Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 5 Fünfte Klasse [Vierzehnte, unveränd. Aufl., Reprint 2020] 9783112370162, 9783112370155


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German Pages 334 [392] Year 1919

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Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 5 Fünfte Klasse [Vierzehnte, unveränd. Aufl., Reprint 2020]
 9783112370162, 9783112370155

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Deutsches Lesebuch für

höhere Mädchenschulen von

Kart Hessel.

Fünfter Teil.

Fünfte Klaffe. Vierzehnte, unveränderte Auflage.

Bonn 1919. A. Marcu« und E. Webers Verlag.

Borwort zur zehnten Auflage. Die jetzt für die preußische Monarchie geltenden Lehr--

Pläne der höheren Mädchenschule haben dem vorliegenden

fünften Teil dieses Lesebuchs (5. Klasse) ein Gesicht ver­ liehen, das im Vergleich zu seinem bisherigen Aussehen

Ich denke aber,

einige neue Züge aufweist.

fremd anmutenden Züge!

doch

keine

Insbesondere ist mit Rücksicht

auf den geschichtlichen Lehrstoff dieser Masse das Alter­

tum ausgiebig vertvertet worden.

Auch im poetischen Teil

sind Stoffe aus dem Altertum mit Borliebe herangezogen worden. Wird der kindliche Geist ein Jahr Über im ge­ schichtlichen Unterricht mit Stoffen aus dem Altertum ge­

nährt, so [tel)t er auch int deutschen Unterricht solchen Ge­ dichten und Lesestücken so williger offen,

welche

Einzet-

heiten aus der alten Kulturwelt in ansprechender Form anbieten. Leider ist das Gebiet der alten Kunst und Litera­

tur für dieses Lebensalter noch kaum zugänglich. Das wird in der 1. Klasse nachgeholt. Ähnlich ist es mit den Schilderungen aus der Erd­

kunde, wenn sie die kindliche Einbildung in Gegenden füh­

ren, die ihrten der erdkundliche Unterricht schon erschlossen

hat, besonders wenn sie so unterhaltend geschrieben sind,

wie Bisutarck über seine Fahrt durch die ungarische Steppe berichtet.

Daß die Hauptsache trotz alledem unser schönes Bater-

land bleiben muß mit seinen Tälern und Bergen, seinen Sagen und Dichtungen, das versteht sich.

Bei dieser an-

IV

Borwort.

gedeuteten Vielseitigkeit der Stoffe war meine Arbeit vor­ wiegend ein Sieben, solange, bis nur nach meinem Da­ fürhalten Bestes zurückblieb.

Koblenz, Januar 1910.

Dr. Karl Hessel, Direktor der Hildaschule.

Bonvort zur dreizehnten Auflage. Die dreizehnte Auslage ist ein ungeänderter Abdruck der 11. und 12. Auslage. Es war die Absicht, unter Mit­ arbeit einiger bewährter Freunde und Kollegen diese Auf­ lage völlig umzugestalten. Sämtliche Bände lagen im Juli 1914 druckfertig da. Der Ausbruch des gewaltigen Krieges veranlaßte uns aber, die Arbeit ruhen zu lassen, da nach wieder eingetretcnem Frieden selbstverständlich noch vieles zu «indem sein wird, woran vorher niemand gedacht hatte.

Koblenz, Mär» 1915.

». H-

IV

Borwort.

gedeuteten Vielseitigkeit der Stoffe war meine Arbeit vor­ wiegend ein Sieben, solange, bis nur nach meinem Da­ fürhalten Bestes zurückblieb.

Koblenz, Januar 1910.

Dr. Karl Hessel, Direktor der Hildaschule.

Bonvort zur dreizehnten Auflage. Die dreizehnte Auslage ist ein ungeänderter Abdruck der 11. und 12. Auslage. Es war die Absicht, unter Mit­ arbeit einiger bewährter Freunde und Kollegen diese Auf­ lage völlig umzugestalten. Sämtliche Bände lagen im Juli 1914 druckfertig da. Der Ausbruch des gewaltigen Krieges veranlaßte uns aber, die Arbeit ruhen zu lassen, da nach wieder eingetretcnem Frieden selbstverständlich noch vieles zu «indem sein wird, woran vorher niemand gedacht hatte.

Koblenz, Mär» 1915.

». H-

Erste Abteilung:

Gedichte. Ernst Moritz Arndt.

1. Deutscher Trost. 1. Deutsches Herz, verzage nicht, Tu, was dein Gewissen spricht, Dieser Strahl des Himmelslichts: Tue recht und fürchte nichts!

2. Baue nicht auf bunten Schein! Lug und Trug ist dir zu fein. Schlecht gerät dir List und Kunst, Feinheit wird dir eitel Dunst. 3. Doch die Treue ehrenfest Und die Liebe, die nicht läßt, Einfalt, Demut, Redlichkeit Stehn dir wohl, du Sohn vom Teilt.

4. Wohl steht dir das 'grade Wort, Wohl der Speer, der grade bohrt, Wohl das Schwert, das offen ficht Und von vorn die Brust durchsticht.

.

5. Deutsche Freiheit, deutscher Got!, Deutscher Glaube ohne Spott, Deutsches Herz und deutscher Stahl Sind vier Helden allzumal.

6. Diese stehn wie Felseilburg, Diese fechten alles durch. Diese halten tapfer aus In Gefahr und Todesbraus. Hessel. Lesetuch 6. 14. «ufl.

M. I

2

Arndt.

Baumbach.

7. Drum, o Herz, verzage nicht. Tu, was dein Gewissen spricht: Redlich folge seiner Spur! Redlich hält es seinen Schwur.

Rudolf Baumbach. 2. Das lange Band. Dem günstgen Leser Glück und Heil! In Frankfurt hielt ein Krämer feil Und pries den Leuten seinen Tand: Gewirkte Borten, Schnur und Band, 5 Leibgürtel, Nesteln, Litzen, Schuhriemen, Schnallen, Spitzen. Da trat zum Meister mit der Elle Herein ein fahrender Geselle Und sprach zu ihm: „Für mein Barett 10 Ich gern ein seiden Bändlein hätt. Damit der Wind, der draußen fegt. Mein Käpplein nicht von dannen trägt." „Gut," sprach der Krämer zu dem Kunden, „Ein solches Band ist bald gefunden. 15 Hier ist das beste, was ich hab; Ich schneid Euch eine Elle ab. Der Preis ist eine Kleinigkeit, Ein Heller nur, weil Ihr es seid."

„Ei, Meister," sprach der fremde Wicht, 20 „Die eine Elle langt wohl nicht. Was kostet's, wenn Ihr mir das Band Von einem Ohr zum andern spannt?" Darob der Krämer weidlich lachte: „Ist Euer Kopf so ungeschlachte? 25 Wohlan, gebt mir der Heller zwei. So meß ich Euch, wie weit es sei. Das Band von Ohr zu Ohr, Doch zahlet mir zuvor."

2

Arndt.

Baumbach.

7. Drum, o Herz, verzage nicht. Tu, was dein Gewissen spricht: Redlich folge seiner Spur! Redlich hält es seinen Schwur.

Rudolf Baumbach. 2. Das lange Band. Dem günstgen Leser Glück und Heil! In Frankfurt hielt ein Krämer feil Und pries den Leuten seinen Tand: Gewirkte Borten, Schnur und Band, 5 Leibgürtel, Nesteln, Litzen, Schuhriemen, Schnallen, Spitzen. Da trat zum Meister mit der Elle Herein ein fahrender Geselle Und sprach zu ihm: „Für mein Barett 10 Ich gern ein seiden Bändlein hätt. Damit der Wind, der draußen fegt. Mein Käpplein nicht von dannen trägt." „Gut," sprach der Krämer zu dem Kunden, „Ein solches Band ist bald gefunden. 15 Hier ist das beste, was ich hab; Ich schneid Euch eine Elle ab. Der Preis ist eine Kleinigkeit, Ein Heller nur, weil Ihr es seid."

„Ei, Meister," sprach der fremde Wicht, 20 „Die eine Elle langt wohl nicht. Was kostet's, wenn Ihr mir das Band Von einem Ohr zum andern spannt?" Darob der Krämer weidlich lachte: „Ist Euer Kopf so ungeschlachte? 25 Wohlan, gebt mir der Heller zwei. So meß ich Euch, wie weit es sei. Das Band von Ohr zu Ohr, Doch zahlet mir zuvor."

Da warf der fremde Vogel frisch 30 Zwei Heller auf den Ladentisch. Das Band ergriff er drauf behende. Hielt sich ans rechte Ohr das Ende, Tät listig mit den Augen zwinken Und sprach: „Nun meßt mir bis zum linken." 35 Der Krämer lüpfte das Barett; Das Ohr er gern gefunden hätt. Da aber ward dem Meister klar, Daß selbes abgeschnitten war. „Ei," rief er, „Freund, wie kann ich messen? 40 Du hast das linke Ohr vergessen." Da lachte hell der Gauch und sprach: „Laust nur und meßt dem Ohre nach. Zu Erfurt war's int Sachsenland, Da schnitt mir's ab des Henkers Hand; 45 Dort findet Jhr's am Galgen hangen. Meßt zu, ob Eure Bändlein langen."

Den Krämer faßte jäher Schrecken. Er sprach: „Gesell, du willst mich necken. Wie konnt ich wissen denn zuvor, 50 Wie weit es ist zu deinem Ohr? Ich wähnte dir es angewachsen Und nicht am Galgenholz in Sachsen. Wir wollen friedlich uns vergleichen; Laß dir ein gutes Zehrgeld reichen 55 Und halt dein ander Ohr recht fest, Daß du es nicht in Frankfurt läßt." Da sprach der Strolch: „Es ist mir leid. Doch will ich's tun, weil Ihr es seid. Obwohl ich mir's zum Schaden tue." — 60 Da griff der Krämer in die Truhe Und tät den Schelm entlohnen Mit einer Sonnenkronen.

4

Brentano.

Klemens Brentano. 3. Die Gottesmaucr 1. Drauß bei Schleswig vor der Pforte Wohiren armer Leute viel, Ach, des Feindes wilder Horde Werden sie das erste Ziel. Waffenstillstand ist gekündet, Dänen ziehen ab zur Nacht. Russen, Schweden sind verbündet, Brechen her mit wilder Macht. Drauß bei Schleswig weit vor allen Steht ein Häuslein ausgesetzt. 2. Drauß bei Schleswig in der Hütte Singt ein frommes Mütterlein: „Herr, in deinen Schoß ich schütte Alle meine Angst imb Pein." Doch ihr Enkel, ohn Vertrauen, Zwanzigjährig, neuster Zeit, Will nicht auf den Herren baueil, Meint, der liebe Gott wohnt weit. Drauß bei Schleswig in der Hütte Singt ein frommes Mütterlein.

3. „Eine Mauer nm uns baue!" Singt das fromme Mütterlein, „Daß dem Feinde vor uirs graue, Hüll in deine Burg uns ein!" „Mutter", spricht der Weltgesinnte, „Eine Mauer uns unls Haus Kriegt unmöglich so geschwinde Euer lieber Gott heraus." „Eine Maner um uns baue!" Singt das fronline Mütterlein. 4. „Enkel, fest ist mein Vertrairen: Wenn's dem lieben Gott gefällt.

Kann er uns die Mauer bauen; Was er will, ist wohl bestellt." Trommeln romdidom rings prasseln, Die Trompeten schmettern drein, Rosse wiehern, Wagen rasseln, Ach, nun bricht der Feind herein. „Eine Maner um uns baue!" Singt das fromme Mütterlein.

ö. Rings in alle Hütten brechen Schweb und Russe mit Geschrei, Lärmen, fluchen, drängen, zechen. Doch dies Haus ziehn sie vorbei. Und der Enkel spricht in Sorgen: „Mutter, uns verrät das Lied!" Aber sieh, das Heer vom Morgen Bis zur Nacht vorüberzieht. „Eine Mauer um uus baue!" Singt das fromme Mütterlein 6. Und am Abend tobt der Winter, An das Fenster stürmt der Nord. „Schließt den Laden, liebe Kinder!" Spricht die Alte und singt fort. Aber mit den Flocken fliegen Vier Kosakenpulke an, Rings in allen Hütten liegen Sechzig, auch wohl achtzig Mann. „Eine Mauer um uns baue!" Singt das fromme Mütterlein. 7. Bange Nacht voll Kriegsgetöse! Wie es wiehert, brüllet, schwirrt! Kantschuhiebe, Kolbenstöbe! Weh! des Nachbarn Fenster klirrt. „Hurra! stupai! boschka! kurwa! Schnaps und Branntwein! Rum und rack!"

Brentano.

Bürger.

Schreit und flucht und -lackt die Turba, Erst am Morgen zieht der Pack. „Eine Mauer um uns baue!" Singt das fromme Mütterlein.

8. „Eine Mauer um uns baue!" Singt sie fort die ganze Nacht; Morgens wird es still: „O, schaue, Enkel, was der Nachbar macht!" Auf nach innen geht die Türe, Nimmer käm er sonst hinaus; Daß er Gottes Allmacht spüre. Lag der Schnee wohl mannshoch drauh. „Eine Mauer um uns baue!" Sang das fromme Mütterlein. 9. „Ja, der Herr kann Mauern bauen, Liebe, fromme Mutter, komm, Gottes Mauer anzuschauen!" Rief der Enkel und ward fromm. Achtzehnhundertvierzehn war es, Als der Herr die Mauer baut. In der fünften Nacht des Jahres. Selig, wer dem Herrn vertraut! „Eine Mauer um uns baue!" Sang das fromme Mütterlein.

Gottfried August Bürger. 4. 1. Und Die Wie

Das Lied vom braven Mann.

Der Tauwind kam vom Mittagsmeer schnob durch Welschland trüb und feucht, Wolken flogen vor ihm her. wann der Wolf die Herde scheucht. Er fegte die Felder, zerbrach den Forst; Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.

Brentano.

Bürger.

Schreit und flucht und -lackt die Turba, Erst am Morgen zieht der Pack. „Eine Mauer um uns baue!" Singt das fromme Mütterlein.

8. „Eine Mauer um uns baue!" Singt sie fort die ganze Nacht; Morgens wird es still: „O, schaue, Enkel, was der Nachbar macht!" Auf nach innen geht die Türe, Nimmer käm er sonst hinaus; Daß er Gottes Allmacht spüre. Lag der Schnee wohl mannshoch drauh. „Eine Mauer um uns baue!" Sang das fromme Mütterlein. 9. „Ja, der Herr kann Mauern bauen, Liebe, fromme Mutter, komm, Gottes Mauer anzuschauen!" Rief der Enkel und ward fromm. Achtzehnhundertvierzehn war es, Als der Herr die Mauer baut. In der fünften Nacht des Jahres. Selig, wer dem Herrn vertraut! „Eine Mauer um uns baue!" Sang das fromme Mütterlein.

Gottfried August Bürger. 4. 1. Und Die Wie

Das Lied vom braven Mann.

Der Tauwind kam vom Mittagsmeer schnob durch Welschland trüb und feucht, Wolken flogen vor ihm her. wann der Wolf die Herde scheucht. Er fegte die Felder, zerbrach den Forst; Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.

Bürger.

2. Der Das Des

Am Hochgebirge schmolz der Schnee: Sturz von tausend Wassern scholl; Wiesental begrub ein See; Landes Heerstroin wuchs und schwoll; Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis Und rollten gewaltige Felsen Eis.

3. Aus Lag Und

Auf Pfeilern und auf Bogen schwer. Quaderstein von unten auf, eine Brücke drüberher, mitten stand ein Häuschen drauf. Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind: O Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind!

4. Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran; Laut heulten Sturm und Wog ums Haus. Der Zöllner sprang zum Dach hinan Und blickt' in den Tumult hinaus. „Barmherziger Himmel, erbarme dich! Verloren! verloren! wer rettet mich?" 5. Von Von Die

Die Schollen rollten Schutz auf Schuß; beiden Ufern hier und dort, beiden Ufern riß der Fluß Pfeiler samt den Bogen fort. Der bebende Zöllner mit Weib und Kind. Er heulte noch lauter als Strom und Wind.

6. Die Schollen rollten Stotz auf Stotz, An beiden Enden, hier und dort, Zerborsten und zertrümmert, schoß Ein Pfeiler nach dem andern fort. Bald nahte der Mitte der Umsturz sich. „Barmherziger Hinimel, erbarme dich!" 7. Hoch auf dem fernen Ufer stand Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein, Und jeder schrie und rang die Hand, Doch mochte niemand Retter sein.

8

Bürger.

Der bebende Zöllner mit Weib und Kind Dnrchhenlte nach Rettung den Strom und Wind.

8. Auf Was Ein

Rasch galoppiert' ein Graf hervor. hohem Roß ein edler Gras. hielt des Grafen Hand empor? Beutel war es, voll und straff. „Zweihundert Pistolen sind zugesagt Dem, welcher die Rettung der Armen wagt!"

9. Und immer höher schwoll die Flut, Und immer lauter schnob der Wind, Und immer tiefer sank der Mut. C Retter, Retter, komm geschwind! Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach: Laut krachten und stürzten die Bogen nach. 10. „Halloh I halloh I frisch auf, gewagt!" Hoch hielt der Graf den Preis empor. Ein jeder hört's, doch jeder zagt; Aus Tausenden tritt keiner vor. Vergebens durchheulte mit Weib und Kind Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind.

11. Sieh, schlecht und recht ein Bauersmann Am Wanderstabe schritt daher, Mit grobenl Kittel angetan. An Wuchs und Antlitz hoch und hehr. Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort Und schaute das nahe Verderben dort. 12. Und kühn in Gottes Namen sprang Er in den nächsten Fischerkahn; Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang Kam der Erretter glücklich an; Doch wehe! der Nachen war allzu klein, Der Retter von allen zugleich zu sein. 13. Und dreimal zwang er seinen Kahn, Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,

Und dreimal kam er glücklich an, Bis ihnr die Rettung ganz gelang. Kaum kamen die letzten in sichern Port, So rollte das letzte Getrümmer fort. 14. „Hier", rief der Graf, „mein wackrer Freund, Hier ist dein Preis! komm her, nimm hin!" Sag an, war das nicht brav gemeint? Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn. Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.

15. „Mem Leben ist für Gold nicht feil. Arm bin ich zwar, dock est ich satt. Dem Zöllner werd Euer Gold zuteil, Der Hab und Gut verloren hat!" So rief er mit herzlichem Biederton Und wandte den Rücken und ging davon.

Adelbert von Chamisso. 5. Die alte Waschfrau. 1. Die Die Im

Du siehst geschäftig bei dem Linnen Alte dort in weißem Haar, rüstigste der Wäscherinnen sechsundsiebenzigsten Jahr. So hat sie stets mit saurem Schweiß Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen Und ausgefüllt mit treuern Fleiß Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

2. Sie hat in ihren jungen Tagen Geliebt, gehofft und sich vermählt; Sie hat des Weibes Los getragen. Die Sorgen haben nicht gefehlt;

Und dreimal kam er glücklich an, Bis ihnr die Rettung ganz gelang. Kaum kamen die letzten in sichern Port, So rollte das letzte Getrümmer fort. 14. „Hier", rief der Graf, „mein wackrer Freund, Hier ist dein Preis! komm her, nimm hin!" Sag an, war das nicht brav gemeint? Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn. Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug Das Herz, das der Bauer im Kittel trug.

15. „Mem Leben ist für Gold nicht feil. Arm bin ich zwar, dock est ich satt. Dem Zöllner werd Euer Gold zuteil, Der Hab und Gut verloren hat!" So rief er mit herzlichem Biederton Und wandte den Rücken und ging davon.

Adelbert von Chamisso. 5. Die alte Waschfrau. 1. Die Die Im

Du siehst geschäftig bei dem Linnen Alte dort in weißem Haar, rüstigste der Wäscherinnen sechsundsiebenzigsten Jahr. So hat sie stets mit saurem Schweiß Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen Und ausgefüllt mit treuern Fleiß Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

2. Sie hat in ihren jungen Tagen Geliebt, gehofft und sich vermählt; Sie hat des Weibes Los getragen. Die Sorgen haben nicht gefehlt;

10

Chamisso. Sie hat den kranken Mann gepflegt; Sie hat drei Kinder ihm geboren; Sie hat ihn in das Grab gelegt Und Glaub und Hoffnung nicht verloren. 3. Da galt's, die Kinder zu ernähren; Sie griff es an mit heiterm Mut, Sie zog sie auf in Zucht und Ehren; Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut. Zu suchen ihren Unterhalt, Entließ sie segnend ihre Lieben, So stand sie nun allein und alt, Ihr war ihr heitrer Mut geblieben. 4. Sie hat gespart und hat gesonnen Und Flachs gekauft und nachts gewacht. Den Flachs zu feinem Garn gesponnen. Das Garn dem Weber hingebracht; Der hat's gewebt zu Leinewand; Die Schere brauchte sie, die Nadel Und nähte sich mit eigner Hand Ihr Sterbehemde sonder Tadel. 5. Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es. Verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz; Es ist ihr Erstes und ihr Letztes, Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz. Sie legt es an, des Herren Wort Am Sonntag früh sich einzuprägen; Dann legt sie's wohlgefällig fort. Bis sie darin zur Ruh sie legen. 6. Und ich, an meinem Abend, wollte. Ich hätte, diesem Weibe gleich. Erfüllt, was ich erfüllen sollte In meinen Grenzen und Bereich: Ich wollt, ich hätte so gewußt Am Kelch des Lebens mich zu laben Und könnt am Ende gleiche Lust An meinem Sterbehemde haben.

Joseph Freiherr von Eichendorfs. 6. Reiselred, 1. Durch Feld und Buchenhallen, Bald singend, bald fröhlich still. Recht lustig sei vor allen, Wer's Reisen wählen will! 2. Die Da Die

Wenn's kaum im Osten glühte. Welt noch still und weit, weht recht durchs Gemüte schöne Blütenzeit!

3. Die Lerch als Morgenbote Sich in die Lüfte schwingt. Eine frische Reisenote Durch Wald und Herz erklingt. 4. O Lust, vom Berg zu schauen Weit über Wald und Strom, Hoch über sich den blauen, Tiefklaren Himmelsdom! 5. Vom Berge Vöglein fliegen Und Wolken so geschwind, Gedanken überfliegen Die Vögel und den Wind.

6. Die Wolken ziehn hernieder. Das Vöglein senkt sich gleich: Gedanken gehn und Lieder Fort bis ins Himmelreich.

7.

Der Jäger Abschied (1813).

1. Wer hat dich, du schöner Wald, Aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, So lang noch mein Stimm erschallt. Lebe wohl. Lebe wohl, du schöner Wald!

12

Eichendorff.

2. Tief die Welt verworren schallt. Oben einsam Rehe grasen. Und wir riehen fort und blasen. Daß es tausendfach verhallt: Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! 3. Banner, der so kühle wallt I Unter deinen grünen Wogeir Hast du treu uns auferzogen, Frommer Sagen Aufenthalt! Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! 4. Was wir still gelobt im Wald, Wollen's draußen ehrlich halten. Ewig bleiben treu die Alten. Deutsch Panier, das rauschend wallt, Lebe wohl, Schirin dich Gott, du schöner Wald!

8. Soldatenlied (18J3). Wie seltsame Klänge schwingen Sich dort von der Waldeshöh? Ja, Hörner sind es, die singen Wie rasend vor Lust und Weh. 6 Die jungen Jäger sich zeigen Dort drüben im grünen Wald, Bald schimmernd zwischen den Zweigen, Bald lauernd im Hinterhalt. Wohl sinkt da in ewiges Schweigen 10 Manch schlanke Rittergestalt, Die anderen über ihn steigen, Durrah! in dem schönen Wald, „Es funkelt das Blau durch die Bäume, Ach, Vater, ich komme bald!"

15 Troncheten nur hör ich werbe» So hell durch die Frühlingsluft, Zur Hochzeit oder zum Sterben So übermächtig es ruft. Das sind meine lieben Reiter, 20 Die rufen hinaus zur Schlacht, Das sind meine lustigen Reiter, Nun, Liebchen, gute Nacht! Wie wird es da vorne so heiter. Wie sprühet der Morgenwind, 25 In den Sieg, in den Tod und weiter, Bis daß wir im Himniel sind.

9. Ruhe der Nacht (1813). 1. Windsgleich kommt der wilde Krieg geritten, Durch das Griin der Tod ihin nachgeschritten, Manch Gespenst steht sinnend auf dem Feld, Und der Sommer schüttelt sich vor Grausen, Läßt die Blätter, schließt die grünen Klausen, !Ab sich wendend von der blutgen Welt. 2. Prächtig war die Nacht nun aufgegangen, Hatte alle mütterlich umfangen, Freund und Feind mit leisem Friedenkuß, Und als wollt der Herr vom Himmel steigen. Hört ich wieder durch das liefe Schweigen Rings der Wälder feierlichen Gruß.

Wilhelm Fischer. 10. Kleobis und Bitou. 1. Zum Herafeste soll zu Wagen, Vom starken Zweigespann getragen, Der Göttin hehre Priesterin Bon Hause zichn zum Tempel hin;

15 Troncheten nur hör ich werbe» So hell durch die Frühlingsluft, Zur Hochzeit oder zum Sterben So übermächtig es ruft. Das sind meine lieben Reiter, 20 Die rufen hinaus zur Schlacht, Das sind meine lustigen Reiter, Nun, Liebchen, gute Nacht! Wie wird es da vorne so heiter. Wie sprühet der Morgenwind, 25 In den Sieg, in den Tod und weiter, Bis daß wir im Himniel sind.

9. Ruhe der Nacht (1813). 1. Windsgleich kommt der wilde Krieg geritten, Durch das Griin der Tod ihin nachgeschritten, Manch Gespenst steht sinnend auf dem Feld, Und der Sommer schüttelt sich vor Grausen, Läßt die Blätter, schließt die grünen Klausen, !Ab sich wendend von der blutgen Welt. 2. Prächtig war die Nacht nun aufgegangen, Hatte alle mütterlich umfangen, Freund und Feind mit leisem Friedenkuß, Und als wollt der Herr vom Himmel steigen. Hört ich wieder durch das liefe Schweigen Rings der Wälder feierlichen Gruß.

Wilhelm Fischer. 10. Kleobis und Bitou. 1. Zum Herafeste soll zu Wagen, Vom starken Zweigespann getragen, Der Göttin hehre Priesterin Bon Hause zichn zum Tempel hin;

Doch fern im Felde sind die Stiere Und nicht zum heiligen Dienst bereit. Kein Aug erblickt die säumigen Tiere, Das Fest beginnt — es drängt die Zeit. 2. Da treten, in der Jugend Schöne, Der Gottgeweihten fromme Söhne Zum Joche hin mit starker Hand Und ziehn die Mutter unverwandt: So fährt sie durch die Sonuenauen Hin zu des Tempels Schattenraum; Beim Anblick des Gespannes trauen Die Griechen ihren Augen kaum. 3. Und alle, die zum Feste kamen, Erfahren bald der Söhne Namen, Und Kleobis und Bitons Ruhm Erschallet um das Heiligtum; Wie schlägt ihr Herz beim Jubelschalle! Es rühmen — keiner bleibt zurück — Der Söhne Kraft die Männer alle, Die Mütter all der Mutter Glück. 4. Sie aber stehet vor dem Bilde Der Göttin, die so reich und milde. Und fleht aus ihrer tiefsten Brust, Die überquillt voll seliger Lust: „Wenn je an deinem hohen Feste Mein Flehn vor dich gekommen ist, Gib meinen Söhnen, was das Beste — Du weißt es — für den Menschen ist!" 5. Da ward ein Zeichen klar gegeben. Der Tod sei besser, denn das Leben: Die Söhne opfern noch voll Dank Und laben sich an Speis und Trank; Dann strecken sie die schönen Glieder, Die müden, nach dem heißen Lauf Im Tempel selbst zum Schlummer nieder Und — stehen nimmer wieder auf.

Theodor Fontane. 11. Wo Bismarck liegen soll. (Geschrieben am 31. Juli 1898.)

Nicht in Dom oder Fürstengruft, Er ruh in Gottes freier Luft Draußen auf Berg und Halde, Noch besser tief, tief int Walde; Widukind lädt ihn zu sich ein: „Ein Sachse war er, drum ist er mein, Im Sachsenwald soll er begraben sein." Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt. Aber der Sachsemvald, der hält. Und kommen nach dreitausend Jahren Fremde hier des Wegs gefahren Und sehen, geborgen Vorm Licht der Sonnen, Den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen Und staunen der Schönheit und jauchzen froh, So gebietet einer: „Lärmt nicht so! — Hier unten liegt Bismarck irgendwo."

Ferdinand Freiligrath. 12. Aus dem schlesischen Gebirge. 1. „Nun werden grün die Brombeerhecken: Hier schon ein Veilchen, welch ein Fest! Die Amsel sucht sich dürre Stecken, Und auch der Buchfink baut sein Nest. Der Schnee ist überall gewichen. Die Koppe nur sieht weiß ins Tal; Ich habe mich von Haus geschlichen. Hier ist der Ort — ich wag's einmal: Rübezahl!

2. Hört er's? ich seh ihm dreist entgegen! ist nicht bös; auf diesen Block

Er

Theodor Fontane. 11. Wo Bismarck liegen soll. (Geschrieben am 31. Juli 1898.)

Nicht in Dom oder Fürstengruft, Er ruh in Gottes freier Luft Draußen auf Berg und Halde, Noch besser tief, tief int Walde; Widukind lädt ihn zu sich ein: „Ein Sachse war er, drum ist er mein, Im Sachsenwald soll er begraben sein." Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt. Aber der Sachsemvald, der hält. Und kommen nach dreitausend Jahren Fremde hier des Wegs gefahren Und sehen, geborgen Vorm Licht der Sonnen, Den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen Und staunen der Schönheit und jauchzen froh, So gebietet einer: „Lärmt nicht so! — Hier unten liegt Bismarck irgendwo."

Ferdinand Freiligrath. 12. Aus dem schlesischen Gebirge. 1. „Nun werden grün die Brombeerhecken: Hier schon ein Veilchen, welch ein Fest! Die Amsel sucht sich dürre Stecken, Und auch der Buchfink baut sein Nest. Der Schnee ist überall gewichen. Die Koppe nur sieht weiß ins Tal; Ich habe mich von Haus geschlichen. Hier ist der Ort — ich wag's einmal: Rübezahl!

2. Hört er's? ich seh ihm dreist entgegen! ist nicht bös; auf diesen Block

Er

Will ich mein Leinwandpäckchen legen — Es ist ein richtges, volles Schock! Und fein! ja, dafür kann ich stehen! Kein beßres wird gewebt im Tal — Er läßt sich immer noch nicht sehen; Drum frischen Mutes noch einmal: Rübezahl!

3. Kein Laut — ich bin ins Holz gegangen, Daß er uns hilft in unsrer Not. O, meiner Mutter blasse Wangen — Im ganzen Haus fein Stückchen Brot! Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen — Fäiid er doch Käufer nur einmal! Ich will's mit Rübezahl versuche» — Wo bleibt er nur? zum drittenmal: Rübezahl! 4. Er half so vielen schon vorzeiten, Großmutter hat mir's oft erzählt; Ja, er ist gut den arme« Leuten, Die unverschuldet Elend quält. So bin ich froh denn hergelaufen Mit meiner richtgen Ellenzahl; Ich will nicht betteln, will verkaufen! O, daß er käme! — Rübezahl! Rübezahl! 5. Wem: dieses Päckchen ihm gefiele. Vielleicht gar bät er mehr sich aus; Das wär mir recht, ach, gar zu viele Gleich schöne liegen noch zu Haus! Die nährn er alle bis zum letzten. Ach, fiel auf dies doch seine Wahl! Da löst ich ein selbst die versetzteil — Das wär ein Jubel! Rübezahl! Rübezahl!

6. Dann trat ich froh ins kleine Zimmer Und riefe: Vater, Geld genug! Dann flucht' er nicht, dann sagt' er nimmer: Ich web euch nur ein Hungertuch! Dann lächelte die Mutter wieder Und tischt' uns auf ein reichlich Mahl; Danil jauchzten meine kleinen Brüder — O, laut, o, käm er! Rübezahl! Rübezahl!" 7. So ries der dreizehnjährge Knabe; So stand und rief er, matt und bleich. Umsonst! nur dann und wann ein Rabe Flog durch des Gnomen altes Reich. So stand und -aßt' er Stund auf Stunde, Bis daß es dirnkel ward int Tal Und er halblaut mit zuckendem Munde Ausrief durch Tränen noch einmal: „Rübezahl!"

8. Dann ließ er still das buschge Fleckchen Und gitterte und sagte: „Hu!" Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen Dem Jammer seiner Heimat zu. Ost ruht er aus auf moosgen Steinen, Matt von der Bürde, die er trug. Ich glaub, sein Vater webt dem Klemen Zum Hunger- bald ein Leichentuch. Rübezahl!

Emanuel Geibel. 13. Hoffnung. 1. Und dränt der Winter noch so sehr Mit trotzigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee umher, Es muß doch Frühling werden. Hessel, Lesebuch 6. 14. Aufl.

M. 2

6. Dann trat ich froh ins kleine Zimmer Und riefe: Vater, Geld genug! Dann flucht' er nicht, dann sagt' er nimmer: Ich web euch nur ein Hungertuch! Dann lächelte die Mutter wieder Und tischt' uns auf ein reichlich Mahl; Danil jauchzten meine kleinen Brüder — O, laut, o, käm er! Rübezahl! Rübezahl!" 7. So ries der dreizehnjährge Knabe; So stand und rief er, matt und bleich. Umsonst! nur dann und wann ein Rabe Flog durch des Gnomen altes Reich. So stand und -aßt' er Stund auf Stunde, Bis daß es dirnkel ward int Tal Und er halblaut mit zuckendem Munde Ausrief durch Tränen noch einmal: „Rübezahl!"

8. Dann ließ er still das buschge Fleckchen Und gitterte und sagte: „Hu!" Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen Dem Jammer seiner Heimat zu. Ost ruht er aus auf moosgen Steinen, Matt von der Bürde, die er trug. Ich glaub, sein Vater webt dem Klemen Zum Hunger- bald ein Leichentuch. Rübezahl!

Emanuel Geibel. 13. Hoffnung. 1. Und dränt der Winter noch so sehr Mit trotzigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee umher, Es muß doch Frühling werden. Hessel, Lesebuch 6. 14. Aufl.

M. 2

18

Geibel.

2. Und drängen die Nebel noch so dicht Sich vor den Blick der Sonne, Sie wecket doch mit ihrem Licht Einmal die Welt zur Wonne. 3. Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht! Mir soll darob nicht bangen: Auf leisen Sohlen über Nacht Kommt doch der Lenz gegangen.

4. Da wacht die Erde grünend ans, Weif; nicht, wie ihr geschehen, Und lacht in den sonnigen Himmel hinaus Und möchte vor Lust vergehen. 5. lind Und Als

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar schmückt sich mit Rosen und Ähren läßt die Brünnlein rieseln klar. wären es Freudenzähren.

6. Drum still! und wie es frieren mag, O Herz, gib dich zufrieden! Es ist ein großer Maientag Der ganzen Welt beschieden. 7. Und wenn dir oft auch bangt nud graut. Als sei die Höll auf Erden, Nur unverzagt auf Gott vertraut! Es muß doch Frühling werden.

14. Der Mai ist gekommen. 1. Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus; Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt, So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

2. Herr Wer weiß, Es gibt so Es gibt so

Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt! wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht! manche Straße, da nimmer ich marschiert. manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.

3. Frisch auf drum, Wohl über die Berge, Die Quellen erklingen, Mein Herz ist wie 'ne

frisch auf im Hellen Sonnenstrahl! wohl durch das tiefe Tal! die Bäume rauschen all. Lerche und stimmet ein mit Schall.

4. Und abends im Städtlein da kehr ich durstig ein: Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein! Ergreife die Fiedel, du lustger Spielmann du. Von meinenl Schatz das Liedel sing ich dazu. 5. Und find ich keine Herberg, so lieg ich zu Nacht Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht; Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach. Es küsset in der Früh das Morgenrot mich wach.

6. O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust! Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust! Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt: Wie bist du doch so schön, o, du weite, weite Welt!

15. Morgenwanderung. 1. Wer recht in Freuden wandern will. Der geh der Sonn entgegen; Da ist der Wald so kirchenstill. Kein Lüftchen mag sich regen; Noch sind nicht die Lerchen wach, Nur im hohen Gras der Bach Singt leise den Morgensegen.

2. Die ganze Welt ist wie ein Buch, Darin uns ausgeschrieben In bunten Zeilen manch ein Spruch, Wie Gott uns treu geblieben; Wald und Blumen nah und fern Und der helle Morgenstern Sind Zeugen von seinem Lieben. 3. Da zieht die Andacht wie ein Hauch Durch alle Sinnen leise.

20

Geibel.

Gellert.

Da pocht ans Herz die Liebe auch In ihrer stillen Weise, Pocht und pocht, bis sich's erschließt Und die Lippe überfließt Bon lauten'., jubelndem Preise.

4. Und plötzlich läßt die Nachtigall Im Busch ihr Lied erklingen. In Berg und Tal erwacht der Schall Und will sich aufwärts schwingen; Und der Morgenröte Schein Stimmt in lichter Glut mit ein: Laßt uns dem Herrn lobsingen!

Christian Fürchtegott Gellert. 16. Die Ehre Gottes aus der Natur. 1. Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre, Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort. Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere; Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

2. Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne ? Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt? Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von fern« Und läuft den Weg, gleich als ein Held. 3. Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke, Die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

4. Kannst du der Wesen unzählbare Heere, Den kleinsten Staub fühllos beschaun? Durch wen ist alles? O, gib ihm die Ehre! Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun. 5. Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde, An meinen Werken kennst du mich.

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Geibel.

Gellert.

Da pocht ans Herz die Liebe auch In ihrer stillen Weise, Pocht und pocht, bis sich's erschließt Und die Lippe überfließt Bon lauten'., jubelndem Preise.

4. Und plötzlich läßt die Nachtigall Im Busch ihr Lied erklingen. In Berg und Tal erwacht der Schall Und will sich aufwärts schwingen; Und der Morgenröte Schein Stimmt in lichter Glut mit ein: Laßt uns dem Herrn lobsingen!

Christian Fürchtegott Gellert. 16. Die Ehre Gottes aus der Natur. 1. Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre, Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort. Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere; Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

2. Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne ? Wer führt die Sonn aus ihrem Zelt? Sie kömmt und leuchtet und lacht uns von fern« Und läuft den Weg, gleich als ein Held. 3. Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke, Die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

4. Kannst du der Wesen unzählbare Heere, Den kleinsten Staub fühllos beschaun? Durch wen ist alles? O, gib ihm die Ehre! Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun. 5. Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde, An meinen Werken kennst du mich.

Gellert. Giesebrecht. Ich bin's und werde fein, der ich sein werde. Dein Gott und Vater ewiglich. 6. Ein Ich Und

Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte, Gott der Ordnung und dein Heil; bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte nimm an meiner Gnade teil!

Ludwig Giesebrecht. 17. Der Lotse. 1. „Siehst du die Brigg dort auf den Wellen? Sie steuert falsch, sie treibt herein Und muß am Vorgebirg zerschellen. Lenkt sie nicht augenblicklich ein.

2. Ich muß hinaus, daß ich sie leite!" „Gehst du ins offne Wasser vor. Sv legt dein Boot sich auf die Seite Und richtet nimmer sich empor."

3. „Allein ich sinke nicht vergebens, Weirn sie mein letzter Ruf belehrt; Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens Ist wohl ein altes Leben wert.

4. Gib mir das Sprachrohr! Schifflein, eile! Es ist die letzte, höchste Not!" — Bor fliegendem Sturme gleich dem Pfeile Hin durch die Scheren eilt das Boot. 5. Jetzt schießt es aus dem Klippenrande. „Links müßt ihr steuern!" hallt ein Schrei. Kieloben treibt das Boot zu Lande, Und sicher fährt die Brigg vorbei.

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Gellert. Giesebrecht. Ich bin's und werde fein, der ich sein werde. Dein Gott und Vater ewiglich. 6. Ein Ich Und

Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte, Gott der Ordnung und dein Heil; bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte nimm an meiner Gnade teil!

Ludwig Giesebrecht. 17. Der Lotse. 1. „Siehst du die Brigg dort auf den Wellen? Sie steuert falsch, sie treibt herein Und muß am Vorgebirg zerschellen. Lenkt sie nicht augenblicklich ein.

2. Ich muß hinaus, daß ich sie leite!" „Gehst du ins offne Wasser vor. Sv legt dein Boot sich auf die Seite Und richtet nimmer sich empor."

3. „Allein ich sinke nicht vergebens, Weirn sie mein letzter Ruf belehrt; Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens Ist wohl ein altes Leben wert.

4. Gib mir das Sprachrohr! Schifflein, eile! Es ist die letzte, höchste Not!" — Bor fliegendem Sturme gleich dem Pfeile Hin durch die Scheren eilt das Boot. 5. Jetzt schießt es aus dem Klippenrande. „Links müßt ihr steuern!" hallt ein Schrei. Kieloben treibt das Boot zu Lande, Und sicher fährt die Brigg vorbei.

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Gleim.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim. 18. Der Fischreiher. Am Ufer eines Baches ging Ein Reiher auf und ab, auf langen, dürren Beinen, Mit langem Hals, an dem ein langer Schnabel hing: Des Bachs Gewässer floß auf harten Kieselsteinen 5 Bergab mit angenehmem Schall, Durchsichtig wie Kristall. Die Fische waren guter Dinge, Vollbrachten tausend frohe Sprünge Und sonnten sich ain Sonnenstrahl. 10

Herr Reiher, wie so faul? Schnappst du denn Mit deinem langen Schnabel zu snicht einmal Und holst dir einen Hecht? Du Fauler, wartest du Auf einen Karpfen? Ei, löte wird es dich gereun: Wenn du wirst schnappen wolln, dann wird kein Hecht

Wie ernsthaft steht er da, wie still! smehr feilt! Wie drehet er den Hals, den er nicht brauchen will! Bald aber hungert ihn, und nun sieht er sich um Nach Karpfen oder Hecht, Allein verschwunden ist das ganze Fischgeschlecht; 20 Nur Schleie schwimmen noch. Er aber ist iticht dunlnt, Er hat Geschmack: Schlei wäre schlechte Speise Für einen Reiher! Alle läßt er ziehn, Und immer mehr noch hungert ihn. •

15

Er geht vom Ufer ab uttb wartet in dem Bach; 25 Gründlinge trifft er an, fragt aber nichts darnach; Er läßt sie all in Frieden schwimmen, spricht: „Gründlinge fressen Reiher nicht; Nach ihnen nur einmal den Schnabel aufzutun. Das wäre großer Schimpf für einen Leckermund!" 30

Er sagt's; indessen geht, was Fisch ist, auf den Grund; Nicht einer läßt sich sehn! Ei, Leckermund, wie nun? Nachdem er lang umsonst gesuchet und geschnappt, Wird mit genauer Not ein Frosch von ihm ertappt!

Johann Wolfgang von Goethe. 19. Der getreue Eckart 1. „O, wären wir weiter! o, wär ich zu Haus! Sie kommen, da kommt schon der nächtliche Graus; Sie sind's, die unholdigen Schwestern. Sie streifen heran, und sie finden uns hier. Sie trinken das mühsam geholte, das Bier, Und lassen nur leer uns die Krüge." 2. So sprechen die Kinder und drücken sich schnell; Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell: „Nur stille, Kind! Kinderlein, stille! Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd, Und lasit ihr sie trinken, wie's jeder behagt. Dann sind sie euch hold, die Unholden." 3. Und Doch Das Nun Ins

Gesagt — so geschehn! und da naht sich der Graus siehet so grau und so schattenhaft aus. schlürft es und schlampst es aufs beste. Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer; saust es und braust es, das wütige Heer, weite Getal und Gebirge.

4. Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell! Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell: „Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig!" „Wir kriegen nun Schelten und Streich bis aufs Blut." „Nein, keineswegs, alles geht herrlich und gut. Nur schweiget und horchet wie Mäuslein! 5. Und der es euch anrät, und der es befiehlt. Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt. Der alte Getreue, der Eckart. Vom Wundermann hat man euch immer erzählt, Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt. Die habt ihr nun köstlich in Händen."

6. Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug Ein jedes den Eltern bescheiden genug Und harren der Schläg und der Schelten. Doch siehe, man kostet: „Ein herrliches Bier!" Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier, Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende. 7. Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag: Doch fraget, wer immer zu fragen vermag: „Wie ist's mit den Krügen ergangen?" Die Mäuslcin, sie lächeln, im stillen ergetzt: Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt, Und gleich sind vertrocknet die Krüge.

8. Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht. So horchet und folget ihm pünktlich! Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut, Verplaudern ist schädlich, verschlveigen ist gut; Dann füllt sich das Bier in den Krügen.

20. Legende vom Hufeisen Als noch, verkannt und sehr gering. Unser Herr auf der Erde ging Und viele Jünger sich zu ihm fanden. Die sehr selten sein Wort verstanden, 5 Liebt' er sich gar über die Maßen, Seinen Hof zu halten auf der Straßen, Weil unter des Himmels Angesicht Man immer besser und freier spricht. Er ließ sie da die höchsten Lehren 10 Aus seinem Heilgen Munde hören; Besonders durch Gleichnis und Exempel Macht' er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert' er in Geistesruh Mit ihnen einst einem Städtchen zu.

15 Sah etwas blinken auf der Straß, Das ein zerbrochen Hufeisen was. Er sagte zu Sankt Peter drauf: „Heb doch einmal das Hufeisen auf!" Sankt Peter war nicht aufgeräumt, 20 Er hatte soeben im Gehen geträumt: So was vom Regiment der Welt, Was einem jeden wohlgefällt, Denn im Kopf hat das keine Schranken; Das waren so seine liebsten Gedanken. 25 Nun war der Fund ihm viel zu klein, Hätte müssen Kron und Zepter sein; Aber wie sollt die Säg in Eil; Sie sägten und stachen Und hieben und brachen. Berappten und kappten. Visierten wie Falken Und setzten die Balken — Eh sich's der Zimmermann versah. Klapp! stand das ganze Haus schon fertig da! 3. Die Die Die

Beim Bäckermeister war nicht Not, Heinzelmännchen backten Brot. faulen Burschen legten sich. Heinzelmännchen regten sich Und ächzten daher Mit den Säcken schwer — Und kneteten tüchtig Und wogen es richtig Und hoben und schoben

Und fegten und backten Und klopften und hackten. Die Burschen schnarchten noch im Chor: Da rückte schon das Brot — das neue, vor. 4. Beim Fleischer ging es just so zu: Gesell und Bursche lag in Ruh; Indessen kamen die Männlein her Und hackten das Schwein die Kreuz und Quer. Das ging so geschwind. Wie die Mühl im Wind! Die klappten mit Beilen, Die schnitzten an Speilen, Die spülten, die wühlten Und mengten und mischten Und stopften und wischten. Tat der Gesell die Augen auf: Wapp! hing die Wurst da schon im Ausverkauf!

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Kopsch. 5. Beim Schenken war es so: es trank Der Küfer, bis er niedersank; Am hohlen Fasse schlief er ein. Die Männlein sorgten um den Wein Und schwefelten fein Alle Fässer ein Und rollten und hoben Mit Winden und Kloben Und schwenkten und senkten Und gossen und panschten Und mengten und manschten. Und eh der Küfer noch erwacht, War schon der Wein geschönt und fein gemacht!

6. Einst hatt' ein Schneider große Pein: Der Staatsrock sollte fertig sein; Warf hin das Zeug und legte sich Hin auf das Ohr und pflegte sich. Da schlüpften sie frisch In den Schneidertisch Und schnitten und rückten Und nähten und stickten Und faßten und paßten Und strichen und guckten Und zupften und ruckten; Und eh mein Schneiderlein erwacht, War Bürgermeisters Nock bereits gemacht!

7. Neugierig Ivar des Schneiders Weib Und macht sich diesen Zeitvertreib: Streut Erbsen hin die andre Nacht. Die Heinzelmännchen kommen sacht; Eins führet nun aus, Schlägt hin im Haus, Die gleiten von Stufen Und plumpen in Kufen, Die fallen mit Schallen,

Kopilch.

Die Und Sie Mit

SS

lärmen und schreien vermaleoeien! springt hinunter auf den Schall Licht: husch husch, husch husch! — ver­ schwinden all!

8. O weh! nun sind sie alle fort. Und keines ist mehr hier am Ort! Man kann nicht mehr >vie sonsten ruhn. Man mutz nun alles selber tun! Ein jeder mutz fein Selbst fleißig sein Und kratzen und schaben Und rennen und traben Und schniegeln und bügeln Und klopfen und hacken Und kochen und backen. Ach, datz es noch wie damals wär! Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her.

50. Puck.. 1. Der lange sprach zum kurzen Knecht: „Laß sein den Puck, es geht dir schlecht! Man muß den Puck nicht necken. Sonst kommt er, dich zu zecken." Der Kurze sprach: „Und kommt er auch. Ich lasse nicht von meinem Brauch:

Denn ich will eben Nur lustig leben. Was ist der Puck? Ein Teufclsspuk!" 2. Der Lange sprach: „Ich weiß nicht was. Doch trägt ins Daus er Korn und Gras Und putzt die Pferd' int Stalle, Kocht, backt und fegt die Dalle.

Er holt das Wasser aus dem Born Und flickt den Zaun mit manchem Dorn, Hackt Holz für alle Mit Poch und Schalle, Macht reich den Herrn, Man hat ihn gern." 3. Der Kurze sprach: „Das wußt ich längst. Daß du an deinem Puck so hängst. Da sieh ihn, deinen Feinen! Er bammelt mit den Beinen Dort aus der Luk; ich schleich ins Haus . ." Paff! stößt er zu der Luk ihn aus: Kopfüber fliegt er, Und plauz! da liegt er Mit klipp! klapp! klopf! Als alter Topf. 4. Da lachen alle, die es sehn; Doch ach! wie wird's dem Knechte gehn? Er fürcht sich selbst vor Strafen, Legt sich zum Langen schlafen. Nun währt's nicht lang, so kommt der Puck Zu ihm und gibt ihm einen Ruck, Packt ihn am Beine: „Du liegst nicht feine! Ich richte euch: So liegt ihr gleich!" — „Au!" 5. Er deckt ihn sauber wieder zu Und läßt ihn eine Weil in Ruh. Er liegt und schnarcht bequemlich; Da kommt der Puck vernehmlich, Sieht nach und sagt: „Nun fehlt's am Kopf!" Da zieht er ihn heraus am Schopf. — „Au!" Nun guckt er drunten: Da fehlt es unten; Er zieht am Bein Und legt ihn fein. — „Au!"

6. Da guckt er wieder oben nach Und zieht ihn wieder 'rauf gemach. — „Au!" „Ich kann dir's nicht erlassen. Du mußt zum Langen passen!" Nun sieht er unten: „Willst du wohl? Ich seh den Fleck schon wieder hohl: Du liegst nicht feine, Komm her am Beine!" — „Au!" „Nun fehlt's am Kopf! Komm her am Schopf!" - „Au!" 7. „Hier Fuß her!"

„Au!" — „Hier Kopf!" — „Au, an!" Er zwickt den Armen braun und blau. Da kräht der Hahn, aus ist der Kummer, Der Knecht verfällt in tiefen Schlummer. Doch morgens er mit Schrecken sah: Quer überm Brunnen liegt er da Und ruft mit Beben Fürs arme Leben: „Verzeih mir, Puck! Laß ab vom Spuk!"

51. Tomte i Garden. (Dänische Sage).

Veit Rik führt Korn in den Hof hinein. Da keucht klein Tomte hinterdrein.

Der Tomte i Garden ist klein wie ein Kind Und trägt mit Müh einen Halm im Wind, 5 Er hat ein rot Käppchen und freundlich Gesicht Und sagt: Verschmäh doch mein Hälmchen nicht! —

Veit Rik aber lenkt in die Scheuer und spricht: Was hilft mir ein Hälmchen, du kröplicher Wicht?

Geh hin, wo du willst, das wär mir genehm. 10 Das wär eine Hilfe, wenn die Art käm!

Der Tomte i Garden blieb nicht stehn. Man sah ihn zu Nikeburs Nachbar gehn:

Dein bracht er die Ähre, der nahm sic gern. Da brachte ihm Tomte noch mehr von fern;

15 Der Tomte i Garden schleppt Nacht und Tag, Bis voll des Nachbars Scheuer lag; Er liest auch die Körnchen am Wege verstreut. Womit er die Hühner des Hofes erfreut; Holt Moos und verstopft die Nihen im Stein, 20 Lässt kein kalt Lüftchen ins Haus hinein;

Die Hölzchen und Zweiglcin liest er auf Und zündet damit das Feuer auf; Er wäscht die Kindlcin und kämmt ihr Haar, Es glänzt wie die lichte Sonne so Nar;

25 Er duldet kein Fleckchen, er scheuert die Bank, Er putzt auch das Vieh, das wird so blank. Sein Näpfchen Milch und ein Stück grau Tuch, Das war ihm zum ganzen Lohn genug.

Und alles geht Wohl, und alles gedeiht, 30 Veit Nik, der sicht es am Ende mit Neid;

In Nikes Haus war's kalt, nicht warm, Veit Nik hiess nun gar bald Veit Arm. Er hatte den Tonite i Garden verschmäht. Durch den es gut im Hause steht.

52. Der Mäuseturm. 1. Am Mänseturm um Mitternacht Des Bischofs Hatto Geist erwacht: Er flieht um die Zinnen im Höllcnschein Und glühende Mänslcin hinter ihm drein! 2. Ter Hungrigen hast du, Hatto, gelacht. Die Scheuer Gottes zur Hölle gemacht; Drum ward jedes Körnlein im Speicher dein Verkehrt in ein nagendes Mäuselcin.

3. Du flohst auf den Rhein in den Jnselturnr, Doch hinter dir rauschte der Mäusesturm; Du schlossest den Turm mit eherner Tür, Sie nagten den Stein und drangen Herfür. 4. Sie fraßen die Speise, die Lagerstatt, Sie fraßen den Tisch dir und wurden nicht satt, Sie fraßen dich selber zu aller Graus Und nagten den Namen dein überall aus.

5. Fern rudern die Schiffer um Mitternacht, Wenn schwirrend dein irrender Geist erwacht: Er flieht um die Zinnen im Höllenschein Und glühende Mäuslein hinter ihm drein.

Detlev von Liliencron. 83. Die Musik kommt. 1. Klingling, bnmbum und tschingdada. Zieht im Triumph der Perserschah? Und um die Ecke brausend bricht's Wie Tubaton des Weltgerichts, Voran der Schellenträger.

2. Der Die Die Und

Brumbrum, das große Bombardon, Beckcnschlag, das Helikon, Piccolo, der Zinkenist, Türkentrommel, der Flötist, dann der Herre Hauptmann.

3. Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn, Die Schuppenketten unterm Kinn, Die Schärpe schnürt den schlanken Leib, Beinl Zeus! das ist kein Zeitvertreib, Und dann die Herren Leutnants.

4. Zwei Leutnants, rosenrot und braun, Die Fahne schützen sie als Zaun,

3. Du flohst auf den Rhein in den Jnselturnr, Doch hinter dir rauschte der Mäusesturm; Du schlossest den Turm mit eherner Tür, Sie nagten den Stein und drangen Herfür. 4. Sie fraßen die Speise, die Lagerstatt, Sie fraßen den Tisch dir und wurden nicht satt, Sie fraßen dich selber zu aller Graus Und nagten den Namen dein überall aus.

5. Fern rudern die Schiffer um Mitternacht, Wenn schwirrend dein irrender Geist erwacht: Er flieht um die Zinnen im Höllenschein Und glühende Mäuslein hinter ihm drein.

Detlev von Liliencron. 83. Die Musik kommt. 1. Klingling, bnmbum und tschingdada. Zieht im Triumph der Perserschah? Und um die Ecke brausend bricht's Wie Tubaton des Weltgerichts, Voran der Schellenträger.

2. Der Die Die Und

Brumbrum, das große Bombardon, Beckcnschlag, das Helikon, Piccolo, der Zinkenist, Türkentrommel, der Flötist, dann der Herre Hauptmann.

3. Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn, Die Schuppenketten unterm Kinn, Die Schärpe schnürt den schlanken Leib, Beinl Zeus! das ist kein Zeitvertreib, Und dann die Herren Leutnants.

4. Zwei Leutnants, rosenrot und braun, Die Fahne schützen sie als Zaun,

Die Fahne kommt, den Hut nimm ab, Der sind wir treu bis an das Grab! Und dann die Grenadiere. 5. Der Grenadier im strammen Tritt, In Schritt und Tritt und Tritt und Schritt, Tas stampft und dröhnt und Nappt und flirrt, Laterncnglas und Fenster klirrt. Und dann die kleinen Mädchen. 6. Die Mädchen alle, Kopf an Kopf, Das Auge blau und blond der Zopf, Aus Tür und Tor und Hof und Haus Schaut Mine, Trine, Stine aus. Vorbei ist die Musike.

7. Klingling, tschingtsching und Paukenkrach, Noch aus der Ferne tönt es schwach. Ganz leise bumbumbumbum tsching. Zog da ein bunter Schmetterling, Tschingtsching, bum, um die Ecke?

54. Tod in Ähren. 1. Im Weizenfeld, in Korn und Mohn, Liegt ein Soldat, unaufgefunden. Zwei Tage schon, zwei Nächte schon. Mit schweren Wunden, unverbunden.

2. Durstüberqnält und fieberwild, Im Todeskampf den Kopf erhoben. Ein letzter Traum, ein letztes Bild, Sein brechend Auge schlägt nach oben.

3. Die Sense rauscht im Ährenfeld, Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, Ade, ade, du Heimatwelt — — — Und beugt sein Haupt und ist verschieden.

Hermann Lingg. SS. Feierabend. 1.

Feierabend! alle Glocken

Läuten Friede, Ruh und Rast — Kerzen funkeln, und es locken Volle Kannen schon den Gast. 2. In der Werkstatt schweigt das Hänimern, Und der Meister im Gemach Sinnt bei letztem Tagesdämmern Froh getaner Arbeit nach.

3.

Nur den Schiffer drauß im Hafen

Weckt nach tagelanger Ruh Guter Fahrwind. Statt zu schlafen. Eilt er fernen Ländern zu.

56.

Die Weitze Weihnachtsrose.

1. Wenn über Wege tiefbeschneit Der Schlitten lustig rennt, Im Spätjahr in der Dämmerzeit, Die Wochen im Advent, Wenn aus dem Schnee das junge Reh Sich Kräuter sucht und Moose, Blüht unverdorrt im Frost noch fort Die weiße Weihnachtsrose.

2. Kein Blümchen sonst auf weiter Flur; In ihrem DornenNeid Nur sie, die niedre Distel nur. Trotz allem Winterlcid; Das macht, sie will erwarten still. Bis sich die Sonne wendet. Damit sie weiß, daß Schnee und Eis Auch diesmal wieder endet.

3. Doch ist's geschehn, nimmt fühlbar kaum Der Nächte Dunkel ab.

(2

Lingg.

Dann sinkt mit einem Hoffnungstraum Auch sie zurück ins Grab. Nun schläft sie gern; sie hat von fern Des Frühlings Gruß vernommen, Und o wie bald wird glanzumwallt Er sie zu wecken kommen.

57. Die Römerstratze. 1. Der Sie Am

Man spricht im Dorf noch ost von ihr, alten drauß iin tiefen Walde, zeige sich noch dort und hier, Feldweg und am Saum der Halde.

2. Sie zieht herauf und steigt hinab, Es weidet über ihr die Herde, An ihrer Seite manches Grab, So liegt sie drunten in der Erde.

3. Es führt ob ihr dahin der Steg, Der Pflüger mit dem Jochgespanne Geht über ihren Grund hinweg, Und Wurzeln schlägt aus ihr die Tanne. 4. Und Der Und

Der Römer hat sie einst gebaut ihr den Ruhm, die Pflicht, die Trauer, Gräber Urnen anvertraut seines Namens ewge Dauer.

5. Und eine Villa glänzt am Strom, Wo Kähne laitden, Sklaven lärmen. Der Herr des Hauses seufzt nach Rom, Nach Tibur und nach Bajäs Thermen.

6. Mir ist, Kohorteil schreiten dort Gepanzert nach dem Lagerwalle, Es tönt des Kriegstribunen Wort Vom Turm her zu der Tuba Schalle. 7. Der Prätor naht, vom Volk umringt, Liktoren ziehn, behelmte Reiter, Und wie sich Bild mit Bild verschlingt. Am Tag traumwandelnd schreit ich weiter.

8. Ein Ich Den

Da vlötz!ich ruft ein Laut mich wach. Erdgedröhn auf nahen Gleisen — steh am Kreuzweg; hier durchbrach Römerpfad der Pfad von Eisen.

9. Und donnernd rollt der Wagenzug Vorbei den alten Meilensteinen, Wie Blitz des Zeus und Geisterslug, Der Erde Völker zu vereinen.

Iakob Löwenberq. 58. Auf der Straßenbahn. In Hitz und Frost, in Staub und Regen, Jedwedem Wetter die Stirn entgegen. Die Hand an der Kurbel, das Auge gespannt. So steht der Führer aus seinem Stand.

5

So steht er von früh bis abends spät. Das schwatzt um ihn, das kommt nnd geht. Das stößt und drängt sich, das scherzt und lacht Bis in die tiefe Mitternacht.

Starr blickt er hinab in der Straste Gewühl, 10 Er steht auf Posten, er kennt nur ein Ziel, Wie's um ihn auch hastet und wirrt und flieht: Daß nur kein Unglück, kein Unglück geschieht! Nur einmal da draußen, da kann cs geschehn. Wo grün an der Straße die Bäume noch stehn, 15 Da bricht ein Lächeln die starre Ruh, Vom Wegrand blickt fröhlich sein Weib ihm zu.

Sein Junge springt flink an die Vordertnr Und bringt ihm ein Brot und bringt ihm ein Bier, Fährt jubelnd mit zur Endstation: 20 Das ist des Tages reichster Lohn. — Sei jedem, wie und wo er auch fährt, Solch eine Strecke Weges beschert!

8. Ein Ich Den

Da vlötz!ich ruft ein Laut mich wach. Erdgedröhn auf nahen Gleisen — steh am Kreuzweg; hier durchbrach Römerpfad der Pfad von Eisen.

9. Und donnernd rollt der Wagenzug Vorbei den alten Meilensteinen, Wie Blitz des Zeus und Geisterslug, Der Erde Völker zu vereinen.

Iakob Löwenberq. 58. Auf der Straßenbahn. In Hitz und Frost, in Staub und Regen, Jedwedem Wetter die Stirn entgegen. Die Hand an der Kurbel, das Auge gespannt. So steht der Führer aus seinem Stand.

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So steht er von früh bis abends spät. Das schwatzt um ihn, das kommt nnd geht. Das stößt und drängt sich, das scherzt und lacht Bis in die tiefe Mitternacht.

Starr blickt er hinab in der Straste Gewühl, 10 Er steht auf Posten, er kennt nur ein Ziel, Wie's um ihn auch hastet und wirrt und flieht: Daß nur kein Unglück, kein Unglück geschieht! Nur einmal da draußen, da kann cs geschehn. Wo grün an der Straße die Bäume noch stehn, 15 Da bricht ein Lächeln die starre Ruh, Vom Wegrand blickt fröhlich sein Weib ihm zu.

Sein Junge springt flink an die Vordertnr Und bringt ihm ein Brot und bringt ihm ein Bier, Fährt jubelnd mit zur Endstation: 20 Das ist des Tages reichster Lohn. — Sei jedem, wie und wo er auch fährt, Solch eine Strecke Weges beschert!

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Maßmann.

Matzerath.

Hans Ferdinand Maßmann. 59. Gelübde. 1. Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland! 2. Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt. Du Land der Frein und Frommen, du herrlich Hermannsland! 3. Will halten und gläuben an Gott fromm und frei! Will, Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu!

4. Ach, Gott, tu erheben mein jung Herzensblut Zu frischem, freudigem Leben, zu freiem, frommem Mut! 5. Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand, Zu leben und zu sterben fürs heilge Vaterland!

Christian Joseph Matzerath. 60. An den Rhein. 1. Mein Heimatland, o du herrlicher Rhein, Die Perle des Westens, grün goldige Flut, Deine Männer sind stark, deine Frauen sind gut. Es ist eine Lust, dein Kind zu sein! 2. Wie Auf Wie

Wie blauet dein Himmel so tief und so klar! wallt in goldenen Ähren das Land, den Hügeln, zu Tal, an der Ebene Rand, schwillst von Segen du wunderbar!

3. Von deinen Bergen, wie sieht es sich weit! Wie atmet die Seele so kühn dort und frei! In der Tiefe ziehen die Schifflein vorbei. Zögernd hinweg aus der Herrlichkeit.

4. Noch Wohl Doch

Im Hochland aber immer die Burgen erdröhnet das Horn lieben wir sie, nun

da halten sie Wacht, der Ritter wie hehr! des Wächters nicht mehr, vorbei ihre Macht.

64

Maßmann.

Matzerath.

Hans Ferdinand Maßmann. 59. Gelübde. 1. Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland! 2. Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt. Du Land der Frein und Frommen, du herrlich Hermannsland! 3. Will halten und gläuben an Gott fromm und frei! Will, Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu!

4. Ach, Gott, tu erheben mein jung Herzensblut Zu frischem, freudigem Leben, zu freiem, frommem Mut! 5. Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand, Zu leben und zu sterben fürs heilge Vaterland!

Christian Joseph Matzerath. 60. An den Rhein. 1. Mein Heimatland, o du herrlicher Rhein, Die Perle des Westens, grün goldige Flut, Deine Männer sind stark, deine Frauen sind gut. Es ist eine Lust, dein Kind zu sein! 2. Wie Auf Wie

Wie blauet dein Himmel so tief und so klar! wallt in goldenen Ähren das Land, den Hügeln, zu Tal, an der Ebene Rand, schwillst von Segen du wunderbar!

3. Von deinen Bergen, wie sieht es sich weit! Wie atmet die Seele so kühn dort und frei! In der Tiefe ziehen die Schifflein vorbei. Zögernd hinweg aus der Herrlichkeit.

4. Noch Wohl Doch

Im Hochland aber immer die Burgen erdröhnet das Horn lieben wir sie, nun

da halten sie Wacht, der Ritter wie hehr! des Wächters nicht mehr, vorbei ihre Macht.

Matzerath.

Mörike.

65

5. O Rhein! und es spiegeln sich Dome groß In der Fluten, der leise schauernden, Schaum, Gewaltige Kaiser träumen den Traum Versunkener Glorie in ihrem Schoß! 6. Mein Heimatland, o du herrlicher Rhein, Du Perle des Westens, grüngoldige Flut, Deine Männer sind stark, deine Frauen sind gut, Es ist eine Lust, dein Kind zu sein.

Eduard Mörike. 61. Zum neuen Jahr. 1. Wie heimlicherweise Ein Engelein leise Mit rosigen Füßen Die Erde betritt. So nahte der Morgen. Jauchzt ihm, ihr Frommen, Ein heilig Willkommen, Ein heilig Willkommen! Herz, jauchze du mit!

2. In ihm sei's begonnen. Der Monde und Sonnen An blauen Gezelten Des Himmels bewegt. Du, Vater, du rate! Lenke du und wende! Herr, dir in die Hände Sei Anfang und Ende, Sei alles gelegt!

Hessel, Lesebach 5. 14. «uff.

M.5

Matzerath.

Mörike.

65

5. O Rhein! und es spiegeln sich Dome groß In der Fluten, der leise schauernden, Schaum, Gewaltige Kaiser träumen den Traum Versunkener Glorie in ihrem Schoß! 6. Mein Heimatland, o du herrlicher Rhein, Du Perle des Westens, grüngoldige Flut, Deine Männer sind stark, deine Frauen sind gut, Es ist eine Lust, dein Kind zu sein.

Eduard Mörike. 61. Zum neuen Jahr. 1. Wie heimlicherweise Ein Engelein leise Mit rosigen Füßen Die Erde betritt. So nahte der Morgen. Jauchzt ihm, ihr Frommen, Ein heilig Willkommen, Ein heilig Willkommen! Herz, jauchze du mit!

2. In ihm sei's begonnen. Der Monde und Sonnen An blauen Gezelten Des Himmels bewegt. Du, Vater, du rate! Lenke du und wende! Herr, dir in die Hände Sei Anfang und Ende, Sei alles gelegt!

Hessel, Lesebach 5. 14. «uff.

M.5

Mojen.

Julius Mosen. 62. Andreas Hofer. 1. Zu Mantua in Banden Der treue Hofer war. In Mantua zum Tode Führt ihn der Feinde Schar. Es blutete der Brüder Herz: Ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz! Mit ihm das Land Tirol!

2. Die Hände auf dem Rücken, Andreas Hofer ging Mit ruhig festen Schritten, Ihm schien der Tod gering; Der Tod, den er so manchesmal Vom Jselberg geschickt ins Tal Im heilgen Land Tirol. 3. Doch als aus Kerkergittern Im festen Mantua Die treuen Waffenbrüder Die Hand er strecken sah. Da rief er aus: „Gott sei mit euch. Mit dem verratnen deutschen Reich Und mit dem Land Tirol!"

4. Dem Tambur will der Wirbel Nicht unterm Schlägel vor. Als nun Andreas Hofer Schritt durch das finstre Tor: Andreas, noch in Banden frei, Dort stand er fest auf der Bastei, Der Mann vom Land Tirol.

5.

Dort soll er niederknieen,

Er sprach: „Das tu ich nit! Will sterben, wie ich stehe, Will sterben, wie ich stritt, So, wie ich steh auf dieser Schanz. Es leb mein guter Kaiser Franz, Mit ihm sein Land Tirol!"

6. Und von der Hand die Binde Nimmt ihm der Korporal; Andreas Hofer betet Allhier zum letztenmal. Dann ruft er: „Nun^ so trefft mich recht! Gebt Feuer! ach, wie schießt ihr schlecht! Ade, mein Land Tirol!"

63. Der Trompeter an der Katzbach. 1. Bon Wunden ganz bedecket Der Trompeter sterbend ruht, An der Katzbach hingestrecket, Der Brust entströmt das Blut.

5. Und die Trompete schmettert ■ Fest hält sie seine Hand — Und wie ein Donner wettert Viktoria in das Land.

2. Brennt auch die Todeswunde, 6. Viktoria Doch sterben kann er nicht, Viktoria — Bis neue Siegeskunde Viktoria — Zu seinen Ohren bricht. Hervor mit

— so klang'es,

überall, so drang es Donnerschall.

3. Und wie et schmerzlich ringet 7. Doch als es ausgeklungen, In Todesängsten bang, Die Trompete setzt er ab; Zu ihm herüberdringet Das Herz ist ihm zersprungen. Ein wohlbekannter Klang. Vom Roß stürzt er herab. 4. Das hebt ihn von der Erde, 8. Um ihn herum im Kreise Er streckt sich starr und wild — Hielt's ganze Regiment, Dort sitzt er auf dem Pferde, Der Feldmarschall sprach leise Als wie ein steinern Bild. „Das heißt ein selig End!"

Joseph Müller. 64. Et Henzemännche en der Bäcker. (Aachener Mundart).

1. Wenn mich de beis et nit verzelt, Was söns för menich hondert jör Sich zaudrug hei op deser weit, Me säd, et es net wör.

2. Ens wör ene bäcker enge stadt, Wo ’n henzemännche körn, De schleif des näts sich helsesatt En han doch voll der kröm. 3. Des morgens wor et backes reng En alles wör geschet, Dö löge wecke grüß en kleng Ouch schwatzbrot feiet net. 4. De bäckerschfrau gefeil dat denk, Dat wör nö höre sen, Geschürt fong sei noch blank en blenk De grülle öwendren.

5. Drum sät se: „Männche, wat ich wen, Dat du de ärme nackse wais För all si plöge en sin meu E böxge mache leiß.“

6. Dat röxge en dat böxge körn, Von fin scharlache doch, Et wör et fingste üs der kröm En noch net fing genög. 7. Die neu montur läg op ene sack Die frau en ä pläsir En dät: „Ich weß, dat an der back Ich dat wier profitier.“ 8. Et henzche dög die kleier an En satz sich op der sack En dät: wie ich schön kleier han, Nun blos ich op der back.

Joseph Müller.

Wilhelm Müller.

69

9. Et henzche leiß stell alles stö En rürt net bank noch föß, Dröm wör des morgens nüs gedö, Der bäcker zom verdröß. 10. „Wie?“ sät de, „henzche, works du net? Dat seng ich gar net ret, Wenn me dich doch e böxge get En ovendren e kled!“ 11. Et henzche sprang nü van der sack En reif: „Adje, er lü, Els herrche blos ich op der back En gev dovan de brüh!“

Wilhelm Müller. 65. Kin-erlust. 1. Nun feget aus den alten Staub Und macht die Laube blank. Laßt ja kein schwarzes Winterlaub Mir liegen auf der Bank! 2. Die erste weiße Blüte flog Mir heut ins Angesicht. Willkommen, Lenz! ich lebe noch Und weiß von Leide nicht. 3. Und schaue hell, wie du, hinein In Gottes schöne Welt Und möcht ein kleiner Bube sein Und kollern durch das Feld. 4. O, seht! da plätschern schon am See Die lieben Kindelein Und ziehn die Hemdchen in die Höh Und wollen gern hinein. 5. Wie lockt der warme Sonnenschein, Der auf dem Spiegel ruht! Da ist kein Fuß zu weich, zu klein. Er probt, wie's Wasser tut.

Joseph Müller.

Wilhelm Müller.

69

9. Et henzche leiß stell alles stö En rürt net bank noch föß, Dröm wör des morgens nüs gedö, Der bäcker zom verdröß. 10. „Wie?“ sät de, „henzche, works du net? Dat seng ich gar net ret, Wenn me dich doch e böxge get En ovendren e kled!“ 11. Et henzche sprang nü van der sack En reif: „Adje, er lü, Els herrche blos ich op der back En gev dovan de brüh!“

Wilhelm Müller. 65. Kin-erlust. 1. Nun feget aus den alten Staub Und macht die Laube blank. Laßt ja kein schwarzes Winterlaub Mir liegen auf der Bank! 2. Die erste weiße Blüte flog Mir heut ins Angesicht. Willkommen, Lenz! ich lebe noch Und weiß von Leide nicht. 3. Und schaue hell, wie du, hinein In Gottes schöne Welt Und möcht ein kleiner Bube sein Und kollern durch das Feld. 4. O, seht! da plätschern schon am See Die lieben Kindelein Und ziehn die Hemdchen in die Höh Und wollen gern hinein. 5. Wie lockt der warme Sonnenschein, Der auf dem Spiegel ruht! Da ist kein Fuß zu weich, zu klein. Er probt, wie's Wasser tut.

70

Wilhelm Müller.

6. Ich sitz und seh dem Spiele zu Und spiel im Herzen auch. Du lieber Lenz, ein Kind bist du Und übest Kinderbrauch. 7. Wie viel du hast, du weitzt es kaum Und schüttest alles aus. Nehmt, Kinder, nehmt! es ist kein Traum, Es kommt aus Gottes Haus. 8. Und wenn du nun ganz fertig bist. Hast keine Blume mehr. Dann gehst bn wieder ohne Frist, Kein Abschied wird dir schwer, 9. Und rufst dem Bruder Sommer zu: „Bringst du die Früchte her? Was ich versprach, das halte du! Ei, ei, dein Korb ist schwer!"

66, Das Frühlingsmahl. 1. Wer hat die weißen Tücher gebreitet über das Land, Die weißen, duftenden Tücher mit ihrem grünen Rand? 2. Und hat darüber gezogen das hohe, blaue Zelt, Darunter den bunten Teppich gelagert über das Feld? 3. Er ist es selber gewesen, der gute, reiche Wirt Des Himmels und der Erden, der nimmer ärmer wird, 4. Er hat gedeckt die Tische in seinem weiten Saal Und ruft, was lebet und webet, zum großen Frühlingsmahl. 5.

Und 6. Was

7. Und

Wie strömt's aus allen Blüten herab von Strauch und Baum! jede Blüt ein Becher voll süßer Düste Schaum! Hört ihr des Wirtes Stimme: „Heran, was kriecht und fliegt. geht und steht auf Erden, was unter den Wogen sich wiegt! Und du, mein Himmelspilger, hier trinke trunken dich sinke selig nieder aufs Knie und denk an mich!"

67. Der kleine Hhdriot. Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein, Da nahm inich schon mein Vater mit in das Meer hinein Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand Und in die Fluten tauchen bis nieder auf den Sand; 6 Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab, Und dreimal mußt ich's holen, eh er's zum Lohn mir gab.

Dann reicht er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich gehn. Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn, Wies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht, 10 Wie man die Wirbel ntcibct und mit der Brandung ficht.

Und von dem Heinen Kahne ging's flugs ins große Schiff, Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff; Ich saß auf hohem Maste, schaut über Meer und Land: Es schwebten Berg und Türme vorüber mit dem Strand. 15 Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug, Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug; Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Flut, Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut, Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht — 20 Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht — Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: „Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hhdriot!" Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland. 25 Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zehn, Mir war's, als tät sein Auge hinab ins Herz mir sehn; Ich hielt mein Schwert gen Himmel und schaut ihn sicher an Und deuchte mich zur Stunde nicht schlechter als ein Mann. Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: 30 „Glück zu mit deinem Schwerte, du kleiner Hhdriot!"

Wolfgang Müller.

72

Wolfgang Müller von Königswinter. 68. Schwert und Pflug (Sage von Neuenahr). 1. Einst war ein Graf, so geht die Mär, Der fühlte, daß er sterbe; Die beiden Söhne rief er her, Zu teilen Hab und Erbe. 2. Nach einem Pflug, nach einem Schwert

Rief da der alte Degen, Das brachten ihm die Söhne wert; Da gab er seinen Segen: 3. „Mein ältster Sohn, mein stärkster Sproß, Du sollst das Schwert behalten, Die Berge mit dem stolzen Schloß Und aller Ehren walten. 4. Doch dir, nicht minder liebes Kind, Dir sei der Pflug gegeben, Im Tal, wo stille Hütten sind, Dort magst du friedlich leben." 5. So starb der lebensmüde Greis, Als er sein Gut vergeben; Die Söhne hielten das Geheiß Treu durch ihr ganzes Leben.

6. Dem Was Was

Doch sprecht, was ward denn aus dem Stahl Schlosse und dem Krieger? ward denn aus dem stillen Tal, aus dem schwachen Pflüger?

7. O, fragt nicht nach der Sage Ziel! Euch künden rings die Gauen: Der Berg ist wüst, das Schloß zerfiel, Das Schwert ist längst zerhauen.

8. Doch liegt das Tal voll Herrlichkeit Im lichten Sonnenschimmer, Da wächst und reift es weit und breit: Man ehrt den Pflug noch immer.

69. Der Mönch von Heifterbach. 1. Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort; Der Ewigkeit sinnt still und tief er nach Und forscht dabei in Gottes heilgem Wort. 2. Er liest, was Petrus, der Apostel, sprach: „Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr, Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag!" Doch wie er sinnt, cs wird ihm nimmer klar.

3. Und er verliert sich zweifelnd in den Wald: Was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht; Erst wie die fromme Vesperglocke schallt. Gemahnt es ihn der ernsten Klosterpflicht. 4. Im Lauf erreichet er den Garten schnell; Ein Unbekannter öffnet ihm das Tor. Er stutzt — doch sieh, schon glänzt die Kirche hell, Und draus ertönt der Brüder heilger Chor.

5. Nach seinem Stuhle eilend tritt er ein, Doch, wunderbar! ein andrer sitzet dort; Er überblickt der Mönche lange Reihn: Nur Unbekannte findet er am Ort. 6. Der Staunende wird angestaunt ringsum. Man fragt nach Namen, fragt nach dem Begehr; Er sagt's, da murmelt man durchs Heiligtum: Dreihundert Jahre hieß so niemand mehr.

7. Der letzte dieses Namens, tönt es dann. Er war ein Zweifler und verschwand im Wald, Man gab den Namen keinem mehr fortan. Er hört das Wort, es überläuft ihn kalt. 8. Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr; Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand, Da wird ein großes Gotteswunder klar; Er ist's, der drei Jahrhunderte verschwand.

74

Wolfgang Müller.

PfarriuS.

9. Ha, welche Lösung! plötzlich graut sein Haar, Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht. Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schar: „Gott ist erhaben über Ort und Zeit. 10. Was er verhüllt, macht nur ein Wunder klar, Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach! Ich weiß: ihm ist ein Tag wie tausend Jahr, Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag."

Gustav Pfarrius. 70. Der Trunk aus dem Stiefel. 1. Da droben saßen sie allzumal Und zechten im alten Rittersaal; Die Fackeln glänzten herab vom Stein Und schimmerten weit in die Nacht hinein. 2. Es sprach der Nheingraf: „Ein Kurier Ließ jüngst mir diesen Stiefel hier; Wer ihn mit einem Zug wird leeren. Dem soll Dorf Hüffelsheim gehören!" 3. Und lachend goß er mit eigner Hand Voll Wein den Stiefel bis an den Rand Und hub ihn mitten wohl in den Kreis: „Wohlan, ihr Herren, ihr kennt den Preis!" 4. Johann von Sponheim hielt sich in Ruh Und wünschte dem Nachbarn Glück dazu. Und dieser, Meinhart war's von Dhaun, Zog scheu zusaminen die dunkeln Braun. 5. Verlegen den Bart sich Flörsheim strich, Und Kunz von Stromberg schüttelte sich. Und selbst der mutige Burgkaplan Sah den Koloß mit Schrecken an. 6. Doch Boos von Waldeck rief von fern: „Mir her das Schlückchen! zum Wohl, ihr Herrn!" Und schwenkte den Stiefel und trank ihn leer Und warf sich zurück in den Sessel schwer.

74

Wolfgang Müller.

PfarriuS.

9. Ha, welche Lösung! plötzlich graut sein Haar, Er sinkt dahin und ist dem Tod geweiht. Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schar: „Gott ist erhaben über Ort und Zeit. 10. Was er verhüllt, macht nur ein Wunder klar, Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach! Ich weiß: ihm ist ein Tag wie tausend Jahr, Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag."

