Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 6 Vierte Klasse [12., durchgeseh. Aufl. Reprint 2020] 9783112349564, 9783112349557


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German Pages 362 [368] Year 1915

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Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen: Teil 6 Vierte Klasse [12., durchgeseh. Aufl. Reprint 2020]
 9783112349564, 9783112349557

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Deutsches Lesebuch für

höhere Mädchenschulen von

Karl Hessel.

Sechster Teil.

Vierte Klaffe. Zwölfte, durchgesehene Auflage.

Bonn 1915.

A. Marcu- und E. Weber- V«lag.

Borwort. Bei Gelegenheit des Neudrucks dieses sechsten Teiles spreche ich meinem verehrten Kollegen Fitschen, Direktor der städtischen höheren Mädchenschule zu Essen, verbindlichen Dank aus, daß er sich freundlichst bereit erklärt hat, jetzt und in Zukunft bei der Herausgabe der Oberstufe dieses Lesebuches mitzuwirken. Wir haben gemeinsam den ganzen Bestand dieses Teiles eingehend geprüft, im poetischen Teile lediglich den bisher von Fritz Reuter dargebotenen, aller­ dings herzlich unbedeutenden Schwank durch ein besonders poetisches Stück aus Hanne Nüte ersetzt; im Prosateil drei Stücke aus Lindners Geschichte des deutschen Volkes ein­ gefügt, sowie die Unterredung des Arminius mit seinem Bruder Flavus aus den Annalen des Tazitus. Einige afrikanische Jagdabenteuer von Wißmann, die in den 4. Teil dieses Buches geraten waren, wohin sie nicht gehörten, sinp hierher, an ihre richtige Stelle, versetzt. Endlich habe ich mir die Freiheit gestattet, als eine für Mädchen besonders anziehende Ergänzung zu den mancherlei Stücken über die altgermanische Zeit zwei Originalaufsätze beizusteuern, über den Ursprung des Feenglaubens und über altdeutsche Frau­ ennamen, beides Früchte langjähriger Studien auf diesem Gebiete. Diese Erweiterungen sind aber so unerheblich, daß dadurch die gleichzeitige Benutzung der 10. und 11. Auf­ lage nicht gehindert wird. Koblenz, im März 1911.

Dr. Karl Hessel, Direktor der Hildaschule.

Aus dem Borwort zur zehnten Auflage. ... Von Gedichten sind alle diejenigen bevorzugt, die in das Mittelalter führen, auf diese Weise kommt ganz be­ sonders Uhland zu Wort. Aber auch Chamisso konnte das Eddalied von Thrym beisteuern, denn nach sorgfältiger Prüfung aller mir zugänglichen Eddaübersetzungen mnß ich der von Chamisso den Preis geben, weil sie die poe­ tischste, klarste und die am unmittelbarsten verständliche ist. Mundartliche Sachen sind in Poesie und Prosa reich­ lich vorhanden, und zwar soll die Behandlung der Mund­ arten mit dieser Klasse abgeschlossen werden. Der Prosateil enthält u. a. eine Reihe Abschnitte aus historischen Quellenschriften; einige Neinere geschichtliche Aufsätze, die teils wörtlich, teils etwas umgearbeitet meinem Buche „Sagen und Geschichten des Rheintals von Mainz bis Köln" (Bonn, Marcus und Webers Verlag) ent­ nommen sind, habe ich anfangs Bedenken getragen aufzu­ nehmen, um nicht zu viel aus eigener Feder zu bringen. Doch paßten sie inhaltlich so vorzüglich in den Stoffkrei-s dieser Klasse, und fortwährend erhalte ich Mitteilungen, daß Stücke aus diesem Buch in deutsche Lesebücher ausge­ nommen werden, so daß ich schließlich dachte, wenn andere das täten, dürfe ich es mir doch gewißlich erlauben. Die erdkundlichen Stücke beziehen sich sämtlich auf das Leben des Meeres und die fremden Weltteile, vor­ zugsweise anerkannten neueren Darstellungen entnommen. Wenn dazu noch etwas von A. von Humboldt und Sealssield getreten ist, so geschah es, weil beides Darstellungen sind, die in ihrer Art Nassisch zu nennen sind. Im übrigen gilt auch für diesen Band, daß geringfügige Änderungen an Stücken noch lebender Verfasser nur mit deren Zu­

stimmung gemacht sind. Koblenz, Februar 1910.

Dr. Karl Hessel.

Erste Abteilung

Gedichte. Ernst Moritz Arndt. 1. Was ist des Deutschen Vaterland? 1. Was ist des Deutschen Vaterland? Ist's Preußenland? ist's Schwabenland? Jst's, wo am Rhein die Rebe blüht? Jst's, wo am Belt die Möwe zieht? „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein."

2. Was ist des Deutschen Vaterland? Jst's Baierland? ist's Steierland? Jst's, wo des Marsen Rind sich streckt? Jst's, wo der Märker Eisen reckt? „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein."

3. Was ist des Deutschen Vaterland? Jst's Pommerland? Westfalenland? Jst's, wo der Sand der Dünen weht? Jst's, wo die Donau brausend geht? „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer fein." 4. Was ist des Deutschen Vaterland? Sv nenne mir das große Land! Jst's Land der Schweizer? ist's Tirol? „Das Land und Volk gefiel mir wohl; Doch nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." Hessel, Lesebuch 6. 12. Ausl.

f

2

Arndt.

5. Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Gewiß, es ist das Österreich, An Ehren und an Siegen reich? „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." 6. Was ist des Deutschen Vaterland? Sv nenne endlich mir das Land! „So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, ,Das soll es sein! Das, wackrer Deutscher, nenne dein!

7. Das ist des Deutschen Vaterland, Wo Eide schwört der Druck der Hand, Wo Treue hell vom Auge blitzt Und Liebe warm im Herzen sitzt — Das soll es sein! Das, wackrer Deutscher, nenne dein! 8. Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott vom Himmel, sieh darein Und gib uns rechten deutschen Mut, Daß wir es lieben treu und gut! Das soll es sein! Tas ganze Deutschland soll cs sein!"

2. T»eS Schiffers Traum. 1. Es heult der Sturm, die Woge schäumt, Und durch die Wolken fahren Blitze; Der alte Schiffer nickt und träumt Gar ruhig auf dem nassen Sitze: Wie wild um ihn die Woge schlägt. Wie auf und . ab das Schifflein schaukelt. Ein Traum, der süße Bilder trägt. Umspielt sein Haupt und scherzt und gaukelt.

2. Ein Eiland hebt er hell und schön Mit reichen Fluren aus den Wogen, Ein wundervolles Lenzgetön, Aus Blütenhainen kommt's geflogen — Der Alte ruft: „Hier legt ans Land! Hier in die Bucht, den stillen Hafen! O, kommst du endlich, Friedensstrand? Wie will ich süß nach Stürmen schlafen!" 3. Da schießt aus schwarzer Nacht ein Strahl, Ein glühnder Gottespfeil, von oben. Der Schiffer und das Schiff zumal. Mit Mann und Maus, sie sind zerstoben.. Die wilde Woge treibt zum Strand, Treibt Trümmer und Leichen treu zum Hafen — Glückseliger Träumer! du hast Land, Run kannst du süß nach Stürmen schlafen!

Wilhelm Bornemann. 3 Vom alten Fritz. Niederdeutsche (altmärkische) Mundart.

1. Der olle Fritz — potz schlag int hüs* Det was en König as en Düs! Gröt von gestalt just was he nich, Em sat det grüte innerlich. 2. Sin rock un wams un stäwelpör Was 6k det nüeste nich vont jdr. Menchmöl kek unnerfuder rüt — He sach drum doch as könig üt. 3. Sin tressenhot was 6k men sö; Sin krückstock passte göd dötö; Respekt het halbe weit gehst, Sprak he mdl mit de krücke wat. 4. Sin ögenströl was sunnenlicht, Un wer von em en scharp gesicht

4

Bornemann.

Chamisso.

Bü dummet tüg ungnädig kreg: Det was, as wenn de blitz drin schlög. 5. L6t he sick up de ströt wo sen, Was jung un olt flink up de ben, Mit juchei: „Hoch leb vöder Fritz!“ Un alle schwenkten höt un mütz. 6. Sat he to per — hem sick de jungn An beide bägeln angehungn. „De schimmel schleit! jungs, s6t ju yör!“ Denn gung et erst recht munter her. 7. Mol r6p he, just recht frohen möts: „Rin in de schöl! jü schlögedods!“ — „Ätsch üt! ätsch üt! he wet nich mol: Midwoch nömidags is k6n scholl“ 8. Dat glöb ick fest: sö’n könig, as Uns olle Fritz von Prüssen was — Is noch nicht west un kümt förwör Nich wädder in manch düsend jör!

Adelbert von Chamisso. 4. Das Riesenspielzeug. 1. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt Die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand; Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer: Du fragest nach den Riesen? du findest sie nicht mehr.

2. Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor. Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Top: Und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein. Neugierig, zu erkunden, wie's unten möchte sein.

3. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald/ Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald, 'Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut. Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut; Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar, Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. 5. „Ei, artig Spielding!" ruft sie,

„das nehm ich mit nach Haus!" Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus Und feget mit den Händen, was da sich alles regt. Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt, 6. Und eilt mit freudgen Sprüngen — man weiß, wie Kinder sind — Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind: „Ei, Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön; So allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höhn."

7. Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein, Er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein: „Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei? Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei!" 8. Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an, Ten Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann; Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut. So klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut. 9. Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht: „Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht! Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin! Der Bauer ist kein Spielzeug: was kommt dir in den Sinn? 10. Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot! Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot: Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor, Ter Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!"

11. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt. Die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand: Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer: Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mebr

6

Chamisso

8. Schloß Boncourt. 1 Ich träum als Kind mich zurücke Und schüttle mein greises Haupt; Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, Die lang ich vergessen geglaubt? 2. Hoch ragt aus schattgen Gehegen Ein schimmerndes Schloß hervor. Ich kenne die Türme, die Zinnen, Die steinerne Brücke, das Tor. 3. Es schauen vom Wappenschilds Die Löwen so traulich mich an, Ich grüße die alten Bekannten Und eile den Burghof hinan. 4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen, Dort grünt der Feigenbaum, Dort, hinter diesen Fenstern, Berträumt ich den ersten Traum. 5 Ich tret in die Burgkapelle Und suche des Ahnherrn Grab, Dort ist's, dort hangt vom Pfeiler Das alte Gewaffen herab. 6. Noch lesen, umflort, die Augen Die Züge der Inschrift nicht. Wie hell durch die bunten Scheiben Das Licht darüber auch bricht. 7. So stehst bi», o Schloß meiner Väter, Ilir treu und fest in dem Sinn Und bist von der Erde verschwunden: Der Pflug geht über dich hin. 8. Sei fruchtbar, o teurer Boden l Ich segne dich mild und gerührt Und segn ihn zwiefach, wer immer Den Pflug nun über dich führt. 9. Ich aber will auf mich raffen, Mein Saitenspiel in der Hand,

Charnisso. Die Weiten der Erde dürchschweifeir Und singen von Land zu Land.

6. Das Lied von Thrhm ober die Wiedereroberung Miöllners, des Hammers des Donners. öre nun, Loki, hör, was ich sage. Was weder auf Erden weiß irgend einer. Noch hoch im Himmel: mein Hammer ist geraubt!

Sie gingen zum herrlichen Hause der Freia, 10 Und es war Thors Wort, welches zuerst er sprach: „Wolle mir, Freia, Flügel verleihen. Ob erlauschen vielleicht mein Hammer sich läßt!" Freia sang: „Und wären von Gold sie, ich gäbe sie dir; Und wären sie Silber, du solltest sie haben." 15 Da flog auf Loki flugs, der Flügelschlag rauschte. Bis hinten er ließ das Land der Äsen Und er erreichte der Riesen Reich. Thrym saß auf dem Hügel, der Herrscher der Riesen, Fertgend den Hunden Fesseln von Gold, 20 Glättend den Rossen die Mähnen zurecht. - Thrym sang: „Wie steht's mit den Äsen? wie steht's mit den Elfen? Was reisest allein du nach Riesenheim?" Loki sang: „Schlecht steht's mit den Äsen, schlecht steht's mit den Elfen, Du hältst wohl verborgen den Hammer des Thors?"

Chamisft

8

Thrym sang: 25 „Ich halte verborgen den Hammer des Thors Wohl unter der Erde acht Morgen tief. Und wieder erwerben fürwahr soll ihn keiner. Er führe denn Freia zur Frau mir heim."

Da flog auf Loki flugs, der Flügelschlag rauschte 30 Bis hinten er ließ das Land der Riesen Und er erreichte das Reich der Äsen, Er traf den Thor an vor der Tür seiner Halle, Und es war sein Wort, welches zuerst er sprach:

„Hast das Geschäft du geschafft mit der Arbeit, 35 Laß von der Höhe mich hören die Kunde; Oft im Sitzen gestört, stocket die Rede, Leicht im Liegen ersinnt Lüge sich nur."

Loti sang: „Hab das Geschäft wohl geschafft mit der Arbeit: Thrym hat den Hammer, der Herrscher der Riesen 40 Und wieder erwerben fürwahr soll ihn keiner. Er führe denn Freia zur Frau ihm heim." Sie gingen zu fragen Freia, die herrliche. Und es war Thors Wort, welches zuerst er sprach „Bräutliches Leinen lege dir an, Freia, 45 Wir beide, wir reisen nach Riesenheim!"

Zornig ward Freia, sie zitterte heftig. Der ganze Palast der Äsen erbebte. Es sprang und entfiel ihr der funkelnde Halsschmuck „Wohl möchtest du meinen, daß männlich ich sei, 50 Wenn beide wir reisten nach Riesenheim?" Rasch kamen die Äsen zum Rate zusammen. Die Asinnen, rasch zum Reden bereit; Die himmlischen Häupter verhandelten da. Wie den Hammer des Thors zu holen gelänge. 55

Da hub Heimdall an,

der hell leuchtende Gott,

Welcher da weise wußte die Zukunft: „Bräutliches Leinen legen dem Thor wir an,

Er habe den hehren, den funkelnden Halsschmuck: Klug laß er erklingen Geklirr der Schüssel: 60 Ein weiblich Gewand umwalle sein Knie; Laß blinken die Brust ihm von breiten Juwelen. Hochgetürmt und gehüllt das Haar ihm auch fein,"'

Da hub Thor an, der hochernste Äse: „Es würden die Götter mich weibisch schelten, 65 Legt ich das bräutliche Leinen mir an."

Da hub Loki an, Lauseys Sohn: „Thor, solcher Worte woll dich enthalten: Rasch werden die Riesen vom Reich uns verdrängen. Holst deinen Hammer heim du nicht schnell." Bräutliches Leinen legten dem Thor sie an. Er hatte den hehren, den funkelnden Halsschmuck: Klug ließ er erklingen Geklirr der Schlüssel, Ein weiblich Gewand umwallte sein Knie: Es blinkte die Brust ihm von breiten Juwelen, 75 Das Haar war gehüllt ihm und hoch getürmt. 70

Da hub Loki an, der Lauseh Sohn: „Ich will dich gleichfalls begleiten als Maid, Wir beide, wir reisen nach Riesenheim."

Hastig die Böcke, heimgetrieben, 80 Wurden dem Wagen geschirrt wohl zur eiligen Fahrt Die Steine zerstoben, Flamme stieg auf. So reiste Odins Sohn nach Riesenheim. Da hub Thrym an, der Herrscher der Riesen: „Auf! Auf! ihr Riesen, bereitet die Bänke, 85 Nun führt mir Freia, die Frau, herein!" Heim kamen die Farren, die goldgehörnten. Die schwarzen Rinder, dem Riesen zur Lust: „Habe der Schätze viel, habe der Spangen viel. Fehlte mir Freia zu freien annoch." 90

Früh fanden die Gäste zum Feste sich ein, Und reichlich gereicht ward den Riesen der Trank; Thor aß einen Ochsen, er aß acht Lachse,

Chamisso.

40

Zusamt, was Süßres es sonst gab für die Frauen; Er trank wohl des Methes drei Maß allein. 95

Da hub Thrynl an, der Herrscher der Riesen: „Wann hast du Bräute hungriger je gesehn? Nie hab ich Bräute hungriger je gesehn; Nie Mägdlein des Methes inehr genießen als sie."

Saß Loki dabei, die löbliche Maid, 100 Bereit, dem Niesen Rede zu stehn: „Seit acht Nächten nichts genossen hat Freia, Rasend vor Reiselust nach Riesenheim."

Thrym lüstet das Leinen, aus Lust sie zu küssen. So weit der Saal war, ward zurück er geschreckt. 105 „Wie sind doch furchtbar Freias Augen! Dünkte mich Feuer hervor funkeln zu sehn!" Saß Loki dabei, Bereit, dem Riesen

die löbliche Maid, Rede zu stehn:

„Seit acht Nächten nicht genoß sie des Schlafes, 110 Rasend vor Reiselust nach Riesenheim."

Da trat in den Saal Thryms traurige Schwester, Die gar sich die Gaben zu begehren erkühnt: „Reich mir die roten Ringe doch dar! Was verlangt dich in Lust nach Freias Liebe, 115 Nach Freias Liebe und freudiger Huld?"

Da hub Thrym an, der Herrscher der Riesen: „Bringt, zur Weihe der Braut, bringt den Hammer

herbei! Leget den Miöllner der Maid in den Schoß, Vollbringet die Bräuche, die Braut sei mein!"

120

Da lachte dem Thor wohl im Leibe sein Herz, Als mitten im Harme er den Hammer erkannte. Da traf er zum ersten Thrym, den Herrscher, Und schlachtete dann sein ganzes Geschlecht. .

Da traf er auch Thryms

125 Die gar sich die Gaben

traurige Schwester,

zu begehren erkühnt;

Ihr klangen nicht Münzen, ihr klangen nur Schläge, Für tönende Ringe der lötende Hammer. So hat seinen Hammer Odins Sohn sich geholt.

Felix Dahn. 7. Gotentreue. 1 Erschlagen war mit dem halben Heer Der König der Goten, Theodomer. 2. Die Hunnen jauchzten auf blutiger Wal, Die Geier stießen herab zu Tal. 3. Der Mond schien hell, der Wind pfiff kalt — Die Wölfe heulten im Föhrenwald. 4. Drei Männer ritten durchs Heidegefild, Den Helm zerschroten, zerhackt den Schild. 6. Der erste über den Sattel quer Trug seines Königs zerbrochenen Speer.

6. Der zweite des Königs Kronhelm trug. Den mitten durch ein Schlachtbeil schlug.

7. Der dritte barg im treuen Arm Ein verhüllt Geheimnis im Mantel warm. 8. So kamen sie an den Jster tief. Und der erste hielt mit dem Roß und rief: 9.

„Ein zerhauner Helm, ein zerhackter Speer,

Von dem Reich der Goten blieb nichts mehr." 10. Und der zweite sprach: „In der Welle dort Versenkt den traurigen Gotenhort.

11. Dann springen wir nach dem Uferrand — Was säumst du, Meister Hildebrand?"

12. „Und tragt ihr des Königs Helm und Speer, Ihr treuen Gesellen, ich trage mehr!" 13. Auf schlug er feinen Mantel iveich: „Ich trage der Goten Hort und Reich?

12

Dahn

Deinhardstein.

14. Und habt ihr gerettet Speer und Kron, Ich habe gerettet — — des Königs Sohn!

15. Erwache, mein Knabe! Ich grüße dich' Du König der Goten — Jung Dieterich."

Joseph Ludwig Franz Deinhardstein. 8. Gesang des Bogels über dem Wald. 1. Durch die blaue Luft, Über Grab und Kluft Und der Menschen ängstlich Bewegen, Mit dem Flügelschlag Aus der Nacht zum Tag Flieg ich froh der Sonne entgegen. 2. Schwebe hin und her. In dem blauen Meer Mir zu kühlen die luftigen Schwingen, Und am Berg, im Tal Und am Wasserfall Laß ich lustig mein Liedchen erNingen

3. Wo die Wolke saust. Wo der Waldstrom braust. Kann ich auf, kann ich nieder schweben; So mit einemmal Aus der Höh ins Tal: Was ist das ein herrliches Leben! 4. Wie ist mir so wohl. Wie so liebevoll. Wenn die Tannen recht ferne mir winkeilk Ach! und welche Lust Für die Glut der Brust, Den unendlichen Segen zu trinken! 5. Durch die freie Luft, Über Grab und Kluft,

Deinhardstein.

Engelhard-SchweighSuser.

13

Über euer ängstlich Bewegen, Mit dem 'Flügelschlag Aus der Nacht zum Tag Flieg ich froh der Sonne entgegen.

Charlotte Engelhard - Schweighäuser 9. Das Ritterfräulein auf der Burg Nideck. (Elsässisch.)

Im waldschloß dort am Wasserfall Sin d’ ritter risse gsin; Emol kummts fräule rab ins tal Un geht spaziere drin. 5 Sie duet bis geje Haslach gehn: Vorm wald im ackerfeld Do blibt sie voll verwundrung stehn Un sieht, wie’s seid würd bstellt. Sie luegt dem ding e wil so zue, 10 Der pflueg, die ross, die Itt Sin ihr ebbs neus, sie geht derzue Un denkt: „Die nimm i mit!“ Do härt sie an de bodde hin Un spreit ihr fürrdi üs, 15 Fangt alles mit der hand, duets nin Un lauft gar froh noch hüs. Dort, wo der berri isch so gäh. Dass mer nurr muesam steigt in d’ höh, Springt sie de waldwäg nuf ganz frisch 20 Un brücht nurr eine schritt. Der ritter sitzt just noch am disch: „Min kind, was bringst du mit? D’ freud luegt der üs de aue nüs. Se kram nurr geschwind din fürrdi üs, 25 Was beseh so zawwlis drin?“

Engelhard-Schweighäuser

Fechner.

„0 vatter, spieldings gar ze nett, I hä noch nie ebbs sehens so ghet!" Un stellt im alles hin. Un uf de disch stellt sie de pflueg, 30 Die büre hin un iri ross, Lauft drum erum und lacht derzue, Ihr freud isch gar ze groß. „Ja, kind, dis isch ken spieldings nit, Do hesch ebbs sehens gemacht!“ 35 Sät druf der rittet glich und lacht: „Geh, nimm’s nurr widder mit! Die büre sorje uns fürr brüt, Sunst würde mir in großer not, Trä alles widder furtü“ 40 ’s groß fräule grint, der vatter schilt: „E bür mer nit als spieldings gilt, I lid nit, dass mer murrt! Pack alles sachte widder in Un trä’s ans nämli platze 1 hin, 45 Wo de’s genumme best! Böit nit der bür sin ackerfeld, So fehlt’s bi uns an brüt und geld In unserm felsenest!“

Gustav Theodor Fechner (Mises) 10. Rätsel. 1. Ein Häuslein ist es, wohlbekannt. Aus lauter Fenstern seine Wand; Doch der drin wohnet, erst erwacht. Wenn rings umher ist sinstr« Nacht; Sieht durch die Fenster dann sich um, Geht mit dem Häuslein selbst herum.

2. Wer mögen die kleinen Leutlein wohl sein Mit dickenl Kopf und dickem Bein, Doch einem Leid, ach! fadendünn; In den größten Köpfen ist nichts drin. Auch fußlos siehst du einzelne stehn. Doch wenn sie hintereinander gehn, Bekommt gleich Füße das ganze Heer, Je rascher sie laufen, desto mehr. 3. Die Ersten sind ein Untertan, Die Letzte ist ein Untertan, Das Ganze ist ein Untertan, Der von dem letzten Untertan Wird unter den ersten Untertan Ganz untertänigst getan.

4. Ein Kopf und ein Bein Ist alles, was mein; Der Kopf hat keine Mütze, Das Bein hat eine Spitze. Die Die Das Und

5. beiden Ersten beschmutzen die Sachen, Dritte dient, sie rein zu machen; Ganze ist schön weiß und rot trägt doch in sich Gift und Tod.

6. Ich bin ein erquickliches Sauerbrönnlein, Gefaßt in ein zierliches goldnes Tönnlein, Entsprungen im fernen Südenlaird, Doch hin an alle Ort« versandt. 7. Ich habe ein Loch und mache ein Loch, Und ich laufe durch das, was ich machte, auch noch;.

16

Fechner. Fontane.

Doch kaum bin ich durch, so stopft im Nu Ein Stück meiner langen Schleppe es zu.

8. Zuerst ein fest verschlossen Päcklein, Dann grünes Jäcklein, rotes Röcklcin, Zuletzt von Steinen voll ein Säckleiu.

9. Das erste Paar freut sich am Flug; Das zweite Paar freut sich am Pflug; Das Ganze ist des ersten Fluch.

Die Der Die Das

10. Erste für den, der hoch hinaus will, höher hinauf als das höchste Haus will, Andre für den, der fleißig sein will; Ganze für den, der tief hinein will. 12.

11.

Sagt, wie das stimmt: Die Erste schwimmt. Die Andre läuft. Das Ganze steift.

Die Die Die Das

erste Silbe frißt. andre Silbe ißt. dritte wird geftessen. Ganze wird gegessen.

Theodor Fontane. 11. Guter Rat. 1. An einem Sommermorgen Da nimm den Wanderstab, Es fallen deine Sorgen Wie Nebel von dir ab. 2. Des Himmels heitere Bläue Lacht dir ins Herz hinein Und schließt, wie Gottes Treue, Mit seinem Dach dich ein.

3. Und Dir Des

Rings Blüten nur und Triebe Halme von Segen schwer! ist, als zöge die Liebe Weges nebenher.

4. Als Und Die

So heimisch alles klinget. wie im Vaterhaus, über die Lerchen schwinget Seele sich hinaus.

12. Die Blumen des Waldes. (Nach der Schlacht bei Floddon, 1513).

1. Die Nun Die

Ich hörte sie singen, wenn morgens sie gingen Herde zu melken, die draußen steht: hör ich ihr Wehe, wo immer ich gehe — Blumen des Waldes sind abgemäht.

2. Vorüber das Necken, an Wegen und Hecken Still eine neben der andern geht. Sie können nicht scherzen mit Trauer im Herzen, Und was sie sprechen, ist leises Gebet.

3. Kein Erntereigen; es schweigen die Geigen, Kein Tänzer, der fröhlich im Tanze sich dreht. Auf Märkten und Messen die Lust ist vergessen — Die Blumen des Waldes sind abgemäht. 4. Kommt Dämmerstunde, nicht mehr in die Runde Das Haschen und Psänderspielen geht, In stiller Kammer verbirgt sich ihr Jammer — Die Blumen des Waldes sind abgemäht.

5. Dahin unsre Kränze! wir zogen zur Grenze, Wo Englands Banner im Winde geweht. Unsre Blumen vom Walde, sie ruhn auf der Halde, Die Blüte des Landes ist abgemäht. 6. Die Nun Die

Ich hörte sie singen, wenn morgens sie gingen Herde zu melken, die draußen steht; Hingt ihre Klage von Tage zu Tage: Blumen des Waldes sind abgemäht.

18

Fontane

Fouque.

13. Ju«g-Bismarck. 1. In Lockenfülle das blonde Haar, Allzeit im Sattel und neunzehn Jahr, Im Fluge weltein und nie zurück — Wer ist der Reiter nach dem Glück? Jung-Bismarck. 2. Jst's Noch Aber

Was ist das Glück? Jst's Gold, ist's Ehr, Ruhm, ist's Liebe? Das Glück ist mehr. liegt es im Dämmer, erkennbar kaum. er sieht es in seinem Traum, Jung-Bismarck.

3. Er sieht es im Traume. Was ist, das er sah? Am Brunnen sitzt Germania, Zween Eimer wechseln, der eine fällt. Der andre steigt; wer ist's, der ihn hält? Jung-Bismarck. 4. Und neue Bilder: ein Schloß, ein Saal, Was nicht blitzt von Golde, das blitzt von Stahl, Einer dem Barbarossa gleicht. Wer ist's, der die Krone ihm reicht? Jung-Bismarck.

6. Was ist das Glück? Jst's Gold, ist's Ehr, Jst's Ruhm, ist's Liebe? Das Glück ist mehr: Leben und Sterben dem Vaterland! Gott segne fürder deine Hand, Jung-Bismarck!

Friedrich Baron de la Motte Fouque. 14. Altdeutsches Rätsel. Der junge Held Dietrich von Bern Har edle Sprüch und Rätsel gern. Da sprach der alte Hildebrand, Sein weiser Meister wohlbekannt.

5 Des Abends bei der Kerdesruh Einstmalen ihm auch dieses zu: „Wer ist gar trübe, starr und karg. Freudlos wie ein verschloßner Sarg? Wer sehnt sich hold zum Himmel auf, 10 Stellt nach dem Christ den Lebenslauf? Wer sinkt in Erdenlust und Not, Vergißt all göttliches Gebot? Nun rate, wer da raten kann! Das alles ist ein einger Mann." 15 Errötend sprach Herr Dieterich: Ach lieber Meister, das bin ich! — „Ja," sprach der Meister ernstgesinnt, „Doch ist es auch all Menschenkind."

15. Turmwächters Lied. 1. Am gewaltigen Meer, In der Mitternacht, Wo der Wogen Heer An die Felsen kracht. Da schau ich vom Turm hinaus. Ich erheb einen Sang Aus starker Brust Und mische den Klang In die wilde Lust, In die Nacht, in den Sturm, in den Graus. 2. Dringe durch, dringe durch Recht freudenvoll. Mein Lied, von der Burg In das Sturmgeroll! Verkünd es weit durch die Nacht, Wo schwanket ein Schiff Durch die Flut entlang. Wo schwindelt am Riff Des Wanderers Gang, Daß oben ein Mensch hier wacht! 2*

20

Fouque.

Freiligrath.

3. Ein kräftiger Mann, Recht frisch bereit. Wo er helfen kann, Ku wenden das Leid Mit Ruf, mit Lmchte, mit Hand. Ist zu schwarz die Nacht, Ist zu fern der Ort, Da schickt er mit Macht Seine Stimme fort Mit Trost über See und Land.

'4. Wer auf Wogen schwebt. Sehr leck sein Kahn, Wer im Walde lebt. Wo sich Räuber nahn. Der denke: Gott hilft wohl gleich. Wen das wilde Meer Schon hinunterschlingt. Wem des Räubers Speer In die Hüfte dringt. Der denk an das Himmelreich!

Ferdinand Freiligrath. 16, Die Auswanderer. 1. Ich kann den Blick nicht von euch wenden; Ich muß euch anschaun immerdar: Wie reicht ihr mit geschäftgen Händen Dem Schiffer eure Habe dar! 2. Ihr Männer, die ihr von dem Nacken Die Körbe langt, mit Brot beschwert, Das ihr aus deutschem Korn gebacken. Geröstet habt auf deutschem Herd;

3. Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe, Ihr Schwarzwaldmädchen braun und schlank.

Wie sorgsam stellt ihr Krüg' und Töpfe Auf der Schaluppe grüne Bank! 4. Das sind dieselben Töpf' und Krüge, Oft an der Heimat Born gefüllt! Wenn am Missouri alles schwiege. Sie malten euch der Heimat Bild: 5. Des Dorfes steingefatzte Quelle, Zu der ihr schöpfend euch gebückt. Des Herdes traute Feuerstelle, Das Wandgesims, das sie geschmückt. 6. Bald zieren sie im fernen Westen Des leichten Bretterhauses Wand: Bald reicht sie müden, braunen Gästen, Voll frischen Trunkes, eure Hand.

7. Es trinkt daraus der Tscherokese, Ermattet, von der Jagd bestaubt: Nicht mehr von deutscher Rebenlese Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. 8. Das Der Im 9. Euch Nach Nach

O, sprecht! warum zogt ihr von dannenNeckartal hat Wein und Korn: Schwarzwald steht voll finstrer Tannen, Spessart klingt des Älplers Horn. Wie wird es in den fremden Wäldern nach der Heimatberge Grün, Deutschlands gelben Weizenfeldern, seinen Rebenhügeln ziehn!

10. Wie wird das Bild der alten Tage Durch eure Träume glänzend wehn! Gleich einer stillen, frommen Sage Wird es euch vor der Seele stehn.

11. Der Bootsmann winkt — zieht hin in Frieden! Gott schütz euch, Mann und Weib und Greis! Sei Freude eurer Brust bcschieden Und euern Feldern Reis und Mais!

22

Freiligrath.

17. Die Tanne. I.

1. Auf des Berges höchster Spitze Steht die Tanne, schlank und grün. Durch der Felswand tiefste Ritze Läßt sie ihre Wurzeln ziehn; 2. Nach den höchsten Wolkenbällen Läßt sie ihre Wipfel schweifen. Als ob sie die vogelschnellen Mit den Armen wollte greifen.

3. Ja, der Wolken vielgestaltge Streifen, flatternd und zerrissen. Sind der Edeltann gewaltge, Regenschwangre Nadelkissen. 4. Tief in ihren Wurzelknollen, In den faserigen, braunen, Winzig klein und reich an tollen Launen, wohnen die Alraunen.

5. Tie des Berges Grund befahren. Ohne Eimer, ohne Leitern, Und in seinen wunderbaren Schachten die Metalle läutern. 6. Wirr läßt sie hinunterhangen Ihre Wurzeln ins Gewölbe; Diamanten sieht sie prangen Und des Goldes Glut, die gelbe. 7. Aber oben mit den dunkeln Ästen sieht sie schönres Leben: Sieht durch Laub die Sonne funkeln Und belauscht des Geistes Weben,

8. Der in diesen stillen Bergen Regiment und Ordnung hält Und mit seinen klugen Zwergen Alles leitet und bestellt;

Freiligrath.

28

9. Oft zur Zeit der Sonnenwenden Nächtlich ihr vorübersaust, Eine Wildschur um die Lenden, Eine Kiefer in die Faust. 10. Sie vernimmt mit leisen Ohren, Wie die Bögel sich besprechen; Keine Silbe geht verloren Des Gemurmels in den Bächen. 11. Offen liegt vor ihr der stille Haushalt da der wilden Tiere. Welcher Friede, welche Fülle In dem schattigen Reviere! 12. Menschen fern; nur Rotwildstapfen Auf dem moosbewachsnen Boden! O, wohl magst du deine Zapfen Freudig schütteln in die Loden!

13. O, wohl magst du gelben Harzes Duftge Tropfen niedersprengen Und dein straffes, grünlich schwarzes Haar mit Morgentau behängen! 14. O, wohl magst du lieblich wehen! O, wohl magst du trotzig rauschen! Einsam auf des Berges Höhen Stark und immergrün zu stehen — Tanne, könnt ich mit dir tauschen!

II 1. Inmitten der Fregatte Hebt sich der starke Mast, Mit Segel, Flagg und Matte, Ihn beugt der Jahre Last,

3. Was helfen mir die Fahnen, Die schwanken Leiterstricke? Ein starkes innres Mahnen Zieht mich zum Forst zurücke.

2. Der schaumbedeckten Welle Klagt zürnend er sein Leid: „Was Hilst mir nun dies Helle, Dies weiße Segelkleid?

4. In meinen jungen Jahren l Hat man mich umgehauen; < Das Meer sollt ich befahren Und stemde Länder schauen.

24

Freiligrath.

5. Ich habe die See befahren, Meerkön'ge sah ich thronen; Mit schwarzen und blonden Haaren Sah ich die Nationen.

7. Toch nach dem Heimatberge Zieht mich ein starker Zug, Wo ich ins Reich der Zwerge Die haarigen Wurzeln schlug.

8. O, stilles Leben im Walde! 6. Isländisch Moos im Norden; O, grüne Einsamkeit! O, blumenreiche Halde! Grüßt ich auf Felsenspalten; Mit Palmen auf südlichen Borden Wie weit seid ihr, wie weit!" Hab Zwiesprach ich gehalten.

18. Schwalbenmärchen. 1. Auf dem stillen, schwülen Pfuhle Tanzt die dünne Wasserspinn, Unten auf kristallnem Stuhle Thront die Unkenkönigin. 2. Von den edelsten Metallen Hält ein Reif ihr Haupt umzogen. Und wie Silberglocken schallen Unkenstimmen durch die Wogen. 3. Denn der Lenz erschien: die Schollen Sind zerflossen; Blüten zittern; Dumpfe Frühlingsdonner rollen Durch die Luft, schwarz von Gewittern.

4. Wasserlilienkelche fließen Auf des Teiches dunkelm Spiegel, Und die ersten Schwalben schießen Drüberhin mit schnellem Flügel.

5. Aus den zarten Schnäbeln leise Tönt Gezwitscher in die Wellen: „Viele Grüße von der Reise Haben wir dir zu bestellen. 6. Lange waren wir in fremden. Sandbedeckten, heißen Ländern, Wo in weiten Kaftanhemden Träge Turbanträger schlendern.

7. Purpurfarbne Wunderpflanzen Dienten uns zu Meilenweisern; Gelbe Mauren sahn wir tanzen Nackt vor ihren Leinwandhäusern. 8. Lechzend auf dem warmen Sattel Saß der Araber, der leichte. Während Ziegenmilch und Dattel Ihm aufs Pferd die Gattin reichte. 9. Auf die Jagd der Antilopen, Kriegerisch mit Spieß und Pfeile, Zogen schlanke Äthiopen; Klagend tönte Memnons Säule. 10. Aus des Niles Flut getrunken Haben wir, matt von der Reise; Gruß dir, Königin der Unken, Bon dem königlichen Greise! 11. Alles grüßt dich, Blumen, Blätter k Doch zumeist der Grüße viele Bringen wir von deinem Vetter, Bon dem Krokodil im Nile!"

IS. Ammonium. 1. „Fremdling, laß deine Stute grasen! O, zieh nicht weiter diese Nacht! Dies ist die grünste der Oasen; Im gelben Sandmeer glänzt ihr Rasen, Gleichwie inmitten von Topasen Ein grüner, funkelnder Smaragd!" Er sprach: „Gern will ich mich entgürten!' Und nahm dem Pferde das Gebiß. Er setzte sich zu seinen Wirten; Des Wüstengeiers Flügel schwirrten An ihm vorüber nach den Syrten, Zn ruhn in der Pentapolis. 3. Die Lieder und die Zimbeln klangen; Die Mappe lag auf seinen Knien.

LS

Freiligrath.

Die Rosse mit den blanken Stangen, Die finstern Reiter mit den langen Gewänden und den bärtgen Wangen, Die Zelte — fremd ergriff es ihn.

4. Mit farbgen Stiften schuf er glühend Ein Bildnis dieser Wüstenrast. Die Dwmedare lagen knieend Am Quell, des Wirtes Töchter, blühend Und schlank, bald nahend und bald fliehend. Umtanzten singend ihren Gast! 5. „Fremdling, laß deine Stute grasen! O, zieh nicht weiter diese Nacht! Ties ist die grünste der Oasen; Im gelben Sandmeer glänzt ihr Rasen, Gleichwie inmitten von Topasen Ein grüner, funkelnder Smaragd!"

20. Zwei Feldherrngräber. I. 1. Hier unter diesem Steine, Zur Seite des Portals, Verwesen die Gebeine Des tapfern Generals. Er ist im Kampf gefallen. Zerschossen und zerfetzt; In dieses Domes Hallen Hat man ihn beigesetzt.

2. Hier hat man ihm erhoben Ein prächtig Monument, Daß jedermann die Proben Von seinem Mute kennt. Es ist ein ehrner Leue, Mit krauser Mähne, fahl; Der liegt und wacht mit Treue Auf dem Piedestal.

3. Und unten ist zu lesen. Gehauen in den Stein, Wie groß der Mann gewesen. Den dieses Grab schließt ein; Wie mehr, als das Gekritzel Der Feder, galt sein Schwert, Die Schlachten und Scharmützel, Wo er das Feld gekehrt; 4. Wie fortlebt im Gesänge, Was seine Faust getan. Das deutet auch die Schlange Am Fuß des Denkmals an. Sie liegt, zu einem Runde Gerollt, den glatten Schweis Hinangekrümmt zum Munde: Ein deutungsvoller Reif!

II. 1. Bei diesen schlanken Bäumen, Im feuchten Pisangschatten Magst du anjetzo träumen, O, kühnster der Maratten! Im wilden Vorwärtstraben Bist du vom Hengst geschossen; Hier haben dich begraben Die flüchtigen Genossen.

2. Es ist an dieser Stelle Einsam und schauerlich; Hier ringelt, bunt von Felle, Die Abgottsschlange sich. Sie wälzt sich auf dem Grunde Und zischt, den glatten Schweis Gekrümmt zum giftgen Munde, Ein deütungsvoller Reif! 3. Ein Leu tritt aus den Büschen, Im Schmuck der gelben Mähne;

28

Freiligrath.

Geibel.

Flieht nicht der Feindin Zischen Und ihre spitzen Zähne. Aufs Grab legt sich der Wilde, Starr liegt er auf den Sprossen; Nicht ungleich einem Bilde, Aus braunem Erz gegossen. 4. Es nähern sich vom $>ügd Zwei Reiter, gelb von Haut; Sie richten sich im Bügel, Der eine spricht halblaut: „Siehst du den Löwen liegen. Er hält am Grabe Wache. Laß deinen Falben fliegen. Und knirschend murmle: Rache!"

Emanuel. Geibel. 21. Bolters Nachtgesang. 1. Die lichten Sterne funkeln Hernieder kalt und stumm; Von Waffen klirrt's im Dunkeln, Der Tod schleicht draußen um. Schweb hoch hinauf, mein GeigenNangs Durchbrich die Nacht mit klarem Sangs Du weißt den Spuk von dannen Zu bannen. 2. Wohl finster ist die Stunde, Doch hell sind Mut und Schwert, In meines Herzens Grunde Steht aller Freuden Herd. O Lebenslust, wie reich du blühst! O Heldenblut, wie kühn du glühst! Wie gleicht der Sonn im Scheiden Ihr beiden.

ö. Ich denke hoher Ehren, Sturmlustger Jugendzeit, Da wir mit scharfen Speeren Hinjauchzten in den Streit. Hei! Schildgekrach im Sachsenkrieg! Auf unsern Bannern saß der Sieg, Als wir die ersten Narben Erwarben.

4. Mein grünes Heimatleben, Wie tauchst du mir empor! Des Schwarzwalds Wipfel weben Herüber an mein Ohr; So säuselt's in der Rebenslur, So braust der Rhein, darauf ich fuhr Mit meinem Lieb zu zweien Jur Maien. 5. O Minne! wundersüße. Du Rosenhag in Blust, Ich grüße dich, ich grüße, Dich heut aus tiefster Brust! Du roter Mund, gedenk ich dein. Es macht mich stark wie firner Wein, Das sollen Heunenwunden Bekunden. 6. Ihr Kön'ge, sonder Zagen Schlaft sanft, ich halte Wacht; Ein Glanz aus alten Tagen Erleuchtet mir die Nacht. And kommt die Früh im blutgen Kleid': Gott grüß dich, grimmer Schwerterstreit! Dann magst du, Tod, zum Reigen Ans geigen!

22. Gudruns Klage. 1. Nun geht in grauer Frühe Der scharfe Märzenwind, Und meiner Qual und Mühe Ein neuer Tag beginnt. Ich wall hinab zum Strande, Durch Reif und Dornen hin. Zu waschen die Gewände Der grimmen Königin.

2. Das Meer ist tief und herbe Doch tiefer ist die Pein, Von Freud und Heimatserbe Allzeit geschieden sein; Doch herber ist's, zu dienen In fremder Mägde Schar, Und hat mir einst geschienen Die güldne Kron int Haar. 3. Mir ward kein guter Morgen, Seit ich dem Feind verfiel; Mein Speis und Trank sind Sorgen, Und Kummer mein Gespiel. Doch berg ich meine Tränen In stolzer Einsamkeit; Am Strand den wilden Schwänen Allein sing ich mein Lied. 4. Kein Dräuen soll mir beugen Den hochgemuten Sinn! Ausduldend will ich zeugen. Von welchem Stamnt ich bin. Und so sie hold gebaren. Wie Spinnweb acht ich's nur; Ich will getreu bewahren Mein Herz und meinen Schwur.

5. O Ortwin, trauter Bruder, Q Herwig, Buhle wert.

Was rauscht nicht euer Ruder, Was klingt nicht euer Schwert? Umsonst zur Meereswiiste Hiuspäh ich jede Stund; Doch naht sich dieser Küste Kein Wimpel, das mir kund. 6. Ich weiß es: nicht vergessen Habt ihr der armen Maid; Doch ist nur kurz gemessen Dem steten Gram die Zeit. Wohl kommt ihr einst, zu sühnen. Zu retten, ach! zu spät. Wenn schon der Sand der Dünen Um meinen Hügel weht. 7. Es dröhnt mit dumpfem Schlage: Die Brandung in mein Wort; Der Sturm zerreißt die Klage Und trägt beschwingt sie fort. O, möcht er brausend schweben Und geben euch Bericht: Wohl laß ich hier das Leben, Die Treue laß ich nicht!

23. Friedrich Rotbart. 1. Tief im Schoße des Kyffhäusers Bei der Ampel rotem Schein Sitzt der alte Kaiser Friedrich An dem Tisch von Marmorstein.

2. Ihn Doch Liegt

Ihn umwallt der Purpurmantel^ umfängt der Rüstung Pracht, auf seinen Augenwimpern des Schlafes tiefe Nacht.

3. Borgesunken ruht das Antlitz,. Drin sich Ernst und Milde paart;.

32

Geibel.

Durch bett Marmortisch gewachsen Ist sein langer, goldner Bart. 4. Rings wie ehr ne Bilder stehen Seine Ritter um ihn her, Harnischglänzend, schwertumgürtet. Aber tief im Schlaf, wie er.

5. Heinrich auch, der Ofterdinger, Ist in ihrer stummen Schar, Mit den liederreichen Lippen, Mit dem blondgelockten Haar.

6. Seine Harfe ruht dem Sänger In der Linken ohne Klang; Doch auf seiner hohen Stirne Schläft ein künftiger Gesang. 7. Alles schweigt, nur hin und wieder Fällt ein Tropfen vom Gestein: Bis der große Morgen plötzlich Bricht mit Feuersglut herein; 8. Bis der Adler stolzen Fluges Um des Berges Gipfel zieht. Daß vor seines Fittichs Rauschen Dort der Rabenschwarm entflieht.

9. Aber dann tote ferner Donner Rollt es durch den Berg herauf. Und der Kaiser greift zum Schwerte, Und die Ritter wachen auf. 10. Laut in seinen Angeln dröhnend Tut sich auf das ehrne Tor; Barbarossa mit den Seinen Steigt im Waffenschmuck empor. 11. Auf dem Helm trägt er die Krone Und bett Sieg in seiner Hand; Schwerter blitzen, Harfen klingen, Wo er schreitet durch das Land.

12. Und dem alten Kaiser beugen Sich die Völker allzugleich, Und aufs neu zu Aachen gründet Er das heilge deutsche Reich.

24. Aus de« Walde. 1. Mit dem alten Förster heut Bin ich durch den Wald gegangen. Während hell im Festgeläut Aus dem Dorf die Glocken klangen.

2. Golden floß ins Laub der Tag, Vöglein sangen Gottes Ehre, Fast, als ob der ganze Hag Wüßte, daß es Sonntag wäre. 3. Und wir kamen ins Revier, Wo, umrauscht von. alten Bäumen, Junge Stämmlein sonder Zier Sproßten auf besonnten Räumen. 4. Feierlich der Alte sprach: „Siehst du über unsern Wegen Hochgewölbt das grüne Dach? Das ist unsrer Ahnen Segen. 5. Denn es gilt ein ewig Recht, Wo die hohen Wipfel rauschen, Bon Geschlechte zu Geschlecht Geht im Wald ein heilig Tauschen: 6. Was uns Not ist, uns zum Heil Ward's gegründet von den Vätern; Aber das ist unser Teil, Daß wir gründm für die Spätern. 7. Drum im Forst auf meinem Stand

Ist mir's oft, als böt ich linde Sefdufi 6. 12. «uff.

M. 3

Meinem Ahnherrn diese Hand, Jene meinem Kindeskinde.

8. Und sobald ich pflanzen will, Pocht das Herz mir, daß ich's merke. Und ein frommes Sprüchlein still Muh ich beten zu dem Werke: 9. Schütz euch Gott, ihr Reiser schwank! Mögen unter euren Kronen, Rauscht ihr einst den Wald entlang, Gottesfurcht und Freiheit wohnen! 10. Und ihr Enkel, still erfreut Mögt ihr dann mein Segnen ahnen, Wie's mit frommem Dank mich heut An die Väter will gemahnen." 11. Wie verstummend im Gebet, Schwieg der Mann, der tiefergraute, Klaren Auges, ein Prophet, Welcher vorwärts, rückwärts schaute. 12. Segnend auf die Stämmlein rings Sah ich dann die Händ ihn breiten; Aber in den Wipfeln ging's. Wie ein Gruß aus alten Zeiten.

