Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 8 Zweite und Erste Klasse [8., umgearb. Aufl. Reprint 2020] 9783112346006, 9783112345993


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German Pages 560 [568] Year 1910

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Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 8 Zweite und Erste Klasse [8., umgearb. Aufl. Reprint 2020]
 9783112346006, 9783112345993

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Deutsches Lesebuch für

höhere Mädchenschulen von

Karl Hessel.

Achter Teil.

Zweite irnb Erste Klasse. Achte, umgearbeitete Auflage.

Bonn 1910.

A. Marcus und E. Webers Verlag.

Vorwort zur achten Auflage. Der vorliegende achte Teil des Lesebuches ist für die beiden Oberklasscn höherer Mädchenschulen bestimmt. Da die erste Klasse die dem deutschen Unterricht gewidmete Zeit doch meist durch zusammenhängende Lektüre größerer Dich­ tungen ausfüllt, so sind die Stosse des achten Teiles vor­ wiegend dein Verständnis der zweiten Klasse angepaßt. Jnsbesondere ist alles streng Wissenschaftliche, Philosophische und Verstiegeile vermieden worden. Daß zwei der schönsten Dichtungen Goethes, Proserpina und Alexis und Dora, ausgenommen sind, ist eine Neuerung, hoffentlich aber eine glückliche. Der Minnesang kommt auch zu seinem Rechte. Der Haupttcil der angesügten Metrik ist Original­ beitrag des Herrn Geheimrat Professor Dr. Wilinanns in Bonn für eine frühere Auslage dieses Buches, dem ich dadurch dauernd zu Tanke verpflichtet bin. Poesie wie Prosa suchen, >vie auch in den andern Teilen, Fühlung mit Geschichte und Erdkunde. Darum sind die Freiheitskriege und die Zeit von 1870 sehr in den Vordergrund gestellt. Da die Oberstufe aber auch zur Geschichte des Altertums zurückkehren soll, für dessen Kunst und Literatur ja erst das reifere Alter Verständnis ge­ winnen kann, so ist die Neuerung versucht worden, münd­ lichen Anregungen verehrter Fachgenossen folgend, eine

Anzahl Stücke aus griechischen und römischen Prosaschrift­ stellern in Übersetzungen zu bieten, Ernstes und Heiteres,

nur Sachen von erstem Range. Die Schilderungen deutschen Landes und Volkes wollen keine Stütze des erdkundlichen Unterrichts sein, nur diesem sich anlehnen; bei der Auswahl ivar die künstlerische Form der Darstellung das Ausschlaggebende. Die köstlichen Schilderungen alls dem Münsterlande von der Droste-

1*

IV

Vorwort zur 8. Auslage.

Hülshoff sind hier wohl zum erstenmal für

die

Schule

verwertet. Meines Wissens ist es bisher auch noch nicht ver­ sucht worden, den Volksliedern in deutschen Lesebücher» Melodien beizusügen. Die Texte und Weisen sind nach wissenschaftlichen Grundsätzen, aus Grund bester Quellen ausgewählt. Herr Oberlehrer Karl Metzen in Koblenz hat diesen Teil des Bandes bearbeitet. Aus den Hauptepochen der Kunstgeschichte sind einige aussührliche Aufsätze gegeben worden. Wer sich etwa daran stoßen will, daß einige davon meiner Feder entstamme», dem sage ich ausdrücklich, daß diese Arbeiten selbständige Studien sind; manches z. B. zur Erklärung des pergamenischen Altars Gesagte ist ganz neu und noch nirgendwo öffentlich ausgesprochen worden. Versuchsweise sind vier Bildertafeln beigefügt worden, mehr zur Anregung und zum Genuß, als zur Erläute­ rung: die Göttin Nacht und die Maria im Rvjenhag habe ich in den kunstgeschichtlichen Büchern, die mir zugäng­ lich sind, bisher nicht würdig abgebildet gefunden; Schwinds Rübezahl gehört zu Muthers Aufsatz; die Koblenzer Brücke ist Originalaufnahme als erläuterndes Beispiel zu dem Aufsatz von Friedrich Naumann. Um das Buch äußerlich nicht zu schulbuchartig er­ scheinen zu lassen, sind die Zahlen bei den Strophen der Gedichte weggeblieben; auch ist die alphabetische Anordnung beibehalten worden, da die historische Anordnung beim Ge­ brauch sich nicht bewährt hat! Der Überblick über historische Aufeinanderfolge läßt sich in einem Buch doch uicht erreichen, wohl aber im Inhaltsverzeichnis. Ein abschließender „altdeutscher Band" für Fortbil­ dungsklassen, in streng historischer Anordnung von Ulsilas bis ins 17. Jahrhundert führend, ist im Druck und wird baldigst ausgegeben werden. Koblenz, Mai 1910.

Dr. Karl Hessel, Direktor der Hildaschule.

Erste Abteilung:

Keinchte. Ernst Moritz Arndt. 1. Baterlandslied. Der Gott, der Eisen wachsen liefe, Der wollte keine Knechte, Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß Dem Mann in seine Rechte, Drum gab er ihin den kühnen Mut, Den Zorn der freien Rede, Daß er bestände bis aufs Blut, Bis in den Tod die Fehde. So wollen wir, was Gott gewollt. Mit rechten Treuen halten Und nimmer im Tyrannensold Die Menschenschädel spalten; Doch wer für Tand und Schande ficht. Den Hanen wir zu Scherben, Der soll im deutschen Lande nicht Mit deutschen Männern erben.

O Deutschland, heilges Vaterland! O, deutsche Lieb und Treue! Du hohes Land! du schönes Land! Dir schwören wir aufs neue. Dem Buben und dem Knecht die Acht! Der speise Krähn und Raben! So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht Und wollen Rache haben.

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Arndt.

Laßt brausen, was nur brausen kann, In Hellen, lichten Flammen! Ihr Deutschen alle, Mann für Mann, Fürs Vaterland zusammen! Und hebt die Herzen himmelan Und himmelan die Hände, Und rufet alle, Mann für Mann: Die Knechtschaft hat ein Ende! Laßt wehen, was nur wehen kann, Standarten wehn und Fahnen! Wir wollen heut uns Mann für Mann Zum Heldentode mahnen! Auf! fliege, hohes Siegspanrer, Voran dem kühnen Reihen! Wir siegen oder sterben hier Den süßen Tod der Freien.

2. Die Leipziger Schlacht. Wo kommst du her in dem roten Kleid Und färbst das Gras auf dem grünen Plan? Ich komme her aus dem Männerstreit, Ich komme rot von der Ehrenbahn. Wir haben die blutige Schlacht geschlagen, Drob müssen die Weiber und Bräute klagen, Da ward ich so rot. Sag an, Gesell, und verkünde mir: Wie heißt das Land, wo ihr schlugt die Schlacht? Bei Leipzig trauert das Mordrevier, Das manches Auge voll Tränen macht: Da flogen die Kugeln wie Winterflocken, Und Tausenden mußte der Atem stocken Bei Leipzig der Stadt.

Wie hießen, die zogen ins Todesseld Und ließen fliegende Banner aus? Die Völker kamen der ganzen Welt Und zogen gegen Franzosen aus,

Arndt.

3

Die Russen, die Schweden, die tapferen Preußen, Und die nach dem glorreichen Ostreich heißen. Die zogen all aus. Wem ward der Sieg in dem harten Streit? Wer griff den Preis mit der Eisenhand? Die Welschen hat Gott wie die Spreu zerstreut. Die Welschen hat Gott verweht wie den Sand; Viel Taufende decken den grünen Rasen, Die übrig geblieben, entflohen wie Hasen, Napoleon mit.

Nimm Gottes Lohn! habe Dank, Gesell! Das war ein Klang, der das Herz erfreut! Das klang wie himmlische Zimbeln hell. Habe Dank der Mär von dem blutigen Streit! Laß Witwen und Bräute die Toten klagen. Wir fingen noch fröhlich in späten Tagen Die Leipziger Schlacht.

O Leipzig, freundliche Lindenstadt! Dir ward ein leuchtendes Ehrenmal: Solange rollet der Jahre Rad, Solange scheinet der Sonnenstrahl, Solange die Ströme zum Meere reisen. Wird noch der späteste Enkel preisen Die Leipziger Schlacht.

3. Wer soll der Hüter sein? Auf den Tod Max von Schenkendorfs, f H. Dez. 1817 zu Koblenz.

„Wer soll dein Hüter sein?" Sprich, Vater Rhein! Mag dich der Schwerter Glanz, Mögen dich Wall und Schanz, Mag dich von Türmen Ein diamantner Kranz Hüten und schirmen?"

Solches schirmt nie genug Gegen den welschen Trug."

„Wer soll dein Hüter sein? Sprich, Vater Rhein!" — „Eins kann nur Hüter sein" (So spricht der Vater Rhein), „Eins kann nur dauern; „Ach nein! durch Felsenburg Lanzen und Schwerterschein, Dringet die List hindurch, Felsen und Mauern,

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Arndt.

Wären sie noch so dicht. Sprenget der Höllenwicht; Bau diamantne Burg, Er dringet doch hindurch." „Was soll das eine sein? Sprich, Vater Rhein!" „Herz muß das eine sein? (Spricht Vater Rhein) — „Das wird es treffen, Herz, das kein Lügenschein Nimmer kann äffen. Auch ohne Schanz und Wall Brauset mein Wogenschwall Fröhlich in Freiheit hin. Wann ich des mächtig bin."

„Soll das das eine sein?" „Ja, das allein! Treues und deutsches Herz, Tapfer in Ernst und Scherz, Das ist die Mauer, Treues und deutsches Herz Bleibt auf die Dauer; Brechet die Schwerter klein, Reißet die Wälle ein.

Schleifet die Felsenburg — Mit diesem fecht ichs durch!" „Wohl dir des Hüters dein! Dies soll es sein! Wohl dir! ein deutsches Herz, Tapfres und treues Herz, Köstliche Gabe, Senken wir hier in Schmerz Nieder zum Grabe. Das sei dir Schild und Hort, Brausende Landespfort! Das soll ein Zeichen sein Ewig am freien Rhein!

Wohl dir des Hüters dein! Er hat voni Rhein, Er hat vom deutschen Land, Er hat vom welschen Tand Mächtig geklungen. Daß Ehre auferstand. Wo er gesungen. Bei dir, wonach er rang, Sang er den Schwanensang: Hier sollt er Zeichen sein, Hier sollt er Hüter sein.

Wohl dir des Hüters dein! Jauchze nun, Rhein! Brause in Wonne fort, Heilige Landespfort! Klinge in Freuden, Klinge des Sängers Wort Künftigen Zeiten! Und in dem grünen Glanz Liege sein Grab als Schanz! Liege als Ehrenwall Vor deiner Wogen Schwall!"

Arndt.

4. Grablied. Geht nun hin und grabt mein Grab! Denn ich bin des Wanderns müde. Von der Erde scheid ich ab. Denn mir ruft des Himmels Friede, Denn mir ruft die süße Ruh Von den Engeln droben zu. Geht nun hin und grabt mein Grab! Meinen Lauf hab ich vollendet. Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Jrdsche endet. Lege selbst mich nun hinein In das Bette sonder Pein. Was soll ich hienieden noch In denk dunkeln Tale machen? Denn wie mächtig, stolz und hoch Wir auch stelle» unsre Sachen, Muß es doch wie Sand zergehn, Wann die Winde drüber wehil.

Darum, Erde, fahre wohl, Laß mich nun in Frieden scheiden! Deine Hoffnung, ach! ist hohl, Deine Freuden sind mir Leiden, Deine Schönheit Unbestand, Eitel Wahn und Trug und Tand.

Darum letzte gute Nacht, Sonn und Mond und liebe Sterne! Fahret wohl mit eurer Pracht! Denn ich reis in weite Ferne, Reise hin zu jenem Glanz, Worin ihr erbleichet ganz.

Weinet nicht, daß nun ich will Von der Welt den Abschied nehmen. Daß ich aus dem Jrrland will. Aus den Schatten, aus den Schemen,

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6

Arndt.

Bierbaum.

Aus dem Eiteln, aus dem Nichts Hin ins Land des erogen Lichts.

Weint nicht! mein Erlöser lebt; Hoch vom finstern Erdenstaube Hell empor die Hoffnung schwebt. Und der Himmelsheld, der Glaube, Und die ewge Liebe spricht: Kind des Vaters, zittre nicht!

Otto Julius Bierbaum. 5. Oft in -er stillen Nacht. Oft in der stillen Nacht, Wenn zag der Atem geht Und sichclblank der Mond Am schwarzen Himmel steht.

Wenn alles ruhig ist Und teilt Begehren schreit. Führt meine Seele mich In Kindeslande weit. Daun seh ich, wie ich schritt Unfest mit Füßen klein. Und seh mein Kindesaug Und seh die Hände mein. Und höre meinen Mund, Wie lauter, klar er sprach, Und senke meinen Kopf Und denk mein Leben nach:

Bist du, bist du allweg Gegangen also rein, Wie du gegangen bist Auf Kindesfüßen klein?

Hast du, hast du allweg Gesprochen also klar.

Bierbaum.

Chamisso.

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Wie einsten deines Munds Lautleise Stimme war?

Sahst du, sahst du allweg

So klar ins Angesicht Der Sonne wie dereinst Der Kindesaugen Licht? Ich blicke, Sichel, auf

Zu deiner weißen Pracht; Tief, tief bin ich betrübt Oft in der stillen Nacht.

Adelbert von Chamisso. 6. Frisch gesungen. Hab oft int Kreise der Lieben

in duftigem Grase geruht

llnd mir ein Liedlein gesungen, und alles war hübsch und gut. Hab einsam auch mich gehärmet in bangem, düsterem Mut Und habe wieder gesungen, und alles war wieder gut. Und manches, was ich ersahren, verkocht ich in stiller Wut. Und kam ich wieder zu singen, war alles auch wieder gut. Sollst nicht uns lange klagen, was alles dir wehe tut, Nur frisch, nur frisch gesungen! und alles wird wieder gut.

7. Die Kreuzschau. Der Pilger, der die Höhen überstiegen, Sah jenseits schon das ausgespannte Tal In Abendglut vor seinen Füßen liegen. Aus duftges Gras, im milden Sonnenstrahl Streckt er ermattet sich zur Ruhe nieder. Indem er seinem Schöpfer sich befahl.

Ihm fielen zu die matten Augenlider, Doch seinen wachen Geist enthob ein Traum Der irdschen Hülle seiner trägen Glieder.

8

Chamisso. Der Schild der Sonne ward im Himmelsraum Zu Gottes Angesicht, das Firmament Zu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum. „Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt. Nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden, Wenn seine Schwächen er vor dir bekennt.

Daß, wen ein Weib gebar, sein Kreuz hienieden Auch duldend tragen muß, ich weiß es lange; Doch sind der Menschen Last und Leid verschieden. Mein Kreuz ist allzu schwer; sieh, ich verlange

Die Last nur augemessen meiner Kraft; Ich unterliege, Herr, zu hartem Zwange."

Wie er so sprach zum Höchsten kinderhaft. Kam brausend her der Sturm, und es geschah. Daß aufwärts er sich fühlte hingerafft.

Und wie er Boden faßte, sand er da Sich einsam in der Mitte räumger Hallen, Wo ringsum sonder Zahl er Kreuze sah. Und eine Stimme hört er dröhnend hallen:

„Hier aufgespeichert ist das Leid; du hast Zu wählen unter diesen Kreuzen allen!" Versuchend ging er da, unschlüssig fast. Von einem Kreuz zum anderen umher, Sich auszuprüfen die bequem re Last. Dies Kreuz war ihm zu groß und das zu schwer. So schwer und groß war jenes andre nicht. Doch scharf von Kanten drückt es desto mehr. Das dort, das warf wie Gold ein gleißend Licht, Das lockt ihn, unversucht es nicht zu lassen; Dem goldnen Glanz entsprach auch das Gewicht.

Er mochte dieses heben, jenes fassen. Zu keinem neigte iwch sich seine Wahl, Es wollte keines, keines für ihn passen.

Chamisso.

Claudius.

9

Durchmustert fjatt7 er schon die ganze Zahl — Verlorne Müh! vergebens war's geschehen! Durchmustern mußt er sie zunr zweiten Mal. Und nun gewahrt er, früher übersehen, Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu sein. Und bei dein einen blieb er endlich stehen.

Ein schlichtes Marterholz, nicht leicht, allein Ihm paßlich und gerecht nach Kraft und Maß: „Herr", ries er, „so du willst, dies Kreuz sei mein!"

Und wie er's prüfend mit den Augen maß — Es war dasselbe, das er sonst getragen. Wogegen er zu murren sich vermaß. Er lud es auf und trug's nun sonder Klagen.

Matthias Claudius. 8. Am Grabe meines Baiers. Friede sei um diesen Grabstein her, Sanfter Friede Gottes! Ach, sie haben Einen guten Mann begraben, Und mir war er mehr: Träufte mir von Segen, dieser Mann, Wie ein milder Stern aus bessern Welten; Und ich kann's ihm nicht vergelten. Was er mir getan. Er entschlies, sie gruben ihn hier ein. Leiser, süßer Trost, von Gott gegeben, Und ein Ahnen von dem erogen Leben Düst um sein Gebein, Bis ihn Jesus Christus, groß und hehr. Freundlich wird erwecken! — Ach, sie haben Einen guten Mann begraben. Und mir war er mehr.

S. Zwei Sprüche. Die Liebe Und bringt Sie ist ohn Und schlügt

1. Die Liebe. hemmet nichts; sie kennt nicht Tür noch Riegel durch alles sich; Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel sie ewiglich.

2. W o h l t a t e n. Wohltaten, still uud rein gegeben, Sind Tote, die int Grabe leben, Sind Blumen, die im Sturm bestehn, Sind Sternlein, die nicht untergehn.

10. Rheinweinlied. Bekränzt mit Laub beit lieben, vollen Becher Und trinkt ihn fröhlich leer! In ganz Enropia, ihr Herren Zecher, Ist solch ein Wein nicht mehr. Er kommt nicht her aus Lhigurit noch aus Poleu, Noch mo mini sranzmünnsch spricht; Da mag Sankt Beit, der Ritter, Wein sich boten, Wir holen ihn da nicht. Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle; Wie wär er sonst so gut? Wie wär er sonst so edel, wäre stille Und doch voll Kraft und Mut? Er wächst nicht überall im Deutschen Reiche, Und viele Berge, hört! Sind, wie die weiland Kreter, faule Bäuche Und nicht der Stelle wert. Thüringens Berge zum Exempel bringen Gewächs, sieht aus wie Wein; Jst's aber nicht — man kann dabei nicht singen. Dabei nicht fröhlich sein. Im Erzgebirge dürft ihr auch nicht suchen. Wenn Wein ihr finden wollt;

Claudius.

Dach.

11

Das bringt nur Silbererz und Kobaltkuchen

Und etwas Lausegold.

Der Blocksberg ist der lange Herr Philister, Er macht nur Wind, wie der; Drum tanzen auch der Kuckuck und sein Küster

Aus ihm die kreuz und quer.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben: Gesegnet sei der Rhein! Da wachsen sie am Ufer hin und geben Uns diesen Labewein. Sv trinkt ihn denn und laßt uns allewege Uns freun und fröhlich sein! Und wüßten wir, wo jemand traurig läge, Wir gäben ihm den Wein.

Simon Dach. 11. Lied der Freundschaft. Der Mensch hat nichts so eigen, so wohl steht ihm nichts an. Als daß er Treu erzeigen und Freundschaft halten kann. Wann er mit seinesgleichen soll treten in ein Band, Verspricht sich, nicht zu weichen, mit Herzen, Mund und Hand.

Die Red ist uns gegeben, damit wir nicht allein Für uns nur sollen leben und fern von Leuten sein: Wir sollen uns befragen und sehn auf guten Rat, Das Leid einander klagen, so uns betreten hat. Was kann die Freude machen, die Einsamkeit verhehlt? Das gibt ein doppelt Lachen, was Freunden wird erzählt. Der kann sein Leid vergessen, der es von Herzen sagt; Der muß sich selbst aufsressen, der ingeheim sich nagt.

Gott stehet mir vor allen, die meine Seele liebt; Dann soll mir auch gefallen, der mir sich herzlich gibt. Mit diesen Bundsgesellen verlach ich Pein und Not, Geh aus den Grund der Höllen und breche durch den Tod.

12

Dach.

Dehmel.

12. Ännchen von Tharau. Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt, Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.

Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz Auf mich gerichtet in Lieb und in Schmerz. Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut, Tu meine Seele, mein Fleisch und mein Blut! Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, Wir sind gesinnt, bei einander zu stahn; Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt, Je mehr ihn Hagel und Regen anficht, So wird die Lieb in uns mächtig und groß Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Not.

Würdest du gleich einmal von mir getrennt, Lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt: Ich will dir folgen biirtf) Wälder, durch Meer, Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer. Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn, Mein Leben schließ ich um deines herum.

Richard Dehmel. 13. Die stille Stadt. Liegt eine Stadt im Tale, Ein blasser Tag vergeht; Es wird nicht lange dauern mehr, Bis weder Mond noch Sterne, Nur Nacht am Himmel steht. Von allen Bergen drücken Nebel auf die Stadt; Es dringt kein Dach, nicht Hof iwch Haus,

Tehmel.

13

Dohnr.

Kein Laut aus ihrem Rauch heraus, Kaum Türme noch und Brücken. Doch als den Wanderer graute, Da ging ein Lichtlein auf im Grund, Und durch den Rauch und Nebel Begann ein leiser Lobgesang Aus Kindermund.

Ernst Dohm. 14. Die Schlacht von Metz. Tas war eine Schlacht! Drei Tage lang, Vom Morgen bis zur sinkenden Nacht, Ter männerinordende Donner kracht Und des Todes mähende Sichel klang. Das war eine Schlacht! Zwischen Kampf und Kampf Hat der Tod je einen Rasttag gemacht, Umnebelt vom schwebenden Pulverdampf, Satt und übersatt Des Blutes, das er zu gierig trank, Vom blutigen Mähen so müd und matt, Tab dem knöchernen Arm die Sichel entsank. Das war eine Schlacht! Und als des dritten Tages Gestirn Zur Rüste ging und von der Berge Firn Ihren Schattenschlcier senkte die Nacht, Da lagen Freund und Feind, An die dreißsgtausend! vereint, Im stummen Tode friedlich gesellt — Ein unabsehbar Leichenfeld. Und auf das klaffende Völkergrab Lächelt der Mond vom Sternenzelt Schweigend des Todes Frieden herab. Hessel, Lesebuch 8. 8. Ausl.

M, 2

14

Dohm.

Tas war eine Schlacht! Die ihr, das Vaterland Zu schützen vor Gewalttat und Schänd,

Euch selber zum blutigen Opfer gebracht — Ihr treuen Toten, du und du, Tie im Gefecht Mit dem Leben besiegelt Deutschlands Recht, Niedergemäht von des Todes Mahd, Ausgesät als des Friedens Saat, Fahrt wohl, zur ewigen Ruh!

Das war eine Schlacht! Des Feindes Plan, so keck erdacht. Zu schänden gemacht,

Zerrissen, zerschlissen, wie sein Heer! Er selbst nach knirschender Gegenwehr Zurückgeworsen in die Feste Metz! Tort fest umsponnen mit ehernem Netz, Mit eiserner Klammer regungslos, An den Fels geschmiedet bewegungslos. Aller Hilf und alles Entrinnens bar, Aufbäumend in ohnmächtigein Schmerz — Und der deutsche Aar Stückwcis ihm zerhackend das zuckende Herz! Tas war eine Schlacht! Westwärts in wehender Fahnen Pracht, Mit klingendem Spiele, dran und drauf. In nimmer aufgehaltenem Lauf, Weit, weit übern Rhein Nach Frankreich hinein Teutschlands Banner tragend, sein Recht und Ehr, Im Sturmmarschtritt, Im Siegesschritt Wälzt gen Paris sich das deutsche Heer.

Droste-Hülshoff.

15

Annette Freiin von Droste-Hülshoff. 15. Der Knabe im Moor. £), schaurig ist's, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt — O, schaurig ist's, übers Moor zu gehn. Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt, als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind — Was raschelt drüben ane Hage? Tas ist der gespenstige Gräberknecht, Ter dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu! es bricht, wie ein irres Rind: Hinducket das Kuäblein zage.

Boni Ufer starret Gestumpf hervor — Unheimlich nicket die Föhre, Ter Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme, wie Speere; Und wie cs rieselt und knittert darin! Tas ist die unselige Spinnerin, Das ist die gebannte Spinn-Lenor, Tie den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran! nur immer im Lauf! Voran! als woll es ihn holen; Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen, Wie eine gespenstige Melodei — Das ist der Geigenmann ungetreu, Tas ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen!

16

Droste-Hülshofs.

Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh! da ruft die verdammte Margret: „Ho, ho! meine arme Seele!" Ter Knabe springt, wie ein wundes Reh: Wär nicht Schutzengel in seiner Näh, Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwele. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben neben der Weide Die Lampe flimmert so heimatlich, Ter Knabe steht an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: „Ja, im Geröhre war's fürchterlich, O, schaurig war's in der Heide!"

16. Heidebilder. I. D i e Heide nach dem Regen.

Es verrieselt, es verraucht! Mählich aus der Wolke taucht Neu hervor der Sonnenadel. In den feinen Tunst die Fichte Ihre grünen Dornen streckt, Wie ein schönes Weib die Nadel In den Spitzenschleier steckt, Und die Heide steht im Lichte Zahllos blanker Tropfen, die Am Wacholder zittern, wie Glasgehänge an denk Lüster.

Überm Grund geht ein Geflüster, Jedes Kräutchen reckt sich auf, Und in langgestrecktem Lauf, Durch den Sand des Pfades eilend. Blitzt das goldne Panzerhemd

Drostc-Hnlshosf.

17

Des Kuriers*); am Halme weilend. Streicht die Grille sich das Naß Von der Flügel grünem Glas. Grashalm glänzt, wie eine Klinge, Und die kleinen Schmetterlinge, Blau, orange, gelb und weiß, Jagen taumelnd sich int Kreis. Alles Schimmer, alles Licht!

Bergwald mag und Welle nicht Solche Farbentönc hegen, Wie die Heide nach dem Regen. II.

Ter Weiher.

Er liegt so still im Morgenlicht, So friedlich wie ein fromm Gewissen; Wenn Weste seinen Spiegel küssen. Des Ufers Blume fühlt es nicht; Libellen zittern über ihn, Blaugoldne Stäbchen und Karmin, Und auf des Sonnenbildes Glanz Die Wasserspinne führt den Tanz; Schwertlilienkranz am Ufer steht Und horcht des Schilfes Schlummerliede. Ein lindes Säuseln kommt und geht. Als flüstr es: Friede! Friede! Friede!

III.

Kinder am Ufer.

„O, fieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke? O, das ist schön! hätt ich nur einen Stecken! Schmalzweiße Kelch mit dunkclroten Flecken, Und jede Glocke ist frisiert so fein. Wie unser wächsern Engelchen im Schrein. Was meinst du, schneid ich einen Haselstab *) Buprestis, ein in allen Farben schimmernder Prachtkäfer, der sich im Heidekraut aufhält. (Anmerkung der Dichterin.)

18

Droste-Hülshoff.

Und wat ein wenig in die Furt hinab? Pah! Frösch und Hechte können mich nicht schrecken! — Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann Tort in den langen Kräutern hocken kann? Ich geh, ich gehe schon — ich gehe nicht — Mich dünkt, ich sah ant Grunde ein Gesicht — Komm, laß uns lieber heim, die Sonne sticht!"

17. Des alten Pfarrers Samstag. Wie funkeln hell die Sterne, Wie dunkel scheint der Grund, Und aus des Teiches Spiegel Steigt dort der Mond am Hügel Grad um die elfte Stund. Da hebt vom Predigtheste Der müde Pfarrer sich; Wohl war er unverdrossen. Und endlich ist's geschlossen Mit langem Federstrich. Nun öffnet er das Fenster, Er trinkt den milden Duft Und spricht: „Wer sollt es sagen? Noch Schnee vor wenig Tagen, Und dies ist Maienlust."

Tie strahlende Rotunde Sein ernster Blick durchspäht. Schon will der Himmelswagen Die Deichsel abwärts tragen: „Ja, ja, es ist schon spät!" Und als dies Wort gesprochen. Es fällt dem Pfarrer auf. Als müß er eben deuten Auf sich der ganz zerstreuten. Arglosen Rede Laus.

Nie schien er sich so hager, Nie fühlt' er sich so alt.

Droste-Hülshofs. Als seit er heut begraben Den langen Moritz Naben, Den Förster dort vom Wald.

Am gleichen Tag geboren. Getauft am gleichen Tag! Das ist ein seltsam Wesen Und läßt uns deutlich lesen. Was wohl die Zeit vermag! Der Nacht geheimes Funkeln, Und daß sich eben muß, Wie Mondesstrahlen steigen, Der frische Hügel zeigen, Das Kreuz au seinem Fuß:

Das macht ihn ganz beklommen, Den sehr betagten Mann, Er sieht den Flieder schwanken Und längs des Hügels wanken Die Schatten ab und an.

Wie oft sprach nicht der Tote Nach seiner Weise kühn: „Herr Pfarr, wir alten Knaben, Wir müssen sachte traben. Die Kirchhofsblumen blühn."

„So mögen sic denn blühen!" Spricht sanft der fromme Mann. Er hat sich aufgerichtet. Sein Auge, mild umlichtet, Schaut fest den Äther an. „Hast du gesandt ein Zeichen Durch meinen eignen Mund Und willst mich gnädig mahnen An unser aller Ahnen Uralten ewgen Bund? Nicht lässig sollst du finden Den, der dein Siegel trägt!

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Droste-Hülshoff. Doch nach dem letzten Sturme" — Da eben summt's vom Turme, Und zwölf die Glocke schlägt. „Ja, wenn ich bin entladen Der Woche Last und Pein, Dann führe, Gott der Milde, Das Werk nach deinem Bilde In deinen Sonntag ein!"

18. Das Gleichnis vom verdorrten Feigenbaum. „Wie stehst du doch so dürr und kahl. Die trocknen Adern leer, O Feigenbaum! Ein Totenkranz von Blättern fahl Hängt rasselnd um dich her, Wie Wellenschaum!" — „O Mensch, ich muß hier stehn, ich muß Dich grüßen mit dem Todesgruß, Daß du das Leben fassest, Es nicht entlassest!"

„Wie halt ich denn das Leben fest,

Daß es mir nicht entrinnt, O Feigenbaum?" — „O Mensch, der Wille ist das best, Tie wahre Treu gewinnt. Hältst du im Zaum Die Hoffart und die Zweifelsucht, Die Lauheit auch in guter Zucht: Muß dir in diesem Treiben Das Leben bleiben." „Wie bist du denn so völlig tot. So ganz und gar dahin, O Feigenbaum?" — „O Mensch, wie üppges Morgenrot

Droste-Hülshoff.

Ließ ich mein Leben ziehn Am Erdensanm Und weh! und dachte nicht der Frucht. Da hat mich Gott der Herr verflucht, Daß ich muß allem Leben Ein Zeugnis geben."

„Wer hat dir solches zubereit Durch heimlichen Verrat, O Feigenbaum?" — „O Mensch, des Herren Aug sieht weit. Es sieht des Würmleins Pfad In Blattes Flauin. Ihm kannst du nicht entdecken, noch Entziehn, er sieht und weiß es doch; Es lag schon auf der Wage Am ersten Tage."

„Du starbest wohl vor langer Zeit, Weil du so dürr und leer, O Feigenbaum?" — „O Mensch, des Herren Hand reicht weit Und ist so schnell und schwer, Du siehst es kaum. Er nimmt dir seines Lebens Hauch, Du mußt vergehn wie Dunst und Rauch, Er braucht nicht Wort noch Stunden: Du bist verschwunden."

„Wo bleibt denn seine große Huld, Was fruchtet denn die Reu, O Feigenbaum?" — „O Mensch, gedenk an deine Schuld, Gedenk an seine Treu! Schau, in den Raum Hat er mich gnadenvoll gestellt, Daß ich durch seine weite Welt Aus meines Elends Tiefe Dir warnend riefe."

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Droste-Hülshoff.

Ebner-Eschenbach.

„Steht denn kein Hoffen mehr bei dir. Kein Hoffen in der Not, O Feigenbaum?" — „O Mensch, kein Hoffen steht bei mir. Denn ich bin tot, bin tot! O Lebenstraum, Hätt ich dein schweres Sein gefühlt, Hätt ich nicht frech mit dir gespielt. Ich stände nicht gerichtet, Weh mir, vernichtet!"

Marie von Ebner-Eschenbach. 19. Ein kleines Lied. Ein kleines Lied! Wie geht's nur an, Daß man so lieb es haben kann, Was liegt darin? Erzähle! Es liegt darin ein wenig Klang, Ein wenig Wohllaut und Gesang Und eine ganze Seele.

20. Spruchverse. 1.

Es ist noch jeder leicht durch diese Welt geschritten, Der gut zu danken wußt und wußte gut zu bitten. 2.

Magst den Tadel noch so fein, Noch so zart bereiten, 'Weckt er Widerstreiten. Lob darf ganz geschmacklos sein, Hocherfreut und munter Schlucken sie's hinunter.

Joseph Freiherr von Eichendorfs. 21. Die Stille. Es weiß und rät es doch keiner. Wie mir so wohl ist, so wohl! Ach, wußt es mir einer, nur einer, Kein Mensch es sonst wissen soll! So still ist's nicht draußen im Schneee, So stumm und verschwiegen sind Tie Sterne nicht in der Höhe, Als meine Gedanken sind. Ich wünscht, es wäre schon morgen! Da fliegen zwei Lerchen auf, Die überfliegen einander, Mein Herze folgt ihrem Lauf. Ich wünscht, ich wäre ein Vöglein Und zöge über das Meer, Wohl über das Meer und weiter, Bis daß rch im Himmel wär!

22. Sonntag. Die Nacht war kaum verblühet. Nur eine Lerche sang Tie stille Luft entlang. Wen grüßt sie schon so frühe? Und draußen in dem Garten Tie Bäume übers Haus Sahn weit ins Land hinaus. Als ob sie wen erwarten. In festlichen Gewänden, Wie eine Kinderschar, Tauperlen in dem Haar, Tie Blumen alle standen. Ich dacht: Ihr kleinen Bräute, Was schmückt ihr euch so sehr?

24

Eichendorff.

Ta blickt die eine her: „Still, still, 's ist Sonntag heute;

Schon klingen Morgenglocken, Ter liebe Gott mm bald Geht durch den stillen Wald." Da kniet ich froherschrocken.

23. Mondnacht. Es war, als hätt der Himmel Tie Erde still geküßt. Daß sie im Blütenschimmer Von ihm nur träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder, Tie Ähren wogten sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus.

24. Morgengebet. O, wunderbares, tiefes Wie einsam ist's noch aus Die Wälder nur sich leise Als ging der Herr durchs

Schweigen, der Welt! neigen, stille Feld.

Ich fühl mich recht wie neu geschaffen, Wo ist die Sorge nun und Not? Was mich noch gestern wollt erschlaffen, Ich schäm mich des int Morgenrot. Die Welt mit ihrem Grain und Glücke Will ich, ein Pilger, frohbereit Betreten nur wie eine Brücke Zu dir, Herr, übern Strom der Zeit.

Eichendorff.

25

25. Auf meines Kindes Tod. I. Voll fern die Uhren schlagen, es ist schon tiefe Nacht, Tie Lampe brennt so düster, dein Bettlein ist gemacht. Die Winde nur noch gehen wehUagend um das Haus, Wir sitzen einsam drinnen und lauschen oft hinaus. Es ist, als müßtest leise Du hältst dich nur verirret

du klopfen an die Tür, und kämst nun müd zurück.

Wir arnren, arnien Toren! mir irren ja, im Graus Des Dunkels noch verloren — du fandst ja längst nach Haus!

II. Dort ist so tiefer Du schläfst in guter Es deckt mit grünen Der liebe Gott dich

Schatten, Ruh; Matten zu.

Die alten Weiden neigen, Sich auf dein Bett herein, Die Vöglein in den Zweigen, Sie singen treu dich ein.

Und wie in goldnen Träumen Geht linder Frühlingswind Rings in den stillen Bäumen — Schlaf wohl, mein süßes Kind! III.

Mein liebes Kind, ade! Ich konnt ade nicht sagen, Als sie dich fortgetragen, Bor tiefem, tiefem Weh.

Jetzt auf lichtgrünem Plan Stehst du im Myrtenkränze Und lächelst aus dem Glanze Mich still voll Mitleid an.

Und Jahre nahn und gehn. Wie bald bin ich verstoben — O, bitt für mich da droben. Daß wir uns Wiedersehn!

26

Fleming.

Paul Fleming. 26. Das treue Herze. Ein getreues Herze wissen Hat des höchsten Schatzes Preis: Der ist selig zu begrüßen. Der ein treues Herze weiß! Mir ist wohl bei höchstem Schmerze, Denn ich weiß ein treues Herze. Läuft das Glücke gleich zuzeiten Anders, als man will und meint. Ein getreues Herz hilft streiten Wider alles, was ist feind. Mir ist wohl bei höchstem Schmerze, Denn ich weiß ein treues Herze. Sein Vergnügen steht alleine In des andern Redlichkeit, Hält des andern Not für seine, Weicht nicht, auch bei böser Zeit. Mir ist wohl bei höchsten: Schmerze, Denn ich weiß ein treues Herze. Gunst, die kehrt sich nach dem Glücke, Geld und Reichtum, das zerstäubt, Schönheit läßt uns bald zurücke. Ein getreues Herze bleibt. Mir ist wohl bei höchstem Schmerze, Denn ich weiß ein treues Herze.

Eins ist da sein und geschieden: Ein getreues Herze hält. Gibt sich allezeit zufrieden, Steht auf, wenn es niederfällt. Ich bin froh bei höchstem Schmerze, Denn ich weiß ein treues Herze.

Fleming.

Freiligrath.

27

27. Gottvertrauen. Laß dich nur nichts dauern Mit Trauern: Sei stille! Wie Gott es fügt, So sei vergnügt, Mein Wille.

Was willst du heute sorgen Auf morgen? Der eine Steht allem für. Er gibt auch dir Das deine.

Sei nur in allem Handel Ohn Wandel: Steh feste! Was Gott beschleußt, Das ist und heißt Das beste.

Ferdinand Freiligrath. 28. Ruhe. So laß mich fitzen ohne Ende, So laß mich sitzen für und für! Leg deine beiden frommen Hände Auf die erhitzte Stirne mir! Auf meinen Knien, zu deinen Füßen, Da laß mich ruhn in trunkner Lust; Laß mich das Auge selig schließen In deinem Arm, an deiner Brust!

Laß es mich öffnen nur dem Schimmer, Der deines wunderbar erhellt. In denl ich raste nun für immer, O, du mein Leben, meine Welt! Laß es mich offnen nur der Träne, Die brennend heiß sich ihm entringt, Die hell und lustig, eh ichs wähne. Durch die geschloßne Wimper springt!

28

Freiligrath.

So bin ich fromm, so bin ich stille. So bin ich sanft, so bin ich gut! Ich habe dich — das ist die Fülle! Ich habe dich — mein Wünschen ruht! Dein Arm ist meiner Unrast Wiege, Vom Mohn der Liebe süß umglüht. Und jeder deiner Atemzüge Haucht mir ins Herz ein Schlummerlied. Und jeder ist sür mich ein Leben! — Ha, so zu rasten Tag sür Tag! Zu lauschen so mit feigem Beben Aus unsrer Herzen Wechselschlag! In unsrer Liebe Nacht versunken. Sind wir entslohn aus Welt und Zeit: Wir ruhn und träumen, wir sind trunken In seliger Verschollenheit!

29. Am Baum der Menschheit. Arn Baun: der Menschheit drangt sich Blüt an Blüte, Nach ewgen Regeln wiegen sie sich drauf; Wenn hier die eine matt und welk verglühte. Springt dort die andre voll und prächtig auf! Ein ewig Kommen und ein eivig Gehen, Und nun und nimmer träger Stillestand! Wir sehn sie auf-, wir sehn sie niederwehen. Und jede Blüte ist ein Volk, ein Land!

Der Knospe Deutschland auch, Gott sei gepriesen! Regt sich's im Schoß! dem Bersten scheint sie nah — Frisch, wie sie Hermann auf den Weserwiesen, Frisch, wie sie Luther von der Wartburg sah! Ein alter Trieb! doch immer mutig keimend. Doch immer lechzend nach der Sonne Strahl, Doch immer Frühling, immer Freiheit träumend — O, wird die Knospe Blume nicht einmal? Der du die Blumen auseinanderfaltest, O Hauch des Lenzes, weh auch uns heran!

Freiligrath.

29

Ter du der Völker heilge Knospen spaltest, O Hauch der Freiheit, weh auch diese an! In ihrem tiefsten, stillsten Heiligtume O, küß sie auf zu Duft und Glanz und Schein — Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume Wird einst vor allen dieses Deutschland sein! Am Baum der Menschheit drängt sich Blüt an Blüte, Nach erogen Regeln wiegen sie sich drauf; Wenn hier die eine matt und welk verglühte, Springt dort die andre voll und prächtig auf! Ein ewig Kommen und ein ewig Gehen, Und nun und nimmer träger Stillestand! Wir sehn sie auf-, wir sehn sie niederwehen — Und ihre Lose ruhn in Gottes Hand!

30. Bei Koblenz. Dorten durch der Brücke Bogen Eilt die Mosel in den Rhein, Dorten ragt die Kastorkirche, Dort der Ehrenbreitenstein.

Um die Berge klimmt die Rebe, In der Ebne wallt das Korn, Mädchen mit dem Pfeil int Haare Füllen Krüge sich am Born.

In des Herbstes milder Sonne Sanft und feiernd liegt die Welt. Schwalben rüsten sich zur Reise, Und ich irre durch das Feld. Irr auf unbetretnen Wegen, Wie der Landmann rauh sie bahnt, Bis zur Einkehr unter Weiden Mich ein Gottesacker mahnt.

Gottesacker, Gottesfrieden! Auf den Gräbern Sonnenstrahl, Und der Jahrszeit letzte Blumen Duften um der Kreuze Zahl. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

>l. 3

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Freiligrath.

Bunt die Blumen, grau die Kreuze? Eines seh ich dort erhöht. Drauf mit ernsten, schlichten Lettern „Schenkendorf" geschrieben steht.

Nahe dem geliebten Strome, Dem es laut in Zorn und Schmerz Freiheitslieder zugesungen, Schläft das reine Dichterherz.

Ach, die Freiheit, die du meintest. Kam noch nicht mit ihrem Schein! Ach, und wiederum in Fesseln Zieht dein Felsenkind, dein Rhein! Was du sangst, wofür du strebtest. Ach, von allem nichts erfüllt! Wohl dir, daß du nicht erlebtest, Was dein .Hügel dir verhüllt!

Ich indes will ihn bedecken Mit dem frisch gebrochnen Strauß, Will an meinem Wanderstecken Grollend zichn zum Land hinaus. Ob ich je zum Rheine kehre, Heimatdurstig, waudermatt? Ob die Freiheit je, die hehre, Wache hält aus dieser Statt? In des Herbstes milder Sonne, Sanft und feiernd ruht das Feld, Sanft und feiernd ruht dein Hügel — Laß mich! Vor mir liegt die Welt!

31. Aus der englischen Apseldlüte. (Zu Ludwig Uhlands sünfundfiebzigsten Geburtstage, 26. April 1862.)

O, leuchtender Aprilentag — Maitag, der sich verfrühte! Und wo das Auge schweifen mag, Da sieht es Apfelblüte!

Baum neben Bannt, und Reis an Reis, So viel sie können tragen. All weiß und rot, und rot und weiß. Die Pracht ist nicht zu sagen! Und war doch gestern all die Pracht Versteckt noch und verborgen: — Wie kam sie nur in einer Nacht? Und grad für diesen Morgen? Das macht, daß allerorten still. Wo Apfelbänme wehen. Den sechsundzwanzigsten April Als Festtag sie begehen. Sie wissen es, geboren ward Ihr liebster Gastsreund heute. Dem einst ans froher Jugendfahrt Ihr Stammherr Schatten streute; Ob dessen Haupte

kühl und

grün

Der Alte schwang den Wipfel, Und der dafür gesegnet ihn Von der Wurzel bis zum Gipfel. O Lied vom Wirte wundermild, Wie bist du frisch erklungen. Als blank int Dichterwald sein Schild Der Apfelbanm geschwungen! O Sängergreis, wohl bliebst du wert Seitdem den Apfelbäumen! Alljährlich, ivenn dein Festtag kehrt. Will keiner, keiner säumen! Sie werfen um ihr Feierkleid, Sie blühn an allen Wegen Und möchten alle weit und breit Anfs Haupt dir Kränze legen: Zum Dichterlorbeer voll und ganz. Zum Kranz des Patrioten Den leichten, losen Blütenkranz, Den weißen und den roten!

32

Freiligrath.

O, sink er auf dein weißes Haar Noch viele, viele Lenze! O, daß er dir noch manches Jahr Die Heilgen Schläfe kränze!

32. Die Gedichte von Hoffmann von Fallersleben. (Januar 1875).

Dies Buch ist wie ne Laube, ist wie ne Laub am Rhein; Mit heiterm Gruß der Alte wiukt uns zu sich herein. Am Eingang lässig lehnt er mit weißem Bart und Haar Und blinzt uns an und lächelt — der alte ganz und gar. Doch wie? der Mund geschlossen, der lustge Liedermund? Nichts da! gesungen, Spielmann! ein Lied, und voll und rund! Da füllt er sich den Becher, da schlägt er auf den Tisch; Da hebt er an zu singen, das klingt so hell, so frisch. Von Liebe, Frühling, Freiheit, von Wein und Jugendlust, Von Frauen und von Blumen singt er aus voller Brust. Singt „Deutschland über alles!" — das jubelt, und das klagt; Bald Kriegs-, bald Kinderlieder, kein Ton ist ihm versagt.

Da lauscht im Kahn der Ferge, der Wandrer hemmt den Schritt; Die Mädchen, die Studenten, die Kinder singen mit Und drängen sich zur Laube und treten froh hinein Und segnen ihren Sänger bei Wein und Rebenschein. Und lassen es nicht gelten, daß schon zum zweitenmal Der Schnee deckt seinen Hügel im lieben Wesertal. Hier in der schmucken Laube, da wird er nicht verschneit: Im Volk, in seinen Liedern sortlebt er allezeit.

Emanuel Geibel. 33. Der Ritter vom Rheine. Ich tu cif; einen Reiben von seltener Art, So stark und so zart! Tas ist die Blume der Ritterschaft, Tas ist der erste an Milde und Kraft, So weit auf des Vaterlands Gauen Tie Sterne vom Himmel schauen. Er kam zur Welt auf sonnigem Stein .Hoch über dem Rhein; Und wie er geboten, da jauchzt überall 3ni Lande Trompeten und Paukenschall; Ta wehten von Burgen und Hügeln Tie Fahnen mit lustigen Flügeln. In goldener Rüstung geht der Gesell: Das funkelt so hell! Und ob ihm auch mancher zum Kampf sich gestellt. Weiß feinen, den er nicht endlich gefällt; Es sanken Fürsten nnd Pfaffen Vor seinen senrigen Waffen. Doch wo es ein Fest zu verherrlichen gilt, Wie ist er so mild! Er naht, unb die Augen der Gäste erglühn. Und bei; Sänger greift in die Harfe kühn, Und selbst die Mädchen im Kreise, Sie küssen ihn heimlicherweise. O komm, bu Blume der Ritterschaft, Voll Milde und Kraft! Tritt ein in unsern vertraulichen Bund Und wecke den triinmenbeit Dichtermund, Und führ uns beim Klange der Lieder Die Freude vom Himmel hernieder!

34

Geibel.

34. Ich fuhr von St. Goar. Ich fuhr von Sankt Goar Den grünen Rhein zu Berge, Ein Greis int Silberhaar War meines Nachens Ferge.

Wir plauderten nicht viel, Die Felsen sah ich gleiten Dahin im Wellenspiel Und dachte vorger Zeiten.

Und als wir an der Pfalz Bei Kaub vorüber waren, Kam Hellen Liederschalls Ein Schiss zutal gefahren. Ins weiße Segel schien Der Abend, daß es glühte; Studenten saßen drin, Mit Laub umkränzt die Hüte.

Da ging von Hand zu Hand Ter Kelch von grünem Glaste; Das schönste Mädchen stand In goldnem Haar am Maste;

Sie streute Rosen rot Hinunter in die Wogen Und grüßte, wie im Boot Wir sacht vorüberzogen. Uiib 'horch! nun unterschied Das Singen ich der andern: Da war's mein eigen Lied, Ich sang es einst vom Wandern

Ich sang's vor manchem Jahr, Berauscht vom Maienscheine, Ta ich gleich jenen war Student zu Bonn am Rheine.

Wie seltsam traf's das Ohr Mir jetzt aus fremdem Munde!

Geibcl.

Ein Heimweh zuckt empor In meines Herzens Grunde.

Ich lauschte, bis der Klang Zerfloß in Windcsweben, Doch sah ich drauf noch lang Das Schisflein glänzend schweben. Es Still Mir Von

zog dahin, dahin — saß ich, rückivärts lugend: war's, als führe drin dannen meine Jugend.

35. Lied des Alten im Bart. Durch tiefe Nacht ein Brausen zieht Und beugt die knospenden Reiser, Im Winde klingt ein altes Lied, Das Lied vom deutschen Kaiser.

Mein Sinn ist wild, mein Sinn ist schwer. Ich kann nicht lassen vom Lauschen: Es klingt, als zög in den Wolken ein Heer, Es klingt wie Adlers Rauschen. Viel tausend Herzen sind entfacht Und harren wie das meine, Auf allen Bergen halten sie Wacht, Ob rot der Tag erscheine.

Deutschland, die schön geschmückte Braut, Schon schläft sic leis und leiser — Wann weckst du sic mit Trompetenlaut, Wann führst du sie heim, mein Kaiser?

36. Wann, o wann? (1858). Wann doch, wann erscheint der Meister, Der, o Deutschland, dich erbaut, Wie die Sehnsucht edler Geister Ahnungsvoll dich längst geschaut:

35

36

Geibel.

Eins nach außen, schwertgewaltig Um ein hoch Panier geschart! Innen reich und vielgestaltig, Jeder Stamm nach feiner Art! Seht ihr, wie der Regenbogen Dort in sieben Farben quillt? Dennoch hoch und fest gezogen Wölbt er sich, der Eintracht Bild. Auf der Harfe laut und leise Sind gespannt der Saiten viel; Jede tönt nach ihrer Weise, Dennoch gib's ein klares Spiel. O, wann rauschen so verschlungen Eure Farben, Süd und Nord? Harfenspiel der deutschen Zungen, Wann erklingst du im Akkord?

Laßt mich's einmal noch vernehmen. Laßt mich's einmal, Herr, noch sehn! Und dann will ich's ohne Grämen Unsern Vätern melden gehn.

37. Deutschlands Berns (1861). Einen Hort geht auszurichten, Einen Hort im deutschen Land! Sucht zum Lenken und zum Schlichten Eine schwerterprobte Hand, Die den güldnen Apfel halte Und das Reich in Treuen walte.

Sein gefürstet Banner trage Jeder Stamm, wie er's erkor. Aber über alle rage Stolzentfaltet eins empor, Hoch, im Schmuck der Eichenreiser Wall es vor dem deutschen Kaiser.

37

Geibel.

Wenn die heilte Krone wieder Eine hohe Scheitel schmückt, Ans ’bent Haupt durch alle Glieder Stark ein eingcr Wille zückt. Wird im Völkerrat vor allen Deutscher Spruch auss neu erschallen. Macht und Freiheit, Recht und Sitte, Klarer Geist und scharser Hieb, Zügeln dann aus starker Mitte Jeder Selbstsucht wilden Trieb, Und es mag am deutschen Wesen Einmal noch die Welt genesen.

38. Deutsche Wanderschaft

(1868).

Der Wald steht in Blüte, die wilden Schwäne ziehn, Mir klingt's im Gemüte wie Wandermelodien; Zum Stab muß ich greifen, lebwohl, altes Haus! Und singend wieder schweifen ins deutsche Land hinaus. Ihr blauenden Gipfel, Ihr dunkeln Eichenwipfel, Ihr wollt mir's erzählen, Durch alle deutsche Seelen

ihr Täler, Gott grüß! wie rauscht ihr so süß! daß endlich hoffnungsvoll ein Lenzodem quoll.

Durch Steingeklüft und Forsten zu klimmen, o Lust! Auf schwindelnden Horsten zu lüften die Brust! Tief unten verklingen die Glocken wcitumher. Ein Adler hebt die Schwingen vom Felsen zum Meer.

Ins Brausen der Quellen wie pocht der Hämmer Schlag! Da fördern die Gesellen das Eisen zu Tag, Da wächst in roter Erde das Schwert für den Feind, Der uns am deutschen Herde noch dreinzureden meint. Nun kommst auch du geschwommen im srühroten Schein,. Willkommen, willkommen, du dunkelgrüner Rhein! Du tränkst mit goldner Freude dein blühend Geländ Und weißt von keiner Scheide, die seine Stämme trennt.

38

Seibel.

Wie lang wird es währen, Altvater, so preßt Man wieder deine Beeren zum Kaiserkrönungsfest, Da kommt auf deinen Wogen im Purpurgewand Der Hort des Reichs gezogen, das Banner in der Hand.

Dann ruhen alle Waffen, dann ist es vollbracht. Dran tausend Jahr geschaffen, das Werk deutscher Macht, In Norden und Süden der letzte Zwist gesühnt Und Freiheit und Frieden, soweit die Eiche grünt!

39. Schön Ellen. „Nun gnade dir Gott, du belagerte Schar! Was frommt noch, daß ich's verschweige? Wir haben nicht länger Brot noch Wein; Das Pulver geht auf die Neige.

Und kommt nicht Hilfe, und kommt sie nicht bald. Den wimmelnden Feind zu bestehen. So sehn wir die Sonne, die rot dort steigt, Wohl nimmermehr untergehen!" Lord Edward sprach's: trüb standen umher Die tapferen Waffengenossen; Schön Ellen lehnt an des Feldstücks Rad, Vom fcimtcn Plaid umflossen.

Sie starrt hinaus in die leere Luft, Als ob ein Zauber sie bannte. Und plötzlich fuhr sie empor, wie im Traum, Ihr dunkles Auge brannte: „Nun schaut, ihr Brüder, nun schaut vom Turm! Und habt ihr nichts vernommen? Mir deucht, ich höre ganz fern den Marsch, Den Marsch: Die Campbells kommen!

Ich höre die große Trommel dumpf, Ich höre des Pibrochs Weise; Wie einst am Tweed ich gesungen das Lied, So spielt in den Winden es leise." — „Ach, Mädchen, was redest du? Traum und Trug! Vom Turm ist nichts zu sehen.

Geibel. Als blaue Luft und gelber Sand Und fern des Rohrfelds Wehen.

Doch unterm Wall, da wühlt der Feind, Viel tausend Waffen schimmern; Die Äxte blitzen, mit denen sie schon Zum Sturni die Leitern zimmern." Und die Sonne stieg in die Mittagshöh, Und die Sonne begann sich zu neigen. Sie luden die Stücke zum letztenmal. Sie drückten die Hand sich mit Schweigen. Schön Ellen starrt in die leere Lust, Ihr bleiches Gesicht war erglommen: „Ich hab's euch gesagt, und ich sag es auf neu. Ich hör's: die Campbells kommen!

Ich höre den dumpfen Trommelschlag Zum gellenden Pibrochstone, Ich höre den schütternden Schritt auf dem Grund, Den Schritt der Bataillone." — „Ach, Mädchen, wir spähen und spähen umsonst. Und schon bricht ein das Verderben; Ter Feind, schon legt er die Leitern an; Nun gilt's, mit Ehren zu sterben;

Fahrt wohl denn, Weib und Kind daheim. Und ihr, Hochlands-Seen und Heiden! Und nun, Kameraden, gebt Feuer! mit Gott! Und die Schwerter hervor aus den Scheiden!"

Und die Salve kracht, und der Sturm ward heiß. Und Dampf lag über den Wällen, Und als der Fähnrich zu Bodeu sank, Ta faßte die Fahne schön Ellen. „Nun steht, ihr Brüder, nun steht! ganz nah. Ganz nah jetzt hör ich die Weise!" Sie rief's und rief: da zerbarst das Gewölk, Und der Blick ward offen im Kreise,

Und da blitzt es heran durch das weite Gefild,

Und da kam's in Geschwadern gezogen

39

40

Geibel.

Mit gewürfeltem Plaid und mit Federn vom Aar, Und Englands Banner flogen. Und da brach's in den Feind, wie .Hochlandssturnr, Und jetzt von allen vernommen. Hoch über dem Rauch fortwogte der Marsch, Der Marsch: die Campbells kommen! Und der Feind zerstob, und sie zogen ins Tor, Und Ellen sang, wie sie bliesen: „Nun sind sie gekommen, wie Feuer vom Herrn, Der Name des Herrn sei gepriesen!"

40, An König Wilhelm. vir vom Tag gelehrt. Wer in dem Gestern heute sah. Dem geht das Heute nicht allzunah: Und wer int Heute sieht das Morgen, Der wird sich rühren, wird nicht sorgen.

2. Wie das Gestirn Ohne Hast, Aber ohne Rast, Drehe sich jeder Um die eigne Last. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl

ß

78

Goethe.

3. Wie die Pflanzen zu wachsen belieben. Darin wird jeder Gärtner sich üben. Wo aber des Menschen Wachstum ruht. Dazu jeder selbst das Beste tut. Willst du dir aber das Beste tun, Sv bleib nicht auf dir selber ruhn, Sondern folg eines Meisters Sinn; Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.

4. Willst du dir ein gut Leben zimmern, Mußt ums Vergangne dich nicht bekümmern. Und wäre dir auch was verloren, Mußt immer tun wie neu geboren; Was jeder Tag will, sollst du fragen. Was jeder Tag will, wird er sagen; Mußt dich an eignem Tun ergötzen; Was andre tun, das wirst du schätzen; Besonders keinen Menschen hassen. Und das übrige Gott überlassen!

5.

Ein Mann, der Tränen streng entwöhnt. Mag sich ein Held erscheinen; Doch wenn's im Innern sehnt und dröhnt. Geb ihm ein Gott — zu weinen. 6.

Efeu und ein zärtlich Gemüt Heftet sich an und grünt und blüht. Kann es weder Stamm noch Mauer finden, Es muß verdorren, es muß verschwinden. 7.

Liegt dir gestern klar und offen, Wirkst du heute kräftig frei. Kannst auch auf ein Morgen hoffen. Das nicht minder glücklich sei.

79

Goethe.

8. Wär nicht das Auge sonnenhast, Die Sonne könnt es nie erblicken; Lag nicht in nns des Gottes eigne Stuft, Wie könnt uns Göttliches entzücken! 9.

Wer mit dem Leben spielt. Kommt nie zurecht; Wer sich nicht selbst befiehlt. Bleibt immer ein Knecht. 10. Anbete du das Feuer hundert Jahr, Dann fall hinein, dich srißt's mit Haut und Haar. 11.

Dem ist es schlecht in seiner Haut, Der in seinen eignen Busen schaut. 12. Der Mensch ersährt, er sei auch, wer er mag. Ein letztes Glück und einen letzten Tag.

13. Entzwei und gebiete! tüchtig Wort. Verein und leite! beßrer Hort. 14. Ein schönes Ja, ein schönes Nein, Nur geschwind! soll mir willkommen sein. 15. Genieße, was der Schmerz dir hinterließ! Ist Not vorüber, sind die Nöte süß.

16. Sollen die Dohlen dich nicht umschrein. Mußt nicht Knopf auf dem Kirchturm sein. 17. Wer ist ein unbrauchbarer Mann? Der nicht befehlen und auch nicht gehorchen kann. 6*

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Goethe.

18. Wer recht will tun, immer und mit Lust, Der hege wahre Lieb in Sinn und Brust.

70. Sprüche in Distichen. 1. Früchte bringet das Leben dem Mann: doch hangen sie selten Rot und lustig am Zweig, lote uns ein Apfel begrüßt.

2. Wer ist der glücklichste Mensch? der fremdes Berdienst zu empfinden Weiß und an fremdem Genuß sich wie an eignem zu freun.

3. Irrtum verläßt uns nie; doch ziehet ein höher Bedürfnis Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.

4. Dieser ist mir der Freund, dec mit mir Strebenden wandelt; Lädt er zum Sitzen mich ein, stehl ich für heute mich weg.

5. Willst du, mein Sohn, frei bleiben, so lerne was Rechtes und halte Dich genügsam, und nie blicke nach oben hinaus!

6. und bist nicht sicher? vergebens! Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmut hervor. Willst du schon zierlich erscheinen

71. Der Dichter über sich selbst und seine Kunst. 1. Gern wär ich llberliefrnng los Und ganz original, Doch ist das Unternehmen groß Und führt in manche Qual.

Goethe.

Als" Autochthone rechnet ich Es mir zur höchsten Ehre, Wenn ich nicht gar zu wunderlich Selbst Überliefrung wäre:

Vom Vater hab ich die Statur, Des Lebens ernstes Führen, Von Mütterchen die Frohnatur Und Lust zit fabulieren. Urahnherr war der Schönsten hold. Das spukt so hin und wieder, Urahnfrau liebte Schmuck und Gold, Das zuckt wohl durch die Glieder. Sind nun die Elemente nicht Aus dem Komplex zu trennen, Was ist denn an dem ganzen Wicht Original zu nennen?

2. All unser redlichstes Bemühn Glückt nur im unbewußten Momente: Wie möchte denn die Rose blühn. Wenn sie der Sonne Herrlichkeit erkennte? 3. O, ihr Tags- und Splitterrichter, Splittert nur nicht alles klein! Denn, führwahr, der schlechtste Dichter Wird noch euer Meister sein.

4. Zart Gedicht, wie Regenbogen, Wird nur aus dunklen Grund gezogen; Darum behagt dem Dichtergenie Das Element der Melancholie. 5. Meine Dichterglut war sehr gering. Solang ich dem Guten entgegenging. Dagegen brannte sie lichterloh. Wenn ich vor drohendem Übel floh.

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Goethe.

Greif.

6.

Ein reiner Reim wird wohl begehrt, Doch den Gedanken rein zu haben. Die edelste von allen Gaben, Das ist mir alle Reime wert. 7. Wisset nur, daß Dichterworte Um des Paradieses Pforte Immer leise klopfend schweben. Sich erbittend ewges Leben.

Martin Greif. 72. Auf dem Schlachtfelds von Wörth (1870). Auf stillen Trauerwegen Geh ich am Wanderstab, Wohl möcht ich Blumen legen Auf jedes junge Grab. Verflogene Briese melden Manch Liebeswort dem Wind, Ich denk an all die Helden, Die hier gefallen sind.

Tornister bei Tornister, Von Freund und Feind zugleich. Als wären sie Geschwister, Seit sie im Himmelreich —

Als wären sie zu finden Wie Klee im Roßgestampf, Als müßt sich keiner winden Im letzten Todeskampf. Was ist in solchen Zeiten Ein armes Mutterkind? Die Toten ruhn zur Seiten, Wie sie gefallen sind.

Greif.

73. Frühling der Heide. Auch die Heide blühet Jahres einmal. Und es ist kein Leben so trostlos.

Daß ihm die Freude nicht nahet Einmal.

Sommer ist Frühling der Heide, Blumig liegt sie, die starr erst, Bienendurchsummt, in genesener Frische, Keine Strecke ist ihr öde mehr. Alle grünen.

Aufgebrochen ist die Blüte, Die sie eigen erziehet, Und mit ihrer rosenroten Glocken Lieblicher Anmut, Auf dem zierlichen Stengel genährt. Schmücken sich Bräute selbst. Lieblicher noch als jene.

Auch was sonst sie an Zierden trägt. Ob auch spärlich. Zeigt sein kräftig Dasein In der fröhlich derben. Lebhaft leuchtenden Farbe. Scharlach wechselt zumeist ihr Mit tief gelbem Schmelze.

Dicht hin stehen die Sträucher so. Alle lieben sich Und verschlingen innig Ihre tausend Wurzeln.

Auch die Heide blühet Jahres einmal. Und es ist kein Leben so trostlos. Daß ihm die Freude nicht nahet Einmal.

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Greif.

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74. Die Bergföhre. Ich wär ein hoher Baum geworden, Jedoch des Schneees Last, 'Ter Föhn aus Süd, der Sturm aus Norden Begruben früh mich fast. So ward ich vom Geschick gezwungen, Zu werden, wie ich bin,

Wer nie mit harter Not gerungen, Versteht nicht meinen Sinn.

75. Am Schilfe. Mir Am Als Und

kommt es vor zuweilen nahen Schilf, f)ört' ich's leis sich teilen lispeln: hilf!

Der Daß Die Der

Laut — sollt es geschehen, er mich täuscht? Winde vrüber gehen, Reiher kreischt.

Wollt nie nur Binsen schneiden Als Kind am Teich, Als könnte was erleiden Den Todesstreich. Es war als wie ein Grinsen Und ein Genick Der langen schwarzen Binsen — Ich floh zurück.

Doch stellt' ant andern Morgen Ich neu mich ein, Als müßt, was dort verborgen, Mir sichtbar sein. — Als Mit Als Im

ob es mich umfassen Bitten wollt, ob ich's nicht verlassen Leide sollt.

Greif.

76. Auf ver Wiese. Als ich auf der Wiese lag Und nach Wandrers Weise Süßen Selbstvergessens pflag, .Hört ich's donnern leise Droben in den Höhn. Als das Aug ich ausgetan, Ziehe, Wolken zogen Dunkel überall heran. Und die Vöglein flogen Ängstlich über mir. So voll Glück und Sonnenschein War mein Jugendmorgen; Doch es zog Gewölk herein, Und es kam der Sorgen Dichtgedrängtes Heer.

77. Herbstlaub. Tas Laub hält fest Und will dem Sturm nicht weichen, Glicht gar so bald, Wie sonst es war, In diesem Jahr Entblättert sich der grüne Wald; Das Laub hält fest, Und braunrot stehn die Eichen.

Tas welke Laub, Ich muß es stets betrachten, An Sieb’ und Treu Denk ich dabei Und mancherlei. Und immer neu und immer neu Das welke Laub Muß ich im Traum betrachten.

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Hamerling.

Robert Hamerling.

78. Baterlandslied. I.

Vaterland, du starkes, wo blühn im Sonnenschein Vorn Elbstrvm hundert Städte bis an den grünen Rhein, Wo von den Alpenhängen bis an den Nordseestrand Viel tausend Brüder wohnen — Gott segne dich, du starkes Land!

Vaterland, du schönes, wo stolz die Ströme gehn. Wo hoch die Dome ragen und ernst die Burgen stehn, Wo sich in zwei Meeren spiegelt der Ufer Rand Und grün die Hügel glänzen — Gott segne dich, du schönes Land!

Vaterland, du k ü h n e s, wo eichenlaub-umkränzt Noch Hermanns Schild nicht rostet, wo noch verborgen glänzt Das Schwert der Hohenstaufen, und wo deutsche Hand Weiß beides noch zu führen — Gott segne dich, du kühnes Land! Vaterland, du hehres, wo jedem dunklen Trug Kühn und stolz begegnet lichten Geistes Flug, Indes doch Lieb und Treue, rein wie Opferbrand, Glühet in den Seelen — Gott segne dich, du hehres Land! Vaterland, du teures, das Ivie ein holder Stern 'Erglänzet lieben Brüdern auch in weiter Fern, An ivelches treu gebunden hält ein festes Band Alle deutschen Herzen — Gott segne dich, du teures Land!

Vaterland, du heilges — wohlauf int Morgenrot! Für dein Banner gehn wir freudig in den Tod, Wenn es allgemeinsam weht am Nordseestrand Und von den Alpen flattert — Gott segne dich, du heilges Land! II. Vaterland, geliebtes! umströme dich Glück und Heil! Was Bestes bringen die Zeiten, es werde dir zuteil!

Hamerling.

Heine.

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Nur, fleh ich, nie mißachte, in neuen Strebens Drang, Was deutschen Namens Ehre gewesen ein Jahrtausend lang!

Entfache des Geistes Leuchte zu niegesehnem Glanz, Doch pflege du das Herz auch! pflege den keuschen Kranz Tiefinniger Gefühle! ivahre duftig zart Die Blume deutschen Gemütes im frostgen Hauch der Gegenwart! Was Wirklichkeit dir immer für goldne Kränze flicht, Mein Volk, der Ideale, Bilder stürze nicht! Stehn ihre Tempel öde, du walle noch dahin! In ihrer Sternglut bade sich ewig jung der deutsche Sinn! Und weil es dir vertraut ward, das Banner des Ideals, So halt es hoch im Schimmer des ewigen Sonnenstrahls! Hoch halt es unter den Völkern und walle damit voran Die Pfade der Gesittung, der Freiheit und des Rechtes Bahn!

Ruhmvoll ist deutsche Treue, hoch gilt Germanenwort: So bleche, mein Volk, denn ewig des ewigen Rechtes Hort, Wem ist, wie dir, entbehrlich Raub, Unrecht oder Trug? Wer ist, du größtes der Völker, so sehr wie du sich selbst genug?

Herzensadel bleibe öcv deutschen Namens Ruhm, Recht und Wahrheit bleibe sein Palladium; Ans diese starken Säulen, vom Wandel der Zeit umkreist, Gründe für alle Zeiten dein Weltreich dir, o deutscher Geist!

Heinrich Heine. 79. Die Grenadiere. Nach Frankreich zogen zwei Grenadier', Die waren in Rußland gefangen. Und als sie kamen ins deutsche Quartier, Sie ließen die Köpfe hangen.

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Heine. Da hörten sie beide die traurige Mär, Daß Frankreich verloren gegangen, Besiegt und zerschlagen das große Heer — Und der Kaiser, der Kaiser gefangen. Da weinten zusammen die Grenadier' Wohl ob der kläglichen Kunde. Der eine sprach : Wie weh wird mir. Wie brennt meine alte Wunde!"

Der andere sprach: „Das Lied ist aus, Auch ich möcht mit dir sterben, Doch hab ich Weib und Kind zu Haus, Die ohne mich verderben." „Was schert mich Weib, was schert mich Kind? Ich trage weit beßres Verlangen; Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind! Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! Gewähr mir, Bruder, eine Bitt: Wenn ich jetzt sterben werde, So nimm meine Leiche nach Frankreich mit. Begrab mich in Frankreichs Erde! Das Ehrenkreuz am roten Band Sollst du aufs Herz mir legen; Die Flinte gib mir in die Hand Und gürt mir um den Degen!

So will ich liegen und horchen still, Wie eine Schildwach, im Grabe, Bis einst ich höre Kanonengebrüll Und wiehernder Rosse Getrabe. Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab, Viel Schwerter klirren und blitzen; Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab, Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!"

Heine.

80. Der Dichter Firdusi. I.

Goldne Menschen, Silbermenschen! Spricht ein Lump von einem Tomall, Ist die Rede nur von Silber, Ist gemeint ein Silbertoman. Doch iln Munde eines Fürsten, Eines Schaches, ist ein Toman Gülden stets; ein Schach empfängt. Und er gibt nur goldne Toman.

Also denken brave Leute, Also dachte auch Firdusi, Der Verfasser des berühmten Und vergötterten Schach Nameh. Dieses große Heldenlied Schrieb er aus Geheiß des Schaches, Der für jeden seiner Verse Einen Toman ihn: versprochen.

Siebzehnmal die Rose blühte. Siebzehnmal ist sie verwelket. Und die Nachtigall besang sie Und verstulnmte siebzehnmal —

Unterdessen saß der Dichter An dem Webstuhl des Gedankens, Tag und Nacht, und webte emsig Seines Liedes Riesenteppich — Riesenteppich, wo der Dichter Wunderbar hineingewebt Seiner Heimat Fabelchronik, Farsistans uralte Könige,

Lieblingshelden seines Volkes, Rittertaten, Aventüren, Zauberwesen und Dämonen, Keck umrankt von Märchenblumen —

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Heine. Alles blühend und lebendig, Farbenglänzend, glühend, brennend, Und wie himmlisch angestrahlt Von dem Heilgen Lichte Irans, Von dem göttlich reinen Urlicht, Dessen letzter Feuertempel, Trotz dem Koran und dem Mufti, In des Dichters Herzen stammte.

Als vollendet war das Lied, Überschickte seinem Gönner

Der Poet das Manuskript, Zweimalhunderttausend Verse.

In der Badestube war es, In der Badestub zu Gasna, Wo des Schaches schwarze Boten Ten Firdusi angetrosfen — Jeder schleppte einen Geldsack, Den er zu des Dichters Füßen Knieend legte, als den hohen Ehrensold für seine Dichtung.

Der Poet riß auf die Säcke Hastig, um am lang entbehrten Goldesanblick sich zu laben — Da gewahrt er mit Bestürzung, Daß der Inhalt dieser Säcke Bleiches Silber, Silbertomans, Zweimalhunderttausend etwa — Und der Dichter lachte bitter.

Bitter lachend hat er jene Summe abgeteilt in drei Gleiche Teile, und jedwedem Von den beiden schwarzen Boten Schenkte er als Botenlohn Solch ein Drittel, und das dritte Gab er einem Badeknechte, Ter sein Bad besorgt, als Trinkgeld.

Heine.

Seinen Wanderstab ergriff er Jetzo und verließ, die Hauptstadt; Vor dem Tor hat er den Staub Abgefegt von seinen Schuhen. II. „Hätt er menschlich ordinär Nicht gehalten, was versprochen, Hätt er nur sein Wort gebrochen. Zürnen wollt ich nimmermehr.

Aber unverzeihlich ist. Daß er mich getäuscht so schnöde Durch den Doppelsinn der Rede Und des Schweigens größre List.

Stattlich war er, würdevoll Von Gestalt und von Gebärden; Wen'ge glichen ihm auf Erden, War ein König jeder Zoll.

Wie die Sonn am Himmelsbogen, Feuerblicks sah er mich an. Er, der Wahrheit stolzer Mann — Und er hat mich doch belogen."

III. Schach Mahomet hat gut gespeist. Und gut gelaunet ist sein Geist. Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl, Am Springbrunn sitzt er. Das plätschert so kühl. Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen; Sein Liebling Ansari ist unter ihnen. Aus Marmorvasen quillt hervor Eiu üppig brennender Blumenflor. Gleich Odalisken anmutiglich Die schlanken Palmen fächern sich. Es stehen regungslos die Zipressen, Wie himmelträumend, wie weltvergessen.

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Heine.

Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang Ein sanft geheimnisvoller Gesang: (Hätt er menschlich ordinär Nicht gehalten, was versprochen u. s. iu.]

Der Schach führt auf als wie behext: „Von wem ist dieses Liedes Text?" Ansari, an welchen die Frage gerichtet. Gab Antwort: „Das hat Firdusi gedichtet." „Firdusi?" rief der Fürst betreten, „Wo ist er? wie gehr es dem großen Poeten?" Ansari gab Anrwort: „In Dürftigkeit Und Elend lebt er seit langer Zeit Zu Thus, des Dichters Vaterstadt, Wo er ein kleines Gärtchen hat." Schach Mahomet schwieg eine gute Weile, Dann sprach er: „Ansari, mein Auftrag hat Eile Geh nach meinen Ställen und erwähle Dort hundert Maultiere und fünfzig Kamele! Die sollst du belasten mit allen Schützen, Die eines Menschen Herz ergötzen. Mit Herrlichkeiten und Raritäten, Kostbaren Kleidern und Hausgeräten Von Sandelholz, von Elfenbein, Mit güldnen und silbernen Schnurpfeiferein, Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt, Lepardenfellen, groß gesprenkelt. Mit Teppichen, Shals und reichen Brokaten, Die fabriziert in meinen Staaten! Vergiß nicht, auch hineinzupacken Glänzende Waffen und Schabracken, Füge hinzu ein Dutzend Gäule Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile, Und schwarze Sklaven, gleichfalls ein Dutzend, Leiber von Erz, strapazentrutzend. Ansari, mit diesen schönen Sachen Sollst du dich gleich auf die Reise machen,

Heine.

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Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß Dem großen Dichter Firdusi zu Thus!"

Ansari erfüllte des Herrschers Befehle, Belud die Mäuler und Kamele Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins Gekostet von einer ganzen Provinz. Nach dreien Tagen verließ er schon Die Residenz, und in eigner Person Mit einer roten Führerfahne Ritt er voran der Karawane. Am achten Tage erreichten sie Thus — Tie Stadt liegt an des Berges Fuß —

Wohl durch das Westtor zog herein Tie Karawane mit Lärmen und Schrün; Tie Trommel scholl, das Kuhhorn klang, Und laut aufjubelt Triumphgesang. „La Illa Jl Allah!" aus voller Kehle Jauchzten die Treiber der Kamele.

Doch durch das Osttor, am andern End Von Thus, zog in demselben Moment Zur Stadt hinaus der Leichenzug, Ter den toten Firdusi zu Grabe trug.

81. Tragödie. 1.

Entflieh mit mir mit) sei mein Weib Und ruh an meinem Herzen aus; Fern in der Fremde sei mein Herz Dein Vaterland und Vaterhaus.

Gehst du mit, so sterb ich hier. Und du bist einsam und allein; Und bleibst du auch im Vaterhaus, Wirst doch wie in der Fremde sein. Hessel, Lesebuch«. 8. Aufl.

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Heine. 2.

Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, Er fiel auf die zarten Blaublümelein, Sie sind verwelket, verdorret. Ein Jüngling hatte ein Mädchen lieb, Sie flohen heimlich vom Hause fort. Es wußt weder Vater noch Mutter. Sie sind gewandert hin und her, Sie haben gehabt weder Glück noch Stern, Sie sind verdorben, gestorben.

3. Aus ihrem Grab, da steht eine Linde, Drin pfeifen die Vögel und Abendwinde, Und drunter sitzt auf dem grünen Platz Der Müllersknecht mit seinem Schatz. Die Winde, die wehen so lind und so schaurig. Die Vögel, die singen so süß und so traurig. Die schwatzenden Buhlen, die werden stumm. Sic weinen und wissen selbst nicht, warum.

82. Aus dem „Lyrischen Intermezzo". 1. Im wunderschönen Monat Mai, Als alle Knospen sprangen, Da ist in meinem Herzen Die Liebe aufgegangen. Im wunderschönen Monat Mai, Als alle Vögel sangen. Da hab ich ihr gestanden Mein Sehnen und Verlangen. 2.

Auf Flügeln des Gesanges, Herzliebchen, trag ich dich fort. Fort nach den Fluren des Ganges, Dort weiß ich den schönsten Ort.

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Heine.

Dort liegt ein rotblühender Garten Im stillen Mondenschein; Die Lotosblumen erwarten Ihr trautes Schwesterlein. Die Veilchen kichern und kosen Und schaun nach den Sternen empor; Heimlich erzählen die Rosen Sich duftende Märchen ins Ohr.

Es hüpfen herbei und lauschen Die frommen, klugen Gazelln, Und in der Ferne rauschen Des heiligen Stromes Welln. Dort wollen wir niedersinken Unter dem Palmenbaum Und Lieb und Ruhe trinken Und träumen seligen Traum. 3. Ein Fichtenbaum steht einsam Im Norden aus kahler Höh. Ihn schläfert; mit weißer Decke Umhüllen ihn Eis und Schnee.

Er träumt von einer Palme, Die fern im Morgenland Einsam und schweigend trauert Auf brennender Felsenwand.

4. Ans alten Märchen winkt es Hervor mit weißer Hand, Da singt es und da klingt es Von einem Zauberland,

Wo große Blumen schmachten Im goldnen Abendlicht Und zärtlich sich betrachten Mit bräutlichem Gesicht — 7*

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Heine.

Wo alle Bäume sprechen Und singen wie ein Chor Und laute Quellen brechen Wie Tanzmusik hervor — Und Liebesweiscn tönen. Wie du sie nie gehört, Bis wundersüßes Sehnen Dich wundersüß betört!

Ach, könnt ich dorthin kommen Und dort mein Herz erfreun Und aller Qual entnommen Und frei und selig sein! Ach! jenes Land der Wonne, Das seh ich oft im Traum; Doch kommt die Morgensoune, Zerfließt's wie eitel Schaum. 5.

Der Herbstwind rüttelt die Bäume Die Nacht ist feucht und kalt; Gehüllt im grauen Mantel, Reite ich einsam im Wald. Und wie ich reite, so reiten Mir die Gedanken voraus; Sie tragen mich leicht und lustig Nach meiner Liebsten Haus. Die Hunde bellen, die Diener Erscheinen mit Kerzengeflirr; Die Wendeltreppe stürm ich Hinauf mit Sporengeklirr.

Im leuchtenden Teppichgemache, Da ist es so duftig und warm. Da harret meiner die Holde — Ich fliege in ihren Arm.

Heine.

Es säuselt der Wind in den Blättern, Es spricht der Eichenbaum: „Was willst du, törichter Reiter, Mit deinem törichten Traum?"

83. Aus den Liedern der „Heimkehr". 1.

In mein gar zu dunkles Leben Strahlte einst ein süßes Bild; Nun das süße Bild erblichen, Bin ich gänzlich nachtumhüllt. Wenn die Kinder sind im Dunkeln, Wird beklommen ihr Gemüt, Und um ihre Angst zu bannen, Singen sie ein lautes Lied. Ich, ein tolles Kind, ich singe Jetzo in der Dunkelheit, Klingt das Lied auch nicht ergötzlich. Hat's mich doch von Angst besrcit:

2. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten. Daß ich so traurig bin: Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl, und es dunkelt. Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein. Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar, Ihr goldues Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt cs mit goldenem Kamme Und singt ein Lied dabei,

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Heine.

Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodei. Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh, Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh. Ich glaube, die Wellen verschlingen Sim Ende Schiffer und Kahn, Und das hat mit ihrem Singen Die Lorelei getan. 3.

Mein Herz, mein Herz ist traurig, Doch lustig leuchtet der Mai; Ich stehe, gelehnt an der Linde, Hoch aus der alten Bastei. Da drunten fließt der blaue Stadtgraben in stiller Ruh; Ein Knabe fährt im Kahne Und angelt und pfeift dazu. Jenseits erheben sich freundlich, In winziger, bunter Gestalt, Lusthäuser und Gärten und Menschen Und Ochsen und Wiesen und Wald. Tie Mägde bleichen Wäsche Und springen im Gras herum; Das Mühlrad stäubt Diamanten, Ich höre sein fernes Gesumm. Am alten grauen Turme Ein Schilderhäuschen steht; Ein rotgeröckter Bursche Dort auf und nieder geht. Er spielt mit seiner Flinte, Die funkelt im Sonnenrot, Er präsentiert und schultert — Ich wollt, er schösse mich tot!

Heine.

4. Am fernen Horizonte Erscheint, wie ein Nebelbild, Die Stadt mit ihren Türmen, In Abenddämmrung gehüllt. Ein feuchter Windzug kräuselt Die graue Wasserbahn; Mit traurigem Takte rudert Der Schisser in meinem Kahn. Die Sonne hebt sich noch einmal Leuchtend vom Boden empor Und zeigt mir jene Stelle, Wo ich das Liebste verlor.

5.

Ich stand in dunkeln Träumen Und starrte ihr Bildnis an. Und das geliebte Antlitz Heimlich zu leben begann. Um ihre Lippen zog sich Ein Lächeln wunderbar, Und wie von Wehmutstränen Erglänzte ihr Augenpaar. Auch meine Tränen flössen Mir von den Wangen herab — Und ach, ich kann es nicht glauben, Daß ich dich verloren hab!

6. Was will die einsame Träne? Sie trübt mir ja den Blick; Sie blieb aus alten Zeiten In meinem Auge zurück. Sie hatte viel leuchtende Schwestern, Die alle zerflossen sind. Mit meinen Qualen und Freuden Zerflossen in Nacht und Wind.

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Heine.

Wie Nebel sind auch zerflossen Die blauen Sternelein, Die mir jene Freuden und Qualen Gelächelt ins Herz hinein. Ach, meine Liebe selber Zerfloß wie eitel Hauch! Du alte, einsame Träne, Zerfließe jetzunder auch!

7. Herz, mein Herz, sei nicht beklommen, Und ertrage dein Geschick. Neuer Frühling gibt zurück, Was der Winter dir genommen. Und wie viel ist dir geblieben! Und wie schön ist noch die Welt! Und, mein Herz, was dir gefällt. Alles, alles darfst du lieben! 8. Du bist wie eine Blume So hold und schön und rein; Ich schau dich an, und Wehmut Schleicht mir ins Herz hinein. Mir ist, als ob ich die Hände Aufs Haupt dir legen sollt. Betend, daß Gott dich erhalte So rein und schön und hold. 9. Ich wollt, meine Schmerzen ergössen Sich all' in ein einziges Wort, Das gab ich den lustigen Winden, Die trügen es lustig fort. Sie tragen zu dir, Geliebte, Das schmerzerfüllte Wort, Du hörst es zu jeder Stunde, Du hörst es an jedem Ort.

Heine.

Und hast du zuni nächtlichen Schlummer Geschlossen die Augen kaum, So wird dich mein Wort verfolgen Bis in den tiefsten Traum. 10. Dämmernd liegt der Sommerabend Über Wald und grünen Wiesen; Goldner Mond im blauen Himmel Strahlt herunter, duftig labend. An dem Bache zirpt die Grille, Und es regt sich in dem Wasser, Und der Wandrer hört ein Plätschern Und ein Atmen in der Stille. Dorten, an dem Bach alleine. Badet sich die schöne Elfe; Arm und Nacken, weiß und lieblich, Schimmern in dem Mondenscheine. 11. Nacht liegt auf den fremden Wegen, Krankes Herz und müde Glieder: Ach, da fließt, wie stiller Segen, Süßer Mond, dein Licht hernieder! Süßer Mond, mit deinen Strahlen Scheuchest du das nächtge Grauen; Es zerrinnen meine Qualen, Und die Augen übertauen.

12.

Der Tod, das ist die kühle Nacht, Das Leben ist der schwüle Tag. Es dunkelt schon, mich schläfert. Der Tag hat mich müd gemacht. Über mein Bett erhebt sich ein Baum, Drin singt die junge Nachtigall; Sie singt von lauter Liebe, Ich hör es sogar im Traum.

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Heine.

84. Aus dem „Reuen Frühling". 1. Unterm weißen Baume sitzend, Hörst du fern die Winde schrillen, Siehst, wie oben stumme Wolken Sich in Nebeldecken hüllen; Siehst, wie unten ausgestorben Wald und Flur, wie kahl geschoren — Um dich Winter, in dir Winter, Und dein Herz ist eingefroren. Plötzlich fallen auf dich nieder Weiße Flocken, und verdrossen Meinst du schon, mit Schneegestöber Hab der Baum dich übergossen. Doch es ist kein Schneegestöber, Merkst es bald mit freudgem Schrecken: Duftge Frühlingsblüten sind es, Die dich necken und bedecken. Welch ein schauersüßer Zauber! Winter wandelt sich in Maie, Schnee verwandelt sich in Blüten, Und dein Herz, es liebt aufs neue! 2. Gekommen ist der Maie, Die Blumen und Bäume blühn, Und durch die Himmelsbläue Die rosigen Wolken ziehn. Die Nachtigallen singen Herab aus der laubigen Höh, Die weißen Lämmer springen Im weichen, grünen Klee. Ich kann nicht singen und springen, Zch liege krank im Gras; Ich höre fernes Klingen, Mir träumt, ich weiß nicht, was.

Heine. 3. Leise zieht durch mein Gemüt Liebliches Geläute, Klinge, kleines Frühlingslied, Kling hinaus ins Weite! Kling hinaus bis an das Haus, Wo die Blumen sprießen! Wenn du eine Rose schaust, Sag, ich laß sie grüßen!

85. Aus der „Nordsee. 1. M e e r g r u ß. Thalatta! Thalatta! Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer! Sei mir gegrüßt zehntausendmal Aus jauchzenden! Herzen, Wie einst dich begrüßten Zehntausend Griechenherzen, Unglückbekämpfende, heimatverlangende, Weltberühmte Griechenherzen. Es wogten die Fluten, Sie wogten und brausten; Tie Sonne goß eilig herunter Die spielenden Rosenlichter; Tie aufgescheuchten Möwenzüge Flatterten fort, lautschreiend; Es stampften die Rosse, es klirrten die Schilde, Und weithin erscholl es wie Siegesruf: „Thalatta! Thalatta!" Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer! Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser, Wie Träume der Kindheit seh ich es flimmern Auf deinen! wogenden Wellengebiet, Und alte Erinnrung erzählt mir auss neue Von all dem lieben, herrlichen Spielzeug,

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Heine.

Von all den blinkenden Weihnachtsgaben, Von all den roten Korallenbäumen, Goldfischchen, Perlen und bunten Muscheln, Tie du geheimnisvoll bewahrst Tort unten im klaren Kristallhaus. O, wie hab ich geschmachtet in öder Fremde! Gleich einer welken Blume In des Botanikers blecherner Kapsel Lag mir das Herz in der Brust. Mir ist, als saß ich winterlange, Ein Kranker, in dunkler Krankenstube, Und nun verlaß ich sie plötzlich, Und blendend strahlt mir entgegen Ter smaragdne Frühling, der sonnengeweckte, Und es rauschen die weißen Blütenbäume, Und die jungen Blumen schauen mich an Mit bunten, duftenden Augen, Und es duftet und summt und atmet und lacht. Und im blauen Himmel singen die Vöglein — Thalatta! Thalatta! 2. Abenddämmerung.

Am blassen Meeresstrande Saß ich gedankenbekümmert und einsam. Tie Sonne neigte sich tiefer und warf Glührote Streifen auf das Wasser, Und die weißen, weiten Wellen, Von der Flut gedrängt, Schäumten und rauschten näher und näher — Ein seltsam Geräusch, ein Flüstern und Pfeifen, Ein Lachen und Murmeln, Seufzen und Sausen, Dazwischen ein wiegenliedheimliches Singen — Mir war, als hört ich verschollne Sagen, Uralte, liebliche Märchen, Die ich einst als Knabe Von Nachbarskindern vernahm,

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Heine.

Wenn wir am Sommerabend Auf den Treppensteinen der Haustür Zum stillen Erzählen niederkauerten, Mit kleinen, horchenden Herzen Und neugierklugen Augen; Während die großen Mädchen Neben duftenden Blumentöpfen Gegenüber am Fenster saßen, Rosengesichter, Lächelnd und mondbeglänzt. 3. Der Phönix.

Es kommt ein Vogel geflogen aus Westen, Er fliegt gen Osten, Nach der östlichen Gartenheimat, Wo Spezereien duften und wachsen Und Palmen rauschen und Brunnen kühlen — Und fliegend singt der Wundervogel:

„Sie liebt ihn! sie liebt ihn! Sie trägt sein Bildnis im kleinen Herzen Und trägt es süß und heimlich verborgen Und weiß es selbst nicht! Aber im Traume steht er vor ihr, Sie bittet und weint und küßt seine .Hände Und ruft seinen Namen, Und rufend erwacht sie und liegt erschrocken Und reibt sich verwundert die schönen Augen — Sie liebt ihn, sie liebt ihn!"

*

*.

*

An den Mastbaum gelehnt, aus dem hohen Verdeck Stand ich und hört ich des Vogels Gesang. Wie schwarzgrüne Rosse mit silbernen Mähnen Sprangen die weißgekräuselten Wellen; Wie Schwanenzüge schisften vorüber Mit schimmernden Segeln die Helgoländer,

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Heine.

Die kecken Nomaden der Nordsee! Über mir, in dem ewgen Blau, Flatterte weißes Gewölk Und prangte die ewige Sonne, Die Rose des Himmels, die feuerblühende. Die freudvoll im Meer sich bespiegelte; — Und Himmel und Meer und mein eigenes Herz Ertönten im Nachhall: „Sie liebt ihn! sie liebt ihn!"

4. Frieden. Hoch am Himmel stand die Sonne, Von weißen Wolken umwogt; Das Meer war still. Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes, Träumerisch sinnend, — und halb im Wachen Und halb im Schlummer schaute ich Christus, Den Heiland der Welt. Im wallend weißen Gewände Wandelt er riesengroß Über Land und Meer; Es ragte sein Haupt iu den Himmel, Die Hände streckte er segnend Über Land und Meer; Und als ein Herz in der Brust Trug er die Sonne, Die rote, flammende Sonne; Und das rote, flammende Sonnenherz Goß seine Gnadenstrahlen Und sein holdes, liebseliges Licht, Erleuchtend und wärmend Über Land und Meer. Glockenklänge zogen feierlich Hin und her, zogen wie Schwäne An Rosenbändern das gleitende Schiff Und zogen es spielend ans grüne Ufer,

Heine.

Wo Menschen wohnen, in hochgetürmter. Ragender Stadt. O Friedenswunder! Wie still die Stadt, Es ruhte das dumpse Geräusch Der schwatzenden, schwülen Gewerbe, Und durch die reinen, hallenden Straßen Wandelten Menschen, weißgekleidete. Palmzweig-tragende, Und wo sich zwei begegneten. Sahn sie sich an, verständnisinnig. Und schauernd, in Liebe und süßer Entsagung, Küßten sie sich auf die Stirne Und schauten hinauf Nach des Heilands Sonnenherzen, Das freudig versöhnend sein rotes Blut Hinunterstrahlte, Und dreimalselig sprachen sie: „Gelobt sei Jesus Christ!"

86. Aus „Seraphine". 1.

Mit schwarzen Segeln segelt mein Schiff Wohl über das wilde Meer; Du weißt, wie sehr ich traurig bin, Und kränkst mich doch so schwer. Dein Herz ist treulos wie der Wind Und flattert hin und her; Mit schwarzen Segeln segelt mein Schiss Wohl über das wilde Meer.

2. Es ragt ins Meer der Runenstein, Da sitz ich mit meinen Träumen. Es pfeift der Wind, die Möwen schrein, Tie Wellen, die wandern und schäumen.

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Heine. Ich habe geliebt manch schönes Kind

Und manchen guten Gesellen. Wo sind sie hin? — Es pfeift der Wind, Es schäumen und wandern die Wellen.

3. Das Meer erstrahlt im Sonnenschein,

Als ob es golden wär. Ihr Brüder, wenn ich sterbe, Versenkt mich in das Meer.

Hab immer das Meer so lieb gehabt, Es hat mit sanfter Flut So oft mein Herz gekühlet, Wir waren einander gut.

87. Der scheidende Sommer. Das gelbe Laub erzittert, Es fallen die Blätter herab — Ach! alles, was hold und lieblich, Verwelkt und sinkt ins Grab.

Die Wipfel des Waldes umflimmcrt Ein schmerzlicher Sonnenschein; Das mögen die letzten Küsse Des scheidenden Sommers sein.

Mir ist, als müßt ich weinen Aus tiefstem Herzensgrund; Ties Bild erinnert mich wieder An unsere Abschiedsstuud. Ich mußte dich verlassen Und wußte, du stürbest bald. Ich war der scheidende Sommer, Du warst der sterbende Wald.

Johann Gottfried von Herder. 88. Das Kinv der Sorge. Einst saß am murmelnden Strome Die Sorge nieder und sann; Da bildet im Traum der Gedanken Ihr Finger ein leimernes Bild. „Was hast du, sinnende Göttin?" Spricht Zeus, der eben ihr naht. „Ein Bild, von Tone gebildet; Beleb's, ich bitte dich, ®ott./z „Wohlan denn, lebe! — es lebet! Und mein sei dieses Geschöpf!" Dagegen redet die Sorge: „Nein, laß es, laß es mir, Herr! Mein Finger hat es gebildet/' „Und ich gab Leben dem Ton," Sprach Jupiter. Als sie so sprachen, Da trat auch Tellus hinan. „Mein ist's! sie hat mir genommen Von mein ent Schoße das Kind." „Wohlan!" sprach Jupiter, „wartet! Dort kommt ein Entscheider, Saturn." Saturn sprach: „Habet es alle! So will's das hohe Geschick. Du, der das Leben ihm schenkte, Nimm, wenn es stirbet, den Geist; Dn, Tellns, seine Gebeine, Denn mehr gehöret dir nicht; Dir, seiner Mutter, o Sorge, Wird es im Leben geschenkt! Du wirst, solang es nur atmet, Es nie verlassen, dein Kind. Dir ähnlich, wird es von Tage Zu Tage sich mühen ins Grab." Hessel, Lesebuch 8. 8. Ausl.

M. 8

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Herder.

Des Schicksals Spruch ist erfüllet. Und Mensch fyeiftt dieses Geschöpf. Im Leben gehört es der Sorge, Der Erd im Sterben und Gott.

89. Der gerettete Jüngling. Eine schöne Menschenseele finden Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist Sie erhalten, und der schönst und schwerste, Sie, die schon verloren war, zu retten.

Sankt Johannes, aus dem öden Patmos Wiederkehrend, war, was er gewesen. Seiner Herden Hirt. Er ordnet ihnen Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.

In der Menge sah er einen schönen Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen Sprach die liebevollste Feuerseele. „Diesen Jüngling/' sprach er zu dem Bischof, „Nimm in deine Hut! mit deiner Treue Stehst du mir für ihn! hierüber zeuge Mir und dir vor Christo die Gemeine!"

Und der Bischof nahn: den Jüngling zu sich. Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte In ihm blühn, und weil er ihm vertraute. Liest er nach von seiner strengen Aufsicht. Und die Freiheit war ein Nest des Jünglings; Angelockt von süßen Schmeicheleien, Ward er müßig, kostete die Wollust, Dann den Reiz des fröhlichen Betruges, Daun der Herrschaft Reiz; er sammelt um sich Seine Spießgesellen, und mit ihnen Zrg er in den Wald, ein Haupt der Räuber. Als Johannes in die Gegend wieder Kaw, die erste Frag an ihren Bischof

Herder.

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War: „Wo ist mein Sohn?" — „Er ist gestorben!" Sprach der Greis unb schlug die Augen nieder. „Wann und wie?" — „Er ist Gott abgestorben. Ist, mit Tränen sag ich es, ein Räuber." „Dieses Jünglings Seele," sprach Johannes, „Fordr ich einst von dir. Jedoch wo ist er?" „Auf dem Berge dort!" — „Ich muß ihn sehen!" Und Johannes, kaum dem Walde nahend. Ward ergriffen; eben dieses wollt er. „Führet," sprach er, „mich zu eurem Führer!"

Vor ihn trat er, und der schöne Jüngling Wandte sich, er konnte diesen Anblick Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling, Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, Einen Greis! Ich habe dich gelobet Meinen! Herrn und muß für dich antworten.

Gerne geb ich, willst du es, mein Leben Für dich hin; nur dich fortan verlassen Kann' ich nicht! Ich habe dir vertrauet, Dich mit meuter Seele Gott verpfändet." Weinend schlang der Jüngling seine Arme Um den Greis, bedeckcte sein Antlitz, Stumm und starr; dann stürzte statt der Antwort Aus den Augen ihm ein Strom von Tränen.

