Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 2 Acte Klasse [13., unveränderte Auflage, Reprint 2021] 9783112601068, 9783112601051


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Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 2 Acte Klasse [13., unveränderte Auflage, Reprint 2021]
 9783112601068, 9783112601051

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Deutsches Lesebuch für

höhere Mädchenschulen von

Karl Hessel

Zweiter Teil.

Achte Klaffe. Dreizehnte unveränderte Auflage.

Bonn 1917. A. Marcus und E. Webers Verlag

Borwort zur zwölften Auflage. Im Juli 1914 lag eine unter Mitarbeit von Helene L. Klostermann, Direktorin des Comenius-Seminars zu Bonn, und ihren Lehrerinnen geschaffene Neubearbeitung dieses Bandes völlig druckfertig da. Weil aber der Krieg auf die Lesebücher selbst der Unterstufe deutscher Schulen seine Schatten werfen wird, so lassen wir vorerst noch einmal diesen Band völlig unverändert erscheinen. Koblenz, März 1915.

Karl Hessel.

Auch die dreizehnte Auflage muß selbstverständlich noch­ mals unverändert erscheinen.

März 1917.

K. H.

Rümmer 1 und 2.

I. Tageszeiten und Jahreszeiten. 1. Am Morgen. Ich tu die Hellen Augen auf Und schau, o Gott, zu dir hinauf. Du hast nlich in der dunkeln Nacht Sanft schlafen lassen und bemacht. Behüte mich auch diesen Tag, Daß mich kein Übel treffen mag ! Und wirst du gnädig bei mir sei». So bin ich dein, so bleib ich dein.

2. Gute« Morgen. 1. Nun reibet euch die Äuglein wach! Die Schwalben zwitschern schon am Dach, Die Lerche singt schon in der Luft, Die Blume prangt in Tau und Duft. Guten Morgen!

2. Die Sonn ist längst auf ihrer Bahn, Auf seinem Poften kräht der Hahn, Die Tauben flattern aus dem Schlag Und sonnen sich tm rosgen Tag. Guten Morgen!

3. Schon tönen Lieder und Schalmein, Der Herde Glöcklein klingen drein, Und seinen Morgengruß entbeut Vom Turme weithin das Geläut. Guten Morgen! Sefciu* 2.

13. Hust.

1

8

Tageszeiten und Jahreszeiten.

4. Was nur die Hände rühren kann. Das schickt sich jetzt zur Arbeit an. Die Nachbarsleut in Stadt und Land, Sie drücken sich zum Grub die Hand. Guten Morgen!

5. Und alles regt sich nah und fern Und rüstet sich und preist^den Herrn; Ihr wollt doch nicht die letzten sein? Drum stehet auf und stimmet ein: Guten Morgens

3. Der Wecker. Zu der Zeit, als die Menschen noch keine Uhren hatten, lebte eine fleißige Witwe, die hatte zwei faule Mägde. So­ bald der Haushahn zum erstenmale krähte, wachte die Frau auf, und wenn er zum zweitenmal krähte, weckte sie ihre Mägde und hieß sie Feuer anmachen und sich an das Spinn­ rad setzen; denn sie gedachte in demselben Jahre einige große Stücke Tuch weben zu lassen. Den faulen Mägden gefiel aber weder das frühe Aufstehen, noch das viele Spin­ nen; und weil sie meinten, der Hahn sei mit seinem Krähen allein an ihrer vielen Arbeit schuld, so verabredeten sie sich den armen Wecker umzubringen. Als der Hahn tot war, da wußte die Witwe gar nicht mehr, wieviel Uhr es war, und sobald sie nun aufwachte, rief sie die Mägde sogleich zur Arbeit. Da geschah es denn, daß sie manchmal um Mitternacht schon das Bett verlassen und sich an das Spinnrad setzen mußten. Nun bereuten sie ihre Tat, kauften heimlich einen Hahn und brachten ihn ihrer Frau zum Geschenk'; und als sie älter wurden, waren sie froh darüber, daß sie so früh aufstehen und so gut spinnen gelernt hatten.

4. «bendglSckletn. Glöcklein, Abendglöcklein, läute Frieden, Freude Allen Menschen zu!

Nummer 3 bis 6.

Helle lab dein Lied erschallen. Und bring allen Eine sanfte Ruh! Ruhe dem, der sorgt und weint. Ruh dem Freund und auch dem Feind. Men Lieben bringe du Ruhe und mir auch dazu!

5. «wie «acht. 1. Schon Gut Nacht, Schlaft ein Die Blume

glänzt der goldne Abendstern l ihr Lieben nah und fern. in Gottes Frieden! schließt das Äuglein zu.

Der keine Bogel geht zur Ruh,

Bald schlummern alle Müden. 2. Du aber schläfst und schlummerst nicht. Du treuer Gott im Sternenlicht, Dir will ich mich vertrauen! O, gib auf mich, dein Kindlein, acht.

Und laß nach einer sanften Nacht Mich froh die Sonne schauen!

6. «achtgebet. 1. Müde bin ich, geh zur Ruh, Schließe beide Äuglein zu; Vater, laß die Augen dein

Über meinem Bette sein! 2. Hab ich unrecht heut getan, Sieh es, lieber Gott, nicht an! Deine Gnad in Jesu Blut Macht ja allen Schaden gut.

3. Alle, die mir sind verwandt, Gott, laß ruhn in deiner Hand,

Alle Menschen, grob und kein, Sollen dir befohlen sein!

3

4

TageS-eiten und Jahreszeiten.

4. Kranken Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu! Laß den Mond am Himmel stehn Und die Alle Welt besehn!

7. Das Lied vom Monde. 1. Die Der Am

Wer hat die schönsten Schäfchen? hat der goldne Mond, hinter unsern Bäumen Himmel drüben wohnt.

2. Er kommt am späten Abend, Wenn alles schlafen will. Hervor aus seinem Hause Zum Himmel leis und still.

3. Dann weidet er die Schäfchen Auf seiner blauen Flur; Denn all die weißen Sterne Sind seine Schäfchen nur. 4. Sie tun sich nichts zu leide. Hat eins das andre gern. Und Schwestern sind und Brüder Da droben Stern an Stern.

5. Und soll ich' dir eins bringen, So darfst du niemals schrein. Mußt freundlich, wie die. Schäfchen Und wie ihr Schäfer sein!

8. Allerdreifeiertagslied. 1. O, du fröhliche, O, du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren! Freue, freue dich, Christenheit!

Nummer 7 bis 9. 2. O, du fröhliche,

O, du selige, Gnadenbringende Osterzeit! Welt liegt in Banden, Christ ist erständen!

Freue, freue dich, Christenheit! 3. O, du fröhliche, O, du selige, Gnadenbringeude Pfingstenzeit! Christ, unser Meister, Heiligt die Geister! Freue, freue dich, Christenheit!

Todaustreiben. 1. Den Wir Den

Nun treiben wir den Winter aus. alten, kalten Krächzer, jagen ihn zum Land hinaus, Griesgram, Brummbär, Ächzer,

Und laden uns den Frühling ein Mit Blumen und mit Sonnenschein. Juchhei, juchhei! O komm herbei, O Mai, o Mai!

2. Und Das Daß Und Mit

faule -©trolj, das dürre Reis alles, was vermodert. geben wir dem Feuer Preis, hoch die Flamme lodert, laden uns den Frühling ejn Blumen und mit Sonnenschein.

Juchhei, juchhei! O komm herbei, O Mai, o Mai!

3. Das Lied ist aus, Viktoria! Der Winter ist vergangen, Wir singen froh ein Gloria

Den» Lenz, der angefangen.

5

Tageszeiten und Jahreszeiten.

Und laden uns den Frühling ein Mit Blumen und mit Sonnenschein. Juchhei, juchhei! O komm herbei, O Mai, o Mai!

10. Des Frühlings Ball. 1. Frühling sprach zu der Nachtigall: „Ich will euch geben einen Ball; Lade, Nachtigall, alle ein. Alle Vögel groß und Nein, Alle Vögel, alle!"

2. Und da kamen die Vögel all Zum Frühlingsball mit Sang und Schall, Kuckuck, Wiedehopf, Elster, Star, Reiher, Rabe, Strauß und Aar, Drossel, Fink und Zeisig.

3. Und sie tanzten im Blumenduft Bei Sonnenschein und linder Luft, Tranken würzigen Blütenmost, Schmausten lauter feine Kost, Teure, seltne Sachen. 4. Als der Abend begann zn nahn, Da sprach zur Nachtigall der Hahn: „Jetzo wird wohl das Beste sein. Wenn wir Vögel groß und klein Gehen heim zu Neste. 5. Aber billig vor allem ist, Daß man des Wirtes nicht vergißt; Laßt uns, Vögelein groß und Nein, Kikriki! recht dankbar sein; Vivat hoch, Herr Frühling!"

11. Eine Schwalbengeschichte. Unter den Vögeln gibt es einen kleinen Baumeister, da­ ist die Schwalbe. Wenn sie am Dache ihr Nest baut, so ist

Rümmer 10 unk 11.

7

niemand fleißiger als sie. Der erste Sonnenstrahl ruft sie zur Arbeit. Am Ufer des Teiches oder an einer Regenpfütze holt sie in ihrem breiten Schnabel Schlamm, knetet ein Hälmchen hinein und fliegt zum Nest. Mit großem Geschick führt sie die Mauer in die Höhe, immer nur ein ganz kleines Stück, so daß sie manchmal zwölf Tage lang baut, ehe das Nest ganz fertig ist. Bei dem Nestbau hat es die Schwalbe manchmal aus diesen oder jenen Ort ganz besonders abgesehen. So hatten einst im Frühling zwei Schwalben durch ein Schiebfensterchen den Weg in eine Schulstube gefunden. Als am Morgen die Kinder in die Stube traten, da gab es ein Verwundern, daß die behenden Tierchen in der Ecke zu bauen begannen. Und als der Lehrer hereintrat, freute er sich der keinen Gäste und legte es den Kindern warm ans Herz, sie nicht zu stören. Eine Woche und darüber waren es aber die Schwalben, die da störten. Denn so oft sie zum Schiebfensterchen hereinflogen, um am Nest weiter zu bauen, fuhren die Köpfe der Kleinen von Lese­ buch und Schiefertafel in die Höhe, und die Augen leuchteten vor Freude, wenn sie die munteren Tierchen so fleißig am Werk sahen. Und als nun die Tage wärmer wurden, da flog auf einmal nur noch eine Schwalbe ab und zu. „O weh!" klagten da die Kinder, „unser eines Schwälblein lebt nicht mehr; gewiß hat es ein Raubvogel gefangen und zerrissen." Da lächelte aber der Lehrer und sagte: „Nicht also, sondern unser Schwälblein sitzt im Neste; wartet nur geduldig und stört das Vöglein nicht, so sollt ihr eure Freude an ihm haben!" Und es war, wie der Lehrer gesagt hatte. Etwa zwei Wochen mochten vergangen sein, da flogen wieder alle zwei Schwalben aus und ein. Hatten sie sich aber früher fast den ganzen Tag im Freien herumgetummelt, so flogen sie jetzt eins um das andere ab und zu. „Sie haben Junge im Nest," sagte der Lehrer zu den Kindern, „die haben stets Hunger, und da müssen ihnen die Alten Mücken und Fliegen zutragen." Und oft hörte man auch das leise, fröhliche Piepen der Jungen, das klang ganz wundersam, wenn vielleicht gerade der Lehrer redete von der Güte des himmlischen Vaters gegen alles, was da

8

Tageszeiten und Jahreszeiten.

lebet und webet. Und wieder nach einigen Wochen waren den jungen Schwälblein die Federn gewachsen, und sie wurden flügge. Da litt es sie nicht mehr im Nest, und sie kamen hervor eins nach dem andern und regten die Flügel. Anfangs ging es noch schlecht; eins flatterte auf den Schrank, das andere setzte sich auf den Ofen, das dritte gar kehrte ängstlich wieder in das sichere Nest zurück. Aber da waren auch die Alten zur Hand. Die machten ihnen mit frohem Gezwitscher Mut und zeigten, wie man es machen müsse beim Fliegen, und das ging dann bald so gut, daß die Jungen so geschickt flogen wie die Alten. Einige Tage sind dann die Jungen noch in der Schulstube umhergeflogen und haben die Fliegen weggefangen; dann aber, als sie durch das Schiebfensterchen einmal einen Ausflug gemacht hatten in die große, weite Welt, sind sie eins nach dem andern weggeblieben. Die Alten aber legten noch einmal Eier, brüteten die Jungen aus und lehrten sie fliegen, bis im Herbst alle zusammen mit ihnen die große Reise über das Meer antraten.

12. Mailied. 1. Alles neu Macht der Mai, Macht die Seele frisch und frei. Laßt das Haus! Kommt hinaus! Windet einen Strauß! Rings erglänzet Sonnenschein, Duftend pranget Flur und Hain; Bögelsang, Hörnerklang Tönt den Wald entlang.

2.. Wir durchzieh» Saaten grün, Haine, die ergötzend blühn, Waldespracht, Neu gemacht Nach des Winters Nacht. Dort im Schatten an dem Quell Rieselt's munter, silberhell; Klein und Groß Ruht im Moos Wie in weichem Schoß.

3. Hier und dort. Fort und fort. Wo wir ziehen, Ort für Ort, Alles freut Sich der Zeit, Die verschönt, erneut.

Nummer 12 und 13.

9

Wiederschein der Schöpfung blüht Uns erneuend im Gemüt. Alles neu. Frisch und frei Macht der holde Mai.

13. Wie die Vögel singen lernten. Es war ein so schöner Maimorgen, als ich einmal ganz in der Frühe durch den grünen Wald ging. Die Sonne war auch erst heraufgekommen und schaute sich mit großen Augen drin um, daß die Tautropfen auf den Blättern vor Freude blinkten und glitzerten, und überall an den Zweigen guckten die Vögel herunter, badeten sich int frischen Tau und sangen

mit Heller Stimme ein Lied. O, du mein Gott, dachte ich> wie's doch so schön ist auf deiner Welt! — und als ich weiter ging, bekam ich einen guten Tag über den andern von den muntern Tierchen. Da fragte ich so ein junges Vögelchen, das wacker mitgeschrieeit hatte, von wem's denn in aller Welt einen so köstlichen Ge­ sang gelernt, bei welchem dem Wanderer vor Freuden das Herz hüpfte. „Ei, von der Mutter!" wurde die Antwort ge­ zwitschert. Die Mutter, die auf dem nächsten Zweige saß und meine Frage gehört hatte, sagte freundlich: „Und ich hab's von meiner Mutter, aber das ist schon sehr lange her!" Und deine Mutter? „Von der Großmutter. Aber das ist ja schon eine Ewigkeit." Und weiter hinauf wußte sie's gar nicht mehr. Da war aber ein anderer Vogel, der schon vor Alter mit deut Kopfe wackelte und über die Maßen klug und gelehrt aussah, der nahm das Wort und bedeutete mich: „Als die Welt er­ schaffen war," sagte er langsam und ein wenig schnarrend, „sangen alle unsere Vorfahren noch recht so, wie ihnen der Schnabel gewachsen war; alles durcheinander, ohne Melodie und Harmonie, ohne Takt, krächzend, schnurrend, pfeifend — kurzum, ohne Sinn und Verstand. Sie freuten sich ganz außerordentlich über die schöne Welt, die sie sahen, flogen auf und ab von Zweig zu Zweig und schrieen aus voller Kehle, was sie nur konnten.

10

Tageszeiten und Jahreszeiten.

Der liebe Herrgott nun, der einem jeden so gern eine Freude macht, der hatte ihnen auch eine beschert. Mit einem Male, da Hingt von dem Nasen eine süße, himmlische Musik zu ihnen herauf, daß sie alle eins um das andere ganz entzückt die Beine hoben, und als sie hinuntersahen, was sahen sie da? Da saßen drei wunderliebliche Engelsgestalten, die musizierten so schmelzend und herrlich, wie es seitdem nie wieder ein Ohr vernommen hat. Nun gebt acht, sprachen die drei Engel zu den Vögeln, jetzt wollen wir euch singen lehren! Da setzten sich nun viele von den Vögeln ringsum auf die nächsten Zweige oder noch näher auf den blumigen Rasen, horchten zu, was jene ihnen vorspielten, und versuchten es dann mit Hilfe ihrer freundlichen Lehrmeister nachzusingen. Das taten die einen, aber gar manche leichtsinnige, flatter­ hafte Bürschchen, denen die Heinste Mühe zu schwer wurde, schlugen die Gottesgaben in den Wind, hatten nur wenig acht darauf, flogen weg, wenn's ihnen zu lange dauerte — ja freilich, wenn das nur so im Schlaf ihnen gekommen wäre! Andere hatten auch wohl von Natur wenig Gabe zum Singen, und noch andere, denen der liebe Gott ein schönes Äußere

gegeben hatte, waren in ihrem Hochmut darauf so töricht, daß sie meinten, auch von den Engeln selbst gar nichts mehr lernen zu können. Nun ja, die alle haben, wie ganz natürlich, nur wenig oder gar nichts behalten und krächzen drum heut­ zutage noch, wie du's am Pfau hören kannst, daß es ein Spott und eine Schande ist. Viele andere jedoch, die zwar ein unscheinbares Äußere, aber ein frommes, bescheidenes Ge­ müt und Sinn und Liebe für den schönen Gesang hatten, die horchten wohl auf, sangen's nach, was die Engel ihnen spielten, übten sich fleißig und hielten's in Ehren als das Herrlichste, was ihnen Gott zur eigenen Freude wie zur Erquickung der Menschen hatte werden lassen. So ein lieber bescheidener Bogel war damals die Nachti­ gall, und daher hat sie noch heutzutage ihre schmelzenden, wundersamen Melodieen und Lieder. Denn was ein jeder Bogel damals gelernt und sich eingeprägt hat, das ist so

Nummer 14.

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wieder auf seine Nachkommen übergegangen und hat sich vererbt von Kind zu Kind!" Als der gelehrte Bogel seine lange Auskunft beendigt hatte, bog er sich ein wenig ermüdet auf dem Zweige zurück und hob das Bein wie zum Gruße in die Höhe, worauf ich mich schönstens bedankte und ihm mein Lebewohl sagte. So ist's nun wirklich, denn woher sollte auch sonst die Nachtigall den herrlichen Gesang gelernt haben? Wer's mir aber nicht glauben will, der gehe nur selber, wie ich's getan habe, an einem schönen Frühlingsmorgen durch den Wald, und wenn der alte Bogel inzwischen nicht gestorben ist, der wird's ihm sagen!

14. Kinderlieb von den grünen Sommervögel«. 1. Es kamen grüne Vögelein Geflogen her vom Himmel Und setzten sich im Sonnenschein In fröhlichem Gewimmel All an des Baumes Äste Und saßen da so feste, Als ob sie angewachsen sein. 2. Sie schaukelten in Lüften lau Auf ihren schwanken Zweigen; Sie aßen Licht nnd tranken Tau Und wollten auch nicht schweigen. Sie sangen leise, leise Aus ihre stille Weise Bon Sonnenschein und Himmelblau.

3. Wenn Wetternacht auf Wolken saß. So schwirrten sie erschrocken; Sie wurden von dem Regen naß Und wurden wieder trocken; Die Tropfen rannen nieder Bom grünenden Gefieder, Und desto grüner wurde das.

12

Tageszeiten und Jahreszeiten.

4. Ihr Und Mit

Da kam tim Tag der scharfe Strahl, grüktes Kleid zu sengen. nächtlich kam der Frost einmal. Reif es zu besprengen. Die armen Vöglein froren, Ihr Frohsinn war verloren, Ihr grünes Kleid war bunt und fahl.

5. Da trat ein starker Mann zum Baum Und hub an, ihn zu schütteln, Vom obern bis zum untern Raum Mit Schauer zu durchrütteln; Die bunten Vöglein girrten Und auseinander schwirrten: Wohin sie flogen, weif; man kaum.

15. Die Kornblume. Die Kornblüme führt ihren Namen mit Recht, denn sie ist zu Hause im Kornfeld. Hier und da findest du sie auch auf einem Wegrande oder auf einem Anger, aber am liebsten steht sie zwischen den Halmen Den ganzen Sommer hindurch hält sie Gesellschaft mit dem Getreide. Mit dem Saatkorn zu­ sammen wirft der Landmann ihren Samen in den Acker. Mit der Saat zusammen wächst sie auf und blüht. Zugleich mit dem reifen Korn wird sie gemäht und in die Scheunen gebracht. So kommen ihre Samenkörnlein unter das Saatgut und im andern Frühjahr wieder in den Boden hinein, obgleich nie­ mand um sie besorgt ist und sich Mühe darum gibt, sie zu säen oder zu pflanzen. Der Bauer schilt die Kornblume ein lästiges Ilnkraut, aber des Wandrers Augen erfreuen sich an ihr, wenn ihr liebliches Blau mit dem Purpurrot des Mohnes zusammen das Ährenfeld ziert. Ist dem Landmann sonst nicht viel an ihr gelegen, so flicht er sie doch gern in den Erntekranz hinein, dem sie einen heitern Schmuck verleiht. Pflücke eine Kornblume und schaue sie genau an! Mit Staunen wirst du gewahren, welch ein kunstreiches Gebilde du in Händen hast. Was als eine einfache Blume erscheint, ist

Nummer 15 bis 17.

13

zusammengesetzt aus zahlreichen Blüten, die sehr geschickt in einem zierlichen Körbchen geordnet und aufgestellt sind. In der Mitte stehen kleine Blüten von dunkler Farbe, um diese herum zieht sich ein Kranz aus größeren Blüten, von schön himmelblauer Farbe. Diese aber sind fein ausgezackt, so sau­ ber und zierlich, als wäre es behutsam mit einer kleinen Schere gemacht. So ist jede Blume ein Meisterwerk. Schöne Kränze lassen sich aus Kornblumen winden, ohne daß man dazu einen Faden braucht. Mit ihren eigenen Stie­ len schlingt man sie umeinander. Wer aber Kornblumen bricht, soll sich davor hüten, daß er die Saat zertritt. Es wachsen ihrer genug am Rande, die man mit den Händen erlangen kann, ohne in das Feld hineinzusteigen.

16. Der Bauer und sein Kind. 1. Der Bauer steht vor seinem Feld Und zieht die Stirne kraus in Falten. „Ich hab den Acker wohl bestellt. Auf reine Aussaat streng gehalten; Nun seh mir eins das Unkraut an! Das hat der böse Feind getan."

2. Da kommt sein Knabe hochbeglückt, Mit bunten Blüten reich beladen; Im Felde hat er sie gepflückt, Kornblumen sind es, Mohn und Raden; Er jauchzt: „Sieh, Vater, nur die Pracht! Die hat der liebe Gott gemacht."

17. Im Heu. 1. O, wie schön ist es im Heu! Lieblich ist der Duft, Und die Lerche singt dabei Hoch aus blauer Luft.

2. Und das Grillchen hört man auch, Das die Zither schlägt Unterm wilden Rosenstrauch, Den der Wind bewegt.

14

Tageszeiten und Jahreszeiten.

3. Warme Luft und Sonnenschein! O, wie ich mich freu. Sagt, wo kann es schöner sein, Schöner als im Heu?

18. DaS Dorf. 1. Steht ein Kirchlein im Dorf, Geht der Weg dran vorbei, Und die Hühner, die machen Am Weg ein Geschrei. 2. Und die Tauben, die flattern Da oben am Dach, Und die Enten, die schnattern Da unten am Bach. 3. Auf der Brück steht ein Junge, Der singt, daß es schallt. Kommt ein Wagen gefahren. Der Fuhrmann, der knallt.

4. Und der Wagen voll Heu, Der kommt von der Wiese, Und oben darauf Sitzt der Hans und die Liese.

5. Die jodeln und jauchzen Und lachen alle beid. Und das klingt durch den Abend, Es ist eine Freud! 6. Und dem König sein Thron Der ist prächtig und weich. Doch im Heu da zu sitzen. Dem kommt doch nichts gleich! 7. Und wär ich der König, Gleich wär ich dabei Und nähme zum Thron mir Einen Wagen voll Heu.

Nummer

18 bis 21.

lfr

19. Johanniswürmchen. 1. Was tanzen so goldige Sternchen Umher in funkelnder Pracht? Sind Käfer mit ihren Laternchen, Die fliegen spazieren bei Nacht.

2. Wenn einer begegnet dem andern. Dann grüßen sie sich, wie man tut, Erzählen sich was und wandern Dann weiter wohlgemut. 3. Und kehrt der Morgen wieder. Sucht jeder eilig sein Haus, Doch eh er sich leget nieder, Löscht er sein Laternchen ans.

20. Die Kornähren. Ein Landmann ging mit seinem kleinen Sohne Tobias aus den Acker hinaus, um zu sehen, ob das Korn bald reif sei. „Vater, wie kommt's doch," sagte der Knabe, „daß einige Halme sich so tief zur Erde neigen, andere aber den Kopf so aufrecht tragen? Diese müssen wohl recht vornehm sein; die andern, die sich so tief vor ihnen bücken, sind gewiß viel schlechter?" Der Vater pflückte ein paar Ähren ab und sprach: „Sieh, diese Ähre hier, die sich so bescheiden neigte, ist voll der schönsten Körner; diese aber, die sich so stolz in die Höhe streckte, ist ganz taub und leer."

21. Am Sommertag. Ich ging bei hellem Sonnenschein In die blühende Heide hinein. Die Bienen summten hin und her Über dem roten Blütenmeer, 5 Mit Fleiß den Honig sich zu suchen. Daraus man macht die braunen Kuchen Im Winter um die Weihnachtszeit.

Tageszeiten und Jahreszeiten.

16

Das Wachs auch stellen sie bereit Zu den Kerzen, die freundlich glühn, 10 Wie Sterne im dunkeln Tannengrün. Und wie ich weiter ging, da fand Ich auch ein Bäumchen, das' da stand. Ein Tännlein war es — ein besseres kaum Konnt man sich wählen zum Weihnachtsbaum. 15

So wird am Sommertag auf der Heide Schon gesorgt für die Weihnachtsfreude; Wer aber, der die Pracht dann schaut, Denkt an Bienen und Heidekraut?

22. Rachtgewitter auf dem Land. I« der Stadt sind die Leute nicht sonderlich in Sorge, wenn es gewittert. Sie sitzen in festen, aus Steinen aufge­ führten und mit Steinen gedeckten Häusern, deren das Feuer so leicht nicht Herr wird, wie eines Wohnhauses mit Stroh­ dach oder einer Scheune, die mit reifer Frucht gestillt ist. Und wenn der Blitz in ein Haus schlägt und zündet, so ist Hilfe bereit und nahe. Anders ist es auf dem Lande, im Dorf oder in einsam liegenden Höfen. Da sind alle Herzen von Angst und Sorge erfüllt bei einem Gewitter, zumal wenn es in der Nacht kommt. Der Hausvater weckt die Seinen, wenn er die ersten Donnerschläge gehört hat. Die Knechte erhalten ihre Arbeit zugeteilt. Auf die Ställe muß geachtet werden, damit das Vieh sogleich hinausgejagt werden kann, wenn Feuer ausbricht. Die Pferde werden angeschirrt, damit sie bereit sind, mit zum Helfen und Retten verwendet zu werden. Unten in der Stube aber sind beim Licht oder bei der Lampe alle versammelt, die draußen nicht gebraucht werden. Auch die kleinen Kinder sind aus den Betten geholt und not­ dürftig angezogen. Furchtsam schmiegen sie sich zuerst an die Mutter oder an die älteren Geschwister an, bald aber schlafen sie wieder ein. Aber die älteren halten sich wach. Mitten in der Stube unter Großen und Kleinen sitzt wohl eine alte Mutter und hält in den Händen das Gesangbuch.

17

Nummer 22 und 23.

Keines spricht ein Wort. Man hört nur das Rasseln des Donners, nur den Regen, der bald gewaltig herniederströmt. Näher kommt das Gewitter, kleiner werden die Zwischen­ zeiten zwischen Blitz und Donner, auf welche alle ängstlich achten. Jetzt ein furchtbarer Schlag mit dem Blitz zugleich, der das Land dranßen taghell erleuchtet. Alles schrickt zusammen und wagt kaum zu atmen. Gottlob! es bleibt alles still ans dem Hof und draußen. Vielleicht hat der Blitz in der Nähe einen Baum getroffen. Das Gewitter rückt weiter, und der Regen läßt nach. Nur aus weiter Ferne noch grollt der Donner. Endlich kann man sagen: Die Gefahr ist vorüber. Nun treten die Landleute vor die Türen ihrer Häuser. Wie frisch die Luft, wie erquickend! Welch ein Tust geht aus von der Erde, von Gesträuchen und Bäumen! Aber sieh! in der Ferne ist ein Feuerschein sichtbar. Die Männer treten zusammen und streiten darüber, wo das Feuer sei. An diesem Ort, sagen die einen, und die andern: an jenem. Aber alle denken bei sich: Gott helfe den Armen, bei denen es gezündet hat, und Dank sei Gott, daß er unser schonte!

23. Die Himbeeren. Karline hatte in des Vaters Garten ein Plätzchen mit Himbeeren bepflanzt. Die Himbeeren standen so schön und voll, und die Zweige schwankten und bogen sich unter den roten und weißen Früchten. „Ihr sollt mir recht reif werden," sagte Karline, „ehe ich euch abnehme. Dann will ich euch austeilen; dann sollen sich Lotte und Eduard freuen!" Aber es kam eine stürmische Nacht; der Wind rauschte in be» Bäumen, und der Regen fiel in vollen Güssen herab. Karline hatte nichts davon im Schlafe gehört. Der Tag nach dieser Nacht war heiter und warm, und Karline nahm sich vor, die Himbeeren heute zu pflücken. Sie ging zu dem Plätzchen, am Arm ein Körbchen, und unten ins Körbchen Weinblätter gelegt. Aber sie findet die Sträucher leer — die schönsten Beeren fehlen, und nur die schlechten und unreifen sind noch Hell«!, Lesebuch 2.

13. Ausl.

2

18

Tageszeiten und Jahreszeiten.

vorhanden. „£), meine Beeren! Wo sind die schönen Beeren?" ruft das Mädchen traurig, „nun ist meine Freude dahin!" Sie wußte nicht, wo die Beeren geblieben waren; sie glaubte, sie seien gestohlen, sah noch mit nassen Augen die ledigen Sträucher an und ging mit gesenktem Köpfchen davon. Karline setzt sich traurig mit ihrem Strickstrumpf an ein stilles Plätzchen im Garten und kann den Verlust nicht ver­ gessen. „Sie sind fort," sagt sie zu sich selbst, „die besten sind fort." — „Wo ist denn Karline?" fragt die Mutter nach einigen Stunden, „so lange kann doch das Pflücken nicht dauern?" Die Mutter sucht ihr Kind und findet es. „Kind," sagt sie, „warum so allein? Ich denke, du pflückst deine Himbeeren und willst uns damit beschenken?" Die Tränen brachen aus den Augen des Kindes hervor. „Mutter," sagt es, „die Himbeeren sind fort; wer weiß, wer sie genommen hat?" — „Genommen?" antwortet die Mutter, „weißt du denn gewiß, daß sie jemand genommen hat?" Karline weiß es freilich nicht gewiß. „Vielleicht," fährt die Mutter fort, „hat sie der Wind abgeschüttelt und der Regen ab­ geschlagen, wir haben diese Nacht starken Regen und Wind gehabt!" — „Was hilft mich es, Mutter," antwortet das Kind, „dann sind sie ja auch alle verloren!" Die Mutter sagt: „Komm nur!" und geht mit Karlinen zu den Hinlbeersträuchern. Das Mädchen sieht unter die Sträucher. Da liegt alles voller Himbeeren! Karlinens Augen werden heller, denn die Himbeeren sind größtenteils gut und schön. Karline liest auf; die Mutter hilft ihr; das Körbchen wird voll; Lotte und Eduard und die Eltern werden beschenkt, und alles ist vergnügt und zufrieden. „Siehst du," sagt die Mutter, „man kann manchem Übel noch abhelfen, wenn man nur nicht gleich klagt und jammert, sondern sich erst bedenkt, ob nicht mehr zu helfen ist; und manches ist gar nicht so schlimm, als man im Anfang wohl denkt!"

24. Im Walde möcht ich leben. 1. Im Walde möcht ich leben zur heißen Sommerzeit! Der Wald, der kann uns geben viel Lust und Fröhlichkeit.

Nummer 24 bis 26.



In seine kühlen Schatten winkt jeder Zweig und Ast,

Das Blümchen auf den Matten nickt mir: Komm, lieber Gast! 2. Wie sich die Vögel schwingen im Hellen Morgenglanz Und Hirsch und Rehe springen so lustig, wie zum Tanz! Von jedem Zweig und Reise hör nur, wie's lieblich schallt! Sie singen laut und leise: Kommt, kommt in grünen Wald!

25. Ein Rätsel. 1. Die Die Und

Ich weiß euch eine schöne Stadt, lauter grüne Häuser hat. Häuser, die sind groß und klein. wer nur will, der darf hinein.

2. Die Straßen, die sind freilich krumm, Sie führen hier und dort herum. Doch stets gerade fort zu gehn. Wer findet das wohl allzuschön? 3. Mit Das Und

Die Wege, die sind weit und breit, bunten Blumen überstreut. Pflaster, das ist sanft und weich seine Färb den Häusern gleich.

4. Es wohnen viele Leute dort, Und alle lieben ihren Ort, Ganz deutlich sieht man das daraus. Daß jeder singt in seinem Haus. 5. Die Leute sind da alle Nein, Denn es sind lauter Vögelein, Und meine ganze grüne Stadt, Sag, welchen Namen sie wohl hat!

26. Einkehr. 1. Da Ein An

Bei einem Wirte, wundermild. war ich jüngst zu gaste; goldner Apfel war sein Schild einem langen Aste.

90

Tageszeiten und Jahreszeiten.

2. Bei Mit Hat

Es war der gute Apfelbaum, dem ich eingekehret; süßer Kost und frischem Schaum er mich wohl genähret.

3. Viel Sie Und

Es kamen in sein grünes Haus leichtbeschwingte Gäste; sprangen frei und hielten Schmaus sangen auf das beste.

4. Aus Der Mit

Ich sand ein Bett zu süßer Ruh weichen, grünen Matten; Wirt, er deckte selbst mich zu seinem kühlen Schatten.

5. Nun fragt ich nach der Schuldigkeit, Da schüttelt er den Wipfel. Gesegnet sei er allezeit Von der Wurzel bis zum Gipfel!

27. Born schlafenden Apfel. 1. Im Baum, im grünen Bettchen Hoch oben sich ein Apfel wiegt, Der hat so rote Bäckchen, Man sieht's, daß er im Schlafe liegt. 2. Ein Kind steht unterm Baume, Das schallt und schaut und ruft hinauf: „Ach, Apfel, komm herunter! Hör endlich doch mit Schlafen auf!"

3. Es hat ihn so gebeten, Glaubt ihr, der wäre aufgewacht? Er rührt sich nicht im Bette, Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht. 4. Da komnlt die liebe Sonne Am Himmel hoch daherspaziert. „Ach, Sonne, liebe Sonne, Mach du, daß sich der Apfel rührt!"

Nummer 27 und 28.

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5. Die Sonne spricht: Warum nicht? Und wirst ihm Strahlen ins Gesicht, Küßt ihn dazu so freundlich, Der Apfel aber rührt sich nicht.

6. Nu schau! da kommt ein Vogel Und setzt sich aus den Baum hinauf. „Ei, Vogel, du mußt singen! Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf." 7. Und Und Der

Der Vogel wetzt den Schnabel siügt ein Lied so wundernett singt aus voller Kehle; Apfel rührt sich nicht im Bett.

8. Und wer kam nun gegangen? Es war der Wind, den kenn ich schon; Der küßt nicht, und der singt nicht, Der pfeift aus einem andern Ton. 9. Er stemmt in beide Seiten Die Arme, bläst die Backen auf Und bläst und bläst; und richtig, Der Apfel wacht erschrocken auf

10. Und springt vom Baum herunter Grad in die Schürze von dem Kind; Das hebt ihn auf und freut sich Und ruft: „Ich danke schön, Herr Wind!"

28. Bom A-nehmen der Früchte. Wenn einer dir einen Korb mit Kirschen, Äpfeln oder sonstigen' Früchten zum Geschenk bringt, so wirst du ihm wohl nicht den Korb aus den Händen ziehen oder schlagen, ihm vielleicht gar dazu noch einen seiner beiden Arme aus dem Leibe reißen, sondern du wirst ihm behutsam, was er dir bringt, abnehmen und dich bedanken. Der Baum, der dir Früchte trägt, ist doch wohl wert, gleichermaßen behandelt zu werden. Darum sieh ihn nicht als einen Feind an, der zu plündern und zu berauben ist.

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Tageszeiten und Jahreszeiten.

sondern er sei dir ein guter Freund, dem du säuberlich und> freundlich die Last abnimmst, die er auf den Zweigen trägt. Keinen schmählicheren Anblick gibt's, als einen armen Strauche oder Baum, von dem rohe Hände, vielleicht um noch unreifer Früchte willen, die Zweige heruntergerissen und abgebrochen haben. Geh freundlich mit dem Baume um! Es gräme dich nicht, sitzen zu lassen, was du nicht erreichen kannst. Verloren geht cs doch nicht; ein Bogel oder ein Eichhorn oder sonst ein armer und scheuer Gast wird es sich vor dem Winter schon holen. Und wenn du eine Leiter ansetzest, so sieh zu, daß sie wohl gestützt sei. Kämet ihr beide, die Leiter und du, plötzlich von oben herunter, so würdet ihr große Ver­ heerungen unter den unten stehenden Gewächsen anrichtcn und auch wohl selber zu Schaden kommen.

29. Die Brombeere. Brombeer am Waldesrande steht. Da, wo der Weg vorübcrgeht. Im Sommer trägt sie Röslein schön. Die allerliebst sind nnzusehn, 5 Im Herbste schwarze Beeren, Die gut sind zu verzehren. Aber nimm dich in acht, Daß sie dir keinen Kummer macht! Mit ihren Ranken, den langen, 10 Versucht sie dich zu fangen. Versucht sie dich zu Haschen, Wenn du willst Beerlein naschen. Mit ihren Dornen und Zacken Möchte sie gern dich packen. 15 Sic hält dich fest am Kleide, Ritzt dir die Hände und das Gesicht, Nimm dich in acht, damit sie nicht Dir tut etwas zu leide!

Nummer 29 bi- 31

30. Ein Rätsel. Es sitzt auf einem Rütchen An einem grünen Stöckchen, Es hat ein schwarzes Hütchen Und hat ein rotes Röckchen; Hat keine Arm und keine Bein, Wer mag das arme Schelmchen sein?

31. Der Störche Wanderlied. 1. Fort, fort, fort und fort, An einen andern Ort! Ruil ist vorbei die Sommerzeit; Drum sind wir Störche jetzt bereit, Von einem Land zum andern Zu wandern.

2. Ihr, ihr, ihr und ihr, Ihr Bauern, lebet wohl! Ihr gabt zur Herberg euer Dach Ilnd schütztet uns vor Ungemach: Drum sei euch Glück und Frieden Beschieden!

3. Du, du, du und du, Leb wohl, du schöner Teich! Du hast an deinen Ufern oft Verliehn, was unser Herz gehofst. Dein denken wir von ferne Noch gerne. 4. Ihr, ihr, ihr und ihr, Ihr Frösche, lebet wohl! Jht habt uns oft Musik gemacht Und uns mit manchem Schmaus bedacht. Lebt wohl, auf Wiedersehen! Wir gehen. 5. Fort, fort, fort und fort, An einen andern Ort'

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Tageszeiten und Jahreszeiten.

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Nun ist vorbei die Sommerzeit; Drum sind die Störche jetzt bereit, Von einem Land zum andern Zu wandern.

32. Abschiedslicd der Zugvögel. 1. Wie war so schön doch Wald und Feld! Wie traurig ist anjetzt die Welt! Hin ist die schöne Sommerzeit, Und nach der Freude kam das Leid. 2. Wir wußten nichts von Ungemach, Wir saßen unterm Laubesdach Vergnügt und froh im Sonnenschein Und sangen in die Welt hinein. 3. Wir Wir Und

Wir armen Vögel trauern sehr. haben keine Heimat mehr, müssen jetzt von hinnen fliehn in die weite Fremde ziehn.

33. Der Blümlein Antwort. 1. In unsers Vaters Garten Da sah ich noch so mancherlei,

da war's noch gestern grün. so schöne Blumen blühn.

2. Und heut ist alles anders, und heut ist alles tot; Wo seid ihr hin, ihr Blümelein, ihr Blümlein gelb und rot? 3. „O, liebes Kind, wir schlafen nach Gottes Willen hier, Bis er uns seinen Frühling schickt, und dann erwachen wir.

4. Ja, deine Blümlein schlafen, Bis dich erweckt ein Frühlingstag

so wirst auch schlafen du. aus deiner langen Ruh.

5. Und wenn du dann erwachest, o, möchtest du dann sein So heiter und so frühlingsfroh wie deine Blümelein!"

34. Der erste Schnee. 1. „Großväterchen, es schneit so sehr, Schau, wie die Flocken jagen! Wo kommt denn all der Schnee nur her?" „Das will ich, Kind, dir sagen:

Nummer 32 bis 35.

2. Vom Frau Dort

Frau Holle schüttet die Betten aus Himmelsfenstcr droben. Holle hat ein großes Haus zwischen den Wolken droben.

3. Drin glänzet alles schmuck und nett Wie lautrer Silberschimmer; Es steht ein großes, großes Bett Da in Frau Holles Zimmer. 4. Mit klarem Linnen läßt gar fein Ihr Bett Frau Holle schmücken, Die Daunen sind so weiß und rein, Als wie vom Schwanenrücken.

6. Und hat sie morgens sich den Schlaf Aus ihren Augen gerieben, Dann schüttelt sie die Betten brav. Daß rings die Federn stieben. 6. Dann deckt sie rings die Felder zu Mit weißer Federn Wolle; Die schlafen dann in süßer Ruh. Schön Dank dafür, Frau Holle!"

SS. Knecht Ruprecht. Von drauß vom Walde komm ich her; Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr! Allüberall auf den Tannenspitzen Sah ich goldene Lichtlein sitzen; 5 Und droben aus dem Himmelstor Sah mit großen Augen das Christkind hervor. Und wie ich so strolcht' durch den finstern Tann, Da rief's mich mit heller Stimme an: „Knecht Ruprecht", rief es, „alter Gesell, 10 Hebe die Beine und spute dich schnell! Die Kerzen fangen zu brennen an. Das 'Himmelstor ist aufgetan, Alt' und Junge sollen nun Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;

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LS

Tageszeiten und Jahreszeiten.

16 Und morgen flieg ich hinab zur Erden, Denn es soll wieder Weihnachten werden!' Ich sprach: „O lieber Herre Christ, Meine Reise fast zu Ende ist; Ich soll nur noch in diese Stadt, 20 Wo's eitel gute Kinder hat." — „Hast denn das Säcklein auch bei dir?" Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier; Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern Fressen fromme Kinder gern." 25— „Hast denn die Rute auch bei dir?" Ich sprach: „Die Nute, die ist hier: Doch für die Kinder nur, die schlechten. Die trifft sie auf den Teil, den rechten." Christkindlein sprach: „So ist es recht;

30 So geh mit Gott, mein treuer Knecht!" Von drauß vom Walde komm ich her; Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr! Nun sprecht, wie ich's hierinnen find! Sind's gute Kind, sind's böse Kind?

36. Weihnachten. 1. Die schönste Zeit, die liebste Zeit, Sagt's allen Leuten weit und breit, Danlit sich jedes freuen mag. Das ist der liebe Weihnachtstag.

2. Den hat uns Gott der Herr bestellt, Den herrlichsten in aller Welt, Daß jung und alt, daß groß und klein So recht von Herzen froh soll sein. 3. Geboren ist das Christuskind, Durch das die Menschen selig sind. Das alle so von Herzen liebt Und ihnen Himmelsgaben gibt. 4. Das hören froh, das hören gern Die Menschen alle nah und fern

Nummer 36 b.S 38.

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Und denken nicht an Weh und Leid And freuen sich der schönen Zeit. 5. Und jedes ruft dem andern zu: „Mein Bruder, Schwester, hörest du. Was uns vom Himmel diese Nacht Ward für ein großes Heil gebracht?" 6. Du Kind so lieb, du Kind so gut. Das allen Menschen Gutes tut. Komm bald einmal nun auch zu mir Und meiner kleinen Schwester hier! 7. Gib Laß Und

Nimm von uns Angst und Weh und Schmerz, uns ein frohes, frommes Herz, uns auf Erden gut und rein einst im Himmel bei dir sein!

37. Die heilige Nacht. 1. Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht Nur das traute hochheilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar, Schlaf in himmlischer Ruh? 2. Stille Nacht, heilige Nacht! Hirten erst kund gemacht; Durch der Engel Hallelujah Tönt es laut von fern und nah: Christ, der Retter, ist da! 3. Stille Nacht, heilige Nacht! Gottes Sohn, o, wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund, Da uns schlug die rettende Stund, Christ, in deiner Geburt!

38. Die Weihnachtsbeschernng. Wenn das Jahr zu Ende geht, erscheint das fröhlichste aller Feste. Das ist das Weihnachtsfest. Mit Hellen Lichtern

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Tageszeiten und Jahreszeiten.

kommt es um die Zeit, da der Tag sehr kurz und die Nacht sehr lang ist. Der Winter regiert draußen, und auf den Feldern liegt Schnee. Alle Bäume, die Blätter gehabt haben, stehen kahl da, wie abgestorben. Die Tanne aber hat ihre Nadeln behalten, sie allein ist frisch und grün geblieben. Darum wird sie zum Weihnachtsbaum gemacht.

Lange vorher freuen sich die Kinder schon auf Weih­ nachten, lange vorher schon sorgen die Eltern dafür. Oft geht in den Wochen vor dem Fest die Mutter aus und kehrt ins Haus zurück mit Paketen und Schachteln. Aber sie zeigt nichts von dem, was sie gekauft hat, sondern legt alles still in einen Schrank. Den Schrank schließt sie sorgfältig ab, damit niemand hineinsieht. Jeden Tag zählen die Kinder, wieviel Tage es noch sind bis zur Bescherung. Abends, ehe sie einschlafen, erzählen sie einander, was sie sich wünschen, und wenn sie eingeschlafen sind, träumen sie von Weihnachten. So kommt endlich der Tag der Bescherung heran und der heilige Abend. Am Tage vorher schon wurde ein kleiner Tannenbaum in das Haus hineingetragen. Keiner hat das gesehen, aber auf dem Fuß­ boden sind grüne Nadeln gefunden worden, und ein ab­ gebrochenes Zweiglein wurde auch aufgehoben. Vom frühen Morgen an schon wird keins der Kinder in das Zimmer hineingelassen, wo der Baum steht, und wo zur Bescherung aufgebaut wird. Wie lang erscheint der Tag, der doch wirklich so kurz ist! Es will gar nicht dunkel werden. Nachdem es dunkel geworden ist, wird die Ungeduld der Kinder sehr groß. Endlich ertönt eine Glocke, die Türe der Weihnachtsstube öffnet sich, und der Vater oder die Mutter ruft: „Jetzt könnt ihr kommen!" Nun kommen sie alle zusammen in das Zimmer. Da bleibet sie zuerst ganz still stehen, so blendet der Glanz sie. Auf dem Tisch steht der Tannenbaum, mit vielen Kerzen besteckt und behängt mit Äpfeln und Nüssen, mit Ketten aus buntem Papier und bunten Fähnchen und Silberfäden. Am hübschesten sind doch die rotbäckigen Äpfel in dem Tannengrün anzusehen.

Nummer 38.

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Nun getraut sich eines nach dem andern näher an den Tisch heran. Da ist für jedes Kind ein Platz bestimmt, auf dem seine Geschenke liegen. Schnell hat jedes seinen Platz gefunden. Jedes freut sich über das, was chm beschert ist. Wer kann das alles auszählen, was unter dem Weihnachts­

baum liegt? Da sind hölzerne Tierchen für die Kleinsten und saubere Puppen. Da ist auch der Baukasten, den Franz sich

wünschte, und der Malkasten, den Fritz so gern haben wollte. Herrliche Bilderbücher sind auch da. Die Größeren aber finden auf ihren Plätzen belehrende Bücher und allerhand nützliche Sachen, Auch die Leute haben ihren Tisch, auf dem sie ihren Kuchen finden und ein hübsches Geschenk dazu. Und auch die Armen sind nicht vergessen. Ein und das andere arme Kind aus der Nachbarschaft, das zur Bescherung bestellt ist, meldet sich. Wenn es sein Naschwerk bekommen hat und seine kleinen Geschenke, dann geht es mit glücklichem Gesicht fort.

Zuerst geht es langsam, bald aber fängt es an zu laufen. Es möchte gern recht bald zu Hause sein, um zu zeigen, was es bekommen hat.

Von den Kindern im Dause ist jedes mit seinen Weih­ nachtsgeschenken beschäftigt. Die Tierchen werden aufgestellt, die Puppen werden in ihr Bettchen gelegt, die Trommeln werden geschlagen und die Trompeten geblasen. Auch die guten Dinge, die zu essen sind, werden eifrig geprüft. Da ruft die Mutter, welche sich ans Klavier gesetzt hat, die Kinder zu sich. In einer Reihe stellen sie sich auf und singen mit ihr das Weihnachtslied:

Ihr Kinderlein, kommet, o, kommet doch all! Zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall! Das klingt durch das Haus so lieblich, und alle, die cs hören, werden froh. Sie denken der Engelbotschaft, welche den Hirten aus dem Felde erklang, und der süßen Worte: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

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Tageszeiten und Jahreszeiten.

39. Der kleine Nimmersatt. 1. Ich wünsche mir ein Schaukelpferd, 'ne Festung mit Soldaten Und eine Rüstung und ein Schwert, Wie sie die Ritter hatten. 2. Und Und Und

Drei Märchenbücher wünsch ich mir Farbe auch zum Malen Bilderbogen und Papier Gold- und Silberschalen.

3. Ein Domino, ein Lottospiel, Ein Kasperletheater, Auch einen neuen Pinselstiel Vergib nicht, lieber Vater!

4. Ein Zelt uftb sechs Kanonen dann Und einen neuen Wagen Und ein Geschirr mit Schellen dran. Beim Pferdespiel zu tragen. 5. Ein Perspektiv, ein Zootrop, 'ne magische Laterne, Ein Brennglas, ein Kaleidoskop — Dies alles hätt ich gerne.

6. Gar Und Noch

Mr fehlt — ihr nutzt es sicherlich — sehr ein neuer Schlitten, auch um Schlittschuh möchte ich ganz besonders bitten.

7. Und Um Und

Um weiße Tiere auch von Holz farbige von Pappe, einen Helm mit Federn stolz eine Flechtemappe:

8. ' Auch einen großen Tonnenbaum, Dran hundert Lichter glänzen. Mit Marzipan und Zuckerschauin Und Schokoladenkränzen. 9. Doch dünkt dies alles euch zuviel. Und wollt ihr daraus wählen.

Nummer 39 und 40.

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So könnte wohl der Pinselstiel Und auch die Mappe fehlen.

10. Als Hänschen so gesprochen hat, Sieht man die Eltern lachen: „Was willst du, kleiner Nimmersatt, Mit all den vielen Sachen?"

11. „Wer so viel wünscht" — der Baler spricht's — „Bekommt auch nicht ein Achtel — Der kriegt ein ganz Nein wenig Nichts In einer Dreierschachtel."

40. Das Männlein in der Gans. 1. Das Männlein ging spazieren einmal Auf dem Dach, ei, seht doch! Das Männlein ist hurtig, das Dach ist schmal. Gib acht, es fällt noch! Eh sich's versieht, fällt's vom Dach, herunter Und bricht den Hals nicht, das ist ein Wunder! 2. Unter dem Dach steht ein Wasserzuber, Hinein fällt's nicht schlecht; Da wird es naß über und über, Ei, das geschieht ihm recht, Da kommt die Gans gelaufen. Die wird's Männlein saufen. 3. Die Gans hat's Männlein 'nuntergeschluckt. Sie hat einen guten Magen; Aber das Männlein hat sie doch gedruckt. Das wollt ich sagen. Da schreit die Gans ganz jämmerlich; Das ist der Köchin ärgerlich. 4. Die Köchin wetzt das Messer, Sonst schneidt's ja nicht; „Die Gans schreit so, es ist nicht besser. Als daß man sie sticht; Wir wollen sie nehnlen und schlachten Zum Braten aus Weihnachten."

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Tageszeiten und Jahreszeiten.

5. Sie rupft die Gans und nimmt sie ans Und brät sie, Aber das Männlein darf nicht 'raus, Versteht sich. Die Gans wird eben gebraten; Was kann's dem Männlein schaden?

6. Weihnachten kommt die Gans auf den Tisch Jill Pfännlein; Der Vater tut sie 'raus und zerschneidt sie frisch. Und das Männlein? Wie die Gans ist zerschnitten, Kriecht's Männlein aus der Mitten. 7. Da springt der Vater vom Tisch auf, Da wird der Stuhl leer; Da setzt das Männlein sich drauf Und macht sich über die Gans her. Es sagt: „Du hast mich gefressen, Jetzt will ich dafür dich essen!"

8. Da ißt das Männlein gewaltig draus los, Als wären's seiner sieben! Da essen wir alle dem Männlein zum Trotz, Da ist nichts übergeblieben Von der ganzen Gans als ein Tätzlein, Das kriegen dort hinten die Kätzlein; 9 Nichts kriegt die Maus. Das Märlein ist aus. ^,Was ist denn das?" Ein Weihnachtsspaß: Aufs Neujahr lernst Du — „Was?" — Den Ernst!

41. Winterlied. 1. Wie ruhest du so stille In deiner weißen Hülle, Du mütterliches Land!

Nummer 41 und 42.

Wo sind des Frühlings Lieder, Des Sommers bunt Gefieder Und dein beblümtes Festgewand? 2. Du schlummerst nun entkleidet, Kein Lamm, noch Schäslein weidet Auf deinen Aun und Höhn; Der Vöglein Lied verstummet. Und keine Biene summet; Doch bist du auch im Schlummer schön. 3. Die Zweig und Ästlein schimmern, Und tausend Lichter flimmern. Wohin das Auge blickt. Wer hat dein Bett bereitet. Die Decke dir gespreitet Und dich so schön mit Reif geschmückt?

4. Der gute Vater droben Hat dir dein Kleid gewoben. Er schläft und schlummert nicht. So schlummre denn in Frieden! Der Vater weckt die Müden Zu neuer Kraft und neuem Licht. 5. Bald in des Lenzes Wehen Wirst du verjüngt erstehen Zum Leben wunderbar. Sein Odem schwebt hernieder, Dann, Erde, stehst du wieder Mit einem Blumenkranz im Haar!

42. Reujahr. Zeit vergeht und Jahr um Jahr, Gottes Huld bleibt immerdar; Sein getreues Auge wacht Über mir in jeder Nacht; fessel, Lesebuch 2.

13. Ausl.

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3*

Tageszeiten und Jahreszeiten.

Seine Liebe gehet auf Neu mit jedes Morgens Lauf; Seine Vaterhand erhält Sonn und Mond und alle Welt, Sieht, bewahrt, erhält auch mich. Liebet mich so väterlich.

43. Beim Schneeballen. 1. Seht, wie das Schneeseld drüben uns winkt! Seht, wie es fliminert! seht, wie es blinkt! Nicht länger bedacht. Fort, fort in die Schlacht!

2. Ballet den Schnee geschwind wie der Wind! Fort auf den Plan, wo's Kämpfen beginnt! Schnee ist das Gewehr, Schnee Degen und Speer. 3. Näher dem Feinde, näher gerückt! Flink sich gedreht und flinker gebückt! List leite das Spiel, Mut führet zum Ziel! 4. Seht, wie das Schneefeld drüben uns winkt! Seht, wie es flimmert! seht, wie es blinkt! Nicht länger bedacht. Fort, fort in die Schlacht!

44. Einen Schlitten mutz ein Junge haben 1. Einen Schlitten muff ein Junge haben, Jni Sommer kann er barfuß traben Durch Gras und Klee. Liegt aber im Winter Eis und Schnee, Dann geht's mit Hurra hinunter die Höh. Einen Schlitten muß ein Junge haben!

2. Hei! Das ist ein Vergnügen, Wie der Wind so geschwind dahinzufliegen! Es knirscht der Schnee, Ter Schlitten saust hinunter die Höh

Nummer 43 bis 45.

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Und gleitet, hui! über den See. Einen Schlitten muß ein Junge haben! 3. Aber still sitzen und nicht wippen! Sonst könnte, Wupp! der Schlitten kippen. Und du liegst, o weh! Mit der Nase im Schnee, Und der Schlitten saust hinunter die Höh, Und es lachen alle Knaben — Einen Schlitten muß ein Junge haben!

45. Der Sperling im Winter. Wovon lebt der Sperling im Winter? Er geht nicht im Herbst in südliche Länder, wie andere Vögel, sondern bleibt daheim, wenn auch der Winter noch so arg ist. Er sammelt nicht Vorräte, sondern wenn das Korn eingeführt und auch auf den Stoppeln nichts mehr zu finden ist, dann hat er nichts. Es gibt keinen so armen Mann int ganzen Lande wie den Sperling, ivenit der erste Schnee draußen gefallen ist. In seiner Wohnung ist nichts zu finden, und verdienen kann er sich auch nichts. Er kann weder Holz hacken noch Kartoffeln schälen, auch nicht fegen und kehren oder Wasser tragen. Nicht einmal singen kann er. Doch findet er den ganzen Winter hindurch sein Brot. Auf dem Dorf geht er zu den Bauern und sieht zu, wie gedroschen wird. Dabei fällt manches Körnlein für ihn ab. In der Stadt ladet er sich in gleicher Weise bei armen, wie Fei reichen Leuten zu gast. Wo Pferde ihren Hafer bekommen, ist er da und sagt: „Ich darf doch mitessen? Das wenige, was ich mir nehme, macht ja nichts aus." Und wo einem Huhn sein Futter gestreut wird, fliegt er auch herbei und spricht: „Du erlaubst doch ? Ich werde es dir wiedergeben im Sommer, wenn die Erbsen reif sind." überall ist er da, wo es etwas zu picken gibt. Draußen ist kalter Wintertag. Auf dem Fensterbrett liegt Schnee. Da kommt er angeflogen, reckt seinen Hals und ruft in das Zimmer hinein: „Ist nicht vom Mittag etwas übrig geblieben?"

M

Tageszeiten und Jahreszeiten.

Gehst du dann nicht hurtig fort in die Küche und holst ihm etwas?

46. Wie eS dem armen Schneemann ging. Was helfen mir die Pelze? Ich armer Mann zerschmelze, Der Kopf ist schon zerronnen, Der Rumpf auch hat begonnen. 5O weh, schon kommt ein warmer Hauch, Der nimmt mir fort auch meinen Bauch. Bald geht's beim Sonnenscheine Mir gar auch an die Beine. Wie kann ich denn noch stehen? 10 Ich muß, ich muß zergehen! Ach, wär ich armer Schlucker Doch wenigstens von Zucker, Daß dann ein gutes Kindlein käm Und mich zu sich nach Hause nähm!

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Nicht wahr, mein Kind, auch dir wär's recht ? Du weißt ja, Zucker schmeckt nicht schlecht — Wenn all der Schnee hier um dich her Nur lauter, lauter Zucker wär!

47. Sehnsucht nach dem Frühling. 1. O, wie ist es kalt geworden Und so traurig, öd und leer! Rauhe Winde wehn von Norden, Und die Sonne scheint nicht mehr.

2. Auf die Berge möcht ich fliegen, Möchte sehn ein grünes Tal, Möcht in Gras und Blumen liegen Und mich freun am Sonnenstrahl! 3. Möchte hören die Schalmeien Und der Herden Glockenklang, Möchte freuen mich im Freien An der Vögel süßem Sang!

Nummer 46 bis 48.

4. Schöner Frühling, komm doch wieder. Lieber Frühling, komm doch bald! Bring uns Blumen, Laub und Lieder, Schmücke wieder Feld und Wald!

5. Ja, du bist uns treu geblieben, Kommst nun bald in Pracht und Glanz, Bringst nun bald all deinen Lieben Sang und Freude, Spiel und Tanz.

48. Winters Flucht. 1. Dem Winter wird der Tag zu lang, Ihn schreckt der Vögel Lustgesang; Er horcht und hört's mit Gram und Neid, Und was er sieht, das tut ihm leid; Er flieht der Sonne milden Schein, Sein eigner Schatten macht ihm Pein. 2. Er wandelt über grüne Saat Und Gras und Keime früh und spat: „Wo ist mein silberweißes Kleid, Mein Hut, mit Demantstaub beschneit?" Er schämt sich wie ein Bettelmann Und läuft, was er nur laufen kann. 3. Und hinterdrein scherzt jung und alt In Luft und Wasser, Feld und Wald; Der Kiebitz schreit, die Biene summt. Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt; Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn, So quakt der Frosch vor Ostern schon.

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Die Natur.

II. Die Matur. 49. Herr Sott, »u toll ft gelobet sein. 1. Kein Tierlein ist auf Erden Dir, lieber Gott, zu klein. Du ließt sie alle werden, Und alle sind sie dein. Zu dir, zu dir ruft Mensch und Tier, Der Vogel dir singt, das Fischchen dir springt. Die Biene dir brummt, der Käfer dir summt; Auch pfeifet dir das Mäuslein klein: Herr Gott, du sollst gelobet sein!

2. Das Vöglein in den Lüsten Singt dir aus voller Brust, Die Schlange in den Klüften Zischt dir in Lebenslust.

3. Die Fischlein, die da schtvimmen. Sind, Herr, vor dir nicht stumm. Du hörest ihre Stimmen, Vor dir kömmt keines um. 4. Vor dir tanzt in der Sonne Der kleinen Mücken Schwarm, Zum Dank für Lebenswonne Ist keins zu klein und arm. 5. Sonn, Mond gehn auf und unter In deinem Gnadenreich, Und alle deine Wunder Sind sich an Größe gleich.

Nummer 49 und 50.

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6. Zu dir muß jedes ringen, Wenn es in Nöten schwebt, Nur du kannst Hilfe bringen, Durch den das Ganze lebt. 7. In starker Hand die Erde Trägst du mit Mann und Maus, Es ruft dein Odem: Werde! Und bläst das Lichtlein aus. 8. Kein Sperling fällt vom Dache, Ohn dich vom Haupt kein Haar; O, teurer Vater, wache Bei uns in der Gefahr! Zu dir, zu dir ruft Mensch und Tier, Der Vogel dir singt, das Fischchen dir springt. Die Biene dir brummt, der Käfer dir summt; Auch pfeifet dir das Mäuslein klein: Herr Gott, du gelobet sein!

50. Das Alpenlied. 1. Auf hoher Alp Wohnt auch der liebe Gott. Er färbt den Morgen rot Und Blümlein weiß und blau Und labet sie mit Tau. Auf hoher Alp Ein lieber Vater wohnt.

3. Ans hoher Alp In Scharen weiß und schön Die Schaf' und Zieglein gehn Und finden's Mahl bereit. Daß sich ihr Herze freut. Auf hoher Alp Ein lieber Vater wohnt.

2. Auf hoher Alp Bon kräuterreichen Höhn Die Lüftlein lieblich wehn, Gewürzig, frei und rein. Mag's auch sein Odem sein? Auf hoher Alp Ein lieber Vater wohnt.

4. Auf hoher Alp Der Hirt sein Herdlcin schaut; Sein Herze Gott vertraut. Der Geiß und Lamm ernährt. Ihm auch wohl gern beschert. Auf hoher Alp Ein lieber Vater wohnt.

Die Natur.

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51. Das Bachlein. 1. Bächlein, wie hurtig Eilst du zu Tal! Kannst du nicht rasten Und ruhn einmal?

4. Die Wiesen tränk ich. Die grünen Auen Und Blumen, die sich Än mir beschauen.

2. „Ich kann nicht rasten. Ich kann nicht bleiben, Hinunter muß ich Das Mühlrad treiben.

5. Dann zu dem Flusse Lenk ich den Lauf, Der nimmt so viele Der Bächlein auf.

3. Biel Tierlein muß ich Zum Trinken laden.

6. Er geht durchs Land him Mit stolzem Schritt, Uns alle nimmt er Zum Meere mit.

Und andre kommen. In mir zu baden.

7. Vom Bergwald komm ich, Bom Felsen her — Wie weit, wie weit ist Mein Weg zum Meer!"

52. Das Meer. 1. Das Meer ist tief, das Meer ist weit. Doch gehet Gottes Herrlichkeit Noch tiefer als des Meeres Grund, Noch weiter als das Erdenrund.

2. So viele Fischlein wohnen drin: Der Herr sieht freundlich auf sie hin. Reicht allen ihre Speise dar, Führt ab und auf sie wunderbar.

3. So hoch die wilden Wogen gehn, Wenn er gebeut, sie stille stehn; Da führet seine treue Hand Das Schifflein hin ins fernste Land.

Nummer 51 bis 54.

4i

»3. Zwei Rätsel. 1. Biel Wie Sah

1. Auf einer großen Weide gehen tausend Schafe silberweiß; wir sie heute wandeln sehen. sie der allerältste Greis.

2. Aus Ein Mit

Sie altern nie und trinken Leben einem unerschöpften Born; Hirt ist ihnen zugegeben schöngebognem Silberhorn.

3. Er treibt sie aus zu goldnen Toren, Er überzählt sie jede Nacht Und hat der Lämmer keins verloren. So oft er auch den Weg vollbracht. 4. Ein Die Und

Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten. muntrer Widder geht voran. Herde, kannst du sie mir deuten? auch den Hirten zeig mir an!

2. 1. Von Perlen baut sich eine Brücke Hoch über einen grauen See; Sie baut sich auf im Augenblicke, Und schwindelnd steigt sie in die Höh.

2. Der höchsten Schiffe höchste Masten Ziehn unter ihrem Bogen hin; Sie selber trug noch keine Lasten Und scheint, wie du ihr nahst, zu fliehn. 3. Sie wird erst mit dem Strom und schwindet. Sowie des Wassers Flut versiegt. So sprich, wo sich die Brücke findet. Und wer sie künstlich hat gefügt!

54. Die Farben. Es war sehr heiß gewesen. Nachmittags zogen dunkle, schwere Wolken heraus; ein heftiges Gewitter entlud sich

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Tie Natur.

unter Donner und Blitz: erfrischender Regen strömte herab. Nachdem die Wolken vorübergezogen waren, strahlte die Sonne auf die erquickten Bäume und Blumen und spiegelte sich in den zahllosen Tropfen, welche auf den Gräsern und Blättern hingen. Die Kinder traten mit der ältesten Schwester Maria in den Garten, freuten sich der erfrischenden Luft, der Wohl­ gerüche, welche die Blumen ausströmten, und des Gesanges der Vögel in beit Zweigen. Sic setzten sich im Garteuhäuscheu nieder und sprachen dieses und jenes. Endlich wandte sich ihr Gespräch auf die Farben. Franz sprach: „Die rote Farbe ist mir doch von allen die liebste." — „Weshalb?" fragte Maria. — „Das will ich dir sagen. Ehe die Sonne aufgeht, hat der Himmel ein rotes Mäntelchen um, und ehe die Sonne untergeht, ebenso; rot ist die Farbe der Rose, der schönsten Blume der ganzen Welt; rot sind die Wangen der Äpfel, wenn sie reif sind; die süßen Kirschen sind rot; deshalb ist rot meine liebste Farbe. Auch der König muß die rote Farbe am liebsten haben; denn die Purpurmäntel der Könige und Kaiser sind ja rot." Ernst sagte: „Meine liebste Farbe ist weiß. Welch ein Vergnügen, im Winter die weißen Schneeflocken wirbeln zu sehen, dann den Schlitten zu nehmen und auf der schimmern­ den weißen Fläche dahin ä» gleiten! Weiß sind unsere Bäume im Mai, wenn sie im Blütenschmucke prangen; weiß ist meine Lieblingsblume, die Lilie; die erste Blume, die nach dem Winter im Garten hervorbricht, das Schneeglöckchen, von dem der Vater sagte, es läute den Frühling ein, ist weiß. Darum ist weiß meine liebste Farbe!" „Dafür lobe ich mir grün," sagte Emil. „Wie wohltuend ist es für das Auge, auf ein grünes Saatfeld hinzu­ sehen! Grün ist der schattige Wald; grün sind die Wiesen und Matten; grün ist der weiche Rasen; ein grünes Gewand trägt der Jäger int dunklen Forst, Jäger will ich werden; darum ist grün meine Lieblingsfarbc!" „Aber ich kann euch doch gar nicht begreifen," sprach Paul, „daß niemand von euch die blaue Farbe liebt, das ist

Wummer 35.

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doch die schönste von allen. Die Wunderblume im Gebirge, von welcher uns neulich der Bergmann erzählte, ist blau; wenn ich sie, nur erst gefunden habe, so kann ich mitten durch das Innere der Berge gehen und werde so viel Gold und Edelsteine bekommen, daß ich für die Eltern und für euch und für alle Leute in der Stadt die prächtigsten Häuser bauen lassen kann. Blau ist der Himmel, an dem Sonne, Mond und Sterne stehen, darum ist blau meine liebste Farbe." „Aber il;r werdet doch zugebcn," sagte Otto, „daß auch die gelbe Farbe ganz prächtig aussieht. Habt ihr etwas Schöneres gesehen, als das große reife Kornfeld vor vier Wochen, das hinter unserm Garten sich ausdehnte und von vielen Bienen und Käfern umschwärmt war? Die gelbe volle Rose hier, hat sie sich vor ihre» roten Schwestern zu schämen? Und dann denkt einmal an die glänzende Sonne und an den schönen Mond. Was kann es Schöneres geben? Gelb ist meine liebste Farbe." Nun fingen die Knaben an sich zu streiten, wohl eine halbe Stunde lang; jeder verteidigte seine Lieblingsfarbe. Maria, die älteste Schwester, hörte still zu. Als der Streit etwas lebhaft wurde, sprach sie: „Kommt, ich will euch etwas zeigen." Sie führte die Knaben auf den freien Platz vor dem Gartcnhause und zeigte ihnen einen Regenbogen, der eine leuchtende Brücke von der Erde zum Himmel zu bilden schien. „Ha, wie prächtig!" riefen die Knaben aus. „Und alle Farben sind darin," sprach Maria, „und wenn sie so zusammenßehen, dann strahlen sie erst recht schön und zau­ berisch in das Auge! Möchtet ihr eine davon aus diesem herr­ lichen Bogen hinwegwünschen?" — „Nein!" riefen die Kna­ ben, betrachteten noch lange den Friedensbogen, den der Herr über die Erde wölbet, und waren heiter und froh zusammen.

