Lehrbuch der Experimentalphysik: Band 2 Elektrizitätslehre
 9783111441894, 9783111075617

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L. Bergmann

CI. Schaefer

Lehrbuch der Experimentalphysik Band II

LEHRBUCH DER

EXPERIMENTALPHYSIK ZUM G E B R A U C H

BEI AKADEMISCHEN VORLESUNGEN UND ZUM S E L B S T S T U D I U M Von

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. h. c. L. Bergmann f Universität Gießen u. Leitz -Werke Wetzlar und

Prof. Dr. phil. Dr. rer. nat. h. c. Cl. Schaefer Universität Köln

II. Band

Elektrizitätslehre Mit 659 Abbildungen

4., durchgesehene und verbesserte Auflage

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

&C0.

vorm. G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp.

BERLIN

1961

C o p y r i g h t 1955, 1958, 1961 by W a l t e r de G r u y t e r & Co., vormals G. J. Göschen*sehe Verlagshandlung, J. G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g G e o r g R e i m e r , Karl J. T r ü b n e r , Veit & C o m p . , Berlin W 30, G e n t h i n e r Str. 13 — Alle R e c h t e , a u c h die des auszugsweisen N a c h d r u c k s , der p h o t o m e c h a n i s c h e n W i e d e r g a b e , d e r H e r s t e l l u n g von M i k r o f i l m e n u n d der Ü b e r s e t z u n g , v o r b e h a l t e n — A r c h i v - N r . 52 79 61 — P r i n t e d in G e r m a n y — D r u c k : G r a p h i s c h e K u n s t d r u c k e r e i A u g u s t R a a b e , Berlin-Neukölln

Vorwort zur ersten Auflage Nach dem Erscheinen der ersten Auflage von Band I begannen wir mit der Arbeit am zweiten Bande. Sie war bis Januar 1945 schon ziemlich weit vorgeschritten, als die Katastrophe uns auseinanderriß. Erst im J a h r e 1946 fanden wir wieder Verbindung zueinander und konnten die gemeinsame Arbeit wieder aufnehmen; natürlich war sie außerordentlich erschwert durch die räumliche Trennung und dadurch, daß wir neue Wirkungskreise übernehmen mußten. Erst jetzt ist es uns daher möglich, den zweiten Band, die Elektrizitätslehre enthaltend, vorzulegen. E r ist nach den gleichen Grundsätzen abgefaßt wie der erste Band, so daß darüber nichts weiter gesagt zu werden braucht. Nur ein Wort über das benutzte Maßsystem ist erforderlich: Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschlossen, das Gaußsche Maßsystem beizubehalten; dies hat zur Folge, daß in allen elektrodynamischen Gleichungen der Faktor c, die Lichtgeschwindigkeit, auftritt. Wir halten dies aus didaktischen Gründen f ü r wünschenswert. Im übrigen hat W. Kossei kürzlich in einer kleinen Schrift:. „Zur Darstellung der Elektrizitätslehre" mit einleuchtenden Gründen dargetan, daß es unzweckmäßig wäre, das sogenannte „praktische" Maßsystem in der Physik allgemein einzuführen. Wetzlar und Köln, im Herbst 1950 Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur zweiten Auflage Nachdem die erste Auflage vergriffen war, haben wir uns die Frage vorgelegt, ob und was an unserer grundsätzlichen Einstellung etwa zu ändern wäre; wir haben aber dazu keine Veranlassung gesehen. Die vorliegende zweite Auflage unterscheidet sich daher nur wenig von der ersten; einige nicht ganz klare oder schiefe Formulierungen wurden beseitigt und durch bessere ersetzt, der raschen Entwicklung der Halbleiterforschung wurde durch Umarbeitung und Erweiterung der betreffenden Abschnitte soweit Rechnung getragen, wie es im Rahmen dieses Werkes möglich war. Allen Fachgenossen, die durch wohlwollende Kritik ihr Interesse an unserm Buche bezeugt haben, danken wir herzlich und möchten wünschen, daß auch die neue Auflage ihren Beifall finde. Wetzlar u n d Köln, im September 1955 Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur dritten Auflage Unter Beibehaltung unserer grundsätzlichen Einstellung ist die vorliegende dritte Auflage sorgfältig durchgesehen und von uns bekannt gewordenen Versehen befreit worden. Gleichzeitig ist den wichtigsten Fortschritten Rechnung getragen worden, soweit dies ohne Überschreitung des Umfanges möglich war. Auch diesmal haben wir nicht nur vielen Kollegen, sondern auch manchen Kommilitonen für Kritik und Hinweise zu danken. Wetzlar und Köln, im April 1958 Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur vierten Auflage Nach dem plötzlichen Tode von Ludwig Bergmann fiel mir allein die Aufgabe zu, die 4. Auflage vorzubereiten. An der grundsätzlichen Haltung des Bandes fand ich nichts zu ändern. Dagegen sind im einzelnen manche Änderungen vorgenommen worden, die hoffentlich als Verbesserungen empfunden werden. Zu ihnen wurde ich angeregt durch die freiwillige Mitarbeit zahlreicher Benutzer des Buches; unter ihnen befanden sich nicht nur Kollegen von Hochschulen und höheren Schulen, sondern erfreulicher Weise auch interessierte und für Physik begeisterte Kommilitonen. — Sie haben auf manche Druckfehler, kleinere Versehen, unklare Formulierungen, die uns entgangen oder nicht zum Bewußtsein gekommen waren, aufmerksam gemacht. Sie werden feststellen können, daß ich ihren Anregungen und ihrer Kritik fast überall gefolgt bin. Zahlreiche kleine Zusätze sind eingefügt worden, um den wichtigsten Fortschritten gerecht zu werden, soweit der Umfang es gestattete; in einem Falle schien mir aber eine größere Einschiebung (über die Supraleitung) notwendig, weil m. E. die bisherige Darstellung diesem Gebiete der Tieftemperaturphysik nicht entsprach. Ich bin sicher, daß auch Bergmann dem zugestimmt hätte, muß aber natürlich die Verantwortung auf mich nehmen. Allen Helfern sage ich herzlichen Dank, in den ich auch den Herrn Verleger einschließen möchte, der allen — nicht immer bequemen — Wünschen entsprochen hat. Köln, im April 1961 Clemens Schaefer

Inhaltsübersicht I. Kapitel. Elektrostatik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Die Grunderscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes :.... Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen; Fluidumhypothese Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß; Gaußscher Satz Das Potential Kapazität Influenz Anwendungen der Influenz; Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor Anwendungen der Influenz; Kondensatoren Das elektrostatische Feld in einem Dielektrikum Polarisation der Dielektrika Die elektrische Energie; Kraftwirkungen im elektrostatischen Felde Die elektrostatischen Generatoren Piezo- und Pyroelektrizität Kontaktelektrizität Das elektrische Feld der Erde

1 3 6 7 10 13 18 25 27 30 33 41 60 61 68 71 76 86

II. Kapitel. Magnetostatik 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Grundtatsache i ; Analogien und Differenzen zur Elektrostatik 90 Coulombsches Gesetz; magnetische Feldstärke 93 Kraftlinien; Kraftfluß; magnetisches Potential 96 Magnetstab im homogenen Magnetfeld; Messung der Feldstärke und des magnetischen Momentes 100 Magnetisches Feld der Erde 103 Einfluß der Materie auf die magnetischen Erscheinungen; para-, dia- und ferromagnetische Stoffe; magnetische Induktion, Magnetisierung 107 III. Kapitel. Stationäre elektrische Ströme

25. Begriff des elektrischen Stromes; Stromstärke; Stromdichte 122 26. Ohmsches Gesetz 125 27. Anwendungen des Ohmschen Gesetzes; Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen; Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke 141 28. Stromarbeit; Stromwärme; Joulesches Gesetz; Peltier-Effekt; chemische Umsetzungen 149 29. Thermoelektrizität; Peltier- und Thomson-Effekt 156 IV. Kapitel. Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