Auf die Kniee sank Johannes nieder, Küßte seine Hand und seine Wange, Nahm ihn neugeschenket vom Gebirge, Läuterte sein Herz mit süßer Flamme. Jahre lebten sic jetzt unzertrennet Miteinander; in den schönen Jüngling Goß sich ganz Johannes schöne Seele. Sagt, was war es, was das Herz des Jünglings Also tief erkannt und innig festhielt Und es wiederfand und unbezwingbar Rettete? Ein Sankt-Johannes-Glaube, Zutraun, Festigkeit und Lieb und Wahrheit. 8*

Hölderlin.

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Friedrich Hölderlin. 90. Die Nacht. Ringsum ruhet die Stadt, still wird die erleuchtete Gasse, Und mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.

Satt gehn heim, von Freuden des Tags zu ruhen, die Menschen, Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt Wohl zufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt. Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß Dort ein Liebender spielt oder ein einsamer Mann

und der Jugendzeit; und die Brunnen, Jmmerquillend und frisch, rauschen an duftendem Beet.

Ferner

Freunde

gedenkt

Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken, Und der Stunden gedenk, rufet tiii Wächter die Zahl.

Jetzt auch kommet ein Wehn und reget die Gipfel des Hains auf, Sieh! und das Ebenbild unserer Erde, der Mond, Kommet geheim nun auch; die schwärmerische, die Nacht kommt; Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns, Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter deu Menschen, Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.

91. Der Wanderer. Aber jetzt kehr ich zurück an den Rhein, in die glückliche Heimat, Und es wehen, wie einst, zärtliche Lüste mich an. Und das strebende Herz besänftigen mir die vertrauten, Friedlichen Bäume, die einst mich in den Armen ge­ wiegt.

Hölderlin.

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Und das heilige Grün, der Zeuge des ewigen, schönen Lebens der Welt, cs erfrischt, wandelt zum Jüngling mich um. Alt bin ich geworden indes, mich bleichte der Eispol, Und im Feuer des Süds fielen die Locken mir aus. Doch Ivie Aurora den Tithon, umfängst du in lächelnder Blüte Warm und fröhlich wie einst, Vaterlandserde, den Sohn. Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock, Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst. Fröhlich baden im Strome den Fuß die glühenden Berge, Kränze von Zweigen und Moos kühlen ihr sonniges Haupt. Und wie die Kinder hinaus zur Schulter des herrlichen Ahnherrn, Steigen am dunkeln Gebirg Festen und Hütten hinauf. Friedsam geht aus dem Wald der Hirsch ans freundliche Tagslicht; Hoch in heilerer Luft siehet der Falke sich um. Aber unten im Tal, wo die Blume sich nährt von der Quelle, Streckt das Dörfchen vergnügt über die Wiese sich aus. Still ist's hier; kaum rauscht von sern die geschästige Mühle, Und vom Berge herab knarrt das gefesselte Rad. Lieblich tönt die gehäminerte Sens und die Stimme des Laudmanns, Der am Pfluge dein Stier, lenkend, die Schritte gebeut. Lieblich der Mutter Gesang, die im Grase sitzt mit dem Söhnlein, Das die Sonne des Mais schmeichelt in lächelnden Schlaf. Aber drüben am See, wo die Ulme das alternde Hostor Übergrünt und den Zaun wilder Holuuder umblüht, Da umfängt mich das Haus und des Gartens heimliches Dunkel, Wo mit den Pflanzen mich einst liebend mein Vater erzog. Wo ich froh wie das Eichhorn spielt' auf den lispelnden Ästen

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Hölderlin.

Oder ins duftende £>cu träumend die Stirne verbarg. Heimatliche Natur, wie bist du treu mir geblieben! Zärtlich pflegend wie einst, nimmst du den Flüchtling noch auf. Noch gedeihn die Pfirsiche mir, noch wachsen gefällig Mir ans Fenster, wie sonst, köstliche Trauben herauf; Lockend röten sich noch die süsten Früchte des Kirschbaums,

Und der pflückenden Hand reichen die Zweige sich selbst. Schmeichelnd zieht mich, iuic sonst, in des Waldes unend­ liche Laube Aus dem Garten der Pfad oder hinab an den Bach. Und die Pfade rötest du mir, es wärmt mich und spielt mir Um das Auge, wie sonst, Vaterlandssonne, dein Licht! Feuer trink ich und Geist aus deinem freudigen Kelche, Schläfrig lässest du nicht werden mein alterndes Haupt. Die du einst mir die Brust erwecktest vom Schlafe der Kindheit Und mit sanfter Gewalt höher und weiter mich triebst. Mildere Sonne, zu dir kehr ich getreuer und weiser. Friedlich zu werden und froh unter den Blumen zu ruhn.

92. An den Äther. Treu und freundlich wie du, erzog der Götter und Men­ schen Keiner, v Pater Äther! mich ans. Noch ehe die Mutter In die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten, Fasttest du zärtlich mich au und gossest himmlischen Trank mir. Mir den heiligen Odem zuerst in den keimenden Busen. Nicht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen, Aber du nährest sie all mit deinem Nektar, o Vater! Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fülle Die beseelende Lust durch alle Röhren des Lebens. Darum lieben die Wesen dich auch und ringen nnb streben

Unaufhörlich hinaus nach dir in freudigem Wachstum. Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,

Hölderlin.

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Streckt nach dir die schüchternen Arme der niedrige Strauch

nicht? Daß er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülse; Daß er, belebt von dir, in deiner Welle sich bade, Schüttelt der Wald den Schnee wie ein überlästig Ge­ wand ab. Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend Über die glänzende Flüche des Stroms, als begehrten auch diese Aus der Woge zu dir; auch den edlen Tieren der Erde Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige

Sehnen, Die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht. Stolz verachtet den Boden das Roß, wie gebogener Stahl strebt mit der Hufe berührt es den Sand kaum. Wie zum Scherze berührt der Fuß der Hirsche den Grashalm, Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der reißend hinabschäumt. Hin und wieder schweift, kaum sichtbar, durch die Gebüsche. Aber des Äthers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel, Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Haell des Vaters. Raums genug ist für alle; der Pfad ist keinem bezeichnet, Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen. Über dem Haupt frohlocken sie mir, und es sehnt sich

In die Höhe sein Hals,

auch mein Herz Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen Möcht ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler, Daß er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben,

Aus der Gefangenschaft in des Äthers Halle mich trage. Töricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe, Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel sie auf­ wächst,

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Hölderlin.

Breiten wir über den Boden uns aus und suchen und wandern Durch die Zonen der Erd; o Vater Äther! vergebens; Denn es treibt uns die Lust, in deinen Gärten zu wohnen. In die Meersflut werfen wir uns, in den freieren Ebnen llns zu sättigen, und es umspielt die uneudliche Woge Unfein Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften des Meergotts. Dennoch genügt ihm nicht; denn der tiefere Ozean reizt uns. Wo die leichtere Welle sich regt — o, wer dort an jene Goldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben vermöchte! Aber indes ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne. Wo du fremde Gestad umfängst mit bläulicher Woge, Kömmst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühen­ den Wipfeln, Vater Äther! und sänftigest selbst das strebende Herz mir; Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde.

93. Der gefesselte Strom. Was schläfst und träumst du, Jüngling, gehüllt in dich. Und säumst ant kalten User, geduldiger, Und achtest nicht des Ursprungs, du, des Ozeans Sohn, des Titanenfreundes?

Die Liebesboten, welche der Vater schickt, Kennst du die Leben atmenden Lüfte nicht? Und trifft das Wort dich nicht, das hell von Oben der wachende Gott dir sendet? — Schon tönt, schon tönt es ihm in der Brust! es quillt. Wie da er noch int Schoße der Felsen spielt'. Ihm auf; und nun gedenkt er seiner Kraft, der Gewaltige, nun, nun eilt er.

Der Zauberer, er spottet der Felsen nun Und nimmt und bricht und wirft die zerbrochenen Im Zorne, spielend, da und dort zum Schallenden Ufer; und von der Stimme

Hölderlin.

Des Göttersohns erwachen die Berge rings. Es regen sich die Wälder, es hört die Kluft Den Herold fern, und schaudernd regt im Busen der Erde sich Freude wieder. Der neue Frühling dänimert, es blüht um ihn; Er aber wandelt hin zu Unsterblichen; Denn nirgend darf er bleiben, als wo Ihn in die Arnie der Vater aufnimmt.

94. Hhperions Schicksalslied. Ihr wandelt droben im Licht Auf weichem Boden, selige Genien! Glänzende Göttcrlüste Rühren euch leicht, Wie die Finger der Künstlerin Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen; Keusch bewahrt In bescheidener Knospe, Blühet ewig Ihnen der Geist, Und die seligen Augen Blicken in stiller, Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben, Auf keiner Stätte zu ruhn: Es schwinden, cs fallen Die leidenden Menschen Blindlings von einer Stunde zur andern, Wie Wasser, von Klippe Zu Klippe geworfen, Jahrlang ins Ungewisse hinab.

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Holty. Jung.

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Ludwig Heinrich Christoph Hölty. 95. Auftrag. Ihr Freunde, hänget, wann ich gestorben bin, Die kleine Harfe hinter dem Altar auf, Wo an der Wand die Totenkränze Manches verstorbenen Mädchens schimmern! Der Küster zeigt dann freundlich dem Reisenden Die kleine Harfe, rauscht mit dem roten Band, Das, an der Harfe festgeschlungen, Unter den goldenen Saiten flattert.

Karl Jung. 96. Abendlied im Jahre 1813. Blaue Nebel steigen Von der Erde auf, Tag, du nullst dich neigen, Nacht, du brichst herauf.

Helle Sternlein funkeln Schon in Herrlichkeit; Über Erdendunkeln

Strahlt die Ewigkeit. Abendlüfte wehen Durch den grünen Wald, Und wie Rieselt stehen Eichen schon so alt. O, Aus Ihr, Der

ihr alten Eichen der Riesenzeit, die stolzen Zeugen Vergangenheit:

Wachst nur ihr entgegeu, Ihr, der besseret Zeit, Sollt die Häupter regelt Noch in freier Zeit!

Junq.

Kerner.

119

Vaterland, du Wonne, Dich drückt jetzt die Nacht; Bald kommt dir der Sonne Junge frische Macht! Dann erblüht ein Morgen, Blutig, güldenrot: Tod dann schweren Sorgen, Und ein Sieg in Gott!

Justinus Kerner. 97. Sehnsucht. O, könnt ich, einmal los von all dem Menschentreiben, Natur! in deinem Schoß ein herzlich Kind verbleiben! Mich rief ein Traum so schwer aus deinen Mutterarmen, Seitdem kann nimmermehr das kranke Herz erwärmen. Der Menschen Treiben, ach! das hält mich nun gelangen. Das folgt mir störend nach, wo Erd und Himmel prangen. Doch ist dies Treiben mir so sremd und so unherzlich. Und, Mutter! ach, nach dir zieht mich ein Heiniweh schmerzlich. O, ninim dein reuig Kind in deine Mutterarme, Daß dir's am Busen lind zu neuer Lieb erwärme! Wie ist's ergangen mir, daß ich verirrt so lange! Mutter! zu dir, zu dir! wie ist's mir weh und bange. Bis ich, wie Blum und Quell, dir darf am Herzen bleiben! Mutter! o, führ mich schnell hin, wo kein Menschentreiben!

98. Poesie. Poesie ist tiefes Schmerzen, Und es kommt das echte Lied Einzig aus dem Menschenherzen, Das ein tiefes Leid durchglüht. Doch die höchsten Poesieen schweigen, Wie der höchste Schmerz, Nur wie Geisterschatten ziehen Stumm sie durchs gebrochne Herz.

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Klopstock.

Friedrich Gottlieb Klopstock. SS. Psalm (1788). Um Erden wandeln Monde, Erden um Sonnen, Aller Sonnen Heere wandeln Um eine große Sonne: „Vater unser, der du bist im Himmel!" Auf allen diesen Welten, leuchtenden und erleuchteten. Wohnen Geister, an Kräften ungleich und an Leibern: Aber alle danken Gott und freuen sich Gottes. „Geheiliget werde dein Name!" Er, der Hocherhabene, Der allein ganz sich denken, Seiner ganz sich freuen kann. Machte den tiefen Entwurf Zur Seligkeit aller seiner Weltbewohner. „Zu uns komme dein Reich!" Wohl ihnen, daß nicht sie, daß er Ihr Jetziges und ihr Zukünftiges ordnete, Wohl ihnen, wohl! Und wohl auch uns! „Dein Wille gescheh, Wie im Himmel, also auch auf Erden!" Er hebt mit dein Halme die Ähr empor. Reiset den goldncn Apfel, die Purpurtraube, Weidet am Hügel das Lamm, das Reh im Walde; Aber sein Donner rollet auch her. Und die Schloße zerschmettert es Am Halme, am Zweig, an dem Hügel und im Walde. „Unser täglich Brot gib uns heute!" Ob wohl hoch über des Donners Bahn Sünder auch und Sterbliche sind? Dort auch der Freund zum Feinde wird? Der Freund im Tode sich trennen muß?

Klop stock.

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„Vergib uns unsere Schuld, Wie wir vergeben unseren Schuldigern!" Gesonderte Psade gehen zum hohen Ziel, Zu der Glückseligkeit! Einige krümmen sich durch Einöden, Doch selbst an diesen sprosst es von Freuden auf Und labet den Durstenden. „Führ uns nicht in Versuchung, Sondern erlös' uns vom Übel!" Anbetung dir, der die grosse Sonne Mit Sonnen und Erden und Monden umgab, Der Geister erschuf, Ihre Seligkeit ordnete, Die Ähre hebt, Der dem Tode ruft. Zum Ziele durch Eiuödeu führt und den Wanderer labt, Anbetung dir! „Denn dein ist das Reich und die Macht Und die Herrlichkeit. Amen."

100. Aus der Frühlingsfeier (1759). Mit tiefer Ehrfurcht schau ich die Schöpfung an, Denn, du Namenloser, du schufest sie. Lüfte, die um mich wehn und sanfte Kühlung Auf mein glühendes Angesicht hauchen. Euch, wunderbare Lüfte, Sandte der Herr, der Unendliche. Aber jetzt iverden sie still, saunt atmen sie, Die Morgensonilc wird schwül, Wolken strömen herauf: Sichtbar ist, der kommt, der Ewige. Nun schweben sie, rauschen sie, wirbeln die Winde, Wie beugt sich der Wald, wie hebt sich der Strom! Sichtbar, wie du es Sterblichen sein kannst. Ja, das bist du, sichtbar, Unendlicher.

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Klopstock.

Der Wald neigt sich, der Strom fliehet, und ich Falle nicht auf mein Angesicht? Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig! Du Naher, erbarme dich meiner! Zürnest du, Herr, weil Nacht dein Gewand ist? Diese Nacht ist Segen der Erde: Vater, du zürnest nicht; Sie kommt, Erfrischung auszuschütten Über den stärkenden Halm, Über die herzerfreuende Traube: Vater, du zürnest nicht.

Alles ist still vor dir, öu Naher; Rings umher ist alles still. Ach, vermöcht ich dich, Herr, wie ich dürste, zu Preisen k Immer herrlicher offenbarest du dich. Immer dunkler wird die Nacht um dich Und voller von Segen. Seht ihr den Zeugen des Nahen, den zückenden Strahl? Hört ihr Jehovahs Donner? Hört ihr ihn, hört ihr ihn. Den erschütternden Donner des Herrn? Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig, Angebetet, gepriesen Sei dein herrlicher Name! Und die Gewitterwinde, sie tragen den Donner. Wie sie rauschen! Wie sie mit lauter Woge den Wald durchströmen!

Und nun schweigen sie. Langsam wandelt die schwarze Wolke. Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, Den fliegenden Strahl? Hört ihr hoch in den Wolken den Donner des Herrn? Er ruft: Jehovah! Jehovah! Und der geschmetterte Wald dampft, Aber nicht unsre Hütte. Unser Vater gebot seinem Verderber, Vor unsrer Hütte vorüberzugehn.

Klopstock.

123

Ach, schon rauscht, schon rauscht Himmel und Erde vom gnädigen Regen. Nun ist — wie dürstet sie — die Erd erquickt Und der Himmel der Segensfüll entlastet. Siehe, nun kommt Jehovah nicht mehr im Wetter, In stillem, sanftem Säuseln kommt Jehovah, Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens.

101. Der Eislauf (1764). Vergraben ist in ewige Nacht Der Erfinder großer Name zu oft! Was ihr Geist grübelnd entdeckt, nutzen wir; Aber belohnt Ehre sie auch? Wer nannte dir den kühneren Mann, Der zuerst am Maste Segel erhob? Ach, verging selber der Ruhm dessen nicht. Welcher dem Fuß Flügel erfand?

Und sollte der unsterblich nicht sein, Der Gesundheit uns und Freuden erfand, Die das Roß mutig im Lauf niemals gab. Welche der Reihn selber nicht hat? Unsterblich ist mein Name dereinst! Ich erfinde noch denr schlüpfenden Stahl Seinen Tanz! Leichteres Schwungs fliegt er hin. Kreiset umher, schöner zu sehn. Tu kennest jeden reizenden Ton Der Musik, drum gib dem Tanz Melodie! Mond und Wald höre den Schall ihres Horns, Wenn sie des Flugs Eile gebeut.

O Jüngling, der den Wasserkothurn Zu beseelen weiß und flüchtiger tanzt, Laß der Stadt ihren Kamin! Komm mit mir.

Wo des Kristalls Ebne dir winkt! Sein Licht hat er in Düfte gehüllt: Wie erhellt des Winters werdender Tag

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Klopstock.

Sanft den See! Glänzenden Reif, Sternen gleich, Streute die Nacht über ihn aus. Wie schweigt um uns das weiße Gefild! Wie ertönt vom jungen Froste die Bahn! Fern verrät deines Kothurns Schall dich mir. Wenn du dem Blick, Flüchtling, enteilst. Wir haben doch zum Schmause genung

Von des Halmes Frucht und Freuden des Weins? Winterluft reizt die Begier nach dem Mahl: Flügel am Fuß reizen sie mehr.

Zur Linken wende du dich, ich will Zu der Rechten hin halbkreiscnd mich drehn: Nimm den Schwung, wie du mich ihn nehnien siehst: Also, nun fleug schnell mir vorbei!

So gehen wir den schlängelnden Gang An dem langen Ufer schwebend hinab. Künstle nicht! Stellung wie die, lieb ich nicht, Zeichnet dir auch Preisler nicht nach. Was horchst du nach der Insel hinaus? Unersahrne Läufer tönen dort her! Huf und Last gingen noch nicht übers Eis, Netze noch nicht unter ihm fort.

Sonst späht dein Ohr ja alles: vernimm, Wie der Todeston wehklagt auf der Flut! O, wie tönt's anders! wie hallt's, wenn der Frost Meilen hinab spaltet den See! Zurück! laß nicht die schimmernde Bahn Dich verführen, weg vom User zu gehn! Denn wo dort Tiefen sie deckt, strönlt's vielleicht, Sprudeln vielleicht Quellen empor. Den ungehörten Wogen entströmt, Dem geheimen Quell entrieselt der Tod! Glittst du auch leicht, wie dies Laub, ach! dorthin. Sänkest du doch, Jüngling, und stürbst.

Stlopftocf.

125

tropisch.

102. Die frühen Gräber (1764). Willkommen! o, silberner Mond, Schöner, stiller Gefährt der Nacht! Du entfliehst? eile nicht, bleib, Gedankenfreund! Sehet, er bleibt! das Gewölk wallte nur hin. Des Maies Erwachen ist nur Schöner noch wie die Sommernacht, Wenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke traust Und zu dem Hügel herauf rötlich er kommt. Ihr Edleren, ach, es bewächst Eure Male schon ernstes Moos! O, wie war glücklich ich, als ich noch mit euch Sahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht!

103. Die Sommernacht (1766). Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab In die Wälder sich ergießt und Gerüche Mit den Düften von der Linde In den Kühlungen wehn, So umschatten mich Gedanken an das Grab Der Geliebten, und ich seh in dem Walde Nur es dünlmern, und es weht mir Von der Blüte nicht her. Ich genoß einst, v ihr Toten, es mit euch. Wie umwehten iin? her Duft und die Kühlung, Wie verschönt warst von dem Monde Du, o schöne Natur!

August Kopisch. 104. Der Trompeter. Wenu dieser Siegesmarsch in das Ohr mir schallt, Kaum halt ich da die Tränen mir zurück mit Gewalt. Mein Kamerad, der hat ihn geblasen in der Schlacht, Auch schönen Mädchen oft als ein Ständchen gebracht; Hessel, Lesebuch 3. 3. Ausl.

M. 9

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Kopisch.

Körner.

Auch zuletzt, auch zuletzt in der grimmigsten Not Erscholl er ihm vom Munde, bei seinem jähen Tod. Das war ein Wann von Stahl, ein Mann von echter Art, Gedenk ich seiner, rinnet mir die Trän in den Bart. Herr Wirt, noch einen Krug von dem feurigsten Wein! Soll meinem Freund zur Ehr, ja, zur Ehr getrunken sein.

Wir hatten musiziert in der Frühlingsnacht Und kamen zu der Elbe, wie das Eis schon erkracht; Doch schritten wir mit Lachen darüber unverwandt. Ich trug das Horn und er die Trompet in der Hand. Da erknarrte das Eis, und es bog, und es brach, Ihn riß der Strom von dannen, wie der Wind so jach; Ich konnt ihn nimmermehr erreichen mit der Hand, Ich mußte selbst mich retten mit dem Sprung auf den Sand. Er aber trieb hinab, auf die Scholle gestellt, Und rief: „Nun geht die Reis in die weite, weite Welt!" Drauf setzt er die Trompet an den Mund und schwang Den Schall, daß rings der Himmel und die Erde erklang! Er schmetterte gewaltig mit vollem Mannesmut, Als gält es eine Jagd mit dem Eis in der Flut. Er trompetete klar, er trompetete rein, Als ging's mit Vater Blücher nach Paris hinein. Da donnerte das Eis, die Scholle, sie zerbrach. Und wurde eine bange, bange Stille danach! Das Eis verging im Strom und der Strom in dem Meer: Wer bringt mir meinen Kriegskameraden wieder her?

Karl Theodor Körner. 105. Bor Rauchs Büste der Königin Luise (1812). Du schläfst so sanft!—Die stillen Züge hauchen Noch deines Lebens schöne Träume wieder; Der Schlummer nur senkt seine Flügel nieder, Und heilger Friede schließt die klaren Augen.

ft örn er. So schlummre fort, Wenn Flammenzeichen Mit Gott versöhnt, die Das Leben opfernd für

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bis deines Volkes Brüder, von den Bergen rauchen, rosigen Schwerter brauchen. die höchsten Güter.

Tief führt der Herr durch Nacht und durch Verderben ; So sollen wir im Kampf das Heil erwerben, Daß unsre Enkel freie Männer sterben.

Kommt dann der Tag der Freiheit und der Rache, Dann ruft dein Volk; dann, deutsche Frau, erwache, Ein guter Engel für die gute Sache!

106. Aufruf (1813). Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen. Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht; Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen; Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen. Die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht! Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte. Drück dir den Speer ins treue Herz hinein: Der Freiheit eine Gasse! wasch die Erde, Das deutsche Land, mit deinem Blute rein!

Es ist fein Mrieg, von dem die Kronen wissen; Es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heilger Krieg! Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen Hat der Tyrann aus deutscher Brust gerissen: Errette sie mit deiner Freiheit Sieg! Der Jammer deiner Greise ruft: erwache! Der Hütte Schutt verflucht die fremde Brut, Die Schande deiner Töchter schreit um Rache, Der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut. Zerbrich die Pflugschar, laß den Meißel fallen, Die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn! Verlasse deine Höfe, deine Hallen!

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• Körner.

Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen. Er will sein Volk in Waffenrüstung sehn. Denn einen großen Altar sollst du bauen In seiner Freiheit ewgem Morgenrot, Mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen. Des Tempels Grund sei seiner Helden Tod. Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber, Für die der Herr die Schwerter nicht gestählt. Wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber Hinwerfen in die Speere eurer Räuber, Daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt? Könnt ihr doch froh zu Gottes Altar treten! Für Wunden Mb er zarte Sorgsainkeit, Gab euch in euren herzlichen Gebeten Den schönen, reinen Sieg der Frömmigkeit. Trum betet, daß die alte Kraft erwache, Daß wir dastehn, das alte Volk des Siegs! Die Märtyrer der heilgeu deutschen Sache, O, ruft sie an als Genien der Rache, Daß sie uns schützen in dem Sturm des Kriegs! Luise, schwebe segnend um beit Gatten! Geist unsers Ferdinands, voran dem Zug! Und all ihr deutschen, freien Heldenschatten, Mit uns, mit uns und unsrer Fahnen Flug!

Ter Himmel hilft, die Hölle ntuß uns weichen. Draus, wackres Volk! drauf! ruft die Freiheit, drauf! Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen, Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen? Hoch pflanze da die Freiheitsfahne auf! Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke, In deiner Vorzeit heilgem Siegerglanz: Vergiß die treuen Toten nicht, und schmücke Auch unsre Urne mit deut Eicheukranz!

107. Lützows wilde Jagd. Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein? Hör's näher und näher brausen; Es zieht sich herunter in düsteren Reihn, Und gellende Hörner schallen darein Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Was zieht dort rasch durch den finstern Wald Und streift von Bergen zu Bergen? Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt; Das Hurra jauchzt, und die Büchse knallt. Es fallen die fränkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein, Der Wütrich geborgen sich meinte; Da naht es schnell wie Gewitterschein Und wirft sich mit rüstgen Armen hinein Und springt ans Ufer der Feinde. Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Was braust dort im Tale die laute Schlacht, Was schlagen die Schwerter zusammen? Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht, Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht Und lodert in blutigen Flammen. Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt: Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd. Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht, Unter winselnde Feinde gebettet? Es zuckt der Tod auf dem Angesicht, Doch die wackern Herzen erzittern nicht; Das Vaterland ist ja gerettet! Und wenn ihr die schwarzen Gefallnen fragt: Das war Lützows wilde, verwegene Jagd.

130

Körner.

Die wilde Jagd und die deutsche Jagd Auf Henkersblut und Tyrannen! Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt! Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt.

Wenn wir's auch nur sterbend gewannen. Und von Enkeln zu Enkeln sei's nachgesagt: Das war Lützows wilde, verwegene Jagd!

108. Gebet während der Schlacht. Vater, ich rufe dich!

Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze, Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze. Lenker der Schlachten, ich rufe dich; Vater du, führe mich!

Pater du, führe mich! Führ mich zum Siege, führ mich zum Tode:

Herr, ich erkenne deine Gebote; Herr, wie du willst, so führe mich! Gott, ich erkenne dich! Gott, ich erkenne dich!

So int herbstlichen Rauschen der Blätter, Als im Schlachtendonnerwetter, Urquell der Gnade, erkenn ich dich. Vater du, segne mich!

Vater du, segne mich! In deine Hand befehl ich mein Leben, Du kannst es nehmen, du hast es gegeben: Zum Leben, zum Sterben segne mich! Vater, ich preise dich! Vater, ich preise dich!

's ist ja kein Kampf für die Güter der Erde! Das Heiligste schützen wir mit dem Schwerte: Drum, fallend und siegend, preis' ich dich. Gott, dir ergeb ich mich!

Körner.

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Gott, dir ergeb ich mich! Wenn mich die Donner des Todes begrüßen, Wenn meine Adern geöffnet fließen: Dir, mein Gott, dir ergeb ich mich! Vater, ich rufe dich!

109» Abschied vom Leben. ord), es rauscht ob feinern Haupte, und ein Königsadler fliegt Aus dem Fenster, und die Schwingen in dem Monden­ strahl er wiegt!

126. Bineta. Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde Klingen Abendglocken dumpf uni) matt, Uns zu geben wunderbare Kunde Von der schönen, alten Wunderstadt.

In der Fluten Schoß hinabgesunken, Blieben unten ihre Trümmer stehn: Ihre Zinnen lassen goldne Funken Wiederscheinend auf dem Spiegel sehn. Und der Schiffer, der den Zauberschimlner Einmal sah im Hellen Abendrot, Nach derselben Stelle schifft er immer, Ob and) ringsumher die Klippe droht. Aus des Herzens tiefem, tiefern Grunde Klingt es mir wie Glocken dumpf unb matt: Ach, sie geben wunderbare Kunde Von der Liebe, die geliebt es har.

Eine schöne Welt ist da versunken, Ihre Trümmer blieben unten stehn, Lassen sich als goldne Himmelssunken Ost im Spiegel meiner Träume sehn.

Und dann möcht ich tauchen in die Tiefen, Mich versenken in den Wiederschein, Und mir ist, als ob mick) Engel riefelt In die alte Wunderstadt herein.

Wilbevn Mil Her.

Nonne.

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127. Der Lindenbaum. Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum; Ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort; Es zog in Freud mib Leide zu ihm mich immer fort.

Ich mußt auch heute wundern Da hab ich noch im Dunkeln die Und seine Zweige rauschten, als Komm her zu mir, Geselle, hier

vorbei in tiefer Nacht, Augen zugemacht. riefen sie mir zu: findst du deine Ruh!

Tie kalten Winde bliesen mir grad ins Angesicht, Der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort, Und immer hör ich's rauschen: du fändest Ruhe dort!

Johann Heinrich Christian Nonne. 128. Beim Keucr am 18. Oktober. Flamme empor' Steige mit loderndem Scheine Auf den Gebirgen am Rheine Glühend empor!

Siehe, Trett im Dich zu Brennen

wir stehn geweiheten Kreise, des Vaterlandes Preise zti sehn!

.Heilige Glut, Rufe die Jugend zusammen, Daß bei den zischenden Flammen Wachse der Mut! Auf allen Höhn Leuchte, du flammendes Zeichen, Daß alle Feinde erbleichen, Wenn sie dich sehn!

146

Nonne.

Ostini.

Finstere Nacht Lag auf Germaniens Gauen; Da ließ Jehovah sich schauen. Der uns bewacht. „Licht, brich herein!" Sprach er; da sprühten die Flammen, Schlugen die Gluten zusammen Über den Rhein. Und er ist frei! Flammen umbrauseu die Höhen, Die um den Herrlichen stehen; Jauchzt: „Er ist frei!"

Fritz von Ostini. 129. Aller Künste Meister. (Bum 18. Januar 1896.) Im Sachsenwalde, da lebt ein Manu, Ter alles weiß, und der alles kann. Ist ftiiger als tausend zusammen: Er hat geschneidert und hat genäht, Er hat gedroschen, er hat gesät. Geschmiedet in sprühenden Flammen! Er hat gewebt, und er hat gefärbt, Er hat gemünzt, und er hat gegerbt, Er mußte zu mauern, zu zimmern. Er hat gemalt, und er hat gereimt Uni) kunstreich wieder zusammengeleimt. Was morsch war und elend in Trümmern. Gezimmert? — Jawohl, einen stolzen Turm, Dem schadet kein Feuer, den füllt kein Sturm, Ob Wind ihn und Wölfe umheulen! Gemauert? — Jawohl: und mit Eisen und Blut Tie Steine verbunden! Der Bau ist gut. Er gründet auf ehernen Säulen.

Ostirn.

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Geschneidert? — Jawohl, ein bräutlich Kleid Germania, seiner geliebten Maid, Statt der alten, buntscheckigen Flicken! Gedroschen? — Jawohl, auf der Feinde Haupt, Die uns die Ehr und den Frieden geraubt! Gegerbt? Manch bübischen Rücken! Gesät? In der deutschen Herzen Grund Hat er gelegt für den neuen Bund Den Samen nie welkender Treue! Die Saat ward mit heiligem Blut genetzt, Daß nie sie ein tückischer Wurm oerletzt Und sie immer erblühe aufs neue. Geschmiedet? Jawohl: ein Notungschwert Dem Arme, den erst kaum ein Stecken bewehrt. Und wie hat die Klinge gepsiffen! Begeisterung gab ihm fürs Eisen die Glut, Und am stahlharten Teutonenmut Hat er die Schneide geschliffen! Gemalt? Ein funkelndes Wappenbild, Das heute vor jedem andern Schild Hindräut über Länder und Meere! Gereimt? Jawohl, für das alte Lied Bon schmählicher Zwietracht, die Deutschland schied, Das Lied von der Eintracht und Ehre. Gar trübe sah's alls vor dem großen Jahr, Es waren dem herrlichen Kaiseraar Gebrochen Schwingen und Klauen: Tie Krone, die sank ihm vom stolzen Haupt, Und frevelnde Hände hatten geraubt Die schönsten der rheinischen Gauen! Und weil unsern Bismarck die Not bedrückt, Drum hat er den Leimtopf ans Feuer gerückt; An glühender Herzen Flammen, Da kochte er sich einen festen Kitt Und rührte ihn brav und leimte damit Den Aar und die Lande zusammen!

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Plnten.

Ostini.

Ein Vierteljahrhundert hält es schon, Und nirgend erblickt man die Spur davon, Daß es nicht auf immer sollt halten! Und wer nur im Lande sein Handwerk kann, Der sieht bet? Werk mit Bewundrung an Und segnet den berrlichen Alten!

August Graf von Platen-Hallermiinde. 130. Pindars Tod. Ich möchte, wenn ich sterbe, wie die lichten Gestirne, schnell und unbewußt erbleichen.

Erliegen möcht ich einst des Todes Streichen, Wie Sagen uns von Pindaros berichten. Ich will ja nicht im Leben oder Dichten Den großen Unerreichlichen erreichen, Ich möcht, o Freund, ihm nur im Tode gleichen. Doch höre nun die schönste der Geschichten: Er saß im Schauspiel, vom Gesang beweget,

Und hatte, der ermüdet war, die Wangen Auf seines Lieblings schönes Knie geleget. Als nun der Chöre Melodien verklangen,

Will wecken ihn, der ihn so sanft geheget, Doch zu den Göttern war er heimgegangen.

131. Venedig. 1. Mein Auge ließ das hohe Meer zurücke. Als aus der Flut Palladios Tempel stiegen, An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen. Die uns getragen ohne Falsch und Tücke. Wir landen an, wir danken es dem Glücke, Und die Lagune scheint zurück zu fliegen, Der Dogen alte Säulcngänge liegen Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke.

Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne, Mit ehrnen Flügeln sehen wir ihn ragen Auf einer kolossalischen Kolonne. Ich steig ans Land, nicht ohne Furcht und Zagen, Da glanzt der Markusplatz im Licht der Sonne: Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen? 2. Es scheint ein langes, ewges Ach zu wohueu In diesen Lüsten, die sich leise regen, Aus jenen Hallen weht es mir entgegen, Wo Scherz und Jubel sonst gepflegt zu thronell. Venedig fiel, wiewohl's getrotzt Äonen, Das Rad des Glücks kann nichts zurückbewegen: Od ist der Hafen, wenige Schiffe legen Sich an die schöne Riva der Sklavonen. Wie hast du sollst, Venetia, geprahlet Als stolzes Weib mit goldenen Gewändern, So wie dich Paolo Veronese malet! Null steht ein Dichter an den Prachtgeländeru Ter Niesentreppe stallnend und bezahlet Den Tränenzoll, der nichts vermag zu ändern!

Friedrich Rückert. 132. Aus den „Geharnischten Sonetten". 1. (£s? steigt ein Geist, umhüllt von blankem Stahle, Des Friedrichs Geist, der in der Jahre sieben Einst tat die Wunder, die er selbst beschrieben, Er steigt empor aus seines Grabes Male Und spricht: es schwankt in dunkler Hand die Schale, Die Reiche wägt, und meins ward schnell zerrieben. Seit ich entschlief, war niemand wach geblieben; Und Rotzbachs Ruhm ging unter in der Saale.

150

Rückert.

Wer weckt mich heut und will mir Rach erstreiten? Ich sehe Helden, daß inich's will gemahnen, Als säh' ich meinen alten Zieten reiten. Auf, meine Preußen, unter ihre Fahnen! In Wetternacht will ich voran euch schreiten. Und ihr sollt größer sein als eure Ahnen. 2.

Tie Geister der gesalbten Freiheitshelden, Laut rufen sie hernieder aus Walhalle: „Viel Sänger sind auf Erden, die mit Schalle Von unserm Preis den Nachgebliebnen melden. Aus, holt von ihnen zu des Himmels Felden Herauf uns einen, der uns sei für alle, Daß er uns singe, was uns wohlgefalle. Beim Mahle zwischen Hermann und Thusnelden!" Da sank im Kampfgewühl ein Held vom Rosse, Den hoben auf das ihre zwei Walküren Und führten ihn empor samt Schwert und Leier Nun sitzt er droben im kristallnen Schlosse, Wo ich ihn sehe goldne Saiten rühren, Wenn Geister mir vom Auge ziehn den Schleier.

133. Körners Geist (1814). ein Eichbaum, hoch und stark. Steht bei Wöbblin, dem Torfe in Mecklenburger Mark: Darunter ist von Steine ein neues Grab gemacht, Traus steigt im Mondenscheine ein Geist um Mitternacht. Er richtet auf die Rinden des Baums den Blick und liest Ten Namen, der zu finden dort eingegraben ist: Dann sucht er mit den Händen ein Schwert, das liegt am Ort, Und gürtet um die Lenden sich dieses Schwert sofort. Langt dann nach einer Leier, nimmt sie vom Ast herab Und setzt in stiller Feier sich singend auf sein Grab: Bedeckt

mit

Moos

und Schorfe,

Rückert.

151

„Ich war in ^ugenbbrnufe ein rascher Reitersmann, Bis hier im dunklen Hause ich Ruh und Rast gewann. Ich war ein freier Jäger in Lützows wilder Schar Und auch ein Zitherschläger, mein Schwertlied klang so klar. Nun reiten die Genossen allein auf ihrer Fahrt, Da ich vom Roß geschossen und hier begraben ward. Ihr mögt nur weiter traben, bis daß ihr kommt ans Ziel. Ihr habet mich begraben wie es mir wohlgefiel: Es sind die beiden Lieben, die mir im Leben wert, Im Tode mir geblieben: die Leier und das Schwert. Ich seh auch meinen Namen, daß er unsterblich sei.

Geschnitten Es sind Die sich in Die Eich

in den Rahmen der Eiche schön und frei. die schönsten Gränze gegeben meiner Gruft, jedem Lenze erneun mit srischem Duft. ob meinem Scheitel, wie ist der Kranz so groß!

Mein Ringen war nicht eitel, ich ruh in ihrem Schoß; Man hat in Fnrstengrnsten bestatten mich gewollt; Hier in den frischen Düften ihr ruhn mich lassen sollt!"

134. Aus dem „Liedesfruhling . 1. Du meine Seele, du mein Herz, Du meine Wonne, o, bn mein Schmerz, Du meine Welt, in der ich lebe. Mein Hilnmel du, darein ich schwebe, O, du mein Grab, in das hinab Ich ewig meinen Kummer gab! Du bist die Ruh, du bist der Frieden, Du bist der Himmel, mir beschieden! Daß du mich liebst, macht mich mir wert. Dein Blick hat mich vor mir verklärt. Du hebst mich liebend über mich. Mein guter Geist, mein beßres Ich!

152

Rückert. 2. Ter Himmel hat eine Träne geweint, Tie hat sich ins Meer zu verlieren gemeint. Tie Muschel kam und schloß sie ein: „Tu sollst nun meine Perle sein, Tu sollst nicht vor den Wogen zagen, Ich will hindurch dich ruhig tragen!" — O, du mein Schmerz, du meine Lust, Tu Himmelsträn in meiner Brust! Gib, Himmel, daß ich in reinstem Gemüte Ten reinsten deiner Tropfen hüte!

135. Kindertotenlieder. 1.

Tu bist vergangen, eh ich's gedacht, Wie eine Blume verblüht über Nacht. Wie eine Blum über Nacht verblüht, Auf die umsonst der Frühtau sprüht. Es sprüht umsonst der frühe Tau, Wie auf dich meine Tränen lau. Es sprühn meine Tränen lau auf dich. Und du bist nicht erwacht für mich. Und du bist nicht für mich erwacht. Meine Blume, verblüht über Nacht. 2,

Oft denk ich: sie sind nur ausgegangen, Bald werden sie wieder nach Haus gelangen. Der Tag ist schön, o, sei nicht bang! Sie machen nur einen weiteren Gang.

Jawohl, sie sind nur ausgegangen Und werden bald nach Haus gelangen. O, sei nicht bang! der Tag ist schön, Sie machen den Gang zu jenen Höhn.

Rückert.

153

Sie sind uns nur vorausgegangen Und werden nicht hier nach Haus verlangen. Wir holen sie ein ans jenen Höhn Iw Sonnenschein. Ter Tag ist schön!

136. Das Meer der Hoffnung. Hoffnung auf Hoffnung geht zu Scheiter, Aber das Herz hofft immer weiter. Wie sich Wog über Woge bricht. Aber das Meer erschöpft sich nicht. Daß die Wogen sich senken und heben, Tas ist eben des Meeres Leben, Und daß es hoffe von Tag zu Tag, Tas ist des Herzens Wogenschlag.

137. Reisegesellschaft. Wo der Schicksalswege

Kreuzen sich so viel Und auf eignen: Stege Jeder sucht sein Ziel, Hoffe nicht, daß einer

Mit dir halte Schritt Länger, als auf deiner Bahn ist seine mit!

Näher nur berühren Hier sich dann und wann Zwei der Weg' und führen Auseinander dann;

Und wer eine Weile Mit dir teilt den Gang: Hoffe nicht, er teile Ihn sein lebelang!

Denke, daß er immer Noch kann seitwärts gehn, Eh im Abendschftnmer Dir die Berge stehn!

138. Der Schmuck der Mutter

(Gasel).

Mensch! es ist der Schöpfung Pracht Nicht für dich allein gemacht: Einer: Teil hat sich zur Lust Tie Natur hervorgebracht.

154

Rückert.

Darum singt die Nachtigall, Wo du schlummerst, in der Nacht; Und die schönste Blume blüht, Eh des Tages Aug erwacht; Und der schönste Schmetterling Fliegt, wo niemand sein hat acht; Perle ruht im Meeresschoß Und der Edelstein im Schacht. Kind! da reichlich Aug und Ohr Dir mit Füllen ist bedacht. Gönn der Mutter etwas auch, Tas sie zum Geschmeid sich macht!

139. Aus der Jugendzeit. Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit Klingt ein Lied mir immerdar; O, wie liegt so weit, o, wie liegt so weit, Was mein einst war! Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang, Tie den Herbst und Frühling bringt — Ob das Tors entlang, ob das Dorf entlang Tas jetzt noch klingt?

„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer; Als ich wiederkam, als ich wiederkam. War alles leer." O, du Kindermund, o, du Kindermund, Unbewußter Weisheit sroh, Vogelsprachekund, vogelsprachekund. Wie Salomo! O, du Heimatslur, o, du Heimatslur, Laß zu deinem Heilgen Raum Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur Entfliehn im Traum!

Mckert.

155

Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm.

War die Welt mir voll jo sehr; Als ich wiederkam, als ich wiederkam. War alles leer.

Wohl die Schwalbe kehrt', wohl die Schwalbe kehrts Und der leere Kasten schwoll; Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert. Wird's nie mehr voll. Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt

Dir zurück, wonach du weinst; Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt Im Dors, wie einst: „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwer; Als ich wiederkam, als ich wiederkam, War alles leer."

140. Angereihte Perlen. Wer einem Fremdling nicht sich sreundlich mag erweisen,

Ter war wohl selber nie im fremden Land auf Reisen. Ich bin ein Blatt des Baums, der ewig neue trägt; Heil mir! es bleibt mein Stamm, wenn mich der Wind verschlägt. Wie groß für dich du seist, Dorrn Ganzen bist du nichtig;

Doch als des Ganzen Glied bist du als kleinstes wichtig. Die kleinste Biene steht dem Feind so ritterlich, Weil sie für sich nicht ist, sie fühlt ihr Volk in sich.

Der Prüfstein trügt dich nie: gut ist, was wohl dir tut. Und das ist schlimm, o Herz, wobei dir schlimm zu Mut. Die Strafe macht dich frei von dem Gefühl der Schuld; Trum straft dich, Kind, nicht Zorn des Vaters, sondern Huld. Daß sie die Perle trägt, das macht die Muschel krank: Dem Himmel sag für Schmerz, der dich veredelt, Dank! Das Gute tust du nicht, um zu empfinden Lust; Die Lust empfindest du, weil du das Gute tust.

156

Rückert.

Das Gute tun ist leicht, selbst Schwachen eine Lust; Das Böse meiden schwer, Kamps einer Heldenbrust.

141. Bierzeilen. Wenn die Wässerlein kämen zuhaus, Gäb es wohl einen Fluß; Weil jedes nimmt seinen eigenen Lauf, Eins ohne das andre vertrocknen muß. Erfahren ward seit tausend Jahren, Doch du verfolgst umsonst die Spur: Dir paßt nicht, was für sich ein anderer erfuhr. Du mußt es wieder für dich selbst erfahren.

Auf das, was dir nicht werden kann. Sollst du den Blick nicht kehren! Oder ja, sieh recht es an, So siehst du gewiß, du kannst's entbehren.

Gäbest du doch hier und dort Tein gutes Geld auch aus vergebens! Was machst du denn so viel Aufhebens Um ein vergebnes gutes Wort?

Der Erfolg ist offenbar. Die Absicht aber ist niemals klar: Drum wird man alle Menschengeschichten Ewig nach dem Erfolge richten. Wo du nicht willst, da wird kein Grund dich beugen; Doch ist nur wo deine Lust dabei. So wirst du leicht dich überzeugen. Daß nötig es und nützlich sei.

142. Aus der Weisheit des Brahmanen. 1. Die beiden Palmen. Die beiden Palmen, die dort alternd stehn beisammen. Sie danken nicht ihr Heil dem Grund, aus dem sie stammen. Sie danken es dem Hauch des Himmels, Poesie: Sie stehn, weil einmal sprach ein Dichter scheidend hie:

„Ihr beiden Palmen, gebt mir euren Abschiedsgruß, Weil ich von allem, was mir lieb ist, scheiden muß! Nie rastet das Geschick, zu scheiden und zu trennen Auf Erden alle, die sich lieben und sich kennen. Ihr aber, bleibet ungeschieden mir, ihr beiden! Doch wird i)as Unglück auch einst kommen, euch zu scheiden." Der Dichter sprach's und ging den schweren Abschieds­ gang; Doch in den Lüsten hier blieb seines Liedes Klang. Es ging DDK Ohr zu Ohr das Lied, von Mund zu Munde, Und nie droht Axt und Beil dem Heilgen Palmenbunde. Ta kam der König her auf seinem Liegeszug; Die Palme stand im Weg dem Wagen, der ihn trug. Des Beiles Schärfe war schon angelegt dem Fuß; Ter Fuhrmann aber sprach des Dichters Abschiedsgruß: „Ihr Palmen, bleibet ungeschieden mir, ihr beiden! Doch wird das Unglück auch schon kommen, euch zu scheiden!" Tas war der beiden veil; der König rief: „Halt ein! Ich will das Unglück, das sie scheiden soll, nicht sein. Dem Dichterworte mag zur Ehre sich bequemen Mein Siegeswagen wohl, den Umweg hier zu nehmen. Ihr aber steht, bis euch Sturm oder Alter bricht! Tas mag das Unglück sein, von dem der Dichter spricht!"

2. H ö d) st e Urei h e i t. Wenn Freiheit du begehrst, des Meuschen höchste Zierde, Herrsch über Leideuschaft imb Neigung und Begierde! Doch bilde dir nicht viel auf diese Herrschaft ein! Des freien Willens Stolz ist Gott gehorsam sein. 3. Duldu n g. In allen Zonen liegt die Menschheit auf den Knien Vor einem Göttlichen, das sie empor soll ziehn. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

M. 11

158

Rückert.

Schack.

Verachte keinen Brauch und keine Flehgebärde,

Womit ein armes Herz cmporringt von der Erde! Ein Kind mit Lächeln kämpft, ein andres mit Geschrei, Daß von der Mutter Arm es ausgenommen sei. 4. Gottvertrauen. Als wie ein Kind im Schlaf empor sein Auge schlägt

Und alsobald sein Haupt befriedigt wieder legt. Weil nah das Angesicht sich ihm der Mutter zeigt, Tie wachend über ihr geliebtes Kind sich neigt: Beglückt, wer so den Traum des Erdenlebcns lebt. Und wenn dazwischen er den Blick zum Himmel hebt, Tie Mutterliebe sieht herniederschauen heiter Und lächelnd winken ihm: Ich wache, schlaf nur weiter! 5. Poesie.

Hauch Gottes, Poesie! o, komm, mich auzuhauchen. In deinen Rosenduft die kalte Welt zu tauchen! Was du anlächelst, lacht; was du anblickest, glänzt;

Die Eng erweitert sich, und Weites wird begrenzt. Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden. Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden.

Adolf Graf von Schack. 143. Beim Siegeseinzug in Berlin (1871). Steig empor.

Herrlichste der Sonnen, Die über Deutschland geleuchtet; O, den Tag, den du bringst. Ganz und voll zu genießen, Ist es genug nicht des Glücks für ein Leben? Den sterbenden Greis Laß das Auge nicht schließen, Bevor er ihn erblickt;

Schack.

Und in der Wiege dem Säugling Offne des Geistes Sehkraft, Daß sein Gedanke ihn fasse Und er einst noch den Enkeln künde: Ich habe den großen Tag erlebt!

Horch! Trommelwirbel Und Fall von hunderttausend Tritten! Sie sind es, sie nahen, Die durch den Donner der Schlachten Über stürzender Brüder Leichen dahin Deutschlands Banner getragen! Noch scheinen ihre Lanzen Vom Wirbelsturm des Kampfs zu zittern. Doch „Hoch!" erschallt es, „Hoch!" Durch des Volkes wogende Reihen, Und mit dem Grün des Friedens bekränzt, Wallen durchs Tor die Siegesfahnen. Gen Himmel flackert Im Sonnenlichte der Glanz Der wogenden Helme und Waffen, Wie durch die geschmückten Straßen Der Zug der Krieger sich wälzt — Und Fanfarengeschmetter nun Und Jubelruf von Millionen!

Sie kommen, die glorreichen Führer, Die Lieblinge des Ruhmes, Tie noch nach Jahrtausenden In ungeborner Völker Gesängen leben werden! Aus ihrer Mitte hervor, Wie Orion unter den anderen Sternen, Leuchtet der Herrliche, Der Retter Deutschlands! Laßt Platz für sein Roß, Ihr Weiber, die mit euern Kleinen Heran ihr euch drängt.

159

160

Schack.

Schenkendorf.

Um, seine Knie umklammernd, ihni zu danken. Daß er euch Haus und Herd Vor Schande geschützt! Wohl mehr als des Krieges Gewühl Liebt er, Kinder um sich spielen zu sehen; Aber noch einmal heut, zum letzten Male, Eh zur Pflugschar das Schwert sich wandelt, In seines Heeres Mitte Mit den krachenden Feuerschlünden Muß er Zwiesprach halten:

Horch! das sind die ehernen Stimmen, Er kennt sie, Tie ihn in zwanzig Siegesschlachten umdonnert, Vor denen hundert Festen Und ein Reich in Trümmer gesunken. Von allen Türmen die Glocken fallen ein, O! und weiter, dahin durch den Blumenregeu, Der von Fenstern und Dächern niederstäubt, Zieht er — achtlos vorüber an uns, Denen an der Wimper die Freudenträne zittert. Während die Lippe verstumnit Und nur des Herzens Klopfen Dank ihm stammelt, Daß er uns ein Vaterland geschenkt.

Ma;.' von Schenkendorf. 144. Auf den Tod der Königin Luise (t 19. Juli 1810).

Rose, schöne Königsrose, Hat auch dich der Sturm getroffen? Gilt kein Beten mehr, kein Hoffen Bei dem schreckenvollen Lose? Seid ihr, hochgeweihte Glieder, Schon deni düstern Reich verfallen?

Schcnkendorf. Haupt, um das die Locken wallen, Sinkest du zmn Schlummer nieder?

Sink in Schlummer! aufgefunden Ist das Ziel, nach dem du schrittest, Ist der Kranz, um den du littest, Ruhe labt am Quell der Wunden. Auf, Gesang, vom Klagetale Schweb empor zu lichten Hallen, Wo die Siegeshymnen schallen! Singe Tröstung dem Gemahle! Sink an deiner Völker Herzen, Du im tiefsten Leid Verlorner, Du zum Martyrtum Erkorner, Auszubluten deine Schmerzen. Herr iiiib König, schau nach oben,

Wo sie leuchtet gleich den Sternen, Wo in Himmels weiten Fernen Alle Heilige sie loben!

145. Freiheit (1813) Freiheit, die ich meine,

die mein Herz erfüllt,

süßes Engelbild!

Komm mit deinem Scheine, Magst du nie dich zeigen Führest deinen Reigen

der bedrängten Welt?

nur am Sternenzelt?

Auch bei grünen Bäumen in dem lustgen Wald, Unter Blütenträumen

ist dein Aufenthalt.

Ach! das ist ein Leben, wenn es weht und klingt, Wenn dein stilles Weben wonnig uns durchdringt, Wenn die Blätter railschen süßen Freundesgruß, Wenn wir Blicke tauschen, Liebeswort und Kuß. Aber immer weiter Auf der Himmelsleiter

nimmt das Herz den Lauf, steigt die Sehnsucht auf.

Aus den stillen Kreisel: Will der Welt beweisen,

kommt mein Hirtenkind,

was es denkt und minnt.

161

162

Schenkendorf.

Blüht ihm doch ein Garten, reift ihm doch ein Feld Auch in jener harten steinerbauten Welt: Wo sich Gottes Flamme in ein Herz gesenkt. Das am alten Stamme treu und liebend hängt; Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht Mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht. Hinter dunkeln Wällen, hinter ehrnem Tor Kann das Herz noch schwellen zu dem Licht empor. Für die Kirchenhallen, für der Väter Gruft, Für die Liebsten fallen, wenn die Freiheit ruft — Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenrot: Heldenwangen blühen schöner auf int Tod. Wollest auf uns lenken Gottes Lieb und Lust, Wollest gern dich senken in die deutsche Brust, Freiheit, holdes Wesen, gläubig, kühn und zart! Hast ja lang erlesen dir die deutsche Art.

146. Auf Scharnhorsts Tod (f 1813, 28. Juni). In dem wilden Kriegestanze Brach die schönste Heldenlanze: Preußen, euer General. Lustig auf dem Feld bei Lützen Sah er Freiheitswaffen blitzen, Doch ihn traf des Todes Strahl. „Kugel, raffst mich doch nicht nieder! Dien euch blutend, werte Brüder, Führt in Eile mich gen Prag! Will mit Blut um Östreich werben, Jst's beschlossen, will ich sterben. Wo Schwerin im Blute lag." Arge Stadt, wo Helden tranken, Heilge von den Brücken sanken. Reißest alle Blüten ab! Nennen dich mit leisen Schauern — Heilge Stadt, nach deinen Mauern Zieht uns manches teure Grab.

163

Schenkendors.

Aus dem irdischen Getümmel Haben Engel in den Himmel Seine Seele sanft geführt — Zu dem alten deutschen Rate, Den im ritterlichen Staate Ewig Kaiser Karl regiert.

„Grüß euch Gott, ihr teuren Helden, Kann euch frohe Zeitung melden: Unser Volk ist aufgewacht, Deutschland hat sein Recht gefunden; Schaut! ich trage Sühnungswunden Aus der Heilgen Opferschlacht." Solches hat er dort verkündet. Und wir alle stehn verbündet. Daß dies Wort nicht Lüge sei. Heer, aus seinem Geist geboren, Jäger, die sein Mut erkoren. Wählet ihn zum Feldgeschrei! Zu den höchsten Bergesforsten, Wo die freien Adler horsten, Hat sich früh sein Blick gewandt; Nur dem Höchsten galt sein Streben, Nur in Freiheit konnt er leben, Scharnhorst ist er drum genannt. Keiner war wohl treuer, reiner, Näher stand dem König keiner — Doch dem Volke schlug sein Herz. Ewig auf den Lippen schweben Wird er, wird im Volke leben. Besser als in Stein und Erz.

147. Frühlingsgrutz an das Vaterland (1814). Wie mir deine Freuden winken

nach der Knechtschaft,

nach dem Streit! Vaterland, ich muß versinken hier in deiner Herrlichkeit. Wo die hohen Eichen sausen, himmelan das Haupt gewandt, Wo die starken Ströme brausen, alles das ist deutsches Land.

161

Schenkcndorf.

Von dem Rheinfall hergegangen

von der Quell, und hell; Freuden­ schein und am silberblauen Main!

komm ich, Donau Und in mir sind aufgegangen Liebessterne mild Niedersteigen will ich, strahlen soll von mir der In des Neckars frohen Talen

du mein deutscher Freiheitsgruß, Sollst vor meiner Hütte klingen an dem fernen Memelfluß! Wo noch deutsche Worte gelten, wo die Herzen, stark und weich, Zu dem Freiheitskampf sich stellten, ist auch heilges deutsches Reich. Weiter, weiter mußt du dringen,

Alles ist in Grün gekleidet, alles strahlt im jungen Licht, Anger, wo die Herde weidet, Hügel, wo man Trauben bricht. Vaterland! in tausend Jahren kam dir solch ein Frühling kaum: Was die hohen Väter waren, heißet nimmermehr ein Traum. Aber einmal müßt ihr ringen noch in ernster Geister­ schlacht Und den letzten Feind bezwingen, der int Innern drohend wacht: Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen, Geiz und Neid und böse Lust, Dann, nach schweren, langen Kämpfen kannst dn ruhen, deutsche Brust. Jeder ist dann reich an Ehren, reich an Demut und an Macht; So nur kann sich recht verklären unsers $aifer§ heilge Pracht. Alte Sünden müssen sterben in der gottgesandten Flut Und an einen selgen Erben fallen das entsühnte Gut.

des Weinstocks Heilger Frucht, Manneslust in grünen Wäldern, in den Hütten frohe Zucht; Segen Gottes auf

den

Feldern,

in

166

Schenkendorf.

In der Brust ein frommes Sehnen,

ewger Freiheit Unter­ pfand ; nirgends wie im deutschen

Liebe spricht in zarten Tönen

Land. Ihr

in

Schlösser»,

ihr in Städten,

Ackersmann, der auf den Beeten

welche schmücken

unser Land, deutsche Frucht in Garben

band, Traute, deutsche Brüder, höret meine Worte, alt und neu: Nimmer wird das Reich zerstöret, wenn ihr einig seid und treu!

148. Das Lied vom Mein (1814). Es klingt ein Heller Klang, ein schönes deutsches Wort

In jedem Hochgesang der deutschen Männer fort: Ein alter König hochgeboren, Dem jedes deutsche Herz geschworen — Wie oft feilt Name wiederkehrt, Man hat ihn nie genug gehört. Das ist der heilge Rhein,

ein Herrscher, reich begabt.

Des Name schon, wie Wein, die treue Seele labt. Es regen sich in allen Herzen Viel vaterländsche Lust und Schmerzen, Wenn man das deutsche Lied beginnt Vom Rhein, dem hohen Felseukind.

Sie hatten ihm geraubt der alten Würden Glanz, Von seinem Königshaupt den grünen Rebenkranz; In Fesseln lag der Held geschlagen: Sein Zürnen und fein stolzes Klagen, Wir haben's manche Nacht belauscht. Von Geisterschaueru hehr umrauscht. Was sang der alte Held? — ein furchtbar dräuend Lied:

„O, weh dir, schnöde Welt,

wo keine Freiheit blüht,

Von Treuen los und bar von Ehren! Und willst du nimmer wiederkehren.

166

Schenkendorf.

Mein, ach! gestorbenes Geschlecht Und mein gebrochnes deutsches Recht? O, meine hohe Zeit!

mein goldner Lebenstag!

Als noch in Herrlichkeit mein Deutschland vor mir lag Und auf und ab am Ufer wallten Die stolzen adligen Gestalten, Die Helden, weit und breit geehrt Durch ihre Tugend und ihr Schwert!

Es war ein frommes Blut in ferner Riesenzeit, Voll kühnem Leuenmut und mild, als eine Maid,

Man singt es noch in späten Tagen, Wie den erschlug der arge Hagen; Was ihn zu solcher Tat gelenkt, In meinem Bette liegt's versenkt. Du Sünder! wüte fort! bald ist dein Becher voll; Der Nibelungen Hort ersteht wohl, wenn er soll. Es wird in dir die Seele grausen, Wann meine Schrecken dich umbrausen; Ich habe wohl und treu bewahrt Den Schatz der alten Kraft und Art!" —

Erfüllt ist jenes Wort, der König ist nun frei, Der Nibelungen Sport ersteht und glänzet neu! Es sind die alten deutschen Ehren, Die wieder ihren Schein bewähren: Der Väter Zucht und Mut und Ruhm, Das heilge deutsche Kaisertum!

Wir Huldgen unserm Herrn, wir trinken seinen Weill. Die Freiheit sei der Stern! die Losung sei der Rhein! Wir wollen ihm aufs neue schwören! Wir müssen ihm, er uns gehören. Vom Felsen kommt er frei und hehr, Er fließe frei in Gottes Meer!

Schenkendorf.

Schiller.

14S. Antwort (1814). Wie viel auch sind der Stufen Am Thron der Ewigkeit, Ein Volk ist hoch berufen Vor allen weit und breit. Tas ist das Volk im Herzen Der Heilgen Christenwelt, Das fester alle Schmerzen Und alle Freuden hält.

Das ist ein Volk der Treue, Der Demut und der Kraft, Das ist die Gottesweihe, Die Deutschlands Würde schafft. Wenn wieder sich gestalten Das alte Deutschland soll, So sei es nicht zerspalten, Nicht schmach- und wundenvoll.

Ich weiß, an wen ich glaube. Ich kenn ein holdes Bild; Dem Teufel nicht zum Raube Wird, was mein Herz erfüllt: Von einem deutschen Throne, Von einem Eichenbaum, Der schirmend flicht die Krone — Das ist kein Dichtertraum!

Friedrich Schiller. 150. Die Kraniche des Jbhkus (Juli 1797). Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf Korinthus Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint, Zog Jbhkus, der Götterfreund.

167

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Schiller.

Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll; So wandert er an leichtem Stabe Aus Rhegium, des Gottes voll. Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme In graulichem Geschwader ziehn.

„Seid mir gegrüßt, besreundte Scharen, Die mir zur See Begleiter waren! Zum guten Zeichen nehm ich euch; Mein Los, es ist dem euren gleich: Bon fernher kommen wir gezogen Und flehen um ein wirtlich Dach; Sei uns der Gastliche gewogen, Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!" Und munter fördert er die Schritte Und sieht sich in des Waldes Mitte; Da sperren aus gedrangem Steg Zwei Mörder plötzlich seinen Weg. Zum Kampfe muß er sich bereiten, Doch bald ermattet sinkt die Hand; Sie hat der Leier zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt. Er ruft die Menschen an, die Götter, Sein Flehen bringt zu keinem Retter; Wie weit er auch die Stimme schickt. Nichts Lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlassen sterben. Auf fremdem Boden, unbeweint. Durch böser Buben Hand verderben. Wo auch kein Rächer mehr erscheint!"

Schiller.

Und schwer getroffen sinkt er nieder; Da rauscht der Kraniche Gefieder; Er Hört, schon kann er nicht mehr sehn. Die nahen Stimmen furchtbar krähn. „Von euch, ihr Kraniche dort oben. Wenn keine andre Stimme spricht, Sei meines Mordes Klag erhoben!" Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden, Und bald, obgleich entstellt von Wunden, Erkennt der Gastfreund in Korinth Die Züge, die ihm teuer sind. „Und muß ich so dich wiederfinden Und hoffte, mit der Fichte Kranz Des Sängers Schläfe zu umwinden. Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!" Und jammernd hören's alle Gäste, Versammelt bei Poseidons Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz; Verloren hat ihn jedes Herz. Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fordert seine Wut, Zu rächen des Erschlagnen Manen, Zu sühnen mit des Mörders Blut. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Täter kenntlich macht? Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen? Tat's neidisch ein verborgner Feind? Rur Helios vermag's zu sagen. Der alles Irdische bescheint. Er geht vielleicht mit frechem Schritte Jetzt eben durch der Griechen Mitte, Und während ihn die Rache sucht. Genießt er seines Frevels Frucht.

169

170

Schillcr.-

Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die dort sich zum Theater drängt. Denn Bank an Bank gedrängct sitzen, Es brechen fast der Bühne Stützen, Herbeigeströmt von fern und nah, Der Griechen Völker wartend da; Tnmpfbrausend wie des Meeres Wogen, Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammenkamen? Von Theseus Stadt, von Aulis Strand, Von Phocis, vom Spartanerland, Von Asiens entlegner Küste, Von allen Inseln kamen sie Und horchen von dem Schaugerüste Des Chores grauser Melodie, Der, streng und ernst, nach alter Sitte, Mit langsam abgemeßnem Schritte Hervortritt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine irdschen Weiber! Die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmaß der Leiber Hoch über menschliches hinaus. Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrote Glut; In ihren Wangen fließt kein Blut. Und wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen freundlich wehn, Da sieht man Schlangen hier und Nattern Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.

cbillcr. Und schauerlich, gedreht im Kreise, Beginnen sie des Hymnus Weise, Der durch das Herz zerreißend dringt. Die Bande um den Sünder schlingt. Besinnungraubend, herzbetörend Schallt der Erinnyen Gesang, Er schallt, des Hörers Mark verzehrend. Und duldet nicht der Leier Klang:

„Wohl dem, der srei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nahn. Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe, wehe, wer verstohlen Des Mordes schwere Tat vollbracht! Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht; Und glaubt er fliehend zu entspringen. Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flüchtgen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß. So jagen wir ihn, ohn Ermatten, Versöhnen kann uns keine Reu, Ihn fort und fort bis zu den Schatten Und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend, tanzen sie den Reigen, Und Stille, wie des Todes Schweigen, Liegt überm ganzen Hause schwer, Als ob die Gottheit nahe wär. Und feierlich, nach alter Sitte, Umwandelnd des Theaters Rund, Mit langsam abgemeßnem Schritte, Verschwinden sie im Hintergrund. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet Noch zweifelnd jede Brust und bebet Und huldiget der furchtbarn Macht, Die richtend im Verborgnen wacht.

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Schiller. Die unerforschlich, unergründet Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht. Dem tiefen Herzen sich verkündet. Doch fliehet vor dem Sonnenlicht. Da hört man aus den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen: „Sieh da! sieh da, Timotheus, Die Kraniche des Jbykus!" Und finster plötzlich wird der Himmel, Und über dein Theater hin Sieht man in schwärzlichem Gewimmel Ein Kranichheer vorüberziehn. „Des Jbykus?" — Ter teure Name Rührt jede Brust mit neuem Grame, Und wie im Meere Well auf Well, So läuft's von Mund zu Munde schnell: „Des Jbykus, den wir beweinen, Den eine Mörderhand erschlug? Was ist's mit dem? Was kann er meinen? Was ist's mit diesem Kranichzug?" Und lauter immer ivird die Frage, Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage Durch alle Herzen: „Gebet acht! Das ist der Eumeniden Macht! Der fromme Dichter wird gerochen, Der Mörder bietet selbst sich dar: Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, Und ihn, an den's gerichtet war!" Dach dem >var kaum das Wort entfahren. Möcht er's im Busen gern bewahren; Umsonst! der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kund. Man reißt und schleppt sie vor den Richter, Tie Szene wird zum Tribunal, Und es gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl.

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schiller.

151. Die Bürgschaft (1798). Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich

Möros, den Dolch im Gewände; Ihn schlugen die Häscher in Bande. „Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!" Entgegnet ihm finster der Wüterich. „Die Stadt vom Tyrannen befreien!" „Das sollst du am Kreuze bereuen!" „Ich bin," spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben; Doch willst du Gnade mir geben: Ich flehe dich um drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen." Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken: „Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse! wenn sie verstrichen, die Frist, Eh du zurück mir gegeben bist, So muß er statt deiner erblassen; Doch dir ist die Strafe erlassen." Und er kommt zum Freunde: „Der König gebeut. Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben; Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit: So bleib du dem König zum Pfande, Bis ich komme, zu lösen die Bande." Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus denk Tyrannen; Der andere ziehet von dannen:

Und ehe das dritte Morgenrot scheint, Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint, Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

M. 12

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Schiller. Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen. Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, Da reißet die Brücke der Strudel hinab, Und donnernd sprengen die Wogen Des Gewölbes krachenden Bogen. Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket Und die Stimme, die rufende, schicket. Da stößet kein Nachen vom sichern Strand, Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre, Und der wilde Strom wird zum Meere. Ta sinkt er aus User und weint und fleht, Die Hände zum Zeus erhoben: „O, hemme des Stromes Toben! Es eilen die Stunden, int Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht. Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muß der Freund mir erbleichen."

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle zerrinnet. Und Stunde an Stunde entrinnet. Ta treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und teilt mit gewaltigen Armen Den Strom — und ein Gott hat Erbarmen. Und gewinnt das User und eilet fort Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord Und hemmet des Wanderers Eile Mit drohend geschwungener Keule.

schiller.

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„Wa-ö wollt ihr?" ruft er, vor Schrecken bleich, „Ich habe nichts als mein Leben, Das muß ich dem Könige geben!" Uni) entreißt die Keule dem nächsten gleich: „Um des Freundes willen, erbarmet euch!" Und drei, mit gewaltigen Streichen, Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand, Und von der unendlichen Mühe Ermattet, sinken die Kniee: „O, hast du mich gnädig aus Räubershand, Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land Und soll hier verschmachtend verderben Und der Freund mir, der liebende, sterben?"

Und borch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, Und stille hält er, zu lauschen. Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Und freudig bückt er sich nieder Und ersrischet die brennenden Glieder. Und die Sonne blickt durch der Zweige Grüu Und malt auf deu glänzeudeu Matten Der Bäume gigantische Schatten; Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, Will eilenden Laufes vorüberfliehn, Da hört er die Worte sie sagen: „Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen." Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, Ihn jagen der Sorge Qualen: Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hanfes redlicher Hüter, Der erkennet entsetzt den Gebieter:

Schiller. „Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,

So rette das.eigene Leben! Den Von Mit Ihm Der

Tod erleidet er eben. Stunde zu Stunde gewartet er hoffender Seele der Wiederkehr, konnte den mutigen Glauben Hohn des Tyrannen nicht rauben."

„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht

Ein Retter willkommen erscheinen. So soll mich der Tod ihnr vereinen. Des rühme der blutge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht. Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!"

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor Und sieht das Kreuz schon erhöhet. Das die Menge gaffend umstehet; An dem Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:

„Mich, Henker!" ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!" Und Erstaunen ergreift dao Volk umher,

In den Armen liegen sich beide Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Auge tränenleer. Und zum Könige bringt man die Wundermär: Der fühlt ein menschliches Rühren, Läßt schnell vor den Thron sie führen — Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen! Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn,

So nehmet auch mich zum Geuossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte!"

schiller.

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152. Pompeji und Herkulanum (1796). Welches Wunder begibt sich? wir flehten um trinkbare Quellen, Erde, dich au, uud was sendet dein Schoß uns herauf! Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava ver­ borgen Noch ein neues Geschlecht? Kehrt das entflohne zurück? Griechen, Römer, o, kommt! o, seht: das alte Pompeji Findet sich wieder, aufs neu bauet sich Herkules Stadt. Giebel an Giebel steigt, der räumige Portikus öffnet Seine Hallen: o, eilt, ihn zu beleben, herbei! Aufgetan ist das weite Theater, es stürze durch seine Sieben Mündungen sich flutend die Menge herein! Mimen, wo bleibt ihr? hervor! das bereitete Opfer vollende Atreus Sohn, dem Orest folge der grausende Chor! Wohin führet der Bogen des Siegs? Erkennt ihr das Forum? Was für Gestalten sind das auf dem kurulischen Stuhl? Traget, Liktoren, die Beile voran! den Sessel besteige Richtend der Prätor, der Zeug trete, der Kläger vor ihn! Reinliche Gassen breiten sich aus, mit erhöhetem Pflaster Ziehet der schmälere Weg neben den Häusern sich hin. Schützend springen die Dächer hervor, die zierlichen Zimmer Reihn mn den einsamen Hof heimlich und traulich sich her. Öffnet die Läden geschwind und die lange verschütteten Türen! In die schaudrige Nacht falle der lustige Tag! Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke sich dehnen, Wie von buntem Gestein schimmernd das Estrich sich hebt! Frisch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben. Wo ist der Künstler? Er warf eben den Pinsel hinweg. Schwellender Früchte voll und lieblich geordneter Blumen, Fasset der muntre Feston reizende Bildungen ein: Mit beladenem Korb schlüpft hier ein Amor vorüber, Emsige Genien dort keltern den purpurnen Wein, Hochauf springt die Bacchantin im Tanz, dort ruhet sie schlummernd,

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Schiller.

Und der lauschende Faun hat sich nicht satt noch gesehn. Flüchtig tummelt sie hier den raschen Zentauren, auf einem Knie nur schwebend, und treibt frisch mit dem Thyrsus ihn an. Knaben! was säumt ihr? herbei! da stehn noch die schönen Geschirre. Frisch, ihr Mädchen, und schöpft in den etrurischen Krug! Steht nicht der Treifuß hier auf schön geflügelten Sphinxen? Schüret das Feuer! geschwind, Sklaven, bestellet den Herd! Kauft, hier geb ich euch Münzen, von: mächtigen Titus geprüget, Auch noch die Wage liegt hier, sehet, es fehlt kein Gewicht. Stecket bflv brennende Licht auf den zierlich gebildeten Leuchter, Und mit glänzendem Öl fülle die Lampe sich an! Was verwahret dies Kästchen? £, seht, was der Bräuti­ gam sendet, Mädchen! Spangen von Gold, glänzende Pasten zum Schmuck. Führet die Braut in das duftende Bad, hier stehn noch die Salben, Schminke finb ich noch hier in dein gehöhlten Mriftaff. Aber wo bleiben die Männer? die Alter:? im ernsten Museum Liegt noch ein köstlicher Schatz seltener Rollen gehäuft. Griffel findet ihr hier zum Schreiben, lvächserne Tafeln; Nichts ist verloren, getreu hat es die Erde bewahrt. Auch die Penaten, sie stelle:: sich ein, es findet: sich alle Götter wieder; tvarum bleiben die Priester nur aus? Ten Caduceus schwingt der zierlich geschenkelte Hermes, Und die Biktoria fliegt leicht aus der haltender: Hand. Tie Altäre steher: noch da, o, komnret, o, zündet — Lang schon entbehrte der Gott — zündet die Opfer ihn: an!

schiller.

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153. Nenie (1799). Auch das Schöne mutz sterben! das Menschen und Götter bezwinget, Nicht die eherne Brust rührt es der sthgischen Zeus. Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher, Und an der Schwelle ttod), streng, rief er zurück sein Geschenk. Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde, Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt. Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter, Wenn er, am skäischen Tor fallend sein Schicksal erfüllt. Aber sie steigt aus deut Meer mit allen Töchtern des Nereus, Und die Klage hebt au um den verherrlichten Sohn. Siehe, da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle, Tatz das Schöne vergeht, datz das Vollkommene stirbt. Auch ein Klaglied zu seilt im Mund der Geliebten, ist herrlich, Tenn das ©enteilte geht klanglos zum Orkus hinab.

154. Das Lied von der Glocke (1799). Vivos voco. mortuos plango. fulgura frango.

Festgemauert in der Erden Steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden! Frisch, Gesellen, seid zur Hand! Von der Stirne heiß Rinnen muß der Schweiß, Soll das Werk den Meister loben, Doch der Segen kommt von oben. Zum Werke, das ivir ernst bereiten, Geziemt sich wohl ein ernstes Wort; Wenn gute Reden sie begleiten, Dann fließt die Arbeit munter fort. So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten. Was durch die schwache Kraft entspringt;

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Zchiller.

Den schlechten Mann muß man verachten. Der nie bedacht, was er vollbringt. Das ist's ja, was den Menschen zieret. Und dazu ward ihm der Verstand, Daß er im innern Herzen spüret, Was er erschafft mit seiner Hand. Nehmet Holz vom Fichtenstamme, Doch recht trocken laßt es sein. Daß die eingepreßte Flamme Schlage zu dem Schwalch hinein! Kocht des Kupfers Brei, Schnell das Zinn herbei! Daß die zähe Glockenspeise Fließe nach der rechten Weise! Was in des Dammes tiefer Grube Die Hand mit Feuers Hilfe baut, Hoch auf des Turmes Glockenstube, Da wird es von uns zeugen laut. Noch dauern wird's in späten Tagen Und rühren vieler Menschen Ohr Und wird mit dem Betrübten klagen Und stimmen zu der Andacht Chor. Was unten tief dem Erdensohue Das wechselnde Verhängnis bringt. Das schlägt an die inetallne Krone, Die es erbaulich weiter klingt.

Weiße Blasen seh ich springen: Wohl! die Massen sind im Fluß. Laßt's mit Aschensalz durchdringen, Tas befördert schnell den Guß! Auch vom Schaume rein Muß die Mischung sein. Daß vom reinlichen Metalle Rein und voll die Stimme schalle.

Schiller. Denn mit der Freude Feierklange Begrüßt sie das geliebte Kind Auf seines Lebens erstem Gange, Den es in Schlafes Arm beginnt; Ihm ruhen noch im Zeitenschoße Die schwarzen und die heitern Lose, Der Mutterliebe zarte Sorgen Bewachen seinen goldnen Morgen — Tie Jahre fliehen pfeilgeschwind. Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe, Er stürmt ins Leben wild hinaus. Durchmißt die Welt am Wanderstabe, Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus. Und herrlich, in der Jugend Prangen, Wie ein Gebild aus Himmelshöhn, Mit züchtigen, verschämten Wangen Sieht er die Jungfrau vor sich stehn. Da faßt ein namenloses Sehnen Des Jünglings Herz, er irrt allein, Aus seinen Augen brechen Tränen, Er flieht der Brüder wilden Reihn. Errötend folgt er ihren Spuren Und ist von ihrenl Gruß beglückt, Das Schönste sucht er auf den Fluren. Womit er seine Liebe schmückt. O! zarte Sehnsucht, süßes Hossen, Der ersten Liebe goldne Zeit! Das Auge sieht den Himmel offen, Es schwelgt das Herz in Seligkeit. O! daß sie ewig grünen bliebe, Die schöne Zeit der jungen Liebe! Wie sich schon die Pfeifen bräunen! Dieses Stäbchen tauch ich ein. Sehn wir's überglast erscheinen. Wird's zum Gusse zeitig sein.

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Schiller.

Jetzt, Gesellen, frisch! Prüft mir das Gemisch, Ob das Spröde mit dem Weichen Sich vereint zum guten Zeichen. Denn wo das Strenge mit dem Zarten, Wo Starkes sich und Mildes paarten. Da gibt es einen guten Klang. Drum prüfe, wer sich ewig bindet, Ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang. Lieblich in der Bräute Locken Spielt der jungfräuliche Kranz, Wenn die hellen Kirchenglocken Laden zu des Festes Glanz. Ach, des Lebens schönste Feier Endigt auch den Lebensmai, Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Reißt der schöne Wahn entzwei. Die Leidenschaft flieht, Die Liebe muß bleiben; Die Blume verblüht. Die Frucht muß treiben: Der Mann muß hinaus Ins feindliche Leben, Muß wirken und streben Und pflanzen nnd schaffen. Erlisten, erraffen. Muß wetten und wagen. Das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, Tie Räume wachsen, es dehnt sich das Haus, Und drinnen waltet Die züchtige Hausfrau, Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise

3cf)iller. Im Und Und Und Die Und Mit Und Und Und Tie Und Und

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häuslichen Kreise lehret die Mädchen wehret den Knaben reget ohn Ende fleißigen Hände mehrt den Gewinn ordnendem Zinn füllet mit Schätzen die duftenden Laden dreht um die schnurrende Spindel den Faden sammelt im reinlich geglätteten Schrein schimmernde Wolle, den schneeichten Lein füget zum Guten den Glanz und den Schimmer ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick Von des Hauses weitschauendem Giebel Überzählet sein blühend Glück, Siehet der Pfosten ragende Bäume Und der Scheunen gefüllte Räume Und die Speicher, vom Segen gebogen. Und des Kornes bewegte Wogen, Rühmt sich mit stolzem Mund: Fest, wie der Erde Grund, Gegen des Unglücks Macht Steht mir des Hauses Pracht! Doch mit des Geschickes Mächten Ist kein ewger Bund zu flechten.

Und das Unglück schreitet schnell. Wohl! nun kann der Guß beginnen; Schön gezacket ist der Bruch. Doch bevor wir's lasseu rinnen. Betet einen frommen Spruch! Stoßt den Zapfen aus! Gott bewahr das Haus! Rauchend in des Henkels Bogen Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

schiller.

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Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht. Und was er bildet, was er schafft, Das dankt er dieser Himmelskraft; Doch furchtbar wird die Himmelskrast, Wenn sie der Fessel sich entrafft, Einhertritt auf der eignen Spur,

Die freie Tochter der Natur. Wehe! wenn sie, losgelassen, Wachsend ohne Widerstand, Durch die volkbelebten Gassen Wälzt den ungeheuern Brand!

Denn die Elemente hassen Das Gebild der Menschenhand.

Aus der Wolke

Quillt der Segen, Strömt der Regen: Aus der Wolke, ohne Wahl Zuckt der Strahl. Hört ihr's wimmern hoch vom Turm? Das ist Sturm!

Rot wie Blut

Ist der Himmel; Das ist nicht des Tages Glui! Welch Getümmel Straßen aus! Dampf wallt aus! Flackernd steigt die Feuersäule, Durch der Straße lange Zeile Wächst es fort mit Windeseile. Kochend, wie aus Ofens Rachen, Glühn die Lüfte, Balken krachen,

Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere wimmern Unter Trümmern,

Zchiller. Alles rennet, rettet, flüchtet. Taghell ist die Nacht gelichtet. Durch der Hände lange Kette Um die Wette Fliegt der Eimer, hoch im Bogen Spritzen Quellen Wasserwogen. Heulend komuit der Sturm geflogen, Der die Flamme brausend sucht. Prasselnd in die dürre Frucht Fällt sie, in des Speichers Räume, In der Sparren dürre Bäume, Und als wollte sie im Wehen Mit sich fort der Erde Wucht Reißen in gewaltger Flucht, Wächst sie in des Hiinmels Höhen, Riesengroß! Hoffnungslos Weicht der Mensch der Götterstärke: Müßig sieht er seine Werke Und bewundernd untergehen. Leergebrannr Ist die Stätte, Wilder Stürme rauhes Bette. In den öden Fensterhöhlen Wohnt das Grauen, Und des Himmels Wolken schauen Hoch hinein.

Einen Blick Nach dem Grabe Seiner Habe Sendet noch der Mensch zurück — Greift fröhlich dann zum Wanderstabe: Was Feuers Wut ihm auch geraubt. Ein süßer Trost ist ihm geblieben: Er zählt die Häupter seiner Lieben, Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

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Schiller. In die Erd ist's ausgenommen, Glücklich ist die Form gefüllt. Wird's auch schön zu Tage kommen. Daß es Fleiß und Kunst vergilt? Wenn der Guß mißlang? Wenn die Form zersprang? Ach! vielleicht, indem wir hoffen. Hat uns Unheil schon getroffen. Dem dunkeln Schoß der Heilgen Erde Vertrauen wir der Hände Tat, Vertraut der Sämann seine Saat Und hofft, daß sie entkeimen werde Zum Segen, nach des Himmels Rat. Noch köstlicheren Samen bergen Wir trauernd in der Erde Schoß Und hoffen, daß er aus den Särgen Erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome, Schwer und bang, Tönt die Glocke Grabgesang. Ernst begleiten ihre Trauerschläge Einen Wandrer aus dem letzten Wege. Ach! die Gattin ist's, die teure. Ach! es ist die treue Mutter, Die der schwarze Fürst der Schatten Weg führt aus dem Arm des Gatten, Aus der zarten Kinder Schar, Die sie blühend ihm gebar, Die sie an der treuen Brust Wachsen sah mit Mutterlust — Ach! des Hauses zarte Bande Sind gelöst auf immerdar. Denn sie wohnt im Schattenlande, Die des Hauses Mutter war; Denn es fehlt ihr treues Walten,

Schiller.

Ihre Sorge wacht nicht mehr. An verwaister Stätte schalten Wird die Fremde, liebeleer. Bis die Glocke sich verkühlet. Laßt die strenge Arbeit ruhn! Wie im Laub der Vogel spielet. Mag sich jeder gütlich tun. Winkt der Sterne Licht, Ledig aller Pflicht Hört der Bursch die Vesper schlagen; Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte Fern ini wilden Forst der Wandrer Nach der lieben Heimathütte. Blökend ziehen heim die Schafe, Und der Rinder Breitgestirnte, glatte Scharen Kommen brüllend, Tie gewohnten Ställe füllend. Schwer herein Schwankt der Wagen, Kornbeladen: Bunt von Farben, Auf den Garben Liegt der Kranz, Und das junge Volk der Schnitter Fliegt zum Tanz. Markt und Straße werden stiller; Um des Lichts gesellgc Flamme Sammeln sich die Hausbewohner, Und das Stadttor schließt sich knarrend. Schwarz bedecket Sich die Erde, Doch den sichern Bürger schrecket Nicht die Nacht,

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Schiller. Die den Bösen gräßlich wecket. Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heilge Ordnung, segenreiche Himmelstochter, die das Gleiche Frei und leicht und freudig bindet. Die der Städte Bau gegründet. Die herein von den Gefilden Rief den ungesellgen Wilden, Eintrat in der Menschen Hütten, Sie gewöhnt zu sanften Sitten Und das teuerste der Bande Wob, den Trieb zum Vaterlande! Tausend fleißge Hände regen, Helfen sich in munterm Bund, Und in feurigem Bewegen Werden alle Kräfte kund. Meister rührt sich und Geselle In der Freiheit heilgem Schutz, Jeder freut sich seiner Stelle, Bietet dem Verächter Trutz. Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis; Ehrt den König keine Würde, Ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede, Süße Eintracht, Weilet, weilet Freundlich über dieser Stadt! Möge nie der Tag erscheinen, Wo des rauhen Krieges Horden Dieses stille Tal durchtoben. Wo der Himmel, Den des Abends sanfte Röte Lieblich malt, Von der Dörfer, von der Städte Wilden: Brande schrecklich strahlt!

Schiller.

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Nun zerbrecht mir das Gebäude, Seine Absicht hat's erfüllt, Daß sich Herz und Auge weide An dem wohlgelungnen Bild! Schwingt den Hammer, schwingt, Bis der Mantel springt! Wenn die Glock soll auferstehen, Muß die Form in Stücken gehen. Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit; Doch wehe, wenn in Flammenbächen Das glühnde Erz sich selbst befreit! Blindwütend, mit des Donners Krachen Zersprengt es das geborstne Haus, Und wie aus offnem Höllenrachen Speit es Verderben zündend aus: Wo rohe Kräfte sinnlos walten, Da kann sich kein Gebild gestalten; Wenn sich die Völker selbst befrein. Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn. Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte Der Feuerzunder still gehäuft, Das Volk, zerreißend seine Kette, Zur Eigenhilfe schrecklich greift! Da zerret an der Glocke Strängen Der Aufruhr, daß sie heulend schallt Und, nur geweiht zu Friedensklängen, Die Losung anstimmt zur Gewalt. Freiheit und Gleichheit! hört man schallen. Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr. Die Straßen füllen sich, die Hallen, Und Würgerbanden ziehn umher. Da werden Weiber zu Hyänen Und treiben mit Entsetzen Scherz; Noch zuckend, mit des Panters Zähnen, Zerreißen sie des Feindes Herz. Hessel, Lesebuch 8.

8. Aufl.

M. 13

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Nichts' Heiliges ist mehr, es lösen Sich alle Bande frommer Scheu; Der Gute räumt den Platz dem Bösen, Und alle Laster walten frei. Gefährlich ist's den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn; Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Tas ist der Mensch in seinem Wahn. Weh denen, die dem Ewigblinden Tes Lichtes Himmelsfackel leihn! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben: Sehet! wie ein goldner Stern Aus der Hülse, blank und eben, Schält sich der metallne Kern. Von dem Helm zum Kranz Spielt's, wie Sonnenglanz, Auch des Wappens nette Schilder Loben den erfahrnen Bilder. Herein! herein! Gesellen alle, schließt den Reihen, Daß wir die Glocke taufend weihen : Konkordia soll ihr Name sein! Zur Eintracht, 511 herzinnigem Vereine Versammle sie die liebende Gemeinde! Und dies sei fortan ihr Beruf, Wozu der Meister sie erschuf: Hoch üb ernt niedern Erdenleben Soll sie, im blauen Himmelszelt, Die Nachbarin des Donners, schweben Und grenzen an die Sternenwelt, Soll eine Stimme sein von oben, Wie der Gestirne helle Schar, Die ihren Schöpfer wandelnd loben Und führen das bekränzte Jahr.

Zchiller.

Nur ewigen linb ernsten Dingen Sei ihr metallncr Mund geweiht, Und stündlich mit den schnellen Schwingen Berühr im Fluge sie die Zeit. Dem Schicksal leihe sie die Zunge; Selbst herzlos, ohne Mitgefühl, Begleite sie mit ihrem Schwünge Des Lebens wechselvolles Spiel. Und wie der Klang im Ohr vergehet. Der mächtig tönend ihr entschallt, So lehre sie, daß nichts bestehet. Daß alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges Wiegt die Glock mir aus der Gruft, Daß sie in das Reich des Klanges Steige, in die Himmelsluft!' Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt! Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute!

155. Sehnsucht (1802). Ach, aus dieses Tales Gründen, Die der kalte Nebel drückt, Könnt ich doch den Ausgang finden. Ach, wie fühlt ich mich beglückt! Dort erblick ich schöne Hügel, Ewig jung und ewig grün! Hätt ich Schwingen, hätt ich Flügel, Nach den Hügeln zög ich hin.

Harmonien hör ich klingen. Töne süßer Himmelsruh, Und die leichten Winde bringen Mir der Düfte Balsam zu.

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Schiller.

Goldne Früchte seh ich gtüljeii, Winkend zwischen dunkelrn Laub, Und die Blumen, die dort blühen. Werden keines Winters Raub. Ach, wie schöu muß sich's ergeben Dort im ewgen Sonnenschein, Und die Luft auf jenen Höhen, O, wie labend muß sie sein! Doch mir wehrt des Stromes Toben, Ter ergrimmt dazwischen braust; Seine Wellen sind gehoben. Daß die Seele mir ergraust. Einen Nachen seh ich schwanken. Aber, ach! der Fährmann fehlt. Frisch hinein und ohne Wanken! Seine Segel sind beseelt. Du mußt glauben, du mußt wagen, Denn die Götter leihn kein Pfand; Nur ein Wunder kann dich tragen In das schöne Wunderland!

156. Der Pilgrim HSOB Noch in meinem Lebens Lenze War ich, und ich wandert aus. Und der Jugend frohe Tänze Ließ ich in des Vaters Haus. All meiu Erbteil, meine Habe Warf ich fröhlich glaubend hin, Und am leichten Pilgerstabe Zog ich fort mit Kindersinn. Denn mich trieb ein mächtig Hoffet: Und ein dunkles Glaubenswort: „Wandle!" ries's, „der Weg ist offen, Immer nach dem Aufgang fort! Bis zu einer golbnen Pforten Du gelangst, da gehst du ein,

Lchillcr.

Denn das Irdische wird dorten Himmlisch, unvergänglich sein." Abend ward's und wurde Morgen, Nimmer, nimmer stand ich still; Aber immer bliebt verborgen, Was ich suche, was ich will. Berge lagen mir im Wege, Ströme hemmten meinen Fuß, Über Schlünde baut ich Stege, Brücken durch den wilden Fluß. Und zu eines Stroms Gestaden Kam ich, der nach Morgen floß; Froh vertrauend seinem Faden, Werf ich mich in seinen Schoß. Hin zu einem großen Meere Trieb mich seiner Wellen Spiel; Vor mir liegt's in weiter Leere, Näher bin ich nicht dem Ziel. Ach! kein Steg will dahin führen, Ach! der Himmel über mir Will die Erde nie berühren. Und das Dort ist niemals hier!

157. Die Worte des Glaubens (1797). Drei Worte nenn ich euch, inhaltschwer; Sie gehen von Munde zu Munde, Doch stammen sie nicht von außen her; Das Herz nur gibt davon Kunde. Dem Menschen ist aller Wert geraubt. Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt. Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und würd er in Ketten geboren, Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei, Nicht den Mißbrauch rasender Toren! Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht. Vor dem freien Menschen erzittert nicht!

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Schiller. Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall, Der Mensch kann sie üben im Leben, Und sollt er auch straucheln überall, Er kann nach der göttlichen streben, Und was kein Verstand der Verständigen sieht, Tas übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, Wie auch der menschliche wanke; Hoch über der Zeit und dem Raume webt Lebendig der höchste Gedanke, Und ob alles in ewigem Wechsel kreist, Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist. Tie drei Worte bewahret euch, inhaltschwer, Sie pflanzet von Munde zu Munde, Und stammet! sie gleich nicht von außen her, Euer Innres gibt davon stunde. Tein Menschen ist nimmer sein Wert geraubt, So lang er noch an die drei Worte glaubt.

158. Die deutsche Muse

(1801).

Stein Augustisch Alter blühte, Steines Medieüers Güte Lächelte der deutschen Stunst; Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme, Sie entfaltete die Blume Richt am Strahl der Fürstengunst.

Von dem größten deutschen Sohne, Von des großen Friedrichs Throne Ging sie schutzlos, ungeehrt; Rühmend dars's der Teutsche sagen, Höher darf das Herz ihm schlagen: Selbst erschuf er sich den Wert. Drum steig in höhern Bogen, Trum strömt in vollern Wogen Teutscher Barden Hochgesang,

Und in eigner Fülle schwellend Und aus Herzens Tiefen quellend. Spottet er der Regeln Zwang.

159. Distichen. 1. Jugenö des Weibes. Tugenden brauchet der Mann, er stürzet sich wagend ins Leben, Tritt mit dem stärkeren Glück in den bedenklichen Kamps. Eine Tugend genüget dem Weib: sie ist da, sie erscheinet Lieblich dem Herzen, dem Aug lieblich erscheine sie stets! 2. Weibliches Urteil. Männer richten nach Gründen; des Weibes Urteil ist seine Liebe; wo es nicht liebt, hat schon gerichtet das Weib. 3. Pflicht für jeden. Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber fein Ganzes Werden: als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an! 4. Ausgab e. Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder dem Höchsten! Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich. 5. T e r Schlüsse l. Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben! Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz! 6. Inneres und Äußer e s. „Gott nur siehet das Herz." — Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht, Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn. 7. Freund und Feind. Teuer ist mir der Freund; doch auch den Feind kann ich nützen; Zeigt mir der Frennd, was ich kann, lehrt mich der Feind, tvas ich soll.

196

Schiller.

8. Das Höchst e. Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du es wollend — das ist's! 9. Erwartung und Erfüllung. In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling; Still, auf gerettetem Bot, treibt in den Hafen der Greis. 10. Wissenschaft. Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. 11. D i e zwei Tugendwege. Zwei sind der Wege, auf welchen der Mensch zur Tugend emporstrebt; Schließt sich der eine dir zu, tut sich der andre dir auf: Handelnd erringt der Glückliche sie, der Leidende duldend. Wohl ihm, den sein Geschick liebend auf beiden geführt! 12. Wahl. Kannst du nicht allen gefallen durch deine Tat und dein Kunstwerk, Mach es wenigen recht! vielen gefallen ist schlimni. 13. Der M e i st e r. Jeden anderen Meister erkennt man an dem, was er aus­ spricht ; Was er weise verschweigt, zeigt mir den Meister des Stils. 14. Dilettant. Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? 15. Der epische Hexameter. Schwindelnd trägt er dich fort auf rastlos strömenden Wogen, Hinter dir siehst du, du siehst vor dir nur Himmel und Meer.

16. Distichon. Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule, Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.

Stolberg.

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Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. 160. Der Kelsenstrom. Unsterblicher Jüngling! du strömest hervor Aus der Felsenkluft. Keiu Sterblicher sah Die Wiege des Starken; es hörte kein Ohr Das Lallen des Edlen im sprudelnden Quell. Wie bist du so schön in silbernen Locken! Wie bist du so furchtbar Im Donner der hallenden Felsen umher! Dir zittert die Tanne. Du stürzest die Tanne Mit Wurzel und Haupt. Dich fliehen die Felsen. Du haschest die Felsen Und wälzest sie spottend wie Kiesel dahin.

Dich kleidet die Sonne in Strahlen des Ruhmes. Sie malet mit Farben des himmlischen Bogens Die schwebenden Wolken der stäubenden Flut. Was eilst du hinab zum grünlichen See? Ist dir nicht wohl beim näheren Himmel? Nicht wohl im hallenden Felsen? Nicht wohl im hangenden Eichengebüsch?

O, eile nicht so zum grünlichen See! Jüngling, du bist noch stark wie ein Gott, Frei wie ein Gott. Zwar lächelt dir unten die ruhende Stille, Die wallende Bebung des schweigenden Sees, Bald silbern vom schwimmenden Monde, Bald golden und rot im westlichen Strahl:

O Jüngling, was ist die seidene Ruhe, Was ist das Lächeln des freundlichen Mondes, Der Abendsonne Purpur und Gold Dem, der in Banden der Knechtschaft sich fühlt? Noch strömest du wild, wie dein Herz gebeut. Dort unten herrschen oft ändernde Winde, Oft Stille des Todes im dienstbaren See.

198

Stolberg.

Storm.

O, eile nicht so zum grünlichen See! Jüngling, noch bist du stark wie ein Gott, Frei wie ein Gott.

Theodor Storm. 161. Abseits. Es ist so still: die £>eibe liegt Im warmen Mittagssonnenstrahle, Ein rosenroter Schimmer fliegt Um ihre alten Gräbermale: Tie Kräuter blühn; der Heideduft Steigt in die blaue Sommerluft.

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelheide Glöckchen: Die Vögel schwirren aus dem Kraut — Die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen niedrig Haus Steht einsam hier und sonnbeschienen: Der Kätner lehnt zur Tür hinaus, Behaglich blinzelnd nach den Bienen; Sein Junge auf dem Stein davor Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr. Kaum zittert durch die Mittagsruh Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten: Dem Alten fällt die Wimper zu, Er träumt von seinen .Honigernten. Kein Klang der aufgeregten Zeit Drang noch in diese Einsamkeit.

Storm.

162. Im Walde. . Hier au der Bergeshalde Verstummet ganz der Wind; Die Zweige hängen nieder. Darunter sitzt das Kind.

Sie sitzt Sie sitzt in Tie blauen Und blitzen

in Thymiane, lauter Duft: Fliegen summen durch die Luft.

Es steht der Wald so schweigend, Sie schaut so klug darein; Um ihre braunen Locken Hinfließt der Sonnenschein. Der Kuckuck lacht von ferne, Es geht mir durch den Sinn: Sie hat die goldnen Augen Ter Waldeskönigin.

163. Die Stadt. Am grauen Strand, am grauen Meer lind seitab liegt die Stadt; Ter Nebel drückt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai Keilt Vogel ohn Unterlaß; Die Wandergalts mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. Doch hängt mein ganzes Herz an dir, Tu graue Stadt ctin Meer; Der Jugelld Zauber für und für Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt eint Meer.