Gustav Pfarrius. 70. Der Trunk aus dem Stiefel. 1. Da droben saßen sie allzumal Und zechten im alten Rittersaal; Die Fackeln glänzten herab vom Stein Und schimmerten weit in die Nacht hinein. 2. Es sprach der Nheingraf: „Ein Kurier Ließ jüngst mir diesen Stiefel hier; Wer ihn mit einem Zug wird leeren. Dem soll Dorf Hüffelsheim gehören!" 3. Und lachend goß er mit eigner Hand Voll Wein den Stiefel bis an den Rand Und hub ihn mitten wohl in den Kreis: „Wohlan, ihr Herren, ihr kennt den Preis!" 4. Johann von Sponheim hielt sich in Ruh Und wünschte dem Nachbarn Glück dazu. Und dieser, Meinhart war's von Dhaun, Zog scheu zusaminen die dunkeln Braun. 5. Verlegen den Bart sich Flörsheim strich, Und Kunz von Stromberg schüttelte sich. Und selbst der mutige Burgkaplan Sah den Koloß mit Schrecken an. 6. Doch Boos von Waldeck rief von fern: „Mir her das Schlückchen! zum Wohl, ihr Herrn!" Und schwenkte den Stiefel und trank ihn leer Und warf sich zurück in den Sessel schwer.

7. Und sprach: „Herr Rheingraf, ließ der Kurier Nicht auch seinen andern Stiefel hier? Wasmaßen in einer zweiten Wette Auch Roxheim gerne verdienet hätte."

8. Des lachten sie alle und priesen den Boos Und schätzten ihn glücklich als bodenlos; Doch Hüffelsheim mit Maus und Mann Gehörte dem Ritter Boos fortan.

Robert Reinick. 71. Weihnachtslie-. 1. Der Winter ist gekommen Und hat hinweggenommen Der Erde grünes Kleid; Schnee liegt auf Blütenkeimen, Kein Blatt ist an den Säumen, Erstarrt die Flüsse weit und breit.

2. Da schallen plötzlich Klänge Und frohe Festgesänge Hell durch die Winternacht. In Hütten und Palästen Ist rings in grünen Ästen Ein bunter Frühling aufgewacht. 3. Wie gern doch seh ich glänzen Mit all den reichen Kränzen Den grünen Weihnachtsbaum, Dazu der Kindlein Mienen, Von Licht und Lust beschienen: Wohl schönre Freude gibt es kaum.

4. Da denk ich jener Stunde, Als in des Feldes Runde Die Hirten sind erwacht.

7. Und sprach: „Herr Rheingraf, ließ der Kurier Nicht auch seinen andern Stiefel hier? Wasmaßen in einer zweiten Wette Auch Roxheim gerne verdienet hätte."

8. Des lachten sie alle und priesen den Boos Und schätzten ihn glücklich als bodenlos; Doch Hüffelsheim mit Maus und Mann Gehörte dem Ritter Boos fortan.

Robert Reinick. 71. Weihnachtslie-. 1. Der Winter ist gekommen Und hat hinweggenommen Der Erde grünes Kleid; Schnee liegt auf Blütenkeimen, Kein Blatt ist an den Säumen, Erstarrt die Flüsse weit und breit.

2. Da schallen plötzlich Klänge Und frohe Festgesänge Hell durch die Winternacht. In Hütten und Palästen Ist rings in grünen Ästen Ein bunter Frühling aufgewacht. 3. Wie gern doch seh ich glänzen Mit all den reichen Kränzen Den grünen Weihnachtsbaum, Dazu der Kindlein Mienen, Von Licht und Lust beschienen: Wohl schönre Freude gibt es kaum.

4. Da denk ich jener Stunde, Als in des Feldes Runde Die Hirten sind erwacht.

Remick.

76

Geweckt von Glanzgesunkel, Das durch der Bäume Dunkel Ern Engel mit herabgcbracht.

5. Den Und Da Wie Die

Und wie sie da nach oben Blick erschrocken hoben sahn den Engel stehn, staunten sie wohl alle, wenn zum erstenmale Kindlein einen Christbaum sehn.

6. Doch was ist all Entzücken Der Kindlein, die erblicken. Was ihnen ward beschert. Gedenk ich, wie die Kunde Des Heils von Engelsmunde Die frommen Hirten angehört! 7. Und rings ob allen Bäumen Sang in den Himmelsrüumen Der frohen Engel Schar: „Gott in der Höh soll werden Der Ruhm und Fried auf Erden Und Wohlgefallen immerdar!"

8. Drum pflanzet grüne Äste Und schmücket sie auss beste Mit frommer Liebe Hand, Daß sie ein Abbild werden Der Liebe, die zur Erden Solch großes Heil uns hat gesandt.

9. Ja, laßt die Glocken klingen, Daß, wie der Englein Singen, Sie rufen laut und klar: „Gott in der Höh soll werden Der Ruhm und Fried auf Erden Und Wohlgefallen immerdar!"

Peter Rosegger. 72 Mei weisses Lamperl (steirische Mundart).

Mi gfreuts, daß i a lamperl hon! Des hot a weißes pölzl on Und äugla wia da lanxintau; Und won i recht tiaf einischau, 5 ’s is gspoaßi a, kimts mir in sinn: Ei, schod, doß i kä lamperl bin. ’s is nit zwegn, daß i hupfn kunt Mit ondern aufn wisngrund! ’s is nit, daß i a pölzl hätt 10 Fürn winta, won der olmwind get; I möcht nur sein sa guat und frö, As wia mei weißes lamperl dö!

Friedrich Rückert. 73 Des fremden Kindes heiliger Christ. 1. Es läuft ein fremdes Kind Am Abend vor Weihnachten Durch eine Stadt geschwind, Die Lichter zu betrachten. Die angezündet sind.

2. Es steht vor jedem Haus Und sieht die hellen Räume, Die drinnen schaun heraus, Die lampenvollen Bäume; Weh wird's ihm überaus.

Das Kindlein weint und spricht: „Ein jedes Kind hat heute Ein Bäumchen und ein Licht Und hat dran seine Freude, Nur bloß ich armes nicht. 3.

4. An der Geschwister Hand, Als ich daheim gesessen. Hat es mir auch gebrannt; Doch hier bin ich vergessen In diesem fremden Land.

5. Läßt mich denn niemand ein Und gönnt mir auch einFleckchen ?

In all den Häuserreihn Ist denn für mich kein Eckchen, Und wär es noch so klein? 6. Läßt mich denn niemand

ein? Ich will ja selbst nichts haben; Ich will ja nur am Schein Der fremden Weihnachtsgaben Mich laben ganz allein."

Peter Rosegger. 72 Mei weisses Lamperl (steirische Mundart).

Mi gfreuts, daß i a lamperl hon! Des hot a weißes pölzl on Und äugla wia da lanxintau; Und won i recht tiaf einischau, 5 ’s is gspoaßi a, kimts mir in sinn: Ei, schod, doß i kä lamperl bin. ’s is nit zwegn, daß i hupfn kunt Mit ondern aufn wisngrund! ’s is nit, daß i a pölzl hätt 10 Fürn winta, won der olmwind get; I möcht nur sein sa guat und frö, As wia mei weißes lamperl dö!

Friedrich Rückert. 73 Des fremden Kindes heiliger Christ. 1. Es läuft ein fremdes Kind Am Abend vor Weihnachten Durch eine Stadt geschwind, Die Lichter zu betrachten. Die angezündet sind.

2. Es steht vor jedem Haus Und sieht die hellen Räume, Die drinnen schaun heraus, Die lampenvollen Bäume; Weh wird's ihm überaus.

Das Kindlein weint und spricht: „Ein jedes Kind hat heute Ein Bäumchen und ein Licht Und hat dran seine Freude, Nur bloß ich armes nicht. 3.

4. An der Geschwister Hand, Als ich daheim gesessen. Hat es mir auch gebrannt; Doch hier bin ich vergessen In diesem fremden Land.

5. Läßt mich denn niemand ein Und gönnt mir auch einFleckchen ?

In all den Häuserreihn Ist denn für mich kein Eckchen, Und wär es noch so klein? 6. Läßt mich denn niemand

ein? Ich will ja selbst nichts haben; Ich will ja nur am Schein Der fremden Weihnachtsgaben Mich laben ganz allein."

7. Es klopft an Tür und Tor, An Fenster und an Laden; Doch niemand tritt hervor. Das Kindlein cinzuladen; Sie haben drin kein Ohr. 8. Ein jeder Vater lenkt Den Sinn auf seine Kinder; Die Mutter sie beschenkt, Denkt sonst nichts mehr noch minder; Ans Kindlein niemand denkt. 9. „O, lieber, Heilger Christ! Nicht Mutter und nicht Vater Hab ich, wenn du's nicht bist; O, sei du mein Berater, Weil man mich hier vergißt!" 10. Das Kindlein reibt die Hand, Sie ist vom Frost erstarret; Es kriecht in sein Gewand Und in dem Gäßlein harret. Den Blick hinausgewandt. 11. Da kommt mit einem Licht Durchs Gäßlein hergewallet Im weißen Kleide schlicht Ein ander Kind; — wie schallet Es lieblich, da es spricht: 12. „Ich bin der heilge Christ, War auch ein Kind vordessen, Wie du ein Kindlein bist; Ich will dich nicht vergessen. Wenn alles dich vergißt.

13. Ich bin mit meinem Wort Bei allen gleichermaßen: Ich biete meinen Hort So gut hier auf den Straßen, Wie in den Zimmern dort. 14. Ich will dir deinen Baum, Fremd Kind, hier lassen schim­ mern Auf diesem offnen Raum, So schön, daß die in Zimmern So schön sein sollen kaum." 15. Da deutet mit der Hand Christkindlein auf zum Himmel, Und droben leuchtend stand Ein Baum voll Sterugewimmel Viclästig ausgespannt. 16. So fern und doch so nah. Wie funkelten die Kerzen! Wie ward dem Kindlein da, Dem fremden, still zu Herzen, Das seinen Christbaum sah! 17. Es war ihm, wie ein Traum; Da langten hergebogen Englein herab vom Baum Zum Kindlein, das sie zogen Hinauf zum lichten Raum. 18. Das fremde Kindlein ist Zur Heimat nun gekehret. Bei seinem Heilgen Christ, Und was hier wird bescheret. Es dorten leicht vergißt.

74. Chidher. 1. Chidher, der ewig junge, sprach: Ich fuhr an einer Stadt vorbei,

Ein Mann im Garten Früchte brach; Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei. Er sprach und pflückte die Früchte fort: „Die Stadt steht ewig an diesem Ort Und wird so stehen ewig fort." Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 2. Da fand ich keine Spur der Stadt; Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei, Die Herde weidete Laub und Blatt. Ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei? Er sprach und blies auf dem Rohre fort: „Das eine wächst, und das andere dorrt; Das ist mein ewiger Wcidcort." Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 3. Ta fand ich ein Meer, das Wellen schlug. Ein Schiffer warf die Netze frei; Und als er ruhte vom schweren Zug, Fragt ich, seit wann das Meer hier sei. Er sprach und lachte meinem Wort: „So lang als schäumen die Wellen dort. Fischt man und fischt man üt diesem Port." Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 4. Da fand ich einen waldigen Naum Und einen Mann in der Siedelei, Er fällte mit der Axt den Baum; Ich fragte, wie alt der Wald hier sei. Er sprach: „Der Wald ist ein ewiger Hort; Schon ewig wohn ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäume hier fort." Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 5. Da fand ich eine Stadt, und laut Erschallte der Markt vom Bolksgeschrei.

Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut? Wohiy ist Wald und Meer und Schalmei? Sie schrieen und hörten nicht mein Wort: „So ging es ewig an diesem Ort Und wird so gehen ewig fort." Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich desselbigen Weges fahren!

75. „Aus dem Rätfelmann." 1. Was bewegt man, um Fische zu fangen Und in die Stube zu gelangen? 2. Korn wird in ihnen rein gemacht, Und eines gibt mit ihnen acht. Doch wer mit ihnen Wasser schöpft. Der hat Erstaunliches vollbracht. 3. Eine nennt im Garten sich. Wie am Himmel die vielen, Nickt und neigt sich, wenn mit ihr Die gleichgenannten spielen. 4. Sie trägt ein bittres Laub, Sie trägt viel süße Kräuter, Auf ihr geht, unter ihr Die Kuh mit vollem Euter.

5. In geschickter Künstlerhand Macht er schöne, bunte Sachen; Als ein ungeschickter Mensch Läßt er alles mit sich machen. 6. Man läßt ihn sprechen, man läßt ihn stechen. Es ist ein Vogel und ein Gebrechen.

81

Rückert. Schiller. 7.

Am Haupt ist's ohne Hut, am Fuß ist's ohne Schuhe, Besonders ist es gut am Geld in deiner Truhe. 8.

Das Gebirg hat einen, wo hindurch ich muß. Und mein Pferd geht seinen mit geduldigem Fuß.

Friedrich von Schiller. 76. Der Alpenjäger. 1. „Willst du nicht das Länrmlein hüten? Lämmlein ist so fromm und sanft. Nährt sich von des Grases Blüten, Spielend an des Baches Ranft." „Mutter, Mutter, laß mich gehen Jagen nach des Berges Höhen!" 2. „Willst du nicht die Herde locken Mit des Hornes munterm Klang? Lieblich tönt der Schall der Glocken In des Waldes Lustgesang." „Mutter, Mutter, laß mich gehen Schweifen auf den wilden Höhen!" 3. „Willst du nicht der Blümlein warten, Die im Beete freundlich stehn? Draußen ladet dich kein Garten, Wild ist's auf den wilden Höhn!" „Laß die Blümlein, laß sie blühen! Mutter, Mutter, laß mich ziehen!" 4. Und der Knabe ging zu jagen. Und es treibt und reißt ihn fort. Rastlos fort mit blindem Wagen An des Berges finstern Ort; Vor ihm her mit Windesschnelle Flieht die zitternde Gazelle. Hesiel, Lifttuch S. 14. Kuft.

M. 6

81

Rückert. Schiller. 7.

Am Haupt ist's ohne Hut, am Fuß ist's ohne Schuhe, Besonders ist es gut am Geld in deiner Truhe. 8.

Das Gebirg hat einen, wo hindurch ich muß. Und mein Pferd geht seinen mit geduldigem Fuß.

Friedrich von Schiller. 76. Der Alpenjäger. 1. „Willst du nicht das Länrmlein hüten? Lämmlein ist so fromm und sanft. Nährt sich von des Grases Blüten, Spielend an des Baches Ranft." „Mutter, Mutter, laß mich gehen Jagen nach des Berges Höhen!" 2. „Willst du nicht die Herde locken Mit des Hornes munterm Klang? Lieblich tönt der Schall der Glocken In des Waldes Lustgesang." „Mutter, Mutter, laß mich gehen Schweifen auf den wilden Höhen!" 3. „Willst du nicht der Blümlein warten, Die im Beete freundlich stehn? Draußen ladet dich kein Garten, Wild ist's auf den wilden Höhn!" „Laß die Blümlein, laß sie blühen! Mutter, Mutter, laß mich ziehen!" 4. Und der Knabe ging zu jagen. Und es treibt und reißt ihn fort. Rastlos fort mit blindem Wagen An des Berges finstern Ort; Vor ihm her mit Windesschnelle Flieht die zitternde Gazelle. Hesiel, Lifttuch S. 14. Kuft.

M. 6

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Schiller. 5. Auf der Felsen nackte Rippen Klettert sie mit leichtem Schwung, Durch den Riß geborstner Klippen Trägt sie der gewagte Sprung; Aber hinter ihr verwogen Folgt er mit dem Todesbogen. 6. Jetzo auf deu schroffen Zinken Hängt sie, auf dem höchsten Grat, Wo die Felsen jäh versinken Und verschwunden ist der Pfad — Unter sich die steile Höhe, Hinter sich des Feindes Nähe. 7. Mit des Jammers stummen Blicken Fleht sie zu dem harten Mann, Fleht umsonst, denn loszudrücken Legt er schon den Bogen an; Plötzlich aus der Felsenspalte Tritt der Geist, der Bergesalte.

8. Und mit seinen Götterhänden Schützt er das gequälte Tier. „Mußt du Dod und Jammer smden," Ruft er, „bis herauf zu mir? Raum für alle hat die Erde: Was verfolgst du meine Herde?"

77. Berglied. 1. Am Abgrund leitet der schwindlichte Steg, Er führt zwischen Leben und Sterben; Es sperren die Riesen den einsamen Weg Und drohen dir ewig Verderben; Und willst du die schlafende Löwin nicht wecken. So wandle still durch die Straße der Schrecken. 2. Es schwebt eine Brücke, hoch über den Rand

Der furchtbaren Tiefe gebogen.

Sie ward nicht erbauet von Menschenhand, Es hätte sich's keiner verwogen; Der Strom braust unter ihr spat und früh. Speit ewig hinauf und zertrümmert sie nie.

3. Es öffnet sich schwarz ein schauriges Tor, Du glaubst dich im Reiche der Schatten, Da tut sich ein lachend Gelände hervor, Wo der Herbst und der Frühling sich gatten; Aus des Lebens Mühen und ewiger Qual Möcht ich fliehen in dieses glückselige Tal.

4. Vier Ströme brausen hinab in das Feld, Ihr Quell, der ist ewig verborgen; Sie fließen nach allen vier Straßen der Welt, Nach Abend, Nord, Mittag und Morgen, Und wie die Mutter sie rauschend geboren, Fort fliehn sie und bleiben sich ewig verloren. 5. Zwei Zinken ragen ins Blaue der Luft, Hoch über der Menschen Geschlechter, Drauf tanzen, umschleiert mit goldenem Duft, Die Wolken, die himmlischen Töchter. Sie halten dort oben den einsamen Reihn, Da stellt sich kein Zeuge, kein irdischer, ein.

6. Es sitzt die Königin hoch und klar Aus unvergänglichem Throne, Die Stirn umkränzt sie sich wunderbar Mit diamantener Krone; Drauf schießt die Sonne die Pfeile von Licht, Sie vergolden sie nur und erwärmen sie nicht.

78. Hektors Abschied. Andromache. 1. Will sich Hektor ewig von mir wenden. Wo Achill mit den unnahbarn Händen Dem Patroklus schrecklich Opfer bringt? Wer wird künftig deinen Kleinen lehren

Speere werfen und die Götter ehren. Wenn der finstre Orkus dich verschlingt?

Hektor. 2. Teures Weib, gebiete deinen Tränen! Nach der Feldschlacht ist mein feurig Sehnen, Diese Arme schützen Pergainus. Kämpfend für den Heilgen Herd der Götter Fall ich, und des Vaterlandes Retter Steig ich nieder zu dem stygschen Fluß. A n d r o m a ch e. 3. Nimmer lausch ich deiner Waffen Schalle, Müßig liegt dein Eisen in der Halle, Priams großer Heldenstamm verdirbt. Du wirst hingehn, wo kein Tag mehr scheinet, Der Cocytus durch die Wüsten weinet. Deine Liebe in dem Lethe stirbt.

Hektor. 4. All mein Sehnen will ich, all mein Denken In des Lethe stillen Strom versenken. Aber meine Liebe nicht. Horch! der Wilde tobt schon an den Mauern, Gürte mir das Schwert um, laß das Trauern! Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht.

79. Der Ring des Polhkrates. 1. Er stand auf seines Daches Zinnen, Er schaute mit vergnügten Sinnen Auf das beherrschte Samos hin. „Dies alles ist mir untertänig," Begann er zu Ägyptens König, „Gestehe, daß ich glücklich bin!"

2. „Du hast der Götter Gunst erfahren: Die vormals deinesgleichen waren,

Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht. Doch einer lebt noch, sie zu rächen: Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen.

Solang des Feindes Auge wacht." 3. Und eh der König noch geendet. Da stellt sich, von Milet gesendet. Ein Bote dem Tyrannen dar: „Laß, Herr, des Opfers Düfte steigen, Und mit des Lorbeers muntern Zweigen Bekränze dir dein festlich Haar: 4. Getroffen sank dein Feind vom Speere! Mich sendet mit der frohen Märe Dein treuer Feldherr Polydor" — Und nimmt aus einem schwarzen Becken, Noch blutig, zu der beiden Schrecken, Ein wohlbekanntes Haupt hervor.

5. Der König tritt zurück mit Grauen. „Doch warn ich dich, dem Glück zu trauen," Versetzt er mit besorgtem Blick. „Bedenk, auf ungetreuen Wellen — Wie leicht kann sie der ©turnt zerschellen — Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück." 6. Und eh er noch das Wort gesprochen. Hat ihn der Jubel unterbrochen, Der von der Reede jauchzend schallt. Mit fremden Schätzen reich beladen. Kehrt zu den heimischen Gestaden Der Schiffe mastenreicher Wald. 7. Der königliche Gast erstaunet: „Dein Glück ist heute gut gelaunet. Doch fürchte seinen Unbestand. Der Kreter waffenkundge Scharen Bedräuen dich mit Kriegsgefahren; Schon nahe sind sie diesem Strand."

8. Und eh ihm noch das Wort entfallen, Da sieht man's von den Schiffen wallen, Und tausend Stimmen rufen: „Sieg! Von Feindesnot sind wir befreiet, Die Kreter hat der Sturm zerstreuet. Vorbei, geendet ist der Krieg!" 9. Das hört der Gastfreund mit Entsetzeir „Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen; Doch," spricht er, „zittr ich für dein Heil; Mir grauet vor der Götter Neide; Des Lebens ungemischte Freude Ward keinem Irdischen zuteil. 10. Auch mir ist alles wohl geraten. Bei allen meinen Herrschertaten Begleitet mich des Himmels Huld; Doch hatt ich einen teuren Erben, Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben. Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld. 11. Drum, willst du dich vor Leid bewahren, Sv flehe zu den Unsichtbaren, Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn. Noch keinen sah ich fröhlich enden. Auf den mit immer vollen Händen Die Götter ihre Gaben streun. 12. Und wenn's die Götter nicht gewähren. So acht auf eines Freundes Lehren, Und rufe selbst das Unglück her. Und was von allen deinen Schätzen Dein Herz am höchsten mag ergötzen, Das nimm und wirf's in dieses Meer!" 13. Und jener spricht, von Furcht beweget: „Von allem, was die Insel heget, Ist dieser Ring mein höchstes Gut. Ihn will ich den Erinnen weihen. Ob sie mein Glück mir dann verzeihen!" Und wirst das Kleinod in die Flut.

Schiller.

14.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,

Da tritt mit fröhlichem Gesichte Ein Uscher vor den Fürsten hin: „Herr, diesen Fisch hab ich gefangen. Wie keiner noch ins Netz gegangen; Dir zum Geschenke bring ich ihn." 15. Und als der Koch den Fisch zerteilet. Kommt er bestürzt herbeigeeilet Und nist mit hocherstauntem Blick: „Sieh, Herr, den Ning, den du getragen. Ihn fand ich in des Fisches Magen; O, ohne Grenzen ist dein Glück!"

16. Hier wendet sich der Gast mit Grausen: „So kann ich hier nicht ferner hausen. Mein Freund kannst du nicht weiter sein. Die Götter wollen dein Verderben: Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben." Und sprach's und schiffte schnell sich ein.

80. Rätsel. 1.

Es steht ein groß, geräumig Haus Auf unsichtbaren Säulen; Es mißt's und geht's kein Wandrer aus. Und keiner darf drin weilen. 5 Nach einem int begriffnen Plan Ist es mit Kunst gezimmert; Es steckt sich selbst die Lampe an. Die es mit Pracht durchschimmert. Es hat ein Dach, kristallenrein, 10 Von einem einzgen Edelstein; Doch noch kein Auge schaute Den Meister, der es baute.

87

88

Schiller.

2. Zwei Eimer sieht man ab und auf

In einen Brunnen steigen. Und schwebt der eine voll herauf, Must sich der andre neigen. 5 Sie wandern rastlos hin und her. Abwechselnd voll und wieder leer. Und bringst du diesen an den Mund, Hängt jener in dem tiefsten Grund; Nie können sie mit ihren Gaben 10 In gleichem Augenblick dich laben.

3.

1. Kennst du das Bild auf zartem Grunde? Es gibt sich selber Licht und Glanz. Ein andres ist's zu jeder Stunde, Und immer ist es frisch und ganz. 2. Im engsten Raum ist's ausgeführet, Der kleinste Nahmen faßt es ein; Doch alle Größe, die dich rühret. Kennst du durch dieses Bild allein. 3. Und kannst du den Kristall mir nennen ? Ihm gleicht an Wert kein Edelstein; Er leuchtet, ohne je zu brennen, Das ganze Weltall saugt er ein; 4. Der Himmel selbst ist abgemalet In seinem wundervollen Ning, Und doch ist, was er von sich strahlet. Noch schöner, als was er empfing.

4. Ich wohne in einem steinernen Haus, Da lieg ich verborgen und schlafe; Doch ich trete hervor, ich eile heraus. Gefordert mit eiserner Waffe.

Erst bin ich unscheinbar und schwach und klein. Mich kann dein Atein bezwingen. Ein Regentropfen schon saugt mich ein; Doch mir wachsen im Siege die Schwingen. Wenn die mächtige Schwester sich zu mir gesellt. Erwachs ich zum snrchtbarn Gebieter der Welt.

5. 1. Ein Vogel ist es, und an Schnelle Buhlt es mit eines Adlers Flug; Ein Fisch ist's und zerteilt die Welle, Die noch kein größres Untier trug; 2. Ein Elefant ist's, welcher Türine Auf seinem schweren Rücken trägt; Der Spinnen kriechendem Gewürme Gleicht es, wenn es die Füße regt; 3. Und hat es fest sich eingebissen Mit seinem spitzgen Eisenzahn, So steht's gleichwie auf festen Füßen Und trotzt dem wütenden Orkan.

Max Schneckenburger. 81. Die Wacht am Rhein. 1. Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein I Wer will des Stromes Hüter sein?" — — „Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

2. Durch hunderttausend zuckt es schnell, Und aller Augen blitzen hell. Der deutsche Jüngling, fromm und stark. Beschirmt die heilge Landesmark: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

Erst bin ich unscheinbar und schwach und klein. Mich kann dein Atein bezwingen. Ein Regentropfen schon saugt mich ein; Doch mir wachsen im Siege die Schwingen. Wenn die mächtige Schwester sich zu mir gesellt. Erwachs ich zum snrchtbarn Gebieter der Welt.

5. 1. Ein Vogel ist es, und an Schnelle Buhlt es mit eines Adlers Flug; Ein Fisch ist's und zerteilt die Welle, Die noch kein größres Untier trug; 2. Ein Elefant ist's, welcher Türine Auf seinem schweren Rücken trägt; Der Spinnen kriechendem Gewürme Gleicht es, wenn es die Füße regt; 3. Und hat es fest sich eingebissen Mit seinem spitzgen Eisenzahn, So steht's gleichwie auf festen Füßen Und trotzt dem wütenden Orkan.

Max Schneckenburger. 81. Die Wacht am Rhein. 1. Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein I Wer will des Stromes Hüter sein?" — — „Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

2. Durch hunderttausend zuckt es schnell, Und aller Augen blitzen hell. Der deutsche Jüngling, fromm und stark. Beschirmt die heilge Landesmark: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein. Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

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Schneckenburger.

Schwab.

3. Auf blickt er irr des Himmels Blau«, Wo tote Helden niederschaun. Und schwört mit stolzer Kampfeslust: „Du, Rhein, bleibst deutsch, wie meine Brust. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! 4. Und ob mein Herz im Tode bricht. Wirst du doch drum ein Welscher nicht: Reich, wie an Wasser deine Flut, Ist Deutschland ja an Heldenblut. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! 5. Solang ein Tröpfchen Blut noch glüht. Noch eine Faust den Degen zieht Und noch ein Arm die Büchse spannt. Betritt kein Welscher deinen Strand. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

6. Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, Die Fahnen flattern in dem Wind. „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wir alle wollen Hüter sein! Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

Gustav Schwab. 82. Das Gewitter. 1. Urahne, Grobmutter, Mutter und Kind In dumpfer Stube beisammen sind; Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, Großmutter spinnet, Urahne gebückt Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl — Wie wehen die Lüfte so schwül!

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Schneckenburger.

Schwab.

3. Auf blickt er irr des Himmels Blau«, Wo tote Helden niederschaun. Und schwört mit stolzer Kampfeslust: „Du, Rhein, bleibst deutsch, wie meine Brust. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! 4. Und ob mein Herz im Tode bricht. Wirst du doch drum ein Welscher nicht: Reich, wie an Wasser deine Flut, Ist Deutschland ja an Heldenblut. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! 5. Solang ein Tröpfchen Blut noch glüht. Noch eine Faust den Degen zieht Und noch ein Arm die Büchse spannt. Betritt kein Welscher deinen Strand. Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

6. Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, Die Fahnen flattern in dem Wind. „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wir alle wollen Hüter sein! Lieb Vaterland, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"

Gustav Schwab. 82. Das Gewitter. 1. Urahne, Grobmutter, Mutter und Kind In dumpfer Stube beisammen sind; Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, Großmutter spinnet, Urahne gebückt Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl — Wie wehen die Lüfte so schwül!

2 Wie Wie Wie

Das Kind spricht: „Morgen ist's Feiertag, will ich spielen im grünen Hag, will ich springen durch Tal und Höhn, will ich pflücken viel Blumen schön: Dem Anger, dem bin ich hold!" Hört ihr's, wie der Donner grollt?

3. Die Mutter spricht: „Morgen ist's Feiertag, Da halten wir alle fröhlich Gelag; Ich selber, ich rüste mein Feierkleid: Das Leben, es hat auch Lust nach Leid, Dann scheint die Sonne wie Gold!" Hört ihr's, wie der Donner grollt? 4. Großmutter spricht: „Morgen ist's Feiertag, Großmutter hat keinen Feiertag: Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid, Das Leben ist Sorg und viel Arbeit; Wohl dem, der tat, was er sollt!" Hört ihr's, wie der Donner grollt?

5. Urahne spricht: „Morgen ist's Feiertag, Am liebsten morgen ich sterben mag: Ich kann nicht singen und scherzen mehr. Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer. Was tu ich noch aus der Welt?" Seht ihr, wie der Blitz dort fällt? 6. Sie hören's nicht, sie sehen's nicht. Es flammet die Stube, wie lauter Licht: Urahne, Großmutter, Mutter und Kind Bom Strahl miteinander getroffen sind. Vier Leben endet ein Schlag — Und morgen ist's Feiertag.

Max Seydel. 83. Toteilgericht.

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Priestergewänder so weiß wie Schnee, Fackeln erglänzen am Mörissee. Leises Gemurmel und flüsterndes Lied Hallt durch das wogende Nferried. Vögel erwachen mit bangem Geschrei, Flatternd fliehen der Ibis und Weih. Dort auf der Bahre finster und kalt Ruht des entschlafenen Königs Gestalt, Purpurumhüllt, mit der Binde gekrönt: Horch, und die Stimme des Priesters ertönt: „Pharao, hör, was das Totengericht, Hör, was die Stimme der Gottheit spricht: Nicht nm zu schlagen, zu segnen gab Phtha dir der Herrschaft goldenen Stab: Nicht daß du würgtest, ward dir gewährt Ammons richtendes Königsschwert. Weil es den gnädigen Göttern gefiel, Warst du ein Hirte der Völker am Nil: Weil du geschändet dein heiliges Amt, Bist du gerichtet und bist du verdammt. Sprach's und zerriß ihm das Purpurkleid, Riß ihm vom Haupte das Königsgeschmeid. Nieder zum Strande schleppt man ihn nackt. Rauschende Ruder erschallen im Takt. Dort, wo die schwärzeste Tiefe der Flut, Ward er versenkt bei der Fackeln Glut. Leises Gemurmel und flüsterndes Lied Hallt durch das wogende Uferried: Streng sind die Götter und ewig gerecht, Strafen den König und strafen den Knecht, Stürzen den Frevler, der sie verlacht, In die entsetzlichen Schlünde der Nacht. Streng sind die Götter nnd ewig gerecht, Strafen den König und strafen den Knecht!

Karl Simrock. 84. Der Bauer im Himmel. Ein Bauer kam ans Himmelstor, Da stand ein Reicher schon davor. Dem tat der heilge Petrus eben Das Pförtlein auf zum ewgen Leben, 5 Schloß wieder zu, weil er nicht sah, Daß noch ein andrer stünde da. Doch pocht er und verzicht noch gern, Denn zum Empfang des reichen Herrn Hört er im Himmel jubilieren, 10 Die Engel singen und musizieren. Dazu Geläut mit allen Glocken. Als endlich nun die Töne stocken, Noch einmal pocht das Bäuerlein, Und Petrus kam und ließ ihn ein. 15 Wohl dachte da der gute Bauer, Um ihn auch wäre keine Trauer, Man würd auch ihm ein Ständchen bringen Und alle Glocken lassen klingen. Allein für diesmal ward nichts draus: 20 Man nahm ihn zwar im ganzen Haus Gar freundlich auf, auch gingen ihm Entgegen Engel und Cherubim, Doch ohne allen Sang und Klang, Und niemand zog den Glockenstrang.

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Einfältig frug er: „Was bedeutet. Daß man für mich nicht singt und läutet. Wie bei dem Neichen ist geschehn? Es scheint parteiisch zuzugehn Im Himmel auch wie auf der Erde."

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Sankt Peter lächelt der Beschwerde Und spricht: „Das ist nun hier der Brauch: Du hist uns lieb wie jener auch Und hast an allen Freuden teil. Nur ruht Gesang und Glockenseil.

35 Es wär auch allzubald verschlissen, Würd immerfort daran gerissen; Denn arme Bäuerlein wie du Gehn täglich viel dem Himmel zu; Doch sieht man kaum in hundert Jahren 40 Einen Reichen gegen Himmel fahren."

85. Die Siebenschläfer (Bonner Mundart). Et wöre drei sivveschlöfer, De schiefe sivve johr. We de sivve johr herömm senn, Do wach den enen op 5 On riev sich ens de ögen On sähd: „et bröllt enen ös.“ On als hä dat jesät hatt, Streck hä sich widder hin On schief met dä zwei andre 10 Op e neues sivve johr. We de sivve johr herömm senn Do wach den andern op On riev sich ens de ögen On sähd: „et wor en köh.“ 15 On als hä dat jesät hatt, Streck hä sich widder hin On schief met dä zwei andre Alt widder sivve johr. We de sivve johr herömm senn, 20 Do wach den dretten op On riev sich ens de ögen On sähd: „wat ös, wat köh? Löt enen eckersch schlöfe, Mer kütt jo net derzö!" 25 Dat wören de sivveschlöfer; Ich jlöv, se schlöfe noch.

Adolf Stöber. 86. Der Läufer von Glarus.

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Einst fochten die von Uri sich Und die von Glarus bitterlich Um ihre Landesscheiden an. Da ward zuletzt der Spruch getan: „Zur Tag- und Nachtgleich allerfrühst, Wann taum der Hahn den Morgen grüßt, Soll nach der beiden Länder Enden Jedwedes einen Läufer senden. Und wo sich drauf begegnen beide, Da sei fortan des Landes Scheide." Und als der Morgen war gekommen Und kaum die höchsten Alpen glommen. In Uri wachte schon der Hahn Und sang den Morgen lustig an: Der Hunger hatt ihn früh geweckt: Und wie er kaum die Flügel reckt. Bricht schon der Urner hurtig auf Und nimmt zur Scheide seinen Lauf. Indes zu Glarus schläft noch fest Der Hahn in seinem warmen Nest: Sie hatten trefflich ihn gefüttert, Drum schlief er satt und unerschüttert, Derweil im roten Morgenbrand Ihn bänglich die Gemein umstand. Doch endlich hub er an zu krähen Und schlummertrunkeu sich zu blähen, Und hurtig sprang der Glarner auf Und nahm zur Marke seinen Lauf. Doch als er eilte kurze Strecke, Kam droben um die Felsenecke Ins Land herein mit stolzen Tritten Schon der von Uri hergeschritten.

Stöber.

SS

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60

Gras zu Stolberg.

Der Glarner hielt mit Nichten an. Er sprang noch unverzagt bergan, Dab er noch Land dem guten Rechte Und seinem Volk gewinnen möchte. Der Urner hüpft mit lautem Hohn: „Hier ist die Scheide!" ruft er schon; Doch will er von den Alpenmatten Ein Stücklein ihm zurückerstatten. Soweit es ihm noch möge glücken. Ihn fortzutragen auf dem Rücken. Der schwingt ihn auf die Schulter drauf Und Nettert frisch den Steg hinaus. — Er atmet schwer, das Knie bricht ein, Erblassend stürzt er aufs Gestein. „Hier ist die Grenze!" ruft er schnelle. — Sein Grabstein ist zur selben Stelle. Da ruhe nun von deinem Laus Und atme wieder freudig auf: Du bist, solang dein Fuß dich trug Und bis zum letzten Atemzug Fürs gute Recht vorangedrungen Und hast ihm treulich Land errungen Und weiter seine Mark gesetzt! Glückselig, wer zuguterletzt „Hier ist die Grenze!" rufen kann. Am Steine, den dein Mut gewann. Den Ruhstein du gefunden hast — Da, braver Läufer, halte Rast!

Friedrich Leopold Graf zuStolberg.

87. Lied eines deutschen Knaben. 1. Mein Arm wird stark und groß mein Mut: Gib, Vater, mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut; Ich bin der Väter wert.

Stöber.

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Gras zu Stolberg.

Der Glarner hielt mit Nichten an. Er sprang noch unverzagt bergan, Dab er noch Land dem guten Rechte Und seinem Volk gewinnen möchte. Der Urner hüpft mit lautem Hohn: „Hier ist die Scheide!" ruft er schon; Doch will er von den Alpenmatten Ein Stücklein ihm zurückerstatten. Soweit es ihm noch möge glücken. Ihn fortzutragen auf dem Rücken. Der schwingt ihn auf die Schulter drauf Und Nettert frisch den Steg hinaus. — Er atmet schwer, das Knie bricht ein, Erblassend stürzt er aufs Gestein. „Hier ist die Grenze!" ruft er schnelle. — Sein Grabstein ist zur selben Stelle. Da ruhe nun von deinem Laus Und atme wieder freudig auf: Du bist, solang dein Fuß dich trug Und bis zum letzten Atemzug Fürs gute Recht vorangedrungen Und hast ihm treulich Land errungen Und weiter seine Mark gesetzt! Glückselig, wer zuguterletzt „Hier ist die Grenze!" rufen kann. Am Steine, den dein Mut gewann. Den Ruhstein du gefunden hast — Da, braver Läufer, halte Rast!

Friedrich Leopold Graf zuStolberg.

87. Lied eines deutschen Knaben. 1. Mein Arm wird stark und groß mein Mut: Gib, Vater, mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut; Ich bin der Väter wert.

2. Ich finde fürder keine Ruh Im weichen Knabenstand; Ich stürb, o Vater, stolz wie du. Den Tod fürs Vaterland!

3. Schon früh in meiner Kindheit war Mein täglich Spiel der Krieg; Im Bette träumt ich nur Gefahr Uild Wunden nur und Sieg. 4. Aus Noch Dem

Mein Fcldgeschrei erweckte mich mancher Türkenschlacht; jüngst ein Faustschlag, welchen ich Bassa zugedacht.

5. Auf Und, Das

Da neulich unsrer Krieger Schar dieser Straffe zog wie ein Vogel, der Husar Haus vorüberflog,

6. Da gaffte starr und freute sich Der Knaben froher Schivarm; Ich aber, Vater, härmte niich Und prüfte meinen Arni.

7. Mein Arm ist stark und grob mein Mut: Gib, Vater, mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut; Ich bin der Väter wert.

Johannes Trojan. 88. Heidekraut. 1. In dem duftgen Nadelwalde, Hügelab dem Meere zu. Keine ist auf Heid und Halde Zierlicher gebaut als du. Hessel, Lesebuch 5. 14. «ufl.

M. 7

2. Ich finde fürder keine Ruh Im weichen Knabenstand; Ich stürb, o Vater, stolz wie du. Den Tod fürs Vaterland!

3. Schon früh in meiner Kindheit war Mein täglich Spiel der Krieg; Im Bette träumt ich nur Gefahr Uild Wunden nur und Sieg. 4. Aus Noch Dem

Mein Fcldgeschrei erweckte mich mancher Türkenschlacht; jüngst ein Faustschlag, welchen ich Bassa zugedacht.

5. Auf Und, Das

Da neulich unsrer Krieger Schar dieser Straffe zog wie ein Vogel, der Husar Haus vorüberflog,

6. Da gaffte starr und freute sich Der Knaben froher Schivarm; Ich aber, Vater, härmte niich Und prüfte meinen Arni.

7. Mein Arm ist stark und grob mein Mut: Gib, Vater, mir ein Schwert! Verachte nicht mein junges Blut; Ich bin der Väter wert.

Johannes Trojan. 88. Heidekraut. 1. In dem duftgen Nadelwalde, Hügelab dem Meere zu. Keine ist auf Heid und Halde Zierlicher gebaut als du. Hessel, Lesebuch 5. 14. «ufl.

M. 7

2. Zwar dem Pflug mit zähen Ästchen

Wehrst du kühn sein hartes Recht; Schützend doch um manches Nestchen Breitest du dein Zweiggeflecht. 3. Über Wies Und

Heister Erntetag erglühte goldgeschnlückten Aun, und Garten stand in Blüte, noch lag die Heide braun.

4. Plötzlich mit unzählgen Äuglein Blickst du in die Welt hinaus, Und ein jedes schlanke Zweiglein Wird zum allerliebsten Strauß.

5. Plötzlich auf der stillen Weite Regt sich summender Verkehr; Vielgeschäftgc Arbeitsleute, Ziehn die Bienchen hin und her. 6. Welch ein Wald, ein dichtverzweigter. Für der kleinen Elfen Schar! Königskerz, ein goldner Leuchter, Ragt darüber stolz und klar. 7. Welch ein Teppich, schön gewoben Von dem schinlinernd roten Kraut! Welch ein Beet dem, der von oben Auf der Erde Garten schaut!

89. Zierbohnen. 1. Unten, wo die Käfer spielen, Kann sich einer wohlig fühlen! Oben, wo die Vögel fliegen. Ist gewiß noch mehr Vergnügen. Wills versuchen! 2. Hier an dieser Laube Sprossen Klimm ich aufwärts keck entschlossen, Schmiegsam, biegsam, schlank gestaltet. Bretterchen, ich bitt euch, haltet! Denn sonst fall ich.

3. Spinnlein, nicht an meine Ranke Knüpf dein Netz! Ich gleit und schwanke. Wind! was zerrst du mich! was ziehst du Mich zurück? dir trotzend — siehst du — Bin ich oben. 4. O, wie weit die Welt! Tief unter Mir erblüht es bunt und bunter. Schon mit Blume«, wie Korallen Leuchtend rot, hoch über allen Blühend prang ich.

5. Übers Dach der Laube nickend Wie ein Schlänglein, um mich blickend. Hier- und dorthin suchend neig ich Mich sehnsüchtig! ach! wie steig ich Weiter auswärts?

6. Hier und dort kein Halt zu finden! Nichts zn fassen, zu umwinden! Lerche, froh im Blauen schwebend Über mir, sprich, Auskunft gebend: Wie geht's weiter?

90. Wiederfinden. 1. Es kommt wohl um die Weihnachtszeit Ein Tannenbäumchen in die Stadt, Steht auf dein Markt ganz überschneit lind von dem Wege müd und matt.

2. Und einer kommt und sucht sich's aus — Dies Bäumchen grade dünkt ihn gut. Wie er's mit Vorsicht trägt nach Haus, Wird ihm das Herz so wohlgemut. 3. Er kennt das Bäumchen schon, doch weiß Er's nicht: es war an einem Tag, Als er, nach einer Wandrung heiß. Auf stiller Heide ruhend lag.

100

Trojan.

Uhland.

4. Da sang ein Vogel ihm sein Lied Wohl von des Bäumchens Wipfel vor; Und wie er nun des Weges zieht. Klingt ihm das Lied, das Lied im Ohr.

Ludwig Uhland. 91. Das Schloß am Meere. 1. „Hast du das Schloß gesehen. Das hohe Schloß am Meer? Golden und rosig wehen Die Wolken drüber her.

2. Es möchte sich niederneigen In die spiegelklare Flut: Es möchte streben und steige» In der Abendwolken Glut." 3. Das Und Und

„Wohl hab ich es gesehen. hohe Schloß am Meer, den Mond darüber stehen, Nebel weit umher."

4. „Der Wind und des Meeres Wallen, Gaben sie frischen Klang? Vernahmst du aus hohen Hallen Saiten und Festgesang?" 5. „Die Winde, die Wogen alle Lagen in tiefer Ruh; Einem Klagelied aus der Halle Hört ich mit Tränen zu." 6. Den Der Der

„Sahst du oben gehen König und sein Gemahl, roten Mäntel Wehen, goldnen Kronen Strahl?

7. Führten sie nicht mit Wonne Eine schöne Jungfrau dar.

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Trojan.

Uhland.

4. Da sang ein Vogel ihm sein Lied Wohl von des Bäumchens Wipfel vor; Und wie er nun des Weges zieht. Klingt ihm das Lied, das Lied im Ohr.

Ludwig Uhland. 91. Das Schloß am Meere. 1. „Hast du das Schloß gesehen. Das hohe Schloß am Meer? Golden und rosig wehen Die Wolken drüber her.

2. Es möchte sich niederneigen In die spiegelklare Flut: Es möchte streben und steige» In der Abendwolken Glut." 3. Das Und Und

„Wohl hab ich es gesehen. hohe Schloß am Meer, den Mond darüber stehen, Nebel weit umher."

4. „Der Wind und des Meeres Wallen, Gaben sie frischen Klang? Vernahmst du aus hohen Hallen Saiten und Festgesang?" 5. „Die Winde, die Wogen alle Lagen in tiefer Ruh; Einem Klagelied aus der Halle Hört ich mit Tränen zu." 6. Den Der Der

„Sahst du oben gehen König und sein Gemahl, roten Mäntel Wehen, goldnen Kronen Strahl?

7. Führten sie nicht mit Wonne Eine schöne Jungfrau dar.

Herrlich wie eine Sonne, Strahlend im goldnen Haar?" 8. „Wohl sah ich die Eltern beide. Ohne der Kronen Licht, Im schwarzen Trauerkleide; Die Jnngfran sah ich nicht."

92. Klein Roland. 1. Frau Bertha saß in der Felsenkluft, Sie klagt' ihr bittres Los. Klein Roland spielt' in freier Luft, Des Klage war nicht groß. ,,O König Karl, mein Bruder hehr! O, daß ich floh von dir! Um Liebe ließ ich Pracht und Ehr, Nun zürnst du schrecklich mir. 2. O Milon, mein Gemahl so süß! Die Flut verschlang mir dich. Die ich um Liebe alles ließ, Nun läßt die Liebe mich. Klein Roland, du mein teures Kind, Nun Ehr und Liebe mir. Klein Roland, komm herein geschwind! Mein Trost kommt all von dir. 3. Klein Noland, geh zur Stadt hinab, Zu bitten um Speis und Trank, Und wer dir gibt eine kleine Gab, Dem wünsche Gottes Dank!" Der König Karl zur Tafel saß Im goldnen Rittersaal, Die Diener liefen ohn Unterlaß Mit Schüssel und Pokal. 4. Von Flöten, Saitenspiel, Gesang Ward jedes Herz erfreut. Doch reichte nicht der helle Klang Zn Berthas Einsamkeit.

Und draußen in des Hofes Kreis, Da saßen der Bettler viel. Die labten sich an Trank und Speis Mehr, als am Saitenspiel. 5. Der König schaut in ihr Gedräng Wohl durch die offne Tür, Da drückt sich durch die dichte Meng Ein feiner Knab Herfür. Des Knaben Kleid ist wunderbar, Vierfarb zusaniniengestückt; Doch weilt er nicht bei der Bettlerschar, Herauf zum Saal er blickt. 6. Herein zum Saal klein Roland tritt, Als wär's sein eigen Haus. Er hebt eine Schüssel von Tisches Mitt Und trägt sie stumm hinaus. Der König denkt: „Was muß ich sehn? Das ist ein sondier Brauch." Doch weil er's ruhig läßt geschehn. So lassen's die andern auch. 7. Es stund nur an eine Heine Weil, Klein Roland kehrt in den Saal; Er tritt zum König hin mit Eil Und faßt seinen Goldpokal. „Heida! halt an, du kecker Wicht!" Der König ruft es laut. Klein Roland läßt den Becher nicht, Zum König auf er schaut. 8. Der König erst gar finster sah, Doch lachen mußt er bald: „Du trittst in die goldne Halle da. Wie in den grünen Wald. Du nimmst die Schüssel von Königs Tisch, Wie man Äpfel bricht vom Baum; Du holst wie aus dem Bronnen frisch Meines roten Weines Schaum."

9. „Die Bäurin schöpft aus dem Bronnen frisch. Die bricht die Äpfel vom Baum; Meiner Mutter ziemet Wildbret und Fisch, Ihr roten Weines Schaum." „Ist deine Mutter so edle Dam, Wie du berühmst, mein Kind, So hat sie wohl ein Schloß lustsam Und stattlich Hofgesind? 10. Sag an, wer ist denn ihr Truchseß? Sag au, wer ist ihr Schenk?" „Meine rechte Hand ist ihr Truchseß, Meine linke, die ist ihr Schenk." „Sag an, >ver sind die Wächter treu?" — „Mein Augen blau allstund." „Sag an, wer ist ihr Sänger frei?" — „Der ist mein roter Mund." 11. „Die Dam hat wackre Diener, traun! Doch liebt sie sondre Livrei, Wie Regenbogen anzuschaun. Mit Farben mancherlei." „Ich hab bezwungen der Knaben acht. Von jedem Viertel der Stadt, Die haben mir als Zins gebracht Vierfältig Tnch zur Wat." 12. „Die Dame hat, nach meinem Sinn, Den besten Diener der Welt. Sie ist wohl Bettlerkönigin, Die offne Tafel hält? So edle Dame darf nicht fern Von meinem Hofe sein. Wohlauf, drei Damen! auf, drei Herrn! Führt sie zu mir herein!" 13. Klein Roland trägt den Becher flink Hinaus zum Prunkgemach; Drei Damen, auf des Königs Wink, Drei Ritter folgen nach.

Es ftund nur an eine Heine Weil, Der König schaut in die Fern, Da kehren schon zurück mit Eil Die Damen und die Herrn. 14. Der König ruft mit einem Mal: „Hilf Himmel! seh ich recht? Ich hab verspottet im offnen Saal Mein eigenes Geschlecht. Hilf Himmel! Schwester Bertha, bleich, Im grauen Pilgergewand? Hilf Himmel! in meinem Prunksaal reich. Den Bettelstab in der Hand?" 15. Frau Bertha fällt zu Füßen ihm. Das bleiche Frauenbild. Da regt sich plötzlich der alte Grimm, Er blickt sie an so wild. Frau Bertha senkt die Augen schnell. Kein Wort zu reden sich traut. Klein Rolaild hebt die Augen hell, Den Ohm begrüßt er laut. 16. Da spricht der Köuig in mildem Ton: „Steh auf, du Schwester mein! Um diesen deinen lieben Sohn Soll dir verziehen sein." Frau Bertha hebt sich freudenvoll: „Lieb Bruder mein, wohlan! Klein Noland dir vergelten soll, Was du mir Guts getan. 17. Soll werden, seinem König gleich. Ein hohes Heldenbild; Soll führen die Färb von manchem Reich In seinem Banner und Schild, Soll greifen in manches Königs Tisch Mit seiner freien Hand; Soll bringen zu Heil und Ehre frisch Sein seufzend Mutterland."

S3 Roland Schildträger. 1. Der König Karl saß einst zu Tisch Zu Aachen mit den Fürsten. Man stellte Wildbret auf und Fisch Und ließ auch keinen dürsten. Viel Goldgeschirr von klarem Schein, Manch roten, grünen Edelstein Sah man int Saale leuchten. 2. Da sprach Derr Karl, der starke Held: „Was soll der eitle Schimmer? Das beste Kleinod dieser Welt, Das fehlet uns noch immer; Dies Kleiilod, hell wie Sonnenschein, Ein Riese trägt's im Schilde sein Tief im Ard>ennerwalde." 3. Graf Richard, Erzbischof Turpin, Herr Hainton, Naims von Baiern, Milon voit Anglant» Graf Garin, Die wollten da nicht feiern; Sie haben Stahlgewand begehrt Und hiessen satteln ihre Pferd', 3n reiten nach dem Niesen. 4. Jung Noland, Sohn des Milou, sprach: „Lieb Vater, hört! ich bitte: Vermeint Ihr mich zu jung und schwach. Dass ich mit Niesen stritte. Doch bin ich nicht zu winzig mehr, Euch nachzntragen Euern Speer Samt Eurem guten Schilde." 5. Die sechs Genossen ritten bald Vereint nach den Ardennen; Doch als sie kamen in den Wald, Da täten sie sich trennen. Noland ritt hinterm Vater 'her; Wie wohl ihm war, des Helden Speer, Des Helden Schild zu tragen!

6. Bei Sonnenschein und Mondenlichr Streiften die kühnen Degen; Doch fanden sie den Riesen nicht In Felsen noch Gehegen. Zur Mittagsstuud am vierten Tag Der Herzog Milon schlafen lag In einer Eiche Schatten. 7. Roland sah in der Ferne bald Ein Blitzen und ein Leuchten, Davon die Strahlen in dem Wald Tie Hirsch und Reh aufscheuchteu; Er sah, es kam von einem Schild, Den trug ein Riese gross und wild. Vom Berge niedersteigend.

8. Roland gedacht im Herzen sein: ,,Was ist das für ein Schrecken? Soll ich den lieben Vater mein Im besten Schlaf erwecken? Es wachet ja sein gutes Pferd, Es wacht sein Speer, sein Schild und Schwert, Es wacht Roland, der junge." 9. Roland das Schwert zur Seite band, Herrn Milons starkes Waffen; Die Lanze nahn, er in die Hand Und tät den Schild aufraffen; Herrn Milons Roß bestieg er dann Und ritt erst sachte durch den Tann, Den Vater nicht zu wecken.

10. Und als er kam zur Fclsenwand, Da sprach der Ries' mit Lachen: „Was will doch dieser kleine Fant Auf solchem Rosse machen? Sein Schwert ist zwier so lang als er. Vom Rosse zieht ihn schier der Speer, Der Schild will ihn erdrücken."

11. Jung Roland rief: „Wohlauf zum Streit! Dich reuet noch dein Necken. Hab ich die Tartsche lang und breit. Kann sie mich besser decken; Ein Keiner Mann, ein großes Pferd, Ein kurzer Arm, ein langes Schwert, Muß eins dem andern helfen." 12. Der Riese mit der Stange schlug. Auslangend in die Weite; Jung Roland schwenkte schnell genug Skin Roß noch auf die Seite. Die Lanz er auf den Niesen schwang; Doch von beut Wnnderschilde sprang Auf Roland sie zurücke. 13. Jung Roland nahm in großer Hast Das Schwert in beide Hände, Der Riese nach dem seinen saßt, Er war zu unbehende. Mit flinkem Hiebe schlug Roland Ihm unterm Schild die linke Hand, Daß Hand und Schild entrollten. 14. Dem Riesen schwand der Mut dahin. Wie ihm der Schild entrissen; Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn, Mußt er mit Schmerzen missen. Zwar lief er gleich dem Schilde nach. Doch Roland in das Knie ihn stach. Daß er zu Boden stürzte.

15. Roland ihn bei den Haaren griff. Hieb ihm das Haupt herunter. Ein großer Strom von Blute lief Ins tiefe Tal hinunter; Und aus des Tote» Schild hernach Roland das lichte Kleinod brach Und freute sich am Glanze.

16. Dann barg er's unterm Kleide gut Und ging zu einem Quelle: Da wusch er sich von Staub niid Blut Gewand und Waffen Helle. Zurücke ritt der jung Noland Dahin, wo er den Vater fand Noch schlafend bei der Eiche. 17. Er legt’ sich an des Vaters Seit, Vom Schlafe selbst bezwungen. Bis in der kühlen Abendzeit Herr Milon aufgesprungen: „Wach auf, wach auf, mein Sohn Noland! Nimm Schild und Lanze schnell zur Daud, Daß wir den Niesen suchen!" 18. Sie stiegen ans und eilten sehr, Zn schweifen in der Wilde. Noland ritt Hinterm Vater her Mit dessen Speer und Schilde. Sie kamen bald zu jener Statt, Wo Noland jüngst gestritten hätt: Der Niese lag int Blute.

19. Noland kaum seinen Augen glaubt'. Als nicht mehr war zit schauen Die linke Hand, dazu das Haupt, So er ihm abgehauen. Nicht mehr des Niesen Schtvert und Speer, Auch nicht sein Schild und Harnisch mehr. Nur Rumpf und blutge Glieder. 20. Milon besah den großen Rumpf: „Was ist das für ’ne LeicheMan sieht noch am zerhannen Stumpf, Wie mächtig war die Eiche. Das ist der Niese. Frag ich mehr? Verschlafen hab ich Sieg und Ehr, Drum muß ich ewig trauern."

21. Zu Aachen vor dem Schlosse stund Der König Karl gar bange: „Sind meine Helden wohl gesund? Sie weilen allzulange. Doch seh ich recht, auf Königswort, So reitet Herzog Haimon dort. Des Niesen Haupt ane Speere." 22. Herr Haimon ritt in trübem Mut, Und mit gesenktem Spieße Legt' er das Haupt, besprengt mit Blut, Dem König vor die Füße: „Ich fand den Kopf im wilden Hag, Und fünfzig Schritte weiter lag Des Niesen Rumpf am Boden."

23. Bald auch der Erzbischof Turpin Den Nicsenhandschuh brachte. Die ungefüge Hand noch drin: Er zog sie aus und lachte: „Das ist ein schön Reliquienstück; Ich bring es aus dem Wald zurück. Fand es schon zugehauen." 24. Der Herzog Naims von Baierland Kam mit des Niesen Stange: „Schaut an, was ich im Walde fand! Ein Waffen stark und lange. Wohl schwitz ich von dem schweren Druck: Hei, bairisch Bier, ein guter Schluck Sollt mir gar köstlich niunden!" 25. Graf Richard kam zu Fuß daher. Ging neben seinem Pferde; Das trug des Niesen schwere Wehr, Den Harnisch samt dem Schwerte: „Wer suchen will im wilden Tann, Manch Waffenstück noch finden kann. Ist mir zu viel gewesen."

26. Der Graf Garin tät ferne schon Den Schild des Riesen schwingen. „Der hat den Schild, des ist die Kron, Der wird das Kleinod bringen!" „Den Schild hab ich, ihr lieben Herrn! Das Kleinod hätt ich gar zu gern, Doch das ist ausgebrochen." 27. Zuletzt tät man Herrn Milon sehn. Der nach dem Schlosse lenkte; Er ließ das Rößlein langsam gehn, Das Haupt er traurig senkte. Roland ritt hinterm Vater her Und trug ihm seinen starken Speer Zusamt dem festen Schilde. 28. Doch wie sie kamen vor das Schloß Und zu den Herrn geritten, Macht' er von Vaters Schilde los Die Zierat' in der Mitten; Das Riesenkleinod setzt' er ein, Das gab so wunderklaren Schein, Als wie die liebe Sonne. 29. Und als nun diese helle Glut Jni Schilde Milons brannte, Da rief der König frohgemut: „Heil, Milon von Anglante! Der hat den Riesen übermannt, Ihm abgeschlagen Haupt und Hand, Das Kleinod ihm entrissen."

30. Herr Milon hatte sich gewandt, Sah staunend all die Helle: „Roland, sag an, du junger Fant! Wer gab dir das, Geselle?" „Um Gott, Herr Vater, zürnt mir nicht. Daß ich erschlug den groben Wicht, Derweil Ihr eben schliefet!"

94, Die versunkene Krone. 1. Da droben auf dem Hügel, Da steht ein kleines Haus; Man sieht von seiner Schwelle Ins schöne Land hinaus. Dort sitzt ein freier Bauer Am Abend auf der Bank, Er dengelt seine Sense Und singt dem Himmel Dank. 2. Da bruiiten in dem Grunde, Ta dümmerr längst der Teich. Es liegt in ihm versunken Eine Krone stolz und reich; Sie läßt zunacht Wohl spielen Karfunkel und Saphir; Sie liegt seit grauen Jahren, lind niemand sucht nach ihr.

Johann Nepomuk Vogl. 95. Das Erkennen. 1. Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand, Kommt lvieder heim aus den: fremden Land. Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt; Von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt? 2. So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor, Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor. Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund, Oft hatte der Becher die beiden vereint.

3. Doch sieh — Freund Zollmann erkennt ihn nicht. Zu sehr hat die Sonn ihm verbrannt das Gesicht. Und weiter wandert nach kurzem Gruß Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß. 4. Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromni: „Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!"

94, Die versunkene Krone. 1. Da droben auf dem Hügel, Da steht ein kleines Haus; Man sieht von seiner Schwelle Ins schöne Land hinaus. Dort sitzt ein freier Bauer Am Abend auf der Bank, Er dengelt seine Sense Und singt dem Himmel Dank. 2. Da bruiiten in dem Grunde, Ta dümmerr längst der Teich. Es liegt in ihm versunken Eine Krone stolz und reich; Sie läßt zunacht Wohl spielen Karfunkel und Saphir; Sie liegt seit grauen Jahren, lind niemand sucht nach ihr.

Johann Nepomuk Vogl. 95. Das Erkennen. 1. Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand, Kommt lvieder heim aus den: fremden Land. Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt; Von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt? 2. So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor, Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor. Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund, Oft hatte der Becher die beiden vereint.

3. Doch sieh — Freund Zollmann erkennt ihn nicht. Zu sehr hat die Sonn ihm verbrannt das Gesicht. Und weiter wandert nach kurzem Gruß Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß. 4. Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromni: „Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!"

112

Bogl.

Volkslieder.

Doch sieh — auch das Mägdlein erkennt ih» nicht. Die Sonn hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht. 5. lind weiter geht er die Straß entlang, Ein Tränlein hängt ihm au der braunen Wang. Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her, „Gott grüß Euch!" so spricht er und sonst nichts mehr. 6. Doch sieh — das Mütterchen schluchzet voll Lust: „Mein Sohn!" — und sinkt an des Burschen Brust. Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt. Das Mnttcraug hat ihn doch gleich erkannt.

Volkslieder. 96. Der Schneider in -er Hölle. 1. Es wollt ein Schneider wandern Des Montags in der Früh; Begegnet ihm der Teufel, Hat weder Strümps noch Schuh: „He, he, du Schneidergesell! Du mußt mit mir in die Höll! Du mußt uns Teufel kleiden. Es geh dir, wie es wöll!"

2. Als der Schneider in die Höll 'neinkam. Nahm er sein Ellenstab Und schlug den Teufeln den Buckel voll. Die Hölle auf und ab: „He, he, du Schneidergesell! Du-mußt wieder aus der Höll! Wir brauchen keines Messen, Es geh dir, wie es wöll!"

3. Und als der Schneider gemessen hatt'. Nahm er seine lange Scher Und stutzt den Teufeln die Schwänze ab, Sie hupften hin und her.

112

Bogl.

Volkslieder.

Doch sieh — auch das Mägdlein erkennt ih» nicht. Die Sonn hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht. 5. lind weiter geht er die Straß entlang, Ein Tränlein hängt ihm au der braunen Wang. Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her, „Gott grüß Euch!" so spricht er und sonst nichts mehr. 6. Doch sieh — das Mütterchen schluchzet voll Lust: „Mein Sohn!" — und sinkt an des Burschen Brust. Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt. Das Mnttcraug hat ihn doch gleich erkannt.

Volkslieder. 96. Der Schneider in -er Hölle. 1. Es wollt ein Schneider wandern Des Montags in der Früh; Begegnet ihm der Teufel, Hat weder Strümps noch Schuh: „He, he, du Schneidergesell! Du mußt mit mir in die Höll! Du mußt uns Teufel kleiden. Es geh dir, wie es wöll!"

2. Als der Schneider in die Höll 'neinkam. Nahm er sein Ellenstab Und schlug den Teufeln den Buckel voll. Die Hölle auf und ab: „He, he, du Schneidergesell! Du-mußt wieder aus der Höll! Wir brauchen keines Messen, Es geh dir, wie es wöll!"

3. Und als der Schneider gemessen hatt'. Nahm er seine lange Scher Und stutzt den Teufeln die Schwänze ab, Sie hupften hin und her.

„He, he, du Schneidergesell! Du mußt wieder aus der Höll! Wir brauchen keines Stutzen, Es geh dir, wie es wöll!" 4. Drauf nahm er's Bügeleisen 'raus Und stellt es in das Feur Und bügelt den Teufeln die Falten aus. Sie schrien ganz ungeheur: „He, he, du Schneidergesell! Du mußt wieder aus der Höll! Wir brauchen keines Bügeln, Es geh dir, wie es wöll!" 5. Drauf nahm er Nadel und Fingerhut Und fängt zu nähen an Und näht den Teufeln die Nase zu. Wie fest er immer kann: „He, he, du Schneidergesell! Du mußt wieder aus der Höll! Wir könn' ja nicht mehr schnaufen! Es geh dir, wie es wöll!" 6. Drauf fanget er das Schneiden ail. So gut er's immer kennt. Und hat den Teufeln mit Gewalt Die Ohrlappen aufgetrennt: „He, he, du Schneidergesell! Du mußt wieder aus der Höll! Wir brauchen keines Schneiden, Es geh dir, wie es wöll!" 7. Nach dem so kommt der Luzifer Und schreit: „Das ist ein Graus, Kein Teufel hat kein Schwänzlein mehr. Jagt ihn zur Höll hinaus! He, he, du Schneidergesell! Du mußt wieder aus der Höll!

Wir brauchen keine Kleider, Es geh dir, wie es wöll!" -«ilel. Lrirbuch b. u. «ufi.

M. 8

114

Volkslieder. 8. Drauf hat der Schneider aufgepackt. Und war ihm erst recht wohl; Er hupst und springet unverzagt, Lacht sich den Buckel voll; Sprang eilends aus der Höll Und blieb ein Schneidergesell. Druin holt der Teufel kein Schneider mehr, Und geh es, wie es Wöll!

97. Rachtwächterlied. 1. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat zehn geschlagen. Zehn Gebote setzt Gott ein; Ach, laßt uns gehorsam sein! 2. Menschenlvachen wird nichts nützen, Gott muß wachen, Gott muß schützen. Herr, durch deine Huld und Macht Gib uns eine gute Nacht! 3. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat cls geschlagen. Nur elf Jünger blieben treu; Gib, daß gar kein Abfall sei! 4. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat zwölf geschlagen. Zwölf, das ist das Ziel der Zeit; Mensch, bedenk die Ewigkeit! 5. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat eins geschlagen. Eins ist Not; du treuer Gott, Gib uns einen selgen Tod! 6. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat zwei geschlagen. Zwei Weg hat der Mensch für sich: Herr, den schmalen führe mich! 7. Hört, ihr Herrn, und laßt ench sagen: Unsre Glock hat drei geschlagen.

Drei ist eins, was göttlich heißt, Vater, Sohn und Heilger Geist. 8. Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen: Unsre Glock hat vier geschlagen. Vierfach ist das Ackerfeld: Mensch, wie ist dein Herz bestellt? 9. Auf! ermuntert eure Sinnen, Denn es weicht die Nacht von hinnen. Danket Gott, der uns die Nacht Hat so väterlich bewacht!

98. Ach, wie wär's möglich dann. 1. Ach, wie wär's möglich dann. Daß ich dich lassen kann. Hab dich von Herzen lieb. Das glaube mir! Du hast das Herze mein Also genommen ein. Daß ich kein andern lieb. Als dich allein. 2. Blau ist ein Blümelein, Das heißt Vergißnichtmein, Dies Blümlein leg ans Herz, Und denk an mich! Kein Unfall, keine Not, Ja, nicht der bittre Tod Mag scheiden mich von dir, Das glaube mir! 3. Wär ich ein Vögelein, Wollt ich bald bei dir sein, Scheut Falk und Habicht nicht, Flög schnell zu dir. Schöß mich ein Jäger tot. Fiel ich in deinen Schoß; Sähst du mich traurig an, Gern stürb ich dann.

99. Unterländers Heimweh. (Schwäbisch).

1. Drunten im Unterland, Da ist’s halt fein. Schlehen im Oberland, Trauben im Unterland, Drunten im Unterland Möcht i wohl sein. 2. Drunten im Neckartal Da ist’s halt gut. Ist mer’s da oben rum Manchmal au no so dumm, Han i doch alleweil Drunten guts blut.

3. Kalt ist’s im Oberland, Drunten ist’s warm. Oben sind d’ leut so reich, D’ herzen sind gar net weich, Bsehnt mi net freundlich an, Werdet net warm. 4. Aber da unten rum Da sind d’ leut arm, Aber so froh und frei Und in der liebe treu, Drum sind im Unterland D’ herzen so warm.

Wilhelm Wackernagel. 100. Geduld bringt Rosen. 1. Es ist Geduld ein rauher Strauch, Voll Dornen aller Enden, Und wer ihm naht, der merkt das auch An Füßen und an Händen.

2. Und d ennoch sag ich: laß die Müh Dich nimmermehr verdrießen. Sei's auch mit Tränen, spät und früh Ihn treulich zu begießen. 3. Urplötzlich wird er über Nacht Dein Mühen dir belohnen. Wenn über all den Dornen lacht Ein Strauß von Rosenkronen.

99. Unterländers Heimweh. (Schwäbisch).

1. Drunten im Unterland, Da ist’s halt fein. Schlehen im Oberland, Trauben im Unterland, Drunten im Unterland Möcht i wohl sein. 2. Drunten im Neckartal Da ist’s halt gut. Ist mer’s da oben rum Manchmal au no so dumm, Han i doch alleweil Drunten guts blut.

3. Kalt ist’s im Oberland, Drunten ist’s warm. Oben sind d’ leut so reich, D’ herzen sind gar net weich, Bsehnt mi net freundlich an, Werdet net warm. 4. Aber da unten rum Da sind d’ leut arm, Aber so froh und frei Und in der liebe treu, Drum sind im Unterland D’ herzen so warm.

Wilhelm Wackernagel. 100. Geduld bringt Rosen. 1. Es ist Geduld ein rauher Strauch, Voll Dornen aller Enden, Und wer ihm naht, der merkt das auch An Füßen und an Händen.

2. Und d ennoch sag ich: laß die Müh Dich nimmermehr verdrießen. Sei's auch mit Tränen, spät und früh Ihn treulich zu begießen. 3. Urplötzlich wird er über Nacht Dein Mühen dir belohnen. Wenn über all den Dornen lacht Ein Strauß von Rosenkronen.

Zweite Abteilung:

Prosa. Adolf Ausfeld. 101. Aus der Sage vom großen König Alexander. 1. Alexander bei den Amazonen. Die Amazonen wohnten in der Nähe des kaspischen Meeres in einem Lande, das fast ringsum von einem brei­ ten, tiefen Stronie umflossen war und nur auf einer Seite einen schmalen Zugang hatte. Ein Heer von 170 000 Wei­ bern schützte das Gebiet. Kein Mann durfte sich dort auf­ halten, sondern ihre Männer wohnten jenseits des Flusses und mußten die Herden der Frauen auf die Weide treiben. Nur einmal jährlich, bei einem dreißigtägigen Opferfeste, kamen ihre Weiber zu ihnen hinüber. Wollte eine Frau länger bei ihrem Manne bleiben, so konnte ihr die Königin auf ein Jahr Urlaub gewähren. Die Kinder wurden von den Männern aufgezogen. Die Knaben behielten sie, die Mädchen mußten sie, wenn sie sieben Jahre alt waren, auf die Insel zu den Frauen bringen. Griffen Feinde das Land an, so rückten hunderttausend Frauen zu Pferde ihnen entgegen, die übrigen blieben zum Schutze der Insel zurück. Die Männer folgten dem Heere als Troß. Die im Kampfe gefallenen Frauen wurden hoch geehrt, und ihre Hinterbliebenen erhielten vom Volke große Geschenke. Diesen tapfern Kriegerinnen sandte Alexander die Bot­ schaft, er wolle ihr Land besuchen, und sie sollten ihm entgegenkommen, da er freundlich gegen sie gesinnt sei. Sie aber glaubten ihre Freiheit bedroht und schrieben ihm:

„Die Führerinnen der Amazonen senden König Alexan­ der ihren Gruß. Ehe du zu uns kommst, warnen wir dich, damit du nicht rühmlos umkehren mußt. Besiegen wir unsere Feinde, so ist das für sie eine ewige Schande, besiegen sie aber uns, so haben sie keinen Ruhm davon, da wir Weiber sind. Hüte dich, Alexander, daß es dir nicht so ergehe. Kommst du, so wirst du unser Kriegslager an der Grenze finden." Als Alexander den Brief gelesen, lachte er und ant­ wortete ihnen:. „König Alexander grüßt die Amazonen. Ich habe nicht drei Erdteile unterworfen, um vor einem Völkchen von Weibern umzukehren. Wollt ihr Land, Frei­ heit und Leben verlieren, so lagert euch feindlich an der Grenze, wollt ihr aber verständig sein, so besucht mich freundschaftlich mit euern Männern. Ich werde euch dann ungekränkt entlassen. Wollt ihr Reiterinnen zu meinem Heer stellen, so soll jede monatlich ein Goldstück als Sold und alles, was sie braucht, erhalten. Nun beratet euch wohl und schreibet mir dann wieder." Da wurde): die Anmzonen anderen Sinnes, luden ihn in ihr Land ein, schickten ihm hundert edle Pferde, fünf­ hundert Reiterinnen und einen Tribut von hundert Pfund Gold und versprachen, dem Helden, dem so viele Völker gehorchten, auch willig und untertan zu sein. 2. Alexander bei den indischen Weisen.

Von der Königstadt des Porus zog Alexander weiter zum Land der Gymnosophisten, der indischen Weisen, die ohne Kleider, ohne Häuser, ohne Habe friedlich in den Wäl­ dern lebten. Als diese erfuhren, daß Alexander herannahc, sandten sie ihm die Botschaft: „Wenn du kommst, um uns zu bekriegen, so wirst du keinen Nutzen davon haben, denn das einzige, was wir besitzen, ist unsere Weisheit, und die kann uns niemand wegnehmen." Alexander erwiderte, er komme nicht in feindlicher Absicht. Er fand ihr Land reich an vielerlei Fruchtbäumen und Weinstöcken, die von

herrlichen Trauben strotzten. Ein schöner Fluß mit durch­ sichtigem Wasser strömte hindurch. Alexander begrüßte die Weisen und prüfte sie durch mancherlei Fragen. Zuletzt fragte er: „Habt ihr auch einen König?" — „Wir haben einen Führer und Lehrer, den Meisen Dandamis." Alexander wünschte, diesen kennen zu lernen, und sie geleiteten ihn zu einem Manne, der am Boden auf einem Blätterhaufen lag und Feigen aß. Als ihn Alexander grüßte, erwiderte er kurz den Gruß, ohne sich zu erheben. Alexander fragte Ujtt, ob sein Volk wirNich gar nichts be­ sitze. Er erwiderte: „Wir besitzen viel: Erde, Licht, Sonne, Mond und Sterne', Luft, Wasser und Fruchtbänme. Hungert uns, so gehen wir zu den schattigen Bäumen und essen ihre Früchte. Dürstet uns, so gehen wir zum Fluß und erquicken uns an seinem Wasser. Wollen wir uns an einem Schauspiel ergötzen, so blicken wir zum Himmel und bewundern den Neigen der Sterne und das Leuchten des Mondes und der Sonne." Alexander sand Gefallen an den Männern und sprach: „Verlangt von mir, was ihr wollt, und ich will es euch gewähren." Da riefen alle: „Gib uns Unsterblichkeit!" Alexander antwortete: „Das kann ich nicht, denn ich bin selbst sterblich." — „Wenn du sterblich bist, warum machst du dir so viel mit Kriegen und Schlachten zu schaffen? Müßtest du nicht, wenn du auch die ganze Welt gewönnest, mit deinem Tod das alles an andere abtreten?" Darauf er­ widerte Alexander: „So hat mich die Vorsehung ge­ schaffen, daß mich mein Herz zu kriegerischen Taten treibt. Mich hat sie so gewollt, wie ich bin, euch, wie ihr seid, und wir beide sind ihrem Gebote unterworfen. Wären alle Menschen von der gleichen Art, so wäre die Welt träge und leblos, das Meer würde nicht befahren, das Land nicht bebaut, und die Menschheit stürbe aus." Alexauder ließ dann den Weisen große Geschenke über­ reichen, Gold, Gewänder, Wein und Ol. Dandamis aber

lachte und sprach: „Meinst du wohl, daß sich die Vögel freuen würden, wenn du ihnen Gold und Kleider schenktest, und daß sie deshalb schöner sängen? Ebensowenig können wir dergleichen gebrauchen. Damit es aber nicht scheint, als verachten wir dich, so will ich das Ol von dir anneh­ men." Darauf ließ Dandamis ein Feuer anzünden und schüttete vor Alexanders Auge das Ol hinein.

3. Alexander bei den Blumenmädchen. Als die Mazedonier viele Tagereisen durch Indien gezogen waren, kamen sie zu einem großeil Wald, aus dem Harfen- und Zitherspiel und süße Lieder zu ihnen herüberklangen. Mächtige Bäume verbreiteten dichten Schatten, darunter wuchsen schöne Blumen; helle Brunnen sprudelten dort und rieselten aus dem Walde hervor auf eine grüne Aue. Alexander und die Seinen stiegen als­ bald von den Rossen und gingen in den Wald, um zu sehen, woher der liebliche Gesang käme. Da fanden sie wunderschöne Jungfrauen, mehr als hunderttausend, die spielten und sprangen im Walde und sangen dazu so herr­ lich, daß nie jemand so süße Töne vernommen hat. Da vergaß ein jeder Gefahr und Not und jegliches Herzeleid, und alle meinten für ihr Leben Freude und Glück genug zu haben, wenn sie ewig an diesem Orte weilen dürften. Sie fragten die Mädchen, woher sie in den Wald gekom­ men seien. Da ward ihnen wunderbare Kunde. Wenn der Winter ging und die Erde zu grünen begann, dann ent­ sprangen in dem Walde edle Blumen von seltsamer Größe, weiß und rot mit mächtigen runden Knospen. Wenn sich die Knospen öffneten, so- kamen daraus liebliche Mädchen hervor, weiß und rot, wie die Blumen selbst, und schöner als alle Weiber der Welt. Sie hatten menschlichen Ver­ stand und gingen und sprachen wie Menschen. Die schönsten Kleider, rot wie Rosen und weiß wie Schnee, waren ihnen an den Leib gewachsen. Wagte sich aber eine aus dem

Ausfeld.

Bäßler.

Schatten heraus in die Sonnenglut, so mußte sie eines jähen Todes sterben. Da schlugen die Mazedonier ihr Gezelt in dem Wald auf und freuten sich der Mädchen, die mit den Vöglein um die Wette sangen. Sie vermählten sich mit den Hol­ den und hatten mehr Wonne, als sie je im Leben fanden, seit sie geboren waren, und gedachten sich nie von ihren Liebsten zu tremren. Aber nur drei Monate und zwölf Tage dauerte ihr Glück. Als der Winter kam und die Blumen welkten, da starben mit ihnen die süßen Bräute sämtlich dahin. Das Laub fiel von den Bäumen, die Brunnen hörten aus zu fließen, und in unendlicher Trauer und Sehnsucht schied Alexanders Volk von der verödeten Stätte.

Ferdinand Büßler. 102. Der treue Eckart. Zll Eisleben und int ganzen Land Mansfeld ist vor Zeiten alle Jahr auf den Fastnacht-Donnerstag das wü­ tende Heer vorübergezogen, und die Leute sind zusammen­ gelaufen und haben darauf gewartet, nicht anders, als sollte ein großer, tnächtiger Kaiser oder König Vorüberziehn; da man denn in der Luft eilten reisigen Haufen zu Fuß und zu Roß gesehen: einer hat geritten auf einem Pferd mit zween Füßen; der andre ist auf einem Rad gebunden gelegen, und das Rad ist von selbst umgelaufen; der dritte hat einen Schenkel über die Achsel genommen und ist gleich sehr ge­ laufen; ein anderer hat keinen Kops gehabt. Aber vor dem ganzen Haufen her ist ein alter Mann gegangen mit einem weißen Stab, der hat sich selbst den treuen Eckart geheißen, der hat die Leute heißen aus dem Weg weichen, hat auch etliche heißen heim gehen, sie würden sonst Schaden nehmen. Daher ist das Sprichwort: „Der treue Eckart warnet jeder­ mann."

Ausfeld.

Bäßler.

Schatten heraus in die Sonnenglut, so mußte sie eines jähen Todes sterben. Da schlugen die Mazedonier ihr Gezelt in dem Wald auf und freuten sich der Mädchen, die mit den Vöglein um die Wette sangen. Sie vermählten sich mit den Hol­ den und hatten mehr Wonne, als sie je im Leben fanden, seit sie geboren waren, und gedachten sich nie von ihren Liebsten zu tremren. Aber nur drei Monate und zwölf Tage dauerte ihr Glück. Als der Winter kam und die Blumen welkten, da starben mit ihnen die süßen Bräute sämtlich dahin. Das Laub fiel von den Bäumen, die Brunnen hörten aus zu fließen, und in unendlicher Trauer und Sehnsucht schied Alexanders Volk von der verödeten Stätte.

Ferdinand Büßler. 102. Der treue Eckart. Zll Eisleben und int ganzen Land Mansfeld ist vor Zeiten alle Jahr auf den Fastnacht-Donnerstag das wü­ tende Heer vorübergezogen, und die Leute sind zusammen­ gelaufen und haben darauf gewartet, nicht anders, als sollte ein großer, tnächtiger Kaiser oder König Vorüberziehn; da man denn in der Luft eilten reisigen Haufen zu Fuß und zu Roß gesehen: einer hat geritten auf einem Pferd mit zween Füßen; der andre ist auf einem Rad gebunden gelegen, und das Rad ist von selbst umgelaufen; der dritte hat einen Schenkel über die Achsel genommen und ist gleich sehr ge­ laufen; ein anderer hat keinen Kops gehabt. Aber vor dem ganzen Haufen her ist ein alter Mann gegangen mit einem weißen Stab, der hat sich selbst den treuen Eckart geheißen, der hat die Leute heißen aus dem Weg weichen, hat auch etliche heißen heim gehen, sie würden sonst Schaden nehmen. Daher ist das Sprichwort: „Der treue Eckart warnet jeder­ mann."

