheidenden Schritt zu Gunsten der nationalen

Sache tun zu können.

Ich hoffe aber auch mit Bestimmtheit,

daß Bayern

seine Stellung fortan erhalten bleibt, da sie mit einer treuen, rückhaltlosen Bundespolitik wohl vereinbarlich ist und verderblicher Zentralisation am

sichersten steuert. ') Der Kürze halber sind bei Bries a und c die Kurialien weggelasjen.

135. Die feierliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs.

619

Groß, unsterblich ist das, was Sie für die deutsche Nation getan haben, und ohne zu schmeicheln darf ich sagen, daß Sie in der Reihe der großen

Männer unseres Jahrhunderts den hervorragendsten Platz einnehmen. Möge Gott Ihnen noch viele, viele Jahre verleihen, damit Sie fortfahren können zu wirken für das Wohl und Gedeihen unseres gemeinsamen Vaterlandes.

Meine besten Grüße Ihnen sendend bleibe ich, mein lieber Graf, stets

Ihr aufrichtiger Freund *

*



Ludwig.

c) Versailles, 24. Dezember 1870.

Allerdurchlauchtigster König, Allergnädigster Herr! Das huldreiche Schreiben Eurer Majestät, welches Graf Holnstein mir überbracht hat, ermutigt mich mit meinem Danke für den gnädigen Inhalt

desselben Eurer Majestät meine untertänigsten Glückwünsche zu dem bevor­ stehenden Jahreswechsel darzubringen. Wohl selten hat Deutschland von mit gleicher Zuversicht wie von dem bevorstehenden die

einem neuen Jahre

Erfüllung nationaler Wünsche erwartet. Wenn diese Hoffnungen sich ver­ wirklichen, wenn das geeinte Deutschland dahin gelangt, daß es seinen äußeren Frieden in gesicherten Grenzen durch eigene Kraft verbürgen kann, gleichzeitig ohne die freie Entwicklung der einzelnen Bundesglieder zu beeinträchtigen, so

wird die entscheidende Stellung, die Eure Majestät zu der Neugestaltung

des gemeinsamen Vaterlandes gewonnen haben, in der Geschichte und in der Dankbarkeit der Deutschen jederzeit unvergessen bleiben. Eure Majestät setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der Zentrali­ sation kein Heil erwarte, sondern gerade in der Erhaltung der Rechte, welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern des Bundes sichert,

die dem

deutschen Geiste entsprechende Form der Entwicklung und zugleich die sicherste

Bürgschaft gegen die Gefahren erblicke,

welchen Recht und Ordnung in der

freien Bewegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt sein können. Eure Majestät wollen sich in Gnaden versichert halten, daß ich mich glücklich schätzen werde, wenn es mir gelingt mir Allerhöchstdero gnädige Ge­

sinnung zu erhalten.

D. Bismarck.

135. Die feierliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 zu Versailles. Don Georg Bleysteiner.')

Die deutschen Fürsten hatten den Ruf der Geschichte und den Wunsch der Nation verstanden, sie hatten nach dem Vorantritt des wahrhaft deutsch') „Aus großer Zeit", S. 611 ff.

Augsburg 1897, M. Rieger.

135. Die feierliche Verkündigung deS deutschen.Kaiserreichs.

620

gesinnten Königs Ludwig von Bayern aus freier Entschließung die deutsche Kaiserwürde dem greisen Heldenkönig Wilhelm von Preußen angeboten. Auf Befehl des Königs Wilhelm sollte die feierliche Verkündigung des

deutschen Kaiserreiches am 18. Januar, dem Tage der preußischen Königs­ krönung, vorgenommen werden. Kronprinz Friedrich Wilhelm war mit der obersten Leitung der Anordnungen für diese Feier betraut worden.

Er erließ

am 16. einen Befehl, der die Teilnahme der Truppenteile an der großen

Staatshandlung regelte.

Die Verhältnisse der Zeit brachten es mit sich, daß

bei dieser für ewig denkwürdigen Feier das Heer das deutsche Volk vertrat.

Die obersten Führer und mit ihnen Abgesandte der Offiziere wurden von sämtlichen Abteilungen zur Feier entboten, ebenso alle mit dem Eisernen Kreuze I. Klasse geschmückten Offiziere und Mannschaften. Jedes Fuß- und Reiter­ regiment der einzelnen Korps sollte eine Fahne oder Standarte in Begleitung

eines Offiziers, eines Fahnenträgers und zweier Feldwebel, Wachtmeister oder Unteroffiziere nach Versailles entsenden. Auch ein großer Teil der bayerischen Fahnen (10 des 1. und 8 des 2. bayerischen Korps) war nach Versailles ab­ geschickt worden und außerdem waren die sämtlichen Prinzen des bayerischen

Königshauses, die im Felde vor Paris standen, viele Offiziere und mehrere

Abteilungen bayerischer Soldaten anwesend. In der berühmten Spiegelgalerie des prunkvollen, zum Tempel und zum Museum des französischen Waffenruhmes umgeschaffenen Königsschlosses,

wo einst der schlimmste Feind deutscher Macht

und deutschen Wesens —

Ludwig XIV. — seine Befehle zur Erniedrigung Deutschlands ausgegeben hatte, sollte zu Versailles die vollzogene geschichtliche Tatsache der erfolgten Gründung des neuen Kaiserreiches deutscher Nation nun der Welt verkündet

werden.

