Literarische Authentizität: Prinzip und Geschichte [Reprint 2013 ed.] 9783110935806, 9783484220621

One of the aims of this study is to establish foundations for a ready and clearly defined appreciation of authenticity a

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German Pages 194 [196] Year 2002

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Table of contents :
I. Authentisches
1. Aktuelles
1.1 Philosophisches
1.2 Theatralisches
1.3 Literaturkritisches
1.4 Literaturwissenschaftliches
2. (Un-)Wesentliches
II. Weibliches
1. Subjektiv Authentisches
2. Gynozentrisches
3. Hysterisches
III. Romantisches
1. Soziologisches
1.1 (In-)Dividuelles
1.2 Hof- und Philisterkritisches
1.3 Natürliches
1.4 Parrhesiastisches
2. Geschichtsphilosophisches
2.1 Ästhetisch Versöhnliches
2.2 Naiv-Sentimentalisches
Literatur
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Literarische Authentizität: Prinzip und Geschichte [Reprint 2013 ed.]
 9783110935806, 9783484220621

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Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Wolfgang Braungart, Peter Eisenberg und Helmuth Kiesel

Jutta Schlich

Literarische Authentizität Prinzip und Geschichte

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

Die Deutschen Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schlich, Jutta: Literarische Authentizität : Prinzip und Geschichte / Jutta Schlich. Tübingen : Niemeyer, 2002 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 62) Zugl.: Heidelberg, Univ., Habil.-Schr., 2000 ISBN 3-484-22062-7

ISSN 0344-6735

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Vorwort

Die vorliegende Habilitationsschrift untersucht Prinzip und Geschichte des Phänomens literarischer Authentizität. Authentizität wird als ein ästhetischer Grundbegriff erachtet, der als ein solcher ein ,Denkmal von Problemen' darstellt, das in der ästhetischen Produktion unter verschiedenen Gesichtspunkten bedeutsam geworden ist. Die Arbeit visiert so ein literaturwissenschaftliches Propädeutikum an, das eine rasche Verständigung über das Phänomen Literarische Authentizität als einem fur Zugewinn an ästhetischer Erfahrung sorgenden, poetologisch wie kulturdeskriptiv einsetzbaren Aspekt der Begegnung mit Texten ermöglichen soll. Die bei der Problematisierung des aktuellen philosophischen, theater- oder medientheoretischen und literaturwissenschaftlichen Diskurses (Kap.I) beobachtete Eigenschaft von Authentizät als .Effekt der Darstellung' und damit als primär rezeptions-, sekundär wirkungsästhetisch einzuholendes und erst tertiär produktionsästhetisch auszudeutendes Phänomen wird dabei für die Arbeit von grundlegender Bedeutung. Dem Prinzip des Authentischen ist einzig eine Haltung adäquat, die das Hier und Jetzt eingehend zur Kenntnis nimmt, um sich dann auf dessen Vorraussetzungen zu besinnen bzw. sich zu diesen durchzuarbeiten. Diese Haltung manifestiert sich nicht nur in der Methode der Textanalyse, sondern darüber hinaus auch in der diachronen Retrospektive beim Durchgang durch die topologische Landschaft verbunden mit der Bevorzugung substantivierter Adjektive in den Kapitelüberschriften. Während die Substantivierungen von Eigenschaftswörtern mit ihrer Orientierung am Wesentlichen den abstrakten Authentizitätsdiskurs von vornherein konkretisierend steuern, geht die archäologische Praxis dem Authentischen im Sinne von Ursprünglichem bis zum Beginn der Moderne auf den Grund. Diese sich dem Phänomen andienenden Vorgehensweisen sollen phänomenologische Einsichten zutage fördern. Konsequentes phänomenologisches Arbeiten bringt zuweilen eine Pointierung von Beobachtungen mit sich, die polemisch wirken mag. Die Arbeit ist aber von einer sympraktischen Sympathie mit ihren Gegenständen getragen, deren Bewegungen sie im Zuge des Lesens nachvollzieht. Sie hätte ihr Ziel erreicht, wenn sie auf diese ihre Weise dazu anleiten könnte, herauszufinden, ob sich in dem, was wie eine Streitschrift anmutet, nicht der Effekt des Authentischen Geltung verschafft!

VII Inhalt

I.

Authentisches 1. Aktuelles 1.1 Philosophisches (A. Ferrara)

2.

II.

1 1 1

1.2

Theatralisches (G. Tabori, A. Mnouchkine)

3

1.3

Literaturkritisches (Der Fall Wilkomirski)

4

1.4

Literaturwissenschaftliches (Der Fall Brecht)

12

(Un-)Wesentliches (K. Rouvel, Ch. Strubs, H. Lethen, E. Staiger)

15

Weibliches

25

1. Subjektiv Authentisches (Ch. Wolf) Gynozentrisches (S. Weigel, Ch. Wolf, Κ. ν. Gündeirode,

25

2.

3.

Β. v. Arnim, U. Landfester, Ch. Bürger)

29

Hysterisches (E. Showalter)

42

III. Romantisches 1. Soziologisches (G. Plumpe) 1.1 (In-)Dividuelles (N. Luhmann) 1.2

H o f - u n d Philisterkritisches (B. Gracián, F. Müller, Der Redliche, J.G. Herder, C. Brentano, B. v. Arnim, J.W. v. Goethe, J.-J. Rousseau, Henriette, J.G. Herder, U. Geitner, W. Lüthi, N. Wegmann, A. Koschorke, N. Wegmann, G. Sauder, K. P. Hansen, R. Sennett, K.H. Bohrer, H. Lethen, G. Plumpe, L. Trilling, C. Klinger)

1.3 Natürliches 1.3.1 Edel-Einfaltiges (N. Boileau, Ch. Batteux, Pseudo-Longin, Ch.M. Wieland, J.G. Sulzer, M. Mendelssohn, J.J. Winckelmann, J. Ch. Gottsched, Jean Paul) 1.3.2 Pygmalionisches (J.J. Winckelmann, J.G. Herder, I. Mülder-Bach, Ovid, H.D. Irmscher, H. Adler, G. Braungart, U. Zeuch, H. Pfotenhauer) 1.3.3 Weibliches (J.H. Campe, R. Koselleck, J. Habermas, J.Ch. Stockhausen, Ch.F. Geliert, R.M.G. Nikisch, K.Ph. Moritz, F.G. Klopstock, Th.G. Hippel, A. Breton)

47 49 49

52

82

83

88

99

Vili 1.3.4 Kindlich-Jugendliches (Homines feri, J. A. Comenius, F. Schiller, K.Ph. Moritz, J.W. v. Goethe, W. Kühlmann, H. Lösener, die Brüder Grimm, A. Jolies, S. Mereau, H.-H. Ewers, Β. v. Arnim, J.F. Weiße, M. Carrière, B.Bremer/ A. Schneider, M. Erdheim, H.P. Dreitzel) 1.4 Parrhesiastisches (M. Foucault, Sokrates, Platon, Ch. Wolf)

2. Geschichtsphilosophisches 2.1 Ästhetisch Versöhnliches (J.G. Sulzer, F. Schiller) 2.2 Naiv-Sentimentalisches (F. Schiller) Literatur

110 134

140 141 146 163

— denn das rechte Wahre ist so unerhört einfach,

daß schon deswegen es nie

an die Reihe kommt.

Bettina von Arnim, Die Günderode (1840)

I.

Authentisches

Ob in der „Unmittelbarkeit" des Sensualismus, in der „Natürlichkeit" der Empfindsamkeit, in der „Ursprünglichkeit" der Romantik, im „Wesen" des deutschen Idealismus, im „Leben" der Lebensphilosophie - spätestens seit dem 18. Jahrhundert ist Authentizität ein geheimer Leitstern des kritischen Diskurses. Auch gegenwärtig behaupten die Vorstellungen von einer lebendigen oder auch zu neuem Leben zu erweckenden Authentizität auf offenkundige Weise ihre Macht im Denken und Reden der Menschen und bestimmen den Ton der Zeit.1 Mit ihrer Frage nach der Literarischen Authentizität schreibt sich diese Arbeit in ein Themenfeld ein, das im philosophischen, medien- und kulturwissenschaftlichen, literaturkritischen und literaturwissenschaftlichen Diskurs und, wie die Überlegungen einer ganzheitlichen Medizin, einer ganzheitlichen Ökologie oder eines ganzheitlichen Umweltschutzes zeigen,2 auch im Rahmen des neuen Systemdenkens der Naturwissenschaften wieder enorm an Publizität gewonnen hat.

1.

Aktuelles

1.1 Philosophisches Der Philosoph Alessandro Ferrara hat jüngst die Frage gestellt, warum Authentizität „plötzlich wieder ein geeignetes Thema für philosophische Diskussionen geworden [ist], für Konferenzen, Sonderausgaben philosophischer Zeitschriften und Artikel auf den Kulturseiten großer Zeitungen".3 Die magnetische Wirkung Siehe dazu bspw. den Spiegel-Essay von Johannes Saltzwedel, der die zuweiten grotesken Manifestationen des „Dämons der Echtheit" auf einem Streifzug durch ,,alle[..] Bereiche des Lebens" kenntnisreich belegt. J. Saltzwedel: Dämon der Echtheit. In: Der Spiegel Nr.45, 06. November 2000, S. 286-290; hier S. 286. 2

Siehe dazu bspw. Kristian Kröchy: Ganzheit und Wissenschaft. Das historische Fallbeispiel der romantischen Wissenschaft. Würzburg 1997.

3

Alessandro Ferrara: Ein Gefühl der „Beförderung des Lebens". Neuer philosophischer Horizont: Reflexive Authentizität als Mittlerin zwischen Universalismus und Pluralismus. In: Frankfurter Rundschau. Nr.86, 11. April 2000. Ferraras Buch Reflective Authenticity. Rethinking the Project of Modernity erschien 1998.

2 des Authentizitätsbegriffs fìihrt er auf die ihm eignende Suggestion zurück, „dass das Selbst einen Wesenskern besitzt." Es spreche jedoch auch nichts gegen „eine inhärent intersubjektive Fassung desselben", wodurch die Idee eines tief in der Person verborgenen Wesenskerns obsolet werde: Man könnte im Gegenteil behaupten, dass die bloße Vorstellung einer „authentischen Identität" unter anderem George Herbert Meads Idee zur Voraussetzung hat, dass eine Identität zu besitzen die Fähigkeit bedeutet, sich mit den Augen eines anderen zu sehen. Jede Identität aber, ob authentisch oder unauthentisch, beruht gleichermaßen auf Interaktion. Authentische Identitäten zeichnet die Befähigung aus, einer Einzigartigkeit Ausdruck zu verleihen, die [...] sozial konstituiert wird.

Die Frage, was es fur ein Individuum heißt, „seiner Einzigartigkeit Ausdruck zu verleihen", beantwortet Ferrara mit Bezug auf die Koordinaten Identität und Differenz. Der jeweiligen Akzentuierung dieses Verhältnisses entsprechend lassen sich zwei Authentizitätsformen im Sinne zweier Interaktionsformen zwischen Individuum und Umwelt bestimmen: unmittelbare und reflexive Authentizität beziehungsweise Einzigartigkeit. Bei der unmittelbaren Authentizität besteht die Einzigartigkeit, die es zu verwirklichen oder anzuerkennen gilt, in der Gesamtsumme der Eigenschaften, die einen Einzelnen von all seinen Mitmenschen oder ein Volk von all den anderen Völkern der Erde unterscheidet. [...] Einzigartigkeit ist [hier] die Gesamtsumme unseres Seins minus der Aspekte, die wir mit anderen teilen.

Im Unterschied zu einer solchermaßen solipsistisch konzeptionalisierten unmittelbaren Authentizität meint reflexive Authentizität die einzigartige Art und Weise, wie ein Individuum seine „Differenz" mit dem zusammenbringt, was es mit anderen teilt, die allgemeinen mit den besonderen Aspekten einer Identität verknüpft.

Der Grund für Ferraras philosophisches Interesse am Begriff der Authentizität liegt in seiner Annahme, daß unsere Zeit gleichermaßen vom Verlangen nach einem theoretischen und normativen Universalismus wie vom Verlangen nach Anerkennung der Pluralität der Interpretationsrahmen geprägt ist, was nicht ohne Mühe miteinander zu vereinbaren sei. Gerechtigkeit als eines der bedeutsamsten Felder begreifend, das Authentizitätspotential zu testen, und also mit Blick auf eine authentizitätsbezogene Gerechtigskeitsvorstellung plädiert Fenara für reflexive Authentizität als einer Mittlerin zwischen zwei als abgrundtief getrennt gedachten Dingen, zwischen Normativität und Einzigartigkeit, zwischen (prinzipiellem) Universalismus und (individualistischem) Pluralismus. Mit Hilfe eines so funktionalisierten Authentizitätsbegriffs eröffnet sich für Ferrara ein neuer philosophischer Horizont, der zum einen über die Engpässe des linguistic turn hinausführe, in dessen Kielspur sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass es uns unmöglich ist, irgendeinen Teil der Wirklichkeit ohne Filter eines Interpretationsrahmens (sei es ein Sprachspiel, eine Tradition, ein Paradigma, ein Begriffsschema oder

3 ein Vokabular) zu begreifen, und dass die Pluralitát bestehender Interpretationsrahmen nicht ohne merklichen Bedeutungsverlust vereinheitlicht werden kann.

Zum anderen lasse man mit dem dynamischen Konzept einer zwischen rigorosem Universalismus und beliebigem Pluralismus vermittelnden reflexiven Authentizität das postmoderne Denken eines anything goes zurück.

1.2 Theatralisches Auf deutschen Brettern, die die Welt bedeuten, verbindet sich das theateravantgardistische Ziel, die Kluft zwischen Theater und Leben durch die echte Empfindung echter Gefühle zu schließen, mit dem Namen George Tabori.4 Jeder Schauspieler, der bei Tabori auftritt, soll für sich in jedem Moment ein ganzes Menschheitsdrama sein. Was in Deutschland Tabori, ist in Frankfreich Ariane Mnouchkine. Die Dimension des offensichtlich paradoxen Phänomens ,theatralische Authentizität' das hier zum obersten Prinzip schauspielerischen Könnens avanciert, läßt sich bestimmen als ein Naturereignis, das ohne Intention passiert, jedoch auch Resultat von Kunst ist, gleichwohl aber in der griftigen Formel,Kunst der Kunstlosigkeit' nicht aufgeht. Da man bei dem Versuch, .theatralische Authentizität' abstrakt zu fassen, hinter dem Ideal resolutdefinitiver Definiertheit zurückbleibt, empfiehlt es sich, den sich dabei abzeichnenden Weg der schrittweisen Beschreibung der Wahrnehmung weiter zu verfolgen und einmal eine konkrete Szene vorzustellen, in welcher Authentizität als Authentizitätseffekt zur Geltung kommt. Es gibt einen Film über die Proben zu Mnouchkines Tarife-Inszenierung von 1995 in der berühmten Cartoucherie in Vincennes, einer alten Pulverfabrik, in der seit 1970 ihr Théâtre du soleil stattfindet. Die Regisseurin ist umgeben von ein paar Schauspielern, die zusammen mit ihr zuschauen, wie ein Kollege zum elften oder zwölften Mal eine Mauer mit einem riesigen Tanzsprung überwindet, zu Boden gleitet und die Geste und den Ton für eine Liebesveizweiflung zu finden versucht. Plötzlich, beim dreizehnten Versuch, legt die Schauspielerin, auf die der Verzweifelte zufliegen soll, vielleicht nur aus Uberdmß einen Ton in eine Silbe, den der Verzweifelte aufnimmt wie ein wahnsinniges Echo. Es ist nun, als flögen die Worte zwischen den beiden wie unbeheiTschbare Bälle hin und her. Und genauso plötzlich erfafit im erschöpften, genervten Theater ein Glückstaumel die Regisseurin und ihre Schauspieler. Sie haben die einzige Geste, den einzigen Ton, den es für diesen menschenmöglichen Moment geben

4

Siehe dazu Hajo Kurzenberger: Taboris authentische Rollenspiele: „Laß die Faxen, die Wahrheit ist konkret". In: Authentizität als Darstellung. Hg. v. Jan Berg, Hans-Otto Hügel u. Hajo Kurzenberger. Hildesheim 1997, S. 59-85.

4 kann, gefunden. Dafür und für viele andere solcher Szenen haben sie drei Jahre lang gearbeitet, dafür, daß sie eine Geste, ein Wort, ein Gefühl derart wie in einem Brennpunkt aufglühen lassen können, daß nichts mehr verborgen ist.

Der paradoxalen Struktur der Authentizität, ihrer vermittelten Unmittelbarkeit', wie sie besonders im Bereich des Theaters eklatant wird, hat sich 1994 ein Hildesheimer Graduiertenkolleg unter dem Titel Authentizität als Darstellungsform gewidmet. Der 1997 als Band 9 der Hildesheimer Reihe .Medien und Theater' erschienene Forschungsband markiert die Stationen des im Hildesheimer Graduiertenkolleg interdisziplinär geführten Dialogs zwischen Medien·, Theater-, Musikwissenschaft, Sozialwissenschaftlicher Kommunikationsforschung und Philosophie. Ausgangspunkt und letztlich auch wesentliches Resultat war und ist die These, „daß Authentizität in medialer, ästhetischer wie nichtästhetischer Kommunikation grundsätzlich als Form, Resultat bzw. Effekt medialer Darstellung verstanden werden muß".6 Wie das Beispiel aus Mnouchkines Tartuffe-Proben zeigt, bezieht sich dieser Authentizitätseffekt auf einen Moment, in welchem der künstlerische Wille und die seelische Disposition des Schauspielers koinzidieren. Dieser ,ZusammenfaH' von Bewußtheit und Unbewußtheit, der in der Rezeption als Authentizitätseffekt erfahren wird, läßt sich produktionsästhetisch auch als Arbeit am Zu-fall begreifen oder aber auch als Arbeit am Ich, insofern der Künstler mit seiner Kunst allein schon einen ihm gemäßen Ausdruck zu finden sucht.

1.3

Literaturkritisches

Sind Mnouchkines Tartuffe-Proben ein Lehrstück in Sachen .theatralische Authentizität', so Binjamin Wilkomirskis Buch Bruchstücke Aus einer Kindheit 1939-1948 eines in Sachen .literarische Authentizität'. Dieses Buch, 1995 beim renommierten Jüdischen Verlag erschienen, in zwölf Sprachen übersetzt und in Amerika mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet, hatte sich als eines der erfolgreichsten der Schweiz erwiesen, als die Historiker bemerkten, daß hier etwas nicht stimmen konnte. Im Namen von Authentizität entfachten sie eine Debatte, welche lange Zeit, bis hin zu Stefan Mächlers eigenartig beflissener Rekonstruktion von Wilkomirskis .eigentlicher' Lebensgeschichte (2000)7 die Gemüter und den feuilletonistischen Blätterwald in Aufruhr verset5

Vgl. Gerhard Stadelmaier: Lichtkönigin und Sonnenkommandeuse. Theater am brennenden Punkt: Ariane Mnouchkine zum sechzigsten Geburtstag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.März 1999.

6

Vorwort zu: Authentizität als Darstellung. Hg. v. Jan Berg, Hans-Otto Hügel u. Hajo Kurzenberger. Hildesheim 1997, S. 5.

7

Stefan Mächler: Der Fall Wilkomirski. Über die Wahrheit einer Biographie. Zürich, München 2000. In dem Kapitel „Ein Buch geht um die Welt" (S. 125-142) sind die einzelnen Phasen von öffentlicher Täuschung und Enttäuschung genau nachzuvollziehen.

5 zen sollte. Der schweizerische Schriftsteller Daniel Ganzfried erhob gegen Wilkomirskis Bruchstücke den Vorwurf der Fälschung: Wilkomirski, mit bürgerlichem Namen Bruno Doessekker, habe die Konzentrationslager nur als Tourist gesehen. Der Historiker Stefan Mächler, der auf die Flüchtlingspolitik der Schweiz spezialisiert ist und von Wilkomirskis Agentur mit einem Gutachten beauftragt wurde, konnte schnell Ganzfrieds Thesen bestätigen. Wilkomirskis Versicherung, die Schreckensszenen seiner Kindheit im Vernichtungslager Majdanek aufgrund ,,exakte[r] Bilderf..] [s]eines fotografischen Gedächtnisses und den dazu bewahrten Gefühlen" wiedergegeben zu haben,8 sei bloße Behauptung. Mächler klärte auf, daß Doesseker seine realen Erlebnisse der Trennung von der Mutter und der Heimaufenthalte fur die literarische Stilisierung genutzt und nur den Rahmen erfunden habe. Am 12. Oktober 1999 wird das Buch vom Markt genommen. Am 18. November 1999 gibt ein Anwalt gegen Bruno Doesseker Strafanzeige wegen Betrugs auf. Und im Jahr 2000 rechnet Mächler mit Wilkomirski endgültig ab: In seinem Buch Der Fall Wilkomirski. Über die Wahrheit einer Biographie nimmt Mächler den Autor und dessen Werk noch einmal ausführlich unter historiographische Vormundschaft und entreißt so das gebrannte Adoptivkind Wilkomirski abermals im Namen von Recht und Ordnung, hier der „Autorität des Faktischen",9 einer heimatlichen Geborgenheit, hier der der fingierten Bruchstücke aus einer Kindheit. Wilkomirski hat es gewagt, mit der Autorität des Faktischen zu spielen, die offensichtlich alles andere als souverän ist, nämlich sehr entzündlich und die deshalb schnell Feuer fangt. Zwischen Aufstieg und Fall, Glanz und Elend der Eúnnenmgs-Bruchstücke an die Zeit des Holocaust zeichnet sich ein ,Historiker-Streit' ab, der sich an unterschiedlichen Auffassungen des Authentischen festmacht. In dem Maße wie auf der einen Seite eine Phalanx von Historikern die dokumentarische Authentizität des Buches bezweifelt und sie ihm schließlich mit dem Verdikt ,Fälschung' abspricht, gerät auf der anderen literarische Authentizität in Mißkredit und mit ihr der Historiker Daniel Goldhagen in vereinsamenden Verruf. Goldhagen hatte nämlich im Klappentext der Taschenbuchausgabe der Bruchstücke (1998) prophezeit: „Dieses fesselnde Buch belehrt auch jene, die mit der Literatur über den Holocaust vertraut sind. Es wird jeden tief bewegen." Erweist sich Goldhagen im Licht der Anhänger einer dokumentarischen Authentizität als ein geschichtswissenschaftlicher Ignorant, so erscheinen die positivistisch argumentierenden Historiker im Lichte von Goldhagen als auf eine besondere Weise ,unbelehrbar': In dem Maße, wie die Dokumentaristen eine Didaktik des ,Belehrens durch faktenmäßiges Belehren' vertreten, können sie mit Goldhagens Didaktik des ,Belehrens durch gefühlsmäßiges Bewegen' nichts o

9

Binjamin Wilkomirski: Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939-1948. Frankfurt a.M. 1995, S. 7. Mächler: Der Fall Wilkomirski. 2000, S. 297.

6 anfangen. Damit stehen sich aber nicht Wahrheit und Fiktion, Einsicht und Ignoranz gegenüber, sondern vielmehr unterschiedliche Umgangsweisen mit Welt, welche, als Ensemble genommen, ihrerseits einen Wahr-FalschSchematismus transzendieren. Literarische Authentizität erweist sich als ein komplexes Phänomen, das in Schwarz-Weiß-Zeichnungen nicht aufgeht. Die Gegenüberstellung von dokumentarischer und literarischer Authentizität signalisiert, daß ihre spezifische Funktion darin besteht, die Besetzung des Begriffs Authentizität im Sinne von Dokumentation und faktenverbürgter Wahrheit zu relativieren und das vermeintliche Monopol positivistisch denkender Historiker auf Wahrheit zu erschüttern. Weil der Holocaust ein brisantes Thema ist, soll hier etwas weiter ausgeholt und der ,Historiker-Streit' in Sachen Wilkomirski im Lichte literarischer Authentizität begutachtet werden. Analog zur theatralischen Authentizität ist davon auszugehen, daß sich literarische Authentizität als Effekt geltend macht. Darauf weist zum einen Goldhagens Werbung hin, zum anderen eine Rezension von Lorenz Jäger, der aus Anlaß der Buchrücknahme vom literarischen Markt dem Autor ein erleichtertes Adieu hinterherruft.10 Noch vor seiner an unumstößlicher Wahrheit orientierten Verurteilung des Buches scheint der Kritiker von diesem gefühlsmäßig eingenommen zu sein. Davon zeugt zunächst seine Beschreibung des Lektüreerlebnisses: Was das Buch von anderen Zeugnissen der Uberlebenden unterschied, war eine bislang unbekannte Anhäufung grässlicher Szenen, die manche Kritiker von einer literarischen Geviihpornografie sprechen ließen. Aber in der Erhöhung der Dosis, die dem Leser einen Voyeurismus des Unheils aufzwang, mag auch der Erfolg seinen Grund haben. [Hervorii. v. mir, J.S.]

Wie die Stichworte ,grässlich', pornografie', .erhöhte Dosis' und ,aufzwingen' bezeugen, hat das Buch es offenbar verstanden, sein lesendes Publikum in den Stand eines gefühlsmäßig reagierenden Voyeurs zu versetzen und sich durch die Manifestation in dessen Erlebniswelt zu authentifizieren. Jägers Verurteilung des Buches im Namen der Wahrheit, mit der man in Sachen .Holocaust' immer rechnen kann, kommt deshalb einer ,Abrechnung' mit einem verführerischen corpus delicti gleich. Diese Abrechnung bringt einen Aspekt ins Spiel, der den Punkt einkreist, wo die spezifische Organisation des Textes entspringt: Doesseker-Wilkomirski ist im Hauptberuf Musiker und Instmmentenbauer. Der schöne Klang ist die Substanz seines Lebens, selbst den Namen „Wilkomirski" wählte er offenbar wegen seiner Verehrung fur eine polnische Musikerin - von der er zeitweise behauptete, sie sei seine Schwester. Für ihn hat sich die Sprache gespalten in die reine, von Bedeutungen entlastete Musik, der er sein Leben widmet, und in die Unwahrheit seiner Sätze, deren Bedeutung nun zusammengebrochen ist. Was sein Buch wirklich erzählt, ist die Geschichte der gescheiterten Artikulation eines verirrten und verwirrten Mannes.

10

Lorenz Jäger: Bruchstücke. Adieu „Wilkomirski". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 1999.

7 Mit seinem Hinweis auf die Musikalität der Spache Wilkomirskis, die er gegen die Logizität der Sprache im Sinne einer Größe der Faktenübermittlung auszuspielen versucht, offenbart Jäger sein Unterfangen als eines, das hilfloshänderingender Betroffenheit geschuldet ist. Denn w a s Jäger auseinanderdividiert, ist ,in Wahrheit' nicht voneinander zu trennen. Ebensowenig w i e die Musikalität der Sprache deren wahrheitsmäßige Repräsentativität in Frage stellt, ebensowenig die Holocaust-Fiktion die Holocaust-Wahrheit. Im Gegenteil: Was sich in Musik, Klang, Rhythmus, Ton Geltung verschafft, ist ein literarischer Authentizitätseffekt, der die Überzeugungskraft logischer Deduktionen potenziert. Ebenso w i e - so legt es Jägers Erlebnisbericht nahe - die gefühlsmäßige Involviertheit der verstandesmäßigen Erkenntnis vorgängig zu sein scheint, ebenso die sprachliche Musikalität der sprachlichen Übermittlung von Gedanken und die fiktionale Konstruktion einer wahrheitsmäßigen Übereinkunft. Literarische Authentizität und der sie bezeichnende Authentizitätseffekt lassen sich nicht auf überzeugende W e i s e prinzipiell gegen dokumentarische Authentizität verrechnen, 11 sondern lediglich in einer sinnvollen Reihenfolge von Wahmehmungs- und Erkennntisprozessen beschreiben. Im Hinblick auf

11

Das belegt auch der ,Fall' Koeppen/Littner, der als ein solcher von der Kritik fallengelassen worden ist. Die Voraussetzungen dieses Nicht-Falls sind denen des Falls Wilkomirski zwar diametral entgegengesetzt - Koeppen legt sein Buch Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch (1992) nicht wie Wilomiiski mit einem unehrenhaften (autobiographischen) Anspruch vor; seine Aspekte sind in ihrer Konsequenz aber auch fur ein Fallenlassen des Falls Wilkomirski geltend zu machen: 1948 erschienen die Aufzeichnungen aus einem Erdloch von Jakob Littner, die ebenso wie die Neuauflage von 1985 unbeachtet blieb. 1992 eröffiiete der neu gegründete Jüdische Verlag mit diesem Text, allerdings gab sich jetzt Wolfgang Koeppen als Autor zu erkennen; der Bericht des HolocaustUberlebenden Littner wurde nun „Roman" genannt. Publikum und Kritik waren begeistert, endlich wieder etwas aus der Feder Koeppens lesen zu dürfen. Koeppens Federführung rief allerdings auch Detektive auf den Plan. Da Koeppen in seinem romanhaften Vorwort sich über seine Vorlage ausschweigt, kam schnell der Vorwurf vorgetäuschter Teilhabe am jüdischen Schicksal auf. Gegen den 1999 in der amerikanischen Zeitschrift Colloquia Germanica erhobenen Plagiat-Vorwurf sowie gegen den von Littners Verwandtschaft bekundeten Ärger wurde Koeppens Vorgehensweise allerdings im Feuilleton mit der Begründung des „literarischen Ranges [seiner] Bearbeitung" verwahrt (Hans-Peter Riese: Eines Buches Reise durch die Nacht. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 183, 9. August 2000, S. 45). Thomas Wirtz argumentiert ganz im Sinne von Authentizität als einer Qualität die Fiktion und Dokumentation gleichermaßen betreffen kann oder auch nicht, wenn er anmerkt: „[...] tatsächlich hat Koeppen aus der anrührenden Vorlage große Literatur gemacht [...]. [...] erst seine literarischen Mittel: das dramatische Präsens, die verknappte Syntax und die härteren Adjektive erzeugen diesen Realitätszug, der sich nicht der Augenzeugenschaft verdanken muss. Einmal mehr trifft das Paradox, eine kluge Literatur sei „wirklicher" als der ihr vorliegende Tatsachenbericht" (Wirtz: Unbeschadet. Kein „Fall Koeppen". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr.206, 6. September 1999, S. 47). Der „Realitätszug" trifft auch auf Wilkomirskis .dramatisches Präsens', seine .verknappte Syntax' und .harten Adjektive' zu, ein Stil, der sich einer anderen als der unmittelbaren Teilhabe am Holocaust verdankt. Siehe dazu im folgenden.

g Jäger, der die Tatsache des von Wilkomirskis Buch ausgehenden Authentizitätseffekts überspringt und diesem also nicht innezuwerden vermag, läßt sich deshalb sagen: Jäger sagt dem Buch, Adieu", nachdem er diesem, heftig berührt und davon verängstigt in die Flucht geschlagen, allenfalls flüchtig „Guten Tag" gesagt hat. Stefan Mächlers Historiographie des Fai[les] Wilkomirski (2000) geht, mehr noch als Jägers epigrammatisch verdichtete emphatische Stellungnahme, in ihrer wissenschaftlichen Beflissenheit am phänomenalen Potential des Buches gänzlich vorbei. Das abschließende Kapitel „Die Wahrheit der Fiktion" ist mit seinen mutwilligen Deduktionen anhand der säuberlich getrennten Kategorien „Emotionalität" und ,Autorität des Faktischen" ein beschämendes Zeugnis für das Betroffen-Sein eines, der nicht anders als in seiner persönlichen Ehre verletzt worden zu sein scheint.12 Die mit Hilfe von Peter von Matts Begriff „moralischer Pakt" vorgenommene, im Stil eines intimen Dialogs zwischen Autor und Leser verfaßte Paraphrase der ersten Sätze aus den Bruchstücken sind in ihrer Distanzlosigkeit aufschlußreich im Hinblick auf die emotionale Verfaßtheit ihres Verfasser und als wissenschaftliche Exegese in ihrer gewaltsamen Aufgesetztheit peinlich, da sie dem Autor unterstellen, was er nicht nur so nicht, sondern eben überhaupt nicht gesagt hat: Du mußt meinen Text als fotografisch genaue Wiedergabe meiner erinnerten Erfahrungen lesen; ich bin kein Geschichten erfindender Dichter. In den Genuß der Wahrheit kommst du nur, wenn du verstehst, zwischen den Zeilen zu lesen und das Nichtgesagte zu erahnen, denn die Sprache ist nicht mein eigentliches Ausdrucksmittel, und für das Wesentliche fehlen mir die Worte.13

Diese Paraphrase zeugt von einem krassen Sehzwang des Kriminalisten Mächler, der dort etwas finden möchte, wo nichts zu finden ist, nämlich „zwischen den Zeilen". Sich mit der Sprache Wilkomirskis als dessen ,,eigentliche[m] Ausdrucksmittel" nicht abfindend, obwohl oder gerade weil dieses qua Authentizitätseffekt „das Wesentliche" entbindet, spricht er sie ihm - und das als faktentreuer Historiograph! - einfach ab. Staunend ist zu verfolgen, mit welcher Mutwilligkeit ein Buch, das „in der evozierten Emotionalität, in der Dichte der Schrecken" als „wahr"14 bezeichnet wird, im Rückgriff auf die Stellungnahme einer Autorität zum Fall Wilkomirski, nämlich die Ruth Klügers, zum „Kitsch" verbogen werden kann. Klüger hatte bekundet:

12

Mächler: Der Fall Wilkomirski. 2000, S. 296f.

13

Zit. n. ebenda S. 295.

14

Ebenda.

9 Eine Stelle, die vielleicht gerade aufgrund ihrer naiven Direktheit erschütternd wirkt, wenn man sie als Ausdruck erlebten Leidens liest, und die sich dann als Lüge erweist, verkommt in der Darstellung erfundenen Leidens zum Kitsch.

Da man einer Holocaust-Autorität nicht so einfach mit der sachlichen Frage begegnen kann, wie sie es denn anstellt, von etwas einmal affiziert zu werden und ein eindermal nicht, obwohl der affektauslösende Faktor in seiner grausamen Intensität sich selber nicht verändert hat, sondern nur eine Vorstellung von ihm, werden lediglich die im folgenden angeführten Ausführungen einer anderen Holocaust-Autorität, nämlich die Imre Kertész', ein kritisches Licht auch auf Klügers Äußerung fallen lassen und die sachliche Nachfrage beantworten können. Schließlich sind aber noch die den skrupulös angewandten kategorialen Richtlinien von Holocaust-Wahrheit hier und Wilkomirski-Fiktion dort widersprechenden Schlußfolgerungen Mächlers aufschlußreich im Hinblick auf dessen etwaige händeringende Betroffenheit: Als Autobiographie gelesen, wächst der Text durch die Shoah; aber als Fiktion gelesen, ist er den besonders hohen Ansprüchen desselben Sujets nicht gewachsen.16

Richtig deduziert müßte es heißen: Als Autobiographie gelesen, verliert der Text durch den Bezug auf die Shoah, denn diese entlarvt ihn ja doch als Lüge und macht aus ihm im nachhinein Kitsch; als Fiktion gelesen, erweist sich der Text dem Sujet unbegreiflicher Grausamkeit „in der Dichte der Schrecken" und als ,,lehrbuchartige[s] Beispiel einer traumatischen Erinnerung" als gewachsen.17 Den literarischen Authentizitätseffekt in Rechnung stellend erweist sich Wilkomirskis Buch als ein äußerst interessantes und erhellendes .Dokument' im Kontext der Holocaust-Literatur. Es hält dazu an, den Wahrheitsdiskurs .Holocaust' seinerseits im Lichte der Dichotomie Wahrheit-Fiktion zu sichten. Indem Wilkomirskis Bruchstücke Wahrheit mehr als gefühlsmäßige denn als verstandesmäßige Kategorie etablieren, machen sie den konventionellen Umgang mit dem Holocaust in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Zunächst wird das Verhältnis von unmittelbarer Erfahrung und Medialisierung des Holocaust problematisch: Man könnte meinen, daß sich in der Aggression, mit welcher auf den literarischen Effekt des Authentischen reagiert wurde, eine Sehnsucht nach einer unmittelbar erfahrenen Welt vor den Zeichen offenbart, nach der Welt des Holocaust vor ihrer schriftkulturellen Verzeichnung. So wird die sich an Wilkomirskis Buch entladende Wut auch als Trauer verständlich angesichts der Tatsache, daß die Medialisierung des Holocaust mit ihrem Vergegenwärtigungsanspruch diese ehemals unmittelbare und schreckliche Welt als Thema verbraucht hat. Das ist die Paradoxie der Holocaust-Literatur: Durch Vergegen15

Ebenda S. 299.

16

Ebenda S. 300.

17

Ebenda S. 296 u. 298.

1 0

wärtigung beschleunigt sie den Prozeß der Entfernung vom unvorstellbaren Leid, welcher nur in der persönlichen Konfrontation mit den individuell gespeicherten Schmerzen gestoppt werden kann. Die kollektive Verzeichnung der Welt des Holocaust drängt die Frage nach der prinzipiellen Möglichkeit seiner kollektiven Aufarbeitung auf: Ist der Holocaust kollektiv - analog einer Konzeption von im Kollektiv abzutragender ,Erbschuld' - überhaupt authentisch erinnerbar? Der Holocaust-Überlebende Imre Kertész meint dazu, daß die lebendige Empfindung in dem Maße, wie sie von neuen (nicht unbedingt anderen) Erfahrungen überlagert wird, natürlicherweise mit der Zeit abklingt. Das unvorstellbare Leid und die Trauer liefen dann Gefahr, in der Qualität eines Wertes in einem weiterzuleben. Und mit ihrer Transformation in einen allgemeinen Wert sei die ursprüngliche Empfindung bereits um ihre Authentizität gebracht und die Erinnerung des Holocaust-Opfers ,enteignet'.18 Kertész erklärt weiter, daß die Erfahrung des Holocaust die Überlebenden dazu gebracht hat, auf einem alleinigen geistigen Eigentumsrecht am Holocaust zu bestehen. Er sieht sich deshalb veranlaßt, eine Frage zu stellen, die ohne seine eigene Betroffenheit zynisch wirken würde: „Wem gehört Auschwitz?" Der Aufzeichnung des Holocaust sei Stilisierung von Anfang an inhärent gewesen. Allein schon das Wort ,Holocaust' sei „eine gezierte Abstraktion der deutlich brutaler klingenden Wörter ,Vernichtungslager' oder ,Endlösung'". Der sich hier abzeichnende „Holocaust-Reflex", im Zuge dessen „der Zwang zum Erinnern uns verführt, eine Art Genugtuung in unsere Erinnerungen zu schmuggeln", kehre sich so gegen die Überlebenden selbst. Denn mit der Stilisierung dieser Zeit geht ihre Institutionalisierung und Ritualisierung einher, so daß „der authentische Zeuge [...] schon bald nur im Weg ist." Wenn selbst schon das unorthodoxe Holocaust-Opfer belehrt wird, „wie [es] über das denken muß, was [es] erlebt hat, völlig unabhängig davon, ob und wie sehr dieses Denken mit seinen wirklichen Erfahrungen übereinstimmt", dann leuchtet ein, um wieviel mehr der nicht unmittelbar Betroffene dem Zwang einer genormten Erinnerung gehorchen muß. Bringt sich der Uberlebende also allein schon - wie Kertész sagt - durch „Holocaust-Sentimentalismus" und „Holocaust-Konformismus" um seine authentischen Erfahrungen, so treibt der Umgang mit Wilkomirskis Buch diese Tendenz auf die Spitze, wo sie auffällig wird und zu Bewußtsein kommen kann. Indem Wilkomirskis als autobiographische dargelegte Erfahrungen zunächst qua Authentizitätseffekt zu überzeugen vermögen, um dann qua pedantischen Bezugs auf eine abstrakte Holocaust-Norm als kitschige literarische Phantasmagorien entlarvt zu werden, legen sie den Finger auf das Phänomen der Authentizität, die allein der lebendigen und damit unmittelbaren und unvermittelten Er18

Imre Kertész: Wem gehört Ausschwitz? Aus Anlaß des umstrittenen Films „Das Leben ist schön": Der ungarische Schriftsteller und KZ-Uberlebende Imre Kertész über die Enteignung der Erinnerung. In: Die Zeit, 19.11.1998.

11 fahrung zukommt. Wilkomirskis Autobiographie fallt aus dem Holocaust-Kanon heraus, weil sie, einmal in ihrem lügenhaften Anspruch und somit als reine Erfindung entlarvt, den stillschweigenden Konsens über die HolocaustErfahrung kündigt und die so mit einem Tabu belegte Uneinholbarkeit der Erinnerung klarstellt. Der Fortgang des Verzeichnungsprozesses hat, entgegen seiner Intention, zu vergegenwärtigen, gerade die Erinnerung an jene Zeit blasser und sprachloser werden lassen. Gesten der Trauer sind ins Fiktive gerückt, Erinnerung ist zur Fiktion geworden. Auf den Verlust der Unmittelbarkeit des Schreckens, die sich nur in der Form von Leid erhalten hat, macht Wilkomirski aufmerksam. Das Oszillieren der Bruchstücke zwischen Fiktion und Realität bringt diesen Verlust schmerzlich zu Bewußtsein und damit dem Holocaust als einem schmerzvollen Erleben näher, das durch die Abhandlung des Themas allein nicht eingeholt werden kann. Insofern ist es unzutreffend, wenn Julius H. Schoeps in seinem Kommentar des Falls Wilkomirski meint, daß „Opferphantasien [...] die Frage nach den wirklichen Opfern verdrängen".19 Wilkomirskis Phantasien drängen die Frage nach den wirklichen Opfern doch geradezu auf! Auch unter den wirklichen Opfern gibt es authentische und nichtauthentische. Sie sind nur dann authentisch, wenn sie mit ihrer Erinnerung nicht „Genugtuung" (Kertész), sondern eben Schmerz empfinden. Im Hinblick auf den Effekt des Authentischen läßt sich Wilkomirskis Buch mit der filmischen Holocaust-Fiktion des Italieners Robert Benigni vergleichen. Der Film Das Leben ist schön legt zum Beispiel „große Sorgfalt auf die [gegenständliche] Alltagswelt des Lagers". Dennoch meint Kertész, daß seine „Authentizität [...] zwar in den Details [stecke], aber nicht unbedingt in den gegenständlichen". Der Geist, die Seele des Films seien authentisch. Gleich dem Film berührt das Buch. Wilkomirskis Buch zeigt, insofern ihm die Erfahrung des Getrenntwerdens von der Mutter und mehrerer Heimaufenthalte zugrundeliegt, daß auch unter anderen Bedingungen als denen des Holocaust Erfahrungen gemacht werden, welche sich in ihrer Erlebnisqualität und -Intensität mit denen des Holocaust decken. Sie lassen sich offenbar mühelos in dessen Szenario einsetzen und dort wiederbeleben. Der Holocaust wird damit vergleichbar, die Einmaligkeit der Traumatisierung durch den Holocaust relativiert. In dem Maße, wie der historische Holocaust durch seine Vergleichbarkeit auf seine konstitutiven Strukturen hin durchschaut werden kann, avanciert er zum erkenntnisfördernden Holocaust-Syndrom. Wilkomirskis Buch fordert so die Erkenntnis zutage, daß dem historischen Holocaust eine spezifische Blindheit gegenüber der Präsenz von Leid eignet: sei es der der eigenen leidvollen Empfindung, die im erinnernden „Holocaust-Reflex" getürmt ist und die als eine solche im Lektüreerlebnishorizont von Wilkomirskis Bruchstücken wieder

19

Julius H. Schoeps: Der Holocaust als Sprungbrett zum Ruhm. Zum Fall Wilkomirski: Opferphantasien verdrängen die Frage nach den wirklichen Opfern. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Oktober 1998.

12 aufscheint, sei es der der Wahrnehmung des Leidens anderer, wie sie seinerzeit in der kollektiven Ignoranz gegenüber dem Schicksal der Juden an der Tagesordnung war und nunmehr im gewaltsam anmutenden bagatellisierenden Ausspielen von Heimaufenthaltserfahrungen gegen die Holocaust-Erfahrung zum Tragen kommt. Wilkomirskis Buch sensibilisiert im wahrsten Sinne für die Unsensibilität von Opfern wie Tätern und entschärft damit auch diese Opposition. Der von den Bruchstücken ausgehende Authentizitätseffekt bringt offenbar nachhaltig feste Anhaltspunkte ins Schwanken und fördert in dem Maße, wie er zu desorientieren vermag, die Erkenntnis. Mit seinen Ernmerungs-Bruchstücken weist Wilkomirski nicht zuletzt die literarische Gattung der Autobiographie, in der die Authentizität von Lebensentwürfen paradigmatisch thematisiert wird, als totales ex-post-Konstrukt und damit ihrerseits im Verhältnis zu jeweils immer wieder anders möglichen Konstruktionen als bruchstückhaft aus. Das phantastische Potential des Buches erweist sich also in weit über den eigentlichen Text hinausreichenden Hinsichten als produktiv. Der Authentizitätseffekt des Buches setzt Phantasie in ihr volles Recht, das da heißt, .sichtbar zu machen'.

1.4

Literaturwissenschaftliches

Literaturwissenschaftliche Konjunktur bekam das Authentizitätsproblem zuletzt anhand von Bertolt Brecht. In seinem Buch über Soll und Haben der ,Firma Brecht'20 vertritt der amerikanische Literaturwissenschaftler John Fuegi die These, große Teile des Werkes von Brecht stammten nicht von diesem selbst, sondern von seinen Mitarbeitern und v.a. Mitarbeiterinnen. Jan Knopf, einer der Herausgeber Brechts, hat am 23. Dezember 1997 die Beweisführung Fuegis angegriffen, woraufhin Fuegi am 8. Januar 1998 seinen Vorwurf erneuert hat, die Editionen Brechts folgten „einem Prinzip des Verschweigens und der Täuschung".21 Mit seinen Thesen aktualisiert der Fall ,Fuegi contra Knopf literarische Authentizität unter bekannten philologischen Vorzeichen. Die Frage nach literarischer Authentizität ist in der Editionsphilologie zu Hause, deren Ziel es ist, mit Hilfe der wissenschaftlichen Kategorien ,wahr' und ,falsch' das Werk eines Autors in seiner ursprünglichsten Gestalt zu erschließen. Im 18. Jahrhundert hatte der Begriff der Authentizität textkritische Relevanz bekommen, wo zunächst die Authentizität der Heiligen Schrift mithilfe philologischer Methoden bestätigt werden sollte. Um dahin zu kommen, hatte der Begriff einen langen 20 21

John Fuegi: Brecht & Co. Biographie. Hamburg 1997. Zur Debatte insgesamt siehe Peter Demetz: So gern bedient man einen Kaltschneuzigen. Die Biographie als Anklageschrift: John Fuegis obsessive Enttarnung des bösen Bertolt Brecht. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Januar 1998.

13 Weg zurückzulegen: ausgehend vom griechischen authentés (Herr, Gewalthaber, Urheber), über das davon abgeleitete Adjektiv authentikós,72 über seine Latinisierung zu authenticus\ diese wurde im Mittelalter im theologischen Kontext als Adjektiv zu auctoritas im Sinne von .Autorität' gebraucht, insofern ein Geistlicher damit die Echtheit von Reliquien verbürgen konnte, wenn ihm die facultas authenticandi durch päpstlichen Indult verliehen worden war,23 daneben fand authenticum auch im Rechtswesen Verwendung als Bezeichnung für das Original einer Handschrift und im weiteren Sinne für „die gerichtlich anerkannte Beweiskaft eines Dokuments";24 schließlich ging der Begriff in die deutsche Sprache ein, wo authentisch im 16. Jahrhundert als Lehnwort in der Kanzleisprache belegt ist und juristische Bedeutung im Sinne eines zuverlässig verbürgten Dokuments hatte. Abgesehen davon, daß die Erforschung der Enstehungsstufen dichterischer Texte speziell in der Editionswissenschaft eine zentrale Aufgabe ist, finden allgemein in der Literaturwissenschaft die Spuren des Schaffensprozesses ein größeres Interesse als das literarische Produkt selber. Dabei spielt die Hoffnung mit, sinnentschlüsselnde Hinweise in der Werkstatt des Autors, in seinem lebensgeschichtlichen Umfeld aufzulesen, das zwischen den Zeilen Gesagte gewissermaßen schwarz auf weiß zu haben und, nicht zuletzt, dem Autor bei der Arbeit zuzusehen und den schöpferischen Vorgang zu verfolgen. Die produktionsästhetische Ausrichtung der Literaturwissenschaft bringt es mit sich, daß der literarische Text in seiner genuin ästhetischen Eigendirigiertheit und als ein auf Unterhaltung zielendes Faszinosum mit entsprechend spezifischem Erkenntnispotential nicht in den Horizont der Wahrnehmung gerät, wofür der Fall Wilkomirski ein repräsentatives Beispiel ist. In dem Maße, in dem Authentizität als Wahrheit verstanden, der Autor auf seine Glaubwürdigkeit hin befragt und sein Text nach dem wissenschaftlichen Code ,wahr-falsch' gesichtet und gerichtet wird, anstatt diesen auf das Spektrum zu beziehen, das sich mit dem ihm entsprechenden literaturspezifischen Wahmehmungscode ,interessant-uninteressant' eröffnet,25 ist Authentizität im Sinne eines vor aller produktionsästhetischen Textbetrachtung rezeptionsästhetisch zu analysierenden Effekts ein literaturwissenschaftlich bislang nicht eingeholtes Phänomen. Wenn im folgenden im Zusammenhang des Authentizitätseffekts immer wieder der rezeptionsästhe22

23

Vgl.: Authentisch. In: Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage. Unter Mithilfe von Max Bürgisser und Bernd Gregor. Völlig neu bearb. von Elmar Seebold. Berlin und New York 1989. F. Grass: Authentik. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Josef Höfer u. Karl Rahner. Bd.1. Freiburg 2 1957, S. 1126.

24

K. Röttgers/R. Fabian: Authentisch. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter. Völlig neu bearb. Ausgabe des Wörterbuchs der philosophischen Begriffe v. Rudolf Eisler. Bd.l: Α-C. Darmstadt 1976, S. 691-692.; hier S. 691.

25

Siehe dazu Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur. Ein systemtheoretischer Entwurf. Opladen 1995, S. 48-58, insbes. S. 53f.

14 tische Zugang betont wird, so soll damit nicht - in Umkehrung dichotomer Verhältnisse - die produktionsästhetische Textbetrachtung diskreditiert werden. Um Authentizität als einer Kategorie Rechnung zu tragen, die jeglichen Dichotomisierungen spottet, bedeutet die Betonung rezeptionsästhetischer Textanalyse lediglich einen zeitlichen Aspekt: sie ist der produktionsästhetischen vorgelagert. Während also die rezeptionsästhetische Dimension im Zuge produktionsästhetischen Textumgangs von vornherein aus dem Blick geraten ist, geraten produktionsästhetische Aspekte im Zuge der rezeptionsästhetischen Dimensionierung literarischer Authentizität sehr wohl in den Horizont der Aufmerksamkeit. Mit der Feststellung von Authentizität als Effekt, den es vor aller produktionsästhetischen Spekulation rezeptionsästhetisch einzuholen gilt, ließe sich der theoretische Teil beschließen, eine Methode entwerfen und zur Analyse literarischer Texte übergehen, ganz im Sinne der zum Motto dieser Arbeit gewählten Aussage aus Bettina von Arnims Günderode, wonach „das rechte Wahre [...] so unerhört einfach [ist]".26 Allein, die besondere Methode, die dem besonderen Phänomen literarischer Authentizität gerecht wird und über dessen Feststellung als ,Effekt der Darstellung' hinausfuhrt, konkretisiert sich erst nach und nach im Zusammenhang der zu eruierenden besonderen Aspekte des Phänomens selbst. Dieser Prozeß soll deshalb nicht durch eine abstrakte Darslegung methodologischer Überlegungen gestört werden.27 Ohnehin ist - im Sinne des dieser Arbeit vorangestellten Mottos aus Bettina von Arnims Die Günderode (1840) „das rechte Wahre", das im etablierten Authentizitätsdiskurs „nie an die Reihe [kommt]", in dieser Arbeit beständig am Zuge: Das Bewußtsein von Authentizität als Effekt der Darstellung wird im rezeptionsästhetisch-kritischen Umgang der Verfasserin mit der mit Authentizität befaßten Literatur produktiv. Die Konzeption von literarischer Authentizität als Effekt der Darstellung bringt es für diese Arbeit mit sich, daß sie bei aller Komplexität ihres Gegenstandes sich immer auf dessen existentielle Einfachheit besinnt. Mit dieser bewußtseinsmäßigen Reduktion geht auch eine Klarheit in der Darbietung einher, wie sie sich generell in der überschaubar gehaltenen Gliederung dieser Habilitationsschrift manifestiert. Das „unerhört" Einfache der literarischen Authentizität soll über die einfache Darstellung seiner komplizierten Komplexität eine phänomenologische Tiefenschärfe erhalten. Erkenntnisleitendes Interesse des geduldigen Durchgangs durch die Forschungslandschaft, die dem Phänomen Authentizität nicht gerecht zu werden vermag, ist der adäquate Umgang mit literarischer Authentizität als einer poetologischen Kategorie, die dazu anhält, wirkungsästhetische Analysen und produktionsästhetische Ableitungen immer transparent

26

Bettina von Arnim: Die Günderode (1840). In: Werke und Briefe in 3 Bänden. Hg. v. Walter Schmitz u. Sibylle von Steinsdorff. Bd.l. Frankfurt a.M. 1986, S. 348. Siehe dazu auch Kapitel I. 2 dieser Arbeit, Anm. 64.

15 auf den rezeptionsästhetisch-wertenden Ausgangspunkt zu halten, i.e. das Hier und Jetzt der die Texte wahrnehmenden Literaturwissenschafilerin.

2.

(Un-)Wesentliches

Geschieht die Erörterung von Authentizität ausschließlich unter produktionsästhetischen Vorzeichen, fuhrt sie eine Begriffsverwirrung mit sich. So ist gerade für die ordnungsstiftenden Arbeiten symptomatisch, daß sie, indem sie von einem Effekt ausgehen und diesen dann inadäquat als Kategorie der Produktion, als ein Verfahren zu bestimmen versuchen, trotz aller Systematisierung den Blick auf das Phänomen eher verstellen als erhellen. Die literaturwissenschaftliche Aporie, die darin besteht, daß man - wie der Fall Wilkomirski beispielhaft gezeigt hat - einem rezeptionsästhetischen Phänomen produktionsästhetisch beizukommen sucht, läßt sich eindrücklich am theaterwissenschaftlichen Umgang mit Authentizität studieren, weil dort der Begriff der Darstellung zentral ist. Krisof Rouvel, „zunächst verwirrt durch die Fülle von Begriffen aus dem semantischen Verwandtenkreis der Authentizität, die es fraglich erscheinen lassen, ob die Rede von einem historisch durchgängigen Ideal [autobiographischer bzw. schauspielerischer] Authentizität überhaupt sinnvoll ist",28 unterscheidet die Begriffe Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität. Im Rückgriff auf den rollentheoretischen Ansatz des Soziologen Erving Goffman, der in The Presentation of Self in Everyday Life (1958) Glaubwürdigkeit unabhängig von der Wahrhaftigkeit oder Unwahrhaftigkeit der Intention des Darstellers als Effekt der Darstellung (performance) beschreibt, bestimmt Rouvel Glaubwürdigkeit als .Außenseite' der Wahrhaftigkeit 29 Im Unterschied zur glaubwürdigen Wahrhaftigkeit einer Person, die das Verhältnis zwischen darstellender und wahrnehmender Person beschreibt, meint Authentizität dann die Person in ihrem Für-sich-Sein. In einer solchen Konzeptionalisierung von Authentizität als Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst30 aber ist Authentizität als poetologische Analysekategorie in das Reich solipsistischen Selbstbezugs entrückt.31

28

29

Kristof Rouvel: Zur Unterscheidung der Begriffe Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität. In: Authentizität als Darstellung. Hg. v. Jan Berg, Hans-Otto Hügel u. Hajo Kurzenberger. Hildesheim 1997, S. 216-226; hier S. 216. Ebenda S. 218.

30

Ebenda S. 220.

31

Der rollentheoretische Ansatz der Sozialpsychologie bzw. Identitätsdiskussion, der mit Gegenbegriffen wie ,Vermittelheit' (siehe dazu im folgenden) oder der historisch weiterreichenden , Entfremdung' operiert, wird hier nicht weiter verfolgt. Authentizität als selbstän-

16 Angeregt durch die zentrale Bedeutung, die der Authentizitätsbegriff filr die Selbstdeutung glückender Existenz im post- und postpostmodemen Diskurs innehat, w o er als Ideal gegen das Bewußtsein von Vermitteltheit mobilisiert wird, 3 2 und aufgrund der Feststellung, daß der Authentizitätsbegriff an einem >7 histonsche[n]

Mangel sprachlicher und inhaltlicher Bestimmtheit"

schlägt Christian Strub mögliche

Ordnungen

der Authentizität

leidet,

vor. 33 Mit einer

„möglichst allgemeinefn] Formulierung" eines „Authentizitätsproblems" geht er an die Arbeit. 3 4 Darstellung und darstellungsunabhängiges Thema sind die beiden Größen, mit denen Strub bei seiner Aufräumaktion in der ,Authentizitätsgerümpelkammer' operiert. [...] das Authentizitätsproblem [...] ergibt sich [...] dann, wenn die Unabhängigkeit des Darstellungsthemas mittels des Begriffs der Unmittelbarkeit zu beschreiben versucht wird [...]. Das Authentizitätsproblem ist somit ohne die Idee eines unmittelbaren, d.h. darstellungsfreien Bezugs zwischen „Ich" und „Welt" [...] nicht denkbar. D i e Unmittelbarkeitsidee hat bei Strub hauptsächlich regulativen Charakter inne, insofern darstellungsfreie Thematisierung ein Unding ist: D i e Behauptung darstellungsfreier Darstellung ist paradox, da sie der Darstellung nicht entkommt. 3 6 Mit Hilfe der als Regulativum eingesetzten Idee von Unmittelbarkeit vermag Strub authentische von nichtauthentischen Darstellungen zu unterscheiden:

digen Einzelbegriff handhabend kommen rollentheoretische Erwägungen ohne ideologische Voreingenommenheit, die sich aus der marxistisch inspirierten Renaissance der Entfremdungskategone in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts herleitet, in dieser sozialgeschichtlich fundierten Arbeit (Kapitel III. 1.) ohnehin im je historischen Kontext an die Reihe bspw. im Zusammenhang der Erörterung der rhetorischen acfio-Lehre, die eine wesentliche Folie hof- und philisterkritischer Redlichkeits- und Natürlichkeitsemphase darstellt (Kapitel III. 1.2), oder auch im Zusammenhang der romantischen Konzeption von ,Jugend' (Kapitel III. 1.3.4). Vertreten wird hier eine Auffassung von Authentizität als einem „Ästhetischen Grundbegriff', der als ein solcher „ästhetisches Verhalten im Alltag, in vielfältigen Lebens- und Praxisbereichen ebenso berücksichtigt wie den künstlerischen Bereich im engeren Sinn" (Vorwort zu: Ästhetische Grundbegriffe (AGB). Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. v. Karlheinz Barck [...]. Bd. 1: Absenz-Darstellung. Stuttgart 2000, S. VH-ΧΙΠ; hier S. X (Hervorh. von mir, J.S.)), wobei letzterer das Perspektiv dieser literaturwissenschaftichen, mit .literarischer Authentizität' befaßten Arbeit ist. Vgl. Elisabeth Mohn: Paradoxien der Ethnographie. In: Authentizität als Darstellung. Hg. v. Jan Berg, Hans-Otto Hügel u. Hajo Kurzenberger. Hildesheim 1997, S. 18-42; hier S. 19. 33

Christian Strub: Trockene Rede über mögliche Ordnungen der Authentizität. In: Authentizität als Darstellung. Hg. v. Jan Berg, Hans-Otto Hügel u. Hajo Kurzenberger. Hildesheim 1997, S. 7-17; hier S. 8.

34

Ebenda.

35

Ebenda S.8f.

36

Vgl. Mohn: Paradoxien der Ethnographie. 1997, S. 24.

17 Eine authentische wäre dann von einer nichtauthentischen Darstellung mittels der regulativen Unmittelbarkeitsidee dadurch zu unterscheiden, daß die authentische Darstellung die mit jeder Darstellung zwangsläufig einhergehende Aspektierung des Dargestellten „aufzuheben" fähig ist, d.h. das Dargestellte durch die Darstellung als nicht Dargestelltes präsentiert.37

Voraussetzung für diese mit Darstellung und Darstellungsunabhängigem operierende Fassung des Authentizitätsproblems ist ein „Bewußtsein der prinzipiellen mimetischen Differenz zwischen Darstellung und Dargestelltem", auf dessen Grundlage überhaupt erst Zweifel an der Darstellungstransparenz angemeldet werden können.38 Von hier aus erweisen sich „Authentizitätsbehauptungen" als „Versicherungen von Darstellungstransparenz" und „Inauthentizitätsbehauptungen" als „Behauptungen von Darstellungsopazität".39 In jedem Fall handelt es sich bei Thematisierungen von Authentizität um „Metabehauptungen", welche die „Darstellungen dieses Darstellungsunabhängigen" in den Blick rücken.40 Im Zuge solcher Thematisierungen von Authentizität werden „Authentizitätsstrategien" beschreibbar und entlarvbar als Mittel, Unmittelbarkeit zu prätendieren, als „Versuch [...], vergessen zu machen, daß Darstellungsmittel benutzt werden [...]".41 Strubs Fassung des Authentizitätsbegriffs als Versuch, „die Vermittelheit der Darstellung zu durchbrechen",42 stellt die Darstellung in dem Maße unter Betrugsverdacht, wie diese sich an einer Unmöglichkeit abarbeitet. Insofern das Darstellungsunabhängige per definitionem von der Darstellung abhängig ist, greift ein Ansatz zu kurz, der ein Darstellungsunabhängiges zum Ziel seiner Überlegungen zur literarischen bzw. theatralischen Authentizität macht und die Texte auf Opazität oder Transparenz ihrer Strategien bezüglich des als Unmittelbarkeit konzeptionalisierten Authentischen hin durchschauen will. Hier zeigt sich einmal mehr, wie problematisch es ist, einer Kategorie wie Authentizität, die offenbar jeglichen Dichotomisierungen spottet - hier der unbeholfenen von Darstellung und Darstellungsunabhängigem, im Bereich der Literatur der gängigen von Fiktion und Realität - , mit Hilfe eines dichotomen Rasters beikommen zu wollen. Helmut Lethen, bedauernd, daß es „kein ruhige[s] Feld [ist], das wir auf der Suche nach gegenwärtig kursierenden Authentizitätsformeln betreten", ermittelt beruhigenderweise unter verschiedenen Versionen des Authentischen „immer die gleiche Topographie": „immer liegt es unter einem modernen Konstrukt, das als Oberfläche begriffen wird, die durchdrungen werden muß."43 Lethens Dia37

Strub: Mögliche Ordnungen der Authentizität. 1997, S. 9.

38

Ebenda S. 10.

39

Ebenda S. 12.

40

Ebenda.

41

Ebenda S. 13.

42

Ebenda S. 14.

43

Helmut Lethen: Versionen des Authentischen: sechs Gemeinplätze. In: Literatur und

18 gnose betrifft einen im Gefolge Freudscher Psychoanalyse populär gewordenen Kult des Demaskierens, den Lionel Trilling in seiner Studie Sincerity and Authenticity (1972Ζ4 unter dem Aspekt der Authentizität bedacht hat. Authentizität beschreibt demnach einerseits eine Geisteshaltung, der es andererseits um die Authentizität der anderen zu tun ist, um die „systematische Untersuchung von Täuschung und Selbsttäuschung und Enthüllung einer darunter verborgenen Wahrheit" 45 Die Motivation zu solcher Arbeit am fremden Wesen bezieht sich aus der Überzeugung, „geistig, praktisch und (nicht zuletzt) moralisch Gewinn daraus [zu ziehen], wenn man [dieses] entschlossen ans Tageslicht holt".46 Mit Hilfe von Roland Barthes' Begriffen des Studium und punctum, die er aus dessen letztem veröffentlichtem Buch Die helle Kammer bezieht, worin es im Zusammenhang der Beschreibung der Einstellung gegenüber Photographien um „ein [punktuelles] Detail [geht], etwas [...] zufallig Absplitterndes, das mich - mitten im Studium? - überfallt",47 begreift Lethen Authentizität als ein Ereignis, das sich durch einen „Intensitätswert" auszeichnet.48 Aufgrunddessen und weil er Authentizität grundsätzlich bezweifelt und als unmögliche Möglichkeit konzipiert, konvergieren die von ihm untersuchten Versionen des Authentischen in der Sehnsucht: [...] wahrscheinlich ist der Begriff „Sehnsucht" noch das Präziseste [...] unserer Überlegungen - Genaueres läßt sich zur Authentizität nicht sagen. Zumindest scheint das ihr erstes Merkmal.

Für Lethen markiert Authentizität demnach exklusive, von Sehnsucht lebende „Kultzonen"50 Über Lethen hinausgehend lassen sich die Sehnsüchte als Gegenteilssehnsüchte genauer bestimmen, insofern der sie bezeichnende Kult des Authentischen gewissermaßen von dem lebt, was er eigentlich ablehnt: Wie Reiche von der Armut träumen, Asphaltliteraten vom Landleben, Zentralbeheizte vom Lagerfeuer, Ungläubige von der Religion, Kalendergepeinigte von der mystischen Zeitlosigkeit, so träumen die Komplizierten von der authentischen Einfalt.51 Festzuhalten bleibt indes, daß in Lethens Kultivierung der Versionen des Authentischen dieses als Innerlichkeit zurückbleibt, auf die sich Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205231; hier S. 227 u. 229. 44

Lionel Trilling: Das Ende der Aufrichtigkeit. [Sincerity and Authenticity, 1972] [Dt. 1980; München, Wien: Hanser] Ubers, v. Henning Ritter. Frankfurt a.M., Berlin, Wien 1983.

45

Ebenda S. 133.

46

Ebenda. Lethen: Versionen des Authentischen. 1996, S. 215.

48 49

Ebenda. Ebenda S. 229.

50

Ebenda S. 227.

51

Vgl. Hermann Kurzke: Ein Musenroß geht durch. Aus dem Nachlaß gegraben: Michael Ende im „Niemandsgarten". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Februar 1999.