In ein ein thüringischen Dorfe, Schwarza genannt, zog einstens am Weihnachtsfeste die Frau Hulda oder Holla mit ihrem wütenden Heere vorüber, und der treue Eckart ging vor ihm her, die Leute zu warnen. Da hat es sich getroffen, daß just zwei Knaben, welche aus dem nächsten Dorfe Bier geholt hatten, dem Gespensterzuge begegneten. Als diese die Schatten ansichtig wurden, versteckten sie sich in einen Winkel, aber einige Unholdinnen eilten ihnen nach, nahmen die Kannen und schlürften mit grosser Begierde das Bier aus. Als nun alles hinweg und vorbei >var, kamen die Knaben aus ihrem Versteck wieder hervor, waren aber sehr bekünimert, was sie zu Hause vorwenden sollten, >veil sie kein Bier mitbrächten. Indem sie nun also bei sich ratschlagten, trat der treue Eckart herbei und sagte: „Das riet euch Gott, daß ihr das Bier freiwillig hergegeben und kein Wörtchen darwider geredet habt, sonst hätten euch die Unholdinnen die Hälse umgedreht. Geht nun slugs heim und seid getrost, aber sagt keinem Menschen etwas von der Geschichte, so werden eure Kannen immer voll Bier sein und wird ihnen nie gebrechen." Dies taten die Knaben, und es geschah, wie ihnen der Alte gesagt hatte. Die Kannen waren voll Bier, und soviel man auch davon trank, sie wurden niemals leer. Drei Tage nahmen sie das Wort in acht; endlich aber konnten sie's nicht länger bergen, sondern erzählten aus Vorwitz ihren Eltern den Verlauf der Sache: da >var es aus, und die Krüglein versiegten.

103. Rübezahl wird ein Esel. Einst reiste ein Glaser über das Gebirge und wurde über die schwere Last des Glases, die er auf den» Rücken trug, müde, schaute sich daher um, wo er sich wohl hinsetzen könnte. Der ihn beobachtende Rübezahl vermerkte dies kaum, als er sich in einen runden Klotz verwandelte. Diesen traf der Glaser nicht lange hernach am Wege liegend an und ging mit frohem Mute hin, um sich auf ihn zu setzen. Doch die Freude dauerte nicht lange; denn kaum hatte er einige Zeit gesessen, so wälzte sich

der Klotz so geschwinde unter ihm fort, daß der arme Glaser mitsamt seinem Glase zu Boden schlug und es in tausend Stücke zerschellte. Der betrübte Mann erhob sich von der Erde, blickte um sich, aber sah keinen Klotz, auf dem er vorhin gesessen hatte. Da fing er an bitterlich zu weinen und beseufzte mit herzlichen Klagen seinen erlittenen Verlust, doch wandelte er seine Straße fort. Da gesellte sich Rübezahl in Gestalt eines Reisenden zu ihm und fragte, was er doch so weine, und wor­ über er Leid trage. Der Glaser erzählte ihm den ganzen Her­ gang, wie er auf einem Älocke, um sich auszuruhen, ge­ sessen; dieser habe sich schne'll mit ihm umgedreht, sein ganzer Glasvorrat, wohl acht Taller an Wert, sei zerbrochen, und der Klotz sei verschwunden. Er wisse nun nicht, wie er sich er­ holen und seinen Schaden KU gutem Ende bringen solle. Der mitleidige Berggeist tröstete ihn, sagte ihm, wer er sei, und daß er ihm den Possen gespielt habe; er solle aber nur gutes Mutes sein, denn sein Schaden solle ihm vergütet werden. Flugs verwandelte sich Rübezahl in einen Esel und gab dem Glaser Befehl, ihn in einer am Fuße des Berges liegen­ den Mühle zu verkaufen, mit dem Gelde aber sich schnell davonzumachen. Der Glaser bestieg den verwandelten Berg­ geist sogleich und ritt ihn vom Gebirge hinunter zu der Mühle, wo er ihn dem Müller zeigte und für zehn Taler feil­ bot. Dieser erstand ihn für neun Taler, und der Glaser nahm das Geld und machte sich ohne Säumen davon. Das er­ kaufte Tier ward in den Stall geführt, und der Knecht legte ihm Heu vor; aber der Esel tat seinen Mund auf und sprach: „Ich fresse kein Heu, sondern lauter Gebrakenes und Ge­ backenes." Dem Knecht sträubte sich das Haar, er eilte zu seinem Herrn und verkündete ihm die neue Märe. Als aber der Müller selbst in den Stall kam, fand er nichts, denn der Esel war verschwunden. Der Müller beklagte den bösen Handel; aber es war ihm recht geschehen, da er viele arme Leute betrogen hatte. So rächte Rübezahl geschehene Unbill.

104. Die Schöppenstedter verschreiben ein Ge­ witter.

In einem Sommer hatte es mal gar lange nicht in Schöppenstedt geregnet, sodaß den Bürgern bange wurde, die Ernte möchte mißraten, und sie beschlossen daher, nach Braun­ schweig zu schicken, um sich ein Gewitter zu verschreiben, denn dort wüßte man ja Rat für alles. Zu dein Ende schickten sie eine alte Frau ab; diese kam auch glücklich in Braunschweig an, und nachdem sie das Anliegen der Schöppenstedter richtig angebracht, erhielt sie von den Braunschweigern, die ihre Leute kannten, eine Schachtel, in welcher, wie sie ihr sagten, das Ge­ witter wäre. In dieser Schachtel, welche ziemlich groß war, be­ fand sich ein ganzer Bienenschwarm; und als sie nun mit der­ selben nach Schöppenstedt zurückging, fingen die Bienen, da es sehr heiß war, in der Schachtel gewaltig an zu summen, und der Frau wurde angst und bange, beim sie hatte oft genug gehört, daß das Gewitter auch zuweilen einschlage, und sie fürchtete jetzt, daß es auf einmal losbrechen und sie erschlagen könnte. Als sie daher auf die Höhe vor der Stadt kam, öffnete sie die Schachtel ein wenig, um dem Gewitter, dem es, wie sie dachte, drinnen zu heiß sei, etwas Lust zu machen; denn sie meinte: „Es wird ja wohl für Schöppenstedt genug übrig­ bleiben, wir sind ja dicht vor." Aber kaum hatte sie den Teckel etwas gehoben, da flog der ganze Schwarm heraus und zurück nach Braunschweig. Sie sprang zwar mit gleichen Füßen hinterdrein, unablässig rufend: „Gewitter, Gewitter! hier­ her nach Groß-Schöppenstedt!" aber das Gewitter flog fort und kam nicht wieder.

Ludwig Bechstein. 105. Etliche scharfsinnige Taten der Wasunger.

1. Der Wasunger Stadtgalgen. Oberhalb Wasungen im Thüringerlande stand auf einem Hügel seitwärts der Landstraße ein alter Galgen, der gehörte

104. Die Schöppenstedter verschreiben ein Ge­ witter.

In einem Sommer hatte es mal gar lange nicht in Schöppenstedt geregnet, sodaß den Bürgern bange wurde, die Ernte möchte mißraten, und sie beschlossen daher, nach Braun­ schweig zu schicken, um sich ein Gewitter zu verschreiben, denn dort wüßte man ja Rat für alles. Zu dein Ende schickten sie eine alte Frau ab; diese kam auch glücklich in Braunschweig an, und nachdem sie das Anliegen der Schöppenstedter richtig angebracht, erhielt sie von den Braunschweigern, die ihre Leute kannten, eine Schachtel, in welcher, wie sie ihr sagten, das Ge­ witter wäre. In dieser Schachtel, welche ziemlich groß war, be­ fand sich ein ganzer Bienenschwarm; und als sie nun mit der­ selben nach Schöppenstedt zurückging, fingen die Bienen, da es sehr heiß war, in der Schachtel gewaltig an zu summen, und der Frau wurde angst und bange, beim sie hatte oft genug gehört, daß das Gewitter auch zuweilen einschlage, und sie fürchtete jetzt, daß es auf einmal losbrechen und sie erschlagen könnte. Als sie daher auf die Höhe vor der Stadt kam, öffnete sie die Schachtel ein wenig, um dem Gewitter, dem es, wie sie dachte, drinnen zu heiß sei, etwas Lust zu machen; denn sie meinte: „Es wird ja wohl für Schöppenstedt genug übrig­ bleiben, wir sind ja dicht vor." Aber kaum hatte sie den Teckel etwas gehoben, da flog der ganze Schwarm heraus und zurück nach Braunschweig. Sie sprang zwar mit gleichen Füßen hinterdrein, unablässig rufend: „Gewitter, Gewitter! hier­ her nach Groß-Schöppenstedt!" aber das Gewitter flog fort und kam nicht wieder.

Ludwig Bechstein. 105. Etliche scharfsinnige Taten der Wasunger.

1. Der Wasunger Stadtgalgen. Oberhalb Wasungen im Thüringerlande stand auf einem Hügel seitwärts der Landstraße ein alter Galgen, der gehörte

der Stadt eigentümlich. Nun wurde einmal ein fremder Dieb eingebracht und sollte an den Wasunger Stadtgalgen gehenkt werden. Da traten aber die Wasunger Ratsherren dagegen auf und sprachen: „Wir haben hier einen Galgen für uns, unsre Kinder und Kindeskinder und brauchen keine fremden armen Sünder dran!" Litten also nicht, daß jener Dieb daran gehenkt wurde. Und da sie nun nicht wußten, ivas sie mit ihm anfangen sollten, gaben sie ihm ein Stück Geld und sagten ihm, er solle sich seiner Wege packen und sich henken lassen, wo er Lust habe.

2 Wie die Wasunger eine Kahe kauften.

Ein Wirt hatte viel Mäuse tu Hause und Ratten und wußte sich gar nicht mehr ;»u helfen. Damals gab es aber noch keine Katzen in Wasungen. Da wurde dem Wirt an­ geraten, er solle nach Meiningen fahren und eine Katze kaufet:, so würde er der Plage bald los sein; denn dieses Tier vertilgte die Mäuse. Das ließ der Mann sich nicht zweimal sagen, fuhr mit seinem Knecht und kaufte eine Katze um ein gutes Stück Geld. Auf dem Heinuoeg fiel ihm bei, daß er vergessen, sich zu erkundigen, was die Katze fresse; denn er bedachte, daß solch ein Tier auch leben wolle, wenn es keine Mäuse und Ratten mehr gäbe, sandte deshalb den Knecht zurück, anzufragen, was die Katze fresse, und fuhr einstweilen nach Hause. Wie der Knecht ankam, fragte der Herr neugierig: „Nun, was frißt die Katze?" — „Alles!" war die Antwort. „Alles?" — „Ja, alles!" war der wieder­ holte Bescheid. „Ei, behüt uns Gott vor so einem Tier!" Sprach's und schickte die Katze augenblicklich wieder zurück.

Karl Friedrich Becker. 106. Der Tod des Sokrates. sSokrates, der tiefe Denker und unvergleichliche Leh­ rer und Erzieher der Jünglinge, wirkte in Athen, begeistert verehrt von allen, die das Glück hatten, seinen Umgang

der Stadt eigentümlich. Nun wurde einmal ein fremder Dieb eingebracht und sollte an den Wasunger Stadtgalgen gehenkt werden. Da traten aber die Wasunger Ratsherren dagegen auf und sprachen: „Wir haben hier einen Galgen für uns, unsre Kinder und Kindeskinder und brauchen keine fremden armen Sünder dran!" Litten also nicht, daß jener Dieb daran gehenkt wurde. Und da sie nun nicht wußten, ivas sie mit ihm anfangen sollten, gaben sie ihm ein Stück Geld und sagten ihm, er solle sich seiner Wege packen und sich henken lassen, wo er Lust habe.

2 Wie die Wasunger eine Kahe kauften.

Ein Wirt hatte viel Mäuse tu Hause und Ratten und wußte sich gar nicht mehr ;»u helfen. Damals gab es aber noch keine Katzen in Wasungen. Da wurde dem Wirt an­ geraten, er solle nach Meiningen fahren und eine Katze kaufet:, so würde er der Plage bald los sein; denn dieses Tier vertilgte die Mäuse. Das ließ der Mann sich nicht zweimal sagen, fuhr mit seinem Knecht und kaufte eine Katze um ein gutes Stück Geld. Auf dem Heinuoeg fiel ihm bei, daß er vergessen, sich zu erkundigen, was die Katze fresse; denn er bedachte, daß solch ein Tier auch leben wolle, wenn es keine Mäuse und Ratten mehr gäbe, sandte deshalb den Knecht zurück, anzufragen, was die Katze fresse, und fuhr einstweilen nach Hause. Wie der Knecht ankam, fragte der Herr neugierig: „Nun, was frißt die Katze?" — „Alles!" war die Antwort. „Alles?" — „Ja, alles!" war der wieder­ holte Bescheid. „Ei, behüt uns Gott vor so einem Tier!" Sprach's und schickte die Katze augenblicklich wieder zurück.

Karl Friedrich Becker. 106. Der Tod des Sokrates. sSokrates, der tiefe Denker und unvergleichliche Leh­ rer und Erzieher der Jünglinge, wirkte in Athen, begeistert verehrt von allen, die das Glück hatten, seinen Umgang

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Becker.

zu genießen. Hatte doch das Orakel in Delphi auf die Frage, wer der weiseste Grieche sei, geantwortet: „Weise ist Sophokles, weiser Euripides, aber aller Menschen weisester ist Sokrates!" Durch sein Sittenrichteramt machte er sich aller­ dings bei vielen verhaßt, doch blieb er bis an sein siebenzig­ stes Jahr von aller Verfolgung frei. Aber nach der Schreckenszeit der dreißig Tyrannen klagten ihn seine Feinde an, er leugne die Götter und verderbe die Jugend. Wohl verteidigte er sich glänzend vor dem großen Volksgerichte von 559 Richtern, dennoch wurde durch eine Mehrheit von drei schwarzen Steinen das Todesurteil über ihn ausgesprochen.f

Das Urteil würde gleich am folgenden Tage vollstreckt worden sein, wäre nicht zufällig gerade den Tag zuvor die heilige Prozession nach Delos abgcgangen, während deren Abwesenheit keine Hinrichtung in Athen geschehen durfte. Noch hielten widrige Winde das Schiff diesmal länger als gewöhnlich auf, und dies verschaffte den Schülern des Sokrates das schmerzlich süße Vergnügen, ihren Lehrer noch dreißig Tage behalten zu können. Sie besuchten ihn wäh­ rend dieser Zeit täglich im Gefängnisse. Dem Apollodoros, dessen Schmerz am ausgelassensten war, und der einmal verzweifelnd ausrief: „Nein, so unschuldig sterben zil müssen!" entgegnete er lächelnd: „Möchtest du etwa lieber, daß ich schuldig wäre?"

Den Tag vor seinem Tode entdeckte ihni Kriton schüchtern, er habe eine Summe Geldes zusamniengebracht, die Wächter zu bestechen, daß sie die nächste Nacht die Tür offen ließen. „O Kriton," antwortete ihm Sokrates, „in welches Land könnte ich wohl dem Tode entrinnen?" Kriton meinte, er sei es doch seinen Kindern schuldig, den Verfügungen einer ungerechten Justiz zuvor zu kommen; aber Sokrates bewies ihm, daß keine Ungerechtigkeit'uns berechtigen könne, den Gesetzen des Vaterlandes ungehor­ sam zu sein. Und so verließ ihn denn am Abend weh-

mütig die treue Schar, mit der Abrede, morgen früher als gewöhnlich wieder zu kommen. Sie fanden diesmal die Gerichtsdiener bei ihm, welche seine Ketten löseten und ihm ankündigten, daß er vor Sonnenuntergang den Giftbecher trinken müsse. Auch seine Frau Lanthippe war da und trug das jüngste Kind auf ihren Armen. Ihres Wehklagens müde, ließ Sokrates sie durch den Kriton hinwegsühren. Dann setzte er sich auf ein Ruhebette, zog das Schienbein an sich und rieb sich die Stelle an demselben, wo die Kette ihn wund gedrückt hatte, wobei er ein Gespräch über die nahen Grenzen des Schmerzes und der Lust ankuüpfte. Dann ward die Un­ sterblichkeit der Seele besprochen.

So unterhielten sie sich den ganzen Tag, wehmütig froh, denn die immer geschäftige Laune des Lehrers ließ sie nie zur vollen Betrachtung ihres Schmerzes kommen. Gegen Abend verließ er sie, um sich zu baden, damit er, wie er sagte, den Weibern das Geschäft ersparte, die Leiche zu waschen. Jetzt kam die Frau mit den drei Söhnen noch einmal; er nahm kurzen Abschied von ihnen und kehrte dann zu den Freunden zurück. Die Sonne neigte sich zum Untergänge. Da trat der Diener der Elfe herein, die den Gefängnissen Vorständen, und kündigte ihm an, daß es nun Zeit sei. „Du wirst mir wohl nicht fluchen," sagte er, „wie die andern tun, beim ich tue ja nur, was die Obern befehlen. Ich habe dich als den besten Mann kennen gelernt, der je hierher gekommen ist. Lebe wohl und ver­ suche die Notwendigkeit so leicht als möglich zu ertragen!" Weinend ging er hinaus. „Wie brav der Mensch ist," sagte Sokrates. „Auch während der ganzen 'Seit hat er sich so bewiesen, wenn er mich besuchte. Aber geht doch und holt den Trank, wenn er schon eingerieben ist." Die Freunde baten ihn, noch zu warten; aber er hielt es für kindisch, jetzt noch mit dem Leben zu geizen. „Wie muß ich's machen?" fragte er den, welcher den Schierlingssaft brachte. „Du mußt trinken und dann umhergehen, bis

eine Schwere in deine Glieder kommt. Hierauf legst du dich nieder." Er nahm den Becher mit voller Heiterkeit und ohne eine Miene zu verändern, vielmehr mit seinem gewöhnlichen durchdringenden Blick den Menschen ansehend, setzte er ihn an den Mund. „Den Göttern zu spende» ist wohl nicht erlaubt?" fragte er noch. Man sagte ihm, es werde nur so viel eingerieben, als zum Trinken not­ wendig sei. „Gut," erwiderte er, „so wollen wir wenigstens beten, daß der Übergang dorthin glücklich von statte» gehe." Bei diesen Worten leerte er, fest anhaltend, de» Becher. Bis dahin, erzählt sein Schüler Phädon, hatte» wir unsere Tränen noch gehalten; als wir ihn aber trinke» sahen, bezähmten wir uns nicht mehr. Auch mir flossen wider meinen Willen stromweise die Tränen. Doch nicht ihn beweinte ich, sondern mich selbst, daß ich solchen Freund verlieren sollte. Er aber hieß uns ruhig sein und nns ermannen, denn darum habe er ja die Weiber fortge­ schickt. Und wir schämten uns und enthielten uns der Tränen. Er ging unterdessen auf und ab, und als er die Mattigkeit fühlte, legte er sich rücklings nieder und verhüllte sein Gesicht. Nach einiger Zeit befühlte ihm der, welcher das Gift gereicht hatte, die Füße, drückte sie stark und fragte ihn, ob er's fühle. „Nein," sagte der Ster­ bende. Dann ging er so prüfend aufwärts und zeigte den Umstehenden, wie er kalt und steif werde. Und er selbst fühlte sich an, und da schon der Unterleib kalt zu werde» anfing, deckte er noch einmal sein Gesicht auf und sagte zum Kriton: „Wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig. *) Opfert ihn ja und versäumt es nicht!" Kriton fragte ihn, ob er ihm sonst noch etwas auszutragen habe, aber er antwortete nicht mehr. Einige Zeit hernach deckte der Wärter ihn auf, und man fand ihn erstarrt. Kriton drückte ihm weinend Mund und Augen zu. *) Dem Heilgott al» Dankopfer für die überstandene Krankheit

de» Leben».

107. Hannibals Zug über die Albe«. Hannibal bot alle Schätze der spanischen Bergwerke und des karthagischen Handels auf, um die möglichgrößte Anzahl Truppen aus beiden Weltteilen zusammenzu­ bringen. Die in Spanien ausgehobenen sandte er nach Afrika, die Hauptstadt zu beschützen, die Afrikaner nahm er nach Spanien herüber. Eine erlesene Anzahl nnmidischer Reiter und eine Herde Elefanten sollten die Römer zum zweiten Male ängstigen. Diese erwarteten eine feindliche Flotte in der See und dachten auf eine Landung in Afrika; statt dessen über­ raschte sie die ganz unglaubliche Nachricht, Hannibal sei zu Lande über die unbetretbar geglaubten Alpen in Italien herniedergestiegen und wolle sie in ihrem eigenen Lande angreifen. Das setzte alle in Bestürzung und nötigte zur Umänderung aller entworfenen Pläne. In der Tat war Hannibal mit 50 000 Mann zu Fuß, 9000 Reitern und 37 Elefanten schon im Sommer 218 von Neukarthago aufgebrochen, hatte sich mit Gewalt einen Weg durch die wilden Völkerschaften längs der spanischen Ostküste bis zu den Pyrenäen gebahnt, seinen Unterfeld­ herrn Hanno zur Deckung dieser Defileen zurückgelassen, dann die Pyrenäen überstiegen, über den Rhodanus ge­ setzt und die Alpen erstiegen; ein Zug, der ihn allein un­ sterblich niachen würde, und mit dem die bewunderten Alpenfahrten unserer Tage gar nicht zu vergleichen sind. Denn man denke sich ein afrikanisches Heer, an glühende Hitze gewöhnt; ein Gefolge von Elefanten, sonst nur in Ebenen brauchbar; tausende von Pferden, die über Klippen und Eisschollen an der Hand geleitet werden mußten und oft ausgleitend ihre Führer mit sich in den Abgrund rissen; ungebahnte Wege ohne Wagenspur und durch keine Karten den Reisenden vorgezeichnet, bewohnt von wilden Horden, mit denen man unaufhörlich fechten mußte, und die den Vorteil der Ortskenntnis und unzugänglicher Hin­ terhalte hatten; eine Jahreszeit endlich — es war int tzeslrl, Lesebuch 5. 14. Stuft.

M. 9

November — in welcher selbst jetzt, da diese Länder ange­ baut sind, kein Wanderer die Reise wagen würde. Nach neuntägigem Klettern über die starren Alpenzacken, wobei einige tausend Menschen und der größte Teil der Last­ tiere, teils vor Hunger und Kälte, teils in feindlichen Über­ fällen umgekommen waren, erreichte das mutige Heer den Gipfel des Berges Visa, auf welchem der Po entspringt, eine der höchsten Alpenspitzen. Hier mußte ein Weg, bei­ nahe zwei Stunden lang, durch einen Fels gehauen wer­ den. Dafür aber zeigten sich nun auch von den eisigen Wolkenhöhen herab in weiter Ferne die grünen Wälder und Wiesen des milden Italiens. Auf sie vertröstete der Feldherr seine bleichen, ausgehungerten und fast erstarrten SCrieger, die er in diesen luftigen Schneegefilden zwei Tage ausruhen ließ. Endlich erreichte man die Täler des heuti­ gen Piemont, nachdem man fünfzehn Tage mit der Übcrsteigung der Alpen und fünf Monate mit dem ganzen Marsche von Neukarthago aus zugebracht hatte. Aber wie war das schöne Heer aus diesem entsetzlichen Zuge ge­ schmolzen! Nur 26 000 Mann fand Hannibal bei der Muste­ rung noch übrig. Er eilte, sie durch gallische Hilfsvölker zu verstärken, deren Haß gegen die Römer ihm das Vor­ rücken durch Oberitalien sehr erleichterte.

108. Cäsars Tod. Marcus Brutus und Cajus Cassius waren ein paar republikanische Schwärmer. Beide hatten vom Cäsar große Gunstbezeugungen erhalten, beiden hatte er als gefangenen Pompejanern in Afrika das Leben geschenkt, beide hatte er jetzt eben zu Prätoren gemacht, und dem Brutils, den er schon als Knaben um seiner schönen Mutter willen sehr hcrvorgezogen, hatte er schon für das folgende Jahr das Konsulat zugedacht. Dennoch hegten beide im Herzen gegen ihn unversöhnlichen Haß. Auf den Brutus richteten auch insgeheim alle Übrigen, welche Cäsars Tod wünschten, be­ sonders Cicero, ihr Augenmerk und ihre Hoffnung. Die

gleichgesinnten Gemüter fanden sich endlich im stillen zu­ sammen, verschworen sich sämtlich gegen den Diktator und wünschten nur den Brutus an ihrer Spitze zu habest, denn er war ein tapferer Feldherr, ein rechtschaffner Mann, beim Volke sehr geachtet und folglich imstande, der ver­ wegenen Tat ein ehrenvolles Ansehen zu geben. Man reizte ihn zuerst aus seinem Tiefsinn durch allerlei Zettel, die er des Morgens auf seinem Prätorstuhle fand. Auf einem stand: „Du bist nicht Brutus." Auf einem andern: „Brutus, schläfst du?" Auch die alte Statue des ersten Konsuls Brutus, seines Ahnherrn, der die Targuinier vertrieben, fand man häufig mit Zetteln beklebt, z. B.: „O, daß du jetzt lebtest!" Diese Aufforderungen und Cassius Reden rissen den jungen feurigen Abkömmling des alten Tyrannenfeindes aus seinem Schlummer; er stellte sich an die Spitze der Verschwörung, und Cäsars Tod ward auf den 15. März beschlossen.

Cäsar war gewarnt und kannte den verabredeten Tag sogar, doch das Nähere wußte er nicht. Gegen Brutus hatte er besonders nicht den mindesten Argwohn. Indessen hatte er doch auf dringendes Bitten seiner Gemahlin be­ schlossen, an diesem Tage nicht in den Senat zu gehe». Als ihn aber am Morgen ein Vetter des Brutus besuchte und ihm vorstellte, er werde den Senat beleidigen, wenn er ihn unverichteter Sache wieder auseinander gehen lasse, machte er sich doch auf den Weg. Auf der Straße steckte ihm ein warnender Freund noch ein Papier zu; er gab es aber seinem Schreiber in Verwahrung. Als er in das Versammlungshaus gekommen war, die Senatoren gegrüßt und aus dein goldenen Sessel Platz genommen hatte, stellten sich sogleich die Verschworenen um ihn her, einige dicht hinter seinem Stuhl. Jetzt trat ihn ein gewisser Tullius Cimber mit der Bitte an, seinen verbannten Bruder zu begnadigen. Cäsar weigerte sich. Die Verschworenen traten näher, als wollten sie Fürbitten für den Verwiesenen ein­ legen. Hierauf ergriff Cimber Cäsars Toga und zog sie

ihm gewaltsam von der Schulter. Dies ivar das verababredete Zeichen, auf welches sogleich einer, Namens Casca, von hinten den ersten Dolchstotz tat. Er traf aber statt des Halses die Schulter und verletzte ihn nicht sehr. Cäsar

wandte sich rasch zu ihm, schrie: „Verfluchter Casca, was machst du?" und packte ihn am Arm. Aber indem stachen ihn die anderen in die Brust, ins Gesicht, und von allen Seiten drangen Dolche auf ihn ein. Die Mörder stachen so hitzig und so unsicher, datz sie sich untereinander selbst verwundeten. Einige Augenblicke verteidigte sich der über­ fallene tapfer, als er aber, schon ganz mit Blut bedeckt, noch den Brutus auf sich eindringen sah, rief er weh­ mütig: „Auch du, mein Sohn?" verhüllte das Gesicht mit seiner Toga und sank nach dreiundzwanzig Wunden an der Bildsäule des Pompejus nieder, die nicht weit von seinem Sitze stand. Der erschrockene Senat hatte das Ende der blutigen Tat nicht abgewartet, und als Brutus sich nachher mit einer Rede an ihn wenden wollte, fand er alle Bänke leer.

109. Spiele der Römer. Selbst in den beliebtesten Nationalspielen der Römer offenbart sich derselbe Charakter der Härte, Grausamkeit und Kriegslust, den wir in ihren Handlungen kennen ge­ lernt haben. Da sah man nicht jene anständigen Leibes­ übungen, in denen sich die edelsten griechischen Jünglinge zu Olympia und Delphi rühmliche Kränze zu erwerben suchten, Übungen, die die Gesundheit befestigten, ohne ihr gefährlich zu werden, und die den Körper des Ringers ge­ wandt machten, während sie dem Zuschauer das Vergnügen schöner Stellungen gewährten. Nichts von jenen seelen­ vollen Tänzen, welche in Griechenland jedes frohe Fest verherrlichten; kein Pindar und kein Herodot versammelte Tausende von gefühlvollen oder wißbegierigen Hörern um sich her, und das Theater hat sich in Rom nie zu einen« Lieblingsorte des großen Haufens erhoben.

Nur Raus- und Mordspiele wollte der blutgierige Römer sehen; wo Menschen und Tiere sich zerfleischten, da fand er seine Freude. Und was uns noch schwer zn begreifen fällt, es fehlte nie an Menschen, welche sich frei­ willig dazu Hergaben, mit dem Schwerte auf Tod und Leben zu fechten. Diese Menschen hießen Gladiatoren. Sie waren natürlich aus der Hefe des Volkes, auch Sklaven und Gefangene wurden oft dazu gezwungen. Sie bekamen reichliche und nährende Kost und wurden von ordentlichen Fechtmeistern geübt, deren jeder zuweilen mehrere Hun­ derte in seiner Schule hatte. Sollte nun dem Volke ein großes Fechterspiel gegeben werden, welches entweder an großen Götterfesten oder bei Begräbnissen berühmter Männer geschah, oder auch wenn eine vornehme Magistratsperson ihr Amt antrat und sich dadurch bei dem Volke beliebt machen wollte, so mietete man einem Meister die Gladia­ toren paarweise, oft zu mehreren hundert Paaren ab, da­ mit sich das Volk an ihren Zweikämpfen weiden konnte. Der Schauplatz war anfänglich das Forum, welches zu diesem Behufe mit hölzernen Gerüsten umgeben ward, die man nach geendigtem Spiele wieder abriß; späterhin er­ baute man dazu eigne steinerne Amphitheater, die viele Tausend Zuschauer fassen konnten. Diese Gebäude waren länglich rund und oben offen. Der Schauplatz war in der Mitte derselben, und ringsumher erhoben sich unabsehliche Reihen von Sitzen, deren jede immer etwas höher und etwas entfernter als die andere war. Der Kampfplatz in der Mitte war mit Sand bestreut, der nach beendigtem Spiele reichlich mit Blut getränkt war. Denn jed«'' Fech­ terpaar mußte sich so lange herumschlagen, bis einer von beiden sich für überwunden bekannte. Matt und verblutet lag et dann im Sande, und wenn er nicht flehend eine Hand ausstreckte, gab ihm der Sieger noch zuletzt den Todes­ stoß. Gleich darauf betrat ein frisches Paar den Platz und zerhieb sich wie das erste; dann erschien wieder ein anderes, und so sah man oft über hundert Paare nacheinander fech-

ten. Und dieses mörderische Spiel ward den Römern weder schauerlich noch einförmig, sie konnten vom Morgen bis zum Abend dabei aushalten, ja sie ließen sich zu essen und zu trinken ins Amphitheater bringen, um ja nichts zu versäumen. War ein Fechter besonders geschickt im Morden, so erschallte ihm sein Bravo nicht minder allge­ mein herab, als wenn bei uns ein Sänger eine schöne Arie gesungen hat. Die Sucht nach solchen Anblicken, die nur ein Römer Spiele nennen konnte, ivuchs bei dem blutdürstigen Volke von Jahr zu Jahr. Zuletzt wollte man nicht bloß einzelne Fechter, sondern ganze Scharen auf einmal im Kampfe gegeneinander sehen. Es traten daher gleichsam Heere im Kleinen in den Amphitheatern auf, bald als Thessalier, bald als Gallier, bald in andre kriegerische Trachten ge­ kleidet. Einige hatten in der Linken ein Netz und in der Rechten einen Dolch statt aller Bewaffnung. Jenes suchten sie deni Gegner über den Kopf zu werfen, ihn damit nieder­ zuziehen und dann unbarmherzig zu durchbohren. Seit­ dem die Römer mit den wilden Tieren der heißen Welt­ teile bekannt geworden waren, sah man gar auf den Schau­ plätzen arme Sklaven mit Löwen, Tigern und Elefanten streiten. Je unnatürlicher die Zerfleischungen waren, desto mehr ergötzte sich das Volk, Männer, Weiber und Kinder. Mehr Ähnlichkeit mit den griechischen Kampfübungen hatten die cirzensischen Spiele, wo zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen in die Wette gerannt, das Ringen, Springen und Fanstkämpfen geübt wurde.

Otto von Bismarck. 110. Aus -er ungarischen Steppe. (Brief an seine Gemahlin.)

Szolnok, 27. Juni 1862. In den vorhandenen Atlanten wirst Du eine Karte von Ungarn finden, auf dieser einen Fluß Theiß, und

ten. Und dieses mörderische Spiel ward den Römern weder schauerlich noch einförmig, sie konnten vom Morgen bis zum Abend dabei aushalten, ja sie ließen sich zu essen und zu trinken ins Amphitheater bringen, um ja nichts zu versäumen. War ein Fechter besonders geschickt im Morden, so erschallte ihm sein Bravo nicht minder allge­ mein herab, als wenn bei uns ein Sänger eine schöne Arie gesungen hat. Die Sucht nach solchen Anblicken, die nur ein Römer Spiele nennen konnte, ivuchs bei dem blutdürstigen Volke von Jahr zu Jahr. Zuletzt wollte man nicht bloß einzelne Fechter, sondern ganze Scharen auf einmal im Kampfe gegeneinander sehen. Es traten daher gleichsam Heere im Kleinen in den Amphitheatern auf, bald als Thessalier, bald als Gallier, bald in andre kriegerische Trachten ge­ kleidet. Einige hatten in der Linken ein Netz und in der Rechten einen Dolch statt aller Bewaffnung. Jenes suchten sie deni Gegner über den Kopf zu werfen, ihn damit nieder­ zuziehen und dann unbarmherzig zu durchbohren. Seit­ dem die Römer mit den wilden Tieren der heißen Welt­ teile bekannt geworden waren, sah man gar auf den Schau­ plätzen arme Sklaven mit Löwen, Tigern und Elefanten streiten. Je unnatürlicher die Zerfleischungen waren, desto mehr ergötzte sich das Volk, Männer, Weiber und Kinder. Mehr Ähnlichkeit mit den griechischen Kampfübungen hatten die cirzensischen Spiele, wo zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen in die Wette gerannt, das Ringen, Springen und Fanstkämpfen geübt wurde.

Otto von Bismarck. 110. Aus -er ungarischen Steppe. (Brief an seine Gemahlin.)

Szolnok, 27. Juni 1862. In den vorhandenen Atlanten wirst Du eine Karte von Ungarn finden, auf dieser einen Fluß Theiß, und

wenn Du dann über Szegedin hinauf nach der Quelle suchst, einen Ort Szolnok. Der Ort liegt am Rande der ungari­ schen Steppen zwischen Donau und Theiß, welche ich mir Spaßes halber ansehen wollte. Man ließ mich nicht ohne Eskorte reisen, da die Gegend durch berittene Räuberban­ den, hier Betyaren genannt, unsicher gemacht wird. Nach einem komfortablen Frühstück unter dem Schatten einer schönhausischen Linde, bestieg ich einen sehr niedrigen Leiterwagen mit Strohsäcken und drei Steppenpferden da­ vor; die Ulanen luden ihre Karabiner, saßen auf, und fort ging's in sausendem Galopp. Hildebrand und ein ungarischer Lohndiener auf dem Vordersack, und ein Kut­ scher, ein dilnkelbrauner Bauer mit Schnurrbart, breit­ randigen! Hut, langen, speckglänzenden schwarzen Haaren, einem Hemd, das über dem Magen aushört und einen handbreiten dunkelbraunen Gurt eigener Haut sichtbar läßt, bis die weißen Hosen anfangen, von denen jedes Bein weit genug zu einem Weiberrock ist, und die bis an die Knie reichen, wo die gespornten Stiefel anfangen. Denke Dir festen Nasengrund, eben wie der Tisch, auf dem man bis an den Horizont meilenweit nichts sieht, als die hohen, kahlen Bäume der für die halbwilden Pferde und Ochsen gegrabenen Ziehbrunnen (Püttschwengel); tausende von weißgrauen Ochsen mit armlangen Hörnern, flüchtig wie Wild; von zottigen, unansehnlichen Pferden, gehütet von berittenen, halbnackten Hirten mit lanzenartigen Stöcken; unendliche Schweineherden, unter denen jederzeit ein Esel, der den Pelz (bunda) des Hirten trägt und gelegentlich ihn selbst; dann große Scharen von Trappen; Hasen, hamsterartige Zeisel; gelegentlich an einem Weiher mit salz­ haltigem Wasser wilde Gänse, Enten, Kibitze, — waren die Gegenstände, die an uns und wir an ihnen vorüberslogen während der drei Stunden, die wir auf sieben Meilen bis Ketskemet fuhren, mit etwas Aufenthalt in einer Csarda (einsames Wirtshaus). Ketskemet ist ein Dorf, dessen Straßen, wenn man keine Bewohner sieht, an das kleine

Ende von Schönhausen erinnern, nur hat es 45 000 Ein­ wohner, ungepslasterte Straßen, niedrige, orientalisch gegen die Sonne geschlossene Häuser mit großen Viehhöfen. Ein fremder Gesandter war da eine so ungewöhnliche Erschei­ nung, und mein magyarischer Diener ließ die Exzellenz so rasseln, daß man mir sofort eine Ehrenwache gab, die Behörden sich meldeten und Vorspann requiriert wurde. Ich brachte den Abend mit einem liebenswürdigen Offizierkorps zu, die darauf bestanden, daß ich auch ferner Eskorte mitnehmen müsse, und mir eine Menge Räubergeschichten erzählten. Gerade in der Gegend, nach der ich reifte, sollten die übelsten Raubnester liegen, au der Theiß, wo die Sümpfe und Wüsten ihre Ausrottung fast unmöglich machen. Sie sind vortrefflich beritten und bewaffnet, diese Betyaren, überfallen in Banden von 15 bis 20 die Reisenden und die Höfe und sind am anderen Tag 20 Meilen davon. Gegen anständige Leute sind sie höflich. Ich hatte den größten Teil meiner Barschaft bei Fürst W. gelassen, mir etwas Wäsche bei mir und hatte eigentlich einen Kitzel, diese Räuber zu Pferde, in großen Pelzen mit Doppelflinten in der Hand und Pistolen im Gurt, deren Anführer schwarze Masken tragen und zuweilen dem kleinen Landadel angehören sollen, näher kennen zu lernen. Vor einigen Tagen waren mehrere Gendarmen im Gefecht mit ihnen geblieben, dafür aber zwei Räuber gefangen und in Ketskemet stand­ rechtlich erschossen worden. Dergleichen erlebt man in unseren langweiligen Gegenden gar nicht. Um die Zeit, wo Du heute morgen aufwachtest, hast Du schwerlich ge­ dacht, daß ich in dem Augenblick in Rumänien in der Gegend von Felegyhaza und Csonigrad mit Hildebrand im gestreckten Galopp über die Steppe flog, einen liebens­ würdigen sonnenverbrannten Ulanenoffizier neben mir, jeder die geladenen Pistolen im Heu vor sich liegend, und ein Kommando Ulanen, die gespannten Karabiner in der Faust, hinterher jagend. Drei schnelle Pferdchen zogen uns, die unweigerlich Rosa, Csillak (Stern) und das nebenlaufende

Betyar (Vagabund) heißen, von dem Kutscher ununter­ brochen bei Namen und in bittendem Ton angeredet wer­ den, bis er den Peitschenstiel quer über den Kopf hält und mega, mega (halt an) rüst, dann verwandelt sich der Galopp in sausende Karriere. Ein sehr wohltuendes Ge­ fühl! Die Räuber ließen sich nicht sehen; wie mir mein netter, brauner Leutnant sagte, würden sie schon vor Tages­ anbruch gewußt haben, daß ich unter Bedeckung reiste, ge­ wiß aber seien welche von ihnen unter den würdig aus­ sehenden stattlichen Bauern, die uns auf den Stationen aus den gestickten, bis zur Erde gehenden Schafpelzmänteln ohne Ärmel ernsthaft betrachteten und mit einem ehren­ festen istenl adiamek (gelobt sei Gott!) begrüßten. Die Sounenhiße war glühend den ganzen Tag, ich bin im Ge­ sicht wie ein Krebs so rot. Ich habe 18 Meilen in 12 Stunden gemacht, wobei noch 2—3 Stunden, wenn nicht inehr, auf Anspannen und Warten zu rechnen sind, da die 12 Pferde, die ich brarrchte, für uns und die Bedeckung erst gefangen werden inußten. Dabei waren vielleicht ein Drittel des Weges tiefster Mahlsand und Dünen, wie bei Stolpmünde. Um 5 kam ich hier an, wo ein buntes Ge­ wühl von Ungarn, Slovaken, Walachen die Straßen (Szolnok ist ein Dorf von etwa 6000 Einwohnern, aber Eisenbahnnnd Dampfschiffstation an der Theiß) belebt, und mir die lvildesten und verrücktesten Zigeunermelodien ins Zimmer schallen. Dazwischen singen sie durch die Nase mit toeitaufgerissenem Munde, in kranker, klagender Molldissonanz Geschichten von schwarzen Augen und von dem tapferen Tod eines Räubers, in Tönen, die an den Wind erinnern, >venn er im Schornstein lettische Lieder heult. Die Weiber sind im ganzen gut gewachsen, einige ausgezeichnet schön; alle haben pechschivarzes Haar, nach hinten in Zöpfe ge­ flochten, mit roten Bändern darin, die Frauen entweder lebhaft grün-rote Tücher oder rotsammetne Häubchen mit Gold auf dem Kopf, ein sehr schön gelbes seidenes Tuch um Schulter und Brust, schwarze, auch urblane kurze Röcke

und rote Saffianstiefel, die bis unter das Kleid gehen, lebhafte Farben, meist ein gelbliches Braun im Gesicht und große brennend schwarze Augen. Im ganzen gewährt so ein Trupp Weiber ein Farbenspiel, das Dir gesotten wnrde, jede Farbe am Anzug so energisch, wie sie sein kann. Ich habe nach meiner Ankunft nm 5, in Erwar­ tung des Diners, in der Theiß geschwommen, Csardas tanzen sehen, bedauert, daß ich nicht zeichnen konnte, mit die fabelhaften Gestalten für Dich zn Papier zu bringen, dann Paprika-Hähndel, Stürl (Fisch) und Tick gegessen, viel Ungar getrunken, geschrieben und will nun zu Bett gehn, wenn die Zigeunermusik mich schlafen läßt. Gutnacht. Jstem adiamek!

Klemens Brentano. 111. Das Märchen vom Komanditchen. Es Ivar einmal ein sehr reicher Kaufmann, der hatte eine sehr schöne Tochter, die hieß Komanditchen, und diese mußte ihm alle Morgen die Zeitung und den Kalender vorlesen, wenn er sein Täßchen Cichorienkaffee trank und dazu sein Pfeifchen Runkelrübenkanaster rauchte, wobei er große Spekulationen nnd Pläne zu Kauf und Verkauf machte. Aus der Zeitung merkte er sich Krieg und Frieden, Todesfälle und Heiraten, und ob einer ein General, ein Kaiser, ein Papst, ein Doktor, ein Fürst geworden sei u. s. w.; aus dem Kalender merkte er sich die Geburts- und Namens­ tage aller vornehmen Leute, und wie das Wetter durch das ganze Jahr hindurch sein werde. Stand im Kalender: der Sommer wird sehr heiß sein, so ließ er gleich viele Zitronen aus Italien kommen, weil er gleich spekulierte: die Leute werden viel Limonade trinken und viele Zitronen kaufen. Stand im Kalender: es wird viel Regenwetter sein, so ließ er gleich sehr viele Regenschirme kommen. Stand im Kalender: es wird sehr viel Wein wachsen, aber er wird

und rote Saffianstiefel, die bis unter das Kleid gehen, lebhafte Farben, meist ein gelbliches Braun im Gesicht und große brennend schwarze Augen. Im ganzen gewährt so ein Trupp Weiber ein Farbenspiel, das Dir gesotten wnrde, jede Farbe am Anzug so energisch, wie sie sein kann. Ich habe nach meiner Ankunft nm 5, in Erwar­ tung des Diners, in der Theiß geschwommen, Csardas tanzen sehen, bedauert, daß ich nicht zeichnen konnte, mit die fabelhaften Gestalten für Dich zn Papier zu bringen, dann Paprika-Hähndel, Stürl (Fisch) und Tick gegessen, viel Ungar getrunken, geschrieben und will nun zu Bett gehn, wenn die Zigeunermusik mich schlafen läßt. Gutnacht. Jstem adiamek!

Klemens Brentano. 111. Das Märchen vom Komanditchen. Es Ivar einmal ein sehr reicher Kaufmann, der hatte eine sehr schöne Tochter, die hieß Komanditchen, und diese mußte ihm alle Morgen die Zeitung und den Kalender vorlesen, wenn er sein Täßchen Cichorienkaffee trank und dazu sein Pfeifchen Runkelrübenkanaster rauchte, wobei er große Spekulationen nnd Pläne zu Kauf und Verkauf machte. Aus der Zeitung merkte er sich Krieg und Frieden, Todesfälle und Heiraten, und ob einer ein General, ein Kaiser, ein Papst, ein Doktor, ein Fürst geworden sei u. s. w.; aus dem Kalender merkte er sich die Geburts- und Namens­ tage aller vornehmen Leute, und wie das Wetter durch das ganze Jahr hindurch sein werde. Stand im Kalender: der Sommer wird sehr heiß sein, so ließ er gleich viele Zitronen aus Italien kommen, weil er gleich spekulierte: die Leute werden viel Limonade trinken und viele Zitronen kaufen. Stand im Kalender: es wird viel Regenwetter sein, so ließ er gleich sehr viele Regenschirme kommen. Stand im Kalender: es wird sehr viel Wein wachsen, aber er wird

etwas sauer sein, so ließ er sich gleich sehr viele Heringe aus Hamburg senden, denn er spekulierte, die Leute würden auf den gesalzenen Hering den sauern Wein lieber trinken. Stand im Kalender: es wird kein gutes Kornjahr sein, so kaufte er gleich alle Katzen zusammen, die er auftreiben konnte: denn er spekulierte: wenn wenig Korn da ist, wird man sehr besorgt sein, die Mäuse abzuhalten, damit sie das bißchen nicht gar auffressen. Stand im Kalender: es wird eine große Trockenheit sein, so kaufte er viele Gießkannen. Und so benutzte er auch alle Zeitungsnachrichten. Fing ein großer Herr an zu kränkeln, so kaufte er gleich schwarzes Tuch ein, um es zur Hoftrauer verkaufen zu rönnen. Alle diese Geschäfte gelangen ihm, und er ward täglich reicher. Es war Anno elf, da kam der neue Kalender auf das Jahr zwölf und die Zeitung nwrgens an, und er rief seiner Tochter: „Komanditchen! Komanditchen! komm speku­ lieren!" Da kam Komanditchen mit dem Kaffee und der Pfeife und las aus der Zeitung und sprach in großer Freude: „Ach, teurer Vater, hier steht etwas, o, das mußt du mir kaufen!" — „Kaufen, kaufen!" sagte der Vater, „gewiß wieder ein schwärmerisches Buch. Komanditchen! Koman-ditchen! ich habe dir viele schöne Lesebücher gegeben; ich fürchte, ich fürchte, du wirst mir von dem vielen Romanlesen am Ende gar krank werden." — „Lieber Vater!" sagte Komanditchen, „höre nur den Titel dieses vortrefflichen Buches, du wirst es mir gewiß kaufen: Der altdeutsche Spritzkuchen auS den Papieren einer perfekten Köchin.

ach! das Buch muß ich haben!" „Ei, ei! aus den Papieren einer perfekten Köchin, der altdeutsche Spritzkuchen!" sagte der Kaufmann kopfschüttelnd, „es wird mir ganz wunderlich bei diesem Titel; wer mag diese Papiere deiner Mutter bekannt gemacht haben?" „Meiner Mirtter?" rief Komanditchen. „Ja, deine Mutter," erwiderte der Kaufmann, „welche gestorben, da du auf die Welt kamst, >var eine geborne perfekte Köchin

und brachte einstens, um sich zu zerstreuen und zu bilden, den altdeutschen Spritzkuchen zu Papier, eine Arbeit von vielem Geschmack. Da sie es aber in ihr Ausgabebüchlein zwischen Semmel, Milch, Butter, Eier, Licht, Petersilie, Meerrettig, Knoblauch geschrieben, so ist dieses herrliche Schriftchen meinen Ladenjungen in die Hände geraten, welche Schnupftabaksdüten daraus gemacht haben; gewiß hat ein Gelehrter, der den Schnupftabak bei mir kauft, die herrlichen Gedanken deiner Mutter aus diesen Dütcn benützt und dieses Buch herausgegeben. Wir wollen es sogleich bei dem Buch­ händler holen lassen. Aber da kommt der Briefträger; laß mich allein, Komanditchen: ich muß spekulieren!" Da machte Komanditchen einen Knicks, schlich sich zur Daustüre hinaus, fort in den Buchladen, kaufte sich den altdeutschen Spritzkuchen aus den Papieren einer perfekten Köchin, küßte und drückte das Buch tausendmal und setzte sich damit in ein großes, leeres Kaffeefaß, welches der Lehr­ junge ihres Vaters ihr zu ihrem Geburtstage in ein schönes, wohlriechendes Kabinet verwandelt hatte. Dieses Kaffeefaß stand aufrecht aus dem Heuboden des Hauses, mitten in dem duftenden Heu wie eine Ritter­ burg zwischen grünen Bergen. Auswendig sah es noch ganz aus wie ein Faß, und die Türe war so geschickt darin an­ gebracht, daß man sie nicht bemerkte. Wenn man hineintrat, sah man durch ein Fenster, das mit einer Bohnenlaube umzogen war, die aus einer alten Zuckerkiste an Bind­ fäden hinaufwuchs, auf die Dächer des Hauses und in den Taubenschlag. Das ganze Faß war inwendig mit Matten und Tuch von Ingwer- und Pfeffer- und Anisballen ausgeschlagen; oben herum hing eine Girlande von Morcheln, gedörrten Pflaumen, Mandeln und Rosinen, Feigen, Zitro­ nat, verzuckerten Pomeranzenschalen und Kakaobohnen. An der Wand ringsherum war ein Sitz von alten Zitronen­ kistenbrettern angebracht, auf welchem Polster lagen von den Binsensäcken, worin die smyrnaschen Feigen gepackt wer­ den, und diese waren mit Safran ausgestopft. Der Tisch,

der mitten in dem Faß stand, war eine aufgcrichtete Zimt­ kiste, auf diese war ein Brett genagelt, auf dem einstens Schokolade war gemacht worden. Ein blechernes Vanille­ kästchen stand hierauf als Schreibzeug; das Tintenfäßchen, eine ausgetrocknete Zitronenschale, war auf die Galläpfel fest geleimt; und das Sandfäßchen, worin der Sand der tvohlriechendste Getvürzftaub war, bestand aus einer trockenen Pomeranzenschale mit Muskatnüssen beleimt. Oben an der Decke hing ein Kronleuchter, aus den Brettern einer Syrupstonne künstlich zusammengefügt. Als Gemälde hingen an der Wand herum Papierbogen, auf welchen Biskuit, Anisschnittchen, Pfeffernüsse, Honigkuchen, Zuckerbretzeln, Schokoladeküchlein waren gebacken worden; auf dem Tisch stand als Lampe ein Pomadeglas voll feinem Öl, worauf ein brennender Mandelkern schwamm, und da­ neben stand ein Senftopf voll der schönsten Rosen als Blumen­ urne. Vor dem Fenster hing ein Eichhörnchen in einem Trillerhäuschen und ein Star, der sprechen konnte, in seinem Vogelbauer, und auch eine Wachtel in ihrem grünen Haus. An der Wand stand auf Goldpapierbogen geschrieben: „Tempel der Liebe und Freundschaft, der Dankbarkeit und Erinnenmg geweiht!" und: „Ruheplätzchen holder Schwär­ merei und Lieblingsörtchen der Sehnsucht, wandle auf Rosen und Vergißmeinicht! Komanditchens-Ruh, Hüttchen für Komanditchen" und allerlei solche bedeutende Sprüche deut­ scher Lieblingsdichter. Und was das Allerlustigste hier war, war ein kleines Loch im Boden des Fasses, welches hin­ unter in das Besuchzimmer des Vaters ging, und durch welches man alles hören und sehen konnte, was da vorging. Der Kaufmann wußte gar nichts von diesem einzigen Faßkabinettchen. Der gute Ladenpeter, so hieß der Lehr­ junge, hatte für Komanditchen diesen reizenden Aufenthalt in seinen Feierstunden eingerichtet, aus Dankbarkeit, weil sie einstens ihm eine Tracht Schläge bei ihrem Vater abgebeten, da er einem Landkrämer, der Syrup kaufte, diesen in ein Heringsfäßchen einpackte, wodurch er verdarb.

Hier pflegte Komanditchen, umgeben von den süßesten Wohlgerüchen, oft stundenlang mit ihrem Strickstrumpf ihrem lustigen Eichhorn zuzusehen und auf den Schlag ihrer Wachtel zu hören oder mit dem Star zu plaudern, welchem der gute Ladenpeter die artigsten Sprüche und Redensarten einge­ lehrt hatte, z. B.: „Komanditchen! Favoritchen! Biskuitchen! komm ins Hüttchen!" oder: „Arm und klein ist dieses Hüttchen, Aber Ruh und Einsamkeit Findet hier das Komanditchen An der Hand der Dankbarkeitl^

oder: „Der ich verbleibe bis an das Grab dero untertänigster Ladenpeter."

Auch sah sie hier den Tauben zu, wie sie in der Sonne auf dem Dach spielten, und den Katzen, wie sie auf die Tauben lauerten, und dem Rauch, wie er aus den Schloten in die Luft wirbelte. Kurz, wenn sie in ihrer Faßeinsiedelei saß, war sie ganz glücklich und vergnügt und hätte es nicht mit einem königlichen Palaste vertauscht.

In diesen Tempel der Erinnerung verschloß sich nun Komanditchen und las die Geschichte des altdeutschen Spritz­ kuchens aus den Papieren einer perfekten Köchin mit der größten Begierde, weil ihr der Vater gesagt hatte, daß ihre verstorbene Mutter die perfekte Köchin gewesen sei. Und wie schön muß die Geschichte gewesen sein: es kam eine alte böse Königin Waffeleisen drin vor und eine Prinzessin Marzi­ pan und ein Prinz Mandelwandel und viele andere schöne Sachen, die gar nicht zu beschreiben sind. Während nun Komanditchen ganz in ihrem Buch ver­ tieft saß, ging der Kaufmann in seinem braunen damastncn Schlafrock unten in seiner Stube auf und ab und spekulierte über alle Nachrichten, die er heute erhalten hatte.

Komanditchen saß aber von nun an alle Tage einige Stunden in ihrer wohlriechenden Faßeinsiedelei und hatte das schöne Buch vom altdeutschen Spritzkuchen aus den Pa-

Pieren der perfekten Köchin unter bittern Tränen der Er­ innerung an ihre gute Mutter beinahe auswendig gelernt. Einstens hörte sie durch das Loch tut Fatzboden, daß Be­ such unten im Zimmer sei, sie legte sich an die Erde und sah hinunter. Es war der alte Graf Vogelleim und sein Sohn; sie warteten auf ihren Vater, und der Graf sagte zu seinem Sohn: „Du sollst dich nur wegen dem Gelde mit dem Fräulein Komauditchen verbinden." Nun kam der Vater, und der Graf hielt um die Hand Komanditchens an. Das freute den Vater sehr, und er ließ Komanditchen rufen. Sie kam zu der Stube herein und sagte gleich zu ihrent Vater: „Ich mag den Grafen Vogelleim nicht." Da machte der Graf seinen Diener und zog ab. Da küßte Konianditchen ihren, Vater die Hand und ging wieder in ihre Einsiedelei. Noch sehr viele vornehme Herren kamen und baten uin die Hand Komanditchens; aber sie belauschte sie immer und sagte immer zn ihrem Vater: „Ich mag diesen und jenen nicht." Da sagte endlich der Vater ungeduldig: „Wenn dir keiner recht ist, so back dir einen!" Das zog sich Koman­ ditchen zu Herzen und saß ganze Tage tiefsinnig in ihrem Faßkabinett und las in dem altdeutschen Spritzkuchen, worin der Prinz Mandelwandel ihr besonders wohlgefiel. Nun reiste ihr Vater einstens auf die Messe nach Leipzig und fragte Konianditchen, was er ihr mitbringen sollte. Da sagte sie: „Bringe mir ein silbernes Nudelbrett, eine gol­ dene Teigrolle, eine silbernen Mörser und einen goldenen Stößel, einen Sack voll von dem feinsten Warschauer Weizenmehl, 50 Eier von Perlhühnern und 50 Eier von Goldfasanen, 50 Pfund frische süße Mandeln, ein Fäßchen voll Rosenöl, ein Fäßchen voll Nosenwasser, ein Fäßchen voll Rosenhonig, ein Fäßchen voll Maibutter, zwei Pfund feine Vanille, eine Schachtel voll Zitronen, eine Schachtel voll verzuckerten Anis, eine Schachtel voll Muskatnüsse, eine Schachtel voll Gewürznägelein, frische Feigen und Trauben­ rosinen, zwölf Pfund Gerstenzucker, zwölf Pfund Kakao-

bohnen und ein schönes indianisches Vogelnest." Der Vater wunderte sich über diese Bestellung, weil Komanditchen ihn aber sehr bat, so schrieb er sich alles in sein Büchelchen, versprach es ihr mitzubringen und reiste ab. Komanditchens Vater brachte ihr alles mit, was sie sich ausgebeten hatte: Kuchenbrett, Teigwalze und Mörser von Gold und Silber und das Warschauer Mehl uud alle Ge­ würze und Süßigkeiten und Wohlgerüche.

Komanditchen trug vor allein Nudelbrett und Mörser in ihr Kabinetchen und nahm das Warschauer Mehl und die Fasanen- und die Perlhühirereier und die Maibutter und den Rosenhonig und alle die herrlichen Sachen und schürzte ihren seidenen Ärmel auf und knetete mit ihren weißen Hän­ den den allerköstlichsten Teig auf dem Nudelbrett zusammen, und in dem Mörser stieß sie die Gewürze und Mandeln und knetete sie mit in den Teig.

Als dieser unschätzbare Teig fertig war, fiel sie in ein tiefes Nachdenken und sah den Teig an, wie ein Bildhauer den Ton, aus welchem er eine herrliche Bildsäule gestalten will. In dem Buche ihrer Mutter, genannt „der altdeutsche Spritz­ kuchen aus den Papieren einer perfekten Köchin" war die Gestalt des sehr angenehmen, sanften, schönen und tugend­ haften Prinzen Mandelwandels beschrieben, welcher Koman­ ditchen immer vor Augen schwebte, und weil ihr der Vater gesagt hatte: „Wenn dir kein Bräutigam, recht ist, so back dir einen!" so fing sie nun an, mit großer Aufmerksamkeit und Liebe zur Sache und mit außerordentlicher Geschicklichkeit aus dem Teige sich diesen Prinzen Mandelwandel zu kneten, während welcher ganzen Arbeit sie ununterbrochen folgen­ des Lied sang: Einen Teig will ich mir rollen, Ganz nach meinem eignen Sinn, Daß gleich alle merken sollen, Daß ich in der Küch die Tochter Der perfekten Köchin bin.

Rein die Hände, blank die Schürze, Unterm Häubchen fest das Haar, Knet ich in den Teig die Würze Stelle mich so ganz als Tochter Der perfekten Köchin dar.

Brentano.

Aus dem edelsten der Teige Knet ich einen Zuckermann, Der den stolzen Herren zeige, Daß man fechten für die Tochter Der perfekten Köchin kann.

146

Bürger.

Mandelzahn im Himbeer­ munde, Augen von Wachholderbeer: Denn das Süße und Gesunde Liebt im Angesicht die Tochter Der perfekten Köchin sehr.

Der Dichter Brentano hat das Märchen von Komanditchen nicht zu Ende erzählt; es ist und bleibt also ein Bruchstück, so daß jeder, der eS liest, ganz nach Gutdünken sich einen Schluß selbst auSdenken bars. Vielleicht ist der gebackene Bräutigam durch eine gute Fee in einen lebendigen Bräutigam verwandelt worden, und Komanditchen ist dann Prinzessin Vtandelwandel geworden.

Gottfried August Bürger. 112. Abenteuer des Baron Münchhansen. 1. Abenteuer in Rußland. Ich trat meine Reise nach Rußland mitten im Winter

an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen,

Kur- und Livland ausbessern müßte. Ich reiste zu Pferde, welches, wenn es sonst nur gut um Gaul und Reiter steht, die bequemste Art zu reisen ist.

Ich ritt, bis Nacht und Dunkelheit mich übersielen.

Nirgends war ein Dorf zu hören, noch zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee, und ich wußte weder Weg noch Steg.

Des Reitens müde, stieg ich endlich ab und band mein Pferd an eine Art von spitzem Baumstaken, der über den, Schnee

hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder

und tat ein so gesundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es Heller, lichter Tag war.

Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag 1 Mein Pferd

war anfänglich nirgends zu sehen; doch hörte ich's bald

darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun emporsah, eeH«L Lrs-buch 6. 14. Äuf..

M. 10

Brentano.

Aus dem edelsten der Teige Knet ich einen Zuckermann, Der den stolzen Herren zeige, Daß man fechten für die Tochter Der perfekten Köchin kann.

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Bürger.

Mandelzahn im Himbeer­ munde, Augen von Wachholderbeer: Denn das Süße und Gesunde Liebt im Angesicht die Tochter Der perfekten Köchin sehr.

Der Dichter Brentano hat das Märchen von Komanditchen nicht zu Ende erzählt; es ist und bleibt also ein Bruchstück, so daß jeder, der eS liest, ganz nach Gutdünken sich einen Schluß selbst auSdenken bars. Vielleicht ist der gebackene Bräutigam durch eine gute Fee in einen lebendigen Bräutigam verwandelt worden, und Komanditchen ist dann Prinzessin Vtandelwandel geworden.

Gottfried August Bürger. 112. Abenteuer des Baron Münchhansen. 1. Abenteuer in Rußland. Ich trat meine Reise nach Rußland mitten im Winter

an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen,

Kur- und Livland ausbessern müßte. Ich reiste zu Pferde, welches, wenn es sonst nur gut um Gaul und Reiter steht, die bequemste Art zu reisen ist.

Ich ritt, bis Nacht und Dunkelheit mich übersielen.

Nirgends war ein Dorf zu hören, noch zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee, und ich wußte weder Weg noch Steg.

Des Reitens müde, stieg ich endlich ab und band mein Pferd an eine Art von spitzem Baumstaken, der über den, Schnee

hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder

und tat ein so gesundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es Heller, lichter Tag war.

Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag 1 Mein Pferd

war anfänglich nirgends zu sehen; doch hörte ich's bald

darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun emporsah, eeH«L Lrs-buch 6. 14. Äuf..

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so wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirch­ turms gebunden war und von da herunterhing. Nun wußte ich sogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneit gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt; ich war im Schlaf nach und nach, sowie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herab­ gesunken; und was ich in der Dunkelheit für den Stumpf eines Bäumchens, der über dem Schnee hervoragte, ge­ halten und daran mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturmes gewesen. Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen, schoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder zu meinem Pferde und verfolgte meine Reise.

2. Einige Jagdstücklein.

Ich jagte einmal zwei ganzer Tage hinter einem Hasen her. Mein Hund brachte ihn immer wieder herum, aber nie konnte ich ihn zum Schusse bekommen. An Hexerei zu glauben, ist meine Sache nie gewesen, dazu habe ich zu außerordentliche Dinge erlebt, allein hier war ich doch mit meinen fünf Sinnen am Ende. Endlich kam mir aber der Hase so nahe, daß ich ihn mit meinem Gewehr erreichen konnte. Er stürzte nieder, und was meinen Sie, was ich nun fand? Vier Läufe hatte mein Hase unter dem Leibe und vier auf dem Rücken. Waren die zwei untern Paare müde, so warf er sich wie ein geschickter Schwimmer, der auf Bauch und Rücken schwimmen kann, herum, und nun ging es mit den beiden neuen wieder mit verstärkter Geschwindigkeit fort. Nie habe ich nachher einen Hasen von der Art gefunden, und auch diesen würde ich nicht bekommen haben, wenn mein Hund nicht so ungemeine Vollkommenheiten gehabt hätte. Dieser aber übertraf sein ganzes Geschlecht so sehr, daß ich kein Bedenken tragen würde, ihm den Beinamen des ein­ zigen beizulegen, wenn nicht ein Windspiel, das ich hatte, ihm diese Ehre streitig machte. Dies Tierchen war minder

wegen seiner Gestalt, als wegen seiner außerordentlichen Schnelligkeit merkwürdig. Hätten die Herren es gesehen, so würden sie es gewiß bewundert und sich gar nicht ver­ wundert haben, daß ich es so lieb hatte und so oft mit ihm jagte. Es lief so schnell, so oft und so lange in meineftw Dienste, daß es sich die Beine ganz bis dicht unterm Leibe weglief und ich es in seiner letzten Lebenszeit nur noch als

Dachssucher gebrauchen konnte, in welcher Eigenschaft es mir denn ebenfalls noch manch liebes Jahr diente.

3. Wie Münchhausen springen konnte. So leicht und fertig ich int Springen war, so war cs auch mein Pferd. Weder Gräben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradesten Weg zu reiten. Einst setzte ich hinter einem Hasen her, der querfeldein über die Heer­ straße lief. Eine Kutsche mit zwei schönen Damen fuhr diesen Weg gerade zwischen mir und deut Hasen vorbei. Mein Gaul setzte so schnell und ohne Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, deren Fenster aufgezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Hut abzuziehen und die Damen wegen dieser Freiheit untertänigst um Verzeihung zu bitten. Ein anderes Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, uni einen größeren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich zutu zweitenmale noch zu kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte.

Karl Heinrich Caspari. 113. Das Alter soll man ehren! Bei den Spartanern wurde das Alter sehr geehrt. Bei den Volksfesten, den olympischen Spielen, pflegten sich alle Stämme der Griechen einzufinden. Als schon alle Plätze besetzt waren, kam noch ein'alter Mann. Derselbe ging lange umher bei Jungen und Alten, aber niemand zeigte sich be­ reit, ihm einen Platz cinzuräumen. Als er an den Ort kam, wo die Spartaner saßen, standen sogleich alle jungen Leute ehrerbietig auf. Darüber entstand bei den Athenern all­ gemeines Beifallrufen. Da sagte der Alte: „Die Athener wissen, was gut ist, die Spartaner tun es."

114. Die Fabel vom Magen und den Gliedern. Vor Zeiten lehnten die Bürger von Rom sich wider den Rat aus und machten einen großen Aufruhr, in Meinung, es wäre unrecht, daß sie sich's müßten lassen in ihrer Arbeit so sauer werden, und was sie mit ihren Händen verdienten, müßten sie dem Rat geben und ihn damit nach seinem Be­ lieben handeln lassen, zogen deswegen zur Stadt hinaus ans einen Berg und entschlossen sich, dem Rat nichts mehr zu geben, auch nicht mehr zu arbeiten. Da ging ein feiner, ver­ ständiger Mann, Menenius Agrippa genannt, zu ihnen hinaus und erzählte ihnen ein solches Gleichnis: Die Glieder des menschlichen Leibes wären einmal un­ willig geworden und hätten sich wider den Magen aufge­ lehnt; sie müßten immer arbeiten und das Ihre tun, die Füße müßten laufen, die Augen umhersehen, die Hände geschäftig sein, die Zähne müßten kauen u. s. w., und das käme alles dem Magen zum besten, der dürfte nichts tun als nur annehmen und verzehren, was sie ihm vorarbeiteteu. Deswegen wären die Glieder eins geworden, es sollte keins von ihnen mehr etwas tun, die Füße sollten nicht mehr laufen, die Augen nicht mehr umhersehen, die Hände nicht mehr geschäftig sein, die Zähne nicht mehr kauen, damit der

Magen einmal sehe und spüre, daß es nicht allein an i.hm ge­ legen wäre. Als sie nun dieses etliche Tage ins Werk gesetzt, ivaren die Füße schwach, die Augen trüb, die Hände laß und der ganze Leib kraftlos geworden, weil der Magen keine Speise mehr konnte bereiten und sie den Gliedern mitteilen. Da mußten sie nun ihre Unbesonnenheit erkennen und ge­ stehen, es sei nicht an dem, daß nur die Glieder dem Magen dieneten, sondern es diene auch der Magen hinwiederum den Gliedern. Mit diesem Gleichnis brachte Agrippa die römischeil Bürger zu andern Gedanken, daß sie wieder heiinkchrten und das Ihre taten.

Max Eschner. 115. Die Papierbereitung. Das erste Volk, das Papier gefertigt hat, waren die Ägypter. Sie haben dem Papier seinen Namen gegeben. Schon im vierten Jahrtausend vor Christi Geburt kannten sie es. Sie verwendeten dazu den Bast der Papyrusstaude, die auch Papier-Cypergras heißt. Der Stengel dieser Staude ist ein markiger Halm, der bis zu drei Meter hoch wird. Die Staude wuchs in ungeheueren Mengen an seichten Ufern des Nils. Die Ägypter zupften die Bast­ streifen vom Stengel und breiteten sie nebeneinander aus. Auf die untere Schicht legten sie kreuzweise eine zweite Schicht dieser Streifen. Das Ganze feuchteten sie mit Nil­ wasser an, dem ein Klebstoff beigemengt war. So hafteten die Streifen zu einer Fläche zusammen, die man mit einem Tierzahne, mit Elfenbein oder einer Muschelschale glättete. Auf diesen Stoff ließ sich schreiben. Den Papyrus oder das Papier konnte man in beliebiger Länge herstellen. Man faltete ihn aber nicht, wie wir es heutzutage mit den Papierbogen machen, sondern man rollte ihn zusam­ men • wie ein Stück Tuch oder Leinwand. Die Ägypter verkauften die Papyrusrollen auch an die benachbarten

Magen einmal sehe und spüre, daß es nicht allein an i.hm ge­ legen wäre. Als sie nun dieses etliche Tage ins Werk gesetzt, ivaren die Füße schwach, die Augen trüb, die Hände laß und der ganze Leib kraftlos geworden, weil der Magen keine Speise mehr konnte bereiten und sie den Gliedern mitteilen. Da mußten sie nun ihre Unbesonnenheit erkennen und ge­ stehen, es sei nicht an dem, daß nur die Glieder dem Magen dieneten, sondern es diene auch der Magen hinwiederum den Gliedern. Mit diesem Gleichnis brachte Agrippa die römischeil Bürger zu andern Gedanken, daß sie wieder heiinkchrten und das Ihre taten.

Max Eschner. 115. Die Papierbereitung. Das erste Volk, das Papier gefertigt hat, waren die Ägypter. Sie haben dem Papier seinen Namen gegeben. Schon im vierten Jahrtausend vor Christi Geburt kannten sie es. Sie verwendeten dazu den Bast der Papyrusstaude, die auch Papier-Cypergras heißt. Der Stengel dieser Staude ist ein markiger Halm, der bis zu drei Meter hoch wird. Die Staude wuchs in ungeheueren Mengen an seichten Ufern des Nils. Die Ägypter zupften die Bast­ streifen vom Stengel und breiteten sie nebeneinander aus. Auf die untere Schicht legten sie kreuzweise eine zweite Schicht dieser Streifen. Das Ganze feuchteten sie mit Nil­ wasser an, dem ein Klebstoff beigemengt war. So hafteten die Streifen zu einer Fläche zusammen, die man mit einem Tierzahne, mit Elfenbein oder einer Muschelschale glättete. Auf diesen Stoff ließ sich schreiben. Den Papyrus oder das Papier konnte man in beliebiger Länge herstellen. Man faltete ihn aber nicht, wie wir es heutzutage mit den Papierbogen machen, sondern man rollte ihn zusam­ men • wie ein Stück Tuch oder Leinwand. Die Ägypter verkauften die Papyrusrollen auch an die benachbarten

Völker, so an die Griechen und Römer. Die Griechen nannten den Papyrus „Byblos", woraus das Wort Bibel entstanden ist; und die Römer nannten ihn „Charta"; da­ her stammt unser Wort Karte. Auch an den König von Pergamon, einem großen und reichen Bücherliebhaber, ver­ kauften sie Papyrus. Und der verbrauchte viel; denn er hatte in seiner Hauptstadt eine Bibliothek angelegt, die bereits 200000 Bücherrollen zählte. Darüber wurden, wie es heißt, die Ägypter neidisch, und sie verboten, in der Furcht, daß die Bibliothek zu Pergamon ihrer berühmten Bibliothek zu Alexandrien mit 400 000 Büchern gleichkomnieit könne, die Ausfuhr von Papyrus nach Pergamon. Da die Not erfinderisch macht, soll der König dieser Stadt als Ersatz das Pergament erfunden haben. Wahrscheinlich aber hat er es nur bedeutend verbessert. Man fertigt es aus Tierhäuten. Aber auch die Ägypter gerieten in große Verlegenheit, denn die Papyruspflanzungen wurden immer kleiner, und im fünften Jahrhundert nach Christi Geburt war die Pflanze beinahe ausgerottet. Je seltener sie wurde, desto höher stieg der Preis des Papiers, und man mußte zu Versuchen mit anderen Pflanzenfasern schreiten. An­ leitung dazu hätten die Chinesen schon lange geben können, tvenn sie in Verkehr mit anderen Völkern gestanden hätten. Sie wußten schon etwa zwei Jahrtausende vor Christi Ge­ burt aus Baumwolle Papier herzustellen. Aber erst im Jahre 123 vor Christi Geburt lernten die Araber in der großen Handelsstadt Samarkand in der Bucharei dieses baumwollene Papier der Chinesen und dessen Herstellung kennen. Sie verbreiteten es in den Ländern am Mittel­ meere und errichteten besonders in Spanien viele Papier­ mühlen. Durch die Kreuzzüge kam die Kenntnis der Papierfabrikation auch zu uns nach Deutschland, und in Ravensburg soll im Jahre 1270 von einem Manne namens Holbein die erste Papiermühle in unserem Vaterlande ge­ baut worden sein. Nun wächst aber doch bei uns keine Baumwolle, und das Herbeischaffen derselben aus südliche«

Ländern über die Alpen war schwierig, kostspielig und zeit­ raubend. War es da ein Wunder, wenn die Deutschen andere Pflanzenfasern probeweise zu Papier verarbeiteten, bis sie dessen Herstellung aus den Fasern des Flachses und des Hanfes erfanden? Bald kam man auch dahinter, daß es nicht nötig sei, die neuen, noch nicht verwendeten Fasern zu benutzen, sondern daß man die versponnenen und verwebten und als Webstoffe unbrauchbar geworde­ nen, also alle alten Lumpen verarbeiten könnte und mit ihnen sogar ein besseres Papier erzielte. Was die wichtige Erfindung des Linnenpapiers betrifft, so kann mit Be­ stimmtheit nur gesagt werden, daß bereits 1320 eine Lin­ nenpapiermühle bei Mainz, 1347 eine bei München und 1398 eine in Nürnberg an Flußufern standen, denen bald mehrere nachfolgten. Der Betrieb dieser Mühlen blieb auf die Erzeugung von Handpapier beschränkt, bis 1799 die Papiermaschine erfunden wurde. Heute gibt es in Deutsch­ land nur noch etwa 100 Papiermühlen, dagegen etwa 1200 Papierfabriken, in denen gegen 120000 Menschen ihr Brot verdienen.

Wilhelm Fischer. 116. Zachur mit dem Sacke. Eiu allegorisches Märchen. Über den volkreichen Bazar von Bagdad wandelte lang­ sam ein stattlicher Mann, der auf seiner linken Seite air einem starken Tragriemen einen unscheibar grauen Sack trug und einen wohlgefüllten Lederbeutel auf der rechten. Vor dem Gewölbe eines Zeughändlers blieb er stehen und handelte den größten und weichsten bunten Teppich ein. Der Kaufmann wunderte sich im stillen, den reichgekleideteu Fremdling ganz ohne Begleitung zu sehen, und sprach höf­ lich: „Herr, deine Sklaven sind nicht zur Hand; ich will dir einen meiner Burschen mitgeben, der die Bürde trage." — „Unnötig!" sagte der Käufer, indem er ihm den Preis in

Ländern über die Alpen war schwierig, kostspielig und zeit­ raubend. War es da ein Wunder, wenn die Deutschen andere Pflanzenfasern probeweise zu Papier verarbeiteten, bis sie dessen Herstellung aus den Fasern des Flachses und des Hanfes erfanden? Bald kam man auch dahinter, daß es nicht nötig sei, die neuen, noch nicht verwendeten Fasern zu benutzen, sondern daß man die versponnenen und verwebten und als Webstoffe unbrauchbar geworde­ nen, also alle alten Lumpen verarbeiten könnte und mit ihnen sogar ein besseres Papier erzielte. Was die wichtige Erfindung des Linnenpapiers betrifft, so kann mit Be­ stimmtheit nur gesagt werden, daß bereits 1320 eine Lin­ nenpapiermühle bei Mainz, 1347 eine bei München und 1398 eine in Nürnberg an Flußufern standen, denen bald mehrere nachfolgten. Der Betrieb dieser Mühlen blieb auf die Erzeugung von Handpapier beschränkt, bis 1799 die Papiermaschine erfunden wurde. Heute gibt es in Deutsch­ land nur noch etwa 100 Papiermühlen, dagegen etwa 1200 Papierfabriken, in denen gegen 120000 Menschen ihr Brot verdienen.

Wilhelm Fischer. 116. Zachur mit dem Sacke. Eiu allegorisches Märchen. Über den volkreichen Bazar von Bagdad wandelte lang­ sam ein stattlicher Mann, der auf seiner linken Seite air einem starken Tragriemen einen unscheibar grauen Sack trug und einen wohlgefüllten Lederbeutel auf der rechten. Vor dem Gewölbe eines Zeughändlers blieb er stehen und handelte den größten und weichsten bunten Teppich ein. Der Kaufmann wunderte sich im stillen, den reichgekleideteu Fremdling ganz ohne Begleitung zu sehen, und sprach höf­ lich: „Herr, deine Sklaven sind nicht zur Hand; ich will dir einen meiner Burschen mitgeben, der die Bürde trage." — „Unnötig!" sagte der Käufer, indem er ihm den Preis in

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Fischer.

funkelnden Goldstücken aufzählte. Behend ergriff er die un­ geheure Rolle und schob sie langsam, aber sicher in den Sack hinein. Dann schritt er ruhig weiter. Seine Kauflust schien nun erst recht erwacht zu sein. Zwölf Kristallslascheu mit Rosenöl von Schiras wanderten in den Sack, und un­ besorgt warf er ihnen ein zierlich mit Kupfer beschlagenes Kästchen von Ebenholz nach. Er machte Aufsehen trotz des Marktgewühls, und schon längst war ihm ein vornehm blicken­ der Mann beobachtend gefolgt, ohne indes bis dahin ein Wort an ihn zu richten. Als er aber jetzt auf die Mitte des Bazars gelangt war, wo die besten und kostbarsten Waren seilstehen, und rechts und links die verschiedensten Dinge er­ faßte und unermüdlich in den alles verschlingenden Sack hineinschob: Perlen und Ballen von Seidenstoff, Datteln und Ringe, Sättel und Diamanten, da konnte sich der Kalif — denn kein geringerer war's, der ihm folgte — nicht länger halten und sprach: „Viel der Wunder hab ich gesehen, o Fremdling, und beim Barte des Propheten! du bist das kleinste nicht. Hat dein Beutel keinen Boden und dein Sack keinen Grund? Wie kannst du nur eins der tausend Dinge wiedersinden, die du ohne Ordnung unaufhörlich hineinstopsst? Und sage mir, wie soll's den armen zarten Perlen, die mir zu teuer waren — denn sonst hätte ich sie für Zuleika gekauft — unter den Tonnen und Kisten exgehen?" Zachur, so hieß der Fremde, legte die Arme kreuzweis über die Brust und beugte sich tief. „Beherrscher der Gläubigen!" sprach er, „denn umsonst verbirgst du deine edle Gestalt unter einem schlichten Kleid; ich habe dein Bildnis auch in meinem Sack und erkenne dich sofort; Allah ist groß, und seine Gaben sind wunderbar. Du sorgst um die lieblichen Töchter der Muschel? Sieh her!" Er fuhr behend mit der Rechten in den Sack und holte unversehrt die Doppelreihe großer milchweißer Perlen hervor, die er

ehrerbietig dem Kalifen darbot. „Erzeige mir die Gnade und nimm diese Schnur an! laß deine schönste Sklavin sie tragen, ich werde nicht ärmer darum."