Diese prächtige Halle, der Schauplatz so vieler feierlich-pomphafter

Haupt- und Staatsaktionen französischer Herrscher seit zwei Jahrhunderten, sollte nun auch der größten Staatshandlung der neuen deutschen Geschichte

zur Stätte dienen.

Während Se. Majestät, umgeben von den Prinzen, den

Fürsten, den Generalen und den Ministern, noch einige Augenblicke in den

Vorzimmern der Festräume verweilte, hatte sich im Spicgelsaale einstweilen die Versammlung geordnet.

Um

Uhr trat Se. Majestät in den Festsaal ein, während ein Sänger­

chor, zusammengesetzt aus Mannschaften, unter Musikbegleitung das „Jauchze

dem Herrn, alle Welt!" anstimmte. Der König nahm in der Mitte vor dem Altare Aufftellung, im Halbkreise um ihn die Prinzen und die Fürsten: der Kronprinz Friedrich Wilhelm, die Prinzen Karl und Adalbert von Preußen, die Prinzen Otto, Luitpold und Leopold von Bayern, Kronprinz Albert und Prinz Georg von Sachsen, die Prinzen von Württemberg, der Großherzog von Baden, der Erbgroßherzog von Mecklenburg-Schwerin und viele andere deutsche Fürsten. Hinter diesen und ihnen zur Seite standen die Generale und die Minister: an der Spitze des linken Flügels der Bundeskanzler Graf Bismarck.

621

135. Die feierliche Verkündigung deS deutschen Kaiserreichs.

Welch gewaltige, weltumgestaltende Ereignisse hatten geschehen müssen, daß diese glänzende deutsche Versammlung in diesen Räumen zu solchem Zwecke tagen konnte!

Es war ein Zug großartiger Ironie der Geschichte, daß sich

König Wilhelm im Versailler Königsschlosse zum Deutschen Kaiser ausrufen ließ, an derselben Stätte, wo seit den Tagen Richelieus so viele Pläne zum

wo so viele bildliche Dar­ und der Zerrissenheit des deutschen

Verderben Deutschlands gefaßt worden waren,

stellungen

an die Zeiten

der Schmach

Volkes und an die ehemaligen Gewalttaten Frankreichs erinnerten. Nach dem Chorgesange wurde die Liturgie in

gottesdienst üblichen Weise ausgeführt.

der für den Militär­

Es folgten a capella=®efang, Choräle

von Posaunen geblasen, Gebet und Predigt. Nach Beendigung der religiösen Feierlichkeit trat der 74 jährige König frisch und rüstig wie ein Jüngling durch die Reihen der Versammlung auf die erhöhte Estrade zu.

Hier, auf der teppichbedeckten Estrade, standen die Fahnen-

und Standartenträger im Halbkreise geordnet; jeder Träger in voller Aus­ rüstung mit helmbedecktem Haupte, den gerollten Mantel über Schulter und

Brust. Unter Vortritt ■ der Hofmarschälle betrat König Wilhelm mit den Fürsten und den Prinzen die Estrade, wo die letzteren in leicht gekrümmter Reihe ihren Stand nahmen.

Nahe vor der Fahnengruppc stand

Mitte der König und zwar in voller Gencralsuniform. Ansprache: „Durchlauchtigste Fürsten und Bundesgenossen!

in der

So hielt er folgende In Gemeinschaft mit

der Gesamtheit der deutschen Fürsten und freien Städte haben Sie sich der von des Königs von Bayern Majestät an Mich gerichteten Aufforderung angeschlossen, mit Wiederherstellung des Deutschen Reiches die deutsche Kaiser­

würde für Mich uud Meine Nachfolger an der Krone Preußen zu übernehmen. Ich habe Ihnen, durchlauchtigste Fürsten, und Meinen anderen hohen Bundes­

genossen bereits schriftlich Meinen Dank für das Mir kundgegebene Vertrauen und Meinen Entschluß ausgesprochen Ihrer Aufforderung Folge zu leisten.

Diesen Entschluß habe Ich gefaßt in der Hoffnung, daß es Mir unter Gottes Beistand gelingen werde die mit der kaiserlichen Würde verbundenen Pflichten

zum Segen Deutschlands zu erfüllen.

Dem deutschen Volke gebe Ich Meinen

Entschluß durch eine heute von Mir erlassene Proklamation kund, zu deren

Verlesung Ich Meinen Kanzler auffordere." Hierauf verlas der Bundeskanzler Graf Bismarck die ewig denkwürdige

Proklamation.

Gras Bismarck stand im Saale an der unteren Esttadenstufe

als der erste der versammelten Minister und Generale im blauen Waffenrock seiner Kürassiere und in hohen, schweren Reiterstiefeln. Er hielt das auf­

gerollte, inhaltschwere Dokument an beiden Kanten mit der rechten und der So

linken Hand; an der linken hing zugleich der Stahlhelm am Riemen.

dastehend las er zum König gewendet bei lautloser Stille der Versammlung

diese Proklamation:

136. Die feierlich« Verkündigung des deutschen Kaiserreichs.

622

„An das deutsche Volk!