Das elektrische Feld stationärer Ströme . . . . Oerstedscher Versuch; Magnetfeld eines geradlinigen Stromleiters Biot-Savartsches Elementargesetz Äquivalenz von Strömen und Magneten; Amperes Molekularströme Die verschiedenen Maßsysteme der Elektrodynamik und ihre Beziehungen zueinander Magnetfeld von Spulen; Elektromagnete Die Eigenschaften der ferromagnetischen Stoffe Bewegung eines Stromleiters im Magnetfeld Wirkung von Strömen aufeinander Der Verschiebungsstrom; Hauptgleichung des Elektromagnetismus

164 167 177 183 187 191 207 216 224 230

VIII

Inhaltsübersicht V. Kapitel. Induktion

40. G rund tatsa che« 41. Quantitative Fassung des Induktionsgesetzes 42. Einfache Anwendungen der Induktion; Erdinduktor; Messung magnetischer Felder; Messung der Permeabilität; magnetischer Spannungsmesser; Wechselspannungen; Wirbelströme; Theorie des Diamagnetismus 43. Gegenseitige Induktion und Selbstinduktion; Anwendungen 44. Allgemeines über Wechselströme 46. Wechselstroinkreis mit Ohmschem Widerstand, Selbstinduktion und Kapazität 46. Mehrphasenströme, magnetische Drehfelder 47. Transformatoren 48. Die elektrischen Maschinen 49. Die Maxwellschen Gleichungen

234 239

244 262 263 270 286 290 296 311

YI. Kapitel. Elektrische Schwingungen und Wellen 50. 51. 52. 53. 54.

Freie elektrische Schwingungen Erzeugung gedämpfter Schwingungen mittels der Funkenmethode Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen Erzwungene Schwingungen; Koppelungsschwingungen Ausbreitung elektrischer Wellen längs Leitungen; Lecher-System; Telegraphen- und Wellengleichung 55. Elektromagnetische Raumwellen im Dielektrikum; offener Schwingungskreis; elektrischer Dipol und sein Strahlungsfeld; Hertzsche Versuche 56. Wesensgleichheit der elektromagnetischen Wellen mit den Lichtwellen; das elektromagnetische Spektrum 57. Anwendung der elektrischen Wellen in der drahtlosen Nachrichtenübermittlung; Ausbreitung der Wellen um die Erde

314 320 325 330 340 352 372 377

VII. Kapitel. Elektrolyse 58. 59. 60. 61. 62. 63.

Grundtatsachen; Mechanismus der Elektrolyse Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse Die Leitfähigkeit der Elektrolyte; Überführungszahlen und Beweglichkeit von Ionen Umwandlung chemischer Energie in elektrische; Theorie der galvanischen Elemente Elektrolytische Polarisation; sekundäre Elemente (Akkumulatoren) Die praktischen Anwendungen der Elektrolyse

383 389 395 407 413 419

VIII. Kapitel. Gasentladungen 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.

Das Leitvermögen der Gase; allgemeine Erörterungen 424 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken 428 Unselbständige Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 433 Die Natur der Elektrizitätsträger im Hochvakuum 437 Anwendungen der unselbständigen Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 446 Die selbständige Stromleitung in Gasen bei niedrigem Druck 450 Die selbständige Elektrizitätsleitung in Gasen bei hohem Druck; Spitzen- und Büschelentladung, Funken, Lichtbogen 466 IX. Kapitel. Stromleitung in festen Körpern

71. 72. 73. 74. 76.

Die metallische Leitung Die elektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern Technische Anwendung von Halbleitern: Sperrschichtgleichrichter; Transistoren Die lichtelektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern Die Supraleitfähigkeit Namenregister Sachregister

477 488 493 497 500 605 606

I. K a p i t e l

Elektrostatik 1. Die Grunderscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung Wenn man einen Hartgummistab mit einem wollenen Lappen oder einem Fell reibt und den geriebenen Stab kleinen leichten Körpern (Papierschnitzeln, Korkstückchen usw.) nähert, so beobachtet man, daß diese Körper von dem Hartgummistab angezogen werden. Es hat sich also der Zustand des Hartgummistabes derart verändert, daß von seiner Oberfläche Kraftwirkungen ausgehen. Bereits, im Altertum hat (angeblich) T h a i e s v o n M i l e t eine solche Beobachtung an geriebenem Bernstein gemacht; da der griechische Name von Bernstein ήλεκτρον ist, spricht man von einer „ E l e k t r i s i e r u n g " oder dem „ e l e k t r i s c h e n Z u s t a n d e " oder der „ e l e k t r i s c h e n L a d u n g " des geriebenen Körpers und bezeichnet das ganze Gebiet als „Elektrizitätslehre". Wenn man alle möglichen Körper in dieser Weise behandelt, so findet man, daß sie nach ihrem Verhalten in zwei Klassen gesondert werden können. Die erste Klasse ist dadurch charakterisiert, daß es keiner besonderen Vorsichtsmaßregeln bedarf, um die Körper in den „elektrischen" Zustand zu versetzen. Man kann die dieser Gruppe angehörigen Stoffe ζ. B. einfach dadurch „elektrisieren", daß man sie in die Hände nimmt und aneinander reibt. Auch können sie dabei in direkter Verbindung mit der Erde sein. Zu den Stoffen dieser ersten Gruppe gehören Schwefel, alle Harze (Bernstein, Schellack, Siegellack), Hartgummi, Paraffin, Glas, Glimmer, Seide, trockenes Papier usw. Zu der zweiten Klasse von Substanzen, die durch die beschriebene primitive Behandlungsart nicht „elektrisch" werden, gehören in erster Linie die Metalle, ferner Kohle, der menschliche Körper, feuchtes Holz usw. Es hat lange Zeit gedauert, bis man die Bedingungen erkannte, unter denen diese letzteren Stoffe, z.B. die Metalle, überhaupt „elektrisch" werden können. G r a y fand im Jahre 1727, daß sie weder mit dem menschlichen Körper noch mit der Erde in direkter Verbindung sein dürfen, sondern von ihnen durch Stoffe der ersten Gruppe getrennt sein müssen. Will man also einen Metallstab durch Reiben mit einem Seidenlappen „elektrisieren", so muß man den Metallstab mit einem Handgriff aus Glas oder Hartgummi versehen. Auf diese Weise vermeidet man eine direkte oder durch den menschlichen Körper vermittelte Berührung mit der Erde; man muß daraus schließen, daß eine solche den elektrischen Zustand des Metallstabes vernichtet. Letzteres geschieht allerdings auch bei den Körpern der ersten Gruppe, aber mit einem sehr wesentlichen Unterschiede. Ein Metall braucht nur an einer einzigen Stelle direkt oder indirekt mit der Erde in Kontakt gebracht zu werden, um sofort in seiner ganzen Ausdehnung unelektrisch zu werden; dagegen verlieren die Stoffe der ersten Gruppe ihren elektrischen Zustand nur an den Stellen, die mit der Erde in Berührung sind, während er ihnen an den anderen, wenn auch dicht benachbarten Stellen erhalten bleibt. Im engsten Zusammenhang damit steht ferner die Tatsache, daß Metalle, wenn sie unter den oben angeführten Vorsichtsmaßregeln auch nur an einer Stelle gerieben werden, sofort in ihrer ganzen Ausdehnung elektrisch werden, während ein der ersten Gruppe zugehöriger Körper nur an den geriebenen Stellen die Fähigkeit erlangt, andere leichte Körperchen anzuziehen. Man drückt diesen Sachverhalt am einfachsten dadurch aus, daß man den Körpern zweiter Klasse, insbesondere den Metallen, die Eigenschaft zuschreibt, den durch Reiben erzeugten elektrischen Zustand von den geriebenen Stellen zu allen anderen Punkten des betreffenden Körpers „ f o r i z u l e i t e n " , während man den Körpern erster Klasse diese Fähigkeit abspricht. Letztere heißen deshalb Nichtleiter oder Isolatoren, die Körper der zweiten Klasse Leiter des elektrischen Zustande*. Da der menschliche Körper zu den Leitern gehört, ist es klar, weshalb ein Metall auch gegen diesen 1 Experimentalphysik II

