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German Pages 350 [354] Year 1903
Deutsches Lesebuch für
höhere Mädchenschulen herausgegeben
von
Kavk Kessek.
Lrstev teil.
€rfte Dieilung: fiedlcbtt. Stritt Huflagt.
Sonn 1903.
A. Marcus und E. Webers Verlag.
■^orßemerRung. Der erste Teil dieses Lesebuches ist für die Unterstufe höherer Mädchenschulen bestimmt und zwar für das zweite und dritte Schuljahr. Als Vorstufe dazu ist gedacht: Schreib- und Lesefibel und erstes Lesebuch (4. Auflage, Bonn, 1903), wobei jedoch nicht ausgeschlossen ist, daß bereits im letzten Drittel des ersten Schuljahres der vorliegende Band in Gebrauch genommen werde. Die für das letzte Drittel des ersten Schuljahres und für das zweite Schuljahr geeigneten Gedichte und Lesestücke sind bei jedem Schriftsteller vorangestellt und durch Sternchen (*) bezeichnet. Die Rechtschreibung ist nach den jetzt aufgestellten amt lichen Regeln neu geordnet. In der Zeichensetzung ist für den ersten Teil eine Beschränkung der Anführungszeichen auf durchaus notwendig scheinende Fälle beliebt worden; der Doppelpunkt ist mit sehr wenig Ausnahmen nur in direkter Rede gesetzt, das Auslassungszeichen (Apostroph) ebenfalls sehr beschränkt zur Anwendung gelangt, haupt sächlich da, wo das Fürwort „es" mit dem vorhergehenden Wort verschmolzen ist (ist's, gibt's). Im übrigen stimmt inhaltlich diese Auflage mit der vorigen überein, auch Nummern der Stücke und Seiten zahlen. Einzig in den Prosastücken Nr. 128, 129 und 147 sind mehrere Wendungen verändert worden, um einigen berechtigten Einwänden naturwissenschaftlicher Art zu be gegnen. Die Inhaltsverzeichnisse sind sorgfältig revidiert worden. Koblenz, Januar 1903.
Dr. Aarl Hessel, Direktor der Hildaschule.
Erste Abteil»«-:
HedichLe. Ernst Moritz Arndt
(1759—iseo).
1. Gebet eines kleinen Knaben an den heiligen Christ. 1. Tu lieber, Heilger, frommer Christ, Der für uns Kinder kommen ist. Damit wir sollen weiß und rein Und rechte Kinder Gottes sein; 2. Du Licht, vom lieben Gott gesandt In unser dunkles Erdenland, Du Himmelskind und Himmelschein, Damit wir sollen himmlisch sein; 3. Du lieber, heilger, frommer Christ, Weil heute dein Geburtstag ist, Drum ist auf Erden weit und breit Bei allen Kindern frohe Zeit.
4. O, segne mich! ich bin noch klein, O, mache mir den Busen rein, O, bade mir die Seele hell In deinem reichen Himmelsquell! 5. Daß ich wie Engel Gottes sei, In Demut und in Liebe treu, Daß ich dein bleibe für und für, Du heilger Christ, das schenke mir!
2 [I]
Bechstein.
Bierbaum.
Ludwig Bechstein (isoi—iseo). 2. Der Verdrießliche. Ich bin verdrießlich! Weil ich verdrießlich bin, Bin ich verdrießlich. Sonne scheint gar zu hell, 5 Vogel schreit gar zu grell, Wein ist zu sauer mir, Zu bitter ist das Bier, Honig zu süßlich. Weil nichts nach meinem Sinn, 10 Weil ich verdrießlich bin, Bin ich verdrießlich. Dort wird Musik gemacht, Dort wird getanzt, gelacht, Tort wirft man gar den Hut, 16 Wie mich das ärgern tut! Ist nicht ersprießlich, Ist nicht nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin. Ach! so verdrießlich.
Wo ich auch geh und steh,, 20 Ich meinen Schatten seh, Immer verfolgt er mich. Ist das nicht ärgerlich? Und wenn der Himmel trüb, Ist es mir auch nicht lieb. 25 Winter ist mir zu kalt, Frühling kommt mir zu bald), Sommer ist mir zu warmr, Herbst bringt den Mückemschwarm. Mücken auf jeder Hand, 30 Mücken an jeder Wand, O, wie mich das verstimmt! O, wie mich das ergrimmt! Bin ganz verdrießlich, Weil nichts nach meinem Simn, 35 Weil ich verdrießlich bin, Ach, wie verdrießlich!
Julius Bierbaum (geboren 1844). *3. Unser Kaiser. 1. O, könnt ich doch den Kaiser sehn Auf seinem goldnen Thron, Im Purpurmantel wunderschön, Mit Zepter, Schwert und Kron Und all den vielen Edelstein! Was muß das für ein Anblick sein!
Bierbaum.
[I] 3
2. O, wär ich doch nur in Berlin, Denn dort steht sein Palast, Mit tausend schönen Sachen drin, Wie's für den Kaiser paßt. Ich würde dran vorüber gehn Und möchte nur den Kaiser sehn! 3. Er muß so gut und freundlich sein, Denn jeder hat ihn gern, Und wär ich nur nicht gar zu klein, Nicht länger blieb ich fern. Nur einmal möcht ich vor ihm stehn Und unsern guten Kaiser sehn! 4. Doch wenn ich etwas größer bin Und recht marschieren kann, Geh ich zu unserm Kaiser hin Und sehe mir ihn an. Er wird mich doch auch nicht verschmähn? Denn unsern Kaiser muß ich sehn.
4. Im Walde. 1. Auf, zum frischen grünen Wald Laßt uns fröhlich springen, Wo des Kuckucks Ruf erschallt Und die Vöglein singen; Wo so köstlich ist die Luft, Kühler Schatten, Tannenduft, Tausend bunte Blumen blühn, Auf, zum Walde laßt uns ziehn! 2. In den Zweigen ohne Zahl Muntre Vöglein trillern, Und im goldnen Sonnenstrahl Bunte Falter schillern; Rings umher in Busch und Strauch Winken süße Beeren auch; Dort das Moos, so zart und fein. Ladet uns zur Ruhe ein.
4 [I]
Bierbaum.
Brentano.
3. Seht ihr dort auf schwanker Höh, Wie das Eichhorn hüpfet, Drunter hin das schlanke Reh Durch die Büsche schlüpfet, Häslein dort im Grase sitzt Und die langen Ohren spitzt? Hopp! hopp! über Stock und Stein Springt's jetzt in den Wald hinein. 4. Zarte Stimmen um uns her Summen leise Lieder, Und der Mücken zahllos Heer Tanzet auf und nieder. Manches bunte Käferlein Stimmt in den Gesang mit ein, Bien und Hummel ohne Ruh Brummen laut den Batz dazu. 5. Schon im Wendsonnenstrahl Zweig und Blätter schimmern, Und dazwischen überall Goldne Fäden flimmern. Stille wird's und feierlich, Und kein Lüftchen reget sich, Nur die Wendglocke schallt — Lebewohl, du schöner Wald!
Klemens Brentano (i?78—1842>. 8. Herr Gott, d« sollst gelobet sei«. 1. Kein Tierlein ist auf Erden Dir, lieber Gott, zu klein, Du ließt sie alle werden, Und alle sind sie dein. Zu dir, zu dir ruft Mensch und Tier, Der Vogel dir singt, das Fischchen dir springt, Die Biene dir brummt, der Käfer dir summt; Auch pfeifet dir das Mäuslein Hein: Herr Gott, du sollst gelobet sein!
Brentano.
ffl S
2. Das Vöglein in den Lüften Singt dir aus voller Brust, Die Schlange in den Klüften Zischt dir in Lebenslust. 3. Die Fischlein, die da schwimmen, Sind, Herr, vor dir nicht stumm, Du hörest ihre Stimmen, Vor dir kömmt keines um. 4. Vor dir tanzt in der Sonne Der kleinen Mücken Schwarm, Zum Dank für Lebenswonne Ist seins zu klein und arm. 5. Sonn, Mond gehn auf und unter In deinem Gnadenreich, Und alle deine Wunder Sind sich an Größe gleich. 6. Zu dir muß jedes ringen, Wenn es in Nöten schwebt, Nur du kannst Hilfe bringen, Durch den das Ganze lebt. 7. In starker Hand die Erde Trägst du mit Mann und Maus, Es ruft dein Odem: Werde! Und bläst das Lichtlein aus. 8. Kein Sperling fällt vom Dache, Ohn dich vom Haupt kein Haar; O, teurer Vater, wache Bei uns in der Gefahr! Zu dir, zu dir ruft Mensch und Tier, Der Vogel dir singt, das Fischchen dir springt, Die Biene dir brummt, der Käfer dir summt; Auch pfeifet dir das Mäuslein klein: Herr Gott, du sollst gelobet sein!
Chamisso.
6 [I]
Adelbert von Chamisso (i78i—isas). S. Das Riesenspielzeug. 1. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt. Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer; Du fragest nach den Riesen? du findest sie nicht mehr. 2. Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor, Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor Und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein, Neugierig, zu erkunden, wie's unten möchte sein. 3. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald, Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt. 4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut. Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut; Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar. Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. 5. „Ei, artig Spielding!" ruft sie, „das nehm ich mit nach Haus!" Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus Und füget mit den Händen, was da sich alles regt, Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt, 6. Und eilt mit freudgen Sprüngen — man weiß, wie Kinder sind — Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind: „Ei, Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön! So allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höhn." 7. Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein, Er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
„Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei? Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei!" 8. Sie spreitet aus das Tüchlein und' fängt behutsam an,
Den Bauer aufzustellen,
den Pflug und das Gespann;
Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut, So klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut. 9. Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht: „Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht! Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin! Der Bauer jist kein Spielzeug; was! kommt dir itt den Sinn? 10. Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot! Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot; Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor; Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!" 11. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt. Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer, Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
Matthias Claudius (i?40—isi5).
7. Der Esel. Hab nichts, mich dran zu freuen, Bin dumm und ungestalt, Ohn Mut und ohn Gewalt; Mein spotten und mich scheuen 5 Die Menschen jung und alt; Bin weder warm noch kalt; Hab nichts, mich dran zu freuen, Bin dumm und ungestalt; Muß Stroh und Disteln käuen; 10 Werd unter Säcken alt — Ah, die Natur schuf mich im Grimme! Sie gab mir nichts als eine schöne Stimme.
8 [I]
Curtman.
Wilhelm Curtman (I802—i87i).
8. Der König und der Müller. 1. Es wohnt ein Müller sorgenfrei In seiner kleinen Mühle. Das Mühlchen klappert Brot herbei Bei Sonnenbrand und Kühle. 2. Nicht weit davon ein König hatt' Ein Schloß sich aufgebauet. Wär nicht die Mühl, man hätte Stadt Und Land draus überschauet. 3. Der König bot dem Müller Geld: „Verkauf mir deine Hütte! Bau neu sie auf, wo dir's gefällt, Nach größerm Maß und Schnitte!" 4. „Mein Mühlchen ist mir gut genug, Das laß ich meinen Erben; Es trägt des Vaters Segensspruch, Hier will ich ruhig sterben!" 5. Der Fürst sagt ja, der Müller nein; Der Fürst wird ungeduldig: „Ich bin dein Herr, das Land ist mein! Du bist zu weichen schuldig." 6. „Ich weiche nicht." — „Dann muß Gewalt Den starren Sinn dir beugen!" „Ihr irret, Herr, Euch werden bald Die Richter andres zeigen." 7. Die Richter? — fällt dem König ein, Die selbst er eingesetzet? „Da hast du recht; ich geb mich drein, Dein Gut bleibt unverletzet." 8. Seit jener Stunde lebten sie Ms Freunde, hoch und niedrig. Des Schlosses Nam ist Sanssouci, Des Königs Name Friedrich.
Georg Christian Dieffenbach
(1822—i90i).
*S. Morgengevet. Vom Schlaf bin ich gesund erwacht, Dir, lieber Gott, sei Dank gebracht! Nimm mich auch heut in deine Hut Und mache mich recht fromm und gut, Daß ich, 0 Gott, den ganzen Tag Dein liebes Kindlein bleiben mag! Amen.
*10. Der luftige Musikant. 1. Was ist das für ein Musikant, Er ist in jedem Dorf bekannt, Er hat ein graues Röcklein an Und musiziert, so gut er kann? 2. Sitzt morgens auf dem Scheuerdach Und macht die Schläfer alle wach, Bläst unverdrossen, ohne Ruh Sein lustig Stücklein immerzu? 3. Herr Spatz, Herr Spatz ist er benannt, Der wohlbekannte Musikant; Zwilch! zwilch! so lautet spät und früh Die alte Spatzenmelodie.
*11. Die Bachstelze. 1. Was geht dort für ein Stelzenfuß Am Bächlein kreuz und quer Und wackelt mit dem Schwänzlein doch So hurtig hin und her? 2. Bachstelzchen ist's — es hüpfet keck Und leicht von Stein zu Stein, Schaut mit den Äuglein hell und klar Froh in die Welt hinein.
10 [I]
Dieffenbach.
3. Ein Würmlein ist sein Mittagsschmaus, Sein Trank das Bächlein dort. Es flattert hin, es flattert her Und fliegt dann hurtig fort. 4. Bachstelzchen hat nicht Sorg und Not, Kann immer lustig sein; Der liebe Gott im Himmel sorgt Auch für die Vögelein!