19 nichts poetologisch Haltbares gründen läßt. Im Sinne eines quod erat demonstrandum endet Lethen dort, wovon er ausgegangen war: bei der Feststellung, daß Authentizität „offenbar" kein „sicheres Kriterium zur Orientierung ist".52 Abgesehen davon, daß grundsätzlich erst die produktionsästhetische Erörterung des primär rezeptionsästhetisch zu erschließenden Phänomens Authentizität die Begriffsverwirrung hervorbringt, mißt Lethen der scheinbaren Kontingenz der Bedeutungen des Authentizitätsbegriffs zu viel Gewicht bei, wenn er sich von ihr dazu verleiten läßt, die Ergrtlndung des Phänomens für obsolet zu erklären,53 um sich daraufhin auf „Verfahren" zu kaprizieren, welche „den Effekt des ,Authentischen' auslösen können", selbst bei Leuten wie Lethen, der „die Möglichkeit von Authentizität eher skeptisch einschätzt"54. Die Technisierung des als Effekt zwar festgestellten, in der Analyse aber ignorierten Phänomens, das sich im eigenen Erleben geltend macht und entsprechend auch dort aufzusuchen wäre, kommt einer Haßliebe gleich. Diese Haltung bleibt unbefriedigend, da auch sie ohne Konzeptionalisierungen des ambivalent erfahrenen Gegenstandes nicht auskommt. Diese treiben in Form impliziter Vorannahmen ihr Unwesen, und sei es die des Zweifels an der Möglichkeit eines unmittelbaren Austausches.55 Anstatt wie Lethen mit Authentizität pathetisch das ,absolut Andere* im Sinn zu haben56 und anstatt angesichts der Tatsache, daß „keine klaren Schnittstellen zwischen Natur und sozialer Konstruktion [...] bezeichnet werden können", nur noch ironisch mit Authentizität zu verfahren und im Zusammenhang mit ihr „verschiedene Grade der Künstlichkeit" zu unterscheiden,57 wird hier weiterhin versucht, das Phänomen Authentizität in seinen verschiedenen Konkretisationen zu ergründen. Denn wie Wolfgang Welsch bei Gelegenheit seiner Ausführungen über die Künstlichefn] Paradiese (1996) der elektronischen Medien zu Recht betont, meint „Natürlichkeit" ebensowenig wie „Künstlichkeit" eine absolute Größe. Vielmehr handelt es sich bei beiden Begriffen um Hinsichten, Perspektiven, Relationen. [...] Es gibt nicht künstliche und natürliche Welten per se, sondern nur vergleichsweise natürliche bzw. künstliche Welten. Künstlichkeit und Natürlichkeit bilden - wie andere Reflexionsbegriffe auch - jeweils ein Paar.

Somit impliziert die Beschäftigung mit Authentizität im Sinne von Natürlichkeit zum mindesten einmal eine „Pflicht zu Doppelreflexion".58 52

Lethen: Versionen des Authentischen. 1996, S. 227. 53

Ebenda S. 209.

54

Ebenda S. 227.

55

Vgl. ebenda S. 209.

56

Vgl. ebenda S. 224.

57

Ebenda S. 209. Wolfgang Welsch: Künstliche Paradiese? Betrachtungen zur Welt der elektronischen Me-

58

20 Lethens Konzeption von Authentizität als ,das absolut Andere' macht einen gewissen Imperialismus des Phänomens sinnfällig, der in einer kurzen Reflexion auf die Grammatik des Wortes für weiterfuhrende Überlegungen problematisiert werden soll. Dabei wirkt die Konfrontation des Abstraktums ,Authentizität' mit dem substantivierten Adjektiv ,das Authentische' erkenntnisfördernd. Im Unterschied zum substantivierten Adjektiv, welches eine konkrete Eigenschaft der Reflexion zugänglich macht, bewegt man sich mit ,Authentizität' in dünnen geistigen Lüften. Obwohl in ,Authentizität' als einer gelehrten Bezeichnung für Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Echtheit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit etc. ein systematischer Aspekt anklingt, sorgt die systematisierende Beschäftigung mit dem Begriff lediglich fur Konfusion. So wird im Wissenschaftlichen perpetuiert, was der inflationäre Gebrauch des Begriffs im Zuge seiner aktuellen Konjunktur ohnehin schon mit sich bringt: Das Phänomen Authentizität, welches sich als ein intensiver Effekt geltend macht, gerät immer mehr aus dem Blick und teilt so das Schicksal anderer Phänomene wie beispielsweise Ganzheitlichkeit; als moderne und modische Terminologie gebraucht, fallen sie der Oberflächlichkeit, Schnellebigkeit und Beliebigkeit zum Opfer.59 Mit dem Abstraktum ,Authentizität' bewegt man sich also in einem terminologischen Teufelskreis, dem man auch und gerade nicht mit der Arbeit an einer ultimativen Definition entkommen kann, weil es die - eine begriffsgeschichtliche Binsenweisheit60 - nicht geben kann. Gerade auf diese haben es die Exegeten des Begriffs Authentizität aber immer wieder abgesehen, wie es beispielhaft an Christian Strubs trockenefrj Rede über mögliche Ordnungen der Authentizität ablesbar ist, welche sich an einer „möglichst allgemeine[n] Formulierung" eines ,Authentizitätsproblems" entlanghangelt.61 Will man Authentizität als ein factum brutum erforschen, verliert man das Phänomen aus dem Blick. Aus der Beobachtung, daß sich Authentizität als Phänomen in abstrakt-systematisierender Reflexion verflüchtigt, werden im Rahmen dieser Aspekte Literarischer Authentizität disponierenden Phänomedien - und zu anderen Welten. In ders. : Grenzgänge der Ästhetik. Stuttgart 1996, S. 289326; hier S. 297. 59

60

61

Zum Problem der ,Ganzheitlichkeit' siehe Kröchy: Ganzheit als Wissenschaft. 1997, der die wissenschaftstheoretischen und forschungspraktischen Konsequenzen des Ganzheitsanspruchs an die Naturwissenschaft am historischen Fallbeispiel der Romantik erkennbar macht, welche versucht, ein auf ganzheitliche Phänomene des Organischen ausgerichtetes Wissenschaftskonzept zu entwerfen, und der so auch die Chancen und Grenzen des modernen Programms ,Ganzheit und Wissenschaft' verdeutlicht. Zum aktuellen Stand begriffsgeschichtlicher Diskussion siehe meinen begriflsgeschichtlichen Beitrag zum Forschungsreferat über Intellektuelle in Deutschland: Geschichte(n) des Begriffs ,Intellektuelle'. In dies. (Hrsg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. Ein Forschungsreferat. 11. Sonderheft des Internationalen Archivs für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Tübingen 2000, S. 1-113; hier S. 1-14. Strub: Mögliche Ordnungen der Authentizität. 1997, S. 8.

21 nologie der Natürlichkeit grundsätzlich substantivierte Adjektive bevorzugt, da sie den abstrakten Authentizitätsdiskurs von vornherein konkretisierend zu steuern vermögen. Mit Hilfe des Authentischen Konkretisationen von Authentizität ins Visier nehmend, wird die imperialistische Tendenz von Authentizität unterlaufen. Beobachtet werden kann so, inwiefern sich das Phänomen im populären und wissenschaftlichen Wortgebrauch ausgebreitet und zerstreut hat. Die Beobachtung der konkreten Ausdehnung der abstrakten Authentizität rückt so auch gerade die Grenzen der bisherigen Entfaltung des Phänomens in den Blick. Diese werden besonders mit Blick auf interpretatorische Relevanz begutachtet, ausgedehnt oder zurückgelassen. Die Konzentration auf Authentizität als einer konkreten Eigenschaft, die als eine solche in der Ausrichtung am entsprechenden substantivierten Adjektiv aufscheint, eröffnet so letztlich die Chance, gerade dem systematischen Aspekt der Authentizität wirklich Rechnung zu tragen. Topologisch systematisiert werden die hier entfalteten Dimensionen des Authentischen mit Blick auf Authentizität als einer literarisch-poetologischen Kategorie und als literaturwissenschaftliches Analyseinstrumentarium. Authentizität als einen „ästhetischen Grundbegriff' 62 erachtend, der als ein solcher ein „Denkmal von Problemen"63 darstellt, das in der ästhetischen (philosophischen, literarischen, literaturkritischen und -theoretischen) Produktion unter verschiedenen Gesichtspunkten bedeutsam geworden ist, visiert diese Arbeit ein literaturwissenschaftlichen Propädeutikum an. Dieses soll eine rasche Verständigung über das Phänomen literarische Authentizität als einem für Zugewinn an ästhetischer Erfahrung sorgenden, poetologisch wie kulturdeskriptiv einsetzbaren Aspekt ermöglichen und so Raum schaffen für Untersuchungen, welche sich diesem Phänomen in konkreten Texten widmen. Das Insistieren auf Authentizität als einer Eigenschaft wird im Hinblick auf den literarischen Text als Konzentration auf eine Stilqualität wirksam. Die produktionsästhetische, auf die Frage nach der wahrhaftigen Haltung der Person, des Schauspielers, des Autors kaprizierte und so literaturwissenschaftlich unproduktive Orientierung an Authentizität wird mit der Auffassung von Authentizität als einer literarischen Stilqualität versachlicht und, insofern der Stil die Textbewegung und damit den Treffpunkt von Text und Leser bezeichnet, gleichzeitig auf Rezeption hin geöff„ „ t 64 net. 62 63

64

Siehe dazu Anm. 31. Clemens Knobloch: Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht In: Archiv für Begriffsgeschichte 35 (1992), S. 7-24; hier S. 21. Die Auffassung von Stil als einer relationalen, zwischen Text und Publikum vermittelnden Größe und als Ait der Handlungsdurchführung geht zurück auf Barbara Sandig: Stilistik der deutschen Sprache. Berlin, New York 1986, insbes. S. 156. In meiner Dissertation Phänomenologie der Wahrnehmung von Literatur (Tübingen 1994) habe ich dieses Konzept in einer breiten Diskussion rezeptionsästhetischer, wirkungsästhetischer, stiltheoretischer und semiotischer Fragestellungen (inbes. S. 195-225) anhand des skandalösen Ro-

22 Zwecks Erforschung der Dimensionen des Authentischen wird darüber hinaus, analog zu Emil Staigers Phänomenologie literarischer Gattungen, die er durch die Substantivierung der Adjektive angeht, die den Grundbegriffe[n] der Poetik (1946) Lyrik, Epik und Dramatik zugrundeliegen,65 der Begriff Authentizität als Name einer Qualität aufgefaßt, welche als überzeitlich präexistente Idee im Sein des Menschen begründet erscheint. Ebenso wie in Staigers Grundbegriffen der Poetik das Lyrische, Epische und Dramatische auf fundamentale Möglichkeiten des menschlichen Daseins verweisen sollen (das Lyrische korrespondiert u.a. mit Vergangenheit, das Epische u.a. mit Gegenwart und das Dramatische u.a. mit Zukunft), rücken hier mit den Dimensionen des Authentischen zunächst einmal Variationen einer anthropologischen Konstante in den Blick, wie sie sich im Zuge des Authentizitätsdiskurses als für das Phänomen konstitutiv abgezeichnet haben. Auch wenn Authentizität, sofern es sich dabei um eine anthropologische Konstante handelt, in allen Lebensbereichen erfahren werden kann, bleibt - ebenso wie bei Staiger die literarische Gattungsformation - Authentizität als literarische Kategorie selbstverständlich orientierender Maßstab der weiteren Ausführungen. Da mit der Reflexion auf Authentizität im Sinne einer anthropologischen Konstante gerade die Entdeckung konkreter (hier: literarisch-poetologischer) Dimensionen des Authentischen einhergeht, wird auch nicht, wie man meinen könnte, die abstraktive Relevanz des Begriffs systematisch enthistorisiert. Zudem hält die Orientierung an Authentizität als Effekt zu einer kritischen Distanz an, wodurch ihrerseits systematisch ahistorische Besetzungen des Begriffs beobachtet und mit Bezug auf den jeweiligen historischen Kontext historisiert werden können. So fallt im Hinblick auf den aktuellen literatur- und kulturwissenschaftlichen Diskurs auf, daß gerade die Versuche, Authentizität als produktionsästhetische Kategorie systematisch zu erfassen, in besonderer Weise ahistorisch verfahren. Bei Lethen beispielsweise ist Authentizität ,das absolut Andere', dem als Absolutum auch die Wandelbarkeit der Konkreta abgeht. Der Literaturwissenschaftler, der um die Historizität von Begriffen weiß, verfällt angesichts der unterschiedlichen Formeln von

65

mans „Lust" (1989) von Elfriede Jelinek zu einer der Individualität von Texten Rechnung tragenden , Phänomenologie der Wahrnehmung von Literatur' ausgearbeitet. Die mit dem Romanisten Rolf Kloepfer als ,Sympraxis' (Kloepfer: Ästhetik der Werbung. Frankfurt a.M. 1991, S. 21-22, insbes. Anm. 37, S. 257), als zeichengelenktes Mitmachen mit dem Text zu bezeichnende methodologische Grundeinstellung des individuellen Textumgangs wird nunmehr historisch perspektiviert. Die sympraktische Orientierung an den topologischen Dimensionen des Authentischen verbietet allerdings m. E. mutwillige methodologische Explizierungen. Da späterhin, im dritten Kapitel dieser Arbeit, aus dort dargelegten bestimmten Gründen keine Texte der Frühromantiker analysiert werden, in denen die Haltung der Sympraxis eine wesentliche Rolle spielt, wird insbesondere das Konzept der Sympraxis selbst nicht im historischen Kontext methodologisch vertieft. Das habe ich daiur in meinem jüngsten Aufsatz unternommen, der sich mit „Novalis' Monolog als Individuum" (2002) beschäftigt. Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. (1946) Freiburg i.Brsg. 7 1966.

23 Authentizität zu unterschiedlichen Zeiten in ein ahistorisches Lamento: Im historischen Wandel der Begriffe, die sich unter die gelehrte Bezeichnung .Authentizität' subsumieren lassen, sieht Lethen nicht signifikante Etappen des Authentizitätsdiskurses, sondern einen fundamentalen Angriff auf Authentizität, die damit - so Lethens eigenartig unwissenschaftliche Schlußfolgerang - in den Ruch einer inauthentischen Konvention gerät.66 Und auch Rouvel zielt in eine ähnliche Richtung, wenn er, „verwirrt durch die Fülle von Begriffen aus dem semantischen Verwandtenkreis der Authentizität", in Zweifel zieht, „ob die Rede von einem historisch durchgängigen Ideal [autobiographischer bzw. schauspielerischer] Authentizität überhaupt sinnvoll ist".67 Offenbar fällt es schwer, die anthropologische Konstanz des Ideals .Authentizität' mit seinen diversen Manifestationen im Laufe der Geschichte zusammenzudenken - Zeichen dafür, daß das Ideal sich aktuell in einer Phase spezifisch ahistorischer Konzeptionalisierung befindet. Während der Begriff .Authentizität', solange er lediglich als ideelles statisches Abstraktum funktioniert, nahezu alles und nichts bedeuten kann, fallen ihm, sobald diese Statik bewußtseinsmäßig in einem substantivierten Eigenschaftswort dynamisiert ist, bestimmte Aspekte zu. Diese sollen als wesentliche nunmehr im Sinne einer phänomenologischen Disponierung des Themas Literarische Authentizität, die über die hier eingestellten grundsätzlichen Beobachtungen zum Authentischen hinausgeht, verfolgt werden. Im übrigen wirkt - jenseits seiner grammatischen Variationen - das Lexem .Authentizität' dabei insofern erkenntnisleitend, als es sich nie völlig in die deutsche Alltagssprache einbürgerte, sondern immer als Fremdwort angesehen wurde. Als ein solches hält es die kritische, analytische Perspektive auf die wesentlichen Aspekte wach, die in der anthropologisch-historischen Dimensionierung dessen, was als .natürlich' erachtet wird, nunmehr aufscheinen. .Weibliches' und ,Romantisches' kreisen weitere wesentliche Eigenschaften des Phänomens ein, die in der Fassung von Authentizität als je und je verschieden konkretisierte anthropologische Konstante und Stilqualität zutage treten. Gerade an ihnen läßt sich studieren, wie eine historische Tiefenstaffelung von Aspekten des Authentischen sich mit diesen gleichsam aufdrängt. So hatte die Konzeption einer subjektiven weiblichen Authentizität in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, mit welcher der Name Christa Wolf untrennbar verbunden ist, bereits als ,weibliche Natürlichkeit' im 18. Jahrhundert Konjunktur: Natürlichkeit war der große Entwurf filr eine veränderte deutsche Literatursprache im 18. Jahrhundert, und die Briefe waren das Medium, das sich zur Einübung und Weiterentwicklung der Natürlichkeitsvorstellungen anbot. Die Frauen waren es insbesondere, denen Natürlichkeit zugesprochen, aber auch im Sinne einer besonderen Vision von Natürlichkeit vorgeschrieben wurde. Das an 66

Lethen: Versionen des Authentischen. 1996, S. 218.

67

Rouvel: Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Authentizität. 1997, S. 216.

24 der Schwelle zur Moderne zu beobachtende starke Authentizitätsbedürfnis zieht sich als kulturelle und ästhetische Größe durch die Kosellecksche , Sattelzeit'68 von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hindurch und darüber hinaus mit konjunkturellen Schwankungen bis in unsere Tage hinein. Literarische Authentizität muß also auf den gesellschaftlichen Umbruch zur Moderne und auf dessen Auswirkungen auf die individuelle Existenz und die Standortbestimmungen von Kunst und Literatur bezogen werden. Dieser Komplex ist von den Romantikem69 unter den gleichermaßen poetologisch wie anthropologisch konzeptionalisierten Stichworten ,Autonomie' und ,Individualität' reflektiert worden.

68

Reinhart Koselleck: Einleitung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Bd.l. Stuttgart 1972, S. XIII-XXVII, hier S. XV.

69

Die Tatsache, daß vom Epochenbegriff,Romantik' an dieser Stelle der Arbeit im Verhältnis zu dessen Erweiterung zu Beginn des dritten Kapitels ein quasi, vorwissenschaftlicher' Gebrauch gemacht wird, macht diese Arbeit in methodologischer Hinsicht einmal mehr (siehe Anm. 64) als eine immer dem Hier und Jetzt des Phänomens des Authentischen als einem Effekt der Darstellung Rechnung tragende work in progress sinnfällig. Das Phänomen des Authentischen bringt es mit sich, daß an einer Stelle methodologisch indiskutabel ist, was an einer anderen, archäologisch tieferliegenden von prinzipieller Bedeutung wird.

II.

Weibliches

1.

Subjektiv Authentisches

In der literarischen Produktion der sechziger und frühen siebziger Jahre läßt sich ein Zunehmen exoterischer, der Publizistik entlehnter Verfahren (Interview, Reportage - man denke an die Industriereportagen Günter Wallraffs - , Dokumentation, Protokoll etc.) feststellen, was mit dem kulturrevolutionären Impetus und der Politisierung der Öffentlichkeit jener Jahre zusammenhängt, dem eine allgemeine Entsublimierung ästhetischer Formen entspricht. Authentisch avanciert zur Lieblingsvokabel der Literaturkritik, die damit dem Einbruch des Exoterischen in die literarisch-ästhetische Kultur entgegenzukommen versucht. Authentisch wird lexikalisch in die Bedeutungsäquivalente ,echt', ,glaubhaft', ,verbürgt' übertragen und als Wertprädikat v.a. solchen Gattungen zugesprochen, die im Unterschied zur Fiktion ,echte' Aussagen und nachprüfbare Informationen enthalten. Authentisch wird zum Synonym für realistisch. Im Verlauf der siebziger Jahre spitzen sich die Forderungen nach ,Authentizität' geschlechtsspezifisch zu und bekommen eine neue Dimension. Sie beziehen sich nun nicht mehr einfach auf eine der Literatur vorgängige Wirklichkeit, die es im Sinne von Faktentreue so realistisch wie möglich abzubilden gälte, sondern auf deren Erleben, welches als ,radikale Subjektivität' in der Literatur seinen Ausdruck finden soll. Unter dem Schlagwort ,Das Private ist politisch' nehmen Frauen das literarische Feld für sich ein und schaffen die spezifische Frauenliteratur jener Jahre. Authentisch wird zum Synonym fur •weiblich. Mit der geschlechtsspezifisch weiblichen Version von Authentizität wird der Begriff zum Politikum. In seinem Namen wird eine Politik anvisiert, in deren Zentrum die Gewissensfrage stehen soll. Und mit der Reklamation von Moral- und Gesinnungspolitik geht ein Angriff auf die Realpolitik einher, an deren existenzbedrohlichen atomaren Auswüchsen sich der Widerstand erregt hat.1 1

Zur Bedeutung des Begriffs Authentizität fur die deutschsprachige Literatur der siebziger Jahre siehe Thomas Anz: Neue Subjelctivität. In: Moderne Literatur in Grundbegriffen. Hg. v. Dieter Borchmeyer u. Viktor ¿megaíí 2., neu bearb. Auflage. Tübingen 1994, S. 327330. Darüber hinaus dokumentiert und eruiert der Marbacher-Katalog Nr. 51, der 1998 die Marbacher-Ausstellung zur Literatur um 1968 begleitet hat, den gesamten Komplex des ,expandierenden und sich häutenden Ichs' in vorzüglicher Weise: Protest! Literatur um 1968. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg u. dem Deutschen Rundfunkarchiv im Schil-

26 Im Verlauf der achtziger Jahre wird im Gefolge von Christa Wolf die kulturkritisch-feministische Besetzung des Begriffs Authentizität zementiert. Wolf geht im Zeichen spezifisch subjektiver Authentizität' auf die gesamte europäische Zivilisation los und sucht Ursprüngliches und Unverdorbenes am Ursprung dieser als ,männlich' apostrophierten (Un-)Kultur in ihrer Auseinandersetzung mit der Untergangsseherin {Cassandra aufzuspüren. ,Subjektive Authentizität' wird zum produktionsästhetischen Gebot der feministischen Stunde und meint vor allem die persönliche Betroffenheit des Autors, respektive der Autorin als einer Sonde bei seiner/ihrer Suche nach alternativen kulturellen Wurzeln. Darüber hinaus soll die ihrerseits als ,weiblich' apostrophierte Haltung der Betroffenheit als Transmitter zwischen neu entdecktem Altem und Gegenwart fungieren und zwar in dem Maße, wie sie in der literarischen Sprache Ausdruck findet. Mit ihrer Version des Authentischen hat Wolf dafür gesorgt, daß auch heute noch Authentizität weitestgehend geschlechtsspezifisch mit ,weiblicher Authentizität' konnotiert wird, was ausfuhrlich bedacht werden muß. Das Kassandra-Projekt, das Wolf 1983 publiziert, ist auf seine bestimmten Voraussetzungen hin transparent: Vorausgegangen waren vier Vorträge, die die Autorin im Mai 1982 an der Universität Frankfurt im Rahmen der dortigen PoetikVorlesungen gehalten hat. In Form zweier Reiseberichte, einem Arbeitstagebuch und einem Brief, gefolgt von einer Erzählung, der Kassandra-Erzäblung selbst, arbeitet sie, ganz auf der aktuellen Linie des Einbruchs des Exoterischen in die Literatur und der kulturkritischen Entsublimierung ästhetischer Formen, „den Widerspruch zwischen dem ,lebendigen Material' und den vorhandenen ästhetischen Formen" heraus, in denen es ihrer Meinung nach immer wieder bloß ,zugerichtet' wird.2 Die Suche nach einer ästhetischen Form, welche dem lebendigen Material entspricht, anstatt es objektivierend um seine Lebendigkeit zu bringen, kreist um die Gestalt Kassandra, die bei Wolf zur Allegorie fìlr das „Ringen um Autonomie" avanciert.3 Für Wolf ist Kassandra „eine der ersten Frauengestalten [...], deren Schicksal vorformt, was dann, dreitausend Jahre lang, den Frauen geschehen soll: daß sie zum Objekt gemacht werden" 4 In dem Maße, wie sich die Suche der Autorin nach einer lebendigen Ausdrucksweise mit einer Frauengestalt verbindet, die sie im Sinne feministischer Ideologiebildung okkupiert, wird auch das poetologische Konzept der .subjektiven Authentizität', das Wolf anhand ihres Gegenstandes reklamiert, feministisch festge-

2 3 4

ler-Nationalmuseum Maibach a. Neckar. Hg. v. Ulrich Ott u. Friedrich Pfafflin. Tübingen 1999; hier v.a. die Kapitel „Re-Visionen" und „Emanzipationen" (S. 427-592) und das Nachwort von Helmuth Kiesel Literatur um 1968. Politischer Protest und postmoderner Impuls (S. 593-640; hier v a. S. 622-629). Christa Wolf: Voraussetzungen einer Erzählung: Vorlesungen (1983). München 1990, S. 8. Ebenda S. 118. Ebenda S. 86.

Kassandra.

Frankfurter Poetik-

27 schrieben. .Subjektive Authentizität' wird als eine Art .Ästhetik des Widerstands' gegen die objektivierende Zurichtung der Frauen, der Männer, der Kunst, der Welt durch... die Männer begriffen und meint also speziell eine Form weiblichen Schreibens. „Inwieweit gibt es wirklich ,weibliches' Schreiben?", fragt die Autorin, um sich sogleich die biologistisch argumentierende historisch-soziologische Antwort zu geben: Insoweit Frauen aus historischen und biologischen Gründen eine andre Wirklichkeit erleben als Männer. Wirklichkeit anders erleben als Männer, und dies ausdrücken. Insoweit Frauen nicht zu den Herrschenden, sondern zu den Beherrschten gehören, jahrhundertelang, zu den Objekten der Objekte, Objekte zweiten Grades, oft genug Objekte von Männern, die selbst Objekte sind, also, ihrer sozialen Lage nach, unbedingt Angehörige der zweiten Kultur; insoweit sie aufhören, sich an dem Versuch abzuarbeiten, sich in die herrschenden Wahnsysteme zu integrieren. Insoweit sie, schreibend und lebend, auf Autonomie aus sind.

Anvisiertes Ziel, das über die weibliche Autonomie, die durch die Haltung der .subjektiven Authentizität' erreicht werden soll, hinausgeht, ist die friedlichfruchtbare Begegnung von Frauen mit Männern, die ihrerseits auf Autonomie aus sind. Autonome Personen, Staaten und Systeme können sich gegenseitig fördern, müssen sich nicht bekämpfen wie solche, deren innere Unsicherheit und Unreife andauernd Abgrenzung und Imponiergebärden verlangen.

Wolfs Entwurf .subjektiver Authentizität' als einer spezifischen Schreib- und Lebenshaltung verdankt sich einem biologistischen Fundamentalismus, welcher auch die Männer .bekehren' und an dem von ihm in Aussicht gestellten Segen teilhaben lassen will. Bereits das Fundament des heilsgeschichtlich temporalisierten Konzepts .subjektiv-weibliche Authentizität' präsentiert sich nicht geschlechtsspezifisch exklusiv. So beruft sich Wolf bei der literaturgeschichtlichen Situierung ihrer „performativen Poetik"7, die als eine solche durch die Praxis der Autorin selbst zum Vorschein kommen soll, nicht nur auf Karoline von Günderrode und Bettina von Arnim, auf Anna Seghers und Ingeborg Bachmann, sondern beispielsweise auch auf Georg Büchner. Wie sehr Wolf an Schnittstellen gelegen ist, die ihr Konzept dem .herrschenden' Diskurs anschließbar machen, wird bereits in ihrem 1968 entstandenen Essay Lesen und Schreiben sinnfällig, wo sie ,subjektive Authentizität' mit der technizistischen Vokabel ,vierte Dimension' belegt. Der „erzählerische Raum" habe „vier Dimensionen":

5

Ebenda S. 117f.

6

Ebenda S. 118.

7

Judith Ryan: Poetik als Experiment. Christa Wolf, Voraussetzung einer Erzählung: Kassandra (1983). In: Poetik der Autoren. Beiträge zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfort a.M. 1994, S. 80-94; hier S. 84.

28 die drei fiktiven der erfundenen Figuren und die vierte, „wirkliche" des Erzählers. Das ist die Koordinate der Tiefe, der Zeitgenossenschaft, des unvermeidlichen Engagements, die nicht nur die Wahl des Stoffes, sondern auch seine Färbung bestimmt. Sich ihrer bewußt zu bedienen ist eine Grundmethode moderner Prosa.

Auch wenn Wolf in einem 1973 mit Hans Kaufmann geführten Gespräch über .subjektive Authentizität' sich explizit dagegen verwahrt, als Moralistin mißverstanden zu werden Übrigens: Ich rede nicht von „Wahrhaftigkeit", wenn ich „Authentizität" sage - das heißt, ich moralisiere nicht.

- , so bleibt die moralische Absicht doch nicht verborgen, zumal Wolf diese in ihrem programmatischen Essay Lesen und Schreiben ausdrücklich bekundet hat: Nicht weniger als der volle Einsatz der eigenen moralischen Existenz ist gefordert, jedesmal neu. Das ist Ernst hinter dem Spiel der Kunst.

Die eigentümliche Unklarheit und Uneinsichtigkeit in Bezug auf die eigene Haltung, welche in widersprüchlichen Aussagen zum Ausdruck kommt, manifestiert sich in den Voraussetzungen einer Erzählung als erzählerische Dissonanz. Dort läuft die proklamierte ,wahrhaft demokratische Gesinnung', für die die praktizierte Öffnung der Literatur auf niedere Gattungen hin wie ,Reisebericht', ,Tagebuch' und ,Brief einsteht, dem ex-cathedra-Duktiis der Vorlesungen zuwider. Darüber hinaus stimmt die proklamierte Offenheit gegenüber dem Gegenstand des Interesses, an dem ,subjektive Authentizität' freigesetzt werden soll, nicht mit der resoluten Überzeugtheit und Festgelegtheit in puncto ,Patriarchat' überein, das im Sinne einer feministischen Selbstverständigungsformel den gattungsmäßigen Zerstreutheiten eine restriktive Kohärenz verleiht. Die .vierte Dimension' von Authentizität als einer Tiefendimension macht bereits vor der Autorin Halt, die sie wortreich vertritt. Authentizität in der Version Christa Wolfs erweist sich als ein autoritäres Dogma, dem, im monologischen Frontalunterricht übermittelt, nur ein Glaubensbekenntnis korrespondieren kann. So wird verständlich, weshalb Authentizität zum Credo einer feministisch bekennenden Gemeinde werden konnte. Bedenkt man zusammen mit den Herausgebern des WörterbuchfsJ des Gutmenschen (1995) kritisch die kulturkritischen, einem moralisch-ethischen Impetus entsprungenen Thematisierungen von Authentizität seit den sechziger Jahren, dann artikuliert sich hier ein ,,aggressive[s] Bedürfnis nach heiler Welt

o 9

10

Christa Wolf: Lesen und Schreiben. (1968) In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankfurt a.M. 1990, S. 463-503; hier S. 487. Christa Wolf: Subjektive Authentizität. Gespräch mit Hans Kaufmann (1973). In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankfurt a.M. 1990, S. 773-805; hier S. 781. Wolf: Lesen und Schreiben. 1990, S. 488.

29 und gutem Gewissen".11 Wie beispielsweise .Erlebnisgesellschaft', ,Körpersprache' oder ,Lebenszusammenhang' erweist sich ,Authentizität' als Vokabel aus dem Wortschatz des Gutmenschentums, bei welchem „Welt und Menschheit als Ganzes" „besonders beliebt [sind]".12 Im Rahmen des Wörterbuchs des Gutmenschen, das sich - laut Untertitel - kritisch mit Plapperjargon und Gesinnungssprache befaßt, hat ,Authentizität' den Stellenwert eines Hieb- und Stichwortes, dem die Qualität eines Schlagwortes zugesprochen wird. Ins kritische Visier nimmt der Artikel Authentizität deshalb kulturpessimistische Sichtweisen, die im Zeichen von Authentizität gegen Künstlichkeit und Verderbtheit der Welt vorgehen. Sei die Mahnung, im China-Restaurant authentischerweise mit Stäbchen zu essen, noch relativ harmlos gewesen, so sei es spätestens dann heikel geworden, „als im Laufe der 80er Jahre die Kulturkritiker verstärkt den Begriff besetzten" und die Welt sehnsüchtig als eine tabula rasa imaginierten.13 Denn: „Gefragt ist das Ursprüngliche, das Natürliche, der unverdorbene Zustand, das Naturwüchsige, also alles, wo möglichst noch keine Menschenhand manipuliert und herumgepfuscht hat".14

2.

Gynozentrisches

Die kulturkritisch-feministische Besetzung des Begriffs Authentizität ist als ohnmächtige Reaktion auf ein Gefühl der totalen Besetzheit von Welt, Männern, Frauen, Kunst zu verstehen. Was am Umbruch der Gesellschaft zur Moderne .Natürlichkeit', ist an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend .Authentizität': Indikator für eine gesellschaftliche Krise, in deren Zeichen es um eine Feminisierung der Kultur geht. Sollte im 18. Jahrhundert am Weiblichen eine höfisch-feudalistisch korrumpierte Gesellschaft genesen, so nun die von Selbstzerstörung bedrohte Menschheit. Wurde die Feminisierung der Kultur im Kultus der Empfindsamkeit von Männern wie Christian Fürchtegott Geliert propagiert, der in seiner Praktische[n] Abhandlung vom guten Geschmacke in Briefen (1751) wie auch Christoph Martin Wieland in seiner Vorrede zu dem von ihm herausgegebenen Briefroman Sophie LaRoches Geschichte des Fräulein von Stemheim (1771) Weiblichkeit zu einem literarischen Stil erklärte, so

11

12 13

14

Wiglaf Droste: Einleitung. In: Das Wörterbuch des Gutmenschen. Bd. 2: Zur Kritik von Plappeijargon und Gesinnungssprache. Hg. v. Wiglaf Droste u. Klaus Bittermann. Berlin 1995, S. 5-11; hier S. 9. Ebenda S. 11. René Martens: Authentizität. In: Das Wörterbuch des Gutmenschen. Bd. 2: Zur Kritik von Plappeijargon und Gesinnungssprache. Hg. v. Wiglaf Droste u. Klaus Bittermann. Berlin 1995, S. 21-22; hier S. 21. Ebenda S. 22.

30 sind die Frauen es nun selbst, die eine Lanze für die Andersartigkeit des Weiblichen in Wahrnehmung, Denken, Fühlen, in der Moral und in der Ästhetik brechen. Revolutionierte die Aufklärung mit ihrer ursprünglich egalitären Tendenz im Typus weiblicher Gelehrsamkeit, der allerdings schon bald als Blaustrumpf diffamiert wurde, das traditionelle Frauenbild, avancierte in der Empfindsamkeit Weiblichkeit zum Vorbild bürgerlicher Natürlichkeit, welches als ,guter Geschmack in Briefen' zum Tragen kommen sollte und, zwecks Erhaltung der Vorbildfunktion, im Bild der Haus-Mutter paralysiert wurde,15 und kämpften die humanistisch orientierten Feministinnen seit den Tagen der Französischen Revolution vehement gegen die Gleichung Mensch = Mann und die damit verbundene Sonderanthropologie des Weiblichen an und erstritten unter Berufung auf das Gleichheitsprinzip Zugang zu Bildung und Beruf, Wahlrecht und Ämtern, so aktualisiert in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts der sogenannte gynozentrische Feminismus die Differenzhypothese, belebt über die Sonderanthropologie des Weiblichen hinaus die Rede von einer weiblichen Sondermoral und Sonderästhetik und diffamiert die Gleichheitshypothese, die im Zuge des humanistisch etikettierten Feminismus vertreten wird, als Versuch der Vermännlichung der Frau.16 Was in der Literaturproduktion die weiblich-subjektive Authentizität ist, sind in der Literaturwissenschaft die poststrukturalistischen Theoreme von écriture féminine (Hélène Cixous) und parler femme (Luce Irigaray), die in den achtziger Jahren die Diskussion beherrschen. Krisenbewußtsein und der Mangel an Belegen und Überlieferungen der Anwesenheit der Frauen im geschichtlichen Prozeß bilden eine brisante Gemengelage, die ursprungsmythische Sehnsüchte auch in der Literaturwissenschaft freisetzt, welche im Sinne spezifisch feministischer Fortschrittsgläubigkeit funktionalisiert werden. In ihrem programmatischen Aufsatz Der schielende Blick. Thesen zur weiblichen Schreibpraxis (1983) bekennt sich Sigrid Weigel zum feministischen Parteilichkeitspostulat und propagiert eine Konzeption von Authentizität als teleologischer Bewegungskraft, wenn sie vorschlägt,

13

Zu den unterschiedlichen Einschätzungsmustem des Biologisch-Weiblichen, wie sie im 18. Jahrhundert im Typus der ,Gelehrten' und im Typus der ,Empfindsamen' kulminieren, siehe Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt a.M. 1979 (u.ö ), die diese „auf ihre historischen Konstitutionsbedingungen, ihre diskursiven Plazierungen und ihre argumentativen Valeurs" hin untersucht (S. 257).

16

Ingeborg Weber: Weiblichkeit und weibliches Schreiben. Poststrukturalismus, weibliche Ästhetik, kulturelles Selbstverständnis. Darmstadt 1994, S.5f.

31 die Geschichte einer weiblichen Tradition zu beschreiben als schrittweise Befreiung des Schreibens aus männlicher Perspektive hin zu einer authentischen weiblichen Schrift und Sprache.

Weigels Aufsatz signalisiert nichts weniger als einen literaturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel. Weibliches Schreiben wird nun als Selbstfmdungsprozeß verstanden, und Texte von Frauen werden als Literatur gelesen, die von patriarchalischen Strukturen in Gesellschaft und Kultur in doppelter Weise geprägt ist. Hier mache sich der von Weigel so genannte ,schielende Blick' geltend, der aus einem Schreiben innerhalb und zugleich gegen den herrschenden patriarchalischen Diskurs resultiere. Die feministische Diskussion der siebziger und achtziger Jahre lädt den Begriff Authentizität teleologisch auf und macht aus diesem Zustandsbegriff einen ,BewegungsbegrifF. Ähnlich anderen Bewegungsbegriffen wie Revolution', .Geschichte' oder .Fortschritt' selbst, die als Kollektivsingular zirkulieren, eignen auch dem politisch-polemisch aufgeladenen Begriff ,Authentizität' starke programmatische Überschüsse im begrifflichen Gehalt, der sich gegenüber der Bezeichnungsfiinktion auf symptomatische Weise verselbständigt. Wie Koselleck im zentralen Artikel der entscheidend von ihm gestalteten Geschichtlichen Grundbegriffe (1974-1997), der wohl monumentalsten historiographischen Leistung der bundesdeutschen Geisteswissenschaft, im Artikel über Geschichte und Historie (1975) nachgewiesen hat, wurde ,Geschichte' seit ca. 1770, der Anfangszeit der Koselleckschen ,Sattelzeit', zum ideologiehaltigen Begriff, der schnell alle Prädikate des alten metaphysischen Gottesbegriffs aufsaugte.18 Durch Temporalisierung und Aufladung mit allen möglichen Zukunftserwartungen und utopischen Erlösungshoffhungen wird auch Authentizität in der feministischen Version zu einem allmächtigen, gottgleichen sich nach vorn bewegenden Beweger. Vom Begriff Authentizität wie auch, damit einhergehend, von Weiblichkeit wird also ein vorkritischer, gegenständlicher Gebrauch gemacht. Wie im Zeitalter der Revolutionen ,die Geschichte' (oder ,der Fortschritt', ,die Nation', ,die Klasse'), so droht im Zeichen einer ursprünglich weiblich konzeptionalisierten Authentizität insbesondere ,die Literaturgeschichte der Frauen' sich ontologisch zu verselbständigen. Sie wird in feministischer Perspektivierung zu einem überindividuellen eigenmächtigen Handlungssubjekt substantialisiert, dem die jeweils diskutierte Schriftstellerin das Opfer ihres Lebens immer schon dargebracht hat. Mit einem kritischem Gespür für die

17

Sigrid Weigel: Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis. In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Hg. v. Inge Stephan u. Sigrid Weigel. Berlin 1983, S. 83-137; hier S. 87.

18

Reinhart Koselleck: Geschichte, Historie. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (1974-1997). Hg. ν Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck. Bd. 2: E-G. Stuttgart 1975, S. 593-717.

32 implizite Restmetaphysik in der feministischen Besetzung von Authentizität fallt auf, daß auf der Ebene der Ereignissequenzen das Einmaligkeitsaxiom, das für alles historisch Gewußte gilt, annulliert ist. Kontingentes wird geschichtsphilosophisch überdeterminiert, was zu einer ahistorischen Vereinnahmung der gegenwärtigen und vergangenen Literatur aus der Feder von Frauen führt. Literaturgeschichte im Zeichen weiblicher Ästhetik ist eine auf stationärer Basis. Der Feminismus der siebziger und achtziger Jahre bringt nur scheinbar Bewegung in den Begriff. Seine Konjunktur verdankt sich einer Haltung, welche alles andere als dynamisch-fortschrittlich ist. In der stereotypen Aktualisierung der einen .weiblichen' Bedeutung des Begriffs Authentizität kommen nämlich Aufund Abwertungen zum Tragen, die sich einer gefühlsmäßigen Verfaßtheit ihrer Autor/inn/en verdanken: deren persönlicher Betroffenheit. Hier steht politische und soziale Identität auf dem Spiel. Identität, respektive die weibliche, erweist sich so als ein wesentlicher Aspekt, der im Namen von Authentizität nunmehr zur Debatte steht. Die Tendenz der Frauen-Literatur-Forschung, sich am „Phantasma einer .authentischen weiblichen Geschichte'" zu orientieren, hat Marianne Schuller kritisiert.19 Für besonders problematisch hält sie deren Konsequenz, „die Kanonisierung, wie sie vor allem den Texten der Romantikerinnen auf fatale Weise zuteil geworden ist und ihre Lektüre längst festgelegt hat".20 Hier hat Christa Wolf 1978 zuerst die geschichtsmetaphysischen Vorzeichen gesetzt, die dann 1983 im Kassandra-Projekt kulminieren sollten. In ihrem Essay Der Schatten eines Traumes (1978),21 den sie einer von ihr herausgegebenen Auswahl aus dem literarischen Repertoire Karoline von Giinderrodes beifügt, in ihrer Erzählung Kein Ort. Nirgends (1979χ 22 in der sie eine imaginative Begegnung Günderrodes mit Heinrich von Kleist inszeniert, die beide empirisch durch die selbstmörderische Todesart miteinander verbunden sind, und in ihrem vertraulichen Brief über die Bettine (1979)23 insistiert Wolf aus gegebenem Anlaß auf dem gesellschaftlichen Außenseitertum der Frauen im Besonderen und der Intellektuellen und Schriftsteller im Allgemeinen der Zeit um und nach 1800. Unter dem Eindruck der Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahre 1976, welche für die Autorin einen „Einschnitt in der kulturpolitischen

19

20

Marianne Schuller: Textilien. Literaturwissenschaft in der Krise? In: Kursbuch 97: UniNot. Hg. v. Karl Markus Michel und Tilman Spengler. Berlin 1989, S. 71-87; hier S. 81. Ebenda.

21

22

Christa Wolf: Der Schatten eines Traumes. Karoline von Günderrode - ein Entwurf. (1978) In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankftirt a.M. 1990, S. 511571. Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends (1979). München 5 1998.

23

Christa Wolf: Nun ja! Das nächste Leben geht aber heute an. Ein Brief über die Bettine. (1979) In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankfurt a.M. 1990, S. 572610.

33 Entwicklung" markiert und eine existentielle Krise nach sich zieht,24 wendet sich Wolf dieser Zeit zu. Im Fall der sieben Göttinger Professoren, für die sich Bettina von Arnim verwendet hatte, nachdem diese 1837 gegen die Rücknahme des Staatsgrundgesetzes durch den neuen Hannoverschen König Emst August protestiert hatten und daraufhin aus dem Amt entlassen worden waren, findet Wolf einen Anknüpfungspunkt für eigene Interessen.25 Einhundertvierzig Jahre geschichtliche Distanz - im Fall Kassandra sind es sogar dreitausend - werden in Wolfs Perspektive probemlos überbrückt, ein epochenübergreifender Traditionszusammenhang von gesellschaftlich Exkommunizierten gestiftet. Durch die Biermann-Ausbürgerung in eine existentielle Krise gestürzt, fühlt sich Wolf „rein[..]" auf die Literatur „[zurückgeworfen]" und wird sich so „darüber klar, daß ihre direkte [sc. politische] Mitarbeit in dem Sinne, wie sie sie selbst verantworten konnte und für richtig hielt, nicht mehr gebraucht [wird]" 26 In den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen ein unaufhaltsames AuseinanderklaiTen von Geist und Macht, Denken und Handeln diagnostizierend, eine Abtrennung des humanen und sozialen Fortschritts vom ökonomischen und schließlich eine zunehmend schwieriger zu überwindende Entfremdung zwischen den Geschlechtern,27 sucht Wolf Bestätigung für ihre Sicht der Dinge und findet sie in der literarischen Vergangenheit. In deren Schatten werden aktuelle Probleme nunmehr verdeckt behandelt. Wolfs Aktualisierung der historischen Romantik hat ein janusköpfiges Gesicht: Rehabiliert sie einerseits die Literatur dieser Epoche im Gefolge von Anna Seghers, die bereits 1938/39 in ihrem Briefwechsel mit Georg Lukács gegen das Verdikt zu Felde gezogen war, das dieser im Zeichen des sozialistischen Realismus gegen die romantische ,Derealisierung' der gesellschaftlichen Verhältnisse verhängt hatte, und bezieht sie so die Literatur jener Zeit in das .sozialistische Erbgut' mit ein, so bedeutet ihr andererseits die Romantik doch nur - wie sie selber zu verstehen gibt -

24

Christa Wolf: Projektionsraum Romantik. Gespräch mit Frauke Meyer-Gosau (1982). In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankfurt a.M. 1990, S. 878-895; hier S. 878.

25

Wolf: Nun ja! 1990, S. 594-598. Zum Fall der Göttinger Sieben siehe kritisch Klaus von See: Die Göttinger Sieben. Kritik einer Legende. Heidelberg 1997. See zufolge ist die Geschichte der Göttinger Professoren 1864 nachträglich von Treitschke einfach zu einer Legende von moralischer Größe stilisiert worden. Denn nicht etwa der Protest selbst, sondern allein die vorzeitige Publikation der Adresse an den König sei der Grund fur die Entlassung der Professoren gewesen. Jakob Grimms Verteidigungsschrift gegen seine Entlassung, gleichwohl sie als Gründungsurkunde der Universität als moralischer Anstalt in die Geschichte eingegangen ist, habe gerade aufgrund ihrer realen und unspektakulären Bedingung - der von den Professoren begangene diplomatische Fehler - nicht zu Nachahmungstaten ermuntert.

26

Wolf: Nun ja! 1990, S. 878.

27

Siehe hierzu und zum folgenden ausfuhrlich Sonja Hilzinger: Christa Wolf. Stuttgart 1986, S. 106-129.

34 einen „Projektionsraum",28 den sie mit persönlichen Frustrationen, Bedürfnissen, Ängsten und Nöten belebt. Dementsprechend sieht Wolf die bürgerlichen Verhältnisse in den deutschen Ländern nach der Französischen Revolution von kapitalistischen, arbeitsteiligen Strukturen geprägt, die „einen bestimmten Typ von Mensch, der die Ganzheit suchte [und] einen universalen Glücksanspruch hat, nicht gebrauchen kann" 29 „Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit, Intimität gehören [zum] universalen Glücksanspruch" der romantischen Generation; diese lehnt ab, „was die Hierarchie", was Nützlichkeitsdenken und Pragmatismus mit sich bringen: „Kälte, Steifheit, Absonderung und Etikette".30 Vor diesem ,romantischen' Arrangement läßt Wolf nun die Autoren jener Zeit gleichsam als Puppen tanzen. Entlang der Dichotomie ,kapitalistische, arbeitsteilig fragmentierte und nützlichkeitsversessene Gesellschaft' hier und ,unangepaßte Intellektuelle' dort wird die Generation der Romantiker als „eine der ersten" begriffen, „die das Phänomen der Selbstentfremdung kennengelernt hat".31 Wolfs romantische Intellektuelle versuchen „die Vereinzelung zu durchbrechen und sich in neuen, produktiveren Lebensformen zu bewegen, Lebensformen aus dem Geist einer Gruppe heraus".32 Sie machen den „Versuch eines Lebensexperiments",33 das nicht lange Bestand haben kann. In dem Maße, wie sie sich nicht mit den herrschenden Strukturen identifizieren können, machen sie eine isolierte „Avantgarde ohne Hinterland" aus,34 eine ,Jdeine[..] progressive^.] Gruppe",35 die von keiner sozialen Bewegung getragen wird und die sich als eine solche „das Rückgrat"36 brechen muß. Allein Bettina von Arnim kann bei Wolf die ungünstigen Verhältnisse, denen sie ausgesetzt ist, unbeschadet durchstehen und bewahrt sich „Mut", „Hoffnung" und „Unmittelbarkeit".37 Deshalb kann sie 1839, als sie ihr Günderode-Buch schreibt, „das Vermächtnis ihrer eigenen Jugend an die übernächste Generation weiterreichen".38 Unterscheiden sich Günderode und Arnim in der Sicht Wolfs dahingehend, daß die eine an den gesellschaftlichen Verhältnissen zerbricht, wofür ihr Selbstmord, den sie 1806, im Alter von 26 Jahren begeht, klagend einsteht, und 28

29 30 31 32 33 34 35 36

37 38

Wolf: Projektionsraum Romantik. Gespräch mit Frauke Meyer-Gosau. (1982) In: Dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankftirt a.M. 1990, S. 878-895. Hilzinger: Christa Wolf. 1986, S. 108. Wolf: Schatten. 1990, S. 522. Hilzinger: Christa Wolf. 1986, S. 1 lOf. Wolf: Schatten. 1990, S. 521. Wolf: Projektionsraum. 1990, S. 882. Wolf: Schatten. 1990, S. 514. Wolf: Projektionsraum. 1990, S. 882. Christa Wolf: Von Büchner sprechen. Darmstädter Rede (1980). In dies.: Die Dimension des Autors (1987). Bd. 2. Frankfurt a.M. 1990, S. 611-625; hier S. 615. Ebenda. Wolf: Nun ja! 1990, S. 591.

35 die andere die gesellschaftlichen Verhältnisse überlebt, so gleichen sie sich in der Ubereinstimmung von Leben und Schreiben, die Wolf im literarischen Werk der beiden Autorinnen und in den von ihnen geführten Briefwechseln wahrzunehmen glaubt. Günderrode, „authentisch" im Leben und im Schreiben, „als Dichterin [und] als Mensch",39 bemüht sich um Selbsterkenntnis und um eine andere Weltsicht, zu der andere Wörter den Schlüssel bieten: „Seele", „Sehnsucht", „Neugier", „Phantasie".40 In ihrer Art der Kunstausübung manifestiert sich die Fähigkeit, „fühlend zu denken, ja zu formen" [.. .] 41 Wie Günderrodes literarische Produktion begreift Wolf diejenige Bettina von Arnims, respektive den Briefroman Die Gürtderode, als Kunst, die nicht, wie es bei den männlichen Kollegen Usus ist, aus dem Lebenszusammenhang, in dem sie entsteht, herausgelöst ist. Gegenüber den etablierten Kunstformen, in denen Wolf immer nur die objektivierende Zurichtung lebendigen Materials am Werk sieht, erweise sich Arnims Kunst „in ihrer Formlosigkeit [als] eben jene Form, in der sie ihre Erfahrungen überliefern [kann], ohne sie deformieren zu müssen".42 Arnims Briefroman dokumentiere als „Mischform" zwischen Dokument und Roman, die „am ehesten imstande [ist], Bewegungen mitzumachen, wie die beiden Frauen sie aneinander und miteinander erleben, das Experiment einer Beziehung.43 „Authentisch" sei das Buch, das „das Unglück [hatte], in die Hände staubtrockender Textkritik zu fallen, deren Instrumenten es" aufgrund des freien Umgangs der Autorin mit ihrem originalbrieflichen Material „ein leichtes [war], es als ,Fälschung' zu entlarven", „in einem poetischen Sinn: als Zeugnis für eine Freundschaft zwischen zwei Frauen, als ein Beleg aber auch für Lebensformen und Sitten einer Zeit und für eine Kritik an diesen Sitten, die sich nicht scheut, an die Wurzeln zu gehn [...].44

Problematisch ist, daß Wolf im Zuge ihrer Qualifizierung der Kunst der beiden Romantikerinnen als ,authentisch' in den Bedeutungen von ,lebendig', ,lebensnah', ,frauenfreundschaftlich', welche die gleichermaßen festgestellte kritische ,Radikalität' („an die Wurzeln [gehen]") übertönt, „auf ein aggressionsfreies, humanitäres weibliches Wesen [rekumert], das alle jene Sozialisationseigenschaften versammelt, die in jahrhundertelanger patriarchaler Herrschaft den Frauen anerzogen wurden".45 Günderrodes und Arnims Authentizität behauptet sich bei Wolf als spezifisch weibliches Leben und weibliche Leben-

39 40 41 42 43 44 45

Wolf: Schatten. 1990, S. 537. Ebenda S. 518. Ebenda S. 537. Wolf: Nun ja! 1990, S. 601. Ebenda. Wolf: Schatten. 1990, S. 542. (Hervorh. v. mir, J.S.) Hilzinger: Christa Wolf 1986, S. 112.

36 digkeit gegen „die Männerkultur der Aggressionen".46 Naturbedingte Unterschiede im Kulturverhalten der Geschlechter voraussetzend bestätigt Wolf Vorurteile, die aus der Debatte um die Geschlechtscharaktere um 1800 stammen. Fatal im Hinblick auf Bettina von Arnim ist insbesondere, daß in dem Maße, wie Wolf Weiblichkeit als eine inkommensurable Größe begreift, ihr das „Bettinische" als „unklassifizierbar" gilt.47 Hat Wolf die Autorin allein schon mit der Apostrophierung als „unklassifizierbar Bettinisch[..]" isoliert, so exkommuniziert sie diese vollends, wenn sie ihr gleichzeitig die gezielte „Weigerung" attestiert, „sich einem ästhetischen Kanon zu unterstellen" 48 Weiblich und außergewöhnlich wird Bettina von Arnims literarisches Werk völlig indiskutabel: Statt Schnittstellen mit dem etablierten ästhetischen Diskurs zu suchen und zu nutzen und das Werk Arnims vor dem Hintergrund seines historischen .Sitzes im Leben' zu erschließen, konstruiert Wolf eine zeitlose Identifikationsfigur, eine verehrungswürdige Ikone für Feministinnen. Ulrike Landfester benennt zwei Stationen der Rezeption Bettina von Arnims durch Frauen, die ihrer identifikatorischen Inbesitznahme vorausgegangen sind.49 Bevor Arnim in der Nachfolge Wolfs zur Bezugs- und Legitimationsfigur weiblichen Schreibens in der Gegenwart stilisiert wird,50 wurde sie von Ricarda Huch in deren umfassender Studie Die Romantik (1898/1902) „auf der Folie eines erstaunlich reaktionären Frauenbildes verurteilt und [...] der ,promiskuiderotischen Selbstinszenierung' verdächtigt";51 bevor Ricarda Huch die Autorin als ,verrucht' weit von sich weist, hatten Arnims Zeitgenossinnen Fanny Tarnow, Helmina von Chézy und Fanny Lewald, welche die später von Christa Wolf wieder aufgegriffene „Tradition des fiktiven Dialoges [. ..] zur Auseinandersetzung mit Bettine etablieren",52 im Unterschied zu späteren Rezipientinnen niemals „identifikatorisch auf Bettines Werk [reagiert]", sondern waren als „Kollektiv einzelner Stimmen an die Öffentlichkeit [getreten]".53 Ausgangs- und Endpunkt der Rezeption von Arnims Werk miteinander vergleichend befindet Landfester mit Claudia Albert, daß dieses im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte ,,verunglückt[..]" sei.54 Wenn Arnim in der Nachfolge Wolfs zur Zeugin eigenen

46

Wolf: Nun ja! 1990, S. 603.

47

Ebenda S. 577.

48

Ebenda S. 600.

49

50

.

Ulrike Landfester: Von Frau zu Frau? Einige Bemerkungen über historische und ahistorische Weiblichkeitsdiskurse in der Rezeption Bettine von Arnims. In: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Amim-Gesellschaft 8/9 (1996/97), S. 201-219. Ebenda S. 202.

51

Ebenda S. 213f.

52

Ebenda S. 216.

53

54

Ebenda S. 217. Claudia Albert: Eine verunglückte Bettine. Romantikrezeption in der Nachfolge Christa Wolfs. In: Romantik - eine lebensfähige Krankheit. Ihre literarischen Nachwirkungen in

37 Leidens aufgerufen55 und auf die eigenen literarischen wie politischen Anliegen verpflichtet wird,56 lasse man sich nicht mehr, wie noch Tarnow, Chézy, Lewald und Huch, von der „Widerständigkeit und Vielgestaltigkeit" des Schreibens der Autorin „provozieren"57 Wolfs Wendung vom „unklassifizierbar Bettinische[n], das iii kein Raster paßt",58 rekurriert auf eine Aussage von Joseph Görres. Der Kontext, in welchem dieser das Adjektiv „bettinisch" fallen ließ und den Wolf bei ihrer Anleihe nicht mitgeliefert hat, faßt noch einmal zusammen, in welche Richtung, ja Sackgasse Wolfs Arnim-Interpretation fuhrt: Görres, angesichts der Zeichnung Der gute König, oder das Octoberfest, welche Arnim in Verehrung für König Ludwig I. von Bayern 1827 gefertigt hat, war entzückt über die ungemeine Lieblichkeit, Anmut, Unschuld und Schönheit der Zeichnung, für die er eine neue Kategorie erfand: Antik ists nicht, romantisch auch nicht, aber Bettinisch, eine eigene anmutige Mittelgattung.

Begriffe wie ,Lieblichkeit', ,Anmut', ,Unschuld' und ,Schönheit1, die im Adjektiv .bettinisch' kondensiert sind, evozieren im Hinblick auf das zur Debatte stehende künstlerische und literarische Werk Arnims eine schleierhafte, in einer diffusen Sphäre von ,Authentizität', ,Weiblichkeit', ,Romantik' angesiedelte und damit dem Bereich des sachlich präzis Beschreibbaren entrückte Vorstellung. Beispielhaft für die Authentizitätsmetaphysik, die im Gefolge Wolfs im literaturwissenschaftlichen Umgang mit den Romantikerinnen grassiert, ist ein Aufsatz Sigrid Weigels über Sophie Mereau von 1981. Mereaus Gesamtwerk auf den gesellschaftlichen Kontext schreibender Frauen um 1800 beziehend begreift Weigel deren Schreiben als ein Ventil. Mereau, in der Literatur ihren Phantasien und Sehnsüchten freien Lauf lassend, entgrenze ihren realen beschränkten weiblichen Lebenszusammenhang. Weigel begreift Mereaus literarische Imaginationen als direkten Ausdruck von spezifisch weiblichen Sehnsüchten, was in einer lebensnahen Schreibhaltung, dem besagten authentischweiblichen Schreiben, zum Ausdruck komme.60 der Moderne. Hg. v. Erika Tunner. Amsterdam/Allanta 1991 (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik; Bd. 34), 121-139. 55

Ebenda S. 131.

56

Landfester: Von Frau zu Frau? 1996/97, S. 219.

57

Albert: Eine verunglückte Bettine. 1991, S. 131.

58

Wolf: Nun ja! 1990, S. 577.

59

„Herzhaft in die Dornen der Zeit greifen..." Bettine von Arnim 1785-1859. Ausstellung 1985. Freies Deutsches Hochstift 4. April - 30. Juni. Hg. v. Christoph Pereis. Frankfurt a.M. 1985, S. 213 (Kursivierungen bezeichnen den dort publizierten originalen Wortlaut Görres').

60

Sigrid Weigel: Sophie Mereau. In: Frauen. Porträts aus zwei Jahrhunderten. Hg. v. Hans Jürgen Schultz. Stuttgart 1981, S. 20-34; hier S. 26.

38 Im Vorwort zu ihren 1986 herausgegebenen Essays über sechs künstlerisch schaffende Frauen der Goethezeit, die „zu ihren Lebzeiten sämtlich [...] weit über ihren engeren Wirkungskreis hinaus in Deutschland bekannt [waren]",61 setzt Helene Kastinger Riley die Vorzeichen, unter denen sie das Werk der Lyrikerin Anna Louise Karsch, der Romanschriftstellerin Sophie LaRoche, der nicht nur als Lyrikerin und Erzählerin, sondern auch als Übersetzerin tätig gewordenen Schriftstellerin Sophie Mereau, der Lyrikerin, Erzählerin und Dramatikerin Karoline von Günderrode, der Komponistin Louise Reichardt und der Malerin Louise Seidler durchmustert. So hätten sich alle sechs Künstlerinnen „im wesentlichen an ihre eigenen Kriterien [gehalten] und nach persönlichem einsichtigen Gutdünken" „abseits der wissenschaftlichen Strömungen oder entgegen [deren] Forderungen [geschafft]".62 In ihrem Werk zeige sich „ein kritisches Bild der zeitgenössischen Gegebenheiten [...], welches das von literar- und kunstkritischen Schulen gefärbte, historisch Überlieferte" - wie es sich für Frauen gehört - „an Klarheit, Reinheit und Wahrheit nicht selten übertrifft" 63 Christa Bürgers Buch Leben Schreiben von 1990, in welchem - wie der Titel anzeigt - zwei grundsätzlich getrennt gedachte Bereiche,64 noch nicht einmal durch ein parataktisches ,und' vermittelt, nahtlos ineinander übergehen sollen, faßt in zentralen Hinsichten die Tendenzen der Frauenforschung zur Romantik im Gefolge Christa Wolfs zusammen. In Auseinandersetzung mit Goethes und Schillers 1799 entstandenen Dilettantismus-Skizzen und dem gleichzeitigen Briefwechsel, worin die Frage nach dem Status der literarischen Produktion von Frauen eine wichtige Rolle spielt, weist Bürger das Schaffen der Frauen einer „mittleren Sphäre" zu.65

61

Helene M. Kastinger Riley: Die weibliche Muse. Sechs Essays über künstlerisch schaffende Frauen der Goethezeit. Columbia 1986, S. IX.

62

Ebenda.

63

Ebenda.

64

65

Was im Zusammenhang mit Kunst/Literatur denkbar ist, ist bei anderen menschlichen Tätigkeiten undenkbar bzw. absurd. Bücher über „Leben (und) Fußballspielen", „Leben (und) Kochen" machen nicht viel Sinn. Überdies scheint die Bereitschaft, das Schreiben vom Leben abgehoben zu denken, um es dann wieder auf komplizierte Weise mit diesem in Verbindung zu bringen, eine eher deutsche Eigenart zu sein. So bspw. wurde Stephen Kings jüngstes Buch On writing (2000) im Deutschen umständlich mit Das Leben und das Schreiben (2000) wiedergegeben. Der Originaltitel trifft Kings Anliegen aber viel besser, insofern der Autor einfach seinen Lebensweg nacherzählt und sichtbar macht, wie er zu dem wurde, was er ist: ein Beststeller-Autor. Christa Bürger: Leben Schreiben. Die Klassik, die Romantik und der Ort der Frauen. Bettina von Arnim - Charlotte von Kalb - Sophie Mereau - Caroline Schlegel - Johanna Schopenhauer - Rahel Vamhagen. Stuttgart 1990; hier S. 31. Zuvor bereits dies.: „Die mittlere Sphäre". Sophie Mereau - Schriftstellerin im klassischen Weimar. In: Deutsche Literatur von Frauen. Hg. v. Gisela Brinker-Gabler. 2 Bde. München 1988. Bd.1, S. 366388.

39 Damit ist den Frauen im klassischen Weimar ihr Ort zugewiesen: die mittlere Sphäre. Was sie schreiben, ist nicht Trivialliteratur, aber auch nicht Kunst. Vermittlung, nicht freie Produktivität ist ihre Sache und die Sehnsucht nach dem „Höheren" ihre Antriebskraft.66

Insofern (männliche) Kunst und (weiblicher) Dilettantismus bei Goethe und Schiller als gegensätzliche Wertsphären erscheinen, signalisiert die zwischen beiden vermittelnde Rede von einer ,mittleren Sphäre', welche Bürger dort herauslesen zu können glaubt, eine Aufwertung der literarischen Produktion von Frauen. Trotz ihrer Absicht, Goethes und Schillers Ausführungen zum „Dilettantism der Weiber"67 gleichsam gegen den Strich zu bürsten, aktualisiert Bürger letztlich doch wieder nur den darin sich manifestierenden „herrschendefn] Diskurs", zu dem sie kritisch anmerkt, daß er über den Status von Texten, insbesondere den der Texte von Frauen entscheidet.68 Auch Bürger weist den Frauen im klassischen Weimar ihren, wenngleich höher angesiedelten, Ort zu. Gleich den Weimarern nimmt Bürger die Literatur künstlerisch schaffender Frauen der Goethezeit unter Vormundschaft und disqualifiziert diese so als eigenständige Artikulationen. Auf diese Weise perpetuiert sie systematisch die von Goethe und Schiller mit dem Begriff Dilettantismus' intendierte Abwertung, die sie mit der Zuweisung zu einer ,mittleren Sphäre' gerade hinter sich lassen will. Symptomatisch dafür, daß „der Ort der Frauen" im entfernteren Umfeld ,hoher Kunst' angesiedelt bleibt, ist die von Bürger bei ihrer Verortung eingesetzte Partizipialkonstruktion „Damit ist den Frauen ihr Ort zugewiesen", mit welcher sich Bürger gleichzeitig auf Goethe und Schiller sowie ihr eigenes Konzept der .mittleren Sphäre' bezieht.69 Weil Bürger überhaupt die Frage nach dem Rang ins Zentrum ihrer literatursoziologischen Überlegungen stellt, verweigert sie systematisch dem Werk von Frauen eine selbstverständliche Anerkennung als Kunst. Die literarische Produktion von Frauen bleibt bei Bürger dort, wo sie in der Perspektive der Weimarer Klassiker immer schon war: ausgeschlossen aus dem ,Reich der Kunst'. Überdies verweigert Bürger gleich dem ,,herrschende[n] Diskurs" systematisch den ,Frauen-Texten' die Anerkennung von Werkhaftigkeit, indem sie insbesondere die von ihr grundsätzlich getrennt gedachten Bereiche ,Leben' und ,Schreiben' gegeneinander entgrenzt. Dieses Konzept, mit dem die Literatur von Frauen seit Christa Wolf mit Nachdruck belegt wird, soll ein lebensnahes weibliches Schreiben gegen die als autonom konzipierte männliche Kunst abgrenzen. Mit dieser defensiven Strategie werden aber die exakten literarischen Konturen der Texte von Frauen verwischt. So fuhrt sich die Rede von einer authentischen weiblichen Schreibweise und also von Authentizität als einer poetologischen Kategorie selbst ad absurdum. Darüber hinaus arbeitet sich 66

Bürger: Leben Schreiben 1990, S. 31.

67

Ebenda S. 19.

68

Ebenda S. 31.

69

Ebenda.

40 Bürger mit ihrem den klassischen Dilettantismus-Skizzen geschuldeten Konzept einer .mittleren Sphäre' einzig daran ab, die Literatur von Frauen in einem Mittelfeld anzusiedeln und nicht über eine dem entsprechende Mittelmäßigkeit hinauswachsen zu lassen. Im Zeichen der .mittleren Sphäre' ist es Bürger darum zu tun, zu zeigen, wie und in welchem Maße die Autorinnen hinter dem von ihr im Verein mit Goethe und Schiller in Aussicht gestellten „Höheren"70 zurückbleiben. Nicht zuletzt wird Bürgers Versuch, die Literatur von Bettina von Arnim, Charlotte von Kalb, Sophie Mereau, Caroline Schlegel, Johanna Schopenhauer und Rahel Vamhagen zu rehabilitieren, in dem erkenntnisleitenden Interesse sinnfällig, das die Literaturwissenschaftlerin fur ihre Untersuchungen der Literatur der .Mittelklasse' stellvertretend für etwaige feministische Schwestern im kollektivierenden ,Wir' ausgibt: Wir müssen [...], wenn wir die Literatur der mittleren Sphäre nicht aus der Perspektive der Institution betrachten wollen, den Begriff des „Werks" offenhalten. Zu fragen ist nicht, ob etwa die Texte Sophie Mereaus den normativen Vorstellungen der Autonomieästhetik entsprechen, sondern ob in ihnen eine andere Ästhetik sich zeigt.