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I. Kapitel. Elektrostatik

vermittels eines Nichtleiters „isoliert" sein muß; die auf dem Metall durch Reibung erzeugte Elektrizität würde durch den menschlichen Körper zur Erde abgeleitet und damit der geriebene Leiter wieder unelektrisch werden. Verbindet man anderseits einen auf einem isolierenden Glasstativ aufgestellten ungeriebenen Metallkörper, von dem also keinerlei Kraftwirkungen ausgehen, durch einen Metalldraht etwa mit einer geriebenen Glasstange, so zeigt der Metallkörper in seiner ganzen Ausdehnung Elektrisierung, d.h. es werden dann von allen Stellen seiner Oberfläche leichte Körperchen angezogen. Wir haben also die Möglichkeit, den elektrischen Zustand sowohl mittels eines Leiters zu übertragen oder sein Abfließen zur Erde durch einen Isolator zu verhindern. Zwischen Leitern und Nichtleitern gibt es in Wirklichkeit keine strenge Grenze, es bestehen vielmehr alle Arten von Zwischenstufen, von den besten bis zu den schlechtesten Leitern. Als gute Leiter des elektrischen Zustandes gelten die Metalle, ferner Kohle, Wasser, Säure- und Salzlösungen, der menschliche Körper sowie stark erhitzte Gase; weniger gut leiten Holz, Marmor, Papier, Stroh, Alkohol; Nichtleiter sind u. a. Glas 1 ), Quarz, Porzellan, Hartgummi, Harze, Schwefel, Bernstein, Seide, öle, Luft, Wasserdampf und andere Gase. Daß Luft die Elektrizität nicht leitet, ist j a geradezu die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt möglich ist, einen etwa durch Reiben eines Glasoder Hartgummistabes erzeugten elektrischen Zustand zu beobachten. Wäre die Luft nämlich ein Leiter, so würde der soeben erzeugte elektrische Zustand sofort wieder abgeleitet werden und sich der Wahrnehmung entziehen. Stark erhitzte Luft oder Flammengase leiten dagegen gut, was sich ζ. B . dadurch zeigen läßt, daß man einen geriebenen Hartgummistab durch eine Bunsenflamme zieht oder in einen heißen Luftstrom bringt: er wird sofort unelektrisch. Praktisch macht man beim Experimentieren von der Leitfähigkeit erhitzter Gase Gebrauch, um unerwünschte Elektrisierung von Isolatoren zu beseitigen. Wir haben bisher den elektrischen Zustand geriebener Körper nachgewiesen durch die Beobachtung der Kraftwirkungen auf leichte Papierschnitzelchen usw. Wir wollen von jetzt ab die Kraftwirkungen zwischen den geriebenen Körpern selbst untersuchen, hängen einen geriebenen Hartgummistab waagerecht auf (Abb. 1) und nähern einem seiner Enden einen auf gleiche Weise geriebenen zweiten Hartgummistab; beide Stäbe befinden sich also nach dem Gesagten im „elektrischen Zustande". Wir beobachten eine kräftige Abstoßung der einander genäherten Stabenden. Nähern wir aber dem aufgehängten Hartgummistab einen geriebenen, d. h. ebenfalls elekAbb. 1. Drehbar aufgehängter irisierten Glasstab, so findet eine starke Anziehung statt, Hartgummistab während schließlich zwei auf gleiche Weise geriebene Glasstäbe, von denen wir den einen freibeweglich aufhängen, sich gegenseitig ebenso abstoßen wie die beiden geriebenen Hartgummistäbe. Dies führt zu der Auffassung, daß es zwei verschiedene, einander polar entgegengesetzte elektrische Zustände gibt, die man früher als den „ h a r z e l e k t r i s c h e n " und „ g l a s e l e k t r i s c h e n " bezeichnete ( D u f a y , 1 7 3 4 ) . Dann können wir die oben angeführte Beobachtung folgendermaßen aussprechen: Gleichartig elektrisierte Körper stoßen sich ab, ungleichartig elektrisierte ziehen sich an. Da der Vorgang der Reibung ein wechselseitiger ist, wird nicht nur der geriebene Körper, sondern auch das „Reibzeug" elektrisch. Nähert man einem nach Abb. 1 aufgehängten geriebeneu Glasstab das zum Reiben benutzte Stück Seide, so wird der Glasstab angezogen, während von dem gleichen Stück Seide ein mit einem Wollappen geriebener Hartgummistab abgestoßen wird. Aus diesem Versuch folgt, daß zwei verschiedene aneinander geriebene Körper stets beide und zwar ungleichartig elektrisch werden. Wir werden später zeigen (S. δ), daß die elektrischen Zustände aneinander geriebener Körper auch gleich stark sind, daß daher ihre gemeinsame Kraftwirkung sich nach außen aufhebt. Die Polarität der beiden elektrischen Zustände ist also die analoge, wie ' ) Dies gilt allerdings nicht von allen Glassorten. Gläser bestimmter Zusammensetzung können die Elektrizität leiten. Außerdem kommt es häufig vor, daß infolge von Hygroskopie sich auf der Glasoberfläche eine Wasserhaut bildet, die die Elektrizitätsleitung übernimmt. Dies kann man verhindern, indem man die Glasoberfläche mit einem Schellacküberzug versieht.

2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes

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zwischen den positiven und negativen Zahlen; dies hat dann dazu geführt, daß man (willkürlich) den einen, und zwar den glaselektrischen als positiven, den harzelektrischen als negativen elektrischen Znstand bezeichnet, und kurz von positiver und negativer Elektrisierung oder Ladung spricht. Ob ein bestimmter Körper durch Reiben positiv oder negativ elektrisch wird, hängt von dem Partner ab, mit dem er gerieben wird. Ζ. B. wird Glas positiv elektrisch beim Reiben mit Seide oder einem amalgamierten Lederlappen, dagegen negativ elektrisch beim Reiben mit Pelzwerk oder Wolle; Hartgummi wird an Wolle oder Pelzwerk gerieben stets negativ, an Papier gerieben aber meist positiv. Übrigens kommt es nicht nur auf die stoffliche Natur des Körpers, sondern auch auf seine Oberflächenbeschaffenheit an. Schleift man die Hälfte eines polierten Glasstabes matt, so wird dieses Ende beim Reiben mit Wolle negativ elektrisch, während die polierte Hälfte mit dem gleichen Reibzeug positiv elektrisch wird. Daß auch pulverförmige Stoffe durch Keiben elektrisch werden, zeigt folgender Versuch: Zerstäubt man ein Gemisch aus gleichen Teilen Mennige und Schwefelpulver durch ein Stück Gaze hindurch ; so wird Schwefel negativ, Mennige positiv elektrisch. Läßt man das Gemisch auf zwei nebeneinander liegende geriebene Stäbe aus Glas und Hartgummi fallen, so bleibt der gelbe Schwefel am Glas, die rote Mennige am Hartgummi haften (siehe hierzu S. 72). Es werden ferner nicht nur feste Stoffe elektrisch, sondern auch Flüssigkeiten, worauf wir in Nr. 3 zurückkommen. Hier sei nur folgender einfacher Versuch genannt: Schüttelt man in einer evakuierten Glasröhre Quecksilber, so bemerkt man im Dunkeln ein intensives Leuchten der Röhre, dessen Ursache, wie wir später zeigen werden, auf dem Auftreten von elektrischen Zuständen entgegengesetzten Vorzeichens zwischen Quecksilber und Glas beruht. Dagegen lassen sich Gase durch Reibung nicht elektrisieren; den Grund hierfür können wir erst später in Kap. 8 angeben. 2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes Da der Mensch kein Organ zum Erkennen des elektrischen Zustandes besitzt, sind besondere Apparate dazu erforderlich, die man Elektroskope n e n n t ; sie beruhen auf den oben beschriebenen Kraftwirkungen. Die einfachste Ausführung ist das e l e k t r i s c h e D o p p e l p e n d e l (Abb. 2). Zwei kleine, möglichst leichte, mit einem dünnen Metallüberzug versehene Kügelchen sind an dünnen Leinenfäden oder mit sehr dünnen Drähten an einem Metallbügel aufgehängt, der am oberen Ende eines isolierenden Stativs befestigt ist. Wird der Metallbügel elektrisch geladen, so teilt sich der elektrische Zustand den beiden Kügelchen mit, und diese stoßen sich infolge der Gleichnamigkeit ab (in Abb. 2 gestrichelt gezeichnet). Diese Abstoßung ist um so größer, je stärker der mitgeteilte elektrische Zustand ist. Eine empfindlichere Anordnung ist das B l ä t t c h e n - E l e k t r o s k o p nach A. B e n n e t , 1786(Abb. 3). Im Innern eines meist zylindrischen auf beiden Seiten durch Glasscheiben abgedeckten Metallgehäuses hängen an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange zwei schmale Blättchen aus Blattgold oder Aluminiumfolie; die Metallstange Abb. 2. Abb. 3. trägt meistens oben eine Kugel (oder Elektrisches Doppelpendel Blättchen-Elektroskop Platte). Wird die Kugel mit einem elektrischen Körper berührt, so geht ein Teil seines elektrischen Zustandes auf Kugel, Stange und Blättchen über, und letztere divergieren um so mehr, je kräftiger der elektrische Zustand des herangebrachten Körpers ist. Häufig ist unterhalb der Blättchen eine Skala angebracht, auf