Der Kalif war erstaunt über Zachurs Geschick, er­ freut über das Geschenk imb die Rede und begierig, noch inehr zu erfahren. „Dann ivollen wir uns niedersetzen dort auf den breiten Marmorplatten am Fuße des plätschernden Brunnens!" sagte Zachur, und schon hatte er de» weichen Teppich ausgcbreitet. Sie hockten sich hin mit unterge­ schlagenen Beinen, und er begann seine Erzählung: „Ich bin eines armen Mannes Sohn, o Herr, und schien zur Armut bestimmt. Aber an meiner Wiege stand eine gütige Fee und legte diesen Sack und diesen Beutel darauf. Wachse, Zachur, sprach sie, und schau dich um in der Welt! was dir gefällt, das kanfe! bezahl es aus diesem Beutel, der nicht leer wird, und verwahr es in diesem Sacke, der nicht voll wird! doch packe Kostbares bedächtig ein — du trägst dich nicht müde daran! Sie hat mehr gehalten, als sie versprach; alles, was ich jemals besessen und ge­ liebt, ist hi diesem Sacke, unverlierbar und jederzeit zur Hand. Willst du das erste Schwert sehen, das mein Vater mich zn schwingen lehrte? Sich her! — er holte es hurtig tief vom Grunde hervor — noch glänzt die krumme Klinge, wie am ersten Tage, und erfreut mein altes Herz. Willst du deu Koran sehen, in dem der sromme Scheich Abdallah mich unterlvies? Sieh, wie frisch die zierlichen Purpurbuchstaben uud die grüngoldigen Arabesken noch leuchten! Willst du das Lied hören, das mein Weib als Braut mir sang? — aber leise! wir sind auf dem Bazar." Ein schmelzender Wohllaut quoll wunder­ sam aus der Tiefe auf, wie aus weiter Ferne, uitf) verhallte nur zu schnell. „Wunderbar, höchst wunderbar!" sagte der Kalif, „aber erzähle weiter, Freund!" „Des einzelnen würde zn viel, und das ganze ist bald gesagt," erwiderte Zachur. „Du hast dich heute über meine Eile beim Kaufen gewundert, da hättest du mich erst in meinen jungen Tagen sehen sollen! Als die Welt noch so hell und so sonnig vor meinen großen Augen lag, als tausend und aber tausend Dinge mich reizten, da kam meine

Hand fast nicht ans dem Beutel und dem Sacke heraus. Ich machte weite Reisen, und was mir gefiel, das kaufte ich und steckte es vergnügt in den allumfassenden Sack. Ja, selbst ohne mein Zutun füllte er sich; grünschillerndc Vögel flogen, weißschimmernde Blüten schneiten in den offenen hinein. Zuweilen überschlich mich ein Gefühl der Sättigung lind des Übermutes, und ich ging ungerührt am Schönstell vorbei, weil ich schon solch eine Fülle des Schönen besaß. Die Gelegenheit kommt schon wieder! dachte ich. Aber sie kam nicht wieder, und manche Bersäumnis reut Nlich jetzt. Ich hätte einst Kohinur kaufen können, den Berg des Lichts, gegen den alle meine anderen Diamanten schlechte Kiesel sind. Ich hätte die blaue Wunderblume erhalten können, das Meisterwerk der Natur; sie duftete lieblicher, als alle Wohlgerüche Arabiens, und wenn der leichte Wind sie rührte, so klang und läutete es Ivie die herrlichste Musik. Ich hätte ein ganzes Königreich erwerben können fern in Hindostan hinter den Schneebergeu, und zweimal bin ich umgekehrt und habe es wieder gesucht. Aber ich finde den Weg nicht mehr. Das macht mir nun wohl Kummer in einer schlaflosen Nacht. Doch dann tröste ich inich des Vielen, das ich besitze, und hole aus meinem Sacke altes und neues hervor, je nach Wunsch lrnd Neigung. Auch ist die Welt noch groß und Zachur noch kein Greis, ich kann noch vieles kaufen, und inanchmal regt sich gewaltig die alte Lust. So heut, als ich in deine herrliche Stadt kam, o Herr, und Allah für die Gnade pries, die er dem Menschen gegeben hat, daß er aus der schmutzigen Wolle des Schafes den farbenglühenden Teppich wirkt, auf dem wir sitzen, daß er aus den Tiefen der Erde das Gold, aus den Tiefen des Meeres die Perlen holt. Und wacker habe ich zugegriffen, bis das Auge deiner Gnade mich traf, o Herr, und mir etwas zuteil werden ließ, das um Gold und Silber nicht käuflich ist: die Ehre und Wonne deiner Gegenwart." „Wohl gesprochen!" entgegnete der Kalif vergnügt, „man sieht, daß du an Höfen gewesen bist, Freund Zachur.

Aber eins, eh ich's wieder vergesse über all dem Staunens­ werten: der Prophet hat zwar verboten, ein Bildnis des Menschen, des Ebenbildes Allahs, $u machen; aber da du doch das meinige einmal besitzest, von irgend einem Un­ gläubigen gefertigt — ich begreife zwar nicht, wie er Zeil und Gelegenheit dazu gefunden hat . . — „Sie malen geschwind," fiel Zachur ein, „und sind zu allen bösen Künsten schnell." — „Wahr, sehr wahr!" sprach der Kalif und strich sich nachdenklich den Bart, „doch was ich sagen wollte: ich nlöchte das Ding wohl einmal sehen!" — „Dein Wunsch ist mir Befehl," erwiderte Zachur und kramte geschäftig im Sacke. Aber eine Zeitlang vergeblich. „Nun," rief der Kalif, die Stirne runzelnd, „reut dich dein Versprechen oder . . .?" — „Hier ist es, Herr!" sagte Zachur, und der Zorn des Herrschers verschwand vor der Neugierde, mit welcher er das kleine, mattglänzende Bild musterte. „Ich bin's und bin's doch wieder nicht," sprach er kopfschüttelnd, „mein Fes ist's und die Stickerei, aber wo sind die bräunlichen Wangen, wo des Auges Glanz, wo die Farbe? Und das Ding ist geborsten! ein Riß läuft quer durch und trennt die Füße meines Rosses vom Rumpf. Du kannst also doch die Sachen in deinem Sack nicht unbeschädigt erhalten, du findest sie auch nicht immer gleich im Augenblick; gesteh, du hast auch schon einige ganz verloren." — „Ich bin eines armen Mannes Sohn", antwortete Zachur errötend, „aber zweierlei habe ich schon als Knabe gelernt: die Waffen führen und die Wahrheit sagen. Verzeih, o Herr, daß ich sie soeben unbedachtsam verletzte. Ja, ich hab das ein und andere ver­ loren, und wenn ich mich vorhin berühmte, noch alles in meinem Sacke zu haben, so habe ich mich einer Übertreibung schuldig gemacht, wie's uns Menschen gewöhnlich beim Ge­ brauche der beiden Wörtchen alles und nichts ergeht. Ich hätte: das meiste sagen sollen. Doch war der Verlust vielfach meine eigene Schuld. Zuweilen hab ich in der Jugendhitze allzuschnell und eifrig eingepackt, da quoll, während ich ein folgendes nachschob, das schlechtversorgte

vorige wieder heraus, oder es wurde zerdrückt, anderes liegt auch wohl noch tief unten in einer Falte, aber ich kann's nicht beliebig hervorholen. Stoße ich jedoch einmal zu­ fällig darauf, dann freue ich mich des wiedergefundencn und staue es für die Zukunft an den rechten Ort. Den größten Ärger und Verlust aber erlitt ich in Frankistan. Dort sind die Händler auf den Märkten nicht so würdevoll, wie die Kaufleute hier, die den Mund nur öffnen, um einsilbig den festen Preis zu sagen, und keine Miene verziehen, wenn der Kunde ungekaufter Sache weiter­ geht. Nein, dort preisen viele ihren Trödel aufs unver­ schämteste an, nm so mehr, je schlechter er ist. Da hab ich mir manch wertlos Stück für schweres Geld aufschwätzen lassen, das meiste aber nur lose zwischen Sack und Kaftan gesteckt, so daß es bei der ersten Regung wieder in den Kot fiel, wohin es gehörte. Fiele nur auch anderes hinein oder ins Meer, wo es am tiefsten ist! aber ich soll's wohl init mir schleppen müssen mein lebenlang." — „Wovon redest du?" fragte lebhaft der Kalif, „hast du auch häßliche Dinge in deinem Sack?" — „Ich habe den Stein noch drin, den ich im Zorn nach einem armen Hunde warf," sagte Zachur traurig, „und das Tier war mager und niatt und siel nieder und sah mich an und starb. Und einen Dolch hab ich drin, mit dem Blute meines Herzfreundes gefärbt — doch es war nicht zuni Tode, gelobt sei Allah!" In diesem Augenblicke flog ein goldstrotzender Wagen über den Platz, mit vier Berberrossen bespannt, und hielt am Brunnen. Zachurs Traurigkeit war verschwunden. „Wem gehört diese Pracht?" fragte er mit funkelnden Augen. „Doch wie kann ich fragen? Wem anders als dir! O, daß dies Gespann seil wäre!" — „Fürsten handeln nicht," sagte der Kalif, „aber du hast mir ein kostbares Geschenk gemacht, Freund Zachur, und was mehr ist, eine angenehme Stunde: nimm hin, was dir so sehr gefällt!" Zachur kreuzte die Arme über die Brust, neigte sich tief und erwiderte: „Deine Gnade ist Tau auf dürres Land.

Aber Noß und Wagen, so blink und blank, sollen nicht durch den Staub der Vorstädte ziehen." Damit schob er alles ruhig in den Sack hinein, neigte sich nochnials bis zur Erde und schritt dann leicht und aufrecht dem Tore zu. Der Kalif sah ihm kopfschüttelnd nach, ging sinnend heim und hängte Zuleika die doppelte Perlenschnrir um. Dann ließ er seinen Geheimschreiber rufen und sprach: „Nimm eine Schwanenfedcr und ein Blatt des feinsten Perga­ mentes, und schreibe zierlich nieder, was ich dir sagen werde: Die Geschichte Zachurs mit dem Sacke!"

Kurt FLöricke. 117. Wie die Feuersalamander ins Winter­ quartier riehen. Spätherbst! Das Laub beginnt bereits stärker zu fallen, schon sind verschiedene Reifschauer über die Fluren niedergegangen, aber immer noch fehlte ein langer, an­ dauernder Frost. Sank auch die Temperatur an einzelnen Tagen zienilich erheblich unter Null, so bescherte die sieg­ reiche Sonne doch immer wieder warme Stunden; kein Wunder, daß unter solchen Umständen diejenigen Tiere, die sich vor den Unbilden des Winters in die finstere Erde verkriechen müssen, den Bezug ihrer Winterwohnuugeil möglichst lange hinausschoben. Da tritt auf einmal ohne jeden Übergang ein stärkerer Frost ein, der den ganzen Tag über anhält. Schon in der folgenden Nacht rückt der Vortrupp der Salamander heran; eine Wegböschung in einer Gesamtlänge von einigen hundert Metern an einem Südhang im Keuper mit über­ hangenden Wurzeln und Felsritzen bildet das Ziel. Am folgenden Morgen ist von den Salamandern wenig zu sehen: einige Tiere, die sich bei unserm Nahen eiligst in ihre Löcher zurückziehen, verraten den begonnenen Einzug. Die folgende Nacht führt neue und größere Scharen heran, die am Boden hinterlassenen Spuren weisen deut-

Aber Noß und Wagen, so blink und blank, sollen nicht durch den Staub der Vorstädte ziehen." Damit schob er alles ruhig in den Sack hinein, neigte sich nochnials bis zur Erde und schritt dann leicht und aufrecht dem Tore zu. Der Kalif sah ihm kopfschüttelnd nach, ging sinnend heim und hängte Zuleika die doppelte Perlenschnrir um. Dann ließ er seinen Geheimschreiber rufen und sprach: „Nimm eine Schwanenfedcr und ein Blatt des feinsten Perga­ mentes, und schreibe zierlich nieder, was ich dir sagen werde: Die Geschichte Zachurs mit dem Sacke!"

Kurt FLöricke. 117. Wie die Feuersalamander ins Winter­ quartier riehen. Spätherbst! Das Laub beginnt bereits stärker zu fallen, schon sind verschiedene Reifschauer über die Fluren niedergegangen, aber immer noch fehlte ein langer, an­ dauernder Frost. Sank auch die Temperatur an einzelnen Tagen zienilich erheblich unter Null, so bescherte die sieg­ reiche Sonne doch immer wieder warme Stunden; kein Wunder, daß unter solchen Umständen diejenigen Tiere, die sich vor den Unbilden des Winters in die finstere Erde verkriechen müssen, den Bezug ihrer Winterwohnuugeil möglichst lange hinausschoben. Da tritt auf einmal ohne jeden Übergang ein stärkerer Frost ein, der den ganzen Tag über anhält. Schon in der folgenden Nacht rückt der Vortrupp der Salamander heran; eine Wegböschung in einer Gesamtlänge von einigen hundert Metern an einem Südhang im Keuper mit über­ hangenden Wurzeln und Felsritzen bildet das Ziel. Am folgenden Morgen ist von den Salamandern wenig zu sehen: einige Tiere, die sich bei unserm Nahen eiligst in ihre Löcher zurückziehen, verraten den begonnenen Einzug. Die folgende Nacht führt neue und größere Scharen heran, die am Boden hinterlassenen Spuren weisen deut-

lich daraus hin, auch strecken allenthalben die Salamander ihre Köpfe aus dem Eingang heraus, um sich zu sonnen, und da und dort suchen noch einige nach einer passenden Unterkunft. Jetzt folgt wieder eine mehrtägige Kälteperiode und dann ein kräftiger Regen. Die Wirkung auf die Sala­ mander ist außerordentlich. Die erste Zuwanderung scheint unter der Einwirkung des plötzlichen Frostes sluchtartig geschehen zu sein, und die Salamander mochten zuerst über­ haupt nur auf den Unterschlupf Bedacht genommen haben; infolge des starken Regens erweisen sich jedoch ihre meisten Verstecke als ungeeignet. Schleunigst werden daher diese Schlupfwinkel verlassen, und alles strebt einem geschützteren Ziele zu. Hierbei wird besonders ein Platz stark bevorzugt: unter überhängenden Steinen und Wurzeln führen nahe beieinander drei Eingänge zwischen Steinen in die Erde, gerade weit genug, um einem Tiere Raum zum Hinein­ kriechen zu gewähren. Schon bei der ersten Zuwanderung waren die Sala­ mander aussallend zahlreich herbeigezogen, aber jetzt ver­ mögen die Löcher die Neuankömmlinge überhaupt nicht mehr ganz zu fassen. Zu wirren Klumpen geballt, drehen sich die Tiere vor den Eingängen durch- und übereinander, einzelne sind kaum zu unterscheiden, allenthalben sieht mau nur Füße, verdrehte Leiber und Schwänze, ein eigenartiger Farbenwirrwarr von Tintenschwarz und allen möglichen Schattierungen in Gelb. Hier scheinen die Tiere ihre sonstige Scheu vergessen zu haben, fortwährend wogen und wirbeln die Knäuel durcheinander. Von Zeit zu Zeit beult sich ein Knäuel nach einer Seite hin immer mehr aus, bis das Gleichgewicht und der innere Zusammenhang ver­ loren geht und alles übereinander purzelt. Einige Augen­ blicke überraschtes Stillehalten, dann entschwindet ein Teil, um sich von den vergeblichen Anstrengungen zu erholen oder anderswo eine bessere Gelegenheit zum Einkriechen zu suchen. Die Zurückbleibenden aber beginnen das Rennen

von neuem, und frische Ankömmlinge gesellen sich dazu. So geht das fort tagelang. Die Zahl der vor den Ein­ gängen sich herumquälenden Salamander zu bestimmen, ist ganz unmöglich, doch mögen an dem geschilderten Haupt­ sammelplatz in den ersten Tagen je etwa 200 Stück ver­ sammelt gewesen sein. Sehr auffallend ist die Gleichmäßigkeit, mit der die Vorgänge in den beiden Beobachtungsjahren (1907 und 1908) sich abspielten. Fortwährend kommt noch neuer Zu­ zug, von überall her vernimmt das lauschende Ohr ein leises Rascheln im trockenen Laub, langsam und vorsichtig rücken die Salamander heran. Die Marschrichtung aller weist auf dasselbe Ziel, und in der Nähe des Hauptsammel­ platzes sind sogar, ähnlich dem Wechsel bei unserem Wild, gewisse Straßen zu unterscheiden, auf denen infolge der häufigen Benutzung kein Laub liegt. Der Hauptplatz selbst läßt sich seinem äußeren Ansehen nach ganz gut mit einen» Fuchsbau in verkleinertem Maßstabe vergleichen. Allmählich nehmen die Knäuel wieder ab, einige Tiere finden noch im Innern einen Platz, der Rest aber sucht sich, des aussichtslosen Rennens müde, anderswo ein Un­ terkommen, gezwungen durch die immer stärker werden­ den Fröste, welche die noch im Freien befindlichen Tiere oft bis zur Unbeweglichkeit erstarren lassen. Nachdein so der ganze Vorgang weit über einen Monat gedauert hat, ist schließlich auch der letzte Nachzügler zu einem Unter­ schlupf gekoinmen und im Freien kein einziger Salaman­ der mehr sichtbar; nur der zertretene, von Laub entblößte Boden deutet darauf hin, welches Leben und welche Be­

wegung hier vor kurzein geherrscht haben. An einzelnen ivarmen Nachmittage»» begibt sich auch wohl noch der eine oder andere Salamander unter den Eingang unb schaut vorsichtig nach dem Wetter aus, bis endlich die Herrschaft des Winters auch dieses verhindert und erst der Odem des erwachenden Frühlings das schlummernde Leben wie­ der aus der Erde erweckt.

Raoul France. 118. Der Segen des Waldes. Unermeßlich ist der Segen des Waldes für ein Land und Volk, das ihn ehrt und pflegt. An der See bindet er die Dünen, auf den Ebenen den Flugsand. Sümpfe trocknet er aus, und Heiden macht er fruchtbar. In den Bergen erhält er den Reichtum der Quellen und mildert die zer­ störende Kraft der Wolkenbrüche und Gewitterregen, die in unbewaldeten Tälern als verheerende Sturzbäche Ver­ derben über Verderben mit sich bringen. Wald ist der beste Schuhdamni gegen Hochwasser. Daß unsere Heimat ein milder, fruchtbarer Garten ist, verdanken wir wahrlich nicht zuletzt den Bäumen und denl schwarzblauen Band dev Wälder, die zum Glück zur Staffage fast jeder deutschen Landschaft gehören. Wir können es gar nicht ermessen, welches Unglück es bedeuten tvürde, wen« unserem Lande dasselbe Schick­ sal widerführe, das einst Frankreich verschuldete, als es nach seiner großen Revolution säst waldlos dastand. Drei Millionen Hektar Wald ließ eine wahnwitzige Spekulanten­ schar damals fällen und schädigte damit das Land so, daß es noch heute, nach mehr denn hundert Jahren, jährlich für hundert Millionen Frankeil Holz vom Ausland kaufen muß und anderthalb so viel ausgab, um in dem fran­ zösischen Teil der Alpen wenigstens das Ärgste an den Strafen gutzumache», mit denen die Natur Waldfrevel ahndet. Auf die Sünde wider die Natur ist Todesstrafe ge­ setzt. Die Landschaft erstarrt, wo man sie ihres schönsten Schmuckes freventlich beraubt. Der Süden Europas ist ein warnendes Beispiel für jene, die nicht daran glauben wollen, daß die Natur strafen kann. In den südlichen Alpen begann dieses Sühnegericht erst vor wenigen Jahr­ hunderten; die leblosen Einöden Syriens und der griechi-

schen Berge beweisen, daß oft Jahrtausende nicht mehr gutnrachen können, was ein Geschlecht versündigt hat. Die Erfahrungen an den entwaldeten Abhängen der provenzalischen Berge haben erst in den letzten Jahrzehn­ ten das Schulbeispiel geliefert, wie sich Entwaldung der Gebirge rächt. So verstehen wir, warum in Südtirol, in der Südschweiz, auf dem Apennin Gegenden von einst sprichwörtlicher Üppigkeit steinige Wüsten geworden sind. Der französische Bericht über den Zustand der Alpen der Provence, die man durch systematische Entwaldung zu­ grunde gerichtet hat, gibt mit trocken einfachen Worten ein erschütternd anschauliches Bild davon. Er sagt: Man kann sich iil unseren gemäßigten Gegenden gar keinen Be­ griff von diesen brennenden Bcrgschluchten machen, wo es nicht einmal einen Bnsch gibt, um einen Bogel zu schützen, wo der Reisende ttur da und dort einen ausgetrockneteil Lavendelstengel findet, wo alle Quellen versiegt sind, wo ein düsteres, kaum vonl Gebrumm der Insekten unter­ brochenes Schweigen herrscht. Aber da bricht plötzlich in der Schwüle ein Gewitter los; dann wälzen sich in einem Nu in diesen geborstenen Becken von der Höhe der Berge Wassermasscn herab, die verwüsten, ohne zu befeuchten, die überschwenlinen, ohne zu erfrischen, und die den Boden durch ihre rasch vorübergehende Erscheinung noch öder machen, als er durch ihr Ausbleiben war. Der Mellsch zieht sich notgedrungen aus diesen schauerlichen Einöden zurück, und die Ortschaften werden verlassen.

119. Im Auwald der Donauinseln -ei Wien. Wo glückliche Verhältnisse freie Entfaltung aller Kräfte gewährleisten, et>va iin sumpsendeil Auwald der Donau­ inseln oder in den ungepflegten Laubwäldern der Süd­ ostgrenzen Europas, da schafft die Natur ein farbensprühen­ des Gemälde, ein Paradies der Üppigkeit, wie sich das der gesittete Deutsche, geivöhnt, im Walde auf reinlichem Pfad Hessel, Lesebuch 5. 14. Lust.

M. 11

unter zierlich sich wölbenden Alleen sauber abgeästeter und wohlgewachsener Bäume zu wandeln, gar nicht vorstellen kann. Das muß man gesehen haben, vielleicht in den Tagen des Nachsommers, da die höchste Pracht erreicht ist und ein brausender Gesang jauchzender Lebenslust zusammen­ klingt aus dem Zirpen und Summen, dem Singen und Schreien von Millionen jubelnder Bewohner jener Wälder, die dort so reichlich den Tisch gedeckt finden.

Die nächste dieser naturwüchsigen Auen grünt schon vor den Toren Wiens, im Zuge jenes labyrinthischen Netzes von Wasserläufen, in die sich dort die gleißendgelbe Donau zerspaltet. Wer mit deni Dampfer durchfährt, sieht eigentlich nur den Saum dieser Pracht, sich eintönig wiederholend als Weidicht und ferne grüne Waldwand. Er muß schon Kenner sein, um aus dem vielgezackten, bald hoch hinauf­ greifenden, dann wieder tief hinabsinkenden Umriß dieser Wälder, der ganz an die Schattenlinie des Tropenurwaldes erinnert, zu erraten, was in ihnen und hinter ihnen steckt. Man muß in ihre Wildnis eindringen im Boote, weidmännisch gerüstet, mit Wasserstiefeln oder Stelzen für die Altwasser und Röhrichte, mit einem scharfen Gärtnermesser zum Durchdringen im Geheck und Rankenwerk. Manche der Inseln hat noch vollständig den Urwaldcharakter, da man sie zu nichts nutzbar machen kann wegen der schweren Zugänglichkeit und der großen Entfernungen. Dort breiten vielhundertjährige Schwarzpappeln düster und phantastisch ihr Geäst, so gigantische Stämme, daß fünf, sechs Männer sie nicht umfassen können; dazwischen schieben sich die blumigsten Auwicsen mit Hainen der edel hellblinkenden Rüster; die Erle und Weide umsäumt die stillen Niede­ rungen und Sümpfe mit besonderen Wäldern; Eschen und Ahorne mischen sich darein mit schönzackigen Kronen; Ulmen und vor allem Rieseneichen stehen an den Ufer-

hängen, und über den Dunst der moorigen Gefilde steigen rein und lieblich weiße Stämme und das filigranzarte Laub der Birken. Die größte Mannigfaltigkeit an Baumarten ist in dem Auwald zu finden. Mit Ausnahme der ganz fehlen­ den Nadelhölzer sind fast alle 29 Laubbäume da, die der europäischen Flora zu eigen. Aber nicht darin, so fesselnd auch manch alter Wald­ könig und der Anblick dieser Buntheit der Formen ist, finde ich den Hauptreiz dieser mir aus vielen glücklichen Stunden hell in der Erinnerung leuchtenden, leider nun auch schon untergehenden Welt. Es ist der unbeschreibliche Reichtum an Unterholz, die Üppigkeit der Lianen und Büsche, das vielfarbige Feuer der Blumen und im Herbst der bunten Früchte, die ein Gesamtbild von unerreichtem malerischen Reiz schaffen.

Da gibt es undurchdringliche Hecken von hoch in die Wipfel hinaufrankenden Brombeeren; der Wein wächst hier wild als Liane, und es gibt Donauinseln, wo er, mit armdicken Reben abenteuerlich von Baum zu Baum sich schlingend, wie eine Schlange am Boden kriechend, den Baumwürgern des Morgenlandes nichts nachgibt. Im Herbst siegen dann der wilde Hopfen und die Waldrebe (Clematis) über alle andern Bewerber. Festlich schmücken sie den Waldrand, Festons werfen sie von Baum zu Baum, und die grüne Wildnis ihrer schönen Blätter hüllt oft jene bis zur Unkenntlichkeit ein, auf deren Zweigen sie als Spreizklimmer emporgeklettert sind zum Licht. Und welche Pracht der Büsche im Herbst! Wilde Rosenhecken, manchmal ganze Bäume schimmern weithin mit Millionen orangefarbener Früchtchen, das Pfaffenhütchen mischt sein Rot und Violett der Kardinalprunkgewän ­ der dazu, der Perückenstrauch und die Waldreben werfen seidige, feine Schöpfchen herab. Daneben lasten schwarz­ äugige Fruchtdolden des Holunders, da schwarze Beeren,

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Francs.

Goethe.

dort rote Beeren, oft der ganzen Waldesstirne entlang streichend und besungen von einer kreischenden, vor Über­ mut am reichen Tische jubilierenden und gellenden Vogel­ schar — ein Bild der höchsten Lebensfreude.

Johann Wolfgang von Goethe. 120. Müßiggänger in Neapel. sGoethe hatte gehört, es gäbe in Neapel so viele Müßig­ gänger. Er wollte das selbst untersuchen und ging eines Tages auf die Jagd nach solchen aus. Er erzählts:

Neapel, den 28. Mai 1787. Ich fing meine Beobachtung bei früher Tageszeit an, und alle die Menschen, die ich hie und da still stehen oder ruhen fand, waren Leute, deren Beruf es in dem Augen­ blick mit sich brachte. Die Lastträger, die an verschiedenen Plätzen ihre privilegierten Stände haben und nur er« ivarten, bis sich jemand ihrer bedienen will; die Kalessaren, ihre Knechte und Jungen, die bei den einspännigen Kale­ schen auf großen Plätzen stehen, ihre Pferde besorgen und einem jeden, der sie verlangt, zu Diensten sind; Schiffer, die auf dem Molo ihre Pfeife rauchen; Fischer, die au der Sonne liegen, lveil vielleicht ein ungünstiger Wind weht, der ihnen auf das Meer auszufahren verbietet. Ich sah auch wohl noch manche hin und wiedergehen, doch trug meist ein jeder ein Zeichen seiner Tätigkeit mit sich. Von Bettlern war keiner zu bemerken, als ganz alte, völlig un­ fähige und krüppelhafte Menschen. Je mehr ich mich um­ sah, je genauer ich beobachtete, desto weniger konnt ich, weder von der geringen noch von der mittlern Klasse, weder ain Morgen noch den größten Teil des Tages, ja von keinem Alter und Geschlecht eigentliche Müßiggänger finden. Ich gehe in ein näheres Detail, um das, was ich be­ haupte, glaubwürdiger und anschaulicher zu machen. Die kleinsten Kinder sind auf mancherlei Weise beschäftigt. Ein

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Francs.

Goethe.

dort rote Beeren, oft der ganzen Waldesstirne entlang streichend und besungen von einer kreischenden, vor Über­ mut am reichen Tische jubilierenden und gellenden Vogel­ schar — ein Bild der höchsten Lebensfreude.

Johann Wolfgang von Goethe. 120. Müßiggänger in Neapel. sGoethe hatte gehört, es gäbe in Neapel so viele Müßig­ gänger. Er wollte das selbst untersuchen und ging eines Tages auf die Jagd nach solchen aus. Er erzählts:

Neapel, den 28. Mai 1787. Ich fing meine Beobachtung bei früher Tageszeit an, und alle die Menschen, die ich hie und da still stehen oder ruhen fand, waren Leute, deren Beruf es in dem Augen­ blick mit sich brachte. Die Lastträger, die an verschiedenen Plätzen ihre privilegierten Stände haben und nur er« ivarten, bis sich jemand ihrer bedienen will; die Kalessaren, ihre Knechte und Jungen, die bei den einspännigen Kale­ schen auf großen Plätzen stehen, ihre Pferde besorgen und einem jeden, der sie verlangt, zu Diensten sind; Schiffer, die auf dem Molo ihre Pfeife rauchen; Fischer, die au der Sonne liegen, lveil vielleicht ein ungünstiger Wind weht, der ihnen auf das Meer auszufahren verbietet. Ich sah auch wohl noch manche hin und wiedergehen, doch trug meist ein jeder ein Zeichen seiner Tätigkeit mit sich. Von Bettlern war keiner zu bemerken, als ganz alte, völlig un­ fähige und krüppelhafte Menschen. Je mehr ich mich um­ sah, je genauer ich beobachtete, desto weniger konnt ich, weder von der geringen noch von der mittlern Klasse, weder ain Morgen noch den größten Teil des Tages, ja von keinem Alter und Geschlecht eigentliche Müßiggänger finden. Ich gehe in ein näheres Detail, um das, was ich be­ haupte, glaubwürdiger und anschaulicher zu machen. Die kleinsten Kinder sind auf mancherlei Weise beschäftigt. Ein

großer Teil derselben trägt Fische zum Berkaus von Santa Lucia in die Stadt: andere sieht man sehr oft in der Gegend des Arsenals, oder wo sonst etwas gezimmert wird, wobei es Späne gibt, auch am Meere, welches Reiser und kleines Holz auswirft, beschäftigt, sogar die kleinsten Stückchen in Körbchen auszulesen. Kinder von einigen Jahren, die nur auf der Erde so hinkriechen, in Gesell­ schaft älterer Knaben von fünf bis sechs Jahren, befassen sich mit diesem kleinen Gewerbe. Sie gehen nachher mit denl Körbchen tiefer in die Stadt und setzen sich mit ihren kleinen Holzportionen gleichsam zu Markte. Der Handtverker, der kleine Bürger kauft es ihnen ab, brennt es auf seinem Dreifuß zu Kohlen, uni sich daran zu erwärmen, oder verbraucht es in seiner sparsamen Küche. Andere Kinder tragen das Wasser der Schwefelquellen, welches besonders im Frühjahr sehr stark getrunken wird, zum Verkauf herum,. Andere suchen einen kleinen Gewinn, indenl sie Obst, gesponnenen Honig, Kuchen und Zuckerware einkaufen und wieder als kindische Handelsleute den übrigen Kindern anbieten und verkaufen, allenfalls, nur um ihren Teil daran umsonst zu haben. Es ist wirklich artig anznsehen, wie ein solcher Junge, dessen ganzer Kram und Gerätschaft in entern Brett und Messer besteht, eine Wasser­ melone oder einen halben gebratenen Kürbis herumträgt, wie sich um ihn eine Schar Kinder versammelt, wie er sein Brett niedersetzt und die Frucht in Keine Stücke zu zerteileit anfängt. Die Käufer spannen sehr ernsthaft, ob .sie auch für ihr klein Stückchen Kupfergeld genug erhalten sollen, und der kleine Handelsmann traktiert gegen die Be­ gierigen die Sache ebenso bedächtig, damit er ja nicht um ein Stückchen betrogen werde. Ich bin überzeugt, daß man bei längerm Aufenthalt noch manche Beispiele solches kind­ lichen Erwerbes sammeln könnte. Eine sehr große Anzahl von Menschen, teils mittlern Alters, teils Knaben, welche meistenteils sehr schlecht ge­ kleidet sind, beschäftigen sich, das Kehricht auf Eseln aus

der Stadt zu bringen. Das nächste Feld uni Neapel ist nur ein Küchengarten, und es ist eine Freude, zu sehen, welche unsägliche Menge von Küchengewächsen alle Markt­ tage hcreingeschafft wird, und wie die Industrie der Men­ schen sogleich die überflüssigen, von der Köchin verworfenen Teile wieder in die Felder bringt, uin den Zirkel der Vegetation zu beschleunigen. Bei der unglaublichen Kon­ sumtion von Gemüse machen wirklich die Strünke und Blätter von Blumenkohl, Broccoli, Artischocken, Kohl, Salat, Knoblauch einen großen Teil des neapolitanischen Kehrichts aus; diesem wird denn auch besonders nachge­ strebt. Zwei große, biegsame Körbe hängen auf dem Rücken eines Esels und werden nicht allein ganz voll gefüllt, son­ dern noch auf jeden mit besonderer Kunst ein Haufen aufgctürmt. Kein Garten kann ohne einen solchen Esel bestehen. Ein Knecht, ein Knabe, manchmal der Patron selbst, eilen des Tages so oft als möglich nach der Stadt, die ihnen zu allen Stunden eine reiche Schatzgrube ist. Man hat mir versichert, daß ein paar solche Leute, die sich zusammentuu, sich einen Esel kaufen und einem größern Besitzer ein Stückchen Krautland abpachten, durch anhaltenden Fleiß in dem glücklichen Klima, in welchem die Vegetation niemals unterbrochen wird, es bald so weit bringen, daß sie ihr Gewerbe ansehnlich erweitern. Ich würde zu weit aus meinem Wege gehen, wenn ich hier von der mannigfachen Krämerei sprechen wollte, welche mau mit Vergnügen in Neapel, wie in jedem an­ dern großen Orte, bemerkt; allein ich muß doch hier von den Herumträgern sprechen, weil sie der letzter» Klasse des Volks besonders angehören. Einige gehen herum mit Fäßchen Eiswasser und Zitronen, um überall gleich Limo­ nade machen zu können, einen Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag; andere mit Kredenztellern, ans welchen Flaschen mit verschiedenen Liqucuren und Spitz­ gläser, in hölzernen Ringen vor dem Fallen gesichert, stehen; andere tragen Körbe allerlei Backwerks, Näscherei,

Zitronen und anderes Obst umher; und es scheint, als wolle jeder das große Fest des Genusses, das in Neapel alle Tage gefeiert wird, mitgenießen und vermehren. Wie diese Art Herumträger geschäftig sind, so gibt es noch eilte Menge kleine Krämer, welche gleichfalls herum­ gehen und ohne viele Umstände auf einem Brett, in einem Schachteldeckel ihre Kleinigkeiten oder auf Plätzen geradezu auf flacher Erde ihren Kraut ausbieten. Da ist nicht von einzelnen Waren die Rede, die man auch in größern Läden fände, es ist der eigentliche Trödelkram: kein Stück Eisen, Leder, Tuch, Leinwand, Filz usw., das nicht wieder ttleTrödelware zu Markte käme, und das nicht wieder von einem oder dem andern gekauft würde. Noch sind viele Menschen der niedern Klasse bei Handelsleuten und Hand­ werkern als Beiläufer und Handlanger beschäftigt. Der zerlumpte Mensch ist dort noch nicht nackt; der­ jenige, der weder eilt eigenes Haus hat, noch zur Miete wohnt, sondern im Sommer unter den Überdächern aus den Schwellen der Paläste und Kirchen, in öffentlichen Hallen die Nacht zubringt und sich bei schlechtem Wetter irgendwo gegen ein geringes Schlasgeld untersteckt, ist des­ wegen noch nicht verstoßen und elend; ein Mensch noch nicht arm, weil er nicht für bett andern Tag gesorgt hat. Wenn man nur bedenkt, was das fischreiche Meer, von dessen Produkten sich jene Menschen gesetzmäßig einige Tage der Woche nähren müssen, für eine Masse von Nah­ rungsmitteln anbietet; wie allerlei Obst und Gartenfrüchte zu jeder Jahreszeit in Überfluß zu haben sind; tote die Gegend, worin Neapel liegt, den Namen Terra di Lavoro (nicht das Laud der Arbeit, sondern das Land des Acker­ baues) sich verdient hat und die ganze Provinz den Ehren­ titel der glücklichen Gegend (Campagna feliee) schon Jahr­ hunderte trägt: so läßt sich wohl begreifen, tote leicht dort zu leben sein möge.

Jeremias Gotthelf (Albert Bitzius). 121. Winkelried und der Drache. In dem Walde da oben, wo nach der Sündflut Imuje noch Wasser wird geblieben sein, setzte kein Mensch seinen Fuß, keiner wußte, was in deniselben war, aber näher demselben baute man sich an. Wie die Menschen sich mehr­ ten, kürzten sie den Wald, dann ward der Boden trocken, bis an des Waldes Rand weidete das Vieh, lagerte sich in dessen Schatten. Aber was dort sich lagerte, kam selten alles auf die Weide mehr zurück, es war, als sei einer da oben im Walde, der den Zehnten nehme von dem, was in seinem Schatten sich gelagert hatte, als ob auch ein Vogt da oben sei, der nehme, was ihm nicht gehöre. Da wachten einmal kühne Hirten bei den Tieren manche Nacht umsonst, aber als es einmal recht finster war, hör­ ten sie ein schauerlich Schleifen, als ob man langsam großes schweres Holz durch dichtes Gebüsche ziehe, hörten ein Tönen, als ob Föhnstößc rauschten dilrch eine enge Schlucht; und zu glühen begann es durch die Gebüsche, wie es glüht, roeint ein Kohlenhaufen einfällt und die Glut zu Tage kömmt. Entsetzt flohen die Hirten, ant andern Morgen kant das Vieh wiederum gezehntet znr Weide, da gingen andere Männer hinauf zur Wache, doch wieder manche Nacht umsonst. Endlich hörten die das Schleifen und das Schnauben, und allmählich glühte auch das Funkeln durch die Gebüsche, von dem die ersten so Schreckliches erzählt

hatten. Die Männer flohen nicht, sie spannten ihre Bogen, schwangen ihre Speere, ließen die Waffen sausen, aber die Glut erlosch nicht, das Schnauben verstummte nicht, rascher kam es näher, feuriger flammte die Glut, umsonst flogen aufs neue Bolzen und Speere, jetzt hörte man deutlich, wie sie klirrten, als ob sie einen Panzer getroffen. Da er­ schraken die Männer, jetzt wußten sie, daß das ein Drache war. So lange Leute im Lande wohnten, ging die Sage, in dem schwarzen feuchten Walde Hause ein Drachenpaar,

aber lange, lange hatte kein Mensch die Tiere gesehen, man dachte nicht mehr, daß sie noch seien. Da verbreitete sich Schrecken im Lande, das Vieh trieb man nicht mehr herauf an den Wald, niemand wagte sich in dessen Nähe, der Wald ward zum gefeiten Orte, den jedermann floh : daß ein Drache außerhalb denlselben sich zeigen könnte, daran dachte man nicht.

Sv verstund dies aber der Drache nicht; das Innere des Waldes hatte er ausgeweidet in seiner Gier, an die Rinder an den Rändern hatte er sich gewöhnt, seiner Gier konnte er nicht Schranken setzen, das einmal Gewohnte nicht missen. Darum trieb es ihn über seine Grenzen, trieb ihn de» Rindern nach, trieb ihn selbst am Tage heraus, als man des Nachts die Rinder vor ihm zu ver­ wahren suchte. Da sah man ihn, nnd Menschen und Vieh graute vor dem scheußlichen Lindtvurme mit dem bieten Schlangenleib auf kurzen Vorderfüßen, dessen Augen Feuer sprühten, dessen Tatzen doppelt so gewaltig waren als Bärentatzen, dem wüste kurze Flügel auf dem Rücken stun­ den. Tapfere Männer wagten sich hinaus, ihn zu be­ stehen, aber keinen sah man wieder, und immer mehr zag­ ten die Leute, mieden in immer weiterm Umkreise den Wald und dessen Nähe. Aber je >nehr die Menschen ihn mieden und flohen, desto frecher ward der Drache, verließ den Wald, pflanzte sich in die Nähe des Weges, der von Obwalden nach Unterwalden führt, eine Höhle war sein Schloß, er aber ward die Plage des Landes. Die Men­ schen zitterten und bebten, das Vieh war in den Niede­ rungen nicht sicher, es war keine frohe Stunde mehr über dem Lande, und wenn schon viele tapfere Männer waren, welche weder vor Menschen noch Tier sich fürchteten, an ein solch nie gesehen Untier, welches jeder Waffe wider­ stund, wagte keiner sich mehr. Weit herum wurde das Elend bekannt, aber kein Retter fand sich, ja die Leute mieden Unterwalden, und das Land ward arm. Da kein Mensch helfen konnte, wandten die Leute sich zu Gott,

und alle Abend zur Vesperzeit war ein Gedränge in und um die Kirche zu Stanz, und keiner kam, der nicht in­ brünstig betete und gelobte, was in seinem Vermögen stand. Und eben als sie einmal so gebetet hatten, sahen sie plöhlich unter sich einen gewaltigen Mann, größer als alle, die da waren, und als sie ihn recht ansahen, da war er ihnen wohl bekannt. Es war der Struth aus dem Ge­ schlecht der Winkelriede; so lange Leute im Lande waren, so lange waren auch die Winkelriede da, und wo es hieß, hier sei ein Winkelried, da wußte man, es sei ein Mann und Held, Freunde könnten ihn trauen, Feinde hätten gu zittern. Und trotzdem wichen die Menschen von dem Struth, als sie ihn erkannten^ denn auf ihm lag schwere Blutschuld, um deretwillen er das Land Jahre schon gemieden. Er hatte int Zorn einen Mann erschlagen, der böse Worte ihm zugemessen hatte, darum war er dem Tode verfallen, weil, wer seines Zornes nicht Meister ist, der gefährlichste Feind der Menschen ist, nach dem Maße seiner Kraft. Als scheu alle wichen von deut mächtigen Manne und doch alle Augen auf ihn gerichtet blieben, da sprach er: „Liebe treue Landsleute, nicht aus Trotz bin ich gekommen; aber in fernem Lande, jenseits der Berge, habe ich euer Elend vernommen, alsobald habe ich mich aufgemacht. Ich war krank im fernen Lande, meine Seele war daheim auf den Bergen, auf dem schönen See, sie nagte am Leibe, um frei zu werden, um heim zu kommen ins Land meiner Väter, schweifen zu können über Berg und Tal in Sonnen­ schein und Schnee, was deut Leibe verboten war. Nun bin ich da, will mein Leben wagen an den Wurm, der euer Elend ist. Sterbe ich, so sterbe ich mit Frruden in meinem Lande. Wo meine Väter begraben sind, dahin tut auch meinen Leib, zu den Seelen meiner Väter wird Gott meine Seele nehmen. Siege ich, so laßt ihr mich leben im Lande und nehmt den Drachen als Lösegeld für meinen Leib, dann wird meine Seele wieder froh. Sorget nicht, daß ich neue Gewalttat übe; nicht heim dürfen, ist mehr

als sterben, ich hab's empfunden." Als der große Mann so gesprochen hatte, da hob das ganze Volk die Hände auf und lobte Gott, und alle gingen wieder hinein in die Kirche und beteten mit Inbrunst und Andacht um Ge­ lingen und Sieg. Sowie der Morgen graute, lange ehe die Sonne kam, machte der Held sich auf und ging dem Drachenneste zu, ehe das Untier von der nächtlichen Fahrt heimgekehrt war. Nienland folgte ihm, aber da war in Stanz kein Mund, der nicht gebetet hätte zur selbigen Stunde. Alleine ging er durch das Ried, an seiner Brust hing sein Schild, an der Seite das Schlvert, in der Hand trug er den Speer, mit einem Wulst starker Dornen vorn umflochten. Er war ruhig und mutig, denn er war zum Sterben bereit, aber wie er spähte, das Untier zeigte sich nirgends. Da schnaubte

es plötzlich am Felsenraud, und aus ihn nieder stürzte der Drache, der, vergeblichen Streifens müde, auf die Lauer sich gelegt hatte. Struth bebte nicht, mit starker Hand stieß er den Speer in des Wurmes weit geöffneten Rachen, und während dieser würgte und biß am Dornenstrauch, hatte er rasch das Schwert zur Hand, stieß es in die Weiche des Halses und schnitt dem letzten Drachen, der gesehen ward, das Leben entzwei. Größer als der Jammer gewesen, war im Lande der Jubel. Umgänge wurden gehalten, Gelübde erfüllt, ein neues Leben strömte durch alt und jung. Sterbende er­ holten sich wieder. Kranke wurden gesund. Der Held alleine, von dem nächst Gott alles kam, siechte dahin, und nach wenigen Tagen hatte das Leben ihn verlassen. Drachenblut, das seinen Leib bespritzt hatte, hatte das Leben auf­ gezehrt. Aber freundlich soll er geschieden sein und Gott gepriesen haben, daß er ihm vergönnt, seine Schuld zu sühnen und im Lande den Tod des Helden zu sterben, von dem noch Kind und Kindes Kind sprechen würden, als einem Winkelried und tapfern Manne.

Brüder Jakob und Wilhelm Grimm. 122. Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich. In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, daß die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen. Wenn nun der Tag recht heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens; und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk. Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei aus die Erde schlug und geradezu ins Wasser hineinrollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief, daß ntait keinen Grnnd sah. Da sing sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: „Was hast du vor, Königstochter? — du schreist ja, daß sich ein Stein erbarmen möchte." Sie sah sich um, ivoher die Stimme fönte; da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken, häßlichen Kops aus dem Wasser streckte. „Ach, du bist's, alter Wasserpatscher," sagte sie, „ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist." — „Sei still und weine nicht," antwortete der Frosch, „ich kann wohl Nat schaffen. Aber was gibst du mir, wenn ich dein Spieliverk wieder heraufhole?" — „Was du haben willst, lieber Frosch," sagte sie, „meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage." Der Frosch ant­ wortete: „Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine und

deine goldene Krone, die mag ich nicht. Aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen." — „Ach ja," sagte sie, „ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst." — Sie dachte aber: „Was der ein­ fältige Frosch schwätzt! — der sitzt im Wasser bei seines­ gleichen und quakt und kann keines Menschen Geselle sein."

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. „Warte, warte," rief der Frosch, „nimm mich mit, ich kann nicht so lausen wie du." Aber was half ihm, daß er sein quak, quak so laut nachschrie, als er konnte? Sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen mußte. Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem golde­ nen Tellerlein aß, da kam, Plüsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe heraufgekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Tür und rief: „Königs­ tochter, jüngste, mach mir auf!" Sie lief und wollte sehen, wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da wars sie die Tür hastig zu, setzte sich »vieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl, daß ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach: „Mein Kind, was fürchtest du dich? — steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?" — „Ach nein," antwortete sie, „es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch." — „Was will der Frosch von dir?" — „Ach,

lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da siel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder herauf­ geholt; und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden; ich dachtre aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein." Indem klopfte es zum zweitenmal und rief: „Königstochter, jüngste. Mach mir auf! Weißt du nicht, was gestern Du zu mir gesagt Bei dem kühlen Brunnenwasser? Königstochter, jüngste, Mach mir auf!"

Da sagte der König: „Was du versprochen hast, das mußt du auch halten; geh nur und mach ihm auf." Sie ging und öffnete die Tür, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihreni Stuhl. Da saß er und rief: „Heb mich herauf zu dir." Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er: „Nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen." Das tat sie zwar, aber man sah wohl, daß sie's nicht gerne tat. Der Frosch ließ sich's gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein int Halse. Endlich sprach er: „Ich habe mich satt gegessen und bin müde, nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen." Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurühren ge­ traute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig und sprach: „Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten." Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach:

„Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du! — heb mich herauf, oder ich sag's deinem Vater." Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand: „Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch." Ms er aber herabfiel, da war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können, als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn, daß es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief: „Heinrich, der Wagen bricht." — „Nein, Herr, der Wagen nicht, Es ist ein Band von meinem Herzen, Das da lag in großen Schmerzen, Als Ihr in dem Brunnen saßt, Ms Ihr eine Fretsche wast."

Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glück­ lich war.

123. Die Weitze Schlange. Es ist schon lange her, da lebte ein König, dessen Weisheit im ganzen Lande berühmt war. Nichts blieb ihm unbekannt, und es war, als ob ihm Nachricht von den ver­ borgensten Dingen durch die Lust zugetragen würde. Er hatte aber eine seltsame Sitte: Jeden Mittag, wenn von der Tafel alles abgetragen und niemand mehr zugegen war, mußte ein vertrauter Diener noch eine Schüssel bringen. Sie war aber zugedeckt, und der Diener wußte selbst nicht, was darin lag, und kein Mensch wußte es, denn der König deckte sie nicht eher aus und aß nicht davon, bis er ganz allein war. Das hatte schon lange Zeit gedauert, da über­ kam eines Tages den Diener, der die Schüssel wieder weg­ trug, die Neugierde, daß er nicht widerstehen konnte, son­ dern die Schüssel in seine Kammer brachte. Als er die Tür sorgfältig verschlossen hatte, hob er den Deckel auf, und da sah er, daß eine weiße Schlange darin lag. Bei ihrem An­ blick konnte er die Lust nicht zurückhalteu, sie zu kosten; er schnitt ein Stückchen davon ab und steckte es in den Mund. Kaum aber hatte es seine Zunge berührt, so hörte er vor seinem Fenster ein seltsaines Gewisper von feinen Stimmen. Er ging und horchte, da merkte er, daß es die Sperlinge waren, die miteinander sprachen und sich allerlei erzählten, was sie im Felde und Walde gesehen hatten. Der Genuß der Schlange hatte ihm die Fähigkeit verliehen, die Sprache der Tiere zu verstehen. Nun trug es sich zu, daß gerade an diesen! Tage der Königin ihr schönster Ring fort kam und auf den vertrauten Diener, der überall Zugang hatte, der Verdacht fiel, er habe ihn gestohlen. Der König ließ ihn zu sich kommen und drohte ihm unter heftigen Scheltworten, wenn er bis morgen den Täter nicht zu neunen wüßte, so sollte er dafür ange­ sehen und gerichtet werden. Es half nichts, daß er seine Unschuld beteuerte, er ward mit keinem bessern Bescheid ent­ lassen. In seiner Unruhe und Angst ging er hinab auf den

Hof und bedachte, wie er sich aus seiner Not helfen könne. Da saßen die Enten an einem fließenden Wasser friedlich nebeneinander und ruhten, sie putzten sich mit ihren Schnä­ beln glatt und hielten ein vertrauliches Gespräch. Der Diener blieb stehen und hörte ihnen zu. Sie erzählten sich, wo sie heute morgen all herumgewackelt wären, und was für gutes Futter sie gefunden hätten; da sagte eine verdrießlich: „Mir liegt etwas schwer int Magen, ich habe einen Ring, der unter der Königin Fenster lag, in der Hast mit hinunter­ geschluckt." Da packte sie der Diener gleich beim Kragen, trug sie in die Küche und sprach zum Koch: „Schlachte doch diese ab, sie ist wohlgenährt." — „Ja," sagte der Koch und wog sie in der Hand, „die hat keine Mühe geschxut, sich zu mästen und schon lange darauf gewartet, gebraten zu werden." Er schnitt ihr den Hals ab, und als sie ausgenom­ men ward, fand sich der Ring der Königin in ihrem Magen. Der Diener konnte ihm leicht vor dem Könige seine Unschuld beweisen, und da dieser sein Unrecht wieder gut machen wollte, erlaubte er ihm, sich eine Gnade auszubitten, und versprach ihm die größte Ehrenstelle, die er sich an seinem Hofe wünschte. Der Diener schlug alles aus und bat nur um ein Pferd und Reisegeld, denn er hatte Lust, die Welt zu sehen und eine Weile darin herumzuziehen. Als seine Bitte erfüllt war, machte er sich auf den Weg und kam eines Tages an einem Teich vorbei, wo er drei Fische bemerkte, die sich im Rohr gefangen hatten und nach Wasser schnappten. Obgleich man sagt, die Fische wären stumm, so vernahm er doch ihre Klage, daß sie so elend umkommen müßten. Weil er ein mitleidiges Herz hatte, so stieg er vom Pferde ab und setzte die drei Gefangenen wieder ins Wasser. Sie zappelten vor Freude, streckten die Köpfe heraus und riefen ihm zu: „Wir wollen dir's gedenken und dir's vergelten, daß du uns er­ rettet hast." Er ritt weiter, und nach einem Weilchen kam es ihm vor, als hörte er zu seinen Füßen in dem Sand eine Stimme. Er horchte und vernahm, wie ein AmeisenLrsebuch b. 14. gufl.

M. 12

könig klagte: „Wenn uns nur die Menschen mit den unge­ schickten Tieren vom Leib blieben! da tritt mir das dumme Pferd mit seinen schweren Hufen meine Leute ohne Barmherzigkeit nieder." Er lenkte auf einen Seitenweg ein, und der Ameisenkönig rief ihm zu: „Wir wollen dir's ge­ denken und dir's vergelten." Der Weg führte ihn in einen Wald, und da sah er einen Rabenvater und eine Raben­ mutter, die standen bei ihrem Nest und warfen ihre Jungen heraus. „Fort mit euch, ihr Galgenschwengel!" riefen sie, „wir können euch nicht mehr satt machen, ihr seid groß genug und könnt euch selbst ernähreu." Die armen Jungen lagen auf der Erde, flatterten und schlugen mit ihren Fittichen und schrieen: „Wir hilflosen Kinder, wir sollen uns selbst ernähren und können noch nicht fliegen! was bleibt nns übrig, als hier Hungers zu sterben?" Da stieg der gute Jüngling ab, tötete das Pferd mit seinem Degen und über­ ließ es den jungen Raben zum Futter. Die kamen herbei­ gehüpft, sättigten sich und riefen: „Wir wollen dir's ge­ denken und dir's vergelten." Er mußte jetzt seine eigenen Beine gebrauchen, und als er lange Wege gegangen war, kam er in eine große Stadt. Da war großer Lärm und Gedränge in den Straßen, und kam einer zu Pferde und machte bekannt, die Königstochter suche einen Gemahl, wer sich aber um sie bewerben wolle, der müsse eine schwere Aufgabe vollbringen, und könne er es nicht glücklich ausführen, so habe er sein Leben verwirkt. Viele hatten es schon versucht, aber vergeblich ihr Leben daran gesetzt. Der Jüngling, als er die Königstochter sah, ward er von ihrer großen Schönheit so verblendet, daß er alle Gefahr vergaß, vor den König trat und sich als Freier meldete. Alsbald ward er hinaus ans Meer geführt und vor seinen Augen ein goldener Ring hineingeworfen. Dann hieß ihn der König diesen Fiing aus dem Meeresgrund wieder hervorzuholen und fügte hinzu: „Wenn du ohne ihn wieder in die Höhe kommst, so wirst du immer aufs

neue hinabgestürzt, bis du in den Wellen umkommst." Alle bedauerten den schönen Jüngling und ließen ihn dann ein­ sam am Meere zurück. Er stand am Ufer und überlegte, was er wohl tun sollte, da sah er auf einmal drei Fische daherschwimmen, und es waren keine andern, als jene, welchen er das Leben gerettet hatte. Der mittelste hielt eine Muschel im Munde, die er an den Strand zu den Füßen des Jünglings hinlegte, und als dieser sie aufhob und öffnete, so lag der Goldring darin. Voll Freude brachte er ihn dem

Könige und erwartete, daß er ihm den verheißenen Lohn gewähren würde. Die stolze Königstochter aber, als sie vernahm, daß er ihr nicht ebenbürtig war, verschniähte ihn und verlangte, er sollte zuvor eine zweite Aufgabe lösen. Sie ging hinab in den Garten und streute selbst zehn Säcke voll Hirsen ins Gras. „Die muß er morgen, ehe die Sonne hervor kommt, aufgelesen haben," sprach sic, „und darf kein Körnchen fehlen."

Der Jüngling setzte sich in den Garten und dachte nach, wie es möglich wäre, die Aufgabe zu lösen, aber er konnte nichts ersinnen, saß da ganz traurig und erwartete bei An­ bruch des Morgens, zum Tode geführt zu werden. Als aber die ersten "Sonnenstrahlen in den Garten fielen, so sah er die zehn Säcke alle wohl gefüllt nebeneinander stehen, und kein Körnchen fehlte darin. Der Ameisenkönig war mit seinen tausend und tausend Ameisen in der Nacht ange­ kommen, und die dankbaren Tiere hatten den Hirsen mit großer Emsigkeit gelesen und in die Säcke gesammelt. Die Königstochter kam selbst in den Garten herab und sah mit Verwunderung, daß der Jüngling vollbracht hatte, was ihm aufgegeben war. Aber sie konnte ihr stolzes Herz noch nicht bezwingen und sprach: „Hat er auch die beiden Aufgaben gelöst, so soll er doch nicht eher mein Gemahl werden, bis er mir einen Apfel vom Baume des Lebens gebracht hat." Der Jüngling wußte nicht, wo der Baum des Lebens stand, er machte sich auf uud wollte immerzu gehen, so lange ihn seine Beine trügen, aber er hatte keine Hoffnung, ihn zu

finden. Als er schon durch drei Königreiche gewandert war und abends in einen Wald kam, setzte er sich unter einen Baum und wollte schlafen, da hörte er in den Ästen «in Geräusch, und ein goldener Apfel fiel in seine Hand. Zu­ gleich flogen drei Raben zu ihm herab, setzten sich auf seine Knie und sagten: „Wir sind die drei jungen Raben, die du vom Hungertod errettet hast; als wir groß geworden waren und hörten, daß du den goldenen Apfel suchtest, so sind wir über das Meer geflogen bis an das Ende der Welt, wo der Baum des Lebens steht, und haben dir den Apfel geholt." Voll Freude machte sich der Jüngling auf den Heimweg und brachte der schönen Königstochter den goldenen Apfel, der nun keine Ausrede mehr übrig blieb. Sie teilten den Apfel des Lebens und aßen ihn zusammen; da ward ihr Herz mit Liebe zu ihm erfüllt, und sie erreichten in un­ gestörtem Glück ein hohes Alter.

124. D* tirösmeli uf em tisch (schweizerdeutsch). Der güggel het einisch zu sine hüendlene gseit: „Chömed weidli i d’ stübe gö brötbrösmeli zämebicke uf em tisch; eusi frau isch üsgange gd ne visite mache. Do säge do d’ hüendli: „Nei, nei, mer chöme nit; weißt, d’ frau balget ame mit is.“ Do seit der güggel: „Li weiß jo nüt dervö, chömed ir numme; si git is doch au nie nüt guets.“ Do säge d’ hüendli wider: „Nei, nei, ’s isch üs und verbi, mer gönd nit ufe.“ Aber der güggel hat ene kei rüe glö, bis si endlich gange sind und ufe tisch und do d’ brötbrösmeli zämegläse hend in aller strenge. Do chunnt justement d’ frau derzue und nimmt gschwind e stecke und steubt si abe und regiert gar grüseli mit ene. Und wo si dö Vor em hüs unde gsi sind, so säge dö d’ hüendli zum güggel: „Gse gsö gse gsö gse gse gsöst aber?“ Dö het der güggel gelachet und numme gseit: „Ha ha ha i’s nit gwüßt?“ Do hend si chönne gö.

Die Brosamen auf dem Tisch.

Der Gockelhahn hat einmal zu seinen Hühnerchen gesagt: „Kommt flink hinauf in die Stube, Brosamlein zu­ sammenpicken auf dem Tisch; unsere Frau ist ausge­ gangen und macht eine Visite!“ Da sagten die Hühner: „Nein, nein, wir kommen nicht; weißt du, die Frau zankt uns immer.“ Da sagte der Gockel: „Sie weiß es ja nicht, kommt nur; sie gibt uns ja auch nie nichts Gutes!“ Da sagten die Hühner wieder: „Nein, nein, es ist aus und vorbei, wir gehn nicht hinauf!“ Aber der Gockel hat ihnen keine Ruh gelassen, bis sie endlich gegangen sind und auf den Tisch gehüpft und haben da die Brosamlein zusammengelesen mit allem Eifer. Da kommt aber grade die Frau dazu und nimmt geschwind den Stock und jagt sie hinunter und schimpft gar sehr mit ihnen. Und wie sie dann wieder vor dem Haus unten gewesen sind, da haben die Hühnerchen zum Gockel gesagt: „Gse gse gse gse gse gse gsehn hastes?“ Da hat der Gockel noch gelacht dazu und hat ge­ sagt: „Ha ha hab ichs nicht gewußt?“ Da haben sie können gehen. 125. Das bürli im himel (schweizerdeutsch).

’s isch emol e arms, fromms bürli gstorbe und chunnt dö vor d' himelspforte. Zur gliche zit isch au e rtche, riche herr dö gsi und het au i himel welle. Dö chunnt der heilig Petrus mit em schlüssel und macht uf und löt der herr ine; das bürli het er aber, wie’s schint, nit gse und macht d' pforte ämel wider zue. Dö het das bürli vorusse ghört, wie de herr mit alle freude im himel ufgnö worden isch, und wie sie drin musizirt und gsunge band. Äntli isch es do wider still werde, und der heilig Petrus chunnt, macht d’ himelspforte uf und löt das bürli au ine. ’s bürli het dö gmeint, ’s werd au musizirt und gsunge, wenn es chöm, aber dö isch alles still gsi; me hets frili mit aller liebi ufgnö, und d’ ängeli sind em et-

gäge chö, aber gsunge bet niemer. Do frögt das bürli der heilig Petrus, worum das me bi im nid singi, wie bi dem riebe herr; ’s geu, schint’s, do im himel au parteiisch zue wie uf der erde. Do seit der heilig Petrus: „Nei, wäger, du bisch is so lieb wie alli andere und muesch alli himmlische freude gnieße, wie de rieh herr; aber lueg, so armi bürli, wie du eis bisch, chöme alli tag i himmel; so ne riche herr aber chunnt nume alli hundert jor öppen eine.“

126. Der Hase und der Igel. Disse geschichte is lügenhaft to verteilen, jungens, aver wahr is se doch, denn min grödvater, van den ick se hew, plegg jümmer, wenn he se mi vortüerde, dabi to seggen: „Wahr mütt se doch sin, min söhn, anners kunn man se jo nich verteilen.“ De geschieht bett sick aber so todragen. Et wör an enen sündagmorgen tor härvesttid, jüst as de bökweten bloide; de sünn wör heilig upgän am hewen, de morgenwind güng warm över de stoppeln, de larken süngen in’r lucht, de immen sumsten in den bök­ weten, und de lüde güngen en eren sündagsstät nah’r kerken, un alle kreatur wör vergnügt und de swinegel ök. De swinegel aver stünd vür siner dür, harr de arm ünnerslägen, kek dabi in den morgenwind hinüt un quinkelerde en lütjet ledken vor sick hin, so göd un so siecht as nun eben am löwen sündagmorgen en swinegel to singen pleggt. Indern he nu noch so half lise vor sick hin sung, füll em up önmal in, he künn ök wol, mittlerwil sin frö de künner wüsch un antrücke, en böten in’t seid spazeren und tösehen, wie sin stäkrüwen stünden. De stäkröwen wören aver de nächsten bi sinem hüse, un he pleggte mit siner familie davon to eten, darüm säg he se as de einigen an. Gesagt, gedän. De swinegel machte de hüsdür achter sik tö un slög den wög nä’n felde in. He wör noch nich ganz wit von hüse un wull jüst um den

alöbusch, de där vörm Leide liggt, nah den stäkröwenacker hinup dreien, as em de häs bemött, de in ähnlichen geschäften utgän wör, nämlich um sinen kohl to begehn. As de swinegel den häsen ansichtig wör, so böd he em en friedlichen gö’n morgen. De häs aver, de up sine wis en vornehmer herr was un grausam hochfartig dabi, antworde nicks up den swinegel sinen grüß, sondern seggte tom swinegel, wobi he en gewaltig höhnische mine annöm: „Wie kummt et denn, dat du hier all bi so frohem morgen im felde rumlöppst?“ — „Ick gah spazeren,“ seggt de swinegel. „Spazeren?“ lachte de häs, „mi d iicht, du kannst de ben ök wol to betern dingen gebrüken.“ Disse antword verdröt den swinegel ungeheuer, denn alles kunn he verdregen, aver up sine ben lät he nicks körnen, eben weil se von natur schef wären. „Du bildet di wol in,“ seggt nu de swinegel tom häsen, „as wenn du mit dtne ben mehr utrichten kunnst?“ — „Dat denk ick,“ seggt de häs. „Dat kummt up’n versök an,“ ment de swinegel, „ick parär, wenn wi in de wett löpt, ick 16p di vorbi.“ — „Dat is tum lachen, du mit dine schefen ben,“ seggt de häs, „aver minetwegen mag’t sin, wenn du so övergrote last best. Wat gilt de wett?“ „En goldene lujedor un’n buddel branwin,“ seggt der swinegel. „Angenämen!“ sprök de häs, „slä in, un denn kann’t glik losgän.“ — „Nä, so gräte il hett et nich,“ men di swinegel, ick bin noch ganz nüchdern; erst will ick to hüs gän un en beten frühstücken: inner halwen stünd bün ick weder hier up’n platz.“

Damit güng de swinegel, denn de häs wör et tofreden. Ünnerwegs dachte de swinegel bei sick: de häs verlett sick up sine langen ben, aver ick will em wol kriegen. He is zwar en vornehm herr, aber doch man’n dummen kerl, und betälen sali he doch. As nu de swin­ egel to hüs anköm, sprök he to sin fr6: „Frö, treck di gau an, du musst mit mi nä’n felde hinüt.“ — „Wat givt et denn?“ seggt sin frö. „Ick hew mit’n häsen wett

üm’n goldnen lujedor un’n buddel branwin, ick will mit em in wett Idpen, und da salist du mit dabi sin.“ — „0, min gott, mann“ füng nü den swinegel sin fr6 an to scbrßn, büst du nich klok, best du denn ganz den ver­ stand verlären? Wie kannst du mit den basen in de wett löpen wollen?“ — „Holt dat mül, wif,“ seggt der swinegel, „dat is min säk. Resoner nich in männergeschäfte! Marsch, treck di an, un denn kumm mit!“ Wat soll den swinegel sin frö mäken? se mußt wöl folgen, se mugg nu wollen oder nich. As se nu mit enanner ünnerwegs wören, sprök de swinegel to sin frö: „Nu, pass up, wat ick Seggen will! Sühst du, up den langen acker dar wüll wi unsern wettlöp mäken. De häs löppt nemlich in der önen führ un ick inner andern, un von haben fang wie an to löpen. Nu hast du wider nicks to dön, as du stellst di hier unnen in de führ, und wenn de häs up de andere sit ankummt, so röpst du em entgegen: Ick bün all hier!“ Damit wören se bi den acker anlangt, de swinegel wisde siner frö Ören platz an un gung nu den acker hinup. As se bähen anköm, wör de häs all dä. „Kann et losgän?“ seggt de häs. „Ja wol!“ seggt de swin­ egel. „Denn man tö!“ Un damit stellde jeder sick in sine föhr. De häs tellde: „Häl en, häl twe, häl dre!“ un los güng he wi en stormwind den acker hindäl. De swinegel aver löp ungefähr man drö schritt, dann dükde er sick däl in de föhr und hiev ruhig sitten. As nu de häs in vullen löpen ünnen am acker an­ köm, röp em den swinegel sin frö entgegen: „Ick bünn all hier.“ De häs stutzt un verwunderte sick nich wenig; he inende nich anders, als et wör de swinegel sülvst, de em töröp, denn bekanntlich säht den swinegel sin frö jüst so üt wie ör mann. De häs aber inende: „Dat geit nich tö mit rechten dingen.“ He röp: „Nochmal gelöpen, wedder um!“ Un fort güng he wedder wie en stormwind, dat em de Ören am koppe flögen. Den swin-

egel sIn fr6 aver blev ruhig up eren platze. As nun de häs bähen anköm, röp em de swinegel entgegen: „Ick bin all hier.“ De häs aver, ganz üter sick vor iwer, schräde: „Nochmal gelopen, wedder üm!“ — „Mi nich to slimm,“ antworde de swinegel, „minetwegen so oft, as du tust best.“ So löp de häs noch dräunsöbentigmal, un de swinegel höhl et ümmer mit em üt. Jedesmal, wenn de häs ünnen oder bähen anköm, seggten de swin­ egel oder sin frö: „Ick bün all hier.“ Tum verunsöbentigstenmal aver körn de häs nich mör to ende. Midden am acker stört he tor erde, dat blöd flog em utn halse, un he blev döt upn platze. De swin­ egel aber nöhm sine gewunnene lujedor un den buddel branwin, röp sine frö ut der führ aff, un beide güngen vergnügt mit önanner nah hüs: un wenn sie nich storben sün, lewt se noch. So begöv et sick, dat up de Buxtehuder heid de swinegel den häsen döt löpen bett, un sid jener tid hatt et sick kön häs wedder infallen läten, mit’n Buxtehuder swinegel in de wett to löpen. De löre aver ut dieser geschichte is erstens, dat kener, un wenn he sick ök noch so vornehm dücht, sick sali bikommen läten, un övern geringen mann sick lustig tö mäken, un wör’t ök man’n swinegel. Un twetens, dat et geräden is, wenn Öner fröt, datt he sick ne frö üt einem stände nimmt, un de jüst so ütsüht as he sülwst. Wer also en swinegel is, de mutt tösön, dat sine frö ök en swinegel is, un so wider.

127. Der Grenzlauf. Einst stritten die Urner mit den Glarnern bitter um ihre Landesgrenze, beleidigten und schädigten einander täg­ lich. Da ward Von den Biedermännern der Ausspruch ge­ tan: zur Tag- und Nachtgleiche solle Von jedem Teil früh­ morgens, sobald der Hahn krähe, ein rüstiger, kundiger

Felsgänger ausgesandt werden und jedweder nach dem jen­ seitigen Gebiete zulaufen und da, wo sich beide Männer be­ gegneten, die Grenzscheide festgesetzt bleiben, das kürzere Teil möge nun fallen diesseits oder jenseits. Die Leute wurden gewählt, und man dachte besonders darauf, einen solchen Hahn zu halten, der sich nicht verkrähe und die Morgenstunde auf das allerfrühste ansagte. Und die Unter nahmen einen Hahn, setzten ihn in einen Korb und gaben ihm sparsam zu essen und zu saufeu, weil sie glaubten. Hunger und Durst werde ihn früher loecken. Dagegen die Glarner fütterten und mästeten ihren Hahn, daß er freudig und hoffärtig den Morgen grüßen könne, und dachten da­ mit am besten zu fahren.

Als nun der Herbst kam und der bestimmte Tag er­ schien, da geschah es, daß zu Altorf der schmachtende Hahtt zuerst erkrähte, kaum wie es däinmerte, und froh brach der Unter Felsenklimmer auf, der Marke zulaufend. Allein in Linttal drüben stand schon die volle Morgenröte am Himntel, die Sterne waren verblichen, und der fette Hahn schlief noch in guter Ruh. Traurig umgab ihn die ganze Gemeinde; aber es galt die Redlichkeit, und keiner wagte es ihn aufzuwecken; endlich schwang er die Flügel und krähte. Aber dem Glarner Läufer wird's schwer sein, dem Urtier den Vorsprung wieder abzugewinnen. Ängstlich sprang er und schaute gegen das Scheideck; wehe! da sah er oben am Giebel des Grats den Mann schreiten und schon bergabwärts uiederkommen; aber der Glarner schwang die Fersen und ivollte seinem Volke noch vom Lande retten so viel als mög­ lich. Und bald stießen die Männer auf einander, und der von Uri rief: „Hier ist die Grenze!" — „Nachbar," sprach betrübt der von Glarus, „sei gerecht und gib mir noch ein Stück von dem Weidland, das du errungen hast!" Doch der Urner wollte nicht; aber der Glarner ließ ihm nicht Ruh, bis er barmherzig wurde und sagte: „So viel will ich dir noch gewähren, als du, mich an deinem Hals tragend, bergan läufst."

Da faßte ihn der rechtschaffene Sennhirt von Glarus und klomm noch ein Stück Felsen hinauf, und manche Tritte gelangen ihm noch; aber plötzlich versiegte ihm der Atem, und tot sank er zu Boden. Und noch heutiges Tages wird das Grenzbächlein gezeigt, bis zu welchem der einsinkendc Glarner den siegreichen Urner getragen habe. In Uri war große Freude ob ihres Gewinstes: aber auch die zu Glarus gaben ihrem Hirten die verdiente Ehre und bewahrten seine große Treue in steter Erinnerung.

128. Der Gemsjäger. Ein Gcnisjäger stieg auf und kam zu dem Felsgrat, und immer weiter klimmend, als er je vorher gelangt war, stand plötzlich ein häßlicher Zwerg vor ihm, der sprach zornig: „Warum erlegst du mir lange schon meine Gemsen und lässest mir nicht meine Herde? jetzt sollst du's mit deinem Blute teuer bezahlen!" Der Jäger erbleichte und wäre bald hinabgestürzt, doch faßte er sich noch und bat den Zwerg um Verzeihung, denn er habe nicht gewußt, daß ihm diese Gemsen gehörten. Der Zwerg sprach: „Gut, aber laß dich hier nicht wieder blicken, so verheiß ich dir, daß du jeden siebenten Tag morgens früh vor deiner Hütte ein ge­ schlachtetes Gemstier hangen finden sollst; aber hüte dich mir und schone die andern!" Der Zwerg verschwand, und der Jäger ging nach­ denklich heim, und die ruhige Lebensart behagte ihm wenig. Am siebenten Morgen hing eine fette Gemse in den Ästen

eines Baums vor seiner Hütte, davon zehrte er ganz ver­ gnügt, und die nächste Woche ging's eben so und dauerte ein paar Monate fort. Allein zuletzt verdroß den Jägerseine Faulheit, und er wollte lieber selber Gemsen jagen, möge erfolgen, was da werde, als sich den Braten zutragen lassen. Da stieg er auf, und nicht lange, so erblickte er einen stolzen Leitbock, legte an itnb zielte. Und als ihm nirgends der böse Zwerg erschien, wollte er eben losdrücken, da war

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Grimm.

der Zwerg hinterher geschlichen und riß den Jäger mit Knöchel des Fußes nieder, daß er zerschmettert in den Ab­

grund sank.

129. Der Schwanritter. Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, daß sein Land der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich jedoch Gott­ frieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig, sondern bemächtigte sich aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet des Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne. Die Herzogin beschloß daher, bei dem König zu klagen; und als bald darauf Karl nach Nieder­ land zog und einen Tag zu Neuntagen am Rheine halten wollte, kam sie mit ihrer Tochter dahin und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsen Herzog gekommen und wollte der Klage zur Antwort stehen. Es ereignete sich aber, daß der König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weißen Schwan, der schwantm den Rhein herdann und zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ruhte ein schlafender Ritter; sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen Helm und Halsberg; der Schwan steuerte gleich einem geschickten Seemanne und brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof verwunderten sich höflich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann vergaß der Klage der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg. Da sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg, lieber Schwan! wenn ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen!" Sogleich schwang sich der Schwan und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an; Karl ging wieder ins Gestühl

zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle unter den anbei» Fürsten an. Die Herzogin von Brabant, in Gegen­ wart ihrer schönen Tochter, hub nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach vttteidigte sich auch der Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht, und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren. Da erschrak sie heftig, denn er war ein auserwählter Held, an den sich niemand wagen würde; vergebens ließ sie im ganzen Saale die Augen umgehen, keiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre Tochter klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den der Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde sich von beiden Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Gefecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da Neigten sie und die Tochter dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die ihm ange­ tragene Hand der Jnngfrau mit dem Beding an, daß. sie nie nnd zu keiner Zeit fragen sollte, woher er gekommen, und welches sein Geschlecht sei, denn außerdem müsse sie ihn verlieren.

Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohl geraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie gar nicht wußte, wer ihr Vater war, und endlich tat sie an ihn die verbotene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: „Nun hast du selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen." Die Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute fielen zu seinen Füßen und baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit demselben Schifflein ge­ schwommen; darauf küßte er beide Kinder, nahm Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk; dann trat er ins Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder. Der Frau ging der Kummer zu Bein und Herzen, doch zog sie fleißig ihre Kinder auf. Von diesen stammen

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Grimm.

Viel edle Geschlechter, die von Geldern sowohl als Kleve, auch die Rienecker Grafen und manche andere; alle führen den Schwan im Wappen.

130. Der Rattenfänger zu Hameln. Im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an und gab sich für einen Rattenfänger aus, ütbent er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm einig und versicherten ihnr einen bestimmten Lohn. Der Rattenfänger zog demnach ein Pfeifchen heraus und pfiff. Da kamen alsobald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wäre keine zurück, ging er hinaus, und der ganze Haufe folgte ihm, und so führte er sie an die Weser. Dort schürzte er seine Kleider und trat in das Wasser, worauf ihm alle die Tiere folgten und hinein­ stürzend ertranken. Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten ihn dem Manne unter allerlei Ausflüchten, so daß er zornig und erbittert wegging. Am 26. Juni, auf Johannis und Pauli Tag, morgens früh sieben Uhr, erschien er wieder, jetzt in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut, und ließ seine Pfeife in den Gassen hören. Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein, voni vierten Jahr an in großer Anzahl gelaufen, worunter auch die schon erwachsene Tochter des Burgemeisters war. Der ganze Schwarm folgte ihm nach, und er führte sie hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Dies hatte ein Kindermädchen gesehen, welches mit einem Kind auf dem Arm von fern nachgezogen war, darnach umkehrte und das Gerücht in die Stadt brachte. Die Eltern liefen haufen­ weis vor alle Tore und suchten mit betrübtem Herzen ihre

Kinder; die Mütter erhoben ein jämmerliches Schreien und

Weinen. Von Stund an wurden Boten zu Wasser und Laud an alle Orte herumgeschickt, zu erkundigen, ob man die Kinder oder auch nur etliche gesehen, aber alles vergeblich. Es waren im ganzen hundertunddreißig verloren. Ein Knäblein war im Hemd mitgelaufen und kehrte um, seinen Rock zu holen, wodurch es dem Unglück entgangen; denn als es zurückkam, waren die anderen schon in der Grube eines Hügels, die noch gezeigt wird, verschwunden. Die Bürger von Hameln haben die Begebenheit in ihr Stadtbuch einzeichnen lassen. An dem Rathaus standen folgende Zeilen: Im Jahr 1284 na Christi gebort tho Hamel worden uthgevort hundert und dreißig Kinder dasülvest gehörn, bordj einen Piper under den Köppen verlorn.

131. Der Glockengutz zu Breslau. Als die Glocke zu St. Maria Magdalena in Breslau gegossen werden sollte und alles dazu fast fertig war, ging der Gießer zuvor zum Essen, verbot aber dem Lehrjungen bei Leib und Leben, den Hahn am Schmelzkessel anzu­ rühren. Der Lehrjung aber war vorwitzig und neugierig, wie das glüHende Metall doch aussehen möge, und indem er so den Hahn bewegte und anregte, fuhr er ihm wider Willen ganz heraus, und das Metall rann und rann in die zubereitete Form. Höchst bestürzt, weiß sich der arme Junge gar nicht zu helfen, endlich wagt er's doch und geht weinend in die Stube und bekennt seinem Meister, den er um Gotteswillen um Verzeihung bittet. Der Meister aber wird vom Zorn ergriffen, zieht das Schwert und ersticht den Jungen auf der Stelle. Dann eilt er hinaus, will sehen, was noch vom Werk zu retten sei, und räumt nach der Verkühlung ab. Als er abgeräumt hatte, siehe! so war die ganze Glocke trefflich wohl ausgegossen und ohne Fehl; voll Freuden kehrte der Meister in die Stube zurück und

sah nun erst, was Übels er getan hatte. Der Lehrjung war verblichen, der Meister wurde eingezogen und von den Richtern zum Schwert verurteilt. Inmittelst war auch die Glocke aufgezogen worden; da bat der Glockengießer flehent­ lich, ob sie nicht noch geläutet werden dürfte; er möchte ihre Resonanz auch wohl hören, da er sie doch zugerichtet hätte, wenn er die Ehr vor seinem letzten End von den Herren haben könnte. Die Obrigkeit ließ ihm willfahren, und seit der Zeit wird mit dieser Glocke allen armen Sündern, wenn sie vom Rathaus herunterkommen, geläutet. Die Glocke ist so schwer, daß, wenn man fünfzig Schläge gezogen hat, sie andere fünfzig von selbst gehet.

Heinrich Hansjakob. 132. Der Tod des Hermesbureu. Auf einer kleinen Anhöhe liegt der Hermeshof und schaut ins stille Tal hinab bis gen Zell zur Wallfahrts­ kirche. In diese war manchen Sonntag in gesunden Tagen der alte Bur gewandelt der „Mutter Gottes zulieb", und als er krank und kränker ward, hatte er seine Kinder hin­ abgesandt in die Kapelle, damit sie beteten um eine glück­ liche Sterbestund. Der Kaplan aber von Zell brachte ihm öfters die heilige Wegzehrung. Drum fürchtete der Hermesbur das Sterben nicht. Es war ein heißer Sommertag, als der Sensenmann auf dem Hermeshof anklopfte, um den Bur zu seinem Weib, das schon seit Jahren auf dem Kirchhofe von Zell ruhte, abzuholen. Die Kinder, alle erwachsen, umstanden das Sterbelager des Vaters. Drunten im Tal arbeiteten Knechte und Mägde, um die Weizenernte heimzubringen. Drüben von der Kinzig her zog ein Gewitter dem Tale zu. Schon rollte der Donner in der Ferne. „Der Himmel selbst flammt auf, wenn Fürsten ster­ ben," sagt Shakespeare, und ein deutscher Hofbauer ist auch ein Fürst. Er war es wenigstens noch zu Zeiten des alten

sah nun erst, was Übels er getan hatte. Der Lehrjung war verblichen, der Meister wurde eingezogen und von den Richtern zum Schwert verurteilt. Inmittelst war auch die Glocke aufgezogen worden; da bat der Glockengießer flehent­ lich, ob sie nicht noch geläutet werden dürfte; er möchte ihre Resonanz auch wohl hören, da er sie doch zugerichtet hätte, wenn er die Ehr vor seinem letzten End von den Herren haben könnte. Die Obrigkeit ließ ihm willfahren, und seit der Zeit wird mit dieser Glocke allen armen Sündern, wenn sie vom Rathaus herunterkommen, geläutet. Die Glocke ist so schwer, daß, wenn man fünfzig Schläge gezogen hat, sie andere fünfzig von selbst gehet.