Allein die Suche nach einer ,anderen Ästhetik' bleibt als eine Kategorie der Devianz negativ auf eine vorgängige Norm bezogen, die damit als eine solche affirmiert wird. Um, wie sie es vorhat, „den Begriff des Werkes [offenzuhalten]",72 und die literarischen Produktionen der Autorinnen nicht im Schematismus einer normalen und einer anderen Ästhetik um deren individuelle Spannungen zu bringen, müßte Bürger lediglich unvoreingenommen und sachlich fragen, -welche Ästhetik sich zeigt. Die Rede von der .mittleren Sphäre' ist inzwischen zum unheilvollen Topos speziell der mit Romantik befaßten Frauenliteraturgeschichtsschreibung avanciert. Im Gefolge diesmal von Christa Bürger erhalten die Autorinnen weniger Anerkennung, als vielmehr eine fragwürdige Solidarität. Mit dem Topos .mittlere Sphäre', welcher die Literaturproduktion von Frauen und das von Wolf dort ausfindig gemachte und dann propagierte weibliche Leben-SchreibenKontinuum dem etablierten Diskurs wertend angliedern möchte, wird das Werk aus der Feder von Frauen weniger protektiert als annektiert und um seine genuine Literarizität gebracht. Zeittypischer literarischer Differenzen ungeachtet, die in den mit defensiv strategischen Überlegungen beschäftigten literaturwissenschaftlichen Arbeiten gar nicht erst in den Blick rücken, wird allgemeinhin ein spezifisch weibliches Schreiben hochgehalten und „die historische Weiblichkeit zum Identifikationsmuster schreibender Frauen der Gegenwart verformt".73 Wie absurd und schließlich fatal diese defensive feministische Zu70

Ebenda.

71

Ebenda.

72

Ebenda. Landfester: Von Frau zu Frau? 1996/97, S. 202.

73

41 sainmenhangsstifterei zwischen individuell und historisch Differentem für die Rezeption der reklamierten literarischen Produktion anerkannter Schriftstellerinnen sein kann, wird noch einmal sinnfällig am alarmierenden Beispiel des von der Zeitschrift Brigitte gestifteten Bettina-von-Arnim-Literaturpreises, der seit 1992 jährlich an jeweils drei literarische Kurzgeschichten von Frauen vergeben wird. Die Definition dieser Gattung, welche Ulrike Bauer im Vorwort zu einer 1994 publizierten Auswahl der eingesandten Texte gibt, kann - wenig überraschend - keinerlei poetologische Beziehung zu Bettines Werk herstellen. Aufgrund dieser Diskrepanz läßt sich rückschließen, daß „offensichtlich ein anderer Aspekt der Erinnerung an Bettine den Ausschlag dafür [gab], ihren Namen in das Marketingkonzept einer Frauenzeitschrift zu integrieren: das Geschlecht der schreibenden Frau an sich nämlich, hinter dessen öffentlichkeitswirksamer Aura die spezifische Eigenart ihrer Texte verblaßt".74 Das populäre Image, das Bettina von Arnim als repräsentatives Beispiel weiblicher Emanzipation zwischenzeitlich besitzt, unterscheidet sich markant von deren eigenen Wirkungsintentionen: Arnim hat sich nie speziell für die Belange der Frau politisch eingesetzt; vielmehr hat sie in dem Maße, wie sie auf den ganzen Menschen aus war, immer ein, wenn man so will, androgynes Menschenkonzept verfolgt. Der ahistorische und damit wenig sachdienliche feministische Schulterschluß im Zeichen weiblicher Authentizität und über die historische Bettina von Arnim hinweg und die Undifferenziertheit im Umgang mit ihrem Werk ist allerdings weniger „als Erbe literaturwissenschaftlicher Hilflosigkeit gegenüber dem normfremden Grenzfall" zu verstehen, wie Landfester meint,75 sondern mehr als Ausdruck einer normabhängigen, defensiven Haltung der professionell mit Literatur befaßten Frauen, aus der heraus diese es nicht vermögen, der Literatur von Frauen eine selbstverständliche professionelle Anerkennung als Kunst zukommen zu lassen. Die anerkennend gemeinte Situierung der literarischen Werke aus der Feder von Frauen in einer diffusen Zone zwischen Werk und Nicht-Werk16 offenbart lediglich eine Strategie der Defensive, die die Literatur von Frauen grundsätzlich mit einem Mißkredit belastet und mit einem defizitären Blick absucht. Dabei hängt alles allein davon ab, inwiefern die Literaturwissenschaftlerinnen selbst ihren eigenen normierten und normierenden Blick und ihre hörige Orientierung an einer Institution durchschauen, auf deren Placet sie insgeheim immer noch warten.

74

Ebenda S. 201.

75

Ebenda S. 202.

76

Christa Bürger: Zwischen Werk und Nicht-Weik. In: Literatur und Leben. Stationen weiblichen Schreibens im 20. Jahrhundert. Hg. v. Christa Bürger. Stuttgart 1996.

42

3.

Hysterisches

Christa Wolf hat dem Begriff Authentizität in der Version subjektiver weiblicher Authentizität, welche vorbildhaft von den Romantikerinnen gelebt und geschrieben worden sei, zu einer fragwürdigen literaturwissenschaftlichen Prominenz verholfen. Der Ausgangspunkt der Konjunktur des Authentizitätsbegriffs im Zusammenhang feministischer Überlegungen zur Literatur von Frauen, respektive zur Literatur der Romantikerinnen, ist die existentielle Krise einer Schriftstellerin, die auf den persönlichen Machtverlust, der ihr 1976 mit der Biermann-Ausbügerung vor Augen stand, panisch reagiert, die ihr Leiden auf die Romantik zurückprojiziert und dieses schließlich immer mehr zu einer Kritik an mächtigen Strukturen insgesamt verallgemeinert hat. Dem panisch verschleierten Blick verschwimmen zur Differenzierung anhaltende Konturen, entgehen signifkante Details und reduziert sich die Welt auf Kapitalismus, Patriarchat, Logozentrismus, Gewalt, atomare Bedrohung etc., die als symptomatische Stichworte eines haltsuchenden Fragezusammenhangs aufzufassen sind. Auch wenn grundsätzlich gegen das projektive Verfahren der Schriftstellerin Christa Wolf kein literaturwissenschaftlicher Einwand erhoben werden kann, so ist die unhinterfragte, zumal literaturwissenschaftliche Übernahme der Erkenntnisse, die dieses Verfahren mit sich bringt, äußerst problematisch. Christa Wolf selbst hat mit der Wendung ,Projektionsraum Romantik' ihre Methode offengelegt und so auch ihre Wahrnehmung der literarischen Landschaft um 1800 in ihrem Geltungsanspruch relativiert. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, daß Christa Wolf in Bezug auf die Rezeption der Romantikeriimen den Ton der Betroffenheit angeschlagen hat, auf den viele Frauen, Literaturwissenschaftlerinnen Inbegriffen, allein schon aufgrund eines verinnerlichten Opferstatus' hören. Die Chance literaturwissenschaftlicher Erkenntnisarbeit wird jedoch in einer nicht weiter hinterfragten Bereitschaft zur Identifikation mit enthusiastisch glorifizierten Leidenden feministisch vertan. Im Konzept eines lebensnahen weiblichen Schreibens werden selbst-lose, affektive, intuitive, emotionale Valenzen betont, die als bloße solche poetologisch indiskutabel sind. Aufgabe historischer Forschung muß es sein, diese Zuschreibungen als historisch-soziale, kulturell determinierte zu beschreiben.77 Aufgabe literaturwissenschaftlicher Forschung muß es darüber hinaus sein, nach genuin poetologischen Anhaltspunkten für diese als ,weiblich' apostrophierten Valenzen in der Literatur von Frauen und, insofern die Rede von einer .weiblichen Authentizität' eine zwar biologistisch

77

Uta C. Schmidt: Wohin mit „unserer gemeinsamen Betroffenheit" im Blick auf die Geschichte? Eine kritische Auseinandersetzung mit methodischen Postulateli der feministischen Wissenschaftsperspektive. In: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung. Hg. v. Ursula A.J. Becher u. Jörn Rüsen. Frankfurt a.M. 1988, S. 502-516; hier S. 511.

43 konzipierte, grundsätzlich aber nicht auf das biologische Geschlecht beschränkte Qualität meint, in der Literatur von Männern zu suchen. Um den feministisch-literaturwissenschaftlichen Schulterschluß im Gefolge von Christa Wolf, in dessen Zusammenhang enthistorisierend und entdiflerenzierend verfahren wird, zunächst einmal selbst zu historisieren, wird er im Anschluß an Elaine Showalter als ,hysterisch' bezeichnet. In ihrem 1997 erschienen Buch Hystories. Hysterical Epidemies and Modern Media78 begreift Showalter ansteckende ,Hysterien' als kulturelle Erzählmuster, die durch einschneidende ökologische Veränderungen, das menschliche Auffassungsvermögen Überfordemde moderne Technik, Verstädterung, durch Flugverkehr und allgemein durch menschliche Interaktion aufkommen können. Ansteckende hysterische Epidemien verbreiten sich durch Geschichten, die dem Überfordemden Anlaß entspringen und die in Selbsthilfebüchem, Zeitungsartikeln, Talkshows und Fernsehserien, in Filmen, im Internet und eben auch in der Literaturkritik und Literaturwissenschaft zirkulieren.79 Bei ihrer Hystorisierung bestimmter populärer Narrationen der Gegenwart, zu denen auch die NaiTation einer weiblichen Schreibweise gehört, ist sich Showalter nur allzu bewußt, daß der Begriff Hysterie auch heute noch einen diskriminierenden, ja beleidigenden Klang hat. „Hysterisch" ist, wer sich übertrieben emotional benimmt, wer unberechenbar und wer ganz allgemein weiblich ist. „Hysterisch" nennt man im Streit herablassend seinen Gegner, wenn der die Fassung verliert. Es ist ein Begriff, der Feministinnen aufbringt, weil er jahrhundertelang benutzt wurde, um die körperlichen Leiden und die politische Kritik von Frauen zu bagatellisieren und lächerlich zu machen. 80

In den 1970er Jahren haben deshalb Feministinnen in einem Akt aggressiver Gegenwehr das Schimpfwort .Hysterie' auf ihre Fahnen geschrieben und den hysterischen Symptomkomplex als einen ersten Schritt erachtet auf dem Weg zum Feminismus, als ein Zeichen weiblichen Protests gegen ein pauschal als ,Patriarchat' apostrophiertes Gegenüber. Während Hysterie heute aus den medizinischen Institutionen verbannt ist, hat sie in der Literaturwissenschaft einen spezifischen Stellenwert gewonnen. In den vergangenen zehn Jahren ist die „hysterische Erzählung" zum poetologischen Begriff geworden. Sie ist am Kreuzungspunkt von psychoanalytischer Theorie, Erzähltheorie, feministischer Kritik und Medizingeschichte entstanden, wo Freuds Fallstudien und besonders der Dora-Text immer wieder enthusiastisch gelesen werden [...].81

78

79

Elaine Showalter: Hystories. Hysterical Epidemies and Modem Media. Columbia 1997. Dt.: Hysterien. Hysterische Epidemien im Zeitalter der Medien. Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger. Berlin 1997. Ebenda S. 14.

80

Ebenda S. 18.

81

Ebenda S. 121.

44 Die Rede von ,weiblicher Authentizität' in der Version und im Gefolge Christa Wolfs als eine Hystorie historisierend soll nicht der Erfahrungsaustausch von Frauen untereinander grundsätzlich als eine Form des hysterischen Geständnisses gebrandmarkt werdend2 Denn die Konflikte, die hysterische Reaktionen hervomifen, sind real. Zusammen mit Showalter wird Hysterie deshalb „nicht als Schwäche, moralischer Mangel, weibliche Verstellung oder als Rückzug in die Verantwortungslosigkeit [angesehen], sondern als ein kulturell determiniertes Streß- und Angstsymptom".83 Die reale Enge, die Streß, Angst und das Gefühl von Ausweglosigkeit erzeugt, wird in der feministischen Vision eines homo authenticus im Sinne eines fundamental erweiterten (weiblichen) Bewußtseins gleichsam erweitert. Mit ihrem ,Gang zu den Müttern' wandern die Frauen aber aus der Realität aus und affirmieren einen Außenseiterstatus, den sie im Akt des Protestes gerade hinter sich lassen wollten. Das hat Silvia Bovenschen bereits 1979 so gesehen: So wird [...] der ,Gang zu den Müttern', jenen Wesen, die Goethe bezeichnenderweise außerhalb von Raum und Zeit im noch Unausgebildeten, Ungetrennten ansiedelte, [...] empfohlen. Aber so großartig diese Formel als poetischer Ausdruck des geschichtlichen Ausschlusses der Frauen auch sein mag, als Proklamation im 20. Jahrhundert im Sinne einer diesmal von den Frauen selbst programmierten Geschichtslosigkeit droht sie der Lächerlichkeit des Sektierertums anheimzufallen und ist schließlich nichts anderes als die schlechte Wiederholung dessen, was mit dem Weiblichen immer schon geschah: Ausbürgerung aus der Realität.

Eingedenk der Tatsache, daß auch die „medizinische Praxis narrativ ist [und] die ,Geschichte' des Arztes [...] die Anamnese und Behandlung [mitbestimmt]",85 eingedenk der Tatsache, daß die nicht erkannte jeweilige persönliche Betroffenheit von Literaturwissenschaftlerinnen in Form von Authentizitätsmetaphysik sublimiert wird und hier ihr Unwesen treibt, muß der von Frauen geführte Authentizitätsdiskurs als ein hystorischer historisiert und in seiner imperialistischen Tendenz unterlaufen werden. Begreift man die hysterische Rede von weiblicher Sonderanthropologie, weiblicher Sondermoral und weiblicher Sonderästhetik als eine Geschichte, die gelesen und interpretiert werden kann,86 erweisen sich die ,Erkenntnisse', die auf dem hystorischen Sonderweg gemacht worden sind, als „Kuckuckseier, die Frauen sich selbst ins Nest gelegt haben" 87 Frauen sind nicht die besseren Menschen. „Die Schwarzweißmoral einer Täter-

82 83

Ebenda S. 19. Ebenda Silvia Bovenschen: Uber die Frage: Gibt es eine ,weibliche' Ästhetik? (1976) In: Die Überwindung der Sprachlosigkeit. Texte aus der Neuen Frauenbewegung. Hg. v. Gabriele Dietze. Darmstadt, Neuwied 1979, S. 82-115; hier S. 264.

85

Showalter: Hystorien. 1997, S. 18. Ebenda S. 15. R7 Weber: Weiblichkeit und weibliches Schreiben. 1994, S. 201. 86

45 Opfer-Dichotomisierung der Geschlechter bricht sich" nicht nur an einer historischen sozialen Wirklichkeit, die komplexer ist", sondern ebenso an der grundsätzlichen komplexen Wirklichkeit der literarischen Produkte selber.88 Der hystorisch-aufgeregte Diskurs hat mitunter selbst dafür gesorgt, daß die Zeit reif dafür ist, die Herausforderung anzunehmen, die in der philologischen Versachlichung des Phänomens literarischer Authentizität liegt, worüber gerade auch der genuinen Literarizität der Texte aus der Feder von Frauen Rechnung getragen werden kann. Von der durch Christa Wolf ausgelösten, wenngleich perspektivisch verengten Renaissance der Romantikerinnen hat zwischenzeitlich nämlich auch deren Werk profitiert: So liegt das Werk von Karoline von Günderode seit 1990 in einer historisch-kritischen Ausgabe vor, Sophie Mereaus essayistische, lyrische, erzählerische und tagebuchartige Produktionen sind seit 1997, wenn auch nicht ganz vollständig, in der Klassik-Reihe des dtv-Verlags zugänglich, und das Werk Bettina von Arnims hat, ebenfalls nicht ganz vollständig, 1986 gar den Olymp des Klassiker-Verlags erklommen. Jeweils dreibändig und in dieser Dreiheit, romantischem Verständnis zufolge, in sich abgeschlossen und vollkommen - „Nichts ist so recht Eins was nicht Drei ist [ , .]"89 - , wartet das Werk der drei Autorinnen auf seine literaturwissenschaftliche Romantisierung im Sinne einer qualitativen Potenzierung. Für diese hat Novalis alias Friedrich von Hardenbeg eine Richtung angegeben, die über die plakative Vereinnahmung dieser Literatur im Zuge feministischer Authentizitätsmetaphysik hinausführt: Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisire ich es.

Um über die hier vorgenommene Historisierung der feministischen Authentizitätsmetaphysik hinaus poetologische Anhaltspunkte für die als ,weiblich' ausgegebenen Valenzen ,Lebendigkeit',,fühlendes Denken', ,intuitives Schreiben' etc. zu bekommen, geht die Arbeit ad fontes der hysterisch-panischen Authentizitätsmetaphysik, die sich im Gefolge Wolfs breit gemacht hat. Mit Blick auf literarische Authentizität als einer Qualität des Stils, von welchem der Effekt ausgeht, wird die kunst- und literaturtheoretische Debatte um 1800 gesichtet. Damit wird Authentizität im Sinne eines anthropologisch konstanten Bedürfnisses Rechnung getragen, das sich durch die Kosellecksche ,Sattelzeit' von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hindurchzieht und darüber 88

Ebenda.

89

F. Schlegel: Philosophische Fragemente. Erste Epoche. II. In: Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe. Hg. v. Ernst Behler. Bd. 18, 2. Abt.: Philosophische Lehrjahre 1796-1806. Teil I. München, Paderborn, Wien 1963, S. 17-121; hier S. 85, Nr.661.

90

Novalis: Logologische Fragmente. In ders.: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Hg. v. Paul Kluckhohn u. Richard Samuel. Bd. 2: Das philosophische Werk I. Hg. v. Richard Samuel. Stuttgart 1965, S. 531-563; hier S. 545, Nr.105.

46 hinaus mit konjunkturellen Schwankungen bis in unsere Tage hinein. Authentizität ist auf den gesellschaftlichen Umbruch zur Moderne zu beziehen, auf dessen Auswirkungen auf die individuelle Existenz, die Standortbestimmungen von Kunst und Literatur und die literarische Produktion selber. ,Literarische Authentizität' ist demnach sozialgeschichtlich zu perspektivieren. Für die sozialgeschichtliche Perspektivierung von Authentizität wird die reale, existentielle Betroffenheit im Erleben der Literaturwissenschaftlerinnen im Sinne eines sich darin kundtuenden Authentizitätsbedürfnisses emst genommen. Anstatt in den Ton der Betroffenheit, der sich in den dünnen poetologischen Lüften hystorisch-panischer Authentizitätsmetaphysik verliert, einzustimmen, wird Betroffenheit hier als ein Aspekt der rezeptionsästhetischen Dimension literarischer Authentizität ergründet. Während Ursula C. Schmidt angesichts der feministischen Authentizitätsmetaphysik schulteizuckend fragt Wohin mit unserer gemeinsamen Betroffenheit? (1988), lautet hier die literaturwissenschaftlich-philologische Antwort: zurück damit in die konkreten Texte, an denen sie sich festgemacht hat. Das Phänomen literarischer Authentizität, das sich in der feministischen Authentizitätsmetaphysik verflüchtigt hat, wird so als eine poetologische Kategorie reetabliert, das feministisch funktionalisierte Phänomen wird aus der polemischen Sackgasse herausgeholt, sexistische Implikationen werden versachlicht. Mit der Favorisierung des stilus authenticus als erkenntnisleitender poetologischer Kategorie werden wissenschaftlich unproduktive, weil reduktionistische männlich-weiblich Schematismen aufgebrochen. Das grassierende Vorurteil, daß Authentizität vorwiegend in der literarischen Produktion von Frauen zu finden sei, wird als hysterisch ad acta gelegt und der Authentizitätshorizont der literarischen Landschaft nach dem Motto ,so weit das Auge reicht' erweitert.

III.

Romantisches

Die Zuordnung Bettina von Arnims oder auch Karoline von Günderrodes zur Epoche der Romantik, die Christa Wolf aufgrund persönlicher existentieller Betroffenheit und anhand eines dieser Disposition korrespondierenden vorwissenschaftlichen Begriffs von Romantik im Sinne einer bestimmten ,Gefühligkeit' vorgenommen hat, ist in literaturgeschichtlicher Hinsicht problematisch. Sie entspricht nicht den gängigen epochengeschichtlichen Einteilungen der deutschsprachigen literarischen Landschaft in der bundesdeutschen Literaturwissenschaft. Dort datiert die epochale, als Beginn der Romantik bezeichnete Zäsur ins Jahr 1806, das Erscheinungsjahr der bearbeiteten Sammlung von alten deutschen Liedern, Balladen, Kinderreimen, die Achim von Arnim und Clemens Brentano als Volkslieder unter dem verspielten Titel Des Knaben Wunderhorn herausgegeben haben. Im Sommer des besagten Jahres setzte Karoline von Günderrode ihrem Leben freiwillig ein Ende. Bettina von Arnim trat erst 1835, im Alter von fünfzig Jahren, mit dem Briefroman Goethe 's Briefwechsel mit einem Kinde literarisch an die Öffentlichkeit und gehört damit bereits einer Zeit an, die durch einen weiteren epochalen Einschnitt markiert ist: dem literarischen Vormärz. Hier wiederum sind es die Strömungen des Biedermeier und des Jungen Deutschland, mit deren Hilfe sich Arnims Briefromane je nach Einschätzung ihrer politischen Brisanz im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution begreifen lassen.1 Durch die Bearbeitung

Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815-1848. 3 Bde. Stuttgart 1971-1980. Zu Bettina von Arnim siehe insbes. S. 205-213. Sengle begreift Bettina von Arnims Briefromane als „autobiographische Formen", die er auch als „Erlebnisliteratur" apostrophiert (S. 197). Sengles Perspektive ist am Empirischen ausgerichtet und der Biedermeierzeit geschuldet, welche als Gründerzeit im Hinblick auf die Edition von Briefwechseln gilt und auf die der intime und authentische „Originalbrief' „eine gewaltige Anziehungskraft [ausübt]" (S. 204f.). Von daher erscheint Sengle Goethe 's Briefwechsel mit einem Kinde als „die umstrittenste Erscheinung der vormärzlichen Briefliteratur" (S. 204f). Die Briefromane Rahel von Vamhagens und Bettina von Arnims provozieren den biedermeierlichgediegenen, „um Abdämpfung" (S. 209) bemühten Authentizitätsbegriff, den Sengle sich zu eigen gemacht hat. Dim gilt die „auf dem Boden der Empfindsamkeit" entwickelte Sprache Vamhagens (und auch die Arnims) als ein ,,erschreckend[er]" „empfindsamer Absolutismus", insofern die Autorinnen sich an der Uberzeugung festgemacht hätten, daß sich „dem blitzartigen Einfall, dem kecken Zugriff der rücksichtslosen Unmittelbarkeit [...] das Geheimnis der Realität am ehesten [erschließt]" (S. 207). Sengle verfahrt mit der von ihm

48 von Briefen aus der Anfangszeit des Jahrhunderts unterhält Arnims literarisches Werk wiederum eine intensive Beziehung zur Romantik, auf die durch die Retrospektive ein bezeichnendes Licht fallt. Bedenkt man zudem, daß mit literarischer Authentizität eine anthropologische Konstante und Stilqualität und mit dieser der gesellschaftliche Umbruch zur Moderne zur Diskussion steht, gerät insgesamt ein Zeitraum in den Blick, der sich von ca. 1770 bis zur Mälzrevolution 1848 erstreckt. Von daher empfiehlt es sich, einen Epochenbegriff zu wählen, der diesem soziologischen Tatbestand Rechnung trägt. Gerhard Plumpe hat aus systemtheoretischen Erwägungen heraus für eine Erweiterung des Epochenbegriffs ,Romantik' plädiert, der bei ihm die Zeit von 1770 bis 1800 umfaßt. Drei Gründe macht Plumpe fur seinen Vorschlag geltend: a) die Anschließbarkeit der deutschen an die europäische Literaturgeschichtsschreibung, im Vergleich zu der sich ,Sturm und Drang' und .Klassik', bei der es sich um nicht viel mehr als einige Texte Goethes und Schillers aus den Jahren 1794 bis 1805 dreht, als deutsche Kuriositäten ausnehmen; b) die Homogenisierung von Zeiträumen, derzufolge es nicht angeht, daß solche national beschränkten Kuriositäten neben gesamteuropäisch signifikanten Epochen wie der ,Aufklärung' stehenbleiben; c) die Eigendirigiertheit von Literatur, die bei einem kulturpolitisch motivierten Begriff wie .Klassik', welche seit Georg Gottfried Gervinus' Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen (1835-1842) den ersten Rang der deutschen Literatur im europäischen Kontext betonen soll, oder auch bei dem Begriff ,Frühromantik', welcher auf die philosophische Debatte jener Zeit rekurriert, aus dem Blick gerät.2 Aus gesamteuropäischer Sicht scheint die deutsche Literatur um 1800 weit eher dem „mainstream" einer ihre eigene Ausdifferenzierung beobachtenden Literatur anzugehören, die sich als „autonom" wahrnimmt und bislang ungeahnte thematische und stilistische Möglichkeiten aufschließt, die zu ihrem Verständnis besondere Kommunikationskompetenz verlangen. Romanisten und Komparatisten neigen dazu [...], diese Phase der sich ausdifferenzierenden Literatur zwischen 1770 und 1800 im Ganzen „Romantik" zu nennen

Romantik bezeichnet die erste Etappe moderner Literatur, die sich bis zum Durchbruch einer anderen literarischen Bezugnahme auf Welt hin erstreckt,

2 3

begutachteten Literatur positivistisch, richtet nach dem Code ,wahr-falsch', der immer wieder von dem moralischen Code ,gut-böse' überlagert wird. So sieht er in der Tatsache, daß Arnim in ihrer Widmung des Goethebuches fiir Pückler-Muskau den Fürsten bittet, sie gegen die Leute zu beschützen, die ihr Buch „als unecht verdammen", nur die arglistige Verschärfung des ursprünglichen Täuschungsmanövers (S. 210) und nicht einen Wink der Autorin, ihr Buch bei dessen Aufnahme in seiner phänomenalen Eigendirigiertheit zu belassen und zu erkennen. Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur. Ein systemtheoretischer Entwurf. Opladen 1995, S. 28. Ebenda S. 27.

49 welche bei Plumpe dann als ,Realismus' Epoche macht. Romantik im systemtheoretischen Verständnis ist also der epochengeschichtliche Hintergrund, vor dem das Phänomen literarischer Authentizität gesehen wird. Zugleich wird der Begriff .romantisch' aber auch in einem engeren Verständnis für die Identifizierung bestimmter Problemlagen um 1800 eingesetzt, um beispielsweise das empfindsame Programm der .Sprache des Herzens' von dem romantischen der ,Ganzheitlichkeit' zu unterscheiden.

1.

Soziologisches

Dreh- und Angelpunkt einer systemtheoretischen Konzeptionalisierung von .Romantik' ist die soziologisch signifikante ,Ausdifferenzierung der Gesellschaft'. Im folgenden werden bestimmte signifikante Stichworte aus dem Problemfeld der symptomatischen gesellschaftlichen Ausdifferenzierung anhand der kunst- und literaturtheoretischen und der literarischen Zeugnisse der Zeit diskutiert. Erkenntnisleitend ist die Konzentration auf den stilus authenticus. Dabei werden die Texte auf ihre praktische Relevanz hin befragt, anders ausgedrückt: Inwiefern sind die Texte, die im Zeichen von Authentizität, Autonomie und Individualität produziert werden, ihrerseits authentisch, autonom, individuell?4 Inwiefern sind die Texte überzeugend, die sich darin aussprechenden Subjekte integer? Was geben sie zu verstehen?

1.1 (In-)Dividuelles Das Leben in der modernen bürgerlichen Gesellschaft ist geprägt durch subjektives Freiheitsbewußtsein und Wahlfreiheit der Lebensentwürfe, welche sich aus der Vorstellung einer schichten- und standesunabhängigen Mobilität und 4 Individuell im Sinne von .eigentümlich' sind diese Texte allemal, insbes. die nach der Mitte des 18. Jahrhunderts produzierten, insofern sie den Standards des spezifischen Eigentumsbegriffs entsprechen, der sich seitdem durchgesetzt hat: Produktionsmodi wie ,Kunst' und ,Fleiß', die im Kontext der horizontbildenden Paradigmata .Mimesis' und .Regelpoetik' (Plumpe 1979, S. 195) als poetische Tugenden gehandhabt worden waren, sind nunmehr für die Rechtfertigung von Eigentumsansprüchen obsolet geworden; an ihre Stelle getreten ist die Orientierung an subjektiv-individualisierender, respektive .genialischer' Formierung von Thema, Genre und Methoden, die zuvor - etwa in Breitingers Critischefr] Dichtkunst (1740) - als der Poesie eigentümlich angesehen worden waren und jetzt zur bloßen publica materia herabgesunken sind. Zur Rolle des Rechts bei der Konstituierung des neuen Kunstwissens im 18. Jahrhunderts anhand des Wortes ,eigentümlich', einer Adjektivbildung aus dem älteren .Eigentum', siehe Gerhard Plumpe: Eigentum - Eigentümlichkeit. Uber den Zusammenhang ästhetischer und juristischer Begriffe im 18. Jahrhundert. In: Archiv fur Begriffsgeschichte 23 (1979), S. 175-196.

50 damit aus der Frontstellung gegen das alte feudal-absolutistisch geprägte Gesellschaftssystem herleitet. Diese Frontstellung manifestiert sich in der mentalitätsprägenden Leitdifferenz Individuum versus Gesellschaft, deizufolge sich das moderne Individuum als von der Gesellschaft ausgeschlossen und also nicht als ein Element zwischenmenschlicher Interaktion erlebt. Die Gesellschaft wird zu einem anonymen, eigenmächtigen Gegenüber substantialisiert, in das man sich allererst einmal hineinbilden muß. Es zeichnet sich ab, daß die aus der Erweiterung des Handlungsspielraums im Zuge der Verbürgerlichung der Verhältnisse resultierende Mobilität von einem impliziten Rest-oráo-Denken konterkariert wird. Zwischen Individualität einerseits und Gesellschaft andererseits gibt es keine Brücke - : beide Größen stehen sich unvermittelt gegenüber. Der ,Eintritt' ,in' ,die Gesellschaft' wird als Selbstentfremdung erfahren und problematisiert: Begibt man sich in die Gesellschaft, verliert man sich. Und man ist exzentrisch, ja a-sozial, wenn man individuell sein und bleiben will. Vor dem Hintergrund dieses modernen Lebensgefuhls, dem sich die neue Wahlfreiheit nicht als eine Chance zur Entfaltung von Erlebnismöglichkeiten erschließt, erscheint das Leben in der vormodemen Gesellschaft als ein Traum. Im Vergleich zur vormodernen „Inklusionsindividualität", fur welche Schichtenund Standeszugehörigkeit den Platz in der Gesellschaft präfigurierte, erlebt die moderne „Exklusionsindividualität" die neuen Mobilitäten gleichsam als Reduktion ihrer Erlebnismöglichkeiten: War in der Vormodeme die Gesellschaftspyramide in Stände, Schichten, Kasten tiefengestaffelt, so reduziert sich nun alles auf den horizontal angesiedelten Dualismus Individuum versus Gesellschaft.5 Gleichzeitig spitzt sich in dieser Opposition zu und kommt hier auf den Punkt, was auch der Multiplikation oppositionellen Denkens in der strukturellen Tiefenstaffelung der vormodernen Gesellschaft inhärent war. Insofern sie für das moderne Individuum eine ungleich größere Herausforderung darstellt, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden oder zu behaupten, betont die Umstellung von stratifikatorischer Differenzierung auf funktionale Differenzierung das Moment der Herausforderung. In dem Maße, in dem die modernen Subjekte sich nicht mehr in präzis mit Rechten und Pflichten vorgeprägten Lebensläufen quasi besinnungslos ergehen können, sondern sich ihre Lebensräume aus dem Spektrum möglicher Funktionen erst erschließen müssen, werden sie mit sich selbst konfrontiert. In der Auseinandersetzung mit sich selbst gilt es, die im Zuge grundsätzlicher sozialer Flexibilität erfahrene Vielfalt von Aspekten modernen Lebens im Schmelztiegel der Persönlichkeit zu einer Individualität zu integrieren. Die Herausforderung, die sich dem modernen Individuum stellt, das sich nunmehr seinen einzigartigen Anlagen entsprechend entfalten darf, wird einmal 5

Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus. In ders.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 3. Frankfurt a.M. 1989, S. 149-258; hier S. 155.

51 als solche in der mentalitätsprägenden Opposition Individuum versus Gesellschaft im Sinne einer agonalen Konfrontationsstellung signifikant. Zum anderen zeigt sich hier aber auch, wie die Herausforderung als Überforderung erlebt und in einem starren Dualismus gleichsam eingefroren wird. Vor dem Hintergrund der modernen Pluralisierung der Möglichkeiten und Bezüge wird dichotomes Denken an sich als Duplizierung dieser modernen Vermeidungshaltung im Kontext eines komplexen Erlebnisspielraums problematisch. Die Rede von Inklusions- und Exklusionsindividualität, wie Niklas Luhmann sie in Umlauf gebracht hat, ist also reduktionistisch. Sie vermag der Tatsache nicht Rechnung zu tragen, daß mit der Ausdifferenzierung der stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft hin zu einer funktional differenzierenden gerade auch die klaren Bezüge abhanden kommen. So erweist sich die Rede von vormoderner Inklusionsindividualität, im Zuge derer das Verhältnis Individuum-Gesellschaft als gelingend' begriffen wird, als eine sentimentale Projektion auf der Basis modernen Exklusionsbewußtseins. Mit der einfachen Frontstellung Individuum versus Gesellschaft wird das moderne vielfältige Leben unangemessen einfach beschrieben. Da die Rede vom modernen Individuum im Sinne eines Vielfalt integrierenden Bewußtseins ein Euphemismus zu sein scheint, wird aus heuristischen Gründen im folgenden die Unterscheidung zwischen Individuum, im Sinne eines sich der modernen Herausforderung zur Integration vielfaltiger Lebensaspekte stellenden Subjekts, und Dividuum, im Sinne eines sich dieser Herausforderung verschließenden Subjekts, eingeführt. Die Kategorie des Dividuums fungiert im folgenden als Reflexionskategorie, welche das Bewußtsein auf Individualität als einem Richtwert für das Leben in modernen, das Integrationsvermögen herausfordernen Verhältnissen wachhält. Individualität wird hier nicht als factum brutum begriffen, sondern als eine spezifisch moderne Lebensaufgabe, die über die Situierung des Subjekts innerhalb einfacher dualer Bezüge hinausgeht.6

6

Für die im folgenden nach Maßgabe des soziologischen Aspekts moderner Ausdifferenzierung problematisierte und radikalisierte Kategorie individueller Individualität spielt die Individualitäts-Diskussion der 1980er und 1990er Jahre keine Rolle. Band XII der Reihe Poetik und Hermeneutik (1988), der Individualität auf Größen wie Originalität, Subjekt und Subjektivität hin ablichtet und - soziologisch voraussetzungslos - philosophisch, theologisch, psychoanalytisch, literarisch und kunsthistorisch perspektiviert, und das zweite Heft des neunten Jahrgangs der Zeitschrift Aufklärung, der interdisziplinären Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte, das 1996 in Auseinandersetzung mit dem genealogischen Zusammenhang von Selbsterfahmng und Selbstsorge im seelsorgerischen Bereich des 17. Jahrhunderts, mit Empfindsamkeit und Sturm und Drang ein Stück Mentalitätsgeschichte aufzeigen will, arbeiten beide mit einem positiven Begriff von Individualität und vermögen so m.E. die Brisanz des Phänomens nicht aufzubrechen. (Individualität. Hg. v. Manfred Frank u. Anselm Haverkamp. München 1988 (= Poetik und Hermeneutik; Bd.XII); Individualität. Hg. v. Karl Eibl u. Marianne Willems. Hamburg 1996 (= Aufklärung 9 (1996), H.2). Insbesondere die manichäi-

52 1.2 Hof- und Philisterkritisches Im romantischen Zeitraum wird die starre Opposition Individuum versus Gesellschaft in den Oppositionen Authentizität versus Stereotypie, Individualität versus Generalität, Initimität versus Öffentlichkeit ausbuchstabiert und, je nach Positionierung, das jeweilige Gegenüber mit diskriminierenden Wertungen belegt. Die Tatsache, daß der Angriff des Gegenübers größtenteils von einer Seite, nämlich der des Individuums ausgeht, während ,die Gesellschaft' sich als anonym, machtvoll, unbeweglich präsentiert, macht ein feudalistischautoritatives Gefalle sichtbar, das sich im dualistischen Denken offenbar erhalten hat. Die als Angriff erfolgende Annäherung an ,die Gesellschaft' geht so ungewollt immer auf Kosten dessen, was gewichtig in die Waagschale geworfen wird. Authentizität, Individualität und Intimität werden analog zur metaphysisch-anonym konzipierten Gesellschaft als statische Größen aufgefaßt und fur einen Dualismus vereinnahmt, in dem sie um ihr starre Oppositionen transzendierendes Potential gebracht werden. Damit begibt sich der Angreifer selber seiner Schlagkraft. So sind Hof- und Philisterkritik als Stationen des sich herausbildenden und dann konsolidierenden bürgerlichen Bewußtseins stereotyp, generell und öffentlich-strategisch und damit genau das, was ihre Apologeten der Gegenseite ansinnen. In der mentalitätsprägenden Differenz von Individuum und Gesellschaft wird die Gesellschaft zum Projektionsraum eigener persönlicher Anteile funktionalisiert. Der anhand des Kollektivsingulars Gesellschaft ausgetragene subjektive Konflikt ist Symptom einer Desintegration persönlicher Facetten, die gerade die in diesem einseitig geführten Streit fur sich reklamierte natürliche, quasi unhintergehbare Identität fragwürdig macht. Die romantischen Philisterkritiker sind demnach, will man ihrem Anspruch, ernst genommen zu werden, entsprechen, wenigstens daran zu messen, inwiefern sie das, was sie fur sich reklamieren, für sich selber umzusetzen imstande sind. In dem Maße, in dem hier davon ausgegangen wird, daß Desintegration, Delegation und Projektion bei den Artikulationen des Ungenügens an der Normalität am Werk sind, wird im folgenden insbesondere der im romantischen Zeitraum sich breit machende Gefühlskult auch auf seine stillschweigende Leistungsethik hin befragt und problematisiert.7 Zu Zwecken der besseren Profilierung der romantischen Philisterkritik wird die Hofkritik, deren ,Sattelzeit' in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts und damit vor dem hier zu vertretenden romantischen Zeit-

7

stischen Konsequenzen eines positiven Individualitäts-Begriffs, die im folgenden mit Hilfe der heuristischen Kategorie 'Dividualität' aufgezeigt werden können, zeichnen sich darüber hinaus sehr deutlich ab in einer Monographie von Marianne Willems, in welcher diese sich, von der Idee her ganz wie die vorliegende Arbeit, dem Problem der Individualität als Herausforderung (Tübingen 1995) stellt. Lothar Pikulik: Leistungsethik contra Gefuhlskult. Über das Verhältnis von Bürgerlichkeit und Empfindsamkeit in Deutschland. Göttingen 1984.

53 räum liegt, in ihren zentralen Hinsichten vorangestellt. Die Hofkritik mündet über ihre Fortschreibung in den Moralischen Wochenschriften in den Kult der Empfindsamkeit, dem es um die Entwertung vormodern stratifikatorisch differenzierter Verhältnisse zu tun ist. Deshalb ist sie im Hinblick auf die sich fortan durchsetzende Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft und die damit einhergehende Sehnsucht nach dem, was kritisiert wird, aufschlußreich. „Die loci communes der gegen die Hofpräzipistik geltend gemachten Hofkritik weisen dem Gegensatzpaar von Aufrichtigkeit und Verstellung einen prominenten Platz an [...]".* Das Handorakel des spanischen Jesuiten Baltasar Gracián, das 1733, fast einhundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, in deutscher Übersetzung erscheint und das als eine allgemeine Phänomenologie des Hoflebens hingenommen werden kann, macht mit Kampf- und Kriegsmetaphern das Hofleben als eine militante Lebensführung sinnfällig. 1733 betreffen Graciáns Visionen schon längst nicht mehr nur den Hof. Unter moralischen Vorzeichen geht der Gracián-Übersetzer Friedrich Müller in seinen Anmerkungen gegen eine Welt an, in der sich Menschen bewegen, die er nach Maßgabe eines homo aulicus modelliert. Der privatkluge homo politicus praktiziert höfische Verstellungskunst auf der Grundlage eines agonal gedachten zwischenmenschlichen Miteinanders (genauer: Gegeneinanders), welches von einer universellen Divergenz von Interessen ausgeht. Offenherzigkeit wird im privatpolitischen Kontext als entwaffnende Ehrlichkeit eingestuft und ist also nicht gefragt.9 Anhand dieses Modells verschafft sich Müller die moralische Aufgabe, Offenherzigkeit zu befördern, den Menschen hinter der privatklugen Maske ans Licht der Wahrheit zu holen, eine Aufgabe, die weiterhin von den Moralischen Wochenschriften betreut wird. Die „kaum zu entwirrende[..] Gemengelage von (Realitäts-)Beschreibungen und (Möglichkeits-)Entwürfen", in welcher sich „das Konzept einer Gesellschaft der Freunde und Redlichen, der Biedermänner und Matronen, um nur einige der Titel der Moralischen Wochenschriften aufzunehmen",10 durchzusetzen beginnt, ist dabei symptomatisch für den KonstrukUrsula Geitner: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 1992, S. 22. Siehe dazu Norbert Elias' „Exkurs über die höfische Modellierung des Sprechens" im Kontext des Prozesses der Zivilisation. Nobert Elias: Der Prozeß der Zivilisation. 2 Bde (1937/39) '1988. Bd.l, S. 145-152. Elias, der ein großangelegtes kultursoziologisches Modell für die Erklärung der historischen Genese kultureller Standards in den modernen Industriegesellschaften vorlegt, betrachtet die Reglementierung des Sprechens als Teil des Zivilisationsprozesses. Im Hinblick auf die Akkulturation von Sprech-Regeln, den Prozeß der Vermittlung und der Durchsetzung von Normen fur die Gestaltung der Kommunikation, welcher mit einem Stichwort aus der moralischen Terminologie der frühen Neuzeit als .Bezähmung der Zunge' Profil gewinnt, siehe die gleichnamige Studie von Ralf Georg Bogner. Bogner untersucht, welche Rolle die Literatur der frühen Neuzeit in diesem Prozeß der Akkulturation spielt. Ralf Georg Bogner: Die Bezähmung der Zunge. Literatur und Disziplinierung der Alltagskommunikation in der frühen Neuzeit. Tübingen 1997. 10

Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 37.

54 tionscharakter der allgemeinen Zeitkritik, die nach Maßgabe einer Kritik höfischer Umgangsfonnen verfahrt und die sich in Feindbildern einen Halt und in entsprechenden Gegenentwürfen eine moralische Aufgabe verschafft. Gegenüber der als ein Proteus begriffenen, einem Schauspieler gleichenden klugen Person,11 die sich kunstvoll in verschiedene Gestalten und Personen zu verwandeln versteht, behauptet die sich auf sie beziehende Kritik den modernen Charakter, dessen Merkmale Beständigkeit und Aufrichtigkeit, Identität und Transparenz sein sollen. Immanuel Kant definiert später, in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht von 1798, den Charakter in einer Weise, die auch für den ,Redlichen' der Aufklärungsperiode veranschlagt werden kann. Bei Kant ist der Charakter ein „Mann von Grundsätzen",12 der sich an einmal aufgestellte moralische Prinzipien bindet und so eine statisch konzipierte Identität bewahrt. Das konservative, Flexibilität und Entfaltung ausschließende Moment in Kants Charakterbegriff betrifft neben der allgemeinen sozialen auch eine biologisch-geschlechtsspezifische Dimension, die es im Auge zu behalten gilt. Der Versuch, der Verstellung Einhalt zu gebieten, macht sich an deren Ausdrucksformen fest. In dem Maße, wie sich die neuzeitlichen Bildungs- und Interaktionsideale an der acfio-Lehre ausrichten, in deren Fokus die eloquentia corporis steht,13 wird die Rhetorik diffamiert und eine unverstellte, expressivunmittelbare ,Sprache des Herzens' geltend gemacht. Natürlichkeit, die im Zuge des Konzepts einer dissimulatio artisu als Resultat einer Kunstanstrengung gedacht war, gerät nun in Opposition zu Kunst.15 Im Verhältnis zur Verstellungskunst ist die Natürlichkeit der Redlichen unhintergehbar, transparent,

11

Ebenda S. 49. Zur moralischen Diskussion des Theatralischen im 18. Jahrhundert siehe grundlegend Dieter Borchmeyer: Höfische Gesellschaft und französische Revolution bei Goethe. Adliges und bürgerliches Wertsystem im Urteil der Weimarer Klassik. Kronberg/Ts. 1977, S. lOff.

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13

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15

Immanuel Kant: Der Streit der Fakultäten. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798). In: Kant's gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Abt.l. Bd. 7. Berlin 1907, S. 107-333, hier S. 203. Zum Konzept der eloquentia corporis in antiker Tradition und zu deren Stellenwert im System der Rhetorik siehe Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 80ff. Zur begrifflichen Differenzierung der ,Sprache der Verstellung', für welche Simulation im Sinne einer suggestio falsi und Dissimulation im Sinne einer suppressio veri - die dissimulano artis ist also als .Unterdrückung der Wahrheit der Kunstanstrengung' aulzufassen - ausschlaggebend sind, siehe Wolfgang G. Müller: Ironie, Lüge, Simulation, Dissimulation und verwandte rhetorische Termini. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hg. v. Christian Wagenknecht. Würzburg 1986, S. 189-208. Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 150. Zum Komplex der dissimulatio in der frühbarocken Rhetorik siehe Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982. (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; Bd. 3), S. 243-255.

55 ist das Innen des Subjekts mit seinem Außen identisch. Sind in der Rhetoriktradition Mimik und Gestik nicht an eine innere, gedankliche oder emotionale Wahrheit gebunden, sondern an das situationelle aptum, so kommt es demgegenüber der natürlichen Expressivität des 18. Jahrhunderts auf die Entsprechung der Empfindung und ihres Ausdrucks an, welche eben als Redlichkeit Konjunktur bekommt. Als Bewährung der /tecflichkeit macht der Redliche, eine Wochenschrift aus dem Jahre 1751, die Rede geltend. Der Zusammenhang von Offenherzigkeit und Sprache soll sich über seine volksetymologische Begründung als selbstverständlich in die Gemüter der Rezipienten einprägen. Wer redlich ist beziehungsweise redlich sein will, trägt gleichsam einem der Sprache innewohnenden natürlichen Telos Rechnung: Der Redliche ist allein deijenige, der die Wörter und die Gabe zu reden in der rechten Absicht gebraucht, wozu die Wörter sind erfunden, und wozu die Gabe zu reden von dem Schöpfer den Menschen ist ertheilet worden, nemlich dazu, die Gedanken des Herzens ohne Falschheit zu entdecken: und vielleicht ist auch von diesem rechten Gebrauch der Rede die Redlichkeit also genennet worden.16

Der Redliche will sein Sprechen als direkten Ausfluß der Seele aufgefaßt haben. Die Welt nach Maßgabe der Dichotomie Tugend-Laster sichtend wird der homo politicus unter Betrugsverdacht gestellt und will der homo authenticus selbst einen Vertrauensvorschuß genießen. Dies geht jedoch nur in einer auf Wertschätzung des Gegenübers programmierten Sozietät, eben einer Republik der Redlichen, auf deren Heranbildung die Moralischen Wochenschriften aus sind. Wer sich ihrer Erziehung anheimgibt, begibt sich der restringierten Einsicht, welche der Gegenseite unterstellt wird, und vermag folglich der ausgegebenen redlichen Durchsichtigkeit innezuwerden. Das Konzept einer eloquentia cordis, wie es von den Moralischen Wochenschriften in Umlauf gebracht wird, erweitert sich zu einer zeittypischen Strömung. Gegen das Ethos des Adels setzt auch die Empfindsamkeit eine neue Welterklärung, die menschlicher sein soll, und beteiligt sich am Projekt der Durchsetzung nicht-rhetorischer Verhältnisse.17 Wie es um die eloquentia cordis bestellt ist, läßt sich am literaturwissenschaftlichen Umgang mit der Literatur der Empfindsamkeit, welche sich programmatisch am Ideal der Transparenz von Innenwelt und äußerem Erscheinungsbild der Person ausrichtet, studieren. Allein die Rede von einer eloquentia oder einem sermo cordis, die Ursula Geitner im Kontext ihrer grundlegenden Untersuchung zur Sprache der Verstellung und zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert (1992) einsetzt, macht sinnfällig, daß die empfindsam intendierte Unmit16

17

Der Redliche. Eine Wochenschrift. 1. Stk. Nürnberg 1751, S. 13. (Hervorii. im Original) Siehe dazu Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 65. Zur Hofkritik als Thema in der Literatur der Zeit siehe Helmuth Kiesel: ,Bei Hof, bei Hol!.' Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller. Tübingen 1979.

56 telbarkeit der Möglichkeit, sie rhetorisch zu fassen, nicht ganz zu entgehen vermag. Auch wenn Geitner selbst nicht auf die Rhetorizität der empfindsamen Sprache reflektiert, weil sie die Entrhetorisierung schon innerhalb der Frühaufklärung ansetzt und in die Grabgesänge auf den Tod der Rhetorik im 18. Jahrhundert einstimmt,18 läßt sich die in die Empfindsamkeit moralisch eingesetzte eloquentia cordis der unmoralisch-rhetorischen eloquentia corporis doch problemlos an die Seite stellen. Ebenso wie das rhetorische Konzept darauf aus ist, dem motus animi des Redners zu wahrnehmbarer Existenz zu verhelfen,19 ebenso soll die Sprache des Herzens den motus animi des redlich Empfindsamen ausdrücken. Die Sprache des Herzens ist in dem Maße, in dem sie darauf aus ist, vom Gegenüber als eine solche geschätzt zu werden, nicht weniger rhetorisch kalkuliert als die des Rhetors. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, daß es sich bei der Empfindsamkeit, wie Klaus P. Hansen klargestellt hat, nicht um ein Gefühl, sondern um eine Gefuhlsprogrammatik handelt, mit der sich ihre Agenten gegen eine als repressiv erfahrene Gesellschaftsordnung auflehnen.20 Aus politischstrategischen Gründen wird Empfindsamkeit verordnet. Die empfindsame Sprache des Herzens, die auf die Sympathie der Rezipienten aus ist, kann so auch mit Jürgen Stenzel, der sich mit der mutwilligen ,Uminterpretation' des autosuggestiven Si vis me flere-Topos zum Konzept einer Herzenssprache21 ausein-

18

Zu dieser These siehe bspw. Michael Cahn: Kunst der Uberlistung. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Rhetorik. München 1986 u. Tobia Bezzolla: Die Rhetorik bei Kant, Fichte und Hegel. Ein Beitrag zur Philosophiegeschichte der Rhetorik. Tübingen 1993. Zum Weiterleben der Rhetorik in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts siehe dagegen bereits Klaus Dockhorn: Die Rhetorik als Quelle des voiTomantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften Göttingen. Göttingen 1949, S. 109-150. Zur Erneuerung der rhetorischen Affektenlehre in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts siehe ebenfalls Dockhorn: Macht und Wirklichkeit der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1968. Zum systematischen Charakter der romantischen Rhetorica nova siehe insbes. Helmut Schanze: Romantik und Rhetorik. Rhetorische Komponenten der Literaturprogrammatik um 1800. In: Rhetorik. Beiträge zu ihrer Geschichte in Deutschland vom 16.-20. Jahrhundert. Hg. v. Helmut Schanze. Frankfurt a.M. 1974, S. 126-144. Den romantischen Transfer rhetorischer Begriffe von der Ebene isolierter Figuren auf das Niveau struktureller Größen hat neuerdings Peter Schnyder eingehend beschrieben: Magie und Macht der Rhetorik. Poesie, Philosophie und Politik in Friedrich Schlegels Frühweik. Paderborn, München, Wien, Zürich 1999. 19 20

21

Marcus Tullius Cicero: De oratore/Uber den Redner. Aus dem Lateinischen übersetzt und hg. v. Harald Merlin. Stuttgart 1981, II, 216, S. 582. Klaus P. Hansen: Neue Literatur der Empfindsamkeit. In: DVjs 64(1990), S. 514-528; hier S. 515. In seiner Ubersetzung der horazischen Formulierung Si vis me fiere dolendum est primum ipsi tibi (.Willst du [sc. der Rhetor], daß ich weine, so trauere erst mal selbst'), die auf das situationelle aptum des Rhetors zielt und zum rhetorischen Topos fíinktionalisiert worden ist, will Christian Weise bereits 1692 deren rhetorischen Charakter mit dem Insistieren auf

57 andergesetzt hat, als „Selbstinduktion"22 begriffen werden: Noch bevor der potentielle Rezipient von der Sprache als Ausdruck des Herzens ergriffen wird, muß der Produzent dieser Sprache von Gefühlen aus dem Spektrum der Empfindsamkeit affiziert sein. Die programmatische Disposition von Empfindsamkeit sorgt dafür, daß im Umgang mit ihr lediglich frei gesetzt wird, was ihr als einer moralisierenden Bewegung zugrundeliegt. Man begegnet ihr mit Vertrauen oder Mißtrauen, begreift sie als Tugend oder Laster, als aufrichtig oder unaufrichtigstrategisches Manöver. Neben Geitner ist Walter Lüthi, ein Schüler Emil Staigers, ein früher literaturwissenschaftlicher Apologet der Aufrichtigkeit empfindsamer Rede. In seiner Dissertation von 1951 liefert Lüthi einen Beitrag zur Geschichte der Stimmungen im 18. Jahrhundert, die er am Konzept einer Entfaltung des Lyrischen entwickelt.23 Lüthi ist es darum zu tun, ,jene geschichtliche Erscheinung [zu] erhellen, die man etwa als Entdeckung des Gefühls oder als das Aufkommen des Lyrischen in der Poesie des 18. Jahrhunderts bezeichnen könnte".24 Er will zeigen, wo und wie bis hin zu Goethes Auftreten im 18. Jahrhundert Stimmung artikulierbar wurde.25 Lüthi begreift Empfindsamkeit unproblematisch als authentischen Ausdruck einer Stimmung, welche sich, logische sprachliche Elemente wie Takt, Reim, Konjunktionen, motivliche Motivierungen dominierend,26 rhythmisch mitteile. In dem als ,lyrisch' apostrophierten Stil manifestiere sich eine stimmungshafte Welt, die sich durch „keine umrissene und begrenzte Gegenständlichkeit", durch keine „festgefügte O d -

der Kategorie ,Herz' verwischen. In dem Maße, in dem auch die Weissche Ubersetzung auf die überzeugende Wirkung abzielt, offenbart auch sie ein ihr inhärentes rhetorisches Kalkül: „was nicht von Hertzen kömmt/ das geht auch nicht wieder zu Hertzen". (Christian Weise: Curieuse Gedancken Von Deutschen Versen/ Welcher gestalt Ein Studierender in dem galantesten Theile der Beredsamkeit was anständiges und practicables finden sol/ damit er Gute Verse vor sich erkennen/' selbige leicht und geschickt nachmachen endlich eine kluge Maße darinn halten kan: wie bißhero Die vornehmsten Leute gethan haben/ welche/ von der klugen Welt/ nicht als Poeten/ sondern als polite Redner sind aestimirt worden. Leipzig 1692, S. 21.) Siehe auch Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 189. 22

23

24

Jürgen Stenzel: „Si vis me fiere..." - „Musa iocosa mea". Zwei poetologische Argumente in der deutschen Diskussion des 17. und 18. Jahrhunderts In: DVjs 48 (1974), S. 650-671; hier S. 652. Walter Lüthi: Ein Beitrag zur Geschichte der Stimmungen im 18. Jahrhundert. Die Entfaltung des Lyrischen. Pfaffikon-Zürich 1951. Ebenda S. 9.

25

Ebenda S. 10.

26

Lüthi vertritt damit, im Sinne einer Linguistik der parole, eine Auffassung von Rhythmus als Sinnbetonung im Unterschied zur systematischen Gliederung durch Metrum oder Reim. Zur Systematisierung von Rhythmus als einem, wenn nicht dem beschreibbaren Stmkturelement der Rede siehe Hans Lösener: Der Rhythmus in der Rede. Linguistische und literaturwissenschaftliche Aspekte des Sprachrhythmus Tübingen 1999. Siehe dazu auch Kapitel III. 1.3.4 dieser Arbeit, insbes. Anm. 245.

58 nung der Objektivität" auszeichne.27 Lüthi geht von einer sprachlichen „[Inkarnation]" der Stimmung aus, „dort, wo die Schwingungen der Stimmung eine bestimmte Größe des Ausschlages und der Schwingungszahl erhalten [...]": Das Seelische muß eine bestimmte Intensität erlangen, bis es in die Sprache merkbar eindringt. Dann erst wird die Stimmung auch sprachlich faßbar, und auf diese unmittelbare Kundgabe in den Werken der Dichter wollen wir uns beschränken.

Während - so Lüthi - Klopstock sich „als erster bewährte im Durchstoßen der [sc. aufklärerisch-rationalistischen, diskursiven] Oberfläche" und „im gewollten Rhythmus [...] einen neuen Grund des Daseins [ahnte]", aber „beim Willen [stehenblieb]", so daß ihm „die volle Erfüllung eines neuen Seins [...] noch versagt [blieb]", sei Goethe der stimmungshafte „Durchbruch im Dichterischen mit einem Male [gelungen]".29 In seinen Straßburger Dichtungen habe Goethe „der Stimmung zum vollgültigen Sieg verholfen": In der glühenden Wärme seines Herzens schmilzt er die festen Formen der überlieferten Sprache ein. Goethes „Herz" ist ein neues Organ, das weitere Dimensionen des Daseins erschließt. [...] Goethe realisiert sprachlich erstmals in adäquater Weise das lyrische Ineinander.

Als ein Beispiel für einen aus Vertrauen hervorgehenden Umgang mit empfindsamer Literatur erweist sich Lüthis auf das in der Lektüre freigesetzte Gefühl bauende Geschichte der Stimmungen gleichwohl als produktionsästhetisch unterminiert. Sie erweist sich als impressionistisch unexakt in dem Maße, in dem sie Stimmung als musikalische, rhythmische, klangmagische, atmosphärische Kategorie des Textes lediglich ex negativo in Abgrenzung von gegenständlich und logisch bestimmter Darstellung begreift.31 Insofern für seine Untersuchung die Opposition Aufklärung-Empfindsamkeit konstitutiv ist, muß sich Lüthi den Vorwurf gefallen lassen, daß er der empfindsamen AuthentizitätsRhetorik unkritisch aufsitzt. Lüthi vermag die literarischen Manifestationen des empfindsamen Konzepts einer ,Sprache des Herzens' nicht zu diskursivieren, sondern dupliziert literaturwissenschaftlich ausschließlich die empfindsame Gefühlsprogrammatik. Während die eloquentia cordis bei Geitner und Lüthi das von ihren Apologeten intendierte Vertrauen genießt, bringen Albrecht Koschorke und Nikolaus Wegmann der Empfindsamkeit gar keine Sympathie entgegen und sprechen ihr eine genuine Aufrichtigkeit rundweg ab. Koschorkes Mediologie des 18. Jahrhunderts (1999) arbeitet mit der Dichotomie .rhetorisch-mündliche

27

Lüthi: Geschichte der Stimmungen im 18. Jahrhundert. 1951, S. 25. 28

Ebenda S. 24.

29

Ebenda S. 147.

30

Ebenda.

31

Siehe ebenda S. 25.

59 Unmittelbarkeit' hier und ,expressiv-schriftliche Mittelbarkeit' da. Den empfindsamen Diskurs kategorisch auf seine These veranschlagend, daß das Prinzip der Schriftlichkeit die Affektzirkulation außer Kraft setze und damit die effektive Übermittlung von Botschaften überhaupt, vermag Koschorke in dem Konzept einer empfindsamen Sprache lediglich das Phantasma eines „Oberschlags von medialer Vermitteltheit in Präsenz" am Werk zu sehen.32 Koschorke sinnt der Seeleneinschreibeformel an, „alle medialen Zwischenschritte, die den Autor im Zeitalter einer sich anonymisierenden Buchproduktion immer klarer von seinen Lesern zu trennen beginnen, zu verleugnen und zu überspielen",33 und macht dafür eine Äußerung Johann Gottfried Herders geltend. Der Dichter, schreibt Herder 1767 im Zusammenhang seiner Überlegungen lieber die neuere Deutsche Litteratur, soll Empfindungen ausdrücken: - Empfindungen durch eine gemahlte Sprache in Büchern ist schwer, ja an sich unmöglich. Im Auge, im Antlitz, durch den Ton, durch die Zeichensprache des Körpers - so spricht die Empfindung eigentlich, und überläßt den todten Gedanken das Gebiet der todten Sprache. Nun, armer Dichter! und du sollst deine Empfindungen auf Blatt mahlen, sie durch einen Kanal schwarzen Safts hinströmen, du sollst schreiben, daß man es fühlt, und sollst dem wahren Ausdruck der Empfindung entsagen; du sollst nicht dein Papier mit Thränen benetzen, daß die Tinte zerfließt, du sollst deine ganze lebendige Seele in todte Buchstaben hinmahlen, und parliren, statt auszudrücken.

Stellt man in Rechnung, daß Herder gleich zu Anfang seiner Ausführungen zur neueren deutschen Literatur, in der ersten Sammlung seiner Fragmente, das Buch als „ein Beet von Blumen und Gewächsen" begreift35 und ansonsten als Apologet des Lyrischen in der Dichtkunst weniger das antike gesungene Lied im Ohr als bestimmte poetologische Kategorien im ,/tuge und [im] OAK'36 hat und also ein wesentlich entspannteres Verhältnis zum Medium Buch zu haben scheint als sein Exeget Koschorke, dann ist Herders Aussage überzeugender weniger auf ein mediologisches als vielmehr auf ein soziales Datum zu bezie-

32

33

Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999, S. 338. Ebenda S. 290. (Hervorh. im Original)

34

J.G. Herder: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Fragmente, als Beilagen zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. Dritte Sammlung (1767). In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd.l. Berlin 1877, S. 357-548; hier S. 394f.

35

J.G. Herder: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Fragmente. Erste Sammlung. Zweite völlig umgearbeitete Ausgabe (1768). In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan.. Bd. 2. Berlin 1877, S. 1-111; hier S. 12.

36

In seiner Abhandlung Die Lyra. Von der Natur und Wirkung der lyrischen Dichtkunst (1795/96) schreibt Herder: ,Auge und Ohr, die feinsten Sinne unsrer Natur, die Organe alles Wohlgefälligen, Reizenden, Schönen, sind, wie mich dünkt, in ihrem glücklichsten Zusammentreffen die Urehern der lyrischen Dichtkunst." In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 27: Herders poetische Werke. Hg. v. Carl Redlich. Bd. 3. Berlin 1881, S. 163-181; hier S. 164.

60 hen. Mehr noch: Das von Koschorke rigoros im Sinne einer Verlustrechnung auf den Kult der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts veranschlagte mediologische Datum der Entstehung des Buchmarktes ist in seiner sozialen Dimension zu differenzieren. Während Koschorke darin in sentimentalischer Perspektive lediglich eine Anonymisierung des Autor-Leser-Verhältnisses wahrzunehmen vermag, läßt sich die Entstehung des Buchmarktes sachlich im Kontext der Ausdifferenzierung der Verhältnisse begreifen. Demnach bringt die Entstehung des Buchmarktes fur den Autor eine Erweiterung seiner Bezüge mit sich und eröffnet ihm so ein neues, großartiges Bezugsfeld, das ihm erlaubt, sich selber in größeren Zusammenhängen zu sehen und auf sich selbst zu besinnen. Es gilt, seinen Erfahrungshorizont zu erweitern, den Horizont also, in welchem man sich und andere begreift und versteht. Herder bedauert den Schriftsteller nicht, wie Koschorke meint, im Sinne einer geschichtsphilosophischen Verlustrechnung. Das bemitleidende „du armer Dichter" bekommt im Verein mit dem forcierenden „Nun" eine ironische Note. Es markiert exakt die Schwelle hin zu einer Erweiterung der Bezüge, in deren Zusammenhang man sich nicht dazu verleiten lassen sollte, alte Verhältnisse als unmittelbarere hochzuhalten. Denn das waren sie ja gerade nicht, wie die von Herder mit den Begriffen „Auge", .Antlitz", „Ton", „Zeichensprache" zitierte empfindsame Kritik an der rhetorischen, an das situationeile aptum gebundenen acrto-Lehre belegt, an der sich die Kritikbegriffe von Verstellung und Verstellungskunst festgemacht hatten. Da sich im 18. Jahrhundert kein Übergang von oralen zu medialen Verhältnissen vollzieht, sondern das Bezugsfeld des Autors und damit seine Reflexionsmöglichkeiten sich erweitem, ist die empfindsame Rhetorikkritik nicht im Sinne einer Kritik an mündlicher Unmittelbarkeit mißzuverstehen, die dann in einer empfindsamen Sehnsucht nach unmittelbarer Mündlichkeit unfröhliche, weil haßgeliebte Urständ feierte, wie sie es bei Koschorke tun.37 Herders Ausführungen suggerieren also alles andere als eine sentimentalische Konstruktion von ursprungshafter Oralität. Dezent weist sie die Herausforderung, die sich aus dem neuen Bezugsfeld ergibt, dem Schriftsteller als Aufgabe an: die Arbeit an seiner Sprache in den Dienst einer Arbeit am Ich zu stellen. Der Schriftsteller soll „parliren, statt auszudrücken". Herders dezente Aufgabenformulierung beinhaltet eine Kritik an der empfindsamen Art, sich auszu-

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Koschorice tut so, als sei der Buchdruck im 18. Jahrhundert erfunden worden. Um seine medientheoretische These von der Kompensation des ,kalten' Mediums ,Schrift' durch ,heiße' Phantasmen den Textrand überbordender .Körperströme' eben medientheoretisch hieb- und stichfest zu machen, müßte Koschorke wenigstens ansatzweise empfindsames Sprechen, so wie es die Programmatik des 18. Jahrhunderts vorsieht, bereits in den gedruckten Textzeugnissen Anfang des 15. Jahrhunderts diskutieren. Die metaphorische Ableitung der empfindsamen .Sprache des Herzens' aus der Humoralpathologie des 18. Jahrhunderts jedenfalls vermag medientheoretisch nicht zu befriedigen, wodurch sich Koschorkes Fassung von .Empfindsamkeit' ihrerseits als phantasmatisch erweist.