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I. Kapitel. Elektrostatik

der sich die Größe des Ausschlages der Blättchen ablesen läßt; dadurch wird das Instrument zum E l e k t r o m e t e r . Statt zweier beweglicher Leiter benutzt man vielfach nur einen beweglichen Leiter, der von einem festen abgestoßen wird. Bei dem B r a u n s c h e n E l e k t r o m e t e r (Abb. 4) wird ein leichter in Spitzen gelagerter Aluminiumanzeiger von einem vertikalen festen Leiter abgestoßen, wenn diesem eine elektrische Ladung zugeführt wird (F. B r a u n , 1891). Ein sehr empfindliches Elektrometer i s t d a s W u l f s c h e Z w e i f a d e η e l e k t r o m e t e r ( T h . Wu 1 f , 1907), dessen Aufbau aus der schematischen Abb. 5 hervorgeht. Durch die Deckplatte eines

Abb. 4. Braunsches Elektrometer

Abb. 5. Zweifadenelektrometer nach Wulf

Abb. 6. Bohnenbergersches Elektroskop

Metallgehäuses Α ist, mittels Bernstein isoliert, ein Metallstift Ε geführt, der an seinem oberen Ende die Anschlußklemme ΚΛ trägt, und von dessen unterem Ende zwei sehr dünne Drähte von etwa4 μ Durchmesser und etwa 8 cm Länge herabhängen. Die beiden Drähte sind mit ihren unteren Enden an einem elastischen Quarzbügel Q befestigt, durch den sie schwach gespannt werden. Führt man den Fäden Flt F2 über die Klemme eine elektrische Ladung zu, so spreizen sie sich auseinander (gestrichelte Lage in Abb. ö). Ihr gegenseitiger Abstand kann in der Fadenmitte, wo er am größten ist, mit Hilfe eines Mikroskops mit Okularmikrometer sehr genau gemessen werden. Damit die Fäden beim Auseinandergehen in der Bildebene des Mikroskops bleiben, sind beiderseits in der Fadenebene zwei Schneiden St und S2 angebracht, die mit dem über Klemme K2 zu erdenden Gehäuse leitend verbunden sind und somit die geladenen Fäden anziehen. Die bisher beschriebenen Instrumente zeigen zwar das Vorhandensein und die Stärke eines elektrischeil Zustandes an, liefern aber nicht sein Vorzeichen. Letzteres leistet z.B. das B o h n e n b e r g e r s c h e E l e k t r o s k o p (Abb. 6). Zwischen zwei Platten (sog. Elektroden) Et und E2 hängt an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange S ein einzelnes schmales Aluminiumblättchen. Die beiden Elektroden Ej und E2 sind durch eine besondere, meist im Gerät eingebaute Elektrizitätsquelle (ζ. B. Zambonisäule, siehe S. 85) dauernd, die eine positiv, die andere negativ, geladen. Infolgedessen wird das Aluminiumblättchen bei positiver Aufladung von der einen Elektrode abgestoßen und von der anderen angezogen; bei negativer Aufladung führt es den entgegengesetzten Ausschlag aus, so daß die Richtung des Ausschlages einen Schluß auf das Vorzeichen der Ladung

3. Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen

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zuläßt. — In ähnlicher Weise wird auch das oben beschriebene Zweifadenelektrometer (Abb. 5) zu einem E i n f a d e n e l e k t r o m e t e r , wenn man die beiden Fäden durch einen einzigen ersetzt, die beiden Metallschneiden S1 und S2 isoliert einführt und in irgendeiner Weise positiv und negativ auflädt. Der Faden wird dann je nach dem Vorzeichen der ihm zugeführten Ladung nach rechts oder links abgelenkt. Steht ein solches polarisiertes Elektroskop nicht zur Verfügung, so läßt sich das Vorzeichen eines elektrischen Zustandes auch mit einem gewöhnlichen Elektroskop prüfen, indem man diesem zunächst einen dem Vorzeichen nach bekannten elektrischen Zustand mitteilt, so daß seine Blättchen etwas divergieren. Nähert man dann dem Elektroskop die zu prüfende Ladung, so zeigt stärkeres Divergieren der Blättchen, daß es sich um Elektrisierung gleichen Vorzeichens handelt, während Zusammensinken der Blättchen auf solche von entgegengesetztem Vorzeichen schließen läßt. 3. Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen; Fluidumshypothese Wir behaupteten bereits auf S. 2, daß die bei Reibung zweier Stoffe aneinander erzeugten entgegengesetzten elektrischen Zustände von gleicher Stärke seien. Dies können wir unter Benutzung eines Elektroskops durch folgende Versuche beweisen. Schiebt man lose über einen Glasstab ein Stück weichen Gummischlauch und reibt mit diesem auf dem Glasstab hin und her, so zeigt ein Elektroskop, das man mit dem Glasstab u n d dem noch darauf befindlichen Gummischlauch berührt, keine elektrische Wirkung an. Trennt man aber Glasstab und Gummischlauch und berührt mit ihnen einzeln ein polarisiertes Elektroskop, so erweist sich ersterer als positiv, letzterer als negativ geladen. Erneut übereinandergeschoben ist die resultierende Wirkung wieder gleich Null: Es sind demnach beim Reiben beide elektrischen Zustände in genau gleicher Stärke erzeugt worden. — Setzt man auf ein Elektroskop eine waagerechte ebene Metallplatte und legt man darauf eine ebenfalls ebene Paraffin- oder Gummiplatte, so zeigt das Elektroskop keinen Ausschlag, wenn man die Paraffin- oder Hartgummiplatte durch Drehen mit der Metallplatte reibt, d. h. beide elektrisiert. Hebt man aber die Paraffin- oder Hartgummiplatte ab, so erhält man sofort einen kräftigen Ausschlag am Elektroskop, der wieder verschwindet, wenn man die bewegliche Platte wieder auf die feste des Elektroskops aufsetzt. Auch dieser Versuch zeigt, daß durch Reibung die entgegengesetzten elektrischen Zustände in gleicher Stärke erzeugt werden. — Verbindet man mit einem Elektroskop einen isoliert aufgestellten Metallbecher, der mit Wasser gefüllt ist, und taucht eine an isolierendem Griff gehaltene Paraffinkugel in das Wasser, so zeigt das Elektroskop beim Herausziehen einen Ausschlag; dieser Ausschlag wird wieder Null, wenn man die Kugel in das Wasser zurücktaucht. Wasser und Paraffin haben also bei diesem Versuch gleich große, aber entgegengesetzte Ladungen erhalten. Der Versuch gelingt auch, wenn man Paraffin und Wasser durch beliebige nichtleitende oder leitende Stoffe ersetzt; Paraffin hat die Besonderheit, daß es von Wasser nicht benetzt wird (Band I, S.322 ff).