*12. Der Osterhas. 1. Der Has, der Has, der Osterhas Ist eben fortgesprungen; Wir hätten gerne ihn erwischt, Doch ist's uns nicht gelungen. 2. Gewiß hat Eier er gelegt In alle dunkeln Ecken! Das Osterhäslein liebt es sehr, Die Eier zu verstecken. 3. Wir suchen überall mit Fleiß. Juchhe! juchhe! gefunden! Seht her! ein rotes Hasenei; Das soll mir trefflich munden! 4. Die Hühner legen weiße nur, Die Hasen aber rote Und gelbe, blaue auch dazu; So ist es Hasenmode. 5. Tie schmecken noch einmal so gut, Toch das ist unsre Klage, Daß uns der Has nur Ostern legt Und nicht an jedem Tage. 6. Gewiß kommt auch im nächsten Jahr Der Osterhas gegangen; Dann geben alle wir recht acht, Damit wir ihn uns fangen.
7. Mit bunten Blumen wollen wir Ihn füttern und ihn pflegen! Dafür soll er uns alle Tag Biel Ostereier legen!
*13. Aus dem Hofe. 1. Das Kätzlein sitzt und stutzt sich, Es schnurrt dazu und putzt sich, Blinzt mit dem Äuglein schlau Und schreit: Miau! miau! Hätt ich ein Mäuslein grau! 2. Der stolze Gickel streckt sich. Steht auf dem Mist und reckt sich Und schreit in aller Früh Laut: Kikriki, kikri! Ein Körnlein lieget hie. 3. Das Täubchen droben sitzet, Sein Schnäblein wetzt und spitzet Und schaut sich um dazu, Ruft: Rucke, ruckedigu! Run flieg ich fort im Nu. 4. Das Schäflein springt voll Freude Wohl auf die grüne Weide, So hurtig wie ein Reh Und schreiet laut: Mä! mä! Wie schmeckt so gut der Klee! 5. Der Ochs mag kaum sich regen, Faul tut er hin sich legen; Daneben steht die Kuh, Und beide schrein: Muh, muh! Laßt uns nur unsre Ruh!
12 [I]
Dieffenbach.
*14. Die Heime und ihre Küchlein. 1. Gluck! Gluck! gluck! die Henne tust; Küchlein sind nicht ferne; Gluck! gluck! gluck! da laufen sie, Folgen alle gerne.
2. Körnlein hat die Frau Mama Dort im Sand gefunden; Ei, wie läßt das kleine Volk Sich das Futter munden! 3. Henne scharret immerzu Körnlein aus der Erden, Bis die muntern Mchlein all Ganz gesättigt werden. 4. Gluck! gluck! gluck! die Henne lockt Zu dem Brunnen helle, Und die Küchlein trinken all Ans der frischen Quelle.
5. Auf zum Himmel blicken sie, Wenn geschluckt sie haben; Danken wohl dem lieben Gott Für die guten Gaben. 6. Gluck! gluck! gluck! die Henne ruft: Küchlein, kommt in Eile! Seid ihr satt, so sollt ihr nun Schlafen eine Weile!
7. Wie sie alle sich so lieb Um die Mutter strecken, Ruhen warm und schlummern gut Unter Flügeldecken.
*15. Ara« Schwalbe. 1. Frau Schwalbe ist 'ne Schwätzerin, Sie schwatzt den ganzen Tag, Sie plaudert mit der Nachbarin, So viel sie plaudern mag; Das zwitschert, das zwatschert Den lieben, langen Tag. 2. Sie schwatzt von ihren Eiern viel, Von ihren Kindern klein, Und wenn sie niemand hören will. Schwatzt sie für sich allein. Das zwitschert, das zwatschert, Sie kann nicht stille sein. 3. Hält sie im Herbst Gesellschaft gar Auf jenem Dache dort. So schwatzen die Frau Schwalben all Erst recht in einem fort; Das zwitschert, das zwatschert. Und man versteht kein Wort.
♦16. Die Mühle. 1. Es steht eine Mühl im Wiesengrund; Die Räder drehn sich Stund um Stund Rundum, rundum, rundum! Das Kippert und Kappert immerzu. Der Müller hat nicht Rast noch Ruh. 2. Er schüttet das Korn und den Weizen hinein; Die Steine mahlen es trefflich Kein Rundum, rundum, rundum! Der allerbeste Müllergesell, Das ist das Bächlein Kar und hell. 3. Das muß bei Nacht und bei Tage gehn Und immerfort das Rädlein drehn Rundum, rundum, rundum! Und wenn es nicht so fleißig wär, So ging die Mühle nimmermehr.
14 [I]
Dieffenbach.
4. Den Müller drückt der Sack oft schwer; Das Bächlein ruht doch nimmermehr; Rundum, rundum, rundum, So dreht es das Rädlein fort und fort Wohl in der Klappermühle dort.
•17. Der Frosch. 1. Der Frosch sitzt in dem Rohre, Der dicke, breite Mann, Und singt sein Abendliedchen, So gut er singen kann — quak! quak! 2. Er meint, es klingt gar herrlich, Könnt's niemand so wie er, Er bläst sich auf gewaltig, Meint wunder, was er wär — quak! quak! 3. Mit seinem breiten Maule Fängt er sich Mücken ein, Guckt mit den dicken Augen Froh nach der Sonne Schein — quak! quak! 4. Das ist ein ewig Quaken, Er wird es nimmer müd, So lange noch ein Blümchen Im Wiesengrund nur blüht — quak! quak! 5. Herr Frosch! nur zu gesungen, Er ist ein lustger Mann; Im Lenz must alles singen, So gut es singen kann — quak! quak!
*18. Rätsel. i.
Ich kenn ein Fäßlein Nein und zart, Das ist von ganz besondrer Art, Zerbricht gar leicht, drum gib wohl acht! Der Küfer hat es nicht gemacht; Hat keinen Reif, ist weist und rein. Was mag das für ein Fästlein sein?
Dieffenbach.
2.
Am Wege steht ein langer Mann, So dünn als wie ein Stock, Er ist gar lustig angetan Mit einem bunten Rock. Er steht wohl manches Jahr schon dort, Streckt beide Arme aus Und geht doch nie ein Schrittlein fort Und geht auch nicht nach Haus, Zeigt allen, die vorübergehn, Die rechte Straße an Und spricht kein Wort, bleibt immer stehn, Der wunderliche Mann. 3.
Ich kenn zwei kleine Fensterlein J3n einem Keinen Haus, Draus guckt den lieben langen Tag Ein Keiner Schelm heraus. Doch abends, wenn es dunkel wird Und alles geht zur Ruh, Da macht geschwind der Keine Schelm Die Fensterladen zu. 4.
Ein Wagen kommt gefahren Ins Keine Scheuerlein, Drin stehen wackre Drescher, Die dreschen alles Kein. Und sind sie all beisammen, Sind's zweiunddreißig Mann. Herbei! wer in der Scheuer Die Drescher nennen kann!
ffl 16
16 [I]
Dieffenbach.
Eberhardt.
19. Die Sterne. 1. Siehst du dort die goldnen Sterne An dem dunkeln Himmel stehn, Wie sie aus der weiten Ferne Freundlich nach der Erde sehn? Ihre Zahl kann niemand nennen, Ihre Wege niemand kennen. 2. Über allen Sternen thronet Gott im Himmel wunderbar. Ob er schon dort oben wohnet, Schaut sein Auge immerdar Nieder auf der Menschen Pfade, Voller Liebe, Treu und Gnade.
August Gottlieb Eberhardt (i?69—1845)
20. Der Peter in der Fremde. 1. Der Peter will nicht länger bleiben, Er will durchaus fort in die Welt. Dies Wagestück zu hintertreiben, Der Mutter immer schwerer fällt. „Was," spricht sie, „willst du draußen machen? Du kennst ja fremde Menschen nicht; Dir nimmt vielleicht all deine Sachen Ter erste beste Bösewicht." 2. Der Peter lacht nur ihrer Sorgen, Wenn er die Mutter weinen sieht, Und wiederholt an jedem Morgen Sein längst gesungnes Reiselied. Er meint: „Die Fremde nur macht Leute; Nicht in der Nähe wohnt das Glück." Drum sucht er's gleich recht in der Weite, Doch kehrt er mit der Zeit zurück.
3. Zu Hilfe ruft man alle Basen, Jedwede gibt dazu ihr Wort; Doch Peter lätzt nicht mit sich spaßen, Der Tollkopf will nun einmal fort. Da sprach die Mutter voller Kummer: „So sieh doch nur den Vater an! Der reiste nie und ist nicht dummer Als mancher weitgereiste Mann." • 4. Doch Peter läßt sich nicht bewegen, So daß der Vater endlich spricht: „Nun gut! ich wünsch dir Glück und Segen; Fort sollst du; doch nun zögr auch nicht!" Nun geht es an ein Emballieren Vom Fuß hinauf bis an den Kopf; Man wickelt, daß auch nichts kann frieren, Das dickste Band um seinen Zopf. 5. Und endlich ist der Tag gekommen! Gleich nach dem Essen geht er heut. Voraus ist Abschied schon genommen, Und alles schwimmt in Traurigkeit. Die Eltern das Geleit ihm geben Bis auf das nächste Dorf hinaus. Und weil da ist ein Wirtshaus eben, Hält man noch einen Abschiedsschmaus. 6. Ein Fläschchen Wein wird vorgenommen — Doch still wird Peter, mäuschenstill. Man trinkt auf glücklich Wiederkommen, Und Peter seufzt: „Wie Gott es will!" Er muß die Augen manchmal reiben. Nimmt Abschied noch einmal recht schön Und sagt, man soll' nur sitzen bleiben, Denn weiter läßt er keinen gehn. 7 Und endlich wankt er fort, der Peter, Ob's gleich beinah ihn hätt gereut. Nach jeden hundert Schritten steht er Und denkt: „Wie ist die Welt so weit!"
Das Wetter will ihn auch nicht freuen; Es geht der Wind so rauh und kalt, Er glaubt: „Es kann noch heute schneien, Und schneit's nicht heut, so schneit's doch bald! 8. Jetzt schaut er bang zurück, jetzt geht er Und sinnt, wie weit er heut wohl reist; Jetzt kommt ein Kreuzweg, ach! da steht er, Und niemand, der zurecht ihn weist! „Ach," seufzt er, „so was zu erleben Gedacht ich nicht! daß Gott erbarm! Hätt ich der Mutter nachgegeben, So säß ich jetzt noch weich und warm. 9. Wie konnt ich so mein Glück verscherzen! Ich war doch wahrlich toll und dumm. Wie würde mich die Mutter herzen. Kehrt ich an diesem Kreuzweg um!" Und rasch beschließt er, sich zu drehen, Wie wenn man was vergessen hat, Und rennt — ich hätt es mögen sehen — Zurück zur lieben Vaterstadt. 10. Die Eltern saßen unterdessen Im Wirtshaus noch in guter Ruh, Bekämpften ihren Gram durch Efsen Und tranken tiefbetrübt dazu. Der Peter ließ sie gern beim Schmause; Ihn reizte nur der Heimat Glück; Drum rannt er spornestreichs nach Hause Auf einem Seitenweg zurück. 11. Und froh, daß in der Näh und Ferne Sein Fuß sich nicht verirret hat, Gelangt er vor dem Wendsterne Inkognito noch in die Stadt. Doch ist er kaum daheim gekommen, So schallt Gelächter durch das Haus, Das hätt er übel fast genommen, Allein — er machte sich nichts draus.
12. Man spaßt: „Du mußt mit Meilenschuhen Gewandert sein; drum setz dich auch Nun Hintern Ofen, um zu ruhen, Und pfleg am Brotschrank deinen Bauch!" Er tut's. Tann treten seine Alten Zur Stubentür betrübt herein; Die Mutter seufzt mit Händefalten: „Ach, Gott, wo mag mein Peter sein?" 13. Da kriecht der Peter vor und schmunzelt: „Was schreit ihr denn? hier bin ich ja." Die Mutter jauchzt, der Vater runzelt Die Stirn und spricht: „Schon wieder da? Nun, wie ich's dachte, ist's geschehen; Die Mutter war nur ganz verwirrt; Ich hab's dem Kerl heut angesehen, Wie weit die Reise gehen wird." 14. Die Mutter jubelte, durchdrungen Von frommem Dank: „'s ist besser so; Nun hab ich wieder meinen Jungen Gesund daheim, des bin ich froh!" Toch Peter sagte ganz beklommen: „Hat ich nur nicht geglaubt, es schneit, Und wär der Kreuzweg nicht gekommen, Ich wäre jetzt, wer weiß, wie weit!"
Karl Enslin
(1819-1875).
*21. Kiickircksshiel. 1. Geh ich im grünen Wald, Hör ich den Kuckuck bald, Lauf ich ihm hurtig nach, Wünsch ich ihm guten Tag. 2. Sehn möcht ich sein Gesicht, Wer er zeigt es nicht. Sitzt er im Birkenbusch, Komm ich — entflieht er, husch!
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Enslin. 3. Jetzt ist er wieder nah — Schon ist er nicht mehr da; Fern hat er sich versteckt, Abermals mich geneckt. 4. Wie er nun ruft und schreit! Kuckuck, bist nicht gescheit! Da ich dich doch nicht seh, Geh ich nach Haus; ade!