25. Lübeck. 1. Wie steigst, o Lübeck, du heraus In alter Pracht vor meinen Sinnen, An des beflaggten Stromes Lauf, Mit stolzen Türmen, schartgen Zinnen! Dort war's, wo deiner Erker Zahl Der Hansa Boten wartend zählten. Dort, wo die Väter hoch im Saal Ein Haupt für leere Kronen wählten.

Geibel.

Goethe.

2. Denn eine Fürstin standest du. Der Markt war dein und dein die Wege, Du führtest reich dem Süden zu. Was nur gedieh in Nordens Pflege. Es bot dir Norweg seinen Zoll, Der Schwede bog sein Haupt, der Däne, Wenn deine Schiffe segelvoll Vorüberflohn, des Meeres Schwäne.

Johann Wolfgang Goethe. 86. Der Zauberlehrling 1. „Hat der alte Hexen­ meister Sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister Auch nach meinem Willen leben. Seine Wort' und Werke Merkt ich und den Brauch, Und mit Geistesstärke Tu ich Wunder auch, Walle! walle Manche Strecke, Dast, zum Zwecke, Wasser fließe Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße!

2. Und nun komm, du alter Besen, Nimm die schlechten Lumpeirhüllen!

(1797).

Bist schon lange Knecht gewesen; Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe. Oben sei ein Kopf! Eile nun und gehe Mit dem Wassertopf! Walle! walle Manche Strecke, Daß, zum Zwecke, Wasser fließe Und mit reichem, vollem Schwalle Zu dem Bade sich ergieße!

3.

Seht, er läuft zum Ufer

nieder; Wahrlich! ist schon an beni Flusse, Und mit Blitzesschnelle wieder Ist er hier mit raschem Gusse. Schon zum zweitenmale! Wie das Becken schwillt! Wie sich jede Schale

Voll mit Wasser füllt! Stehe! stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Bollgemessen! — Ach, ich merk es! wehe! wchc! Hab ich doch das Wort ver­ gessen! 4. Ach, das Wort worauf am Ende Er das wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Jrnmer neue Güsse Bringt er schnell herein. Ach! und hundert Flüsse Stürzen auf mich ein. Nein, nicht länger Kann ich's lassen: Will ihn fassen. DaS ist Tücke! Ach! nun wird mir immer bänger! Welche Miene! welche Blickes 5. O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen? Seh ich über jede Schwelle Doch schon Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen, Der nicht hören will! Stock, der du gewesen. Steh doch wieder still! Willst am Ende Gar nicht lassen? Will dich fassen. Will dich halten

Und das alte Holz behende Mit dem scharfen Beile spalten! 6. Seht, da kommt er schlep­ pend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe. Gleich, o Kobold, liegst du nieder; Krachend trifft die glatte Schärfe. Wahrlich! brav getroffen! Seht, er ist entzwei! Und nun kann ich hoffen, Und ich atme frei. Wehe! wehe! Beide Teile Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe! Helft mir, ach! ihr hohen Mächte! 7. Und sie laufen! naß und nässer Wird's im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! hör mich rufen! — Ach, da kommt der Meister? Herr, die Not ist groß: Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los." „In die Ecke, Besen! Besen! Seid's gewesen. Denn als Geister Ruft euch nur zu seinem Zwecke Erst hervor der alte Meister."

27 Geiftesgruk (1774, beim Anblick der Ruine Lahneck). 1. Hoch auf dem alten Turm« steht Des Helden edler Geist. Der, wie das Schiff vorübergeht. Es wohl zu fahren heißt:

2. Dies Die Der

„Sieh, diese Sehne war so stark. Herz so fest und wild. Knochen voll von Rittermark, Becher angefüllt:

3. Mein halbes Leben stürmt ich fort, Verdehnt die Hälft in Ruh, Und du, du Menschenschifflein dort. Fahr immer, immer zu!"

28. Der Sänger. 1. „Was hör ich draußen vor dem Tor, Was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr Im Saale wiederhallen!" Der König sprach's, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: „Laßt mir herein den Alten!"

2. „Gegrüßet seid mir, edle Herrn, Gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern! Wer kennet ihre Namen? Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit Schließt, Augen, euch! hier ist nicht Zeit, Sich staunend zu ergötzen." 3. Der Sänger drückt' die Augen ein Und schlug in vollen Tönen; Die Ritter schauten mutig drein Und in den Schoß die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel. Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel, Eine goldne Kette reichen.

38

Goethe.

4. „Die goldne Kette gib mir nicht. Die Kette gib den Rittern, Vor deren kühnem Angesicht Der Feinde Lanzen splittern! Gib sie dem Kanzler, den du hast. Und laß ihn noch die goldne Last Zn andern Lasten tragen!

5. Ich singe, wie der Vogel singt. Der in den Zweigen wohnet; Das Lied, das aus der Kehle dringt. Ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch, dars ich bitten, bitt ich eins: Laß mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen!"

6. Er setzt' ihn an, er trank ihn ans: „O, Trank voll süßer Labe! O, wohl dem hochbeglückten Haus, Wo das ist kleine Gabe! Ergeht's euch wohl, so denkt an mich Und danket Gott so warm, als ich Für -diesen Trunk euch danke."

29. Erlkönig. 1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. 2. „Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?" „Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?" „Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." 3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand."

4. „Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht?" „Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind! In dürren Blättern säuselt der Wind." 5. „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

6. „Mein Vater, mein Vater, und sieW du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort?" „Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau; Es scheinen die alten Weiden so grau." 7. „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." „Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan!"

8. Dem Vater grauset's, er reitet geschwind. Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.

30. Heideröslein. 1. Sah ein Knab ein Rös­ lein stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön. Lief er schnell, es nah zu sehn. Sah's mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden!

2.

Knabe sprach: Ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: Ich steche dich Daß du ewig denkst an mich. Und ich will's nicht leiden! Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden.«

3. Und der wilde Knabe brach 's Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach. Half ihm doch kein Weh und Ach,

40

Goethe.

Mutzt es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden!

31. Die Frösche. Ein großer Teich war zugefroren; Die Fröschlein, in der Tiefe verloren. Dursten nicht ferner quaken noch springen Versprachen sich aber, im halben Traum, 5 Fänden sie nur da oben Raum, Wie Nachtigallen wollten sie fingen.

Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz, Nun ruderten sie und landeten stolz Und sahen am Ufer weit und breit 10 Und quakten wie vor alter Zeit.

82. Schweizerlied. 1. Ufm bergli bin i gesesse, Hä de vögle zugeschaut; Hänt gesunge, hänt gesprunge, Hänts nestli gebaut. 2. In ä garte bin i gestände, Hä de imbli zugeschaut; Hänt gebrummet, hänt gesummet, Hänt zelli gebaut. 3. Uf d’ wiese bin i gange, Lugt’ i summervögle ä; Hänt gesoge, hänt gefloge, Gar z’ schön hänt’s getan. 4. Und da kummt nu der Hansel, Und da zeig i em froh, Wie sie’s mache, und mer lache Und mache’s au so.

Martin Greif. 33. Las Streitholz. 1. Hier Noch Und

Hier ist der Kamp der Klaae, ist der Römer Grund, lebt int Volk die Sage geht von Mund zu Mund,

2. Daß hier einst ward gerungen In einer langen Schlacht, Bevor sie ward bezwungen. Der Fremden stolze Macht. 3. Bon manchem Totenraine Ist noch die Spur zu schaun, Auch webt vom Götterhaine Noch im Gehölz ein Graun.

5. Des Spechtes schallend Hämmern Gleich Streichen bringt ans Ohr, Der Strom in feuchtem Dämmern Rauscht manchmal wild empor. 5. Die Die Zur

Sonst herrscht geheimes Schweiget» Ufer auf und ab, — alten Helden steigen Nacht aus ihrem Grab.

34. Der Königsstuhl zu Rhense. (18. Januar 1871.)

1. Bist du dahin geschwommen Auf mondbeglänztem Rhein? Sahst du die Schlösser kommen Und schwinden int Abendschein?

2. Sahst du wohl aufgerichtet Den Königsstuhl so hehr. Daran vorbeigeflüchtet Der Wellen viel ins Meer?

Greif.

Groth.

3. Daran vorbeigeflogen Viel Traumesherrlichkeit, Daran vorbeigezogen Die Helden mancher Zeit? 4. SaW du das Banner wehen, Das lang uns fehlet schon? Sahst du die Fürsten stehen. Geschart um einen Thron? 5. Als Und Ein

Sahst du's auch droben blitzen wie von Schwert und Schild mit der Krone sitzen thronend Kaiserbild?

6. Wohl — jüngst bin ich gefahreit Vorbei dem hehren Sitz Und sah sich alle scharen Um einer Krone Blitz. 7. Von Die Mir

Wohl sah ich's droben leuchteit blankem Schild und Schwert, Männer ringsum däuchten kühn und ehrenwert.

8. Ich sah sie einem lauschen, Das muß der Kaiser sein — Es floß in stolzem Rauschen Vorüber der deutsche Rhein.

Klaus Groth. 85. Aanten int Wäter.

1. Aanten int water, I Aanten in dik, Wat vorn gesnäter! | Wat vern musik! Oe wart is wat beseh: wat, wat, wat schül wi Sten? Murt, inne murt. inne gründ is dat fett!

Höja! de graue fangt IM an to reden: Quark un warm water! un alle ropt mit. Aanten int wäter, I Aanten in dik, Wat vern gesnäter! | Wat vern musik!

2. De riinnsteen hentlank all int trünneln un snappeln, BarbSnt un plattföt un jümmer vergnügt! Hier is de käkenguß: bersupp mit appeln! Wackeli, gackeli — sieb, wä se sökt! Aanten int wäter, Aanten in dik, Wat vern geanäter! Wat vern musik!

3. Nu oppen wall! un nu ropt wi de günner! Nu kamt se an, un nu gift dat en snack. Nu flögt wi däl, un nu dükt wi uns ünner! All dat warm wäter löppt blank vunne nack! Aanten int wäter, Aanten in dik, Wat vern gesnäter! Wat vern musik! 4. Wat, wat, wat wüllt wi? nu wüllt wi na’n misten Hör! se döscht wüten; wi krüpt dar de rill! Kamt man! man sachden! op töntjen! mit listen! Nückt mit den kopp, un 6t gau, un swigt still! Aanten int wäter, Aanten int streb — Wat vern gesnäter! Wat vern hailoh!

5. Dar kumt de käksch! neiht man üt, brükt de flanken! Hoch äwern tün, un koppheister na’n dik! Swimm as de pocken, un flögen as liinken! Klök as en minsch — un so dick! un so dick! Aanten int wäter, Aanten in dik, Wat vern gesnäter! Wat vern musik!

Johann Peter Heb eh 36. Das Spinnlein. 1. Nei, lueget doch das spinnli ä, ■ Wie’s zarti fäde zwirne chä! Bäs gvatter, meinsch, chäsch’s au ne so? De wirsch mers, traui, hübe 16. Es macht’s so subtil und so nett, I wott nit, aß i’s z’hasple hätt. 2. Wo het’s di fini rtste g’no, Bi wellem meister hechle 16? Meinsch, wemme ’s wußt, wol mengi krau Sie wär so gscheit und holti au! Jez lueg mer, wie’s st füeßli setzt Und d’ermel streift und d’finger netzt. 3. Es zieht e lange fäden üs, Es spinnt e bruck ans nochbers hüs, Es baut e landstrdß in der lüft, Morn hangt si scho voll morgeduft, Es baut e fueßweg nebe drä, ’s isch, aß es 6ne düre chä. 4. Es spinnt und wandlet uf und ab, Potz tausig, im galopp und trab! — Jez göt’s ringsum, was hesch, was gisch! Siehsch, wie ne ringli worden isch! Jez schießt es zarti fäden t, Wirds öbbe solle gwöbe si? 5. Es isch verstünt, es haltet still, Es weiß nit recht, wo ’s äne will. ’s got Wäger z’ruck, i sieh’s em ä; ’s mueß näumis rechts vergesse hä. Zwör denkt es: „Sell pressiert jo nit, I halt mi nummen uf dermit.“ 6. Es spinnt und webt und het kei rast, So glichlig, me verluegt si fast.

36. Das Spinalem. (Übersetzung von Echtermeyer.)

1. Seht doch einmal das Spinnlein an, Wie’s zarte Fäden zwirnen kann! Gelt, Base, das verstehst du nicht! Ich sag es dreist dir ins Gesicht. Es macht’s so niedlich und so nett, Möcht nicht, daß ich’s zu haspeln hätt. 2. Wo nahm’s den Flachs so zart und fein? Bei wem mag er gehechelt sein? Gar manche Frau, das glaube mir, Ging auch dahin, wenn man’s erfuhr. Jetzt sieh mir, wie’s sein Füßchen setzt, Den Ärmel streift, die Finger netzt. 3. Jetzt zieht’s den langen Faden aus, Spinnt eine Brück an Nachbars Haus, Baut eine Landstraß in die Luft, Die morgen hängt voll Morgenduft, Baut einen Fußweg neben dran, Daß hier und da es wandeln kann. 4. Es spinnt und wandelt auf und ab. Potz tausend, im Galopp und Trab! Jetzt geht’s ringsum — wo an, wo aus? Nun bildet sich ein Ringlein draus; Jetzt schießt es zarte Fäden ein: Sollt’s etwa gar gewoben sein? 5. Jetzt ist’s erstaunt, jetzt hält es still Ün4 weiß nicht recht, wohin es will; Es geht zurück, man sieht’s ihm an, Was Wichtiges fehlt ihm noch daran. Doch denkt’s: „Es hat damit nicht Eil, Lohnt nicht, daß ich dabei verweil.“ 6. Es spinnt und webt und hat nicht Rast, Allüberall, man staunet fast.

Und ’s pfärers Christoph het no gseit, 's seig jede fade zemme gleit. Es mueß ein güti äuge hä, Wers zelen und erchenne chä. 7. Jez putzt es shri händli ab, Es stot und haut der Faden ab. Jetzt sitzt es in st sommerhüs Und luegt die lange strößen üs. Es seit: „Me baut si halber z’töd, Doch freut’s ein au, wenn ’s hüsli stöt.“ 8. In freie lüfte wogt’s und schwankt’s, Und an der liebe sunne hangt’s; Si schint im frei durch d’beinli dfir, Und ’s isch em wol. In seid und flür Sieht ’s mückli tanze jung und feiß; ’s denkt binem selber: „Hätti eis!“ 9. 0 tierli, wie beseh mi verzückt! Wie bisch so chlei und doch so gschickt! Wer het di au di Sache glärt? Denkwol, der, wonis alli nert, Mit milde händen alle git, Bis z’frtden! er vergißt di nit. 10. Do chunnt e fliege, nei, wie dumm! Sie rennt em schier gar 's hüsli um. Sie schreit und winslet w6 und ach! Du arme chetzer beseh di sach! Hesch keini äuge bi der g’hä? Was gön di üsi Sachen ä? 11. Lueg, ’s spinnli merkt’s enandernö. Es zuckt und springt und het si schö. Es denkt: „I ha viel arbet ghä, Jez mueß i au ne brötis hä!“ I sag’s jo, der wo alli git, Wenn’s zit isch, er vergißt ein nit.

Des Pfarrers Hans sagt obendrein, Zehnfach soll jeder Faden sein; Doch glaub ich’s nicht; denn sagt mir an, .Wes Aug es sehn und zählen kann! 7. Jetzt putzt es seine Händchen ab, Steht still und haut den Faden ab. Jetzt sitzt’s in seinem Sommerhaus, Schaut auf die lange Straß hinaus; Es spricht: „Man baut sich halb zu Tod; Doch steht das Haus, ist all die Not.“ 8. Es wogt und schwankt in freier Luft, Im Sonnenstrahl, im weichen Duft, Und jeder Strahl umspielt es frei — Dem Spinnlein ist so wohl dabei. Es sieht dem Tanz der Mücklein zu Und denkt sich: „Käm doch eins herzu!'* 9. 0 Tierlein, hast mein Herz entzückt; So klein und dennoch so geschickt ! Wer hat dich solche Kunst gelehrt? Ich denk: Er, der uns alle nährt, Der mild und gnädig alle liebt Und, glaubt’s, auch dir dein Teilchen gibt. 10. Sieh da die Fliege! Nein, wie dumm! Sie rennt ihm fast das Häuschen um. Nun fleht und schreit sie Weh und Ach! Ja, Ketzerin, du treibst’s darnach! Mit offnen Augen muß man sehn Und nie in fremde Grenzen gehn. 11. Schau nur! das Spinnlein merkt’s geschwind. Es zuckt, es springt — hat’s wie der Wind Und denkt: „Ich hatte Müh und Not, Nun schmeckt mir auch mein Abendbrot.“ Drum sag ich ja: Zur rechten Frist Sorgt Gott, der keinen je vergißt.

87 Der Winter. 1. lach echt do öbe bauwele feil? Sie schütten eim e rßdli teil In de’gärten aben und ufs hüs; Es schneit doch au, es isch e grüs; Und ’s hangt no menge wage voll Am himmel öbe, merki wol. 2. Und wo ne mä vo witem lauft, So het er vo der bauwele g’chauft; Er treit sie uf der achsle nö Und uffem hüt und lauft dervö. Was laufsch denn so, du närrsche mä? De wirsch si doch nit gstöle hä?

3. Und gärten ab und gärten uf Henn alli scheie chäpli uf. Sie stön wie großi here do; Sie meine, ’s heigs sust niemes sö. Der nußbaum het doch au si sach Und ’s herehüs und ’s chilchedach. 4. Und wo me luegt, isch schnee und schnee Me sieht ke ströß und fueßweg mä. Meng sömechörnli, chlei und zart, Lit unterm böde wöl verwärt; Und schnei’s, so lang es schneie mäg, Es wartet uf si ostertäg. 5. Meng summervögli schöner art Lit unterm böde wöl verwärt, Es het kei chummer und kei chläg. Und wartet uf si ostertäg; Und gang’s au lang, er churint emöl, Und sider schlöft’s, und ’s isch em wöl. 6. Und Potz Und

Doch wenn im früelig ’s schwälmli singt d’sunnewärmi abedringt. tausig, wacht’s in jedem, gräb streift si totehemdli äb.

Hebel.

Heine.

Wo nummen au ne löchli isch, Schlieft 's leben üse jung und frisch.

7. Do fliegt e hungrig spätzli her! E brösli bröt wär si beger. Es luegt ein so verbärmli ä; 's bet sider nechte nüt me ghä. Gell, bürstli, seil isch andri zit, Wenn’s chorn in alle fürs lit? 8. Do beseh! loß andren au dervö! Bisch hungerig, chäach wieder chd! 's mueß wör si, wie’s e sprüchli git: „Si seie nit und ernte nit: Si hen kei pflueg und hen kei joch. Und Gott im himmel nert si doch.“

Heinrich Heine. 38, König Richard. 1. Wohl durch der Wälder einödige Pracht Jagt ungestüm ein Reiter; Er bläst ins Horn, er singt und lacht Gar seelenvergnügt und heiter.

2. Noch Das Der

Sein Harnisch ist von starkem Erz, stärker ist sein Gemüte, ist Herr Richard Löwenherz, christlichen Ritterschaft Blüte.

3. Willkommen in England! rufen ihm zu Die Bäume mit grünen Zungen — Wir freuen uns, o König, daß du Östreichischer Hast entsprungen. 4. Dem König ist wohl in der freien Lust, Er fühlt sich wie neugebyren. Er denkt an Ostreichs Festungsduft — Und gibt seinem Pferde die Sporen. Hessel, Lesebuch 6. 12. Aust.

M. 4

60

Heine.

SS. Schelm von Bergen. 1. Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein Wird Mummenschanz gehalten; Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik, Da tanzen die bunten Gestalten. 2. Sie Ihr Gar

Da tanzt die schöne Herzogin, lacht laut auf beständig; Tänzer ist ein schlanker Fant, höfisch und behendig.

3. Er trägt eine Maske von schtvarzem Saint, Daraus gar freudig blicket Ein Auge, wie ein blanker Dolch, Halb aus der Scheide gezücket.

4. Es jubelt die Fastnachtsgeckenschar, Wenn jene vorüberwalzen. Der Drickes und die Marizzebill Grüßen mit Schnarren und Schnalzen. 6. Der Bis Und

Und die Trompeten schmettern drein. närrische Brummbaß brummet. endlich der Tanz ein Ende nimmt die Musik verstummet.

6. „Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir. Ich muß nach Hause gehen —" Die Herzogin lacht: „Ich laß dich nicht fort. Bevor ich dein Antlitz gesehen." 7. „Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir, Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen" — Die Herzogin lacht: „Ich fürchte mich nicht. Ich will dein Antlitz schauen." 8. „Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir. Der Nacht und dem Tode gehör ich —* Die Herzogin lacht: „Ich lasse dich nicht. Dein Antlitz -u schauen begehr ich." 9. Wohl sträubt sich der Mann mit finsterm Wort, Das Weib nicht zähmen kunnt er;

Sie riß zuletzt ihm mit Gewalt Die Maske vom Antlitz herunter. 10. Das Entsetzt die Und weichet Stürzt fort

ist der Scharfrichter von Bergen! so schreit Menge im Saale scheusarn die Herzogin zu ihrem Gemahle.

11. Der Herzog ist klug, er tilgte die Schmach Der Gattin auf der Stelle. Er zog sein blankes Schwert und sprach: „Knie vor ipir nieder, Geselle! 12. Mit diesem Schwertschlag mach ich dich Jetzt ehrlich und ritterzünftig. Und weil du ein Schelm, so nenne dich Herr Schelm von Bergen künftig!" 13. So ward der Henker ein Edelmann Und Ahnherr der Schelme von Bergen. Ein stolzes Geschlecht! es blühte am Rhein, Jetzt schläft es in steinernen Särgen.

40. Rheinfahrt. 1. Wie der Mond sich leuchtend dränget Durch den dunkeln Wolkenflor, Also taucht aus dunkeln Zeiten Mir ein lichtes Bild hervor: 2. Saßen all auf dem Verdecke, Fuhren stolz hinab den Rhein, Und die soinmergrünen Ufer Glühn im Abendsonnenschein.

3. Sinnend saß ich zu den Füßen Einer Dame, schön und hold; In ihr liebes, bleiches Antlitz Spielt' das rote Sonnengold. 4. Lanten klangen, Buben sangen. Wunderbare Fröhlichkeit!

Und der Himmel wurde blauer. Und die Seele wurde weit. 5. Märchenhaft vorüberzogen Berg und Burgen, Wald und Au — Und das alles sah ich glänzen In dem Aug der schönen Frau.

Johann Gottfried von Herder. 41. Erlkönigs Tochter. Herr Oluf reitet spät und weit. Zu bieten auf seine Hochzeitsleut; Da tanzen die Elfen auf grünem Land, Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand. 6 „Willkommen, Herr Oluf, was eilst von hier? . Tritt her in den Reihen und tanz mit mir!"

„Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag, Frühmorgen ist mein Hochzeittag." „Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir! 10 Zwei güldne Sporen schenk ich dir; Ein Hemd von Seide so weiß und fein. Meine Mutter bleicht's mit Mondenschein."

„Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag, Früh-morgen ist mein Hochzeittag." 16 „Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir! Einen Haufen Goldes schenk ich dir." „Einen Haufen Goldes nähm ich wohl; Doch tanzen ich nicht darf noch soll." „Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir, 20 Soll Seuch und Krankheit folgen dir!"

Sie tät einen Schlag ihm auf sein Herz, Noch nimmer fühlt er solchen Schmerz. Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd: „Reit heim nun zu deinem Fräulein teert !**

25

Und als er kain vor Dauses Tür, Seine Mutter zitternd stand dafür.

„Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich. Wie ist deine Farbe blaß und bleich?" „Und sollt sie nicht sein blaß und bleich? 30 Ich traf in Erlenkönigs Reich."

„Hör an, mein Sohn, so lieb und traut. Was soll ich nun sagen deiner Braut?" „Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund, Zu proben da mein Pferd und Hund." 35

Frühmorgen, und als es Tag kaum war, Da kam die Braut mit der Hochzeitsschar. Sie schenkten Met, sie schenkten Wein: „Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?"

„Herr Oluf, er ritt in Wald zur Stund, 40 Er probt allda sein Pferd und Hund."

Die Braut hob auf den Scharlach rot, Da lag Herr Oluf, und er war tot.

Karl von Holtei. 42. Fromme Wünsche. 1. Und Und Und

Ünd vum uchse de kraft, vum sperrlich a saft, vum marder a zahn, do wär tch a män!

2. Und Wie Und

Annen bart, wie a buck, an zippelpelzruck, a zeiske su grin, do wär ich wul sohin!

3. Und Und Und

Und de de ögen de bene do wär

nase vum fuchs vum luchs vum färd, ich was wert!

M

Holtei.

4. Wie a löwe an mutt, Wie a bälamm su gutt, Und su flink wie a querl, Und do wär ich a kerl! 5. Wie a Hirsch nie nich matt, Wie a schlampeißker glatt, Wie schalastern gescheit, Und do käm ich wul weit. 6. Oder’sch kann nü nich sein, Und do find ich mich ’nein, Und ich bleib wie ich bin, Und’s muß baldig öch gin.

48. Allene. 1. Jedweder mensch hot seine drte, Wu a im stillen flennen kan, Do macht ma weiter k6ne wörte Und tutts irscht kenem andern san: Ma gtt allene aus em haus Und w6nt sich ganz allene aus. 2. Ihch ha ann ört, wo höhe buchen [Beisammen in am kessel stin. Ke mensch kömmt durte nei gekrochen Ma sit öch kene blimel blihn, ’s is nischte durt wie einsamket Und ich mit meinem herzelSd. 3. Und git dernoch de sunne under, Do stellt sich noch a drittes ein, ’s kömmt vttn a grinen buchen runder Und frät: tar ich derbeine sein? Mit herzeled und einsamket Vermengt sich de glicksäligkßt.

Justinus Kerner. 44. Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe. 1. Auf der Burg zu Germersheim,

Stark am Geist, am Leibe schwach, Sitzt der greise Kaiser Rudolf, Spielend das gewohnte Schach. 2. Und er spricht: „Ihr guten Meister Ärzte, sagt mir ohne Zagen: Wann aus dem zerbrochnen Leib Wird der Geist zu Gott getragen?"

3. Und die Meister sprechen: „Herr! Wohl noch heut erscheint die Stunde." Freundlich lächelnd spricht der Greis: „Meister, Dank für diese Kunde!" — 4. Ruft „Wo Liegt

„Auf nach Speier I auf nach Speier!" er, als das Spiel geendet, so mancher deutsche Held begraben, sei's vollendet!

5. Blast die Hörner! bringt das Roß, Das mich ost zur Schlacht getragen!" Zaudernd stehn die Diener all. Doch er ruft: „Folgt ohne Zagen!"

6. Und das Schlachtrob wird gebracht. „Nicht zum Kampf, zum ewgen Frieden," Spricht er, „trage, treuer Freund. Jetzt den Herrn, den lebensmüden!" 7. Weinend steht der Diener Schar, Als der Greis auf hohem Rosse, Rechts und links em Kapellan, Zieht, halb Leich, aus seinem Schlosse.

8. Trauernd neigt des Schlosses Lind Vor ihm ihre Äste nieder.

Vögel, die in ihrer Hut,. Singen wehmutsvolle Lieder.

8. Mancher eilt des Wegs daher. Der gehört die bange Sage, Sieht des Helden sterbend Bild Und bricht aus in laute Klage, 10. Aber nur von Himinelslust Spricht der Geist mit jenen zweien; Lächelnd blickt sein Angesicht, Als ritt er zur Lust im Maien.

11. Von dem hohen Dom zrl Speier Hört man dumpf die Glocken schallen; Ritter, Bürger, zarte Fraun Weinend ihm entgegen wallen. 12. In den hohen Kaisersaal Ist er rasch noch eingetreten; Sitzend dort auf goldnem Stuhl Hört man für das Volk ihn beteil.

13. „Reichet mir den- Heilgen Leib V* Spricht er dann mit> bleichem Munde; Drauf verjüngt sich sein Gesicht Um die mitternächtge Stunde. 14. Da auf einmal wird der Saal Hell von überirdschcm Lichte, Und entschlummert sitzt der Held, Himmelsruh int Angesichte.

1,5. Glocken dürfen's nicht verkünden, Boten nicht zur Leiche bieten; Alle Herzen längs des Rheins Fühlen, daß der Held verschieden. 16, Nach dem Dome strömt das Volk, Schwarz, unzähligen Gewimmels; Der empfing des Helden Leib, Seinen Geist der Dom des Himmels.

45. Zwei Särge. 1. Zwei Särge einsam stehen In des alten Domes Hut, König Ottmar liegt in dem einen. In dem andern der Sänger ruht. 2. Hoch Ihm Und

Der König saß einst mächtig auf der Väter Thron, liegt das Schwert in der Rechten, auf dem Haupte die Kron.

3. Doch neben dem stolzen König, Da liegt der Sänger traut. Man noch in seinen Händen Die fromme Harfe schaut.

4. Die Burgen rings zerfallen, Schlachtruf tönt durch das Land, Das Schwert, das regt sich nimmer Da in des Königs, Hand.

5. Blüten und -milde Lüfte Wehen das Tal entlang — Des Sängers Harfe tönet In ewigem Gesang.

46. Der Wanderer in der Sägemühie. 1. Und Sah Die

Dort unten in der Mühle saß ich in süßer Ruh sah dem Räderspiele und sah den Wassern zu. zu der blanken Säge, es war mir wie ein Traum, bahnte lange Wege in einen Tannenbaum.

2. Die Tanne war wie lebend; in Trauermelodie, Durch alle Fasern bebend, sang diese Worte sie: „,Du kehrst zur rechten Stunde, o Wanderer, hier ein, Du bist's, für den die Wunde mir dringt ins Herz hinein.

3. Du bist's, für den wird werden, wenn kurz gewandert du. Dies Holz — im Schoß der Erden ein Schrein zur langen Ruh."

58

Kemer.

Klesheim.

Bier Bretter sah ich fallen, mir ward's ums Herze schwer. Ein Wörtlcin wollt ich lallen, da ging das Rad nicht mehr.

47. Erbarmen. Wohl vor dem Fenster im Bauer Sitzt ein Vöglein im Regenschauer, Hinaus tat's das Mägdlein im Sonnenschein, Nun stürmt's, und sie holt es erbarmend hereill. Hand Gottes! bet ich in Trauer — Längst stürmt's um mich, fehlt mir der Sonne Schein, Hand Gottes! hol mich erbarmend herein!

A nton Freiherr von Kiesheim. 48. ’s Mailüfteri. 1. Wann’s mailüfterl weaht, Z’geht in wald dräust da schnee, Da lein die blaun veigerln Dö köpferln auf d’ höh, Und d’ vögerln, dö gschlafn ham Durch d’ Winterszeit, Dö wern wieder munter Und singen voll freud. 2. Und bltlahn amdl d’ rosn Is ’s herz nummer triab, Denn d’ rosnzeit is & Dö zeit für dö Hab, Nur d’ rosn dö blüahn Schön frisch alli jär; Aba d’ Hab blüaht nur ämai Und nacha is gor. 3. Jeds jähr kummt da früahling, Is winter vorbei, Da mensch aba hat nur An änzign mai;

Klesheim. Klopstock.

59

Dö schwalberln fliagn fuart, Do se ziagn wieder her, Nur de mensch, wann der fuartziagt, Der kummt nimmermehr.

Friedrich Gottlieb Klopstock. 49. Herman« und Th)tsnelda. 1.

„Ha! dort kommt et, mit Schweiß, mit Römerblute, Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! so schön war Hermann niemals! So hat's ihm Nie von dem Auge geflammt!

2.

Komm! ich bebe vor Lust! reich mir den Adler Und das triefende Schwert! komm, atm' und ruh hier Aus in meiner Umarmung Von der zu schrecklichen Schlacht!

3.

Ruh hier, daß ich den Schweiß der Stirn abtrockne Und der Wange das Blut! Wie glüht die Wange! Hermann! Hermann! so hat dich Niemals Thusnelda geliebt!

4.

Selbst nicht, da du zuerst im Eichenschatten Mit dem bräunlichen Arm mich wilder faßtest! Fliehend blieb ich und sah dir Schon die Unsterblichkeit an,

5.

Die nun dein ist! Erzählt's in allen Hainen, Daß Augustus nun bang mit seinen Göttern Nektar trinket! daß Hermann, Hermann unsterblicher ist!"

€. „Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stumme. Tote Vater vor uns? O, hätt Augustus Seine Heere geführt: er Läge noch blutiger da!"

so

Klopstock.

Lingg.

7. „Laß dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben. Daß es über dem Kranz in Locken drohe! Siegmar ist bei den Göttern! Folg du, und wein ihm nicht nach!"

Herikann Lingg. 50.

Heerbannlied.

1. Ernst ist mein Sinn und schlicht und recht, Mein Bart ist gleich dem Flachse. In Dün und Wald blüht mein Geschlecht, Daß übers Meer es wachse. — Ich bin der Sachse. 2. Mein Bart ist rot, der Berg mein Schloß, Mir blüht des Liedes Gabe; Die Sturmfahn schwing ich; Schwert und Roß, Sie gehn mit mir zu Grabe. — Ich bin der Schwabe.

3. Mein Mark ist stark, ist Löwenmark, Kein andrer Stamm ist freier; Kommt her! kein Teufel ist so stark, Und schlägt ein Herz getreuer? — Ich bin der Baier. 4. Ein blanker Stahl ist meine Brust, Doch fröhlich mein Gedanke, Am Reigen hab ich meine Lust Und einem firnen Tranke. — Ich bin der Franke. 5. Nach Süd, Ost, West, Nord stehn Mir vier Zum Schutz der deutschen Eiche, Und rauscht Sankt Michaels Panier, Sind unsre Schwerterstreiche Ein Hort dem. Reiche.

6. Die Feinde schicken wir nach Haus, Bedeckt mit Blut und Schrammen; Und kommt die Hölle selbst zum Strauß, Wir lachen ihrer Flammen Und stehn zusammen.

Konrad Ferdinand Meyer. 51. Konradins Knappe. 1. „Auf diesem kurzen Vergesrasen hier. Nur wen'ge Monde sind es, zechten wir. Er und das Edelvolk, in hohem Raum —Und drüben war Italien wie ein Traum.

2. In diesem Passe lagen wir gestreckt. Der Staufe hat mich minniglich geneckt: Nicht blöde, Hans! Sprich! Was begehrst du gleich? Zch geb es dir in meinem Königreich! 3. Dann klomm die Fahrt anWänden schwarz und kahl1 Wo ich der Mutter Gottes mich empfahl. Noch eh ich Amen sagte, glitt mein Tier — Der Staufen und die Sinne schwanden mir. 4. Dann lag ich im Hospize fieberbang. Wo ich verzweifelnd mit den Mönchen rang. Ich focht und schrie: dem jungen Staufen nach! Hie Napoli! Bis ich zusammenbrach.

5. Jetzt schlepp ich jeden Tag mich hier empor. Wo ich den Staufen aus dem Blick verlor. Genesen ist der Leib, die Seele schmerzt,. Denn all mein Erdenglück hab ich verscherzt,.

6. Und zög ich heut, ich käme doch zu spät. Schon krönte sich die junge Majestät, Das Edelblut empfing den Ritterschlag, Ich aber fluche meinem Unglückstag." -*•

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Meyer. 7. Ein Knechtlein kommt bergübet. „Gib Bescheid! Der Staufenknabe thront in Herrlichkeit?" — „Ja, Herr. Er litt gemach den Todesstreich Und thront getröstet nun im Himmelreich." —

82. Das weiste SPitzchen. 1. Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald, Das ruft mich, das zieht mich, das tut mir Gewalt:

2. „Was schaffst du noch unten im Menschengewühl? Hier oben ist's einsam! Hier oben ist's kühl! 3. Der See mir zu Füßen hat heut sich enteist, Er kräuselt sich, flutet, er wandert, er reist, 4. Die Moosbank des Felsens ist dir schon bereit. Von ihr ist's zum ewigen Schnee nicht mehr weit!" 5. Das Spitzchen, es ruft mich, sobald ich erwacht. Am Mittag, am Abend, im Traum noch der Nacht. 6. So komm ich denn morgen! Nun laß mich in Ruh! Erst schließ ich die Bücher, die Schreine noch zu!

7. Leis wandelt in Lüften ein Herdengeläut: „Laß offen die Truhen! Komm lieber noch heut."

53. Ich würd es hören. 1. Säg dort ich unterm Firneschein Auf hoher Alp begraben. Ich schliefe mitten im Juchhein Der wilden Hirtenknaben. 2. Wo sonst ich lag im süßen Tag, Säg ich in dunkeln Decken, Der Saue Krach und dumpfer Schlag, Er würde mich nicht wecken. 3. Und käme schwarzer Sturm geraüscht Und schüttelte die Tannen, Er führe, von mir unbelauscht. Vorüber und von dannen.

Meyer.

4. Ich Und Das

Mosen.

Wolfgang Müller.

63

Doch klänge sanfter Glockenchor, ließe wohl mich stören. lauscht' ein Weilchen gern eiilpor, Herdgeläut zu hören.

Julius Mosen. 54. Heinrich der Löwe. 1. Im Dam zu Braunschweig Der alte Welfe aus, fruhet Heinrich der Löwe ruhet Nach manchem harten Strauß.

Zieht mit ihm wie sein Schatten» Auf jedem Tritt und Schritt.

4. Sie -ogm miteinander Durch Syriens öden Sand, Sie zogen miteinander Nach Braunschweig in das Land.

Doch nach drei Tagen fand mau Tot ihn beim toten Herrn.

6. Doch als des Herzogs Auge In Todesnöten brach. 2. Es liegt auf Heinrichs Grabe, Der Löwe still und traurig Bei seinem Freunde lag. Gleichwie auf einem Schild, Ein treuer Totenwächter, 7. .Vergebens fing den Löwen Des Löwen ehrnes Bild. Man in den Käfig ein. 3. Der Löwe konnt nicht weichen Er brach die Eisenstäbe, Beim Herren mußt er sein! Bon seines Herzogs Seit, Von ihm, der aus den Krallen 8. Beim Herzog ruht der Löwe, Des Lindwurms ihn befreit. Hält jeden andern fern.

5. Wo auch der Welse wandelt, Der Löwe ziehet mit.

9. Drum mit des Herzogs Nanren Geht stolz Jahrhundert lang Der Löwe wie beim Leben Noch immer seinen Gang.

Wolfgang Müller. 55. Nächtliche Erscheinung zu Sveier. 1. „Wach auf!" erklingt's in des Schiffers Traum, „Wach auf, du Wächter am Strome!" Und über ihm rauschet der Lindenbaum, Und zwölfe schlägt es vom Dome.

Groß vor ihm steht einer im dunkeln Gewand, Ter Schiffer bringt ihn hinunter zum Strand, Halb schlafend, halb wachend, wie trunken.

2. Und während er träge löset den Kahn, Beginnt es um ihn zu leben. Viel riesige hohe Gestalten nahn, Er sieht sie nicht schreiten, nur schweben. Es tönet kein Wort, es rauschet kein Kleid, Wie Rebel durchziehn sie die Dunkelheit, So steigen sie all in den Nachen. 3. Er sieht sie mit Staunen, mit Schrecken an^ Stößt schweigend und fürchtend vom Lande, Kaum braucht er zu rudern, es flieget der Kahn, Bald sind sie am andern Strande. „Wir kommen zurück, da findst du den Lohn. Gleich Wolken verschwinden im Felde sie schon. Fern scheinen ihm Waffen zu klirren. 4. Er aber rudert sinnend zurück Durch der Nacht ernstfriedliche Feier, Wo sich die Heimat hebet dem Blick, Das dunkeltürmige Speier, Sitzt wach bis zum Morgen am Lindenbaum, Und war es Wahrheit, und war es ein Traum, Er hüllet es tief in den Busen. 5. Und sieh, es ruft ihn die vierte Nacht Als Wächter wieder zum Strome. Wohl hält er schlaflos heute die Wacht, Da schlägt es zwölfe vom Dome. „Hol über!" ruft es vom andern Strand, „Hol über!" Da stößt er den Kahn vom Land In stiller, banger Erwartung. 6. Und wieder ist es die düstre Schar, Die schwebend den Nachen besteiget. Der Kahn zieht wieder, so wunderbar. Doch jeder der Dunkeln schweiget:

es

Wolfgang Müller Und als sie -oben -u Speier ans Land, Gibt jeder den Lohn ihm behend in die Hand; Er aber harret und staunet. 7.

Denn unter den Mänteln blinken voll Schein

Biel Schwerter und Panzer und Schilde, Goldkronen und funkelndes Edelgestein Und Seiden- und Samtgebilde; Dann aber umhüllt sie wieder das Neid, Wie Nebel durchfliehn sie die Dunkelheit Und schwinden am mächtigen Dome. 8. Doch wachend bleibt er am Lindenbaum Mit sinnendem, tiefem Gemüte; Ja, Wahrheit war es, es war kein Traum. Als blendend der Morgen erglühte: Er hält in den Händen das lohnende Geld; Drauf glühen aus alter Zeit und Welt Viel stolze Kaiserbilder. 9. Wohl sah er manchen Tag sie an In forschenden. Allen Gedanken, Da riefen sie drüben um seinen Kahn, Das waren die flüchtigen Franken. Geschlagen war die Leipziger Schlacht, Das Vaterland frei von des Fremdlings Macht: Der Fischer verstand die Erscheinung. 10. „Und löstet ihr, Kaiser, die Grabesnacht Und die ewigen Todesbande Und halst in der wilden, dreitägigen Schlacht Dem geängsteten Baterlande, - Steigt oft noch auf und haltet es frei Bon Sünden und Schmach und Tyrannei, Denn es tut not des Wachens!"

Stfebus e. 19. «us.

M.5

August Graf von Platen-Hallermünde. 56. DaS Grab im Bnsento. 1.

Nächtlich am Busento lispeln Lieder,

bei" Cosenza dumpfe

Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. Und den Fluß hinan, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten. 2.

Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben. Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond um­ gaben.

3.

Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette; Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette. 4.

In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die ' Erde, Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde, 5.

Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Helden­ grabe.

6.

Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß her­ beigezogen: Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen. 7.

Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Heldenehren! Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab versehren!"

8.

Sangev's, und die Lobgesänge tönten fort im Goten­ heere. — Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere! 9.

Reuter.

Fritz Reuter. S7. Meister Smrt'S Abschied von seinem Soh«. Den annern Dag steiht Meister Snut In sine Smäd. — Wo halt hei ut! Wo haut hei up dat Isen in! De Funken flogen vör Gewalt Em gläugnig in't Gesicht herin. Dat zischt un brus't, dat Noppt tut klung! De ganz oll Smäd, de sus't un knallt: „So, nu man tau! Treck buller. Jung!" — De Püster-Jung', de treckt un treckt. Bet hei vör Kitt de Tung' ntreckt, Un blöst ut Näs' un pust ut Nüster Noch düller, als sin eigen Püfter.

Den Meister iS hüt nicks tau Dank, Sin Red' is barsch, sin Stirn is krus; Dunn kömmt den Gorentun entlang Jehann un Mudder ut dat Hus'. Jehann, den Bündel upgesackt. Den nigen Haut in Waßdauk packt, Swung sinen knirkern Stock herüm, AS wenn hüt up de ganze Jrd' Kein Smädgesell so lustig wir. Doch llm dat Hart ward em so slimm, Em was seindag' noch nich as hüt: Ach Gott, de Welt, de was so wid! Fünn hei sik dorin woll taurecht? Hei hadd tau Hus' woll bliwen müggt.

De Ollsch, de gung an sine Sid, De Hand uv sine Schuller leggt. De blage Schärt vör dat Gesicht: „Jehanning, Wander nich tau wid, Jk heww meindag' süß keine Rauh, Gah nich ut Meckelnborg herut, För di iS ’t grot naug, Jehann Snut;

Un nimmst du 't StrelitzsH noch bortau — Herr Je! Wo wullst du denn noch hen? Un schriw uns ok mal denn un wenn." Un drückt de Schört sik an dat Og' Un rohrt en Stück, doch binnen flog Dat Hart so stolz, as 't slagen kann, Dat fei so'n staatschen Jungen tog. So kamen f nah de Smäd heran. — Oll Snut haut up dat Isen in, Dat zischt un sus't, dat klingt un knallt. De Püster-Jung' treckt vör Gewalt, D« Püster pust, all wat hei künn. „Ach, Bader," seggt de Ollsch. — „Na, Bader," seggt de Jung'. — De Oll, de smäd't, dat knallt un klung „Hei is nu hir ..." — „Jk bün nu hir. . ." Oll Snut grippt mit de Tang in't Fü'r — Witt glüuht dat Isen linkelang. De Börslag klimpert pinke — Pank, Bautz! füllt de grote Hamer dal, Un noch einmal, un noch einmal! As wenn so'n Oß füllt ut 'ne Bäuk; Un 't Isen wind't sik windelweik, Un Füer spritzt un Funken stöwen. — „Na, Bader, willst kein Antwurt gewen?" — „Ja, Bader, wull adjüs hu seggen." De Oll ward weg den Hamer leggen Un dreiht sik um: „Is dat Manier? So Kmmst du in'ne Smäd herin?

Wer, meinst du, dat ik für di bün? Hest du den Bündel up den Racken, Denn möst di an den Meister wen'n, Dat Baderseggen hett en En'n; Denn heit 't mit mi .auf Dufschmidtsch' snacken." Jehann gung stilling ut de Smäd. Wo schot bi Badern sine Red'

Dak Blaud cm gläugnig in't Gesicht, Dat ’t as sin Baders Isen lücht't! Hei lamm taurügg un stunn nu bot. Den blanken Haut up't gele Hör, Stiw as en Pal, grad as 'ne Ell, Un kek nich rechtsch un linksch un frög: „Mit Gunst, daß ich 'rein schreiten mög'? Gott ehr' das Handwerk, Meister und Gesell." — „Süh so, min Sühn, süh so is ’t recht! Bi Höflichkeit un richt'gen Gruß, Dor steiht di apen jedes Hus; Dat hett noch keinen Schaden bröcht. Du willst »auf Hufschmidtsch^ in de Welt, Un ik, ik heww ok nicks dorgegen, Obschonst »auf Seehahnsch' sihr gesollt. Un wat uns' Landslüd' sünd, de plegen »Auf Kumpansch' in de Welt tau teihn. — Na, bat stimmt allens äwerein. De Hauptsak is, lihr wat, Jehann, Un kurnrn taurügg as Jhrenrnann! Makt ’t Hanbwark bi ok buten smart, Holl rein be Hand un rein bat Hart; Is ’t Wark tau En'n un dod bat Fti'r, Denn mak bi sauber, glatt un schir; Dat is ok bin’n kein renblich Mann, De nich sauber geiht, wenn hei ’t hewwen kann. Drei Johr, bat is ’ne lange Tid, Wenn ein sei vör sik liggen süht; Drei Johr, bat is ’ne körte Spann, Wenn ein sei süht von achter an; Sei sünd tau lang, tim s' tau verliren; Sei sünd tau fort, tim uttaulihren. Reis' nich ürnher, as blinne Hess', Un sinnst du wat, denn kik irst tau; Wat up de Straf liggt, up den Meß, Dat nimm nich up, bat lat in Rauh!

TO

Meuter.

Rottmann.

Gedankefl gläuh in Helle Ess', Doch sünd sei rein von Slack un Siir, Denn fat bin Wark mit Tangen an — Holl wiß, holl wiß, min Sähn Jehann, Un smäd bin Wark in frischen Fü'r! Un heft bu börch be Welt bi slagen, Un hett bi 't Buten nich gefoll'n, Denn kannst bi nti mal Umschau holl'n Un kannst nah Arbeit Webber fragen. Süh so, min Sähn! Un nu abjü! Un denk an Mubbern un an nti! Un nu, min Sähn, herun ben Haut!" Un leggt be Haub ent up ben Kopp: „Noch büst bu gaud, nu Blitv ok gaub!" Un langt ben Hamer ut be Eck: „So, nu man tau! Nu, Jung', nu treck!" Jehann un Mubber gähn herut. „Treck büller. Jung'!" seggt Meister Snut, Un sweißt un smäd't, be Funken flogen Em in't Gesicht un in be Ogcn, Dat hei sei, wenn ’t be Jung' nich säht, Sik ut be Ogen wischen müßt. „Na," seggt hei, „ornblich narschen is ’t; Wo bumnt un bämlich spritzt bat hüt !"