Dieser letzte Versuch zeigt noch etwas anderes: Beim Eintauchen des Paraffins in die Flüssigkeit spielt die geringe Reibung gar keine Rolle; f ü r die E n t s t e h u n g des e l e k t r i s c h e n Z u s t a n des beim Herausziehen der Kugel ist n i c h t der V o r g a n g d e r R e i b u n g , s o n d e r n die i n n i g e B e r ü h r u n g z w i s c h e n P a r a f f i n u n d W a s s e r die Ursache. Bei festen Stoffen läßt sich eine solch innige Berührung wegen der stets vorhandenen mikroskopischen Rauhigkeit der Oberfläche nur durch kräftiges Zusammendrücken und gleichzeitiges Reiben erzielen; erst dadurch gelingt es, größere Teile der beiden Oberflächen zur wirklichen Berührung zu bringen. Auch hier ist es der innige Kontakt, der den Zustand der Elektrisierung herbeiführt. Die Bezeichnung „ R e i b u n g s e l e k t r i z i t ä t " trifft daher nicht den Kern der Sache; es wäre sachgemäß, von B e r ü h r u n g s - oder K o n t a k t e l e k t r i z i t ä t zu sprechen. Wir kommen später (S. 76) auf diese Frage noch ausführlich zurück. Zur Erklärung der bisher besprochenen Erscheinungen hat man sich schon früh die Hypothese gebildet, daß die elektrische Wirkung einem Stoff zuzuschreiben sei, dessen Verteilung beim Vorgang der „Reibung" auf den geriebenen Körpern geändert wird. Man nahm die Existenz einer ge-

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I. Kapitel. Elektrostatik

wichtslosen Flüssigkeit, eines sog. imponderablen Fluidums an, dem man den Namen Elektrizität gab. Die unitarische Theorie von B e n j a m i n F r a n k l i n (1765) setzt e i n e Art eines solchen Fluidums voraus; man muß also annehmen, daß dieses in einer ganz bestimmten Normalmenge auf allen Körpern vorhanden sei, damit sie unelektrisch erscheinen. Beim Prozeß der „Reibung" zweier Körper aneinander soll dann von dem einen Körper auf den anderen eine bestimmte Menge dieses Fluidums übergehen, so daß der letztere ein Plus an Elektrizität, der erstere ein ebenso großes Minus hat. P o s i t i v e L ä d u n g b e d e u t e t also ein Z u v i e l an F l u i d u m , n e g a t i v e ein Z u w e n i g , v e r g l i c h e n m i t d e r n o r m a l e n M e n g e d e s s e l b e n . — Umgekehrt nimmt die dualistische Theorie von R. Sy m m er (1759) zwei verschiedene Fluida, der positiven und negativen Elektrizität entsprechend, als vorhanden an. E i n u n e l e k t r i s c h e r K ö r p e r m u ß d a n n v o n b e i d e n A r t e n g l e i c h e M e n g e n e n t h a l t e n . Bei der i n n i g e n B e r ü h r u n g z w e i e r K ö r p e r g e h t i n f o l g e m o l e k u l a r e r K r a f t w i r k u n g e n auf d e n e i n e n K ö r p e r p o s i t i v e , auf d e n a n d e r e n e i n e g l e i c h e M e n g e n e g a t i v e r E l e k t r i z i t ä t ü b e r . Beide Hypothesen ermöglichen, wie man sieht, die Erklärung der einfachsten elektrischen Erscheinungen. Bedienen wir uns der bequemen Ausdrucksweise halber ζ. B. der dualistischen Hypothese, so bekommt die Bezeichnung „ e l e k t r i s c h e L a d u n g " einen bestimmten Sinn, indem man darunter die auf den elektrisierten Körpern im Überschuß befindliche Menge von Fluidum versteht. Diese Elektrizitätsmengen haften bei den Isolatoren fest an den geriebenen Stellen, während sie auf den Leitern als frei beweglich angenommen werden müssen. Freilich müssen wir erst lernen, die Elektrizitätsmengen zu messen (S. 12); denn erst dadurch wird diese Vorstellung wissenschaftlich brauchbar. Wir werden später eine Reihe von Versuchen kennenlernen, die beweisen, daß das, was wir Elektrizität nennen, korpuskularer Natur ist. Das kleinste elektrische Elementarteilchen negativen Vorzeichens nennen wir ein E l e k t r o n . Auf die Größe seiner elektrischen Ladung kommen wir zurück, wenn wir die Einheit der Elektrizitätsmenge (S. 12) festgesetzt haben. Nach der modernen Vorstellung vom Aufbau der Materie ist diese im wesentlichen elektrischer Natur. Jedes Atom besteht aus einem positiven Kern, der den überwiegenden Teil der Atommasse enthält und dessen elektrische Ladung ein ganzes Vielfaches der Elementarladung beträgt. Die Größe der positiven Kernladung ist durch die Ordnungszahl des betreffenden Elementes im periodischen System gegeben (s. die Tabelle auf S. 302 des 1. Bandes). Danach hat das Wasserstoffatom die positive Ladung 1, das Heliumatom die Ladung 2, das Sauerstoffatom die Ladung 16 und das Uranatom die Ladung 92. Bei einem neutralen Atom wird diese positive Ladung von einer entsprechenden Zahl negativer Elementarteilchen (Elektronen) neutralisiert, die in einer Hülle den Atomkern umgeben. Dadurch ist nach außen die elektrische Wirkung Null. Entfernt man von den Atomen eines Stoffes etwa durch „Reiben" mit einem anderen Stoff Elektronen, so wird der geriebene Körper infolge des Fehlens negativer Elektrizitätsteilchen positiv elektrisch, während der andere Körper, auf den die Elektronen übergehen, negativ elektrisch wird. Auch aus diesen Überlegungen folgt, daß bei der E r z e u g u n g e i n e s e l e k t r i s c h e n Z u s t a n d e s n i e m a l s e i n e E l e k t r i z i t ä t s a r t a l l e i n a u f t r e t e n kami, sondern daß stets gleich g r o ß e L a d u n g e n e n t g e g e n g e s e t z t e n Vorz e i c h e n s v o n e i n a n d e r g e t r e n n t w e r d e n . Dies führt zu dem Satz: In der Welt ist die Summe aller positiven und negativen elektrischen Ladungen unveränderlich. (Satz von der E r h a l t u n g der E l e k t r i z i t ä t . ) Atome bzw. Moleküle, die eine elektrische Ladung zeigen, heißen zum Unterschied von neutralen Korpuskeln „Ionen" ( A t o m i o n e n bzw. Molekülionen). Für das Auftreten elektrischer Ladungen auf einem Körper ist es übrigens nicht unbedingt notwendig, Elektronen aus den Atomen zu entfernen bzw. hinzuzufügen, sondern es genügt, eine Verschiebung von negativ geladenen Atomen gegen positive geladene Atome etwa durch mechanischen Druck oder Dehnung bzw. thermische Ausdehnung hervorzurufen: dies zeigen die Erscheinungen der Piezo- und Pyroelektrizität, von denen in Nr. 16 ausführlich die Rede sein wird. Denken wir uns

4. Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität

7

ζ. B. drei positiv und drei negativ geladene Atome entsprechend Abb. 7 a in den Ecken eines Sechsecks angebracht, so daß das ganze Gebilde nach außen elektrisch neutral ist, und üben wir in Richtung einer Sechseckdiagonale einen Druck darauf aus, so wird, wie es Abb. 7 b andeutet, das positive Atom 1 zwischen die beiden negativen Atome 2 und 6 und das negative Atom 4 zwischen die positiven Atome 3 und 5 geschoben. Infolge dieser veränderten Lage der einzelnen Atome erscheint das Gebilde nach außen nicht mehr elektrisch neutral, sondern in der Druckrichtung auf der einen Seite positiv und auf der entgegengesetzten Seite negativ elektrisch. Zu beachten ist aber, daß hierbei der Körper im ganzen unelektrisch bleibt und nur ein Teil seiner Oberfläche positiv, ein anderer ebenso stark negativ elektrisch wird, da eben stets gleich große Mengen entgegengesetzter Elektrizität verschoben werden.

4. Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität Wenn wir einen isoliert aufgestellten Leiter, einen sog. Konduktor, mit Elektrizität aufladen, indem wir ihm diese ζ. B. von einem geriebenen Hartgummistab übertragen, so wird die Elektrizität auf dem Leiter wegen ihrer freien Verschieblichkeit eine ganz bestimmte Verteilung annehmen, in der sie im Gleichgewicht ist. Da sich gleichnamige Elektrizitätsmengen gegenseitig abstoßen, folgt, daß sich die gesamte Ladung auf der äußeren Oberfläche des Leiters ansammelt; denn dann sind die einzelnen Teilchen so weit wie möglich voneinander entfernt. Wir beweisen dies zunächst für eine hohle Metallkugel, die oben eine runde Öffnung besitzt (Ch. Coulomb). Tastet man die äußere Oberfläche der Kusel mit einer kleinen Probekugel (oder Probescheibe), d. h. einer an isolierendem Griff befestigten Metallkugel (oder Metallscheibe) von x/2 bis 1 cm Durchmesser ab, so nimmt die Probekugel (Probescheibe) von der betreffenden Stelle des Leiters eine Ladung ab, die der an dieser Stelle vorhandenen Ladung proportional ist. Berührt man dann mit der Probekugel den Knopf eines Elektroskops, so zeigt dieses die Größe der übertragenen Ladung an. Wir finden auf diese Weise, daß die geladene Kugel auf ihrer äußeren Oberfläche eine vollkommen gleichmäßige Verteilung besitzt. Führen wir Abb. 8. Anordnung zum Nachweis, Abb. 9. aber die Probekugel in das daß eine geladene Kugel nur auf Zur Wirkung Innere der Konduktorkugel ihrer Oberfläche Ladung besitzt des Faraday-Käfigs ein und berühren irgendeine Stelle im Inneren derselben, so zeigt sich die Probekugel nach dem Herausziehen als völlig unelektrisch. Anderseits gibt eine elektrisch aufgeladene Probekugel, wenn man sie in das Innere der Hohlkugel einführt und diese berührt, an diese ihre gesamte Ladung ab und ist nach dem Herausziehen vollständig unelektrisch. Die von ihr abgegebene Elektrizität wandert nämlich sofort an die äußere Oberfläche der Kugel. — Umgibt man (Abb. 8) eine geladene Kugel mit zwei ungeladenen Halbkugeln, die man an isolierenden Handgriffen anfaßt, so erweist sich nach Entfernen dieser Halbkugeln die innere Kugel als völlig ungeladen: Die Elektrizität ist auf die beiden Halbkugeln übergegangen (H. C a v e n d i s h , 1773). — Setzt man (Abb. 9) auf einen isoliert aufgestellten Metallteller Α ein empfindliches Elektroskop Ε und stülpt darüber eine Glocke G aus Metallgaze, die durch einen Draht D in leitender Verbindung mit dem Knopf des Elektroskops

Λ

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I. Kapitel. Elektrostatik

steht, so kann man die ganze Anordnung beliebig stark elektrisch aufladen, so daß z.B. ein auf der Gazeglocke angebrachtes gewöhnliches Doppelpendel einen kräftigen Ausschlag zeigt, ohne daß das im Inneren befindliche Elektroskop eineLadung anzeigt. M. F a r a d a y hat diesen Versuch im großen angestellt, indem er einen Drahtkäfig von solchen Dimensionen herstellte, daß er selbst mit einem empfindlichen Elektroskop im Inneren Platz hatte. Dann zeigte das Elektroskop auch bei den kräftigsten Aufladungen des isoliert aufgestellten Käfigs keinerlei elektrische Wirkung an. Alle diese Versuche beweisen den Satz: Bei einem metallischen Leiter sitzt die elektrische Ladung nur auf der Oberfläche.

Auf der Oberflächenverteilung der elektrischen Ladung beruht auch die Wirkungsweise der erwähnten Probekugeln und Probescheiben beim Abtasten der elektrischen Verteilung auf der Oberfläche eines Leiters. In Abb. 10 ist im Querschnitt ein Teil eines Leiters Α und einer daran angelegten Probekugel Κ und eines Probescheibchens S gezeichnet. Die Ladung verteilt sich auf die Oberfläche von Kugel und Scheibe und wird beim Wegführen derselben abgenommen. Selbstverständlich kann im Inneren eines metallischen Hohlkörpers eine elektrische Ladung existieren, wenn sie in keiner leitenden Verbindung mit dem Hohlkörper steht. Dies kann man mit der Versuchsanordnung Abb. 9 zeigen, wenn man die Verbindung Ό zwischen Drahtkäfig G und Elektroskop Ε entfernt und letzteres vor dem Aufsetzen der Glocke auflädt. Dann behält es seine Ladung auch unter der Metallhülle bei.

Von der Oberflächenverteilung der Elektrizität machen wir eine Reihe praktischer Anwendungen. Die in der Elektrostatik benutzten metallischen Körper können als Hohlkörper mit dünner Wandstärke ausgebildet werden, da nur die Leiteroberfläche, nicht aber das im Inneren des Körpers befindliche Material für den Sitz der Ladung in Frage kommt. — Ein im Innern einer geschlossenen und zur Erde abgeleiteten Hülle beAbb. 10. Zur OberAbb. 11. findlicher Leiter ist vollkommen gegen äußere flächenverteilung der Elektroskop mit elektrische Einflüsse geschützt. Diese elektrische elektrischen Ladung Faradayschem Becher „ S c h i r m w i r k u n g " ist in vielen Fällen wichtig, ζ. B. um empfindliche elektrische Apparate vor elektrischen Störungen zu sichern. —· Die oben beschriebene Erscheinung, daß die in das Innere eines metallischen Hohlkörpers gebrachte Ladung bei Berührung vollständig auf die äußere Oberfläche des Körpers übergeht, so daß man den Ladungsträger ungeladen herausziehen kann, benutzt man beim Gebrauch des Becherelektrometers zum Messen elektrischer Ladungen. Zu diesem Zweck setzt man auf den Elektrometerkopf (Abb. 11) ein oben offenes Metallgefäß; die in das Gefäßinnere mit einer Probekugel eingeführte zu messende Elektrizitätsmenge geht dann v o l l s t ä n d i g auf das Elektroskop über. Die Wirksamkeit dieses sog. „ F a r a d a y s c h e n B e c h e r s " ersieht man sehr deutlich aus folgendem Versuch: Von zwei gleichen Becherelektroskopen Α und Β ist das eine (A) ungeladen, während das andere (B) eine Ladung besitzt. Versucht man die Ladung von Β nach Α mit Hilfe einer Probekugel in einzelnen Teilbeträgen zu überführen, so gelingt dies vollständig nur, wenn man die am Elektroskop Β geladene Probekugel jedesmal in den Becher von Α eintaucht. Berührt man dagegen mit der an Β geladenen Probekugel nur die Außenseite des Bechers A, so läßt sich Elektrizität nur so lange übertragen, bis Α ebenso stark aufgeladen ist wie B. Die an Β geladene Probekugel kann dann ihre Ladungen nicht mehr an Α abgeben. Beim Abtasten eines kugelförmigen Leiters mit der Probekugel fanden wir eine vollkommen gleichmäßige Verteilung der Elektrizität auf der Oberfläche der Kugel. Versteht man unter

4. Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität

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elektrischer Flächendichte die auf der Flächeneinheit vorhandene Elektrizitätsmenge (gemessen in einer noch zu definierenden Einheit), so kann man sagen: Die F l ä c h e n d i c h t e d e r E l e k t r i z i t ä t auf e i n e r K u g e l o b e r f l ä c h e i s t k o n s t a n t . Die auf einem Flächenelement dF sitzende Elektrizitätsmenge sei dq; dann ist die Flächendichte η da Für einen kugelförmigen Leiter vom Radius R, der die Ladung q trägt, ist nach dem Obigen η konstant; in diesem Falle ist η auch gleich dem Verhältnis der Gesamtladung q zur ganzen Oberfläche F= Απ R-; also (la)

Kugel

4π & Bei konstanter Ladung q ändert sich also die Flächendichte mit der Größe der Oberfläche des Leiters. Dies zeigt ζ. B. folgender Versuch: ( E l e k t r i s c h e s R o u l e a u , Abb. 12). Ein metallisiertes Papierband Β ist in mehreren Lagen um einen Metallzylinder Μ gewickelt, der an zwei Seidenschnüren Sl und S2 aufgehängt ist. Zieht man an dem Ende des freien Papierbandes mittels der Seidenschnur S3, so wickelt sich das Band vom Zylinder ab, wobei dieser an den Schnüren Sl und «S2 emporrollt. Beim Nachlassen des Zuges rollt sich das Band wieder auf den Zylinder auf. Man kann also beliebig die leitende Oberfläche der Anordnung vergrößern und verkleinern. Lädt man die Anordnung elektrisch auf, so kann man mittels Probekugel und Elektroskop die Elektrizitätsdichte bei aufgewickeltem oder abgerolltem Papierband untersuchen und findet, daß diese mit zunehmender Oberfläche a b n i m m t .