199

200

Ubland.

Ludwig Uhland. 164. An das Vaterland

(1813).

Dir möcht ich diese Lieder weihen, Geliebtes deutsches Vaterland! Tenn dir, dem neuerstandnen, freien, Ist all mein Sinnen zugewandt;

Doch .veldenblut ist dir geflossen, Dir sank der Jugend schönste Zier. Nach solchen Opfern, heilig großen, Was gälten diese Lieder dir?

165. Der Wirtin Töchterlein

1809).

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein, Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein. ,,Frau Wirtin! hat Sie gut Bier und Wein? Wo hat Sie Ihr schönes Töchterlein?" „Mein Bier und Wein ist frisch und klar, Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr."

Und alc- sie traten zur Kammer hinein. Da lag sie in einem schwarzen Schrein. Ter erste, der schlug deu Schleier zurück Und schaute sie an mit traurigem Blick:

„Ach, lebtest bn noch, du schöne Maid! Ich würde dich lieben von dieser Zeit."

Der zweite deckte den Schleier zu Und kehrte sich ab und weinte dazu: ,,Ach, daß du liegst auf der Toteubahr! Ich hab dich geliebet so manches Jahr." Der dritte hub ihn wieder sogleich Und küßte sie an den Mund so bleich:

„Dich liebt ich immer, dich lieb ich noch heut Und werde dich lieben in Ewigkeit."

201

Uhland.

166. Das SchiMei« 1810) Ein Schisfleiu ziehet leise Ten Strom hin seine Gleise. Es schweigen, die drin wandern, Tenn keiner kennt den andern. Was zieht hier aus dem Felle

Der braune Weidgeselle? Ein Horn, das sanft erschallet; Tas User widerhallet.

Tas Mädchen saß so blöde,

Als fehlt ihr gar die Rede, Jetzt stimmt sie mit Gesänge Zu Horn und Flötenklange.

Tie Rudrer auch sich regen

Mit taktgemäßen Schlägen: Das Schiff hinunter flieget, Von Melodie gewieget.

Hart stößt es auf am Strande, Schraubt jener Stift und Habe Man trennt sich in die Lande Wann treffen wir uns, Brüder. Und mischt mit Flötentönen Sich in des Hornes Dröhnen. Auf einem Schiffleiu wieder? Von seinem Wanderstabe

167. Die Bidassoabrücke 1831.

Milden Trostes himmelher, Wo so mancher von der Heimat Scheidet ohne Wiederkehr. Auf der Bidassoabrücke Spielt ein zauberhaft Gesicht: Wo der eine Schatten siehet, Sieht der andre goldnes Licht: Wo dem einen Rosen lachen, Sieht der andre dürren Sand: Jedem ist das Elend finster, Jedem glänzt sein Vaterland.

Und am Abend steigt hernieder Eine Schar zum Flußgestad, Unstät, mit zerrißner Fahne, Blut beträufelt ihren Pfad. Aus der Bidassoabrücke Lehnen sie die Büchsen bei, Binden sich die frischen Wunden, Zählen, wer noch übrig sei: Lange harren sie Verniißter, Doch ihr Häuflein wächset nicht. Einmal wirbelt noch die Trommel, Und ein alter Kriegsmann spricht: „Rollt die Fahne denn zusammen, Die der Freiheit Banner war!

Friedlich rauscht die Bidassoa Zu der Herde Glockenklang, Aber im Gebirge dröhnet Knall aufKnall den Tag entlang:

Nicht zum ersten Diesen Grenzweg Nicht zum ersten Eine Freistatt in

Aus der Bidassoabrücke Steht ein Heilger, altergrau, Segnet rechts die sp-anschen Berge, Segnet links den fränkschen Gau. Wohl bedarf's an dieser Stelle

Male wandelt ihre Schar: Male sucht sie der Fern:

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Uhland.

Doch sie zieht, nicht arm an Ehre, Zieht nicht ohne günstgen Stern: Ter von Vorgen Freiheitskämpfen Mehr als einer Narben führt, Heute, da wir alle bluten, Mina! bliebst du unberührt; Ganz und heil ist uns der Retter, Noch verbürgt ist Spaniens Glück. Schreiten wir getrost hinüber! Einst noch kehren wir zurück."

rafft

auf vom Steine, Müde saß er dort und still, Blickt noch einmal nach den Bergen, Wo die Sonne sinken will. Seine Hand, zur Brust gehalten. Hemmt nicht mehr des Blutes Lauf; Auf der Bidassoabrücke Brachen alte Wunden auf. Mina

sich

168. Märznacht (1810). Horch! wie brauset der Sturm

Schaurig süßes Gefühl!

imb der schwelleude Strom in der Nacht hin! lieblicher Frühling, du nahst!

169. Frühlingslieder (1812 und später). 1. F rühlingsahnu n g. Q sanfter, süßer Hauch! Schon weckest du wieder Mir Frühliug^lieder, Bald blühen die Veilchen auch. 2. F r ü h l i n g s g l a u b e. Tie linden Lüfte sind erwacht, Sie säuseln und weben Tag und Nacht, Sie schaffen an allen Enden. O, frischer Duft! o, neuer Klang! Nun, armes Herze, sei nicht bang! Nult muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Man weiß nicht, was noch werden mag: Das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste Tal; Nun, armes Herz, vergiß der Qual! Nun muß sich alles, alles wenden.

Uhland.

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3. F r ü h l i n g s r u h e. D, legt mich nicht ins dunkle Grab,

Nicht unter die grüne Erd hinab! Soll ich begraben sein, Lieg ich ins tiefe Gras hinein. In Gras und Blumen lieg ich gern,

Wenn eine Flöte tönt von fern, Und wenn hoch obenhin Die Hellen Frühlingswolken ziehn. 4. F r ü h lin g s t ro st. Was zagst du, Herz, in solchen Tagen, Wo selbst die Dorne Rosen tragen?

5. Künftiger Frühling.

Wohl blühet jedem Jahre Er ist dir noch beschieden Sein Frühling mild und licht, Am Ziele deiner Bahn, Auch jener große, klare — Du ahnest ihn hienieden, Getrost! er fehlt dir nicht; Und droben bricht er an. 6. Frühlingslied des Rezensenten.

Frühling ist's, ich laß es gelten. Und mich freut's, ich muß gestehen, Daß man kann spazieren gehen, Ohne just sich zu erkälten.

Störche kommen an und Schwalben, Nicht zu frühe, nicht zu frühe! Blühe nur, mein Bäumchen, blühe! Meinethalben, meinethalben! Ja! ich fühl ein wenig Wonne, Tenn die Lerche singt erträglich, Philomele nicht alltäglich. Nicht so übel scheint die Sonne. Daß es keinen überrasche. Mich im grünen Feld zu sehen! Nicht verschmäh ich auszugehen, Kleistens Frühling in der Tasche.

2(M

Ubland

17«. Ruhetal 1812) Wann im letzten Abendstrahl Goldne Wolkenberge steigen Und wie Alpen sich erzeigen, Frag ich oft mit Tränen: Liegt wohl zwischen jenen Mein ersehntes Ruhetal?

171. Die verlorene Kirche (1812 >. Man höret oft im fernen Wald Von obenher ein dumpfes Läuten, Doch niemand weiß, von wann es hallt. Und kaunl die Sage kann es deuten. Von der verlornen Kirche soll Ter Klang ertönen mit den Willden; Einst war der Pfad von Wallern voll. Nun weiß ihn keiner mehr zu finden. Jüngst ging ich in dem Walde weit. Wo kein betretner Steig sich dehnet: Aus der Verderbnis dieser Zeit Hatt ich zu Gott mich hingesehnet. Wo in der Wildnis alles schwieg, Vernahm ich das Geläute wieder: Je höher meine Sehnsucht stieg. Je näher, voller klang es niederMein Geist war so in sich gekehrt, Mein Sinn vom Klange hingenommen, Daß mir es immer unerklärt, Wie ich so hoch hinauf gekommen. Mir schien es mehr denn hundert Jahr, Daß ich so hingeträumet hätte. Als über Nebeln sonnenklar Sich öffnet eine freie Stätte.

Der Himmel war so dunkelblau. Die Sonne war so voll und glühend, Und eines Münsters stolzer Bau Stand in dem goldnen Lichte blühend.

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Uhland.

Mir dünkten Helle Wolken ihn Gleich Fittichen emporzuheben. Und seines Turmes Spitze schien Im feigen Himmel zu verschweben.

Der Glocke wonnevoller Klang Ertönte schütternd in dem Turme; Doch zog nicht Menschenhand den Strang, Sie ward bewegt von heilgem Sturme. Mir war's, derselbe Sturm und Strom Hätt an mein klopfend Herz geschlagen; Sv trat ich in den hohen Dom Mit schwankem Schritt und freudgem Zagen.

Wie mir in jenen Hallen war, Das kann ich nicht mit Worten schildern. Die Fenster glühten dunkelklar Mit aller Märtrcr frommen Bildern; Dann sah ich, wundersam erhellt, Das Bild zum Leben sich erweitern, Ich sah hinaus iu eine Welt Von Heilgen Frauen, Gottesstreitern.

Ich kniete nieder am Altar, Von Lieb und Andacht ganz durchstrahlet. Hock) oben an der Decke war Des Himmels Glorie gemalet; Doch als ich wieder sah empor, Da war gesprengt der Kuppel Bogen, Geöffnet war des Himmels Tor Und jede Hülle weggezogen. Was ich für Herrlichkeit geschaut Mit still anbetendem Erstaunen, Was ich gehört für felgen Laut, Als Orgel mehr und als Posaunen: Das steht nicht in der Worte Macht; Doch wer darnach sich treulich sehnet, Der nehme des Geläutes acht, Das in dem Walde dumpf ertönet! Hessel, Lesebuch 8.

8. Allst.

M. 14

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Uhland.

172. Der Mohn (1829). Wie dort, gewiegt von Westen, Des Mohnes Blüte glänzt! Die Blume, die am besten Des Traumgotts Schläfe kränzt; Bald purpurhell, als spiele Der Abendröte Schein, Bald weiß und bleich, als fiele Des Mondes Schimmer ein.

Zur Warnung hört ich sagen, Daß, wer im Mohne schlief. Hinunter ward getragen In Träume schwer und tief; Dem Wachen selbst geblieben Sei irren Wahnes Spur, Die Nahen nnd die Lieben Halt er für Schemen nur.

In meiner Tage Morgen, Da lag auch ich einmal. Von Blumen ganz verborgen. In einem schönen Tal. Sie dufteten so milde; Da ward, ich fühlt es kaum. Das Leben mir zum Bilde, Das Wirkliche zum Traum. Seitdem ist mir beständig. Als wär es nur so recht, Mein Bild der Welt lebendig. Mein Traum nur wahr und echt; Die Schatten, die ich sehe. Sie sind, wie Sterne, klar. O Mohn der Dichtung, wehe Ums Haupt mir immerdar!

Alte deutsche Lieder.

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Alte deutsche Lieder. 173. Altdeutscher Reisesegen. Ic dir nach sihe, ic dir nach sendi Mit Minen fünf fingirin funvi undi funfzic engili Got mit gisundi heim dich gisendi. Offin 8i dir diz sigidor, sami si dir diz saeldedor. Bislozin si dir diz wägidor, sami si dir diz wäfindor! Ich sehe dir nach, ich sende dir nach Mit meinen fünf Fingern fünf und fünfzig Engelein. Daß Gott doch gesunde heim dich sende! Offen sei dir das Siegestor, mitsamt dem Seligkeitstor, Verschlossen sei dir das Wogentor, mitsamt dem Waffentor!

174. Lied (13. Jahrhundert). Du bist min, ih bin din: des solt du gewis sen, du bist beslozzen in minem herzen; verlorn ist daz sluzzelin: du muost immer drinne sin.

S p e r v 0 g e 1 (12. Jahrhundert).

175. Gottes Lob. Würze des waldes und erize des goldes unt elliu apgrunde, diu sint dir, herre, künde, diu stänt in diner hende; allez himeleschez her dazn mohte dich niht volloben an ein ende.

Her Heinrich von Mörungen. 176 Minnelied. Wist ich obe iz mohte wol virswigin sin, ich lieze üch sen mine liebe frouwin. Der inzwein gebreche mir daz herze min, der mohte sie schöne drinne schouwin. Sie kam her durch di ganzin ougin sundir tur gegangin, o we solte ich von ir reinin minnin sin also werdecliche untphangin.

Her Hartman von Ouwe. 177. Lied der Kreuzfahrer. Dem kriuze zimt wol reiner muot und kiusche site: so mac man saelde und allez guot erwerben mite. Ouch ist ez niht ein kleiner haft dem tumben man, der sinom libe meisterschaft niht halten kan. Ez wil niht, daz man si der werke drunder fri: waz touc ez üf der wat, ders an dem herzen niene hat? Nu zinsent, ritter, iuwer leben und ouch den muot durch in, der iu da hat gegeben lip unde guot. Swes schilt ie was zer werlte bereit üf höhen pris, ob er den gote nü verseif, der ist niht wis.

Heinrich von Morungen.

Hartmann von Aue.

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Heinrich von Morungen. 176. Minnelied. Wußt ich, ob es wohl möcht verschwiegen sein. Ich ließ euch sehen meine liebe Frauen. Wer entzwei mir brach das Herze mein, Der könnte schön sie drinnen schauen. Sie kam her, mitten durch die Augen, ohne Tür gegangen. Ach, wollte mich doch ihr reines Herze auch also würdiglich empfangen.

Hartmann von Aue. 177. Lied der Kreuzfahrer. Dem Kreuze ziemt wohl reiner Mut Und keusche Sitt, Da mag man Glück und alles Gut Erwerben mit. Auch ist es kein geringer Halt Dem schwachen Mann, Der über seinen Leib Gewalt Nicht üben kann. Es will nicht, daß man sei Von Werken drunter frei: Was soll's auf dem Gewand, Ist nicht im Herzen auch sein Stand? Ihr schuldet, Ritter, euer Leben Und eitern Mut Dem, der euch hat den Leib gegeben Und alles Gut. Wer für die Welt den Schild gewagt.

Um hohen Preis, Ihn aber seinem Gott versagt. Der ist nicht weis.

Wan swem daz ist beschert, daz er da wol gevert, daz giltet beidiu teil: der werlte lop, der sele heil. Diu werlt mich lachet triegent an und winket mir: nü hän ich als ein tumper man gevolget ir. Der haken hän ich manigen tac geloufen nach: da niemen staete vinden mac, dar was mir gäch. Nü hilf mir, herre Krist, der min da värent ist, daz ich mich dem entsage mit dinem Zeichen, deich hie trage.

Her Walther von der Vogelweide. 178 Deutschlands Lob. Ir sult sprechen willekomen: der iu maere bringet, daz bin ich. Allez daz ir habt vernomen, daz ist gar ein wint: nü vräget mich. Ich wil aber miete: wirt min Ion iht guot, ih sag iu vil lihte daz iu sanfte tuet, seht waz man mir eren biete. Ich wil tiuschen vrowen sagen solhiu maere, daz si deste baz Al der werlte suln behagen, äne gröze miete tuen ich daz. Waz wold ich ze löne? si sint mir ze her: so bin ich gevüege und bite si nihtes mer, wan daz si mich grüezen schöne.

Hartmann von Aue.

Und Daß Dem Das

Walther von der Bogelweide.

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wein's bescheret ward. er besteht die Fahrt, wird ein zlviefach Teil: Lob der Welt, der Seele Heil.

Die Welt lach: mich so trugvoll an Und winket mir, Und ich war ein so schwacher Mann lind folgte ihr. Die Angel lockte Tag für Tag, lind ich lief hin. Da niemand Treue finden mag, Dräns stand mein Sinn. Nun hilf mir, Herre Christ, Der mir gefährlich ist, Daß ich dem ganz entsage, Kraft deines Zeichens, das ich trage.

Walther von der Boqelweide. 178. Deutschlands Lob. Ihr sollt sprechen: Sei willkommen! Denn der gute Märe bringt, bin ich. Alles, was ihr sonst vernommen. Ist nur leere Luft, nun fraget mich. Doch ich will was haben: Wenn ihr viel mir gebt. Sag ich euch vielleicht, was euer Herz erhebt. Darum sinnt aus reiche Gaben!

Deutschen Frauen will ich sagen Solche Mären, daß sie desto baß Sollen aller Welt behagen: Ohne reiche Gaben tu ich das. Denkt nicht ans Besolden: Sie sind mir zu lieb, Bin zufrieden, ivenn als einzger Lohn mir blieb, Daß mich grüßen all die Holden.

Ich hän lande vil gesehen nnde nam der besten gerne war, Übel müeze mir geschehen, künde ich ie min herze bringen dar, Daz im wol gefallen wolde fremeder site. nü waz hülfe mich, ob ich unrehte strite, tiuschiu zücht gät vor in allen. Von der Elbe unz an den Rin und her wider unz an Ungerlant Mugen wol die besten sin, die ich in der werlte hän erkant. Kan ich rehte schouwen guot geläz und lip, sem mir got, so swüere ich wol, daz hie diu wip bezzer sint dann ander frouwen. Tiusche man sint wol gezogen, rehte als engel sint diu wip getan. Swer sie schiltet, derst betrogen: ich enkan sin anders niht verstau. Tugent und reine minne, swer die suochen wil, der sol körnen in unser laut, da ist wünne vil: lange müeze ich leben dar inne' 17S Selbstprüfung. Ich saz üf eime steine und dahte bein mit beine, dar üf sazt ich den eilenbogen: ich häte in mine haut gesmogen min kinne und ein min wange. do dahte ich mir vil ange, wes man zer werlte solte leben: dekeinen rät kond ich gegeben,

Walther von der Bogelweide.

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Hab der Lande viel gesehen Und besah die Besten mir darin. Übel müsse mir geschehen, Brächte ich mein Herze je dahin, Daß ihm Wohlgefallen Könnte fremder Brauch. Falsches sagen hier — was hülfe mir das auch? Deutsche Zucht geht vor in allen. Von der Elbe bis zum Rheine Und hinwieder bis zum Ungarland Sind die Besten, wie ich meine. Die ich in der ganzen Welt erfand. Wie mir zu Augen kamen Ihr Wuchs, ihr hoher Mut, Schwöre ich: die deutschen Frauen sind so gut, Ja, besser als die fremden Dame n. Deutsche Mäuner — wohlgezogen, Deutsche Fraun — wie Engel anzusehn! Wer sie schilt, der ist betrogen. Anders könnt ich solches nicht verstehn. Tugend, reine Minne, Wer das suchen will, Der soll kommen in unser Land, da ist Wonne viel: Lange müß ich leben drinne!

179. Selbstprüfung. Ich saß auf einem Steine, Da deckt' ich Bein mit Beine, Darauf setzt' ich den Ellenbogen, Ich hatt' in meine Hand geschmogen Das Kinn und eine Wange. Da dacht ich nach viel bange. Wie man auf Erden solle leben. Ich wußte keinen Rat zu geben.

wie man drin dinc erwürbe, der keines niht verdürbe. diu zwei sint ere und varnde guot, daz dicke einander schaden tuet: daz dritte ist gutes hulde, der zweier übergulde, die wolde ich gerne in einen schrin, ja leider desn mac niht gesin, daz guot unt werltlich ere und gotes hulde mere zesamene in ein herze körnen. stig unde wege sint in benomen, untriuwe ist in der säze, gewalt vert üf der sträze, frid unde reht sint sere wunt: diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden e gesunt.

180. Zu König Philipps Krönung (1298). Diu kröne ist eiter dan der künec Philippes si: da muget ir alle schouwen wol ein wunder bi, wies ime der smit so ebene habe gemachet. Sin keiserlichez houbet zimt ir also wol, daz si ze rehte niemen guoter scheiden sol, ir dwederez da daz ander niht enswachet. Sie liuhtent beide einander an, daz edele gesteine wider den jungen man: die ougenweide sehent die fürsten gerne. swer nü des riches irre ge, der schouwe, wem der weise ob sime nacke ste, der stein ist aller fürsten leitesterne.

181. Winter. Uns hat der winter geschät liberal, beide unde walt diu sint beide nü val, da manic stimme vil suoze inne hal,

Walther von der Vogelweide.

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Wie man drei Ding erwürbe Und deren keins verdürbe. Die Zwei sind Ehr und irdisch Gut, Das oft eiuander Schaden tut, Und Gottes Huld, das dritte, Goldstrahlend in der Mitte. Die wollt ich gern in einen Schrein, Doch leider mag das nimmer sein, Weil Gut und irdische Ehren Mit Gottes Huld einkehren Nicht in ein einzig Herz, die drei. Denn Weg' und Stege sind nicht frei: Untreue liegt im Hinterhalt, Und auf der Straße fährt Gewalt, Recht und Frieden sind sehr wund. Den dreien fehlet das Geleit, Sind die zwei beiden ungesund.

180, Zu König Philipps Krönung (1298). Die Kron ist älter, denn der König Philipp ist, Drum schaut, wie wunderbar! als ob zu dieser Frist Man erst für ihn sie hätte schmieden lassen! Die Krone steht dem kaiserlichen Haupt so wohl, Kein braver Mann die beiden scheiden soll. Die sich so heben, zueinander passen! Sie leuchten sich einander an, Das edele Gestein, der junge süße Mann, Die Augenweide sehn die Fürsten gern. Und wer des Reichs noch irre geh, Der schaue, wem der Stein ob seinem Nacken steh, Der Stein sei aller Fürsten Leitestern!

181. Winter. Uns hat geschadet der Winter kalt, Beide stehn fahl nun, Heide wie Wald, Drin sonst von süßen Stimmen es hallt.

saehe ich die megde an der sträze den bal werfen, so kaeme uns der vögele schal. Möhte ich versläfen des winteres zit! wache ich die wile, so hän ich sin nit, daz sin gewalt ist so breit und so wit, weizgot, er lat och dem meien den strit, so lis ich bluomen, da rife nü lit.

182. Mai.

Muget ir schouwen, waz dem meien Wunders ist beschert? Seht an, pfaffen, seht an, leien, wie daz allez vert. Gröz ist sin gewalt; i'ne weiz, obe er zouber künne, swar er vert in siner wünne, dän ist niemen alt. Uns wil schiere wol gelingen; wir suln sin gemeit, Tanzen, lachen unde singen ane dörperheit. We, wer wäre unfrö? sit diu vogel also schöne schallent mit ir besten döne, tuon wir ouch also!

Wol dir, meie, wie du scheidest allez ane haz! Wie wol du die boume kleidest, und die beide baz! Diu hat varwe me, „du bist kurzer, ich bin langer“, also stritents üf dem anger, bluomen unde kle.

Walther von der Bogelweide.

Ballten am Wege die Mädchen doch bald! Sängen die Vögelein, daß es so schallt!

Könnt ich verschlafen die Winterzeit! Wach ich dieweil, so hab ich nur Neid, Daß er Gewalt hat so breit und so weit. Gott geb, er weiche dem Maien im Streit, Dann les' ich Blumen! Den Reif bin ich leid.

182. Mai. Mögt ihr schauen, was dem Maien Wunders ist beschert? Seht an, Pfaffen, seht an, Laien, Wie das alles fährt! Groß ist sein Gewalt; Hat er einen Zauberstecken? Wo er fährt mit Wonnewecken, Da ist niemand alt. Balde wird es uns gelingen, Daß wir lebensfroh Immer tanzen, lachen, singen. Doch nicht bäurisch roh. Frohsinn ist jetzt Brauch! Seit die Bögelein, die schönen. Singen in den besten Tönen, Tun wir also auch!

Wohl dir, Maie, du entscheidest Alles ohne Haß! Herrlich du die Bäume kleidest. Doch die Heide baß, Die ich bunter seh. „Du, du Kurzer! — ich, ein Langer!" Also streiten auf dem Anger Blumen mit dem Klee.

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183» Halmmessen. In einem zwifellichen wän was ich gesezzen und gedächte, Ich weite von ir dienste gän; wan daz ein tröst mich wider brächte. Tröst mac ez rehte niht geheizen, owe desl es ist vil käme ein kleinez troestelin: so kleine, swenne ichz iu gesage, ir spottet min; doch fröwet sich lützel lernen, er enwizze wes.

Mich hät ein halm gemachet frö: er gibt, ich sül genäde vinden. Ich maz daz selbe kleine strö, als ich hie vore sach von kinden. Nü hoeret unde merket, ob siz denne tue, si tuet, si entuot, si tuet, si entuot — si tuet, swie dicke ichz tete, so was ie daz ende guotr daz trcestet mich: dä hoeret ouch geloube zuo. 184. Ihr roter Mund. Wol mich der stunde, daz ich sie erkande, diu mir den lip und den muot hät betwungen, Sit deich die sinne so gar an si wände, der si mich hät mit ir güete verdrungen. Daz ich gescheiden von ir niht enkan, daz hät ir schcene und ir güete gemachet und ir röter munt, der so lieplichen lachet. Ich hän den muot und die sinne gewendet an die reinen, die lieben, die guoten. Daz müez uns beiden wol werden volendet, swez ich getar an ir hulde gemuoten. Swaz ich ie fröiden zer werlde gewan, daz hät ir schcene und ir güete gemachet und ir röter munt, der so lieplichen lachet.

Walther von der Vogelweide.

219

183. Halmrneffen. In Wahngedanken zweifelvoll War ich gesessen und gedachte: Ob ihren Dienst ich lassen soll? Als mich ein Trost ihr wiederbrachte. O weh! es ist zu viel, wenn Trost ich's nenn, Es ist ja kanm ein kleines Tröstelein, So klein, wenn ich es sage, ach, ihr spottet mein. Doch freut's vielleicht euch etwas — hört es denn: Mich hat ein Halm gemachet froh. Er sprach, ich solle Gnade finden; Ich maß dasselbe kleine Stroh, Wie ich es einst gesehn von Kinden. Nun hört und merket, ob sie's denn wohl tu: Sie tut — tut's nicht — sie tut — tut's nicht — sie tut! So oft ich's immer maß, so war das Ende gut. Das tröstet mich! Allein da hört auch Glaube zu!

184. Ihr roter Mund. Selige Stunde, seit der ich sie lniitne, Die mir den Leib und die Seele bezwungen; Seit ich so ganz an sie wandte die Sinne, Hat ihre Güte mir diese entrungen. Daß ich von ihr nicht scheiden mehr kann, Das hat ihre Schöne und Güte gemacht Und ihr roter Mund, der so lieblich mir lacht. Ich hab mein Gemüt und mein Sinnen gewendet An sie, die Liebe, die Gute, die Reine, Das müsse uns beiden wohl werden vollendet. Daß ihre Huld mich mit ihr vereine. Was ich je an Freuden auf Erden gewann, Das hat ihre Schöne und Güte gemacht Und ihr roter Mund, der so lieblich mir lacht.

185 Herzensaugen. In weiz niht wol, wiez dar umbe si: sin gesach min ouge lange nie; Sint ir mines herzen ougen bi, so daz ich an ougen sihe sie? Da ist doch ein wunder an geschehen: wer gap im daz sunder ougen, daz ez si zaller zit mac sehen?

Welt ir wizzen, waz diu ougen sin, da mit ich si sihe dur elliu laut? Ez sint die gedanke des herzen min, da mite sihe ich dur mure und ouch dur want. Nu hüeten swie si dunke guot: so sehent si doch mit vollen ougen herze, wille und al der muot.

Her Nithart von Ri uw ent al. 186 Bauerntanz im Mai. Liebiu kint, nu vreut iuch des gedingen daz got mit siner güete mange swaere kan geringen, uns kumt ein schoeniu sumerzit, diu nach trüren vröude git. ich hcere ein vogelin singen.

In dem walde sumerliche wise, diu nahtegal diu singet unz die besten wol ze prise, M lobe dem meien al die naht manger leie ist ir gebraht, ie luter, denne lise.

Da bi lobent diu merlin und die zisel, üf Hilträt Liukart Juitel Berhtel Gundrat Geppe Gisel! die zement wol an des meien schar. Vromuot sol mit samt in dar: diu ist ir aller wisel.

Walther von der Bogelweide.

Neidhart von Neuental.

221

185. Herzensaugen. Ich weiß es nicht, das ist ein sondier Brauch: Es sah mein Auge sie so lange nicht: Sind denn in meinem Herzen Augen auch, Daß ich sie sehen kann ohn Augenlicht? Ein Wunder, dünkt mich, ist geschehn. Wer gab's ihm, daß es ohne Augen Die Liebste jederzeit kann sehn? Wollt ihr wissen, was die Augen sei'n, Die sie erschauen in dem fernsten Land?

Gedanken sind es aus dem Herzen mein, Die dringen durch, durch Mauer und durch Wand. Verwahrt sie nur in fester Hut, Ich schau sie doch mit vollen Augen Nach Herzenslust in frohem Mut.

Neidhart von Neuental. 186. Bauerutanz im Mai. Liebe Kinder, freut euch, hoffet wieder, Kott kann nach feiner Güte unsre Schwere werfen itteber: Bald kommt die schöne Sommerzeit, Die bringt uns Freude nach dem Leid, Schon hör ich Vogellieder. In dem Walde sommerliche Weise, Und weil sie uns die beste singt, die Nachtigall ich preise. Des Maien Lob die ganze Nacht Wird jederart von ihr gebracht. Jetzt laut, dann wieder leise.

Dazu pfeift die Amsel und der Ziesel, Aus! Hiltrat, Lükart, Jütel, Berthe!, Gundrat, Geppe, Gisel, Die hören zu der Schar im Mai, Die Frohmut bringet auch herbei, Die springt als wie ein Wiesel. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl. M. 15

Dö si den villieben tröst vernämen, do brähtens ir geleite, dö si üf den anger kämen, dö wart der meie enpfangen wol, herze wurden vröuden vol, die mägden wol gezämen. Randolt, Gunthart, Sibant, Walfrit, Vrene, die sprangen da den reien vor, ie einer^ darnach zwene, diu Diethöch, Uolant unt Iedunc spranc da mangen geilen sprunc, an des hani spranc Elene.

Meister Alexander. 187 Meister Alexander. Hie bevorn, dö wir kinder wären, unt diu zit was in den jären, Daz wir liefen uf die wisen, von jenen wider her ze disen, Da wir understunden viel funden, dä siht man nu rinder bisen. Ich gedenke wol, daz wir säzen in den bluomen unde mäzen Welich die schöneste möhte sin, da schein unser kintlich schin Mit dem niuwen kränze zuo dem tanze: alsus gät diu zit von hin. Seht, do liefen wir ertbern suochen, von der tannen zuo der buochen, Über stock unde über stein, der wile daz diu sunne schein. Do rief ein waltwiser durh diu riser: ,,wol den, kinder, unt gät hein!“

Neidhart von Neuental.

Meister Alexander.

223

Da sie den viellieben Ruf vernommen, Da brachten sie die Schätze mit, sind zu dem Anger kommen. Da ward der Mai empfangen wvhl. Die Herzen wurden der Freuden voll. So wie sie Mägdlein frommen.

Randolt, Gunthart, Sibant, Walfried, Vrene, Die sprangen da dem Reigen vor, erst einer, danach zweene. Der Diethoch, Uhland und Jdung Sprang manchen ausgelaßnen Sprung, Mit ihnen sprang Helene.

Meister Alexander. 187. Aus der Jugendzeit. Als wir einst noch Kinder waren Und die Zeit kam in den Jahren, Liefen wir in grünen Wiesen, Bald in jenen, bald in diesen, Wollten Sträußchen holen Von Violen — Rinder jetzo das genießen. Gern gedenk ich, wie wir saßen In den Blumen und ermaßen, Welche wohl die schönste sei, Kamen dann in Kinderei Mit dem frischen Kranze Zu dem Tanze — Also geht die Zeit vorbei! Und dann ging man Erdbeern suchen, Von den Tannen zu den Buchen, Über Stock und über Stein, Bis zum Abendsonnenschein. Waldwart rief dort vornen Durch die Dornen: „Wohl, ihr Kinder, geht jetzt heim!" la*

Wir enpfiengen alle mäsen gestern, do wir ertbern läsen, Daz was uns ein kintlich spil; da erhörten wir so vil Unsern hirten ruofen unde wuofen: „kinder, hie gät slangen vil! Ez gienc ein kint in dem krüte, daz erschrac und rief vil lute: Kinder, hie lief ein slang in! der beiz unser pherdelin, Daz ne heilet nimmer, er muoz immer suren unde unsaelik sin!

Wol dan, gät hin uz dem walde; unde enilet ir niht balde, Iu geschiht, als ich iu sage; erwerbet ir niht bi deme tage, Daz ir den walt rümet, ir versümet iuch, unt wirt iuwer vröuden klage.

Wizzet ir, daz vünf juncvrouwen sich versümten in den ouwen Unz der künic den sal beslöz? ir klage unde ir schade was gröz; Wände die stocwarten von in zarten, daz si stuonden kleider blöz.“

Meister Alexander.

Wir bekamen alle Flecken Damals in den Erdbeerhecken, Doch das war uns einerlei. Plötzlich hörten mir Geschrei; Unser Waldwart sagte. Und er klagte: „Kinder, Schlangen gibt's hiebei! Einst ein Kind im Farrenkraute, Das erschrak und ries ganz laute: Hier kroch eine Schlang hinein! Die biß unser Brüderlein, Und das heilt jetzt nimmer, Es muß immer Bitterlich unselig sein. Wohl, so gehet aus dem Walde, Und enteilet ihr nicht balde, Sv ergeht's euch, wie ich sag; Denn gelingt's euch nicht bei Tag, Daß den Wald ihr räumet. Dann versäumet Ihr die Zeit, und Freud wird Klag. Wißt ihr nicht, daß fünf Jungfrauen Sich versäumten in den Auen, Bis der Königssaal sich schloß; Ach! da war ihr Schaden groß. Zerrten Kerkermeister, Immer dreister, Bis sie standen kleiderlos."

225

Alte Volkslieder. 188. Herzlich tut mich erfreuen. 9

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mein Ge - blüt ver - neu - en,

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die Vög-lein sing - en,

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Der Kuckuck mit feint Schreiet: macht fröhlich jedermann. Des Abends fröhlich reihen die Meidlin wohlgetan; Spazieren zu den Brunnen pflegt man in dieser Zeit, All Welt sucht Freud und Wunne mit Reisen fern und weit. Es grünet in den Walden, die Säume blühen frei, Die Röslin aus den Felden, von Farben mancherlei. Ein Blümlin steht im Garten, das heißt Vergißnichtmein, Das edle Kraut Wegwarten macht guten Augenschein.

Das Kraut Jelängerjelieber an manchem Ende blüht. Bringt oft ein heimlich Fieber, wer sich nicht dafür hüt. Ich hab es wohl vernommen, was dieses Kraut vermag, Doch kann man dem vorkommen, wer Maßlieb braucht all Tag. Des Morgens in dem Taue die Maidlein waschen gan, Gar lieblich sie anschauen die schönen Blümlein stört, Daraus sie Kränzlin machen und schenkend ihrem Schatz, Tun sie freundlich anlachen und geben ihn ein Schmatz.

Darumb lob ich den Summer, darzu den Maien gut, Der wendet allen Kummer und bringt viel Freud und Mut. Der Zeit will ich genießen, dieweil ich Pfennig hab, Und den es tut verdrießen, der fall die Stiegen ab!

189. Wenn der Schnee von den Alpen wegageht.

Wenn der Schnee von den

au - fi

wie - der

ri-de-ri-de-ro,

n-de-n-de - ro

aus

Al - pen

die

ri-de-ri-de-ro,

Alm.

weg - a

Du-i-di - o

ri-de-ri-de-ro,

de - ra-------- i

geht,

de -

und : im

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a - dia di-a

ra - i!

Alte Volkslieder.

228

'S ist a Freud, wenn ma sieht die Sonn aufgehn Und die Lerche in der Höh so droben stehn. Und wenn osten au da Meist Gugu schreit, No glaubt ma's liebe Leut, es is a Freud!

Wenn der Gamsbock lustig übern Stiegel springt, Und die Schwagrin ihre schöne Liedla singt. Wenn ma sieht si freuen alle Küh und Kalm, No glaubt ma's, 'is a Leben auf der Alm.

190. O Straßburg.

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man - ni - chsr Sol­

be - gra - ben

; ;' il Sol - dat.

Ein mancher und schöner. Auch tapferer Soldat, Der Vater und lieb Mutter Böslich verlassen hat.

Verlassen, verlassen. Es kann nicht anders sein. Zu Straßburg, ja Straßburg Soldaten müssen sein.

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229-

Alte Volkslieder.

Die Mutter, die Mutter Die ging vors Hauptmanns Haus: „Ach Hauptmann, lieber Hauptmann, Gebt mir den Sohn heraus!"

„Und wenn ihr mir gebet Selbst noch so vieles Geld, Muß doch dein Sohn jetzt sterben In weiter, breiter Welt. In weiter, in breiter, Allvorwärts vor dem Feind, Wenngleich sein schwarzbraun Mädchen So bitter um ihn weint."

Sie weinet, sie greinet. Sie klaget gar zu sehr. „Gut Nacht, mein herzig Schätzchen, Ich seh dich nimmermehr!"

191. 3« Straßburg auf der Schauz.

Zu Straßburg auf der Schanz,

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da

ging mein Trau-ern

das Alp-horn hört ich drüben wohl an - stim - men, ins

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Ba-ter-land mußt ich

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ging nicht

230

Alte Volkslieder.

Eine Stunde in der Nacht Sie haben mich gebracht; Sie führten mich gleich vor des Hauptmanns Haus, Ach Gott, sie fischten mich im Strome auf, Mit mir ists aus.

Früh morgens um zehn Uhr Stellt man mich vor das Regiment; Ich soll da bitten um Pardon, Und ich bekomm gewiß doch meinen Lohn, Das weiß ich schon.

Ihr Brüder allzumal. Heut seht ihr mich zum letztenmal; Der Hirtenbub ist doch nur schuld daran, Das Alphorn hat mir solches angetan, Das klag ich an.

182. Innsbruck, ich mutz dich lassen.

Jnns-bruck, ich muß dich

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Freud ist mir ge-

231

Alte Volkslieder.

Groß Leid muß ich ertragen. Das ich allein tu klagen Dem liebsten Buhlen mein. Ach Lieb, nun laß mich Armen Im Herzen dein erbarmen. Daß ich muß dannen sein. Mein Trost ob allen Weiben, Dein tu ich ewig bleiben. Stet, treu, der Ehren frumm. Nun muß dich Gott bewahren, In aller Tugend sparen. Bis daß ich wiederkumm.

193. Soviel Stern am Himmel stehen.

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So So

grüßt!

viel viel

Stern am Him - mel Schaf - lein, als da

sie - hen, ge - hen

an in

dem dem

232

Alte Volkslieder.

Soll ich dich dann nimmer sehen. Nun ich ewig ferne muß? Ach, das kann ich nicht verstehen, O du bittrer Scheidensschluß! Wär ich lieber schon gestorben. Eh ich mir ein Schatz erworben. Wär ich jetzo nicht betrübt. Weiß nicht, ob auf dieser Erden, Die des herben Jammers voll, Nach viel Trübsal und Beschwerden Ich dich wiedersehen soll. Was sür Wellen, was für Flammen Schlagen über mir zusammen. Ach, wie groß ist meine Not.

Mil Geduld will ich es tragen. Denk ich immer nur zu dir; Alle Morgen will ich sagen: O mein Schatz, wann kommst zu mir? Alle Abend will ich sprechen. Wenn mir meine Äuglein brechen: O mein Schatz, gedenk an mich! Ja, ich will dich nicht vergessen, Enden nie die Liebe mein. Wann ich sollte unterdessen Aus dem Todbett schlasen ein. Auf dem Kirchhof will ich liegen Wie das Kindlein in der Wiegen, Das die Lieb tut wiegen ein.

194. Wenn ich ein Vöglein wär.

Wenn ich ein

Vög-lein wär

und auch zwei

Flü - gel hätt,

233

Alte Volkslieder.

flog

ich

zu

nicht kann sein,

dir.

Weil's a - ber

bleib

ich

nicht kann sein, weil's a - ber

all - hier.

Bin ich gleich weit von dir, Bin ich doch im Traum bei dir Und red mit dir; Wenn ich erwachen tu, Bin ich allein. Es vergeht kein Stund in der Nacht, Da nicht mein Herz erwacht Und an dich denkt. Daß du mir viel tausendmal. Dein Herz geschenkt.

ISS. Es stund eine Lind.

Es

o - ben

un - ten

stund

ei - ne

breit und

Lind

im

un - ten schmal,

rie - fen

war

Tal,

war

o - ben breit und

schmal.

Worunter zwei Verliebte saß'n Und die vor Lieb ihr Leid vergaßen.

„Feinslieb, wir müssen von einander, Ich muß noch sieben Jahre wandern."

234

Alte Volkslieder.

„Mußt du noch sieben Jahre wandern. Heirat ich doch keinen andern."

Und als die sieben Jahre umme warn, Sie meint, ihr Liebchen käme bald.

Sie ging wohl in den Garten, Ihr Feinslieb zu erwarten.

Sie ging wohl in das grüne Holz, Da kam ein Reiter geritten stolz. „Gott grüß dich, du Hübsche, du Feine! Was machst du hier alleine?

Ist dir dein Vater und Mutter gram, Oder hast du heimlich einen Mann?"

„Mein Vater und Mutter sind mir nicht gram. Ich hab auch heimlich keinen Mann. Heut sind's drei Wochen und sieben Jahr, Daß mein Feinslieb gewandert war."

„Gestern bin ich geritten durch eine Stadt, Da dein Feinslieb Hochzeit gehabt; Was tust du ihm denn lvünschen an, Daß er seine Treue nicht gehalten hat?" „Ich wünsch ihm all das Beste, Soviel der Baum hat Äste.

Ich wünsch ihm soviel gute Zeit, Soviel als Sternlein am Himmel sein.

Ich wünsch ihm soviel Glück und Segen, Als Tröpflein von dem Himmel regnen."

Was zog er von dem Finger sein? Einen Ring von rotem Golde sein. Er warf den Ring in ihren Schoß, Sie weinte, daß das Ringlein floß.

Was zog er aus seiner Taschen? Ein Tuch, schneeweiß gewaschen.

235

Alte Volkslieder.

„Trock'n ab, trock'n ab dein Äugelein, Du sollst fürwahr mein eigen sein! Ich tät dich ja nur versuchen, Ob du würdest schwören oder fluchen.

Hättst du mir einen Fluch oder Schwur getan,. So wär ich gleich geritten davon."

196. Es wollt ein Mädchen früh aufstehn. U4 “

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Und als sie nun in den grünen Wald kam. Da fand sie einen verwundten Knab'n.

Der Knab, der war von Blut so rot, Und als sie sich verivandt, war er schon tot. „Wo krieg ich nun zwei Leidfräulein, Die mein feines Liebchen zu Grabe wein'n? Wo krieg ich nun sechs Reiterknab'n, Die mein Feinsliebchen zu Grabe trag'n?

Wie lang soll ich denn trauten gehn? Bis alle Wasser zusammen gehn? Ja alle Wasser gehn nicht zusamm, Ei so wird mein Trauren kein Ende Han!"

1

den

Alte Volkslieder.

236

Leu - te

beim Mor-gen - rot.

Drei Lilien, drei Lilien, Die wuchsen auf ihrem Grab, Da kam ein stolzer Reiter Und brach sie ab. Ach Reiter, ach Reiter, Laß doch die Lilien stehn! Die soll mein Herzallerliebster Noch einmal sehn.

188. Es waren zwei Königskinder —p -—==—r E+I—l---- b----- b---- 1----- —i—-----

237

Alte Volkslieder.

das

Wai-ser war viel

Was - ser

zu

war

viel

tief.

„Ach, Liebster, könntest du schwimmen, So schwimm doch herüber zu mir! Drei Kerzen will ich anzünden, Und die sollen leuchten dir!" Das hört ein falsches Nönnchen, Die tät, als wenn sie schlief; Sie tüt die Kerzlein auslöschen, Ter Jüngling ertrank so tief. Es war an eim Sonntag-Morgen, Tie Leut waren alle so sroh; Nicht so die Königstochter, Ihr Augen saßen ihr zu.

„Ach Mutter, herzliebste Mutter, Mein Kopf tut mir so weh! Ich möcht so gern spazieren Wohl an die grüne See."

„Ach Tochter, herzliebste Tochter, Allein sollst du nicht gehn. Weck auf dein jüngste Schwester, Und die soll mit dir gehn!" „Ach Mutter, herzliebste Mutter, Meine Schwester ist noch ein Kind, Sie pflückt ja all die Blümlein, Die auf Grünheide sind." „Ach Tochter, herzliebste Tochter, Allein sollst du nicht gehn, Hessel, Lesebuch 8. 8. Ausl.

M jß

238

Alte Volkslieder. Weck auf dein jüngsten Bruder Und der soll mit dir gehn!"

„Ach, Mutter, herzliebste Mutter, Mein Bruder ist noch ein Kind, Der schießt ja all die Vöglein, Die auf Grünheide sind!" Die Mutter ging nach der Kirche, Die Tochter hielt ihren Gang, Sie ging so lang spazieren, Bis sie den Fischer fand.

„Ach Fischer, liebster Fischer, Willst du verdienen groß Lohn, So wirf dein Netz ins Wasser Und fisch mir den Königssohn!"

Er warf das Netz ins Wasser, Er ging bis auf den Grund; Er fischte und fischte so lange, Bis er den Königssohn sand.

Sie schloß ihn in ihre Und küßt seinen bleichen „Ach, Mündlein, könntest So wär mein jung Herze

Arme Mund: du sprechen, gesund!"

Was nahm sie von ihrem Haupte? Ein goldne Königskron; „Sieh da, du wohledler Fischer, Hast dein verdientes Lohn!" Was zog sie von ihrem Finger? Ein Ringlein von Gold so rot: „Sie da, du wohledler Fischer, Kauf deinen Kindern- Brot!"

Sie schwang sich um ihren Mantel Und sprang wohl in die See: „Gut Nacht, mein Vater und Mutter, Ihr seht mich nimmermeh!"

•239

Alte Volkslieder.

Ta hört man Glöcklein läuten, Ta hört man Jammer und Not, £)icr liegen zwei Königskinder, Tie sind alle beide tot!

ISS. O Jesulein zart. »•

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Ruh.

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Je - su - lein Je - >u - lein

zart, zart,

Die Seraphin singen und Cherubin klingen, Viel Engel im Stall, die wiegen dich all. Schlaf, Kind, schlaf, tu die Äugelein zu, Schlaf und gib uns die ewige Ruh! Die Seraphin singen und Cherubin klingen, Viel Englein im Stall, die wiegen dich all. Seid stille, ihr Wind, laßt schlafen das Kind! All Brausen sei fern, es ruhen will gern. Schlaf, Kind, und tu die Äugelein zu, Schlaf und gib uns die ewige Ruh. Seid stille, ihr Wind, laßt schlafen das Kind! All Brausen sei fern, es ruhen will gern.

wie dein

240

Alte Volkslieder.

Nichts mehr sich bewegt, kein Mäuslein sich regt, Zu schlafen beginnt das herzliche Kind. Schlaf denn und tu dein Äugelein zu, Schlaf und gib uns die ewige Ruh! Nichts mehr man dann singt, kein Stimmlein mehr klingt: Schlaf, Jesulein zart, von göttlicher Art.

200. Guten Abend, gute Nacht.

Gu-ten

dacht,

Deck;

weckt,

A-bend, gu-te

mit

Nacht,

mit

Ro-sen

Mg-lein be - steckt, schlupf

mor-gen früh, wenn Gott will,

mor-gen früh, wenn Gott

will,

be­

un - ter die

du

wie - der ge­

wirst du

wie - der ge­

wirst

weckt.

Guten Abend, gut Nacht, Von Englein bewacht. Die zeigen int Traum Dir Christkindleins Baum. Schlaf nun selig und süß, Schau im Traum 's Paradies!

Allmcrs.

241

Zweite Abteilung: Mosa.

Hermann Allmers. 201. Das niedersächsische Bauernhaus. Bis auf den heutigen Tag wohnt der Marschbauer nach uralt traulicher Sitte mit seinem gesamten Vieh unter einem Dache, und auch noch eine tüchtige Masse Getreide bergen die Wände des Hauses. — Alle ältesten Gebäude bestehen aus Fachwerk; in den Bauernhäusern der Elbmarschen ist das­ selbe noch jetzt in Anwendung, in den Wesermarschen dagegen längst durch massives Backstein-Mauerwerk verdrängt worden. — Das hohe, mächtige Dach besteht immer aus Rohr oder Stroh und bedeckt in den Wesermarschen (mit Ausnahme des Landes Wursten) als ein kleiner Walin auch den oberen Teil der beiden Giebel. — Zwei Drittel des Hauses sind der Wirtschaft, das hintere Drittel den Wohnräumen gewidmet. Durch eine große Doppeltür in der Fronte, über der ein alter, frommer und kerniger Spruch zu lesen ist, tritt man auf die große Tenne (Dreschdiele) von gestampftem Ton; rechts und links blicken in langer Reihe die Köpfe der Rinder, Kühe und Pferde aus ihren Ställen; oben sind die Balken hoch mit Getreide belastet, denn es liegt hier trocken und wärmt das Haus. In den alten Häusern auf der Geest finden wir die schöne, malerische und patriarchalische Sitte des offenen Herdfeuers, der wie ein Altar des Hauses sich in der Mitte des Hintergebäudes zeigt, wo die Viehställe aufhören und der Raum zu beiden Seiten weiter wird. Rechts und links ist die „Howand", vielleicht gleichbedeutend mit „Hochwand", jener helle Raum, wo die Kojen des Gesindes angelegt sind, vor welchen nach alter Weise das Mittags­ mahl eingenommen wird.

242

Allrners.

Über dem Herdfeuer und etwas seitwärts befindet sich der „Speckwiem", behängt mit mächtigen Schinken, Speck­ seiten, Rauchfleischstücken und Würsten, stets umwallt von Rauchwolken; haben diese erst hier ihre Dienste getan, dann müssen sie über die Diele und durchs Korn ziehen, um es recht trocken und haltbar zu machen; denn man hütet sich wohl, Schornsteine anzulegen. An den Wänden zur Seite und hinter dem Herde stehen die großen Truhen und Schränke, glänzen in langen Reihen mächtige, blanke Zinnschüsseln, Krüge, Teller und anderes Gerät, und erst hinter dieser Wand sind die Zimmer, die aber nur bei feierlichen Gelegenheiten, bei Hochzeiten und Kindtaufen gebraucht werden; denn für gewöhnlich sitzt alt und jung traulich um die lodernden Feuer­ flammen. Das ist das uralte niedersächsische Bauernhaus.

202. Ein Tag auf -em Marschhof. Möge mich der geneigte Leser auf einen großen Biarsch­ hof echter Art, wie er mir im Geiste vorschwebt, begleiten, um ein anschauliches Bild vom Leben iiiii) Treiben desselben zu erhalten. Wählen wir zu unserem Besuche die Zeit gegen Ostern, wo noch Winter- und Frühlingsarbeit zusammenfallen. — Es ist früh morgens. Die alte Hausuhr im Vor­ platz, deren hohes, schnörkelreiches Holzgehüuse im Laufe der Jahre fast ganz schwarzbraun geworden ist, und die dem Hause schon manche frohe und traurige Stunde gemeldet hat, schlägt eben fünf, aber seit länger als einer Stunde herrscht schon überall das rührigste Treiben. Alls der Diele dreschen eben vier Tagelöhner das letzte Korn, eine Magd schlägt die Garben um und schwingt dann und wann auch wohl selbst rüstig den Flegel. Die andere Magd hat eben genwlken und trägt die Milch in die Küche, wo die zwanzigjährige älteste Tochter des Hauses, ein umsichtiges und still emsiges Mäd­ chen, sie in Empfang nimmt und durch ein blankes Messing­ sieb mit eingelegtem Tuche in flache Baljen (hölzerne Bütten) seihet. Auf dem Herde aber flammt schon unter den: Kessel mit der Morgensuppe ein lustiges Feuer. Im Oldenburgischen ist meistens Buttermilchsuppe, in Osterstade aber Grütze oder

Allmers.

243

heiße süße Milch, in welche Schwarzbrot gebrockt wird, die gewöhnliche Morgenkost. Diese älteste Tochter ist allein zu

Hanse und führt den ganzen Haushalt, denn die jüngere ist noch in Oldenburg bei einer alten Dame in Pension. Aus dem Pferdestalle dringt Lärm, Wiehern und Schlagen der Ackerpferde, dann lautes Schelten des Groß­ knechts mit dem vierzehnjährigen „Schwöpenjungen" (wört­ lich Peitschenjungen, wie die Buben, welche man auf den Marschhöfen nur zum Fahren mietet, genannt werden), denn schon seit zehn Minuten hat die alte Lotte kein Futter mehr in ihrer Krippe. Auch der Sohn des Hausherrn, der unter­ des aufgestanden, tritt in den Stall, sieht alles nach und nimmt redlich am Schelten mit teil. Aber plötzlich ertönt ein Zauberwort, das allem Leben und Treiben eine andere Gestalt gibt. Aus der halb ge­ öffneten Vorplatztür steckt nämlich die eine Magd ihren Kopf und ruft laut und mit heller Stimme die Diele hinab: „Rinkamen! — wat eten!" Noch ein paar Schläge — und das Geklapper der Drescher verstummt; schnell wird noch einigen Pferden neues, wohlgenäßtes Häcksel eingeschüttet, und in wenigen Minuten sitzt alles um die große, dampfende Zinnschüssel mit süßer, ausgekochter Milch und wartet, bis der Großknecht, der eben mit gewaltiger Arbeit vom mächtigen Schwarzbrot daumdicke Schnitte „knigt", mit seinem Werke fertig ist. Schnell ist die Schüssel voll gebrockt und nun alles in vollem Essen, kaum ein Wort wird gewechselt; noch eine halbe Stunde — und man ist satt. Was noch in der Schüssel blieb, bekommt der mächtige Hofhund, der Liebling des Groß­ knechts. Die hölzernen und zinnernen Löffel werden jetzt am Tischtuche abgewischt, und mit Gepolter bricht man auf. Der Sohn des Hauses hat indes seine Morgenkost allein verzehrt, denn nur im Felde ißt er mit den Leuten. Und wieder geht's zum Stall. — Die Krippen sind alle leer ge­ fressen. Jetzt die Pferde heraus und angeschirrt! Zwei werden vor den Wagen gespannt, auf den man eben ein paar Eggen und Säcke mit Saatgerste gelegt hat; der Sohn fährt, der Großknecht und zwei Jungen reiten hinterdrein, und so

244

Allmers.

trabt die Kavalkade dem unfernen Ackerfelde zu, wo ge­ pflügt und gesäet werden soll. Der Sohn hält den einen, der Knecht den andern Pflug, jeder mit vier Pferden bespannt, die ein Junge treibt. Zu Hause haben auch die Drescher wieder begonnen, und ein Knecht mistet das Vieh. Eine Magd arbeitet am Butterfassc, und eine andere kleinere wäscht erst die Baljen und geht dann in der Küche der Tochter zur Hand. Diese bereitet den Kaffee, denn auch die Alten haben sich jetzt erhoben und machen beide ihren morgendlichen Jnspektionsgang; er im Flausrock, in gewirkter Schlafmütze und Pantoffeln durch Diele/ Stall und Scheunen; die gute Mutter aber, angetau mit sauberem, dunkelfarbigem Morgenrock von Kattun, durch Küche und Keller, Milch- und Speisekammer, bis der duftende Kaffee, in blanker Messingkanne auf dem Sofatische stehend, Eltern und Tochter auf ein halbes behagliches Stündchen in der saubern und sehr einfachen Wohnstube wieder vereinigt. Schließlich langt der Alte nach seiner langen Morgenpfeife, die letzten Zeitungen und Anzeigeblätter hervorsuchend, die Mutter aber beratet mit ihrer Tochter den Mittagstisch. Wieder eine Weile später — und die gute Mutter hat sich ans Spinnrad gesetzt und spinnt weiche Wolle, zu warmen Socken für den lieben Sohn bestimmt; die Tochter ist in der Küche, und den Vater sehen wir mit langem „Klubenstocke" auf der Schulter das Haus verlassen. Eine stattliche, achtunggebietende Erscheinung ist der Alte. Ein echtes, selbstbewußtes Patriziertum prägt sich aus seinen! Gesichte aus; Milde, herzgewinnende Treuherzig­ keit schauen ihm aus den Augen, aber doch gepaart mit deni würdigsten Ernst. In seiner Jugend, ja bis an sein vierzigstes Jahr war er der tüchtigste Arbeiter; oft und gern redet er davon, wie er habe schaffen müssen; wie strenge er von seinem seligen Vater in Zucht gehalten worden; wie kein anderer im Dorfe so akkurat habe pflügen können. Aber nun hat er seit langen Jahren keinerlei Arbeit mehr an­ gerührt. Er ist jetzt ein Sechziger, seine Gestalt ist sehr ins Korpulente gegangen, die Farbe seines Gesichtes weiß

Allmcrs.

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und zart, die Haut seiner Hände äußerst dünn und weich geworden; aber den echten Hausmann sieht man ihm doch auf den ersten Blick an, denn nur ein freier, reicher Bauern­ stand vermag solche imponierende Gestalten zu erzeugen und auszuprägen. Folgen wir jetzt seinen Schritten. Er springt mit seinem Klubenstock zwar behutsam, indes trotz seiner sechzig Jahre noch immer recht behende über ein paar Gräben und wendet sich zuerst nach seinen Weiden. Allerlei Jungvieh ist bereits draußen; aber seine dreijährigen Ochsen, die nächsten Herbst, so Gott will, ihm in England gute Guineen lösen sollen, und die Milchkühe und jungen Kälber sind noch im Stalle. Aber prächtiges Gras schon und ein herrliches Wetter — wenn das noch etwas anhält, denkt er, will er vor Maitag alles „hinausjagen". Er springt wieder über einige Gräben und kommt zu seinem Acker, wo sein Sohn säet und der Knecht gerade beim letzten Stück zu pflügen ist. — „Na, wo geit jo dermit?" fragt er. „Got, Herr, dat Land ward fein," antwortet freundlich und kurz der blonde, kräftige Knecht, ohne auf­ zuhalten, „vor Middag krieg ickt rum." — „Paßt man got op!" — „Ja, Herr!" Jetzt redet er mit seinem Sohne, der eben das Stück voll gesäet hat und sich nun kräftig und gewandt auf eines der Pferde schwingt, die vor die Egge gespannt sind. Fort geht's wieder und der Junge mit der zweiten Egge hinterdrein. Lange schaut der Alte dem Sohne zu. Er mag sich wohl still in der Seele freuen, zu sehen, wie der schlanke und kraftvolle Junge so nobel und stattlich zu Pferde sitzt; wie frisch und arbeitsfreudig er von früh bis spät drauf und dran ist,-und wie er gepflügt und die Furchen gelegt hat, eine um nichts breiter als die andere und alle so schnurgerade, daß man in Haarbreite eine Büchsenkugel an jeder hinschießen könnte, vor allem aber, wie brav und wacker er ist, welch ein Herz in ihm steckt. — Ja, das weiß er sicher, der wird dem uralten, unbefleckten Namen seiner Familie keine Schande machen.

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Allrners.

„Na, ade, Kinners, seht to, bat jü't got kriegt!" ruft er zum Abschiede. „Ade, Herr!" ruft der Großknecht zurück. So verläßt er seinen Acker, sich wieder dem Torfe zuwendend. Aber nach Hause geht's noch nicht gleich. Zuvor wird noch ein Stündchen im Wirtshause verplaudert und ein „Schiedamer" oder ein Magenbitterer zur Erhöhung des Appetits genossen. Da kommt denn gleich die Rede auf Wettermutmaßungen, auf den Stand des Winterkorns, auf die schöne Saatzeit, auf Land-, Vieh- und Kornpreise^ auf die letzten Verordnungen des Amts oder der Wasserbau­ behörde u. s. w. Oft werden auch Handel abgeschlossen, so daß man diese Morgenzusammenkünfte recht wohl die Börsenstunde der Hausleute nennen könnte. Mit der heran­ rückenden Mittagsstunde geht die Versammlung regelmäßig auseinander, denn zwöls Uhr ist in jedem Hause stehende Essenszeit. Seit einer halben Stunde sind auch die Pflüger heim­ gekehrt, und eifrig wühlen die Pferde in den vollen Krippen. Von den Lippen einer Magd ertönt abermals hell der herz­ erfreuende Ruf: „Rinkamen! wat eten!" — Alles eilt an den „Soot" (Brunnen), Hände und Gesicht zu waschen, dann in die Gesindestube, wo auf blanker, mächtiger Zinnschüssel ein wahrer Berg von „Klütjen" (Klößen), Kartoffeln und Wurzeln und dabei auf einer anderen Schüssel ein paar dicke, leckere Speckstreifen dampfen. Ter Großknecht führt wie immer den Vorsitz, schneidet Brot und teilt den Speck; ihm zunächst sitzt der zweite Knecht, dann die Jungen, dann die Tagelöhner und an der anderen Seite die Mägde. In der Wohnstube ißt die Familie des Hauses ebenfalls sehr einfache, derbe Kost, oft dasselbe, was die Leute bekommen, wohl etwas feiner zubereitet. Bis zwei Uhr ist Rastzeit, denn die Pferde müssen doch mit Ruhe fressen. Die Mägde waschen die Schüsseln, die andern Leute ruhen oder schlendern umher; Vater und Mutter schlafen ein Stündchen, und der Sohn ninmit vielleicht ein Buch zur Hand. Bald ist alles von neuem in Tätigkeit. Tie Diele dröhnt

AllmerS.

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wieder vom Takt der Drescher, später vom rollenden Ge­ töse der Staubmühle, denn noch heute soll das letzte reine Korn auf den Boden. Vater und Mutter sind auch wieder da; gegen drei Uhr bringt die Tochter den Kaffee und nimmt eine weibliche Handarbeit vor. Neben ihr sitzt die wieder emsig spinnende Hausfrau; der Alte schlürft behaglich zur langen Pfeife den Inhalt seiner großen Geburtstagstasse, schlendert hierhin und dorthin und steht wohl später mit Kreide und Streichholz in der Hand auf der Diele, das Ge­ treide „aufmessend".

So wird's Abend; das Pferdegetrappel meldet die heini­ kehrenden Ackerer, und bald sitzen die Leute wieder um ihre Schüssel mit der Abendmilchspeise. In Osterstade besteht diese Mahlzeit fast täglich aus Gerstengraupen, in Butter­ milch dick gekocht und mit süßer Milch übergossen, aus der sogenannten „Schälgerste". Wie schon vom Mittagsmahl regelmäßig ein paar arme Kinder des Dorfes ihr Teil er­ hielten, so sehen wir auch jetzt wieder einige derselben in der Küche oder aus dem Vorplatze ihre Teller leeren. Auch ein Töpfchen voll süßer Milch bekommen sie mit nach Hause für ihre Eltern, denn jeder ordentliche Bauernhof hat immer einige bestimmte Arme, die sich aus ihn stützen und tausend Wohltaten von ihm genießen. Der kleine Rest des Abends wird aus verschiedene Weise hingebracht. Tie Tagelöhner verlassen den Hof; in behaglich warmer Gesindestube sitzen die Mägde beim schnurrenden Spinnrade; der Junge schält für morgen Kartoffeln oder schneidet Futterrüben; der Großknecht, nachdeni er draußen sein Häcksel geschnitten, nimmt vielleicht noch eine Dreh­ spindel zur Hand und dreht mit Hilfe des andern Jungen Stricke von Hede (Werg) zum häuslichen Gebrauch, oder er sitzt mit ein paar besuchenden Bekannten beim Kartenspiel, vielleicht auch mit der dampfenden Pfeife bei einem Buche voll schöner Geschichten. Ich selbst hatte so einen lieben, wackern Knecht, welcher an solchen Menden meistens den andern vorlas, mit ihnen auch wohl ein Lied sang, und meine lampenhelle, warme

AHmers.

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Arndt.

Gesindestube bot oft das erquicklichste Bild eines friedlichen, man könnte fast sagen familienhaften Zusammenlebens, so daß ich oft und gern darin geweilt habe. Auch in der Wohnstube drüben sitzt man traulich um die Lampe des Tisches, auch dort tönt die Stimme eines Vorlesers, denn man ist für den Winter bei einer Leih­ bibliothek in Oldenburg oder Bremen abonniert. Aber so klein das Lesepublikum des Hauses ist, geht es doch mit seinen Neigungen auseinander. Mutter und Tochter wollen immer Romane, Vater und Sohn dagegen nichts als Reise­ beschreibungen, zumal recht abenteuerliche. Doch der Alte ist nicht immer zugegen, denn gar zu gerne macht er im Wirtshause seine Partie Whist oder Lhombre und hat auch oft genug Gemeindeversammlung, in welcher das Wohl und Weh des Dorfes beraten wird; vielleicht ist er im Ausschuß oder im Vorstand, wenn nicht gar in eigener Person Vogt (Gemeindevorsteher) des Orts. Zum Abendessen ist er wieder daheim; mit dem Schlage zehn begibt sich alles zur Ruhe, und tiefe Stille herrscht als­ dann im ganzen weiten, sonst so rührigen Hause. Nur die gute, sorgsame Mutter macht itotf) einen späten Rundgang durch die Räume, überall nach Feuer und Licht schauend. Ein Mutterauge ist scharf und wacht gern am längsten. Das ist ein Tag auf dem Marschhofe — ein Stück norddeutschen Bauernlebens.

E r n st

Moritz

Arndt.

203. Bon Freiheit und Vaterland. Und es sind elende und kalte Klügler aufgestanden in diesen Tagen, die sprechen in der Nichtigkeit ihrer Herzen: „Vaterland und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, schöne Klänge, womit man die Einfältigen betört! Wo es dem Menschen wohl geht, da ist sein Vaterland- wo er am wenigsten geplagt wird, da blüht seine Freiheit." Diese sind wie die dumlnen Tiere nur aus den Bauch und auf

Arndt.

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seine Gelüste gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen des himmlischen Geistes. Sie grasen wie das Vieh nur die Speise des Tages, und was ihnen Wollust bringt, deucht ihnen das Einziggewisse. Darum heckt Lüge in ihrem eitlen Geschwätz, und die Strafe der Lüge brütet aus ihren Lehren. Auch ein Tier liebet: solche Menschen aber lieben nicht, die Gottes Ebenbild und das Siegel der göttlichen Vernunft nur äußerlich tragen. Ter Mensch aber soll lieben bis in den Tod und von seiner Liebe nimmer lassen noch scheiden. Das kann kein Tier, weil es leicht vergisset, und kein tierischer Mensch, weil ihm Genuß nur behagt. Darum, o Mensch, hast du ein Vaterland, ein heiliges Land, ein geliebtes Land, eine Erde, wornach deine Sehn­ sucht ewig dichtet und trachtet. Wo dir Gottes Sonne Zuerst schien, wo dir die Sterne des Himmels zuerst leuchteten, wo seine Blitze dir zuerst seine Allmacht offenbarten und seine Sturmwinde dir mit heiligen Schrecken durch deine Seele brauseten: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland. Wo das erste Menschenaug sich liebend über deine Wiege neigte; wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem Schoße trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit und des Christentums ins Herz grub: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland. Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir: du mußt das Land ewig lieb haben; denn du bist ein Mensch und sollst nicht vergessen, sondern behalten in deinem Herzen! Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster Wahn, sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewißheit, daß du vom Himmel stammest. Ta ist Frei­ heit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern Herzen gefällt; wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt. Dieses Vaterland und diese Freiheit sind das Aller­ heiligste auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in sich verschließt, das edelste Gut. was ein guter Mensch auf Erden besitzt und zu besitzen begehrt.

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Arndt.

Darum auch sind sie gemeinen Seelen ein Wahn und eine Torheit allen, die für den Augenblick leben. Aber die Tapfern heben sie zum Himmel empor linb wirken Wunder in dem Herzen der Einfältigen. Auf denn, redlicher Teutscher! bete täglich zu Gott, daß er dir das Herz mit Stärke fülle und deine Seele ent­ flamme mit Zuverficht und Mut, daß keine Liebe dir heiliger sei, als die Liebe des Vaterlandes, und keine Freude dir süßer, als die Freude der Freiheit!

204. Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze. Werfet eure Augen auf diese Ströme und Länder! o, wendet auch eure Herzen dahin! was sehet ihr? was fühlet ihr? ihr sehet das Land, das euch au die herrlichsten Ar­ beiten und Kämpfe eurer Väter mahnet, ihr sehet die Ur­ sprünge und Anfänge eures Volkes, die ältesten und heiligsten Erinnerungen des Reichs der Teutschen, die Wiege eurer Bildung, die Städte, wo eure Kaiser gewählt, gekrönt und gesalbt wurden, die Grüfte, wo eure Kaiser, eure Erzkanzler, eure Erzbischöfe schlafen, die Tenkmäler eures Ruhms und eurer Größe, wohin ihr blicket, wohin ihr tretet — und ihr könntet den Gedanken ertragen, daß dieses Älteste, dieses Ehrwürdigste, dieses Teutscheste französisch werden sollte? wahrlich, mit dem Gedanken ertragt ihr auch die französische Sklaverei. Aachen, Straßburg, Mainz, Köln, Trier, Lüttich, Speier, Worms, den deutschen Königsstuhl bei Rheuse, die Schlachtfelder, wo ihr so oft gegen die Franzosen für hie Freiheit siegreich wäret, das tapfere, lebendige und geist­ reiche deutsche Geschlecht, das diese gesegneten Lande be­ wohnt, dieses echteste, älteste Kleinod eures Namens — alles dieses könntet ihr den Fremden lassen? Jene Denkmäler, welche eure ehrwürdigen lmb frommen Väter in Köln und Antwerpen, in Straßburg und Amsterdam dem Ewigen erbaut haben, das Gedächtnis eurer grauen Heldenzeit und so viele andere Heiligtümer eurer Art und Kunst wolltet ihr denen lassen, deren Blicke nie

Arndt.

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nach oben gehen, und welchen diese Herrlichkeiten nichts Ewiges verkündigen? — O nein! nein! das wollt ihr nicht, das könnet ihr nicht wollen. Wahrlich, die Gebeine eurer Väter würden sich in ihren Gräbern umkehren und wehe! wehe! rufen über euch und über das Vaterland, das ihr verlasset! Wenn die Franzosen am Rhein herrschen, so herrschen sie in dem Kern unseres Volkes, sie greifen uns in unserm innersten und eigensten Leben an, sie zerstören uns in den Keimen unsers Wesens. Deutschland könnte durch eine Gunst der Umstände, die sich freilich nicht erwarten, aber doch denken läßt, in seinem Osten vielleicht noch eine zeitlang mächtig sein, selbst wenn die Franzosen das von uns ge­ raubte Gebiet behielten; als ein deutsches Volk wird es gewiß nicht lange mächtig sein, es wird überhaupt nicht lange ein deutsches Volk bleiben, wenn den Franzosen am Rhein die Herrschaft bleibt. Der Rhein und seine um­ liegenden Lande und die nächstliegenden Lande von Schwaben,

Franken, Hessen, Westfalen und Braunschweig sind der Kern und das Herz des deutschen Volkes, woraus sein rechtes Lebensblut und seine lebendigsten Lebensgeister in alle Adern, ja, in die äußersten Glieder seines Leibes ausgegossen werden; dort, wenn sie nicht überhaupt ein Traum ist, lebt die rechte Deutschheit. Von da fließt sie wie der zarte und geheime Lebensäther des Ganzen mit allen ihren unsicht­ baren und kaum vernehmlichen Geistern bis zur Leitha und Eider, ja, bis zur Memel und Theiß zu den verwandten Brüdern aus. Auch anderswo ist Deutschland, es ist in Flensburg und Königsberg, in Breslau und Stralsund; aber es ist dort nicht so deutsch, als hier im Süden. Dies läßt sich historisch herleiten. Auch am Riemen, an der Oder und der Drau ist Deutschland, aber hier ist das ur­ sprüngliche Deutschland, weiland der Mittelpunkt und die Stärke des Reichs, immer noch der Mittelpunkt deutschen Lebens und deutscher Sitte; hier ist von deutscher Sprache und Geschichte ein unerschöpflicher Schatz niedergelegt, wo­ von die fernsten deutschen Brüder zu holen kommen, und

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Arndt.

Bismarck.

welcher doch nie ausgeleert werden kann. Wenn nun das Unglück bleibt, daß die Franzosen den Rheinstrom behalten, so wird das Teutsche in seinen Keimen vergiftet und er­ stickt: Deutschland kann seinen Namen noch Jahrhunderte behalten, aber Deutschland ist dann bald nicht mehr. Ich habe meine Worte über unsern Rhein gesprochen. Ich könnte sagen: ich habe meine Seele gerettet: aber Ruhe gibt das nicht, daß man geredet hat. Behalten die Fran­ zosen den Rhein, so habe ich mein deutsches Vaterland verloren; dann muß ich tun, wie die Störche von Aquileja, als Attila die Stadt belegt hatte und auf ihre Mauern stürmte: ich muß meine Flügel schwingen und in ein anderes germanisches Land fliegen, weil mein Deutschland und meine Liebe dann dahin ist; denn Halbfranzosen sollen meine Kinder nicht werden.

Otto F u r st

Bismarck.

205. Sedan. Brief an seine Gemahlin. Vendresse, 3. September. Mein liebes Herz! Vorgestern vor Tagesgrauen verließ ich mein hiesiges Quartier, kehre heute zurück und habe in der Zwischenzeit die große Schlacht von Sedan am 1. erlebt, in der wir gegen 30,000 Gefangene machten und den Rest der fran­ zösischen Armee, der wir seit Bar le Duc nachjagten, in die Festung warfen, wo sie sich mit dem Kaiser kriegsgefangen .ergeben mußte. Gestern früh 5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und den französischen Generälen über die abzuschließende Kapitulation verhandelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, um mir zu sagen, daß Napoleon mich zu sprechen wünschte. Ich ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan und fand den Kaiser im -offe­ nen Wagen mit drei Adjutanten und drei zu Pferde daneben Haltend. Ich saß ab, grüßte ihn ebenso höflich wie in ben Tuilerien und fragte nach seinen Befehlen. Er wünschte den

Bismarck.

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König zu sehen; ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, daß Seine Majestät drei Meilen davon, an dem Orte, wo ich setzt schreibe, sein Quartier habe. Auf Napoleons Frage, wohin er sich begeben solle, bot ich ihm, da ich der Gegend unkundig, mein Quartier in Tonchery an,-einem kleinen Orte in der Nähe dicht bei Sedan; er nahm es an und fuhr, von seinen sechs Franzosen, von mir und von Karl, der nlir inzwischen nachgeritten war, geleitet, durch den einsainen Morgen nach unserer Seite zu. Vor dem Ort wurde es ihm leid, wegen der möglichen Menschenmenge, mit) er fragte mich, ob er in einem einsamen Arbeiterhause am Wege absteigen könne; ich ließ es besehen durch Karl, der meldete: -es sei ärmlich und unrein; „N'iniporte" meinte 9t., und ich stieg mit ihm eine gebrechliche enge Stiege hinauf. In einer Kammer von zehn Fuß Gevierte, mit einem fichtenen Tische und zwei Binsenstühlen, saßen wir eine Stunde, die andern waren unten. Ein gewaltiger Kontrast mit unserm letzten Beisammensein, 67 in den Tuilerien. Unsere Unter­ haltung war schwierig, wenn ich nicht Tinge berühren wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfenen schmerzlich berühren mußten. Ich hatte durch Karl Offiziere aus der Stadt holen und Moltke bitten lassen zu kommen. Wir schickten dann einen der ersteren auf Rekognoszierung und entdeckten eine halbe 9Jieite davon in Fresnois ein kleines Schloß mit Park. Dorthin geleitete ich ihn mit einer inzwischen herangeholten Eskorte vom Leib-KürassierNegimente, und dort schlossen mir mit beut französischen Obergeneral Wimpffen die Kapitulation, vermöge deren 40bis 60,000 Franzosen, genauer weiß ich es noch nicht, mit allem, was sie haben, unsere Gefangenen wurden. Der vorund gestrige Tag kosten Frankreich 100,000 Mann und einen Kaiser. Heute früh ging letzterer mit all seinen Hofleuten, Pferden und Wagen nach Wilhelmshöhe bei Kassel ab. Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis, ein Sieg, für den wir Gott dem Herrn in Demut danken wollen, und der den Krieg entscheidet, wenn wir auch letzteren gegen das kaiserlose Frankreich fortführen müssen. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl. M. 17

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Droste-Hülshoff.

Ich muß schließen. Mit herzlicher Frende ersah ich heut aus Deinen und Marias Briefen Herberts Eintreffen bei Euch. Bill sprach ich gestern, wie schon telegraphiert, und umarmte ihn angesichts Seiner Majestät üom Pferde herunter, während er stramm im Gliede stand. Er ist sehr gesund unb vergnügt. Hans und Fritz Karl sah ich, beide. Bülow bei 2. G. Dr. wohl unb munter. Lebwohl, mein Herz! Grüße die Kinder! Tein v. B.

Annette Freiin von Droste-Hiilshoff.

Bilder aus dem Münsterland (1840). 206. Volkstum und Wohnstätte. Selten mögen wenige Meilen einen so raschen Über­ gang hervorbringen, als jene, welche die Grenzstriche Paoer­ borns und seines frommen Nachbarlandes, des Bistums Münster, bilden. — Noch vor einer Stunde, hinter dein nächsten Hügel, haben Heine schwarzbraune Schlingel, die, im halben Naturzustande, ihre paar mageren Ziegen weniger hüteten, als bei ihnen diebswegen Wache standen, auf beine Frage nach dem Wege dich zuerst durch verstelltes Mißverstehen und Witzeleien gehöhnt, und dir bann unfehlbar einen Pfad angegeben, wo du ivie eine Unke im Sumpfe, oder wie Abrahams Widder in den Dornen gesteckt hast, — d. h. wenn du nicht mit Geld klimperst, beim in die­ sem Falle haben nicht einer, sondern sämtliche Buben ihre Ziegen, um sie desto sicherer wiederzufinden, ins Kornfeld getrieben und mindestens ein Dutzend Zäune zerbrochen und Pfühle ausgerissen, um dir den nächsten Weg zu bahnen, und du hast dich, gut oder übel, zu einer vierfachen Ab­ findung entschließen müssen, — und jetzt stehst du wie ein Amerikaner, der soeben den Wigwams der Irokesen ent­ schlüpft ist und die ersten Einfriedigungen einer Herrenhuterkolonie betritt, vor ein paar runden Flachsköpfen, in mindestens vier Kamisölern, Zipfelmützen, Wollstrümpsen und den landesüblichen Holzschuhen, die ihre Kuh ängstlich

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am Strick halten und vor Schrecken aufschreien, wenn sie nach einer Ähre schnappt. Ihre Züge, deren Milchhaut die Sonne kaum etwas hat anhaben können, tragen so offen den Ausdruck der gutmütigsten Einfalt, daß du dich zu einer nochmaligen Nachfrage entschließest. „Herr!"' sagt oer Knabe uno reicht dir eine Kußhand, „das Ort weiß ich nicht". — Du wendest dich an seinen Nachbar, der gar nicht ant­ wortet, sondern dich nur anblinzt, als dächte er, du wolltest ihn schlagen. — „Herr!" nimmt der erstere wieder das Wort, „der weiß es auch nicht"; verdrießlich trabst du fort, aber die Knaben haben zusammen geflüstert, und der große Redner kommt dir nachgeklappert: „Meint der Herr vielleicht — (hier nennt er den Namen des Orts im Volksdialekt); auf deine Bejahung stapft er herzhaft vor dir her, immer nach seinen Kameraden umschauend, die ihm mit ihren Augen den Rücken decken, bis zum nächsten Kreuzweg; dann hastig mit der Hand eine Richtung bezeich­ nend, springt er fort, so schnell als es sich in Holzschuhen galoppieren läßt, und du steckst deinen Dreier wieder ein, oder du wirfst ihn in den Sand, wo die kleinen Heidläufer, die dich aus der Ferne beobachten, ihn schon nicht werden umkommen lassen. — In diesem Zuge hast du den Charak­ ter des Landvolkes in Kürze. — Gutmütigkeit, Furchtsamkeit, tiefes Nechtsgefiihl und eine stille Ordnung und Wirtlichkeit, die, trotz seiner geringen Anlage zur Spekulation und glück­ lichen Gedanken, ihm doch einen Wohlstand zuwege ge­ bracht hat, der selbst den seines gewerbetreibenden Nach­ bars, des Sauerländers, weit übertrifft. Der Münsterländer ist groß, fleischig, selten von großer Muskelkraft; seine Züge sind weich, oft äußerst lieblich, und immer durch einen Ausdruck von Güte gewinnend, aber nicht leicht interessant, da sie immer etwas Weibliches haben und selbst ein alter Mann oft frauenhafter aus­ sieht, als eine Paderbornerin in den mittleren Jahren; die Helle Hautfarbe ist durchaus vorherrschend; man trifft alte Flachsköpfe, die vor Blondheit nicht haben ergrauen können.

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Der Hausstand in den zumeist vereinzelt liegenden Bauernhöfen ist groß und in jedem Betracht reichlich, aber durchaus bäurisch. — Das lange Gebäude von Ziegelsteinen, mit tief niederragendem Dache, und von der Tenne durch­ schnitten, an der zu beiden Seiten eine lange Reihe Hornv'ieh, ostfriesische Rasse, mit seinen Ketten klirrt, — die «große Küche, hell und sauber, mit gewaltigem Kamine, unter dem sich das ganze Hauspersonal bergen kann; das viele zur Schau gestellte blanke Geschirr und die absichtlich an den Wänden der Fremdenstube aufgetürmten Flachs­ vorräte erinnern an Holland, dem sich überhaupt diese Provinz, was Wohlstand und Lebensweise betrifft, bedeutend nähert, obwohl Abgeschlossenheit und gänzlich auf den innern Verkehr beschränktes Wirken ihre Bevölkerung von all den sittlichen Einflüssen, denen handelnde Nationen nicht ent­ gehen können, so frei gehalten haben, wie kaum einen andern Landstrich. Qu den Sommermonaten, wo das Vieh auf dem Felde ist, vernimmst du keinen Laut, außer dem Bellen des sich an seiner Kette abzappelnden Hofhundes, und wenn du dicht an der offenen Haustür herschreitest, dein leisen Zirpen der in den Mauernesseln aus- und einschlüpfenden Küchlein und dem gemessenen Pendelschwung der Uhr, mit deren Gewichten ein paar junge Kätzchen spielen. Die iin Garten jätenden Frauen sitzen so still gekauert, daß du sie nicht «ahntest, wenn ein zufälliger Blick über den Hagen sie dir nicht verrät — die schönen schwermütigen Volksballaden, an denen diese Gegend überreich ist, hörst du etwa nur auf einer nächtlichen Wanderung durch das Schnurren der Spinnräder, wenn die blöden Mädchen sich vor jeder Gefahr gesichert glauben. — Auch auf dem Felde kannst du im Gefühl der tiefsten Einsanrkeit gelassen fortträumen, bis ein zufälliges Räuspern oder das Schnauben eines Pfer­ des dir verrät, daß der Schatten, in den du eben trittst, von einem halbbeladenen Erntewagen geworfen wird, und du mitten durch zwanzig Arbeiter geschritten bist, die sich weiter nicht wundern, daß der „nachdenkende Herr" ihr

Drvsicvülshoff.

Hutabnehmen nicht beachtet „andächtig" ist, das heißt dächtnisse hersagt. — Diese dein Innern hervorgehen, Lebensverhältnisse.

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hat, da er nach ihrer Meinung den Rosenkranz aus dem Ge­ Ruhe und Eintönigkeit, die aus verbreiten sich auch über alle

207. Hochzeitsbräuche. Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gastbitter mit ellenlangem Spruche seine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das verwandte Blut bis in das entfernteste Glied und bis §11111 Ärmsten hinab geachtet wird. Am Tage vor der Hochzeit findet der „Gabenabend" statt — eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern 'über die schwerste Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits stark dämmert, tritt eine Magd nach der andern ins Haus, setzt mit den Worten: „Gruß von unserer Frau" einen mit weißem Tuch bedeckten Korb auf den Tisch und entfernt sich sofort; dieser enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken — je nach den Kräften eines jeden — und die Geschenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbe­ mittelt ist, so reichlich ans, daß dieses um den nächsten Wintervorrat nicht sorgen darf. — Eine liebenswürdige, das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens verbietet die Überbringung der Gabe durch ein Familienmitglied; wer keine Magd hat, schickt ein fremdes Kind. — Am Hochzeit­ morgen, etwa um acht, besteigt die Braut den mit einerweißen goldflinkernden Fahne geschmückten Wagen, der ihre Ausstattung enthält; — sie sitzt allein zwischen ihren Schätzen, im besten Staate, aber ohne besonderes Abzeichen nnd weint aufs jämmerlichste; auch die auf dem folgenden Wagen gruppierten Brautjungfern und Nachbarinnen beob­ achten eine ernste, verschämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen einhertrabenden Bursche durch Hutschwen­ ken und hier und dort ein schwerfälliges Juchhei ihre Lustig­ keit auszudrücken suchen und zuweilen eine alte, blind-

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geladene Flinte knallen lassen. — Erst vor der Pfarr­ kirche findet sich der Bräutigam mit seinem Gefolge ein, besteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, sondern trabt als einziger Fußgänger nebenher bis zur Tür seiues Hauses, wo die junge Frau von der Schwiegerulutter empfangen und mit einem „Gott segne deinen Ein­ und Ausgang!" feierlich über die Schwelle geleitet wird. Während dieser Zeremonie schlüpft der Bräutigam iu seine .Kammer und erscheint alsbald in Kamisol, Zipfelmütze und Küchenschürze. In diesem Aufzuge muß er an feinern Ehrentage bcn Gästen aufwarten, nimmt auch keinen Teil oni Hochz'eitsmahle, sondern steht, mit dem Teller unterm Arme, hinter der Braut, die ihrerseits keinen Finger rührt und sich wie eine Prinzessin bedienen läßt. — Nach Tische beginnen auf der Tenne die althergebrachten Tänze: „der halbe Mond", „der Schustertanz", „hinten im Garten", manche mit den anmutigsten Verschlingungen. — Das Or­ chester bestehl ans einer oder zivei Geigen und einer in­ validen Baßgeige, die der Schweinehirt oder Pferdeknecht aus dem Stegreif streicht. Ist das Publikum sehr musik­ liebend, so kommen noch wohl ein Paar Topfdeckel hinzu und eine Kornschwinge, die abwechselnd von den Güsten mit einem Spane aus Leibeskräften wider den Strich ge­ kratzt wird. ----- Nimmt inan hiezu das Gebrüll und Ketten­ geklirr des Viehes, das erschrocken an seinen Ständern stampft, so wird man zngeben, daß die unerschütterliche Gravität der Tänzer inindestens nicht dem Mangel an aufregendem Geräusche zuzuschreiben ist. Hier und dort läßt wohl ein Bursche ein Juchhei los, was aber so einsain klingt, wie ein Eulenschrei in einer Sturinnacht. — Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch mäßiger, aber siedender Kaffee „zur Abkühlung" in ganzen Strömen, und mindestens sieben blanke Zinnkessel sind in steter Be­ wegung. — Zwischen dem Tanzen verschwindet die Braut vou Zeit zu Zeit und kehrt allemal in einein andern Anzuge zurück, so viel ihr derer zu Gebote stehen, vom Traustaate an bis zum gewöhnlichen Sonntagsputze, in dem sie sich

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noch stattlich genug ausnimmt, in der bainaftencn Kappe mit breiter Goldtresse, dem schlveren Seidenhalstuche und einem so imposanten Körpernmfange, als ihn mindestens vier Tuchröcke übereinander hervorbringen können. Sobald die $)ängen6r in der Küche Mitternacht geschlagen hat, sieht iimn die Frauen sich von ihren Bänken erheben nnb nriteinander flüstern; gleichzeitig drängt sich das junge Volk zusammen, nimmt die Braut in seine Mitte und be­ ginnt einen äußerst künstlichen Schneckentanz, dessen Zweck ist, im raschen Dnrcheinanderwimmeln immer eine vier­ fache Maner um die Braut 311 erhalten, denn jetzt gilt's ben Kampf zwischen Ehe nnb Jungfranschaft. — So wie die Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Verschlingnngen bunter, die Frauen suchen von assen Seiten in dell Kreis zu dringen, die Junggesellen durch vorge­ schobene Paare sie Hinwegzudrängen; die Parteien erhitzen sich, immer rascher wirbelt die Musik, immer enger zieht sich die Spirallinie, Arme und Kniee werden zu Hilfe genommen, die Bursche glühen wie Ösen, die ehrwürdigell Matronen triefen von Schweiß, und man hat Beispiele, daß die Sonnt' über dem unentschiedenen Kamps ausge­ gangen ist; endlich hat eine Veteranin, die scholl einige zwanzig Bräute in den Ehestand gezerrt hat, ihre Beute gepackt; plötzlich verstulnult die Musik, der Kreis stäubt aus­ einander, uni) alles strömt den Siegerinnen und der weineuben Braut nach, die jetzt zuul letzten Male umgekleidet uub mit Anlegung der fraulichen Stirnbinde symbolisch voll ihreul Mädchentum geschieden wird — ein Ehrendienst, welcher den sogenannten Nachbarinnen zusteht, an dem sich aber jede anwesellde Ehefrau, die Gattin des Guts­ herrn nicht ausgenommen, durch irgend eine kleine Dienst­ leistung beteiligt. Die Braut erscheint nun barhäuptig und in Hemdärmeln, gleichsalu eine bezwungene und fortan zum Dieneil willige Brunhildis, greift aber dennoch nach ihres Mallnes bereitliegendem Hute und setzt ihn auf, die Frauell tun desgleichen, und zwar jede den Hut ihres eigenen Mannes, den er ihr selbst ehrerbietig reicht, und eine statt-

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Droste-Hülshoff.

liehe Frauenmenuett beschließt die Feier und gibt zugleich die Vorbedeutung eines ehrenhafter!, fleißigen, friedlichen Ehestandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß sie mit Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gästen, bevor sie sich zerstreuen, eine seltsame Aufgabe: der Bräutigaul ist nämlich während der Menuett unsicht­

bar geworden, — er hat sich versteckt, offenbar aus Furcht vor der behüteten Braut, und das ganze Hans wird nmgekehrt, ihn zu suchen; man schaut in und unter die Betten, raschelt im Stroh und Heu umher, durchstöbert sogar den Garten, bis endlich jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quast seiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchenschürze entdeckt, nw er dann sofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anstand als seine schöne Hälfte der Brautkaminer zugeschleppt wird.

208. Aberglauben. Bei Begräbnissen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eiues Hausvaters feinen Bienen an­ gesagt werden inuß, wenn nicht binnen Jahresfrist alle Stöcke abzehren und verziehen sollen, weshalb, sobald der Verscheidende den letzten Atemzug getan, sofort der Ge­ faßteste unter den Anwesenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich spricht: „Einen Gruß von der Frau, der Herr ist tot/" worauf die Bieueu sich christlich in ihr Leid fügen und ihren Geschäften nach wie vor obliegen. Der Münsterländer ist überhaupt sehr abergläubisch, sein Aberglaube aber so harmlos wie er selber. Vou Zauber­ künsten weiß er nichts, von Hexen und bösen Geistern wenig, obwohl er sich vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieser wenig Ursache habe, im Münsterlande umzugehen. Die häufigsten Gespenster im Moor, Heide und Wald sind arme Seelen aus dem Fegefeuer, deren täglich in vielen tausend Rosenkränzen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu bemerken glaubt, daß die „Sonntags-

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fpinnerin" ihre blutigen Arme immer seltener aus beut Gebüsch streckt, der „diebische Torfgräber" nicht halb so kläglich mehr im Moore ächzt und vollends der „kopflose Geiger" seinen Sitz auf dem Waldstege gänzlich verlassen zu haben scheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeistern in Schlössern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht schlimm, und .glaubt, daß mit ihrem völligen Verschwinden die Familie des Besitzers aus­ sterben oder verarmen werde. Diese .besitzen weder die häuslichen Geschicklichkeiten, noch die Tücke anderer Ko­ bolde, sondern sind einsamer, träumerischer Natur, schreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen Gedanken langsam und schweigend an irgend einer verspäteten Milchmagd oder einen: Kinde vorüber und sind ohne Zweifel echte Münster­ länder, da iiidii kein Beispiel hat, daß sie jemanden be­ schädigt oder absichtlich erschreckt Hütten. Man unterscheidet sie in „Timphüte" und „Langhüte". Die ersteren kleine runzliche Männchen, in altmodischer Tracht, die andern über­ natürlich lang und hager, mit langem Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß der Timphut bestimmten Segen bringt, der Langhut dagegen nur Unglück zu verhüten sucht. Zuweilen halten sie nur in den Umgebungen, den Alleen des Schlosses ihre philosophierenden Spaziergänge; gewöhnlich haben sie jedoch außerdem einen Speicher oder eine wüste Bodenkammer inne, wo man sie zuweilen nachts auf- und abgehen oder einen knarrenden Haspel langsam umdreheu hört. Bei Feuersbrünsten hat man den Haus­ geist schon ernsthaft aus den Flammen schreiten und einen Feldweg einschlagen sehen, um nie wiederzukehren, und es war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die< Familie bei dem Neubau in einige Verlegenheit und Schulden ge­ raten würde.

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Falke.

Gustav Falke. 209. Im Hafen von Hamburg. „Hamburg, ja Hamburg! Bei Ihnen da oben luirb gearbeitet. Wir hier schlafen/' So sagte mir vor kurzen: in Wien ein junger öster­ reichischer Aristokrat. Wieviel Respekt lag in den: Ton, mit dein er „Hamburg" sagte. Hub hier war es einmal nicht das schöne Hamburg, hier war es das arbeitende Hamburg, dem die Anerkennung galt. Arbeit überall. Ju Rathaus itiib Börse, in Laden imb Kontor, auf Markt und Straste. Aber willst du sie sehen, hören:, fühlen, alles zugleich, die grostc gigautische Arbeit, so gehe an den Hasen unb besteige ein Dampfboot der Hafenrundfahrt. Es trügt dich durch de:: ganzer: Hafen, in alle Souderhüfeu hinein, es sind dreiundzwanzig verschiedene Hafenbassins da, und du bekommst für das geringe Fahrgeld noch eine Erklärung alles Sehenswerten aus dem Muud eines stin:n:geseg::eteu Mannes hinzu. Und manches wirst du dankbar anhören. Aber ob dies ein Woermanndampfer und das ei:: Kosmos­ dampfer, und jener ein Engländer und der da wieder ein Franzose ist, und ob du dich in: Afrikahafeu oder im Asiahafen befindest, das ist ja am Ende so sehr wichtig nicht, und vielleicht wesstt du das alles schon als Ein­ heimischer und bist andererDinge wegen auf der Fahrt. Aber dieser Riesenda,mpfer mit den drei mächtigen Schorn­ steinen und bcirS Hämmern und Dröhnen jener Werft da — eines erinnert dich an das Werden des andern. Wieviel Arbeit mustte geleistet werden, bis dieser Schiffskolost von: Stapel laufen konnte! Sind nicht fast alle Handwerke an seiner Vollendung beteiligt, so wie er daliegt, fertig zur Ausfahrt nach Südamerika? Und die Berechnungen und Zeichnungen der Ingenieure und Techniker. Und der Kaufu:ann, der hinter allen: steht mit seinem Wägen und Wagen.

Falke.

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Der Dampfer nimmt noch die letzten Kohlen ein. Welche Arbeit, ihn damit zu füllen, damit er für die lange Reise genug Futter für die gefräßigen Heizkessel hat. Ein flüchtiger Gedanke erinnert dich an die Gewinnung die­ ses schwarzen Edelsteins. Aber du kannst nicht auch noch des Waldes gedenkeu, der die Bohlen und Masten liefert, die für dieses Schiff verwendet wurden. So ein einziges Schiff könnte dich alle Wissenschaft uni) Geschichte lehren. Aber jetzt denkst du erst einmal an die Kosten, die ein solches schwimmendes Haus verursacht. „Tausende/' meint ein Fahrgast neben dir. Natürlich, Tausende! Aber der Schiffscicerone erzählt so nebenbei, daß die „Deutschland" der Aulerikalinie einen Wert voll über 12 Millionen hat, und die „Hapag", wie die HamburgAmerika-Paketfahrt-Äktien-Gesellschaft abgekürzt heißt, hat noch größere Schiffe als die Deutschland. Da ist die „Amerika" und die „Kaiserin Auguste Viktoria", schwimmende Hotels mit allem fürstlichen Luxus ausgestattet, wahrhaft köiligliche Schiffe, die die erste Reederei der Welt ihreu Fahrgästen zur Verfügung stellt. Dir schwindelt eilt wenig vor der Höhe des Kapitals an Arbeit und Geld, das in diesen Ozeanhäusern steckt. Ulld da und da liegt noch so ein Schiff. Dort der groste Fünfmaster, lvie schmuck er ist, fast anulutig, trotz seiner Größe! Und dort jener utächtige Dampfer. Seit Jahren liegt er da an feinem Platz, so läßt du dir erzählen. Die Reederei übernimnlt ihn nicht wegen ungenügender See­ tüchtigkeit oder zu geringer Fahrgeschwindigkeit. Lange Prozesse. Aufgelaufene Hafengelder. Mit welchen Riesen­ summen lvird hier gerechnet! Aber schon — der kleine Rundfährdampfer eilt von Hafen zu Hafen, unter Brücken, durch Schleusen — aber schon fesselt dich etwas anderes. Diese gewaltigen Schleusen­ anlagen! Diese Kaimauern! Je länger du so herumfährst und siehst und siehst, je stiller, je kleiner wirst du. Ein gewaltiger Respekt erfaßt dich vor allem, was du erblickst. Auch die Arbeiter, die eben in jener kleinen Barkasse an

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euch vorüberdampfen, die Teerjacken, die da von Bord jenes Schoners auf euch herabsehen, bux siehst sie mit andern Augen an, fast andächtig. Jeder hat nur zwei Fäuste, aber die Gesamtheit dieser Fäuste ist es, die hier täglich diese Riesenarbeit zwingt. Und der Ruß auf ihren Ge­ sichtern, die Ölslecke auf ihren Kleidern, du empfindest sie nicht mehr als Verunreinigung, sie sind dir, gleich beni Schweiß auf ihren Stirnen, ein notwendiges Attribut, ein Zeichen ihrer Würde. „Petroleumhafen!" klingt >es dir ans Ohr. Ach so, Petroleumhafen, ja, ja. Du denkst schon nichts mehr dabei. „Jndiahafen!" Palmen, Elefanten, mystische Tempel — oder es bleiben dir auch nur Namen und Klänge wie Oswaldkai und Amerikakai. Du bist schon halb betäubt und halb in traumhafter andächtiger Stimmung, die einem Rausch gleicht! Und willst du sprechen, urteilen, findest du um noch das eine Wort: großartig! Du sonntest auch ebensogut erhaben sagen, denn erhaben lote die Alpenwelt ist auch diese Welt der Arbeit. Vielleicht hast du dich das erstemal zerstreuen taffen durch das kribbelnde, krabbelnde Kleinleben des Hafens nm dich herum und gewinnst erst beim zweiten Besuch deu Eindruck des Erhabeneu. Oder es ist umgekehrt. Und du vertiefst dich erst nachher mit Behagen in das Zwergvolk voll Pinassen, Schuten, Jollen, Schleppern und was alles hier wie aufgescheuchte Jnsekteu herumburrt und surrt. Dann zeigt sich auch eigentlich der Hafen am schönsten und größter: und echtesten, wenn ein trübes, böiges Wetter alles in Grau hüllt, die Wellen, von unbestimnlter Farbe, an die Schiffslvand klatschen und sich an den Ducdalben brechen und ihren Gischt an die Kaimauern und ab und an auch dir ins Gesicht lverfen. Und da::n müssell die kleinen und großen Schlote der Dampfer ordentlich pusten und schwarzer: Rauch auswerfen, die Dan:pfpfeifen müssen häufiger schreien von wegen der schlechten Sicht und des schlechten Fahrens auf dem bewegten Strom. Mehr Scheltrvorte als sollst fliegen hinüber und herüber von Boot

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zu Boot, herauf uud hinunter, von groß und klein, und irgendeine Jolle oder Schute siehst du im Geist schon ganz sicher überfahren uitb wendest etwas nervös den Hals bald rechts, bald links. Und dann muß es von allen Kais und Werften kreischen, knarren, ächzen, hämmern, dröhnen, pfeifen, klirren, klappern, krachen und muß alles zusammen feilt wie ein unartikuliertes Gestöhn aus dem Schlund eines Riesen, den der Alp druckt.