61 drücken und so inneren Konflikten auszuweichen: Gegen die Tränenseligkeit der empfindsamen Romane, die beredtes Zeugnis von der empfindelnden Ergriffenheit ihres Autors geben und vermuten lassen, daß dieser beim Schreiben sein „Papier mit Tränen benetz[t]" hat, .verordnet' Herder nicht etwa die Unterdrükkung der empfindsamen Tränen, sondern die Arbeit am Selbst, weil nur so eine ,ganze lebendige Seele" sich mitteilen und in einem Authentizitätseffekt, der im Lesen entbunden wird, wirkungsvoll zur Geltung kommen kann. Herders zwischen Bedauern und Befehlen oszillierende Aussage ist also therapeutisch als eine paradoxe Intervention zu verstehen, sie ist sedativ und provokativ zugleich. Nikolaus Wegmann sieht in seiner ,,diskursanalytische[n] Destruktion" der „(Selbst-)Präsentation der Empfindsamkeit als emphatischer Rede über ein soziables und friedfertiges, sich von der Gesellschaft distanzierenden Subjekts"38 sehr richtig, daß man hier über die Konstruktion eines Feindbildes „die eigene ideale Position"39 zu bestimmen versucht. Seine Ausführungen greifen allerdings zu kurz, wenn er den empfindsamen Unsagbarkeitstopos, der sich in Aposiopesen, Gedankenstrichen und Ellipsen manifestiere, nur als Rhetorik versteht, in welcher „der angestrengte Sprung aus der Rhetorik"40 ende. Wegmann begründet diese Sicht damit, daß die für den empfindsam gesteigerten Redegestus reklamierte typische Metapher von der ,Fülle des Herzens' in dem Maße „ein hoffnungsloser Wunsch" bleibe, wie sie sich rhetorisch beschreiben lasse.41 Allein, die Tatsache, daß Rhetorik nicht nur ein Regelsystem ist, mit dessen Hilfe Reden und Texte produziert werden können, sondern ebenso ein Regelsystem, das einen Begriffskatalog zur Verfugung stellt, mit dessen Hilfe Texte aller Art strukturell und gehaltlich erschlossen werden können, kommt Wegmann nicht in den Sinn. Zudem ist mit Lothar Pikulik zu bedenken, daß Empfindsamkeit als Ausdruckskunst im Hinblick auf ihre Wirkung auch „Erweckungs- und Versenkungskunst" ist.42 Zwischen Produktions- und Rezeptionsästhetik nicht differenzierend und die daraus sich ergebenden alternativen Aspekte interpretatorisch nicht integrierend, wird Wegmanns Diagnose einer kalkulierten Rhetorizität empfindsamer Sprache anfechtbar. Vorgeworfen werden kann ihr, daß sie die empfindsame Rede als „Kunst der Kunstlosigkeit"43

38

39

Nikolaus Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit, zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1988, S. 128, 130 u. 137. Ebenda S. 81.

40

Ebenda.

41

Ebenda S. 82.

42

Pikulik: Leistungsethik contra Geffihlskult. 1984, S. 276. Die Formel, welche Wegmann seinen diskursanalytischen Operationen zugrundelegt, geht auf Wilhelm Voßkamp zurück: Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen. Zur Poetik des Briefromans im 18. Jahrhundert. In: DVjs 45 (1971), S. 80-116; hier S. 85.

43

62 rhetorisiert, was umso mehr begründet erscheint, als Wegmann seinerseits gegen den Diskurs der Empfindsamkeit, den er als eine soziologisch unbestimmte „[raffinierte]" „Strategie" begreift,44 einen persönlich motivierten Kampf austrägt. Da Wegmann nicht innezuwerden vermag, was empfindsame Sprache bei ihm erweckt, erweist sich sein Unterfangen als eben das, was er seinem Gegenstand vorwirft: als Konstruktion eines Feindbildes, gegen das die eigene ideale Position behauptet wird. Empfindsamkeit als eine raffinierte Strategie' konstruierend lenkt Wegmann den Blick auf den eigenen „strategischen Ausgangspunkt" zurück,45 von wo aus sich seine diskursanalytische Arbeit als ein subjektiv befangener Feldzug gegen Authentizität erweist. Im Zuge von Wegmanns ,,diskursanalytische[r] Destruktion",44 die die „Bedeutungs- und Sinngehalte der .natürlichen' Empfindsamkeit in einer diskursiven Regelmäßigkeit [auflösen]" will,47 ist ein moralischer Betrugsverdacht am Werk, mit dem die Empfindsamkeit in die Beweispflicht genommen wird: Die im empfindsamen allgegenwärtigen Weinen vergossenen Tränen haben bei Wegmann den Stellenwert eines „körperlichefn] Beweis[es] für das Umittelbar-Direkte der empfindsamen Kommunikation".48 Damit ist aber Wegmanns Betrugsverdacht keineswegs besänftigt. Im Gegenteil: Statt, wie es seine Formulierung nahelegt, der empfindsamen Rede zuzugestehen, daß sie ihm die Authentizität ihrer Sprecher immerhin körperlich zu beweisen vermag, „verweigert" Wegmann ihr hartnäckig ,jede Bestätigung auf einen gleichsam durch die Geschichte laufenden objektiven Sinn".49 Von einem authentischen Desinteresse an der Empfindsamkeit getragen, läßt Wegmanns „diskursanalytische Destruktion"50 Empfindsamkeit nicht einmal alternativerweise als authentischen Versuch zu mehr individueller Wahrhaftigkeit, als systematische Übung in Spontaneität gelten,51 sondern bekämpft sie geradezu.

44

Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988, S. 85f. 45

Ebenda S. 129.

46

Ebenda S. 130.

47

Ebenda S. 129. Ebenda S. 85. Im Hinblick auf den literaturwissenschaftlich praktizierten Betrugsverdacht gegenüber dem gattungstheoretisch und literaturkritisch diskutierten Phänomen literarischer Authentizität siehe die in dieser Hinsicht symptomatische Studie von Annette C. Anton: Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1995. Anton vermag das Differenzierungspotential, das Authentizität alias Natürlichkeit birgt, überhaupt nicht zu erschließen. Authentizität wird auf der Basis eines plakativen Dualismus Wirklichkeit-Fiktion als Maske der Fiktion verdächtigt und als literarische Strategie ins literaturwissenschaftliche Visier genommen. Zur Kritik an Anton siehe auch die zutreffende, wenngleich nicht weiterweisende Rezension von Hedwig Pompe in: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft 10 (1998), S. 163-164.

48

49 50 51

Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988, S. 129. Ebenda S. 130. Vgl. ebenda S. 76.

63 „Angestrengtf..]" ist so nicht nur der empfindsame „Sprung aus der Rhetorik", sondern ebenso Wegmanns Unterfangen, diesen „in einer neuen Rhetorik des Authentischen, Ursprünglichen und Naiven [enden]" zu lassen.52 Literaturwissenschaftlich gesehen, ist eine solche Befangenheit gegenüber Phänomenen des Authentischen, wie sie in Wegmanns mit Hilfe Sennetts abschließend vorgetragener Kritik an einer Empfindsamkeit als gegenwärtig ,,adäquate[r], d.h. weithin akzeptierte^] Form der Thematisierung von Gesellschaft" zum Ausdruck kommt,53 selbstredend „[destruktiv]".54 Sie kolportiert Deutungsstereotype und ist von keinem Erkenntnisinteresse mehr getragen, das als ein solches authentisch wäre und von daher produktiv sein könnte. Wegmann befindet sich mit seinem aggressiv behaupteten Desinteresse in einer guten beziehungsweise nicht so guten literaturwissenschaftlichen Gesellschaft der Redlichen: Hansen hat den hier grassierenden Topos im Umgang mit der Empfindsamkeit formuliert: „natürlich wird hier die alte Rhetorik zugunsten einer neuen ausgetauscht".55 In dem Maße, wie Betrugsverdacht selbstverständliche literaturwissenschaftliche Praxis geworden ist, stehen die Exegeten dem kritisierten empfindsamen Diskurs näher als ihnen lieb sein dürfte: Denn die empfindsamen Redlichen rechnen ja trotz der Gründung einer Republik der Redlichen weiterhin mit der Wahrscheinlichkeit von Verstellung als diffuser, sozial nicht genau zu lokalisierender Tatsache, insofern sie die Welt nach Tugend und Laster sichten, und perpetuieren so recht eigentlich die angeprangerten Mißstände. Die Methode, die den literaturwissenschaftlichen, ausschließlich produktionsästhetischen und hier von Betrugsverdacht getragenen Umgang mit der Empfindsamkeit leitet - das komplementäre blinde Vertrauen erstreckt sich hier auf den Topos von der empfindsamen ,Kunst der Kunstlosigkeit', das in der literaturwissenschaftlichen Gesellschaft der Redlichen nicht angezweifelt wird - , deckt sich zudem mit einem Verfahren, das in der Frühaufklärung für die kritische Sichtung ,der Gesellschaft' eigens entwickelt worden war: der Kardiognostik, der Kunst, anderer Menschen Gemüter zu erkennen. Die Kardiognostik, in der Wissenschaft des frühaufklärerischen Christian Thomasius als ars conjectandi hominum mores konzipiert56 und als eine solche 52

Ebenda S. 82.

53

Ebenda S. 132.

54

Ebenda S. 130.

55

Hansen: Neue Literatur der Empfindsamkeit. 1990, S. 514.

56

Thomasius hat den Begriff abgeleitet aus Christoph August Heumanns „Prudentia cardiognostica" und als ars conjectandi hominum mores begründet, als „die Kunst/ anderer Menschen Gemüther zu erkennen", welche die Physiognomik und sämtliche Derivate umfaßt. (Kurtzer EntwurfF der Politischen Klugheit/ sich selbst und andern in allen Menschlichen Gesellschaften wohl zu rathen/ und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen; Allen Menschen/ die sich klug zu seyn düncken oder die noch klug werden wollen/ zu höchst=nöthiger Bedürffiiis und ungemeinem Nutzen/ aus dem Lateinischen des Herrn

64 von den Moralischen Wochenschriften popularisiert, ist das analytischwissenschaftliche „Komplement der Verstellungskunst",57 welche im Zuge der Konzentration auf das Ideal eines natürlichen Menschen unter Verdacht geraten ist. Für die kardiognostische Anthropologie ist die Relation von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Äußerem und Innerem axiomatisch. Da es „niemandem, nicht einem menschlichen Wesen, [...] vergönnt [ist], direkt zu erfassen, was ihm verborgen ist",58 bedarf es spezieller Techniken der Divination des anderen. Dem Phantasma des göttlichen Blickes wird der menschlich-kreatürliche, defizitäre und hilfsbedürftige Blick konfrontiert, der nach technischen Supplementen verlangt.59 Eben ein solches Supplement beabsichtigt Thomasius mit seiner Wissenschaft zur Verfugung zu stellen. Der Kardiognostiker hat es darauf abgesehen, „von den in die Sinne fallenden Merkmalen eines Menschen", wie Habitus, Physiognomik und Rede, „auf dessen Neigungen und Abneigungen zu schließen".60 Die das kardiognostische Urteil bestimmende Instanz ist die Intuition. Auf den ersten Blick soll sich der Charakter gleichsam in Augenschein nehmen und erkennen lassen. Sinnliche Evidenz und spontanes moralisches Urteil sind zu einer Urteilskraft amalgamiert, welche augenblicklich richtig und gerechtfertigt entscheidet.

Die Kardiognostik der Moralischen Wochenschriften wie der namhaft gemachten, mit Empfindsamkeit befaßten Literaturwissenschaftler ist auf ein schnelles und unreflektiertes Gefühl reduziert, eine Intuition, die es gestattet, einen Charakter zu durchleuchten. Praktiziert wird der „Traum vom unmittelbaren Verstehen als Traum der Aufklärung".62 Betrugsverdacht (Koschorke, Wegmann, Hansen et al.) und blindes Vertrauen (Geitner, Lüthi et al.), welcher der empfindsamen Sprache des Herzens in der produktionsästhetisch verfahrenden Forschung entgegegebracht wird, haben beide insofern eine gewisse Berechtigung, als von der Literatur der Empfindsamkeit kein durchschlagender Authentizitätseffekt ausgeht. Vom stark standardisierten Inventar empfindsamer Rede wird regelmäßig lediglich ein Gefühl, nämlich das der „Rührung", entbunden. Das hat auf einwandfreie Weise Lothar Pikulik festgehalten, der deshalb etwas ausführlicher zitiert sei: Wie verschieden [...] die Texte [auch] sein mögen, die sich unter dem Panier der seelischen Gleichgestimmtheit versammeln, ja wie verschieden die künstlerischen Medien, die die Thomasii übersetzet. Photomech. Nachdr. d. Ausg. Franckfurt und Leipzig 1710. Frankfurt a.M. 1971, S. 101. Siehe dazu Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 125. 57

Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 124.

58

Ebenda S. 126.

59

Ebenda S. 126f.

60

Ebenda S. 125.

61

Ebenda S. 165.

62

Ebenda S. 167.

65 Botschaft des Gefühls vermitteln, es ist doch im Grunde ein und dieselbe Wirkung, die allenthalben angestrebt und erzielt wird [...]. Wenn sich denn die erregten Gefühle qualitativ nicht voneinander unterscheiden, so ist es eher das Fühlen als solches, das die Wirkung ausmacht, nicht spezifische Empfindungen. Nicht zufällig begegnet uns diese Wirkung überall im 18. Jahrhundert unter einer Einheitsbezeichnung ^Rührung", ein Hinweis darauf, daß wir es auch mit einer Einheitswirkung zu tun haben.

Von hier aus läßt sich Richard Alewyns Verdikt, daß nämlich Empfindsamkeit bloß ein Gefühl sei, welches sich als ein solches nicht sinnvoll von anderen Gefühlen unterscheiden lasse,64 nicht plausibel widerlegen, mit Hilfe der zeitgenössischen rhetorischen Affektenlehre allerdings nuancieren. Indem die ästhetisch-ethische Einheit empfindsamer Rede eine sanft-rührende Empfindung hervorruft, tritt sie - nach der Affektenlehre - in den Ethos-Bereich, der sich in der mittleren Schreibart realisiert: Die mittlere Schreibart versetzt uns in eine Rührung, ohne eine heftige Leidenschaft zu erwekken; sie wirkt ein sanftes Vergnügen, doch ohne uns in Entzükken hinzureißen, eine stille Hochachtung, ohne uns erstaunt zu machen.65

Im Sinne des für diese Arbeit geltenden Axioms de sensibus est discutandum bleibt diffenziert festzuhalten, daß die empfindsame Rede zu rühren vermag, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Rührung reicht zwar noch nicht an den Effekt literarischer Authentizität heran, in dem sich ein ausgeprägtes individuelles Bewußtsein mitteilt. Sie markiert aber eine wichtige Etappe auf dem Weg hin zu einem authentischen Bewußt-Sein, nach dem der Mensch im Kontext sich ausdifferenzierender Verhältnisse ein starkes Bedürfnis entwickelt. Der durch die empfindsame Rede evozierten .stillen Hochachtung' Rechnung tragend teilt sich in der eindimensionalen ,Rührung' Empfindsamkeit als ein Bemühen um Authentizität mit. Empfindsamkeit ist von hier aus sachlich als ambivalentes Phänomen zu begreifen: Zum einen handelt es sich um eine Ge/ö/i/sprogrammatik, der es aufrichtig um Aufrichtigkeit zu tun ist, zum anderen aber um eine Gefühlsprogrammatik, die als eine solche das Aufrichtigkeitsbegehren systematisch desavouiert. Der Bereich des Gefühls wird programmatisch besetzt, das Systemische, das man in der Ständegesellschaft und der Rhetorik

63

Pikulik: Leistungsethik contra Geffihlskult. 1984, S. 278.

64

Richard Alewyn hat dieses Verdikt in seiner Rezension von Gerhard Sauders Buch zur Empfindsamkeit (1974), das mittlerweile zum Klassiker avanciert ist, verhängt: Was ist Empfindsamkeit? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. November 1974. Johann Friedrich Kinderling: Grundsätze der Beredsamkeit. Magdeburg 1771, S. 169. Daß die empfindsame Rhetorik gegenüber dem heroischen Pathos zunehmend das mildere Ethos (,auf angenehme Art zu rühren') bevorzugt, hat zuerst Klaus Dockhom gesehen: Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus. 1949, S. 109-150. Zur Erneuerung der rhetorischen AfFektenlehre in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts vgl. ebenfalls Dockhom: Macht und Wirklichkeit der Rhetorik. 1968. Siehe dazu auch Hella Jäger: Naivität. Eine kritisch-utopische Kategorie in der bürgerlichen Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Kronberg/Ts. 1975, S. 78f.

65

66 vor Augen hat, im Programmatischen restauriert. Der Bereich des Gefühls wird mit dem Plakat,Empfindsamkeit' beklebt und auf diese Weise zur Kompensation von Bedürfnissen funktionalisiert, die in der sich ausdifferenzierenden Gesellschaft nicht mehr auf gewohnte und unproblematische Weise befriedigt werden. In die Freiheit entlassen, sieht sich das Subjekt sich selbst konfrontiert und kommt damit nicht zu Rande. Es braucht ein Feindbild, an dem es seine Frustrationen ausagieren, i.e. affektiv-unbesonnen ab-reagieren kann. Und es greift in diesem Kampf gegen Repression als eine bloße solche auf eine Kategorie zurück, mit deren unverbrauchter Schlagkraft es rechnen kann: das Gefühl an sich. Die Kategorie des empfindsamen Gefühls erweist sich vor diesem Hintergrund als ein Pleonasmus, mit dessen Hilfe das Gefühl im Kampf gegen empfundene Repression strategisch-rhetorisch eingesetzt wird. Die Rede von einer Emanzipation des Gefühls vom gefühlsunterdrückenden Verstand, wie sie sich für die Beobachtung der Verhältnisse zwischen Aufklärung, Sensualismus, Empfindsamkeit und Romantik durchgesetzt hat, ist im Hinblick auf die Empfindsamkeit irreführend. Denn im Zeichen von Gefühl wird ein Kampf gekämpft, der das Gefühl auf seine Weise qua programmatischer Festschreibung unterdrückt. Das Verhältnis von dominantem Verstand und versklavtem Gefühl ist deshalb neu zu bestimmen. Vor dem Hintergrund der typischen Aufbruchsstimmung jener Zeit ist von einem gleichzeitigen, jeweils auf Ausdifferenzierung zielenden Aufbruch im Bereich von Gefühl und Verstand auszugehen, wie es auch neuere Arbeiten nahelegen, die sich eine Einsicht von Gerhard Sauder zunutze gemacht haben. In seiner Studie Empfindsamkeit ( 1974) hat Sauder klargestellt, daß das Schema einer Entwicklungsgeschichte in Epochen [...] zu künstlichen Oppositionen zwischen der ,Tyrannis der Vernunft' und der sie stürzenden ,Gefühlskultur', zwischen ,Rationalismus' und .Irrationalismus' [verführt] und [...] allenthalben nach .Uberwindern der Aufklärung' [sucht].

Deshalb fungiert Aufklärung bei Sauder als „ein Horizont des Verständnisses", auf dessen Hintergrund „Empfindsamkeit [...] als Tendenz der Aufklärung zu begreifen [ist] wie Sturm und Drang und Rokoko".67 Daß diese Auffassung, die auf die Beobachtung einer eigendirigierten Ausdifferenzierung des Gefühls hinauslaufen müßte, in der Praxis allerdings nicht so leicht durchzuhalten ist, wird im Zuge der erhellenden Problematisierungen des Verhältnisses von Aufklärung und Gegenauflclärung (1989) von Ulrich Gaier und Jürgen Brummack sinnfällig. Beide gehen von einem Nebeneinander von Verstandes- und Gefühlsaufklärung aus, sprechen gleichzeitig aber weiter-

66

Gerhard Sauder: Empfindsamkeit. Bd.l: Voraussetzungen und Elemente. Stuttgart 1974, S. XI. Siehe auch etwa S. 125, wo Sauder die Behauptungen einer ideologischen Gegnerschaft von Aufklärung und Empfindsamkeit zusammenfassend ausräumt.

67

Ebenda.

67 hin von „Emanzipation aus den Strukturen überlieferter Autorität"68 und schreiben so die Orientierung an überlieferten Strukturen, wie sie auch für den empfindsamen Kult charakteristisch ist, fort. Diese Tendenz offenbart der im Verhältnis zur intendierten Egalisierung von Aufklärung des Verstandes und des Gefühls völlig mißverständliche Titel von Brummacks Studie, die Herders Sensualismus als Gegenaufklärung im Namen des Logos69 verstanden wissen möchte. Brummack konstatiert zwar, daß Herder „eine Form der Aufklärung gegen eine andere setz[e]" und „seine Polemik geradezu eine bedingte Form der Bejahung deijenigen Kulturentfaltung im modernen Europa [sei], mit der sich der Name Aufklärung für ihn verbindet",70 schätzt den solchermaßen als eine eigenständige Form der Aufklärung rehabilierten Sensualismus aber immer noch im Verhältnis zur Vernunft. Und auch das jüngste Studienbuch zur Aufklärung spricht, bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der Affektkultur dieser Zeit und bei Ablehnung der Rede von einer Gegenaufklärung, symptomatischerweise von einer „empfindsamefn] itoerströmung" 71 Aufgrund der defensiven Haltung der mit sensualistischen Phänomenen Beschäftigten gegenüber der mentalitätsprägenden Dominanz des Verstandes kommt die postulierte Gleichberechtigtheit sensualistischer Aufklärung nicht im Sinne einer Erforschung von deren Eigendirigiertheit zum Tragen. Ausdifferenzierung als den soziologischen basso continuo der Zeit, Aufklärung als einen Horizont des Verständnisses und Empfindsamkeit als erste Etappe des sich ausdifferenzierenden Gefühls begreifend ist das dominante empfindsame Gefühl, sich emanzipieren zu müssen, zu thematisieren und zu problematisieren. Dann ergibt sich, daß der Aufbruch des Gefühls aus seiner Unmündigkeit bei der Empfindsamkeit bereits Station macht. Hier wird Gefühl lediglich tautologisch besetzt und als empfindsames Gefühl gegen die Herrschaft des Verstandes geltend gemacht. Die Gefühlswelt wird nicht differenziert, sondern kampfstrategisch eingenommen. An den Hof, darüber hinaus an eine höfischkomunpierte Gesellschaft und nicht zuletzt an den Oppositionsbegriff ,kalkulierend-kalter Verstand' wird delegiert, was den Bereich des Gefühls differenzieren könnte, bewußtseinsmäßig intergriert werden müßte und so einen bewußtseinmäßigen Fortschritt anzeigen würde: unterdrückende Gewalt und Herrschaftlichkeit. In ihrer desintegrativen Oppositionshaltung, die es dem Empfindsamen verunmöglicht, seines eigenen gewaltsam-forcierten Kalküls 68

Ulrich Gaier: Gegenaufkläning im Namen des Logos: Hamann und Herder. In: Aufklärung und Gegenaufkläning in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. Jochen Schmidt. Darmstadt 1989, S. 261-276.

69

Jürgen Brummack: Herders Polemik gegen die „Aufklärung". In: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. Jochen Schmidt. Darmstadt 1989, S. 277-293.

70

Ebenda S. 279. (Hervoih. von mir, J.S)

71

Peter-André Alt: Aufklärung. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart, Weimar 1996, S. 6. (Hervorh. von mir, J.S.)

68 inne zu werden, erweist sich die undifferenzierte Empfindsamkeit als ein statisches Konzept und die in seinem Zeichen geredete Sprache des Heizens als Empfindelei. Die Unterscheidung in eine positiv gewertete .Empfindsamkeit' und in ,Empfindelei' als deren negative Variante, die sich seit der Aufwertung von .Empfindsamkeit' zu einem veritablen Kulturgut in den 1980er Jahren durchgesetzt hat, wird in dieser Perspektive hinfallig. Eine gefühlsmäßige Erweiterung des eigenen Erlebens wie eine gefühlsmäßige Bereicherung findet im Zeichen empfindsamer Programmatik nicht statt. Was in der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft der Hof, ist im sich konsolidierenden Bürgertum das Philistertum. Was dort die Gesellschaft der Redlichen, ist hier die Gesellschaft der ganzheitlich lebenden Individualisten. Philisterkritik ist eine kollektiv unternommene Anstrengung, Ungenügen an der Normalität72 in Form von Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799)73 zu bekunden. Allein die zur Normalität zurechtgestutzte Welt offenbart den Reduktionismus, von der diese fur die Zeit um 1800 typische Kritik geprägt ist. So sind die immer wiederkehrenden Hieb- und Stichworte, auf die sich die romantische Protestbewegung festgelegt hat, denn auch schnell aufgezählt:74 Nützlichkeitsdenken und Sicherheitsstreben, das in der Ausrichtung an materiellem und beruflichem Besitz in Form von Ämtern aufscheint; Unflexibilität, für welche das Festhalten an einmal etablierten Gewohnheiten, Strukturen, Sichtweisen steht; damit einhergehend die Ausübung von Anpassungsdruck, der systematisch in der Erziehung und Bildung der Kinder praktiziert werde; Funktionalisierung von emotional besetzten Sphären wie Liebe, die in das Geschirr der Vemunftehe eingespannt werde, und Freundschaft, die nur als Zugewinn von Prestige verstanden werde in dem Maße, wie Freunde nach beruflichen Erfolgen, gesellschaftlicher Position, nach ,Äußerem' gewählt würden; Systemsucht in den Wissenschaften; Oberflächlichkeit im Umgang mit Poesie, die nur zur Erholung in Mußestunden eingesetzt werde („Poesie mischen sie nur zur Nothdurft unter, weil sie nun einmal an eine gewisse Unterbrechung ihres täglichen Laufs gewöhnt sind. In der Regel erfolgt diese Unterbrechung alle sieben Tage, und könnte ein poetisches Septanfieber heißen")75; Standesdünkel, konventionelles Gehabe und gekünstelte Manieren.

72 73

74

75

Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs. Frankfurt a.M. 1979. F.D.E. Schleiermacher: Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799). In: Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. Hans Joachim Birkner et al. Abt.l: Schriften und Entwürfe. Bd. 2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799. Hg. v. Günter Meckenstock. Berlin, New York 1984, S. 187-326. Stichworte nach Schneider 1978, Pikulik 1979, Schormann 1993. Novalis: Blüthenstaub. In ders: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Bd. 2: Das philosophische Werk I. Hg. v. Richard Samuel. Stuttgart 1965, S. 413-470; hier S. 447, Nr.77.

69 .Philister' ist die bündige Sammelbezeichnung für negativ bewertete Gegenwaitstendenzen. Gegenüber der philiströsen Tagesordnung reklamiert der Nicht-Philister für sich und andere als bessere Weltordnung und besseres Dasein: alles das, was der Philister nicht ist. Dem Schlagwort .Philister' eignet die Suggestion, im Zuge seiner Anwendung eine zutreffende Gesellschaftsdiagnose abzugeben. Da im Zeichen von ,Philister' immer die anderen es sind, die dem Desideratum modemer Existenz nicht genügen, zieht allerdings auch das auserwählte Dasein den kritischen Blick auf sich. So fallt auf, daß sich der NichtPhilister gegen den Philister grundsätzlich ex negativo definiert. Eine positive Selbstidentifizierung geht diesem Typus ab. Wenn man, was zweifellos zutreffend ist, in der Forschung vom „romantischen Menschen" spricht, dessen „genereller Gegentyp" eben der Philister ist,76 dann begibt man sich der Möglichkeit der Erkenntnis, daß in der Philisterkritik das Moment der Fremdorientierung das der Orientierung am Selbst dominiert. Symptomatisch dafür ist Clemens Brentanos Satire Der Philister vor, in und nach der Geschichte (1811). Darin belebt Brentano den Begriff Philister etymologisch: Philister also wurden alle genannt, die keine Studenten waren, und nehmen wir das Wort Student im weiteren Sinne eines Studierenden, eines Erkenntnisbegierigen, eines Menschen, der das Haus seines Lebens noch nicht wie eine Schnecke, welche die wahren Hausphilister sind, zugeklebt, eines Menschen, der in der Erforschung des Ewigen, der Wissenschaft oder Gottes, begriffen, der alle Strahlen des Lichts in seiner Seele freudig spiegeln läßt, eines Anbetenden der Idee, so stehen die Philister ihm gegenüber^ und alle sind Philister, welche keine Studenten in diesem weitem Sinne des Wortes sind.

Neben der Bedeutung Philister = alter Herr/ein bereits im Berufsleben stehender ehemaliger Student aktualisiert Brentano auch einen diesem alten Sprachgebrauch vorangehenden Gebrauch, wenn er in der fünften der dem Text vorangestellten Devisen proklamiert: „Juden und Philister sind entgegengesetzte Pole [...]." Im 17. Jahrhundert wurde das Wort .Philister' aus ,Philistini' entlehnt, dem Namen eines nichtsemitischen Volkes, welches das ,auserwählte Volk' der Israeliten bekämpfte. Von daher eignet diesem Wort, mit dessen Hilfe auserwähltes Bewußtsein reklamiert wird, Schimpfwortcharakter. ,Philistini' sind immer die anderen, von denen man sich als erweitertes Bewußtsein positiv absetzen möchte. „Alle sind Philister, welche keine Studenten in diesem weitern Sinne des Wortes sind", lautet die strukturelle Umkehrung einer Definition des eigenen Selbst, das sein Selbstverständnis lediglich aus dem, was es nicht sein will, ableitet. Brentanos resolute Definition des Studenten ist nicht, wie man meinen 76

Karl-Ludwig Schneider: Künstlerliebe und Philistertum im Werk E.T.A. Hoffmanns. In: Die deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Hg. v. Hans Steffen. Göttingen 1978, S. 200.

77

Clemens Brentano: Der Philister vor, in und nach der Geschichte. In: Werke. Bd. 2. München 3 1980, S. 959-1014; hier S 983f.

70

könnte, eine, die auf einem positiven Selbstverständnis gründet. Vielmehr bezieht die Studenten-Defhition ihrerseits sich aus einem Affekt gegen die Normalität, welcher ihr vorgängig ist. Wenig spater in seiner Satire gibt Brentano sogar den Begriff,Student' ganz auf und bestimmt beiläufig: „Student (heißt hier nur Nichtphilister)".78 Das studentische Selbstverständnis ist, wie die oben zitierte, mit „Philister" einsetzende Textstelle exemplarisch zeigt, die Ableitung der Ableitung und offenbart als eine solche den gedanklichen Zirkelschluß, in welchen Brentano befangen ist und der ihn von sich selbst absehen läßt. Clemens Brentanos Schwester Bettina wird zwar auch nicht müde, das Wort Philister einzusetzen. Doch trägt sie diese Kritik nicht isoliert im Rahmen einer speziellen Philister-Abhandlung vor.79 Das Wort Philister fallt bei ihr im Kontext einer umfassenden Selbsterfahrung, von der beispielsweise ihr Briefroman Die Günderode (1840) Zeugnis gibt. Für diesen ist die Unterscheidung zwischen Wissen-Haben und Wissend-Sein konstitutiv, wovon die dem Buch vorangestellte Widmung an die Studenten Zeugnis gibt:80 Ihr die mit Trug noch nicht nach nichtiger Hoflhung jagtet! - Wenn der Philister Torengeschlecht den Stab Euch bricht, so gedenket Musensöhne!, daß ihre Läimtrommel, des leuchtenden Pythiers Geist nicht betäubt; keine Lüge haftet an ihm, keine Tat, kein Gedanke! Er ist wissend! - und lenkt, daß unberührt von des Gesetzes Zwang, schnellen feurigen Wachstums, das Göttliche eiblühe und in der Zeiten Wechsel, ein milder Gestini schützend 81 über Euch hinleuchte.

Dem Pythier Apollo geht die Haben-Mentalität der Philister ab, die - bildungsbeflissen - Wissen als Besitz anhäufen. Wissen ist bei Apollo eine Seinsweise, die ihn intuitiv, zügig, sicher und lautlos - im Unterschied zum .lärmenden' Philistertum - das Wesentliche zum Vorschein bringen läßt, „das Göttliche". Das Wissen ist Apollo wesentlich, nichts ist angelernt, alles anverwandelt. Daß dem bei Bettina von Arnim so ist, dafür sorgt die Tatsache, daß Apollos vollkommene Gegenwärtigkeit nicht nur proklamiert wird, sondern als eine solche zum Ausdruck kommt: Der griechische Gott der Dichtkunst, Apollo, wird als ein solcher nicht benannt, sondern in seiner Seinsweise als „Pythier" evoziert, als deijenige, der von seiner Tat des Erschlagens des Drachen Python derart

78

79

80

Ebenda S. 984. Sabine Schormann: Bettine von Arnim. Die Bedeutung Schleiermachers für ihr Leben und Werk. Tübingen 1993 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; Bd. 66) versucht, Bettina von Arnims Philisterkritik, wie sie in den Briefromanen zum Ausdruck kommt, auf der Folie von Schleiermacher zu lesen und sie so der zeittypischen Philisterkritik zu subsumieren. Ihre Ergebnisse fallen hier nicht ins Gewicht, da Schormann, philosophisch·,systemsüchtig', den literarischen Eigenwert der Texte unterschlägt, Sätze aus ihrem Kontext herausreißt und so zu nicht haltbaren Schlußfolgerungen kommt.

Bettina von Arnim: Die Günderode (1840). In dies: Werke und Briefe in 3 Bänden. Hg. v. Walter Schmitz u. Sibylle von Steinsdorffi Bd.l. Frankfurt a.M. 1986, S. 297f 81 Zur Unterscheidung zwischen Wissend-Sein und Wissen-Haben siehe ebenda S. 626-628.

71 durchdrungen ist, daß sie ihn charakterisiert und er als „Pythier" wesentlich aufgerufen ist. Bei Bettina ist das lateinische ,studere' im Sinne eines das Selbst entfaltenden Strebens am Werk - für Clemens bleibt die Orientierung an festen Größen wie ,,Ewige[s]", „Wissenschaft", ,,Gott[..]", „Idee" und die kontemplativgeborgene Haltung der „[Anbetung]" ftlr das Studium der Dinge konstitutiv. In Clemens' Studium offenbart sich dieses, wie seine Philisterabhandlung zeigt, als Selbstbehauptung - bei Bettina wird Studieren als Selbsterfahrung sinnfällig - und beide Einstellungen zur menschlichen Entfaltung schließen sich in dem Maße gegenseitig aus, wie die Geschwister in puncto Bildung ständig kollidieren. Clemens erweist sich dann insbesondere als Philister, z.B. wenn er die .formlose' Schwester seinen und der Freunde, Friedrich Karl von Savigny und Karoline von Günderrode, Vorstellungen entsprechend formen will und Bettina zu diesem Zweck hin und wieder einsperrt.82 Bettina von Arnims Wissend-Sein ist eine individuelle Ausnahme aus der zeittypischen Philisterkritik, die lediglich prätendiert, ein größeres, umsichtigeres Wissen zu haben und daraufhin eine zum Feindbild zusammengenommene soziale Umgebung beschimpft. Ein Schimpfwort zur Behauptung auserwählten Seins einsetzend bleibt der Typus Nicht-Philister die überzeugende Konkretisation desselben schuldig. Wurde Identität im Kontext der aufklärerischen und empfindsamen Kritik an Verstellungskunst und Verstellung moralisch als beständiger Charakter verstanden, so im Kontext der romantischen Unmutsäußerungen an der Normalität als soziologische Größe, die sich durch Ganzheitlichkeit auszeichne, eine Ganzheitlichkeit allerdings, die aufgrund des für die Philisterkritik konstitutiven Dualismus' von Individuum und Gesellschaft, Gefühl und Leistung, Nicht-Philister und Philister nichts mit einer Integration von Divergentem zu tun hat. Auch wenn die Philisterkritik mit ihrem Ansturm auf ,die unterdrückerische Gesellschaft' hierarchisch geprägte Verhältnisse perpetuiert und sogar, insofern sie sich an dem Halt gebenden Dualismus von Philistern und Nicht-Philistern hemmungs- und besinnungslos austoben kann, eine desintegrative Nützlichkeitsmentalität an den Tag legt, die der desintegrativen Leistimgsversessenheit der inkriminierten Philister in nichts nachsteht, so zeichnet sich doch im Verhältnis zur hofkritisch programmierten Empfindsamkeit ein leicht erweitertes Problembewußtsein ab. Mit dem Projekt des ganzen Menschen scheint zumindest auf, daß Individualität nicht ein sich mit zunehmender sozialer Mobilität ergebender Zustand ist, sondern eine problematische Größe im Kontext ausdifferenziert-komplexer Verhältnisse. Indem sie sie heftig problematisieren, offenbaren die Philisterkritiker ihre eigene Betroffenheit: Ganzheitlichkeit ist nicht nur das Problem von Leistungsmenschen, sondern ebenso das von Gefühlsmenschen, die beide in einer manichäischen Abgrenzbewegung für sich jeweils die 82

Vgl. ebenda S. 570.

72 ideale Position behaupten. In dem Maße, in dem die Philisterkritiker Ganzheitlichkeit zwar als Aufgabe begreifen und nicht als bereits erreichten Zustand, erfassen sie das soziale Problem richtig und birgt ihre Verweigerungshaltung also einen Erkenntniszuwachs. Sie bringen sich aber um erhellendes Potential, wenn sie meinen, sich über die Diffamierung der anderen definieren zu können. In dem Maße, in dem sie ein holzschnittartiges Bild eines Philistertums produziert und propagiert, erweist sich Philisterkritik als vom Prinzip der Hemmung und Stagnation geprägt. .Bewegung' ist zwar eines der philisterkritischen Schlagworte, eines aber, das von keiner Praxis gedeckt wird. Goethes anläßlich des brüderliche[n] Andenkens Wielands (1813) vorgetragene Unmutsäußerungen über die zeitgenössischen Zustände mag mit ihren Adjektiven die wenig progressive Tendenz der Philisterkritik, die den homo politicus als Karikatur des homo aulicus in der Skizze des homo philisticus dupliziert, im Sinne einer deklamatorischen Bestandsaufnahme noch einmal bündig festhalten: [...] stockende Pendamene, kleinstädtisches Wesen, kümmerliche äußere Sitte, beschränkte Kritik, falsche Sprödigkeit, platte Behaglichkeit, anmaßliche Würde, und wie diese Ungeister, deren Name Legion ist, nur alle zu bezeichnen sein mögen.

Indem Ganzheitlichkeit in der typischen Philisterkritik der Zeit um 1800 festgeschrieben wird, begibt sich das Subjekt der Arbeit am Selbst und endet in der moralischen Sackgasse, dort also, wo die Hofkritik immer schon war und wo auch der Leistungsmensch ist: bei der - gemessen an Ganzheitlichkeit als einer Aufgabe - unproduktiven Kritik unproduktiver Sitten, die sich bis in die Neoromantik unserer Tage hinein fortsetzt. In der romantischen Zeit formieren sich Strukturen und Problemzusammenhänge, die für das gegenwärtige Bewußtsein noch konstitutiv sind. Daß in den kulturkritischen und alternativ- oder gegenkulturellen Strömungen der Gegenwart in den westlichen Gesellschaften romantische Kulturideale wieder aufleben, ist mittlerweile ein „Gemeinplatz in der akademischen und öffentlichen Diskussion".84 Heute geläufige Stichworte dieses als ,Rousseauismus' bezeichneten Phänomens sind, der Zeitschrift Literaturwissenschaft und Linguistik zufolge, die diesem Thema 1986 eigens ein Heft gewidmet hat, ,Identität' und Körperlichkeit'.85 War der explizite Rousseauismus der Rousseau-Zeit, als 83

84

85

J.W. v. Goethe: Zu brüderlichem Andenken Wielands (1813). In: Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie v. Sachsen-Weimar. 143 Bde. Weimar 1887-1919. Bd. 36. Weimar 1893, S. 311-346; hier S. 322. Johannes Weiß: Wiederverzauberung der Welt? Bemerkungen zur Wiederkehr der Romantik in der gegenwärtigen Kulturkritik. In: Kultur und Gesellschaft. Festschrift fur René König zum 80. Geburtstag. Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 28 (1986), 27. Sonderheft. Opladen 1986, S. 286-301. Helmut Kreuzer: Einleitung. In: Zeitschrift fur Literaturwissenschaft und Linguistik. 63 (1986), S. 7-9; hier S. 7.

73 welche Ursula Link-Heer die Zeit der Spätaufklärung, der französischen Revolution und der Romantik zusammengefaßt wissen will,86 ein Massenphänomen, von dem sowohl die Eliten als auch das plebejische Volk und selbst das analphabetische Publikum ergriffen wurde,87 so erlischt diese Offenheit des Rousseauismus für alle Stände im 19. Jahrhundert in dem Maße, wie er Konkurrenz bekommt von dessen beiden großen ,Ismen' Liberalismus und Sozialismus. Seither ist das Phänomen einer ,spontanen' und sporadischen ,ewigen Wiederkehr' Rousseauscher Gesten in kleinbürgerlich-intellektuellen Sondergruppen zu konstatieren: Von den Lebensreformbewegungen der Jahrhundertwende und der Anthroposophie bis zu heutigen „grün-alternativen" Gruppierungen reichen jene ,Rousseauismen ohne Rousseau', deren fundamentale Strukturidentität mit Denk- und Lebensformen des Citoyen de Genève verblüffend ist.88

Der sogenannte ,Rousseauismus ohne Rousseau' ist ebenso plakativ wie der Rousseauismus der Rousseau-Zeit und die Konzeption seines Urhebers. Rousseaus Schematismus zeichnet selbst dafür verantwortlich, daß sein Werk auf einschlägige Thesen und plane Programme reduziert worden ist, obgleich er nicht nur den Willen zur Einfalt und das Begehren nach unverstellten Verhältnissesn artikuliert, sondern darüber hinaus auch, welche Paradoxien und vitiösen Zirkel dieser Artikulation selbst inhärent sind.89

Ein wesentlicher Zug des Rousseauismus ist es, die ständische wie die moderne Arbeitsteilung als Symptom einer depravierten Gesellschaft abzulehnen, gegen die eine Position absoluter Ganzheitlichkeit, Aufrichtigkeit und Initimität geltend gemacht wird.90 Aus der Ablehnung von Differenzierung an sich ergibt sich der Charakter rousseauscher Authentizität: hier geht es grundsätzlich nicht um Integration von Differentem, sondern um dessen Abschaffung zugunsten der totalisierenden Propaganda einer als richtig erachteten singulären Position. Der totalisierenden Haltung entspricht eine reduktionistische Vereinnahmung komplexer Welt nach Maßgabe bestimmter Dualismen. Rousseausches Denken operiert mit einfachen Differenzierungen, macht sich an dualen Bezügen fest und erweist sich so als ebenso konservativ wie die von ihm als depraviert inkriminierte Gesellschaft'. Rousseauismus beziehungsweise Philisterkritik und Antirousseauismus beziehungsweise Philistertum sind von hier aus nicht auseinanderzuhalten.

86

Ursula Link-Heer: Facetten des Rousseauismus. Mit einer Auswahlbibliographie zu seiner Geschichte. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 63 (1986), S. 127163; hier S. 132.

87

Ebenda S. 129.

88

Ebenda S. 151.

QQ

90

Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 209. Link-Heer: Facetten des Rousseauismus. 1986, S. 147.

74 Nach Rousseauschem Verständnis ist ,die Gesellschaft' oberflächlich, das Subjekt aber eigentlich zu intimer Tiefe fähig. Deshalb soll das Tiefensubjekt mit sprachlicher Macht an die Oberfläche befördert werden, „die größtmögliche Intimität an die größtmögliche Öffentlichkeit" gelangen.91 Der Dualismus .private Tiefe' und öffentliche Oberfläche' korrespondiert mit einer weiteren Differenzierung', die Rousseaus totalitäres Programm explizit anerkennt: die FunktionsdifFerenzierung zwischen ,Frau' und ,Mann',92 anhand derer Rousseau den gerade problematisch gewordenen Dualismus Gefühl und Verstand lediglich afïraniert. Mit der Publikation des Emile (1762), der in Deutschland mehr als anderswo eingeschlagen hat, ergeht ein Appell zur Ganzheit, der keine individuelle Integrationsleistung betrifft, sondern eine subtil desintegrative Totalisierung im Sinne einer Verabsolutierung einer als privilegiert angenommenen singulären männlichen Position. In einer Passage im fünften Buch des Emile erörtert Rousseau die Voraussetzungen einer glücklichen Ehe: So muß sich die ganze Erziehung der Frauen im Hinblick auf die Männer vollziehen. Ihnen gefallen, ihnen nützlich sein, sich von ihnen lieben und achten lassen, sie großziehen, solange sie jung sind, als Männer fur sie sorgen, sie beraten, sie trösten, ihnen ein angenehmes und süßes Dasein bereiten: das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, das ist es, was man sie von Kindheit an lehren muß.93

Rousseaus ,ganzheitliches' Eiziehungskonzept macht bei den weiblichen Schützlingen Halt. Gegenüber Entfaltungs- und Bildungsbestrebungen von Frauen erzeigt sich Rousseau verständnislos: Ein Schöngeist ist eine Geißel fur ihren Mann, ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Diener, für alle Welt. Von der Höhe ihres Genies aus verachtet sie alle ihre fraulichen Pflichten und 94 denkt nur daran, ein Mann nach der Art des Fräulein de Lenclos zu werden.

Emile landet trotz einer alternativen sensualistischen Erziehung - nächtliche Spiele, in denen haptisches und akustisches Orientierungsvermögen trainiert werden, sind ein fester Bestandteil des an Emile erprobten pädagogischen Konzepts; sie sollen dem Zögling seine Angst vor der Dunkelheit nehmen und seine Autonomie gegenüber der Gesellschaft stärken - in der dividuell und arbeitsteilig (!) konzipierten Ehe. Nicht nur literarisch, auch empirisch zeigt sich Rous91

92

93 94

Ebenda S. 150. Zum Konservatismus Rousseaus, wie er in dessen seit 1764 geführter Korrespondenz mit einer Pariserin namens Henriette auf unmißverständliche Weise zum Ausdruck kommt, siehe im folgenden sowie Claudia Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menchen und das Weib. 1750-1850 (1991). München 1996, S. 19-28. Siehe auch Christa Bürger: „Ich bin, weiß nicht warum". Henriettes Fragen an Rousseau. In dies.: „Diese Hoflhung, eines Tages nicht mehr allein zu denken". Lebensentwürfe von Frauen aus vier Jahrhunderten. Mit digitalen Fotoarbeiten von Renate Paulsen. Stuttgart 1996, S. 88-105. Jean Jacques Rousseau: Emile (1762). Stuttgart 1963, S. 795. Ebenda S. 798.

75 seau gegenüber Bildungsbestrebungen von Frauen verständnislos. Eine unbekannte Pariserin, Pseudonym Henriette, nimmt an der eben zitierten Passage des Emile Anstoß und wendet sich 1764 brieflich an Rousseau daselbst. In der sich fortan entwickelnden, kultursoziologisch bedeutungsvollen Korrespondenz zwischen Rousseau und seiner aufmerksamen Leserin werden die denkerischen Fußangeln des Rousseauschen Konzepts offensichtlich: Henriette, durch Verlust der Eltern und des Vermögens zur Paria gestempelt und dazu genötigt, auf die Ehe zu verzichten, fragt: ,Kann eine Frau auch außerhalb der Ehe ein sinnerfulltes Leben fuhren?' Sie habe sich, um ihre verzweifelte Geistesart zu wandeln und in der Selbsterkenntnis weiterzukommen, dem Studium schöngeistiger Literatur zugewendet und möchte nun wissen, was Rousseau davon hält. Dieser antwortet knapp: Sie habe keine andere Wahl, solle in ihrer literarischen Laufbahn fortfahren. Gegen das Gefühl, gesellschaftlich desintegriert zu sein, empfiehlt Rousseau Einsamkeit und Eigenliebe als Heilmittel. Aber Henriette will es nicht in den Kopf, daß das Glück im Rousseauschen Solipsismus zu finden sei. Diese Lösung erscheint ihr, die sich in Auseinandersetzung mit der menschlichen Umwelt entfalten will, allzu quietistisch... Die zu einem Rousseauismus oder auch neoromantischen Syndrom verdichteten rousseauschen oder romantischen Stichworte, welche sich die sogenannten Altemativbewegungen auf ihre Fahnen schreiben, lauten: Zivilisations-, Rationalitäts- und Fortschrittskritik, Wendung zum Subjekt, zur singulär-solitären Gemeinschaft, zur Natur, esoterischer Mythologie und Religion und zur Ästhetik.95 Mit der alternativen Grundeinstellung bestimmter Bewegungen, welche aus eigenem Antrieb, ohne Organisation durch staatliche Institutionen, die Formen des Alltagslebens - insbesondere die Familie und die Berufsarbeit - unmittelbar und grundlegend zu ändern versuchen [und] zugleich die Änderung der eigenen Lebenspraxis vorantreiben [wollen],96

ist eine Demokratisierung der historischen Romantikfoimation verbunden. Dies allerdings vorwiegend in quantitativer, weniger in qualitativer Hinsicht. Zwar gebärdet sich die zeitgenössische neoromantische Kritik im Unterschied zur romantischen Kritik an einer pauschalen „normativefn] Gesinnung"97 reflexiv, erkennt begriffliche, normative und symbolische Selbstverständlichkeiten als Konstrukte; sie macht aber vor der kritischen Selbstbefragung in dem Maße Halt, in dem sie die Forderung nach ihrer Neukonstruktion erhebt und damit einzulösen schuldig bleibt, was sie anderen abverlangt. Der Selbstverantwortung enthoben, begibt man sich in schwindelnde Höhen der scheinbar selbstbe-

95

Cornelia Klinger: Romantik und neue soziale Bewegungen. In: Athenäum. Jahrbuch fur Romantik 3 (1993), S. 223-244.

96

97

Christoph Conti: Abschied vom Bürgertum. Alternative Bewegungen in Deutschland von 1890 bis heute. Reinbek 1984, S. 7; vgl. auch S. 163f. Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. 1972, S. 512.

76 wußt-subjektiven Kritik, wie das Beispiel der neoromantischen Rede von einer subjektiv-weiblichen Authentizität zeigt.98 Der impliziten Restmetaphysik, die hier am Werk ist, eignet der Entzug einer Grundlage in der eigenen Physis, wo die vielfältigen Aspekte moderner Weltzusammenhänge nicht bewußtseinsmäßig integriert worden sind. Die Alternativbewegungen sind radikal, aber nicht radikal genug. In ihnen gerät die Sehnsucht nach Individualität zur Sucht mit sich identisch zu sein." Sehn-süchtig nach Individualität, tyrannisieren die Dividuen die Umwelt mit dem Pathos der Intimität.100 Daß Richard Sennett, mit dessen Buch Verfall und Ende des öffentlichen Lebens (engl. 1974; dt. 1983) die Rede von der Tyrannei der Intimität in kulturkritischen Kreisen im Laufe der achtziger Jahre Konjunktur bekam, Intimität an sich als tyrannisch empfindet, ist allerdings sein persönliches Problem und hat nichts mit einer zutreffenden Diagnose modemer Problemzusammenhänge zu tun. Im Gegenteil: Sein Buch selbst ist Symptom moderner Bewußtseinsspaltung. Von den inkriminierten Gefühlskulten unterscheidet sich Sennetts Öffentlichkeitskult nicht prinzipiell, sondern nur graduell: während jene regressiv-progressiv daherkommen, erscheint Sennetts soziologische Kultivierung der öffentlichen Sphäre regressiv-restaurativ. Regressiv sind beide in dem Maße, in dem sie differenzierte Problemzusammenhänge auf den Dualismus von Intimität und Öffentlichkeit, Nähe und Distanz, Gefühl und Verstand, Weiblichkeit und Männlichkeit, und wie die Duplikate noch lauten mögen, reduzieren und so an einer unverrückbaren Ordnung festhalten. Sennetts Buch avancierte in den achtziger und neunziger Jahren zur Bibel kulturkritisch inspirierter Intellektueller: Karl Heinz Bohrer baut seine Untersuchung zum romantischen Brief (1987) auf der Diagnose des Verfalls symbolischer Formen auf, der durch das „Authentizitätssyndrom" bewirkt worden sei;101 Ursula Geitner greift 1988 dankbar auf Sennett zurück, weil er die Maskenhaftigkeit von Intimität durchschaut habe, was ihr für ihre Studie der ständisch konzipierten weiblichen Schauspielerei zuträglich ist;102 Nikolaus Wegmann beruft sich 1988 dankbar auf Sennett im Zuge seiner ,,diskursanalytische[n] Destruktion" der Empfindsamkeit;103 Helmuth Lethen stützt sich 1994 im Zuge seiner Konzeptionalisierung von Authentizität als das ,absolut Andere', deren 98 99

Siehe Kapitel II. 2 dieser Arbeit. Erik Grawert-May: Die Sucht mit sich identisch zu sein. Berlin 1992.

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Vgl. Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Initimität (1983; engl. The Fall of Public Man (1974). Frankfurt a.M. 1996. Karl Heinz Bohrer: Der romantische Brief. Die Enstehung ästhetischer Subjektivität. München, Wien 1987, S. 12. Ursula Geitner: Die Frau als Schauspielerin. Auskünfte einer Metapher. In: Schauspielerinnen. Der theatralische Eintritt der Frau in die Moderne. Hg., kommentiert u. mit einem Nachwort von Ursula Geitner, mit Collagen von Britta Findeisen u. verlegt bei Cordula Haux. Bielefeld 1988, S. 252-258. Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988, S. 130f.

77 empirische Wahrscheinlichkeit er gleichzeitig kategorisch anzweifelt, weshalb er nur noch ironisch mit dem Phänomen verfahren kann, auf Sennett ab und ist 1996 im Zuge seines Plädoyers für eine Kultur der Distanz mit Sennett ungeteilter Meinung; und Gerhard Plumpe, der in Abgrenzung von einer therapeutisch verfahrenden Literaturwissenschaft kein Mitleid mit Werther haben will und den Roman affirmativ-unproblematisch auf dessen Leitdifferenz Individuum-Gesellschaft hin liest, freut sich 1997,104 daß Sennett 1983 soziologisch formuliert, was die Literatur um 1800 auch schon vorgeführt hat. Wenn mit Hilfe des Dualismus Initimität versus Gesellschaft soziologische Daten des Zeitraums zwischen 1770 und heute durchkonjungiert werden, entsteht in den Wissenschaften eine Welt einfacher, dualer Bezüge. Damit vermag man kaum dem soziologischen Datum der Ausdifferenzierung Rechnung zu tragen. Die Praxis der plakatierenden Sichtweise kann ihrerseits ausdifferenziert werden, wenn man zwischen Intimität als einem Potential und einem tyrannisierenden, durch Programmatik zur Geltung gebrachten Intimitäts/wfAos unterscheidet. Der Unterschied in den Erkenntnissen, die sich von hier aus ergeben, läßt sich gut an einer Diskussion von Plumpes Werther-Inteipretation veranschaulichen: Plumpe, in Goethes Werther (1774) „ein vollständiges Lexikon der poetischen Individualitätssemantik" sehend, präsentiert als dessen Inventar folgende Ingredienzen: Kunst und Wahnsinn, Exzentrik aller Art, passionierte Liebe, ein ästhetisch inszenierter Tod, ekstatisches NaturgefÜhl, sehnsüchtige Religiosität, Mythos und Vorzeit, delirierende Rede, die Geste des Verstummens und die Prämierung des Ungesagten [...].

Einen positiven Individualitätsbegriff im Sinne von subjektiver Autonomie veranschlagend, demzufolge er Werther als „hochdramatisierte" „poetische Inszenierung der im 18. Jahrhundert mentalitätsprägenden Differenz von Individualität und Gesellschaft" ausbuchstabiert,106 sieht Plumpe hier „die Utopie einer gesellschaftsjenseitigen Kommunikation exzentrischer Individualität" am Werk, an welcher Weither noch im Tod festhält und die so recht eigentlich als Utopie sinnfällig gemacht wird.107 Den Selbstmord Werthers erklärt Plumpe mit Hilfe der Systemtheorie, derzufolge - ganz plakativ - sich in der Moderne die Diskurse ausdifferenzieren: Eine Tat wie die Werthers mag religiös als verwerflich, moralisch als inakzeptabel, politisch als nicht wünschenswert und in medizinischer Hinsicht als pathologisch beurteilt wer-

104

105 106 107

Gerhard Plumpe: Kein Mitleid mit Werther. In: Systemtheorie und Hermeneutik. Hg. v. Henk de Berg und Matthias Prangel. Tübingen, Basel 1997, S. 215-232. Ebenda S. 226f. Ebenda S. 225f. Ebenda S. 227.

78 den - , solche Kriterien verlieren ihren Sinn, wenn es um die Bewertung eines Kunstwerks geht, das sich von keiner außerliterarischen Norm einschränken lassen muB.108

Vor dem Hintergrund systemtheoretischer Ausdifferenzierung wird Goethes Werther als eklatanter, in die Zukunft reibungslos nebeneinander herlaufender Kommunikationen weisender Tabubruch verstanden, der von den Zeitgenossen wie auch von der therapeutischen Literaturwissenschaft, die in Plumpes Perspektive vormodern-entdifferenzierend verfährt, nicht verstanden worden sei und nicht verstanden werde. Goethe sei es um „die exzentrische, böse oder maßlose Individualität ebenso wie die moralisch uninteressierte Inszenierung des Sozialen" zu tun gewesen.109 In dem Maße, in dem Plumpe Werther schematisch-besinnungslos auf die systemtheoretische Folie bezieht, die Niklas Luhmann ausgegeben hat, fallt ihm ein signifikanter Widerspruch in seinen Ausführungen nicht auf: Plumpe zufolge zeigt der Selbstmord Werthers auf, daß das romantische, sich aus dem Widerspruch zum dämonisierten Gegenüber .Gesellschaft' herleitende Autonomiekonzept „ein Fehlstart gewesen" ist, weil es Individualität eben nur außerhalb der Gesellschaft gelten läßt und so konsequent auf die Unmöglichkeit sozialer Kommunikation hinausläuft;110 aber gerade die wertende Rede von einem „Fehlstart" macht doch offenbar, daß literarische und moralische Kommunikation in der Praxis nicht so klar voneinander zu trennen sind, wie die Theorie dies vorgibt. In dem Maße, wie auch die kühl sektorierende Systemtheorie von moralischen Implikationen nicht frei ist, wird Plumpes Verdikt, mit dem er die sich entrüstende zeitgenössische und heutige Rezeption des Textes als unzeitgemäß-vormodern belegt, hinfallig. Zu fragen bleibt: Was ist Werthers Problem? Was wäre denn, um Plumpes moralische Rede von einem .Fehlstart' aufzugreifen, Werthers sowie der Menschen seiner Zeit richtiger Start in die Autonomie gewesen? Begreift man im Unterschied zu Plumpe Individualität und Autonomie nicht als ein factum brutum, sondern als Herausforderung an das Integrations vermögen des Menschen, welches seit der romantischen Zeit problematisch geworden ist, dann ergibt sich eine differenzierte Lesart von Werther, insbesondere von dessen Selbstmord: Rückt man im Bewußtsein systemtheoretisch säuberlich getrennter Sektionen nun die Beziehung zwischen den Sektionen in den Fokus der Aufmerksamkeit, dann wird Werthers Verhalten als regressives Festhalten an festen Ordnungen sinnfällig. Eine davon ist die Ordnung der Liebe. Werther reklamiert für sich das Recht, geliebt zu werden, und zwar von genau der Frau, die er für sich auserkoren hat. Lottes Kontext, die Tatsache, daß sie verlobt und mit ihrer Verbindung zu Albrecht zufrieden ist, vermag Werther nicht in sein

108

Ebenda S. 229.

109

Ebenda S. 230. Plumpe: Epochen modemer Literatur. 1995, S. 84.

110

79 Bewußtsein zu integrieren. Lieber stirbt er einen heroischen Tod, der in dem Maße zum Vorwurf an Lotte gerät, als er dafür die Kleidung anlegt, die er auf dem Ball, wo er die Frau seines Lebens und Sterbens kennenlernte, getragen hat. Daß Werther auf ordentliche Verhältnisse aus ist, zeigt sich auch darin, daß er sich affektiv weniger auf Lotte als auf Albrecht bezieht, den er als Philister verschmäht. In Goethes Werther geht es weniger um unglückliche Liebe als um Liebe als Instrument von Macht, der, dualistischem ordo-Denken entsprechend, die Ohnmacht von einem der Partner wesentlich zugehört. Macht und Ohnmacht koinzidieren denn auch auf symptomatische Weise in Werther selbst, wenn er Hand an sich legt, weil er sie nicht an Lotte legen darf. Scharf formuliert: Weil sich Lotte gegenüber der von Werther ausgehenden Liebesgewalt als resistent erweist, tut dieser sie sich selber an. Am Beispiel Werthers lassen sich zwei Aspekte von Authentizität differenzieren: Werther aktualisiert Authentizität nicht in der Bedeutung von Ganzheitlichkeit, die er für seine poetisch ausgerichtete Existenz beansprucht, sondern in der ursprünglich griechischen Bedeutung von authentéo, auf die Lionel Trilling in seinem Buch Sincerity and Authenticity (1972) hingewiesen hat: ,die volle Gewalt über jemanden haben', auch ,einen Mord begehen'. Authéntes·. nicht nur ein Meister und Macher, sondern auch ein Gewalttäter, ein Mörder, sogar: Selbstmörder und Selbstmord. Diese alten und vergessenen Bedeutungen haben mit dem Wesen und der Intention der Kunst jener Periode zu tun, die wir die moderne nennen.

Mit der Aktualisierung von Authentizität in der Bedeutung von ,Selbstmörder' hat Werther das tyrannische Moment von Gefühlsprogrammatik literarisch und repräsentativ für das moderne desintegrative Bewußtsein festgehalten. Der Werther-Brìeùoman setzt Autonomie nicht als positive Größe, sondern desavouiert geradezu deren potentiell positiven Status. Die Tatsache, daß das Gegenüber mit allen Insignien der Bedrohung ausgestattet wird, ist symptomatisch für die subjektive Tyrannis, die sich erbarmungslos an einem in Dualismen befangenen Entweder-Oder-Denken Körper und Seele wundstößt und die Umwelt in Mitleidenschaft zieht. „Die Selbstbeobachtung der Person", in welche, so Plumpe, die moderne Leitdifferenz von Individualität und Gesellschaft prägend eingehe112 - diese Differenz ist das einzige, was im Zuge von Plumpes systemtheoretischen Vermessungen der literarischen Landschaft überzeugend autonom ist - , läßt zu wünschen übrig. Geht man mit Cornelia Klinger davon aus, daß sich der romantische Kult in der Neoromantik unserer Tage quantitativ besehen demokratisiert hat, so zeichnet sich nunmehr auch ein qualitativer Aspekt dieser Demokratisierung romantischer Motivzusammenhänge ab: Gegenüber der .Sprache der Herzen' und der

111

Trilling: Das Ende der Aufrichtigkeit. 1983, S. 124.

112

Plumpe: Kein Mitleid mit Werther. 1997, S. 226.

80 ihr korrespondierenden ,Rührung' erweist sich das neoromantische Komplement ,subjektive Authentizität' und ,Betroffenheit' als ungleich aggressiver. Endet dort die externe Attribuierung, im Zuge derer der moderne Mensch alles das im anderen sieht, was er bei sich selbst nicht sinnvoll einzuordnen vermag, im regressiv-restaurativen Autismus, so hier im regressiv-progressiven Angriff. Deshalb bleibt auch die Antwort der inkriminierten Gegenseite nicht aus, die sich zu Recht vom Pathos des aktuellen Authentizitätskultes - nicht aber von der Authentizität selber, das wäre allererst ein persönliches und kein kollektives Problem - tyrannisiert fühlen darf. Das Bedürfnis nach Individualität hat offenbar zugenommen, was die Unproduktivität von Gefiihlskulten einmal mehr sinnfällig macht. Der romantischen Wendung zur Ästhetik ähnlich, die die Autonomie des modernen Subjekts in der Kunst installieren wollte,113 wird unter neoromantischen Vorzeichen der Alltag ästhetisiert, was, wie Wolfgang Welsch kritisch bedacht hat, in Form einer zunehmenden Beschallung, der man beim Einkaufen, Fahrstuhlfahren, Essen, Trinken einfach ausgesetzt ist, der Tyrannei einer Vergewaltigung gleichkommt und was also alles andere als ein Segen ist.114 Neoromantisch ist auch die 1974 durch Sauder vorgenommene Nobilitierung von Empfindsamkeit, die bis dahin immer nur als feminine Attitüde oder triviale Literaturmode belächelt worden war, zu einer Epoche und damit zu einem „vollwertigefn] Kultur- und Sozialphänomen".115 Auch wenn Hansens Diagnose von Empfindsamkeit als einer „Gefühlsprogrammatik" richtig ist,116 so sagt er selbst allerdings damit weiter nichts, als daß er gegen Alewyns Verdikt von Empfindsamkeit als einem bloßen Gefühl dieses programmatisch aufwerten möchte, indem er die Absicht und damit den Gedanken im Gefühl ,rettet'. Aufgrund eines Duells von Gefühl und Verstand, das am Gegenstand der Empfindsamkeit ausgetragen wird, wird dieser nicht auf den gesellschaftlichen Hintergrund forcierter Ausdifferenzierung bezogen und damit auch nicht am Maß der entsprechenden Bemühungen um Ausdifferenzierung im Bereich der Gefühle gemessen. So ist es im tieferen Sinne einer Strukturhomologie zutreffend, wenn Hansen sagt, daß „Empfindsamkeit a ls akademische Tochter der neuen Innerlichkeit" aufzufassen ist, die sich seit den siebziger Jahren insbesondere an deutschen Hochschulen fest etabliert hat, wofür Gerhard Sauder mit seiner breit angelegten Empfindsamkeitsstudie den Grundstein gelegt hat.117 Die Empfindsamkeit verhandelnde Literaturwissenschaft ist kein kritischer, den neoromantischen Gefühlskult erhellender Diskurs, sondern dessen Forcierung. 113

Siehe dazu Kapitel III. 2.1 dieser Arbeit.

114

Wolfgang Welsch: Auf dem Weg zu einer Kultur des Hörens? In ders.: Grenzgänge der Ästhetik. Stuttgart 1996, S. 231-259.

115

Hansen: Neue Literatur der Empfindsamkeit. 1990, S. 514. Ebenda. Ebenda.