Abb. 12. Elektrisches Rouleau

Wir untersuchen die elektrische LadungsVerteilung an den verschiedenen Stellen der Oberfläche eines nichtkugelförmigen Leiters und geben diesem etwa die in Abb. 13 dargestellte Form. Wenn wir die Oberfläche mit einer Probekugel abtasten und die abgenommene Elektrizitätsmenge mit einem Becherelektroskop nach Abb. 11 messen, so finden wir, daß das Elektroskop den größten Ausschlag gibt, wenn wir die Ladung an der Stelle Α abnehmen; den kleinsten Abb. 13. Konduktor zur Untersuchung Ausschlag erhalten wir dagegen beim Abtasten des ebeder Oberflächenverteilung der Ladung nen Teiles etwa b e i ß . Die Ausschläge beim Abtasten an den Stellen C, D und 2? liegen zwischen den Werten von Α und B, und zwar nehmen sie von C nach Ε ab. Die Flächendichte der Elektrizität ist also auf einem solchen Konduktor an verschiedenen Stellen ganz verschieden. Sie ist am größten an der Spitze, am kleinsten auf dem ebenen Zylinderboden. Diese Stellen unterscheiden sich aber nur durch ihre Krümmung, und wir können daher sagen: D i e D i c h t e d e r E l e k t r i z i t ä t an d e n v e r s c h i e d e n e n S t e l l e n e i n e s L e i t e r s i s t u m so g r ö ß e r , j e k l e i n e r d e r K r ü m m u n g s r a d i u s d e r F l ä c h e an d e r b e t r e f f e n d e n S t e l l e ist. Verbindet man ζ. B. zwei Kugeln mit verschiedenem Durchmesser mittels eines dünnen Drahtes miteinander und lädt sie auf, so zeigt die kleine Kugel eine größere elektrische Flächendichte als die große, wie sich durch Abtasten mit einer Probekugel ergibt. Einen besonders kleinen Krümmungsradius haben S p i t z e n . Infolgedessen findet an Metallspitzen eine sehr starke Anhäufung von Elektrizität s t a t t ; dadurch kommt es zu einem Leitendwerden der vor der Spitze befindlichen Luft und zu einem Ausströmen der Elektrizität aus der Spitze. Näher können wir auf diesen komplizierten Vorgang erst in Kapitel VIII eingehen. Hier

10

I. Kapitel. Elektrostatik

stellen wir nur fest, daß dabei von der Spitze eine Luftströmung ausgeht, mit der sich ζ. B. eine Kerzenflamme ausblasen läßt. Das in Abb. 14 dargestellte Flugrad kommt bei elektrischer Aufladung in rasche Umdrehungen, da es durch den von den Spitzen ausgehenden „ e l e k t r i s c h e n W i n d " einen Kückstoß in der Pfeilrichtung erfährt. — Stellt man nach Abb. 15 eine mit einer Spitze versehene elektrisch geladene Kugel Α einer ungeladenen «· Kugel Β gegenüber, so wird letztere durch die aus der Spitze ausströmende Elektrizität aufgeladen; der Konduktor Α verliert dabei seine Ladung bis auf einen kleinen Rest. Die Ausströmung aus der Spitze hört nämlich auf, wenn die Dichte der Elektrizität an der Spitze unter einen bestimmten Grenzwert abgesunken ist. Um daher bei elektrischen Leitern, die Ladungen größerer Dichte aufnehmen sollen, Verluste durch Ausströmung zu vermeiden, rundet man alle Kanten und Ecken ab und vermeidet so jegliche Art von Spitzen.

Abb. 14. Elektrisches Flugrad

Abb. 15. Zur Wirkung einer elektrisch geladenen Spitze

Abb.16. Coulombsche Drehwaage

5. Coulomhsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge Als Kennzeichen des elektrischen Zustandes haben wir nur das Auftreten von Kraftwirkungen: Gleichnamige Elektrizitäten stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Diese Kraftwirkung soll jetzt quantitativ untersucht werden. Als erster hat Ch. C o u l o m b (1785) dies mittels der in Abb. 16 skizzierten Drehwaage getan. In einem Glasgefäß Α hängt an einem dünnen Metalldraht F ein waagerechtes Hartgummistäbchen, das an einem Ende eine kleine Metallkugel K t trägt, deren Gewicht durch ein am anderen Ende angebrachtes Gegengewicht ausgeglichen wird. Eine, zweite gleich große Kugel K2 läßt sich durch eine Öffnung im Deckel des Gefäßes an einem isolierten Stift einsetzen. Wird diese Kugel geladen und mit der Kugel K t in Berührung gebracht, so verteilt sich die elektrische Ladung aus Symmetriegründen auf die beiden gleich großen Kugeln zu gleichen Teilen, und es findet eine Abstoßung von K1 statt; durch eine Drehung am Torsionskopf Τ kann die Kugel Κ λ wieder in ihre Anfangsstellung gebracht werden. Aus dem Torsionswinkel, der dem Drehmoment des tordierten Fadens proportional ist, läßt sich die Größe der abstoßenden Kraft zwischen K1 und K2 für jede Entfernung ermitteln. Halbiert man die auf K2 sitzende Ladung, indem man K2 zunächst mit einer gleich großen ungeladenen Kugel in Berührung bringt und dann wieder in die Apparatur einsetzt, so kann man die Kraftwirkung Κ zwischen zwei Ladungen q1 und q2 ermitteln, deren Größen sich wie 1 : 2 verhalten usw. Auf diese Weise fand C o u l o m b das nach ihm benannte Gesetz: Die gegenseitige Kraftwirkung zwischen zwei elektrisch geladenen Körpern ist dem Produkt der beiden Elektrizitätsmengen, die auf den Körpern sitzen, direkt und dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional. Die Kraft hat die Richtung der Verbindungslinie der beiden Ladungen. Bezeichnen wir mit Κ den Betrag der Kraft zwischen den beiden Ladungen q1 und q2 und mit / eine Proportionalitätskonstante, so können wir schreiben: (2)

Λ· =

/ ^ .

Dabei bedeutet ein positiver Wort von K, d. h. gleiches Vorzeichen von ql und q2i eine abstoßende

5. Coulombsches Gesetz; E i n h e i t der E l e k t r i z i t ä t s m e n g e

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Kraft, während ein negativer K-Wert, d. h. entgegengesetztes Vorzeichen von q1 und q2, einer anziehenden Kraft entspricht. Das in Gl. (2) ausgesprochene Gesetz gilt nur unter gewissen Voraussetzungen: Erstens müssen sich die beiden Ladungen auf so kleinen Körpern befinden, daß ihre linearen Dimensionen gegenüber ihrem gegenseitigen Abstand verschwinden, mit anderen Worten: die Ladungen müssen als „punktförmig" betrachtet werden können. F e r n e r a b e r i s t d i e w i c h t i g s t e E i n s c h r ä n k u n g f ü r d i e G ü l t i g k e i t v o n (2) d i e , d a ß die L a d u n g e n sich im V a k u u m b e f i n d e n m ü s s e n . Freilich werden die praktischen Versuche stets im lufterfüllten Räume angestellt; dies bedingt, wie in Nr. 14 gezeigt wird, nur eine sehr geringe Abweichung gegenüber Versuchen im Vakuum, die schwierig anzustellen wären. Für die folgenden Erörterungen müssen wir also stets leeren (bzw. lufterfüllten) Raum voraussetzen; wie sich die Verhältnisse ändern, wenn die Ladungen sich in einem anderen isolierenden Medium befinden, werden wir in Nr. 14 erörtern. Die Abnahme der Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen mit dem Quadrat der Entfernung läßt sich bequemer mit der in Abb. 17 skizzierten Anordnung nachweisen. Eine leichte metallisierte Kugel hängt an einem langen Doppelfaden. Direkt daneben befindet sich eine gleich große zweite Kugel, die auf einem isolierten und verschiebbaren Stativ befestigt ist. Werden die beiden Kugeln gleichnamig geladen, so stoßen sie sich ab, und die frei aufgehängte Kugel bewegt sich um die Strecke a aus ihrer Ruhelage; es sei dann r ihre Entfernung von der festen Kugel, wenn unter r der Abstand der Mittelpunkte beider Kugeln verstanden wird. Der abstoßenden Kraft wird das Gleichgewicht von einer Komponente K ' der Schwerkraft gehalten. Ist m die Masse der Kugel und α der Ablenkungswinkel des Pendels aus der Ruhelage, so ist K' = mg sin α, und wenn die Pendellänge l hinreichend groß ist, läßt sich a