55. Die Kinder im Walde. 1. Es blieben einst drei Kinder stehn, Die grad zur Schule sollten gehn; Die dachten dies und dachten das, Das Lernen sei ein schlechter Spaß,

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Die Natur

2. Und sprachen dann mit leichtem Sinn: Ei, laßt uns doch zum Walde hin! Das Spielen ist der Tierlein Brauch; Laßt spielen uns mit ihnen auch!

3. Sie luden dann im Walde ein Zum Spiel die Tiere groß und klein; Doch sprachen die: Es ist uns leid. Wir haben jetzo leine Zeit. 4. Der Käfer brummte: Das wär schön. Wollt ich mit euch so müßig gehn! Ich muß aus Gras ein Brücklein baun; Dem alten ist nicht mehr zu traun.

5. Am Ameishaufen schlichen sie Ganz leis vorbei, ich weiß nicht, wie, Und liefen vor dem Bienlein schier, Als wär es gar ein giftig Tier. 6. Das Mäuslein sprach zu ihnen fein: Ich sammle für den Winter ein. Und ich, das weiße Täubchen sprach, Zum Neste dürre Reiser trag. 7. Das Häschen winkte freundlich bloß: Ich könnte um die Welt nicht los; Ihr seht, mein Schnäuzchen ist nicht rein, Das muß im Fluß gewaschen sein.

8. Das zarte Erdbecrblütchen sprach: Ich nütze diesen schönen Tag, Zu reifen meine süße Frucht, Die dann der arme Bettler sucht.

9. Drauf dachten sie in ihrem Sinn: Du, Bächlein, plätscherst doch so hin, Komm, spiel mit uns, sei mit uns froh! Das Bächlein sprach erstaunt: Wie so? 10. Ei, seht die faulen Kinder, seht! Ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht;

Nummer SS.

Sie meinen, ich hätt nichts zu tun, Und kann doch Tag und Nacht nicht ruhn.

11. Menschen, Tiere, Gärten, Wälder, Wiesen, Tal und Berg und Felder — Alle muß das Bächlein tränken Und die Töpfe auch noch schwenken, 12. Kinder wiegen, Mühlen treiben, Bretter schneiden, Erz zerreiben, Wolle spinnen, Schiffe tragen, Feuer löschen, Hämmer schlagen. 13. Ich kann euch alles sagen nicht, Weil mir dazu die Zeit gebricht. So sprach's und sprang von Ort zu Ort, Und husch! war gleich das Bächlein fort. 14. Da war ihr Mut dem Sinken nah. Als einer einen Finken sah, Der aus dem Aste saß in Ruh Und pfiff sein Lied und fraß dazu.

15. Sie riesen: Ach, Herr Biedermann, Der all die schönen Lieder kann. Du hast gewiß recht viele Zeit Und bist mit uns zum Spiel bereit. 16. Potz tausend! hab ich schlecht gehört? Ihr Kinder scheint mir recht betört: Ich hab gejagt den langen Tag Den Mücken, sie zu sangen, nach. 17. Nun wollen noch die Jungen mein Zum Schlafe eingesungen sein; Drum pfeif ich mit dem Brüderchor Den Kleinen meine Lieder vor. 18. Ich sing dem Wald zur hohen Lust, Ein müder Mann, aus froher Brust, Dem Herren gibt mein Mund den Preis Und lobt die Arbeit und den Schweiß.

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Die Natur. 19. Doch sprecht, was habt denn ihr gemacht. Die also schlecht von mir gedacht? Kehrt um, ihr Müßiggänger ihr, Und stört die Leut nicht länger hier!

20. Von allen Tierlein so belehrt. Sind drauf die Kinder froh gekehrt Und wußten, daß dem Fleiß allein Des Spieles Lust ein Preis kann sein.

56. Frühling Frühling, Frühling überall, Blüten allenthalben; Horch, wie rauscht der Bach im Tal, Sieh, schon Störch und Schwalben! Lämmer springen aus deu Weiden, Kinder singen voller Freuden, Kuckuck ruft und Nachtigall: Frühling, Frühling überall!

57. Was gehn den Spitz die Gänse au? Es war einmal ein kleiner Spitz, Der glaubt', er wär zu allein nütz, Und kam etwas ihm in die Quer, Da knurrt und brummt und bellt er sehr.

Nun wackelt einst von ungefähr Frau Gans mit ihrem Mann daher. Und vor den lieben Eltern wandern Die Kinderchen eins nach dem andern. Und wie sie um die Ecke biegen, 10 Da schreien alle vor Vergnügen: „Seht doch die Pfütze da! kommt hin! Wie herrlich muß sich's schwimmen drin!" 5

Nummer 66 bis 58.

Das sieht Herr Spitz und bellt sie an: „Weg da! weg da! nun seht doch an! 15 Wie könnt ihr euch nur unterstehn. Ins Wasser so hineinzugehn? Wenn ich nicht wär dazugelaufen, Ihr müßtet jämmerlich ersaufen!" Das macht der alten Gans nicht bange, 20 Sie zischt ihn an wie eine Schlange. Da zieht mein Spitz sein Schwänzchen ein Und läßt die Gänse Gänse sein, Doch knurrt er noch im vollen Lauf: „Nu, wer versaufen will, versauf!" 25 Die Gänschen aber trotz dem Spitze, Sie schwelgen recht in ihrer Pfütze, Und immer noch aus weiter Fern Hört bellen man den weisen Herrn. Bell er, soviel er bellen kann, 30 Was gehn den Spitz die Gänse an?

58. Miez ist krank. Miez ist krank, Miez ist krank. Sitzt verdrießlich auf der Bank, Mag kein einzig Mäuslein haschen. Mag von süßer Milch nicht naschen, 5 Mag mit Muhmen und mit Vettern Nicht mehr auf den Dächern klettern. Mag nicht nach den Vöglein springen, Die im Garten lustig singen: Macht ein jämmerlich Gesicht, 10 Selbst das Würstlein lockt sie nicht! Ach! Miez ist krank, Miez ist krank,

Sitzt verdrießlich auf der Bank. Miez ist krank! Miez ist krank! Sitzt verdrießlich auf der Bank. 15 Ach, sie quält der Katzenjammer, Naschte in der Speisekammer,

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Die Natur. Wollte von den leckern Sachen Einen guten Tag sich machen — Hat den Magen sich verdorben, 20 Wär vor Schmerzen fast gestorben,

Sitzt verdrießlich auf der Bank, Miez ist krank, ja Miez ist krank: Ach l Mez ist krank, Miez ist krank.

Sitzt verdrießlich auf der Bank.

59. Born Mäuslein. Die Köchin spricht zum Koch:

„Fang mir das Mäuslein doch! Es ist nichts sicher in Küch und Keller, Nicht in der Schüssel, nicht auf dem Teller.

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Wo's was riecht, da ist es gleich, Wo's was kriegt, da frißt es gleich; Wo ein Braten dampft. Kommt das Mäuslein und mampft.

Unter der Bank in den Küchenschrank Hat es gebissen ein Loch. Koch, fang mir das Mäuslein doch Und jag es wieder aus dem Haus In das freie Feld hinaus!" Da macht der Koch ein Gesicht und spricht: 15 „Mäuslein, Mäuslein, bleib in deinem Häuslein! Nimm dich in acht heut Nacht;

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Mach auch kein Geräusch

Und stiehl nicht mehr das Fleisch; Sonst wirst du gefangen und aufgehangen!" 20 Der Koch aber deckt zu alle Schüsseln und stellt auf die Falle Hinten im Eck und tut hinein den Speck, Sperrt die Küche zu, 25

Geht und legt sich zur Ruh. Das Mäuslein aber ist ruhig

Und wispert leis: „Das tu ich!"

Nummer 59.

Aber es hat nicht lang gedauert, So kommt schon das Mäuslein und lauert Und sagt: „Wie riecht der Speck so gut, 30 Wer weiß, ob's was tut? Nur ein wenig möcht ich beißen, Nur ein wenig möcht ich speisen. Einmal ist keinmal!" So spricht fein Mäuslein und schleicht, 35 Bis es die Falle erreicht. Duckt sich und bückt sich, Schmiegt sich und biegt sich; Ringelt das Schwänzlein lute ein Kränzlein; Setzt sich ins Eck 40 Und ergetzt sich am Speck, Reißt, beißt und speist. Patsch, tut's einen Knall, Und — zu ist die Fall! Das Mäuslein zittert vor Schrecken 45 Und möcht sich verstecken; Aber, wo es will hinaus, Ist zugesperrt das Haus. Es pfeift und zappelt, Es kneift und krabbelt: SO Überall ist ein Gitter, und das ist bitter. Überall ist ein Draht, und das ist schad. Leider, leider kann's Mäuslein nimmer weiter; Wär's nur gewesen gescheiter! Unterdessen wird es Morgen, S5Da kommt die Köchin und will besorgen Den Kaffee und den Tee. Da sieht sie denn, was vorgegangen, Und wie das Mäuslein ist gefangen. Ganz sacht schleicht sie hin und lacht: 60 „Haben wir endlich doch erhascht Das Mäuslein, das immer von allem genascht! Siehst du: einmal ist nicht keinmal. Hesse'., Lesebuch 2.

13. Ausl.

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Die Natur.

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Wärst du geblieben in deinem Loch, Gefangen hätte dich nicht der Koch!"

60. Das Lied der Bögel. 1. Wir Wir Daß

Wir Vögel haben's wahrlich gut. fliegen, Hüpfen, singen. singen frisch und wohlgemut, Wald und Feld erklingen.

2. Wir sind gesund und sorgenfrei Und finden, was uns schmecket; Wohin wir fliegen, wo's auch sei, Ist unser Tisch gedecket. 3. Ist unser Tagewerk vollbracht, Dann ziehn wir in die Bäume; Wir ruhen still und sanft die Nacht Und haben süße Träume.

4. Und weckt uns früh der Sonnenschein, Dann schwingen wir's Gefieder, Wir fliegen in die Welt hinein Und singen unsre Lieder.

61. Das Häuschen im Walde. 1. Am Waldessäume stehet Ein Häuschen klein und rein. Gebaut von weichem Moose, Kaun gar nicht schöner sein.

2. Es steht im dichten Busche, Von Blättern überdeckt. Kein Regen kann ihm schaden. Wird nie von Schmutz befleckt. 3. Ich Ich Das

Kein andrer wird es finden. weiß es ganz allein. hört ein Liedlein singen, klang wie von Schalmein.

Nummer 60 bis 62.

4. Dem Liedlein ging ich folgen Und fand das kleine Haus, Da flog mit schnellem Flügel Ein Vögelein heraus.

5. Das Häuschen ist ein Nestchen, Gehört dem Böglein zu: Da singt es seine Lieder, Da schläft's in guter Nuh.

6. Bald hat es seine Kleinen, Die spielen dann mit mii, Dann lernen wir das Fliegen, Und keinem sagen's wir.

62. Hahn. 1. Der Hahn in seiner Tennen Tut herzhaft einen Schrei, Da tomitten alle Hennen Geschwind, geschwind herbei.

2. Dann nennt er sie bei ihren Rufnamen allzumal Und führet sie spazieren Hinunter in das Tal. 3. Führt sie zu einem frischen Schlücklein am Wiesenborn, Gibt ihnen aufzutischen Gar manches Gerstenkorn. 4. Ein Käfer kommt gewackelt, Schön dunkelgrün und rot. Da wird nicht lang gefackelt, Herr Hahn der schießt ihn tot.

5. Den Und Und

Und schlachtet mit dem Schnabel Käfer wie ein Kalb teilt ihn ohne Gabel Messer halb und halb.

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Die Natur.

6. Dann ruft er alle Hennen Mit tuck-tuck-tuck zuhauf. Die wackeln und die rennen Daher im schnellsten Lauf.

7. Sie lind Zhn

Und nach dem Braten recken den gestreckten Hals schlucken ihn und schmecken ohne Salz und Schmalz.

8. Und wenn das Schnabelieren Hierauf ein Ende hat. Dann führt er sie mit ihren Küchlein zur Ruhestatt.

9. Er aber vor dem Stalle Singt noch sein Kikriki Und rastet nicht, bis alle Auch eingeschlafen sie. 10. Dann legt er auf die Seiten Den zunderroten Kamm, Datz morgen er beizeiten Den Bauern wecken kann.

63. Zaunkönig. Die Vögel wollten nicht länger ohne Herrn sein und beschlossen, sich einen König zu wählen. Nur der Kiebitz war dagegen: frei hatte er gelebt, und frei wollte er sterben. Als es nun zur Wahl kommen sollte, flog er ängstlich hin und her und rief: „Wo bliw ick? wo bliw ick?" Da zog er sich in eine einsame Sumpfgegend zurück und zeigte sich nicht mehr unter den andern Vögeln. Die aber hatten sich unterdes versammelt. Das Huhn, das von der ganzen Sache nichts vernommen hatte, verwunderte sich über die Menge. „Wat wat wat it denn dar to don?" gackerte es; aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte: „Suter rik Lüd!" und erzählte ihr, was sie vorhätteu.

Nummer 63 und 64.

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Da ward beschlossen daß der König sein sollte, der ani höchsten fliegen könnte. Nun flogen die Vögel auf um die Wette, am höchsten aber flog der Adler. Er hätte noch viel höher fliegen können, aber er hielt es für unnötig, denn alle andern Vögel riefen, er sollte König sein. Nur ein kleines Vögelchen, das sich in die Brustfedern des Adlers so lange ver­ krochen hatte, flog nun mit seinen frischen Kräften noch höher und tief, als es wieder herunterkam: „Mnig bün ick! Künig bün ick!" Den Streit zu schlichten, wurde die andere Bedingung gestellt, der sollte König sein,' der am tiefsten in die Erde fallen würde. Hierbei kam die Ente am schlimmsten weg; sie sprang in einen Graben, ver­ renkte sich aber die Beine und watschelte fort zu dem nahen Teiche mit dem Ausruf: „Pracherwerk! Pracher­ werk!" Der Kleine ohne Namen aber suchte ein Mäuse­ loch, schlüpfte hinab und rief mit seiner feinen Stimme heraus: „Künig bün ick! Künig bün ick!" Da zürnten ihm die Vögel sehr und nahmen ihn gefangen. Er ent­ kam zwar, durfte sich aber nun vor den übrigen nicht mehr sehen lassen. Daher schlüpft er in den Zäunen herum, und wenn er sich ganz sicher dünkt, ruft er wohl zuweilen: „Künig bün ick! Mnig bün ick!" und deshalb nennen ihn die andern Vögel zum Spott Zaunkönig.

64. Gänse. 1. „Nun sagt einmal, ihr Gänschen, mir, Ich seh euch lange zu, Was habt ihr saubre Kleiderchen Und schöne rote Schuh! Ihr wollt gewiß zum Tanze gehn; Nicht wahr, ihr tanzet wunderschön?"

2. Das schmeichelte den Gänschen sehr, Sie taten gleich manierlich

Die Natur.

Und fingen drauf zu tanzen an 's war aber gar nicht zierlich. Sie wackelten wohl aus und ab Und traten fast den Fuß sich ab. 3. „Nun aber sagt, ihr Gänschen, mir. Ich seh euch lange an, Was ihr für weiße Hälse habt Und rote Schnäbel dran! Damit singt ihr wohl allzumal Viel schöner als die Nachtigall?" 4. Da räusperten die Gänschen sich Und machten schnell sich niedlich Und fingen draus zu singen an, 's Kang aber nicht gemütlich. Sie schnatterten, cs war ein Graus, Und schrien sich fast die Kehlen aus.

5. Wohl manches Kind hat hübsche Schuh Und Kleider schön und bunt, Wohl manches einen weißen Hals Und einen roten Mund, Doch ist noch sehr die Frage dann, Ob's tanzen auch und singen kann!

65. Der Nimmersatt. 1. In unserm Flieder raschelt was. Ein Keiner Spatz. „Hier sitz ich ohne Futter, Wo bleibt nur meine Mutter? Ich hab ein schön gelb Schnäbelein, Es tut mir keiner was hinein, Mir armem Matz.

2. Ade, du schöner Sonnenschein, Du grüner Platz; Hier muß ich nun verderben. Sie läßt mich Hungers sterben,

Nummer 66 bis 67.

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Sie fliegt in aller 2Bdt umher Und findet mich gewiß nicht mehr. Mich armen Matz."

3. Da schwirrt's nnd bringt ein Räuplein zart. „Hört eins den Fratz! Ich stopfe, nnd ich stopfe. Er schilt mit vollem Kropfe! Ich wußt nicht, wer es besser hat; Du bist ein lieber Nimmersatt, Mein kleiner Matz!"

66. Im grasgrünen Wald. 1. Und Sie Die Die

Ich geh durch einen grasgrünen Wald höre die Bögelein singen, singen so jung, sie singen so alt, Heinen Bögelein in dem Wald, hör ich so gerne wohl singen.

2. O sing nur, singe, Frau Nachtigall, Wer möchte dich Sängerin stören? Wie wonniglich klingt's im Widerhall! Es lauschen die Blumen, die Bögelein all, Sie wollen die Nachtigall hören. 3. Nun muß ich wandern, bergauf, bergab. Die Nachtigall singt in der Ferne. Es wird mir so wohl, so leicht am Stab, Und wie ich wandre, bergauf, bergab. Die Nachtigall singt in der Ferne.

67. Die Schwalben. 1. Es fliegen zwei Schwalben ins Nachbar sein Haus, Sie fliegen bald hoch und bald nieder; Aufs Jahr da kommen sie wieder Und suchen ihr voriges Haus.

2. Sie gehen jetzt fort ins neue Land Und ziehen jetzt eilig hinüber; Doch kommen sie wieder herüber. Das ist einem jeden bekannt.

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Die Natur.

3. Und kommen sie wieder zu uns zurück, Ter Bauer geht ihnen entgegen; Sie bringen ihm vielmal den Segen, Sie bringen ihm Wohlstand und Glück.

68. Der Bögelein Abschied. 1. Wer klappert am Dache, mein Kindlein? horch, horch! Ade, lieber Bauer! so rufet der Storch. Nun, ade denn, du Dorf und ihr fleißigen Leut, Ihr Wiesen, ihr Sümpfe, wir scheiden ja heut. Gott segne das Hüttchen, auf dem wir gewohnt, Er laß es von Feuer und Stürmen verschont! Wenn lauer im Frühling die Lüfte dann wehn. Dann gibt es ein freudiges Wiedersehn. Ade! ade!

2. Vom Bache noch einmal trinkt Nachtigall schnell; Ade, liebe Fluren! so singet sie hell, Ihr habt mich erquicket mit Speise und Trank, Ich hab's euch gedanket mit schmetterndem Sang; Nun seid ihr ermüdet, wollt schlafen auch gehn; O, möget im Lenze ihr wonnig erstehn! Wir Vöglein, wir können so lange nicht warten. Gott schirme indessen den schlummernden Garten! Ade! ade! 3. Zum Fenster noch einmal blickt Schwälbchen hinein; Ade, liebe Kinder, geschieden muß sein! Ich hatte mein Nest an dem Fenster gebaut, Ihr habet mit Freuden die Kleinen geschaut Und gern auf mein Zwitschern des Morgens gehört Und habet mir niemals den Frieden gestört; Drum möge auch euch in Freud und Gefahren Der Himmel die liebenden Eltern bewahren! Ade! ade!

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69. Born Spinnlein und Mückle in. 1. Die Spinne hat gesponnen Den Silberfaden zart und fein, Du Mücklein in der Sonnen, Nimm wohl in acht die Flügelein! 2. Die Spinne hat gewebet Ihr seidnes Netz mit kluger Hand. Wer weiß, wie lang noch lebet Fein Mücklein, das die Flügel spannt? 3. Fein Mücklein, horcht, wie denkt es? Durchs Netz zu fliegen ist ein Spiel! Frau Spinne aber fängt es Und speist es auf mit Stumpf und Stiel.

70. Hm Bienenstock. In einem Bienenkörbe wohnen viele Tausende von Bienen, von denen jede weiß, was ihr Geschäft ist, und die alle in größter Eintracht zusammen leben und arbeiten. Als die mächtigste und größte der Bienen erscheint uns die Königin, um die sich das ganze Bienenvolk in treuer Ergebenheit schart. Sie wird in der größten Zelle aufgezogen und erhält dort den besten und meisten Honig. Sie fliegt nicht aus, um Honig zu sammeln; ihr einziges Geschäft ist, die Eier zu legen, damit immer wieder neue Bienen entstehen. Die Biene findet ihren Stock, und wenn noch so viele zusammen stehen. Das Türlein am Bienenhäuschen ist klein und niedlich, ein Brettchen steht heraus, gerade wie an einem Taubenschlag. Da schlüpft die Arbeiterin hinein und geht be­ dächtig an die Zellenreihe, wo der Honig aufbewahrt wird, um dort hinzutragen, was sie gesammelt hat. Die kleinen Zellen sind von Wachs, und ihr habt gewiß schon solche gesehen. Im Bienenhause wird keine Biene geduldet, die in ihrer Wohnung etwa alles durcheinander wirst. Da gibt es Speise­ kammern, zur Aufbewahrung des Honigs bestimmt, dort sind Kinderstuben, da Zellen, worein die Königin ihre Eier legt. Sobald ein Ei in eine Zelle gelegt ist, eilen die Bienen hinzu

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Die Natur.

und legen ein Häufchen Bienenbrot hinein, damit das junge Tierlein, wenn es aus dem Ei schlüpft, sogleich etwas zu essen vorfindet. Sie bereiten ihr Brot aus Blumenmehl unb Honig, indem sie den Blumenstaub von den Staubbeuteln der Blüten abstreifen, ihn wie Teig vermengen und an den Hinterfüßen, wo sie ein kleines offenes Säckchen wie ein Körbchen mit sich führen, aufbewahren. Aus dem Ei kommt wirklich bald, nicht ein junges Bienchen, foitberii ein kleines weißes Würmchen zum Vorschein. Das liegt wie ein Wickelkindchen in seiner Zelle, neun Tage lang, und frißt von dem Häufchen Bienenbrot, solange als noch ein Stäubchen davon vorhanden ist. Ist das Bienenbrot verbraucht, dann ist auch das Würmchen satt und ausgewachsen. Es legt sich nun hin, um zu schlafen und sich in ein Bienchen umzuwandeln. Die großen Bienen schließen das Kämmerchen mit einem Türchen ans Wachs zu, damit das Kleine ungestört schlafen kann. Es schläft so fest, daß es sich nicht regt und bewegt; erst nach 24 Tagen wird es wach, streift die Haut wie ein Nachtkleidchen ab und kriecht aus seinem Wickelbettchen heraus. Da ist es kein nacktes weißes Würmlein mehr, sondern hat zarte, durchsichtige Flügelchen und ist ein schönes schwarz-braunes Bienchen wie die andern auch. Die Freundinnen kommen nun zu ihm und machen ihm die Flügelchen glatt, die noch ein wenig zerdrückt sind. Fort­ fliegen darf es zwar noch nicht, dazu ist das Bienchen noch zu jung und schwach. Aber arbeiten muß es doch. Zuerst ist sein Geschäft, das Kämmerlein, wo es als Würmlein gelegen, wieder ganz rein zu fegen, die Haut, Welche es wie ein altes Kleid abgelegt hat, wegzuschaffen und die Zelle wie neu herzurichten, damit die Königin von neuem ein Eilein hineinlegen kann. Auch muß es helfen, Speise für die Königin bereiten und sie ihr bringen. Nach 24 Tagen sagt eine alte Biene in der Biencnsprache zum jungen Bienchen: „Du bist jetzt eine große Biene und kein. Wickelkindchen mehr, du mußt fleißig sein wie wir; jetzt -darfst du auch zu den Blumen in die Wiese stiegen und

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Honig machen. Wenn du nicht weißt, wie du dich dazu anstellen sollst, dann sieh nur den andern zu!" Da kriecht das Bienchen, das jetzt eine große Biene geworden ist, zum kleinen Türlein hinaus und setzt sich auf das Brettchen. Wie wohlig mag es ihr da zu Mute sein, zum erstenmal den weiten blauen Himmel zu sehen, die Wiesen mit den bunten, süßen Blumen und sich im goldenen Sonnenstrahl zu wärmen! Etwas ängstlich mag ihr allerdings zu Mute sein, und die Welt mag ihr gewaltig groß scheinen. Wenn ich nun fortfliege, denkt sie, wer zeigt mir den Weg wieder heim? Vorsichtig fliegt sie nur ein kleines Stückchen in die Höhe, schaut aufmerksam alles an, damit sie ihre Wohnung und jedes Plätzchen in der Umgebung genau kennen lernt, dann kehrt sie auf demselben Weg nach dem Bienenhaus zurück und läßt sich wieder aufs Brettchen nieder, um zu ruhen. Hieraus fliegt sie wieder, aber doch ein wenig höhe: als das erstemal und so immerfort, vielleicht sechs- oder acht­ mal. Dann kennt sie ihren Weg ganz genau und fliegt getrost fort in Wiese und Wald. Was wird das für eine Freude sein, wenn sie ihren ersten Honig heim bringt, und wie gut wird der schmecken! Gerade, wie wenn ein Kind zum erstenmal in der Schule war und wieder nach Haus kommt und etwas Schönes gelernt hat.

71. Heuschreckenleben. 1. Scheint der Bon des Berges Müssen wir noch Und dann unser

Mond so schön Höhn, eins im Taue springen Abendliedchen singen.

2. Hat erquickt der Tau Uns in stiller Au, Zirpen wir und tanzen unsern Reigen Froh zu Bett, zu Bett, zu Bett und schweigen.

3. Bald ist hin die Nacht, Und der Tag erwacht. Wecket uns die Morgensonue wieder, Hüpfen wir und zirpen neue Lieder.

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Die Natur.

72. Unser Garten. I. Wir haben einen Garten hinter unserm Haus. Dort sind wir gerne. Wenn es nicht regnet, dann müssen wir unsern Garten begießen. Dazu nehmen wir Gießkannen. Die Gießkannen sind von Blech. Manche Gießkannen sind grün angestrichen. Auf die Röhre, wo das Wasser heraus­ fließt, setzt man eine Brause. Die Brause ist auch von Blech. Die Brause sieht beinah aus wie ein Pilz. Oben sind lauter kleine Löcher darin. Wenn man das Wasser aus der Gießkanne ohne Brause ausgießt, dann fließt es heraus wie aus der Kaffeekanne. Wenn man die Brause auf die Gießkanne setzt, dann fließt das Wasser heraus wie ein kleiner Regen. Das sind lauter kleine Wasser­ strahlen, immer einer neben dem andern. So begießen wir alle Beete. Die Kleinen helfen schon tüchtig mit. Die Kleinen haben auch schon ihre eigenen Beete. Jedes Kind hat sich Blumen gepflanzt, Stiefmütterchen und Nelken und Levkojen und Astern. Beinah jeden Tag pflücken die Kinder von ihren eigenen Blumen und legen sie mittags dem Vater auf seinen Platz. Dann fragt der Vater, von wem die Blumen sind. Und dann sagen die Kinder es ihm. Und dann sagt der Vater: „Schön, Kinder, nun stellt sie aber auch gleich ins Wasser, damit sie nicht verwelken." Und dann suchen die Kinder sich ein Glas. Da füllen sie Wasser hinein. Und dann stecken sie die Blumen hinein, mit dem Stiel ins Wasser, so daß die Blume oben heraus­ gucken kann. Dann verwelken die Blumen mehrere Tage lang nicht. Denn eine Blume will immer was zu trinken haben. Wenn sie kein Wasser hat, dann verwelkt sie. Wenn die Kinder zur Tante gehn, dann nehmen sie ihr auch Blumen mit. Dann freut sich die Tante über die schönen Blumen. Und dann freuen sich die Kinder, daß sich die Tante freut. Da kann man doch sagen: Die Blumen machen viele Freude.

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II. Aber die Kinder haben sich nicht bloß Blumen ge­ pflanzt, Irmgard hat ein paar Maiskörner gesteckt, die sind sehr hoch gewachsen, die sind viel größer gewachsen, als die ganze Irmgard selber ist. Und die haben sehr große, breite Blätter; manchmal nimmt die Irmgard solch ein Blatt zu den Blumen, das gibt dann einen ganz hübschen Strauß. Irmgard und Lieschen haben sich auch jede einen Kürbis gepflanzt. Die Kürbispslanzen Griechen weit über die Beete und haben ganz große Blätter. Aber noch größer sind die Kürbisse selber; Lieschens Kürbis ist schon schwerer als die ganze Liese selber. Und er wird noch immer größer. Lieschens Kürbis liegt grade unter Vaters Fenstern. Ter liegt ganz versteckt unter Blättern und Sträuchern. Als Mutter ihn zuerst sah, da dachte sie, die Kinder hätten ihn noch gar nicht gesehen. Aber die Kinder hatten ihn schon gesehen, als er noch ganz klein war. Und sie hatten sich gefreut, daß er immer größer wurde.

III. Franz und Richard hatten auch Erdbeeren auf ihren Beeten. Dann haben sie auch manchmal der Mutter und dem Vater Erdbeeren gebracht. Richard hatte auch Bohnen, und die haben wir auch mit zu Mittag gegessen. Sonst ivächst noch sehr viel im Garten, Spinat, Sellerie, Weißkraut, Rotkraut, Mohrrüben, Wirsing. Salat haben wir auch sehrviel gehabt, wir konnten gar nicht allen Salat aufessen. Und Gurken hatten wir auch sehr viel, manchmal konnten wir neunzehn an einem Tage abpslücken. Da hat denn die Lene Gurkensalat gemacht. Der Gurkensalat schmeckt allen sehr gut. Auch Kohlrabi wachsen int Garten, aber die essen nicht alle Kinder so gern. Kartoffeln habeir wir dieses Jahr gar nicht im Garten. Die hatten wir voriges Jahr, aber die haben nicht gut geschmeckt. Und dann habeit wir auch Obstbäume im Garten. Aber die sind noch Nein und tragen noch nicht viel.

Die Natur.

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73. Bon meinem Blümchen. 1. Ward ein Blümchen mir geschenket, tzab's gepflanzt und hab's getränket. Vögel, kommt und gebet acht! Gelt, ich hab es recht gemacht? 2. Sonne, laß Wolke, komm, es Richt empor dein Liebes Blümchen,

mein Blümchen sprießen! zu begießen! Angesicht, fürcht dich nicht!

3. lind ich kann cs kaum erwarten. Täglich geh ich in den Garten, Täglich frag ich: Blümchen, sprich, Blümchen, bist du bös auf mich? 4. Sonne ließ mein Blümchen sprieße», Wolke kam, es zu begießen; Jedes hat sich brav gemüht. Und mein liebes Blümchen blüht.

5. Wie's vor lauter Freuden weinet! Freut sich, daß die Sonne scheinet. Schmetterlinge, fliegt herbei. Sagt ihm doch, wie schön es sei!

74. Schneeglöckchen. 1. „Schneeglöckchen, ei, du bist schon da? Ist denn der Frühling schon so nah? Wer lockte dich hervor ans Licht? Trau doch dem Sonnenscheine nicht! Wohl gut er's eben heute meint, Wer weiß, ob er dir morgen scheint?"

2. „Ich warte nicht, bis alles grün; Wenn meine Zeit ist, muß ich blühn. Der mich erschuf für diese Welt, Deißt blühn mich, wann es ihm gefällt; Er denkt bei Schnee und Kälte mein, Wird stets mein lieber Vater sein!"

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75. Der Enzian. Bor vielen Jahren, so geht eine Sage in den Alpen, gingen cinnial nach einem langen Winter drei Kinder auf die Höhe der Gebirge, um die reiche Blumenpracht und die reine Himmelsbläue zu schauen. Als sie aber droben waren und auf das Dörflein tief unten blicken wollten, hüllte ein dichtes Gewölk sie ein. Ein heftiger Regenguß strömte vom Himmel und verbarg ihnen die geschmückte Erde. Die Kinder eilten schnell von den Höhen hinab und suchten unter den dichten Kronen der Bilchen Schutz, klagend, daß ihre Freude so unerwartet vereitelt ward. Plötzlich tritt ein schöner, blondlockiger Knabe heran, und spricht tröstend: „Ihr lieben Kinder, kommt am Sonn­ tag wieder herauf und singt alsdann da oben fromme Lieder. Dann sollt ihr den blauen Himmel schön und Herrlich­ nicht nur zu euren Häuptern, sondern auch zu euren Füßen sehen." Nach diesen Worten verschwand er. Arn nächsten Sonntag pilgerten die drei Kinder wieder den Berg hinan. Aber sie trauten kaum ihren Augen, als sich ihnen unerwartet ein wunderherrlicher Anblick bot. Ringsuinher auf den grünen und bunten Matten standen viel tausend und abertausend blaue Blumen, so schön undblau, als ob sie Stückchen vom Frühlingshimmel wären. Da war's den Kindern, als sähen sie den Himmel zu Füßen, >vie der Engel gesagt hatte. Seit jener Zeit erscheinen alljährlich auf der Alp undin den bergigen Gegenden die blauen Enziane und zaubern den Himmel auf die Erde. Die Alpenbewohner nennen sie Gottesschühlein, weil sie den Tritten des holden Engels entsproßten.

76. Die Kornähre. Vorzeiten, als Gott noch selbst auf Erden wandelte^ da war die Fruchtbarkeit des Bodens viel größer, als sie jetzt ist; damals trugen die Ähren nicht fünfzig- oder sech^ zigfältig, sondern vier- bis fünfhundertfältig. Da wuchsen die Körner am Halm von unten bis oben hinauf: so lang

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Tic Natur.

er war, so lang war auch die Ähre. Aber wie die Menschen sind, im Überfluß achten sie des Segens nicht mehr, der von Gott kommt, werden gleichgültig und leichtsinnig. Eines Tages ging eine Frau an einem Kornfeld vorbei, und ihr kleines Kind, das neben ihr sprang, fiel in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen. Da riß die Mutter eine Hand voll der schönen Ähren ab und reinigte ihm damit das Kleid. Als der Herr, der eben vorüber kain, das sah, zürnte er und sprach: „Fortan soll der Strohhalm keine Ähre inehr tragen; die Menschen sind der himmlischen Gabe nicht länger wert." Die Umstehenden, die das hörten, erschraken, fielen auf die Knie und flehten, daß er noch etwas möchte an dem Halm stehen lassen; wenn sie selbst es auch nicht verdienten, doch der unschuldigen Hühner wegen, die sonst verhungern müßten. Der Herr, der ihr Elend voraussah, erbarmte sich und gewährte die Bitte. Also blieb noch oben die Ähre übrig, wie sie jetzt wächst.

77. Warum die Eichblätter eingekerbt sind. Der Teufel hatte mit einem Bauern einen Pakt ge­ macht. Danach durfte er dessen Seele holen, sobald die Eiche kein Laub mehr trüge. Er freute sich schon auf den Oktober. Allein es kam der November, der Dezember, und alle Bäume standen nackt, nur die Eiche nicht. Denn ihre Blätter saßen, wenn auch braun und dürr, noch fest auf ihren Stielen. Endlich kam der Frühling, und einzelne Eichenblätter flatterten zu Boden. Da frohlockte der Teufel, allein der Bauer führte ihn dicht zur Eiche und zeigte ihm, daß zwischen den alten Blättern schon die neuen heraus­ gekommen waren. Der Böse tvurde nun furchtbar zornig Über den Betrug, durch den er sein Spiel verloren hatte, und fuhr mit den Krallen ivütend in die Blätter. Bis dahin waren sie glattrandig gewesen, seitdem aber wurden sie eingekerbt.

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Nummer 77 bis 79.

78. Pflaume. Dort oben auf dem Baume — Gebt acht! Da fitzt versteckt die Pflaume Und lacht. Nun stellt ench alle unter Dell Baum und rüttelt munter Und schüttelt sie herunter! Und fällt sie auf den Nasen, So tappt! Füllt sie euch auf die Nasen, So schnappt! Fällt sie euch in die Taschen, Braucht ihr sie nicht zu haschen Und könnt nach Lust sie uascheu.

79. Das Lied vom Birnbaum. 1. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub. Was ist denn an selbigem Baum? Ein wunderschöner Ast. Ast an dem Baum, Baum in der Erd.

2. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub. Was ist denn an selbigein Ast? Ein wunderschöner Zweig. Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum, Baum in der Erd.

3. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, HeN-l, Lesebuch r.

13. «ufl.

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Die Natur. Schöner Birnbaum trägt Laub. Was ist denn auf selbigem Zweig? Ein wunderschönes Nest. Nest auf dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum,

Baum in der Erd. 4. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum,

Schöner Birnbaum trägt Laub. Was ist denn in selbigem Nest?

Ein wunderschönes Ei. Ei in dem Nest, Nest aus dem Zweig, Zweig an dem Ast,

Ast an dem Baum, Baum in der Erd. 5. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub. Was wird denn aus selbigem Ei? Ein wunderschöner Vogel. Vogel aus dem Ei, Ei in dem Nest, Nest aus dem Zweig, Zweig an dem Ast,

Ast an dem Baum, Baum in der Erd. 6. Draußen ans grünester Heid

Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub.

Was ist denn an selbigem Vogel? Eine wunderschöne Feder. Feder an dem Vogel, Vogel aus dem Ei,

Nummer 79.

Ei in bem Nest, Nest auf dem Zweig, Zweig an dem Ast,

Ast an dem Baum, Baum in der Erd. 7. Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub.

Was wird denn aus selbiger Feder? Ein wunderschönes Bett. Bett von der Feder, Feder an dem Vogel, Vogel aus dem Ei, Ei in dem Nest, Nest auf dem Zweig, Zweig an dem Ast,

Ast an dem Baum, Baum in der Erd. 8. Draußen aus grünester Heid

Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub.

Was liegt in selbigem Bett? Ein wunderschönes Kind. Kind in dem Bett, Bett von der Feder, Feder an dem Vogel, Vogel aus dem Ei, Ei in dem Nest, Nest auf dem Zweig, Zweig an dem Ast,

Ast an dem Baum, Baum in der Erd.

Draußen auf grünester Heid Da steht ein schöner Birnbaum, Schöner Birnbaum trägt Laub.

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Die Natur.

80. Wie oft Gott zu danken sei. Wieviel Sand in dem Meer, Wieviel Sterne oben her, Wieviel Tiere in der Welt, Wieviel Heller unterm Geld, 5 In den Adern wieviel Blut, In dem Feuer wieviel Glut, Wieviel Blätter in den Wäldern, Wieviel Gräslein in den Feldern, In den Hecken wieviel Dörner, 10 Auf dem Acker wieviel Körner, Auf den Wiesen wieviel Klee, Wieviel Stäublein in der Höh, In den Flüssen wieviel Fischlein, In dem Meere wieviel Müschlein, 16 Wieviel Tropfen in der See, Wieviel Flocken in dem Schnee; Soviel lebendig weit und breit, So oft und viel sei Gott Dank in Ewigkeit! Amen.

Nummer 80 biS 82.

III. Menschenleben. 81. Gott grübe dich! 1. Gott grüße dich! kein andrer Gruß Gleicht dem an Innigkeit. Gott grüße dich! kein andrer Gruß Paßt so zu aller Zeit.

2. Gott grüße dich! wenn dieser Gruß So recht von Herzen geht, Gilt bei dem lieben Gott der Gruß Soviel wie ein Gebet.

82.

Gebet eines kleinen Knaben an den heiligen Christ.

1. Tu lieber, heilger, frommer Christ, Der für uns Kinder kommen ist, Damit wir sollen weiß und rein Und rechte Kinder Gottes sein;

2. Du Licht, vom lieben Gott gesandt In unser dunkles Erdenland, Du Himmelskind und Himmelschein, Damit wir sollen himmlisch sein; 3. Du lieber, heilger, frommer Christ, Weil heute dein Geburtstag ist, Drum ist auf Erden weit und breit Bei allen Kindern frohe Zeit.

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Menschenleben.

4. O, segne mich! ich bin noch klein, O, mache mir den Busen rein, O, bade mir die Seele hell In deinem reichen Himmelsquell!

5. Daß ich wie Engel Gottes sei, In Demut und in Liebe treu, Daß ich dein bleibe für und für, Du heilger Christ, das schenke mir!

83. Was ich alles habe. 1. Zwei Augen hab ich, klar und hell, Die drehn sich nach allen Seiten schnell, Die sehn alle Blümchen, Baum und Strauch Und den hohen blauen Himmel auch. Die setzte der liebe Gott mir ein, Und was ich kann sehen, ist alles sein.

2. Zwei Ohren sind mir gewachsen an, Damit ich alles hören kann, Wenn meine liebe Mutter spricht: Kind, folge mir und tu das nicht! Wenn der Vater ruft: Komm her geschwind! Ich habe dich lieb, mein gutes Kind.

3. Einen Mund, einen Mund hab ich auch, Davon weiß ich gar guten Gebrauch, Kann nach so vielen Dingen fragen, Kann alle meine Gedanken sagen, Kann lachen und singen, kann beten und loben Den lieben Gott int Himmel droben. 4. Hier eine Hand und da eine Hand, Die rechte und linke sind sie genannt; Fünf Finger an jeder, die greifen und fassen. Jetzt will ich sie nur noch spielen lassen; Doch wenn ich erst groß bin und was lerne, Dann arbeiten sie alle auch gar gerne.

Nummer 83 und 8t.

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5. Füße hab ich, die können stehn, Können zu Vater und Mutter gehn, Und will es mit dem Laufen und Springen Nicht immer so gut, wie ich's möchte, gelingen. Tut nichts; wenn sie nur erst größer sind. Dann geht es noch einmal so geschwind. 6. Ein Herz, ein Herz hab ich in der Brust, So klein und klopft doch so voller Lust Und liebt doch den Vater, die Mutter so sehr. Und wißt ihr, wo ich das Herz hab her? Das hat mir der liebe Gott gegeben, Das Herz und die Liebe und auch das Leben!

84. Heil dir im Siegerkran».

Heil, Kaiser, dir!

2. Nicht Roß und Reisige Sichern die steile Höh, Wo Fürsten stehn; Liebe des Vaterlands, Liebe des freien Manns Gründen den Herrscherthron, Wie Fels im Meer.

3. Heilige Flamme, glüh, Glüh, und verlösche nie Fürs Vaterland! Wir alle stehen dann Mutig für einen Mann, Kämpfen und bluten gern Für Thron und Reich.

4. Handlung nnd Wissenschaft Hebe mit Mut und Kraft Ihr Haupt empor! Krieger- und Heldentat Finde ihr Lorbeerblatt Treu aufgehoben dort An deinem Thron!

1. Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands! Heil, Kaiser, dir! Fühl in des Thrones Glanz Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein!

5. Sei, Kaiser Wilhelm, hier Lang deines Volkes Zier, Des Landes Stolz! Fühl in des Thrones Glanz Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein! Heil, König, dir!

Menschenleben.

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85. Kaiser Wilhelm. 1. Wer ist der greife Siegesheld, Der uns zu Schutz und Wehr Fürs Vaterland zog in das Feld Mit Deutschlands ganzem Heer? Wer ist es, der vom Vaterland Den schönsten Dank empfing, Bor Frankreichs Hauptstadt siegreich stand Und heim als Kaiser ging? Du edles Deutschland, freue dich. Dein König, hoch und ritterlich. Dein Wilhelm, dein Kaiser Wilhelm ist's k

2. Wer hat für dich in blutger Schlacht Besiegt den ärgsten Feind? Wer hat dich groß und stark gemacht. Dich brüderlich geeint? Wer ist, wenn je ein Feind noch droht. Dein bester Hort und Schutz? Wer geht für dich in Kampf und Tod, Der ganzen Welt zu Trutz? Du edles Deutschland, freue dich, Deiu König, hoch und ritterlich. Dein Wilhelm, dein Kaiser Wilhelm ist's!

86.

Heraus aus dem Lager.

1. -Heraus aus dem Lager, Der Hahn hat gekräht! Schon singen die Vögel, Und Morgenluft weht. Seht, wie uns so freundlich Das Morgenrot winkt Und rings in den Buchen Der Sonnenstrahl blinkt!

2. Das Mieder vom Nagel, Den Hut von der Wand! Greift flink nach dem Rechen,

Nummer 85 bis 87. Den Ihr Ihr Und Den

Spaten zur Hand! Mädchen, zum Garten, Burschen, auss Feld, hurtig den Garten, Acker bestellt!

3. Und während wir pflügen, Und während wir sän, Mit Dank auf zum Pater Der Menschen gesehn! Der freundlich zum Fleiße Gibt Glück und Gedeihn, Bald Winde, bald Regen, Bald sonnigen Schein.

87. Der Faule. 1. Heute nach der Schule gehen. Da so schönes Wetter ist? Weilt, wozu denn immer lernen, Was man später doch vergißt?

2. Doch die Zeit wird lang mir werden. Und wie bring ich sie herum? Spitz, komm her! dich will ich lehren, Hund, du bist mir viel zu dumm!

3. Andre Hund' in deinem Alter Können dienen, Schildwach stehn, Können tanzen, apportieren, Auf Befehl ins Wasser gehn. 4. Ja, du denkst, es geht so weiter, Wie du's sonst getrieben hast. Nein, mein Spitz, jetzt heißt es lernen. Hier! komm her! und aufgepaßt!

5. So, nun stell dich in die Ecke! Hoch! den Kopf zu mir gericht! Pfötchen geben! so! noch einmal! Sonst gibt's Schläge! willst du nicht?

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Menschenleben.

6. Was? du knurrst? du willst nicht lernen? Seht mir doch den faulen Wicht! Wer nichts lernt, verdienet Strafe, Kennst du diese Regel nicht? 7. Horch! wer kommt? — es ist der Vater. Streng ruft er dem Knaben zu: „Wer nichts lernt, verdienet Strafe! Sprich, und was verdienest du?"

88. Der Turmhahn. 1. Mama, sag mal, wie ist der Hahn Denn auf den Turm gekommen? „Der Hahn, der hat nicht gut getan, Da hat ihn der Wind genommen Und oben auf den Turm geweht. Sei artig, daß dir's nicht auch so geht!"

2. Mama, sag mal, ist es wahr? Hans sagt, man hört ihn krähen? „Ja, wenn's der Hans sagt; einmal int Jahr, Aber dann muß man sehr früh aufstehcu, Am Ostertag, frühmorgens um vier; Aber dann schläft mein Schlafmützchen hier." 3. Mama, ach bitte, wenn Ostern ist. Dann weck mich recht früh, bitte, bitte! „Damit du den ganzen Tag schläfrig bist? Unrecht wär's, wenn ich's litte. Kleine Kinder schlafen aus, Bist du größer, kräht dich der Hahn schon heraus."

89. Der Verdrießliche. Ich bin verdrießlich! Weil ich verdrießlich bin, Bin ich verdrießlich. Sonne scheint gar zu hell, 5 Vogel schreit gar zu grell, Wein ist zu sauer mir,

Zu bitter ist das Bier, Honig zu süßlich. Weil nichts nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin 10 Bin ich verdrießlich. Dort wird Musik gemacht,

Nummer 88 bis 90.

Dort wird gelangt, gelacht, Dort wirft man gar den Sput, 15Wie mich das ärgern tut! Ist nicht ersprießlich, Ist nicht nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin, Ach! so verdrießlich. 20 Wo ich auch geh und steh. Ich meinen Schatten seh, Immer verfolgt er mich. Ist das nicht ärgerlich? Und wenn der Himmel trüb, 25 Ist es mir auch nicht lieb.

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Winter ist mir zu kalt, Frühling kommt mir zu bald, Sommer ist mir zu warm, Herbst bringt den Mückenschwarm. Mücken auf jeder Hand, 30 Mücken an jeder Wand, O, wie mich das verstimmt! O, wie mich das ergrimmt! Bin ganz verdrießlich. Weil nichts nach meinem Sinn, 35 Weil ich verdrießlich bin, Ach, wie verdrießlich!

90. Versuchung. 1. Gar emsig bei den Büchern Ein Knabe sitzt im Kämmerlein, Da lacht herein durchs Fenster Der lustge, blanke Sonnenschein Und spricht: Lieb Kind, du sitzest hier? Komm doch heraus und spiel bei mir! Den Knaben stört es nicht, Zum Sonnenschein er spricht: „Erst laß mich fertig sein!" 2. Der Knabe schreibet weiter, Da kommt ein lustig Vögelein, Das picket an den Scheiben Und schaut so schlau zu ihm herein. Es ruft: Komm mit! der Wald ist grün, Der Himmel ist blau, die Blumen blühn! Den Knaben stört es nicht, Zum Vogel kurz er spricht: „Erst laß mich fertig sein!"

3. Der Knabe schreibt und schreibet, Da guckt der Apfelbaum herein

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Menschenleben.

Und rauscht mit seinen Blättern Und spricht: Wer wird so fleißig sein? Schau meine Apfel! diese Nacht Hab ich für dich sie reif gemacht! Den Knaben stört es nicht, Zum Apfelbaum er spricht: „Erst laß mich fertig sein!"

4. Da endlich ist er fertig, Schnell packt er seine Bücher eilt Und läuft hinaus zum Garten. Juchhe, wie lacht der Sonnenschein! Tas Bäumchen wirft ihm Äpfel jn. Der Vogel singt und nickt ihm zu. Der Knabe springt vor Lust Und jauchzt aus voller Brust: Jetzt ton» er lustig feilt.

91. Dienerschaft. Ich habe gute Dienerschaft, Die Knechte heißen: Selbstgeschaffl Und Späkzubett und Ausbeizcit, Die Mägde Ordnung, Reinlichkeit: Durst, Hunger heißen Schenk und Koch. Hab auch zwei Edelknaben noch, Genannt Gebet und gut Gewissen, Tie, bis ich schlaf, mich wiegen müssen.

92. Die traurige Geschichte vom dummen Hänschen. 1. Hänschen will ein Tischler werden, Ist zu schwer der Hobel, Schornsteinfeger ivill er werden, Doch das ist nicht nobel, Hänschen will ein Bergmann werden, Mag sich doch nicht bücken.

Nummer 91 und 92. Hänschen will ein Müller werden, Doch die Säcke drücken, Hänschen will ein Weber werden, Doch das Garn zerreißt er; Jnlmer, wenn er kaum begonnen. Jagt ihn fort der Meister. Hänschen, Hänschen, denke dran, Was aus dir uoch werden kann!

2. Hänschen will ein Schlosser werden, Sind zu heiß die Kohlen, Hänschen will ein Schuster werden, Sind zu hart die Sohlen, Hänschen will ein Schneider werden, Doch die Nadeln stechen, Hänschen will ein Glaser werden, Doch die Scheiben brechen, Hänschen will Buchbinder werden. Riecht zu sehr der Kleister; Immer, lvenn er kaum begonnen, Jagt ihn fort der Meister. Hänschen, Hänschen, denke dran, Was aus dir noch werden kann! 3. Hänschen hat noch viel begonnen, Brachte nichts zu Ende, Drüber ist die Zeit verronnen, Schwach sind seine Hände. Hänschen ist nun Hans geworden, Und er siht voll Sorgen, Hungert, bettelt, weint und klaget Abends und am Morgen: „Ach, warum nicht war ich Dummer In der Jugend fleißig? Was ich immer auch beginne, Dummer Hans nur heiß ich. Ach, nun glaub ich selbst daran. Daß aus mir nichts werden kann!"

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.Menschenleben.

93. Der Tunichtgut. Was baumelt aus meinem Ranzen? Der Tafelschwamm. Warum muß er immer am Bindfaden tanzen? Weil er nichts Rechtes kann. Meine Griffel, die sind weise, Linien und Kreise, Buchstaben und Zahlen Können sie malen. Aber der Schwamm, die dumme Klunkermaus, Wischt bloß alles wieder aus. Und das Schlimmste dabei ist das: Er ist immer zu trocken oder zu naß. Nein, mein Schwamm gefällt mir nicht mehr. Wenn ich doch erst in Sexta ivär. Wo sie bloß mit Feder und Tinte schreiben. Aber — ich werde wohl sitzen bleiben.

94. Des Storches Wiederkehr. Der Storch ließ auf dem Dach sich nieder Und sprach: „Da, Kinder, bin ich wieder! Nun saget mir, was ist geschehn, Seit ich das Dörfchen nicht gesehn?" 5 „Ei," sprach der Hans, „in diesen Tagen Da hat sich vieles zugetragen; Mein Vater kaufte eine Kuh Und meiner Schwester neue Schuh. Ich hab an Größe zugenominen 10 Und jetzt auch Stiesel und Hosen bekommen, Weihnacht kriegte ich ein Schwert Und eilt sehr wildes Wiegenpferd. Und in die Schule geht, mein Bester, Jetzt auch die Suse, meine Schwester. 15 Und weil sie neulich nichts gewußt, Hat sie nachbleiben schon gemußt." „Pfui, Hans," begann der Storch zu klappern, „Man darf nicht aus der Schule plappern!"

Nummer 93 bis 96.

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SS. Kerienlied. 1. Fern und nah Tönt Hurra, Unsre Ferien sind seht da! Der Pedell An der Schwell Schließt die Pforte schnell. Doch wir ziehen sroh nach Haus — Morgen schon geht's früh hinaus. Lustgeschwellt, Froh gesellt, In die weite Well. 2. Subtrahieren, Dividieren, Hefte klieren. Memorieren, Zcichnerei, Schreiberei, Alles ist vorbei. Nicht Französisch noch Latein Macht mir morgen Sorg und Pein, Weltgeschicht Und Gedicht Quält mich morgen nicht.

3. Denn um acht Wird — o Pracht — Morgen hier nicht ausgemacht. Ob und kahl, Leer zumal Bleiben Stub und Saal. Keinen trifft hier Straf und Schmach,

Morgen bleibt hier keiner nach. Keinen! droht Schelt und Not Tann beim Vesperbrot. 4. Frisch und frei. Fromm, juchhei, Bei dem ersten Hahnenschrei Hier und dort Auf und fort Geht's von Ort zu Ort. Buttiuann, Böhme, Zmnpt und Ahn — Ich muß auf die Eisenbahn!' Bücher bunt In der Rund, Bleibt mir hübsch gesund! 5. Heitren Gruß Rust zum Schluß Selbst Herr Ordinarius, Lacht in Ruh, Klappt Z—U Tann das Büchlein zu. Spricht: Nun, Kinder, «lögt ihr gehn! Auf recht frohes Wiedersehn V. Mit Juchhe Trum ade! Scheiden tut nicht weh.

96. Drei Paare und Einer. 1. Du hast zwei Ohren und einen Mund; Willst du's beklagen?

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Menschenleben.

Gar vieles sollst bu hören und — Wenig drauf sagen!

2. Du hast zwei Augen und einen Mund; Mach dir's zu eigen! Gar manches sollst du sehen und — Manches verschweigen! 3. Dn hast zwei Hände und einen Mund; Lern es ermessen! Zweie sind da zur Arbeit und — Einer zum Essen!

97. Die verkehrte Welt. In der verkehrten Welt geht es wunderlich zu; da stehen die Tische auf den Tellern, und die Stuhle sitzen aus den Menschen, das Holz hobelt die Schreiner, und der Amboß häminert die Schmiede. Die Steine fliegen in der Luft, und die Vögel kriechen auf der Erde, die Bäume strecken die Wurzeln in die Höhe, und das Obst muß man aus der Erde graben. TasWasser fließt auf die Berge hinauf, iinb das Feuer wird aus Gläsern getrunken. Der Schnee lvird im Ofen gedörrt und die Eisschollen in den Kaffee getunkt» Aber erst in der Schule, wie geht cs da zu? Die alten Leute sitzen ans den Bänken und lernen, und die Kinder lehren. Da liest man nicht Buchstaben, sondern Apfel und Birnen, da streut man nicht Sand auf das Papier, sondern Zucker aus Weißbrot. Wer am wenigsten lernt, der kommt auf den obersten Platz, und >ver fleißig ist, der wird mit der Rute gezüchtigt. Wer die Schule Versäumt, der wird mit einem Groschen belohnt, und luer am besten plaudert, dem schenkt der Lehrer einen Eierweck. Auch zu Hause ist es so; die Eltern gehorchen den Kindern, und das Gesinde gehorcht niemand. Die Knaben haben die Schlüssel zu der Speisekammer und die Mädchen zu dem Geld­ schrank. Und tvenn die Mutter nicht genug Kuchen und der Vater nicht genug Geld herbeischafft, werden sie von den Kindern tüchtig ausgescholten. Wenn der Knecht keine Lust zu arbeiten hat, muß das Vieh hungern, und wenn die Magd

Nummer 97 bis 99.

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tanzen will, dann darf die Milch in das Feuer laufen und der Kehricht in der Stnbentür liegen. So geht es in der verkehr­ ten Welt, und manchen Menschen gefällt es anfangs außer­ ordentlich gut darin. Wer aber drei Tage dort war, der läuft wieder fort und will sein lebenlang nicht wieder hinein.

98. Der Geburtstagsgratulant. 1. lind Und Wie

Guten Morgen! sollt ich sagen ein schönes Kompliment, die Mutter ließ auch fragen, der Pate sich befällt).

2. Und der Strauß wär aus dem Garten, Wenn ihr etwa danach fragt. An der Tür dann sollt ich warten, Ob ihr mir auch etwas sagt. 3. lind Und Aber

Und hübsch grüßen sollt ich jeden ganz still sein, wenn man spricht: recht deutlich sollt ich reden, schreien sollt ich nicht.

4. Doch ich sollt mich auch nicht schämen, Denn ich wär ja brav und fromm; Nur vom Kopf das Mützel nehmen. Wenn ich in das Zimmer komm!

5. Wenn mir eins was geben wollte, Sollt ich sagen: Danke schön!" Aber unaufhörlich sollte Ich nicht nach der Torte sehn. 6. Und hübsch langsam sollt ich essen, Stopfen wär hier gar nicht Brauch; Und — bald hätt ich es vergessen: Gratulieren sollt ich auch!

99. Die Kuckucksuhr. Denkt euch nur: In unsrer Stube steht 'ne Uhr Ganz wie ein altes Schilderhaus, Hessel, Lesebuch 2. 13. Stuft.

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Menschenleben.

Da guckt eine lange Stange rans 5 Und wackelt schwer Immer hin und her. Jetzt macht sie tick, Läuft schnell zurück Dasselbe Stück 10 Und macht dann tack! Und wieher tick Und wieder tack Und immer wie zum Schabernack Und immer auf demselben Fleck 15 Und läuft nie aus dem Kasten weg Und geht und geht Von früh bis spät Und steht teilte Stunde, Nicht mal 'ne Sekunde. 20 Schmausen wir in guter Ruh, Macht sie ihr tick und tack dazu. Und wenn wir lustig spiele« und springen. Läßt sie ihr tick-tack dazwischen singen; Und müssen wir schwitzen und fleißig sein, 25 Schlägt auch ihr tick-tack ins Buch hinein. Und wenn man mitten in der Nacht Mal aufwacht, hört man, wie sie sacht Auch nachts ihr dummes tick-tack macht. Und aus dem alten Schilderhaus 30 Da kommt so'u dummer Kuckuck raus Und schreit und schreit: 's ist Zeit, 's ist Zeit! Am Morgen ist's noch gar nicht hell. Da schreit er schnell: 35 Kuckuck! Es schlägt acht! Nicht zu lange geschlafen! Schnell ausgewacht! Marsch, in die Schule! Und spielen wir mittags im Sonnenschein, 40 Hören wir den Kuckuck wieder schrein:

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's ist höchste Zeit! Nicht zu lange gesessen! Die Nachmittagsschule nicht vergessen!

Und Hocken wir abends vorm Gartentor, 45 Schreit uns der Kuckuck wieder ins Ohr: Kuckuck! Es schlägt neun! Herein, herein! Schnell gute Nacht! Und morgen zeitig ausgewacht! 50 Ich gäbe mein bestes Bilderbuch her. Wenn der Kuckuck nur einen Tag stille wär!

100. Kaufmann. 1. Kommt, ihr Leute, schnell herbei! Wer nur will was kaufen? Gute Sachen allerlei Hab ich hier in Haufen.

2. Seht, wie reichlich ausgeschmückt Ist mein ganzer Laden, Wie sind fest und vollgedrückt Kisten und Schubladen!

3. Wie bis obenan gestopft All die großen Fässer! Ei, so kommt herbei und klopft! Nirgends kauft ihr besser. 4. Und Hab Bon

Pfeffer, Ingwer, Nelken, Zimt Muskatenblüte ich hier, sie sind bestimmt besondrer Güte.

5. Gerste, Sago, Nudeln, Reis, Senf und Ol und Essig Geb ich auch um niedern Preis, Und recht reichlich meß ich.

6. Hab auch Gurken zum Salat, Billige Zitronen,

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Menschenleben.

Echten Arak und Muskat, Saftige Melonen. 7. Außerdem empfehl ich euch Die Gewürzlebkuchen lind dergleichen süßes Zeug; Wollt ihr's uicht versuchen?

8. Nur soll mir zum Schabernack Non den losen Schlingeln Keiner ohne Geld im Sack 9(n dem Laden klingeln.

9. Denn für solche Schelmenlenl, Die nur alles borgen, $Oat) ich keine Ohren heut, Keine Waren morgen.

101. Der wunderbare Pudding. Neulich war Onkel Robert bei uns und lnd uns zum Essen ein. Er sagte, zum Nachtisch wolle er nus einen wunderbaren Pudding vorsehen, den mehr als tausend Menschen znbercitet hätten. Einen Pudding, riefen wir aus, den mehr als tausend Menschen zubereitet haben? das ist ja ein Niesenpudding! der muß so groß sein wie eine Kirche! — Nun, ihr Kinder! sagte der Onkel, ihr sollt schon sehen, kommt nur morgen und eßt bei mir! Kanin hatten wir am andern Morgen gefrühstückt, da wollten lvir schon hinüber zum Onkel. Mit großer Mühe hielt uns die Mutter noch zurück. Endlich war es Mittag, da gingen wir. Wie erstaunten wir, als in Onkel Roberts Hause alles so aussah wie immer. Endlich ging cs zu Tische. Suppe, Fleisch und Gemüse waren verzehrt, und voll Unge­ duld schauten wir nach der Türe. Sie ging auf, und was er­ schien? ein ganz gewöhnlicher Pudding, nicht ein bißchen größer als jeder andere Pudding. Mein Bruder sagte: Onkel, das ist ja gar so lein Pudding, wie du uns einen versprochen hast. — Doch, mein Junge! erwiderte der Onkel. — Aber, Onkel! wie kannst dn

Nummer 101.

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denn sagen, daß mehr als tausend Menschen an dem Pudding da geholfen hätten? — Erst iß einmal ein tüchtiges Stück, Fritz! sagte Onkel Robert, und dann nimm dies Blatt Papier und eine Bleifeder und rechne die Leute zusammen, welche mir geholfen haben, ihn fertig machen!

Zuerst, sagte Onkel Robert, brauchten wir Mehl, und wie viele Leute haben uns wohl das herbeischassen helfen? Der Acker mußte gepflügt und besäet und geeggt werden. Dann mußte das Korn geschnitten werden. Um den Pflug und die Sense» hcrzustcllen, haben Bergleute und Eisengießer und Schmiede und Holzhauer und Wagner gearbeitet. Um aus Leder das Pferdegeschirr zu verfertigen, haben Metzger, Gerber, Sattler und Niemer geschafft. Hut das Korn in Mehl zu verwandeln, mußte der Müller sein Mühlchen klappern lassen; Maurer und Zimmerleute und Dachdecker mußten erst dies Mühlchen bauen, Steinbrecher und Steinmetzen mußten die Mühlsteine Herrichten, Fuhrleute mußte» sie herbeischasfcu.

J»l P»ddi»g sind auch Rosinen und allerlei Gewürze, die kainen weither übers Meer; »in sie herzubringen, mußten Schiffbauer, Segelmacher, Matrosen, Pflanzer, Kaufleute, Krämer und viele andere tätig sein. Um die Segel und Schiffstaue zu machen, waren Hanf und Flachs nötig. Darum müssen wir auch alle Leute mitzählen, welche diese Pflanzen gcsäet und bearbeitet haben, die Spinner und Weber und all die Leute, welche die Maschinen gemacht haben, die man dazu wieder gebraucht hat. Tann sind auch Eier und Milch am Pudding und — Halt ein, Onkclchen, halt ein! ries ich, ich glanbe, das sind schon tausend! — Ja, ich bin aber noch lange nicht fertig, sagte Onkel Robert, der Pudding mußte doch gekocht werden, und dazu brauchten wir Kohlen. Do dürften ivir also auch die Bergleute im Kohlenbergwerk nicht vergessen, und die, welche das Eisen und das Kupfer gegraben und bearbeitet haben für die Kessel und Pfannen, und die Kohlenhändler und die Eisenbahnlcute und------------Ach, Onkel, genug, genug! riefen Fritz und ich zu gleicher

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Menschenleben.

Zeit, wir glauben es ja längst, daß mehr als tausend Mensche» diesen Pudding zubereitet haben. Bitte, gib uns lieber noch ein recht großes Stück, er schmeckt uns jetzt noch viel besser!

102. Das allzeit zufriedene Knäbchen. Zwei Bauersleute hatten ein Kind, und wie es denn iii der Welt geht, wo nur eins ist, da wird's verzogen. Die Eltern hatten aber kein Auge für die Fehler des Bübchens und nannten es immer nur ihr allzeit znfriedenes Kind. Eines Tages war eine Hochzeit im Ort, dazu waren die Bauersleute auch eingeladen, und da sie nirgendwo allein hingingen, so nahmen sie auch ihr allzeit zufriedenes Kind mit. Als das Essen vorbei war, kamen Birnen, Nüsse und Anisgebackenes auf den Tisch, von jedem hohe Teller voll. Die Gäste ließen es sich wohl schmecken, und der Bräutigam, gab den Kindern von allem so viel, wie sie haben wollten. Als die Gäste aufstehn und zum Tanze gehn wollten, kam das allzeit zufriedene Kind, stellte sich neben den Bräutigam und weinte bitterlich. Sogleich sprangen die Eltern von ihrer Bank herbei, um zu sehn, was das sei. Der Bräutigam frug das Knäbchen, was ihm fehle, aber es weinte immer bitterlicher, und endlich weinte seine Mutter mit, und es verschlug kein Haar, dann hätte der Vater auch geweint. Da frug der Bräutigam wieder: „Hast du den» Hunger?" und das Kind schrie: „Ach, ich bin ja schon satt." — „Das dachte ich mir; ach, mein Kind ist ja immer so gern zufrieden," schluchzte die Mutter. Der Bräu­ tigam sprach: „Dann komm her, ich stopfe dir die Hosen­ tasche voll Anisgebackenes." Aber das Kind schrie noch ärger: „Sie sind ja schon beide voll!" — „Dachte ich mir's nicht!" schluchzte die Mutter, „unser Kind ist so gern zu­ frieden, es muß ihm etwas anderes fehlen." Der Bräutigam sprach: „Dann gehe nach Hanse, leere sie aus und komm wieder, dann bekommst du mehr." Da schrie das Kind noch viel ärger: „Ich war ja schon drei­ mal zu Hause." — „Nein, das ist es auch noch nicht, unser Kind ist so bald zufriedengestellt, Kindeshan-d ist bald ge-

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füllt, es mutz ihm etwas anderes fehlen," schluchzte die

Mutter und weinte bittere Tränen. „Dann geh nach Hause und komm noch einmal wieder," sprach der Bräutigam; doch da schrie das Kind wie verzweifelt: „Wenn ich wiederkoinme, haben die andern alles gegessen." — „Wir heben dir alles auf und essen nichts mehr," sagte der Bräutigam, und da lachte das Kind ihn an und lief weg. Die Mutter rief aber: „Ach, es ist doch rührend, wie unser Kind ein allzeit zufriedenes Gemüt hat!" — „Ja, das weitz der Himmel," sprach der Vater, „so gibt's keines mehr!"

101 Das Raupenneft. I. Eines Tages ging Henriette mit ihrer Mutter durch die Felder. Da sprang sie herum, pflückte Blumen, sah den Bienen zu, die in den Blumen arbeiteten, den Ameisen, die von allen Seiten Lebensmittel zusammentrngen, hörte zu,

wie die Vögel sangen, und freute sich immer, wenn sie etwas sah, das sie iit der Stube nicht zu sehen bekam. Auf einmal blieb sie stehen und ries: „Mutter! Mutter! komm geschwind her und sieh, tvas da ist!" Die Mutter kam, und sieh! da war ein Nesselbusch, der ganz mit Raupen bedeckt war. Schwarz sahen sie aus, und ihr Rücken Ivar stachlig, auch waren zwischen den Stacheln grüne Streifen. „Soll ich die Raupen tot treten?" fragte Henricttchen. „Was fressen sie?" fragte die Mutter. „Nesseln fressen sie," sagte Hcnriettchen.

„Nun," fuhr die Mutter fort,

„wenn sie Nesseln fressen, da tun sie keinen Schaden, da dürfen wir sie nicht tot treten. Ich will dir aber sagen, wie du dir mit den Raupen Freude machen kannst; nimm sie mit nach Hause und füllte sie!" „Ei, ja!" sagte Henriettchen, griff zu und wollte die Nessel abreitzen. Aber aus einmal zog sie die Hand zurück, verzog den Mund und wollte weinen. „Es brennt," sagte sie. „Freilich brennt die Nessel," sprach die Mutter, „mutzt du denn aber deswegen weinen? kannst du denn die Nessel

Menschenleben.

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nicht schreiben, ohne daß sie dich brennt?" — „Nein," sagte Henricttcheu, nnd die Tränen liefen ihr über die Backen. Ta nahm die Mutter ein Schnupftuch, wickelte es um Henricltchens 5)aud und ließ sie nun die Nessel, auf der die Raupen saßen, abreißen. Da brannte sie nicht.

II.

Henricttcheu trug nun die Nessel mit den Raupen nach Hanse.