*22. Maiblümelein. 1. Im Walde, dort unter den Eichen und Buchen, Da will ich mir suchen Die Maiblümelein, Weiß und rein. 2. Die blühen so schön, wie die schimmernden Sterne; Ich hab sie so gerne, Die Maiblümelein, Weiß und rein. 3. O, kommet! o, lasset euch doch von mir pflücken, Mit euch mich zu schmücken, Ihr Maiblümelein, Weiß und rein! 4. Ihr stehet mir schön, und nun denken die Leute, Ich selber sei heute Ein Maiblümelein, Weiß und rein.
*23. Wolkenschäflein. 1. Wie ist das doch so drollig! Da oben ist's ganz wollig! Ich sah am weiten Himmel Ein luftiges Gewimmel, Das glänzt so wunderlieblich hell; Es flimmert rein und golden Ein jedes krause Fell.
L. Sie SchSflein können fliegen; Sie sind hinaufgestiegen Von einer grünen Heide Dort auf die blaue Weide. Hier unten war's nicht schön genug; Drum haben sie gerichtet Zum Himmel ihren Flug. 3. O, fallet nicht herunter Und ziehet froh und munter Auf euren Himmelsauen! Ich mag euch gerne schauen; Und könnt ich fliegen, so wie ihr, Wollt ich euch auch besuchen — So aber bleib ich hier.
•24. Es regnet. 1. Es regnet! Äott segnet Die Erde, die so durstig ist, Daß ihren Durst sie bald vergißt. O, frischer Regen, du Gottessegen! 2. Es regnet! Gott segnet Den hohen Baum, den Heinen Strauch Und all die tausend Blumen auch. O, frischer Regen, du Gottessegen! 3. Es regnet! Gott segnet. Was lebt und webt in weiter Welt. Für jedes Tier ein Tröpflein fällt. O, frischer Regen, du Gottessegen!
4. Es regnet! Gott segnet Die Menschen alle väterlich; Sein Himmelstau erquickt auch mich. O, frischer Regen, du Gottessegen!
22 [I]
Enslin.
•25. Wie man einschlaft. 1. Wie man einschläst, möcht ich wissen! Immer drück ich mich ins Kissen, Denk dabei: jetzt geb ich acht! Doch — eh ich mich recht besonnen, Hat der Morgen schon begonnen, Bin schon wieder aufgewacht. 2. Mag ich, wen ich will, auch fragen, Kann es keiner mir doch sagen, Und was soll ich denken nun? Viel mag in der Welt geschehen, Was wir Menschen nicht verstehen, Selbst oft das nicht, was wir tun.
*26. Weihnachtslievchen. 1. Still, still, still! Die Augen aufgemacht! Wer will herein? Das Christkindlein, Es ist ja heut die heilge Nacht! 2. Horch, horch, horch! Es klopfet an die Tür! Es klingelt hell, O, komm doch schnell Herein! schon lange warten wir. 3. Ja, ja, ja! Wir haben dich gar lieb! Was bringst du heut Zur Weihnachtsfreud? Die hübschen Sächelchen, o gib! 4. Ei, ei, ei! Wie sind die doch so süß, So nett und klein. So neu und fein, Ein Gärtchen, Bilder, Äpfel, Nüß!
Enslin.
5. Ah, ah, ah! Wie glänzt und glitzert das! Wie hell und rein Der goldne Schein! Herbei zu Lust und Spiel und Spaß! 6. Dank, Dank, Dank! Du liebes Christkindlein! Wir alle, wir Versprechen dir, Stets folgsam, brav und fromm zu sein.
27. Die beiden Bögel. 1. Ein Käfig vor dem Fenster hing, Darin ein Vöglein saß; Gar traurig war das arme Ding — Fehlt ihm denn wohl etwas? 2. Ein andres Vöglein flog daher. Hing an das Gitter sich. „Ei, was betrübt dich denn so sehr, Und warum grämst du dich? 3. Du wirst so sorgsam hier gehegt, Hast eine Wohnung schön, Wirst reich gefüttert und gepflegt, Ich kann dich nicht verstehn." 4. Das Vöglein in dem Käfig sprach: ,^D, könnt ich ziehn mit dir! Wohl hab ich alles — aber, ach! Die Freiheit fehlet mir!"
28. Glockenklang. 1. O Glockenklang, wie lieb ich dich! Wie tönest du so feierlich! O Glockenklang, so voll und rein, Du ladest mich zum Beten ein!
m 23
24 [I]
Enslin.
Falk.
2. Du rufest alle, nah und fern. Auch ich folg deinem Rufe gern. Gott hört auch, wenn im Kämmerlein Ich zu ihm bete ganz allein. 3. Zum Himmel dringt der Glockenklang Und frommer Menschen Lobgesang. O, schalle weit! o, halle lang Durch alle Welt, du Glockenklang!
Johannes Falk (i?68—1826). 2S. Allerdreifeiertagstted. 1. O, du fröhliche, O, du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren! Freue, freue dich, Christenheit! 2. O, du fröhliche, O, du selige, Gnadenbringende Osterzeit! Welt liegt in Banden, Christ ist erstanden! Freue, freue dich, Christenheit! 3. O, du fröhliche, O, du selige, Gnadenbringende Pfingstenzeit! Christ, unser Meister, Heiligt die Geister! Freue, freue dich, Christenheit!
Friedrich Förster (1791—ises).
Sv. Die Korelle«. Bei Hellem Sonnenschein Spielten im Waldbächlein Unter plätschernden Wellen Lustige, kleine Forellen. 5 Da kam bergab ein Fischerknab Mit Angel und Netzen; und um sich zu ergötzen, Legt er sich nieder am grünen Rand, Nahm ein Pfeifchen in seine Hand Und sprach: „Ihr Fischlein, gemach! 10 Haltet ein wenig still und hört, was ich will, Ich könnt euch fangen nach meinem Verlangen, Allein wenn ihr artig seid, Geschieht euch kein Leid, Nur bitt ich vor allen um einen Heinen Gefallen; 1b Was ich begehr, ist wenig im ganzen, Ich will euch was pfeifen, danach sollt ihr tanzen." Jetzt nimmt er sein Pfeifchen und pfeift, Das junge Volk aber streift und schweift Die Kreuz, die Quer hin und her. 20 Sie schauen spöttisch den Knaben an: „Dein Stückchen steht uns nicht an." Der Knabe verliert nicht den Mut, Er spricht: „Gut! Spitzt euer Ohr, 25 Ich spiel euch ein andres Stückchen vor." Er nimmt sein Pfeifchen wieder und pfeift, Das junge Volk aber streift und schweift Die Kreuz, die Quer hin und her, Schauen den Knaben spöttisch an: 30 „Dein zweites Stückchen steht uns auch nicht an." Der Knabe läßt sich's noch nicht verdrießen, Und als sie wieder vorüber schießen,
Ruft er: „So hört doch ein Augenblickchen, Ich spiel euch nun schon das dritte Stückchen." 35 So spielte der Knabe fort und fort, Gab ihnen noch manches gute Wort; Sie wollten durchaus sich nicht zureden lassen, Es toar alles in den Wind geblasen. Bald gefiel ihnen der Takt nicht recht, 40 Bald war ihnen die Musik zu schlecht, Bald drückten sie die engen Schuh, Zuletzt hörten sie gar nicht mehr zu. Da ward es dem Knaben endlich zu viel, Er legte beiseit sein Pfeisenspiel, 45 Nahm sein 9?eg zur Hand, Stieg an des Bächleins Rand Und hat die Forellen gefangen, Daß ihm auch nicht eine entgangen. Drauf steckt er sie in sein Faß 50 Und wanderte fürbaß, Mutterseelens allein in die Stadt hinein, Trug sie von Haus zu Haus und bot sie aus. Das währte gar nicht lang, Verkauft war der ganze Fang. 55 Die Jungfer Köchin war gleich zur Hand, Der Kessel schon an dem Feuer stand, Und in die siedenden Wellen Warf sie die armen Forellen. Da sprangen und schnellten sie in die Höh: 60 „Wir wollen gern tanzen, o weh! o weh! O, bring uns nur wieder in unsern Bach Und pfeif uns was vor, wir tanzen danach." Der Fischer sprach: „Nun ist's zu spat, Ihr hörtet nicht, als ich euch bat, 65 Wer nicht tanzt zu gelegener Zeit, . Der muß oft tanzen, wenn's ihn reut."
Agnes Franz (.1794—1843).
*31. Gute Nacht. 1. Schon glänzt der goldne Abendstern! Gut Nacht, ihr Lieben nah und fern, Schlaft ein in Gottes Frieden! Die Blume schließt das Äuglein zu. Der kleine Vogel geht zur Ruh, Bald schlummern alle Müden. 2. Du aber schläfst und schlummerst nicht. Du treuer Gott im Sternenlicht, Dir will ich mich vertrauen! O, gib auf mich, dein Kindlein, acht Und laß nach einer sanften Nacht Mich froh die Sonne schauen!
32. Fliege und Spinne. „Frau Spinne, Sie gehen wohl gar nicht aus? Sie sitzen und weben jahrein, jahraus! Ich möchte wohl wissen, wie Sie's beginnen, Und ob Sie große Schätze gewinnen? 5 Um Ihre Kunst auch möcht ich Sie fragen Und meinem Nachbar es wieder sagen; Möcht auch Ihr feines Gespinst erproben, Daß ich es könnt aus dem Markte loben! Ich bin geliebt in jedem Kreis, 10 Erzähle gern, was ich Neues weiß!" Da flog die Fliege ins Netz hinein, Bald hing sie gefangen an einem Bein. O weh, wie hat es die Arme bereut, Daß sie sich bekümmert um andere Leut!
38. Die Wachtel. 1. „Danket Gott, danket Gott!" Wer singt so früh schon beim Morgenrot? Es ist die Wachtel im Weizenfeld, Dort hat sie heimlich ihr Nestchen bestellt; Dann wandelt sie fröhlich dahin am Rain Und sammelt ihr Keines Frühstück ein, Sitzt dann in krauser Saat verborgen Und läßt den Himmel weiter sorgen. 2.. Und denkst du, daß der Herr sie vergißt? O nein! Das Weizenfeld schoßt und sprießt. Bald sammelt manch goldnes Körnelein Die gute, geschäftige Wachtel ein, Füttert die Jungen mit frohem Behagen, Bis sie sich selbst aus dem Neste wagen; Dann hört man sie singen von nah und fern: „Preist den Herrn, preist den Herrn!"
84. Birke und Tanne. Du alte Tanne im dunkeln Kleid, Du solltest dich schämen zur Frühlingszeit! Sieh, wie ich mit festlichem Grün mich geschmückt. Daß jeder mich voll Freude erblickt! 5 Bald kommt das Pfingstfest, dann wirst du mich sehn Ms Zierde vor jedem Hause stehn. Doch deine ernste, finstre Gestalt Begehrt keiner im ganzen Wald! „O Birke, prahle nicht so kühn 10 Mit deinem schönen, jungen Grün! Wohl trage ich Winters- und Sommerszeit Dasselbe schlichte, dunlle Kleid; Doch wenn ich im Herbste noch grün am Hügel, Steckst du als Rute schon hinter dem Spiegel.
Franz.
Gellert.
[I] 29
16 O, wie die Kinder dich fliehen erschrocken! Ich aber, in meinen krausen Locken, Darf als Christbaum, zu ihrem Behagen, Die schönen Weihnachtslichter tragen."
Christian Fürchtegott Gellert
(1715—1769).
35. Der Bauer und sein Sohn. Ein guter, dummer Bauernknabe, Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, Recht dreist zu lügen, wiederkam, 5 Ging kurz nach der vollbrachten Reise Mit seinem Vater über Land. Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand, Log auf die unverschämtste Weise. Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. 10 „Ja, Vater," rief der unverschämte Knabe, „Ihr mögt mir's glauben oder nicht, So sag ich's Euch und jedem ins Gesicht,
Daß ich einst einen Hund bei — Haag gesehen habe, Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, 15 Der — ja, ich bin nicht ehrenwert, Wenn er nicht größer war, als Euer größtes Pferd."
„Das," sprach der Vater, „nimmt mich wunder; Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. Wir zum Exempel gehn jetzunder 20 Und werden keine Stunde gehn, So wirst du eine Brücke sehn, Wir müssen selbst darüber gehn, Die hat dir manchen schon betrogen; Denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein. 25 Auf dieser Brücke liegt ein Stein, An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, Und fällt und bricht sogleich das Bein."
30 [I]
Gellert.
Görres.
Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen. „Ach," sprach er, „lauft doch nicht so sehr! 30 Doch wieder auf den Hund zu kommen, Wie groß sagt ich, daß er gewesen wär? Wie Euer großes Pferd? dazu will viel gehören. Der Hund, jetzt fällt mir's ein, >var erst ein halbes Jahr; Allein das wollt ich wohl beschwören, 35 Daß er so groß als mancher Ochse war." Sie gingen noch ein gutes Stücke; Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein? Denn niemand bricht doch gern ein Bein. Er sah nunmehr die richterische Brücke 40 Und fühlte schon den Beinbruch halb. „Ja, Vater," fing er an, „der Hund, von dem ich redte, War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte, So war er doch viel größer als ein Kalb." Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen! 45 Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind. „Ach, Vater," spricht er, „seid kein Kind Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen; Denn kurz und gut, eh wir darüber gehen, Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind."