116 1

81 Neoromantik und Romantik sind so weniger alternativ als das problematische Gegenüber einer zum Gegenüber stilisierten Gesellschaft, die mit allen Insignien der Bedrohung ausgestattet wird. Normales und Alternatives bilden die moderne Konstellation, die das unmoderne, einer restaurativen Gesinnung geschuldete Denken in Dualismen illustriert. Die Rede von der Modernität der Romantik118 ist seit zweieinhalb Jahrzehnten zum Schlagwort avanciert. Da Romantik die Bezeichnung für ein restauratives Denken ist, das immer dann brisant wird, wenn sich Veränderungen des gesellschaftlichen Beziehungsraumes ergeben, die das menschliche Intergrationsvermögen herausfordern, zeigt die .Modernität der Romantik' an, daß sich insbesondere die Struktur der Reduktion einer sich stetig ausdifferenzierenden Welt auf dichotome Holzschnitte gehalten hat. Die Welt auf Dualismen aufteilend werden romantische Schematismen fortgeschrieben, auch und gerade, wenn man sich von diesen kritisch absetzt. Genauso altemativlos wie Romantik und Neoromantik, verhalten sich auch Neoromantik und die Kritik an ihr zueinander. Als neoromantisch erweisen sich nicht nur die sogenannten „Alternativbewegungen", sondern auch deren erklärte Gegner. Die Stagnation, welche das Prinzip des mordernen Bewußtseins zu sein scheint, das weder zurück noch weiter will und so die eigene dynamische Gegenwart verfehlt, belegen Sennett, Wegmann, Koschorke und nicht zuletzt Helmut Lethen, der füir seine Verhaltenslehren der Kälte (1994) nach dem Vorbild des 1943 im Zuchthaus Plötzensee auf seine Hinrichtung wartenden Romanisten Werner Krauss Graciáns Handorakel hervorholt. Lethen besinnt sich, im Affekt auf die empfindsamen, romantischen, um Subjekte Authentizität bemühten Strömungen seiner Zeit befangen, auf die kalte, distanzierte, höfische persona}19 Lethens als Verhaltenslehre der Sachlichkeit120 rehabilitierte militante Lebensführung ist aber alles andere als sachlich. ,JCalt[..]" sein wollend wie die höfische persona, die er für die Literatur der Sachlichkeit reklamiert,121 ist sie ein erhitzter Feldzug gegen die ebenso erhitzten Wärmegewitter in der 118

119

120 121

Zur Modernität der Romantik. Mit Beiträgen von Peter Bulthaup [...]. Hg. v. Dieter Bänsch. Stuttgart 1977 (= Literaturwissenschaft und Sozial Wissenschaften; Bd. 8). Zur Untersuchung des literarischen Nachlebens der Romantik siehe u.a.: Das Nachleben der Romantik in der modernen deutschen Literatur. Die Vorträge des zweiten Kolloquiums in Amherst/Mass. Hg. v. Wolfgang Paulsen. Heidelberg 1969 (= Poesie und Wissenschaft; Bd. 14); Die Aktualität der Frühromantik. Hg. v. Emst Behler und Jochen Hörisch: Paderborn/München/Wien/Zürich 1987; Romantik - eine lebenskräftige Krankheit: ihre literarischen Nachwirkungen in der Moderne. Hg. v. Erika Tunner. Amsterdam/Atlanta 1991 (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik; Bd. 34); Romantik und Ästhetizismus. Festschrift fUr Paul Gerhard Klussmann. Hg. v. Bettina Gruber u. Gerhard Plumpe. Würzburg 1998. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a.M. 1994. Ebenda S. 66. Ebenda S. 68.

82 authentischen Kultlandschaft. Wenn Lethen im Affekt gegen die vom „Kult der Aufrichtigkeit" und von Gesinnungsethik unterlaufene politische Kultur in der Bundesrepublik, deren gesinngsethische Subversion er mit Alexander Mitscherlich auf einen Verfall der väterlichen Ordnung zurückführt,122 auf einem „Recht auf Maske" besteht,123 befindet man sich nur zu offensichtlich mitten im absolutistisch strukturierten Feudalismus. Jetzt ist man nicht mehr nur strukturimmanent, sondern explizit dort, wovon sich die ,Haus- und Hofkritik' des romantischen Zeitraumes weder vor noch nach der Französischen Revolution freizumachen vermochte.

1.3 Natürliches Dem mentalitätsprägenden Dualismus Individuum versus Gesellschaft entsprechend ist nicht nur das Gesellschaftsbild undifferenziert, sondern ist auch das Gegenbild, wie es in den verschiedenen Konzeptionalisierungen von Natürlichkeit vorgetragen wird, pauschal. Allein die Tatsache, daß man der in der Rede von der Natürlichkeit geltend gemachten Natur nicht unvoreingenommen begegnet, sondern bestimmte Vorstellungen von ihr im Sinne einer Natur bestimmter Sachen in Umlauf bringt, bezeugt ein restauratives, an starren und insbesondere hierarchischen Strukturen festhaltendes Denken. Hat Natur in den Natürlichkeitsprogrammen der romantischen Zeit die Funktion, einen unhintergehbaren status quo ante darzustellen, so wird sie gleichzeitig im Sinne verschiedener Interessen zurechtgestutzt. Die idealische Konzeption von Natur ist eine, wenn nicht die Signatur des romantischen Zeitraums. In dem Maße, in dem Natürlichkeit hier immer idealische Natürlichkeit ist, bleibt man hinter einer unvoreingenommenen Erfahrung menschlicher, künstlicher, natürlicher Naturen systematisch zurück. Überlegungen zur Natur der griechischen Kunst, der Frau, des Kindes und des Jugendlichen stehen im Dienste bestimmter Interessen, die allesamt von dem Versuch geprägt sind, im Ideal zu suchen, was man im Konkreten nicht zu leisten gewillt ist: Ganzheitlichkeit. Klassizistische, anthropologisch-geschlechtsspezifische und entwicklungspsychologische Konzeptionalisierungen von Natur, wie sie in der Theorie der Zeit formuliert und in der Literatur sinnfällig geworden sind, werden nun thematisiert und problematisiert. Dabei werden, der verallgemeinernden Tendenz der romantischen diskursiven Formationen gegenläufig, diese immer mehr in ihren authentischen Tiefendimensionen ausgelotet und ausgeleuchtet. Was sich im Hinblick auf das soziologische Datum des Prozesses der Ausdifferenzierung in der Forschung trotz aller detailerhellenden, oftmals von einem dezidierten ideologischen Interesse getragenen Studien insgesamt als undurchschaute Gemengelage präsen122 123

Ebenda S. 269. Ebenda S. 8.

83 tiert, wird im Zuge einer Integration verschiedenster Aspekte dieser Zeit nach und nach auf Voraussetzungen hin freigelegt, die das zentrale Bedürfnis nach Authentizität begründen, und im Hinblick auf literarische Authentizität literaturwissenschaftlich perspektiviert und ausdifferenziert.

1.3.1 Edel-Einfältiges 1674 ist das Stichdatum, an welchem ein neues Phänomen in die ästhetische Diskussion eingebracht wird: In seinem Traité du sublime verknüpft Nicolas Boileau die Idee des Erhabenen mit der des Naiven und bringt diese Liaison unter dem Begriff noble simplicité in Umlauf. Wie das Ideal der Aufrichtigkeit im Rahmen der Hofkritik unter Bezug auf ihm vorgängige Erscheinungen wie simulatio und dissimulatici bestimmt und diskutiert wird, so erweist sich auch das unter den Begriffen simplicité, Naivität, Einfachheit verhandelte „Geschmacksideal" als eine relationale Größe, welche in der einschlägigen Literatur ausschließlich mit ihrem Gegenteil definiert wird.124 Abgesehen davon, daß die noble simplicité als der adligen Sphäre anhangend und damit grundsätzlich kultur- und gesellschaftsaffirmativ konzipiert ist, wird sie selbst als ein indiskutables factum brutum auf den Weg gebracht. In der rhetorischen Orientierung des 17. Jahrhunderts jedenfalls wird die simplicité als Gegensatz zur Metapher als einer auslegungsbedürftigen Rede verstanden, was als mystizistischer Konsens über das Gemeinte bis zur deutschen Diskussion der Edlen Einfalt charakteristisch ist. Im Zeichen von ,edler Einfalt und stiller Größe' findet sich eine Gemeinde zusammen, die ihre speziellen Statuten hat, worunter auch gehört, daß man über das, worüber man nicht sprechen kann, .einfach' schweigt. Der antike Kronzeuge für die neue, 1753 vom jungen Wieland verfaßte und an prominenter Stelle, 1771 in Sulzers Allgemeine[rJ Theorie der schönen

124 Claudia Henn: Simplizität, Naivetät, Einfalt. Studien zur ästhetischen Terminologie tn Frankreich und in Deutschland 1674-1771. Zürich 1994, S. VI u. S. IX. Zur Genealogie des Begriffs ,Edle Einfalt' siehe auch Wolfgang Stammler: „Edle Einfalt". Zur Geschichte eines kunsttheoretischen Topos. In: Worte und Werte. Bruno Markwardt zum 60. Geburtstag. Hg. v. Gustav Erdmann u. Alfons Eichstaedt. Berlin 1961, S. 359-382; sowie Jäger: Naivität. 1975, die Begriff und Konzept der Naivität durch das 18. Jahrhundert hindurch verfolgt. Ihre textnahen Analysen der entsprechenden Schriften von Geliert, Klopstock, Wieland, Mendelssohn und Schiller belegen die utopische Reichweite dieser (Sprach-)Stil wie zwischenmenschlichen Umgang umgreifenden Kategorie. Zur Rekonstruktion der französischen Nalveté-Debatte siehe auch den begriffsgeschichtlichen Vorspann in der Arbeit von Andre Fischer: Inszenierte Naivität. Zur ästhetischen Simulation von Geschichte bei Günter Grass, Albert Drach und Walter Kempowski. München 1992.

84 Künste125

im Artikel ,naiv', publizierte und so im deutschen Sprachraum propa-

gierte Ästhetik des ,Erhabenen Naiven' 1 2 6 ist die Pseudo-Longinische Schrift De sublimitate,

die von Boileau 1674 frei übersetzt und danach viefach neu aufge-

legt wird. Sie wird zur Quelle eines heroischen, aufs Monumentale zielenden Haltungsideals, fur das sich die Ästhetik einsetzt. Über Charles Batteux, der mit seiner Schrift Les Beaux-Arts

réduits à un même principe

( 1 7 4 6 ) zwischen 1750

und 1770 in der deutschen Literaturtheorie die Stelle einnimmt, die Johann Christoph Gottsched zwanzig Jahre zuvor behauptet hatte, wird klassizistische Simplizität und mit ihr ein neues Bild des Erhabenen zum tonangebenden spiritus

rector.

Vorbildstiftend belegt Batteux Homers ,edle Einfalt' mit dem

Prädikat ,naiv'. Demgemäß soll in der großen und klaren Linie, im naiven Ausdruck sich Stärke und Wahrheit geballt und quasi unverhüllt mitteilen: Das Wort soll den Gedanken umgeben, ohngefahr wie eine nasse Leinwand den Leib.

127

Zugrunde liegt der Vergleich mit der weiblichen griechischen Statue, deren bekleidete Nacktheit nach Ansicht der Archäologen gestaltet wurde, indem der Künstler sein Modell mit einer nassen Leinwand umhüllte. 128 125 Zu der sich in diesem Werk aussprechenden Literaturprogrammatik Sulzers siehe Kapitel III. 2.1 dieser Arbeit. 126 Ch.M. Wieland: Abhandlung vom Naiven (1771). In: Wielands Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe (1905 ^ 5 ) . 1. Abt.: Werke. Bd. 4: Prosaische Jugendwerke. Hg. v. Fritz Homeyer u. Hugo Bieber. Berlin 1916, S. 15-21. Abgedruckt im Artikel ,Naiv' in: J.G. Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter in auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt (1771, 1774). 4 Tie. Neue vermehrte zweyte Auflage. [Hg. v. Friedrich von Blanckenburg], Leipzig 179294. Repr. Nachdruck Hilldesheim 1970, S. 499-507; hier S. 501-506. 127 Cntische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit. Nr.XXVI. 1750, S. 247. 128 Auch Johann Joachim Winckelmann kommt in seinen Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst (1755) auf die griechische „Drapperie", die Kunst der „Bekleidung des Nackenden der Figuren" zu sprechen: „Die Griechische Drapperie ist mehrentheils nach dünnen und nassen Gewändern gearbeitet, die sich folglich, wie Künstler wissen, dicht an die Haut und an den Cörper schliessen, und das Nackende desselben sehen lassen." In: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hg. v. Walter Rehm. Mit einer Einl. v. Hellmut Sichtermann. Berlin 1968, S. 27-59, hier S. 42. Johann Gottfried Herder kommt in seiner zweiten Plastik-Fassung von 1778 mit dem Titel Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume auf Winckelmanns Drapperie-Ausführungen zurück. Wo Winckelmann lediglich ein künstliches Verfahren avisiert, unterstellt Herder ihm fälschlicherweise den Gedanken einer „Nachbildung der alten Griechischen Tracht in Leinwand", um diesen dann zu widerlegen und das Verfahren der Drapperie im Sinne seiner pygmalionischen Ästhetik (siehe dazu Kapitel III. 1.3.2 dieser Arbeit) haptisch auszudeuten: „Es ist über sie [sc. der Griechen nasse Gewänder] so viel und so viel Falsches gesagt, daß man sich fast mehr zu sagen scheuet. [...]- Winkelmann [sie!] sagt, daß sie nichts als Nachbildung der alten Griechischen Tracht in Leinwand seyn; ich weiß nicht, ob die Griechen je naße, an der Haut klebende Leinwand getragen? und hier war eigentlich die Frage, warum der Künstler sie so kleben ließ und nicht trocknete? Führen wir sein Werk, seine Kunst, auf ihren rechten Sinn

85 In dem Maße, in dem die Kategorie des Naiven eine zwischenmenschliche Verhaltensweise und einen Sprachstil umfaßt, wirft der .Einfalt' als .sublime Einfalt' verhandelnde kunsttheoretische Diskurs ein erhellendes Licht auf das mentalitätsprägende empfindsame Konzept einer .Sprache des Herzens'. Die für die .Sprache des Herzens' charakteristische Mittellage zwischen Pathos und Ethos, die auf Rührung zielt, hat eine eindeutige Tendenz zum Pathetischen: Man will lieber zuviel als zu wenig aus-drücken. Moses Mendelssohn hat das mentale Dilemma, dem sich die klassizistische Ästhetik im 18. Jahrhundert konfrontiert sieht, in seinem Aufsatz Ueber das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1758) differenziert als eine Aporie herausgearbeitet. Nach einem deutschen Wort für das romanische ,naiv' suchend stellt Mendelssohn fest: Natürlich, ungekünstelt, sagt zu wenig. [...] Edle Einfalt hingegen sagt zu viel [...]. [...]. Allein mit der bloßen Einfalt ist es nicht genug.129

Was Mendelssohn nicht sah: Ein Blick auf die Etymologie des Wortes Einfalt eröffnet die Möglichkeit, zwischen erhabener und einfältig-dümmlicher Einfalt - Batteux konnte für seine Inkriminierung der blöden Schäfer und Schäferinnen der Rokokopoesie auf das französische ,niais' zurückgreifen,130 das sich wie eine subtile Differenzierung von ,naiv' qua Kommutation ausnimmt - zu vermitteln. Im deutschen Sprachraum wird die Edle Einfalt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hin intensiv diskutiert. 1755 hatte Johann Joachim Winckelmann, ganz im Sinne Batteux', den Blick von der indiskutablen Gegenwart auf die Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst gelenkt, welche es als Vorbild ,edler Einfalt und stiller Größe' nachzuahmen gälte.131 Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Gottsched in seiner Rede zur Vertheidigung Gottes und des menschlichen Geschlechtes von 1730, an die er zwei Jahre später anzurück, so antwortet die Sache. Es war nehmlich einzige Auskunft, den tastenden Finger und das Auge, das jetzt nur als Finger tastet, zu betrügen: ihm ein Kleid zu geben, das doch nur gleichsam ein Kleid sei, Wolke, Schleier, Nebel - doch nein, nicht Wolke und Nebel, denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; naßes Gewand gab er ihm, das der Finger durchfühle! Das Wesen seiner Kunst blieb, der schlanke Leib, das runde Knie, die weiche Hüfte, die Traube der jugendlichen Brust [...]. Es war gleichsam ein Kleid, wie die Götter Homers gleichsam Blut haben; die Fülle des Körpers, die kein Gleichsam, die Wesen der Kunst ist, war und blieb Hauptwerk." In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 8. Berlin 1892, S. 1-87; hier S. 22f. 129

130 131

Moses Mendelssohn: Ueber das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften (1758 anonym in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Zweyten Bandes zweytes Stück. Leipzig: Johann Gottfried Dyck). In: Gesammelte Schriften. Nach den Originaldrucken und Handschriften (Leipzig 1863 [1843]). Hg. v. G.B. Mendelssohn. 7 Bde. Bd. 1. Hildesheim 1972, S. 307-348; hier S. 337f. Siehe dazu Jäger: Naivität. 1975, S. 56f. Winckelmann: Gedancken über die Nachahmung (1755). 1968, S. 43.

86 knüpft, wenn er das Wort einfach in seine kunsttheoretischen Grundsätze einfugt, das Schöne dazu bestimmt, das ,,Mannigfaltige[..]" auf überzeugende Weise in „Übereinstimmung" zu zeigen: Die heutigen Weltweisen haben befunden, daß eine klar empfundene Ubereinstimmung des Mannigfaltigen die Vorstellung von der Schönheit in unsem Seelen hervorbringt. Nichts als die Ordnung, Verhältniß und Zusammenhang vieler Theile bringen einem Ganzen seine Schönheit zuwege.132

In seinen BeyträgefnJ zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit von 1732 verabsolutiert Gottsched dann die schöne Übereinstimmung des Mannigfaltigen zur autonomen Größe. Vollkommene, als schön erfahrene Präsenz, ist voraussetzungslos: „[...] was einfach ist, vor dem geht nichts vorher",133 heißt es da resolut. Das Wort einfach ist von Gottsched sorgfaltig gewählt: Mit ihm grenzt sich der Literaturprofessor gegen das womöglich mitzuhörende stultus ab, eine Bedeutung, die in einfältig immer mitschwingt, von wo aus auch die klassizistisch Nobilitierung zur ,edlen Einfalt' nachvollzogen werden kann. Der Titel von Gottscheds Rede zur Vertheidigung Gottes indiziert, daß man sich, semasiologisch gesehen, mit den Begriffen einfach und einfältig auf einem religiösen Wortfeld bewegt. Aus dem Römischen übernimmt das Christentum simplex in der Bedeutung von ,unschuldig' und baut es in seine Lehre von der göttlichen einvalte ein. Hier meint es Gott als omnio simplex, maxime unus und maxime indivisus (Thomas von Aquin), meint Einheit in der Dreiheit und umfaßt also immer beides: unitas und compositio. Im Zuge seiner Profanisierung kommt dem Wort Einfalt allerdings der plurale Aspekt abhanden. Bereits Gottsched konzipiert und singularisiert das sich in überzeugender Weise zeigende Mannigfaltige als absolute, voraussetzungsund bedingungslose, i.e. statuarische Präsenz, welche insbesondere das Dynamische des Mannigfaltigen konterkariert. Bezogen auf die soziologische Größe ,Individualität', die, im Unterschied zur Einfalt, exakt den Aspekt der einvaltekeit festhält und den religiösen Aspekt säkularisierend wiederbelebt, ist festzuhalten: Die unitaristisch verstandene Einfalt wird um ihre kompositioneile Vielheit gebracht, von wo aus Einfalt als problematische prominente Selbstverständigungsformel des 18. Jahrhunderts sinnfällig wird, in deren Zeichen sich Lessing, Herder, Klopstock, Friedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt, um nur einige zu nennen, zusammenfinden, von der Gegenwart absehen und sich in der fernen Vergangenheit verlieren, um sich bei Homer, Horaz, Pindar, Theokrit, Vergil, der hebräischen Bibel wiederzufinden. 132 133

Eugen Reichel: Ein Gottsched-Denkmal. Den Manen Gottscheds errichtet. Berlin 1900, S. 244. Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (1732/33). Hg. v. einigen Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Begr. v. Johann Christoph Gottsched [...]. 32 Stücke in 8 Bänden. Bd.l. Hildesheim 1970, S. 60.

87 Gemessen an der Möglichkeit der Vielfalt in der Einfalt, welche mit der Etymologie des Wortes einfach aufscheint, sind ,edle Einfalt' und ,bloße Einfalt', die Mendelssohn als widerstrebend gedacht hat, gar nicht mehr so weit voneinander entfernt, genauer: die reklamierte ,edle Einfalt' wird als ,bloße Einfalt' problematisch. In dem Maße, wie sie den Aspekt des Vielfaltigen programmatisch in der Konzentration auf entfernte, leblose Statuen, wo die Wirkung eines weiblichen Körpers gedämpft als nur quasi-nackt erlebt werden kann, unterschlagen, erweisen sich die edlen und männlich würdigen - , würdig' ist eine Altematiwokabel zu ,edel'134 und Kant definierte 1798 den Charakter, wie wir im Zusammenhang der empfindsamen Charakterkonzeption gesehen haben, als einen „Mann von Grundsätzen"135 - Denker und Literaten im unbesonnenen Nachbeten der Winckelmannschen Formel als stupide. Die Winckelmannsche Formel hat hypnotische Funktion: Zusammen mit deren zweiten Teil, der ,stillen Größe', wiegt man sich in den intellektuellen ,Tiefschlaf ein, wo sich, wie sich im Zusammenhang der programmatischen Funktionalisierungen von Kunst zeigen wird, Größenwahn ungehindert entfalten kann.136 Vor dem Hintergrund des Machtkampfes, der im Zeichen von Tugend, Aufrichtigkeit und nun auch Einfalt und Einfachheit mit traditionell überkommenen Strukturen ausgefochten wird, deren Veränderung man herbeiwünscht und offenbar gleichzeitig auch wieder nicht, ist zu bedenken, daß der Aspekt der Vielfalt weiterhin, wenngleich negativ, mitläuft: Der Begriff der ,edlen Einfalt' erweist sich als eine leere Abstraktion, weil die Dividuen in ihrem Zeichen von sich absehen und qua bewußtseinsmäßiger Stagnation - gerade nicht die mit ihm behauptete Individualität erreichen. ,Edle Einfalt' ist ein strategischer Begriff, der der empfundenen Herausforderung an das Integrationsvermögen des Subjekts Rechnung zu tragen vermag, ohne sie einzulösen. ,Edle Einfalt' suggeriert Einheit in der Vielfalt, die in der Festlegung auf ein Ideal gerade annulliert ist, so daß man sich in ihrem Zeichen mit Vielfalt nicht auseinanderzusetzen braucht. Einfalt ist ein Sedativum, gewissermaßen das Pflaster, das das moderne facettierte Dividuum auf seine Schnittstellen legt, an denen ein innerer Konflikt auszutragen wäre. Einfalt, nun nicht im Sinne von Offenherzigkeit, sondern im Sinne von Ignoranz gegenüber Vielfalt, erweist sich als eine ,Tugend der Toren', als welche sie im Kontext des agonalen Verständnisses zwischenmenschlichen Miteinander in der Privatpolitik erachtet worden war.137 Der moderne Begriff ,Individualität' ist vor dem Hintergrund der unitaristischen, zurück-, in die Ferne blickenden, von sich selbst absehenden, nach oben aufschauenden und ständische Strukturen perpetuierenden ästhetischen Propaganda des 18. Jahrhunderts in seiner Bedeutung als Vielheit in der Einheit 1 "X4 Belege siehe bei Stammler: Edle Einfalt. 1961, S. 377. 1 Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798). 1907, S. 203. 136

Siehe dazu Kapitel III. 2.1 dieser Arbeit.

137

Siehe dazu Geitner: Sprache der Verstellung. 1992, S. 32.

gg wiederzubeleben. Da er ausschließlich auf Personen abonniert ist und nicht, wie die ,edle Einfalt', auch auf Sachen, betrifft er die ersehnte vollkommene Präsenz personaler Identität und zeigt auf, wie im romantischen Zeitraum der Aspekt der Integration des Mannigfaltigen virulent ist. Dies hat Jean Paul bereits erfaßt, dessen Stimme sich erfrischend vom Chor der Dichter abhebt, der sich Winckelmann anschloß. In seiner intuitionenreichen Vorschule der Ästhetik (1804/1813) macht er „gegen die Verwerfung der Mannigfaltigkeit Front".138 In der „Einfachheit der Einkleidung" vermag er nichts anderes wahrzunehmen als einen „Bettelmusikanten" im ,3ettler-Rock", nichts anderes als die „äußere [Einkleidung]" einer „innere[n] Armut", als deren höchster literarischer Exponent ihm die Literatur der Klassik gilt.139 Jean Paul selbst verfolgt originellerweise einen integrativen und so im wahrsten Sinne individuellen Weg. Im vierten Kapitel seiner Miserikordias-Vorlesung über die Kunst für Stilistiker begreift er „die wahre" „Einfachheit (Simplicität)" im Unterschied zur klassischen, zur „sogenannten" oder scheinbare[n] Einfachheit" als Ausdruck eines „organischen] [...] Ganzen", als „Seele, welche die widerstrebenden Teile" durchwaltet und „zu einem Leben zusammenhält".140

1.3.2 Pygmalionisches Winckelmann hat mit seiner Formulierung offenbar einen nervus rerum getroffen. Der verführerisch bündige Ausdruck ,edle Einfalt', der wie ein Appell aufgefaßt wird und in der Folge ein anhaltendes Echo findet, fallt in einem Kontext, in welchem sich Winckelmann Gedancken über die Vorzüglichkeit der griechischen, antik-entlegenen Kunst macht: Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, so wohl in der Stellung als im Ausdruck.

Winckelmanns Darbietung seiner Sicht der antiken Malerei und insbesondere der schönen Statuen der griechischen Helden und Götter offenbart, wie die im Gegenwärtigen stillgelegte Lebendigkeit anhand der Erfahrung vergangener Kunst phantasmatisch freigelassen wird. Im Zuge seiner pygmalionischen Ästhetik, die Herder als Bestätigung seiner Kunsterfahrung begierig aufgreift, wird das Statuenerlebnis erst zum freundschaftlich, dann zum erotisch beseelten Akt. In Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Belvedere (1764) betritt Pygma-

138

Stammler: Edle Einfalt. 1961, S. 380.

139

Jean Paul: Vorschule der Ästhetik (1804/1813). Nach der Ausgabe v. Norbert Miller hg., textkritisch durchgesehen u. eingel. v. Wolfhart Henckmann. Hamburg 1990. Erste Abteilung. IV. Programm: Uber die griechische oder plastische Dichtkunst. §18, S. 75. Ebenda: Dritte Ableitung. Viertes Kapitel über Einfachheit und Klassischsein, S. 356.

141

Winckelmann: Gedancken über die Nachahmung (1755). 1968, S. 43.

89 lions Aphrodite-Statue die Bühne der zeitgenössischen Kunsttheorie, nachdem der Ästhetiker zuvor in seinen Gedancken

über

freundschaftlichen Umgang mit den Griechischen Bildhauer-Kunst

die Nachahmung

zu einem

Wercken in derMahlerey

und

geraten hat, 1 4 2 um mit diesen vertraut zu werden:

Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu erheben, wie diejenige, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwellet sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart beehrete: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen wie des Pygmalions Schönheit. 143 Zwar signalisiert, wie Inka Mtllder-Bach zurecht anmerkt, der Auftritt Pygmalions „einen neuen, gesteigerten Begriff der Illusion", aber nicht, wie die Literaturwissenschaftlerin gleichzeitig meint, „meins damit ein neues gesteigertes Selbstbewußtsein des Betrachters!' 1 4 4 - soll denn der Ausdruck ,Selbstbewußtsein' nicht bloß ein Überlegenheitsgefilhl bezeichnen, das eben im Bewußtsein keinen festen Halt hat. Der prekäre Bewußtseinszustand, der sich in der beseelenden Hinwendung zur griechischen Antike kundtut, offenbart sich vollends bei Herder, welcher Winckelmanns Freundschaftsemphase angesichts der Statue des Apollo erotisch ausbuchstabiert. B e i Herder halluziniert Pygmalion wieder die Metamorphose des Elfenbeins in menschliches Fleisch, die dieses bei Ovid vorbildlich durchgemacht hatte.

142

143

144

Ebenda S. 30: „Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freund, bekannt geworden seyn, um den Laocoon eben so unnachahmlich als den Homer zu finden. In solcher genauen Bekanntschafft wird man wie Nicomachus von der Helena des Zeuxis urtheilen: „Nimm meine Augen", sagte er zu einen [sie!] Unwissenden, der das Bild tadeln wollte, „so wird sie dir eine Göttin scheinen." J.J. Winckelmann: Beschreibung des Apollo im Belvedere in der Geschichte der Kunst des Alterthums (1764). In: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hg. v. Walter Rehm. Mit einer Einl. v. Hellmut Sichtermann. Berlin 1968, S. 2 6 7 - 2 6 8 ; hier S. 268. Zu Winckelmann in ,pygmalionischer' Perspektive siehe den erhellenden Aufsatz von Oskar Bätschmann. Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Hg. v. Wolfgang Kemp. Köln 1985, S. 183-224. Ideologiekritisch, v.a. in Hinsicht auf das Verhältnis der Geschlechter zueinander aufschlußreich ist der Aufsatz von Gerhard Neumann: Pygmalion: Die Geburt des Subjekts aus dem Körper der Statue. In: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität. 2 Bde. Hg. v. Reto Luzius Fetz [...]. Bd. 2. Berlin, New York 1998, S. 782-810, worin die spektakuläre Metamorphose diesmal Pygmalions von der Antike über die Renaissance, die Aufklärung, das 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert hinein nachvollzogen wird. Inka Mülder-Bach: Eine „neue Logik für den Liebhaber": Herders Theorie der Plastik. In: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Hg. v. Hans-Jürgen Schings. DFG-Symposion 1992. Stuttgart, Weimar 1994. (= Germanistische-SymposienBerichtsbände; Bd. 15), S. 341-370; hier S. 342f.

90 Die Ovidsche Quelle sei kurz in Erinnerung gerufen: Oftmals berührt er sein Werk mit der Hand und versucht, ob es Fleisch, ob Elfenbein sei, und versichert auch dann, kein Elfenbein sei es [...].

Verzweifelt schickt Pygmalion ein Bittgebet an Venus, das diese offenbar erhört, denn unmittelbar darauf vermag Pygmalion tastend die ersten lebendigen Regungen der Angebeteten wahrzunehmen: Wieder nähert den Mund er, betastet die Brust mit der Hand, da wird das betastete Elfenbein weich, verliert sein Starrheit, gibt seinen Fingern nach und weicht [...].

Hatte sich der Traum von einer lebendigen Beziehung zwischen Mensch und Ding bei Winckelmann noch im Charisma des Betrachters erfüllt, so bei Herder im Tastsinn. Mit der Isolation des Tastsinns im Zuge seiner Ästhetik liegt Herder ganz auf der aufklärerischen Linie, die mit Diderots Lettre sur les aveugles à l'usage de ceux qui voient (1749) und Condillacs Traité de sensations (1754) Konjunktur bekommen hatte. Im Wettstreit der Künste trägt die Plastik über die Malerei den Sieg davon. Man macht die Augen zu und tastet im Dunkeln nach Plastiken, weil man sich davon eine gesteigerte, unmittelbarere Erkenntnis über die Beschaffenheit der Außenwelt verspricht. Indes erweist sich Herders haptische Konkretion von Kunsterfahrung nur scheinbar der antiken Ovidschen Quelle und der zur Debatte stehenden Plastik näher als Winckelmanns visuelle Distanz. Was bei Winckelmann das Auge, ist bei Herder auch das Auge, und nicht der Tastsinn. Herders Ästhetik ist, wie er selbst ohne Hehl nahelegt, deduktiv konzipiert, die Illusion der sich unter der Hand verlebendigenden Statue ist Resultat eines „künstlichen Wechsels des Gesichts mit dem Gefühle".147 Es ist Herder um eine „neue Logik" zu tun, eine Ästhesiologie der Sinne, die bei allen Aufwertungen der .unteren Sinnesorgane' wie Ohr und Tastsinn, unter dem Primat der Deduktion vom Abstrakten, hier dem als metaphysisch angenommenen und solchermaßen erlebten Geist steht. Der Gesichtssinn, den Herder als Sinn der Distanz und diesen als den ,,philosophischste[n]" unter den anderen Sinnen bestimmt,149 ist auch für seine ästhetische Philosophie maßgebend.

ldS 146

Ovid: Metamorphosen. Buch Χ, V 254-255. (Übers, v. Erich Rösch) Ebenda V 282-286.

147

J.G. Herder: Die Plastik von 1770. In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 8. Berlin 1892, S. 116-163; hier S. 122.

148

J.G. Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Viertes Wäldchen über Riedels Theorie der schönen Künste (1769). In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 4. Berlin 1878, S. 1-198; hier S. 73.

149

Ebenda S. 45.

91 Herders tastende Induktion von Erkenntnis findet im Kontext einer spekulativen ,Ästhetik von oben' statt. Sie ist somit nicht, wie Hans Dietrich Innscher im Rückgriff auf einen programmatischen Ausdruck aus der Vorschule der Aesthetik (1876) von Gustav Theodor Fechner, dem Nach-Herderschen Gewährsmann der sogenannten .Einfühlungsästhetik',150 ausgibt, eine „Ästhetik von unten".151 Wer wie Hans Adler meint, in Herders P/osi/fc-Abhandlungen von 1770 und 1778 „eine paradigmatische Schrift zur Körpererfahrung, zum Leibapriori der Erkenntnis" sehen zu müssen,152 der erliegt mit Herder der Suggestion dieser Tast-Rhetorik. Diese zielt auf eine Selbstinduktion ab, in welcher die projektive Vermitteltheit der statuarischen wie der damit einhergehenden eigenen Lebendigkeit vergessen ist. Jedes Beugen und Heben der Brust und des Knies, und wie der Körper ruht und wie in ihm die Seele sich darstellt, geht stumm und unbegreiflich in uns hinüber: wir werden mit der Statue gleichsam verkörpert oder diese mit uns beseelt.

Auch wenn das Bewußtsein von der projektiven Vermitteltheit der statuarischen Lebendigkeit in Herders vorsichtiger Bilanz aufleuchtet, wenn er die wechselseitige ,Verkörperung' und .Beseelung' von Kunstobjekt und Kunstliebhaber im Kunstumgang mit einem relativierenden „gleichsam" einschränkt, so zeigt doch allein schon die anhand der substantivierten Bewegungsvokabeln „Beugen und Heben" und mit der absoluten Annahme einer statuarisch zum Ausdruck kommenden „Seele", welche die göttliche Statue zum autonomen bewegtunbewegten Beweger substantialisiert, daß Herder dieser Tatsache grundsätzlich nicht inne zu werden vermag. Weil Georg Braungart Herders pygmalionische Ästhetik der physiologische und psychologische Aspekte der Kunsterfahrung diskutierenden ,Einfuhlungs-

150

Klaus-Peter Lange hat Herder 1971 erstmalig als Vorläufer der ,Einfiihlungsästhetik' reklamiert, deren Anfang bis dato gemeinhin mit Robert Vischers Dissertation Ueber das optische Formgeßhl von 1873 gesetzt wurde, weil sich erst hier eine dichtere Diskussion physiologischer und psychologischer Aspekte ästhetischer Erfahrung abzuzeichnen beginnt. Lange: Zum Begriff der Einfühlung (Theodor Lipps und Johannes Volkelt). In: Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert. Bd.l. Hg. v. Helmut Koopmann u. J. Adolf Schmoll gen. Eisenwerth. Frankfort a.M. 1971, S. 113-128; hier S. 114f. Georg Braungart hat in seiner Habilitationsschrift von 1995 diesen Hinweis zu einem alternativen Diskurs (S. 55-99: Lessing, Burke, Herder) der als ,sprachskeptisch' apostrophierten Moderne ausgebaut: Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne. Tübingen 1995 (= Studien zur deutschen Literatur, Bd. 130). Zur Kritik an Braungart siehe im folgenden.

151

Hans Dietrich Iimscher: Zur Ästhetik des jungen Herder. In: Johann Gottfried Herder. 1744-1803. Hg. v. Gerhard Sauder. Hamburg 1987, S. 45-76. Der von Fechner geprägte Ausdruck .Ästhetik von unten' bildet die Überschrift des ersten Kapitels von dessen Schrift von 1876.

152 153

Hans Adler: Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie, Ästhetik, Geschichtsphilosophie bei J.G. Herder. Hamburg 1990 (Studien zum 18. Jahrhundert; Bd. 13), S. 119. Herder: Viertes Wäldchen. Bd. 4. 1878, S. 60.

92 ästhetik' zugeordnet und diese als Gegendiskurs zur sprachspektischen Tradition der Moderne anhand von Hofmannsthals Ein Brief aufgebaut hat, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß sich genau anhand des Moments der projektiven Vermitteltheit' pygmalionischer Erkenntnis eine Linie von Herder über Chandos bis hin zum radikalen Konstruktivismus unserer literaturwissenschaftlichen Tage durchziehen läßt: Die pygmalionische, seelenruhige Selbstvergessenheit kulminiert über die ebenfalls seelenruhige Selbstbewußtwerdung des Chandos, der sich in einer sprachmächtigen Weise mit dem Problem beschäftigt, daß er die Dinge nicht angemessen mit seiner Sprache erfassen kann,154 in der seelenruhigen Selbstverleugnung radikaler Konstruktivisten, die jeden unmittelbaren Bezug zu einer autonomen, lebendigen Umwelt kappen, indem sie jedes Verstehen eben als autopoietische Konstruktion ,begreifen', diese Auffassung mit Hilfe empirischer Forschungsergebnisse aus Biologie, Neurophysiologie und Psychologie zementieren und sich so gegen als , irrational' apostrophierte sensualistische oder hermeneutische Verstehenskonzepte abgrenzen.155 Die radikalen Konstruktivisten verabsolutieren das Problem der projektiven Vermitteltheit pygmalionischer Erkenntnis und machen es so als ein modernes Prinzip und Problem des Erkennens schlechthin sichtbar. In dem Maße, in dem sie sich vollends des Bezugs zu einem lebendigen Gegenüber entledigen, betonen sie geradezu die Aufgabe, die sich dem modernen Subjekt in folgenden maßgeblichen Hinsichten offenbar stellt: der projektiven Vermitteltheit von Erkenntnis eines Gegenübers inne zu werden und diese zu subjektivieren Projektionen jeweils einzeln sorgfaltig zu identifizieren und zwecks Individualisierung in das eigene Bewußtsein zu integrieren - im Zuge dieser Auseinandersetzung mit der lebendigen Umwelt dieser wie seiner selbst bewußt zu werden. Ein solcher Bewußtwerdungsprozeß bedarf allerdings zumindest einer Ahnung davon, daß es autonomes Dasein außerhalb des eigenen gibt - eine Vorstellung, die im Zuge der totalen Ver-Autonomisierung eigener Erkenntnis im radikalen Konstruktivismus getürmt ist - , und einer respektvoll-distanzierten Haltung, im Zuge derer das als genuin eigenartig geahnte jeweilige Gegenüber in seiner Eigenartigkeit belassen und darin immer mehr erkannt wird. Die Produktion des Gegenübers nach den Maßgaben eigener, frei von bewußtseinsmäßigem Halt

154

Die mit Chandos' Sprachkrise befaßte Forschung habe ich im Zusammenhang meiner Heiner Müller-Studie kritisch und in pointierender Zuspitzung diskutiert: A propos Weltuntergang. Zu Heiner Müller u.a. Heidelberg 1996.

155

Michael Flacke: Verstehen als Konstruktion. Literaturwissenschaft und radikaler Konstruktivismus. Opladen 1994, S. 11. Flacke expliziert die Position des Radikalen Konstruktivismus vor dem Hintergrund hermeneutischer und psycholinguistischer Verstehenskonzepte und problematisiert die Konzeption einer Empirischen Literaturwissenschaft. Flackes umsichtige Arbeit, die insgesamt als eine ,Enzyklopädie des Verstehens' hingenommen werden kann, ist zum Kennenlemen der radikal konstruktiven Position außerordentlich gut geeignet. Siehe dazu meine Rezension in: Germanistik 1995/2, S. 429f.

93 flottierender Bedürfnisse hat Braungart selbst auf eine eklatante Weise vorgeführt und so gleichzeitig das deduktiv-spekulative Apriori vom begeistert dargestellten Herderschen ,Leibapriori' von Erkenntnis bewiesen. Braungarts Vorgehensweise offenbart, wie unter Vorgabe von Empirizität das Gegenüber tatsächlich zerstückelt wird: Im Zuge seiner ausgedehnten Analyse von Hofmannsthals Ein Brief, anhand derer Braungart die Dringlichkeit von Einfühlungsästhetik für den modernen, eher sprachskeptischen Umgang mit Welt reklamieren will, kapriziert sich der Inter-pret auf den Ausdruck „Körper aus lauter Chiffem", der gegen Ende des Briefs fallt, funktionalisiert allein diesen zu einem Topos, den er dann im Sinne einer kritisch gedachten Zeitdiagnose ausdeutet.156 Deren Gedankengänge bleiben allerdings ebenso im Unklaren wie dem Verfasser die Tatsache, daß sein Eklektizismus, den er als Untersuchung der „Rezeptionsseite"157 des Kunstumgangs ausgibt, dies am wenigsten ist. Apriori der Herderschen Erkenntnis ist, allen philosophischen und literaturwissenschaftlichen Gegenmeinungen zum Trotz, nicht der Leib, sondern der gedanklich entkörperte Verstand, dessen Überlegenheit - Überlegenheit ist ein Gefühl - in der Abwendung von kognitiv verunsichernden - Verunsicherung ist ein Gefühl - Lebenserfahrungen und in der Hinwendung zur griechischen temporalen und lokalen Ferne und hier zu Dinghaftem behauptet - Behauptung ist eine aus Unsicherheit resultierende Gebärde - werden soll. In dem Maße wie Herder den Gefühlen, von denen seine Gedanken jeweils erfüllt sind, nicht inne zu werden vermag, geht sein nahezu durchgängig als ,Gefühl' namhaft gemachter Tastsinn in die Irre. Daß es dem klassizistischen Umgang mit der griechischen Kunst darum zu tun ist, Lebendigkeit als kontrollierte Lebendigkeit zu erfahren und damit recht eigentlich zu vermeiden, zeigt sich allein schon in der Ausrichtung des Kunstumgangs an Statuen, von denen keine verunsichernde, lebendige Thermik ausstrahlt. Ein Zitat aus Herders zweiter Plastik-Fassung mit dem Titel Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Träume (1778) mag dafür und in diesem Sinne fur sich sprechen, weil Herder das, worauf es ihm ankommt, graphisch selbst hervorgehoben hat: Ein Geist hat sich über die Statue ergoßen, hielt die Hand des Künstlers, daß auch das Werk hielt, und Eins ward. Wer (um so gleich ein Schwerstes anzuführen) wer je am berühmten Hermaphroditen stand und nicht fühlte, wie in jeder Schwingung und Biegung des Körpers, in allem, wo er berührt und nicht berühret, Bacchischer Traum und Hermaphroditismus herrschet, wie er auf einer Folter süßer Gedanken und Wollust schwebt, die ihm, wie ein gelindes Feuer, durch seinen ganzen Körper dringet - wer dies nicht fühlte und in sich gleichsam unwillkürlich den Nach- oder Mitklang desselben Saitenspiels wahrnahm; dem können mein nicht und keine Worte es erklären. Eben das ist das so ungemein Sichere und Veste bei einer Bildsäule, daß, weil sie Mensch und ganz durchlebter Körper ist, sie

156

Braungart: Leibhafter Sinn. 1995, S. 222.

157

Ebenda S. 338.

94 als That zu uns spricht, uns vesthält und durchdringend unser Wesen, das ganze Saitenspiel Menschlicher Mitempfindung wecket. 158

Neben dem haltgebenden Festen der Statue, die gleichzeitig fur selbstauferlegte Versagungen von verunsichernder Lebendigkeit aufzukommen hat, wird insbesondere das harmonische Relief, das glatte, runde, handfeste Profil priorisiert, für das es kein Fingerspitzengefühl braucht. Jede an Lebendigkeit gemahnende und das Integrationsvermögen herausfordernde Vielfalt wird tunlichst umtastet wie besonders die ziselierten Haare, von der Schambehaarung ganz zu schweigen.159 Wenn man Herders Aussparung der vereinzelten Haare, wie Helmut Pfotenhauer, als Ausdruck von „Zersetzungsangst" und nicht als Integrationsschwäche glaubt namhaft machen zu müssen,160 dann sollte man hinzufugen, daß diese eine bedenklich neurotische Dimension hat. Wenngleich die Diagnose ,Zersetzungsangst' zutreffend sein mag, gehört sie doch eher in den psychologischen Bereich. Demgegenüber bezieht sich die Rede von einer .Integrationsschwäche' auf das soziologische Datum der Ausdifferenzierung und hält den Blick frei für die spezifische Herausforderung der Zeit. Zudem scheint die Rede von einer Integrationsschwäche auch angesichts der symptomatischen ,Haare' in Herders Ästhetik zutreffender, weil das Pluraletantum weniger das Moment des „Dissoziierende[n]"161 als das der Vielfalt in der Einheit betont und somit den Aspekt, der in der Rede von der ,edlen Einfalt' ja gerade unterdrückt werden soll. Die Pfotenhauersche Diagnose .Zersetzungsangst' wirft allerdings auf dessen Ausführungen zu Herders Plastikerfahrungen und darüber auf die klassizistische Bevorzugung gemeißelte[r] Sinnlichkeit - so der Titel von Pfotenhauers Aufsatz - ein bezeichnendes Licht. Wie für Herder die tote Plastik zum Anlaß fur Lebendigkeitsphantasmen wird, so für Pfotenhauer die bei Herder ausgesparte Schambehaarung. In eigenartigen Verdrehungen - Pfotenhauer sieht in Herders Art zu tasten ein sublimierendes Tasten von unten nach oben am Werk, das seinen Gegenstand „idealisierend^.] [zurichtet]",162 um dann Herders „Schichtengebilde [zu] stürzen", um dann wieder „umgekehrt" von unten nach oben zu „lesen" und um schließlich „tief [zu] blicken"163 - ist er auf das Sexuelle in Herders philosophischem Plastikumgang aus. Pfotenhauer kann jedoch noch so viel drehen und wenden: Die gemeißelte Sinnlichkeit der Plastik wird, wie bei

158

159

Herder: Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume (1778). 1892 (Bd. 8), S. 1-87; hier S. 60. Siehe ebenda.

160

Helmut Pfotenhauer: Gemeißelte Sinnlichkeit. Herders Anthropologie des Plastischen und die Spannungen darin. In ders.: Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik. Tübingen 1991, S. 79-102; hier S. 91

161

Ebenda. Ebenda S. 90.

162 163

Ebenda S. 100.

95 Herder so auch nicht auch unter seiner un-verschämten Perspektive, lebendig werden, pointiert ausgedrückt: aus Plastik wird nimmermehr Erotik. Die „gewisse Lebendigkeit", die sich für Pfotenhauer im Zuge seiner sexualisierenden „Re-Lektüre"164 von Herders Ästhetik ergibt und die er künftigen Klassizismus-Forschungen in Aussicht stellt beziehungsweise nahelegt, ist, gemessen an dem zu betreibenden intellektuellen Aufwand, mit dem Totes ohnehin nicht in Lebendiges verwandelt werden kann, alles andere als glückverheißend. Das Konzept einer „Begründung des Subjekts aus der Taktilität"165 geht in dem Maße nicht auf, in dem sensualistische Ästhesiologie zum einen ebenso deduktiv-spekulativ beseelt ist wie rationalistische Ästhetik und in dem sie zum anderen das Faktum projektiver Vermitteltheit der eigenen wie der statuarischen ,Lebendigkeit' nicht ernstnimmt. Wenn deshalb der aktuelle kunsttheoretische Diskurs eine Herder-Renaissance anstrengt, im Zuge derer die zum Topos avancierte Herdersche Umkehr der Sinneshierarchie166 im wahrsten, nicht etwa polemischen Sinne rauf- und runtergebetet wird,167 dann ist diese Tatsache ihrerseits symptomatisch für ein Authentizitätsbedürfiiis, das in falschen Alternativen befangen ist. Da das Lebendige unter der plastiktastenden Hand nicht zu haben ist, liegt es auf der Hand, daß hier etwas im Verhältnis Gefühl-Verstand an sich nicht zu stimmen scheint. Wie ist das Verhältnis von Gefühl/Tastsinn und Verstand/Gesichtssinn, deren Aporie die sensualistische Ästhetik auf den Punkt bringt, produktiver im Hinblick auf die damals so auch heute ersehnte Individualität zu fassen? Herders begriffliche Unterscheidungen von Körper, Gefühl und Tastsinn erweisen sich als inpraktikabel in dem Maße, wie der Ästhet trotzdem Gefühl und

164

Ebenda S. 101.

165

Braungart: Leibhafter Sinn. 1995, S. 70.

166

Ulrike Zeuch: Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der Frühen Neuzeit. Tübingen 2000.

167

Siehe neben Pfotenhauer 1991, Braungart 1995 u. Zeuch 2000 Jürgen Trabant: Traditionen Humboldts. Frankfurt a.M. 1990; die Beiträge von Mülder-Bach und auch von Riedel in dem von Hans-Jürgen Schings herausgegebenen Sammelband Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992. Stuttgart, Weimar 1994 (= Germanistische-Symposien-Berichtsbände; Bd. 15); ebenso die Habilitationsschrift Mülder-Bachs Im Zeichen Pygmalions: Das Modell der Statue und die Entdekkung der ,Darstellung' im 18. Jahrhundert. München 1998, deren eigentlicher Höhepunkt die Lektüre von Herders Plastik ist. Ein neues Interesse an Herder und dem Thema der Sinnlichkeit im 18. Jahrhundert zeichnet sich seit den 80er Jahren ab: Johann Gottfried Herder. 1744-1803. Hg. ν Gerhard Sauder. Hamburg 1987 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts. Bd. 9). Auch wenn dieser Aspekt dort noch nicht eigens thematisiert wird, so betont der bereits erwähnte Beitrag Imrschers im Rekurs auf Herders P/asfft-Studien immerhin, daß Herder darin „die herkömmliche Hierarchie der Sinnesbereiche auf den Kopf [stelle] und die Spitzenstellung fur das in der Dunkelheit tastende Gefühl [reklamiere]." (H.D. Innscher: Zur Ästhetik des jungen Herder. In: ebenda, S. 43-76; hier S. 66.)

96 Tastsinn synonym verwendet, w a s zu undifferenzierten Tautologien fuhrt. 168 In den Studien und Entwürfen zur Plastik ( 1 7 6 8 / 1 7 6 9 ) schreibt Herder enthusiastisch: Welches Gefühl entwickelt sich in den ersten Tagen der Kindheit zuerst? Gefühl: also auch 169 in der Erziehung. Aus welchem Sinne die übrigen? aus Gefühl [...]. Das Gefühl, das sich Herder zufolge „in den ersten Tagen der Kindheit entwikkelt", ist „Gefühl", der handfeste ,Tastsinn', kein spezifisches Gefühl also. D a Herder mit der einleitenden Frage nach ,welchem Gefühl' allerdings auf ein bestimmtes Gefühl neugierig gemacht hat, bleibt seine Antwort an dieser Problemstellung zu messen und es ist festzuhalten: Im Bereich des Gefühls kennt Herder keine Unterschiede. D i e Priorisierung des Gefühlsbegriffs in der Bedeutung von Tastsinn gegenüber dem ebenfalls zur Verfügung stehenden Begriff ,Tastsinn' ist symptomatisch dafür, daß e s offenbar der diffuse Bereich des ,Gefühls' im Sinne von ,Empfindung' ist, um welchen es Herder tastend zu tun ist. Indes kann der haptisch getarnte philosophische Einzug in die Welt der Gefühle nicht gelingen, wenn grundsätzlich der Verstand als etwas Gefühlsloses aufgefaßt wird, dem man einen abgegrenzten, hier im Tastsinn materialisierten Bereich des Gefühls gegenüberstellen zu können glaubt.

168

Zeuch hat ausfuhrlich die Forschungsdiskussion in Bezug auf Herders begriffliche Indifferenzen rekapituliert: Umkehr der Sinneshierarchie. 2000, S. 17-31. Dazu merkt Zeuch kritisch an: „Die Schwierigkeit, sachlich konzis zu bestimmen, was Herder unter Gefühl bzw. Tastsinn versteht, und die dabei auftretenden Widersprüche werden von der Forschung konstatiert, aber nicht aufgelöst" (S. 304). Zeuch selbst geht aufgrund der „Verschiedenheit in der Begrifflichkeit" davon aus, „daß zwischen den genannten Vermögen einmal sachlich unterschieden worden ist, diese Unterscheidungen aber [...] irrelevant wurden" (ebenda). Im Rückgang auf die frühe Neuzeit untersucht Zeuch die konstitutiven Prozesse für Herders begriffliche Indifferenzen und kommt zu dem gegen eine postmoderne Vereinnahmung Herders gemünzten Schluß, daß vor diesem Hintergrund Herders Aufwertung des Tastsinns sich nicht einfach nur „als Wiederherstellen ganzheitlichen und unspezifischen Wahrnehmens vor der Hierarchisierung der Sinne oder gar als fortschrittliche Neukonzeption" lesen läßt, sondern ebenso „als Verlust" (S. 314). Im Unterschied zu Zeuch, die die historischen Faktoren für Herders Theorie des Tastsinns untersucht, weil sie glaubt, daß sich die begrifflichen Widersprüche „weder durch eine Herder immanente Interpretation noch durch die Berücksichtigung des zeitgenössischen Umfeldes auflösen lassen" (S. 304; Hervorh. von mir, J.S.), löst diese topologische Arbeit die begrifflichen Widersprüchlichkeiten durch ihre Perspektive auf die Individualität des Textes wie des darin sich artikulierenden Subjektes; in dieser individuellen Perspektive gehen auch immanente Interpretation und Sozialgeschichte zusammen, indem die immanente Interpretation die durch die Berücksichtigung des zeitgenössischen Umfeldes gewonnene Sensibilisierung ernst nimmt und sich davon im Sinne eines sensus rector tatsächlich leiten läßt.

169J.G. Herder: Vom Gefühl des Schönen und Psychologie überhaupt. In: Herders

Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Bd. 8. Berlin 1892. S. 99-103; hier S. 102 (aus den Studien und Entwürfe[n] zur Plastik. 1768. 1769). (Hervorh. von mir, J.S.)

97 Herder wie auch Winckelmann, den Herder als den „tiefsinnigen Betrachter am Vatikanischen Apoll"170 zum Schutzparton seiner Plastikstudien herbeiruft, offenbaren, daß sie mit der gefühlsmäßigen Disposition des menschlichen Daseins philosophisch nicht zu Rande kommen. Das Denken wird als eine Tätigkeit begriffen und erfahren, die unabhängig von körperlich-sinnlichen Prozessen vor sich geht. Geist und sinnlichen Körper als zwei getrennte Bereiche annehmend sollen diese in der Auseinandersetzung mit der griechischen Kunst der Plastik wieder angenähert werden. Daß Metaphysik immer schon Physik ist und Denken wie Sexualität wie Lesen etc. gefühlsmäßige Aggregatzustände, die lediglich graduell im Sinne unterschiedlicher Dimensionen grundsätzlich gefühlsmäßiger Welterfahrung des Menschen unterschieden sind, scheint gerade in den Aporien der ästhesiologischen, vorgeblich mit sinnlicher Wahrnehmung befaßten Ästhetik auf. Aufgrund einer dualistischen Konzeption menschlichen Daseins, das in „Fleisch und Geist"171, Gefühl und Verstand dividiert wird, vermeidet - Vermeidung ist eine Haltung, die aus Angst (ein Gefühl!) hervorgeht - die ästhetisch-philosophische Gefühlsemphase jegliche gedankliche Verunsicherung - Verunsicherung ist ein Gefühl - kategorisch. Die Ästhesiologen offenbaren so, daß sie sich im wahrsten Sinne nicht wohl fühlen i η ihrer Haut, in der sie als Menschen nun einmal sind. In der dualistischen Konzeptionalisierung von Ästhetik wird Angst anästhesiert, so daß das ästhesiologische Denken von Gefühlen sich seriell produktiv präsentiert und sich von daher als steril und leblos erweist. Die ästhesiologische Gefühls- und Lebendigkeitsemphase ist also nicht Ausdruck eines sich erweiternden Bewußtseins, das den Bereich der Sinnlichkeit entdeckte, sondern Ausdruck einer Stillegung der eigenen unglücklichen gefühlsmäßigen Verfaßtheit, die nun auch diesen Bereich nach Maßgabe eines körper- und gefühllosen Geistes vermißt und sich so den Ausgang aus dem eigenen Unglück erst recht verstellt. Wie notwendig im Sinne von not-wendend die ästhesiologische Anästhesierung ist, mit der die Kunsttheoretiker die durch einen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsschub hervorgerufene allgemeine Verunsicherung denkend gleichsam ungeschehen machen wollen, bringt noch einmal die Emphase zum Ausdruck, mit der Herder die pygmalionische Lebendigkeitsforderung formuliert, die seinem ersten Entwurf zur Plastik (1770) vorangestellt ist: Eine Statue muß leben: ihr Fleisch muß sich beleben: ihr Gesicht und Mine sprechen. Wir müssen sie anzutasten glauben und fühlen, daß sie sich unter unsern Händen erwärmt. Wir müssen sie vor uns stehen sehen, und fühlen, daß sie zu uns spricht. Siehe da zwei Hauptstücke der Sculptur Fleisch und Geistl

170

Herder: Die Plastik von 1770. 1892 (Bd. 8), S. 125.

171

Herder: Viertes Wäldchen (1769). 1878 (Bd. 4), S. 88.

172

Ebenda.

98 Was Herder von hier an ästhesiologisch unternimmt, ist also aufgrund der dichotomisierenden Vorzeichen, unter welchen die gefühlsmäßige Verfaßtheit menschlichen (gedanklichen, sportlichen, musikalischen etc.) Daseins kategorisch abgespalten und als Abspaltprodukt einem autonomen Bereich eines mutwillig-ernsthaft, i.e. kontrolliert konzipierten Denkens gegenübergestellt ist, immer als Kontrolle von Lebendigkeit zu begreifen. Insofern es sich bei kontrollierter Lebendigkeit' um eine contradictio in adiecto dreht, ist die Lebendigkeit, die die sensualistische Ästhetik an den Tag legt, immer als leblose Lebendigkeit zu verstehen. Herders tastende Induktion, bei der es sich nicht um eine gesteigerte Form der Weltbegegnung handelt, sondern um eine, die den Umgang mit Welt immer schon gedanklich kontrolliert hat, wirft so auch ein bezeichnendes Licht auf Deduktion und Induktion als die zwei wissenschaftlichen, ebenfalls dichotom konzipierten Modi der Welterkenntnis: Sie erweisen sich als prinzipiell nicht voneinander geschieden, zumal fur ihre Konzeptionalisierung der allgemeine Begriff - von ihm wird deduziert und in ihn wird induziert - und nicht die konkrete Erfahrung orientierend ist. Die Suggestion, die von der Ästhesiologie Herders ausgeht und mit der Herder, über die anvisierte Plastik hinausgehend, auch viele seiner Interpreten gerade gegenwärtig wieder beseelt und in kontrolliertem Atem hält, ist als „Selbstinduktion"173 in eine Welt kontrolliertsinnlicher Welterfahrung zu verstehen. Wie die Selbstinduktion der empfindsam Redenden vermag sie allenfalls zu rühren. Von ihr geht kein durchschlagender Authentizitätseffekt aus. Die Aufgeregtheit, die aus Herders Schriften zur Plastik spricht, ist eine auf anästhetischer Basis und betrifft nicht ein etwaiges Fühlend-Werden. Man gibt sich als Experte in Gefühl Sifrngew, weil das Gefühl von Hilflosigkeit angesichts herausfordernder gesellschaftlicher Neudisponierungen dominant ist. Empfindsamkeit und Sensualismus unterscheiden sich von daher nicht prinzipiell, sondern graduell: ist in der empfindsamen ,Sprache des Herzens' explizit gefühlsselige, so in der sensualistischen ,Sprache des Tastsinns' implizit gefühlsselige gedankliche Aufgeregtheit am Werk. Vielfalt ist der wunde Punkt des Simplizitäts-Ideals. Warum? Was ist es, das die Apologeten der unitaristischen Einfalt und Einfachheit in die Feme schweifen läßt, wo sich der Blick im Vagen verliert, oder in die Höhe streben, wo sie nicht resüssieren können? Winckelmanns Beschreibung von edel als .ruhiges Ertragen von Schmerz'174, als .Erhabenheit'175 über wütende ,,heftige[..] Leidenschaften"176, die Wolfgang Stammler in seiner Begriffsgeschichte treffend als „das Vollkommene, das von irdischen Zielen Freie, das zur Höhe Blickende

173

Stenzel: „Si vis me Aere [...]." 1974, S. 652.

174

Winckelmann: Gedancken über die Nachahmung (1755). 1968, S. 43.

175

Ebenda S. 45. Ebenda S. 44.

176

99 und sich Aufschwingende"177 paraphrasiert, wie auch Batteux' metaphorische Definition des naiven Ausdrucks als einer der weiblichen Statue angepaßten, diese nur quasi verhüllenden nassen Leinwand gibt einen anthropologischen Wink, der im folgenden im Zuge der Diskussion einer weiblichen Natürlichkeit verfolgt und in seiner soziologischen Dimension bedacht werden soll. Kehrseite der projektiven Beseelung lebloser Plastiken ist die projektive Entseelung des zwischenmenschlichen Miteinanders. Beide Male geht es um Kontrolle von Lebendigkeit und deren Reduktion auf ein handfestes Maß. Die Substantialisierung von Gesellschaft zu einem gottgleichen unbeweglichen Beweger perpetuiert feudalistische Strukturen, die in der Festlegung der als ein hierarchisches Verhältnis konzipierten Geschlechtscharaktere eine sinnfällige letzte Bastion zu haben scheint.

1.3.3 Weibliches Mehr noch als in der sensualistischen Ästhesiologie kommt die edle Einfalt als Symptom der Vermeidung und Unterdrückung lebendiger Vielfalt in der Konzeptionalisierung der Natur des biologisch-weiblichen Menschen auf den Punkt. Dieser, mit seiner Fähigkeit, Leben zu gebären, wird in der „durch frappierende Wiederholungszwänge [...] und grassierende Humorlosigkeit"178 gekennzeichneten Debatte um die Geschlechtscharaktere auf just diese Eigenschaft reduziert und zur (Haus-)Frau und Mutter stilisiert. Anstatt die Fähigkeit, Leben zu gebären, als eine spezifisch weibliche Disposition in das Spektrum menschlicher Sexualität zu integrieren, bringen sich biologisch-männliche und biologischweibliche Menschen in dem Maße, wie sie sich in einer geschlechtsspezifisch konnotierten Dichotomie von Gefühl einerseits und Verstand andererseits verorten, um die Vielfalt von Gefühlen und so auch um ihren Verstand. Weiblichkeit als Exponent von Lebendigkeit wird zum „streng reglementierten [...] Rollenfach",179 vor dessen Hintergrund das ebenso streng reglementierte männliche Rollenfach ex negativo seine schwache Leuchtkraft bezieht. Als wesentliches Element der Rolle ,Frau' wird die „natürliche Schamhafiigkeit" ausgegeben: Zurückhaltung, Unwissenheit, Demut, nahezu sprachloses Gebaren, unaufdringlicher Blick, wohlplaziertes Niederschlagen der Augen und - als Garant

177

178

Stammler: Edle Einfalt. 1961, S. 376. Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. 1996, S. XI.

179

Ursula Geitner: Passio Hysterica - Die alltägliche Sorge um das Selbst. Zum Zusammenhang von Literatur, Pathologie und Weiblichkeit im 18. Jahrhundert. In: Frauen, Weiblichkeit, Schrift. Hg. v. Renate Berger [...]. Mit Beiträgen von Susanne Amrain [...]. Dokumentation der Tagung in Bielefeld vom Juni 1984. Berlin 1985, S. 130-144, hier S. 137.

100 gelungener Selbstinduktion in die vorgegebene Schamhañigkeit - Erröten180 - : so lautet das einfältige Repertoire weiblicher Gesten und Minen, das in der pädagogischen Diskussion maximenartig am eindrücklichsten in Johann Heinrich Campes Väterliche[m] Rath für [sjeine Tochter (1789) formuliert und popularisiert wird. Der weibliche Verhaltenskodex wird allerdings nicht als das aufgefaßt, was er aufgrund der Regelmäßigkeit, mit der er aktualisiert werden soll, gerade ist: als Schauspielkunst. Die auf das fest- und engumgrenzte Repertoire einer Rolle festgelegte weibliche Natur hat mit lebendigen Unregelmäßigkeiten nichts mehr zu tun, mehr noch: weibliche Unregelmäßigkeit wird ihrerseits als Schauspielkunst, respektive als Passio Hysterica diffamiert und der tautologische Begründungszusammenhang zur voraussetzungslosen ,Natur' verabsolutiert. Übereinstimmend bestätigen die einschlägigen Texte, daß der Charakter der weiblichen Frau „überaus weiblich", der der unweiblichen Frau demzufolge „unweiblich ist",181 daß man die Natur vertritt und daß man in ihrem Auftrage spricht und handelt.182 Seit Reinhart Koselleck (1959) und Jürgen Habermas (1962) die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit aus dem Geist des Privaten aufgezeigt haben,183 ist es ein locus communis literaturwissenschaftlicher Forschung, die theoretische und praktische Konjunktur des Briefes im 18. Jahrhundert als Ausdruck einer sozialen Veränderung, respektive der Entstehung einer bürgerlichen, intim konzeptionalisierten Öffentlichkeit zu begreifen. In der Kaprizierung auf geschlechtsspezifische Aspekte in der feministischen,184 auf den soziologischen Aspekt des Privaten des bereits in den Musterbriefsammlungen zur Konstruktion romanhafter Handlungszusammenhänge tendierenden Briefs als einem sozial nahezu egalitären Medium in der nicht-feministischen, gattungstheoretisch beflissenen Forschung,185 die allesamt in Dualismen befangen sind, wurde 180 181

182 183

184

Ebenda. Geitner: Die Frau als Schauspielerin. 1988, S. 253. Ebenda S. 255. Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt (1959). Frankfurt a.M. 1973; Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt, Neuwied 1962.