Die Mutter gab ihr ein großes Glas, steckte die

Raupen mit der Nessel hinein und band über das Glas ein Papier, damit die Raupen nicht herauslieseu. Da mitf das Papier auf dem Glase war, fragte sie: „Ist nun alles gut?" -- „Ja," sagte Hcnriettcheu. „Nein," sagte die Mutter, „es ist noch nicht alles gut. Den Raupen fehlt die frische Luft. Wenn sie keine frische Luft haben, so müssen sie sterben."

Darauf nahm die Mutter eine Gabel und stach viele Locher in das Papier, daß frische Luft in das Glas kommen konnte. „Nun," sagte sie, „ist cs gut." Henriette sah nun den.Raupen zu, wie sie ein Blatt nach dem andern abfraßen, und freute sich darüber. Den andern Tag verzehrte sie ihr Frühstück, eine Schale voll Erdbeeren und ein Stück Brot. Da alles aufgegessen war, sagte die Mutter: „Du hast von mir dein Frühstück bekommen; hast du denn aber deinen Raupen auch ihr Frühstück gegeben?" — „O!" sagte Hen­ riette, „die Raupen haben noch das ganze Glas voll Nesseln." — „Sieh sie an!" sagte die Mutter, „du wirst sehen, daß die Nesseln dürr sind. Dürre Nesseln können die armen Raupen nicht fressen. Da du die Gäste einmal angenommen hast, so mußt du ihnen alle Tage, meint dn dein Frühstück verzehrt hast, frische Nesseln holen." Dies tat nun Henriettchcn nnd wickelte allemal ein Schnupftuch mit die Hände, wenn sie eine Nessel abreißen wollte.

III. Fünf Tage hatte sie nun die Raupen gefüttert und ihnen zugesehen, wie sic ihr Futter verzehrten. Den sechsten Tag wollte sie ihnen auch Futter geben, aber da sie das Papier

Nummer 103.

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wegnehmen wollte, hatten sich alle Raupen gehängt. Mit den Hinterfüßen hatten sie sich angehängt, einige an das Papier, andere an das Glas. Geschwind lief Henriette zur Mutter, nahm sie bei der Hand und zog sie fort nach dem Glase, wo die Raupen sich gehängt hatten. — „Was ist denn das?" fragte sie, „meine Raupen haben sich ja alle gehängt!" Die Mutter lächelte und sagte: „Laß sie nur in Ruhe, sie werden dir noch manche Freude machen." Henriette gehorchte und machte ganz sanft das Papier über das Glas. Den folgenden Morgen lief sie geschwind wieder zu ihrem Glase. Da gab es wieder etwas Neues. Tie Raupen waren alle iveg, und es hingen lauter Dingerchen da, die eine kleine Krone auf dem Kopfe und ein,Gesicht wie eine Puppe hatten. Sie lebten und bewegten sich hin und her. Henriette machte große Augen, schlug die Hände zusammen und tvnßte gar nicht, was sie sagen sollte. Endlich rief sie: „Mutter! Mutters sonnn geschwind her! was ist denn das? meine Raupen sind weg, und es hängen lauter solche Dingerchen da." Die Mutter lächelte und sagte: „Hab ich es dir nicht gesagt, daß dir die Raupen Freude machen würden? Sie haben ihre Häute abgelegt, die du hier hängen siehst, und haben sich verwandelt in Dinge, die man Puppen nennt. Laß sie nur alle in Ruhe hängen und sieh alle Tage nach dem Glase! Vielleicht erblickst du bald wieder etwas, das dir Freude niacht." IV.

Es traf richtig ein. Nach einigen Wochen sah Henriette auch einmal nach dem Glase, in dem die Raupen waren, und hüpfte vor Freuden, als sie in das Glas gesehen hatte. „Mutter," rief sie, „komm geschwind her, da ist alles voll Schmetterlinge in dem Glase!" Die Mutter sah es, und da sie beide zusahen, erblickten sie ein neues Wunder. Ein Schnretterling, der in einer Puppe stak, drückte mit seinen Füßchen die Puppe voneinander und kroch heraus. Seine Flü­ gel waren ganz klein und zusammengerollt, wie ein Stück Papier. Er lies aber geschwind am Glase hinauf, hängte sich an das Papier, seine Flügel wuchsen, und nach einer Viertelstunde-

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Menschenleben.

hingen sie vollkommen da. So ging es den ganzen Vormittag. Immer ein Schmetterling nach dem andern kroch aus seiner Puppe heraus. Nach Tische waren sie alle ausgckrochen. „Nun," sagte die Mutter, „kannst du dir noch eine Freude machen; nimm das Glas, trage es in den Garten, mach es aus und gib den Schmetterlingen die Freiheit!" Dies tat Henriettchen und freute sich herzlich, da sie sah, wie die Schmetterlinge herausflatterten und von einem Baume zum andern flogen. Wenn sie hernach im Garten herumging und einen braunen Schmetterling mit schwarzen Flecken sah, freute sie sich allemal. Bist gewisz auch aus meinem Raupenglase! dachte sie.

104. Ach, wer das doch könnte! 1. Gemäht sind die Felder, der Stoppelwind weht. Hoch droben in Lüften mein Drache nun steht; Die Rippen von Holze, der Leib von Papier, Zwei Ohren, ein Schwänzlein sind all seine Zier; Und ich denk: So drauf liegen Jnl sonnigen Strahl, Ach, wer das doch könnte Nur ein einzigesmal!

2. Da guckt ich dem Storch in das Sommernest dort: Guten Morgen, Frau Storchen, geht die Reise bald fort? Ich blickt in die Häuser zum Schornstein hinein: Lieb Vater, lieb Mutter, wie seid ihr so Nein! Tief unter mir säh ich Fluß, Hügel und Tal — Ach, wer das doch könnte Nur ein einzigesmal! 3. Und droben, gehoben, auf schwindelnder Bahn, Da faßt' ich die Wolken, die segelnden, an, Ich ließ mich besuchen von Schwalben und Krähn, Ich könnte die Lerchen, die singenden, sehn, Die Englein belauscht ich Im himmlischen Saal —

Nummer 104 und 105.

Ach, wer das doch könnte Nur ein einzigesmal!

105. Turnerlied. 1. Turner ziehn froh dahin. Wenn die Bäume schwellen grün; Wanderfahrt, streng und hart, Das ist Turnerart! Tnrnersinn ist wohlbestellt, Turnen, Wandern wohlgefällt: Darum frei Turnerei Stets gepriesen sei!

2. Graut der Tag ius Gemach, Daun ist auch der Turner wach. Wird's dann hell, rasch und schnell Ist er auf der Stell, Wandert hin rum Sammelort. Und dann ziehn die Turner fort. Darum frei Turnerei Hochgepriesen sei! 3. Arm in Arni, sonder Harm Wandert sroh der Turuerschwarm; Weit und breit zieh» wir heut Vis zur Abendzeit: Und der Tnrner klaget nie. Scheuet nimmer Wandermüh: Darum srei Turnerei Hochgepriesen sei!

4. Sturmesbraus, Wettergraus Hält den Turner nicht zu Haus. Frischer Mut wallt im Blut, Deucht ihm alles gut; Singt den lustgen Turnersang, Bleibet froh sein lebelang: Darum frei Tnrnerei Hochgepriesen sei!

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Menschenleben.

106. Allerlei Spielplätze. Ernst und August, die beiden guten Freunde, hatten sich auf dein Fußboden der Stube eine große Schlacht anfgebaut — Bleisoldaten, Hereros und Kriegsschiffe hatten sie auf dein Fußboden ausgebreitet, unter dem Tisch war Afrika, nnd beim Ösen war Deutschland. Und nun sollte die Schlacht gerade losgehen, als der Vater kam und mit ihm zwei Herren, die ihn zu besuchen kamen. O weh, sie wußten gar nicht, wohin sie sollten; vorsichtig traten sie über Palmen, Offiziere und Festungstttrme hinweg; aber doch wurde ein Häuptling platt getreten nnd das große Kriegsschiff ein wenig gequetscht. Habe ich euch nicht schon ost gesagt, daß ihr nicht so viel Platz cinnehmcn sollt, schalt der Vater, nun räumt gleich eure Sachen vom Fuß­ boden auf. Da flohen die Jungen mit ihren Soldaten auf den großen Tisch, zogen beide Klappen heraus und bauten alles von neuem ans. Aber dann kam die Mutter mit dem Abendbrot, die Kinder mußten wieder alles einräumen, und August mußte nach Hause geh». Am nächsten Tage dachten sich die beiden Freunde ein neues Spiel ans. Oben auf dem Boden waren sie nnd bauten sich aus alten Kisten und Brettern nnd Tüchern eine Festung und spielten Eroberung. Aber sie rumorten so gräßlich, daß die Fran, die oben im Hause wohnte, herauf­ kam und schimpfte und sic nach unten jagte. Ich weiß schon, sagte Ernst, wir gehen ans den Hof nnd schießen mit Pfeil nnd Bogen und verteilen Preise an die besten Schützen. Aber aus dem Hose hing die weiße Wäsche, und die Mutter schalt, daß sie mit ihren Pfeilen die Laken und Tücher beschmutzten. Geht doch auf die Straße, sagte sic, die andern spielen auch alle draußen. Und richtig, auf der Straße gab es ein prächtiges Spiel. Sie ließen Drachen steigen, Ernst schenkte auf, und August lief mit dem Bindfaden in der Hand die Straße entlang. Das war sehr lustig. Aber da winkte ein Nachbar, der in Hemdärmeln am Fenster saß und in der Zeitung

Nummer 106 und 107

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Las, und rief: He, ihr Jungens, da kommt ein Schutzmann! da machten sie, daß sie fortkamen, denn sie wußten wohl, daß sie in ihrer Straße, wo Telephondrähte kreuz uud quer gezogen waren, keine Drachen durften steigen lassen. Da nahm August seinen Freund mit sich iu ihren hübschen Garten und fing mit ihm ein lustiges Kriegenspiel an. In der Laube war das Mal, und nun ging's in wilder Jagd um die Rasenplätze und um die Beete herum, lind die Ränder wurden abgetreten und einige Sträucher uild Blumen arg geknickt. Kann man sich da wundern, daß der Vater, der drauf zukam, beide mit Scheltworten hinaus­ jagte? — Nun sind sie zum Spielplatz hinausgezogen, mit allen Knaben, die in ihrer Straße wohnen, und einen dicken Lederball haben sie mitgenommen. Und dann wurde der Ball hoch in die Luft geschleudert, hinüber und herüber flog er, uud die Jungen liefen mit roten Backen über den weiten Grasplatz und spielten bis zum Dunkelwerden. Dann gingen sie fröhlich nach Haus.

107. Drei kleine Schiffcrsleute. 1. Drei kleine Schiffersleute, Die kamen an den Strand Und schauen nach dein Kahne Gar fröhlich, unverwandt. 2. Drei kleine Schiffcrsleute, Die sitzen träumend dort. Der Wind bläst in die Segel, Und's Kühncheu, das schwiinmt fort. 3. Drei kleine Schisfersleute Ziehn Schuh und Strümpfe aus Uud waten und laugen und suchen Und kommen leer nach Haus. 4. Drei kleine Schiffcrsleute, Die wurden Uug zum Glück Und binden ihr liebes Kähnchen Fortan an einen Strick.

M en jchc »leben.

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108. Hirtenknabe. 1. Eben, wann der Morgen graut, Noch in aller Frühe Treib ich täglich auf die Alp, Täglich meine Kühe.

2. Und die Vögel singen dann Mir die schönsten Lieder, Und zur Antwort sing ich dann Ihnen freundlich wieder. 3. Wollen meine Kühe nicht Mehr zu Mittag grasen, Ruhen wir im Schatten aus Auf dem kühlen Rasen. 4. Und ich Unter dunkeln Schmetterlinge Vor mir ihren

halle dann mein-Mahl Zweigen. tanzen dann Reigen.

5. Abends treib ich dann hinab. Lustig wie am Morgen, Und so lebt der Hirtenknab Täglich ohne Sorgen.

109. Mein Lämmchen. 1. Das Das Tut

Ich hab ein Lämmchen, weiß wie Schnee, geht auf grüner Weide, ist so fromm, das ist so gut, keinem was zu leide

2. Und suchet sich die Blümchen aus, Die gelben und die weißen. Den Quendel und den Thymian, llnd wie die Kräuter heißen. 3. Und wenn's genug gefressen hat Und will nicht weiter, grasen.

So lagert's sich am Erlenstrauch Wohl auf dem kühlen Rasen. 4. Und wenn der Hirt nach Hause treibt. Kommt auch mein Lämmchen wieder, Tann hüpft es in den Stall hinein Und blökt und legt sich nieder.

;>. Dem Lämmchen bin ich gar zu gut, Tcm Lämmchen auf der Weide, Und wer ihm was zu leide tut, Tut mir auch was zu leide.

110. Der Jäger aus Kurpfalz. 1. Ein Jäger aus Kurpsalz, Der reitet durch den grünen Wald; Er schießt das Wild daher, Gleich wie es ihm gefallt! Ju ja, ju ja! Gar lustig ist die Jägerei Allhier auf grüner Heid!

2. Aus, sattelt mir mein Pferd, Und legt darauf mein Mantelsack, Ich reite wiederum her Als Jäger aus Kurpfalz. Ju ja, ju ja! Gar lustig ist die Jägerei Allhier auf grüner Heid! 3. Jetzt geh ich nicht mehr heim. Bis daß der Kuckuck kuckuck schreit; Er schreit die ganze Nacht Allhier auf grüner Heid. Ju ja, jn ja! Gar lustig ist die Jägerei Allhier auf grüner Heid!

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Menschenleben.

111. Der Schütz. 1. Mit dem Pfeil, dein Vogen Durch Gebirg und Tal Kommt der Schütz gezogen Früh im Morgenstrahl. 2. Wie im Reich der Lüfte König ist der Weih,

Durch Gebirg und Klüfte Herrscht der Schütze frei.

3. Was Das Was

Ihm gehört das Weite; sein Pfeil erreicht, ist seine Beute, da fleugt und' kreucht.

112. Der gute Kamerad. 1. Ich hatt einen Kameraden, Einen bessern sindst du nit. DieTrvmmel schlug zumStreite, Er ging an meiner Seite, In gleichem Schritt und Tritt.

2. Eine Kugel kam geflogen. Gilt's mir oder gilt es dir? Ihn hat es iveggerissen, Er liegt mir vor den Füßen, Als ivär's ein Stück von mir.

3. Will mir die Hand noch reiche», Derweil ich eben lad. Kann dir die Hand nicht geben, Bleib du im ewgeu Lebe» Mei» guter Kamerad!

113. Müllers Wanderschaft. 1. Tas Wauderu ist des Müllkrs Lust, das Wandern! Das muß ein schlechter Müller sein. Dem niemals siel das Wandern ein — das Wandern. 2. Bom Wasser haben ivir's gelernt, vom Wasser! Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht, Ist stets aus Wanderschaft bedacht — das Wasser. 3. Das sehn wir auch den Nädern ab, den Nädern, Die gar nicht gerne stille stehn, Die sich mein Tag nicht müde drehn — die Näder.

4. Die Steine selbst, so schiver sie sind, die Steine, Sie tanzen mit den muntern Reihn Und wollen gar noch schneller sein — die Steine. 5. O Wandern, Wandern, meine Lust, o Wandern! Herr Meister und Frau Meisterin, Laßt mich in Frieden weiter ziehn — und wandern!

Nummer 111 bis 115.

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114. Der Tag eines Bäckerlehrlings. Früh um zwei Uhr weckt mich der Wächter. Ich Neide mich schnell an, wasche mich sauber und mache den Teig. Unterdessen haben Meister und Geselle Zucker und Salz abgewogen. Wenn der Teig fertig ist, werden Franz-, Hefen- und Kaiserbrötchen gemacht. Dann geht es an beit Backofen, und die Brötchen werden gebacken, ich streiche sie und packe sie vorsichtig in den Korb. Unterdessen ist eS fünf Uhr, und ich trage das Frühstück in 32 Häuser, trepp­ auf, treppab. Wenn ich mich verspätet habe, wird die Haus­ frau unwillig und zänkisch. Wenn ich nach Hause komme, wird das Brot gebacken. Nun ist es zwölf Uhr mittags, und ich esse Mittagsbrot und lege mich zu Bett. Abends um acht Uhr stehe ich auf und mache das Hefenstück und den Sauerteig. Dann ist der Tag zu Ende.

115. Puppendoktor. 1. Ach, Herr Doktor, sehn Sie nur, Was dem Kind mag fehlen; Von Appetit auch keine Spur! — Muß den Puls mal zählen. Hat sie abends nicht zu spät Vor der Tür gesessen Oder gar — wie das so geht — Mal zuviel gegessen?

2. Und der kleine Doktorsmann Zieht die Uhr gewichtig. Faßt die Hand der Kranken oann, Zählt und nickt: 's ist richtig! Angstvoll schaut das Mütterlein Auf des Doktors Brille, Aus ihr lraukes Kindchen klein. Ach, wie liegt's so stille!

3. Hei, das ist ein schlimmer Fall, Meine Liebe, Gute, Denn der Puls geht allzumal Reifel, Lesebuch 2. 13. «uR.

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Menschenleben.

Sechzig die Minute. Nur zu Bette mit dem Kind; Pst! wirst doch nicht weinen! Und ich schreibe ganz geschwind Ein Rezept der Kleinen.

4. Dreimal in Kamillentee Die Patientin baden Hilst für alles Ubclweh, Heilet allen Schaden. Schreit sie dabei weh und ach. Macht euch keine Sorgen; Sehe nächstens wieder nach, Wünsche guten Morgen!

116. Wie Lieschen im Laden aufpassen mutz. Zu Hause war die Schneiderin, und Lieschen mußte für die Mutter ein Meter Litze holen. Guten Tag, sagte Fran Schmidt, die hinter dem Laoentisch stand und allerlei Zeug wegräumte; würdest du wohl so gut sein und einen Augen­ blick auspassen; ich muß ganz notwendig mal nach meinem Eßtopse ausschauen, sonst kriegen wir heute mittag gar nichts zu essen. O, das ließ sich Lieschen nicht zweimal sagen, und sie mochte, die Tante auch gern leiden. Hier hast du auch ein Buch zu besehn, damit du keine Langeweile hast; und wenn jemand kommt, so mußt du mich eben rufen. Nur fünf Minuten, dann komme ich wieder, sagte Fran Schmidt und ging. Ach nein, Langeweile hatte Lieschen nicht. Im Laden, gibt es ja so viel zu sehen, die kleinen Sachen, die unter der Glasscheibe aus dem Ladentisch liegen: Fingerhüte, Ringe, Nadelkissen, kleine Flaschen, die herr­ lich duften, in niedlichen kleinen Schachteln, Gürtel und Bänder, lederne Taschen und seidene Beutel. Und was für hübsches Zeng in den Schränken ausgestellt war! Da waren Hauben für kleine Kinder, da hingen allerlei Schürzen, Schürzen mit Spitzen und Schürzen mit Taschen; da waren auch bunte Decken, die auss Sofa und auf den Tisch ge­ legt werden, wenn's zu Hause Gesellschaft gibt. — Ei, wie

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Nummer 116 und 117.

fein ist so ein Laden! Auch kann man sich hinter das Schaufenster stellen, und vielleicht stehen wohl Leute davor und besehen sich die ausgelegten Sachen. Ach, wenn doch nur jemand käme! Endlich kam jemand. Hing! ging die Ladentür, und herein kam die Mutter. Aber da kam auch Frau Schmidt und sagte zur Mutter, sie möchte nur nicht böse fein. Und Lieschen durste noch bleiben, und Oie Tante schenkte ihr noch Puppenzeug.

117. Die Betten auf dem Hofe. Schönes, warmes Wetter war es geworden. Die Fenster standen weit offen, und ein leiser Wind bewegte Oie Gar­ dinen. Da waren auch schon die ersten Fliegen, sie summten und schossen in der Lust hin und her. Im Hofe blühte»! die kleinen Sträucher, »ind aus jedem kleinen Fleckchen Erde wuchs etwas heraus. Auf dem Hose sah es schlimm aus. Da hingen und standen und lagen die Betten — dicke, rote Kopf­ kissen über den Zeugleinen, die hohen viereckigen Rahmen an der Wand. Bei einem konnte man die Unterseite sehen und die vielen Sprungfedern, die darin saßen. Ja, das glaub ich, das soll schön »veich fein. Die können ja ganz zusammengedrückt »vcrden; aber man muß sie festhalten, sonst springen sie gleich wieder auseinander. Ei, das wäre ein schönes Spielzeug, dachte Willi, der mit der Uhle (Besens darin herumbürstete, gut für ein Gewehr oder eine Kanone. Wenn er nur eine ausschneiden dürfte! Aber das hätte die Mutter nicht erlaubt. Tie stand mit einem Rohrstock bei dem nächsten Nahmen und stopfte die Oberseite aus, das dicke, rotgestreiste Zeug, das so ganz über den Rahmen mit den Sprungfedern herübergezogen ist. Sieh mal, Willi, sagte sie, als der nächste Rahmen an die Reihe kam, wie ihr diesen zugerichtet habt! — O weh, wie sah der aus! Alle anderen waren glatt wie ein Tisch, aber dieser war bald hoch, bald nieorig, er hatte Berge und Täler. Da waren eben die Sprungfedern los. Man konnte sogar fühlen, wo sie losgesprungen waren, denn da drückte»» sie ins Zeug hinein. Ja, eine hatte sich schon ganz durch 7*

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Menschenleben.

das Zeug gebohrt, und die Kinder hätten sich daran noch weh tun können. Das wäre ihnen aber auch recht gewesen, denn sie hatten ja den Rahmen ruiniert, sie hatten zuviel drauf rum getrampelt, wohl gar im Bett Kopfheister geschossen. — Am Nachmittage kam denn auch der Sattler, und Willi >oar die ganze Zeit bei ihm auf dem Hofe. Er sah, wie das alte, zerrissene Zeug ritsch ratsch herunter­ gerissen wurde, er sah, wie die Sprungfedern mit starken Bindfäden wieder fest zusammcngezogen wurden, nnd wie endlich neues, festes Zeug mit einer starken Nadel auf den« Rahmen festgenäht wurde. — Spät am Abend war die Kammer fertig. Tie Betten hatten reine Überzüge bekommen, auf der Erde lagen die ausgeklopften Fußdecken, und Spiegel und Bilder waren sauber abgewischt. Da schlief es sich noch einmal so gut.

118. Platzregen. In der Schulstube war es in der letzten Stunde sehr dunkel. Der Himmel guckte durch die Fenster wie eine schwarzgraue Wand. Kaum waren wir entlassen worden, so liefen wir auf die Straße, denn unser Lehrer hatte gesagt: „Macht, daß ihr nach Hause kommt!" Aber da — mitten im besten Laufen über den Zeughausmarkt bekomme ich zwei dicke Tropfen grade aus die Nase! Ich mußte laut lachen. Aber das waren nur die ersten Tropfen gewesen. Plötzlich fielen eine Menge, alle groß und dick und warm, über meinen Kopf, meine Arme, meine Kleider. Alle Leute fiügen an zu laufen, und ich lief mit. Aber ich mußte fortwährend lachen, denn die Tropfen sprangen vom Trottoir in die Höhe wie kleine durchsichtige Gummibälle. Es rauschte und prasselte, und die Luft wurde fast undurchsichtig. Ich wußte nicht, wo ich unterstehen sollte, ich sah keinen Laden und keinen Torweg. Plötzlich kam ein heller gelber Sonnen­ strahl zwischen den schwarzen Wolken hervor, blickte über das nasse Pflaster und — lachte die nassen Leute aus. Hahaha!

Nummer 118 bis 120

119. Erdbeerliedchen. 1. Ein Mägdlein an des Felsen Rand Ein nacktes Erdbeersträuchlein fand, Von Sturm nnd Regengüssen Zerzaust und losgerissen. Da sprach das Mägdlein leise: „Du arme, nackte Waise, Komm mit mir in das Gärtchen mein. Du sollst mir wie ein Kindlein sein!"

2. Und Und Ein Und Mit Und Und

Drauf macht es wohl die Würzlein los trug das Pflänzchen in dem Schoß spähte still und wonnig Plätzchen kühl und sonnig wühlte in der Erde emsiger Gebärde pflanzte nun das Pslänzcheil drein sprach: „Das soll dein Bettchen sein."

3. Und Tlls die Frühlingszeit erschien. Begann das Pflänzchen schon zu blühn. Wie sieben weiße Sterne; Das sah das Mägdlein gerne. Die wurden sieben Beeren, Als ob's Rubinen wären. „Gelt," sprach's, „es will nun dankbar sein Und meint, ich sei sein Mütterlein."

120. Wie die Jungfer Köchin in Dienst genommen wird. 1. Jungfer Köchin, kann Sie kochen? Will Sie mal examinieren. „Ja, ich kann's und zwar mit Feuer, Dürfen's dreist mit mir probieren!" 2. Nun, ums kocht Sie mir zuni Frühstück Und zum Mittag für mein Püppchen?

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Menschenleben.

„Morgens Milchkaffee und mittags Süßes Schokoladensüppchen."

3. Und wie braut Sie denn den Kaffee, Daß ihn loben alle Gäste? „Nehm zum Kaffee warmes Wasser, Milch und Zucker tun das Beste." 4. Doch wie macht das Mittagstrüukcheu Sie für mich und meine Lieben? „Tu in Milch viel Zucker und viel Schokolade, sein gerieben." 5. Und wie macht Sie, Jungfer Köchin, Einen guten Sonntagsbraten? „Das versteh ich aus dem Grunde Und ist stets mir gut geraten." 6. Aber wie? weiß in der Küche Sie zu führen Spieß und Messer? „Ungern mach ich heißen Braten, Kalter Braten schmeckt Viel besser."

7. Und wie wird der zubercitct? Möcht ihn wohl einmal versuchen! „Apfelscheiben, dünn geschnitten, Zucker, Zimt und Pfefferkuchen." 8. Und wie macht Sie eine Mehlspeis? Wird's doch missen, wie ich hoffe. „Zu ’iter guten Mehlspeis nimmt man Ganz genau dieselben Stoffe."

9. Gut! so will in meinem Dienste Jch's einmal mit Ihr probieren! „Dank schön, und Sie sollen prächtig Durch mich schne — schn» — schnabulieren."

Nummer 121.

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121. In der Kellerwohnung. „Guschen Möller wohnt im Keller? Guschen Möller wohnt im Keller!" Das sang ich den ganzen Tag, als ich zu Möllers ging. Guschen Möller hatte mich zu ihren« Geburtstage eingeladen. Wir kriegten da Schokolade zu trinken, und nachher guckten wir aus dem Kellerfenster. Es kain mir vor, als wenn es schon Abend wäre, aber draußen «var es doch ganz hell gewesen. Es mußte daher kommen, «veil das Kellerfenster halb in dem Kellerloch war und nur oben einen ganz schmalen Hellen Rand hatte, wo man auf die Straße sehen konnte. .Herr Möller ist ein Schuster, und Frau Möller nimmt Zeug zum Mangeln an. Hinter dem kleinen Laden in einer Stube stand die große Mangel, und weiter war gar nichts in der Stube. Nicht 'mal ein Fenster­ war da. Sie brennen da Tag und Nacht Licht, sagt Guschen. An der Decke hängt eine Petroleumlampe. Es ivar aber doch ziemlich dunkel da; oie Wände hatten keine Tapeten, sie sahen so dunkelgrau aus und in den Ecken beinahe schwarz. An einigen Stellen saß etwas Weißes darauf, lote Salz ungefähr. Guschen sagte, das täte nichts, das lväre Salpeter, sagte ihr Papa, aber ich mochte nicht gern in der Mangelstube sein. Wir gingen wieder in die Wohn­ stube. Sie roch ganz nach Leder, wie der Laden. „Komm auf die Fensterbank!" sagte Guschen Möller. In dem Keller­ loch sah es ganz dunkel aus, da krochen ein paar ganz kleine platte runde Tiere herum. „I gilt!" sagte ich. Guschen Möller lachte mich aus. „Das sind bloß 'n paar Kelleresel, die tun einem nichts." Über das Kellerloch >var ein eisernes Gitter gedeckt, dadurch tvurde es noch dunkler in der Kellerstube. „Paß auf! da kommen Leute!" sagte Guschen. Aber ich sah keine Leine, ich sah nur Beine und Stiefel, die da vorbeigingen. Wir singen an zn rate», wem die Stiefel wohl zugehörten, die vorbeikameu. Guschen konnte das viel besser als ich. „Das ist ein Arbeiter, der hat Strapazierstiefel an.

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Menschenleben.

Solche macht mein Papa auch nach Maß. Das ist eine seine Dame. Sie hat feine, hohe Knopfstiefel, ganz neue sogar, die Sohlen sind noch hell. Und sie trägt einen seidenen ilnterrock bei dem Negenwetter! Der Heine Junge hat zwei Riester auf jedem Stiesel, der ist gewiß 'n Rietenspliet. Guck, da kommt eine alte Mutter mit Tuchstiefeln mit breiten Schnauzen! Die hat gewiß Leichdörner. Ach, die kleine Holtentüffeldirn! Was die klappert! Das spritzt ordent­ lich, wo die hintritt!" So sah Guschen ganze Menschen lausen, wo ich nur Füße und- ein klein Stück Rock oder Hose oder Strumpf sehen konnte. „Das hat Großmutter mich gelehrt," sagte Guschen vergnügt, „Großmutter war lahm und saß immer auf der Fensterbank, bis sie gestorben ist."

Manchmal sah ich neben den Füßen auch einen Spazier­ stock. Er tippte auf das nasse Pflaster. Und zwischen den Füßen konnte ich auch den Fahrweg sehen, da trabten braune Pferdebeine, nnd Räder von den Wagen drehten sich. Zweimal stellte sich jemand auf das Fenstergitter und guckte herunter. Einmal war es ein Junge. Er warf eine Handvoll Grand gegen unser Fenster, und wir streckten ihm die Zunge heraus. Das zweitemal >oar es ein niedlicher graugelber Hund mit einem runden Kopf nnd großen braunen Augen. Er hatte krauses Haar nnd stand da, als wenn er uns etwas sagen lvollte. Ich sah seinen Schwanz wedeln. Wir nickten ihm zu, und er streckte traurig den Hals und heulte ein bißchen. Als Licht aus der Straße brannte, zogen sich helle Streifen über die nassen Steine. Wenn ein Wagen fuhr, rasselte das eiserne Gitter. Und der Schritt der vielen, vielen Füße tönte dumpf aus dem Pflaster.

„Großmutter hat mal gezählt, wieviel hier an einem Tag Vorbeigehen," sagte Guschen, „aber es waren solche Menge — ich hab es wieder vergessen."

Nummer 122.

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122. Das Dachfenster. Heini mußte unterm Dach schlafen; dicht unter den Dachziegeln stand sein Bett, und wenn er abends schlafen ging, zog er sich halb in der Kammer bei den Eltern aus, und dann ging er in Hemd und Hose und Pantoffeln noch eine Treppe auf den Boden. Da schlief er ganz allein. Er war nicht bange. — Wer sollte ihm denn was tun? Die Diebe können doch nicht durchs Dachfenster hereinspazieren, Gespenster gibt es nicht, und die Katzen, die wohl mal auf dem Dach herumtappelten, die hatten so lveiche Füße, daß er sie kau in hören konnte. Ja, dunkel war es auf dem Boden, so dunkel, daß man die Kisten und Kasten nicht mehr sehen konnte und mit den Händen in der Luft tasten mußte, meint man über den Boden ging. Aber Heini konnte sich int Dunkeln gut zurechtfinden. — Da stand sein Bett, davor ein Stuhl, darauf legte er seine Hose, die Pantoffeln stellte er vors Bett — und dann hopste er ins Bett und zog die Decke bis hoch an die Ohren herauf. Nun kommt nur her, wenn ihr was wollt, ihr Natten und Mäuse! dachte er oft und lachte, lind dann lag er still und lauschte auf ein Geräusch. Hör, da unten führt ein Wagen, nun hält er still, klapp, fliegt die Wagentür zu, Ning, geht die Haustür. Da ist jemand gekommen, lvohl noch spät von der Bahn. Und der Wagen biegt um, langsam, langsam, daß er die Wendung kriegt — nun poltert er schnell die Straße entlang — rrr! über den eisernen Kanaldeckel — nun immer schwächer — um die Ecke — weg! Heini hatte sich so geübt zu hören, daß er gleich alles, was unten auf der Straße passierte, wußte. Er konnte hören, ob vor einem Wagen zwei Pferde waren oder eins, er konnte hören, ob der Mann, der da nuten ging, ein Schutzmann war oder ein Wanderer oder ein Laternenanstecker, er konnte hören, wenn es geschneit hatte, er konnte hören, wenn's sieben Uhr morgens war, über­ haupt, wenn es Morgen werden wollte, er konnte hören, daß die Mutter Wasser in den Kessel laufen ließ, ganz unten

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Menschenleben.

in der Küche, er konnte hören, ob die Mutter die Treppe heraufging oder hinnnterging — ja, Heini hatte feine Ohren, er hatte Jndianerohrcn. Aber gut sehen konnte er auch — gerade über ihni lvar ja das Dachfenster, und da gab es immer etwas zu sehen. Einmal sah ein wunderschöner, blanker Stern ty sein Fenster hinein, der wechselte sogar mit seinen Farben, grün, rot, grün, rot, immer ganz schnell hintereinander. Als Heini aber nach einer Zeit, wo er die Augen scholl zugchabt hatte, den hübschen Stern sehen wollte, da war er ganz am Rande von seinem Fensterchen und nur noch halb zu sehen. Aber andere Sterne waren da, oft so klein, wie ein kleines Pünktchen, das man mit einer Nähnadelspitze ins Papier sticht. Einmal ist auch ein Stern vom Himmel gefallen. Tann zogeil Wolken über den Himmel und löschten alles aus. — Ja, so ein Dach­ fenster, so klein, und es geht gerade hinauf zum Himmel, und doch ist allerlei dadurch zu sehen; wenn man nur geübte Angen hat. Es war Sonntag morgen, und die Straße mar noch so still, auch die Wasserleitung hörte er noch nicht rauschen (das war immer sein Zeichen aufzustehcn). Heini hörte das Läuten der Glocken. In den Dachziegeln pfifs der Wind, ei, das war eine feine Musik — hoch, tief, hoch, tief, immer abwechselnd. Das ist der Stadtlvino, sagte Heini, der kommt von der Stadt und trägt das Glockengeläute über unser Dach weg. Wenn der Landwind übers Dach weht, so kann man die Glocken nicht hören. Hoch in der Lust segelten die Wolken vor dem Winde her. Ein schwarzer Vogel flog darunter hin, ei, wie er sich tragen ließ, er rührte kaum die Flügel; nun wollte er umbiegen und gegen Wind und Wolken fliegen — hei, wie er umklappte, wie ein Fetzen schlvarzcs Papier — weg war er. — Ein Blatt kam an­ gesegelt. Es setzte sich aus sein Dachfenster. Es ivar ein grünes, noch ganz frisches, und lvollte sich wohl ein wenig auernhen. Ja, so geht's, sagte Heini, hättest nur auf deinem Zweiglein sitzen bleiben sollen! Wo es nur abgebrochen ist ? dachte er weiter; im Winter sitzen doch keine grünen

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Blätter mehr auf den Bäumen? Vielleicht hat es auf einer Blume gesessen, die in der Stube Hinterm Fenster stand; ein unvorsichtiges Kind hat es abgestoßen, dann wurde reingemacht, und der Wind trug es hinaus in Die Lust. — Erzähl mir doch, wo willst du hin? — Aber der Wino

sing wieder an zu heulen — husch, war das Blättchen fort. Wie wird's ihm gehn? — Eine Fliege setzte sich auf sein Fenster. Die wollte wohl herein; der Wind treibt sie ja vor sich her, daß sie sich nicht dagegen wehren kann. Wie er ihre Flügel hochklappte, als wollte er sie schon wieder n'citcrschlcppen. Aber sie hielt sich tüchtig fest — ach, die können sich festhalten, die können ja an den glatten Fenster­ scheiben in die Höhe lausen; ja, die können sogar an der Stubendecke laufen und fallen doch nicht herunter. Nnn kam wieder der Wind — hui, klappten Die Flügel wieder hoch, wie die Mäntel und Röcke bei den Menschen. Aber die Fliege war nicht dumm — sie drehte sich gegen den

Wind, da mußte er ihre zarten Flügel in Ruhe lassen, und sie konnte sie sich mit den Hinterbeinen wieder glatt

streichen, dafür konnte der Wind nun Sand und Staub in ihre dicken Augen lochen, — die Fliege kann ja ihre Augen

nicht zumachen — aber die Fliege hatte es satt, sich so durchwehn zu lassen, sie kroch unter den Eisenrahmen vom Fenster und saß nun ganz still und geschützt. — Ein dicker Regentropfen klatschte auf das Fenster. Er kam so schnell angesegelt, daß er noch weit über das Glas hinglitschte und einen Heinen Strich über das Fenster zog. Ja, so, wie der Strich zeigt, so weht der Wind — der Regentropfen muß es doch wissen. Aber der Strich blieb nicht so — das Fenster war ja schräg, da lief in dem Strich eine dicke Kugel zu­ sammen, daß er aussah genau wie ein Komma. Aber die Kugel wurde dicker und Dicker, und auf einmal bog der Tropfen ab und lief über die Glasscheibe, als liefe eine Träne über ein Gesicht, bis er am Rande verschwand. Ob er wohl bis in das Regensaß hinunterkommt? Ans einmal hörte Heini die Wasserleitung rauschen.

Menschenleben.

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Ei, es ist Zeit! Heut ist es ja Sonntag, das ist fein! Und mit einem Satz war Heini aus dem Bett.

123. Zimmerspruch. Das neue Haus ist aufgericht, Gedeckt, gemauert ist es nicht, Noch können Regen und Sonnenschein Von oben und überall herein. 5

Drum rufen wir zum Meister der Welt, Er wolle von dem Himmelszelt Nur Heil und Segen gießen ans Hier über dieses offne Haus.

Zu oberst woll er gut Gedeihn 10 In die Kornböden uns verleihn, In die Stube Fleiß und Frömmigkeit, In die Küche Maß und Reinlichkeit, In den Stall Gesundheit allermeist, In den Keller dem Wein einen guten Geist; 15

Die Fenster und Pforten woll er weihn. Daß nichts Unseligs komm herein, Und daß aus dieser neuen Tür Bald fromme Kindlein springen für.

Nun, Maurer, decket und mauert ans! 20 Der Segen Gottes ist im Hans.

124. Die Feuerwehr. Hurra! hurra! die Feuerwehr! Eben war es noch so langweilig und still auf den Straßen, kein Wagen fuhr, wenig Menschen gingen, und nun auf einmal rasselt und Ningelt und pfeift es daher, und alle Häuser werden lebendig. Aus den Fenstern strecken sich neugierige Gesichter, und aus den Läden laufen die Leute schnell vor die Tür, um zu sehen, was da los ist. Ha, da kommt ein langer niedriger Wagen angcrasselt. Zwei Reihen blanke Helme seh ich blitzen, die Glocke Ningelt heftig — rr! ist der Wagen schon vorüber.

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Schwarz von Menschen ist die stille Straße. Woher kommen all die vielen Leute auf einmal? Woher kommen all die Jungens, die hinter dem Feuerwehrwagen herlaufen? „Wonehm is dat Füer?" — „Ick wert ook nich!" Alle Leute sehen sich um, drehen die Köpfe, recken die Hälse, sprechen miteinander. Sogar die Leute, die einander gar nicht kennen, fragen sich, wo das Feuer ist. Rrrr! wieder ein Wagen! Unter den blanken Helmen seh ich mutige Gesichter. Auf der Schulter trägt jeder Feuer­ wehrmann ein blankes Beil. Rrrr! ein Wagen mit lauter Spritzenschläuchen, aber es geht so schnell, ich kann nichts recht erkennen. Die Leute lausen alle, als ob jemand hinter ihnen her wäre! Sieh! ist nicht dort unten der Himmel rot? Oh, vielleicht ist das Feuer ganz nahe bei. Wirklich, dort seh ich auch dicken schwarzen Rauch aussteigen über den Häusern, und rote Funken dazwischen! Jetzt bleib ich nicht länger hier stehen, jetzt lauf ich auch mit! Nein, Mutter, sei nicht bange, es ist ja Tag, und ich geh nicht ins dickste Gedränge, ich verspreche es dir.

125. Die glückliche Familie. Mutter, Mutter, rief der kleine Martin und kam atem­ los ins Stübchen gestürzt. Bitte, gib mir einen Nickel, ich möchte gerne die glückliche Familie sehen. — Wen möchtest du sehen? fragte die Mutter verwundert und strich ihreiu Bübchen die Locken aus der heißen Stirn. Die glückliche Familie, wiederholte Martin. Draußen auf dem Anger steht ein niedliches Wagenhäuschen mit grünen Wänden und richtigen Fenstern, und die Leute daraus haben eine Bude aufgeschlagen, darin ist die glückliche Familie zu sehen, und der Seiltänzer Friedel zeigt sie. Max und Karl gehen and) hin, und ich möchte so gerne mit. — Warte ein Weilchen, sagte die Mutter, wenn ich mit der Arbeit fertig bin, gehe ich selbst mit dir, auch ich hin neugierig auf die glückliche Familie. Wie freute sich Martin! Während die Mutter fertig nähte, holte er geschäftig ihren Hut und Schirm herbei, und bald gingen sie zusammen nach dem Anger. — Richtig,

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Menschenleben.

da stand in großen Buchstaben an der Bude: Seiltänzer Friedels glückliche Fainilie! Sie bezahlten ihren Nickel und traten ein. Was gab es da zu sehen? Nicht etwa, wie Martin gedacht hatte, einen ganz absonderlichen Vater mit der Mutter und den Kindern, nein, da waren eine Menge zahmer Tiere beieinander, die auf Friedels Befehl die schönsten Kunststücke machten und trotz ihrer Abneigung sonst int Leben in der schönsten Einigkeit hier beieinander saßen. Sie wurden deshalb von ihrem Besitzer die glückliche Familie genannt. Nein, seht nur einmal, wie friedlich sie zusammen ver­ kehren! Auf Mirandas, der Angorakatze, Rücken hat sich Schnippt, die zahme Ratte, ein Plätzchen gesucht, während das Kanarienhänschen furchtlos von ihrem Kopf aus ein Liedchen singt. Ein anderes Vögelein, ein Rotkehlchen, hat sich auf dem Schmuckerle, dem Meerschweinchen, nieder­ gelassen^ und die Elstern und niedlichen weißen Mäuse ver­ gnügen sich dicht dabei. Oben aber auf dem Geländer sitzt die Eule und macht gar kein böses Gesicht, trotzdem die kleinen Vöglein um sie hernmflattern. Dem kleinen Martin und seiner Mutter machten die zahmen Tiere, die auch ganz nah an sie herankamen, großen Spaß, und Martin tat es leid, als die Vorstellung zu Ende war.

126. Nach Regen Sonnenschein. 1. Die Ziege. Mitten in der Nacht war die Kuh gestorben. Uild der Doktor, der am Morgen kam und die tote Kuh untersuchte, sagte, sie hätte zu viel nasses Futter ge­ fressen. Das war nun schlimm, aber das Schlimmste war: die Kuh war nicht versichert gewesen. Und für das große tote Tier bekam der Vater nur so viel Geld, daß sie sich eine Ziege dafür anschaffen konnten. O Mama, sagte am andern Tage die kleine Liese und kam in die Küche an den steinernen Herd, wo die Mutter im dicken blauen Rauch das Essen kochte, o Mama, in unserm Stalle steht ein Tier, o wie.sieht das aus, hat

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zwei Dörner und einen Bart und macht immer me-e-e-e-eck. —Ja, das soll nun deine Freundin werden, sagte die Mutter, komm, wir wollen sie mal in den Dos lassen. Und sie zogen das sonderbare graue Tier an einem Strick aus dem Stall heraus und banden es im Dos unter den Keinen Pflaumen­ bäumen an einen Stock, den sie in die Erde steckten. Ja, das war ein lustiger Spielkamerad. Liese gab ihm ein Büschel Gras, aber sie zog gleich die Hand weg, als die Ziege mit dem Maul, das in einem fort schnupperte, zuschnappen wollte. Sie strich ihr über die struppigen Haare, sie lachte über den kurzen, wackeligen Schwanz, sie faßte sie an die Ohren, und die harten Füße der Ziege traten sie so­ gar einmal auf ihre Hände, als sie auf dem kleinen Grasplatz herumkroch. Ja, zuletzt wurde die Ziege ganz lustig, sprang bald mit den Vorderfüßen, bald mit den Hinterfüßen in die Höhe, riß auch so stark an dem Tau, daß der Stock aus der Erde herausfuhr. Und nun fing, sie an, alles in dem Hofe durchzuschnüffeln, knabberte an dem Waschtrog, rieb ihre Hörner an einem Baumstamm und sah zuletzt neugierig durch das Fenster in die Küche hinein. Liese, sagte die Mutter bei Tisch, du mußt nun heute nachmittag mit deiner Ziege spazieren gehn, und wo es an Wegen und Hecken und Gräben etwas Grünes gibt, da mußt du anhalten, da läßt du die Ziege fressen. Dein Bruder Heini, nein, der hat keine Zeit dazu, der hat ja nun eine Stelle angenommen als Gänsejunge. Da kriegt er jede Woche 50 Pfennig, und die können wir noch gut zu Hause gebrauchen. Und die Ziege ist doch ein nützliches Tier, und man muß doch auch etwas für sie tun. Nimm dich nur vor Terri in acht (das war der Hund beim Onkel Hufschmied), der macht so ein Tier mit seinem ekligen Gebell bange. Und nun gingen sie in den Stall, riefen Hibbel Hibbel (denn so nannten sie die Ziege), banden ihr das Tau um und führten sie auf den Weg, der nach dem Dorfe hinführte. Da fand die Ziege nun allerlei zu fressen. Heute gab es etwas Rechtes auf dem Schmiedehofe zu

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sehen. Auf dem Hofe stand ein Torfwagen, der ein neues Rad habe« sollte, denn das alte war entzweigebrochen. Da mußte Liese hin und zusehen, wie der Onkel den glühend roten Eisenring um das hölzerne Rad legte und dann mit den, dicken Hammer festklopste. Und sie ging doch hin — und Hibbel mußte mit. Sie kam auch gerade zur rechten Zeit; denn der Onkel hatte mit einem Bindfaden eine platte Eisenstange so weit abgemessen, daß sie gerade um das schöne weiße Rad herumpaßte. Ein Strich mit der roten Bleifeder, dann wurde die Stange von einer runden Säge durchgeschnitten. Rrrrr ging es, und der Eisenstaub spritzte herum. Aber die platte Stange wurde nun ins Feuer ge­ legt, als sollte sie gebraten werden. Und dann zog der kleine Lehrjunge an einer Kette, daß ein starker Wind kam und ins Feuer blies, bis die Funken davonstoben. O, das war lustig zu sehen, und Liese sprang ordentlich weg, daß die Funken sie nicht kriegen sollten. Zuletzt mußte sie selbst an der Kette ziehen, immer runter, immer runter — nach oben flog sie schon von selbst —, bis Onkel Schmied sagte, sie sollte das nicht, sie sollte nur auf ihre Ziege passen. O weh, die hatte sie ja ganz vergessen, und sie lief nach draußen und wäre fast über die Nagelkiste gefallen, die auf der Erde stand. Hibbel, Hibbel, wo bist du? rief sie und lief auf beut Hof in alle Ecken hinein. Aber von der Ziege war nichts zu sehn und zn hören. Sie lief ums Haus herum in den Garten, wo die weiße Wäsche im Grase lag, aber da war sie auch nicht. Sie lief auf den Weg, der nach ihrem Hause führte, nichts zu sehen. Sie lief bis an die Ecke und sah dir Landstraße nach rechts und links hinunter — von der Ziege war nichts zu sehn, die Ziege war weg. Und Liese fing gräßlich an zu weinen. 2. Der Fernsprecher. Was fehlt dir denn? sagte ein Bauer, der auf der Landstraße daherkam, zu der weinen­ den Liese. Hibbel ist weggelaufen? Dann komm mal her. Und er faßte sie an und ging mit ihr nach Onkel Schmied, denn er dachte, sie wohnte da. Aber der Onkel,

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der gerade den roten Ring um das Rad festklopfte, sagte: Nein, wir haben keine Ziege, die gehört Liese. Liese, du hast nicht aufgepaßt, nun ist sie weg. — Ich glaube, sagte nun der alte Bauer auf einmal, ich glaube, die ist ge­ stohlen; mir sind eben zwei Zigeunerwagen begegnet, und die Heilten Pferde mußten laufen, was sie konnten. — O diese Spitzbuben, sagte der Onkel, aber die wollen wir schon kriegen, das soll einen Hauptspaß geben. — Der alte Bauer mußte weiter, aber der Onkel warf die Lederschürze >veg, setzte seine Radfahrermütze auf, streifte die Ärmel über seine dicken, schwarzen Arme herunter und machte sich ge­ schwind auf den Weg zur Haltestelle. Er sprang vom Rad, dann in zwei Sätzen die Treppe zum Bahnhof hinaus und trat in die Wartehalle 1. und 2. Klasse. — Sieh, guten Tag, Meister! sagte der dicke Wirt, der hinter dem Tresen stand und die gebrauchten Gläser umspülte. Kriegt man Sie auch mal zu sehn? — Aber der Onkel fing gleich au zu erzählen. Und dann sagte Herr Kröger (so hieß der Wirt): dann will ich eben telephonieren, nahm die hölzernen Hörer von der Wand und hielt sie sich ans Ohr. Ach, sagte er, und nun sprach er in den Heinen Kasten, der in der Wand saß, hinein, was der Onkel ihm von den Zigeunern er­ zählt hatte. Eine Zeit horchte Herr Kröger in den Hörer hinein, dann hängte er die Hörer wieder an die Wand und sagte in aller Ruhe zu Onkel Schmied: Nun wollen wir sie wohl kriegen; morgen früh können die Leute mal hingehen und sich bei der Polizei melden. Und er lachte über die dummen Zigeuner, und der Onkel lachte auch. Aber Liese, die immer noch auf dem Schmiedehof stand, weinte in einem fort und wischte sich mit den Händen durchs Gesicht, und das war schon gerade so schwarz wie ihre Heinen Füße, die in allem Dreck herumliefen. Die Mutter wußte gar nicht, was sie vor Schreck sagen sollte; aber der Onkel tröstete sie und sagte: Sie kriegen die Ziege wieder. 3. Die Mühcke. Wilhelm, ich glaube, wir stellen die Mühle ab, sagte der staubige Müller zu seinem Knecht, Hessel, Lesebuch 2. 12. «ufl.

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es steigt ganz schwarz übers Gehölz herauf. Ich glaube, wir kriegen ein Gewitter. — Das ist gut, dachte Wilhelm, diese Hitze ist ja nicht mehr zum Aushalten. Und er wischte sich mit seinem großen, roten Taschentuch die dicken Schweiß­ tropfen ab, die an seinen Haaren saßen. Er war nicht bange vor dem Gewitter; sie hatten ja eine hohe eiserne Stange mit einer goldenen Spitze oben auf der Mühle stehn; da konnte ihnen der Blitz nichts tun. Aber wenn die Mühle stille stand, dann brauchte er sich auch nicht mehr so zu quälen, immer die schweren Säcke Korn die Treppe hinauf­ schleppen, daß die Tritte knackten — das war kein Ver­ gnügen. Und nun ging Wilhelm nach oben, um die Flügel ab­ zustellen. Ganz fest zog er die Kette an, immer langsamer drehte sich der Balken, an dem die Flügel saßen, und er kreischte und weinte, und dann stand er still. So, dich haben wir jetzt, sagte Wilhelm und band die Kette fest, aber nun will ich mir erst das Gewitter ansehn. Und nun trat er aus einer kleinen Tür in die freie Luft hinein — ach nein, aus eine hölzerne Galerie hinaus, die rund um die Mühle herumging. Sieh, da sitzt es, sagte Wilhelm, da über dem Gehölz, ganz blau und schwarz, tvie die Nacht. Hu, ein Blitz! und er zählte 123456789 10 11 12, horch, da kollerte und donnerte es, immer stärker und stärker, und zuletzt bumste es über ihm, als wenn im Himmel wohl eine schwere Kiste nm und um geschmissen würde. Hu, schon wieder ein Blitz — das wird ja ein schweres Gewitter. Da will ich nur geschwind laufen, daß ich nach unten komme. Wilhelm, rief der Müller von unten aus dem Hof herauf, Wilhelm, mach man schnell alle Fenster zu, das geht gleich los. Ich will eben den Wagen in das Schauer reinziehen. — Ja, — is gut. Und nun klappte Wilhelm die Tür hinter sich zu, schloß ab und rannte schnell von einem Boden nach dem andern und machte alle kleinen Luken und Fenster zu. Als er die letzte Treppe herunterkam, hörte er eine feine Stimme — me-e-e-e-eck. Wilhelm blieb vor

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Erstaunen stehen. Da ging es wieder me-e-e-e-eck. O was ist das? Und er lief nach unten; da guckte ein kleines, braunes Gesicht um die Mehlsäcke, ein kleiner Bart, zwei lange Hörner und zwei abstehende Ohren. O eine Ziege, wo kommt die her? Aber er wußte nicht, wem die gehörte, und er sperrte sie erst mal in den Stall nnd gab ihr etwas zu fressen. Tann ging er rasch über den Hof ins Wohnhaus, denn nun fielen große warme Regentropfen vom Himmel. 4. Die Kunstreiter. In der Stadt sollte in ein paar Tagen ein großes Schützenfest gefeiert werden- und der Zirkus war schon unterwegs; zwei Wagen rollten auf der Landstraße, ein Wagen voll von allerlei Gerätschaften, ein Wagen voll von den Kunstreitern. In dem ersten Wagen ivaren Bretter, Leinenzeug, Bänke, Fahnen, Anzüge, eilte Schaukel, bunte Reifen, Trompeten, eine dicke Trommel, spitze Hüte, Peitschen, rote und weiße Farbe, eine Orgel und ein großes, großes Bild von der Vorstellung. In dem zweiten Wagen stand ein Herd mit Töpfen und Tellern. Da stand auch ein Sofa und ein Tisch davor, und an den Wänden standen Betten und Stühle und ein Heiner Schrank. In diesem Wagen waren die Frauen und kochten und strickten, und zwei Kinder spielten da, ein Junge und ein Mädchen, Kunstreiterkinder, die buntes Zeug anziehn und in der Vor­ stellung Kunststücke machen müssen. Die Männer aber gingen draußen mit der Peitsche in der Hand und trieben die Pferde an und paßten auf, daß die beiden kleinen Ponys, die hinten am Wagen angebunden waren, sich nicht los­ rissen. Was ist denn das für eine Wirtschaft! schrie auf ein­ mal der Mann vom vorderen Wagen. Wohl hundert Gänse watschelten auf der Landstraße und schnatterten und reckten die Hälse und zischten und liefen nach beiden Seiten auseinander, daß die Pferde sie nicht kriegten. Hu, wie sie wackelten und mit den Flügeln schlugen, um nur wegzukommen. Nur eine ganz dicke konnte nicht mitkommen, und der Kunstreiter klatschte ihr mit seiner langen Peitsche so wild um die Ohren, daß sie den Pferden gerade zwischen die Füße lief. 8*

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Die traten zu — und traten sie tot. Da hielten die schnellen Wagen an, und die Kunstreiter liefen hin, wo die Gans lag, schmutzig und voll Blut und tot. Ein Glück, daß kein Gänsejunge da ist, nur schnell fort damit! Und der Kunst­ reiter stieg auf die kleine Treppe, hinten an der Tür, reichte die tote Gans hinein und sagte : Hier, ein Sonntagsbraten! Und dann ging's wieder im Trab weiter auf der Landstraße. Nur immer vorwärts! sagte der erste Kunstreiter wieder zu dem zweiten, daß wir hinkommen, es gibt ein Gewitter, sieh nur, wie da die schwarzen Wolken herauskommen! Aber sie brauchten nicht mehr zu eilen, denn plötzlich sahen sie hohe Schornsteine, Türme und Dächer und Windmühlen und hohe Fabriken — das war die Stadt. Und nun ging's mit lustigem Hallo hinein, daß die Leute stehen blieben und die Kinder alle hinterherliefen. Aber sieh, plötzlich kamen zwei Schutzleute über die Straße und sagten zu den Kunstreitern, sie sollten doch mal stillhalten. — Ihr seid angezeigt, ihr hättet eine Ziege gestohlen, und nun müssen wir wohl mal eben revidieren. — Allein von einer Ziege war nichts zu finden; als sie aber das Bett aufmachten, fanden sie darin eine tote, schmutzige, blutige Gans. He, was ist denn das? fragten die Schutzleute, und nun mußte der erste Kunstreiter die Gans unter den Arm nehmen und mit nach dem Stadthaus.

5. Das Gewitter. Aber wohin gehörte die Gans? Ich will's erzählen. — In dem Dorfe, wo die kleine Liese wohnte, stand gleich neben der alten roten Kirche, von Efeu fast ganz zugedeckt, das Pastorenhaus. Dahin gehörte die Gans. — Doris, sagte die Frau Pastorin und trat in die Küche, wo die Dienstmagd das Geschirr putzte, Doris, wir kriegen Sonntag Besuch, und da wollen wir unsere dicke Lene schlachten. Sie kann doch nicht mehr laufen und wird uns am Ende noch krank. Laß sie nur gleich in die Küche herein, wenn sie heute Abend zu Hause kommt! Aber Lene kam nicht. Die andern waren schon alle im Dorf und patschten im Sandweg und machten, daß

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sie in ihre Höfe kamen; denn die Gewitterwolken waren nun ganz herangekommen, blau und schwarz wie die Nacht. — Aber Lene kam nicht. Du, Heini, sag mal, wo bleibt denn unsere Seite? fragte Doris n.un den weißhaarigen Jungen, der mit einem Stock in der Hand die letzten Gänse vor sich hertrieb. — Js se noch nicht reinge­ gangen? sagte Heini erschrocken, denn weiß ich nid). — Aber die Frau Pastorin, die ihn von der Haustür her im Regen hatte stehen sehen, rief ihn ins Haus. Nun kam die ganze Geschichte an den Tag, nein, die halbe — daß Heini nicht gut aufgepaßt hatte. Er hatte an der Weser gespielt, bis er den schwachen Donner des Gewitters in der Ferne hörte. Da holte er seine Herde, die sich während der Zeit auf der Landstraße zerstreut hatte, zu­ sammen und trieb sie rasch ins Dorf hinein. Nun fing die Frau Pastorin an zu schelten, und Heini weinte ganz laut, bis der Pastor mit einem Buche in der Hand aus der Stubentür trat und sagte: Liebe Frau, du wirst doch jetzt nicht schelten; kommt in die Stube, das Gewitter steht gerade über uns, wir wollen beten. — In demselben Augenblick blitzte es, als wenn die ganze dunkle Hausflur im Feuer stände, und gleich hinterher prasselte der Donner wie Gewehrfeuer und Kanonendonner, daß die Erde bebte und die Fensterscheiben flirrten. Um Gottes willen, sagte der Pastor, und faltete die Hände, da hat es eingeschlagen! Doch nun brach auch ein Regen los, als sollte die ganze Erde weggespült werden. Der Regen wusch nur so an den Fensterscheiben herunter, kaum konnte man noch recht die Bäume im Garten sehen; aber Heini, der nun mit in der dunklen Pastorenstube stehen mußte, sah doch, wie die Baumzweige sich bogen, wie das Regen­ wasser die Wege überschwemmte, und wie die Blätter hinter den Fenstern wild auf und ab schaukelten. Dazwischen fuhren immer noch helle Blitze hinein, und dann konnte man einen Augenblick weit, weit ins Dorf hineinsehen wie ant hellen Tage. Endlich wurde es wieder hell, der Regen wurde weniger.

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nian konnte jetzt den ganzen Garten wieder deutlich sehen. Da lagen wohl Zweige und Blätter auf den Wegen; aber sonst war noch alles gut gegangen; bald konnte schon das Fenster wieder aufgemacht werden, damit frische, kühle Regen­ lust in die heiße, dumpfige Stube hereinkam. — Nun sing auch der Herr Pastor mit dem unachtsamen Gänsejungen an, und wenn der Regen draußen aufhören wollte, so fing er in Heinis Gesicht wieder von neuem an. Aber der Pastor redete ihm freundlich zu und sagte, er solle nicht weinen und sich nun lieber eine recht, recht nützliche Arbeit aus­ suchen, um den Schaden wieder gutzumachen. — Und nun lauf zu, der Regen hat aufgchört, und deine Mutter wird sich schon ängstigen. Ja die arme Mutter, sic fing an zn. weinen, als sie das neue Unglück hörte. Und das Schlimmste war, sie wußte nun, daß sie zwei unachtsame, leichtsinnige Kinder hatte, auf die man sich nicht verlassen konnte.

6. DasStadthaus. Am andern Morgen hielt der Müllerwagen vorm Hause, und der Müller trat mit einer Rechnung in die Stube und sagte zur Mutter, ob sie das wohl gelegentlich in Ordnung machen wollte, der letzte Beutel Mehl wäre noch nicht bezahlt. — Ach, du liebe Zeit, das ist ja wahr; ach, was wir doch alles haben! Und als der Müller sic verwundert ansah, sing sie an: Ach, denken Sie mal, wir haben vorgestern eine schöne Ziege gekriegt, und gestern haben uns die Zigeuner die Ziege schon wieder gestohlen. — Eine Ziege? sagte der Müller, Sie haben eine Ziege gehabt? — Ja, nun kam es heraus, daß die Ziege nicht gestohlen war, sondern daß sie ganz gemüt­ lich im Mühlenstall stand, und — der Müller hätte sie schon längst hergebracht, wenn er nur gewußt hätte, weni sie gehörte. Aber nun hatte die Mutter auch Mitleid mit den armen unschuldigen Zigeunern, die nun vielleicht ihretwegen im Ge­ fängnis sitzen mußten. Doch der Müller wußte guten Rat. — Wissen Sie was, Mutter, ich fahre jetzt ins Torf und

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bringe Rechnungen herum. Nun ziehen Sie sich fix an, in einer halben Stunde bin ich wieder da, und dann fahren wir zusammen nach der Stadt. — Und das Mittagessen? — Ach was, der Vater kommt ja erst heute abend, und die Kinder können in der Mühle essen, wenn sie die Ziege holen. — Und so wurde es denn auch gemacht. Nur ging Liese allein nach der Mühle, und Heini stieg mit auf den Wagen, weil die Mutter ihm zu gleicher Zeit in der Stadt eine neue Mütze kaufen wollte. So kam Heini auch mit ins Stadthaus. Da hörten sie nun freilich, daß die Leute keine Zigeuner, sondern Kunstreiter gewesen wären; sie hätten auch keine Ziege gestohlen und wären nicht ins Gefängnis gekommen, sondern hätten nur 20 Mk. Strafe bezahlt, weil sie eine tote Gans, die auf der Landstraße gelegen hätte, für sich behalten hätten. Eine Gans? sagte die Mutter ganz aufgeregt, Heini, dir ist doch eine weggekommen, so sprich doch und sag dem Herrn, wie sie ausgesehen hat! Und nun fing Heini an und sagte alles, ivas er von der dicken Lene wußte, denn die kannte er ganz genau; auch daß sie an jedem Flügel eine graue Feder habe, erzählte er — bis der Polizeikommissär lachte und aus dem Nebenzimmer die tote Gans, die in dem Kunstreiterbett gelegen hatte, herausholte. Ja, da war sie, iiitb nun konnten Mutter und Sohn glücklich auf dem Müller­ wagen wieder nach Hause fahren. Nun ist die Geschichte gleich zu Ende. Die Frau Pastorin freute sich, daß sie $it Sonntag nun doch noch ihren Gänse­ braten kriegte. Der Herr Pastor klopfte Heini auf die Backen und sagte lächelnd, nun brauchte er den Schaden auch nicht mehr gutzumachen. Aber Heini hatte sich doch noch was vorgenommen, und den Nachmittag machte er sich daran und brachte den Pastorengarten hübsch in Ordnung. Es war nur zu viel für ihn, und die Frau Pastorin mußte noch mit helfen. Aber sie gab ihm, weil er fleißig ge­ wesen war, noch vier gelbe Augustäpfel, die inwendig schon braune Kerne hatten. Die teilte er sich mit seiner Schwester

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Liese, und dann saßen die beiden auf ihrem Staket und schmausten und schmatzten, und das Kernhaus, das sie nicht essen konnten, gaben sie ihrer Ziege, und Hibbel Hibbel fraß es ans. Da war es mit den Augustäpfeln zu Ende, und mit unserer Geschichte ist es auch zu Ende.

127. Der Radfahrer. Hui, was fliegt da die Straße entlang? Ich sehe zwei Räder, die sich schnell drehen, und obendarauf hockt ein Mensch, und seine Beine heben und senken sich, als träte er eine Nähmaschine. Lustig ist's, so dahin zu sausen, auf der ebenen Straße! Das steht auf des Radfahrers Gesicht geschrieben. Sieh, wie gewandt er sich mit dem schmalen Rade zwischen zwei Wagen hindurchschlängelt, nirgends an­ stößt, höflich Fußgängern ausweicht. Das ist einer, der das Fahren auf dem Zweirad gut versteht. Auch vorsichtig ist er. Immer hat er die Hand an dem Glöckchen, und lvenn jemand seinen Weg kreuzt, so klingelt er. Er warnt uns. Er hat Furcht, jemand zu verletzen oder gar zu über­ fahren. Ja, nun wird das Menschengedränge zu dicht, nun muß der Radfahrer absteigen. Nun führt er sein Zwei­ rad mit der Hand neben sich her. Er lacht dabei und denkt: muß ich dich auch führen, mein liebes Zweirad, so brauche ich dich doch nicht zu füttern, wie der Kutscher dort auf denk Platze seine Pferde füttert. Jetzt ist Raum geworden. Schnell ergreift der Radfahrer die Lenkstange, schwingt sich wieder auf sein Rad und rollt schnell dahin. Es geht weich und sanft. Die Räder sind mit einem Gummischlauch eingefaßt. Im Schlauch ist Luft. Nein, ich freue mich, daß ich teilt Fußgänger bin, denkt der Radfahrer. P—ff! niacht es plötz­ lich! O weh! o weh! Was ist geschehen? Der Gummi­ schlauch ist geplatzt, die Luft ist aus dem Schlauch ent­ wichen! Das kommt von der alten Glasscherbe her, die auf dem Fahrweg liegt. Die Scherbe hat den Schlauch zer­ schnitten. Armer Radfahrer, was machst du jetzt? Wieder

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ist er abgestiegen, wieder führt er sein stählernes Pferd am Zügel. Aber das Pferd ist jetzt krank, und der Rad­ fahrer macht ein langes Gesicht. Er wollte so schnell nach Bergedors radeln; nun muß er sich eine ruhige Straße suchen und sein Zweirad flicken. Siehst du, sagt der Fuß­ gänger, jetzt lachst du mich nicht mehr aus! Jetzt lauf ich an dir vorbei, etsch! Klinglingling! tönt es hinter dem Fußgänger. Schon wieder ein Radfahrer? Ja, aber diesmal ist's ein Dreirad, das daher kommt, und daraus sitzt ein Hausknecht mit einem schweren Koffer. Dem gefällt das Dreirad sehr, das gute Dreirad, das nicht nur den schweren Koffer, sondern noch ihn selber schleppt. Wem sollte es nicht gefallen?

128. Die elektrische Straßenbahn. I. Ja, Kinder, die Elektrische macht die ganze Welt anders. Eure Eltern haben sich noch gewundert, als sie zum ersten­ mal so einen großen Wagen ganz allein ohne Pferde durch die Straße fahren sahen. Und von euren älteren Geschwistern

werden das auch noch einige wissen. Ja, Eisenbahnen kannte man schon lange, aber die haben ihre besonderen Wege, auf denen sonst niemand gehen oder fahren darf. Und dann ist bei der Eisenbahn zwar auch kein Pferd vorgespannt; aber doch ein großer Dampfwagen, der viel mehr schnaubt und pustet, als ein halbes Dutzend Pferde. Da merkt man, daß der Dampfwagen sich anstrengt, wenn er vorwärts will. Aber vor dem elektrischen Wagen ist gar keine Lokomotive, da ist einfach ein Wagen, in dem die Leute sitzen können, und vorn steht der Führer und dreht ruhig eine Kurbel, als wenn er ganz langsam Kaffee mahlen wollte. Und dann fährt der Wagen ganz allein ab und so schnell, daß der Führer große Mühe hat, wenn er ihn rasch zum Halten bringen will. Das ist doch eigentlich ganz wunderbar, und vor zweihundert Jahren hätte ganz gewiß jeder geglaubt, der Führer wäre ein Hexenmeister, und in dem Motor säße der Teufel in

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eigener Person. Das haben ja viele Menschen schon von der Eisenbahn geglaubt, und in der Lokoinotive ist doch nur dieselbe Kraft, die jeder zu Hause in seinem Wasserkessel hat, lind die auf dem Kessel den Deckel tanzen läßt. Das ist die Kraft, die in dem Wasserdampf steckt, die hat man eingesperrt in einen großen Kessel, und dann heizt man ihn gehörig ein, daß sie immer böser wird, und dann macht man ihr bald hier und bald dort ein Loch auf, daß die Dampfkraft denkt: Aha, da geht's hinaus! Aber wenn sie sich dahinaus stürzt, dann merkt sie, daß sie nichts soll als einen Kolben hin- und herschieben, und dieser Kolben bewegt eilte Eisenstange, und die Eisenstange bewegt ein Rad, und dann müssen die übrigen Räder und die ganze Maschine mit. Das müßt ihr euch einmal genauer ansehen und zeigen lassen. II. Aber dabei sieht man doch immer etwas, aber der elek­ trische Strom ist viel unheimlicher. Den sieht man meistens gar nicht, nur manchmal abends glüht und blitzt es unter den Rädern und oben an der Stange. Aber wenn man neben dem Führer steht und ganz genau aufpaßt, wie er die Kurbel dreht, dann sieht man gar nichts von dem elektrischen Strom, man merkt nur, daß der Wagen ansängt zu laufen: eine wunderbare und unheimliche Geschichte ist das doch!