Peter Joseph Kottmann. 58. Die Marktschuhe (Hunsrücker Mundart). 0, hätt dat doch de pestelenz, Dat schuhminsch 16 vun Permesens I Eich hatt mr vor de märdesmärt Nein batze geld sesamm gespart 6 Un käse bei em, vor se danze, Mer schuh dervor — recht schöne ganze. Die harr eich nörest ähmol än, Do war äch schun käh sühl meh drän:.

'Rottmann.

Rückert.

?!

Un vorerbläd, quadßr un kabbe 10 Korzheiligklän un laurer labbe. Eich dicht: nau wärt! — det johr dernd War äch mei schuhminsch wierer dö Und hatt sei schuhe, so wie immer, . Lö leie uff der erd erimmer. 15 Do sär eich: heb! hot der’t gehört? Wat hüt der weich so Ingesört? Und slrem dann alt rund eraus, So sah et mit de schuhe aus. Doruff fung nau dat schuhminsch In 20 Un hot alt helle lach geschlln Un slt: mei liewes kind, dl schäre Hast dau dr kinne leicht erspäre: Hast dau die schuh nit ängedön, Dau hast se kinne ewig hin. 25 Die sin gemach, vor se verkäse, Un nit, vor drin erimm se läse. Friedrich Rückert. SS Abendlied. 1. Ich stand auf Berges Halde, als heim die Svnye ging, Und sah, wie überm Walde des Abends Gvldnetz hing.

2. Des Himmels Wolken tauten der Erde Frieden -u. Bei Abendglockenlauteu ging die Natur zur Ruh. 3. Ich sprach : O Herz, empfinde der Schöpfung Stille nun. Und schick mit jedem Kinde der Flur dich auch zu ruhn! 4. Die Blumen alle schließen die Augen allgemach. Und alle Wellen fließen besänftiget im Bach.

5. Nun hat der müde Sylphe sich unters Blatt gesetzt. Und die Libell am Schilfe entschlummert taubenetzt. 6. Es ward dem goldnen Käfer zur Wieg ein Rosenblatt: Die Herde mit dem . Schäfer sucht ihre Lagerstatt. 7. Die Lerche sucht aus Lüste« ihr feuchtes Nest im Klee Und in des Waldes Schlüsten ihr Lager Hirsch und Reh.

12

Rückert.

8. Wer sein ein Hüttchen nennet, ruht nun darin sich aus; Und wen die Fremde trennet, den trägt ei» Traum «achHaus. 9. Mich fasset ein Berlangen, daß ich zu dieser Frist Hinauf nicht kann gelangen, wo meine Heimat ist.

SV. Mus der Weisheit des Brahmanen. 1. Auszug um Auszug. Bon einem König wird erzählt, datz im Palast 1 Er hatte sich gehäuft die größte Mcherlast. Und zog der König aus, so zogen auf den Pfaden Hundert und ein Kamel mit Büchern nach beladen. 5 Dir ward er doch gewahr am Ende, daß ihm sei Beschwerlich auf der Fahrt die große Bücherei, Und ließ zu besserer Bequemlichkeit beim Reisen Auszüge machen von Hundert und einem Weisen. Bon diesen ward gemacht ein Auszug, den beim Zug 10 Des Königes gemach ein starkes Maultier trug. Doch noch bequemer wollt er haben seine Sachen, Und aus dem Auszug ließ er einen Auszug machen. Ein artges Büchlein ward nun aus der Maultierbürde, Das auf der Reise selbst der König trug mit Würde. Doch immer noch zu sehr belästigte das ihn. Des Auszugs Auszug ließ er aus noch einmal zieh». Da zogen sie ihm aus dem ausgezogenen Buch Den Kern zusammen knrz in eine» einzgen Spruch, Den faßt er ins Gemüt und konnt ihn leicht behalten, 20 Um seines Heils danach und seines Reichs zu walten. Ob ihm dies Heil gelang? Wenn er's nicht ganz voll­ bracht, So war's nur, weil er selbst den Auszug nicht gemacht. Das aber ist gewiß, daß aus dem Bücherwust Du machen für dein Heil solch einen Auszug mußt.

15

2. Sechs Wörter. Sechs Wörter nehmen mich in Anspruch jede» Tag: Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.

Ich soll ist das Gesetz, von Gott ins Her- geschrieben. Das Ziel, nach welchem ich bin von mir getrieben. 5 Ich muß, das ist die Schrank, in welcher mich die Welt Bon einer, die Natur von andrer Seite hält. Ich kann, das ist das Maß der mir verliehnen Kraft Der Tat, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft. Ich will, die höchste Kron ist dieses, die mich schmückt, 10 Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt. Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel, Beim aufgetanen Tor der Freiheit auch ein Riegel. Ich mag, das eMich ist, was zwischen allen schwimmt. Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt. 16 Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. Die sechse nehmen mich in Anspruch-jeden Tag. Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag.

61. Rätsel. 1. Es ist der Name einer Frucht, Die zwar dem Gaume» wohl behagt. Doch wo sie sich dem Ohr vereint. Da wird darüber nur geklagt; Und wer sich die gefallen läßt. Der ist das, was der Name sagt. 2. Es geht ein unvernünftiges Geschöpf, Geführt von knndger Hand, auf glatten Flächen, Und fein gespaltner Huf drückt Spuren ein. Worüber Denker sich den Kopf -erbrechen; Und wenn's auf seinem Gange durstig wird. Tränkt man dazwischen es an trüben Bächen.

3. Wenn's in einer Schale ist, sind's der Teile zweie; Wenn's auf einem Haufen liegt, sind es zwölf und dreie.

Galtet.

74

Scheffel.

Friedrich von Sollet. 62. Ein harmloses Rätsel. 1. Die Und Was

Wie heißt der Mann, hep alle lieben. guten Deutschen doch zumeist. der doch nie etwas betrieben. irgend groß und tüchtig heißt?

2. Schlafmütze nennt sich seine Krone, Und fragt ihr, was er sinnt und tut, '@t blinzt und lächelt nur zum Lohne, Wenn jeder stets wie alle tut. 3. Und willst du fassen ihn beim Kragen, -Gleich über dich fällt alles her. Du wirst gescholten und geschlagen, Denn alle lieben ihn zu sehr.

4. Ein Kerl, so lappig und so schmächtig, So gänzlich ohne Mb und Mark, Und dennoch herrscht er fast allmächtig, Wer ihn besiegt, ist löwenstark.

5. O, läg er lieber doch zerschlagen, Zerquetscht auf einer Eisenbahn! „Wie heißt er denn?" ich will's euch, sagen: ist der alte Schlendrian!"

Joseph Viktor von Scheffel. 63. Ausfahrt. 1. Berggipfel erglühen, Waldwipfel erblühen. Vom Lenzhauch geschwellt; Zugvogel mit Singen Erhebt seine Schwingen, Ich fahr in die Welt.

Schessej

Schenkendorf.

2. Mir ist zum Geleite In lichtgoldnem Kleide Fran Sonne bestellt; Sie wirft meinen Schatten Aus blumige Matten, Ich fahr in die Welt. 3. Mein Hutschmuck die Rose, Mein Lager im Moose, Der Himmel mein Zelt: Mag lauern und trauern. Wer will, hinter Mauern, Ich fahr in die Welt!

Max von Schenkendorf. 64. Muttersvrache. 1. Muttersprache, Mutterlaut! Wie so wonnesam, so traut! Erstes Wort^das mir erschallet. Süßes, erstes Liebeswort, Erster Ton, den ich gelallet. Klingest ewig in mir sott.

2. Ach, wie trüb ist meinem Sinn, Wenn ich in der Fremde bin. Wenn ich fremde Zungen üben, Fremde Worte brauchen mutz. Die ich nimmermehr kann lieben. Die nicht klingen als ein Gruß! 3. Sprache, schön und wunderbar, Ach, wie klingest du so flat! Will noch tiefer mich verttefen In den Reichtum, in die Pracht; Ist mir's doch, als ob mich riefen Väter aus des Grabes Nacht.

Schenkendotf.

4. Klinge, klinge fort und fort,

Heldensprache, Liebeswort! Steig empor aus tiefen Grüfte«, Längst verschollnes, altes Lied!

Leb aufs neu in Heilgen Schriften, Daß dir jedes Her- erglüht!

5. Überall weht Gottes Hauch, Heilig ist wohl mancher Brauch; Aber soll ich beten, danken. Geb ich meine Liebe kund. Meine seligsten Gedanken: Sprech ich, wie der Mütter Mund.

65. Vaterland. 1. Zm Vaterland, im Vaterland

Hat jeder seinen rechten Stand Und rechten Grund gefunden. ^Da stehe fest und halte drauf! Und flöhest du im schnellen Lauf,

Es hält dich doch gebunden.

2. Ich ziehe nimmer weit hinaus. Ich bin daheim in meinem Haus, Im schönen deutschen Lande. Im ganzen weiten Vaterland Ist alles traut mir und bekannt

In jedem frommen Stande: 3. Die hohen Kunden alter Zeit, Die Tage, die uns jüngst erfreut, Das schöne, freie Leben;

Auch manches Schloß und manche Stadt, Die deutsche Kunst erbauet hat. Wo Mtergeister schweben.

4. Ihr Hügel, wo die Trauben blühn,

Ihr Helder, wo sich Schnitter mühn, Sollt auf den Enkel kommen.

Ihr Kirchen, hoch und kühn und zart. Erdacht nach alter deutscher Art, Euch lieben alle Fromme».

6. Zum Eichenwald, zum Eichenwald, Wo Gott in hohen Wipfeln wallt. Möcht ich wohl täglich wandern.

Du fromme-, kühne-, deutsch«» Wort, Du bist der rechte Schlld und Hort Zur Scheidung von den andern. 6. Das ist dqs deutsch« Vaterland,

Da, Jüngling, Jungfrau, sei dein Stand,

Da führe du dein Leben! Da will ich stehn, ein grüner Baum, Will träume» manchen selge» Traum

Und nach dem Himmel streben.

Friedrich Schiller.

66. Der Graf von Hab-burg. 1. Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,

Im altertümlichen Saale, Saß König Rudolfs heilige Macht Beim festlichen Krönungsmahle.

Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins, .Es schenkte der Böhme -des perlenden Weins,

Und alle die Wähler, die sieben,

Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt.

Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, Die Würde des Amtes zu üben. 2.

Und rings erfüllte den hohen Balkon

Das Volk in freubflem Gedränge; Laut mischte sich in der Posaunen Ton Das jauchzende Rufe» der Menge.

78

Schüler. Denn geendigt nach langem, verderblichem Streit War die kaiserlose, die schreckliche Zeit, Und ein Richter war wieder auf Erden, Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer, Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr. Des Mächtigen Beute zu werden. 3. Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal Und spricht mit zufriedenen Blicken: „Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl, Mein königlich Herz zu entzücken; Doch den Sänger vermiß ich, den Bringer der Lust, Der mit süßem Klang mir bewege die Brust Und mit göttlich erhabenen Lehren. So hab ich's gehalten von Jugend an, Und was ich als Ritter gepflegt und getan. Richt will ich's als Kaiser entbehren." 4. Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis Trat der Sänger im längen Talare. Ihm glänzte die Locke silberweiß. Gebleicht von der Fülle der Jahre. „Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold; Der Sänger singt von bcr Minne Sold, Er preiset das Höchste, das Beste, Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt. Doch sage, was ist des Kaisers wert An seinem herrlichsten Feste?"

5. „Nicht gebieten werd ich dem Säilger," spricht Der Herrscher mit lächelndem Munde; „Er steht in des gröberen Herren Pflicht, Er gehorcht der gebietenden Stunde: Wie in den Lüften der Sturmwind saust, Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust. Wie der Quell aus verborgenen Tiefen, So des Sängers Lied aus dem Innern schallt Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, Die im Herzen wunderbar schliefen."

6. Und der Sänger rasch in die Saiten fällt Und.beginnt sie mächtig zu schlagen: „Nuss Weidwerl hinaus ritt ein edler Held, Den flüchtigen Gemsbock zu jagen. Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß, Und als er auf seinem stattlichen Rost In eine An kommt geritten. Ein Glöcklein hört er erflingen fern: Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn; Boran kam der Meßner geschritten. 7. Und der Graf zur Erde sich neiget hin. Das Haupt mit Demut entblößet. Zu verehren mit gläubigem Christensinn, Bas alle Menschen erlöset. Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld, Bon des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt^ Das hemmte der Wanderer Tritte, Und beiseit legt jener das Sakrament, Bon den Füßen zieht er die Schuhe behend. Damit er das Bächlein durchschritte. 8. Was schaffst dN? redet der Graf ihn an. Der ihn verwundert betrachtet. Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann, Der nach der Himmelskost schmachtet. Und da ich mich nahe des Baches Steg, Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg Im Strudel der Wellen gerissen. Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil, So will ich das Wässerlein jetzt in Eil Durchwaten mit nackenden Füßen. 9. Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich PserdUnb reicht ihm die prächtigen Zäume, Daß er labe den Kranken, der sein begehrt. Und die heilige Pflicht nicht versäume. Und er selber auf seines Knappen Tier Vergnüget noch weiter des Jagens Begier;

*>

Schiller. Der andre die Reise vollführet.

Und am nächsten Myrgen, mit dankendem Blick,

Da bringt er dem Grafen sein Roß turllck, Bescheiden am Zügel geführet. 10. Richt wolle das Gott, rief mit Demutssinn Der Graf, daß zum Streiten und Jagen

Das Roß ich beschritte fürderhin. Das meinen Schöpfer getragen!

Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,

Sv bleib es gewidmet dem göttliche» Dienst! Denn ich hab es dem ja gegeben, Bon dem ich Ehre und irdisches Ant Zu Lehen trage und Leib und Blut Und Seele und Atem und Leben.

11. So mög auch Gott, der aümächttge Hort, Der das Flehen der Schwachen erhöret. Zu Ehren Euch bringen hier und dort,

-So wie Ihr jetzt ihn geehret. Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt

Durch ritterlich Walten im Schweizerland; Euch blühen sechs liebliche Töchter. So mögen sie, rief er begeistert aus.

Sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus

Und glänzen die spätsten Geschlechter!"

12. Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da, Äls dächt er vergangener Zeiten;

Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah, Da ergreift ihn der Worte Bedeuten; Die Züge des Priesters erkennt er schnell Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell

In des Mantels purpurnen Falten. Und alles blickte den Kaiser an

Und erkannte den Grafen, der das getan. Und verehrte das göttliche Walten.

81

SchAer.

L7. RavoweMche TotenNage. 1. Seht, da sitzt er auf der Matte,

Aufrecht sitzt er da, Mit dem Anstand, den er hatte. Als er's Licht noch sah. 2. Doch, wo ist die Kraft der Fäuste, Wo des Atems Hauch, Der noch jüngst zum großen Geiste Blies der Pfeife Rauch? 3. Wo die Augen, falkenhelle. Die des Renntiers Spur Zählten auf des Grases Welle, Auf dem Tau der Flur? 4. Diese Schenkel, die behender ■ Flohen durch den Schnee, Als der Hirsch, der Zwanzigender, Als des Berges Reh?

5. Diese Arme, die den Bogen Spannten streng und straff? Seht, das Leben ist entflogen! Seht, sie hängen schlaff! 6. Wo Wo Der

Wohl ihm, er ist hingegangen. kein Schnee mehr ist. mit Mais die Felder prangen, von selber sprießt;

7. Wo mit Vögeln alle Sträuche, Wo der Wald mit Wild, Wo mit Fischen alle Teiche Lustig sind gefüllt.

8. Ließ Daß Und

Mtt den Geistern speist er droben. uns hier allein, wir seine Taten loben ihn scharren ein.

9. Bringet her die letzten Gaben, Stimmt die Totenklag!

Pellkl, Lrltbuch e. ir. «ufi.

M. 6

82

Schiller. Simrock.

Alles sei tnit ihm begraben. Was ihn freuen mag. 10. Legt ihm unters Haupt die Beile, Die er tapfer schwang, 'Auch des Bären fette Keule,

Denn der Weg ist lang. 11. Auch das Messer, scharf geschliffen, Das vom Feindeskopf Rasch mit drei geschickten Griffen Schälte Haut und Schopf. 12. Farben auch, den Leib zu n»alen. Steckt ihm in die Hand, Daß er rötlich möge strahlen In der Seelen Land.

Karl Simrock. -8. War«««- vor dem Rhei«. 1. An den Mei» Sohn, Da geht dir Da blüht dir

Rhein, an den Rhein, zieh nicht an den Rhein, ich rate dir gut : das Leben zu lieblich ein. zu freudig der Mut!

2. Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei. Als wär es ein adlig Geschlecht, Gleich bist du mit glühender Seele dabei: So dünkt es dich billig und recht. 3. Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön Und die Stadt mit dem ewigen Dom! In den Bergen, wie klimmst du zu schwindvlnden Höhn Und blickst hinab in den Strom!. 4. Und im Strome, da tauchet die Nix aus dem Grpnd, Und hast du ihr Lächeln gesehn. Und grüßt dich die Lurlei mit bleichem Mund, Mein Sohn, so ist es geschehn:

6. Dich bezaubert der Laut, dich betört der Schein, Entzück«» faßt dich und Graus. Nun singst du nur immer: am Rhein, am Rheitt! Und kehrst nicht wieder nach Haus.

Karl Stieler,

HS. An Antrag.

1. A bauer hat drei buabn im seid. Sie lassen goar nix hörn, Jetzt is er halt nach Münka ’nein, Zum fragen in d’kasern. 2. „Wie gehts mein Toni?“ hat er gfragt, Den mag er halt vor allen, Da schaugens nach und sagens ihm: „Der is bei Wörth drin gfallen!“ 3. „0 mein gott, nei! — und unser Hans?“ „Der is mit aiebez’g mann Bei Sedan gfallen.“ — „Und der Sepp?“ „Der liegt bei Orleans.“ — 4. Der alte sagt koa wort un geht. Er hebt sich an am kästen, Am Stuhl, am türg’schloß, an der stiegn, Er' muaß a weni rasten. 5. Drunt auf der staffel vorn haus Da is er niedergsessen, Er halt sein hüt no in der hand, Er hat auf alls vergessen. 6. Es gengant wohl viel tausend leut, Viel hundert wagn vorbei, Der vader sitzt no allweil dort: „Drei buabn und — alle drei!“

84

Stieler.

Stöber.

70. Bei Wörth; Der Preussen-Kronprinz fragt bei Wörth An jager von die bo^rn, a kloän: „Warst sechsasechzge ä scho mit?“ „Ja,“ sagt der seil, „dös wollt i moan. Aber dort homma ghabt koa glück, I glaub allwail und bstehs ganz'laut, Hä Sie uns damals ä scho gführt, Na hän ma d’ Preussen grad so ghaut!“ 71. Glatteis. 1. Der alte wirt stöt vor der tür, Aufs glatteis tropft der regen, A fremder, der get ä grad für, Pumps — is er dorten glegen. 2. Jetzt hat der fremde aufbgert: „Dös glatteis ist so zwider!“ „Ja,“ sagt der wirt, „hab mirs schon denkt, Sie schlagen dorten nieder. 3. Denn auf dem fleck sän heut schon gfalln Gwiß zehen, darf i sagen, I paß jetzt schon die ganze Zeit, Ob Sie nit ä hinschlagen.“

Adolf Stöber. 73. Das Grab im neuen Münster zu Würzbur«. 1. Im Lorenzgarten liegt ein Stein An einer kühlen Stelle, Da schwirren die Vöglein aus und ein Und pfeifen und singen Helle. 2. Es ist ein alter Leichenstein, Bon Trauerweiden beschattet. Darunter liegt im engen Schrein Ein Sängerherz bestattet.

3. Die Vöglein waren seine Lust, Er hörte gern ihr Singen Und hüpfte selber in der Brust, Wie muntre Vöglein springen. 4. Der Sänger lauschte, mit Acht und Müh Der Lerche Ton zu lernen: Auch schallt sein Lied wie Morgenfrüh Aus himmelblauen Fernen. 5. Er lernte von der Nachtigall Das innigliche Kosen; Drum singt er oft mit süßem Schall Von Minnelust und Rosen. 6. Auch liebt' er, wie die Bögelein, Ein Wanderleben führen Und Gärten und Felder aus und ein Die Flügel frisch $u rühren. 7. So streift' er über den Wiesengrund Und über die Bergesgipfel, Bis er ein warmes Nestchen fund Auf einem stolzen Wipfel. 8. An Vögel mahnt des Sängers Näm, Ein Vöglein saß im Schilde, Und als es nun zu sterben kam, Bedacht er sie gar milde: 9. , „Bier Löcher höhlt in meinen Stein Und' senkt darin vier Tröglein,

Und schüttet Wasser und Körner ein Für meine lieben Vöglein!" 10. Und was er bat im letzten Drang, Willfahret ward ihm eilig. Die Kksterbrüder hielten lang Des Sängers Willen heilig. 11. Herr Walther von der Vogelweid Ist unser Meister geheißen; Roch fliegen Vögel aus Wald und Heid Und singen frische Weisen.

Stoltze.

Friedrich Stoltze. 73. Weihnachtslied. 1. Und zögst du tausend Meilen weit In alle Welt hinaus. Und kommt die liebe Weihnachtszeit, Du wolltst, du wärst zu Haus! Die Nachtigall, so süß sie singt. Weckt Sehnsucht nicht so sehr-. Als wenn das Wechnachtsglöckchen klingt Bon deiner Heimat her. 2. Und Der Bon

Da fällt dir mit dem Tannenbaum mit dem Lichterschem ganze schöne, goldne Traum deiner Kindheit ein.

Es wird dir so erinnrungsmild. Die Tränen kommen schier,. Und manches liebe Menschenbild Tritt vor die Seele dir.

3. Und mancher, der dir teuer war Und Gutes dir erzeigt, Der schläft nun auch schon manches Jahr: Die Erde sei ihm leicht ! Und wem du in der Heimat bist In Liebe zugetan. Dem stecktest d'ü zum heikgen Christ Gern auch ein Lämpchen an. 4. Und bist geschieden du in Groll, Heut tut dir's doppelt leid Und denkst nach Haus wohl wehmutsvoll: Das macht die Weihnachtszeit! Denn bittrer ist die Fremde nicht Als in der Weihnachtslust, Wo du, ein unbekannt Gesicht, Beiseite treten mutzt.

5. Drum, zögst du tausend Meilen weit In alle Welt hinaus. Und kommt die liebe Weihnachtszeit, Du wolltst, du wärst zu Haus! Die Nachtigall, so süß- sie singt. Weckt Sehnsucht nicht so sehr, Als wenn das Weihnachtsglöcklein klingt Von deiner Heimat her.

74. Frankfurt. 1. Es is kä stadt uff der weite weit, Die so mer wie mei Frankfort gefällt, ün es will mer nit in mei Kopp enei: Wie tz-nu nor e menscb net von Frankfort sei? 2. Un wärsch e engel un sonnekalb, E fremder is immer von außerhalb; Der beste mensch is e ärgernis, Wann er net ach von Frankfort is. 3. Was is des Offebach vor e stadt! Die hawwes ganz in der näh ge^att, Un hawwes verhaßt von äbeginn, Daß se net ach von Frankfort sin. 4. Die Bockemer hawwe weiter geblickt, Die hawwe mit uns zusammegerickt, Die Bernemer awwer warn äch net dumm, Die gäwe sogar e milljön dadrum.

Moritz Graf von Strachwitz. 75. Richard Löwenherz Lad. I. 1, Hinweg die Lanze, hinab vom Roß! Bei Gott und unsrer Frau! Ich nehme das stolze Rebellenschlob Noch vor dem Abendgrau.

88

Strachwitz.

2 Hinan, ihr Lords von Nord und Süd, Hinan, auf Wall und Turm! Durchs Löwenbanner der Sturmwind zieht. Er heult: zum Sturm, zum Sturm!

3. Zieht, Schützen, den langen Bogen ans Ohr, Der oft den Hirsch bedroht; Auf, sendet in jedes Herz empor Den graubefiederten Tod!

4. Hoch lebe das fröhliche Engelland Und jedes Stück davon! Der König schwang in der Panzerhand Die Streitaxt von Askalo». 5. Und wem die Axt um die Ohren pfiff. Der ward auf ewig taub. Und wem die Axt an den Nacken griff. Der lag ohne Kopf im Staub. II.

1. Wen legst du dort ins grüne Gras, Sag an, mein kühner Gesell? — Seine Stirn ist hoch, seine Wange blaß. Sein Aug blickt grimmig hell. 2. Die Streitaxt hält die Faust umklemmt. Ms gält es das ewige Heil; Doch tief in dem blutigen Panzerhemd, Da zittert der dünne Pfeil.

3. Die Faust ward matt, die Lippe lveiß. Der Schlaf ihn überkam; Der Mund aber betete röchelnd leis: „Für Gott und meine Dam!" 4. Und wie er es sprach in zuckendem Schmerz Der todeSwunde Mann, Da hatte das brechende Löwenherz Den letzten Schlag getan.

5. Die Faust war Die Lippe war Als riefe sie noch SW, wenn der

starr und starr das Blut, stolz gebäumt. mit grimmem Mut: Löwe träumt!

76. Hie »elf. 1. Fürwahr, ihr Langobarden, das war ein schwerer Tritt, Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt! Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt, Das war mit welschem Blut gescheckt bis über den Sattelgurt.

2. Es saß der Hohenstaufe in Stahl von Fuß zu Kopf, Er stemmte wider die Hüfte den schweren Schwertesknopf, Das Haupt zurückgewvrfen, die Lippe kniff sich schlimni. Sein Bart stob all zu berge, und jedes Haar war Grimm. 3. Wie lägest du, o Mailand, du, sonst so hoch und frei. Zertreten im blutigen Staube, du Perle der Lombardei! Der Schutt im Winde wirbelte, wo Säulen geragt unlängst. Und über dem Marmor stampfte der schwerhufige Friesen­ hengst. Und Stille über den Trünunern und Stille in dem Troß, Da zügelte der Rächer sein kaiserliches Roß. , Und tiefer ward die Sülle, denn alles stand zur Stell, Quer auf des Siegers Wege lag ein sterbender Rebell.

4.

5. Der bäumte sich gewaltig mit halbem Leib hochauf Und sah mit unauslöschlichem, tödlichem Grimm herauf! Er wimmttt« nicht: Erbarmen! Er winselte nicht: Gott helf! Er knirschte unter dem Helme vor sein trotziges: Hie Welf!

6. Das packte den Vertilger, wie fest er sich geglaubt. Ihm schlug ein schwarzer Gedanke die schweren Flügel ums Haupt: Er sah an südlichem Meere ein dunkelrot Schaffst, Drauf kniete der letzte Staufe datz letzte Mal vor Gott.

90

Strachwitz. Trojan.

77. Germania. 1. Land des Rechtes, Land des Lichtes, Land des Schwertes und Gedichtes, Land der Freien Und Getreuen, Land der Adler und der Leuen, Land, du bist dem Tode nah. Sieh dich um, Germania! 2. Lautes Zürnen, leises Munkeln, Lüge, die da wirkt im Dunkeln, Zucht und Glaube Tief im Staube, Und der Zweifel würgt die Taube, Immer: nein! und nimmer: ja! Sage: ja! Germania! 3. Daß dich Gott in Gnaden.hüte, Herzblatt du der Weltenblüte. Bölkerwehre, Stern der Ehre,. Daß du strahlst von Meer zu Meere, Und dein Wort sei fern und nah Und dein Schwert, Germania!

Johannes Trojan. 78. Maßliebchen, 1. Dort, wo dein Aug die Trift erhli^t. Wo Dolde schwankt und Rispe nickt, Der Storch, erpst schreitend, oft. sich bückt. Siehst du sie blühn: Biel tausend sind rotweiß gestickt Ins samtne Grün. 2. Sie sitzen da so niedlich, wie Dorfkivder, die am Sonntag früh

Zum Kirchgang sind geputzt mit Müh. Sie warten still. Ob Sonnenschein, ob Regen sie Beglücken, will.

3. Früh, wenn der junge Tag erglüht. Weckt sie vom Schlaf der Lerche Lied, Die jubelnd auf sie niedersieht Hoch aus dem Blau. Froh schauern sie, ganz übersprüht Bon klarem Tau. 4. Doch wenn der Tag die Flur verläßt. Der müde Bogel sucht sein Nest, Kornblum und Mohn sich wiegt im West: Dann senkt rur Ruh Sein Köpfchen jedes und schließt fest Die Augen zu.

5. Viel andre küßt das Sonnenlicht, Die stolzer blühn, doch holder nicht, Die so bescheiden, die so schlicht Im Grünen stehn: Was rührend uns zum Herzen spricht. Macht sie so schön.

79, Herbst. 1. Rot wird das Laub am wilden Wein, Die Lust geht schon so herbstlich kühl; Das Eichhorn sagt: „Jetzt fahr ich'ein; Schon lose sitzt die Nuß am Stiel." 2. Dem Sperling geht's nicht schlecht, er speist Den ganzen Tag, bald hier, bald dort. Er sagt: „Die Schwalb ist schon verreist. Gut, daß sie fort! gut, daß sie fort!" 3. Im Garten um den -Rosenstrauch, Da klingt ganz anders das Gered.

92

Trojan. Urlaub. Ein Blümchen spricht: „Merkt ihr's nicht auch? Es wird so trüb, so still und öd.

4. Das Bienchen flog doch sonst so slink Bei uns umher — wo ist es nun? Weiß eines was vom Schmetterling? Der hatt sonst hier so viel zu tun." 5. Ein zweites sagt: „Eh man's gedücht. Kommt schon die Nacht und weilt so lang. Wie lieblich war doch einst die Nacht! Nun ist sie gar unheimlich bang. 6. Wie muß man warten morgens früh. Bis daß die Sonn guckt übern Zaun; Ach, und ganz anders wärmte sie. Als sie noch gern uns mochte schaun." 7. Ein drittes drauf: „Mir sinkt der Mut, Der Morgentau, der ist so kalt! Die Spinne sagt: Es wird noch gut! Ach, wenn's nur würd! und würd's nur bald!

8. Nur einmal noch so, wie es war. Nur ein paar sonnge Tage noch. 's wird nicht mehr viel — ich seh es klar! Und leben, leben möcht man doch!"

Ludwig Uhland. 80. Die sterbenden Helden. 1. Der Dänen Schwerter drängen Schwedens Heer Zum wilden Meer, Die Wagen Kirren fern, e$ blinkt der Stqhl Im Mondenstrahl, Da liegen, sterbend, auf dem Leichenfeld Der schöne Sven und Ulf, der graue Held.

2. „O Vater! daß mich in der Jugend Kraft Die Norne rafft! Nun schlichtet nimmer meine Mutter mir Der Locken Zier; Vergeblich spähet meine Sängerin Vom hohen Turm in alle Ferne hin." 3. „Sie werden jammern, in der Nächte Graun Im Traum uns schaun. Doch sei getrost! bald bricht der bittre Schmerz Ihr treues Herz; Daun reicht die Buhle dir bei Odins Mahl, Die goldgelockte, lächelnd den Pokal." 4. „Begonnen hab ich einen Festgesang Zum Saitenklang Bon Königen und Helden grauer Zeit In Lieb und Streit. Berlassen hängt die Harfe nun, und bang Erweckt der Winde Wehen ihren Klang." 5. „Es glänzet hoch und hehr iyl Sonnenstrahl Allvaters Saal, Die Sterne wandeln unter ihm, es ziehn Die Stürme hin. Dort tafeln mit den Vätern wir in Ruh, Erhebe dann dein Lied und end es du!" 6. „O Vater! daß mich in der Jugend Kraft Tie Norne rafft! Noch leuchtet keiner hohen Taten Bild Auf meinem Schild; Zwölf Richter thronen hoch und schauerlich, Tie werten nicht des Heldenmahles mich." • 7. „Wohl wieget eines viele Taten auf —« Sie achten drauf — Tas ist um deines Vaterlandes Not Tcr Heldentod. Sieh hin! die Feinde fliehen. Blick hinan! Der Himmel glänzt, dahin ist unsre Bahn!"

V4

Uhland.

81. Der -linde König. Was steht der nordschen Fechter Schar hoch- auf des Meeres Bord? Was will in seinem grauen Haar der blinde König dort? Er ruft, in bittrem Harme aus seinen Stab gelehnt. Daß überm Meeresarme das Eiland widertönt:

1.

„Gib, Räuber, ans dem Felsverlies die Tochter mir zurück! Ihr Harfenspiel, ihr Lied so süß war meines Alters Glück. Vom Tanz auf grünem Strande hast dn sie weggeraubt. Dir ist es ewig Schande, mir beugt's das graue Haupt." 2.

Da tritt aus feiner Kluft hervor der Räuber groß -und wild. Er schwingt sein Hünenschwert empor und schlägt an seinen Schild: „Du hast ja viele Wächter, warum denn litten's die? Dir dient so mancher Fechter, und keiner kämpft um sie?" 4. Noch stehn die Fechter alle stumm, tritt keiner aus den Reihn, Der blinde König kehrt sich um: „Bin ich denn ganz allein?" Da faßt des Vaters Rechte sein junger Sohn so warm: „Vergönn mir's, daß ich fechte! wohl fühl ich Kraft im Arm." 5. „O Sohn! der Feind ist riesenstark, ihm hielt noch keiner stand. Und doch! in dir ist edles Mark, ich sühl's am Druck der Hand. Nimm hier die alte Klinge! sie ist der Skalden Preis, Und fällst du, so verschlinge die Flut mich armen Greis!" 6. Und horch! es schäumet, und es rauscht der Nochen übers Meer; Der blinde König steht und lauscht, und alles schweigt umher. Bis drüben sich erhoben der Schild' und Schwerter Schall Und Kampsgeschrei und Toben und dumpfer Widerhall. 7. Da ruft der Greis so freudig bang: „Sagt an, was ihr erschaut!

3.

Mein Schwert, ich kenn's am guten Klang, es gab so scharfen Laut." „Der Räuber ist gefallen, er hat den blutgen Lohn. Heil dir, du Held vor allen, du starker Königssphn!" Und wieder wird es still uyrher, der König stcht und lauscht: „Was hör ich kommen übers Meer? cs rudert, und eS rauscht." „Sie kommen angefahren, dein Sohn mit Schwert und Schild, In sonnenhellen Haaren dein Töchterlein Gunild."

8.

„Willkommen!" ruft vom hohen Stein der blinde Greis hinab, „Nun-wird mein Alter wonnig fein und ehrenvoll mein Grab. Du legst mir, Sohn, zur Seite das Schwert von gutem Kang, Gunilde, du befreite, singst mir den Grabgcsang!"

9.

82. König Karls Meerfahrt. 1.

Der König Karl fuhr über Meer mit seinen zwölf Genossen, Zum Heilgen Lande steuert er und ward vom Sturm ver­ stoßen. Da sprach der kühne Held Roland: „Ich kann wohl fechten und schirmen; Doch hält mir diese Kunst nicht stand vor Wellen und vor Stürmen."

Dann sprach Herr Holger aus Dänemark: „Ich kann die Harfe schlagen; Was hilft mir das, wenn also stark die Wind und Wellen jagen?" Herr Oliver war auch nicht froh, er sah auf seine Wehre: „Es ist mir um mich selbst mcht so, wie um die Altekläpe." 2.

Dann sprach der schlimme Ganelon, er sprach es nur verstohlen: „Wär ich mit guter Art davon, möcht euch der Teufel holend 3.

Erzbischof Turpin seufzte sehr: „Wir sind die Gottesstreiter: Komm, liebster Heiland, über das Meer und führ uns gnädig weiter!"

4. Graf Richard Ohnefurcht hub an: „Ihr Geister aus der Hölle, Ich hab euch manchen Dienst getan, jetzt helft mir von der Stelle!" Herr Naimes diesen Ausspruch tat: „Schon vielen riet ich heuer. Doch süßes Wasser und guter Rat sind oft zu Schiffe teuer."

5. Da sprach der graue Herr Riol: „Ich bin ein alter Degen And möchte meinen Leichnam wohl dereinst ins Trockne legen." Gs war Herr Gui, ein Ritter fein, der fing wohl an zu singen: ^,Jch wollt, ich wär ein Bögelein, wollt mich zu Liebchen schwingen!" 6. Da sprach der edle Graf Garein: „Gott helf uns aus der Schwere! Ich trink viel lieber den roten Wein, als Wasser in dem Meere." Herr Lambert sprach, ein Jüngling frisch: „Gott woll uns nicht vergessen! Aß lieber selbst 'nen guten Fisch, als daß mich Fische fressen." 7. Da sprach Herr Gottfried lobesan: „Ich laß mir's halt gefallen. Man richtet mir nicht anders an, alS meinen Brüdern allen." Der König Karl am Steuer saß; der hat kein Wort ge­ sprochen, Gr lenkt das Schiff mit festem Maß, bis sich der Sturm gebrochen.

83. Normannischer Brauch. (Dem Freiherrn de la Motte Fouqu^ zugeeignet.) Iltcherhütte auf einer Jnfei an der Küste der Normandie.

Balder, ein Seefahrer.

Richard, ein Fischer.

Lhortlde.

Balder.

6

Dies auf dein Wohlsein, vielgeehrter Wirt! Fürwahr, ich hab's dem tollen Sturme Dank, Der mich in deiner Insel Bucht gejagt; Denn solch ein traulich Mahl am stillen Herd Hat mich seit langer Zeit nicht mehr gelabt. Richard.

Man trifft's in Fischerhütten besser nicht; Hat's dir behagt, viel Ehr und Freude mir) Jnsonders wert ist mir so edler Gast, Der aus dem nordschen Heimatlande kommt, 10 Von wannen unsre Väter hergeschifst. Davon man noch so vieles sagt und singt. Doch muß ich dir eröffnen, edler Herr, Wer bei mir einkehrt, sei er noch so arm. Wird angesprochen um ein Gastgeschenk. Balder.

15

Mein Schiff, das in der Bucht vor Anker liegt. Es hegt der seltnen Waren mancherlei. Die ich vom Mittelmeere hergeführt, Goldfrüchte, süße Weine, bunte Vögel; Auch wahrt es Waffen, nordscher Schmiede Werk, 20 Zweischneidge Schwerter, Harnisch, Helm und Schild. Richard.

Mcht solches meint ich, du verstehst niich falsch. Es ist ein Brauch in unsrer Normandie: Wer einen Gast an seinem Herd empfing, Verlangt von ihm ein Märchen oder Lied 25 Und gibt sofort ein gleiches ihm zurück. Ich halt in meinen alten Tagen noch

Die edeln Sagen und Gesänge wert. Darum erlab ich dir die Fordrung nicht. Balder.

Ein Märchen ist ost süb wie Zhperwein, 30 Wie Früchte duftig und wie Bögel bunt, Und manch ein altertümlich Heldenlied Ertönt wie Schwertgeklirr und Schildesklang, Drum war mein Irrtum wohl nicht allzugwA Zwar weiß ich nicht so Herrliches zu melden, 85 Doch ehrt ich gern den löblichen Gebrauch. Vernimm denn, was in heitrer Mondnacht jüngst Ein Schiffsgenob auf dem Verdeck erzählt! Richard.

Noch einen Trunk, mein Gast! Beginne dannl Balder.

Zween nvrdsche Grafen hatten manches Jahr 40 Das Meer durchsegelt mit vereinten Wimpeln, Vereint bestanden manch furchtbaren Sturm, Manch heiße Schlacht zur See und am Gestad, Auch manchesmal im Süden oder Osten Auf blühndem Strand zusammen ausgeruht: 45 Jetzt ruhten sie daheim aus ihren Burgen, In gleiche Trauer beide tief versenkt. Denn jeder hatt ein treues Ehgemahl Unlängst begleitet nach der Ahnengrust. Doch sproßt auch jedem aus dem dHstern Gram 50 Ein süßes, ahnungsvolles Glück herauf: Dem einen blüht ein muntrer Sohn, Der andre pflegt ein liebes Töchterlein. Um ihren alten Freundschastsbund zu könnt Und dauerndes Gedächtnis ihm zu stjsten, 55 Beschlossen sie, die teuern Sprößlinge Dereinst durch heilge Bande zu verknüpfen. Zween aoldne Rinac ließen sie bereiten.

Die man, den zarten Fingern noch zu weit, An bunten Bändern um die Hälschen hing. 60 Ein Saphir, tote des Mägdleins Auge, blau. War in des jungen Grafen Ring gefügt, Im andern glüht ein rosenroter Stein, Recht wie des Knaben frisches Wangenblut.

Richard. Ein rosenroter Stein im goldnen Reif, 65 Das war des Mädchens Schmuck? Verstand ich's wohl?

Balder. Ja, wie du sagst, doch kommt's darauf nicht an. Schon wuchs der Knabe hoch und schlank herauf. In Wafsenspielen ward er früh geübt. Schon tummelt er ein kleines, schmuckes Roß. 70 Nicht soll er, wie der Vater, einst das Meer Auf abenteuerlicher Fahrt durchschweifen. Beschirmen soll er einst mit starker Hand Das mächtige Gebiet, die hohen Burgen, Vereintes Erbium beider Grafenstämme. 75 DeS jungen Ritters Bräutlein lag indes Noch in der Wieg im' dämmernden Gemach, Bon treuen Wärterinnen wohl besorgt. Nun kam ein milder Frühlingstag ins Land, Da trugen sie das ungeduldge Kind 80 Zum sonnig heitern Meeresstrand hinab Und brachten Blum und Muschel ihm zum Spiel. Die See, von leisem Lusthauch kaum bewegt. Sie spiegelte der Sonne klares Bild Und warf den Zitterschein aufs junge Grün. 85 Am Strande lag gerad ein kleiner Kahn, Den schmücken letzt die Fraun mit Schilf und Blumen Und legen ihren holden Pflegling drein Und schaukeln ihn am Ufer auf und ab. Das Kindlein lacht, die Frauen lachen mit.

90 Doch eben unterm fröhlichsten Gelächter Entschlüpft das Band, daran sie spielend ziehn. Und als sie es bemerken, kann ihr Arm Das Schifflein nicht vom Strande mehr erreichen. So scheinbar still die See, so wellenlos, 96 Doch spült sie weiter stets den Kahn hinaus. Man höret noch des Kindes herzlich Lachen, Die Frauen aber sehn verzweifelt nach. Mit Händeringen, wildem Angstgeschrei. Der Knabe, der sein Liebchen zu besuchen 100 Gekommen war und jetzt das leichte Rost Auf grüner Uferwiese tummelte, Er sprengt auf das Geschrei im Flug heran. Er treibt sein Pferdchen mutig in die See Und meint, das blnmge Fahrzeug zu erschwimmen. 106 Kaum aber prüft das Tier die kalte Flut, Sv schütteft sich's und wendet störrig um Und reißt den Refter an den Strand zurück. Derweil hat schon der Nachen mit dem Kinde Hinausgetrieben aus der stillen Bucht, 110 Und frisches Wehen auf der offnen See Entführt ihn bald den Blicken. Richard.

Armes Kind! Die Heilgen Engel mögen dich umschweben! Salber.

Dem Vater kommt die Schreckensbotschaft zu; Gleich läßt er alle Schiffe, groß und klein, 115 Auslaufen, und das schnellste trägt ihn selbst. Doch spurlos ist das Meer, der Abend sinkt. Die Winde wechseln, nächtlich tobt der Sturm. Von mondenlangem Suchen bringen sie Den leeren, morschen Nachen nur zurück, 120 Mit abgewelkten Kränzen------------

Uhland,

W

Richard. WaS stört dich in der Rede, werter Gast? Du stockst, du atmest tief.

Balder.

125 ‘

130

135

Ich fahre fort. Seit jenem Unfall freute sich der Knabe Nicht mehr des Rosselenkens, wie zuvor; Viel lieber übt er sich im Schwimmen, Tauchen, Am Ruder prüft er gerne seinen Arm. Als er zum kräftgen Jüngling nun erstartt. Da heischt er Schiffe von dem Bater. Nichts hat das feste Land, was er begehrt, Kein Fräulein auf den Burgen reizet ihn, Dem wilden Meere scheint er anverlobt. Darein das Mägdlein und der Ring versank. Auch rüstet er sein Hauptschiff seltsam aus Mft Purpurwimpeln, goldnem Bilderschmuck, Wie einer, der die Braut mecrüber holt. Richard.

Fast wie das deine drunten in der Bucht, Mcht wahr, mein wackrer Seemann?

Balder. Wenn du willst. Mit jenem reichgeschmückten Hochzeitschiff Hat er in manchem grausen Sturm geschwankt. 140 Wenn so zu Donnerschlag und Sturmgebraus Die Wogen tanzen, seiner Hvchzeittanz! Manch blutg«; Seeschlacht hat er durchgekämpft Und ist davon im Norden wohlbekannt. Mit sondrem Namen ward er dort belegt: 145 Springt er hinüber mit geschwungnem Schwert Auf ein geentert Schiff, dann schreit das S3olf: „Wehuns! vertilg uns nicht, Meerbräutigam!" Das ist mein Märchen.

102

Uhland.

Richard. Habe Dank dafür! Es hat mir recht mein altes Herz bewegt; 150 Nur, dünkt mir, fehlt ihm noch der volle Schluß. Wer weiß, ob wirklich denn das Kind versank, Ob nicht ein fremdes Schiff vorüberfuhr. Das flugs an Bord den armen Findling nahm. Den morschen Kahn der Meerflut überließ? 155 Vielleicht auf einer, Insel, wie die unsre. Ward dann das schwache Kindlein abgesetzt, Bon frommen Händen sorgsamlich gepflegt. Und ist zur holden Jungfrau nun erblüht.

Balder. Du weißt geschickt ein Märchen auszuspinnen. 160 So laß nun deines hören, wenn's beliebt! Richard.

In vorgen Tagen wußt ich manche Mär Bon unsern alten Herzogen und Helden Und sonderlich vom Richard Ohnefurcht, Der nachts so hell als wie am Tage sah, 165 Der durch den öden Wald allnächtlich ritt Und mit Gespenstern manchen Strauß bestand.; Doch jetzt ist mein Gedächtnis alterfchwach. Verworren schwankt mir alles vor dem Sinn. Dtum soll das junge Mädchen mich vertreten, 170 Das dort so still und abgewendet sitzt Und Netze strickt beim trüben Lampenschein. Die hat sich manches gute Lied gemerkt Und hat 'ne Kehle wie die Nachtigall. Thorilde! darfst den edlen Gast nicht scheu«. 175 Sing uns das Lied vom Mägdlein und vom Ring Das einst der alte Sänger dir gereimt! Ein feines Lied! ich weiß, du singst es gern.

«hlmch. Th-rtlde (fingt).

180

185

Wohl sitzt am Meeresstrande Ein zartes Jungfräulein, Sie angelt manche Stunde, Kein Fischlein beißt ihr ein.

Sie hat Mit rotem Den bindt Wirst ihn

'nen Ring am Finger Edelstein, sie an die'Angel, ins Meer hinein.

Da hebt sich aus der Tiefe 'ne Hand, wie Elfenbein, Die läßt am Finger blinken Das goldne Ringelein. 190

195

200

Da hebt Ein Rstter Er prangt Und spielt

sich aus dem Grunde jung und fein. in goldnen Schuppen im Sonnenschein.

Das Mägdlein spricht erschrocken: „Nein, edler Ritter, nein! Laß du mein Ringlein golden! Gar nicht begehrt ich dein." . „Man angelt nicht nach Fischen Mit Gold und Edelstein: Das Ringlein laß ich nimmer. Mein eigen mußt du sein!" Balder.

Was hör ich? seltsam ahnungsvoller Sang! Was seh ich? welch ein himmlisch Angesicht Hebt süß errötend sich aus goldnen Locken 205 Und mahnt mich an die ferne Kinderzeit! Ha! an der Rechten blinkt der goldne Ring, Der rote Stein; du bist's, verlorne Braut! Ich bin's, den sie Meerbräutigam genannt.

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Wand.

Hier ist der Saphir, wie dein Auge blau, 210 Und drunten liegt das Hochzeitschiff bereit. Richard. Das hab ich längst gedacht, verehrter Held! Ja, nimm sie hin, mein teures Pflegekind! Halt sie nur fest in deinem starken Arm! Du drückst ein treues Herz an deine Brust. 215 Doch sieh-einmal! du hast dich ganz verwirrt Im Netze, das mein fleißig Kind gestrickt.

