Lehrbuch der Experimentalphysik: Band 2 Elektrizitätslehre
 9783111441887, 9783111075600

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L. Bergmann

CI. Schaefer

Lehrbuch der Experimentalphysik Band II

LEHRBUCH DER EXPERIMENTALPHYSIK ZUM G E B R A U C H B E I A K A D E M I S C H E N V O R L E S U N G E N U N D ZUM S E L B S T S T U D I U M

Von Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. h. c. L. Bergmann f

Prof. Dr. phil. Dr. rer. nat. h. c. Cl. Schaefer

Universität Gießen u. Leitz-Werke Wetzlar

Universität Köln

II. Band

Elektrizitätelehre Mit 681 Abbildungen 5., durchgesehene und verbesserte Auflage

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

& C 0 .

vorm. G. J . Göschen'sche Verlagshandlung · J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp. B E R L I N 1966

© Copyright 1955, 1958. 1961, 1865 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13. — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten — Archiv-Nr. 52 79 651 — Printed in Germany — Druck: Graphische Kunstdruckerei August Raabc, Berlin-Neukölln.

Vorwort zur ersten Auflage Nach dem Erscheinen der ersten Auflage von Band I begannen wir mit der Arbeit am zweiten Bande. Sie war bis Januar 1945 schon ziemlich weit vorgeschritten, als die Katastrophe uns auseinanderriß. Erst im Jahre 1946 fanden wir wieder Verbindung zueinander und konnten die gemeinsame Arbeit wieder aufnehmen; natürlich war sie außerordentlich erschwert durch die räumliche Trennung und dadurch, daß wir neue Wirkungskreise übernehmen mußten. Erst jetzt ist es uns daher möglich, den zweiten Band, die Elektrizitätslehre enthaltend, vorzulegen. Er ist nach den gleichen Grundsätzen abgefaßt wie der erste Band, so daß darüber nichts weiter gesagt zu werden braucht. Nur ein Wort über das benutzte Maßsystem ist erforderlich: Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschlossen, das Gaußsche Maßsystem beizubehalten; dies hat zur Folge, daß in allen elektrodynamischen Gleichungen der Faktor c, die Lichtgeschwindigkeit, auftritt. Wir halten dies aus didaktischen Gründen für wünschenswert. Im übrigen hat W. Kossei kürzlich in einer kleinen Schrift: .„Zur Darstellung der Elektrizitätslehre" mit einleuchtenden Gründen dargetan, daß es unzweckmäßig wäre, das sogenannte „praktische" Maßsystem in der Physik allgemein einzuführen. Wetzlar und Köln, im Herbst 1950

Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur zweiten Auflage Nachdem die erste Auflage vergriffen war, haben wir uns die Frage vorgelegt, ob und was an unserer grundsätzlichen Einstellung etwa zu ändern wäre; wir haben aber dazu keine Veranlassung gesehen. Die vorliegende zweite Auflage unterscheidet sich daher nur wenig von der ersten; einige nicht ganz klare oder schiefe Formulierungen wurden beseitigt und durch bessere ersetzt, der raschen Entwicklung der Halbleiterforschung wurde durch Umarbeitung und Erweiterung der betreffenden Abschnitte soweit Rechnung getragen, wie es im Rahmen dieses Werkes möglich war. Allen Fachgenossen, die durch wohlwollende Kritik ihr Interesse an unserm Buche bezeugt haben, danken wir herzlich und möchten wünschen, daß auch die neue Auflage ihren Beifall finde. Wetzlar und Köln, im September 195δ

Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur dritten Auflage Unter Beibehaltung unserer grundsätzlichen Einstellung ist die vorliegende dritte Auflage sorgfältig durchgesehen und von uns bekannt gewordenen Versehen befreit worden. Gleichzeitig ist den wichtigsten Fortschritten Rechnung getragen worden, soweit dies ohne Überschreitung des Umfanges möglich war. Auch diesmal haben wir nicht nur vielen Kollegen, sondern auch manchen Kommilitonen für Kritik und Hinweise zu danken. Wetzlar und Köln, im April 1958

Ludwig Bergmann

Clemens Schaefer

Vorwort zur vierten Auflage Nach dem plötzlichen Tode von Ludwig Bergmann fiel mir allein die Aufgabe zu, die 4. Auflage vorzubereiten. An der grundsätzlichen Haltung des Bandes fand ich nichts zu ändern. Dagegen sind im einzelnen manche Änderungen vorgenommen worden, die hoffentlich als Verbesserungen empfunden werden. Zu ihnen wurde ich angeregt durch die freiwillige Mitarbeit zahlreicher Benutzer des Buches; unter ihnen befanden sich nicht nur Kollegen von Hochschulen und höheren Schulen, sondern erfreulicher Weise auch interessierte und für Physik begeisterte Kommilitonen. — Sie haben auf manche Druckfehler, kleinere Versehen, unklare Formulierungen, die uns entgangen oder nicht zum Bewußtsein gekommen waren, aufmerksam gemacht. Sie werden feststellen können, daß ich ihren Anregungen und ihrer Kritik fast überall gefolgt bin. Zahlreiche kleine Zusätze sind eingefügt worden, um den wichtigsten Fortschritten gerecht zu werden, soweit der Umfang es gestattete; in einem Falle schien mir aber eine größere Einschiebung (über die Supraleitung) notwendig, weil m. E. die bisherige Darstellung diesem Gebiete der Tieftemperaturphysik nicht entsprach. Ich bin sicher, daß auch Bergmann dem zugestimmt hätte, muß aber natürlich die Verantwortung auf mich nehmen. Allen Helfern sage ich herzlichen Dank, in den ich auch den Herrn Verleger einschließen möchte, der allen — nicht immer bequemen — Wünschen entsprochen hat. Köln, im April 1961