Die Straßen sind ja nnn freilich nicht grade schöner geworden durch die Elektrische. Mitten über der Straße ist immer der Draht, meistens sogar zwei Drähte nebeneinander, wo zwei Geleise sind; und dann stehen hohe Masten auf beiden Seiten der Straße, und von Mast zil Mast ist immer ein Draht gezogen, an dem die Leitungsdrähte aufgehängt sind. Und auf Plätzen, >vo viele Bahnen gehen, da sind natürlich

auch viele Drähte ausgespannt: das sieht so aus, als hätte eine riesige Kupserspinne ihr Netz gespannt. Das sieht also nicht sehr schön aus, aber mau gewöhnt sich daran. Aber man muß sich sehr in acht nehmen, wenn einmal ein Draht reißt, daß er einem nicht auf den Kopf

fällt, oder daß man ihn nicht anfaßt. Denn da kann man einen elektrischen Schlag kriegen, daß man gleich tot bleibt. Uni) auch sonst muß man sich vor der Elektrischen in acht nehmen, weil sie so sehr rasch fährt. Man darf nicht dicht vor ihr über die Straße laufen, man darf nicht aufspringen, wenn die Bahn fährt, und man darf nicht abspringen, ehe der Wagen hält; sonst kann man furchtbar hinfallen und über­ fahren werden.

129, Die Eisenbahn. Sie stehen am Bahnübergänge, der Vater und die Kinder, und sehen, wie der Zug heranstürmt. Ordentlich bange luctben sie vor dem Ungetüm, beim das schnaubt und faucht wie ein wildes Tier. Und mit Donnergepolter rast es vorbei, und kaum kann man die Fenster und die Reisenden dahinter sehen. Unter dem letzten Wagen quillt Dampf in dichten Wolken heraus. Das ist die Dampfheizung. Sollen denn die Reisenden frieren und über kalte Füße klagen? Ach nein, man will ihnen das Reisen so angenehm wie möglich machen. Je mehr sie reisen, desto mehr verdient ja auch wieder die Eisenbahn. Und nun gibt es in den Wagen Polster, Gardinen, Lampen, Netze, Haken, Aschenbecher, Waschbecken und Spiegel. Es gibt Wagen mit Heinen über­ einandergestellten Betten; es gibt auch Wagen, in denen die Herrschaften an langen weißgedeckten Tischen sitzen und essen und trinken können. Das sind Schlafwagen und Speise­ wagen. Aber sieh nur, wie weit ist schon der Zug! Nur noch die drei roten Laternen schwimmen in der nebeligen Abend­ lust. Nun verlöschen sie und fahren in die weite Welt und mit ihnen die Reisenden. Wer weiß wohin? Der eine fährt in die Berge, der andere an die See. Der Jahrmarkts­ besucher, der Geschäftsreisende, der Kranke, der ins .Bad reift, der Soldat, der zu den Eltern reist, der Schiffer, der aus weiter Ferne wieder zurückkehrt in sein kleines Dorf — was könnten die alles erzählen! — Aber der Vater ist mit

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Menschenleben.

den Kindern kaum drüben angekommen, so senkt sich die Schranke schon wieder. Und es ist doch noch kein Zug zu sehen! Ta muß der Bahnwärter die Züge wohl alle im Kopfe haben, meinen die Kinder. Aber in seinem Häuschen hängt ja ein Fahrplan, der alle Züge genau angibt. Der ist vorher berech­ net worden, wie ein Stundenplan, und nun dürfen die Züge nicht mehr fahren, wie sie wollen, sondern sie müssen fahren, wie der Fahrplan vorschreibt. Das könnte sonst eine heil­ lose Unordnung abgeben! Und die Reisenden? Auch sie müssen sich einen kleinen Fahrplan kaufen, denn der Zug wartet nicht auf sie. Aber da braust auch schon der Zug an ihnen vorbei! Hei, wie der Dampf sie umslutet! Ja, das ist ein Güter­ zug, und der ist furchtbar schwer. Wie das ächzt und stöhnt und dröhnt. Steinkohlen, ein Möbelwagen, Petroleunrfässer, lange Baumstämme — wo kommen die her, wo wollen die hin? Ja, das ist eine lange Geschichte, und die Räder erzählen sie den Schienen, und das stöhnt und dröhnt, daß man die eigene Stimme nicht hören kann.

130. Auswanderer in Hamburg. Mutter ging mit mir über den „Graskeller" Viele Leute und Wagen waren da. Man mußte immer ausweichen. Ich sah auch viele Straßenbahnwagen. Sie haben da eine Haltestelle. Alle Wagen fuhren sehr schnell. Alle Leute liefen eilig. Da sah ich auf einmal etwas ganz Merkwürdiges. Mitten zwischen den eiligen Leuten, auf den Haus­ treppen und sogar auf dem Trottoir saßen Leute ganz ruhig. Es waren ungefähr sechs Frauen. Ich sah auch einen alten Mann, er saß auf einem Bündel. Zwei Frauen hatten ganz kleine Kinder im Arm. Einige Kinder von fünf oder sechs Jahren liefen bei ihnen herum. Ich zog Mutter am Rock, daß sie still stehen sollte. Was für Leute sind das, Mutter? fragte ich. Mutter sagte: „Es sind Auswanderer." Wo wandern sie denn hin? „Sie wandern nach drüben irgendwo. Wohin, weiß ich nicht," sagte die Mutter. Die Auswanderer sahen ganz anders aus, als die Leute

Nummer 130.

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in Hamburg. Sie hatten rote und gelbe Taschentücher um den Kopf. Sie hatten braune Gesichter. Ihre Augen waren schwarz. Sie sahen uns an, als ob sie traurig wären. Mutter, sind die Auswanderer traurig? fragte ich. „Ja, Kind, ich glaube, sie sind traurig. Sie haben ihre Heimat verlassen." Wo ist denn ihre Heimat, Mutter? „Ich weiß es nicht. Sie ist wohl weit von hier, in Polen oder Ruß­ land." Und warum haben sie ihre Heimat verlassen, Mutter? „Weil sie dort nicht leben können. Weil ihre Korn­ felder kein gutes Korn mehr tragen, und weil sic ihre Kühe und Pferde geschlachtet haben zur Zeit der Hungers­ not." Und was wollen sie drüben tun, Mutter? „Sie wollen Land suchen, wo die Kornfelder gntes Korn tragen, und wo sie besser leben können."

Die Auswanderer sahen uns an, als ob sie mit uns sprechen wollten. Sie sagten auch ein paar Worte, aber wir konnten sie nicht verstehen. Wir hatten gerade Äpfel gekauft. Mutter hat einen Korb voll am Arm. Können wir nicht den kleinen Auswandererkindern ein paar Äpfel gebe», Mutter? sagte ich.

Mutter erlaubte es mir. Es waren sechs Kinder da. Ich gab jedem Kinde einen Apfel. Da wurden sie ganz lustig und die Frauen auch. Sogar der alte Maun mit dem langen grauen Bart lachte ein bißchen. Eine Frau zeigte uns ihr kleines Kind ganz nahebei. Es wachte gerade auf. Es hatte große schwarze Augen. Seine kleinen Füße waren rot und ganz nackt. Mutter wickelte die kleinen Füße besser in das große braune Tuch ein. Die Frau lachte. Alle Auswanderer sahen freundlich aus. Ihre Augen glänzten. Die Kinder aßen die Äpfel auf und sprangen umher. Viele Leute, die vorübergingen, blieben stehen und be­ trachteten die Auswanderer. Ein Herr schenkte einem kleinen Jungen fünfzig Pfennig. Endlich mußten wir weiter gehen. „Glückliche Reise!" sagte die Mutter. Da lachten alle Aus­ wanderer freundlich und riefen: „Danke!" Das Wort hatten sie schon gelernt.

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Menschenleben.

131. Rätsel. 1. Was dir die erste Silbe nennt, das fällt vom Himmel; die zweite Silbe nennt ein Spielzeug; das ganze Wort bezeichnet ein Ding, das die Knaben int Kampfe brauchen.

2. Die erste Silbe nennt einen einzigen Buchstaben; die zweite findest du am Himmel; das ganze Wort benennt ein Fest. 3. Die erste Silbe ist fleißig und geschickt; die zweite ist von Leder, Wolle oder Seide; das ganze Wort hat man int Winter am liebsten.

4. Die erste Silbe ist eine Zeit; die zivcite ivird in dieser Zeit gebraucht und vertreibt die erste; das ganze Wort ist in der Krankenstube.

5. Die erste Silbe ist die Blitmeuzeit des Jahres; die zweite dem Seefahrer willkommen; das Ganze ist eine Stadt in Italien.

6. Das erste hat Mensch und Tier ant Kopfe; die zwei letzten nennen eine Frucht, die nur in wärmeren Ländern reif wird; das Ganze aber ist ein sehr unangenehmes Ding.

132. Rätsel. 1. Sie bleibt das ganze Jahr zu Haus lind geht doch alle Tage ans.

2. Gin hundert scharfe Zähne hat's lind krallt und beißt Ivie eine Katz. 3. Ein meilenlanger Faden lind dennoch kugelrund, Tas deucht dir fast zu bunt, lind doch wirst du's erraten.

Nummer 131 bis 133.

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4. Auf ihren Köpfen stehen sie Und recken in die Höh die Zeh; Mit dir spazieren gehen sie Im Sommcrklee und Winterschnee.

5. Fünf Finger und doch keine Hand, Ein Schuh, doch ohne Sohle; Bald kreideweiß wie eine Wand, Bald schwarz wie eine Kohle.

133, Bolksrätsel. 1. Nate, was ich hab vernommen! Es sind achtzehn kleine Gesellen zur Welt gekommen» Von Angesicht gar säuberlich, Keiner doch dem andern glich; All ohne Fehler und Gebrechen, Nur konnte keiner ein Wort sprechen, Und damit man sie sollte verstehn, Hatten sie fünf Dolmetscher mit sich gehn. Das waren hochgelehrte Leut! Der erst erstaunt, reißt's Maul auf weit. Der zweite wie ein Kindlein schreit, Der dritte wie ein Mäuslein Pfisf, Der vierte wie ein Fuhrmann rief, Der fünfte gar wie ein Uhu tut; Das waren ihre Künste gut. Damit erhoben sie ein Geschrei, Füllt noch die Welt, ist nicht vorbei.

2. Ich mache hart, ich mache weich, Ich mache arm, ich mache reich. Man liebt mich, doch nicht allzunah; Zu nah wird alles von mir aufgezehrt, Und alles stirbt, wo man mich ganz entbehrt.

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Menschenleben.

3.

Ich weiß ein kleines weißes Haus, Hat nichts von Fenstern, Türen, Toren, Und will der kleine Wirt heraus, Sv muß er erst die Wand durchbohren. 4.

Nunzelpunzelchen auf der Bank, Nunzelpunzelchen unter der Vauk, Da wird Nunzelpunzelchen krank; Es ist kein Doktor so geschickt, Daß er Nunzelpunzelchen wieder flickt. 5.

Zwei kleine mit zwei großen Lausen auf allen Straßen; Lausen die großen auch noch so sehr, Die kleinen kommen doch noch ehr. 6.

Es fibeii zwei und dreißig Gesellchen In einem kleinen Ställchen, Sind lustig und munter, Gehen ans und unter, lind ein rot Mädchen dabei, So scheu sie schön in der 9icilj. 7.

Es liegen vier Brüder in einer Wiegen. Doch keiner tut in der Mitte liege». 8.

Es geht und gehet immer fort Uni) kommt doch keinen Schritt vom Ort. 9.

Auf einem weißen See Schwimmt eine rote Rose; Willst du die schwarzen Fischlein sprechen. Mußt du die rote Rose brechen.

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Nummer 133.

10. Wer es macht, der braucht es nicht, Wer es kauft, der will es nicht, Wer es braucht, der weiß es nicht.

11. Kaiser Karl hatte einen Hund, Dein gab er einen Namen ans seinem Mund, Also hieß Kaiser Karl seinen Hund — Wie hieß der Hund?

12. Es schrieb ein Manu an eine Wand: Zehn Finger hab ich an jeder Hand

Fünfundzwanzig an Händen und Füßen, Wer das nicht rät, der muß es büßen.

13. Du siehst es stets bei Sonnenschein,

Am Mittag ist es kurz und klein Hub wächst bei Sonnenuntergang lind lvird gar wie ein Baum so lang.

14. Männchen im Strauch Hat ein schwarz Käppchen auf, Ein rot Mäntelchen um Uud Steinchen int Bauch. Wie heißt's Männchen im Strauch?

17.

15. Mein Erstes nicht wenig. Mein Zweites nicht schwer; Mein Ganzes gibt Hoffnung, Doch trau nicht zu sehr.

16. Zwei Bäter und zwei Söhne Schossen drei Hasen schöne. Ein jeder hat einen ganzen Getragen in seinem Ranzen. Hessel, Lesebuch 2.

13. Aufl.

Es liegt was auf dem Rasen Mit vierundzwanzig Nasen.

18. Ein eisernes Gäulchen, Ein flächsernes Schwänzchen; Je länger springt das Gäulchen, Je kürzer wird das Schwänzchen.

19. Es steht etwas im Acker, 9

Menschenleben.

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Hält sich brav und wacker. Hat sieben Häut, Beißt alle Leut.

Dann grün wie Klee, Dann rot wie Blut, Schmeckt allen Kindern gut.

20.

23.

Hager, mager und klein, Hüll ich all in Kleider ein. 21.

Überm Kirchendach Brummt ein Bogel: Ach, Da drunten wird verbrannt Die Arbeit meiner Hand! 22.

Erst weiß wie Schnee,

Es flog ein Bogel Federlos Auf einen Baum Blattlos; Da kam die Frau Mundlos Und aß den Bogel Federlos. 24.

Loch bei Loch und hält doch. 25.

Bei Tag eine Leiter, Bei Nacht eine Schlange.

134. Sprichwörter. 1. Aufgeschobcn ist nicht aufgehoben. — 2. Besser ein Sperling in der Hand als zehn auf dem Dache. — 3. Dars doch die Katze den Kaiser ansehen. — 4. Der Horcher an der Wand hört seine eigne Schänd. — 5. Durch Schaden wird man klug. — 6. Durch wiederholte Streiche fällt auch die stärkste Eiche. — 7. Ehrlich währt am längsten. — 8. Eile mit Weile. — 9. Eine Hand wäscht die andere. — 10. Er gehl wie die Katze um den heißen Brei. — 11. Es ist kein Meiste, vom Himmel gefallen. — 12. Geduldige Schafe gehen viel in einen Stall. — 13. Kleider machen Leute. — 1'4. Mancher sucht einen Pfennig und verbrennt dabei drei Lichter. — 15 Man muß das Bäumchen biegen, so lange es jung ist. — 16. Man soll nicht aus der Schule schwatzen. — 17. Man sucht keinen hinter dem Ofen, man habe denn selbst dahinter ge­ steckt. — 18. Mit dem Hut in der Hand kommt man durchs ganze Land. — 19. Müßiggang ist aller Laster Anfang. — 20. Rot lehrt beten. — 21. Probieren geht über Studieren. — 22. Schein trügt. — 23. Sparmund und Übelleb kaufen Herrn Wohlleb sein Haus ab. — 24. Sprichwort, wahr Wort. — 25. Tadeln ist leichter als Bessermachen. — 26. Übermut tut sclteu gut. — 27. Unkraut vergeht nicht. — 28. Viele Köche ver-

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derben den Brei. — 29. Vorgetan und nachbedacht hat manchen in groß Leid gebracht. — 30. Was Mäulchen nascht, muß Leibchen büßen. —31. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans ninlmermehr. — 32. Was inan nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben. — 33. Wenn die Mäuse satt sind, schmeckt das Mehl bitter. — 34. Wenn der Himmel einfällt, sind alle Spatzen tot. — 35. Wenn die Katze aus dem Haus ist, springen die Mäuse über Tisch und Bänke. — 36. Wenn eine Gans trinkt, dann trinken alle. — 37. Wenn man den Wolf nennt, kommt er gercnnt. — 38. Wenn's dem Esel zu wohl ist, so geht er aufs Eis tanzen und bricht ein Bein. — 39. Wer auf zwei Stühlen sitzen will, setzt sich leicht dazwischen. — 40. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. — 41. Wer motzt bei der Schüssel, dem schadet's am Rüssel. — 42. Wer verdrießlich ist, den ärgert die Fliege an der Wand. - 43. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. — 44. Wer andre necken will, muß selbst Spaß verstehn. — 45. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hin­ ein. — 46. Wer A sagt, muß auch B sagen. — 47. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. — 48. Wer die Rose bricht, muß leiden, daß sie sticht. — 49. Wer die Wahl hat, hat die Qual. — 50. Wer nicht will, der hat ge­ gessen. — 51. Wer viel fragt, bekommt viel Antwort. — 52. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. — 53. Weise Sprüche, gute Lehren soll man tun und nicht bloß hören. — 54. Wie man in den Wald schreit, so schreit es wieder heraus. — 55. Wie der Herr, so der Knecht. — 56. Wie gewonnen, so zerronnen. 57. Wie man's treibt, so geht's — 58. Wo man die Katze streichelt, da ist sie gern. — 59. Zum einen Ohr hinein, zum andern hinaus. Mit Gott fang an, mit Gott hör auf! Das ist der beste

Lebenslauf.

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Geschichten.

IV. Geschichten. 135. Der fröhliche Hirtenknabe. Ein fröhlicher Hirtenknabe hütete an einem heitern Frühlingsmorgen in einem blumigen Tale zwischen waldigen Bergen die Schafe und sang und sprang vor Freude. Der Fürst jenes Landes, der in der Gegend jagte, sah ihn, rief ihn zu sich und sprach zu ihm: „Warum bist du denn so gar lustig, lieber Kleiuer?" Der Knabe kannte den Fürsten nicht und sagte: „Warum soll ich nicht lustig sein? Unser gnädig­ ster Landesfürst ist nicht reicher als ich."

„So?" sprach der Fürst, „laß doch einmal hören, was du alles hast!" Der Knabe sagte: „Die Sonne an dem schönen, blauen Himmel scheint für mich so freundlich, wie für den Fürsten, und Berg und Tal grünen und blühen für mich so schön, wie für ihn. Meine beiden Hände gäbe ich nicht für hunderttausend Gulden, und meine beiden Augen wären mir um alle Kostbarkeiten in der fürstlichen Schatzkammer nicht feil. Überdies habe ich alles, was ich wünsche; denn ich wünsche nicht mehr, als ich nötig habe: ich esse mich täglich satt, habe Kleider, mich ordentlich zu bedecken, und bekomme für meine Mühe und Arbeit jährlich so viel Geld, daß ich damit ausreiche. Und könnt Ihr sagen, daß der Fürst mehr habe?" Der gute Fürst lächelte, gab sich zu erkennen und sprach: „Du hast recht, guter Knabe, und kannst nun sagen, der Fürst selbst habe dir recht gegeben. Bleibe bei deinem fröhlichen Sinn!"

Nummer 136 bis 137.

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136. Der Löwe. Ein armer Sklave — er hieß Androklus — der seinem Herrn entlaufen war, wurde wieder eingefangen und zum Tode verurteilt. Man brachte ihn aus einen großen, weiten Platz, der mit Mauern umgeben war, und ließ einen furcht­ baren Löwen auf ihn los. Mehrere tausend Menschen sahen zu. Der Löwe stürzte grimmig auf den armen Menschen los, blieb aber plötzlich stehen, wedelte mit dem Schweife, sprang voll Freude unt ihn herum und leckte ihn: dann freundlich die Hände. Die Leute aber verwunderten sich und fragten den Sklaven, wie das komme. Der Sklave erzählte: „Als ich meinem Herrn entlaufen war, verbarg ich mich itt einer Höhle der Wüste. Da kam dieser Löwe winselnd zu mir herein und zeigte mir seine Pratze, in der ein scharfer Dorn steckte. Ich zog ihm den Dorn heraus, und von der Zeit a.n versah mich der Löwe mit Wildbret, und wir lebten in der Höhle friedlich zusammen. Bei der letzten Jagd wurden wir voneinander getrennt und beide gefangen, und nun freut sich das gute Tier, mich wieder zu finden." Alles Volk war über die Dankbarkeit des guten Tieres ent­ zückt und rief laut:- „Es lebe der wohltätige Mensch! es lebe der dankbare Löwe!" Der Sklave wurde freigelassen und reichlich beschenkt. Der Löwe aber begleitete ihn von nun an be­ ständig wie ein zahmes Hündchen, ohne jemand ein Leid zu tun.

137. Die Perlen. Ein Wanderer verirrte sich in der Wüste eines fernen Weltteils. Er fand zwei Tage lang nichts zu essen und zn trinken und verschmachtete fast vor Hunger und Durst. Endlich erreichte er einen schattigen Baum und eine frische Quelle. An dem Baum waren aber keine Früchte; bei der Quelle lag je­ doch ein kleines Säckchen. „Gottlob!" sagte der Manu, indem er das Säckchen anfühlte, „das sind vielleicht Erbsen, die mich vom Hungertode erretten." Er machte das Säckchen begierig auf und rief erschrocken: „Ach Gott! es sind nur Perlen!"

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Geschichten.

138. Die sieben Stäbe. Ein Vater hatte sieben Söhne, die öfters miteinander un­ eins wurden. Über dem Zanken und Streiten versäumten sie die Arbeit. Ja, einige böse Menschen hatten im Sinne, sich diese Uneinigkeit zu nutze zu machen und die Söhne nach dem Tode des Vaters um ihr Erbteil zu bringen. Da ließ der ehrwürdigc Greis eines Tages alle sieben Söhne zusammen­ kommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebun­ den waren, und sagte: „Demjenigen von euch, welcher diesen Bündel Stäbe entzweibricht, zahle ich hundert große Taler bar." Einer nach dem andern strengte alle seine Kräfte an, und jeder sagte nach langem, vergeblichem Bemühen: „Es ist gar nicht möglich." — „Und doch," sagte der Vater, „ist nichts leichter." Er löste den Bündel auf und zerbrach einen Stab nach dem andern mit geringer Mühe. „Ei," riefen die Söhne, „so ist es freilich leicht, so könnte es ein kleiner Knabe!" Der Vater aber sprach: „Wie es mit diesen Stäben ist, so ist es mit euch, meine Söhne. So lange ihr fest zu­ sammenhaltet, werdet ihr bestehen, und niemand wird euch überwältigen können. Wird aber das Band der Eintracht, das euch verbinden soll, aujgelöst, so geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen aus beut Boden umherliegen."

139. Das Wunderkästchen. Eine Hausfrau hatte in ihrer Haushaltung allerlei Un­ glücksfälle, und ihr Vermögen nahm jährlich ab. Da ging sie in den Wald zu einem alten Einsiedler, erzählte ihm ihre be­ trübenden Umstände und sagte: „Es geht in meinem Hause einmal nicht mit rechten Dingen her. Wißt Ihr kein Mittel, dem Übel abzuhelfen?" Der Einsiedler, ein fröhlicher Greis, hieß sie ein wenig warten, ging in die Nebenkammer seiner Zelle, brachte über eine Weile ein kleines, versiegeltes Käst­ chen und sprach: „Dieses Kästlein nrüßt Ihr ein Jahr lang, dreimal bei Tag und dreimal bei Nacht, in Küche, Keller, Stallungen und allen Winkeln des Hauses herumtragen, so

Nummer 138 bis 140.

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wird es besser gehen. Bringt mir aber übers Jahr das Kästlein wieder zurück!" Die gute Hausmutter setzte in das Kästchen ein großes Vertrauen und trug es fleißig umher. Als sie den nächsten Tag in den Keller ging, wollte der Knecht eben einen Krug Bier heimlich heraustragen. Als sie noch spät bei Nacht in die Küche kam, hatten die Mägde sich einen Eierkuchen gemacht. Als sie die Stallungen durch­ wanderte, standen die Kühe tief im Kot, und die Pferde hatten anstatt des Hafers nur Heu und waren nicht gestriegelt. So hatte sie alle Tage einen andern Fehler abzustellen. Nach­ dem das Jahr herum war, ging sie mit dem Kästchen zum Einsiedler und sagte vergnügt: „Alles geht nun besser. Laßt mir das Kästlein noch ein Jahr! Es enthält gar ein treff­ liches Mittel!" Da lachte der Einsiedler und sprach: „Das Kästchen kann ich Euch nicht lassen; das Mittel aber, das darin ver­ borgen ist, sollt Ihr haben." Er öffnete das Kästchen, nnd sieh! es war nichts darin, als ein weißes Blättchen Papier, auf dem geschrieben stand: »Soll alles wohl im Hause stehn. So mußt du selber wohl nachsehn/

140. Der Pilger. In einem schönen Schlosse, von dem schon längst kein Stein auf dem andern geblieben ist, lebte einst ein sehr reicher Ritter. Er verwendete sehr viel Geld darauf, sein Schloß recht prächtig auszuzieren; den Armen tat er aber wenig Gutes. Da kam nun einmal ein armer Pilger in das Schloß und bat um Nachtherberge. Der Ritter wies ihn trotzig ab und sprach: „Dieses Schloß ist kein Gasthaus." Der Pilger sagte: „Erlaubt mir nur drei Fragen, so will ich weiter gehen!" Der Ritter sprach: „Aus diese Bedingung hin mögt Ihr immer fragen. Ich will Euch gern antworten." Der Pilger fragte ihn nun: „Wer wohnte doch wohl vor Euch in diesem Schlosse?" — „Mein Vater," sprach der Ritter. Der Pilger fragte weiter: „Wer wohnte vor Euerm Vater da?" „Mein Großvater," antwortete der Ritter. „Nnd

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Geschichten.

wer wird wohl nach Euch darin wohnen?" fragte der Pilger weiter. Der Ritter sagte: „So Gott will, mein Sohn!" — „Nun," sprach der Pilger, „wenn jeder nur eine Zeit in diesem Schlosse wohnet und immer einer dem andern Platz machet, was seid ihr denn anders hier, als Gäste? Dieses Schloß ist also wirklich ein Gasthaus. Verwendet daher nicht so viel, dieses Haus so prächtig auszuschmücken, das Euch nur kurze Zeit beherbergt. Tut lieber den Armen Gutes, so bauet Ihr Euch eine bleibende Wohnung int Himmel." Der Ritter nahm diese Worte zu Herzen, behielt beit Pilger über Nacht und wurde von dieser Zeit an wohltätiger gegen die Armen.

141. Der königliche Schatzmeister. Ein königlicher Schatzmeister wurde bei seinem Könige angeklagt, daß er die Schätze des Reiches veruntreue und die geraubten Gelder und Kostbarkeiten in einem verborgenen Gewölbe mit einer eisernen Tür aufbewahre. Der König be­ gab sich in den Palast des Schatzmeisters, ließ sich die eiserne Tür zeigen und befahl, sie zu öffnen. Aber wie erstaunte er, als er hineintrat! Er sah nichts als vier leere Wände, einen ländlichen Tisch und einen Strohsessel. Aus dem Tische lag eine Hirtenflöte nebst einem Hirtenstabe und eine Hirten­ tasche. Durch das Fenster sah man auf grüne Wiesen und waldige Berge. Der Schatzmeister aber sprach: „In meiner Jugend hütete ich die Schafe. Du, o König, zogst mich an deinen Hof. Hier in diesem Gewölbe bringe ich nun täglich eine Stunde zu, erinnere mich mit Freuden meines vorigen Standes und wiederhole die Lieder, die ich ehemals bei meinen Schafen zum Lobe des Schöpfers gesungen habe. Ach! damals war ich auf meinen väterlichen Fluren bei all meiner Armut glücklicher, als in diesem Palaste bei allem Reichtume, womit die Gnade meines Königs mich überhäuft hat!"

142. Der Wolf «nd der Hund. „Du hast es lang gut," sagte ein Wolf, welcher des Nachts nach Beute umherstrich, zu einem Hunde, mit dem er

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sich zuweilen unterhielt, „seit Wochen habe ich keinen Bissen Fleisch mehr gegessen; du wirst dick und fett, und ich bin so dünn wie ein zusammengeklapptes A-B-C-Buch." — „Ja," sagte der Hund, „mir geht es ganz gut, ich kann nicht klagen. Einmal im Tage füllt man mir meine Schüssel bis zum Rande mit allerlei, was von der Tafel meines Herrn übrig bleibt, mit fetter Suppe, Brotstücken, großen Fleischbrocken und den herrlichsten Knapperknochen. In der Zwischenzeit bekomme ich noch manche Näschereien zugesteckt, Wurstschalen, Käs­ rinde, zuweilen sogar ein Schinkenbein." — „Und gibt man dir das alles umsonst, aus lauter Liebe?" fragte der Wolf. „Das gerade nicht," erwiderte der Hund, „weißt du, dafür bewache ich meinem Herrn das Haus, halte die Diebe in Furcht und lasse keine Füchse und Wölfe auf den Hof. Ich will dir was sagen, geh doch zu meinem Herrn und verdinge dich ihm auch als Hofhund, du siehst ja einem Schäferhunde zum Verwechseln ähnlich!" „Ich will es mir einmal überlegen," erwiderte der Wolf, „ich hätte wirklich nicht übel Lust dazu, wenn man dafür so prächtig gefüttert wird. Aber sag einmal, was hast du denn da am Hals für wunde Stellen? bist du denn da gebissen worden?" — „Nein," sagte der Hund, „das ist nichts, das hat nichts zu bedeuten, das ist nur von der Kette!" — „Von der Kette?" fragte der Wolf, „von was für einer Kette?" — „Nun ja, siehst du," antwortete der Hund, „am Tage liege ich an der Kette, weil die Leute sagen, ich wäre bissig. Aber des Abends macht man mich los, da darf ich die ganze Nacht herumlaufen, soviel ich will." — „Höre," sagte der Wolf, „dann will ich mich lieber doch nicht als Hund verdingen, lieber bleibe ich mager und behalte dafür auch am Tage meine Freiheit!" Und damit lief er wieder in seinen Wald zurück, Flock aber ging wieder in den Hof, zu seiner Schüssel und zu seiner Kette.

143. Das Böckleiir und der Wolf. Ein junges Geißböcklein war auf das Dach seines Stalles geklettert. Da stand es nun, meckerte vergnügt und schaute

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Geschichten.

so stolz in die Welt hinein, als ob es die allergrößte Heldentat vollbracht hätte. Aus einmal sah es unten den bösen Wolf gehen, den Erbfeind seines Geschlechtes. Nun erst wuchs ihm der Mut. „Seht einmal, ihr Leute," rief es laut lachend, „da schleicht der Hungerleider! Gelt, du suchst Bäckchen, du Lump? Laß dir nur das Gelüst vergehen! marsch fort in den Wald mit dir, du Nimmersatt, du schäbiger! gib acht, gleich werfe ich dir ein paar Ziegel auf den Kopf, daß du ein Rad schlagen sollst. Willst du wohl weggehen da unten!" Da sagte der Wolf: „Wer schimpft so dort oben? Bist du das, Freundchen? Ach nein, jetzt sehe ich, das Dach schimpft. Nun, Dach, schinipfe nur weiter!" Und damit ging er vorüber.

144. Der aufgeblasene Frosch. Eine Gesellschaft grüner Laubfrösche hüpfte in muntern Sprüngen über eine Wiese, auf welcher ein paar fette Ochsen weideten. „Seht einmal diese riesengroßen Tiere!" sagte einer der Frösche, „gegen die sind wir doch nur elende Zwerge." — „Das finde ich gar nicht," meinte ein stattlicher Frosch — es war nicht der größte, aber der dickste — „ihr seid allerdings nur schmächtige Kerlchen, aber seht einmal littet) an! Es fehlt gar nicht so viel, dann bin ich auch so dick wie dort der Ochse." Seine Gefährten guakten laut auf. „Nun gebt einmal acht!" sagte der dicke Frosch, und dabei blies er sich auf, als sei er ein Luftball. „Bin ich jetzt bald so grob wie der Ochse?" fragte er. „Noch lange nicht!" riefen seine Freunde. Nun blies er noch ntehr. Er glich jetzt einer dicken Trommel. „Aber jetzt?" fragte er. „Nein, immer noch nicht!" Nochmals blies er mit Anstrengung ■aller seiner Kräfte, bis er kugelrund war. „Aber jetzt doch?" fragte zum drittenmal der eitle Wicht. Die andern Frösche schüttelten den Kops. Ter Gernegroß blies immer weiter; ■auf einmal tat es einen Knall, er war geplatzt!

145. Der Esel und das Reitdserd. Ein schwer mit Säcken beladener Esel keuchte langsam seine Straße. Da jagte auf stolzem, stattlich aufgezäumtem

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Rosse ein Reiter an ihm vorüber. „Ach, wer doch ein Reit­ pferd wäre!" seufzte der Esel, „dann hätte man es gut. Dann stände man in einem wohlgelüfteten, geräumigen Stall, fräße Hafer, soviel man wollte, würde geputzt und gestriegelt, bekäme einen prächtigen Sattel auf den Rücken gelegt und trüge dann den Reiter in Trab und Galopp, hopp! hopp! über Stock und Stein, das wäre keine Arbeit, das wäre eitel Freude! Unsereins aber hat es halt anders, schleppt schwere Säcke von früh bis spät, und was ist der Lohn? Elende Spreu und Disteln und Prügel ohne Ende. Ach, wer doch auch ein Reitpferd wäre!" — Nach einiger Zeit brach ein Krieg aus, und der Herr des Pferdes mußte auch mit; in voller Rüstung bestieg er sein Tier und trieb es überall hin; er jagte es endlich sogar mitten in die Feinde hinein, bis es verwundet niedersank. Der Kampf war vorüber, und das Pferd, aus seinen Wunden blutend, lag einsam und sterbend auf dem Schlachtfeld. So erblickte es der Esel. Da wurde er anderer Meinung als früher und lobte sich seine Säcke und seine Disteln. „Ist mein Los auch ärmlich," so sprach er, „so ist es doch friedlich. Meiner wartet kein Glanz, aber auch keine Gefahr. Nein, es geht nichts darüber, ein Esel zu sein!"

146. Die Grillen und die Ameisen. Unsere Ameisen hierzulande liegen im Winter erstarrt da und brauchen kein Futter. Aber in wärmeren Ländern gibt es eine Art Ameisen, welche sich Speisen für den Wjnter sammeln. Zu einem solchen fleißigen Ameisenvolke kam zur Winterszeit eine hungrige Grille und bat um etwas zu essen. „Hast du es denn nicht gemacht wie wir?" fragten die Ameisen, „und hast im Sommer dir Vorräte eingeheimst?" — „Nein," sagte kleinlaut die Grille, „dazu hatte ich leider keine Zeit." — „Keine Zeit?" versetzten die Ameisen, „was hast du denn an den langen Sommertagen alles getan?" — „Da habe ich gesungen," antwortete die Grille, „meine Stimme klingt so hell wie eine Flöte, und gewiß habt ihr mir auch ost mit Vergnügen zugehört." — „Nicht, daß wir es wüßten," meinten die Ameisen mit Lachen, „dazu

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hatten wir keine Zeit. Aber wir wolle» dir einen guten Nat geben; hast du int Sommer die Flöte geblasen, dann kannst du ja im Winter danach tanzen!"

147. Der Katze die Schelle anhängen. Die Mäuse hielten einmal eine Volksversammlung, um sich zu beraten, wie sie den Nachstellungen der Katzen ent­ gehen sollten. Da war abex guter Rat teuer, und ver­ gebens rief der Vorsitzer die erfahrensten Mäuse der Ge­ meinde auf, bis endlich ein junger Mäuserich zwei Finger emporstreckte und um die Erlaubnis bat zu sprechen. Als diesem nun das Wort gegeben ward, hub er an und sprach: „Ich habe lange darüber nächgedacht, warum uns die Katzen so gefährlich sind. Das liegt nicht sowohl an ihrer Ge­ schwindigkeit, wovon soviel Wesens gemacht wird: würdeit wir sie zu rechter Zeit gewahr, so wären wir wohl behende genug, in unser Loch zu entspringen, ehe sie uns etwas anhaben könnten. Ihre Überlegenheit liegt vielmehr in ihren samtenen Pfoten, unter welchen sie ihre grausamen Krallen so lange zu verbergen wissen, bis sie uns in den Tatzen habeti; denn da wir den Schall des Katzentritts nicht ver­ nehmen, so tanzen und springen wir noch unbesorgt über Tisch intd Bänke, wenn der Todfeind schon heranschleicht und den Buckel zum Sprunge krümmt, uns zu Haschen und zu würgen. Darum ist meine Meinung, man müsse den Katzen die Schelle anhängen, damit ihr Schall uns ihre Nähe verkünde, bevor es zu spät ist." Dieser Vorschlag fand so großen Anklang, daß er als­ bald zum Beschluß erhoben ward. Es fragte sich jetzt mir noch, wer es übernehmen solle, der Katze die Schelle an­ zuhängen. Der Vorsitzer meinte, hiezu werde niemand ge­ eigneter sein, als derjenige, der so schlauen Rat erdacht hätte. Da geriet der junge Mäuserich in Verlegenheit und stotterte die Entschuldigung heraus, hiezu sei er zu jung, er kenne die Katze nicht genug; sein Großvater, der sie besser kenne, werde dazu geschickter sein. Dieser erklärte aber.

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eben weil er die Katze zu gut kenne, werde er sich wohl hüten, einen solchen Auftrag zu übernehmen. Auch sonst wollte sich niemand hiezu verstehen, und so blieb, der Be­ schluß unausgeführt und die Herrschaft der Katzen über die Mäuse ungebrochen.

148. Der Einsiedler und der Bär. Ein Einsiedler hatte sich einen jungen Bären aufgezogen und durch Futter, Schläge und manche Mühe ihn so zahm wie einen Hund gemacht. Oft brachte er nun seinem Erzieher ein ansehnliches Stück Wildbret heim, trug Holz und Wasser herbei, bewachte seine Hütte; kurz, er leistete ihm Dienste von aller Art. Einst lag an einem Sommertage der Einsiedler im Grase dahingestreckt und schlief. Neben ihm saß sein Bär und wehrte die Fliegen ab, die scharenweise den Greis umschwärm­ ten. Vorzüglich quälte ihn eine; wohl zehnmal hatte der Bär sie fortgejagt, und immer kam sie wieder. Jetzt, als sie aber­ mals auf die Wangen des Schlafenden sich setzte, rief der Bär unwillig aus: „Warte, warte! ich will das Wegbleiben dick­ lehren!" Bei diesen Worten ergriff er einen großen Stein, zielte richtig und zerschmetterte die Fliege, aber freilich auch mit ihr den Kopf des armen Alten.

149. Der Igel unv der Maulwurf. Als der Igel spürte, daß der Winter sich nahe, bat ci den Maulwurf, ihm ein Plätzchen in seiner Höhle einzuräumen, damit er dort gegen die Kälte sich schützen könne. Der Maulwurf war es zufrieden; doch kaum sah sich der Igel drinnen, so machte er es sich bequem, spreitete sich aus, und sein Wirt stach sich alle Augenblicke, bald hier, bald da, an des neuen Gastes spitzigen Stacheln. Jetzt erst erkannte der arme Maulwurf seinen begangenen Fehler; er schwur hoch und teuer, daß dies unerträglich sei, und bat den Igel, wieder hinauszugehen, weil seine Wohnung offenbar für sie beide zu klein sei. Aber der Igel lachte und sprach: „Wem es hier nicht gefällt, der kann ja weichen; ich für meine Person bin wohlzusrieden und bleibe."

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Geschichten.

150. Der «nzufriedene Esel. In einem herben Winter wünschte sich ein Esel sehnlich, bald sein Bündel Stroh und sein kaltes Nachtlager mit wärme­ rem Wetter und mit einem Mundvoll frischen Grases zu ver­ tauschen. Das wärmere Wetter und das frische Gras kamen, aber mit ihnen zugleich stellte sich so mannigfache Arbeit ein, daß der Esel bald des Frühlings so überdrüssig als des Winters wurde und sich desto mehr nach dem Sommer sehnte. Auch dieser erschien, aber mit ihm zugleich die Ernte. Wie ost mußte jetzt der Esel Korn und Feldfrüchte bald nach Hause und bald in die Mühle tragen! Wie ängstlich seufzte er über den Sommer, und wie inständig wünschte er sich den Herbst! Der Herbst brach an; Äpfel, Trauben und andere Früchte wurden reif, Holz und Wintervorrat mußten eingesammelt werden. Nie glaubte der arme Langohr noch so übel dran gewesen zu sein, und aufs kläglichste flehte er den Winter an, doch ja herbeizueilen, weil er dann Ruhe zu finden hoffe.

151. Der Schoßhund und der Esel. Ein Herr hatte ein kleines Hündchen, das war sehr possierlich und machte ihm viele Freude. Das Hündchen durfte immer mit dabei sein, wenn sein Herr aß, es be­ kam dann allerlei gute Bissen und Brocken, und manchmal durfte es auch auf dem Schoß des Herrn sitzen, da bellte das Hündchen vor Freude, wedelte mit dem Schwanz und leckte seinem Herrn die Hand. Dieser Herr hatte auch einen Esel, der mußte schwere Lasten tragen und bekam oft Schläge. Wie nun der Esel sah, daß das Hündchen cs so gut hatte, und er hatte es so schlecht, da ward er neidisch und sagte zu sich: Ich arbeite in einem Tag mehr für den Herrn als zehn Hunde in einem Jahr, und doch muß ich auf harten Steinen im Stall schlafen, und dieses Vieh hat ein weiches Körbchen und schläft im warmen Zimmer. Ich will aber auch einmal so artig und freundlich sein wie der garstige Bello, vielleicht wird dann der Herr mich auch

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so streicheln und füttern. Wie er noch so dachte, da sah er gerade seinen Herrn kommen. Sofort sprang der Langohr auf ihn zu, wedelte mit dem Schwänze wie ein Hund, wackelte vergnügt mit den Ohren und kam mit seinem harten Eselsnraul dem Herrn an die Hände und ins Gesicht. Dabei schrie er ganz laut: J-a, i-a! und leckte den Herrn "mit seiner großen rauhen Zunge. Da schrie der Herr den Knechten zu, die kamen herbei und prügelten den täppischen Esel windelweich, da mußte er wieder in den Stall und mußte Säcke tragen wie sonst.

152. Der Eid des Wolfes. Ein Wolf hatte sich in einer Schlinge gefangen. Da kam der Bauer, der die Schlinge gelegt hatte, und wollte den Wolf totschlagen. Der Wolf heulte jämmerlich und sagte zu dem Landmann: „Wenn du mir das Leben läßt, dann schwöre ich einen Eid, daß ich nie mehr Fleisch fressen will, sondern nur noch Gras und Kräuter, höchstens wenn ich einmal gar zu argen Hunger habe, will ich einen Fisch fressen." Der Bauer glaubte dem Wolf, denn der hatte ja geschworen, er machte die Schlinge los und ließ den Wolf laufen. Dieser eilte auf den Wald zu. Aber da sah er ein Schwein, das wälzte sich in einer Wasserpfütze und grunzte vor Vergnügen. Da blieb der Wolf stehen und sagte für sich: Was mag das für ein Tier sein dort in dem Wasserfluß? Das kann doch nur ein Fisch sein, denn im Wasser gibt es nur Fische, andere Tiere können gar nicht int Wasser leben. Und weil ich gerade gar zu argen Hunger habe, darf ich ja den Fisch fressen! Da fiel er über das arme Schwein her, biß es tot und fraß es auf.

153. Die Katzen «nd der Hausherr. 1. Tier und Menschen schliefen feste, Selbst der Hausprophete schwieg, Als ein Schwarm geschwänzter Gäste Von den nächsten Dächern stieg.

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2. In dem Vorsaal eines Reichen Stimmten sie ihr Liedchen an, So ein Lied, das Stein erweichen, Menschen rasend machen kann.

3. Hinz, des Murners Schwiegervater, Schlug den Takt erbärmlich schön, Und zween abgelebte Kater Quälten sich, ihm beizustehn. 4. Endlich tanzten alle Katzen, Poltern, lärmen, daß es kracht, Zischen, heulen, sprudeln, kratzen. Bis der Herr im Haus erwacht. 5. Dieser springt mit einem Prügel In dem sinstern Saal herum, Schlägt um sich, zerstößt den Spiegel, Wirft ein Dutzend Schalen um; 6. Stolpert über ein'ge Spähne, Stürzt im Fallen aus die Uhr Und zerbricht zwo Reihen Zähne. Blinder Eifer schadet nur!

154. Der Fuchs und die Schnecke. Meister Fuchs hatte sich einmal an einem warmen Sommertag in der Schwägalp gelagert; da erblickte er neben sich eine Schnecke. Der trug er flugs eine Wette an, wer von ihnen beiden schneller nach St. Gallen laufen könne. „Topp!" sagte die Schnecke und machte sich ohne Verzug auf den Weg, zwar ein wenig langsam, denn das Haus auf dem Rücken nahm sie gewohnheitshalber auch mit. Der Fuchs hingegen lagerte sich allfort gemächlich, um erst am kühlen Abend abzuziehen, und so schlummerte er ein. Diesen Anlaß benützte die Schnecke und verkroch sich heimlich in seinen dicken Zottelschwanz. Gegen Abend begab sich nun der Fuchs auf den Weg und war verwundert, daß er der Schnecke nirgends be­ gegnete. Er vermutete, sie werde einen kürzern Weg ein-

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geschlagen haben. Als er aber vor dem Tore von St. Gallen noch immer nichts von ihr sah, da wandte er sich stolz um und rief höhnisch: „Schneck, kommst bald?" — „Ich bin schon da!" antwortete die Schnecke; denn sie hatte sich unvermerkt aus seinem Schwanz losgemacht und schlich gerade unterm Tore durch. Da mußte der hochmütige Fuchs die Wette verloren geben.

155. Der weiße Hirsch. 1. Es gingen drei Jäger wohl auf die Birsch, Sie wollten erjagen den weißen Hirsch. 2. Sie legten sich unter den Tannenbaum, Da hatten die drei einen seltsamen Traum.

(Der erste): 3. Mir hat geträumt, ich klopf auf den Busch, Da rauschte der Hirsch heraus — husch, husch! (Der zweite): 4. Und als er sprang mit der Hunde Gekläff, Da brannt ich ihn auf das Fell — piff, paff!

(Der dritte) : 5. Uno als ich den Hirsch auf der Erde sah. Da stieß ich lustig ins Horn — trara! 6. So lagen sie da und sprachen, die drei. Da rannte der weiße Hirsch vorbei. 7. Und eh die drei Jäger ihn recht gesehn, So war er davon über Tiefen und Höhn. Husch husch! piff paff! trara!

156. Till Eulenspiegel. Der Eulenspiegel, welcher mit dem Vornamen Till hieß, war ein gar närrischer Mensch. Er lachte mehr, als er weinte, und machte tausend possierliche, oft auch verkehrte Streiche. Doch hatte jedermann den närrischen Kauz gern. Einst machte Eulenspiegel eine Reise durch ein großes Gebirg und hatte noch zahlreiche Reisegesellschaft. Wenn es nun einen Berg hinan ging, dann keuchten und krächzten die andern und Hessel, Lesebuch 2. 13. Hust.

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sprachen: „Ach, wenn wir doch nur droben wären'" Der Eulenspiegel machte es aber gerade umgekehrt, er sang und sprang und jubelte den Berg hinauf, als wenn ihm das größte Glück widerfahren wäre. Sobald sie aber oben auf dem Gipfel des Berges an­ gelangt waren und man sich ein wenig ausgeruht hatte, da änderte sich auf einmal die Sache. Eulenspiegel machte ein betrübtes Gesicht, während die übrigen lachten und sich freuten. Und je weiter bergabwärts, desto ärger. Der Eulen­ spiegel sah aus, als wenn ihm die Hühner das Brot weg­ gepickt hätten, die übrigen liefen und lärmten, als wenn sie Geld gefunden hätten. Sobald die Gesellschaft unten war, drehte sich alles wieder um; der Eulenspiegel machte ein heiteres, die andern saure Gesichter. Da fragte endlich einer den Eulenspiegel: „Wie ist es aber möglich, daß du immer ganz anders aussiehst, als die übrige Gesellschaft, es ist doch weit lustiger, einen Berg hinab, als hinauf zu gehen!" — „O", sagte Euleuspiegel, „meine Gedanken sind anders. Wenn ich den Berg hinaufgehe, dann freue ich mich schon darauf, daß es nachher wieder bergab geht; geht es aber herunterzu, dann sehe ich auch schon, daß noch ein neuer Berg vor uns liegt, welcher doch auch noch erklommen werden muß, und das verdirbt mir den Spaß. Aber wenn wir einmal auf der letzten Höhe stehen und keinen neuen Berg vor uns erblicken, dann will ich lustiger sein als alle anderen!"

157. Wie ein Lalenburger ausgesandt wird, aber unterwegs sitzen bleibt. 1. Ein Bote ward einst ausgesandt, Verstand zu holen aus fernem Land. 2. Er eilet rasch über Berg und Tal, Ohne zu ruhn ein einzig Mal. 3. Da steht er plötzlich vor einem Fluß, Welchen er schwimmend durchsetzen muß. 4. Doch der Bot bemüht sich nicht gar sehr; Der Verstand ist schwach, der Wille noch mehr.

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5. „Der Regen hat ihn angeschwellt. Ich wart, bis das Wasser wieder fällt." 6. Der Fluß nimmt ab, er nimmt auch zu, Der Bot, er wartet in guter Ruh. 7. „Der Strom ist groß, die Quelle ist Ren Da muß was anders dahinter sein." 8. Der Fluß rinnt fort und immer fort, Der Bot geduld't sich am selben Ort. 9. „Das Wasser, ich kann's ja fließen sehn! Es muß doch endlich zu Ende gehn!" 10. Der Bot, er harrt bis zu dieser Frist, Wenn er nicht zeithero verstorben ist.

158. Die sieben Schwaben. 1. Das ist die Mär von den sieben SchwabevDie große Taten verrichtet haben; Sie zogen mit ihrem Spieß zum Streit Für Deutschlands Ruhm und Einigkeit. 2. Doch al^ sie über die Felder zogen. Ein schwarzer Käfer kam geflogen. „Da," rief Herr Schulz, der tapfre Mann, „Zum Kampf, ihr Herrn, der Feind rückt an!" 3. Herr Jackli bei des Käfers Summen Rief: „Hört ihr die Kanonen brummen?" »Ja " sprach Herr Veitli, „Donnerwetter! Ich höre schon das Kriegsgeschmetter." 4. Da stürzten die andern hin mit Beben Und schrien: „Wir wollen uns ergeben!" Und lagen auf dem Bauch vor Schreck, Bis daß der Käfer geflogen weg. 5. Als sie nun überstanden das. Da standen sie und schämten sich baß, Gelobten sich auch, daß kein Verrat Enthüllen sollte die erste Tat. 6. Und weiter zogen sie nun zum Streit Für Deutschlands Ruhm und Einigkeit. Da saß ein Häslein fern im Kohl Und tät im süßen Schlaf sich wohl!

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7. „O Gott, seht dort das Ungeheuer!" Schrie Hans, „die Augen glühn wie Feuer!" Der Jörgli rief: „Es ist ein Drachen, Wir wollen ihm den Garaus machen!" 8. Der Marli: „Schnell zur Retirade! Wenn er uns fraß, wär's um uns schade!" „Gott hilf uns in der letzten Stund!" Rief Michel, „'s ist der Höllenhund!" 9. „Und wenn's der Teufel selber wär," Rief Schulze, „gebt den Spieß mir her. Und fasset alle, Mann für Mann, Den Schaft, und gehet drauf und dran! 10. Herr, steh uns bei in dieser Not! Marsch, marsch, nun stecht den Drachen tot!" Der Has erwacht ob solchem Graus, Spitzt seine Löffel und kratzt aus. 11. Da standen sie und schämten sich sehr. Daß es kein Drache gewesen wär. — Dies ist die Mär von den sieben "Schwaben, Die große Taten verrichtet haben.

159. Der Bauer und sein Sohn. Ein guter, dummer Bauernknabe, Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, Recht dreist zu lügen, wiederkam, bGing kurz nach der vollbrachten Reise Mit seinem Vater über Land. Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand, Log auf die unverschämtste Weise. Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. 10 „Ja, Vater," rief der unverschämte Knabe, „Ihr mögt mir's glauben oder nicht. So sag ich's Euch und jedem ins Gesicht, Daß ich einst einen Hund bei — Haag gesehen habe. Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, löDer — ja, ich bin nicht ehrenwert, Wenn er nicht größer war, als Euer größtes Pferd."

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„Das," sprach der Vater, „nimmt mich wunder; Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. Wir zum Exempel gehn jetzunder 20 Und werden keine Stunde gehn. So wirst du eine Brücke sehn, Wir müssen selbst darüber gehn, Die hat dir manchen schon betrogen; Denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein. 25 Auf dieser Brücke liegt ein Stein, An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen. Und fällt und bricht sogleich das Bein." Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen. „Ach," sprach er, „laust doch nicht so sehr! 30 Doch wieder auf den Hund zu kommen, Wie groß sagt ich, daß er gewesen wär? Wie Euer großes Pferd? dazu will viel gehören. Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr; Allein das wollt ich wohl beschwören, 35 Daß er so groß als mancher Ochse war." Sie gingen noch ein gutes Stücke; Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein? Denn niemand bricht doch gern ein Bein. Er sah nunmehr die richterische Brücke 40 Und fühlte schon den Beinbruch halb. „Ja, Vater," fing er an, „der Hund, von dem ich redte, War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte, So war er doch viel größer als ein Kalb." Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen! 45 Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind. „Ach, Vater," spricht er, „seid kein Kind Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen; Denn kurz und gut, eh wir darüber gehen, Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind."

160. Der Peter in der Fremde. 1. Der Peter will nicht länger bleiben, Er will durchaus fort in die Welt.

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Dies Wagestück zu Hintertreiben, Der Mutter immer schwerer fällt. „Was," spricht sie, „willst du draußen machen? Du kennst ja fremde Menschen nicht; Dir nimmt vielleicht all deine Sachen Der erste beste Bösewicht." 2. Der Peter lacht nur ihrer Sorgen, Wenn er die Mutter weinen sieht, Und wiederholt an jedem Morgen Sein längst gesungnes Reiselied. Er meint: „Die Fremde nur macht Leute; Nicht in der Nähe wohnt das Glück." Drum sucht er's gleich recht in der Weite, Doch kehrt er mit der Zeit zurück. 3. Zu Hilfe ruft man alle Basen, Jedwede gibt dazu ihr Wort; Doch Peter läßt nicht mit sich spaßen, Der Tollkopf will nun einmal fort. Da sprach die Mutter voller Kummer: „So sieh doch nur den Vater an! Der reiste nie nnd ist nicht dummer Als mancher weitgereiste Mann." 4. Doch Peter läßt sich nicht bewegen, So daß der Vater endlich spricht: „Nun gut! ich wünsch dir Glück und Segen; Fort sollst du; doch nun zögr auch nicht!" Nun geht es an ein Emballieren Vom Fuß hinauf bis an den Kopf; Man wickelt, daß auch nichts kann frieren, Das dickste Band um seinen Zopf. 5. Und endlich ist der Tag gekommen! Gleich nach dem Essen geht er heut. Voraus ist Abschied schon genommen. Und alles schwimmt in Traurigkeit. Die Eltern das Geleit ihm geben Bis auf das nächste Dorf hinaus.

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Und weil da ist ein Wirtshaus eben, Hält man noch einen Abschiedsschmaus.

6. Ein Fläschchen Wein wird vorgenommen — Doch still wird Peter, mäuschenstill. Man trinkt auf glücklich Wiederkommen, Und Peter seufzt: „Wie Gott es will!" Er muß die Augen manchmal reiben, Nimmt Abschied noch einmal recht schön Und sagt, man soll' nur sitzen bleiben, Denn weiter läßt er keinen gehn. 7. Und endlich wankt er fort, der Peter, Ob's gleich beinah ihn hätt gereut, Nach seden hundert Schritten steht er Und denkt: „Wie ist die Welt so weit!" Das Wetter will ihn auch nicht freuen; Es geht der Wind so rauh und kalt, Er glaubt: „Es kann noch heute schneien, Und schneit's nicht heut, so schneit's doch bald!" 8. Jetzt schaut er bang zurück, jetzt geht er Und sinnt, wie weit er heut wohl reist; Jetzt kommt ein Kreuzweg, ach! da steht er, Und niemand, der zurecht ihn weist! „Ach," seufzt er, „so was zu erleben Gedacht ich nicht! daß Gott erbarm! Hätt ich der Mutter nachgegeben, So säß ich jetzt noch weich und warm.

9. Wie konnt ich so mein Glück verscherzen! Ich war doch wahrlich toll und dumm. Wie würde mich die Mutter herzen, Kehrt ich an diesem Kreuzweg um!" Und rasch beschließt er, sich zu drehen, Wie wenn man was vergessen hat, Und rennt — ich hätt es mögen sehen — Zurück zur lieben Vaterstadt. 10. Die Eltern saßen unterdessen Im Wirtshaus noch in guter Ruh,

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Bekämpften ihren Gram durch Essen Und tranken tiefbetrübt dazu. Der Peter ließ sie gern beim Schmause; Ihn reizte nur der Heimat Glück; Drum rannt er spornestreichs nach Hause Auf einem Seitenweg zurück. 11. Und froh, daß in der Näh und Ferne Sein Fuß sich nicht verirret hat, Gelangt er vor dem Wendsterne Inkognito noch in die Stadt. Doch ist er kaum daheim gekommen, So schallt Gelächter durch das Haus, Das hätt er übel fast genommen, Allein — er machte sich nichts draus. 12. Man spaßt: „Du mußt mit Meilenschuhen Gewandert sein; drum setz dich auch Nun Hintern Ofen, um zu ruhen, Und pfleg am Brotschrank deinen Bauch!" Er tut's. Dann treten seine Alten Zur Stubentür betrübt herein; Die Mutter seufzt mit Händefalten: „Ach, Gott, wo mag mein Peter sein?" 13. Da kriecht der Peter vor und schmunzelt: „Was schreit ihr denn? Hier bin ich ja." Die Mutter jauchzt, der Vater runzelt Die Stirn und spricht: „Schon wieder da? Nun, wie ich's dachte, ist's geschehen; Die Mutter war nur ganz verwirrt; Ich hab's dem Kerl heut angesehen, Wie weit die Reise gehen wird."

14. Die Mutter jubelte, durchdrungen Von frommem Dank: „'s ist besser so; Nun hab ich tvieder meinen Jungen Gesund daheim, des bin ich froh!" Doch Peter sagte ganz beklommen:

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„Hätt' ich nur nicht geglaubt, es schneit, Und wär der Kreuzweg nicht gekommen, Ich wäre jetzt, wer weiß, wie weit!"

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Bom Büblein, das überall mitgenommen hat sein wollen.

1. Denk an! das Büblein ist einmal Spazieren gegangen im Wiesental; Da wurd's müd gar sehr Und sagt: „Ich kann nicht mehr; Wenn nur was käme Und mich mitnähme!" Da ist das Bächlein geflossen kommen Und hat's Büblein mitgenommen; Das Büblein hat sich aufs Bächlein gesetzt Und hat gesagt: „So gefällt mir's jetzt!"

2. Aber was meinst du? das Bächlein war kalt. Das hat das Büblein gespürt gar bald; Es hat's gefroren gar sehr, Es sagt: „Ich kann nicht mehr; Wenn nur was käme Und mich mitnähme!" Da ist das Schifflein geschwommen kommen Und hat's Büblein mitgenommen; Das Büblein hat sich aufs Schifflein gesetzt Und hat gesagt: „Da gefällt mir's jetzt!" 3. Aber siehst du? das Schifflein war schmal. Das Büblein denkt: da fall ich einmal; Da fürcht es sich gar sehr Und sagt: „Ich mag nicht mehr; Wenn nur was käme Und mich mitnähme!" Da ist die Schnecke gekrochen gekommen Und hat's Büblein mitgenommen; Das Büblein hat sich ins Schneckenhäuslein gesetzt Und hat gesagt: „Da gefällt mir's jetzt!"

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4. Aber denk! die Schnecke war kein Gaul, Sie war im Kriechen gar zu faul; Dem Büblein ging's langsam zn sehr; Es sagt: „Ich mag nicht mehr; Wenn nur was käme Und mich mitnähme!" Da ist der Reiter geritten gekommen, Der hat's Büblein mitgenommen; Das Büblein hat sich hinten aufs Pferd gesetzt Und hat gesagt: „So gefällt mir's jetzt!"

5. Aber gib acht! das ging wie der Wind, Es ging dem Büblein gar zu geschwind; Es hopst drauf hin und her Und schreit: „Ich kann nicht mehr; Wenn nur was käme Und mich mitnähme!" Da ist der Baum ihm ins Haar gekommen Und hat das Büblein mitgenommen; Er hat's gehängt an einen Ast gar hoch, Dort hängt das Büblein und zappelt noch. Das Kind fragt: „Ist denn das Büblein gestorben?" Antwort: „Nein! es zappelt ja noch! Morgen gehn wir 'naus und tun's runter!"

162, Bom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt. 1. Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald In gutem und schlechtem Wetter; Das hat von unten bis oben Nur Nadeln gehabt statt Blätter; Die Nadeln, die haben gestochen, Das Bäumlein, das hat gesprochen:

2. „Alle meine Kameraden Haben schöne Blätter an,

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Und ich habe nur Nadeln, Niemand rührt mich an; Dürft ich wünschen, wie ich wollt, Wünscht ich mir Blätter von layter Gold." 3. Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein ein, Und früh ist's aufgewacht; Da hat es goldne Blätter fein, Das war eine Pracht! Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich stolz; Goldne Blätter hat kein Baum im Holz." 4. Aber wie es Abend ward, Ging der Bettler durch den Wald Mit großem Sack und großem Bart, Der sieht die goldnen Blätter bald, Er steckt sie ein, geht eilends fort Und läßt das leere Bäumlein dort. 5. Das Bäumlein spricht mit Grämen: „Die goldnen Blätter dauern mich; Ich muß vor den andern mich schämen, Sie tragen so schönes Laub an sich; Dürft ich mir wünschen noch etwas, So wünscht ich mir Blätter von hellem Glas." 6. Da schlief das Bäumlein wieder ein, Und früh ist's wieder aufgewacht; Da hat es glasene Blätter fein, Das war eine Pracht! Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich froh! Kein Baum im Walde glitzert so." 7. Da kam ein großer Wirbelwind Mit einem argen Wetter, Der fährt durch alle Bäume geschwind Und kommt an die glasenen Blätter; Da lagen die Blätter von Glase Zerbrochen in dem Grase. 8. Das Bäumlein spricht mit Trauern „Mein Glas liegt in dem Staub,

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Die andern Bäume dauern Mit ihrem grünen Laub; Wenn ich mir noch was wünschen soll, Wünsch ich mir grüne Blätter wohl!"

9. Da schlief das Bäumlein wieder ein. Und wieder früh ist's aufgewacht; Da hat es grüne Blätter fein, Das Bäumlein lacht Und spricht: „Nun hab ich doch Blätter auch. Daß ich mich nicht zu schämen brauch." 10. Da kommt mit vollem Euter Die alte Geiß gesprungen; Die sucht sich Gras und Kräuter Für ihre Jungen; Sie sieht das Laub und fragt nicht viel, Sie frißt es ab mit Stumpf und Stiel.

11. Da war das Bäumlein wieder leer, Es sprach nun zu sich selber: „Ich begehre nun keine Blätter mehr, Weder grüner, noch roter, noch gelber! Hätt ich nur meine Nadeln, Ich wollte sie nicht tadeln." 12. Und traurig schlief das Bäumlein ein, Und traurig ist es aufgewacht; Da besieht es sich im Sonnenschein Und lacht und lacht! Alle Bäume lachen's aus, Das Bäumlein macht sich aber nichts draus. 13. Warum hat's Bäumlein denn gelacht Und warum denn seine Kameraden? Es hat bekommen in einer Nacht Wieder alle seine Nadeln, Daß jedermann es sehen kann; Geh 'naus, sieh's selbst, doch rühr's nicht an! „Warum denn nicht?" — Weil's sticht!

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163. Witttnstor». Zu London hatte ein reicher Kaufmann ein blutarmes Kind, dessen Eltern gestorben waren, zu sich in sein Haus genommen. Weil der arme Junge, der Richard Wittington hieß, noch so klein war, so konnte er anfangs zu nichts ge­ braucht werden. Man ließ ihn also nur im Hause herum laufen. Da machte er sich nun selbst ein Geschäft daraus, verlorene Stecknadeln und hingeworfene Bindfäden aufzu­ suchen und sorgfältig zu verwahren. Wenn er dann ein Dutzend Stecknadeln und eine Rolle Bindfaden gesammelt hatte, so brachte er beides seinem Herrn in die Schreibstube. Das gefiel dem Herrn wohl; denn er sah daraus, daß der Knabe haushälterisch und treu werden würde. Von der Zeit an gab er sich mehr mit ihm ab und gewann ihn immer lieber. Da nun eines Tages der Hausknecht junge Katzen ersäufen wollte, bat der Knabe seinen Herrn, er möchte ihm doch er­ lauben, eine davon aufzuziehen, um sie nachher zu verkaufen. Es wurde ihm bewilligt; und nun fütterte er das junge Kätzchen, bis es groß geworden war. Nach einiger Zeit wollte der Kaufmann ein großes Schiff mit Kaufmannswaren nach einem fernen Lande senden, um sie daselbst zu verkaufen. Da er eben sehen wollte, ob alles ordentlich eingepackt wäre, begegnete ihm der Knabe, der seine Katze auf dem Arm trug. „Richard," sagte er zu ihm, „hast du nicht auch etwas mit­ zuschicken, das du verhandeln könntest?" — „Ach, lieber Herr," antwortete der Knabe, „Sie wissen ja wohl, daß ich arm bin und nichts als diese Katze habe." — „Nun, so schicke deine Katze mit!" sagte der Kaufmann, und Richard lief mit ihm hin zum Schiffe und setzte seine Katze darauf. Das Schiff segelt ab. Nach einigen Monaten kanl es bei einem bisher noch nicht bekannten Lande an. Man stieg aus und hörte, daß es von einem Könige beherrscht würde. Da dieser König erfuhr, daß Fremde angekommen wären, ließ er einige davon zu sich fordern und mit sich speisen. Aber ungeachtet Essen genug da war, so konnte man doch fast keinen Bissen genießen. Das ganze Zimmer wimmelte nämlich von

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Mäusen und Ratten, und die waren so dreist, daß sie scharen­ weise auf dem Tische herum sprangen, sich der Speisen be­ mächtigten und sogar den Gästen die Bissen aus der Hand holten. Man hatte kein Mittel ausfindig zu machen gewußt, sich davon zu befreien, ungeachtet der König dem, der ein solches Mittel finden würde, ganze Klumpen Goldes zur Be­ lohnung versprach. Da die Fremden dieses hörten, sagten sie dem Könige, daß sie ein Tier mitgebracht hätten, welches alle diese Mäuse und Ratten töten würde, und holten darauf ihre Katze her. Da hättet ihr sehen sollen, was für eine erschreckliche Nieder­ lage die Katze unter den Mäusen machte. In einer halben Stunde war im ganzen Zimmer keine einzige mehr zu sehen oder zu hören. Der König war darüber so froh, als wenn ihm einer ein ganzes Königreich geschenkt hätte; und weil er unermeßliche Reichtümer hatte, so gab er für die Katze einige Tonnen Goldes hin. Das Schiss eilte darauf zurück. Der Kaufmann hatte kaum gehört, wie viel Geld die Katze ein­ gebracht hätte, als er den Knaben vor sich kommen ließ, ihm sein Glück erzählte und ihn versicherte, daß alles ihm allein gehören sollte. Er ließ ihn darauf die Handlung lernen, und da der junge Mensch fortfuhr, treu, fleißig und sparsam zu sein, so gab er ihm, als er erwachsen war, seine einzige Tochter zur Ehe und setzte ihn zum Erben aller seiner Güter ein.

164. Der Geiger in der Wolfsgrube. Vor nicht so gar langer Zeit gab es selbst in unsern deutschen Wäldern viele Wölfe, und mancher Bauer weiß noch die Geschichte von jenem Geiger in der Wolfsgrube so gut, als wäre sie gestern geschehen, obgleich sie ihm schon sein Groß­ vater erzählt hat. Es ging nämlich einmal ein Geigersmann von einer Kirchweih nach Hause, auf welcher er den Leuten bis tief in die Nacht aufgegeigt hatte. Das Männlein ging ohne­ hin nicht gern auf dem geraden Weg und kam daher auch in dem dicken Forste, durch den es mußte, bald so weit zur Seite ab, daß es am Ende in eine Grube fiel, welche der Jäger zum Wolfsfange gegraben hatte. Der Schreck war schon groß

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genug für den Geiger, da er so ohne weiteres von der ebenen Erde hinunter in die Tiefe fuhr, wurde aber, als er unten auf etwas Lebendiges auffiel, das wild aufsprang, und als er merkte, daß es ein Wolf sei, der ihn mit funkelnden Augen

ansah, noch größer. Der Mann hatte nichts in der Hand als seine Geige, und in der Angst fängt er an, hier vor dem ge­ öffneten Wolfsrachen alle seine Stücklein aufzugeigen, die ihm aber diesmal selber gar nicht lustig vorkamen. Dem Wolf mußte aber diese Musik ganz besonders schön und rührend Vorkommen, denn das dumme Vieh fing an über­ laut zu heulen, was wohl, wie bei unsern musikalischen Hun­ den. wenn sie Sang und Klang hören, gesungen heißen sollte. Die andern Wölfe draußxn im Walde, da sie ihren Kameraden drinnen in der Grube so singen hörten, stimmten auch mit ein, und ihr Geheul kam manchmal so nahe, daß das Geigerlein,

an welchem kaum ein einziger Wolf satt geworden wäre, ge­ schweige deren zwei, jeden Augenblick fürchten mußte, es käme noch ein anderer, auch wohl noch ein dritter und vierter Gast zu seinem bißchen Fleisch in die Grube hinein. Unser Kapell­ meister in der Wüste guckte indes einmal übers andere in die Höhe, ob's noch nicht Tag werden wollte, denn das Geigen war ihm sein lebtag noch nicht so lang geworden und so ganz sauer und niederträchtig vorgekommen, als da vor dem Wolfe, und er hätte lieber Holz dafür hacken wollen zwanzig Jahre lang alle Wochentage. Ehe aber der Morgen kam, waren schon zwei Saiten an seiner Geige gerissen, und da es Tag wurde, riß die dritte, und der Geiger spielte nun bloß noch auf der

vierten und letzten, und wäre die auch noch gerissen, so hätte ihm der Wolf, der durch das viele Heulen die ganze Nacht hindurch nur noch hungriger geworden war, keine Zeit mehr gelassen zum Wiederaufziehen, sondern hätte ihn dabei auf­ gefressen. Da kam zum Glück der alte Jobst, der Jäger, der den Wolf schon von weitem singen, den Geiger aber in der Nähe

geigen hörte. Dieser zog den Kapellmeister gerade noch zur rechten Zeit von dem hungrigen Wolfe heraus und erlegte dann diesen. Der Spielmann ging aber ganz still seines Weges und»

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Geschichten.

nahm sich vor, künftig lieber am Tage und auf geradem Wege nach Hause zu gehen. Das Geigen im Wirtshaus war ihm auch so ganz entleihet, daß er zu seinen Kameraden sagte, er -wolle sich lieber mit der Nahnadel, denn er war ein Schneider, sein tägliches Brot erzeigen, und wenn er einmal eins auf Saiten ausspielen möchte, so täte er's lieber in der Kirche, als im Wirtshaus; denn von dort sein ein geraderer und sicherer Weg nach Hause, sei auch nicht so weit dahin, als vom Wirts­ haus.