Heinrich Hansjakob. 132. Der Tod des Hermesbureu. Auf einer kleinen Anhöhe liegt der Hermeshof und schaut ins stille Tal hinab bis gen Zell zur Wallfahrts­ kirche. In diese war manchen Sonntag in gesunden Tagen der alte Bur gewandelt der „Mutter Gottes zulieb", und als er krank und kränker ward, hatte er seine Kinder hin­ abgesandt in die Kapelle, damit sie beteten um eine glück­ liche Sterbestund. Der Kaplan aber von Zell brachte ihm öfters die heilige Wegzehrung. Drum fürchtete der Hermesbur das Sterben nicht. Es war ein heißer Sommertag, als der Sensenmann auf dem Hermeshof anklopfte, um den Bur zu seinem Weib, das schon seit Jahren auf dem Kirchhofe von Zell ruhte, abzuholen. Die Kinder, alle erwachsen, umstanden das Sterbelager des Vaters. Drunten im Tal arbeiteten Knechte und Mägde, um die Weizenernte heimzubringen. Drüben von der Kinzig her zog ein Gewitter dem Tale zu. Schon rollte der Donner in der Ferne. „Der Himmel selbst flammt auf, wenn Fürsten ster­ ben," sagt Shakespeare, und ein deutscher Hofbauer ist auch ein Fürst. Er war es wenigstens noch zu Zeiten des alten

Hermesburen. Der hörte im Sterben die Stimme des kommenden Wetters und wußte, daß die Ernte drunten lag am Fuße des Hügels. „I kann allci sterbe," hub der Alte zu seinen Kindern zu reden an, „helft ihr drunte bene Völker Garbe binde und sorgt für euer Brot zur Winters­ zit. I brauch keins meh, i wart uf de Winter drunte im Gottesacker." Hinter dem uralten Kasten in der Sterbekammer stand eine alte lange Flinte, im Hause von jeher nur der „Brumm­ ler" genannt. Schon der Urahn des Sterbenden hatte mit dem Brunimler das Neujahr und die Kirchweih ins Tal hinuntergeschossen. Mit ihm wollte auch der sterbende Hermesbur seinen Tod ansagcn. „Legt mir den Brummlcr," so sprach er weiter, „geladen unters Kammerfensterle und bindet ans Schloß eine Schnur. Die gebt ihr mir in die Hand." So geschah es, und alsdann redete der Alte weiter: „So, jetzt geht ihr hinab und helft Garben binden, und der Vater wartet auf den Tod. Wenn der kommt, zieh i die Schnur am Brummler. Wenn ihr den im Tal drunten hört, dann kniet nieder und betet ein Vaterunser und „Herr, gib ihm die ewige Ruh", denn euer Vater ist tot. Und jetzt behüt euch Gott! Bleibt brav, wie euer Vater und Mutter es gewesen sind." Nun gab er jedem seiner Kinder die Hand zum Ab­ schied und mahnte sie zur Eile mit den Worten: „Aber jetzt geht schnell, 's donnert schon wieder." Der Alte hatte allzeit seinen Willen, fest wie Eisen. Sein letzter Wille aber war heute wie Diamant. Die Kin­ der, immer gewohnt ihm zu folgen, gehorchten auch hier. Weinend gingen sie den Hügel hinab, und unter Tränen banden sie ihre Garben. Tränenden Auges schauten sie von Zeit zu Zeit von der Arbeit hinauf ^um Hermeshof, ob sie nicht vor dem Donner des Himmels den Brummler überhört hätten. Eben war die letzte Garbe gebunden und geladen, da fuhren Blitz und Schlag übers Tal hin. Eine plötzliche Hessel, Lesebuch 5.

14. -lufl.

M. 13

Stille folgte dem Zucken und Rollen vom Himmel her — — da fällt ein Schuß vom Hof herab, der Brummler gibt das Todessignal des Vaters. Neben den Erntewagen knien die Kinder und beten ein Vaterunser und „Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm". Dann führen sie ihre Garben den Berg hinauf ins Vater­ haus. Der Vater ist tot, da sie seine Stube betreten. Die Ernte ist daheim, und der Vater auch. — — So sterben große Menschen, und große Menschen sinden sich nicht bloß auf Fürstenthronen, auf Schlachtfeldern, auf Kathedern, sie finden sich, oft weit größer, auch in stillen Tälern, auf einsamen Gehöften. Im Volke, diesem Meere der Menschheit, da leben Adamskinder von jeder Sorte. — —

Johann Peter Hebel.

133. Unverhofftes Wiedersehen. In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: „Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." — „Und Friede und Liebe soll darin wohnen!" sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, „denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grabe sein, als an einem anderen Ort." Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweitenmal in der Kirche aufgerufen hatte: „So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammen kommen," da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vor­ beiging — der Bergmann hat sein Totenkleid immer an — da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie säumte

Stille folgte dem Zucken und Rollen vom Himmel her — — da fällt ein Schuß vom Hof herab, der Brummler gibt das Todessignal des Vaters. Neben den Erntewagen knien die Kinder und beten ein Vaterunser und „Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm". Dann führen sie ihre Garben den Berg hinauf ins Vater­ haus. Der Vater ist tot, da sie seine Stube betreten. Die Ernte ist daheim, und der Vater auch. — — So sterben große Menschen, und große Menschen sinden sich nicht bloß auf Fürstenthronen, auf Schlachtfeldern, auf Kathedern, sie finden sich, oft weit größer, auch in stillen Tälern, auf einsamen Gehöften. Im Volke, diesem Meere der Menschheit, da leben Adamskinder von jeder Sorte. — —

Johann Peter Hebel.

133. Unverhofftes Wiedersehen. In Falun in Schweden küßte vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge, hübsche Braut und sagte zu ihr: „Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib und bauen uns ein eigenes Nestlein." — „Und Friede und Liebe soll darin wohnen!" sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, „denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grabe sein, als an einem anderen Ort." Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweitenmal in der Kirche aufgerufen hatte: „So nun jemand Hindernis wüßte anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammen kommen," da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vor­ beiging — der Bergmann hat sein Totenkleid immer an — da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie säumte

vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeitstag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg und weinte um ihn und vergaß ihn nie. Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der siebenjährige Krieg ging vorüber, und Polen wurde geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, Amerika wurde frei, und die ver­ einige französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die französische Revolution und der lange Krieg fing an, und Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten, der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metall­ adern in ihrer unterirdischen Werkstatt. Als aber die Berg­ leute in Falun im Jahre 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schächten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden, gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war, also daß man seine Gesichtszügc und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben oder ein wenig eingeschlafen wäre an der Arbeit. Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpst kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen, heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, „es ist mein Ver­ lobter", sagte sie endlich, „um den ich fünfzig Jahre lang 13'

getrauert hatte, und den nrich Gott noch eininal sehen laßt vor meinem Ende. Acht Tage vor der Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer heraufgekommen." Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten, kraftlosen Alters und den Bräutigam uoch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach fünfzig Jahren die Flamme der jugend­ lichen Liebe noch einmal erwachte — aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wieder­ erkennen — und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen lieh, als die einzige, die ihm an­ gehöre und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof. Den andern Tag, als das Grab gerüstet Ivar auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schlofj sie ein Kästlein auf, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn cs ihr Hochzeitstag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: „Schlafe nun wohl noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzcitsbctt und lab dir die Zeit nicht lange werden! Ich habe nur noch wenig zu tun und komme bald, und bald wird's wieder Tag. — Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten!" sagte sie, als sie fortging und noch einmal unlschaute.

134. Der Schneider in Pensa. Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männ­ lein! Sechsundzwanzig Gesellen aus dem Brett; jahraus, jahrein für halb Rußland Arbeit genug, und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien deutsches Blut rhein­ ländischer Hausfreundschaft.

Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, welches für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforz­ heim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spät. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus herein­ kommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand Nlehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer, gleichsam als eine fremde Ware, aus Europa mit­ bringt. Also kamen eines Tages, mit Franzosen meliert, auch sechzehn rheinische Landsleute, badische Offiziere, die da­ mals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brandstätten von Europa, ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Land kein Ohr mehr, das sich über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: „Was wird ans uns werden?" oder: „Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?" da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch, wie ein Evangelium vom Himmel, unver­ mutet eine Stimme: „Sind keine Deutsche da?" und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahr 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlagt sieben bis achtmal hundert Stunden Wegs nicht hoch an.

wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches Kavallerieregiment als Regiments­ schneider engagieren und ritt mit ihnen in die fremde russische Welt hinein, wo alles anderst ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider in Pensa an, er findet bei ihm, was ihm fehlt, Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld. Einem Gemüte, wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne Freudenernte. So oft ein Trans­ port von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platz, und: „Sind keine Deutsche da?" war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum andern, unter den Gefangenen Lands­ leute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. „Wenn sie nur so oder so aussähen!" dachteer, „wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann!" Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte. Diesmal aber, als er mitten unter so viele geneigte Landsleute, auch Darmstädter und andere, hinein­ rief: „Sind keine Deutsche da?" — er mußte zum zweiten­ mal fragen, denn das erstemal konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das süße deutsche

Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfen­ ton; und als er hörte: „Deutsche genug!" und von jedem erfragte, woher er sei — er wäre mit Mecklenburgern oder Knrsachsen auch zufrieden gewesen — aber einer sagte: von Mannheim am Rheinstrom, als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo Mannheim liegt, der andere sagte: von Bruchsal, der dritte: von Heidelberg, der vierte: von Gochsheim; da zog es wie ein warmes, auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. „Und ich bin von Bretten," sagte das herrliche Gemüte, „Franz Anton Egetmeier von Bretten!" wie Joseph in Ägypten zu den Söhnen Israels sagte: „Ich bin Joseph, euer Bruder!" — und die Tränen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatliebe traten allen in die Augen, und cs war schwer zu sagen, ob sie einen freudigern Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am gerührtesten war. Jetzt führte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklicheti Mahl, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. Jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um die Gnade, daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. „Anton," sagte der Statthalter, „wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt lief er in der Stadt herum und suchte für diejenigen, welche in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere ans. Jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem andern. „Herr Landsmann," sagte er zu einem, „mit Euerm Weiß­ zeug sieht's windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neuer Hemden sorgen. — Ihr braucht auch ein neues Röcklein," sagte er zu einem andern. — „Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden," zu einem dritten und so zu allen, und augenblicklich wurde zuge­ schnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinlän­ dischen Hausfreunde. In wenig Tagen waren alle neu

oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde Gutmütigkeit: deswegen sagten zu ihm die rheinländischen Hausfreunde: „Herr Landsniann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegs­ gefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure großen Auslagen werden schadlos halten können und wann." Darauf erwiderte der Schneider: „Ich finde hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sic mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!" So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt in Würde, die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Denrut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. Jetzt führte er sie freudig wie ein Kind i» der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. Jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangcnehnien Zu­ stand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das frcnide Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts- oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tag von den Treuen auch in Asien mit Gast­ mahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und seinen Kindern — er nannte sie nur noch seine Kinder — mit Freudenträncn zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unter­ stützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu ver­ güten. „Kinder," sagte er „verbittert mir meine Freude nicht!" — „Vater Egetmeier," sagten sie, „tut unserm Herzen nicht wehe!" Also machte er ihnen zum Schein

eine kleine Rechnung, nur, um sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwendeu, bis die letzte Kopeke aus den Händen war. Das gute Geld war für einen andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Matz der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bittern Schmerz die Not. Denn es fehlte an allen-, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Rußland zu reisen hatten, täglich 13 Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. „Es geht ihm recht zu Herzen," sagten die rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf ein­ mal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: „Kinder, es ist Rat. Geld genug!" — Was war's? Die gute Seele hatte für zweitausend Rubel das Haus verkauft. „Ich will schon eine Unterkunft finden," sagte er, „wenn nur ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." O, du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: „Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: „Kommt, ihr Gesegneten! ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist, ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet, ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen." Doch der Kauf wurde, zu großem Trost für die edeln Gefangenen, wieder rückgängig gemacht. Nichts­ destoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von

kostbarem russischem Pelzwerk mitzunehmen, um es unter­ wegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Haus­ freund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dab dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialhstok in Polen wohlbehalten ankamen und Geld autrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reise­ geld zurück.

Viktor Hehn. 135. Besteigung des Vesuvs. Von Resina ritten wir die sanft ansteigende, aber steinige und schlecht gangbare Straße in die Höhe, rings von Weingärten, Feigen und Fruchtgärten umgeben, welche Mauern oder Dornhecken, ost auch der Kaktus oder die Aloe von uns schieden. Mit sicherem Tritt, unbezwinglich hartnäckigem Langmut, aber unfehlbarer Klugheit schritten die Esel über zerrissenes Pflaster und steiniges Geröll auf­ wärts, oft in Schlangenwindungen den bequemsten Pfad tvählend. Neben uns wuchs der Lacrimä Christi, der dem Rheinwein ähnlich ist: schon jetzt war der Blick auf den Golf und die anliegenden Landstrecken von überraschender Schönheit. Wir kamen endlich an das erste Lavaseld, nach­ dem unsere Tiere schon oft über knisternde Asche geschritten. Schlacken und Schollen, zerbröckelt, zertrümmert, gehäufelt >vie eine aufgewühlte Erde; man glaubt sie mit dem Fuß in Staub zerstoßen zu können und findet ein felsenhartes Gestein. Jenseits dieses dunkeln und öden Gefildes findet man das sogenannte Haus des Eremiten, es ist nichts mehr als ein schlechtes Wirtshaus. Der Hof vor dem Hause, mit hohen Bäumen besetzt, läßt das Auge frei, es schweift

kostbarem russischem Pelzwerk mitzunehmen, um es unter­ wegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Haus­ freund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, dab dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialhstok in Polen wohlbehalten ankamen und Geld autrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reise­ geld zurück.

Viktor Hehn. 135. Besteigung des Vesuvs. Von Resina ritten wir die sanft ansteigende, aber steinige und schlecht gangbare Straße in die Höhe, rings von Weingärten, Feigen und Fruchtgärten umgeben, welche Mauern oder Dornhecken, ost auch der Kaktus oder die Aloe von uns schieden. Mit sicherem Tritt, unbezwinglich hartnäckigem Langmut, aber unfehlbarer Klugheit schritten die Esel über zerrissenes Pflaster und steiniges Geröll auf­ wärts, oft in Schlangenwindungen den bequemsten Pfad tvählend. Neben uns wuchs der Lacrimä Christi, der dem Rheinwein ähnlich ist: schon jetzt war der Blick auf den Golf und die anliegenden Landstrecken von überraschender Schönheit. Wir kamen endlich an das erste Lavaseld, nach­ dem unsere Tiere schon oft über knisternde Asche geschritten. Schlacken und Schollen, zerbröckelt, zertrümmert, gehäufelt >vie eine aufgewühlte Erde; man glaubt sie mit dem Fuß in Staub zerstoßen zu können und findet ein felsenhartes Gestein. Jenseits dieses dunkeln und öden Gefildes findet man das sogenannte Haus des Eremiten, es ist nichts mehr als ein schlechtes Wirtshaus. Der Hof vor dem Hause, mit hohen Bäumen besetzt, läßt das Auge frei, es schweift

über die ganze Gegend. Jenseits Misenum und Procida erscheint das äußere Meer und sein zweiter Golf, der von Gaeta, und jauchzend erkenne ich Capo Circello wieder, das herrliche Vorgebirge, die blaue Felsensphinx, deren Formen dieser ganzen Stifte eigen sind, vom Kap Miseno und Capri bis Salerno hinab. Vom Eremiten reiten wir noch eine kurze Strecke durch eine Lavawildnis; dann ist der Punkt erreicht, wo wir vom Esel steigen, und das mühsame Klimmen beginnt. Ein Strom geschmolzener Massen war hier einst über den Rand des kochenden und dampfenden Feuerkessels hinabgeflossen, dann in seinen Wellen erstarrt, zu Klumpen zersprungen, itnb liegt nun in rollendem, scharfkantigem Gestein wüst durcheinander, natürliche, aber oft wankende Stufen bildend. Man begreift nicht, wer so in diesem Felsenstosf gewühlt und ihn zu kleineren und größeren Brocken zerrieben. Wir sprangen von einem Block steil aufwärts zum andern, auf unsre Stöcke gestützt, von Zeit zu Zeit Atem schöpfend, oder einen Kristall, der sich in der Feuersglut gebildet, auf­ hebend; die schon bleichen Strahlen der sich zum Unter­ gang neigenden Sonne trieben uns zur Eile. Schon kam uns Schwefelgeruch entgegen, schon ward es unter unsern Füßen warm, und zwischen den Schollen stiegen Dämpfe auf. Endlich war der obere Rand erreicht, aber kauni hatten wir ihn betreten, als eine Wolke erstickenden Schwefeldampfes uns entgegenschlug, unsern Blick umhüllte, unsre Schritte hemmte. Es war ein schwarzes, mit Steinen dünn besätes Feld, auf denr wir standen: es neigte sich dem entsetzlichen Schlunde zu, aus dem mit furchtbarer Gewalt giftige Nebel aufwogten und dann, voin Sturm getrieben, auf uns zu und über uns fortwirbelten. Wir bedeckten das Gesicht bis zu den Augen mit einem Tuch und näherten uns dem Abgrund. Oft glaubten wir ersticken zu müssen, oft trieb die Angst, der wir mühevoll widerstanden, zur Flucht. Drunten, am Fuß des Berges, ein reiches, lebenstrotzendes

Paradies, hier die wütende, enlsetzliche Hölle, eins von dem andern nur zwei kurze Stunden entfernt. Der Berg war heute ungewöhnlich in Bewegung, und wir hatten den un­ günstigsten Wind, der uns allen Dampf zutrieb: den Kessel zu umgehen war bei der eintretenden Nacht nicht möglich, auch hatte der Führer sich von uns geflüchtet und jen­

seits der Schwefelwolken eine sichere Stellung genommen: la nabbia, sagte er, sei heute zu groß. Nichts bewog ihn, mit uns den Rand zu umgehen, allein durften wir es nicht unternehmen. Mit vorgehaltenen Tüchern drangen wir nochmals in die weißen Wolken vor, die wesenlos, aber totverbreitend in immer erneuten Wirbeln über das schwarze Gefilde strichen. Auf Augenblicke entblößte sich der jen­ seitige Rand des Schlundes; tiefschwarz und zackig, an seinem Bauche mit Nebeln behängt, wogte er auf und nie­ der, bis er wieder auf längere Zeit verschwand, einem riesen­ haften Ungebilde gleichend, das die Höllentiefe gekocht, dann ausgespien, dann wieder zurückgenommen. Auch seitwärts ragte ungewiß ein dunkler, hoher Felsenrand, vortretend, ins Ungeheure wachsend, dann wieder verschwindend. Die Sonne erschien wie eine blutrote Kugel, nachdem sie lang ganz verhüllt gewesen: das Bild des Meerbusens und der Küste aber, dieses wonnevolle Bild, stärkte unser bebendes Herz in den kurzen Augenblicken, wo ein Spalt der Dämpfe die schöne Erde wieder vor uns öffnete. Es war Nacht geworden, als wir schieden. Wir wandten uns jetzt seit­ wärts von dem Lavastrom und wateten durch tiefe vulkanische Asche den Kegel hinab. Nichts leichter und angenehmer, als dieses Hinabsteigen: bis ins Knie einsinkend, fühlten wir bei steilem Fall dennoch keine Erschütterung, denn die Asche mäßigt mit leichtem Widerstand die Heftigkeit des Sturzes. Im schnellen Takt tanzten wir hernieder: selbst wenn der Fuß gleitet, sinkt man schmerzlos auf den Rücken und rafft sich lachend auf. Am Fuße des Kegels angelangt, bestiegen wir die unten harrenden Esel wieder, die mit sicherem Tritt durch die Nacht über die Lavablöcke setzten.

Im Hause des Eremiten, wo wir uns mit Lacrimä stärk­ ten, zündeten die Treiber ihre Fackeln an, und während, ein schmaler Silberstreis, der Mond am Himmel glimmte, fielen die roten Lichtströme der vor uns gehenden Brände links und rechts phantastisch auf die wilde Wüste, die in sich zu rollen und dunkel bewegt schien, dann auf Mauern und Bäume, endlich auf die Wände der Häuser des ersehn­ ten Resina.

Gustav Friedrich Hertzberg.

136. Alexander und sein Arzt. Während sich die Heeresmassen des Orients den Euphrat entlang gegen Nordwesten wälzten, war Alexan­ der bald nach seinem Einmarsch in Tarsos in sehr gefähr­ licher Weise in seiner rastlosen Tätigkeit unterbrochen wor­ den. Die gewaltigen Anstrengungen der letzten Zeit, ein Bad in dem eiskalten, kristallhellen Alpenslusse Kydnos, der die Stadt Tarsos durchströmte, auch wohl der Einfluß der fieberbrütenden Luft der im Sommer und Herbst glühend heißen kilikischen Niederung, stürzten den König in eine lebensgefährliche Krankheit. Das Heer war in Ver­ zweiflung; die Mittel und mehr noch der Mut der Ärzte waren erschöpft; nur Alexanders alter treuer Leibarzt Philippos hoffte noch, durch ein Mittel von höchst energi­ scher Wirkung den König retten zu können. Der Ruf des bewährten Arztes war groß, Alexander selbst vollkommen bereit, sich seiner Behandlung zu unterwerfen. Schon er­ wartete er den Becher, den ihm Philipp mischte: da wurde dem König ein Brief Parmenions überbracht. Der greise Heerführer warnte seinen Herrn vor Philipp; der treu­ lose Arzt sei durch große Geschenke und Zusagen von dem Perserkönig bestochen worden, Alexander durch Gift aus dem Wege zu räumen. Der junge Held war rasch ent­ schlossen. Er kannte seit Jahren des alten Arztes treue

Im Hause des Eremiten, wo wir uns mit Lacrimä stärk­ ten, zündeten die Treiber ihre Fackeln an, und während, ein schmaler Silberstreis, der Mond am Himmel glimmte, fielen die roten Lichtströme der vor uns gehenden Brände links und rechts phantastisch auf die wilde Wüste, die in sich zu rollen und dunkel bewegt schien, dann auf Mauern und Bäume, endlich auf die Wände der Häuser des ersehn­ ten Resina.

Gustav Friedrich Hertzberg.

136. Alexander und sein Arzt. Während sich die Heeresmassen des Orients den Euphrat entlang gegen Nordwesten wälzten, war Alexan­ der bald nach seinem Einmarsch in Tarsos in sehr gefähr­ licher Weise in seiner rastlosen Tätigkeit unterbrochen wor­ den. Die gewaltigen Anstrengungen der letzten Zeit, ein Bad in dem eiskalten, kristallhellen Alpenslusse Kydnos, der die Stadt Tarsos durchströmte, auch wohl der Einfluß der fieberbrütenden Luft der im Sommer und Herbst glühend heißen kilikischen Niederung, stürzten den König in eine lebensgefährliche Krankheit. Das Heer war in Ver­ zweiflung; die Mittel und mehr noch der Mut der Ärzte waren erschöpft; nur Alexanders alter treuer Leibarzt Philippos hoffte noch, durch ein Mittel von höchst energi­ scher Wirkung den König retten zu können. Der Ruf des bewährten Arztes war groß, Alexander selbst vollkommen bereit, sich seiner Behandlung zu unterwerfen. Schon er­ wartete er den Becher, den ihm Philipp mischte: da wurde dem König ein Brief Parmenions überbracht. Der greise Heerführer warnte seinen Herrn vor Philipp; der treu­ lose Arzt sei durch große Geschenke und Zusagen von dem Perserkönig bestochen worden, Alexander durch Gift aus dem Wege zu räumen. Der junge Held war rasch ent­ schlossen. Er kannte seit Jahren des alten Arztes treue

Anhänglichkeit an seine Person; er selbst war noch nicht weder durch übermenschliches Glück noch durch schwere Er­ fahrungen innerlich verwandelt. Mit der ganzen Hoch­ herzigkeit seiner Seele, mit dem vollen Glauben an die Treue seines Dieners, ergriff er den Becher, den ihm Philipp reichte, ließ den Arzt den Brief lesen und trank dabei ohne Bedenken die Arzenei. Der treue Arzt war keinen Augenblick erschrocken oder verlegen, nur tief empört über jene schmachvolle Anschuldigung, nur um so eifriger um des Königs Pflege bemüht. Und seine treue Sorgfalt wurde belohnt; die gewagte Kur gelang vollkommen, schon nach wenigen Tagen war Alexander wieder imstande, an die Spitze seiner Krieger zu treten.

137. Der gordische Knoten. Auf der Akropolis von Gordion, in einem Heiligrum des Zeus, befand sich seit unvordenklicher Zeit ein einfacher Bauerwagcn; in ganz Kleinasien galt er für denfelben Wagen, der in dunkler Vorzeit dem Gordias ge­ hört habe. Diesem Manne, einem einfachen phrygischen Bauern, hatte, so erzählte sich das Volk, einst ein Adler, der sich auf dem Wagen niederlieb, die künftige Größe seines Hauses verkündigt. Die göttliche Verkündigung hatte sich erfüllt. Gordios erlebte es noch, daß sein Sohn Midas von eben jenem Wagen herab zum Könige von Phrygien erhoben wurde. Der Wagen aber wurde als Weihgeschenk für den Zeus aus der Burg aufgestellt; der alte Gordios aber hatte das Joch des Wagens mit Bast von Hartriegel kunstvoll und fest an die Deichsel geschlungen. Nun ging seit Jahrhunderten bei allem Volke die Sage, einem Götterspruche zufolge sei die Herrschaft über Asien dem Sterblichen Vorbehalten, dessen Hand diesen Knoten zu lösen vermöge. Vor dieser Reliquie uralter Jahrhun­ derte also erschien jetzt Alexander. Er mußte das seltsame Gespinst lösen, und da er umsonst nach den Enden des Krwtens suchte, so zog er endlich mit raschem Entschluß

sein Schwert und hieb das Gewebe mitten durch. Seine Umgebung, sein Heer blickten voll Bewunderung auf ihren König. Ein schweres Gewitter, das sich in der nächsten Nacht über Gordion entlud, galt als ein Zeichen der Zu­ stimmung von feiten des Zeus, und der König konnte in seiner Freude am anderen Morgen den hilfreichen Göttern feierliche Dankopfer darbringen.

Hermann Löns. 138. Hasendämmerung. Jans Mümmelmann, der alte Heidhase, lag in seinem Lager auf dem blanken Heidberg, ließ sich die Mittags­ sonne auf den Balg scheinen und dachte nach über Leben und Tod. Sein Leben war Mühe und Angst gewesen. Aber dennoch fand er, daß sein Leben köstlich gewesen war. Auf grünen Feldern hatte sich seine Jugendzeit abgespielt; seine Jünglingsjahre hatte er im Walde verlebt; die Jahre seiner männlichen Reife verbrachte er in der Heide, nachdem ihn Feld und Wald Menschenhaß gelehrt hatten, und nur, wenn sein Herz sich nach Zärtlichkeiten sehnte, verließ er die Öde. Da lebte er, ein einsamer Weltweiser. Die Äsung war mager, aber es stand nicht, wie beim Klee im Felde und bei der üppigen Wiese im Walde, die Angst bleichwangig und schlotterbeinig immer neben ihm; in Ruhe und Frie­ den konnte er da leben, sorglos im feinen Flugsande des Heidhügels die rheumatischen Glieder baden und dem Ge­ sänge der Heidelerchen lauschen. Mümmelmann fand heute aber doch, daß er etwas Abwechslung in seine Nahrung bringen müsse. Keine Philo­ sophie der Welt tröstete den Magen, und keine Weltweis­ heit beseitigte die Appetitlosigkeit. Beim Dorfe gab es jetzt schon junge Roggensaat. Auch brauner Kohl war da, ferner Apfelbaumrinde, etwas ganz Feines, und der Klee war

sein Schwert und hieb das Gewebe mitten durch. Seine Umgebung, sein Heer blickten voll Bewunderung auf ihren König. Ein schweres Gewitter, das sich in der nächsten Nacht über Gordion entlud, galt als ein Zeichen der Zu­ stimmung von feiten des Zeus, und der König konnte in seiner Freude am anderen Morgen den hilfreichen Göttern feierliche Dankopfer darbringen.

Hermann Löns. 138. Hasendämmerung. Jans Mümmelmann, der alte Heidhase, lag in seinem Lager auf dem blanken Heidberg, ließ sich die Mittags­ sonne auf den Balg scheinen und dachte nach über Leben und Tod. Sein Leben war Mühe und Angst gewesen. Aber dennoch fand er, daß sein Leben köstlich gewesen war. Auf grünen Feldern hatte sich seine Jugendzeit abgespielt; seine Jünglingsjahre hatte er im Walde verlebt; die Jahre seiner männlichen Reife verbrachte er in der Heide, nachdem ihn Feld und Wald Menschenhaß gelehrt hatten, und nur, wenn sein Herz sich nach Zärtlichkeiten sehnte, verließ er die Öde. Da lebte er, ein einsamer Weltweiser. Die Äsung war mager, aber es stand nicht, wie beim Klee im Felde und bei der üppigen Wiese im Walde, die Angst bleichwangig und schlotterbeinig immer neben ihm; in Ruhe und Frie­ den konnte er da leben, sorglos im feinen Flugsande des Heidhügels die rheumatischen Glieder baden und dem Ge­ sänge der Heidelerchen lauschen. Mümmelmann fand heute aber doch, daß er etwas Abwechslung in seine Nahrung bringen müsse. Keine Philo­ sophie der Welt tröstete den Magen, und keine Weltweis­ heit beseitigte die Appetitlosigkeit. Beim Dorfe gab es jetzt schon junge Roggensaat. Auch brauner Kohl war da, ferner Apfelbaumrinde, etwas ganz Feines, und der Klee war

schon hoch genug, an den Gräben wuchs allerlei winter­ hartes Kraut; Mümmelmann lief das Wasser hinter den

gelben Zähnen zusammen. Allerdings, so ohne Gesahr ging ein Diner beim Dorfe nie ab. Fast immer stöberten Wasser oder Lord oder Widu oder Hektor oder ein anderer dieser scheußlichen Köter im Felde herum. Der Jagdaufseher hatte im Felde überall Tellereisen und Schwanenhälse liegen, und der Jagdpächter hielt sich immer in der Nähe des Dorfes mit seinem Schießknüppcl auf. Er war ein bißchen sehr dick und hatte eine trockene Leber, so daß er sich nicht gerne weit vom Kruge entfernte. Aber schließlich: was kann das schlechte Leben Helsen? dachte Mümmelmann; einen Tod sterben wir Hasen ja doch nur, und besser ist es, im Dampfe dem guten Schützen sein Kompliment zu machen, als vor Altersschwäche den Schnäbeln der Krähen zum Opfer zu fallen. Und so machte er sorgfältig Toilette und rückte erst langsam, dann schneller gen Knubbendorf, wo er bei tiefer Dämmerung ankain. Es war eine gemütliche Nacht. Der Schnee war weich und trocken, die Luft windstill, die Kälte nicht zu stark und der Himmel bedeckt, so daß Jans und die anderen keine Angst zu haben brauchten vor dem alten Krischan, dem Armenhäusler und Besenbinder, der mit seinem ver­ rosteten Vorderlader bei hellen Nächten hinter dem Mist­ haufen auf die Hasen lauerte. Es gab ein langes Begrüßen und Erzählen, und so kam cs, daß Jans völlig die Zeit verpaßte und erst lange nach dem ersten Hahnenschrei, als der Tag schon mit rotverschlafenem Gesicht über die Geest stieg, nach seiner Heide zurückhoppelte in Begleitung eines jungen strammen Moorhasen, Ludjen Flinksoot, seines im letzten Herbst bei dem großen Kesseltreiben im Feuer ge­ bliebenen Freundes Sohn. Den hatte er bewogen, mitzu­ kommen; er wollte ihn erziehen und als Erben einsetzen. Als sie aber an den Heiderand kamen, da stutzten sie und machten Männchen, denn vor ihnen zappelten im

Frühwinde lauter bunte Lappen. Voller Angst liefen sie zurück und scharrten sich, nachdem sie erst viele Haken ge­ schlagen und Wiedergänge gemacht hatten, in einem mächti­ gen Brombeerbusch bei den Fischteichen ihr Lager.

Inzwischen war im Dorfe großes Leben. Dreißig Män­ ner waren gekommen, bis an die Zähne bewaffnet, schreck­ lich auzusehen in ihrem Kriegsschmuck. Sie waren in den Krug gegangen, aßen und tranken, was es gab, machten sich mit Pfeifen und Zigarren und auch sonst blauen Dunst vor, prügelten ihre Hunde, die sich bissen, kniffen alle weib­ lichen Wesen unter fünfzig Jahren die Arme braun und blau, erzählten sich mehr oder minder alte Witze und zogen dann los, die reine Winterluft mit dem Rauch ihrer Zigarren und die Morgenstille mit dem Geknarr ihrer Stim­ men erfüllend und sich freuend über den Naren, windstillen, schönen Tag, der so recht geeignet sei für den Hasenmassen­ mord. Dicht hinter dem Dorfe wurde der erste Kessel ge­ macht. Ein Waldhorn erklang, Schützen und Treiber setzten sich nach dem Mittelpunkt in Bewegung, und das Kriegs­ geschrei der rauhen Kehlen dröhnte durch den Wintermorgen. Da wurden überall graue Flecken im weißen Schnee sicht­ bar, die sich zu Pfählen verlängerten, unschlüssig hin und her hoppelten, wie besessen dahinrasten, und dann knallte es hier, blitzte es da, rauchte es dort, und ein Hase nach dem andern rückte zusammen, wurde kürzer, immer kürzer, blieb schließlich liegen, sprang noch einmal in die Höhe und lag dann ganz still. Andere schlugen im Dampf ein Rad, daß der Schnee stäubte, wieder andere liefen wie gesund weiter und fielen plötzlich um. Und immer enger wurde der Kessel, immer zerfurchter seine Schneedecke von den Spuren der Hasen und den eingeschlagenen Schroten, und hellrote Flecke und Streifen, sowie die dunkeln Patro­ nenpfropfen unterbrachen seine Farblosigkeit. Ein Leiterwagen nahm die toten Hasen auf, und es ging zum zweiten Kessel. Und als der abgetrieben war, Hessel, Lesebuch 5. 14. Aufl. M. 14

kam der dritte an die Reihe, und dann ging es zu dem Jagdhause vor dem Moore, wo der Wirt mit seinen Töch­ tern Bohnensuppe ausfüllte und Glühwein einschenkte und Grog. Da gab es ein großes Erzählen hin und her, so daß Herr Markwart, der Häher, und Frau Eitel, die Elster, entsetzt abstoben und es weit und breit herumbrachten, daß die Jäger wieder einmal da wären und schon hundert­ undsiebzig Hasen gemordet hätten. Mümmelmann hörte aufmerksam zu, als Frau Eitel das Herrn Luthals, dem Würger, erzählte, und er dachte sich: „Wenn sie schon so viel haben, dann werden die Schin­ der wohl nicht mehr hierher kommen," und er flüsterte Ludjen Flinlfoot zu: „Bleib immer hübsch still liegen, mein Junge, mag kommen, was da kommen will; wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen, und wer nicht gesehen wird, den trifft kein Blei." Es kam aber anders. Wieder klang das Horn. „Schwerenot noch einmal," knurrte Jans unter seinem be­ reiften Bart her, „noch ein Kessel? Die Sonne geht ja schon in ihr Lager. Und ich glaube, die Bande kommt auf uns zu." Ein furchtbares Gebrüll erhob sich von allen Seiten, der Boden dröhnte, Schüsse knallten. Ludjen wollte weg, aber der Alte rief: „Bliw liggen, du Döskopp," denn wenn er erregt wurde, sprach er Platt, was er sich sonst als unfein abgewöhnt hatte, und dann setzte er hinzu: „Man kann nicht wissen, was passiert. Ich habe so eine Ahnung, als ob ich die Sonne nicht mehr aufgehen sehen soll. Und nun höre zu: falle ich, und du bleibst gesund, so rückst du in die Heide, bis du an den Heidberg kommst, wo die großmächtigen Steine aufeinander liegen. Da bist du das ganze Jahr sicher; da kommt niemand hin als die dämlichen Schafe und höchstens einmal Reinke Rotvoß, der alte Schleicher; der erzählt ganz gut, aber halte ihn dir drei Schritt vom Leibe. Einem Fuchs darf man erst trauen, wenn er kalt und steif ist." Näher kam das Getrampel, dichter folgten die Schüsse,

hin und her flitzten die Hasen, kobolzten von den Dämmen auf das Eis der Teiche und blieben da liegen. Auf einmal schwill das Gebrüll noch weiter an: „De Voß, de Voß!" riefen die Treiber, und domm, domm, domm, domm krachte es. Mümmelmann hörte etwas in den Brombeeren knistern, etwas Rotes sauste über ihn fort, dann etwas Schwarz­ weißes, und dicht vor ihm schlug sich ein großer Hund den Fuchs um den Kopf. „Meinen Segen hat er," dachte der alte Hase bei aller Singt; doch im nächsten Augenblick fuhr er aus seinem Lager, denn ein zweiter Hund kam an und wollte ihn gera)c fassen: „Da läppt noch een!" schrien die Treiber. Zlbei Jans war nicht umsonst bei seiner Mutter, der er­ fahrenen Gelke Mümmelmann, in die Lehre gegangen. Er schlui einen Haken über den anderen und hielt sich immer dicht vor dem Hunde, so daß kein Schütze zu schießen wagte. Auf einmal aber krachte ein Schuß, die Schrote schlugen pfeifend auf das Eis, der Hund jaulte auf, und wütende Stimmen erhoben sich. „Junger Mann, Sie haben meinen Hund totgeschossen!" brüllte ein dicker Herr. „Ja, was kann ich dafür?" rief der dünne Student, „ich habe ihn nicht gesehen; was hat der Hund auch im Kessel herumzubiestern?"

Und der Dicke schrie wieder: „Er sollte den Fuchs apportieren. Der Hund hat mich dreihundert Mark ge­ kostet." Und der Student rief: „Dreihundert Mark? Na, der Jhnm das abgeknöpft hat, der wird schön gelacht haben. Ich habe den Hund ja arbeiten sehen; hühnerrein war er, straßenrein auch, und Hasen hetzte er famos. Und wenn er arch nicht eingetragen war, ein ausgetragenes Biest war er doch, und die Rassenmerkmale hatte er innerlich, wie die Ziegen den Speck. Dreihundert Mark? Lächerlich, Sie meinen wohl Pfennige?" * So ging es weiter, und keiner achtete auf Mümmel14*

mann. Der machte, daß er fort kam, denn er haßte Zank und Streit. Ihm tat nur Ludjen leid, um den Jungen hatte er bange. Es dämmerte schon, als er an den Heidrand kam, und gerade dachte er, er wollte sich um die Lappen nicht kümmern, da krachte es, und wie zwanzig Peitschenhiebe auf einmal fühlte er es in Rücken und Keu­ len. Das war der Jagdaufseher gewesen, der die Lappen aufrollen wollte. Jans fühlte, daß es mit ihm aus war. Aber er kam doch noch vom Fleck und tauchte in der Dämmerung unter. Ihm war sehr schwach zu mute, obgleich er gar keine Schmerzen hatte; nur das Laufen wurde ihm schwer und das Atmen. Er kam noch bis zu dem alten Steingrab auf dem Heidberg, und da wühlte er sich in den weichen Sand, lag ganz still und äugte nach dem Hellen Stern­ bilde, das über dem fernen Walde stand und ganz wie ein riesenhafter Hase aussah. Als der Mond über den Wald kani, da hoppelte auch Ludjen Flinkfoot heran. Er hatte, so schwer es ihm bei seiner Angst auch wurde, seines Oheims Ratschläge befolgt und war gesund davongekommen. Der gute Junge war sehr betrübt, daß er ihn totkrank fand; er rückte dicht an ihn heran und wärmte den Fiebernden. Als es vom Dorfe Mitternacht schlug, da wurden Mümmelmanns Seher groß und starr; er sah die Zu­ kunft vor sich. „Der Mensch ist auf die Erde gekommen," sprach er, „um den Bären zu töten, den Luchs und den Wolf, den Fuchs und das Wiesel, den Adler und den Habicht, den Raben und die Krähe. Alle Hasen, die in der Üppigkeit der Felder und im Wohlleben der Krautgärten die Leiber pflegen, wird er auch vernichten. Nur die Heidhasen, die stillen und genügsamen, wird er übersehen, und schließlich wird Mensch gegen Mensch sich kehren, und sie werden sich alle ermorden. Dann wird Frieden auf Erden sein. Nur die Hirsche und Rehe und die kleinen Vögel werden auf ihr leben und die Hasen, die Abkömmlinge von

mir und meinem Geschlecht. Du, Ludjen, mein Schwestersohn, wirst den reinen Schlag fortpflanzen, und dein Ge­ schlecht wird herrschen von Aufgang bis Untergang. Der Hase wird Herr der Erde sein, denn sein ist die höchste Fruchtbarkeit und das reinste Herz." Da rief der Kauz im Walde dreimal laut: „Komm mit, komm mit, komm mit zur Ruh, zur Ruh, zur Ruhnhuhu!" und Mümmelmann flüsterte: „Ich komme," seine Seher brachen. Ludjen hielt die Totenwacht bei seinem Oheim; drei Tage und drei Nächte blieb er bei ihm. Als er aber nach der vierten Nacht zurückkam zum Hünengrab, da war der Leib seines Ohm verschwunden, und Ludjen meinte, die kleinen weißen Hasen wären gekommen und hätten ihn weg­ geholt zu dem Hasenparadiese, wo der große weiße Hase auf dem unendlichen Kleeanger sitzt. Reinke Rotvossens Vetternschaft aber wunderte sich, daß der alte dreibeinige, schwanzlose Heidsuchs, der immer so klapperdürr war, seit einigen Tagen einen strammen Balg hatte. Er hatte seinen Frennd Mümmelmann be­ stattet auf seine Art.

139. Der Kantor. Der Fischer und seine Frau sitzen vor der Tür, sehen das Abendrot hinter dem See verschwinden und das Wasser silbern aufleuchten, wenn ein großer Fisch sich wirft, und hören dem Geschwätz der Rohrsänger und dem Geplärre der Frösche zu, das aus den Schilfbuchten erschallt. „Der Kantor fehlt noch," sagt die Frau und sieht lächelnd ihren Mann an, und der lächelt auch und raucht langsamer; denn ein Abend, an dem der Kantor nicht singt, ist nur ein halber Abend für Fischer Klawitter; erst wenn der Kantor loslegt, dann schmunzelt der Fischer be­ häbig, und noch im Bette ruft er zu seiner Frau hinüber: „Hör bloß, wie der Kantor prahlt!"

Der Kantor ist der größte Frosch in der ganzen Bucht, ja vielleicht sogar im ganzen See. Er hat seinen Platz bei der Anlegestelle für die Kähne und sitzt entweder auf dem Ufersande unter den Schlehdornzweigcn, die der Fischer dort eingesteckt hat, um die Katzen von den Fischkästen abzuhalten, oder er liegt dick und breit auf der dichten, von vielen Hunderten von silberweißen Blüten bedeckten Bank von Wasserhahnenfuß, die die Wellen hin und her schieben, und läßt sich von der Sonne bescheinen. Der Kantor ist nicht nur der größte, sondern auch der schönste Frosch in der Bucht. Er ist knallgrün und hat über dem Rücken zwei breite, schwarzbraune Binden, zwischen denen von der Nase bis zu den Keulen eine gelb­ grüne, in der Mitte im Zickzack gebogene Binde herabläuft. Wenn er so daliegt, sieht er ganz ungeheuer aus, und wenn er seine goldenen Glotzaugen aufreißt und die Kin­ der ansieht, die ihn voller Ehrfurcht, aber auch mit etwas Angst betrachten, dann wundern sie sich, daß er kein gol­ denes Krönchen auf dem Kopfe trägt; denn daß er kein gewöhnlicher Frosch ist, sondern ein verzauberter Prinz, das steht für sie fest, seitdem ihnen die Großmutter das Märchen vom Froschkönige erzählt hat. Anna, das drittjüngste Mädchen des Fischers, hat ein­ mal versucht, den Kantor zu fangen; denn sie wollte ihm, wie es im Märchen gelehrt wird, einen Kuß geben, um ihn zu erlösen, und dann wollte sie Prinzessin werden und nur noch seidene Kleider anziehen und nicht mehr in die Schule gehen und die Pellkartoffeln von goldenen Tellern essen. Sie pflückte sich einen ellenlangen Binsenhalnr ab, riß die Spitze und die meisten Blüten herunter und schlich mit ihren nackten Füßen dahin, wo der Kantor saß. Als der Frosch das Kind kommen hörte, drehte er sich sofort nach ihm um und sah es an; denn er war gewohnt, daß die Kinder des Fischers ihm Brummfliegen, Käfer und Raupen hinwarfen. Anna bekam einen tüchtigen Schreck,

als der Kantor sie mit seinen großen Augen anglotzte, aber dann mußte sie lachen; denn er wischte sich eine freche Fliege, die sich ihm auf die Nase gesetzt hatte, mit dem linken Vorderfuß so ärgerlich weg, gerade wie der Groß­ vater, wenn ihn die Fliegen beim Schlafen stören. Das Mädchen ließ die Blüte der Binse vor dem Maule des Frosches auf und ab tanzen, aber dann schrie sie auf und sprang zurück: denn der Kantor riß sein gewaltiges, rosenrotes Maul auf und schlug seine lange rosenrote Zunge nach der Binsenblüte, weil er sie für eine Fliege hielt. Weil das Kind in seinem Schrecken die Binse zurückgezogen hatte, machte er einen furchtbaren Satz und sprang bis dicht vor die Füße des Mädchens; das schrie auf und machte, daß es fortkam. Aber Anna hatte sich nun einmal vorgenommen, den Frosch zu erlösen und Prinzessin zu werden, und so ging sie nach einer Weile wieder hin, lockte den Kantor mit der Binsenblüte, und diesmal schnappte er sofort zu und hielt die Blüte so fest, daß Klein-Anna ihn hoch in die Luft schwenken und in ihrer Schürze auf­ fangen konnte. Da tobte er nun ganz mächtig herum und hampelte und strampelte so gewaltig, daß das Mädchen es mit der Hellen Angst bekam und die Schürzenzipfel los­ ließ. Da sagte der Kantor: „Kiekst!" und plumpste in das Wasser, daß es hoch aufspritzte. Seitdem war es mit der Freundschaft zwischen ihm und den Kindern aus; er hatte es zu sehr übelgenommen, daß er übertölpelt war. Die wilden Enten klingeln über den See, der Hau­ bentaucher quarrt dumpf, der Rohrsänger singt lauter, und Stern auf Stern taucht am Himmel auf. „Wo er bloß bleibt?" meint der Fischer und schüttelt den Kopf. Gs wird dunkler, das Abendrot ist längst verschwunden, die Mücken singen, die Maikäfer brummen, und rund um den See geht das Gequarre der Frösche, das Geschnarre der Kreuzkröten, und in den Wiesengräben läuten die Unken. Schon röchelt die Schleiereule, schon heult der Kauz drüben im Forste, schon tönt der dumpfe Ruf der Rohrdommel

aus bem Schilfe, und noch immer ist der Kantor nicht zu hören. Aber jetzt legt er los. Der Fischer lacht und hebt den Zeigefinger. „Paß auf, Mutter, das ist er!" Ein hartes, rauhes „breck, kreck, kreck" ertönt, hinterher er­ schallt ein dumpfes „mork, quork, moark, quoark", und jetzt kommt die Hauptfach«" ein lautes Lachen erschallt, so breit, so behäbig, daß der Fischer mitlachen muß und seine Frau auch, und jetzt ist er zufrieden und sagt: „Mutter, nun können wir ruhig schlafen gehen." Aber als er schon Jacke und Weste ausgezogen hat, muß er noch einmal vor die Tür treten und zuhören, wie der Kantor lacht: „Hahaha," geht es, „hahahaha, hahahahahaha, hihahaha, hohihahab hihohohohoha, Hai, hia, hiahahahaha," und es ist, als hörte man die Frösche, die Kröten und die Unken nicht mehr vor dem lauten Gesänge des Kantors, des Vorsängers der Frösche. Ja, der Kantor, das ist ein Kerl! Ein Hauptkerl ist er. Er ist der Methusalem der Frösche im See, ist der Altvater, der Vorsteher; aber er ist auch der Schrecken der Wasserjung­ fern, das Entsetzen der Jungfische, der Mäuse blasse Angst und der jungen Rohrsänger Verderben. Wenn er sich an Mücken und Fliegen halten wollte, wie die anderen Frösche, dann könnte er schnappen und schnappen, bis er die Maulsperre bekäme, aber satt würde er darum doch nicht. Darum hält er sich an derbere Kost. Da kommt ein Maikäfer ange­ brummt. Einen Riesensatz macht der Kantor, und ver­ schwunden ist der Käfer. Ein spannenbreitcr Abend­ falter rüttelt über den weißen Trichterblumen der Ufer­ winde; ehe er sich retten kann, hat ihn die rosenrote Zunge des Frosches schon festgeleimt und zieht ihn in den Rachen hinein. Im Weidengebüsch turnt die Zwergmaus umher. Vorsichtig dreht der große Frosch sich um und wartet, bis das rote Mäuschen in Sprungnahe ist; dann ein Sprung und ein Quietschen, und aus ist es mit dem Turnen und dem Nesterbauen. Ja, der Kantor, das ist ein ganz Schlimmer! Wenn

die Uklcis laichen, dann ist sein Schweineschlachten. Dann wartet er, bis die laichdummen Fische an den flachen Stelle ir sind, und dann schnappt er zu. Da hilft kein Schwänzeln und Sträuben; sie müssen hinunter. Ist ein Uklei zu lang, das schadet nichts; der Frosch läßt ruhig den Schwanz aus seinem Maule herausgucken und wartet, bis er dein verdauten Vordcrleib nachrutscht, oder vielmehr er wartet gar nicht; denn tvenn er noch Hunger hat, fängt er sich noch einen - Fisch oder sogar zwei, und Fischer Klawitter wußte gar nicht, was er sagen sollte, als er seinen Freund eines Tages auf der Waschbalge sitzen sah; drei Ukleischwänze guckten dem Frosche zum Halse heraus. „Mensch," sagte der Fischer, „wenn du so beibleibst, dann kann ich bald etwas anderes werden." Und er setzte hinzu: „Na, Ukleis gibt's ja mehr als genug." Zehn Jahre kannte der Fischer den Kantor schon, so glaubte er wenigstens; denn immer hatte an der Anlege­ stelle ein Riesenfrosch gesessen, an dem besten Platze, ein­ mal, weil da die Schlehdornen Schutz vor dem Milan und dem Rohrweih boten, zweitens, weil dort der schöne Sand­ strand war, an dem die Ukleis so gern laichten, und dann, weil das Schilf und das Rohr dort dichter standen als sonst am See, und schließlich, weil dort das meiste Unge­ ziefer flog; denn am Ufer wuchsen hohe Pappeln und breite Weiden, die von Gewürm wimmelten. Da, wo das Schilf aufhörte und das Rohr, da, wo die Pferdebinsen anfingen, wagte sich der Kantor nicht hin; denn da war es nicht geheuer. Manchmal, wenn da eine junge Ente schwamm oder eine Schwalbe trank, dann platschte es, und fort war die Ente oder die Schwalbe. Das schöne Wetter hörte auf; der Juni kam mit Regen und Schafkälte. Acht Tage lang mußte der Kantor hungern, daß ihm die Seiten zusammenfielen; denn noch nicht einmal die elendeste Mücke flog. Vor Verzweifluirg fraß er ein Fröschchen seiner eigenen Art, und er hätte gern mehr gefressen, aber er sah keins. So lag er denn

mürrisch im Schilfe und wurde vor Mißmut immer dunk­ ler und unansehnlicher. Auf einmal kam Leben in ihn; seine zusammengesunkenen Augen wurden dick und rund, er richtete sich auf und glotzte scharf vor sich hin. Da krabbelte etwas int Wasser umher, eine dicke Fliege oder ein Käfer, aber bestimmt etwas, was gut zu essen war. Ganz vorsichtig schob sich der Kantor aus dem Schilfe, tauchte unter und kam genau vor dem Brachkäser, der tivischen den hohen, dunklen Binsen im Wasser zappelte, zum Vorschein, und schnell schnappte er ihn hinunter. Da aber siel ihm ein, daß es hier nicht geheuer sei, und schnell tauchte er wieder unter und schwamm gerade in den Rachen des uralten Hechtes hinein, und ehe er noch recht wußte, Ivie ihm geschah, war es aus mit ihm. Als das Wetter sich aufbesserte, lauerte der Fischer Abend für Abend auf den Kantor; er sah und hörte aber nichts mehr von ihm. Eines Abends jedoch kam von der Anlegestelle ein lau­ tes Quarren und Singen, und als der Fischer am anderen Morgen nachsah, saß unter den Dornen ein Frosch, fast eben so groß wie der Kantor, nur ganz grün mit schwarzen Tupfen, und der Fischer nahm den Hut ab und sagte: „Mein Name ist Klawitter! Sie sind wohl der neue Kan­ tor? Mit Ihrem Herrn Vorgänger war ich gut bekannt." Klein-Anna aber war traurig; sie glaubte, eins von den feinen, jungen Mädchen aus der Stadt, die auf dem Gute zu Besuch gewesen waren, habe den Kantor erlöst und könne nun seidene Kleider tragen und Pellkartoffeln von goldenen Tellern essen, und sie nahm sich fest vor, den neuen Kantor zu fangen und ihm einen Kuß zu geben.

Sie kam aber nicht dazu.

Martin Luther. 140. Etliche Fabeln Äsops verdeutscht. 1. Bom Wolf und Lämmlein.

Ein Wolf und ein Lämmlein kamen ohngefähr beide an einen Bach zn trinken; der Wolf trank oben am Bach, das Lämmlein aber fern unten. Da der Wolf des Lämmlems gewahr ward, lief er zu ihm und sprach : „Warum trübest bit mir das Wasser, daß ich nicht trinken kann?" Das Lämmlein antwortet: „Wie kann ich dir's Wasser trüben, trinkst du doch über mir und möchtest es mir wohl trüben?" Der Wolf sprach: „Wie? fluchst du mir noch dazu?" Das Lämmlein antwortet: „Ich fluche dir nicht." Der Wolf sprach: „Ja, dein Vater tat mir vor sechs Monden auch ein solches, du willst dich Vätern." Das Lämmlein antwortet: „Bin ich doch dazumal nicht geboren gewest, wie soll ich meines Vaters entgelten?" Der Wolf sprach: „So hast du mir aber meine Wiesen und Äcker abgenaget und ver­ derbet." Das Lämmlein antwortet: „Wie ist das möglich? habe ich doch noch keine Zähne." — „Ei," sprach der Wolf, „und wenn du gleich viel ausredeu und schwätzen kannst, will ich dennoch heint nicht ungefressen bleiben", und würget' also das unschuldig Lämmlein und fraß es. Lehre. Der Welt Lauf ist: Wer fromm sein will, der mutz leiden, sollt man eine Sache vom alten Zaun brechen, denn Gewalt gehet vor Recht. Wenn man dem Hunde zu will, so hat er das Leder gefressen: wenn der Wolf will, so ist das Lamm unrecht. 2. Vom Frosch und der Maus.

Eine Maus wäre gern über ein Wasser gewest und konnte nicht und bat einen Frosch nm Rat und Hilfe. Der Frosch war ein Schalk und sprach zur Maus: „Binde deinen

Fuß an meinen Fuß, so will ich schwimmen und dich hin­ überziehen!" Da sie aber auks Wasser kamen, tauchte der Frosch hinunter und wollte die Maus ertränken: indein aber die Maus sich wehret irnd arbeitet, sleuget ein Weihe daher und erhaschet die Maus, zeucht den Frosch auch mit heraus und frisset sie beide. Lehre. Siehe dich vor, mit wem du handelst! die Welt ist falsch nnd Untreu voll; denn welcher Freund den andern vermag, der steckt ihn in Sack; doch schlägt Untreu allzeit ihren eigenen Derrn, wie den: Frosch hie geschieht.

3. Vom Hund im Wasser. Es lief ein Hund durch einen Wasserstrom und hatte ein Stück Fleisch int Maule; als er aber den Schemen vom Fleisch im Wasser siehet, wähnet er, es wäre auch Fleisch, und schnappt gierig darnach. Da er aber das Maul anstat, entfiel ihm das Stück Fleisch, und das Wasser führct's weg: also verlor er beide, das Fleisch und den Schemen.

Lehre.

Man soll sich begnügen lassen an dem, was Gott gibt. Wer das Wenige verschmähet, dem wird das Größere nicht; wer zuviel haben will, der behält zuletzt nichts: mancher verlieret das Gewisse über dem Ungewissen.

4. Löwe, Fuchs und Esel. Ein Löwe, Fuchs und Esel jagten miteinander und fingen einen Hirsch. Da hieß der Löwe den Esel das Wild­ bret teilen. Der Esel macht drei Teile; des ward der Löwe zornig unb riß dem Esel die Haut über den Kopf, daß er blutrünstig dastund, und hieß den Fuchs das Wildbret teilen. Der Fuchs stieß die drei Teile zusammen und gab sie dem

Löwen gar. Des lachte der Löwe und sprach : „Wer hat dich so lehren teilen?" Der Fuchs zeigte auf den Esel und sprach: „Der Doktor da im roten Barett." Diese Fabel lehret zwei Stücke. Das erste: Herren wollen Vorteil haben, und man soll mit Herren nicht Kirschen essen, sie werfen einen mit den Stielen. Das andere: der ist ein weiser Mann, der sich an eines andern Unfall bessern kann.

141. Der reichste Fürst. Philippus Melanchthon sagte einmal, daß er in seine: Jugend gehört hätte, daß auf einem Reichstage etliche Fürsten gerühmet hätten von den Gaben und Herrlichkeiten ihrer Fürstentümer und Lande. Und hätte der Herzog zu Sachsen gesagt, daß er silberne Berge in feinem Lande hätte und also sein Bergwerk gerühmet, welches damals groste Aus­ beute gab. Der Pfalzgraf aber hatte seine guten Weine gelobet, die ihm am Rheinstrom wüchsen. Und nun Herzog Eberhard von Württemberg auch sagen sollte, was er für Herrlichkeit in seinem Lande hätte, da antwortet er: „Ich bin wohl ein armer Fürst und Euer Liebden beiden nicht zu vergleichen, jedoch so hab ich auch ein grob Kleinod in meinem Fürstentum, daß, wenn ich mich verritten hätte und aufm Felde gar allein wäre, so kann ich doch in eines jeden meiner Untertanen Schoß sicher schlafen." Wollt sagen, daß seine Untertanen ihn so lieb hätten, daß er bei ihnen hausen und herbergen könnte und sie ihm alles Liebes und Gutes tun würden. Und seine armen Leute haben ihn auch gehalten für den Vater des Landes. Als solches die andern Fürsten, als Sachsen und Pfalz, gehört hatten, da haben sie selbst bekannt, daß dies das edelste Kleinod und Gut wäre.

142. Brief Luthers an seinen Sohn Hänschen. Gnad und Friede in Christo, mein liebes Söhnichen! Ich sehe gern, daß du wohl lernest und fleißig betest. Tu

222

Luther.

also, mein Söhnichen, und fahre fort; wenn ich heimkomme, so will ich dir ein schön Jahrmarkt mitbringen. Ich weiß einen hübschen, lustigen Garten, da gehen viele Kinder innen, haben güldene Nöcklein an und lesen schöne Äpfel unter den Bäumen und Birnen, Kirschen, Spilling und Pflaumen, singen, springen und sind fröhlich, haben auch schöne, kleine Pferdlin mit goldenen Zäumen und silbern Sätteln. Da fragt ich den Mann, des der Garten ist, wes die Kinder wären. Da sprach er: „Es sind die Kinder, die gern beten, kernen und fromm sind." Da sprach ich: „Lieber Mann, ich habe auch einen Sohn, heißt Hänsichen Luther, möcht er nicht auch in den Garten kommen, daß er auch solche schöne Äpfel uild Birn essen nlöchte und solche feine Pferdlin reiten und mit diesen Kindern spielen?" Da sprach der Mann: „Wenn er gern betet, lernet und fromm ist, so soll er auch in den Garten kommen, Lippus und Jost *) auch, und wenn sie alle zusanimen kommen, so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten und allerlei Saitenspiel haben, auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schießen." Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen zugericht, da hingen eitel güldene Pfeifen, Pauken und seine silberne Armbrüste. Aber es war noch frühe, daß die Kinder noch nicht gessen hatten. Darum konnte ich des Tanzes nicht erharren und sprach zu dem Manne: „Ach, lieber Herr, ich will flugs hingehen und das alles meinem lieben Söhnlein Hänsichen schreiben, daß er je fleißig bete und wohl lerne und fromm sei, auf daß er auch in diesen Garten komme; aber er hat eine Muhme Lene*), die muß er mitbringen." Da sprach der Mann: „Es soll ja sein, gehe hin und schreibe ihm also!" Darum, liebes Söhnlin Hänsichen, lerne und bete ja ge­ trost, und sage es Lippus und Josten auch, daß sie auch lernen und beten, so werdet ihr miteinander in den Garten *) Melanchthons Sohn Philipp und des Justus Ionas Sohn Jodokus.

kommen. Hiemit bis dem allmächtigen Gott befohlen, lind grüße Muhmen Lenen und gib ihr einen Kuß von meinet­ wegen! Anno 1530. Dein lieber Vater Martinus Luther.

Helmut Graf von Moltke. 143. Gibraltar. Als wir an einem sonnigen Abend vorigen Monats in Civita Vecchia an Bord der Korvette „Amazone" gingen, sah das Meer so lächelnd aus, als wolle es zu einer Spazier­ fahrt einladen, und nachher führte es sich so abscheulich aus. Sechzehn Tage brauchten wir, um bei konträrem Winde nach Gibraltar zu gelangen. Am schliiniitsten war es, wenn nach Sturm Windstille eintrat. Die See geht dann hoch, und das Schiss, welches in den Segeln keinen Stützpunkt mehr findet, taumelt wie betrunken, man denkt, die Maste mußten abbrechen. Endlich tauchte der Fels des Tarik aus der Flut em­ por, ein prächtiger Anblick. Tie 1400 Fuß hohe schroffe Masse hängt nur durch eine ganz flache Sandzunge mit dem europäischen Kontinent zusammen und erscheint daher als ein mächtiger, isolierter Gebirgskegel. Ihm gegenüber erhebt sich ähnlich auf afrikanischem Boden die andere Her­ kulessäule, der Assenberg bei Zeuta. Lange kämpften wir gegen die gewaltige Strömung, welche hier stetig in das Mittelmeer fließt. Endlich warfen wir Anker, und die Festung grüßte mit einem königlichen Salut unsere Trauer­ flagge. Der erste Schritt ans Land führt in eine neue Welt, ein wunderbares Gemisch von Spanisch und Englisch. Die Pracht und Üppigkeit eines südlichen Himmels und die Energie und Betriebsamkeit des Nordens sind hier vereint. Wie Riesen standen die rotröckigen Hochländer zwischen den kleinen braunen Spaniern mit ihren übergeworsenen Män­ teln und den schmächtigen Arabern, welche vielfach herüber-

kommen. Hiemit bis dem allmächtigen Gott befohlen, lind grüße Muhmen Lenen und gib ihr einen Kuß von meinet­ wegen! Anno 1530. Dein lieber Vater Martinus Luther.

Helmut Graf von Moltke. 143. Gibraltar. Als wir an einem sonnigen Abend vorigen Monats in Civita Vecchia an Bord der Korvette „Amazone" gingen, sah das Meer so lächelnd aus, als wolle es zu einer Spazier­ fahrt einladen, und nachher führte es sich so abscheulich aus. Sechzehn Tage brauchten wir, um bei konträrem Winde nach Gibraltar zu gelangen. Am schliiniitsten war es, wenn nach Sturm Windstille eintrat. Die See geht dann hoch, und das Schiss, welches in den Segeln keinen Stützpunkt mehr findet, taumelt wie betrunken, man denkt, die Maste mußten abbrechen. Endlich tauchte der Fels des Tarik aus der Flut em­ por, ein prächtiger Anblick. Tie 1400 Fuß hohe schroffe Masse hängt nur durch eine ganz flache Sandzunge mit dem europäischen Kontinent zusammen und erscheint daher als ein mächtiger, isolierter Gebirgskegel. Ihm gegenüber erhebt sich ähnlich auf afrikanischem Boden die andere Her­ kulessäule, der Assenberg bei Zeuta. Lange kämpften wir gegen die gewaltige Strömung, welche hier stetig in das Mittelmeer fließt. Endlich warfen wir Anker, und die Festung grüßte mit einem königlichen Salut unsere Trauer­ flagge. Der erste Schritt ans Land führt in eine neue Welt, ein wunderbares Gemisch von Spanisch und Englisch. Die Pracht und Üppigkeit eines südlichen Himmels und die Energie und Betriebsamkeit des Nordens sind hier vereint. Wie Riesen standen die rotröckigen Hochländer zwischen den kleinen braunen Spaniern mit ihren übergeworsenen Män­ teln und den schmächtigen Arabern, welche vielfach herüber-

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Moltle.

kommen in das schöne Land, welches ihnen 700 Jahre ge­ hörte. Da lageit in ungeheurer Fülle die Trauben, die Orangen, Datteln und Oliven aus Malaga, Valencia und Granada neben Kartoffeln und Käsen aus England, die Dummer, fliegenden Fische und Delphine aus dem atlan­ tischen neben dem gedörrten Stockfische aus dem Eismeer. Über die flachen Dächer, die Balköne und die Gärtchen mit Granaten und Palmen ragen in drei Etagen die Galerien, welche eine englische Meile weit in den Kalkmassen des Felsens eingesprengt sind, mit ihren Feuerschlünden aus den schottischen Gießereien. Über das Gewimmel kleiner Fahr­ zeuge und zahlreicher Dampfböte erheben sich drei stolze Linienschiffe mit der Flagge Britanniens. Neben ihnen sah unsere „Amazone" aus >vie ein zierliches Kind. Gibraltar ist in beständiger Zunahme, aber seine eiserne Rüstung er­ laubt ihm nur, in die Höhe zu wachsen. Tie Grundstücke und Mieten sind unglaublich teuer. Ein Kalkfels und eine Sandscholle bringen natürlich nichts hervor, und ursprünglich hausten dort nur Rebhühner und Affen. Alles, was Menschen bedürfen, muß zur See herangebracht werden, selbst das Trinkwasser, und das ist der größte Mangel dieser sonst uneinnehmbaren Festung. Auf der Landzunge stehen nur 2000 Schritte entfernt die spanischen Posten mit geladenen Gewehren, nicht gegen einen Angriff, sondern gegen den Schmuggelhandel gerüstet, welcher hier im großen Stile be­ trieben wird. Eine Erlaubnis des Gouverneurs eröffnete mir den Zutritt zu allen Festungswerken, zum maurischen Schloß, zum Oharesturm auf der höchsten Spitze des Berges. Von dort, wo der Fels gegen Osten 1000 Fuß senkrecht abstürzt, blickt man weit über die spanische Mste, auf die 10 000 Fuß hohen Schneegipfel der Sierra Nevada und auf die dunkel­ blaue Flut. Jenseits der Meerenge leuchten die afrikanischen Berge von Tanger und Zeuta hervor, und gegen Westen entfaltet sich die weite Bucht von Algesiras. Wie auf der Landkarte übersieht nian die Stadt, die Festungswerke und

da8 herrliche Becken des Meeres. Ich suchte mir ein Bild einzuprägen, welches ich in gleichem Reichtum nicht leicht wieder sehen werde. Noch beleuchtete die untergehende Sonne prachtvoll den Hafen und die an dem Berge emporsteigende Stadt, als ich mich an Bord des englischen Dampfers „The Queen" einschisfte, und kräftig arbeitete dieser gegen die Strömung an. Der Vollmond stieg aus dem Mittelineer empor und zeigte die hohen Berge zweier Weltteile in hellem Schein. Tie Luft war mild und labend, und das Wasser sprühte lichte Funken unter den Schlägen der Ruder. Bald fuhren wir an dem Leuchtturm von Tarifa bei Trafalgar vorüber ins atlantische Meer, welches diesmal glatt wie ein Spiegel dalag. Wie müde ich auch von den vorhergegangenen An­ strengungen war, konnte ich mich doch spät erst entschließen, mich niederzulegen, und war vor Sonnenaufgang schon wieder auf Deck, um das Einlaufen in den Hafen von Cadix zu sehen.

144. Gin türkisches Bad. Konstantinopel, den 29. Nov. 1835. Am Abend des zweiten Tages erreichten wir Schumla. Nachdem man die Höhe, auf welcher das Fort Strandscha liegt, erstiegen, hat man einen prächtigen Anblick auf die Stadt mit ihren zierlichen Minarehs und großen Kaser­ nen, auf die steilen Berge, welche hinter ihr emporsteigen, und die weite Ebene, die von dem Fuß derselben bis zur Donau reicht. Die Vorberge des Balkan umfassen Schumla in Form eines Hufeisens, und die offene Seite ist durch Verschanzungen geschützt. Die Stadt ist weit freundlicher und besser gebaut als Rustschuk, und die Hauptmoschee sehr zierlich und schön. Hunger, Kälte und Ermüdung nach vierzehnstündigeni Ritt schüttelten mir die Glieder mit Fieberfrost, als ich im Karawanserai abstieg, und die kurzen Steigbügel des Tartarensattels hatten meine Beine fast gelähmt. Man Helsel, Lesebuch 5.

14. «ufl.

M. 15

schlug mir vor, ins Hamamm oder türkische Bad zu gehen. Da ich von diesem Bade noch keine Vorstellung hatte, so schleppte ich mich mühsam dahin, um es wenigstens zu sehen. Wir traten in ein weites, hohes Gewölbe, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte, der mir die Kälte so zu sagen anschaulich machte, welche in diesen Räumen herrschte. Ich verspürte nicht die geringste Versuchung, nur das kleinste Stück meiner Toilette abzulegen; überdies sah ich durchaus keine Badewanne und dachte nur mit Schrecken an den Springbrunnen und seine Eiszapfen. Mit Er­ staunen erblickte ich auf der hölzernen Estrade, welche rings das Gemach umgab, mehrere Männer auf Teppichen und Matratzen liegen, bloß mit einem dünnen Leintuch zuge­ deckt, behaglich die Pfeife rauchend, und sich wie an einem schwülen Sommertage an der Kühle labend, die mir in diesem Augenblick so entsetzlich schien. Der Badewärter, der in unseren bedenklichen Mienen las, führte uns in ein zweites Gewölbe, in welchem schon eine ganz anständige öitze war. Hier bedeutete man uns durch Zeichen, daß wir uns entkleiden möchten; man wickelt sich ein halbseidenes blaues Tuch um die Hüften und be­ kommt ein Handtuch als Turban um den Kopf, von wel­ chem angenommen wird, daß er nur aus Versehen nicht geschoren ist. Nach dieser Einkleidung schob man uns in eine dritte gewölbte Halle hinein, deren marmorner Fuß­ boden so stark geheizt war, daß man ihn nur auf hölzer­ nen Patinen (Galendschi) betreten konnte. Unter der Mitte der Kuppel, durch deren sternförmige, mit dickem Glas ge­ schlossene Öffnungen das Tageslicht eindringt, erhebt sich ein zwei Schuhe hohes Plateau mit Marmor, Jaspis, Por­ phyr und Agat reich ausgelegt, und auf welches man sich behaglich hinstreckt. Der Telektschi oder Badewärter schreitet nun zu einer ganz eigentümlichen Prozedur. Der ganze Körper wird gerieben und alle Muskeln gereckt und ge­ drückt. Der Mann kniet einem auf die Brust oder fährt mit dem Knöchel des Daumens den Rückgrat herab; alle

Glieder, die Finger und selbst das Genick bringt er durch eine leichte Manipulation zum Knacken. Wir mußten oft laut auflachen, aber der Schmerz nach dem langen müh­ seligen Ritt war verschwunden. Durch Klatschen in die Hände gibt der Telektschi das Zeichen, daß er mit seiner Operation fertig sei. Man begibt sich nun in die kleinen noch stärker erwärmten Zellen, welche die große Halle um­ geben. Hier sprudelt Nares Wasser in Marmorbecken, und zwar nach Belieben, aus zwei Hähnen, warmes und kaltes. Patient wird nun demselben Verfahren unterworfen, wie die türkischen Pferde beim Striegeln, indem nämlich der Wärter einen kleinen Sack aus Ziegenhaar (Gebrek) über die rechte Hand zieht und damit den ganzen Körper an­ haltend überfährt. Dies ist allerdings eine gründliche Reini­ gung, und man möchte sagen, daß man noch nie gewaschen gewesen ist, bevor man nicht ein türkisches Bad genommen. Der Telektschi erscheint nun aufs neue mit einer großen Schüssel mit wohlriechendem Seifenschaum. Mittelst eines großen Quastes aus den Fasern der Palmrinde seift er seinen Mann vom Scheitel bis zur Fußsohle, Haare, Gesicht, alles ein, und mit wahrem Vergnügen gießt man sich dann das kalte Wasser über Kopf, Brust und Leib. Jetzt ist man fertig; statt der durchnäßten Tücher er­ hält man trockene, über dem Feuer erwärmte, umgewickelt, einen Turban auf den Kopf und ein Laken über die Schul­ tern, denn die größte Dezenz wird beobachtet. B. und ich erkannten uns in dieser Maskerade kaum wieder und mußten einer über den andern lachen. Wir streckten uns nun in der Eingangshalle so behaglich hin, wie wir es von den Türken gesehen. Man schlürft einen Scherbet, Kaffee oder die Pfeife und empfindet die Kälte nur als angenehme Erfrischung, so innerlich durchwärmt ist der Körper. Die Haut fühlt sich äußerst glatt und geschmeidig an, und es ist gar nicht zu beschreiben, wie erquickend und wohltätig ein solches Bad auf große Ermüdung wirkt. Nach einem köstlichen Schlaf setzten wir am folgenden Mor«

gen unsern Ritt so frisch fort, als ob wir noch keine An­ strengungen gehabt hätten.

145. Eine Fahrt auf dem Tigris. Dschesireh am Tigris, den 1. Mai 1838. Am 15. April setzten v. M. und ich uns mit zwei wohlbewafsneten Agas des Paschas, unsern Dragomans und Bedienten, auf ein Fahrzeug, welches so konstruiert war, wie man es schon zu Cyrus Zeiten verstand, auf ein Floß nämlich von aufgeblasenen Hammelhäuten. Die Türken halten die Jagd für unrecht, verschmähen das Wild und verachten Rindfleisch, dagegen verzehren sie eine große Menge von Schafen und Ziegen; die Häute dieser Tiere werden so wenig wie möglich vorn an der Brust zerschnitten und sorgfältig abgezogen, dann zusammcngenäht und die Extremitäten zugebunden. Wird nun der Schlauch auf­ geblasen (was schnell und ohne den Mund unmittelbar daran zu bringen geschieht), so hat er eine große Tragfähigkeit ulld kann fast nicht zu gründe gehen; vierzig bis sechzig werden dann unter ein leichtes Gerüste von Baumzweigen in vier oder fünf Reihen so zusammengebunden, daß das Floß vorn etwa acht, hinten achtzehn Schläuche breit ist; darüber wird etwas Laub, dann eine Matte und Teppiche gebreitet, und so fährt man ganz gemächlich den Fluß hinab. Bei der Schnelligkeit der Strömung sind die Ruder nicht nötig, um vorwärts zu kommen, sondern nur um das Fahr­ zeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu erhalten und gefährliche Wirbel zu vermeiden. Obwohl wir dieser Stellen wegen des Nachts bis zum Aufgang des Mondes liegen bleiben mußten, so machten wir doch den 88 Stunden wei­ ten Weg in viertehalb Tagen. Die Schnelligkeit des Stroms muß daher durchschnittlich fast eine Meile in der Stunde betragen; sie ist aber an einigen Stellen weit größer, an andern geringer........... .... Man kann nicht bequemer reisen, als wir es taten: auf weiche Polster hingestreckt, mit Lebensmitteln,

Wein, Tee und einem Kohlenbecken versehen, glitten wir schnell und ohne Anstrengung mit der Schnelligkeit einer Extrapost vorwärts. Aber das Element, welches uns be­ förderte, versolgte uns in anderer Gestalt; der Regen strömte seit unserer Abreise von Diarbehir unaufhörlich vom Himmel, unsere Schirme schützten uns nicht mehr, und Kleider, Mäntel und Teppiche waren durchweicht. Am Osterfeiertag, als wir Dschesireh wieder verließen, war die Sonne hervorgebrochen und durchwärmte unsere erstarrten Glieder; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der

Stadt die Trümmer einer zweiten Brücke über den Tigris, und ein Pfeiler derselben verursacht bei hohem Wasserstand einen gewaltigen Strudel; alle Anstrengung der Ruderer half nichts, unwiderstehlich zog diese Charybdis unsere kleine Arche an sich, wie ein Pfeil schoß sie in den tiefen Schlund hinab, und eine hohe Welle ging über unsere Köpse fort. Das Wasser war eisig kalt, und als das Fahrzeug im nächsten Augenblick ohne umzuschlagen schon harmlos weiter tanzte, konnten wir das Lachen über die trübselige Gestalt nicht zurückhalten, welche jeder von uns zur Schau trug. Das Kohlenbecken war über Bord gegangen, ein Stiefel schwamm neben uns her, und jeder fischte noch eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Eiland, und da unsere Mantelsäcke ebenso durchnäßt waren, wie wir selbst, so blieb nichts übrig, als uns auszuziehen und die gesamte Toilette, so gut es gehen wollte, an der Sonne zu trocknen. In geringer Entfernung, auf einer andern Sandbank, saß ein Schwarm Pelikane, die, als wollten sie uns verhöhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand sonnten; plötz­ lich merkten wir, daß unser Floß sich losgemacht und auf und davon schwamm, der eine Aga stürzte sich sogleich ins Wasser und erreichte cs noch glücklich, sonst wären wir im Naturzustande auf der wüsten Insel zurückge­ blieben. Nachdem wir uns notdürftig getrocknet, setzten wir unsere Reise fort, aber neue Regengüsse machten die Arbeit

unnütz; die Nacht war so finster, daß wir aus Besorgnis, in neue Strudel zu geraten, anlegen mußten. Trotz der empfindlichsten Kälte und durchnäßt bis auf die Haut, wagten wir nicht, ein Feuer anzuzünden, weil wir sonst die Araber herbeigelockt hätten; wir zogen unser Floß in aller Stille unter einen Weidenbaum und erwarteten sehn­ süchtig, daß die Sonne hinter dem persischen Grenzgebirge emporstcigen möchte, uns zu erwärmen. Von Dschesireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene und entfernt sich von dem hohen prachtvollen Dschüdid-Gebirgc, auf dessen leuchtenden Schneegipfeln nach der Sage des Volks Noah mit seiner gemischten Ge­ sellschaft dcbarkiert haben soll. Die Gegend wird nun sehr einförmig, selten entdeckt man ein Dorf, und die mehrsten derselben sind unbewohnt und zerstört; man erkennt, daß man in den Bereich der Araber getreten ist; nirgends er­ blickt man einen Baum, und wo sich ein kleiner Strauch erhalten, da ist er „Sirareth" oder Heiligtum und mit zahllosen Fetzen von Kleidern bedeckt, denn die Kranken glauben zu genesen, wenn sie einen Teil ihres Anzuges dem Heiligen weihen. Auf einem isolierten Berg von bedeutender Erhebung sahen wir schon aus großer Ferne die Trümmer einer alten Stadt; wir umschifften diese Höhe an ihrem nördlichen, östlichen und südlichen Fuß; ich vermute, daß dies das alte Bazabde gewesen ist, von welchem berichtet wird, daß es in der Wüste gelegen, auf drei Seiten vom Tigris um­ flossen war........... . ... An den Trümmern des sogenannten alten Mossul schifften wir vorüber und entdeckten gegen Abend die Minarehs von Mossul; dies ist der östlichste Punkt, den ich erreicht habe.

146. Der Araber und sein Pferd. Ein türkischer Kavallerie-General, Dano-Pascha zu Mardin, stand schon seit lange in Unterhandlung mit einem

arabischen Stamme wegen einer edlen Stute vom Geschlecht Meneghi; endlich vereinigte man sich zu dem Preise von 60 Beuteln oder nahe an 2000 Talern. Zur verabredeten Stunde trifft der Häuptling des Stammes mit seiner Stute im Hofe des Paschas ein; dieser versucht noch zu handeln, aber der Scheich erwidert stolz, daß er nicht einen Para herablasse. Verdrießlich wirft der Türke ihm die Summe hin mit der Äußerung, daß 30000 Piaster ein unerhörter Preis für ein Pferd sei. Der Araber blickt ihn schweigend an und bindet das Geld ganz ruhig in seinen weißen Mantel, dann steigt er in den Hof hinab, um Abschied von seinem Tiere zu nehmen; er spricht ihm arabische Worte ins Ohr, streicht ihm über Stirn und Augen, untersucht die Hufe und schreitet bedächtig und musternd rings um das aufmerk­ same Tier. Plötzlich schwingt er sich auf den nackten Rücken des Pferdes, welches augenblicklich vorwärts und zum Hofe hinausschiebt. In der Regel stehen hier die Pferde tags und nachts mit dem Palam oder Sattel aus Filzdecken. Jeder vor­ nehme Mann hat wenigstens ein oder zwei Pferde im Stall bereit, die nur gezäumt zu werden brauchen, um sie zu be­ steigen ; die Araber aber reiten ganz ohne Zaum, der Halsterstrick dient, um das Pferd anzuhalten, ein leiser Schlag mit der flachen Hand auf den Hals, es links oder rechts zu lenken. Es dauerte denn auch nur wenige Augenblicke, so saßen die Agas des Paschas im Sattel und jagten dem Flüchtling nach. Der unbeschlagene Huf des arabischen Rosses hatte noch nie ein Steinpflaster betreten, und mit Vorsicht eilte es den holprigen, steilen Weg vom Schlosse hinunter. Die Türken hingegen galoppieren einen jähen Abhang mit scharfem Ge­ röll hinab, wie wir eine Sandhöhe hinan; die dünnen, ring­ förmigen, kalt geschmiedeten Eisen schützen den Huf vor jeder Beschädigung, und die Pferde, an solche Ritte ge­ wöhnt, machen keinen falschen Tritt. Am Ausgange des Orts haben die Agas den Scheich beinahe schon ereilt;

aber jetzt sind sie in der Ebene, der Araber ist in feinem Elemente und jagt fort in gerader Richtung, denn hier hemmen weder Gräben noch Hecken, weder Flüsse noch Berge seinen Lauf. Wie ein geübter Jockey, der beim Rennen führt, kommt es dem Scheich darauf an, nicht so schnell, sondern so langsam wie möglich zu reiten; indem er be­ ständig nach seinen Verfolgern umblickt, hält er sich auf Schußweite von ihnen entfernt; dringen sie auf ihn ein, so beschleunigt er seine Bewegung, bleiben sie zurück, so verkürzt er die Gangart des Tiers, halten sie an, so reitet er Schritt. In dieser Art geht die Jagd fort, bis die glühende Sonnenscheibe sich gegen Abend senkt; da erst nimmt er alle Kräfte seines Rosses in Anspruch; er lehnt sich vornüber, stößt die Fersen in die Flanke des Tiers und schießt mit einem lauten Jallah! davon. Der feste Rasen erdröhnt unter dem Stampfen der kräftigen Hufe, und bald zeigt nur noch eine Staubwolke den Verfolgern die Richtung au, in welcher der Araber entfloh. Hier, wo die Sonnenscheibe fast senkrecht zum Horizont hinabsteigt, ist die Dämmerung äußerst kurz, und bald ver­ deckt die Nacht jede Spur des Flüchtlings. Die Türken, ohne Lebensmittel für sich, ohne Wasser für ihre Pferde, finden sich wohl zwölf oder fünfzehn Stunden von ihrer Heimat entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend. Was war zu tun? als — umzukehren und den: erzürnten Herrn die unwillkommene Botschaft zu bringen, daß Roß und Reiter und Geld verloren. Erst am dritten Abend treffen sie, halb­ tot vor Erschöpfung und Hunger, mit Pferden, die sich

kaum noch schleppen, in Mardin wieder ein; ihnen bleibt nur der traurige Trost, über dieses neue Beispiel von Treu­ losigkeit eines Arabers zu schimpfen, wobei sie jedoch ge­ nötigt sind, dem Pferde des Verräters alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und einzugestehn, daß ein solches Tier nicht leicht zu teuer bezahlt werden kann. Am folgenden Morgen, als eben der Jman zum Früh­ gebet ruft, hört der Pascha Hufschlag unter seinen Fenstern,

und in den Hof reitet ganz harmlos unser Scheich. „Sidi!" ruft er hinauf, „Herr! willst du dein Geld oder mein Pferd?"