Clemens Schaefer

Vorwort zur fünften Auflage. Die vierte Auflage (1961) ist über Erwarten rasch vergriffen worden; bei der Herstellung der fünften Auflage hat mich — wie bei der Neuauflage des I. Bandes — Herr Dipl.-Physiker Andreas Schlachetzki hingebend und selbständig unterstützt; ihm danke ich u. a. für die Bearbeitung einiger wichtiger Erweiterungen der bisherigen Darstellung. Zahlreiche Änderungsvorschläge sind uns freundlicher Weise von Kollegen, von denen ich namentlich die Herren Jaumann, Hecht (Köln), Nassenstein, Zygan (Leverkusen) erwähne, gemacht worden; sie sind in jedem Falle sorgfältig geprüft, und wenn möglich, berücksichtigt worden. Im Übrigen bestand keine Veranlassung, die grundsätzliche Anlage und Haltung des Bandes zu ändern. Köln, im Oktober 1965

Clemens

Schaefer

Inhaltsübersicht I. Kapitel. Elektrostatik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 16. 16. 17. 18.

Die Grunderscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen; Fluidumhypothese Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter; Dichte der Elektrizität Coulombsches Gesetz; Einheit der Elektrizitätsmenge Das elektrische Feld; elektrische Kraftlinien; elektrischer KraftfluB; Gaußscher Satz . . . . . . . Das Potential Kapazität Influenz Anwendungen der Influenz; Doppelplatte, Potentialsonden, Elektrophor Anwendungen der Influenz; Kondensatoren Das elektrostatische Feld in einem Dielektrikum Polarisation der Dielektrika Die elektrische Energie; Kraftwirkungen im elektrostatischen Felde Die elektrostatischen Generatoren Piezo- und Pyroelektrizität Kontaktelektrizität Das elektrische Feld der Erde

1 3 6 7 10 13 18 26 27 30 33 41 50 61 68 71 76 86

II. Kapitel. Magnetostatik 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Grundtatsachen; Analogien und Differenzen zur Elektrostatik 90 Coulombsches Gesetz; magnetische Feldstärke 93 Kraftlinien; Kraftfluß; magnetisches Potential 96 Magnetstab im homogenen Magnetfeld; Messung der Feldstärke und des magnetischen Momentes 100 Magnetisches Feld der Erde 103 Einfluß der Materie auf die magnetischen Erscheinungen; para-, dia- und ferromagnetische Stoffe; magnetische Induktion, Magnetisierung 107 III. Kapitel. Stationäre elektrische Ströme

26. Begriff des elektrischen Stromes; Stromstärke; Stromdichte 122 26. Ohmsches Gesetz 125 27. Anwendungen des Ohmschen Gesetzes; Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen; Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke 141 28. Stromarbeit; Stromwärme; Joulesches Gesetz; Peltier-Effekt; chemische Umsetzungen 149 29. Thermoelektrizität; Peltier-und Thomson-Effekt 156 IV. Kapitel. Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme 30. 31. 32. 33. 34. 36. 36. 37. 38. 39.

Das elektrische Feld stationärer Ströme Oerstedscher Versuch; Magnetfeld eines geradlinigen Stromleiters Biot-Savartsches Elementargesetz Äquivalenz von Strömen und Magneten; Ampferes Molekularströme Die verschiedenen Maßsysteme der Elektrodynamik und ihre Beziehungen zueinander Magnetfeld von Spulen; Elektromagnete Die Eigenschaften der ferromagnetischen Stoffe Bewegung eines Stromleiters im Magnetfeld Wirkung von Strömen aufeinander Der Verschiebungsstrom; Hauptgleichung des Elektromagnetismus

164 167 177 183 187 191 207 216 224 230

VIII

Inhaltsübersicht V. Kapitel. Induktion

40. Grundtatsachen 41. Quantitative Fassung des Induktionsgesetzes 42. Einfache Anwendungen der Induktion; Erdinduktor; Messung magnetischer Felder; Messung der Permeabilität; magnetischer Spannungsmesser; Wechselspannungen; Wirbelströme; Theorie des Diamagnetismus 43. Gegenseitige Induktion und Selbstinduktion; Anwendungen 44. Allgemeines über Wechselströme 46. Wechselstromkreis mit Ohmschem Widerstand, Selbstinduktion und Kapazität 46. Mehrphasenströme, magnetische Drehfelder 47. Transformatoren 48. Die elektrischen Maschinen 49. Die Maxwellschen Gleichungen