Und plötzlich macht das Boot eine Wendung, und hu schwankst und greifst nach einem Halt, und der Wiud wirft dir deil ganz schwarzen Qualln aus dem Schlot gerade ills Gesicht. Das gefällt dir doch auch? So ist es nämlich oft im Hamburger Hafen und ist so recht die passende Stimmung für die schwere Arbeit, die hier tcigcin tagaus geleistet wird.

Giebel darf natürlich nicht herrschen. Da sieht mein nichts und bleibt besser daheinl, will man nicht die Reize einer Nebelfahrt an sich auskosten, wo miui nur sieht, was zehn .Schritte vor einem aus dem Wasser auftaucht, und luo mall von Sirenen, Dampf- uitb Warnungsrufeu umlürmt wird unb froh ist, wenn man wieder heil nitb trocken ans Land steigen kann. Und auch im Winter, wenn die Eisbrecher ihre schlvere Arbeit haben - und die Schollen sich schiebell und stallen, ist eine Rundfahrt nur etwas für Liebhaber, die dailll freilich auf ihre Kosten kommen. Doch! das sind Speziali­ täten des Hafens: Nebel und Eis! Aber so ein Wetter wie es dich jetzt ailbläst, ist schon recht und gut, eigentlich das beste, was du dir wühlen konntest.

Kurzes, knallendes, klatschendes Geräusch über dir läßt dich aufblicken. Ach so, die Flagge, die Hamburger Flagge mit den drei weißen Türmen in blutrotem Feld! Wenn du auch augenblicklich nicht viel dabei denkst und dich mit der Feststellung der Tatsache begnügst, wenn du nachher bei jenem nördlichen Seetenwärmer sitzt, im Hafenfährhaus oder in Wietzels Hotel oben auf dem Stintfang, dann denkst

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du an diese im Winde klatschende dich allein bringst du einen kleinen „Three cheers for Hamburg, So ein bißchen Englisch spricht der du bist bereits angesteckt.

Flagge, und ganz iiir Toast aus: Hipp, Hipp, Hurra!" Hamburger gern, und

Theodor Fontane, 21V. Paretz. Von Ütz nach Paretz ist noch eine gute halbe Meile. An einem Sommernachmittag ein entzückender Spaziergang. Der Weg führt durch Wiesen rechts und links; der Heuduft dringt von den Feldern herüber, und vor uns ein dünner» sonnendurchleuchteter Nebel zeigt die Stelle, wo die breite, buchten- und seenreiche Havel fließt. Paretz selbst verbirgt sich bis zuletzt. Nun endlich wird der Weg ein aufgeschütteter Damm, an die Stelle der Obstbäume, die uns bisher begleiteten, treten hohe Pappeln, überall die spalierbildende Garde königlicher Schlösser, und alsbald über eine zier­ liche Brücke hinweg, die den Namen Jnfantenbrücke trägt, beschreiten wir die Dorfstraße. Diese führt mitten durch den Park, macht eine Biegung, verbreitert sich, liiib — wir sind am Ziel: links das Schloß, ein langgestreckter, schmuckloser Parterre-Bau mit aufgesetztem niedrigen Stock, rechts eine Gruppe alter (Lichen und ihnen §nr Seite die gotische Kirche des Dorfes. Es ist um die fünfte Stunde. Eine Schwüle liegt in der Luft; selbst das Pappellaub, das immer plaudert, ist still; das Schloß blickt uns an, wie verwunschen; seine Läden sind geschlossen. Nur der Vorgarten, mit kleinen gezirkelten Beeten, hier mit Aurikeln, dort mit Reseda eingefaßt, liegt offen da. Wir treten ein. Der seltene Besuch hat Neugierige herbeigelockt, der Schloßdiener kommt, zuletzt er, der diesen stillen Platz zu hüten hat, der Hofgärtner. Er begrüßt uns. Erhitzt vom Marsch, sprechen wir den Wunsch aus, uns erst wieder frisch machen §11 dürfen, ehe wir in die dumpfe

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Kühle des Schlosses eintreten. So nehmen wir denn Platz auf einer Sommerbank nnd plaudern. Paretz ist alt-wendisch. Die Nachrichten sind sehr lücken­ haft. Es gehörte ursprünglich zur Kirche von Ketzin, tarn dann in den Besitz der Arnims und Dirikes, welch letztere es 1658 an die Familie Blumenthal veräußerten. Die Blumenthals, später sreiherrlich und gräslich, saßen hier in drei Generationen, bis Obristleutnant Hans Angnst von Blumenthal es 1795 an den damaligen Kronprinzen, spätern König Friedrich Wilhelm III., verkaufte. Es entsprach ganz, den gestellten Bedingungen nnd Wünschen.

Diese Wünsche gingen vor allem auf Stille, Abge­ schiedenheit. Sehr bald nach seiner Bermählnng hatte sich der Kronprinz Schloß Oranienburg zum Ausenthalt aus­ ersehen, dessen landwirtschaftlicher Charakter, beiläufig be­ merkt, eine große Verwandtschaft mit dem von Paretz zeigt. Aber das Schloß daselbst — damals noch viel von der Pracht answeisend, die ihm Kurfürst Friedrich III. gegeben hatte — war ihm viel za groß und glänzend, uni) so kam ihm die Nachricht überaus erwünscht, daß das stille Paretz, das er zufällig aus seinen Kindertagen her kannte (Obristleutnaut von Blumenthal war damals Prmzen-Gvuvernenr gewesen), zn verkaufen sei. Das Geschäftliche wurde schnell erledigt, und unter des Hofmarschalls v. Massow Aufsicht begann der Abbruch des alten Wohnhauses und der Auf­ bau des neuen Schlosses. Dieser erfolgte, nach einem Plane des Oberbaurats Gilly, in ländlichem Stile. „Nur immer denken, daß Sie für einen armen Gutsherrn bauen!" sagte der Kronprinz, dem int übrigen die Vollendung des Baues sehr am Herzen lag. Alles wurde denn auch dergestalt be­ schleunigt, daß der neue Gutsherr mit seiner Gemahlin schon im Jahre 1796 einige Tage in Paretz znbringen konnte. Um dieselbe Zeit waren Parkanlagen in Angriff genommen worden, und zwar durch den neu angestellten Hofgärtner, der seine Aufgabe mit ziemlichem Geschick löste und, Natur uud Kunst vereinend, in den durch drei Landstraßen

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umschlossenen Parkanlagen eine bescheidene Nachahmung der Gärten von Klein-Trianon versuchte. Seit 1797 war der Kronprinz König. In diesem also umgeschaffeuen Paretz, das bei Freunden und Eingeweihten alsbald den schönen Namen „Schloß Still-im-Land" emp­ fing, erblühten dem Königspaare Tage glücklichsten Familien­ lebens. Tie Familie und die Stille waren der Zauber von Paretz. Diesen Zauber empfand die Köuigiu, die wir gewohnt sind uns nebelt dem einsilbigen Gemahl als das gesprächigere, dell Zerstreuungen zugeueigtere Element zu denken, fast noch lebhafter als dieser. Sie selbst äußerte sich darüber: „Ich muß deu Saiten nleiues Gemüts jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, nm sie gleichsam wieder aufzuziehen, damit sie den rechten Ton unb Anklang behalten. Am bestell gelingt lnir dies in der Einsamkeit; aber llicht int Zimmer, sondern in dell stillen Schatten der Natllr. Unterlaß ich das, so fühle ich lnich verstimllit. O, lvelch ein Segelt liegt doch im abgeschlosseitelt llmgniigc mit uns selbst!" Zit diesem Ulltgaitge mit sich selbst war null Schloß Still-iln-Land der geeiglletste Platz, keilte Straße führte vor­ über, die Ruhe, wenn man sie haben lvollte, weit beinahe unbedingt: aber man ließ sie gern durch die Heiterkeit des Dorfes uuterbrechen. So wurde das Erntetest von Seiten'des .Hofes all­ jährlich mitgefeiert. Wir finden darüber folgende Auf­ zeichnungen: „Das Fest begann am frühen Nachmittag. So­ bald die Herrschaften sich von der Tafel erhoben hatten, setzten sich die festlich angetanen Schnitter und Schnitterinnen vom Amte aus in Belvegung. Geschart um ihr Feldbanner, den reichbebänderteu Kranz von Ähren und Blumen, mar­ schierten sie nach dem Takte der Dorfmusik aufs Schloß. Dort auf dem freien Platze hielt der Zug und stellte sich im Halbkreis auf. Der königliche Gutsherr trat heraus, hörte die an ihn gerichtete Rede der Großmagd an und schickte die Sprecherin sodann mit der Erntekrone hinein Ins Schloß. Nun zeigte sich auch die Königin, und mit dem

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Erscheinen der „gnäbigeii Frau Dort Paretz" begann der Tanz. Tas königliche Paar mischte sich in die Reihen der Landleute, die Herren und Damen folgten, und sogar die Frau Oberhofmeisterin Frau v. Voß konnte nicht umhin, auf diesem bal champetre mitzuwirken. Den ersten Tanz spielten die Dorfmusikanten, den zweiten die Garde-Hoboisten aus Potsdam; Bursche und Mädchen tanzten sich außer Atem; dann gliederte sich der Zug von neuem und bewegte sich dahin zurück, von wo er gekommen war — nach dem Amte. Im Dorfe mittlerweile wimmelte es von Käufern und Verkäufern; innerhalb der eigentlichen Straße zog sich noch eine Budenstraße, und inmitten dieses Gedränges, Einkäufe und Geschenke machend, gewahrte man die hohen Gestalten des königlichen Paares. Diese Erntefeste, die bald einen Ruf gewannen, machten das stille Paretz zu einem Wallfahrtsort für nah und fern. Jeder Besucher hatte Zutritt, König und Königin ließen sich die Fremden vorstellen, äußerten ihre Freude über zahl­ reichen Zuspruch und baten, übers Jahr wieder unter den Gästen zu sein." Im Sommer 1805 hielten sich der König und die Königin länger in Paretz auf als gewöhnlich. Wie in einem Vorgefühl kommender Stürme genossen sie das Glück, das dieser stille Hafen bot, noch einmal in vollen Zügen. Man blieb bis zum 15. Oktober, dem Geburtstage des nunmehr zehnjährigen Kronprinzen. Er empfing, nach der Sitte des königlichen Hauses, den Degen und die Offiziers-Uniform und trat in die Armee. Die Königin sprach ermahnende Worte. Dann schied sie von ihrem lieben Paretz, das sie nur noch einmal auf wenige Stunden Wiedersehen sollte. Im Spätsommer des nächsten Jahres, 1806, standen bereits die großen Wetter über Thron und Land; am 14. Oktober wurde das alte Preußen begraben; der folgende Tag war der Geburtstag des Kronprinzen — keinen unglück­ licheren hat er erlebt. Der Hof ging nach Königsberg; erst im Jahre 1809 kehrte das durch Jahre der Prüfung ge­ gangene Königspaar nach Berlin zurück. Hessel, Lesebuch 8. 8. Ausl.

M. 18

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Der Winter verging, der schöne Frühling des Jahres 1810 kam; die Königin empfand eine tiefe Sehnsucht, ihr geliebtes Paretz wiederzusehen. Wir finden darüber Folgen­ des : „Am 20. Mai fuhr sie allein mit ihrem Gemahl dort­ hin — es sollte nach Gottes Ratschluß das letztemal seins Erinnerungsvoll begrüßten sie die alten, traulichen Stätten, die sie so oft in glücklichen Tagen mit Freud und Wonne gesehen; nicht trennen konnte und wollte sie sich von jener Anhöhe im Park, die das Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernsicht über den mit schwellenden Segeln und zahllosen Schwänen belebten Havelstrom mit seinen Buchten und Seen, sowie auf die im schönsten Maien­ grün prangenden Wiesen und Äcker bot. Zu ihren Füßen lag das friedsame Paretz, im Grün der Bäume halb versteckt die Kirche. Die Sonne neigte sich; tiefer und länger dehnten sich die Schatten über die Landschaft und mahnten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte so lange als möglich an diesem ihrem Lieblingsorte verbleiben; sie wartete bis zum Niedergang der Sonne und sprach dann vor sich hin? „Die Sonne eines Tages geht dahin: Wer weiß, Wie halb die Sonne unseres Lebens scheidet!"

Aus deu Wunsch der Königin, den Wagen nicht au dein ent­ fernter liegenden Schlosse, sondern hier an der Landstraße besteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde, war das Gefährt beim Rohrhause angelangt. Die Königin schritt am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe hinab durch die Parktür nach der Landstraße/' Das war am 20. Mai. Am 19. Juli starb sie. Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das Wort, das sie hier gesprochen. Er besuchte oft diese Stelle, doch stets allein, ohne jede Begleitung. Zum An­ denken ließ er hier, wo sie den Park verlassen und den Wagen bestiegen, wo ihr Fuß zum letztenmal die Erde von Paretz berührt hatte, eine gußeiserne gotische Pforte aufstellen. Diese Pforte, wie es für solchen Platz sich ziemt, ent-

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zieht sich fast dem Auge. Abgelegen an sich, an dunkelster Stelle des Parks, birgt sich das Gittertor in dichtem Akazien­ gebüsch ; nur der Spitzbogen ragt in die Helle auf und trägt ein L und die Inschrift: „den 20. Mai 1810."

211. Im Spreewald. 1. Lehde.

Nach kurzem Gange durch Stadt und Park Lübbenau erreichten wir den Haupt-Spreearm, auf dem die für uns bestimmte Gondel bereits im Schatten eines Buchenganges lag. Drei Bänke mit Polster und Rücklehne versprachen möglichste Bequemlichkeit, während ein Flaschenkorb von bemerkenswertem Umfang — aus dem, so oft der Wind das Decktuch ein wenig zur Seite wehte, verschiedene rot und gelb gesiegelte Flaschen hervorlugten — auch noch für mehr als bloße Bequemlichkeit sorgen zu wollen schien. Am Stern des Bootes, das lange Ruder in der Hand, stand Christian Birkig, ein Fünfziger mit hohen Backenknochen und einge­ drückten Schläfen, dem für gewöhnlich die nächtliche Sicher­ heit Lübbenaus, heut aber der Ruder- und Steuermanns­ dienst in unserem Spreeboot oblag. Wir stiegen ein, und die Fahrt begann. Gleich die erste halbe Meile ist ein landschaftliches Kabinetstück und wird in soweit durch nichts Folgendes übertroffen, als es die Besonderheit des Spreewaldes: seinen Netz- und InselCharakter, am deutlichsten zeigt. Dieser Netz- und InselCharakter ist freilich überall vorhanden, aber er ver­ birgt sich vielfach, und nur derjenige, der in einem Luft­ ballon über das vieldurchschnittene Terrain hinwegflöge, würde die zu Maschen geschlungenen Flußfäden allerorten m ähnlicher Deutlichkeit wie zwischen Lübbenau und Lehde zu feinen Füßen sehen. Der Boden dieses Jnselgewirrs ist fast überall eine Gartenerde. Der reiche Viehstand der Dörfer schuf hier von Alters her einen Dünger-Untergrund, auf dem dann die Mischungen und Verdünnungen vorgenommen werden 18*

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konnten, wie sie dieses oder jenes Produkt des Spreewaldes erforderte. Es ist Sonntag, die Arbeit ruht, und die große Fahr­ straße zeigt sich verhältnismäßig leer; nur selten treibt ein mit frischem Heu beladener Kahn an uns vorüber, und Bursche handhaben das Ruder mit großem Geschick. Sie sitzen weder auf der Ruderbank, noch schlagen sie taktmäßig das Wasser, vielmehr stehen sie grad aufrecht am Hinter­ teile des Boots, das sie nach Art der Gondoliere vorwärts bewegen. Dies Aufrechtstehen und mit ihm zugleich ein beständiges Anspannen all ihrer Kräfte hat dem ganzen Volksstamm eine Haltung und Straffheit gegeben, die man bei der Mehrzahl unserer sonstigen Dorfbewohner vermißt, und zwar in den armen Gegenden am meisten. Der Knecht, der vornüber im Sattel hängt oder auf dem Strohsack seines Wagens sitzend mit einem schläfrigen „Hoi" das Gespann antreibt, kommt kaum je dazu, seine Brust und Schulter­ blätter zurechtzurücken oder sein halb krummgebogenes Rück­ grat wieder gerade zu biegen, der Spreewäldler aber, dem weder Pferd noch Wagen ein Sitzen und Ausruhen gönnt, befindet sich eigentlich immer auf dem Qui oive. Das Ruder in der Hand, steht er wie auf Posten und fciutt nicht Hin­ dämmern und Halb-Arbeit. Wenn es schon ein reizender Anblick ist, diese schlanken und stattlichen Leute in ihren Booten vorüberfahren zu sehn, so steigert sich dieser Reiz im Winter, wo jeder Boot­ fahrer ein Schlittschuhläufer wird. Das ist dann die eigent­ liche Schaustellung ihrer Kraft und Geschicklichkeit. Tann sind Fluß und Inseln eine gemeinschaftliche Eisfläche, und ein paar Bretter unter den Füßen, die halb Schlitten, halb Schlittschuh sind, dazu eine sieben Fuß lange Eisstange in der Hand, schleudert sich jetzt der Spreewäldler mit mäch­ tigen Stößen über die blinkende Fläche hin. Dann tragen sie auch ihr nationales Kostüm: kurzen Leinwandrock und leinene Hosen, beide mit dickem Fries gefüttert, und Spreewald-Stiesel, die fast bis an die Hüfte reichen. Es ist Sonntag, sagte ich, und die Arbeit ruht. Aber

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an Wochentagen ist die Straße, die wir jetzt still hinauf­ fahren, von früh bis spät belebt, und alles nur Denkbare, was sonst auf Knüppeldamm und Landstraße seines Weges zieht, das zieht dann auf dieser Wasserstraße hinab uud hinauf. Selbst die reichen Herden dieser Gegenden wirbeln keinen Staub auf, sondern werden ins Boot getrieben und gelangen in ihm von Stall zu Stall oder von Wiese zu Wiese. Der tägliche Verkehr bewegt sich auf diesem end­ losen Flußnetz und wird nur unterbrochen, wenn auf blumengeschmücktem Kahn, Musik vorauf, die Braut zur Kirche fährt, oder wenn still und einsam, von Leidtragenden in zehn und zwanzig Kähnen gefolgt, ein schwarzverhangenes Boot stromabwärts gleitet. Einzelne Häuser werden sichtbar; wir haben Lehde, das erste Spreewalds-Dorf, erreicht. Es ist die Lagunen­ stadt in Taschenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren gewesen sein mag, als die ersten Fischerfamilien auf seinen Sumpf-Eilanden Schutz suchten. Man kann nichts Lieblicheres sehn als dieses Lehde, das aus eben so vielen Inseln besteht, als es Häuser hat. Die Spree bildet die große Dorfstraße, darin schmalere Gassen von links und rechts her einmünden. Wo sonst Heckenzäune sich ziehn, um die Grenzen eines Grundstückes zu markieren, ziehen sich hier vielgestaltige Kanäle, die Höfe selbst aber sind in ihrer Grundanlage meistens gleich. Dicht an der Spreestraße steht das Wohnhaus, ziemlich nahe daran die Stallgebäude, während klafterweis aufgeschichtetes Erlenholz als schützen­ der Kreis um das Inselchen herläuft. Obstbäume und Düngerhaufen, Blumenbeete und Fischkasten teilen sich im übrigen in das Terrain und geben eine Fülle der reizendsten Bilder. Das Wohnhaus ist jederzeit ein Blockhaus mit kleinen Fenstern und einer tüchtigen Schilfdach-Kappe; das ist das Wesentliche; seine Schönheit aber besteht in seiner reichen und malerischen Einfassung von Blatt und Blüte: Kürbis rankt sich auf, und Geißblatt und Winde schlingen sich mit allen Farben hindurch. Endlich zwischen Haus und Ufer breitet sich ein Grasplatz aus, an den sich ein Brückchen

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oder ein Holzsteg schließt, und um ihn herum gruppieren sich die Kähne, kleiner und größer, immer aber dienstbereit, sei es, um bei Tag einen Heuschober in den Stall zu schassen oder am Abend einem Liebespaare bei seinem Stelldichein behilflich zu sein. 2. Die Leber ist von einem Hecht.

Die letzten Häuser von Lehde liegen hinter uns, und wieder dehnen sich Wiesen zu beiden Seiten aus, nur hier und da durch Erlengruppen oder ein paar einzeln stehende Eichen unterbrochen. In südöstlicher Richtung geht es stroman, eine Biegung noch und jetzt eine zweite, bis sich unser Flachkahn durch allerlei Tang und Kraut in einen schmalen und gradlinigen Kanal einschiebt, der die Verbindungsstraße zwischen den zwei Hauptarmen der Spree bildet. Dieser Kanal, eine halbe Meile lang, zählt mit zu den besonderen Schönheiten des Spreewaldes. Im allgemeinen wird sich sagen lassen, daß eine mit dem Lineal gezogene Linie landschaftlich ohne Reiz sei, jede Regel aber hat ihre Ausnahme — gewißlich hat sie sie hier — und ein Ver­ gleich mag diese Wasserstraße beschreiben. Jeder kennt die langgestreckten Laubgänge, die sich unter den Namen Poeten­ steige in allen altfranzösischen Parkanlagen vorfinden. Ein solcher Poetensteig ist nun der Kanal, der eben jetzt in seinerganzen Länge vor uns liegt: ein niedriges und dicht ge­ wölbtes Laubdach über uns, so gleiten wir im Boot die Straße hinauf, die nach Art einer Tute sich zuspitzend an. ihrem äußersten Ausgang ein phantastisch verkleinertes und nur noch halb erkennbares Pflanzengewirre zeigt, alles üt einem wunderbaren Licht. Endlich erreichen mir diesen Ausgang und fahren in abermaliger scharfer Biegung in einen breiten, aber überall mit Schlangenkraut überwachsenen Flußarm ein, der uns in weniger als einer Stunde nach der „Eiche", einem mitten im Spreewald gelegenen und von der Frau Schenker in gutem Ansehen erhaltenen Wirtshause führt. Inzwischen ist die Tafel gedeckt worden; der Tisch mit dem weißen Linnen

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steht unter einer mächtigen und prächtigen Linde, zwischen uns und dem Fluß aber wölbt sich eine hohe Laube von Pfeisenkraut, vor deren Eingänge — wie Puck aus seinem Pilz — Frau Schenkers jüngste Enkelin auf einem Baum­ stumpf sitzt und das lachende Gesicht, unter dem roten Kopf­ tuch halb verborgen, in Neugier auf die fremden Gäste herüberblickt. Und nun das Mahl selber! Das wäre kein echtes Spreewalds-Mahl, wenn nicht ein Hecht auf dem Tische stünde. Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einer Schleie, Der Fisch will trinken, gebt ihm was, daß er vor Durst nicht schreie!

Gustav Freytag. 212. Rückkehr der Franzosen aus Rußland. Irr den ersten Tagen des Jahres 1813 sielen die Schneeflocken; weiß wie ein Leichentuch war die Landschaft. Da bewegte sich ein langsamer Zug geräuschlos auf der Landstraße zu den ersten Häusern der Vorstadt. Das waren die rückkehrenden Franzosen. Sie waren vor einem Jahre der ausgehenden Sonne zu gezogen mit Trompetenklang und Trommelgerassel, in kriegerischem Glanz und mit ernpörendem Übermut. Endlos waren die Truppenzüge ge­ wesen, Tag für Tag ohne Aufhören hatte sich die Masse durch die Straßen der Stadt gewälzt, nie hatten die Leute ein so ungeheures Heer gesehen, alle Völker Europas, jede Art von Uniformen, Hunderte von Generälen. Die Riesen­ macht des Kaisers war tief in die Seelen gedrückt, das kriegerische Schauspiel mit seinem Glanz und seinen: Schrecken süllte uoch die Phantasie. Aber auch einem surchtbaren Verhängnis sah man ent­ gegen. Einen Monat hatte der endlose Durchzug gedauert; wie Heuschrecke:: hatten die Fre:nden von Kolberg bis Bres­ lau das Land aufgezehrt. Denn schon im Jahre 1811 war eine Mißernte gewesen, kaum hatten die Leute Saat­ hafer erspart; den fraßen 1812 die französischen Kriegs-

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Freytag.

Pferde; sie fraßen den letzten Halm Heu, das letzte Bund Stroh; die Dörfer mußten das Schock Häckselstroh mit 18 Talern, den Zentner Heu mit 2 Talern bezahlen. Und gröblich wie die Tiere verzehrten die Menschen. Vom Marschall bis zum gemeinen Soldaten waren sie nicht zu sättigen. König Hieronymus hatte in Glogau, keiner großen Stadt, täglich 400 Taler zu seinem Unterhalt erpreßt. Die Offiziere hatten von der Frau des armen Dorfgeistlichen gefordert, daß sie ihnen die Schinken in Rotwein koche; den fettesten Rahm tranken sie aus Krügen; auch der Ge­ meine bis zum Trommler hatte getobt, wenn er des Mittags nicht zwei Gänge erhielt; wie Wahnsinnige hatten sie ge­ gessen. Schon damals indes ahnte das Volk und die Franzosen selbst, daß sie so nicht zurückkehren würden. Aber was jetzt zurückkehrte, das kam kläglicher, als einer im Volke geträumt hätte. Es war eine Herde armer Sünder, die ihren letzten Gang angetreten hatten, es waren wandelnde Leichen. Ungeordnete Haufen, aus allen Trup­ pengattungen und Nationen zusammengesetzt, ohne Kom­ mandoruf und Trommel, lautlos wie ein Totenzug nah­ ten sie der Stadt. Alle waren unbewaffnet, keiner beritten, keiner in vollständiger Montur, die Bekleidung zerlumpt und unsauber, aus den Kleidungsstücken der Bauern und ihrer Frauen ergänzt. Was jeder gefunden, hatte er an Kopf und Schultern gehängt, um eine Hülle gegen die mark­ zerstörende Kälte zu haben: alte Säcke, zerrissene Pferde­ decken, Teppiche, Häute voll Katzen und Hunden. Man sah Grenadiere in großen Schafpelzen, Kürassiere, die Wei­ berröcke wie spanische Mäntel trugen. Nur wenige hatten Helm und Kzako, jede Art Kopftracht trugen sie, bunte und weiße Nachtmützen, wie sie der Bauer hatte, tief in das Gesicht gezogen, ein Tuch oder ein Stück Pelz zuni Schutz der Ohren darüber geknüpft, Tücher auch über dem untern Teil des Gesichtes. Und doch waren der Mehr­ zahl Ohren und Nasen erfroren, und feuerrot, erloschen lagen die dunklen Augen in ihren Höhlen. Selten trug

Freytag.

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einer Schuh oder Stiefel, glücklich war, wer in Filzsocken oder Pelzfchuheu den elenden Marsch machen konnte; vielen waren die Füße mit Stroh umwickelt, mit Decken, Lappen, dem Fett der Tornister oder dem Filz von alten Hüten. Alle wankteu, aus Stöcke gestützt, lahm und hinkend. Auch die Garden unterschieden sich von den übrigen wenig, ihre Mäntel waren verbrannt, nur die Bärenmützen gaben ihnen noch ein militärisches Ansehen. So schlichen sie daher, Offi­ ziere und Soldaten durcheinander, mit gesenktem Haupt, in dumpfer Betäubung. Alle waren durch Hunger und Frost und unsägliches Elend zu Schreckensgestalten geworden. Tag für Tag kamen sie jetzt auf der Landstraße her­ an, in der Regel, sobald die Abenddämmerung und der eisige Winternebel über den Häusern lag. Schrecklich war das lautlose Erscheinen der Franzosen, entsetzlich die Lei­ den, welche sie mit sich brachten; die Kälte in ihren Lei­ bern sei nicht fortzubringen, ihr Heißhunger sei nicht zu stillen, behauptete das Volk. Wurden sie in ein warmes Zimmer geführt, so drängten sie mit Gewalt an den Ofen, als wollten sie hineinkriechen; vergebens mühten sich mit­ leidige Hausfrauen, sie von der verderblichen Glut zurückzuhalteu. Gierig verschlangen sie das trockene Brot; ein­ zelne vermochten nicht aufzuhören, bis sie starben. Bis nach der Schlacht von Leipzig lebte im Volke der Glaube, daß sie mit ewigem Hunger oom Himmel gestrast seien. Noch dort geschah es, daß Gefangene in der Nähe des Lazarets sich die Stücke toter Pferde brieten, obwohl sie bereits regelmäßige Kost erhielten; doch damals behaupte­ ten die Bürger, das sei ein Hunger von Gott: einst hätten sie die schönsten Weizengarben ins Lagerfeuer geworfen, hätten gutes Brot ausgehöhlt und auf den Boden gekollert; jetzt seien sie verdammt, durch keine Menschenkost gesättigt zu werden. Überall in den Städten der Heerstraße wurden für die Heimkehrenden Lazarette eingerichtet, und sogleich waren alle Krankenstuben überfüllt; giftige Fieber verzehrten dort die- letzte Lebenskraft der Unglücklichen. Ungezählt find die

278

Freytag.

Görres.

Leichen, welche dort herausgetragen wurden: auch der Bür­ ger mochte sich hüten, daß die Ansteckung nicht in sein Haus drang. Wer von den Fremden vermochte, schlich des­ halb nach notdürftiger Ruhe müde und hoffnungslos der Heimat zu. Tie Bubeu auf der Straße aber sangen:

Ritter ohne Schwert, Reiter otme Pferd, Flüchtling ohne Schuh, Nirgends Rast mib Ruh. So hat sie Gott geschlagen Mit Mann mib Ros; und Wagen! und hinter ihnen gellte der höhnende Ruf: „Tie Kosaken sind da!" Tann kam in die flüchtige Masse eine Bewegung des Schreckens, und schneller wankten sie zum Tore hinaus.

Joseph Görres. 213. Preußens Erhebung 1813. war ein Schauspiel, desgleichen die neuere Ge­ schichte nicht gesehen, als Preußen endlich, das Unerträg­ liche Don sich werfend, aus eilnnal alle die Kraft wiederfand, die Dersiegt schien im Sande seiner Marken, und ausstand aus den: Hohn mit) Spotte wie der starke Btann, nachdem das Haar wieder nachgewachsen, um das ihn Hin­ terlist und Tücke einst gebracht. Wie aus tiefem Schlafe und bösem Traume erwachte auf einmal zusammenfahrend die Nation, und wie sie nm sich blickte und die Wirtschaft wahrgenommen, die das lDÜtige Heer, das mit seinem gellen­ den Halloh verwüstend durch Wald und Burg und überalle Straßen zog, angerichtet, da griff sie zornig nach dem Schwerte, das unter ihrem Haupte lag, und wie von Win­ dessturm Verblasen, fuhren die übermütigen Fremdlinge da­ hin, und keiner blieb über von einer Grenze zu der andern. Vom giftigen Herauch, durch den die Sonne über ganz Deutschland so viele Jahre blutrot schien, war auf eitu mal der Himmel weit umher gereinet und frei wieder die

Görres.

Goethe.

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Aussicht in den Äther. Herrlicher ist auf Erden nichts, als wenn ein ganzes Volk in dieser Weise in der Blüte mutiger Begeisterung steht und in eines jeden Herzen eine Flamme brennt, die, durchscheinend alles Körperhafte int Menschen, der sonst nur Staub und Asche ist und Sinnen­ trieb, ihn mit dem Schimmer einer höheren Natur um­ leuchtet. Schöner ist kein Zorn, als die Entrüstung einer edeln, mißhandelten Nation, die nach kurzem Selbstvergessen endlich ihre ganze Würde wiedersindet und nun aus ein­ mal den höhnenden Feind, der eben noch unter die Füße sie getreten, mit deut bloßen Schrecken ihres Namens schlügt. Solches ist ein Zeichen, daß Gott mit ihr ist, denn er ist immer bei deut Rechte, und von ihm kommt die Be­ geisterung, die Satanas mit aller seiner Pracht den Seinigen zu gebeut nicht vermag.

Johann Wolfgang Goethe. 214. Aus Werthers Leiden

(1774).

1. A m Brunne n. Ich weiß nicht, ob täuschende Geister um diese Gegend schweben, oder ob die ivarme himmlische Phantasie in meinem Herzen ist, die mir alles ringsumher so paradiesisch macht. Da ist gleich vor dem Orte eilt Brunn, ein Brunn, an beit tch ge­ bannt bitt, wie Melusine mit ihren Schwestern. — Du gehst einen Heilten Hügel hinunter und findest dich vor einem Ge­ wölbe, da wohl zwanzig Stufen hinabgehen, wo unten das klarste Wasser aus Marntorfelsen quillt. Das Mäuerchen, das oben her die Umfassung macht, die hohen Bäume, die den Platz ringsumher bedecken, die Kühle des Orts — das hat alles so was Anzügliches, was Schauerliches. Es vergeht kein Tag, daß ich nicht eine Stunde da sitze.'Da kommen denn die Mädchen aus der Stadt und holen Wasser, das harmloseste Geschäft und das nötigste, das ehemals die Töchter der Könige selbst verrichteten. Wenn ich da sitze, so lebt die patriarchalische

2R0

Goethe.

Idee so lebhaft um mich, wie sie alle, die Altväter, am Brun­ nen Bekanntschaft machen und freien, und wie um die Brun­ nen und Quellen wohltätige Geister schweben. O, der muß nie nach einer schweren Sommertagswanderung sich an des Brunnens Kühle gelabt haben, der das nicht mitempfinden kann. 2. Tie schaffende und die zerstörende Kraft der Natur.

Tas volle, warme Gefühl meines Herzens an der leben­ digen Natur, das mich mit so viel Wonne überströmte, das ringsumher die Welt mir zu einem Paradiese schuf, wird mir jetzt zu einem unerträglichen Peiniger, zu einem quälenden Geiste, der mich auf allen Wegen verfolgt. Wenn ich sonst vom Fels über den Fluß bis zu jenen Hügeln das fruchtbare Tal überschaute und alles um mich her keimen und quellen sah: wenn ich jene Berge, vom Fuße bis auf zum Gipfel mit hohen dichten Bänmen bekleidet, all jene Täler in ihren manuigfaltigeu Krümmungen, von den lieb­ lichsten Wäldern beschattet, sah und der sanfte Fluß zwischen den lispelnden Rohren dahingleitete und die lieben Wolken abspiegelte, die der sanfte Abendwind am Himmel herüber­ wiegte: wenn ich dann die Vögel um mich den Wald beleben hörte und die Millionen Mückenschwärme im letzten, roten Strahle der Sonne mutig tanzten und ihr letzter Blick den summenden Käfer aus seinem Grase befreite und das Gewebere um mich her mich auf den Boden aufmerksam machte und das Moos, das meinem harten Felsen seine Nahrung ab­ zwingt, unb das Geniste, das den dürren Sandhügel hinunter­ wächst, mir alles das innere, glühende, heilige Leben der Na­ tur eröffnete: wie umfaßt ich das all mit warntem Herzen, verlor mich in der unendlichen Fülle, und die herrlichen Ge­ stalten der unendlichen Welt bewegten sich alllebend in meiner Seele! Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lagen vor mir, und Wetterbäche stürzten herunter, die Flüsse ström­ ten unter mir, und Wald und Gebirg erklang. Und ich sah sie wirken unb schaffen ineinander in den Tiefen der Erde, all

Goethe.

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die Kräfte unergründlich, und null über der Erde und unter dem Himmel wimmeln die Geschlechter der Geschöpfe all, und alles, alles bevölkert mit tausendfachen Gestalten, und die Menschen dann sich in Häuslein .zusammensichern und sich annisten und herrschen in ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Tor! der du alles so gering achtest, weil du so klein bist! — Vom unzugänglichen Gebirge über die Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans Ende des unbekannten Ozeans weht der Geist des Ewigschaffenden und freut sich jedes Staubs, der ihn vernimmt und lebt. — Ach, damals, wie ost hab ich nrich mit Fittichen eines Kranichs, der über mich hinflog, zu den Ufern des ungemessenen Meeres gesehnt, aus dem schäumen­ den Becher des Unendlichen jene schwellelide Lebenswonne zu trinken, und nur einen Augenblick in der eingeschränkten Kraft meines Busens einen Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fühlen, das alles in sich und durch sich hervorbringt. Es hat sich vor meiner Seele, wie ein Vorhang, wegge­ zogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offnen Grabs. Kannst du sagen: „Das ist!" da alles vorübergeht, da alles mit der Wetterschnelle vorüberrollt, so selten die ganze Kraft seines Daseins ausdauert, ach! in den Strom fortgerissen, unterge­ taucht und an Felsen zerschmettert wird? Da ist kein Augen­

blick, der nicht dich verzehrte und die Deinigen um dich her, kein Augenblick, da du nicht ein Zerstörer bist, sein mußt: der harmloseste Spaziergang kostet tausend, tausend armen Würmchen das Leben, es zerrüttet ein Fußtritt die mühseligen Gebäude der Anreisen und stampft eine kleine Welt in ein schmähliches Grab. Ha' nicht die große, seltene Not der Welt, diese Fluten, die eure Dörfer wegspülerr, diese Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich; mir untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die int All der Natur verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst zerstörte. Und so taumele ich beängstet, Himmel und Erde und all die webende Kräfte um mich her: ich sehe nichts, als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkänendes Ungeheuer.

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Goethe.

3. Des Barden Alpin Totenklage über M o r a r. Nach O s s i a n.

Du warst schnell, o Morar, wie ein Reh auf dem Hügels schrecklich, wie die Nachtfeuer am Himmel, dein Grimm war ein Sturm, dein Schwert in der Schlacht, wie Wetterleuchten über der Heide. Deine Stimme glich dem Waldstrome nach dem Regen, dem Donner auf fernen Hügeln. Manche fielen von deinem Arm, die Flamme deines Grimmes verzehrte sie. Aber wenn du kehrtest vom Kriege, wie friedlich war deine Stimme! Dein Angesicht war gleich der Sonne nach dem Ge­ witter, gleich dem Monde in der schweigenden Nacht, ruhig deine Brust, wie der See, wenn sich das Brausen des Windes gelegt hat. Eng ist nun deine Wohnung, finster deine Stätte. Mit drei Schritten meß ich dein Grab, o du, der du ehe so groß warst! Vier Steine mit moosigen Häuptern sind dein einzig Gedächtnis. Ein entblätterter Baum, lang Gras, das wispelt im Winde, beutet dem Auge des Jägers das Grab des mäch­ tigen Morars. Keine Mutter hast du, dich zu beweinen, kein Mädchen mit Tränen der Liebe. Tot ist, die dich gebar, ge­ fallen die Tochter von Morglan. Wer auf seinem Stabe ist das? Wer ist's, dessen Haupt weiß ist vor Alter, dessen Augen rot sind von Tränen? — Es ist dein Vater, o Morar! Der Väter keines Sohnes außer dir! Er hörte von deinem Rufe in der Schlacht; er hörte von zerstobenen Feinden. Er hörte Morars Ruhm. Ach! nichts von seiner Wunde? Weine, Vater Morars! weine! aber dein Sohn hört dich nicht. Tief ist der Schlaf der Toten, niedrig ihr Kissen von Staub. Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er auf deinen Ruf. O, wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten dem Schlummer: Erwache! Lebewohl, edelster der Menschen, du Eroberer im Felde! Aber nimmer wird dich das Feld sehn, nimmer der düstere Wald leuchten vom Glanze deines Stahls. Du hinterließest keinen Sohn, aber der Gesang soll deinen Namen erhalten. Künftige Zeiten sollen von dir hören, hören sollen sie von

dem gefallenen Morar!

Goethe.

28»

215. Brief an Kestner. 25. Dezember 1772.

Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Lichte morgens wieder zu schrei­ ben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zu­ rückruft; ich habe mir Kaffee machen lassen, den Festtag zu ehren, und will Euch schreiben, bis es Tag ist. Der Türner hat sein Lied schon geblasen, ich wachte drüber auf. Gelobet seist du, Jesu Christ! Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder, die man singt und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen, und da ist mir's fiirs Enden nicht angst. Gestern Nacht ver­ sprach ich schon meinen lieben zwei Schattengesichtern, Euch zu schreiben, sie schweben um in ein Bett wie Engel Gottes. Ich hatte gleich bei meiner Ankunft Lottens Silhouette angesteckt; wie ich in Darmstadt war, stellen sie mein Bett herein, und siehe, Lottens Bild steht zu Häupten, das freute mich sehr, Leuchen hat jetzt die andere Seite, ich dank Euch, Kestner, für das liebe Bild, es stimmt weit mehr mit dem überein, was Ihr mir von ihr schriebt, als alles, was ich inraginiert hatte; so ist es nichts mit uns, die wir raten, phantasieren und weissagen. Der Türner hat sich wieder zu mir gekehrt, der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster. Gestern, lieber Kestner, war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande, unsere Lustbarkeit war sehr laut, und Geschrei und Ge­ lächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde, doch was können die heiligen Götter nicht wenden, wenn's ihnen beliebt: sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getrunken, mein Auge war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen, es ward Nacht. Nun muß ich Dir sagen, das ist immer eine Sympathie für meine Seele, wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von

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@oethe.

Morgen herauf nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis vom Abend her­ aufleuchtet. Seht, Kestner, wo das Land flach ist, ist's das herrlichste Schauspiel, ich habe, jünger und wärmer, stundenlang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wandrungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beiden Seiten, der still leuchtende Horizont, der Wiederschein im Fluß machte einen köstlichen Eindruck in {meine Seele, den ich mit beiden Armen umfaßte. Ich lief zu den Gerocks, ließ mir Bleistift geben und Papier und zeichnete zn meinet* großen Freude das ganze Bild so dämmernd warm, als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber, empfanden alles, was ich genracht hatte, und da war ich's erst gewiß, ich bot ihnen an Di*um zu würfeln, sie schlugen's aus und wollen, ich soll's Mercken schicken. Nun hängt's hier an meiner Wand und freut mich heute wie gestern. Wir hatten einen schönen Abend zusammen wie Leute, denen das Glück ein großem Geschenk genracht hat, urtD ich schlief ein, den Heiligerr im Himmel dankend, daß sie nrrs Kinderfreude zum Christ bescheren modelt. Al§ ich über den Markt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah, dachte ich an Euch und meine Bubens, wie Ihr ihnen konrmen würdet, diesen Augenblick, ein himmlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätt ich bei Euch sein können, ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminieren, daß es in den kleinen Köpfen ein Wiederschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte. Tie Torschließer komnren vom Burgemeister und rasseln mit Schlüsseln. Das erste Grau des Tages kommt mit über des Nachbars Haus, und die Glocken lauten einer christlichen Gemeinde zusammen. Wohl, ich bin erbaut hier oben auf nreiner Stube, die ich lange nicht so lieb hatte, als jetzt. Sie ist mit den glücklichsten Bildern ausgeziert, die mir freundlichen guten Morgen sagen. Sieben Köpfe nach Raphael, eingegeben vom lebendigen Geiste, einen da­ von habe ich nachgezeichnet und bin zufrieden mit, obgleich

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Goethe.

-nicht so froh. Aber meine lieben Mädchen! Lotte ist auch da und Lenchen auch. Sagen Sie Lenchen, ich wünschete so sehnlich zu kommen und ihr die Hände zu küssen, als der Musier, der so herzinnigliche Briefe schreibt. Das ist gar ein armseliger Herre. Ich wollte meiner Tochter ein Deckbette mit solchen Billetdoux füttern und füllen, und sie sollte so ruhig drunter schlafen wie ein Kind. Meine Schwester hat herzlich gelacht, sie hat von ihrer Jugend her auch noch dergleichen. Was ein Mädchen ist von gutem Gefühl, müssen dergleichen Sachen zuwider sein wie ein stinkig Ei. Der Kamm ist vertauscht, nicht so schön an Färb und Gestalt als der erste, hoffe doch brauchbarer. Lotte hat ein klein Köpfchen, aber es ist ein Köpfchen.

Der Tag konnnt mit Macht, wenn das Glück so schnell im Avancieren ist, so machen wir balde Hochzeit. Noch eine Seite muß ich schreiben so lange tu ich, als sähe ich's Tageslicht nicht. Grüßt mir Kielmansegg. Er soll mich lieb behalten. Der Kerl in Gießen, der sich um uns bekümmert, wie das Mütterlein im Evangelio um den verlornen Groschen, mit) überall nach uns leuchtet und stöbert, dessen Name keinen Brief verunzieren müsse, in dem Lottens Name steht und Eurer — der Kerl ärgert sich, daß wir nicht nach ihm sehen und sucht uns zu trecken, daß wir sein gedenken. Er hat um meine Baukunst geschrieben und gefragt so hastig, daß man ihm ansah: das ist gefunden Fressen für seinen Zahn, hat auch flugs in die Frankfurter Zeitung eine Rezension gesudelt, von der man mir erzählt hat. Als eüt wahrer Esel frißt er die Disteln, die um meinen Garten wachsen, nagt an der Hecke, die ihn vor solchen Tieren verzäunt und schreit dann sein kritisches I — a! ob er nicht etwa dem Herrn in seiner Laube bedeuten möchte:

ich bin auch da! Nun adieu! es ist hell Licht. Gott sei bei Euch, wie ich bei Euch bin. Der Tag ist festlich angefangen. Leider

muß ich nun die schönen Stunden mit Rezensieren verHessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

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Goethe. Elisabeth Goethe.

derben, ich tu's aber mit gutem Mut, denn es ist fürs letzte Blatt. Lebt Wohl und denkt an mich, an das seltsame Mittel­ ding zwischen dem reichen Mann und dem armen Lazarus. Grüßt mir die Lieben alle. Und laßt von Euch hören!

Elisabeth Goethe. 216. Briefe an die Ihrigen. 1. An Goethe in Rom.

Frankfurt, den 17. November 1786. Lieber Sohn. Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte mich nicht mehr in Verwunderung setzen können, als Tein Brief aus Rom. Jubilieren hätte ich vor Freude mögen, daß der Wunsch, der von frühester Jugend an in Deiner Seele lag, nun in Erfüllung gegangen ist. Einen Menschen, wie Du bist, mit Deinen Kenntnissen, mit Deinem großen Blick vor alles, was gut, groß und schön ist, der so ein Adlerauge hat, muß so eine Reise auf sein ganzes übriges Leben vergnügt und glücklich machen, und nicht allein Dich, sondern alle, die das Glück haben, in Deinem Wirkungskreis zu leben. Ewig werden mir die Worte der seligen Klettenbergern int Gedächtnis bleiben: „Wenn dein Wolfgang nach Mainz reiset, bringt er mehr Kenntnisse mit als andere, die von Paris oder London zurückkommen." Aber sehen hätte ich Dich mögen beim ersten Anblick der Peterskirche. Doch Du versvrichst ja, mich in der Rückreise zu besuchen, das mußt Du mir alles haarklein erzählen. Bor ungefähr vier Wochen schrieb Fritz von Stein, er wäre Deinetwegen in großer Verlegenheit, kein Mensch, selbst der Herzog nicht, wüßten, wo Tu wärest, jedermann glaubte Dich in Böhmen u. s. w. Dein mir so sehr lieber und interessanter Brief vom 4. November kam Mittwochs den 15. dito abends um 6 Uhr bei mir an. — Denen Beth-

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Elisabeth Goethe.

männern habe ich ihren Brief auf so drollige Weise in die

Hände gespielt, daß sie gewiß auf mich nicht raten. Von meinem innern und äußern Befinden folgt hier ein genauer und treuer Abdruck: Mein Leben fließt still dahin wie ein klarer Bach. Unruhe und Getümmelt war von jeher meine Sache nicht, und ich danke der Vorsehung vor meine Tage. Tausend würde so ein Leben zu eintönig Vorkommen, mir nicht; so ruhig mein Körper ist, so tätig ist das, was in mir denket — da kann ich so einen ganzen geschlagenen Tag ganz allein zubringen, erstaune, daß es Abend ist, und bin vergnügt wie eine Göttin, und mehr als vergnügt und zufrieden sein braucht man wohl in dieser Welt nicht. Das Neueste von Deinen alten Bekannten ist, daß Papa la Roche nicht mehr in Speier ist, sondern sich ein Haus in Offenbach gekauft hat und sein Leben allda zu beschließen gedenket. Deine übrigen Freunde sind alle noch, die sie waren, keiner hat so Riesenschritte wie Du gemacht. Wir waren aber auch immer die Lakaien, sagte einmal der verstorbene Max Mohrs. Wenn du herkommst, so müssen diese Menschenkinder alle eingeladen und herrlich traktiert werden: Wildbrets, Braten, Geflügel, wie Sand am Meer — es soll eben pompos hergehen. Lieber Sohn, da fällt mir nun ein untertäniger Zweifel ein, ob dieser Brief wohl in Deine Hände kommen möchte: ich weiß nicht, wo Tn in Rom wohnest, Du bist halb inkognito, wie Du schreibest. Wolleu das Beste hoffen. Du wirst doch, ehe Du kommst, noch etwas von Dir hören lassen, so glaube ich, jede Postschäße brächte mir meinen einzig Geliebten — und betrogene Hoffnung ist meine Sache gar nicht. Lebe­ wohl, Bester! Und gedenke öfters an Deine treue Mutter Elisabeth« Goethe. 2. über lateinische Lettern.

(Aus Briefen an Christiane und an ihren Sohn). Den 12. März 1798. Nun ein Wort über unser Gespräch bei Deinem Hier­ sein über die lateinischen Lettern — den Schaden, den sie

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Elisabeth Goethe.

der Menschheit tun, will ich Dir ganz handgreiflich dartun. Sie sind wie ein Lustgarten, der Aristokraten gehört, wo niemand als Noblesse — und Leute mit Stern und Bändern hineindürfen — unsere deutschen Buchstaben sind wie der Prater in Wien, wo der Kaiser Joseph drüber schreiben ließ: Für alle Menschen. — Wären Deine Schriften mit den fatalen Aristokraten gedruckt, so allgemein wären sie bei all ihrer Vortrefflichkeit nicht geworden — Schneider — Näherinnen — Mägde — alles liest es — jedes findet etwas, das so ganz für sein Gefühl paßt — genug, sie gehen mit der Literaturzeitung, Doktor Hufnagel, u. a. m. pele mele im Prater spazieren, ergötzen sich, segnen den Autor und lassen ihn hoch leben!!! Was hat Hufeland übel getan, sein vortreffliches Buch mit den vor die größte Menschenhälfte unbrauchbaren Lettern drucken zu lassen — sollen denn nur Leute von Stand aufgeklärt werden? soll denn der Geringere von allem Guten ausgeschlossen sein? und das wird er, wenn dieser neumodischen Fratze nicht Einhalt getan wird. Von Dir, mein lieber Sohn, hoffe ich, daß ich nie ein solches menschenfeindliches Produkt zu scheu bekomme. Den 25. Dezember 1807.

Seine Eugenik, das ist ein Meisterstück — aber die Großmutter hat aufs neue die lateinischen Lettern und den kleinen Druck zum Adrachmelech gewünscht; er lasse ja nichts mehr so in die Welt ausgehn! — halte fest an deutschem Sinn — deutschen Buchstaben; denn wenn das Ding so fortgeht, so wird in 50 Jahren kein Teutsch mehr weder geredet noch geschrieben — und Tu und Schiller, Ihr seid hernach klassische Schriftsteller, wie Horaz, Livius, Ovid, und wie sie alle heißen; denn wo keine Sprache mehr ist, da ist auch kein Volk — was werden alsdann die Professoren Euch zergliedern — auslegen — und der Jugend einbleuen — darum, so lang es geht: deutsch, deutsch geredet, ge­ schrieben und gedruckt!

Elisabeth Goethe.

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3. A n C h r i st i a n e. Den 23. September 1797.

Liebe Freundin! Zwei-, ja dreifachen Dank bin ich Ihnen schuldig: vor die Huflandischen Bücher — vor die außerordentlichen schönen und wohlgeratnen Strümpfe, die mir wie angegossen sind und mich diesen Winter vor der Kälte Wohl beschützen sollen — und endlich, daß Sie mir doch ein klein Fünkchen Licht von meinem Sohn angezündet haben; vermutlich wissen Sie also, wo er ist. Gestern waren es vier Wochen, daß er von hier weggereist ist, und ich habe noch keine Zeile von ihm gesehen. Die Briefe, die nach seiner Abreise bei mir eingelaufen sind, liegen ruhig auf meinem Tisch, da ich nicht weiß, wo er ist — und ich sie also unmöglich ihm nachschicken kann. Da ich von Ihnen, liebe Freundin, höre, daß er wohl und vergnügt ist, so bin ich ruhig und will alles andere ge­ duldig abwarten. Unsere Messe ist diesmal außerordentlich brillant: königliche Bräute, zukünftige Kurfürstinnen, Prin­ zen, dito Prinzessinnen, Grafen, Barone mit und ohne Stern u. s. w. Es ist ein Fahren, Reiten, Gehen durcheinander, das spaßhaft anzuschauen ist. Mittlerweile wir nun hier gaffen, klaffen und ein wahres Schlaraffenleben führen, sind Sie, meine Liebe, arbeitsam, sorgsam, wirtschaftlich, damit, wenn der Hätschelhaus zurückkommt, er Kammern und Speicher angefüllt von allem Guten vorfinden wird. Neh­ men Sie auch dafür meinen besten Dank, denn ein wirt­ schaftliches Weib ist das edelste Geschenk vor einen Bieder­ mann, da das Gegenteil alles zerrüttet und Unglück und Jammer über die ganze Familie verbreitet. Bleiben Sie bei denen Ihnen beiwohnenden edlen Grundsätzen, und Gott und Menschen werden Wohlgefallen an Ihnen haben, auch wird die Ernte die Mühe reichlich belohnen. Grüßen Sie den lieben Augst und danken ihm durch einen Kuß vor seinen lieben Brief! Gott erhalte ihn zu unser aller Freude gesund und lasse ihn in die Fußstapfen seines Vaters treten!

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Elisabeth Goethe^

Amen. Behalten Sie mich indessen in gutem, liebevollem Andenken, und seien Sie versichert, daß ich bis ans Ende meiner Tage sein werde dero treue Mutter und Freundin Goethe. 4. A ii ihre n E n k e l A u g u st Goethe. Den 21ten Juli 1798.

Lieber Augst!

So oste ich ein so schön und deutlich geschriebenes Heft von Dir erhalte, so freue ich mich, daß Du so geschickt bist, die Tinge so ordentlich und anschaulich vorzutragen, auch schäme ich mich nicht, zu bekennen, daß Tu mehr von diesen Sachen, die von so großem Nutzen sind, weißt, als die Großmutter. Wenn ich so gerne schriebe wie Du, so könnte ich Dir erzählen, wie elend die Kinder zu der Zeit meiner Jugend erzogen wurden. Tanke Du Gott und Deinen lieben Eltern, die Dich alles Nützliche und Schöne so gründlich sehen und beurteilen lernen, daß andere, die dieses Glück der Erziehung nicht haben, im 30. Jahre noch alles vor Un­ wissenheit anstaunen, wie die Kuh ein ueues Tor. Nun ist es aber auch Deine Pflicht, Deinen lieben Eltern recht ge­ horsam zu sein und ihnen vor die viele Mühe, die sie sich geben, Deinen Verstand zu bilden, recht viele, viele Freude zu machen, auch den lieben Gott zu bitten, Vater und Mutter gesund zu erhalten, damit sie Dich zu allem Guten ferner anführen können. Ja, lieber Augst! Ich weiß aus Er­ fahrung, was das heißt, Freude au seinem Kinde erleben — Tein lieber Vater hat mir nie, nie Kummer oder Ver­ druß verursacht — drum hat ihn auch der liebe Gott ge­ segnet, daß er über viele, viele empor gekommen ist und hat ihm einen großen und ausgebreiteten Ruhm genracht, und er wird von allen rechtschaffenen Leuten hochgeschätzt. Da nimm ein Exempel und Muster dran, denn so einen Vater haben Und nicht alles anwenden, auch brav zu werden, das läßt sich von so einem lieben Sohn nicht denken, wie mein Augst ist. Wenn Du wieder so interessante Nachrichten ge-

Elisabeth Goethe.

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sammelt hast, so schicke sie mir. — Ich bin und bleibe Deine treue und gute Großmutter Goethe.

5. An ihre Enkelin Luise Nicolovius. (Glückwunschbries zur Geburt ihres Urenkels, Johann Georg Eduard Nicolovius.)

Den 5. April 1796. Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen, der große Tinge tut — ja wohl, an Euch, an mir, an uns allen hat er sich aufs neue als den manifestiert, der freund­ lich ist und dessen Güte ewiglich währet — gelobet sei sein heiliger Name, Amen! Lieben Kinder! Gott segne Euch in Eurem neuen Stand! Ter Vater- und Muttername ist ehrwürdig — o, was vor Freuden warten Eurer! und glück­ liches Knäblein, die Erziehung solcher vortrefflichen Eltern und Großeltern zu genießen — wie sorgfältig wirst Tu, mein kleiner Liebling, nach Leib und Seele gepflegt werden! wie frühe wird guter Same in Dein junges Herz gesät wer­ den — wie bald alles, was das schöne Ebenbild Gottes, was Tu an Dir trägst, verunzieren könnte, ausgerottet sein — Tu wirst zunehmen an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen! Tie Urgroßmutter kann zu allem diesem Guten nichts beitragen, die Entfernung ist zu groß. Sei froh, lieber Johann Georg Eduard, die Urgroß­ mutter kann keine Kinder erziehen, schickt sich gar nicht dazu — tut ihnen allen Willen, wenn sie lachen und freundlich sind, und prügelt sie, wann sie greinen oder schiefe Mäuler machen, ohne auf den Grund zu gehen, warum sie lachen, warum sie greinen — aber lieb will ich Dich haben, mich herzlich Deiner freuen, Deiner vor Gott ofte und viel ge­ denken, Dir meinen urgroßmütterlichen Segen geben, ja, das kann, das werde ich. — Nun habe ich dem jungen Welt­ bürger deutlich gesagt, was er von mir zu erwarten hat, jetzt mit Euch, meinen lieben großen Kindern, noch ein paar Worte: Meinen besten Dank vor Eure mir so liebe und teure Briefe — sie tun meinem Herzen immer wohl und machen

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Elisabeth Goethe.

mich überaus glücklich — besonders die Nachricht, daß das Päckchen wohl angekommen wäre, denn darüber hatte ich große Besorgnis, machte mich sehr froh — denn denkt nur!! wenn der Urgroßmutter ihr Machwerk, worüber die gute Matrone so manchen lieben langen Tag gesessen und ge­ klöppelt hat, wäre verloren gegangen oder zu spät gekommen, das wäre mir gar kein Spaß gewesen. Der kleine Junge hat mir den Kopf vor lauter Freude so verrückt, daß die eigentliche Gratulation, die doch nach der ordentlichen Ordnung zu Anfang stehen sollte, jetzt hinten­ nach kommt — bedeutet aber ebensoviel und geht ebenso aus dem Herzen. Gott lasse Euch Freude und Wonne in großem Maß an Eurem Kindlein erleben! es sei Eure Stütze auch in Eurem Alter! es sei Euch das, was Ihr Euren Eltern und der Großmutter seid! das ist der beste Wunsch, besser weiß ich keinen. — Liebe Frau Gevatterin! (der Titel macht mir großen Spaß), wenn dieses zu Ihren Händen kommt, da ist Sie wieder frisch und flink, aber höre Sie, sei Sie's nicht gar zu sehr — gehe Sie nicht zu früh in die Aprilluft, denn der hat seine Nücken, wie die alte Gertraud im Wands­ becker Boten. Bleibe Sie hübsch in Ihrem Kämmerlein, bis der Mai kommt, damit kein Katarrh und Husten Sie be­ schweren möge — nun, ich hoffe, Sie wird guten Rat an­ nehmen. Nun, lieber Herr Gevatter! Tausend Dank noch­ mals vor alle Eure Liebe — vor Eure schönen Briefe, der Luise ihre mit eingeschlossen, vor die gute, herzerfreuende Nachricht, vor die Gevatterschaft, vor alles Liebes und Gutes, womit Ihr schon so manchmal mein Herz erfreut habt — Gott lohne Euch dafür! Behaltet mich lieb! Ihr lebt und schwebt in dem Herzen derjenigen, die ist und bleibt Eure treue Großund Urgroßmutter Goethe. N. S. Der vortrefflichen Frau Gräfin von Stolberg, wie nicht minder der lieben Tante Jacobi meinen besten Tank vor ihre Liebe und Freundschaft gegen meine Luise — Gott segne sie davor! Der Scharlot habe ich sogleich den Brief überschickt — Himmel! was wird die vor Freude greinen! Das ist ein herzgutes, aber kurioses Geschöpf:

Elisabeth Goethe.

Grimm.

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die greint bei Freude, die greint bei Leide, wenn's regnet und wenn die Sonne scheint, verdirbt ihre Augen ganz ohne Not und macht dem Urenkelein keine Spitzen!

Jakob Grimm und Wilhelm Grimm. 217. Märchen und Sage. 1. Das Märchen.

Wir finden es wohl, wenn von Sturm und anderem Unglück, das der Himmel schickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen wird, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert hat und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort: keine frühe Sichel schneidet sie für die großen Vorratskammern, aber im Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die sie suchen, und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig gebunden und höher geachtet, als sonst ganze Garben, werden sie heim getragen, und winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft. So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben, wie von so vielem, was in früherer Zeit geblüht hat, nichts mehr übrig geblieben, selbst die Erinnerung daran fast ganz verloren war, als unter dem Volke Lieder, ein paar Bücher, Sagen und diese unschuldigen Hausmärchen. Die Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage noch ge­ feiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie ge­ sichert und einer Zeit aus der anderen überliefert haben. Wir wollen diese Märchen nicht rühmen oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung verteidigen: ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich und ist gewiß aus jener

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Grimm.

ewigen Quelle gekommen, die alles Leben betaut, und wenn es auch nur ein einziger Tropfen wäre, den ein kleines, zusammengehaltenes Blatt gefaßt hat, so schimmert er doch in dem ersten Morgenrot. Darum geht innerlich durch diese Dichtungen jene Rein­ heit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig er­ scheinen: sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen, makel­ losen, glänzenden Augen, die nicht mehr wachsen können, während die anderen Glieder noch zart, schwach und zum Dienste der Erde ungeschickt sind. Das ist der Grund, warum wir durch unsre Sammlung nicht bloß der Geschichte der Poesie und Mythologie einen Dienst erweisen wollten, son­ dern es zugleich Absicht war, daß die Poesie selbst, die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreuen kann, also auch, daß es als ein Erziehungsbuch diene. 2. Die Sage.

Es wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wenn er ins Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden be­ gleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohltätige Be­ gleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte, welche nebeneinander stehen und uns nach­ einander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben. Jedes hat seinen eigenen Kreis. Das Märchen ist poetischer, die Sage historischer; jenes stehet beinahe nur in sich selber fest, in seiner angeborenen Blüte und Vollendung; die Sage, von einer geringeren Mannigfaltigkeit der Farbe, hat noch das Besondere, daß sie an etwas Bekanntem und Bewußtem hafte, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen. Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt, daß sie nicht, gleich dem Märchen, überall zu Hause sein könne, sondern irgend eine Bedingung voraussetze, ohne welche sie bald gar nicht da, bald nur unvollkommener vorhanden sein würde. Kaum

Grimm.

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ein Flecken wird sich in ganz Deutschland finden, wo es nicht ausführliche Märchen zu hören gäbe, manche, an denen die Volkssagen nur dünn und sparsam gesät zu sein Pflegen. Diese anscheinende Dürftigkeit und Unbedeutendheit zu­ gegeben, sind sie dafür innerlich auch weit eigentümlicher; sie gleichen den Mundarten der Sprache, in denen hin und wieder sonderbare Wörter und Bilder aus uralten Zeiten hangen geblieben sind, während die Märchen ein ganzes Stück alter Dichtung sozusagen in einem Zuge zu uns übersetzen. Tie Märchen nähren unmittelbar, wie die Milch, mild und lieblich, oder der Honig, süß und sättigend, ohne irdische Schwere; dahingegen die Sagen schon zu einer stärkeren Speise dienen, eine einfachere, aber desto entschiedenere Farbe tragen und mehr Ernst und Nachdenken fordern. Der Geschichte stellen sich beide, das Märchen und die Sage, gegenüber, insofern sie das sinnlich Natürliche und Begreif­ liche stets mit dem Unbegreiflichen mischen. Die Kinder glauben an die Wirklichkeit der Märchen, aber auch das Volk hat noch nicht ganz aufgehört, an seine Sagen zu glauben, und sein Verstand sondert nicht viel darin; sie werden ihm aus den angegebenen Unterlagen genug bewiesen, d. h. das unleugbar nahe und sichtliche Dasein der letzteren überwiegt noch den Zweifel über das damit ver­ knüpfte Wunder. Um alles menschlichen Sinnen Ungewöhnliche, was die Natur eines Landstrichs besitzt, oder wessen ihn die Ge­ schichte gemahnt, sammelt sich ein Duft von Sage und Lied, wie sich die Ferne des Himmels blau anläßt und zarter, feiner Staub um Obst und Blumen setzt. Aus dem Zu­ sammenleben und Zusammenwohnen mit Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen entspringt bald eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigentümlichkeit jedes dieser Gegenstände gründet und zu gewissen Stunden ihre Wunder zu vernehmen berechtigt ist. Wie mächtig dies dadurch ent­ stehende Band sei, zeigt an natürlichen Menschen jenes herz­ zerreißende Heimweh. Ohne diese sie begleitende Poesie müßten edele Völker vertrauern und vergehen; Sprache,

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Heine.

Sitte und Gewohnheit würde ihnen eitel und unbedeckt dünken, ja, hinter allem, was sie besäßen, eine gewisse Ein­ friedigung fehlen. Auf solche Weise verstehen wir das Wesen und die Tugend der deutschen Volkssage, welche Angst und Warnung vor dem Bösen und Freude an dem Guten mit gleichen Händen austeilt. Noch geht sie an Orter und Stellen, die unsere Geschichte längst nicht mehr erreichen kann, vielmal aber fließen sie beide zusammen und untereinander; nur daß man zuweilen die an sich untrennbar gewordene Sage, wie in Strömen das aufgenommene grünere Wasser eines andern Flusses, noch lange zu erkennen vermag.

Heinrich Heine. 218. Harzwanderung. 1.

21 ufstieg zum Brocken.

Fröhlich stieg ich den Berg hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, für die ich in jeder Hinsicht Respekt habe.' Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es sich in der Jugend sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen Granitblöcken übersäet, und die meisten Bäume mußten mit. ihren Wurzeln diese Steine umranken oder sprengen und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein Tor bildend, übereinander, und oben darauf stehen die Bäume, die nackten Wurzeln über jene Steinpforte hinziehend und erst am Fuße derselben den Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen scheinen. Und doch

haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe emporgeschwungen, und mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forst­ boden des flachen Landes. So stehen auch im Leben jene großen Männer, die durch das Überwinden früher Hemmungen und Hindernisse sich erst recht gestärkt und be­ festigt haben. Auf den Zweigen der Tannen kletterten Eich-

Heine.

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Hörnchen, nnd unter denselben spazierten die gelben Hirsche. Wenn ich solch ein liebes, edles Tier sehe, so kann ich nicht begreifen, wie gebildete Leute Vergnügen daran finden, es zu hetzen und zu töten. Solch ein Tier war barmherziger nls die Menschen und säugte den schmachtenden Schmerzen­ reich der heiligen Genoveva. Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das lichte Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Überall schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schönsten Moosarten wie mit hellgrünen Samtpolstern bewachsen. Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel. Hier und da sieht man, wie das Wasser unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten Baumwurzeln und Fasern bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben hinabbeugt, so belauscht man gleich­ sam die geheime Bildungsgeschichte der Pflanzen und das ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt das Wasser aus den Steinen und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Kaskaden. Da läßt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vögel singen ab­ gebrochene Sehnsuchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend Mädchenzungen, wie mit tausend Mädchenaugen schauen uns an die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach uns aus die wundersam breiten, drollig gezackten Blätter, spielend flimmern hin und her die lustigen Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräutlein erzählen sich grüne Märchen, es ist alles wie verzaubert, es wird immer heimlicher und heim­ licher, ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint —■ ach, daß sie so schnell wieder verschwindet! Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammenzuschrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rotbeersträuche und Bergkräuter übrig bleiben. Da wird es auch schon fühlbar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher Größe. Das mögen wohl die Spiel­ bälle sein, die sich die bösen Geister einander zuwerfen in

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Heine.

der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und Mistgabeln einhergeritten kommen und die abenteuer­ lich verruchte Lust beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzählt. In der Tat, wenn man die obere Hälfte des Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die ergötzlichen Blocksberggeschichten zu denken und besonders an die große mystische deutsche Nationaltragödie vom Doktor Faust. Mir war immer, als ob der Pferdefuß neben mir hinaufklettere und jemand humoristisch Atem schöpfe. Und ich glaube, auch Mephisto muß mit Mühe Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt; es ist ein äußerst erschöpfender Weg, und ich war froh, als ich endlich das langersehnte Brocken­ haus zu Gesicht bekam. 2. Abstieg ins Jlsetal.

Nun machten auch die Studenten Anstalt zum Abreisen, die Ranzen wurden geschnürt, die Rechnungen, die über alle Erwartung billig ausfielen, berichtigt; und so stiegen wir alle den Berg hinab, indem die einen den Weg nach Schierke einschlugen und die andern, ungefähr zwanzig Mann, wo­ bei auch meine Landsleute und ich, angeführt von einem Wegweiser, durch die sogenannten Schneelöcher hinabzogen nach Ilsenburg. Das ging über Hals und Kopf. Hallesche Studenten marschieren schneller, als die österreichische Landwehr. Ehe ich mich dessen versah, war die kahle Partie des Berges mit den darauf zerstreuten Steingruppen schon hinter uns, und wir kamen durch einen Tannenwald, wie ich ihn den Tag vorher gesehen. Die Sonne goß schon ihre festlichsten Strahlen herab und beleuchtete die buntgekleideten Burschen^ die so munter durch das Dickicht drangen, hier verschwanden, dort wieder zum Vorschein kamen, bei Sumpfstellen über die quergelegten Baumstämrne liefen, bei abschüssigen Tiefen an den rankenden Wurzeln kletterten, in den ergötzlichsten Tonarten emporjohlten und ebenso lustige Antwort zurück­ erhielten von den zwitschernden Waldvögeln, von den

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rauschenden Tannen, von den unsichtbar plätschernden Quellen und von dem schallenden Echo. Wenn frohe Jugend und schöne Natur zusammenkommen, so freuen sie sich wechselseitig. Je tiefer wir hinabstiegen, desto lieblicher rauschte das unterirdische Gewässer, nur hier und da, unter Gestein und Gestrüppe, blinkte es hervor und schien heimlich zu lauschen, ob es ans Licht treten dürfe, und endlich kam eine kleine Welle entschlossen hervorgesprungen. Nun zeigt sich die ge­ wöhnliche Erscheinung; ein Kühner macht den Anfang, und der große Troß der Zagenden wird plötzlich zu seinem eigenen Erstaunen von Mut ergriffen und eilt, sich mit jenem ersten zu vereinigen. Eine Menge anderer Quellen hüpften jetzt hastig aus ihrem Versteck, verbanden sich mit der zuerst hervorgesprungenen, und bald bildeten sie zusammen ein schon bedeutendes Bächlein, das in unzähligen Wasserfällen und in wunderlichen Windungen das Bergtal hinabrauscht. Das ist nun die Ilse, die liebliche, süße Ilse. Sie zieht sich durch das gesegnete Jlsetal, an dessen beiden Seiten sich die Berge allmählich höher erheben, und diese sind bis zu ihrem Fuße meistens mit Buchen, Eichen und gewöhnlichem Blattge­ sträuche bewachsen, nicht mehr mit Tannen und anderm Nadelholz. Denn jene Blätterholzart wird vorherrschend auf dem Unterharze, wie man die Ostseite des Brockens nennt, im Gegensatz zur Westseite desselben, die der Oberharz heißt und wirklich viel höher ist und also auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhölzer. Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivetät und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuer­ lich gebildeten Felsstücke, die sie in ihrem Laufe findet, so daß das Wasser hier wild emporzischt oder schäumend über­ läuft, dort aus allerlei Steinspalten, wie aus tollen Gieß-kannen, in reinen Bögen sich ergießt und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Sage ist wahr, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft. Wie blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im

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Herder.

Wind ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen ihre Diamanten! Die hohen Buchen stehen dabei gleich ernsten Vätern, die verstohlen lächelnd dem Mutwillen des lieblichen Kindes zusehen; die weißen Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt und doch zugleich ängstlich über die gewagten Sprünge; der stolze Eichbaum schaut darein wie ein verdrießlicher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen soll; die Vögelein in den Lüften jubeln ihren Beifall, die Blumen am Ufer flüstern zärtlich: „O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb Schwesterchen!" — aber das lustige Mädchen springt unaufhaltsam weiter, und plötzlich ergreift sie den träumenden Dichter, und es strömt auf mich herab ein Blumenregen von klingenden Strahlen und strahlenden Klängen, und die Sinne vergehen mir vor lauter Herrlichkeit, und ich höre nur noch die flötensüße Stimme: „Ich bin die Prinzessin Ilse Und wohne im Jlsenstein; Komm mit nach meinem Schlosse, Wir wollen selig sein! Dein Haupt will ich benetzen Mit meiner klaren Well, Du sollst deine Schmerzen vergessen, Du sorgenkranker Gesell!"

Johann Gottfried Herder. 219. Alte deutsche Volksdichtung. Der Strich romantischer Denkart läuft über Europa, wie nun aber über Deutschland besonders? Kann man beweisen, daß es wirklich seine Lieblingshelden, Original­ sujets, National- und Kindermythologien gehabt und mit eigenem Gepräge bearbeitet habe? Parzival, Melusine, Magellone, Artus, die Ritter der Tafelrunde, die Rolands­ märchen sind fremdes Gut; sollten die Deutschen denn von jeher bestimmt gelvesen sein, nur zu übersetzen, nachzuahmen? Unser Heldenbuch singt von Dietrich, von dem aber auch alle Nordländer singen; wie weit hinauf zieht sich's, daß

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dieser Held deutsch oder romanisch ist besungen worden? Gehört er uns zu, wie Roland, Arthur, Fingal, Achill, Äneas andern Nationen? Ich freue mich unendlich auf die Arbeiten eines gelehrten jungen Mannes in diesem Felde, dem ich bei kritischem Scharfsinn zugleich völlige Toleranz jeder Sitte, Zeit und Denkart zur Muse und dann die Bibliotheken zu Rom, Oxford, Wien, St. Gallen, int Eskurial usw. zu Gefährten wünschte. Rittergeist der mittlern Zeiten, in welchem Palaste würdest du weben! Auch die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mytho­ logie gehören hierher. Sie sind gewissermaßen Resultate des Volksglaubens, seiner sinnlichen Anschauung, Kräfte imb Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß, glaubt, lueil matt nicht siehet, und mit der ganzen, unzerteilten und ungebildeten Seele wirkt: also ein großer Gegenstand für den Geschichtschreiber der Menschheit, den Poeten und Poetiker uitb Philosophen. Sagen einer Art haben sich mit den nordischen Völkerm über viel Länder und Zeiten ergossen, jeden Orts aber und in jeder Zeit sich anders gestaltet; wie trifft das nun auf Deutschland? Wo sind die allgemeinsten und sonderbarsten Volkssagen entsprungen? wie gewandert? wie verbreitet und geteilet? Deutschland überhaupt und einzelne Provinzen Deutschlands haben hierin die sonderbarsten Ähnlichkeiten und Abweichungen: Provinzen, iuo noch der ganze Geist der Edda von Un­ holden, Zauberern, Riesenweibern, Walküren selbst dem Ton der Erzählung nach voll ist; andre Provinzen, wo schon mildere Märchen, fast ovidische Verwandlungen, sanfte Aben­ teuer und Feinheit der Einkleidung herrschet. Die alte wendische, schwäbische, sächsische und holsteinische Mytho­ logie, sofern sie noch in Volkssagen und Volksliedern lebt, mit Treue ausgenommen, mit Helle angeschaut, mit Frucht­ barkeit bearbeitet, wäre wahrlich eine Fundgrube für den Dichter und Redner seines Volkes, für den Sittenbildner und Philosophen. Ich sage nur soviel: hätten wir nur die Stücke ge­ sammelt, aus denen sich Nutzbarkeiten der Art ergäben Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

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— aber wo sind sie? An allgemeinen Wünschen fehlte freilich nicht. Als vor weniger Zeit die Barden-Windsbraut brauste, wie wurde nach den Gesängen gerufen, die der große Karl gesammelt haben soll! Wie wurden diese völlig unbekannterweise gelobt, nachgeahmt, gesungen, ihr Fund so leicht gemacht, als ob sie nur aus der Hand gelegt wären. Aber wären diese Gesänge in einer Sprache, wie sie notwendig sein müßten, wieviel Lobredner würden stracks zurückgehen und sagen: ich kenne euch nicht! Als der Manessische Kodex ans Licht kam, welch ein Schatz von deutscher Sprache, Dichtung, Liebe und Freude erschien in diesen Dichtungen des schwäbischen Zeitalters! Hat indessen wohl diese Sammlung alter Vaterlandsge­ dichte die Wirkung gemacht, die sie machen sollte? Wir sollen von unserer klassischen Sprache weg, sollen noch ein ander Deutsch lernen, um einige Liebesdichter zu lesen? Das ist zu viel! Und so sind diese Gedichte nur durch den einigen Gleim in Nachbildung, wenig andre durch Übersetzung recht unter die Nation gekommen; der Schatz selbst liegt da, wenig gekannt, fast ungenutzt, fast unge­ lesen. Aus ältern Zeiten haben wir also durchaus keine lebende Dichterei, auf der unsre neuere Dichtkunst wie Sprossen auf dem Stamme der Nation gewachsen wäre; da hingegen andre Nationen mit den Jahrhunderten fortge­ gangen sind und sich auf eignen! Grunde, ans National­ produkten, auf dem Glauben und Geschmack des Volks, aus Resten alter Zeiten gebildet haben. Dadurch ist ihre Dichtkunst und Sprache national worden, Stimme des Volks ist genutzt und geschätzt, sie haben in diesen Dingen weit mehr ein Publikum bekommen, als wir haben. Wir armen Deutschen sind von jeher bestinunt gewesen, nie unser zu bleiben; immer die Gesetzgeber und Diener frem­ der Nationen, ihre Schicksalsentscheider und ihre verkauf­ ten, ausgefognen Sklaven. Hohe, edle Sprache! Großes, starkes Volk! Es gab ganz Europa Sitten, Gesetze, Erfindungen, Regenten und

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nimmt von ganz Europa Regentschaft an. — Und jetzt, da uns die Franzosen, die wir so lang nachgeahmt haben, Gott Lob und Dank! wieder nachahmen: jetzt, da wir das Glück genießen, daß deutsche Höse schon anfangen, deutsch zu buchstabieren und ein paar deutsche Namen zu nennen — Himmel, was sind wir nun für Leute! Wer sich nun noch ums rohe Volk bekümmern wollte, um ihre Grund­ suppe von Märchen, Vorurteilen, Liedern, rauher Sprache, welch ein Barbar wäre er! Und doch bleibt's immer und ewig, daß der Teil von Literatur, der sich aufs Volk bezieht, volksmäßig sein muß, oder er ist klassische Luftblase; doch bleibt's immer und ewig, daß, wenn wir kein Volk haben, wir kein Publikum, keine Nation, keine Sprache und Dichtkunst haben, die unser sei, die in uns lebe und wirke. Da schreiben wir denn nun ewig für Stubengelehrte und ekle Rezensenten, machen Romanzen, Oden, Heldengedichte, Kirchen- und Küchenlie­ der, Ivie sie niemand versteht, niemand will, niemand fühlet. Unsere klassische Literatur ist Paradiesvogel, so bunt, so artig, ganz Flug, ganz Höhe und — ohne Fuß auf die deutsche Erde. Großes Reich, Reich von zehn Völkern, Deutschland! hast du keine Gesänge deiner Vorfahren, deren du dich rühmen könntest? Schweizer, Schwaben, Franken, Bayern, Westfäler, Sachsen, Wenden, Preußen, ihr habt allesamt nichts? Die Stimme eurer Väter ist verklungen und schweigt im Staube? Volk von tapfrer Sitte, von edler Tugend und Sprache, du hast keine Abdrücke deiner Seele die Zei­ ten hinunter? Kein Zweifel! sic sind gewesen, sie sind vielleicht noch ida; nur sie liegen unter Schlamm, sind verkannt und verachtet. Wir müssen Hand anlegen, aufnehmen, suchen, ehe wir alle klassisch gebildet dastehen, französische Lieder singen, französische Menuetts tanzen oder gar allesamt Hexameter und sranzösische Oden schreiben. Das Licht der sogenannten Kultur will jedes Winkelchen erleuchten, und Sachen der Art liegen nur im Winkel. Legt also Hand

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an, meine Brüder, und zeigt unserer Nation, was sie ist und nicht ist, wie sie dachte und suhlte, oder wie sie denkt und fühlt.

Hermann Hesse. 220. Herbstbeginn. Während vor den Fenstern eine kühle schwarze Regen­ nacht liegt und mit stetig leisem Rhythmus auf den Dächern tönt, tröste ich mein unzufriedenes Herz mit farbig locken­ den Herbstgedanken, mit Gedanken an reine, lichtblaue, goldklare Himmel, silberne Frühnebel, an blaue Pflaumen und Trauben, rote Äpfel und goldgelbe Kürbisse, an herbst­ farbige Wälder, an Kirchweih und Winzerfeste. Ich hole mir den Mörike her und lese seinen mildleuchtenden „Sep­ tembermorgen": Im Nebel ruht noch die Welt, Noch träumen Wald und Wiesen: Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, Den blauen Himmel unverstellt, Herbstkräftig die gedämpfte Welt In warmem Golde fließen.

Leise lese, ich die Verse des Meisters vor mich hin und lasse sie in mich dringen, wie einen langsam geschlürf­ ten, klaren, alten, milden Edelwein. Sie sind schön, und sie tun mir wohl, und der Herbst, den sie malen, ist etwas Schönes, unvergleichlich Zartes, Gesättigtes — aber ich freue mich nicht auf ihn. Er ist die einzige Jahreszeit, auf die ich mich niemals freue. Und er ist schon da. Es ist nicht mehr Sommer. Die Felder sind leer, auf den Matten liegt ein leichter, kühler, metallener Duft, die Nächte sind schon kühl und die Morgen neblig, und gestern war es, daß ich auf einem schönen, fröhlichen Bergausfluge an den steilen Wiesenhängen die ersten blassen Herbstzeitlosen fand. Seit ich sie sah, ist mein Sommerübermut gebrochen, das, was für mich das

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Schönste im Lause qines Jahres ist, ist wieder einmal vorüber. Noch sind die Tage warm und die Bäume grün, man kann im See noch baden und in Hemdärmeln im Garten sitzen. Und doch ist die Höhe des Jahres überschritten; man fühlte es, noch ehe man es sah. Die letzten echt sommyrlichen Tage und Nächte, für mich die köstlichsten des Jahres, tragen den Duft des Flüchtigen, rasch Vergehenden in sich, und vielleicht macht eben dieser Duft sie so schön. Diese Tage sind ein Fest, ein Abschiedsfest, und solche Feste die­ sen nicht lange dauern. O, diese letzten Augusttage! Sie machen nicht fröh­ lich, aber sie machen dankbar, milde und nachdenklich. Man legt sich ins Öhmdgras und nimmt teil an der Milde und Zärtlichkeit der goldenen Stunden. Man fühlt die Neige der Jahreszeit; die ganze reife Süßigkeit des Som­ mers quillt weich und müde über. Man fühlt sich vom stillen Glanze umgeben, und man weiß zugleich, daß schon bald, viel zu bald auf den Wegen rote Blätter liegen werden. Man schwelgt im Anblick dieser Tage, wie im Genusse einer heißen erregenden Musik, non der man meiß, daß sie plötzlich abbrechen wird, und wie im Genuß eines Tanzes, der uns mit sehnlichen! Drängen mitreißt, während wir bei jedem enteilenden Takte sein rasch nahendes Ende fürch­ ten. Zärtlicher und inniger ist das bräunliche Spiel der Schatten und Lichter an den Waldrändern, süßer der Regen­ bogenduft über dem glatten Seespiegel, die Abende sind goldener und die Sonnenuntergänge purpurner atä sonst. Vorüber, vorüber! Ein paar kühle Nächte ein paar Regentage, ein paar dichte Morgennebel, und plötzlich hat das Land Herbstfarben bekommen. Die Luft ist spröder und durchsichtiger, das Blau des Himmels» lichter gewor­ den. Vogelschwürme rauschen über die kahlen Felder und rüsten zur Wanderung; morgens liegt das erste reife Obst im nassen Gras, und die Zweige sind von den feinen, blitzenden Gespinsten der kleinen Spätjahrspinnen bedeckt. Bald wird das Schwimmen im See und das Liegen im

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Gras ein Ende haben, und die Abende im Boot, die Mahl­ zeiten im Garten, die Waldmorgen und die Seenächte. Und draußen rinnt der zähe Regen kühb und unerbittlich, die ganze unfreundliche Nacht. Jedes Jahr dasselbe Lied vom Herbst, vom Altwerdenmüssen, vom Sterbenmüssen! Miß­ mutig und mit einem leisen Pfiff auf den Lippen schließe ich das Fenster, stecke eine Zigarre an und gehe fröstelnd im Zimmer auf und ab. Wie jedes Jahr um diese Zeit steigen wieder verlockende Reisepläne in mir auf. Warum nicht dem Herbst entrinnen und den Winter kürzen, da es doch wärmere Länder, Eisen­ bahnen und Schiffe gibt? Nachdenklich hole ich den Globus und dann eine Karte von Italien her, suche den Gardasee, die Riviera, Korsika, Neapel und Sizilien. Da ließe sich die Zeit bis Weihnachten verbringen! Sonnige Felsenstrandwege am blauen Meere«, laue Stunden auf süd­ italienischen Küstendampfern und in Fischerbarken, ernste iPalmenwipfel in der tiefen Mittagsbläue ruhend! Es wäre nicht übel, immer vor dem Herbste her einige Meilen südwärts zu fahren und mitten im Winter sonnverbrannt in die heimische Ofenbehaglichkeit heimzukehren. Die Land­ karte wimmelt von schönklingenden Namen schöngelegener Städte und Dörfer, die ich noch nicht kenne, und die mir Tage des Wohlseins und Schwelgens versprechen, und die ganze Reise ist, sobald ich sie1 auf dem Globus ausmesse, erstaunlich klein und 'bescheiden. Vielleicht könnte ich, der Wärme nachreisend«, noch einen Aufenthalt in Afrika machen, vielleicht in Konstantine oder Biskra Kameltouren unter­ nehmen, Negermusik anhören, türkischen Kaffee trinken und den Faltenwurf an den Gewändern der Beduinen und Araberfrauen betrachten. Wie schön solche Pläne einen leeren Abend füllen. Eine Landkarte, ein paar alte Kursbücher- und ein Blei­ stift, wie man sich damit die Zeit vertreiben, einen Ärger vergessen und sich die Phantasie mit lauter lichten, far­ bigen, frohen, reizenden Vorstellungen füllen kann! Wie jedes Jahr um diese Zeit, suche ich die Karte

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nach marinen, köstlichen Gegenden ab, studiere die Schiffs­ linien und die Fahrpreise. Und wie jedesmal bleibe ich hier und reise nicht. Was mich zurückhält, ist ein sonder­ bares Schamgefühl. Es will mir unrecht scheinen, den rauhen Tagen zu entfliehen, nachdem ich die schönen genossen habe. Vielleicht ist es auch nur ein gesetzmäßiges Bedürf­ nis der Natur, daß sie nach Monaten der Wärmte und Farben, nach dem Überflüsse an Behagen, Schönheit und starken Eindrücken müde wird und nach Kühle, Nast und Beschränkung verlangt. Es ist nun einmal nicht das ganze Jahr Sommer, so soll man auch nicht ohne Not ihn künst­ lich verlängern wollen. Ein paar unentschiedene und unzufriedene Tage, dann haben diese Erwägungen Macht gewonnen, und der Herbst beginnt mir merkwürdig lieb zu werden. Wie konnte ich ans Fortreisen denken, da ich doch von so viel Dingen, die mir lieb sind und denen ich Dank schulde, Abschied nehmen muß! Die letzten Gartenfreuden, die letzten Wiesenblumen, die Schwalben unter meinem Dache, die letzten satt und taumelnd übers Land wehenden Schmetterlinge. Man achtet schon wieder jeden einzelnen und fürchtet, es möchte der letzte seiner Gattung sein. Auch unsere altmodischen kleinen Dampfschiffe, meine einzige Verbindung mit der Welt, werden in Bälde rar werden. Vom Oktober an kommt nur noch eines im Tag, und im tieferen Winter bleibt auch das zuweilen aus. Sie alle. Schwalbe und Feldblumen, Schmetterling und Dampfschiff, sind mir lieb und haben wir viel Freuden gebracht diesen schönen, allzu flüchtigen Sommer hindurch : ich möchte sie alle noch ein wenig halten und noch einmal recht zu eigen haben, ehe sie dahingehen. Was' für ein Narr bin ich gewesen, wieviel schöne Sommerstünden bin ich trotz alledem in Hause und am Büchertische gesessen, wieviel Wende und Morgenfrühen habe ich versäumt. Ade auch,, ihr ungenossenen Tage, die ihr nun schöner und köstlicher scheint als alle andern! Über dem Abschiednehmen kommt dann auch das Neue

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zu Ehren, das der unwillkommene Herbst gebracht hat: silberne Nebelschleier, braune und lachend rote Farben, reifende Farben, volle Obstkörbe, beginnende Abendunter­ haltungen im Hause bei Lampenlicht, ferner wundersame, aufregend herrliche Sturmtage, an denen See und Lüfte

tönen und die ganze stumme Schöpfung Stimme erhält. Jetzt kommt auch als täglicher, andächtiger Genuß an fedem Vormittag der spielende Kampf der Sonne mit dem Nebel, das trüb ringende Hinundher und der feierliche, königliche

Sieg des Lichtes. Und wenn der Oktober und die Wein­ lese kommt, wollen wir uns einen Tag und einen Taler nicht reuen lassen, und bei einem großen Krug von Neuem dankbar der vielen unverdienten Freuden und ungesucht gefundenen Genüsse denken, die das alternde Jahr uns gebracht hat.

Wilhelm von Humboldt. 221. Goethes Hermann und Dorothea. (Siebenter und achter Gesang.) Bis hierher hat der Dichter seine Hauptwirkung nur vorbereitet; jetzt heben erst seine höchsten linb glänzendsten Momente an, jetzt auch kann erst Dorotheens Gestalt in dein ganzen Reiz ihrer Schönheit erscheinen. Dieser Punkt ist durch ein vollkommen neues liub treffliches Gleichnis auf eine bedeutende Weise bezeichnet. Wie der Wanderer das Bild der sinkenden Sonne noch nach ihrem Verschwinden vor seinen Augen schweben sieht, so sieht Hermann das Bild seiner Geliebten, und )uic er sich nmdreht, steht sie selbst vor ihm da. Diese so natürliche und doch so nahe ans Wunderbare grenzende Erscheinung versetzt den Leser auf einmal in eine höhere, mehr phantastische Stimmung, die nun bis ans Ende des Gedichtes, nur immer steigend und wechselnd,

fortdanert. So wie er hier ihr Scheinbild und ihre wahre Gestalt dicht nebeneinander erblickt, so wird sie ihm ituii

Humboldt.

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immerfort bald in der ruhigen Besonnenheit, in der tätigen Gewandtheit, die heiter und glücklich durchs Leben führt, bald in der schwärmerischen Größe, in der hohen Begeisterung gezeigt, die über das Leben hinausgeht. Ter Ton, den der Dichter jetzt, da er noch reiner iinb stärker als bisher auf die bloße Phantasie einwirken luill, zuerst anstimmt, ist der der Heiterkeit und Anmut. Dadurch erhält er sie leicht und künstlerisch bewegt, dadurch macht er, daß, wenn er zuletzt kühner in die Saiten seiner Leier eingreift, vollere und mächtigere Akkorde an­ schlägt, sein Lied doch nur immer ein schönes Spi.el der Kunst bleibt, nie zur drückenden Wahrheit lvird. Am Brunnen sehen wir das liebende Paar; auf der Mauer des Quelles sitzend, sehen sie sich im Spiegel des Wassers und grüßen sich dreister und freundlicher in diesem Bilde, als ihre wirklichen Blicke es wagen. Welche Wahr­ heit und Lieblichkeit in dieser Schilderung! Welche schöne Bilder ruft diese Zusammenkunft am Brunnen aus jener patriarchalischen Zeit zurück, wo Fürstentöchter selbst Wasser zu schöpfen kamen und der Bund der Liebe und Ehe oft am rieselnden Quell geschlossen wurde! Ju diesem 2oit ist auch die ganze Unterredung gehalten. Vorzüglich er­ scheint immer das Mädchen leicht, gewandt und besonnen; sie kommt dem Jüngling immer gefällig und freundlich zuvor; aber wo er, dessen Herz immer von feinen Gefühlen schwer und gepreßt ist, seine Empfindungen reden lassen will, da schneidet sie ihm immer, und immer natürlich und gerade, ohne künstlich auszuweichen, auf eine kurze, heitere und verständige Weife den Weg dazu ab. Haben wir Dorotheen bisher rüstig und tätig, lnntvoll und entschlossen, lieblich und heiter gesehen, so tritt sie nun groß und erhaben auf. Nicht daß der Dichter ihrem Bilde gerade neue Züge hinzufügte: aber er weis; unsrer Einbildungskraft einen andren Schwung zu geben. Der Tag neigt sich zum Abend, die Sonne geht unter, Gewitter­ wolken hängen drohend Dom Himmel herab, und. wie die Natur um sie her, werden auch die Gefühle der beiden

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Liebenden düstrer und schwerer. Hier wachsen ihre Ge­ stalten vor unsern Augen von Schritt zu Schritt, ein schöner Moment, eine große und malerische Schilderung solgt auf die andere: erst, wie sie, entgegen der sinkenden Sonne,, durch das hohe, wankende Korn gehen; dann, wie sie, unter oem Baume sitzend, unter welchen: Hermann am Morgen noch um seine Vertriebene geweint hatte, auf die Wohnung seiner Eltern, auf das Fenster am Giebel hinabschauen; endlich, wie sie, ausgleitend auf ben Stufen des Wein­ bergs, ihm auf die Schulter sinkt und er mit dein Arme die Fallende emporhült. Jede dieser Schilderuugen ist überallen Ausdruck dichterisch, und in allen zusammen lebt eine so echt darstellende Kunst, daß sie den Gegenstand nicht allein in allen seinen Umrissen, sonder:: zugleich immer in der Größe und Farbe malen, welche die Stimme der Einbildungskraft in dem jedesmaligen Augenblick fordert. Alle drei sind von den herrlichsten Naturerscheinungen be­ gleitet; erst strahlt noch die Sonne hier und da aus den: Wolkenschleier, in den sie verhüllt ist, hervor und wirft mit glühenden Blicken eine ahnungsvolle Beleuchtung über das Feld; dann in dem Augenblick, wo sie ruhig unter den: Birnbaum sitzen, ist es Nacht, aber der Mond glänzt voll vom Himmel herunter, und in Massen geschieden, liegen Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte; endlich überblickt auch dieser sie nur noch mit schwan­ kenden Lichtern und läßt sie zuletzt, von: Gewitter um­ hüllt, in völligem Dunkel. In diesem letzten Moment, wo die Gefühle der beiden Liebenden, die überhaupt in: Menschen so gern und leicht die Farbe des Tags und der Natur annehinen, den äußersten Gipfel erreicht haben, Hermann mit qualvoller Ungeduld der Entscheidung seines Schicksals und der Auflösung der Verwirrung, die er angerichtet, entgegensieht, Dorothea durch die Stille der Natur um sie her und das freundliche Gespräch mit dem Jüngling, den sie liebt, ihre sehnsuchts­ vollsten Hoffnungen belebt fühlt, kommt alles zugleich zu­ sammen, auch das Gemüt des Lesers aufs höchste zu spannen

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und in seinem Innersten zu bewegen. Man sieht nicht mehr Hermann und Dorothea allein, man erblickt in ihnen die männliche und weibliche Größe selbst, in ihren vollsten Gefühlen von den höchsten Kräften gehalten.