Guido Görres (i805—1852). 36, Die Kinder im Walde. 1. Es blieben einst drei Kinder stehn, Die grad zur Schule sollten gehn; Die dachten dies und dachten das, Das Lernen sei ein schlechter Spaß, 2. Und sprachen dann mit leichtem Sinn: Ei, laßt uns doch zum Walde hin!* Das Spielen ist der Tierlein Brauch; Laßt spielen uns mit ihnen auch!
3. Sie luden dann im Walde ein Zum Spiel die Tiere groß und klein; Doch sprachen die: Es ist uns leid, Wir haben jetzo keine Zeit. 4. Der Käfer brummte: Das wär schön. Wollt ich mit euch so müßig gehn! Ich muß aus Gras ein Brücklein baun; Dem alten ist nicht mehr zu traun. 5. Am Ameishaufen schlichen sie Ganz leis vorbei, ich weiß nicht, wie, Und liefen vor dem Bienlein schier, Als wär es gar ein giftig Tier. 6. Das Mäuslein sprach zu ihnen fein: Ich sammle für den Winter ein. Und ich, das weiße Täubchen sprach, Zum Neste dürre Reiser trag. 7. Das Haschen winkte freundlich bloß: Ich könnte um die Welt nicht los; Ihr seht, mein Schnäuzchen ist nicht rein, Das muß im Fluß gewaschen sein. 8. Das zarte Erdbeerblütchen sprach: Ich nütze diesen schönen Tag, Zu reifen meine süße Frucht, Die dann der arme Bettler sucht. 9. Da kam ein junger Hahn daher. Sie riefen: Liebster Monsieur! Er, Er hat doch wahrlich nichts zu tun Und kann ein bißchen bei uns ruhn. 10. Pardon! ich hab von Wel Gäst Und arrangiere heut ein Fest, So spricht der Hahn voll Gravität, Verneigt sich steif und kalt und geht. 11. Drauf dachten sie in ihrem Sinn: Du, Bächlein, plätscherst doch so hin. Komm, spiel mit uns, sei mit uns froh! Das Bächlein sprach erstaunt: Wie so? Hessil, Lesebuch I. Gedichte. 6. Huff
3
32 [I]
Görres. 12. Ei, seht die faulen Kinder, seht! Ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht; Sie meinen, ich hätt nichts zu tun, Und kann doch Tag und Nacht nicht ruhn. 13. Menschen, Tiere, Gärten, Wälder, Wiesen, Tal und Berg und Felder — Alle muß das Bächlein tränken Und die Töpfe auch noch schwenken, 14. Kinder wiegen, Mühlen treiben, Bretter schneiden, Erz zerreiben, Wolle spinnen, Schiffe tragen, Feuer löschen, Hämmer schlagen. 15. Ich kann euch alles sagen nicht, Weil mir dazu die Zeit gebricht. So sprach's und sprang von Ort zu Ort, Und husch! war gleich das Bächlein fort. 16. Da war ihr Mut dem Sinken nah, Als einer einen Finken sah, Der auf dem Aste saß in Ruh Und pfiff sein Lied und fraß dazu. 17. Sie riefen: Ach, Herr Biedermann, Der all die schönen Lieder kann, Du hast gewiß recht viele Zeit Und bist mit uns zum Spiel bereit. 18. Potz tausend! hab ich schlecht gehört? Ihr Kinder scheint mir recht betört; Ich hab gejagt den langen Tag Den Mücken, sie zu fangen, nach. 19. Nun wollen noch die Jungen mein Zum Schlafe eingesungen sein; Drum pfeif ich mit dem Brüderchor Den Kleinen meine Lieder vor. 20. Ich sing dem Wald zur hohen Lust, Ein müder Mann, aus froher Brust, Dem Herren gibt mein Mund den Preis Und lobt die Arbeit und den Schweiß.
21. Doch sprecht, was habt denn ihr gemacht, Die also schlecht von mir gedacht? Kehrt um, ihr Müßiggänger ihr, Und stört die Leut nicht länger hier! 22. Von allen Tierlein so belehrt, Sind drauf die Kinder froh gekehrt Und wußten, daß dem Fleiß allein Des Spieles Lust ein Preis kann sein.
Johann Wolfgang von Goethe
(i?49—1832).
37. Gefunden. 1. Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn. 2. Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn. Wie Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön. 3. Ich wollt es brechen, Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken Gebrochen sein? 4. Ich grub's mit allen Den Würzlein aus, Zum Garten trug ich's Am hübschen Haus 5. Und pflanzt es wieder Am stillen Ort; Nun zweigt es immer Und blüht so fort.
38. Heideuröslein. 1. Sah ein Knab ein Rös lein stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön. Lief er schnell, es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden!
2. Knabe sprach: Ich breche dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: Ich steche dich. Daß du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden! Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden!
34 [I]
Goethe.
Güll.
3. Und der wilde Knabe brach 's Röslein auf der Heiden; Röslein wehrte sich und stach, Half ihm doch kein Weh und Ach, Mußt es eben leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden!
Friedrich Güll
(I812—1879).
*SS. Osterhäslein. 1. Drunten an den Gartenmauern Hab ich sehn das Häslein lauern. Eins, zwei, drei Legt's ein Ei, Lang wird's nimmer dauern. 2. Kinder, laßt uns niederducken! Seht ihr's ängstlich um sich gucken? Ei, da hüpft's! Und dort schlüpft's Durch die Mauerluken. 3. Und nun stlcht in allen Ecken, Wo die schönsten Eier stecken! Rot und blau, Grün und grau Und mit Marmelflecken.
♦40. Bom listigen Grasmiicklein eit» lustiges Stücklein. Klaus ist in den Wald gegangen, Weil er will die Vöglein fangen; Auf den Busch ist er gestiegen, Weil er will die Vöglein kriegen.
Doch im Nestchen sitzt das alte Bögelein just vor der Spalte, Schaut und zwitschert: Ei, der Daus! Kinderlein, es kommt der Klaus! Hu, mit einem großen Prügel, 10 Kinderlein, wohl auf die Flügel! Prr, da flattert's: husch husch husch! Leer das Nest und leer der Busch, Und die Vöglein lachen Klaus Mit dem großen Prügel aus, 15 Daß er wieder heimgegangen, Zornig, weil er nichts gefangen, Daß er wieder heimgestiegen, Weil er konnt kein Vöglein kriegen.
5
*41. Bom kleine» Schneckchen unterm Rosenstöckchen im Dornenheckchen. 1. „Ei, wie langsam, ei, wie langsam Kommt der Schneck von seinem Fleck! Sieben lange Tage braucht er Von dem Eck ins andre Eck. 2. Ei, wie langsam, ei, wie langsam Steigt der Schneck im Gras daher! Potz, da wollt ich anders laufen, Wenn ich so ein Schnecklein wär!" 3. Büblein, denk, es muß ja schleppen Mit sich fort sein ganzes Haus, Mit der Tür und mit den Treppen, Da es schlüpfet ein und aus. 4. Dies nimm wohl in acht, mein Büblein, Wenn du übers Schnecklein zankst, Kämest gar nicht von dem Fleck, Tragen, ohne daß du wankst. 5. Müßtest ganz entsetzlich schnaufen. Kämest gar nicht von dem Fleck, Müßtest selbst so langsam laufen, Als der Schneck von Eck zu Eck.
36 [I]
Güll. *42. Bom Bauern und den Tauben. 1. Der Bauer hat ein Taubenhaus, Da fliegen hundert Tauben raus; Wie will er s' wieder fangen? Wie kommt er übern Hügel, Er hat ja keine Flügel, Wie will er s' wieder fangen? 2. Der Bauer denkt: sie warten dort. Und kommt er hin, husch! sind sie fort Und lassen sich nicht fangen. Das Bäuerlein mutz schnaufen Entsetzlich von dem Laufen Und kann sie doch nicht fangen. 3. O Bäuerlein, geh nur nach Haus, Sonst lachen dich die Tauben aus, Die sich nicht lassen fangen. Sie sind daheim und zupfen Die Federn sich und hupfen Auf einer langen Stangen.
*43. Pflaumenregen. Es steht ein Baum im Garten, von Pflaumen voll und schwer, Die Kinder drunten warten und lauschen rings umher, Ob nicht der Wind ihn rüttle Und all die Pflaumen schüttle, Datz alle purzeln kreuz und quer. Doch horch! was rauscht und rappelt? im Wald wacht auf der Wind, Schon zischelt er und zappelt und trappelt her geschwind Und wiegt und biegt die Äste, Daß schier in ihrem Neste Die Finken nimmer sicher sind. Nun fällt ein Pflaumenregen, der aber macht nicht naß; Zm Gras herumzufegen, ist da der größte Spaß. O Wind, o Wind, o, rüttle, O Wind, o Wind, o, schüttle, Wir raffen ohne Unterlaß!
*44. Wie das Finklein das Bäuerlein im Schenerlein besucht. 1. Bäuerlein, Bäuerlein, tick-tick-tack! Hast 'nen großen Habersack, Hast viel Weizen und viel Kern, Bäuerlein, hab dich gar zu gern. 2. Bäuerlein, Bäuerlein, tick-tick-tack! Komm zu dir mit Sack und Pack, Komm zu dir nur, daß ich lern, Wie man ausdrischt Korn und Kern. 3. Bäuerlein, Bäuerlein, tick-tick-tack! Ei, wie ist denn der Geschmack Bon dem Korn und von dem Kern, Daß ich's unterscheiden lern? 4. Bäuerlein, Bäuerlein spricht und lacht: Finklein, nimm dich nur in acht. Daß ich, wenn ich dresch und klopf, Dich nicht treff auf deinen Kopf! 5. Komm herein und such und lug, Bis du satt hast und genug! Daß du nicht mehr hungrig bist, Wenn das Korn gedroschen ist.
♦45. Will sehen, was ich weiß vom Büblei« ans dem Eis. 1. Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis, Das Büblein steht am Weiher und spricht so zu sich leis: „Ich will es einmal wagen, Das Eis, es muß doch tragen!" Wer weiß? 2. Das Büblein stampft und hacket mit seinem Stiefelein. Das Eis auf einmal knacket, und krach! schon bricht's hinein. Das Büblein platscht und krabbelt Ms wie ein Krebs und zappelt Mit Schrein.
38 [I]
Güll.
3. „O, helft, ich muß versinken in lauter Eis und Schnee! O, helft, ich muß ertrinken im tiefen, tiefen See!" Wär nicht ein Mann gekommen, Der sich ein Herz genommen, O weh! 8. Der packt es bei dem Schopfe und zieht es dann heraus. Vom Fuße bis zum Kopfe wie eine Wassermaus. Das Büblein hat getropfet, Der Vater hat's geklopfet Zu Haus.
*46. Meine Mutter. 1. Kein Vogel sitzt in Flaum und Moos In seinem Nest so warm, Als ich auf meiner Mutter Schoß, Auf meiner Mutter Arm. 2. Und tut mir weh mein Kopf und Fuß, Vergeht mir aller Schmerz, Gibt mir die Mutter einen Kuß Und drückt mich an ihr Herz.
*47. Rekrut. Büblein, wirst du ein Rekrut, Merk dir dieses Liedchen gut ! 1. Wer will unter die Soldaten, Der muß haben ein Gewehr, Das muß er mit Pulver laden Und mit einer Kugel schwer, 2. Der muß an der linken Seiten Einen scharfen Säbel han, Daß er, wenn die Feinde streiten, Schießen und auch fechten kann; 3. Einen Gaul zum Galoppieren Und von Silber auch zwei Sporn, Zaum und Zügel zum Regieren, Wenn er Sprünge macht im Zorn.
Grill.
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4. Einen Schnurrbart an der Nasen, Auf dem Kopfe einen Helm — Sonst, wenn die Trompeter blasen. Ist er nur ein armer Schelm.
*48. Für kleine Mädchen. I. Ich bin ein seins Mädchen, Kann drehen das Rädchen, Kann stricken die Maschen Und flicken die Taschen. Kann nädeln und putzen Und fädeln und stutzen, Kann singen und springen Und braten und kochen Das Fleisch und die Knochen. II. Was soll ich denn kochen? 's ist alles zerbrochen,
Das Mast und die Pfanne, Das Glas und die Kanne. Und was ich will kaufen, Es kost einen Haufen. Der Weck und der Fladen, Der Speck und der Braten, Das Salz und das Mehl Und das Schmalz und das Ol Und die Eier und's Feuer Sind heuer So teuer! Und ich krieg keinen Lohn, Ich lauf noch davon!
*49. Bom Mäuslein. Die Köchin spricht zum Koch:
„Fang mir das Mäuslein doch! Es ist nichts sicher in Küch und Keller, Nicht in der Schussel, nicht auf dem Teller. 5 Wo's was riecht, da ist es gleich, Wo's was kriegt, da fristt es gleich; Wo ein Braten dampft, Kommt das Mäuslein und mampft. Unter der Bank in den Küchenschrank 10 Hat es gebissen ein Loch. Koch, fang mir das Mäuslein doch Und jag es wieder aus dem Haus In das freie Feld fcincMß 1"
40 [I]
Güll.