84. Graf Richard Ohnefurcht. Graf Richard von der Normandie Erschrak in seinem Leben nie. Er schweifte Nacht wie Tag umher, Manchem Gespenst begegnet' er; 5 Doch hat ihm nie was Graun gemacht, Bei Tage noch um Mitternacht.

Weil er so viel bei Nacht tät reiten. So ging die Sage bei. den Leuten, Er siih in tiefer Nacht so licht, 10 Als mancher wohl am Tage nicht.

Er pflegte, wenn er schweift' im Land, So oft er wo ein Münster fand, Wenn's offen war, hineinzutreten. Wo nicht, doch außerhalb zu beten. 16 So traf er in der Nacht einmal Ein Münster an im öden Tal; Da ging er fern von seinen Leuten, Nachdenllich, ließ sie fürbaß reiten, Sein Pferd er an die Pforte band, 20 Im Innern einen Leichnam fand. Er ging vorbei hart an der Bahre Und kniete nieder am Altare, Warf auf 'nen Stuhl die Handschuh eilig. Den Boden küßt' er, der ihm heilig.

Noch hatt' er nicht gebetet lange, Da rührte hinter ihm im Gange Der Leichnam sich auf dem Gestelle^ Der Graf sah um und rief: „Geselle, Du seist ein Guter oder Schlimmer, 30 Leg dich aufs Ohr und rühr dich nimmer!" Dann erst er sein Gebet beschloß (Weiß nicht, ob's Nein war oder groß). Sprach dann, sich segnend: „Herr, mein Seel Zu deinen Händen ich empfehl."

25

Sein Schwert er faßt' und wollte gehen; Da sah er das Gespenst aufstehen. Sich drohend ihm entgegenrecken, Die Arme in die Weite strecken. Als wollt es mit Gewalt ihn fassen 40 Und nicht mehr aus der Kirche lassen. 35

Richard besann sich kurze Weile, Er schlug das Haupt ihm in zwei Teile; Ich weiß nicht, ob es wehgeschrien. Doch müßt's den Grafen lassen ziehn. 45 Er fand sein Pferd am rechten Orte. Schon ist er aus der Kirchenpforte, Als er der Handschuh erst gedenkt; Er läßt sie nicht, zurück er lenkt. Hat sie vom Stuhle weggenommen. 50 Wohl mancher wär nicht wieder kommen.

85. Taillefer. 1. Normannenherzog Wilhelm sprach einmal: „Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal? Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?" 2. Das ist der Taillefer, der so gerne singt, Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt.

Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht, Wann er abends sich legt, und wann er morgens erwacht.

3. Der Herzog sprach: „Ich hab einen guten Knecht, Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht, Gr treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut Und singet so hell, das höhet mir den Mut."

4. Da sprach der Taillefer: „Und wär ich frei, Piel besser wollt ich dienen und singen dabei. Wie wollt ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! Wie wollt ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!" 5. Mcht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild . Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild. Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld; Sie sprach: „Dort reitet, bei Gott, ein stattlicher Held." 6. Und als er ritt vorüber an Fräuleins Turm, Da sang er bald wie ein Lüstlein, bald wie ein Sturm. Sie sprach: „Der singet, das ist eine herrliche Lust! «Es zittert der Turm, und es zittert mein Herz in der Brust."

7. Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer, -Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer. Gr sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand: „Hei!" rief er, „ich faß und ergreife dich, Engelland!" 8. Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt. Der edle Taillefer vor den Herzog ritt: „Manch Jährlein hab ich gesungen und Feuer geschürt. Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt.

9. Und hab ich Euch gedient und gesungen zu Dank, Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank: So laßt mich das entgelten am heutigen Tag, Vergönnt mir auf die Feinde den ersten Schlag!"

10. Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Speer; Er sang so herrlich, das klang über Hastingsfeld, Von Roland sang er und manchem frommen Held.

11. Und als da- Rolandslied wie ein Sturm erscholl, Da wallele manch Panier, manch Kerze schwoll, Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut ; Der Taillefer sang und schürte das Feuer gut.

12. Dann sprengt' er hinein und führte den ersten Stoß, Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß; Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag, Davon ein englischer Ritter am Boden lag. 18. Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang. Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. Kei! sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag l Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag. 14. Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld, Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt, Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland: 15. „Mein tapfrer Taillefer l komm, trink mir Bescheid! Du hast mir viel gesungen in Lieb und in Leid; Doch heut im Hastingsfelbe dein Sang und dein Klang Der tönet mir in den Öftren mein Lebenlang."

66. Ate Bätergruft. 1. Es ging wohl über die Heide zur alten Kapell empor Ein Greis im Waffengeschmeide und trat in den dunkeln Chor.

2. Die Särge seiner Ahnen standen die Hall entlang, Aus der Tiefe tät ihn mahnen ein wunderbarer Gesang.

8. „Wohl hab ich euer Grüßen, ihr Heldengeister, gehört. Eure Reihe soll ich schließen? Heil mir! ich bin es wert!" 4. Es stand an kühler Stätte ein Sarg noch ungefüllt; Den nahm er zum Ruhebette, zum Pfühle nahm er den Schild. 5. Die Hände tät er falten aufs Schwert und schlummert ein. Me Geisterlaute verhallten, da möcht es gar stille sein.

87. Der schwarze Ritter. 1. Pfingsten war, das Fest der Freude, Tas da feiern Wald und Heide. Hub der König an zu sprechen: „Auch aus den Hallen Der alten Hofburg allen Soll ein reicher Frühling brechen!"

Wankt

ein

großer

Schatten drinnen.

Er tät mit Sitten Des Königs Tochter bitten, Tät den Tanz mit ihr beginnen.

6. Tanzt im schwarzen Kleid von Eisen, Tanzet schauerliche Weisen, 2. Trommeln und Drommeten Schlingt sich kalt uni ihre Glieder. Von Brust und Haaren schallen. Entfallen ihr die Naren Rote Fahnen festlich wallen. Sah der König vom Balköne; Blümlein welk zur Erde nieder. In Lanzenspielen 7. Und zur reichen Tafel kamen Me Ritter alle sielen Alle Ritter, alle Damen. Bor des Königs starkem Sohne. Zwischen Sohn und! Tochter innen 3. Mer vor des Kampfes Gitter Mit bangem Mute Ritt zuletzt ein schwarzer Ritter. „Herr! wie ist Eur Nam und Der alte König ruhte, Sah sie an mit stillem Sinnen. Zeichen?" „Würd ich es sagen, 8. Bleich die Kinder beide Ihr möchtet zittern und zagen; schienen; Bin ein Fürst von großen Bot der Gast den Becher ihnen: Reichen." „Goldner Wein macht euch ge­ 4. Als er in die Bahn gezogen, Dunkel ward des Himmels Bogen, Und das Schloß begann zu beben. Beim ersten Stoße Der Jüngling sank vom Rosse, Konnte kaum sich wieder heben.

nesen." Me Kinder tranken, Sie täten höflich danken: „Kühl ist dieser Trunk gewesen/*

9. An des Vaters Brust sich schlangen Sohn und Tochter; ihre Wange» Tüten völlig sich entfärben. 5. Pfeif und Geige ruft zu Wohin der graue. Tänzen, Erschrockne Vater schaue. Jäckeln durch die Säle glänzen; Sieht er eins der Kinder sterben.

10. „Weh! die holden Kinder beide Da sprach der Grimme Nahmst du hin in Jugendsreude; Mit hohler, dumpfer Stimme: Nimm auch mich, den Freude- „Greis, im Frühling brech ich losen!" Rosen."

88. Des Sängers Fluch. 1. Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr, Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer, Und rings von duftgen Gärten ein blütenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz. 2. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich. Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich; Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

3. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar, Der ein in goldnen Locken, der andre grau von Haar; Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

4. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton, Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz." 5. Und Der Die

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl; König, furchtbar prächtig, wie blutger Nordlichtschein, Königin, süß und milde, als blickte Vollmond drein.

6. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll. Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll; Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor.

7. Sie singen von Lenz ünd Liebe, von seiger, goldner Zeit, Bon Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit, Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

110

Uhland.

8. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, Des Königs trotzge Krieger, sie beugen sich vor Gott. Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

„Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?" Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib, Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch auf­ springt. 9.

ist all der Hörer Schwarm. Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm; Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, Er bindt ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. 10.

Und wie vom Sturm zerstoben

11. Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis, Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis; An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt, Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt: 12. „Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite, noch Gesang, Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

13. Weh euch, ihr duftgen Gärten im holden Maienlicht! Euch zeig ich dieses Toten entstelltes Angesicht, Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt, Daß ihr in künftgen Tagen versteint-, verödet liegt.

14.

Weh dir, verruchter Mörder, du Fluch des Sänger-

tums! Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blutgen Ruhms k Dein Name sei vergessen, in ewge Nacht getaucht. Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!"

15. Ter Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört. Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört; Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht; Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

16. Und rings statt dustger Gärten ein ödes Heideland: Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt bett Sand, Des Königs Ramen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; Versunken und vergessen! Das ist des Sängers Fluch.

89* Die Kaiserwahl (8. September 1023). Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben. Des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig, Das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht. Ms nun die Botschaft in das Reich erging,

5 Da fuhr ein reger Geist in alles Volk, Ein neu Weltalter schien heraufzuziehn; Da leb.te jeder längst entschlafne Wunsch Und jede längst erloschne Hoffnung auf. Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann, 10 Dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg. Sich, heimlich forschend, mit den Blicken maß. Kann's doch nach deutschem Rechte wohl geschehn^ Daß, wer dem Kaiser heut den Bügel hält, Sich morgen selber in den Sattel schwingt! 15 Jetzt dachten unsre freien Männer nicht An Hub- und Haingericht und Markgeding, Wo man um Esch und Holzteil Sprache hält. Nein, stattlich ausgerüstet, zogen sie Aus allen Gauen, einzeln und geschart, 20 Ins Maienfeld hinab zur Kaiserwahl. Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms und Mainz^Wo unabsehbar sich die ebne Flur Auf beiden Ufern breitet, sammelte Der Andrang sich; die Mauern einer Sta6t 25 Vermochten nicht, das deutsche Volk zu fassen.

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Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt Die Sachsen samt der slavschen Nachbarschaft, Die Bayern, die Ostfranken und die Schwaben; Am linken lagerten die rheinischen Franken, Die Ober- und die Nieder-Lothringer. ■ So war das Mark von Deutschland hier gedrängt. Und mitten in dem Lager jeden Volks Erhub sich stolz das herzogliche Zelt. Da war ein Grüßen und ein Händeschlag, Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr! Und jeder Stamm verschieden an Gesicht, An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht, An Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit, Und alle doch ein großes Brüdervolk, Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint! Was jeder im besondern erst beriet Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch Der Jnselbuchten, mählich war's gereift Zum allgemeinen, offenen Beschluß. Aus vielen wurden wenige gewählt, Und aus den wenigen erkor man zween, Allbeide Franken, fürstlichen Geschlechts, Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst, Kunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt. Da standen nun auf eines Hügels Saum, Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk, Die beiden Männer, die aus freier Wahl Das deutsche Volk des Thrones wert erkannt Vor allen, die der deutsche Boden nährt, Von allen würdigen die würdigsten, Und so einander selbst an Würde gleich. Daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien. Und daß die Wage ruht' im Gleichgewicht. Da standen sie, das hohe Haupt geneigt, Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht. Von stolzer Demut überwältiget.

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Ein königlicher Anblick war's, ob dem Die Träne rollt' in manchen Mannes Bart. Und wie nun harrend all die Menge stand Und sich des Volkes Brausen so gelegt, Daß man des Rheines stillen Zug vernahm — Denn niemand wagt' es, diesen oder den Zu Türen mit dem Hellen Ruf der Wahl, Um nicht am andern Unrecht zu begehn, Noch aufzuregen Eifersucht und Zwist: — Da sah man plötzlich, wie die beiden Herrn Einander herzlich faßten bei der Hand Und sich begegneten im Bruderkuß. Da ward es klar, sie hegten keinen Neid, Und jeder stand dem andern gern zurück. Der Erzbischof von Mainz erhub sich jetzt: „Weil doch," so rief er, „einer es muß sein. So sei's der ältre!" Freudig stimmten bei Gesamte Fürsten und am freudigsten Der jüngre Kunrad. Donnergleich erscholl. Oft wiederholt, des Volkes Beifallsruf.

Als der Gewählte drauf sich niederließ. Ergriff er seines edeln Vetters Hand Und zog ihn zu sich auf den Königssitz. 85 Und in den Ring der Fürsten trat sofort Die fromme Kaiserwitwe Kunigund. Glückwünschend reichte sie dem neuen König Die treu bewahrten Reichskleinode dar. Zum Festzug aber scharten sich die Reihn; 80 Boran der König, folgend mit Gesang Die Geistlichen und Laien; so viel Preis Erscholl zum Himmel nie an einem Tag. Wär Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft, Nicht freudiger hätt ihn die Welt begrüßt. 95 So wallten sie den Strom entlang nach Mainz, Woselbst der König im erhabnen Dom Der Salbung heilge Weihe nun empfing. Hessel, Lesebuch 6. 12. «ufi.

M. 8

Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt. Dem fehle nicht die Kräftigung von Gott! 100 Und als er wieder aus dem Tempel trat. Erschien er herrlicher als kaum zuvor. Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.

9«. Der Überfall von Wildbad.*) 1. In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn. Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn, Da ritt aus Stuttgarts Toren ein Held von stolzer Art, Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart. 2. Mit wenig Edelknechten zieht er ins Land hinaus. Er trägt nicht Helm noch Panzer, nicht geht's auf blutgen Strauß, Ins Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entspringt. Der Sieche heilt und kräftigt, der Greise wieder jüngt.

3. Zu Hirsau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein Und trinkt bei Orgelschalle den kühlen Klosterwein. Dann geht's durch Tannenwälder, ins grüne Tal gesprengt. Wo durch ihr Felsenbette die Enz sich rauschend drängt. 4. Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich Haus, Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus. Dort steigt der Graf vom Rosse, dort hält er gute Rast, Den Quell besucht er täglich, der ritterliche Gast. 5. Wann er sich dann entkleidet und wenig ausgeruht Und sein Gebet gesprochen, so steigt er in die Flut; Er setzt sich stets zur Stelle, wo aus dem Felsenspalt Am heißesten und vollsten der edle Sprudel wallt. 6. Ein angeschoßner Eber, der sich die Wunde wusch. Verriet voreinst den Jägern den Quell in Kluft und Busch; Nun ist's dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib, Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib. *) Graf Eberhard von Württemberg, genannt der Greiner, auch der Rauschebart (f 1392), und dessen Sohn Ulrich (f 1388), sind im Chor der Stiftskirche in Stuttgart beigesetzt (Anmerkung des Dichters).

7. Da kommt einstmals gesprungen sein jüngster Edelknab; „Herr Graf! es zieht ein Haufe das obre Tal herab. Sie tragen schwere Kolben, der Hauptmann führt im Schild Ein Röslein rot von Golde und einen Eber wild."

„Mein Sohn! das sind die Schlegler, die schlagen kräftig drein. Gib mir den Leibrock, Junge! das ist der Eberstein. Ich kenne wohl den Eber, er hat so grimmen Zorn, Ich kenne wohl die Rose, sie führt so scharfen Dorn." 8.

9. Da kommt ein armer Hirte in atemlosem Lauf: „Herr Graf! es zieht 'ne Rotte das untre Tal herauf. Der Hauptmann führt drei Beile, sein Mstzeug glänzt und gleißt. Daß mir's wie Wetterleuchten noch in den Augen beißt." 10. „Das ist der Wunnensteiner, der gleißend Wolf genannt. Gib mir den Mantel, Knabe! der Glanz ist mir bekannt. Er bringt mir wenig Wonne, die Beile hauen gut. Mnd mir das Schwert zur Seite! der Wolf, der lechzt nach Blut. 11. Ein Mägdlein mag man schrecken, das sich im Bade schmiegt. Das ist ein lustig Necken, das niemand Schaden fügt; Wird aber überfallen ein alter Kriegesheld, Dann gift's, wenn nicht sein Leben, doch schweres Lösegeld." 12. Da spricht der arme Hirte: „Des mag noch werden Rat, Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat, Kein Roß mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort. Wollt Ihr sogleich mir folgen, ich bring Euch sicher fort."

13. Sie klimmen durch das Dickicht den steilsten Berg hinan; Mit seinem guten Schwerte haut ost der Graf sich Bahn. Wie herb das Fliehen schmecke, noch hatt er's nie vermerft, Biel lieber möcht er fechten, das Bad hat ihn gestärkt. 14. In heißer Mittagsstunde bergunter und bergauf; Schon muß der Graf sich lehnen auf seines Schwertes Knauf. 8*

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Uhl and.

Volkslieder.

Darob erbarmt's den Hirten des alten, hohen Herrn, Er nimmt ihn auf den Rücken: „Ich tu's von Herzen gern." 16. Da denkt der alte Greiner: „Es tut doch wahrlich gut. So sänstlich sein getragen von einem treuen Blut. In Fährden und in Nöten zeigt erst das Volk sich echt, Drum soll man nie zertreten sein altes, gutes Recht."

16. Ms drauf der Graf gerettet zu Stuttgart sitzt im Saal, Heißt er 'ne Münze prägen als ein Gedächtnismal. Er gibt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon. Auch manchem Herrn von Schlegel verehrt er eins zum Hohn. 17. Dann schickt er tüchtge Maurer ins Wildbad allsosvrt, Die sollen Mauern führen rings um den offnen Ort, Damit in künstgen Sommern sich jeder greise Mann, Bon Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann.

Volkslieder. 91, Martinsgans. 1. Was haben doch die Gänse getan. Daß so viel müssen's Leben lan? Die Gäns mit ihrem Datiern — Da da, da da, da da — Mit ihrem Geschrei und Schnattern — Da da, da da, da da — Sant Martin han verraten, Da da, da da, da da, Darumb tut man sie braten — Da da, da da! 2. Jst's wahr, daß sie verraten Han Sant Martin, den heiligen Mann? Die Gäns mit ihrem Datiern — usw. 3. So müssen's mit dem Leben zwar Den Zehent geben alle Jahr, Die Gäns mit ihreri Datiern — usw.

4. Bei süßem Most und kühlem Wein köertreibt man ihn das Datiern fein; Me Gäns mit ihrem Dattern — usw. 5. So lasset uns all ingemein Bei braten Gänsen fröhlich sein! Die Gäns mit ihrem Dattern Da da, da da, da da — Mit ihrem Geschrei und Schnattern — Da da, da da, da da — Sant Martin Han verraten, Da da, da da, da da, Darumb tut man sie braten — Da da, da da!

92. Buttermilch. 1. Eins Bauern Sohn hat sich vermessen, Er wollt eine gute Buttermilch essen. Ein auserwählte Milch, Ein hochgelobte Milch, Ein abgefeimte Milch, Des Milri Milch, des Milri Milch, Ein gute Buttermilch. 2. Man trug ihm her ein saures Kraut, Die Buttermilch troff ihm baß in die Haut, Ein auserwählte Milch, Ein hochgelobte Milch, Ein abgefeimte MUch, Des Milri Milch, des Milri Milch, Ein gute Buttermilch. 3. Man trug ihm her gut Apfel und Birn, Die Buttermilch lag ihm stets im Hirn, Ein auserwählte Milch, Ein hochgelobte Milch, Ein abgefeimte Milch Des Milri Milch, des Milri Milch, Ein gute Buttermilch.

93. Erntelied. 1. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, Hat Gewalt vom höchsten Gott, Heut wetzt er das Messer, Es schneid' schon viel besser. Bald wird er drein schneiden. Wir müssen 's nur leiden. Hüte dich, schöns Blümelein! 2. Was heut noch grün und frisch dasteht. Wird morgen schon hinweggemäht: Die edlen Narzissen, Die Zierden der Wiesen, Die schön Hyazinten, Die türkischen Binden. Hüte dich, schöns Blümelein! 3. Viel hundert tausend ungezählt. Was nur unter die Sichel fällt Ihr Rosen, ihr Lilien, Euch wird er austilgen. Auch die Kaiserkronen Wird er nicht verschonen. Hüte dich, schöns Blümelein! 4. Das Himmelfarbe Ehrenpreis, Die Tulipanen gelb und weiß. Die silbernen Glocken, Die goldenen Flocken, Sinkt alles zur Erden. Was wird daraus werden? Hüte dich, schöns Blümelein! 5. Ihr Ihr Ihr Ihr

Ihr hübsch Lavendel, Rosmarin, vielfärbige Röselein, stolze Schwertlilien, krause Basilien, zarte Violen,

Man wird euch bald holen. Hüte dich, schöns Blümelein!

6. Trotz, Tod! komm her, ich fürcht dich nit. Trotz! eil daher in einem Schnitt. Werd ich nur verletzet, So werd ich versetzet In den himmlischen Garten, Auf den alle wir warten. Freu dich, du schönes Blümelein!

94. Schlachtgesang. Kein seliger Tod ist in der Welt, Als wer fürm Feind erschlagen Auf grüner Heid, im freien Feld Darf nicht hörn groß Wehklagen.

Im engen Bett, da einer allein Muß an den Todesreihen, Hie aber findt er Gsellschaft fein, Falln mit, wie die Kräuter im Maien. Ich sag ohn Spott: Kein seliger Tod Ist in der Welt, Als so man fällt Auf grüner Heid Ohn Klag und Leid! Mit TrommelnKang

Und Pfeifengsang Wird man begraben. Davon man tut haben Unsterblichen Ruhm. Mancher Held frumm Hat zugesetzt Leib und Blute Dem Vaterland zu gute.

95. Drei Röslein. (Schwäbisch).

1. Jetzt gang i ans brünnele, trink aber net, Do such i Inei herztausige schätz, findn aber net.

2. Do laß i mei äugele um und um gehn, Do siehn i mei herztausige schätz beim e andre stehn.

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Volkslieder.

ZirbeS.

3. Und beim e andre stehn sehn, ach, das tut weh! Jete bhiit di Gott, herztausiger schätz, dih besieh ich nemme meh — 4. Jetz kauf i mer dinten und fedr und papier Und schreib mei herztausige schätz ein abschiedsbrief. 5. Jetz leg i mi nieder aufs heu und aufs stroh, Do falle drei rösele mir in den schoß. 6. Und diese drei rösele sen roserot: Jetz weiß i net, lebt mei schätz, oder ist er tot.

Peter Zirbes. 96. Der Dreizehnte. 1. Es hatte Karl der Große mit starker Hand Das Friesenvolk bezwungen im eigenen Land. Sie sollten zu ihm schwören und taten's nicht; Da saß der stolze Kaiser gar strenge zu Gericht: 2. Zwölf Richter aus dem Volke, im Zorne schwer Hieß sie der Kaiser setzen ins hohe Meer. Dem Boot gab er kein Ruder, kein Tau noch Mast, Auf daß beim ersten Sturme Verderben es erfaßt. 3. Da flehten sie zum Himmel: „O Herr der Welt, Nur dir sei unsre Sache anheimgestellt: Den Dreizehnten uns sende in unsrer Not, Wenn uns in Meereswogen ein frühes Grab bedroht!" 4. Und wie die Helden fahren in ihren Tod, Da hüpfen alle Wellen im Abendrot, Als hätte sich geöffnet des Himmels Tor, Und Silberfischlein schnellen aus goldner Flut empor.

5. Es schlägt noch einmal freier der Helden Herz! Es netzen sich die Augen, doch nicht vor Schmerz. Ter Freiheit treu zu sterben, o, welche Lust! Sie sinken voll Entzücken einander an die Brust.

6. Und sieh! wer sitzt am Steuer, weich Heldenbild, Im Blicke helliges Feuer, und doch so mild! Ums hehre Haupt ihm strahlet ein lichter Schein. Doch jeder meint, es müsse von ihnen einer sein. 7. Es floß ihm von der Lippe das Wort so süß. Ms er gesetzeskundig sie unterwies. Froh lauschten ihre Herzen der Rede Lauf, Aus jedem seiner Worte ein neues Licht ging auf. 8. Solch keinen wohl im Bolle fand ihre Wahl! Schon kor ihn still zum König der Richter Zahl — Da, unsichtbar gelenket, schwebt leicht gewandt Das Fahrzeug längs den Klippen ans feste, sichre Land. 9. Doch als sie ausgestiegen, sind's zwölfe nur, Ter Dreizehnte verschwunden ohn alle Spur: Er war's, der einst beim Sturme im Schifflein schlief, Als ihn die Schar der Jünger verzagt um Hilfe rief.

10. Er lenkt auch unser Schifflein durch Sturm und NachtDes bangen Erdenlebens, wenn's blitzt und kracht. Und wer in Kampf und Nöten ihm fest vertraut, Im Hafen seiner Liebe die ewge Heimat schaut.

97.

Verbannung der Nachtigallen (Eifel-Mundart).,

Sage vom Kloster Himmeroth am Salmbach bei Wittlichs

1. De hären zo Hämmert, de drtwen et flott, De helligket wor bei en ziemlich bankrott, Dat gdf nau den hellje Bernädes gewor, Flugs, wie hen’t gewör gdf, möt hen sich öch dor. 2. Den höt et de menick 6s orglich gesöt; Dö böt om verzeichnes den äle prelöt: „0 hellje Sant Berend, hefft nomme gedold, Eich sali üch de grond son, den alles as schold. 3. De nögdegälcher am klustergebet De sangen, mer get gör des lausterns net med,

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Zirbes.

Verschiedenes.

Do genn dack de minche am bede gezeßt, Ke wonner, dat mdnje sein pflicht vergeßt, 4. Lant Berend dem äle prelote nau gleft, On iwer de nögdegälcher he röst: „Fort, fort, dir vigel, fort, fort von hei! Dir stört ös mat eierer möledei!“ 5. On wie hen’t gesöt hat, dd wören och stomm De nögdegälcher omt kluster erom, On heiwel wör könt mi bei nöch nöh, N6 kluster Stüwe, dör flögen se jo. 6. Sant Berend döicht: „Nau as alles göt! On graff nö seinem stäf on höt; Früh schlög et harz em an seiner brost, He wör sich er göder döt bewoßt. 7. Vom kluster en äl gemeier noch stöt, San Börend as long in der iwigköt, ’t as fröjör, de beseh grönt, den himel as blö, De nögdegälcher sein all erom dö.

Verschiedenes. 98. Jan und Griet (kölnische Mundart).

1. Zo Köln em ahlen Kümpchenshof Wunt ens nä boersmann, Dä hat en mäd, de nannt sich Griet, Nä knäch, dä nannt sich Jan. 2. Dat Griet, dat wohr en freche mäd, Grat we vun milch und blot, Dä Jan, dat wohr nä starke börsch, Dem Griet vun häzen göd. 3. Ens säht hä: „Sag,“ esu säht hä! „Sag, Griet, ben ich dör räch? Nemm mich zom mann, do bes en mäd, ün ich, ich ben nä knäch.“

4. Do säht it: „Jan, du bes nä knäch Und ich en schöne mäd: Ich well nä däftgen halfen han Med ös un köh un päd.“ 5. Un als dä Jan da kall gehöt, Do trock hä en dä krßg, Schlog immer düchtig en dä feind, Hols wennen mänchen seg. 6. We widder hä no Köllen körn, Soß hä op stolzen päd, Dä Jan dä wör no feldmarschall, Dä große Jan vun Wät. 7. We widder en de poz hä kom, Soß en der poz dat Griet, It Sos vor euern appelkrom, Wo it kruschteien briet. 8. Un als dä Jan dat Griet dät sin, Lät stell sing päd hä stonn Un größten it un sät zo im: „Griet! wer et hät gedonn!“ 9. Un als dat Griet dä Jan dät sin, Su blänkig usgeroß, Do größt it in un sät zo im: „Jo! wär et hät gewoß!“ 10. Ehr kölsche mädchen, merk üch dat, Un sit mer nit so friet, Gar mäncher hät et leid gedonn, Dat lört vum Jan und Griet.

•9. Do hockts un hot e Hietche uff! (PfälzerMundart). 1. Do hockts un hot e hietche uffl So krit mer als emol ens druff, Wammer wo druff bestöt» Was emol gar nit sich gehört.

Do neilich hot morsch ens erklärt, Woher mer das so s6t. 2. Kreiznach in de franzesche zeit Hot ärig viel gelitt, ihr leit: Do käm de Oscherö, Die heiser hot er ängesteckt, Hot deiwelsstrech als ausgeheckt, Besonnersch iwer Ndh. 3. Geschoß werd, hin un her geloff Un fufzig zulascht wein gesoff, Vielleicht noch ebbes me. De stadtrat hot bei däg un nacht De stadt ihr w61 un we bedacht, Geweniglich ihr we. 4. Uff ßmol kam mei Oscherd Ganz frech zum burjemdschder jo, SSt: „Männche, no, wie stets? Bis morje mittag um halb drei Schaff hunnert ochse uns ebei, Jetz mach mer kß gedez!“ 5. Do hocke dann die stadträt all, Die herzcher in die schuh gefall, Mit goldgestickte reck, Un hinne bambele die zepp, Die hitcher wackle uff de kepp, All gucke in en eck. 6. Un vor de burjemdschder dann Stellt sich e mächdig dicke mann, De metzjermdschder Trumm. „Schafft mir die Ochsen nur herbei, Woher, ist mir ganz einerlei, Sonst bringen wir Euch um!“ 7. De Trumm sdt: „Ei, wie mit ere walz Is plattgedemmert jo die Paiz,

Verschiedenes.

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Get selwer norz enuff! Jo, krßcht ich. ochse, wär ich froh: Die 6nzge ochse hocke d6 Un hawwe hietcher uff!“

100, Altdeutscher Reisesegen. Ic dir näch sihe, ic dir nach sendi Mit minen fünf fingirin funvi undi funfzic engili. Got mit gisundi heim dich gisendi. Offin st dir diz sigidor, sami st dir diz saeldedor. Bislozin si dir diz wägidor, sami si dir diz wäfindor! Ich sehe dir nach, ich sende dir nach Mit meinen fünf Fingern fünf und fünfzig Engelein. Daß Gott doch gesunde heim dich sende! Offen sei dir das Siegestor, mitsamt dem Seligkeitstor, Verschlossen sei dir das Wogentor, mitsamt dem Waffentor?

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Arndt.

Zweite Abteilung:

Prosa. Hinaus in Few und Waw! Hinaus in Feld und Wald, in Tal und Gebirge, ihr deutschen Jünglinge! Und erfrischet und erquicket euch Leib und Seele an dem ewigen, geheimnisvollen und wun­ dersamen Gegenspiegel eures Gemütes und des Himmels! Darum hinaus, wann die Wissenschaft euch austrocknen, wann das.Leben mit seinen Mühen und Arbeiten und Sorgen euch zerreißen will, hinaus ins Freie und in die liebe weite Gotteswelt! Und blaset dort den Unmut und die Dumpfheit von euch, und saugt frischen Atem und Trieb des Lebens und der Liebe ein! Was dem bloß natür­ lich und in natürlichsten Verhältnissen lebenden Menschen schon wie von selbst wird und erblüht, das muß der künst­ lich und oft in zu künstlichen Verhältnissen lebende Mensch durch Erkenntnis suchen: er muß leben lernen. Denn halb ist das Leben, dem die Natur fehlt, und muß zuletzt not­ wendig in Mattigkeit und Dürftigkeit oder in Starrheit und Sprödigkeit vergehen. Aber doch am meisten, ihr Jünglinge, haltet das fest, was der Stolz des deutschen Lebens ist: die unvergängliche Idee, welche ihre erhabensten Träume immer wahr macht denen, die mit voller reiner Liebe an sie glauben unb nicht ablassen zu glauben. Es kommt nicht auf das Stür­ men und Sausen an; auf das Klingen mit Tönen unb Prunken mit Worten; in dem Stillsten ist das Festeste und in dem Demütigen das Klarste. So in Stille unb Demut, in Hoffnung und Glauben, im frommen deutschen Ernst bekennet die Zeit und pfleget sie, nähret den Funkm, den sie euch wie einen zarten Keim überliefert bis zur vollen Flamme des Ruhms und des Glücks! Ernst Moritz Arndt.

Ferdinand Bäßler. 101. Der Sängerkrieg auf der Wartburg. Am Hofe des edcln Landgrafen Hermann und seiner Gemahlin Sophia auf Schloß Wartburg stellten im Jahre 1207 sechs meisterliche Minnesänger ein Wettsingen an. Die Namen di«ser Meister waren: Walther von der Bogelweide, Wolfram von Eschenbach, Reinmar von Zweier, Biterolß Heinrich, genannt der tugendhafte Schreiber, und Heinrich von Ofterdingen. Sie hatten aber untereinander bedungen^ wer im Streit des Singens unterliege, der solle sterben durch des Henkers Hand. Sie sangen aber alle ihrem edeln Wirte, Hermann, dem Landgraftn von Thüringen und Hessen, zu Ehren, verglichen ihn dem hellen Tage und erhoben ihn über alle Fürsten. Nur Heinrich von Ofterdingen pries Leopolden, den Herzog von Österreich, noch höher und stellte ihn der Sonne gleich. Darüber wurden die andern, die ihn ohnehin aus Neid am Thüringer Hofe nicht gern sahen, gegen ihn er­ bittert; und da sie alle sich wider ihn vereinten, mußte er trotz seiner hohen Kunst den Gegnern endlich unterliegen. Diese riefen nun Stempfel, den Henker, der sollte Heinrichen an einen Baum knüpfen. Der geängstete Sänger floh in die Gemächer der Landgräfin und barg sich vor den Ver­ folgern unter ihren Mantel. Da mußten sie von ihm ab­ stehen ; und er billigte mit ihnen, daß sie ihm ein Jahr Frist gäben, er wolle von dannen reisen gen Ungarn und Sieben­ bürgen und Meister Klingsor holen, der solle urteln und richten und ihren Streit entscheiden. Dieser nämlich galt für den berühmtesten deutschen Minnesänger jener Zeit und war zugleich ein großer Zauberer. Auf die Fürsprache der Fürstin wurde Heinrichen diese Frist von seinen Gegnern bewilligt, und so machte er sich auf und kam erst zum Herzog von Österreich, seinem geliebten Herrn, um derentwillen er sich in diese tödliche Gefahr ge­ bracht hatte; und von da ging er mit Briefen des Herzogs gen Siebenbürgen zu Klingsor, dem er die Ursache seiner

Fahrt erzählte und seine Lieder vorsang. Der Meister war mit diesen Proben seiner Kunst wohl zufrieden und versprach, mit ihm nach Thüringen zu ziehen und den Streit zu schlich­ ten. Doch hielt er seinen Gast unter allerlei Kurzweil fast ein ganzes Jahr hin, und die bewilligte Frist lief ihrem Ende zu. Weil aber Klingsor noch immer keine Anstalt zur Reise machte, wurde Heinrich bange und sprach: „Meister, ich fürchte, Ihr lasset mich im Stich, und ich ntufe allein und traurig meine Straße ziehn und werde zur bestimmten Zeit die Wartburg nicht wieder erreichen; dann bin ich ehrenlos und darf zeitlebens nimmermehr nach Thüringen." Klingsor sagte lächelnd: „Sei unbesorgt! wir haben starke Pferde und einen leichten Wagen und wollen den Weg kürzlich ge­ fahren haben." Als es Abend geworden, gab er ihm einen Trank ein, davon er augenblicklich in tiefen Schlummer sank, legte ihn auf eine lederne Decke und sich daneben und befahl seinen Geistern, daß sie ihn schnell nach Eisenach im Thüringer Lande tragen und daselbst int besten Wirtshaus niedersetzen sollten. Die Geister taten, wie ihnen befohlen war, und brachten noch in selbiger Nacht den Meister mit seinem Gefährten gen Eisenach in den Hellegrafenhof, der zu Eisenach am St. Georgentor liegt, zur linken Hand, wenn man aus her Stadt geht.

Als nun der Tag anbrach, erwachte Heinrich; er hörte die Glocken zur Frühmesse läuten und sprach verwundert: „Mir ist, als hätt ich diese Glocken schon mehr gehört, und deucht mich, daß ich zu Eisenach wäre." Der Meister sprach : „Dir träumt wohl!" Aber Heinrich stand auf und trat ans Fenster, da merkte er, daß er wirklich zu Thüringen wäre. „Gottlob!" rief er, „daß wir hier sind, das ist das Hel­ grevenhaus, und hier sehe ich St. Jürgentor und die Leute, die davor stehn und über Feld gehn wollen."

Sobald die Ankunst der beiden Gäste denen auf der Wartburg kund wurde, befahl der Landgraf, sie ehrlich zu

empfahen. KlLngsor behielt seine Herberge in Hellegrafen­ hof zu Eisenach: und als er des Abends im Garten seines Wirts saß und viele ehrbare Leute aus des Fürsten Hofe und ein Teil der Bürger aus der Stadt bei ihm saßen und tranken den Abendtrank, da baten sie ihn, daß er ihnen etwas Neues sagen wollte, wie er denn immer dergleichen wußte, und darum so war man gern bei ihm. Da stund er vor ihnen auf und sah das Gestirne mit Fleiß eine Weile an und sprach darauf: „Ich will euch neue und fröhliche Mär sagen: heint, in dieser Nacht, wird meinem Herrn, dem Könige Andreas von Ungarn, eine Tochter geboren ; die wird schön, tugendreich und heilig und dem Sohne eures Herrn, des Land­ grafen, vermählt werden." Wie die Kunde hiervon vor den Landgrafen Hermann und seine Gemahlin kam, freuten sie sich dieser Weissagung überaus und entboten den weisen Meister aufs neue zu sich auf die Wartburg und an den fürstlichen Tisch. Nach dem Mahle begab man sich in das Ritterhaus, wo die Sänger zur Austragung ihres Wettstreites sich versammelt hatten. Klingsor machte Heinrich von Ofter­ dingen ledig und versöhnte die Sänger miteinander; und nachdem er alles gut und wohl ausgerichtet, nahm er Urlaub vom Landgrafen und fuhr, mit Geschenken reich belohnt, samt seinen Knechten in der Decke wieder weg, wie und woher er gekommen war.

Karl Friedrich Becker.

102. Die Entdeckung Amerikas. Mit dem Ende des Julius 1492 war alles zur Ab­ reise fertig. Drei höchst mittelmäßige Schiffe, von denen die beiden kleineren nicht viel mehr als große Boote waren, machten die ganze Flotte aus. Die Mannschaft bestand aus 90 Mann, worunter einige Edelleute waren, die teils als Freiwillige, teils auf Isabellens Befehl die Reise mit­ machen wollten. Den 3. August 1492, an einem Freitag, kurz vor dem Aufgang der Sonne, stieß die kleine Flotte Hessel, Lesebuch 6. 12. Aufl.

M. 9

Becker.

vom Lande ab, in Gegenwart unzähliger Zuschauer, die die kühnen Abenteurer mit Blicken und Zurufen begleiteten. Die ersten Wochen hatte noch alles guten Mut, denn noch segelte man in bekannten Gewässern den kanarischen Inseln zu. Nur da ein Steuerruder brach, plagte sich die Furcht­ samkeit mit bösen Ahnungen. Die Inseln wurden indessen glücklich erreicht, und auf einer derselben legte man an, um Schiffe auszubessern. Am 6. September fuhren sie wieder ab und gerade ins Weltmeer hinein gegen Westen. Der regelmäßigste Wind, der auch bis zu Ende anhielt, begünstigte die Fahrt, und schon am folgenden Tage war alles Land aus ihren Augen verschwunden: Entsetzlicher Zustand für Menschen, die sich zum ersten Male von der ganzen lebendigen Welt abgeschnitten sahen, auf einem Ge­ zimmer von Balken und Brettern den wilden Wogen preis­ gegeben, keine Aussicht ringsumher als auf ein unge­ heueres Meer und den weiten Himmel, immer tiefer hin­ eingetrieben, ohne zu wissen wohin, und von einem Ver­ wegenen angeführt, der keine andere Kunde vom Ziel hatte, als die seine Phantasien ihm vorspiegelten! Kolumbus flößte ihnen indessen durch seine eigene Ruhe Bewunde­ rung und Vertrauen ein. Unermüdet stand der edle Mann Tag und Nacht mit Senkblei und Beobachtungsinstrumen­ ten auf dem Verdeck, schlief nur wenige Stunden und zeichnete die kleinsten Beobachtungen auf. Wo er Angst imb Traurigkeit bemerkte, da redete er freundlich zu und heiterte die Murrenden mit Versprechungen auf. Es war zu bewundern, welche Herrschaft über die Gemüter ihm zu geböte stand. Aber die Angst der zagenden Seelen wuchs doch immer wieder über. Als die Schiffe in den Strich des Passatwindes kamen, schossen sie wie Pfeile dahin. Gott im Himmel, was sollte daraus werden? Am 1. Oktober hatten sie schon 770 Seemeilen durchflogen. Kolumbus gab zwar den Fragenden weit weniger an, aber das konnte sie nicht trösten. Hin und wieder stellte sich Ursache zur Hoffnung ein. Man sah unbekannte Vögel. Aber man

wußte nicht, daß die Seevögel viele hundert Meilen weit fliegen können. Einmal war die See mit grünem Meerjgrase so dicht bedeckt, daß die Schiffe fast im Laufe auf­ gehalten wurden. Aber Gras und Vögel verschwanden nach einigen Tagen wieder, und die armen verlassenen Men­ schen sahen sich wieder auf dem weiten, öden Ozean allein. Jetzt wandelte sich in den Verzagtesten die Furcht in Ver^ zweiflung. Sie stellten ihren rasenden Führer mit der größten Wut zur Rede, sie drohten ihn über Bord zu werfen, wenn er nicht umkehre. Noch einmal besänftigte er sie durch sein ruhiges, heiteres Vertrauen, er stellte sich, als wenn er mit seinen bisherigen Fortschritten sehr zufrieden sei und gewisse Hoffnungen habe, sein Ziel bald zu erreichen. Bögel erscheinen und verschwinden wieder; die Sonne geht auf und unter und wieder auf, und die Schiffe fliegen noch immer pfeilschnell nach Westen. Die Verzweiflung kennt keine Mäßigung mehr, man will Hand an Kolumbus legen. Nur der Gedanke, wer sie zurück­ führen solle, wenn er ermordet sei, hält sie noch ab. Er verlangt noch drei Tage. Sähe man dann noch kein Land, so wolle rr umlenken. Das gehen sie knirschend ein. Ani folgenden Tage erreichte das Senkblei schon den Grund, Rohr und ein Baumast mit roten Beeren schwammen auf sie zu, und Landvögel besuchten die Masten. Die Sonne war eben untergegangen. Noch sah man nichts, aber Kolumbus ließ die Segel einwickeln, um nicht etwa bei Nacht auf Klippen gestoßen zu werden. Zwei Stunden vor Mitternacht erblickte er ein Licht von ferne. „Land! Land!" erscholl es jetzt aus jeder Brust. Man stürzte einander in die Arme, einer schluchzte vor Freuden an des andern Brust, und Kolumbus hatte die Befriedigung, alle, die vor­ her sein Leben bedroht hatten, zu seinen Füßen zu sehen. Nach der ersten Trunkenheit des Entzückens erinnerte man sich seiner höheren Pflicht und stimmte mit innigster An­ dacht ein Tedeum an. Die ganze Nacht ward mit Aus­ rufungen der Freude und mit Lobeserhebungen gegen den

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Becker,

«ölsche.

Admiral hingebracht, und als der Morgen anbrach, sahen sie eine schöne grüne Insel vor sich liegen. Mit Sonnen­ aufgang bestiegen sie nun die Boote und ruderten mit Kriegsmusik, fliegenden Fahnen und anderm Gepränge dem Lande zu. Am Ufer hatte sich fast das ganze Völkchen der Einwohner versammelt, die ebenso sehr über die seltsamen Gäste erstaunten, als sie selber bei diesen Staunen er­ regten. Sie waren ganz nackt, von einer rötlichen Kupferfarbe. Kolumbus, in einem reichen Kleide und den bloßen Degen in der Hand, stand an der Spitze des ersten Boots, welches ans Land stieß, um der erste Europäer zu sein, der die neue Welt beträte. Ihm folgten die andern, und in dem unaussprechlichen Gefühle des glücklich geretteten Lebens nach mehr als vierzigtägiger Todesangst auf schwankenden Brettern, warfen sie sich alle nieder und küßten mit Inbrunst die sichere Erde. Das war das Dank­ opfer der Natur; ein anderes schrieb die Religion ihnen vor: sie errichteten ein Jesuskreuz und stammelten vor demselben ihre frommen Gebete. Hierauf nahm Kolum­ bus die Insel für den König von Spanien in Besitz, mit den Zeremonien, die die Portugiesen bei ihren Entdeckungen in Afrika zu beobachten pflegten. Die Indianer sahen das mit an und begriffen natürlich nichts davon, wie ihnen denn die ganze Erscheinung weißer Männer mit Bärten und Kleidern, einer seltsamen Sprache und noch seltsameren Manieren überhaupt etwas Unbegreifliches sein mußte. Man merkte es den Wilden ab, daß sie ihre Insel mit dem Namen Guanahani bezeichneten, und so heißt sie auch noch jetzt.

Wilhelm Bölsche. 103* Die Küche der Urzeit. In der uralten Tradition stehen jene beiden Bilder: der Mensch am Anfang seiner Existenz in einem schönen grünen Paradiesgarten, wo ihm die süßen Früchte in den

Mund hängen, und der Mensch, hinausgejagt ins Dornenfcld, in Not und Mühe sein karges Brot sich suchend, frierend und hungernd. Es ist, als hätten das achtzehnte und das neunzehnte Jahrhundert sich in diese Bilder ge­ teilt. Im achtzehnten träumte man den wirklichen Men­ schen der Urzeit in einem paradiesischen Naturzustand. Man dachte an jene köstlichen Südseeinseln, wo der Brot­ fruchtbaum wächst und ewiger Sommer ist. Und der gute Rousseau baute sich daraus eine selige Urinsel auf, wo eitel Tugend, Liebe und Sättigung des Leibes und der

Seele herrschten. Im nüchternen neunzehnten Jahrhundert umgekehrt grub man alte Knochen, Scherben, Pfahlbaumpflöcke und Müllhaufen aus Höhlen und Sümpfen, und es erschien der Steinzeitmensch, ein armer, nackter, vertriebener Adam, der mit Höhlenbären und Mammuten kämpfte, während hinter ihm die Lawinen der Eiszeit donnerten. Mit ge­ bratenem Mammutrüssel und Höhlenbärenschinken beginnt in der Tat der nachweisbare Ur-Speisezettel der Mensch­

heit.

An den Ostküsten der dänischen Inseln liegen allent­ halben dicht am Meer seltsame Dämme. Bis zu drei Metern werden sie hoch, bis zu sechzig manchmal breit. Kjökkenmöddinger nennt man sie im Lande. Das sind buch­ stäbliche Müllhaufen, Küchenabfallhaufen. Es ist ein un­ geheures Monument, das unsere entlegensten Altvordern sich selbst gesetzt haben, indem sie etwas sehr Schlichtes taten, das sonst nicht mit Denkmälern gefeiert zu werden pflegt, nämlich tapfer aßen. Der vielbewährte Brauch der Berliner Grunewaldbe­ sucher stand bei ihnen bereits in hohen Ehren, alle Schalen, Knochen, Gräten und zerbrochenen Geschirre hübsch anl Fleck der Mahlzeit liegen zu lassen. Ort der Mahlzeit war traditionell in ungezählten Generationen die Meeresküste. Und da niemand wehrte, so kam im Laufe der Zeiten folgerichtig zustande, was dem

Grunewald auch winkt: es bildete sich rings um die Insel eine Art geologischer Kulturschicht, ein unverwüstlicher Äamm von Küchenkehricht. Andersen, der liebe Dänendich­

ter, sagt so hübsch: „Vergoldung vergeht, Schweinsleder besteht". Die ganze Nation von Steinzeitmenschen, die da gearbeitet, verging endlich bis auf die letzte Spur. Aber die Kjökkenmöddinger bestehen heute noch............ Es war ein Volk jener vorgeschichtlichen Steinzeit, das hier ge­ haust ünd getafelt hat.