Oskar Jäger. 222. Aufführung der Oreftie des Äschhlos im Dionhsostheater zu Athen, 458 v. Chr. Geb. Tie Opfer sind dargebracht, und das erste Stück der Trilogie, Agamemnon, beginnt. Ein Diener tritt auf, der von Zeit zu Zeit aufmerksam in die Ferne schaut: wir sind vor dem königlichen Palast der Pelopiden zu Argos. Aber der Herrscher ist sern, lang schon ist er mit den: Heere der Griechen vor Ilios gezogen, und noch immer will das Feuer­ zeichen nicht erscheinen, das seine Rückkehr verkünden wird. Da zuckt der Wächter zusannnen: das lang Erwartete ist ge­ schehen, die Feuersäule leuchtet auf. Er erhebt lauten Freudenruf: seines langen Wächterdienstes ist er nun ledig, aber wie er von der Bühne geht, entfallen ihm rätselhafte Worte von Dingen, die er verschweigen müsse, die das Haus selbst wohl sagen könnte, wenn es Sprache hätte. Durch die Eingangstüren an der Seite schreitet nun der Chor, zwölf bis fünfzehn Personen, herein und ordnet sich auf der Orchestra; es sind argivische Greise: in künstlichen Strophen, im Takte schreitend, Gruppen bildend, beginnt er sein Lied und gedenkt des fernen Fürsten und des Heereszugs, deru das Alter nur mit teilnehmenden Worten folgen darf. Da treten Dienerinnen heraus, an ihrer Spitze die Königin Klhtämnestra, welche geschäftig Opferfeuer auf den Altären vor dem Hause entzünden. Was ist geschehen? was hat die Tochter des Tyndaros Neues erfahren? mit einem langen Lied begleitet der Chor die feierliche Handlung; als sie geendet, tritt die Königin näher und teilt den erfreuten Greisen die große Botschaft mit: Troja ist erstürmt. Be­ wegteren Schrittes stimmt der Chor ein lautes Danklied an;

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als es verrauscht, naht, mit dem Olivenkranze geschmückt, ein Herold, der mit Gebärden ausschweisender Freude die vaterländische Erde, die langentbehrte, wieder begrüßt und den staunenden Mitbürgern die überstandene Not und vol­ lendete Rache erzählt. Sie sreuen sich mit ihm, doch ist ihr Herz schwer beengt, im Hause muß nicht alles sein, wie es sollte. Aber die Königin tritt herzu, mit überreichlichen Worten spricht sie ihre Freude aus über des Gatten Wieder­ kehr; sie heißt den Herold ihm ihren Gruß entbieten; er möge eilen, in die Stadt zu komnien, die ihn ersehne, zu der Gattin, die ihm treu das Haus bewahrt habe. Die Pause füllt ein Lied des Chors, der mit seinem musikalischen Charakter die Handlungen begleitet und die Zuschauer aus die kommenden Tinge vorbereitet. Noch preist sein Gesang die Dike, die Göttin des Rechts, welche im rauchgeschwärzten Hause zu weilen liebt, wenn dessen Schwelle heilig ist, uni> welche die goldgestickten Polster flieht, wenn ungerechter Hand Gewinn daran klebt; da erscheinen die Sieger, Aga­ memnon und sein Gefolge, unter denen eine verschleierte Gefangene das Auge aus sich zieht. Mit lautem Heilrus empfangen die Greise den heimgekehrten Fürsten, der mit huldvollen Worten sie vom Wagen herab begrüßt. Auch Klytämnestra erscheint und heißt die Dienerinnen Purpur­ decken auf den Weg des Siegers breiten; Agamemnon sträubt sich, um nicht den Neid der Götter aus sich zu laden, und heißt dann den Diener ihm die Sandalen lösen: bloßen Fußes schreitend, hofst er den Neid der Götter zu meiden; hinter ihm her, mit Worten erheuchelter Unterwürfigkeit, tritt auch die Königin in den Palast. Nun ist das Glück erfüllt, nun sind ja die Volksgenossen und der Herrscher heimgekehrt; aber dem Munde der greisen Argiver will noch immer kein fröhliches Lied entströmen. Eine ahnungsvolle Beklemmung drückt auf ihrer Seele, sie gedenken der plötz­ lichen Krankheit, welche mit einem Male die Fülle gesunder Kraft zerbricht, der verborgenen Klippen, an denen das windgeschwellte Schiff strandet. Arges ist im Hause geschehen; Klvtämnestra ist dem Helden Agamemnon nicht treu ge-

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blieben, sondern hat sich dem Ägisthus, dem Lohne des Thyestes, ergeben; was wird sie beginnen, wie wird die schuldvolle Verwirrung sich lösen? Tie Königin tritt hervor und ruft die Gefangene ins Haus: es ist die mit Seherkunst begabte Tochter des Priamos, Kassandra; mit hartnäckigem Schweigen erwidert sie Klytämnestras Mahnungen, die un­ unwillig ins Haus zurückkehrt. Da erst, als sie mit dem Chor allein ist, als die Männer sie auffordern, sich dem Schicksal zu fügen, bricht sie das Schweigen in schrecklichen Lauten. Sie ruft den Apollon an, der sie mit jener tief­ traurigen Weissagekunst begabt hat, die nur das Unab­ wendbare verkündet; in welches Haus ist sie gekommen! Der Boden vom Blut getränkt, eine Schlachtbank der Männer; der Bruder durch des Bruders Ränke erwürgt; schreckliche Mahle: die Kinder vom Oheim geschlachtet und dem eigenen Vater als Speise vorgesetzt; des Hauses Mauern hauchen Mord; Moderdünste, wie aus Grübern, steigen auf, und jetzt eben schafft der nie rastende Fluch ein neues Furcht­ bare, das sie in rätselhaften Worten ansspricht. Sie sieht ein Schwert blinken, ein Netz ansgebreitet; ein Blutstrom stürzt aus der Wunde; im Bade hat sie ihn erschlagen: der Entseelte fällt in die Wanne zurück. Staunend, mit schreckens­ voller Erregung, begleitet der Chor diese schauerlichen Ge­ sichte. Auch ihr eigenes Schicksal enthüllt ihr ein zweites Gesicht, aber das Unabwendbare muß geschehen, sie kann ihm nicht entrinnen: sie steigt vom Wagen und betritt das Haus, dessen Pforte sich hinter ihr schließt. Ter Chor bleibt zurück, jedes Herz bangt dem nächsten Augenblick entgegen; der Chorgesang, fauirt begonnen, wird von lautem Wehruf aus dem Innern unterbrochen: was die Gefangene geweissagt, erfüllt sich, und während der Chor in stürmischer Be­ wegung berät, was zu tun, ist es schon geschehen. Tie Pforten des Palastes öffnen sich wieder: Klytämnestra tritt heraus. Die Tat ist vollbracht, Agamemnon und Kassandra sind tot, das Unrecht triumphiert. Auch der feige Buhle, der mit Klytämnestra den Helden erschlagen, erscheint jetzt; ein hef­ tiger Streit entbrennt, der Chor und die Anhänger Ägisths

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legen die Hand ans Schwert, aber ohnmächtig ist der Groll des Alters, und das frevelnde Paar tritt siegreich in den alten Palast des Pelopiden zurück. Nachdem das erste Stück zu Ende gespielt war, trat eine Pause ein, die dem gespannten und erregten Gemüte der Zuschauer einen Augenblick der Ruhe und der Sammlung gewährte, bis der Anfang des zweiten Stückes, der Grab­ spenderinnen, aller Blicke und Aufmerksamkeit wieder nach der Bühne rief. Wiederum sehen sie den Königspalast von Argos vor sich. Zwischen den Periakten zur Rechten treten zwei Wanderer in die Szene: es ist der Sohn des ermordeten Fürsten, dessen Grabhügel sichtbar ist, Orestes und sein Freund Pylades. ^Dies Stück führt er in seinem Verlauf nun vor, wie der Sohn den Mord des Vaters rächt — an der Mutter rächt! Hinter den ge­ schlossenen Pforten des Palastes vollendet sich das Entsetzliches

Während es geschieht, lenkt ein vollstimmiger Chor­ gesang die Zuschauer ab. Sie preisen die geschehene Tat: das Königshaus erblüht aufs neue; genug ist der Dike geschehen mit) Apollons Wort erfüllt; aber nicht so leichten Sinns läßt der strenge Geist des Dichters jene ewigen Ord­ nungen erschüttern, auf denen Haus und Staat ruht. Eine unnatürliche Hand hat die Wunde geschlagen, aus der das schuldvolle Blut floß; wie Orestes aus dem Hause tritt, wie im Hintergrund die Leichen sichtbar werden, da ist er nicht mehr der vorige: der Bluträcher des Vaters ist der Mörder seiner Mutter geworden. Laut ruft er noch, daß er auf Phöbos Wort die Tat getan: aber schon tönt ihm der „Sturmesreigen des Wahnsinns" im Ohr, schon hört er den schrecklichen Gesang der Erinnyen, die aus der Mutter Blut aufsteigen; er sieht die surchtbaren Weiber mit dem Gorgonenantlitz, mit den Schlangenhaaren; es werden ihrer mehr und mehr; Blut träufelt aus ihren Augen; sie haschen ihn und treiben ihn fort; vom Wahnsinn geschüttelt, eilt er von dannen. Ein günstiges Geschick hat uns auch das dritte Stück

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der Orestie, die Eumeniden, erhalten, in welchem die furcht­ baren Gegensätze mild und rein sich lösen. Tie Szene hat sich geändert, beim Beginn des Stücks sieht man den Tempel des Apollon zu Delphi. Mau sieht die Pythia zu ihrem Gotte beten und dann in das Innere des Heiligtums gehen, aus dem sie aber sofort mit allen Zeichen des Entsetzens zurückkehrt. Tas Innere des Tempels wird sichtbar: dort steht, ermattet von seiner ruhelosen Flucht, Orestes und neben ihm sein Schützer Apollon, während der furchtbare Chor, die Rächerinnen seiner Mutter, die Erinnyen, im Kreise gelagert sind. Während die Unholdinnen schlafen, tröstet Apollon seinen Schützling und weist ihn nach der Stadt Athen, wo er Sühnung finden werde. Von Hermes geleitet, verläßt er das schützende Heiligtum. Kaum ist er fort, so steigt aus dem Boden ein furchtbares Bild, Klytämnestras Schatteu, empor: sie mahnt den Chor, dem der Muttermörder zu entfliehen drohe, an seine Pflicht. Ein gräßliches Schnauben und Stöhnen läßt sich hören, mit seltsamen, wilden Gebärden erwacht der entsetzliche Chor aus seinem kurzen Schlafe. Sie sammeln sich und führen eine bittere Klage über die jüngeren Götter, welche der Moiren uraltes Recht, ihr ivürdiges Ehrenamt, brechen; aber nur vergeblich hat Apollon ihnen den Muttermörder entwendet: und wenn er unter die Erde entflieht, er kommt nicht frei; als sie Apollon aus seinem Tempel weist, hadern sie heftig mit ihm und verlassen in wilder Bewegung das Heiligtum. Tie Szene verwandelt sich: Orestes steht am Altar der Pallas zu Athen, ehr Bild umfassend, ihren Schutz erflehend. Aber schon haben die unermüdlichen Jägerinnen ihr Wild wieder aufgespürt. Nur der Altar schützt ihn vor den Hereinstürzenden; sie umstellen ihn int Kreise und singen jenen schauerlichen Chor, in dem auch der beredteste aller neueren Dichter den überwältigendsten Ausdruck für die Macht des Gewissens anerkannt hat, mit den in grausiger Einförmigkeit immer wiederkehrenden Worten: Über dem Geopferten dieses Lied: Wahnsinn, Betörung, Wirrsal,

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Erinnyenfestgesang, Der den Geist in Bande schlägt, Ohne Klang der Leier, Markverzehrend.

Athene erscheint; sie hat den Hilferuf des Unglück­ lichen gehört; gelassenen, gnädigen Sinns hört sie die Ver­ folgerinnen und den Verfolgten. Diesen schrecklichen Hader — wer soll ihn schlichten? Ein Gericht will die Göttin niedersetzen, die Auserlesensten ihrer Bürger, einen ver­ eideten Gerichtshof, dessen Satzung dann für ewig gelten soll; und sie bereitet ihn vor, während ein neues Lied des Chors auf die hochernste Entscheidung spannt. Abermals verwandelt sich die Szene, und ein wohlbekannter Ort wird sichtbar: der Areiopagos, der geweihteste Raum des alten Athen. Hier nehmen vor den Erlesenen der Athener, zwölf areiopagitischen Richtern, die Götter selbst ihr Recht, Apollon für seinen Schützling, die Eumeniden für ihr ehrwürdiges Amt; die Richter legen ihre Stimmsteine in die Urne: sechs sind für Orest und sechs gegen ihn. Da legt Pallas Athene, die gnädige, die mutterlos geborene, ihren Stimmstein zu den freisprechenden, und des Fluchs entlastet, verläßt Orestes die Bühne. Noch einmal erhebt sich die laute Klage der Töchter der Urnacht; aber auch sie lassen sich endlich ver­ söhnen. Neue Ehren, ein neues Heiligtum wartet ihrer in der Stadt der Pallas; die Schrecklichen selbst, zu Gnädigen geworden, wünschen und verheißen Heil der Stadt, wenn sie das heilige Amt der Eumeniden mit frommem Sinn ehre, wenn gewissenhaft in Hans und Staat das Recht gewahrt wird.

Friedrich Ludwig Iahn. 223. Die deutsche Sprache. 1. W o r t b i l d u n g i m D e u t s ch e n. Die deutsche Sprache vereint reine Ursprünglichkeit mit Weiterbildsamkeit und hohes Alter mit jugendlicher Frische.

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Sie ist ein Werk aus einem Guß und Fluß. Ihr großer Reichtum an Urwörtern gibt ihr ein entscheidendes Über­ gewicht. Die Fülle, Schärfe und Feinheit der Worthilfen, so als Vorlinge, Jnlinge und Endlinge gebraucht werden, geben den Schlüssel zu den: unendlichen Sprachschatz. Da­ durch wird im Teutschen das Mögliche auch wirklich. Darum bleibt jede Wortzählung eine verunglückte Mühe und jeder Wortstempel von veraltet und neugebildet ein ungewiß Ding. Unter sprachtümlichen Wörtern ist kein Wortrang von Erst­ lingen und Spätlingen. Wörter sind nicht Wein und Lager­ bier, so mit der Zeit an Geistigkeit zunehmen. In der Bildsamkeit lebt die Verjüngung der Sprache. Sie ist der Born ihrer Unsterblichkeit. Tie Wortquellen kann man im Teutschen nur ergründen, nicht erschöpfen. Nicht fertig werden die Wörter gegeben, wohl aber hat die Sprache die Zutat und die Bildekraft in ih-ren Bildegesetzen. Da finden sich Musterwörter und Musterweisen. Darum be­ dürfen Wörter keiner Buchahnen, allein durch Sprachtümlichkeit sind sie sprachbürtig. In der Teilbarkeit, Zersetzung, Versetzung und Zu­ sammensetzung besitzet die deutsche Sprache eine Vielgestalt, die sich wendet, schwenkt und kehrt und nach allen möglichen Richtungen fortschreitet. Als Ursprache hat sie eine Klarheit zur Mitgift, die jeder Aftersprache maugelt. Sie ist an­ schaulich gebildet und lebt im Anschauen. Sie senkt sich in die Tiefen des Gemüts, wenn sie mit Geistesfittichen aufschwingt. Sie hat kindliche Einfalt treu bewahrt, ist bündig in der Darstellung, erbaulich in der Rede, erwecklich int Liede und kernig und körnig im Spruch. Tie deutsche Sprache wird in Wissenschaft und Kunst niemals Kenner und Könner int Stich lassen. Nimmer werden die Stufenwörter fehlen, jede Folge und Folgerung wird auszudrücken sein. Die Sprache wird, treu gepflegt, mit dem Entwickelungsgänge Schritt halten, für jede neue Gestaltung unsers Volkes passen, für jede Lebensfülle zu­ reichend sein und mit dem Wachstum des Volks an Bild­ samkeit zunehmen. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

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Nimmt der Wortbildner nur gehörig Rücksicht auf die' Urgesetze der Sprache und ihr ganzes Sprachtum, so bleibt er frei von Tadel und Schuld. Kein Splitterrichter hat Fug, zu fragen: „Hat schon jemand so gesagt?" Man. muß prüfen: darf man so sagen? ist es nicht besser auszu­ drücken? Tenn jede lebendige Sprache bewegt sich in all­ gewaltiger Rege; aber Sprachlehren und Wörterbücher kommen dann auf dem gangbaren Pfade richternd hinterher. Im Erwecken scheintoter Urwörter liegt eine wahre Mehrung und Sprachstärkung. Kein Wort ist für aus­ gestorben zu achten, solange die Sprache nicht tot ist; kein Wort für veraltet, solange die Sprache noch in Jugend­ kraft lebt. Begrabene Wurzeln, die noch grün sind und im vollen Wachstum neue Stämme, Äste und Zweige treiben können, bringen Segen und Gedeihen. Tie Schossen und Sprossen alter Herzwurzeln verkünden einen neuen Früh­ ling nach langer Winterstarre. Ta befreit sich die Sprache von Flick- und Stückwerk und geht wieder richt und strack. Ohne das Pflegen der Wurzelkeime wird die Sprache als Saumroß und Packtier beladen und muß endlich unter der Last schwerfugiger Zusammeusetzung erliegen.

2. Mundarten.

Mundarten sind keineswegs für bloße Sprachbehelfe zu halten, für Ausdrucksweisen von niederm Range, die nur annoch in einem Versteck und Schlupfwinkel des Sprach­ reichs aus Gnade und Barmherzigkeit Duldung genießen. Im Gegenteil sind sie nach altem, wohlhergebrachtem Recht' in irgend einem Gau auf Grund und Boden erb- und ein­ gesessen. Darum können sie niemals die Rücksicht auf Heimat und Wohnstätte verleugnen. Sie müssen alle und jede Ört­ lichkeit beachten: Berg und Tal, Wald und Feld, Wiese und Weide, Flur und Fluß, Acker und Aue, Land und See und tausend andere. So bilden sie Einzelheiten in Fülle aus und die eigensten Besonderheiten auf zweckmäßige Art und Weise. Ihre Wohlhabenheit ist der wahre Sprach­ reichtum. Ihr beschränkter Bereich ist Samenbeet, Gehege

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und Schonung von kräftigem Nachwuchs. Tenn in einem weit und breit durch Gauen, Marken und Lande wohnen­ den Volke muß es natürlich eine Menge höchstnotwendiger Begriffe geben, treffliche Bezeichnungen, gehaltene Schil­ derungen und sprechende Gemälde, die doch niemals in Büchern vorzukommen Gelegenheit hatten. Aus diesen mehrt sich dann allezeit, wenn Not am Wort ist, die Schrift­ sprache, die ohne sie nicht heil, sondern unganz ist. Die Gesamtsprache hat hier Fundgruben und Hilfsquellen, die wahren Sparbüchsen und Notpfennige des Sprachschatzes. Tie Mundarten leben im ewigen Landfrieden mit der Ge­ samtsprache und treten vor den Riß, sobald in der Schrift­ sprache Lücken entdeckt werden. Ohne Mundarten wird der Sprachleib ein Sprachleichnam.

Karl Lebrecht Jmmermann. 224. Der Hofschulze. Im Hofe zwischen den Scheuren und Wirtschafts­ gebäuden stand mit aufgekrempten Hemdärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam in ein Feuer, welches, zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, lustig flackerte. Er rückte einen kleinen Amboß, der daneben stand, zurecht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen einiger großen Radnägel, die er aus dem Brust­ stücke des vorgebundenen Schurzfelles zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Leiterwagens, dessen Rad er aus­ bessern wollte, und drehte die Stelle des Rades, von welcher ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, worauf er durch untergeschobene Steine das Rad in seiner Stellung festigte. Nachdem er wieder ein paar Augenblicke in das Feuer gesehen hatte, ohne daß seine hellen und scharfen Augen davon zu blinzeln begannen, fuhr er rasch mit der Zange hinein, hob das rotglühende Stück Eisen heraus, legte es auf den Amboß, schwang den Hammer darüber, daß die

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Funken sprühten, schlug das noch immer glutrötliche um das Rad, da wo die Schiene fehlte, schlug und schweißte es mit zwei gewaltigen Schlägen fest und trieb dann die Nägel, welche es in seiner weichen Dehnbarkeit noch immer leicht hindurchließ, an ihre Plätze. Einige der stärksten und heftigsten Schläge gaben dem eingefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, so daß die Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit großem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen und ein Paar Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren. Zwei Männer, von denen der eine ein Pferdehändler, der andere ein Rendant oder Rezeptor war, hatten, unter der großen Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk verzehrend, der Arbeit des alten, rüstigen Mannes zugesehen. „Das muß wahr sein," rief jetzt der eine, der Pferdehändler, „Ihr hättet einen tüchtigen Schmied abgegeben, Hofschulze!"

Der Hofschulze wusch in einem Stalleimer voll Wasser, welcher neben dem kleinen Amboße stand, sich Hände und Gesicht, goß dann das Feuer aus und sagte: „Ein Narr, der dem Schmied gibt, was er selbst verdienen kann." Er nahm den Amboß, als sei er eine Feder, auf und trug ihn nebst Hammer und Zange unter einen kleinen Schoppen zwischen Wohnhaus und Scheuer, in welchem Hobelbank, Säge, Stemmeisen und was sonst zu Zimmer- und Schreinergewerk gehört, bei Holz und Brettern mancher Art stand, lag oder hing. Indem der Alte sich unter dem Schoppen noch zu schaffen machte, sagte der Pferdehändler zu dem Rezeptor: „Wollen Sie glauben, daß er auch alle Pfosten, Türen und Schwellen, die Kisten und Kasten im Hause mit eigener Hand flickt, oder, wenn das Glück gut ist, auch neu zuschneidet? Ich meine, wenn er wollte, könnte er auch einen Kunst-

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schreiner vorstellen und würde einen richtigen Schrank zu Wege bringen." „Da seid Ihr int Irrtum," sprach der Hofschulze, der das letzte gehört hatte und, das Schurzfell jetzt abgetan, im weißleinenen Kittel aus dem Schoppen trat. Er setzte sich zu den beiden Männern an den Tisch, eine Magd brachte ihm auch ein Glas, er tat seinen Gästen Bescheid und fuhr dann fort: „Zn einem Pfosten, zu einer Türe und Schwelle ge­ hören nur ein Paar gesunde Augen und eine firme Faust, aber ein Schreiner braucht mehr. Ich habe mich eininal vom Hochmut verleiten lassen und wollte, wie Ihr es nennt, einen richtigen Schrank zuwege bringen, weil mir Hobel und Meißel und Reißschiene auch bei dem Zimmerwerk durch die Hände gegangen waren. Ich maß und zeichnete und schnitt die Hölzer zu, auf Fuß und Zoll hatte ich alles ab­ gepaßt; ja, als es nun an das Zusammenfügeu und Leimen gehen sollte, war alles verkehrt. Die Wände standen wind­ schief und klafften, die Klappe vorne war zu groß und die Kasten für die Öffnungen zu klein. Ihr könnt das Gemächt noch sehen, ich habe es auf dem Sill stehen lassen, mich vor Versuchung künftig zu wahren, denn es tut dem Menschen immer gut, wenn er eine Erinnerung an seine Schwachheit vor Augen hat." In diesem Augenblicke ließ sich ein lustiges Wiehern aus dem Pferdestalle gegenüber vernehmen. Der Pferde­ händler räusperte sich, spuckte aus, schlug sich Feuer an, blies dem Rezeptor eine starke Dampfwolke in das Gesicht, sah sehnsüchtig nach dem Stalle und dann gedankenvoll vor sich nieder. Hierauf spuckte er nochmals aus, nahm den lackierten Hut vom Kopse, strich mit dem Arme über die Stirn und sagte: „Noch immer eine schwüle Witterung." — Dann schnallte er seine lederne Geldkatze vom Leibe, warf sie mit Getöse auf den Tisch, daß der Inhalt klang und klirrte, lösete die Riemen und zählte zwanzig blanke Gold­ stücke hin, bei deren Anblick die Augen des Rezeptors zu funkeln anfingen, und nach denen der alte Hofschulze gar nicht hinsah. „Hier ist das Geld!" rief der Pferdehändler,

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die Faust geballt auf den Tisch stemmend, „krieg ich die braune Stute dafür? Sie ist, weiß Gott, nicht einen Heller mehr wert." „Dann behaltet Euer Geld, damit Ihr nicht zu Schaden kommt!" versetzte der Hofschulze kaltblütig. „Sechsund­ zwanzig, wie ich gesagt habe, und keinen Stüber darunter. Ihr kennt mich nun die Jahre her, Herr Marx, und solltet daher wissen, daß das Dingen und Feilschen bei mir nicht verschlägt, weil ich nie von meiner Sprache abgehe. Ich begehre, was mir eine Sache wert ist, und tue niemalen Vor­ schlägen, und so könnte ein Posaunenengel vom Himmel dahergefahren kommen, er kriegte die Braune nicht unter sechsundzwanzig." „Aber, Gotts Sackerlot," schrie der Pferdehändler er­ bost, „aus Fordern und Bieten besteht doch der Handel, und meinen eigenen Bruder überfrage ich, und wenn kein Vor­ schlägen mehr in der Welt ist, so hört alles Geschäft auf!" „Im Gegenteil," erwiderte der Hofschulze, „das Ge­ schäft kostet dann weit weniger Zeit und ist schon um des­ halb profitlicher, aber auch außerdem haben beide Teile von einem Handel ohne Vorschlägen vielen Nutzen. Ich habe es immer erlebt, daß, wenn vorgeschlagen wird, sich die Natur erhitzt und zuletzt niemand mehr recht weiß, was er redet oder tut. Da läßt denn der Verkäufer, um nur dem Gehader ein Ende zu machen, die Ware oft unter dem Preise, den er im stillen bei sich sestsetzte, und der Käufer seinerseits in der Begierde und Brunst des Bietens vertut sich eben so oftmals. Ist aber gar keine Rede von Ablassen, dann bleiben beide schön ruhig und wahren sich vor Schaden." „Da Ihr so vernünftig redet, so werdet Ihr meinen Antrag jetzt besser erwogen haben," hob der Rezeptor an. „Wie gesagt, die Regierung will alle Korngefälle der Höfe in hiesiger Gegend in Geld umwandeln. Sie hat allein den Schaden davon, denn Korn bleibt Korn, aber Geld ist heute soviel und morgen soviel wert, indessen ist es nun einmal ihr Wille, um der Last des Ausspeicherns quitt zu werden. Ihr tut mir also den Gefallen und unterschreibt diese neue.

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-auf Geld lautende Urkunde, die ich zu diesem Behufe schon mitgebracht habe." „Durchaus nicht," antwortete der Hofschulze eifrig. „Es ist ein alter Glaube hier zu Lande, daß, wer seinem Hofe eine Last auflegt, dafür zur Strafe nach seinem Tode auf

dem Hofe umgehen muß. Ich weiß nicht, wie es damit beschaffen ist, aber das weiß ich: vom Oberhofe sind seit vielen hundert Jahren nur Körner an die Gotteszelle ge­ geben worden, und damit wolle sich also das Rentamt be­ gnügen, wie das Stift sich damit begnügt hat. Wächst Geld auf meinem Acker? Nein. Korn wächst darauf. Woher wollen Sie also das Geld nehmen?" „Ihr sollt ja nicht übervorteilt werden!" rief der Rezeptor. „Es muß alles beim Alten bleiben," sagte der Hof­ schulze feierlich. „Das war noch eine gute Zeit, als die Tafeln mit den Verzeichnissen der Lasten und Abgaben der Bauer­ schaft in der Kirche hingen. Dazumalen stand alles fest, und kein Gezänk hat sich nimmer darüber begeben, wie neuer­ dings nur gar zu oft. Hernachher hieß es, die Tafeln mit den Hühnern und Eiern und Maltern und Sümmern schadeten der Andacht, und sie wurden hinweggetan. Im Gegenteil, sie hatten immer zu Predigt und Gesang gehört, wie Amen und Segen; ich für mein Teil, wenn ich sie ansah, besonders beim dritten Teile oder der Nutzanwendung, hatte die erbaulichsten Gedanken bekommen, zum Exempel: Über­ hebe dich nicht, denn da steht geschrieben, wie viel Zins­ roggen und Schloßhafer du geben mußt, oder auch so: Wenn du draußen Lasten zu tragen hast, hier im Gotteshause bist du frei, und was dergleichen mehr war. Nun aber, als man auf die leeren Stellen sah, gingen die Gedanken immer .wandern und suchen nach den Tafeln, und es dauerte ge­ raume Zeit, ehe und bevor die Menschheit wieder recht nach dem Pastor hinhörte." Er ging in sein Haus. — „Das ist ein alter Racker!" rief der Pferdehändler, als er seinen Handelsfreund nicht mehr sah, indem er den lackierten Hut verdrießlich wieder auf

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den Kopf stülpte. „Wenn der nicht will, so bringt ihn der Teufel nicht herum. Das schlimmste ist, daß der Kerl die besten Pferde in der Gegend zieht und sie im Grunde so zu sagen billig genug losschlägt." „Ein starres, widerhaariges Volk hier zu Lande," sagte der Rezeptor. „Ich bin erst vor kurzem aus Sachsen her­

versetzt und merke den Abstand. Dort wohnen die Leute beisammen, und deshalb müssen sie schon höflich und nach­ giebig und betulich mit einander sein. Aber hier sitzt ein jeder auf seinem Kampe, hat sein Holz, sein Feld, seinen Wiesenwachs um sich, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Darum halten sie auch auf ihre alten Schnurren und Faxen so steif, die anderwärts überall abgekommen sind. Was für Mühe habe ich schon mit den andern Bauern wegen der dummen Umschreibereien gehabt, aber dieser hier ist doch der schlimmste." „Das kommt daher, Herr Rezeptor, weil er so reich ist," bemerkte der Pferdehändler. „Mich wundert, daß Sie es mit den andern in der Baucrschaft ohne ihn durchgcsetzt haben, denn der hier ist ihr General und Advokat und alles, sie richten sich in jeglicher Sache nach ihm. Er bückt sich vor keinem. Vorm Jahre kam ein Prinz hier durch; wie er­ den Hut vor dem abnahm, war es wahrhaftig, als wollte er sagen: Tu bist der, und ich bin der. Der Mistfink! Für die Stute sechsundzwanzig Pistolen haben zu wollen! Aber das ist das Unglück, wenn der Bauer zuviel Vermögen kriegt. Wenn Sie dort durch das Eichhvlz hindurch sind, gehen Sie eine geschlagene halbe Glockenstunde durch seine Felder. Und alles bestellt, daß es nur so eine Art hat. Ich bin mit meiner Koppel vorgestern durch den Roggen und Weizen geritten, und Gott strafe mich, wenn was anderes als die Köpfe von

den Pferden über die Ähren hinübersahen. Ich dachte, ich würde ersaufen." „Woher hat er's denn?" fragte der Rezeptor. „O!" rief der Pferdehändler, „da liegen hier mehreresolcher Höfe herum, man heißt sie Oberhöfe; wenn die nicht manchen Edelmann ausstechen, so will ich nicht Marx heißen.

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Das Erdreich ist von uralter Zeit zusammengeblieben. Und sparsam und fleißig ist der Nichtsnutz von jeher gewesen, das muß man ihm lassen. Sie sahen ja, wie er sich ab­ äscherte, um nur dem Schmied die paar Groschen Verdienst zu nehmen. Jetzt freit seine Tochter einen andern jungen Geldschlingel; die kriegt mit! Ich bin an der Leinwand­ kammer durchgegangen, der Flachs und das Garn, das Gebild, die Wäsche und alle mögliche Kramerei ist bis unter die Decke gestopft. Und dazu gibt ihr der alte Schabhals noch bare sechstausend Taler mit. Blicken Sie nur um sich; ist es nicht hier, als ob man bei einem Grafen wäre?" Während der letzten Reden hatte der verdrießliche Pferdehändler sacht in die Geldkatze gegriffen und den zwanzig Goldstücken, gleichsam gleichgültig tuend, noch sechs hinzu­ gefügt. Der Hofschulze trat wieder in die Türe, und der andre sagte brummend, ohne ihn anznsehen: „Da liegen die sechsundzwanzig, weil es einmal nicht anders sein soll." Der alte Bauer lächelte schalkhaft und sprach: „Ich wußte wohl, daß Ihr das Pferd kaufen würdet, Herr Marx, denn Ihr sucht für den Rittmeister in Unna eins zu dreißig Pistolen, und mein Brüunchen paßt Euch dazu, wie bestellt. Ich ging auch nur in das Haus, um die Goldwage zu holen, und konnte vorhersehen, daß Ihr Euch unterdessen besonnen haben würdet." Der Alte, welcher in seinen Bewegungen bald etwasungemein Rasches, bald wieder die größte Bedächtigkeit zeigte, jenachdem das Geschäft war, was er trieb, setzte sich an den. Tisch, wischte langsam und sorgfältig seine Brille ab, spannte sie über die Nase und sing nun an, die Goldstücke genau zu wägen. Zwei oder drei musterte er als zu leicht aus, worüber der Pferdehändler ein heftiges Gezeter erhob, welchem der Hofschulze schweigend und kaltblütig, die Wage in der Hand behaltend, zuhörte, bis der andre statt der verworfenen voll­ wichtige hervorholte. Endlich war die Sache beendigt, der Verkäufer packte bedächtig das Geld in ein Papier und ging nrit dem Pferdehändler nach dem Stalle, um ihm das Pserd zu überliefern.

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Jmmermann.

Der Rezeptor wartete die Rückkehr der beiden nicht ab. „Mit solchem Klotz ist nichts anzufangen," sagte er, „aber wenn du uns nur nicht so ordentlich auf die Termine be­ zahltest, wir wollten dich." — Er fühlte nach seinen ur­ kundlichen Papieren in der Tasche, merkte an ihrem Knittern, daß sie noch darin seien, und schlich vom Hofe. Aus dem Stalle traten der Roßkamm, der Schulze und ein Knecht, welcher zwei Pferde, das des Roßkammes und die erkaufte braune Stute, hinter sich herführte. Der alte Schulze sagte, indem er die letztere zum Abschied streichelte: „Es tut einem immer leid, wenn man eine Kreatur, die man aufzog, losschlägt, aber wer kann dawider? — Nun, halte dich brav, Bräunchen!" rief er und gab dem Tiere einen herzhaften Schlag aus die runden, glänzenden Schenkel. Der Pferdehändler war indessen aufgestiegen und sah mit seiner langen Figur und der kurzen Schoßjacke unter dem breitkrempigen lackierten Hute, mit seinen erbsengelben Hosen über den dürren Lenden und den hochhinaufreichendeu ledernen Gamaschen, mit seinen Pfundsporen und mit seiner Peitsche wie ein Wegelagerer aus. Er ritt, ohne Lebewohl zu sagen, fluchend und wetternd davon, die Braune am Leit­ zaum nachziehend. Keinen Blick wandte er nach dem Ge­ höfte zurück, die Braune dahingegen drehte mehreremale den Hals um und wieherte wehmütig, als wollte sie klagen, daß ihre gute Zeit nun vorüber sei. Der Hofschulze blieb, die Arme in die Seite gestemmt, mit dem Knechte stehen, bis der Zug durch den Baumgarten verschwunden war. Dann sagte der Knecht: „Das Vieh grämt sich." — „Warum sollte es nicht?" erwiderte der Hofschulze, „grämen wir uns doch auch. Komm auf den Futterboden, wir wollen Hafer messen."

225. Der Oberhof. Sehen wir uns im Oberhofe um! Wenn das Lob der Freunde immer ein sehr zweideutiges bleibt, so darf man dagegen dem Neide der Feinde vertrauen, und am glaub­ würdigsten ist ein Pferdehändler, der die guten Umstände

eines Bauern herausstreicht, mit welchem er nicht des Handels einig werden konnte. Zwar ließ sich von dem Hofe nicht, wie der Roßkamm Marx sagte, behaupten, es sei darin, als ob man sich bei einem Grafen befinde, hingegen nahm man, wohin man blickte, bäurischen Wohlstand und einen Segen wahr, welcher dem hungrigsten Menschen zurufen mußte: „Hier kannst du dich mit satt essen, die Schüssel ist immer­ dar voll." Der Hof lag ganz allein an der Grenze der frucht­ baren Börde, da, wo sie in das Hügel- und Waldland über­ geht. Die letzten Felder des Hofschulzen stiegen schon sacht die Anhöhe hinauf, und eine Meile von dort war Gebirg. Der nächste Nachbar der Bauerschaft wohnte eine Viertelstunde vom Hofe. Um diesen breitete sich alles Besitztum, welches eine große ländliche Wirtschaft nötig hat, aus: Feld, Wald, Wiese, unzerstückelt, in geschlossenem Zusammenhänge. Von der Anhöhe herab liefen die Felder durch die Ebene, bestens bestellt. Es war aber um die Zeit der Roggen­ blüte; der Rauch ging von den Ähren und wallte in den warmen Sommerlüften, ein Opfer der Scholle. Einzelne Reihen hochstämmiger Eschen oder knorrichter Rüstern, zu beiden Seiten der alten Grenzgräben gepflanzt, faßten einen Teil der Kornfelder ein und bezeichneten, von weitem her kenntlich, die Marken des Erbes, bestimmter, als Steine und Pfähle vermögen. Ein tiefer Weg zwischen auf­ geworfenen Erdwällen führte quer durch die Felder, mündete rechts und links an verschiedenen Orten in Seitenpfade aus und führte, wo das Getreide aufhörte, in ein kräftig bestandenes Eichenwäldchen, unter welchem sich erdgelagerte Säue gütlich taten, dessen Schatten aber auch für den Menschen erquicklich waren. Dieser Kamp, welcher dem Schulzen sein Holz lieferte, drang bis wenige Schritte vom Gehöfte vor, umfaßte es von beiden Seiten und gab so zu­ gleich gegen die Ost- und Nordwinde Schutz. Nur mit Stroh war das Wohnhaus, welches sich in seinen weiß und gelb angestrichenen Wänden von Fachwerk zweistöckig erhob, gedeckt; aber da diese Bedeckung immer

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Qmm ermann.

sehr wohl in stand erhalten ward, so hatte sie nichts Dürftiges, verstärkte im Gegenteil den behaglichen Eindruck, den das Gehöft machte. Ans der andern Seite des Hauses liefen um einen geräumigen Hof Ställe und Scheunen, an denen auch das schärfste Auge keine schadhafte Stelle an Maner und Bewurf erspähen konnte. Große Linden standen vor der Hof­ türe ; und dort, nicht nach der Wandseite zu, waren Ruhesitze angebracht. Denn der Hofschulze wollte, selbst wenn er rastete, seine Wirtschaft int Auge behalten. Gerade dem Wohnhause gegenüber sah man durch ein Gittertor in den Baumgarten. Dort breiteten starke und gesunde Obstbänme ihre belaubten Zweige über frischem Graswuchs, Gemüse- und Salatstücken aus; hier und da ernährte ein schmales Beet dazwischen rote Rosen und gelbe Feuerlilien. Doch waren solcher Beete nur wenige. In einer echten Bauerwirtschaft bleibt der Boden dem Bedürf­ nisse gewidmet, selbst wenn dem Eigentümer seine Umstände Luxus mit der Natur verstatten. Deshalb haben wir in solchen Höfen eine Empfindung froher Ruhe aller Sinne, wie sie Prachtgärten, Parks und Villen nicht zu erregen ver­ mögen. Denn das ästhetische Landschastsgefühl ist schon ein Produkt der Überfeineruug, weshalb es denn auch nie in eigentlich robusten Zeiten auftritt. Diese halten vielmehr die Stimmung zur Mutter Erde, als zu der Allernährerin,

fest, wollen und verlangen nichts von ihr, als die Gabe des Feldes, der Viehweide, des Fischteiches, des Wildforstes. Soweit das Auge über den Baumgarten hinausblickte, sah es auch nur Grün. Denn jenseits des Gartens lagen die Wiesen des Oberhofes, auf welchen der Schulze Raum und Futter für seine Pferde besaß. Ihre Zucht, mit Fleiß betrieben, gehörte zu den einträglichsten Nahrungsquellen des Erbes. Auch diese grünen Grasflächcu waren von Hecken und Gräben umschlossen; eine derselben faßte einen Weiher ein, in welchem ausgefütterte Karpfen zugweise umher­ schwammen. Auf diesem reichen Hofe, zwischen vollen Scheuern, vollen Böden und Ställen hantierte der alte, weit und breit

Jmmermann.

Kleist.

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angesehene Hofschulze. Bestieg man aber den höchsten Hügel, zu dem sich seine Felder hinauferstreckten, so erblickte man von dort die Türme dreier der ältesten Städte Westfalens. Es ging zu der Zeit, von welcher ich rede, auf elf Uhr Vormittags, und der ganze weitläufige Hof war fo still, daß sich fast nur das Rauschen der Lüfte in den Baum­ wipfeln des Kamps vernehmen ließ. Der Schulze maß dem Knechte Hafer zu, womit dieser, den Sack über der Schulter, langsamen Schrittes nach dem Pferdestalle ging; die Tochter zählte in der Linnen- und Garnkammer ihre Ausstattung nach; eine Magd besorgte die Küche. Was sonst von Menschen im Hose lebte, lag und schlief; denn es ging gegen die Ernte, in welcher Zeit es bei den Bauern am wenigsten zu tun gibt und die Arbeiter jede Minute zu benutzen pflegen, um gewissermaßen auf Rechnung der herannahenden fchweißund mühevollen Tage in voraus zu schlafen.

Heinrich K l e i st. 226. Anekdote aus dem letzten preutzischeu Kriege (1806). Ju einem bei Jena liegenden Dorf erzählte mir auf einer Reise nach Frankfurt der Gastwirt, daß sich mehrere Stunden nach der Schlacht, um die Zeit, da das Dors schon ganz von der Armee des Prinzen von Hohenlohe verlassen und von Franzosen, die es für besetzt gehalten, umringt gewesen wäre, ein einzelner preußischer Reiter darin gezeigt hätte, und versicherte mir, daß, wenn alle Soldaten, die an diesem Tage mitgefochten, so tapfer ge­ wesen wären wie dieser, die Franzosen hätten geschlagen werden müssen, wären sie auch noch dreimal stärker ge­ wesen, als sie in der Tat waren. Dieser Kerl, sprach der Wirt, sprengte, ganz von Staub bedeckt,, vor meinen Gast­ hof und rief: Herr Wirt! und da ich fragte: Was gibt's? — Ein Glas Branntwein! antwortet er, indem er sein Schwert in die Scheide wirft: mich dürstet! — Gott int

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Kleist.

Himmel! sag ich, und will Er machen. Freund, daß Er wegkommt? die Franzosen sind ja dicht vor dem Dorf! — Ei was! spricht er, indem er dem Pferde den Zügel über den Hals legt: ich habe den ganzen Tag nichts genossen. — — Nun, Er ist, glaub ich, vom Satan besessen. He, Liese! rief ich und schaff ihm eine Flasche Danziger herbei und sage: Da! und will ihm die ganze Flasche in die Hand drücken, damit er nur reite. Ach, was! spricht er, indem er die Flasche wegstößt und sich den Hut abuimmt: Wo soll ich mit dem Quark hin? Und: Schenk Er ein! spricht er, indem er sich den Schweiß von der Stirn, abtrocknet: denn ich habe keine Zeit. — Nun, Er ist ein Kind des Todes! sag ich. Da! sag ich und schenk ihm ein: da! trink Er und reit Er! Wohl mag's Ihm bekoinmen! — Noch eins! spricht der Kerl, während die Schüsse schon von allen Seiten ins Dorf prasseln. Ich sage: Noch eins? Plagt Ihn — ? — Noch eins! spricht er und streckt mir das Glas hin: und gut gemessen! spricht er, indem er sich den Bart wischt und sich vom Pferde herab schneuzt: Denn es >vird bar bezahlt. — Ei, mein Seel! So wollt ich doch, daß Ihr — Da! sage ich und schenk ihm noch, wie er verlangt, ein zweites und schenk ihm, da er getrunken, noch ein drittes ein und frage: Ist Er nun zufrieden? — Ach! schüttelt sich der Kerl: der Schnaps ist gut! Na, spricht er und setzt sich den Hut auf: Was bin ich schuldig? — — Nichts, nichts! versetz ich. Pack Er sich ins Teusels Namen! Die Franzosen ziehen augenblicklich ins Dorf! — Na! sagt er, indem er in seinen Stiefel greift: so svll's Ihm Gott lohnen! Und holt aus dem Stiefel einen Pfeifenstummel 'hervor und spricht, nachdem er den Kopf ausge­ blasen: Schaff Er mir Feuer! — Feuer? sag ich, plagt. Ihn — ? — Feuer, ja! spricht er: denn ich will mir eine Pfeife Tabak anmachen! — Ei, den Kerl reiten Legionen —! He, Liese! ruf' ich das Mädchen^ und während der Kerl sich die Pfeife stopft, schafft das' Mensch ihm Feuer. — Na! sagt der Kerl, die Pfeife, die er sich angeschmaucht, im Maul: Nun sollen doch die Franzosen die Schwerenot

Kleist, Körner.

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kriegen! Und damit, indem er sich den Hut in die Augen drückt und zum Zügel greift, wendet er das Pferd und zieht vom Leder. Ein Mordkerl! sag ich: ein verfluchter, Verwetterter Galgenstrick! Will Er sich ins Henkers Namen scheren, wo Er hingehört? Drei Chasseurs — sieht Er nicht? — halten ja schon vor dem Tore! — Ei, was! spricht er, indem er ausspuckt, und faßt die drei Kerls blitzend ins Auge: wenn ihrer zehn wären, ich fürcht mich nicht! Und in dem Augenblick reiten auch die drei Franzosen schon ins Dorf. Bassa Manelka! ruft der Kerl und gibt feinem Pferde die Sporen und sprengt auf sie ein; sprengt, so wahr Gott lebt! auf sie ein und greift sie, als ob er das ganze Hohenlohesche Korps hinter sich Hütte,, an; dergestalt, daß, da die Chasseurs, ungewiß, ob nicht noch 'mehr Deutsche im Dorf fein mögen, einen Augenblick, wider ihre Gewohnheit, stutzen, er, mein Seel! ehe man noch eine Hand umkchrt, alle drei vom Sattel haut, die Pferde, die auf dem Platz herumlaufen, aufgreift, damit bei mir vorbeisprengt und: Bassa Tevemtetem! ruft und: Sieht Er wohl, Herr Wirt! und: Adies! und: Auf Wieder­ sehn! und: Hoho, hoho, hoho! — Sv einen Kerl, sprach der Wirt, hab ich Zeit meines Lebens nicht gesehen! — —

Theodo r Körne r. 227. Aus Körners Briefwechsel mit seinem Bater 1813. Wien, am 10. März 1813. Ich, schreibe Dir dies­ mal in einer Angelegenheit, die, wie ich das feste Vertrauen zu Dir habe, Dich weder befremden noch erschrecken wird. Neulich schon gab ich Dir einen Wink über mein Vor­ haben, das jetzt zur Reife gediehen ist. — Deutschland steht auf; der preußische Adler erweckt in allen treuen Herzen durch seine kühnen Flügelschlägc die große Hoff­ nung einer deutschen, wenigstens norddeutschen Freiheit.

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Körner.

Meine Kunst seufzt nach ihrem Vaterlande — laß mich ihr würdiger Jünger sein! Ja, liebster Vater, ich will Soldat werden, will das hier gewonnene glückliche und sorgenfreie Leben mit Freuden hinwerfen, um, sei's auch mit meinem Blute, mir ein Vaterland zu erkämpfen. — Nenn's nicht Übermut, Leichtsinn, Wildheit! Vor zwei Jahren hätte ich es so nennen lassen; jetzt, da ich weiß, welche Seligkeit in diesem Leben reifen kann, jetzt, da alle Sterne meines Glücks in schöner Milde auf mich niederleuchten, jetzt ist es, bei Gott, ein würdiges Ge­ fühl, das mich treibt, jetzt ist es die mächtigste Überzeugung, daß kein Opfer zu groß sei für das höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit. Vielleicht sagt Dein bestochenes, väterliches Herz: Theodor ist zu größeren Zwecken da, er hätte auf einem anderen Felde Wichtigeres mit) Bedeutendes leisten können, er ist der Menschheit noch ein großes Pfund zu berechnen schuldig. Aber, Vater, meine Meinung ist die: Zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist keiner zu gut, wohl aber sind viele zu schlecht dazu! — Hat mir Gott wirklich etwas mehr als gewöhnlichen Geist eingehaucht, der unter Deiner Pflege denken lernte, wo ist der Augenblick, wo ich ihn mehr geltend machen kann? — Eine große Zeit will große Herzen und fühl ich die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung, ich muß hinaus und dem Wogensturni die mutige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleiern? — Soll ich Komödien schreiben auf dem Spott-Theater, wenn ich den Mut und die Kraft mir zutraue, auf dem Theater des Ernstes mitzusprechen? — Ich weiß, Du wirst manche Unruhe erleiden müssen, die Mutter wird weinen! Gott tröste sie! ich kann's Euch nicht ersparen. Des Glückes Schoßkind rühmt ich mich bis jetzt, es wird mich jetzo nicht verlassen. Daß ich mein Leben wage, das gilt nicht viel; daß über dies Leben mit allen Blütenkränzen der Liebe, der Freundschaft, der Freude geschmückt ist, und daß ich es

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Körner.

doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mir in der Überzeugung lebte, Euch keine Unruhe, keine Angst zu bereiten, das ist ein Opfer, dem nur ein solcher Preis entgegengestellt werden darf. Sonnabends oder Montags reise ich von hier ab, wahrscheinlich in freundlicher Gesellschaft, vielleicht schickt mich auch H, als Kurier. In Breslau, als dem Sammelplätze, treffe ich zu den freien Söhnen Preußens, die in schöner Begeisterung sich zu den Fahnen ihres Königs gesammelt haben. Ob zu Fuß oder zu Pferd, darüber bin ich noch nicht entschieden und kommt einzig auf die Summe Geldes an, die ich zusammenbringe. Wegen meiner hiesigen An­ stellung weiß ich noch nichts gewiß, vermutlich gibt mir der Fürst Urlaub, wo nicht, so hab ich doch das sichere Versprechen des Grafen Palfy, das in ökonomischer Hinsicht noch mehr Vorteile gewährt. — Toni*) hat mir auch bei dieser Ge­ legenheit ihre große, edle Seele bewiesen. Sie weint wohl, aber der geendigte Feldzug wird ihre Tränen schon trocknen. Tie Mutter soll mir ihren Schmerz vergeben; wer mich liebt, soll mich nicht verkennen, und Du wirst mich Deiner würdig finden. Dein Theodor. Humboldts, Schlegels und die meisten meiner Freunde haben bei meinem Entschlüsse zu Rate gesessen. Humboldt gibt mir Briefe. Ich schreibe Euch auf den Montag noch einmal.

Antwort des Vaters auf diesen Brief. Witte März 1813.] Für jetzt nur ein paar Worte: Du hast Dich in mir nicht geirrt, wir sind einverstanden. Für alle Deine Bedürfnisse wird unser alter schlesischer Freund oder der jüngere Freund, an den ich Dich in Berlin empfahl, sorgen, bis ich es selbst unmittelbar tun kann. Gib uns bald Nachricht, entweder auf dem ordentlichen Wege, sobald Du gewiß überzeugt bist, daß die Kommune kation wieder offen ist, oder durch den Vetter, indem Du *? Körner war mit Antonie Adamberger aus Wien verlobt. Hessel, Lesebuch 3. 8. Aufl.

M. 22

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Körner.

Deinen Brief bloß „Patri" überschreibst. Der Vetter wirdihn schon weiter besorgen. Alles grüßt herzlichst, besonders die Mutter. Lebe recht glücklich! Dein treuer Vater.

Der Vater an Theodor. Töplitz, den 2. Juli 1813. Mein erster Gedanke ist heute an Dich, ein besseres Geburtstagsgeschenk konnte mir nicht zuteil werden, als daß ich Dich außer Gefahr und in der besten Pflege weiß. Ich kann Gott nichd genug danken, daß er Dich aus einer der größten Gefahren auf eine fast wunderbare Weise errettet Hat. Von D,ir und mir wird noch viel gefordert, da wir so große Wohltaten empfangen haben, wir wollen leisten, was unsere Kräfte vermögen.

228. Körner an Frau v. Pereira in Wien. Breslau, den 22. März. Lassen Sie mich jetzt eine kleine Beschreibung machen, wie Ihr Freund aussieht: ein schwarzer kurzer Waffenrock mit rotem Vorstoß, gleich­ farbige Pantalons mit Tschako, Schuhe und Gamaschen be­ decken den Körper notdürftig. Eine Büchse auf dem Rücken, Hirschfänger und Pistolen im Gürtel, Pulverhorn, Feld­ flasche und Dolch auf der Brust machen die Bewaffnung und Verproviantierung aus. Ein Schnurrbart gibt dem Gemälde die letzten militärischen Drucker; das Ränzel und der Mantel auf dem Rücken bezeugen die Sorgsamkeit des Trägers. So ziehe ich heut aus gegen Zobteu, das unser Hauptquartier ist. In wenig Tagen, vielleicht morgen schon, marschieren wir, und in Zehn Tagen stehen wir vor dein Feind. Mein Herz dreht sich gewaltsam« um, wo ich nur eine Büchse blinken sehe. Gott! was ist es für eine! große, herrliche Zeit. Alles geht mit so freiem, stolzem Mute dem großen Kampfe fürs Vaterland entgegen, alles drängt sich, zuerst für die gute Sache bluten zu können. Es ist nur ein Wille, nur ein Wunsch in der ganzen Nation und das abgenutzte „Sieg oder Tod" bekommt neue, HeiligeBedeutung!

Körner.

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Zobten, den 26. März. Denken Sie sich einen Haufen von 1500 jungen Leuten, alle aus einem Trieb, aus Haß, aus Rache gegen den Tyrannen und voll der glühendsten Be­ geisterung für die gute Sache des Volks zu den Waffen ge­ eilt, die letzten sorglosen Minuten des ruhigen Lebens keck und frei genießend! — — — Der zweite Mann muß ver­ loren sein, ist der allgemeine Glaube, und das Schillersche: Und kommt es morgen, so laßt uns heut Noch schlürfen die Neige der köstlichen Zeit

wird geehrt und befolgt. Oft wird mir's doch zu wild, dann gehe ich in den Wald und denke an das liebe Wien, an so manchen Silberblick, der mir da vorübe^leuchtete, und der nun in der Nebelgestalt der Erinnerung an mir vorüber­ zieht. — Was sage ich, Nebelgestalten? — O, es ist ein lebendiges, klares Wiederempfinden, Wiedergrüßen, die schönen Stunden kehren mir zurück und alle Stille und Freude meines Herzens; gewöhnlich kann ich mich dann nicht ent­ halten, die Wälder mit dem Liede: „Im Walde schleich ich still und wild/" zu plagen. Es ist ein gar liebes, liebes Lied! Jauer, den 30. März. Eben erhalten wir die Nachricht, daß wir binnen acht Tagen vor dem Feinde stehen. Die Franzosen haben Dresden stark besetzt, machen Miene, es zu halten, und sollen ihre Vorposten bis Bautzen vorgerückt haben. Wir werden mit aller Eile vorgeworfen, und ich halte es für eine kleine Gunst des Schicksals, daß ich ent­ weder die heilige Erde meiner Heimat befreien helfen darf oder doch vor den Mauern meiner väterlichen Stadt, wie ein ehrliches, deutsches Herz verbluten kann. Das walte Gott! ich bin bereit. — Eine große, herrliche Stunde habe ich am Sonnabend verlebt. Wir zogen in Parade aus Zobten nach Rogau, einem lutherischen Dorfe, wo die Kirche zur feierlichen Einsegnung der Freischar einfach, aber geziemend ausgeschmückt war. Nach Absingung eines Liedes, das Ihr Freund zu der Gelegenheit verfertigt hatte, hielt der Prediger des Orts, Peters mit Namen, eine kräftige, allgemein er­ greifende Rede. Kein Auge blieb trocken. Zuletzt ließ er 22*

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Körner. Kügelgen.

uns den Eid schwören: für die Sache der Menschheit, des Vaterlandes und der Religion weder Gut noch Blut zu schonen, und zu siegen oder zu sterben für die gerechte Sache; wir schworen! — Darauf warf er sich auf die Kniee und flehte Gott um Segen für feine Kämpfer an. Bei dem Allmächtigen! es war ein Augenblick, wo in jeder Brust die Todesweihe flammend zuckte, wo alle Herzen helden­ mütig schlugen. Der feierlich vorgesagte und vor: alle:: nacht­ gesprochene Kriegseid, auf die Schwerter der Offiziere ge­ schworen, und „eine feste Burg ist unser Gott" machte das Ende der herrlichen Feierlichkeit, die zuletzt noch mit einem donnernden Vivat! das die Krieger der deutschen Freiheit ausbrachten, gekrönt wurde, wobei alle Klingelt aus der Scheide flogen und helle Funken das Gotteshaus durchs sprühteu. Diese Stunde hatte um so inehr Ergreifendes für uns, da die meisten mit beni Gefühl hinausgehen, es sei ihr letzter Gang. Ich weiß auch einige Gesichter in meinem Zuge, von denen ich's ganz deutlich voraus lveiß: sie sind unter den ersten, die der Würgengel fordert. Es gleicht wohl nichts dem klaren, bestimmten Gefühle der Freiheit, das deut Besonitellen, int Augenblicke der Ge­ fahr, lächelnd entgegentritt. Kein Tod ist so mild, wie der unter den Kugellt der Feinde; denn lvas den Tod sonst verbittern mag, der Gedanke des Abschieds von dem, was einem das Liebste, das Teuerste dieser Erde war, das verliert feinen Wermut in der schönsten Überzeugung, daß die Heilig­ keit des Untergangs jedes verwundete, befreundete Herz bald heilen werde.

Wilhelm Kugelqen. 229. Erinnerungen aus Dem Frühling 1813. 1. Der „Gottessegen" war ein hohes Haus, außer dem Erdgeschoß noch vier Etagen übereinander: dann folgte erst

Kügelgcn.

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der Dachboden, an welchem alle Mietsleute ihren Anteil und Verschluß hatten. Hier oben war ein Labyrinth von

dunklen, winkligen Gängen, Verschlagen und Rumpel­ kammern, voll alten, weggesetzten Hausrates und voll Reiz sür Kinder. Überdem erfreute man sich aus den Dachluken einer weiten Aussicht auf die Meißener Gegend, wie auch nach Norden über das schwarze Tor hinaus bis auf die waldigen Höhen der Radeberger Heide. Indem mein Bruder und ich nun eines Morgens hier unser Wesen hatten, fiel es uns ein, doch einmal auszu­ schauen, ob die Russen noch nicht kämen. Wir blickten an­ gestrengt und lange in die Ferne und wollten eben die Köpfe wieder einziehen — da! nein, es war keine Täuschung; da zeigten sie sich wirklich! Am Saum des fernen Kiefern­ waldes, wo dieser an eine öde Sandfläche grenzte, die sich bis zur Stadt herauzog, war plötzlich ein neuer Gegen­ stand erschienen, ein dunkles Etwas, das sich lebhaft hin und herbewegte. Dann waren es zwei und immer mehrere. Bald schwärmte es wie ein Mückenschwarm der Stadt zu. Die Russen! die Russen! frohlockten wir, unb fort ging's mit Sturmeseile, den Eltern das entzückende Er­ eignis zu verkünden. Mein Bruder krallte sich fest an meine Jacke, schreiend, er wollte es auch mit sagen, denn er habe es zuerst gesehen, was auch nahe an die Wahrheit streifte. So wirbelteu wir gekoppelt und gedoppelt die Treppe hinunter und drangen atemlos in das Arbeitszimmer des Vaters, der empört über unser Ungestüm den Malstock hob und uns die Flegelei verwies. Ta er aber den Grund unserer Auf­ regung erfuhr, eilte er, Oie Arbeit vergessend, mit uns auf den Boden und blickte mit seinem scharfen Auge in die Ferne. Wir hatten recht gesehen; es waren Kosaken, die lustig auf dein Sande schwärmten imb sich der Festung immer kecker nahten. An demselben Morgen sahen wir aus unseren Fenstern, wie zwei schlanke, hechtblaue Sachsenleutnants einen kleinen, stämmigen Kosakenoffizier mit verbundenen Augen vorüber

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Kügelgen.

führten. „Sie haben ihm ins Gesicht geschossen," sagte mein Bruder ruhig, „und ihn dann gefangen." Tiber der Vater belehrte uns, daß das ein Parla­ mentär sei, den man zum Kommandanten führe. Ich sah den kleinen, straffen Parlamentär mit so lebhaftem Interesse an, daß er mir mit seinen festen, kurzen Schritten, seinem breiten Nacken und der stolzen Haltung seines verbundenen Kopfes noch heute ganz lebendig vor den Angell steht. Nach einigen Stunden verbreitete sich die sehr willkommene Nach­ richt, daß die Neustadt am folgenden Morgen übergeben werden solle. Nächsten Tags in aller Frühe zog bann auch die säch­ sische Besatzung ab, die Kosaken, geführt vonl Obristen Brendel, etwa 800 Mann stark, zogen in guter Ordnung ein und machten unweit des Tores Halt. Auch mein Vater war mit uns Knaben hingegangen. „Das sind deine Landsleute," sagte er mir, in welcher Bezeichnung für mich eine Aufforderung 511 angemessener Zärtlichkeit lag. Gern hätte ich wenigstens einigen die Hand gedrückt, da ich's nicht allen konnte, wenn mein Vater mich nicht an der seinigen festgehalten und die strenge Haltung dieser wilden Krieger mir nicht einiges Bedenken eingeflößt hätte.

2 Inzwischen dauerte die anfängliche militärtsche Er­ starrung des Kosakenvölkchens nicht allzulange. Was irgend Beine hatte in der Neustadt, war nach dem Tore geeilt, und von allen Seiten drängten die Bürger mit freudigem Zuruf auf ihre Befreier ein. Diese Russen waren als Feinde der Franzosen teure Freunde und Gesinnungsgellossen; sie wurden wie Brüder empfangen, Jauchzell erfüllte den Platz. Der Branntwein strömte; jeder hatte ihn mitgebracht, und jeder wollte der erste sein, den langersehnten Barbaren dell Hals damit zu füllen. Halb zog man sie, halb sanken sie int Freudentaumel uns den Sätteln. Man umarmte, man süßte sich und sprach in Zungen, bis die Quartierbillets verteilt

Kügelgen.

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waren und die glücklichen Wirte mit ihren Mannschaften abzogen. Es war ein Funke der weltgeschichtlichen Be­ geisterung einer groben Zeit, der in die Herzen des DresdnerVolkes gefallen war. Meinen Eltern ward ein Offizier zugeteilt, mit dessen Burschen wir Kinder, wie mit den übrigen Kosaken im Hause bald gute Freundschaft machten. Wir schleppten unseren Freunden Lebensrnittel zu, schenkten ihnen unsere ersparter: Kupfermünzen und gingen ihnen zur Hand, so gut wir es vermochten. Sie dagegen schnitzten uns hölzerne Lanzen und Säbel, zeigten uns ihre Waffen, unter denen uns besonders ihre langen, in Türkenkriegen erbeuteten und zum Teil sehr reich mit Silber eingelegten Pistolen wohlgefielen, und ließen uns auf ihren kleinen Pferden reiten. Diese Kosaken aus bei: Freiheitskriegen waren gut­ artige kindliche Burschen, zwar etwas diebisch, wie unser Hauswirt finden wollte, aber dabei doch recht fromm. Als einer von ihnen mit einer Meldung an seinen Offizier zu uns ins Zimmer trat und das große Marienbild erblickte, bekreuzte er sich sogleich uno blieb mit aufgerissenem Munde wie angenagelt an die Türe stehen, keinen Blick von jenen: Heiligtun: verwendend. Der Offizier ersuchte meine Eltern in französischer Sprache, Dem armen Kerl, der noch nie in seinen: Leben ein so schönes Bild gesehen, zu gestatteu, daß er näher hinzuträte, nnd meine Mutter, in aller Eile die Trümmer ihres halb vergessenen Russisch zusammenraffend, lud thu nun selbst in seiner eigenen Sprache dazu ein. Da überwog fürs erste die freudigste Überraschung jede andere Empfindung. Die heimischen Laute entzückten den Weithergekommenen, er krümmte und schmiegte sich vor meiner Mutter bis zur Erde, küßte und streichelte den Saum ihres Kleides und suchte auf alle Weise seine Freude zu bekunden. Dann wieder betrachtete er das Bild mit größter Verwunderung nnd erbat sich schließlich die Erlaubnis, auch einige Kameraden herzuführen. So dauerte es denn nicht lange, daß ein ganzer Haufe von Kosaken mit ihren Schleppsäbeln die Treppe herauf-

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Kügelgen.

rasselten. Sie nahten sich dem Bilde aufs ehrerbietigste, warfen sich auf die Knie, bekreuzten sich und verrichteten ihre Andacht wie in der Kirche. Dann besprachen sie sich leise über das Wunderwerk, vor dem sie standen, und zogen sich dankend mit vielen Verbeugungen wieder zurück. Das­ selbe wiederholte sich an demselben Tage noch öfter. Obrist Brendel war wunderlicherweise ein Deutscher und inter­ essierte demnächst durch seinen ungeheuren Bart, der ihm bis zum Gürtel reichte.

3. Jetzt brachte jeder Tag sein Neues. Auf die Kosaken folgten reguläre russische Truppen. Das Wintzingerovesche Armeekorps zog größtenteils durch Dresden, und zwar in bester Haltung mit Sang und Klang, mit fliegenden Fahnen und umgeben von dem Nimbus der gerechten Sache, für die es stritt. Solche Durchmärsche mit anzusehn, wäre an und für sich schon gut genug gewesen; wir Kinder aber hatten dabei noch ein Interesse. In der russischen Armee nämlich bienten viele Livländer, unter denen sich leicht Verwandte finden konnten, eine Menschenklasse, die uns Kindern bis dahin fremd geblieben war, da die Familien des Vaters wie der Mutter so weit von Nus zu Hause waren. Wir sahen daher jeden russischen Offizier daraus an, ob nicht vielleicht ein Onkel in ihm steckte, suchten auch einzelnen, die uns wohlgefieleu, durch vertrauliches Zunicken eine Entdeckung zu erleichtern, an der ihnen, wie wir meinten, ebenso viel ge­ legen sein mußte, als uns selbst. Auf diese Weise erhielten wir manchen freundlichen Gruß zurück, ohne jedoch zu unserm Zweck zu kommen. Aber die rechten Onkels stellten sich ganz von selber ein, und wie klopfte mir das Herz, als ich eines Morgens, in der Haustür stehend, von einem anreitenden Husarenoffizier ge­ fragt ward, ob hier mein Vater wohne. Es war ein Vetter meiner Mutter, namens Georg von Bock, ein wunderschöner junger Mann vom stattlichsten Aussehen. Fast verschlang ich ihn mit den Augen und hatte eine Freude, die nur durch

Kugelgcu.

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die vergangene Verwandtendürre erklärlich werden konnte. An seinem Arme ging ich stolz durch die Straßen bei den präsentierenden Posten vorüber und fühlte mich nicht schlecht geschmeichelt, wenn begegnende Soldaten Front vor uns machten. Und o! wie anziehend waren die Gespräche dieses Onkels für groß und klein, denn er hatte die ganze Kampagne in Rußland mitgemacht und erzählte in trefflicher Weise als Augenzeuge von den Schlachten und von den Greueln an der Beresina. Leider konnte er nicht immer bleiben, er mußte weiter, wie andere liebe Verwandte, die ihm folgten, und wie ein Traumbild sind mir diese ersten Russen mit ihren Onkels hingeschwunden. Es war eine große, herzerhebende Zeit, der wir ent­ gegengingen, das Aufleuchten eines unvergleichlich herrlichen Morgens. Die ersten Strahlen deutscher Freiheit flammten blutigrot im Osten auf, begeisternde Verheißung spendend, und wie auf den Ruf der letzten Posaune regten sich die weiten, toten Gefilde des großen deutschen Vaterlandes zu neuem Leben, aber auch zu blutiger Arbeit. Das Wort Friedrich Wilhelms hatte sein scheintot darniederliegendes Volk aus schwerem Traum erweckt, und in frisch erstarkender Kraft schüttelte es die mächtigen Glieder und zersprengte seine Ketten, um wie ein einziger Mann zu seinem Könige, zur deutschen Sache und zu sich selbst zu stehen. Ich war ein Kind und meiner kindischen Meinung nach ein Russe, aber dennoch fühlte auch ich mich von bem ge­ waltig heranbrausenden Sturm berührt, in welchem sich das Erwachen des nationalen deutschen Geistes damals so herr­ lich manifestierte. Das deutsche Blut in meinen Adern vehauptete sein Recht, unh mit Entzücken sah ich das erste freie deutsche Heer in Dresden einziehen!

4. Auf Wintzingerode folgte Blücher mit den Preußen, und waren die Russen von der Bevölkerung gut empfangen worden, so freute man sich jener doppelt, da man sie mit Recht als die Repräsentanten neu entstehender Ehre und

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Kügelgen.

Lessing.

Selbständigkeit des allgemeinen deutschen Vaterlandes an­ sah. Besonders erweckte gerade in dieser Beziehung das Erscheinen der Lützowschen Jäger den größten Enthusias­ mus. Ein solches Korps aus lauter gebildeten, für nationale Freiheit glühend begeisterten jungen Männern hatte die deutsche Welt kaum je gesehen. Diese frischen Jünglinge schienen den Freiheitskämpfern des alten Griechenlands zu gleichen, denn wie jene zogen sie jung und heiter, schön und todesfreudig in den Kampf für das Vaterland uni) seine Ehre. Man schwärmte laut für sie, und da sie nicht für die Sonderinteressen irgend eines deutsche!: Stamnies, sondern für die allgemeine deutsche Sache streiten wollten, so fehlte es nirgends und auch in Dresden nicht an jungen Helden, die sich in ihre Reihen drängten. Unter diesen mochte der damals schon in weiten Kreisen bekannte und persönlich so beliebte junge Dichter Theodor Körner eine der glänzendsten Erscheinungen sein. Den sehe ich noch, wie er Abschied nehmend vor meinen Eltern stand. Seine schöne Gestalt im Schmuck der Waffen, der begeisterte Blick seines Auges, sein freundliches Wesen, sowie die gute Meinung, die jeder von ihn: hatte, das alles machte in mir den lebhaftesten Eindruck, und dankbar empfand ich es, das; er auch mich in seine Arme schloß.

Gotthold Ephraim Lessinq. 230. Einige Fabeln. 1. Ter Esel in i t d e m L ö iv e n. Als der Esel mit dein Lölven, der ihn statt seines Jäger­ horns brauchte, nach dem Walde ging, begegnete ihm ein anoerer Esel von seiner Bekanntschaft und rief ihn: zu: ,,Guten Tag, mein Bruder!" — „Unverschämter!" mar die Antwort. „Und warum das?" fuhr jener Esel fort, „bist du des­ wegen, weil du mit einem Löwen gehst, besser als ich? mehr als ein Esel?"

Lessing.

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2. Ter L ö w e mit de in E s e l.

Als der Löwe mit dem Esel, der ihm durch seine fürchter­ liche Stimme dre Tiere sollte jagen helfen, nach dem Walde

ging, rief ihm eine naseweise K^rähe von dem Baume zu: „Ein schöner Gesellschafter! Schämst du dich nicht, mit einem Esel zu gehen?" — „Wen ich brauchen kann/" versetzte der Löwe: „dem kann ich ja wohl meine Seite gönnen." So denken die Großen alle, wenn sie einen Niedrigen ihrer Gemeinschaft würdigen. 3. Tie Pfauen und die Krähe n. Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfauen und mischte sich kühn, als sie ge­ nug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzendell Vögel der Juno. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfauen mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz auszilreißen. „Lasset nach!" schrie sie endlich, „ihr habt nun alle das eurige wieder!" Doch die Pfauen, welche einige von den eigenen, glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: „Schweig, armselige Närrin; auch diese können nicht dein sein!" — und hackten weiter. 4.

T e r Rabe und der Fuchs.

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtller für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, ill seinen Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: „Sei mir ge­ segnet, Vogel des Jupiters!" — „Für wen siehst du mich an?" fragte der Rabe. — „Für wen ich dich ansehe?"" er­ widerte der Fuchs, „bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herab kömmt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?" Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler

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Lesung.

gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, deu Fuchs aus diesem Irrtume nicht bringen. — Großmütig dumm ließ er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken, und er verreckte. Möchtet ihr euch nie etwas andres als Gift erloben, verdammte Schmeichler! 5. Der Wolf auf d e m Todbette. Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen prüfenden Blick auf fein vergangenes Leben zurück. „Ich bin freilich ein Sünder," sagte er; „aber doch, hoffe ich, keiner von den größten. Ich habe Böses getan, aber auch viel Gutes. Einstmals, erinnere ich mich, kam mir ein blökendes Lamm, welches sich von der Herde verirrt hatte, so nahe, daß ich es gar leicht hätte würgen können, und ich tat ihm nichts. Zu eben dieser Zeit hörte ich die Spöttereien und die Schmähun­ gen eines Schafes mit der bewundernswürdigsten Gleichgültig­ keit an, ob ich schon keine schützenden Hunde zu fürchten hatte." „Und das alles kann ich dir bezeugen," fiel ihm Freund Fuchs, der ihm zum Tode bereiten half, ins Wort. „Denn ich erinnere mich noch gar wohl aller Umstände dabei. Es war zu eben jener Zeit, als du dich an dem Beine so jämmerlich würgtest, das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog."

6. H e r k u l e s. Als Herkules in deu Himmel ausgenommen ward, machte er seinen Gruß unter allen Göttern der Juno zuerst. Der ganze Himmel und Juno erstaunte darüber. „Deiner Fein­ din," rief man ihm zu, „begegnest du so vorzüglich ?" — „Ja, ihr selbst," erwiderte Herkules, „nur ihre Verfolgungen sind es, die mir zu den Taten Gelegenheit gegeben, womit ich den Himmel verdient habe." Der Olymp billigte die Antwort des neuen Gottes, und Juno ward versöhnt.

7. Xie Sperlinge. Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzählige 'Diester gab, ward ausgebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze da stand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen. Alleiir sie sanden sie alle vermauert. „Zu was," schrieen sie, „taugt denn nun das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steliihaufen!"

8. Ter Tom st r a u ch. „Aber sage mir doch," fragte die Weide beit Dorn­ strauch, „warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden Menschen so begierig bist. Was willst du damit? Was können sie dir helfen?" „Nichts!" sagte der Dornstrauch. „Ich will sie ihm auch nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen." 231. Aus den Abhandlungen über die Fabel. Ein gewisser Kunstrichter sagt: „Man darf nur im Holz und im Feld, insonderheit aber auf der Jagd, auf alles Be­ tragen der zahmen und der wilden Tiere aufmerksam fein, und so oft etwas Sonderbares und Merkwürdiges zum Vorschein kommt, sich selber in den Gedanken fragen, ob es nicht eine Ähnlichkeit mit einem gewissen Charakter der menschlichen Sitten habe und in diesem Falle in eine symbolische Fabel ausgebildet werden könne. Die Mühe, mit seinem Schüler auf die Jagd zu gehen, kann sich der Lehrer ersparen, wenn er in die alten Fabeln selbst eine Art von Jagd zu legen weiß, indem er die Geschichte derselben bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald diesen oder jenen Umstand der­ selben so verändert, daß sich eine andere Moral darin er­ kennen läßt. Z. E. die bekannte Fabel von dem Löwen und Esel fängt sich au: Der Löwe und der Esel gingen zusammen auf die Jagd. — Hier bleibt der Lehrer stehen. Der (^fel in Gesell­ schaft des Löwen? Wie stolz wird der Esel auf diese Gesell­ schaft gewesen fein! Der Löwe in Gesellschaft des Esels? Und hatte sich denn der Löwe dieser Gesellschaft nicht zu schämen?

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Scijing.

Und so sind zwei Fabeln entstanden, inöein man mit der Ge­ schichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führt, als Äsopus sich dabei gesteckt hatte. Oder man verfolgt bte Geschichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Krähe, die sich mit den ausgefallenen Fe­ dern anderer Vögel geschmückt hatte, schließt sich: Und die Krähe war wiederum eine Krähe. Vielleicht war sie nun auch etwas Schlechteres, als sie vorher gewesen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigenen glänzenden Schwingfedern

mit ausgerissen, weil man sie gleichfalls für fremde Federn gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man ertappt ihn hier, man ertappt ihn da, und endlich glaubt man, daß er auch das, was wirklich sein eigen ist, gestohlen habe.

Oder man verändert einzelne Umstände in der Fabel. Wie, wenn das Stück Fleisch, welches der Fuchs dem Raben aus dem Schnabel schmeichelte, vergiftet gewesen wäre? Oder man nimmt auch den merkwürdigsten Umstand aus der Fabel heraus und baut auf denselben eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe ist ein Beiu in dem Schlunde stecken ge­ blieben. In der kurzen Zeit, da er sich daran würgte, hatten die Schafe also vor ihm Friede. Aber durfte sich der Wolf die gezwungeue Enthaltung als eine gute Tat anrechnen? Herku­ les wird in den Himmel ausgenommen und unterläßt, dem Plutus seine Verehrung zu bezeigen. Sollte er sie wohl auch seiner Todfeindin, der Juno, zu bezeigen unterlassen haben? Oder würde es dem Herkules anständiger gewesen sein, ihr für ihre Verfolgung zu danken? Ich breche ab! denn ich kann mich unmöglich zwingen, einen Kommentar über meine eigenen Versuche zu schreiben.

232. Die Einheiten des Dramas. Ein anderes ist, sich mit den Regeln abfinden, ein ande­ res, sie wirklich beobachten. Jenes tun die Franzosen; dieses scheinen nur die Alten verstanden zu haben. Die Einheit der Handlung war das erste dramatische Gesetz der Alten; die Einheit der Zeit und die Einheit des

Lessing.

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Ortes waren gleichsam nur Folgen aus jener, die sie schwer­ lich strenger beobachtet haben würden, als es jene notwendig erfordert hätte, wenn nicht die Verbindung des Chors dazu ge­ kommen wäre. Da nämlich ihre Handlungen eine Menge Volks zum Zeugen haben mußten und diese Menge immer die nämliche blieb, welche sich weder weiter von ihren Wohnungen entfernen, noch länger aus denselben wegbleiben konnte, als man gewöhnlichermaßen der bloßen Neugierde wegen zu tun pflegt, so konnten sie fast nicht anders, als den Ort auf einen und eben denselben individuellen Platz und die Zeit auf einen und eben denselben Tag einschränken. Dieser Einschränkung unterwarfen sie sich denn auch bona fide; aber mit einer Biegsarnkeit, mit einem Verstände, daß sie unter neun Malen sie­ ben Mal weit mehr dabei gewannen als verloren. 'Denn sie

ließen sich diesen Zwang einen Anlaß sein, die Handlung selbst so zu simplifizieren, alles Überflüssige so sorgfältig von ihr ab­ zusondern, daß sie, auf ihre wesentlichen Bestandteile gebracht, nichts als ein Ideal von dieser Handlung ward, welches sich gerade in derjenigen Form am glücklichsten ausbildete, die den wenigsten Qiifafe von Umständen der Zeit und des Orts ver­ langte. Die Franzosen hingegen, die an der wahren Einheit der Handlung keinen Geschmack fanden, die durch die wilden In­ triguen der spanischen Stücke schon verwöhnt waren, ehe sie die. griechische Simplizität kennen lernten, betrachteten die Einheiten der Zeit und des Orts nicht als Folgen jener Ein­ heit, sondern als für sich zur Vorstellung einer Handlung un­ umgängliche Erfordernisse, welche sie auch ihren reichern und verwickelteren Handlungen in eben der Strenge anpassen müßten, als es nur immer der Gebrauch des Chors erfordern könnte, dem sie doch gänzlich entsagt hatten. Da sie aber fan­ den, wie schwer, ja wie unmöglich öfters dieses sei, so trafen sie mit den tyrannischen Regeln, welchen sie ihren völligen Ge­ horsam aufzukündigen, nicht Mut genug hatten, ein Abkom­ men. Anstatt eines einzigen Ortes, führten sie einen unbe­ stimmten Ort ein, unter dem man sich bald den, bald jenen einbilden könne: genug, wenn diese Orte zusammen nur nicht

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Lessing.

gar zu weit auseinander lägen und keiner eine besondere Ver­ zierung bedürfe, sondern die nämliche Verzierung ungefähr

dem einen so gut als dem andern zukommen könne. Anstatt der Einheit des Tages schoben sie die Einheit der Dauer unter; und eine gewisse Zeit, in der man von keinem Aufgehen und Untergehen der Sonne hörte, in der niemand zu Bette ging, wenigstens nicht öfter als einmal zu Bette ging, mochte sich doch sonst noch so viel und mancherlei ereignen, liefen sie für einen Tag gelten.

Niemand würde ihnen dieses verdacht haben; denn un­ streitig lassen sich auch so noch vortreffliche Stücke machen; und das Sprichwort sagt: bohre das Brett, wo es am dünnsten ist. — Aber ich muß meinen Nachbar nur auch da bohren lassen. Ich muß ihm nicht immer nur die dickste Kante, den ästigsten Teil des Brettes zeigen und schreien: Da bohre mir durch! da pflege ich durchzubohren! — Gleichwohl schreien die französischen Kunstrichter alle so: besonders wenn sie auf die dramatischen Stücke der Engländer kommen. Was für ein Aufhebens machen sie von der Regelmäßigkeit, die sie sich so unendlich erleichtert haben! — Doch mir ekelt, mich bei diesen Elementen länger aufzuhalten. Möchten meinetwegen Voltairens uiib Maffeis Merope

acht Tage dauern und an sieben Orten in Griechenland spielen! Möchten sie aber auch nur die Schönheiten haben, die mich diese Pedanterien vergessen machen! Die strengste Regelnräßigkeit kann den kleinsten Fehler in den Charakteren nicht aufwiegen.

233. Wahrheit. Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern d.urch die Nachforschung der Wahrheit er-, weitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht.

stolz--------- .

Der Besitz macht ruhig, träge,

Lessing.

Lindner.

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Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit uni> in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusätze, mich immer und ewig M irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! -------- Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater, gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!"

Theodor Lindner. 234. Drei Heerführer im Kriege 1870. 1. Ter Kronprin z. Der König war seit 1829 vermählt mit der Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar, einer hochgebildeten Fürstin, die später der Krankenpflege und milden Stiftungen hin­ gebende Tätigkeit zuwandte. Die Ehe war mit zwei Kindern gesegnet, einem Sohn und einer Tochter Luise, die 1856 dell Großherzog Friedrich von Baden heiratete. Der Kronprillz Friedrich Wilhelm, geboren am 18. Oktober 1831, erhielt neben der militärischen Ausbildung eine sorgfältige wissenschaftliche Erziehung, und sein vielseitiger Geist öffnete sich gern dem Leben in allen seinen Erscheinungen. Besondere Vorliebe hegte er für die Geschichte, nanlentlich seines Staates mit) dessen großer Fürsten. Seine Gemahlin, die englische Prinzeß Viktoria, teilte diese Neigungen und verband mit ihnen eine eifrige Pflege der Künste. Während in König Wilhelm die eine Seite des hohenzollerischen Wesens, die treue Fürsorge für Haus und Staat, verkörpert war, gehörte der Kronprinz inehr zu den selt­ neren Charakteren dieser Familie, in denen sich das strenge Pflichtgefühl mit einer gewissen Weichheit und lebhaften Empfindung paarte. Daher waren Vater und Sohn nicht von gleicher Art, und obgleich der edle Sinn beider keine Störung aufkommen ließ, dachte der Kronprinz in manchen Beziehungen anders. Fühlte sich der König stets in erster Linie als Preuße, war der Sohn für Deutschland begeistert. Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl. M. 93

Überall schlug dem Thronfolger warme Liebe entgegen. Sein aus wahrer Liebenswürdigkeit entspringendes leutseliges Wesen, die ungezwungene Weise sich zu geben, seine mensch­ liche Teilnahme gewannen ihm alle Herzen. Ein hochge­ wachsener, schlanker Mann, das regelmäßige Gesicht von blondem Vollbart umrahmt, erschien er als das Ideal männ­ licher Schönheit. Seitdem seine Armee die Schlacht von Königgrätz entschieden hatte, schmückte den glücklichen Feld­ herrn auch der Lorbeer des Sieges, aber die Vertrauten wußten, einen wie tief schmerzlichen Eindruck der blutige Jammer d'er Schlachtfelder auf den bewunderten Helden gemacht hatte. In ihm schien sich alle Trefflichkeit har­ monisch zu vereinen.

2. M oltke. Der geistvolle Kopf des Heeres war der Ehef ixv< Generalstabes, Helmut von Moltke. Einem alten mecklen­ burgischen Adelsgeschlecht entstammend, am 26. Oktober 1800 in Parchim geboren, empfing er, da sein Vater dänische Dienste genommen hatte, den ersten Unterricht in Kopen­ hagen, trat aber bald in die preußische Armee über. Schon als junger Offizier, nicht mit Glücksgütern, dafür mit glück­ lichster Begabnng ausgestattet, erregte Moltke auf der Kriegs­ schule Aufmerksamkeit nnb würde früh in den Generalstab versetzt, in dem er seine ganze Dienstzeit verblieb. Der lange, hagere. Herr mit dem bartlosen, feingeschnittenen Gesicht,, das int Alter zahllose kleine Falten durchfurchten, mit den festgeschlossenen Lippen nnd dem scharfen, klugen Blicke barg hinter seiner schlichten, anspruchslosen Erscheinung weiteste Kenntnisse, tiefsten Geist und regstes Verstättduis für alles Schöne. Ein Meister der Feder, selbst ein sinniger Dichter, handhabte Moltke auch das Wort sicher nnb überzeugend, stets kurz unb bündig, aber in den wenigen Worten Gedanken­ reichtum ausstreuend; der in seinem Amt und über seine Entwürfe Schweigsame konnte ein attregender und witziger Unterhalter sein.

Wie in ihn: ein Künstler steckte, faßte er auch die Krieg­ führung als eine nicht zu erlernende Wissenschaft, sondern als eine Kunst auf. Die Lehren eines Scharnhorst und Clause­ witz mit selbständigem Geiste ergreifend, stellte Moltke die Einzelheiten eines Feldzugsplanes nicht gleich auf weit hin­ aus bindend fest, sondern paßte im Verlaufe die Ausführung den wechselnden Lagen an; der besonnen überdachten, dann rasch entschlossenen Handlung innerhalb der Gesamtidee ließ er freien Raum. Wagemutig, mit stählernen Nerven, konnte er alles an die Erringung eines vollständigen Sieges setzen. Jede für einen Krieg erforderliche Maßnahme ließ er sorg­ fältig vorbereiten. Der Generalstab hatte stets für alle Fälle die Pläne fertig, um die Eisenbahnen zum erstell Aufmarsch auszunützen; die fremden Länder, ihre Straßen iinb Hilfs­ mittel wurden studiert. Durch seine sichere Beobachtullg und unparteiische Ailslvahl erfreute sich das Heer einer so großen Anzahl ausgezeichneter Führer. Seit 1858 Chef des Großen Generalstabes, hatte Moltke auch dell österreichischen Krieg vorbereitet und die Pläne für ihn aufgestellt. Erst durch diese Siege wlirde sein Name allgemein bekannt, doch vor dem großeil Strategen lag trotz seiner siebzig Jahre noch der höchste Gipfel des Ruhmes.

3. B i s m a r cf. Das schneidigste Werkzeug des Heeres hatte im Dienste des Königs sein erster Minister in Bewegliug gesetzt. Ge­ boren am 1. April 1815 zu Schönhausen, trat Bismarck zuerst als schärfster Vorfechter für ein machtvolles Königtum in die Öffentlichkeit. Anfangs dem Znsaluillellgehen mit Österreich geneigt, erkannte er, seit 1851 Gesandter beim Deutschen Bunde in Frankfurt, wie wenig von Österreich für die gerechtfertigten Wünsche Preußens und für die Besse­ rung der elenden deutschell Zustände zu Hoffell war; als Gesandter in Petersburg und nachher in Paris gewann er tiefen Einblick in die großeuropäische Politik. Überzeugt von dem Rechte seines Königs, trat er auch deswegen für die Neuordnilng des Heeres ein, weil Preußen stark sein mußte, 23*

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Lindner.

mit die ihm gehörenden Aufgaben für sich und damit für das deutsche Volk durchzuführen. Bismarck war gleich gewaltig an Leib wie an Geist. Eine Hünengestalt, ein rechter deutscher Recke, schwer und breitschulterig, das mächtige Haupt stolz erhoben, aus den stark überbuschten Augen feurig blickend, sah er wie ein Krieger aus, und mit Vorliebe trug er später die Kürassier­ uniform. In der Tat war er auch ein unerschrockener Kämpe; die Gefahr wägend, dann furchtlos wagend, der vorsichtig ausbog, um desto entschlossener vorzugehen, und sich nie überraschen ließ, denn stets hatte er alle Möglichkeiten er­ wogen und war schlagfertig für jeden Fall. Auch in Herz und Sinn ein rechter Deutscher, war er stolz auf die Kraft des Volkes, dem er angehörte, und verzweifelte nie an dem Siege des gesunden Sinnes. Gern nahm er an den Freuden des Lebens Anteil, Feld und Wald waren ihm der liebste Aufenthalt. Zu seinem Könige hielt er wie ein Gefolgs­ mann der alten Zeit, in persönlicher Treue und ehrfurchts­ voller Liebe, und in seinem Herrn erblickte er zugleich den Hort des gesamten Vaterlandes. Mit starker Leidenschaft ausgerüstet, fühlte Bismarck leicht in sich die deutsche Wut entbrennen, und dann konnte er hintreten mit furchtbarer Gewalt. Seine Rede floß nicht glatt, sondern wuchtig dahin, bald die Einwürfe der Gegner vor sich hinstoßend, wie ein Wildbach die Felsblöcke, bald die schwierigsten Fragen mit unentwegter Ruhe behandelnd. Reich an Bildern, an glücklich und geistreich ergriffenen Beispielen aus Geschichte und Leben, trafen seine Worte sicher und fest. Ebenso glänzend waren die diplomatischen Noten. Oft sprach der Verfasser seine Absichten mit ver­ blüffender Offenheit aus, ganz anders, als man es in der Politik gewohnt war. Bismarck konnte so sprechen und schreiben, weil er die Dinge erkannte und beherrschte, wie kaum je ein Staatsmann. Sein Sinn war auf den Kern ge­ richtet, der Schein blendete ihm den klaren Blick nicht. Nicht auf Reden, sondern auf die machtvolle Tat kam es ihm an. Daher überwand er in sich den Grundfehler der

Lindner.

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Deutschen. Bismarck hat einmal gesagt, er habe von Natur mehr das Bedürfnis, nicht zu gehorchen, als zu herrschen be­ sessen, und derselbe Zug hatte die Deutschen politisch herunter­ gebracht. Er aber erkannte, daß ohne Macht, ohne feste Leitung, ohne Einheit nichts zu tun sei. Daher hielt er fest an der königlichen und staatlichen Autorität, als dem eigentlicheu Grunde alles politischen und wirtschaftlichen Be­ standes, darum aber wußte er auch, daß Deutschland nicht mit schönen Hoffnungen, sondern nur mit Blut und Eisen geeinigt werden könnte.

235. Kriegsleben 1870 und 1871. 1. I n der Schlacht. Wenn die Schlacht beginnt, dann pocht jedes Männerherz an die Rippen. Die Geschütze brüllen den Eröffnungs­ gruß, den der Feind erwidert. Heulend fliegen hoch durch die Luft die Granaten heran, krachend platzen sie beim Ein­ schlagen, durch das aufsteigende weiße Pulverwölkchen sausen die scharfzackigen Sprengstücke herum. Nichts ist schwerer zu ertragen, als Granatfeuer in harrender Untätigkeit; am Boden liegend, sucht der Soldat seiner Furchtbarkeit entgehen. Endlich erschallt das Signal zum Vorgehen, die Leute springen aus wie Erlöste, obgleich nun erst der rechte Ernst beginnt. Schützenschwärme voran, dahinter die ge­ schlossene Kolonne, wird vormarschiert. Da pfeifen und surren die Gelvehrkugeln rechts, links, überall; hier liiti) da schallt aus den Reihen ein klatschender Ton, ein Ansschrei, die Getroffenen stürzen. Doch weiter, weiter! Nun ist die rechte Schußnähe erreicht; die Schützen suchen Deckung, knieend, liegend, hinter Baumstämmen, Erdaufwürfen oder in Vertiefungen, wie Gelegenheit ist. Es geht wieder vor­ wärts, die Offiziere mit geschwungenem Degen voran, mit ihnen die Kühnsten und Schnellsten, die übrigen in langer Kette folgend, bis von neuem Fuß gefaßt wird. Da rückt eine starke feindliche Truppe heran; die Ko­ lonne, die Schützen zur Seite, wartet, das Gewehr bereit, bis

3,54

Lindner.

der rechte Augenblick da ist. „Legt an, Feuer!" -- eine ge­ schlossene Salve sprüht dem Angreiser entgegen, Schnellfeuer knattert nach. Er weicht zurück, rasch hinter ihm her geht die Jagd. Plötzlich prasselt dem Verfolger ein Hagel von Kartätschen oder Mitrailleusengeschossen entgegen. Vor oder zurück? Doch besser hinan mit dem Bajonett durch den wal­ lenden Dampf gegen die Feuerschlünde! Sie werden genom­ men oder ziehen sich in schneller Flucht zurück. Endlich steht die letzte Linie des Feindes in aller Stärke vor; erst Schnell­ feuer, dann drauf mit gefälltem Bajonett unter lautem Hurra und rasselndem Trommelschlag, die Fahnen hoch im Winde flatternd. Hält der Gegner stand, dann gilt es heisres Ringen Mann an Mann; Bajonett, Kolben, Säbel, selbst das Messer arbeiten. Wilder Ruf, lautes Jammergestöhn. Doch nur kurz ist der wüteude Zusammenstotz: der Feind flieht, der Sieger ordnet seine Truppen nnd setzt die letzten Kräfte zur Verfolgung ein. Ist der Kampf zu Ende, so geben die Hörner das willkommene Signal: Stopfen! das Ganze sam­ meln! zur Einstellung des Gefechts. So geht cs bei allen Truppenteilen, die nebeneinander fechten. Der einzelne, mit sich beschäftigt, weiß kaum, wie es beim Nachbar steht; die Oberleitung mutz den Zusammen­ hang halten. Nur macht es sich nicht immer so schnell: stundenlang zieht sich manchmal das Feuergefecht hiu, und ein Mann nach dem andern wird kampfunfähig. Nur ein Fuß breit vorwärts wird da schon zum schwer erkauften Ge­ winn. Oft muß der bereits gewonnene Boden wieder ge­ räumt werden, und neue Opfer sind nötig, ihn znrück-

zuerobern. Ringsum tobt betäubend der Lärm der Hölle; cs dröhnt, knallt, rasselt, rollt, schwirrt, zischt; der Ruf der Anführer, das Kriegsgeschrei, das Jammern der Verwundeten, die dumpfstöhnende Klage der getroffenen Rosse, die Signale schrillen durcheinander. Der Erdboden bebt, grauer Pulver­ dampf, durchzuckt von den aus eherneu Mündern flaminenden Feuerströmen, umhüllt schwer und dicht das grausige

Bild.

Lindner. 2.

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Auf dem Marsch.

Der Überlebende freut sich des rosigen Lichts und zieht inunter seine Straße, der neuen Todesgefahr entgegen. Nicht allein ihr, sondern auch harten Beschwerden. Denn nicht in den: Kampfe liegt die eigentliche Last des Krieges; schnell ist er überstanden und das Schicksal des Augenblicks, ob Leben oder Tod, entschieden. Täglich zehren am Körper die Anstrengungen des Marsches und die Entbehrungen und erschlaffen auf die Dauer auch den feurigsten Geist. Da zeigen sich erst die rechte Zucht und der Mannessinn. Da­ mals wechselten glühende Hitze und starke Regengüsse. Auf den rauhen Gebirgswegen durch die Vogesen brachen viele unter der Sonnenglut schweißgebadet zusammen, freilich nur, um nach kurzer Rast erholt nachzueilen. Gar bald, imd) den ersten Märschen, sieben sich die Schwachen aus der Truppe aus; was dann bleibt, ist unverwüstlich. Wie oft wurde am frühen Morgen angetreten, und erst die Nacht brachte ein Ende des Weges.

Eine marschierende Kolonne zieht sich weithin; die Leute, die es sich nach Möglichkeit bequem machen und die Klei­ dung lüften, gehen in Reihen an den Rändern der Straße, um weniger Staub aufzurühren und Wagen und Pferde durchzulassen. Zu Anfang ertönen lustige Lieder, mit der Zeit verstummen sie. Nötigt ein Hindernis, etwa eine vor­ überziehende Artillerie- oder Trainkolonne, zum Stillstand, dann wirft sich jeder Mann hin in den Graben, auf das Feld, in den Staub, diese wenigen Minuten der Rllhe, selbst mit raschem Schlaf, zu genießen. Wenigstens war jetzt gestattet, auf dem Marsche zu trinken; vorausreitende Offiziere ließen in den Dörfern gefüllte Gefäße auf die Straße stellen, aus denen die Leute im Vorbeigehen schöpften. Um Mittag wird im freien Felde abgekocht. Das klingt schön, war es aber nicht immer. Wenn trockenes Holz fehlt und grünes genommen werden muß, dann dauert es lange, ehe eine brauchbare Flamme aus dem beißenden Qualm herausschlägt, nnd manchmal ist alle Mühe umsonst. Das

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Fleisch, fast immer frisch, oft einem erst an Ort und Stelle abgeschlachteten Tiere entnommen, bleibt zäh imb unschmack­ haft ; dann tröstet man sich mit der Brühe, der Kartoffeln und Brot festem Bestand geben. Daß der Rauch in das Kochgeschirr hineinschlägt und seine brenzlige Würze mit­ teilt, nimmt der Hungrige gleichmütig hin. Wenn es nur überhaupt etwas zu kochen gibt! Will es das böse Geschick, dann ertönt, während das Geschäft noch im besten Gange ist, das Signal zum Aufbruch, und mcr sich nicht Mund iirtb Magen verbrennen mag, muß die schöne Brühe wegschütten. Sind jedoch einmal gute Zeiten und reichliche Lieferungen, dann zeigen die Kochkünstler stolz ihre Fertigkeit in der Zu­ richtung von Feldleckerbissen. Die Nachtrast, oft in stau­ bigen Scheunen, bietet wellig Erquickung, ein Biwak im Freien auf reichlichem Stroh ist bei heiterem Wetter vor­ zuziehen. Im Regen auf feuchter Wiese oder in wasser­ gefüllten Ackerfurchen macht es allerdings wenig Freude, und der Marsch in den nassen, schweren Kleidern auf schlüpf­ rigem Wege ermüdet erst recht. Die Trournlel und die gellende. Querpfeife wirkten dabei oft Wunder, und tueiui zuletzt vor dem Abrücken in die Einzelquartiere all den: gerade Höchstbefehlenden in Parademarsch vorbeigezogen wurde, streckten sich die müden und nnuibeii Beine so stramm, als wenn sie nur einen Spaziergang hinter sich hättell. Die Verpflegllllg genügte nicht immer. Gar manchmal quälte der Hunger, und der Durst tat weh, doch der Kaffee, die Haupterquickung, war immer vorhanden. Obgleich jede Kompanie einige Kaffeemühlen besitzt, macht es sich kürzer, die Bohnen mit dem Gewehrkolben oder darüber gerolltem Flaschenbauch zu zerquetschen. Ob auch die Stücke ziemlich groß bleiben, und kein Sieb vorhanden ist, ob Milch und Zucker, den der Soldat sehr liebt und teuer bezahlt, fehlen, das warme Getränk schmeckt und belebt immer. Der Koch­ geschirrdeckel nützt zu allen möglichen Zweckell, als Wasch­ napf, -als Tasse, als Suppenschüssel, als Teller; man nimmt es eben im Felde nicht so genau. Der Soldat lernt auch den Hunger zu bezwingen und den Leibriemen eng anzu-

Lindner.