Otto Müller. 147. Die kluge Diana. „Ja, die Diana, das war Ihnen ein Hund, Exzellenz, an den ich noch auf meinem Sterbebett mit stolzer Rüh­ rung denken werde!" sagte der Oberförster und dampfte mächtig aus feinem großen Meerschaumkopf. „Einstmals, ich stand noch als Jäger im Dienst bei dem alten Freiherrn von Löw in der Wetterau, nahm ich ihn eines Morgens mit auf die Hasensuche in der Gemarkung von Wisselsheim bei Steinfurth. Weil wir aber erst die Woche zuvor ein großes Treibjagen mit Prellnetzen abgehalten hatten, zu Ehren des Herrn Grafen von Bseuburg-Wächtersbach, wollte sich lange kein Lampe zeigen, so viel ich auch die Feldhecken und Felder mit meinem Hund gegen den Wind aus- und absuchte. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, meiner gnädigen Frau heute einen Hasen heimzubringen, als dicht vor mir ein großer Hase aus einem Kohlacker herausfährt und den nächsten Rain hinausspringt. Piff! Paff! und er überschlägt sich und liegt maustot int Graben. Diana apportiert ihn mir, und ich stecke Herrn Lampe, ohne ihn lange zu betrachten, in meinen Büchsenranzen. Das abgeschossene Gewehr über der Schulter und den Hund an der Leine, kehre ich sodann auf dem halbstündigen Weg nach Steinfurth zurück; aber denken Sie sich meine Über­ raschung, Exzellenz, als plötzlich an den ersten Häusern des Ortes der Hase, der sich nur tot gestellt, nachdem er, ohne daß ich es merkte, den Verschlußriemen meines Ranzens heimlich durchnagt hatte, wie ein Blitz herausfährt und ins Feld springt! Eh ich meinen Hund von der Leine loskriege, hat er schon einen bedeutenden Vor-

und in den Hof reitet ganz harmlos unser Scheich. „Sidi!" ruft er hinauf, „Herr! willst du dein Geld oder mein Pferd?"

Otto Müller. 147. Die kluge Diana. „Ja, die Diana, das war Ihnen ein Hund, Exzellenz, an den ich noch auf meinem Sterbebett mit stolzer Rüh­ rung denken werde!" sagte der Oberförster und dampfte mächtig aus feinem großen Meerschaumkopf. „Einstmals, ich stand noch als Jäger im Dienst bei dem alten Freiherrn von Löw in der Wetterau, nahm ich ihn eines Morgens mit auf die Hasensuche in der Gemarkung von Wisselsheim bei Steinfurth. Weil wir aber erst die Woche zuvor ein großes Treibjagen mit Prellnetzen abgehalten hatten, zu Ehren des Herrn Grafen von Bseuburg-Wächtersbach, wollte sich lange kein Lampe zeigen, so viel ich auch die Feldhecken und Felder mit meinem Hund gegen den Wind aus- und absuchte. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, meiner gnädigen Frau heute einen Hasen heimzubringen, als dicht vor mir ein großer Hase aus einem Kohlacker herausfährt und den nächsten Rain hinausspringt. Piff! Paff! und er überschlägt sich und liegt maustot int Graben. Diana apportiert ihn mir, und ich stecke Herrn Lampe, ohne ihn lange zu betrachten, in meinen Büchsenranzen. Das abgeschossene Gewehr über der Schulter und den Hund an der Leine, kehre ich sodann auf dem halbstündigen Weg nach Steinfurth zurück; aber denken Sie sich meine Über­ raschung, Exzellenz, als plötzlich an den ersten Häusern des Ortes der Hase, der sich nur tot gestellt, nachdem er, ohne daß ich es merkte, den Verschlußriemen meines Ranzens heimlich durchnagt hatte, wie ein Blitz herausfährt und ins Feld springt! Eh ich meinen Hund von der Leine loskriege, hat er schon einen bedeutenden Vor-

sprung gewonnen; aber meine Diana, nicht faul, rennt ihm nach und kommt ihm bald auf der freien Ebene, wo überall gutes Eeläuf ist, näher und näher. Von einem

Erdhaufen aus, den ich flink erklimme, habe ich nun das merkwürdigste Schauspiel von der Welt. Zuerst beschreibt der Hase einen weiten Bogen über gestürzte Äcker und Wintersaatfelder, dann wendet er sich nach rechts und läuft in einer schnurgraden Linie der Friedberger Landstraße zu, der Huud ihni immer näher auf der Ferse. Gerade fährt in vollern Galopp eine Chaise daher, worin zwei ver­ schleierte Damen sitzen. Da, wo die Straße etwas tiefer ins Feld einschneidet, springt der Hase, den die Todes­ angst blind oder vielleicht auch hellsehend macht, mit einem letzten gewaltigen Satz von dem erhöhten Wegrand in den Wagen hinüber und verkriecht sich flugs unter den Reif­ röcken der Damen; während Diana, in der irrigen Mei­ nung, der Hase habe die rasch vorüber rollende Chaise nur zum Durchgangspunkt genommen, zwar gleichfalls in den Wagen setzt, aber leider auch zum anderen Kutschenfenster wieder hinaus, alles das Werk einer Achtelsekunde! — Nun war natürlich von einer weiteren Verfolgung des Flücht­ lings keine Rede mehr; denn weder auf der staubigen Land­ straße, noch in dem frischumbrochenen Kleeacker daneben entdeckte der Hund eine Fährte desselben, und bis ich atem­ los an Ort und Stelle kam und den Zusammenhang ahnte, war uns die Chaise mit dem blinden Passagier aus dem Gesicht verschwunden, und wir hatten also nicht einmal das Nachsehen nach ihm." Schallendes Gelächter und donnerndes Bravo belohnte den alten Finkenritter für dieses neue, noch nie zuvor ge­ hörte Jagdabenteuer aus seiner Jugendzeit; der Landjägerineister aber gebot durch abermaliges Klopfen mit der MesserNinge gegen sein Weinglas dem stürmischen Jubel der Festgäste Einhalt und sagte mit ernsthafter Miene zum Oberförster:

„Bis dahin klingt Eure Geschichte

ganz

glaubhaft.

Freund Lätus, aber doch fehlt ihr noch der rechte herzerhebende und befriedigende Schluß nach Eurem und unserem Geschmack, den ich glücklicherweise aus meinem Gedächt­ nisse hinzufügen kann. Die eine der Damen war, wie Ihr schon wißt, meine selige Schwiegermutter, die verwitwete Generalin von Holzhausen, die andere die Gouvernante meiner späteren Frau, Mamsell Knieriem aus Lauterbach. Als die Damen zu Friedberg in den „Drei Schwestern" einkehrten, fand der alte Posthalter Trapp zu fernem höchsten Erstaunen den armen abgehetzten Hasen ganz sterbensmatt unter dem Sitze meiner Schwiegermutter, und diese fühlte ausnahmsweise ein so menschliches Rühren mit der armen Kreatur, daß sie ihn mit sich nach Darmstadt nahm, wo die gute Häsin noch viele Jahre unter ihrer Obhut zahm wie eine Katze int Hause lebte und durch ihre merkwürdige Gelehrigkeit und Anstelligkeit in allen häus­ lichen Verrichtungen die ganze Welt in Erstaunen versetzte. Ja, sie war so geschickt, daß sie sogar das Servieren er­ lernte und beim Abendtee den silbernen Teetopf aus der Küche in den Salon trug, wobei sie auf ihren Hinter­ läufen so zierlich flink einhertrippelte, wie ein Kammer­ zöfchen, und auch nicht einen Tropfen von dem siedend heißen Gebräu verschüttete."

Cajus Plinius. 148. Der Ausbruch -es Vesuvs, 79 n. Chr. sJm Altertum hielt man den Vesuv nicht für einen Vulkan; denn es war keine Kunde, daß er jemals Feuer gespieen hätte. Ganz plötzlich kam im Jahre 79 nach Christi Geburt ein so ungeheurer Ausbruch, daß drei Städte, Pom­ peji, Herkulanum und Stabiä, verschüttet wurden. Wir be­ sitzen über dies Naturereignis einen Brief des jüngeren Plinius, eines hervorragenden Gelehrten, dessen Oheim, der ältere Plinius, ein berühmter Naturforscher, bei dieser

Freund Lätus, aber doch fehlt ihr noch der rechte herzerhebende und befriedigende Schluß nach Eurem und unserem Geschmack, den ich glücklicherweise aus meinem Gedächt­ nisse hinzufügen kann. Die eine der Damen war, wie Ihr schon wißt, meine selige Schwiegermutter, die verwitwete Generalin von Holzhausen, die andere die Gouvernante meiner späteren Frau, Mamsell Knieriem aus Lauterbach. Als die Damen zu Friedberg in den „Drei Schwestern" einkehrten, fand der alte Posthalter Trapp zu fernem höchsten Erstaunen den armen abgehetzten Hasen ganz sterbensmatt unter dem Sitze meiner Schwiegermutter, und diese fühlte ausnahmsweise ein so menschliches Rühren mit der armen Kreatur, daß sie ihn mit sich nach Darmstadt nahm, wo die gute Häsin noch viele Jahre unter ihrer Obhut zahm wie eine Katze int Hause lebte und durch ihre merkwürdige Gelehrigkeit und Anstelligkeit in allen häus­ lichen Verrichtungen die ganze Welt in Erstaunen versetzte. Ja, sie war so geschickt, daß sie sogar das Servieren er­ lernte und beim Abendtee den silbernen Teetopf aus der Küche in den Salon trug, wobei sie auf ihren Hinter­ läufen so zierlich flink einhertrippelte, wie ein Kammer­ zöfchen, und auch nicht einen Tropfen von dem siedend heißen Gebräu verschüttete."

Cajus Plinius. 148. Der Ausbruch -es Vesuvs, 79 n. Chr. sJm Altertum hielt man den Vesuv nicht für einen Vulkan; denn es war keine Kunde, daß er jemals Feuer gespieen hätte. Ganz plötzlich kam im Jahre 79 nach Christi Geburt ein so ungeheurer Ausbruch, daß drei Städte, Pom­ peji, Herkulanum und Stabiä, verschüttet wurden. Wir be­ sitzen über dies Naturereignis einen Brief des jüngeren Plinius, eines hervorragenden Gelehrten, dessen Oheim, der ältere Plinius, ein berühmter Naturforscher, bei dieser

Gelegenheit ums Leben kam. Der Briefschreiber weilte mit seinem Oheim und seiner Mutter in Misenum, fast 30 Kilometer vom Vesuv entfernt. Wir lassen hier den Brief, der an den Geschichtsschreiber Cornelius Tacitus gerichtet ist, in sinngetreuer Übersetzung folgens:

Du wünschest Näheres über den Tod meines Ohcinis

von mir zu erfahren. Er weilte also zu Misenum bei Neapel als Befehls­ haber der Flotte. Es war am 24. August um die Mit­ tagsstunde, da trat meine Mutter zu ihm ins Zimmer und sagte, eine Wolke von ganz ungewöhnlicher Größe und Gestalt stehe am Himmel. Er ließ sich seine Sandalen geben und bestieg eine Anhöhe, von wo aus man die Er­ scheinung besser sehen konnte. Da erhob sich denn aus einem Berg — erst nachher erfuhren wir, daß es der Vesuv war — eine Wolke, die einer Pinie glich. Ein hoher Stamm stieg gerade empor und breitete sich hoch oben wie Äste aus. Es war, als ob ein gewaltiger Windstoß die Wolke senkrecht emporgetrieben hätte, bis sie, wo die Kraft des Windstoßes nachließ, durch ihr eigenes Gewicht sich in die Breite ausdehnte. Bald glänzte sie, bald war sie dunkel und fleckig, je nachdem sie Erbmassen oder Asche ent­ hielt. Plinius ließ sofort den Schnellsegler bereit machen; denn als Gelehrter wollte er das Schauspiel aus der Nähe beobachten. Als er aus dem Hause trat, kam ein Bote aus Rectina mit Briefen, worin er um schleunige Hilfe gebeten wurde, da die dortigen Bewohner sich nur auf Schiffen noch retten könnten. Da änderte er seine Anordnungen und ließ mehrere Schiffe mit vier Ruderbänken die Anker lichten. Er selbst bestieg eines davon, um Rectina und den Nachbarorten Hilfe zu bringen. Er läßt geradezu auf die gefährdeten Ortschaften steuern, er selbst so furchtlos, daß er alle Natur­ vorgänge genau beobachtete und aufzeichnete. Schon fällt Asche auf die Schiffe nieder, immer heißer und dichter, schon Bimsstein und schwarzes, verbranntes Steingebröckel,

man kann nicht mehr landen, denn die Schlacken machen die Küste unzugänglich. Er zögerte eine Weile, ob er zu­ rückfahren sollte, dann sagte er zum Steuermann: „Das Glück hilft dem Mutigen, halte auf das Landgut des Pomponius!" Das lag in Stabiä, und Pomponius bewillkommte meinen Oheim. Er brachte seine Habe aufs Schiff, mein Oheim tröstete den Freund, er solle nicht verzagen. Er ging mit ihm in sein Haus zurück, wo sie erst badeten, dann heiter, wenigstens anscheinend heiter, eine Mahlzeit einnahmen.

Die Nacht ist gekommen, und aus dem Vesuv sieht man überall mächtige Flammen brechen, deren Glanz das Dunkel erhellt. Fliehende Leute eilen vorbei. Mein Oheim spricht ihnen Mut ein, das Feuer sei ja nur die Flamme der verlassenen brennenden Dörfer. Dann begibt er sich zur Ruhe und schläft so fest, daß man seine schweren Atem­ züge, denn er war wohlbeleibt, vor der Türe hören kann. Aber die Asche und die Bimssteine regnen unaufhörlich weiter. Der Hof ist schon so hoch damit bedeckt, daß man bei längerem Verweilen das Haus nicht mehr hätte ver­ lassen können. Man weckt Plinius, und er berät mit Pom­ ponius, ob sie bleiben oder fliehen sollten. Gewaltige Erd­ stöße bringen die Dächer zum Wanken, die Häuser schaukeln hin und her, draußen regnet die heiße Asche. Man ent­ schließt sich zur Flucht. Kissen über den Kopf haltend, verlassen sie das Haus. Es sollte schon Tag sein, aber es war Nacht, dunNer und dichter als irgend eine Nacht, nur viele Fackeln und allerlei Lichter leuchteten. Sie gingen ans Ufer, aber das Meer wütete und brandete, daß sie nicht auf das Schiff konnten. Erschöpft streckte sich mein Oheim auf eine Decke nieder und forderte Wasser. Die Flammen und der die Flammen ankündigende Schwefelgeruch bringen die andern zur Flucht, er aber erhebt sich, auf zwei SNaven gestützt, bricht aber sofort zusammen und Erstickt in den gräßlichen Schwefeldämpfen. Nach drei Tagen fand man seine Leiche, unversehrt, als ob er schliefe.

238

Plinius.

Unterdessen warte ich in Misenum ängstlich auf die Rückkehr des Oheims. Ich versuchte zu studieren, aber alles, auch Baden, Essen, Schlafen war unruhig und kurz. Schon seit mehreren Tagen hatten wir leichte Erdstöße. Aber in dieser Nacht bebte die Erde, daß alles sich umzudrehen schien. Meine Mutter stürzt in mein Schlafgemach, ich stehe auf, wir begaben uns auf die schmale Terrasse zwischen dem Haus und dem Meer. Ich wollte mutig erscheinen, ich war ja doch erst achtzehn Jahre alt, so holte ich denn das Geschichtsbuch des Titus Livius, las darin und machte mir Auszüge. Ein Freund meines Oheims kam und schalt heftig meine Sorglosigkeit. Es war sechs Uhr, aber es wollte gar nicht Tag werden. Rundum zitterten die Dächer, der Zusantmenbruch unsers Hauses ist zu fürchten. Da schien es uns doch Zeit, die Stadt zu verlassen. Eine bestürzte Menschenmenge drängt hinaus, drückt und schiebt. Vor der Stadt machen sie Halt. Neuer Schrecken: die Wagen, die mitgenommen waren, rollen hin und her, und selbst unter die Räder gelegte Steine können sie nicht festhalten. Das Meer aber sahen wir zurücktreten vor den Erschütterungen der Erde, als wollte es sich selbst einsaugen. Das neugebildete Ufer wimmelte von zurückgebliebenen See­ tieren. Auf der andern Seite zog eine schwarze, schreckliche Wolke herauf, aus der lange, gezackte Flammen schossen, wie Blitze anzusehen, nur viel größer. Und nicht lange, so senkte sich die Wolke auf Erde und Meer, die Insel Capri wurde verdeckt und entschwand den Blicken, das Vorgebirge Misenum verschwand auch. Meine Mutter flehte, ich solle jetzt nur an meine Ret­ tung denken, sie selbst sei alt und gebrechlich, sie wolle nicht meinen Tod verschulden. Ich sagte, ich würde nur mit ihr mich retten, faßte sie an der Hand und zog sie mir nach. Jetzt fiel Asche, anfangs wenig; ich sehe zurück; dichtes Dunkel ist hinter uns, das sich einherwälzte wie ein heranstürzender Gießbach. Wir wollen vom Weg ab­ biegen, sagte ich, solange wir noch etwas sehen können.

daß wir nicht, wenn jetzt die Nacht kommt, hinfallen und

von der Menge zertreten werden. Wie wir das noch bedenken, kommt wirklich die Nacht, nicht wie eine bewölkte mondlose Nacht, sondern wie in einem geschlossenen Raum, wo man das Licht ausgelöscht hat. Nun hört man Geheul von Weibern, Wimmern von Kindern, Geschrei von Männern, hier rief man mit lauter Stimme nach Vater und Mutter, dort nach den Kindern, dort suchten sich zwei Gatten, ob sie sich an den Stimmen vielleicht erkennen könnten, der bejammerte sein Unglück, jener das der Seinen. In der Todesangst riefen viele den Tod herbei, andere hoben die Hände zum Gebet, noch andere schrieen, es gäbe keine Götter, die ganze Welt gehe jetzt unter. Es gab auch Leute, die durch eingebildete Schrecken die Gefahr noch übertrieben. Man hörte rufen, Misenum sei zusammengestürzt, es stehe in Flammen, und alles wurde auch geglaubt. Endlich kam ein Lichtschein, das schien aber nicht das Tageslicht zu sein, sondern näher kommender Flammenschein. Das Feuer rückte aber nicht näher, statt dessen trat wieder Dunkelheit ein, und mit ihr kam reich­ licher Aschenregen. Wir blieben oft stehen und schüttelten die Asche von uns ab, sonst hätte uns ihr Gewicht erdrückt, und wir wären verschüttet worden. Endlich wich die dicke Finsternis, als ob alles Rauch und Nebel gewesen wäre, der richtige Tag kam wieder, die Sonne brach durch, aber fahl, als wäre eine Sonnenfinsternis. Die zitternden Augen erblickten die ganze Gegend hoch mit Asche bedeckt, als wie mit Schnee. Wir kehrten nach Misenum zurück und erholten uns, so gut es ging, aber in Angst und Hoffnung verbrachten wir die Nacht. Die Angst überwog, denn die Erdbeben dauerten fort, und viele weissagten in hellem Wahnsinn das schrecklichste Unheil, was noch kommen sollte. Wir beschlossen zu bleiben, bis wir Nachricht vom Ver­ bleib des Oheims hätten.

Rudolf Reichenau. 149. Hausmütterchen. „Du kannst mir Handtücher holen, zwei von dem ge­ würfelten Muster und zwei mit den kleinen, runden Fi­ guren!" — „Ich weiß schon, ich weiß schon, von denen mit den Gänseaugen." Hausmütterchen suchte sich selbst den Schlüssel aus dem Korbe, fort war sie wie der Wind und brachte das Verlangte ganz richtig, als hätte die Wäsche schon jahrelang unter ihrer Verwaltung gestanden. Als nach einer Gesellschaft das Silber durchgezählt wurde und die Zahl nicht recht stimmte, zeigte sie sich auch da wohl unterrichtet. „Mama, müssen nicht achtzehn Paar Messer und Gabeln sein?" Ein andermal wieder kam sie: „Ich habe eine sehr, sehr große Bitte: laß mich einrühren!" Man tat ihr den Willen, und sieh da— die Klöße gerieten besser als von der Hand der Köchin, die noch neu war und sehr freie Ansichten über Klöße hatte: wenn sie nur zusammenhielten, meinte die, weiter sei nichts nötig. Aber es blieb unter dem Siegel der Verschwiegenheit, und nur ein stiller Wink des Einverständnisses über Tisch zwischen Tochter und Mutter hätte das große Küchengeheimnis ver­ raten können. Gern sahen wir Hausmütterchen auf ihrem Keinen Schemel sitzen, die Kaffeemühle im hohl eingespannten Röckchen, wie sie die Kurbel bedächtig drehte oder die auf­ geschütteten gebrannten Bohnen zurechtstrich, damit keine heraushüpfte, sondern alle ordnungsmäßig nach und nach hineinfielen zwischen die Zähne des knatternden Rades, bis der ganze Vorrat, zu köstlich duftendem braunem Mehl zer­ malmt, unten das Schiebkästchen füllte. Auch Handarbeiten machte Hausmütterchen schon recht nett, sie strickte kraus und glatt; zum Aufschlagen und bei der Hacke bedurfte sie freilich noch anderer Nachhilfe als die — der Zunge, die gar zu gern bei schwierigen Operationen hervorkam. Ebenso durften sich die Säume ihres Näh­ zeuges ganz wohl sehen lassen und waren nur selten ein-

mal -rudelhaft ungleich. Dabei fehlte es ihr keineswegs „am Besten". Sie rechnete Dividierexempel mit Weitz Gott wieviel Zahlen vor dem Strich und hinter dem Strich und lernte Lieder auswendig von einer Länge, daß es uns auf­ richtig lieb war, sie nicht selbst aufbekommen zu haben. „Schade, daß Hausmütterchen nicht ein wenig hüb­ scher ist!" bedauerte einmal jemand mit mehr Aufrichtigkeit als Takt. „Nicht hübsch? Nun, wir wüßten doch nicht, daß der liebe Gott etwas an ihr vergessen hätte." Der Vater selbst scherzte manchmal: „Was tut's, wenn unsere Kleine auch ein bräunliches Fellchen hat? die Bunzlauer Kännlein sind noch viel brauner und halten das Frühstück viel länger warnr, als das weitzeste Porzellan; gut Warm­ halten ist aber eine Hauptsache bei Kaffeegeschirr und Haus­ mutterherzen."

150. Wie die Großmutter schreiben lernte. „Herr Kantor!" Lottchen hob die Hand hoch. „Immer schreiben, immer schreiben, kein Wort reden!" — „Ach, Herr Kantor, Herr Kantor!" Lottchen hob die Hand noch höher. „Was ist denn schon wieder? Ihr habt auch immer was." — „Herr Kantor, es ist so sehr heiß! Die Finger bleiben einem ja auf dem Papier kleben." — „Leg das Lösch­ blatt unter, mein Kind, oder streu Sand zwischen! Immer schreiben, immer schreiben!" — „Herr Kantor, ach, Herr Kantor!" Hannchen hob auch die Hand in die Höhe mit großer Dringlichkeit. „Immer schreiben, immer schreiben, kein Wort reden!" — „Herr Kantor, ich wollte nur sehr bitten: darf ich nicht das Fenster aufmachen?" — „Es ist ja schon offen." — „Aber nur oben das kleine. Darf ich nicht das Unterfenster auch aufmachen?" — „Nein." — „Es ist so furchtbar heiß, Herr Kantor." — „Je mehr ihr aufreißt, je mehr Hitze kommt herein." — „Herr Kantor, ich kann es schon gar nicht mehr aushaltcn!" — „Steck die Nase ins Büch, mein Kind! Du willst bloß noch besser Hessel, Lesebuch 8. II. «usl.

M. 16

auf die Gasse gucken. Ich kenne mein Hannchen. Immer schreiben, immer schreiben, kein Wort reden!" Und alle schrieben fleißig weiter. Und der alte Leh­ rer, der so lange hin und hergegangen, setzte sich an seinen Tisch, der auf einem Tritte stand. Es war der „polnische Herr Kantor", wie ihn die Kinder nannten, sie wußten selbf. nicht weshalb, da er kein Pole, auch nicht polnisch lehrte. Vielleicht war die Schule früher einmal eine polnische ge­ wesen, ehe Westpreußen wieder deutsch wurde. Er erteilte auch Knaben den ersten Unterricht, und wenn die wieder abgingen, entließ er sie feierlich: „Bei mir habt ihr lesen, schreiben und rechnen gelernt. Nun geht in die hohe Kathedralschule und verlernt es wieder!" — „Lottchen, Lottchen! Wie breitest du dich aus mit deinen Ellenbogen! Die an­ dern wollen auch Platz haben .... Hannchen, leg dich doch nicht so weit über! Du wirst schief werden, verdirbst dir die Augen, und für die Brust ist es auch nicht gut; wenn ihr's jetzt auch noch nicht merket — merket ihr es erst, dann ist's zu spät." — „Herr Kantor, Sie sagten ja, ich soll die Nase ins Buch stecken. Wenn ich gerade sitze — so weit reicht meine Nase nicht." „Immer schreiben, immer schreiben, kein Wort reden!" — Und noch einmal hob Lottchen die Hand auf: „Herr Kantor!" — „Immer schreiben, immer schreiben!" — „Herr Kantor, es wird so dunkel, ich kann hier gar nicht sehen, die Augen verderben sollen wir uns doch nicht, haben Sie nur eben gesagt. Es steigen so schwere Wolken auf." — „Wo denn, wo denn, Kindchen? Ich sehe nichts." — „Von da können Sie's auch nicht sehen.... aber von hier." — „Ja, Herr Kantor, es kommt ganz schwarz herauf," und Hannchen schlenkerte wieder die Hand und hob den Arm so hoch, daß unter dem kurzen Ärmel ein fingerbreiter, weißer Streif zu sehen; denn über Leib und Leben war sie doch nicht ganz so verbrannt, wie ihre Arme und Hände. „Blitzte es nicht eben?" — Lottchen hielt sich die Augen zu. — „Gedonnert hat es auch schon." —' „Ja, ja, es hat

stark gedonnert." Hannchen hatte es auch gehört. — «Ich bin so ängstlich bei Gewitter, den Parapluie haben Sie auch nicht mal mit, Herr Kantor — ei, wenn es einschlägt! Wollen Sie uns nicht lieber nach Hause schicken?" — „Im­ mer schreiben, immer schreiben, kein Wort reden!" Und die Kinder schrieben und schrieben, und es wurde immer stiller und stiller und immer heißer und bedrückter in der Schulstube. Der Herr Kantor legte die Arme kreuz­ weise auf den Tisch, den Kopf auf die Arme, sein Atem wurde immer tiefer und schwerer — mit einmal fing der alte Mann an sanft zu schnarchen. Da richtet sich Lottchen hoch auf, sieht sich nach allen Seiten um, legt den Finger an den Mund, Hannchen steht auch auf und winkt auch den andern. Lottchen ist schon aus der Bank an der Tür, die Tür geht gar leise auf, imb — hui! hinaus wie der Wind. Hannchen ihr nach, und so immer eine nach der andern, bis alle draußen. Der alte Lehrer kann ungestört sein Schläfchen halten, und er schläft so schön und fest, die kleinen Ausreißer kommen auch alle wieder glücklich herein, jedes an seinen Platz, Hannchen zuletzt. Die vergißt aber, die Tür hinter sich zuzuziehen, oder sie denkt, es komint noch wer. Eine Zugluft geht durch das Zimmer — ruck! fliegt das eine offene Oberfenster und ruck! noch lauter die Tür zu — der Herr Kantor fährt auf, reibt sich die Augen. Träumt er noch? Oder was ist das für ein Schnack? Rosen, rote und weiße, hellrote und dunkelrote, vollaufgeblühte und Knospen, fallen ihnr vom Kopf, aus dem silberweißen Haar auf den Tisch, auf den Tritt und noch weiter ringsum in die Stube. Da droht er: „Ihr Schelme! wir werden den Garten zuschließen und eiserne Spitzen ans den Zaun nageln lassen — denkt aber nur nicht, daß ich geschlafen habe. Ich wollte euch den Scherz nur nicht verderben — dies eine Mal! Aber nun seid auch recht artig und schreibt weiter . . . oder seid ihr fertig mit der Seite?" — „Ja wohl, Herr Kantor!" Alle waren fertig.

So stand er auf, schrieb an die schwarzgestrichene höl­ zerne Tafel, die hinter ihm an der Wand hing, und buch­ stabierte laut vor, die Kinder schrieben und buchstabierten nach. Wer auf der Straße an dem Schulhause vorbei kam, mochte schwerlich ahnen, wie lustig das noch soeben zuge­ gangen in derselben Klasse, aus der jetzt im Chor Heller Stimmen und in mühselig singendem Ton erschallte: „U... u. . . zwei Strichlein drüber: ü — be. . . e. . . err: ber! — ü-ber." Jeder neue, also vorgeschriebene und buch­ stabierte Satz wurde dann auf einer neuen Seite zu besserer Einprägung in einer gewissen Anzahl von Zeilen abge­ schrieben. „So. . . jetzt schreibt, Kinderchen, schreibt. . . immer schreiben, schreiben, kein Wort reden!" Und die Kinderchen schrieben und schrieben und redeten kein Wort — Lottchen breitete sich nicht zu sehr aus, Hann­ chen saß nicht schief, legte sich nicht zu weit über und guckte auch nicht zum Fenster hinaus. Es war wie in einer Schreib­ stunde unserer jetzigen Töchterschule, wo die kleinen Mäd­ chen ja auch immer schreiben, schreiben und kein Wort reden. Nur eins war anders: alle die kleinen Köpfe, von der ersten bis zur letzten Bank, waren weiß, so weiß wie der Kopf des alten polnischen Herrn Kantors .... Oder nein — doch nicht alle. Die zweite auf der dritten Bank hatte kastanienbraunes Haar — seit einigen Tagen. Früher ging sie wie die andern. Als sie zum erstenmal so kam, wurde sie groß angesehen. Hannchen wies mit dem Finger auf sie in der Zwischenviertelstunde draußen auf dem Hofe. „Ach, seht mal, wie die geht! Wer sich nicht pudert, der kämmt sich auch nicht, und wer sich nicht kämmt, der wäscht sich auch nicht!" Da lachten die Kinder, mehr und mehr traten hinzu, schlossen einen Kreis und neckten die Unordent­ liche. „Was habt ihr mit der Rieke?" Lottchen, die von der andern Seite des Hofes herkam, wischte sich den Mund, der nicht ganz klein, wie an dem ganzen, schlank aufgeschos­ senen Kinde nichts klein oder kleinlich. Es war ein großes, schönes Kind. Das Stück Kuchen, das sie in der Hand hielt,

war auch keins von den kleinsten. Als sie gehört, was es gab, blies sie stolz und verächtlich die glänzenden Zucker­ krümel von den Lippen: „Ihr dummen Margellen, wißt ihr das noch nicht mal? Wer Trauer hat, trägt keinen Puder — sie trauert um ihre Mutter." Und still verlor sich der necklustige Schwarm, Hannchen voran. Da klingelte es, die Pause war aus, und von der Pause an waren Lotte, Hannchen und Friederike Freundinnen.

Albert Richter. 151. Ein warmes Bad. Ani Anfang des zehnten Jahrhunderts lebte in dem Kloster St. Gallen ein Mönch, Ekkehard mit Namen. Der war ein gar gelehrter Mann und daher Vorsteher der Klosterschule. Lateinische Lieder dichtete er in großer Zahl, und auch die Sage von dem Helden Walther von Aqui­ tanien, der mit seiner Braut Hildegund von dem Hofe des Hunnenkönigs Etzel entfloh, brachte er in lateinische Verse. Ekkehard war aber auch ein wahrhaft frommer Mann. Er glaubte nicht genug getan zu haben, wenn er mit den andern Mönchen in der Klosterkirche oder allein in seiner Zelle sein Gebet verrichtet hatte, sondern er betätigte seine Frömmigkeit auch in guten Werken. Er ward nicht müde in Werken der christlichen Nächstenliebe, und wohlwollende Fürsorge traf er auch für den ärmsten Bettler. So errichtete er denn vor dem Kloster ein eigenes Haus zur Aufnahme und Verpflegung fremder Pilgrime, und selbst Kranke nahm er darin auf, denen dann seine Kenntnisse in der Heilwissenschaft zu gute kamen. Es kam aber zuweilen vor, daß Betrüger seine Güte inißbrauchten und sich krank stellten, nur um der guten Verpflegung teUhaftig zu werden. Einst kam ein solcher Betrüger aus Welschland; der

war auch keins von den kleinsten. Als sie gehört, was es gab, blies sie stolz und verächtlich die glänzenden Zucker­ krümel von den Lippen: „Ihr dummen Margellen, wißt ihr das noch nicht mal? Wer Trauer hat, trägt keinen Puder — sie trauert um ihre Mutter." Und still verlor sich der necklustige Schwarm, Hannchen voran. Da klingelte es, die Pause war aus, und von der Pause an waren Lotte, Hannchen und Friederike Freundinnen.

Albert Richter. 151. Ein warmes Bad. Ani Anfang des zehnten Jahrhunderts lebte in dem Kloster St. Gallen ein Mönch, Ekkehard mit Namen. Der war ein gar gelehrter Mann und daher Vorsteher der Klosterschule. Lateinische Lieder dichtete er in großer Zahl, und auch die Sage von dem Helden Walther von Aqui­ tanien, der mit seiner Braut Hildegund von dem Hofe des Hunnenkönigs Etzel entfloh, brachte er in lateinische Verse. Ekkehard war aber auch ein wahrhaft frommer Mann. Er glaubte nicht genug getan zu haben, wenn er mit den andern Mönchen in der Klosterkirche oder allein in seiner Zelle sein Gebet verrichtet hatte, sondern er betätigte seine Frömmigkeit auch in guten Werken. Er ward nicht müde in Werken der christlichen Nächstenliebe, und wohlwollende Fürsorge traf er auch für den ärmsten Bettler. So errichtete er denn vor dem Kloster ein eigenes Haus zur Aufnahme und Verpflegung fremder Pilgrime, und selbst Kranke nahm er darin auf, denen dann seine Kenntnisse in der Heilwissenschaft zu gute kamen. Es kam aber zuweilen vor, daß Betrüger seine Güte inißbrauchten und sich krank stellten, nur um der guten Verpflegung teUhaftig zu werden. Einst kam ein solcher Betrüger aus Welschland; der

stellte sich lahm und kam daher aus Krücken vor das Kloster, klagte auch laut über die Schmerzen, die ihm die Gicht in seinen Gliedern verursache. Ekkehard nahm ihn freundlich auf und übergab ihn zur Pflege einem Wärter, der ihm sofort ein erquickendes warmes Bad zubereiten sollte. Der Kranke fand aber das Bad zu warm und rief in seiner Sprache: Cald est, cald est; d. h. es ist warm, es ist warm. Der Wärter jedoch verstand die Sprache des Betrügers nicht und meinte, er beklage sich, daß das Bad zu kalt sei. Deshalb goß er noch einen großen Kübel voll heißen Wassers in die Wanne. Da schrie aber der vermeinte Kranke fürchterlich: „Ei nii cald est, cald est!" und wenn er sich nicht hätte lahm stellen müssen, wäre er am liebsten aus der Wanne ge­ sprungen. Der Wärter ward ärgerlich und begriff nicht, wie dieser Welsche noch über Kälte klagen konnte, da er doch am ganzen Körper schon rot war, wie ein gesottener Krebs. Er wollte ihm aber dennoch zu Willen sein und holte einen zweiten Kübel voll heißen Wassers herbei. Als er den in die Wanne goß, hielt es der Welsche nicht mehr aus; mit einem Satze, wie er nur gesunden Beinen möglich ist, sprang er aus der Wanne. Der Wärter aber, zornig, daß man Ekkehards Gutmütigkeit wieder miß­ braucht hatte, gab dem Welschen noch eine tüchtige Tracht Prügel mit auf den Weg, ehe er ihn zum Tore hinaus ließ.

Peter Rosegger. 152. Wan da Sauholta Kaisa war. Is amol a baur gwest. Uih narrasch, dös hebt jo on wiar a schöni gschicht! Und der baur is mit an sauholta va da kirchn hoamgonga.

stellte sich lahm und kam daher aus Krücken vor das Kloster, klagte auch laut über die Schmerzen, die ihm die Gicht in seinen Gliedern verursache. Ekkehard nahm ihn freundlich auf und übergab ihn zur Pflege einem Wärter, der ihm sofort ein erquickendes warmes Bad zubereiten sollte. Der Kranke fand aber das Bad zu warm und rief in seiner Sprache: Cald est, cald est; d. h. es ist warm, es ist warm. Der Wärter jedoch verstand die Sprache des Betrügers nicht und meinte, er beklage sich, daß das Bad zu kalt sei. Deshalb goß er noch einen großen Kübel voll heißen Wassers in die Wanne. Da schrie aber der vermeinte Kranke fürchterlich: „Ei nii cald est, cald est!" und wenn er sich nicht hätte lahm stellen müssen, wäre er am liebsten aus der Wanne ge­ sprungen. Der Wärter ward ärgerlich und begriff nicht, wie dieser Welsche noch über Kälte klagen konnte, da er doch am ganzen Körper schon rot war, wie ein gesottener Krebs. Er wollte ihm aber dennoch zu Willen sein und holte einen zweiten Kübel voll heißen Wassers herbei. Als er den in die Wanne goß, hielt es der Welsche nicht mehr aus; mit einem Satze, wie er nur gesunden Beinen möglich ist, sprang er aus der Wanne. Der Wärter aber, zornig, daß man Ekkehards Gutmütigkeit wieder miß­ braucht hatte, gab dem Welschen noch eine tüchtige Tracht Prügel mit auf den Weg, ehe er ihn zum Tore hinaus ließ.

Peter Rosegger. 152. Wan da Sauholta Kaisa war. Is amol a baur gwest. Uih narrasch, dös hebt jo on wiar a schöni gschicht! Und der baur is mit an sauholta va da kirchn hoamgonga.

Rechtschoffn hobn s’ aufmusizirt heint, sogt da sauholta. Jo, dass s’heint wieda gar a so trumelt hobn, sogt da baun. Weil holt, moan i, in Kaisa sei nomenstog tat sei. Hon’s eh ah ghört, daß heint in Kaisa sei nomens­ tog tat sei. Und derawegn wern s’ a so trumelt hobn. Kon eh sei, daß s’ derawegn a so trumelt hobn. — Nocha trotlns weita. Da baur zündt sei pfeifn on und ban feurschlogn, wia er in röhrlspitz so zwischn sein zähntn hot, sogt er: Holta, lachst jo, daß s’trumelt hobn wern, wan in Kaisa sei nomenstog is. I, wan iKaisa war, olli tog liaß i trumeln, sogt da holta. I nit, i, moant da baur, i wissad ma wos bessers. Schupft da sauholta mit sein schuahspitz aufn weg a stoandl hin und her und sogt: Heili wohr ah, auf dös war i neugieri. Auf wos? sagt da baur. Wos da tatst, wanstu Kaisa warst. Wia kirnst ma dan für, sauholta? Wos du tatst, wanstu Kaisa warst? Guat liaß i ma ’s gschehn. In gonzn tog liegad i afn heu. Und derawegn möchast du Kaisa sei? Wos denn? A sou tat i nit. Wan i Kaisa bin, do loß i 's umagehn — schlageralent no amoll Onschikn kunt i ma ’s. Glaub da ’s eh, sogt da baur, du wardst es schön nobl gehn. Das konst da denkn. Wan i amol Kaisa bin, afn heu lieg i nit. Z’ fuaß treibad i mein! sau nit auf d' woad. Uf an schimel mit güldenen sodl reitad i eahna noch, und sechs grofn müassadn hintn drein trappeln.

153. Ein Kräutlein für den Tod. Aus den Talgründen der Maros erhebt sich ein finste­ rer Fels, so steil tote eine Wand und von weitem zu sehen

über der Ebene wie eine graue, ungeheure Festung. Sagen und Lieder gehen im weiten Ungarland vom schatzreichen Geisterschloß, an dessen Grund die gelben Wellen der Maros fluten, herangewogt aus Siebenbürgens fernen Bergen. Im Innern des Felsens Gold- und Edelgestein, und außen an den wüsten Schroffen seltsam blaue Blümlein, die nir­ gends sonst wachsen auf der Erde, Heilkräuter, Wunder­ pflanzen, darunter auch das Kräutlein für den Tod. Das Kräutlein für den Tod, sagen die Leute und verstehen darunter ein Mittel, den Tod zu töten. Ist schon mancher emporgeklettert die finstere Wand an der Maros, aber das Wieslein, wo jenes Kraut wächst, war noch keinem erreichbar. Man sieht's von unten, es ist wohl siebenmal so hoch oben, als die höchste Eiche kann ragen, es ist nicht senkrecht, es ist überhängend, und das Moos und die Kräutlein wachsen von oben herunter. Und alte Leute sagen, diese Pflanzen wüchsen immer länger aus dem Stein, und vor ein halb hundert Jahren hätte man sie noch nicht so herniederranken gesehen wie jetzund, und all­ mählich würden sie sich schon herabschlängeln und von den Menschen erreicht werden. Ja, sagen andere, die keinen Glauben mehr haben an die liebevollen Wunder der Welt, herabschlängeln wer­ den sie sich schon, die Kräutlein für den Tod, aber der Tod wird sich wohl beeilen und die Menschen früher ver­ tilgen. Wenn auch, sagen wieder die ersten, und ist der Mensch nicht mehr, so wird schon das Getier die Kräutlein finden, auch der Bär und der Wolf werden froh sein, wenn der Tod nicht mehr lebt. Da lachen die anderen. Wenn der Tod nicht mehr ist, dann müssen der Bär und der Wolf selber versterben; oder wovon leben denn die Raubtiere? vom Tode anderer. Am Fuße des Felsens und hart am Ufer des Flusses lebte ein Mann. Er war anscheinend arm und nährte sich von Feldbau und Fischerei, aber die Leute sagten, er

sei in Freundschaft mit den Geistern des Berges, welche die ungeheuren Schätze bewachten, und diese ließen ihn nicht darben. Darum kamen sie in ihren Nöten auch oft zu dem Manne, auf daß sie ihn um Rat fragten. Sie mein­ ten, wenn sie den guten Alten um Rat bäten, so würde er ihnen vielleicht klingendes Silber und Gold geben, denn es gibt auf der Welt kein besseres Auskunftsmittel als das liebe Geld. Aber der Mann am Fuße des Felsens gab sein Scherflein in Worten. Zu verachten war's auch nicht, gewißlich nicht, und die Leute sahen es bald ein. Der Mann war so gut und teilnahmsvoll und trostreich und weise, daß manchem mit einem Wort aus seinem Munde mehr gedient war wie mit einer Hand voll von Silber­ lingen. Nicht alle wissen es, was ein rechtes Wort zu rechter Zeit wert ist, aber der Mte freute sich darüber, daß er einen Schatz besaß, von dem er reichlich teilen konnte, ohne daß er zur Neige ging. Doch der Mann, der anderen Gutes tat, hatte selber ein tiefes Leid im Herzen, und das konnte niemand von ihm nehmen, und das verbitterte ihm sein Leben. Wenn er's auch hätte erreichen können, das Kräutlein für den Tod, er hätte es nicht gepflückt. Es war ihm ein Trost, daß er sterben konnte. Der Mann hatte nämlich einen Sohn, der ungeraten war. Ungeraten, so wußte er es, und so sagten die Leute. Der Sohn war leichtlebig und ging seiner Jugend nach. Er trank feurigen Wein in den Schänken und sang dazu Lieder, welche die schönen Mägdlein heranlockten, und die Mägdlein, die nahm er dann gefangen in seine beiden Arme. Eins ums andere, ja, und ließ sie nicht mehr los. Den alten Vater aber ließ er in der Einsamkeit der Hütte, die unter der finsteren Felswand ruhte, am Ufer der Maros. Selten kam der Sohn nach Hause und vernahm die lieb­ reichen Worte des Vaters. Er horchte ihrer mit Andacht und guten Vorsätzen, aber als die Welt wieder winkte, ging er wie zuvor fröhlich ihren Freuden nach.

Aus Gram darüber wurde der Alte krank, schwer und bis auf den Tod krank. Da kamen die Leute herbei, die ihn ehrten, und versuchten ihn zu trösten, zu erquicken und zu heilen mit ihren armen Mitteln, die nichts beleben und nichts kräftigen können, als einzig nur die Hoffnung. Der alte Mann aber hatte die Hoffnung, daß er von seinem Herzeleid nun bald erlöst werden würde, denn daß er ein mißratenes Kind hatte, das hielt er für das größte Un­ glück auf der Welt. Endlich hörte auch der Sohn von der Erkrankung seines Vaters. Er trank den Rest nicht aus, der vor ihm im Glase stand, er küßte der jungen Schänkin auch nicht mehr den Tau vom Munde, der ganz nahe an den seinen herangchaucht gekommen war, er stand auf und ging der Hei­ matshütte zu. Er hielt sich drei Schritte vor dem Kran­ kenbett und starrte mit wirren Augen auf den blassen Vater hin. „Aha," sagten die Leute, „jetzt ist er da, daß er ja die Erbschaft nicht versäume." — „Kind," sagte der Alte mit trüber (Stimme, „ich sehe dich doch noch einmal. Komm, daß ich dich segne!" Und als der Sohn sah, es gebe keine menschliche Hilfe mehr für seinen Vater, da wartete er nicht auf den Segen und nicht auf die Erbschaft. Hastiger noch, als er gekom­ men, ging er wieder davon. Die Leute schauten ihm stau­ nend nach; mit Stock und Haken und Strick gerüstet, stieg er den Felsen hinan. Wo will er denn hin? Weiß er da oben eine Schänkin? Man sah es bald, er kletterte dem Überhänge zu, an wel­ chem das Kräutlein für den Tod wuchs. Ist er wahnsinnig geworden? Hoch stieg er empor, seitwärts an der Wand, wo er sich an Strupp und Strunk halten konnte. Er ver­ schwand im Gebüsch. „Ei," sagten sie, „der geht anderswo hin, als um Medizin für seinen Vater!" Nach einer Stunde baumelte hoch oben über der wil­ den vorspringenden Wand an einem Seil ein Menschen-

körper nieder, so, als ob eine Spinne Herabschwebe an ihrem dünnen, »nsichtbaren Faden. Und dort, wo eine Felsleiste Hinausstand, klammerte sich der Tollkühne ans Gestein und kletterte quer an demselben weiter. Wie ein Schattenpunkt an der glatten Wand, so bewegte er sich dahin; von unten sah man die kleinen Vorsprünge und Sträucher nicht, die aus den Spalten wucherten, und die Leute wollten lärmen vor Staunen und Bewundern, und sie konnten vor Angst kaum Atem holen. Er hat auch längst den Strick nicht mehr um sich, der viel zu kurz geworden war, und es war keine Menschenmöglichkeit da, wieder heil vom Gewände zu kommen. Der Kletterer hatte nicht mehr weit zur Stelle hin, wo vom Überhänge nieder das Wunderkräirtlein wuchs. Vor ihm war noch eine Kluft zu überspringen, und dann wäre er dort, wo er wie eine Fliege müßte kleben können am Überhang, wollte er nicht auf der freien Luft stehen. Er stand still und blickte um sich, als sähe er sich noch ein­ mal die Welt an. Wie rot leuchtete der Abendschein unten in den Fluten! Dann wendete der junge Mann sein Haupt nieder gegen die Hütte des Vaters, und dann — dann machte er einen weiten, kräftigen Sprung; noch einmal berührte sein Fuß einen Stein, während er mit der Hand gegen die in Halmen und Blättern niederhängenden Kräu­ ter fuhr — und der zweite Sprung fand keinen Boden mehr — im Bogen zuerst und dann senkrecht stürzte er nieder, wohl an die siebzig Klafter, und fiel in die Krone einer Eiche, wie sie unten standen. Gar zerschlagen und zer­ rissen haben sie ihn in die Hütte gebracht, den Toten, der krampfhaft in seiner Hand noch hielt das Kräutlein für den Tod. Der Alte hatte Tränen gelacht und dann von dem Kräutlein etliche Blätter an die Lippen geführt. Und wisset,

daß er wieder gesund worden ist! „Bin ich auch ganz allein auf Erden," hatte er noch oft gesagt, „so freut mich jetzund doch wieder das Leben,

da ich weiß, ich hab ein gutes Kind gehabt. Und mache ich die Augen zu, so bleibt's noch für andere Eltern wahr: ein liebes braves Kind bringt das Kräutlein für den Tod am sichersten."

154. Waldlilic im Schnee. Der Berthold ist ein Wilderer geworden. Das Holzen wirft viel zu wenig ab für eine Stube voll von Kindern. Für das kranke Weib eine kräftige Suppe, für die Kinder ein Stück Fleisch will er haben und schießt die Rehe nieder, die ihm des Weges kommen. Dazu tut die Leidenschaft das ihre, und so ist der Berthold, der vormaleinst als Hirt ein so guter, lustiger Bursch gewesen, durch Armut, Trotz und Liebe zu den ©einigen recht sauber zum Verbrecher heraugetvachsen. Bis zu diesen Tagen hat er sich nicht gebessert; aber das Geschehnis dieser wilden Wintertage hat ihn laut weinen gemacht, denn seine Waldlilie liebt er über alles. Ein trüber Winterabend ist es gewesen. Die Fensterchen sind mit Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee. Berthold wartet bei den Kindern und bei der kranken Aga nur noch, bis das älteste Mädchen, die Lili, mit der Milch heimkehrt, die sie bei einem nachbarlichen Klausner erbetteln muß. Denn die Ziegen im Hause sind geschlachtet und verzehrt; und kommt die Lili nur erst zurück, so will der Berthold mit dem Stutzen in den Wald hinauf. Bei solchem Wetter sind die Rehe nicht weit zu suchen. Aber es wird dunkel, und die Lili kehrt nicht zurück. Der Schnee­ fall wird dichter und schwerer, die Nacht bricht herein, und Lili kommt nicht. Die Kinder schreien schon nach der Milch, den Vater verlangt schon nach dem Wild; die Mutter richtet sich auf in ihrem Bette. „Lili!" ruft sie, „Kind, wo trot­ test denn herum im stockfinstern Wald? Geh heim!" Wie kann die schwache Stimme der Kranken durch den wüsten Schneesturm das Ohr der Irrenden erreichen? Je finsterer und stürmischer die Nacht wird, desto tiefer sinkt in Berthold der Hang zum Wildern, und desto höher

steigt die Angst um seine Waldlilie. Es ist ein schwaches, zwölfjähriges Mädchen; es kennt zwar die Waldsteige und Abgründe, aber die Steige verdeckt der Schnee, den M» gründ die Finsternis. Endlich verläßt der Mann das Haus, um sein Kind zu suchen. Stundenlang irrt und ruft er in der sturmbewegten Wildnis; der Wind bläst ihm Augen und Mund voll Schnee; seine ganze Kraft muß er an­ strengen, um wieder zurück zur Hütte gelangen zu können. Und nun vergehen zwei Tage; der Schneefall hält an, die Hütte des Berthold wird fast verschneit. Sie trösten sich überlaut, die Lili werde wohl bei dem Klausner sein. Diese Hoffnung wird zunichte anr dritten Tag, als der Berthold nach einem stundenlangen Ringen im verschneiten Gelände die Klause verinag zu erreichen. Lili sei vor drei Tagen wohl bei dem Klausner gewesen und habe sich dann bei­ zeiten wohl mit dem Milchtopf auf den Heimweg gemacht. „So liegt meine Waldlilie im Schnee begraben", sagt der Berthold. Dann geht er zu anderen Holzern und bittet, wie diesen Mann kein Mensch noch so hat bitten gesehen, daß man komme und ihm das tote Kind suchen helfe. Am Abend desselben Tages haben sie die Waldlilie ge­ funden. Abseits in einer Waldschlucht, im finsteren, wild­ verflochtenen Dickichte junger Fichten und Gezirme *), durch das keine Schneeflocke vermag zu dringen, und über dem die Schneelasten sich wölben und stauen, daß das junge Gcstämme darunter ächzt, in diesem Dickichte, auf den dürren Fichtennadeln des Bodens, inmitten einer Rehfamilie von sechs Köpfen ist die liebliche, blasse Waldlilie gesessen. Es ist ein sehr wunderbares Ereignis. Das Kind hat sich auf dem Rückweg in die Waldschlucht verirrt, und da es die Schneemassen nicht mehr hat überwinden können, sich zur Rast unter das trockene Dickicht verkrochen. Und da ist es nicht lange allein geblieben. Kaum ihm die Augen an*) D. h. Knieholz, Legföhren, wie solche auf höheren Almen wachsen, dort Zirm, Zerben genannt (Erklärung des Verfassers.)

heben zu sinken, kommt ein Rudel von Rehen an ihm zu­ sammen, alte und junge, und sie schnuppern an dem Mäd­ chen, und sie blicken cs mit milden Augen völlig verständig und mitleidig an, und sie fürchten sich gar nicht vor diesem Menschenwesen, und sie bleiben und lassen sich nieder und benagen die Bäumchen und belecken einander und sind ganz zahm; das Dickicht ist ihr Winterdaheim. Am andern Tage hat der Schnee alles eingehüllt. Wald­ lilie sitzt in der Finsternis, die nur durch einen Dämmerschein gemildert ist, und sie labt sich an der Milch, die sie den Ihren hat bringen wollen, und sie schmiegt sich an die guten Tiere, auf daß sie im Froste nicht ganz erstarre. So ver­ gehen die bösen Stunden des Verlorenseins. Und da sich die Waldlilie schon hingelegt zum Sterben und in ihrer Einfalt die Tiere hat gebeten, daß sie getreulich bei ihr bleiben möchten in der letzten Sterbestunde, da fangen die Rehe jählings ganz seltsam zu schnuppern an und heben ihre Köpfe und spitzen die Ohren, und in wilden Sätzen durch­ brechen sie das Dickicht, und mit gellendem Pfeifen fliehen sie davon. Jetzt arbeiten sich die Männer durch Schnee und Ge­ sträuche herein und sehen mit lautem Jubel das Mädchen, und der alte Rüpel ist auch dabei und ruft: „Hab ich nicht ge­ sagt, kommt mit herein zu sehen, vielleicht ist sie bei den Rehen!" So hat es sich zugetragen; und wie der Berthold gehört, die Tiere des Waldes hätten sein Kind gerettet, daß es nicht erfroren, da schreit er wie närrisch: „Nimmer­ mehr! mein lebtag nimmermehr!" Und feinen Kugelstutzen, mit dem er seit manchem Jahre Tiere des Waldes getötet, hat er an einem Stein zerschmettert.

Adolf Graf von Schack. 155. Konstantinopel. Als das Dampfschiff nach einer stürmischen Nachtfahrt durch die Propontis an der Spitze des Serails und dem Eingang in das goldene Horn die Anker warf und nun im ersten Morgenlicht die Riesenstadt Konstantinopel vor mir und um nlich aus den, Dunkel tauchte, ward ich durch diese traumhafte Herrlichkeit wie berauscht. Das gleich dem der Tiberstadt über sieben Hügel hinflutende Häusermeer mit den aus grünem Platanendickicht emporragenden Kuppeln der Moscheen, allhin durchschnitten von den blitzenden Wellen der See von Marmora, hier Europa, dort Asien, an Pracht ihrer Gestade miteinander wetteifernd — die Erde bietet kein zweites gleich wunder­ volles Panorama! Um dasselbe voll in uns aufzunehmen, bestiegen wir bald nach der Landung den hochgelegenen Turm des Seraskiers, und hier entfaltete sich das Ganze noch großartiger, indem der Blick über die zu allen Seiten aufragenden Minarete, die weiten Vazarhallen und das fast unübersehbare Häusergewirr nach den noch mit hohem Schnee bedeckten Gipfeln des bithynischen Olymp, nach den duftenden Prinzeninseln und jenseits des langgedehnten Bosporus zum Schwarzen Meer und den blauen Symplegaden hinüberglitt. Alle die Plätze, die von meinem früheren Aufenthalt her noch leuchtend in meiner Erinnerung standen, durfte ich nun von neuem besuchen: die süßen Wasser am goldnen Horn, wo die verschleierten Türkinnen an Festtagen sich um die rieselnden Quellen versamnieln oder in ver­ goldeten, von weißen Stieren gezogenen Wagen spazieren fahren; die Höhe des schöngeformten Berges Bugurlu hin­ ter Skutari, wo sich eine zweite, hinter der vom Turm des Seraskiers nicht zurückstehende Aussicht därbietet; den Friedhof bei Pera, wo die Muhammedaner an den mit steinernen Turbanen umwundenen, von Zypressen über-

schatteten Grabmälern ihrer verlorenen Teuren und so viele andere unvergeßliche «Stätten.

beten,

156. Athen. 16. April 1870. So viele herrliche Orte der Erde ich auch schon be­ sucht habe, an keinem von ihnen hat sich noch so, wie in Athen, der Wunsch in mir geregt, ihn nie wieder zu verlassen. Als ich zuerst, vom Piräus herkommend, die Akropolis vor mir aufsteigen sah, als ich dann den Theseus­ tempel und die Säulen des Olympion erblickte, als ich die Wellen des von Frühlingsregen höher geschwollenen Jlissos rauschen hörte, war mir, als sei ich in meine Hei­ mat zurückgekehrt, aus der ich mich als Kind in die weite Welt verirrt. War ich doch im Geist hier so viel umher­ gewandert, daß mich alle Plätze wie alte Bekannte grüßten. Ich ward nicht müde, zu den Propyläen emporzusteigen und von den Stufen des Pallastempels das Auge über das hiinmlische Land nach dem Meer und den ferne däm­ mernden Bergen hingleiten zu lassen, an der Nymphen­ grotte und der Quelle Kallirrhoe stundenlang zu träumen. Herrlich ist dieses Attika unter der strahlenden Klarheit seines Himmels, mit seinen vom Morgen- und Abendschein vergoldeten Bergspitzen, seinem über das Silbergrün der Olivenhaine heraufschimmernden Ozean, und es wird wenige Landschaften geben, welche Grandiosität mit Lieblichkeit in gleich hohem Maße vereinigen. Aber die höchste, unver­ gleichliche Schönheit haben der Stadt des Perikles und ihrer Umgebung doch die großen Männer verliehen, die in ihr gelebt; sie haben den Himmel, der sich über ihnen aus­ spannt, in diesen nie erblassenden Glanz geNeidet, den Fluren das nie welkende Frühlingsgewand gewoben, in dem sie prangen. Kein Gedanke kann uns mit mehr Stolz erfüllen als derjenige, daß der Menschengeist die Natur, so gött­ lich schön sie auch sei, doch noch auf eine höhere Stufe zu heben und ihr erst die wahre Weihe zu verleihen der-

mag. Hätten hier am Kevbissos und Jlissos nicht die größten Helden, Dichter, Weisen und Künstler der Welt gelebt, diese von hochragenden Felshöhen umkränzte, in slutumrauschte Vorgebirge auslaufende Ebene würde manche Nebenbuh­ lerinnen auf der Erde haben. Allein der Gedanke, daß hier Sophokles gedichtet, hier Phidias dem Marmor gött­ liche Gestalten entlockt, hier in Munichion und im Piräus Themistokles die Trieren gerüstet, auf denen die größte Freiheitsschlacht der Welt gestritten wurde, entrückt die Gegend von Athen sofort allen Vergleichen. Die Erinne­ rung an die großen Taten des Schwertes und des Geistes, die hier geschehen, verklärt die Lüste über unserem Haupt zu reinem Kristallglanz, breitet tieferes Blau über die Wogen, umstrahlt die Berggipfel mit einem überirdischen Licht.

157. Granada und die Alhambra. Die südliche Vegetation bei Valencia ist allerdings sehr üppig, es schwimmt wahrhaftig in einem Meer von Grün; allein malerisch kann die Gegend nicht genannt wer­ den. Wie ganz anders ist das in Granada, wohin ich mich von dort begab, und wo ich dann mehrere Monate ver­ brachte. Meinen Aufenthalt daselbst hätte ich auch nicht um eine Stunde verkürzt sehen mögen. Nirgends kann man wie dort bald in romantischen Tälern beim Rauschen der Gebirgsbäche träumen, bald von hohen, mit Blüten­ gerank überdeckten Felshängen zu schöngeschwungenen Ge­ birgen hinüber schauen, auf welche die Sonne die ganze farbige Magie ihrer Strahlen hinabgießt. Gibt es noch einen andern Ort, wo sich so die Vegetation des Südens mit der des Nordens vereinigt, wo zugleich der Genius des Orients sich in den Palmenwipfeln wiegt und die Elfen des Abendlandes unter Erlenbüschen ihren Reigen ziehen? Aber das Herrlichste habe ich noch nicht erwähnt, die Alhambra mit ihrem Löwenhof, ihren von schlanken Säul­ chen getragenen Hallen und ihren Balkönen, von denen der Hessel, Lesebuch b. 11. Hilft.

M. 17

Blick bald in tiefe stromdurchrauschte Schluchten hinab, bald zu den Schneebergen der Sierra Nevada hinübergleitet. Die Aufseher der Alhambra, sowie des in bezug auf die Lage noch wundervolleren Generalife, hatte ich mir leicht zu Freunden gemacht und verbrachte oft ganze Tage in diesen Schlössern, ja erhielt die Erlaubnis, mich auch zur Abend­ zeit in die Alhambra einschließen zu lassen. Die Vollmond­ nächte, die ich in dem alten Maurenschloß verbrachte, wäh­ rend die Scheibe des himmlischen Gestirns sich im Becken des Myrtenhofs spiegelte und dämmernde Schatten, mit den Lichtstrahlen sich haschend, von Halle zu Halle, von Saal zu Saal glitten, werden ewig in meiner Erinnerung leben. Ich will gestehen, das Genießen aller der Eindrücke, die während dieser Monate in Granada auf mich einströnitcn, war zu sinnbestrickend, als daß ich mich nicht vorzugstveise ihm hingegeben hätte.

Man begegnet in den Straßen von Granada, wie auch in der Alhambra hie und da Muhammedaner in orientali­ scher Tracht, die durch Handelsgeschäfte nach Andalusien geführt werden und dabei auch die Stadt besuchen, welche ihr Volk noch ein paar Jahrhunderte lang, nachdem es aus der übrigen Halbinsel vertrieben war, inne hatte. Mehrenteils sind diese Leute Bewohner der marokkanischen Küste. Ob ich mich täuschte und ihnen einen höheren Bil­

dungsgrad zuschrieb, als sie besaßen, weiß ich nicht; allein ich sah mehrmals solche Moslimen in der alten Königsburg des Boabdil, die so traurig gesenkten Hauptes deren halb erloschene Pracht betrachteten, daß es mir schien, als stell­ ten sie einen wehmütigen Vergleich zwischen dem ehemaligen Glanz ihres Volkes und dessen jetzigem tiefen Verfall an. Eines Abends begegnete ich einer ganzen Schar solcher Marokkaner im „Saal der Gesandten", und ich konnte wirklich einen Augenblick glauben, das Schloß habe sich wieder mit seinen früheren Bewohnern bevölkert. Ich habe einen Ausflug nach dem Bergrücken gemacht, von welchem Abu Abdallah — dies ist der wirkliche Name

des letzten Königs von Granada, den die Spanier in Boabdil verstümmelten — der seines Reiches Beraubte, auf dem Wege in die Verbannung zum letztenmal nach seiner Haupt­ stadt zurückschaute. Der Blick von hier auf die von der Alhambra überragte Stadt muß damals überaus herrlich gewesen sein; denn in jener Zeit prangten auf der Höhe über dem Generalife noch andere Paläste, namentlich das Felsenschloß und das Haus der Braut. Seine Mutter soll an dieser Stelle zu dem Wehklagenden gesagt haben: „Du tust wohl, wie ein Weib um das zu weinen, was du nicht als Mann zu verteidigen gewußt hast."

Heinrich Seidel. 158. Das Kornfeld. Wenn man zwischen Kornfeldern aufgewachsen ist, so vergißt man ihr Rauschen und Wiegen und Wogen sein lebelang nicht. Ich kann mir alle Zeit vergegenwärtigen, wie im Frühling der Wind gleichsam mit kurzen Schritten über das grüne, flache Meer der Halme dahinläuft, wie bei der Roggenblüte ein leichter Rauch über den Halmen liegt und ein geheimnisvolles Flüstern in ihnen ist, und wie zur Zeit der Reife die Ähren schwer sich neigen und das Rauschen, das der Wind erregt, einen leisen Anklang von Befriedigung in sich trägt. Die großen, weiten Korn­ felder, die unabsehbar wogen und rauschen, sie drängen immer wieder zum Vergleich mit dem Meere, sie sind gleich­ sam trockene Meere, in deren Fluten der Hase und das Rebhuhn untertaucht, und über dem statt schreiender Möwen singende Lerchen schweben. Hat das Kornfeld nun die Ein­ förmigkeit und den gleichmäßigen Wogenschlag des Meeres, so birgt es auch Reichtum und Schönheit in sich, gleich diesem. Lauter Brot ist es, das in ihm Wellen schlägt, und bei näherer Betrachtung wird die ewige Wiederholung schlanker Ähren durch nianches anmutige Zwischenspiel

des letzten Königs von Granada, den die Spanier in Boabdil verstümmelten — der seines Reiches Beraubte, auf dem Wege in die Verbannung zum letztenmal nach seiner Haupt­ stadt zurückschaute. Der Blick von hier auf die von der Alhambra überragte Stadt muß damals überaus herrlich gewesen sein; denn in jener Zeit prangten auf der Höhe über dem Generalife noch andere Paläste, namentlich das Felsenschloß und das Haus der Braut. Seine Mutter soll an dieser Stelle zu dem Wehklagenden gesagt haben: „Du tust wohl, wie ein Weib um das zu weinen, was du nicht als Mann zu verteidigen gewußt hast."

Heinrich Seidel. 158. Das Kornfeld. Wenn man zwischen Kornfeldern aufgewachsen ist, so vergißt man ihr Rauschen und Wiegen und Wogen sein lebelang nicht. Ich kann mir alle Zeit vergegenwärtigen, wie im Frühling der Wind gleichsam mit kurzen Schritten über das grüne, flache Meer der Halme dahinläuft, wie bei der Roggenblüte ein leichter Rauch über den Halmen liegt und ein geheimnisvolles Flüstern in ihnen ist, und wie zur Zeit der Reife die Ähren schwer sich neigen und das Rauschen, das der Wind erregt, einen leisen Anklang von Befriedigung in sich trägt. Die großen, weiten Korn­ felder, die unabsehbar wogen und rauschen, sie drängen immer wieder zum Vergleich mit dem Meere, sie sind gleich­ sam trockene Meere, in deren Fluten der Hase und das Rebhuhn untertaucht, und über dem statt schreiender Möwen singende Lerchen schweben. Hat das Kornfeld nun die Ein­ förmigkeit und den gleichmäßigen Wogenschlag des Meeres, so birgt es auch Reichtum und Schönheit in sich, gleich diesem. Lauter Brot ist es, das in ihm Wellen schlägt, und bei näherer Betrachtung wird die ewige Wiederholung schlanker Ähren durch nianches anmutige Zwischenspiel

unterbrochen. Zwar der Landmann möchte sich manchmal die Haare ausraufen, wo der unbefangene Städter bei dem Anblick eines von blühendem Mohn blutig über­ glühten Feldes Ausrufe des Entzückens hören läßt. Die Schönheit eines Feldes, auf dem mehr blühendes Unkraut als Korn wächst, ist einmal wieder ein Beweis, daß die lachende Sünde oft lieblicher anzuschauen ist als die nüch­ terne Tugend. Jedoch, obwohl das Ideal eines Landbe­ bauers ein ganz reines Feld ist, auf dem nichts weiter wächst als die vorschriftsmäßigen Ähren, und zwar mög­ lichst dicht, so läßt es sich doch nicht leugnen, daß eine angenressene Zugabe von leuchtendem Blumenwerk einem Kornfeld zu nicht geringer Zierde dient. Die Kornblume, der Rittersporn und die rote Rade schimmern gar an­ mutig aus dem einförmigen Ährenwerk hervor, und wie niedliche Wendeltreppen baut nicht die kleine Winde mit weißen, blaßrot angehauchten Blüten, wenn sie sich zier­ lich an einem Halme bis zur Ähre emporringelt! Niedrig auf dem Boden treibt sich ein feines Miniaturwerk von kleinen Pflänzchen umher, die man erst recht zu Gesicht bekommt, wenn das Korn abgemäht ist, eine wunderliche kleine Stoppelgesellschaft. Da sind winzige Stiefmütterchen mit feinen, blaßgelben Gesichtern, Ackervergißmeinnicht, so klein und zierlich, daß sie als Erinnerungszeichen schon gar nicht mehr zu brauchen sind, kleines Kriechwerk mit weißen, blauen und leuchtend roten Sternchen und lauter so wunderlich winziges Zeug, daß man einen Hochzeits­ strauß für eine liliputanische Braut daraus binden könnte. Welch ein geschäftiges kleines Volk treibt sich zwischen den Halmen herum! Ist nicht das Schwirren der Grillen und das Wetzen der Heuspringer untrennbar von einem Kornfeld? Diese Tierchen betreiben ihre Geschäfte mit einem ungeheuren Ernst, der äußerst komisch wirkt. Obgleich die Na­ tur dem Heuspringer eine schneidermäßige Beweglichkeit ge­ geben hat, so sind seine Manieren, wenn er an einem Halme kriecht, doch äußerst würdevoll und bedächtig. Jedoch Plötz-

lich, scheinbar mitten aus dem tiefsten Nachdenken über die schwierigsten Probleme des Heuspringertums, macht er einen ungeheuren Satz und sitzt dann an dem anderen schwankenden Halme mit einer so ernsthaften Miene da, als sei er es gar nicht gewesen und habe die Absicht, alles zu leugnen und den Gegenbeweis zu erwarten. Verwandt mit diesen spaßhaften Beinvirtuosen ist die verdrießliche Grille, die ein Neines Erdloch bewohnt und im Sonnen­ schein gern aus ihrer Haustür guckt und Musik macht. Sie tut dies mit grämlicher und sorgenvoller Miene, und man merkt es wohl, daß nur ein fester und unwandelbarer Glaube an die Notwendigkeit der Sache sie veranlaßt, dieses Geschäft zu betreiben. Besonders lebhaft geht es an dem schmalen Feldrain zu, wo allerlei vergnügliche Blumen, die niemals im Korn­ felde selbst sich vorfinden, fröhlich gedeihen. Da gibt es welche, auf denen in großen Dolden lauter goldene Westen­ knöpfe wachsen. Dort rankt am Boden die dornige Hau­ hechel, von rosigen Blüten wie mit Keinen Schmetterlingen besetzt, dort hält die Schafgarbe und die wilde Möhre ihre weißen Blumenteller und der MauseKee seine kleinen Pelz­ mützen empor. Glockenblumen stehen in kleinen blauen Ge­ sellschaften beieinander, und dicht daneben reißt das goldene Löwenmaul seinen Keinen unschädlichen Rachen auf. Hier summt es und schwärmt es nun von allerlei Besuchern und Gästen die ganze Tonleiter hindurch, vom tiefen brummenden Ton der großen Hummel, die der Bär unter den Insekten ist, bis zum feinen Singen der zier­ lichen Mücke. So eine große Blütendolde ist wie ein Wirts­ haus, wo alles einkehrt und sein Schöppchen trinkt. Die fleißige Biene hat es eilig; mit ruhloser Hast hängt sie sich von einer Blüte an die andere, und ohne Besinnen fliegt sie weiter — man merkt ihr an, daß sie nach dem Grundsätze lebt: „Zeit ist Honig". Behaglicher treibt das Ding schon der leichtsinnige Lüftebummler, der Schmetter­ ling. Während er seinen spiraligen Rüssel behutsam in

sein Blütenschöppchen versenkt, vergißt er nicht, das schim­ mernde Flügelpaar von Zeit zu Zeit auszubreiten und es dem Sonnenschein und der Betrachtung darzubieten. Die seßhaften Käfer sind dagegen als Stammgäste zu betrachten. Sie gleichen kleinen Rentiers, die mit gleicher Verachtung auf den plebejischen Fleiß der Biene wie auf den flattrigen Leichtsinn des Schmetterlings blicken, ihr Schöpplein schlück­ chenweise leeren und tiefsinnigen Gedanken über das Wohl und Wehe der Käferheit nachhangen, bis ein hungriger Vogel vorüberkommt und sie mitsamt ihrer Weisheit auf­ frißt. Über das Kornfeld hin schießen gern die Schwalben, um Jagd zu machen auf das kleine winzige Geflügel, das die Ähren umschwärmt; jedoch der charakteristische Vogel bleibt außer den Ammern immer die Lerche, dieses kleine, unscheinbare Tier, das aus dem Bereiche der niedern Nütz­ lichkeit, wo es bescheiden auf dem Erdboden nistet, sich singend emporschwingt in die blauen himmlischen Höhen, das treffliche Bild eines echten Poeten. Andere versteckt lebende Bewohner des Kornfeldes be­ kommt man, so lange das Getreide noch auf dem Halme steht, selten zu Gesicht, so das Rebhuhn und die flinke Wachtel. Der klingende Ruf dieser letzteren macht sich dafür desto mehr bemerklich. An stillen, warmen Frühlingsaben­ den, wenn ein feuchter Dunst über den Feldern schwebt und die Wiesengründe wie weiße Nebelseen dazwischen liegen, hört man ihr durchdringendes „Pickserwick" unaufhörlich, während die Wiesenralle, oder wie man diesen Vogel bei mir zu Hause passend nennt, der „Snartendart", von der feuchten Wiese her seinen merkwürdigen schnarrenden Ruf ertönen läßt und aus der Ferne der eintönige Gesang der Frösche schallt, — ein merkwürdiges Konzert, dessen Ein­ druck man nicht vergißt, wenn man ihm einmal mit Be­

wußtsein gelauscht hat. Von den vierfüßigen Tieren, die das Kornfeld be­ wohnen, ist wohl das reizendste die Keine Zwergmaus, ein

winziges Geschöpfchen, das man das Eichhörnchen des Korn­ feldes nennen könnte, da es mit der größten Gewandtheit zwischen den Ähren klettert und sich auch über dem Boden zwischen den Halmen ein kugeliges Nest mit seitlichem Ein­ gang baut, in dem es seine zuerst lächerlich kleinen Jungen groß zieht. Beim Klettern benuht die Zwergmaus in zier­ licher Weise ihren Schwanz nach Art mancher Assen als Wickelschwanz, um sich damit sestzuhalten.

Johanna Spyri. 159. Wie Heidi wieder heimkam zum Großvater. sDas Heidi hatte mit seinem Großvater droben auf der Alm gewohnt. Als es sechs Jahre alt war, war es nach Frank­ furt geschickt worden als Spielgefährtin eines reichen, kränk­ lichen Kindes. Es hat es aber dort nicht aushalten können vor Heimweh und ist nach einigen Monaten wieder in die Hei­ mat zurückgebracht worden.s

Heidi stieg die Alm hinan mit seinem Korb am Arm. Die Abendsonne leuchtete ringsum auf die grüne Alm, und jetzt war auch drüben das große Schneefeld am Cäsaplana sichtbar geworden und strahlte herüber. Heidi mußte alle paar Schritte wieder stillstehen und sich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im Rücken beim Hinaufsteigen. Jetzt fiel ein

roter Schimmer vor seinen Füßen auf das Gras, es kehrte sich um, da — so hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie so im Traum gesehen — die Fclshörner am Falknis flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld glühte, und rosenrote Wolken zogen darüber hin. Das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felsen flimmerte und leuchtete es nieder, und unten schwamm weithin das ganze Tal in Duft Und Gold. Heidi stand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Tränen die Wangen herunter, und es mußte die Hände falten und in den Himmel hinaufschauen und ganz laut dem lieben Gott danken, daß er es wieder heimgebracht

winziges Geschöpfchen, das man das Eichhörnchen des Korn­ feldes nennen könnte, da es mit der größten Gewandtheit zwischen den Ähren klettert und sich auch über dem Boden zwischen den Halmen ein kugeliges Nest mit seitlichem Ein­ gang baut, in dem es seine zuerst lächerlich kleinen Jungen groß zieht. Beim Klettern benuht die Zwergmaus in zier­ licher Weise ihren Schwanz nach Art mancher Assen als Wickelschwanz, um sich damit sestzuhalten.

Johanna Spyri. 159. Wie Heidi wieder heimkam zum Großvater. sDas Heidi hatte mit seinem Großvater droben auf der Alm gewohnt. Als es sechs Jahre alt war, war es nach Frank­ furt geschickt worden als Spielgefährtin eines reichen, kränk­ lichen Kindes. Es hat es aber dort nicht aushalten können vor Heimweh und ist nach einigen Monaten wieder in die Hei­ mat zurückgebracht worden.s

Heidi stieg die Alm hinan mit seinem Korb am Arm. Die Abendsonne leuchtete ringsum auf die grüne Alm, und jetzt war auch drüben das große Schneefeld am Cäsaplana sichtbar geworden und strahlte herüber. Heidi mußte alle paar Schritte wieder stillstehen und sich umkehren, denn die hohen Berge hatte es im Rücken beim Hinaufsteigen. Jetzt fiel ein

roter Schimmer vor seinen Füßen auf das Gras, es kehrte sich um, da — so hatte es die Herrlichkeit nicht mehr im Sinn gehabt und auch nie so im Traum gesehen — die Fclshörner am Falknis flammten zum Himmel auf, das weite Schneefeld glühte, und rosenrote Wolken zogen darüber hin. Das Gras rings auf der Alm war golden, von allen Felsen flimmerte und leuchtete es nieder, und unten schwamm weithin das ganze Tal in Duft Und Gold. Heidi stand mitten in der Herrlichkeit, und vor Freude und Wonne liefen ihm die hellen Tränen die Wangen herunter, und es mußte die Hände falten und in den Himmel hinaufschauen und ganz laut dem lieben Gott danken, daß er es wieder heimgebracht

hatte, und daß alles, alles noch so schön sei und noch viel schöner, als cs gewußt hatte, und daß alles wieder ihm ge­ höre. Und Heidi war so glücklich und so reich in all der großen Herrlichkeit, daß es gar nicht Worte fand, dem lieben Gott genug zu danken. Erst als das Licht ringsum verglühte, konnte Heidi wieder von der Stelle weg. Nun rannte es aber so den Berg hinan, daß es gar nicht lange dauerte, so er­ blickte es oben die Tannenwipfel über dem Dache und jetzt das Dach und die ganze Hütte, und aus der Bank saß der Großvater und rauchte sein Pfeifchen, und über die Hütte her wogten die alten Tannenwipsel und rauschten im Abend­ wind. Jetzt rannte das Heidi noch mehr, und bevor der Alm-Ohi nur recht sehen konnte, was da herankam, stürzte das Kind schon auf ihn hin, warf seinen Korb auf den Boden und umklammerte den Alten, und vor Aufregung des Wieder­ sehens konnte es nichts sagen, als nur immer ausrufen: „Großvater! Großvater! Großvater!" Der Großvater sagte auch nichts. Seit vielen Jahren waren ihm zum erstenmal wieder die Augen naß geworden, und er mußte mit der Hand darüberfahren. Dann löste er Heidis Arme von seinem Hals, setzte das Kind auf seine Kniee und betrachtete es einen Augenblick. „So bist du wieder heimgekommen, Heidi," sagte er dann, „wie ist das? Be­ sonders hoffärtig siehst du nicht aus, haben sie dich fortgeschickt?" „O, nein, Großvater!" fing Heidi nun mit Eifer an, „das mußt du nicht glauben, sie waren ja alle so gut, die Klara und die Großmama und der Herr Sesemann. Aber siehst du, Großvater, ich konnte es fast gar nicht mehr aus­ halten, bis ich wieder bei dir daheim sein könnte, und ich habe manchmal gemeint, ich müsse ganz ersticken, so hat es mich gewürgt; aber ich habe gewiß nichts gesagt, weil es undankbar war. Und dann auf einmal an einem Morgen rief mich der Herr Sesemann ganz früh — aber ich glaube, der Herr Doktor war schuld daran — aber es steht vielleicht alles in dem Brief" — damit sprang Heidi auf den Boden

und holte seinen Brief und seine Rolle aus dem Korb herbei und legte beide in die Hand des Großvaters. „Das gehört dir!" sagte dieser und legte die Rolle neben sich auf die Bank. Dann nahm er den Brief und las ihn durch; ohne ein Wort zu sagen, steckte er dann das Blatt in die Tasche. „Meinst du, du könntest auch noch Milch trinken mit mir, Heidi?" fragte er nun, indem er das Kind bei der Hand nahm, um in die Hütte einzutreten. „Aber nimm dort dein Geld mit dir, da kannst du ein ganzes Bett daraus kaufen und Kleider für ein paar Jahre." — „Ich brauch es gewiß nicht, Großvater," versicherte Heidi, „ein Bett hab ich schon, und Kleider hat mir Klara so viele eingepackt, daß ich gewiß nie mehr andere brauche." — „Nimm's, nimm's und leg's in den Schrank, du wirst's schon einmal brauchen können!" Heidi gehorchte und hüpfte nun dem Großvater nach in die Hütte hinein, wo es vor Freude über das Wiedersehen in alle Winkel sprang und die Leiter hinauf, aber da stand es plötzlich still und rief in Betroffenheit von oben herunter: „O, Großvater, ich habe kein Bett mehr!" — „Kommt schon wieder," tönte es von unten herauf, „wußte ja nicht, daß du wieder heimkommst; jetzt komm zur Milch!" Heidi kam herunter und setzte sich auf seinen hohen Stuhl am alten Platze, und nun erfaßte es sein Schüsselchen und trank mit einer Begierde, als wäre etwas so Köstliches noch nie in seinen Bereich gekommen, und als es mit einem tiefen Atemzug das Schüsselchen hinstcllte, sagte es: „So gut wie unsere Milch ist doch gar nichts auf der Welt, Großvater!" Jetzt ertönte draußen ein schriller Pfiff; wie der Blitz schoß Heidi zur Tür hinaus. Da kam die ganze Schar der Geißen, hüpfend, springend, Sätze machend von der Höhe herunter, mitten drin der Peter. Als er Heidi ansichtig wurde, blieb er auf der Stelle völlig wie angewurzelt stehen und starrte es sprachlos an. Heidi rief: „Guten Abend, Peter!" und stürzte mitten in die Geißen hinein: „Schwänli, Bärli! kennt ihr mich noch?" und die Geißlein mußten seine

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Spyri.