Abb. 17. Anordnung z u m Beweis des Coulombschen Gesetzes

a

sin α = — setzen, so daß Κ = Κ' = mg -- ist; damit ist die abstoßende Kraft Κ proportional der Ablenkung a. Verschiebt man die feste Kugel nach links um solche Beträge, daß die Entfernung zwischen ihr und der beweglichen Kugel 2r, 3r, 4r usw. wird, so geht die Größe a, d. h. die Entfernung der beweglichen Kugel von ihrer Ruhelage und damit auch die Kraftwirkung Κ auf 7»> Vie u s w - des ursprünglichen Wertes α zurück. Das Coulombsche Entfernungsgesetz

läßt sich mit A b b . 18. r2 aller Strenge a u c h aus der in Nr. 4 e x p e r i m e n t e l l g e f u n - Zum Beweis des Coulombschen Gesetzes d e n e n T a t s a c h e herleiten, daß im Inneren eines elektrisch g e l a d e n e n Hohlleiters keinerlei elektrische K r a f t w i r k l i n g e n n a c h z u w e i s e n sind, worauf zuerst G a u ß hing e w i e s e n hat. Der E i n f a c h h e i t halber n e h m e n wir den Leiter in F o r m einer H o h l k u g e l a n , deren Oberfläche eine g l e i c h m ä ß i g e E l e k t r i z i t ä t s d i c h t e η trägt. Im Inneren der Kugel b e f i n d e t sich e t w a i m P u n k t e Ρ ( A b b . 18) eine L a d u n g q. Wir ziehen durch Ρ die V e r b i n d u n g s l i n i e n zu der B e g r e n z u n g eines beliebig a u s g e w ä h l t e n F l ä c h e n e l e m e n t e s dFl auf der Kugel und verlängern diese Geraden über Ρ hinaus, so d a ß sie auf der g e g e n ü b e r l i e g e n d e n Seite das F l ä c h e n e l e m e n t dF2 aus der Kugel ausschneiden. Es e n t s t e h t so ein D o p p e l k e g e l m i t den Grundflächen dt\ und dF2 u n d der g e m e i n s a m e n Spitze in P. Die A b s t ä n d e von dh\ u n d dF2 v o n Ρ seien r, u n d r2 u n d der g e m e i n s a m e räumliche W i n k e l , u n t e r d e m die Grundf l ä c h e n v o n Ρ a u s erscheinen, sei ω . D i e m e c h a n i s c h e K r a f t , die v o n der auf dFl s i t z e n d e n L a d u n g auf die L a d u n g im P u n k t e Ρ wirkt, sei f

q-iidFl

und e b e n s o sei die v o n der L a d u n g v o n dFt auf q

12 wirkende Kraft f

I. Kapitel. Elektrostatik q · TjdF2 —-, indem wir die Potenz von r noch als unbestimmt mit χ bezeichnen; beide r,

Kräfte sind entgegengesetzt gerichtet und müssen sich, da im Inneren der Kugel keinerlei elektrische Kraftwirkung nachweisbar ist, zu Null ergänzen, d. h. es muß

sein. Nun ist aber

= ο

w dFx = r, 2ω

und

d f \ = τ22ω,

so daß wir schreiben können f i n o Q l - · ^ ) ^ o. Dies ist aber nur möglich, wenn χ = 2 ist, was zu beweisen war. In Gl. (2) für das Coulombsche Gesetz t r i t t ein unbekannter Proportionalitätsfaktor / auf. Wäre er bekannt, so könnten wir mit Hilfe von (2) elektrische Ladungen messen. Denn wenn wir zwei gleiche Ladungen ql = qs = q nehmen, so folgt aus (2) für diese Ladungen: (2 a)

q=r

VT-

Es ist aber auf keine Weise möglich, / zu bestimmen 1 ), und es bleibt daher nichts anderes übrig, als es willkürlich festzusetzen, um auf diese Weise zu einem Maß für q zu kommen. Nach dem Vorgange von Gauß nehmen wir / dimensionslos und gleich 1 an. Dann lautet das Coulombsche Gesetz: (2b)

*

=

und Gl. (2 a) geht über in (2c)

3=r]/tf.

D i e M e s s u n g e i n e r E l e k t r i z i t ä t s m e n g e i s t d a m i t z u r ü c k g e f ü h r t auf d i e M e s s u n g e i n e r K r a f t u n d e i n e r L ä n g e , d. h. a u f b e r e i t s a u s d e r M e c h a n i k b e k a n n t e G r ö ß e n . Damit haben wir auch die Einheit der Elektrizitätsmenge gewonnen. Denn für r = 1 und Κ = 1 wird auch q = 1. Wir können also sagen: Die Einheit der Elektrizitätsmenge ist diejenige Elektrizitätsmenge, die auf eine, gleich große im Abstand von 1 cm befindliehe die Kraft von 1 Dyn ausübt. D i e s e E i n h e i t w i r d a l s d i e absolute elektrostatische Einheit der Ladung b e z e i c h n e t . Die D i m e n s i o n d e r E l e k t r i z i t ä t s m e n g e finden wir aus Gl. (2c); es ergibt sich: [?] = [r j/χ] = [m'l' l'l> Γ1] bzw. im absoluten Maßsystem [ ? ] = [g'^'cm'l' sec" 1 ]. Von dieser Einheit, die keinen besonderen Namen führt, lassen sich die Einheiten aller anderen elektrischen Größen ableiten, die damit sämtlich auf die mechanischen Grundeinheiten Masse, Länge, Zeit zurückgeführt sind. M a n n e n n t d a s d u r c h d i e G a u ß s c h e F e s t s e t z u n g : „ / dimensionslos und gleich 1" c h a r a k t e r i s i e r t e M a ß s y s t e m das e l e k t r o s t a t i s c h e . Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Einführung dieses Maßsystems natürlich vollkommen willkürlich ist; es stellt nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten dar und hat den Vorteil, daß die Formeln übersichtlich und einfach werden. Wir werden später noch ein anderes Maßsystem kennenlernen, bei dem f = c2 ist, wobei c die Dimension einer Geschwindigkeit vom Betrag 3 · 1010cm/sec besitzt. Μ Im Newtonschen Gravitationsgesetz (Band I, S. 101 Gl. 79) ist dies anders: Die Gravitationskonstante ist vollkommen bestimmt, weil die Masse von vornherein als Grundeinheit eingeführt ist, während Gl. (2) hier die Elektrizitätsmengen erst definiert.

G. Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer Kraftfluß

13

Da die elektrostatische Einheit der Elektrizitätsmenge für fast alle praktischen und besonders technischen Zwecke einen zu kleinen Wert darstellt, hat man als größere Einheit das ( a b s o l u t e ) Coulomb (C) gewählt. Es ist (3)

1 Cats — 3 · 10® g'l> cm1/« sec" 1 = 3 · 10» elektrost. Ladungseinheiten.

Von der Größe eines Coulomb bekommt man einen anschaulichen Begriff, wenn man nach dem Coulombschen Gesetz die Kraft berechnet, die zwei elektrische Ladungen von je 1 Coulomb in einer Entfernung von 1 km aufeinander ausüben. Man erhält dafür den ungeheuren W e r t : Κ = —

, β

'- 3 '

d V n = 9 · 10 8 dyn ~ 900 k p !

(10 s ) 2

Die kleinste in der Natur vorkommende Elektrizitätsmenge, das sog. elektrische Elementarquantum, ist die Ladung eines Elektrons, worauf wir bereits auf S. 6 hinwiesen. Sie beträgt e = 4,806 · 10" 10