Die große wilde Eiszeit, in der ganz Dänemark unter Gletschereis begraben lag, war allerdings schon vorüber. Aber das Klima war noch wesentlich unwirtlicher als jetzt. Der wundervolle lichtgrüne Buchenkranz, der heute Däne­ marks Stolz ist, existierte noch nicht, Düstere Fichtenwäl­ der, wie sie heute wild dort nirgendwo sich finden, bedeck­ ten Land und Küste. Arm war die Kultur der Menschen im Schatten dieses Fichtenurwaldes. Wir sehen an den Resten ihrer Habe in den Müllhaufen selbst ihre Atmut: rohe Messer und Werkzeuge von Feuerstein, Knochengrüst, verarbeitete Geweihstücke, ganz ungefüges Tongeschirr, aber keinerlei Metall und kein Anzeichen von Ackerbau.

Und doch, wie es geht: ein Feinschmecker von heute, vor die Kjökkenmöddinger gestellt, möchte am Ende doch gar meinen, er stehe auf der Kehrichtkiste des Rousseauscheu Paradieses. In der Stadt Kopenhagen wird noch heute, wie weltbekannt, eine gar gute Tafel geführt. Aber es ist kein Gedanke mehr an die Austernverschwendung, die jene Stein- .und Hornleute des Fichtenwaldes offen­ bar jahrhundertelang systematisch betrieben haben. Den ganzen Grundstock jener Mülldämme nämlich bilden Austern­ schalen. Der philanthropische Zukunftstraum war hier schon einmal VergaNgenheitstätsache: Austern als Bolksnahrung. Die Möglichkeit beweist zugleich, wie weit diese Tage

zurückgehen. Denn die Auster ist heute überhaupt kein Freund der Ostsee mehr, weil sie salziges Wässer vorzieht.

Als über dem dänischen Ostseestrand noch die Fichte ragte, da muß auch das Wasser dieser Ostsee noch tvemger durch Zuflüsse versüßt gewesen sein, als es heute der Fall ist. Man erinnert sich, daß während der ganzen Eiszeit die großen Flüsse, die heute in die Ostsee fließen, Oder und Weichsel, hinter der Eisbarriere nach der Elbe zu ab­ flossen und mit dieser in die Nordsee gingen. Wie dem nun sei: die dänische Auster war damals Trumpf. Mit andern eßbaren Muscheln mag sie das eigentliche Zugericht zu allem „Konsistenteren" gebildet haben, die Kartoffel der

llrzeit, die man als selbstverständlich rechnete.

Wo die Schale der Auster sich treu durch alle Jahr­ tausende erhalten hat, da ist natürlich auch der Knochen des zugehörigen Bratens liegen geblieben. Braten Konnten

sie schon, die Vorgeschichtler. Steppenbrände, bei denen Tiere unfreiwillig gebraten wurden, haben den Urmenschen wahrscheinlich zuerst auf den Geschmack am Bratfleisch ge­ bracht. Das schmeckte in seiner salzigen Aschenkrüste köst­ lich und hielt sich sehr viel länger als frisches. Jp der großen Eiszeit mit ihren furchtbaren. Wintern ist dann wohl die stolze Kulturtat geschehen, daß das Feuer vom

Menschen eingefangen, zur Herdflamme gezähmt wurde. Er lernte. es als Funken auffangen, der aus dem zerschlagenen Feuersteine sprühte. Er lernte es beim Schaben von Holz­ mehl gewinnen — erst wollte er bloß solches Schabemehl herstellen, um die Glut, die ein Blitzstrahl oder VülkanLrand gegeben, zu bewahren — dann lernte er, daß beim Schaben das Holz selbst warm wurde, sich entzündete, und Prometheus war fertig. Er ist auch der größte Küchenheilige. Mit der Herdflamme begann die Kochkunst.

In den Kjökkenmöddingern liegen immerzu Feuer­ stellen, geschwärztes, verkohltes Holz, Asche, angeglühte Steine, gesengte Knochen. Gedampft und gebrodelt hat es schon bei diesen Austernessern nach Herzenslust zu den Ur­ waldfichten empor. Es- war Getier dieses Urwaldes, das in der Asche

Hörner müssen damals im Thüringerwald so Häusig gewesen sein, wie heute die Rehe. Es war nicht genau dieselbe Sorte wie heute in den warmen Ländern. Ein dicker, rot und weitz gescheckter Pelz bedeckte die Haut als Schutz­ mittel gegen die Kälte. Noch heute schmeckt dem Neger das Nashornfleisch vortrefflich, obwohl die Europäer nichts davon wissen wollen. Den Weimarern der Steinzeit aber ist es wahrscheinlich noch mehr auf die Masse, die solch ein Kolotz an Nahrung für einen ganzen Stamm bot, ange­ kommen, als auf die Fcinschmeckerei. Immerhin merkt man an den Knochen, die heute noch angebrannt auf der alten Feuerstätte herumlagen, als man den Kalktuff aufgrui, recht gut, wie die Steinzeitler sich hauptsächlich Wer junge Tiere hergemacht haben. Sie lietzen sich zweifellos leichter fangen und schmeckten obendrein zarter. Alles in allem dürfte das Rhinozeros in Europa vom Menschen schlietzlich „aufgegessen" worden sein. Die Menschen mehr­ ten sich rasch und erfanden immer mehr Fallgruben, Gift­ pfeile und andere hübsche Sachen zu Gunsten ihrer Küche. Damit konnten die schwerfälligen Ungetüme nicht Schritt halten, und zu irgend einer Stunde hat die letzte deutsche Nashornkeule sang- und klanglos an irgend einem Bratspietz ihre Bestimmung erfüllt. Elefantenfleisch ist gröber als Ochsenflcisch. Ein Stück Borderfutz mutz vierundzwanzig Stunden gekocht werden, um zart zu werden, aber Fleisch und Bouillon sind dann gleichermaßen vortrefflich. Der Rüssel, in der Asche ge­ braten, gehört zur Feinschmeckerei. So ähnlich, denke ich, werden die Dinge also auch beim Mammut gelegen haben, das ja nur ein großer, dick mit rotem Wollpelz belleideter Elefant mit toll gekrümmten Stoßzähnen war.

Wo immer man in den Kjökkenmöddingern wühlt, immer stellt sich eine gewisse epikureische Wehmut ein, wie viel Gutes unserer Küche seitdem verloren gegangen ist. Da liegen die großen gelben Nagezähne des Biebers. Den kennt nun unsere deutsche Luxusküche auch schon nicht mehr.

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Brentano.

und damals war er ein Volksgericht. Es gibt noch alte Rezepte: daß er mit Seerosen sich gemästet haben müsse, um gut zu schmecken, und ähnliche schöne Sachen. Es hat sogar sicher nicht zum wenigsten an der Ausrottung des deutschen Bibers mitgetan, daß er einen so exquisiten Bra­ ten gab. Und wer möchte nicht auch vom „Riesenalk" gekostet haben, einem großen, flugunsähigen Tauchvogel, dessen ab­ geknabberte Gerippteilchen in dem uralten Kehricht stecken. Total ausgestorben heute, steht er bloß als ausgestopster Balg noch in einigen Museen. Zehntausend Mark zahlt man für einen Balg, sechstausend für das Ei. Ein anderer großer Vogel, den die Kjökkenmöddingerschlemmer fleißig aßen, war der Auerhahn. Gerade er ist ein Beweisstück, daß damals Dänemark noch Fichtenwald hatte, denn er ist selbst ein Schlemmer in jungen Fichtentrieben. Heute ist er vor dem Laubwald, der das Land erobert hat, längst völlig verschwunden.

Klemens Brentano. 104. Das Märchen vom Müller Ravlauf. 1. Wie der Müller Radlauf dem Rhein ein Lied

sang und einen Traum hatte. Im Rheingau, wo jetzt Rüdesheim liegt, stand vor undenklichen Zeiten eine einsame Mühle am Rhein, um­ geben von einer grünen und blumenreichen Wiese. Auf dieser Mühle wohnte Rüdlauf, ein junger, frommer Müller­ bursche. Er lebte mit der ganzen Welt in Frieden, gab den Armen gern ein Mätzchen Mehl umsonst und streute seine Brosamen den Fischen und Bögeln aus. Jeden Abend setzte er sich auf den Mühldamm hinaus und hatte da seine

Freude an den schönen grünen Wellen des Rheins, an den Ufern, die sich spiegelten, und den Fischen, die vor Lust

ans der Flut emporsprangen. Ehe er aber schlafen ging, flocht er immer noch einen schönen Blumenkranz und sang dem alten Rhein ein Lied vor, ihm seine Ehrfurcht zu beweisen. Am Schlüsse des Liedes warf er dann den Kranz in die Wellen, die ihn freudig hinunter trugen, und wenn Radlauf den Kranz nicht mehr schwimmen sah, ging er ruhig nach seiner Mühle, um zu schlafen. Das Lied aber, welches er gewöhnlich sang, lautete also: Nun gute Nacht! mein Leben, Du alter, treuer Rhein! Deine Wellen schweben Klar im Sternenschein; Die Welt ist rings entschlafen. Es singt den Wolkenschasen Der Mond ein Lied.

Mich aber lehrst du singen : Wenn dich mein Aug ersieht, Ein freudeselig Klingen Mir durch den Busen zieht; Treib fromm mir meine Mühle, Jetzt scheid ich in der Kühle Und schlummre ein.

Der Schisser schläft im Nachen Und träumet von dem Meer; Du aber, du mußt wachen Und trägst das Schiss einher; Du führst ein freies Leben, Durchtanzest bei den Reben Die ernste Nacht.

Ihr lieben Sterne, decket Mir meinen Vater zu! Bis mich die Sonne wecket. Bis dahin mahle du; Wirds guts, will ich dich Preisen, Dann sing in höher» Weisen Ich dir ein Lied.

Wer dich gesehn, lernt lachen; Du bist so freudenreich, Du labst das Herz der Schwachen Und machst den Armen reich; Du spiegelst hohe Schlösser Und füllest große Fässer Mit edlem Wein.

Nuy> werf ich dir zum Spiele Den Kranz in deine Flut; Trag ihn zu seinem Ziele, Wo dieser Tag auch ruht; Gut Nacht, ich muß mich wenden. Muß nun mein Singen enden, Gut Nacht, mein Rhein!

Tiefes Lied und der Kranz freuten den alten Rhein immer gar sehr; er gewann den Müller Radlauf darum gar lieb und trieb ihm sein Rad gar ordentlich, nicht zu langsam und nicht zu geschwind. Einstens träumte dem Müller, er gehe auf seine Wiese und wolle dem alten Rhein den gewöhnlichen Blumenkranz winden, er finde aber auf der Wiese 1 gar keine anderen Blumen- als nur Rittersporn und Kaiserkronen und Königs­ kerzen uib Schwertlilien und Ehrenpreis und dergleichen vornehme, ritterliche Gewächse, er aber scheue sich mit seinen

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Brentano.

bürgerlichen Händen nicht, breche die edlen Btmnen nach Herzenslust und freue sich, feinem alten Freund, dem MigKeu der Flüsse, einen recht prächtigen Kranz daraus zu winden. Als er mm diesen int Traum 4n die Wellen warf, tauchte unter demselben ein alter, sehr ernsthafter und doch lieb­ reicher Mann aus der Flut; sein grünes Schilfhaar war mit einer goldenen Rebenkrone umgeben, in deren Zweigen der Mumenkranz Radlaufs ruhte. In den Sinnen hielt er ein wunderschönes Jungfräulein und setzte sie vor Rad­ lauf, der am Ufer niedergekniet war, auf den Strand. Tie

Jungfrau, träumte er weiter, habe sich ihm freundlich ge­ naht, ihm eine köstliche alte Krone ausgesetzt und ihn dann an der Hand aufgehoben, um ihn nach seiner Mühle zu begleiten. Aber da er mit ihr über die Wiese gegangen^ sei auch gar kein anderes Kraut mehr darauf zu sehen gewesen, als nur Mausohr, worüber sie beide sehr er­ schrocken seien; denn das Mausohr sei dermaßen gewachsen, daß es sie ganz umklammert habe, dann aber sei ein Kraut, Katzenschwanz, emporgeschossen und habe das Mausohr ganz wieder verschlungen. Während alledem sah er int Traume den alten Wassermann in dem Rheine zornig herumspringen und ganze Berge von Wellen in die Höhewerfen, und seine Mühle schimmerte ihm wie ein Schlosi ant Bergfuß entgegen. Darüber erwachte der Müller in großen Ängsten. 2.

Wie des Müllers Traum wahr geworden. Der Traum war so lebhaft gewesen, daß Radlauf sich die Augen nicht lange rieb. Er sprang von seinem Lager

und eilte hinaus auf die Wiese, um nach den vornehmen Blumen zu sehen, von denen er geträumt hatte. Da war alles wie sonst: Gänseblümchen die Menge und hier und da ein frisches Maiglöckchen und viele Butterblumen, auch int Schatten noch einige Veilchen. Die Sonne guckte eben mit den äußersten Spitzen ihrer goldenen Augenwimpern

über den Rochusberg, welcher der Mühle gegenüber jen­ seits des Rheins lag, hervor. Radlauf trat auf den Mühl­ damm heraus, den Rhein zu beobachten; denn sein Traum stand ihm so klar vor Augen, daß er glaubte, es müsse alle Augenblicke der alte Wassermann hervortauchen und ihm die schöne Prinzessin entgegenreichen. Wie er so auf die Wellen niedersah, hörte er auf ein» anal eine herrliche Musik; da zitterte ihm das Herz vor Ireude, und er dachte schon, das könne etwas bedeuten. Als aber plötzlich Pauken und Trompeten durch die Luft tönten und aus dem Echo wiederschmetterten, hob er feine Micke den Rhein aufwärts und sah von Mainz herab ein goldenes Schiff fahren, worauf der König und die Königin Don Mainz nebst ihrer Tochter, der Prinzessin Ameleia, saßen, umgeben von vielen Hofdamen, Kammerherren, Rittern und Musikanten. Merkwürdig war in dieser Ge­ sellschaft, daß der größte Teil der Dienerschaft keinen An­ teil an der Musik zu nehmen schien; denn der ganze Hof­ staat hatte nur Ohren für das Schnurren und Spinnen einer großen Katze mit funkelnden Augen, die auf dem Schoße der Königin ruhte und mit dem Schweife wedelte. Alle schienen hierin eine Vorbedeutung großer Ereignisse zu sehen. Die mächtigen Leute hatten damals den Brauch, ge­ wisse bedeutungsvolle Tiere als Hof- und Leibtiere mit sich .herumzuführen, welche lebendige Würdeträger innerlicher Eigenschaften und Geistesrichtungen ihres Stammes oder ihrer Person waren. Manche führten Löwen, Adler, Bären, Leoparden, Falken, Schwäne, Kraniche und dergleichen Tiere bei sich, diese alte Königin aber eine Katze. Diese Tiere waren zu einer großen Ruhe und Gleichmütigkeit erzogen und durften nur int äußersten Fall durch ein bescheidenes, vieldeutiges Zeichen ihre innere Gemütsstimmung bemerklich machen. Denn von ihrem Betragen hing Glück und Leben von Land und Leuten ab. Heute aber war die Aufmerksamkeit nicht ohne Ur­ sache auf das Betragen der Katze gerichtet; denn die könig-

Uche Familie, fuhr dem versprochenen Bräntigam ihrer ein­ zigen Tochter, der Prinzessin Ameleia, entgegen, dem Prinzen. Rattenkahl von Trier, der mit der alten Königin von Trier den Rhein herauffahren sollte. Es war nicht ganz unbe­ kannt geblieben, daß diese Familie ein Hof- und Leibtier von sehr verschiedener Gemütsart mit sich führte; aber ein altes Staatslied enthielt die Prophezeiung, daß am Binger­ loch durch Zusammenkunft von Katz und Ratz eine hohe, glückliche Verbindung und eine neue glückliche Zeit ein­ treten sollte. Das Liedlein sagte folgendes: Gute Zeit, wenn Ratz und Katz Einig auf des Rheines Flut Hingeleiten Schatz zu Schatz, Alles wird dann werden gut. Glück, dann hält des Rades Lauf Hochzeitskranz und Krone auf.

Weil nun die Familie des Prinzen Rattenkahl eine aus­ gezeichnete Ratze mit sich zu führen pflegte, so hielt man das heutige Begegnen der beiden Schiffe, welche Ratz und» und Katz und auch den herzallerliebsten Schatz, die Prinzessin Ameleia, mit sich führten, für die Erfüllung jenes alten. Reimes, und die Hofmusikanten spielten gar keine andere Melodie, was schier langweilig war. Tie schöne Ameleia. war sehr begierig, ihren Bräutigam zu sehen, mit welchem ihr ein so großes Glück kommen sollte, und sie hatte sich« ganz vornhin auf den Schnabel des Schiffes gesetzt, so daß ihre blonden Locken wie ein goldenes Wimpel wehten. Sie trug ein grünsamtenes Kleid, mit goldenen Träublein ge­ stickt, und spielte mit einem goldenen Ruder nachlässig in den Wellen, während sie dann und wann durch die hohle Hand in das dunkle Felsental hineinsah, in welches sich, der Rhein aus dem heiteren und lichten Rheingau ergießt, alswolle er mit seinem feurigen Wein einen kühlen Keller suchen. Radlauf wendete kein Auge von der schönen Prin­ zessin; denn ihm schien nicht anders, als daß sie die nämliche sei, welche ihn im Traum so sehr erfreut hatte. Dazu kam noch, daß er in dem Gesänge von dem Schiffe her, in den Worten

„Schatz, Glück, Lauf" immer von einem besonderen Glück zu hören glaubte, das dem Radlauf begegnen sollte. Da erhob sich aber auf einmal ein starker Wind, und

das Schiff der Königin von Trier strich mit vollen Segeln bei dem Bingerloche heraus und war in wenigen Minuten dem Mainzer Schiff sehr nahe. Der Bräutigam, Prinz Rattenkahl, saß auf dem Schiffsschnabel, seine Braut desto eher zu erblicken. Aber er sah nicht zum besten aus. Wenn er gleich ein guter Herr von großen persönlichen Eigen­ schaften sein mochte, so stand ihm doch sein kahler, spitzer Kopf, sein sehr dünner, aber langer Schnurrbart und der enge Pelz von schwarzen und weißen Mäusefellen mit einem langen Rattenschwanz daran sehr unvorteilhaft. Hinter ihm saß auf einem ledernen Stuhl seine Mutter, die Königin von Trier, eine sehr alte Dame, die so beschäftigt war, die große Staatsratze, die ihr auf einem großen Samtkissen im Schoße lag, mit Zuckerbretzeln zu füttern, daß sie von allem um sie her nichts hörte und nichts sah; denn die Ratze schien besonders unruhig und wollte sich irnmer ver­ stecken. Nun kamen sich die Schisse sehr nah, und die Mainzer Musikanten machten einen gewaltigen Lärm mit ihrem alten Staatsgesang, den sie mit Pauken und Trompeten be­ gleiteten. Nun war der wichtige Augenblick der Erfüllung des alten Staatsreims herangekommen; keine Miene verzog sich auf den beiden Schiffen; hier schaute alles nach der Katze,, dort nach der Ratze, welche sich beide auch in äußerster Stille verhielten; man erwartete das große Glück. Die schöne Ameleia, etwas über das Aussehen ihres Bräutigams ver­ legen, wendete ihr Köpfchen gegen Radlaufs Mühle hin, und Radlauf rückte auf den äußersten Rand seines Mühl­ damms ; nun ertönte der alte Staatsreim noch einmal, und die Erfüllung stand nicht länger auf dem Sprung. Die Katze fuhr wie ein Blitz über die schöne Ameleia weg nach der Ratze in das andere Hochzeitschiff hinüber, die ebenso ge­ schwind vor ihr in einen Winkel schoß; die alte Königin

war mit ihrem Stuhle umgefallen; aber, o Unglück! der schönen Ameleia entfiel das goldene Ruder, sie bückte sich darnach und stürzte in die Flut, und plumps! sprang Radlauf mit gleichen Beinen in den Rhein, sie zu retten. Auf den beiden Schiffen war alles in der größten Verwirrung. Die alte Königin schrie wie rasend: „Staats­ ratz! o Staatsratz!" — Die alte Königin von Mainz aber schrie: „Staatskatz! o Staatskatz!" denn der Prinz Ratten­ kahl trieb diese dermaßen mit bem Ruder im Schiff herum, daß sie sich endlich auf den Mastbaum rettete. Diese Ver­ wirrung mehrten die Musikanten noch, die wie toll und rasend drauf los paukten und trompeteten, worüber der König von Mainz endlich so unwillig ward, daß er den Pauker und zwei Trompeter ins Wasser stieß. Da ward es etwas geräumiger und stiller, und er konnte das Jammern der Hofdamen über das Unglück der Prinzessin Ameleia erst verstehen, und nun erhob er ein großes Wehegeschrei. Er trat auf die Spitze des Schiffs, wo sie hinabgestürzt war, und rief dem trierischen Prinzen Rattenkahl zu: „O, teuerster Herr Schwiegersohn! retten Sie Ihre Braut!" Rattenkahl aber hörte und sah nichts vor Zorn über die Katze, die er noch immer herumhetzte, um sie aus dem Schiffe zu bringen, und schrie immer mit seiner Mutter zugleich: „Ins Wasser mit der Katze, sie soll ertrinken!" Da warf der König von Mainz ihm aus Zorn die Krone

an den Kopf, aber sie traf ihn nicht und flog in den Rhiein. Nun wendete sich der König zu seinem Gefolge und rief aus: „Wer mir meine Tochter rettet, der soll sie zur Frau haben und meine Krone dazu!" Einige Ritter spran­ gen in den Fluß, aber ihre Waffen zogen sie alle in den Grund. Mehrere Hofdamen jagte der verzweifelte König nun selbst hinein; aber ihre breiten, steifen Röcke hielten sie oben wie Fischkasten, dabei jammerten sie, es komme ihnen kalt an die Beine, und sie würden von Fischen ge­ bissen. Hierzu raste der König um seine Tochter, die Köni­ gin jammerte um die Katze, die Musikanten spielten und

schrien den Staatsreim in einem betrübten Ton; denn die Damen und Pauker und Trompeter, die um das Schiff herumschwammen, faßten sie an den Haarzöpfen, um sich herauszubelfen. Da tat die aebepte Staatskape plötzlich einen Satz nach dem Mainzer Schiff, sie hatte aber nicht gut gemessen und fiel ins Wasser, worüber Rattenkahl lachte, daß ihm der Mäusepelz auf den Schultern tanzte, seine Mutter aber, die alte, böse Königin von Trier, vor Freuden in die Hände patschte. Sie hatte sich die ganze Zeit mit ausgebreiteter Schürze in den Winkel des Schiffs vor die Staatsratze gesetzt und, um die Katze von sich zu scheuchen, wie ein Hund gebellt. Die Katze aber wurde von einem schwimmenden Edel­ knaben wieder in das Schiff geschleudert. Da Rattenkahl noch mit dem Ruder so nach ihr schlug, daß das Wasser dem König von Mainz die ganze Frisur verdarb, kam dieser in einen solchen Grimm, daß er ausrief: „So wollt ich denn, daß dich das Bingerloch mit Mann und Maus ver­ schlänge und die Felsensteine rings dazu lachten!" Darauf aber erwiderte die Königin von Trier nichts, als mit einer recht spitzigen feinen Stimme: „Ei, daß dich das Mäuschen beiß!" Die Königin von Mainz herzte und trocknete indes ihre Lieblingskatze, und der König wendete seinen ganzen Zorn nun auf sie, weil er behauptete, diese verwünschte Katze habe all das Unglück herbeigeführt; und sie begannen beinahe schon zu raufen, als der alte Rhein das unartige Betragen all dieser häßlichen Herrschaften nicht mehr länger mit ansehen konnte und plötzlich einen heftigen Sturm in seinen Wellen zu erheben begann. Da flogen die beiden Schiffe wie Spreu auseinander. Das Mainzer Schiff flog gegen Mainz, das trierische gegen Koblenz zurück. Da das letzte aber bei Bingen um die Ecke herumfuhr, ward die Verwünschung des Königs von Mainz schon an ihm wahr: der Strudel faßte das Schifflein und drehte es herum wie einen Kreisel, immer geschwinder und geschwinder; da lau­ tete es, als wenn sich ein Riese gurgelte, und auf einmal HeNel. Lesebuch «. 12. Must.

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war das Schiff voll Wasser, und Rattenkahl, seine Mutter und die Ratze verschwanden mit ihm. Tie Felsen aber lachten rings dazu: „Klick, klack, klack!" als wenn man mit tausend Peitschen knallte. So ward der Fluch des Mainzer Königs wahr und der Traum des frommen Müllers Radlauf auch und der alte Staatsreim auch; denn sein Freund, der alte Rhein, trieb dem schwimmenden Radlauf den Schatz, die schöne Ameleia, richtig in die Arme. Mit ungemeiner Anstrengung arbeitete er, die schon halbtote Prinzessin nach seinem Mühl­ damm hinzubringen, und da er merkte, daß er selbst auch die Besinnung zu verlieren begann, umfaßte er die Prin­ zessin mit beiden Armen und rief in Gedanken den Vater Rhein um Hilfe an, der ihn nicht verließ und mit Ameleia gleich neben seiner Mühle, auf der schönen Wiese, ans Land warf, wo sie beide ohnmächtig wie tot nebeneinander lagen.

3. Wie Radlauf die schöne Ameleia in seine Mühle führt und bewirtet.

Ter Rhein war schon wieder ganz ruhig und spiegel­ glatt, und die Sonne schien warm hernieder: da erwachte Radlauf aus seiner Betäubung. Ach! wie war er ver­ wundert, als er die schöne Prinzessin in ihrem grünen goldgestickten Samtrock neben sich im Grase liegen sah. Schnell sprang er auf und kniete wieder vor ihr nieder und flüsterte: „Ach, allerholdseligste Prinzessin! wollen Sie nicht aufstehen und sich in meine Mühle bemühen?" Ta sie aber kein Zeichen von sich gab, kam er in die größte Angst und dachte erst, daß sie wohl gar könne ertrunken sein. Wie er so ihr in das liebliche Angesicht schaute, summte eine kleine, goldene Biene um sie her und wollte sich eben icuuf ihren roten Mund, den sie für eine duftende rote Nelke hielt, niederlassen. Da vergaß Radlauf in der Angst, die Biene möge die Prinzessin stechen, alle seine vorige Schüchternheit und gab der schönen Ameleia, als er die

Biene verjagen wollte, eine ziemliche Ohrfeige, nach welcher sie mit einem tiefen Seufzer die Augen aufschlug und erwachte. Da sie sich endlich aufrichtete und auf ihren Füßen fest wie eine schöne Bildsäule am Rhein dastand und gar nichts von der Ohrfeige zu wissen schien, tat er auch weiter keine Erwähnung davon. Die Prinzessin sah bange den Rhein hinauf, da hörte sie noch in weitester Entfernung eine Trauermusik erschallen, mit welcher das Schiff ihrer Eltern nach Mainz zurück ruderte. Das beruhigte einiger­ maßen ihr Herz; denn wo ihr Bräutigam, der Prinz Ratten­ kahl, hingekommen sein möge, das kümmerte sie gar nicht, weil sie eigentlich aus Schrecken über dessen unangenehmes Aussehen in das Wasser gefallen war. Nun kniete sie nieder und dankte Gott von Herzen, daß er sie so wunderbarlich errettet habe, und wandte sich dann zu Radlauf, dem sie nun auch von Herzen dankte und ihn bat, sie in seine Mühle zu führen, damit sie ein wenig schlafen könne. Radlauf konnte vor Freuden und Entzücken, als die schöne Prinzessin mit ihm sprach, gar kein Wort Vorbringen. Er machte bloß eine untertänige Verbeugung, und als sie nach der Mühle zu wandelte, ging er hinter ihr her. Der Prinzessin gefiel diese Artigkeit des Müllers gar sehr, und sie sah dann und wann um und nickte ihm freundlich mit dem Kopf. Er aber sah ganz beschämt an den Boden, und wie erstaunte er nicht, als er überall, wo die schöne Ameleia ihren Fuß auf die Wiese hinsetzte, lauter Ehrenpreis und Königskerzen und Rittersporn und andere adelige Blumen auf­ blühen sah, worauf er wieder sehr an seinen Traum gedachte. So traten sie in die klappernde und stäubende Mühle, und als er sie in seine Stube gebracht, redete sie mit großer Freundlichkeit einige Worte zu ihm; doch konnte er ihre Stimme nicht verstehen vor dem Mühlgeräusch, und er wollte sich schon wegbegeben, die Mühle festzustellen, aber sie blieb in demselben Augenblick von selbst stehen, was ihn zu einer anderen Zeit gewiß sehr verwundert hätte, ihm aber jetzt gar nicht auffiel, so beschäftigt war er mit seinem

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vornehmen Besuch und besonders mit dem Gedanken, was in aller Welt er ihr wohl für eine Mahlzeit auftischen sollte. Radlauf verbeugte sich vor Ameleia und bat sie, sich cs bequem zu machen; er legte chr weiße Tücher über sein Bett, setzte ihr frisches Wasser hin und feine Kleie zum Waschen, auch sein bestes Handtuch und einen ganz neuen buchsbaumenen Kamm, den er selbst geschnitten hatte, wie auch das Brauthemd seiner verstorbenen Mutter und die Hochzeitkleider derselben, damit sich die Prinzessin umkleiden könne; dann machte er ein Feuer auf den Herd, teils ihr etwas zu kochen, teils auch die durchnäßten Kleider zu trocknen. Alles das tat er still, ohne ein Wörtchen zu sagen. Die Prinzessin war auch ganz still und sah ihm zu, wie er alles so fleißig und bedachtsam und bescheiden besorgte, was ihr etwa angenehm sein könnte. Nun nahm er noch seine eigenen Sonntagskleider aus dem Kasten, hängte sie über den Arm, legte ein Stückchen Kreide auf den Tisch, ließ sich dann auf ein Knie nieder und sprach: „Aller­ holdseligste Prinzessin! wenn Sie sich der wenigen Bequem­ lichkeit in der Stube eines armen Müllers bedient haben, geruhen Sie mit dieser Kreide hier an die schwarze Küchen­ türe Ihre sämtlichen Leibspeisen aufzuzeichnen, damit ich hernach wieder hereinkomme und sehe, womit ich Sie in der Eile zu erquicken vermag." Die Prinzessin war durch die Artigkeit des Müllers sehr gerührt, brach die Kreide entzwei und gab dem Müller ein Stück mit den Worten: „Nimm hin, mein guter Rad­ lauf! begebe dich in die Küche und schreibe auf die andere Seite der Türe deine Leibspeisen, und diejenigen, welche wir beide zugleich werden ausgeschrieben haben, sollst du mir dann bereiten." Radlauf nahm die Kreide und sprach: „Nicht allein dieses, sondern auch alles andere, was Sie wünschen können, schwöre ich. Ihnen zuzubereiten, wenn es in meinem Vermögen steht." Nun machte er eine Ver­ beugung und begab sich nach der Küche. Kaum war Radlauf in der Küche, als er ein hübsches

Feuer auf dem Herd machte und alles Geschirr recht rein­ lich ausscheuerte, wobei er sich immer besann, was er für Lieblingsgerichte aufschreiben sollte; aber es wollte ihm auch gar nichts anders einfallen, als gebrannte Mehlsuppe und Rühreier, denn er hatte sein lebtag nichts anders ge­ gessen und kannte auch kein anderes Gericht. Unter diesen Geschäften und Sorgen horchte er dann und wann nach der Türe hin, ob die Prinzessin etwa schon auf der an­ dern Seite ihre Lieblingsspeisen daran schreibe. Indem hörte er die Prinzessin mit der Kreide an der Türe schreiben, und schnell sprang er mit seiner Kreide auch an die Türe; sie schrieb von außen und er von innen, und sie schrieb

noch lange, als er längst fertig war. Endlich machte sie die Türe auf und sprach: „Jetzt will ich lesen, was ich alles ausgeschrieben; wenn du es nicht hast, so gib mir ein Zeichen." Da las sie: „Gebackene Pflaumen von Wolsenbüttel?" Der Müller mit dem Kopse schüttelt. „Ein verzuckerter Schweinskops?" Der Müller schüttelt mit dem Kopf. „Eine Schneckenleber-Pastete?" Der Müller mit dem Kopfe drehte. „Ein vergoldetes Kalbshirn?" Der Müller schüttelt mit der Stirn. „Lämmerschwänzchen in Honig gebacken?"' Der Müller schüttelt mit den Backen. „Ein kandierter Wasserhase?"" Der Müller schüttelt mit der Nase.

Endlich sagte sie: „Gebrannte Mehlsuppe und Rührei?"' Der Müller sprach: „Es bleibt dabei." Er verbeugte sich demütig vor der schönen Ameleia und sagte: „Sogleich werde ich die Ehre haben. Euer Holdseligkeit zu dienen!" und somit zog er die Küchentüre wieder zu. Ehe er aber das Essen fertig machte, ging Radlauf noch einmal nach seinem Mühlrad, welches vorhin stehen geblieben war, um zu sehen, was es am Gange hindere. Da fand er nun zu seiner großen Verwunderung die Krone des Königs von Mainz, die, als der alte Herr sie in seinem Zorn dem

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Brentano,

Prinzen Rattenkahl an den Kopf hatte werfen wollen, in den Rhein gefallen war, in dem Getriebe seiner Räder hängen, wodurch sie stillgestanden waren. Kaum hatte er sie herausgenommen, so ging die Mühle wieder munter darauf los. Als er nun wieder in die Mühle gehen wollte, sah er jenseits des Rheins einen Trompeter auf dem Rochusberg stehen; der blies, daß es in die Felsen hineinschmetterte, und rief dann etwas mit lauter Stimme aus. Auch sah

er viele Fischer und Taucher auf dem Rhein herumfischen und schwimmen und tauchen und suchen. Einer von diesen sagte ihm nun, der König von Mainz habe dem seine Tochter, die Prinzessin Ameleia, zur GemaUin versprochen, der sie lebendig wieder brächte, und wer sie tot bringe, der solle ein Schloß am Rhein haben, und wer sie samt der verlorenen Krone zurückliefere, der solle sein Nachfolger sein. Radlauf konnte ihn vor Freude gar nicht zu Ende hören; er versteckte die Krone in seinem Busen und hüpfte freudig nach der Mühle über die Wiese hin. Da er in die Küche kam, hätte er beinahe vor Freuden der Prin­ zessin: juchhtzh! mein herzallerliebster Schatz! zugerufen. Tie gebrannte Mehlsuppe und die Rühreier waren fertig geworden. Die schöne Ameleia nötigte den Müller

zu Tisch, und während sie aßen, sahen sie sich immer einander an, und die schöne Ameleia sagte: „Mein lieber Müller, es ist mir niemals so wohl gewesen als bei dir, und wenn du von Adel wärest, wollte ich mit niemand mein Leben zubringen als mit dir!" Radlauf aber sagte zu ihr: „Aller­ schönste Ameleia, ich habe einen reichen Freund, den alten Rhein, er soll uns wohl helfen, er hat Euch mir in die Arme gegeben und wird wohl weiter Rat schaffen. Jetzt aber rüstet Euch, daß ich Euch zu Eurem Vater zurück­ führe." — „Ach", sagte die schöne Ameleia, „mein Vater

ist sehr stolz und geizig, er wird uns gewiß nicht helfen." — „Seid nur ruhig!" sagte Radlauf, „ich habe ein ganz anderes Glöcklein läuten hören!"

Und somit ging er mit Ameleia, die ihn nicht mehr verlassen wollte, hinaus auf die Wiese und bat sie, ihm -u helfen, allerlei Kränze zu machen.

4. Wie Radlauf die Prinzessin Ameleia nach Mainz führt.

Während sie das tat, holte er seinen schönsten Esel und räumte ihn mit bunten Bändern und schmückte ihn mit den Kränzen. Auch die schöne Ameleia wurde mit Blumen geziert Und setzte sich dann auf den Esel. Er selbst setzte die Kwne des Königs auf, tat seine Feierkleider an und führte, in der einen Hand eine blühende Königskerze tragend, den Esel mit der schönen Ameleia nach Mainz. Ihre Gespräche unterwegs waren von lauter Liebe und Freundlichkeit, und sie übereilten sich gar nicht; der Esel machte einen Schritt nach dem andern. In den Dörfern -entstand die größte Freude; jedermann, der ihnen begegnete, pries den guten Müller Radlauf selig und schbiß sich dem Zug an; viele aber eilten mit der frohen Nachricht voraus. Der Zug kam Mainz immer näher, und als die schöne Ameleia die Fenster des Schlosses in der Abendsonne spiegeln sah, weinte sie vor Traurigkeit, und als sie über die lange Rheinbrücke zogen, weinte sie noch viel mehr und sagte zu Lem Müller: „Lieber Radlauf, nimm diesen Ring zum An-gedenken!" und gab ihm einen Ring, „und diesen Kranz, wirf ihn in den Rhein, daß er uns helfe!" Das tat der Müller, und sie zogen in die Stadt ein, vom Volke begrüßt, und vor das Schloß. Der König lag mit der Königin am Fenster, und als Radlauf sie sah, machte er mit dem Esel halt, schwenkte Lie Krone und rief hinauf : „Ich wünsche Euch einen guten Abend, Herr Schwiegervater und Frau Schwiegermutter! -Hier bringe ich Euch meine Braut, Eure Dichter, die schöne Ameleia, lebendig: nun sagt mir öffentlich vor dem Volke

zu, was Eure Trompeter ausgeblasen haben, so sollt Ihr Euer Kind wieder in Eure Arme schließen!"

. sDer König und die Königin wurden totenbleich und wollte» ihre Tochter dem Müller Radlauf nicht geben. Wer der gute, alte Vater Rhein half den beiden, nnd zuletzt wurde doch die Hochzeit gefeiert, und wie der alte König gestorben war, da wurde Radlauf König von Main», nnd Ameleia wurde Königin.!

Raoul France. 105. Die Humusbildung. Wenn man ein wenig von gutem Waldhumus unter dem Mikroskop untersucht, bemerkt man, daß scheinbar tote, braunschwarze Masse reicheres Leben birgt, als uns sonst je auf Erden entgegentritt. Nur ist es in jenem Stockwerk der Feinheit und Kleinheit, das unserm unbewaffneten Auge bereits entgeht. Vor allem sehen wir, daß alle Erd­ krümelchen und verwesenden Blätter und Fasern dicht durch die mannigfaltigsten braun und schneeweiß schimmernden Pilzfäden zusammengesponnen sind. Zwischen ihnen kriecht und wogt eine Schar fremdartig kleinster Wesen: glas­ helle Schleimtropfen, die gleich durchsichtigen Schnecken alles abkriechen, zierliche, braune, wie aus Glassplittern und Sandkörnchen erbaute Gehäuse von vielfachen Formen, die einen wie ein Napf, die andern kelchförmig oder wie eine flache Töpferscheibe, die ganz aus zahllosen, feinsten, braun­ goldig glänzenden Perlchen zusammengesetzt scheint, oder welche mit glasartigen Pokalen, die aus wunderbar feinen, viereckigen, dachziegelartig übereinanderliegenden oder run­ den Kieselplättchen erbaut sind, und wieder andere Gehäuse mit langen, braunen Hörnern. Und aus all diesen vielge­ staltigen Kelchen, Näpfen, Töpfen und Schalen strecken sich zitternd und tastend lange, durchsichtige Fühler oder feine, verästelte Schleimfäden, die gierig ein Körnchen nach dem andern ergreifen und in das Innere ziehen. Zwischen diesen abenteuerlichen Geschöpfen, welche der Zoologe als Wur-

zelfüßler kennt und zu den einfachsten aller Lebewesen rechnet, liegen in den obersten Humusschichten goldiggrün schimmernde Kugeln, einzellige Mgen; dazwischen kriechen Schleimpilze und liegt eine unzählbare Menge der verschie­ densten Fäulnis- und Bodenbakterien. Diese Pilzfäden, Wurzelfüßler, Amöben, Algen, Schleimpilze und Bakterien sind es, denen wir in letzter Hinsicht die üppig grünende Fülle unsrer Pflanzenwelt ver­ danken. Indem sie teils ununterbrochen den Boden durch­ wühlen, jedes Körnchen Erde in seine feinsten Elemente auflösen, es verdauen und in ihrem Körper organisch durch­ gestalten, oder wie Algen, Pilze und Bakterien die ein­ fachsten chemischen Stoffe in den Kreislauf ihres Lebens aufnehmen können und zu höheren Verbindungen chemisch­ umarbeiten, schaffen sie aus den Verwesungsprodukten erst: wieder Nahrungsstoffe für die höheren Pflanzen. Der Pro­ zeß ist im allgemeinen bereits festgestellt, das Wie im einzelnen Falle ist aber noch unklar. Aus den Kreisen, der Naturfreunde und noch mehr aus denen der Natur gleichgültigen hört man so oft die naive Frage: Wozu ist denn nur so nutzloses Zeug, wie Insekten oder Bak­ terien oder Schimmelpilze und Infusorien da? Tiefere Naturerkenntnis läßt solche Frage verstummen. Es ist eine erhabene und in ihren Folgen tiefreligiöse und in die unter­ sten Tiefen des Seins reichende Antwort, welche sie gibt: Alles, was da ist, ist auch notwendig. Die Humusbildung ist ein Exempel, das uns die Be­ deutung dieser Antwort so recht fühlen läßt. Kleinpflanzenund niedere Tiere teilen sich brüderlich in die Arbeit, um den Boden wieder für höheres Pflanzenleben herzurichten. Die Tiere besorgen den mechanischen, die Pflanzen ben. chemischen Teil dieser Arbeit; jene machen den Boden, locker, krümelig und gut durchlüftet, diese bereichern ihn, mit jenen chemischen Stoffen, die für die höheren Pflanzen,, aufnehmbar sind.

Heinrich Heine. 106. Erdgeister, Elfen und Rixen. 1. Erdgeister.

Die Erdgeister wohnen meistens in den Bergen, und man nennt sie Wichtelmänner, Gnomen, Keines Volk, Zwerge. Die Sage von diesen Zwergen ist analog mit der Sage von den Riesen, und sie deutet auf die Anwesenheit .zweier verschiedener Stämme, die einst mehr oder minder friedlich das Land bewohnt, aber seitdem verschollen sind. Die Riesen sind auf immer verschwunden aus Deutschland. Die Zwerge aber trifft man mitunter noch in den Berg­ schachten, wo sie, gekleidet wie kleine Bergleute, die kost­ baren Metalle und Edelsteine ausgraben. Von jeher haben die Zwerge immer vollauf Gold, Silber und Diamanten besessen: denn sie konnten überall unsichtbar herumkriechen, und kein Loch war ihnen zu klein, um durchzuschlüpfen, führte es nur endlich zu dem Stollen des Reichtums. Die Riesen aber blieben immer arm, und wenn man ihnen etwas geborgt hätte, würden sie Riesenschulden hinter­ lassen haben. Auch wollten sich die Riesen niemals zum Ehristentume bekehren. Ich schließe dies aus einer alten dänischen Ballade, wo sich die Riesen zuletzt versammeln >und eine Hoheit feiern. Die Braut verschlingt allein zum Frühstück vier Tonnen Brei, sechzehn Ochsenleiber und acht­ zehn Schweineseiten und trinkt außerdem sieben Tonnen Bier. Freilich bemerkt der Bräutigam: Ich sah noch nie eine junge Braut, die so guten Appetit gehabt hätte. Unter den Gästen befand sich der kleine Mimmering, dessen Klein­ heit einen Gegensatz zu der Gestalt dieser Riesen bildete. Und das Lied endigt mit den Worten: „Klein Mimmering war unter diesem Heidnischen Volke bas einzige Christenkind." Von der Kunstfertigkeit der Zwerge ist in den alten Liedern viel rühmlich die Rede. Sie schmiedeten die besten Schwerter, aber nur die Riesen wußten mit diesen Schwer-

lern dreinzuschlagen. Waren diese Riesen wirklich von so hoher Statur? Die Furcht hat vielleicht ihrem Maße manche Elle hinzugefügt. Dergleichen hat sich schon oft ereignet. Nicetas, ein Byzantiner, der die Einnahme von Konstantinopel durch die Kreuzfahrer berichtet, gesteht ganz ernsthaft, daß einer dieser eisernen Ritter des Nordens, der alles vor sich her zu Paaren trieb, ihnen in diesem schrecklichen Augenblick fünfzig Fuß groß zu sein schien. Die Wohnungen der Zwerge waren, wie schon erwähnt, die Berge. Die kleinen Öffnungen, die man in den Felsen sinket, nennt das Volk noch heutzutage Zwerglöcher. Im Harz, namentlich im Bodetale, habe ich dergleichen viele gesehen. Manche Tropfsteinbildungen, die man in den Gebirgshöhlen trifft, so wie auch manche bizarre Felsen­ spitzen nennt das Volk die Zwergenho«Aeit. Es sind Zwerge, die ein böser Zauberer in Steine verwandelt, als sie eben von einer Trauung aus ihrem kleinen Kirchlein nach Hause trippelten, oder auch beim Hochzeitsmahl sich gütlich taten. Die Zwerge tragen kleine Mützchen, wodurch sie sich unsichtbar machen können; man nennt sie Tarnkappen oder auch Nebelkäppchen. Ein Bauer hatte einst beim Dreschen mit dem Dreschflegel die Tarnkappe eines Zwerges herab­ geschlagen; dieser wurde sichtbar und schlüpfte schnell in eine Erdspalte. Man kann übrigens durch Beschwörungen die Zwerge sichtbar machen.

Die Zwerge zeigten sich auch manchmal freiwillig den Menschen, hatten gern mit uns Umgang und waren zu­ frieden genug, wenn wir ihnen nur kein Leids zufügten. Wir aber, boshaft, wie wir noch sind, wir spielten ihnen manchen Schabernack. In Wyß Bolkssagen liest man fol­ gende Geschichte: Des Sommers kam die Schar der Zwerge häufig aus den Flühen herab ins Tal und gesellte sich entweder hilfreich oder doch zuschauend zu den arbeitenden Menschen, namentlich zu den Mähdern in der Heuernte. Da setzten sie sich denn wohl vergnügt auf den langen dicken Ast eines

Ahorns ins schattige Laub. Einmal aber kamen boshafte Leute und sägten bei Nacht den Ast durch, so daß er bloß, noch schwach am Stamme hielt, und als die arglosen Ge­ schöpfe sich am Morgen darauf niederließen, krachte der Ast vollends entzwei, die Zwerge stürzten auf den Grund, wurden ausgelacht, erzürnten sich heftig und jammerten: O, wie ist der Himmel so hoch Und die Untreue so großl Heut hierher und nimmermehr I

Sie sollen seit der Zeit das Land verlassen haben. Ich bezweifle, daß die Zwerge die Menschen als gute Geister betrachteten; sicherlich vermochten sie an unsern Handlungen nicht unsern göttlichen Ursprung zu erkennen. Wesen von einer andern Natur als die unsrige dürften keine gute Meinung von uns hegen, und der Teufel hält uns für die schlechtesten aller Kreaturen. Ich habe ein­ mal in einer Dorfscheune die Faustkomödie darstellen sehn. Faust beschwört den Teufel und verlangt im Vertrauen auf seine Unerschrockenheit, daß der Teufel ihm in der furchtbarsten Gestalt, unter den Zügen der entsetzlichsten aller Kreaturen erscheine . . . und der gehorsame Teufel erscheint unter der Gestalt eines Menschen. Man weiß nicht recht, weshalb die Zwerge uns zu­ letzt so plötzlich verließen. Es gibt indessen noch andere Traditionen, die ebenfalls den Abzug der Zwerge unserer Necksucht und Bosheit zuschreiben. Zwischen Walkenried und Neuhof in der Grafschaft Hohenstein hatten einst die Zwerge zwei Königreiche. Ein Bewohner jener Gegend merkte einmal, daß seine Feld­ früchte alle Nächte beraubt wurden, ohne daß er den. Täter entdecken konnte. Endlich ging er auf den Rat einer weisen Frau bei einbrechender Nacht an seinem Erb­ senfelde auf und ab und schlug mit einem dünnen Stabe

über dasselbe in die bloße Luft hinein. Es dauerte nicht lange, so standen einige Zwerge leibhaftig vor ihm. Er hatte ihnen die unsichbtar machenden Nebelkappen abge-

ischlagen. Zitternd fielen die Zwerge vor ihm nieder und bekannten, daß ihr Volk es sei, welches die Felder der Landesbewohner beraubte, wozu aber die äußerste Not sie zwänge. Die Nachricht von den eingefangenen Zwergen brachte die ganze Gegend in Bewegung. Das Zwergvolk sandte endlich Abgeordnete und bot Lösung für sich und die gefangenen Brüder und wollte dann auf immer das Land verlassen. Doch die Art des Abzugs erregte neuen Streit. Die Landeseinwohner wollten die Zwerge nicht mit ihren gesammelten und versteckten Schätzen abziehen lassen, und das Zwergvolk wollte bei seinem Abzüge nicht gesehen sein. Endlich kam man dahin überein, daß die Zwerge über eine schmale Brücke bei Neuhof ziehen, und daß jeder von ihnen in ein dorthin gestelltes Gefäß einen bestimmten Teil seines Vermögens als Abzugszoll werfen sollte, ohne daß einer der Landesbewohner zugegen wäre. Dies geschah. Doch einige Neugierige hatten sich unter ine Brücke versteckt, um den Zug der Zwerge wenigsteus zu hören. Und so hörten sie denn viele Stunden lang das Getrappel der kleinen Menschen; es war ihnen, als ob eine

sehr große Herde Schafe über die Brücke ging. Nach einer Variante sollte jeder abziehende Zwerg nur ein einziges Geldstück in das Faß werfen, welches man vor der Brücke hingestellt; und den andern Morgen fand man das Faß ganz gefüllt mit alten Goldmünzen. Auch soll vorher der Zwergenkönig selber in seinem roten Mäntelchen zu den Landeseinwohnern gekommen sein, um sie zu bitten, ihn und sein Volk nicht fortzujagen. Flehentlich erhob er seine Ärmchen gen Himmel und weinte die rührendsten Tränen.