Stimme gleich erkannt haben, denn sie rieben ihre Köpfe an Heidi und fingen an leidenschaftlich zu meckern vor Freude, und Heidi rief alle nacheinander beim Namen, und alle rannten wie wild durcheinander und drängten sich zu ihm heran. Der ungeduldige Distelfink sprang hoch auf und über zwei Geißen weg, um gleich in die Nähe zu kom­ men, und sogar das schüchterne Schneehöppli drängte mit einem ziemlich eigensinnigen Bohren den großen Türk auf die Seite, der nun ganz verwundert über die Frechheit da­ stand und seinen Bart in die Luft hob, um zu zeigen, daß er es sei. Heidi war außer sich vor Freude, alle die alten Ge­ fährten wieder zu haben; es umarmte das kleine, zärtliche Schneehöppli wieder und wieder und streichelte den stür­ mischen Distelfink und wurde vor großer Liebe und Zu­ traulichkeit der Geißen hin- und hergedrängt und geschoben, bis es nun ganz in Peters Nähe kam, der noch immer auf demselben Platze dastand. „Komm herunter, Peter, und sag mir einmal guten Abend!" rief ihm Heidi jetzt zu. „Bist denn wieder da?" brachte er nun endlich in seinem Erstaunen heraus, und nun kam er herzu und nahm Heidis Hand, die dieses ihm schon lange hingehalten hatte, und nun fragte er, so wie er immer getan hatte bei der Heim­ kehr am Abend: „Kommst morgen wieder mit?" — „Nein, morgen nicht, aber übermorgen vielleicht, denn morgen muß ich zur Großmutter." „Es ist recht, daß du wieder da bist," sagte der Peter und verzog sein Gesicht auf alle Seiten vor ungeheurem Ver­ gnügen, dann schickte er sich zur Heimfahrt an; aber heute wurde es ihm so schwer wie noch nie mit seinen Geißen, denn als er sie endlich mit Locken und Drohen soweit ge­ bracht hatte, daß sie sich um ihn sammelten, und Heidi, den einen Arm um Schwänlis und den andern um Bärlis Kopf gelegt, davonspazierte, da kehrten mit einemmale alle wieder um und liefen den dreien nach. Heidi mußte mit seinen zwei Geißen in den Stall eintreten und die Tür

zumachen, sonst wäre der Peter niemals mit seiner Herde fortgekommen. Als das Kind dann in die Hütte zurückkam, da sah es sein Bett schon wieder aufgerichtet, prächtig, hoch und duftend, denn das Heu war noch nicht lange herein­ geholt, und darüber hatte der Großvater ganz sorgfältig die sauberen Leintücher gebreitet. Heidi legte sich mit großer Lust hinein und schlief so herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht geschlafen hatte. Während der Nacht verließ der Großvater wohl zehnmal sein Lager und stieg die Leiter hinauf und lauschte sorgsam, ob Heidi auch schlafe und nicht unruhig werde. Aber Heidi schlief in einem Zuge fort, denn sein großes, brennendes Verlangen war gestillt wor­ den : es hatte alle Berge und Felsen wieder int Abendglühen gesehen, es hatte die Tannen rauschen gehört, es war wieder daheim auf der Alm.

Johannes Trojan. 160, Vor Tau und Tag. (Leichtfützlein und Mondenhold.)

L. Wer kommt durch das Moos? M. Eine Elfe, wie du! Ist es gut, wo du bist? L. Komm nur herauf! Ich sitz auf dem Farnblatt und schaukele mich. M. Da bin ich! — Weißt du was Neues? L. Das Eichhorn hat erzählt, es wird eine gute Nuß­ ernte geben. M. Gut für den, der sie knacken kann! — Was hast du die Nacht über getan? L. Als es dunkel ward, schlüpft ich aus einer Rose, in der ich geschlafen hatte. Zuerst darauf hab ich mit fünf an­ deren Tau getragen; dabei neckten wir uns und begossen uns gegenseitig. Dann bekam ich den Auftrag, eine Herde GoldkKferchen nach Hause zu treiben. Das ist ein sauer Stück Arbeit! Sie sind gar zu schwer in Reih und Glied

zumachen, sonst wäre der Peter niemals mit seiner Herde fortgekommen. Als das Kind dann in die Hütte zurückkam, da sah es sein Bett schon wieder aufgerichtet, prächtig, hoch und duftend, denn das Heu war noch nicht lange herein­ geholt, und darüber hatte der Großvater ganz sorgfältig die sauberen Leintücher gebreitet. Heidi legte sich mit großer Lust hinein und schlief so herrlich, wie es ein ganzes Jahr lang nicht geschlafen hatte. Während der Nacht verließ der Großvater wohl zehnmal sein Lager und stieg die Leiter hinauf und lauschte sorgsam, ob Heidi auch schlafe und nicht unruhig werde. Aber Heidi schlief in einem Zuge fort, denn sein großes, brennendes Verlangen war gestillt wor­ den : es hatte alle Berge und Felsen wieder int Abendglühen gesehen, es hatte die Tannen rauschen gehört, es war wieder daheim auf der Alm.

Johannes Trojan. 160, Vor Tau und Tag. (Leichtfützlein und Mondenhold.)

L. Wer kommt durch das Moos? M. Eine Elfe, wie du! Ist es gut, wo du bist? L. Komm nur herauf! Ich sitz auf dem Farnblatt und schaukele mich. M. Da bin ich! — Weißt du was Neues? L. Das Eichhorn hat erzählt, es wird eine gute Nuß­ ernte geben. M. Gut für den, der sie knacken kann! — Was hast du die Nacht über getan? L. Als es dunkel ward, schlüpft ich aus einer Rose, in der ich geschlafen hatte. Zuerst darauf hab ich mit fünf an­ deren Tau getragen; dabei neckten wir uns und begossen uns gegenseitig. Dann bekam ich den Auftrag, eine Herde GoldkKferchen nach Hause zu treiben. Das ist ein sauer Stück Arbeit! Sie sind gar zu schwer in Reih und Glied

zu halten. Wenn man ein verirrtes zurückgeholt, unter­ dessen verlaufen sich die neun oder zehn andern. Es läßt sich nicht sagen, wie unbesinnlich sie sind. — Zuletzt habe ich sie doch alle glücklich nach Hause bekommen. M. Was tatest du dann? L. Ich dacht, ich hätt was geschafft und könnte mir ein Vergnügen machen. Ich ging auf den Tanzplatz und tanzte, solange mir lieb war. Jetzt sitze ich hier schon eine Weile und ruh mich.— Was hast du in den letzten Stunden getrieben? M. Einem Käfer, der auf dem Rücken lag, wieder auf­ geholfen. L. Gelang es dir? Ich denke mir das ziemlich ge­ fährlich. M. Das ist's auch. Ich wagte auch nicht, ihm gannahe zu treten. Ich redete ihm tüchtig zu, und als das nichts half, holte ich zwei Grillen, die mußten etwas Lustiges aufspielen. Da fing er an, nach dem Takt sich zu wiegen, und bei einer recht lustigen Stelle gab er sich einen solchen Schwung, daß er plötzlich wieder auf den Füßen stand. L. Das hast du recht gemacht. Bedankte er sich? M. Er schalt uns loses Gesindel, Tagediebe und Bettel­ musikanten — und trollte sich seines Weges. L. Ich konnt es mir von ihm denken. Und dann? M. Dann ging ich auch auf einen Tanzplatz, tanzte aber nicht, sondern stand außerhalb des Kreises auf Wache. Ein Moosstengelchen hielt ich im Arm und war sehr mutig. L. Ist was vorgefallen? M. Nichts Besonderes! — Doch ja: es kam eine Raupe, die behauptete, eingeladen zu sein, und wollte durchaus mit­ tanzen. L. Wie hätte die es wohl angefangen, zu tanzen! M. Das möcht ich auch wissen. Aber sie ließ cs sich nicht ausreden und wollte mit aller Gewalt in den Kreis dringen. Zuletzt drohte ich ihr, ich würde sie durch ein paar Ameisen fortbringen lassen. Da sagte sie: Laß nur!

dann will ich doch lieber von selbst gehn! — und begab sich ganz niedergeschlagen auf den Rückweg. Da tat sie mir wieder leid — aber wir können doch nicht mit ihr tanzen! L. Was war das eben? Es schwirrte mir um den Kopf; ich wär beinah vom Blatt heruntergefallen. M. Eben war's auch bei mir — jetzt schwirrt es dort um die Staude. — Fürchte dich nicht! Es ist ein Nacht­ schmetterling, der sich einen Spaß mit uns machte. Das sind harmlose Gesellen! L. Aber sehr erschrecken können sie einen, das muß ich sagen. — Hör, hast du wieder etwas von Menschen gehört? M. Nein! Ich weiß wenig von Menschen — eigentlich nur, daß sie in große und kleine eingeteilt werden. L. Das weiß ich auch. Die kleinen sind besser, sagt man. Die so groß sind, daß sie den Bäumen unter die Arme reichen, die sollen recht gefährlich sein. — Man er­ zählt manches Sonderbare von diesen Geschöpfen; aber wer kann das so genau wissen? M. Sieh nur! wer kommt da? L. Eine Schnecke! Die ist früh aufgestanden! — Eil dich, Schneckchcn, eil dich! sonst kommst du erst an, wenn sie schon abgegessen haben.

M. Treib sie doch nicht zur Eile an! Sie läuft ja so sehr, daß sie schon ganz außer Atem ist. Hör, Schneckchen! hinter dir kommt ein Tausendfuß, der will dir was sagen. Lauf doch nicht so schnell, er kann dich ja gar nicht einholen. L. Halt an, Schneckchcn! ich will dir einen Brief mit­ geben; er muß aber vor drei auf der Post sein! M. Sie kriecht unter ein Blatt; sie mag es nicht leiden, daß man sie aufzicht. L. Horch! — Was war das? — Horch! — wieder! Ein Hahn krähte weit hinter dem Walde. Der Wind rührt sich; alle Zweige zittern. Das ist der Morgen. Komm herunter, daß wir uns im Moos verbergen. M. Oder unter den großen Blättern am Bach.

L. Bist du auch schon unten? M. Ja! aber wo bist du? Ich sehe dich nicht. L. Hier! — Hier bin ich! — Komm mit!

161. Von den Ameisen. Von der Ameise wird scheinbar mehr Rühmens ge­ macht, als sie wert ist; im Grunde aber doch nicht. Es ist nicht wahr, daß sie Vorräte für den Winter einsammelt. Da sie aber den Winter schlafend zubringt und von Michaelis bis Ostern nicht an den Brotschrank zu gehen braucht, so wäre sie eine schlechte Wirtin, wenn sie Vorräte zum Ver­ derben einsammelte. Wahr aber ist es, was von dem Fleiß der Ameise er­ zählt wird; und nicht nur ein Fauler kann zu ihr hingehn, um von ihr zu lernen, sondern auch ein Fleißiger mag wohl in einem Mußestündchen sich an ihrem Treiben er­ freuen und sich von ihr belehren lassen. Jeder hat wohl einmal die Ameisen beobachtet, wie sie auf ihrer langen Heerstraße im Walde hin und herlaufen. Die Ameise hat einen eigentümlichen Gang: ist sie ein paar Schritte ge­ gangen, so hält sie ein Augenblickchen an — vielleicht, um zu sehn, ob nicht unterwegs etwas mitzunehmen ist; viel­ leicht, um mit einer Begegnenden ein Wort zu wechseln. Wie einträchtig sind sie untereinander! Keine stört die an­ dere, so viele ihrer auch sind. So bilden sie den geord­ netsten und friedfertigsten Arbeiterverband, den man sich denken kann. Mit welcher Ausdauer und Geschicklichkeit wissen sie Schwierigkeiten bei der Arbeit zu überwinden! Es kommen zwei an mit einem toten Räupchen, die eine hat es am Kopfende, die andere es am Schwanzende ge­ faßt; so marschieren sie mit ihrer Beute dem Nest zu. Da liegt am Boden ein trocknes Zweiglein; die eine Ameise kriecht unter dem Zweiglein durch, die andere steigt über dasselbe hinüber. Infolgedessen legt die Raupe sich um das Zweiglein, und die beiden Ameisen, wie sehr sie auch

ziehn, kommen nicht von der Stelle. Nachdem sie sich eine Zeitlang umsonst angestrengt haben, läuft die eine fort. Man denkt, sie wird in ein Wirtshaus laufen, um mit einem Schöpplein den Verdruß über das mißlungene Werk hinunterzuspülen. Aber nein! sie bleibt in der Nähe; sie läßt sich die Sache durch den Kopf gehn. Bald hat sie den Schlüssel des „Problems", wie die Gelehrten es nennen, gefunden. Fröhlich kehrt sie zur Gefährtin zurück, die unterdessen ruhig gewartet hat, und spannt sich neben sie an dasselbe Ende der Raupe. Beide ziehn kräftig — ein Ruck, und das Hindernis ist beseitigt. Vor allem wunderbar ist es zu sehn, wie die Ameisen in gefährlichen Zeitläuften handeln. Werden sie in ihrem Neste gestört, so scheinen sie in große Aufregung und Unruhe zu geraten; sie tun aber gerade das, was in dem Fall nütz­ lich und gut ist. Eine große Anzahl kommt herausgelaufen, um zu sehn, welcher Art eigentlich die Gefahr ist, und wo der Feind steht; andere aber gehn sofort ans Retten. Da­ bei benehmen sie sich nicht, wie sich Menschen wohl in Feuersgefahr und Wassernot benehmen. Du siehst auch nicht eine, die mit einer durchlöcherten Bratpfanne oder mit einem abgestoßenen Besen oder mit einem andern wertlosen Dinge

davonläuft. Nein, mit größter Besonnenheit bringen sie sogleich ihre bistbarsten und gemeinsamen Schätze, ihre ge­ liebten Eier oder Puppen, in Sicherheit. Und nicht etwa laufen sie ratlos umher und vielleicht gerade dem Feind entgegen, sondern sie tragen einfach ihre liebe Brut ein paar Stockwerke tiefer in die Erde, schließen die Türen ab und sagen: „So! vorläufig sind sie geborgen." Man kann also von den Ameisen lernen: 1) Fleiß, Aus­ dauer und Geschicklichkeit bei der Arbeit. 2) Einmütiges Zusammenhalten und Zusammenwirken. 3) Besonnenheit und Geistesgegenwart in Gefahr. 4) Liebe zur Brut und Sorge um dieselbe. Und auch in diesem letzten beschämen sie manchen unter uns, der selbst in gefahrloser Zeit seines Kindes nicht achtet und läßt es verderben.

162. Kleinigkeiten. 1. Ein Dauskobold.

Es gibt einen Dauskobold von sehr bösartigem Wesen, der heißt „verschobene Arbeit". Hat man ihn eingelassen, so ist er schwer wieder fortzubannen. Man weiß wohl, wo er sitzt, sei es im Garten oder in der Scheune oder im Keller oder in einem Schrank, aber man scheut sich so sehr vor ihm, daß man am liebsten gar nicht sich nach ihm um­ sieht; und fällt es einem ein, daß er da ist, so Pfeift man wohl ein Liedchen, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Und doch ist dieser Dauskobold überaus schädlich, verdirbt den Hausrat, zerfrißt die Kleider und nimmt dem Tage­ werke den Segen. Mit Sprüchlein und Kräutern ist nichts gegen ihn zu machen. Abwarten, ob er vielleicht von selbst geht, ist unratsam; denn je länger er bleibt, um so größer und unangenehmer wird er. Nur eins Hilst: Man muß dreist auf ihn zugehen, ihn kräftig anpacken und ihn — eins, zwei, drei! aus dem Hause werfen.

2. Verdächtige Wörtchen. „Bekanntlich" ist ein Wörtchen, das harmlos klingt, es aber sehr hinter den Ohren hat. „Bekanntlich" sagt gern jemand, wenn er etwas vorträgt, das voraussichtlich keinem der Zuhörer bekannt ist, und das er selbst eben erst gelernt oder auch sich ausgedacht hat. Sagt einer z. B.: „Bekannt­ lich liegt dreißig Meilen oberhalb der Mündung des Janktsekiang die kleine Festung Brimborium" — so stellt er sich durch dies „bekanntlich" nicht nur selbst in ein sehr vor­

teilhaftes Licht, sondern er schmeichelt auch gar sehr allen Zuhörern, bei denen er so außerordentliche Kenntnisse vor­ aussetzt. „Eigentlich" ist ein Wörtchen, auf das man in den meisten Fällen auch nicht einen Pfennig geben darf. „Eigent­ lich habe ich schon gefrühstückt" bedeutet so viel als: „Gib her, was du hast! Mir ist, als hätte ich drei Tage lang

nichts gegessen!" — „Eigentlich muß ich nach Hause", sagt jemand, indem er nach der Uhr sieht und ruhig sitzen bleibt. — Wer eigentlich mit dieser oder jener Sache durchaus nicht einverstanden ist, der läßt diese oder jene Sache ruhig ge­

schehen. „Gewiß" ist ein Wörtchen, das gewisse Leute, wenn sie noch sehr im Ungewissen sind, dennoch gern als Antwort auf dringende Fragen gebrauchen, z. B.: „Sage mir, habe ich so nicht ganz recht gehandelt, wie ich gehandelt habe?" — „Gewiß!" — „Du bist also fest entschlossen, dich an dem Unternehmen zu beteiligen?" — „Gewiß!" — „Kann ich darauf rechnen, daß du mir zu Jakobi die hundert Taler zurückzahlst?" — „Gewiß!" — Wer viel mit „Gewiß" um sich wirft, auf den kann man sich selten verlassen. Eines der schlimmsten Worte heißt: „Gut genug!" Gewöhnlich braucht es einer zu seiner Entschuldigung, wenn er etwas gemacht hat, was eben nicht gut genug ist. „Da­ für gut genug!" heißt dann das Trostwort. Aber wer sein Werk nicht so gut macht, als er kann, der gibt sich unter dem Wert aus, und das sollte einem ernsten und recht­ schaffenen Menschen nicht „gut genug" sein.

Christoph Martin Wieland. 163. Der Streit um des Esels Schatten. Ein gewisser Zahnarzt, Namens Struthion, von Ge­ burt und Voreltern aus Megara gebürtig, hatte sich schon seit vielen Jahren in Abdera häuslich niedergelassen; und weil er vielleicht im ganzen Lande der einzige von seiner Profession war, so erstreckte sich seine Kundschaft über einen ansehnlichen Teil des mittäglichen Thrazien. Seine ge­ wöhnliche Weise, denselben in Kontribution zu setzen, war, daß er die Jahrmärkte aller kleinen Städte und Flecken auf mehr als dreißig Meilen in der Runde bereiste, wo er neben seinem Zahnpulver und seinen Zahntinkturen geOeHeL Le'ebuch 6. U. «lxfl.

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nichts gegessen!" — „Eigentlich muß ich nach Hause", sagt jemand, indem er nach der Uhr sieht und ruhig sitzen bleibt. — Wer eigentlich mit dieser oder jener Sache durchaus nicht einverstanden ist, der läßt diese oder jene Sache ruhig ge­

schehen. „Gewiß" ist ein Wörtchen, das gewisse Leute, wenn sie noch sehr im Ungewissen sind, dennoch gern als Antwort auf dringende Fragen gebrauchen, z. B.: „Sage mir, habe ich so nicht ganz recht gehandelt, wie ich gehandelt habe?" — „Gewiß!" — „Du bist also fest entschlossen, dich an dem Unternehmen zu beteiligen?" — „Gewiß!" — „Kann ich darauf rechnen, daß du mir zu Jakobi die hundert Taler zurückzahlst?" — „Gewiß!" — Wer viel mit „Gewiß" um sich wirft, auf den kann man sich selten verlassen. Eines der schlimmsten Worte heißt: „Gut genug!" Gewöhnlich braucht es einer zu seiner Entschuldigung, wenn er etwas gemacht hat, was eben nicht gut genug ist. „Da­ für gut genug!" heißt dann das Trostwort. Aber wer sein Werk nicht so gut macht, als er kann, der gibt sich unter dem Wert aus, und das sollte einem ernsten und recht­ schaffenen Menschen nicht „gut genug" sein.

Christoph Martin Wieland. 163. Der Streit um des Esels Schatten. Ein gewisser Zahnarzt, Namens Struthion, von Ge­ burt und Voreltern aus Megara gebürtig, hatte sich schon seit vielen Jahren in Abdera häuslich niedergelassen; und weil er vielleicht im ganzen Lande der einzige von seiner Profession war, so erstreckte sich seine Kundschaft über einen ansehnlichen Teil des mittäglichen Thrazien. Seine ge­ wöhnliche Weise, denselben in Kontribution zu setzen, war, daß er die Jahrmärkte aller kleinen Städte und Flecken auf mehr als dreißig Meilen in der Runde bereiste, wo er neben seinem Zahnpulver und seinen Zahntinkturen geOeHeL Le'ebuch 6. U. «lxfl.

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legentlich auch verschiedene Arkana wider Milzbcschwerungen, Engbrüstigkeit u. s. w. mit ziemlichen Vorteil absetzte. Er hatte zu diesem Ende eine wohlbeleibte Eselin im Stalle, welche bei solchen Gelegenheiten zugleich mit seiner eignen kurz-dicken Person und mit einem großen Quersack voll Arzneien und Lebensniittel beladen wurde. Nun begab sich's einstmals, da er den Jahrmarkt zu Gerania besuchen sollte, daß seine Eselin nicht imstande war, die Reise mitzumachen. Struthion mietete sich also einen an­ dern Esel bis zu dem Orte, wo er sein erstes Nachtlager neh­ men wollte, und der Eigentümer begleitete ihn zu Fuße, um das lastbare Tier zu besorgen und wieder nach Hause zu reiten. Der Weg ging über eine große Heide. Es war mitten im Sommer und die Hitze des Tages sehr groß. Der Zahn­ arzt, dem sie unerträglich zu werden anfing, sah sich lech­ zend nach einem schattigen Platz um, wo er einen Augen­ blick absteigen und etwas frische Lust schöpfen könnte. Aber da war weit und breit weder Baum noch Staude noch irgend ein andrer schattengebender Gegenstand zu sehen. Endlich, als er seinem Leibe keinen Rat wußte, machte er Halt, stieg ab und setzte sich in den Schatten des Esels.

„Nu, Herr, was macht Ihr da," sagte der Eseltreiber, „was soll das?" — „Ich setze mich ein wenig in den Schatten," versetzte Struthion, „denn die Sonne prallt mir ganz unleidlich auf den Schädel." — „Nä, mein guter Herr," erwiderte der andre, „so haben wir nicht gehandelt! Ich vermietete Euch den Esel, aber des Schattens wurde mit keinem Worte dabei gedacht." — „Ihr spaßt, guter Freund," sagte der Zahnarzt lachend; „der Schatten geht mit dem Esel, das versteht sich." — „Ei, beim Jason! das versteht sich nicht," rief der Eselmann ganz trotzig; „ein andres ist der Esel, ein andres ist des Esels Schatten. Ihr habt mir den Esel um so und so viel abgemietet. Hättet Ihr den Schatten auch dazu mieten wollen, so hättet Jhr's sagen müssen. Mit einem Wort, Herr, steht auf und setzt Eure Reise fort oder bezahlt mir für des Esels Schatten,

was billig ist!" — „Was?" schrie der Zahnarzt, „ich habe für den Esel bezahlt und soll jetzt auch noch für seinen Schat­ ten bezahlen? Nennt mich selbst einen dreifachen Esel, wenn ich das tue! Der Esel ist einmal für diesen ganzen Tag mein, und ich will mich in seinen Schatten setzen, so ost mir's

beliebt, und darin sitzen bleiben, so lange mir's beliebt, darauf könnt Ihr Euch verlassen." — „Ist das im Ernste Eure Meinung?" fragte der andere mit der ganzen Kalt­ blütigkeit eines abderitischen Eseltreibers. „Im ganzen Ernste," versetzte Struthion. „So komme der Herr nur gleich stehenden Fußes wieder zurück nach Abdera vor die Obrigkeit!" sagte jener, „da wollen wir sehen, wer von uns beiden Recht behalten wird. Ich will sehen, wer mir den Schatten meines Esels wider meinen Willen abtrotzen soll!" Der Zahnarzt hatte große Lust, den Eseltreiber durch die Stärke seines Armes zur Gebühr zu weisen. Schon ballte er seine Faust zusammen, schon hob sich sein kurzer Arm; aber als er seinen Mann genauer ins Auge faßte, fand er für besser, den erhobenen Arm allmählich wieder sinken zu lassen und es noch einmal mit gelinderen Vor­ stellungen zu versuchen. Aber er verlor seinen Atem dabei. Der ungeschlachte Mensch bestand darauf, daß er für den Schatten seines Esels bezahlt sein wollte; und da Struthion ebenso hartnäckig dabei blieb, nicht bezahlen zu wollen, so war kein anderer Weg übrig, als nach Abdera zurückzu-kehren und die Sache bei dem Stadtrichter anhängig zu machen. lDer Stadtrichter, ein gutmütiger Herr, gab beiden recht, besah sich den Esel, schüttelte den Kopf und riet endlich den Parteien zu einem Vergleich. Da mischten sich zwei Advo­ katen hinein, hetzten die Streitenden gegeneinander, und es entspann sich zuletzt ein langdauernder, erbitterter Prozeß, an dem die ganze Stadt teilnahm. Ganz Abdfra spaltete sich in zwei große Parteien, die einen nannten sich „Schatten", die andern aber „Esel". Ehe der Prozeß endgültig entschieden war, wurde in einem Tumult der wirkliche Esel von der Partei der „Schatten" in tausend Stücke zerrissen. Die Streitfrage blieb ungelöst; aber die Gemüter der Abderiten beruhigten sich wieder.f

Otto Willmann. 164. Krösus und Solon. Krösus war ein Lyder von Geburt und Herr über alle Völker innerhalb des Halysflusses, der von Mittag her nach dem Nord zu sich in das schwarze Meer ergießt.

In dieser Zeit, als Sardes in hoher Blüte stand, kamen die Weisen aus Hellas dorthin und so auch Solon, ein Mann von Athen, der den Athenern aus ihr Verlangen Gesetze gegeben hatte. Als er ankam, nahm ihn Krösus gastlich in der Königsburg auf, und am dritten oder vierten Tage ließ er ihn durch feine Diener in die Schatzhäuser führen und ihm alle Herrlichkeiten daselbst zeigen. Nachdem er aber alles geschaut und nach Gefallen betrachtet, fragte ihn Krösus also: „Mein Gastsreund von Athen! Zu uns ist vielfache Kunde gekommen von dir, deiner Weisheit und den weiten Reisen, die du aus Wißbegierde unternommen, und es ver­ langt mich sehr, dich zu fragen, ob du einen Menschen ge­ funden hast, der der glücklichste von allen ist." So fragte er, in der Hoffnung, er werde dieser glücklichste sein. Allein Solon schmeichelte nicht, sondern redete nach der Wahrheit also: „Ja, König, den Tellus von Athen." Da wunderte sich Krösus und fragte angelegentlich: „Warum denn hältst du den Tellus für den glücklichsten?" Und jener sprach: „Tellus lebte, als die Stadt blühete: er hatte Söhne, die schön und gut waren, und sah Kinder von ihnen allen, die am Leben blieben. Dazu war er, nach unserer Schätzung, wohlhabend, und es nahm fein Leben ein glänzendes Ende. Denn als die Athener einst wider ihre Nachbarn zu Eleusis stritten, zog er mit aus, schlug die Feinde in die Flucht und fand den schönsten Tod. Die Athener bestatteten ihn von Gemeinde wegen an dem Orte, wo er gefallen war, und ehrten ihn höchlich." Da nun Krösus durch Solons Bericht von Tellus hohem Glücke neugierig geworden, sp fragte er, wen Solon nach

jenem als den glücklichsten gesehen, denn er glaubte, wenig­ stens den zweiten Preis zu erhalten. Solon aber sprach: „Kleobis und Biton, ihres Stammes Argeier; sie hatten, was sie bedurften, und dazu eine so große Leibesstärke, daß beide Kampfpreise davontrugen. Auch wird von ihnen folgendes erzählt: Als die Argeier einst der Hera ein Fest feierten, mutzte der beiden Mutter zum Tempel fahren, aber die Rinder kainen nicht zur rechten Zeit vom Felde. Da es dringlich war, so traten die Jünglinge felber unter das Joch, zogen den Wagen mit ihrer Mutter und legten so fünfundvierzig Stadien bis zu dem Tempel zurück. So taten sie — die ganze Festversammlung war Zeuge — und es ward ihnen das schönste Lebensende zuteil. Da hat die Gottheit recht gezeigt, datz dem Menschen sterben besser ist als leben. Als nämlich die Argeier die Jünglinge um

ihrer Gesinnung und die Argeierinnen die Mutter um ihrer Söhne willen priesen, da betete die Mutter in der Herzens­ freude über der Kinder Tat und deren Ruhm vor dem Götterbilde, die Göttin möge Kleobis und Biton, ihren Kindern, die ihr so hohe Ehre erwiesen, gewähren, was für die Menschen der größte Segen sei. Das Gebet ward erhört. Als Opfer und Mahl gefeiert war, entschlummerten die Jünglinge im Heiligtume selber und standen nicht mehr auf; das war ihres Lebens Ende. Die Argeier aber er­ richteten ihnen, als den trefflichsten Männern, Bildsäulen in Delphi." Diesen also gab Solon den seligkeit. Darüber war Krösus „Mein Gastfreund von Athen, so eigenes Glück, daß du mich hinter Herrschaft stellst?"

zweiten Preis der Glück­ ungehalten und sprach: wenig also gilt dir mein Menschen ohne Amt und

Da sprach jener: „O Krösus, mich fragst du um der Menschen Geschick, der ich weiß, wie eifersüchtig und un­ berechenbar die Gottheit ist? In der langen Zeit des Lebens muß man gar vieles erfahren, was man lieber nicht er­ führe, und mancherlei durchmachen. Ich 'ehme als des

Lebens Dauer siebenzig Jahre an; aber von den vielen Tagen dieser Jahre ist keiner dem andern gleich. So ist, o Krösus, der Mensch ein Spielball des Geschickes. Ich sehe, daß du reich bist und über viele Menschen gebietest; allein den Namen, den du verlangst, kann ich dir erst geben, lvenn ich erfahren, daß du dein Leben auch glücklich beschlossen hast. Denn der Reiche ist nicht glücklicher, als wer nur sein täglich Brot hat, wenn ihm das Geschick nicht seinen Reichtum bis zum Lebensende bewahrt, und erst, wer freudig sein Leben beschließt, verdient, o König, jenen Namen. Denn es gilt bei allen Dingen, auf das Ende zu sehen, worauf sie hinauslaufen. Die Gottheit hat schon vielen das Glück vor Augen gehalten und sie dann zu tiefem Falle kommen lassen." Mit solchen Worten gewann er Krösus Gunst gar wenig, und dieser entließ ihn mit weit geringerer Aufmerksamkeit, da er seine Warnung, bei jedem Dinge das Ende zu er­ warten und sich nicht an das Glück der Gegenwart zu halten, nicht als weise erkennen wollte.

165. Des Polykrates Glück und Fall. Mit Amasis, dem Könige von Ägypten, schloß Poly­ krates, Äakes Sohn von Samos, einen Bund der Gast­ freundschaft. Dieser hatte in Samos die Verfassung ge­ stürzt und sich zum Tyrannen gemacht, und bald nahm seine Macht so zu, daß er berühmt war in ganz Ionien und dem übrigen Hellas; denn wohin er seine Feldzüge richtete, da hatte er guten Erfolg. Er besaß hundert Fünfzigruderer und tausend Bogenschützen. Seine Raubzüge aber richtete er gegen alle; auch die Freunde, sagte er, verpflichtete er sich mehr, wenn er ihnen nähme und wiedergäbe, als wenn er ihnen überhaupt nichts nähme. So hatte er viele In­ seln und Städte des festen Landes unterworfen. Selbst die Lesbier, die mit ganzer Streitmacht den Milesiern zu Hilfe eilten, besiegte er in einer Seeschlacht und nahm sie ge­ fangen; sie mußten ihm als Gefangene den Graben her­ stellen, der um die Mauer von Samos herumläust.

Auch Amasis erfuhr von dem großen Glücke des Polykrates, allein es machte ihm Kummer. Und als es sich immer noch mehrte, da schrieb er folgendes in eine Schreib­ tafel, die er nach Samos sandte: „Amasis spricht also zu Polykrates: Es ist erfreulich zu hören, daß es einem lieben Gastfreunde wohlergehe, und doch machen mir deine überaus glücklichen Erfolge nur wenig Freude, da ich weiß, wie eifer­ süchtig die Gottheit ist. Mir ist es lieber, wenn ich und die ich liebe das eine Mal glücklichen, das andere Mal minder guten Erfolg haben und so im Leben ein Wechsel eintritt, als wenn durchgehends alles gelingt. Denn noch habe ich von keinem gehört, der nicht seinen Sturz und ein trauriges Ende gesehen hätte, wenn ihm im Leben alles glücklich geraten. Darum folge mir, und tritt deinem Glücke selber in den Weg! Denke nach, was dir von deinen Gütern am meisten wert ist, und wessen Verlust dir das meiste Herzeleid machen würde, und dies wirf von dir, daß es nimmer wieder vor der Menschen Augen komme! Sollte also von nun an bei dir Erfolg und Unfall nicht abwechseln, so sichere dich auf die Art, die ich dir empfohlen!" Als Polykrates das gelesen und inne wurde, daß Amasis Nat gut war, sann er nach, welches Kleinod er besonders schmerzlich vermissen würde. Und er verfiel auf einen gol­ denen Siegelring mit einem Smaragd, ein Werk Theodoros, des Sohnes von Telekles von Samos; diesen Ring beschloß er preiszugeben, ließ einen Fünszigruderer bemannen, stieg ein und befahl, auf hohe See zu gehen. Und als er weit von der Insel war, zog er den Siegelring ab und warf ihn vor den Augen der Mitfahrenden in das Meer. fuhr er heim und härmte sich über den Verlust.

Dann

Da geschah es am fünften oder sechsten Tage, daß ein Fischer einen großen, schönen Fisch fing und dem Polykrates zum Geschenke machen wollte. Er trug ihn nach dem Palaste und verlangte vorgelassen zu werden. Es ward gewährt, er überreichte jenem den Fisch und sprach: „O König, als ich den da gefangen, wollte es mir nicht in den Sinn, ihn

zu Markte zu tragen, obwohl ich von meiner Hände Erwerb lebe; sondern er schien mir deiner und deiner Herrlichkeit würdig, drum bring ich ihn dir zum Geschenke." Polykrates freute sich über die Worte des Mannes und erwiderte: „Daran hast du wohl getan; habe zwiefachen Dank für deine Worte und die Gabe! Du sollst auch zu Tische geladen sein!" Dem Fischer war das viele Ehre, und er ging froh nach Haus. Die Diener aber zerlegten den Fisch und fanden in seinem Leibe Polykrates Siegelring. Eilends nahmen sie ihn heraus und brachten ihn freudig ihrem Herrn mit der Kunde, wie sie ihn gefunden. Ihm aber deuchte das göttliche Schickung; er schrieb alles, was er getan und was sich begeben, in eine Schrcibtasel und sandte sie nach Ägypten. Als Amasis Polykrates Brief gelesen, sah er ein, daß ein Mensch den andern nicht seinem Geschicke entreißen könnte, und daß Polykrates kein gutes Ende nehmen würde, da ihm alles zum Glücke ausschlüge und er selbst wiederbekäme, was er weggeworfen. Darum sandte er einen Boten nach Samos und löste den Bund der Gast­ freundschaft auf. Dies tat er, damit, wenn das schwere und große Unheil über Polykrates hereinbräche, aus der Teilnahme an des Gastfreundes Geschick nicht auch ihm Herzeleid erwüchse. Nach dieser Zeit begannen die Lakedämonier Krieg wider Polykrates, von den Samiern, die dieser vertrieben, dazu angestiftet; denn es hatten die Samier einstmals ihnen beigestanden wider die Messenier. Sie kamen mit großem Schiffsheere heran und belagerten Samos. Allein Poly­ krates schlug sie zurück, und nach vierzig Tagen zogen sie wieder heim nach dem Peloponnes. Das ist der erste Feld­ zug, den die Dorier von Lakcdänwn nach Asien unter­ nahmen. So ging es auch noch diesmal dem Polykrates nach Wunsch. Aber in der Zeit, als Kambyses krank war, faßte Orötes, der Statthalter von Sardes, den Plan, Polykrates

zu fangen und zu verderben; denn er wußte, womit dieser umging. Polykrates ist nämlich unseres Wissens der erste von den Hellenen, der nach der Seeherrschaft strebte, ausge­ nommen Minos, und wer etwa noch vor diesem Herr zur See war; im Geschlecht der Menschen aber ist Polykrates der erste, der die Herrschaft Ioniens und der Inseln er­ strebte. Das wußte Orötes und sandte ihm folgende Bot­ schaft: „Orötes spricht zu Polykrates also: Ich habe er­ fahren, daß du nach großen Dingen trachtest, daß aber deine Geldmittel nicht deinen Absichten entsprechen. Wenn du nun tust, wie ich sage, so wirst du dir aufhelfen und mich retten. König Kambyses nänilich stellt mir nach dem Leben, davon habe ich sichere Kunde. Bringst du nun mich und meine Schätze in Sicherheit, dann magst du einen Teil davon behalten, wenn mir der andere bleibt. Dann be­ kommst du Geld genug, über ganz Hellas deine Herrschaft auszudehnen." Als Polykrates das vernahm, hatte er seine Freude daran und begab sich auf die Reise zu Orötes, trotz­ dem daß die Seher und die Freunde dringend abrieten, weil seine Tochter im Traume gesehen, ihr Vater schwebe in der Luft und werde von Zeus gebadet und von Helios gesalbt. Aber er verschmähte allen guten Rat und segelte mit vielen seiner Freunde zu Orötes ab, darunter war auch Demokedes, Kalliphons Sohn von Kroton, der geschickteste Arzt seiner Zeit, dem die Ärzte von Kröten es danken, daß sie für die ersten in Hellas gelten.

Nachdem Polykrates angelangt war, fand er ein schreck­ liches Ende, wie er es seiner Stellung und Gesinnung nach nicht verdient: Orötes brachte ihn um und hing ihn ans Kreuz. Von seinen Begleitern entließ er die Samier und sagte ihnen, sie sollten ihm Dank wissen, daß sie frei wären; aber die Fremden und Diener behielt er als Sklaven. Allein er entging der Strafe nicht: späterhin wurde er auf des Königs Befehl getötet, als er dessen Befehlen nicht Folge geleistet.

So ging der Tochter Traum in Erfüllung; denn als Polhkrates am Kreuze hing, wurde er von Zeus gebadet, denn es regnete, und von Helios gesalbt, indem die Sonne die Säfte aus dem Körper zog. Darauf lief das grobe Glück des Polhkrates hinaus, wie Amasis, der König von Ägypten, vorhergesagt.

166. Der Auszug des -kerxes. Als die Nachricht eingelaufen war, daß die Arbeit an den Brücken und am Athos vollendet wäre, rüstete sich das ganze versammelte Heer, nachdem es überwintert, mit deni Frühling von Sardes nach Abydos zu ziehen. Voran gingen die Lastträger und das Zugvieh, nach ihnen allerlei Heeresvolk ungesondert durcheinander; nachdem die Hälfte vorbei war, blieb ein Zwischenraum vor dem Könige, da­ mit jene nicht mit ihm zusammenkämen; den weiteren Zug eröffneten 1000 auserlesene persische Reiter; nach ihnen kamen 1000 auserlesene Lanzenträger, die Lanzenspitzen zur Erde gesenkt, sodann die heiligen 10 Pferde, welche die nisäischen heißen, nach der großen Ebene Nisäon in Medien, welche gewaltige Pferde hervorbringt. Hinter diesen zehn Pferden kam der heilige Wagen des Zeus (Ormuzd), von acht weißen Pferden gezogen; der Lenker ging mit den Zügeln in der Hand nebenher, denn kein Mensch darf den

Wagen besteigen. Nach diesem kam Lerxes selber auf einem Wagen mit nisäischen Pferden; neben ihm ging der Wagen­ lenker, hinter ihm wieder 1000 Lanzenträger, die besten und edelsten Perser. Diese trugen die Lanzenspitzen nach gewöhnlicher Art; nach ihnen wieder 1000 auserlesene persische Reiter und nach den Reitern 10000 Mann zu Fuße, gleichfalls auserlesene Perser; von ihnen hatten 1000 an den Lanzen am Schafte eine goldene Granate, die an­ deren eine silberne. Auf diese folgten 10000 persische Reiter; hinter ihnen war wieder ein Zwischenraum von zwei Stadien, und dann kam der übrige Haufe bunt durchein­ ander. So zog der König durch Mysien in das troische

Land. Dort ließ er sich Priamos Burg zeigen und alles erzählen. Dann opferte er der Athene von Ilion 1000 Rinder, und die Magier brachten den Helden Spreng­ opfer. In der Nacht aber überfiel das Heer ein gewaltiger Schreck. Als man nach Abydos kam, wollte Terxes sein ganzes Heer übersehen und setzte sich auf einen Thron, den die Männer von Abydos ihm auf seinen Befehl aus weißem Steine gemacht hatten. Bon hier übersah er, nach dem Strande blickend, das Heer und die Flotte. Auch ein See­ gefecht ließ er veranstalten, bei welchem die Sidonier vom Volke der Phönikcr siegten. Da freute sich der König über das Gefecht und über sein Heer.

Und als er sah, wie der Hellespontos von Schiffen wimnielte und alle Gestade und das Feld von Abydos von Menschen erfüllt waren, da pries sich Terxes selig; dann aber brach er in Tränen aus. Als dieses sein Oheim Artabanos bemerkte, fragte er ihn also: „O König, was du vorher tatest und was jetzt, will nicht Zusammengehen; du priesest dich selig, und nun weinst du?" Er aber sprach: „Es überkam mich der Jammer, da ich bedachte, wie kurz das ganze menschliche Leben ist, da von so vielen Menschen über hundert Jahre keiner mehr am Leben sein wird." Denselben Tag nun rüsteten sie sich zum Übergange, am folgenden aber erwarteten sie die Sonne, um sie auf­ gehen zu sehen, verbrannten Räucherwerk auf den Brücken und bestreuten den Weg mit Myrrhen. Und als die Sonne aufging, sprengte Lerxes aus einer goldenen Schale in das Meer und betete zu Helios (Mithra), es möge ihn kein Unfall treffen und von der Eroberung Europas bis zu dessen letzten Grenzen abhalten; nach dem Gebete warf er die Schale in den Hellespontos, dazu einen goldenen Misch­ krug und ein persisches Schwert. Das kann ich nun nicht bestimmt entscheiden, ob er dies als Weihgeschenk der Sonne ins Meer versenkt, oder ob ihn die Züchtigung des Hellespontos gereut und er dafür das Meer beschenkt habe.

284

Willmann.

Zingerle.

Als er dieses getan, zogen sie hinüber, das Fußvolk und die ganze Reiterei auf der Brücke nach dem Pontos zu, das Zugvieh und der Troß aber auf der andern nach der Seite des Ägäischen Meeres. Zugleich segelten auch die Schiffe nach dem jenseitigen Ufer. Der Zug des Heeres aber dauerte ununterbrochen sieben Tage und sieben Nächte.

Jqnaz Zingerle. 167. Die verstorbene Gerechtigkeit. Vor langer Zeit lebte ein gewaltig reicher und mächti­ ger Graf, dem alles nach feinem Kopfe gehen mußte. Er fragte nicht nach Recht und Billigkeit, sondern schaltete und waltete nur nach Willkür. Da kam er einmal auf einem Spazierritte zu einem großen, schönen Landhause, das ihm gar sehr in die Augen stach. Er besichtigte deshalb das ganze Gehöfte und ritt dann vor das Haus hin, wo eben der Bauer, dem das Anwesen gehörte, unter der Haus­ türe stand. Der Graf grüßte ihn freundlich, stieg vom Rosse und sprach: „Guter Freund, möchtest du mir nicht deinen Hof zu kaufen geben? Ich würde ihn sehr gut bezahlen." Der Bauer aber bedachte die Frage nicht lange und antwortete: „Euer Gnaden, nichts sür ungut. Aus dem Handel wird nichts, denn auf diesem Hofe saßen meine Voreltern schon, und ich will auch darauf meine alten Tage

zubringen. Also nichts für ungut!" Da sagte der Graf: „Ich will dir bis morgen Bedenkzeit lassen. Überleg es dir gut." Dann stieg er auf sein Pferd und sprengte von dannen. Der Bauer blieb aber bei seinein Vorhaben, schüttelte den Kops und dachte sich: daraus wird einmal nichts. Am folgenden Tage kam der Graf schon in aller Frühe daher geritten und fragte, ohne abzusteigen, den Bauer, was er jetzt beschlossen habe. Da antwortete der Bauer:

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Willmann.

Zingerle.

Als er dieses getan, zogen sie hinüber, das Fußvolk und die ganze Reiterei auf der Brücke nach dem Pontos zu, das Zugvieh und der Troß aber auf der andern nach der Seite des Ägäischen Meeres. Zugleich segelten auch die Schiffe nach dem jenseitigen Ufer. Der Zug des Heeres aber dauerte ununterbrochen sieben Tage und sieben Nächte.

Jqnaz Zingerle. 167. Die verstorbene Gerechtigkeit. Vor langer Zeit lebte ein gewaltig reicher und mächti­ ger Graf, dem alles nach feinem Kopfe gehen mußte. Er fragte nicht nach Recht und Billigkeit, sondern schaltete und waltete nur nach Willkür. Da kam er einmal auf einem Spazierritte zu einem großen, schönen Landhause, das ihm gar sehr in die Augen stach. Er besichtigte deshalb das ganze Gehöfte und ritt dann vor das Haus hin, wo eben der Bauer, dem das Anwesen gehörte, unter der Haus­ türe stand. Der Graf grüßte ihn freundlich, stieg vom Rosse und sprach: „Guter Freund, möchtest du mir nicht deinen Hof zu kaufen geben? Ich würde ihn sehr gut bezahlen." Der Bauer aber bedachte die Frage nicht lange und antwortete: „Euer Gnaden, nichts sür ungut. Aus dem Handel wird nichts, denn auf diesem Hofe saßen meine Voreltern schon, und ich will auch darauf meine alten Tage

zubringen. Also nichts für ungut!" Da sagte der Graf: „Ich will dir bis morgen Bedenkzeit lassen. Überleg es dir gut." Dann stieg er auf sein Pferd und sprengte von dannen. Der Bauer blieb aber bei seinein Vorhaben, schüttelte den Kops und dachte sich: daraus wird einmal nichts. Am folgenden Tage kam der Graf schon in aller Frühe daher geritten und fragte, ohne abzusteigen, den Bauer, was er jetzt beschlossen habe. Da antwortete der Bauer:

„Ich habe, Euer Gnaden, meinen Entschluß nicht aufge­ geben. Ich bleib aus meinem Hofe, und aus dem Handel wird nichts." Da wurde der Graf wild und sprach: „Ich frage dich noch einmal, ob du dein Anwesen gutwillig hergeben willst. Wo nicht, so bekomme ich es doch!" Der Bauer schüttelte jedoch seinen Kopf und erwiderte: „Dabei bleibt's, ich verkaufe meinen Hof nicht." Nun wurde der Graf ganz wild vor Zorn und sprengte mit seinem Rosse auf und davon. Er ritt spornstreichs zu einem Advokaten, bestach ihn mit vielem Golde und ließ dem Landmanne einen Prozeß anhängen. Die Richter wußten, daß der Graf ein steinreicher Mann sei und bei dem Handel Geld her­ ausschaue. Deshalb hielten sie zu dem Grafen und ver­ sprachen ihm, das Bäuerlein mürbe zu machen. Sie ließen nun den Bauer durch den Gerichtsdiener herbeiholen und fragten ihn, ob er seinen Hof verkaufen wolle oder nicht. Als er ein entschiedenes Nein erwiderte, wurde ihm eine Klagschrift vorgelesen, und es wurde ihm gesagt, wenn er den Hof behalten wolle, so müsse er mit dem Herrn Grafen einen Prozeß führen. Der einfältige Bauer, der sich nicht zu helfen wußte, ging darauf ein und ließ sich die Sache gefallen. Der Graf hatte einen pfiffigen Advokaten, der Bauer hatte aber keinen, weil er sparen wollte. Da wurde nun hin und her prozessiert und der Bauer so oft in die Stadt gerufen und übertölpelt, bis er ganz verschuldet war. Die Richter entschieden auch gegen ihn, so daß er vom Hofe mußte und ihm nur mehr hundert Gulden blieben. Er gab sich in die traurige Geschichte, machte aber den Richtern bittere Vorwürfe und sprach: „Wenn auf Erden keine Gerechtigkeit mehr ist, so lebt droben noch ein Rich­ ter, der euch finden wird." Da lachten die Herren, und einer sagte: „Ja, die Gerechtigkeit ist lange gestorben; die kann dir nicht helfen." — Der betrogene Bauer ging dann schweigend aus der Kanzlei hinaus und begab sich gerades Weges zum Kir­ chenvater. Als dieser den ihm wohlbekannten Bauer kom-

men sah, rief er ihm freundlich zu: „Grüß dich Gott, Hans. Kommst auch einmal in die Stadt mich heimsuchen?"

„Ja," antwortete Hans, „aber in einer sehr traurigen Lage." Dann erzählte er dem Kirchenvater die Geschichte und schloß: „Jetzt hab ich noch hundert Gulden, und die geb ich dir. Es ist gerade so viel Geld, als man bei euch in der Stadt da zahlen muß, wenn man die große Glocke für einen Verstorbenen läuten läßt. Da hast's Geld, und jetzt läute schnell der Gerechtigkeit, weil sie gestorben ist, zur Scheidung. Aber läute recht lang." — Der Kirchen­ vater nahm das Geld, ging mit seinem Knechte in den Turm und läutete die große Glocke und zwar länger als gewöhnlich. Da gab's nun in der Stadt ein Gefrage und Gerede, wer gestorben sei, für wen es so lange läute. Doch niemand wußte Bescheid darauf, und die Neugierde ward immer größer. Auch der König, der in derselben Stadt seine Residenz hatte, erkundigte sich, wer gestorben sei, konnte aber keine Auskunft erhalten. Da schickte er einen Läufer zum Kirchenvater und ließ ihn fragen, für wen es so lange Scheidung geläutet habe. Sprach der Kirchen­ vater: „Für die Gerechtigkeit." Der Läufer eilte mit dieser Antwort zum Könige zurück. Wie der König dies hörte, ward er rot vor Zorn und rief: „Die Gerechtigkeit ist nicht gestorben. Sie schläft nur, und ich will ihr neues Leben einhauchen." Dann ließ er den Kirchenvater holen und fragte ihn, wer die große Glocke für die verstorbene Gerechtigkeit habe läuten lassen. Sprach dieser: „Eure Maje­ stät, der Schauferle Hans, der früher Schauferlebauer war." — Wie der König dies erfahren hatte, ließ er alsogleich den Schauferle Hans herbeiholen und fragte ihn, warum er die Glocken habe läuten lassen. Da erzählte Hans, wie er des Grafen wegen von Haus und Hof gekommen sei, weil die Gerechtigkeit nicht mehr lebe. Der König ward über die Richter ganz ergrimmt, machte kurzen Prozeß und gab dem Bauer sein Eigentum zurück. Dann ließ er den Grafen, den pfiffigen Advokaten und die bestochenen Rich-

ter rufen, die Sache untersuchen und verurteilte allesamt zum Tode. Sie wurden in Gestalt einer Glocke aufgehängt, und in ihrer Mitte zappelte der Graf. Seitdem aber kam die Gerechtigkeit wieder zu Leben, und die Richter sprachen Recht, wie es sich geziemt.

168. Warm und kalt aus einem Munde. Es war einmal ein Mann, der schlug tief int Walde Holz. Zu diesem kam ein Waldmännlein, das gar freund­ lich zu ihm sprach. Es war aber sehr kalt, denn es war mitten im Winter, und den Mann, der Holz hackte, fror es sehr an seinen Händen. Oft legte er die Axt beiseite und hauchte in die hohlen Hände, um sie dadurch zu er­ wärmen. Das Waldntännlein sah dies und fragte ihn, was das zu bedeuten habe. Der Holzschläger erklärte ihm, daß er durch den Hauch seines Mundes seine erfrorenen Hände erwärmen wolle; das Männlein glaubte es und war mit dem Aufschlusse zufrieden. Da kam endlich Mittagszeit, und der Holzschläger schickte sich an, am Feuer sein Mittagsmahl zu bereiten, und kochte sich den fetten Schmarren. Noch immer war das Waldmännlein bei ihm und sah ihm neugierig zu. Der Holzfäller aber hatte gar sehr Hunger und wollte

nicht warten, bis die Speise abgekühlt war, sondern er aß davon vom Feuer her. Da dieselbe aber noch recht heiß war, blies er mit seinem Munde auf jeden Löffel voll. Das Waldmännlein nahm dies wunder, und es sagte: „Ist der Schmarren vom Feuer her nicht warm genug, daß du noch daranbläst, wie an deine erfrornen Hände?" Der Holzschläger aber erklärte ihm, daß er dies tue, um den heißen Bissen abzukühlen. Das konnte das Waldmänn­ lein aber nicht fassen. Es sprach zum Holzschläger: „Du bist ein ganz unheimliches Wesen; aus deinem Munde kommt bald warm, bald kalt, bei dir mag ich nicht länger verweilen." Und augenblicklich ging das Waldmännlein

davon.

Verschiedenes. 169. Von den Schildbürgern. 1. Vom Rathausbau zu Schilda. Zu Schilda wohnten die Schildbürger; die waren weitberühmt wegen ihrer Klugheit; es gibt jedoch böse und verleumderische Menschen, die nennen die guten Schildbürger Narren. Ihr sollt aber hören, was sie taten, alsdann urteilt selber! Die Schildbürger wurden einig, ein neues Rathaus zu bauen. Sie hieben nun Holz dazu im Gemeindewald, welcher über einem Berge gelegen war in einem Tal. Nachdem sie die zugerichteten Stämme unter viel Schweißvergießen sowohl den Berg hinauf, als auch jen­ seits wieder hinabgetragen hatten, geschah es, daß der allerletzte Stamm ihnen entglitt und von selbst den Ab­ hang hinunterrollte, dahin, wo er sollte. Da erkannten die Schildbürger, wie dumm sie gewesen, und um es wieder gut zu machen, trugen sie alles Bauholz, mit Aus­ nahme des gemeldeten letzten Baumstammes, wieder den Berg hinauf, um nun die Freude zu haben, ein Holz nach dem andern hinabrollen zu lassen. Das Rathaus bauten sie, um etwas Besonderes zu haben, dreieckig, vergaßen aber Fenster hineinzumachen. Als es nun fertig war, verwunderten sie sich gar sehr, daß es drinnen so dunkel wäre. Umsonst versuchte die ganze Gemeinde, in Säcken und Körben draußen von der Straße Licht in das Rathaus zu schaffen. Ein rei­ sender Handwerksbursch lehrte sie, durch Abdecken der Ziegel dem Mangel abzuhelfen. Das ging dann den Som­ mer über gut; als es aber kalt wurde und schneite, da behagte es ihnen nimmer, und nachdem sie die Ziegel wieder draufgedeckt und sich mit Lichtspänen eine Weile beholfen hatten, stand plötzlich ein besonders in seinem

Innern erleuchteter Schildbürger auf und riet, ob man denn nicht Fenster hineinmachen wolle. „0, was waren wir für Narren! was waren wir für Narren!“ riefen plötz­ lich alle und beeilten sich sehr, Fenster zu brechen, für jeden Ratsherrn eines besonders. 2. Wie die Schildbürger einen Schultheiß wählten. Als dem Kaiser viel von der Schildbürger Narrheit erzählt worden war und er einmal in Reichsgeschäften in jener Gegend weilte, beschloß er, auch einmal nach Schilda zu kommen. Da dachten die klugen Bürger da­ selbst, sie wollten den zum Schultheiß wählen, der am besten reimen könne, auf daß er in einer gereimten An­ sprache den Kaiser begrüßen möge. Der Tag der Schulzenwahl erschien; da trat denn einer herein und sagte: „Ich bin ein rechtschaffener Bauer Und lehne meinen Spieß an die Wand.“ Ein anderer: „Ich heiße Meister Hildebrand Und lehne meinen Spieß an die Mauer.“ Wieder einer hub an: „Ich bin genannt der Häuslein Stolz Und fahre einen Wagen mit Scheitern." Die alle wurden nicht würdig befunden, Schulz zu werden. Auch der nicht, der da sprach: „Man sagt, ich hab einen dicken Kopf Und sei ein arger, loser Schelm.“ Ebensowenig der fünfte, dessen Spruch hieß: „Mit Namen heiß ich Häuslein Beck, Dort steht mein Haus an jenem Ort.“ „Merkt auf, was ich sage!“ begann der sechste, da sprach er: „Wer nicht kann wohl reimen und! denken, Den soll man an den Galgen knüpfen.“ Hessel, Lesebuch 5. U. Ausl.

M. 19

Viele andere Reime wurden noch vorgebracht; indes stand der arme Säuhirt, dessen kluge Frau ihm einen Reim gesagt hatte, in tausend Ängsten da, bis die Reihe an ihn kam. Er wiederholte sich zehntausendmal das Sprüchlein bei sich, damit er es nicht vergäße. Endlich sollte er herfürtreten. Da sagte er kühnlich: „Ihr lieben Herrn, ich tret hierher, Meine Hausfrau, die heißt Katharein, Sie hilft mir hüten meine Sau Und trinkt gern guten, kühlen Most.“ „Das lautet nach etwas! das lautet nach was!“ riefen alle und erwählten einmütig den Siiuhirten zum Schultheiß.

3. Die Kuh auf der Mauer. In Schilda war eine alte Mauer von einem verfallenen Gebäu, die sollte abgerissen werden. Da aber obenauf viel hohes Gras wuchs, sollte selbiges doch auch zuvor Lu gemeinem Nutz verwandt werden. Einer riet, man solle es abmähen, aber da wollte niemand hinaufsteigen; ein anderer meinte, man solle die Hälmlein einzeln mit Pfeilen herunterschießen; endlich kam der Schultheiß, der traf das beste; er riet, man solle eine Kuh hinauf­ schaffen, die fräße das Gras ab. Also band man des Schult­ heißen Kuh einen Strick um den Hals, warf denselben über die Mauer und begann auf der andern Seite zu ziehen. Da die Kuh fast oben war, hing ihr die Zunge zum Maul heraus. „Zieht, ihr Manner, zieht!“ rief der Schultheiß, „sie leckt schon nach dem süßen Gras.“ Aber es war vergebens, die Kuh war tot, und also, da man des Grases nicht habhaft werden konnte, blieb auch die Mauer stehen. 4. Salzkraut. Da einmal in Kriegszeiten das Salz so teuer war, so erwog man in Schilda, ob man nicht welches säen wolle. Das ward ins Werk gesetzt und ein Gemeindeacker mit

Salz bestreut. Hüter mit Blasrohren umgingen den Acker, um die Vögel zu schießen, welche das gesäete Salz etwa wegpicken wollten. Nach einiger Zeit begann der Acker zu grünen, und ganz Schilda lief hinaus, das Gedeihen der Salzpflanzen zu sehen. Als aber die Zeit gekommen, daß das Salzkraut reif schien, läutete man die Glocken, daß alle zur Ernte kommen möchten, und sie kamen mit Wagen und Sicheln und Flegeln. Wie sie aber Hand an­ legten, biß und brannte sie das Salzkraut so sehr, daß sie es mußten stehen lassen. Es waren aber eitel — Brennesseln!

5. Die versenkte Glocke. Als das Kriegsgeschrei immer näher rückte, so wollten die zu Schilda ihr Hab und Gut vor dem Feinde retten, sonderlich aber die Glocken, daß nicht die Kriegs­ knechte sie raubten und etwa Büchsenkugeln daraus gössen. Nach langem Beraten ward man eins, die Glocken im nahen See zu versenken. Also lud man sie in einen Kahn und führte sie auf den See. Wie man sich an­ schickte, sie hinabzu lassen, sagte einer: „Wie wollen wir sie aber wiederfinden?“ — „Das ist ja ganz ein­ fach,“ sagte der Schultheiß, zog ein Sackmesser und schnitt eine tiefe Kerbe in den Schiffsrand. „Gebt genau acht!“ sprach er, „an dieser Stelle, wo die Kerbe ist, sind die Glocken hinausgeworfen, hier an diesem Schnitt wollen wir sie wiederfinden!“ Also wurden die Glocken versenkt. Nachdem aber der Krieg vorbei war, fand man den Kerbschnitt am Schiff sehr wohl, aber die Glocken fand man nimmer.

170, Till Eulenspiegel. 1. Wie Eulenspiegel allein Mahlzeit hielt.

Zu Lüneburg wohnte ein Pfeifendreher, der früher ein Landläufer gewesen und weit herumgekommen war; io,

der faß einmal beim Bier, da trat Eulenspiegel in die Wirtsstube und fand da eine lustige Gesellschaft. Und der Pfeifendreher lud Eulenspiegeln zu Gaste und sagte, indem er ihn zu äffen gedachte: „Komm morgen zu Mittag und iß mit mir, wenn du kannst!" Eulenspiegel dachte an nichts Arges, sagte zu und machte sich des andern Tages auf, bei dem Pfeifenmacher zu speisen. Als er aber vor dessen Haus kam, war die Tür oben und unten verschlossen und alle Fenster zugetan. Da ging er vor der Tür eine Weile hin und her, bis die Mittagszeit verstrich; aber das Haus blieb nach wie vor verschlossen, und Eulenspiegel sah ein, daß er angeführt war, ging hinweg und schwieg still bis zum nächsten Tag. Am andern Morgen kam Eulenspiegel zum Pfeifenmacher auf den Markt und sprach zu ihm: „Ei, was seid ihr für ein frommer Mann! Habt Gäste geladen und schließt ihnen dann Tür und Fenster vor der Nase zu. Da sprach der Pseifendreher: „Hörtest du nicht, wie ich dich lud? Ich sagte: „Komm zu mir zu Mittag und iß etwas mit mir, wenn du kannst! Nun fandest du die Tür zugeschlagen, darum konntest du nicht hineinkom­ men, also auch nicht mit mir essen." — „Vielen Dank!" sprach Eulenspiegel, „das wußt ich noch nicht. Man lernt doch alle Tage noch was Neues!" Der Pfeifendreher lachte und sprach: „Ich will dich nicht zum besten haben. Geh nun hin! Meine Tür steht offen, du findest Gebratenes und Gesottenes am Feuer. Lauf immer voraus, ich >vill gleich nachkommen. Du sollst allein sein, ich will sonst keinen Gast haben." Eulenspiegel dachte: „Das wird gut!" lief geschwind nach des Pfeifendrehers Haus und fand alles so, wie ihm gesagt war: die Magd wendet den Braten, und die Frau geht ab und zu und richtet das Mahl. Nun kam Eulenspiegel und sagte zu der Frau, sie solle mit ihrer Magd schleunigst auf den Markt kommen, ihrem Hausherrn wäre ein großer Stör geschenkt worden, den sollten sie heimtragen helfen; er wolle derweil den Braten wenden. Die Frau sprach: „Ach ja, lieber Eulenspiegel,

tut das! Ich will mit der Magd hingehen und gleich wiederkommen." — „Ja, sputet euch nur gehörig!" sagte Eulenspiegel. Wie nun die Frau und die Magd zum Markte liefen, begegnete ihnen unterwegs der Pfeifenmacher und fragte sie, was sie zu laufen hätten. Sie er­ zählten alles, wie Eulenfpiegel ihnen gesagt hatte. Da ward der Pfeifendreher zornig und sprach zu seiner Frau: „Konntest du nicht zu Hause bleiben? Das hat er gewiß nicht umsonst getan; es steckt eine Schalkheit dahinter." Nun liefen sie eilends wieder heim; aber wie sie an das Haus kamen, sanden sie Tür und Fenster fest verschlossen. Da begannen sie an die Tür zu klopfen, und Eulenspiegel lief in den Hausflur und sprach hinter der Tür: „Laßt euer Klopfen! Ich lasse niemand ein, denn der Hauswirt

hat mir befohlen und zugesagt, ich solle hier innen allein sein, er wolle keine Gäste außer mir haben. Drum gehet nur fort und kommt nach dem Essen loieder!" Da mußte der Pfeifenmacher mit Frau und Magd in des Nachbars Haus gehen und dort warten, bis Eulenspiegel fertig war. Der aber kochte die Mahlzeit gar, setzte sie auf den Tisch und aß sich voll. Dann trug er die Überbleibsel wieder ans Feuer, machte die Tür auf und ließ sie offen stehen. Da kam der Pfeifendreher mit den Seinen und sprach: „Das tut kein ehrlicher Gast, daß er seinen eignen Wirt vor die Tür sperrt." Darauf sagte Eulenspiegel: „Sollt ich das zu zweit tun, was ich allein fertig bringe? Und wäre mein Wirt nicht böse geworden, wenn ich ihm noch mehr Gäste ins Haus gelassen hätte? Er sagte ja, ich sollte allein sein bei meiner Mahlzeit." Und dancit lachte er und ging aus dem Hause.

2.

Eulen spiegel speist billig in Bamberg.

Mit Listen verdiente Eulenspiegel Geld zu einem Mahle zu Bamberg, als er von Nürnberg kam und sehr hungrig war.

Er kam da in einer Wirtin Haus, die hieb Frau Königin. Die war denn eine fröhliche Wirtin und hieß ihn willkommen sein, denn sie sah an seinen Kleidern, daß es ein seltsamer Gast war. Als er nun des Morgens essen wollte, da fragte ihn die Wirtin, wie er es halten möchte, ob er an der Wirtstafel fitzen, oder ob er nur bestimmte Speise essen wollte. Eulenspiegel antwortete, er iväre rin armer Geselle, und bat sie, daß sie ihm um Gotteswillen etwas wollte zu essen geben. Die Wirtin antwortete ihm und sprach: „Freund, in den Fleischbänken oder in den Brotbänken gibt man mit nichts umsonst, ich muß Geld dafür geben. Darum muß ich für das Essen auch Geld haben." Eulenspiegcl sprach: „Ach, Frau, es paßt mit auch wohl für Geld zu essen; für was ober wieviel soll ich hier essen und trinken?" Die Frau sprach: „An der Herren Tisch für vierundzwanzig Pfennige und an der nächsten Tafel daneben für achtzehn Pfennige nnd mit meinem Gesinde für zwölf Pfennige." Darauf antwortete Eulenspiegel und sprach: „Frau, das meiste Geld, das dient mir am allerbesten," und fetzte sich an der Herren Tafel und aß sich gleich satt. Als ihm nun wohl war und er satt gegeffe'n und getrunken hatte, da sprach er zu der Wirtin, daß sie ihn zur Reise abfertigen sollte, denn er müßte wandern, da er nicht viel Zehrung hätte. Die Frau sprach: „Lieber Gast, gebet mir für das Mahl

vierundzwanzig Pfennige, und geht, wohin Ihr wollt; Gott geleite Euch." — „Nein," sprach Eulenspiegel, „Ihr sollt mir vierundzwanzig Pfennige geben, wie Ihr ge­ sagt habt; denn Ihr sprächet, an der Tafel äße man das Mahl für vierundzwanzig Pfennige. Das habe ich also verstanden, daß ich damit sollte Geld verdienen, denn es ward mir schwer genug. Ich aß, daß mir der Schweiß ausbrach; und ob es Leib und Leben gegolten hätte, ich hätte nicht mehr essen können. Darum gebt mir meinen sauer verdienten Lohn." — „Freund," sprach die Wirtin zu ihm, „es ist wahr, Ihr habt wohl für drei Mann

gegessen; daß ich Euch das aber noch da?,u lohnen soll, das will sich mir nicht zusammenreimen. Doch ist es um diese Mahlzeit zu tun, so möget Ihr damit hingehen; ich gebe Euch aber nicht noch Geld dazu, das wäre verloren, begehre jedoch auch kein Geld von Euch. Kommt mir nicht wieder, denn sollte ich meine Gäste das Jahr über also speisen und nicht mehr Geld erheben als von Euch, ich müßte aus diese Weise von Haus und Hof lassen." Und da schied Eulenspiegel also von dannen und verdiente nicht viel Dank.

3. Eulenspiegels Tod und Begräbnis. Als nun Eulenspiegel alle deutschen Lande durchzogen hatte, wurde er des ewigen Herumstreichens satt und brachte es in Berlin bis zum Büttel oder Stadtknecht. Doch blieb er auch hier nicht lange im Amt, sondern sing wieder an, aus einer Stadt in die andere zu ziehen. So tarn er auch nach Mölln im Lauenburgischen. Dort verfiel er in eine Krankheit und starb. Bei seinem Begräbnis aber ging es seltsam zu. Als sie nämlich alle auf dem Kirchhof um den Sarg heruinstanden, in welchem Eulenspiegel lag, setzten sie den Sarg auf zwei Seile, um ihn in die Erde hinab­ zulassen. Da riß das eine Seil, das unten an den Füßen lag, und der Sarg schoß in das Grab hinunter, so daß Eulenspiegel auf die Füße zu stehen kam. Da sprachen alle, die dabei waren: „Lasset ihn stehen! Er ist wunder­ lich gewesen in seinem Leben, wunderlich will er auch im Tode sein." Also schütteten sie das Grab zu, ließen ihn so stehen, stellten einen Stein oben auf das Grab, meißel­ ten darauf eine Eule, die einen Spiegel in den Klauen hält, und schrieben oben auf den Stein:

Diesen Stein soll niemand erhaben; Denn hier steht Eulenspiegel begraben!

171. Der Strom im Winter. Der Winter hat sich eingestellt, der echte, strenge Winter. Zum Strom hinab geht unser Weg. Alles glitzert so frisch in der klaren, kalten Luft. Die Berge drüben mit den alten Burgen grüßen herüber, die Schneekappe steht ihnen ganz gut. Ode genug sieht der Strom aus, aber doch nicht ganz leblos. Schiffe freilich sind keine zu sehen, dafür aber kommen zahllose Eisschollen herangeschwommen. Im Haupt­ arm strömt das Wasser zu reißend, als daß da eine ordent­ liche, feste Eisdecke entstehen könnte. Es bildet sich zwar beständig Eis, allein es schwimmt in Gestalt dünner Schol­ len sofort stromabwärts. Zwischen diesen Schollen jedoch treiben auch mächtigere Stücke. Sie koinmen aus den Neben­ flüssen herabgeschwommen oder haben sich in dem stilleren Wasser des Ufersaumes gebildet. Sie sind mit weißem Schnee bedeckt, auch Holzstücke und Äste reisen auf ihnen dem Meere zu. Nun wird ihre Schar dichter, und jetzt kommen sie ganz enggedrängt vorüber, wie eine Herde wan­ dernder Schneegänse. Sic reiben sich aneinander, und wenn zwei recht große zusammenstoßen, dann gibt es einen Ruck, ein zischendes Geräusch, die schwächere Scholle zerbricht in Stücke, die Stücke tauchen unter und verschwinden in den grünen, kalten Fluten, um eine Strecke weiter unten wieder aufzutauchen. Ein eigentlicher Eisgang ist dies nicht; der bietet ein viel großartigeres Bild. Dazu ist der Winter noch nicht weit genug vorgeschritten und die Kälte noch zu anhaltend: heute das ist nur Treibeis. Auf dem stillen Seitenarm aber, zwischen der Insel und dem diesseitigen Ufer, steht das Eis fest und bildet die herrlichste Eisbahn. Dorthin wollen wir unsere Schritte lenken. Kaum haben wir die glatte Fläche betreten, so kom­ men schon die Knaben mit den klappernden Blechbüchsen auf uns zu, um Geld zu sammeln als Lohn für die Schnce-

kehrer, die dort mit langen Besen geschäftig einhergehen und die Bahn reinhalten. Jauchzen, Schreien, Summen, dazwischen der eigentümliche, surrende Klang der Schlitt-

schuhe tönt an unser Ohr. In dichten Scharen treibt sich da jung und alt umher, die Offiziere haben sich ihre Regi­ mentsmusik herbestellt, junge Leute und gelenkige Knaben sieht man zu den Klängen der Musik förmliche Reigen­ tänze aufführen und in kunstvollen Wendungen Halbkreise schlagen, jetzt auf einem Fuß, dann rückwärts, nun wieder in langer Kette, Arm in Arm geschlungen: kurz, sie versuchen alle möglichen und unmöglichen Künste, um die Bewun­ derung der Zuschauer zu erregen. Oft kommt freilich Hoch­ mut vor dem Falle und zwar vor einem Falle, der gar kein Mitleid, sondern nur Schadenfreude erregt. Zwischen den fröhlichen Menschen tummeln sich zu Dutzenden flinke Schulmädchen mit roteil Wangen nnd freudestrahlenden Blicken, die Hände im Muff, Schlittschuhe unter den Füßen — heute ist ja schulfreier Nachmittag, der Eisbahn zuliebe — ganz kleine haben zuni erstenmale Schlittschuhe ange­ schnallt, sie pnrzeln beständig hin, werden dann von nlitleidigen ältern Schwestern oder Freundinnen wieder auf die Beine gestellt und mit Gewalt vorangeschoben, von rechts und von linksher faßt eine sie unter den Arm: ein sehr zweifelhaftes Vergnügen; aber ohne solche mühsame Stu­ dien kann eben keiner die Fertigkeit erlangen, die doch so große Freude macht. Schlitten mit rotgepolsterten Leder­ sitzen stehen da zum Vermieten, andere lverden von Schlitt­ schuhläufern hin und hergefahrcn. Dazwischen jubelnde Kin­ der, die sich damit begnügen, „Bahn zu schlagen", eins dicht hinter dem andern, während ältere Leute am Ufer stehen und an einem Glas Glühwein oder Punsch nippen, den ein unternehmendes altes Mütterchen dort feilbietet. Auch am Ufer wogt es auf und ab von gehenden und kommenden Menschen. Eine Knabenschar trabt stampfend daher, teils um rascher zu der glatten Fläche zu gelangen, teils um sich die kalten Füße zu vertreiben. Die Wege sind zwar verschneit, aber durch den Schnee sind breite Pfade gebahnt; die Sträucher stehen kahl, auf best Ästen und Zwei­ gen lastet der Schnee, ivährend in den angrenzenden Gärten

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Verschiedenes.

die Tannen, Stechpalmen, Zypressen nnd Schlingrosen grün unter ihrer Schneehülle durchleuchten. Zutrauliche schwarze Amseln Hüpfen über den Weg und picken mit ihren gelben Schnäbeln die Brotkrümchen auf, die man ihnen hinwirft. Rab! Rab! ruft es aus der Luft, da fliegt ein ganzer Schwarm der hungrigen Wintervögel einher, um wenige Schritte vor uns sich schreiend niederzulassen. Der Schnee aber knistert unter unsern Füßen; wir schütteln ihn von Zeit zu Zeit von den Sohlen und werfen dem winterlichen Strome noch einen Abschiedsgruß zu, trotz aller Winter­ sreuden die Zeit herbeiwünschend, wo es wieder grün und somnlerlich hier sein wird.

172. Korf«. Korfu ist die Insel der Phäaken, die Heinlat der Nausikaa. Natur und Menschenhand vereint haben dies Eiland geschmückt, so überreich, daß dem, der diese Fluren durchwandelt, zu Mute ist, als träume er nur so schön. Je weiter man in die Insel hineinschreitet, desto reizender ist alles, was man da sieht. Die Venezianer, welche vierhun­ dert Jahre lang die Herrscher in diesen Meeren waren, haben Korfu in einen Olgarten verwandelt. Für jeden neu­ gepflanzten Olbaum wurde von der Regierung eine Beloh­

nung ausgezahlt, und infolgedessen wachsen hier noch heute unzählige dieser segenspendenden Bäume. Und was für Bäume! Gegen diese erscheinen die Olbäume Italiens wie elende Krüppel. Es sind Baumriesen, hochausstrebend, mit gewaltigen Kronen, mächtig verzweigt, weitschattend, die Rinde geborsten und zerrissen vor Alter, die Äste umein­ ander gewunden wie Tauwerk. Wo wir auch wandeln, überall ist das Land ein einziger Gartenwald. Unter den Bäumen ist moosdurchwachsener Rasen, drin duften jetzt, im März, zahllose blaue und weiße Veilchen und leuchten bunte, große Anemonen, wie der Norden sie nicht kennt; frische Quellen rieseln durch die Wiesen die Abhänge hinunter ins Meer,

Herden von Schafen und Ziegen weiden da; freundliche Landhäuser und Dörfchen blinken durchs Grün. Wir kamen an einen südwärts schauenden Punkt, eine Felsenspihe hoch über dem Meer; rechts von uns zog sich tief ins Land hinein eine liebliche Bucht, der jetzt ver­ sandete Hafen der alten Stadt; vor uns dehnte sich die Oftküste der Insel, an deren Felswänden meilenweit das Auge entlang glitt; zu unsern Füßen lagen zwei winzige, aber im Schmucke grüner Bäume glänzende Felseneilande: eins liegt dem Ufer näher, das andre schwimmt einsam draußen in der blauen Flut; hochgetürmt, ist es einem Schiffe nicht unähnlich; das Kirchlein mit den dunklen Zypressen, die es überragen, ist dann Mast und Takelwerk. Und wirUich will die Sage, daß dieses Eiland jenes Schiff der Phäaken sei, das den Odysseus nach Ithaka gebracht und zur Strafe von dem darob zürnenden Poseidon bei der Rückkehr in einen Felsblock verwandelt wurde. An eine andere Stelle kamen wir, Cardachio genannt: lichter und lichter hatten wir es durch die Olbäume schim­ mern sehen, endlich hörte der Wald ganz auf, und wir stan­ den zu unserer Überraschung auf einem hohen Felsen, der sich unmittelbar ins Meer hinabsenkte. Etwas unterhalb unseres Standpunktes erblickten wir Mauerreste, Trümmer eines altgriechischen Tempels. Als wir hinabgeUommen, standen wir an einem Punkte von wahrhaft einziger Schön­ heit. Zwar vom Tempelchen — es war nur ein kleines Heiligtum — waren nur noch bescheidene Spuren übrig: zerfallene Mauern und eine einzige dorische Säule! Der vordere Teil ist längst ins Meer hinuntergerollt; Efeu umkleidete die Mauern; im tiefen Gras versteckt lagen noch Kapitäle und geriefelte Säulenstücke; Brombeerranken wucherten üppig; wilder Goldlack und Veilchen dufteten; ein Quell rauschte unter uns eine Schlucht hinab; Hirten­ knaben lagerten da, zwischen dem Geröll und den Felsen kletterten ihre Ziegen. Als man vor mehr als zweitausend Jahren dies Heiligtum baute, hat man die Felsenterrasse

erst künstlich schaffen müssen, deshalb sind im Halbkreis hinter und neben dem Tempelchen die Felsen weggehauen, und so blickt unser Kirchlein, nach Osten gewandt, wie aus traulichem Versteck über das glänzende Meer. Tief unten zu unsern Füßen rauscht es leise, der feuchte, erfrischende Seewind weht zu lins herauf. Der etwa zwei Meilen breite Meeresarin, welcher die Insel von dem gegenüber­ liegenden Festlande trennt, dünkt uns nur ein Landsee, denn scheinbar ganz nahe steig.en drüben herrlich hoch, in ein iveißes Schneekleid gehüllt, die Berge von Epirus empor, in langgezogenen Ketten, deren jede die vorliegende hoch überragt, während man die dazwischen liegenden Langentäler nur ahnt; die hinterste Kette, die am höchsten ragt, ist schon der Pindus, dorthin lag Dodona! Nur die Küstenberge sind schneefrei, und an ihren Abhängen glänzen freundlich die weißen albanesischen Dörfer herüber. Viele Segel schwimmen, wie Schwäne, auf den dunkelblauen Fluten. Über den Wassern aber liegt der heiterste, glänzendste Frühlingssonnenschein, über den Wassern, die bald dunkel­ blau, bald dunkelgrün erscheinen, ähnlich wie die tiefen schweizerischen Bergseen. Die Farbe des Mittelmeeres, wenn ein solcher Himnicl über ihm lacht, >vie heute, ist unver­ gleichlich schön, ganz anders als die des deutschen Meeres; ist ja doch die Farbe der See bedingt durch die Farbe des Himmels darüber, und so blau ist der deutsche Himmel nicht. Wie schwer wurde uns hier Trennung!

173. Das Gastmahl des Trimalchio. Ein römischer Schriftsteller, der zur Zeit des Nero lebte, hat uns ein Gastmahl beschrieben, das der reichge­ wordene Freigelassene Trimalchio gab. Er hatte sein Land­ haus iu einer Stadt am Meerbusen von Neapel. Die ein­ geladenen Gäste waren keine eigentlich vornehmen Leute, sondern meistens auch Freigelassene, einer war ein Advokat, ein anderer war ein Sänger gewesen, der dritte ein reich­ gewordener Schneider und dergleichen Volk.