Luise, Königin von Preußen.

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ziehen, wenn -es nicht so lange dauert, das; die Kräfte schwinden. Schließlich siegen doch der Eifer und die unverwüstliche gute Laune über alles Ungemaef). Es ist der Vorzug des Sol­ daten, das; ihm die Lustigkeit uicht ausgeht. Sie äußert sich manchmal recht derb, aber sie ist unendlich viel wert, uiib die verständigen Vorgesetzten suchen sie zu erhalten. In jeder Kompanie, in jeder Korporalschaft gibt es Spaßvögel, die stets einen empfänglichen Boden bei den Kameraden finden. Wohl muß auch manchmal ein Ungeschickter oder Dummer als Zielscheibe herhalten, und er tut bann am besten, mitzulachen. Die Witze werden leicht ständig, nnb einmal ausgebrachte Schlagwörter halten lange vor, aber zünden immer. Wenn die müden Beine kaum noch vor­ wärts können, der leere Magen knurrt nnb die Truppe mühselig und stumm daherschleicht, dann ertönt oft plötzlich ein lautes Scherzwort aus den Reihen und pflanzt sich fort; gleich geht es wieder frischer. Das Nene, was der Soldat zu sehen bekommt, regt auch an, und er übersetzt es sich leicht in seine Denkweise. Sehr liebt er seltsame Mum­ mereien. Die Zipfelmützen der französischen Bauern machten im Nachtquartier viel Spaß, ebenso französische Uniform­ stücke. Nach den Schlachten trugen ganze Kompanien weiße Banmwollhandschuhe, die sie in den abgeworfenen Tornistern der Franzosen fanden. Als bei Wörth im Gepäck franzö­ sischer Oberoffiziere auch Frauenkleider erbeutet wurden, warfen sie die Soldaten in einem Augenblick der Ruhe noch während der Schlacht über und vergnügten sich an einem raschen Tänzchen.

Luise, Königin von Preußen. 236. Brief an ihren Vater ans den» Jahre 1809. Bester Vater! Mit uns ist es aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für mein Leben hoffe ich nichts

mehr.

Ich habe mich ergeben, und in dieser Ergebung, in

dieser Fügung des föiinntete bin ich jetzt ruhig und in solcher Ruhe, tociiit auch nicht irdisch gülcflich, doch, lvas mehr sagen will, geistig glückselig. Es wird mir immer klarer, daß alles so fontmeit mußte, mir es gekommen ist. Die göttliche Vorseh-ung leitet unverkennbar neue Weltzustande ein, uiib es soll eine andere Ordnung der Tinge werden, ba die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorbene zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen aus den Lorbeern Friedrichs des Großen, welcher, der «Herr seines Jah-rhunderts, eine neue Zeit schus. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns. Tas siehet lticiimiib klarer ein als der König. 'Jcod) eben hatte ich mit ihm darüber eine lange llnterredung, und er sagte in sich gekehrt wiederholentlich - „Tas muß auch bei liiio anders werben!" Gelviß wird es besser lverden: das verbürgt der Glaube au das vollkommenste Weseu. Aber es kann mir gut lverden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch uicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher aus seinem jetzt freilich glanzenden Dhron ist. Er ist von seinem Glück geblendet, und er meint alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und lver nicht Mas; halten kann, verliert das Gleichgewicht nnd fallt. Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sittliche Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Geivalt nicht: deshalb bin ich der Hoffnung, das; auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Diese hoffen, lvünschen und erwarten alle bessern Menschen, und durch die Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht irre machen lassen. Ganz unverkennbar ist alles, was geschehen ist und geschieht, uicht das Letzte nnd Gute, wie es werden nnd bleiben soll, sondern nur die Bahnung des Weges zu einem bessern Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen, wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht sehen nnd darüber hinsterben. Wie Gott will! alles, wie er will! Aber ich finde Trost, Kraft und Mut und Heiterkeit in dieser Hoff nung, die tief in meiner 2eele liegt. Ist doch alles in

der Welt nur Übergang! Wir müssen durch. Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden. Hier, lieber Vater, haben Sie mein politisches Glaubens­ bekenntnis, so gut ich als eine Frau es formen und zusammensetzen sann. Sie sehen wenigstens daraus, daß Sie auch im Unglück eine fromme, ergebene Tochter haben, uiib daß die Grundsätze christlicher Gottesfurcht, die ich Ihren Belehrungen und Ihrem frommen Beispiele verdanke, ihre Früchte getragen haben und tragen werden, so lange Odem in mir ist. ®ern werden Sie, lieber Vater, hören, daß das Un­ glück, welches uns getroffen, in unser eheliches un£ häus­ liches Leben nicht eingedrungen ist, vielmehr dasselbe be­ festigt und uns noch werter gemacht hat. Der König, der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller, als je. Oft glaube ich in ihm den Liebhaber, beu Bräutigam zu sehen. Mehr in Handlungen, wie er ist, als in Worten ersehe ich die Aufmerksamkeit, die er in allen Stücken für mich hat, und noch gestern sagte er schlicht und einfach, mit seinen treuen Augen mich ansehend, zu mir: „Du, liebe Luise! bist mir im Un­ glück noch werter und lieber geworden. s)?un weiß ich aus Erfahrung, was ich an dir habe. Mag es draußen stürmen — wenn es in unserer Ehe nur gut Wetter ist und bleibt. Weil ich dich so lieb habe, habe ich unser jüngst geborenes Töchterchen Luise genannt. Möge es eine Luise werden!" — Bis zu Tränen rührte mich diese Güte. Es ist mein Stolz, meine Freude und mein Glück, die Liebe und Zu­ friedenheit des besten Mannes zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe und wir so miteinander eins sind, daß der Wille des einen auch der Wille des andern ist, wird es mir leicht, dies glückliche Einverständnis, welches mit den Jahren inniger geworden ist, zu erhalten. Mit einem Wort, er gefällt mir in allen Stücken, und ich gefalle ihm, und uns ist am wohlsten, wenn wir zusammen sind. Ver­ zeihen Sie, lieber Vater, daß ich dies mit einer gewissen Ruhmredigkeit sage; es liegt darin der kunstlose Ausdruck meines Glückes, welches keinem auf der Welt wärmer am

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Luise, Königin von Preußen.

Herzen liegt, als Ihnen, bester, zärtlicher Vater! Gegen andere Menschen, mich das habe ich von dem Könige gelernt, mag ich davon nicht sprechen; es ist genug, daß wir es wissen. Unsere Kinder sind unsere Schätze, und unsere Gingen ruhen voll Zufriedenheit und Hoffnung auf ihnen. Ter Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche. Talente, die glücklich entwickelt liitb gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Empfindungen und Worten, imb seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealischen Sinn an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit, und seine komischen, über­ raschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, imb er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb und spreche oft mit ihm davon, wie es sein wird, wenn er einmal König ist. Unser Sohn Wilhelm «erlauben Sie, ehrwürdiger Groß­ vater, daß ich Ihre Enkel nach der Reihe Ihnen vorstelle), wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Äußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt. Unsere Tochter Charlotte macht mir immer mehr Freude; sie ist zwar verschlossen und in sich gekehrt, verbirgt aber, wie ihr Vater, hinter einer scheinbar falten Hülle ein warmes, teilnehmendes Herz. Scheinbar gleich­ gültig geht sie einher; hat aber viel Liebe und Teilnahme. Daher kommt es, daß sie etwas Vornehmes in ihren! Wesen hat. Erhält sie Gott cmi Leben, so ahne ich für sie eine glänzende Zukunft. Karl ist gntnlütig, fröhlich, bieder imb talentvoll; körperlich entwickelt er sich ebensogut als geistig. Er hat ost naive Einfälle, die uns zum Lachen reizen. Er ist heiter und witzig. Sein unaufhörliches Fragen setzt mich oft in Verlegenheit, weil ich sie nicht beantworten kann und darf; doch zeugt es von Wißbegierde — zuweilen, wenn er schlau lächelt, auch von Neugierde. Er wird, ohne die Teilnahme an dem Wohl und Wehe anderer zu der-

Luise, Königin ven Preußen.

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lieren, leicht und fröhlich durchs Leben gehen. — Unsere Tochter Alexandrine ist, wie Mädchen ihres Alters nnd Naturells sind, anschmiegend und kindlich. Sie zeigt eine richtige Auffassullgsgabe, viel Verstand, eine lebhafte Ein­ bildungskraft und kann oft herzlich lachen. Für das Komische hat sie viel Sinn und Empfänglichkeit. Sie hat Anlage zunr Satirischen und siehet dabei ernsthaft aus, doch schadet das ihrer Gemütlichkeit nicht. Von der kleinen Luise läßt sich noch nichts sagen. Sie hat das Profil ihres redlichen Vaters und die Augen des Königs, nur etwas Heller. Sie heißt Luise; möge sie ihrer Ahnfrau, der liebenswürdigen und frommen Luise von Uranien, der würdigen Gemahlin des großen Kurfürsten, ähnlich werden! Ta habe ich Ihnen, geliebter Vater, meine ganze Galerie vorgeführt. Sie werden sagen: das ist mal eine in ihre Kinder verliebte Mutter, die an ihnen nur Gutes siehet und für ihre Mängel und Fehler keine Augen hat. Und in Wahrheit, böse Anlagen, die für die Zukunft besorgt machen, finde ich an allen nicht. Sie haben, wie andere Menschen­ kinder, cmd) ihre Unarten; aber diese verlieren sich mit der Zeit, so wie sie verständiger lverden. Umstünde und Verhältnisse erziehen den Mensche:!, und für unsere Kinder inag es gut sein, daß sie die ernste Seite des Lebens schon in ihrer Jugend kennen lernen. Wären sie im Schoße des Überflusses und der Bequemlichkeit groß geworden, so würden sie meinen, das müsse so sein. Daß es aber anders kommen kann, sehen sie an dem ernsten Angesicht ihres Vaters und der Wehmut und den öfteren Tränen der Mutter. Be­ sonders wohltätig ist es dem Kronprinzen, daß er das Un­ glück schon als Jüngling kennen lernt; er wird das Glück, wenn, wie ich hoffe, künftig für ihn eine bessere Zeit kommen wird, nur so höher schätzen und um so sorgfältiger bewahren. Meine Sorgfalt ist ureinen Kindern gewidmet für mit) für, und ich bitte Gott täglich in meinem sie einschließen­ den Gebete, daß er sie segne nnd seinen guten Geist nicht von ihnen nehmen möge. Mit dem trefflichen Hufeland sympathisiere ich auch in diesen Stücken. Er sorgt nicht bloß

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Luise, Königin von Preußen.

Meyr^

für das physische Wohl meiner Kinder, auch für das geistige derselben ist er bedacht; und der biedere, freimütige Borowsky, den der König gern sieht und lieb hat, stärkt darin. Erhält Gott sie uns, so erhält er meine besten Schätze, die niemand mir entreißen kann. Es mag konimen, was da will, mit und in der Vereinigung mit unsern guten Kindern werden wir glückselig sein. Ich schreibe Ihnen dies, geliebter Vater, damit Sie mit Beruhigung an uns denken. Ihrem freundlichen An­ denken empfehle ich meinen Mann, auch unsere Kinder alle, die dem ehrwürdigen Großvater die Hände küssen; und ich bin, und ich bleibe, bester Vater, Ihre dankbare Tochter _________ Luise.

Melchior Mey r. 237. Aus dem schwäbischen Ries. 1.

Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur. Zunächst, weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber, weil er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr auf zu ver­ trautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich — und das Ries im Schein der Abend­ sonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die substantiellere Na­ tur eines eingeborenen Dorfbewohners zu ergreifen vermag. Die Luft war klar, und auf der nordwestlichen Seite fein Wölkchen am Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder —die schon „geschnittenen" Äcker zunt Teil noch mit „Sammelten" bedeckt — die, lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen von hellerem und dunklerem Grün — die zahlreichen Orte in der Nähe und in der Ferne — alles das stand vor den Augen in deutlichen Umrissen und durch den zarten sommerlichen Dust gleichwohl zu einem schönen landschaftlichen- Ganzen

Meyr.

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verbunden. Unter ihnen lag der Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das ehemalige Frauenkloster Kirchheim, und weiterhin stieg der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile entfernt, gegen die südwestlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen gelagert, mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten und Alleen — und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene hingesäet. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den südöstlichen Höhen prangten das Schloß, Reimlingen, die ehemalige Benediktinerabtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg und Lierheim und die Reste von Allerheim, lehrte man isich nach der nörd­ lichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die statt* liche Kirche von Zipplingen, das Klostey Maihingen und den langen Hesselberg, die Schlösser Hochhaltingen und Spielberg, den uralten Turm von Hohentrüdingen, die Städte Otlingen und Wendingen. Tie nordwestlichen Anhöhen ständen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht; die südlichen erquickten das Auge mit tvenig gedämpftem Waldesgrün; die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau, hie und da von, helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingeborenen das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt, in dem landschaftlich eingeschlossenen und abgeschlosse­

nen fruchtreichen schönen Ries. 2. Zu der schönsten Zeit auf dem Lande gehört der Morgen eines Feiertages, wenn die Sonne scheint und die Luft mild und lieblich ist. Je mehr der Bauer die Woche hindurch gearbeitet hat, desto besser versteht er am Sonntag zu ruhen. Seine Bewegungen sind dann con amore lang­ sam, die Mienen drücken ruhiges Vergnügen, sein ganzes

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Meyr.

Wesen tiefe Gelassenheit aus. Mit der Arbeit der Wochen­ tage hat er auch die Sorge hinter sich gelassen und ist zu einer Art Naturzustand zurückgekehrt, wo ihn ein Hauch der goldenen Zeit und ihrer Glückseligkeit anweht. Er kommt an solchem Tage in eine tiefere Stimmung und gibt sich entweder stiller Träumerei hin oder freut sich an dev Schönheit einzelner Gegenstände der Natur, nicht wie ein schwärmender Poet freilich, aber schlicht und naiv wie ein Kind. Und dieses Naturbehagen wird durch die kirch­ liche Feier des Tages nicht gestört, es wird durch sie gestärkt, erhöht und sanktioniert. Nach und nach war der Mai herbeigekommen. Die Bäume glänzten in frischem Laub, einzelne standen über und über in Blüte. Es wurde nun ein Lieblingsvergnügen des guten Hans, in der schönen Sonntagsfrühe sich in den Garten zu begeben und was in der Woche getvachsen und ausgeschlagen, was von ihm selbst darin gearbeitet und hergerichtet war, mit Ruhe zu beschauen. Er freute sich an dem grünen Laub und an den schönen Blüten der Bäume, aber auch an dem Gesurre der „Emmen" sJmmen, Bienens darin; denn sie hatten an der Mauer des Hauses selber einen „Emmenstand", worin sich drei Stöcke be­ fanden, und er hoffte, daß einer davon bald schwärmen werde. Er freute sich bei den Stöcken der roten und gelben Hosen, welche die Bienen anhatten, und rote ordentlich ein Ver­ gnügen aus ihnen glänzte, mit so reicher Beute heimzu­ kehren. Zu der Südgrenze des Gartens hinabgewaudelt, sah er mit Lust über die weißblühende Dornhecke auf die Wiese hinaus und freute sich der schönen Blumen darin, ebenso des reichlichen Grases, das eine gute Heuernte ver­ sprach. Die Lerchen schienen ihm noch lieblicher zu singen als an Wochentagen draußen auf dem Felde, und es war ihm, als müßte bei diesem Gesänge, bei der Schön­ heit und dem Wohlgeruch der Blüten, bei der warmen Luft und dem hellen Sonnenschein und bei den herzlichen Aussichten auf ein gesegnetes Jahr die ganze Welt sich glücklich fühlen.

Moltke.

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Helmut Graf von Moltke. 238. Bon der Belagerung von Paris. (Aus einem Briefe an seinen Bruder Adolf.)

Versailles, den 22. Dezember 1870.

Lieber Adolf! Tie allgemeine Sehnsucht nach Beendigung dieses furchtbaren Krieges läßt in der Heimat vergessen, daß er erst fünf Monate dauert, man hofft alles von einem Bombardement von Paris. Daß dieses nicht schon erfolgt, schreibt man zarter Rücksicht für die Pariser oder gar dem Einfluß hoher Persönlichkeiten zu, während hier nur das militärisch Mögliche und Zweckmäßige ins Äuge gefaßt wird. Von drei Seiten sind mir schon die Verse zugeschickt: Guter Moltke, gehst so stumm Immer um das Ding herum: Bester Moltke, sei nicht dumm, Mach doch endlich bunt bum bum!

Was es heißt, eine Festung anzugreifen, zu deren Ver­ teidigung eine Armee bereit steht, das hätte man doch aus Sewastopol lernen können. Sewastopol wurde erst Festung während des Angriffes, alles Material konnte zur See herangeschafft werden. Tie Vorbereitungen dauerten zehn Monate, der erste Sturnr kostete 10 000, der zweite 13 000 Menschen. Um Paris zu bombardieren, müssen wir erst die Forts haben. Es ist auch zur Anwendung dieses Zwangsmittels nichts versäumt; ich erwarte aber weit mehr von dem lang­ sam, aber sicher wirkenden Hunger. Wir wissen, daß seit Wochen in Paris nur noch einzelne Gaslaternen brennen, daß in den meisten Häusern trotz des ungewöhnlich frühen und strengen Winters, bei völligem Mangel an Kohlen, nicht geheizt wird. Ein Schreiben des Generals V. an seine Gemahlin, mit Ballon aufgefangen, gibt folgende Preise an: ein Pfund Butter 20 Franken, ein Huhn 20 Franken, une dinde non truffee, bien entendu, 60 bis 70 Hell-l, Lesebuch 8. 8. Allst. M. 24

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Moltke.

Franken; hübsch beschreibt er sein Souper: Hering mit Mostrichsauce, außerdem ein reizendes kleines filet de boeuf dont on faisait fete. Paul, le cuisinier, avait fait des bassesses pour l’avoir, il a promis au boucher Mr. et madame M. un sauf conduit pour un des forts pour tächer de voir les Prussiens. Diese vertraulichen Mitteilungen zwischen Mann und Frau charakterisieren die wirkliche Lage besser als alle Zei­ tungsberichte, die nach der einen oder andern Richtung übertreiben. Die Hungersnot ist noch nicht da, aber ihre Vorläuferin, die Teuerung. Tie Rotschild und die Pereire haben noch immer ihr dindon truffe, die untersten Klassen sind von der Regierung bezahlt und ernährt, aber der ganze Mittelstand darbt und zwar schon seit lange. Solche Zu­ stände sind auf die Dauer nicht haltbar. Freilich setzt es voraus, daß wir in der Feldschlacht alle die Heere schlagen, die sich immer von neuem gegen uns zusammenballen. Wohl nur der Schreckensherrschaft der Advokaten ist es möglich, solche Heere aufzutreiben, schlecht organisiert, ohne Fuhr­ wesen sie der rauhen Witterung auszusetzen, selbst ohne Ambulanzen und Ärzte. Die unglücklichen Menschen, bei allem Patriotismus und bei aller Tapferkeit sind sie nicht imstande, unsern festgefügten, braven Truppen zu wider­ stehen, das Elend des Biwaks dezimiert sie schonungslos, und die Verwundeten liegen zu hundert an dem Wege,, ohne jede Hilfe, bis unsere Ambulanzen, auf welche die Franzosen schießen, sie finden. Tie Franktireurs sind der Schrecken aller Ortschaften, sie beschwören das Verderben über diese herauf.

Doch genug der traurigen Dinge. Gott schenke einen baldigen, glücklichen Ausgang, und an den: zweifle ich nicht. . . . . Wenn ich das Ende dieses Krieges erlebe, so möchte ich gleich nach Gastein gehen. Wenn die tägliche Anspan­ nung aufhört, so brechen die Nerven zusammen, und gerade eine Winterkur in Gastein ist mir sehr empfohlen

Moltke.

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239, Lebensregeln. (Aus einem Briefe an seine Braut.)

Laß Tir's gesagt fein, gute Marie, daß Freundlichkeit gegen jedermann die erste Lebensregel ist, die uns manchen Kummer sparen kann, und daß Tu selbst gegen die, welche Dir nicht gefallen, verbindlich sein kannst, ohne falsch und unwahr zu werden. Tie wahre Höflichkeit und der feinste Weltton ist die angeborene Freundlichkeit eines wohlwollen­ den Herzens. Bei mir hat eine schlechte Erziehung und eine Jugend voller Entbehrungen dies Gefühl oft erstickt, öfter auch die Äußerung desselben zurückgedrängt, und so stehe ich da mit der angelernten, kalten, hochmütigen Höf­ lichkeit, die selten jemand für sich gewinnt. Du hingegen bist jung und hübsch, wirst, so Gott will, keine Entbehrung kennen lernen, jeder tritt Dir freundlich entgegen, so ver­ säume denn auch nicht, den Menschen wieder freundlich zu begegnen und sie zu gewinnen. Dazu gehört allerdings,

daß Du sprichst. Es kommt gar nicht daraus au, etwas Geistreiches zu sagen, sondern womöglich etwas Verbind­ liches, und geht das nicht, wenigstens fühlen zu machen, daß man etwas Verbindliches sagen möchte. Das Gezierte und Unwahre liegt Dir fern, es macht augenblicklich lang­ weilig, denn nichts als die Wahrheit kann Teilnahme er­ wecken. Wirkliche Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit sind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und Zurücksetzungen in der großen Welt; ja, ich möchte behaupten, daß bei diesen Eigenschaften eine große Blödigkeit und Befangen­ heit nicht möglich ist. Wenn wir nicht anders scheinen wollen, als wir sind, keine höhere Stellung usurpieren wollen, als die uns zu­ steht, so kann weder Rang noch Geburt, noch Menge und Glanz uns wesentlich aus der Fassung bringen. Wer aber in sich selbst nicht das Gefühl seiner Würde findet, sondern sie in der Meinung anderer suchen muß, der liest stets in den Augen anderer Menschen, wie jemand, der falsche Haare trägt, in jeden Spiegel sieht, ob sich auch nicht etwas ver2ver wohl der beste Mann sei, da fingen alle von dir an, alle fielen sie auf deinen Namen." Und indem er dies und Ähnliches spricht, liest er ihm jedes Fäserchen vom Kleide ab, und hat ihm der Wind ein Spreustückchen ins Haupthaar geweht, so klaubt er es ihm heraus und sagt unter Lächeln „Siehst du, wie während der zwei Tage, die ich nicht bei dir gewesen bin, dein Bart so voll grauer Haare geworden ist? Gleichwohl hast du, wie nur immer einer, für dein Alter noch ein recht schwarzes Haar." Spricht der Gönner etwas, so heißt er die andern schweigen und schwatzt ihm die Ohren mit seinem Lobe voll, und hört der Gönner auf zu sprechen, so ruft er ihm zu „Vor­ trefflich!" Macht lener einen schalen Witz, so lächelt er Beifall, stopft auch wohl das Kleid in den Mund, als ob

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Aus griechischen Schriftstellern.

er das Lachen nicht halten könne. Die Leute, die ihnen begegnen, heißt er stille stehen, bis der Gönner vorbei ist. Den Kindern bringt er Äpfel und Birnen, die er gekauft hat, mit, gibt sie ihnen vor des Vaters Augen und lieb­ kost sic mit den Worten: „Ihr des trefflichsten Vaters Herzenskinderchen!" Begleitet er ihn auf den Schuhmarkt, so findet er den Fuß viel besser gebaut als den Schuh. Will der Gönner einen seiner Freunde besuchen, so läuft er voraus und meldet den Besuch an, kehrt dann wieder um und berichtet: „Ich habe deinen Besuch angesagt." Sitzt nian bei Tische, so ist er der erste, der den Wein lobt, und an den Wirt wie eine Klette sich anhängend, sagt er: „Wie delikat ist deine Tafel!" Nimmt er etwas vom Tische, so geschieht es mit dem Beisatze: „Fürwahr, ein herrlicher Leckerbissen!" Dann fragt er den Gönner, ob er nicht

friere und etwas überwerfen wolle, und noch während er spricht, versorgt er ihn mit einem Überwurfe. Manchmal neigt er sich auch zu ihm und raunt ihm ins Ohr, und unter dem, daß er mit anderen redet, bleibt sein Auge unverwandt auf jenen gerichtet. Im Theater nimmt er dem Diener das Polster ab und legt es selber dem Herr» unter das Haupt. Am Hause lobt er den schönen Baustil, das Gut findet er trefflich angebaut und das Bildnis zuni Sprechen ähnlich.

262. Stoische Grundsätze. Aus dem Handbüchlcin des Epiktetes. 1.

Wenn du auf einer Seereise, während das Schiff im Hasen liegt, ausgehst, um Wasser zu schöpfen, so hebst du wohl nebenbei auch ein Muschelchen oder Zwiebelchen am Wege auf; deine Gedanken aber mußt du auf das Schiff gerichtet haben und fleißig zurückschauen, ob nicht etwa der Steuermann rufe; und wenn er ruft, so mußt du alle jene Dinge zurücklasscn, damit du nicht gebunden hinein­ geworfen werdest, wie die Schafe. So ist's auch im Leben.

Epiktetes.

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Wenn dir statt Zwiebelchen und Muschelchen ein Weibchen oder Kindchen geschenkt wird, so wird nichts dagegen ein­ zuwenden sein. Wenn aber der Steuermann ruft, so renne zum Schiff und laß alle jene Dinge zurück, ohne dich auch mir umzuschauen. 2.

Sage nie von einem Ding: ich habe es verloren; son­ dern: ich habe es zurückgegeben. Dein Kind ist gestorben: es ist zurückgegeben worden. Dein Weib ist gestorben: es ist zurückgegeben worden. Dein Landgut wurde dir genommen: nun, also auch dieses ist nur zurückgegeben wor­ den. — Aber der es dir genommen hat, ist ein Schurke. — Was geht es aber dich an, durch wen es dir derjenige wieder abgefordert hat, der es dir gab? — So lange er es aber dir überläßt, behandle es als fremdes Gut, so wie die Reisenden die Herberge. 3.

Bergiß nicht, daß du dich im Leben wie bei einem Gastmahl betragen mußt. Man bietet etwas herum, und es gelangt zu dir: strecke die Hand aus und nimm be­ scheiden davon! Es geht an dir vorüber: halte es nicht. Es will immer noch nicht kommen: blicke nicht aus der Ferne begehrlich darauf hin, sondern warte, bis es an dich fontnit! Ebenso halte es in bezug auf Kinder, Weib, Ämter und Reichtum, dann wirst du einst ein würdiger Tischgenosse der Götter sein. Wenn du aber von dem, was dir vorgelegt wird, nichts (umimmft, sondern darüber wegsiehst, so wirst du nicht bloß mit den Göttern zu Tische sitzen, sondern auch mit herrschen. 4.

Bedenke, daß du ein Schauspieler bist in einem solchen Stück, wie es eben dem Dichter beliebt; ist es kurz, in eitern kurzen; ist es lang, in einem langen. Will er, daß du einen Bettler vorstellen sollst, so stelle auch einen solchen naiurgetreu dar, ebenso einen Lahmen, einen Herrscher,

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Aus griechischen Schriftstellern.

einen gemeinen Mann. Deine Sache ist es nämlich, die Nolle, welche dir übertragen worden ist, gut zu spielen; sie auszuwählen, ist Sache eines andern.

2K3. Aus Mark Aurels Selbstgesprächen. 1. Asien, Europa — Winkel der Welt; der ganze Ozean: ein Dropsen des Alls! Der Athos: eine winzige Scholle des Weltganzen; die ganze Gegenwart: ein Augenblick der Ewigkeit! Alles klein, veränderlich, verschwindend! Alles hat einerlei Ursprung, von demselben gemeinsamen All­ beherrscher unmittelbar oder in Folge seiner Wirksamkeit herrührend. Also auch der Racheu des Löwen, das Gift, alles Schädliche, wie Dornen und Sümpfe, sind em Zu­ behör jener prachtvollen und schönen Welt. Fort also mit dem Wahne, als stünden sie mit dem Wesen, das du ver­ ehrst, in keiner Verbindung, beachte vielmehr die Quelle aller Dinge. 2.

Sei lvie ein Fels, au dem sich beständig die Wellen brechen. Er bleibt stehen, und rings um ihn legen sich die angeschlvollenen Gewässer. Ich Unglücklicher, daß mir dieses Schicksal widerfahren mußte! Nicht doch! sondern: glücklich bin ich, daß ich trotz diesem Schicksal kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt, noch von der Zukunft geängstigt! So etwas hätte ja jedem begegnen können, aber nicht jeder lväre dabei kummersrei geblieben. 3. Wenn du des Morgens so träge aufstehst, so laß dir den Gedanken zur Hand sein: ich erwache, um als Mensch zu wirken. Was soll ich nun verdrießlich sein, wenn ich hingehe, zu tun, weshalb ich geboren und wozu ich in die Welt eingeführt worden bin? Oder bin ich dazu ge­ schaffen worden, um auf meinem Lager liegend mich zu wärmen? „Aber das ist eben angenehmer." Du bist rlso zur Lust geboren und gar nicht zur Tätigkeit? Siehst du

Mark Aurel.

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nicht, wie die Pflanzen, die Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen, die Bienen ihr eigentümliches Geschäft verrichten und jedes in seiner Art die Welt zieren helfen? Und da willst du keine menschliche Tätigkeit üben und dem deiner

Natur gemäßen Ziele nicht zustreben? „Aber man muß doch auch ausruhen!" Freilich muß man das. Indes hat auch hierin die Natur ein bestimmtes Maß gegeben, wie sie im Essen und Trinken ein solches gegeben hat. Und doch willst du über das Maß, über das Bedürfnis hinausgehen?

4. Man sucht Zurückgezogenheit auf dem Lande, anl Meeresufer, auf dem Gebirge, und auch du hast die Ge­ wohnheit, dich darnach lebhaft zu sehnen. Aber das ist bloß Unwissenheit und Schwachheit, da es dir ja freisteht,, zu jeder dir beliebigen Stunde dich in dich selbst zurückzu­ ziehen. Es gibt für den Menschen keine geräuschlosere und ungestörtere Zufluchtsstätte als seine eigene Seele, zumal wenn er in sich selbst solche Eigenschaften hat, bei deren Betrachtung er sogleich vollkommene Ruhe genießt, und diese Ruhe ist meiner Meinung nach nichts anderes als ein gutes Gewissen. 5.

Wie viel Muße gewinnt der, welcher nicht darauf sieht,,

was sein Nächster spricht oder tut oder denkt, sondern auf das, was er selbst tut, daß es gerecht und heilig sieh nicht, sagt Agathon, die schlechten Sitten nm dich sondern wandle auf gerader Linie deinen Pfad, ohne

nur sei! her, dich

zu verirren.

6.

Es hieße lächerlich und ein Fremdling in der Welt sein, wenn man über irgend ein Ereignis in seinem Leben staunen wollte.

7. Fragt man dich, wo du denn die Götter, tvelche dn so hoch verehrst, gesehen, und woraus du ihr Dasein er-

sannt habest, so antworte: sie sind erstens schon für das leibliche Ange sichtbar; zweitens habe ich auch meine eigene Seele nicht gesehen und ehre sie dennoch. Gerade so halte ich es auch mit den Göttern. Aus den von allen Seiten mir gebotenen Proben ihrer Macht schließe ich auf ihr Daseiu und verehre sie.

264. Merkurs Klagen. Aus den Göttergesprächen des Lucian.

Merkur. Maja. Merkur: Gibt es wohl, liebe Mutter, int ganzen Himmel einen geplagtern Gott, als mich? Maja: Sage doch nid)t so etwas, mein Sohn! Merkur: Warum soll ich es nicht sagen? Ich, der ich eine Menge von Geschäften zu besorgen habe, immer allein arbeiten und mich zu so vielen Knechtsdiensten herumzerreu lassen muß? Morgens mit dem Frühesten muß ich ausstehen und den Speisesaal auskehren, die Polster im Götter-Ratszimmer zurecht legen, und wenn alles an Ort und Stelle ist, bei Jupiter aufwarten und den ganzen Tag mit seinen Botschaften auf und ab den Kurier machen. Kaum zurückgekommen und mit Staube noch bedeckt, muß ich die Ambrosia auftragen, und ehe der neugekauste Mundschenk da war, hatte ich auch den Nektar einzu­ schenken. Und, was noch das Ärgste ist, ich bin der einzige, dem man auch des Nachts keine Ruhe läßt: denn da muß ich dem Pluto die Seelen der Verstorbenen zuführen und beim Totengerichte Aufwärterdienste tun. Denn es ist nicht genug an den Arbeiten des Tages, daß ich den Ringübuugen anzuwohnen, den Herold in den Volksversammlungen zu machen, den Volksrednern beim Einstudieren ihrer Vor­ träge zu helfen habe; nein, ich muß, in so viele Geschäfte zerstückelt, auch noch das gesamte Totenwesen mitbesorgen. Die Söhne der Leda sind doch nur einen Tag um den andern, der eine im Himmel, der andere in der Unter­ welt; ich hingegen habe tagtäglich an beiden Orten zu tun.

Lucian.

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Die Söhne der Alkmene und Semele, die doch nur arm­ selige sterbliche Weiber waren, schmausen ganz sorgenfrei, und ich, der Atlantide Maja Sohn, darf 'sie bedienen. So

eben komme ich von Sidon, wo ich mich nach dem Be­ finden der Tochter des Kadmus, der Europa, erkundigen mußte; und ohne mich zu Atem kommen zu lassen, schickt mich Jupiter nach Argos, um die Danae zu besuchen, und auf dem Rückwege, sagte er, loenn du durch Böotien kommst, sieh im Vorbeigehen auch ein wenig nach der Antiope. — Kurz und gut, nun halt ich's nicht mehr aus. Wenn es doch nur möglich wäre: ich wollte mich ja gerne ver­ kaufen lassen, wie's die Sklaven auf der Erde machen, wenn sie eine schlimme Herrschaft haben. Maja: Beruhige dich, mein Kind. Du bist noch jung und mußt dich also in allen Stücken deinem Vater fügen. Und jetzt, da er dich abgeschickt hat, tummle dich nach Argos und von da nach Böotien, daß du nicht noch oben­ drein Schläge kriegst, wenn du zu lange ausbleibst.

Helsel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

M. 29

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Aus römischen Schriftstellern.

Aus römischen Schriftstellern. 265. Sitten -er Germanen. Aus dem „gallischen Krieg" von Julius Cäsar.

Die Germanen haben weder Druiden, die dem Gottes­ dienst obliegen, noch geben sie sich mit Opfern ab. Nur die Götter, die sie sehen, und deren Schutz sie ersichtlich genießen, betrachten sie als solche: Sonne, Feuer und Mond. Die übrigen haben sie nicht einmal dem Namen nach an­

genommen. Das ganze Leben geht auf in Jagd und in Beschäftigung mit dem Krieg. Von klein auf üben sie sich in Arbeit und Abhärtung. Mit dem Ackerbau geben sie sich nicht viel Mühe, und ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Milch, Käse und Fleisch; auch besitzt 'keiner ein bestimmt abgemessenes und begrenztes Feld als Eigentum, vielmehr verteilen die Vorsteher und Fürsten alljährlich unter die Stämnre und Sippschaften soviel Feld und so gelegen, wie es ihnen gut dünkt, und im folgenden Jahre muß jeder ein andres nehmen. Dafür geben sie viele Gründe an: sie sollen den Kriegseifer nicht einbüßen aus Liebe zum Feldbau und zur Seßhaftigkeit; sie sollen nicht nach aus­ gedehntem Besitz trachten und die Mächtigern die Tchwächern nicht vertreiben; sie sollen nur zum Schutz gegen Kälte und Hitze Häuser bauen; es soll keine Geldgier aufkom­ men, weil dadurch Parteien und Zwistigkeiten entständen; das Volk soll zufrieden bleiben, da der Mächtigste nicht mehr habe als der Geringe. Der größte Ruhm für jede Völkerschaft ist es, um ihr Gebiet einen möglichst breiten Streifen Ödland liegen zu haben. Das erachten sie als Beweis von Tapferkeit, wenn die Grenznachbarn aus ihrem Gebiet vertrieben wär-

Cäsar.

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den und niemand neben ihnen zu bleiben wagte. Zugleich halten sie sich für sicherer, wenn sie keine Furcht vor plötz­ lichem Überfall zu haben brauchen. Wenn eine Völker­ schaft sich gegen einen Angriff verteidigt oder selbst an­ greift, werden Anführer gewählt, die den Krieg leiten und Gewalt über Leben und Tod haben. Im Frieden ist kein gemeinsamer Führer da, nur die Fürsten der Landschaften und Gaue sprechen den Ihrigen Recht und schlichten die Streitigkeiten. Raubzüge haben nichts Entehrendes, wenn sie außerhalb der Grenzen jeder Völkerschaft gehen, und sie be­ haupten, dadurch werde die Jugend geübt und der Taten­ losigkeit gesteuert. Wenn einer von den Fürsten in der Volksversammlung gesagt hat, er wolle Herzog sein, wer ihm folgen wolle,' möge sich melden, so erheben sich die,

denen die Sache und der Mann gefällt, und versprechen unter dem Beifall der Menge ihre Hilfe; und wer von

diesen nicht Heerfolge leistet, wird als fahnenflüchtiger Ver­ räter angesehen und hat in allen Stücken fortab das Ver­ trauen verloren. Einen Gastfreund zu beleidigen, halten sie für schmach­ voll, und wer aus irgend einem Anlaß zu ihnen gekommen ist, den schützen sie vor Unbill und halten ihn für unver­ letzlich; ihm steht jedes Haus offen, und er wird überall bewirtet. Es gab eine Zeit, wo die Gallier tapfrer waren als die Germanen, sie aus freien Stücken bekriegten und wegen Übervölkerung und Mangel an Land bei ihnen Ansiedler über den Rhein schickten. Deshalb nahmen die tektosagischen Völker die fruchtbarsten Gebiete Germaniens in Besitz, die Landschaften um den hercynischen Wald, und siedelten sich dort an; und zwar wohnt diese Völkerschaft noch heute dort und steht im höchsten Ansehen wegen ihrer Gerechtig­ keit und Tapferkeit. Jetzt aber, wo die Germanen in alt-

hlrgebrachter Armut, Dürftigkeit und Entbehrung, auch bei derselben Lebensweise und Leibespflege verblieben sind, den Galliern aber die Nähe der römischen Provinzen und die 2»*

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Aus römischen Schriftstellern.

Bekanntschaft mit überseeischen Erzeugnissen Wohlstand und Bequemlichkeit verschafft hat, jetzt haben sich die Gallier allmählich daran gewöhnt, besiegt zu werden: in vielen Schlachten überwunden, wagen sie es nicht mehr, sich den Germanen an Tapferkeit gleichzustellen.

266, Landleben. Aus Ciceros Schrift vom Greisenalter.

Ich komme nun auf die Freuden des Landlebens zu sprechen, die mir unglaublich lieb sind. Dies Leben scheint mir dem des Weisen am nächsten zu kominen. Die Land­ leute stehen in laufender Rechnung mit der Erde, die ihre Oberhoheit anerkennt und nie ohne Wucher wiedergibt, was sie empfangen hat, manchmal mit kleineren, meist aber mit grossen Zinsen; und zwar ergötzt mich nicht etwa nur die Frucht, sondern auch die Kraft und Tätigkeit der Erde. Wenn sie in ihrem erweichten und gelockerten Schoß den hineingestreuten Samen empfangen hat, so hegt sie ihn zunächst im Dunkel, drum nennen wir Verdunklung (deutsch: Eggen) die Tätigkeit, die das bewirkt. Dann erwärmt sie ihn durch ihren Atem und ihren Verband, bis der Samen platzt und sprossendes Grün aus ihm gelockt wird; auf die Wurzelfasern gestützt, wächst dies heran; zu einem knotigen Halme aufgerichtet, wird es gleichsam zum Jüng­ ling, noch von schützenden Scheiden umschlossen, und dann taucht es daraus auf, wird zur Frucht in Gestalt einer regelmäßig gebauten Ähre und schützt sich gegen die An­ griffe kleiner Vögel durch einen Wall von Grannen. Was soll ich das Anpslanzen, das Aufgehen, das Wachsen der Weinstöcke schildern? Da kann ich nicht satt werden vor Entzücken. Die Schößlinge, die Pflanzreiser, die Reben, die Einleger, die Senker, erfüllt das alles nicht jeden mit Bewunderung? Der Weinstock, der von Natur so hinfällig ist und zur Erde sinkt, wenn ihm die Stütze fehlt, umfaßt, um sich aufrichten zu können, mit seinen Ranken, wie mit Fingern, alles, was er greifen kann, und

Cicero.

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wie er sich so hinschlängelt in vielfachen Windungen und Jrrgängen, bändigt ihn die Kunst des Landmanns, die

mit dem Eisen ihn beschneidet, auf daß er nicht mit seinen Neben zum Wald werde und nicht zu sehr nach allen Sei­ ten hiil sich ausbreite. Und mit Beginn des Frühlings zeigt sich in den Winkeln der Reben, die man stehen ge­ lassen hat, das, was man das Auge nennt, von dem aus­ gehend die Traube sich bildet: und diese, vom Saft der Erde und von der Hitze der Sonne heranwachsend, ist an­ fangs herb von Geschmack, dann wird sie reif und süß,

und unter ihrem Laubkleide fehlt es ihr nicht an aus­ reichender Wärme und ist sie vor allzugroßer Souneuglut geschützt. Was kann lustiger sein zum Genuß und schöner zum Anschauen? so daß nicht bloß der Nutzen, wie ich eben sagte, mich erfreut, sondern auch die Pflege und das Wachstum, das Ordnen der Pfähle, die Verbindung der Querlatten, das Binden und Fortpflanzen der Weinstöcke, das Beschneiden dieser, das Einsenken jener Reben. Und dann das Bewässern, das Graben und Hacken und noch­ mals Graben, wodurch die Erde erst recht fruchtbar wird! Und der Nutzen des Düngers! Aber nicht bloß die Saatfelder, die Wiesen, die Wein­ berge, die Baumweingärtcn machen die Landwirtschaft so erfreulich, sondern auch die Gärten und Obstbaumgärten, die Viehweiden, die Bienenschwärme, die Blumen. Und nicht bloß das Pflanzen macht Freude, auch das Pfropfen, diese kunstvollste Erfindung des Landbaues. Nach meiner Mei­ nung kann es überhaupt kein glücklicheres Leben geben als das des Landmanns, nicht nur als Berufserfüllung, son­ dern auch weil es Freude macht, und weil eine solche Über­ fälle von Dingen erzeugt wird, zum Lebensunterhalt der Menschen und zum Opfer für die Götter.

Immer ist des guten und sorgsamen Hausvaters Wein­ aller gefüllt, seine Ölkammer, sein Kornspeicher, sein ganzes Landhaus ist wohlversehen, da gibt es vollauf Schweine, Böcke, Lämmer, Hühner, Milch, Käse, Honig. Nennen doch

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Aus römischen Schriftstellern.

die Bauern den Garten ihre andere Speckseite, und Vogel­ sang und Jagd gibt die Würze dazu. Und damit ihr einseht, daß nichts so königlich scheint, als die Beschäftigung mit dem Landbau, so hört, was in Xenophons Schrift von der Haushaltung, betitelt Ökonomikus, Sokrates dem Kritobulos erzählt. Zu Cyrus dem Jüngeren, so sagt er, dem persischen König, der durch Geist und Herrschcrruhm, wie durch hohe Mannestugend sich aus­ zeichnete, sei Lysander aus Lakedämonien nach Sardes ge­ kommen und habe ihm Geschenke von den Bundesgenossen gebracht; er habe sich nun in allen Stücken zuvorkommend und höflich gegen Lysander benommen, habe ihm auch eineu eiugesriedigten, wohlgepflegten Garten gezeigt. Als aber Lysander die schlanken Bäume belvunderte, die in staffel­ förmigen Reihen, nach Art der Fünf auf dem Wür­ fel, geordnet waren, und den lockern und reinen Boden und die anmutigen Gerüche, die die Blumen aushauchten, ha habe er gesagt, er bewundere nicht nur den Fleiß, sondern auch die Kunst des Mannes, der das alles aus­ gemessen und geordnet habe; und Cyrus habe geantwortet: Ich selbst habe das alles ausgemessen, das ist meine An­ ordnung, das sind meine Reihen. Da habe Lysander auf das Purpurkleid geblickt und auf die glänzende Gestalt und die persische Gewandung mit all dem Gold und all den Edelsteinen und habe gesagt: Mit Recht nennen sie dich glücklich, Cyrus, denn dein Glück ist mit Tüchtigkeit ge­ paart.

267. Aus Livius römischer Geschichte. 1. Aus der Vorrede des Livius.

Man hält es der alten Welt zu gute, wenn sie durch die in die Begebenheiten der Menschen eingemischten Er­ zählungen von Göttern die Urgeschichte der Staaten ehr­ würdiger zu machen sucht. Und soll irgend ein Volk auf die Erlaubnis, Heiligkeit in seinen Ursprung zu tragen und göttlicher Einwirkung ihn zuzuschreiben, ein Recht haben,

Livius.

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so hat das römische Volk des kriegerischen Ruhmes so viel, dass die Völker der Erde es eben so willig sich ge­ fallen lassen können, wenn es nun gerade den Mars für seinen und seines Stifters Vater erklärt, als sie sich seine Herrschaft gefallen lassen. Wie man diese und ähnliche Erzählungen beachten und beurteilen werde, kann mir ziemlich gleichgültig sein. Aber darauf, wünschte ich, möge jeder seine ganze Aufmerksamkeit richten, wie die Lebens­ art, wie die Sitten waren; durch was für Männer und was für Mittel im Kriege und Frieden Rom seine Ober­ herrschaft erwarb und erweiterte. Kommt dann die Zeit, wo die alte Zucht allmählich in Verfall geriet, so ver­ folge man mit Aufmerksamkeit die anfangs sich gleichsam nus ihren Fugen lösende Sittlichkeit, wie sie nachher immer tiefer sank, dann unaufhaltsam zusammenstürzte, bis wir endlich die Zeiten erleben mußten, in denen wir weder unsere Verderbnis noch die Mittel dagegen ertragen konnten, llnd gerade dies ist es, was uns die Geschichte zu einer so heilsamen und fruchtbringenden Kenntnis macht, daß wir nämlich die lehrreichen Beispiele aller Art wie auf einem beleuchteten Denkmale ausgestellt betrachten können; aus ihnen dann zu unserm und des Staates Besten das Nachahmungswürdige, aus ihnen die abscheuliche Tat von gleich abscheulichem Ausgange, um sie zu meiden, uns aus­ heben. Übrigens täuscht mich entweder Vorliebe für meine übernommene Arbeit, oder es war wirklich nie ein Staat größer, ehrwürdiger, an edlen Beispielen reicher; es war nie eine Stadt, in welche sich Habsucht und Verschwendung so spät eingeschlichen hätten; nie eine, in welcher Armut und Sparsamkeit so hoch und so lange geachtet wurden. So unläugbar ist es, daß die Menschen um so viel weniger begehrten, als sie weniger besaßen. Es ist ja so lange noch nicht, daß der Reichtum den Geiz und der Überfluß an Befriedigungen der Sinnlichkeit die Sucht in Rom ein­ geführt haben, durch Üppigkeit und Ausschweifung sich selbst und alles neben sich zu gründe zu richten.

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Aus römischen Schriftstellern.

Doch Klagen, selbst dann nicht einmal angenehm, wenn sic vielleicht auch nötig sein werden, sollen bei einem so wichtigen Vorhaben sich wenigstens nicht in den Anfang mischen. Weit lieber würde ich, wenn es bei uns wie bei den Dichtern Brauch wäre, unter vorbedeutenden Segens­ sprüchen beginnen, Göttern und Göttinnen Opfer verheißen und sie anrufen, der Unternehmung eines so großen Werks einen gesegneten Fortgang angedeihen zu lassen.

2. Marcus Minucius Coriolanus. (Aus bent 2. Buche.)

Unter den Konsuln Marcus Minucius und Aulus Sempronius kam ein großer Vorrat Getreide aus Sicilieu an, und im Senate stritt man darüber, zu welchem Preise es den Bürgern gelassen werden sollte. Viele glaubten, nun sei es Zeit, den Bürgerstand zu demütigen und sich wieder in die Rechte einzusetzen, welche den Vätern Ge­ walt entrissen habe; vor allen Marcius Coriolanus, ein Feind der tribunizischen Macht. „Wollen sie den alten Kornpreis," sagte er, „so mögen sie den Vätern ihre vorigen Rechte wicdergebcn. Warum muß ich Obrigkeiten aus dem Bürgerstande sehen, warum einen gebietenden Sicinius als ein Gefangener sehen, den man unter dem Galgen durch­ treibt, und gleich als von Straßenräubern nur um Löse­

geld entlassen? Diese Unwürdigkeiten sollte ich länger er­ tragen, als nötig ist? In Targuinius würde ich den König nicht geduldet haben und sollte ihn in Sicinius dulden? Jetzt mag er hinziehen und mag das Volk entführen! der Weg zum heiligen Berge und zu andern Hügeln steht offen. Laßt sie doch das Korn auf unsern Feldern rauben, wie sie es vor drei Jahren raubten. Mögen sie nun des Korn­ preises sich freuen, den sie sich durch ihre Wut gemacht haben. Ich möchte dafür einstehen, daß sie, durch diese Rot gedemütigt, lieber selbst zur Bestellung der Felder Hand anlegen werden, als daß sie wieder durch einen Aus­ zug unter den Waffen die Bestellung hindern sollten."

Livius.

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Auch dem Senate schien diese Meinung zu hart, und die Bürger hätte sie beinahe vor Erbitterung in die Waffen gebracht. Nun greife man sie, gleich Feinden, sogar durch Hunger an; Brot und Speise würde ihnen vorenthalten. Das fremde Getreide, dies einzige Nahrungsmittel, das man gegen alle Erwartung dem Glücke zu danken habe, solle ihnen vor dem Munde weggerissen werden, wenn nicht die Tribunen dem Casus Marcius gebunden überliefert wür­ den, wenn er sich nicht Genugtuung auf dem Rücken römi­ scher Bürger verschaffen solle. Er sei als ihr neuer Henker aufgetreten, der ihnen nur zwischen Tod und Knechtschaft die Wahl lasse. Sie würden ihn, als er aus dem Rathause trat, an­ gefallen haben, wenn ihm nicht gerade jetzt die Tribunen einen Gerichtstag bestiinmt hatten. Dadurch legte sich der Zorn. Jeder sah sich zum Richter seines Feindes, sich über dessen Leben und Tod zum Herrn gemacht. Anfangs hörte Marcius die Drohungen der Tribunen mit Verachtung an. Ihrem Amte, sagte er, sei das Recht des Beistandes verliehen, aber nicht der Strafe; und sie wären Tribunen der Bürger, nicht der Väter. Allein die Bürger erhoben sich mit so großer Erbitterung, daß die Väter nur durch die Bestrafung des einen sich retten konnten. Gleichwohl leisteten sie Widerstand, so sehr sie sich dadurch dem Hasse aussetzten, und ivandten alle Kräfte an, die jedem einzeln, die dem ganzen Stande zu geböte standen. Und zuerst machten sie den Versuch, die ganze Klage da­ durch zu hintertreiben, daß sie durch angestelltc Klienten diesen und jenen bereden ließen, sich den Zusammenkünf­ ten und Versammlungen der Bürger zu entziehen. Dann traten sie alle auf — man hätte die Väter sämtlich für die Beklagten halten sollen — und baten das Volk flehent­ lich, ihnen zu liebe nur dies einzige Mal einem Bürger, einem Ratsherrn, wenn sie ihn nicht für unschuldig er­ klären wollten, seine verdiente Strafe zu schenken. Als er an dem bestimmten Tage nicht erschien, ver­ harrte man in der Erbitterung. Er wurde abwesend ver-

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Aus römischen Schriftstellern.

dämmt und ging zu den Volskern ins Elend, nicht ohne Drohungen gegen sein Vaterland, und schon jetzt von feind­ lichem Trotze erfüllt. Die Volsker nahmen den Fremd­ ling freundlich auf, und diese Güte stieg mit jedem Tage, je lauter aus ihm der Zorn gegen seine Mitbürger sprach, und je öfter er bald in Klagen, bald in Drohungen aus­ brach. Er hatte seine Wohnung bei Attius Tullus. Dieser war damals bei weitem der angesehenste Mann unter den Volskern, und von jeher der Römer bitterer Feind. Da also den einen der alte Haß, den andern die neue Er­ bitterung spornte, entwarfen sie gemeinschaftlich einen Plan zum Kriege mit Rom. Die mit Friedensvorschlägen an Marcius abgeschickten Gesandten kamen mit einer harten Antwort zurück: Wenn den Volskern das genommene Stück Land wieder abgetreten sei, dann erst könne man über Frieden verhandeln. Däch­ ten sie aber daran, ihres Raubes aus dem Kriege nun in aller Stille sich zu freuen, so werde er, eben so sehr der ungerechten Behandlung seitens seiner Mitbürger als der gütigen Aufnahme bei seinen jetzigen Wohltätern ein­ gedenk, seine Kräfte aufbieten, um der Welt zu zeigen, daß fein Mut durch die Verbannung gespornt, aber nicht gebrochen sei. Dieselben Gesandten wurden bei ihrer zweiten Ankunst nicht ins Lager eingelassen. Auch die Priester, in ihre Ehrentracht gehüllt, sollen in feierlich flehendem Aufzuge in das feindliche Lager gegangen sein und ihn ebensowenig gerührt haben wie die Gesandten. Da versammelte sich eine zahlreiche Schar von edlen Frauen bei Coriolans Mutter Beturia und seiner Gattin Volumnia. Ob dies öffentliche Aufforderung war oder weibliche Furcht, sonnte ich nicht ermitteln. Genug, sie bewirkten, daß mit ihnen Beturia, so hochbetagt sie war, uni) Volumina mit zwei kleinen Söhnen von Mareius auf deu Armen, ins Lager der Feinde gingen, um die Stadt, welche Männer mit den Waffen nicht verteidigen konnten, durch Weiber-Bitten und -Tränen zu retten. Als sie zum Lager kamen und man Coriolanus meldete, es sei ein langer

Livius.

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Zug von Frauen angelangt, da zeigte der Mann, auf den die Würde der Staatsgesandten, auf den die hohe, Blick und Empfindung ergreifende Feierlichkeit des Priesterauf­ zugs keinen Eindruck gemacht hatte, anfangs gegen die Weibertränen noch größere Festigkeit. Dann aber sagte einer seiner Diener, der die durch ihre Traurigkeit ins Auge fallende Veturia, wie sie zwischen Schwiegertochter und Enkeln dastand, erkannte: „Trügen micht nicht meine Augen, so sind dort deine Mutter, Gattin und Kinder." Fast sinnlos sprang Coriolanus von seinem Stuhle mit ausgebreiteten Armen seiner Mutter entgegen; allein statt zu bitten, überließ sie sich dem Zorne. „Ehe ich deine Umarmung annehme," sprach sie, „muß ich wissen, ob ich zu einem Feinde oder zu meinem Sohne gekommen, ob ich in deinem Lager deine Gefangene oder deine Mutter bin. Mußte mein langes Leben, mein unglückliches Alter mich darum fristen, damit ich in dir einen Verbannten und nun meinen Feind erblicke? Dies Land konntest du verheeren, das dich gezeugt, dich großgezogen hat? Kamst du mit noch so erbittertem, mit noch so drohendem Grimme hier an, mußte dein Zorn nicht sinken, als du über die Grenze tratst? Regte sich nicht, als du Roms ansichtig wurdest, der Gedanke in dir: In jenen Mauern habe ich Haus und Hausgötter, Mutter, Gattin und Kinder? Also, wenn ich nicht geboren hätte, so würde jetzt Rom nicht belagert; hätte ich keinen Sohn, so hätte ich im freien Vaterlande als eine Freie sterben können. Doch mich kann schon nichts mehr treffen, was nicht dir mehr Schande brächte, als mir Elend, und gesetzt, ich wäre noch so elend, so werde ich's nicht lange sein. Denke aber doch an diese da, bereit Schicksal, wenn du näher rückst, ein früher Tod oder dauernde Knechtschaft sein wird!" Nun umarmte er Gattin und Kinder, und das in der ganzen weiblichen Schar sich erhebende Weinen und ihre Wehklage über sich und ihr Vaterland brachen endlich den

Sinn des Mannes. Nach der Umarmung entließ er die ©einigen und zog sich mit seinem Lager von der Stadt

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zurück. Als er endlich die Legionen ganz aus dem römi­ schen Gebiet abführte, soll die Folge des daraus erwachse­ nen Hasses sein Tod gewesen sein, über dessen Art die Schriftsteller nicht einig sind. Bei Fabius, bei weitem dem ältesten Gewährsmanne, finde ich, daß er noch in hohem Alter gelebt habe. Wenigstens führt dieser an, er sei oft in hohem Alter in die Worte ausgebrochen: „Für einen Greis ist doch die Verbannung noch weit jammer­ voller!" Die Männer Roms ließen dem weiblichen Verdienste Gerechtigkeit widerfahren; so wenig war es damals Sitte, fremden Ruhm zu beeinträchtigen. Ja, inan setzte durch einen neugebauten, dem Glücke der Frauen geweihten Tem­ pel der Begebenheit ein Denkmal.

3. Hannibal. (Aus dem 21. Buche). Hannibal wurde nach Spanien geschickt und zog gleich bei seiner ersten Ankunft die Blicke des ganzen Heeres auf sich. Die alten Soldaten glaubten, Hamilkar sei ihnen verjüngt wiedergegeben: sie sahen ihm dieselbe Lebhaftig­ keit des Blickes an, eben das Feuer in den Augen, die Gesichtsbildung, die Züge. Bald aber brachte er es dahin, daß sein Vater für ihn nur die kleinste Einpfchlung war. Nie war derselbe Kopf zu den zwei entgegengesetzten Dingen, zum Gehorchen und Befehlen geschickter. Darum war es schwer zu entscheiden, ob er dem Feldherrn oder dem Heere lieber war; und so wie .Hasdrubnl, wenn ein Wagnis Mut und Pünktlichkeit erforderte, die Leitung keinem andern lieber gab, so hatte auch der Soldat unter keinem andern Führer mehr Zutrauen oder Mut. Er zeigte bei Übernehmuug der Gefahren die höchste Kühnheit, während der Gefahren selbst die höchste Besonnenheit. Durch keine Be­ schwerde ward sein Körper erschöpft, sein Mut besieg:. Gegen Hitze und Kälte war seine Ausdauer gleich; das Maß seiner Speisen und Getränke wurde vom Bedürf­ nisse der Natur, nicht vom Vergnügen bestimmt. Seine

Livius.

Ap ul ejus.

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Zeit zum Wachen und Schlafen wurde nie durch Tag und Nacht geschieden, was ihm die Geschäfte übrig ließen, ward der Ruhe gegönnt; aber auch sie wurde weder durch ein weiches Lager noch durch Stille herbeigerufen: viel­

mehr haben ihn viele oft mit einem Soldatenmantel zu­ gedeckt zwischen den Wachen und Posten der Soldaten

liegen sehen. Seine Kleidung war vor seines gleichen nie hervorstechend, aber seine Waffen und Rosse zeichneten sich aus. Er war bei weitem sowohl der beste Soldat zu Pferd, als zu Fuß. In das Treffen ging er voran, hatte es einmal begonnen, dann schied er als der letzte. Diesen so großen Tugenden des Mannes hielten übergroße Fehler das Gleichgewicht, eine unmenschliche Grausamkeit, mehr als punische Treulosigkeit: Wahrheit war ihm fremd, nichts ihm heilig, ihn band keine Furcht vor Gott, kein Eid, kein Gewissen. Mit dieser Ausstattung von Tugenden und Fehlern diente er drei Jahre unter Hasdrubals Oberbe­ fehl, ohne das mindeste, was ein künftiger Feldherr von Bedeutung tun oder sehen muß, außer acht zu lassen.

268. Psyches Prüfungen. Aus dem Märchen des Apulejus von Amor und Psyche.

!Der Gott Amor, der Sohn der Venus, hatte die wun­ derschöne Psyche, eine sterbliche Königstochter, erblickt und wünschte nichts sehnlicher, als sich mit ihr zu vermählen. Er warb um sie, und sie wurde ihm zugesagt; die Eltern führten sie nach der Abrede aus die Spitze eines Felsen nnd stießen sie hinab. Zephyre trugen sie sanft in ein schönes Tal, wo in einem herrlichen Palast unsichtbare Geister sie bedienten, und wo sie Hochzeit hielt mit dem gleichfalls für sie unsichtbaren Amor. Nach einiger Zeit lud sie ihre Schwestern zu Besuch ein; diese behaupteten, Psyches Gemahl sei nicht Amor, sondern ein Ungeheuer, sie solle in der Nacht einmal ein Lämpchen anzünden und den geheiinnisvollen Gatten auf seinem Lager betrachten, da würde er sichtbar werden. Sie tat so, und als sie Amor

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in seiner Götterschönheit erblickte, fiel ein Tropfen heißem Öles aus dem Lämpchen auf Amors Schulter, daß es eine Wunde gab; er erwachte, sah Psyche vorwurfsvoll an und entschwebte alsbald. Psyche entflieht, aber die erzürnte Venus macht sie ausfindig, läßt sie mit Peitschen schlagen, stürzt dann selbst auf Psyche los, zerreißt ihr das Kleid und zerrt sie an den Haaren.j Dann nimmt sie Korn, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen, mengt sie durcheinander, türmt sie zu einem Haufen und sagt: „Du scheinst dir als häßliches Mädchen nur durch fleißige Bedienung deine Liebhaber zu verdienen; auch ich will deinen Fleiß erproben. Scheide diesen vermischten Haufen von Samenkörnern, und wenn du jede Art einzeln gelegt hast, zeige mir noch vor Abend das Werk vollendet." Darauf entfernte sie sich zu einem Hochzeitmahl. Aber Psyche legte keine Hand an den unordentlichen und unentwirrbaren Haufen; sondern durch das Übermaß der Aufgabe niedergedrückt, versinkt sie in dumpfes Schwei­ gen. Die kleine ländliche Ameise jedoch, solcher Arbeiten gewohnt, fühlt sich empört durch die Grausamkeit der Schwiegermutter, sic läuft emsig hin und her und ruft die ganze Schar benachbarter Ameisen zusammen: Erbar­ met euch, ihr Kinder der mütterlichen Erde, erbarmet euch und helft der Gemahlin Amors, dem bedrängten holden Mädchen! schnell, schnell! Die Ameisen stürzen herbei und dazu noch Massen von andern Sechsfüßlcrn und verteilen mit dem größten Eifer den ganzen Haufen nach den einzelnen Arten, dann ver­ schwinden sie hurtig. Beim Beginn der Nacht kommt Venus von dem Hochzeitmahle, erhitzt vom Weine, balsam­ duftend, mit glühenden Rosen umkränzt; sobald sie die wunderbare Arbeit erblickt, ruft sie: „Das ist nicht dein und deiner Hände Werk, du Schändliche, sondern dessen, dem du zu seinem und deinem Unheil gefallen hast!" Und nachdem sie ihr ein Stück Brot zugewvrfen hat, geht sie zu Bette.

Apulejus.

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Während dessen wird Amor im Innern des Hauses in einem Zimmer eingeschlossen, damit er nicht etwa durch Aufregung die Wunde verschlimmere und nicht mit seiner Ge­ liebten zusammentrefse. Beim Anbruch der Morgenröte läßt Venus Psyche rufen und sagt zu ihr: „Siehst du jenen Hain, der bis zum Flusse und den hohen Felsen sich hinzieht? dort gehen goldglänzende Schäfchen unbewacht auf der Weide. Ich befehle dir, daß du mir gleich eine Flocke des kostbaren Vließes bringst!" Psyche ging augenblick­ lich, nicht um den Befehl auszurichten, sondern um das Ende ihrer Leiden durch einen Sturz vom Felsen herbei­ zuführen. Aber vom Flusse her flüstert die bläuliche Nymphe Arundo mit leisem Gesäusel zu ihr: „Psyche, wenn auch von solchen Kümmernissen verfolgt, trübe du nicht durch deinen Tod mein heiliges Gewässer, versuche aber auch nicht zu den schrecklichen Schafen auf jenem Ufer zu gehen. Denn von der Glut der Sonne erhitzt, ver­ wildern sie in gräßlicher Wut und bedrohen jeden mit spitzem Horn, mit harter Stirn und selbst mit giftigen Bissen; aber wenn es mittags kühler wird und die Tiere am Wasser ruhen, kannst du unter jener hohen Platane, die mit mir dasselbe Gewässer trinkt, dich heimlich ver­ bergen; und sobald die Schafe ihre Wut verloren haben, wirst du da, wo sie sich durch die Zweige des nahen Haines gedrängt, wolliges Gold finden, das hier und da an den Baumstämmen hängen geblieben ist." So lehrte die freund­ liche Arundo der ärmsten Psyche ihre Rettung. Diese zögerte nicht, den guten Rat zu befolgen, und alles genau beobachtend, brachte sie der Venus einen Schoß voll des weichen Goldes. Aber selbst daniit konnte sie nicht deren Zorn be­ sänftigen; denn mit noch Schlimmerem sie bedrohend, spricht sie zu ihr mit tödlichem Lächeln: „Du scheinst mir eine Hexe und böse Zauberin zu sein, da du solche Be­

fehle so schnell ausführst. Aber, mein Püppchen, du sollst mir noch eins vollbringen. Nimm diese Büchse und gehe zu beit Unterirdischen, zu den Totengöttern des Orkus;

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dort reiche der Proserpina diese Büchse und sage: Venus bittet dich, daß du ihr etwas von deiner Schönheit schickest, so viel wenigstens für einen Tag hinreicht; denn die sie besaß, hat sie bei der Pflege des kranken Sohnes eingebüßt. Aber komm nicht zu spät zurück, weil ich noch damit ge­ schminkt das Göttertheater besuchen muß/' Da glaubte Psyche, daß ihre letzte Stunde gekommen sei und sie ohne Gnade dem gewissen Verderben entgegen gehe, weil sie mit ihren eigenen Füßen den Tartarus zu betreten gezwungen wurde. Sie zögerte Tiits)t länger, sich zu einem hohen Turme zu begeben, von dem sie sich hin­ abstürzen wollte, denn so glaubte sie am besten und schnellsten in die Unterwelt zu gelangen. Aber der Turm gab plötz­ lich diese Stimme von sich: „Warum willst du Ärmste dich hinabstürzen? warum verzagst du ohne Grund bei dieser letzten Arbeit? Wenn der Oki ft sich einmal von deinem Körper getrennt hat, wirst bii gewiß zum Tartarus kommen, aber auch von dort nie wieder zurückkehren. Drum höre aus mich: Laeedämou, die berühmte Stadt Achajas, ist nicht weit von hier, in ihrer Nachbarschaft suche das Vorgebirge Tänarum aus; dort ist die Öffnung der Unter­ welt, und durch gähnende Tore führt der unwegsame Zu­ gang dahin; hast du dich über seine Schwelle gewagt, so gelangst du auf gradem Wege zu der Königsburg des Orkus. Aber nicht mit leeren Händen darfst du durch das Reich der Finsternis schreiten, sondern ein Stück Gerstenkuchen mit Honig mußt du in jeder Hand und in dem Munde zwei Münzen tragen. Wenn du einen guten Teil des Weges zurückgelegt, wirst du einen lahmen, mit Holz beladenen Esel mit einem ähnlichen Treiber treffen; dieser wird dich bitten, einige von beut Bündel herabgefallene Stücke ihm zu reichen, aber du gehe schweigend vorüber. Wenn du dann an den Totenfluß kommst, wird Charon, der in ge­ flicktem Kahn die Wanderer auf das andere Ufer bringt, das Fährgeld verlangen. Diesem schmutzigen Greise wirst du als Fährgeld die eine der Münzen geben, die du bei dir führst, aber so, daß er sie mit seiner eigenen Hand aus

Apulejus.

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deinem Munde nimmt. Wenn du den Fluß überschritten, werden alte Weiber am Webstuhl beim Einrichten des Ge­ webes dich bitten, ihnen ein wenig zu helfen; aber auch dem darfst du nicht nachgeben. Denn dies alles und noch vieles andere gehört zu den Versuchungen der Venus, da­ mit du einen Kuchen aus der Hand verlierest. Und halte du das nicht für einen leichten Verlust, denn wenn dir auch der andere verloren gegangen, wirst du das Tageslicht nicht mehr erschauen. Denn ein großer dreiköpfiger Hund, der die Toten, denen er nichts mehr tun kann, vergebens mit donnerähnlichem Gebell zu schrecken sucht, liegt auf der Schwelle zu der schwarzen Halle der Proserpina und be­ wacht das öde Haus des Pluto. Diesem wirst du leicht Vorbeigehen, wenn du ihm einen Kuchen gegeben, und dann trittst du bei Proserpina ein. Sie wird dich freundlich aufnehmen und dich auffordern, dich bequem niederzusetzen und ein herrliches Frühstück einzunehmen. Aber du setze dich auf die Erde und bitte um ein Stück grobes Brot; dann teile ihr mit, weshalb du gekommen, und wenn du das Erbetene erhalten, mußt du aus dem Rückwege die Wut des Hundes mit dem zweiten Kuchen besänftigen und dem Schiffer die Münze geben, die du noch übrig hast. Dar­ auf wirst du über den Fluß setzen und auf demselben Wege zu dem Chor der himmlischen Gestirne zurückkehren. Doch rate ich dir vor allem das eine zu beobachten, nicht die Büchse zu öffnen und hineinzuschauen; hüte dich vielmehr, daß der Schatz der göttlichen Schönheit auch dir verborgen bleibe." Solche Weissagung verkündete die Stimme aus dem Turm. fEs kam alles genau so, wie die Stimme gesagt hatte: Psyche erhält das Salbengefäß und verläßt die Unterwelt). Während sie das helle Tageslicht anbetend begrüßt, wird sie doch von unbesonnener Neugierde erfaßt. „Ich bin eine recht einfältige Botin der göttlichen Schönheit," sagte sie, „daß ich nicht ein klein wenig davon für mich nehme, wodurch ich meinen geliebten Gemahl vielleicht wieder ge­ winnen würde." Mit diesen Worten öffnet sie die Büchse; Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl.

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Aus römischen Schriftstellern.

aber nichts war darin, keine Schönheit, wohl aber ein unterirdischer, wahrhaft stygischer Schlaf, der sogleich, öon dem Deckel befreit, sie bewältigt. Alle ihre Glieder werden von tiefer Betäubung erfaßt, und sie liegt auf dem Wege niedergesunken, unbeweglich wie eine Leiche da. Amors Wunde war aber unterdessen bereits geheilt, und da er die Abwesenheit seiner Psyche nicht länger ertragen konnte, schlüpfte er durch das enge Fenster des Zimmers, in den: er bewacht war, und flog rasch mit ausgeruhten Flügeln zu seiner Geliebten. Mit einem sanften Stich seines Pfeiles erweckt er sie, nachdem er den Schlaf verscheucht und wie­ der in die Büchse gesteckt hatte. „O du Ärmste," sagte er zu der aus der Betäubung sich Erhebenden, „wieder wärest du beinahe durch Neugierde umgekommen! Beeile dich jetzt,, des Auftrages, den meine Mutter dir gegeben, dich zu entledigen; das Weitere werde ich besorgen." Mit diesen Worten entschwand er auf seinen Fittichen ihren Blicken. Psyche bringt darauf der Venus das Geschenk der Proserpina. Amor jedoch, von Liebesglut verzehrt und in Furcht vor der kalten Strenge der Mutter, schlägt einen andern Weg ein, den er schon manchmal versucht hat. Auf schnellen Flügeln schwingt er sich in den .Himmel und trägt dem großen Jupiter seine Sache zur Entscheidung vor. Dieser streichelt ihm die Wangen und küßt ihn auf den Mund; darauf sagt er: „Obwohl du, mein Söhnchen, nie­ mals die durch deu Beschluß der Götter mir erteilte Hoheit geachtet, will ich doch, eingedenk meiner Nachsicht und Mäßigung, und weil du nutet meinen Händen ausge­ wachsen bist, deine Bitte gewähren. Erinnere du dich aber stets der Gnade, die ich dir antue." Darauf befiehlt er dem Merkur, sogleich alle Götter zur Versammlung zu berufen, und wenn einer fehlen sollte, ihm eine Buße von zehntausend Golddrachmen an­ zukündigen. Aus Furcht davor füllt sich gleich der Him­ melssaal, und Jupiter spricht von hohem Sitze herab fol­ gendermaßen: „Versammelte Götter, ihr kennt alle diesen Jüngling, den ich selbst erzogen, und dessen wilde Streiche

Apulejus.

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ich manchmal gezügelt habe. Genug hat er gegen seinen eigenen Ruf gesündigt, es ist Zeit, die Veranlassung dazu zu entfernen und seinen Übermut durch eheliche Fesseln zu bändigen. Er hat ein Mädchen erwählt und ihr Treue gelobt, möge er es besitzen und sich in alle Ewigkeit der Liebe seiner Psyche erfreuen." Und zur Venus gewandt fuhr er fort: „Du, meine Tochter, betrübe dich nicht des­ halb und gräme dich nicht wegen deiner hohen Familie und der Verwandtschaft mit einer Sterblichen. Ich werde diese Heirat schon ebenbürtig und dem Gesetz entsprechend machen." Sogleich läßt er Psyche durch Merkur in den Himmel bringen, er reicht ihr den Becher, gefüllt mit Nektar, und sagt: „Trinke, Psyche, zur Belohnung deiner ausdauern­ den Liebe und sei unsterblich! niemals soll Amor von dir weichen, sondern ewig wird eure Verbindung währen." Gleich darauf wird ein prächtiges Hochzeitmahl aus­ gerüstet. Auf hohem Pfühl ruhte der junge Ehemann und Psyche an seine Brust gelehnt; so auch Jupiter mit seiner Juno und der Reihe nach alle die anderen Götter. Den Becher mit Nektar reichte dem höchsten der Götter sein lieblicher Mundschenk Ganymedes, die andern bediente Bacchus. Vulkanus kochte die Speisen, die Horen umwan­ den alles mit Rosen und andern Purpurblüten, die Grazien streuten Balsam, die Musen entzückten durch ihren Gesang, Apollo schlug die Zither, und Venus bezauberte alles, in­ dem sie dazu einen Tanz aufführte. So feierte Psyche ihre Hochzeit mit Amor. Und danach wurde ihnen eine Toch­ ter geboren, die wir Freude nennen.

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Tie Akropolis von Athen.

Bildende Künste. 269. Die Akropolis von Athen. Aus der Ebene von Attika steigt bis zur Höhe von 400 Fuß eine ringsum freistehende Felsmasse, um diese her war das alte Athen gelagert; oben aber auf der etwa fünfhundert Schritt langen und halb so breiten Flüche des Felsens wohn­ ten in prächtigen Tempeln die Schutzgötter des Landes, vor allem Pallas Athena: das ist die Burg von Athen, die Akro­ polis. Athen ist wieder neu erstanden, am Nordende des Burgfelsens sich ausdehnend, aber die Göttertempel liegen in Schutt. Wohl lassen ihre Trümmer uns die einstige Herrlich­ keit noch ahnen. Zugänglich ist die Akropolis nur von Westen her, wo niedrigere Felshügel wie Treppen sich ihr vorlagern. In der Einsattelung zwischen letztern und der eigentlichen Akropolis stehen wir vor wildzerrissenen Felsblöcken, dem Areopag, d. h. dem Hügel des Ares. Düstere Sageu umschweben diesen Ort, ihn weihte Athena selbst zur Richtstätte für Blutschuld. Hier ist der Schauplatz der „Eumeniden" des Äschylos, in der Schlucht der nördlichen Felswand war das Heiligtum der furchtbaren Jungfrauen. Hier stand nach der Erzählung der Apostelgeschichte (Kapitel 17) auch Paulus und redete zu den „Männern von Athen"; denn hier öffnete sich ja der Blick aus die Agora, den prächtig geschmückten Marktplatz des alten Athens: noch erinnert eine dem Paulus geweihte Kapelle an diese Predigt. Wir steigen weiter hinan und gelangen ans Burgtor; deutlich ist der alte Burgweg noch zu erkennen, den einst die Festzüge hinanwallten. Wir wollen aber diesmal nicht die in ihren Trümmern noch so großartigen Propyläen schildern, d. h. den torartigen Säulengang, welcher vorzeiten den Haupt-

Die Akropolis von Athen.

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eingang zur Burg bildete, auch nicht das reizende, der Sieges­ göttin geweihte Tempelchen, welches noch erhalten ist: wir eilen auswärts auf die Höhe des Felsens. Da stehen wir end­ lich aus der weiten Platte, die in ihrer ganzen Länge ein ein­ ziges Trümmerfeld ist, besät mit weißen Marmorblöcken von allerlei Gestalt und verschiedenster Größe. Hier war auch im Altertum schwer durchzukommen vor der Menge der Weih­ geschenke, die hier ausgestellt waren, Götterbildern und Denk­ mälern aus Marmor und Erz. Noch erblicken wir hier und da zwischen den Trümmern trauernde Fußgestelle, deren In­ schriften uns erzählen, welchem Werk sie dereinst zur Unter­ lage dienten. Dort erhob sich auch das von Phidias geschaffene gewaltige Erzbild der Athena, ihr Heiligtum schirmend. Jetzt ist sie weg, die Vorkämpferin. Wohl aber ragt noch, auf dem erhabensten Punkt des Felsens, dicht vor uns, die einstige Wohnung der jungfräulichen Göttin, der Parthenon, der herr­ lichste aller griechischen Tempel! Nachdem Xerxes alle Tempel hier oben zerstört hatte, be­ schlossen die Athener auf des Perikles Rat, sie wieder auf­ zubauen, herrlicher als zuvor. Das geschah in den Jahren 454—438 vor Christi Geburt. Nur weißer Marmor vom Berge Pentelikon wurde zum Neubau verwandt, kein anderes Gestein; denn nur Bestes sollten die Götter bekommen. Auf einer geebneten Felsfläche erheben sich drei Riesenstufen, darauf steigt mit dem säulengetragenen, herrlichen Dach das Tempelhaus empor, wie auf einer Platte dargebracht als ein Weihgeschenk an die Götter. Der Tempel steht genau nach den vier Himmelsgegenden gewandt; sein Eingang war von Osten her, je acht dorische Säulen umgeben ihn auf den schmalen Seiten, je siebzehn auf den Langseiten, die Ecksäulen doppelt gezählt. Hinter dem Säulengang erhebt sich die fensterlose Wand des eigentlichen Hauses. Das Innere war in der Mitte unbedeckt. Hier thronte, wahrscheinlich in einer Nische der Rückwand, ein Werk des Phidias, stehend, vierzig Fuß hoch, bis beinahe zur Decke reichend, A t h c n a, aus Gold und Elfen­ bein gefertigt, mit dem Speere bewehrt, den greifengeschmück­ ten Helm auf dem Haupte, den Kopf der Medusa vor der

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Die Akropolis von Athen.

Brust, um die Schultern den schweren, ganz goldenen Mantel, auf der £mnb die goldene Siegesgöttin: der Schild ruhte neben ihr. Zweitausend dreihundert und vier Pfund Gold verbrauchte der Künstler zu seinem Götterbild. Wie hehr die Wolken darüberziehen! wie still und anbetend der Athener dastehen mochte vor der Göttin mit dem Glutenauge, der Herrin seines Landes! Freilich nicht diese Athena, sondern ein rohes, uraltes Holzbild im Erechtheion, einem kleinern Tempel auf der Akropolis, war das eigentliche Andachtsbild — denn ungern mögen die Menschen anbeten, was in der vollen Beleuchtung der Geschichte entstand, sei es auch göttlich erhaben, die Heiligenscheine weben sich lieber im geheimnis­ vollen Dämmerlichte sagenhafter Borzeit. Ter Parthenon war überhaupt weniger* als Andachtsstätte errichtet worden, vielmehr als ein großes Weihgeschenk, als Mittelpunkt des panathenäischen Festes und als Schatzhaus. Alljährlich iw Hochsommer fand dies Fest der Panathenäen statt, aber am herrlichsten jedesmal im vierten Jahr: dann zog ein Festzug hinauf zur Burg, Opfer bringend der Schutzgütten und ein Gewand, von Athens Jungfrauen gestickt, für jenes uralte Holzbild. Der westliche, kleinere Raum des Tempels barg den Staatsschatz. Um die Außenwand des Tempelhaüses, hoch über dem Fußboden, gestützt durch das Dach des Säulenumganges, lief rund herum, int ganzen über 500 Fuß lang, ein in flachem Relief gehaltener Marmorfries, nach der Gründung des Phidias gearbeitet, zusammengesetzt aus Platten von einem Meter Höhe, darstellend den panathenäischen Festzug. An der Westseite sieht man die Teilnehmer zum Zuge sich ordnen. Jünglinge legen die Festgewänder an, bündigen und tummeln die Rosse, Festordner durchwanderet die Gruppen. An ben Langseiten strebt der geordnete Zug voran gen Osten, und zwar zeigt die Südseite dichte Schwürnte oon Reitern, die kurzen, gedrungenen Pferde bäumen sich prächtig: Kriegs­ wagen; Bürger, heilige Ölzweige tragend: die Opferkühe, widerspenstig die einen, die andern willig geführt vott Dienern und Priestern; an der Nordseite drängen sich noch dichter die

Die Akropolis von Athen.

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Reiter und Wagen; vor ihnen Opfergaben aus den Kolonien, Träger der Opfergerüte, Zither- und Flötenspieler. And der Ostseite endlich naht es sich von links und rechts her, da be­ reitet man das Opfer, Frauen und Jungfrauen kommen seierlich-en Schrittes mit Becken und Schalen, Kannen, Rauch­ gefäßen und Stühlen, schon legt der Priester das Obergewand ab, um das Opfer zu beginnen. Die neun Archonten, auf Stäbe gestützt, empfangen den Zug hier am Ziele; da thronen auf goldenen Stühlen inmitten ihres Volkes die Götter, Athena vor allem, aber auch Zeus und Hera, Poseidon und Apollo dürfen nicht fehlen, auch Aphrodite nicht mit Eros und Peitho. Rings um den ganzen Tempel her, unter dem Dachgefims, zieht sich ein den dorischen Tempeln eigentümlicher Schmuck aus Marmor, es wechselt immer eine Metope und eine Triglyphe. Tie ersteren sind hohe Marmorplatten. Auf den 92 Metopen nun wurden einzelne Kümpfe dargestellt zwischen Göttern und Giganten, Centauren und Lapithen, alles nicht ohne Anspielung auf den Kriegsruhm der Athener. In den beiden dreieckigen Giebelfeldern des Tempel­ hauses endlich stellte Phidias in überlebensgroßen, ganz frei­ stehenden Figuren folgendes dar: im Osten die Geburt der Athena, oder vielmehr ihr erstes Auftreten unter den Göttern, denn sie sprang ja völlig gewappnet aus dem Haupte des Zeus. Nike eilt ihr entgegen, die Göttin des Siegs, Iris schwebt vom Olymp herab, die Botschaft zu verbreiten, links taucht Helios mit schnaubenden Rossen aus den Fluten, rechts steigt Selene, die Mondgöttin, ins Meer hinab. Im West­ giebel schaute man Athenas Streit mit Poseidon um den Besitz des attischen Landes: der Meergott schuf eine Salzquelle, aber Athena den Olbaum, dies Göttergeschenk für das dürre Land, und damit siegte sie. Der Schauplatz ist die Akropolis selbst, die Flußgötter Jlissos und Kephissos rahmen die Szene ein. Der ganze Tempel aber strahlte in buntem Farben­ schmuck: goldene Schilde hingen am Steingebälk, Bronze und Elfenbein, Blau und Purpur glänzte in kunstvoller, das Auge erfreuender Verteilung. Auch der Fries war bemalt.

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Die Akropolis von Athen.

Und was ist aus dieser Herrlichkeit geworden? Wie sieht es heute hier aus? Über zweitausend Jahre stand der Tempel unversehrt, ihn schützte der Umstand, daß er in eine christliche Kirche verwandelt worden war. Und als die Türken hierher kamen, bestimmten sie das hehre Haus auch zu ihrem Gottes­ dienst: es wurde eine Moschee. Aber als im Jahre 1687 die Venezianer Athen belagerten und die Türken in dieser Moschee ihr Pulvermagazin hatten, da tat — es war am 26. Sep­ tember 1687, abends sieben Uhr — ein lüneburgischer Leut­ nant, der in venezianischen Diensten stand, aus einem Mörser den Meisterschuß — nach seiner Meinung. Donnernd flog die ganze Mitte des Tempels in die Lust, während Ost- und West­ giebel stehen blieben. Sechs Monate später mußten die Vene­ zianer für immer abziehcn. Der Skulpturenschmuck schwand nun rasch dahin, bis 1811 die Engländer hier wühlten und abrissen, was sich abreißen ließ: sic schafften nebst vielen anderen Herrlichkeiten auch einen großen Teil des vorhin beschriebenen Frieses und die Giebelsiguren nach London. Trotz alledem ist noch vieles an Ort und Stelle. Wo einiger Schutz gegen das Wetter ist, da ist der Marmor noch kaum verwittert und abgeblättert: dao ist, wir sind unter dem sonnigen griechischen Himmel. Nur ist das Weiß jetzt honig­ gelb und rostbraun geworden, eine edle, satte Färbung, welche die Tempelrcste nur um so würdiger kleidet. Wie eben fertig geworden, so scharf sind noch viele der aller­ zartesten Marmorverzierungen an Säulen und Figuren, noch schließen die einzelnen Trommeln, aus denen die Säulen bestehen, Haarschars aneinander. Und doch ist kein Mörtel verwandt, die gewaltigsten Platten und Blöcke sind über­ einander, aneinander gesetzt, gesalzt, höchstens mit Eisen­ klammern gehalten. Und gar die Figuren, besonders die des Frieses! wundervolle Schönheit und Anmut, beseeltes Leben atmet aus jeder Linie. Die feinste Eigenart ist in den zähllosen Gruppen währznnehmen, ein Krugtrager z. B. hält den Krug so, der andere anders, dem droht er von der Schulter zu gleiten, der stellt ihn müde einen Augen­ blick zur Erde. Eine wunderbare, große Feit! Viele Ge-

Die Akropolis von Athen.

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schlechter haben in mühevoller Kunstübung und langsamem Fortschritt gearbeitet und gesäet, bis Phidias die reife Frucht brach, an der wir uns noch freuen dürfen, und die noch keimfähigen Samen birgt für viele kommende Geschlechter der Menschen. Und nun noch einen Blick durch die Säulen hindurch auf da^ blaue Meer! Vor allem fesselt uns Salamis, dessen Berge sich dicht vor uns erheben — man merkt kaum, daß eilt Streifen Meeres die Insel vom Festlande trennt- links davon schwimmt in der dunkelblauen Flut Ägina, umglänzt vom Ruhm der Sagenzeit, des Aias und Teukros Heimat, ein einziger, langgedehnter Felsblock mit sanftgeschwungenen Um­ rissen. Zerstreut im saronischen Golf noch manche Klippen und Eilande. Das Meer schimmert, und weiße Segel tauchen überall auf oder entschwinden. In der Ferne ragt Akrokorinth, die mächtige, über 2000 Fuß hoch aufsteigende Burg von Korinth, und noch jenseits die Berge Arkadiens. Blau uud duftig dehnt sich vor uns die Felsenküste von Argos, bis an das äußerste Vorgebirge trägt uns der Blick, und noch darüber hinaus schweift das Auge über das endlose Meer, bis es dessen Grenze findet an dem Himmel, der klar und blau sich darüber wölbt. Schon schicken die Sonnenrosse sich an, drüben im fernen Wegen in die blaue Meerflut hinabzusteigen; auf den Bergen Attikas beginnt ein wundersames Farbenspiel: der Hymettus glüht rosenrot, der Pentelikon flammt purpurn auf, seine Ab­ hänge leuchten in veilchenblauem Glanze, während die waldi­ gen Massen des Parnes schon blauschwarz und düster daliegeu. Die goldenen Marmorsäulen der Akropolis strahlen und glän­ zen, zitternd umspielt sie, von vielfachen Schatten gekreuzt und gebrochen, das Abendlicht. Al er herrlicher noch glänzt und strahlt das Meer, hier dunkelblau, wo schon die Schatten lagern, dort aber uud dort übergossen mit Gold und Purpur: wie die Wellen dahinrollen, so stolz und festlich, so unaussprechlich erhaben! die Sonne steht hinter Akrokorinth und den arkadischen Bergen, sie in Gold und Feuer tauchend, die ganze Landschaft ein Bild, ge-

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Der Altar von Perganion.

woben aus Licht und Feuer! Aber sowie die Sonne hinter bie Felsen gesunken ist, in den korinthischen Golf hinab, ändert sich das Schauspiel: schnell und still legen sich die Schatten der Nacht über die hohen Berge, über die weite Ebene und über Pas schwärzliche Meer. Allein gerade, wenn unbestimmter Dämmerschein darum webt, ersteht aufs neue wieder die alte Herrlichkeit; das Zwielicht verdeckt die Lücken der Zerstörung: größer und zusammenhängender scheinen die Mauern, wie von den Geistern der Nacht für flüchtige Stunden wiedererbaut, vollzählig der Säulenwald. Das Geschlecht aber, das den Wunderbau geschaffen, scheint uns grüßend die Hand zu reichen in lebenswarmer Nähe, mit seinem Geist unmittelbar

wirkend auf unseren Geist. Es ist ja auch noch nicht so lange her, daß dies Geschlecht hier gewandelt hat, denn die Jahr­ hunderte sind nicht lang, nur uns scheinen ne lang, weil unser Leben so kurz ist.

270. Der Altar von Pergamon. In der Offenbarung Johannis heißt es in dem Send­ schreiben an die Gemeinde zu Pergamon: ,,Du wohnst, wo der Thron des Satans ist." Ter wahre Sinn dieser Worte ist erst in unserm Zeitalter klar geworden. Zu Pergamon in Kleinasien, wenige Meilen vom Mittelmeer, ungefähr in der Mitte zwischen Troja und Ephesus, er­ hob sich, das wissen wir jetzt, einstmals ein gewaltiger Altarbau, wo in besonders ausfallender Weise die ganze griechische Götterwelt verherrlicht war. Dieser Altar war ein ewiger, stummer Lobgesang auf die heidnische Religion, darum sahen die ersten Christen in ihm den Thron des Satans. Nur einmal ist in der alten Literatur erwähnt, in Pergamon sei ein Altar mit sehr großen Figuren des Gigantenkampfes, aber diese Notiz fiel niemand auf, bis seit 1869 der preußische Ingenieur Humann in jener Gegend im Auftrag der türkischen Regierung Straßen baute. Am Abhang eines hohen Bergkegels entdeckte nun Humann inmitten der Trümmer der alten Königsburg von

Ter Altar von Pergarnon.

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Pergamon die Grundmauern eines Riesenaltars und rund umher gestreut große und kleine Marmorplatten mit Figuren, Reste jenes Gigantenkampfes. Den Altar selbst hatte man offenbar in byzantinischer Zeit zerstört, um aus den Werk­ stücken eine Schutzmauer gegen den Ansturm der Islam­ krieger zu bauen. Ties scheint um das Jahr 1000 ge­ wesen zu sein. Das alte pergamenische Reich war die Gründung eines Feldherrn Alexanders des Großen. Aus deni Kriegsschatz Alexanders, der den Königen von Pergamon als Erbe zu­ gefallen war, erbauten sich diese eine vielbewunderte Burg mit einer einzigreichen Bibliothek. Als die Gallier oder Kelten oder Galater um das Jahr 200 vor Chr. Geb. ihre Raubzüge nach Kleinasien ausdehnten, trat ihnen König Eumenes von Pergamon entgegen, als Vorkämpfer hellenischer Kultur gegen barbarische Zerstörungswut. Er besiegte die Kelten und wies ihnen Wohnsitze in der Land­ schaft an, die von da ab Galatien genannt wurde. Als Weihegeschenk an die Götter, die ihm geholfen, errichtete Eumenes diesen Altar und schmückte ihn mit dem Bild­ werk des Sieges der olympischen Götter über die rohen Naturnlächte der Giganten: dem frommen Griechengemüt erschien jener unzeitliche Sieg als Vorbild des eben er­ rungenen Sieges. Was wir den Altar von Pergamon nennen, war nur der prunkvolle Untersatz für den eigentlichen Opferaltar: aus grauweißem Marmor stieg ein neun Meter hohes Quadrat empor, etwas über dreißig Meter int Geviert; auf der Westseite schnitt eine zwanzig Meter breite Treppe von vierundzwanzig Stufen in diesen Bau ein, so breit also, daß rechts und links nur noch je fünf Meter Raum blieb. Ten obern Rand des Vierecks umsäumte eine jonische Säulenhalle, die auch dem Zug der Treppe sich anschloß. Hatte rnan die vierundzwanzig Stufen erklommen und die Säulenhalle durchschritten, so befand man sich in einem umschlossenen Hof, in dessen Mitte der wiederum auf Treppen zugängliche eigentliche Opferaltar über die urn-

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Der Altar von Pergamon.

säumenden Säulenhallen emporragte; von seiner Höhe wehte an festlichen Tagen eine mächtige Flamme in die Himmels­ lüfte, und darüber lag eine Rauchwolke: auf Holzstößen brannte dort das Fleisch und Fett geopferter Rinder, den Göttern ein Wohlgeruch. Blieb man aber am Fuß der Treppe und umschritt den freistehenden Marmoruntersatz des Altars, so sah man vier Marmorstufen den ganzen Bau umlaufen, und über einem hohen Sockel, überdacht von mächtig überragendem Gesimse, einem würdigem Rahmen, zog sich das über zwei Meter hohe und weit über hundert Meter lange Reliefband des Gigantenkampfes, Gestalt an Gestalt in dichtem Gedränge, ja Gewühle. Auch in den nach oben sich verlaufenden Dreiecken der Treppenwangen dasselbe Gewühl, bis in die Spitze hinaus, der Relief­ grund so tief, daß Köpfe und Glieder fast frei herausge­ arbeitet waren und auf den Treppenstufen Kniee, Füße und Schlangen auflagen. Dadurch bildeten sich überall tiefe und mannigfache Schatten, die alle Figuren lebensvoll, hier und da fast unheimlich hervortreten ließen; dazwischen blitz­ ten blanke Spieße, goldene Kronen, Geschmeide und Sterne, denn diese Tinge waren aus wirklichem, funkelndem Metall angebracht. Als Humann im Jahre 1873 einige Platten mit Gigantenresten in Hochrelief nach Berlin geschickt hatte, wurde in an dort von begreiflicher Begierde erfaßt, diese Schätze zu heben und für Preußen zu erwerben. In tiefstem Geheimnis wurde mit der türkischen Regierung verhandelt, die endlich einwilligte, daß Preußen dort graben und die Fundsachen behalten dürfe. Nun begann unter Humanns Leitung ein heimliches, emsiges Graben und Schürfen; be­ sonders die byzantinische Festungsmauer, die man ganz abtrug, lieferte ganze Reihen von Platten in vorzüglicher Erhaltung, denn sie waren dort luftdicht eingebettet ge­ wesen. Erst als im Sommer 1880 zu Berlin im Lustgarten 462 Riesenkisten im Gesamtgewicht von 7000 Zentnern nie­ dergelegt wurden, erfuhr die Welt, was geschehen war. Aus den Kisten packte man Arme und Beine, Köpfe, Hände

Ter Altar von Pergamon.

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und Gewandteile, formlose Klumpen, Löwen, Hunde und Schlangen, Ungetüme verwunderlichster Art, dazwischen kopflose oder armlose Göttersigureu von hinreißender Schön­ heit: Zeus und Athena, Dionysos und Apollo, und dann wieder Götterwesen, wie man sie nie gesehen hatte und darum nicht zu benennen wußte. Auch Blöcke mit einge­ meißelten Namen, Gesimsstücke und Säulen gab es, aber zu welchen Figuren und Figurenresten gehörten diese Gigan­ tennamen und Götternamen? Einige Gruppen fügten sich leicht zusammen, so die Zeusgruppe und die Athenagruppe, aber wo sie am Altar angebracht waren, das war schlech­ terdings nicht festzustellen. Von Herbst 1880 bis 1886 hat man dann die Aus­ grabungen noch fortgesetzt, wobei besonders Conze und Bohn sich verdient machten. Man fand noch viel ergänzen­ des Bildwerk. Aber doch zerarbeiteten sich viele Gelehrte bis 1899 vergeblich, alle Rätsel zu lösen. Schrieb doch ein berühmter Professor wörtlich: „Es ist für alle Zeit un­ möglich, die ganze Komposition in ihrem Zusammenhang zu restaurieren." Und e* war doch möglich! Der inzwischen verstorbene .Humann hatte nämlich an jedem, auch den: unscheinbarsten Fundstück, genau den Ort vermerkt, wo es im Schutt ge­ funden war; er hatte ferner jeden Steinblock mitverpackt, wenn er auch weiter nichts als einige eingegrabene griechische Buchstaben zeigte. Und diese zwei Umstände gaben die Lösung des Rätsels. Tenn die Bildwerke im Schutt waren über ein Jahrtausend lang genau da liegen geblieben, wo sie einst front Altar heruntergestürzt waren; die Buchstaben aber waren Steinmetzzeichen, um den Bauleuten Anhalt zu geben, wohin sie jede Platte zu setzen hatten. Der Professor Puchstein ergründete 1899 das Geheimnis dieser Steinmetzzeichen, und siehe da! nun klärte sich alles. Mit freudiger Überraschung fand man, daß ein weit größerer Teil des Gigantenfrieses erhalten war, als man bisher geglaubt hatte: fast von jed-r Platte, so ergab sich jetzt, war irgend ein Rest gerettet. Trotz aller Lücken hatte man

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Der Altar von Pergamon.

tatsächlich das Wesentliche beisammen. Und nun endlich gab man sich daran, in Berlin den ganzen Fries wieder auszurichten, die Gesimse und Sockel und Säulen zu er­ gänzen. So kann man denn dort den Thron des Satans schauen, wie er gewesen ist, das Fehlende ergänzt die Phanrasie. Versuchen wir in Kürze zu schildern, was da zu sehen ist: Der Altar ist genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Rechts von der Treppe, aus der Westseite, beginnt das Drama. Tenn es ist ein Drama in sünf Akten, ein ergreisendes Trauerspiel. Es handelt sich um den Kampf der jetzt herrschenden Götter gegen die Söhne der Erde, die Giganten. Westen ist die Seite des Sonnen­ unterganges, der Dämmerung. Sben im Treppenwinkel hat der Adler des Zeus einen schlangenbeinigen, noch zarten Gigantenjüngling aus seinem dämmerigen Döhlenversteck aufgespürt und greift ihn an mit Klauen und Flügelschlägen. Die folgenden Figuren auf der Treppe sind leider zerstört bis auf kümmerliche Reste; aber auf dem rechten Trep­ penvorsprung kämpfr Dionysos und neben ihm Rhea mit ihrem Löwenwagen. Tas ist der Anfang, nur ein Ge­ plänkel. Aber treten wir nm die Ecke, auf die Südseite, da ist Schlachtlärm! Der Süden ist die Seite der Licht­ götter, da heißt es: hie Licht! hie Finsternis! In Typhon sind die finstern Mächte verdichtet, Typhon ist das Erd­ beben, der Inbegriff der unterirdischen Gewalten, die an der Erdfeste rütteln. Da stürmt er her, Typhon mit den Stierhörnern und dem Stiernacken, das furchtbare Haupt zum Stoß gesenkt, man glaubt sein Brüllen zu hören. Götter hat er in den Staub gestoßen und will sie zertreten, aber der schon unterliegende Gott kann noch mit der Linken sein Schwert fassen, das stößt er dem Ungetüm ins Herz, während sein Genosse einen Hammer schwingt, der gleich auf Typhon niedersausen wird. Eine Göttin eilt herbei mit fliegendem Gewände und geschwungenem Schwert; die Göttermutter Kybele kommt, auf ihrem Löwen reitend, zu Hilfe in dem scharfen Streit, und von der andern Seite

Der Altar von Pergamon.