Da macht der Koch ein Gesicht und spricht: „Mäuslein, Mäuslein, bleib in deinem Häuslein! Nimm dich in acht heut Nacht; Mach auch kein Geräusch Und stiehl nicht mehr das Fleisch; Sonst wirst du gefangen und aufgehangen!" 20 Der Koch aber deckt zu alle Schüsseln und stellt auf die Falle Hinten im Eck und tut hinein den Speck, Sperrt die Küche zu, Geht und legt sich zur Ruh. 25 Das Mäuslein aber ist ruhig Und wispert leis: „Das tu ich!" Wer es hat nicht lang gedauert, So kommt schon das Mäuslein und lauert Und sagt: „Wie riecht der Speck so gut, 30 Wer weiß, ob's was tut? Nur ein wenig möcht ich beißen, Nur ein wenig möcht ich speisen. Einmal ist keinmal!" So spricht fein Mäuslein und schleicht, 35 Bis es die Falle erreicht. Duckt sich und bückt sich, Schmiegt sich und biegt sich; Ringelt das Schwänzlein wie ein Kränzlein; Setzt sich ins Eck 40 Und ergetzt sich am Speck. Reißt, beißt und speist. Patsch, tut's einen Knall, Und — zu ist die Fall! Das Mäuslein zittert vor Schrecken 45 Und möcht sich verstecken; Wer, wo es will hinaus, Ist zugesperrt das Haus. Es pfeift und zappelt. Es kneift und krabbelt: 15
Güll.
[I] 41
50 Überall ist ein Gitter, und das ist bitter. Überall ist ein Draht, und das ist schad. Leider, leider kanns Mäuslein nimmer weiter; Wär's nur gewesen gescheiter! Unterdessen wird es morgen, 55 Da kommt die Köchin und will besorgen Den Kaffee und den Thee. Da sieht sie denn, was vorgegangen, Und wie das Mäuslein ist gefangen. Ganz sacht schleicht sie hin und lacht: 60 „Haben wir endlich doch erhascht Das Mäuslein, das immer von allem genascht! Siehst du: einmal ist nicht keinmal. Wärst du geblieben in deinem Loch, Gefangen hätte dich nicht der Koch!"
*8». Rätsel. i.
Sie bleibt das ganze Jahr zu Haus Und geht doch alle Tage aus. 2.
Ein hundert scharfe Zähne hat's Und krallt und beißt wie eine Katz. 3.
Ein meilenlanger Faden Und dennoch kugelrund, Das deucht dir fast zu bunt, Und doch wirst du's erraten. 4.
Auf ihren Köpfen stehen sie Und recken in die Höh die Zeh; Mit dir spazieren gehen sie Im SommerKee und Winterschnee.
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(Süll. 5.
Im Frühling hauch ich süßen Duft, Im Sommer fächl ich kühle Luft, Im Herbste spend ich würzge Kost, Im Winter scheuch ich dir den Frost. 6.
Das Haus hat lauter Treppen, Kein Fenster, keine Zimmer, Wer drin wohnt, muß es immer Auf seinem Rücken schleppen. 7.
Füns Finger und doch keine Hand, Ein Schuh, doch ohne Sohle; Bald kreideweiß wie eine Wand, Bald schwarz wie eine Kohle. 8.
Es sitzt auf einem Rütchen An einem grünen Stöckchen, Es hat ein schwarzes Hütchen Und hat ein rotes Röckchen; Hat keine Arni und keine Bein, Wer mag das arme Schelmchen sein? 9.
Ihr Kinder, horcht, ein Späßchen! Ich weiß ein kleines Fäßchen, Hat keinen Spund und keinen Hahn, Kein Reif ist um und um daran, Drin aber weiß und braunes Bier. Wer nennt das kleine Fäßchen mir? 10.
Summ und summ und brumm und brumm Um und um im Kreis herum, Hin und her die Kreuz und Quer: Rat nunmehr, es ist nicht schwer!
51, Allerhand Ausreden. Hol Wasser, faules Mädchen, Am Brunnen im Städtchen. „Womit soll ich denn schöpfen?" Mit Eimern oder Töpfen! 5 „Die Eimer aber rinnen so!" So stopf sie eben zu mit Stroh! „Das ist zu lang ein gutes Teil!" So hack es kürzer mit dem Beil. „Das Beil wird nicht geschliffen sein!" 10 So schleif es auf dem Rinnenstein! „Wenn aber drauf kein Wasser rinnt, Nun sag, wie fang ich's an geschwind?" Hol Wasser, faules Mädchen, Am Brunnen im Städtchen. 15 „Womit soll ich denn schöpfen?" Mit Eimern oder Töpfen! lJetzt geht es wieder von vorne an.]
52. Kaufmann. 1. Kommt, ihr Leute, schnell herbei! Wer nur will was kaufen? Gute Sachen allerlei Hab ich hier in Haufen. 2. Seht, wie reichlich ausgeschmückt Ist mein ganzer Laden, Wie sind fest und vollgedrückt Kisten und Schubladen! 3. Wie bis obenan gestopft All die großen Fässer! Ei, so kommt herbei und klopft! Nirgends kauft ihr besser.
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Süll. Harries. 4. Pfeffer, Ingwer, Nelken, Zimt Und Muskatenblüte Hab ich hier, sie sind bestimmt Bon besondrer Güte. 5. Gerste, Sago, Nudeln, Reis, Senf und Ol und Essig Geb ich auch um mindern Preis, Und recht reichlich meß ich. 6. Hab auch Gurken und Salat, Billige Zitronen, Echten Arak und Muskat, Saftige Melonen. 7. Außerdem empfehl ich euch. Die Gewürzlebkuchen Und dergleichen süßes Zeug; Wollt ihr nicht versuchen? 8. Nur soll mir zum Schabernack Von den losen Schlingeln Keiner ohne Geld im Sack An dem Laden klingeln. 9. Denn für solche Schelmenleut, Die nur alles borgen, Hab ich keine Ohren heut, Keine Waren morgen.
Heinrich Harries (1762 —1802). 83. Heil dir im Siegerkranz. 1. Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands! Heil, König, dir! Fühl in des Thrones Glanz Die hohe Wonne ganz, fLiebling des Volks zu sein! Heil, König, dir!
2. Nicht Roß und Reisige Sichern die steile Höh, Wo Fürsten stehn; Liebe des Vaterlands, Liebe des freien Manns, Gründen den Herrscherthron, Wie Fels im Meer.
Harries.
Hensel.
Hey.
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4. Handlung und Wissenschaft 3. Heilige Flamme, glüh, Hebe mit Mut und Kraft Glüh, und verlösche nie Ihr Haupt empor! FürS Vaterland! Krieger- und Heldentat Wir alle stehen dann Finde ihr Lorbeerblatt Mutig für einen Mann, Treu aufgehoben dort Kämpfen und bluten gern Für Thron und Reich. An deinem Thron! 5. Sei, Friedrich Wilhelm, hier Lang deines Volkes Zier, Des Landes Stolz! Fühl in des Thrones Glanz Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein! Heil, König, dir!
Stlise Hensel
(1798—1876).
S4. Rachtgevet. 1. Müde bin ich, geh zur Ruh, Schließe beide Äuglein zu; Vater, laß die Augen dein Über meinem Bette sein! 2. Hab ich unrecht heut getan, Sieh es, lieber Gott, nicht an! Deine Gnad in Jesu Blut Macht ja allen Schaden gut.
Wilhelm Hey
3. Alle, die mir sind verwandt, Gott, laß ruhn in deiner Hand, Alle Menschen, groß und klein, Sollen dir befohlen sein! 4. Kranken Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu! Laß den Mond am Himmel stehn Und die stille Welt besehn!
(1789—1854).
*85. T« nichts Böses! 1. Tu nichts Böses, tu es nicht! Weißt du, Gottes Angesicht Schaut vom Himmel auf die Seinen, Auf die Großen, auf die Kleinen, Und die Nacht ist vor ihm Licht.
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Seh. 2. Sind auch Vater, Mutter weit, Er ist bei dir allezeit; Daß du ja kein Unrecht übest Und sein Vaterherz betrübest! Ach, das wär dir künftig leid!
*56. Würmchen. Keinem Würmchen tu ein Leid! Sieh, in seinem schlichten Kleid Hat's doch Gott im Himmel gern, Sieht so freundlich drauf von fern, 5 Führt es zu dem Grashalm hin, Daß es ißt nach seinem Sinn; Zeigt den Tropfen Tau ihm an, Daß es satt sich trinken kann; Gibt ihm Lust und Freudigkeit; 10 Liebes Kind, tu ihm kein Leid!
*57. Wandersmann und Lerche. 1. „Lerche, wie früh schon fliegest du Jauchzend der Morgensonne zu!" „Will dem lieben Gott mit Singen Dank für Leben und Nahrung bringen, Das ist von altersher mein Brauch, Wandersmann, deiner doch wohl auch?"
2. Und wie so laut in der Luft sie sang, Und wie er schritt mit munterm Gang, War es so froh, so hell den zwein Im lieben, klaren Sonnenschein; Und Gott der Herr im Himmel droben Hörte gar gern ihr Danken und Loben.
Hey.
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*58. Bogel. 1. „Knabe, ich bitt dich, so sehr ich kann, O, rühre mein kleines Nest nicht an! O, sieh nicht mit deinen Blicken hin! Es liegen ja meine Kinder drin; Die werden erschrecken und ängstlich schrein. Wenn du schaust mit den großen Augen herein." 2. Wohl sähe der Knabe das Nestchen gern, Doch stand er behutsam still von fern. Da kam der arme Vogel zur Ruh, Flog hin und deckte die Kleinen zu Und sah so freundlich den Knaben an: „Hab Dank, daß du ihnen kein Leid getan!"
*59. Knabe und Schmetterling. 1. „Schmetterling, Kleines Ding, Sage, wovon du lebst, Daß du nur stets in Lüften schwebst!" „Blumenduft, Sonnenschein, Das ist die Nahrung mein." 2. Der Knabe, der wollt ihn fangen, Da bat er mit Zittern und Bangen: „Lieber Knabe, tu es nicht, Laß mich spielen im Sonnenlicht! Eh vergeht das Abendrot, Lieg ich doch schon kalt und tot."
*60. Das kleine Bienelein. 1. Das kleine Bienelein Fliegt immer fleißig hin und her, Als ob es niemals müde wär. Und trägt den Honig ein. Hessel., Lesebuch I. Gedichte. 6. Ausl.
4
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vey. 2. Wer hat's ihm denn gesagt, Wo's überall ihn finden kann Für sich und dich und jedermann, Daß^ es gar niemals fragt? 3. Das tat ja Gott allein; Der legt ihn in die Blumen hin, Da findet ihn das Bienchen drin Und trägt ihn fröhlich ein.
*61. Vöglein im hohen Bann». 1. Vöglein im hohen Baum, Klein ist's, ihr seht es kaum, Singt doch so schön, Daß wohl von nah und fern Alle die Leute gern Horchen und stehn. 2. Blümlein im Wiesengrund Blühen so lieb und bunt, Tausend zugleich; Wenn ihr vorübergeht, Wenn ihr die Farben seht, Freuet ihr euch.
3. Wässerlein fließt so fort, Immer von Ort zu Ort Nieder ins Tal; Dürstet nun Mensch iinb Vieh, Kommen zum Bächlein sie, Trinken zumal. 4. Habt ihr es auch bedacht. Wer hat so schön gemacht Alle die drei? Gott der Herr machte sie, Daß sich nun spät und früh Jedes dran freu!
*62. Fuchs und Gans. 1. „Frau Gans, das Wetter ist so schön, Wir könnten zusammen spazieren gehn!" „Herr Fuchs, ich bleibe doch lieber zu Haus; Erst sah mir es auch ganz heiter aus, Doch seit du da stehest vor dem Tor, Da kommt mir's wie böses Wetter vor." 2. Nicht draußen war böses Wetter eben, Nicht Sturm und Regen hat's gegeben; Der Gans nur war es nicht wohl zu Mut, Sie kannte den Herrn Fuchs recht gut. Hätte der sie einmal mitgenommen, Sie wäre wohl niemals wiedergekommen.
*63. Pferd und Sperling. 1. „Pferdchen, du hast die Krippe voll; Gibst mir wohl auch einen kleinen Zoll, Ein einziges Körnlein oder zwei? Du wirst noch immer satt dabei!" „Nimm, kecker Vogel, nur immer hin, Genug ist für mich und dich darin!"
2. Und sie atzen zusammen, die zwei, Litt keiner Mangel und Not dabei. Und als dann der Sommer kam so warm, Da kam auch manch böser Fliegenschwarm; Doch der Sperling fing hundert auf einmal, Da hatte das Pferd nicht Not noch Qual.
*64. Armes Bäumchen. 1. Armes Bäumchen, dauerst mich; Wie so bald Bist du alt! Deine Blätter senken sich, Sind so bleich, Fallen gleich Von des kalten Windes Wehn, Und so blotz dann mußt du stehn. 2. Bäumchen, nicht so traurig sei! Kurze Zeit Währt dein Leid, Geht ein Jahr gar schnell vorbei. Bist nicht tot; Grün und rot Schmückt dich wieder übers Jahr Gottes Finger wunderbar.
50 [I]
Dey.
*65. Rabe. 1. Was ist das für ein Bettelmann? Er hat ein kohlschwarz Röcklein an Und läuft in dieser Winterzeit Vor alle Türen weit und breit, Ruft mit betrübtem Ton: „Rab! rab! Gebt mir doch auch einen Knochen ab!" 2. Da kam der liebe Frühling an, Gar wohl gefiel's dem Bettelmann; Er breitete seine Flügel aus Und flog dahin weit übers Haus; Hoch aus der Luft so frisch und munter „Hab Dank! hab Dank!" rief er herunter.