Als die Gäste in den säulenumstellten Hof eintraten, fanden sie den Gastgeber beim Ballspiel. Lockige Knaben reichten den Spielern grüne Bälle. Kein Ball, der zur Erde gefallen war, durfte wieder ins Spiel kommen, und so wurden immer neue Körbe voll Bälle für die Spieler herbeigeschleppt. Trirnalchio bewillkommnete die Gäste und wurde dann in einer Sänfte ins Haus getragen. Ein grün geneideter Pförtner mit kirschrotem Gürtel öffnete die Tür, eine Elster in goldenem Käfig hing da und begrüßte die Eintretenden in gutem Latein. Der Speisesaal war prächtig geschmückt, der Fußboden zeigte in Mosaik naturgetreu Speiseabfälle, Eierschalen und Krebsscheren, Gemüse und Obstschalen, die Wände waren mit Wandgemälden geziert, in Nischen standen Bildsäulen, eilt eherner Kandelaber, von knienden Knaben aus Erz gestützt, trug Lampen, der Speisetisch, in Form eines Halb­ mondes, für etwa vierzehn Personen, ruhte auf Marmor­ füßen, die Gäste lagerten sich dahinter auf Polster, mit dem linken Ellbogen aus den Tisch sich stützend. Die Tafel war bedeckt mit Vasen und Kostbarkeiten, Bechern, die mit Edelsteinen besetzt waren, gläsernen Schalen, die auf blaßgrünem Grund dunkelgrüne Blumen erhaben hervortreten ließen, und ähnlichen Dingen. Sklaven gossen den Gästen Schneewasser über die Hände und wuschen ihnen die Füße, alles unter Gesang. Ein Tafelaufsatz aus korinthischem Erz erschien, in Gestalt eines Esels, der einen Quersack trug, in dem links lagen grüne Oliven, in dem rechts schwarze. Tellerchen mit eingelegten Stahlverzierungen waren mit Haselnußkernen bedeckt, die in Honig eingemacht und mit Pfeffer überstreut waren, Bratwürste auf silbernen Rosten und syrische Pflaumen mit Granatapfelkernen wurden her­ umgereicht. Das waren die Vorspeisen, die zum Appetit reizen sollten. Während die Gäste zugriffen, wurde unter rauschen­ der Musik Trimalchio hereingetragen und auf die Polster gesetzt, in Scharlach war er gekleidet, um den Nacken eine

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Verschiedenes.

Purpurscrviette geschlungen, die mit Fransen verbrämt war. Schwere Goldringe hatte er an den Fingern, am rechten Arm ein goldenes Armband und einen elfenbeinernen Ring. Zwei Sklaven brachten eine hölzerne Henne, die wie brütend auf einer Schüssel die Flügel ausbreitete. Trimal-chio sagte, er habe dieser Heime Pfaneneier unterlegen lassen, hoffentlich seien sie noch nicht angebrütet. Man griff nach den großen Eiern, die aus Teig gebacken waren, und schälte sie; in jedem Ei steckte eine gebratene Schnepfe. Auf einen Tusch der Musik wurden die Schüsseln von singenden Knaben im Nu entfernt, und Neger gossen aus kleinen Schläuchen den Gästen Wein über die Hände. In Glasflaschen brachte man hundertjährigen Falernerwein herbei. Dann kam eine mächtige runde Schüssel, worauf die zwölf Zeichen des Tierkreises angebracht waren und unter jedem Zeichen ein dem entsprechendes Gericht, so lagen beim Krebs Krebse, bei den Zwillingen Nieren, beim Schützen ein Hase, beim Wassermann eine Gans, in der Mitte aus einem grünen Rasenstück eine Honigwabe. Als man von den Gerichten etwas gekostet hatte, sagte Trimalchio, das wären zu gemeine Speisen, eigentlich nur zum Anschauen; da sprangen sofort vier SNaven herbei und nahmen den oberen Teil dieser Schüssel fort, darunter aber erschien eine andere, worauf ein Spanferkel lag und ein mit Flügeln aus Teig versehener Hase. Vier Faunen aus Erz trugen Schläuche, woraus Brühe auf die Braten herabträufelte. In den Zwischenpausen unterhielt man sich, lachte, trank Wein und lauschte der Tafelmusik. Nun kamen andere Sklaven, als Jäger gekleidet, und hatten Netze und Jagdspieße, zugleich sprangen mit Gebell Jagdhunde herein und umtobten die Tische. Ein ganzes gebratenes Wildschwein wurde hereingetragen, an den Hauern hingen Körbchen mit Datteln. Um das Schwein lagen aus Teig gebackene Ferkelchen. Ein Jäger hieb mit einem Hirschfänger das Schwein entzwei, da entflogen

seinem Innern Drosseln, und die Jäger mit ihren Netzen fingen die Vögel. Ein schöner Sklavenknabe, als Bacchus gekleidet, mit Weinlaub und Efeu bekränzt, sang Trinklieder, die der Wirt gedichtet hatte, er reichte Trauben herum, und sein Herr sagte zu ihm: Als Lohn sollst du die Freiheit haben, Dionysos! Nun kamen drei lebende schneeweiße Schweine in den Saal, aufgezäumt und mit Glöckchen um den Hals. Trimalchio sagte: Welches wollt ihr nun aufgetragen haben? meine Köche werden sofort das Tier Herrichten. Ein Koch trat selbst ein und empfing Anweisungen wegen der Zuberei­ tung. Nach einer Weile erschien ein ganzes gebratenes Schwein, natürlich ein anderes. Trimalchio aber tat, als ob es eins der soeben lebendig vorgesührten Tiere sei, lobte den Koch wegen seiner Schnelligkeit, fügte aber hinzu, es sei zu schnell gegangen, er fürchte, das Schwein sei nicht ausgenommen worden. Der Koch gestand jammernd, er habe das Äusweiden vergessen.

So tu es jetzt schnell! sagte Trimalchio. Zitternd schnitt der Koch das Tier auseinander, da fielen statt der Eingeweide herrlich duftende Würste von allen Arten her­ aus. Alles klatschte, der Koch ward mit einem guten Trunk belohnt und bekam einen silbernen Kranz aufgesetzt. Zur Unterhaltung der Gäste kamen noch Sänger und Gaukler. Plötzlich aber zitterte die Decke des Saales, als ob ein Erdbeben sei, erschrocken sah alles in die 5)öhe, da tat sich die Decke auseinander, ein mächtiger Reif schwebte herab, an dessen Rundung goldene Kränze und alabasterne Salbenbüchsen hingen. Auf der Tafel aber erschien eine gebackene Figur, die trug in ihrem emporgehaltenen Ge­ wand Trauben, Früchte und Kuchen. Das war der Nach­ tisch, die Salbengefäße aber Geschenke für die Gäste. Drei Sklaven traten herein in weißen Gewändern, einer hatte einen Pokal mit edlem Wein, die andern jeder ein Haus­ göttchen, mit Lorbeer umhangen. Die setzten sie auf den

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Verschiedenes.

Tisch und sagten: Die Hausgötter seien uns gnädig! Der Pokal freiste, und man wünschte sich einander gute Gesund­ heit des Leibes und der Seele.

174. Sprichwörter und sprichwörtliche Rede­ wendungen. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

22. 23. 24. 25.

Allzuspitzig ist nicht witzig. Alter Fuhrmann hört noch gerne klatschen. Bleib im Lande und nähre dich redlich! Da ist Hopfen und Malz verloren. Das Blättchen hat sich gewandt. Das Hemd ist mir näher als der Rock. Das ist Wasser auf meine Mühle. Den Stein, den ich nicht heben kann, laß ich liegen. Der alte Gott lebt noch. Der Apfel fällt nicht weit vom Stainni. Der Fuchs verliert wohl das Haar, aber nicht die Mucken. Der Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Die Katze läßt das Mausen nicht. Die Nacht ist keines Menschen Freund. Die Wände haben Ohren. Die Zeit bringt Rosen. Duck dich, laß vorübergahn, das Wetter will seinen Willen Han! Ehre, dem Ehre gebühret. Eigenlob stinkt. Freundes Lob hinkt, fremdes Lob klingt. Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Ein gutes Wort findet eine gute Statt. Er bessert sich, wie der Pelz im Waschen. Er hat große Rosinen int Sack. Er ist ein guter Kerl: er stiehlt keine Feitsterlädert

26. 27.

und ißt keine Schuhnägel. Er sieht den Wald vor Bäumen nicht. Erst wäg's, dann wag's!

12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Er verspricht goldene Berge. Es ist kein Wässerchen so klar, es trübt sich doch einmal. Es sammelt sich, wie beim Schusterjungen die Ohrfeigen. Friede ernährt, Unfriede verzehrt. Gewalt geht vor Recht. Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. Hörensagen ist halb gelogen. Jedem das Seine! Kleine Diebe hängt man, große läßt man laufen. Komm ich über den Hund, so koinm ich auch über den Schwanz. 38. Kunst bringt Gunst. 39. Ländlich, sittlich. 40. Laß dir kein X für ein U machen. 41. Man muß die Haut nicht feilbieten, ehe man den Bären hat. 42. Man muß die Worte nicht auf die Goldwage legen. 43. Man sieht's an den Federn, was das für ein Vogel ist. 44. Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. 45. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen. 46. Man soll die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. 47. Maulspitzen hilft nicht, es muß gepfiffen sein. 48. Muß ist ein böses Mus. 49. Ost und West, daheim das Best. 50. Schmeichler sind Katzen, dievornelecken und hinten 51. Stille Wasser gründen tief. skratzen. 52. Träume sind Schäume. 53. Trau, fchau, wem! 54. Trink, was klar ist; iß, was gar ist; sprich, was 55. Überfluß bringt Überdruß. swahr ist! 56. Versprechen macht Schulden. 57. Viel Geschrei und wenig Wolle. 58. Viel lesen und nichts in Kopf gebracht, heißt nichts gefangen auf langer Jagd. 59. Was sich liebt, das neckt sich. 60. Weit davon ist gut vorm Schuß. Hejsil, Lesebuch 5. u. Huff. M.20

28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.

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62.

Wenn mancher Mann wüßte, wer mancher Mann wär, gäb mancher Mann manchem Mann manchmal mehr Ehr. Wer den Karren in den Dreck gefahren hat, soll ihn auch

63. 64.

herausziehen. Wer einmal A gesagt hat, der kommt zuletzt bis zunr Z. Wer gerne tanzt, dem ist leicht gepfiffen.

65. 66. 67.

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, kommt darin um.

68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75.

Wer's lang hat, läßt's lang hängen. Wer tut, was er kann, ist wert, daß er lebt. Wer Unglück haben soll, bricht den Mnger im Reisbrei. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Wohltun trägt Zinsen. Zum Tanzen gehört mehr als rote Schuhe. Zuviel Wissen macht Kopfweh. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

61.

175, Beispielsprichwörter. 1.

2.

„Aller Anfang ist schwer," sagte der Dieb, da stahl er einen Amboß. „Besser ichts, denn nichts," sagte der Wolf, als er nach einem Schafe schnappte und dafür eine Muck

3.

ertappte. „Das Geld klingt wohl gut," sagte das Mädchen, „aber

4.

der Kuchen schmeckt doch besser." „Das ist garstig," sagte die Eule, da sah sie ihre

5.

Jungen an. „Das läuft ins Geld," sagte der Bauer, als er mit

7.

dem Beutel unter der Traufe stand. „Den Galgen hat mein Vater gebaut," sagte der Dieb, „und er war kein Zimmermann." „Es ist alles eingegangen," sagte der Schneider, als

8.

der Bauer das Tuch haben wollte. „Es ist nur ein Übergang," sprach der Fuchs, als man

6.

ihm den Balg über die Ohren zog.

„Es kommt alles aus die Gewohnheit an," sagte die Köchin und zog dem Aal die Haut ab. 10. „Ja!" sagte Steffen, da wutzte er nichts anderes. 11. „Ich bin auch musikalisch," sagte der Michel, „ich 9.

blase die — Suppe." 12. „Ich hätt's nicht geglaubt," sprach der Bauer, als er den Wagen unigeworfen. 13. „Ich komme immer wieder auf meine Schafe zurück!" sagte der Wolf, als er uni den Schafstall schlich. 14. „Ich mach es wie der Pfarrer Raßmann." — „Wie macht's denn der?" — „Ei, immer, wie er will." 15. „Ich rede von den Leuten, und andere Leute reden von mir," sagte der Schwab. 16. „Meine Schüler können alles vom Blatt singen, was sie auswendig können," sagte der Schulmeister. 17. „Pfui, wie schwarz bist du!" sagte die Pfanne zum Kessel. 18. „Schmeckst du prächtig!" rief der Hecht und biß in den Angelhaken. 19. „Sind auch Kleien da?" fragte das Schwein, als man es zu gaste lud. 20. „So hat's gesessen!" sagte die Magd, als der Topf 21. 22.

23.

24.

25.

entzwei war. „So muß es kommen!" sagte die Magd, als sie mit der Suppe zur Türe hereinfiel. „Vom Rückenstreichen werde ich nicht satt," sagte die Katze und nahm ein Stück Fleisch vom Teller. „Wann soll ich arbeiten?" sagte der Faulenzer, „im Frühjahr ist viel Wasser, im Herbst viel Schmutz, im Sommer ist's zu heiß und im Winter zu kalt." „Was man in Gedanken nicht alles tun kann!" sagte Töffel, da hatte er Fischtran für Milch getrunken. „Wer kann auch an alles denken?" sagte die Frau, da hatte sie kein Mittagessen gekocht.

Erläuterungen. Zu Nr. 3 (Brentano, Die Gottesmauer): Die teils russische» teils polnischen Ausdrücke in Strophe 9 bedeuten: stupai — vor­ wärts; boschka = Dummkopf; kurwa = Dirne; rack = berauschendeGetränk der Baschkiren aus Pferdemilch, aber auch Arrak; Turba (lateinisch) — Schar. Zu Nr. 7 (Eichendorfs, Der Jäger Abschied): Die Ver­ gleichung mit dem folgenden Gedichte ergibt klar, daß der Dichter unter den Jägern die Lützower Jäger verstanden hat, mit deren Schar er selbst in den Krieg zog. Zu Nr. 10 (F i s ch e r , Kleobis und Biton): Man vergl. Nr. 165 Willmann, Krösus und Solon. Zu Nr. 11 (Fontane, Wo Bismarck liegen soll): Bismarck ist am 30. Juli 1898 gestorben; er ist nach seinem eigenen Wunsch wirklich im Sachsenwalde bei Friedrichsruh, südlich von Hamburg begraben worden. Zu Nr. 13 (Geibel, Hoffnung): Geibel hat das Lied unter seine politischen Gedichte ausgenommen, woraus zu erkennen ist, daß er selbst einen tiefern Sinn hineingelegt hat. Zu Nr. 14 (Geibel, Der Mai ist gekommen): Der Dichter hat dies Lied als Student verfaßt, sein Freund Lyra hat die Weise dazu ersonnen. Für das Singen pflegt man hier und da den Wortlaut zu ändern. Zu Nr. 16 (G e l l e r t, Die Ehre Gottes): Strophe 1 und 2 liegt Psalm 19 zu Grunde, den folgenden Jesaias Kap. 40. Zu Nr. 24—27 (Groth, plattdeutsche Gedichte): Matten == Martin; he — er; achterste ben = Hinterbeine; voß — Fuchs; lüttje — klein; padden — Pfoten; krei — Krähe; pot = Pfote; candftel = lustig; opstan = aufstehen; käksche — Köchin; nettelkrüt — Nesselkraut; musch — Mieze; flünken = Flügel; harrst — hättest; lünk = Sperling; mellersche = Tante; kaff = Spreu. Zu Nr. 28 (G ü l l, Frühling): blob = blau; himmi = Himmel; veigerln = Veilchen. Zu Nr. 29 (G ü l l, Rätsel): ABC-schütze. Ball. Brunnen. Geld. Heupferd. Kanone. Pflaster. Pilz. Pulver. Radieschen. Spatz. Stock. Zu Nr. 34 (Heine, Belsazer): 538 v. Chr. eroberte Cyrus Ba­ bylon, dessen letzter König Belsazer (Fürst des Baal) war. Die Ballade ist nach dem 5. Kapitel des Buches Daniel gedichtet. Zu Nr. 37 (H e i n e , Der Mohrenkönig): Man vergl. die Schilderung Granadas vom Grafen Schack (Nr. 157). Zu Nr.45 (Holz, Een Boot is noch buten): buten = draußen; to Mus = zu Mus zermalmt. Der Klabautermann, der schützende Geist der Schiffe, läßt sich nur sehen, wenn das Schiff scheitern wird. Zu Nr. 49 (K o p i s ch , Die Heinzelmännchen): Die Fachausdrücke der Handwerke sind für andere oft unverständlich, so ist das Visieren das Messen mit Auge und Maßstab, das Panschen und Manschen ist das Mischen oder Verstechen der Weine, das Schönen die Klärung des Weines mittels Hausenblase. Zu 51 (Kopisch, Tomte i Garden): Dieser Name ist dänisch und bedeutet „Versteck im Hof". Zu Nr.52(Kop is ch, Der Mäuseturm): Dieser Turm ist ursprünglich ein Zollturnr im Rhein an der Nahemündung, die Sage ist uns ausführ­ lich durch den Abt Tritheim überliefert, um 1470 in der Hirsauer Chronik.

Zu Nr. 64 (Müller, EL Henzemännche): beis — Base; enge — in einer; schleif — schlief; hehesatt — halssatt; krom — Laden; Lackes — Backofen; reng — rein; höre — ihrem; fong = fand; grülle — Rost; böxge = Höschen; röxge — Röckchen; fingste = feinste; back — Gebäck; hank = Hand; works — arbeitest; iet = recht; lü — Leute. Der Nominativ ersetzt meist die andern KasuS. Zu Nr. 67 (Müller, Der kleine Hydriot): Die Felseninsel Hydra an der Küste von Argolis war von Schiffern bewohnt, die im Freiheits­ krieg der Griechen 1822 die Hauptstütze der Kämpfe waren; sie waren mutig, kampflustig und opferten auch all ihre Habe fürs Vaterland, denn viele Hydrioten waren reiche Schisfsreeder, die das ganze Mittel­ meer durchfuhren. Dabei waren sie so einfach, daß sie in Hydra selbst nur barfuß gingen, selbst wenn sie Millionäre waren. Zu Nr. 68 und 69 (Müller, Schwert und Pflug; Der Mönch von Heisterbach): Neuenahr ist im Ahrtal, jetzt bekanntes Bad, das zerfallene Schloß ist Altenahr. Die Sage selbst hat noch den vom Dichter nicht erwähnten Zug, daß man einst bei der Burg im Boden einen goldenen Pflug ausgegraben hätte, diesen habe der Graf einem seiner Söhne vermacht. Man vergl. Nr. 94, Uhland, Die versunkene Krone. — Heisterbach ist die berühmte Benediktinerabtei im Siebengebirge, wo um 1220 der Mönch Cäsarius lebte, der in seinen an Wundererzählungen reichen Schriften diese Legende jedoch nicht berichtet. Zu Nr. 70 (P f a r r i u s, Der Trunk aus dem Stiefel): Der Rhein­ grafenstein liegt an der Nahe bei Kreuznach, gegenüber dem Bad Münster am Stein. Die Dörfer Boos, Hüffelsheim, Roxheim liegen in der Nähe. Der Nahedichter Heinrich Kaufmann aus Kreuznach hat um das Jahr 1820 zu Kaiserslautern in einer Privat-Altertumsammlung einen aus dem Mittelalter stammenden Glashumpen in Stiefelform gesehen, an den sich diese Sage knüpft. Zu Nr. 72 (Rosegger, Mei weißes Lamperl): lamperl — Lämmchen; pölzl — Pelzchen; lanxintau — Lenztau; gspoaßi — spaßia; zwegn = deswegen; ohn wind — Alpenwind. Zu Nr. 74 (Rückert, Chidher): Es ist der persische Gott der ewigen Jugend gemeint. Zu Nr. 75 (Rückert, Rätselmann): Angel. Bar. Paß. Pinsel. Sieben. Star. Weide. Winde. Zu Nr. 76 (S ch i l l e r , Der Alpenjäger): Man vergl. Nr. 128 die Sage vom Gemsjäger. Schiller läßt das traurige Erlde nur ahnen, ähnlich wie im Ring des Polykrates. Zu Nr. 77 (Schiller, Berglied): Gemeint ist die Gotthardpraße, mit den Lawinen (in der Schweiz auf der ersten Silbe betont), mit der Teufelsbrücke, dem Tunnel, das Urnerloch genannt, dem schönen Ursener Tal, den Flüssen Rhein, Rhone, Tessin und Reuß, der zwei­ gipfeligen Furka, zu deutsch Gabel und dem Eisgipfel des Gotthard selbst. Zu 78 (S ch i l l e r , Hektors Abschied): Man vergl. die ausführliche Darstellung im 3. Teil des Lesebuchs, Sagen von Troja. Zu Nr. 80 (S ch i l l e r , Rätsel): Auge. Funke. Himmel. Schiff. Tag und Nacht. Zu Nr. 81 (S ch n e ck e n b u r g e r , Wacht am Rhein): Das Lied entstand 1840, als der französische Minister Thiers mit einem Krieg drohte, der das linke Rheinuser wieder französisch machen sollte. Gleich­ zeitig dichtete Becker sein Rheinlied (Lesebuch, 4. Teil) und Heine die Strophen „Deutschland" (Lesebuch, 7. Teil).

Zu Nr. 84 (S i m r o ck, Der Bauer im Himmel). Man vergl. Nr. 125 das Märchen von Grimm. Zu Nr. 85 (Simrock, Die Siebenschläfer): 6s = Ochs; op e neues — aufs neue; eckersch — doch nur; kütt = kommt; jlöv — glaube. Statt des Nominativs steht oft der Akkusativ. Zu Nr. 86 (Stöber, Der Läufer von Glarus): Man vergl. Nr. 127 „Der Grenzlauf". Zu Nr. 94 (U h l a n d , Die versunkene Krone): Man vergl. Nr. 68 (Müller, Schwert und Pflug). Zu Nr. 99 (Unterländers Heimweh): Dies Lied ist nach einer Volks­ melodie um das Jahr 1836 von Gottfried Weigle gedichtet worden, der als Missionar in Indien starb. Zu Nr. 101 (Ausfeld , Aus der Sage vom großen König Alex­ ander): 1 und 2 ist nach dem griechischen Alexanderroman des Pseudokallisthenes erzählt, 3 nach dem Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Gymnosophist heißt nackter Weiser. Zu Nr. 102 (Bäßler, Der treue Eckart): Zu vergleichen ist Nr. 19, Goethes getreuer Eckart. Zu Nr. 103 (Bäßler, Rübezahl wird ein Esel): Rübezahl be­ deutet eigentlich Rübezagel, d. h. Rübenschwanz, die untere Spitze einer Rübe. Abenteuerlich gestaltete Wurzeln galten oft als verzauberte Geister oder Zwerge, so die Alraunwurzel. Zu Nr. 106 bis 109 (Becker, geschichtliche Erzählungen): Die älteren Auflageil von Beckers Weltgeschichte tragen auf dem Titel den Zusatz „für die Jugend erzählt", der Verfasser denkt sich als Leser ausdrücklich Jugend im Alter von 12—16 Jahren. Darum sind vor­ liegende Stücke absichtlich der Ausgabe von 1825 entnommen. Zu Nr. 116 (Fischer, Zachur mit dem Sacke): Kohinur — Berg des Lichts, ein kostbarer Diamant im Besitz der englischen Könige; das mattglänzende Bild ist eine Photographie älterer Art; Frankistan — Frankenland, Europa. Zu Nr. 122 (G r i m m , Der Froschkönig): Man vergl. Nr. 139 Löns, Der Kantor. Zu Nr. 125 (Grimm, Das Bürli ün Himmel): bürli — Bäuer­ lein; chunnt — kommt; gsi = gewesen; 16t = läßt; ämel — einmal; vorusse — draußen; ufgnö — ausgenommen; niemer — niemand; 's geu = es gehe; wäger — wahrlich; is — uns; muesch = mußt; lueg — schau; nume = nur; öppen — etwa. Zu Nr. 126 (Grimm, Der Hase und der Igel): Die Mundart ist die münsterländische. Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff schrieb dieMärchen für die Brüder Grimm nieder, vortüerde = behaglich erzählte; bdkweten — Buchweizen; lucht — Luft; lütjet — kleines; 16dken — Lied­ chen; Ilse — leise; antröoke — anzöge; st&kröwen — Steckrüben; bemött — begegnete; schif — schief; gltk — gleich; gau — schnell; föhr — Furche; bAben — oben; all — schon; tellde = zählte; hind&l — hinab; dükde = duckte; dAl = nieder; twer = Eifer, Ärger; höhl — hielt; fret — freit. Zu Nr. 127 (Grimm, Der Grenzlauf): Man vergl. StöberS Ge­ dicht Nr. 86 Der Läufer von Glarus. Zu Nr. 128 (Grimm, Der Gemsjäger): Diese Sage gab Schiller den Stoff zu seiner Ballade „Der Alpenjäger". Zu Nr. 129 (Grimm, Der Schwanritter): Neumagen — Nymwegen am holländischen Niederrhein; die Sage wird sonst von Kleve erzählt, wo noch der Schwanenturm ist; der Ritter hieß Lohengrin.

Erläuterungen.

Lebensabriß und Nachweis der Quellen.

311

Zu Nr. 130 (Gri m rn, Der Rattenfänger zu Hameln): einige deuten die Sage darauf, daß 130 Soldaten, alle zu Hameln geboren, durch Verrat eines Pfeifers am Berg Köppen in einer Fehde gefallen seien. Zu Nr. 138 (Löns, Hasendämmerung): Die Überschrift ist nach „Götterdämmerung" der Edda gebildet (Ende der Götter). Zu Nr. 141 (Luther, Der reichste Fürst): Der Reichstag ist der von 1495 zu Worms, wo der ewige Landfrieden beschlossen wurde. Diese Erzählung gab Kerner den Stoff zu seinem Gedichte „Der reichste Fürst". Zu Nr. 142 (Luther, Brief an Hänschen): Spillinge sind gelbe Pflaumen. Zu Nr. 143 (Moltke, Gibraltar): Die „Amazone" führte an Bord die Leiche des im September 1846 zu Rom verstorbenen Prinzen Heinrich von Preußen, dessen persönlicher Adjutant der damalige Major v. Moltke gewesen war. Während das Schiff Spanien umfuhr, stieg Moltke zu Cadix an Land und durchwanderte Spanien bis zur Bidassoabrücke. Als er in Hamburg eingetrofsen war, mußte er dort noch wochenlang auf die Ankunft der Amazone warten, die durch schlimmes Wetter so lange aufgehalten ward. Zu Nr. 152 (Rosegger, Sauholta): sauholta — Schweinehirt (Halter); heint — heute Nacht; ban == beim; woad — Weide. Zu Nr. 157 (Schack, Granada): Man vergl. Heines Gedicht „Der Mohrenkönig", Nr. 37. Zu Nr. 159 (Spyri, Wie Heidi wieder heimkam): Cäsaplana und Falknis sind Alpengipfel in Graubündten. Zu Nr. 168 (Zingerle, Warm und kalt): Dieser Schwank war früher sehr bekannt und beliebt. Holländische Maler des 17. Jahr­ hunderts, besonders Jordaens, wurden nicht müde, die Geschichte bildlich darzustellen.

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis

der Quellen. Arndt, Ernst Moritz, geb. 26. Dez. 1769 zu Schoritz, Rügen, t 29. Jan. 1860 zu Bonn. Nr. 1 (Gedichte, Leipzig 1840). Ausfeld, Adolf, geb. 30. Aug. 1855zu Gotha, f 16. Aug. 1904 zu Heidelberg. Nr. 101 (Progr. des Gymnas. zu Lörrach in Baden 1908). Bäßler, Ferdinand, geb. 16. Jan. 1816 zu Zeitz, t 3. Febr. 1879 zu Pforta. Nr. 102—104 (Sagen aus allen Gauen des Vaterlandes, Berlin, 2. Aufl. 1877, Nr. 102 etwas gekürzt; Sagen aus der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin 1855). Baumbach, Rudolf, geb. 28. Sept. 1840 zu Kranichfeld, SachsenMeiningen, f 21. September 1905 zu Meiningen. Nr. 2 (Abenteuer und Schwänke, alten Meistern nacherzählt, Leipzig 1895). Bechstein, Ludwig, geb. 24. November 1801 zu Weimar, t 4. Mai 1860 zu Meiningen. Nr. 105 (Sagenschatz d. Thüringer­ landes, Hildburghausen, 1862, 4. Teil). Becker, Karl Friedrich, geb. 1777 zu Berlin, f 15. März 1806 zu Berlin. Nr. 106—109 (Weltgeschichte f. d. Jugend, 5. Aufl. Berlin 1825). Bismarck, Fürst Otto, geb. 1. April 1815 zu Schönhausen, t 30. Juli 1898 zu Friedrichsruh. Nr. 110 (Bismarckbriefe 1840—1870, Bielefeld und Leipzig, 1876).

Erläuterungen.

Lebensabriß und Nachweis der Quellen.

311

Zu Nr. 130 (Gri m rn, Der Rattenfänger zu Hameln): einige deuten die Sage darauf, daß 130 Soldaten, alle zu Hameln geboren, durch Verrat eines Pfeifers am Berg Köppen in einer Fehde gefallen seien. Zu Nr. 138 (Löns, Hasendämmerung): Die Überschrift ist nach „Götterdämmerung" der Edda gebildet (Ende der Götter). Zu Nr. 141 (Luther, Der reichste Fürst): Der Reichstag ist der von 1495 zu Worms, wo der ewige Landfrieden beschlossen wurde. Diese Erzählung gab Kerner den Stoff zu seinem Gedichte „Der reichste Fürst". Zu Nr. 142 (Luther, Brief an Hänschen): Spillinge sind gelbe Pflaumen. Zu Nr. 143 (Moltke, Gibraltar): Die „Amazone" führte an Bord die Leiche des im September 1846 zu Rom verstorbenen Prinzen Heinrich von Preußen, dessen persönlicher Adjutant der damalige Major v. Moltke gewesen war. Während das Schiff Spanien umfuhr, stieg Moltke zu Cadix an Land und durchwanderte Spanien bis zur Bidassoabrücke. Als er in Hamburg eingetrofsen war, mußte er dort noch wochenlang auf die Ankunft der Amazone warten, die durch schlimmes Wetter so lange aufgehalten ward. Zu Nr. 152 (Rosegger, Sauholta): sauholta — Schweinehirt (Halter); heint — heute Nacht; ban == beim; woad — Weide. Zu Nr. 157 (Schack, Granada): Man vergl. Heines Gedicht „Der Mohrenkönig", Nr. 37. Zu Nr. 159 (Spyri, Wie Heidi wieder heimkam): Cäsaplana und Falknis sind Alpengipfel in Graubündten. Zu Nr. 168 (Zingerle, Warm und kalt): Dieser Schwank war früher sehr bekannt und beliebt. Holländische Maler des 17. Jahr­ hunderts, besonders Jordaens, wurden nicht müde, die Geschichte bildlich darzustellen.

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis

der Quellen. Arndt, Ernst Moritz, geb. 26. Dez. 1769 zu Schoritz, Rügen, t 29. Jan. 1860 zu Bonn. Nr. 1 (Gedichte, Leipzig 1840). Ausfeld, Adolf, geb. 30. Aug. 1855zu Gotha, f 16. Aug. 1904 zu Heidelberg. Nr. 101 (Progr. des Gymnas. zu Lörrach in Baden 1908). Bäßler, Ferdinand, geb. 16. Jan. 1816 zu Zeitz, t 3. Febr. 1879 zu Pforta. Nr. 102—104 (Sagen aus allen Gauen des Vaterlandes, Berlin, 2. Aufl. 1877, Nr. 102 etwas gekürzt; Sagen aus der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin 1855). Baumbach, Rudolf, geb. 28. Sept. 1840 zu Kranichfeld, SachsenMeiningen, f 21. September 1905 zu Meiningen. Nr. 2 (Abenteuer und Schwänke, alten Meistern nacherzählt, Leipzig 1895). Bechstein, Ludwig, geb. 24. November 1801 zu Weimar, t 4. Mai 1860 zu Meiningen. Nr. 105 (Sagenschatz d. Thüringer­ landes, Hildburghausen, 1862, 4. Teil). Becker, Karl Friedrich, geb. 1777 zu Berlin, f 15. März 1806 zu Berlin. Nr. 106—109 (Weltgeschichte f. d. Jugend, 5. Aufl. Berlin 1825). Bismarck, Fürst Otto, geb. 1. April 1815 zu Schönhausen, t 30. Juli 1898 zu Friedrichsruh. Nr. 110 (Bismarckbriefe 1840—1870, Bielefeld und Leipzig, 1876).

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LebenSabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

Brentano, Klemens, geb. 8. Sept. 1778 zu Ehrenbreitstein, f 28. Juli 1842 zu Aschaffenburg. Nr. 3. 111 (Gesammelte Schriften in 7 Bänden, Frankfurt a. M. 1852; Märchen, 2 Bände, Stuttgart, 1847). Bürger, Gottfried August, geb. 31. Dez. 1747 zu Molmerschwende am Harz, f 8. Juni 1794 zu Göttingen. Nr. 4. 112 (Gedichte. Berlin, o. I. um 5 Strophen gekürzt; Münchhausen, Leipzig, Neelam o. I.). Caspari, Karl Heinrich, geb. 16. Febr. 1815 zu Eschau, Unter­ franken, f 10. Mai 1861 zu München. Nr. 113, 114 (Geistliches und Weltliches, 12. Ausl. Erlangen 1880). v. Chamisso, Adelbert, geb. 31. Jan. 1781 auf Schloß Bon­ court, Champagne, t 21. August 1838 zu Berlin. Nr. 5 (Wke., 6 Bde., Leipzig 1836—39.) v. Eichendorff, Joseph, geb. 10. März 1788 zu Lubositz, Schlesien, t 26. Nov. 1857 zu Meißen. Nr. 6—9 (Gedichte, 9. Aufl., Leipzig 1875). Eschner, Max, geb. 9. Dezember 1864 zu Stadtsulza, lebt als Lehrer a. D. in Leipzig. Nr. 115 (Natur und Menschenhand im Dienste des Hauses, 2 Bde., Stuttgart 1898). Fischer, Wilhelm, geb. 28. Febr. 1833 zu Wermelskirchen, f 5. April 1916 zu Oberkassel b. Bonn. Nr. 10.116 (Bunte Bilder, Reutlingen, o. I. Die Änderungen rühren vom Verf selbst her). (Gedichte, Bonn 1862). Flöricke, Kurt, geb. 23. März 1869 zu Zeitz, lebt zu Eßlingen am Neckar. Nr. 117 (Kriechtiere und Lurche. Stutgart 1909). Das vorliegende Stück nach Briefen von Forstassessor Maisch zu Wilhelms­ dorf bei Ravensburg. Fontane, Theodor, geb. 30. Dezember 1819 zu Neuruppin, t 24. Oktober 1898 zu Berlin. Nr. 11 (Gedichte, Berlin). France, Raoul, geb. 21. Mai 1874 zu Wien, lebt zu München. Nr. 118,119(Bilder aus dem Leben des Waldes, 7. Aufl. Stuttgart 1909). Freiligrath, Ferdinand,geb. 17.Juni 1810zuDetmold, f 18.März 1876 zu Kannstatt. Nr. 12 (Ges. Dichtungen, 6 Bände, Stuttgart 1871). Geibel, Emanuel, geb. 18. Okt. 1815 zu Lübeck, t 6. April 1884 ebenda. Nr. 13—15 (Werke in 8 Bänden, Stuttgart 1883). Gellert, Christian Fürchtegott, geb. 4. Juli 1715 zu Hainichen, Erzgebirge, t 13. Dez. 1769 zu Leipzig. Nr. 16 (Werke, Berlin o. I.). Giesebrecht, Ludwig, geb. 5. Juli 1792 zu Mirow, Mecklen­ burg, t 18. März 1873 zu Jasenitz. Nr. 17 (Gedichte, Leipzig 1836). Gleim, Johann Wilhelm Ludwig, geb. 2. April 1719 zu Ermsleben, 118. Febr. 1803 zu Halberstadt. Nr. 18 (Werke, Originalausgabe, Halberstadt 1811—13). v Goethe, Johann Wolfgang, geb. 28. Aug. 1749 zu Frankfurt st. M., 122. März 1832 zu Weimar. Nr. 19, 20,120 (Werke). Gotthelf, Jeremias, mit wirklichem Namen Albert Bitzius, geb. 4. Okt. 1797 zu Murten, Kanton Freiburg, f 22. Okt. 1854 zu Lützelflüh im Emmental. Nr. 121 (Der Knabe des Tell. 2. Aufl. Berlin 1852). Greif, Martin, geb. 18. Juni 1839 zu Speier, 11- April 1911 zu Kufstein, Tirol. Nr. 21—23 (gesam. Werke, Leipzig 1895). Brüder Grimm, 1. Jakob, geb. 4. Jan. 1785 zu Hanau, 120. Sept. 1863 zu Berlin. 2. Wilhelm, geb. 24. Febr. 1786 zu Hanau, t 16. Dez. 1859 zu Berlin. Nr. 122—131 (Kinder- und Häusmärchen, große Ausg., 18. Ausl. Berlin 1882; Nr. 124 und 125 nach Sutermeister. Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau, 1873 unbedeutend geändert; Deutsche Sagen, Berlin 1816).

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

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Groth, Klaus, geb. 24. April 1819 zu Heide, Schleswig, f 2. Juni 1899 zu Kiel. Nr. 24—27 (Quickborn, 7. Ausl. Hamburg 1857; 2. Teil, Leipzig 1871). Güll, Friedrich, geb. 1. April 1812 zu Ansbach, s 23. Dez. 1879 zu München. Nr. 28, 29 (Kinderheimat, Gütersloh 1875). Hansjakob, Heinrich, geb. 19. August 1837 zu Hasbach, Baden, t 23. Juni 1916 ebenda. Nr. 132 (Deutscher Spielmann Bd. 18). Hebbel, Friedrich,geb. 18.März 1813juWesselburen,Ditmarschen, 113. Dez. 1863 zu Wien. Nr. 30. 31 (Sämtl. Werke, Berlin 1902). Hebel, Johann Peter, geb. 10. Mai 1760 zu Basel, f 22. Sept. 1.826 zu Schwetzingen. Nr. 32. 33. 133. 134 (Werke, Karlsruhe 1843). Hehn, Viktor, geb. 8. Oktober 1813 zu Dorpat, f 21. März 1890 zu Berlin als kaiserlicher Bibliothekar zu St. Petersburg. Nr. 135 (Reisebilder, Stuttgart 1894). Heine, Heinrich, geb. 13. Dez. 1797 zu Düsseldorf, f 17. Febr. 1856 zu Paris. Nr. 34—37 (Werke, herausg. von Elster, Leipzig, o. I. In Nr. 37 ist Strophe 11 nicht geändert worden, sondern nur eine Lesart des Dichters selbst wiedergegeben). Hertzberg, Gustav Friedrich, -geb. 19. Januar 1826 zu Halle a. S., t 16. November 1907 ebenda. Nr. 136, 137 (Alexander der Große, Halle 1854). Hoffmann v. Fallersleben, August Heinrich, geb. 2. April 1798 zu Fallersleben, 119. Januar 1874 zu Corvey a. d. Weser. Nr. 38—43 (Gedichte, Auswahl von Frauenhand, Halle o. I.; Unpo­ litische Lieder, Hamburg 1840, Nr. 39, 42). Hölty, Ludwig Heinrich Christoph, geb. 21. Dez. 1748 zu Ma­ rtensen b. Hannover, f 1. Sept. 1776 zu Hannover. Nr. 44 (Gedichte, herausg. von Halm, Leipzig 1869.) Holz, Arno, geb. 26. April 1863 zu Rastenburg, Ostpreußen, lebt zu Berlin. Nr. 45 (Wolff, Poetischer Hausschatz, Leipzig 1907.) Kerner, Justinus, geb. 18. Sept. 1786 zu Ludwigsburg, f 22. Febr. 1862 zu Weinsberg. Nr. 46 (ausgewählte poetische Werke, 2 Bde., Stuttgart 1878). Kinkel, Gottfried, geb. 11. Aug. 1815 zu Oberkassel b. Bonn, t 13. Nov. 1882 zu Zürich. Nr. 47, 48 (Gedichte, Stuttgart 1843). Kopisch, August, geb. 26. Mai 1799 zu Breslau, t 6. Februar 1853 zu Berlin. Nr. 49—52 (Werke, Bd. 1, Berlin 1856). von Liliencron, Detlev, geb. 3. Juni 1844 zu Kiel, f 22. Juli 1909 zu Altrahlstedt bei Hamburg. Nr. 53, 54 (Werke, 7 Bde. 1904). Lingg , Hermann, geb. 22. Jan. 1820 zu Lindau, Bodensee, t 18. Juni 1905 in München. Nr. 55—57 (Gedichte, 2 Bde., Stuttgart 1868, vorletzte Zeile der letzten Strophe hat im Original ihren, was nach des Dichters Mitteilung ein Druckfehler ist. Nr. 56 aus dem deutschen Weihnachtsbuch, Hamburg 1906). Löns, Hermann, geb. 29. Sept. 1866 zu Kulm, Westpreußen, gefallen bei Reims am 4. Okt. 1914. 138,139 (Mümmelmann, ein Tier­ buch, 2. Aufl. Hannover 1909; Was da kreucht und fleucht, Berlin 1909). Löwenberg, Jakob, geb. 2. März 1856 zu Niederntudorf b. Paderborn, lebt zu Hamburg. Nr. 58 (Wolffs poetischer Hausschatz, völlig erneut durch H. Fränkel, 31. Aufl., Leipzig 1907). Luther, Martin, geb. 10. Nov. 1483 zu Eisleben, t 18. Febr. 1546 ebenda. Nr. 140—142 (Sämtl. Werke, Erlangen 1820—55,

314

Lebensabriß der Berfasser und Nachweis der Quellen.

65 Bde. deutsche Schriften. Etliche Fabeln Asops verdeutscht, Bd. 64; Tischreden Bd. 61; der Brief aus Bd. 54. M a ß rn a n n , Hans Ferdinand, geb. 15. Aug. 1797 zu Berlin, t 3. Aug. 1874 zu Nwskau. Nr. 59 (Lieder f. Knaben und Mädchen, München 1832). Matzerath, Christian Joseph, geb. 28. Januar 1815 zu Linnich, 124. März 1876 zu Köln. Nr. 60 (Stüblen, Deutsche Feierklänge, Leipzig 1890). Graf von. Moltke, Helmut, geb. 26. Okt. 1800 zu Parchirn, Mecklenburg, t 24. April 1891 zu Berlin. Nr. 143—146 (Wanderbuch, 2. Aufl. Berlin 1879; Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei; 2. Aufl. Berlin 1876). Mörike, Eduard, geb. 8. Sept. 1804 zu Ludwigsburg, t 4. Juni 1874 zu Stuttgart. Nr. 61 (Gedichte, 12. Aufl. Stuttgart 1897). Mosen, Julius, geb. 8. Juli 1803 zu Marienei, Boigtland, f 10. Okt. 1897 zu Oldenburg. Nr. 62—63 (Werke, Leipzig 1880). Müller, Joseph, geb. 12. November 1802 zu Aachen, t 5. Aug. 1872 als Gymnasial-Oberlehrer ebenda. Nr. 64 (Freimuth, Aachens Dichter und Prosaisten, Aachen, 1882). Müller, Otto, geb. 1. Juni 1816 zu Schotten am Bogelsberg, f 7. August 1894 zu Stuttgart. Nr. 147 (Münchhausen im Vogelsberg, Frankfurt 1870). Müller, Wilhelm, geb. 7. Okt. 1794 zu Dessau, t 30. Sept. 1827 ebenda. Nr. 65—67 (Gedichte, 2 Bde., Berlin 1874). Müller, Wolfgang, geb. 5. März 1815 zu Königswinter, t 29. Juni 1893 zu Neuenahr. Nr. 68, 69 (Gedichte, Frankfurt a. M. 1847). Pfarrius, Gustav, geb. 31. Dez. 1800 zu Heddesheim b. Kreuznach, t 15. Aug. 1884 zu Köln. Nr. 70 (das Nahetal in Liedern, Bonn 1864). Plinius, Cajus Cäcilius Secundus, der Schwestersohn des älteren Plinius, geboren 62 n. Chr. zu Comum, f 110 n. Chr. Nr. 148 (Ans den Briefen des P. übersetzt von K. H.). Reichenau, Rudolf, geb. 12. Mai 1818 zu Marienwerder, f 18. Dez. 1879 zu Berlin. Nr. 149, 150 (Aus unseren vier Wänden, Leipzig 1877). Reinick , Robert, geb. 22. Febr. 1805 zu Danzig, t 7. Febr. 1852 zu Dresden. Nr. 71 (Märchen, Lieder und Geschichten, Bielefeld, 7. Aufl. 1884). Richter, Albert, geb. 7. Febr. 1838, f 29. Juni 1897. Nr. 151 (Lustige Geschichten aus alter Zeit). Rosegger, Peter, geb. 31. Juli 1843 zu Alpel, Steiermark, t 1918 zu Krieglaed in Steiermart. Nr. 72, 152—154 (Waldferien, Wien, 2. Aufl. o. I.; Schriften des Waldschulmeisters, 3. Aufl. Wien 1882; Lustige Schwänke in Steierer Mundart). Rückert, Friedrich, geb. 16. Mai 1788 zu Schweinfurt, f 31. Januar 1836zu Neuseß b. Koburg. Nr. 73—75 (Gedichte, neue Auswahl, 22. Aufl., Frankfurt a. M. 1886; Nr. 74: Gedichte, Bd. 5, Erlangen 1838). Graf v. Schack, Adolf, geb. 2. Aug. 1815 zu Brüsewitz, Schwerin, t 14. April 1894 zu Rom. Nr. 155—157 (Ein halbes Jahrhundert, 3 Bände, Stuttgart 1888). v. Schiller , Friedrich, geb. 10. Nov. 1759 zu Marbach am Neckar, t 9. Mai 1805 zu Weimar. Nr. 76—80 (Werke, Bd. 1). Schneckenburger, Max, geb. 17. Febr. 1819 zu Talheim, Württ., t 3. Mai 1849 zu Burgdorf, Kanton Bern. Nr. 81 (Nach des Dichters Handschrift, bei Engelienu. Fechner, Lesebuch, 3.Teil, 16.Aufl. Berlin).

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

316

Schwab, Gustav, geb. 19. Juni 1792 zu Stuttgart, t 4. Nov. 1860 ebenda. Nr. 82 (Gedichte, Leipzig 1882). Seidel, Heinrich, geb. 25. Juni 1842 zu Perlin, Mecklenburg, t 7. Nov. 1906 zu Gr.-Lichterfelde. Nr. 158 (Naturbilder, Leipzig 1909). v. Seyd el, Max, geb. 7. Sept. 1846 zu Germersheim, f 23. April 1901 zu München. Nr. 83 (Wolfss poetischer Hausschatz, Leipzig 1907). Simrock, Karl, geb. 18. August 1802 zu Bonn, f 18. Juli 1876 daselbst. Nr. 84, 85 (Legenden, 3. Ausl., Bonn 1876; Rheinsagen, 10. Ausl., besorgt von Karl Hessel, Bonn 1891). Spyri, Johanna, geb. 12. Juni 1827 zu Hirzel bei Zürich, t 8. Juli 1901 zu Zürich. Ihr Familiennamen ist Heußer. Nr. 159 (Heiois Lehr- und Wanderjahre, 8. Ausl. Gotha 1887). Stöber, Adolf, geb. 7. Juli 1810 zu Straßburg, Elsaß, t 8. Nov. 1892 zu Mülhausen, Elsaß. Nr. 86 (Gedichte, Hannover 1845). Graf zu Stolberg, Friedrich Leopold, geb. 7. Nov. 1750 zu Bramstedt, Holstein, f 5. Juli 1819 zu Sondermühlen. Nr. 87 (Gedichte, Karlsruhe 1783). Trojan, Johannes, geb. 14. August 1837 zu Danzig, f 20. Nov. 1915 in Rostock, Mecklenburg. Nr. 88—90, 160—162 (Hundert Kinder­ lieber, Berlin 1899; Gedichte, Leipzig 1883; Kleine Bilder, Minden 1886. Die Elfennamen hat der Verfasser eigens für den Abdruck in vorliegendem Buche hinzugefügt. — Neuer deutscher Jugendfreund, Stuttgart 1885, Nr. 161 und 162, dort anonym abgedruckt). U h l a n d , Ludwig, geb. 26. April 1787 zu Tübingen, t 13. Nov. 1862 daselbst. Nr. 91—94 (Gedichte, Stuttgart o. I.). B o g l, Johann Nepomuk, geb. 1. Febr. 1802 zu Wien, f 16. Nov. 1866 ebenda. Nr. 95 (Balladen, Romanzen, Sagen und Legenden, 3. Aufl., Wien 1851). Volkslieder. Nr. 96—99 (96: Deutscher Spielmann, 97, 98: Scherer, Jungbrunnen, 3. Aufl. Berlin, Hertz; 99: Liederbuch für altmodische Leute, Leipzig 1887). Wackernagel, Wilhelm, geb. 23. April 1806 zu Berlin, f 21. Dez. 1869 zu Basel. Nr. 100 (Gedichte, Auswahl, Basel 1873). Wieland, Christoph Martin, geb. 5. Sept. 1733 zu Oberholz­ heim bei Biberach, f 20. Jan. 1813 zu Weimar. Nr. 163 (Werke, Leipz. 1796, Bd. 20). Willmann, Otto, geb. 24. April 1839 zu Polnisch Lissa, Prov. Posen, lebt als Professor a. D. zu Leitm.ritz, Böhmen. Nr. 164—166 (Lesebuch aus Herodot, 4. Aufl. Leipzig 1885. In Nr. 165 ist der erste Satz zusammengezogen, auch Krösos in Krösus geändert). Zingerle, Ignaz, geb. 6. Juni 1825 zu Meran, f 17. September 1892 zu Innsbruck. Nr. 167, 168 (Kinder- und Hausmärchen aus Süd­ deutschland, Regensburg 1854). Verschiedenes. Nr. 169Nach d. Volksbüchern,herausg.v.Simrock, Frankfurt a. M., o. I. erzählt v. K. H. Nr. 170 aus d. Buch der Abenteuer von Gotchold Klee; 171—173 von K. H.und zwar 171 und 173 Original­ beitrag, 172 aus d. Wetzlarer Gymnasialprogr. von 1875; Nr. 174 meist aus Simrock, Deutsche Sprichwörter, Frankfurt a.M., o.J.; Nr. 175 meist aus Herzog, Beispielsprichwörter, Aarau 1882 und aus Höfer, Wie das Volk spricht, 5. Aufl. Stuttgart 1866. 96 aus d. Spielmann; 97 aus d. Knaben Wunderhorn; 98, 99 aus d. Liederbuch f. altmodische Leute.

316

Inhalt L

Inhalt I. Gedichte sind durch * bezeichnet.

A. Anordnung nach dem Inhalt. L Häusliches Leben. Menschenleben. Feste.

Sette

♦ 32. Hebel, Das Habernrus........................................................ 33 ♦ 44. Hölty, Der alte Landmann an seinen Sohn............47 ♦ 65. Müller, Kinderlust............................................................ 60 ♦ 77. Rosegger. Mei weißes Lamperl.................................... 77 ♦ 98. Ach, wie wär's möglich dann.............................................. 115 132. Hansjakob, Der Tod des Hermesburen.........................192 142. Luther, Brief an feinen Sohn Hänschen..................... 221 149. Reichenau, Hausmütterchen.............................................240 150. „ Wie die Großmutter schreiben lernte . . 241 159. Spyri, Wie Heidi wieder heimkam zum Großvater . . 263 6. Eichendorfs, Reiselied.................................................... 11 7. „ Der Jäger Abschied..................................... 11 ♦ 46. Kerner, Wanderlied............................................................ 49 ♦ 41. Hoffmann, Heimat............................................................ 49 ♦ 5. Ch amiss o , Die alte Waschfrau.................................... 5 ♦ 12. Freiligrath, Aus dem schlesischen Gebirge............ 15 ♦ 30. Hebbel, Der junge Schiffer............................................ 32 ♦ 53. Liliencron, Die Musik kommt.................................... 59 ♦ 58. Löwenberg, Auf der Straßenbahn............................ 63 152. Rosegger, Wann da Sauholta Kaisa war................ 246 ♦ ♦

♦ ♦ ♦ * ♦

73. 71. 90. 61. 55.

Rücker't, ^es fremden Kindes HeilgerChrist.............. 77 Reinick, Weihnachtslied.........................................................75 Trojan, Wiederfinden........................................................ 99 Mörike, Zum neuen Jahr................................................ 65 Lingg, Feierabend............................................................. 61 2.

Weisheit, Gottvertraue«.

* 13. Geibel, Hoffnung................................................................ 17 * 16. Gellert, Die Ehre Gottes aus der Natrrr ...... 20 ♦ 44. Höl 1 y, Der alte Landmann an seinen Sohn........... 47 ♦ 69. W. Müller, Der Mönch von Heisterbach........................ 73 ♦ 97. Nachtwächterlied...................................................................... 114 ♦100. Wackernagel, Geduld bringt Rosen............................... 116 3.

Deutsche Geschichte und Sage.

♦62. Mosen, Andreas Hofer, 1810................................................. 66 ♦8. Eichendorff, Soldatenlied, 1813..................................... 12 *9. „ Ruhe der Nacht, 1813................................. 13

Inhalt L

317 Seite

*63. Mosen, Der Trompeter an der Katzbach, 1813 .... *5. Brentano, Die Gottesmaner, 1814.............................. ♦ 11. Fontane, Wo Bismarck liegen soll, 1898 .................

67 9 16

♦ 52. Kopisch, Der Mäuseturm (Bingen).................................. 58 ♦ 70. Pfarrius, Der Trunk aus dem Stiefel (Nahe) ... 74 ♦ 35. Heine, Die Lorelei (St. Goar).......................................... 39 ♦ 68. W. Müller, Schwert und Pflug (Ahrtal)......................72 ♦ 69. ,, Der Mönch von Heisterbach (Siebengeb.) . 73 ♦ 85. Simrock, Die Siebenschläfer (Bonn).............................. 94 ♦ 49. Kopisch, Die Heinzelmännchen (Köln).............................. 52 *129. Grimm, Der Schwanritter (Kleve).....................................188 64. Jos. Müller, Et Henzemännche (Aachen).............................. 68 ♦92. Uhland, Klein Noland (Aachen)......................................... 101 ♦39. „ Roland Schildträger (Aachen)............................ 105 130. Grimm, Der Rattenfänger zu Hameln(Weser) .... 190 102. Bäßler, Der treue Eckart (Thüringen).............................. 121 ♦19. Goethe, Der getreue Eckart (Thüringen).............................. 23 105. Bech stein, Scharfsinnige Taten der Wasunger (Thüringen) 124 104. Bäßler, Die Schöppenstedter (Braunschweig)..................124 103. „ Rübezahl wird ein Esel (Schlesien)................ 122 131. Grimm, Der Glockenguß zu Breslau (Schlesien) ... 191 ♦22. Greif, Der fromme Hirtenknabe (Alpen).............................. 27 127. Grimm, Der Grenzlauf (Alpen)....................................... 185 ♦86. Stöber, Der Läufer von Glarus (Alpen)......................... 95 128. Grimm, Der Gemsjäger (Alpen)........................................187 ♦76. Schiller, Der Alpenjäger (Alpen)...................................... 81 121. Gotthelf, Winkelried und der Drache (Alpen) .... 168 153. Rosegger, Ein Kräutlein für den Tod (Steiermark) . 246

4. Geschichte und Sage anderer Völker. ♦83. Seydel, Totengericht (Ägypten)........................................... 92 ♦ 34. Heine, Belsazer (Babylonien)............................................... 38 ♦ 78. Schiller, Hektors Abschied (Griechenland)......................83 ♦ 10. Fischer, Kleobis und Biton (Griechenland)...................... 13 164. Willmann, Krösus und Solon (Griechenland) .... 276 165. „ Polykrates (Griechenland)............................ 278 *79. Schiller, Der Ring des Polykrates (Griechenland) . . 84 168. Willmann, Auszug des Lerxes (Griechenland) .... 287 113. Caspari, Das Alter soll man ehren (Griechenland) . . 148 106. Becker, Der Tod des Sokrates (Griechenland) .... 125 *23. Greif, Xenophon (Griechenland) ........................................... 23 136. Hertzberg, Alexander und sein Arzt (Griechenland). . 205 137. „ Der gordische Knoten (Griechenland) . . . 206 101. Ausfeld, Aus der Sage vom großen König Alexander (Griechenland) ................................................... 117 165. Wieland, Des Esels Schatten (Griechenland) .... 273 *74. Rückert, Chidher (persisch)....................................................... 78 114. Caspari, Fabel vom Magen und den Gliedern (römisch) 148 107. Becker, Hannibals Zug über die Alpen (römisch) . . . 129 *47. Kinkel, Scipio (römisch)........................................................... 50 108. Becker, Cäsars Tod (römisch)............................................... 130

318

Inhalt I. Leite

109. Becker, Spiele der Römer (römisch)................................. 132 148. PliniuS, Der Ausbruch des Vesuvs (römisch) .... 235 173. Das Gastmahl des Trimalchio (römisch) .............................300 ♦ 37. Heine, Der Mohrenkönig (spanisch).................................41 * 67. Müller, Der kleine Hydriot (neugriechisch).................... 71 * 51. Kopisch, Tomte i Garden (dänisch)................................ 57

5. ♦

♦ ♦ ♦ ♦ * * * ♦ ♦ *

1. 21. 38. 39. 40. 57. 59. 81. 99. 36. 60.

Deutsches Laud uud Bott.

Arndt, Deutscher Trost...................................................... t Greif, An Deutschland.......................................................... 26 Hoffmann, Das Lied der Deutschen............ .... 43 „ Mein Vaterland............................................... 44 „ Mein Lieben........................................................44 Lingg, Die Römerstraße...................................................... 62 Maßmann, Gelübde.......................................................... 64 Schneckenburger, Die Wacht am Rhein............ 89 Unterländers Heimweh............................................................ 116 Heine, Auf dem Hardenberge..............................................40 Matzerath, An den Rhein .............................................. 64

6.

Das übrige Europa.

*7 7. Schiller, Berglied.............................................................. 82 119. France, Der Auwald der Donauinseln bei Wiett ... 161 110. Bismarck, Aus der ungarischenSteppe............................ 134 155. Schack, Konstantinopel...........................................................255 144. Moltke, Türkisches Bad...................................................... 225 156. Schack, Athen........................................................................... 256 172. Korfu............................................................................................ 298 135. Hehn, Besteigung des Vesuvs.............................................. 202 120. Goethe, Müßiggänger in Neapel...................................... 164 143. Moltke, Gibraltar...................................................................223 157. Schack, Granada....................................................................... 257

7. 145. 146.

Fremde Erdteile.

Moltke, Fahrt auf dem Tigris......................................... 228 „ Der Araber und sein Pferd............................... 230

8.

Lierleben und Pflanzenleben.

138. Löns, Hasendämmerung...................................................... 207 117. Flöricke, Auszug der Salamander ins Winterquartier 139. Löns, Der Kantor................................................................... 213 161. Trojan, Bon den Ameisen.................................................. 270 118. France, Segen des Waldes .............................................. 160 158. Seidel, Das Kornfeld...........................................................259 ♦ 32. Hebel, Das Habermus.......................................................... 33 ♦ 56. Lingg, Die weiße Weihnachtsrose..................................... 61 ♦ 88. Trojan, Heidekraut.............................................................. 97 ♦ 89. ,, Zierbohne...................................................................99 115. Eschner, Die Papierbereitung............................................ 149

319

Inhalt I.

Seite

9. Leben der Erde. Jahreszeiten. LageSzeitea. ♦ 13. Geibel, Hoffnung................................................................... 17 * 14. „ Der Mai ist gekommen........................................... 18 ♦ 28. Güll, Frühling . . /.......................................................... 30 ♦ 65. W. Müller, Kinderlust ...................................................... 69 * 66. „ Frühlingsnnrhl ...................................................70 ♦ 33. Hebel, Sommerlied...............................................................37 ♦ 56. Lingg, Die weiße Weihnachtsrofe.................... 61 171. Der Strom im Winter................................................................. 296 ♦ 15. Geibel, Morgenwanderung...................................................19 ♦ 25. Groth, OpstLn...................................................................... 29 * 42. Hoffmann, Abendlied...................................................... 45 * 48. Kinkel, Ein geistlich Adeildlied.......................................... 51 ♦ 55. Lingg, Feierabend ...............................................................61

B. Anordnung nach Gattungen der Poesie tmb Prosa.

Lehrhaftes (Didaktisches). 10. Fabel. Parabel. Sprach. Rätsel. *1 8. Gleim, Der Fischreiher....................................................... 22 140. Luther, Etliche Fabeln Äsops verdeutscht..................... 219 114. Caspari, Die Fabel vom Magen und den Gliedern . 148 174. Sprichwörter............................................................................... 304 175. Beispielsprichwörter ................................................................... 306 ♦ 29. Güll, Rätsel ..................................... 30 ♦ 75. Rückert, Ausdem Rätselmanii............................................ 80 * 80. „ Rätsel........................................................................... 81

Erzählendes (Episches). 11. Märchen. 111. Brentano, Komanditchen...................................................138 116. Fischer, Zachur mit dem Sacke.......................................... 151 122. Grimm, Der Froschkönig ................................................... 172 123. „ Die weiße Schlange.................................................. 176 124. „ D' brösmeli uf em tisch......................................... 180 125. „ Das bürli im Himel.................................................. 181 126. v Hase und igel .......................................................... 182 *84. Simrock, Der Bauer im Himmel.......................................... 93

* ♦ ♦

Die 20. 22. 69.

12. Sage. Legende. Sagen sehe man oben unter 3 und 4. Goethe, Legende vom Hufeisen...................................... 24 Greif, Der fromme Hirtenknabe...................................... 27 Müller, Der Mönch von Heisterbach..............................73

Erzählungen, ernste und heitere, in Poesie und Prosa. Poetische Erzählungen und Balladen. ♦3. Brentano, Die Gottesmauer.......................................... ♦4. Bürger, Das Lied vom braven Mann.........................

13.

4 6

320

Inhalt I.

Seite ♦ 10. Fischer, Kleobis und Biton...............................................13 * 12. Freiligrath, Aus dem schlesischen Gebirge............ 15 ♦ 17. Giesebrecht, Der Lotse.................................................. 21 * 23. Greis, Xenophon................................................................... 27 *31. Hebbel, Die treuen Brüder.................................................. 33 ♦ 37. Heine, Der Mohrenkönig...................................................... 41 * 45. Holz, Een Boot is noch buten .......................................... 48 * 47. Kinkel, Scipio.......................................................................50 * 54. Liliencron, Tod in Ähren.............................................. 60 * 62. Mosen, Andreas Hofer ...................................................... 66 * 63. „ Der Trompeter an der Katzbach.............................. 67 * 79. Schiller, Der Ring des Polykrates..................................84 * 82. Schwab, Das Gewitter...................................................... 90 * 83. Seydel, Totengericht.......................................................... 92 * 95. Vogl, Das Erkennen............................................................. 111

132. 133. 134.

Erzählungen in Prosa. Hansjakob, Der Tod des Hermesburen.......................... 192 Hebel, Unverhofftes Wiedersehen...................................... 194 „ Der Schneider in Pensa................................................... 196

Heitere Erzählungen und Schwänke. ♦2. Baumbach, Das lange Band......................................... 2 *50. Kopisch, Puck ........................................................................... 55 *96. Der Schneider in der Hölle......................................................... 112 146. Moltke, Der Araber und sein Pferd..............................230 147. Müller, Die kluge Diana.................................................. 233 151. Richter, Ein warmes Bad .............................................. 245 163. Wieland, Bon des Esels Schatten.................................. 273 167. Zingerle, Die verstorbene Gerechtigkeit......................... 284 104. Bäßler, Die Schöppenstedter............................................... 124 105. „ Die Wasunger................................................................. 124 112. Bürger, Münchhausen........................................................... 145 168. Zingerle, Warm und kalt aus einem Munde .... 287 169. Die Schildbürger ....................................................................... 288 170. Vom Eulenspiegel....................................................................... 291 14. Schilderung und Beschreibung. Hierzu gehören viele Stücke aus Nr. 1, sowie die Darstellungen aus Erdkunde und Naturkunde (Nr. 5 bis 9).

Gefühle und Gedanken (Lyrisches). 15. Lied. BottSlied. Geistliches Lied. Lieder sind alle in der Überschrift ausdrücklich so bezeichneten Gedichte.

Handlung (Dramatisches). 16. Gespräch. Selbstgespräch. •78. Schiller, Hektors Abschied.......................................................83 *91. Uhland, Das Schloß am Meer............................................ 100 160. Trojan, Bor Tau und Tag.................................................267

Inhalt I.

321 Seite

Dramatisch sind unter andern noch: Nr. 12 (Freiligrath, aus dem schlesischen Gebirge), 32 (Hebel, Das Habernms), 67 (Müller, Der kleine Hydriot), 72 (Rosegger, Mei weißes Lamperl).- 74 (Rückert, Chidher), 97 (Nachtwächterlied).

C. Nach Formen der Darstettung. 17. Mundartliches. ♦ 24—27. Groth, plattdeutsche Gedichte....................................... 29 ♦ 64. I. Müller, Et Henzemännche (niederdeutsch von Aachen) 68 * 85. Simrock, Die Siebenschläfer (niederdeutsch von Bonn) 94 ♦ 99. Unterländers Heimweh (schwäbisch) ..................................... 116 * 28. Güll, Frühling (oberbayerisch)................................................30 ♦ 72. Rosegger, Mei weißes Lamperl (steirisch)....................... 77 152. „ Wan da Sauholta Kaisa war (steirisch) . . 246 124. Grimm, D' brösmeli uf em tisch (schweizerisch) .... 180 125. „ Das Bürli im Himel (schweizerisch)............... 181

Kurze

18. Formen der Dichtung. Reimpaare: 2. (Baumbach, Das lange

Band); 20. (Goethe, Legende vom Hufeisen); 34. (Heine, Belsazer); 51. 52. (Kopisch, Tomte i Garden; Der Mäuseturm); 58. (L ö Wen­ tz e r g , Auf der Straßenbahn); 70. (P s a r r i u s , Der Trunk aus dem Stiesel); 72. (R o s e g g e r , Mei weißes Lamperl); 81. (Schnecken­ burger, Die Wacht am Rhein); 83. (Seydel, Totengericht); 86. (Stöber, Der Läufer von Glarus); 97. (Nachtwächterlied).

Dreiteilige Strophen: Nr. 3. (Brentano, Die Gottesmauer); 4. (Bürger, Das Lied vom braven Mann); 5. (Chamisso, Die alte Waschfrau); 15. (Geibel, Morgenwanderung); 43. (Hoffmann, Geleitslied); 49. (K o p i s ch , Die Heinzelmännchen); 56. (Lingg, Die weiße Weihnachtsrose); 62. (Mosen, Andreas Hofer); 74. (Rückert, Chidher); 76. 77. (Schiller, Der Alpen­ jäger; Berglied); 82. (Schwab, Das Gewitter); 93. (Uh land, Roland Schildträger). Der Abgesang tritt als solcher im Druck für das Auge hervor. Hildebrandtston. Nr. 6. (Eichendorff, Reiselied); 35. (Heine, Lorelei); 40. 41. (Hoffmann, Mein Lieben; Heimat); 48. (K i n k e l, Ein geistlich Abendlied); 59. (M a ß m a n n, Gelübde); 63. (M o s e n , Der Trompeter an der Katzbach); 66. 67. (W. M ü l l e r , Das Frühlingsmahl- Der kleine Hydriot); 90, 92. (Uhland, Das Schloß am Meere; Die versunkene Krone).

Fremde Formen. Alexandriner: Nr. 18. (Gleim, Der Fisch­ reiher); Hexameter: 32. (H e b e l, Das Habermus); spanische Trochäen: 37. (Heine, Der Mohrenkönig).

322

Inhalt II.

Inhalt LL Die Überschriften der mundartlichen Stücke sind in lateinischer Schrift gedruckt. Erste Abteilung:

1. 2.

3.

4. 5.

6. 7. 8. 9.

10. 11.

12. •13. 14. 15.

16.

17. 18.

19. 20. 21. 22. 23.

Gedichte. Arndt: Seite Deutscher Trost................................................................................... 1 Baumbach: Das lange Band ....................................................................................2 Brentano: Die Gottesmauer.................................................................................... 4 Bürger: Das Lied vom braven Mann............................................................... 6 Chamisso: Die alte Waschfrau............................................................................... 9 Eichendorff: Reiselied.......................................................................................... 11 Der Jäger Abschied.............................................................................. 11 Soldatenlied (1813).............................................................................. 12 Ruhe der Nacht (1813)..........................................................................13 Fischer: Kleobis und Biton.................................................................................... 13 Fontane: Wo Bismarck liegen soll............................................................. 15 Freiligrath: Aus dem schlesischen Gebirge............................................................. 15 Geibel: Hoffnung..................................................................................................... 17 Der Mai ist gekommen..........................................................................18 Morgenwanderung..................................................................................19 Gellert: Die Ehre Gottes ausder Natur.......................................................... 20 Giesebrecht: Der Lotse..................................................................................................21 Gleim: Der Fischreiher..................................................................................... 22 Goethe: Der getreue Eckardt (1813)................................................................ 23 Legende vom Hufeisen......................................................................... 24 Greif: An Deutschland (1870)..................................................................... 26 Der fromme Hirtenknabe.................................................................... 27 Lenophon.................................................................................................. 27

Inhalt EL

24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.

34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

45.

46. 47. 48.

49. 50. 51. 52.

53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60.

323 Seile

Groth: Matten Häs.......................................................................................... 29 OpstAn.................................................................................................. 29 Tünkönig.............................................................................................. 29 Spatz.......................................................................................................30 Güll: Frühling.............................................................................................. 30 Rätsel...................................................................................................30 Hebbel: Der junge Schiffer.............................................................................. 32 Die treuen Brüder............................................... 33 Hebel: Das Habermus..................................................................................33 Sommerlied.......................................................................................... 37 Heine: Belsazer ....................................................... 38 Lorelei.................................................................................................. 39 Auf dem Hardenberge..................................................................... 40 Der Mohrenkönig..............................................................................41 Hoffmann: Das Lied der Deutschen................................................................. 43 Mein Vaterland................................................................................. 44 Mein Lieben . ... ............................................................................. 44 Heimat.................................................................................................. 45 Abendlied..............................................................................................45 Geleitslied.......................................................................................... 45 Hölty: Der alte Landmann an seinen Sohn............................................. 47 Holz: Een Boot is noch buten..................................................................48 Kerner: Wanderlied.......................................................................................... 49 Kinkel: Scipio.................................................................................................. 50 Ein geistlich Abendlied......................................................................51 Kopis ch: Die Heinzelmännchen.......................................................................... 52 Puck....................................................................................................... 55 Tomte i Garden ..............................................................................57 Der Mäuseturm................................................................ • . 58 Liliencron: Die Musik kommt.............................................................................. 59 Tod in Ähren...................................................................................... 60 Lingg: Feierabend...........................................................................................61 Die weiße Weihnachtsrose.............................................................. 61 Die Römerstraße.................................................................................. 62 Löwenberg: Auf der Straßenbahn...................................................................... 63 Maßmann: Gelübde ............................................................................................... 64 Matzerath: An den Rhein .................................................................................. 64

324

Inhalt II. Seite

61. 62. 63. 64. 66. 66. 67.

68. 69. 70.

71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82.

83. 84. 85. 86. 87.

88 89. 90. 91. 92. 93. 94.

Mörike: Zum neuen Jahr............................................................................ 65 Mosen: Andreas Hofer ................................................................................ 66 Der Trompeter an der Katzbach.................................................... 67 Joseph Müller: Et Henzemännche en der Bäcker............................................... 68 Wilhelm Müller: Kinderlust............................................................................................ 69 Das Frühlingsmahl........................................................................70 Der kleine Hydriot............................................................................ 71 Wolfgang M ü Iler: Schwert und Pflug . /................................................................... 72 Der Mönch von Heisterbach............................................................ 73 Psarrius: Der Trunk aus dem Stiefel ....................................................... 74 Reinick: Weihnachtslied.................................................................................... 75 Rosegger: Mei weißes Lamperl....................................................................... 77 Rückert: Des fremden Kindes heilger Christ............................................... 77 Chidher................................................................................................ 78 Aus dem „Rätselmann"............................................................... 80 Schiller: Der Alpenjäger............................................................................... 81 Berglied.......................................................................... 82 Hektors Abschied............................................................................... 83 Der Ring des Polykrates............................................................... 84 Rätsel................................................................................................87 Schneckenburger: Die Wacht am Rhein................................................................... 89 Schwab: Das Gewitter ............................................................................... 90 Seydel: Totengericht ................................................................................... 92 Simrock: Der Bauer im Himmel ................................................................. 93 Die Siebenschläfer ........................................................................ 94 Stöber: Der Läufer von Glarus....................... 95 Stolberg: Lied eines deutschen Knaben ....................................................... 96 Trojan: Heidekraut........................................................................................ 97 Zierbohnen....................................................................................... 98 Wiedersinden................................................................................... 99 Uhland: Das Schloß am Meere ............................................................. 100 Klein Roland.................................................................................. 101 Roland Schildträger..................................................................... 105 Die versunkene Krone.................................................. 111

Inhalt 1-l.

3*25 Seite

Vogl: 95. Das Erkennen............................................................................... 111 Volkslieder: 96. Der Schneider in der Hölle..................................................... 112 97. Nachtwächterlied......................................................................... 114 98. Ach, wie wär's möglichdann ................................................... 115 99. Unterländers Heimweh............................................................. 116 Wackernagel: 100. Geduld bringt Rosen......................................... 116

Zweite Abteilung.

Prosa. 101. 102. 103. 104.

105. 106. 107. 108. 109.

110. 111.

112. 113. 114. 115. 116. 117.

118. 119.

120.

121. 122. 123.

A u s f e l d: Aus der Sage vom großen König Alexander......................... 117 Bäßler: Der treue Eckart........................................................................... 121 Rübezahl wird ein Esel............................................................. 122 Die Schöppenstedter verschreiben ein Gewitter..................... 124 Bechstein: Etliche scharfsinnige Taten der Wasunger..............................124 Becker: Der Tod des Sokrates............................................................... 125 Hannibals Zug überdie Alpen................................................... 129 Cäsars Tod ................................................................................. 130 Spiele der Römer..................................................................... 132 Bismarck: Aus der ungarischen Steppe..................................................... 134 Brentano: Das Märchen vom Komanditchen............................................. 138 Bürger: Abenteuer des Baron Münchhausen......................................... 145 Caspari: Das Alter soll man ehren............................................................148 Die Fabel vom Magen und den Gliedern............................. 148 Eschner: Die Papierbereitung................................................................. 149 Fischer: Zachur mit dem Sacke. Ein allegorisches Märchen .... 151 Fl öricke: Wie die Feuersalamander ins Winterquartier ziehen ... 157 France: Der Segen des Waldes................................................................160 Im Auwald der Donauinseln bei Wien................................. 161 Goethe: Müßiggänger in Neapel..............................................................164 Gotthelf: Winkelried »und der Drache..........................................................168 Brüder Grimm: Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich............................. 172 Die weiße Schlange ................................................................. 176

326

Inhalt II. Seite

124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132.

133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142.

143. 144. 145. 146. 147.

148. 149.

150. 151.

152. 153. 154. 155. 156. 157. 158.

159.

D* brösmeli uf em tisch............................................................. 180 Das bürle im himel.......................................................................181 Der Hase und der Igel...............................................................182 Der Grenzlauf............................................................................... 185 Der Gemsjäger............................................................................... 187 Der Schwanritter........................................................................... 188 Der Rattenfänger zu Hameln...................................................190 Der Glockenguß zu Breslau.......................................................191 Hansjakvb: Der Tod des Hermesburen ..................................................... 192 Hebel: Unverhofftes Wiedersehen..........................................................194 Der Schneider in Pensa..............................................................196 Hehn: Besteigung des Vesuvs............................................................. 202 Hertzberg: Alexander und sein Arzt............................................................. 205 Der gordische Knoten................................................................. 206 Löns: Haiendämmerung......................................................................... 207 Der Kantor................................................................................. 213 Luther: Etliche Fabeln Asops verdeutscht............................................. 219 Der reichste Fürst......................................................................... 221 Brief Luthers an seinen SohnHänschen............................... 221 Moltke: Gibraltar......................................................................................223 Ein türkisches Bad..................................................................... 225 Eine Fahrt auf dem Tigris..................................................... 228 Der Araber und sein Pferd..................................................... 230 Müller: Die kluge Diana.................................................. 233 Plinius: Der Ausbruch des Vesuvs, 79 n. Chr....................................... 234 Reichenau: Hausmütterchen.............................................................................. 240 Wie die Großmutter schreiben lernte...................................... 241 Richter: Ein warmes Bad.......................................................................... 245 Rosegger: Wan da Sauholta Kaisa war.................................................. 24b Ein Kräutlein für den Tod...................................................... 247 Waldlilie im Schnee.................................................................. 252 Schack: Konstantinopel.............................................................................. 255 Athen............................................................................................... 256 Granada unddie Alhambra........................................................ 257 Seidel: Das Kornfeld .............................................................................. 259 Sp yri: Wie Heidi wieder heimkam zum Großvater.........................263

Inhalt II.

327 Seite

160. 161. 162.

163. 164. 166. 166.

167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175.

Trojan: Vor Tau und Tag............................................................ 267 Von den Ameisen ............................................................ 270 Kleinickeiten....................................................................................272 Wieland: Der Streit um des Esels Schatten.......................... 273 Willmann: Krösus und Solon....................................................................... 276 Des Polykrates Glück und Fall .............................. ... 278 Der Auszug des Lerxes............................................................... 282 Zingerle: Die verstorbene Gerechtigkeit . . . ..................................... 284 Warm und Kalt aus einem Munde.......................................... 287 Verschiedenes: Von den Schildbürgern............................................................... 288 Till Eulenspiegel........................................................................... 291 Der Strom im Winter...............................................................296 Korfu ................ ................................................................................298 Das Gastmahl des Trimalchio.................................................. 300 Sprichwörter und sprichwörtliche Redewendungen .... 304 Beispielsprichwörter....................................................................... 306

828

Anfangsworte der Gedichte.

Anfanqsworte der Gedichte. Die Anfangsworte der Rätsel sind nicht angeführt. Seite Seite Abend wird es wieder ... 45 Ich hab mich ergeben ... 64 Ach, wie wärs möglich . . . 115 Ich war ein kleiner Knabe . 71 Ahoi! Klaas Nielsen .... 48 Ich weiß nicht, was soll es . 39 Im Weizenfeld.........................60 Als noch, verkannt 24 Also das Habermus .... 33 In dem duftgen Nadelwald. 97 Am Abgrund leitet .... 82 In einem Kirchlein .... 27 Am Mäuseturm ...... 58 In Hitz und Frost................ 63 Am Ufer eines Baches . ..... 22 Ins Exil..................................... 41 Blaue Berge............................. 37 Kein schöner Land..................... 45 Chidher, der ewig junge . . 78 Klingklang, bumbum .... 59 Da droben auf dem Hügel .110 Lütt Matten de h&s .... 29 Da droben saßen sie ... . 74 Man spricht im Dorf.... 62 Da sehne ist zerschlicha . . 30 Mein Arm wird stark ... 96 De dag, de graut..................... 29 Mein Heimatland..................... 64 De katt, de set......................... 29 Mi gfreuts, daß t a lamperl . 77 Dem günstigen Leser.... 2 Nicht in Domen......................... 15 Der König Karl saß einst . . 104 Nun feget aus......................... 69 Der lange sprach zum kurzen 55 Nun werden grün................ 15 Der Mai ist gekommen ... 18 Nun zu guterletzt................ 45 Der Tauwind kam................ 6 O, wären wir weiter.... 23 Der Winter ist gekommen . 75 Priestergewänder..................... 92 Deutsches Herz, verzage nicht 1 Schau dort den Mann ... 50 Deutschland, Deutschland . . 43 Sei gegrüßt................................. 26 Die Himmel rühmen .... 20 Siehst du die Brigg .... 21 Die Mitternacht zog ... . 38 Steiget auf, ihr.........................40 Dort bläht ein Schiff ... 32 Treue Liebe bis......................... 44 Drauß bei Schleswig ... 16 üb immer Treu......................... 47 Drunten im Unterland ... 115 Und dräut der Winter ... 17 Durch Feld und Buchenhallen 11 Unten, wo die Käfer.... 98 Du siehst geschäftig..... 9 Urahne, Großmutter .... 90 Ein Barrer kam......................... 93 Veit Rik führt Korn .... 57 Bon Wunden ganz bedecket . 67 Ein junger Mönch................ 73 Einst fochten die von Uri . . 95 Wenn mich de beis .... 68 Einst war ein Graf .... 72 Wenn über Wege, tief ... 61 Ein Wanderbursch................ 111 Wer hat dich, du schöner . . 11 Er stand auf seines Daches . 84 Wer hat die weißen Tücher . 70 Wer recht in Freuden ... 19 Es braust ein Ruf................ 89 Es ist Geduld-........................... 116 Wie heimlicherweise .... 65 44 Es ist so still geworden... 51 Wie könnt ich dein vergessen Es kommt woh^ um die . . . 99 Wie seltsame Klänge .... 12 Es läuft ein fremdes Kind . 77 Wie war zu Köllr................ 52 Es sind zwei treue Brüder . 33 Will sich Hektor......................... 83 Es wollt ein Schneider... 112 Willst du nicht das Lämmlein 81 Et wöre drei sivveschlöfer . 94 Windsgleich kommt .... 13 Feierabend................................. 61 Wohlauf, noch getrunken . . 49 Frau Bertha faß................ 101 Zu Elis am Altare .... 27 Hast du das Schloß gesehen . 100 Zu Mantua in Banden . . 66 Hört, ihr Herren....................... 114 Zum Herafeste ......................... 31 Hüslink un sin öm .... 30 Druck von JuNuS Beltz in Langensalza.