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König

von Preußen, nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen

Ruf an uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn 60 Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu über­ nehmen, und nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden

Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben diesem Rufe der verbün­

deten deutschen Fürsten und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiser­ würde anzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußen fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde unter dem Wahrzeichen ihrer alten

Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen.

Wir

übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines

Volkes, zu vetteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein wird den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem

Vaterland die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe gewähren.

Uns

aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle

Gott verleihen allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriege­ rischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung." Ernst und doch freudesttahlend, die Stimme gehoben von innerer Genug­ tuung, hatte Graf Bismarck das weltgeschichtliche Aktenstück verlesen. War er es doch, der, als leitender Geist hinter allen notwendig gewordenen Vor­ bereitungen und Vorereignissen stehend, durch jahrelange deutschnationale Politik

das Erscheinen dieses großen Tages ermöglicht hatte und dadurch, daß er als treuer Diener seinem Herrn nun die von ihm geschmiedete deutsche Kaiserkrone darbot, zugleich sein eigenes, größtes und schönstes Lebenswerk krönte. Der Eindruck dieses feierlichen Augenblicks, wo Graf Bismarck die bedeutungsvolle Proklamation verlas, war für alle Anwesenden unvergeßlich, gewaltig und

ergreifend. Graf Bismarck hatte geendet. Da ergriff der Großherzog Friedrich von Baden den richtigen Augenblick das erste Lebehoch auf den neugekürten Deuffchen

Kaiser auszubringen.

Plötzlich zum Rande der Estrade vortretend, rief er,

die Rechte hoch erhoben, mit lauter,

vor Begeisterung bebender Stimme:

„Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, er lebe hoch! und hoch! und hoch!" Und während die von ihren Trägern geschwungenen Standarten und Fahnen zu Häupten der Fürsten wehten und sich senften, brach der Hochruf aus der Versammlung mit einer Sturmesgewalt und einem

135. Die feierliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs.

623

brausenden Donner hervor, als ob jenes Wort des Großherzogs der elektrische Funke gewesen, der in eine Mine geschlagen. Die Hände reckten sich zum Gruß und Schwur empor, die Helme wurden geschwungen, die Blicke flammten

und dreimal rollte unter den Klängen der deutschen Volkshymne der Ruf an den Spiegeln und Marmorwänden hin und hallte von der gewölbten Decke wider. Das deutsche Volk in Waffen hatte seinen Kaiser proklamiert und ihm aus voller Brust seinen kräftigsten Willkomm entgegengerufen. Aus des

Königs Augen stürzten Tränen innigster Bewegung; er drückte dem Groß­ herzog die Hand. Nun war es ein erhabener Augenblick, wie der Kronprinz Friedrich Wilhelm, als der erste der Reichsmannen und Erbe des Reiches, vor dem Kaiser zur Huldigung die Kniee beugte, der Kaiser den Prinzen erhob

und ihn mit herzlichster Bewegung in seine Arme schloß. Auch den Prinzen Karl und die ihm verwandten Fürsten umarmte der Kaiser tief gerührt. Dann ließ er die sämtlichen Abordnungen der Offiziere an sich vorüberziehen und ging

an den Reihen der im Saale ausgestellten Truppen entlang. Die Musikchöre hatten sich inzwischen in dem an den Saal östlich anstoßenden „Friedenssaal" ausgestellt. Von dorther begrüßten sie den Kaiser mit dem Hohcnsriedberger Marsch, als er, begleitet von den Fürsten und den Prinzen, in den Saal Hinabstieg und langsam die ganze Galerie abschritt um darauf den Festraum zu verlassen.

Das Große und Wunderbare war geschehen! Bald wehten die Fahnen und Standarten der Regimenter wieder unten auf dem Vorhof des Schlosses, von wo sie an Ludwigs XIV. Reiterstatue und den Standbildern ftanzösischer Feldherren vorüber zur Kommandantur getragen wurden. Vom Schlosse aber

wurde alsbald das rote Königsbanner hinweggenommen und statt seiner wehte und wallte nun dort über dem Mittelbau des »ä toutes les gloires de la France« geweihten stolzen Palastes zum ersten Male das schwarz-weiß-rote Nationalbanner des neu erstandenen Deutschen Reiches. Alle aber, die der

denkwürdigen Feier beigewohnt, waren mit hohem Glücksgefühl darüber erfüllt, daß sie das noch erlebt, mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatten.

Ein weltgeschichtlicher, unvergeßlicher Akt hatte sein Ende erreicht. Das Deutsche Reich steht aufgerichtet Don Fels zum Meer auf festem Grund, Was wir ersehnt, erträumt, erdichtet, Getan ist's, - allen Völkern kund. Wer uns nicht liebt, der mag uns scheuen, Wir aber wollen uns in Treuen An unserm blutgeschweißten Bund Für Kaiser und für Reich erfreuen!