2. Elfen. In den dänischen Volksliedern gibt es zwei Elfensagen, die den Charakter dieser Luftgeister am treuesten zur Anschauung bringen. Das eine Lied erzählt von dem

Traumgesichte eines jungen Fants, der sich auf Elvershöh niedergelegt hatte und allmählich eingeschlummert war. Er träumt, er stände auf seinem Schwerte gestützt, während die Elfen im Kreise um ihn her tanzen und durch Lieb­ kosen und Versprechen ihn verlocken wollen, an ihrem Rei­ gen teilzunehmen. Eine von den Elfen kömmt an ihn heran und streichelt ihm die Wange und flüstert: Tanze mit uns, schöner Knabe, und das Süßeste, was nur immer dein Herz gelüstet, wollen wir dir singen!

Und da beginnt auch ein Gesang von so bezwingen­ der Liebeslust, daß der reißende Strom, dessen Wasser sonst wildbrausend dahin fließt, plötzlich still steht, und in der ruhigen Flut die Fischlein hervortauchen und vergnügt mit ihren Schwänzlein spielen. Eine andere Elfe flüstert r ^anze mit uns, schöner Knabe, und wir wollen dich Runen­ sprüche lehren, womit du den Bär und den wilden Eber besiegen kannst, sowie auch den Drachen, der das Gold hütet; sein Gold soll dir anheimfallen. Der junge Fant widersteht jedoch allen diesen Lockungen, und die erzürnten Jungfrauen drohen endlich, ihm den kalten Tod ins Herz, zu bohren. Schon zückten sie ihre scharfen Messer, da, zum Glücke, kräht der Hahn, und der Träumer erwacht mit heiler Haut.

Das andere Gedicht ist minder luftig gehalten, die Er­ scheinung der Elfen findet nicht im Traume, sondern iw der WirNichkeit statt, und ihr schauerlich anmutiges Wesen tritt uns desto schärfer entgegen. Es ist das Lied von dem Herrn Oluf, der abends spät ausreitet, um seine Hochzeitgäste zu entbieten. Der Refrain ist immer: „Aber das Tanzen geht so schnell durch den Wald." Man glaubt, unheimlich lüsterne Melodien zu hören und zwischendrein ein Kichern und Wispern, wie von mutwilligen Mädchen. Herr Oluf sieht endlich, wie vier, fünf, ja noch mehr Jungfrauen hervortanzen und Erlkönigs Tochter die Hand nach ihm ausstreckt. Sie bittet ihn zärtlichst, in den Kreis einzutreten und mit ihr zu tanzen. Der Ritter aber will

nicht tanzen und sagt zu seiner Entschuldigung: Morgew ist mein Hochzeitstag! Da werden ihm nun gar tierführerische Geschenke angeboten, jedoch weder die Widder» Hautstiefel, die so gut am Beine sitzen würden, noch die güldenen Sporen, die man.so hübsch daran schnallen kann,, noch das weißseidene Hemd, das die Elfenkönigin selber mit Mondschein gebleicht hat, nicht mal die silberne Schärpe,, die man ihm ebenfalls so kostbar anrühmt, nichts kann ihn bestimmen, in den Elfenreigen einzutreten und mitzu-tanzen. Seine beständige Entschuldigung ist: Morgen ist mein Hochzeitstag. Da freilich verlieren die Elfen endlich die Geduld, sie geben ihm einen Schlag aufs Herz, wie er ihn noch nie empfunden, und heben den zu Boden ge­ sunkenen Ritter wieder auf sein Roß und sagen spöttisch : So reite denn heim zu deiner Braut. Ach! als er auf seine Burg zurückkehrte, da waren seine Wangen sehr blaß und sein Leib sehr krank, und als am Morgen früh die Braut ankam mit der Hochzeitschar, mit Sang und Klang, da war Herr Oluf ein stiller Mann; denn er lag tot unter, dem roten Bahrtuch. „Aber das Tanzen geht hin so schnell durch den Wald."

Der Tanz ist charakteristisch bei den Luftgeistern; sie sind zu ätherischer Natur, als daß sie prosaisch gewöhn­ lichen Ganges, wie wir, über diese Erde wandeln sollten. Indessen so zart sie auch sind, so lassen doch ihre Füßchen einige Spuren zurück auf den Rasenplätzchen, wo sie ihre nächtlichen Reigen gehalten. Es sind eingedrückte Kreise, denen das Volk bett- Namen Elfenringe gegeben.

In einem Teile Österreichs gibt es eine Sage, die mit den vorhergehenden eine gewisse Ähnlichkeit bietet, obgleich sie ursprünglich slavisch ist. Es ist die Sage von den ge­ spenstischen Tänzerinnen, die dort unter dem Namen „die Willis" bekannt sind. Die Willis sind Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind. Die armen jungen Geschöpfe können nicht im Grabe ruhig liegen; in ihren toten Herzen, in ihren toten Füßen blieb noch jene Tanzlust, die sie

im Leben nicht befriedigen konnten, und um MitternaK steigen .sie hervor, versammeln sich trup-enweis an den Heerstraßen, und wehe dem jungen Menschen, der ihnen da begegnet! Er muß mit ihnen tanzen, sie umschlingen ihn mit ungezügelter Tobsucht, und er tanzt mit ihnen ohne Ruh und Rast, bis er tot niederfällt. Geschmückt mit ihren Hochzeitkleidern, Blumenkronen und flatternde Bänder auf den Häuptern, funkelnde Ringe an den Fingern, tanzen die Willis im Mondglanz eben so wie die Elfen. ^Jhr Antlitz, obgleich schneeweiß, ist jugendlich schön, sie lachen so schauerlich heiter, so frevelhaft liebenswürdig, sie nicken so geheimnisvoll lüstern, so verheißend; diese toten Bacchantinnen sind unwiderstehlich.

Das Volk, wenn es blühende Bräute sterben sah, konnte sich nie überreden, daß Jugend und Schönheit so jähling gänzlich der schwarzen Vernichtung anheimfallen, und leicht entstand der Glaube, daß die Braut nach dem Tode di« entbehrten Freuden sucht.

Es ist den Volkssagen eigentümlich, daß ihre furcht­ barsten Katastrophen gewöhnlich bei Hochzeitfesten aus­ brechen. Das plötzlich eintretende Schrecknis kontrastiert dann desto grausig schroffer mit der heiteren Umgebung, mit der Vorbereitung zur Freude, mit der lustigen Musik. So lange der Rand des Bechers noch nicht die Lippen berührt, kann der kostbare Trank noch immer verschüttet werden. Ein düsterer Hochzeitgast kann eintreten, den niemand gebeten hat, und den doch keiner den Mut hat fortzuweisen. Er sagt der Braut ein Wort ins Ohr, und sie erbleicht. Er gibt dem Bräutigam einen leisen Wink, und dieser folgt ihm aus dem Saale, wandelt mit ihm weit hinaus in die wehende Nacht und kehrt nimmermehr heim. Gewöhnlich ist es ein früheres Liebesversprechen, weshalb plötzlich eine kalte Geisterhand die Braut und den Bräutigam trennt. Als Herr Peter von Staufenberg beim Hochzeitmahle saß und zufällig aufwärts schaute, er­ blickte er einen kleinen weißen Fuß, der durch die Saales-

Heine

decke hervortrat. Er erkannte den Fuß jener Nixe, womit er früher im zärtlichsten Liebesbündnisse gestanden, und an diesem Wahrzeichen merkte er wohl, daß er durch seine Treulosigkeit das Leben verwirkt. Er schickt zum Beich­ tiger, läßt sich das Abendmahl reichen und bereitet sich zum Tode. Bon dieser Geschichte wird in deutschen Lan­ den noch viel gesagt und gesungen. 3.

Nixen. Die Nixen haben die größte Ähnlichkeit mit den Elfen. Sie sind beide verlockend, anreizend und lieben den Tanz. Die Elfen tanzen auf Moorgründen, grünen Wiesen, freien Waldplätzen und am liebsten unter alten Eichen. Die Nixen tanzen bei Teichen und Flüssen; man sah sie auch tsohl auf dem Wasser tanzen, den Vorabend, wenn jemand dort ertrank. Auch kommen sie oft zu den Tanzplätzen der Menschen und tanzen mit ihnen ganz wie unsereins. Die weiblichen Nixen erkennt man an dem Saum ihrer weißen Kleider, der immer feucht ist. Auch wohl an dem feinen Gespinste ihrer Schleier und an der vornehmen Zierlichkeit ihres geheimnisvollen Wesens. Den männlichen Mx erkennt man darran, daß er grüne Zähne hat, die fast wie Fischgräten gebildet sind. Auch empfindet man einen innern Schauer, wenn man seine außerordentlich weiche, eiskalte Hand berührt. Gewöhnlich trägt er einen grünen Hut. Wehe dem Mädchen, das, ohne ihn zu kennen, gar zu sorglos mit ihm tanzt. Er zieht sie hinab in sein feuchtes Reich. Es liegt etwas so Geheimnisvolles in dem Treiben der Nixen. Der Mensch kann sich unter dieser Wasserdecke so viel Süßes und zugleich so viel Entsetzliches denken. Die Fische, die allein etwas davon wissen können, sind stumm. Oder schweigen sie etwa aus Klugheit? Fürchten sie grau­ same Ahndung, wenn sie die Heimlichkeiten des stillen Wasserreiches verrieten? So ein Wasserreich mit seinen Hessel, Lesebuch 6. 12. Aufl.

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wollüstigen Heimlichkeiten und verborgenen Schrecknisse» mahnt an Venedig. Oder war Venedig selbst ein solches Keich, das rvfüllig aus der Tiefe des adriatischen Meeres zur Oberwelt heraufgetancht mit seinen Marmorpalästen, mit seinen Staatsinquisitoren, mit seinen geheimen Ersäufungsanstalten, mit seinem bunten Maskengelächter? Wenn einst Venedig wieder in die Lagunen hinabgesunken sein mag, dann wird seine Geschichte wie ein Nixenmärchen klingen, und die Amme wird den Kindern von dem großen Wasservolk erzählen, das durch Beharrlichkeit und List sogar über das feste Land geherrscht. Das Geheimnisvolle ist der Charakter der Elfen. Beide sind vielleicht in der ursprünglichen Sage selbst nicht sehr unterschieden, und erst spätere Zeiten haben hier eine Sonderung vorgenommen. Dann gibt es auch Nixen, welche nur bis zur Hüfte menschliche Bildung tragen, unten aber in einen Fischschweif endigen, oder mit der Oberhälfte ihres Leibes als eine wunderschöne Frau und mit der Unterhälfte als eine schuppige Schlange erscheinen, wie Melusine, die Geliebte des Grafen Raimund von Poitiers. Zur Ergänzung der Sagen von Nixen und Elfen habe ich noch von den Schwanenjungfrauen zu reden. Die Sage ist hier sehr unbestimmt und mit einem allzugeheimnisvollen Dunkel umwoben. Sind sie Wassergeister? Sind sie Luftgeister? Sind sie Zauberinnen? Manchmal kommen sie aus den Lüften als Schwäne herabgeflogen, legen ihre weiße Federhülle von sich tote ein Gewand, sind dann schöne Jungfrauen und baden sich in stillen Gewässern. Über­ rascht sie dort irgend ein neugieriger Bursche, dann springen sie rasch aus dem Wasser, hüllen sich geschwind in ihre Federhaut und schwingen sich dann als Schwäne wieder empor in die Lüfte. Der vortreffliche Musäus erzählt in seinen Volksmärchen die schöne Geschichte von einem jungen Ritter, dem es gelang, eines von jenen Federgewändern zu stehlen; als die Jungfrauen aus dem Bade stiegen, sich schnell in ihre Federkleider hüllten und davon flogen.

blieb eine zurück, die vergebens ihr Federkleid suchte. Sie kann nicht fortfliegen, weint beträchtlich, ist wunderschön, und der schlaue Ritter heiratet sie. Sieben Jahre leben sie glücklich; aber einst in der Abwesenheit des Gemahls kramt die Frau in verborgenen Schränken und Truhen und findet dort ihr altes Federgewand: geschwind schlüpft

sie hinein und fliegt davon. Die Schwanenjungfrauen halten manche für die Wal­ küren der Skandinavier. Auch von diesen haben sich be­ deutsame Spuren im Volksglauben erhalten. Sie sind weib­ liche Wesen, die mit weißen Flügeln die Luft durchschneiden, gewöhnlich am Vorabend einer Schlacht, deren Ausgang sie durch ihre geheime Entscheidung bestimmen. Sie pflegen auch den Helden auf einsamen Waldwegen zu erscheinen und ihnen den Sieg oder die Niederlage vorherzusagen. Man liest im Prätorius: Es hat sich dermaleinst begeben, daß König Hother in Dänemark und Schweden, da er auf der Jagd in einem Nebel von den Seinen zu weit abgeritten, zu solchen Jung­ frauen sei kommen, die haben ihn gekannt, mit Namen genennet und angesprochen. Und als er gefragt, wer sie wären, haben sie zur Antwort gegeben, sie wären die, in deren Hand der Sieg stünde im Krieg wider die Feinde, sie wären allezeit im Kriege mit und hülfen streiten, ob man sie gleich mit Augen nicht sehe; wem sie nun den Sieg gönneten, der schlüge und überwinde seine Feinde und behielte den Sieg und das Feld, und könnte ihm der Feind nicht schaden. Wie sie solches zu ihm geredet, sind sie bald mit ihrem Hause und Tempel vor seinen Augen verschwunden, daß der König da allein gestanden ist im weiten Felde, unter offenem Himmel. Der wesentliche Inhalt dieser Geschichte erinnert uns an die Hexen, die Shakespeare in seinem Macbeth auftreten läßt, und die in der alten Sage, welche der Dichter fast umständlich benutzt hat, weit edler als sonst wohl die Hexen geschildert werden.

Alexander von Humboldt. 107. Aus den Ansichten der Ratnr. 1.

Tierleben in den Steppen Südamerikas. Wenn unter dem senkrechten Strahl der -nie bewölkten Sonne die verkohlte Grasdecke in Staub zerfallen ist, klafft der erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erd­ stößen erschüttert. Berühren ihn dann entgegengesetzte Luft­ ströme, deren Streit sich in kreisender Bewegung ausgleicht, so gewährt die Ebene einen seltsamen Anblick. Als trichter­ förmige Wolken, die mit ihren Spitzen an der Erde hin­ gleiten, steigt der Sand dampfartig durch die luftdünne Mitte des Wirbels empor — gleich den rauschenden Wasser­ hosen, die der erfahrene Schiffer fürchtet. Ein trübes, stroh­ farbiges Halblicht wirft die nun scheinbar niedrigere Hinvmelsdecke auf die verödete Flur. Der Horizont tritt plötz­ lich näher. Er verengt die Steppe, wie das Gemüt des Wanderers. Die heiße, staubige Erde, die im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt, vermehrt die erstickende Luftwärme. Statt Kühlung führt der Ostwind neue Glut herbei, wenn er über den langerhitzten Boden hinweht. Auch verschwinden allmählich die Lachen, welche die gelbgebleichte Fächerpalme vor der Verdünstung schützte. Wie im eisigen Norden die Tiere durch Kälte erstarren, so schlummert hier unbeweglich das Krokodil und die Boa­ schlange, tief vergraben im trocknen Letten. Überall ver­ kündigt Dürre den Tod, und überall verfolgt den Dürsten­ den, im Spiele des gebogenen Lichtstrahls, das Trugbild des wellenschlagenden Wasserspiegels. In dichte Staub­ wolken gehüllt und von Hunger und brennendem Durste geängstigt, schweifen die Pferde und Rinder umher, diese dumpfaufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse gegen den Wind anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftstroms die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu erraten.

Bedächtiger und verschlagener suchen die Maultiere auf andere Art ihren Durst zu lindern. Eine kugelförmige und dabei vielrippige Pflanze, der Melonenkaktus, verschließt unter seiner stachligen Hülle- ein wasserreiches Mark. Mit dem Borderfuße schlägt das Maultier die Stacheln seitwärts und wagt es dann erst, die Lippen behutsam zu nähern und den kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen vegetabilischen Quelle ist nicht immer gefahrlos; denn oft sieht man Tiere, welche von Kaktus­ stacheln am Hufe gelähmt sind. Folgt auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der gleichlangen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht der Ruhe sich erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen während des Scklafes vampirartig das Blut aus oder hängen sich an dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erregen, in welche Moskitos und eine Schar stechen­ der Insekten sich ansiedeln. So führen die Tiere ein schmerzvolles Leben, wenn vor der Glut der Sonne das Wasser auf dem Erdboden verschwindet. Tritt endlich nach langer Dürre die wohltätige Regen­ zeit ein, so verändert sich plötzlich die Szene in der Steppe. Das tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt man bei Nacht den schwarzen Raum im Sternbild des südlichen Kreuzes. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im Süden. Nebelartig breiten die Dünste sich über den Zenith aus. Den beleben­ den Regen verkündigt der ferne Donner. Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit mannigfaltigen Gräsern. Bom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen die schlum­ mernden Blätter und begrüßen die ausgehende Sonne, wie der Frühgesang der Bögel und die sich öffnenden Blätter der Wasserpflanzen. Pferde und Rinder weiden nun im frohen Gmuß des Lebens. Im hochaufschießenden Grase versteckt sich der schöngefleckte Jaguar und erhascht die vorüberziehenden Tiere im leichten Sprunge, katzenartig, wie der asiatische Tiger.

Bisweilen sieht man — so erzählen die Eingeborenen — an den Ufern der Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben. Mit heftigem Getöse,

wie beim Ausbruche kleiner Schlammvulkane, wird die auf­ gewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert. Wer des An­

blicks kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesen­ hafte Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodil steigen aus der Gruft hervor, durch den ersten Regenguß aus dem Scheintode erwecket. Schwellen nun allmählich die Flüsse, welche die Ebene südlich begrenzen, der Arauca, der Apure und der Pahara, so zwingt die Natur dieselben'Tiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasserleeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu leben. Ein Teil der Steppe erscheint nun wie ein unermeßliches Binnen­ wasser. Tie Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche inselförmig' über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide schwimmen die zusammengedrängten Tiere stundenlang umher und nähren sich kärglich von der blühenden Grasrispe, die sich über dem braungefärbten, gärenden Wasser erhebt. Biele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwänze zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde und Rinder, die, dem Rachen dieser blutgierigen Eidechsen entschlüpft, die Spur des spitzi­ gen Zahnes am Schenkel tragen. Wo der seichte Strom eine Sandbank übrig läßt, da liegen mit offenem Rachen, unbeweglich wie Felsstücke hin­ gestreckt, oft mit Bögeln bedeckt, die ungeschlachten Körper der Krokodile. Den Schwanz um einen Baumast befestigt, zusammengerollt, lauert am Ufer, ihrer Beute gewiß, die tigerfleckige Wmschlange. Schnell vorgestreckt, ergreift sie in der Furt den jungen Stier oder das schwächere Wild­ bret und zwängt den Raub, in Geifer gehüllt, mühsam durch den schwellenden Hals.

Wenn aber in der Steppe Tiger und Krokodile mit Pferden und Rindern kämpfen, so sehen wir dagegen an ihrem waldigen Ufer, in den Wildnissen der Guyana, ewig den Menschen gegen den Menschen gerüstet. Mit unnatür­ licher Begier trinken hier ganze Völkerstämme das aus­ gesogene Blut ihres Feindes; andere würgen ihn, scheinbar waffenlos, und doch zum Morde vorbereitet, mit vergiftetem Daumennagel. Die schwächern Horden, wenn sie das sandige Ufer betreten, vertilgen sorgsam mit den Händen die Spur ihrer schüchternen Tritte. So bereitet der Mensch auf der untersten Stufe tierischer

Roheit, so im Scheinglanze seiner höheren Bildung sich stets ein mühevolles Leben. So verfolgt den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Meer und Land, wie den Geschichtsforscher durch alle Jahrhunderte das einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts. Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Zwist der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres Wirken: oder hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden der Menschen Brust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Einklang die alte, ewige Bahn vollenden. 2.

Die Gruft eines vertilgten Völkerst a m m e s. Am südlichen Eingänge des Raudals von Atures^), am rechten Ufer des Flusses, liegt die unter den Indianern weit berufene Höhle von Ataruipe. Die Gegend umher hat einen großen und ernsten Naturcharakter, der sie gleich­ sam zu einem Nationalbegräbnisse eignet. Man erklimmt !) Der Raubal, so nennen die Spanier diese Art von Wasser­ fällen, wird durch einen Archipelagus von Inseln und Klippen ge­ bildet, welche das 8000 Fuß weite Flußbett des Orinoko dermaßen verengen, daß oft kaum ein 20 Fuß breites freies Fahrwasser übrig bleibt (Anmerkung des Verfassers).

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Humboldt.

mühsam, selbst nicht ohne Gefahr herabzurollen^ eine steile, völlig nackte Granitwand. Es würde kaum möglich sein, auf der glatten Fläche festen Fuß zu fassen, träten nicht große Feldspatkristalle, der Verwitterung trotzend, zolllang aus dem Gesteine hervor. Kaum ist die Kuppe erreicht, so wird man durch eine weite Aussicht über die umliegende Gegend überrascht. Aus dem schäumenden Flußbette erheben sich mit Wald ge­ schmückte Hügel. Jenseit des Stromes, über das westliche Ufer hinweg, ruht der Blick auf der unermeßlichen Gras­ flur. Am Horizont erscheint, wie drohend aufziehendes Ge­ wölk, das Gebirge. Sv die Ferne; aber nahe umher ist alles öde und eng. Im tiefgefurchten Tale schweben einsam der Geier und die krächzenden Caprimulge (Ziegenmelker). An der nackten Felswand schleicht ihr schwindender Schatten hin. Dieser Kessel ist von Bergen begrenzt, deren abge­ rundete Gipfel ungeheure Granitkugeln tragen. Ter Durch­ messer dieser Kugeln beträgt 40 bis 50 Fuß. Sie scheinen die Unterlage nur in einem einzigen Punkte zu berühren, eben als müßten sie bei dem schwächsten Erdstoße herabrollen. Der hintere Teil des Felstals ist mit dichtem Laub­ holze bedeckt. An diesem schattigen Orte öffnet sich die Höhle von Ataruipe; eigentlich nicht eine Höhle, sondern ein Gewölbe, eine weit überhängende Klippe, eine Bucht, welche die Wasser, als sie einst diese Höhe erreichten, aus­ gewaschen haben. Dieser Ort ist die Gruft eines vertilgten Bölkerstammes. Wir zählten ohngefähr 600 wohlerhaltene Skelette, in ebenso vielen Körben, welche von den Stielen des Palmenlaubes geflochten sind. Diese Körbe, die die Indianer Mapires nennen, bilden eine Art viereckige Säcke, die nach dem Alter des Verstorbenen von verschiedener Größe sind. Ihre Skelette sind so vollständig, daß keine Rippe fehlt. Neben den Mapires oder Körben findet man auch Urnen von halbgebranntem Tone, welche die Knochen von ganzen Familien zu enthalten scheinen. Die größern dieser Urnen sind 3 Fuß hoch und 5*/,

Fuß lang, von angenehmer ovaler Form, grünlich, mit Henkeln in Gestalt von Krokodilen und Schlangen, an dem obern Rande mit Mäandern und Labyrinthen geschmückt. Diese Verzierungen sind ganz denen ähnlich, welche die Wände des mexikanischen Palastes bei Mitla bedecken. Man findet sie unter allen Zonen, auf den verschiedensten Stufen menschlicher Kultur; unter Griechen und Römern, wie auf den Schilder der Otahaiter; überall, wo rhythmische Wiederholung: regelmäßiger Formen dem Auge schmeichelte. Die Ursachen dieser Ähnlichkeiten beruhen mehr auf psychischen Gründen^ auf der inneren Natur unserer Geistesanlagen, als sie Gleich­ heit der Abstammung und alten Verkehr der Völker beweisen. Unsere Dolmetscher konnten keine sichere Auskunft über das Alter dieser Gefäße geben. Die mehrsten Skelette schienen indes nicht über hundert Jahre alt zu sein. Es geht die Sage unter den Guareken-Jndianern, die tapferen Aturer haben sich, von menschenfressenden Kariben bedrängt, auf die Klippen der Katarakten gerettet; ein trauriger Wohnsitz, in welchem der bedrängte Völkerstamm und mit ihm seine Sprache unterging. In dem unzugänglichen Teile des Rawdals befinden sich ähnliche Grüfte; ja, es ist wahrscheinlich, daß die letzte Familie der Aturer erst später ausgestorben sei. Tenn in Maypures (ein sonderbares Faktum) lebt noch ein alter Papagei, von dem die Eingeborenen behaupteir, daß mair ihn darum nicht verstehe, weil er die Sprache der Aturer rede. Wir verließen die Höhle bei einbrechender Nacht, nach­ dem wir mehrere Schädel und das vollständige Skelett einesbejahrten Mannes, zum größten Ärgernis unserer india­ nischen Führer, gesammelt hatten. Das Skelett ist, wie ein großer Teil unserer Sammlungen, in einem Schiffbruche untergegangen, der an der afrikanischen Küste unserm Freunde und ehemaligen Reisegefährten, dem jungen Franziskanermönch Juan Gonzalez, das Leben kostete. . In ernster Stimmung entfernten wir uns von der Gruft eines untergegangenen Bölkerstammes. Es war eine der heitern und kühlen Nächte, die unter den Wendekreisen-

so gewöhnlich sind. Mit farbigen Ringen umgeben, stand die Mondscheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, der in scharfen Umrissen, wolkenartig, den schäu­ menden Fluß bedeckte. Zahllose Insekten gossen ihr röt­ liches Phvsphorlicht über die krautbedeckte Erde. Von leben­ digem Feuer glühte der Boden, als habe die sternenvolle Himmelsdecke sich auf die Grasflur niedergesenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille und gelbblühende Banisterien schmückten den Eingang der Höhle. Über dem Grabe rauschen die Gipfel der Palmen. So sterben dahin die Geschlechter der Menschen. Es verhallt die rühmliche Kunde der Völker. Doch wenn jede Blüte des Geistes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke schaffender Kunst zerstieben, so entsprießt ewig neues Leben aus dem Schoße der Erde. Rastlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur — unbekümmert, ob der fre­ velnde Mensch, ein nie versöhntes Geschlecht, die reifende Hrucht zertritt.

Justinus Kerner. 108. Das Märchen vom Lichte. Die Mädchen des Waldgebirgs saßen im Hirtenhause vertraulich beim Spinnrocken. Der Mond schien durch die runden Fensterscheiben und erhellte das niedere Gemach. Serpentin lag ohnweit des Glockenspiels auf einer Bank an der Wand. Das Haupt hatte er auf den Arm ge­ stützt und war in Träume versunken. Wie der Mond durch das dichte Gezweige des Nuß­ baumes vor dem Hause schien, warf er vorüberziehende Gestalten auf die Wände des Gemaches. Serpentin dachte sich in ihnen Geister, die in fliegenden Gewänden hin­ schwebten, spielende Meerfrauen, kristallhelle Blumen

und Sterne. Seit seinem dritten Jahre immer in den Klüften dieser -Gebirge, in der Nacht dieser Wälder lebend, hatte er noch

keine freie Aussicht gesehen, noch keinen geöffneten Him­ mel, keinen Aufgang oder Niedergang der Sonne. Bücher, die er bei seinem Meister fand, hatten ihm von der größeren Welt manches erzählt, das er sich aber immer auf schwarzem Grund in den brennend hellsten Farben dachte; ja, je beschränkter und tiefer die Wild­ nis der Gebirge und Wälder war, je heller wurden die Gestalten und Flächen, die sich ihm im Geiste vor Augen stellten. Die Mädchen beim Spinnrocken erzählten nach der Reihe Märchen und Geschichten alter Zeit. Serpentin ver­ nahm keins, denn er dichtete sich jetzt gerade selbst eine wundersame Geschichte aus den vorüberschwebenden Mondgestalten, die ihm auch oft wie Ahnungen und Bilder aus seiner frühesten Kindheit vorkamen. Jetzt begann Sililie ihr Märchen, und die ihm liebe Stimme weckte ihn aus seinen Träumen. Sie sprach: Der Mond, der sich dort auf den schwarzen Felsen setzt, mahnt mich an das Märchen, das die Pflegemutter mir so oft erzählte, nächtlich, wenn das helle Glockenspiel im stillen Zimmer hallte. Ich nenne es „Das Märchen vom Lichte", denn es gibt mir immer die hellsten Träume. Serpentin lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit, während Sililie also erzählte:

Es sind wohl zweitausend Jahre oder noch länger, da hat in einem dichten Walde ein armer Hirt gelebt, der hatte sich ein bretternes Haus mitten im Walde erbaut, darin wohnte er mit seinem Weib und sechs Kindern; die waren alle Knaben. An dem Hause war ein Ziehbrunnen und ein Gärtlein, und wenn der Vater das Vieh hütete, so gingen die Kinder hinaus und brachten ihm zu Mittag oder zu Abend einen kühlen Trunk aus dem Brunnen oder ein Gericht aus dem Gärtlein. Dem jüngsten der Knaben riefen die Eltern

nur Goldener; denn seine Haare waren wie Gold, und ob­ gleich der jüngste, so war er doch der stärkste von allen uni» der größte. So oft die Kinder hinausgingen, so ging Goldener mit einem Baumzweige voran, anders wollte keines gehen, denn jedes fürchtete sich, zuerst auf ein Abenteuer zu stoßen; ging aber Goldener voran, so folgten sie freudig eins hinter dem andern nach, durch das dunkelste Dickicht, und wenn auch schon der Mond über dem Gebirge stand. Eines Abends ergötzten sich die Knaben auf dem Rück­ weg vom Vater mit Spielen im Walde, und hatte sich Goldener vor allen so sehr im Spiele ereifert, daß er so hell aussah, wie das Abendrot. „Laßt uns zurückgehen!" sprach der älteste, „es scheint dunkel zu werden." — „Seht da, der Mond!" sprach der zweite. Da kam es licht zwischen den dunkeln Tannen hervor, und eine Frauengestalt wie der Mond setzte sich auf einen der moosigen Steine, spann mit einer kristallenen Spindel einen lichten Faden in die Nacht hinaus, nickte mit dem Haupte gegen Goldener und sang: »Der weiße Fink, die goldene RoS, Die KönigSkron im Meeresschloß."

Sie hätte wohl noch weiter gesungen, da brach ihr der Faden, und sie erlosch wie ein Licht. Nun war es ganz Nacht, die Kinder faßte ein Grausen, sie sprangen mit kläglichem Geschrei das eine dahin, das andere dorthin, über Felsen und Klüfte, und verlor eines das andere. Wohl viele Tage und Nächte irrte Goldener in dem dicken Wald umher, fand auch weder einen seiner Brüder, noch die Hütte seines Vaters, noch sonst die Spur eines Menschen: denn es war der Wald gar dicht verwachsen, ein Berg über den andern gestellt und eine Kluft unter die andere. Die Braunbeeren, welche überall herumrankten, stillten seinen Hunger und löschten seinen Durst, sonst wäre er gar jämmer­ lich gestorben. Endlich am dritten Tage, andere sagen gar erst am sechsten, wurde der Wald hell und immer heller, und da kam er zuletzt hinaus, auf eine schöne grüne Wiese. Da war es ihm so leicht um das Herz, und er atmete mit vollen

Zügen die freie Luft ein. Auf derselben Wiese waren Garne ausgelegt, denn da wohnte ein Vogelsteller, der fing die Bögel, die aus dem Wald flogen, und trug sie in die Stadt zu Kaufe. „Solch ein Bursch ist mir gerade vonnöten," dachte der Vogelsteller, als er Goldenern erblickte, der aus der grünen Wiese nah an den Garnen stand und in den weiten blauen Himmel hineinsah und sich nicht satt sehen konnte. Der Vogelsteller wollte sich einen Spaß machen, er zog feine Garne, und husch! war Goldener gefangen und lag unter dem Garne gar erstaunt, denn er wußte nicht, wie das geschehen war. „So fängt man die Vögel, die aus dem Walde kommen!" sprach der Vogelsteller laut lachend, „deine roten Federn sind mir eben recht. Du bist wohl ein verschlagener Fuchs; bleibe bei mir, ich lehre dich auch die Bögel fangen!" Goldener war gleich dabei; ihm deuchte unter den Bögeln ein gar lustig Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte seines Baters wiederzufinden. ,^Laß er­ proben, was du gelernt hast!" sprach der Vogelsteller nach einigen Tagen zu ihm. Goldener zog die Garne, und bei dem ersten Zuge fing er einen schneeweißen Finken. „Packe dich mit diesem weißen Finken!" schrie der Vogelsteller, „du hast es mit dem Bösen zu tun!" und so stieß er ihn gar unsanft von der Wiese, indem er den weißen Finken, den ihm Goldener gereicht hatte, unter vielen Verwünschungen mit den Füßen

zertrat. Goldener konnte die Worte des Vogelstellers nicht be­ greifen; er ging getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich noch einmal vor, die Hütte seines Baters zu suchen. Er lief Tag und Nacht über Felsensteine und alte gefallene Baumstämme, fiel auch gar ost über die" schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden überall hervorragten.

Am dritten Tage aber wurde der Wald hell und immer heller, und da kam er endlich hinaus und in einen schönen, lichten Garten, der war voll der lieblichsten Blumen, und tveil Goldener so was noch nie gesehen, blieb er voll Ver3vunderung stehen. Der Gärtner im Garten bemerkte ihn

nicht so halb, denn Goldener stand unter dm Sonnenblumen, und seine Haare glänzten im Sonnmschein nicht anders, als so eine Blume. „Ha!" sprach der Gärtner, „solch einen Burschm hab ich gerade vonnötm," und schloß das Tor des Gartms. Goldener ließ es sich gefallen, denn ihm deuchte unter den Blumen ein gar buntes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegebm hatte, die Hütte seines Vaters wiederzufinden. „Fort in dm Wald!" sprach der Gärtner eines Morgens zu Goldmer, „hol mir einen wildm Rosenstock, damit ich zahme Rosen darauf pflanze!" Goldener ging und kam mit einem Stock der schönsten goldfarbnm Rosen zurück, die warm auch nicht anders, als hätte sie der geschickteste Gold­ schmied für die Tafel eines Königs geschmiedet. „Packe dich mit diesen goldenen Rosen!" schrie der Gärtner, „du hast es mit dem Bösen zu tun!" und so stieß er ihn gar unsanft aus dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Verwünschungen in die Erde trat Goldmer konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen; er ging getrost in dm Wald zurück und nahm sich nochmals vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht von Baum zu Baum, von Fels zu Fels. Am dritten Tag endlich wurde der Walh hell und immer heller, und da kam Goldener hinaus und an das blaue Meer, das lag in einer unermeßlichen Weite vor ihm. Die Sonne spiegelte sich eben in der kristallhellen Fläche, da war es wie fließendes Gold, darauf schwammen schön geschmückte Schiffe mit langen, fliegenden Wimpeln. Eine zierliche Fischerbarke stand am Ufer, in die trat Goldener und sah mit Erstaunm in die Helle hinaus. „Ein solcher Bursch ist uns gerade vonnöten," sprachm die Fischer, und husch! stießen sie vom Lande. Goldmer ließ es sich ge­ fallen, denn ihm deuchte bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, seines Vaters Hütte wiederzufindm. Die Fischer warfen ihre Netze aus und fingen nichts.

„Laß sehen, ob du glüÄicher bist!" sprach ein alter Fischer mit silbernen Haaren zu Goldener. Mit ungeschickten Händen senkte Goldener das Netz in die Tiefe, -og und fischte eine Krone von hellem Golde. „Triumph!" rief der alte Fischer und fiel Goldener zu Füßen, „ich begrüße dich als unser« König! Bor hundert Jahren versenkte der alte König, welcher keinen Erben hatte, sterbend seine Krone im Meer, und so lange, bis irgend einen Glücklichen das Schicksal: bestimmt hätte, die Krone wieder aus der Tiefe zu ziehen, sollte der Thron ohne Nachfolger in Trauer gehüllt bleiben.^ „Heil unserem König!" riefen die Fischer und setzten^ Goldener die Kwne auf. Die Kunde von Goldener und" der wiedergefundenen Königskrone erscholl bald von Schiff zu Schiff und über das Meer wett in das Land hinein. Da war die goldene Fläche bald mit bunten Nachen bedeckl und mit Schiffen, die mit Blumen und Laubwerk geziert: warm, diese begrüßten alle mtt lautem Jubel das Schiff, auf welchem König Goldener stand. Er stand, die helle Krone auf dem Haupte, am Vorderteile des Schiffes und sah ruhig der Sonne zu, wie sie im Meere erlosch.

Sililie hatte geeendigt, die Uhr schlug Mitternacht, und ihre hellen Glasglocken hallten eine einfache Melodiedurch das stille Gemarch. Der Mond war unter den Felsen herabgesunken, und Macht war in dem Gemache. Serpentinsaß in tiefes Nachdemken versunken, und je dunller es um ihn wurde, desto heller traten all die lichten Bilder jenesMärchens vor ihn, die helle, grüne Wiese, der Garten mit seinen lichten Blumen und das brennende Mem. Er schlichsich aus dem Hirtenhause in die Wohnung seines Meisters­ und legte sich zu noch helleren Träumen auf sein Lager^

Onno Klopp. 109. Witrfand und die Normannen. Als der König Salomon aus der Bretagne zur Win­ terzeit ein Lager gegen die Normannen aufgeschlagen Hatte, fiel eines Tages dort die Rede auf die VerwegenHeit und die Ausdauer der Normannen. Während dieses -Gespräches sagte einer der Britten, Namens Wurfand: „Wenn der König mit dem Heere sich zurückziehen sollte, so will ich mit meinem Gefolge nach seinem Abzüge allein hier noch drei Tage ausharren." Das Lager der Britten war aber von dem der Normannen nur etwa achttausend Schritte entfernt. Die Worte Wurfands wurden Hasting, dem Normannenführer, hinterbracht. Als einige Zeit her­ nach Salomon es doch für geratener hielt, von den Nor­ mannen den Frieden für fünfhundert Mhe zu erkaufen und dann nach Stellung der Geiseln sich zum Wzuge an­ schickte, trat der Gesandte Hastings zu Salomon und sprach: „Es ist Hasting, meinem Herrn, hinterbracht worden, daß unter deinem Heere ein Anführer sei, der sich gerühmt habe, nach deinem Abzüge allein hier noch verweilen zu wollen. Wenn er nun denn wirklich ein solcher Held ist, wie er selber sich zu sein dünkt, so möge er ohne Zaudern dableiben; denn mein Herr will ihn sehen und wünscht einen solchen Mann kennen zu lernen." Als Wurfand vom Könige gefragt wurde, ob er so etwas gesagt habe, bejahte er die Frage, beharrte dabei, seine Worte durch die Tat bewähren zu wollen, und bat sich dazu vom Könige die Erlaubnis aus. Dieser schalt ihn, wie er mit so törichter Hartnäckigkeit an die Ausführung leichtsinnig hingesproche­ ner Worte sein Leben setzen und selbst auch die ©einigen, mit ins Verderben reißen wollte; allein Wurfand er­ widerte dem Könige, wenn er ihm dazu die Erlaubnis nicht gäbe, so würde er ihm niemals wieder treu dienen können. Als Salomon den unerschütterlichen Mut des Wurfand sah, wollte er ihm wenigstens aus seinen Kriegern

eine Anzahl dazu geben; aber Wurfand lehnte dieses An­ erbieten ab und sprach: „Wenn ich andere Krieger als die meinigen mit hinzunähme, so hätte ich ja das nicht mehr gehalten, was ich versprochen habe." So blieb denn Wurfand an dem Orte mit etwa zwei­ hundert Männern und wartete fünf Tage lang. In der fünften Nacht entsandte Hasting, der Normannenfeldherr, einen Gefangenen zu Wurfand und forderte ihn auf, daß er zwischen der zweiten und dritten Stunde des folgen­ den Tages (zwischen sieben und acht Uhr morgens) ihm Lis zur Furt eines Gießbaches entgegenkommen sollte. Wurfand zauderte nicht. Er gebot alsbald seinen Mannen ihre Waffen zu ergreifen, und als er die Furt des Baches erblickte, der wie eine Scheidewand zwischen ihm und dem feindlichen Anführer sein sollte, beschloß er da nicht stehen M bleiben, sondern schritt durch das rauschende Gewässer und stellte sich am andern Ufer auf. Die Normannen staun­ ten ob der Verwegenheit des Mannes, sie wichen zurück und wollten ihn nicht angreifen. Bis zum Mittag stand Wurfand an derselben Stelle, und als auch da die Feinde noch nicht näher kamen, kehrte er mit den Seinen unver­ letzt nach seinem vorigen Standorte zurück.

Robert Kohlrausch. 110. Deutsche Deukstätteu in Italien. 1. Leguauo. Legnano und Cortenuova — die größte Niederlage und der größte Sieg der Hohenstaufen in ihren Kämpfen mit der Lombardei. Kaiser Friedrich Barbarossa der Über­ wundene von Legnano, Kaiser Friedrich II. der Sieger von Cortenuova. Für Italien aber bedeutet Legnano mehr als einen einzelnen Sieg. Eine erste Kraftprobe nationaler HeUel, Lesebuch 6. 12. «uff.

M. 12

Einheit wurde an jenem Tage von den verbündeten lom­ bardischen Städten abgelegt und mit ihr die Bürgschaft für eine hoffnungsvolle Zukunft geschaffen. Legnano heißt für den Italiener gesammelte Stärke, vereinter Widerstands Unterordnung unter den nationale» Gedanken. In dem zerrissenen, zerspaltenen, aus tausend Wunden blutenden Lande wurde jener Tag zu einer Quelle neuer Kraft. Er gab den Beweis, daß Einigkeit stark macht, und darum ist er nach Jahrhunderten bis heute unvergessen geblieben, wird als der Tag verherrlicht, an dem die „schönste, heiligste, denkwürdigste" aller italienischen Schlachten geschlagen wurde. Für uns erscheint er in trüberem Lichte, wir können aber unparteiisch den Stolz der Italiener auf ihn verstehen. Ruhen doch auch die Wurzeln unserer Macht in demselben Grunde, aus dem damals am 29. Mai des Jahres 1176 der Sieg unserer Gegner keimte. Einigkeit, Opfermut und Vaterlandsliebe hatten den Boden fruchtbar gemacht. Ihre Mutter aber war gemeinsame Not gewesen. Die Zerstörung Mailands im Jahre 1162 hatte den lombardischen Städten gezeigt, mit welcher bis zur Grausamkeit gesteigerten Ener­ gie Barbarossa sein Ziel verfolgte. Biele erstarkenden Kom­ munen, an sich eine neue Macht im polüischen Leben Italiens, hatten sich gegen den Kaiser aneinandergeschlossen. In feierlicher Zusammenkunft hatten sie den lombardischen

Städtebund gegründet. Statt eines Gegners fand Barba­ rossa nun deren zwei: den Papst und den Bund. Alessandrin hatte ihm trotzen können, Mailand war wieder auferstanden aus Trümmern und Asche. Deutschland verweigerte nach­ drückliche und ausreichende Hilfe, Heinrich der Löwe ver­ sagte dem Kaiser seine Gefolgschaft. So fand ihn der Tag von Legnano. Zwischen dieser Stadt und dem Ticino hatten die Mailänder, zu denen die Bürger von Piacenza, Verona, Brescia, Novara, Vercelli und andern Orten gestoßen waren, ihr Lager auf­ geschlagen. Gern hätte Barbarossa die Schlacht vermieden;

aber Lombarden, die auf Kundschaft ausgeschickt waren, ge-

rieten in ein Gefecht mit einer deutschen Abteilung, und ihr mußte das ganze kaiserliche Heer zu Hilfe kommen. So wurde aus dem Gefecht die Entscheidungsschlacht. Zu­ erst neigte sich der Sieg auf die Seite der Kaiserlichen, aber die von wütendem Rachedurst ganz erfüllten Mai­ länder entrissen ihn den scheinbar Triumphierenden wie­ der. Zwei furchtbare Reiterabteilungen hatten sich bei ihnen gebildet aus Männern voll Todesverachtung. Da war die Kompagnie des Carroccio, des Fahnenwagens, den sie mit ihrem Leben zu verteidigen geschworen hatte; da war die Kompagnie des Todes, die das Gelübde abgelegt hatte, zu siegen oder zu sterben. Die stürzten sich nun in rasender Wut auf den Feind, warfen die kaiserliche Standarte nieder, machten jeden Widerstand vergeblich und eroberten das kaiserliche Lager mit all seinen Schätzen. Barbarossa selbst, vom Pferde geglitten und in der Menge verschwunden, galt für gefallen. Bom Blute gefärbt, mit Leichen beladen, wälzte der Ticino seine Fluten dahin.

Die Schlacht von Legnani war eine Frühlingsschlacht. Im Mai wurde sie geschlagen und bedeutete den Früh­ ling Italiens. Mich aber führte ein heller Novembernach­ mittag zu ihrer Stätte. Aus der weiten Fläche, die ich von Mailand aus nach Nordwesten hin durchfuhr, erhoben sich einzelne Pappeln im herbstlichen Farbenglanze wie gelb­ leuchtende Fackeln, die für das Leichenbegängnis der Natur angezüichet worden waren. An den Maulbeerbäumen, deren lange, sich kreuzende Reihen fruchtbare Rechtecke ein­ schlossen, mischte sich als ein erlöschendes Zeugnis ver­ gangenen Lebens noch erkennbares Grün in das herbstliche Gelb. Kleine Wasserflächen zu den Seiten der Bahn hiel­ ten der sterbenden Natur einen matten Spiegel vor, in dem das farbige Bild sich in wehmütig Verschwimmenden Tönen abmalte. Überall war jene melancholische Buntheit, in die der Tod hineinklingt.