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reitet Selene herbei, die Mondgöttin: fünf Götter gegen den einen Giganten! Das alles birgt zugleich einen tiefen Sinn, es ist, als ob dem Christentum schon seine Dämme­ rung voraufgehe, ehe es selbst in die Welt trat, denn auch das Christentum weiß viel zu sagen vom Kampfe des Lichts gegen die Finsternis. Aber es siegen die Götter des Lichts: ist das nicht Phöbos, der Sonnengott, der da einherfährt auf seinem Wagen, den vier Rosse ziehen? Wie gelassen er dasteht, in dem langen Gewände der Wagenlenker! wie unbeirrt schreiten die Sonnenrosse ihre ewige Bahn über drohende und sinkende Giganten! Eos, die Göttin der Morgenröte und die voraufreitende Selene rahmen den Sonnenwagen gleichsam ein, mächtige Frauenbilder in wallendem Gewand, hoch zu Roß, jede eine Schulter ent­ blößt, die hier wie die Mondsichel, jene wie das rosig schimmernde Morgenrot. Dann kämpft Äther, neben ihm Uranos. Äther, ein strahlender Jüngling, nur um die Hüften ein Gewand ge­ gürtet, wie das lichte, von leichtem Gewölk durchzogene Himmelsblau; mühelos würgt er den löwenköpfigen Gigan­ ten Leon, nicht mit Anstrengung, wie Herkules den Löwen gewürgt hat: Uranos steht vor dem Halbrund seiner Flügel und seiner wehenden Gewänder und vor dem Kreisrund seines Schildes, wie die verkörperte Himmelswölbung. Und all diese Lichtgötter ziehen westwärts, wie Sonne und Mond westwärts eilen. Dann kommt Phöbe, die glänzende Schwester des Phöbos, nnd Asteria, die Mutter der Hekate, alle mit Fackeln bewaffnet, die ihnen als Lichtgott­ heiten ziemen. Da kämpft auch schon einer der Hekatehunde gegen die Unholde, und rundum fallen, stürzen die Schlangenbeinigen, wehren sich in ohnmächtiger Wut mit rohen Naturwasfen, mit Krallen und Zähnen und Hän­ den und Steinen, schützen sich mit Fellen. Wir treten um die Ecke auf die O st s e i t e, da ist ja denn auch Hekate selbst mit ihren andern beiden Hun­ den, nicht als die Göttin der Unterwelt gedacht, sondern als die fast allmächtige Göttin, die auch auf Erden und

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im Himmel waltet und darum als dreigestaltig gedacht wird. Da erscheint auch Lato zwischen ihren Zwillingskindern Apollo und Artemis, Apollo in so strahlender Schönheit, daß er den gefeierten Apoll von Belvedere weit überragen würde, fehlte ihm nur nicht leider der Kopf und ein Unter­ schenkel. Artemis, die hochgeschürzte Jägerin, schießt ihren Pfeil gegen Othos, den schönen, ganz menschlich gestalteten Gigantenjüngling, der einst, als Götter und Giganten noch in Frieden waren, um ihre Hand geworben hatte. Othos will sich nicht wehren, er trägt einen Schild und hält ihn nicht vor, er blickt nur ergeben und vorwurfsvoll die Gegneriu an, als ob die alte Liebe wieder erwache. Wie bald wird ihn der Todespfeil treffen! Es ist befremdend, hier einen Zug zu finden, der uns romantisch und modern anmutet, ein Beweis, daß das Menschenherz zu allen Zeiten dasselbe war. Hera, die Götterkönigin, nimmt die Mitte dieser Ost­ seite ein, auf einem Wagen, den vier Rosse ziehen, das sind die vier Winde, ein Zeichen, daß über die ganze Erde hin der Kampf tost. Herakles kam nun, aber von ihm ist jede Spur außer der Namensbeischriit geschwunden. Doch jetzt sehen wir den Himmelskönig selber, den hehren Zeus; sein Gegner ist Porphyrion, der König der Giganten. Zeus wirft den Blitzstrahl mit weit ausholender Rechten, das Gewand ist ihm bis auf die Hüften herabgesunken, daß das reiche, schöne Muskelspiel des Götterleibes sichtbar wird; neben ihm liegen blitzgetroffene Giganten, aber Porphyrion, gegen den er sich jetzt wendet, hebt trutzig den sellumwickelten Arm gegen Zeus; er hat eine fast noch gewaltigere Bildung als Zeus, nur lassen ihn die Schlangenbeine niedri­ ger und an die Erde gefesselt erscheinen. „Auch ich bin ein König, Donnrer, dich fürcht ich nicht!" glauben wir ihn rufen zu hören. Und siehe! neben Zeus kämpft seine Lieblingstochter Pallas Athene. Sie reißt den Giganten Alkyoneus an den Locken von dem Ort weg, den er nicht verlassen will; denn es ist sein Geburtsort, und die Weissagung ist ihm ge-

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worden, das; er an dieser Stelle unverletzlich sein werde. Was nutzt ihn: sein doppeltes Flügelpaar? er will ja nicht wegfliegen, er will nur bleiben. Tie zu Athena gehörende Schlange umringelt ihn und beißt ihn in die Seite; ist er in Stellung und schmerzlichem Gefühlsausdruck über­ raschend ähnlich dem Laokoon, so vervollständigt der Schlangenbiß noch diese Ähnlichkeit. Nur ist dieser Gigant un­ vergleichlich schöner und lebenswahrer als der doch so hoch gepriesene marmorne Laokoon: hier fühlt jeder, daß Laokoon nur ein Nachklang des Alkyoneus ist, vielleicht von Künstlern gefertigt, die an diesem Altarbau beschäftigt umreit. Und schon schwebt Nike, die Siegesgöttin, herbei, der Athena den Kranz aufs Haupt zu drücken. Die steht, umrahmt von den Flügeln der Siegesgöttin und von den Flügeln des Giganten, wie unter einem Triumphbogen. Und siehe da! aus der Erde steigt mit halbem Leibe ein Riesenweib, gewaltiger als alle Götter und Göttinnen, Güa, die Mutter Erde, die Mutter der Riesen. Mit flehendem Blick schaut sie zu Athena empor, als sagte sie: Laß mir doch den einen, meinen liebsten und letzten Sohn! Das ii't so ans Herz greifend dargestellt, daß wir teilnehmend sagen möchten: Ach, das alte traurige Lied vom Mutterlcide! Aber auf einem Triumphwagen, von zwei herrlichen Rossen gezogen, sprengt Ares heran, der Kriegsgott, nicht der den Kampf entscheidende, sondern der in die Sieges­ posaune stoßende Gott des Schlachtengetümmels. Hier, gegen Ende des dritten Aktes ist der Umschwung, die Peri­ petie des Dramas, die Siege des Zeus und der Athena bringen die Entscheidung des Weltkampfes zu Gunsten der h.mmlischen Mächte! Aber wie im Drama nach der Peripetie noch der verte und fünfte Akt kommt, so ist auch dies steinerne Drama noch nicht zu Ende: die Nordseite des Altars zägt noch den Kampf der Nachtgötter gegen die Gigantcn. Den Reigen eröffnet Aphrodite, die hierher gehört, weil sie ja eigentlich der hellglänzende Morgenstern ist. Hessel,

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Der Altar von Pergamon.

Kastor und Pollux folgen, die als Sternbild der Zwillinge cuit Himmel stehen. Wie drüben auf der Südseite der grimme Typhon wütet, so hier der nicht minder grimme Idas, auch ein stiernackiges Ungetüm, das sogar seiner Zähne sich als Waffe bedient. Idas umschnürt mit Riesenarmen den Kastor, preßt ihn zusammen, hebt ihn von der Erde und beißt ihn in den Arm. Vergebens wird der Zwillingsbruder zu Hilfe gerufen, der ist selbst zu hart bedrängt, Kastor wird seine Unsterblichkeit verlieren. Tas ist die einzige Stelle in diesem Kampf, wo ein Gott erliegt, ge­ treu nach der griechischen Göttersage dargestellt, die ja wei­ terhin berichtet, daß Zeus den Tod Kastors dahin gemildert habe, daß beide Brüder abwechselnd einen Tag bei den Unterirdischen zubringen sollten, den andern Tag bei den Himmlischen. Es kommen nun viele als Götter verehrte Sternbilder: Bootes und Orion und die Jungfrau mit der Ähre, das bekannte Sternbild des Tierkreises; Orion ist im Umriß genau wie das Sternbild des Orion ge­ bildet, und das 111116 einst noch auffälliger gewesen sein, als noch drei wirkliche goldene Sterne seinen Gürtel schmück­ ten. Wie im Mittelpunkt der andern Seiten ein Götter­ weib steht, im Süden die Theia, des Phöbos Mutter, im Osten die Himmelskönigin Hera, so steht hier im Norden im Mittelpunkte die Nyx, die Mutter Nacht, in langem, bis auf die Fersen reichendem Gewände, wie es der dunkeln Nacht zukommt; sie greift ins höchste Firmament hinauf und holt das größte Sternbild des Himmels herunter, den schlangenumwundenen Mischkrng, um die sengenden Stern­ funken auf die Götterfeinde zu schleudern. Die Platte, auf der diese wunderbar schön gearbeitete Figur gemeißelt ist,, ist die einzige Platte des ganzen Frieses, die ohne die geringste Verletzung sich erhalten hat. Bewundern wir trotz fehlender Glieder Zeus und Apollo und Athena, so tun wir es, weil doch die zerstörten Teile unwiederbringlich dahin sind und wir wenigstens des Erhaltenen uns freuen wollen. Hat uns aber ein guter Zufall eine unverletzte Figur beschert, die übertrifft doch schon um deswillen jene

andern gciunltig. Und das ist der Fall mit der „Nacht", die wahrhaft ungetrübten Genuß gewährt. Auffallend ist, daß gerade den bekanntesten Gottheiten, wenn auch die Leiber gut erhalten sind, doch Kopf oder Gesicht fehlt. Ob das nicht in christlicher Zeit absichtliche Verstümmelung ge­ wesen sein sollte, Unbill gegen die verhaßten, jetzt als böse Dämonen geltenden früheren Götter? Noch kommt allerlei kämpfendes Volk der Nacht, Gorgonen, Medusen und Erinnyen, dann nähern wir uns all­ gemach wieder der Westseite. Die Szene ändert sich, wir stehen an einem Felsvor­ sprung, von hem ein Gigant sich hinabstürzt, seinen Drängern zu entgehet!: er springt in die Meerslut, die gekennzeichnet ist durch die zähnebewehrten Rachen der Raubfische, die beutegierig sich aufsperren. Und da naht auch schon auf seinem Wagen, den Teepferde ziehen, der dreizackschwingende Meergott, Poseidon. Leider sind nur kümmerliche Reste von ihm vorhanden. Ilm die Ecke tretend, sind wir aus der Westseite. Der Westen ist für jene Gegend Asiens die Seite des Meeres, und dem Meere ist der Raum dieser Altarseite bis in die Treppe hinein gewidmet, der fünfte und letzte Akt unseres Dramas hi Marmor. Wir sind mitten int Gewimmel der Meeresgötter, da ist Triton und Amphi­ trite, Okeanos, der Meergreis Nereus mit seiner Gattin Doris, und das geht so weiter das Treppendreieck hinauf, die Gestalten wollen nicht enden. Aber das Schicksal der Giganten ist längst entschieden, hier ist der Kampf nur ein Spiel, denn gegen das Meer sind die wilden Söhne der Erde machtlos; frostig zusammengeringelt liegen ihre Schlangenbeine da, sie selbst sind starr, vernichtet. Die Schlußakkorde erklingen, gleich dem Liede der Meereswogen, die da, ruhig spielend, Gigantenleiber ans Ufer schwem­ men und dazu ihr ewiges Gemurmel singen, ihr ruhe­ loses Triumphlied — sie singen's, solange die Welt steht!

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Ter Tour von Speier.

271. Der Dom von Sveier. Als in der Rheinebene zwischen Mainz und Worms der edle Franke Kuno, Konrad II., zum Kaiser gewählt worden war, da sann der zu dieser Würde erhobene Mann, wie er dem Höchsten Dank darbringen könne für diese Gnade. Er wohnte aber aus der Limburg, unweit Dürk­ heim an der Hardt. Da beschloß er, sein Stammschloß in ein Gotteshaus zu verwandeln. Seinem dankesvollen Herzen war das aber noch nicht genug; er wollte auch sich und seinen Nachfolgern eine geweihte ewige Ruhestätte stiften und ersah dazu das von ihm besonders geliebte Speier. So legte er denn, wie berichtet wird, am 12. Juli 1030 frühmorgens den Grundstein zu der vielberühmten Limburger Abteikirche, die leider im pfälzisch-bayrischen Kriege 1504 niedergebrannt wurde und jetzt, als Ruine noch herrlich, der Zielpunkt so vieler Wanderer ist. Dann ritt er mit viel Gefolge von da nach Speier und legte dort an demselben 12. Juli den Grundstein zur Iohanniskirche und zum Dom. So gründete er drei Kirchen nii einem Tag. Es erhob sich alsbald univeit dem Rheiustrvm, dessen list'1" durch mächtige Quadermauern befestigt ward, neben der kaiserlichen Pfalz, deren Reste aus Anordnung der sranzösischen Regierung 1806 uiedergelegt wurden, die Ehorrundung des Domes, und darunter baute man eine ge­ räumige Kaisergruft. Weiter gedieh der stolze Bau nicht zu Konrads Lebzeiten; er war der erste, dessen Gebeine in der Gruft ihren Ruheplatz fanden. Unter seinem Sohne Heinrich III. und seinem Enkel Heinrich IV. ward der Bau vollendet. Die Kirche war in ihren Maßen erheb­ lich mächtiger entworfen, als man es bisher gewohnt war, auch die Höhe der Jnnenräume war so mächtig, daß sie noch heute wahrhaft erhaben wirken. Heinrich IV. er­ richtete in Verbindung mit dem Nordschiffe des Doms der heiligen Afra eine Kapelle. Als er starb, war diese Kapelle fertig, aber noch ungeweiht, und so stand der Sarg

Der Dom von Speier.

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des im päpstlichen Banne gestorbenen Herrschers fünf Jahre lang in dieser ungeweihten Kapelle, bis der Bann nachträg­ lich gelbst wurde und alsdann seine irdischen Reste in der Vätergruft beigesetzt wurden. Aber nicht bloß als Kaisergrabstätte ist der Speirer Dom uns merkwürdig, auch als Bauwerk ist er der Mark­ stein einer neuen Entwicklung. Bis gegen Ende des ersten Jahrtausends nach Christi Geburt hatteu die Kirchen flache Holzdecken; war auch das Kreuzgewölbe schon den Römern wohlbekannt, so wagte mau doch längst nicht mehr, so große Räume zu über­ wölben. Denn Kirchen waren größer als die heidnischen Tempel, Tempel waren Wohnungen der Gottheit und Verwahrorte der Weihgeschenke, aber Kirchen waren Ver­ sammlungshäuser der ganzen Gemeinde. Wie nun die Ge­ meinden sich gliederten nach alt und jung, Männern und Weibern, Laien und Geistlichen, so gliederte man dem­ entsprechend auch den Kirchenraum. Die Kirche, von Westen nach Osten hin sich ausdehnend, teilte sich in drei Längsschiffe, deren mittleres die schmäleren Seitenschiffe hoch überragte. Schiffe nannte man die Hallen im Hinblick am Noahs Schiff, luorin die Seelen der Menschen aus der Süudflut gerettet wurden. Säulen, zwischen denen sich Halbkreisbogen schlugen, stützten die hochragenden Längswände des Mittelschiffes, an welche die niedrigeren Seiten­ schiffe ihre pultartigen Dächer anlehnten. Am Ende der langgestreckten Schiffe lag meistens quer noch ein Quer­ schiff, uud wenu mau weiterschritt nach Osten hin, ging es Stufen hinan, und mein kam in den Chor, der auf eine kurze Strecke hin das mittlere Langschiff noch fortsetzte. Dort, allein Volk sichtbar, erhob sich der Tisch des Herrn, wo das heilige Abendmahl gefeiert wurde, später Altartisch genannt. Ein halbkreisförmiger Raum, die Apsis genannt, war nischenartig, eine Vicrtelkugel bildend, noch gleichsam angeklebt und schloß den heiligen Raum nach Osten ab; diese Apsis war erheblich niedriger als das übrige Gottes­ haus. Mächtige Gestalten in Mosaik auf Goldgruud, würde-

voll und feierlich strahlend, schmückten die Nischemvölbung der Apsis. Um das Halbrund der Apsis standen steinerne Bänke für die Chorsänger und die Geistlichkeit, in der Mitte der Sessel für den Bischof. Unter diesem ganzen hochUegenden Teil der Kirche zog sich ein überwölbter Rama hin, wo die Gebeine des Heiligen ruhten, den die Kirche als Schutzpatron verehrte, und nach dem sie genannt lvar. Neben der Kirche, durch einen freien Raunr von ihr ge­ trennt, erhob sich ein kleiner Glockenturm, dessen Glocken das Volk zum Gottesdienst riefen. So hatte sich allmählich im Abendland das Bild des christlichen Gotteshauses gestaltet; der Grundriß lvar zum Kreuz geworden, dem heiligen Sinnbild des Christentums. Basilika war die überlieferte Bezeichnung dieser langge­ streckten großen Versammlungsräume. Aber Zerstörung der Feinde, absichtlich oder unabsichtlich entstandener Brand, Verfall des oft nachlässigen Mauerwerks räumten meist allzuschnell auf unter den christlichell Bet­ häusern. Um das Jahr 1000 fürchtete die Christenheit beit Weltuntergang zu erleben, in Mißverständnis der bib­ lischen Weissagung vom tausendjährigen Reich; als aber das gefürchtete Jahr keine Änderung der Wettverhältnisse brachte, atmete alles auf, des gleichsam ueugeschenkten Lebens sich freuend. Mehr wie je erwachte die Lust eint Kirchen­ bau. In Deutschland tat man auf diesem Gebiet nuit zwei kühne Schritte vorwärts, und diese Schritte knüpfen sich an die drei mittelrheinischen Dome zu Mainz, Worms und Speier. Zum erstenmal lvagte man es, Riesenräume mit Kreuzgewölben zu Überspannen, die über einer quadratischen Grundfläche errichtet waren. Eins dieser überwölbten Qua­ drate stieß alls andre, so daß der Grundriß der Kirche sich in lauter Quadrate auflösen ließ. Die Außenmauern machte man stark, in großen Abständen voll kleinen Fenstern durchbrochen, bainit dem großen Truck der schwerlastenden Stein­ gewölbe begegnet würde. So brach in die hohen Stein­ hallen nur sparsames Licht herein. Ob die Überwölbung

Der Donr von Speier.

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zuerst in Mainz oder in Speier erprobt wurde, darüber sind die Meinungen geteilt, es geschah zu Speier jedenfalls vor dem Jahre 1100. Der andere kühne Schritt war der, daß man den Glockenturm innig mit der Kirche verband und eine Viel­ heit von Türmen schuf, die nun ein malerisches Ganze mit dem Kirchenkörper bildeten, als wäre die Kirche selbst ein Leib, die Türme Arme, die betend zum Himmel er­ hoben sind. In Speier machte man es folgendermaßen: das große Viereck im Osten, das dem Längsschiff und den: Querschiff gemeinsam angehört, und das die Vierung ge­ nannt wird, überdeckte man mit einem achteckigen, nied­ rigen Turm, der mit einem achtseitigen Gewölbe geschlossen war, so daß man im Innern der Kirche hoch hineinschaut in die lichte Weite der Kuppel, die sich über deni Aller­ heiligsten wie ein Himmelsgewölbe ausspannt. Im Westen schuf mau an entsprechender Stelle einen ebensolchen Turm. In den beiden Ecken zwischen Querschiff und dem der Ap­ sis entgegenstrebenden Teil des Langschiffes baute man je einen viereckigen schlanken Turm in vielen Geschossen, und zwei gleichartige Türme an ähnlicher Stelle int Westen. Stellen wir uns unter die alten Bäume, die den Dont von dem damals ganz nahett, heute etwas entfernteren Nheinufer trennen, dann steigt der östliche Teil der Kirche als malerisch aufgebautes Ganze in wunderbar feiner Har­ monie und Schönheit vor uns empor; das Chor wird oben von einer Galerie umgeben, die sich hinter zierlichen Säulchen nach außen öffnet; die Littien der sechs Türme durchschneiden sich aufs mannigfachste, je nachdem wir unseru Standpunkt ändern, immer anders, immer wieder schön, bis wir, noch mehr zur Seite tretend, das langgestreckte Krrchengebäude selbst auftauchen sehen. Int Innern zieht sich der hochgelegene Teil der Kirche, also das Chor, von Osten her weit ins Langhaus hiuein, um möglichst ausgedehnten Raum zu schaffen für oie unterirdischc Gruftkirche der Kaiser. Außer den oben genannten drei Kaisern sind noch fünf andre dort begraben worden:

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Der Dvm von Speier.

Heinrich V., Philipp von Schwaben, Rudolf von Habs­ burg, Adolf von Nassau und Albrecht, außerdem viele Kaiserinnen, Prinzen und Prinzessinnen. Wie sehr Rudolf von Habsburg daran lag, in Speier sein Grab zu finden, das hat Justinus Kerner nach der Überlieferung in einem tiefempfundenen Gedichte erzählt. Die drei mittelrheinischen Dome, vor allem aber der so besonders eindrucksvolle und in seinen Maßverhültnissen so musikalisch wirkende und großartige Kaiserdom zu Speier ward tonangebend für die Entwicklung des Kirchenbaues im westlichen Europa, ein volles Jahrhundert lang, der viclbewunderte Musterbau. Von nun war der Sieg des Gewölbebaues entschieden, das romanische Kreuzgewölbe, wie man es in der Kunstgeschichte nennt, etwas Selbstver­ ständliches; von nun an wetteiferte man, die Kirchen mit einer malerisch geordneten Mehrzahl von Türmen zn schmücken, die in immer neuen Gruppierungen und Ge­ staltungen angebracht wurden, zwei, drei bis zu sieben, wie an den Domen von Limburg an der Lahn und Laon in der Normandie. Die Namen der Baumeister des Speierer Domes sind uns nicht überliefert, denn solche Leute galten im Mittelalter einfach als Handwerker. Als 1689 die Pfalz verwüstet wurde auf Befehl Lud­ wigs XIV., richtete sich die Wut der feindlichen Scharen besonders auch gegen die Kaisergruft in Speier. Man riß Särge auf und streute die Gebeine in den Rhein, man schlug die Gruft in Trümmer und zerstörte die Dächer und Gewölbe des Doms. So blickte der Himmel frei in die verödeten Räume. Wohl stellte man im 18. Jahr­ hundert die Kirche notdürftig wieder her, aber in der Re­ volutionszeit wandte sich 1794 die Wut der Feinde noch­ mals gegen dies Heiligtum. Halbverfallen lag es wieder­ um Jahrzehnte lang, bis König Ludwig I. von Bayerir die würdige Wiederherstellung anordnete. Nun steht das hehre Gotteshaus wieder da als stolzestes Zeugnis der mittelalterlichen Herrlichkeit Deutschlands. Auch oie Kaiser­ gruft hat man von 1900—1902 vom Schutt gereinigt und

Der Dom von Speier.

Der Kölner Dom.

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die sie deckenden schweren Mauern entfernt. Dabei hat man die erfreuliche Entdeckung gemacht, daß die Knsergräber in niedreren Geschossen übereinander lagen, und daß 1689 nur die oberste Gräberlage beschädigt wurde. Die grabschänderischen Feinde hatten Halt gemacht vor den mächtigen Trennungsmauern, man sah noch abgebrochene Brechwerkzeuge im Mauerwerke und hat sie noch vorge­ sunden, die acht dort den Todesschlaf schlafenden deut­ scheil Kaiser der Vorzeit. Und wenn man am späten Abend sich östlich vom Dom unter den alten Bäumen ergeht, die wie ein hei­ liger Hain die hohe Terrasse über dem Rhein beschatten, und man hört die Herbststürme in den Wipfeln der mäch­ tigen Platanen brausen und sieht in der Ferne den Rhein hell heraufglünzen, dann begreift man auch die alte Sage, wonach die toten Kaiser sich aus ihren Grüften erheben, sobald das Teutsche Reich in Gefahr kommt. Man er­ zählt sich sogar, daß sie noch 1813 hier über den Rhein gesetzt seien und nach Leipzigs Gefilden zogen, um bei der Entscheidung von Deutschlands Geschicken mit ihren Geisterhänden die Kämpfer anzuseuern.

272. Der Kölner Dom. Zu Aufang des 19. Jahrhunderts war Deutschland seiner eigenen Vergangenheit entfremdet, die so großartige mittelalterliche Kunst war vergessen; die gotischen Dome standen zwar sichtbarlich überall durchs Vaterland verstreut, aber wie verzauberte Riesen der Vorwelt, wie volltönende Ge­ dichte in seltsamen, fremden Sprachen. Niemand verstand sie. Aber am geisterhaftesten von allen war doch der Kölner Dom. Zu gauz gewaltiger Höhe, alle anderen Kölner Kirchen überragend, stieg das ,,hohe Chor" in die Lüfte; eine kahle Mauer schloß es ab. In ansehnlicher Entfernung davon ragte ein altersschwarzer, mächtiger Turmstumpf in die Höhe, und wie ein riesiges Fragezeichen erhob sich dar­ über der uralte Tomkrahnen, der einst dazu gedient, die Bau­ steine heraufznziehen, iiini aber verwittert, bemoost und zum

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Der Kölner Tom.

Gebrauche längst untauglich war. Damals sang Schenkendorf sehnsüchtig und schüchtern hoffend: „Seh ich immer noch erhoben Auf dem Dom den alten Kran, Scheint mir nur das Werk verschoben. Bis die rechten Meister nahn."

Zwischen dem Turmstumpf und dem Hoheit Chor limmi hier und da einige niedrige Säulen verborgen zwischen Häu­ sern und allerlei Bauwerk, das den Raum ausfüllte, lvo eigentlich die Domkirche selbst stehen sollte. Schneller, als der Dichter es geahnt, nahten die rechten Meister wirklich. Wie die Zeit der Fremdherrschaft liiib der äußern Schmach unsers Vaterlandes zugleich die Zeit des ruhmvollen Aufschwungs im Geistesleben der Deutschen gewesen ist, die Zeit der Selbst­ besinnung und der Einkehr in die herrliche Vergangenheit, so war sie auch die Zeit der Wiederentdeckung der altdeutscheil Kunst. Sobald niciii die Denkmäler uur eiiuimt ernstlich fragte, Laten sie auch den steiuerueu Mund auf und erzählten, das; nicht die (Soten der Völkerwanderung sie gebaut, sondern die Deutschen des 13. und 14. Jahrhunderts. Gerade au dem verlassenen Wunderball des Kölner Tomes ward das und noch viel mehr entdeckt. Jll Köln lebte daulals Sulpiz Boisseree, ein begeisterter Verehrer der Kilnst des Mittelalters: er zelchnete. und maß und forschte aul Dom viele Jahre lang, mib über dem Messen lnii) Zeichnen wuchs ihm die richtige Er­ kenntnis llur so zll. Im Jahre 1823 endlich erschien sein berühnltes Bilderwerk über dell Dom. Er sand auch die einst unter den Bauurkunden der Donlbauhütte bewahrten, zur französischell Zeit entführten alten Baurisse der lloch unvollendeten Turmseite, unb zwar, merkwürdig genug, auf denl Speicher des Gasthauses zur Traube in Darmstadt, lvo man die riesigen Pergamente dazu benutzte, Bohnen darauf zll trocknen. Aber Boisseree war es auch, welcher nachwies, daß ein Ausbau des Domes inöglich sei. Er geiuann dell Kron­ prinzen von Preußen scholl 1816 für diesen kühnen Gedanken; anfänglich besserte man itur die alten Schäden aus, dem gänzlichen Verfall zu wehren, aber unterdes wuchs die Zuver-

sicht und der Mut, und 1842 legte der inzwischen König ge­ wordene Friedrich Wilhelm selbst den Grundstein zum Weiter­ bau. Tas Begonnene wurde weitergeführt, die Türme nach den alten Rissen gebaut, nur Nord- und Südportal nach Plä­ nen des Tombaumeisters Zwirner völlig neu geschaffen, jedoch ganz im Sinne der alten Meister. Der Dachreiter, d. h. der schlanke Turm aus der Vierung, dem Kreuzungsort des Lang­ schiffes und Querschiffes, ist aus Eisen. 1862 stand der Sem, ohne die Türme, fertig da, und am 14. August 1880, genau 632 Jahre nach der Grundsteinlegung, prangten die Kreu­ zesblumen auf beii Zwillingstürmen. Wo jetzt der Tom steht, da stand seit dem frühen Mittel­ alter ein grosser ronianischer Bau. Als im 13. Jahrhundert eine neue Bauweise aufkam, die von Nordfrankreich her auch in Deutschland Eingang fand, der jetzt so genannte gotische Baustil, da dachten die Erzbischöfe daran, den Dom umbauen zu lassen, zunächst wenigstens das Chor. Als gar ein Brand das romanische Chor zerstört hatte, da war die äußere Ver­ anlassung gegeben: in aller Welt ließ der Erzbischof Konrad von .Hochstädten den Nus erschallen, zum Neubau beizusteuern in trüber Zeit. Denn es war die Zeit des beginnenden Inter­ regnums. Am 14. August 1248 wurde der Grundstein mit großer Feierlichkeit gelegt, wenn auch nicht in Anwesenheit des neugewühlten deutschen Königs, Wilhelm von Holland, wie vielfach behauptet wird. Der erste Baumeister war Gerhard von Niete, einem Orte unweit Köln. Im Jahre 1322 stand das ,,Summum" oder hohe Chor fertig da. Es war in wahrhaft riesigen Maßverhältnissen gebaut und galt sofort als das Wunderwerk seiner Zeit. Es stellte den übrigen Teil der Kirche, so sehr in Schatten, daß man ohne weiteres dazu über­ ging, alles andere niederzureißen und den Bau weiterzu­ führen. Im Jahre 1347 begann der Weiterbau. Er war aber zu groß angelegt, als daß bei den be­ ständigen Fehden jener Zeit, bei dem Verfall des Wohl­ standes und des Zunftwesens eine Vollendung hätte erreicht werden können. Immer lässiger ging der Bau, und als man

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Ter Keiner Dem.

ihn 1437 ganz einstellte, war der südliche Turm ungefähr 150 Frist hoch, der nördliche sah eben aus der Erde heraus, und die Pfeiler der Kirche selbst hatten kaum die Höhe von 30 Fuß erreicht. Zu Nord- inib Südportal lagen nicht ciimml die Grundmauern. Beschauen wir uns den Dom, wie er heute dasteht, von außen, so erscheint er dem nicht kuustverstäudigeu Auge wie erstickt von Zieraten uno unnützen Türmchen uno allerlei tändelndem Beiwerk. Tie gotischen Kirchen zu verstehet!, ist eben nicht so einfach. Nur soviel sei gesagt, daß die mächtigen Kreuzgewölbe tut Innern nicht nur auf den Pfeilern inwen­ dig aufruhen, sondern auch von außen gestützt werden durch einen Wald von sogenannten Strebepfeilern, welche den Dom umstehen, wie ein glänzenoes Gefolge. Mit Den Gewölben sind diese Pfeiler wieder durch Bögen verbunden, und all dieses Mauerwerk hat uwn nicht kahl gelassen, sondern hat es teils geradezu vielfach durchbrochen gearbeitet, teils mit sogenann­ tem Maßwerk und Stabwerk überspannen, kurz, über und über geschmückt. Tas Chor ist von gleicher Höhe wie die Kirche, es schließt halbrund, und ihm vorgelagert sind sieben niedrigere, vieleckige Kapellen, daß das Ganze einer Krone mit sieben Spitzen zu vergleichen ist. Schaut man von der Rheinseite her gegen das Chor, dann erscheint es wie ein zer­ klüftetes Gebirge, beinahe sinneverwirrend kreuzen sich die Linien der Bögen, Giebel und Strebepfeiler, der Fialen und Wimperge, der Krabben und Kreuzesblumen, und doch stellt das ganze Chor eine einzige, schöngeschwungene, deutlich er­ kennbare Halbkreislinie dar.

Eine fernere Eigentürnlichkeit der reicheren gotischen Kirchen ist der Fensterreichtum. Ta die Gewölbe, wie ange­ deutet, von wahrhaft riesigen Säulen oder vielmehr Säulen­ bündeln, die im Innern der Kirche stehen, und außerdem von ebenso mächtigen Strebepfeilern, die außen stehen, getragen und gehalten werden, so dienen die Umfassungsmauern nicht zum Zusammenhalteu des Baues, souderu siud bloßer Wand­ verschluß. So hat nian denu die Maueru geradezu durch ge­ waltige Fenster ersetzt, welche die ganzen Räume zwischen den

Der Kölner Dorn.

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Strebepfeilern ausfüllen. Sie sind in Spitzbögen geschlossen, nnd ihr oberer Teil zeigt in Steinhauerarbeit wiederum das dieser Bauweise so eigentümliche reiche und reizvolle Linien­ spiel i da wogen die Kreise und Halbkreise und Spitzbögen durcheinander, wie steinerne Musik. Hohe Spitzgiebel schirmen wie ein abgeschlagener Hutrand die einzelnen Fenster. Die Türme endlich zeigen den hintmelanstrebenden Zug der mittelalterlichen Sinnst so stark, wie kein anderes Bau­ werk jener Zeit. Sie stehen an den westlichen Pforten, rechts und links, eittander völlig gleich gebildet. Ihr Erdgeschoß birgt die drei tiefen, mit Figuren geschmückten Eingangstüren, welche gleichsam die Arme weit öffnen, die Gläubigen zu locken. Mächtige Wimperge (Spitzgiebel) bilden ein schützendes Dach über den Toren. Fenster von gewaltigster Höhe füllen die folgenden Titrmgeschosse; dann springt das Viereck in ein Achteck um, an dessen Ecken kleinere Türmchen, Fialen genannt, emporsteigen. Acht Fenster füllen wiederum die einzelnen Seiten des Achtecks. Nun beginnt die Turm­ spitze oder der Helm. Es ist kein Dach, sondern ein einziger steinerner Zierat. Sogar das Auge klettert nur mühsam die steilen acktseitigen Helmpyramiden hinan, die mit zahllosen steinernen Kantenblättern (Krabben^ wie mit Dornen besetzt sind, und die in ihrer durchbrochenen Arbeit so leicht und schlank und mühelos in das unendliche Himmelsblau hinein­ ragen, das sie umgießt uni) ganz durchleuchtet — bis der Abschluß endlich, 550 Fuß über dem Erdboden, mit der wuch­ tigen Kreuzesblume erreicht ist. Dies gewaltige Emporstreben der gotischen Dome hängt übrigens eng zusammen mit ihrer Lage mitten in volk­ reichen, dichtbebauten Städten: zwischen dunkeln Häuser­ massen, aus engen Gassen sollten diese Gotteshäuser empor­ ragen, wie einzelne Waldriesen aus dichtem Baumgewirr ihre Kronen hoch über das niedere Baumvolk strecken und ins weite Land schauen. Man sollte die Dome als Wahr­ zeichen der Stadt aus der Ferne sehen; kein freier Raum ward sür sie abgesondert, wie für die rundum freistehen­ den griechischen Tempel. Gerade der Fuß der mittelalter-

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Der Kölner Dom.

lichen Dome ist meist unscheinbar. Es ist darum ein Nicht­ verstehen des mittelalterlichen Geistes, wenn man solche Dome mit großen Kosten „sreigelegt" hat; enttäuscht hat man erlebt, daß die erhosfte Wirkung ausgeblieben ist.

Treten wir in das Innere des Domes, so erwartet uns zuvörderst der überraschende Anblick, daß die ganze Länge der mächtigen Kirchenhalle bis in das Chorhaupt hinein so­ fort uns vor Augen steht; denn auch die Turmhalle ist nichts für sich, sondern schon ein Teil des inneren Kirchenraumes. Die höchsten Türme der Erde ruhen nicht aus zusammenhän­ genden Mauern, sondern nur auf den zweimal neun Pfeilern, zwischen welchen wir durchwandeln! Fünf Schiffe hat die in Kreuzesform gebaute Kirche, das Mittelschiff, 50 Fuß breit, erscheint schmal gegen seine Höhe, die das dreifache beträgt. Schwindelnd schaut das Auge hinauf gegen die Kreuzgewölbe, die hoch über uns schweben; ihnen entgegen klettern die mäch­ tigen, himmelanstrebenden Säulenbündel, die oben sich fächer­ artig ausbreiten unb in die Gewölbe übergehen, so daß sie sich gegeneinander zu neigen scheinen, luic die Baumkronen in einem Buchenwald. Nebel! dem Mittelschiff ziehen sich zu jeder Seite zwei ungleich niedrigere Seitenschiffe hin. Tie Fenster, so riesig sie sind, lassen doch nicht den vollen Tag in das Gotteshaus, denn die Glasmalereien dämpfen das Licht, und zwar strahlen die Chorsenster, die noch aus dem Mittel­ alter stammen, in harmonischem, mildem Glanze, die mo­ dernen Fenster, etwas aufdringlich, in prächtigem, leuchten­ dem Golde. An Flächenraum wird der Kölner Toni von andern Kirchen noch übertroffen: St. Paul in London und der Mai­ länder Dom sind größer, St. Peter in Rom mehr als doppelt so groß. Allein der Blick die Halle entlang, während die Kreuzgewölbe über uns mitzuwandeln scheinen, gegen die an­ scheinend aus endloser Ferne die dämmernde Kirche durch­ strahlenden Chorfenster hin, das ist einzig, das finden wir weder im Mailänder Dom, noch auch in der Peterskirche. Es ergreift uns unwiderstehlich ein Gefühl der Andacht: Got: ist

Der Kölner Dorn.

Der Genter Altar der Brüder van Eyck.

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gegenwärtig, kommt, laßt uns anbeten in seinem heiligen Tempel! Es ist, wie Max von Schenkendorf singt: „Es ist ein Wald voll hoher Bäume, Die Zweige seh ich fröhlich blühn Und aus den Wipfeln fromme Träume Zum fernen Reich der Geister ziehn. So kühner Sinn und erstes Streben, Das aus den Steinen Blumen treibt, Es ist der Väter Art und Leben, Das nimmer auf der Erde bleibt. Das wollen diese Säulen sagen, Die himmelwärts die Blicke ziehn, Dazwischen, wie in grauen Tagen Im Eichenhain, die Beter knien. Es ist kein eitles Licht der Sonnen, Was durch die bunten Scheiben fällt, Ist Widerschein der ewgen Wonnen, Ist Strahl aus einer bessern Welt."

273. Der Genter Altar -er Brüder van Evck. Vielleicht das Schönste und Vollendetste unter den reichen Schätzen des Kaiser-Friedrichs-Museums in Berlin sind zwölf Gemälde aus dem späteren Mittelalter, allesanlt Teile des Genter Altaraufsatzes der Brüder van Eyck. Eigentlich waren es nur sechs schmale, hohe Holztafeln, auf beiden Seiten bemalt, die man aber vor wenigen Jahren behutsam gespalten hat, damit man die Bilder der beiden Seiten gleichzeitig beschauen könne. Der Altar, zu dem diese Tafeln ursprünglich gehörten, war ein Flügel- oder Schrank­ altar in zwei ganz getrennten, übereinander stehenden Tei­ len. Das Hauptbild war unten in der Mitte und zeigte die Anbetung des Lammes, nach der Darstellung im fünften Kapitel der Offenbarung Johannis. Dies Bild konnte von rechts und von links her durch je eine doppelte, zusammen­ legbare Flügeltüre geschlossen werden, und diese vier Flügel sind eben in Berlin, nebst zwei Flügeln vom obern Teil des Altarschreins. Auf der Außenseite des untern Flügel­ paars sieht man in der Mitte Johannes den Täufer und

den Evangelisten Johannes, grau in grau gemalt, als wären es aus Sandstein gemeißelte Figuren, links den Stifter des Altars, fromm und demütig mit gefalteten Händen knieend, rechts ebenso seine Gattin, mit scharfem Verstandesblick, offenbar an Klugheit dem Gemahl über­ legen. Die Innenseite der Flügel zeigt rechts heilige Ein­ siedler und heilige Pilger, die zur Anbetung des Lammes ziehen. Um eine Felsenecke biegen die Einsiedler, Lorbeer und andere Bäume des Südens sprießen um sie, der hei­ lige Antonius führt die frommen Wanderer, und jeder ist so sprechend und lebenswahr, daß man meint, man müsse ihm schon wo begegnet sein. Jedes Härchen auf dem Haupt und im Bart ist einzeln mit spitzem Pinsel gemalt; man erkennt bei jedem Greis, ob fein Haar einst schwarz oder braun oder rot gewesen ist. Ähnlich die Pilger, die der riesige Christoph anführt. Die Tafeln links zeigen heilige Streiter, hoch zu Roß; in den blanken Rüstungen spiegeln sich hier und da die roten Lanzen; der heilige Georg reitet vor, das entblößte Haupt demütig geneigt. Aus aller Mienen ist zu lesen, daß sie dem hochheiligsten Erlebnis entgegenziehen, sie erscheinen alle wie Brüder jener geistlichen Ritterorden des Mittelalters, nur noch durch­ geistigter, gleichsam verkörperte Erscheinungen des innersten Wesens jener Orden. Zwei dieser Reiter tragen die Züge der Maler, der Brüder van Eyck. Der Oberteil des Altaraufsatzes zeigte den thronen­ den Gottvater, zur Linken Maria, zur Rechten Johannes den Täufer. Tie doppelten Flügeltüren, die diese Gemälde schützen sollten, zeigten, wenn sie geschlossen waren, die Verkündigung, links den Himmelsboten Gabriel, rechts die demütige Magd des Herrn, die gebenedeite Jungfrau. Sie sind auch in Berlin. Waren sie geöffnet, so sah man rechts die orgelspielende Cäcilie, deren Spiel Engek auf Geigen begleiten. Welche Pracht der rotgoldnen Locken, wie wun­ derbar das schwerfallende Brokatgewand, in wie himm­ lische Harmoniken versunken das Antlitz der Heiligen! Die lieblichen Engel haben eine Pause, sie zählen den Augen-

blick, wo sie wieder einzufallen haben mit ihrem Spiel. "Die linke Flügeltafel zeigte, wenn sie geöffnet lvar, sin­ gende Engelsknaben, die vor einem Notenpult stehen. Scholl die Schnitzerei dieses Pultes ist auserlesen kostbar; Dom blauen Himmel heben sich die Häupter der Knaben ab, und jedem sieht man an, welche der vier Stimmen er singt, Dom Sopran, der mit erhobenem Haupte mühsam die hohen Tölie hillaufklettert, bis zum Baß, der die tiefen Töne zu sillgeil hat. Und wieder die rotblonde, Lockellfülle und die Brokatgewänder! Das sind also die seligell Chöre, die das Hallelujah anstintineii oor dem Throne des Schöpfers. Auf dell Ailßenflügeln des Oberteils, die im Museuln zu Brüssel allfbewahrt werden, sind Adam ulld Eoa dargestellt, die Urheber der Sünde, so daß lvir Süllde, Erlösullg ulld Himmelsherrlichkeit durchlaufell. All diese Gemälde silld, oblvohl fast ein halbes Jahrtauselld alt, so frisch, als seien sie gestern gemalt, die Far­ ben glänzen ill Heller, festlicher Pracht, ein Beweis der liebeDollell, unsäglichell Sorgfalt, mit der die Meister auf Beschaffung oorzüglichsten Holzes und belvährtester Farben bedacht lvarell. Alle Gestaltell sind ungewöhnlich lebenslvahr; trotz der peinlichsten Ausführung aller Einzelheiten ist uichts darin kleiillich, so daß bei jedem dieser Bilder der Blick zllllüchst ganz von selbst ans das Ganze geht, auf dell Ausdruck der Gesichter, auf das Wesentliche der Handlung. Wer aber länger oerweilt, sieht nach unb llach auch all die Feillheitell, die Muster der Gelvüllder, die Stickereien und Kleinode, die Schnitzerei und die Einzelznge der Gesichter: Bollendnilg im Großen'ulld Vollendung im Kleinsten, wie in der Natur! Aber lvarunl sind gerade diese Tafeln in Berlin? Wo silld die andern hingekoinmen? Um das zu beantwortell, nlüssen lvir die Geschichte des Altars kennen lernen. Es war im Jahr 1420, da beschloß der ehrsame, reiche und sromnle Burgemeister Don Gent, Jodokus Vhts, Herr von Pamele, nebst, seiner Eheliebsten Lisbette aus denl Geschlechte der Burlut, für die Johanniskirche in Geilt Hessel, Leseduch 8. 8. Aufl.

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einen Altar zu stiften, so groß und schön wie kein anderer in der reichen Tuchmacherstadt Gent. Sie besprachen die Sache mit dem besten aller flandrischen Maler, dem Meister Hubert van Eyck aus Brügge, dem berühmten Erfinder der Ölmalerei, der damals in der Vollreife seiner Kunst stand; er war 54 Jahre alt. Der Auftrag war so ehrenvoll und uinfasseno geplant, und Hubert erfaßte die Sache so­ fort mit solchem Eifer, daß er nach Gent übersiedelte und seine ganze Kraft diesem Werk widmete. Als er sechs Jahre daran gearbeitet hatte, starb er, 1426. Er hatte sich aber längst seinen um zwanzig Jahre jüngeren Bruder Jarl als Schüler und Gehilfen herangezogen, intb Jarl arbeitete rüstig rveiter an deur großen Werke, bis es laut der Inschrift anl 6. Mai 1432 vollendet war, und auch in höherem Sinne so vollendet, daß wir es beit größten Meisterwerken zurechnen, die jemals der Pinsel hervor­ gebracht hat. Späterhirr übertrug man beit Altar in die Kirche St. Bavo, da stand der mächtige Doppelschrank bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts unversehrt. Geut gehörte damals zu dell österreichischen Niederlanden, und als Kaiser Joseph II. einmal dort weilte und den Altar besah, da warf er die Bemerkung Hill, die nacktell Figurell voll Adaill ulld Eva paßtell doch llicht so recht in eine Kirche. Könige habell lange Arme, und ein Herrscherwort, sei es auch nur ein augenblicklicher Einfall, wird' gern als Be­ fehl aufgefaßt. Kaum war Joseph abgereist, als iimii auch scholl die obern und unterll Seitenflügel Dom Altar ab­ riß ulld ans dell Dachboden der Kirche stellte. Eill DomHerr betrachtete die Tafelli als herrenloses Gut und ver­ kaufte sechs an den Köllig von Preußell nach Berlill, die zwei mit Adam und Eva nach Brüssel. Dort sind sie lloch. Als sich mir eilies Tages ein Herzenswunsch erfüllte, daß ich St. Bavo in Gent betreten durfte, bat ich dell Küster, mich eine Weile allein zu lassen in dem Heilig­ tum der kleinen Chorkapelle. Er erlaubte es, linb die Weile wurde sehr lang, aber keine Lallgeweile, sonderll eine Stunde

Der Genter Altnr der Brüder van Eyck.

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der Erbauung; da fühlte ich, wie die Werke der höchsten Kunst eine beredte, stumme, ewige Predigt sind, beredter als das gesprochene Wort. Das große Hauptbild zeigt eine Wiese, in deren Mitte steht auf einem Altar das Lamm, aus seiner Seite fließt der welterlösende Blutstrom; Engel nmknieen das Lamm, Weihrauchgefäße schwingend. Wie singt das, kniet das und betet das an, wohin man schaut! Sind die Darstellungen der Pilger, Einsiedler und Gottcsstreiter auf den Türen Erwartung und Sehnsucht, so ist hier im innern Heiligtum die Erfüllung! Apostel und alttestamentliche Propheten, heilige Päpste, heilige Märtyrer und heilige Jungfrauen: wie zieht das heran in Scharen! und in der Ferne, von Palmen beschattet, steigen die Mauern und Zinnen des himmlischen Jerusalems. Und nun darüber die übermächtige Gestalt des thronen­ den Weltenschöpfers, in seliger Ruhe und doch allwaltend, sich abhebend vom Hintergrund eines ausgespaunten Tep­ pichs, und ihm znr Seite Maria und Johannes! — Der Köster hatte mir ein Vergrößerungsglas gegeben, und mit Staunen blickte ich durch auf den grünen Wicseuplan, der nunmehr erst voll und schön erblühte und seine verborgenen Schönheiten enthüllte: die Grashälmchen des Vordergrundes wogten durcheinander, und dazwischen sprießten die Veil­ chen, Agelci, Löwenzahn und andere Blümchen, so natürlich, als seien es Abbildungen aus einem Pflanzenbnch. In Gent hat man die fehlenden Flügel durch gute Nachbil­ dungen ersetzt, so daß man das Werk in seiner nrsprüuglicheu Ganzheit zu schauen glaubt. Die schönsten und bedeutsamsten dieser Altarbilder hat Hubert gemalt, er war der eigentliche Erfinder des Wer­ kes und der tiefsinnigere Künstler. Aber die Hand seines Bruders Jan ist nicht viel schwächer und hat außer die­ sem Altar so viel Vollendetes geschaffen, daß die folgenden Geschlechter den Namen Huberts ganz vergaßen und dem Jan alles zuschrieben. Über ein Jahrhundert lang hat die große Kunst der Brüder van Eyck die niederdeutsche Malerei befruchtet und 32*

496 Der Genter Altar der Brüder van Eyck. Die altkölnische Malerschule, beherrscht; eine glänzende Reihe von Malern trat auf, alle unmittelbare oder mittelbare Schüler der Eycks, darunter so große Künstler, wie Rogier von der Wehden, Hugo van der Goes, Hans Memling und Gerhard David. Alle geben die Natur wieder, wie sie ist, bis ins Kleinste, aber so, daß nullt auch deu innern Kern der Erscheinungen durch die äußere Hülle erkennen kann. Auch die größten Maler Ober­ deutschlands, Dürer und Holbein, sind nicht denkbar ohne die Vorarbeit der Brüder Eyck. Je langer je mehr frei­ lich wurde späterhin, zumal von kleinern Geistern, nur die äußere Schale dargestellt. Das Mittelalter war nicht finster, wie man es wohl nennt; es lebten damals Menschen, jugendlich frisch, todes­ mutig und tatenfroh, mit tiefen Gedanken, blühender Ein­ bildungskraft und geschickten Händen: wir bewundern noch immer ihre Lieder, noch ragen ihre Bauten, hehr und stolz, noch glänzen ihre Malereien in leuchtender Farbenpracht, auch den besten heutigen Meistern zum Vorbild.

274. Die altkölnische Malerschule. Zu Köln in der Schildergasse wohnten die Schilderet', denen oblag, die Schilder der Kriegsknechte zu fertigen und zu bemalen. Aber sie schmückten auch Häuser, Kirchen und Kapellen mit allerlei Bildern. Ist doch noch heute in unserer Sprache schildern und malen dasselbe. Die Limburger Chronik erzählt vom Jahre 1380: „Item, in dieser Zit was ein Maler zu Eollen, der hieß Wilhelm, der was der beste Maler in deutschen Landen, als he wart geachtet von den Meistern, want he malte einen ieglichen Menschen von aller Gestalt, als hätte ez gelebet." Seine Schule blühte lange, bis einer ihn überstrahlte, Stephan Lochner, der um 1430 aus Konstanz nach Köln kam, der Schöpfer des weltberühmten „Dombildes". Das Dombild hängt in einer Chorkapelle des Kölner Domes; es ist ein dreiteiliger Altaraufsatz: das Mittelbild zeigt Maria in holdseliger Kindlichkeit, die blitzende Himmelskrone auf dem

Die altkölnische Malerschule.

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demütig geneigten Haupt. Sie hat das Jesuskind auf dem Schatz, uud hinter ihr spannt sich ein prächtig gemusterter Teppich, den winzige, flatternde Englein halten. Statt der Himmelsbläue ist Goldgrund, als sei kein irdischer Vor­ gang dargestellt, sondern himmlische Verklärung. Die drei Könige kommen mit ihren Gaben, im Schmuck farbeubunter Gewandung. Auf dem linken Flügel naht Ursula, die irische Königstochter, mit Scharen heiliger Jungfrauen, die alle­ samt zn Köln den Martertod gefunden haben sotten. Von rechts her kommt Gereon mit vielen Genossen, die alle als römische Soldaten enthauptet wurden, weil sie dem Christenglauben nicht entsagen wollten. So fiiti) sämtliche Schutzheilige der Stadt hier vereint. Meister Stephan matte dies Altarwerk im Auftrag des Rates für die Rathauskapelle. Dort war es Jahr­ hunderte lang eine Sehenswürdigkeit der Stadt. Auch Al­ brecht Dürer lietz auf seiner niederländischen Reise sich für zwei Weitzpfennige beit Schrein aufsperren mit den Tafeln des „Meister Steffen". Lochner schuf auch das Weltgericht, das im Kölner Museum aufbewahrt wird. Man darf sich nicht an den fratzenhaften Teufeln stotzeu, nicht au den feisten Sündern, die sie zur Hölle zerren, man miltz den Blick linkshin wenden, wo für den in den Wolken thronenden weltrichtendeu Heiland rechts ist: da kommt die selige Schar gezogen, Männlein und Weibleiu; von Schutzengeln geleitet, wandeln sie Arm in Arm in die gotische Paradiesespforte, luo oben von der Galerie herunter die Engel singen und geigen. Da ist nur überirdische Wonne, seliges Glück! Und die Maria im Rosenhag! Wie minuiglich sie da sitzt in dem faltenreichen, dunkelblauen Mantel unter den Rosen, mit dem runden Kindergesichtchen und dem goldblonden Gelock, und die Schar der Engelskinder um sie her mit Musikwerkzeugeu, alles über die Matzen lieblich! Die Schule Lochners blühte so lange, bis der Einflutz d>er flandrischen Meister aus Eycks Schule überwog, besonders seit ein herrlicher Altar des Rogier von der

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Die altkölnische Malerschule.

Wehden, die Anbetung der drei Könige darstellend, die Severinskirche schmückte. Da gingen den Kölner Steiflern die Angen auf, daß sie die Menschengestalten darstellen lernten, wie sie leiben und leben. Die reichen Kaufleute ließen es nicht an Aufträgen fehlen, und so entstanden zahlreiche Weihebilder, gemalte Glasfenster in den Kirchen, Holzschnitzwerke, Wand- und Deckengemälde in den Sälen der Vornehmen. Viele dieser Werke haben sich erhalten, nur leider niemals mit dem Namen des Künstlers be­ zeichnet. Die Maler betrachteten sich eben als Handwerker, und wie man auf einer geschnitzten Truhe nicht leicht dell Namen des Schnitzers liest, ebensowenig auf den Geinülden den Namen des Schilderers. Kennt man auch aus den alten Schreinsbüchern der Stadt viele Namen von Malern jener Zeiten, so weiß man doch nicht, welche Bilder etwa von Meister Butghn oder von Johann von Düren sind. So hat man beim nach ihren Hauptwerken die Künstler bezeichnet als den Meister des Marienlebens, der heiligen Sippe, der Ursulalegend-e und ähnlich. Eine große Kunst entfaltet besonders der Meister des Bartholomäusaltars. Das ist alles mit feinsten: Pinsel hingehaucht, duftig, wie mit Schmelzfarben, weich wie Schwanengefieder. Eine Engelsgeduld muß er besessen haben, bis er das so heransbrachte, all die Fältchen, jede Biegung und den Glanz der Fingernägel, die Runzeln der Fingergelenke, die Varthärchen, die Spiegelungen der Metallgerüte, die Ma­ sern des Holzwerks, und gar die Abstufungen der Farben, dies zarte Violett, die Stickereien der Teppiche, die Äoldniuster. Auch allerlei Weltliches ist in die frommen Bilder verwebt: wie lieb steht in einem Bilde des Meisters der heiligen Sippe das Jesuskind zwischen Dorothea und Bar­ bara in einem Baumgarten, wo die Rosen blühen und die weißen Holunderblumen über die rote Gartenmauer hän­ gen, und der Blick weithin in die schöne Landschaft schweift mit der alten Burg und dem blauen Himmel drüber; und dazu die prächtigen Gewänder und all die vielen Kleinig­ keiten, das ist wie ein Frühlingsgedicht!

Die altkölnische Malerschulc.

Petri Fischzug von Raffael.

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Eine besonders glänzende Erscheinung war auch der „Meister vom Tode Mariä", der nur vorübergehend in Köln arbeitete und dort den berühmten Altar schuf, auf dem der Tod Mariä dargestellt ist. Nur eins ist zu beklagen: Vor der Schilderung tie­ fern Seelenlebens, starker Gefühle, worin die oberdeutschen Maler, Dürer, Holbein, Grünewald und andre so Grosses geleistet haben, standen die Kölner Maler mit wenig Aus­ nahmen >vie vor einer verschlossenen Pforte. Vielleicht hängt die Namenlosigkeit damit doch zusammen. Denil wer darin sich ausgezeichnet hätte, auf dessen Namen wäre man doch aufmerksam geworden. Erst iin Zeitalter der Reformation steht der gefeierte Bartholomäus Bruyn aus Wesel mit seinem Namen klar und offen da, nur ist mit ihm auch die Geschichte der altkölnischen Malerschule zu Ende.

275. Petri Fischzug von Raffael. Voll Anton (Springer. sAm Karfreitag des Jahres 1483 wurde Raffael Santi zu Urbino in Umbrien geboren, am Karfreitag 1520 starb er zu Rom, 37 Jahre alt. Raffaels Vater war auch ein Maler; leider starb er schon, als Raffael kaum 11 Jahre alt war. Voll Perugino, dem berühmtestell Maler der nmbrischen Schule, wurde Raffael in der Malerei ausgebildet. Als er alles gelernt hatte, was sein Meister sonnte, und noch mehr, zog er nach Florenz, in dessen reichem Kimstleben er zur vollen Meisterschaft emporstieg. Im Jahre 1508 berief ihn der gewaltige Papst Julius II. nach Rom, damit er ihm einige Gemächer im vatikanischen Palaste mit Wandgemälden schmücke. Der folgende Papst, Leo X., gab dem Künstler gleichfalls viele Aufträge. So fertigte er (1515—1516) zum Wandschmuck der sixtinischen Kapelle, deren Decke Michelangelo ausgemalt hatte, eine Anzahl Gemälde, auf Papier mit Leimfarben gemalt (Kartons), nach welchen in Brüssel Teppiche gewebt wurden. Noch sieben dieser Entwürfe von Raffaels Hand sind uns erhalten. Sie werden im Kensingtonmuseum zu London aufbewahrt. Diese Zeichnungen, flcnamtt Raffaels Tapeten, bezeichnen den Höhepunkt der Kunst des Meisters.)

Tie Reihe der Kartons beginnt mit dem imuiberbtireii Fischzng Petri (Etzgng. Luc. 5, 7). Zwei mit Fischen ge­ füllte Barken sind einander so nahe gerückt, daß sie beinahe

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Petri Fischzug von Rasfael.

auf einer Linie stehen und ihre Insassen eine geschlossene Gruppe bilden. Christus nimmt links die Spitze des Kahnes ein. Er hat die eine Hand wie zum Segen erhaben iiiib wendet das Antlitz int scharfen Profil deut vor ihm knieenden Petrus zu. In wunderbarer Weise prägt sich in diesem die Doppelempfindung scheuer Verehrung und demütiger Dankbarkeit atls. Unbekümmert, wie viele Fische er er­ drückt, hat er sich dem Wundertäter zu Füssen geworfen intb die gefalteten Hände weit vor sich ausgestreckt. ,,Herr, geh doh ntif hinaus, ich bin ein sündiger Mensch!" lauten die Warte der Schrift, die nicht eindringlicher verkörpert werden konnten. Auch Andreas würde gern dem Beispiel des Bruders folgen und uiederkuieeu, wenn nur das kleine Boot es gestattete. Er steht in demselben, hat aber den Oberkörper vorgebeugt und die Arme weit ausgespaunt^ seine unbedingte Hingabe au die Person Christi aussprecheud. Ihm benachbart, aber bereits int andern Kahn, steht stark gebückt der jugendliche Johannes. Ter Vorgang im ersten Boote hat seine Aufmerksamkeit erregt; er wendet den Kopf dahin und denkt kaum an sein Geschäft. Mit der einen Hand hilft er das schwere Fischnetz ans den Fluten ziehen, die andere ruht auf seinem Knie. Dagegen ist der in der Mitte des Nachens stehende Jakobus mit ganzer Seele bei der Arbeit. Mit aller Anstrengung, so dass die Armmuskeln schwellen, hebt er das Netz empor, der Oberleib ist ganz, vorgebengt und auch der Kopf tief gesenkt. Er hat nur den einen Wunsch, die wunderbar reiche Bente zu bergen. Am Ende des Kahnes sitzt mit dem Ruder in der Hand.der vollbärtige Steuermann, sorgsam bedacht, das durch die Bewegung der Fischer bedrohte Fahrzeug zu sichern und in seiner Bahn zu erhalten. Ta er mit dem scharf pro­ filierten Kopfe nach links blickt, so bildet er einen natür­ lichen Gegensatz zu Christus und mit diesem zusammen den formellen Abschluss der Gruppen. Mächtig erhöht wird die Wirkung der Gruppe, in welcher die Verteilung der Hand­ lung, die feine Abstufung der Charaktere besonders fesselt, noch dadurch, daß Raffael ein landschaftliches Stimmnngs^

Petri Fischzug von Naffael.

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bild schuf. Es ist ein klarer, frischer Morgen. Christus hatte an dem jenseitigen, hügelreichen Gestade gepredigt, luo wir noch die Zuhörer versammelt gewahreu, und dann den Fischern geboten, auf die Höhe des Sees zu fahren. Mit dem vollen Netze kehren sie nun heim. Ein leichter Wind hat sich erhoben, der die Gewänder der Fischer be­ wegt und ihr Haar kräuselt. Im sonnenhellen See spiegeln sich die Gestalten ab; am Ufer des Vordergrundes halten sich Kraniche bereit, ihren Anteil an der Beute in Empfang zu nehmen; in gleicher Absicht kreisen Wasservögel in den Lüften. Ein lebendiger Naturhauch begrüßt uns, eine an­ heimelnde Wahrheit spricht aus der ganzen Schilderung. Und wie beutet Raffael diesen naturfrischen Ton für seine künstlerischen Zwecke aus! Tie Vögel in den Wolken, die Reflexe im Wasser brechen wirksam in der Farbe die großen Flächen; der Luftzug gestattet ihm, das Gewand des Jo­ hannes so zu ordnen, daß es die beiden Gruppen teilweise verbindet und zugleich für die helle Hand des Andreas den nötigen dunklen Hintergrund abgibt. Nichts ist ver­ gessen: nicht die Deutlichkeit uud Vollständigkeit der Er­ zählung, nicht die Rücksicht auf die malerische Wirkung,, nicht die Forderungen der Webetechnik. Ter ganze Vor­ gang tritt klar vor unser Auge; wir verfolgen denselben: von seineir Anfängen an durch alle Stufen der Entivickelung. und bleiben anch über den Schluß, die treue Nachfolge der Apostel, nicht int geringsten Zweifel. Der Horizont ist absichtlich hoch genommen, damit die Gestalten sich in dem Nachen teilt und scharf von einem einfarbigen Grunde, dem Wasser, abheben, bei den einzelnen Figuren wieder die Regel festgehalten, daß lichte Flächen auf dunkle und umgekehrt dunkle auf Helle zu stehen kominen. Landschaft und Gewänder erscheinen so behandelt, daß der Weber ohne Schwierigkeit den Linien folgen und dabei den farbigen Glanz und den Reichtum seines Stoffes verwerten konnte. Berechnet, wenn man will, ist also die ganze Darstellung bis in die feinste Einzelheit. In Fieberträumen schafft kein Künstler! Diesen berechneten, sorgsam überlegten Kern

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Petri Fischzug von Naffael.

Wie uralt man das Denken,

umspinnen aber so viele lebendige, natnrfrische Züge, daß man nur diese gewahrt und uicht an die Weisheit denkt, sondern nur an die Macht der Phantasie, die int Augen­ blicke so Großes hervorbringt.

276. Wie malt man das Denken? Von Friedrich Naumann.

Rembrandts Gemälde „Der Gelehrte" ist in seiner Weise ein sehr einfaches Bild. Im weiten altertümlichen Nanme sitzt bei milder Abendsonne ein alter Mann denkend vor seinem großen Buche. Was er denkt, ist mit keinem Sym­ bol oder Gegenstand angedeutet. Nichts soll dargestellt werdeu als das Denken an sich. Dazu mußte der Raum so groß und der Manu in ihm so klein sein. Das Größenverhültnis von Raum und Person ist geradezu der Inhalt der Darstellung. In der Darstellung des Raumes leistet nult Rembrandt ein Meisterstück. Es gibt mir große Linien, keinerlei Kleinkram. Der Alte am Fenster denkt in Begrissen, nicht in Tatsachen. Die ganze linke Seite wirb von einer schweren Wendeltreppe angefüllt. So klettert der begrisfliche Gedanke von Stufe zu Stufe, auf jeder Stufe etwas anders geformt und beleuchtet. Kreuzgewölbe schließen den Raum nach oben und zwar so, daß man die Last des steinernen Baues empfinden muß. Das ist der Druck, der aus allem sormelleu Denken liegt: daß wir im Grunde nichts wissen können. Die Pfeiler, ans denen die Kreuz­ bogen ruhen, sind die Fundamentalbegrisfe, von denen aus konstruiert wird. Tie liegen zur Hälfte in der Wand, an der das Auge nicht weiter kann. Der Raum hat zwei Gewülbekammern, eine vordere und eine Hintere. Hat der Denker zlvei Wahrheiten, eine geoffenbarte und eine natür­ liche? Ist er in irgend einer Weise Dualist? Einige Teile seiner doppelten Welt sind hell, viele liegen halberkannt, große Partien sind völlig umnachtet. Unser Wissen ist Stückwerk. Der Sonnenstrahl sucht sich merkwürdige Wege, teils direkt, teils indirekt beleuchtend. To arbeitet das

Wie malt man das Denken.

Moritz von Schwind.

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Denken. Man merkt, wie das Licht sich langsam verschiebt, während der Alte sitzen bleibt. Es wechseln die Jnteressenkreise. Wie lange wird es dauern, dann sinkt das Ganze in Dämmerung? Dann hat der Alte ansgedacht.

277. Moritz von Schwind. Von Richard Muthcr.

Kranach und Altdorfer — das sind unter den Meistern des Reformationszeitalters die dcntschesten. Denn sie be­ mühten sich nicht um Liuienschwung, um die Majestät romanischen Stils. In schlichten, treuherzigen Worten er­ zählte» sie vom Zauber des deutschen Waldes. Der frische Morgensonnenstrahl bricht durch das frische Grün junger Buchen, verwandelt in Diamanten den funkelnden Tau­ tropfen, in Gold und Edelstein den Käfer, der behaglich im weichen Moose kriecht. „Da gehet leise nach seiner Weise der liebe Herrgott durch den Wald." Schwind im 19. Jahrhundert übernahm die Erbschaft der beiden. Sein Name weckt gleichsalls die Erinnerung an würzige Waldes­ luft, au Farnkraut, moosüberwucherte Felsblöcke und krauses Wurzelwerk, an verwitterte Klausen, vor denen uralte Einsiedler sitzen, an Eichkätzchen, Rehe und all das andere Getier, das die deutschen Wälder belebt. Tanneck hieß das Landhaus, das er am Ttarubergersee bewohnte, und der Duft von Tannenzapfen strömt aus seinen Werken entgegen. Deutsche Wcihnachtsstimmnng wird wach, ivenn er in schlichtem Holzschnitt den Herrn Winter zeichnet, wie er in dickem, schneebedecktem Mantel, Eiszapfen im Bart, mit dem kerzenschimmernden Christbaum am heiligen Abend über den Marktplatz eines alten Städtchens schreitet.

Mehr noch: er malt die Seele des deutschen Waldes — das Märchen. Es ist ja ein seltsames Gefühl, wenn man zur Abendstunde allein und in sich gekehrt durch alte Holzungen wandert, ivenn der Wald lebendig zu werden, sich mit Geistern zu füllen scheint. Die knorrigen Baum­ stümpfe mit den morschen Ästen werden zu Ungetümen,

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Moritz von Schwind.

die ihre Krallen entgegenstrecken. In dem Nebelmeer, das über den Weihern lagert, scheinen die Elsen zu tanzen. Dort der verkrüppelte alte Stamm, dessen graues Flech­ tenmoos wie ein Bocksbart im Winde flattert, sieht aus wie Rübezahl, der durch deu Gebirgswald streift. Die graueu Schwämme werden zu Gnomen, aus den geborstenen Wur­ zeln, den dunklen Felsspalten kommen Erdmännlein mit braunen Kapuzeti hervor. Die schwarzen Tannen, die fern in beit Nachthimmel ragen, gleichen einer krausgiebligen, spitzbetürmten Stadt, die aus deu Tagen Merians übrig geblieben. Wenn es noch dunkler wird, fängt alles zu leuchten an, zu schimmern, zu sprühen. Frösche mit dia­ mantenen Krönlein Hüpfen über die Wiesen. Waldfräu­ lein sprengen auf glühäugigem Einhorn daher. In Busch und Rohr, in Wasser und Schilf flüstert, flimmert und raunt es. Legionen seltsamer Wesen durchkreisen die Luft. Frühzeitig hatte diese Waldphantastik ihren Ausdruck in der Literatur gesunden. Doch Schwind Ivar der erste, der sie malte. Man spricht seinen Namen aus, und Deutsch­ land ist bevölkert von Kobolden und Feen, von Riesen und Zwergen, von Nixen und Wasserjungfrauen. Schlanke Waldkönigiunen tränken weisze Hirsche am blinkenden Quell. Um die Flüsse und Weiher schweben Elfen. Gnomen und Huckemännlein kriechen aus den Felsspalten hervor. Und wundervoll ist es, wie Figuren und Milieu sich zu einen! Ganzen verweben. Alle leine Wesen scheinen wie vom Wald­ zauber gebannt, als hätte das Dickicht, wo sie leben, ihnen Form und Farbe gegeben, als hätte Gestrüpp, Ast und Wurzelwerk sich zu menschlichen Gestalten verdichtet. Doch nicht nur dem Märchenzauber des deutschen Waldes gab er Form. Ein weiterer Zug seiner Kunst, den er mit den Minnesängern des Mittelalters teilte, liegt in seiner Frauenseligkeit begründet. Er war Wiener. Ein weicher sinnlicher Hauch ist über Wien gebreitet. Und dieses Canzonierentum, dieser ritterlich sinnliche Hauch gibt auch Schwinds Kunst die Note. Auf der Hochzeitsreise malt er sich. Handwerksburschen, die, den Rucksack auf der

Moritz von Schwind.

Neue Schönheiten.

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Schulter, durch lachende Auen schreiten und junge Hochzeitspärchen mit frohem Glückauf begrüßen, kehren häufig in feinen Bildern wieder. Pagen bücken sich nach Rosen, die holde Burgsräulein ihnen zuwerfen. Tauben mit rosafarbenen Bändern dnrehflattern die Luft. Ritter Kurts Brautfahrt, dann die wuuderbare Geschichte des Grafen von Gleichen, der mit zwei Frauen sein Leben teilt, waren ihm die liebsten Werke. Und noch ain Schlüsse seines Lebens schlls er jene Zyklen vom Aschenbrödel, von den sieben Raben, der schöllen Lau und der schönen Melllsine, worin er die ^enschheil und Treue des deutsehell Weibes, die siegende Zauberkraft der Liebe feiert.

278. Neue Schönheiten. Vou Friedrich Naumann.

Was ist eigentlich das Schönste, was ich in der Welt gesehen habe? Ich rede nicht von seelischen, uusichtbaren Schönheiten, auch nicht von Menschettleibern und Menschenaugeu, sondern von unpersönlichen Dingen, von Landschaften niib Bauwerken. Was ist das Schönste? Nicht frage ich: was hat im Augenblick des Schauens den grüßten Eindruck gemacht? sondern: was hat am nachhaltigsten als Bereicherung der Lebensfreude gewirkt? Ich suche in der Menge dessen, was ich glücklich war, sehen zu können. Wie ein Wandelpanoranta ziehen Landschaftsbilder vor­ über : Helgoland bei klarer Sonne, der Hafen von Ham­ burg im Sturm, das Innere des Stephansdomes bei Abend­ beleuchtung, der Blick vom Faulhorn auf die Jungfrau, ein Morgen in Konstantinopel, die Aussicht vom Berg Garizim auf das Moabitergebirge, der Eindruck Roms mit bcm Sonnenuntergang hinter St. Peter, die Rundschau vom Luftballon aus über das Rheintal, ein Besuch der Brockenhöhe im Schnee, die schokoladene Nilüberschwemmuug, der Zauber des Freibergsees im Allgäu — es will nicht enden, es hört nicht auf, Pracht schiebt sich an Pracht, und soll ich doch etwas herausgreifen, das das

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Neue Schönheiten.

Allerschönste war, dann war es der Südabhang des Atlas­ gebirges mit dem Ausblick auf die Sahara. Nicht deshalb aber stelle ich diese Reihe von Eindrücken zusammen, um diejenigen neidisch zu machen, die weniger sahen, sondern um an Beispielen zu zeigen, an was für Gegenständen sich im Zeitalter des Verkehrs der Geschmack für Natur­ schönheit bildet. Auch diejenigen, die nicht selber Orient und Okzident durchpilgern, werden indirekt durch, die Er­ fahrungen derer bestimmt, die mehr gesehen haben als sie. Wir sind anspruchsvoll geworden und verlangen große Zusammenhänge. Alle kleinen Idylle, nette Burgen, pit­ toreske Wassermühlen, reizende Haine und Rosengärten sind nicht mehr schön im eigentlichen Sinne des Wortes. Man freut sich noch an ihnen, aber sie sind doch nur Erquickun­ gen zweiten Grades. Die Eisenbahn hat uns zur Anschauung größerer Objekte erzogen und hat den Bestand vergleichbarer Dinge unendlich erweitert. Damit ging eine zweite Entwicklung parallel; wir gewannen im Vergleichen den Sinn für das Konstruktive in der Landschaft. Es ist nicht mehr das Beiwerk, das uns fesselt, Baum, Wässer­ chen, sondern wir suchen die Form in ihrer Kahlheit und Größe; die Horizontlinie des Meeres, die Himmelskante der Hochalpen, die Fläche. Daß ein so vegetationsloses Bild wie der Anblick des Südabhanges des Atlasgebirges und der meerartig weiten Wüste uns unbeschreiblich be­ friedigt, ist nichts Selbstverständliches. Etwas Derartiges war der vorigen Generation noch nicht so sicher wie uns. Langsam, aber unaufhaltsam hat sich eine Unttocmblum) des Landschaftsgeschmackes vollzogen: Parkidylle, Ruine, Mittelgebirge, Voralpen, Hochalpen, Meer und Wüste. Viele unserer Zeitgenossen sind noch in der Mitte dieses Ent­ wicklungsganges, an allen aber arbeitet der Einfluß der neuen Art zu wandern und zu reisen. Unsere jungen Leute, die mit zwanzig Jahren über den Pasterzengletscher steigen und sich die Welt von: Großvenediger aus ansehen, haben Don vornherein andere Maßstäbe ihres landschaftlichen Ge­ schmackes in der Seele als ihre Väter, die nur bis zu

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den Sennhütten pilgerten. Unbewußt haben sie Sinien in sich ausgenommen, die sie nicht mehr vergessen sönnen, und nach denen sie Sehnsucht empfinden, wenn sie ihrer lange Jahre ermangeln. Wer von uns kennt nicht die innere nagende Unruhe, endlich einmal wieder Weitblicke zu haben? Diese Unruhe ist an sich modern. Wir sind über das Rokoko in der Landschaft hinausgewachsen nni> zum Genuß des Elementaren und Konstruktiven gelangt. Wir wollen keine landschaftlichen Amoretten, Girlanden und lauschige Nischen, sondern landschaftliche Massenwirkuugen mit geometrischen Grundeindrücken. Ein großer formenreicher Bergkegel ist uns mehr wert als zwölf .Hügel mit Weinbergen, und ein Nachmittag auf baumloser Steppe zählt hoher als eine Woche voll Apfelblüte Und nun nochmals: was war das Schönste, was ich sah? Ich sah die neuen Gebäude am Ring in Wien, den neuen Dom in Berlin, die Marmorkirche in Kopenhagen, das Schloß in Schwerin, die Kathedrale.auf dem Mont­ martre, die neuen Warenhäuser und Galerien in Deutsch­ land nnb Italien, und alles das und vieles mehr gebe ich für einen Aufenthalt im Frankfurter Bahnhof, für einen Anblick der Düsseldorfer Rheinbrücke und für einen Tag im Schatten des Eiffelturmes. Dieser Geschmack erscheint vor­ läufig den meisten künstlerisch interessierten Zeitgenossen als unbegreiflich und rein subjektiv. Das schadet ja meiner persönlichen Freude gar nichts, nur würde ich diese Freude still und bescheiden für mich behalten, wenn ich selbst sie für rein subjektiv hielte. Darum aber gerade stelle ich eine Betrachtung über die Ausweitung des Landschaftsgeschmackes voran, um die entsprechende Ausweitung des Architekturgeschmackes von vornherein in die rechte Beleuch­ tung zu setzen. Es handelt sich durchaus um zwei par­ allele Entwicklungen, mir ist im zweiten Falle der Sprung vom alten zum neuen Schönheitsempfinden noch größer und unvermittelter, weil es zwischen der Steinarchitektur nicht ebensoviel Zwischenstufen gibt wie zwischen der ro­ mantischen Landschaft und der Sand-, Schnee- und Wasser-

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Wüste. Das, was in beiden Fällen gleich ist, ist die all­ mähliche Abgewöhnung der Freude am Kleinkram, die wach­ sende Sehnsucht nach kahlen, konstruktiven Linien, nach kunstvoller Geometrie int großen. Nicht als ob diese ittvderne Linien- und Flächenfreude der Inbegriff aller denk­ baren Kunst überhaupt sei! Bei weitem nicht! Aber sie ist unser Sehnsnchtsproblem, das Problem des beginnenden Eisenzeitalters. Man gehe abends, wenn die Dämmerung alle Aestaltungen vereinfacht, am Rande der Großstadt! Straßen, Villen, Kirchen, Schulen und dazwischen ein formloser Koloß, die Gasanstalt! Dieses ungefüge moderne Riesentier läßt mich nicht los. Die einen nennen es häßlich, die ander» sagen, es sei jenseits von Schön und Unschön: auch ich kann nicht behaupten, daß es in seinem heutigen Bestände schön sei, aber es hat einige Linien, die mir wertvoller sind als alle Wieoerholungen alter Renaissancemvtive und alle schön entworfene Neugotik. Das, was ich sehe, ist noch fein Stil, aber es sind Linien, die keiner der bis­ herigen Stile hat. Große Möglichkeiten ahnt das Auge, wenn es leise und zaghaft den Koloß umstreicht. Eiu neues Gefühl für Konstruktivnsbau stellt sich ein, so neu, daß es Zeit braucht, sich einzuleben. Selbst unsere Eisentechniker sind oft zaghaft, wie weit sie sich dem neuen Konstruktionsgefühl hingeben dürfen. Es ist sehr interessant zu sehen, wie sie sich nicht getrauen, dem Publikum die Kleinheit ihrer Stützpunkte zu zeigen. Das, was ihnen selbst das wesentlichste ist, die Lagerung weiter Flächen und Bogen auf wenigen, fast geometri­ schen Punkten, das umschleiern sie noch vielfach mit Ver­ kleidungen ohne allen Konstruktivnswert. Man hält es noch nicht für künstlerisch, das Eisen in aller seiner Nackt­ heit zu zeigen. Insbesondere da, wo man beabsichtigt, künst­ lerisch zu wirken, glaubt man mit der Schwachheit des Publikums pietätvoll verfahren zu müssen. Wer wagt es, einfach Mannesmannröhren als Pfeiler wirken zu lassen? Zahllos sind die Fälle, wo der Kundige sofort

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sieht: hier muß mit Eisen gebaut sein, und wo doch der Anschein des Steinbaues pietätvoll festgehalten wird. Ich denke an einen neuen Konzertsaal, dessen Größenver­ hältnisse eisern und dessen scheinbare Konstruktion steinern ist. Solche Bauten wirken peinlich. Wozu wird neuer Geist in alte Schläuche gegossen? Man mute uns zu, die Wahr­ heit zu sehen, und es wird nicht zwei Jahrzehnte dauern, bis wir die Wahrheit schön finden. Weil aber in der Kunstarchitektur die Freiheit von der Tradition noch nicht gefunden worden ist, wirken bis jetzt gerade solche Bauten, die gar nicht beabsichtigen, Stil zu produzieren, am meisten künstlerisch. Je reiner die Kon­ struktion zutage liegt, desto höher ist der Wert für unsere ästhetische Erziehung. Der eiserne Gitterbau eines mo­ dernen Bahnhofes enthält ungeahnte Freuden. Er mutet uns an, wie die älteste, jungfräulichste Gotik dereinst emp­ funden worden sein muß. Auf keinem Gebiete des Formen­ lebens haben wir so sehr das Glück, erstgeborene Genera­ tionen zu sein, wie auf diesem. Weil der Eiffelturm keinen alten Stil kopieren will, keinen Turm nachahmen, kein Minaret darstellen, weil er nichts ist als ein eiserner Zweck­ gedanke, gerade deshalb ist er das edelste Wahrzeichen un­ serer Epoche geworden. Je länger er steht, desto höher wird er in der Wertung steigen. Allmählich wird man seine Sprossen und Stufen als rührend in ihrer Schlicht­ heit empfinden, aber gerade dann, wenn man so weit sein wird, wird mau die glücklich preisen, die die ersten, reinsten, noch jugendhaften Versuche des neuen Stils er­ leben durften. Wenn ich heute in den Münchener Bahnhof einfahre, genieße ich etwas von dieser Rührung. Da ist die neue Konstruktion in ihrem allerersten Stammeln. Der Blick auf die nackten Berge der Wüste und der Blick in den Eiffelturm, das sind die zwei schönsten Blicke, die mir ein Leben voll von allerlei Wanderungen bot.

Hessel, Lesebuch 8. 8. Ausl.

M. 33

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Poetik und Metrik.

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1. Poetik. Die Poetik ist die Lehre von der Poesie oder Dicht­ kunst. Das Dichten ist ein allgemeines Gut, welches der Schöpfer dem Menschengeschlecht zur Erhöhung seiner Freu­ den, zum Trost und zur Minderung seiner Schmerzen mit ins Leben gegeben hat. Darum hat sich die Dichtkunst überall auf'Erden nach denselben Gesetzen entwickelt; die Dichtungen ungesitteter Völker geben uns Aufschlüsse über die einstigen Anfänge der Dichtung bei den Kulturvölkern. Die Fröhlichkeit des Naturmenschen, des sogenannten Wil­ den, äußert sich und wird gesteigert durch rhythmisch be­ wegtes Springen und Jubeln: Tanz und Chorlied. Letz­ teres versichert entweder einfach, daß Freude herrscht, oder ruft die Ursachen der Freude ins Gedächtnis oder gaukelt der Phantasie bevorstehende Freuden vor, schildert z. B. eben bestandene Kämpfe oder malt die bevorstehende Wonne der Opferschmäuse, der Rache, des friedlichen Wohnens 511 Hause. Alles das wird den bloß zuschauenden Stammes­ genossen zur Erhöhung ihres Vergnügens noch weiter ver­ sinnlicht durch nachahmende Gebärden und Worte, die teils die Sieger rühmen, teils die Feinde verspotten. Aber es wird nicht immer getanzt, man sitzt auch im Kreise unb lauscht dem Erzähler, der von den jüngsten Kämpfen be­ richtet oder von früheren Heldentaten der Vorfahren, der ab und zu die fröhliche Stimmung wohl noch hebt durch, Erzählung spaßhafter Vorgänge aus beut Leben der Men­ schen oder der umgebenden Tierwelt, die so vielfach das Menschenleben abspiegelt. Oder man gibt sich ergötzliche Rätsel auf, den Scharfsinn zu üben. Wo religiöse Vor­ stellungen feste Gestalt gewonnen haben, wo Gesetze die

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Glieder des Stammes zusammenbinden, da kleidet man zu größerer Weihe und zu leichterem Behalten auch die wich­ tigsten Lebensvorschriften in rhythmische Melodie. Und was die Gesamtheit getan hat, das übt auch der einzelne in der Einsamkeit: er jubelt in gegenwärtigem Glück, klagt im Leide und sehnt sich nach Lust und Freude, und das alles wird ihm zu Rhythmus und Gesang. Er singt, wie der Vogel singt, dem innern Drang des Herzens folgend. Oft fiubct er willige Zuhörer, die bestätigend einstimmen. Da­ mit sind die Keime aller Arten der Poesie gegeben, die wir danach gliedern dürfen in Vortragende Erzählung ver­ gangener Zustände oder Epik, in gemeinsame oder auch rein persönliche Schilderung der Gegenwart und Austnalung der Zukunft oder Lyrik, in nachahmende Dich­ tung oder Dramatik, in lehrhafte Poesie oder Di­ daktik. Es kann also nicht wohl von einem ursprünglichen Vorrang einer Dichtungsart über die andere geredet wer­ den, auch nicht wohl der oder jener ein höheres Alter zugesprochen werden, höchstens dürfte man sagen, daß die­ jenigen Gattungen später seien, die sich von Tanz und Gesang losgelöst haben, also Didaktik und Prosaerzählung. Ob etwas Poesie ist ober nicht, dafür ist im allgemeinen die Form maßgebend, d. h. der Umstand, ob die betreffen­ den Sprachkunstwerke rhythmisch sind oder nicht; doch ist dies teils entscheidendes Merkmal, da didaktische, epische und dramatische Dichtung sich schon sehr früh vom Rhythnlus befreit haben, d. h. also in Form der Prosa verfaßt sein können, ohne darum aufzuhören Dichtung zu sein. Feste Grenzbestimmungen innerhalb der Gattungen sönnen nicht gezogen werden, da die Gattungen überall ineinander übergehen: die Dichter schaffen eben Gedichte, ohne sich um die Poetik und ihre Einteilungen zu kümmern, so daß oft ein und dasselbe Gedicht mit gleichem Rechte zu dieser oder zu jener Gattung gerechnet werden kann. Bei der Gleichwertigkeit der Gattungen ist es auch gleichgültig, in

welcher Reihenfolge wir sie besprechen.

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Die Lehrdichtung oder Didaktik. will auf Verstand und Willen der andern einwirken, durch Belehrung, durch Vorführung wirklicher oder erfundener Geschichten, durch Beispiele, durch Aufstellung von Lebens­ grundsätzen.

1. Die Fabel ist ein solches Beispiel aus einem an­ dern Gebiete des Lebens und zwar so, daß die auftreten­ dell Wesen, wer sie auch sein mögen, in jedem Fall als sprach- und vernunftbegabt erscheinen. Tie Fabeln enthaltell eine Wahrheit oder eine Lehre,'oft beides, auch wo es nicht ausdrücklich hinzugefügt ist. Es gibt auch Prosa­ fabeln (Lessing); Lessing verlangt von der Fabel Kürze, es gibt aber auch breit ausgemalte Fabeln -.Gellert), ebenso solche, die einfach Vorgänge des Tierlebens schilderlt, ohne daß sie als Beispiele für Lebensregeln gedacht sind (Hey). Auch die einem Drama zugrunde liegende Handlung nennt man Fabel. 2. Gleichnis; Parabel; Allegorie. Lehr verwandt mit der Fabel ist die Parabel > Gleichnis »; diese steht insofern höher, als sie Vorgänge des höheren Seelen­ lebens, besonders religiöse Tinge veranschaulichen will und zwar durch Vorführung ähnlicher Vorgänge aus andern Lebensgebieten. Bei dieser Erklärung ist besonders an die biblischen Parabeln oder Gleichnisse gedacht, z. B. das vom Süemann. — Allegorie ist eine Erzählung, die streng ge­ nommen auch ein Beispiel ist, aber so, daß man neben dem Wortsinn einen tiefern, verborgenen Zinn annehmen muß, welcher im Grunde erst den beabsichtigten, eigent­ lichen Zinn darstellt. Je mehr die Allegorie bereits in sich verständlich ist, so daß der tiefere Zinn nur für die tiefer schauende Erkenntnis vorhanden ist, für desto vollen­ deter gilt sie (Mahomets Gesang; einfacher Zinn: Leben »eines Stromes, tieferer Zinn: Wirken eines Religions­ stifters). Diese Dichtungsart tritt auch in Prosa auf. 3 Das Rätsel ist nur eine Abart der Allegorie, manchmal ist die Auflösung in dichterischer Fassung bei-

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gefügt, meist jedoch fehlt sie; das Rätsel tritt auch in Prosaform auf. 4. Die Spruchdichtung gibt Lebensweisheit ohne Umschweif: ist bildliche Rede vorhanden, so ist sie doch nicht wesentlich, nicht einmal beim Sprichwort ^Einigkeit macht stark), wiewohl das Sprichwort meistens allerdings bildlich redet, dadurch daß es ein Beispiel, einen Einzel­ fall gibt in Ähnlichkeit vieler andern Fälle (Steter Tropfen höhlt den Stein). Sprüche und Sprichwörter kommen so­ wohl in poetischer wie in prosaischer Form vor. Epigramm heißt Aufschrift, z. B. auf ein Denkmal, Haus, Buch u. dgl., ntuß also mit wenig Worten bedeutsamen Sinn ausdrücken. Man nennt so auch sonstige sinnreiche und kurze Sprüche, besonders auch witzige und tadelnde, gegen Personen oder Unsitten gerichtete (Goethe-Schiller, Leuten).

Die erzählende Dichtung (Epik). schildert einein wirklichen oder gedachten Zuhörerkreise Ver­ gangenes, iinb zwar Wirkliches oder Erdachtes. Daraus erhellt, daß die meisten didaktischen Dichtungen im Grunde auch episch sind. 1. Das Epos ^Epopöe^ oder Heldengedicht ist eine so lange Erzählung, daß sie nur in Abschnitten (Gesängen) vorgetragen werden kann. Jin Deutschen heißen die einzelnen Abschnitte auch Abenteuer oder Aventüren, d. 'h. Begebenheiten. Mit Ende des Mittelalters wurden diese langeil Heldengedichte in Prosa umgesetzt, das ist der An­ fang des Romans.

2. Tas Märchen ist eine kleine Mär oder Erzäh­ lung, zum Zeitvertreib und zur Ergötzung vorgetragen, einerlei, ob erfunden oder wirklich geschehen. Später ver­ stand inan unter Märchen eine erfundene, meist wunder­ bare Geschichte. Das Märchen kann auch belehrend sein (Der Arme und der Reiche), es kann auch sagenhafte Züge bergen -Dornröschen), in diesem Falle jedoch namenlose

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Sage, also keine echte Sage: das Märchen zeigt meistens prosaische Form. 3. Die Sage ist ein nur mündlich fortgepslanzter geschichtlicher Bericht, der deshalb unzuverlässig geworden ist, ins Wunderbare und Märchenhafte gezogen. Die Sage haftet stets an bestimmten Örtern oder Personen; sie ist meistens sehr kurz, ursprünglich Prosa, erst von den Dich­ tern ausgesponnen und ost erst aus Dichtermunde in All­ gemeinbesitz des Volkes übergegangen (Barbarossa). 4. Legenden sind fromme Tagen, Beispiele christ­ licher Tugendübung. Das Wort bedeutet „Lese", d. h. die zum Lesen bestimmte erklärende Beischrift zu gemalten Heiligenhistorien. Von kirchlichen Schriftstellerll schon frühe und gerne fest ausgeprägt, sind die Legenden meist in aus­ führlichen Fassungen überliefert mit Häufung des Wun­ derbaren. Da die Legenden erziehlich wirken sollten, so sind sie zugleich als didaktische Dichtungen anzusprechen. Sie kommen poetisch und prosaisch vor. 5. Ballade und Romanze. Ter Name Ballade ist durch Percvs Sammlung altenglischer iiitb schottischer ballads oder Volksgesänge t1750), seit Herder auch in Deutschland üblich geworden, unb zwar für erzählende Ge­ dichte voll einer gewissen, doch nicht zu grüßen Ausführ­ lichkeit ; gleichzeitig taut auch für solche Dichtungen die Be­ nennung Romanze auf, nach der in Südeuropa, besonders in Spanien üblichen Bezeichnung. Bürger, Goethe, Schiller Uhland u. a. nannten ihre erzählenden Dichtungen Balla­ den, manchmal auch Romanzen; eilt allgemein gültiger Unterschied zwischen Ballade und Romanze kann nicht an­ gegeben werden. In Prosadichtung entspricht beiden die Novelle. 6. Geschichtliche Erzählung oder Rhapsodie nennt man poetische Schilderungen hervorragender geschicht­ licher Begebenheiten. Auch die alten Balladen und histori­ schen Volkslieder gehören meistens hierher, da sie ursprüng­ lich als bloße Erzählung geschichtlicher Begebenheiten ge­ dacht sind.

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7. Die poetische Erzählung und der Schwank sind gleichfalls nichts viel Anderes als Märchen, Balla­ den oder Novellen, deren Stoff jedoch dem wirklichen Leben entnommen ist, so daß die erzählte Begebenheit sich für eine wirklich geschehene, nicht erdachte ausgibt. Unter Schwank versteht man die Schilderung lächerlicher Be­ gebenheiten, das Lachen ist manchmal harmloses Lachen über eine komische Lage, meist jedoch Schadenfreude und Spott über einen Gefoppten. 8. Idyll heißt Bildchen (Jdyllion). Nach dem Vor­ gang des griechischen Dichters Theokrit nennt man so Dar­ stellungen friedlichbehaglicher Zustände im engen Kreise bürgerlichen oder bäuerlichen Daseins (Voß). Die Gefühlsdichtung oder Lyrik.

1. Das Lied ist der ursprünglich einsam erdachte und gesungene Ausdruck des gegenwärtigen Seelenzustandes des Dichters, seiner Hosfnungen und Befürchtungen für die Zukunft. Natur, Vaterland, Liebe, Hingebung an den Be­ ruf, Trauer, Klage, Freude, Wunsch, Sehnsucht, Hoff­ nung, Bitte, Spott, alles das und noch vieles mehr ist Gegenstand des Liedes. Tie Gefühle des Liedes können auch als Gefühle vieler Gesinnungsgenossen gedacht sein (Chorlied), überhaupt wendet sich das Lied auch an alle Gleichgestimmten. 2. Das Volkslied. Nach Herders Vorgang nennt man so die in früheren Jahrhunderten entstandenen deut­ schen Lieder, welche mangels schriftlicher Aufzeichnung sich in stets wechselnder und mannigfacher Fassung erhalten haben und besonders im Ausdruck dadurch sehr verallgementert und abgeschlisfen (einfach) geworden sind. Neuere Dichter haben ost an Volkslieder angeknüpft (Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein). Volkstümliche Lieder nennen wir Lieder von bekannten Versassern, die in weiten Volkskreisen gesungen werden (Lorelei). 3. Das geistliche Lied. Ode. Hymne. Geistliche Lieder sind teils zum kirchlichen Gebrauche gedichtet, teils

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zur außerkirchlichen Erbauung. Ode ist das griechische Wort für Lied. Wir bezeichnen damit seit Klopstock haupt­ sächlich deutsche Lieder in griechischen Strophenformen. Hymnen nennen wir vorzugsweise die altchristlichen kirchlichen Gesänge und danach auch andere feierlich ge­ haltene Loblieder (Heil dir im Siegerkranz). Lyrische Gedichte, die ein Erlebnis des Dichters schil­ dern, sind dadurch zugleich auch episch, um so mehr dann, wenn es im Grunde nicht der Dichter selbst ist, der in der ersten Person zu uns spricht (Schillers Pilgrim und Sehnsucht): Anrufungen einer anderen Person, sowie Ge­ bete, sind eigentlich dramatisch, zumal das Gebet, welches als ein Gespräch mit Gott aufgefaßt werden muß.

Die dramatische Dichtung. Von einer selbst noch so kurzen Kennzeichnung des Dramas muß an dieser Stelle abgesehen werden; nur das sei hervorgehoben, daß im Drama der Dichter völlig zurück­ tritt, nicht er redet zu uns, sondern andere Personen; darum rechnen wir zu dieser Gattung auch jede Dichtung, die in Form einer Wechselrede gehalten ist, ohne zwischen­ liegende Erzählung, ja auch solche Dichtungen, die als Mono­ log behandelt sind, ohne daß der Dichter selbst der Redende ist (Uhlands Schloß am Meer, Platens Pilgrim vor St. Just). Man vgl. Nr. 260 (Aristoteles) und 232 iLessing).