Siehe bspw. die Aufsätze von Regina Nörtemann (Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert und ihre Genese) und Herta Schwarz (Brieftheorie in der Romantik) in dem Band: Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. Texte, Kommentare, Essays. Hg. v. Angelika Ebrecht, Regina Nörtemann u. Herta Schwarz, unter Mitarbeit von Gudrun KohnWaechter u. Ute Pott. Stuttgart 1990, S. 211-224 u. S. 225-238; siehe auch Helga Gallas u. Magdalene Heuser: Probleme des Romans von Frauen um 1800. Einleitung zu: Untersuchungen zum Roman von Frauen. Hg. v. Helga Gallas u. Magdalene Häuser. Tübingen 1990, S. 1-12; siehe in demselben Band (S. 41-51) auch den Aufsatz von Helga Brandes: Der Frauenroman und die literarisch-publizistische Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. 185Pamela (1740), der erste Briefroman Richardsons, der einen maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung des europäischen Romans haben sollte, ging aus dem Plan zu einer Musterbriefsammlung hervor. Das Phänomen, zwischen einzelnen Briefen inhaltliche und zeitli-

101 allerdings bislang nicht die Mentalität der Lebendigkeits- und Vielfaltskontrolle erkannt, die hier auf den notorisch bekannten Punkt kommt: die Frau, differenzierter formuliert: den biologisch-weiblichen Menschen. Erst aber, wenn man die durch feministischen Eifer einerseits und reduktionistische Sachlichkeit andererseits zutage geförderten Aspekte zusammennimmt, kommen auch die Ambivalenzen, in die prominenterweise ein Geliert im Zuge seiner Briefstellerei sich verstrickt, als Aporien in den Blick und können so in einer integrativen Perspektive weiterführend gedeutet werden. Im Jahre 1751 erscheinen gleich drei Schriften, die unabhängig voneinander in frappierender Ubereinstimmung ihrer Grundtendenzen eine durchgreifende Reform der deutschen Brieflehre zuwege bringen: Johann Christoph Stockhausen kommt mit seinen Grundsätze[n]

wohleingerichteter

Briefe das Verdienst

zu, die Reform eröffnet zu haben. Nachdrücklicher als Stockhausen und auch als Johann Wilhelm Schaubert in seiner Anweisung Teutscher

Briefe,

zur Regelmäsigen

Abfassung

die beide - und hier nicht besonders weit entfernt von der

kanzlistischen Briefstellertradition, die sie auf dem Weg zur Schreibweise' hinter sich lassen wollen Geliert in seinen BriefefnJ,

.natürlichen

formuliert Christian Fürchtegott

nebst einer Praktischen

Abhandlung

von dem

guten

che Kontinuität zu konstruieren, ist seinerseits symptomatisch. Die ausschließliche Konzentration auf dramatische Zusammenhänge indiziert eine VeräuBerlichung ursprünglicher, gefühlsmäßiger Zusammenhänge, die auf diese Weise nicht eruiert, sondern eher getilgt werden. Dafür spricht allein schon die Tatsache, daß Privatkorrespondenzen als Stoff für handlungsgesättigte Briefromane ausgebeutet werden: Sophie Mereau greift fur ihren Briefroman Amanda und Eduard (1803) auf ihre Korrespondenz mit Johann Heinrich Kipp zurück; Clemens Brentano benutzt für seinen Erstlingsroman Godwi (1801) Briefe aus seiner Korrespondenz mit Sophie Mereau, und die Ähnlichkeiten zwischen Briefen Goethes an seinen Jugendfreund Behrisch mit Passagen aus dem Werther (1774) sind verblüffend (siehe dazu Schöne 1967). Die selbstentfremdende, sublimierend gedachte Veräußerung von Gefühlen im äußerlichen Geschehen, das dann qua Dramatisierung vergegenwärtigend wirken soll, wird vollends offenkundig im empfindsamen Roman. Für diesen setzt sich die Gepflogenheit durch, dokumentarische Authentizität zu bekunden und zwar durch die Einführung einer neuen Fiktionsebene: die des sporadisch oder stetig eingreifenden .Herausgebers'. Zum empfindsamen Roman vgl. v.u.: Norbert Miller: Der emfindsame Erzähler. Untersuchungen an Romananfängen des 18. Jahrhunderts. München 1968; Georg Jäger: Empfindsamkeit und Roman. Wortgeschichte, Theorie und Kritik im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Berlin, Köln, Mainz 1969; Wilhelm Voßkamp: Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen. Zur Poetik des Briefromans im 18. Jahrhundert. DVjs 45 (1971), S. 80-116; Peter Uwe Hohendahl: Der europäische Roman der Empfindsamkeit. Wiesbaden 1977; Pikulik: Leistungsethik contra Gefuhlskult. 1984, S. 239-280; Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988; Frank Baasner: Libertinage und Empfindsamkeit: Stationen ihres Verhältnisses im europäischen Roman des 18. Jahrhunderts. In: Arcadia 23 (1988), S. 14-^tl. Wilhelm Voßkamp: Erzählte Subjektivität: Zur Geschichte des empfindsamen Romans im 18. Jahrhundert in Deutschland. In: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Festschrift für Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag. Hg. v. Ortrud Gutjahr, Wilhelm Kühlmann u. Wolf Wucherpfennig. Würzburg 1993, S. 339-352.

102 Geschmacke in Briefen, an welcher Instanz sich der reklamierte Gesprächscharakter von Briefen festmacht: Während die Klassizisten Natur als griechische Statuennatur begreifen und euphorisch betasten, konventionalisiert Geliert im Zuge seiner Brieftheorie Natur als sittliche Natur, als Natur des guten Geschmacks. Die reklamierte Regellosigkeit beim Schreiben, die mit der ,,natürliche[n] Schrankenlosigkeit" der Frauen liiert wird,186 ist also eine unter geschmacklichem Vorbehalt. Im Zuge der Poetologisierung und Politisierung der ihr zugesprochenen natürlichen Schrankenlosigkeit wird ,die Frau' und mit ihr die weiblich konnotierte ,Natur' gleichzeitig in ihre Schranken verwiesen. Reinhart M.G. Nickisch ist es zu verdanken, die Briefsteller des 17. und 18. Jahrhunderts als eine Gattung ernstgenommen und die darin proklamierten Stilprinzipien herausgearbeitet zu haben. Nickisch konzentriert sich bei seiner Bestimmung der Gellertschen Natürlichkeit auf den Aspekt der Bildung im Stilideal des ,guten Geschmacks'. Die Gellertsche Natürlichkeit sei die „einer stilisierten Urbanen Umgangssprache humanistisch-literarisch Gebildeter".187 Damit ist zwar festgehalten, daß Geliert mit gebildeter Natürlichkeit nicht Natur an sich im Sinn hat.188 Es wird aber nicht deutlich, warum Geliert selbst hinter seinen eigenen Forderungen nach „Deutlichkeit, Natürlichkeit, Lebhaftigkeit, Schönheit, Kürze, Individualität, Bestimmtheit (um die wesentlichsten zu nennen)"189 in seinen Briefen und Briefromanen zurückbleibt, was Nickisch gleichfalls konstatiert: Aufs Ganze gesehen, hinkt die Entwicklung der effektiven Stilprinzipien hinter der der theoretischen her. Die Briefbuch-Autoren vermögen meist nur in ihren fortschrittlichsten Exempeln dem theoretisch oft schon recht bestimmt Geforderten nachzukommen. Dafi man sich fast immer ziemlich schwertut, in der stilistischen Praxis die eigenen Forderungen angemessen zu erfüllen, liegt daran, daß die sprachlich-stilistischen Möglichkeiten der deutschen Sprache noch nicht genügend entwickelt sind.

Mit seiner Erklärung der praktischen Unzulänglichkeiten theoretisch geforderter natürlicher Schreibart verläßt Nickisch die Ebene der konkreten theoretisierenden und praktizierenden Texte und schweift ins unverbindliche Universum einer anonymen, substantialistisch begriffenen deutschen Sprache. Was, wenn nicht just diese Sprache, sollte denn mit dem Natürlichkeitsapriori verändert werden? Nickischs metaphysische Gedankenilüge verleiten ihn dazu, eine Fortschrittsgeschichte zu schreiben, die bei „Entformalisierung" anfängt und über

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Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. 1979, S. 200. Reinhard M.G. Nickisch: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliogaphie zur Briefschreiblehre (1474-1800). Göttingen 1969, S. 176. Ebenda S. 175.

189

Ebenda S. 200.

190

Ebenda S. 205.

103 „Humanisierung" zu „Vollendung" fuhrt.191 Vollendet sei ein allen Anleitungspoetiken und Briefsteilem entwachsenes individuelles Bewußtsein, das nur noch dem je eigenen Charakter folgt und das in Karl Philipp Moritz' Anleitung zum Briefschreiben (1783) und in dessen späteren Vorlesungen über den Styl oder praktische Anweisung zu einer guten Schreibart (1793/94) zur Geltung komme.192 Ist man von dem mit Nickisch unternommenen metaphysischen Ausflug wieder auf die Ebene der konkreten Texte zurückgekehrt, dann geraten bestimmte Aspekte in den Blick, die das beispielhafte Gellertsche Versagen erklären und die auch noch auf die Moritzsche Anleitung zu veranschlagen sind, die hier aber nicht eigens thematisiert werden soll.193 Die gepflegte Konversation gebildeter Kreise, die Geliert als ,guten Geschmack' ausgibt und die es in den Briefen nachzuahmen gilt, verträgt sich offenbar nicht mit den explizierten Stilprinzipien. Interessant ist, daß nicht Gellerts Brieftheorie, sondern die 1746 und 1748 erschienenen Fabelsammlungen Gellerts berühmtestes Werk darstellen und zu den meistgelesenen Büchern des 18. Jahrhunderts zählen. Die als Erziehungsprogramm für edle Stände konzipierten Fabeln und Erzählungen194 gelten als deutlichste Umsetzung aufklärerischer und sozialkritischer Didaxe in die Literatur des 18. Jahrhunderts. Aufgrund der breiten Rezeption konnten Gellerts Texte bildungsnormierend wirken, wie die Zitate aus seinen Fabeln und Erzählungen im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm belegen. Mit den Texten der beiden Fabelsammlungen hat Geliert seinen eigenen Stil des natürlichen Erzählens zum ersten und letzten Mal voll ausgebildet. Da Geliert ausschließlich in seinen Fabeln das zu realisieren vennochte, was er drei Jahre später proklamativ ausgibt, wird hier die tendenziöse Eigenart der Gellertschen ,Lebendigkeit' offenbar: ,natürlich' ist ein didaktisierendes Erzählen, im Zuge dessen man den jeweils anderen galant-unaufdringlich, aber nichtsdestoweniger bestimmt belehrt. Erweist sich Gellerts intime Brief-Authentizität als Fiktion,195 so vermag die der belehrenden Fabeln zu überzeugen, weil der Autor hier seinem eigentli-

191

Siehe ebenda 237f.

192

Siehe ebenda S. 195ff.

193

Zu Nickischs Fortschrittsgeschichte siehe kritisch Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988, S. 76; Wegtnann allerdings bezweifelt im Zuge seiner ,,diskursanalytische[n] Destruktion" (S. 137) grundsätzlich die Möglichkeit von Authentizität und argumentiert, wie weiter oben im Zusammenhang des empfindsamen Konzepts einer , Sprache des Herzens' gezeigt, entsprechend unsachlich-polemisch. 194 Ch. F. Geliert: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. 7 Bände. Hg. v. Bernd Witte. Bd.l: Fabeln und Erzählungen. Hg. v. Ulrike Bardt u. Bernd Witte. Unter Mitarbeit von Tanja Reinlein. Berlin, New York 2000. 195 Annette C. Anton: Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1995. Die Autorin vermag ihrerseits allerdings nicht dem Phänomen .Authentizität' Rechnung zu tragen, weil sie ausschließlich ,kardiognostisch' verfährt. Siehe dazu Anm. 48 dieses Kapitels der Arbeit.

104 chen Bedürfnis nach Belehrung auf fiktiv-entspannende Weise nachkommen kann. Die im Hinblick auf Gellerts, Absicht, durch die Fabel zu vergnügen, und zu unterrichten" gelungenen Fabeln196 machen offenbar, was Gellerts briefstellerisch anempfohlene Ausrichtung an gebildeten Vorbildern recht eigentlich ist: eine Didaktik, welche die Forderung nach vertraulicher Lebendigkeit geradezu konterkariert und die den normativ verbindliche Regeln bietenden fürstlichen Schreibhelfern197 in nichts nachsteht. Die dahingehende Unterscheidung, daß die Regelbriefsteller auf (strikte) Befolgung von Regeln und die Natürlichkeitsbriefsteller auf (freie) Nachahmung von Mustern setzten,198 vermag nicht zu überzeugen und erweist sich wie das Gellertsche ,Natürlichkeitsapriori' als eine gutwillige Mutwilligkeit. Die natürliche Sprache, an der Geliert beispielhaft für die sich durchsetzende bürgerliche Mentalität seiner Zeit gescheitert ist, ist die der Freundschaft und Liebe. Es giebt eine muntre Art zu reden, die der Freundschaft und Liebe ins besondere eigen ist. Sie kömmt mehr aus dem Innersten des Herzens, als aus dem Überflusse des Witzes her. Sie ist nicht so wohl sinnreich als naif. Man sagt seine wahre Meynung mit einer gewissen Sorglosigkeit, mit einer Offenherzigkeit, die den Wohlstand zu vergessen scheint, und die doch gefallt, weil sie aus einem freudigen und immer zufriednen Herzen quillt. So redet die muntre Babet von ihrem Liebhaber. Sie liebt ihn im Ernste, und redet doch selten ernsthaft 199 von der Liebe.

Natürlich ist die Sprache zärtlicher Empfindungen der liebenden Frauen, die Geliert in den berühmten zärtlich-geistvollen Briefen der Madame de Sévigné mustergültig umgesetzt sieht.200 Er selbst muß hinter seinem Stilideal zurückbleiben in dem Maße, wie das angedeutete Spektrum möglicher Empfindungen - „die Betrübniß, die Freude, die Liebe, das Mitleid"201 - unter dem Diktat

196

197

Ch.F. Geliert: Beurtheilungen einiger Fabeln aus den Belustigungen. In: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Hg. v. Bernd Witte. Bd. 5: Poetologische und Moralische Abhandlungen. Autobiographisches. Hg. ν Werner Jung [...]. Berlin, New York 1994, S. 123-144; hier S. 123. In Hinsicht auf das angestrebte Ideal der Natürlichkeit erachtet Geliert selbstkritisch seine Fabeln als rückständig: „Wo ist [...] das Natürliche und Leichte, das in der Kunst zu erzählen so gefallt; das die Seele der Erzählung, das die Nachahmung des schönen Dialogischen ist? [...] Wo sind die Stellen, von denen der Leser sagt: Das war trefflich! O wie schön, wie ungezwungen! [...] So fehlerhaft sind die meisten meiner Fabeln [...]" (S. 144). Nickisch: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern. 1969, S. 197.

198 Regina Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert. 1990, S. 211-224; hier S. 218. 199 Ch.F. Geliert: Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. In: Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe. Hg. v. Bernd Witte. Bd. 4: Roman, Briefsteller. Hg. v. Bernd Witte [...]. Berlin, New York 1989, S. 111-152; hier S. 146. 200 Ebenda S. 137. 201

Ebenda S. 138.

105 ,,eine[r] richtigefn], geschwinde[n] Empfindung, vom Verstände gebildet" steht.202 Intimität ist und bleibt so ein frommer Wunsch. Ihr Reservat ist nicht der bürgerlich-empfindsame, regelmäßig zur Publikation bestimmte Brief, wie die Beispiele Gellerts, Gleims und Goethes zeigen; eine damals geläufige Redewendung bestätigt denn auch dem gelungenen Briefe, er sei ,zum Drucke schön'.203 Die Sprache der Liebe und Freundschaft bleibt eine private, respektive weibliche, respektive pauschale Angelegenheit. Sie findet, der dichotom strukturierenden Mentalität entsprechend, nicht innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft statt, sondern außerhalb dieser. ,Gefühl' bleibt ein undifferenzierter Bereich in dem Maße, wie dieser exkommuniziert wird und also nach seiner Normierung nicht mehr zur Verhandlung steht. Dies ist auch noch bei Klopstock der Fall, der im Zuge seiner Abhandlung Von der Freundschaft gegen Gellerts guten Geschmack einen Rigorismus der Aufrichtigkeit geltend macht.204 Insofern bei Klopstock naiver, harter, lakonischer Ton und Gesellschaftston zu unversöhnlichen Gegensätzen werden, mit denen sich Freiheit und Zwang, Freimut und Schmeichelei, Originalität und Konformismus gegenüberstehen,205 bringt sich sein gegen-gesellschaflliches Konzept im Sinne einer Verweigerung absolutistischer Formationen selbst um ein womöglich transformierendes Potential. Insofern natürliches Sprechen und Schreiben geschlechtsspezifisch konzeptionalisiert ist, wird es zum Indikator weiblicher Emanzipation. In dem Maße, in dem die Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit im absolutistischen Staat aus dem Geist des Privaten erfolgt, der als ,weiblich' konnotiert und mit der Frau als Hausfrau und Mutter besetzt wird, sind bürgerliche und weibliche Emanzipation ein und dasselbe und zeigt sich, wie man entwicklungsmäßig nahezu auf der Stelle tritt. Der „Zugewinn an Kommunikationsmöglichkeiten"206 ist reine Formsache. Dies zeigt sich auch und gerade in der Tatsache, daß die Briefromane von Frauen, die sich seit Maria Anna Sagars Die verwechselten Töchter und Sophie LaRoches Geschichte des Fräulein von Sternheim - beide 1771 erschienen - durchsetzen,207 alle auf die Affirmierung des dichotomen, weiblichmännlichen status quo hinauslaufen. Deren Protagonistinnen aktualisieren 202

*>(Y\

204

Geliert: Beurtheilungen einiger Fabeln aus den Belustigungen. In: Gesammelte Schriften. 1994 (Bd. 5), S. 125. Habermas: Strukturwandel. 1962, S. 63. Friedrich Gottlieb Klopstock: Von der Freundschaft. In: Werke in einem Band. Hg. v. Karl August Schleiden. Nachw. v. Friedrich Georg Jünger. München 1954, S. 252-259.

205

Jäger: Naivität. 1975, S. 52.

206

Wegmann: Diskurse der Empfindsamkeit. 1988, S. 77.

207

Diese beiden Romane wirken „wie ein Dammbruch", der eine Flut von Briefromanen nach sich zieht: von ca. 80 Autorinnen erscheinen ca. 500 Romane. Helga Gallas u. Magdalene Heuser: Probleme des Romans von Frauen um 1800. Einleitung zu: Untersuchungen zum Roman von Frauen. Hg. v. Helga Gallas/Magdalene Heuser. Tübingen 1990, S. 1-12; hier S. 4.

106 lediglich das begrenzte Repertoire des weiblichen Rollenfachs.208 Dieses hält auch noch Wilhelmine Caroline von Wobeser in ihrem Roman Elisa, oder das Weib, wie es seyn sollte hoch, ein Text, der nach seinem Erscheinen 1795 rasch zum Bestseller wird, ins Englische, Französische, Dänische und Holländische übersetzt wird und 1800 bereits in der fünften Auflage herauskommt.209 Weiblichkeit, die im Sinne einer positiven emanzipativen Selbstbestimmung des bürgerlichen Subjekts gegenüber dem absolutistischen Staat fiinktionalisiert und gleichzeitig zu Zwecken der Aufrechterhaltung des Männlich-WeiblichOrdnungsschemas im Sinne einer negativ-defensiven Abwehrstrategie als restringiertes Rollenfach affirmiert wird, offenbart sich als Bruchstelle gesellschaftlicher Autonomisierung des bürgerlichen Subjekts.210 Die feudalabsolutistische Gesellschaftsformation erhält sich intra- wie interpersonal in einem geschlechtsspezifisch verstandenen Antagonismus von Verstand und Gefühl wie in der Reduktion des pauschal verstandenen Gefühls auf eine Hilfsfunktion und schränkt die bürgerlich-demokratischen Visionen in ihrer Reichweite ein. Der verspürte progressiv-emanzipative Impuls wird von einer gleichzeitigen Beharrungstendenz unterlaufen und sorgt für die spezifischen Aporien, in die sich die Apologeten einer neuen Natürlichkeit verstricken. Von hier aus bietet sich eine Erklärung für die zum wissenschaftlichen Gemeinplatz avancierte Beobachtung, daß der Begriff ,Bürgertum', der die Vorstellung einer einheitlichen Klasse transportiert, sozialgeschichtlich problematisch ist. „Das Bürgertum bilde[..] keine einheitliche Klasse, die sich an eindeutigen Sozialindikatoren festmachen ließe [...]."2U Über die Problematisierung einer bündigen Formulierung aus Habermas' Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit, das für die sozial wissenschaftliche Forschung zum 18. Jahrhundert paradigmatisch geworden ist, läßt sich diese Vorstellung vom Bürgertum' als einer „in sich diffuse[n], an den Rändern offene[n] Konfiguration"212 allerdings präzisieren und die hier angestellten Beobachtungen zur sittlichen Natürlichkeit zusammenfassen. Habermas schreibt: Das 18. Jahrhundert wird nicht zufallig zu einem des Briefes; Briefe schreibend entfaltet sich das Individuum in seiner Subjektivität.213

Da natürliches Sprechen in einem eigens dafür vorgesehenen Bereich des Privaten ghettoisiert und auf Gefühl an sich programmiert wird, kann von einer nQg

209

210

211

Siehe dazu auch Annette Simonis: Kindheit in Romanen um 1800. Bielefeld 1993, S. 175ff. Zur affirmativen Moral der Autorinnen siehe die Aufarbeitung eines umfangreichen Materials bei Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. 1996, S. 35ff. Siehe dazu auch Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert. 1990, S. 223. Hansen: Neue Literatur der Empfindsamkeit. 1990, S. 517.

212

Ebenda.

213

Habermas: Strukturwandel. 1962, S. 62f.

107 Entfaltung von Subjektivität keine und von .Individuum' schon gar keine Rede sein. Da auf ständische Differenzierung mit bürgerlich-dichotomer Differenzierung' geantwortet wird, werden ständische Strukturen perpetuiert und bleibt ein durchgreifender Strukturwandel aus. Die ersehnte bürgerliche individuelle Identität bleibt unsichtbar. Sie erweist sich als ein zwischen Ideal und Realität umtreibendes Phantasma. In genau dieser Bedeutung ist,Bürgertum' dann eine ,in sich diffuse, an den Rändern offene Konfiguration': Subjektiv Desintegriertes wird an das jeweilige Gegenüber delegiert, so daß die projektive Vermitteltheit der dort ausgemachten ,Natur' nicht erkannt werden kann; das Subjekt verliert sich in der ungefiltert-bewußtlosen und als einer solchen normalisierten Öffnung auf sein Gegenüber als ein autonomes Bezugssystem, eben als Individuum aus dem Blick. Die Rede von einer .Feminisierung der Kultur', wie sie in Bezug auf die Empfindsamkeit als Ausdruck einer kulturellen Krise kursiert, erweist sich noch vor aller Kritik an dem darin zum Ausdruck kommenden Gynozentrismus als irreführend. Über eine Differenzierung feministischer Propagierung einer kulturellen .Feminisierung' wird auch und gerade die beschränkte Reichweite eines humanistisch inspirierten Feminismus' sinnfällig.214 Der qualitative Aspekt der Feminisierung kommt in der gynozentri sehen Behauptung einer Sonderanthropologie der Frau zum Tragen, für die man sich auf die Empfindsamkeit beruft. Der quantitative Aspekt der Feminisierung kommt in dem Bestreben einer humanistischen Angleichung der Frauen an den maskulinen status quo zum Tragen, für die man sich auf die feministischen Gleichheitsbestrebungen beruft, wie sie in der Déclaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne (1791) einer Olympe de Gouges oder in der Abhandlung Ueber die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792) eines Theodor Gottlieb Hippel festgehalten werden und die ihrerseits auf namhafte Vorläufer und Vorläuferinnen zurückgreifen können.215 So berufen sich gynozentrische wie humanistische Feminist/inn/en auf den romantischen Zeitraum und veranschlagen in dem Maße, in dem man sich dort nicht nachhaltig genug für die Sache der Frau durchzusetzen vermochte, im Sinne einer deklamatorischen Bestandsaufnahme die Dringlichkeit einer kulturellen Feminisierung. Aber allein schon in der feministischen Orientierung an den Kategorien ,Mann' und ,Frau', in denen eine biologistischdichotom eingeschränkte Perspektive auf das Kontinuum menschlichen Daseins sich ontologisch verselbständigt hat, wird die Ambivalenz von progressivemanzipativem Impuls und gegenläufiger Beharrungstendenz, wie sie in der

214

Siehe dazu Kapitel II. 2 dieser Arbeit.

215

Siehe dazu bspw. Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. 1979; Barbara BeckerCantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500-1800). Stuttgart 1987, S. 259-277; die entsprechenden Beiträge in Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde. Hg. v. Gisela Brinker-Gabler. München 1988; Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. 1996.

108 Empfindsamkeit signifikant geworden ist, perpetuiert. Anders ausgedrückt: Auch die humanistisch beseelte bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792) eines Theodor Gottlieb Hippel ist in dem Maße problematisch, wie sie eine bürgerliche ist. Gynozentrismus wie egalitärer Humanismus machen sich an einer Dichotomie von Maskulinität und Feminitität fest, an der sich das aufkommende bürgerliche (Un-)Bewußtsein, gemessen an der darin zum Ausdruck kommenden Sehnsucht nach individueller Authentizität, erfolglos abarbeitet und deren erbarmungslose Alternativlosigkeit prominent von Werther vorgeführt wird. Ebenso unempfindsam wie die Empfindsamen und ebenso ignorant wie die Frauenrechte einfordernden Egalist/inn/en operieren feministischer Gynozentrismus und feministischer Humanismus in der biologistisch fixierten Rede von ,Frauen' oder ,Weibern' insbesondere mit,Gefühl' als einem Kollektivsingular und vermögen so der Reichweite dieses menschlichen Vermögens nicht inne zu werden. Dabei hält allein schon der Kollektivsingular ,Gefühl' die Allgegenwart von Gefühlen fest, von der sich Femininität und Maskulinität auf komplementäre Weise freizumachen versuchen: Während Maskulinität für sich wesentlich den Verstand reklamiert und für gedankliche Operationen allein das Gefühl emsthafter Anstrengung gelten läßt, reklamiert Femininität für sich wesentlich das Gefühl, womit lediglich sachte Gefühle gemeint sind. Maskulines und feminines (Un-)Bewußtsein vermögen nicht wahrzunehmen, daß gedankliche Operationen ebenso wie alle anderen Tätigkeiten, denen sich der Mensch widmen kann, ein ganzes Spektrum an Gefühlen freizusetzen vermögen, wie z.B. Verunsichert-Sein, Herausgefordert-Sein, Berührt-Sein, BetrofienSein, Erfüllt-Sein, Traurig-Sein, Enttäuscht-Sein, Angeregt-Sein, Wütend-Sein, Nachdenklich-Sein, Beruhigt-Sein, Versöhnt-Sein, Frei-Sein etc., und daß Gefühle eben nicht nur sachte Gefühle sind, die mit ihrer Ghettoisierung im Privaten den menschlichen Kräftehaushalt im Gleichgewicht halten könnten. Erweist sich die Welt im Zeichen emsthaft-angestrengter Gefühligkeit als inhuman-brutal, so kann sie im Zeichen einer sachten Gefühligkeit allenfalls humanistisch beseelt werden. Humanität jedenfalls kann nur in dem Maße sich einstellen, in dem die Subjekte des gefühlsmäßigen Reichtums in den verschiedenen Dimensionen menschlichen Seins gewahr werden und so allererst menschliches Bewußt-Sein realisieren. Anders ausgedrückt: Kollektiv läßt sich nicht erreichen, was nicht individuelle Realität ist. Aus der spezifisch bürgerlichen Aporie von Aufwertung einer natürlichen, weiblich konnotierten und insofern als egalitär konzeptionalisierten Sprech- und Schreibweise einerseits und der Aufrechterhaltung geschlechtsspezfischer Standards andererseits216 haben die Surrealisten um André Breton gelernt: Dieser

216

Die paradoxe Situation von ideologischer Aufwertung des Weiblichen bei gleichzeitig intensivierter Behamingstendenz auf dessen status quo hat Ute Frevert anhand der Paradoxic ,Zunahme des politischen Redens über Gleichheit bei gleichzeitigem Wachstum der

109 exklusive Zirkel von ,Männern', der sich mit der Aufnahme von ,Frauen' schwer tut,217 macht sein Programm einer écriture automatique nicht mehr an einer entsprechend disponierten Weiblichkeit fest, sondern am exklusiven Kreis soziologisch und auch kunsthistorisch außer Konkurrenz zeichnender und malender Medien. Die art médiumnique als Beweisgrundlage einer vom bewußten Willen abgekoppelten spontanen Schreibweise nehmend haben sich die Surrealisten der profanen Aporien entledigt, an der die Brieftheoretiker des 18. Jahrhunderts aufgrund der geschlechtsspezifschen Konnotierung des Ideals ,natürliche Schreibweise' noch laboriert haben. Maßstab für die surrealistischautomatische Produktion ist nicht mehr das aufgrund seiner gesellschaftlichen Exkommunikation natürlich und inkommensurabel gedachte .Weibliche', mit dem die Tendenz zur Profanierung des anvisierten Ideals immer schon gegeben ist, sondern das mediumnistische, menschlichen Zusammenhängen enthobene ,Heilige'.218 Bei aller spiritistischen Ausrichtung zu Zwecken künstlerischer Identitätsfindung kommen aber auch Surrealisten aus Gründen der Anschließbarkeit ihrer künstlerischen Ver-wirklichungen an die zwischenmenschliche Kommunikation nicht ganz um die menschliche Realität und also um eine profanere Dimensionierung ihres Programms einer écriture automatique umhin. Da es die greifbare menschliche Gegenwart nicht sein kann und darf, kommt nur die unfaßbare, relativ zum normalen status quo inkommensurable menschliche Gegenwart der Primitiven, der Kinder und der Geisteskranken in Betracht. Mit deren ,abartiger' Eigenart begründen die Surrealisten ihr individualistisches, mit dem Epitheton .automatisch' zugegebenermaßen ,bewußtloses' Selbstverständnis und vermitteln Sakrales und Profanes zur schwebenden sur-réalité, mit der sie beanspruchen, die Realität auf eine gleichsam elementare Weise zu durchdringen. Die Automatisierung natürlichen Schreibens im Zeichen des Elementaren

Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt' für die letzten 200 Jahre sozialgeschichtlich rekonstruiert. Der Titel ihrer Studie, die nicht nur die Konstanten weiblichen Lebens, sondern auch deren Veränderungen betrachtet, bringt die grundsätzliche Aporie bürgerlichen Emanzipationsstrebens, die einen durchgreifenden Strukturwandel bislang verhindert hat, auf den Punkt: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt a.M. 1986. Siehe darüberhinaus auch den von Frevert herausgegebenen Sammelband: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Zwölf Beiträge. Mit einem Vorwort von Jürgen Kocka. Göttingen 1988. 217

Siehe dazu bspw. Josef Helfenstein: Meret Oppenheim und der Surrealismus. Stuttgart 1993.

218

André Breton: Die Manifeste des Surrealismus. Dt. v. Ruth Henry. Reinbek 9 1996, S. 21 u.ô. Siehe dazu bspw. Maurice Nadeau: Geschichte des Surrealismus. Frankfurt a.M. 1965; Gaitan Picon: Le Surréalisme. 1919-1939. Genève 1983. Zur art médiumnique, auf wecher das surrealistische Konzept einer écriture automatique aufbaut, siehe neuerdings Peter Gorsen, der auf eine entsprechende Pariser Ausstellung hinweist: Botschaften aus der anderen Welt. Feier eines Archetypus: Magier, Schamanen und Visionäre in einer Pariser Ausstellung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Januar 2000.

110

bedeutet gleichzeitig eine Technisierung. Mit dem eigenartigen Paradox natürlicher Technizismus' oder .technizistische Natürlichkeit', das der Begriff écriture automatique sinnfällig macht, aktualisieren die Surrealisten einen Aspekt, der bereits im romantischen Zeitraum virulent ist: Hier wird in bestimmten Konzepten von Primitivität, Kindlichkeit und darüber hinaus auch Jugend die prätendierte Ursprünglichkeit, die man dort aufsuchen und nobilitieren möchte, auf subtile Weise unterlaufen und die Kontrolle lebendiger Vielfalt als typische moderne Mentalität einmal mehr sinnfällig.

1.3.4 Kindlich-Jugendliches Der den romantischen Zeitraum durchziehende ethnologische Kult des Primitiven kennt drei signifikante Spielarten: den Kult um die ,wilden Völker', den um die homines feri und den um die als eine autonome, menschheitsvertretende Ethnie erachteten Kinder. Da fiir den Umgang mit ,noimalen' Kindern die gleichen Strategien relevant sind wie fur den mit den fremden Völkern und den wilden Kindern, sei kurz darauf eingegangen. Diese Hintergrundbeschreibung soll hier im Sinne einer Zuspitzung vom Entlegenen (wilde Völker) über das Befremdende (wilde Kinder) hin zum Eigenartigen (Kindheit an sich) fungieren und die soziale Brisanz des Themas ,Unbekannte Herkunft' aufzeigen, auf das alle drei Momente des Kults des Primitiven verpflichtet sind. Von zahlreichen Reiseberichten aus der ersten Kolonisationsphase der Neuzeit beflügelt, bricht man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Reisen in die Südsee auf. Dort gilt es, ,wilde Völker' zu sichten und naturkundlich zu beobachten, um so das ursprüngliche Wesen der Gattung .Mensch' aufzuklären. Die Reisen in den Raum sind Reisen in die Zeit.219 Diese Reisen zeichnen sich durch äußeren Aktionismus und innere Bewegungslosigkeit aus: Die Entdekkung der unbekannten Völker findet in dem Maße nicht statt, wie der Topos des ,edlen Wilden' mentalitätsprägend und die Entdeckungsfreude gedanklich vorstrukturiert ist. Die Idealisierung des Unzivilisierten zu einer abstrakten Größe konterkariert die Entdeckung eines ,menschlichen Ursprungs', der seinerseits mit einer mythischen Patina vom ,Goldenen Zeitalter' überzogen wird. Georg Forster, ein kritischer Zeitgenosse, reagiert denn auch in seinem Aufsatz Cook der Entdecker (1787) auf das populäre Unisono vom bon sauvage mit einer Klarstellung: Immerhin mögen Romandichter, die sich ihrer Ideale nicht entschlagen können, und gewohnt sind, von Naturmenschen, vom goldenen Zeitalter, von ursprünglicher Vortreflichkeit und Einfalt, und einem angebohrnen Gefühl, daß allen alles gehöre, überirrdisch [sie!] zu träumen, immerhin mögen sie, sage ich, diese Bilder ihrer süßelnden Phantasie auch in 219

Berthold Weckmann: Kaspar Hauser. Die Geschichte und ihre Geschichten. Würzburg 1993, S. 34.

Ill ihre Darstellung der wirklichen Welt übertragen: der Reisende durchirrt alle vier Welttheile, und findet nirgends das liebenswürdige Völkchen, welches man ihm in jedem Walde und in jeder Wildniß versprach.220

Die Phantasie der reisenden Entdecker macht also nicht den Nullpunkt aller Entwicklung sichtbar, dafür aber die Mentalität ihrer Verfasser: deren Bedürfnis nach Ausbruch aus der lebhaften Nähe und einem halluzinatorischen SichVerlieren in der Ferne. Forsters Stimme steht fur einige andere, die mit ihm die ,empirischen' Antworten auf die naturgeschichtlich-philosophische Frage nach dem Ursprung der Menschheit bereits während ihrer Explikation als unbefriedigend empfinden. Nur die homines feri genügen zunächst noch als lebende Demonstrationsobjekte jenem eigentümlichen Wunsch, bis zum Nullpunkt aller Entwicklung zu gelangen.221 Ab etwa der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts schenkt man den Verwilderten, vor allem den wilden Kindern aus naturgeschichtlichphilosophischer und literarisch-mythologischer Sicht ein außergewöhnliches Interesse, das einen verspäteten enthusiastischen Höhepunkt erfährt, als Kaspar Hauser am 26. Mai 1826 auf dem Unschlittplatz in Nürnberg die Weltbühne betritt. In seiner Psychologia rationalis (1734) greift Christian Wolff u.a. auf den Bericht über einen litauischen Bärenjungen von 1694 zurück, um den Zusammenhang von Begriffsbildung und Sprache aufzuweisen.222 Er untersucht die Frage, ob es ideae innatae, ob es eine angeborene Gottesvorstellung gibt, und macht so beispielhaft sinnfällig, daß die Untersuchung des befremdlich Anderen metaphysisch motiviert ist. Das Thema .unbekannte Herkunft', das die Naturkundler umtreibt, ist die säkularisierte Version der Suche nach einem über menschlich-lebendige Zusammenhänge erhabenen Gott als einem autonomen Prinzip des Lebens an sich. Nicht weniger als die .wilden Völker' sind auch die

220

Georg Forster: Cook der Entdecker (1787). In: Georg Försters Werke. Hg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR. 18 Bde. Bd. 5: Kleine Schriften zur Völker- und LänΎ) 1derkunde. Berlin 1985, S. 191-302; hier S. 262. Weckmann: Kaspar Hauser. 1993, S. 40. Ebenda S. 38f. In seinem Traité des sensations (1754) bemüht Condillac für sein statuarisches Denkmodell, um auf analytischem Wege die Erkenntnisursprünge in der Sinnlichkeit nachzuweisen, ebenfalls den erwähnten Fall des wilden Jungen aus Litauen von 1694 und sucht so, seine wissenschaftliche Fiktion durch den Nachweis einer naturgeschichtlichen Parallele zu bestätigen. Zur Wirkungsgeschichte aufklärerischer Anthropologie in der Literatur siehe bspw. Wilhelm Kühlmann: Von Diderot bis Stifter. Das Experiment aufklärerischer Anthropologie in Stifters Novelle ,Abdias\ In: Adalbert Stifter. Dichter und Maler, Denkmalpfleger und Schulmann. Neue Zugänge zu seinem Werk. Hg. v. Hartmut Laufhütte und Karl Möseneder. Tübingen 1996, S. 395-409. Kühlmann verfolgt die Genealogie des Stifterschen Denkens bis ins 18. Jahrhundert zurück, bis zu Diderots Lettre sur les aveugles (1749), worin Diderot sich im Rekurs auf den Franzosen William Molyneux, der in Irland lebte, beziehungsweise auf Condillac und auf den Sensualismus eines John Locke als von der empirischen Sinnesphysiologie beeinflußt zeigt.

112 homines feri nicht viel mehr als Anlaß wissenschaftlicher Mutmaßungen und Idealisierungen: Ihre Geschichten erzählen, wie es gewesen sein könnte und wie es hätte werden können.223 Wie die ,Entdeckung' der wilden Völker und wilden Kinder steht auch die der Kindheit als einer eigenständigen Lebensphase im Zeichen idealisierender Kolonisation und sozialer Desintegration des Inkommensurablen. Im 146. Fragment seiner Fragmente und Studien (1799/1800) bringt Novalis den Zusammenhang von äußerer und innerer Reise und die romantische Exterritorialisierung von Kindheit auf den Begriff: „Studium der Paedagogik - Kinder sind noch terrae incognitae."224 Analog zur Entdeckung fremder Kontinente wird die zu entdeckende Kindheit aus dem präsenten gesellschaftlichen Zusammenhang ausgeschlossen und zum ghettoisierten Lebensraum verselbständigt. Die Kindheit gehört zu den Themen, die im 18. Jahrhundert die Gemüter bewegen, was bis zum Ende des 18. Jahrhundert zunimmt. Das Kind wird wie ,die Frau', die oft als ,Kind' bezeichnet wird, weil sie rechtlich gesehen ebenso unmündig und bevormundet ist wie dieses,225 zur inkommensurablen Natur erklärt und so zum Einfallstor des spezifischen furor paedagogicus jener Zeit. Während sich die Konzeptionalisierung von Weiblichkeit aufgrund der pragmatischen Bedeutsamkeit der biologisch-weiblichen Menschen in den konkreten Lebenszusammenhängen lediglich als eine Brachstelle, als „ein wunder Punkt"226 der sich herausbildenden bürgerlichen Mentalität erweist, ist das Kind als abhängiger Nesthocker die Soll-Bruchstelle des bürgerlichen Lebendigkeitskontrollwahns. Die pädagogischen Bemühungen im Zeichen von Natur unterscheiden sich nicht wesentlich von den rationalistischen Pädagogikprogrammen wie beispielsweise dem, das Johann Amos Comenius in seiner Didáctico Magna (1657) vertritt. Begreift dieser das Kind als eine tabula rasa, als reine Unbestimmtheit und folglich grenzenlose Bestimmbarkeit und gibt daraufhin bekannt, daß der Mensch [...] zum Menschen erst gebildet werden [muß7,227 so wird dieses Programm im 18. Jahrhundert unter dem Natürlichkeitsapriori nicht

223

224

Weckmann: Kaspar Hauser. 1993, S. 44. Zum in dieser Hinsicht symptomatischen Umgang mit Kaspar Hauser siehe den von mir herausgegebenen Band: „Warum fliegen da lauter so schwarze Würmer herum?" Das Kaspar-Hauser-Syndrom in Literatur und Film, Forschung und Lehre. Würzburg 1999. Novalis: Fragmente und Studien 1799-1800. In ders.: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Hg. v. Paul Kluckhohn u. Richard Samuel. Bd. 3: Das philosophische Werk II. Hg. v. Richard Samuel. Stuttgart 1968, S. 527-693; hier S. 575, Nr.146.

225

226 227

Siehe dazu Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. 1979, S. 72; Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. 1987, S. 59. Nörtemann: Brieftheoretische Konzepte im 18. Jahrhundert. 1990, S. 223. Comenius: 1954, S. 45^19; hier S. 45.

113 nur subtil verdeckt,228 sondern auch explizit fortgeschrieben: In seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) spricht Schiller von „der grenzenlosen Bestimmbarkeit in dem Kinde"; das durch diese Perspektive entbundene Allmachtsempfinden wird allerdings gleichzeitig kaschiert, indem Schiller - unter mutwilliger Verkennung der Fallgesetze - nicht etwa „von der Höhe [seiner] Kraft und Vollkommenheit auf das Kind herabsehen, sondern [...] zu seiner reinen Unschuld hinaufsehen" will.229 Davon, daß die romantische Zeit das Kind entdeckt, kann keine Rede sein. Es ist erwiesen, daß beispielsweise auch die mittelalterliche Gesellschaft Kindheit als eine eigenständige Lebensphase erachtet und der kindlichen Altersstufe besondere Aufmerksamkeit zukommen gelassen hat.230 Die These von einem veränderten, von unvoreingenommener Offenheit beseelten Bewußtsein gegenüber dem Kind im Vergleich zur vorromantischen Zeit, die die historische Kindheitsforschung seit Philippe Ariès vertritt, muß also revidiert werden.231 Sie ist vielmehr ihrerseits als Ausdruck dafür aufzufassen, daß man der Kindheits-Rhetorik dieser Zeit erlegen ist. Hinter das affirmative Verhältnis der historischen Kindheitsforschung zum furor paedagogicus der romantischen Zeit zurückgehend ist dann die Beobachtung aufschlußreich, daß es so scheint, als ob die romantische Zeit das Kind entdeckte. Diese Diagnose ist symptomatisch für den Aufwand, den man offenbar betreiben muß, um lebendige Vielfalt unter Kontrolle zu bringen. In dem Augenblick, in dem das Kind als Natur entdeckt wird, ist es nur scheinbar keine tabula rasa mehr: denn in sein Gemüt wird die Natur mit einer Reihe positiver Bestimmtheiten eingeschrieben, noch bevor der Erzieher sich als Anwalt menschlicher Natur mit ihm beschäftigt. Im Plädoyer fur die Natur des Kindes [wird] ängstlich dem Risiko vorgebeugt [...], daß diese Natur die in ihr schlummernden anarchischen Kräfte entfalte und sich damit der Ver-

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Dieter Richter: Das fremde Kind. Zur Entstehung der Kindheitsbilder des bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt a.M. 1987, S. 259f. Friedrich Schiller: Uber naive und sentimentalische Dichtung (1795). In ders.: Sämtliche Werke. 5 Bde. Hg. v. Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert. Bd. 5: Erzählungen/Theoretische Schriften. München '1993, S. 694-780; Kommentar S. 1160-1185; hier S. 697. Zu den gewaltsamen Konsequenzen, die sich aus der idealisch verbogenen Auffassung des lebendig Anderen als einer ,grenzenlosen Bestimmbarkeit' ergeben, siehe Kapitel III. 2.2 dieser Arbeit. Siehe dazu Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance. Beiträge und Texte zur Geschichte der Kindheit. Hg. v. Klaus Arnold. Paderborn, München 1980; des weiteren das von Otto Brunken verfaßte Kapitel über Mittelalter und Frühe Neuzeit in der von Reiner Wild herausgegebenen Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur. Stuttgart 1990, S. 1-44. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit. Mit einem Vorwort v. Hartmut v. Hentig. Aus d. Franz. v. Caroline Neubaur u. Karin Kersten (1975). München "1977.

114 regelung durch die Erwachsenen entzieh[t], [...]. Wie das Paradies auszusehen habe, ist bereits vorgedacht - ein gepflegter Garten soll es sein, keine Wildnis.

So ist denn auch nur die halbe Wahrheit getroffen, wenn man feststellt, daß sich in den pädagogischen Bemühungen des 18. Jahrhunderts eine Doppeldeutigkeit des Begriffs ,Natur' abzeichne, „geht es dabei [...] zum einen darum, was der Mensch qua seiner Herkunft als Naturwesen ist, zum anderen darum, was er qua seiner Vernunftbegabung sein sollte und vielleicht einmal werden wird [,..]."233 Sieht man die beiden Seiten der wohl einen Medaille zusammen, dann ist diese Ausdruck eines sich in seiner Grenzenlosigkeit legitimierenden Domestizierungsbestrebens, dessen neues Maß die Maßlosigkeit ist. Daß die erhöhte Aufmerksamkeit für das Kind nicht fur ein verändertes Bewußtsein gegenüber diesem steht, wird in Karl Philipp Moritz' Roman Anton Reiser (1785-1790) sinnfällig.234 Nach Maßgabe der psychologischen Erfahrungen, die Moritz zeitgleich in seinem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde (1783-1793) sammelt, beschäftigt sich der Autor mit der Genese des Innenlebens seines Protagonisten, weshalb man den Roman auch als „angewandte Psychologie"235 bezeichnet hat. Moritz, der zu einer Methodisierung der Erforschung der Kindheit beiträgt, setzt im Anton Reiser das psycho-analytische Verfahren der Selbstbeobachtung ein. Moritz nobilitiert darin den subjektiven Eindruck zum spiritus rector der Kindheitsanalyse und egalisiert anhand der Kategorie des sich erinnernden Subjekts ein womöglich hierarchisches Gefälle zwischen deutendem Analytiker und stichwortgebendem Analysant. Allerdings tut sich in der Wahl der Er-Form ein Streben nach Objektivierung der erzählten Kindheit kund, mit der das Einzelschicksal Antons sozialpsychologisch als typische Kindheitserfahrung perspektiviert werden soll. Das Schielen nach wissenschaftlicher Reputation macht Moritz einen Strich durch die kindheitsund entwicklungspsychologische Rechnung: Weil der erforderliche Akt der Selbstbesinnung, im Zuge dessen das sich erinnernde Subjekt sich osmotisch seinen Kindheitserlebnissen anverwandelt, durch die Fremdorientierung gestört wird, vermag Moritz alias Anton Reiser das Scheitern der Bildungsgeschichte des Jungen nicht auf seine tiefer liegenden Ursachen hin zu ergründen - der Roman bricht ab, bleibt Fragment. Der Roman akzentuiert auf diese Weise Erziehung und Bildung als dilemmatische Größen: Das Bemühen, der kindlichen Erfahrungswelt gerecht zu werden, wird von der erwachsenen Haltung der

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Ebenda S. 259f. Weckmann: Kaspar Hauser. 1993, S. 33. Zum Thema Kindheit in Romanen um 1800 siehe die gleichnamige Dissertation von Annette Simonis (Bielefeld 1993). Bei aller kritischen Absicht bleibt diese materialreiche Studie auf ein rein affirmatives Verhältnis zu ihren Gegenständen (Hyperion, Anton Reiser, Geschichte des Fräuleins von Stemheim, Das Blütenalter der Empfindung (Sophie Mereau)) beschränkt. Hans Joachim Schrimpf: Karl Philipp Moritz. Stuttgart 1980, S. 1.

115 objektivierenden Festschreibung des kindlichen individuellen, seelisch fließenden Energiehaushalts zu Zwecken der Demonstration konterkariert. So erweist sich Moritz' Kindheits- und Entwicklungspsychologie als innovative Idee, die an ihrer Durchführung scheitert. Die Diskrepanz zwischen innovativer Idee und stagnierendem erwachsenen Bewußtsein ist Ausdruck der zeitgenössischen Mentalität: Man interessiert sich für die Natur des Kindes, ohne sich dieser tatsächlich zu öffnen. Die objektivierende Zurichtung von Kindheit, wie Moritz sie vornimmt, ist Symptom für einen kontrollierenden Umgang mit Kindheit als der ausschließlich auf Entfaltung drängenden Phase des Menschseins. Daß die erhöhte Aufmerksamkeit für das Kind nicht für ein verändertes Bewußtsein gegenüber diesem steht, wird neben Moritz romanesker Analyse auch in Goethes Ballade Erlkönig, 1782 entstanden, 1789 erschienen, sinnfällig. Wilhelm Kühlmann ist es zu verdanken, diesen Lesebuchklassiker und eines der meistinterpretierten deutschen Gedichte überhaupt auf die pädagogische und anthropologische Literatur der Zeit bezogen und so „den selbstverständlichen Verständigungsraum" rekonstruiert zu haben, „in dem sich sowohl Goethe als auch die das Gedicht im Lesevollzug realisierenden Zeitgenossen [. . .] bewegten]".236 Anhand des im Entstehungsjahr des Erlkönigs erschienenen und als Erziehungsanleitung für Sechs- bis Achtjährige gedachten Moralischen Elementarbuchs aus der Feder des Religionslehrers, Gründers einer Erziehungsanstalt und nicht nur mit pädagogischen Schriften, sondern auch moralischen Erzählungen und Romanen hervorgetretenen Christian Gotthilf Salzmann vergleicht Kühlmann aufklärerische Disziplinierung und balladeskes ,Zulassen' von Bedürfnissen und Neigungen, die im konventionell-normalen Lebensvollzug inkommensurabel sind.237 Gegenüber der Beispielerzählung vom kleinen Ludwig aus dem dritten Kapitel des Salzmannschen Elementarbuchs, im Zuge derer der Pädagoge seine Ablehnung sensualistisch ausgerichteter Erziehungsmaßnahmen zum Ausdruck bringt, macht Kühlmann eine signifikante literarische Verschiebung der moralischen Vorzeichen des Dualismus Sinnlichkeit-Vernunft aus, dem die Ballade ihren ,,zeitüberdauemde[n] Eindruck"238 verdanke: Goethe akzentuiere mit der Gestalt des Erlkönigs jene

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Wilhelm Kühlmann: Die Nachseite der Aufklärung. Goethes „Erlkönig" im Lichte der zeitgenössischen Pädagogik (C.G. Salzmanns „Moralisches Elementarbuch"). In: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Festschrift fur Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag. Hg. v. Ortrud Gutjahr, Wilhelm Kühlmann u. Wolf Wucherpfennig. Würzburg 1993, S. 145-157; hier S. 156.

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Ebenda S. 147.

238

Ebenda.

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Lockungen [...], die in der aufgeklärten Affekterziehung die äußerste Gefahrdung der Willensdisziplin bedeuteten: [die] Lockungen von Zärtlichkeit, [...] Bildern des Mütterlichen und zugleich Mädchenhaften [...], auch die Freiheit der zwecklosen, .schönen Spiele' I···].239

Auch wenn Goethe den zugespitzten Konflikt zwischen dem in der Gestalt des Königs Macht gewinnenden Prinzip der Natur auf der einen und Rationalitätsprinzip auf der anderen Seite „nur im Tod und in der Bestrafung des sein Kind verlierenden Vaters zu lösen" imstande ist,240 stellt er sich - so Kühlmann - mit dieser Ballade gegen eine Mentalität, die in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts und in der voltepädagogischen Literatur der gesamten , Spätaufklärung' befestigt und eingeübt wurde.24

Kühlmann schreibt sich mit dieser Auslegung des Gedichts in die Tradition der natuimagischen Interpretationen ein, die der Tradition rationalistischer Interpretationen diametral entgegengesetzt ist.242 Beide Deutungslinien arbeiten sich auf leicht durchschaubare Weise an einem Vater-Sohn/Natur-Dualismus ab, den sie variantenreich multiplizieren: als Gegensatz zwischen Vernunft und Gefühl, zwischen Erwachsenem und Kind, Wirklichkeit und Phantasie, Norm und Natur, Gesundem und Kranken etc. Dies vorausgesetzt, schlägt man sich entweder auf die eine oder auf die andere Seite: der Naturmagier auf die des Sohnes und der königlich-mächtigen Natur, der Rationalist auf die des Vaters. Beide Male wird der Sohn mit dem Erlkönig identifiziert. Während die Rationalisten den Erlkönig als Aufklärungsballade lesen und zu einem Lehrgedicht stilisieren, das vor den Gefahren der Phantasie, der Triebe und des Weiblichen warnen soll, kehren die Naturmagier das Kräfteverhältnis um, rehabilitieren ,Natur' und ,Gefühl' gegen die HeiTschaft der , Vernunft' und machen für ihre Deutung die Form der Kunstballade geltend; diese biete per se, seit ihrer Herausbildung in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts, Raum zum „sinnlich plastischen Figurenhandeln[..]", zum „sprunghaft spontanen, auf Effekt verknappten Rede[n]", und entziehe sich so „der kanonischen Architektur und logischen Transparenz der akademischen Dichtung".243 Rationalistische und naturmagische Position, die jede für sich eine Deutungstradition herausbilden konnten, relativieren sich wechselseitig: Die rationalistische Deutung macht fragwürdig, ob Goethes Ballade tatsächlich als Re-

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Ebenda S. 153.

240

Ebenda S. 153f.

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Ebenda S. 148. Als kritisches Referat prominenter Vertreter beider Positionen siehe Hans Lösener: Der Rhythmus in der Rede. Linguistische und literaturwissenschaftliche Aspekte des Sprachrhythmus. Tübingen 1999, S. 113-130. Kühlmann: Die Nachtseite der Aufklärung. 1993, S. 147.

117 bellion gegen eine rationalistische Verdrängung des Gefühlshaften aufzufassen ist und läßt an der kritischen Produktivität von Goethes tödlichem Lösungsvorschlag des ausgemachten Konflikts zwischen ratio und emotio zweifeln; die naturmagische Deutung unterminiert den Stellenwert der Ballade als warnendes Aufklärungsgedicht. Das Gedicht selbst bietet beiden Lesarten genügend Anhaltspunkte. Gegen den Schematismus der naturmagischen und rationalistischen Deutungsstereotype setzt Hans Lösener eine völlig überzeugende extensive Analyse des Textrhythmus. Rhythmus nicht platonisch als gleichmäßige Bewegung, sondern vorplatonisch als immer wieder vorübergehende Anordnung begreifend sucht Lösener im Ineinander von Lexik, Syntax, Prosodie und Akzentik244 die sinnvolle Tätigkeit des sprechenden Subjekts zu diskursivieren und der Individualität des Textes Rechnung zu tragen.245 Mit seiner Analyse prosodischer Figuren, vor allem der vokalisch-konsonantischen Organisation der Rede erfaßt Lösener insbesondere die Figur des Erlkönigs adäquat, die ja nicht als ,,distinkte[s] Objekt" in Erscheinung tritt und sichtbar wird, sondern die ein sich stimmlich kundtuendes „akustisches Aggregat" ist.246 Lösener kommt zu dem Ergebnis, daß der beide Deutungstraditionen tragende Dualismus von väterlicher Vernunft und kindlicher Phantasie nicht das textstrukturierende Prinzip ist. Interessant ist, daß der Rhythmus des Gedichts zum einen die festen Grenzen zwischen Kind und Erlkönig auflöst, was in dem Maße, wie das Kind in den beiden Deutungstraditionen stets mit dem Erlkönig identifiziert worden ist, leicht hingenommen werden kann. Zum anderen bringt der Rhythmus insbesondere die festen Grenzen zwischen Vater und Erlkönig in Bewegung.

244

245

Lösener spricht bewußt von ,Akzentik' und nicht von .Akzentuierung', um so zu unterstreichen, daß er „nicht von der intonationsbedingten Akzentuierung, der Satzaktzentuierung, [ausgeht], die immer auch Sprecher- und situationsabhängig ist. Mit Akzentik sind vielmehr diejenigen Akzentuierungsmerkmale gemeint, die durch die im Deutschen lexikalisch determinierte Wortakzentuierung vorgegeben sind." (Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 170). Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999. Die Freiburger Dissertation versucht anhand der Kategorie ,Rhythmus' „dem innovativen Potential des Humboldtschen Denkens" (S. 3) fur eine Linguistik der parole Rechnung zu tragen, erschließt die Rhythmustheorie des französischen Sprach- und Literaturtheoretikers Henri Meschonnic (Critique du rythme (1982)), der seinerseits Emile Benvenistes Wiederentdeckung der vorplatonischen Bedeutung des Begriffs .Rhythmus' im Sinne einer .vorübergehenden Anordnung' aufgreift, sich so gegen das traditionelle platonische Verständnis des Rhythmus als „gleichmäßig gegliederter Bewegung" (S. 5) wendet und mit antistrukturalistischem Impetus für eine Untersuchung der Sprache als Energeia und des Rhythmus als sinnvoller Tätigkeit des Subjekts stark macht. Siehe dazu meine Rezension von Löseners Dissertation in Germanistik 1999, 1/2, S. 396f. Siehe auch den Aufsatz von Jürgen Trabant, der Löseners Ansatz im Hinblick auf dessen Position im Spektrum semiotischer Ansätze zu erhellen vermag: Rhythmus versus Zeichen. Zur Poetik von Henri Meschonnic. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Band C 1990, S. 193-212. Kühlmann: Die Nachtseite der Aufklärung. 1993, S. 154.

118 Es gibt nur eine rhythmische Kontinuität, die nicht nur den Erlkönig mit dem Kind, sondern auch den Erlkönig mit dem Vater verbindet.

Hat man bislang die Verführung des Kindes durch die Reize des Elementaren auf dessen ungeschützt spontan-empfangliche Disposition zurückgeführt,248 so dürfte die Affektion des Vaters, die den Glauben an das in dieser Figur wirksame Rationalitätsprinzip erschüttert, für einen Erklärungsnotstand sorgen. Der Vater zieht also nicht unbedingt im Kampf gegen unheilvolle Einflüsse der Natur auf das Kind den Kürzeren. Die im Erlkönig zum Ausdruck kommende Problematik ist komplexer, als es die Deutungen entlang eines starren Dualismus' nahelegen. Lösener, der sich ausschließlich auf das Faktum der rhythmischen Entgrenzung konzentriert, möchte damit die stereotypen Deutungstraditionen aufbrechen und den dort veranschlagten Dualismus zwischen Vater und Sohn/Natur widerlegen. Diese Sichtweise ist jedoch genauso einseitig wie die von Lösener kritisierten Interpretationen. Denn daß Entgrenzung überhaupt sich als eine solche geltend machen kann, setzt Grenzen voraus. Konstitutiv für den Erlkönig ist demzufolge zweierlei: zum einen ein Dualismus zwischen ratio und emotto, wie er über die Figur des Vaters und die den Einflüsterungen des Erlkönigs ausgesetzten Kindes zum Tragen kommt; zum anderen wird dieser Dualismus über das ebenfalls konstitutive Prinzip des metrischen Echos entgrenzt, im Zuge dessen sich die Gestalt des Erlkönigs sowohl dem Vater als auch dem Kind rhythmisch anpaßt. Insbesondere gehen die Worte des Erlkönigs buchstäblich aus den Signifikanten des Vaters hervor.249 Zusammen mit Löseners resümierender Feststellung, daß im Erlkönig ein „Rhythmus von Kontrolle und Eros" wirksam sei,250 lassen sich die rhythmischen Besonderheiten mit denen, welche die naturmagischen und rationalistischen Interpretationen erbracht haben, verbinden und weiterführend im Zusammenhang einer symptomatischen Lektüre des gesamten Gedichts als Ausdruck zeitgenössischer Mentalität deuten. Erklärt werden kann so vor allem auch die Tatsache, daß die naturmagischen und rationalistischen Interpretationen der Ballade erst rund zweihundert Jahre nach deren Erscheinen modifiziert werden konnten durch eine subtile linguistische Analyse des Textrhythmus.

->47

Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 136. Vgl. Kühlmann: Die Nachtseite der Aufklärung. 1993, S. 146. Q Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 152. 250 Ebenda S. 136.

119 Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, 251 Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. -

Liest man, eingedenk der Forschungslage und im Bewußtsein einer zu erbringenden Integration sich wechselseitig ausschließen wollender Positionen, das Gedicht noch einmal ganz entspannt von seinem Anfang an, dann fällt auf, daß es zunächst der Vater ist, um den es geht, weniger das Kind. Den „durch Nacht und Wind" reitenden Vater umgibt eine gespannte Atmosphäre, die den Eindruck von einer Flucht erweckt. Das kleine Kind, das der Vater in seinem Arm hält, ist der Anspannung und Beängstigung des Vaters ausgesetzt, wobei diese ausgesetzte Lage als „sicher" und „warm" bezeichnet wird. Die Initialfrage zum konfliktuösen Dialog zwischen Vater und wortgewandtem und also gar nicht so unbewußtem kleinen Sohn geht vom Vater aus, der sich offenbar um sein Kind sorgt, dessen Gesichtsausdruck er als Ausdruck von Bangigkeit interpretiert. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Krön' und Schweif? Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -

Der Sohn beantwortet die Frage des Vaters mit einer ungläubigen Gegenfrage, die sich auf einen Gegenstand bezieht, der dem Vater der Wahrnehmung des Kindes zufolge bekannt sein müßte. Der Vater seinerseits beantwortet die Frage des Kindes nicht, weder mit einem ,Nein' noch mit einer Gegenfrage. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn, die der Sohn als irritierend erlebt, wird in der Replik des über die kindliche Irritation hinweggehenden Vaters auf eine rein sachliche Dimension reduziert, wo zudem die sachliche Wahrnehmung des Kindes unvermittelt umgedeutet wird. Erst durch die Interpretation des Vaters erscheint die Wahrnehmung des Kindes als phantasmatische Vision. Erst mit der resoluten, über jeden Zweifel erhabenen (Um-)Deutung des Vaters drängt sich der Eindruck auf, daß der Sohn Fiebereindrücken erliegt. Bis hierhin ergibt sich: Nicht das Kind ist auf der Flucht, sondern der Vater; nicht das Kind ist beunruhigt, sondern der Vater; von den emotiven Valeurs korrespondieren lediglich die angesichts seines Sohnes zum Ausdruck kommende Beunruhigung des Vaters, mit der Beruhigung des Kindes durch den Vater, die so einer Selbstberuhigung gleichkommt. Die projektiv vermittelte Initialfrage erweist sich im Verhältnis zur irritierten und nicht etwa beängstigten Gegenfrage des Kindes als voreingenommen und suggestiv. Das Kind wird vom Vater auf Ban-

251

252

J.W. Goethe: Erlkönig (1782/1789). In: Werke. Textkritisch durchgesehen u. kommentiert v. Erich Trunz. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. München "1996. Bd.l, S. 154-155; hierS. 154(1. Str.). Ebenda. (2. Str.)

120 gigkeit festgelegt und in dem Maße, wie dieser nicht auf sein Kind eingeht, geradezu in eine halluzinatorische Welt induziert. In dem Maße, wie der Vater die Beziehung zu seinem Kind sachlich verknappt und selbst auf dieser Bezugsebene dem Kind nicht gerecht wird, haben die vom Vater ausgehende .Sicherheit' und ,Wärme', wie die erste Strophe sie hervorhebt, eine rein sachliche, i.e. thermische und physikalische Dimension. Insofern thermische Wärme und physikalischer Halt auch woanders als im Menschlichen anzutreffen und zu haben sind, sind väterliche Wärme und Sicherheit hier absolute, un-menschliche Größen. Sie erzeugen keine menschliche Geborgenheit. Zwischenmenschlich gesehen kennt der erziehende Vater Sicherheit nur als Deutungssicherheit, die über das Verfahren der Umdeutung hinaus im weiteren Dialogverlauf als Aufforderung zur sachlichen Ruhe („Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!" (4. Str., V. 3)) und als besserwisserische Beteuerung aufgrund sich allein durch das Erwachsensein legitimierender Umsicht („Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau [...]." (6. Str., V. 3)) zum Tragen kommt. Das Gedicht steht ganz im Zeichen der väterlichen Verständnislosigkeit. Dreimal besteht das Kind darauf, daß sein Vater doch wissen müßte, was es sieht, hört und wieder sieht: Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? [2. Str., V. 2]; Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht [...]? [4. Str., V. 1]; Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort [...]? [6. Str., V. 1 ]

Das Kind harrt vergebens einer Bestätigung seiner Wahrnehmung, was zu einer Derealisierung des kindlichen Erlebens führt. Der Vater will sein Kind auf eben die Sachlichkeit trimmen, der er sich verpflichtet weiß. Er läßt sich durch die durchgängige kindliche Irritation, die er durch seine weniger auf Verdacht hin als aus einem etwaigen eigenen Schutzbedürfhis heraus gestellte Initialfrage allererst erzeugt hat, seinerseits nicht irritieren. Väterliche Ignoranz und durch diese provozierte kindliche Irritation bedingen und verstärken sich dann wechselseitig: Auf die zunehmende Beängstigung des Kindes durch den verständnislosen Vater reagiert dieser mit zunehmender Kontrolle. Das Sprechen des Vaters hat Lösener über die Untersuchung der Akzentik als eines beschrieben, das vom kontrollierten zum hyperkontrollierten tendiert, insofern sich in der Verteilung der Hebungen und Senkungen nach und nach ein festes Schema abzeichnet.254 Der Vater verschließt sich der kindlichen Erfahrungswelt rigoros, legt die Dynamik zwischenmenschlichen Austausche still und begibt sich ernsthaft-sachlich der Möglichkeit eines belebenden Deutungs-Spiel-Raums, von wo aus der Tod des Kindes seine fatale Folgerichtigkeit erhält. „Dem Vater grauset's" (8. Str., V. 1), weil in dem Maße, wie an seinem Kind „konventio-

253 254

(Hervorh. von mir, J.S.) Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 147.

121 nelle Versuche der Erkenntnis- und Verhaltenskorrektur abprallen,255 ihn Lebendigkeit in der Person des Kindes einzuholen droht. In dem Maße, wie der Vater sich um lebendige Vielfalt bringt, bringt er sein Kind um dessen auf Entfaltung drängendes Leben. Vor dem Hintergrund der väterlichen Induktion des Kindes in eine Scheinwelt ergibt sich der spezifische Stellenwert der Erlkönig-Rede von selbst. Der Signifikant „Vater" geht ohnehin prosodisch aus dem Signifikanten „Erlkönig" der Überschrift hervor:256 Erlkönig, Wer, der Vater, Er, Er - das prosodische Thema der ersten Strophe ist zugleich das des gesamten Gedichts.257 In der Rede des Erlkönigs, die sich unmittelbar an die resolute, nicht einfühlsame väterliche Umdeutung der kindlichen Wahrnehmung anschließt („Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. - / „Du liebes Kind, komm geh mit mir!" (1. Str. V. 4 - / 2. Str., V. 1) entfaltet sich die innere Stimme des Vaters. Mit der Gestalt des Erlkönig haben sich desintegrierte Momente der väterlichen Persönlichkeit verselbständigt. In seiner Rede entfalten sie sich zu einem pädagogischen Prinzip, das die väterlich-einfühlsam gedachte Erziehung steuert und unterminiert. Dem Selbstverständnis des männlichen Vaters zufolge, das sich einer rigorosen Dichotomie von Verstand und Gefühl verdankt, ist das gefühlsmäßige Spektrum des Erlkönigs ebenso restringiert wie das des auf das Gefühl der sachlichen Neutralität reduzierten Verstandes. Der Erlkönig kennt nur Lockungen, Versprechungen und Drohungen und zwar in genau dieser Reihenfolge, welche das pädagogische Prinzip von .Zuckerbrot und Peitsche' zur Geltung bringt. Das sich als Gewalt entpuppende sachte Gefühl ist dem männlichen sachlichen Sein also überaus nahe, was sich neben dem sich in der Erlkönig-Rede abzeichnenden pädagogischen Prinzip allein schon durch die Tatsache mitteilt, daß das desintegrierte Gefühl hier in einem Erlkönig substantialisiert wird und nicht in einer Erlkönigin. Die Worte des Sohnes sind prosodisches Echo auf die Worte des erlköniglichen Vaters, das seinerseits vergebens einer Resonanz harrt. Der Sohn ist, wie Lösener im Detail sehr schön aufgezeigt hat, im metrischen Echo auf die Erlkönig-Rede gefangen und löst sich in dieser Gefangenschaft schließlich ganz auf.258 „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt" (7. Str., V 2) - der Vater kennt nicht die liebende Hingabe an das orientierungsbedürftige Kind oder auch nur eine gewisse Offenheit gegenüber dessen Erlebnisweise, sondern verlangt umgekehrt die absolute Hingabe seines Schützlings an die eigene Deutungssicherheit. Der Vater bricht nach und nach den kindlichen Widerstand, der sich schließlich nur noch und ein letztes Mal im prosodisch verkappten Schrei mit dem vierfachen lai in betonter Position kundtut: „Mein Vater, mein Kühlmann: Die Nachtseite der Aufklärung. 1993, S. 154. 256

Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 153.