2. Cortenuova. Die Schlacht von Legnano war eine Frühlingsschlacht, und ich sah es im Herbste; die von Cortenuova war eine Herbstschlacht, und ich sah es im Frühling. Im zagen­ den, ersten, dem Winter noch nahe verwandten Frühling. Von der Stadt Romano aus, die zwischen Brescia und Mailand liegt und mit dem grauen, dem Bahnhof nahen Kastell das Mittelmeer lebendig werden läßt, ging die Fahrt nach Nordosten, etwa fünf Kilometer weit. Cortenuova ist ein so stiller, kleiner, wenig bekannter Ort, daß es mich Mühe gekostet hatte, herauszufinden, wo er überhaupt lag. Nun aber sah ich ihn vor mir. Zwischen immergrünen Bäumen ragte ein Kirchengiebel hoch, figurengeschmückt empor und blickte weithin über das flache Land. Jene Bäume zeigten so ziemlich das einzige Grün ringsum. Auf der Schattenseite lag noch an den Grabenrainen der langsam tauende Schnee, keine Blume wagte sich hervor, und nur in den Zweigen der Weiden webte ein leiser, verheißungsvoller grüner Schein. Hinter einem weißlich­ blauen Schleier standen im Norden, halb nur erkennbar, die zur Kette gereihten Felsen der Alpen. Ihre Gipfel trugen den vollen Schneebelag des Winters; einige von den Bergen sahen aus wie große, graue Sarkophage, die mit Leichentüchern bedeckt waren. Von solchem Hinter­ gründe hob sich im Frühlingslichte Cortenuova ab, wo ein­ undsechzig Jahre nach Legnano die zweite der großen Ent­ scheidungsschlachten zwischen Hohenstaufen und Lombarden geschlagen wurde. Eine furchtbare Niederlage bedeutete dieser Tag für die Lombarden. Von vornherein war die Lage hier um­ gekehrt wie bei Legnano. Kaiser Friedrich II., Barbarossas Enkel, wünschte den entscheidenden Kampf, die Verbün­ deten suchten ihm auszuweichen. Für den Kaiser handelte sich's darum, einem unsichern Zustand ein Ende zu machen, den sein Kanzler Peter von Vinea mit den Worten gekenn-

zeichnet hat: „Unser Schifflein treibt zwischen Scylla und Charybdis, zwischen den Listen der Kardinäle und der Lom­ barden." Wenigstens nach einer Seite hin sich frei z» machen, war des Kaisers Wunsch. Dazu bot sich ihm Ge­ legenheit im November des Jahres 1237. Von bösem Herbstwetter müde, waren die Lombarden gleich den Kaiserlichen auf dem Weg in die Winterquartiere. Sie hatten in der Nähe des Flusses Oglio ein festes Lager be­ zogen und beobachteten von hier die Bewegungen der Gegner. Das falsche Gerücht vom Abmarsch der Kaiser­ lichen verlockte sie, das Lager zu verlassen, um sich dann am Morgen des 27. November plötzlich rings von Feinden umzingelt zu sehen. In der Gegend von Cortenuova stießen die beiden Heere aufeinander, von denen jedes wohl 16 bis 20 000 Mann zählte. Bis zum frühen Spätherbstabend wurde unter gewaltigen Regengüssen gekämpft. Zuerst hielten die Lombarden tapfer stand und brachten sogar die Sarazenen des kaiserlichen Heeres ins Weichen. Dann aber drang der Kaiser, begleitet von seinem ritterlichen Sohn Enzio, von dem furchtbaren Ezzelino da Romano und andern Edlen, mit sieghafter Gewalt vor. Bald flohen die meisten der Feinde, nur die kleine Schar der Forti, der Starken, Schrecklichen, die den Fahnenwagen beschützten, leistete noch todesmütigen Wider­ stand. Auch die hereinbrechende Nacht fand sie unbesiegt. Im tiefen Dunkel versuchten sie, wenigstens den Fahnen­ wagen, das heilige Feldzeichen, zu retten. Aber unbeweg­ lich stand er, tief in den aufgeweichten Boden versunken. Da zerschlugen sie den Wagen, den sie nicht mit sich führen konnten. Seine Trümmer, das goldene Kreuz von der Spitze des auf ihm errichteten Mastbaumes, das ganze Lager und sämtliches Kriegszeug fiel den Kaiserlichen in die Hände. Tausende von erschlagenen Lombarden bedeck­ ten das Schlachtfeld von Cortenuova, Tausende wurden gefangen. Den Fahnenwagen aber, die stolzeste Beute, das Palladium der besiegten Städte, ließ Kaiser Friedrich wie-

182

Kohlrausch.

Lacmann.

der zusammensetzen und ließ ihn bei seinem Einzug in das Winterquartier Cremona, von einem weißen Elefanten ge­ zogen, im Triumph aufführen, wobei der gefangene Podesta von Mailand, Pietro Tiepolo, mit Ketten an den Mastbaum gefesselt war. Dann ließ Friedrich den Carroccio „als Zeichen seiner Huld für die Stadt, die er ehren wollte", nach Rom bringen. Auf dem Kapitol wurde nun in einem mittleren Hofe, der das claustrum camellariae hieß, der Fahnenwagen aufgestellt, und Friedrich ließ auf das von antiken Säulen getragene Marmorgebälk des Unterbaues eine Inschrift in lateinischen Versen eingraben. Solange die Hohenstaufen herrschten, erzählte dieses Denkzeichen dort von ihrer Macht.

Wilhelm Lacmann 111. Im Urwald von Südbrastlien. Mit wundersamer Pracht umfängt uns der subtropische Wald. Da reckt die schlanke Palmite den zierlichen Blätter­ strauß gen Himmel, da ragen starkstämmige Zedern, Tajuben, Figueiren, Kanellen und wie sie alle heißen, die stolzen Riesen der Wildnis. Dazwischen wuchert ein Wirrsal von hochgeschossenem Holz, vielgestaltigem Grün. Wildes Ran­ kenwerk schlingt sich darein. Gleich festgespannten dicken Seilen legt es sich da und dort um einen der Waldriesen und würgt ihn zu Tode; „Baummörder" nennt man die tückischen Schlingen. Am Boden grünt mannigfaltiges Ge­ wächs, ein mächtiges, breitgeformtes Blattwerk zumal, das Kadelblatt, und hier und dort stattliches Farnkraut. Jetzt erhebt zu unserer Linken und Rechten undurchdringlich dichtes Taquara-Rohr die mächtigen grünen Stengel, ©ein Auftreten deutet, von dem „Taquara mansa" abgesehen, ebenso wie das der wilden Bananen, auf fruchtbaren Boden. Ein Stück Wegs weiter, und das Bild hat sich geändert.

Es ist lichter geworden im Walde. Farnbäume überwiegen allen andern Pflanzenwuchs. Ihr zierliches Blattwerk bietet, namentlich wo der Baum in so großen Mengen auftritt, einen prachtvollen Anblick. Und doch wird er noch übertroffen von dem Bild, das sich uns bald darauf eröffnet, einem Waldbestand, den statt des Farns verschiedene Pal­ menarten, Palmiten, Zwergpalmiten, Dachblattpalmen, mit den wunderbaren, federzarten Wipfeln beherrschen. Hundertfältiges Leben ist im Walde. Hundertfältige Stimmen werden laut, vom krächzenden Schrei des Tukans, dem schallenden Hämmern der Spechte, gellendem Papageirus bis zum Schwirren und Zirpen winzjger Kolibris, die schillernden Nachtfaltern gleich um duftende Blüten gaukeln. Sie bieten einen wunderbar lieblichen Anblick, diese bun­ ten Wesen, die zum Teil nicht größer als eine Hummel und dabei an Gestalt und Färbung — wie Buffon sich ausdrückt — das Meisterwerk der Natur sind. — Schon fesselt etwas Neues unsern Blick, über den Pfad bewegt sich ein langer Zug von Ameisen. In geordneten Kolonnen riehen sie dahin. Zur Seite haben die Führer Aufstellung genommen und packen den Flügelmann einer jeden Abtei­ lung an. Sie scheinen durch das Tastwerk ihrer Fühler ihm einen Befehl zu geben oder eine Meldung entgegen zu nehmen. Jede der vorüberziehenden Ameisen schleppt ein Keines Blattstück'mit sich. Die Stückchen sind an den Rändern welk, sie haben wohl einem alten Bau angehört, den das Volk jetzt verläßt, um eine neue Heimat zu grün­ den. Ich hebe eins der Tiere samt dem Blättchen, das es trägt, in die Höhe. Wie ich es wieder niedersetze, läßt es seine Last liegen und eilt weiter. Ich lege ihm das Blättchen in den Weg und ziehe die Hand schnell zurück. Das Tier setzt seinen Weg in der Richtung auf das Laub­ stück fort; wie es aber daran kommt, biegt es aus und läuft, jedenfalls von irgend einer abergläubischen Vorstel­ lung geplagt, voll Entsetzen davon. Da raschelt etwas zur Seite des Pfades. Eine arm-

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Saemann.

lange Jararaque wird sichtbar, eine der gefährlichsten unter den Giftschlangen, die hier im Santa Katharinenscr Wald dem Ansiedler bisweilen verhängnisvoll werden. Schnell mit dem Waldmesser einen langen derben Zweig abgehauen und entblättert — ein paar kräftige Hiebe über den grauen Rücken, und der Giftzahn tut keinem mehr weh. —

Dann und wann schiebt sich eine Kolonie in den Ur­ wald ein. An diesen Stellen ist der Wald gelichtet, und bisweilen öffnet sich über die Lichtung hinweg ein freier Blick auf die Fluten des Rio Hercilio. Sie brausen bald weißschäumend über die Felsgefälle des Flußbettes und um myrtenüberwachsone Klippen, bald wieder ziehen sie fried­ lich ihres Weges, ein blinkender Spiegel der waldbedeckten Ufer, der busch- und palmenbestandenen Inseln. Über den Fluß hinüber schweift das Auge zu den blauen Höhen der Serra do Mirador, des „wunderlichen Gebirges". Ihre Höhen bieten alle den gleichen Anblick. Sie steigen auf der einen Seite steil an und verlieren sich in einem langge­ streckten Kamm. Daher kommt die Bezeichnung des Ge­ birges als des „wunderlichen", weil der Wanderer sich immer wieder dem gleichen Berge gegenüber zu sehen glaubt. Eben führt unser Weg an eine der Kolonien heran. Inmitten sprossender grüner Pflanzungen, verkohlter, schwarzer Waldtrümmer, frisch geschlagener Rodung grüßt das grüne Dach der Palmitenhütte. Über die Waldlichtung hinweg zieht gerade ein Flug Papageien mit gellendem Gekreisch. Sie fliegen hoch, hoch über uns; sonst würde sich ein Schuß verlohnen, denn Papageiensuppe ist nicht zu verachten. Doch da erklingt der Ruf eines Tukans. Er kommt drüben her von dem halbverbrannten kahlen Baume am Rande der Rossa. Ein paar leise Schritte, dann sind wir in Schußweite. Ein Knall, und der Vogel stürzt schwer herab ins Gestrüpp. Doch er ist gleich gefunden, und wir können den Gesellen in Augenschein nehmen. Eigenartig genug sieht er aus, der Pfefferfresser: kohlschwarz gesie-

derter Leib, weißer Hals, ein mächtiger gelber Schnabel mit schwarzer Spitze und roter Kante — ein wahres Un­ getüm von einem Schnabel, mehr als halb so lang wie der ganze Rumpf des Bogels und von gewaltiger Breite. Wir nehmen den Tukan mit; er wird einen guten Braten geben. Unterwegs begegnen uns Kolonisten, einige zu Pferd,, die meisten zu Fuß. Dem Auge des Europäers bieten diese Gestalten einen abenteuerlichen Anblick, Hemd, Hose und» breitkrämpiger Hut bilden bei der Arbeit in der Rossa und bei Gängen durch den Wald die ganze Bekleidung des Ansiedlers; im Ledergurt steckt das lange Waldmesser,, aus der Tasche oder dem Gürtel hervor schaut der Revolver. Bei längeren Gängen fehlt selten die Flinte, denn oftmals gibt es etwas zu schießen, einen Tukan oder einen Jacutingo, vielleicht auch ein Waldhuhn, ein Wildschwein oder eins jener kaninchenhaft flinken Nagetiere, die man Paeanennt und deren Wildbret als das beste des südbrasiliani­ schen Urwalds gilt. Allmählich treffen wir immer weniger Menschen undmenschliche Mederlassungen mehr an. Jetzt verlassen toir das Gebiet der Kolonie und biegen in eine verlasseneschmale Pikode. Tiefe Einsamkeit ist um uns her. Ein dämmerhaftes Licht webt über der tausendfältigen grünen Herrlichkeit. Es ist wie der Zauber eines fremdartigen Märchens. Doch wie er uns mehr und mehr umstrickt,, da wirkt er schier unheimlich, der Urwaldmärchenzauber,, und das Herz sehnt sich aus seinem Bann hinaus zu Tannen, Buchen und Eichen, zu Amsel- und Finkenschlag, hinaus auf freie luftig« Gipfel, in den Sonnenschein der Heimat,, der hier nur tropfenweise durchs Duster sickert wie eim scheuer Gruß aus einer lichteren Welt.

Karl Lamprecht. 112. Rudolf Von Habsburg. Die dichterisch gehobene Überlieferung berichtet, daß dem Könige Rudolf auf seinem Grabesritt nach Speyer Polk aus allen Schichten, aus Städten und Dörfern ent­ gegengelaufen sei, um noch einmal sein Antlitz zu schauen. Es ist eine im höhern geschichtlichen Sinn gewiß wahr­ haftige Nachricht. Rudolf war nicht bloß bei Lebzeiten be­ liebt, well er die echt menschlichen Eigenschaften der Leut­ seligkeit besaß — seine Gestalt ist der Nation auch nach seinem Tode ein teures Vermächtnis geblieben. Er stand nicht bloß auf sich: er war, ganz abgesehen von seinen Verdiensten um das Reich, ein typischer Vertreter seiner Zeit, und darum hatte er, als Ausdruck eines Zeitalters, das Recht fortzuleben für immer. Rudolf war trotz aller Tapferkeit kein Held und trotz -allen frohen Sinns kein Heiliger mehr, wie sie unter den Heroengestalten der Ottonen und Salier gewandelt waren. Und obwohl er einen Zug jener adeligen Frohnaturen hatte, die im Sattel mehr daheim sind, als auf dem Stuhle des ratheischenden Herrschers, die gelegentlich überfliegende Pläne ■ entwerfen und sich wohl fühlen im fürstlichen Gepräng; so gehörte er doch nicht mehr dem staufischen Zeitalter an, das diese Naturen begünstigt hatte, und wich darum weit ab von dem ritterlichen Typus seiner letzten großen Vor­ gänger. Er war schlank und übergroß, von kleinem Kopfe, aus dessen von sorgenden Furchen durchrunzeltem Antlitz zwei kluge Augen abwartend hervorschauten, bartlos, von straffem, langwallendem, nur an den Enden gelocktem .Haupthaar; er zeigte feine Finger und schmale Füße; er tvar der halb-großkaufmännische Rittersmann. Und so war er auch geistig zusammengesetzt; er war im Umgänge mit Angehörigen höherer Stände ein Rechner, diplomatisch wie sinanziell, er war schlicht, sparsam, mäßig, im Erfolge von launigem Witz, doch selbst im Ausdrucke höchster Befriedi-

gung vorsichtig und abgewogen in seinen Empfindungen. Das hinderte ihn nicht, ein guter Kamerad auch der nied­ rigsten im Volke zu sein; ja, er liebte den Scherz des Lagers, und tat es not dreinzuhauen, so frohlockte in ihm das Blut seiner Ahnen.

Theodor Lindner. 113. Aus dem deutschen Mittelalter. 1. Charakter der Germanen.

Tacitus erkannte, wie seltsame Widersprüche der ger­ manische Charakter in sich vereinte. Selbst im Kampfe war das bemerkbar. Dem wuchtigen Ansturm, der nicht zum sofortigen Siege führte, folgte Ermattung, selbst Zag­ heit; es galt nicht für unehrenhaft sich zurückzuziehen, wenn es noch möglich war, obgleich dann häufig ein neust An­ griff unternommen wurde. Ein bezwungenes Volk unter­ warf sich nicht selten mit dumpfer Ergebung und Ent­ sagung, um dann plötzlich wie ein Vulkan nach seiner Ruhepause wieder loszubrechen. Die gewaltigen Leiber eigneten sich mehr zu einer plötzlichen Kraftleistung als zur Ausdauer. Daher wurde nach der kriegerischen An­ spannung die Ruhe daheim geliebt, die nicht bloßer Träg­ heit, sondern dem Bedürfnis nach Erholung entsprang. Wohin man auch blickt, überall treten bei den Ger­ manen solche Gegensätze hervor. Die Frau stand ganz unter der Hand, der Mundschaft des Mannes, der sie sogar mit den Kindern im Falle der Not verkaufen durfte. Dennoch war die Frau die vollberechtigte Mutter der Kinder, die Walterin im Hauswesen, die Genossin des Mannes. Der Germane fühlte die besondere Veranlagung des Weibes heraus und wußte sie zu ehren; und wenn er ihm, wie Tacitus sagt, „etwas Heiliges und Borschauendes" zu­ schrieb, so ist darunter nicht allein die Gabe des Blickes in die Zukunft zu verstehen; auch die gemütvolle Zuneigung

des Mannes zur trauten Gefährtin, die Zuversicht ans ihre Hingabe und ihren klugen Rat dürfen wir in dieser Schilderung erkennen. Die Frau vermochte verschiedene Sei­ ten zu entfalten, die Krimhildenatur, zärtlich und fürchter­ lich, lag in allen. Die Mutter und Gattin zog auch ge­ treulich mit hinaus in die Ferne, und wie sie sorglich die Wunden zu verbinden wußte, verstand sie in der Ver­ zweiflung auch solche zu schlagen. Oft genug erprobten die Feinde, wie die germanischen Frauen nicht allein zum Minnespiel, sondern auch mit den Männern ebenbürtiger Kraft zum Kampfe fähig waren. Die alten Mädchennamen zeugen deutlich von diesen ganz entgegengesetzten Eigene schäften, die man ihren Trägerinnen zutraute. Ähnlich war das Verhältnis zu den Unfreien und« Sklaven. Der Herr ließ sich vom Zorn hinreißen, den Leibeigenen zu erschlagen, den er sonst wie ein Glied der Familie behandelte. Einer der größten Fehler der Germanen war un­ zweifelhaft ihre unerlöschliche Trunksucht, der sie auch unter heißen Himmelsstrichen nicht entsagten; aber ihre tzesseren Eigenschaften, ihre Leibes- und Geisteskräfte versanken nicht in den Tiefen des Bechers. Fortdauernde kriegerische Beschäftigung macht roh imb unbarmherzig. Gleichwohl wurde der Germane nicht blut­ gierig, nicht Totschläger aus Lust am Morden. So sehr die kriegerischen Neigungen auch den Götterglauben durch­ drangen, blieb ihm ein tiefsinniger, poetischer Zug. Emp­ findung für die Natur, für ihr geheimnisvolles Walten und Wirken haben unsere Vorväter immer gehabt. Ihr Sein stand dem Übergewaltigen, dem Höheren offen. Der Germane schlug die Römer nieder, plünderte ihre Städte, verrichtete ihre Kultur und empfand dennoch, daß sie ihm geistig überlegen waren. Mit ehrfurchtsvoller Scheu blickte er zu Rom auf, dessen Heere er vor sich niederwarf, beugte er sich vor dem Wissen und Können der Feinde; germanische Sieger haben wohl daran gedacht, dem römischen Reiche

ihre Dienste zu weihen, aber keiner wagte sich den Kaiser:titel anzumaßen. Unbegrenzt in die Weite schweiften die germanischen Völker, die meisten waren jahrhundertelang in Bewegung; trotzdem bezeichneten sie den Sitz in der .Fremde als „Elend". 2. Karl der Große.

Indem der Frankenkönig Karl seinen Beschluß, nicht >eher die Waffen niederzulegen, als bis er die Sachsen zum Christentume bekehrt oder vernichtet hätte, in langwährenben Kriegen zur Ausführung brachte, vollzog er ein Werk von unendlicher Bedeutung. Denn die dauernde Vereini­ gung der Franken, der Sachsen und der Friesen, der Thü­ ringer und der Hessen, der Alemannen und der Bayern schuf ein Volksgebilde, dessen Glieder allmählich über die gewaltsame Zusammenschweißung hinaus zu innerlicher Ein­ heit gediehen. Die bisher germanische Einzelstämme ge­ wesen waren, wuchsen zu Deutschen zusammen. Bis dahin waren die Sachsen mit den Franken erblich verfeindet, mit .den Bayern und Schwaben außer Gemeinschaft. Dagegen standen sie in engen Beziehungen zu dem Nachbarvolke, den Dänen, deren heidnische Götterwelt auch die ihre war, und je länger diese Verbindung dauerte, desto schwerer wurde eine Verschmelzung mit den südlichen Stämmen. Karl machte die Trennung Sachsens von den Nordgermanen zu einer endgültigen. Noch eine andre Gefahr hat er für alle Zukunft abgewehrt. Über Elbe und Saale hinaus hatten sich bereits die wendisch-slavischen Völkerschaften vor­ gedrängt. Wie leicht konnten im Laufe der Zeiten diese fremden Massen, hinter denen starker Nachschub stand, die norddeutsche Tiefebene den Sachsen abringen oder mit ihnen eine Mischung eingehen, in der die Reinheit des sächsischen Volkstums verwischt wurde. Doch auch die siegreichen Franken hatten bisher vor einem ähnlichen Schicksal ge­ standen. Schon waren die weiter nach Gallien vorgeschobenen .Bestandteile ihres Volkes romanisch geworden. Verstärkte

die germanisch gebliebenen Franken nicht ein gleichartiger Volksstoff, so mußten sie auf die Dauer der gleichen Um­ wandlung unterliegen. Karl hatte diese Tragweite seiner Handlungen nicht übersehen, nicht vorher erwägen können; sein Zweck war nur, zur Beruhigung der Grenzen fein Reich zu erweitern und den christlichen Glauben zu verbreiten. Dadurch be­ stimmte er den Deutschen, noch ehe sie zu einem Volke geworden waren, zum guten Teil Form und Inhalt ihrer bereinstigen Entwickelung. Die fränkische Verfassung wurde überall eingeführt. Doch ließ er den Stämmen ihre Volks­ rechte, für deren Aufzeichnung, soweit sie noch nicht ge­ schehen war, er Sorge trug.

Der Staat sollte nicht allein auf die Waffen, sondern auch auf Bildung und Religion gegründet sein. Der Herrscher betrachtete das Christentum als bestes Erziehungs­ mittel seiner Völker und legte vornehmlichen Wert auf dessen praktische Seite zur Veredelung der Sitten. Indem er die kirchlichen Einrichtungen mit seiner weltlichen Macht schirmte und seinem Staate einen kirchlichen Zweck gab, bahnte er das Verhältnis an, welches nachher dem Mtttelalter seinen eigentlichen Charakter verlieh: die Verquickung, von Weltlichem und Geistlichem, die Vermischung von Staat und Kirche. 3. Deutscher Handel im Mittelalter. Die hauptsächlichste Mutter des Reichtums war der Handel. Er umfaßte die ganze bekannte Welt. Der Kauf­ mann bezog aus dem Auslande Waren, die er teils in Deutschland selbst absetzte, teils wieder, namentlich nach. Norden und Osten, ausführte. Ebenso holte er für die heimische Gewerbetätigkeit Rohstoffe, die er in verarbeiteter Gestalt nach innen und nach außen vertrieb. Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr gaben gleichmäßig der Betrieb­ samkeit Nahrung. Süddeutschland pflegte durch die Ber-

Mittelung Italiens die Beziehungen zu dem Oriente, die Hansa empfing von ihm die fremden Artikel zum Vertrieb nach Skandinavien und Rußland. Mit Italien wurden Gewürze, Ol, Südfrüchte, Weine, Metall- und Glaswaren, auch Baumwolle gegen Leinwand, Wollgewebe und Leder­ waren umgesetzt^ Der Norden vertrieb allerhand Dinge, wie Pelzwerke, Gewebe, Waffen, Erzgußsachen, Holzschnitze­ reien und verschiffte auch Getreide und besonders Bier. Eine sehr wichtige Erwerbsquelle bot ihm die Seefischerei, die die unentbehrliche Fastenspeise, den Salz- und Trocken­ fisch und den Hering lieferte. Bis in das sechzehnte Jahrhundert stieg der Handel beständig an Umfang; die Entdeckung der neuen Seewege übte erst später ihre verderbliche Wirkung. Der gewaltige Umsatz erforderte großen Metallvorrat, und der deutsche Bergbau war im Übermaß beschäftigt ihn zu mehren. Da er hauptsächlich Silber ausbeutete, sank dieses in früheren Zeiten bevorzugte Metall stark herunter, so daß das Geld bedeutend an Wert verlor, die Renten fielen und die Preise stiegen. Eine nicht zu beseitigende schwere Schädigung, namentlich des kleinen Verkehrs, brachte die Zerrüttung des Münzwesens, da das Prägerecht schon seit längsten Zeiten von den Königen an Fürsten und Städte ver­ gabt war. Zahllose Münzstätten wetteiferten, Geschäfte zu machen durch Verringerung des Gehalts und durch Ver­ rufung der eben erst geprägten Stücke, um an dem Schlag­ schatz zu verdienen. Wie der Münzwert sank, zeigt am deutlichsten, daß alle späteren Namen, wie Gulden, Pfennig, Heller, Kreuzer ursprünglich Geldarten von sehr viel höherem Gehalt bezeichneten. Daher begann man im vier­ zehnten Jahrhundert am Rhein Goldmünzen, die sogenann­ ten Gulden zu prägen, um eine festere Währung zu haben; gleichzeitig kamen die schweren Silbermünzen auf. Das Geldwesen von Reichs wegen zu ordnen wurde immer wieder versucht und mißglückte stets. Trotz der gewaltigen Schwierigkeiten und vielen Ge-

fahren, denen er ausgesetzt war, warf der Handel reichen, manchmal ungeheueren Gewinn ab. Manche Firmen, wie die sprichwörtlichen Fugger, wurden Geldwelthäuser ersten Ranges.

Franz Linnig. 114. «rrntn. Der große Kaiser Augustus wollte auch das Innere Deutschlands seinem Reiche untertänig machen uni) ließ deshalb den Statthalter Quintilius Varus mit 50 000 Mann über den Rhein gehen und, an der Lippe hinauf­ ziehend, mitten im deutschen Lande seinen Aufenthalt neh­ men. Wie der Prätor am Markte zu Rom, so hielt Varus in seinem Standlager an der Lippe Gerichtssitzungen, wo die Klagen und Anliegen deutscher Männer untereinander oder mit den Fremdlingen nicht nach dem altgermanischen Gewohnheitsrechte, sondern von römischen Advokaten und Richtern in lateinischer Sprache verhandelt wurden, worauf römische Gerichtsdiener die Urteile mit unerbittlicher Strenge vollzogen. Also sah der Deutsche, was er nie gesehen hatte, den blutigen Rücken freier Männer, er sah ihn wund­ gegeißelt durch römische Liktoren. Außerdem wurde er durch Steuern und Lieferungen bedrückt und mußte Fron­ dienste tun, während das Schwert, vormals des Mannes Schmuck und Stolz, in der Scheide rostete. Mehr und mehr ergrimmten die freien Männer über •das Joch der Knechtschaft und schwuren, der Schande ein •Ende zu machen. Und sie waren klug, daß sie sich mit­ einander vertrugen und dachten alle wie einer. Sie wähl­ ten sich heimlich einen Anführer. Ein Jüngling war's voll Feuermut und Kraft: Armin, Sohn des Cheruskerfürsten Sigimer; er war von schnellem Verstände, gewandten Geistes, ein Jüngling, aus dessen Antlitz und Augen geistiges Feuer leuchtete. Bisher war er der stete Begleiter der Römer

gewesen und hatte sich neben dem Bürgerrechte den Rang eines römischen Ritters erworben. Dieser junge Held war es, der sein Vaterland errettete.

Im Spätsommer des Jahres 9 nach Christi Geburt wurde dem Varus die Nachricht gebracht, daß ein entfern­ ter Bolksstamm — die Sigambrer — sich gegen Rom er­ hoben habe. Arglos brach Varus mit seinem ganzen Heere auf, um den Aufstand zu dämpfen, begleitet von den deut­ schen Fürsten mit ihren Hilfstruppen. Der Heerzug ging, auf den Rat des Armin, der heimlich auch jenen Aufstand angezettelt hatte, mitten durch den Teutoburgerwald. An­ haltender und heftiger Regen, verbunden mit Sturm und Ungewitter, machte den Marsch mühsam und beschwerlich. Das war es, was die Deutschen erwartet hatten. Kaum war das Heer der Römer in die wegelosen Schluchten und Sümpfe des Waldes eingedrungen, da erscholl der Ruf zu Kampf und Rache von Ort zu Ort, von Gau zu Gau; die germanischen Hilfstruppen waren plötzlich im Dickicht verschwunden, der Landsturm brauste heran — und auf einmal hörten die Römer von allen Setten den wilden Kriegsgesang der Deutschen. Erschrocken standen sie still. Aber plötzlich stürmten jene mit ihren großen Schilden und Lanzen von ihren Bergen herab und fielen über die römi­ schen Krieger her wie Löwen, so daß das Blut in Strömen floß. Drei Tage dauerte der fürchterliche Kampf. Am Abende des dritten Tages war das ganze römische Heer so gut wie vernichtet. Varus selbst stürzte sich, als er alles verloren sah, in sein Schwert. Furchtbar war die Rache, welche die Deutschen an den Frevlern gegen ihre Frei­ heit nahmen. Die Köpfe der Gefallenen wurden als Sieges­ zeichen an die Baumstämme um das Schlachtfeld geheftet; viele Gefangenen bluteten auf den Altären in den heiligen Hainen; Sachwalter und Richter starben unter Martern; sie rissen ihnen die Zunge aus mit dem höhnenden Zuruf: „Nun höre auf zu zischen, Natter!" Andere beraubten sie der Augen, andern hieben sie die Hände ab. Mancher Römer HeNel, Leiebuch e. jg. Hilft

M. 13

aus ritterlichem oder senatorischem Geschlechte alterte bei einem deutschen Bauern als Knecht oder Herdenhüter.

Das war ein wilder Kampf, ein entsetzliches Blutbad! Aber merke es dir! Das waren die herrlichen Tage, wo dein deutsches Vaterland gerettet wurde von seinen furcht­ baren römischen Feinden. Im Totengrunde auf dem Römer­ felde liegen sie begraben. Herman — Arminius ist der große Held, der das Werk vollbracht hat, daß deutsches Land und deutsche Männer nicht römisch geworden sind!

Hermann Löns. 115. Di- Otter. „Jetzt wird es schön!" denkt die Maus, die in dem krausen Stechpalmenbusch wohnt, der unter der breit­ ästigen Hüteeiche steht. Ein feines Versteck hat sie da. Die Hütejungen haben sich dort eine Moosbank gemacht, in der eine Maus schon wohnen kann, vorzüglich, weil sich dort nebenbei immer allerlei zu fressen findet, das es anderswo nicht gibt: Brot­ krümchen, Wursthaut, Käsebrocken, Apfelschale, Pflaumen­ kerne und sonst noch allerlei. Es ist darum kein Wunder, daß die Waldmaus so kugelrund aussieht, trotzdem der Winter hart und lang: war. Es wächst ja soviel Pfeifengras auf dem Damme^ am Grabenrand wuchert die Heide; beider Samen finden, sich in Masse. Der Wald ist nicht weit, und da liegen die Früchte von Fichte und Erle, Kiefer und Birke unddürre Beeren aller Art, und an allerlei Geziefer ist auch kein Mangel. „Wie schön warm es heute ist!" denkt das rote Mäuschen und macht vor Freude einen Hopser nach dem andern. „Sitzt da nicht ein fetter Käfer? natürlich!" Schwupp, hat sie ihn, beißt ihn tot, reißt Flügel undBeine ab und verspeist ihn, auf den Keulen sitzend unddie Beute in den Vordersüßchen haltend. „Und das da, das

ist ja eine von den saftigen, bekömmlichen Raupen! Ach ja, die gute Zeit ist da!" Genau dasselbe denkt das Ungetüm, das breit und faul unter dem Stechpalmenbusche liegt und sich von der Aprilsonne bescheinen läßt. Schon seit einer Stunde liegt die Kreuzotter da und läßt die Maus nicht aus den Augen. So, wie sie daliegt, sieht sie wie eine braune, mit schwarzen Moospolsterchen bewachsene Kiefernwurzel aus, und nur die roten Mörderaugen und die ab und zu hervorruckende Zunge zeigt, daß es ein Wesen von Fleisch und Blut ist.

Vom Herbste bis zum Frühling lag sie steif und starr unter der Moosbank, und über ihr wohnte die Maus. Als die Sonne wieder warm schien, im Graben frisches Grün auftauchte und die Zitronenfalter flogen, erwachte die Otter, kroch aus ihrem Verstecke, trank sich am Tau satt und wärmte sich an der Sonne, bis sie wieder geschmeidig wurde. Dann kroch sie so lange zwischen den Heidkrautstengeln umher, bis ihre alte Haut als silbergraues Netz­ werk darin hängen blieb, erholte sich von der Anstrengung und merkte dann, daß sie sehr hungrig war. „Sieh da, sieh da, eine Maus!" denkt sie. Eben war sie da, jetzt ist sie dort. Mäust find flink, Ottern sind langsam; aber Mäuse sind unvorsichtig, und Ottern haben Zeit. Die roten Augen gehen immer dahin, wo die Maus ist. Ganz langsam schiebt die Otter sich vorwärts, dahin, wo die Maus eben hinsprang. Sie weiß, sie kommt den­ selben Weg wieder zurück. Da ist sie auch schon. Eine Fliege mit verkrüppelten Flügeln hüpft hilflos im Sande hin und her. Das lockt die Maus. Ein Sprung, und sie hat die Fliege, und die Mahlzeit beginnt.

Langsam hebt die Otter den Kopf, blitzschnell läßt sie ihn nach der Maus zucken und schlägt ihr die Giftzähne in den Nacken. Das Mäuschen piept auf, läßt die Fliege fallen, macht einen Sprung und noch einen, fällt um, zittert und verendet. Langsam kriecht die Schlange näher, 13*

bezüngelt ihre Beute, reißt den Rachen auf, umfaßt den Kopf der Maus und würgt sie hinab. Dann kriecht sie auf ihren Lauerplatz zurück. Eine Stunde liegt sie fast regungslos da, dann aber kommt wieder Leben in ihre Augen. Ein Sumpfmeisenpärchen turnt in dem Schlehen­ busch umher, der an der anderen Seite der Eiche steht. Behutsam schiebt das Untier sich voran; sind auch die Meisen oben im Busch, vielleicht kommen sie tiefer.

„Sieh! sieh da! da!" ruft das Meisenmännchen und pickt ein Räupchen nach dem andern aus den Blüten­ knospen. Aber da unten, dicht über der Erde, sind die Knospen schon aufgeblüht, und aus jeder dritten läßt sich ein dickes, fettes Räupchen an einem Faden in das Moos hinab. Immer tiefer turnen die beiden grauen, schwarzmützigen Vögelchen, und jetzt huscht das eine auf deN Boden und pickt die Räupchen aus dem Moose. „Piep!" sagt es auf einmal, flattert in die Höhe, fällt herunter, schlägt mit den Flügeln, zittert und bleibt tot liegen. Ent­ setzt fliegt das Männchen näher, jammert schrecklich und flattert hin und her, und schließlich fliegt es zu dem Weib­ chen hin. Da schnellt der Otterkopf noch einmal aus dem welken Grase heraus, und gleich darauf liegt auch das Männchen tot da. Zwei Tage und zwei Nächte verdaut die Otter, dann bekommt sie neuen Hunger. Eine Wasserspitzmaus, die am Grabenrande nach Raupen sucht, fällt unter den Giftzäh­ nen, und ein Moorfrosch, der sich an der Sonne freut und auf Mücken jagt, hat dasselbe Schicksal. Auch das Zaunkönigweibchen, das in dem Schlehenbusche nach Spin­ nen sucht, stirbt einen schnellen Tod, und die Feldmaus, die hastig durch das alte Laub huscht, hält mitten im Laufen inne, piept auf und fällt um. Die alte Otter war gar nicht dumm, als sie sich diese Stelle hier als Stand wählte; Feld, Moor, Weide und Wald stoßen hier zu­ sammen, und so gibt es Beute von aller Art, Feldmäuse, Waldmäuse, Zwergmäuse, Spitzmäuse, vielerlei Frösche für

den Notfall und so manchen kleinen Vogel. hier schon leben.

Es läßt sich

Das meinen die Hütejungen auch, die mit ihren Kühen angesungen kommen. Da ist der Wald, in dem es später allerlei Beeren und auch Nüsse gibt; hier ist der Teich, darin kann man baden, wevn es sehr heiß ist. Und dort ist die Moosbank, auf der es sich so weich sitzt, und von der aus man, ein tüchtiges Butterbrot in der Hand, so weit über die Feldmark und das Moor bis zu dem blauen Walde sehen, den Storch in der grünen Wiese und den Bussard am blauen Himmel beobachten kann.. Hasen kom­ men an, Rehe ziehen vorüber, Kiebitze, Krähen und Elstern zeigen sich, am Graben huschen Eidechsen, quaken Frösche. Bunte Käfer rennen hastig über den Sandweg; wenn sie auffliegen, blitzen sie wie Edelsteine. Allerlei Schmetter­ linge fliegen und rote Wespen, die Spinnen und Raupen in ihre Erdlöcher schleppen. Es ist sehr viel los an dieser Stelle. Aber die Moosbank ist über Winter etwas baufällig geworden; sie muß ausgebessert werden. Konrad geht Moos holen, und Krischan räumt das alte Laub und das ver­ welkte Gras fort. Gerade als Konrad mit dem alten Sack, der ihm als Regenmantel dient, voller Moos zurückkommt, schreit Krischan auf und hält seinem Bruder mit kreide­ bleichem Gesicht die Hand entgegen. Er ist der Otter zu nahe gekommen, und sie hat ihn in den Finger gebissen. Im Sturmschritt rennen beide Jungen dem Dorfe zu. Der Vater unterbindet die Wunde, die Mutter macht einen Umschlag von dicker Milch, der Knecht spannt an, und der Vater fährt, so schnell die Pferde nur lausen können, zum Kirchdorfe, wo der Arzt wohnt. Der schneidet den Finger an, macht Einspritzungen, und nach vierzehn Tagen kann Krischan den Arm wieder bewegen; wenn aber ein Ge­ witter heraufzieht, tut ihm der Arm noch sehr weh. Es war ein schwüler Maitag gewesen, als die Otter den Jungen biß, einer von den Tagen, an. denen die

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Löns. Müller.

Ottern Heißhunger haben. Da nun die Jungens bei der Moosbank so viel Unruhe gemacht hatten, ließ sich weder Maus noch Bogel blicken, und da es mit der Anstands­ jagd nichts wurde, ging die Schlange auf die Pürsche. Sie war schon dicht bei dem Waldrande, in dessen Borbüschen sie Jungvögel nach Futter piepen hörte, da flog ein großer Bogel aus der Zitterpappel. Es war der Bussard, der hier auf Mäuse lauerte. Froh über die fette Beute, stieß er herab, faßte die Otter hinter den Kopf und über den Rücken, biß ihr den Kopf entzwei und flog gerade auf, um sie seinen Jungen zuzutragen, da kam der Jäger um die Ecke, riß das Gewehr an den Kopf und schoß den guten Vogel tot. Als er ihn aber aufnahm, sah er, daß der eine Kreuz­ otter in den Fängen hielt, und da schämte er sich doppelt; denn im vorigen Sommer war ihm seine Teckelhündin an dem Bisse einer Otter eingegangen.

David Müller. 116. Götterglauben der alten Deutschen. Ein vollständiges Bild unserer Vorfahren gewinnen wir erst, wenn wir auch ihren religiösen Glauben kennen; denn in dem, was ein Mensch oder ein Volk glaubt, stellt sich am besten sein Charakter dar. Es waren die Kräfte der Natur, die sie unter den riesigen Bäumen, an rauschenden Wasser­ strömen, auf weitblickenden Höhen und in schauerlichen Wald­ schluchten verehrten; aber dieselben hatten bereits bei unseren Vorfahren persönliche Gestaltungen angenommen, wenn auch nicht in so vollendetem Grade, wie dies bei den Griechen ge­ schehen. Und noch heute leben diese Gestalten, unserm Volke unbewußt, in Märchen und Sagen, im Zauberspuk und Gespensterglauben unter uns fort und lassen uns schließen auf die einst von unsern Vorfahren verehrten Götter.

Die Deutschen kannten einen Himmelsgott, Wuotan oder Wodan, einäugig — denn der Himmel hatte auch nur ein Auge, die Sonne — der den grauen Wolkenhut und den blauen Sturmmantel trägt; im brausenden Wetter fährt er einher, hoch zu Rob durch die Luft, gefolgt vom wütenden Heer gleich dem wilden Jäger, der sein Mbild in der Sage ist; aber er ist auch der Gott, der den Acker segnet, der den Wunsch erfüllt, den Sieg spendet, überhaupt als Allvater die Weltgeschicke lenkt. Unter den Tieren waren ihm Wolf und Rabe heilig. Rosse fielen ihm zum Opfer; unter den Pflanzen waren ihm Esche und Hasel geweiht. Als sein Sohn galt Donar, der Gewittergott, der aus seinem roten Bart die Blitze bläst, auf einem Wagen mit Böcken bespannt durch den Himmel fährt und seinen Hammer in unablässigem Kampfe gegen die Riesen schwingt. Ihm ist der hochragende Baum, die Eiche, geheiligt und die rote Eberesche, unter den Tieren der Fuchs und das Eichhörnchen. Ihm zur Seite stand der einarmige Schwertgott, Stu, Tyr oder Saxnot. Außerdem ward auch eine Erd- und Himmelsgöttin ver­ ehrt, der gleichfalls das Sturmlied vorausklingt; sie kommt unter verschiedenen Namen vor, je nachdem die Erde als die dunkle, die Toten verschlingende gedacht wird, Frau Hel, Holle, oder als die glänzende im weißen Winterkleide, Frau Bertha. Von Tacitus wird sie Nerthus genannt ; ihr Wohn­ sitz, erzählt er, sei auf einer Insel im nördlichen Meer, dort habe sie ihren geheimnisvollen Hain und See und ihren Wagen, der zuweilen, Friede und Freude bringend, durch die Länder geführt werde. Menschlicher gedacht ist sie die Spinnerin, die Göttermutter, die Haus und Herd segnet, und bei der die noch ungeborenen und die bereits wieder ge­ storbenen Kinder weilen. Die freundlichen und feindseligen Kräfte der Natur finden mannigfache Gestaltung, besonders in den Zwergen, die die Hüter der unterirdischen Schätze und Meister in feiner Erzarbeit sind, sowie in den unholden Riesen, den alten Herren der Erde, den Feinden der Götter

und Menschen. Das sind die einfachen Grundzügc der deut­ schen Naturreligion. Majestätischer, gleichsam in ein Heldenlied verwandelt, erscheint dieselbe bei unsern nordischen Stammesbrüdern in Skandinavien. Hier hielt das Heidentum sich Jahrhunderte länger als bei uns und ward durch das Lied der Sänger, der Skalden, nur immer herrlicher ausgebildet. Gedichte dieser Art sind die Edden, im 12. und 13. Jahrhundert n. Chr. gesammelt, die aber zum Teil schon im 7. und 8. entstanden sein mögen. Da thront Odin — Wuotan — aus dem Hochsitz in Walhalla, im Goldhelm und Goldharnisch ; auf seinen Schultern sitzen die Raben Hügitt und Munin (Gedanke und Erinnerung), zu seinen Füßen lagern zwei Wölfe. So lenkt er von obenher die Welt und läßt durch die Schlachtenjungfrauen, die Walküren, die auf der Wal­ statt gefallenen Helden zu den ewigen Göttersitzen emportragen. Da werden die Kämpfe Thors — Donars — gegen die Riesen verherrlicht. Da ist anstatt der deutschen Hvlda oder Bertha Odins Gemahlin Frigg und neben ihr Frija oder Freia, di« Göttin der Liebe und Schönheit, die auf dem mit Katzen bespannten Wagen einherfährt. Ihr Bruder ist Freir, der gabenmilde, strahlende Sonnen- und Frühlings­ gott, der auf dem goldborstigen Eber reitet, der Gott der Liebe und Ehe, des Friedens und der Freude, dem die Julzeit, die Wintersonnenwende, geheiligt ist, und von dessen Verehrung vielfache Spuren sich auch in Deutschland finden. Tiefsinnig deutet dann dieser Götterglaube schon auf seinen eignen Fall. Das ganze Gebäude der Welt wird nämlich versinnlicht in einer Riesenesche, Dggdrasil, welche durch di« Reiche der Welt hindurchragt, unter welchen Asenheim, wo die Götter, Mannheim, wo die Menschen, und Jötunheim, wo die Riesen wohnen, die wichtigsten sind. An Urds Brunnen, der an Vggdrasils Wurzeln quillt, sitzen die Nornen, die Schicksalsschwestern. Aber Hirsche fressen von den Knospen des Baumes, ein Drache nagt unter seinen Wurzeln; die Midgardsschlange umwindet im Meer die ganze

Erde, selbst Sonne und Mond werden von Wölfen, die sie zu verschlingen drohen, durch den Himmel gejagt. Auch in die Götterwelt ist bereits Tod und Schuld ge­ drungen. Der schönste und reinste der Götter, Baldur, ist durch des schlimmen Loki Arglist getötet. Loki selbst ist vom alten Riesengeschlecht; Hel, die Midgardsschlange und der Fenriswols sind seine Kinder. Bor allem der Fenris­ wolf bedroht die Götter und die Welt. Noch zwar liegt er im Eisenwalde am Zauberbande gefesselt; aber in feinen; aufgesperrten Rachen tränst das auf Erden frevelhaft ver­ gossene Berwandtenblut und stärkt ihn; einst wird er sich' losreißen, und dann kommt die Götterdämmerung, das Welt­ ende. Surtur stürmt an der Spitze von MuspelheimK. Söhnen — den Feuergeistern — über die Brücke Bifröst zum Sturm auf Asenheim; die Midgardsschlange windet sich; los, über das Meer kommt Naglfar, das Totenschiff. Heimdal, der Wächter an Bifrösts Rand, stößt in das Giallarhorn, und der furchtbare Streit beginnt. Im Zweikampfe fallen sie alle, Götter wie Ungeheuer; zuletzt schleudert Surtur. Feuer über die Welt, daß sie verzehrt wird. Aber aus den; Flammen steigt eine neue, wiedergeborene Schöpfung auf;Baldur kehrt zurück und mit ihm eine selige Unschuldszeit.^

Leopold von Ranke. 117. Marirniliarr I. Wenn Maximilian bei seinen Zeitgenossen ein rühm­ liches Andenken hinterlassen hat, so rührt das nicht von denn Erfolge seiner Unternehmungen, sondern von seinen per­ sönlichen Eigenschaften her. Alle guten Gaben der Natur waren ihm in hohem Grade zu teil geworden; Gesundheit, bis in die spätern Jahre — wenn sie etwa erschüttert war, reichte eine starke Leibesübung, anhaltendes Wasser­ trinken hin, sie wieder herzustellen — zwar nicht Schönheit,

aber gute Gestalt, Kraft und Geschicklichkeit des Leibes, so daß er seine Umgebung in jeder ritterlichen Übung in der Regel übertraf, bei jeder Anstrengung ermüdete; ein Gedächt­ nis, dem alles gegenwärtig blieb, was er jemals gehört oder erlebt oder in der Schule gelernt hatte; natürlich richtige scharfe Auffassung: er täuschte sich nicht in seinen Leuten, er be­ diente sich ihrer zu den Dienstleistungen, die für sie selbst eben die angemessensten waren; eine Erfindungsgabe ohne­ gleichen; alles, was er berührte, ward neu unter seinen Händen; auch in den Geschäften ein das Notwendige mit sicherm Gefühle treffender Geist; wäre die Ausführung nur nicht so oft an andere Bedingungen seiner Lage geknüpft gewesen! eine Persönlichkeit überhaupt, welche Bewunderung und Hingebung erweckte, welche dem Volke zu reden gab. Was erzählte man sich alles von seinen Jagden! wie er im Land ob der Ens einen gewaltigen Bären in freiem Hag allein bestanden, wie er in Brabant in hohlem Wege einmal einen Hixsch, der schon einen Anlauf wider ihn genommen, noch in dem Momente erlegte; wie er im Brüsseler Wald von einem wilden Schweine übereilt, ehe er von dem Pferd gestiegen, es zu seinen Füßen erstochen habe; besonders von den Gefährlichkeiten seiner Gemsenjagd im höchsten Gebirg, wo er zuweilen wohl den Jäger, der ihm beigegeben war, selber von dem Sturze errettet hat: er zeigte in allem behenden Mut, gleichsam eine elastische Gegenwart des Geistes. So erscheint er dann auch vor dem Feinde. Im Bereiche feindlicher Geschütze setzt er ans Land, bildet seine Schlachtordnung und gewinnt den Sieg; int Scharmützel nimmt er es wohl mit vier oder fünfen allein auf; in den Schlachten muß er sich oft eines gerade gegen ihn ausge-schickten Feindes in zweikampfartigem Zusammentreffen er» wehren; denn immer voran findet man ihn, immer mitten im Getümmel der Gefahr. Proben von Tapferkeit, die nicht allein dienten, um in müßigen Stunden erzählt, im Teuerdank ausgezeichnet zu werden: der venezianische Gesandte weiß nicht auszudrücken, welch ein Zutrauen er bei den

-rutschen Soldaten aller Art eben deshalb genoß, weil er sie in Gefahren niemals verließ. Als einen großen Feldherrn können wir ihn nicht be­ frachten: allein für die Organisation einer Truppe, die Ausbildung der verschiedenen Waffengattungen, die Bildung -eines Heeres überhaupt wohnte ihm eine treffliche Gabe bei. Die Miliz der Landsknechte, von welcher der Ruf der beut» fchen Fußvölker wieder erneuert worden, verdankte ihm ihre Begründung, ihre erste Einrichtung. Das Geschützwesen hat er auf einen ganz andern Fuß gebracht; eben hier bewährte sich sein erfinderischer Geist am glänzendsten, da übertraf er die Meister selbst: seine Biographen schreiben ihm eine ganze Anzahl von glücklichen Verbesserungen zu; auch die Spanier, die unter ihm dienten, sagen sie, habe er zum Ge­ brauch des Handgeschützes angeleitet. Die Widersetzlichkeit, die sich in diesem Söldnerhaufen bei der Unregelmäßigkeit seiner Finanzerträge oftmals erhob, wußte er, wo er per­ sönlich zugegen war, noch in der Regel zu beseitigen; man erinnert sich, daß er in hohen Nöten den Unmut der Leute durch die Possen eines Narren, den er rufen ließ, beschwichttgte. überhaupt hatte er ein unvergleichliches Talent, die Menschen zu behandeln. Die Fürsten, welche seine Politik verletzte, wußte er doch in persönlichem Umgang zu be­ friedigen: nie, sagte Kurfürst Friedrich von Sachsen, sei ihm ein höflicherer Mann vorgekommen. Die wilden Ritter, gegen die er Reich und Bund aufbietet, erfahren doch wieder solche Äußerungen von ihm, daß es ihnen, wie Götz von Berlichingen sagt, eine Freude im Herzen ist und sie nie et­ was gegen Kaiserliche Majestät oder das Haus Österreich ge­ tan hätten. An den Festlichkeiten der Bürger in den Städten, ihren Tänzen, ihren Schießübungen nimmt er Anteil: nicht selten tut er selber den besten Schuß mit der Armbrust; er setzt ihnen Preise aus, Damast für die Büchsenschützen, einige Ellen roten Samt für die Armbrustschützen; gern ist er unter ihnen; damit unterbricht er die schwierigen und ermüdenden

Geschäfte des Reichstages. In dem Lager von Padua ritt er geradezu auf eine Marketenderin los und ließ sich zu essen geben; Johann von Landau, der ihn begleitete, wollte die Speise erst kredenzen; der Kaiser fragte nur, von wo die Frau sei; man sagte ihm: von Augsburg; „ah," rief er aus „dann ist die Speise schon kredenzt, denn die von Augsburg sind fromme Leute." In seinen Erblanden saß er noch ost in Person zu Gericht: nahm er einen Verschämten wahr, der dahinten stand, so rief er ihn zu sich heran. Bon dem Glanz der höchsten Würde war er selber am wenigsten bestochen. „Lieber Gesell," sagt er zu einem bewundernden Poeten, „du kennst wohl mich und andere Fürsten nicht recht." Alles, was wir von ihm lesen, zeigt eine frische Unmittelbarkeit der geistigen Auffassung, Offenheit und Jngenuität des Gemütes. Er war ein tapferer Soldat, ein gutmütiger Mensch: man liebte und fürchtete ihn.