*66. Kätzchen. 1. Kätzchen, nun mutzt ihr auch Namen haben. Jedes nach seiner Kunst und Gaben: Sammetfell Heitz ich dich, Jenes dort Leiseschlich, Dieses da Fangemaus, Aber dich Tövfchenaus. 2. Und sie wurden gar schön und grotz; Sammetfell satz gern auf dem Schoß, Unter das Dach stieg Fangemaus, Leiseschlich lief in die Scheuer hinaus, Töpfchenaus sucht in der Küche sein Brot, Machte der Köchin viele Not.
*67. Knabe unb Hündchen. 1. „Komm nun, mein Hündchen, zu deinem Herrn, Ordentlich grade sitzen lern!" „Ack, soll ick schon lernen und bin so klein: O, latz es doch noch ein Weilchen sein!" „Nein, Hündchen, es geht am besten früh, Denn später macht es dir große Müh."
2. Das Hündchen lernte; bald war's geschehn. Da konnt es schon sitzen und aufrecht gehn, Getrost in das tiefste Wasser springen Und schnell das Verlorne wieder bringen. Der Knabe sah seine Lust daran, Lernt' auch und wurde ein kluger Mann.
*68. Manschen 1. „Mäuschen, was schleppst du dort Mir das Stück Zucker fort?" „Liebe Frau, ach, vergib, Habe vier Kinder lieb; Waren so hungrig noch, Gute Frau, last mir's doch!" 2. Da lachte die Frau in ihrem Sinn Und sagte: „Nun, Mäuschen, so lauf nur hin! Zch wollte ja meinem Kinde soeben Auch etwas für den Hunger geben!" Das Mäuschen lief fort, o, wie geschwind! Die Frau ging fröhlich zu ihrem Kind.
*69. Pirdel 1. „Wer hat hier die Milch genascht? Hätt ich doch den Dieb erhascht! Pudel, wärst denn du es gar? Pudel, komm doch! ei, sürwahr, Einen weißen Bart hast du; Sag mir doch, wie geht das zu?" 2. Die Hausfrau sah ihn an mit Lachen: „Ei, Pudel, was machst du mir für Sachen? Willst wohl gar noch ein Naschkätzchen werden?" Da hing er den Schwanz bis auf die Erden Und heulte und schämte sich so sehr; Der naschet wohl so bald nicht mehr.
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Hey.
*70. Kanarienvogel. 1. Vögelchen, ach, da liegst du tot; Suchst dir nie wieder ein Krümchen Brot, Siehst mich nicht an mit den Augen hell, Hüpfst mir nicht auf die Schulter schnell. Singst nun nie mehr mit solcher Lust Schmetternd dein Lied aus voller Brust. 2. Bald sind die Kinder gekommen und haben Das arme Ding in dem Garten begraben Und drüber gepflanzt einen Rosenstrauch, Der trug dann schöne Blüten auch. Dort haben sie gar oft gesessen Und den lieben Vogel nie vergessen.
*71. Weißt v«, wieviel Sterne stehen? 1. Weißt du, wieviel Sterne stehen An dem blauen Himmelszelt? Weißt du, wieviel Wolken gehen Weithin über alle Welt? Gott der Herr hat sie gezählet. Daß ihm auch nicht eines fehlet An der ganzen großen Zahl. 2. Weißt du, wieviel Mücklein spielen In der Hellen Sonnenglut? Wieviel Fischlein auch sich kühlen In der Hellen Wasserflut? Gott der Herr rief sie mit Namen, Daß sie all ins Leben kamen, Daß sie nun so fröhlich sind. 3. Weißt du, wieviel Kinder frühe Stehn aus ihren Bettlein auf, Daß sie ohne Sorg und Mühe Fröhlich sind im Tageslauf? Gott im Himmel hat an allen Seine Lust, sein Wohlgefallen, Kennt auch dich und hat dich lieb.
Hey.
M 53
*72. Abendgebet. 1. Bald ist es wieder Nacht, Mein Bettlein ist gemacht; Drein will ich mich legen Mit Gottes Segen, Weil er die ganze Nacht Gar treulich mich bewacht. 2. Da schlaf ich fröhlich ein. Gar sicher kann ich sein. Vom Himmel geschwinde
Kommen Engelein linde Und decken still mich zu Und schützen meine Ruh. 3. Und wird's dann wieder hell Da wecken sie mich schnell; Dann spring ich so munter Vom Bettlein hinunter. Hab Dank, Gott Vater, du! Ihr Englein auch dazu?
*73. Sonntag. 1. All die ganzen langen Wochen Hat der Vater viel zu tun. Darf nicht rasten und nicht ruhn; Hat ein Wörtchen kaum gesprochen Früh zu seinem armen Kind, Muh er wieder fort geschwind. 2. Auf den Sonntag muh ich hoffen Durch die ganze Woche lang; Bei dem hellen Glockenklang Stehn mir schnell die Äuglein offen, Bleibe nicht im Bette mehr, Laufe schnell zum Vater her. 3. Darf dann immer mit ihm gehen In den Garten, auf das Feld, Und die ganze schöne Welt Ringsherum läht er mich sehen, Sagt mir, wie Gott alles schafft Durch sein Wort und seine Kraft. 4. Sonntag, o, von allen Tagen Hab ich keinen lieb wie dich; Weckt der Klang der Glocken mich, . Und ich hör die Mutter sagen: Heute ist der Tag des Herrn, O, wie hör ich das so gern!
54 [I]
Hey.
*7*. Born Bater im Himmel. 1. Aus dem Himmel ferne. Wo die Englein sind, Schaut doch Gott so gerne Her auf jedes Kind. 2. Höret seine Bitte, Treu bei Tag und Nacht, Nimmt's bei jedem Schritte Väterlich in acht.
3. Gibt mit Vaterhänden Ihm sein täglich Brot, Hilft an allen Enden Ihm aus Angst und Not. 4. Sagt's den Kindern allen Daß ein Vater ist, Dem sie Wohlgefallen, Der sie nie vergißt.
*75. G-tt sorgt. 1. Es ist kein Mäuschen so jung und klein, Es hat sein liebes Mütterlein, Das bringt ihm manches Krümchen Brot, Damit es nicht leidet Hunger und Not. 2. Es ist kein liebes Vögelein Im Garten draußen so arm und klein, Es hat sein warmes Federkleid; Da tut ihm Regen und Schnee kein Leid. 3. Es ist kein bunter Schmetterling, Kein Würmchen im Sommer so gering, Es findet ein Blümchen, findet ein Blatt, Davon es ißt, wird froh und satt. 4. Es ist kein Geschöpf in der weiten Welt, Dem nicht sein eigenes Teil ist bestellt, Sein Futter, sein Bett, sein kleines Haus, Darinnen es fröhlich geht ein und aus. 5. Und wer hat das alles so bedacht? Der liebe Gott, der alles macht Und sieht auf alles väterlich. Der sorgt auch Tag und Nacht für mich.
76. Weihnachten. 1. Die schönste Zeit, die liebste Zeit, Sagt's allen Leuten weit und breit, Damit sich jedes freuen mag, Das ist der liebe Weihnachtstag. 2. Den hat uns Gott der Herr bestellt, Den herrlichsten in aller Welt, Daß jung und alt, daß groß und klein So recht von Herzen froh soll sein. 3. Geboren ist das Christuskind, Durch das die Menschen selig sind, Das alle so von Herzen liebt Und ihnen Himmelsgaben gibt. 4. Das hören froh, das hören gern Die Menschen alle nah und fern Und denken nicht an Weh und Leid Und freuen sich der schönen Zeit. 5. Und jedes ruft dem andern zu: „Mein Bruder, Schwester, hörest du, Was uns vom Himmel diese Nacht Ward für ein großes Heil gebracht?" 6. Du Kind so lieb, du Kind so gut, Das allen Menschen Gutes tut, Komm bald einmal nun auch zu mir Und meiner kleinen Schwester hier! 7. Nimm von uns Angst und Weh und Schmerz, Gib uns ein frohes, frommes Herz, Laß uns auf Erden gut und rein Und einst im Himmel bei dir sein!
77. Neujahr. Zeit vergeht und Jahr um Jahr, Gottes Huld bleibt immerdar; Sein getreues Auge wacht Über mir in jeder Nacht;
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Hey.
Seine Liebe gehet auf Neu mit jedes Morgens Lauf; Seine Vaterhand erhält Sonn und Mond und alle Welt, Sieht, bewahrt, erhält auch mich, 10 Liebet mich so väterlich. 5
78. Was ich alles habe. 1. Zwei Augen hab ich, klar und hell, Die drehn sich nach allen Seiten schnell, Die sehn alle Blümchen, Baum und Strauch Und den hohen blauen Himmel auch. Die setzte der liebe Gott mir ein, Und was ich kann sehen, ist alles sein. 2. Zwei Ohren sind mir gewachsen an, Damit ich alles hören kann, Wenn meine liebe Mutter spricht: Kind, folge mir und tu das nicht! Wenn der Vater ruft: Komm her geschwind! Ich habe dich lieb, mein gutes Kind. 3. Einen Mund, einen Mund hab ich auch, Davon weitz ich gar guten Gebrauch, Kann nach so vielen Dingen fragen, Kann alle meine Gedanken sagen, Kann lachen und singen, kann beten und loben Den lieben Gott im Himmel droben. 4. Hier eine Hand und da eine Hand, Die rechte und linke sind sie genannt; Fünf Finger an jeder, die greifen und fassen. Jetzt will ich sie nur noch spielen lassen; Doch wenn ich erst groß bin und was lerne, Dann arbeiten sie alle auch gar gerne. 5. Füße hab ich, die können stehn, Können zu Vater und Mutter gehn, Und will es mit dem Lausen und Springen Nicht immer so gut, wie's möchte, gelingen,
Tut nichts; wenn sie nur erst größer sind, Dann geht es noch einmal so geschwind. 6. Ein Herz, ein Herz hab ich in der Brust, So klein und klopft doch so voller Lust Und liebt doch den Vater, die Mutter so sehr. Und wißt ihr, wo ich das Herz hab her? Das hat mir der liebe Gott gegeben, Das Herz und die Liebe und auch das Leben!
79, Wo wohnt der liebe Gott? 1. Wo wohnt der liebe Gott? Sieh dort den blauen Himmel an, Wie fest er steht so lange Zeit, Sich wölbt so hoch, sich streckt so weit. Daß ihn kein Mensch erfassen kann! Und sieh der Sterne goldnen Schein, Gleich als viel tausend Fensterlein! Das ist des lieben Gottes Haus, Da wohnt er drin und schaut heraus Und schaut mit Vateraugen nieder Auf dich und alle deine Brüder. 2. Wo wohnt der liebe Gott? Hinaus tritt in den dunkeln Wald! Die Berge sieh zum Himmel gehn, Die Felsen, die wie Säulen stehn, Der Bäume ragende Gestalt! Horch, wie es in den Wipfeln rauscht, Horch, wie's im stillen Tale lauscht! Dir schlägt das Herz, du merkst es bald, Der liebe Gott wohnt in dem Wald. Dein Auge zwar kann ihn nicht sehen, Doch fühlst du seines Odems Wehen. 3. Wo wohnt der liebe Gott? Hörst du der Glocken hellen Klang? Zur Kirche rufen sie dich hin. Wie ernst, wie freundlich ist's darin! Wie lieb und traut und doch wie bang!
58 [I]
Hey. Wie singen sie mit frommer Lust, Wie beten sie ans tiefer Brust! Das macht, der Herr Gott wohnet da; Drum kommen sie von fern und nah, Hier vor sein Angesicht zu treten, Zu flehn, zu danken, anzubeten. 4. Wo wohnt der liebe Gott? Die ganze Schöpfung ist sein Haus! Doch wenn es ihm so wohlgefällt. So wählet in der weiten Welt Er sich die engste Kammer aus. Wie ist das Menschenherr so klein! Und doch auch da zieht Gott herein. O, halt das deine fromm und rein, So wählt er's auch als Wohnung sein Und kömmt mit seinen Himmelsfreuden Und wird nie wieder von dir scheiden!
80. Das Meer. 1. Das Meer ist tief, das Meer ist weit, Doch gehet Gottes Herrlichkeit Noch tiefer als des Meeres Grund, Noch weiter als das Erdenrund. 2. So viele Tischlein wohnen drin: Der Herr sieht freundlich auf sie hin, Reicht allen ihre Speise dar, Führt ab und auf sie wunderbar. 3. So hoch die wilden Wogen gehn, -Wenn er gebeut, sie stille stehn; Da führet seine treue Hand Das Schifflein hin ins fernste Land.
August Heinrich Hostman« von Fallersleben (1798—1874).
*81. Der Weg zur Schule. 1. Im Winter, wenn es frieret, Im Winter, wenn es schneit. Dann ist der Weg zur Schule Fürwahr noch mal so weit. 2. Und wenn der Kuckuck rufet, Dann ist der Frühling da, Dann ist der Weg zur Schule Fürwahr noch mal so nah. 3. Wer aber gerne lernet. Dem ist kein Weg zu fern; Im Frühling wie im Winter Geh ich zur Schule gern.
*82. Bald ist der Frühling da! 1. Tra ri ra! Bald ist der Frühling da! Bald werden grün die Felder, Die Wiesen und die Wälder. Tra ri ra! Bald ist der Frühling da! 2. Tra ri re! Schon schmilzet Eis und Schnee! Die Quellen rauschen wieder Von allen Bergen nieder. Tra ri re! Schon schmilzet Eis und Schnee!