Sagen. 165. Das Riesenspielzeug. Im Elsaß auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall liegt, waren die Ritter vorzeiten große Riesen. Einmal ging das Riesenfräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre, und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas Neues war. „Ei," sprach sie und ging herzu, „das nehm ich mir mit!" Da kniete sie nieder zur Erde, spreitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand über das Feld, fing alles zusammen und tat's hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend, wo der Berg so jäh ist, daß ein Mensch mühsam klettern muß, da tat sie einen Schritt und war droben. Ter Ritter saß gerat) am Tisch, als sie eintrat. „Ei, mein Kind," sprach er, „was bringst du da? die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus!" Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. „Was hast du so Zappeliges darin?" — „Ei, Vater, gar zu artiges Spielding, so was Schönes hab ich mein lebtag noch nicht gehabt!" Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit

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ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine Wesen darauf hin und her bewegte. Der Vater aber sprach: „Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was Schönes angestiftet! Geh nur gleich und trag's wieder hinab ins Tal!" Das Fräulein weinte, es half aber nichts. „Mir ist der Bauer kein Spiel­ zeug," sagte der Ritter ernsthaftig, „ich leid's nicht, daß du mir mnrrst, kram alles sachte wieder ein und trag's an den nämlichen Platz, wo du's genommen hast. Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsennest nichts zu leben!"

166. Der Affe zu Dhaun. Im Schlosse zu Dhaun an der Nahe hielt man einen zahnien Affen, der allerlei possierliche Dinge trieb und der Menschen Gebaren nachahmte, wie die Assen tun. Er sah nun öfter, daß die Amme das junge Gräflein, das noch in der Wickel lag, herzte und küßte; und wie einstmals die Amme eingeschlafen war und das Kind in ihrem Schoß lag und auch schlief, da nahm der Affe das Kind und herzte es, und damit er das um so ungestörter tun könne, nahm er das Heine Geschöpf und lief mit ihm fort. Als nun die Wärterin erwachte, und das Kind war fort, da erschrak sie auf den Tod. Sie lief in das Schloß und rief enhsetzensbleich: „Das Kind ist fort! Das Kind ist fort!" Alsbald begann ein Suchen nach dem Kinde, nach allen Richtungen stob die Dienerschaft, unten an den Simmer­ bach, in die Felsenschluchten, in den Wald, und der Graf und die Gräfin suchten auch. Da hört im Wald die Wärterin etwas wimmern wie Kindergeschrei, und wie sie die Büsche auseinandcrbiegt, da sitzt in der Lichtung des Waldes der Affe und drückt das Wickelkind an sich und schaukelt es hin und her, ganz wie er es die Amme hatte tun sehen, wenn sie das Kindlein hatte beruhigen wollen. In der einen Hand aber hielt er einen Apfel, den er dem Heinen Schreihals vergebens anbot. Nicht ohne Zähnefletschen läßt der Affe sich das kleine Gräflein abnehmen, das nun im Triumphe Hessel. Lesebuch 2. 13. Aufl.

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ins Schloß zurückgebracht wird.

Zum Andenken aber an

diese Begebenheit hat der Graf an dem Tore den Affen

in Stein aushauen lassen, wie er dem Kinde einen Apfel darreicht.

Bei der Zerstörung des Schlosses ist der Tor­

bogen mit dem Affen erhalten geblieben.

167. Die Bergwerke im Lemberg. Der Lemberg, der wie ein gewaltiger Pfeiler, der höchste Berg an der Nahe, dicht am Flußbette sich er­ hebt, birgt in seinem Innern reiche Schätze, besonders an Quecksilber. Darum durchziehen ihn Schachte und Stollen, schon in früheren Jahrhunderten angelegt, jetzt aber verfallen, weil die Erzschätze sich erschöpft zu haben scheinen, wenngleich von Zeit zu Zeit immer wieder Mutungen versucht werden. Die drei berühmtesten Erz­ gruben waren in alter Zeit: die drei Züge, Ernestiglück und Geißkammer. Über die Entdeckung einer jeden dieser drei Gruben wissen alte Sagen zu berichten.

I. Ein verarmter Ritter von der Ebernburg jagte ein­ mal am Lemberg im Walde, und da er nichts schoß und über seine Not nachdachte, erschien ihm der Teufel und sagte, just an dieser Stelle seien unter der Erde reiche Schätze; er wolle sie ihm schenken, wenn er einen von den drei Zügen tue, die er ihm anbiete. Er hatte aber drei Halme, zöge davon der Ritter den längsten, dann solle seine eigene Seele dem Satan verfallen sein, zöge er den mittleren, dann nähme der Teufel seines Weibes Seele, der kleinste Halm endlich solle dem Söhn­ lein das ewige Heil kosten. Der arme Ritter schüttelte sich vor Grauen und sagte: „Ich will nicht!“ Da bekam er alsbald eine schallende Ohrfeige, daß er taumelte und die Sinne ihm schwanden. Wie er zu sich kam, lag er in der Nähe seines Schlosses Ebernburg. Daß der Teufel bei all seiner Klugheit im Grunde dumm ist, das weiß jeder; auch diesmal hatte er nicht bedacht, daß der Ritter den

Wald kannte wie seine Westentasche; er fand wirklich den Fleck, wo er den Teufel getroffen, in kürzester Frist wieder aus; da grub er emsiglich und fand bald reiche Quecksilberadern. Darauf legte er ein Bergwerk an und nannte es die drei Züge, das brachte ihm fortan reichliche Lebsucht.

n. Nun die Geschichte vom Ernestiglück. Ein armer Bergknappe, namens Ernst, arbeitete in den drei Zügen, und weil er so fleißig und fromm war, half ihm ein Berg­ männlein heimlich, also daß er immer doppelt so viel förderte, wie seine Mitgesellen. Und doch war er miß­ mutig, denn er hätte gern eines Bauern Tochter im Dorfe Feil gefreit, aber der Vater des Mädchens wollte nur einen reichen Burschen zum Eidam. Wie das gute Bergmännlein seinen Schützling so traurig sah und seinen Kummer erfragt hatte, da sagte es: „Hast du denn gar kein Eigentum?“ — „Ach, nur eine Steinhalde mit ein paar Hecken, wo meine Geißen ihr dürftiges Futter suchen!“ Aber als der Berggeist diese Halde beschaute, da sagte er: „Du bist reicher als die Schultheißen von Feil und von Bingert zusammen, denn unter deinem Feld liegen die herrlichsten Quecksilberadern.“ Und so war es, und der arme Bergknappe ward reich und führte seine Braut heim und nannte die Grube Ernestiglück. HI. Die Grube Geißkammer ist danach genannt, weil dort sonst eine Höhle gewesen ist, worin eine arme Frau aus Bingert, deren Hütte die Schweden verbrannt, mit ihren Kindern und drei Geißen gewohnt hat. In ihrem Unglück röstete sie dasselbe Bergmännlein, von dem^wir eben ge­ hört; es klopfte mit seinem Schlägel an die Felswand und sagte: „Da steckt Euer Glück drin; geht nach Kreuznach und sagt dem Amtmann, wenn er Euch Halbpart gäbe, dann wolltet Ihr ihm ein Erzlager zeigen!“ Und wie das geschehen war, da erfand sich’s, daß in der Geißkammer n*

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noch reichere Schätze waren, als in den andern Gruben. In ihr ward noch geschürft, als die übrigen Bergwerke des Lembergs schon abgewirtschaftet waren.

168. Die Sage vom Mäuseturm. Zur Zeit einer Hungersnot, die vor tausend Jahren zu den Tagen des Bischofs Hatto von Mainz herrschte, rief Hatto eine große Masse armer Leute aus der ganzen Umgegend zusammen, um ihnen Almosen zu spenden, wie er sagte. Er ließ sie aber in einem einsam stehenden Hause verbrennen, weil sie die Hungersnot verschuldet hätten, denn sie hätten müßig herumgestanden und gebettelt und vom Schweiß der Fleißigen sich genährt. Und so vertilgte er alle, die in gläubigem Vertrauen seiner Einladung nachgekommen waren. Dadurch rief er aber die göttliche Rache herbei. Die kam denn über ihn, ehe das dritte Jahr seines erzbischöflichen Amts vorüber war. Es erschien nämlich eine ungeheuere Zahl von Mäusen, .unter deren Bissen er sein Leben elen­ diglich verlor. Wohin er auch ging, die Mäuse folgten ihm und zerfleischten ihn mit grausamen Zähnen. Er floh in eine hochgelegene Kammer, da stiegen die Mäuse scharen­ weise an den Wänden hinauf und ereilten ihn, er schloß sich ein, da kamen sie durch die Ritzen. Jagten die Diener sie fort, so kamen sie in größerer Menge wieder und ließen dem Ärmsten keine Ruhe an keinem Ort. Und da er auf dem Lande nirgend mehr sicher war, gab man ihm den Rat, er solle sich ins Wasser flüchten. Da fuhr er in einem Kahn hinüber zu einem Turm, der zur Wacht seit alten Zeiten mitten im Rheine stand, bei Bingen, da wo die Nahe in den Rhein mündet, und dachte, dorthin, wo die Wogen so gewaltig strömten, könnten ihm die Mäuse nicht folgen. Aber es gibt keinen Ort, wo man der göttlichen All­ macht wehren könnte, Gerechtigkeit zu üben, es sei denn, daß des Sünders herzliche Reue des Richters Sinn er-

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weicht. Gott ordnete es aber so, daß. die Mäuse in unge­ heuren Scharen die Fluten des Rheins durchschwammen; sie erstiegen die feste Burg, an den Mauern hinanklimmend; alle auf einmal fallen sie den Bischof an, nagen, beißen und töten ihn zuletzt.

169. Die Bäckerjungen zu Andernach. Im Rheintor zu Andernach sind zwei roh in Stein gemeißelte überlebensgroße Figuren zu schauen, Knaben in Kitteln. Das Volk nennt sie die Bäckerjungen von Andernach und erzählt sich folgende Sage: Die Andernacher wußten zu allen Zeiten, welch köstlich Ting es ist, sich behaglich im Bette zu dehnen und sich einen süßen Morgenschlummer zu gönnen. Fast aber wäre ihnen diese Angewohnheit einmal »um Verderben geworden. Die Linzer, ihre alten, grimmen Feinde, gedachten einen Hauptstreich gegen sie zu führen und erwählten dazu einen grauen Frühmorgen, wo in Andernach wie gewöhn­ lich Alt und Jung dem Tage entgegenträumte. Nur die Bäcker mußten ihres Berufs wegen früher bei der Hand sein, denn die faulen Andernacher wären entrüstet gewesen, hätten sie nicht beim Frühstück ihre warmen Brötchen vor­ gefunden. Schon waren die Linzer ganz nahe, und die Überrumpelung wäre zweifelsohne gelungen, wenn nicht zwei Bäckrjungen mit dem Semmelkorb auf der Schulter pfeifend die Straße einhergeschritten wären. Weil sie an alle Türen vergebens geklopft hatten, waren sie zum Zeitvertreib ein­ mal aus den Torturm unten am Rhein geklettert und schauten sich seelenvergnügt um. Siehe, da erblicken sie die Linzer, die in unverkenn­ bar feindlicher Absicht sich der Stadt Andernach nähern. Die Bäckerjungen, nicht faul, nehmen die auf der Tor­ brüstung stehenden Bienenkörbe, werfen sie den inzwischen Herangekommenen auf die Köpfe und eilen dann schleunigst an die Sturmglocke, wo sie dermaßen reißen und zerren, daß im Nu kein schläfriges Auge mehr in ganz Andernach ist, sondern in kürzester Zeit Mann bei Mann zur Ver-

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teidigung der bedrohten Stadt bercitsteht. Aber schon war die Gefahr beseitigt, denn die Bienen stachen, daß tausende von Wunden brannten und die Linzer in wilder Flucht davonstürzten, sich vor ihren Peinigern zu retten. Für immer war ihnen die Lust vergangen,. einen Angriff auf

die Nachbarstadt zu wagen.

170. Entstehung des Siebengebirges. Einst war zwischen Trachenfels und Nolandseck keine Lücke, wie heute. Der Rhein konnte also nicht weitersließen, sondern sein Wasser staute sich und bildete einen gewaltigen See. Wie dieser See höher und höher stieg und alles umher zu überfluten drohte, da schickten die Leute, die da wohnten, zu den Riesen und boten ihnen großen Lohn, wenn sie das Gestein durchstechen wollten. Sieben Niesen waren bereit, sich diesen Lohn zu verdienen, sie nahmen ihren Spaten auf die Schulter, kamen herbei und hatten in sieben Tagen die Arbeit getan. Die Leute schleppten das Geld herbei, das sie den Riesen verheißen hatten, diese teilten sich dann und steckten alles in ihren Rucksack. Ehe sie aber abzogen, klopfte jeder seinen Spaten ab, weil noch so viel Felsgebröckel und Erde daran hing. Das Häufchen Gestein aber, was jeder der sieben Riesen zur Seite geworfen hatte, ist jedes einer der sieben Berge, und das zuletzt noch abgeklopfte Gebröckel sind die kleineren Gipfel, die sich dazwischen erheben.

171. Die Heinzelmännchen: Eine der bekanntesten Kölner Sagen ist die von den Heinzelmännchen, die allen Leuten des Nachts bei ihren Geschäften halfen.

Beim Zimmermann richteten sie die Balken

zu, beim Bäcker machten sie Teig und buken Brot, so daß der mit seinen Gesellen die ganze Nacht schlafen konnte; beim Metzger hackten sie das Fleisch und stopften und sotten die Würste, dem Küfer schönten sie die Fässer, stachen ab und schwenkten und schroteten, daß es eine Lust war. Dem

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Schneider schnitten sie das Tuch zurecht, nähten und flickten, als sei es für sie der größte Zeitvertreib. Weil sie aber niemals sich sehen ließen, so hat ein­ mal eine Schneidersfrau, die gar zu gern die kleinen Ge­ hilfen gekannt hätte, Erbsen auf die Treppe gestreut, da fielen sie drüber, glitten aus und schrieen mörderlich. Die Frau kommt schnell mit Licht, aber sie hat doch nichts erblickt, denn wie der Wind sind alle Heinzelmännchen verschwunden, und zwar auf Nimmerwiedersehen. — Das alles kann man, fein ausgemeißelt, an dem Heinzelmännchcnbrunnen sehen, der in neuerer Zeit unweit dem Dom in Köln errichtet worden ist.

172. Wie man unschuldig gehenkt werden kann. Ein Stiftsherr zu Köln schickte seinen Diener fort, den Zehnten eintreiben. Wie er so durch's Land reitet, kommt er an einem Galgen vorüber, sieht einen frisch Ge­ henkten noch zappeln und schneidet ihn aus Mitleiden ab; dann flößt er ihm Wasser ein und bringt ihn ins Leben zurück. Der Gerettete folgt seinem Befreier, und wie sie in ein Dorf kommen, faßt er dessen Pferd und schreit laut: Dieb! Dieb! Die Bauern laufen herbei, und wie sie den so Schreienden sagen hörten, das Pferd sei ihm von dem andern soeben mit Gewalt entrissen worden, so schleppen sie voller Wut den Angeklagten zu demselben Galgen, wo er eben jenen abgeschnitten hatte. Noch hatten sich aber die Leute aus dem Nachbardorf, die gekommen waren, den wirklichen Dieb hängen zu sehen, nicht alle verlaufen, und wie sie einen neuen Zusammen­ lauf am Galgen bemerken, kehren sie um und fragen, was los sei. Man gab dem Angeklagten das Wort, und dieser erklärte nun, wie er den andern vom Galgen losgeschnitten, und wie dieser ihm teilte Wohltat so schäüdlich lohne. Als sie den wirklichen Verbrecher genau ansahen, erkannten etliche den vorhin gehängten Dieb und hängten ihn zum zweitenmal, das unschuldige Blut aber war frei.

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17S. Der hartgeschmievete Landgraf. Landgraf Ludwig zu Thüringen und Hessen war an­ fänglich ein gar milder und weicher Herr, demütig gegen jedermann; da huben seine Junker und Edelinge an stolz zu werden, verschmähten ihn und seine Gebote, aber die Untertanen drückten und schätzten sie aller Enden. Es trug sich nun einmal zu, daß der Landgraf jagen ritt in den Wald und traf ein Wild an; dem folgte er noch so lange, daß er sich verirrte, und ward von der Nacht überfallen. Da gewahrte er eines Feuers durch die Bäume, richtete sich darnach und kam in die Ruhla zu einer Hammer- oder Waldschmiede. Der Fürst war mit schlechten Kleidern an­ getan und hatte sein Jagdhorn umhängen. Der Schmied fragte, wer er wäre. „Des Landgrafen Jäger." Da sprach der Schmied: „Pfui des Landgrafen! wer ihn nennet, sollte allemal das Maul wischen! des barmherzigen Herrn!" Ludwig schwieg, und der Schmied sagte zuletzt: „Herbergen will ich dich heut: in dem Schuppen da findest du Heu, magst dich mit deinem Pferde behelfen, aber um deines Herrn willen will ich dich nicht beherbergen." Ter Landgraf ging beiseite und konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht aber arbeitete der Schmied, und wenn er so mit dem großen Hammer das Eisen zusammenschlug, sprach er bei jedem Schlag: „Landgraf, werde hart! Land­ graf, werde hart wie dies Eisen!" und schalt ihn und sprach weiter: „Du böser, unseliger Herr! siehst du nicht, wie deine Räte das Volk plagen ?" und erzählte also die liebe lange Nacht, was die Beamten für Untugend mit den Unter­ tanen übeten; klagten dann die Untertanen, so wäre nie­ mand, der ihnen Hilfe täte, denn der Herr nähme es nicht an, die Ritterschaft spottete seiner hinterrücks, nennten ihn Landgraf Metz und hielten ihn gar unwert. „Unser Fürst und seine Jäger treiben die Wölfe ins Garn und die Amtleute die roten Füchse in ihre Beutel"; mit solchen und andern Worten redete der Schmied die ganze lange Nacht zu dem Schmiedgesellen, und wenn die Hammer-

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schlage kamen, schalt er den Herrn und hieß ihn hart werden wie das Eisen. Das trieb er bis zum Morgen; aber der Landgraf faßte alles zu Ohren und Herzen und ward seit der Zeit scharf und ernsthaft in seinem Gemüt, begann die Widerspenstigen zu zwingen und zum Gehorsam zu bringen. Die Unbändigsten unter den Adeligen, welche von der Beraubung der Untertanen nicht lassen wollten, fing er zusammen und spannte sie je vier und vier an einen Pflug; er selbst stand dabei und trieb sie mit der Geißel zum Ziehen. Da kam große Furcht über die Bösen im Land, und er ward nicht mehr der Landgraf Metz genannt, sondern von nun an hieß er der eiserne Landgraf.

174. Der heiligen Elisabeth Rosen. Elisabeth, die fromme Landgräfin von Thüringen, war eine Mutter der Armen; täglich ging sie hinaus vor das Schloß, wo die Armen, die Lahmen und Blinden ihrer warteten, und verteilte unter sie Speisen und Gaben, nach­ dem jedermann not war. Aber ihre Schwiegermutter, die verwitwete Landgräfin Sophie, nahm daran ein Ärgernis und redete ihrem Sohne Ludewig ein, solches Tun wolle einer Fürstin nicht geziemen; darum solle er es seiner Ge­ mahlin wehren. Als nun wieder eines Tages Elisabeth durch das Burg­ tor schüchtern hinausschritt und hatte ein Körblein mit Broten, Eiern und anderen Speisen unter dein Mantel am Arm, trat ihr der Landgraf, welcher just aus der Stadt Eisenach den Schloßberg herauf kam, entgegen und frug sie barsch: „Was trägst du da?" Elisabeth erbebte und konnte kein Wort sprechen. „Zeige her!" sprach der Land­ graf und hob den Deckel vom Korbe, und siehe! da war der Korb mit eitel Rosen angefüllt. Da stand der Fürst beschämt vor seinem frommen Gemahl und merkte die Weisung des Himmels, daß er das mildtätige Herz seiner Gattin nicht wieder in die Versuchung führen sollte; und hinfort, wenn seine Mutter wieder gegen die Freigebigkeit ihrer Tochter sich auslassen wollte, als werde sie damit

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ihn selbst noch zum armen Manne machen, sprach er: „Laßt sie gewähren! wenn ich nur Wartburg, Eisenach und Neuen-burg behalte, so hab ich genug."

175. Der alte Fritz und der Bauer. Der alte Fritz war zwar ein großer König; aber ein­ mal ist ihni doch ein Bauer über gewesen. Der säte nämlich gerade Erbsen, wie der alte Fritz — es war in der Ge­

gend von Potsdam — dazu kam und ihn fragte: „Na, werden sie kommen?" — „Ja," sagte der Bauer, „wenn sie kommen, dann kommen sie nicht; wenn sie aber nicht kommen, dann kommen ne." Die Antwort hat der alte Fritz sich aber nicht zurechtlegen können, soviel er sich auch darüber den Kopf zerbrochen hat. Der Bauer aber hatte an die Tauben geoacht, welche den gesäeten Erbsen nach­ stellen, weshalb man diese auch aus die verschiedenste Weise gegen jene schützt, und deshalb also gemeint: Ja, wenn sie (das heißt die Tauben) kommen, dann kommen sie (das heißt die Erbsen) nicht; wenn sie (das heißt die Tauben) aber nicht kommen, dann kommen sie (das heißt die Erbsen).

176. Der Müller ohne Sorgen. Ein König von Dänemark kam einst in Ditmarschen, einer Landschaft in Holstein, bei eines Müllers Haus vorbei, an dessen Haus geschrieben stand: Ich lebe ohne Sorgen. Der König ließ den Müller zu sich kommen und fragte ihn, wie er sich's einfallen lassen könnte, das über seine Tür zu schreiben, da er, der König selber, es nicht einmal von sich sagen könnte. Der Müller antwortete, es wäre nun einmal so und ließe sich nichts dabei machen. „Nun," sagte der König, so komme Er morgen früh nur einmal zu mir; dann will ich an Ihn drei Fragen tun, und kann Er die beantworten, so will ich Ihm glauben." Am andern Morgen kam der Müller. „Guten Morgen,

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guter Freund," sprach der König, „was meint Ihr, was denke ich in diesem Augenblick?" — „Ihr denkt," antwortete der Müller, „der Müller kommt." — „Allerdings," sagte der König, „aber nun die zweite Frage. Wie schwer ist wohl der Mond?" — „Höchstens," antwortete der Müller, „vier Viertel, und wenn Ihr es nicht glauben wollt, mögt Ihr selbst nachwägen." — „Und wie tief ist das Wasser?" fragte der König wieder, und der Müller antwortete: „Einen Steinwurf." Da lächelte der König und sagte: „Höre Er, Müller, Er ist ein Schalk; aber wenn Er mit allem so schnell fertig werden kann, ist's kein Wunder, wenn Er keine Sorgen hat." Der König beschenkte darauf den Müller, und beide sind ihr Leben lang gute Freunde geblieben.

177. Das brave Mütterchen. Es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die Husumer, ein großes Fest zu feiern. Sie schlugen Zelte auf, und alt und jung, die ganze Stadt versammelte sich draußen. Die einen liefen Schlittschuh, die andern fuhren in Schlitten, und in den Zelten erscholl Musik, und Tänzer und Tänzerinnen schwenkten sich herum, und die Alten saßen an den Tischen und tranken eins. So verging der ganze Tag, und der helle Mond ging aus, aber der Jubel schien nun erst recht anzufangen. Nur ein altes Mütterchen war von allen Leuten allein in der Stadt geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte ihre Füße nicht mehr gebrauchen, aber da ihr Häuschen auf dem Deiche stand, konnte sie von ihrem Bette aus aufs Eis hinaussehen und die Freude sich betrachten. Wie es nun gegen den Abend kam, da gewahrte sie, indem sie so auf die See hinaus sah, im Westen ein kleines, weißes Wölkchen, das eben an der Kimmung aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst; sie war in früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und verstand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: in einer kleinen Stunde wird die Flut da sein, dann ein Sturm losbrechen, und alle sind

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verloren. Da rief und jammerte sie, so laut als sie konnte, aber niemand war in ihrem Dause, und die Nachbarn waren alle aus dem Eise; niemand hörte sie. Immer größer ward unterdes die Wolke und allmählich immer schwärzer; noch einige Minuten, und die Flut mußte da sein, der Sturm losbrechen. Da rafft sie all ihr bißchen Kraft zusammen und kriecht auf Händen und Füßen aus dem Bette zum Ofen; glücklich findet sie noch einen Brand, schleudert ihn in das Stroh ihres Bettes und eilt, so schnell sie kann, hinaus, sich in Sicher­ heit zu bringen. Das Häuschen stand nun augenblicklich in hellen Flammen, und wie der Feuerschein vom Eise aus gesehen ward, stürzte alles in wilder Hast dem Strande zu. Schon sprang der Wind auf und fegte den Staub auf dem Eise vor sich her; der Himmel ward dunkel, das Eis fing an zu knarren und zu schwanken, der Wind wuchs zum Sturm, und als eben die letzten den Fuß aufs feste Land setzten, brach die Decke, und die Flut wogte an den Strand. So rettete die arme Frau die ganze Stadt und gab ihr Hab und Gut daran zu deren Heil und Rettung.

178. Frau Hütt. In uralten Zeiten lebte im Tirolerland eine mächtige Riesenkönigin, Frau Hütt genannt, und wohnte auf den Gebirgen über Innsbruck, die jetzt grau und kahl sind, aber damals voll Wälder, reicher Äcker und grüner Wiesen waren. Aus eine Zeit kam ihr Heiner Sohn heim, weinte und jammerte, Schlamm bedeckte ihm Gesicht und Hände, dazu sah sein Kleid schwarz aus wie ein Köhlerkittel. Er hatte sich eine Tanne zum Steckenpserd abknicken wollen; weil der Baum aber am Rande eines Morastes stand, so war das Erdreich unter ihm gewichen und er bis zum Haupt in den Moder gesunken, doch hatte er sich noch glück­ lich herausgeholfen. Frau Hütt tröstete ihn, versprach ihm ein neues, schönes Röcklein und ries einen Diener, der sollte weiche Brosamen nehmen und ihm damit Gesicht und Hände reinigen.

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Kaum aber hatte dieser angefangen, mit der heiligen Gottesgabe also sündlich umzugehen, so zog ein schweres, schwarzes Gewitter daher, das den Himmel ganz zudeckte, und ein entsetzlicher Donner schlug ein. Als es wieder sich aufgehellt, da waren die reichen Kornäcker, grünen Wiesen und Wälder und die Wohnung der Frau Hütt ver­ schwunden, und überall war nur eine Wüste mit verstreu­ ten Steinen, wo kein Grashalm mehr wachsen konnte; in der Mitte aber stand Frau Hütt, die Riesenkönigin, verstei­ nert und wird so stehen bis zum jüngsten Tag. In. vielen Gegenden Tirols, besonders in der Nähe von Innsbruck, wird bösen und mutwilligen Kindern die Sage zur Warnung erzählt, wenn sie sich mit Brot werfen oder sonst Übermut damit treiben. „Spart eure Brosamen," heißt es, „für die Armen, damit es euch nicht ergehe, wie der Frau Hütt!"

179. Der betrogene Teufel. 1. Die Araber hatten ihr Feld bestellt. Da kam der Teufel herbei in Eil; Er sprach: „Mir gehört die halbe Welt, Ich will auch von eurer Ernte mein Teil." 2. Die Araber aber sind Füchse von Haus, Sie sprachen: „Die untere Hälfte sei dein!" Der Teufel will allzeit oben hinaus: „5?eiit," sprach er, „es soll die obere sein!"

3. Und Die Der

Da bauten sie Rüben in einem Strich; als es nun an die Teilung ging. Araber nahmen die Wurzeln für sich. Teufel die gelben Blätter empfing.

4. Und als es iviederum ging ins Jahr, Da sprach der Teufel im hellen Zorn: „Nun will ich die untere Hälfte fürwahr!" Da bauten die Araber Weiz und Korn.

5. Die Der Und

Und als es wieder zur Teilung kam. Araber nahmen den Ährenschnitt, Teufel die leeren Stoppeln nahm heizte der Hölle Ofen damit.

180. Bequeme Schiffahrt, wer’s dafür halten will. Ein Schiff wurde von Mannheim den Neckar hinauf nach Heidelberg gezogen. Kommt hinterdrein mit vollem Felleisen und ein Paar heraushängender Stiefelschuhe ein Handwerksbursche. „Darf ich auch mit für Geld und gute Worte? Was muß ich geben?“ Der Schiff­ meister, der gar ein lustiger Kumpan war, sagte: „Fünf­ zehn Kreuzer, wenn Ihr ins Schiff wollt sitzen. Wollt Ihr aber helfen ziehen, nur sechs. Das Felleisen könnt Ihr mir in das Schiff werfen, es hindert Euch sonst nur.“ Der Handwerksbursche fing an zu rechnen: Fünf­ zehn Kreuzer — sechs Kreuzer — sechs von fünfzehn bleibt neun. Die neun Kreuzer, dachte er, kann ich verdienen. „Wenn’s denn erlaubt ist,“ sagte er und warf das Felleisen in das Schiff. Hernach schlang er eins von den Seilen über die Achsel und half ziehen, was er nach Leibeskräften vermochte. Wir kommen eher an Ort und Stelle, dacht er, wenn ich nicht laß bin. In Heidelberg aber entrichtete er sechs Kreuzer Fährgeld — für die Erlaubnis, mit zu ziehen, und nahm das Felleisen wieder in Empfang.

181. Das Mittagessen im Hof. Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunder­ lich, und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte

er manchmal gar nichts recht machen und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrießlich nach Hause und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrießlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen, warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts der Suppe nach, auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab. „Verwegener, was soll das sein?“ fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!“ — Diesmal die Suppe hinabgeworfen und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre. 182. Seltsamer Spazierritt. Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und läßt seinen Buben zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: „Das ist nicht recht, Vater, daß Ihr reitet und laßt Euren Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder.“ Da stieg der Vater vom Esel herab und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: „Das ist nicht recht, Bursche, daß du reitest und lässest deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine.“ Da saßen beide auf und ritten eine Strecke..

Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: „Was ist das für ein Unverstand! Zwei Kerle auf einem schwachen Tiere! Sollte man nicht einen Stock nehmen und euch beide hinabjagen?“ Da stiegen beide ab und gingen selbdritt zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn und in der Mitte der Esel. Kommt ein vierter Wandersmann und sagt: „Ihr seid drei kuriose Gesellen; ist’s nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht’s nicht leichter, wenn einer von euch reitet?“ Da band der Vater dem Esel die vorderen Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hinteren Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand, und trugen den Esel auf der Achsel heim. So weit kann’s kommen, wenn man es allen Leuten will recht machen.

183. Böser Markt. Eine seltsame Geschichte begegnete eines Tags einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere große Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem großen königlichen Garten ver­ sammelt, dessen lange gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man aß und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosen­ gebüsch paarweise und allein, wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock, in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen, kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingen­ den Uhrketten, mit diamantenen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazieren gehn im

kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum her­ vor, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihre Mündung auf des Herrn Brust und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muß übel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiß, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das Geld; lieber den Ring verloren, als den Finger, und versprach zu schweigen. „Gnädiger Herr,“ fuhr jetzt der Ge­ selle fort, „wären Euch Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anders, man weiß nie, wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt.“ Will der reiche Herr wohl oder übel, so muß er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldene Herz, so er vorne auf der Brust im Hemde hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld, und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: Jetzt bin ich ab­ solviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an: „Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurecht kommen, wolltet Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?“ Der Herr denkt an das Sprich­ wort, daß man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: „Laßt sehen!“ Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, und der gute Herr mußte ihm alles abkaufen, Stück für Stück um teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole übrig hatte und sah, daß der Herr noch ein paar schöne Dublonen in dem grünen seidenen Beutel hatte, sprach er noch: „Gnädiger Herr, wolltet Ihr mir für den Rost» den Ihr da in den Händen habt, nicht die Pistole ab­ kaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied und zwei Hessel, Lesebuch 2. 13. Ausl. 12

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Dublonen unter Brüdern wert.“ Der Herr dachte in der Überraschung: Du dummer Dieb! und kaufte die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach: „Nun halt, sauberer Ge­ selle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heißen werde, oder ich schieße dich auf der Stelle tot.“ Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: „Schießt herzhaft los, gnädiger Herr, sie ist nicht geladen.“ Der Herr drückte ab, und es ging wirklich nicht los. Der Dieb war aber unterdessen schon tief in den Wald, und der vornehme Mann ging scham­ rot zurück, daß er sich also habe in Schrecken' setzen lassen, und dachte an vieles.

184. Das wohlfeile Mittagessen. Es ist ein altes Sprichwort: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selber darein. — Aber der Löwenwirt in einem gewissen Städtlein war schon vorher darin. Zu diesem kam ein wohlgekleideter Gast. Kurz und trotzig verlangte er für sein Geld eine gute Fleischsuppe. Hierauf forderte er auch ein Stück Rindfleisch und ein Gemüs, für sein Geld. Der Wirt fragte ganz höflich, ob ihm nicht auch ein Glas Wein beliebe. „0 freilich ja,“ erwiderte der Gast, „wenn ich etwas Gutes haben kann für mein Geld.“ Nachdem er sich alles wohl hatte schmecken lassen, zog er einen abgeschliffenen Sechser aus der Tasche und sagte: „Hier, Herr Wirt, ist mein Geld.“ Der Wirt sagte: „Was soll das heißen? Seid Ihr mir nicht einen Taler schuldig?“ Der Gast erwiderte: „Ich habe für keinen Taler Speise von Euch verlangt, sondern für mein Geld. Hier ist mein Geld. Mehr hab ich nicht. Habt Ihr mir zu viel dafür gegeben, so ist’s Eure Schuld.“ Dieser Einfall war eigentlich nicht weit her; es gehörte nur Unverschämtheit dazu und ein un­ bekümmertes Gemüt, wie es am Ende ablaufen werde. Aber das Beste kommt noch. „Ihr seid ein durch-

triebener Schalk,“ erwiderte der Wirt, „und hättet wohl etwas anderes verdient. Aber ich schenke Euch das Mittagessen und hier noch ein Vierundzwanzigkreuzer­ stück dazu. Nur seid stille zur Sache und geht zu meinem Nachbar, dem Bärenwirt, und macht es ihm ebenso.“ Das sagte er, weil er mit seinem Nachbarn, dem Bären­ wirt, aus Brotneid im Unfrieden lebte und einer dem andern jeglichen Tort und Schimpf gerne antat und er­ widerte. Aber der schlaue Gast griff lächelnd mit der einen Hand nach dem angebotenen Geld, mit der andern vorsichtig nach der Türe, wünschte dem Wirt einen guten Abend und sagte: „Bei Eurem Nachbarn, dem Herrn Bärenwirt, bin ich schon gewesen, und eben der hat mich zu Euch geschickt und kein anderer.“ So waren im Grunde beide hintergangen, und der dritte hatte den Nutzen davon. Aber der listige Kunde hätte sich noch obendrein einen schönen Dank von beiden verdient, wenn sie eine gute Lehre daraus gezogen und sich miteinander ausgesöhnt hätten. Denn Frieden er­ nährt, aber Unfrieden verzehrt. 185. Der listige Quäker. Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel in Eng­ land, fromme, friedliche und verständige Leute, und dürfen vieles nicht tun nach ihren Gesetzen: nicht schwö­ ren, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den Hut abziehen; aber reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als einer von ihnen einmal abends auf einem gar schönen, stattlichen Pferd nach Haus in die-Ltadt wollte reiten, wartet auf ihn ein Räuber mit kohlschwarzem Gesicht, ebenfalls auf einem Roß, dem man alle Rippen unter der Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne, denn sie waren alle aus­ gebissen, nicht am Haber, aber am Stroh. „Kind Gottes,“ sagte der Räuber, „ich möchte meinem armen Tier da, das sich noch dunkel an den Ausgang der Kinder Israel aus Ägypten erinnern kann, wohl auch ein so gutes Futter 12*

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gönnen, wie das Eurige haben muß, dem Aussehen nach. Wenn’s Euch recht, so wollen wir tauschen. Ihr habt doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich.“ Der Quäker dachte bei sich selbst: „Was ist zu tun? Wenn alles fehlt, so hab ich zu Haus noch e n zweites Pferd, aber kein zweites Leben.“ Also tausch­ ten sie miteinander, und der Räuber ritt auf dem Roß des Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des Räubers am Zaum. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Häuser kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: „Geh voraus, Lazarus, du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich!“ Und so ließ er das Pferd vorausgehen und folgte ihm nach, Gasse ein, Gasse aus, bis es vor einer Stalltüre stehen blieb. Als es stehen blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in die Stube, .und der Räuber fegte gerade den Ruß aus dem Gesicht mit einem wollenen Strumpf. „Seid Ihr wohl nach Hause gekommen?“ sagte der Quäker. „Wenn’s Euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern Tausch wieder aufheben, er ist ohnedem nicht gerichtlich bestätigt. Gebt mir mein Rößlein wieder, das Eurige steht vor der Tür.“ Als sich nun der Spitz­ bube entdeckt sah, wollte er wohl oder übel, gab er dem Quäker sein gutes Pferd zurück. „Seid so gut,“ sagte der Quäker, „und gebt mir jetzt auch noch zwei Taler Rittlohn; ich und Euer Rößlein sind miteinander zu Fuß spaziert.“ Wollte der Spitzbube wohl oder übel, mußte er ihm auch noch zwei Taler Rittlohn bezahlen. „Nicht wahr, das Tierlein lauft einen sanften Trab?“ sagte der Quäker.

186. Der silberne Löffel. In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den roten Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, vornehme und mittelmäßige, ehrliche Leute

und Spitzbuben, wie überall. Man aß und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem. Als nun das Essen fast vorbei war, einer und der andere trank noch eine halbe Maß üngarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Kügelein aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker wär und wollte Pillen machen, ein dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel, da sah der Offizier von ungefähr zu, wie einer in einem grünen Rocke mit dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm der Löffel auf einmal in den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam. Ein anderer hätte gedacht: Was geht’s mich an? und wäre still dazu gewesen oder hätte großen Lärmen angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiß nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für ein Verdruß geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld ein­ zog, nahm der Offizier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein, zu dem andern hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel mit­ bringen, aber keine Suppe. Währenddem der Offizier seine Zeche bezahlte und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muß sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, daß er zum Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat, oder ist’s gar einer von meinen eigenen? Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: „Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu.“ Der Wirt sagte: „So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patentlöffel schenken, aber meinen silbernen laßt mir da!“ Da stand der Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. „Wir haben nur Spaß

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gemacht,“ sagte er, „ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt Ihr Euern Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben.“ Als der Löffelschütz merkte, daß er verraten sei, und daß ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spaß als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum, und der Löffeldieb lachte auch, aber nicht lange. Denn als die andern Gäste das sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackern Offizier aber bewirtete er noch mit einer Routeille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute. Merke: Man muß keine silbernen Löffel stehlen. Merke: Das Recht findet seinen Knecht. 187. Der Zahnarzt. Zwei Tagdiebe, die schon lange in der Welt mit­ einander herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu trag oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in große Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und nicht geschwind wußten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden Einfall: Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers genießen, sondern zum Betrug mißbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus demselben lauter kleine Ktiglein oder Pillen und bestreuten sie mit Wurm­ mehl aus altem zerfressenem Holz, damit sie völlig aus­ sahen wie die gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein paar Batzen einige Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder, denn eine schöne Farbe muß ge­ wöhnlich bei jedem Betrug mithelfen. Das Papier zer­ schnitten sie alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stück in ein Päcklein.

Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den roten Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern saß ganz wehmütig in einen Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, daß der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu tun? Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, daß es schon wieder vergehen werde. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des ersteren, der im Winkel saß, aufmerksam zu werden schien. „Guter Freund," sprach er, „Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?“ und ging mit großen und langsamen Schritten auf ihn zu. „Ich bin der Doktor Schnauzius Rapunzius von Travalgar,“ fuhr er fort. Denn solche fremde volltönige Namen müssen auch zum Betrug behilflich sein, wie die Farben. „Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt," fuhr er fort, „so soll es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höch­ stens zweien, von Euren Leiden zu befreien.“ — „Das wolle Gott,“ erwiderte der andere Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzius eines von seinen roten Päcklein aus der Tasche, und verordnete dem Pa­ tienten, ein Kügelein daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beißen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit anzusehen. Nun könnt ihr euch vorstellen, was ge­ schah. Auf diese erste Probe wollte zwar der Patient wenig rühmen, vielmehr tat er einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab ihm geschwind die zweite Pille

zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiß von der Stirne weg, ob­ gleich keiner daran war, und tat, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die Hand drückte. Der Streich war schlau angelegt und tat seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei Schelme wieder einer nach dem andern weiter, lachten, als sie wieder zusammenkamen, über die Einfalt dieser Leute und ließen sich's wohl sein von ihrem Geld. 188. Das seltsame Rezept. Es ist sonst kein großer Spaß dabei, wenn man ein Rezept in die Apotheke tragen muß; aber vor langen Jahren war es doch einmal ein Spaß. Da hielt ein Mann von einem entlegenen Hof eines Tages mit einem Wagen und zwei Stieren vor der Stadtapotheke still, lud sorgsam eine große tannene Stubentüre ab und trug sie hinein. Der Apotheker machte große Augen und sagte: „Was wollt Ihr da, guter Freund, mit Eurer Stubentüre? Der Schreiner wohnt um zwei Häuser links.“ Dem sagte der Mann, der Doktor sei bei seiner kranken Frau gewesen und habe ihr wollen ein Tränklein verordnen, so sei in dem ganzen Haus keine Feder, keine Tinte und keif; Papier gewesen, nur eine Kreide. Da habe der Herr Doktor das Rezept an die Stubentüre geschrieben, und nun soll der Herr Apotheker so gut sein und das Tränk­ lein kochen. Item, wenn es nur gut getan hat. Wohl dem, der sich in der Not zu helfen weiß!

189. Ein gutes Rezept. In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohl­ tätiger Monarch, wie jedermann weiß; aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist und

Nummer 188 und 189.

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eine arme Frau kuriert hat. Eine arme, kranke Frau sagte zu ihrem Lüh lein: „Kind, hol mir einen Doktor, sonst kann ich’s nimmer aushalten vor Schmerzen!“ Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten, aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet'ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Tränen, die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbei. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen Herrn, ob er gleich nicht wußte, daß er der Kaiser ist, uüd dachte: Ich will's versuchen! „Gnädiger Herr,“ sagte er, „wolltet Ihr mir nicht einen Gulden schenken, seid so barmherzig!“ Der Kaiser dachte, der faßt’s kurz und denkt, wenn ich den Gulden auf einmal bekomme, so brauch ich nicht sechzigmal um den Kreuzer zu betteln. „Tut’s ein Käsperlein oder zwei Zwanziger nicht auch?“ fragt ihn der Kaiser. Das Büblein sagte: „Nein!“ und offenbarte ihm, wozu er das Geld benötigt sei. Also gab ihm der Kaiser den Gulden und ließ sich genau von ihm beschreiben, wie seine Mutter heißt, und wo sie wohnt; und während das Büblein zum dritten Doktor springt, und die kranke Frau betet daheim, der liebe Gott wolle sie doch nicht verlassen, fährt der Kaiser zu ihrer Wohnung und verhüllt sich ein wenig in seinen Mantel, also daß man ihn nicht recht erkennen konnte, wer ihn nicht darum ansah. Als er aber zu der kranken Frau in ihr Stüblein kam, und es sah recht leer und be­ trübt darin aus, meint sie, es ist der Doktor, und erzählt ihm ihren Umstand, und wie sie noch so arm dabei sei und sich nicht pflegen könne. Der Kaiser sagte: „Ich will Euch dann jetzt ein Rezept verschreiben!“ und sie sagte ihm, wo des Bübleins Schreibzeug ist. Also schrieb er das Rezept und belehrte die Frau, in welche Apotheke sie es schicken müsse, wenn das Kind heimkommt, und legte es auf den Tisch.

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Als er aber kaum eine Minute fort war, kam der rechte Doktor auch. Die Frau verwunderte sich nicht wenig, als sie hörte, er sei auch der Doktor, und ent­ schuldigte sich, es sei schon so einer dagewesen und hab ihr etwas verordnet, und sie habe nur auf ihr Büblein gewartet. Als aber der Doktor das Rezept in die Hand nahm -und sehen wollte, wer bei ihr gewesen sei, und was für einen Trank oder Pillelein er ihr verordnet hat, erstaunte er auch nicht wenig und sagte zu ihr: „Frau,“ sagte er, „Ihr seid einem guten Arzt in die Hände gefallen, denn er hat Euch fünfundzwanzig Dublonen verordnet, beim Zahlamt zu erheben, und unten dran steht: Joseph, wenn Ihr ihn kennt. Ein solches Magenpflaster und Herz­ salbe und Augentrost hätte ich Euch nicht verschreiben können.“ Da tat die Frau einen Blick gegen den Himmel und konnte nichts sagen vor Dankbarkeit und Rührung, und das Geld wurde hernach richtig und ohne Anstand von dem Zahlamt ausbezahlt, und der Doktor verordnete ihr eine Mixtur, und durch die gute Arznei und durch die gute Pflege, die sie sich jetzt verschaffen konnte, stand sie in wenig Tagen wieder auf gesunden Beinen. Also hat der Doktor die kranke Frau kuriert und der Kaiser die arme. 190. König Friedrich und sein Nachbar. Der König von Preußen hatte acht Stunden von Berlin freilich ein schönes Lustschloß und war gerne darin, wenn nur nicht ganz nahe daneben die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstlich stehn ein königliches Schloß und eine Mühle nicht gut nebeneinander, obgleich das Weißbrot schmeckt auch in dem Schloß nicht übel, wenn’s die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl ge­ backen hat. Außerdem aber, wenn der König in seinen besten Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal ließ der Müller das Wasser in die Räder schießen und dachte auch nicht an den Herrn Nach­ bar, und die Gedanken des Königs stellten das Räder-

werk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der Räder die Gedanken des Königs. Der geneigte Leser sagt: „Ein König hat Geld wie Laub, warum kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und läßt sie niederreißen?“ Der König wußte, war­ um. Denn eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen, „Ihr begreift,“ sagte er zu ihm, „daß wir zwei nicht nebeneinander bestehen können. Einer muß weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?“ — Der Müller sagte: „Wie hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nach­ bar?“ — Der König erwiderte ihm: „Wunderlicher Mensch, soviel Geld habt Ihr nicht, daß Ihr mir mein Schloß abkaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?“ Der Müller erwiderte: „Gnädigster Herr, so habt auch Ihr nicht soviel Geld, daß Ihr mir meine Mühle ab­ kaufen könnt. Sie ist mir nicht feil.“ Der König tat zwar ein Gebot, auch das zweite und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. „Sie ist mir nicht feil. Wie ich darin geboren bin,“ sagte er, „so will ich darin sterben, und wie sie mir von meinen Vätern erhalten wor­ den ist, so sollen sie meine Nachkommen von mir er­ halten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben.“ Da nahm der König eine ernsthaftere Sprache an: „Wißt Ihr auch, guter Mann, daß ich gar nicht nötig habe, viel Worte zu machen? Ich lasse Eure Mühle taxieren und breche sie ab. Nehmt alsdann das Geld oder nehmt es nicht!“ Da lächelte der unerschrockene Mann, der Müller, und erwiderte dem König: „Gut ge­ sagt, allergnädigster Herr, wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht wäre.“ Nämlich, daß er es wolle auf einen richterlichen Ausspruch ankommen lassen. Der König war ein gerechter Herr und konnte überaus gnädig sein, also daß ihm die Herzhaftigkeit und Freimütigkeit einer Rede nicht mißfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er ließ von dieser Zeit an den Müller unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine friedliche Nachbar­ schaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig

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Respekt haben vor einem solchen Nachbar und noch mehr vor einem solchen Herrn Nachbar.

191. Der König nnd -er Müller. 1. Es wohnt ein Müller sorgenfrei In seiner kleinen Mühle. Das Mühlchen klappert Brot herbei Bei Sonnenbrand und Kühle. 2. Nicht weit dapon ein König hatt' Ein Schloß sich aufgebauet. Wär nicht die Mühl, man hätte Stadt Und Land draus überschauet.

3. Der König bot dem Müller Geld: „Berkaus mir deine Hütte! Bau neu sie auf, wo dir's gefällt. Nach größerm Maß und Schnitte!"

4. „Mein Mühlchen ist mir gut genug. Das laß ich meinen Erben; Es trägt des Baters Segensspruch, Hier will ich ruhig sterben!" 5. Der Fürst sagt ja, der Müller nein; Der Fürst wird ungeduldig: „Ich bin dein Herr, das Land ist mein! Du bist zu weichen schuldig." 6. „Ich weiche nicht." — „Dann muß Gewalt Den starren Sinn dir beugen!" „Ihr irret, Herr, Euch werden bald Die Richter andres zeigen." 7. Die Richter? — fällt dem König ein, Die selbst er eingesetzet? „Da hast du recht; ich geb mich drein. Dein Gut bleibt unverletzet." 8. Seit jener Stunde lebten sie Ms Freunde, hoch und niedrig. Des Schlosses Nam ist Sanssouci, Des Königs Name Friedrich.

Nummer 191 und 192.

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Märchen. 192. Birkenmännchen. Es ist doch wunderhübsch, wenn die Hellen Birkenstämme so freundlich leuchten und das frische maigrüne Laub so fröh­ lich säuselt und flüstert. Unaufhörlich säuseln die Blätter, als ob sie recht viel zu erzählen hätten, aber sie sind nur so wohlgemut und freuen sich an jedem Lüftchen, das vorüber­ zieht, während mancher schwerfällige Baum seine Blätter kaum rührt. Und das ist der Wahlspruch der fröhlichen Birke:

Rasch wie die Welle und leicht wie der Wind Flattert die Zeit, und das Leben verrinnt.

Junges Blut, junges Blut Fröhlich und wohlgemut!

Wer könnte wohl den freundlichen Bäumen etwas zu­ leide tun! Und doch geschieht es! In einem Hellen schönen Birkenwäldchen, welches mit allen Blättern so lustig zum blauen Himmel säuselte, schlich der kleine Anton wie ein Verbrecher. Er stellte sich an den Stamm einer Birke und stach mit einem spitzigen Bohrer dem Baum durch die Rinde ins Herz. Da flössen die Tränen des armen Bäumchens wie Blut aus der Wunde, und das wollte ja der Knabe, denn er hatte gehört, Birkensaft schmecke wie Wein, und er glaubte nicht an das Birkenmännchen, weil er schon manchmal die Rinde junger Bäume abgeschält hatte und das Birkenmännchen nicht gekommen war. Plötzlich aber wurde Anton durch einen Rutenstreich sehr unsanft unterbrochen. Er drehte sich um, und da stand das Birkenmännchen leibhaftig vor ihm! Es war sehr klein, trug ein Jäcklein, Höschen und Hut von Birkenrinde, in der Hand aber eine gewaltige Birkenrute, die war dreimal so

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grob als das Männlein selber. Man hätte denken sollen, es würde die Rute gar nicht regieren können — ei ja doch! wie der Wind strich und fuhr sie über Rücken und Höslein, Gesicht und Hände des bösen Buben, der wie unsinnig auf­ schrie, so brannten die Rutenstreiche. Er lief, was er laufen konnte, aber das Birkenmännlein war noch viel flinker mit der Rute hinterdrein und schlug in einem fort.

O je, o je! Es tut so weh! so weh! so weh!

jammerte Anton; doch Birkenmännlein entgegnete: Die Rute schlägt, der Bohrer sticht. Du stachst mein Bäumlein, schlechter Wicht, Dir soll für jeden Tränentropsen Die Rute Rock und Höslein klopfen. Anton lief immer int Kreise herum, und es war, als könnt er den Weg nicht nach Hause finden, an jeden Baum rannt er in Todesangst, und die schreckliche Rute flog ordent­ lich hinter ihm her.

Erbarmen, ach Erbarmen, Ich tu es nimmermehr! —

Allein das unermüdliche während es rüstig zuschlug:

Birkenmännlein

versetzte,

Du hattest kein Erbarmen, Nun kommt die Strafe hinterher. Noch schlägt die Rute gar nicht sehr. Und du verdienst es noch viel mehr.

Endlich erblickte Anton das Haus seiner Eltern, und endlich lag das Birkenwäldchen hinter ihm. Da war auch die fürchterliche Rute verschwunden. Über Hals und Kopf rannte der Knabe nach Hause; er sah schön aus, Gesicht und Hände feuerrot! und der ganze Körper schmerzte und brannte von den unzähligen Rutenstreichen, als hätt er in Nesseln gelegen.

Nummer 193.

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193. Die Blume mit dem roten Herzen. Im tiefen Walde blühte einsam die weiße Blume mit dem roten Herzen. Wer sie so sah in ihrer Schönheit, dem deutete es Glück, und er war froh drei Tage und drei Nächte lang. Davon hörte die Königstochter, und sie suchte den wilden Wald hindurch, bis sie die Blume fand.

Da ward ihr wunderbar froh zu Sinn, und sie rief: „Einsam sollst du nicht bleiben; in meiner Nähe will ich dich sehen, und ich will dich nach Hause bringen." Die Königstochter grub die Blume aus, nahm sie mit sich und ließ sie durch den Hofgärtner in einen goldnen Blumentopf pflanzen. Diesen Blumentopf stellte sie in ihr Zinimer mitten auf den Tisch, tanzte vor Freuden darum herum und rief: „Du sollst mir lieb sein und nicht geringer gehalten werden, wie ich selbst."

Am ersten Tage holte sie süßen Met in einer goldenen Schale und begoß damit die Blume; aber am andern Morgen war eins der Blättchen verwelkt und fiel ab. Da wurde das Kind ernst und dachte: „Sie soll es noch besser haben." Dann holte sie vom allerbesten Wein einen Becher voll und begoß die Blumen dainit. Am folgenden Morgen war das zweite Blättchen verwelkt und fiel ab. Da trauerte das Königskind und sagte: „Sie muß es milder haben." Dann begoß sie die Blume mit Milch, von der sie selbst getrunken hatte, aber am nächsten Morgen war das dritte Blättchen verwelkt und siel ab. Die Königstochter begann zu weinen und sagte: „Ich will sie wieder in den wilden Wald tragen, und der Tau soll sie netzen und der Regen des Himmels sie begießen." Und als die Blume mit dem roten Herzen wieder zwischen den hohen Eich­ bäumen stand, da wuchs am ersten Tage das erste Blättchen wieder, am zweiten das zweite und am dritten das dritte; dann begann die Blume wieder zu duften, und wer sie sah, wurde froh in seinem Herzen und fühlte sich danach glück­ lich, drei Tage und drei Nächte lang.

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194. Warum die Schweine im Grund wühlen. Eine alte Hexe und zwei schmucke Mädchen setzten einen Kuchen aufs Feuer. Aber als der Kuchen halb gar war, ging er auf und davon. Als er nun ein Stück unterwegs war, kam ihm ein Hase entgegen und sprach: „Kuchen, wohin willst du, Kuchen?" Da fugte der Kuchen: „Ich bin eben zwei schmucken Mädchen und einer alten Hexe entlausen, ich entlaufe dir, Has Wippschwanz, auch wohl." Da sing der Hase auch an zu laufen, dem Kuchen nach, fiel um und blieb tot. Der Kuchen ging weiter. Als er nun wieder ein Stück hinter sich hatte, kam ihm der Fuchs entgegen und sprach: „Kuchen, wohin willst du, Kuchen?" Da sagte der Kuchen: „Ach, ich bin eben zwei schmucken Mädchen und einer alten Hexe und dem Has Wippschwanz entlaufen, ich entlaufe dir, Fuchs Dickschwanz, auch wohl." Da fing der Fuchs an zu laufen, siel um und blieb tot. Der Kuchen ging weiter. Als er nun wieder ein Stück hinter sich hatte, kam ihm ein Reh entgegen und sprach: „Kuchen, wohin willst du, Kuchen?" Da sagte der Kuchen: „Ach, ich bin eben zwei schmucken Mädchen und einer alten Hexe und dem Has Wippschwanz und dem Fuchs Dickschwanz entlaufen, ich ent­ lause dir, Reh Blixschwanz, auch wohl." Da fing das Reh an zu laufen, siel um und blieb tot. Der Kuchen ging weiter. Als er nun wieder ein Stück hinter sich hatte, kam ihm eine Kuh entgegen und sprach: „Kuchen, wohin willst du, Kuchen?" Da sagte der Kuchen: „Ich bin eben zwei schmucken Mädchen und einer alten Hexe und dem Has Wipp­ schwanz und dem Fuchs Dickschwanz und dem Reh Blix­ schwanz entlaufen, ich entlaufe dir, Kuh Schwippschwanz, auch wohl." Da fing die Kuh an zu laufen, fiel um und blieb tot. Der Kuchen ging weiter . Als er nun wieder ein Stück hinter sich hatte, kam ihm eine alte Sau entgegen und sprach : „Kuchen, wohin willst du, Kuchen?" Da 'agte der Kuchen: „Ach, ich bin

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eben zwei schmucken Mädchen und einer alten Hexe und dem Has Wippschwanz und dem Fuchs Dickschwanz und dem Reh Blixschwanz und der Kuh Schwippschwanz entlaufen, ich entlaufe dir, alte Sau, auch wohl." Und als der Kuchen daö gesagt hatte, machte er sich in den Grund hinein. Da fing die alte Sau an zu wühlen und wollte ihn herausholen, konnte ihn aber nicht kriegen. Und von dieser Zeit an wühlen die Schweine noch alle im Grund und wollen den Kuchen heraüssuchen.

195. Unser Herr als Bettler. Es ist schon lange, lange her, da lebte einmal ein altes Weiblein, das entsetzlich arm war. Sie konnte sich wenig verdienen, und betteln gehen wollte sie nicht, denn sie dachte immer: „Lieber als daß ich betteln geh, verkaufe ich meinen Löffel." Wie das arme Weiblein nun einmal in ihrem Stübchen so dasaß und über ihre Not nachdachte, kam ein Bettel­ mann, der war recht zerlumpt und sah so bleich und mager aus, wie die teure Zeit. Der Bettler bat gar schön und um Gotteswillen um ein kleines Almosen, und das Weiblein wußte fast nicht, was sie tun sollte, denn sie hatte nichts als eine Henne, und den Bettler ganz leer weggehen lassen wollte sie auch nicht. Sie wurde endlich mit sich einig und hieß den Bettler sich setzen und ein wenig ausrasten. Dann ging sie in die Küche, stach die Henne ab, kochte sie und setzte sie zusammen mit einer kräftigen Suppe dem Bettler vor. Der Alte ließ sich Suppe und Henne gefallen, aß recht wacker los, und als er wegging, konnte er fast nicht aushören zu danken. Als der arme Mann schon zur Tür hinaus war, erinnerte sich das Weiblein, daß sie noch ein wenig Tuch im Kasten habe, und holte gleich ein Stückchen vom Tuch für den Bettler, damit er sich ein Hemd machen könnte. Mit dem Tuche lies sie nun dem Bettler nach und schenkte es ihm. Der Arme nahm es lächelnd mit Dank an und sprach: „Weil du mit mir so gut gewesen bist, so schneide Tuch herab, bis die Sonn." untergeht." Er sprach's Hesse!, Lese-uch 2. 13. Aufl. 13

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und verschwand glänzend, wie eine Wolke, die bei Sonnen­ untergang am Himmel hängt. Das Weiblein ging nun eilig nach Hause und fing an Tuch herabzumessen und nahm sich den ganzen Tag hindurch kaum Zeit zu atmen, so beschäftigt war sie. Und wie die liebe Sonne hinter den Bergen zur Ruhe ging, da war das ganze Häuslein, in dem sie wohnte, gesteckt voll schneeweißer Leinwand, die so schön war, daß sich der Kaiser daraus hätte das Festtagstischzeug machen lassen können. Sie maß noch fort, und als die schwarze Nacht kam, hatte sie keinen Platz mehr für ihr Tuch und mußte viele, viele Stücke bei guten Nachbarn aufbewahren lassen. Da machte wohl manche Bäuerin Augen über das schöne Tuch, daß man ihr's leicht ansah, wie gern sie's gehabt hätte. Dem Weiblein fehlte es aber nie mehr, so lange es lebte, an Gottes Segen, und es tat auch den Armen immer­ fort viel Gutes.

196. Muttergottesgläscheu. Es hatte einmal ein Fuhrmann seinen Karren, der mit Wein schwer beladen war, festgefahren, so daß er ihn trotz aller Mühe nicht wieder losbringen konnte. Nun kam gerade die Muttergottes des Weges daher, und als sie die Not des armen Mannes sah, sprach sie zu ihm: „Ich bin müd und durstig, gib mir ein Glas Wein, und ich will dir deinen Wagen frei machen.“ — „Gerne“, antwortete der Fuhrmann, „aber ich habe kein Glas, worin ich den Wein geben könnte.“ Da brach die Muttergottes ein weißes Blümchen mit roten Streifen ab, das Feld winde heißt und einem Glase sehr ähnlich sieht, und reichte es dem Fuhrmann. Er füllte es mit Wein, und die Muttergottes trank ihn, und in dem Augenblick ward der Wagen frei, und der Fuhrmann konnte weiter fahren. Das Blümchen heißt noch immer Muttergottes­ gläschen.

197. Der Nagel. Ein Kaufmann hatte auf der Messe gute Geschäfte gemacht, alle Waren verkauft und seine Geldkatze mit Gold und Silber gespickt. Er wollte jetzt heimreisen und vor Einbruch der Nacht zu Hause sein. Er packte also den Mantelsack mit dem Geld auf sein Pferd und ritt fort. Zu Mittag rastete er in einer Stadt; als er weiter wollte, führte ihm der Hausknecht das Roß vor, sprach aber: „Herr, am linken Hinterfuß fehlt im Hufeisen ein Nagel.“ „Laß ihn fehlen!“ erwiderte der Kaufmann, „die sechs Stunden, die ich noch zu machen habe, wird das Eisen wohl festhalten. Ich habe Eile.“ Nachmittags, als er wieder abgestiegen war und dem Roß Brot geben ließ, kam der Knecht in die Stube und sagte: „Herr, Eurem Pferd fehlt am linken Hinterfuß ein Hufeisen. Soll ich’s zum Schmied führen?“ — „Laß es fehlen!“ antwortete der Herr, „die paar Stunden, die noch übrig sind, wird das Pferd wohl aushalten. Ich habe Eile.“ Er ritt fort, aber nicht lange, so fing das Pferd zu hinken an. Es hinkte nicht lange, so fing es an zu stolpern, und es stolperte nicht lange, so fiel es nieder und brach ein Bein. Der Kaufmann mußte das Pferd liegen lassen, den Mantelsack abschnallen, auf die Schulter nehmen und zu Fuß nach Haus gehen, wo er erst spät in der Nacht anlangte. „An allem Unglück,“ sprach er zu sich selbst, „ist der verwünschte Nagel schuld.“ Eile mit Weile!

198. Der Fuchs und die Katze. Es trug sich zu, daß die Katze in einem Walde dem Herrn Fuchs begegnete, und weil sie dachte: Er ist ge­ scheit und wohl erfahren und gilt viel in der Welt, so sprach sie ihm freundlich zu: „Guten Tag, lieber Herr Fuchs, wie geht’s, wie steht’s? wie schlagt Ihr Euch durch in dieser teuren Zeit?“ Der Fuchs, alles Hochmutes voll, 13*

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betrachtete die Katze von Kopf bis zu Füßen und wußte lange nicht, ob er eine Antwort geben sollte. Endlich sprach er: „0, du armseliger Bartputzer, du buntscheckiger Narr, du Hungerleider und Mäuse­ jäger, was kommt dir in den Sinn? du unterstehst dich, zu fragen, wie mir’s gehe? was hast du gelernt? wie viel Künste verstehst du?“ — „Ich verstehe nur eine einzige“, antwortete bescheidentlich die Katze. „Was ist das für eine Kunst?“ fragte der Fuchs. „Wenn die Hunde hinter mir her sind, so kann ich auf einen Baum springen und mich retten.“ — „Ist das alles?“ sagte der Fuchs, „ich bin Herr über tausend Künste und habe überdies noch einen Sack voll Liste. Du jammerst mich, komm mit mir, ich will dich lehren, wie man den Hunden entgeht!“ Indem kam ein Jäger mit vier Hunden daher. Die Katze sprang behend auf einer! Baum und setzte sich in den Gipfel, wo Äste und Laubwerk sie völlig verbargen. „Bindet den Sack auf, Herr Fuchs, bindet den Sack auf!“ rief ihm die Katze zu, aber die Hunde hatten ihn schon gepackt und hielten ihn fest. „Ei, Herr Fuchs!“ rief die Katze, „Ihr bleibt mit Euern hundert Künsten stecken. Hättet Ihr heraufkriechen können, wie ich, so wäfs nicht um Euer Leben geschehen.“

199. Der Wolf und der Mensch. Der Fuchs erzählte einmal dem Wolf von der Stärke des Menschen, kein Tier könnte ihm widerstehen, und sie müßten List gebrauchen, um sich vor ihm zu erhalten. Da antwortete der Wolf: „Wenn ich nur einmal einen Menschen zu sehen bekäme! Ich wollte doch auf ihn los­ gehen.“ — „Dazu kann ich dir helfen,“ sprach der Fuchs, „komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen zeigen!“ Der Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs brachte ihn hinaus auf den Weg, den der Jäger alle Tage ging. Zuerst kam ein alter abgedankter Soldat „Ist das ein Mensch?“ fragte der Wolf. „Nein,“ antwor-

tete der Fuchs, „das ist einer gewesen.“ Danach kam ein kleiner Knabe, der zur Schule wollte. „Ist das ein Mensch?“ — „Nein, das will erst einer werden.“ Endlich kam der Jäger, die Doppelflinte auf dem Rücken und den Hirschfänger an der Seite. Sprach der Fuchs zum Wolf: „Siehst du, dort kommt ein Mensch, auf den mußt du losgehen, ich aber will mich fort in meine Höhle machen.“ Der Wolf ging nun auf den Menschen los; der Jäger, als er ihn erblickte, sprach: „Es ist schade, daß ich keine Kugel geladen habe,“ legte an und schoß dem Wolf das Schrot ins Gesicht. Der Wolf verzog das Gesicht gewaltig, doch ließ er sich nicht schrecken und ging vorwärts; da gab ihm der Jäger die zweite Ladung. Der Wolf verbiß den Schmerz und rückte dem Jäger zu Leibe; da zog dieser seinen blanken Hirschfänger und gab ihm links und rechts ein paar Hiebe, daß er, über und über blutend, mit Geheul zu dem Fuchs zurück lief. „Nun, Bruder Wolf,“ sprach der Fuchs, .wie bist du mit dem Menschen fertig geworden?“ — „Ach,“ ant­ wortete der Wolf, „so hab ich mir die Stärke des Men­ schen nicht vorgestellt; erst nahm er einen Stock von der Schulter und blies hinein, da flog mir etwas ins Gesicht, das hat mich ganz entsetzlich gekitzelt; danach pustete er nochmals in den Stock, da flog mir’s um die Nase wie Blitz und Hagelwetter; und wie ich ganz nah war, da zog er eine blanke Rippe aus dem Leib, damit hat er so auf mich losgeschlagen, daß ich beinah tot wäre liegen geblieben.“ — „Siehst du,“ sprach der Fuchs, „was du für ein Prahlhans bist! du wirfst das Beil so weit, daß du’s nicht wieder holen kannst.“

200. Der Zaunkönig nnd der Bär. I. Zur Sommerszeit gingen einmal der Bär und der Wolf im Wald spazieren, da hörte der Bär so schönen Gesang von einem Bogel und sprach: „Bruder Wolf, was ist das für

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ein Bogel, der so schön singt?" — „Das ist der König der Vögel," sagte der Wolf, „vor dem müssen wir uns neigen!" Es war aber der Zaunkönig. „Wenn das ist," sagte der Bär, „so möcht ich auch gerne seinen königlichen Palast sehen, komm und führe mich hin!" — „Das geht nicht so, wie du meinst," sprach der Wolf, „du mußt warten, bis die Frau Königin kommt." Bald darauf kam die Frau Königin und hatte Futter im Schnabel, und der Herr König auch, und wollten ihre Jungen ätzen. Der Bär wäre gern nun gleich hinterdrein gegangen, aber der Wolf hielt ihn am Ärmel und sagte: „Nein, du mußt warten, bis Herr und Frau Köuigin wieder fort sind!" Also nahmen sie das Loch in 'acht, wo das Nest stand, und trabten wieder ab. Der Bär aber hatte keine Ruhe, wollte den königlichen Palast sehen und ging nach einer kurzen Weile wieder vor. Da waren König und Königin richtig ausgeflogen: er guckte hinein und sah fünf oder sechs Junge, die lagen darin. „Ist das der königliche Palast?" rief der Bär, „das ist ein er­ bärmlicher Palast! ihr seid auch keine Königskinder, ihr seid unehrliche Kinder." Wie das die jungen Zaunkönige hörten, wurden sie gewaltig bös und schrieen: „Nein, das sind wir nicht, unsere Eltern sind ehrliche Leute: Bär, das soll aus­ gemacht werden mit dir!" Dein Bär und dem Wolf ward angst, sie kehrten um und setzten sich in ihre Höhlen. Die jungen Zaunkönige aber schrieen und lärmten fort, und als ihre Eltern wieder Futter brachten, sagten sie: „Wir rühren kein Fliegenbeincheu an, uitb sollten wir verhungern, bis ihr erst ausgemacht habt, ob wir ehrliche Kinder sind oder nicht; der Bär ist dagewesen und hat uns gescholten." Da sagte der alte König: „Seid nur ruhig, das soll ausgemacht werden!" Flog darauf mit der Frau Königin dem Bären vor seine Höhle und rief hinein: „Alter Brummbär, warum hast du meine Kinder gescholten? das soll dir übel bekommen, das wollen wir in einem blutigen Krieg ausmachen!"