Die Form der dichterischen Darstellung. Bei der Form der dichterischen Darstellung handelt es sich vor allem um dreierlei: Personisikarion (Be­ lebung), sinnlichkonkreten und bildlichen Aus­ druck. Vom Dichter sagt Schiller: „Er kommt aus bcm kindlichen Alter der Wcl-, Wo die Volker sich jugendlich freuten,"

d. h. er steht der Natur näher als andere Menschen; er ist gewissermaßen ein Kind, ein Mensch im Naturzustände, er beurteilt alles nach seinem eigenen Innern, darum ist

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ihm die ganze Außenwelt belebt und menschenähnlich; weil er reden kann, so meint er, alles um ihn her müsse auch reden, denken, wollen und sühlen können, darum wird alles von ihm angeredet, ist ihm alles Person. Die deutsche Sprache ist, wie überhaupt die Sprachen in ihrer Urgestalt, von Haus aus sinnlich, d. h. auch an­ scheinend ganz geistige Begrisse sind im Grunde als sinn­ lich wahrnehmbare Dinge gedacht und benannt — so ist das Wort „Begriff" selbst eigentlich das, was mit den Händen umgriffen, befühlt werden kann: dem Dichter paßt deshalb die Sprache besser in ihrer alten, der Natur näher stehenden Form, er gebraucht mit Vorliebe Worte und Wendungen, die sinnlich klar und greisbar, also konkret sind, liebt sprachlich veraltete Formen und Ausdrücke, lehnt dagegen das Abstrakte, Allgemeine, Neugebildete ab: be­ einflussen, inbetrachtdessen, beziehungsweise u. dgl. sind un­ poetische Wörter. Wo die Sprache selbst keine unmittelbaren Bilder dar­ bietet, schafft der Dichter durch gewisse Wendungen und Vergleiche sich Bilder: er ist ein Seher, ein Schauer, auch denken will er nur durch und im Schauen; was er inner­ lich schaut, kleidet er in Worte, diese sind seine dichterische Sprache: daher liebt der Dichter die bildliche Rede. Seit dem Altertum hat man die Art der bildlichen Rede ge­ ordnet und benannt. Man unterschied besonders Figuren und Tropen. Figuren, so sagte man, ändern nicht die Vorstellung, sie schmücken und verdeutlichen sie nur, wo­ gegen der Tropus, zu deutsch: die Wendung, die Vor­ stellung selbst ändert. Tie üblichen Erklärungen jenes Unterschiedes weichen übrigens sehr von einander ab und sind ost willkürlich und unbestimmt. Als Figuren bezeichnet man: 1. Das Epitheton o r ii a ii 5 oder schmückende Beiwort, ein im Hauptbegriff liegendes, also überflüssiges, nur schmückendes Adjektiv (fleißige Landleute, grüne Wiesen), zu unterscheiden von dem bestimmenden Adjektiv, das eine nicht im Begriff des

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Wortes liegende Eigenschaft nenttt (auswandernde Land­ leute, abgemähte Wiesen). 2. Die Umschreibung nennt die Dinge nicht bei ihrem Namen, sondern gibt rätselartige weitläufigere Be­ schreibungen (Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?). 3. Vergleichung und Gleichnis (Wie der Bienen dunkelnde Geschwader... so goß sich eine Krieges­ wolke aus. Jungfrau von Orleans, Prolog, 3. Auftritt). 4. Anspielung, statt der Vergleichung ein bloßer Hinweis (Argusaugen, Hiobsbotschaft). Tropen sind: 1. Metonymie, Vertauschung der Begriffe (Der Wald singt, d. h. die Vögel im Walde singen; Thron statt Herrschaft, Stahl statt Schwert, Themsestadt für London). 2. Wortspiel (Das römische Reich sollte jetzt heißen römisch Arm. Wallensteins Lager). 3. Metapher (Übertragung) nennt man jedes nur angedeutete Gleichnis (Es donnern die Höhen; des Lebens Mai; der Sturm heult; der silberne Bach; lachende Fluren); es ist dies das häufigste aller Redebilder; die Sprache be­ steht im Grunde fast nur aus Metaphern, da fast allen Verben ein Bild zugrunde liegt (begreifen, überwinden). 4. Anrede oder Apostrophe: (Sei mir gegrüßt, mein Berg). 5. Historisches Präsens (Da legt sich die wilde Gewalt). 6. Übertreibung (Hyperbel), kann sowohl er­ haben als lächerlich wirken. (Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt; Zur Rechten sieht man und zur Linken einen halben Türken heruntersinken). 7. Ironie ist erheuchelte Unwissenheit in Dingen, die man recht wohl weiß, sodann die absichtliche Behaup­ tung des Gegenteils dessen, was man denkt, besonders zum Zweck der Verspottung und Herabsetzung (Brutus ist ein ehrenwerter Mann). 8. E u p h e m i s m u s ist schonende Bezeichnung dessen, was man nicht nennen mag (Gottseibeiuns statt Teufel).

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9. Asyndeton (Unverbunden): Fehlen der Binde­ wörter (Der König sprachs, der Page lief, der Knabe kam, der König rief). 10. Polysyndeton (Vielverbunden), Häufung von Bindewörtern (Und es wallet und siedet und brauset und zischt). 11. Steigerung (Klimax), entweder aufwärts­ gehend (Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schuldigen. Goethes Tasso II, 4) oder abwürtsgehend (Wenn wir gut sind, so sind wir es überall, auf dem Throne, im Palast,

in der Hütte). 12. Paradoxie ist ein Ausspruch, der anscheinend dem gesunden Verstand widerstreitet, aber doch sinnvoll ist (Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in das Reich Gottes komme). 13. Tautologie sind mehrere verbundene Ausdrücke, die eigentlich dasselbe sagen (Art und Weise, Hohn und Spott); das Deutsche liebt derartige Doppelbegriffe sehr, besonders wenn sie durch Stabreim gebunden sind (Leib und Leben, Haus und Hof). Verwandt ist der Pleonas­ mus, doppelte Bezeichnung desselben Begriffs (alter Greis); so zu reden gilt als fehlerhaft, nicht als Schmuck der Rede. 14. Wiederholung, richtig gebraucht, ist in der poetischen Sprache häufig und oft sehr wirkungsvoll (Es kann nicht sein, kann nicht sein, kann nicht sein. Wallen­ stein). Bei jeder Strophe wiederkehrende Schlußzeileit heißen Kehrverse oder Kehrreime, Refrain (Heidenröslein). 15. Anakoluthie nennt man die besondere Art falschen Satzbaus, wo das Ende des Satzes dem Anfang nicht entspricht (In Hermann und Dorothea zu Beginn des 7. Gesanges: Wie der wandernde Mann .... wohin er die Blicke nur wendet). 16. Archaismus ist ein altertümlicher und un­ moderner Ausdruck (sintemalen, insonderheit). 17. Sentenz (griechisch Gnome, deutsch Meinung) ist ein kurzer Spruch allgemeinern Inhalts.

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2. Metrik. Ter Versbau ist im Deutschen an sehr einsache Ge­ setze gebunden, da er sich lediglich nach der Betonung richtet, wohingegen die Metrik der Griechen aus Messung der Silbenlänge beruhte, d. h. der Zeitdauer, die eine Silbe zur Aussprache erforderte. Der Vortrag der griechischen Dichtungen war auf Gesang oder doch mindestens auf takt­ gemäße Begleitung von Flöten berechnet, wir hingegen denken zunächst nur an das Sprechen. Trotzdem hat man seit Opitz versucht, griechische Versgesetze auf deutsche Dicht­ kunst anzuwenden. Dies ist jedoch einfach unmöglich, weil die Grundlage des Versbaues bei beiden Völkern von Haus aus verschieden ist. Doch ist man nach dem Vorgang von Opitz stillschweigend übereingekommen, daß man die Länge der Silben, wie die griechische Verslehre sie kennt, gleich achten wolle der Betonung, wie das Deutsche sie kennt, und die Kürze der Silben der Tonlosigkeit oder auch der schwächern Betonung. Man hat ferner die griechische Be­ zeichnung „Sbebung" (was dort die Hebung des Fußes be­ deutete beim Angeben des Taktes) gleichgesetzt mit „Be­ tonung", und mit dem Ausdruck „Senkung" (was im Griechischen das Stampfen mit dem Fuß zur Taktangabe bedeutete) hat nian die Tonlosigkeit bezeichnet, indem man sich einredete, Hebung solle die Hebung der Stimme, d. h. Betonung ausdrücken, Senkung aber die Senkung der Stimme, also Tonlosigkeit. Damit wäre angenommen, daß jedesmal die betonten Silben hoch gesprochen würden, was manchmal zutrisst, manchmal nicht, da es doch ganz auf den Sinn der Worte ankommt, ob die Stimme in die Höhe geht oder sich senkt. Hören wir nunmehr, wie die griechischen Verstakte oder Versfüße — so genannt nach dem Fußstampfen zum Takr — in deutschen Gedichten sich ausnehmen. Wir nennen also nach Vorbild der Griechen einen Jambus die Aufeinanderfolge einer unbetonten und einer betonten Silbe, wie in „gewiß". Die Worte: „es klingt

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ein Heller Klang" sind demnach drei Iamben. Eine jambische 'Zeile beginnt unbetont; der jambische Gang der Verse heißt auch „steigender Rhythmus". — Umgekehrt ist ein Trochäus die Folge einer betonten und einer unbeton­ ten Silbe, z. B. „König". Die Worte „Preisend mit viel schönen Reden" sind vier Trochäen; der trochäische Gang

der Verse wird auch „sallender Rhythmus" genannt. — Der jambische Gang erscheint hüpfender, wenn zwei un­ betonte Silben der betonten voraufgehen, wie in „Gene­ ral", ein solcher Takt heißt Anapäst; „an den Höfen er­ scholl der Gesang" sind drei Anapäste; in jambischen Vers­ gang werden oft Anapäste eingestreut, z. B. „zu tauchen in diesen Schlund". — Ähnlich erscheint der trochäische Rhythmus bewegter, wenn der betonten Silbe zwei un­ betonte folgen; der so veränderte Takt oder Versfuß heißt Daktylus, z. B. „lieblicher". Die Worte „die ihn so lieb­ lich bescheint" sind zwei Daktylen mit einer Nachschlagsilbe. Eine Langzeile von sechs Daktylen, die aber beliebig mit Trochäen vertauscht sein können, ist der Hexameter. Wohlgemerkt.- der deutsche Hexameter, denn der echte griechische Hexameter zeigt Daktylen mit Spondeen ge­ mischt, d. h. mit Verstakten von zwei langen Silben, was im Deutschen zwei betonten Silben gleichzusetzen wäre. Da dies aus mancherlei Gründen im Deutschen nicht gut tunlich ist, so gestattet man sich anstatt dessen, je nach Wahl auch Trochäen anzuwenden. Der Hexameter ist der erzählende Vers der Griechen, der Vers Homers. Er zer­ fällt in zwei ungleiche Hälften, deren erste betont, die zweite aber unbetont beginnt, denn der Vers hat ein Pause (Einschnitt, Cäsur) im dritten oder auch im vierten Takt, man beachte: im Takt, nicht nach dem Takt! Ist die Panse im vierten Versfuß, dann ist auch im zweiten Takt eine kleine Pause, so daß die Verszeile dann in drei Teile zerfällt. Beispiele der ersten und zweiten Art: Himmlischer! sucht nicht dich || mit ihren Augen die Pflanze, Streckt nach dir ' die schüchternen Arme || der niedrige Strauch nicht? (Hölderlin: an den Äther.)

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Ter fünfte Takt des Hexameters darf nur sehr aus­ nahmsweise zweisilbig fein, der sechste jedoch muß es sein. Die zwei letzten Takte des Hexameters für sich allein heißen der adonische Vers: in solchen bewegt sich Lenaus: Primula veris. Wird dem Hexameter eine kürzere Verszeile beigefügt, die im Grunde nur die zweimalige Setzung der ersten Hälfte des Hexameters ist und Pentameter heißt (Fünf­ maß), so nennt man dies das elegische Versmaß; je zwei solcher Zeilen heißen ein Distichon (Mehrzahl: die Disti­ chen, d. h. Zweizeilen). Ein Gedicht in diesem Versmaß hieß eine Elegie; in Distichen bildete man auch gern kurze Sprüche (Epigramme, d. h. Aufschriften), so auch Schiller. Künstliche Strophen des griechischen Altertums sind unter andern die alkäische Strophe des Dichters Alkäos und die sapphische Strophe der Dichterin Sappho. Das Schema der alkäischen Strophe ist:

Das Schema der sapphischen Strophe:

Ost haben jambische oder trochäische Verse eine über­ zählige Nachschlagsilbe oder, richtiger gesagt, eine Silbe zu wenig; in Preisend mit viel schönen Reden Ihrer Länder Wert und Zahl

besteht die erste Zeile aus vier Trochäen, die zweite gleich» falls aus vier Trochäen, aber mit einer fehlenden Silbe; an ihre Stelle tritt eine Pause. Von Versen mit unbeton­ ter letzter Silbe sagt man: sie haben weiblichen Ausgang, wogegen männlicher Ausgang vorhanden ist, wenn die letzte

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Silbe der Zeile betont ist. Auch Reime unterscheidet man gleichermaßen in männliche und weibliche, z. B. Dieb — lieb ist ein männlicher, Diebe — Liebe ein weiblicher Reim. „Die klassische Dichtung des Altertums," schreibt Pro­ fessor W i l m a n n s in Bonn, „kennt den Reim nur zu­ fällig, nicht als Versgesetz, erst das lateinische christliche Kirchenlied hat aus der Volksdichtung der Römer den Reim ausgenommen. Die ursprünglich nativnaldeutsche, heidnische Dichtungsform ist der Stabreim (Allitteration), d. h. der mehrmals wiederkehrende Anfangslaut der sinn­ schweren Worte, z. B. Geld und Gut, Wehr und Waffen. Dieser Anfangsreim steckt uns noch tief im Blute, und er wird noch immer mehr oder weniger absichtlich sehr häufig in Poesie und Prosa angewandt. Die christliche Zeit brachte den Endreim, d. h. den Gleichklang der End­ wörter je zwei aufeinanderfolgender Zeilen von deni letzten betonten Vokal an. In jeder Verszeile wurden vier Silben durch stärkere Betonung über die anderen erhoben. Auf diese Silben — wir nennen sie auch Hebungen — kam es vorzugsweise an: ihre Zahl war bestimmt, nicht so die der unbetonten Silben oder Senkungen. Die Hebungen konnten unmittelbar aufeinander folgen oder durch Senkungen getrennt sein; vollends gleichgültig war es, ob der Vers mit einer betonten Silbe anfing, oder ob der ersten Hebung noch eine oder mehrere unbetonte Sil­ ben (Auftakt) vorangingen. Jedoch ist von Anfang an das Bestreben wahrzunehmen, Hebungen und Senkungen regel­ mäßig abwechseln zu lassen, und immer mehr wurde die alte Freiheit im Gebrauch der Senkungen eingeschränkt. Man nennt diese Verse auch kurze Reimpaare; sie sind die weitaus häufigste Form der erzählenden Dichtung des Mittelalters. Einige epische Gedichte jedoch sind in Strophen abgefaßt, vor allem das Nibelungenlied. Die N i b c l u n g e n st r o p h c ist die berühmteste Strophenform der Zeit geworden. Sie besteht aus vier paarweis durch den Reim gebundenen Langzeilen; jede Langzeilc ist durch einen Einschnitt (Pause, Cäsur) in zwei Teile von je drei

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Anhang.

Poetik und Metrik.

Hebungen zerlegt, nur die letzte Halbzeile hat deren vier. Die Reime sind männlich, die Ausgänge vor dein Ein­ schnitt jedoch weiblich. Die spätere Zeit führte auch Binnen­ reime an der Cäsurstelle ein, so wie sich dies bei der Eingangsstrophe des Nibelungenliedes selbst findet, setzte auch das Maß der letzten Halbzeile auf das der übrigen herab. Diese Abart, auch Hildebrands ton genannt, ward außerordentlich beliebt und hat alle Stürme der Zeit überdauert; besonders dem protestantischen Kirchengesang (Paul Gerhardt: Befiehl du deine Wege) verdanken wir das Fortbestehen dieses Hildebrandstones. Von größter Bedeutung für die Entwicklung des Vers­ baues zur regelmäßigen Abwechselung betonter und unbe­ tonter Silben hin war das Erblühen einer vielgestaltigen Lyrik im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts. Die enge Verbindung der Poesie mit der Musik, die regelmäßige Wiederkehr derselben Weise (Ton, Melodie) in mehreren Strophen verlangte eine bestimmte Silbenzahl für den ein­ zelnen Vers, und so führte die Rücksicht auf die Betonung einerseits, auf die Silbenzahl andrerseits zu einem regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung. An den Auf­ takt stellte man weniger strenge Forderungen, doch soviel list unverkennbar, daß inan auch ihm gegenüber nicht gleichgültig war: es gibt viele Lieder, in denen Verse mit und ohne Auftakt nach bestimmtem Gesetz miteinan­ der wechseln, so daß der steigende und fallende (jambische und trochäische) Rhythmus jenem Zeitalter keine durchaus unbekannte Sache war. Ja, auch daktylische Rhythmen sind der mittelalterlichen Lyrik nicht völlig fremd (Walther v. d. Vogelweide: Wohl mir der Stunde, da ich sie er­ kannte). Die Strophenformen, welche der Minnegesang hervor­ gebracht hat, sind sehr mannigfaltig; die meisten sind dreiteilig gebaut, d. h. auf zwei metrisch und musikalisch sich völlig entsprechende Teile — die beiden Stollen oder der Aufgesang — folgt ein dritter von ihnen ver­ schiedener Teil: der Abgesang.

Die gefällige Versform, welche die mittelhochdeutsche Lyrik allmählich herausgebildet hatte, hielt sich leider nicht lange. Die Rücksicht auf die Silbenzahl hatte sich ansangs mit der älteren Rücksicht auf die Zahl der Hebungen glücklich vereinigt, allmählich riß jedoch der jüngere Grund­ satz die Herrschaft an sich, und wo überhaupt Regelmäßig­ keit im Bersbau erstrebt ward, da ließ man sich daran genügen, die Silben zu zählen. So ist es im Meisterge­ sang, so verfuhr auch der berühmteste Meistersänger, Hans Sachs. Dadurch entstanden Verse, welche für unser Ge­ fühl nichts sind als Knittelverse- wir vermissen in ihnen die Rücksicht auf die Sprachbetonung und empfin­ den die Regelmäßigkeit, die in der Gleichheit der Silben­ zahl liegt, gar nicht als solche. Es ist nun zwar nicht zu verkennen, daß manche Dichter, durch ein natürliches Ge­ fühl geleitet, in ihren Versen einen ziemlich regelmäßigen Wechsel zwischen Hebung und Senkung eintreten ließen, wie die alten Minnesänger, aber als Gesetz war dieser Wechsel nicht anerkannt. Es ist das große Verdienst von Martin Opitz, daß er es klar aussprach: „Nachmals ist auch ein jeder Vers entweder ein jambicus oder trochaicus: nicht zwar, daß wir auf Art der Griechen und Lateiner eine gewisse Größe der Silben können in acht nehmen: sondern daß wir aus den Akzen­ ten und dem Tone erkennen, welche Silbe hoch und welche niedrig gesetzt werden soll. Ein Jambus ist dieser: Er­ halt uns, Herr, bei deinem Wort, der folgende ein Tro­ chäus: Mitten wir im Leben sind." Neben dem Jambus und Trochäus, auf welche Opitz himveist, wird von jetzt ab am häufigsten daktylischer, auch anapästischer Rhythmus gebraucht. Für die Literaturperiode, die Opitz eingeleitet hat, ist der Alexandriner der charakteristische Vers, ein sechs­ füßiger Jambus mit einer Pause nach dem dritten Fuß, der französischen mittelalterlichen Dichtung (Alexanderlied) entstammend. Der sechsfüßige Jambus der antiken Dramen (Senar), den auch Schiller zuweilen verwandt hat, hat Hessel, Lesebuch 8. 8. Aufl. 34

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Anhang.

Poetik und Merrik.

Pause im dritten oder vierten Verstakt. Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts tritt der Alexandriner ganz zurück: vergeblich suchten später Dichter wie Rückert und Freiligrath ihn wieder zu Ehren zu bringen. Obwohl der Alexandriner nur durch eine einzige Silbe sich von unserm Hildebrandston unterscheidet, ist gerade dadurch sein Charak­ ter ganz anders; für unser Ohr hat der Alexandriner etwas Eintöniges. Dagegen wurden um die Mitte des 18. Jahrhun­ derts neue Formen ausgenommen: für das Drama seit Lessings Nathan der fünffüßige reimlose Jambus (der Blankvers der Engländer), der eine Nachbildung des elfsilbigen italienischen Verses ist, für das Epos nach Klopstocks mächtigem Beispiel der Hexameter. Der letztgenannte Dichter suchte auch die künstlichen lyrischen Strophen der Alten neu zu beleben, aber obwohl es ihin nicht an Nach­ folgern fehlte, sind diese Strophen doch nie recht heimisch geworden. Neben diesen neueren Maßen wurden auch die alten Reimpaare nicht ganz vergessen, wenn sie auch in der gelehrten Literatur gering geachtet wurden. Goethes Kunst weihte sie aufs neue." Soweit Wilmanns. Als man dann dein deutschen Mittelalter ein liebe­ volles Studium zuwandte, lebten auch andere Formen wie­ der auf: besonders wurde seit Uhland, Arndt, Rückert usw. die N i b e l u n g e n st r o p h e ein beliebtes Maß, entweder in der Abart des Hildebrandstones, oder mehr der ursprüng­ lichen Form angenähert (Hamerling, Vaterlandslied), auch vielfach dadutch verschleiert, daß die Dichter gerne je zwei Langzeilen zu einer Strophe von vier Kurzzeilen zusammenstellen, so schon Goethe im König von Thule, Heine in der Lorelei usw. Auch die dreiteilige Strophe ist nicht ausgestorben, wenngleich sie verhältnismäßig selten auftritt. Das Volkslied hat schon in früheren Jahrhunderten eine Anzahl einfacher zweiteiliger Strophen geschaffen, die im Grunde nur Abänderungen der kurzen Reimpaare sind:' sie haben in jeder Zeile vier oder drei Betonungen und bestehen meist aus vier oder sechs oder acht Zeilen mit

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'Victrif.

mannigfacher Ablvechselung in der Einordnung der Reime. Solche Strophen hat mit Vorliebe und Erfolg besonders Uhland erneuert, sie finden sich bei ihm, bei Wilhelm Müller, Hoffmann von Fallersleben, Eichendorff, Heine und andern als das weitaus überwiegende Versmaß, meistens jambisch, manchmal auch trochäisch gebildet. Seit dem 18. Jahrhundert sind auch italienische Vers­ maße beliebt worden; die Italiener haben meist elfsilbige Verszeilen mit fünf Betonungen, in jambischem Gange: da die italienische Sprache, ähnlich wie die französische, betonte Flexionsendungen hat, so ist es sehr leicht, in dieser Sprache zu reimen; infolgedessen liebt die italienische Dichtung künstliche Reimverschlingungen: Das Sonett hat 14 Zeilen, zu 2 Strophen von je vier und 2 Strophen von je 3 Zeilen geordnet, mit zwei Gruppen verschlungener Reime, deren erste die beiden ersten Strophen beherrscht, die zweite die dritte und vierte Strophe. — Die Ter­ zinen, die Strophe Dantes, sind dreizeilige Strophen, wo jedes Reimworr dreifach wiederkehrt, und zwar so, daß die erste und letzte Zeile jeder Strophe auf die mittlere Zeile der vorhergehend e n Strophe reimt; der aller­ erste Reim kommt demnach nur zweimal vor, und der letzten Strophe wird noch eine Zeile zugesügt, um der Mittelzeile derselben doch wenigstens einen Reim zu geben. — Die Stanze (Ottaverime) ist eine achtzeilige Strophe von elssilbigen oder zehnsilbigen Zeilen, von denen 1, 3, 5 und 2, 4, 6 miteinander reimen, 7 und 8 aber ein Reimworr für sich besitzen.

Verse mit fünf Betonungen klingen im Deutschen durch­ weg etwas schwer, feierlich und fremdartig, sie werden darum nicht sehr häufig angewandt. Im Drama liegt die Sache anders, da der fehlende Reim dort die Sprache der Prosa nähert. Die Spanier lieben vierzeilige Strophen, deren jede Zeile aus vier reimlosen Trochäen besteht, die durch Gleich­ klang der Vokale (Assonanz) verbunden sind. Herder, 34*

5-28

Anhang.

Poetik und Metrik.

Heine, Scheffel im Trompeter von Säckingen und andere haben solche Verse gebildet. Dem Orient ist das von Rückert und Platen beson­ ders gepflegte Gasel entliehen, d. h. Gedichte, deren beide ersten Zeilen sich reimen, und wo dieser selbige Reim durch das ganze Gedicht hindurch sämtlichen geraden Zeilen ge­ geben wird, während die ungeraden Zeilen reimlos bleiben. Noch von anderer Seite hat der Orient auf die Form unserer Dichtung eingewirkt. Die althebräischen Dich­ tungen der Bibel, besonders die Psalmen, zeigen einen eigentümlichen freien rhythmischen Gang, der in Luthers deutscher Bibelübersetzung frei wiedergegeben ist, z. B.: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen." Diese biblischen Rhythmen haben Macpherson um 1760 angeregt, seine Ossianlieder zu dich­ ten, in Deutschland Klopstock zu schwungvollen Oden, den jungen Goethe zu prächtigen Gesängen begeistert. In seinen Fußtapfen sind dann viele gewandelt, von Heine an (Nord­ seelieder) bis zu Martin Greif (Frühling der Heide). Diese freien Rhythmen finden sich auch in ganz freien Reimet: entfaltet, nach beut arabischen Vorbild der Makamen, sie bekommen dann leicht etwas Scherzhaftes, tvie in Rückerts und Gülls Kindermärchen. Die nach dem Rhythmus zu betonenden Silben muffen auch beim Lesen betont werden, wenn der Sinn es irgend gestattet; oft sogar ist der Rhythmus ein Fingerzeig für die richtige Betonung. Erlaubt jedoch der Sinn durchaus nicht, eine bestimmte Hebung zu betonen, dann ist sie doch wenigstens etwas mehr hervorzuheben, als der Sinn es eigentlich verlangt, wohingegen die dem Sinne nach zu betonende Senkung etwas schwächer gesprochen werden muß, als sie es verdiente. Dies nennt man „schwebende Betonung". In Versen verfaßte Dramen liest man besser­ völlig nach dem Sinn, ohne Beachtung der Versenden, da­ mit die Rede natürlicher erscheine; das regelmäßige Schaukeln der Jamben macht sich schon ganz von selbst für das Ohr geltend. Man möge auch nicht — und das

Metrik.

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gilt für alle Arten Gedichte — die einzelnen Verstatte durch Pausen trennen (skandieren): dies klingt leicht wie Geklapper. Nach jeder Verszeile soll eine kleine Pause ge­ macht werden; greift der Sinn in die andere Zeile über, so muß diese Pause sehr kurz fein, darf unter Umständen sogar ganz unterdrückt werden. Zuletzt noch eine Bemerkung über die Reime. Sie sind ein Gleichklang, der dem Ohr schmeicheln und zugleich dem Verstand sagen soll, daß die gereimten Zeilen eng zusammengehören: es muß aber dem Gefühl des Dichters überlassen bleiben, zu entscheiden, wie weit er im Gleich­ klang gehen will: mit Unrecht spricht man darum da, wo der Gleichklang nicht völlig ist, von „unreinen" Reimen. Wirkliche Dichter leiden nicht an Reimnot: wo sogenannte unreine Reime vorliegen, sind sie beabsichtigt: z. B. bei Heine: Leise zieht durch mein Gemüt. GleichUang wird nur für das Ohr, nicht fürs Auge verlangt; heim­ wärts — Herz ist ein reiner Reim. Manchmal kehrt statt des Reims dasselbe Wort wieder, es ist das gegen die Regel, findet sich aber bei den besten Dichtern.

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Erläuterungen.

Erläuterungen. Zu Nr. 2 Arndt, Die Leipziger Schlacht-: Der Anfang ist nach Jesaias 63 (Wer ist der, so von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern von $051x1 ? 1: der Name Leipzig, slavischen Ursprungs, wird „Lindenstadt" gedeutet. Zu Nr. 10 Claudius, Rheinweinlied»: Ein griechisches Dichterwort über die Kreter lautete: „Die Kreter sind immer Lügner, schlimme Tiere und faule Bauche" im Neuen Testament Titus 1, 12 zitiert?. Zu 12 ,lD a ch , Ännchen von Tharau': Das Lied ist 1657 auf die Hochzeit der Anna Neander mit Johann Portatius, einem Freunde des Dichters, verfaßt, und zwar niederdeutsch, die vorliegende hochdeutsche Übersetzung ist von Herder. Zu 17 «T r oste, Des alten Pfarrers Samstag .- Aus dein Zyklus „Des alten Pfarrers Woche". 3ii 18 D roste, Gleichnis vom Feigenbaums Dies (Gedicht ist aus dem erst nach dem Tode der Dichterin erschienenen Zyklus ,,Das geistliche Jahr" und ist Montag in der Karwoche be­ zeichnet. Zn 34 Geibel, Ich fuhr von Goar): Gemeint ist das Lied „Der Mai ist gekommen": der Bonner Student Lyra hat, als Geibel in St. Goar wohnte, die allbekannte Weise dazu ge­ schaffen Zn 39 iG eibel, Schön Ellen: Am 17. November 1857 gelang es Sir Campbell, Lucknow zu entsetzen, das in dem großen Ausstand in Ostindien von den Eingeborenen lange Monate hindurch belagert war. Die in der Ballade erzählte Begebenheit beruht auf Wahrheit. Der berühmte schottische Marsch: „The Campbells are coniing, oho, oho“ hat denselben Rhythmus, wie das obige Gedicht von Geibel. Max Bruch hat die Ballade mir Benutzung der Marschweise komponiert. — Pibroch ist der Dudelsack der Schotten: Rohrfeld = Zuckerrohr. Zu 40 (Geibel, An König $$0614111': Dieses Begrüßungs gedieht kostete Geibel seine Münchener Professur: dasür setzte aber König Wilhelm dem Dichter ein Jahresgehalt ans. Zu 41 (Geibel, Aus dem klassischen Liederbuch-: I: Der kydonische Apfelbaum = Quittenapfelbaum ^Quitte ist aus Kydonia entstanden: Kydonia war eine Stadt auf Kreta». II: Skolion nennt man die unsern Volksliedern zu vergleichenden altgriechi­ schen Gesänge, die im Chor gesungen wurden. V: Man vgl. Nr. 257 (Herodot, Leonidas). Zu 44 (Goethe, Proserpina): Diese Dichtung ist vom

Erläuterungen.

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Dichter in das satyrische Drama ,,Der Triumph der Empfind­ samkeit" eingelegt morden, wohin sie int Grunde schlecht paßt. Zu 46 (Goethe, Mahomets Gesang): Die Überschrift sollte heißen „Gesang an Mahomet": das Stück mar für ein nicht ausgeführtes Drama „Mahomet" bestimmt und sollte Wechselsang von Mahomets Tochter Fatema und deren Gemahl Ali sein, zum Preis des auf der .Höhe seiner Macht stehenden Propheten. Zu 58 (Goethe, Lieder Mignons): In der ersten Strophe hat sich beharrlich die unrichtige Lesart „Geliebter" statt „Ge­ bieter" erhalten. Zu 62 !G oethe , Kophtisches Lied): Als Arie für eine voll Goethe geplante Oper bestimmt, die den Titel führen sollte „Der Groß-Kophta". Zu 80 (ft eine, Firdnsi : Firdnsi lebte von 960—1030 n. Chr., als Schach Mahomet über Persien zu Gasna herrschte. Ansari mar ftofpoet des Schaches, fteines Darstellung ist streng geschichtlich. In III ist nach den Worten: „Ein sanft geheimnis­ voller Gesang" nochmals II: „ftätt er menschlich ordinär " wiederholt zu denken; Odaliske =■ ftaremsklavm. Die damaligen Perser waren Mohamedaner, doch versetzen uns Firdmis Dich­ tungen in die Zeiten der altpersischen Feuerreligion. Als fteine Firdusi dichtete, hatte er selbst gerade Ähnliches erlebt, indem sein reicher Oheint ihm eine jährliche Unterstützung gewährt hatte, die nach dessen Tode seine Erben dem Dichter schmälerten. Zn 83 (fteine, Aus den Liedern der fteimkehr): Die 3 ersten Lieder bilden ein Ganzes, die Lorelei ist das im Dunkeln gelungene Lied, ist also lyrisch, nicht episch, die damalige Stim­ mung des Dichters malend, das 3. Lied ist Momentaufnahme von Lüneburg, wo der Dichter damals wohnte, in allen Einzel­ heiten getreu, als Gegenstück zur Lorelei, in Versmaß und Strophenzahl, wie im Inhalt genau der Lorelei entsprechend. Das 4. Lied beschreibt die Überfahrt, oon ftarburg nach Ham­ burg, wo der Dichter das Landhaus seines Onkels bei Ottensen wiedererblickt. Zn 84 (ft eine, Aus oent Neuen Frühling): Lied 1 und 2 bildert ein Ganzes, das ferne Klingen ist das Geläute im ft er­ zen des Dichters, das zum ahnenden Lied wird. Zu 101 (L l o p st o ck , Der E i s l a u f): Die Betonung ist:

Preisler war Professor an der Malerakademie zu Kopenhagen, dort ist auch diese Ode entstanden: Kothurn = der hohe. Schuh der griechischen und römischen Schauspieler.

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Erläuterungen. Zu 102 (Klopstock, Die frühen Gräber): Die Betonung ist:

Zu 103 (Klopstock, Die Sommernacht): Die Betonung ist:

Zu 110 (K örner , Schwertlied): Das Schwertlied hat Kör­ ner wenige Stunden vor seinem Tode in sein Taschenbuch ge­ schrieben. Daher ist auch der Sprachfehler ,,freut dem Schwerte" zu erklären. Zu 111 (Lenau, Primula veris): Primula veris = Erst­ ling des Frühlings, lateinischer Name der Primel. Zu 146 (Schenke ndorf, Auf Scharnhorsts Tod): Helden­ lanze ist nicht Akkusativ, wie manche es deuten, sondern Nomi­ nativ. Sch. liebt das Wort Lanze und gebraucht es wiederholt statt Held, so sagt er vom König Friedrich Wilhelm: „Wie herrlich strahlt dein Angesicht — Im Siegesglanze — Du Heldenlanze!" Den Namen Scharnhorst bringt er wortspielend mit Aar und Horst zusammen. Zu 147 (Schenkendorf, Frühlingsgruß): In Strophe 4 meint der Dichter natürlich nicht, daß man die Trauben jetzt, im Frühling, breche, sondern umschreibt nur dadurch das Wort „Traubenhügel". In Strophe a sind die dort genannten Un­ tugenden nicht allgemein zu deuten, sondern politisch, als das, was dem neuzugründenden Kaisertum widerstrebt, dasselbe, was dann „alte Sünden" genannt wird. Zu 154 (Schiller, Lied von der Glocke): Die lateinische Glockeninschrist lautet zu deutsch: Lebende ruf ich, Tote beklag ich, Blitze zerschlag ich. Zu 161 (Storm, Abseits): Kätner ist der Bewohner eines Katens oder Kottens (Bauernhaus). Zu 167 (Uhland, Die Bidassoabrücke): Die hier geschil­ derte Begebenheit trug sich im Oktober 1830 zu (Baumgarten, Geschichte Spaniens, 3. Bd. S. 93). Zu 188 (Volkslied, Herzlich tut mich erfreuen): ErkBöhme, Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglichern deutschen Volkslieder nach Wort und Weise aus d. Vorzeit u. Gegenwart, 3 Bde., Leipz. 1893—94. Text vgl. auch des Knaben Wunder­ horn (K W). Text und Weise aus dem Jahr 1545.

Erläuterungen.

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Zu 189 (Wenn bcr Schnee usw.): steirisches Jodellied. E B III. Zu 190 (O Straßburg): Obiger Text ist der älteste, aus dem Sesenheimer Liederbuch von 1771, Melodie durch ganz Deutschland verbreitet, E B II. Zu 191 (Zu Straßburg aus der Schanz): Text KW, auch abgedruckt Lesebuch 7. Teil. Melodie von Silcher nach EB III. Zu 192 (Innsbruck, ich muß dich lassen): Originalmelodie des Heinrich Isaac, t zn Wien 1518 als Kapellmeister des Kaisers Maximilian, in volkstümlichem Rhythmus, EB II. Zu 193 (Soviel Stern usw.): Weise des Soldatenliedes „O du Deutschland, ich muß marschieren"; Text in 10 dreizeiligen Strophen in K W, in obiger der Weise zuliebe erweiterter Form gedruckt im Liederbuch für Hochschulen 1823. Zu 194 (Wenn ich ein Vöglein wär): E B II, Text mit kleinen volkstümlichen Änderungen. Vgl. Lesebuch 7. Teil,. Seite 188. Zu 196 (Es wollt ein Mädchen): Melodie nach Scherer: Die schönsten deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen, Stuttgart, 1863. Zu 198 (Es waren zwei Königskinder): Durch ganz Deutsch­ land verbreitet, 1807 zuerst gedruckt bei Büsching und v. d. Hagen. Dur-Melodie. Zu 199 (O Jesulein zart): E B III. zweite Melodie von 1635, Die 2. Strophe des Textes bei EB ist weggelassen, aber die beiden Schlußstrophen nach dem Straßburger Gesangbuch von 1697 beibehalten. Vgl. auch Christkindleins Wiegenlied in KW. Zn 200 (Gilten Abend): Text aus KW; Melodie von Jo­ hannes Brahms, die 2. Strophe ist auf Veranlassung des Ver­ legers des Brahmsschen Liedes hinzugedichtet. Zu 205 (Bismarck, Sedan): Dieser Bries ist nicht an seine Adresse gelangt, sondern mit der ganzen Post von Frank­ tireuren aufgefangen und von einer französischen Zeitung ver­ öffentlicht worden. Bill ist Bismarcks Sohn Wilhelm. Zu 211 (Fontane, Im Spreewald): Der Stern des Bootes ist das Hinterteil; Knüppeldamm = aus aneinandergelegten Knüppeln gebildete Wege in Sumpfgegenden; der Schlußreim ist ein sogenannter Leberreim, früher beliebtes Scherzspiel, wo man die erste Zeile sagte, doch stets mit einem andern Tier­ namen an: Schlüsse, worauf bei Strafe eines Pfandes ein anderer einen Reim zu machen hatte. Zu 212 (Freytag, Rückkehr der Franzosen): Das Lied ging so weiter: Jäger ohn Gewehr — Kaiser ohne Heer — Heer ohne Kaiser — Wildnis ohne Weiser — Mit Mann und Roß usw. Trommler ohne Trommelstock — Kürassier im Weiberrock — Ritter ohne Schwert — Reiter ohne Pferd — Mit Mann) und Roß usw.

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Erläuterungen.

Fähnrich ohne Fahn — Flinten ohne Hahn — Büchsen ohne Schuß — Fußvolk ohne Fuß — Mit Mann usw. Feldherrn ohne Witz — Stückleut ohn Geschütz — Flüchter ohne Schuh — nirgends Rast und Ruh — Mit Mann usw. Speicher ohne Brot — allerorten Not — Wagen ohne Rad — alles müd und matt — Kranke ohne Wagen — so hat sie Gott geschlagen. Zu 214 (Goethe, Werthers Leiden): Geniste ist Ginster, lateinisch genista (planta genista, die Wappenpflanze, wonach, das Haus Plantagenet benannt ist). Zu 222 (Jäger, Aufführung der Orestie): Periakten war eine unsern Kulissen entsprechende Vorrichtung der griechischen Bühne. Zu 224 (Jmmermann, Der Hofschulze): Pistole = spa­ nische Goldmünze, 15,5 Mark wert: die drei alten Städte sind Hamm, Unna u. Soest. Zu 232 (Lessing, Die Einheiten des Dramas): Ausweg, jetzt Abweg; Plagiarius = Fälscher, Abschreiber; Plutus = Gott des Reichtums. Zu 241 (Novalis, Die blaue Blume): Anfang des Romans Heinrich von Ofterdingen; danach wurde der Ausdruck blaue Blume üblich als Kennzeichen der Romantik überhaupt. Zu 243 (Reuter, Niederdeutschland im Frühjahr 1813); Snakenhut = Schlangenhaut; afströpt = abgestreift; Snurrer = Bettler; Pracher = Strolch; upböhren — aufheben; verklamt = erstarrt; verdort = erwärmt; Späuk — Spuk; Hümpel = Handvoll; Metz = Messer; bluckte — bleckte; Läuchen = Leuchten; intauremsen = einbläuen. Zu 257 (Herodot, Leonidas): Herodot ist um 490 v. Chr. zu Halikarnassos in Kleinasien geboren, t 424 zu Thurii in Unteritalien. Sein großes Geschichtswerk teilte er in 9 Bücher, deren jedes einer der Musen gewidmet war. Zu 258 (Xenophon, Thalatta): Xenophon ist um 440 zu Athen geboren, war Schüler des Sokrates und siedelte nach dessen -Tod nach Sparta über. Er leitete den Rückzug der 10 000 Griechen, die im Solde des jüngeren Cyrus am Euphrat kämpften, bis zum Schwarzen Meere. Er starb 354 zu Korinth. Man vgl., das Gedicht von Heine Nr. 85. Zu 259 (Aus Platons Gastmahl): Platon ist 429 v. Chr. zu Athen geboren, Schüler des Sokrates, der Gründer einer Philosophenschule, er starb 348 zu Athen. Im „Gastmahl" schildert er, wie der Dramendichter Agathon Freunde zu sich einlud, darunter den Sokrates, und wie zur Unterhaltung jeder eine Lobrede, aus Eros halten mußte. Sokrates sprach zuletzt. Danach trat Alcibiades ein, der, von einem andern Gastmahl heimkehrend, bei Agathon noch Licht erblickt hatte. Er sollte auch den Eros loben, statt dessen aber hielt er eine Lobrede auf Sokrates.

Erläuterungen.

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Zu 260 (A r i st 0 t e l e s , Aus der Poetik): Aristoteles ist 384 v. Chr. zu Stagira in Mazedonien geboren' er war Schüler des Platon, Erzieher des Alexander, Haupt der peripatetischen Philosophenschule zu Athen. Er starb 322 zu Chalcis auf Euböa. Zu 261 (The 0 phrast, Der Schmeichler): Th. ward 372 -auf der Insel Lesbos geboren, Schüler und Nachfolger des ^Aristoteles, er starb 287 zu Athen. Unter seinen Schriften sind besonders berühmt die- Charakterschilderungen, meist etwas ins Komische gehend. Zu 262 (Epiktet, Stoische Grundsätze"»: E. ward 50 n. Chr. in Phrygien geboren. Er war Sklave und wurde von seinem Herrn oft mißhandelt, später jedoch freigelassen. Er starb unter Hadrians Negierung. Sein Encheiridion, d. i. Handbüchlein war zu allen Zeiten hochgefeiert. Zn 263 (Mark Aurel, Selbstgespräche): M. A. der glor­ reiche römische Kaiser, ist 121 n. Chr. geboren, wurde vorn Kaiser Antoninus adoptiert und regierte von 161 bis 180. Seine Betrachtungen „An sich selbst" sind Tagebücher, in griechischer Sprache geschrieben. Zu 264 (Lucian, Merkurs Klagen): L. ist um 125 n. Ehr. zu Samosata am Euphrat geboren, machte große Reisen und lebte lange in Athen, einer der glänzendsten Schriftsteller der späthellenschen Zent, als bereits die griechische Religion in Ver­ fall war. Zu 265 (Cäsar, Sitten der Germanen): Cäsar führte von 58—49 in Gallien die Kriege, die er selbst unter den Titel „De bello Gallico" beschrieben hat. Im Jahre 55 überschritt er den Rhein und suchte ohne Erfolg die Germanen zu besiegen. Bei dieser Gelegenheit schildert er deren Sitten. Zu 266 (Cicero, Landleben): Der berühmte Redner (106 bis 43 v. Chr. » legt dem ältern Cato das Loh des Greisenalters in den Mund. In dieser Schrift preist Cato unter anderm das Landleben: Zu 267 (L i v i u s) ist geboren 59 v. Chr. zu Padua und starb 17 n. Chr. Seine römische Geschichte von Erbauung der Stadt bis zum Tode des Drusus umfaßte 142 Bücher, von denen 35 erhalten sind. Zu 268 (A p u l e j u s , Amor und Psyche): A. ist 125 n. Chr. zu Madaura in Afrika geboren. In seinen ausgedehnten Roman „Der goldne Esel" ist das Märchen von Amor und Psyche- als Episode eingefügt. Da Psyche die Seele bedeutet, so ist das Ganze eine Allegorie auf die menschliche Seele. Rafael, Thorwaldsen und viele andre Künstler haben das Märchen künstlerisch gestaltet.

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Lebensabriß bei Versager und Nachweis der Quellen.

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen. Allmers, Hermann Ludwig, geb. 11. Febr. 1821 zu Rechtenfleth in der Osterstader Marsch, t 9. März 1902 da­ selbst. Nr. 201, 202 (Marschenbuch, 3. Ausl. Oldenburg, 1891). Arndt, Ernst Moritz, geb. .26. Dez. 1769 zu Schoritz auf Rügen, t 29. Jan. 1860 zu Bonn. Nr. 1—4 (Gedichte, Leipzig, 1840). Nr. 203, 204 (Schriften für u. an seine lieben Deutschen, Leipzig, 1845). B i e r b a u m , Otto Julius, geb. 28. Aug. 1865 zu Grün­ berg, Schlesien, t 1 Febr. 1910 zu Dresden. Nr. 5 (Neube­ stellter Irrgarten der Liebe, Leipzig, 1906). v. Bismarck, Fürst Otto, geb. 1. April 1815 zu Schön­ hausen, t 30. Juli 1898 zu Friedrichsruhe. Nr. 205 (Bis­ marckbriefe, Bielefeld, 1877). v. Chamisso, Adelbert, geb. 31. Jan. 1781 auf Schloß Boncourt, Champagne, t 21. Aug. 1838 zu Berlin. Nr. 6, 7 -Werke, Berlin, 1836—39). Claudius, Matthias, geb. 15. Aug. 1740 zu Neinfeld, Holstein, t 21. Jan. 1815 zu Hamburg. Nr. 8—10 (Werke, 8 Teile, Wandsbeck, 1774—1812). Dach, Simon, geb. 26. Juli 1608 zu Memel, t 15. April 1659 zu Königsberg. Nr. 11, 12 (Deutsche Dichter des 17. Jahrh, von Gödecke und Tittmanu, Leipzig, 1876, um 1 Strophe ge­ kürzt : Nr. 12 aus Herders Werken, Ausg. von Suphan, Berlin, 1885, um 14 Zeilen gekürzt). Dehmel, Richard, geb. 18. Nov. 1863 zu Hermsdorf, Schlesien, lebt zu Blankenese bei Hamburg. Nr. 13 (Werke, Berlin, 1900). Dohm, Ernst, geb. 24. Mai 1819 zu Breslau, f 5. Febr. 1883 zu Berlin. Nr. 14 ^Kladderadatsch 1870, Nr. 40 vom 28. August, Berlin). v. Droste-Hülfshosf, Annette, geb. 12. Jan. 1798 zu Hülshoff bei Münster, f 24. Mai 1848 zu Meersburg am Bodensee Nr. 15—18, 206—208 ^Gesammelte Schriften, Stutt­ gart, 1878). E b n e r - E s ch e n b a ch , Marie Freifrau von, geb. 13. Sept. 1830 zu Zdislavic, Mähren, lebt zu Wien. Nr. 19, 20 (Schrif­ ten, Berlin, 1905). v. Eichendorff, Joseph, geb. 10. März 1788 zu Lubowitz, Oberschlesien, t 26. Nov. 1856 zu Neiße. Nr. 21—25 (Werke, 9. Ausl. Leipzig, 1875, Nr. 24 um eine Strophe ge­ kürzt,. Falke, Gustav, geb. 11. Jan. 1853 zu Lübeck, lebt zu Hornbostel b. Hamburg. Nr. 209 (Hamburg, Stuttgart, o. I.). Fleming, Paul, geb. 17. Okt. 1609 zu Hartenstein,

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

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Erzgebirge, f 2. April 1640 zu Hamburg. Nr. 26, 27 (Deutsche Dichter des 17. Jahrh, non Gödecke u. Tittmann, Leipzig, 1870. Nr. 26 mit Weglassung der letzten Strophe). Fontane, Theodor, geb. 30. Dez. 1819 zu Neuruppin, t 20 Sept. 1898 zu Berlin. Nr. 210, 211 (Wanderungen d. d. Mark Brandenburg, Berlin, 1892, Nr. 210 unbedeutend gekürzt). Freiligrath, Ferdinand, geb. 17. Juni 1810 zu Det­ mold, t 18. März 1876 zu Kannstatt. Nr. 28—32 (Ges. Dich­ tungen, 6 Bde., Stuttgart, 1871; Nr. 29 hat im Original 7 Strophen). Freytag, Gustav, geb. 13. Juli 1816 zu Kreuzburg, Schlesien, f 30. April 1895 zu Wiesbaden. Nr. 212 (Bilder aus der deutschen Vergangenheit, Bd. 4, Leipzig, 1889). Geibel, Emanuel, geb. 18. Okt. 1815 zu Lübeck, t 6. April 1884 ebenda. Nr. 33—41 (Werke, 8 Bd., Stuttgart, 1883; Nr. 40 hat im Original 6 Strophen). Gerhardt, Paul, geb. 12. März 1607 zu Gräfenhainichen, t 7. Juni 1676 zu Lübben. Nr. 42 (Geistl. Lieder, Ausg. von Philipp Wackernagel, Stuttgart, 1861, das Original hat 15 Strophen). G ö r r e s , Joseph, geb. 25. Jan. 1776 zu Koblenz, f 14. Juli 1852 zu München. Nr. 213 (politische Schriften, 1. Bd., Mün­ chen. 1854). Goethe, Elisabeth, geb. 19. Febr. 1731 zu Frankfurt a. M., f 13. Sept. 1809 ebenda. Nr. 214 (Briefwechsel, Leip­ zig, 1871; Briefe, herausg. von Stein, Leipzig, Reklam, o. I.). Goethe, Johann Wolfgang, geb. 28. Aug. 1749 zu Frankfurt a. M., t 22. März 1832 zu Weimar. Nr. 43—71, 215, 216 (Werke, Briefe, Ausg. von Stein, Berlin, 1902). Greif, Martin, geb. 18. Juni 1839 zu Speier, lebt zu München. Np.' 72—77 (Gedichte, 6. Ausl. 1895; Nr. 72 ist ab­ sichtlich in der Fassung der 5. Ausl, abgedruckt). Grimm, Jakob, geb. 4. Jan. 1785 zu Hanau, t 20. Sept1863 zu Berlin; Wilhelm, geb. 24. Febr. 1786 zu Hanau, t 16. Dez. 1859 zu Berlin. Nr. 217 (Vorrede zu den Kinderund Hausmärchen, 18. Aufl. Berlin 1882 und zu den Deutschen Sagen, Berlin, 1816). Hamerling, Robert, geb. 24. März 1830 zu Kirchbach, Österreich, f 3. Juli 1889 zu Graz. Nr. 78 (Schwanenlied der Romantik, Hamburg, 1873; die Einteilung in I und II und die Textänderung in der 1. Zeile von II ist vom Dichter für «den Abdruck in der 2. Aufl. dieses Lesebuchs persönlich an­ gegeben worden). Heine, Heinrich, geb. 13. Dez. 1797 zu Düsseldorf, t 17. Fe­ bruar 1865 zu Paris. Nr. 79—88, 217 (Werke, herausg. von Elster, Leipzig, o. I.). Herder, Johann Gottfried, geb. 25. Aug. 1744 zu Moh­ rungen, t 18. Dez. 1803 zu Weimar. Nr. 88, 89, 219 (Werke,

538

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

Stuttgart 1826; Nr. 219 aus den Stimmen der Völker in Liedern, mit Auslassungen). Hesse, Hermann, geb. 2. Juli 1877 zu Calw in Württem-^ berg, lebt in Gaienhofen am Bodensee. Nr. 220 (Zeitschrift: Die Nheinlande, Düsseldorf, 1909). Hölderlin, Friedrich, geb. 29. März 1770 zu Lauffen am Neckar, f 7. Juni 1842 zu Tübingen. Nr. 90—94 (Werke, Ausg von Schwab, Stuttgart, 1846, Nr. 91 mit Weglassung der ersten 18 Distichen). Hölty, Ludwig Heinrich Christoph, geb. 21. Dez. 1748 zu Mariensee, f 1. Sept. 1776 zu Hannover. Nr. 95 ^Gedichte, Ausg. von Halm, Leipzig, 1869). Humboldt, Wilhelm von, geb. 22. Juni 1767 zu Pots­ dam, t 8. April 1835 zu Tegel bei Berlin. Nr. 221 (Über Goethes Hermann und Dorothea, Werke, Berlin, 1843). Jäger, Oskar, geb. 26. Okt. 1830 zu Stuttgart, t 2. März 1910 zu Bonn. Nr. 222 (Geschichte der Griechen, Gütersloh, 1866, etwas gekürzt). Iahn, Friedrich Ludwig, geb. 11. Aug. 1778 zu Lanz, Priegnitz, t 15. Okt. 1852 zu Freiburg a. d. Unstrut. Nr. 223 (Deutsche Turnkunst, Vorrede, Berlin, 1816). Immermann, Karl Lebrecht, geb. 24. April 1796 zu Magdeburg, t 25. Aug. 1840 zu Düsseldorf'. Nr. 224, 225 ('Münchhausen, Berlin, 2. Ausl. 1864). Kerner, Justinus, geb. 18. Sept. 1786 zu Ludwigsburg, t 23. Febr. 1862 zu Weinsberg. Nr. 97, 98 (Ausgew. poetische Werke, 2 Bde., Stuttgart, 1878). v. Klei st, Heinrich, geb. 18. Okt. 1777 zu Frankfurt a. O., ;• 21. Nov. 1811 am Wansee bei Potsdam. 9k. 226 (Werke, Berlin, o I.). Klop stock, Friedrich Gottlieb, geb. 2. Juli 1724 zu Qued­ linburg, t 14. März 1803 zu Hamburg. Nr. 99—103 (Werke, Ausg. von Boxberger, Berlin, o. I. Die Frühlingsfeier ist voll Zeile 45 an abgedruckt, die Verszeilen öfter abweichend von Original abgebrochen, es blieben fort die Zeilen: Auch das Würmchen mit Golde bedeckt, merkt auf, ist es vielleicht nicht seelenlos? ist es unsterblich? weil unverständlich ohne den hier fehlenden Anfang der Ode. K o p i s ch, August, geb. 26. Mai 1799 zu Breslau, f 6. Fe­ bruar 1853 zu Berlin. Nr. 104 (Werke, Berlin, 1856). ft örn er, Theodor, geb. 23. Sept. 1791 zu Dresden, t 26. Aug. 1833 bei Gadebusch, Mecklenburg. Nr. 105—110, 227, 228 (Werke; Tagebuch und Kriegslieder, Freiburg, 1893). K ü g e l g e n , Wilhelm, geb. 20. Nov. 1802 zu Petersburg, t 25. Mai 1867 zu Ballenstedt. Nr. 229 (Jugenderinnerungen eines alten Mannes, 2. Ausl. Berlin, 1870, nicht unerheblich gekürzt).

Lebensabrin der Verfasser und Nachweis der Quellen.

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Lenau, Nikolaus, geb. 13. Aug. 1802 zu Csatad, Un­ garn, t 22. Aug. 1850 bei Wien. Nr. 111—114 (Gedichte, Stuttgart, 1857; Nr. 113 aus dem dichterischen Nachlaß, heraus­ gegeben von Anast. Grün, Stuttgart, 1858). Lessing, Gotthelf Ephraim, geb. 22. Jan. 1729 zu Ka­ menz, Oberlausitz, t 15. Febr. 1781 zu Braunschweig. Nr. 230 bis 233 (Werke, Berlin, o. I.). Liliencron, Detlev von, geb. 3. Juni 1844 zu Kiel, t 22 Juli 1909 zu Altrahlstedt bei Hamburg. Nr. 115, 116 (Werke, 7 Bde., 1904). Lindner, Theodor, geb. 29. Mai 1843 zu Breslau, lebt als Universitätsprofessor zu Halle. Nr. 234, 235 (Der Krieg gegen Frankreich und die Einigung Deutschlands, Berlin, 1895). Luise, Königin von Preußen, geb. 10. März 1776 zu Hannover, t 19. Juli 1910 zu Hohenzieritz, Mecklenburg. Nr. 236 (Evlert, Charakterzüge a. d. Leben Friedrich Wilhelm III., Magdeburg, 1845). Meyer, Konrad Ferdinand, geb. 12. Okt. 1825 zu Zürich, t 28. Nov. 1898 zu Kirchberg bei Zürich. Nr. 117—120 (Ge­ dichte, 5. Aufl. Leipzig, 1892). M e y r, Melchior, geb. 28. Juni 1810 zu Ehingen bei NördHnger. im Ries, t 22. April 1871 zu München. Nr. 237 (Erzählungen aus dem Ries, 8. Aufl. Leipzig, 1875). M o l t k e, Helmut, Graf von, geb. 26. Okt. 1800 zu Par­ chim, t 24. April 1891 zu Berlin. Nr. 238, 239 (Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Berlin, 1892). M ö r i k e, Eduard, geb. 8. Sept. 1804 zu Ludwigsburg,, t 4. Juni 1875 zu Stuttgart. 'Nr. 121—124 (Gedichte, 12. Aufl. Stuttgart, 1897). M ü ller, Wilhelm, geb. 7. Okt. 1794 zu Dessau, t 30. Sept. 1827 ebenda. Nr. 125—127 (Gedichte, herausg. von Max Müller, Leipzig, 1868; dort ist Muntacö geschrieben). M u t h e r, Richard, geb. 25. Febr. 1860 zu Ohrdruf, f 28. Juni 1909 zu Wölfelsgrund b. Breslau. Nr. 277 (Geschichte der Malerei, 3 Bde., Berlin, 1909). Naumann, Friedrich, geb. 25. März 1860 zu Stormtal in Sachsen, lebt zu Berlin. Nr. 276, 278 (Form und Farbe, Berlin, 1909). Nettelbeck, Joachim, geb. 20. Sept. 1738 zu Kolberg, t 19. Juni 1824 ebenda. Nr. 240 (Lebensbeschreibung, von ihm selbst ausgezeichnet, 3. Aufl. Leipzig, 1863, Bd. 2). Nonne, Johann Heinrich Christian, geb. 26. Aug. 1785 zu Lipp­ stadt, f 29. April 1853 zu Schwelm. Nr. 1* 8 (als Familienüber­ lieferung so bezeugt durch Herrn Oberstleutnant Nonne zu Bonn). Novalis (Friedrich v. Hardenberg), geb. 2. Mai 1772 zu Wiederstadt, Sachsen, t 25. März 1801 zu Weißenfels. Nr. 241 (Heinrich von Ofterdingen, Berlin, 1815).

540

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

Oncken, Wilhelm, geb. 19. Dez. 1838 zu Heidelberg, f 11. Aug. 1905 zu Gießen. Nr. 242 (Unser Heldenkaiser, Ber­ lin, 1897, unbedeutend gekürzt). O st i n i, Fritz, Freiherr von, geb. 27. Juli 1861 zu München, lebt zu München. Nr. 129 (Jugend, 1895, München. Nr. 3, 4 Strophen nach persönlicher Angabe des Dichters sind weggelassen) P l a t e n , August, Graf von Platen-Hallermünde, geb. 24. Okt. 1796 zu Ansbach, t 5. Dez. 1835 zu Syrakus. Nr. 130, 131 (Werke, Stuttgart, 1839). Neuter, Fritz, geb. 7. Nov. 1810 zu Stavenhagen, Meck­ lenburg, t 12. Juli 1874 zu Eisenach. Nr. 243 (Ut de Franzosen­ tid, Wismar, 1862). Niehl, Wilhelm Heinrich, geb. 6. Mai 1823 zu Biebrich, T 16. Juni 1897 zu München. Nr. 244 (Die Familie, Stuttgart, 1861, mit einer Auslassung). Nosegger, Peter, geb. 31. Juli 1843 zu Alpel, Steier­ mark, lebt zu Graz. Nr. 245 (Peter Mayr, der Wirt an der Mahr). Rückert, Friedrich, geb. 16. Mai 1788 zu Schweinfurt, 31. Jan. 1866 zu Neuseß. Nr. 132—142 (Gedichte, 6 Bde., Erlangen, 1838; Neue Auswahl, 22. Aufl. Frankfurt, 1886; Weisheit des Brahmanen, 10. Aufl. Leipzig, 1878, dort ohne Überschriften; Kindertotenlieder, aus d. Nachlaß, Frankfurt a. M., 1872). Schack, Adolf, Graf von, geb. 2. Aug. 1815 zu Brüsewitz bei Schwerin, t 14. April 1894 zu Nom. Nr. 143 (Werke, Stuttgart, 1883). v Schenkendorf, Max, geb. 11. Dez. 1783 zu Tilsit, t 11. Dez. 1817 zu Koblenz. Nr. 144—149 (Gedichte, herausg. von Hagen, Stuttgart, 1862. Nr. 146 ohne die letzte Strophe, Nr. 149 mit Weglassung von 16 Zeilen). S cb erer, Wilhelm, geb. 26. April 1841 zu Schönbrunn, Österreich', t 6. Aug. 1886 zu Berlin. Nr. 246 (Geschichte d. dtsch. Literatur, 4. Aufl. Berlin, 1887, etwas gekürzt). Schiller, Friedrich, geb. 10. Nov. 1759 zu Marbach, t 9. Mai 1805 zu Weimar. Nr. 150—159, 247—250 (Werke, 247 aus der Rezension von Bürgers Gedichten; Briefwechsel zwischen Sch. und Goethe, Stuttgart, 1862; Briefwechsel mit Körner, Leipzig, 1874; Sch. und Lotte, Stuttgart, 1879). Schleiermacher, Friedrich, geb. 21. Nov. 1768 zu Breslau, t 12. Aug. 1834 zu Berlin. Nr. 251 (Werke, Berlin, 1846—1864). Gräfin Schwerin, Sofie, geb. 16. Juli 1785 zu Berlin, t 30. Jan. 1863 ebenda. Nr. 252 (Lebensbild d. Gräfin S. Schwerin, geb. Gräfin Dönhoff, aus ihren hinterlassenen Pa­ pieren, Jena, 1868, nicht im Buchhandel; mit Kürzungen).

Lebensabriß der Verfasser und Nachweis der Quellen.

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Springer, Anton, geb. 13. Juli 1825 zu Prag, t 31. Mai 1891 zu Leipzig. Nr. 275 (Raffael und Michel­ angelo, Leipzig, 1878). Stolberg, Friedr. Leopold, Graf von, geb. 7. Nov. 1750 zu Bramstedt, Holstein, f 5. Juli 1819 zu Sondermühlen. Nr. 160 (Gedichte, herausg. von Boie, Karlsruhe, 1783). Storm, Theodor, geb. 14. Sept. 1817 zu Husum;, t 4. Juli 1888 zu Hademarschen. Nr. 161—163 Gedichte, 10. Aufl. Ber­ lin, 1894). v. Treitschke, Heinrich, geb. 15. Sept. 1834 zu Dresden, t 28. April 1896 zu Berlin. Nr. 253 (Teutsche Geschichte im 11. Jahrh., Leipzig, 1879; gekürzt). 11 h l a n d, Ludwig, geb. 26. April 1787 zu Tübingen, t 13. Nov. 1862 ebenda. Nr. 164—172 (Gedichte und Dramen, herausg. von Holland, Stuttgart, 1885). v. Wildenbruch, Ernst, geb. 3. Febr. 1845 zu Beirut, Syrien, t 15. Jan. 1909 zu Berlin. Nr. 254 (Kindertränen, Berlin, 1902). Wilhel m I., Deutscher Kaiser, geb. 22. März 1797 zu Berlin, f 9. März 1888 ebenda. Nr. 255 (Hahn, Kaiser Wil­ helms Gedenkbuch, Berlin, o. I. Der Abschnitt über die Unter­ redung mit Napoleon ist aus Oncken, Unser Heldenkaiser, Berlin, 1897). 3 iegl e r , Franz, geb. 3. Febr. 1803 zu Warchau bei Brandenburg, f 1. Okt. 1876 zu Berlin. Nr. 256 (Novellen aus Italien, Berlin, 1872). A u s griechischen und r ö m i s ch e n S ch r i f t st e l lern: Nr. 257, 261, 262 (Herodot, Theophrast, Epiktet), aus Borberg, Prosaisten des hellenischen Altertums, Gera, o. I.; Nr. 258, 265, 266 (Kenophon, Cäsar, Cicero) von K. H. übersetzt; Nr. 259 (Plato) von Schleiermacher, Berlin, 1807; Nr. 260, 267, 268 (Aristoteles, Livius, Apulejus- aus den Ausgaben von Reclam, Leipzig, o. I. und zwar übersetzt von Stich, Heu­ singer, Jachmann: Nr. 263 (Mark Ailrel) von Cloß, Stuttgart, 1866; Nr. 264 (Lucian) von Pauly, Stuttgart, 1832. Bildende K ü n st e: 269—274 Originalbeiträge von K. H. (269 Wetzlarer Gymnasialprogramm für 1874, Reiseskizzen aus Griechenland, gekürzt; 272 nach einem Aufsatz in der Zeitschrift für weibliche Bildung, Leipzig, 1881, von K. H.). 276 und 278 von Naumann, 275 von Springer, 277 Don Muther. Alte deutsche Lieder: Nr. 173 (Schauffler, Althoch­ deutsche Literatur, Leipzig, 1908); Nr. 174—187 (Bartsch, Deutsche Liederdichter des 12. bis 14. Jahrhunderts, 4. Aufl. von Golther, Berlin, 1906). In Nr. 186 bedeutet Wtsel = Weisel, Führer, nicht das Tier Wiesel. Die Übersetzungen von 173—187 sind von K. H.

542

Inhalt.

I.

Inhalt I. 1. Deutsche Dichtung in geschichtlicher Folge. Mittelalterliche Dichtungen:

Altdeutscher Reisesegen: Nr. 173. Minnelied aus dem 12. Jahr­ hundert: Nr. 174. Spervogel: Nr. 175. Heinrich von Morungen: Nr. 176.

Hartmann von Aue: Nr. 177. Walther von der Vogelweide: Nr. 178-185. Neidhart von Reuenthal: Nr. 186. Meister Alexander: Nr. 187.

Aus dem 16. und 17. Jahrhundert:

Alte Volkslieder mit Weise: Nr. 188—200. Gerhardt: Nr. 42.

Dach: Nr 11. 12. Fleming: Nr. 26. 27.

Aus dem 18. Jahrhundert: Claudius: Nr. 8—10. Hölty: Nr. 95. Graf Stolberg: Nr. 160. Klopstock: Nr. 99—103. Lessing: Nr. 230—233. Herder: Nr. 88. 89; 219.

Goethe: Nr. 43—71; 214. 215. Goethes Mutter: Nr. 216. Schiller: Nr. 150—159; 247 bis 250. Hölderlin: Nr. 90 —94. Novalis: Nr. 241.

Aus dem 19. Jahrhundert:

Vaterländische Dichter: Kleist: Nr. 226. Arndt: Nr. 1—4. Körner: Nr. 105—110; 227. Schenkendorf: Nr. 144—149. Jung: Nr 96. Nonne: Nr. 128. Kopisch: Nr. 104.

Schwäbische Dichter und ihnen verwandt: Uhland: Nr. 164—172. Kerner: Nr. 97. 98. Lenau: Nr. 111—114. Mörike: Nr. 121—124.

N achklänge der Romantik: Eichendorfs: Nr. 21—25. Wilhelm Müller: Nr. 125 bis 127. Heine: Nr. 79—87. Annette Droste-Hülshoff: Nr. 15—18; 206—208. Gegner der Romantik: Platen: Nr. 130. 131. Rückert: Nr. 132-142. Chamisso: 6. 7.

Lyriker: Freiligrath: Nr. 28—32. Geibel: Nr. 33-41.

Inhalt I.

Hamerling: Nr. 78. Graf Schack: Nr. 143. Dohm: Nr. 14. Greif: Nr. 72-77. Storm: Nr. 161—163. K. F. Meyer: Nr. 117—120.

543

Liliencron: Nr. 115. 116. Bierbaum: Nr. 5. Dehmel: Nr. 13. Marie von Ebner-Eschenbach: Nr. 19. 20. Ostini: Nr. 129.

i'2. über deutsche Dichtung und deutsche Sprache. Herder: Nr. 219. (Alte deutsche Volksdichtung). Jahn: Nr. 223 (Die deutsche Sprache). Grimm: Nr. 217 (Märchen und Sage). Schiller: Nr. 247 (Das Schaffen des Dichters). Humboldt: Nr. 221 (Goethes Hermann und Dorethea). Freiligrath: Nr. 31 (Zu Uhlands Geburtstag 1862). , Nr. 32 (Die Gedichte von Hoffmann von Fallersleben). Arndt: Nr 3 (Auf Max von Schenkendorfs Tod). Schiller: Nr. 158 (Die deutsche Muse). Goethe: Nr. 66 (Gedichte). , Nr. 68 (Iphigenie). Kerner: Nr. 98 (Poesie). Rückert: Nr. 142, 5 (Poesie). Uhland: Nr. 172 (Der Mohn).

3. Deutsche Geschichte der neueren Zeit. Kleist: Nr. 226 (Anekdote aus dem Krieg 1806). Luise, Königin von Preußen: Nr. 236 (Brief an ihren Vater aus dem Jahre 1809). Nettelbeck: Nr. 240 (Beim preußischen Königspaar 1809). Fontane: Nr. 210 (Paretz). Schleiermacher: Nr. 251 (Aus der Zeit von Preußens Erniedrigung). Schenkendorf: Nr. 144 (Auf den Tod der Königin Luise). Körner: Nr. 105 (Vor Rauchs Büste der Königin Luise). Rosegger: Nr. 245 (Der Tod Peter Mayrs).

Arndt: Nr. 203 (Von Freiheit und Vaterland). Görres: Nr. 213 (Preußens Erhebung 1813). Freytag: Nr. 212 (Rückkehr der Franzosen aus Rußland). Reuter: Nr. 243 (Niederdeutschland im Frühling 1813). Kügelgen: Nr. 229 (Erinnerungen aus dem Frühling 1813). Schenkendorf: Nr. 145 (Freiheit). , Nr. 146 (Auf Scharnhorsts Tod). Jung: Nr. 96 (Abendlied im Jahre 1813). Arndt: Nr. 1 (Vaterlandslied). „ Nr. 2 (Die Leipziger Schlacht). Körner: Nr. 106 (Aufruf). Nr. 107 (Lützows wilde Jagd). Nr. 108 (Gebet während der Schlacht). Nr. 109 (Abschied vom Leben). Nr. 110 (Schwertlied). Nr. 227, 228 (Briefe 1813). 35 *

644

Inhalt I.

Rückert: Nr. 132 (Geharnischte Sonette). , Nr. 133 (Körners Geist). Gräfin Schwerin: Nr. 252 (Der Siegesbote). Treitschke: Nr. 253 (Die Schlacht von Belle-Alliance). Arndt: Nr. 204 (Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutsch­ lands Grenze). Schenkendorf: Nr. 147 (Frühlingsgruß an das Vaterland). „ Nr. 148 (Das Lied vom Rhein). , Nr. 149 (Antwort). Nonne: Nr. 128 (Beim Feuer am 18. Oktober). Uhland: Nr. 164 (An das Vaterland). Kopisch: Nr. 104 (Der Trompeter). Freiligrath: Nr. 30 (Bei Koblenz). , Nr. 29 (Am Baum der Menschheit). Geibel: Nr. 35 (Lied des Alten im Bart). , Nr. 36 (Wann, o wann? 1858). , Nr. 37 (Deutschlands Beruf, 1861). , Nr. 40 (An König Wilhelm 1868).

Greif: Nr. 72 (Auf dem Schlachtfelde von Wörth). Dohm: Nr. 14 (Die Schlacht von Metz). Lindner: Nr. 234 (Drei Heerführer 1870—71). , Nr. 235 (Kriegsleben 1870—71). König Wilhelm I: Nr. 255 (Sedan). Bismarck: Nr. 205 (Sedan). Moltke: Nr. 238 (Von der Belagerung von Paris). Oncken: Nr. 242 (Wie König Wilhelm deutscher Kaiser wurde). Schack: Nr. 143 (Beim Siegeseinzug in Berlin 1871). Ostini: Nr. 129 (Aller Künste Meister).

4. Bilder deutschen Boltes nnd Landes. Allmers: Nr. 201 (Das niedersächsische Bauernhaus). , Nr. 202 (Ein Tag auf dem Marschhof). Falke: Nr. 209. (Im Hafen von Hamburg). Storm: Nr. 161 (Abseits). , Nr. 163 (Die Stadt). Heine: Nr. 85 (Aus der „Nordsee"). Liliencron: Nr. 116 (Heidebilder). Fontane: Nr. 211 (Im Spreewald). Wildenbruch: Nr. 254 (An der Oder). Ziegler: Nr. 256 (Winter in der Mark Brandenburg). Heine: Nr. 218 (Harzwanderung). Jmmermann: Nr. 224 (Der Hofschulze). , Nr. 225 (Der Oberhof). Droste-Hülshoff: Nr. 206—208 (Bilder aus dem Münsterlande). „ Nr. 16 (tzeidebilder). „ Nr. 17 (Der Knabe im Moor). K. F. Meyer: Nr. 115 (Der Rheinborn). Claudius: Nr. 10 (Rheinweinlied). Hölderlin: Nr. 91 (Der Wanderer). Geibel: Nr. 33 (Der Ritter vom Rhein).

Inhalt I. (Seibel: Nr. 34 „ Nr. 38 Meyr: Nr. 237 Riehl: Nr. 244 Hesse: Nr. 220

545

(Ich fuhr von St. Goar). (Deutsche Wanderschaft). (Aus dem schwäbischen Ries). (Hausinschriften). (Herbstbeginn).

5. Aus dem klassischen Altertum. Aus griechischen und römischen Schriftstellern: Nr. 257—268. (Seibel: Nr. 41 (Aus dem klassischen Liederbuch). Goethe: Nr. 44 (Proserpina). „ Nr. 46 (Alexis und Dora). , Nr. 43 (Der Wanderer).' Herder: Nr. 88 (Das Kind der Sorge). Platen: Nr. 130 (PindarS Tod). Schiller: Nr. 150 (Die Kraniche des Jbykus). , Nr. 151 (Die Bürgschaft). , Nr. 152 (Pompeji und Herkulanum). Jäger: Nr. 222 (Aufführung der Orestie zu Athen). Die Akropolis von Athen (Nr. 269). Der Altar von Pergamon (Nr. 270).

8. Aus der Kunstgeschichte. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

269. 270. 271. 272. 273. 274.

Nr. Nr. Nr. Nr.

275. 276. 277. 278.

Akropolis von Athen. Altar von Pergamon (dazu das Bild: „Die Nacht"). Dom von Speier. Kölner Dom. Genter Altar der Brüder van Eyck. altkölnische Malerschule (dazu das Bild: „Maria im Rosenhag"). Petri Fischzug von Raffael (von Springer). Wie malt man das Denken? (von Naumann). Moritz von Schwind (von Muther; dazu das Bild „Rübezahl"). Neue Schönheiten (von Naumann; dazu das Bild „Koblenzer Rheinbrücke"). Die Der Der Der Der Die

546

Inhalt II.

Inhalt II. Erste Abteilung.

Gedichte. 1. 2. 3. 4. 5.

6. 7.

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Arndt: Seile Vaterlandslied.................................................................................. 1 Die Leipziger Schlacht.....................................................................2 Wer soll der Hütersein?................................................................. 3 Grablied..............................................................................................5 Bierbaum: Oft in der stillen Nacht............................................................. 6 C h a mis s o: Frisch gesungen................................................................................. 7 Die Kreuzschau................................................................................. 7 Claudius: Am Grabe meines Vaters...............................................................9 Zwei Sprüche................................................................................10 Rheinweinlied......................................................................................10 Dach: Lied der Freundschaft.................................................................. 11 Ännchen von Tharau...................................................................12 Dehmel: Die stille Stadt............................................................................... 12 Dohm: Die Schlacht von Metz -.............................................................13 Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor.................................................................. 15 Heidebilder......................................................................................16 Des alten Pfarrers Samstag..................................................... 18 Das Gleichnis vomverdorrten Feigenbaum............................... 20 Ebner-Eschenbach: Ein kleines Lied............................................................................... 22 Spruchverse......................................................................................22 Eichendorff: Die Stille........................................................................................... 23 Sonntag............................................................................................23 Mondnacht........................................................................................... 24 Morgengebet..................................................................................... 24 Auf meines Kindes Tod............................................................ 25 Fleming: DaS treue Herze............................................................................... 26 Gottvertrauen............................................................................... 27

Inhalt II.

547 Seite

28. 29. 30. 31. 32.

Freiligrath: Ruhe...................................................................................................28 Am Baum der Menschheit...............................................................28 Bei Koblenz...................................................................................... 29 Aus der englischen Apfelblüte....................................................... 30 Die Gedichte von Hoffmannvon Fallersleben .... 32

33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.

Geibel: Der Ritter vom Rheine............................................................. 33 Ich fuhr von St. Goar............................................................. 34 Lied des Alten im Bart............................................................. 35 Wann, o wann?................................................................................ 35 Deutschlands Beruf .......................................................................... 36 Deutsche Wanderschaft .'............................................................. 37 Schön Ellen...................................................................................... 38 An König Wilhelm..........................................................................40 Aus dem klassischen Liederbuch................................................. 40

Gerhardt: 42. Sommergesang................................................................................43

Goethe: Der Wandrer...................................................................................... 44 Proserpina.......................................................................................50 AlexiS und Dora..........................................................................58 Mahomets Gesang ...........................................................................64 Ganymed.............................................................................................66 Rastlose Liebe...................................................................................... 66 Auf dem See................................................................................ 66 Jägers Abendlied..................................................... 67 Wandrers Nachtlied 1.........................................................................68 An den Mond........................................................ 68 Grenzen der Menschheit....................................................................69 Meine Göttin................................................................................ 70 Wandrers Nachtlied II.......................................................................71 Das Göttliche.................................................................................71 Märchens Lied aus Egmont....................................................... 72 Lieder Mignons aus Wilhelm Meister.................................... 72 Lied des Harfenspielers aus Wilhelm Meister .... 74 Beherzigung...................................................................................... 74 Ein gleiches...................................................................................... 74 Kophtisches Lied................................................................................ 75 Keins von allen................................................................................ 75 Wanderlied...................................................................................... 75 Die Nektartropfen..........................................................................75 Gedichte.............................................................................................76 Natur und Kunst..........................................................................76 Iphigenie..............................................................................................77 Sprüche in Reimen.......................................................................... 77 Sprüche in Distichen.................................................................... 80 Der Dichter über sich selbst und seine Kunst .... 80 Greif: 72. Auf dem Schlachtfelde von Wörth...........................................82 73. Frühling der Heide.......................................................................... 83 74. Die Bergföhre................................................................................ 84 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.

548

Inhalt II. Sette

75. Am Schilfe.................................................................................... 84 76. Auf der Wiese .........................................................................85 77. Herbstlaub.................................................................................... 85 Hamerling: 78. Vaterlandslied ............................................................................... 86 Heine: 79. Die Grenadiere.............................................................................. 87 80. Der Dichter Firdusi........................................................................ 89 81. Tragödie...........................................................................................93 82. Aus dem „Lyrischen Intermezzo"................................................ 94 83. AuS den Liedern der „Heimkehr".......................................... 97 84. Aus dem „Neuen Frühling".................................................... 102 85. Aus der „Nordsee" .......................................................................103 86. Aus „Seraphine".......................................................................107 87. Der scheidende Sommer.................................... 108 Herder: 88. Das Kind der Sorge..................................... ... 109 89. Der gerettete Jüngling..................................... ... 110 Hölderlin: 90. Die Nacht.........................................................................................112 91. Der Wanderer............................................................................ 112 92. An den Äther............................................................................ 114 93. Der Strom ................................................................................ 116 94. HyperionS Schicksalslied.......................................................... 117 Hölty: 95. Auftrag......................................................................................... 118 Jung: 96. Abendlied im Jahre 1813.......................................................118 Kerner: 97. Sehnsucht........................................................................................119 98. Poesie.............................................................................................. 119 Klopstock: 99. Psalm..................................................................................... . 120 100. Aus der Frühlingsfeier.......................................................... 121 101. Der Eislauf . . '....................................................................... 123 102. Die frühen Gräber...................................................................... 125 103. Die Sommernacht...................................................................... 125 Kopifch: 104. Der Trompeter......................................................................... 125 Körner: 105. Vor Rauchs Büste derKönigin Luise.....................................126 106. Aufruf...............................................................................................127 107. LützowS wilde Jagd................................................................ 129 108. Gebet während der Schlacht.................................................... 130 109. Abschied vom Leben................................................................ 131 110. Schwertlied.................................................................................. 131 Lenau: 111. Primula veris................................................. ... 133 112. Schilflied........................................................................................ 134 113. Blick in den Strom..................................................................... 134 114. Bitte............................................................................................... 135

Inhalt II.

549 ©eile

Liliencron: ] 15. Siegesfest......................................................................................... 135 116. Heidebilder...................................................................................136 Meyer: 117. Mit zwei Worten...................................................................... 137 118. Auf Goldgrund............................................................................ 138 119. Der Rheinborn............................................................................ 139 120. Chor der Toten......................................................................... 140 Mörike: 121. Schön-Rohtraut............................................................................. 140 122. Das verlassene Mägdlein.......................................................... 141 123. Der Gärtner................................................................................... 142 124. Um Mitternacht............................................................................ 142 Wilhelm Müller: 125. Alexander Jpsilanti....................................................................... 143 126. Vineta............................................................................................... 144 127. Der Lindenbaum...................................................................... 145 Nonne: 128. Beim Feuer am 18. Oktober.................................................... 145 Ostini: 129 Aller Künste Meister................................................................ 145 Platen: 130. Pindars Tod.................................................................................. 148 131. Venedig.........................................................................................148 R ückert: 132. Aus den Geharnischten Sonetten.............................................. 149 133. Körners Geist............................................................................ 150 134. AuS dem Liebesfrühling.......................................................... 151 135. Kindertotenlieder...................................................................... 152 136. Das Meer der Hoffnung...........................................................153 137 Reisegesellschaft............................................................................ 153 138. Der Schmuck der Mutter.......................................................... 153 139. Aus der Jugendzeit...................................................................... 154 140. Angereihte Perlen....................................................................... 155 141. Vierzeilen......................................................................................... 156 142. Aus der Weisheit des Brahmanen........................................ 156 Schack: 143. Beim Siegeseinzug in Berlin (1871)........................................ 158 Schenkendorf: 144. Auf den Tod der Königin Luise.............................................. 160 145. Freiheit......................................................................................... 161 146. Auf Scharnhorsts Tod.................................................................162 147. Frühlingsgrutz an das Vaterland........................................ 163 148. Das Lied vom Rhein................................................................ 165 149. Antwort......................................................................................... 167 Schiller: 150. Die Kraniche des Jbykus.......................................................... 167 151. Die Bürgschaft.............................................................................173 152. Pompeji und Herkulanum.......................................................... 177 153. Nenie............................................................................................... 179 154. Das Lied von der Glocke........................................................... 179

550

Inhalt IL Seite

155. Sehnsucht..........................................................................................191 ] 56. Der Pilgrim................................................................................... 192 157. Die Worte desGlaubens..............................................................193 158. Die deutsche Muse........................................................................ 194 159. Distichen...........................................................................................195 Stolberg: 160. Der Felsenstrom.............................................................................. 197 Storm: 161. Abseits...................................................................................... 198 162. Im Walde................................................................................ 199 163. Die Stadt................................................................................ 199 Uhland: 164. An das Vaterland................................................................... 200 165. Der Wirtin Töchterlein.......................................................200 166. Das Schifflein.......................................................................... 201 167. Die Bidassoabrücke................................................................... 201 168. Märznacht................................................................................ 202 169. Frühlingslieder..........................................................................202 170. Ruhetal...................................................................................... 204 171. Die verlorene Kirche............................................................. 204 172. Der Mohn................................................................................206 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187.

188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199. 200.

Alte deutsche Lieder. Altdeutscher Reisesegen............................................................. 207 Lied............................................................................................ 207 Gottes Lob (Spervogel)............................................................. 207 Minnelied...................................................................................... 208 Lied der Kreuzfahrer (Hartmann von Aue)........................208 Deutschlands Lob (Walther von der Vogelweide) . . 210 Selbstprüfung (Walther von der Vogelweide).... 212 Zu König Philipps Krönung (Walther von der Vogelweide) 214 Winter (Walther von der Vogelweide).............................. 214 Mai (Walther von der Vogelweide).................................... 216 Halmmessen (Walther von der Vogelweide).... 218 Ihr roter Mund (Walther von der Vogelweide) . . . 218 Herzensaugen (Walther von der Vogelweide).... 220 Bauerntanz im Mai (Neidhart von Neuental).... 220 Aus der Jugendzeit (Meister Alexander)............................. 222 Alte Volkslieder: Herzlich tut mich erfreuen....................................................... 226 Wenn der Schnee von den Alpen wegageht.... 227 O Straßburg......................................................................... 228 Zu Straßburg auf der Schanz.......................................... 229 Innsbruck, ich muß dich lassen.......................................... 230 Soviel Stern am Himmel stehen.......................................... 231 Wenn ich ein Vöglein wär................................................ 232 ES stund eine Lind................................................................... 233 Es wollt ein Mädchen.............................................................235 Und sterbe ich noch heute....................................................... 236 Es waren zwei Königskinder.................................................236 O Jesulein zart......................................................................... 239 Guten Abend, gute Nacht.......................................................240

Inhalt II.

551

Zweite Abteilung.

Prosa. 201. 202.

203. 204.

205. 206. 207. 208. 209.

210. 211. 212. 213. 214. 215.

216. 217. 218.

219.

220. 221. 222. 223. 224. 225.

Allmer s : Seite Das niedersächsische Bauernhaus........................................... 241 Ein Tag auf dem Marschhof.................................. 242 Arndt: Von Freiheit und Vaterland................................................. 248 Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze 250 Bismarck: Sedan (Brief an seine Gemahlin)......................................252 Droste-Hülshoff: Volk und Wohnstätteim Münsterland..................................254 Hochzeitsbräuche........................................................................257 Aberglaube.............................................................................. 260 Falke: Im Hamburger Hafen............................................................ 262 Fontane: Paretz..........................................................................................266 Im Spreewald........................................................................ 271 Freytag: Rückkehr der Franzosen aus Rußland................................275 Görres: Preußens Erhebung 1813.......................................................278 Goethe: Aus WertherS Leiden.............................................................279 Brief an Kestner (1772).................................................... 283 Elisabeth Goethe: Briefe an die Ihrigen............................................................ 286 Jakob u. Wilhelm Grimm: Märchen und Sage.................................................................. 293 Heine: Harzwanderung........................................................................ 296 Herder: Alte deutsche Volksdichtung................................................. 300 Hesse: Herbstbeginn.............................................................................. 304 W. v. Humboldt: Goethes Hermann und Dorothea........................................... 308 Jäger: Aufführung der Orestie....................................................... 311 Jahn: Die deutsche Sprache.............................................................316 Jmmermann: Der Hofschulze........................................................................ 319 Der Oberhof..............................................................................326

552

Inhalt II. S-ette

226. 227. 228.

229. 230. 231. 232. 233.

234. 235. 236.

237.

238. 239. 240. 241.

242. 243.

244.

245. 246. 247. 248. 249. 250.

251. 252. 253. 254.

K l e i st : Anekdote aus dem letzten Krieg 1806 ................................329 Körner: Briefwechsel mit seinem Vater 1813........................................ 331 An Frau v. Pereira..................................................................334 Kügelgen: Erinnerungen aus dem Frühling 1813...................................336 Lessing: Einige Fabeln..............................................................................342 AuS den Abhandlungenüber die Fabel..... 345 Die Einheiten desDramas........................................................346 Wahrheit.......................................................................................... 343 Lindner: Drei Heerführer im Krieg 1870—71 ...................................... 349 Kriegsleben 1870 und 1871 .................................................. 353 Luise, Königin von Preußen: Brief an ihren Vater 1809 .................................................. 357 Mey r: Aus dem schwäbischen Ries.....................................................362 Moltke: Von der Belagerung vor Paris............................................... 365 Lebensregeln.....................................................................................367 Nettelbeck: Beim preußischen Königspaar 1809 ...................................... 369 Novalis: Die blaue Blume........................................................................373 Oncken: Wie König Wilhelm deutscher Kaiser wurde .... 376 Reuter: Niederdeutschland im Frühling 1813.........................................380 Riehl: Hausinschriften..............................................................................381 Rosegger: Der Tod Peter Mayrs................................................................. 383 Scherer: Ulfilas...........................................................................................386 Schiller: Das Schaffen des Dichters..................................................... 389 Briefe an Goethe............................... 389 Briefe an Körner........................................................................391 Briefe an seine Braut................................................................. 394 Schleiermacher: Aus der Zeit von Preußens Erniedrigung............................ 395 Gräfin Schwerin: Der Siegesbote..............................................................................399 Treitschke: Die Schlacht bei Belle-Alliance.............................................. 404 Wildenbruch: An der Oder.................................................................................... 413

Inhalt II.

553 Seile

Wilhelrn I, Deutscher Kaiser: 255. Sedan (Brief an die Königin)............................................... 415 Ziegler: 256. Winter in der Mark Brandenburg.........................................419 Aus griechischen Schriftstellern: 257. tzerodot, Leonidas........................................................................421 258. Xenophon, Thalatta........................................................................425 259. Platon, Aus dem Gastmahl..................................................... 427 260. Aristoteles, Aus der Poetik..................................................... 432 261. Theophrast, Der Schmeichler..................................................... 439 262. Epiktet, Stoische Grundsätze..................................................... 440 263. Mark Aurel, Selbstgespräche..................................................... 442 264. Lucian, Merkurs Klagen............................................................444 Aus römischen Schrift st ellern: 265. Cäsar, Sitten der Germanen..................................................... 446 266. Cicero, Landleben........................................................................448 267. Livius, Aus der römischen Geschichte...................................450 268. Apulejus, Psyches Prüfungen.......................................................457 Bildende Künste: 269. Die Akropolis von Athen........................................................... 464 270. Der Altar von Pergamon........................................................... 470 271. Der Dom von Speier................................................................. 480 272. Der Kölner Dom........................................................................485 273. Der Genter Altar der Brüder van Eyck.................................. 491 274. Die altkölnische Malerschule.................................................... 496 275. Petri Fischzug von Raffael (Springer) ...... 499 276. Wie malt man das Denken? (Naumann)............................ 502 277. Moritz von Schwind (Muther)...............................................503 278. Neue Schönheiten (Naumann)..................................................... 505

Anfangsworte der Gedichte.

554

Anfangsworte der Gedichte. Seite

Seite

Aber jetzt kehr ich zurück . 112 Ach, aus dieses Tales . . 191 Ach! unaufhaltsam ... 58 Ach, was soll der Mensch . 74 Alexander Upsilanti . . . 143 Als ich auf der Wiese lag. 85 Als Minerva..........................75 Als wie ein Kind im Schlaf 158 Am Baum der Menschheit. 28 Am blassen Meeresstrande. 104 Am Brunnen vor dem Tore 145 Am fernen Horizonte . . 99 Am Gestade Palästinas. . 137 Am grauen Strand . . . 199 Ännchen von Tharau . . 12 Auch das Schöne muß sterben 179 Auch die Heide blühet . . 83 Auf dem Teich........................134 Auf der Bidassoabrücke . . 201 Auf Flügeln des Gesanges 94 Auf ihrem Leibesrößlein . 142 Auf stillen Trauerwegen . 82 Aus alten Märchen ... 95 AuS der Jugendzeit . . . 154 Aus des Meeres tiefem . 144

Der Wald steht in Blüte . 37 Die beiden Palmen . . . 156 Die Geister der gefallnen . 150 Die ihr erlagt..........................42 Die Nacht war kaum verblühet 23 Dies Buch ist wie ne Laube 32 Die Wunde brennt . . . 131 Dir möcht ich diese Lieder. 200 Diu kröne ist eiter . . . 214 Dorten durch der Brücke Bogen 29 Drei Worte nenn ich euch . 193 Du bist min ..... 207 Du bist vergangen . . . 152 Du bist wie eine Blume . 100 Du meine Seele .... 151 Durch tiefe Nacht . ... 35 Du schläfst so sanft . . . 126 Du Schwert an meiner Linken 131

Bedächtig stieg die Nacht . 142 Bedeckt mit Moos . . . 150 Bekränzt mit Laub ... 10 Blaue Nebel steigen . . . 118 Bleibe nicht am Boden. 75

Dämmernd liegt .... 101 Das gelbe Laub erzittert . 108 Das Laub hält fest ... 85 Das Meer erstrahlt . . . 108 Das war eine Schlacht. . 13

Dem kriuze zimt .

.

.

. 208

Dem Schnee, dem Regen . 66 Der du von dem Himmel bist 68 Der Gott, der Eisen wachsen 1 Der Herbstwind rüttelt . . 96 DerMenschhatnichtsso eigen 11 Der Pilger, der die Höhen. 7 Der Tod, das ist die kühle 101

Edel sei der Mensch ... 71 Einen Hort geht aufzurichten 36 Eine schöne Menschenseele . 110 Ein Fichtenbaum .... 95 Ein getreues Herze ... 26 Ein kleines Lied .... 22 Ein Schifflein ziehet . . . 201 Einst saß am murmelnden . 109 Entflieh mit mir .... 93 Es ist so still, die Heide . 198 Es klingt ein heller Klang. 165 Es kommt ein Vogel. . . 105 Es ragt ins Meer . . - 107 Es steigt ein Geist . - 149 Es stund eine Lind . . . 233 Es verriesett........................... 16 Es war, als hätt der Himmel 24 Es waren zwei Königskinder 236 Es weiß und rät es doch . 23 Es wollt ein Mädchen . . 235 Es zogen drei Bursche . . 200 Feiger Gedanken .... 74 Festgemauert......................... 179 Flamme empor..... 145 Flatternde Fahnen . . . . 135

555

Anfangsworte der Gedichte.

Freiheit, die ich meine . . Freudvoll und leidvoll . . Friede sei um diesen... Frisch auf, mein Volk . . Frühling ward es .... Früh, wann die Hähne krähn Füllest wieder Busch...

Sette

Sette

161 72 9 127 40 141 68

In weiz niht........................ 220 Ir sult sprechen. .... 210

Gedichte sind gemalte . . 76 Geh auS, mein Her- ... 43 Geh l gehorche meinen . . 76 Geht nun hin und grabt < 6 Gekommen ist der Maie. . 102 Goldne Menschen .... 89 Gott segne dich, junge Frau 44 Guten Abend, gute Nacht . 240 Hab oft im Kreise der Lieben 7 Halte! halt einmal . . . 60 Hauch Gottes, Poesie. . . 158 Heiß mich nicht reden . . 73 Herzlich tut mich erfreuen . 226 Herz, mein Herz . ... 100 Hie bevor, da wir . . . 222 Hier an der BergeShalde . 199 Hoch am Himmel stand. . 106 Hochbeglückt............................... 42 Hoffnung auf Hoffnung. . 153 Horch, wie brauset . . . 202 Ic dir nach sihe .... Ich bin den Rhein hinauf Ich fuhr von Sankt Goar. Ich möchte, wenn ich sterbe Ich saz uf eime steine . . Ich stand im dunkeln . . Ich wär ein hoher Baum . Ich weiß einen Helden . . Ich weiß nicht, waS soll eS Ich wollt, meine Schmerzen Ihr Freunde, hänget. . . Ihr wandelt droben im Licht Im engen Bett. .... Im Felde schleich ich... Im Sachsenwalde.... Im wunderschönen Monat. In allen Zonen .... In dem wilden KriegeStanze In einem zwivellchen . . . In mein gar zu dunkles . Innsbruck, ich muß dich Ins Museum bin zu später .

207 139 34 148 212 99 84 33 97 100 118 117 40 67 146 94 157 162 218 97 230 138

Kein augustisch Alter Kennst du das Land.

. .

. 194 . 72

Laß dich nur nichts dauern 27 Leise zieht.................................. 103 Liebiu kint, nu vreut iuch 220 Liebliche Blume .... 133 Liegt eine Stadt im Tale . 12

Man höret oft........................204 Mein Auge ließ das hohe Meer 148 Mein Herz, mein Herz . . 98 Mensch, eS ist der Schöpfung 153 Mir kommt eS vor zuweilen 84 Mit schwarzen Segeln . . 107 Mit tiefer Ehrfurcht . . . 121 Muget ir schouweri . . . 216

Rach Frankreich zogen . . 87 Nacht liegt auf den fremden 101 Natur und Kunst .... 76 Nicht mehr zu deuten . . 41 Noch in meine- Lebens Lenze 192 Nun gnade dir Gott... 38 Oft in der stillen Nacht . . 6 O Jesulein zart .... 239 O, könnt ich einmal los . 119 O, leuchtender Aprilentag . 30 O sanfter, süßer Hauch . . 202 O, schaurig ist'S .... 15 O Straßburg........................228 O, wunderbares, tiefes . . 24 Poesie ist tiefes Schmerzen 119 Ringsum ruhet die Stadt . 112 Rose, schöne KönigSrose. . 160

Sahst du ein Glück ... 134 Seht den Felsenquell . . 64 So laßt mich scheinen . . 73 So laßt mich sitzen ... 27 Soviel Stern am Himmel . 231 Steig empor............................. 158 rhalatta! Thalatta! . . 103 Tiefeinsamkeit........................ 136 Tragen will ich das Schwert 41 Treu und freundlich wie du 114

556

Ansangsworte der Gedichte. Seite

Über allen Gipfeln ... Um Erden wandeln Monde Und frische Nahrung ... Und sterbe ich noch heute . Uns hat der winter . . . Unsterblicher Jüngling . . Unterm weißen Baume . .

71 120 66 236 214 197 102

Bater, ich rufe dich . . . 130 Vaterland, du starkes . . 86 Vergraben ist in ewige . . 123 Von fern die Uhren schlagen 25 Wann doch, wann ... 35 Wann im letzten Abendstrahl 204 WaS der Dichter diesem B. 77 Was glänzt dort vom Walde 129 Was schläfst und träumst du 116 Was will die einsame . . 99 Weil auf mir.......................135 Welcher Unsterblichen 70 Welches Wunder begibt sich 177 Wenn der Schimmer . . 125 Wenn der Schnee von den. 227 Wenn der uralte .... 69

Sette

Wenn dieser Siegesmarsch. Wenn du dich selber ... Wenn Freiheit du begehrst Wenn ich ein Vöglein wär Wenn im letzten Abendstrahl Wer nie sein Brot ... Wer soll dein Hüter sein . Wie dort, gewiegt von Westen Wie funkeln hell die Sterne Wie heißt König Ningangs Wie im Morgenglanze . . Wie mir deine Freuden. . Wie stehst du doch so dürr Wie viel auch sind der Stufen Willkommen! o silberner . Wir Toten, wir Toten . . Wist ich obe iz mohte . . Wo der Schicksalswege . . Wo kommst du her . . . Wol mich der stunde . . Würze des waldes ....

125 75 157 232 204 74 3 206 18 140 66 163 20 167 125 140 208 153 2 218 207

Zu Dionys, dem Tyrannen 173 Zum Kampf der Wagen . 167 Zu Straßburg aufder Schanz 229

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker,

Langensalza.

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