3. Tra ri ro! Jetzt sind wir wieder froh! Ja, Trost für lange Plage Verleih» die längern Tage. Tra ri ro! Jetzt sind wir wieder froh! 4. Tra ri ru! Du lieber Frühling du! Laß uns nicht länger warten. Komm bald in Feld und Garten! Tra ri ru! Du lieber Frühling du!
♦83. Frühlings Ankunft. 1. Alle Vögel sind schon da, Alle Vögel, alle! Welch ein Singen, Musiziern, Pfeifen, Zwitschern, Tiriliern! Frühling will nun einmarschiern. Kommt mit Sang und Schalle. 2. Wie sie alle lustig sind, Flink und froh sich regen! Amsel, Drossel, Fink und Star
Und die ganze Vogelschar Wünschet uns ein frohes Jahr, Lauter Heil und Segen. 3. Was sie uns verkündet m Nehmen wir zu Herzen, Wir auch wollen lustig sein. Lustig wie die Vögelein, Hier und dort, feldaus, feldein, Singen, springen, scherzen!
♦84. Mein Lämmchen. 1. Ich hab ein Lämmchen, weiß wie Schnee, Das geht auf grüner Weide, Das ist so fromm, das ist so gut, Tut keinem was zu leide. 2. Und suchet sich die Blümchen aus, Die gelben und die weißen, Den Quendel und den Thymian, Und wie die Kräuter heißen. 3. Und wenn's genug gefressen hat Und will nicht weiter grasen, So lagert's sich am Erlenstrauch Wohl auf dem kühlen Rasen. 4. Und wenn der Hirt nach Hause treibt, Kommt auch mein Lämmchen wieder, Dann hüpft es in den Stall hinein Und blökt und legt sich nieder. 5. Dem Lämmchen bin ich gar zu gut, Dem Lämmchen auf der Weide, Und wer ihm was zu leide tut. Tut mir auch was zu leide.
*85. Des Kuckucks Ruf. 1. Der Kuckuck hat gerufen; Nun laßt uns fröhlich sein! Er kündet uns den Frühling Mit seinem Sonnenschein. Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! 2. Der Kuckuck hat gerufen, Er ruft uns fort von Haus, Wir sollen jetzt spazieren Zum grünen Wald hinaus. Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! 3. Ter Kuckuck hat gerufen, Und wer's nicht hören mag, Für den ist grün geworden Kein Feld, kein Wald, noch Hag. Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!
*86. Hühnchen. Meine Mutter hat gepflanzt Im Garten Zuckerwicken, Kommt mein Hühnchen hergerannt Und sängt gleich an zu picken. Und wenn das wird mein Vater Und meine Mutter sehn, Kleines, kleines Hühnchen du, Wie wird es dir ergehn! Husch! husch! husch!
*87. Der Sommer. 1. Das Wir Und Voll
Der Sommer, der Sommer, ist die schönste Zeit; ziehen in die Wälder durch die Aun und Felder Lust und Fröhlichkeit.
62 [I]
Hoffmann.
2. Ter Sommer, der Sommer, Der schenkt uns Freuden viel; Wir jagen dann und springen Nach bunten Schmetterlingen Und spielen manches Spiel.
3. Der Sommer, der Sommer, Der schenkt uns manchen Fund; Erdbeeren wir uns suchen Im Schatten hoher Buchen Und laben Herz und Mund. 4. Der Sommer, der Sommer, Der heißt uns lustig sein; Wir winden Blumenkränze Und halten Reigentänze Beim Abcndsonnenschein.
*88. Was fang ich an? 1. Ach, wo ich gerne bin, Da soll ich nimmer hin, Und wo ich bleiben muß. Da hab ich nur Verdruß. Nach dem Walde soll ich nicht. In den Garten mag ich nicht, In der Stube bleib ich nicht — Was fang ich an? 2. Ach, in dem Wald allein Da tonn man lustig sein; Da grünt es überall. Da singt die Nachtigall. Mutter, laß mich gehn hinaus In den grünen Wald hinaus. Einen schönen Blumenstrauß Ten bring ich dir.
(II 63
Hoffmann.
3. Könnt ich ein Vogel sein, Flög ich in Wald hinein Zur teilten Maienluft, Zum frischen Laubesduft. Nach dem Walde soll ich nicht, In den Garten mag ich nicht, In der Stube bleib ich nicht — Was fang ich an?
*89. Trauben. 1. Trauben, die eß ich gern, Das kannst du glauben, Süßer als Mandelkern Schmecken die Trauben. 2. Trauben hol mir geschwind, Hole mir Trauben! Daß sie gegessen sind, Kann ich nicht glauben.
3. Mutter! an dem Spalier Und an den Lauben, Überall, da und hier Gibt es noch Trauben. 4. Trauben, die eß ich gern, Das kannst du glauben. Süßer als Mandelkern Schmecken die Trauben.
*90. Das Lied vom Monde. 1. Wer hat die schönsten Schäfchen? die hat der goldne Mond, Der hinter unsern Bäumen am Himmel drüben wohnt. 2. Er kommt am späten Abend, wenn alles schlafen will, Hervor aus seinem Hause zum Himmel leis und still. 3. Dann weidet er die Schäfchen auf seiner blauen Flur; Tenn all die weißen Sterne sind seine Schäfchen nur. 4. Sie tun sich nichts zu leide, hat eins das andre gern, Und Schwestern sind und Brüder da droben Stern an Stern. 5. Und soll ich dir eins bringen, so darfst du niemals schrein. Mußt freundlich, wie die Schäfchen und wie ihr Schäfer sein!
Hessel, Lesebuch I. Gedichte. 6. Aufl.
5
64 [I]
Hoffmann.
♦91. Die armen Vögelein. 1. Des Winters, wenn es schneit, Dann ist gar böse Zeit; Die armen, armen Vögelein, Die tun mir gar zu leid! 2. Ach, könnt ich locken sie, Und müßt ich doch nur, wie! Die armen, armen Vögelein, Sie sollten hungern nie! 3. Das Futter streut ich aus, Da kämen sie ans Haus, Die armen, armen Vögelein, Sie hielten einen Schmaus. 4. O, glücklich jedermann, Wer geben mag und kann! Ihr armen, armen Vögelein, Nehmt meine Gaben an!
*92. Soldatenlied. 1. Ein scheckiges Pferd, Ein blankes Gewehr Und ein hölzernes Schwert, Was braucht man denn mehr? 2. Ich bin ein Soldat, Man sieht's mir wohl an, Ich marschiere schon grad, Halt Schritt wie ein Mann.
3. Mit trotzigem Mut Zieh morgens ich aus, Kehre freundlich und gut Um Mittag nach Haus. 4. So wird exerziert Zum Abend noch spat. Bis der Schlaf kommandiert: Zu Bett, Kamerad!
*93. Hänselein. 1. Hänselein, willst du tanzen? Ich geb dir auch ein Ei. „O nein, ich kann nicht tanzen, Und gäbst du mir auch drei. In unserm Hause geht das nicht, Die kleinen Kinder tanzen nicht, Und tanzen kann ich nicht."
2. Hänselein, willst du tanzen? Ein Vöglein geb ich dir. „O nein, ich kann nicht tanzen. Und gäbst du mir auch vier. In unserm Hause geht das nicht, Die kleinen Kinder tanzen nicht, Und tanzen kann ich nicht." 3. Hänselein, willst du tanzen? Ich geb dir einen Stock. „O nein, ich kann nicht tanzen. Und gäbst du mir ein Schock. In unserm Hause geht das nicht. Die kleinen Kinder tanzen nicht, Und tanzen kann ich nicht." 4. Hänselein, willst du tanzen? Ein Tänzlein geig ich dir. „O ja, ich kann schon tanzen. Jetzt geig ein Stücklein mir! In unserm Hause gilt der Brauch, Sobald man geiget, tanzt man auch. Und tanzen kann ich auch."
94. Des Frühlings Ball. 1. Frühling sprach zu der Nachtigall: „Ich will euch geben einen Ball; Lade, Nachtigall, alle ein, Alle Vögel groß und llein, Alle Vögel, alle!" 2. Und da kamen die Vögel all Zum Frühlingsball mit Sang und Schall, Kuckuck, Wiedehopf, Elster, Star, Reiher, Rabe, Strauß und Aar, Drossel, Fink und Zeisig. 3. Und sie tanzten im Blumenduft Bei Sonnenschein und linder Luft,
66 [I]
Hofsmann.
Tranken würzigen Blütenmost, Schmausten lauter feine Kost, Teure, seltne Sachen. 4. Als der Abend begann zu nahn. Da sprach zur Nachtigall der Hahn: „Jetzo wird wohl das beste sein. Wenn wir Vögel groß und klein Gehen heim zu Neste. 5. Aber billig vor allem ist. Daß man des Wirtes nicht vergißt; Laßt uns, Vögelein groß und Nein, Kikriki! recht dankbar sein; Vivat hoch, Herr Frühling!"
SS. Im Walde möcht ich leben. 1. Im Walde möcht ich leben zur heißen Sommerzeit! Der Wald, der kann uns geben viel Lust und Fröhlichkeit. In seine kühlen Schatten winkt jeder Zweig und Ast, Das Blümchen auf den Matten nickt mir: Komm, lieber Gast! 2. Wie sich die Vögel schwingen im hellen Morgenglanz Und Hirsch und Rehe springen so lustig, wie zum Tanz! Von jedem Zweig und Reise hör nur, wie's lieblich schallt! Sie singen laut und leise: Kommt, kommt in grünen Wald!
96. Das Lied der Bögel. 1. Wir Vögel haben's wahrlich gut. Wir fliegen, hüpfen, singen. Wir singen frisch und wohlgemut. Daß Wald und Feld erklingen. 2. Wir sind gesund und sorgenfrei Und finden, was uns schmecket; Wohin wir fliegen, wo's auch sei, Ist unser Tisch gedecket.
Hoffmann.
3. Ist unser Tagewerk vollbracht, Dann ziehn wir in die Bäume; Wir ruhen still und sanft die Nacht Und haben süße Träume. 4. Und weckt uns früh der Sonnenschein, Dann schwingen wir's Gefieder, Wir fliegen in die Welt hinein Und singen unsre Lieder.
97. Bon meinem Blümchen. 1. Ward ein Blümchen mir geschenkt, Hab's gepflanzt und hab's getränkt. Vögel, kommt und gebet acht! Gelt, ich hab es recht gemacht? 2. Sonne, laß mein Blümchen sprießen! Wolke, komm, es zu begießen! Richt empor dein Angesicht, Liebes Blümchen, fürcht dich nicht! 3. Und ich kann es kaum erwarten, Täglich geh ich in den Garten, Täglich frag ich: Blümchen, sprich, Blümchen, bist du bös auf mich? 4. Sonne ließ mein Blümchen sprießen, Wolke kam, es zu begießen; Jedes hat sich brav gemüht, Und mein liebes Blümchen blüht.
5. Wie's vor lauter Freuden weinet! Freut sich, daß die Sonne scheinet. Schmetterlinge, fliegt herbei, Sagt ihm doch, wie schön es sei!
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98. Der Störche Wanderlied. 1. Fort, fort, fort und fort An einen andern Ort! Nun ist vorbei die Sommerzeit; Drum sind wir Störche jetzt bereit, Von einem Land zum andern Zu wandern.
2. Ihr, ihr, ihr und ihr, Ihr Bauern, lebet wohl! Ihr gabt zur Herberg euer Dach Und schütztet uns vor Ungemach; Drum sei euch Glück und Frieden Beschieden! 3. Du, du, du und du, Leb wohl, du schöner Teich! Du hast an deinen Ufern oft Verliehn, was unser Herz gehofft. Dein denken wir von ferne Noch gerne. 4. Ihr Ihr Und Lebt
Ihr, ihr, ihr und ihr, Frösche, lebet wohl! habt uns oft Musik gemacht uns mit manchem Schmaus bedacht. wohl, auf Wiedersehen! Wir gehen.
5. Fort, fort, fort und fort, An einen andern Ort! Nun ist vorbei die Sommerzeit, Drum sind die Störche jetzt bereit, Von einem Land zum andern Zu wandern.
SS. «bschiedslied der Zugvögel. 1. Wie war so schön doch Wald und Feld! Wie traurig ist anjetzt die Welt! Hin ist die schöne Sommerzeit, Und nach der Freude kam das Leid. 2. Wir wußten nichts von Ungemach, Wir saßen unterm Laubesdach Vergnügt und froh im Sonnenschein Und sangen in die Welt hinein. 3. Wir armen Vögel trauern sehr, Wir haben keine Heimat mehr, Wir müssen jetzt von hinnen fliehn Und in die weite Fremde ziehn.
100. Der Blümlein Antwort. 1. In unsers Vaters Garten da war's noch gestern grün, Da sah ich noch so mancherlei, so schöne Blumen blühn. 2. Und heut ist alles anders, und heut ist alles tot; Wo seid ihr hin, ihr Blümelein, ihr Blümlein gelb und rot? 3. „O, liebes Kind, wir schlafen nach Gottes Willen hier, Bis er uns seinen Frühling schickt, und dann erwachen wir. 4. Ja, deine Blümlein schlafen, so wirst auch schlafen du, Bis dich erweckt ein Frühlingstag aus deiner langen Ruh. 5. Und wenn du dann erwachest, o, möchtest du dann sein So heiter und so frühlingsfroh wie deine Blümelein!"