II. Also war dem Bären der Krieg angekündigt, und ward

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alles vierfüßige Getier berufen: Ochs, Esel, Rind, Hirsch, Reh, und was die Erde sonst alles trägt. Der Zaunkönig aber berief alles, was in der Lust fliegt; nicht allein hie Vögel groß und klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bienen und Fliegen mußten herbei.

Als nun die Zeit kam, wo der Krieg angehen sollte, da schickte der Zaunkönig Kundschafter aus, wer der komman­ dierende General des Feindes wäre. Die Mücke war die listigste von allen, schwärmte im Wald, wo der Feind sich versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf den Baum, wo die Parole ausgegeben wurde. Da stand der Bär, rief den Fuchs vor sich und sprach: „Fuchs, du bist der schlauste unter allein Getier, du sollst General sein und uns anführen." — „Gut," sagte der Fuchs, „aber was für ein Zeichen wollen wir verabreden?" Niemand wußte es. Da sprach der Fuchs: „Ich habe einen schönen, langen, buschigen Schwanz, der sieht aus fast wie ein roter Federbusch; wenn ich den Schwanz in die Höhe halte, so geht die Sache gut, und ihr müßt darauf los marschieren; laß ich ihn aber herunterhängen, so lauft, was ihr könnt!" Als die Mücke das gehört hatte, flog sie wieder heim und verriet dem Zaun­ könig alles haarklein. Als der Tag anbrach, wo die Schlacht sollte geliefert werden, hu! da kam das vierfüßige Getier dahergercnnt mit Gebraus, daß die Erde zitterte; Zaunkönig mit seiner Armee kam auch durch die Luft daher, die schnurrte, schrie und schwärmte, daß einem angst und bange ward, und gingen sie da von beiden Seiten aneinander. Der Zaunkönig aber schickte die Hornisse hinab, sie sollte sich dem Fuchs unter den Schwanz setzen und aus Leibeskräften stechen. Wie nun der Fuchs den ersten Stich bekam, zuckte er, daß er das eine Bein aufhob, doch ertrug er's und hielt den Schwanz noch in der Höhe; beim zweiten Stich mußte er ihn einen Augenblick herunterlassen; beim dritten aber konnte er sich nicht mehr halten, schrie und nahm den Schwanz zwischen die Beine. Wie das die Tiere sahen, meinten sie, alles wäre verloren.

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mld fingen an zu laufen, jeder in seine Höhle, und hatten die Vögel die Schlacht gewonnen. Da flog der Herr König und die Frau Königin heim zu ihren Kindern und riefen: „Kinder, seid fröhlich, eßt und trinkt nach Herzenslust, wir haben den Krieg gewonnen!" Die jungen Zaunkönige aber sagten: „Noch essen wir nicht, der Bär soll erst vors Nest kommen und Abbitte tun und soll sagen, daß wir ehrliche Kinder sind." Da flog der Zaunkönig vor das Loch des Bären und rief: „Brummbär, du sollst vor das Nest zu meinen Kindern gehen und Abbitte tun und sagen, daß sie ehrliche Kinder sind, sonst sollen dir die Nippen im Leib zertreten werden!" Da kroch der Bär in der größten Angst hin und tat Abbitte. Jetzt waren die jungen Zaunkönige erst zufrieden, setzten sich zusammen, aßen und tranken und machten sich lustig bis in die späte Nacht hinein.

201. Der Wolf und der Fuchs. I.

Der Wolf hatte den Fuchs bei sich, und ivas der Wolf wollte, das mußte der Fuchs tun, weil er der schwächste war, und der Fuchs wäre gern des Herrn los gewesen. Es trug, sich zu, daß sic beide durch den Wald gingen, da sprach der Wolf: „Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf!" Da antwortete der Fuchs: „Ich weiß einen Bauernhof, wo ein paar junge Lämmlein sind; hast du Lust, so wollen wir eins holen!" Dem Wolf war das recht, sie gingen hin, und der Fuchs stahl das Lämmlein, brachte es dem Wolf und machte sich fort. Da fraß es der Wolf auf, war aber damit noch nicht zufrieden, sondern wollte das andere dazu haben und ging, es zu holen. Weil er es aber so ungeschickt machte, ward es die Mutter vom Lämmlein gewahr und fing an entsetzlich zu schreien «mb zu bläen, daß die Bauern herbeigelaufen kamen. Da fanden sie den Wolf und schlugen ihn so erbärmlich, daß er hinkend und heulend bei dem Fuchs ankam. „Du hast mich schön angeführt," sprach er, „ich wollte das andere Lamm holen.

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da haben mich die Bauern erwischt und haben mich weich geschlagen." Der Fuchs antwortete: „Warum bist du so ein Nimmersatt?"

II. Am andern Tag gingen sic wieder ins Feld; sprach der gierige Wolf abermals: „Rotfuchs, schass mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf!" Da antwortete der Fuchs: „Ich weiß ein Bauernhaus, da backt die Fran hent Abend Pfannkuchen, wir wollen uns davon holen!" Sie gingen hin, und der Fuchs schlich ums Haus herum, guckte und schnupperte so lange, bis er ausfindig machte, wo die Schüssel stand, zog dann sechs Pfannkuchen herab und brachte sie dem Wolf. „Da hast du zu fressen," sprach er zn ihm und ging seiner Wege. Der Wolf hatte die Pfannkuchen in einem Augenblick hinuntergeschluckt und sprach: „Sie schmecken nach mehr," ging hin und riß geradezu die ganze Schüssel herunter, daß sie in Stücke zersprang. Da. gab's einen gewaltigen Lärm, daß die Frau herauskam; und als sie den Wolf sah, rief sie die Leute, die eilten herbei und schlugen ihn, was Zeug wollte halten, daß er mit zwei lahmen Beinen laut heulend zum Fuchs in den Wald hinaus kam. „Was hast du mich garstig angeführt!" rief er, „die Bauern haben mich erwischt und mir die Hant gegerbt." Der Fuchs aber antwortete: „Warnm bist dn so ein Nimmersatt?" III. Am dritten Tag, als sie beisammen draußen waren und der Wolf mit Mühe nur forthinkte, sprach er doch wieder: „Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf!" Der Fuchs antwortete: „Ich iveiß einen Mann, der hat geschlüchtet, und das gesalzene Fleisch liegt in einem Faß im Keller, das wollen wir holen!" Sprach der Wolf: „Aber ich will gleich mitgehen, damit du mir hilfst, wenn ich nicht fort kann." — „Meinetwegen," sagte der Fuchs und zeigte ihm die Schliche und Wege, aus welchen sie endlich in den Keller gelangten. Da war nun Fleisch im Überfluß,

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und der Wolf machte sich gleich daran und dachte: „Bis ich aufhöre, hat's Zeit." Der Fuchs ließ sich's auch gut schmecke», blickte überall herum, lief aber oft zu bent Loch, durch welches sie gekommen waren, und versuchte, ob sein Leib noch schmal genug wäre durchzuschlüpfen. Sprach der Wolf: „Lieber Fuchs, sag mir, warum rennst du so hin und her und springst hinaus und herein?" — „Ich muß doch sehen, ob niemand kommt," antwortete der listige, „friß nur nicht zu viel!" Da sagte der Wolf: „Ich gehe nicht eher fort, als bis das Faß leer ist." Indem kam der Bauer, der den Lärm von des Fuchses Sprüngen gehört hatte, in den Keller. Der Fuchs, wie er ihn sah, war mit einem Satz zum Loch draußen; der Wolf wollte nach, aber er hatte sich so dick gefressen, daß er nicht mehr durch konnte, sondern stecken blieb. Ta kam der Bauer mit einem Knüppel und schlug ihn tot. Der Fuchs aber sprang in den Wald und >var froh, daß er den aste» Nimmersatt los war.

202. Der alte Sultan. Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zälme verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Fran vor der Haustüre und sprach: „Den alten Sultan schieß ich morgen tot, der ist zu nichts mehr nütze." Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Tiere hatte, antwortete: „Da er uns so lange Jahre gedient hat und ehrlich bei uns gehalten, so könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben." — „Ei, was," sagte der Mann, „dn biß nicht recht gescheit; er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fürchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgchen. Hal er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt." Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehört und war traurig, daß morgen sein letzter Tag sein sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er abends hinaus in den Wald und klagte über das Schicksal, das ihm

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bevorstände. „Höre, Gevatter," sagte der Wolf, „sei gutes Mutes, ich will dir aus deiner Not helfen. Ich habe etwas ausgedacht. Morgen in aller Frühe geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu, und sie nehmen ihr kleines Kind mit, weil niemand im Hause zurückbleibt. Sie Pflegen das Kind während der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten zu legen; lege dich daneben, gleich als wolltest du es bewachen. Ich will dann aus dem Walde hcrauskommen und das Kind rauben; du mußt mir eifrig nachspringen, als wolltest du mir es wieder abjagen. Ich lasse es fallen, und du bringst es den Eltern wieder zurück, die glauben dann, du hättest es gerettet, und sind viel zu dankbar, als daß sie dir eilt Leid antun sollten; im Gegenteil, du kommst in völlige Gnade, und sie werden es dir an nichts mehr fehlen lassen." Der Anschlag gefiel dem Hund, und wie er ausgedacht war, so ward er auch ausgeführt. Der Vater schrie, als er den Wolf mit seinem Kinde durchs Feld laufen sah; als es aber der alte Sultan zurückbrachte, da war er froh, streichelte ihn und sagte: „Dir soll kein Härchen gekrümmt werden, du sollst das Gnadenbrot essen, so lange du lebst!" Zu seiner Frau aber sprach er: „Geh gleich heim und koche dem alten Sultan einen Weckbrei, den braucht er nicht zu beißen, und bring das Kopfkissen aus meinem Bette, das schenk ich ihm zn seinem Lager!" Von nun an hatte es der Sultan so gut, als er's sich nur wünschen konnte. Bald hernach besuchte ihn der Wolf und freute sich, daß alles so wohl gelungen war. „Aber, Gevatter," sagte er, „du wirst doch ein Auge zudrücken, wenn ich bei Gelegenheit deinem Herrn ein fettes Schaf weghole? Es wird einem heutzutage schwer, sich durchzuschlagen." — „Darauf rechne nicht," ant­ wortete der Hund, „meinem Herrn bleibe ich treu, das darf ich nicht zugeben." Der Wolf meinte, das wäre nicht im Ernste gesprochen, kam in der Nacht herangeschlichen und wollte sich das Schaf holen. Aber der Bauer, dem der treue Sultan das Vorhaben des Wolfes verraten hatte, paßte aus und kämmte ihm mit dem Dreschflegel garstig die Haare.

203. Die Wichtelmänner. Es war ein Schuster ohne seine Schuld so arm ge­ worden, daß ihm endlich nichts mehr übrig blieb als Leder zu einem einzigen Paar Schuhe. Nun schnitt er am Abend die Schuhe zu, die wollte er den nächsten Morgen in Arbeit nehmen; und weil er ein gutes Ge­ wissen hatte, so legte er sich ruhig zu Bett, befahl sich dem lieben Gott und schlief ein. Morgens, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und sich zur Arbeit nieder­ setzen wollte, so standen die beiden Schuhe ganz fertig auf dem Tisch. Er verwunderte sich und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Er nahm die Schuhe in die Hand, um sie näher zu betrachten: sie waren so sauber gearbeitet, daß kein Stich daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück sein sollte. Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und weil ihm die Schuhe so gut gefielen, so bezahlte er mehr als gewöhnlich dafür, und der Schuster konnte von dem Geld Leder zu zwei Paar Schuhen erhandeln. Er schnitt sie abends zu und wollte den nächsten Morgen mit frischem Mut an die Arbeit gehen, aber er brauchte es nicht, denn als er aufstand, waren sie schon fertig, und es blieben auch nicht die Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er Leder zu vier Paar Schuhen einkaufen konnte. Er fand früh morgens auch die vier Paar fertig; und so ging's immer fort, was er abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder sein ehrliches Auskommen hatte und endlich ein wohlhabender Mann ward. Nun geschah es eines Abends nicht lange vor Weih­ nachten, als der Mann wieder zugeschnitten hatte, daß er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: „Wie wär's, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leistet?“ Die Frau war’s zu­ frieden und steckte ein Licht an; darauf verbargen sie sich in den Stubenecken, hinter den Kleidern, die di aufgehängt waren, und gaben acht. Als es Mitternacht

war, da kamen zwei kleine niedliche nackte Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zu­ geschnittene Arbeit zu sich und fingen an, mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, zu nähen, zu klopfen, dass der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tische stand, dann sprangen sie schnell fort. Am andern Morgen sprach die Frau: „Die kleinen Männer haben uns reich gemacht, wir müßten uns doch dankbar dafür bezeigen. Sie laufen so herum, haben nichts am Leib und müssen frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schühlein dazu.“ Der Mann sprach: „Das bin ich wohl zufrieden,“ und abends, wie sie alles fertig hatten, legten sie die Geschenke statt der zuge­ schnittenen Arbeit zusammen auf den Tisch und ver­ steckten sich dann, um mit anzusehen, wie sich die Männlein dazu anstellen würden. Um Mitternacht kamen sie herangesprungen und wollten sich gleich an die Arbeit machen; als sie aber kein zugeschnittenes Leder, sondern die niedlichen Kleidungsstücke fanden, verwunderten sie sich erst, dann aber bezeigten sie eine gewaltige Freude. Mit der größten Geschwindigkeit zogen sie sich an, strichen die schönen Kleider am Leib und sangen: „Sind wir nicht Knaben glatt und fein? Was sollen wir länger Schuster sein!“ Dann hüpften und tanzten sie und sprangen über Stühle und Bänke. Endlich tanzten sie zur Türe hinaus. Von nun an kamen sie nicht wieder, dem Schuster aber ging es wohl, so lang er lebte, und es glückte ihm alles, was er unternahm. 204. Die drei Spinnerinnen. I. Es war ein Mädchen faul und wollte nicht spinnen, und die Mutter mochte sagen, was sie wollte, sie konnte

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es nicht dazu bringen. Endlich übernahm die Mutter einmal Zorn und Ungeduld, daß sie ihm Schläge gab, worüber es laut zu weinen anfing. Nun fuhr gerade die Königin vorbei, und als sie das Weinen hörte, ließ sie anhalten, trat in das Haus und fragte die Mutter, warum sie ihre Tochter schlüge, daß man draußen auf der Straße das Schreien hörte. Da schämte sich die Frau, daß sie die Faulheit ihrer Tochter offenbaren sollte, und sprach: „Ich kann sie nicht vom Spinnen abbringen, sie will immer und ewig spinnen, und ich bin arm und kann den Flachs nicht herbeischaffen.“ — Da antwortete die Königin: „Ich höre nichts lieber als spinnen und bin nicht vergnügter, als wenn die Räder schnurren; gebt mir Eure Tochter mit ins Schloß, ich habe Flachs genug, da soll sie spinnen, so viel sie Lust hat.“ Die Mutter war’s von Herzen gern zufrieden, und die Königin nahm das Mädchen mit. Als sie ins Schloß gekommen waren, führte sie es hinauf zu drei Kammern, die lagen von unten bis oben voll vom schönsten Flachs. „Nun spinn mir diesen Flachs!“ sprach sie, „und wenn du es fertig bringst, so sollst du meinen ältesten Sohn zum Gemahl haben; bist du gleich arm, so acht ich nicht darauf, dein unverdrossener Fleiß ist Ausstattung genug.“ Das Mädchen erschrak innerlich, denn es konnte den Flachs nicht spinnen, und wär's drei­ hundert Jahr alt geworden und hätte jeden Tag vom Morgen bis zum Abend dabei gesessen. Als es nun allein war, fing es an zu weinen und saß so drei Tage, ohne die Hand zu rühren. Am dritten Tage kam die Königin, und als sie sah, daß noch nichts gesponnen war, ver­ wunderte sie sich, aber das Mädchen entschuldigte sich damit, daß es vor großer Betrübnis über die Entfernung aus seiner Mutter Hause noch nicht hätte anfangen können. Das ließ sich die Königin gefallen, sagte aber beim Weggehen: „Morgen mußt du mir anfangen zu arbeiten.“

II. Als das Mädchen wieder allein war, wußte es sich

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nicht mehr zu raten und zu helfen und trat in seiner Betrübnis vor das Fenster. Da sah es drei Weiber her­ kommen; davon hatte die erste einen breiten Platschfuß, die zweite hatte eine so große Unterlippe, daß sie über das Kinn herunterhing, und die dritte hatte einen breiten Daumen. Die blieben vor dem Fenster stehen, schauten hinauf und fragten das Mädchen, was ihm fehlte. Es klagte ihnen seine Not, da trugen sie ihm ihre Hilfe an und sprachen: „Willst du uns zur Hochzeit einladen, dich unser nicht schämen und uns deine Basen heißen, auch an deinen Tisch setzen, so wollen wir dir den Flachs weg­ spinnen, und das in kurzer Zeit!“ — „Von Herzen gern,“ antwortete es, „kommt nur herein und fangt gleich die Arbeit an!“ Da ließ es die drei seltsamen Weiber herein und machte in der ersten Kammer eine Lücke, wo sie sich hinsetzten und ihr Spinnen anhuben. Die eine zog den Faden und trat das Rad, die andere netzte den Faden, die dritte drehte ihn und schlug mit dem Finger auf den Tisch, und so oft sie schlug, fiel eine Zahl Garn zur Erde, und das war aufs feinste gesponnen. Vor der Königin verbarg sie die drei Spinnerinnen und zeigte ihr, so oft sie kam, die Menge des gesponnenen Garns, daß diese des Lobes kein Ende fand. Als die erste Kammer leer war, ging’s an die zweite, endlich an die dritte, und die war auch bald aufgeräumt. Nun nahmen die drei Weiber Abschied und sagten zum Mädchen: „Vergiß nicht, was du uns versprochen hast, es wird dein Glück sein!“

III. Als das Mädchen der Königin die leeren Kammern und den großen Haufen Garn zeigte, richtete sie die Hochzeit aus, und der Bräutigam freute sich, daß er eine so geschickte und fleißige Frau bekäme, und lobte sie gewaltig. „Ich habe drei Basen,“ sprach das Mädchen, „und da sie mir viel Gutes getan haben, so wollte ich sie nicht gern in meinem Glück vergessen; erlaubt doch,

daß ich sie zur Hochzeit einlade, und daß sie mit an den Tisch sitzen!“ Die Königin und der Bräutigam sprachen: „Warum sollen wir das nicht erlauben?“ Als nun das Fest anhub, traten die drei Jungfern in wunderlicher Tracht herein, und die Braut sprach: „Seid willkommen, liebe Basen!“ — „Ach,“ sagte der Bräutigam, „wie kommst du zu der garstigen Freund­ schaft?“ Darauf ging er zu der einen mit dem breiten Platschfuß und fragte: „Wovon habt Ihr einen solchen breiten Fuß?“ — „Vom Treten,“ antwortete sie, „vom Treten.“ Da ging der Bräutigam zur zweiten und sprach: „Wovon habt Ihr nur die herunterhängende Lippe?“ — „Vom Lecken,“ antwortete sie, „vom Lecken.“ Da fragte er die dritte: „Wovon habt Ihr den breiten Daumen? — „Vom Fadendrehen,“ antwortete sie, „vom Fadendrehen.“ Da erschrak der Königssohn und sprach: „So soll mir nun und nimmermehr meine schöne Braut ein Spinnrad anrühren!“ Damit war sie das böse Flachsspinnen los. 205. Die drei Brüder.

I. Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und weiter nichts im Vermögen als das Haus, worin er wohnte. Nun hätte jeder gerne nach seinem Tode das Haus gehabt; dem Vater aber war einer so lieb als der andere, da wußte er nicht, wie er’s anfangen sollte, daß er keinem zu nahe tät; verkaufen wollte er das Haus auch nicht, weil’s von seinen Voreltern war, sonst hätte er das Geld unter sie geteilt. Da fiel ihm endlich ein Rat ein, und er sprach zu seinen Söhnen: „Geht in die Welt und versucht euch, und lerne jeder sein Handwerk! wenn ihr dann wiederkommt, wer das beste Meisterstück macht, der soll das Haus haben.“ Das waren die Söhne zufrieden, und der älteste wollte ein Hufschmied, der zweite ein Barbier, der dritte aber ein Fechtmeister werden. Darauf bestimmten sie

eine Zeit, wo sie wieder nach Haus zusammenkommen wollten, und zogen fort. Es traf sich auch, daß jeder einen tüchtigen Meister fand, wo er was Rechtschaffenes lernte. Der Schmied mußte des Königs Pferde beschlagen und dachte: „Nun kann dir's nicht fehlen, du kriegst das Haus.“ Der Barbier rasierte lauter vornehme Herren und meinte auch, das Haus wäre schon sein. Der Fecht­ meister kriegte manchen Hieb, biß aber die Whne zu­ sammen und ließ sich’s nicht verdrießen, denn er dachte bei sich: Fürchtest du dich vor einem Hieb, so kriegst du das Haus nimmermehr.

II. Als nun die gesetzte Zeit herum war, kamen sie bei ihrem Vater wieder zusammen; sie wußten aber nicht, wie sie die beste Gelegenheit finden sollten, ihre Kunst zu zeigen, saßen beisammen und ratschlagten. Wie sie so saßen, kam auf einmal ein Hase übers Feld daher gelaufen. „Ei,“ sagte der Barbier, „der kommt wie ge­ rufen,“ nahm Becken und Seife, schäumte so lange, bis der Hase in die Nähe kam, dann seifte er ihn in vollem Laufe ein und rasierte ihm auch in vollem Laufe ein Stutzbärtchen, und dabei schnitt er ihn nicht und tat ihm an keinem Haare weh. „Das gefällt mir,“ sagte der Vater, „wenn sich die andern nicht gewaltig angreifen, so ist das Haus dein.“ Es währte nicht lang, so kam ein Herr in einem Wagen dahergerannt in vollem Jagen. „Nun sollt Ihr sehen, Vater, was ich kann,“ sprach der Hufschmied, sprang dem Wagen nach, riß dem Pferd, das in einem fort jagte, die vier Hufeisen ab und schlug ihm auch im Jagen vier neue wieder an. „Du bist ein ganzer Kerl,“ sprach der Vater, „du machst deine Sache so gut wie dein Bru­ der; ich weiß nicht, wem ich das Haus geben soll.“ Da sprach der dritte: „Vater, laß mich auch einmal gewähren!“ und weil es anfing zu regnen, zog er seinen Degen und schwenkte ihn in Kreuzhieben über seinen ¥ e f i e l, Liseduch 2. 13. Aufl. 14

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Kopf, daß kein Tropfen auf ihn fiel; und als der Regen stärker ward und endlich so stark, als ob man mit Mul­ den vom Himmel gösse, schwang er den Degen immer schneller und blieb so trocken, als säß er unter Dach und Fach. Wie der Vater das sah, erstaunte er und sprach: „Du hast das beste Meisterstück gemacht, das Haus ist dein“. Die beiden andern Brüder waren damit zufrieden, wie sie vorher gelobt hatten, und weil sie sich einander so lieb hatten, blieben sie alle drei zusammen im Haus und trieben ihr Handwerk; und da sie so gut ausgelernt hatten und so geschickt waren, verdienten sie viel Geld. So lebten sie vergnügt bis in ihr Alter zusammen, und als der eine krank ward und starb, grämten sich die zwei anderen so sehr darüber, daß sie auch krank wurden und bald starben. Da wurden sie, weil sie so geschickt gewesen waren und sich so lieb gehabt hatten, alle drei zusammen in ein Grab gelegt.

206. Doktor Allwissend. I. Es war einmal ein armer Bauer, namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Taler an einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor gerade zu Tisch; da sah der Bauer, wie er schön aß und trank, und das Herz ging ihm danach auf, und er wäre auch gern ein Doktor gewesen. Also blieb er noch ein Weil­ chen stehen und fragte endlich, ob er nicht auch könnte ein Doktor werden. „0, ja,“ sagte der Doktor, ,das ist bald geschehen.“ — „Was muß ich tun?“ fragte der Bauer. „Erstlich kauf dir ein A-B-C-Buch, so eins, wo vorn ein Göckelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an und was sonst zur Doktorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten:"

ICH BIN DER DOKTOR ALLWISSEND! und laß das oben über deine Haustür nageln!“ Der Bauer tat alles, wie’s ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, ward einem, reichen, großen Herrn Geld ge­ stohlen. Da ward ihm von dem Doktor Allwissend ge­ sagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte, wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an, ob er der Doktor Allwissend wäre. Ja, der wäre er. — So sollte er mitgehen und das ge­ stohlene Geld wieder schaffen. — 0, ja, aber die Grete, seine Frau, müßte auch mit. Der Herr war das zu­ frieden und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie fuhren zusammen fort. Als sie auf den adligen Hof kamen, war der Tisch gedeckt, da sollte er erst mit­ essen. Ja, aber seine Frau, die Grete, auch, sagte er und setzte sich mit ihr hinter den Tisch. II. Wie nun der erste Bediente mit einer Schüssel schönem Essen kam, stieß der Bauer seine Frau an und sagte: „Grete, das war der erste,“ und meinte, es wäre derjenige, welcher das erste Essen brachte. Der Be­ diente aber meinte, er hätte damit sagen wollen: „Das ist der erste Dieb,“ und weil er’s nun wirklich war, ward ihm angst, und er sagte draußen zu seinen Kameraden: „Der Doktor weiß alles, wir kommen übel an; er hat gesagt, ich wäre der erste.“ Der zweite wollte gar nicht herein, er mußte aber doch. Wie er nun mit seiner Schüssel herein kam, stieß der Bauer seine Frau an: „Grete, das ist der zweite.“ Dem Bedienten ward eben­ falls angst, und er machte, daß er hinaus kam. Dem dritten ging’s nicht besser, der Bauer sagte wieder: „Grete, das ist der dritte.“ Der vierte mußte eine verdeckte Schüssel hineintragen, und der Herr sprach zum Doktor, er sollte seine Kunst zeigen und raten, was darunter 14*

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läge; es waren aber Krebse. Der Bauer sah die Schüssel an, wußte nicht, wie er sich helfen sollte, und sprach: „Ach, ich armer Krebs!“ Wie der Herr das hörte, rief er: „Da, er weiß es, nun weiß er auch, wer das Geld hat.“ Dem Bedienten aber ward gewaltig angst, und blinzelte den Doktor an, er möchte einmal herauskommen. Wie er nun hinauskam, gestanden sie ihm alle viere, sie hätten das Geld gestohlen; sie wollten’s ja gerne heraus­ geben und ihm eine schwere Summe dazu, wenn er sie nicht verraten wollte, es ginge ihnen sonst an den Hals. Sie führten ihn auch hin, wo das Geld versteckt lag. Damit war der Doktor zufrieden, ging wieder hinein, setzte sich an den Tisch und sprach: „Herr, nun will ich in meinem Buche suchen, wo das Geld steckt.“ Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüßte. Der saß aber und schlug sein A-B-C-Buch auf, blätterte hin und her und suchte den Göckelhahn. Wie er ihn nicht gleich finden konnte, sprach er: „Du bist doch darin und mußt auch heraus.“ Da glaubte der im Ofen, er wäre gemeint, sprang voller Schrecken heraus und rief: „Der Mann weiß alles.“ Nun zeigte der Doktor Allwissend dem Herrn, wo das Geld lag, sagte aber nicht, wer’s ge­ stohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung und ward ein berühmter Mann.

207. Hans im Glück. I. Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm: „Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn!“ Der Herr antwortete: „Du hast mir treu und ehrlich gedient; wie der Dienst war, so soll der Lohn sein!“ und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war. Hans zog sein Tüchlein aus der

Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahin ging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem munteren Pferd vorbei­ trabte. „Ach,“ sprach Hans ganz laut, „was ist das Reiten ein schönes Ding! da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh und kommt fort, er weiß nicht wie.“ Der Reiter, der das ge­ hört hatte, hielt an und rief: „Ei, Hans, warum läufst du auch zu Fuß?“ — „Ich muß ja wohl,“ antwortete er, „da hab ich einen Klumpen heim zu tragen; es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten, auch drückt mir’s auf die Schulter.“ — „Weißt du was?“ sagte der Reiter, „wir wollen tauschen! ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.“ — „Von Herzen gern,“ sprach Hans, „aber ich sage Euch, Ihr müßt Euch damit schleppen.“ Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach: „Wenn’s nun recht geschwind soll gehen, dann mußt du mit der Zunge schnalzen und hopp! hopp! rufen.“ Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und so frank und frei dahin ritt'. Über ein Weilchen fiel’s ihm ein, es solle noch schneller gehen, und fing an, mit der Zunge zu schnalzen und hopp! hopp! zu rufen. Das Pferd setzte sich in starken Trab, und ehe sich Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte.

II. Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich her trieb. Hans suchte seine Glieder zu­ sammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer: „Es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so

eine Mähre gerät wie diese, die stößt und einen herab­ wirft, daß man den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmer wieder auf. Da lob ich mir Eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinterher gehen und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiß. Was gäbe ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!“ — „Nun“, sprach der Bauer, „geschieht Euch so ein großer Gefallen, so will ich Euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.“ Hans willigte mit tausend Freuden ein; der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon. Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und be­ dachte den glücklichen Handel. „Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mir’s doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mir’s beliebt, Butter und Käse dazu essen; hab ich Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?“ Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er Halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze ward drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so daß ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. Dem Ding ist zu helfen, dachte Hans, jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben! Er band sie an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, so stellte er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, so kam kein Tropfen Milch zum Vor­ schein. Und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, daß er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht be­ sinnen konnte, wo er war.

III. Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schubkarren ein junges Schwein liegen hatte. „Was sind das für Streiche!“ rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach: „Da, trinkt einmal und erholt Euch! Die Kuh will wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.“ — „Ei, ei,“ sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, „wer hätte das gedacht! es ist freilich gut, wenn man so ein Tier ins Haus abschlachten kann, was gibt’s für Fleisch! aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! das schmeckt anders, dabei noch die Würste.“ — „Hört, Hans!“ sprach da der Metzger, „Euch zuliebe will ich tauschen und will Euch das Schwein für die Kuh lassen!“ — „Gott lohn Euch Eure Freundschaft!“ sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das Schwein­ chen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben. Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge, begegnete ihm ja eine Verdrießlich­ keit, so würde sie doch gleich wieder gut gemacht. Es gesellte sich danach ein Bursche zu ihm, der trug eine schöne, weiße Gans unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch erzählte ihm, daß er die Gans zu einem Kindtauf­ schmaus brächte. „Hebt einmal!“ führ er fort und packte sie bei den Flügeln, „wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.“ — „Ja,“ sprach Hans und wog sie mit der einen Hand, „die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.“ Indessen sah sich der Bursche nach allen Seiten ganz

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bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. „Hört!“ fing er an, „mit Eurem Schweine mag’s nicht ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stalle gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, Ihr habt’s da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie Euch mit dem Schwein erwischten; das geringste ist, daß Ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.“ Dem guten Hans ward bang; „ach Gott,“ sprach er, „helft mir aus der Not, Ihr wißt hier herum besser Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir Eure Gans!“ — „Ich muß schon etwas aufs Spiel setzen,“ antwortete der Bursche, „aber ich will doch nicht schuld sein, daß Ihr in Unglück geratet.“ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einem Seitenweg fort, der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der Gins unter dem Arme der Heimat zu.

IV. „Wenn ich's recht überlege,“ sprach er mit sich selbst, „habe ich noch Vorteil bei dem Tausch; erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die heraus­ träufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Viertel­ jahr; und endlich die schönen, weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!“ Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu: „Ich schleife die Schere und drehe geschwind Und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind!“ Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach: „Euch geht’s wohl, weil Ihr so lustig bei Eurem Schleifen seid.“ — „Ja,“ antwortete der Scheren­ schleifer, „das Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, so oft er in die

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Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft?“ — „Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.“ — „Und das Schwein?“ — „Das hab ich für eine Kuh gekriegt.“ — „Und die Kuh?“ — „Die hab ich für ein Pferd bekom­ men.“— „Und das Pferd?“ — „Dafür hab ich einen Klum­ pen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.“ — „Und das Gold?“ — „Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst." — „Ihr habt Euch jederzeit zu helfen gewußt,“ sprach der Schleifer, „könnt Ihr’s nun dahin bringen, daß Ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn Ihr auf­ steht, so habt Ihr Euer Glück gemacht,“ — „Wie soll ich das anfangen?“ sprach Hans. — „Ihr müßt ein Schleifer werden, wie ich; dazu gehört eigentlich nichts, als ein Wetzstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollt Ihr mir aber auch weiter nichts als Eure Gans geben! wollt Ihr das?“ — „Wie könnt Ihr noch fragen?“ ant­ wortete Hans, „ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf Erden; habe ich Geld, so oft ich in die Tasche greife, was brauche ich da länger zu sorgen?“ reichte ihm die Gans hin und nahm den Wetzstein in Empfang. „Nun,“ sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen, schwe­ ren Feldstein, der neben ihm lag, auf, „da habt Ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sich’s gut schlagen lässt und Ihr Eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt hin und hebt ihn ordentlich auf!“

V. Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude. „Ich muß in einer Glückshaut geboren sein,“ rief er aus, „alles, was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.“ Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen ge­ wesen war, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat auf einmal in der Freude

über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weiter gehen und mußte jeden Augenblick Halt machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen ge­ schlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben; damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken bücken, da versah er’s, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. „So glück­ lich wie ich“, rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne!“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war. 208. Der Arme und der Reiche. I. Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß eines Abends ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen. Da dachte unser Herrgott: „Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen, bei ihm will ich übernachten.“ Der Reiche, Lis er an seine Tür klopfen hörte, machte das Fenster auf

und fragte den Fremdling, was er suche Der Herr ant­ wortete: „Ich bitte um ein Nachtlager.“ Der Reiche guckte den Wandersmann von Haupt bis zu den Fußen an, und weil der liebe Gott nicht aussah, wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach: „Sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Türe klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht Euch anderswo ein Auskommen!“ Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und ging hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte er an­ geklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen auf und bat den Wandersmann, einzutreten. „Bleibt die Nacht über bei mir!“ sagte er, „es ist schon finster, und heute könnt Ihr doch nicht mehr weiter kommen!“ Das ge­ fiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte, er möchte sich’s bequem machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein wenig Milch dazu hätten. Und als der Tisch ge­ deckt war, setzte sich der liebe Gott nieder und aß mit ihnen. Nachdem sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, ließen die beiden Alten nicht ab, bis der liebe Gott sich in ihr Bett legte, sich selbst aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Als er in der Türe stand, kehrte er sich um und sprach: „Weil ihr so mit­ leidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen!“ Da sagte der Arme: „Was soll ich mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit, und daß

wir zwei, so lang wir leben, gesund dabei bleiben und unser notdürftiges tägliches Brot haben; fürs dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.“ Der liebe Gott sprach: „Willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wün­ schen?“— „0 ja,“ sagte der Mann, „wenn ich auch das noch erhalten kann, so wär’s mir wohl lieb.“ Da erfüllte der Herr ihre Wünsche, verwandelte ihr altes Haus in ein neues, gab ihnen nochmals seinen Segen und zog weiter. H. Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues reinliches Haus mit roten Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er große Augen, rief seine Frau herbei und sprach: „Was ist geschehen? Gestern abend stand noch die alte, elende Hütte, und heute steht da ein schönes, neues Haus. Lauf hinüber und höre, wie das gekommen ist!“ Die Frau ging und fragte den Armen aus; er erzählte ihr alles. Da lief sie eilig zurück und erzählte es ihrem Manne. Der Mann sprach: „Ich möchte mich zerreißen und zerschlagen! Hätte ich das nur ge­ wußt! Der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.“ — „Eil dich,“ sprach die Frau, „und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann mußt du dir auch drei Wünsche gewähren lassen!“ Der Reiche befolgte den guten Rat, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat, er möcht’s nicht übel nehmen, daß er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Haustüre gesucht, derweil wäre er weggegangen; wenn er des Weges zurückkäme, müßte er bei ihm einkehren. „Ja,“ sprach der liebe Gott, „wenn ich einmal zurückkomme, will ich es tun.“ Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche tun dürfte, wie sein Nachbar. Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich

lieber nichts wünschen. Der Reiche meinte, er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück ge­ reiche, wenn er nur wüßte, daß es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott: „Reit heim, und drei Wünsche, die du tust, die sollen in Erfüllung gehen.“ III. Nun hatte der Reiche, was er verlangte, ritt heim­ wärts und fing an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen ließ, fing das Pferd an zu springen, so daß er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zu­ sammen bringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte: „Sei ruhig, Liese!“ aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da rief er ganz ungeduldig: „So wollte ich, daß du den Hals zerbrächst!“ Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, lag das Pferd tot und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch er­ füllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitt’s ab, hing’s auf seinen Rücken und mußte nun zu Fuß gehen. „Du hast noch zwei Wünsche übrig,“ dachte er und tröstete sich damit. Wie er. nun langsam durch den Sand dahinging und zu Mittag die Sonne heiß brannte, ward’s ihm so warm und verdrießlich zu Mut; der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht ein­ gefallen, was er sich wünschen sollte. „Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,“ sprach er zu sich selbst, „so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiß ich im voraus; ich will’s aber so einrichten, daß mir nichts mehr zu wünschen übrig bleibt." Da kam ihm so in die Gedanken, was es seine Frau jetzt gut hätte, die säße daheim in einer kühlen Stube und ließ sich’s wohl schmecken, und ohne daß eris wußte, sprach er so hin: „Ich wollte, die säße daheim

auf dem Sattel und könnte nicht herunter, statt daß ich ihn auf meinem Rücken schleppe.“ Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte, daß sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiß, er fing an zu laufen und wollte daheim auf etwas Großes für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubentür aufmacht, sitzt seine Frau auf dem Sattelund kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er: „Gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichtümer der Welt herbeiwünschen, nur bleib da sitzen!“ Sie schalt ihn aber und sprach: „Was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze? du hast mich dar­ auf gewünscht, du mußt mir auch wieder herunterhelfen.“ Er mochte wollen oder nicht, er mußte den dritten Wunsch tun, daß sie vom Sattel heruntersteigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlorenes Pferd; die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.

209. Sneewittchen. I. Es war einmal mitten im Winter, und die Schnee­ flocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwar­ zem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: „Hätt ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!“ Bald darauf bekam sie ein Töch­ terlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum das

Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Ge­ mahlin. Es war eine schöne Frau; aber sie war stolz, und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ so antwortete der Spiegel: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte. Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ so antwortete er: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach: „Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will’s nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen!“ Der Jäger ge­ horchte und führte es hinaus, und als er den Hirsch­ fänger gezogen hatte und Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und.

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sprach: „Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben! ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen!“ Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: „So lauf hin, du armes Kind!“ Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit.

II. Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutter­ selig allein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere spran­ gen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend werden sollte, da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblein und sieben Becher­ lein. An der Wand waren sieben Bettlein neben ein­ ander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber ge­ deckt. Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Her­ nach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bett­ ehen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein. Als es ganz dunkel geworden war, kamen dieHerren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Ber­ gen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gewesen war, denn es stand nicht

alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: „ Wer hatauf meinem Stühlchen gesessen ?“ Der zweite: „Wer hat von meinem Teilerchen gegessen?“ Der dritte: „Wer hat von meinem Brötchen genommen?“ Der vierte: „Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Der fünfte: „Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ Der sechste: „ Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten ?“ Der siebente: „Wer hat ausmeinem Becherlein getrunken ?“ Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Dälle war; da sprach er: „Wer hat in mein Bettchen getreten?“ Die andern kamen gelaufen und riefen: „In meinem hat auch jemand gelegen.“ Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Snee­ wittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrieen vor Ver­ wunderung, holten ihre Lieben Lichtlein und beleuchteten Sneewittchen. „Ei, du mein Gott! ei, du mein Gott!“ riefen sie, „was ist das Kind so schön!“ und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Sneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: „Wie heißt du?“ — „Ich heiße Sneewittchen,“ antwortete es. — „Wie bist du in unser Haus gekommen?“ sprachen weiter die Zwerge. Da er­ zählte es ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen um­ bringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben ge­ schenkt, und da wäre es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen: „Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordent­ lich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir nichts fehlen.“ — „Ja,“ sagte Sneewitt­ chen, „von Herzen gern!“ und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung; morgens gingen sie in die Hessel, Lesebuch 2. 13. Aufl. 15

Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wie­ der, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein, da warnten es die guten Zwerg­ lein und sprachen: „Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein!“

in. Die Königin aber dachte nicht anders, als sie wäre wieder die erste und allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Da antwortete der Spiegel: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Sneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“ Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie be­ trogen hatte und Sneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Ge­ sicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: „Schöne Ware feil! feil!“ Sneewittchen guckte zum Fenster heraus und rief: „Guten Tag, liebe Frau, was habt Ihr zu ver­ kaufen?“— „Gute Ware, schöne Ware,“ antwortete sie, „Schnürriemen von allen Farben,“ und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. „Die ehrliche Frau kann ich herein lassen,“ dachte Sneewittchen, riegelte die Tür auf und kaufte sich den hübschen Schnür­ riemen. „Kind,“ sprach die Alte, „wie du aussiehst!

komm, ich will dich ordentlich schnüren.“ Sneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren; aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. „Nun bist du die Schönste gewesen,“ sprach sie und eilte hinaus. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus, aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen sahen; und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest ge­ schnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: „Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin; hüte dich und laß keinen Men­ schen herein, wenn wir nicht bei dir sind!“ IV. Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Da antwortete er wie sonst: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Sneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“ Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so er­ schrak sie, denn sie sah wohl, daß Sneewittchen wieder lebendig geworden war. „Nun aber,“ sprach sie, „will ich etwas aussinnen, das dich zu Grunde richten soll!“ und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines andern alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte 15*

an die Türe und rief: „Gute Ware feil! feil!“ Snee­ wittchen schaute heraus und sprach: „Geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen!“ — „Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein,“ sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören ließ und die Tür öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: „Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen!“ Das arme Sneewittchen dachte an nichts und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. „Du Ausbund von Schön­ heit,“ sprach das boshafte Weib, „jetzt ist’s um dich ge­ schehen,“ und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Sneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm; und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Sneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Tür zu öffnen. V. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Da antwortete er wie vorher: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, Aber Sneewittchen über den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“ Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. „Sneewittchen soll sterben,“ rief sie, „und

wenn es mein eigenes Leben kostet!“ Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam; aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und ver­ kleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an, Sneewittchen steckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: „Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben miss verboten.“ — „Mir auch recht,“ ant­ wortete die Bäuerin, „meine Äpfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken!“ — „Nein,“ sprach Sneewittchen, „ich darf nichts annehmen.“ — „Fürchtest du dich vor Gift?“ sprach die Alte, „siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß du, den weißen will ich essen!“ Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Sneewittchen lästerte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grau­ sigen Blicken und lachte überlaut und sprach: „Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz! dies­ mal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken.“ Und als sie daheim den Spiegel befragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ so antwortete er endlich: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe,' so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.

VL Die Zwerglein, wie sie abends nach Hause kamen, fanden Sneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf und suchten, ob sie was Giftiges fanden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts, das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle sieben daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen roten Backen. Sie sprachen: „Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken,“ und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf, und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinauf auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Sneewittchen, erst eine Eule, dann ein Rabe, zuletzt ein Täubchen. Nun lag Sneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarge und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot als Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Sneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Dann sprach er zu den Zwergen: „Laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt!“ Aber die Zwerge antworteten: „Wir geben ihn nicht um alles Gold in der Welt.“ Da sprach er: „So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Sneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes!“ Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerge Mit-

Nummer 209 und 210.

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leiden mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königs­ sohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, tind von dem Schüttern fuhr der giftigeApfelgrütz, den Sneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. „Ach, Gott, wo bin ich?“ rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: „Du bist bei mir!“ und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: „Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin wer­ den!“ Da war ihm Sneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlich­ keit angeordnet.

210. Schneewittchen. Zwergemoirtschast. Links eine Tür zur Schlafkammer der Zwerge, im Hintergründe eine Ttzr und Fensteröffnung. Bon außen Wald und Sonnenschein. Drinnen steht ein kleiner Tisch mit sieben Schüsseln.

Die sieben Zwerge (kommen singend nacheinander herein mit Kräutersäcken aus dem Nacken, werfen die Säcke in den Winkel, treten an den Tisch und stutzen, einer nach den andern).

Zwergenältester. Wer hat auf meinem Stühlchen sessen? 2. Zwerg. Wer hat von meinem Tellerlein essen? 3. Zwerg. Wer hat.von meinem Müschen pappt? 4. Zwerg. Wer hat mit meinem Gäblein zutappt? 5. Zwerg. Wer hat aus meinem Becherlein trunken? 6. Zwerg. Wer hat mein Löfflein eingetunten? 7. Zwerg. Wer drückt in meinem Bett das Dällchen? 1. Zwerg. Wer rückt an meinem Schlafgestellchen? 2. Zwerg. Wer schlief aus meinem Lagerstättchen? 3. Zwerg. O weh! liegt einer in meinem Bettchen'. 4. Zwerg. Ein Mägdelein! 5. 6. 7. Zwerg. Latz schaun, laß sehn! 7. Zwerg. Ei Gott, wie ist das Kind so schön!

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Geschichten.

Zwergenältester. O weckt sie nicht! o schreckt sie nicht1 Geschlossen ist der Äuglein Licht, Hinabgerollt die Locken dicht; Über des Mieders blanke Seide Gefaltet fromm die Händchen beide. 2. Zwerg. Wer mag sie sein? Wo kam sie her? Der Wald wächst in die kreuz und quer. 3. Zwerg. Wie fand das liebe Tausendschön Den Weg durch Dorn und Moor und Seen? 4. Zwerg. Ist alles so gar lieb und fein, So rosenrot, schneeweiß und rein! Zwergenältester. Bis sie erwacht, bleibt mäuschensacht, Das helle Glöcklein nehmt in acht. Bleibt ruhig in den Schühlein stehn. Laßt leis das Zünglein umegehn! 4. Zwerg. Schau, schau! Die Wimper regte sich. 5. Zwerg. Das Mündlein rot bewegte sich. 6. Zwerg. Das blonde Köpfchen reckt sich auf. Zwei blaue Äuglein schlägt sie auf! 7. Zwerg. Sie schaut sich um ein stummes Weilchen! Zwergenältester. Schweigt nun! ihr Mühlchen, ihr

Plappermäulchen! Erschreckt sie nicht, geht fein beiseit! Sie sah wohl Zwerglein nicht bis heut.

(Die Zwerge treten bis auf den Ältesten an beiden Seiten zurück.) Schneewittchen (erscheint scheu an der Tür). Zwergenältester.

Ei, grau dich nicht, tritt nur herein.

Du sollst uns fein willkommen sein, Willkommen in der Zwerge Hüttchen! Doch sprich, wie heißt du denn? Schneewittchen. Schneewittchen! So hat die Mutter mich genannt; Mein Vater ist König über dies Land. Zwergenältester. Schneewittchen, Königstöchterlein, Wo ließest du die Pagen dein? Wo ließest du die Wagen und Rosse? Wie kamst du von des Königs Schlosse?

Nummer 210.

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Schneewittchen. Ach, ich bin kommen arm und bloß! Mütterlein schläft in Grabes Schoß; Der König freite die zweite Frau, Die schlug mich ost und schalt mich rauh; Schickte mich dann mit dem Jäger zu Walde, Sollte mich töten auf Berges Halde, Und der Königin als Zeichen Sollt er mein blutend Herze reichen; Doch ich bat ihn so lange, so lang auf den Knien, Da schoß er den Eber und ließ mich fliehn. Zwergenältester. Schneewittchen, Königstöchterlein, Wie fandest du Weg und Steg allein? Wer zeigte dir die sieben Berge? Wie kamst du in das Reich der Zwerge? Schneewittchen. Sprangen zwei Rehlein mir voran. Sahn mit den braunen Augen mich an; Saßen im Walde die Vöglein zuhauf. Schwangen zwei Vöglein sich vor mir auf; Am Himmel zog ein Stern vor mir, Und wie ich folgte, so bin ich hier. Zwergenältester. Schneewittchen, Königstöchterlein, Schlag auf die blauen Äugelein, Laß springen dein Herzlein wohlgemut; Sollst bleiben hier in unserer Hut, Im grünen Reich der sieben Berge! Schneewittchen. Wie kann ich euch danken, ihr guten Zwerge? Zwergenältester. Kannst die Wirtschaft uns versehen. Wenn wir tags in die Berge gehen, Unsern Haushalt kannst du führen! Schneewittchen. O, wie will ich mich tummeln und rühren! Bin wohl behend in allen Stücken; Sprecht nur, was soll ich immer beschicken? Zwergcnältester. Morgens im Dämmerschein Fegst du das Kämmerlein, Bahnest die Stühlchen,

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Geschichten.

Lockerst die Pfühlchen Schüttelst zurechte die Schlafestättchcn! 2. Zwerg. Und für dich selber das weichste Bettchen! Zwergenältester. Gehn wir zuWalde, hütst du das Stübchen,

Deckest das Tischchen, kochest die Süppchen! 3. Zwerg. Doch von dem Süppchen und von den Speischen Das Schönste für dich, Prinzeß Schneeweißchen. 4. Zwerg. Schau nur, die Dornen zerrissen mein Röcklein! 5. Zwerg. Streiften mir ab von dem Käppchen dis Glöcklein! Zwergenältester. Besserst das Röcklein, Heftest das Glöcklein, Setzest auf Jäckchen Saubere Fleckchen; Doch in das Hüttchen, Bist du allein. Läßt du, Schneewittchen, Niemand herein! Schneewittchen. Aber die Rehe, die süßen Rehe! Wenn ich sie morgens durchs Fensterlein Draußen im goldenen Sonnenschein Springen und spielen und nahen sehe? Zwcrgenältester. Rehlein stehn in hohen Gnaden, Sind tapfere Kameraden; Kannst sie immer zu Gaste laden. Schneewittchen. Aber die Vögel, die bunten Flämmchen, Stieglitz mit dem roten Kämmchen, Ammer mit dem goldenen Latz, Und der Star, der possierliche Matz, Und vor den andern Vögeln allen Die süßen Sänger, die Nachtigallen! Wenn sie draußen durch die Zweigle« Schauen mit den klugen Äuglein; Wenn sie dann mählich näher schlüpfen. Neugierig auf die Schwelle hüpfen?

Nummer 210.

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Zwergenältester. Vöglein stehn in hohen Gnaden, Sind gar lustge Kameraden, Darfst sie immer zu Gaste laden. Schneewittchen. Aber die Sonne, der himmlische Schein! Wenn sie morgens ins Fensterlein Durch die grünen, funkelnden Blätter Sendet das goldene Sommerwetter? Und abends, wandert die Sonne von dannen. Der Mond steigt über die schwarzen Tannen; Der wohnt am Himmel allein nicht gern. Bringt mit sich alle die tausend Stern; Mond und Sonne und Sternelein Schauen alle zu mir herein, Wie ich die Wirtschaft mag treiben und leiten, Sie kennen mich alle seit langen Zeiten! Zwergenältester. Rehlein laß um dich spielen und springen, Vöglein flattern und schmettern und singen. Laß Mond- und Sonnenschein herein; Nur vor den Menschen hüte dich fein! (Zu den andern.)

Nun kommt, ihr wackern Brüderlein, Drei Gänge fürder noch waldein! Dreimal noch füllt mit weichem Moos Die Säcklein aus des Waldes Schoß, Und richtet fein in unserm Hüttchen Ein achtes Bettchen für Schneewittchen. Die sieben Zwerge (gehen singend ab).

Da ging die Katz die tripp die trapp, Da schlug die Tür die Nipp die klapp, Frau Füchsin, sind Sie da? Ach ja, mein Kätzchen, ja! Schneewittchen (allein). Morgens im Dämmerschein Feg ich das Kämmerlein, Bohne die Stühlchen, Lockre die Pfühlchen, Mache die Bettchen,

Geschichten.

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Die Schlummerstättchen, Nähe das Röcklein, Hefte das Glöcklein, Setz auf die Jäckchen Saubere Fleckchen; Rehlein und Vögelein, Alle die Tierelein Flattern durchs Fensterlein, Schlüpfen zur Tür herein; Sonne und Mondenschein, Sternlein, die hellen, Sind alle meine Spielgesellen.

Gemach der Königin.

Die Königin (vor dem Zauberspiegel). Spieglein, Spieglein an der Wand, Wer ist die Schönste iin ganzen Land?

Aus dem Spiegel. Frau Königin, Ihr Seid die Schönste hier, Aber Schneewittchen hinter den Bergen Bei den sieben Zwergen Ist noch tausendmal schöner als Ihr! Die Königin. Ei, Spieglein, red nicht so unnütz! Des Jägers Speer war blank und spitz. Was sprichst du von Schneewittchen mir? Aus dem Spiegel.

Ist tausendmal, tausendmal schöner als Ihr!

Die Königin. Halt ein! Halt ein, o Spieglein licht! Du kennst im Wald die Stelle nicht! Eine Blume blüht in Purpurglut, Die Würzlein tranken rotes Blut, Schön Mündlein hat der Wolf geküßt. Der Wolf weiß, wo Schneewittchen ist. Aus dem Spiegel. Hinter den Bergen, Bei den sieben Zwergen!

Nummer 210 und 211.

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Die Königin. Es frißt am Herzen mir so jäh! War denn das Blut vom Elk, vom Reh? O Spieglein blank, der Rabe log. Der krächzend mir ans Fenster flog! Schneewittchen — Spieglein, sage mir! Aus dem Spiegel. Ist tausendmal, tausendmal schöner als Ihr! Die Königin (sich abwendend). Die Schönste war ich immer noch! Die Schönste will ich bleiben doch! Wenn sie des Jägers Speer nicht trifft, So hilf mir, Zaubertrank und Gift! Die Schönste in der ganzen Welt, Das soll mir bleiben unvergällt!

211. Rumpelstilzchen. I. Es war einmal ein armer Müller, der hatte nichts zu mahlen, darum stand er vor seiner Mühle, hatte die Arme, in­ einandergesteckt und sah in die Luft. Da kam der König vor­ beigeritten und fragte ihn: „Was stehst du da und guckst in die Luft? Hast du nichts zu mahlen?" Da sagte der Müller, weil er sich vor dem König schämte, daß er so arm war: „Ich mahle nur zum Vergnügen; ich habe Gold wie Stroh, weil ich eine Tochter habe, die.kann aus Stroh Gold spinnen." Da sagte der König: „Das ist eine feine Kunst, schicke mir doch morgen deine Tochter in mein Schloß, da wollen wir sehen, was sie kann." So brachte denn andern Tages der Müller seine Tochter ins Schloß, und der König setzte das Mädchen in eine Kammer, die lag ganz voll Stroh, und in einer Ecke stand ein Spinnrad. „Jetzt sei fleißig!" sagte der König, „wenn morgen früh nicht alles Stroh Gold ist, dann mußt du sterben!" Damit ging er hinaus und schloß die Tür hinter sich zu. Das arme Kind aber saß da und weinte, denn es konnte ja gar kein Gold spinnen. Auf einmal knarrte die Tür, und herein trat ein ganz

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Geschichten.

kleines Männlein, das sagte: „Wenn du mir etwas schenkst, dann will ich dir Gold spinnen!" Das Mädchen hörte ans -u weinen und sagte: „Dann will ich dir mein Halsband schenken!" — „Gut," sagte das Männlein, und es setzte sich ans Spinnrad, und schnurr! schnurr! schnurr! flog das Rad herum; eins, zwei, drei! hast du nicht gesehen? Da lag schon ein ganzer Haufen Goldfäden auf der Erde, daß es nur so glänzte und flimmerte. Um Mitternacht war alles Stroh schon Gold geworden, und wie frühmorgens der König kam, da wunderte er sich, wie so etwas nur möglich wäre. Dann aber dachte er, er wollte noch mehr Gold haben; und so führte er am andern Abend die Müllerstochter in eine Kammer, die war noch einmal so groß wie gestern die, und es lag auch noch einmal soviel Stroh da, wie gestern. Aber das Männ­ chen kam wieder und spann, und dafür gab ihm das Mädchen einen Ring. Wie der Tag anbrach, da stand der König schon da und schmunzelte, denn so viel Gold hatte er noch nie bei­ sammen gesehen. Je mehr er aber hatte, desto gieriger wurde er, und er sagte: „In meinem Schloß ist ein großer Saal, wenn du in der nächsten Nacht mir den auch noch voll Gold spinnst, dann hab ich genug, dann sollst du meine Königin werden!" Das kleine Männlein kam richtig wieder, aber das Mäd­ chen hatte nichts mehr, was es ihm schenken konnte. „Weißt du was?" sagte das Männlein, „wenn du Königin bist und bekommst ein kleines Prinzchen, wenn du mir das schenken willst, dann will ich dir noch diese eine Nacht Gold spinnen!" Sie versprach es, und da ging es wieder schnurr! schnurr! schnurr! und es gab so viel Gold, daß der Saal von dem Glanz so hell wurde, als schiene die lichte Sonne herein. Wie der König kam, da schrie und lachte er laut auf und wühlte vor lauter Lust in dem Gold herum. Die Müllerstochter aber wurde richtig eine Königin.

II. Wie ein Jahr herum war, da bekam sie ein kleines Prinzchen, und wie Kind so recht goldig in der Wiege

Nummer 211.

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lag, da trat auf einmal das kleine Männlein ins Zimmer und sagte: „Guten Tag, Frau Königin, ist das mein Prinzchen, das Ihr mir versprochen habt?" Da erschrak die Königin und bot dem Männlein alle Schätze, die sie hatte, es sollte ihr nur das Kind lassen. Zuletzt sagte das Männlein: „Gut, dann will ich dir drei Tage Frist geben, wenn du bis dahin weißt, wie ich heiße, dann darfst du das Kind behalten!" Die ganze Nacht besann sich die Königin auf alle Namen, die sie nur wußte, und andern Tags schickte sie Boten im ganzen Land herum, die mußten alle Leute fragen, wie sie hießen, damit die Königin immer neue Namen erführe. Abends kam das Männchen und sagte: „Nun, weißt du schon, wie ich heiße?" Da fragte ihn die Königin der Reihe nach: „Heißt du Kaspar oder Peter oder Hans oder Eduard?" und so immer weiter, aber jedesmal sagte das Männlein: „So heiße ich nicht!" — Am zweiten Tag gingen noch mehr Boten im Land herum, und abends fragte die Königin: „Heißt du vielleicht Hammelbeinchen oder Rattenschwanz oder Glüh­ würmchen oder Kleine-Kröte?" Aber das Männchen schüttelte den Kopf und lachte und sagte immer: „Nein, so heiße ich nicht!" Am dritten Tage kam einer von den Boten und sagte: „Frau Königin, heute habe ich nur einen einzigen neuen Namen gefunden. Ich kam auf einen hohen Berg, da stand ein kleines Häuschen, davor brannte ein Feuerchen, und um das Feuerchen sprang ein putziges, spaßiges Männlein auf einem Bein herum und sang immerzu: Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind, Ach, wie gut, daß niemand weiß. Daß ich Rumpelstilzchen heiß!" Wie das die Königin hörte, da sagte sie: „Ach, .wie gut, daß ich jetzt weiß, Daß das Männchen Rumpelstilzchen heißt!"

Und wie abends das Männchen wieder kam und fragte: „Frau Königin, wie heiße ich?" da sagte sie erst: „Heißt du Fritz? heißt du Heinrich?" — „Nein, nein!" rief das Männchen,

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Geschichten.

„so heiß ich nicht." — „Heißt du denn vielleicht Rumpel­ stilzchen?" Wie das Männchen das hörte, wurde es ganz feuerrot vor Zorn und schrie: „Das hat dir der Teufel ge­ sagt! das hat dir der Teufel gesagt!" und es war so bös, daß es mit seinem Fuß ein Loch in den Boden stampfte und dadurch verschwand. Die Königin aber durste ihr Prinzcheu behalten.

212. Der gestiefelte Kater. I. Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne. Als er starb, da erbten die Söhne alles, was ihr Vater besessen hatte, aber das war sonst nichts als die Mühle, ein Esel und ein Kater. Da war leicht teilen. Der älteste Sohn blieb in der Mühle, der zweite nahm den Esel, und für den jüngsten blieb nur der Kater übrig. Wie nun der jüngste so traurig da saß und sich mit den Händen den Kopf hielt und darüber nachdachte, daß er so wenig bekommen hätte, da hörte er etwas schnurren, das war sein Kater, der legte ihm seine Pfoten aus die Kniee und sah so seelengut zu ihm herauf, als wäre er ein teilnehmender Freund. „Ja, mein lieber Kater," sagte der Müllerssohn, „jetzt wirft du geschlachtet, dann bekomme ich wenigstens eine warme Pelzmütze und ein paar Handschuhe, ehe ich fortziehe in die weite Welt." Der Kater schnurrte wieder und begann dann ganz vernehmlich zu sprechen: „Lieber als daß du mich schlachtest, mein guter Herr, laß mir ei» Paar Stiefel machen und schenke mir einen Sack, dann sollst du sehen, daß ich dir etwas nützen kann in deiner Bedrängnis." Bei all seinem Unglück mußte der junge Müller doch lachen; er faßte wieder etwas Mut und ging zu seinem Bruder in die Mühle, der gab ihm einen alten Mehlsack und schenkte ihm einen Taler, dafür machte der Schuhmacher dem Kater ein Paar kleine, feine Stiefelchen, die saßen ihm wie ange­ gossen; unten waren Sporen dran und oben Klappen aus rotem Saffianleder, daran baumelten ein paar goldene Quästchen. Da zog der gestiefelte Kater in den Wald und hatte

Nummer 212.

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den Sack auf dem Rücken und in dem Sack einen schönen Kohlkopf, und mit den Vorderpfoten hielt er den Strick, wo­ mit der Sack zugebunden war. Als er im Wald war, legte er sich auf die Erde und stellte sich tot, den Sack aber legte er weit offen neben sich. Da kam ein dummes Häschen da­ her, das roch den leckern Kohl und schlüpfte in den Sack, um da zu naschen; aber der Kater zog den Sack zu, und das Häslein war gefangen. Der Herr Kater ging nun zum Könige „Herr König! mein Herr, der Graf von Karabas, schickt Euch von seiner Jagd hier den Hasen zum Geschenk." Der König war sehr erfreut und sagte: „Bestelle deinem Herrn meinen Gruß, und ich ließe ihm vielmals danken!" Am nächsten Tage sing der Kater zwei Rebhühner, die brachte er wieder dem König, und der freute sich wieder, und so trug er alle Jagd­ beute ins Schloß und sagte immer, das schicke der Graf von

Karabas, so daß der König immer begieriger wurde, den frei­ gebigen Grafen einmal zu sehen. II.

Eines Tages nun wollte der König mit der Prinzessin, seiner Tochter, eine Lustfahrt machen. Das hörte der Kater und sagte zu seinem Herrn: „Wenn du heute alles tust, was ich dir sage, dann ist dein Glück gemacht. Bade dich im Fluß an der Stelle, wo das dichte Gebüsch ist, für das andere laß mich sorgen!" Der Müller tat das auch, und als er gerade beim Baden war, trug ihm der Kater seine Kleider fort und versteckte sich tief im Gebüsch. Auf einmal hörte man rufen: „Der König kommt!" Da fing der Kater an ganz laut zu schreien: „Zu Hilfe! zu Hilfe dem Grafen von Karabas!

Räuber und Diebe! Miau, mio! Zeter und Mordio!" Wie der König das Geschrei hörte, steckte er den Kops zum Wagen­ fenster heraus, und als er den Kater sah, der ihm schon so viel gute Sachen gebracht, ließ er den Wagen halten und fragte, was es gäbe. Schnell und aufgeregt erzählte der Kater, sein Herr, der Graf von Karabas, bade im Fluß, und da wären Diebe gekommen und hätten ihm seine Kleider geH e 11 e l, Lesebuch 2. 13. «uft. 16

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Geschichten.

stöhlen. Da nahm der König aus seinem Koffer einen fürst­ lichen Anzug von Samt und violetter Seide, den ließ er dem Grafen von Karabas überreichen, und ein Barett war dabei mit Straußenfedern und auch ein Degen, der blitzte von lauter Edelsteinen, und der Müllerssohn mußte zu dem König und der Prinzessin in den Wagen steigen und hörte viel Schmeichel­ haftes über all die guten Hasen und Rebhühner, die er dem König geschickt hätte. Sie fuhren nun zusammen weiter, der Kater aber lief vor dem Wagen her, und wie er Leute sah, die eine Wiese mähten, da sagte er zu ihnen: „Hört, wenn ihr nicht zum König sagt, diese Wiese gehöre dem Grafen von Karabas, dann werdet ihr kurz und klein gehackt." Und wie der König an die Wiese kam und fragte: „Ihr guten Leute, wem gehört die schöne Wiese?" da riefen alle wie aus einem Munde: „Unserm gnädigen Herrn, dem Grafen von Karabas!" Und wie der Kater an ein Kornfeld kam, sagte er den Schnittern: „Wenn ihr nicht zum König sagt, das Kornfeld gehöre dem Grafen von Karabas, dann werdet ihr kurz und klein gehackt!" Und die Schnitter sagten wie vorhin die Mäher: „Das Kornfeld gehört unserm gnädigen Herrn, dem Grafen von Karabas!" Und wen der Kater traf, der mußte dem König sagen: „Das gehört dem Grafen von Karabas!" Und das sagten auch alle, denn niemand wollte gern kurz und klein gehackt werden. III.

Aber all diese Felder und Wiesen gehörten einem mäch­ tigen Zauberer, der in einem herrlichen Schlosse wohnte, der konnte sich in alles verwandeln, was er nur wollte. Und wie der Kater immer so weiter lief, kam er auch an das Schloß des Zauberers und ging hinein und sagte zu dem Zauberer: „Ist das wahr, daß du dich in jedes Geschöpf verwandeln kannst?" — „Ja, das ist wahr," sagte der Zauberer. „Das glaube ich dir nicht," sagte der Kater, „verwandle dich einmal in einen Löwen!" Kaum war das gesagt, da war der Zau­ berer verschwunden, und ein Löwe stand da und brüllte so laut, daß der Kater unter einen Schrank kroch. Da rief er

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Nummer 213.

unter dem Schrank heraus: „Ja, daß du dich in ein großes Tier verwandeln kannst, das glaube ich wohl, aber in ein kleines, schwaches Geschöpf kannst du dich sicher nicht ver­ wandeln; werde einmal eine Maus!" — „Das kann ich wohl!" sagte der Zauberer, und im Augenblick war der Löwe verschwunden, und ein niedliches Mäuschen huschte durch das Zimmer. Schwupp! fuhr der Kater unter dem Schrank her­ vor, faßte die Maus, biß sie tot und zehrte sie auf. Auf einmal hörte man draußen rufen: „DerKönig kommt!" da lief der gestiefelte Kater schnell an das Schloßtor, trat an den Wagenschlag und sagte zum König: „Seid willkommen, Herr König, in dem Schlosse meines Herrn, des Grafen von Karabas!" — „Was!" rief der König aus, „dies Schloß ge­ hört Euch auch, Herr Graf? Es gibt ja nichts Schöneres auf der ganzen Welt als dieses Schloß; darf ich es auch ein­ mal inwendig besehen?" Und nun stiegen alle aus dem Wagen, der Kater ging an der linken Seite des Königs, und hinter­ drein folgte der Müllerssohn und führte die Königstochter an der Hand. Sie kamen in einen großen Saal, wo eine köstliche Mahlzeit aufgetischt war, die hatte der Zauberer für seine Freunde Herrichten lassen; aber die getrauten sich nicht in das Schloß, weil der König drinnen war. Dem aber gefiel die köstliche Mahlzeit und das Schloß und vor allem der Graf so gut, daß er ihn fragte, ob er nicht die Prinzessin zur Ge­ mahlin nehmen wolle. Das war dem Grafen von Karabas schon recht, und gleich am andern Tag gab es eine große, große Hochzeit. Der Kater aber wurde ein vornehmer Herr, und nur, wenn er einmal gar nichts anderes zu tun hatte, fing er noch ab und zu ein Häschen oder ein Mäuschen.

213. Der Hase und der Fuchs. Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander. Es war Winterszeit, grünte kein Kraut, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. „Das ist ein hungriges Wetter," sprach der Fuchs zum Hasen, „mir schnurren alle Gedärme zusammen." — „Ja wohl," antwortete der Hase, „es ist 16*

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überall Dürrhos, und ich möchte meine eignen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte." So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korbe kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. „Weißt du was!" sprach der Fuchs, „lege dich hin der Länge lang und stelle dich tot! Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste." Der Hase tat nach des Fuchses Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duckte sich hinter eine Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Dieser aber stand gar nicht still und machte keineMiene, dieSemmeln zu teilen, sondern ließmerken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr­ übel. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, sprach der Hase zum Fuchs: „Wie wär es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dannFischeund Weiß­ brot, wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht vielzubeißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert." Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angesroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: „Warte nur, bis cs auftaut, warte nur bis ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!" und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach, wie ein böser Hund an der Kette.

Nummer 214.