257

Ebenda S. 145.

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Ebenda S. 152.

122 Vater, jetzt foßt er mich an!" (7. Str., V. 3 ) 259 Das Kind stirbt einen Opfertod. Es wird dem Kampf des hyperkontrollierenden Vaters gegen dessen am Kind ausagierte und sich so auf undurchschaute und also inkorrigible Weise destruktiv entfaltende unbewußte Bedürfiiisse nach einem intimen Kontakt mit seinem Sohn geopfert. Goethes Ballade fuhrt beispielhaft vor, wie das Kind regelrecht zwischen der erbarmungslosen Alternativlosigkeit von sachlichem Verstand und sachtem Gefühl zerrieben wird, bis es sich aufgelöst hat. Von einer balladesken Rehabilitation der ,,archaische[n], libidinösen Verfaßtheit des Menschen, die in der bürgerlichen Erwerbsgesellschaft wie auch im spät-absolutistischen Ordnungs- und .Maschinen'-Staat v.a. moralpädagogisch bekämpft wurde",260 kann keine Rede sein. Goethes Ballade zeichnet sich durch keine kritische Differenz zum moralpädagogischen status quo aus, sondern affirmiert ihn im Antagonismus Vernunft-Sinnlichkeit und darüber hinaus nicht zuletzt, sondern zuerst in der Substantialisierung von Gefühl zu einer mythischen Gestalt. ,Erlkönig' lautet der Titel des Gedichts, nicht etwa ,Das Kind' oder ,Der Vater', worüber eine pädagogische Perspektive sich angedeutet hätte. Der Erlkönig ist es, der den Erlkönig ideologieanfällig gemacht und dafür gesorgt hat, daß die Ballade, wie Lösener feststellt, „unter einem Berg von ideologischen Diskursen begraben" wurde, denen sich allerdings selbst noch die ausschließlich auf Entgrenzung setzende Analyse Löseners zugesellt.261 Nicht eine interpretatorisch ausgemachte Rebellion gegen eine aufklärerische domestizierende Zurichtung von Kindern und nicht eine Warnung vor den Gefahren des Natürlichen und auch nicht die rhythmische Kontinuität als eine bloße solche sind es, die dem Gedicht einen zeitüberdauernden Eindruck gesichert haben. Es ist die letzlich tödliche Konsequenz eines kontrollierenden Umgangs mit Lebendigem, hier mit dem Kind und mit den eigenen Bedürfnissen nach gefühlsmäßigem Reichtum und intensivem zwischenmenschlichem Kontakt, nach Intimität und Geborgenheit in lebensweltlichen Zusammenhängen insgesamt, die sich intuitiv mitteilt, die sich über die individuelle Lektüre des individuellen Gedichts zu verstehen gibt und die die dilemmatische moderne Befindlichkeit empfindlich berührt. Die Regelmäßigkeit, mit der man in der Rezeption der Ballade die Maskulinität des Erlkönigs umstandslos als Femininität aufgefaßt und diese als femme fatale, als bedrohliche weibliche Natur substantialisiert hat, interpretiert den Erlkönig zum desintegrativen Moment auch der Interpreten, in deren Engagement persönliche Betroffenheit sich kundtut. Die Natur des Erlkönigs ist die unbewußte Natur des Vaters und der Interpreten, die wie dem Kind so auch dem Gedicht zur zweiten, todbringenden, die Individualität des Textes zerreißenden Natur wird. Die nach zweihundert Jahren Inkubationszeit erst durch subtile Analyse des Rhythmus zutage geför259

Vgl. ebenda S. 151.

260

Kühlmann: Die Nachtseite der Aufklärung. 1993, S. 147.

261

Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 127.

123 derte rhythmische, i.e. lebendige Kontinuität zwischen voneinander getrennt agierendem Vater und Erlkönig und Kind macht sinnfällig, daß sie der nervus rerum ist, dem man aufgrund eines standardisierten Selbstverständnisses Ganzes in Teile zerschlagend zu entkommen sucht, aber eben nicht entkommen kann, weil man es unbewußt ja auch gar nicht will. Für die im romantischen Zeitraum zutage tretende Vereinnahmung der Kindheit im Zeichen von Natur ist - um ein letztes Beispiel zu nennen - die Arbeit an der zweibändigen Sammlung der Kinder- und Hausmärchen (1812/1815) symptomatisch. Hinter ihr verbirgt sich eine schon kriminell zu nennende manipulative Haltung der Herausgeber, mit der volkstümlichkindliche .Ursprünglichkeit' suggeriert werden soll. Bereits 1811 meldet Achim von Arnim Zweifel an der Authentizität der Texte und an der Integrität der Sammler an: [...] ich glaube es Euch nimmermehr, selbst, wenn Ihr es glaubt^daß die Kindermärchen von Euch so aufgeschrieben sind, wie Ihr sie empfangen habt [...].

Um kritischen Nachforschungen ihrer Zeitgnossen vorzubeugen, vernichteten die Brüder Grimm denn auch alle Vorarbeiten zu den Märchen. Daß die kindliche, ursprünglich-paradiesische „Volkspoesie" eine aus der Feder der Brüder Grimm ist, daß diese „auf der Suche nach dem echten alten Volksmärchenton und -repertoire [...] eine neue literarische Gattung [schufen], nämlich das Grimmsche Buchmärchen",263 ist inzwischen Forschungskonsens. Abermals Lösener hat speziell anhand einer Analyse des Textrhythmus des SterntalerMärchens rhythmische Überschneidungen zwischen diesem und anderen Texten der Sammlung aufgewiesen und so den spezifischen Werk-Rhythmus extrapoliert.264 Den Sterntaler-Text, der in der Erstausgabe von 1812 der Kinder- und Hausmärchen noch unter dem Titel Das arme Mädchen erschienen ist, haben die Grimms - laut Anmerkung - „nach dunkler Erinnerung" aufgeschrieben.265 Gleichzeitig findet sich hier ein Hinweis auf Jean Paul, der des Märchens in seinem Roman Die unsichtbare Loge (1793) gedenke, wie auch auf Arnim, der es in seinen Erzählungen benutzt haben soll, so daß der Eindruck einer gemeinsamen mündlichen Quelle entsteht. Nach Löseners Rhythmusanalyse ist allerdings wahrscheinlicher, daß die Grimms sich von Jean Paul Anregungen geholt

262

263

Achim von Arnim zitiert in: Reinhold Steig: Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm. Berlin 1904, S. 248. Kommentar zu: Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage (1837). (Klassiker-Ausgabe) Hg. v. Heinz Rölleke. Frankfurt a.M. 1985, S. 1159.

264

Siehe Lösener: Der Rhythmus in der Rede. 1999, S. 161-194.

265

Jacob und Wilhelm Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand. 3 Bde. Hg., erläutert u. mit einem Nachwort versehen v. Heinz Rölleke. Stuttgart 1984, S. 250.

124 haben und Achim von Arnim fur seine Novelle Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber auf die Grimmsche Vorschrift des Märchens zurückgegriffen hat. Die Anmerkungen, in denen die Grimms ihre ,Quellen' mit Angaben wie „aus den Maingegenden" oder „rheinisch" versehen, erwecken tatsächlich den Eindruck, daß diese im Sinne der Naturpoesie als heimatkundliche Feldforscher tätig geworden sind und sie die Texte so wiedergeben, wie sie ihnen aus ,dem Volk' zugetragen wurden. Die Märchen werden im Erzählen aber nicht einfach wiedergegeben, sondern gemäß der Vorstellungen ihrer Bearbeiter wiedererfunden. Den Kinder- und Hausmärchen liegt zum einen eine sehr bewußte Auswahl zugrunde, zum anderen wurden manche Texte, wie das SterntalerMärchen, ganz erfunden, so daß es sich um alles andere als eine ethnologische Quellensammlung handelt. Die Volkstümlichkeit und Kindgerechtheit der Kinder- und Hausmärchen ist eine mutmaßliche, sie orientiert sich weder an den aus dem ,Volk' gesammelten Überlieferungen, noch haben die Grimms Kindersprache studiert. Sie sind Manifestation einer Idee der Verfasser von Volk und Kind, die, wie aus Jakob Grimms Briefwechsel mit Achim von Arnim hervorgeht, mit diesen beiden Größen die Vorstellung eines paradiesischen Ursprungs verbinden. Mit dem Konzept einer ursprünglichen Dichtung, das von Herder inspiriert ist, will man sich von der Kunstpoesie absetzen, die den literarischen Ton der Zeit bestimmt und die vom Verlust göttlicher Ursprünglichkeit geprägt sei. Die Kinder- und Hausmärchen hat André Jolies 1930, unter ausdrücklicher Berufung auf die Brüder Grimm und ganz in deren Sinne, als Einfache Formen - so der Titel seines berühmten Buches - expliziert: Im Unterschied zur Kunstpoesie der „Kunstformen" zeichnet sich die Naturpoesie der ,einfachen Formen' dadurch aus, daß sie „sich sozusagen ohne Zutun eines Dichters in der Sprache selbst ereigne[..] [...]".266 Naturpoesie und die sie auszeichnende ,einfache Form' sei Ausdruck eines Volkes, das als kindliche Ursprünglichkeit begriffen wird. Die Vorstellung der Grimms von Volk und Kind ist eine ahistorische. Sie folgt einer Dichotomie von Inhalt und Form, von Sache und Ausdruck, derzufolge eine Geschichte, ohne nennenswerte Verluste, anders erzählt werden kann, als als sie überliefert worden ist, und derzufolge die als ,Form' deklarierte Erscheinung folglich sekundär ist. Wir halten fest und betonen, daß Jacob Grimm im Märchen eine „Sache" erkannt hat, die vollkommen sie selbst bleiben kann, auch wenn sie von anderen mit anderen Worten erzählt wird. 267

Daß dem nicht so ist und eine Idee Vorrang vor den konkreten Texten genießt, offenbart das Konzept von Volkspoesie selber: Denn wenn tatsächlich ,eine 266

267

André Jolies: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. (1930). 6., unveränderte Auflage. Tübingen 1982, S. 8. Ebenda S. 186.

125 einmal erkannte Sache', trotzdem man ihren ,ornatus' verändert, vollkommen sie selbst bliebe, dann ist deren Bearbeitung eigentlich überflüssig. Übrig bleibt so allein die Gewaltsamkeit, mit der man auf die Identifizierung von ,Sachen' für ein Experiment am Lebendigen aus ist, dessen Ursprünglichkeit man potenzieren will, indem mem sich zu deren geheimen Schöpfer aufschwingt. Die den Brüdern Grimm zugetragenen Texte teilen das Schicksal von Laborratten, die zu Zwecken der Verbesserung des künstlichen Lebensstandards verdinglicht und präpariert werden, um experimentell neues Leben eingehaucht zu bekommen der Mensch als Schöpfer von Natur, Volk und Kind, der lebendige Vielfalt seiner Kontrolle unterwirft. Die im romantischen Zeitraum zutage tretende totale Vereinnahmung der Kindheit im Zeichen von Natur wird vollends offenbar, wenn man diese Phase zur sich anschließenden Phase der Jugend in Verbindung setzt, welche ebenso wie die Kindheit ab etwa Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem hervorragenden Diskursgegenstand avanciert. An der spezifischen Bedeutung, die die Phase der Jugend im romantischen Diskurszusammenhang spielt, wird einmal mehr sinnfällig, wie die Natur der Kinder grundsätzlich als Einfallstor pädagogischer Domestizierungsbestrebungen und Regressionsbedürfhisse gedacht ist, die als ein Ausweichen vor den Herausforderungen der Zeit zu begreifen sind. Jugend, welche sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als Lebenszeit „von zwölf bis siebzehn, achtzehn Jahren" herauskristallisiert,268 erweist sich als Bruchstelle der romantischen Bemühungen um das Kind und macht dieses einmal mehr als Soll-Bruchstelle des virulenten Lebendigkeitskontrollwahns sinnfällig. Steht das Interesse an der Kindheit für die Suche nach dem menschlich Ursprünglichen, so das Interesse an der Jugend für eine forcierte Zukunftsorientierung im Sinne des Heranwachsenden, der zu seiner größtmöglichen Entfaltung kommen soll. Analog zur romantischen Umdeutung der rationalistischen Vorstellung einer kindlichen Ungebildetheit und demzufolge Bildungsbedürftigkeit zur kindlich-natürlichen Vollkommenheit erfährt das einst Defizitäre der Jugend, ihre Erfahrungslosigkeit, ihre Unbeständigkeit und die Vagheit und Wechselhafiigkeit ihrer Hoffnungen, eine Aufwertung im Sinne von Selbständigkeitsverlangen, genuinem Freiheitssinn, unverbildeter Bewußtheit und von Bildungsenthusiasmus. In dieser Konzeption wird Jugend zum „sozial lizensiertefn] Freiraum der Entfaltung von Subjektivität, ihrer Krisen und Risiken".269 268

Siehe Reiner Wild: Kind, Kindheit, Jugend. Hinweise zum begriffsgeschichtlichen Wandel im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. In: Jugendliteratur und Gesellschaft. Hg. v. Horst Heidtmann. Frankfurt 1993 (= Beiträge Jugendliteratur und Medien. 4. Beiheft), S. 9-16; hierS. 12.

269

Hans-Heino Ewers: Jugend - ein romantisches Konzept? Die zweifache Bedeutung der Romantik in der Geschichte modemer Jugendentwürfe. In: Jugend - ein romantisches Konzept? Hg. v. Günter Oesterle. In Verbindung mit Alexander von Bormann [...]. Würzburg 1997, S. 45-60; hier S. 56.

126 Angesichts einer als dynamisch, mobil und zukunñsoffen erlebten Gesellschaft „wird Jugend fortan als ein Konflikt- bzw. Avantgardehabitus" konzipiert, „dem gesellschaftlich die Lizenz der Innovation und Konventionsverletzung eingeräumt wird".270 Jugend soll sich in einer pädagogischen Provinz entfalten und ein sich tendeziell als Objekt von Erziehung entziehendes Moratorium darstellen, in dem eine produktive, wenn auch krisenhafte Entwicklungsphase durchlaufen werden kann.271 Sich mit seiner Kindheit auseinandersetzend, soll der Jugendliche die ihm eingeräumte Chance der Loslösung von der Ursprungsfamilie ergreifen und einen innovativen ,zweiten Individualisierungsprozeß' aktiv gestalten.272 So wird insbesondere das Studentendasein als ein von der Entscheidungspflicht der Erwachsenen ausgenommener Schon- und Freiraum angesehen, in welchem Lebens- und Zukunftsentwürfe individuell im kollektiven Interesse erprobt werden können.273 Studentendasein ohne Ständedenken und jenseits alltäglicher Konventionen wird zur „Option für die Jugend als Erneuerungspotential der Gesellschaft".274 Symptomatisch dafür, daß der Status einer studentisch-subversiv verstandenen Jugend prekär ist, ist die geteilte Reaktion auf die enthusiastische Adresse an die Studenten, mit welcher Bettina von Arnims Giinderode-Bxxh (1840) eröffnet. In ihrer Widmung liefert Arnim zunächst eine treffende Charakteristik von Jugend im emphatischen romantischen Verständnis: Die Dir gleich goldnen Blumen auf zertretnem Feld, wieder aufsprosset zuerst! In fröhlichen Zukunftsträumen der Muttererde huldigt, harrend voll heiligem Glauben, und Fesseln der Liebe Euch umlege und großer Männer Unsterblichkeit in den Busen Euch säe Die Ihr immer rege, von Geschlecht zu Geschlecht, in der Not wie in des Glückes Tagen auf Begeistrungspfaden schweift; in Germanias Hainen, auf ihren Ebnen und stolzen Bergen, am gemeinsamen Kelch heiligkühner Gedanken Euch berauschend, die Brust erschließt, und mit glühender Träne im Aug, Bruderliebe schwört einander, Euch schenk ich dies Buch. Euch Irrenden Suchenden! [...].

275

270

271

Günter Oesterle: Einleitung. In: Jugend - ein romantisches Konzept? Hg. v. G. Oesterle. Würzburg 1997, S. 9-29; hier S. 14.

Werner Helsper: Das imaginäre Selbst der Adoleszenz: Der Jugendliche zwischen Subjektentfaltung und dem Ende des Selbst. In: Jugend zwischen Moderne und Postmoderne. Hg. v. Werner Helsper. Opladen 1991 (= Studien zur Jugendforschung; Bd. 5), S. 73-94; hier S. 77. 272 Ebenda S. 79. Oesterle: Einleitung. 1997, S. 14. 274 Ebenda. 97S Bettina von Arnim: Die Günderode (1840). 1986, S. 297.

127 Während das Buch von den Studenten begeistert aufgenommen wird - sie veranstalten der Autorin zu Ehren einen Fackelzug - , begreift ausgerechnet ein Professor, respektive ein Professor der Philosophie, die Widmung an die Studenten als dessen Schwachstelle. Johann Friedrich Weiße schreibt in seiner 1840 in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik erschienenen Rezension: [Bettina von Arnim] hat [...] gegen ihr eigenes Werte eine Tücke geübt, eine solche, von der wir befürchten müssen, dass sie [...] dem Buch Schaden bringen wird [...]. Die Verfasserin hat ehemals ein so klares Bewusstsein darüber an den Tag gelegt, dass ihr das Publicum als solches Nichts ist, dass sie zu dem Publicum ein für allemal in keinem Verhältnisse stehen kann: wie undenkbar, dass sie im Emst den Beruf gefühlt haben sollte, „den Studenten" in begeisterndem Zurufe ihr Werk zu widmen! [...].276

Die über die Kritik zum Ausdruck kommende Doppelmoral des Professors in Bezug auf die Gruppe der Studenten, die er verschmäht, obwohl er ihr einen nicht unwesentlichen Teil seiner beruflichen Daseinsberechtigung verdankt, stellt Moriz Carrière in seiner auf Weiße Bezug nehmenden Rezension klar heraus. Carrière attestiert Weiße, „bei aller Mühe und peinlichen Genauigkeit [es] nicht vermocht [zu haben], ein bezeichnendes, veranschaulichendes Wort über das vorliegende Buch zu sagen", weil er den mit der Widmung angebotenen „Schlüssel" verschmäht habe: Die herrliche Widmung bietet uns den Schlüssel zum Verständniß des Ganzen, das als ein Werk der Zukunftsbegeisterung den Wein des Lebens den Jünglingen credenzt [...]. Ich habe seither stets geglaubt, daß die aufstrebende Jugend, die sich der Kunst und Wissenschaft für den Dienst des Höchsten weiht, verdient und bedarf, daß das Beste und Edelste ihr dargebracht werde, ich habe geglaubt und glaube noch, daß wer dies thut, in der Verbindung mit ihr sich selber jung und schöpferkräftig erhält, - und hier hören wir einen Professor der Philosophie, in dessen Augen ein Buch durch die Beziehung auf die Studenten nicht geadelt, sondern herabgesetzt wird, hören ihn die theeherzigste Krämerlitanei anstimmen und mit pedantischer Stubengelehrtheit die ursprünglichste Jugendlust bemäkeln! [...] was ist schöner, als auf diesen Boden die Gedankensaat auszustreuen und sich selber zu verewigen, indem man sich liebend in den hingebenden Gemüthern wiedererzeugt und fortwirkt! 277

Anders als die Stimme Moriz Carrières ist die des Professor Weiße repräsentativ fur den Ton, den die romantische Zeit im Hinblick auf die Jugend anschlägt. Die literarischen Inszenierungen einer modernen Jugend haben jedenfalls allesamt ein antimodemes Gepräge. Ihr Kennzeichen ist es, daß jugendliche Konflikte nicht ausgehalten, sondern auf je verschiedene Weise gekappt und so um ihre soziale wie subjektive Sprengkraft gebracht werden. In Franz Sternbalds Wanderungen (1798) von Ludwig Tieck beispielsweise erscheint der Protago-

276

[Johann Friedrich Weiße]: Die Günderode. In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Nr.96-98, Nov. 1840, Sp. 824. Zit. n. B. v. Arnim: Die Günderode (1840). 1986, S. 1125.

277

[Moriz Carrière]: Die Günderode. In: Telegraph für Deutschland. Hg. v. Karl Gutzkow. Nr.35, Februar 1840. Zit. n. B. v. Arnim: Die Günderode (1840). 1986, S. 1126.

128 nist „als ein eher Zurückgewandter, vom Rückblick auf die Kindheit Gebannter, er befleißigt sich einer kindlichen Geistesart, sucht wieder ein Kind zu sein, sofern er es nicht stets geblieben ist".278 In dem Maße, wie der Jüngling der Ausstrahlungskraft der Kindheit erliegt, wird die Adoleszenz im Sinne einer produktiven Entwicklungsphase eingefroren. Auch Sophie Mereau, die sich enthusiastisch für ,die Jugend' ausspricht und die enthusiastisch von ihren Exegetinnen als frühes Beispiel feministischen Fortschrittsbewußtseins gefeiert wird,279 findet in ihren Romanen alles andere als zukunftsweisende Konfliktlösungsstrategien. In ihrem Erstlingsroman Das Blütenalter der Empfindung (1794) widmet sich die Autorin ganz dem Empfindungsspielraum des jugendlichen Lebensalters. Die Vorrede hebt auf die Darstellung einer jugendlichen Weltsicht ab, die in einer Metaphorik des Frühlings sinnfällig gemacht wird: Es gibt eine Zeit in unserm Leben, wo unser Gefühl in seiner ersten vollen Blüte steht, wo das trunkne Heiz selbst in seinen Verirrungen noch unschuldig, nach jedem Schattengebilde der Phantasie hascht, wo wir in holden Träumen schwelgen. 280

Jugend ist bei Mereau eine Phase gesteigerter Empfindungsfähigkeit und ihr Roman ein Stimmungsraum - „der Gesichtspunkt [...], woraus dieser erste kleine Versuch betrachtet zu sein wünscht".281 Es geht Mereau, wie sie im Vorwort zu verstehen gibt, um „die Äußerungen eines reinen Gefühls [...]. Die hohem Forderungen einer reifern Vernunft zu entwickeln, das [liegt] nicht in [ihrem] Plane."282 Der ganze Text ist eine Apotheose der „Empfindungen" 2 8 3 , womit allerdings nicht ein in sich differenziertes Gefuhlsspektrum gemeint ist. Bei Mereaus ,Empfindungen' handelt es sich um nichts anderes als um die totalisierende Ausschreibung des Kollektivsingulars ,Liebe'. Liebe ist ein Numinosum, ein „heiliges Dunkel", bei dem „etwas Göttliches im Spiel ist, das unser Verstand

278

279

280

281

Ewers: Die zweifache Bedeutung der Romantik in der Geschichte modemer Jugendentwürfe. 1997, S. 58. Siehe exemplarisch die Arbeiten (Dissertation, Aufsätze und Kommentare) der Herausgeberin der Werke Mereaus im dtv-Verlag, Katharina von Hammerstein, oder das Nachwort der Herausgeberinnen von Amanda und Eduard (1803/1993) im alternativen, feministisch inspirierten Freiburger Kore-Verlag, Bettina Bremer und Angelika Schneider, unter deren Einfluß die gesamte Mereau-Forschung steht, zumal Bremer, von feministischem Fortschrittsglauben beseelt, einen Forschungsbericht verfaßt hat (Bremer: Sophie Mereau: Eine exemplarische Chronik des Umgangs mit Autorinnen des 18. Jahrhunderts. In: Athenäum. Jahrbuch der Romantik 5 (1995) S. 3 8 9 ^ 2 3 ) . Sophie Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Empfindung (1794). In dies.: Das Blütenalter der Empfindung. Amanda und Eduard. Romane. Hg. u. kommentiert v. Katharina von Hammerstein.München 1997, S. 11-58; hier S. 9. Ebenda.

282

Ebenda. (Hervorh. im Original) 283

Ebenda S. 12.

129 vergebens zu erkennen trachtet".284 ,Liebe' ist das Kennwort von Mereaus Imperialismus, ein Zepter, mit dem sie das Leben an sich durchwalten möchte, weil ,die Gesellschaft' in ihrem Verständnis rein zweckrational ausgerichtet und hier also in dieser Hinsicht nichts (mehr) auszurichten ist. Bei Mereau stehen sich Hegeische „Prosa der Wirklichkeit" und „Poesie des Herzens" in Reinkultur gegenüber, wobei auf letztere das Mereausche Gewicht gelegt wird.285 Mit ihrem jugendlichen Erzähler Albert zielt die Autorin einzig auf Bestätigung ihrer gefühlsseligen Perspektive durch ,die Gesellschaft': „Sind Empfindungen nicht heilig? - sind sie nicht die reine göttliche Sprache, durch welche die Natur zu uns redet?"286 Mit der Mereauschen „Selbstbestandtheit", einer Wortschöpfung der Autorin aus einem Brief an Herder,287 ist es nicht weiter her als mit der individuellen Autonomie ,der anderen'. Das ,reine Gefühl', das bei Mereau eine absolute Größe ist, steht ,der Gesellschaft' ordentlich unvermittelt gegenüber. Bis zum .Eintritt' des Jugendlichen ,in' ,die Gesellschaft' zeitigt diese Perspektive eine Problemlosigkeit, die sich im idyllisch-ungebrochenen Selbstverständnis des Jugendlichen niederschlägt: Im Vollgenuß der Gesundheit, in keine Verhältnisse verwickelt, von keinen Vorurteilen gefesselt, stand ich da - ein freier Mensch.288

Erwartungsgemäß wird es dann auch nicht sehr viel schwieriger, wenn „der Mensch" in die Gesellschaft tritt. Hier legen ihm die Verhältnisse, die Ansprüche seiner Mitbürger, ganz andere Verbindlichkeiten auf. Oberall umgeben ihn die Ringmauern des Gebrauchs [...]; überall läuft er Gefahr, daß eine fremde Vernunft ihr Siegel auf seine Eigentümlichkeit drücke.289

Das Verständnis von Jugend, wie es Mereau in ihrem ersten Roman propagiert, kennt keine inneren Konflikte. Die sich aus der vorübergehenden Trennung der Liebenden ergebende Spannung beläuft sich allein auf dramatische Aktion, womöglich damit einhergende innere Konflikte bleiben latent. Nachdem in Erfahrung gebracht worden ist, daß Nanettes Bruder sich das Leben genommen hat, weil der Vater seiner Angebeteten Louise diese ihm vorenthalten hat, kehren Nanette und Albert ,der Gesellschaft' den Rücken und wandern aus. Sie 284

Ebenda S. 15. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Hg. v. F. Bassenge. Berlin, Weimar Bd.l, S. 562.

286

287

288

Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Empfindung. 1997, S. 32. Siehe Katharina von Hammerstein: Sophie Mereau-Brentano. Freiheit - Liebe - Weiblichkeit. Trikolore sozialer und individueller Selbstbestimmung um 1800. Heidelberg 1994, S. 65. Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Empfindung. 1997, S. 11.

289

1965,

Ebenda S. 13.

130 verziehen sich im wahrsten Sinne nach Amerika, wo 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten erklärt worden ist, weshalb fortan Amerika als Inbegriff eines freien Landes im kollektiven Bewußtsein zirkuliert. Auch wenn Mereau die zeitgenössische Amerikabegeisterung erstmals in der deutschsprachigen Literatur dokumentiert und ihre Hinwendung zum amerikanischen Westen von Weitsichtigkeit im wörtlichen Sinne zeugt, so dokumentiert diese nicht gleichzeitig auch ein individuelles Problem-Bewußtsein. Uta Treder hat mut- bis gutwillig versucht, die amerikanische Idylle Mereaus gegen die kleinbürgerliche Landidylle, in der Friedrich Schlegels Lucinde (1799) endet, auszuspielen,290 um mit einigen anderen291 die Autorin als Vorläuferin weitsichtiger Feministinnen hochzuhalten. Tatsächlich ist aber Mereaus enthusiastische Amerikalösung nicht viel mehr als die Fortsetzung eines quietistischen ,Blütenalters der Empfindung'. Mereaus pauschaler Umgang mit dem Thema , Jugend' kommt im Titel ihres kurzen Essays Jugend und Liebe (1801) auf den einfaltigen Begriff. Für ihre Ausführungen benötigt sie denn auch nur etwas mehr als eine halbe Seite Platz. Darauf behauptet sie einen glücklichen Urzustand, der verlorenging, weil der Mensch vom Apfel der Erkenntnis gegessen habe. Das Geflihlsparadies gilt es folglich zu reetablieren. Weil ,die Frau' das Bewußtsein vom verlorenen Gefühlsparadies in dem Maße bewahrt habe, wie sie die Abwesenheit von Gefühl in der kalten Verstandeswelt betrauere, ergeht an sie die Weisung, mit der der Essay schließt: „Liebe ewig und du wirst ewig jung sein".292 Gegen den rationalistischen Subjektbegriff wird ein sensualistischer Subjektbegriff aufgeboten; beide verdanken sich einer rigiden Ausgrenzung von Persönlichkeitsanteilen. Bei Mereau steht und fallt jegliches Handlungsgeschehen, ob in den Romanen, Erzählungen oder Essays, mit dem geschlechtsspezifisch ausgeschriebenen Kräfteverhältnis Gefühl-Verstand. Mereaus literarische .Konflikte' sind in dem Maße, wie sie sich im Rahmen eines starren Gefühl-Verstand-Dualismus profilieren, seriell. Dies ist selbst dann noch der Fall, wenn, wie in Amanda und Eduard (1803), der Protagonist von ,der Liebe' in Gestalt der Protagonistin in seiner bürgerlichen Zielstrebigkeit irre gemacht wird. Zudem ruft der Vater den Sohn zur häuslichen Ordnung zurück, so daß die beiden Liebenden getrennt werden und Eduard sich in bürgerlicher Ruhe auf die für ihn vorgesehene berufliche Aufgabe vorbereiten kann. Die Tatsache, daß Eduard hier nicht so leicht über seine Liebeserfahrung mit Amanda hinwegkommt, wurde der Auto-

290

291

Uta Treder: Sophie Mereau: Montage und Demontage einer Liebe. In: Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800. Hg. v. Helga Gallas u. Magdalene Heuser. Tübingen 1990, S. 172-183; hier S. 175. Wie Anm. 279.

292

Mereau-Brentano: Jugend und Liebe ( 1801 ). In dies. : Wie sehn ich mich hinaus in die freie Welt. Tagebuch, Betrachtungen und vermischte Prosa. Hg. u. kommentiert v. Katharina v. Hammerstein. 1997, S. 180.

131 rin von den feministisch beseelten Wiederherausgeberinnen des Romans (1993) zugute gehalten. Es ist schon meisterinnenhaft, wie Bettina Bremer und Angelika Schneider den Roman zum Vorläufer feministischer Bestrebungen im Detail umzudichten verstehen.293 Den Interpretinnen zufolge stellt Mereau das Ziel bürgerlichen, sinnvollen Leistungsdaseins in Frage, wenn sie Eduard über seine Liebeserfahrung mit Amanda nicht hinwegkommen läßt. Die gesellschaftliche Aufgabe, auf die sich Eduard hinentwickelii soll, verliere für ihn ihren emotionale Verluste rechtfertigenden Sinn. In dem Maße, in dem Eduard nicht glücklich zu werden vermag, begehre Mereau gegen eine bürgerliche Konzeption von Subjektivität auf, die mit innerer Zerissenheit, Selbstdisziplin und Isolation erkauft wird. Eduard sieht die Menschheit an ein Feuerrad gefesselt, das durch die Nacht rollt. So verleihe er seiner Kritik am bürgerlichen Fortschrittsoptimismus einen pathetischen Ausdruck. In Amanda und Eduard wird das bürgerlich-familiäre Wertesystem aber nicht angegriffen. Mereau, sich am Antagonismus Gefühl-Verstand abarbeitend, kommt erst gar nicht dahin. Eduards Protest zeitigt keine normbrechenden Konsequenzen, die fur die Herausbildung eines individuellen Bewußtseins sprächen. Nicht nur, daß er einen Beruf ergreift, mit welchem er den väterlichen Vorstellungen voll und ganz Genüge leistet. Am Schluß wird ,natürlich' auch noch geheiratet. Eduard und Amanda haben sich durch einige Sabotageversuche des Vaters hindurch wiedergefunden und stellen so der Macht des bürgerlichen Leistungsethos die Macht der Liebe an die Seite, die sich fortan nicht etwa entfaltet und ,ausdifferenziert', sondern im Tod Amandas ein Denkmal gesetzt bekommt. Insgesamt bleibt der bürgerliche status quo unangetastet, mehr noch: seine schließliche Restitution affirmiert ihn als unhintergehbaren status quo ante und verleiht ihm die Würde eines unabänderlichen Naturgesetzes. Im Blütenalter der Empfindung und in Amanda und Eduard, in Franz Sternbalds Wanderungen und in Lucinde, im Werther und erst recht im Wilhelm Meister ( 1795-1796), wo Mignon und der Harfner als Inkarnationen der spontanen Poesie sterben müssen, weil für sie in der Turmgesellschaft als der Trägerin des gesellschaftlichen Fortschritts kein Platz ist, und wo Wilhelm nach theatralischen Lehijahren, Wandeijahren und Sendungen, mit dem Konzept der Turmgesellschaft versöhnt, heiratet,294 erweist sich das romantische Konzept der als 293

294

Bettina Bremer/Angelika Schneider: Wünsche und Verhältnisse. Ein Nachwort. In: Sophie Mereau: Amanda und Eduard. Ein Roman in Briefen. Hg. v. Bettina Bremer u. Angelika Schneider. Freiburg 1993, S. 317-362. Goethes Strategie, derzufolge er sich nach Werthers individualistischem Alleingang nunmehr auf die gesellschaftliche Seite des nach wie vor bestimmenden Dualismus Individuum-Gesellschalt schlägt, deutete sich bereits in der zweiten Fassung des Werther von 1775 an. Hier stellt Goethe einen Vierzeiler voran, der eine männliche Lesart gegen Werthers nunmehr weibisches Verhalten verordnet: „Sei ein Mann und folge mir nicht nach." Das Dilemma des zerrissenen Individuums wird nicht etwa erst in der bildungsromanesken Erfahrung entdramatisierter Individualität ad acta gelegt, wie Plumpe (1997, S. 230)

132 prolongierte Kindheit verstandenen Jugend als antimodern. Die oft genug als Jugendbewegung charakterisierte Romantik endet nicht voraussetzungslos im Konservatismus ihrer Protagonisten. Mereau selbst, die sich als erste Frau in Weimar scheiden läßt, lebt von ihrer schrifstellerischen Produktion, bis sie wider ihr Gefühl handelt und Clemens Brentano heiratet, ihr Schreiben dem Kindergebären unterordnet und aus Erschöpfung im Alter von sechsunddreißig Jahren bei der Geburt ihres sechsten Kindes stirbt.295 Im wechselseitigen Bezug von dilemmatischer Jugend und unberührter Kindheit trägt entweder die Kindheit, der Tod oder das normale Leben mit den Institutionen Ehe, Kirche und ordentlicher Brotberuf den eindeutigen Sieg davon. Der Übergang vom Kindsein zum Erwachsensein vollzieht sich fur beide Geschlechter nicht als ein Schritt zu größerer Selbständigkeit, Freiheit und Individualität. Die den männlichen Jugendlichen zugestandenen „Lümmel- oder Schlingeljahre"296 sind nicht viel mehr als eine „Flatter-Minute vor langen Ernst-Jahren", wie Jean Paul im Hinblick auf die Jugend' der biologisch-weiblichen Menschen treffend formuliert.297 Da zwischen männlicher und weiblicher Jugend kein wesentlicher Unterschied auszumachen, der gesellschaftliche Status der männlichen Jugend der gleiche wie der der weiblichen ist, muß man nicht eigens betonen, daß „die als selbstverständlich unterstellte zukünftige Subordination der Frau unter die Herrschaft des Mannes" der Frau erst gar keine Jugend im Sinne eines sekundären Individuationsprozesses zubilligt.298 Diese Feststellung suggeriert lediglich eine größere Produktivität der Jugendphase männlicher Jugendlicher, was so nicht haltbar ist. Die als prolongierte Kindheit konzipierte Jugend hat Mario Erdheim psychoanalytisch als „eingefrorene Adoleszenz"299 bezeichnet. Charakteristisch fur die psychische Disposition dieser Jugendform ist, daß „das Über-Ich aus der Latenzzeit seine beherrschende Form beihält"; das familiäre Wertesystem bleibt unangetastet, der im romantischen Konzept Jugend' vorgesehene „Antagonis-

meint. Desintegrativer Quietismus ist Goethes Schreiben von Anfang an inhärent, insofern sich der Autor ausschließlich auf dem dualistischen Kräftefeld Individuum-Gesellschaft bewegt, das er im Laufe seiner literarischen und literaturkritischen Produktivität mit Gefühl· Verstand, Weib-Mann, Krankheit-Gesundheit, Romantik-Klassik durchkonjugiert. 295

Siehe dazu die Tagebuchnotizen Mereau-Brentanos in dies.: Wie sehn ich mich hinaus in die freie Welt. Tagebuch, Betrachtungen und vermischte Prosa. Hg. u. kommentiert v. Katharina v. Hammerstein. 1997, S. 7-97. 296 Emst Moritz Arndt: Fragmente der Menschenbildung. Altona 1805, S. 193. 297

Jean Paul: Levana oder Erziehlehre. In: Jean Paul. Werke. Hg. v. Norbert Miller. Bd. 5. Darmstadt 1963, S. 515-874; hier S. 722. Vgl. Oesterle: Einleitung. 1997, S. 10. Vgl. auch Simonis: Kindheit in Romanen um 1800. 1993, S. 174. 299 Mario Erdheim: Adoleszenz und Kutturentwicklung. In ders.: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß. Franklürt a.M. 1982; Taschenbuchausgabe 1984. 3 1990, S. 271-369; hier S. 317f. 298

133 mus zwischen Familie und Kultur [kommt] kaum zum Wirken".300 Soziologisch läßt sich die romantische Jugendformation noch etwas differenzierter beschreiben. Mit dem Soziologen Hans Peter Dreitzel, der sich seinerseits an die Ausfuhrungen von Robert K. Mertons Social Structure and Anomie (1957) anlehnt,301 kann man insbesondere dem besonderen Konfliktpotential, das im romantischen Jugendkonzept ja immerhin vorgesehen wird, Rechnung tragen, indem man den ,Konflikt' romantischer Jugend als ,anomischen Konflikt' kenntlich macht. Im Unterschied zu einem ,normalen Konflikt', wie beispielsweise einem Gewerkschaftsstreik, der nach genauen Regeln abläuft und bestimmte Ziele kennt, handelt es sich bei einem ,anomischen Konflikt' um „plötzlich auftretende Ausbrüche aggressiver Emotionalität", die „weder Regeln noch Ziel [kennen]"; Normlosigkeit ist in der Tat sein Charakteristikum. Es handelt sich zumeist um kurzlebige Verhaltensweisen, die rasch genug wieder in die Obhut der Ziele dieser oder jener Gruppen genommen werden.

Romantische Jugend ist eine Rolle, im Zuge derer Rollenerwartungen, die mit den Nonnen einer Interaktionssituation den Interaktionspartnern gegegeben sind, vorübergehend ungewiß werden dürfen.303 Der romantische ,anomische Konflikt' ist ein anomisch konzipierter normaler Konflikt, der gerade aufgrund seiner Institutionalisierung um die mit ihm intendierte gesellschaftliche Innovationskraft gebracht wird. In welchem Maße es sich bei der romantischen Auffassung von Jugend um die „moderne Inszenierung einer Gegenmodeme" handelt,304 die das Progredierende, Zukunftsweisende wieder einfriert und Jugend so zum Appendix einer ebenfalls als Gegenmoderne inszenierten vorgelagerten Kindheit regredieren läßt, offenbart sich vollends in der Begrifflichkeit. Kindheit und Jugend werden nämlich trotz einer feineren Altersstufendifferenzierung, die sich seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts durchsetzt, synonym verwendet, so daß Kindheits- und Jugenddiskurs eigentlich nicht auseinanderzuhalten sind. Dies ist bereits von den Zeitgenossen bedauert worden:305

300

Ebenda S. 318.

301

Robert K. Merton: Social Structure and Anomie. In ders.: Social Theory and Social Structure. Revised Edition. New York 1957, S. 162.

302

Hans Peter Dreitzel: Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft. Vorstudien zu einer Pathologie des Rollenverhaltens. 3., neubearb. Aufl. Stuttgart 1980, S. 26. Ebenda S. 31.

303 304

Oesterle: Einleitung. 1997, S. 14.

305

Ewers: Die zweifache Bedeutung der Romantik in der Geschichte moderner Jugendentwürfe. 1997, S. 58.

134 Es ist zu bedauern, daß unsere Sprache keine bestimmten Ausdrücke für die verschiedenen Zeiträume des jugendlichen Alters hat. Wie vieldeutig und unbestimmt, in Rücksicht des Alters, sind die Worte Kind, Knabe, Mädchen und Jugend! 306

Im Umgang mit Heranwachsenden zeigt sich einmal mehr, daß technizistische Ausdifferenzierung und bewußtseinsmäßige Stagnation das Signum der romantischen Epoche ist. Dem modernen Kindheits- und Jugenddiskurs ist darüber hinaus auch eine konservierende Hartnäckigkeit inhärent, mit der sich diese typisch moderne Disposition über den romantischen Zeitraum hinaus hält: Selbst noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert ist mit,Jugend' beziehungsweise Jugendalter' die Kindheit gemeint.307 Frühestens von der Mitte des 20. Jahrhunderts an kann davon die Rede sein, daß dem modernen Jugendkonzept eine Realgeschichte korrespondiert. Die Entwicklung seit den 60er Jahren" kann als „Realisierung eines bürgerlich-utopischen Jugendkonzepts verstanden werden".308 Dem darin zum Ausdruck kommenden Mentalitätswandel im Sinne einer vorsichtigen Öffnung auf lebendige und als anarchisch-subversiv gefürchtete Dimensionen des Menschseins ist es überhaupt auch zu verdanken, daß ,Jugend' als ein romantisches Konzept allmählich in den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit geraten ist. Erst 1997 konnte ein Sammelband erscheinen, dessen fragender Titel die Ambivalenz in der romantischen Konzeptionalisierung von Jugend zwischen Revolution und Restauration treffend festhält: Jugend - ein romantisches Konzept?m

1.4

Parrhesiastisches

Die Darlegung wesentlicher Aspekte der mit Authentizität befaßten kunst- und literaturtheoretischen Beiträge und der entsprechenden literarischen Manifestationen im romantischen Zeitraum unter dem soziologischen Aspekt der Ausdifferenzierung zusammenfassend gilt es, die Rede von der .Ausdifferenzierung' als Topos modemer Selbstreflexion ihrerseits zu differenzieren. Gemessen an dem Ideal der ,edlen Einfalt und stillen Größe', von dem alle Überlegungen zur Natürlichkeit im Sinne einer Kontrolle von lebendiger Vielfalt und im Sinne dichotomisierender Reduktionen strukturiert sind, erweist sich die Rede von 306

Ludwig Peter Schröder: Ober den Einfluß des Schauspiels auf die Bildung der Jugend. Gotha 1804, S. 19.

307

308

Siehe dazu ausführlich Wild: Kind, Kindheit, Jugend. Hinweise zum begriffsgeschichtlichen Wandel im letzten Drittel des 18. Jahrhundert. 1993.

Helsper: Das imaginäre Selbst der Adoleszenz. 1991, S. 77. Siehe auch Jürgen Zinnecker: Jugend der Gegenwart - Beginn oder Ende einer historischen Epoche? In: Neue Widersprüche. Jugendliche in den 80er Jahren. Hg. v. Dieter Baacke und Wilhelm Heitmeyer. Weinheim, München 1985, S. 24-^5; hier S. 34f. 309 Jugend - ein romantisches Konzept? H g v. Günter Oesterle. In Verbindung mit Alexander von Bormann [...]. Würzburg 1997.

135 ,Ausdifferenzierung' als euphemistisch. Um jedoch nicht bei dieser plakativen Bilanz stehenzubleiben, ist es angebracht, zwischen einer technizistischen Ausdifferenzierung und einer bewußtseinsmäßigen Ausdifferenzierung zu unterscheiden. Hier wiederum bietet sich an, den Diskurs-Begriff, der bis hierhin als selbstverständliche Größe hingenommen worden ist, zu problematisieren und als heuristische Kategorie fruchtbar zu machen. Michel Foucault, der den Begriff .Diskurs' in den siebziger Jahren für die Kulturwissenschaften populär gemacht hat, hat diesen als eine .Ordnung des Wissens' beschrieben und als ein autonomes Gebilde bestimmt, das über die Subjekte der jeweiligen Wissensgemeinschaft hinwegläuft. Foucault zufolge ist also ein Diskurs auf kein Subjekt abbildbar, sondern eine transpersonale Wissensformation.310 Im Hinblick auf das soziologische Datum der ,Ausdifferenzierung', das diese Phänomenologie des Natürlichen unter soziologischem Aspekt als Richtgröße angenommen hat und das die intersystemische Ausdifferenzierung gesellschaftlich-diskursiver Teilsysteme im Allgemeinen und die intrasystemische Ausdifferenzierung des kunsttheoretischen und literarischen Teilsystems im Besonderen bezeichnen sollte, ist in Anlehnung an Foucaults Diskurs-Begriff festzuhalten: Ausdifferenzierung der diskursiven Ordnung als ein factum brutum genommen, scheint sich einem natürlichen, autonomen Impuls zur Entwicklung zu verdanken; die bewußtseinsmäßige Ausdifferenzierung bleibt aus, hinkt zumindest, wenn man die allmähliche Veränderung dessen, was sozial (kunst- und literaturtheoretisch, anthropologisch, pädagogisch) als .natürlich', i.e. normal zu gelten hat, seit der romantischen Sattelzeit bis heute in Rechnung stellt,311 ungleich hinter der Ausdifferenzierung der diskursiven Ordnung hinterher. Insofern die diskursive Ausdifferenzierung also nur von einem schwachen lebendigen menschlichen Impuls getragen wird, der sich in reduktionistischen Bemühungen erhält, erweist sie sich als technizistisch-bewußtlos und erscheinen damit die Diskurse als autonome Formationen. Die Rede von transpersonalen Diskursen bietet zwar eine treffende Diagnose von Kommunikationsstrukturen, die seit dem offenbaren Entwicklungsschub im 18. Jahrhundert sichtbar geworden sind. Sie ist aber in ihrer heuristischen Reichweite zu relativieren. Zu diesem Zweck gilt es, den Begriff ,Diskurs' vorerst offen zu halten und die spezifische Foucaultsche Diskurskonzeption auf die ihr inhärenten Strukturen zu untersuchen. Foucaults Diskurskonzeption sieht Subjekte als machtlos und abhängig und Diskurse als machtvoll und autonom vor. Die Vorstellung von Diskursen als autonomen, transpersonalen mächtigen

310

311

Siehe dazu die bündigen Artikel ,Diskurs' und ,Diskurstheorie(n)', die alle wesentlichen und weiterf&hrenden Aspekte zu diesem modern-modischen Begriff bereitstellen, im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. v. Klaus Weimar. Bd.l: A-G. Berlin, New York 1997, S. 369-374. Siehe hierzu auch die Ausführungen zum Rousseauismus und zum neoromantischen Syndrom in Kapitel III. 1.2 dieser Arbeit

136 Phänomenen ist also, insofern sie von einem Dualismus Macht-Ohnmacht ausgeht, ihrerseits dichotom geprägt und somit, w a s ihre diagnostische Funktion im Hinblick auf moderne Kommunikationsstrukturen betrifft, im Grunde eine dublizistische Tautologie. D i e prinzipiell mit Singulariatantum' operierende Dichotomie Subjekt und Diskurs, die Foucault als Geist und Macht, Intellektuelle und Staat, Wahrheit und Diskurs 3 1 2 mit Bezug auf die Themen ,Sexualität' 313 , ,Wahnsinn' 3 1 4 und auch ,Wahrheit' 315 durchkonjugiert hat, ist ein restringierter Code, anhand dessen sich die dichotomen Kräftelinien der Kommunikationen zwar ordnen und archäologisch inventarisieren, 316 aber nicht, w i e von Foucault beansprucht, kritisch beleuchten lassen. Foucaults Vorlesungen über die „Tätigkeit" oder „Rolle" der parrhesia,

des

Wahr-Sprechens oder des Wahr-Sprechers, 317 die er im Spätherbst 1983 auf Englisch an der Universität von Berkeley gehalten hat und die 1996 postum auf der Materialgrundlage von Tonbandaufzeichungen herausgegeben worden sind, werfen denn auch fur das Thema Authentizität nur einen bescheidenen, kritisch gesehen aber einen nachdenklich stimmenden Erkenntnisgewinn ab.

Parrhesia

ist in der sokratisch-platonischen Tradition das, w a s im Zuge der Rhetorikkritik im

18.

Jahrhundert

die

.Sprache

des

Herzens'

sein

sollte:

aufrichtig-

312

313

Siehe dazu bspw. das Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze: Die Intellektuellen und die Macht (1972). In: Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens. Hg. u. aus dem Franz. u. Ital. übertragen v. Walter Seitter. Mit einer Bibliographie der Schriften Foucaults. Frankfurt a.M. 1987, S. 106-115; Michel Foucault: Wahrheit und Macht. Interview von A. Fontana und P. Pasquino. (1977) In: Dispositive der Macht. Michel Foucault. Ober Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S. 21-54. Siehe darüber hinaus meine Chronik und Hermeneutik von Geschichten des Begriffs .Intellektuelle' im Zusammenhang des von mir herausgegebenen Forschungsreferats Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. Tübingen 2000, dort insbes. die Jahre 1972, 1977, 1982, 1997, 1998 u. 2000. M. Foucault: Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978.

314

M. Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1973. Zu Foucaults Theorem von Geisteskrankheit als einer,authentischen', direkten und angemessenen Antwort auf die zwanghafte .Inauthentizität' der Gesellschaft siehe kritisch Trilling: Das Ende der Aufrichtigkeit. 1983, S. 155f.

315

M. Foucault: Diskurs und Wahrheit: Die Problematisierung der Parrhesia; 6 Vorlesungen, gehalten im Herbst 1983 an der Universität Berkeley/Kalifornien. Hg. v. Joseph Pearson. Aus dem Engl, übers, v. Mira Köller. Berlin 1996.

316

M. Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Aus dem Franz. v. Ulrich Köppen. Frankfurt a.M. 1974. Oder auch: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Aus dem Franz. v. Walter Seitter. Frankfurt a.M. 1988. Foucault ist das philosophische Double des Soziologen Niklas Luhmann: Was dieser mit Hilfe der Begriffe .Gesellschaft' und .System' anfangt, macht jener mit den Begriffen .Archäologie' und ,Diskurs'. Die Titel der Arbeiten von beiden sind ebenso stereotyp wie die Ergebnisse redundant. An den ordentlichen Materialsammlungen kann sich kritisches Bewußtsein allerdings schulen.

317

Foucault: Diskurs und Wahrheit. Die Problematisierung der Parrhesia. 1996, S. 176.

137 arhetorisches Gegenüber der als simulierend und dissimulierend gedachten höfischen Gesellschaft, dann der höfisch korrumpierten bürgerlichen Verhältnisse und schließlich der philiströsen Zustände. Foucault übersetzt den griechischen Begriff parrhesia mit „Freimütigkeit beim Sprechen der Wahrheit",318 macht damit die Konzeption von Wahrheit als unumstößliches und .einfältiges' factum brutum sinnfällig, die er auch im Zuge seiner Analysen der Tragödien Ion und Orest in der Version des Euripides nachweisen kann. „Das parrhesiastische Spiel",319 das sich in den sokratisch-platonischen Dialogen im Unterschied zur rhetorisch-sophistischen Rede demokratisch-unautoritär geben will, ist, wie die Tragödien und Sokrates' eigener Werdegang offenbaren, tatsächlich eines auf Leben und Tod. Der Parrhesiast ist ein mutiger Mensch, der uneigennützig sein Leben zum Wohle des Volkes riskiert. Er wagt es, den König zu kritisieren, indem er ihn mit der Wahrheit konfrontiert, die nicht als subjektive Wahrheit verstanden wird und somit jeglicher Möglichkeit einer Relativierung benommen ist. Der Tyrannis des Staates antwortet die Tyrannei subjektiver Wahrheit, was Foucault .natürlich' so nicht zu sehen vermag. Denn er begreift .Wahrsprechen' als „genaue Ubereinstimmung zwischen Glauben und Wahrheit" und also als Bezug zweier fester Größen, so daß .Glaube' hier nicht relativierend im Sinne einer subjektiven Annahme erscheint.320 Foucault reklamiert den Parrhesiasten der Antike als Vorbild des .edel einfaltigen' Intellektuellen der Moderne. In dem Maße, wie Foucault sich mit seinen parrhesiastischen Vorfahren problemlos identifiziert und also von sich selber und seinen Vorannahmen absieht, bekommen jene in seiner Vision einen absoluten moralischen Kredit. Nach Foucault erfüllt der intellektuelle Parrhesiast eine moralische Pflicht, die von den moralisch Gleichgültigen versäumt werde,321 womit die Tyrannei der Wahrheit wieder fur die Gegenwart ins Amt gesetzt ist. Das tyrannische Moment in der Kunst des Wahrsprechens einmal erkannt, fällt insbesondere ein kritisches Licht auf das parrhesiastische Verfahren der sokratischen ,Maieutik'. Für das dialogische Hervorbringen einer natürlichen Wahrheit, die als eine solche schon immer im Lernenden geschlummert haben soll, wird ausgerechnet ein gynäkologischer Begriff geltend gemacht. In dem Maße, wie regelmäßig einem zur Debatte stehenden Problem nur eine ,natürliche' Lösung entsprechen soll, weil dadurch ja die Natürlichkeit des Verfahrens bewiesen wird, offenbart sich das Fragen des Lehrers als festgelegt. Nach Maßgabe des Lehrers wird eine Problemlösung produziert und als natürlicher status quo ante ausgegeben, wie nicht zuletzt in Foucaults eigener Analyse des platonischen Gorgias sinnfällig 318

319

Ebenda S. 7; S. 9: parrhesia wird gewöhnlich im Englischen mit free-speech (im Französischen mit franc-parler und im Deutschen mil Freimütigkeit) übersetzt [...]." Ebenda S. 13.

320

Ebenda S. 12.

321

Ebenda S. 19.

138 wird.322 So werden nicht, wie es die Metapher ,Maieutik' suggerieren soll, je und je einmalige, lebendige Gedanken entbunden, sondern immer die Wahrheit produziert, die als die eine richtige Lösung der jeweiligen Problemstellung erscheinen soll. In der sokratischen Hebammenkunst wird nicht assistiert, sondern sistiert. Es geht um Leben und Wahrheit als Idee im Sinne einer gedanklich vorstrukturierten ,Natur der Sache'. Im Zuge der parrhesia des Sokrates wie auch der Foucaults offenbart sich Authentizität als demokratische Überbietung von Tyrannei. Liegen hier deren Statuten klar auf der Hand, so werden sie dort dissimuliert, und mögliche Widerstände werden galant mit Hilfe der Simulation plebejischer Unbefangenheit überspielt. Foucault jedenfalls gibt sich im Zuge seiner Vorlesungen betont studentisch orientiert, erklärt und faßt zusammen und hält den Gedankengang seiner Vorträge überschaubar. Macht er auch jeden griechischen Begriff auf seine lexikalischen und grammatischen Besonderheiten und die analysierten Tragödien auf ihre parrhesiastischen Problemlagen hin transparent, so doch seine eigenen Ausführungen nicht auf ihre gedanklichen Voraussetzungen. Scharf formuliert: Die Überschaubarkeit von Foucaults Vorlesungen ist keine intellektuelle Glanzleistung im Sinne einer Integration vielfältiger, von einem ausgeprägten Problembewußtsein hervorgebrachter Aspekte des Themas, da hier am Anfang wie in der Mitte so am Schluß immer alles gleich selbstverständlich auf den restringiert-dichotomen Code ,Geist-Macht' bezogen bleibt, welcher zudem moralisch affirmiert wird. Ob feministische .subjektive Authentizität', romantische ,Ganzheitlichkeit', empfindsame ,Sprache des Herzens', klassizistische ,edle Einfalt', moderne ,Weiblichkeit', .Kindlichkeit', ,Jugend' oder griechische parrhesia - in der nunmehr von der deutschen zur abendländischen geweiteten Kulturlandschaft zeigt Authentizität ein programmatisch-tyrannisches Gesicht. Die Authentizitätsprogrammatik verdankt sich einem Affekt ihrer Apologeten gegen Autoritäten, welche zu einer autonomen anonymen Größe - der Hof, die Gesellschaft, der Staat - substantialisiert werden. Charakteristisch für die Authentizitätsdiskurse ist eine nachhaltige Tendenz zur Verabsolutierung subjektiver Betroffenheit zur absoluten Wahrheit, wie sie insbesondere auch im Zuge der feministischen, von Christa Wolf zum Programm ausgegebenen .subjektiven Authentizität' sinnfällig geworden ist. Als .autonom' erscheint in dieser eingeschränkten Perspektive allein das bekämpfte Gegenüber, nicht aber das bekämpfende Subjekt. Authentizität im Sinne von Individualität und Ganzheitlichkeit kommt in den Authentizitätsprogrammatiken nicht zum Tragen, sofern die Subjekte auf sich ihnen stellende Herausforderungen dividierend und nicht integrierend reagieren; sie erweisen sich als Dividuen, nicht als Individuen. Insofern Authentizität demnach als ein Bewußtseinsproblem des antiken und als das Bewußtseinsproblem des modernen Menschen sinnfällig geworden ist, ist die 322

Siehe ebenda S. 20f.

139 moderne Rede von ,Individualität' euphemistisch und der Begriff diagnostisch untauglich. Er erhält allerdings als regulative Idee einen Sinn, der sich von der Tatsache herleitet, daß das Bedürfnis nach Authentizität und Individualität und Autonomie nach wie vor ungebrochen ist.323 Darauf aufbauend ist die Auffassung von ,Diskursen' als autonomen, transpersonalen Formationen von Kommunikation, wie sie Foucault ausgegeben hat, abermals zu differenzieren. Zum einen ist sie ihrerseits symptomatisch für die dividierende Tendenz modemer Bewußtlosigkeit. Zum anderen werden selbst im Zuge ihrer Substantialisierung Diskurse immer nur als quasi-autonome Formationen aufgefaßt, und zwar in dem Maße, in dem sich ja gerade in der erbitterten, aggressiven Auseinandersetzung mit ihnen ein subjektiver Geltungsanspruch und mit ihm der Glaube an Einflußnahme auf kollektives Geschehen kundtut. Die Konzeptionalisierung von Diskursen als quasi-autonomen Kommunikationsformationen, wie sie also im Zuge dividuell-bewußtloser Gedankengänge zum Tragen kommt, läßt sich mit Bezug auf die regulative Idee ,Individualität/Authentizität' ihrerseits differenzieren: Diskurse sind zum einen quasi-autonome Kommunikationsformationen, weil ihnen eine Eigendynamik eignet, die sich nicht aus der Addierung der in ihr versammelten subjektiven Energien herleitet; dies einzusehen, verwahrt die Subjekte vor einem größenwahnsinnigen Geltungsanspruch, mit dem sie mögliche Erlösungsprogramme entwerfen und als (un-)heilbringend zirkulieren lassen. Diskurse sind zum anderen quasi-autonome Kommunikationsformationen, weil in ihnen Subjekte sich in einer Gemeinschaft erfahren, welche sie herausfordert, ihr einmaliges Potential herauszuarbeiten, um durch diese Arbeit am Selbst einmalige Individualität diskursprägend geltend zu machen. Vor dem Hintergrund von .Individualität' als einer regulativen Idee Diskurse als quasi-autonome Kommunikationsformation begreifend erweist dieser Begriff seinerseits sich als sinnvolle regulative Idee: Der Begriff,Diskurs' hält den Blick für zwischenmenschliche Umgangsweisen wach, die von Individuen geprägt sind, welche die Fähigkeit zur Integration lebendiger Vielfalt auszeichnet; ein integratives Bewußtsein ist per se weder pazifistisch-tyrannisch noch tyrannisch-tyrannisch, sondern schöpft das ganze differenzierungs- und nuancierungsfahige Spektrum menschlichen Bewußt-Seins aus.

323

Die aktuellen Manifestationen des ,,Dämon[s] der Echtheitssuche" hat Johannes Saltzwedel in dem zu Eingang dieser Arbeit bereits erwähnten Spiegel-Essay kenntnisreich aufgelistet. In: Der Spiegel Nr.45, 06. November 2000, S. 286-290; hier S. 290.

140

2.

Geschichtsphilosophisches

Jeder Text ist authentisch im Sinne von individuell, insofern es sich dabei um ein kohärentes Text-Gewebe handelt. Aber nicht jeder Text ist authentisch in dem Sinne, daß von ihm ein Authentizitätseffekt ausginge, in welchem sich ein individuelles Bewußtsein des sprechenden Subjekts mitteilt. Die Analysen der kunst- und literaturtheoretischen Landschaft und der literarischen Texte unter soziologischem Aspekt haben erbracht, daß Individualität das Problem des modernen Bewußtseins ist. An ihm haben sich alle besprochenen Autoren mit unterschiedlichen thematischen Akzentuierungen abgearbeitet. Die prominenten Konzeptionalisierungen von Literatur im romantischen Zeitraum, das empfindsame Konzept einer Herzenssprache, die sensualistischen Kunstempfindungsprogramme und die enthusiastisch propagierten Vorstellungen von Weiblichkeit, Kindheit und Jugend zeugen alle von einem dividuierenden Bewußtsein, das nach Maßgabe des Dualismus Gefühl-Verstand verfahrt und so sich der Möglichkeit begibt, das zu erlangen, was es sich so sehr wünscht: Unmittelbares, Ursprüngliches, Natürliches, Unverwechselbares. Modernes Bewußtsein ist also in einer ausweglosen Alternativlosigkeit und in einem Teufelskreis gefangen. Authentizität im Sinne von Individualität und persönlicher Autonomie hat in dem Maße, in dem die Autoren an der Durchführung ihrer durchaus innovativen Ideen scheitern, lediglich die Funktion einer regulativen Idee inne. Daß dieser Status von Authentizität den Zeitgenossen unbewußt-bewußt ist, offenbart sich in den geschichtsphilosophischen Temporalisierungen von Kunst und Literatur, die mit unterschiedlichen Akzentuierungen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Zeit um 1800 Konjunktur haben und deren prominenteste im folgenden mit Blick auf die sich darin aussprechende spezifische ( I n d i vidualität ihrer Verfasser untersucht werden.324

324

Auf das wohl bekannteste Literaturprogramm der Romantik, die Idee einer Progressiven Universalpoesie, wird hier aus folgendem Grund nicht eingegangen: Friedrich Schlegel bestimmt seine progressive Universalpoesie (116. Athenäums-Fragment) mit Kant transzendental (238. Athenäums-Fragment) und verankert sie mit Johann Gottlieb Fichtes .absolutem Ich' im Horizont des Absoluten. Mit der Idee des .absoluten Ich', das vom empirischen Ich abgegrenzt wird und das als ein theoretisches Konstrukt ausgerechnet Subjekt und Objekt, Sinnlichkeit und Vernunft auszubalancieren vermag, ist die moderne BewußtseinsProblematik zum Verschwinden gebracht. Die transzendental verabsolutierte, unbedingte Untersuchung der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis desavouiert grundsätzlich das Projekt einer universellen Poetisierung, i.e. Belebung des Lebens, im Zuge dessen man dezidiert von philosophisch-systematischer Letztbegründbarkeit absehen, sich von fragmentarischer Bescheidung, von ironischem Schweben zwischen Ideal und Wirklichkeit, von symphilosophierender Geselligkeit und dynamischer Durchmischung (hier der literarischen Gattungen) tragen lassen will. Romantische Ironie ist eine Haltung, mit der man sich von einer tiefergehenden Beschäftigung mit sich selbst und der Welt verabschiedet hat; in der ironischen Distanziertheit vermag nichts mehr zu verunsichern; das Fragment ist eine verdeckte Totalitätskategorie (vgl. Ostermann: Das Fragment. 1991), die fragmentarische

141 2.1

Ästhetisch Versöhnliches

Aus Einsicht in die Insuffizienz einer bloßen .Aufklärung des Verstandes' vollzieht der Philosoph Johann Georg Sulzer j e n e Wende zur Ästhetik, deizufolge die Kultivierung der Sinnlichkeit leisten soll, was der Kritik des Vernunftgebrauchs nicht gelang. Allgemeine

1771 und 1774 erscheint zweibändig Sulzers

Theorie der Schönen Künste,

ein alphabetisches Lexikon der Reali-

en und Begriffe und anfangs auch Personen aller Kunstgattungen, das sowohl als Handbuch künstlerischer Techniken als auch mit einer Reihe von Schlüsselartikeln als eine Philosophie des Schönen und der Kunst gedacht ist. Bezugnehmend auf die aufklärerische Vorurteilskritik rehabiliert Sulzer darin die Empfindungen und dunklen Vorstellungen, von denen gerade Vorurteile geleitet werden, so daß Vernunft allein hier nichts aufzuklären vermag. 325 Homöopathisch denkend spricht Sulzer unter dem Lemma „Künste, schöne Künste" die Empfehlung aus, undurchschaute,

vorurteilsmäßig

wirkende

Empfindungen

durch Empfindungen zu heilen:

Bescheidung ein understatement; F. Schlegels Gespräch über die Poesie (1800), aus der 1799 abgehaltenen Vorlesung über den verschiedenen Styl in Goethes früheren und spätem Werken hervorgegangen, beinhaltet monologische Abhandlungen über diese, das romantische symphilosophische Miteinander scheitert an der produktiven Versessenheit der männlichen Gesprächsteilnehmer (vgl. Kühn: Der Leser - die Frauen. 1986); und die Durchmischung der Gattungen ist eine sorgfältige archivarische Gattungsinventur (vgl. Kremer: Prosa der Romantik. 1996, S. 32f.) im Zeichen des priorisierten raumgreifenden Romans (siehe bspw. C. Brentanos in dieser Hinsicht ganz und gar nicht verwildertefn] Erstlingsroman Godwi (1801); Achim von Arnims Gräfin Dolores (1810) oder Die Kronenwächter (1816)). Aus dem Geist absoluter Philosophie heraus ist es verständlich, daß Novalis im 940. Fragment des Allgemeinefn] Brouillon[s] das Märchen zum „Canon der Poesie" erhebt, um in ihm „den [sc. lebendigen] Zufall [anzubeten]", und daß F. Schlegel das Fragment im 206. A.-Fragment als ein in sich vollkommenes Kunstwerk begreift, das in seiner Veranschaulichung durch die Metapher des Igels die Selbstabdichtung des Autors vor ,gefahrlich' andringender Lebendigkeit zum Ausdruck bringt: „Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel." Wenn Schlegel proklamiert, daß die progressive Universalpoesie „ewig nur werden, nie vollendet sein kann" (116. A.-Fragment), dann ist kritisch entgegenzuhalten, daß hier nichts wird, weil systematisch alles schon vollendet ist und die intendierte imperfektible geistige Bewegung bereits in ihrem Ansatz, in der Absurdität einer transzendental-unbedingten Untersuchung der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis stagniert. Die Absurdität dieses Unterfangens bzw. die mit ihm einhergehenden Aporien habe ich anhand von Novalis' Projekt einer „Erneuerung aus dem Geiste mathematischer Formelsprache" (Schlich 2002) und dessen Resultante, dem Monolog (1798/99; 1846), geduldig deduziert. 325

Siehe hierzu und zum folgenden den kenntnisreichen Aufsatz von Wolfgang Riedel: Erkennen und Empfinden. Anthropologische Achsendrehung und Wende zur Ästhetik bei Johann Georg Sulzer. In: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. DFG-Symposion 1992. Hg. v. Hans-Jürgen Schings. Stuttgart, Weimar 1994 (= Germanistische-Symposien-Berichtsbände; Bd. 15), S. 4 1 0 ^ 3 9 ; hier S. 4 2 7 ^ 2 9 .