101. Sehnsucht nach dem Frühling. 1. O, wie ist es kalt geworden Und so traurig, öd und leer! Rauhe Winde wehn von Norden, Und die Sonne scheint nicht mehr. 2. Auf die Berge möcht ich fliegen, Möchte sehn ein grünes Tal, Möcht in Gras und Blumen liegen Und mich freun am Sonnenstrahl!
3. Möchte hören die Schalmeien Und der Herden Glockenklang, Möchte freuen mich im Freien An der Vögel süßem Sang! 4. Schöner Frühling, komm doch wieder. Lieber Frühling, komm doch bald! Bring uns Blumen, Laub und Lieder, Schmücke wieder Feld und Wald! 5. Ja, du bist uns treu geblieben, Kommst nun bald in Pracht und Glanz, Bringst nun bald all deinen Lieben Sang und Freude, Spiel und Tanz.
102. Winters Flucht. 1. Dem Winter wird der Tag zu lang, Ihn schreckt der Vögel Lustgesang; Er horcht und hört's mit Gram und Neid, Und was er sieht, das tut ihm leid; Er flieht der Sonne milden Schein, Sein eigner Schatten macht ihm Pein. 2. Er wandelt über grüne Saat, Und Gras und Keime früh und spat: „Wo ist mein silberweißes Kleid, Mein Hut, mit Demantstaub beschneit?" Er schämt sich wie ein Bettelmann Und läuft, was er nur laufen kann. 3. Und hinterdrein scherzt jung und alt In Luft und Wasser, Feld und Wald; Der Kiebitz schreit, die Biene summt, Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt; Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn, So quakt der Frosch vor Ostern schon.
103. Schneeglöckchen. 1. „Schneeglöckchen, ei, du bist schon da? Ist denn der Frühling schon so nah?
Hofsmann.
Kamp.
[I] 71
Wer lockte dich hervor ans Licht? Tran doch dem Sonnenscheine nicht! Wohl gut er's eben heute meint, Wer weiß, ob er dir morgen scheint?" 2. „Ich warte nicht, bis alles grün; Wenn meine Zeit ist, muß ich blühn. Der mich erschuf für diese Welt, Heißt blühn mich, wann es ihm gefällt; Er denkt bei Schnee und Kälte mein, Wird stets mein lieber Vater sein!"
Hermann von Kamp
(i796—1867).
104. Mailied 1. Mes neu 2. Wir durchziehn Saaten grün, Macht der Mai, Macht die Seele frisch und frei. Haine, die ergötzend blühn, Laßt das Haus! Waldespracht, Kommt hinaus! Neu gemacht Windet einen Strauß! Nach des Winters Nacht. Rings erglänzet Sonnenschein, Dort im Schatten an dem Quell Duftend pranget Flur und Hain; Rieselt's munter, silberhell; Bögelsang, Klein und Groß Hörnerklang Ruht im Moos Tönt den Wald entlang. Wie in weichem Schoß. 3. Hier und dort, Fort und fort. Wo wir ziehen, Ort für Ort, Alles freut Sich der Zeit, Die verschönt, erneut. Wiederschein der Schöpfung blüht Uns erneuend im Gemüt. Mes neu. Frisch und frei Macht der holde Mai.
72 [I]
Kamp.
Kletke.
105. Der gute Mäher. 1. Früh ging ein Mäher mähen Im Feld den reifen Klee, Da schnitt er mit der Sense Hart an ein Nest — o weh! 2. Drin lagen sieben Vöglein; Sie lagen nackt und bloß. O, könntet ihr schon fliegen, Und wäret ihr schon groß! 3. Dem Mäher tat's so wehe; Er sann wohl her und hin. Da kam dem guten Mäher Noch Hoffnung in den Sinn. . 4. Er mähete bedächtlich Weit um die Stelle her Und trug den Klee von dannen Und störte da nicht mehr. 5. Die alten Vögel flogen Nun wacker ab und zu, Sie fütterten die Kinder In ungestörter Ruh.
Herman« Kletke
(1813—1886).
*106. Klein Ännchen. 1. Schon kommt die Nacht, o tiefer Graus, Klein Ännchen weint: „Wär ich zu Haus! Ich bin so müd, ich kann nicht gehn Und kann auch nicht den Weg mehr sehn." 2. Waldmännlein bei ihr steht und spricht: „Klein Ännchen du, so fürcht dich nicht! Weißt du nicht, daß du gestern hier Dein 'Abendbrot geteilt mit mir?
3. Hui! braune Käfer, schirrt euch an! Johanniswürmchen, leucht voran! Ihr Äste, fügt euch kurz und klein Zu einem kleinen Wägelein!" 4. Der Wagen steht, es schwirrt der Zug, Die Käfer fliegen rasch genug; „Klein Ännchen du, nun steig heraus! Sieh nur, wir sind ja schon zu Haus."
*107. Das kluge Täubchen. 1. Mein allerliebstes Täubchen Das hat ein weißes Leibchen, An seinem Hälschen schimmert ein rotes Band. Es hat ein Kröpfchen, Und in denk Köpfchen Hat auch mein Täubchen viel Verstand. 2. Wenn ich zum Täubchen sage: Mein Herzenstäubchen, trage Zu meinem guten Klärchen dies Briefchen fort! Husch, fliegt's behende An Dorfes Ende Zu meiner lieben Freundin dort. 3. Nun seht, da kommt es wieder Und flattert fröhlich nieder. In meinem Schoße sitzt es und blickt mich an, Als wollt es sagen: Sieh, in den Kragen Hat man die Antwort mir getan!
*108. Die Jahreszeiten. 1. O Frühlingszeit, o Frühlingszeit, Du kannst mir sehr gefallen! Das klare Bächlein rinnet frei. Mit Blüten kommt der grüne Mai;
Kletke.
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O Frühlingszeit, o Frühlingszeit, Du kannst mir sehr gefallen! 2. O Sommerzeit, o Sommerzeit, Du kannst mir sehr gefallen! Das goldne Korn so wogt und weht. Das Bäumlein voller Früchte steht. O Sommerzeit, o Sommerzeit, Du kannst mir sehr gefallen! 3. O brauner Herbst, o brauner Herbst, Du kannst mir sehr gefallen! In buntem Laube glänzt der Wald, Die Traube winkt, das Jagdhorn schallt; O brauner Herbst, o brauner Herbst, Du kannst mir sehr gefallen! 4. O Winterzeit, o Winterzeit, Du kannst mir sehr gefallen! Mit blankem Eis und weißem Schnee Weihnachten kommt, juchhe, juchhe! O Winterzeit, o Winterzeit, Du kannst mir sehr gefallen!
*109. Winters Ankunft. Im weißen Pelz der Winter Steht lange schon hinter der Tür — Ei, guten Tag, Herr Winter,
Das ist nicht hübsch von dir, 5 Wir meinten, du wärest wer weiß wie weit, Da kommst du mit einmal hereingeschneit. Nun, da du hier bist, da mag's schon sein, Wer was bringst du uns Kindelein? — Was ich euch bringe, das sollt ihr wissen, 10 Fröhliche Weihnacht mit Äpfeln und Nüssen
Und Schneeballen, Wie sie fallen,
Und im Jänner Auch Schneemänner.
Kletke.
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*110. Schneemann. 1. Ach, Wind, was machst du immer doch Für jämmerlich Geblase! Du wirfst uns gar den Schneenrann noch Auf seine lange Nase. 2. Du, Schneemann, halt dich fest am Zaun, Hier hast du einen Stecken, Da magst du tüchtig um dich Haun, Wenn dich die Kinder necken. 3. Und laß dir nur die Sonne nicht Zu sehr aufs Röcklein scheinen! Ach, wenn sie dich zu Tode sticht, Wer soll dann um dich weinen?
*111. Der Sandmann. 1. Zwei feine Stieflein hab ich an Mit wunderweichen Söhlchen dran, Ein Säcklein hab ich hinten auf, Husch! trippl ich rasch die Trepp hinauf, Und wenn ich in die Stube tret, Die Kinder beten das Abendgebet, Von meinem Sand zwei Körnelein Streu ich auf ihre Äugelein, Da schlafen sie die ganze Nacht In Gottes und der Englein Wacht. 2. Von meinem Sand zwei Körnelein Streut ich auf ihre Äugelein. Den frommen Kindern soll gar schön Ein frommer Traum vorübergehn! Und risch und rasch mit Sack und Stab Nur wieder jetzt die Trepp hinab! Ich kann nicht länger müßig stehn, Ich muß noch heut zu vielen gehn. Und seht, mein Säcklein öffnet sich kaum, Da nickt ihr schon und lächelt im Traum.
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Kletke.
112. Vögleins Reise. 1. Vögelein, Vögelein Schwinget den Fuß, Schwinget die Flügelein Über den Fluß,
4. Vögelein, Bögelein Braucht keine Brück, Schwinget die Flügelein Hin und zurück. Lüfte, sie wehn es fort.
Weit in die Welt hinein Fröhlich im Sonnenschein. Braucht keine Brücke dort. 2. Vögelein, Vögelein, 5. Vögelein, Vögelein Nimm mich doch mit! Fragt nicht nach Geld, „Nein doch, das kann nicht sein, Fliegt in die Welt hinein, Gehst ja nur Schritt; Wo's ihm gefällt, Ich flieg im Sonnenschein Fliegt zu den Wolken licht, Weit in die Welt hinein." Reisegeld braucht es nicht. 3. Vögelein, Vögelein 6. Vögelein, Vögelein, Kennen den Weg, Ruhst du denn nie? Berg hinauf, Tal hinein „Freilich, beim Sternenschein Jedweden Steg; Bis morgens früh! Gott schenkt des Laubes Dach Und wo ein Menschlein keucht, Vöglein zum Schlafgemach." Fliegen sie froh und leicht.
113. Elfenreihn. 1. Im Wald, im Hellen Mondenschein Die Elfen tanzen den Ringelreihn. Wie schwingen die Elfen sich leicht und schön, Doch darf's kein Menschenkind ansehn! 2. Vom Baum nur sieht's die Nachtigall Und singt dazu mit Hellem Schall, .Waldblümlein duften süß und lind — O, hört's und säh's ein Menschenkind! 3. Klein Annchen schlief im Walde ein, Nun wacht es auf im Mondenschein; Wie guckt's erstaunt, wie guckt es froh: O, könnt ich doch mit tanzen so!
Kletke.
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4. Gleich zogen's die Elfen mit in den Reihn, Nun mußt es selbst ein Elfchen sein, Ein Blumenelfchen zart und fein, Im Lilienkelche schlummert's drein.
114. Flieg auf. 1. Es ist kein junges Vögelein Für dich, Herr Gott, zu arm und klein; Es fällt aus seinem Neste nicht, Du schickst ihm deiner Sonne Licht. 2. Du legst die Hand voll Segen drauf Und sagst: flieg in den Himmel auf! Ach, in den blauen Himmelsschein, Bis in die Wolken hoch hinein. 3. O, lieber Gott! ich bitte dich, Leg auch dereinst die Hand auf mich Und sag: Flieg auf, mein Vögelein, In meinen schönen Himmel ein!
115. Wenn ich ein Böglein war! 1. O, hätt ich so ein Stimmlein frisch Und so ein Stimmlein klar. Wie dort die Vöglein im Gebüsch, Und auch ein Flügelpaar! 2. Ich slög bis in den Himmel auf Und fang, so hell ich kann, Auf einem Silberwölkchen drauf Wie froh mein Liedchen dann! 3. Und fang bis in die Nacht hinein, Wie Gott der Herr uns liebt, Der uns den Morgen- und Abendschein, Wolken und Himmel gibt; 4. Da riefen alle Leute froh: Wie das so herrlich klingt! Es ttingt so hell, es klinget so, Als ob ein Engel singt!
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Kletke.
Kopisch.
5. Ach nein, ein Engel bin ich nicht, Da bin ich viel zu klein, Ich leuchte nicht mit goldnem Licht In Heller Flügel Schein.
116. Schlittenfahrt. 1. Schlitten vor, wir fahren euch Dort am Wald und auf dem Teich; Gretchen, Ännchen, setzt euch ein, Das soll lustig Fahren sein! 2. Ännchen, Gretchen, wollt ihr sehn Dort int Wald die Krähen gehn? Krah, kräh, kräh — erzählen sich Von der Kirmes sicherlich. 3. Wie der Schnee so blinkt und blitzt. In der Sonne dampft und schwitzt! Ach, Rotkehlchen, Wintergast, Bist du nicht erfroren fast?
AUgUst Kopisch
(1799—1853).
117. Hütchen. 1. Ich bin ein Geist und geh herum Und heiß mit Namen Hütchen; Wer früh aufsteht und fleißig ist, Bekommt von mir ein Gütchen. Husch hin und her Tie Kreuz und Quer; Tie ganze Stadt ist ledern, Liegt bis ans Ohr in Federn. 2. Doch horch! da klingt's pingping pingpang Bei einem Nagelschmiede, Und seine Tochter singt dazu Aus einem frommen Liede.
Kopisch.
(IJ 79
Krummacher.
Gesegnet seid Ihr guten Leut! Wie fleißig beide sitzen! Die Tochter klöppelt Spitzen. 3. Nun macht der Schmied viel Nägel sich, Die Stange nimmt kein Ende. Die Tochter mißt die Spitzen nach; O Wunder! auch kein Ende! Seid fröhlich heut, Ihr guten Leut! Die früh auf, segnet Hütchen Mit seinem Zauberrütchen.
Kriedrich Adolf Krummachtr (i767—18