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214. Die drei Hochzeitsgäste. Es waren einmal in einem Dorfe drei Hofhunde, die hielten gute Nachbarschaft miteinander, und da sollte eine große Bauernhochzeit sein, zu derselbigen war alt und jung geladen, und wurde gekocht und gebacken, gesotten und gebraten, daß der Geruch durchs ganze Dorf zog. Die drei Hunde waren auch beisammen und rochen den feinen Duft und ratschlagten, wie sie auch hin zur Hochzeit gehen wollten und sehen, ob nichts für sie abfallen werde. Aber um unnützes Aufsehen zu vermeiden, beschlossen sie, nicht zugleich, alle drei auf einmal, hinzulaufen, sondern ein­ zeln, einer nach dem andern. Der erste ging, machte sich in das Schlachthaus, er­ schnappte jählings ein großes Stück Fleisch und wollte da­ mit seiner Wege gehen, allein er wurde erwischt und emp­ fing eine fürchterliche Tracht Prügel, nächstdem, daß man ihm das Stück Fleisch aus den Zähnen riß. So kam er hungrig und übel geschlagen zurück auf den Hof zu seinen Nachbargesellen, die hungerten schon nach guter Nachricht und fragten: „Nun, wie hat es dir er­ gangen und gefallen?" Nun schämte sich aber der Hund, die Wahrheit zu gestehen, daß sein Hochzeitsmahl in einer scharf gesalzenen Prügelsuppe bestanden, sprach deshalb: „Ganz wohl! aber es geht dort scharf her, und muß einer hart und weich vertragen können!" Die Kameraden, als sie das hörten, vermeinten, es werde über alle Maßen gegessen und getrunken auf der Hoch­ zeit, und es fallen viele gute Bröcklein ab, harte und weiche, Fleisch und Bein, und alsbald rannte der zweite Hund in vollen Sprüngen nach dem Hochzeitshaus, gerade in die Küche, und nahm, was er sand. Aber ehe er noch den Rückweg fand, war er schon bemerkt, und ward ihm ein Topf voll siedend heißes Wasser über den Rücken gegossen, daß es nur so dampfte, als er von dannen schoß, wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt; doch ob's ihn auch schrecklich brannte, er verbiß seinen Schmerz. Als er nun auf

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den Hof kam, wo die beiden Kameraden seiner harrten, fragten die gleich: „Nun, wie hat es dir gefallen?" — „Ganz wohl!" antwortete der Hund, „aber es geht dort heiß her, und muß einer kalt und warm vertragen können!" Da dachte der dritte Hund: Die Hochzeitsgäste sind beim Schmaus in voller Arbeit, und kalte und warme Speisen wechseln ab, wollte daher nichts versäumen und wenigstens zum Nachtisch da sein, wenn der mürbe Kuchen aufgetragen wird. Eilte sich, was er konnte. Kaum aber war er im Hause, so erwischte ihn einer, klemmte ihm den Schwanz zwischen die Stubentür, gerbte ihm das Fell windelweich und klemmte so lange, bis die Haut vom Schwänze sich ab­ streifte und der Hund verschändet entsprang. „Nun, wie hat es dir auf der Hochzeit gefallen?" fragten die Freunde, jeder mit etwas Spott im Herzen. Der Übelzugerichtete zog seinen geschundenen Schwanz, so gut es gehen wollte, zwischen die Beine, daß. man diesen nicht sah, und sprach: „Ganz wohl, es ging recht toll her und gab viel Mürbes, aber Haare lassen muß einer können." Und da dachten die drei Hunde noch lange daran, wie wohl ihnen die Hochzeitsuppe, die Hochzeitbrühe und der Hochzeitkuchen geschmeckt hatten, und vom Braten hat jeder genug gerochen.

215. Bom Schlaraffenlands. 1. Kommt, wir wollen uns begeben Jetzo ins Schlaraffenland! Seht, da ist ein lustig Leben, Und das Trauern unbekannt. Seht, da läßt sich billig zechen Und umsonst recht lustig fein; Milch und Honig fließt in Bächen, Aus den Felsen quillt der Wein. 2. Alle Speisen gut geraten, Und das Finden fällt nicht schwer. Gäns' und Enten gehn gebraten

Nummer 215 und 216.

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Überall im Land umher. Mit dem Messer auf dem Rücken Läuft gebraten jedes Schwein. £), wie ist es zum Entzücken! Ei, wer möchte dort nicht sein!

3. Und von Kuchen, Butterwecken Sind die Zweige voll und schwer; Feigen wachsen in den Hecken, Ananas im Busch umher. Keiner darf sich mühn und bücken, Alles stellt von selbst sich ein. O, wie ist es zum Entzücken! Ei, wer möchte dort nicht sein!

4. Und die Straßen aller Orten, Jeder Weg und jede Bahn Sind gebaut aus Zuckertorten, Und Bonbons und Marzipan. Und von Bretzeln sind die Brücken Aufgeführt gar hübsch und fein. O, wie ist es zum Entzücken! Ei, wer möchte dort nicht sein! 5. Ja, das mag ein schönes Leben Und ein herrlich Ländchen sein! Mancher hat sich hinbegeben, Aber keiner kam hinein. Da, und habt ihr keine Flügel, Nie gelangt ihr bis ans Tor, Denn es liegt ein breiter Hügel Ganz von Pflaumenmus davor.

21V. Das Märchen vom Schlaraffenland. Hört zu, ich will euch von einem guten Lande sagen, dahin würde mancher auswandern, wüßte er, wo selbes läge und eine gute Schiffsgelegenheit- Diese schöne Gegend heißt Schlaraffen­ land, da sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, und Türen und Wände sind von Lebzelten und die Balken von Sck weinebraün.

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beschichten.

Was man bei uns für einen Dukaten kauft, kostet dort nur einen Pfennig; um jedes Daus steht ein Zaun, der ist von Bratwürsten geflochten und von bayrischen Würsteln, die sind teils auf b£m Rost gebraten, teils frisch gesotten, je nachdem sie einer so oder so gern ißt. Alle Brunnen sind voll Malvasier und andere süße Weine, auch Champagner, die rinnen einem nur so in das Maul hinein, wenn er es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile sich, daß er in das Schlaraffenland hineinkomme. Auf den Birken und Weiden, da wachsen die Semmeln frischbacken, und unter den Bäumen da fließen Milchbäche; in diese fallen die Semmeln hinein und weichen sich selbst ein für die, so sie gern einbrocken; das ist etwas für Weiber und für Kinder, für Knechte und Mägde! Holla, Gretel, holla Steffel! wollt ihr nicht mit auswandern? Macht euch herbei zum Semmelbach und vergesset nicht, einen großen Milchlöffel mitzubringen!

Die Fische schwimmen in dem Schlaraffenlande obendrauf auf dem Wasser, sind auch schon gebacken oder gesotten und schwimmen ganz nahe am Gestade; wenn aber einer gar zu faul ist und ein ächter Schlaraff, der darf nur rufen: bst! bst! — so kommen die Fische auch heraus aufs Land spaziert und hüpfen dem guten Schlaraffen in die Hand, daß er sich nicht zu bücken braucht. Das könnt ihr glauben, daß die Vögel dort gebraten in der Luft herum fliegen, Gänse und Truthähne, Tauben und Kapaunen, Lerchen und Krammetsvögel, und wem es zu viel Mühe macht, die Hand danach auszustrecken, dem fliegen sie schnurstracks ins Maul hinein. Die Spanferkel geraten dort alle Jahre überaus trefflich; sie laufen gebraten umher, und jedes trägt ein Transchiermesser im Rücken, damit, wer da will, sich ein frisches, saftiges Stück abschneiden kann.

Die Käse wachsen in dem Schlaraffenlande wie die Steine, groß und klein; die Steine selbst sind lauter Taubenkröpfe mit Gefülltem oder auch kleine Fleischpastetchen. Im Winter, wenn es regnet, so regnet es lauter Honig in süßen Tropfen, da kann einer lecken und schlecken, daß es eine Lust ist; und wenn es

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schneit, so schneit es klaren Zucker; und wenn es hagelt, so hagelt es Würfelzucker,untermischt mitFcigen. Rosinen undMandeln.

Im Schlaraffenland legen die Rosse Eier, große Körbe voll und ganze Haufen, so daß man tausend um einen Pfennig kaust. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln, wie Kästen (Kastanien). Jeder mag sich das Beste herunter­ schütteln und das minder Werte liegen lassen. In dem Lande hat es auch große Wälder, da wachsen im Buschwerk und auf Bäumen die schönsten Kleider: Röcke, Mäntel, Hosen und Wämser von allen Farben, schwarz, grün, gelb, blau oder rot, und wer ein neues Gewand braucht, der geht in den Wald und wirst es mit einem Stein herunter oder schießt mit dem Bolzen hinauf. In der Heide wachsen schöne Damenkleider von Samt, Atlas, Taft, Nanking u. s. w. Das Gras besteht aus Bändern von allen Farben. Die Wacholderstöcke tragen Broschen und goldene Nadeln, und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenuhren, auf den Stauden wachsen Stiefel und Schuhe, auch Herren- und Damenhüte und allerlei Kopf­ putz, mit Paradiesvögeln, Kolibris, Perlen, Schmelz und Goldborten verziert. Auch für die Schlafsäcke und Schlafpelze, die hier von ihrer Faulheit arm werden, ist jenes Land vortrefflich. Jede Stunde Schlafens bringt dort einen Gulden ein und jedes Gähnen einen Doppeltaler. Wer im Spiel verliert, dem fällt sein Geld wieder in die Tasche. Die Trinker haben den besten Wein umsonst und von jedem Trunk drei Batzen Lohn. Wer die Leute am besten necken und aufziehen kann, bekommt einen Gulden. Keiner darf etwas umsonst tun, und wer die größte Lüge macht, der hat allemal eine Krone dafür.

Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses läßt, dem ist jedermann dort abhold, und er wird Schlaraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann und doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann ange­ sehen. Wer nichts kann, als schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Der aber, den das

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allgemeine Stimmrecht als den faulsten und zu allem Guten untauglichsten erkennt, der wird König über das ganze Land.

Nun wißt ihr des Schlaraffenlandes Art und Eigen­ schaft. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden; aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn er sagt ihm gewiß keinen falschen Weg. Um das ganze Land herum ist aber eine berg­ hohe Mauer von Reisbrei. Wer hinein will oder heraus, muß sich da erst überzwerch durchfressen.

217. Hänsel und Gretel. I. Es war einmal ein armer Holzhauer, der lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in einer dürftigen Waldhütte. Die Kinder hießen Hänsel und Gretel, und wie sie so heranwuchsen, gebrach es immer mehr den armen Leuten an Brot. Auch wurde die Zeit immer schwerer und alle Nahrung teurer, das machte den beiden Eltern große Sorge. Eines Abends, als sie ihr hartes Lager gesucht hatten, seufzte der Mann: „Ach, Frau, wie wollen wir nur die Kinder durchbringen, da der Winter herankommt und wir für uns selbst nichts haben!" Und da erwiderte die Mutter: „Keinen andern Rat weiß ich, als daß du sie in den Wald führst, je eher je lieber, gibst jedem noch ein Stücklein Brot, machst ihnen ein Feuer an, befiehlst sie dem lieben Gott und gehst hinweg." „O, lieber Gott! wie soll ich das vollbringen an meinen eigenen Kindern, Frau?" fragte der Holzhauer bekümmert. „Nun wohl, so laß es bleiben!" fuhr die Frau böse heraus, „so kannst du eine Totenlade für uns alle vier zimmern und die Kinder Hungers sterben sehen!" Die zwei Kinder, welche der Hunger in ihrem Moosbettchen noch wach erhielt, hörten mit an, was die Mutter und der Vater miteinander sprachen, und das Schwesterlein begann zu weinen, Hänsel aber tröstete es und sprach: „Weine nicht, Gretel, ich helfe uns schon!" wartete, bis die Alten schliefen, wischte aus der Hütte, suchte im

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Mondschein weiße Steinchen, verbarg sie wohl und schlich wieder herein, worauf er und das Schwesterchen bald entschlummerten. Am Morgen geschah nun, was die Eltern vorher be­ sprochen. Die Mutter reichte jedem Kind ein Stück Brot und sagte: „Das ist für heute alles; haltet's zu rate!" Gretel trug das Brot, Hänsel trug heimlich seine Steinchen, der Vater hatte seine Holzart im Arm, die Mutter schloß das Haus zu und folgte mit einem Wasserkruge nach. Hänsel machte sich hinter die Mutter, so daß er der letzte war auf dem Wege, guckte oft zurück nach dem Häuschen, und wie er es nicht sah, ließ er gleich ein weißes Steinchen fallen, nach ein paar Schritten wieder eins, und so immer fort. Nun waren alle mitten in dem tiefen Walde, und da machte der Vater ein Feuer an, wozu die Kinder des Reisiges viel herbeitrugen, und die Mutter sagte zu den Kindern: „Ihr seid wohl müde, jetzt legt euch an das Feuer und schlaft, indes wir Holz fällen, nachher kommen wir wieder und holen euch ab." Die Kinder schlummerten ein wenig, und als sie erwachten, stand die Sonne hoch im Mittag, das Feuer war abgebrannt, und da Hänsel und Gretel Hunger hatten, verzehrten sie ihr Stücklein Brot. Wer nicht kam, das waren die Eltern. Und nachher sind die Kinder wieder eingeschlafen, bis es dunkel wurde, da waren sie noch immer allein, und Gretel sing an zu weinen und sich zu fürchten. Hänsel tröstete sie aber und sagte: „Fürchte dich nicht, Schwester, der liebe Gott ist ja bei uns, und bald geht der Mond auf, da gehen wir heim." Und wirklich ging bald darauf der Mond in voller Pracht aus und leuchtete den Kindern auf den Heimweg und beglänzte die silberweißen Kieselsteine. Hänsel faßte Gretel bei der Hand, und so gingen die Kinder miteinander fort ohne Furcht und ohne Unfall, und wie der frühe Morgen graute, da sahen sie des Vaters Dach durch die Büsche schimmern, kamen an das Waldhäuslein und klopften an. Wie die Mutter die Tür öffnete, erschrak sie ordentlich, als sie die Kinder sah, wußte nicht, ob sie schelten oder sich freuen sollte, der Vater aber freute sich, und so wurden die beiden Kinder wieder mit Gott­ willkommen in das Häuslein eingelassen.

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n. Es währte aber nicht lange, so wurde die Sorge aufs neue laut, und jenes Gespräch und der Beschluß, die Kinder in den Wald zu führen und sie dort allein in des Himmels Fürsorge zu lassen, wiederholten sich. Wieder hörten die Kinder das traurige Gespräch mit an, bekümmerten Herzens, und der kluge Hänsel machte sich vom Lager auf, wollte wieder blanke Steine suchen, aber da war die Tür des Waldhäusleins fest ver­ schlossen, denn die Mutter hatte es gemerkt und darum die Türe zugemacht. Doch tröstete Hänsel abermals das wei­ nende Schwcfterlein und sagte: „Weine nicht, lieb Gretel, der liebe Gott weiß alle Wege, wird uns schon den rechten führen." Am andern Morgen in der Frühe mußten alle aufstehen, wieder in beit Wald zu wandern, und da empfingen die Kinder wieder Brot, noch kleinere Stücklein wie zuvor, und der Weg ging noch tiefer in den Wald hinein; Hänslein aber zerbröckelte heimlich sein Brot in der Tasche und streute statt jener Steine Krümlein auf den Weg, meinte, danach sich mit dem Schwester­ chen wohl zurückzufinden. Und nun geschah alles, wie zuvor auch, ein großes Feuer wurde entzündet, und die Kinder mußten wieder schlafen, und wie sie aufwachten, waren sie allein, und die Eltern kamen nimmer wieder. Und der Mittag kam, und Gretel teilte ihr Stücklein Brot mit Hänsel, weil der seines verstreut in lauter Bröselein auf dem Wege, und dann schliefen sie wieder ein und erwachten abends einsam. Gretel weinte, Hänsel aber war gottgetrost, meinte, den Weg durch die Brotbröselein wohl zu finden, wartete, bis der Mond aufgcgangen war, nahm dann die Gretel bei der Hand und sprach zu ihr: „Komm, Schwester, nun gehen wir heim!" Aber wie Hänsel die Krümlein suchte, war keines mehr da, denn die Waldvögelein hatten alle, alle aufgepickt und sie sich wohl schmecken lassen. Und da wanderten die Kinder die ganze Nacht durch den Wald, kamen bald vom Wege ab, ver­ irrten sich und waren sehr traurig. Endlich schliefen sie ein auf weichem Moos und erwachten hungrig, wie der Morgen graute; denn sie hatten keinen Bissen Brot mehr und mußten

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ihren Durst und Hunger nur mit den schönen Äaldbeeren stillen, die da und dort standen. III. Und wie sie so im Waide herumirrtcn, ohne Weg nnd Steg zu finden, siehe! da kam ein schneeweißes Vöglein ge­ flogen, das flog immer vor ihnen her, als wenn es den Kindern nach. Mit einem Male sahen sie ein kleines Häuschen, aus dessen Dach das Vöglein flog, es pickte darauf, und wie die Kinder ganz nahe daran ivaren, konnten sie sich nicht genug freuen und wundern, denn das Hänschen bestand aus Brot, davon waren die Wände; das Dach Ivar mit Eierkuchen ge­ deckt, nnd die Fenster waren von durchsichtigen Kandiszucker­ tafeln. Das war den Kindern recht, sie aßen vom Häuslein­ dach und von einer zerbrochenen Fensterscheibe. Da ließ sich plöhlich drinnen eine Stimme vernehmen, die rief: „Knusper, knusper, kneischen! Wer knuspert mir am Häuschen?" Darauf antworteten die Kinder: „Der Wind, der Wind, Das himmlische Kind!" »nd aßen iveiter, denn sie waren sehr hungrig gewesen, itnb es schmeckte ihnen ganz vortrefflich. Da ging die Tür des Häusleins auf und trat ein stein­ altes, krummgebücktes, triefäugiges Mütterlein heraus von nicht geringer Häßlichkeit, Gesicht und Stirne voll Nunzelnund inmitten eine große, große Nase. Hatte auch grasgrüne Augen. Die Kinder erschraken nicht wenig, die Alte aber tat ganz freundlich und sagte: „Ei, traute Kindlein, kommt doch herein ins Häuschen, kontmt doch herein! da gibt's noch viel bessern Kuchen!" Die Kinder folgten der Alten gerne, und drinnen trug die Alte auch auf, daß es eine Lust war. Da gab es — Herz, was magst du? Biskuit und Marzipan, Zucker und Milch, Äpfel und Nüsse und köstlichen Kuchen. Und während die Kinder immerfort aßen und fröhlich waren, richtete die Alte zwei Bettchcn zu von seinen Dunenkissen nnd lilien-

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weißen Linnen, da hinein brachte sie die Kinder zur Nutze, die meinten im Himmel zu sein, beteten einen frommen Abendsegeu und entschliefen alsbald.

Es hatte aber mit der Alten ein gar schlimmes Bewenden. Sie war eine böse und garstige Hexe, welche die Kinder fraß, die sie durch ihr Brot- und Kuchenhäuschen anlockte, nachdem sie sie erst recht fett gefüttert. Dies hatte sie auch mit Hänsel und Gretel im Sinne. In aller Frühe stand die Alte schon vor dem Bette der noch süß schlafenden Kinder, freute sich über ihren Fang, riß Hänsel aus dem Bette und trug ihn nach dem eng vergitterten Gänsestall, verstopfte ihm auch, damit er nicht schreie, den Mund. Dann weckte sie das arme Gre­ tel mit Heftigkeit und schrie sie mit rauher Stimme an: „Steh auf, faule Dirne, dein Bruder steckt im Stall, wir müssen ihm ein gutes Essen kochen, daß er fett wird und für mich einen guten Braten gibt!"

Da erschrak die Gretel zum Tode, weinte und schrie; half aber nichts, sie mußte gehorchen und aufstehen, Essen kochen helfen und durfte es selbst nach dem Stalle tragen und mit ihrem eingesperrten Bruder weinen. Sie selbst ward von der Hexe gar gering gehalten. Das dauerte so eine Zeit, während welcher die Alte öfters nach dem Stalle schlich und Hänsel befahl, einen Finger durch das Gitter zu stecken, damit sie fühle, ob er fett werde. Hänsel aber steckte immer ein dürres Knöchelchen heraus, und sie verwunderte sich, daß der Junge trotz dem guten Essen so mager blieb. Endlich war sie das müde und sprach zur Gretel: „Kurz und gut, heute wird er gebraten!" und machte ein mächtiges Feuer in den Backofen, der neben dem Häuschen stand, da schob sie hernach Brot hin­ ein, damit sie frischbackenes zum Braten habe. Das Gretel wußte seines Herzens keinen Rat, und endlich befahl ihm die alte Hexe, sich auf die Schiebeschaufel zu setzen und in den Backofen zu lugen, die Alte wollte sie nur ein bissel in den Ofen schieben, damit die Gretel sehe, ob das Brot braun sei; eigentlich aber wollte sie das arme Mägdlein gleich zuerst darin braten.

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IV Da kam aber das schneeweiße Vöglein geflogen und sang: „Hüt dich, hüt dich, sieh dich für!" Und da gingen der Gretel die Augen auf, daß sie der Alten böse List durchschaute und sagte: „Zeiget mir's zuvor, wie ich's machen muß, dann will ich's tun!" Gleich setzte sich die Alte auf das Ofenbrett, und die Gretel schob am Stiel und schob sie so weit in den Back­ ofen, als der Stiel lang war, und dann, klapp! schlug sie das eiserne Türlein vor dem Ofen zu, schob den Riegel vor, und da der Ofen noch erstaunlich heiß war, mußte die alte Hexe drinnen brickeln und braten und elendiglich umkommen zum Lohn ihrer Übeltaten. Gretel aber lief zum Hänsel, ließ den aus dem Gänsestall, und der kam heraus und siel dem treuen Schwesterchen um den Hals; und sie küßten sich und weinten vor Freude und dankten Gott. Und da war das weiße Vöglein wieder da und auch viele, viele andere Waldvöglein, die flogen auf das Kucheudach des Häusleins, darauf war ein Nest, und daraus nahm jedes Vöglein ein buntes Steinchen oder eine Perle und trugen sie hin zu den Kindern, und Gretel hielt sein Schürzchen auf, daß es alle die vielen Steinchen fasse. Das schneeweiße Vöglein sang:

„Perlen und Edelstein Für die Brotbröselein!" Da merkten die Kinder, daß die Vöglein dankbar dafür waren, daß Hänsel Brotkrumen auf den Weg gestreut hatte, und nun flog das weiße Vöglein wieder vor ihnen her, daß es ihnen den Weg aus dem Walde zeige. Bald kamen sie an ein mächtiges Wasser, da standen sie ratlos und konnten nicht weiter und nicht darüber. Plötzlich aber kam ein großer, schöner Schwan geschwommen, dem riefen die Kinder zu: „O, schöner Schwan, sei unser Kahn!" Und der Schwan neigte seinen Kops und ruderte zum Ufer und trug die Kinder eins nach dem andern hinüber ans andere Ufer. Das weiße Vögelein aber war schon hinüber geflattert und flog immer vor den Kindern her, bis sie endlich aus dem Walde kamen, wieder an der Eltern kleines Haus.

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Der alte Holzhauer und seine Frau saßen traurig und still in dem engen Stüblein und hatten großen Kummer um die Kinder, bereueten auch viele tausend Mal, daß sie die­ selben sortgelassen, und seufzten: „Ach, wenn doch der Hänsel und die Gretel nur noch ein allereinziges Mal wiederkämen, ach, da wollten wir sie nimmermehr wieder allein im Walde lassen!" — da ging gerade die Tür auf, ohne daß erst ange­ klopft worden wäre, und Hänsel und Gretel traten leibhaftig herein. Das war eine Freude! Und als nun vollends erst die kostbaren Perle» und Edelsteine zum Vorschein kameir, welche die Kinder mitbrachten, da war Freude in alle» Ecken, und alle Not und Sorge hatte fortan ein Ende.

218. Mann ttnd Fran im Essigkrng. I. Es war einmal ein Mann und eine Frau, die haben lange, lange miteinander in einem Essigkrugc gewohnt. Am Ende sind sic's überdrüssig geworden, und der Mann hat zu der Frau gesagt: „Du bist schuld daran, daß wir in dem sauren Essigkrug leben müssen, wären wir nur nicht da!" Die Frau hat aber gesagt: „Nein, du bist schuld daran." Und da haben sie angefangen miteinander zu kippeln und zn zanken und ist eins dem andern in dem Essigkrug nachgelanfen. Da ist gerade ein goldiges Vögelein an den Essigkrug ge­ kommen, das hat gesagt: „Was habt ihr denn nur so mit­ einander?" — „Ei", hat die Frau gesagt, „wir sind's Essig­ krügel überdrüssig und möchten auch einmal wohnen wie andere Leute, hernach wollen wir gern zufrieden sein." Da hat sie das goldene Vögelein aus dem Essigkrug heraus ge­ lassen, hat sie an ein neues Häuschen geführt, wo hinten ein zierliches Gärtchen gewesen ist, und hat zu ihnen gesagt: „Dies ist jetzt eiter! Lebt jetzt einig und zufrieden nntereinandcr, und wenn ihr mich braucht, so dürft ihr nur drei­ mal in die Hände klatschen und rufen:

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Nummer 218.

Goldvögelein im Sonnenstrahl! Goldvögelein im Demantsaal! Goldvögelein überall!

so bin ich da." Damit flog das Goldvögelein fort, und der Mann und die Frau waren froh, daß sie nicht mehr in dem sauren Essig­ krug wohnten, und freuten sich über ihr nettes Häuschen und grünes Gärtchen.

II. Das dauerte aber nur eine Weile, denn wie sie nun ein paar Wochen in dem Hänschen gewohnt hatten und in der Nachbarschaft herumgekommen waren, da hatten sie die großen stattlichen Bauernhöfe gesehen mit großen Stallungen, Gärten, Äckern, vielem Gesinde und Vieh. Und da hat es ihnen schon »vieder nicht mehr gefallen in ihrem winzigen Häuslein, und sind's ganz überdrüssig geworden, und an einem schönen Morgen haben sie alle zwei fast zu gleicher Zeit in die Hände geklatscht und haben gerufen: „Goldvögelein im Sonnenstrahl! Goldvögelein im Demantsaal! Goldvögelein überall!"

Witsch, da ist das goldige Bögelein zum Fenster herein­ geflogen gekommen und hat sie gefragt, was sie denn schon wieder wollten. „Ach," haben sie gesagt, „das Häuslein ist doch gar zu klein; wenn wir nur auch so einen großen prächtigen Bauern­ hof hätten, hernach wollten wir zufrieden sein." Das goldige Vöglein blinzle ein wenig mit seinen Guckäugelein, sagte aber nichts und führte den Mann und die Frau an einen großen prächtigen Bauernhof, wo viele Äcker daran waren und Stal­ lungen mit Vieh und Knechten und Mägden und hat ihnen alles geschenkt. Der Mann und die Frau sprangen deckenhoch und konnten sich vor Freude gar nicht lassen. Und jetzt sind sie ein ganzes Jahr lang zufrieden und fröhlich gewesen und haben sich gar nichts Besseres denken können. H - 11«>. L-scbuch 2. 13. «ufl.

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Gejchichten.

m. Aber länger hat's auch nicht gedauert, keinen Tag, denn weil sie jetzt manchmal in die Stadt gefahren sind, haben sie die schönen großen Häuser und die schön geputzten Herren rind Madamen sehen spazieren gehen; da haben sie gedacht: Ei, iit der Stadt muß es aber herrlich sein, und da braucht inan nicht viel zu tun und zu arbeiten. Und die Frau hat sich gar nicht können satt sehen an dem Staat und dem Wohlleben und hat zu ihrem Mann gesagt: „Wir wollen auch in die Stadt, ruf du dem goldigen Vöglein! Wir sind nun schon lange genug auf dem Bauernhof." Der Mann aber hat gesagt: „Frau, ruf du ihm!" — endlich hat die Frau dreimal in die Hände geklatscht und hat gerufen: „Goldvögelein im Sonnenstrahl! Goldvögelein im Demantsaal! Goldvögelein überall!" Da ist das goldige Vögelein wieder zum Fenster herein­ geflogen und hat gesagt: „Was wollt ihr nur von mir?" — „Ach," hat die Frau gesagt, „wir sind das Bauernleben müde, wir möchten auch gern Stadtleute sein und schöne Kleider haben und in so einem großen prächtigen Haus wohnen, her­ nach wollen wir zufrieden sein." Das goldene Vögelein hat wieder mit seinen Guckäugelein geblinzt, hat aber nichts gesagt und hat sie in das schönste Haus in der Stadt geführt, da war alles aufgeputzt, und waren Schränke darin und Kommoden, da hingen und lagen Kleider drinnen nach der neuesten Mode. Jetzt haben der Mann und die Frau gemeint, es gibt auf der Welt nichts Besseres und Schöneres, und waren vor lauter Freude außer sich. IV.

Das hat aber leider wieder nicht lange gedauert, so hatten sie es wieder satt und sprachen zueinander: „Wenn wir's nur so hätten wie die Edelleute! Die wohnen in herr­ lichen Palästen und Schlössern und haben Kutschen und Pferde, und Bediente mit goldbordierten Röcken stehen auf den

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Kutsche». Ja, das wäre erst etwas Rechtes; so ist's doch nut eine armselige Lumperei." Und die Frau hat gesagt: „Jetzt ist's an dir, dem goldigen Vöglein zn rufen." Der Manu hat doch wieder lange nicht gewollt, endlich, wie die Frau gar nicht nachgelassen hat mit Dringen und Drängen, hat er dreimal in die Hände geklatscht und gerufen: „Goldvögelein im Sonnenstrahl! Goldvögelein im Demantsaal! Goldvögelein überall!"

Da ist das goldene Vögelein wieder zum Fenster herein­ geflogen und hat gefragt: „Was wollt ihr nur von mir?" Da sagte der Mann: „Wir möchten gern Edelleute werden, hernach wollen wir zufrieden sein." Da hat aber das goldene Vögelein gar arg mit den Äuglein geblinzt und hat gesagt: „Ihr unzufriedenen Leute! Werdet ihr denn nicht einmal genug haben? Ich will euch auch zu Edelleuten »lachen, es ist euch aber nichts nutz!" und. hat ihnen gleich ein schönes Schloss geschenkt, Kutschen und Pferde und eine zahlreiche Be­ dienung. Jetzt sind sie nun Edelleute gewcseu und sind alle Tage spazieren gefahren und haben an nichts mehr gedacht, als wie sie die Tage herumbringen wollten in Freuden und mit Nichtstun, außer daß sie die Zeitungen gelesen haben. Einmal sind sie in die Hauptstadt gefahrei«, ein großes Fest zu sehen. Da sind der König und die Königin in ihrer ganz vergoldeten Kutsche gesessen, in goldgestickten Kleidern, und vorn und hinten und auf beiden Seiten sind Marschälle, Hofleute, Edelknaben und Soldaten geritten, und alle Leute haben die Hüte und Taschentücher geschwenkt, wo der König ilnd die Königin vorbeigefahren sind. Ach, wie hat da den« Manne und der Frau vor Ungeduld das Herz geklopft!

V. Kaum waren sie wieder nach Hause, so sprachen sie: „Jetzt «vollen wir noch König und Königin werden, hernach lvollen >vir aber einhalten." Und da haben sie wieder alle zlvei in die Hände geklatscht und haben gerufen, was sie nur rufen konnten:

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Geschichten.

„Goldvögelein im Sonnenstrahl! Goldvögelein im Demantsaal! Goldvögelein überall!"

La ist das goldene Vögelein wieder zum Fenster hereingeslogeit imd hat gefragt: „Was wollt ihr nur von mir?" Da haben sie beide geantwortet: „Wir inöchten gern König und Königin sein." Da hat aber das Vögelein ganz schrecklich mit den Augen geblinzelt, hat alle Federchen.gesträubt, hat mit den Flügeln geschlagen mib hat gesagt: „Ihr lvüsten Leute, luiuiit werdet ihr den» einmal genug haben? Ich will euch auch noch zum Küttig und zur Königin inachen, aber dabei tvird's doch nicht bleiben sollen, denn ihr habt nimmer» mehr genug!" Jetzt sind sie nun König und Königin getveseit und haben übers ganze Land zu gebieten gehabt, habeit sich einen großen Hofstaat gehalten, mit) ihre Minister und Hosleilte haben müssen aus die Kuie nicderfalleu, wenn sie eins von ihnen ansichtig lvurdett. Auch haben sie nach und nach alle Beamten im ganzen Lande vor sich kommen lassen und ihnen vom Thron herab ihre strengsten Befehle erteilt. Und was es nur Teures und Prächtiges in aller Herren Länder gab, das mußte herbeigeschasft tverden, daß ein Glanz und ein Reichtum sie umgab, der unbeschreiblich ist.

VI. Und doch sind sie jetzt noch nicht zufrieden gewesen und sagten immer: „Wir müssen noch etlvas mehr tverden!" Da sprach die Frau: „Werden wir Kaiser und Kaiserin!" — „Nein," sagte der Mann, „wir tvollen Papst werden!" — „Hoho! das ist alles nicht genug," schrie die Fran in ihrem Eifer, „mit tvollen lieber Herrgott sein!" Kaum aber hatte sie das Wort ausgeredet, so ist ein mächtiger Sturmwind gekommen, und ein großer schwarzer Vogel mit funkelnden Augen, die wie Feuerräder rollten, ist zum Fenster hereingeslogen und hat gerufen, daß alles erzitterte: „Daß ihr versauern müßt im Essigkrug!" Pautz, und da war alle Herrlichkeit zum Kuckuck, und da

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saßen sic alle beide, der Man» und die Frau, wieder in ihrem engen Essigkrng brtii; da sitzen sie noch und können drin sitzen bleiben bis an den jüngsten Tag.

219. Des Königs Münster. Es Ivar einmal ein König, der erbaute ein pracht­ volles Munster zur Ehre und zum Lobe Gottes, und durfte uieuiaud zu diesem Bau einen Heller beisteuern, nach des Königs ausdrücklichem Gebot, sondern er wollte es ganz ans dem eigenen Schatz erbauen. Und so geschah es auch, und das Münster war vollendet, schön und würdig, mit aller Pracht und aller Zier. Und da ließ der König eine große marmorne Tafel zurichteu, in diese ließ er mit gold­ neu Buchstaben eine Schrift graben, daß er, der König, allein den Dom erbaut habe, und niemand habe dazu bei­ gesteuert. Als aber die Tafel einen Tag und eine Nacht lang anfgerichtet war, so war in der Nacht die Schrift ver­ ändert, und statt des Königs Namen stand ein anderer Name darauf, und zwar der Name einer armen Frau, so daß es nun lautete, als habe sic das ganze prächtige Münster er­ baut Das verdroß den König mächtig: er ließ den Namen austilgen und de» seinigen wieder einschreiben. Aber über Nacht stand wieder der Name jener armen Frau auf der Tafel, und jedermann las, daß sie des Münsters Stifterin sei. Und zum drittenmal ward des Königs Name auf die Tafel geschrieben, und zum drittenmal verschwand er, und jener kam zum Vorschein. Da merkte der König, daß hier Gottes Finger schreibe, demütigte sich und ließ nach der Frau forschen und sie vor seinen Thron heischen. Voll Angst und erschrocken trat sie vor den König, der sprach zu ihr: „Frau, es begeben sich wunderliche Dinge, sage mir bei Gott und deinem Leben die Wahrheit! Hast du mein Gebot nicht vernommen, daß niemand zu dem Münster geben solle? Oder hast du doch dazu gegeben?" Da fiel das Weib dem Könige zu Füßen und sprach: „Gnade, mein Herr und König! Ich will alles auf deine Gnade bekenne»! Ich bin ein ganz armes Weib, ich muß

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Nobinjon (Etujee

mich küniinerlich mit Spinnen ernähren, daß mich der Hunger nicht tötet, nnd da hatte ich doch ein Hellerlein er­ übrigt, das möcht ich gar zu gern darbringen zu deinem Tempelbau und Gott zu Ehren, aber ich fürchtete, o Herr, deinen Bann und deine harte Bedränung, und da kaufte ich um das Hellerlein ein Bündelein Heu, das streute ich auf die Straße den Ochsen hin, welche die Steine zu deinem Münster zogen, und sie fraßen es. So tat ich nach meinem Willen und ohne dein Gebot zu verletzen. Da ward der König inächtiglich bewegt von der Frauen Rede und sah, wie Gott der Herr ihren reinen Sinn gewürdigt und ihn als höheres Opfer angenommen, wie des Königs reichen Schatz. Und der König begabte die arme Frau reichlich nnd nahm sich die Strafe seiner Eitelkeit wohl äi: Herzen.

220. Die Geschichte von Robinson Crusoe W i e 91 o 61 ii f o ii Schisfb r n ch litt nnd allein gerettet wurde. Robinson wurde im Jahre 1632 in der Stadt Bork in England geboren. Sein Vater war ein Deutscher und hieß mit Familiennamen Krcntzenaer, aber weil die Eng­ länder diesen Namen immer abkürzten nnd Crusoe aus­ sprachen, so schrieb er sich zuletzt auch Crusoe, und der Sohn hieß also Nobinson Crusoe. Robinson war der dritte Sohn und genoß eine sehr gute Erziehung. Er hatte aber solche Lust zur See zu gehen und recht viele Abenteuer zu erleben, daß er im Alter von achtzehn Jahren seinen Eltern entlief und von Hüll aus mit einem Schulgefährten auf dem Schiff von dessen Vater nach London fuhr. Er kam dort in gute Gesellschaft, lernte die Kaufmannschaft und machte dann mehrere Handelsreisen nach Afrika und Bra­ silien. Dort verdiente er viel Geld, und weil damals gerade der Sklavenhandel in Blüte stand, so rüstete er mit Hilfe eines Bekannten ein Schiff aus, um nach Afrika zu segeln, dort Sklaven zu kaufen und sie nach Brasilien zu bringen. 1

Am 1. September 1659, gerade an dem Tage, wo er vor

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acht Jahren seinen Eltern entlaufen war, bestieg er das Schiff, das mit allerlei beladen war, was Neger gern ein­ handeln, mit Glasperlen, Messern, Scheren, Beilen, Spie­ geln und solchen Dingen. Sie wollten von Brasilien hinüber nach Afrika steuern, aber ein heftiger Orkan packte das Schiff und trieb es erst nordwärts, dann westwärts. Sie mußten in der Nähe der karaibischen Inseln sein, die von Menschenfressern bewohnt waren, da erscholl eines Morgens der Nus: Land! Als sie auf das Verdeck eilten, um das Land zu sehen, gab es einen gewaltigen Stoß, das Schiff Ivar auf eine Sandbank aufgelaufen. Da saß es fest und konnte nicht mehr los. Jeden Augenblick konnte das Hinter­ teil des Schiffes bersten, weil die Wellen damit spielten, während das Vorderteil fest saß. Das Rettungsboot wurde heruntergelassen, und schnell sprangen alle elf Leute hinein, die an Bord waren. Als sie noch eine Meile weit vom Lande waren, kam eine ungeheure Welle gerade auf sie zugerollt und warf das Boot um. Die Leute flogen heraus und versanken im Meer. Als die Welle zurückwich, hatte sie deu Robinson eine weite Strecke nach der Küste hingetragen, und als er wieder Atem schöpfen konnte, lag er auf fast trockenen! Sande. Er sah eine neue Woge herbeirollen, da hielt er den Atem an und ließ sich wieder eine große Strecke forttragen, und so kam er nach und nach auf das feste Land. Er warf sich auf die Knie und dankte Gott, daß er gerettet sei. Aber von den zehn Gefährten sah er keinen, sie waren alle ertrunken. Er hatte nasse Kleider und nichts in den Taschen als ein Messer und eine Tabakspfeife. Am Strand fand er etwas trinkbares Wasser, es stand da auch ein Baum, eine Art Fichte, und weil der Abend gekommen war, so kletterte er darauf und schlief in den Ästen, denn er hatte Angst, in der Nacht kämen vielleicht wilde Tiere. Als er erwachte, war es Hetzer Tag, und er sah das Schiff ungefähr zwei Meilen weit vom Ufer an einem Felsen liegen; es war nicht geborsten, die Wellen hatten cs vielmehr von der Sand­ bank wieder emporgehoben und näher an das Ufer

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Robinson Crusoe.

schleudert. Wenn die Leute ruhig auf dem Schiff geblieben wären, hätten sie, sich alle retten können. Robinson zog seine Kleider aus unb kam erst watend, dann schwimmend bis an das Schiff; an einem herunterhängenden Tau kletterte er hinauf, suchte sich erst etwas zu essen, weil er so hungrig war, dann legte er Sparren, Balken und Bretter zusammen, band sie mit Stricken aneinander nnd machte daraus eine Art von Floß, das warf er ins Meer, nachdem er es mit einem Strick am Schiff befestigt hatte, daß es nicht fortschwimmen sollte. Er leerte dann drei Kisten und lieb sie auf das Floß hinunter; in die erste Kiste kamen Brot, Reis, drei holländische Käse und ein Rest Weizen und Gerste. Dann suchte er nach Kleidern, fand viele und füllte damit die zweite Kiste. In die dritte kam der Inhalt des Zimniermannskastens, z>vei Flinten, Pistolen, zwei Säbel und drei Fäßchen Schießpulver. Die Flut war gekommen, und er fuhr ab, denn er hoffte, die Flut triebe sein Floß gerade auf das Land zu. Das geschah denn auch, er kam in eine Bucht, welche die Mündung eines liebten Flusses war. Er hatte sich vom Schiff Ruder mitgenommen und konnte nun ans Land ritdern. Dort wartete er die Ebbe ab, die sein Floß dann auf dem Trocknen liegen ließ. Er selbst klomm einen Hügel hinan, um Ausblick zu halten. Da sah er, daß er auf einer Insel war, denn rimdum war Meer. In weiter Ferne sah er noch zwei kleinere Inseln, aber seine Insel war nicht angebaut und, wie es schien, auch nicht bewohnt. Er schoß seine Flinte ab, und auf den Knall Hilt erhoben sich rings zahllose Vögel von den Bäumen und flögen mit Gekreisch auseinander. Dann ging er zum Floß zurück, schaffte alle Sachen ans Land und baute sich aus den drei Kisten, dem Floß unb den Brettern eine Art Schutzhütte für die Nacht. Am andern Tag watete er wieder ans Schiff und machte sich dort ein besseres Floß. Er fand Nägel, Bohrer, einen Schleifstein, sieben Gewehre mit Schießvorrat, ein Segel, Hängematten und Bettzeug. Das brachte er alles mit. Er fand auch drei Bibelit nttb ein Gebetbuch, einen Kompaß, zwei Fernrohre und Federn mit

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Papier und Tinte. Das nahm er alles mit. Auf dem Schiff waren zwei Katzen und ein Hund. Die Katzen nahm er auf dem Arm ins Floß, der Hund sprang von selbst herunter, schwamm ein Stück und kletterte dann auf das Floß. Und nun fuhr er jeden Tag hinüber und holte, was er nur kriegen konnte, Takelwerk, sämtliche Segel, Brot, Zucker, Salz, Mehl und Rum. Als er am elften Tgg zum dreizehntenmal Sachen holte, sand er noch Rasiermesser, Scheren, Messer und Gabeln und zuletzt noch viele Goldnnd Silbermünzen. Das nahm er auch alles mit. Danach aber erhob sich ein heftiger Sturm, und mit andern Morgen war das Schiff verschwunden.

2.

Wie Robinson sich eine Wohnung machte.

Robinson dachte nun darüber nach, wie er sich eine Art Wohnung machen könnte, um vor wilden Tieren und wilden Menschen Schutz zu haben. Es luareit schon zwölf Tage vergangen, und es hatten sich noch keine Menschen und zum Glück auch kein wildes Tier gezeigt. Er wollte nicht weit vom Meere fortgehen, weil er doch inöglichst oft ausschauen wollte, ob kein Schiff vorbeiführe, dem er sich vielleicht bemerk­ lich machen könnte. Der Platz sollte aber auch Schutz vor der Sonne bieten, und Trinkwasser mußte auch in der Nähe sein. Endlich fand er eine kleine Ebene vor einem Fels­ hügel, die das alles bot, was er gewünscht hatte. Der Fels fiel ganz steil ab und hatte an einer Stelle eine kleine Vertiefung; gerade vor dieser Grotte war eine schöne Rasen­ fläche, ungefähr 600 Schritte breit und doppelt so lang, daun ging es wie von einer Terrasse abwärts zum Meeres­ strand. Die kleine Ebene lag nach Nordwesten, so daß nur abends die Sonne hinkam. Er stellte sich nun gerade vor die Felsenhöhle, ging acht Schritte vor und machte sich mit Hilfe eines Strickes einen regelmäßigen Halbkreis. In dem Halbkreis pflanzte er dicke Pfosten und Pfähle tief in die Erde, so daß sie so hoch waren wie er selbst. Dahinter kam noch eine Reihe, die niedriger war. Die Pfosten vom Schiff reichten nicht aus, da fällte er Bäume und hieb die Aste

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Robinson Crusoe.

ab. Das dauerte jedesmal drei Tage, bis wieder ein neuer Pfosten errichtet war. Zwischen die Pfosten schlang er starke Schiffstaue. Er brachte keine Tür an, sondern stieg immer mit einer Leiter ein und aus. War er drinnen, so zog er die Leiter hinter sich auf. In diese Festung brachte er mit vieler Mühe all seine Lebensmittel, die Kisten und alles, was er vom Schiff gerettet hatte. Dann machte er von den Schiffssegeln ein doppeltes Zeltdach und spannte über die Segel noch einmal geteerte Leinwand. Das alles kostete viel Mühe und viele Zeit. Er schlief auch nicht in dem Bett, das er ans Land gebracht hatte, sondern in einer sehr guten Hängematte, die das Nachtlager des Steuermanns gewesen war. Aus Brettern vom Schiff nagelte er sich auch einen Tisch und einen Stuhl zurecht. Drnn erweiterte er die Höhle, >oas ganz gut ging, da das Gestein lockerer Sandstein war. Alle Steine und Erde, die er los­ gearbeitet hatte, wurden gegen den Zaun gelegt, mit ihn fester zu machen. Auf einmal dachte er: Wenn nun ein Blitz in mein Pulver schlüge, dann wäre mit einem Schlag alles Pulver vernichtet. Er hatte beinahe drei Zentner Pulver, das teilte er nun in mehr als hundert kleine Haufen und machte sich für jedes Häufchen ein Kästchen oder einen Beutel. Die verteilte er dann in Löcher unter dem Felsen und merkte sich genau die Stellen, wo das Pulver war. Die Höhle machte er immer tiefer, so daß sie seine Küche, sein Vor­ ratshaus und sein Keller wurde. Er schlug auch große Nägel in die Felsritzen und befestigte Bretter darüber, so hatte er Schränke und Gesächer. Täglich stieg er oben aus den Felshügel und blickte auf das Meer, aber es ließ sich kein Segel sehen, und er dachte, daß er gewiß lange hier bleiben müsse, vielleicht sein ganzes Leben lang. Da ward er sehr traurig. Aber weil er sehr viel zu arbeiten hatte, hatte er keine Zeit, lange traurig zu sein. Nur abends, ehe er einschlief, weinte er oft und betete auch jedesmal recht von Herzen, das hatte er viele Jahre lang nicht mehr getan. Als er dreizehn Tage aus der Insel gewesen war, konnte er diese Zeit noch genau nachrechnen. Aber er dachte, wenn

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noch mehr Zeit verginge, könnte er es zuletzt nicht mehr genau behalten. Darum machte er sich einen Kalender. Er nahm einen großen viereckigen Pfosten vom Schiff und trieb ihn tief in die Erde hinein, in das Holz schnitt er die Worte: Hier bin ich eint 30. September 1659 gelandet! Täglich machte er an einer Kante des Pfostens einen kleinen Ein­ schnitt und Sonntags einen doppelt so langen Schnitt, am ersten Tage eines jeden Monats aber einen viermal so langen Schnitt. So wußte er immer, was es für ein Wochen­ tag und für ein Monatstag war. Jeden Tag ging er mit seinem Gewehr aus und ent­ deckte dabei, daß es hier eine Art von Ziegen gab. Es gelang ihm, eine zu schießen, die ein junges Zicklein bei sich hatte — das Zicklein blieb bei seiner toten Mutter stehen, und als er die alte Ziege zu seiner Festung trug, lief das Junge nach. Er hob es über den Zaun und gab ihm Gras zu fressen. Aber es war noch so klein, daß es nur Milch trinken konnte. Die hatte er nicht, da tötete er das Zicklein auch und hatte nun lange Zeit Fleisch zu essen. Ev bereitete das Fleisch so zu, wie er oft genug zu Hause gesehen hatte, daß man Fleisch briet. Zu beiden Seiten des Feuers steckte er zwei Stöcke kreuzweis in den Boden, legte eine eiserne Stange quer drüber, hängte daran das Fleisch mit einer Schnur auf und ließ es sich dann fortwährend drehen, bis es braun gebraten war.

3.

Wie Robinson die Regenzeit verlebte und

krank wurde.

Einmal schoß Robinson wieder auf eine Ziege und traf sie auch; aber sie war nicht tot, sondern sie war nur an einem Bein verwundet. Mit Mühe schleppte er das Tier an einem Strick bis in seine Wohnung, er verband das lahme Bein, da heilte es nach einiger Zeit, und die Ziege wurde ganz zahm und weidete auf dem Rasenplatz vor der Festung. Sie hinkte und lief niemals fort. Das brachte Robinson aus den Ge­ danken, ob er nicht später sich eine ganze Herde Ziegen

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Robinien Crusoe.

sangen und zähmen könnte, wenn er einmal kein Pulver mehr hätte, um sie zu schießen. Es fing aber nun an zn regnen und hörte wochenlang nicht auf. Robinson machte sich eine Rinne, daß das Wasser von seiner Wohnung ablaufen sollte. Fast täglich gab es ein schweres Gentitter. Er konnte viele Tage nicht ausgehen und geriet fast in Verzweiflung. Ein­ mal wankte der ganze Fels, das war ein Erdbeben, das Meer schäumte und brandete ganz entsetzlich, so daß Robinson glaubte, die Welt ginge unter. Aber das Unwetter ging vorüber, und es hatte sogar sein Gutes für Robinson. Denn er sah aus einmal am Meere einen Sand­ hügel, der früher nicht da gctvesen >var, und dabei lag das Wrack des Schiffes, das die Zeit über -verschwunden ge­ wesen, jetzt aber so nahe ans Land geschlendert war, daß er zur Zeit der Ebbe trockenen Fußes dorthin gehen konnte. Da eilte Robinson mit Axt, Brecheisen und Säge hin und löste sich Tag für Tag Balken und Bretter von dem Wrack los. Es gelang ihm, in den Schifssrumpf zu kommen, wo er noch viel Holz, eine große Rolle Blei und mehr als zwei Zentner Eisen fand. Am Strand fand er auch eine große Schildkröte, die er tötete und mitnahm, das gab eine vortreffliche Mahlzeit. Aber von all dem Regen wurde Robinson krank. Sein Kopf brannte wie Feuer, er war matt in allen Gliedern und glaubte, er müsse sterben. Er hatte schreckliche Träume und machte sich Vorwürfe über sein früheres Leben. Er fühlte, daß das alles eine Strafe Gottes wäre, und betete, der liebe Gott möge ihn doch erretten. Er suchte sein Bett hervor und legte sich da hinein anstatt in die Hängematte. Da schlief er ein und schlief die ganze Nacht und den folgenden Tag und noch eine Nacht. Als er wach wurde, war er nicht mehr so heiß, das Fieber Ivar vorüber, und er konnte wieder auf­ stehen. Er nahm die Bibel und las tröstliche Psalmen, da fühlte er sich wieder erquickt. Dort, loo er wohnte, war es in der heißen Zone, die Insel lag vielleicht zehn Grad nördlich vom Äquator,

Nummer 220,4.

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da gibt es keinen Winter, ober eine Regenzeit, die vom Februar bis April dauert, und noch eine zweite, wenn bei uns Herbst ist.

4. Wie Robinson sich eine Sommerwohnung ei »richtete und die Insel durchwanderte.

Als Robinson wieder gesund war und die Regenzeit vorüber, beschloß er, die Insel auch im Innern näher zu ersorschen. Er war jetzt zehn Monate hier, und weil sich immer noch kein böses Tier gezeigt hatte, hatte er auch keine Angst mehr davor, von zu Hause fortzugehen. Mit seiner Flinte über der Schulter, seinen treuen Hund zur Seite, ging er die kleine Bucht entlang, wo er zuerst sein Floß hineingefahren hatte, immer landeinwärts. Wo die Bucht aufhörte, floß eine kleiner Bach mit frischem, klarem Wasser, der mündete in die Bucht. Rechts und links war schönes Gras mit vielen Blumen, dann kam Wald, und am Rande des Waldes wuchsen Melonen und saftige Ananas und standen Kokosnußbäume. Es war dort viel schöner als in seiner Wohnung, und er beschloß, dort sich eine Art Sommerwohnung zu machen. Er arbeitete einen ganzen Monat daran, da hatte er einen ähnlichen Zaun fertig, wie bei seiner Festung, nur fehlte ein Felsen dahinter, da­ rum mußte er den Zaun rundum führen, nicht bloß im Halbkreis. Nun wuchs sein Mut, und er konnte der Lust nicht mehr widerstehen, die ganze Insel zu durchwandern. In einem Sack trug er einige Lebensmittel, Zwieback und getrocknetes Fleisch, und dann ging er so weit, bis er das Meer auf der andern Jnselseite erblickte. Ganz in der Ferne sah er Land, das war eine andere Insel. In den Bäumen saßen viele bunte Papageien, die machten ein großes Ge­ schrei. Es gelang ihm, mit seinem Stock einen jungen Papagei von einem Baume zu schlagen; da nahm er düs' Tierchen mit nach Hause. Es wurde zahm und lernte auch bald sprechen. Er kam bis an den Meeresstrand, da wimmelte es von großen Schildkröten. Aber obwohl es in den an-

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Robinso

Cruso:.

dein Teilen der Insel viel schöner war als da, wo er wohnte, so freute er sich doch sehr, als er wieder zu Hause war.

5. Wie Robinson sich allerlei Hausgerät a n f e r t i g t e.

Robinson hatte es gar nicht gefallen, daß es jeden Abend um sechs Uhr dunkel wurde und dann zwölf Stunden lang Nacht blieb. So ist das in der heißen Zone das ganze Jahr über, ein Tag ist so lang wie der andere, und eine Nacht so lang wie die andere. Da saß er denn im Dunkeln und konnte doch nicht die ganze Zeit über schlafen. Da sann er nach, wie er sich eine Art Lampe machen könnte. Er sammelte von nun an alles Fett von den Ziegen, die er erlegte, dann knetete er sich aus Lehm eine Schale, trocknete sie in der Sonne und drehte aus Taugarn eine Art Docht. Das brannte denn ganz schön, freilich nicht so hell wie eine Kerze, aber doch hell genug. Da war es ganz behaglich des Abends, er konnte in seiner Bibel lesen, er konnte seine Erlebnisse niederschreiben und konnte allerlei arbeiten. Besonders eine Art Arbeit machte ihm viele Freude. Es fehlte ihm an Gefäßen, um seine Vorräte hineinzutun, und er hätte gar zu gern einige Körbe gehabt. Nach vielen Versuchen fand er Baumzweige, die geschmeidig genug waren, um sie flechten zu können. Und nun dachte er lange darüber nach, wie ein Korb aussähe, und wie er wohl hergestellt werden könnte. Er erinnerte sich, daß er als Kind öfter einem Korbmacher bei der Arbeit zugesehen hatte. Und so gelang es ihm zuletzt, einen Korb zu flechten. Das gefiel ihm so gut, daß er sich nach und nach viele Körbe flocht, große und kleine, enge und weite, flache und tiefe. Viel schwieriger war es aber, irdene Töpfe zu machen, die er doch so gern gehabt hätte, um darin zu kochen. Weil ihm die Schale für die Lampe so gut geraten war, so gab er sich daran, formte aus Lehm einen Topf und trocknete ihn in der Sonne. Zum Ausbewahren von Sachen war ein solcher Topf ganz gut, nur durfte man ihn nicht aufs Feuer

Nummer 220,5 und 6.

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setzen, da sprang er entzwei, und wenn man Wasser hinein­ tat, so sickerte es durch den Tops wieder heraus. Robinson fiel es ein, daß die Töpfe erst im Feuer richtig gebrannt werden müssen. Er inachte nun die Töpfe und legte Brenn­ holz rund herum, unten darunter aber Asche. Dann steckte er das Holz an und sah durch die Flamme durch, wie die Töpfe nach und nach rotglühend wurden, ohne zu platzen. Dann ließ er sie noch vier oder fünf Stunden stehen nnd sah, daß ein Topf anfing zu fließen, ohne aber zu zer­ springen. Das war der Sand, der dem Ton beigemengt war. Robinson milderte das Feuer, bis die Töpfe nicht mehr so glühend waren. Er wachte die ganze Nacht und sorgte, daß das Feuer nicht ausging, da hatte er am andern Morgen drei sehr häßliche, aber doch steinharte Töpfe. Er konnte es kaum erwarten, bis die Töpfe kalt waren; dann füllte er einen halb mit Wasser und kochte Ziegenfleisch darin, was vortrefflich gelang.

6.

Wie Robinson sich Kleider machte.

So sparsam auch Robinson mit seinem Vorrat an Tinte und Papier haushielt, beides ging zu Ende, und es gelang ihm nicht dafür Ersatz zu finden. Auch der Schiffszwieback wurde alle, und er mußte eine längere Zeit jede Nahrung entbehren, die ähnlich war wie Brot. Schlimmer war es, daß seine Kleider mehr und mehr dahinschwanden. Am längsten hielten die gemusterten Ma­ trosenhemden, die er in den Kisten seiner Gefährten ge­ funden hatte. Die dicken Wachtröcke waren noch da, aber sie waren viel zu warm, um sie in dieser heißen Gegend zu tragen. Ein Hemd anzuhaben, war ihm ein Labsal, denn das schützte vor der Sonnenglut. Auch Hut und Mütze konnte er nicht entbehren. An das Barfußgehen gewöhnte er sich schnell. Er hatte die Felle aller erlegten Tiere sorgfältig auf­ bewahrt. Er hatte sie an Stangen aufgespannt und so an der Sonne getrocknet. Einige waren davon so hart und steif geworden, daß er sie nicht brauchen konnte, andere aber

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Robinson Crusoe.

blieben geschmeidig. Er kehrte die rauhe Seite nach äugen, und es gelang ihm mit vieler Mühe, sich eine Mütze, Westen und kurze Hosen aus Fell zu machen. Die Hosen waren freilich an den Knieen offen, aber sie sollten ja auch nicht warm halten, sie sollten ihn vielmehr vor der Hitze be­ schützen. Was ihm sehr not tat, das war ein Sonnenschirm. Nach vielen Versuchen brachte er ein ziemlich zweckmäßiges Gestell fertig, das er mit einem Fell überzog, die Haare nach außen, so schützte der Schirm gegen Sonne und Regen zugleich. Die Mütze war hoch und spitz, und hinten hing eine lange Krampe in den Nacken. Er machte sich auch einen Gürtel aus getrocknetem Ziegenfell, der mit zwei Riemen befestigt war. Im Gürtel trug er bei allen Ausgängen eine kleine Säge an einer Seite, ein Beil an der andern Seite. Und wenn er auf die Jagd ging, hatte er noch zwei Beutel mit Pulver und Schrot und einen Korb auf dem Rücken. Sein Bart war lang geworden, aber doch nicht verwildert, da er ja Messer und Schere besaß, um ihn zu schneiden. Wenn jemand Robinson so gesehen hätte, dann hätte er gewiß den Kopf geschüttelt. 7.

Wie Robinson Getreide säte und erntete.

Einmal, im ersten Jahre seines Aufenthaltes auf der Insel, als Robinson unter seinen Sachen kramte, sand er ein Säckchen, worin noch einige Getreidekörner waren- die im Schiff zum Füttern der Hühner benutzt worden waren. Weil er damals das Säckchen zur Aufbewahrung von Pulver brauchen wollte, schüttete er die Körner aus. Einen Monat später sah er an der Stelle grüne Halme, daraus wuchsen zehn oder zwölf Gerstenähren. Als Robinson diese zuerst bemerkte, glaubte er anfangs, Gott hätte ihm zuliebe ein Wunder getan und für ihn Getreide wachsen lassen, bis ihm dann einfiel, daß er an jener Stelle das Säckchen aus­ geleert hatte. Als er genauer hinsah, bemerkte er auch einige Reisähren. Er ließ die Ähren reif werden, pflückte sie dann sorgsam ab, schälte die Körner mit den Händen heraus und bewahrte sie auf, um sie später zu säen. Als die Regen-

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zeit vorbei war, grub er ein kleines Stück von seinem Gras-platz um und säte die Körner hinein, aber eine Handvoll behielt er zurück. Weil aber die trockene Jahreszeit nicht geeignet war zum Wachsen des Kornes, so ging kein einziges Korn auf. Da säte er in Februar die Handvoll Getreide, die er noch verwahrt hatte, das ging auf und brachte ihm eine halbe Metze Gerste und eine halbe Metze Reis. Jetzt wußte er, daß er zweimal im Jahr säen und ernten konnte, nur mußte jedesmal vor der Regenzeit gesät werden. Er verwahrte darum alles eingeerntete Korn noch ein halbes Jahr lang, dann säte er es aus; er schleifte einen großen Baumast darüber hin, damit die Körner mit Erde zugedeckt und nicht von Tieren gefressen würden, das war dann geeggt. In kurzer Zeit wuchs ein ganzes Feld voll Korn üppig heran. Aber da kamen wilde Ziegen und Tiere, die ähnlich wie Hasen aussahen, und fraßen viele von den grünen Halmen ab; und als die Ähren reif wurden, kamen ganze Scharen von Vögeln und pickten die Körner aus den Ähren. Da lauerte er den Vögeln aus und schoß drei Stück tot, die hängte er an Pfählen in sein Getreidefeld. Da bekamen ihre Gesellen Angst und blieben fort. Um die Weihnachtszeit konnte das Getreide geschnitten werden. Er nahm einen der Säbel, die er aus dem Schiff gerettet hatte, schnitt nur die Ähren ab, nicht die Halme, und trug sie in großen Körben nach Hause. Er entkörnte die Ähren mit den Händen und hatte nun zwei Scheffel Reis und beinahe drei Scheffel Gerste. Er beschloß, auch davon nichts zu essen, sondern alles nach einem halben Jahr wieder zu säen. In der Zwischenzeit wollte er überlegen, wie er Brot backen könnte.

8. WieNobinsonsichBrot machte. Um Brot zu backen, brauchte Robinson allerdings viele Werkzeuge, zuerst mußte er etwas haben, womit er das Korn von der Spreu trennen konnte, dann brauchte er eine Mühle, um das Korn zu Mehl zu mahlen, er brauchte ein Sieb, um Mehl und Kleien zu scheiden, er brauchte Hefe, Hessel, Lesebuch 2. 13. Huff. 18

Robinson Crusoe.

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um einen Teig zu machen, er brauchte endlich einen Back­ ofen, um das Brot zu backen. Die Spreu, so dachte er, könnte man ja von den Körnern trennen, wenn man die Körner im Winde mit einer Schaufel in die Höhe würfe, dann nähme der Wind die Spreu schon von selbst fort. Aber wie sollte er die Körner mahlen? Er konnte doch für sich allein keine Mühle bauen. Aber Robinson dachte, ein Mörser wäre auch gut genug, um das Korn zu zermahlen. Er fällte einen Baum und machte aus dem Stamm einen Holzklotz. Mit unsäg­ licher Mühe brannte er eine Höhlung hinein, die er mit dem Messer noch abrundete. Dann machte er sich eine Holzkeule, das war der Stößel. Ein Sieb ließ sich aus dünnem Baumwollenzeug bereiten, das er ja noch in Masse besaß. Auf Hefe verzichtete er, aber einen Backofen brachte er fertig. Er machte sich einige flache irdene Gefäße, zwei Fuß im Durchmesser und einen halben Fuß hoch. Dann machte er auf seinem Herde, den er aus einigen von ihm in der Sonne gebackenen Ziegeln gebaut hatte, ein großes Feuer an und ließ die heiße Asche liegen, bis alle Ziegel des Herdes ganz heiß waren. Dann fegte er die Asche ab, legte den mit Wasser und Salz gekneteten Brotteig darauf, stülpte die flachen Schüsseln darüber und häufte die heiße Asche von außen um die Schüsseln herum. Von Zeit zu Zeit sah er nach, und endlich waren köstlich duftende Brote herrlich gebacken. Nach und nach vermehrten sich seine Kornvorräte so, daß er immer viel mehr hatte, als er in einem Jahre ver­ brauchen konnte. Er lernte auch andere Speisen aus Mehl bereiten, Pudding, Brei und Suppe, Pfannkuchen und kleine Brötchen.

9.

Wie Robinson sich eine Ziegenherde verschaffte.

Ein Jahr verging um das andere, und jede Hoffnung auf Rettung schien verloren, das Pulver war sehr knapp geworden, und Robinson mußte daran denken, sich Tiere

275

Nummer 220,9 und 10.

lebend einzusangen. Er versuchte es mit Schlingen, aber die waren nicht stark genug, die Tiere zerrissen sie wieder. Dann legte er eine Fallgrube an, in die er Korn hinein­ streute, und eines Tages fingen sich wirklich drei junge Ziegen in der Grube. Er band ihnen die Beine mit Stricken zusammen und trug sie nach Hause. Dort band er sie an einen Pflock und ließ sie grasen, gab ihnen auch dazwischen Gerstenähren oder Reis, so daß sie bald ganz zahm wurden und ihm aus der Hand fraßen. Drei Monate arbeitete Robinson daran, ein Stück Wiese mit einem Zaun zu um­ geben. Als die Einfassung fertig war, führte er die Ziegen hinein. Sie folgten ihm willig, und nun hatte er also eine Herde. Nach zwei Jahren bekamen einige seiner Schützlinge junge Lämmchen, und nach zwei Jahren hatte er schon drei­ undvierzig Tiere. Er machte noch mehrere eingezäunte Weide­ plätze, und von nun an hatte er Fleisch, soviel er essen konnte, und Ziegenmilch, soviel er trinken konnte. Und was er von der Milch nicht genießen konnte, gab Sauermilch, Käse und Butter. Der Hund war immer älter und steifer geworden und schließlich an Altersschwäche gestorben, aber von den Katzen hatte die eine junge Kätzchen bekommen, und zuletzt waren so viele Katzen da, daß die meisten wegliefen und wild wurden. Der Papagei aber blieb am Leben und erfreute ihn durch sein zutrauliches Wesen und durch sein Ge­ schwätz, denn wenn Robinson einmal laut etwas zu sich selbst sagte, merkte sich's das Papchen ganz genau und brachte das Gelernte dann vor, es mochte passen oder nicht passen. 10.

Wie Robinson eine Seereise unternahm.

Als Robinson es so weit gebracht hatte, daß er keine Sorgen mehr zu haben brauchte um Nahrung, Kleidung und Wohnung, war sein Mut so gewachsen, daß er darüber nachdachte, ob er nicht aus eigener Kraft die Insel ver­ lassen und ein bewohntes Land aussuchen könnte. Dazu mußte er aber ein Boot haben. Zwei Jahre arbeitete er daran, einen großen Baumstamm auszuhöhlen und ihn in 18*

276

Robinson Crusoe.

ein kleines Boot zu verwandeln. Damit wollte er zunächst einmal um die ganze Insel herumsegeln. Mast und Segel hatte er, diese brachte er in dem Boot mit leichter Mühe an, er hatte auch Ruder und zimmerte sich einen mit Brettern bedeckten Raum, worin Lebensmittel und Schießbedarf trocken verwahrt werden konnten, selbst eine Art Anker hatte er sich aus Eisen zurecht gemacht. Und nun stieß er vom Lande ab und wollte zur Probe einmal um die ganze Insel herum fahren. Auf einmal erfaßte ihn eine Strömung, gegen die er nicht anrudern konnte. Kein Wind kam ihm zu Hilfe, und er geriet immer weiter ins offene Meer hinein. Kaum konnte er seine Insel noch sehen; da erhob sich ein leichter Wind, der immer stärker wurde, so daß es möglich war, das Segel aufzuspannen. Jetzt ging es denn wieder nach dem Lande zu, und nach einer Weile kam er zum Glück in eine andere Strömung, die landeinwärts ging. Das Boot flog auf die Küste zu, und Robinson landete wieder. Er fiel auf die Knie und dankte Gott inbrünstig, daß er ihn gerettet hatte. Jeden Gedanken, daß er mit einem so er­ bärmlichen Fahrzeug sich ans Festland retten könnte, gab er nun auf und dachte nur daran, wie er wieder heim käme. Er stieg wieder ins Boot und fuhr dicht an der Küste hin, bis er in eine kleine Bucht kam; in die ruderte er hinein, bis sie sich ganz verengte und nun einen Bach bildete. Darin lag das Boot so sicher wie in einem Bett, und Robinson konnte getrost ans Land steigen, um auszukuudschasten, wo er wäre. Er merkte bald, daß er hier schon einmal gewesen war, und nach einem mehrstündigen Marsch kam er denn auch glücklich an seinem wohlbekannten Festungszaune an. Er stieg hinüber und schlief sofort vor Müdigkeit ein. Wie überrascht war er, als er nach einiger Zeit aus dem Schlaf geweckt wurde durch eine Stimme, die immerzu rief: Robin, Robinson, armer Crusoe, wo bist du? wo bist du gewesen? Er wußte gar nicht, was er dazu sagen sollte, aber ach! es war kein Mensch, sondern es war sein Papchen. Er selbst hatte so oft int Selbstgespräch diese

277

Nummer 220,11.