142 Soll die Wahrheit würksam [sie!] werden, muß sie in Gestah des Guten nicht erkannt, sondern empfunden werden; denn nur dieses reizt die Begehningskräfle. 326

Da die Kunst und hier das Schöne laut Sulzer unmittelbaren Zugang zum Empfinden haben, müssen sie der dem Erkennen zuarbeitenden Philosophie bei ihrer Aufklärungsarbeit assistieren. Bei Sulzer zeichnet sich eine Ausdifferenzierung von wissenschaftlichem und kunstkritischem Code ab: Die Empfindung entscheidet über das, was gefallt, oder mißfällt; die Erkenntniß urtheilet über das, was wahr, oder falsch ist. 327

Die Sulzersche Ausdifferenzierung beläuft sich allerdings auf einen aromatischen Dualismus von Erkennen und Empfinden, mit dem der Philosoph das Verhältnis von Philosophie und Kunst nicht nur begründet, sondern nach und nach gegeneinander ausspielt, bis die Kunst über die Philosophie den Sieg davonträgt - mit anderen Worten: „Wo der Mensch als unvernünftiges Wesen definiert wird, wird die Sinnlichkeit zur ultima ratio der Aufklärung."328 Die desintegrative Tendenz seiner Grenzziehungen verleitet Sulzer dazu, sich daraus notwendig ergebende bewußtseinsmäßige Engpässe mit einem Willen zur Macht zu kompensieren, einem grenzenlosen Glauben an die Meliorierungsfahigkeit der Empfindungen anzuhängen und die Kunst als Erlöserin nicht nur der Philosophie, sondern auch des Staates aufzubauen. Kunst wird zum „Werkzeug" einer „weisen Politik" nobilitiert, welche damit die „Glükseligkeit [sie!] der Menschen" erreichen könne.329 Bei Sulzer kommt der lebendige Impuls zur Ausdifferenzierung über das in einem gnadenlosen Dualismus von Empfinden und Erkennen befangene Denken beim Willen zur Macht zur Ruhe, genauer: er schlägt in tyrannische Demagogie qua Psychagogik um. Die Kunst avanciert bei Sulzer zum Medium absoluter Herrschafisgewalt: Mit ihr, insbesondere mit der Musik als Paradigma eines „sanften", unwiderstehlichen" künstlerischen ,,Zwang[s]" auf die Empfindungen,330 kann man „aus dem Menschen [...] alles machen, dessen er fähig ist"331.

326

Johann Georg Sulzer: Künste, schöne Künste. In ders.: Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter in auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt (1771, 1774). 4 Tie. Neue vermehrte zweyte Auflage. [Hg. v. Friedrich von Blanckenburg], Leipzig 1792-94. Repr. Nachdruck Hildesheim 1970. Blankenburg „vermehrte" die postume Zweitausgabe um ausführliche bibliographische „Zusätze und Berichtigungen". Bd. 3: 1793, S. 72-95; hier S. 78.

327

328

Sulzer: Empfindung (1771/74). In ders: Allgemeine Theorie der schönen Künste. Bd. 2: 1792, S. 53-59; hier S. 53, Anm. Riedel: Erkennen und Empfinden. 1994, S. 428.

329

Sulzer: Künste, schöne Künste (1771/74). 1793, S. 76.

330

Sulzer: Musik (1771/74). In ders.: Allgemeine Theorie der schönen Künste. Bd. 3: 1793, S.421-483; hier S. 426 u. S. 433. Sulzer: Künste, schöne Künste (1771/74). 1793, S. 77.

331

143

Sulzers Theorie wird aufgrund ihrer Abneigung, die sie der zeitgenössischen Literatur entgegenbringt, Goethes ablehende Kritik in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen zuteil. Von daher mit dem Verdikt des Anachronismus belegt, genießt sie entsprechend in der Germanistik kein besonders großes Ansehen. Dennoch ist sie, die zu ihrer Zeit äußerst einflußreich ist, literaturhistorisch ernst zu nehmen. Sulzers Theorie erscheint in mehreren Auflagen, und Projekte wie Friedrich von Blankenburgs Zusätze und Berichtigungen, mit denen dieser eine vierteilige Ausgabe der Allgemeinen Theorie (1786/1787) bibliographisch vertieft und postum herausgibt, oder die achtbändigen Nachträge von Dyck und Schaz (1792-1818) schließen sich an sie an. Die Rezeptionsgeschichte von Sulzers Theorie ist literaturhistorisch auch insofern relevant, als Schiller, der sie neben Jean Paul intensiv benutzte, ihr wesentliche Impulse für seine Gedanken Uber die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) verdankt, die er in einer Reihe von Briefen dargelegt hat. Wie Sulzer stößt Schiller sich an einer bloßen Verstandesaufklärung: Die Aufklärung des Verstandes, deren sich die verfeinerten Stände nicht ganz mit Unrecht rühmen, zeigt im ganzen so wenig einen veredelnden EinfluB auf die Gesinnungen, daß sie vielmehr die Verderbnis durch Maximen befestigt.

Schiller vollzieht Sulzers Abwendung von der Verstandesaufklärung nach und gelangt, auch wenn er im Unterschied zu Sulzers Psychagogik auf dem Moment der „Freiheit" als conditio sine qua non besteht,333 bei seiner Funktionsbestimmung der Kunst im Endeffekt zu nicht wesentlich anders gelagerten Ergebnissen als sein Vorgänger. Schiller erkennt das didaktische Dilemma von Sulzers Psychagogik und sieht richtig, daß man von der Manipulation des Menschen zu seiner Moralisierung vordringen müsse. Allein die Art und Weise, wie Schiller diesen Weg vorsieht, offenbart alle dichotomisierenden Altemativlosigkeiten, aufgrund derer sich auch Sulzer zur Idee einer ästhetischen Versöhnung der Menschheit versteigen mußte. Schillers Ausführungen sind darüber hinaus im Hinblick auf das moderne Thema .Individualität' und ,Autonomie' aufschlußreicher als die definitorischen Lexikoneinträge Sulzers, weil in ihnen sich das ganze Drama eines Denkers vollzieht, der sich seiner Sinnlichkeit entledigen will. Dieses Drama kommt in der eigentümlichen Ambivalenz des Begriffs auf den Punkt, den Schiller vom ,Individuum' hat. Die Schönheit der Kunst avanciert bei Schiller zum Versöhnungsparadigma par excellence: Da die Schönheit der Kunst „Harmonie in dem [sc. durch bloße

332

Friedrich Schiller: Ober die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795). In ders.: Sämtliche Werke. 5 Bde. Hg. v. Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert. Bd. 5: Erzählungen/Theoretische Schrillen. München '1993, S. 570-669; hier S. 580. (5. Brief)

333

Ebenda S. 632. (20. Brief)

144 Sinnlichkeit und bloße Vemünftigkeit zerrissenen] Individuum stiftet", vermag sie auch „Harmonie in die Gesellschaft [zu bringen]"; im Paradigma des ästhetischen Staat[s]",334 dem „Staat des schönen Scheins",335 in welchem der Mensch dem Menschen „als Objekt des freien Spiels gegenüberstellt]",336 werden ein „dynamische[r] Staat der Rechte", in welchem „der Mensch dem Menschen als Kraft begegnet" und „Natur durch Natur bezähmt", mit dem „ethischen Staat der Pflichten", in welchem die „Majestät des Gesetzes" regiert, miteinander zum Ausgleich gebracht. Der ,dynamische Staat' ermöglicht laut Schiller „die Gesellschaft", der ethische Staat macht „die Gesellschaft" „(moralisch) notwendig" und der ästhetische Staat macht „die Gesellschaft" „wirklich".337 Allein von dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit, die „in jeder feingestimmten Seele" „dem Bedürfnis nach existiert",338 ist die gesellschaftliche Wirklichkeit noch weit entfernt. Der ästhetische Staat Schillers ist eine Utopie, fur die im Sinne und zum Wohle der Menschheit der ästhetische Erzieher tätig werden will. Politisch unabkömmlich geworden, hat sich Schiller so eine weiterreichende, grandios menschheitsbeglückende Aufgabe als Literat erschrieben. Seine ästhetische Erziehung macht „den eigentlichen Anfang der Menschheit" aus.339 Allein durch Schillers ,Individuum' geht ein unheilvoller Riß. Schiller laboriert daran, daß er das Individuum entweder „auf den sinnlichen oder auf den geistigen Teil seines Wesens gründe[t]", von wo aus er sich in die diesbezüglich als versöhnlich gedachte ästhetische Erziehung des Menschen versteigt. Daß Schiller diesen Riß, diese Bewußtseinsspaltung nicht auf integrative Weise zu schließen vermag und sein ästhetisch versöhntes ,Individuum' ein unversöhnliches Dividuum bleibt, kommt auch und gerade in der Weise zum Ausdruck, wie Schiller den Begriff .Individuum' gebraucht. Nachdem er ,Individuum' für das ästhetisch-spielerisch zum Ausgleich zwischen Sinnlichkeit und Vernunft gelangte Subjekt eingesetzt hat, veranschlagt er den Begriff wieder für das einseitig auf Sinnlichkeit festgelegte Subjekt, welches dann der Gattung .Mensch' gegenübergestellt beziehungsweise mit dieser .versöhnt' wird: Der Geschmack allein bringt Harmonie in die Gesellschaft, weil er Harmonie in dem Individuum stiftet. [...]. Die Freuden der Sinne genießen wir bloß als Individuen, ohne daß die Gattung, die in uns wohnt, daran Anteil nähme [...]. Die Freuden der Erkenntnis genießen wir bloß als Gattung

334

Ebenda S. 667. (27. Brief)

335

Ebenda S. 669.

336

Ebenda S. 667.

337

Ebenda.

338

Ebenda S. 669.

339

Ebenda S. 662.

145 und indem wir jede Spur des Individuums sorgfältig aus unserm Urteil entfernen [...]. Das Schöne allein genießen wir als Individuum und als Gattung zugleich [...].

Da der Begriff .Individuum' sowohl das mit seiner Zerrissenheit ästhetisch versöhnte als auch das auf das ,Gefühl' fixierte Subjekt bezeichnet, wird er zum Indikator der Integrationsschwäche des Ästheten, der einen beachtlichen gedanklichen Aufwand betreiben muß, um seine eigene wie die sinnliche Disposition ,des Menschen' an sich zu kaschieren. Dafür, daß die selbst noch im Denken gegenwärtige Empfindung zum gedanklich aufregenden - ein Gefühl Anstoß geworden ist, spricht eine Stelle im fünfundzwanzigsten Brief: Schiller will die „Empfindung" zu etwas philosophieren, das „gar wohl wegbleiben könnte, ohne daß die Erkenntnis deswegen aufhörte und Wahrheit nicht Wahrheit wäre".340 Es ist Schiller um die „Ausschließung des Gefühls, solange gedacht wird, und des Gedankens, solange empfunden wird",341 zu tun. Es ist dieser verzweifelt - ein Gefühl - anmutende, weil aussichtslose Handel, den Schiller mit ,dem Gefühl' nach dem Motto ,läßt du mich in Ruhe, laß ich Dich in Ruhe' engagiert - eine Haltung, die aus dem Gefühl, betroffen zu sein, hervorgeht - zu treiben versucht, von wo aus der Gedanke einer ästhetischen Erziehung seine schwache Leuchtkraft bezieht und die utopische Verve, mit der er aufgeladen wird, allenfalls eine schöne Idee bezeichnet. In dem Maße, wie Schiller sich vom Fluidum der Gefühle freimachen möchte, gehen seine Versöhnungsversuche gedanklich in die Irre und erweist sich sein Reich der Kunst als eine Fata Morgana. Die Tatsache, daß sich Schillers Versöhnungsprogramm gedanklichen Zirkelschlüssen und mutwilligen Setzungen verdankt, wird unmißverständlich sinnfällig, wenn die ästhetische Versöhnung der ansonsten unvereinbaren ,,beide[n] Naturen" des Menschen,342 die Sublimation des Gefühls im „Wohlgefallen an der Schönheit"343 mit einem ,,genießen[den]" „Auge"344 einhergeht. Mit diesem Sinn hat man die „tierischen Sinne[..]" der „unmittelbar[en] [Berührung]"345 „auf dem Wege zum Ideal"346 hinter sich gelassen. Schiller, der Herders sensualistische ,Umkehr der Sinneshierarchie' rationalistisch zurückdreht,347 kommt symptomatischerweise das Ohr abhanden, der mittlere Sinn Herders, der dort die Gewalt der Tasterfahrung mit der distanznehmenden Klarheit, mit der das Auge die Welt ,in Augenschein nimmt', ver-

340

Ebenda S. 653. (25. Brief)

341

Ebenda S. 654.

342

Ebenda.

343

Ebenda S. 653.

344

Ebenda S. 657. (26. Brief)

345

Ebenda.

346

Ebenda S. 662. (27. Brief)

347

Zum Herderschen Sensualismus siehe Kapitel III. 1.3.2 dieser Arbeit.

146 söhnt. Formuliert Schiller, um sein Versöhnungsaxiom konsequent anzuwenden, zunächst noch, daß „in dem Auge und dem Ohr [...] die andringende Materie schon hinweggewälzt ist von den Sinnen", so kommt er doch nicht umhin, das Ohr im Zuge seines desintegrativen manichäistischen und also vom Ansatz her überhaupt nicht versöhnlichen Denkens zum Appendix des Auges zu vereinnahmen: Der Gegenstand des Takts ist eine Gewalt, die wir erleiden; der Gegenstand des Auges und des Ohrs ist eine Form, die wir erzeugen.348

In dem Maße, wie die harmonisch erscheinende Liaison von Auge und Ohr Momente gesteigerter Empfindungen evoziert (,ganz Auge und Ohr sein'; ,da vergeht einem Hören und Sehen'), muß Schiller sie kündigen. Wenn Schillers ästhetische Versöhnung schließlich statthat, ist vom Ohr, das sich zudem im Unterschied zum Auge gerade nicht, wie Schiller es braucht, der „andringende^] Materie" verschließen kann, sondern umgekehrt von dieser ganz eingenommen wird, keine Rede mehr: Sobald er [sc. der Mensch] anfängt, mit dem Auge zu genießen, und das Sehen für ihn einen selbständigen Wert erlangt, so ist er auch schon ästhetisch frei, und der Spieltrieb hat sich entfaltet.349

Schillers aisthesis beläuft sich auf die einseitige Klarheit des das Wahrgenommene auf Distanz haltenden Auges und hat in dem Maße, wie sie die Sinne schon nicht miteinander in Einklang zu bringen veimag, erst recht nichts mit einer überzeugenden Versöhnung von Sinnlichkeit und Verstand zu tun. Schillers „Spieltrieb" ist ein frommer Wunsch, der sich als perfekte Tatsache geriert („der Spieltrieb hat sich entfaltet"); er ist ebenso gewaltsame Setzung wie der Schillersche „[Sprung]" des „Verstandes] [...] über das Licht hinaus zu den Gegenständen" zurück, von denen er sich freimachen wollte, um sie nach Maßgabe sinnlicher, zum Imperialismus tendierender Versagungen unter Kontrolle zu bringen.350

2.2

Naiv-Sentimentalisches

Schillers Abhandlung Ober naive und sentimentalische Dichtung (1795) steht in einem ergänzenden Zusammenhang mit den Briefen Über die ästhetische Erziehung. Schiller hat die Arbeit an ihr 1794 aufgenommen, zu einer Zeit, als er die Briefe umzuarbeiten begann.

348 349 350

Schiller: Ästhetische Erziehung. 1993 (Bd. 5), S. 657. (26. Brief). (Hervorh. von mir, J.S.) Ebenda. Ebenda.

147 Ich schreibe hier mehr aus dem Herzen und mit Liebe. Es ist gleichsam eine Brücke zu der poetischen production...,351 deutet Schiller in einem Brief vom 4.9.1794 an Christian Gottfried Körner die existentielle Reichweite des von einer persönlichen Betroffenheit getragenen Projekts der Vermittlung von philosophischer Klarheit des Verstandes und Sinnlichkeit an. Als ,naiv' begreift Schiller eine harmonische Einheit von ,,Sinne[n] und Vernunft", eine unbewußte, natürliche Balance zwischen ,,empfangende[m] und selbsttätige[m] Vermögen".352 .Sentimental' „ist der Mensch [im] Stand der Kultur", wo „die Kunst ihre Hand an ihn gelegt" und „so [...] jene sinnliche Harmonie in ihm aufgehoben [hat]."353 Die Ubereinstimmung zwischen seinem Empfinden und Denken, die in dem ersten Zustande wirklich stattfand, existiert jetzt bloß idealisch·, sie ist nicht mehr in ihm, sondern außer ihm; als ein Gedanke, der erst realisiert werden soll, nicht mehr als Tatsache seines Lebens. Im Unterschied zu den Adjektiven .klassisch' und .romantisch', welche bei Friedrich Schlegel ausschließlich als Epochenbegriffe fungieren,355 schillern die Schillerschen Begriffe ,naiv' und ,sentimentalisch' zwischen Epochenbegriff und „Empfindungsweise";350 sie sind sowohl geschichtspoetologisch als auch gattungstheoretisch motiviert. Dem Geburtstagsbrief Schillers an Goethe vom 23. August 1794 zufolge, 357 einem wichtigen Ausgangspunkt der Abhandlung, begreift Schiller Goethe „als naiven Dichter in sentimentalischer Zeit" und sich selbst als sentimentali sehen in sentimentalischer Zeit.358 .Naiv' und .sentimentalisch' werden also als Epochenbegriffe verstanden, ohne daß damit die Ver351

Friedrich Schiller: Uber naive und sentimentalische Dichtung (1795). In: Ders.: Sämtliche Werke. 5 Bde. Hg. v. Gerhard Fricke u. Herbert G. Göpfert. Bd. 5: Erzählungen/Theoretische Schriften. München'1993, S. 694-780; Kommentar S. 1160-1185; hier S. 1161. 352 Ebenda S. 716. 353 Ebenda S. 716f. 354 Ebenda S. 717. 355 Schillers Lehre vom Naiven und Sentimentalischen hat unbestreitbar Friedrich Schlegels in klassizistischer Absicht unternommene Auseinandersetzung mit der griechischen Poesie beeinflußt. In der Vorrede zu seinem 1795/96 geschriebenen, 1797 publizierten Aufsatz Über das Studium der griechischen Poesie spricht Schlegel davon, „daß die Antike nicht mehr", wie in den vorangegangenen Schriften noch, Jsoliert' betrachtet, sondern in ihrem Verhältnis zur Moderne studiert und als ,ganze Masse nach objektiven Prinzipien [geordnet]" wird (Schlegel 1979 (Bd.l), S. 217-367; hier S. 258). Wie im Titel bereits anklingt, wird das Prinzip der mimesis naturae qua Nachahmung des diesbezüglich vorbildlichen Antiken durch deren Studium ersetzt, und - der geschichtsphilosophischen Dialektik Schillers gemäß - die Synthese der antiken Dichtung mit der modernen als das Ziel dieses Studiums anvisiert. 356 Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 720, S. 745 u.ö. 357 Ebenda S. 1162-1164. 358 Ebenda S. 1163.

148 bindung von ,naiv' mit ,alt' bzw. ,antik' fur die Antike reserviert würde. Ebenso kann die Signatur nachantiker Dichtungen mit dem Adjektiv ,naiv' belegt werden, von wo aus die Begriffe in Richtung „Dichtungs- und Empfindungsweisen"359 tendieren: Wir haben auch in neuern, ja sogar in neuesten Zeiten naive Dichtungen in allen Klassen, wenn gleich nicht mehr ganz reiner Art, und unter den alten lateinischen, ja selbst griechischen Dichtem fehlt es nicht an sentimentalischen.

So erweist sich das Oszillieren zwischen dynamis und stasis, zwischen zeitlich fixierenden Epochenbegriffen und diese transzendierenden Empfindungsweisen als Charakteristikum von Schillers innerlich bewegtem Denksystem. Die Kongruenz zwischen zeitlicher Fixierung und inhaltlicher Transzendierung liegt in der geschichtsphilosophischen Disponierung der Begriffe ,naiv' und ,sentimentalisch' begründet. Während die Eigenschaft der Epochenbegriffe sich eher vom Adjektiv ,naiv' herleitet, welches epochal auf die Antike rekurriert, geht die Auffassung des Begriffspaares als Empfindungsweisen eher von dem Adjektiv ,sentimentalisch' aus, das in Schillers Konzeption eine Stimmung bezeichnet, in welcher sich „ein Bestreben[..]" ausdrückt, auch unter den Bedingungen der Reflexion die naive Empfindung, dem Inhalt nach, wieder herzustellen.

In diesem Kontext markieren ,naiv' und .sentimentalisch' keinen Gegensatz. Vielmehr kommt dem Ajektiv ,sentimentalisch' eine dynamisierende Kraft zu, welche den Gegensatz von ,,Sinne[n] und Vernunft" zu einer neuen idealen Einheit katalysieren möchte.362 Der sentimentalische Dichter ist demzufolge zu dieser Einheit von Gefühl und Verstand unterwegs und produziert eine sentimentalische Poesie, welche man aufgrund ihres dynamischen und prospektiven Charakters auch mit einem Adjektiv belegen könnte, das später durch Friedrich Schlegel 116. Athenäums-Fragment Konjunktur bekommen hat: die sentimentalische Poesie ist eine .progressive'.363 Auch wenn der sentimentalische Dichter das Ideal der Synthese von Naivität und Reflexivität braucht und ernst nimmt, so fixiert er sich doch nicht darauf in 359

Ebenda S. 782 Anm.

360

Ebenda S. 759.

361

Ebenda S. 752 Anm.

362

Ebenda S. 716. Siehe dazu auch Peter Szondi: Das Naive und das Sentimentalische. Zur Begriffsdialektik in Schillers Abhandlung. In: Euphorion. 66(1972), S. 174-206; hier S. 202.

363

Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragmente. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. v. Emst Behler unter Mitwirkung v. Jean Jacques Anstett u. Hans Eichner. Bd. 2, Abt. 1 : Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Hg. v. Hans Eichner. München, Paderborn, Wien 1967, S. 165-255; hier S. 182. Vgl. auch Szondi: Begriflsdialektik. 1972, S. 199. Siehe auch Anm. 324 dieses Kapitels.

149 dem Sinne, daß er es erreichen müßte. Vor dem Erreichen des als futurum exactum konzipierten Ideals genießt das Streben nach ihm den Vorzug.364 Von daher fungiert,Ideal' bei Schiller als regulative Idee, an welcher er sein Handeln ausrichtet. Schiller rückt mit seiner Relationierung der Einheiten ,naiv', ,sentimentalisch', ,Vernunft' und ,Ideal' phänomenale Eigenheiten in den Blick, die nicht aufeinander abgebildet werden können: das Sentimentalische wäre um seine Kraft gebracht, würde der sentimentalische Dichter sein Ideal erreichen, oder besser: als erreicht setzen; die Idee würde im Augenblick ihres Erreichtwerdens als Regulativum nichtig, die regulative Funktion müßte durch eine neue Idee betreut werden; das Naive bekäme wie die Reflexion in dem Moment einen neuen Namen, wo beide in einer neuen Synthese aufgingen. Schillers Aufsatz ist „kein System von Sätze[n], die auseinander folgen und einander nicht widersprechen",365 sondern bringt Bewegung ins begriffliche Abhandeln, indem er ,naiv' und ,sentimentalisch' sowohl als Epochenbegriffe wie auch als Empfindungsweisen gebraucht und aus dieser Ambiguisierung eine Reibung von Bedeutungen bzw. Konnotationen erzeugt, aus der seine Abhandlung ihre Energie bezieht. Die diesen Aufsatz charakterisierenden , Antinomien und Äquivokationen"366 präsentieren lebhaft die ,Natur der Sache', um die es Schiller zu tun ist: das sentimentalische Streben nach einer Synthese des Naiven mit dem Reflexiven. Als „Dokument eines work in progress't367 gibt der Aufsatz glaubhaftes Zeugnis von der existentiellen Befindlichkeit seines Autors, welcher sich selber als sentimentalischen Dichter versteht und als ein solcher verstanden werden will.368 Schiller hat selbstredend erklärt, daß beim sentimentalischen Dichter „das Gemüt in Bewegung [ist], es ist angespannt, es schwankt zwischen streitenden Gefühlen [,..]".369 Um der Sentimentalität Schillers gerecht zu werden, gilt es, neben der gedanklichen Ambivalenz die gefühlsmäßige herauszuarbeiten, durch Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 718. 365

Szondi: Begriffsdialektik. 1972, S. 204.

366

Ebenda.

367

Ebenda S. 205.

368

Peter Szondi hat die existentielle Dimension von Schillers Abhandlung in seinen Vorlesungen (Frankfurt a.M. 1974, S. 149-183; hier S. 174) herausgestellt. Szondi bezieht allerdings die in Schillers Begriffsdialektik wirksamen „geheimen Motive" des Autors nicht in seine Analyse mit ein. Szondi, der auf seiner „[Wanderung] im terminologischen Labyrinth dieser Abhandlung" dialektisch vermittelt, spart dabei die identifizierte ,,existenzielle[..] Notwendigkeit" aus, mit der Schiller zu Werke gegangen ist (ebenda), so daß die von ihm dargelegten Details der Kohärenz ebenso entbehren wie die Schilllerschen Deduktionen. Für den Umgang der Forschung mit Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung ist das Manko der Kohärenz der ausnahmslos richtigen Beobachtungen im Detail typisch. Repräsentativ seien hier die neueren Ausführungen von Helmut Koopmann im Schiller-Handbuch (Stuttgart 1998, S. 627-638) und von Götz-Lothar Darsow in der Sammlung Metzler (Stuttgart, Weimar 2000, S. 134-146) genannt.

369

Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 752.

150 welche die gedankliche Ambivalenz konkretisiert und als spezifischer Ausdruck eines zeittypischen Unvermögens im Umgang mit und Leidens an lebendiger Dynamik differenziert werden kann. Denn Schillers geschichtsphilosophisches Programm ist nicht allein von ,,fröhliche[r] Hoffnung" getragen, sondern ebenso von dem ,,traurige[n] Gefühle eines Verlustes", was Schiller selber aber nicht wahrhaben will, wenn er dieses Gefühl allein der als Gegenutopie zur „verderbten Welt"370 konzipierten Schäferidylle strafend vorhält.371 Schiller vermag sein Konzept eines sentimentalischen Strebens in dem Maße nicht überzeugend zu übermitteln, in dem er für dieses allein die hoffiiungsfrohe Weitsicht gelten lassen will. Existentielle Traurigkeit wird zugunsten ausschließlich hofihungsfroher Gestimmtheit desintegriert und treibt in deren teleologischer Sublimation ein eigentümliches Unwesen: Sie stört Schillers Harmonisierungsstreben und macht dieses noch während seiner Explikation als ein aussichtsloses Unterfangen sinnfällig. Symptomatisch dafür, wie Schiller bei aller Bewegtheit seines Denkens die Herausforderung des mannigfaltig Lebendigen an das Integrationsvermögen der Person grundsätzlich umgeht, ist der Anfang seines Aufsatzes. Hier werden die Vorzeichen gesetzt, unter denen Schillers hoflhungsfrohes Ausgreifen in die Zukunft als resignatives Ausweichmanöver und Kompensationsversuch eines Leidens am Erlebnis von lebendiger Natur zu begreifen ist. Schillers Abhandlung eröffnet mit einer Beschreibung des Naiven als Erlebnis. Schiller faßt hier das Naive als Kategorie der augenblicklichen Überraschung, für die der Zusammenprall von eigentlich Divergentem, nämlich künstlichen Verhältnissen und einfaltiger Natur, konstitutiv ist: Es gibt Augenblicke in unserm Leben, wo wir der Natur in Pflanzen, Mineralen [sie!], Tieren, Landschaften, sowie der menschlichen Natur in Kindern, in den Sitten des Landvolks und der Urwelt, nicht weil sie unsern Sinnen wohltut, auch nicht weil sie unsern Verstand oder Geschmack befiiedigt (von beiden kann oft das Gegenteil stattfinden), sondern bloß weil sie Natur ist, eine Art von Liebe und von rührender Achtung widmen. Jeder feinere Mensch, dem es nicht ganz und gar an Empfindung fehlt, erfährt dieses, wenn er im Freien

370

Ebenda S. 702.

371 Schillers Kritik an den Schäferidyllen bewegt sich in einer Tradition, die Herder in seinem Aufsatz Theokrit und Geßner (1769) (Ed. Suphan Bd.l (1877), S. 337-350) eingeleitet und an die der junge Goethe in seiner Geßner-Rezension (Frankfurter Gelehrte Anzeigen vom Jahr 1772) (Klassiker-Verlag Bd. 18 (1998), S. 46-49) repetierend angeknüpft hat. Im historischen Rückgriff auf Theokrit wollte schon Herder einer unkritischen GeßnerNachfolge steuern und den Weg zu einer zeitgemäßen Idylle weisen. Im Unterschied zu Theokrit, der mutmaßlich in einem Goldenen Zeitalter gelebt und so die ihn umgebende Wirklichkeit nachgeahmt habe, setze sich Geßner aus seiner Zeit fort in eine vergangene, so daß sich mit Theokrit und Geßner in Herders Vision schließlich wahre Naivität und moderne Künstlichkeit gegenüberstehen.

151 wandelt, wenn er auf dem Lande lebt oder sich bei den Denkmälern der alten Zeiten verweilet, kurz, wenn er in künstlichen Verhältnisses und Situationen mit dem Anblick der 372 einfältigen Natur überrascht wird.

Schillers Beschreibung des Naiven als überraschendes Erlebnis, die man heute mit dem Begriff ,Authentizitätseffekt' namhaft machen würde, gibt zu verstehen, daß die rezeptionsästhetische Disposition des Menschen, oder mit Schillers eigenen Worten: die menschliche Empfänglichkeit" 373 für die Erfahrung eines ungeteilten, individuellen Daseins konstitutiv ist. Mit der folglich bei dem Gegenstand seines Interesses gefragten empfänglichen Disposition des Menschen hat Schiller aber ein grundsätzliches Problem: Wie schon in den Briefen über die ästhetische Erziehung, wo Schiller davon ausgeht, daß „der Mensch in seinem physischen Zustand [...] bloß die Macht der Natur [erleidet]",374 „[übt]" „der Stoff', i.e. die Natur in ihren konkreten Erscheinungen, „über die Empfänglichkeit" „zuweilen eine blinde Gewalt [aus]".375 Um ihr nicht zu erliegen, muß gegen sie „die Selbsttätigkeit", „eine anhaltende Regsamkeit des produktiven Vermögens" aufgeboten werden.376 Konsequenterweise kommt Schiller dann im Zuge seines Gedankenaufgebots gegen die andrängende Natur gleich im Anschluß an die einleitende Schilderung des Naturerlebnisses ausgerechnet die aisthesis abhanden, die noch in den Briefen in Gestalt einer ästhetischen Erziehung zumindest dem Wort nach anwesend war. Über eine geschickte Substitution der als Inbegriff des Naiven geltend gemachten Natur durch den „Schein der Natur" „einer gemachten Blume" vermittelt Schiller sein „Wohlgefallen an der Natur" „moralischf..]":377 Schiller zufolge „vernichte[..]" die künstliche Blume durch eine Entlarvung ihrer Künstlichkeit „das Gefühl, von dem die Rede ist, gänzlich"378 - Schiller hat bislang allerdings von keinem Gefühl gesprochen, sondern lediglich den natürlichen Gegenstand als ,,freiwillige[s] Dasein" beschrieben; er meint aber mit dem „Gefühl", von dem er nicht redet, den von der individuellen natürlichen Erscheinung ausgehenden und in dem an ihr Interessierten freigesetzten ,Authentizitätseffekt' ; Daraus erhellt, daß diese Art des Wohlgefallens an der Natur kein ästhetisches, sondern ein moralisches ist; denn es wird durch die Idee vermittelt, nicht unmittelbar durch Betrach379 tung erzeugt [...].

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Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 694. 373

Ebenda S. 756. u.ö.

374

Ebenda S. 646.

375

Ebenda S. 756.

376

Ebenda.

377

Ebenda S. 695.

378

Ebenda S. 694.

379

Ebenda S. 695.

152 Natur als Gewalt erfahrend, holt Schiller zum aggressiven Gegenschlag aus und „vemichte[t]" „das Gefühl, von dem [implizit] die Rede ist", in einer Idealisierung der eigentlich für sich stehenden natürlichen Erscheinung. Es sind nicht diese Gegenstände, es ist eine durch sie dargestellte Idee, was wir in ihnen lieben. Wir lieben in ihnen das stille schaffende Leben, das ruhige Wirken aus sich selbst, das Dasein nach eignen Gesetzen, die innere Notwendigkeit, die ewige Einheit mit sich selbst.

Was Schiller als Idee der Natur ausgibt, ist aber deren Wesen, „das Bestehen der Dinge durch sich selbst, die Existenz nach eignen und unabänderlichen Gesetzen",381 die sich in der Naturerfahrung mitteilt und mit der Schiller gefühlsmäßig nichts zu tun haben will. Schillers Idealisierung der Natur ist die aggressive Einverleibung von deren Wesen in ein Gedankenexperiment mit dieser. Taugt das Naturerlebnis noch das dazu, Schillers Aufsatz zu inaugurieren und sein eigentliches Thema zu begründen - die Individualität, wie sie vorbildlich in Erscheinungen der Natur erfahren wird - , so setzt er, empfanglich unvermittelt, selbsttätig vermittelt, alles daran, sie gegen die künstliche Natur, die als „Nachahmung des Naiven in den Sitten" durchgeht, auszuspielen und sie also wieder zu degradieren: Was hätte auch eine unscheinbare Blume, eine Quelle, ein bemooster Stein, das Gezwitscher der Vögel, das Summen der Bienen usw. für sich selbst so Gefälliges fur uns? Was könnte ihm gar einen Anspruch auf unsere Liebe geben? Es sind nicht diese Gegenstände, es ist eine durch sie dargestellte Idee, was wir in ihnen lieben.

Was hier zum Tragen kommt, ist eine gedankliche Vergewaltigung des themabildenden Gegenstandes, die mit Bezug auf eine Stelle in den Briefen auf die ihr zugrundeliegende ,Moral' des Philosophen hin durchschaut werden kann: Der Mensch in seinem physischen Zustand erleidet bloß die Macht der Natur, er entledigt sich dieser Macht in dem ästhetischen Zustand, und er beherrscht sie in dem morali, 383 sehen.

Schillers Überlegungen zur naiven und sentimentalischen Dichtung sind demnach die gewaltsame Überbietung des ästhetischen Zustandes durch einen moralischen, in welchem sich ein archaischer Herrschaftsanspruch Geltung verschaffen will. War der ästhetische Zustand in den Briefen bereits nicht als spielerischer sinnfällig geworden und die in Aussicht gestellte Utopie fragwürdig geblieben, so entpuppt sich Schillers Ästhetik nun vollends als absoluter, um die Natur der Sache im Grunde unbekümmerter Herrschaftsdiskurs.

380 381 382 383

Ebenda. Ebenda S. 694. Ebenda. Ebenda S. 646.

153 Das Gefühl an sich ist Schillers Problem, so daß er immer dann, wenn es diesbezüglich konkreter wird, eigenartig ungenau und letztlich widersprüchlich wird. So besteht Schiller darauf, daß „das Naive der Überraschung", „bei dem [...] die Person moralisch fähig sein [muß], die Natur zu verleugnen", „belustigt", während „das Naive der Gesinnung", im Zuge derer im Unterschied zur völlig unbewußten individuellen Natur ein vollkommenes individuelles Bewußtsein sich mitteilt, „rührt" 384 Inwiefern Schillers Belustigung, mit der er sich über die als andrängend erlebte Natur erheben will, eine mutwillig Distanz nehmende Aktion ist, offenbart sich, wenn er einige Seiten weiter mit Bezug auf die Natur der Dichter nun doch von ,Rührung' spricht, obgleich es sich hier um dasselbe „Naive der Überraschung" handelt wie bei den Erscheinungen der Natur: Wer [...] nur irgend, dem Geiste nach und nicht bloß nach zufalligen Formen, eine Vergleichung zwischen alten und modernen Dichtern anzustellen versteht, wird sich leicht von der Wahrheit desselben überzeugen können. Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese rühren uns durch Ideen.

Allerdings hat Schiller einer ,naiv-natürlichen' Auffassung der Dichtungsart der „alten Griechen", die seiner Meinung nach „vertraut [...] unter [einem] glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte[n]" und deren „Dichterwerke" „ein treuer Abdruck" „der einfaltigen Natur" sind,386 gesteuert. Das „Naive der Überraschung" will er ausschließlich der „Natur", das der „Gesinnung" allein der person " zugeschrieben wissen.387 Allein der tautologische Begründungszusaimnenhang, im Zuge dessen er beide voneinander unterscheidet, macht einmal mehr den moralischen Gewaltakt sinnfällig, mit dem Schiller sich vom Eindruck der Naturphänomene losreißen möchte: Bei dem Naiven der Überraschung achten wir zwar immer die Natur, w e i l wir die W a h r h e i t a c h t e n m ü s s e n ; bei dem Naiven der Gesinnung achten wir hingegen die Person und genießen also nicht bloß ein moralisches Vergnügen, sondern auch über einen moralischen Gegenstand, [sie!] In dem einen wie in dem andern Falle hat die Natur recht, d a ß sie die W a h r h e i t s a g t , aber in dem letztem Falle hat die Natur nicht bloß recht, 388 sondern die Person hat auch Ehre.

Daß „die unvernünftige Natur" bei Schiller ein weibliches menschliches und zudem sehr vertrautes Gesicht, die vernünftige ,Person' dagegen, wie die von Schiller angeführten literarischen Beispiele durchgängig bezeugen, ein männliches hat, offenbart nicht zuletzt, dafür aber explizit folgende Passage:

384

Ebenda S. 699.

385

Ebenda S. 717.

386

Ebenda S. 709.

387

388

Ebenda S. 701. Ebenda S. 701. (Sperrung von mir, J.S.)

154 Wir sehen alsdann in der unvernünftigen Natur nur eine glücklichere Schwester, die in dem mütterlichen Hause zurückblieb, aus welchem wir im Ubermut unserer Freiheit heraus in die Fremde stürmten. Mit schmerzlichem Verlangen sehnen wir uns dahin zurück, sobald wir angefangen, die Orangsale der Kultur zu erfahren, und hören im fernen Auslande der Kunst der Mutter rührende Stimme.

Doch läßt Schiller sich von dieser „rührende[n] Stimme" der unvernünftigen, menschlich-weiblich konnotierten Natur, über die er sich nun aus eigener existentieller Betroffenheit heraus nicht mehr belustigt und also gegen seine Naivitätssystematik verstößt, nicht lange rühren und katapultiert sich in einer abermaligen Desintegration seines in diesem Zusammenhang angeklungenen traurigen Gefühls in die Scheinwelt der „Vollkommenheit' und ins „ferne[..] Ausland" philosophierender Apodiktik. Qua programmatischer moralischer Metaphysik wird die intuitionenreiche sinnliche Kunst an Ferne zu ursprünglichen Konkreta allemal überboten. Solange wir bloß Naturkinder waren, waren wir glücklich und vollkommen; wir sind frei geworden und haben beides verloren. Daraus entspringt eine doppelte und sehr ungleiche Sehnsucht nach der Natur, eine Sehnsucht nach ihrer Glückseligkeit, eine Sehnsucht nach ihrer Vollkommenheit. Den Verlust der ersten beklagt nur der sinnliche Mensch; um den Verlust der andern kann nur der moralische trauern.

Schillers Trauer angesichts ,glückseliger Vollkommenheit' beläuft sich auf deren philosophische Sublimation; sie türmt immer dann, wenn Schiller sich im Zuge seiner Ausführungen mit ihr konfrontiert fühlt, wie die zitierte Textstelle belegt. Schillers Überlegungen stehen und fallen regelrecht mit den gefühlsmäßigen Wechselfallen, die sich aus seinem moralisch-vernünftigen Ringen mit den durch ,Natur' bewirkten Affektionen ergeben. Daß es ein regelrechter Kampf ist, den Schiller hier aussteht, hat er gleich zu Anfang seiner Ausführungen zu verstehen gegeben, als er bekanntgab, daß er die moralisch unterworfene und dienstbar gemachte unvernünftige Natur zum Sieg über die Kunst führen will: Zum Naiven wird erfordert, daß die Natur über die Kunst den Sieg davontrage [...].

Und noch einmal: Es wird also erfordert, daß die Natur nicht durch ihre blinde Gewalt als dynamische, sondern daß sie durch ihre Form als moralische Größe, kurz, daß sie nicht als Notdurft, sondern als innere Notwendigkeit über die Kunst triumphiere.

Am prägnantesten und überzeugendsten ist Schiller dort, wo der Gegenstand des Interesses qua Identifikation seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zieht,

389 390 391

Ebenda S. 707. Ebenda S. 707f. Ebenda S. 700f.

155 Desintegrationsanstrengungen vorübergehend überflüssig werden und der Autor folglich gefühlsmäßig am meisten bei sich bleibt. Dies ist der Fall in der Auseinandersetzung mit der Natur des Kindes und mit der Konzeption der sentimentalischen Idylle. In dem Kind kann sich Schiller, sich retrospektiv in dieses hineinversetzend oder einen „Blick in [sich] selbst werfen[d]",392 wiederfinden. Auf diese Weise dringt er zu einer nachvollziehbaren Beschreibung der sentimentalischen „gemischten Geflihls[lage]" vor, die sich an der Unterscheidung zwischen ,Jcindliche[r]" und ,Jdndische[r]" „Einfalt" festmacht: [...] das Naive der Denkart [...] verbindet die kindliche Einfalt mit der kindischen-, durch die letztere gibt es dem Verstand eine Blöße und bewirkt jenes Lächeln, wodurch wir unsre (theoretische) Überlegenheit zu erkennen geben. Sobald wir aber Ursache haben, zu glauben, daB die kindische Einfalt zugleich eine kindliche sei, daß folglich nicht Unverstand, nicht Unvermögen, sondern eine höhere (praktische) Stärke, ein Herz voll Unschuld und Wahrheit, die Quelle davon sei, welche die Hilfe der Kunst aus innrer Größe verschmähte, so ist jener Triumph des Verstandes vorbei, und der Spott über die Einfältigkeit geht in Bewunderung der Einfachheit über. Wir fühlen uns genötigt, den Gegenstand zu achten, über den wir vorher gelächelt haben, und, indem wir zugleich einen Blick in uns selbst werfen, uns zu beklagen, daß wir derselben nicht ähnlich sind. So entsteht die ganz eigene Erscheinung eines Gefühls, in welchem fröhlicher Spott, Ehrfurcht und Wehmut zusammenfließen.3®3

In gleicher Weise prägnant und differenziert erweist sich Schiller dort, wo er seiner Sehnsucht Ausdruck verleiht, und zwar im Zuge seiner Konzeption der idyllischen, von der satirischen und elegischen unterschiedenen sentimentalischen „Empfindungsweise und Dichtungsweise",394 mit welcher er die Mensch392

Ebenda S. 698.

393

394

Ebenda S. 697f. Schillers Beschreibung des ,gemischten Gefühls', welches die Überraschung des Naiven auslöst, hat eine Parallele in Moses Mendelssohns minutiöser Beschreibung der Wirkung des ,erhabenen Naiven'. In seiner Abhandlung Über das Erhabene und Naive (1758) (Gesammelte Schriften. Bd.1 (1972), S. 307-348; hier S. 345) sucht Mendelssohn die Idee des Erhabenen mit den Idealen der Empfindsamkeit zu versöhnen: „Die Wirkungen des Naiven sind zuvörderst ein angenehmes Staunen, ein geringer Grad der Verwunderung, über die unvermuthete Wichtigkeit, die unter der Einfalt im Aeußerlichen verborgen lag. Wir heften gern unsere Aufmerksamkeit an einen Gegenstand, der uns immer mehr und mehr entdecken läßt, je länger wir uns bei demselben verweilen, der gleichsam mehr hält, als er zu versprechen schien. Ist nun dieses innerliche Wichtige ein Grad hoher Vollkommenheit, so folgt das schauernde Gefühl des Erhabenen, das aber mit einer fröhlichen Empfindung verbunden ist, die dem Lachen sehr nahe kömmt. Denn die Einfalt des Zeichens macht mit der Wichtigkeit der bezeichneten Sache, oder der Folgen, die daraus fließen, eine Art von Contrast, der zum Lachen bewegt, und wenn er nicht von stärkem Empfindungen unterdrückt wird, sich auch durch ein wirkliches Lachen zu erkennen gibt. - Überwältigt vom Erhabenen, ist es kein Lachen mehr, das der Kontrast hervorbringt, sondern die Spur eines holden Lächelns, das sich um die Lippen zieht, und in hohe Bewunderung verliert. Dieses ist allezeit die Empfindung, die wir haben, wenn wir von dem Naiven im sittlichen Charakter überrascht werden." Zu Mendelssohns empfindsamem Klassizismus siehe die ausgezeichnete Darstellung bei Hella Jäger 1975, S. 70-79. Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 745 Anm.

156 heit „nach Elysium"395 führen will. Die folgende Passage gehört im wahrsten Sinne zu den individuellsten, insofern Schiller hier Divergentes, nämlich Einheit und Vielfalt, als Einheit in der Vielfalt zusammenzudenken vermag und so die ersehnte idyllische „Ruhe" als dynamische Ruhe' überzeugend beschreibt: Ihr Charakter besteht also darin, daß aller Gegensatz der Wirklichkeit mit dem Ideale [...] vollkommen aufgehoben sei und mit demselben auch aller Streit der Empfindungen aufhöre. Ruhe wäre also der herrschende Eindruck dieser Dichtungsart, aber Ruhe der Vollendung, nicht der Trägheit; eine Ruhe, die aus dem Gleichgewicht, nicht aus dem Stillstand der Kräfte, die aus der Fülle, nicht aus der Leerheit fließt und von dem Gefühl eines unendlichen Vermögens begleitet wird. [...] Die höchste Einheit muß sein, aber sie darf der Mannigfaltigkeit nichts nehmen.396

Völlig bei sich und folglich entspannt, vermag Schiller sogar eine angemessene Beschreibung des Authentizitätseffekts zu geben, dem er bis dahin nicht gerecht zu werden vermochte: Und das ist es auch, was jeder bei sich erfahrt, wenn er sich beim Genüsse naiver Dichtungen beobachtet. Er fühlt alle Kräfte seiner Menschheit in einem solchen Augenblick tätig, er bedarf nichts, er ist ein Ganzes in sich selbst; ohne etwas in seinem Gefühl zu unter397 scheiden, freut er sich zugleich seiner geistigen Tätigkeit und seines sinnlichen Lebens.

Im Hinblick auf das spezifische Verhältnis von Sinnen und Vernunft, von Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit ist Schillers Formulierung äußerst aufschlußreich: indem er von ,,geistige[r] Tätigkeit" und ,,sinnliche[m] Leben" spricht, konzediert er, was er späterhin, wieder vom agonalen Denken heimgesucht, als Defizit ausgibt: [...] auch bei den glücklichsten Genies aus dieser Klasse [sc. des wahrhaft naiven Dichters] wird die Empfänglichkeit die Selbsttätigkeit immer um etwas überwiegen.

„Empfänglichkeit", „[Sinnlichkeit]" ist das ,,Leben[..]", in dem ,,geistige[..] Tätigkeit" wie jede andere menschliche Tätigkeit sich vollzieht. Gedanken werden von Gefühlen und diese von Sinneseindrücken angestoßen. Gefühle sind das Fluidum, von dem Denken, Essen, Schlafen, Spielen etc. getragen werden, in dem sich jegliche menschliche Selbst-Tätigkeiten vollziehen. Leider ist Schillers ,Freude' an „seiner geistigen Tätigkeit und seines sinnlichen Lebens", die er im Zustand der Entspannung und des Bei-Sich-Seins erfährt und die ihn gedanklich individuell produktiv sein läßt, nicht von langer Dauer. Sie verfliegt genau ab da, wo Schiller wieder auf den sentimentalischen Dichter zu sprechen kommt, und das heißt auf sich selbst.

395

Ebenda S. 750.

396

Ebenda S. 751.

397

Ebenda S. 752. (Hervorh. von mir, J.S.)

398

Ebenda S. 755f. (Hervorh. von mir, J.S.)

157 Eine ganz andre Stimmung ist es, in die ihn der sentimentalische Dichter versetzt. Hier fühlt er bloB einen lebendigen Trieb, die Harmonie in sich zu erzeugen, welche er dort wirklich empfand, ein Ganzes aus sich zu machen, die Menschheit in sich zu einem vollendeten Ausdruck zu bringen. Daher ist hier das Gemüt in Bewegung, es ist angespannt, es schwankt zwischen streitenden Gefühlen [...].399

Da Schiller sich seiner selbst grundsätzlich nicht bewußt ist, vermag er seine aus dem Vergleich mit dem naiven Dichter resultierende Trauer und auch Eifersucht nicht zu erkennen, geschweige denn in sein Bewußtsein zu integrieren. Er wirft sich wieder in den fur seine Denkungsart konstitutiven Kampf der Sinne mit der Vernunft und nimmt Differenzierungen vor, die sachlich nicht gedeckt sind, insofern sie mit den zuvor angestellten Differenzierungen, vor allem denen, die er im Zusammenhang seiner minutiösen Beschreibung der vom Naiven evozierten .gemischten Gefuhlslage' getroffen hat, konfligieren. Von jetzt ab steht und fallt Schillers Denksystem wieder mit wechselseitigen Auf- und Abwertungen: Ich habe die naive Dichtung eine Gunst der Natur genannt, um zu erinnern, daß die Reflexion keinen Anteil daran habe. Ein glücklicher Wurf ist sie; keiner Verbesserung bedürftig, wenn er gelingt, aber auch keiner fähig, wenn er verfehlt wird. 400

Gegenüber dem naiven Genie besteht das sentimentalische Genie Schiller auf einer monadisch zu nennenden Autonomie: Das naive Genie steht also in einer Abhängigkeit von der Erfahrung, welche das sentimentalische nicht kennet. Dieses, wissen wir, fangt seine Operation erst da an, wo jenes die seinige beschließt; seine Stärke besteht darin, einen mangelhaften Gegenstand aus sich selbst heraus zu ergänzen und sich durch eigene Macht aus einem begrenzten Zustand der Freiheit zu versetzen. Das naive Dichtergenie bedarf also eines Beistandes von außen, da das sentimentalische sich aus sich selbst nährt und reinigt [...].

Es ist bedauerlich, mit welcher destruktiven Konsequenz Schiller seine guten Denkansätze verdirbt, weil er selbst, in dem Maße wie „die Übereinstimmung zwischen seinem Empfinden und Denken [...] nicht mehr in ihm ist, sondern außer ihm",'W2 außer sich ist. Ekstatisch benommen, hat Schiller keine Erinnerung mehr daran, was er vorher so klar in Bezug auf .Freiheit' beschrieben hatte, woran an dieser Stelle erinnert sei: Wir sehen alsdann in der unvernünftigen Natur nur eine glücklichere Schwester, die in dem mütterlichen Hause zurückblieb, aus welchem wir im Übermut unserer Freiheit heraus in

399

Ebenda.

400

Ebenda S. 753.

401

Ebenda S. 754.

402

Ebenda S. 717.

158 die Fremde stürmten. Mit schmerzlichem Verlangen sehnen wir uns dahin zurück, sobald wir angefangen, die Drangsale der Kultur zu erfahren, und hören im fernen Auslande der Kunst der Mutter rührende Stimme.403

Schiller setzt alles daran und seine philosophische Seriosität aufs Spiel, um sich von seinen Gefühlen, seiner Empfänglichkeit" los- und in eine „Selbsttätigkeit" hineinzureden, die so affirmiert wird.404 Schillers „Gefühl für Natur gleicht der Empfindung des Kranken für die Gesundheit",405 der sich, wie die Abhandlung offenbart, keineswegs auf dem Wege der Besserung befindet. Vielmehr philosophiert sich Schiller in eine suchtmäßig destruktive Abhängigkeit von seiner mit seinem Menschsein gegebenen empfänglichen Disposition hinein und macht sein unablässig dividuierendes Denken richtig krank.406 Schillers Überlegungen sind grundsätzlich erfahrungsungesättigt und stehen folglich auf ,wackligen Beinen'. In dem Maße, wie Schiller von Anfang an in Absehung von seiner Affektion durch Erscheinungen der Natur die eigene Erfahrung aus seinen Überlegungen ausschließt, können diese anhand von Schillers wägendem Vergleich der Erfahrung mit der Vernunft analysiert, die von Schillers Gedankengang ausgehende Gewalt auf diesen selbst zurückgewendet werden. So gilt für Schillers Abhandlung, mit Ausnahme der beiden Passagen über das kindlich Naive und das idyllisch Naive, wo auch der Gedanke aufscheint, daß der Authentizitätseffekt sich auf die Erfahrung eines an die eigene Individualität gemahnenden individuellen Bewußtseins beläuft, das, was er als Gefahr für den sentimentalischen Dichtergeist angenommen hat: die Gefahr nämlich, sich in Abgrenzung vom „Mangel an Disziplin", welche den naiven Dichter auszeichnet und diesen „von innen verwilder[n]" läßt,407 in ein pedantisches und immer wieder abbrechendes und von vorn beginnendes und das selbstgestellte philosophische Problem lediglich einkreisendes Denken zu flüchten: Alle Dichter, welche ihren Stoff zu einseitig aus der Gedankenwelt schöpfen und mehr durch eine innere Ideenfülle als durch den Drang der Empfindungen zum poetischen Bilden getrieben werden, sind mehr oder weniger in Gefahr, auf diesen Abweg zu geraten. Die Vernunft zieht bei ihren Schöpftingen die Grenzen der Sinnenwelt viel zu weni^zu Rat, und der Gedanke wird immer weiter getrieben, als die Erfahrung ihm folgen kann.

Als Stufen dieses gefährlichen Abweges, auf den der einseitige Dichter und Denker geraten kann, nennt Schiller den ,,tiberspannte[n] Gedankefn]", auf den

403 404 405 406

Ebenda S. 707. (Hervorh. von mir, J.S.) Ebenda S. 756. Ebenda S. 711. Ebenda S. 711.

407

Ebenda S. 757.

408

Ebenda S. 760.

159 der „Unsinn" folgt.409 Während den überspannten Gedanken der Widerspruch zu „den Bedingungen aller möglichen Erfahrung" auszeichnet, „widerspricht" der unsinnige Gedanke „sich selbst".410 Folglich kann auf dieser Stufe der denkerischen Abwegigkeit vom .Gedanken' und selbstbewußt-umsichtigen Denken keine Rede mehr sein, weshalb Schiller auch nicht vom ,unsinnigen Gedanken', sondern - hier wieder philosophisch genau - vom „Unsinn" spricht. Schillers sentimentalischer ,Unsinn', der hier auf seine diversen (un-)sinnlichen Motivationslagen hin durchschaubar gemacht worden ist, läßt sich mit Bezug auf Schillers Überlegungen zum Verhältnis Erfahrung-Vernunft genauer beschreiben. Die Konnotation einer unsachlichen Diskreditierung der mit .Unsinn' belegten Schillerschen Überlegungen zur naiven und sentimental ischen Dichtung kann so hoffentlich deautomatisiert und Schillers Studie als Symptom des zeittypischen Laborierens am Lebendigen hingenommen werden: Maßen wir uns nun an, mit unserer bloßen Vernunft über das äußere Dasein der Dinge etwas ausmachen zu wollen, so treiben wir bloß ein leeres Spiel, und das Resultat wird auf nichts hinauslaufen; denn alles Dasein steht unter Bedingungen, und die Vernunft bestimmt unbedingt.411

Schillers Überlegungen klingen mit einer Abgrenzung des wahren vom falschen „Idealism" aus und schließen sentimentalisch-unversöhnt ausgerechnet mit der Darstellung des falschen, welcher so ein besonderes Gewicht erhält. Nicht nur von diesem Stellenwert her, sondern auch inhaltlich mit ihrer - abermals in sich signifikant widersprüchlichen, einmal dysphorisch, dann wieder euphorisch konnotierten - Betonung „der Freiheit", die als neuralgischer Punkt der Überlegungen sinnfällig und für Schillers Definition des sentimentalischen Dichters zentral geworden ist, sind die Ausführungen zum ,falschen Idealism' auch für den ,,wahre[n] Idealism" Schillers zu veranschlagen, wonach die Studie in dieser ihr eigentümlichen Ambivalenz ungelöst problematisch abbricht: Wenn [...] schon der wahre Idealism in seinen Wirkungen unsicher und öfters gefährlich ist, so ist der falsche in den seinigen schrecklich. Der wahre Idealist verläßt nur deswegen die Natur und Erfahrung, weil er hier das Unwandelbare und unbedingt Notwendige nicht findet, woraach [sie!] die Vernunft ihn doch streben heißt; der Phantast verläßt die Natur aus bloßer Willkür, um dem Eigensinne der Begierden und den Launen der Einbildungskraft desto ungebundener nachgeben zu können. Nicht in die Unabhängigkeit von physischen Nötigungen, in die Lossprechung von moralischen setzt er seine Freiheit. Der Phantast verleugnet also nicht bloß den menschlichen - er verleugnet allen Charakter, er ist völlig ohne Gesetz, er ist also gar nichts und dient auch zu gar nichts. Aber eben darum, weil die Phantasterei keine Ausschweifung der Natur, sondern der Freiheit ist, also einer an sich

409

Ebenda S. 760f.

410

Ebenda.

411

Ebenda S. 778.

160 achtungswürdigen Anlage entspringt, die ins Unendliche perfektibel ist, so führt sie auch zu einem unendlichen Fall in eine bodenlose Tiefe und kann nur in einer völligen Zerstörung sich endigen.

Schillers Überlegungen „laufen", rein philosophisch als gedankliche Folgerichtigkeit genommen, in ihrer Widersprüchlichkeit letztlich „auf nichts [hinaus]". Nimmt man sie allerdings als Ausdruck der sentimentalischen Gefuhlslage Schillers ernst, kapriziert sich nicht auf einzelne Gedanken, sondern trägt, im wechselseitigen Bezug von dem, was Schiller zum Ausdruck bringt, und dem, was in der Art seiner Gedankenfuhrung zum Ausdruck kommt,413 der Individualität des Textes und damit der (In-)Dividualität des sprechenden Subjekts Rechnung, so erweist sich der Text als aufschlußreiches Zeugnis der Mentalität des romantischen Zeitraums, insbesondere der Zeit um 1800. Der zeittypischen dividuierenden Bewußtseinslage gemäß hat man einen Satz aus dem Zusammenhang der Studie herausgerissen und in Umlauf gebracht. Es ist der Satz, der das Moment des Entlarvtwerdens der Kunst durch die moralisch unterworfene Natur zum - nicht haltbaren - Definitionskriterium des Naiven macht: Das Naive ist eine Kindlichkeit, wo sie nicht mehr erwartet wird, und kann ebendeswegen der wirklichen Kindheit in strengster Bedeutung nicht zugeschrieben werden.

Dieser Satz hat Epoche gemacht. In Eberhards Synonymik von 1800 heißt es bereits: In der Kindheit ihrer Cultur sind die Völker natürlich, dieses Natürliche nennet man in späteren Zeiten naiv. 415

Der Brockhaus von 1819 gibt eine ausfuhrliche Paraphrase der Textstelle: Das Naive ist das Natürliche im Gegensatz des Künstlichen (blos durch Obereinkunft Geltenden). Daraus ergiebt sich denn, daß das Naive nur aus einem besondern Standpunkt als solches erscheint, und daß es der am künstlichsten gebildete (od. verbildete) Beobachter am leichtesten bemerkt, weil ihm der Contrast am fühlbarsten ist; denn dem Naiven selbst ist seine Naivität Natur.

dl? 413

Ebenda S. 780. (Hervorh. von mir, J.S.) Die Unterscheidung zwischen ,zum Ausdruck bringen' und ,zum Ausdruck kommen' dient Rudi Keller zur Unterscheidung der Bewußtseinsgrade eines Sprechers bezüglich seiner Wirkungsintention und scheint uns in dieser Hinsicht praktikabel. Rudi Keller: Kollokutionäre Akte. In: Germanistische Linguistik 1-2/77 (1979), S. 3-50, vgl. auch Barbara Sandig: Stilistik der deutschen Sprache. Berlin, New York 1986, S.69f.

414

Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 699.

415

Johann August Eberhard: Versuch einer allgemeinen deutschen Synonymik. T. 5. Halle u. Leipzig 1800, S. 334.

416

Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Brockhaus) Bd. 6. Leipzig'1819, S. 702f.

161 Der Satz hat nicht nur Epoche, sondern darüber hinaus Philosophie- und Literaturwissenschaftsgeschichte gemacht. Die Interpreten, die sich auf ihn berufen und Schillers Studie damit identifizieren, sind Legion. Zusammenfassend ist festzuhalten: In Schillers Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung wird die regulative Idee von Authentizität im Sinne von Individualität dialektisch temporalisiert. Demnach wird für die Zukunft, auf einer höheren Bewußtseinsstufe, in Aussicht gestellt, was in einer idealischen, unbewußten Vorzeit bereits ,,zufallige[..]"417 Wirklichkeit gewesen sein soll. Im Zuge dieser geschichtsphilosophischen Temporalisierung des Bedürfnisses nach Authentizität kommt die Gegenwart, insbesondere die des philosophierenden Subjekts, einmal mehr kaum in den Blick. Vielmehr ist die geschichtsphilosophisch-dialektische Überbrückung der Gegenwart als totalisierende gewaltsame Überbietung der pädagogischen Entelechie zu verstehen, von der die Briefe über die ästhetische Erziehung noch beseelt gewesen sind. Hatte sich Schiller in diesen, existentielle Unzulänglichkeiten sublimierend, lediglich ins Utopische eines ästhetischen Erlösungsprogramms verstiegen, so verliert er sich im Laufe seiner Abhandlung Über das Naive und Sentimentalische im Phantastischen. Das selbstgestellte philosophische Problem des Umgangs mit naiven Erscheinungen im Allgemeinen, naiver Dichtungsart im Besonderen, vermag Schiller diskursiv nicht zu lösen. Er kreist es aber denkerisch ein, trifft so den neuralgischen Punkt im Umgang mit individuellen, natürlichen, naiven Erscheinungen zweimal ,zufällig' und erweist sich an diesen Stellen also selbst als bewunderungswürdig ,naiv'-authentisch: Und das ist es auch, was jeder bei sich erfährt, wenn er sich beim Genüsse naiver Dichtungen beobachtet. Er fühlt alle Kräfte seiner Menschheit in einem solchen Augenblick tätig, er bedarf nichts, er ist ein Ganzes in sich selbst; ohne etwas in seinem Gefühl zu unterscheiden, freut er sich zugleich seiner geistigen Tätigkeit und seines sinnlichen Lebens.

Naive Erscheinungen sind als Erlebnis von Ganzheit zuallererst, vor aller produktiven „Selbsttätigkeit", rezeptionsästhetisch in der Dimension der „Empfänglichkeit" einzuholen.419 In dem Maße, in dem man „alle Kräfte seiner Menschheit in einem solchen Augenblick tätig [fühlt]", gilt es, „sich beim Genüsse naiver Dichtungen [zu] beobachte[n]". Sich im Erlebnis naiver (literarischer) Erscheinungen als individuell erfahrend - Authentizitätseffekt - , gilt es, diesen in einem individuellen Umgang mit ihnen Rechnung zu tragen. Was für den Umgang mit natürlichen, authentischen (literarischen) Erscheinungen gilt, gilt natürlich auch für den Umgang mit inauthentischen, von einem dividuierenden Bewußtsein getragenen (literarischen) Erscheinungen, und zwar in dem Maße, in dem diese, phänomenologisch gesehen - der Text als kohä-

417

Schiller: Naive und sentimentalische Dichtung. 1993 (Bd. 5), S. 717.

418

Ebenda S. 752.

419

Ebenda S. 756.

162 rentes Gewebe - , in sich immer vollkommen, ein Ganzes sind. Erst in einem individuellen Umgang mit (literarischen) Phänomenen kann das in ihnen jeweils wahrgenommene Subjekt in seinem Anliegen adäquat wahrgenommen und dessen Bewußtseinslage als eine (in-)dividuelle überhaupt erfaßt werden. Individueller Umgang mit Welt bedeutet nicht, eklektizistisch zu verfahren und das jeweils in Augenschein genommene Phänomen nach eigenem Gutdünken und nach Maßgabe eigener Vorurteile zu zergliedern. Individueller Umgang mit Welt bedeutet, das jeweilige Phänomen als ein Ganzes in Augenschein zu nehmen, wie beispielsweise Schillers Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung, dessen philosophischer Widersprüchlichkeit eine bestimmte gefühlsmäßige, nämlich eine sentimentale Kohärenz eignet. Es wurde gezeigt, wie Schillers sentimentale Empfindungsweise, die er selbstredend als eine „zwischen streitenden Gefühlen" schwankende bezeichnet hat,420 mit den von ihm geschätzten, bewunderten, verachteten, rehabilitierten, degradierten naiven Phänomenen zusammenhängt. Von hier aus konnten auch die individuell produktiven Momente in Schillers Auseinandersetzung mit dem Naiven sichtbar werden: Individueller Umgang mit Welt bedeutet das, was Schiller in einem entspannten Moment offenbart hat, in einem Moment, den er, ein einem Kampf zwischen Sinnen und Verstand ausgesetzter Philosoph, als ,idyllisch' bezeichnet und individuell beschrieben hat: daß „Empfänglichkeit", „[Sinnlichkeit]" das ,,Leben[..]" ist, in dem ,,geistige[..] Tätigkeit" wie jede andere menschliche Tätigkeit sich vollzieht. Gedanken werden von Gefühlen und diese von Sinneseindrücken angestoßen. Gefühle sind das Fluidum, von dem jegliche menschliche Selbst-Tätigkeiten, so auch das Lesen und Denken, getragen werden und in dem sie sich vollziehen.

420

Vgl. ebenda S. 752.

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