Matthäus Rascher. 118. Urwald in Baining auf Neu-Guinea. Auf ein Hektar kann man zuweilen bis zu hundert Arten von Bäumen und Gewächsen zählen. Wieviele Arten es überhaupt gibt, ist auch noch nicht annähernd zu be­ stimmen. Ich habe mich der Mühe unterzogen, ihre Namen aufzuzeichnen. Obgleich ich schon die Zahl von 500 bei­ nahe erreicht habe, begegnen mir noch neue Arten. Die meisten Bäume sind vom Fuß bis zur Krone von Lianen und Schmarotzern bedeckt, welche teils gerade, teils spiral­ förmig am Stamm emporklettern und ihre Ranken wie ein Netz von Telegraphendrähten von einem Baum zum andern ausspannen und in feinen, dünnen Strängen vom Wipfel herab bis auf den Boden hängen. Die wirr durch­ einander rankenden Gewächse bilden mit ihrer Fülle von Blättern in den Zweigen und Ästen der Bäume ein natür-

liches Dach, das nur einzelne Sonnenstrahlen in das ge­ heimnisvolle Dunkel des Waldes eindringen lä§t. Bon den Früchten der Urwaldbäume werden nur wenige von den Eingeborenen gegessen; sie dienen größten­ teils nur den fliegenden Hunden und Bögeln zur Nah­ rung und fallen ab und werden am Boden von Wild­ schweinen und Kasuaren verspeist. Nur vereitelt findet man mitten im Walde die eigentlichen Fruchtbäume der Eingeborenen, wie Brotfruchtbäume, Malaische Äpfel und Kaddengo, eine Art Kirschen u. a. m. Wahrscheinlich sind die Samen von Bögeln dahin verpflanzt worden. Die Blütenentwicklung der Waldbäume fällt wenig ins Auge, und ein Vergleich mit unseren blühenden Fruchtbäumen im Frühjahr würde zugunsten dieser aus­ fallen. Unvergleichlich schön ist aber der Anblick der blühen­ den Schlingpflanzen am Saume des Waldes, die die ganze Krone eines Baumes wie mit einem schneeigen Netze und scharlachrotem Teppich Überspannen. So heiter uns der Urwald erscheint bei hellem Wetter, wenn einzelne Sonnenstrahlen durch das dichte Laubdach dringen und auf den zitternden Blättern des Unterholzes ihr Licht und Farbenspiel treiben, so unbehaglich ist es darin bei bedecktem Himmel und Regenwetter. Am sreudigsten stimmt der Urwald am Morgen und des Abends einige Zeit vor dem Untergange der Sonne. Da herrscht Leben über uns im Laubgewölbe und unten am Boden im Halb­ dunkel. Ein sanftes Wehen zieht durch das Baumgewirr, das Blattwerk glänzt, und auf den Blättern funkeln die Tauttopfen. Papageien, in den verschiedensten Farben schillernd, und weiße Kakadus flattern kreischend über den Wipfeln; große bunte Tauben girren und halten behag­ lich im nächsten Gipfel eines Fruchtbaumes ihr Frühstück; mächtige Nashornvögel fliegen geräuschvoll auf und lassen schmetternd ihren Ruf ertönen. Ganz in unserer Nähe am Boden lockt und scharrt das Buschhuhn. Bon dem Gipfel eines riesigen Ficus ertönt nach kurzen Pausen

das hohle, furchterregende „Huhu" der Kamukelster, bogdem Gebell des Hundes ähnlich ist. Frellich fehlt es air Singvögeln, die den Wanderer mit chren Weisen zur Freude stimmen und in der menschlichen Seele frohe Empfindungen^ wecken. Das Waldkonzert ist mehr ein mutwilliges Lär­ men, eine übersprudelnde Lebenslust, die auf die Dauer die Nerven reizt. Je höher die Sonne steigt, desto mehr nimmt das Leben im Walde ab. Düstere Schwüle brütet überall. Dit Vogelwelt hat ihr Konzert abgebrochen und hält sich nun in den Laubkronen verborgen; nur die Myriaden von In­ sekten, Zikaden, Grillen, Bienen, Wespen usw. zirpen,, surren und pfeifen weiter. Endlich, wenn die Sonne im Westen steht, atmet die Tier- und Bogelwelt wieder aus und unterbricht die Ruhe und Stille, die während der heißen Tageszeit im Walde geherrscht hat. Düster und schweigend sind die Nächte im Urwald. Totenstille überall; es regt sich kein Hauch, nur der naheWildbach rauscht und tost, und von den zahllosen Insekten erhebt das eine oder andere seine Stimme. Erst nach^ Mitternacht erwacht die Bogelwelt. Der Kau, ein Better unseres Kuckucks, doch größer von Gestalt und von vor­ nehmen Bewegungen, beginnt zuerst sein Morgenlied; „Kiak, kiak, kiak," und wiederholt es so lange, bis bei eintretender Morgendämmerung die übrigen Vögel sich dem Konzert anschließen. Furchtbar aber wird der Aufenthalt im Urwald, wenn ein Gewitter über ihm steht, wenn unheimliches Dunkel ihn überzieht und schreckliche Donnerschläge rollend wider­ hallen, wenn der Wind einsetzt und die Waldriesen schüttelt, daß sie ächzen und sich beugen. Doch schreckenerregenderals ein Gewitter ist der Losbruch des Nordwestmonsuns, wenn der Himmel ringsum mit grauen Wolken verhüllt ist und der Sturm und Regen Tage und Nächte ohne Unter­ brechung anhält. Mit gewaltigem Zorne stürmt er in die dichten Laubkronen und zerrt sie hin und her und reißt

ihre Blätter ab. Morsche Aste und Zweige, mit prächtigen Schmarotzerpflanzen geschmückt, fallen dumpf dröhnend herab, Baumkronen brechen, Bäume werden entwurzelt undhauen sich dröhnend beim Fallen in den Boden. Dabei! herrscht ein Getöse, Sausen und Rauschen, daß man in, dem allenthalben herrschenden Aufruhr kaum weiß, wohinsich wenden. Eine Unzahl Bäume fällt so dem ersten An­ stürme des Nordwests zur Beute. Aus dem wilden Gewirregestürzter Bäume ragt hier und da ein kronenloser Stamm hervor, an dem zerfetzt die Schlingpflanzen herabhängen. Dazwischen prasselt unaufhörlicher Regen hernieder undmacht die Fußpfade zu Pfützen. Wer nicht gerade vom Orkan überrascht wird, und wen nicht dringende Geschäfte treiben, der wagt sich nicht in den Urwald, wo alsdann, die Natur im Aufruhr ist und der Tod von allen ©eiten, droht. Nach Tagen und Wochen langer Stürme sieht es? im Walde wie auf einem Schlachtfelde aus. Bäume und? Äste liegen kreuz und quer übereinander gebettet und ver-> sperren den Weg. Doch die Wunden vernarben schnell. Ein Monat genügt, um das Totenfeld wieder zu beleben, ein Beweis von der unversiegbaren Kraft der tropischen. Natur.

Wilhelm Heinrich Riehl. 119. Im Jahr des Herrn. Im Jahr des Herrn 850 lag das Elend vielgestaltig: auf Sen deutschen Landen. An den Nordküsten waren die

Normannen plündernd und mordend hereingebrochen, in Thüringen und Hessen die Sorben. Dazu breitete sich, eine schwere Hungersnot über alle Gaue. So ward das Maß des Jammers voll. In Strichen, die Frieden gehabt, schätzte mav's hie und da, daß je der dritte Mann Hungers gestorben; wie es aber gar in den vom Feinde verwüsteten Gauen aus--

gesehen, das weiß niemand zu sagen. Die Geschichte hat jenes Bild des Jammers in Vergessenheit gehüllt. Denn der Krieg war geführt worden als Vertilgungskrieg; dar­ um zerstörte der Feind dem Feinde alle Pflanzungen und verderbte alle Feldfrucht, so daß auch der kleine Rest der hungrigen Ernte, den Gottes Barmherzigkeit übrig ge­ lassen, durch der Menschen Erbarmungslosigkeit vernichtet ward. Des Nachts hatten Feuerzeichen des Himmels die schwere Zeit voraus verkündet. Eine Wolke stieg auf vom Norden her und eine andere kam von Osten entgegen, und feurige Strahlenbüschel ohne Unterlaß gegen einander schleudernd, stießen sie in der obersten Höhe des Himmels zusammen und verschlangen sich gleich zweien Heeren im Kampfe. Allen Menschen aber erzitterte das Herz, denn sie glaubten, der Herr habe sein Angesicht ganz abgewandt von dem deutschen Volke, und selbst die Hunde sollen dazu­ mal kläglicher als sonst geheult, die Vögel betrüblicher ge­ sungen haben. Falsche Propheten standen auf am Rhein und an der Donau, und wie Vorläufer des Antichrist gemahnten sie an die Erfüllung der letzten Zeiten. Viele Meister des weltlichen Regiments aber walteten ihres Amtes so will­ kürlich und gottlos, als ob weder ihr Regiment, noch ihr Leben, noch die Welt jemals ein Ende nehmen könne und der Stuhl des Weltenrichters niemals über den Stühlen aller Könige dieser Welt gesetzt werde. Nun war im vorgedachten Jahre ein freier Mann im Fulder Land — sein Name ist vergessen — der hatte sein ererbtes Gut einem adeligen Grundherrn zum Eigen­ tum hingegeben, um dafür, ohne Knecht zu werden, doch den Schutz jenes Mächtigen zu gewinnen und sich und seinen Kindern wenigstens Nießbrauch und Zins von dem Besitz zu sichern, der noch seiner Väter volles Eigentum gewesen war. In den schweren Zeitläuften aber starb der Grundherr, und seine Sippe verdarb, und ein anderer ge­ wann seine Güter und das frühere Gut jenes Mannes

mit ihnen. Der neue Gutsherr wollte nun flugs den freien Mann, der mit seinem Grund und Boden auch schon die

Hälfte der Freiheit weggegeben, ganz zu seinem Eigenen machen, wie das damals bei Tausenden geschah; und in der Verwirrung und Not der Zeit konnte der Bedrängte keinen Schutz finden wider den neuen mächtigen Herrn. Da kam ihm ein verzweifelter Mut, daß er das Elend vorziehen wolle der Knechtschaft. Noch lebte in ihm der Stolz und Trotz des alten Germanen, und gar manchmal fchaute er verächtlich auf diese neue Zeit, wo der streit­ bare Mann dem demütigen Mönch und dem zahmen Bauern zu weichen begann. Sein Großvater hatte als Knabe noch den Dienst der alten Götter im heiligen Haine gesehen. Welche Götter waren denn besser, die alten oder die neuen? Mit den alten Göttern war auch die gute alte Zeit ent­ wichen. Und wie zur Strafe kamen jetzt lange Jahre der Trübsal heraufgezogen, und der neue Christengott hatte nicht Macht oder Lust, den Jammer von seinem Volke zu nehmen. So dachte der Mann aus dem Fulder Land. Er wollte sich selber helfen, mit oder ohne Gottes Hilfe nach der Väter Weise kraft der eigenen Faust. Darum gürtete er eines Nachts sein Schwert und ent­ floh von seinem Gute, das nicht mehr sein war, um zu­ gleich der Gewalt des neuen Herrn zu entfliehen. Er nahm nichts mit als seine drei köstlichsten Besitztümer: sein Weib, sein Kind und sein Schwert. Und weil es mitten im härtesten Winter war, so schlugen die Flüchtlinge warme Felle als Mäntel über ihr Gewand. Aber weder Speise, noch Geld oder Kleinodien konnten sie auf den Weg neh­ men in dieser armen Zeit. Sie gedachten aber gegen den oberen Main zu ziehen und von da überzudringen nach Thüringen und Sachsen. Das war ein kühnes Beginnen, denn der Weg ging mitten durch ein vom Feinde verwüstetes, ausgehungertes Land, und es war in den rauhesten kurzen Tagen vor dem Jahres­ wechsel. Aber die Flüchtlinge waren auch hartgebackene gefiel, Lesebuch 6. 12. «ufl. M. 14

Leute, wetterfest, mit Stahl in den Gliedern und einem wider den Hunger gepichten Magen.

War es doch auch in selbiger Zeit, wo König Lud­ wig, genannt der Deutsche, bei Flammersheim ein paar Rippen brach und dennoch weiter reifete, als sei er un­ versehrt, und keinen Seufzer ausstieß, obwohl man das Krachen in den zerbrochenen Rippen hörte, wenn sie an­ einanderstießen, und mit seinem Bruder Karl eine Unter­ redung hielt, um das Reich Lothars brüderlich zu teilen, und dann erst, als er sich sein Teil ausgemacht, nach Aachen ging, um nun bei mehrerer Muße die Rippen wie­ der zusammenwachsen zu lassen. Das waren noch trotzige Zeiten, trotzige Leute und trotzige Könige, denen es auf ein zerbrochenes Deutsches Reich und ein paar zerbrochene Rippen mehr oder weniger nicht ankam. Es war am Sylvesterabend, dem Abende des dritten Tages, seit der Mann aus dem Fulder Land mit Weib

uni) Kind fliehend ins Weite irrte. Das Kind aber war zwei Jahre alt und trank noch immer an der Mutter Brust; denn so zog dieses starke Geschlecht starke Nach­ kommen groß, und sieben Jahre lang hatte vordem der starke Hermel der Mutter Brust getrunken. Mann und Weib trugen das Kind wechselsweise und hülleten es für­ sorglich in ihre warmen Felle.

Der Tag war grimmig kalt gewesen. Eisiger noch brach der frühe Abend herein. In den Waldbergen der Rhön hatten sich die Wanderer verlaufen und nur am ersten Tage von der Gastfreundschaft eines selber halb verhungerten Bauern einen mageren Bissen erhalten. Hungrig hatten sie sich schon gestern abend im Schnee des Waldes gebettet. Am andern Morgen schritt der Mann noch guten Mutes rüstig aus; denn wer aus der Knechtschaft zur Freiheit wandert, der spürt die Mühsal des Weges nicht. Schweigend, im treuen Duldermut des Weibes, zog die

Genossin nebenher, das schlummernde Kind im Arme. Aber am Mittage hatten sie sich verirrt in den Schluchten des Gebirges; der Abend schlich heran, und nirgends ließ sich der Rauch einer Hütte erspähen. Nur die Spuren des Wildes und der Raubtiere kreuzten sich im Schnee, und noch hatte den ganzen Tag nicht ein einziges Mal das tröstliche Wahrzeichen menschlicher Fußstapfen den Mut der Wanderer belebt. Häufiger wachte das Kind auf, weinte stärker und länger und stammelte seine bittenden Laute, denn auch ihm konnte die Mutter schon nicht mehr Nah­ rung genug spenden. Da begann es dem Mann zuweilen vor den Augen zu schwimmen, und es war ihm, als breche mit einem Schlag sein ganzer Mut zusammen. Doch nur einen Augenblick — und er erhob wieder das Angesicht, schaute trotzig vorwärts in die endlose Wildnis, und sein leich­ ter Schritt trug ihn so sicher und scheinbar frohgemutet wieder dahin, als seien die weißbereiften Zweige mit Früh­ lingslaub geschmückt und der vom Felsen stürzende Wald­ bach, darüber sich die gefrorenen Wasserdünste wie eine Rauchwolke lagerten, ein kühler Brunn im Mai. Des Riesensohnes aus Nordland — so hatten unsere Urväter den Winter geheißen und ihm den Namen des grimmigen Mannes beigelegt mit der kalten Brust — dessen gedachte in der nächsten schwarzen Minute wieder

der Mann; denn es überkam ihn, als wolle der grimmige Riese, der leibliche Vetter des Todes, ihn und sein Weib und Kind hinmorden ohne Erbarmen. Es schwindelte ihm vor Kälte, und bis auf die Knochen drangen die Schauer des Frostes. Das Weib aber mit dem blassen Leidens­ gesicht war anzusehen wie eine christliche Märtyrin, die man zur Opferung hinführte vor jenen Riesensohn. Aber ob auch sie wohl im stillen erbebte unter der Mühsal des Leibes und der Marter der Seele, bäuchte ihr doch der Anblick ihres Mannes mit einem Male noch viel schrecklicher. Denn wie die Nacht niedersank und das letzte

kalte Rot der untergehenden Sonne über dem Schnee der Bäume blutfarben verglühte, breitete sich über die harten Züge des Mannes ein gar furchtbarer Ausdruck. Es war, als gehe ein gewaltiger Kampf durch seine Seele. Unstät rollte das wilde Auge, die Lippen zuckten so heftig, daß er sie fest zusammenbeißen mußte, und gleich als wolle er den Feind, mit dem er inwendig rang, auch mit dem Arme niederschlagen, fuhr mehr denn einmal die Hand nach dem Griff des Schwertes. Weiß besäumt vom Reif, erhöhten Bart und Haupthaar die schreckenvolle Würde des Antlitzes, und im Doppellicht des verlöschenden Abend­ rotes und der glühend hinter den Bergen aufsteigenden Mondesscheibe erschien der Mann wie ein altheidnischer Priester, der, mit dem Zorn der Götter ringend, sich rüstet, das Sühnopfer hier im Allerheiligsten der Wildnis zu be­ reiten. So waren die Wanderer zu einer Anhöhe gekommen, wo schwarze Basaltpfeiler aus der Schneedecke aufragten. Unter einem vorhängenden Felsen, den die Pfeiler im Em­ porsteigen wie ein Dach über sich gehoben hatten, fanden die Ermatteten Schutz vor dem Winde, ein schneefreies Plätzchen und dürres Reisholz genug, das bald zu einem lustigen Feuer aufloderte. Sie beschlossen hier Nachtlager zu halten, aber der Hunger nagte, daß an keinen Schlum­ mer zu denken war: auch das Kind wimmerte immer häufiger und kläglicher. Dem Mann ließ es keine Ruhe zu sitzen oder zu liegen; er konnte nur, an die Felspfeiler gelehnt, stehend in das Spiel der Flamme starren oder mit verschränkten Armen auf- und niedergehn. Von den züngelnden Gluten wandte er den Blick in die Höhe zu dem kalten Sternen­ licht des Winterhimmels und sprach zum Weibe: „Die Riesen und Helden der Vorzeit leuchten da droben als Gestirne. Sonst blickten sie uns gnädig an. Schau, wie sie jetzt so kalten Auges auf uns niedersehen, gleich dem Riesen Winter selber mit dem kalten Herzen in der Brust.

Vom Himmel stiegen die Götter hilfreich zur Erde, als unsere Väter noch Glauben und Opfer für sie hatten. Eure Priester haben die alten Götter aus unserer Brust vertrieben, und die Götter haben nun den Himmel sür sich behalten, und den Menschen blieb das Elend." Das Weib erwiderte, zitternd und demütig, aber voll gläubigen Vertrauens: „Nur Ein Gott ist zur Erde niedergestiegen und hat als Mensch mitgelitten für die Menschen. Da ward die Erde so ganz des Gottes voll, daß fürder kein Gott mehr niederzüsteigen braucht." Der Mann verstummte. Ganz nahe hörte man daS Geheul hungriger Wölfe» Dem schwachen Weibe ward es nicht angst bei diesem Nachtgesang; doch als sie wieder ausblickte in das Gesicht ihres Mannes, da ward es ihr angst, denn sein Auge war wilder als das Auge des Wolfes. Und der Mann begann aufs neue: „Wo unsere Väter in Unglück verstrickt lagen, da gedachten sie ihrer Schuld und rüsteten Sühnopfer.. Je schwerer Schuld und Not, um so teurer mußte die Gabe sein, die zur Sühne dargebracht wurde. Haben uns die Sänger nicht gesagt — heimlich, daß es die Mönche nicht hörten — von dem guten nordi­ schen Könige.Domaldi, den sein eigen Volk zum Mtare führte, um ihn als den besten Mann des Volkes den Göttern, zu opfern, damit sie die Hungersnot vom Lande nähmen? Und als das Opfermesser das Leben des Königs selber durchschnitten hatte, wich der Hunger vom Lande." Das sprach der. Mann mit dem glühenden Auge des Wolfes, und wie ergriffen von der Vollkraft tierisch-mensch­ licher Leidenschaft führte er Hiebe mit dem Schwerte durch die Luft. Und abermals versagte dem Weibe das Wort der Erwiderung. Ja, das waren wildgemutete Menschen, die noch die ganze Wucht eines ungebrochenen Gefühles im Leibe spür­ ten, zu selbiger Zeit, wo selbst ein König mit gebrochenen Rippen sich doch immer noch Manns genug fühlte, ein ganzes großes Königreich zu zerbrechen. Und aufs neue

Mehl. und immer schrecklicher erhub der Mann seine Stimme: „Du hast nicht vernommen, Weib, war vorgestern der Bauer «Wählte, der uns zum letzten Male speiste. So HSre jetzt! Der Erzbischof Rhaban sLttigt auf seinem Hofe zu Winkel täglich Hunderte von Hungrigen, die in dieser schweren Zeit aus der ganzen Gegend dort zusammenströmen. Nun geschah es unlängst, daß auch ein fast ver­ hungertes Weib zu ihm kam mit einem kleinen Knaben. AlS sie aber die Schwelle des rettende» Hauses überschritt, stürzte sie zusammen vor Schwäche und hauchte den Geist aus. Das Kind aber lag an der Brust der toten Mutter und versuchte zu saugen, als ob fte noch lebe, und die härte­ sten Männer konnten das nicht schauen ohne Tränen. So fiel der Stamm, damit das Reis gerettet werde. Hätte nicht vielmehr die Mutter das Kind opfern sollen, daß sie leben geblieben wäre sich und ihrem Manne und an­ dern Kindern?" Da kam dem Weib die Sprache wieder: „Nein!" rief sie und richtete sich hoch auf, „Selig die Mutter, welche so ihr Leben gegeben für ihr Kind! Zum Himmel schwebend wird ihre Seele den Knaben geschaut haben, der noch trinken wollte an der toten Brust, und der nun doch geborgen war? Du sagst, vor Schwäche habe sie den Geist aufgegeben! O nein! Im Übermaß der Freude zersprang ihr das Herz, als sie nach Todesmühen ihr Kind nun endlich gerettet sah, und von Wonne be­ wältigt, hauchte sie das Leben aus." Der Mann versank in tiefes Schweigen. Er mußte sein Gesicht verhüllen und abwenden von dem Weibe, das, friedlich auf ihr schlafendes Kind niederblickend, am Feuer saß. Endlich raffte er sich wieder auf. Mit großen Schrit­ ten ging er am verglimmenden Feuer auf und nieder, und noch wilder als vorher rollten seine Augen. „Wir mögen jetzt nahe der Stunde sein," rief er, „wo das alte Jahr dem neuen die Hand reicht. Die Pfaffen, wenn sie die Jahre zählen, sagen: im Jahre des Herrn; — aber bei diesem gottverlassenen Jahr voll

Schmach und Elendes sollte man billig sagen: im Jahre des Teufels!" „Und dennoch," sprach milde das Weib, „hat das eine Jahr, in welchem der Herr als Mensch den Menschen ge­ boren wurde, einen solchen Überschnß des Heils über alle folgenden Jahre gebracht, daß auch das schlimmste Jahr nach der Geburt des Herrn immer noch ein Jahr des Herrn sein wird." Der Mann nahm das Kind vom Schoße der Mutter. „Die Stunde ist kostbar! Künftiges schauet in der letzten Jahresstunde, wer sich mit dem Schwert umgürtet auf das Dach seines Hauses setzt, den Blick gen Osten gewendet. Nur eines will ich heute erkunden, ob wir den morgenden Tag überleben! Ist dieser Fels mit seiner Kuppe nicht jetzt unser einziges Haus? Laß mich hinaufsteigen mit dem Kinde nach altväterlichem Brauch! Und indes ich oben die Zukunft beschwöre, gedenke du hier des sühnenden Opfertodes, in welchem das nordische Volk seinen besten Mann, den König Domaldi hinschlachtete, da­ mit der Hunger vom Lande genommen werde!" Da rief das Weib verzweiflungsvoll: „So höre du vorher die Ge­ schichte einer andern Opferung! Höre, wie es erging, da Jehova dem Abraham befahl, daß auch er sein bestes Gut, seinen Sohn Isaak, am Altare schlachtete!" Aber der Mann hörte nicht. Er stürmte mit dem Kinde zur Felsenkuppe hinauf und verschwand hinter den Büschen. Das Weib wollte ihm nacheilen, die Mutter dem Kinde. Doch als sie aufstand vom Feuer, da ward erst offenbar, wie ihr der Hunger das Mark aus den Knochen gesogen, sie brach ohnmächtig zusammen. Plötzlich weckte das Schreien ihres Kindes die Mutter wieder zum Leben, und als sie aufhorchte, klang ganz nahe seitwärts aus den Zweigen hervor Getöse wie eines Kampfes. Dann ward es totenstill. Da raffte die Mutter sich auf; ihre Kraft war wie­ dergekehrt, und sie sprang hinüber ins Dickicht, von wo des Kindes Stimme getönt hatte. Und vor ihr stand dort ihr Mann, vergeistert im Gesicht, das Schwert gesenkt, und

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Riehl.

im Hellen Mondlrcht sah man, wie Blut von dem Schwerte troff, und Arm und Gesicht des Mannes war mit Blut bespritzt. „Mein Kind!" schrie die Mutter. „Wo ist mein Kind?" Da reichte ihr der Mann das Kind, das er im linken Arm gehalten, mit dem schützenden Felle bedeckt. Das Kind war unversehrt; es war wieder in Schlaf ver­ sunken und lächelte im Schlafe. „Wir sind beide heil und ohne Wunden!" sprach der Mann gebrochenen Tones. Das Weib forschte, was geschehen sei. Der Mann aber sagte zitternd: „Vollende, was du vorhin begonnen, die Mär von der Opferung jenes Kindes, die Gott dem eige­ nen Vater befohlen!" Und verwunderungsvoll, kaum des Wortes mächtig, erzählte das Weib die Opferung Isaaks und schloß mit den Worten der Schrift, die sie so oft im Kloster zu Fulda vernommen: „Da sprach der Engel des Herrn zu Abra­ ham: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts. Denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschonet um meinetwillen. Da hub Abraham seine Augen auf und sahe einen Wid­ der hinter ihm in der Hecken mit seinen Hörnern hangen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn an seines Sohnes statt zum Brandopfer." Als sie geendet, sprach der Mann: „So hat sich heute erneut nicht die Mär von der Opferung König Domaldis, sondern von der Opfe­ rung Isaaks. Siehe! auch ich wollte unser Kind opfern! Doch nicht gleich Abraham, weil es mir Gott geboten, sondern als ein Sühnopfer den zürnenden alten Göttern, und auch, daß wir selbst uns sättigten und unser Leben retteten mit dem Fleisch des eigenen Kindes! Wie ich aber ins Gebüsch trete, taumelnd und wie mit Irrsinn geschlagen durch den eigenen Vorsatz, erschaue ich zwei Wölfe, die an dem Körper eines Rehes zerren. Da wird es wieder hell vor meinem Auge; mit dem Schwerte springe ich hinzu, das Kind ins Fell verhüllt fest an mich schließend, und schlage die Bestien nieder! Hier liegt das Reh, das uns

Gott gesandt, der Widder statt des geopferten Sohnes!" Da rief das Weib gleich einer Seherin: „Und doch ist auch das Opfer Isaaks nur die Verheißung gewesen eines gröberen Opfers. Denn als die Zeit erfüllet war, hat Gott selber seinen einigen Sohn dahingegeben zum Sühne­ opfer für die Schuld aller Menschen. Und seit diesem letzten wahren Opfer sagen wir von jedem Jahre: Im Jahr des Herrn!" „Ja," sprach der Mann zerknirscht vor sich hin, „die

letzte Stunde dieses Jahres hat es klar gemacht: es war auch dieses Jahr ein Jahr des Herrn!" Am Feuer sättig­ ten sich die beiden an dem Fleische des Rehes. Dann fielen sie in friedlichen Schlaf. Die Morgensonne des neuen Jahres weckte die Schläfer. Sie stiegen hinauf zur Kuppe des Felsens, von wo gestern abend der Mann vergeblich die Zukunft erschauen wollte. Da tat sich ein wunderbares Mld vor ihren Augen auf: das weite, reiche Maintal glühte im Sonnenschimmer^ Hütte an Hütte stieg aus den Gründen, und der Rauch von hundert Feuerstätten hob sich zum leichten Gewölk verschwebend in die reine Winterluft. Die Gatten küßten sich bei diesem Anblick und küßten ihr Kind und sielen nieder und beteten. Der Mann aber wagte noch nicht wieder seiner Frau ins Auge zu schaüen. Doch diese hob ihn liebreich auf und sprach: „Laß uns des alten Jahres jetzt vergessen^ obgleich es kein Jahr des Teufels gewesen; denn siehe,, noch ist das neue Jahr nur wenige Stunden alt, und dochhat es schon reiche Verheißung gebracht, daß wir froh­ gemut zum Wanderstabe greifen. Denn die neue Pilger­ fahrt beginnt, wo gestern die alte schloß: Im Jahr desHerrn!"

Emil Adolf Roßmüßler. 120. Der Baumstamm ein Stammbau«. Geh ich an einer Schneidemühle vorüber, wo die kräftigen Säulen des Waldes zum Schlachten hingeschleist find, so kann ich gar nicht anders, ich muß die unteren Abschnittsflächen einiger Stämme ansehen, um auf ihnen die Geschichte des Gefällten zu lesen. Da nun ein Baum keine einzelne Pflanze, wie ein Hund ein einzelnes Tier ist, sondern ein hundertjähriger Staat, der zum Fallen kam, so ist mir ein Baumstamm immer sein Stamm­ baum. Das ist er freilich nur dann, wenn ich die hieroglyphischen Ringe seiner Abschnittsfläche zu deuten ver­ stehe. Seht, hier liegt ein schlanker Fichtenstamm, der auf dem Abschnitte von beträchtlichem Durchmesser nur vierzig Jahresringe zählt. Einer ist so breit wie der andere, und jeder bildet um die übrigen einen schönen regelmäßigen Reif. Du hast vierzig behagliche Jahre durchlebt, du Schlanker, an Jahren fast noch ein Baumjüngling! du standest auf nahrhaftem Boden int Kreise zahlreicher Ge­ nossen, und eure Wipfeläste verschränkten sich zum schatten­ den Dache. Dein Leben war geschirmt vor der Wucht des Stur­ mes, die häßlichen Borkenkäfer zehrten nicht an deinem Lebensmark, und deiner Wurzel fehlte nie das erquickende Naß. Das alles sagen mir die breiten, gleichen Jahres­ ringe deines Innern. Daß du nicht einsam standest, son­ dern in dichtem Schluß — wie der Förster sagt — mit deinen Brüdern, das sehe ich aus der Glätte und Astlosigkeit deines Schaftes, der nur oben einen kurzen Kro­ nenwipfel quirlförmiger, Ute hatte. Jetzt komme ich zu dir, alter Knabe aus dem edlen 'Geschlechte der langnadeligen Kiefern. Du hast ein be-

westereS Leben geführt. Ich zähle über 200 Jahre, dar­ unter Jahre des Hungers und Jahre des üppigen Ge­ nusses. Ich sehe deutlich, daß du im dürren Jahre 1842 auch Mangel littest, denn dein Ring von jenem Jahre ist sehr, sehr ärmlich. Du hast dich dein Leben lang viel umgeschaut. Standet du auf einer Keldkuppe als treuer Hüter der Ernte oder auf kahlem Felsrande? Frei standest du — denn schon unten sehe ich die Stellen, wo die starken Äste abgehauen sind —, und zuletzt auch einsam, nachdem du fast 200 Jahre einen treuen Gefährten dicht an deiner Seite hattest. Bor acht Jahren riß man ihn von dir. Hat es der Sturm getan oder die Axt deines Herrn? Seitdem standest du ganz allein und strecktest deine knorrigen Äste hinaus in die warme Maienlnst, die mit deinen Nadeln koste, wie in den rauhen Nord, der deine Krone durchwühlte. Als dir der Nahrungssast kärglich zufloß, kamen wahrscheinlich auch die Schnitter bangen Herzens auf ihren Acker, denn die Halme waren dünn und die Ähren klein. Die alten Wirtschaftsbücher jenes Gutes, auf dessen Fluren du standest, würden ohne Zweifel ebenso sprechen wie diese Wmmerlichen Jahresringe deines Holzes. Oder war es der häßliche Vielfraß, die Kiefernraupe, welche deine Nadeln fraß und also dich der schassenden Hände beraubte, welche die Jahresringe bereiten? Willst du wissen, wer mir es sagte, daß du vor acht Jahren deinen alten, treuen Gefährten verloren hast, der seine Wurzel mit der deinigen verflocht? ja daß du überhaupt einen solchen hattest? Du selbst hast mir's gesagt. Deine letzten acht Jahresringe sind zwar schwach, denn du bist alt ge­ worden, und es strömt nicht mehr üppig schaffendes Leben in deinem Leibe, aber sie sind ringsherum von gleicher Breite. Alle übrigen jedoch sind nach der einen Seite hin viel schmäler, als nach der andern, wodurch dein Mark sehr weit seülich liegt. An "dieser Seite stand dein Nach­ bar, der dich hinderte ringsherum gleichmäßig anzubauen. Als er beseitigt war, hinderte dich nichts mehr daran.

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Roßmaßler. Scheffel.

Seht, ihr mächtigen -Stämme, so gibt mir jeder von euch seine Geschichte zu lesen, so seid ihr mir die Stamm­ bäume eures Geschlechts.

Joseph Bittor Scheffel. 121. Die Waldfrau. Audifax und Hadumoth waren eine Stunde weit ge­ gangen, da stunden sie vor dem Fels Hohenkrähen. Zwischen Bäumen versteckt stund ein steinern Häuslein; sie hielten. Der Hund wird Laut geben! sprach Hadumoth. Aber kein Hund rührte sich. Sie traten näher, die Türe stand offen. Die Waldsrau ist fort! sprachen sie. Aber auf dem Fels Hohenkrähen brannte ein verglimmend Feuerlein. Dunkle Gestalten regten sich. Da schlichen die Kinder den Fels­ pfad hinauf. Schon stand ein Heller Luststreif hinter den Bergen am Bodensee. Es ging steil in die Höhe. Oben, wo das Feuer glimmte, war ein Felsenvorsprung. Eine breitgipflige Eiche breitete ihre dunklen Äste aus. Da duckten sich Audifax und Hadumoth hinter einen Stein und schauten hinüber. Es war ein Tier geschlachtet wor­ den, ein Haupt, wie das eines Pferdes, war an den Eich­ stamm genagelt, Spieße standen über dem Feuer, Knochen lagen umher. In einem Gefäß war Blut. Um einen zu­ gehauenen Felsblock saßen viele Männer, ein Kessel mit Bier stand auf dem Stein, sie schöpften daraus mit steiner­ nen Krügen. An der Eiche kauerte ein Weib, alt und struppig. Die Männer schauten nach ihr. Zusehends hellte sich der Himmel im Osten. In die Nebel über dem See kam Be­ wegung. Jetzt warf die Sonne ihre ersten Strahlen vergüldend über die Berge, bald stieg der feurige Ball empor, da sprang das Weib auf, die Männer erhoben sich schwei­ gend; sie schwang einen Strauß von Mistel und Tann­ reis, tauchte ihn in das Gefäß mit Blut, sprengte dreimal

der Sonne entgegen, dreimal über die Männer, dann gotz sie des Gefäßes Inhalt in das Wurzelwerk der Nche. Die Männer hatten ihre Krüge ergriffen, sie rieben sie in einförmiger Weise dreimal auf dem geglätteten Fels, daß ein summendes Getön entstand, hoben sie gleichzeitig der Sonne entgegen und tranken aus; in gleichem Takte setzte jeder den Krug nieder, es klang wie ein einziger Schlag. Dann warf ein jeglicher seinen Mantel um, schweigend zogen sie den Fels hinab. Es war die Nacht des ersten "November. Wie es still geworden auf dem Platz, wollten die Kinder vortreten zur Waldfrau, aber das Weib riß

einen Feuerbrand aus der Asche und schritt ihnen drohend entgegen. Da flohen sie in Hast den Berg hinunter. Da gingen die beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorge­ gangen. Er hörte sie freundlich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig lächelte. Sie haben «inen seltsamen Geschmack, meine treuen Untertanen, sprach sie. Überall sind ihnen schmucke Kirchen gebaut, sanft und eindringlich wird das Wort Gottes verkündet, stattlicher Gesang, große Feste, Bittgänge mit Kreuz und "Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, — und doch ist's nicht genug. Da müssen sie noch in kalter Nacht auf ihren Berggipfeln sitzen und wissen selber nicht, was sie Lort treiben, außer daß Bier getrunken wird. Wir kennen -Las. Was haltet Ihr von der Sache, frommer Ekkehard? Äberglaube l sprach der Gefragte, den der böse Feind noch immer in abtrünnige Gemüter säet. Ich hab in unsern "Büchern gelesen von den Werken der Heiden, wie sie im Dunkel der Wälder, an einsamen Wegscheiden und Quellen und selbst an den dunkeln Gräbern der Toten ihre zauberi­ schen Listen treiben.

Der Frauen Gemüt, fuhr Ekkehard fort, ist allzeit neuslieriger Erforschung und Ausübung verbotener Dinge zu-gewendet. Wenn wir mit Lesung des Birgilms fottschreiKen, werdet Ihr den Ausbund der Zauberei in Gestalt

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Sch«N-l.

des Weibes Circe angedeutet sehen, die ans unzugänglichem Borgebirg singend haust; lieblich duftender Spa» von Zederholz erleuchtet die dunkeln Gemächer, mit fleißigem Weberschifflein webt sie viel zartes Gezeug, aber draußen im Hof tönt seufzendes Knurren von Löwen und Wölfen und der Schweine Gegrunz, die sie alle aus Menschen durch zauberischen Trank in der Tiere Gestalt verwan­ delt .... Ihr sprechet ja wie ein Buch, sagte die Her­ zogin spitz. Ihr sollet Eure Wissenschaft von der Zauberer weiter bilden. Reitet denn auf den Hohenkrähe» hinüber und untersuchet, ob die Waldfrau eine Circe, und regieret in unserem Namen, wir sind neugierig, was Eure Weis­ heit ordnet. Ekkehard fügte sich. Der Auftrag war ihm ein Be­ weis von Vertrauen. Andern Morgens ritt er nach dem Hohenkrähen. Den Audisax nahm er mit, daß er ihm ben. Weg zeige. Bald kamen sie vor der Waldfrau Behausung. Auf einem Vorsprung in halber Höhe des stellen Felsens stantz ihre steinerne Hütte, mächtige Eich- und Buchstämme^ breiteten ihre Äste drüber und verdeckten den ragenden Gipfel des Hohenkrähen. Drei wie Stufen geschichtete Kling­ steinplatten führten ins Innere. Es war eine hohe, dunklem Stube. Viele getrocknete Waldkräuter lagen aufgehäuft^ würziger Geruch entströmte ihnen; drei weißgebleichte Pferde» schädel grinsten gespenstig von den Pfellern der Wand herab, ein riesig Hirschgeweih hing dabei. In den hölzer­ nen Türpfosten war ein verschlungenes Doppeldreieck ge­

schnitten. Ein zahmer Waldspecht hüpfte in der Stube um­ her, ein Rabe, dem die Schwingen gekürzt, war sei« Ge­ nosse. Die Inwohnerin saß am glimmenden Feuex des Herdes und nähte an einem Gewand. Ein hoher behaltener,, halb verwitterter Stein stand ihr zur Seite. Von Zeit zu Zell bückte sie sich zum Herde und hielt ihre magere Hand über die Kohlen; Novemberkälte lag auf Berg und Wald. Die Zweige einer alten Buche neigten sich schier

zum Fenster herein, ein leiser Windeshauch bewegte sie, das Laub war herbstgelb und morsch und zitterte und brach ab. Etliche welke Blätter wirbelten in die Stube. Und die Waldfrau war einsam und alt und mochte frieren. Da liegt ihr nun verachtet und welk und tot, sprach sie zu den Blättern, und ich gleiche euch. Ein fremd­ artiger Zug umflog ihr runzlig Antlitz. Sie dachte ver­ gangener Zeiten, da auch sie jung und frühlingsgrün ge­ wesen und einen Liebsten gehabt — aber den hatte sein Schicksal weit Hinausgetrieben aus dem heimischen Tann­ wald, raubende Nordmänner, die einst mit Sengen und Brennen den Rhein herauf fuhren, hatten ihn und viel andere Heerbannleute gefangen mitgeschleppt, und er war bei ihnen geblieben über Jahresfrist und hatte den See­ mannsdienst gelernt und war wild und trotzig geworden in der Strandluft des Meeres, und wie sie ihn wieder frei gaben, trug er die Nordseesehnsucht mit sich in schwäbischen Wald, — die Gesichter der Heimat gefielen ihm nimmer wieder, die der Mönche und Priester am wenigsten, und das Unglück fügte es, daß er in zornigem Aufbrausen einen wandernden Mönch erschlug, der ihn gescholten, da war seines Bleibens nicht fürder. Der Waldfrau Gedanken hafteten heut immerdar auf jener letzten Stunde, die ihn von ihr geschieden. Da hatten ihn die Gerichtsmänner vor seine Hütte im Weiterdinger Wald geführt, sechshundert Schillinge sollte er als Wehr­ geld für den Erschlagenen zahlen und wies ihnen statt dessen Haus und Hofmark zu und schwur mit zwölf Eides­ helfern, daß er nichts unter und nichts ober der Erde mehr zu eigen habe. Drauf ging er in sein Haus, sammelte eine Hand voll Erde, stand auf die Schwelle und warf mit der Linken die Erde über seine Schultern auf seines Vaters Bruder, als Zeichen, daß seine Schuld auf diesen seinen einzigen Blutsverwandten übergehen solle, er aber griff einen Stab und sprang im leinenen Hemde ohne Gürtel und Schuhe über den Zaun seines Hofes, und damit war

er seiner Heimat .ledig und ging in Wälder und Wüsten — ein landflüchtiger Mann, und ging wieder ins Dänen­ land zu seinen Nordmännern und kam nimmer zurück. Nur eine dunkle Kunde sagte, er sei mit ihnen nach Island hinübergefahren, wo ’ die tapfern Seefahrer, die ihren Nacken nicht beugen wollten vor neuem Glauben und neuer Herrschaft, sich ein kaltes Asyl gegründet. Das war schon lange, lange her, aber der Waldfrau war es, als sähe sie ihren Friduhelm noch, wie er ins Waldesdunkel sprang; sie hatte damals ins Weiterdinger Kirchlein einen Kranz von 'Eisenkraut gehängt und viel Tränen vergossen., kein anderer hatte sein Bild ans ihrer Seele verdrängt. Die traurige Jahreszeit gemahnte sie an ein altes Nordmännerlied, das er sie einst gelehrt; das summte sie jetzt vor sich hin: Der Wend kommt, und die Herbstlust weht, Reiflälte spinnt um die Tannen, O, Kreuz und Buch und Mönchsgebet — Mr müssen alle von bannen.

Die Heimat wird dämmernd und dunkel und alt, Trüb rinnen die heiligen Quellen: Du götterumschwebter, du grünender Wald, Scholl blitzt die Axt, dich zu fällen!

Und wir ziehen'stumm, ein geschlagen Heer, Erloschen sind unsere Sterne — O Irland, du eisiger Fels im Meer, Steig auf aus nächtiger Ferne. Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht Auf geschnäbelten Schiffen kommen Die alten Götter, das alte Recht, Die alten Rordmänner geschwommen.

Wo der Fenerberg loht, Glutasche fällt, Sturmwogen die Ufer umschäumen: Auf dir, du trotziges Ende der Welt, Die Winternacht wolln wir verträumenl

Ekkehard war indes draußen abgestiegen und hatte sein sstoß an eine Tanne gebunden. Jetzt ttat er über die Schwelle; scheu ging Audifax hinter ihm drein. Die Wald-

stau warf das Gewand über den Stein, faltete die Hände in ihren Schoß und sah starr dem eintretenden Mann in Mönchsgewand entgegen. Sie stand nicht auf. Gelobt sei Jesus Christ! sprach Ekkehard als Gruß und Ablenkung etwaigen Zaubers. Unwillkürlich schlug er den Daumen der Rechten ein und schloß die Hand, er fürchtete das böse Auge und seine Gewalt: Audifax hatte ihm erzählt, die Leute sagten von ihr, daß sie mit einem Blick ein ganzes Grasfeld dürre zu machen vermöge. Sie antwortete nicht auf den Gruß. Was schafft Ihr Gutes? hub Ekkehard das Gespräch an. Einen Rock bessern, sprach die Alte, er ist schadhaft geworden. Ihr sucht auch Kräu­ ter? Such auch Kräuter. Seid Ihr ein Kräutermann? Dort liegen viele: Habichtskraut und Schilcckenklee, Bocks­ bart und Mäuseohr, auch dürrer Waldnieister, so Ihr be­ gehrt. Ich bin kein Kräutermann, sprach Ekkehard. W