Worte gesagt, daß der Papagei sie ausgeschnappt und jetzt wiederholte. Diesmal paßte es gut.

hatte

11. WieRobinsoneinenGefährtenbekam.

Als Robinson eines Tages nach seinem Boote ging, um zu sehen, wie er es näher an seine Wohnung bringen könnte, sah er im Usersand ganz deutlich den Abdruck eines nackten menschlichen Fußes. Da stand er wie vom Donner gerührt still. Er horchte, er sah um sich, er erstieg einen Hügel, er ging an der Küste entlang, aber er fand keine weiteren Fußspuren, als nur die eine. Er sah immer wieder die Fuß­ spur an, aber es war nicht anders, es war die Spur eines Menschenfußes. Man sah alle Zehen, die Sohle und die Ferse. Es war der linke Fuß und nur der eine. Wie war dieser Mensch hierhergekommen? Wo war er jetzt? Wie außer sich wanderte Robinson in seine Festung zurück, oder vielmehr er floh wie ein verfolgtes Wild. Er konnte den ganzen Tag an nichts anderes denken als an die Fußspur, und die ganze Woche und den ganzen Monat.nichts anderes. Tag und Nacht malte er sich aus, daß Wilde kämen, die ihn totschlügen. Er las in der Bibel und fand den Spruch: Rufe mich an in der Not, und ich will dich erretten, und du sollst mich preisen! Das tröstete ihn wieder etwas. Fünfzehn Jahre war er jetzt auf der Insel und hatte all die Zeit über kein menschliches Geschöpf erblickt. Und jetzt auf einmal waren doch Menschen da gewesen. Er gab sich jetzt daran und machte den Wall um seine Wohnung zehn Fuß dick, indem er Erde aufschüttete und sie feststampfte. Er legte seine sieben Gewehre wie Kanonen gegen den Wall, daß er sie alle hintereinander abschießen könnte, wenn er belagert würde. Dann legte er sich in weiter Entfernung von seiner Wohnung, tief im Walde, eine dritte Umzäunung an und brachte dorthinzehn Ziegen, damit er im Notfall dorthin fliehen könnte.Dann suchte er einen Platz, wo sich Werkzeuge und Lebensmittel verstecken ließen. Dabei kam er an das andereEnde der Insel, wo er vorher nie gewesen war. Was sah er da? Es lagen auf der Erde viele

278

Robinson Crusoe.

Menschenknochen und Menschenschädel, und rundum war ein tiefer Graben im Kreis herum gezogen, und man sah auch, daß hier ein Feuer gebrannt hatte. Kurzum, an diese Stelle kamen sicherlich zuweilen die Wilden von andern Inseln herübergefahren und feierten Siegesfeste, wobei sie die Gefangenen, die sie mitschleppten, töteten und fraßen. Robinson war so entsetzt darüber und bekam nun solche Angst, die Wilden kämen wieder, daß er wieder nach Hause lief und nicht mehr wagte, ein Gewehr abzuschießen, weil sonst die Wilden vielleicht den Knall hören und ihn finden könnten. Er hatte ja auch zahme Ziegen genug, die ihn mit Milch und Fleisch versorgten, er brauchte gar keine wilden Ziegen zu schießen. Sein Boot ruderte er in eine Bucht, wohin die Wilden niemals kamen, weil dort die Strömung des Meeres zu stark war. Aber als ein ganzes Jahr verging und noch eins und noch eins, ohne daß Wilde sich zeigten, beruhigte sich Ro­ binson endlich wieder. Doch eines Morgens sah er auf der Jnselseite, wo er wohnte, fünf Kähne auf einmal am Ufer liegen. Aber es war niemand in den Kähnen. Er trug alle seine Gewehre an den Fuß der Leiter und- stieg mit seinem Fernrohr den Hügel hinauf. Da sah er, daß gar nicht so sehr weit von ihm ungefähr dreißig Wilde um ein Feuer lagerten und sich Fleisch brieten. Dann tanzten sie mit merkwürdigen Grimassen um das Feuer. Auf einmal liefen einige an die Kähne und schleppten zwei gefesselte Menschen, die auf dem Boden eines Kahnes gelegen hatten, ans Feuer. Man band sie los, und Robinson sah, wie der eine mit einer Keule erschlagen wurde, aber als der andere an die Reihe kommen sollte, da lief er auf einmal so schnell wie ein Hase fort, gerade auf die Gegend los, wo Robinson wohnte, zwei andere ihm nach. Aber der Entflohene lief viel schneller als diese. Zwischen den Wilden und Robinsons Festung war noch die Bucht, wo Robinson zuerst mit seinem Floß gelandet war. Als der Flüchtling dort angelangt war, sprang er ohne weiteres ins Wasser, schwamm hindurch, kletterte ans Land und rannte weiter. Die andern brauchten noch einmal so lang,

Nummer 220,11

2T9

bis sie durch die Bucht geschwommen waren. Da dachte Robinson, er wollte dem armen Opfer helfen. Er sprang den Hügel hinunter, holte sich zwei Gewehre, dann wieder hinauf und auf das Meer zu, so daß er zwischen den Flücht­ ling und die Verfolger kam. Er rief laut, und wie der erste Verfolger näher kam, drehte er das Gewehr um und schlug ihn nieder. Der andere Verfolger hatte Bogen und Pfeile bei sich und wollte schießen. Da nahm Robinson sein Gewehr und schoß ihn tot. Der Flüchtling blieb stehen, aber als Robinson ihm winkte, kam er näher, blieb wieder stehen, kam endlich herbei und kniete nieder. Er küßte die Erde, ergriff dann Robinsons Fuß und stellte ihn auf seinen Kopf, das sollte heißen, er wolle sein Sklave sein. Dann machte er ein Zeichen, Robinson solle ihm seinen Säbel geben, den er ohne Scheide an der Seite hängen hatte. Und mit dem Säbel hieb er dem andern Feinde, den Robinson nieder­ geschmettert hatte, den Kopf ab. Dann scharrte er mit den Händen den lockeren Sand auf und begrub die jwei Feinde. Robinson führte den Geretteten in seine Wohnung. Dort schlief er rasch ein. Es war ein kräftiger, großer Jüngling, vielleicht zwanzig Jahre alt, braungelb von Haut, mit langen schwarzen Haaren, mit schmalen Lippen und schneeweißen Zähnen. Als er wach wurde, setzte er nochmals Robinsons Fuß auf seinen Kopf und zeigte auf jede Art seine Dank­ barkeit. Die andern Wilden kamen nicht wieder, und auch ihre Kähne waren verschwunden. Weil es ein Freitag war, so nannte Robinson seinen neuen Gefährten Freitag und gab sich gleich daran, ihn sprechen zu lehren. Er mußte den Robinson Herr anreden, und Ja und Nein lernte er auch gleich sagen. Er lernte auch Milch trinken und Brot essen und bekam auch Kleider, eine Jacke aus Ziegenfell und Hosen und Mütze aus andern Fellen. Anfangs war ihm das sehr unbequem, aber bald gewöhnte er sich daran, und es dauerte nicht lange, so verstand er alles, was sein Herr sagte, und konnte selbst auch sprechen, was er wollte.

280

Robinson Crusoe.

Wie Robinson die Insel verließ nnd in seine Heimat zurückkam. Drei Jahre lang lebte Robinson noch mit Freitag zu­ sammen auf der Insel, und das waren die drei glücklichsten Jahre seines dortigen Aufenthaltes. Denn kein Mensch kann sich vollkommen glücklich fühlen, wenn er immer ganz allein ist, auch wenn es ihm ganz gut geht. Der Mensch muß andere Menschen haben, mit denen er sprechen kann, denen er er­ zählen kann, wenn er sich über etwas freut oder über etwas traurig ist. Die Menschen müssen auch einer dem andern raten und helfen. Freitag lernte alles lehr schnell; er fürchtete sich an­ fangs sehr, wenn ein Gewehr knallte, aber bald schoß er selbst damit, und zwar sehr sicher und geschickt. Er lernte kochen und backen, arbeiten und anständig essen. Er schwatzte den ganzen Tag, ließ sich von Robinson erzählen und er­ zählte diesem auch vieles Neue und Merkwürdige. Robinson erfuhr nun, daß diese Insel, die jetzt von zwei Menschen be­ wohnt war, wirklich zur karaibischen Inselgruppe gehörte, wie er längst vermutet hatte; er erfuhr, daß die Meeres­ strömungen um die Insel herum von der Mündung des Orinokostromes herrührten, daß das große Land, das man in weiter Ferne erblickte, die Insel Trinidad sei. Er er­ fühl, daß die Bewohner der karaibischen Inseln oft Krieg miteinander führten und dann die Gefangenen schlachteten und auffräßen. Um das ungestört tun zu können, führen sie dann oft in ihren Booten an ganz bestimmte Punkte von Robinsons Insel, wo die Strömung das Boot regelmäßig hintrieb. Indem sie dann von einer anderen Meeresströmung sich treiben ließen, so erzählte Freitag, führen sie wieder in ihre Heimat zurück. Robinson wieder unterwies den Freitag in den Gesetzen der Schicklichkeit und in den Grund­ lehren der christlichen Religion, er flößte ihm Abscheu ein vor der entsetzlichen Menschenfresserei, er lehrte ihn zu Gott beten, der Himmel und Erde geschaffen hat und doch wieder über jeden einzelnen Menschen wacht, ihm rät und hilft. Frei­ tag war von Anfang an dem Robinson so innig ergeben, daß 12.

Nummer 220,12.

281

er alles tat, was dieser ihm befahl. Freitag wußte, daß Robinson ihm das Leben gerettet hatte, und war dafür dank­ bar. Robinson hätte ihn schlagen dürfen, was niemals ge­ schah, ja, er hätte ihn töten dürfen, und Freitag hätte das ganz in der Ordnung gefunden. Robinson überlegte mit Freitag, ob sie nicht zusammen in ihrem Boot nach der Insel fahren wollten, wo Freitag her war. Freitag glaubte, daß für zwei Menschen das Boot zu klein wäre. Dann schlug Robinson vor, sie wollten zusammen ein größeres Boot bauen, aber Freitag schüttelte den Kopf. Er hatte Angst, dem Robinson würde es unter seinem Volke schlecht ergehen, und er selbst wollte auch nicht wieder ein Menschenfresser werden. Aber Robinson wollte auch nicht immer unter den Menschenfressern wohnen, er hoffte nur, er fände dort eher Gelegenheit, auf das Fest­ land zu weißen Menschen zu kommen. Vielleicht wäre die Sehnsucht Robinsons, endlich wieder in seine Heimat^zu gelangen, doch stärker gewesen als Freitags Furcht, viel­ leicht hätten sie doch zusammen die große Seereise gewagt, aber da kam etwas ganz Unerwartetes dazwischen. Freitag war eines Tages auf die andere Seite der Insel geschickt worden, um Früchte zu holen. Früher, als er sollte, kam er zurück, aber er kam in atemlosen Laufe gestürzt und rief immer: Sie kommen, sie kommen! Robinson er­ schrak heftig, denn er glaubte, die Menschenfresser wären wieder gelandet. Aber die waren es nicht, sondern es war ein Schiff mit der englischen Flagge, das in der Nähe ihrer Insel vor Anker lag. Ein Boot war ans Land gefahren, und Robinson und Freitag sahen drei Männer gefesselt am Lande liegen. Sie gingen zu ihnen hin; da sagte einer der drei Männer, er wäre der Kapitän des Schiffes, und die andern beiden wären die zwei Schiffsoffiziere. Die Schiffsmannschaft hätte gemeutert und hätte sie hier ans Land gebracht. Sie flehten, Robinson solle sie doch befreien. Da schnitt Robinson die Stricke entzwei, womit die drei Männer gebunden waren. Die Meuterer hatten sich im SBafh zerstreut, um Früchte zu suchen. Die auf dem Schiffe wären nicht so schlimm, das

282

Robinson Snifoe.

wären die Verführten, sagte brr Kapitän, aber die hier ans Land gegangen wären, das wären die Rädelsführer. Ro­ binson nahm die drei Männer mit in seine Burg, und sie be­ rieten, wie sie wieder in den Besitz ihres Schiffes kommen könnten. Alle fünf Männer versahen sich mit Flinten unb kehrten dorthin zurück, wo das Boot lag. Nach einiger Zeit kamen die sieben Meuterer aus dem Walde zurück, da wurden sie mit Schüssen empfangen. Der Kapitän und sein erster Offizier erschossen die zwei Hauptmeuterer, zwei andere wur­ den verwundet, und die übrigen flehten um Gnade. Sie wurden überwältigt und mit denselben Stricken gebunden, womit sie vorher ihre Vorgesetzten gebunden hatten. Robinson erzählte dem Kapitän in aller Schnelligkeit, wie er auf die Insel gekommen sei, und wie er hier gelebt hätte. Er war bereit, gleich mit ihm fortzusahren in seine Heimat, und Freitag ging auch gerne mit. Als die drei Meuterer hörten, daß man hier ganz gut leben könnte, baten sie inständig, man möge sie doch hier lassen, das wäre ihnen lieber, als nach England zurückzukehren und dort gehängt zu werden. Robinson freute sich darüber sehr, denn so gern er auch in die Heimat zurückkehrte, so leid tat es ihm doch auch, seine Festung und seine Felder und seine Herden auf immer zu verlassen. Er erklärte den drei Meuterern, die man losgebunden hatte, alles, was sie hier tun müßten, um zu leben, dann holte er sich das Geld, vas er damals vom Schiff gerettet hatte. Es lag noch an derselben Stelle, wo er es vor jetzt fünfundzwanzig Jahren versteckt hatte, und er mußte es erst lange putzen, denn man sah nicht mehr, was Silber und Gold war. Dann hängte er sich seine beste Flinte um und schickte sich mit Tränen im Auge an, zu gehen. Die Ziegen meckerten und leckten ihm die Hand, als er sie zum Abschied streichelte, das Papchen aber kam herbei und sagte: Robin, Robinson, armer Crusoe, wo bist du? Da setzte er das Papchen auf die Schulter und nahm es auch mit. Und den Regenschirm auch. Freitag g'ng hinterher. Als sie an das Schiff fuhren, merkte die Mannschaft gleich, was geschehen sein mußte, und alle sechs oder sieben

Nummer 220,12.

283

Matrosen, die noch dort waren, standen da und schauten ver­ wundert nach dem Boote. Der Kapitän und die andern hatten die geladenen Gewehre im Arm und riefen der Mannschaft von weitem zu, sie sollten sich ergeben. Das war aber nicht nötig, denn sie zitterten und flehten um Gnade. Der Kapitän nahm wieder Besitz von seinem Schiffe, und alles wurde gütlich geordnet. Der Kapitän gab dem Robinson einen schönen neuen Anzug, aber Robinson nahm seine Felllleider zum Andenken mit. Sie fuhren noch einmal ans Land, denn Robinson wollte den Schiffsleuten von seinen Vorräten noch allerlei schenken, Fleisch und Mehl und Früchte, frisches Wasser und einige lebende Ziegen. Das wurde alles mitgenommen. Am 19. Dezember 1684 verließ Robinson das Eiland, nach­ dem er 25 Jahre, 2 Monate und 19 Tage darauf zu­ gebracht hatte. Nach einer langen Fahrt kam er int folgenden Jahre in seiner Heimat an; dort lebten noch zwei Schwestern von ihm und zwei Kinder seines jüngsten Bruders, die freuten sich alle, als er ankam, denn sie hatten gedacht, Robinson wäre längst gestorben.

284

Rechtschreibung.

Aechtschreibung (KrLhographie). Kur» gesprochene Selbstlaute (Vokale). 1. Oft wird ein Selbstlaut (Vokal) kurz ausgesprochen, ohne daß dies beim Schreiben bezeichnet wird: Berg, Win­ ter, Arm, Hund, Ärmel, Wörter, arg, fürchte, unser, oft.

2. Nach einem kurzen Selbstlaut (Vokal) wird oft der Mitlaut (Konsonant) doppelt geschrieben: fallen, fällt, Fall, treffen, triffst, trifft, Herr, Mutter, offen, dürr, wenn. 3. Für doppeltes k schreibt man in deutschen Wör­ tern et: Bäcker, nackt, lecken.

Lang gesprochene Selbstlaute (Vokale). 4. Oft wird ein Selbstlaut (Vokal) lang gesprochen, ohne daß dies beim Schreiben besonders bezeichnet wird: Fibel, Bibel, Igel, Märchen, Name, Schaf, Maß, Tal, öl, ewig, selig, uralt, spät, geben, holen, lösen, wir, mir, dir, oder, nur. 5. Aus ein langes i folgt in deutschen Wörtern oft e: Liebe, Lied, Sieg, flieg, spielt, liegen, blieb, vier, sie­ ben, wie. Ausnahmen find die Fürwörter (Pronomina): ihm, ihn, ihnen, ihr, ihre, ihrem, ihren, ihrer. 6. Nach langem Selbstlaut (Vokal) steht oft h, be­ sonders vor l, m, n, r: Zahl, Mehl, Rahm, Hahn, Kahn, Jahr, Gefahr, Lehrer, kahl, hohl, ähnlich, kühn, wahr, befehlen, stehlen, nehmen, wohnen, kehren; wohl, mehr, sehr, ohne; ferner in: Kuh, Reh, Schuh, Stroh, Vieh, Zehe, Höhe, früh, Frühling, nahe, rauh, roh, froh, fröh­ lich, höher, blühen, gehen, ruhen, sehen, stehen, ziehen, zehn, ehe.

7. Zuweilen schreibt man den langen Selbstlaut (Vokal) doppelt: Aal, Aar, Haar, Paar, Saal, Beet, Klee, Meer, Schnee, See, teer, leeren, Boot, Moos.

Rechtschreibung.

286

Einige Besonderheiten. 8. Zuweilen wird in Namen ein h geschrieben, ohne daß es ausgesprochen wird: Rhein; ost geschieht dies in Fremdwörtern nach t: Apotheke, Hypothek, Katharine, Katheder, Katholik, Martha, Mathematik, Matthäus, Matthias, Theater, Theodor, Therese, Thermometer, Thron. 9. Man schreibt dt in: sandte, wandte, lädt, gesandt, perwandt, Stadt. 10. Man schreibt: Essig, Honig, Käsig, König, Pfennig; Hedwig, Ludwig; aber: Kranich, Psirsich, Teppich. Fähnrich, Rettich, Heinrich. 11. Man schreibt für ks: flugs, links, Häcksel, Knicks, Klecks; aber auch: Ochse, Büchse; Dachs, Flachs, Fuchs, Lachs, Wachs, sechs; Axt, Hexe, Nixe, Max. 12. Man schreibt statt f in manchen Fremdwörtern ph: Philipp, Philister, Prophet, Photograph, Sophie, Typhus. 13. Nur zwischen zwei kurzen Selbstlauten (Vokalen) wird ss geschrieben: Masse, Schlösser, essen, müssen, Gleich­ nisse; sonst schreibt man ß: Mast, Schloß, groß, ißt, muß, bloß, oder Schlußes im Auslaut, auch in Zusammensetzun­ gen: Gleichnis, Gans, lies, das (das Haus), es, was, als, bis, Dienstag. 14. Statt ts steht oft z oder nach kurzem Vokal tz: Rätsel, Lotse, seltsam, stets, vorwärts; aber Salz, schwarz, Katze, Spitz, Satz, Fritz.

15. In Fremdwörtern und Namen wird manchmal fi statt zi geschrieben: Patient, Portion, Station. 16. In Fremdwörtern und Namen wird manchmal ch statt k oder sch geschrieben: Christ, Christoph, Choral, Chef, Chaise, Charlotte.

Große Anfangsbuchstaben. 17. Mit großem Anfangsbuchstaben schreibt man alle Hauptwörter (Substantive): Vater, Mutter, Kind, Karl;

286

Rechtschreibung.

Grammatik.

ebenso Wörter aller Art, wenn sie als Hauptwörter (Sub­ stantive) gebraucht werden: der Nächste, die Armen, das Deutsche, etwas Schönes. 18. Mit großem Anfangsbuchstaben schreibt man das erste Wort im Satze, in Gedichten gewöhnlich auch das erste Wort jeder Verszeile.

Grammatik. Die Laute der Sprache teilen wir in Selbst­ laute (Vokale) und Mitlaute (Konsonanten). Die Selbstlaute (Vokale) sind: i, e, ä, a, ü, u, ö, o; ä, ü, ö heißen Umlaute. Es gibt auch Doppelvokale Diphthonge): ai, ei, au, eu (äu), ui.

Die Mitlaute (Konsonanten) sind: h; p, t, f; b, b, g; f, 6 (reiße, Fuß) sch (Schuh), ch (ich, ach); j; l, ni, n, ng (lang), r, w, s (Reise).

Sprechsilben nennt man die Silben, wie man sie bei langsamem Sprechen eines mehrsilbigen Wortes hört: Ge-burts-tags-ge-schenk; danach trennt man die Wörter; st bleibt .ungetrennt: Fen-ster.

Wir unterscheiden neun Wortarten:

1. Hauptwort

(Substantiv): der Lehrer (1. Fall, Nominativ) kommt; des Lehrers (2. Fall, Genetiv) Befehl; dem Lehrer (3. Fall, Dativ) gehorche ich; den Lehrer (4. Fall, Akkusativ) liebe ich. Dies heißt Einzahl (Singular). Mehrzahl (Plural) ist: die Lehrer kommen. — Ein Lehrer, ein strenger Leh­ rer, unser Lehrer.

2. Fürwort

(Pronomen): ich, du, er, sie, es; wir, ihr, sie; mein, dein, sein, ihr, sein, unser, euer, ihr; die­ ser Mann, jene Frau, welches Kind? wer? was? jemand, niemand, viele. Vergiß mein nicht, gib mir das Buch, laß mich in Ruhe.

286

Rechtschreibung.

Grammatik.

ebenso Wörter aller Art, wenn sie als Hauptwörter (Sub­ stantive) gebraucht werden: der Nächste, die Armen, das Deutsche, etwas Schönes. 18. Mit großem Anfangsbuchstaben schreibt man das erste Wort im Satze, in Gedichten gewöhnlich auch das erste Wort jeder Verszeile.

Grammatik. Die Laute der Sprache teilen wir in Selbst­ laute (Vokale) und Mitlaute (Konsonanten). Die Selbstlaute (Vokale) sind: i, e, ä, a, ü, u, ö, o; ä, ü, ö heißen Umlaute. Es gibt auch Doppelvokale Diphthonge): ai, ei, au, eu (äu), ui.

Die Mitlaute (Konsonanten) sind: h; p, t, f; b, b, g; f, 6 (reiße, Fuß) sch (Schuh), ch (ich, ach); j; l, ni, n, ng (lang), r, w, s (Reise).

Sprechsilben nennt man die Silben, wie man sie bei langsamem Sprechen eines mehrsilbigen Wortes hört: Ge-burts-tags-ge-schenk; danach trennt man die Wörter; st bleibt .ungetrennt: Fen-ster.

Wir unterscheiden neun Wortarten:

1. Hauptwort

(Substantiv): der Lehrer (1. Fall, Nominativ) kommt; des Lehrers (2. Fall, Genetiv) Befehl; dem Lehrer (3. Fall, Dativ) gehorche ich; den Lehrer (4. Fall, Akkusativ) liebe ich. Dies heißt Einzahl (Singular). Mehrzahl (Plural) ist: die Lehrer kommen. — Ein Lehrer, ein strenger Leh­ rer, unser Lehrer.

2. Fürwort

(Pronomen): ich, du, er, sie, es; wir, ihr, sie; mein, dein, sein, ihr, sein, unser, euer, ihr; die­ ser Mann, jene Frau, welches Kind? wer? was? jemand, niemand, viele. Vergiß mein nicht, gib mir das Buch, laß mich in Ruhe.

287

Grammatik.

3. Eigenschaftswort oder Beiwort (Adjektiv): der liebe Vater, die gute Mutter, das brave Kind; ein strenger Lehrer, eine vergnügte Stunde, ein böses Wort; der Lehrer ist streng. Man kann die Adjektive auch steigern (komparieren): das große Haus, das größere Haus, das größte Haus; unser Haus ist groß, eueres ist größer, das Schul­ haus ist das größte (am größten).

4, Zahlwort (Numerale): eins, zwei, drei, hundert, tausend; der erste, der zweite, der zwanzigste. 8. Zeitwort (Verb): singen; ich singe, du sangst, singe, singend; das Lied wird gesungen, wurde gesungen, ich spiele, du spieltest, spielend, gespielt.

6. Umstandswort (Adverb): wie ging das? leicht; wo bist du? hier; wann kommst du? heute. 7. Verhältniswort (Präposition): mit der Feder, auf der Tafel, auf die Tafel, an dem Tisch, an den Tisch, während der Stunde.

8. Bindewort (Konjunktion): und, auch, oder, aber, doch, daß, weil, ehe.

Empfindungswort (Interjektion):

9.

au!

ach!

Pfui! bst!

Wir unterscheiden fünf Satzteile:

1. Subjekt: Das fleißige Kind kommt früh. 2. Prädikat

(finites

Verb):

Das

fleißige

Kind

kommt.

3. Attribut: Das fleißige Kind kommt früh. 4. Objekt: Karl macht seine Arbeiten; Karl hilft seinen Eltern; Vergiß mein nicht.

8. Adverbiale: Das Kind kommt früh in die Schule.

Grammatik.

288

Nachsilben. Bei dem Substantiv Männlein ist Mann die Stammsilbe, lein die Nachsilbe. Andere Nach­ silben sind in: Bübchen, Klugheit, Dankbarkeit, Jüng­ ling, Festung, Gleichnis, Herrschaft, Irrtum, Schicksal, Rätsel, Königin, Lehrer, Spielerei. — Wjektive mit Nach­ silben: lustig, königlich, kindisch, furchtbar, furchtsam, bos­ haft, golden.

Vorsilben zur Bildung von

Hauptwörrern sind: Gebirge, Unglück, Urlaub, Antwort, Mißfallen; von Eigenschaftswörtern: unwahr, gerecht; von Zeit­ wörtern: gehorchen, entfliehen, erblühen, verblühen, zer­ brechen, mißbrauchen, bedecken. Zusammengesetzte Wörter sind: Haustür, Dumm­ kopf, Nachmittag, Tagedieb, Geburtstag, Sonnenschein; wunderschön, dunkelblau; widersprechen.

Erläuterungen Nr. 6 (Nachtgebet): Deine Gnad in Jesu Blut soll heißen, Gott sei den Menschen gnädig wegen des Bersöhnungstodes Jesu; die Lesart „und Jesu Blut" rührt nicht von der Dich­ terin her. Nr. 35 (Knecht Ruprecht): fressen bedeutet eigentlich veressen, d. h. alles aufessen, und das tun nicht bloß Tiere, sondern auch Kinder, wenn ihnen etwas gut schmeckt. Nr. 76. (Die Kornähre): Man vgl. damit die Sage von Frau Hütt 'S. 172. Nr. 84 (Heil dir im Siegerkranz): Das Lied war dem König von Dänemark gewidmet, wurde aber auf König Friedrich Wilhelm II. von Preußen angewandt. Nr. 106 (Allerlei Spielplätze): ausschenken, provinziell für zu­ werfen, in die Höhe werfen. Nr. 121 (Kellerwohnung): Rietenspliet — Reiß in Splitter; Leich­ dörner---Hühneraugen; Holtentüffeldirn = Holzpantoffel­ dirn; Grand = Sand. Nr. 124 (Die Feuerwehr): Wonehm is dat Füer? ick weet ook nich — Wo ist das Feuer? ich weiß auch nicht. Nr. 126 (Nach Regen Sonnenschein): Tresen — Ladentisch; man — nur; die hier erwähnte Mühle ist eine Wind­ mühle; das Schauer — die Scheuer oder Scheune.

Grammatik.

288

Nachsilben. Bei dem Substantiv Männlein ist Mann die Stammsilbe, lein die Nachsilbe. Andere Nach­ silben sind in: Bübchen, Klugheit, Dankbarkeit, Jüng­ ling, Festung, Gleichnis, Herrschaft, Irrtum, Schicksal, Rätsel, Königin, Lehrer, Spielerei. — Wjektive mit Nach­ silben: lustig, königlich, kindisch, furchtbar, furchtsam, bos­ haft, golden.

Vorsilben zur Bildung von

Hauptwörrern sind: Gebirge, Unglück, Urlaub, Antwort, Mißfallen; von Eigenschaftswörtern: unwahr, gerecht; von Zeit­ wörtern: gehorchen, entfliehen, erblühen, verblühen, zer­ brechen, mißbrauchen, bedecken. Zusammengesetzte Wörter sind: Haustür, Dumm­ kopf, Nachmittag, Tagedieb, Geburtstag, Sonnenschein; wunderschön, dunkelblau; widersprechen.

Erläuterungen Nr. 6 (Nachtgebet): Deine Gnad in Jesu Blut soll heißen, Gott sei den Menschen gnädig wegen des Bersöhnungstodes Jesu; die Lesart „und Jesu Blut" rührt nicht von der Dich­ terin her. Nr. 35 (Knecht Ruprecht): fressen bedeutet eigentlich veressen, d. h. alles aufessen, und das tun nicht bloß Tiere, sondern auch Kinder, wenn ihnen etwas gut schmeckt. Nr. 76. (Die Kornähre): Man vgl. damit die Sage von Frau Hütt 'S. 172. Nr. 84 (Heil dir im Siegerkranz): Das Lied war dem König von Dänemark gewidmet, wurde aber auf König Friedrich Wilhelm II. von Preußen angewandt. Nr. 106 (Allerlei Spielplätze): ausschenken, provinziell für zu­ werfen, in die Höhe werfen. Nr. 121 (Kellerwohnung): Rietenspliet — Reiß in Splitter; Leich­ dörner---Hühneraugen; Holtentüffeldirn = Holzpantoffel­ dirn; Grand = Sand. Nr. 124 (Die Feuerwehr): Wonehm is dat Füer? ick weet ook nich — Wo ist das Feuer? ich weiß auch nicht. Nr. 126 (Nach Regen Sonnenschein): Tresen — Ladentisch; man — nur; die hier erwähnte Mühle ist eine Wind­ mühle; das Schauer — die Scheuer oder Scheune.

Erläuterungen.

289

Nr. 130 (Auswanderer in Hamburg): Graskeller heißt eine Straße in Hamburg. Nr. 131 (Rätsel) Auslösungen: Schneeball, Ostern, Handschuh, Nachtlicht, Mailand, Ohrseige. Nr. 132 (Rätsel) Auflösungen : Schnecke, Säge, Garnknäuel, Schuh­ nägel, Handschuh. Nr. 133 (Rätsel) Auslösungen: ABC; Feuer; Ei; Ei; Räder; Zähne; Kissenzipfel; Uhr; Brief; Sarg; Also; Nr. 12 ist mit Satzzeichen und Trennung zu schreiben; Schatten; Hagebutte; vielleicht; Vater, Sohn und Enkel; Säge; Nadel und Faden; Zwiebel; Nadel; Biene; Kirsche; Schnee und Sonne; Netz oder Kette; Schnürriemen. Nr. 134 (Sprichwörter): motzen mundartlich für schmollen; Rüssel hier scherzhaft für Mund, den schmollende Kinder gern durch Borstrecken der Lippen verlängern. Nr. 164 (Der Fuchs und die Schnecke): Die Schwägalp ist am Hohensäntis im Kanton Appenzell. Nr. 167 (Lalenburger): Lalenburg eine von törichten Leuten be­ wohnte Stadt, wie Krähwinkel, Schöppenstedt, Schilda usw. Nr. 159. (Der Bauer und sein Sohn): Jetzunder veraltet für jetzt. Nr. 160 (Der Peter in der Fremde): Das Gedicht ist eigentlich in Nürnberger Mundart um 1780 von Grübel gedichtet, Eberhard hat es ins Schristdeutsche übertragen; 1780 trugen die Männer noch Zöpfe; emballieren veraltet für einpacken; Meilenschuhe — Siebenmeilenstiefel. Nr. 163 (Wittington): Eine alte Londoner Sage mit histori­ schem Hintergrund, englisch Whittington Nr. 165 (Das Riesenspielzeug): Die Sage hat Charlotte von Engelhardt aus dem Bolksmund entnommen und poetisch in elsässischer Mundart dargestellt, danach haben die Brüder Grimm in den deutschen Sagen die Geschichte, wie sie hier vorliegt, erzählt, nach Grimm endlich hat Chamisso sein bekanntes Gedicht geschaffen. Nr. 171 (Die Heinzelmännchen): Schönen nennt man das Klären des Weines, gewöhnlich durch feingeschnittene Hausenblase; schroten ist die Beförderung der Fässer mittelst einer Schrot­ leiter in und aus dem Keller. Nr. 177 (Das brave Mütterchen): Kimmung ist der nieder­ deutsche Ausdruck für Horizont. Nr. 188 (Das seltsame Rezept): Item ist lateinisch und bedeutet: gleichfalls, ebenso. Hebel gebraucht es jedoch meist als Bindewort zu Anfang eines Satzes in allgemeinerem Sinne: nun wohl. Nr. 190 (König Friedrich und sein Nachbar): Die Mühle, die unter der Benennung „historische Mühle" noch sorgfältig er­ halten, jedoch untätig hinter dem Schloß Sanssouci steht, ist eine Windmühle, Hebel hat jedoch geglaubt, es sei Hessel. Lesebuch 2. 13 «uff. VJ

290

Erläuterungen.

Lebensabriß der Verfasser rc.

eine Wassermühle gewesen. In Wirklichkeit störte den König weniger das Geräusch der Mühle, als der Um­ stand, daß die Mühle auf demselben Hügel stand, von dessen Höhe sein neuerbautes Lustschloß herabschaute. Nr. 197 (Der Nagel): Geldkatze, ein lederner, um den Leib geschnallter Geldbeutel. Nr. 209 (Sneewittchen): Frischling — junges Wildschwein: Dälle — kleine Vertiefung. Zu 216 (Schlaraffenland): Lebzelten — Lebkuchen, Zelte sind abgeteilte Stücke, Zuckerzelten — Bonbon; Malvasier griechischer Wein aus Malvasia. Zu 218 (Mann und Frau im Essigkrug): Krug heißt im nörd-lichen und östlichen Deutschland ein kleines Wirtshaus. Zu 220 (Robinson Crusoe): Wir haben diese Geschichte getreu nach dem Ur-Robinson von Defoe erzählt. Wo von Mei­ len die Rede ist, sind englische Meilen gemeint, zu 1,6 km.

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen. Arndt Ernst Moritz, geb. 26. Dez. 1769 zu Schoritz auf Rügen, f 29. Jan. 1860 zu Bonn. Nr. 82 (Gedichte, Leipzig, 1840). Aurbacher Ludwig, geb. 26 Aug. 1784 zu Türkheim in Bayern, t 25. Mai 1847 zu München. Nr. 157 (Historie von den Lalenbürgern, Leipzig o. I.). B ä ß l e r Ferdinand, geb. 16. Januar 1816 zu Zeitz, i 5. Februar 1879 zu Schulpforta. Nr. 173, 174 (Sagen a. der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin, 1855). Bechstein Ludwig, geb. 24. November 1801 zu Weimar, y 4. Mai 1860 zu Meiningen. Nr. 89, 213, 214, 216—219 (Märchenbuch, Leipzig, o. I.). Binder Helene, geb. 3. Juni 1855 zu Eisenach, lebt zu Chemnitz. Nr. 125 (Guckguck, Bilderschatz, München, o. I.). B l ü t h g e n Viktor, geb. 4. Januar 1844, lebt als Schrift­ steller zu Berlin, im Sommer zu Freienwalde a. d. O. Nr. 65, 104 (Jugendland, Bd. 2, Zürich, o. I.; Selige Zeit, Stuttgart, o. I.). B o n e Heinrich, geb. 25. Sept. 1813 zu Arolshagen, f 10. Juni 1893 zu Hattenheim. Nr. 61 (abgedruckt aus: Unser Singvögelchen, Liederschatz, gesammelt vou Klara Reichner, Stuttgart, 1882). Brentano Klemens, geb. 8. September 1778 zu Ehren­ breitstein, f 28. Juli 1842 zu Aschaffenburg. Nr. 49 (Ges. Schriften, Frankfurt a. M. 1852, Bd. 5). Campe Joachim Heinrich, geb. 29. Sept. 1746 zu Deensen bei Holzminden, f 22. Oktober 1818 zu Braunschweig. Nr. 163 (Kmderbibliothek, Wien, 1813).

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

291

Curtman Wilhelm, geb. 3. März 1802 zu Alsfeld in Hessen, t 6. Februar 1871 zu Gießen. Nr. 3, 97, 156, 191 (Lese­ buch f. d. Stufe d. Anschauung, Offenbach, 1845; Geschichtchen für Kinder, Gießen, 1892, hier und da etwas gekürzt). Dähnhardt Oskar, geb. 21. November 1870 zu Kiel, lebt zu Leipzig. Nr. 75—77, 194'(Naturgeschichtliche Volks­ märchen, Leipzig, 1898). Eberhard August Gottlob, geb. 17. Jan. 1769 zu Belzig, t 13. Mai 1845 zu Dresden. Nr. 160 (Gesammelte Schriften, Halle, 1830). Falk Johannes, geb. 28. Oktober 1768 zu Danzig, t 14. Februar 1826 zu Weimar. Nr. 8 (Werke, Leipzig, 1819, Bd. 1). Falke Gustav, geb. 11. Januar 1853 zu Lübeck, lebt zu Großborstel bei Hamburg. Nr. 88 (aus Selige Zeit, Stuttgart, o. I.). Franz Agnes, geb. 8. März 1794 zu Militsch in Schlesien, t 13. Mai 1843 zu Breslau. Nr. 5 (Buch d. Kindheit it. Jugend, Breslau, 1850). Fravan Ilse, verheiratete Akunian, geb. 3. Februar 1852 -u Hamburg, f 5. Dezember 1908 zu Zürich. Nr. 118, 121, 124, 127 (Hamburger Bilder f. Kinder, Hamburg). Gansberg Friedrich, geb. 9. April 1871 zu Bremen, lebt daselbst. Nr. 106, 116, 117, 122, 126, 129 (Nr. 122, 126: Streif züge b. d. Welt der Großstadtkinder, Leipzig, 1904; Nr. 126 vom Verfasser selbst für unser Buch geändert; Nr. 106, 129 Originalbeiträge). Gellert Christian Fürchtegott, geb. 4. Juli 1715 zu Hainichen, t 13. Dezember 1769 zu Leipzig. Nr. 159 (Werke, Berlin, Hempel, o. I.). G ö r r e s Guido, geboren 28. Mai 1805 zu Koblenz, t 14. Juli 1852 zu München. Nr. 9, 55 (aus Singvögelchen, s. bei Bone; Görres und Pocci, Festkalender, Freiburg, 2 Bde. o. I.; in Nr. 55 lind 2 Strophen weggelassen). Brüder Grimm: 1. Jakob, geb. 4. Januar 1785 -u Hanau, t 20. September 1863 zu Berlin. 2. Wilhelm, geb. 24. Februar 1786 zu Hanau, t 16. Dezember 1859 zu Berlin. Nr. 165, 178, 196—209 (Kinder- u. Hausmärchen, große Ausg. Berlin, 1882; Nr. 208 gekürzt. — Deutsche Sagen, Berkin, 1816). Süll Friedrich, geb. 1. April 1812 zu Ansbach, f 23. De­ zember 1879 zu München. Nr. 1, 4, 30, 59, 62, 69, 78, 100, 115, 132, (Kinderheimat, Gütersloh, 1875). Har ries Heinrich, geb. 9. September 1762 zu Flensburg, l 28. September 1802 zu Brügge bei Kiel. Nr. 84 (abgedruckt aus Wustmann, Liederbuch, Leipzig). Hebel Johann Peter, geboren 10. Mai 1760 zu Basel, t 22. September 1826 zu Schwetzingen. Nr. 180—190 (Schatztästlein, Stuttgart).

292

Lebensabriß der Verfasser unb Nachweis der Quellen.

Hensel Luise, geb. 30. März 1798 zu Linum in Branden­ burg, f 18. Dezember 1876 zu Paderborn. Nr. 6 (Lieder, 6. Ausl. Paderborn, 1887). Hey Wilhelm, geb. 26. Mai 1789 zu Laucha bei Gotha, t 19. Mai 1854 zu Ichtershausen. Nr. 36, 42, 52, 8 3 (Fabeln f. Kinder, Gotha, o. I.). Hoffmann Fr. Nr. 54 (aus Böhme, 3. Stufe des Schreiblesens, Berlin 1878, gekürzt). Hoffmann von Fallersleben August Heinrich, geb. 2. April 1798 zu Fallersleben bei Hannover, f 19. Januar 1874 zu Corvey a. d. Weser. Nr. 7, 10, 19, 24, 31—33, 43, 47, 48, 60, 71, 73, 85, 108, 109, 215 (Kinderlieber, herauSg. von Donop, Berlin 1887). Hummel August, geb. 4. August 1839 zü Halle an der Saale, f 19. Jan. 1898 in Delitzsch. Nr. 11 (Herzblättchens Zeitvertreib, Glogau, Bd. 29). von Ka-mp Hermann, geb. 1796 zu Ruhrort, f 26. November 1867 zu Mülheim a. d. Ruhr. Nr. 12 (aus Dietlein ii. Polack, aus Deutschen Lesebüchern, Bd. 1, Leipzig, 1897). Kastropp Gustav, geb. 30. August 1844 zu Salmünster, lebt in Hildesheim. Nr. 193 (Jugendland, Vd. 2, Zürich, o. I.). Kletke Hermann, geb. 14. März 1813 zu Breslau, f 2. Mai 1886 daselbst. Nr. 13, 66, 192 (Kinderlieber, Berlin, o. I.; Nr. 192: neues Märchenbuch, Berlin, o. I. Die Moral am Schluß blieb fort). Kögel Fritz u. Emily 99 (Die Arche Noah, Leipzig, 1901). Krummacher Friedrich Adolf, geb. 13. Juli 1767 zu Tecklenburg, t 4. April' 1845 zu Bremen. Nr. 41, 50, 119 (Fest­ büchlein, 3 Bde. Essen, 1846). K ü h l 93 (aus Buntscheck, Köln o. I.). Lichtwer Magnus Gottfried, geb. 30. Januar 1719 zu Wurzen, t 6. Juli 1783 zu Halberstadt. Nr. 153 (Schriften, Halberstadt, 1828). Loh meyer Julius, geb. 6. Oktober 1834 zu Neiße, |- 24. Mai 1903 zu Berlin. Nr. 98 (aus Singvögelcben). Löhr Johann Andreas Christian, geb. 13. Mai 1764 zu Halberstadt, f 28. Juni 1823 zu Zwenkau bei Leipzig. Nr. 26 (Kleine Plaudereien f. Kinder, 1850, Bd. 2). Löwenstein Rudolf, geb. 20. Februar 1819 zu Breslau, t 5. Januar 1891 zu Berlin. Nr. 2, 34, 46, 68, 92, 94, 95, 120, 158 (Kindergarten, Berlin, o. I. — Kindergedanken, ebenda). Maßmann Hans Ferdinand, geb. 15. August 1797 zu Berlin, f 3. August 1874 zu Muskau. Nr. 105 (Lieder f. Knaben n. Mädchen, München, 1832). Meißner August Gottlieb, geb. 3. November 1753 zu Bautzen, f 20. Februar 1807 zu Fulda. Nr. 148—150 (Äsopische Fabeln, Dresden, o. I.). Mohr Joseph, geb. 11. Dez. 1792 zu Oberndorf bei Salz­ burg, f 4. Dez. 1848 zu Wagram. Nr. 37 (aus Klumpp, Kinder­ lieber, Mainz, o. I.).

Leben-abriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

293

Müllenhoff Karl Viktor, geb. 8. September 1818 -u Marne in Ditmarscherr, t 19. Februar 1884 zu Berlin. Nr. 176, 177 (Sagen, Märchen u. Lieder d. Herzogtümer SchleswigHolstein, Kiel, 1845). Muller Wilhelm, geb. 7. Oktober 1794 zu Dessau, t 30. September 1827 daselbst. Nr. 113 (Ged. e. reisend. Wald­ hornisten, Dessau, 1826). Ortlepp Ernst, geb. 1. August 1800 zu Droyßig, f 14 Juni 1864 zu Almrich bei Naumburg. Nr. 25 (Seidel, Buntes a. d. Leben, Stuttgart, o. I.). Otto Berthold, geb. 6. August 1859 zu Bianowitz, lebt zu Groß-Lichterfelde bei Berlin. Nr. 72, 114 (Der Hauslehrer, Wochenschrift, Leipzig, 1901—1904). Neinick Robert, geb. 22. Februar 1805 zu Danzig, t 7. Februar 1862 zu Dresden. Nr. 18, 27, 56, 57, 64, 87, 90, 91 (Märchen-, Lieder- und Geschichtenbuch, Bielefeld, 1884). Rück ert Friedrich, geb. 16. Mai 1788 zu Schweinfurt, t 31. Januar 1866 zu Neuseß. Nr. 14, 40, 96, 161, 162, 179 (Gedichte, Erlangen, 1839). Salzmänn Christian Gotthilf, geb. 1. Juni 1744 zu Sömmerda, t 31. Oktober 1811 zu Schnepfenthal. Nr. 103 (Unterhaltungen f. Kinder, Leipzig, 1811). Schiller Friedrich, geb. 10. November 1759 zu Marbach anr Neckn?, t 9. Mai 1805 zu Weimar. Nr. 53, 111 (Werke), v. Schmid Christoph, geb. 15. Aug. 1768 zu Dünkelsbühl, t 3. September 1854 zu Augsburg. Nr. 20, 135—141 (Kurze Erzählungen, Originalausgabe letzter Hand, München, 1885. Die gereimte Lehre am Schluß blieb meist weg). von Schubert Gotthilf Heinrich, geb. 26. April 1780 zu Hohenstein im Erzgebirge, f 1. Juli 1860 zu Laufzorn in Ober­ bayern. Nr. 164 (Lehrbuch d. Naturgeschichte f. Schulen, Frank­ furt a. M., 1871; unbedeutend gekürzt). Seidel Heinrich, geb. 25. Juni 1842 zu Perlin in Meck­ lenburg, t 7. Nov. 1906 zu Gr. Lichterfelde. Nr. 39 (Weih­ nachtsbüchlein). Simrock Karl, geb. 28. August 1802 zu Bonn, f 18. Juli 1876 daselbst. Nr. 63, 147 (Äsops Leben und Fabeln, Frank­ furt a. M.). Staub Johannes, geb. 1813 zu Zürich, f 11. April 1880 zu Riesbach in der Schweiz. Nr. 131 (Kinderbuch, Zürich, o. I.). Storm Theodor, geboren 14. September 1817 zu Husum, t 4. Juli 1888 zu Hademarschen. Nr. 35, 210 (Werke, Bd. 8). Sturm Julius Karl Reinhold, geb. 21. Juli 1816 zu Köstritz (Reuß), f 2. Mai 1896 ebenda. Nr. 16, 81 (Fromme Lieder, 2 Teile, Leipzig, 1884). Sutermeister Otto, geb. 27. September 1832 zu Zosingen i. d. Schweiz, f 8. August 1901 zu Aarau. Nr. 154 (Kinder- u. Hausmärchen a. d. Schweiz, Aarau, 1873).

294

Lebensabriß der Berfasser und Nachweis der Quellen.

Inhal

Traut Sophie 70 (Aus dem Elternhaus, Leipzig, 1875; gekürzt und an einigen Stellen geändert, um naturwissenschaft­ liche Ungeirauigkeiten richtig zu stellen). Trojan Johannes, geb. 14. August 1837 zu Danzig, t 20. November 1915 in Rostock. Nr. 15, 17, 21, 22, 28, 29, 38, 45, 51 (Hundert Kinderlieder. Berlin, 199; Nr. 28: Für gewöhnliche Leute, Berlin, 1893; Nr. 15, 22, 38, 45: Original­ beiträge für die frühere Auflage dieses Buches). Uh land Ludwig, geb. 26. April 1787 zu Tübiugen, t 13. November 1862 daselbst. Nr. 26, 112, 123, 155 (Gedichte). Weber Emil, geb. 20. August 1877 zu Hamburg, lebt in Hamburg. Nr. 44 (Selige Zeit, Stuttgart, o. I.). Wolf Johannes Wilhelm, geb. 23. April 1817 zu Köln, t 29. I.ni 1855 zu Hofheim in Hessen. Nr. 102 (Deutsche Hausmärchen, Göttingen, 1851). Zingerle Ignaz, geb. 6. Juni zil Meran, t 17. September 1892 zu Innsbruck. Nr. 195 (Kinder- u. Hausmärchen aus Tirol). Volkslieder und Volkstümliches 66, 67, 79, 80, 86, 110, 132, 133, 134 (aus Scherers Kinderbuch, Leipzig, 1879; Des Knaben Wunderhorn, Heidelberg, 1808; Klumpp, Kinderlieber, Mainz, o. I.; Wackernagel, Goldene Fibel, Wiesbaden, 1869; Simrock, Deutsches Rätselbuch, Frankfurt a. M. o. I.). K. H. 101, 142—146, 151, 152, 166—172, 211, 212, 220. Unbekannt: 74, 107 (Guckguck, Bilderschatz, München, o. I.).

Inhalt. J. Tageszeiten und Jahreszeiten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Am Morgen. [®üU]................................ Guten Morgen, [ßötoenftem].................................................. Der Wecker. [Curtmcm].............................................................. Abendglöcklein. Gute Nacht. [Agnes Franzi...................................................... Nachtgebei. [Luise Hensels...................................................... Das Lied vom Monde. [Hoffmann v. F.'l.........................

Selle I 1 2 2 3 3 4

Allerdreifeierlagslied. [Falk]..................................................... 4 Todaustreiben. [G. Görres]...................................................... 5 Des Frühlings Ball. [Hoffmann v. §.] 6 Eine Schwalbengeschichte. [Hummel]..................................... 6 Mailied. [v. Kamp]...................................................................... 8 Wie die Bögel singen lernten. [Äletfe].................................. 9 Kinderlieb von den grünen Sommervögeln. [Rückert] . . 11 Die Kornblume. [Trojan]............................................................... 12 Der Bauer und sein Kind. [(Sturm].......................................... 13 Im Heu. [Trojan]............................................................................13

294

Lebensabriß der Berfasser und Nachweis der Quellen.

Inhal

Traut Sophie 70 (Aus dem Elternhaus, Leipzig, 1875; gekürzt und an einigen Stellen geändert, um naturwissenschaft­ liche Ungeirauigkeiten richtig zu stellen). Trojan Johannes, geb. 14. August 1837 zu Danzig, t 20. November 1915 in Rostock. Nr. 15, 17, 21, 22, 28, 29, 38, 45, 51 (Hundert Kinderlieder. Berlin, 199; Nr. 28: Für gewöhnliche Leute, Berlin, 1893; Nr. 15, 22, 38, 45: Original­ beiträge für die frühere Auflage dieses Buches). Uh land Ludwig, geb. 26. April 1787 zu Tübiugen, t 13. November 1862 daselbst. Nr. 26, 112, 123, 155 (Gedichte). Weber Emil, geb. 20. August 1877 zu Hamburg, lebt in Hamburg. Nr. 44 (Selige Zeit, Stuttgart, o. I.). Wolf Johannes Wilhelm, geb. 23. April 1817 zu Köln, t 29. I.ni 1855 zu Hofheim in Hessen. Nr. 102 (Deutsche Hausmärchen, Göttingen, 1851). Zingerle Ignaz, geb. 6. Juni zil Meran, t 17. September 1892 zu Innsbruck. Nr. 195 (Kinder- u. Hausmärchen aus Tirol). Volkslieder und Volkstümliches 66, 67, 79, 80, 86, 110, 132, 133, 134 (aus Scherers Kinderbuch, Leipzig, 1879; Des Knaben Wunderhorn, Heidelberg, 1808; Klumpp, Kinderlieber, Mainz, o. I.; Wackernagel, Goldene Fibel, Wiesbaden, 1869; Simrock, Deutsches Rätselbuch, Frankfurt a. M. o. I.). K. H. 101, 142—146, 151, 152, 166—172, 211, 212, 220. Unbekannt: 74, 107 (Guckguck, Bilderschatz, München, o. I.).

Inhalt. J. Tageszeiten und Jahreszeiten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Am Morgen. [®üU]................................ Guten Morgen, [ßötoenftem].................................................. Der Wecker. [Curtmcm].............................................................. Abendglöcklein. Gute Nacht. [Agnes Franzi...................................................... Nachtgebei. [Luise Hensels...................................................... Das Lied vom Monde. [Hoffmann v. F.'l.........................

Selle I 1 2 2 3 3 4

Allerdreifeierlagslied. [Falk]..................................................... 4 Todaustreiben. [G. Görres]...................................................... 5 Des Frühlings Ball. [Hoffmann v. §.] 6 Eine Schwalbengeschichte. [Hummel]..................................... 6 Mailied. [v. Kamp]...................................................................... 8 Wie die Bögel singen lernten. [Äletfe].................................. 9 Kinderlieb von den grünen Sommervögeln. [Rückert] . . 11 Die Kornblume. [Trojan]............................................................... 12 Der Bauer und sein Kind. [(Sturm].......................................... 13 Im Heu. [Trojan]............................................................................13

Inhalt.

18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48.

296 Seite Das Dorf. [Steinicf]..................................................................- 14 Johanniswürmchen. sHoffmann u. ft.J...................................... 15 Die Kornähren. [V. Schmids....................................................... 15 Am Sommertag. [STrojan]........................................................... 15 Nachtqewitter auf dem Land, [Stojan].......................................16 Die Himbeeren. [Söljr]....................................................................17 Im Walde möcht ich leben. sHoffmann v.F.^j...................... 18 Ein Rätsel. [ Ortlepp] ................................................................... 19 Einkehr. [Urlaub]....................................................................... 19 Vom schlafenden Apfel. sReinick^ .............................................. 20 Vom Abnehmen der Früchte. [Trojan]...................................... 21 Die Brombeere. [Stojan]...............................................................22 Ein Rätsel. [(Süll]............................................................................23 Der Störche Wanderlied. [Hofsmann v. F.] 23 Abschiedslied der Zugvögel. [Hoffmann v.F.].........................21 Der Blümlein Antwort. [Hoffmann ti. $.]............................. 24 Der erste Schnee. [£ötoenftein].................................................. 24 Knecht Ruprecht. [©tonn] ...........................................................25 Weihnachten. [£>et)J....................................................................... 26 Die heilige Nacht. [Mohr] . . 27 Die Weihnachtsbescherung. [Trojan].......................................... 27 Der kleine Nimmersatt. [(Seibel].................................................. 30 Das Männlein in der Gans. [Rückert]...................................... 31 Winterlied. [Krummacher] ...........................................................32 Neujahr. [$et)]................................................................................... 33 Beim Schneeballen. [Hoffmann v. F.]...................................... 34 Einen Schlitten muß ein Junge haben.[E. Weber] ... 34 Der Sperling im Winter. [Trojan] ..........................................35 Wie es dem armen Schneemann ging.[ßötoenftein] ... 36 Sehnsucht nach dem Frühling. [Hoffmannv. F.) .... 86 Winters Flucht. [Hoffmann ti. $.].............................................. 37

49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.

Herr Gott, du sollst gelobet sein. [Brentano]..........................38 Das Alpenlied. [Krummacher].......................................................39 Das Bächlein. [Trojan] ................................................................... 40 Das Meer. [£et?]..................................................... *..... 40 Zwei Rätsel. [Schiller]................................................................... 41 Die Farben. [Fr. Hoffmanns.......................................................41 Die Kinder im Walde. [G. Görres].......................................... 43 Frühling. [Reinick]......................................... 46 Was gehn den Spitz die Gänse an? [ffteinitf]............................... 46 Miez ist krank. [Julius Sturms...................................................47 Vom Mäuslein. [(Süll]................................................................... 48 Das Lied der Vögel. [Hoffmann D. $.]....................................50 Das Häuschen im Walde. [$one]............................................... 50 Hahn. [(Süll]....................................................................................51 Zaunkönig, [©imtod]....................................................................... 52 Gänse, [3leinicf].......................................................................... 53 Der Nimmersatt. [Blüthgen]...........................................................54 Im grasgrünen Wald. [Volkslied, Strophe 2 u. 3 Äletfe] 55 Die Schwalben. [Volkslied]...........................................................55 Der Vöglein Abschied, [ßörvenftein]..........................................56

II. Die Natur.

296

Inhalt. Gelte

69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80.

Aorn Spinnlein und Mücklein. [$üll]................................... 57 Am Bienenstock. [Sophie Traut]............................................... 57 Heuschreckenleben. [Hoffmann v. g.]....................................... 59 Unser Garten. [Otto] .............................. 60 Von meinem Blümchen. [Hoffmann v.F.].............................. 62 Schneeglöckchen. [Unbekannt].......................................................62 Der Enzian. [Dähnhardt].......................................................... 63 Die Kornähre. [Dähnhardt]...................................................... 63 Warum die Eichblätter eingekerbt sind.[Dähnhardt] ... 64 Pflaume. [Güll]..........................................................................65 Das Lied vom Birnbaum. [Volkstümlich]................................65 Wie ost Gott zu danken sei. [Volkslied]................................68

81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109.

Gott grüße dich. [Sturm].................................. 69 Gebet eines kleinen Knaben an den heiligen Christ. [Arndt] 69 Was ich alles habe. [Hey]...................................................... 70 Heil dir im Siegerkranz. [Harries]........................................... 71 Kaiser Wilhelm. [Hoffmann v. F.]........................................... 72 Heraus aus dem Lager. [Volkslied]....................................... 72 Der Faule. [Reinick].................................................................. 73 Der Turmhahn. [Falke] .......................................................... 74 Der Verdrießliche. [Bechstein].................................................. 74 Versuchung. [Reinick]..................................................................75 Dienerschaft. [Reinick] ..............................................................76 Die traurige Geschichte vom dummen Hänschen. [Löwenstein]. 76 Der Tunichtgut. [Kühl] .......................................................... 78 Des Storches Wiederkehr. [Löwenstein] ............................... 78 Ferienlied. [Löwenstein].................................. 79 Drei Paare und Einer. [Rückert] ........................................... 79 Die verkehrte Welt. [Curtman]...............................................80 Der Geburtstagsgratulant. [Lohmeyer] ............................... 81 Die Kuckucksuhr. [Kögel].......................................................... 81 Kaufmann. [Güll] .................................................................. 83 Der wunderbare Pudding. [H.] 84 Das allzeit zufriedene Knäbchen. [I. W. Wolf].................... 86 Das Raupennest. [Salzmann] ...............................................87 Ach, wer das doch könnte! [Blüthgen] ................................90 Turnerlied. [Maßmann] ........................................................ 91 Allerlei Spielplätze. [Gansberg] ...........................................92 Drei kleine Schiffersleute. [Unbekannt] .................. • • • 93 Hirtenknabe. [Hoffmann v. F.]...............................................94 Mein Lämmchen. [Hofsmann v. F] ................................... 94 Der Jäger aus Kurpfalz. [Volkslied.]................................... 95 Der Schütz. [Schiller]..............................................................96 Der gute Kamerad. [Uhland] ...............................................96 Müllers Wanderschaft. [W. Müller].......................................96 Der Tag eines Bäckerlehrlings. [Otto] ............................... 97 Prippendoktor. [Güll] ..................................................... . 97 Wie Lieschen im Laden aufpassen muß. [Gansberg] . . 98 Die Betten auf dem Hofe. [Gansberg] ............................... 99 Platzregen. [Ilse Frapan].........................................................100 Erdbeerliedchen. [Krummacher].................................. 101

III. Menschenleben.

110.

111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118.

119.

Inhalt.

297 Sette

120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134.

Wie die Jungfer Köchin in Dienst genommen wird, s Löwenstein) 101 In der Kellerwohnung. sJlse Frapan)....................................103 Das Dachfenster. sGansberg).................................................... 105 Zimmerfpruch. sUhland).............................................................108 Die Feuerwehr. sJlse Frapan)................................................ 108 Die glückliche Familie. sHelene Binder)................................ 109 Nach Regen Sonnenschein. sGansberg)................................ 110 Der Radfahrer. sJlse Frapan)................................................ 120 Die elektrische Straßenbahn. sJlse Frapan)........................121 Die Eisenbahn. sGansberg) .....................................................123 Auswanderer in Hamburg. sJlse Frapan)............................ 124 Rätsel. sStaub)..............................................................................126 Rätsel. sGüll)................................................................................. 126 Bolksrätsel. sBolkstümlich)......................................................... 127 Sprichwörter. sBolkstümlich).....................................................130

IV. Geschichten. Der fröhliche Hirtenknabe, sv. Schmid)................................ 132 Der Löwe. [t). Schmid)............................................................. 133 Die Perlen, sv. Schmid).............................................................133 Die sieben Stäbe. [V. Schmid)................................................ 134 Das Wunderkästchen, [to. Schmid).............................................134 Der Pilger, sv. Schmid)............................................................. 135 Der königliche Schatzmeister. [D. Schmid) ............................ 136 Der Wolf und der Hund. s.H.).................................................136 Das Böcklein und der Wolf. sH.)............................................ 137 Der aufgeblasene Frosch. sH.) .................................................138 Der Esel und das Reitpferd. sH.) ........................................ 138 Die Grille und die Ameisen. [$.] 139 Der Katze die Schelle anhängen. s Simrock)........................ 140 Der Einsiedler und der Bär. Meißner)................................ 141 Der Igel und der Maulwurf. Meißner)............................ 141 Der unzufriedene Esel. Meißner).............................................142 Der Schoßhund und der Esel. sH.)........................................ 142 Der Eid des Wolfes. sH.)..................................... 143 Die Katzen und der Hausherr. sLichtwer)............................ 143 Der Fuchs und die Schnecke, s Sutermeister) . . - . . . .144 Der weiße Hirsch. sUhland).....................................................145 Till Eulenspiegel. sCurtman).....................................................145 Wie ein Lalenburger ausgesandt wird. sAurbacher) ... 146 Die sieben Schwaben. sLöwenstein)........................................ 147 Der Bauer und sein Sohn. sGellert).................................... 148 Der Peter in der Fremde. ^Eberhard) ................................ 149 Vom Büblein, das überall mitgenommen hat sein wollen. sRückert).................... 153 162. Vom Bäumlein, das andere Blätter hatgewollt. sRückert). 154 163. Wittington. sCampe)................................................................. 157 164. Der Geiger in der Wolfsgrube. ^Schubert)........................ 158

135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161.

Sagen (165—178). 165. Das Riesenspielzeug. sGrimm)................................ 160 166. Der Affe zu Dhaun. [§.]........................................................ 161 167. Die Bergwerke im Lemberg. sH.)............................................ 162

298

Inhalt. Sette

168. Die Sage vom Mäuseturm, 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184.

185. 186. 187. 188. 189. 190. 191.

[jp.]............................................ 164 Die Bäckerjungen zu Andernach. [$.].................................... 165 Entstehung des Siebengebirges. [$.].................................... 166 Die Heinzelmännchen. [£.]........................................................ 166 Wie man unschuldig gehenkt werden kann. [$.] . ... 167 Der hartgeschmiedete Landgraf. sBäßler^............................ 168 Der heiligen Elisabeth Rosen. sBäßler^................................169 Der alte Fritz und der Bauer. sSchwartz)............................170 Der Müller ohne Sorgen. sMüllenhoff)................................ 170 Das brave Mütterchen. sMüllenhoffl .................................... 171 Frau Hütt. [®rimm]................................................................. 172 Der betrogene Teufel. sRückert^............................................ 173 Bequeme Schiffahrt. sHebeh.................................................... 174 Das Mittagessen im Hof. sHebeh............................................ 174 Seltsamer Spazierritt. sHebeh................................................ 175 Böser Markt. sHebey................................................................ 176 Das wohlfeile Mittagessen. [£eM]........................................ 178 Der listige Quäker. [$eM]..................................................... 179 Der silberne Löffel. sHebeh..................................................... 180 Der Zahnarzt. sHebeh................................................................ 182 Das seltsame Rezept. DpeM].................................................... 184 Ein gutes Rezept. sHebeh.........................................................184 König Friedrich und sein Nachbar. sHebel^............................186 Der König und der Müller. [(Suitman]................................ 188

Märchen (191—219). Birkenmännchen. [SHetfe]........................ 189 Die Blume mit dem roten Herzen. sKastropp^....................191 Warum die Schweine im Grund Wühler:. sDähnhardt) . 192 Unser Herr als Bettler. sZingerle^........................................ 193 Muttergottesgläschen, sGrimms................................................ 194 Der Nagel. 195 Der Fuchs und die Katze. 195 Der Wolf und der Mensch. 196 Der Zaunkönig und der Bär. sGrimm^................................ 197 Der Wolf und der Fuchs. sGrimm)........................................ 200 Der alte Sultan. [$rimm]............................ 202 Die Wichtelmänner. sGrimm^................................................ 204 Die drei Spinnerinnen. [$rimm]............................................ 205 Die drei Brüder. sGrimm^ .................................................... 208 Doktor Allwissend. [Gfrünm].................................................... 210 Hans im Glück. sGrimm^........................................................ 212 Der Arme und der Reiche. sGrimm^.................................... 218 Sneewittchen, sGrimms............................................................ 222 Schneewittchen. [(Storm]............................................................ 231 Rumpelstilzchen. [£.].................................................................237 Der gestiefelte Kater. [£>.]........................................................ 240 Der Hase und der Fuchs. sBechstein^....................................243 Die drei Hochzeitsgäste. sBechstein^........................................ 245 215. Vom Schlaraffenlands. sHoffmann v. F.^............................246 216. Das Märchen vom Schlaraffenland. sBechstein)................... 247 217. Hänsel und Gretel. sechstem)................................................ 250

192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214.

Inhalt.

Anfänge der Gedichte.

299 Seite

218. 219. 220. 1. 2. 3. 4.

6. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Mann und Frau im Essigkrug. sechstem)......................... Des Königs Münster. [$8ed)ftein].......................................... D i e Geschichte von Robinson Crusoe. [$J Wie .... ........... Robinson ... Schiffbruch ................... litt und ............................... allein gerettet wurde 1 . Wie Robinson sich eine Wohnung machte ......................... Wie Robinson die Regenzeit verlebte und krank wurde . Wie Robinson sich eine Sommerwohnung einrichtete und die Insel durchwanderte.......................................................... Wie Robinson on sich allerlei Hausgerät anfertigte anfertigte ................. on sich Kleider machte machte...................... Wie Robinson Wie Robinson Getreide säte und erntete . . . ..................... Wie Robinson sich Brot machte Wie Robinson sich eine Ziegenherde verschaffte Wie Robinson eine Seereise unternahm . . . Wie Robinson einen Gefährten bekam .... Wie Robinson die Insel verließ und in seine Heimat zurückkam

256 261

262 265 267 269 270 271 272 273 274 275 277 280

Anfänge der Gedichte. Die Anfänge der Rätsel Nr. 132 und 133 find nicht verzeichnet Sette

Seite

94 Ein Bote ward einst .... 146 Einen Schlitten muß.... 34 Ein guter, dummer.................... 148 Ein Jäger aus Kurpfalz . . 95 Ein Mägdlein an des Felsen 101 Es blieben einst drei Kinder 43 Es fliegen zwei Schwalben . 55 Es gingen drei Jäger. . . . 145 Es ist ein Bäumlein .... 154 Es kamen grüne Bögelein. . 11 Es sitzt auf einem Rütchen . 23 Es war einmal ein kleiner . 46 Es wohnt ein Müller ... 188 Fern und nah.............................. 79 Fort, fort, fort und fort . . 23 Frühling, Frühling überall . 46 Frühling sprach zu der . . . 6 Gar emsig bei den......................75 Gemäht sind die Felder. . . 90 Glöcklein, Abendglöcklein . . 2 Gott grüße dich.......................... 69 Großväterchen, es schneit . . 24 Guten Morgen sollt ich sagen 81 Hänschen will ein Tischler . 76 Heil dir im Siegerkranz. . . 71 Heraus aus dem Lager . . 72 Heute nach der Schule gehen 73 Ich bin verdrießlich......................74

Ach, Herr Doktor..................... 97 Eben, wann der Morgen . . Alles neu macht der Mai. . 8 Am Waldessäume stehet . . 50 Auf einer großen Weide gehen 41 Auf hoher Alp..........................39 Bächlein, wie hurtig .... 40 Bei einem Wirte..........................19 Brombeer am Waldesrande. 22 Das ist die Mär........................147 Das Männlein ging .... 31 Das Meer ist tief......................40 Das neue Haus ist .... 108 Das Wandern ist.................... 96 Dem Winter wird der Tag . 37 Denk an das Büblein . . . 153 Denkt euch nur..........................81 Der Bauer steht vor ... . 13 Der Hahn in seiner Tennen 51 Der Peter will nicht .... 149 Der Storch ließ auf dem Dach 78 Die Araber hatten....................173 Die Köchin spricht......................48 Die schönste Zeit......................26 Die Spinne hat gesponnen . 57 Dort oben auf dem Baume. 65 Draußen auf grünester Heid 65 Drei kleine Schissersleute . . 93 Du hast zwei Ohren .... 79 Du lieber, heiliger..................... 69

300

Ansänge der Gedichte. Seite

Sette

Ich geh durch einen grasgrünen 55 Ich ging bei Hellem .... 15 Ich habe gute Dienerschaft . 76 Ich hab ein Lämmchen . . 94 Ich hatt einen Kameraden . 96 Ich tu die Hellen Augen auf 1 Ich weiß euch eine schöne Stadt 19 Ich wünsche mir ......................30 Im Baum, im grünen ... 20 Im Walde möcht ich leben . 18 In unserm Flieder .... 54 In unsers Vaters Garten . 24 Jungfer Köchin........................ 101 Kein Tierlein ist auf Erden . 38 Kommt, ihr Leute......................83 Kommt, wir wollen uns . . 246 Mama, sag mal, wie ist . . 74 Miez ist krank............................. 47 Mit dem Pfeil.............................. 96 Müde bin ich......................... 3 Nun reibet euch die ... . 1 Nun sagt einmal, ihr Gänschen 53 Nun treiben wir..................... 5 O, du fröhliche......................... 4 O, wie ist es kalt geworden. 36

O, wie schön ist es im Heu. 13 Scheint der Mond so schön . 59 Schneeglöckchen ...... 62 Schon glänzt der goldene. . 3 Seht, wie das Schneefeld . 34 Steht ein Kirchlein im Dors 14 Stille Nacht ..............................27 Tier und Menschen schliefen 143 Turner ziehn.............................. 91 Bon drauß vom Walde . . 25 Voll Perlen baut sich. . . .' 41 Ward ein Blümchen .... 62 Was baumelt aus......................78 Was helfen mir die Pelze . 36 Was tanzen so goldige Stern 15 Wer hat auf m. Stühlchen . 231 Wer hat die schönsten Schäfchen 4 Wer ist der greise Siegesheld 72 Wer klappert am Dache . . 56 Wie ruhest du so stille ... 32 Wieviel Sand in dem Meer 68 Wie war so schön doch ... 24 Wir Vögel habend..................... 50 Zeit vergeht und Jahr ... 33 Zwei Augen hab ich ... . 70

Druck von Julius Beltz, Dofbuchdrucker, Langensalza.