234 239

244 252 263 270 286 290 296 311

VI. Kapitel. Elektrische Schwingungen und Wellen 50. 51. 52. 63. 54.

Freie elektrische Schwingungen Erzeugung gedämpfter Schwingungen mittels der Funkenmethode Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen Erzwungene Schwingungen; Koppelungsschwingungen Ausbreitung elektrischer Wellen längs Leitungen; Lecher-System; Telegraphen- und Wellengleichung 55. Elektromagnetische Raumwellen im Dielektrikum; offener Schwingungskreis; elektrischer Dipol und sein Strahlungsfeld; Hertzsche Versuche 66. Wesensgleichheit der elektromagnetischen Wellen mit den Lichtwellen; das elektromagnetische Spektrum 57. Anwendung der elektrischen Wellen in der drahtlosen Nachrichtenübermittlung; Ausbreitung der Wellen um die Erde

314 320 325 330 340 362 372 377

VII. Kapitel. Elektrolyse 58. 59. 60. 61. 62. 63.

Grundtatsachen; Mechanismus der Elektrolyse Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse Die Leitfähigkeit der Elektrolyte; Überführungszahlen und Beweglichkeit von Ionen Umwandlung chemischer Energie in elektrische; Theorie der galvanischen Elemente Elektrolytischc Polarisation; sekundäre Elemente (Akkumulatoren) Die praktischen Anwendungen der Elektrolyse

383 389 395 407 413 419

VIII. Kapitel. Gasentladungen 64. 66. 66. 67. 68. 69. 70.

Das Leitvermögen der Gase; allgemeine Erörterungen 424 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken 428 Unselbständige Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 433 Die Natur der Elektrizitätsträger im Hochvakuum 437 Anwendungen der unselbständigen Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 446 Die selbständige Stromleitung in Gasen bei niedrigem Druck 460 Die selbständige Elektrizitätsleitung in Gasen bei hohem Druck; Spitzen- und Büschclentladung, Funken, Lichtbogen 466 IX. Kapitel. Stromleitung in festen Körpern

71. 72. 73. 74. 76. 76. 77. 78.

Die metallische Leitung Die elektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern Technische Anwendung von Halbleitern: Sperrschichtgleichrichter: Transistoren Die lichtelektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern Die Supraleitfähigkeit Ferromagnetismus Antiferromagnetismus und Femmagnetismus Ferroelektrizität Namenregister Sachregister

477 488 493 497 500 506 616 622 524 626

I. K a p i t e l

Elektrostatik 1. Die Grunderscheinungen bei der Elektrisierung durch Reibung Wenn man einen Hartgummistab mit einem wollenen Lappen oder einem Fell reibt und den geriebenen S t a b kleinen leichten Körpern (Papierschnitzeln, Korkstückchen usw.) nähert, so beobachtet iftarr, daß diese Körper von dem Hartgummistab angezogen werden. E s hat sich also der Zustand des Hartgummistabes derart verändert, daß von seiner Oberfläche Kraftwirkungen ausgehen. Bereits im Altertum hat (angeblich) T h a i e s v o n M i l e t eine solche Beobachtung an geriebenem Bernstein gemacht; da der griechische Name von Bernstein ή λ ε κ τ ρ ο ν ist, spricht man von einer „ E l e k t r i s i e r u n g " oder dem „ e l e k t r i s c h e n Z u s t a n d e " oder der „ e l e k t r i s c h e n L a d u n g " des geriebenen Körpers und bezeichnet das ganze Gebiet als „Elektrizitätslehre". Wenn man alle möglichen Körper in dieser Weise behandelt, so findet man, daß sie nach ihrem Verhalten in zwei Klassen gesondert werden können. Die erste Klasse ist dadurch charakterisiert, daß es keiner besonderen Vorsichtsmaßregeln bedarf, um die Körper in den „elektrischen" Zustand zu versetzen. Man kann die dieser Gruppe angehörigen Stoffe ζ. B . einfach dadurch „elektrisieren", daß man sie in die Hände nimmt und aneinander reibt. Auch können sie dabei in direkter Verbindung mit der Erde sein. Zu den Stoffen dieser ersten Gruppe gehören Schwefel, alle Harze (Bernstein, Schellack, Siegellack), Hartgummi, Paraffin, Glas, Glimmer, Seide, trockenes Papier usw. Zu der zweiten Klasse von Substanzen, die durch die beschriebene primitive Behandlungsart nicht „elektrisch" werden, gehören in erster Linie die Metalle, ferner Kohle, der menschliche Körper, feuchtes Holz usw. E s hat lange Zeit gedauert, bis man die Bedingungen erkannte, unter denen diese letzteren Stoffe, z . B . die Metalle, überhaupt „elektrisch" werden können. G r a y fand im J a h r e 1727, daß sie weder mit dem menschlichen Körper noch mit der Erde in direkter Verbindung sein dürfen, sondern von ihnen durch Stoffe der ersten Gruppe getrennt sein müssen. Will man also einen Metallstab durch Reiben mit einem Seidenlappen „elektrisieren", so muß man den Metallstab mit einem Handgriff aus Glas oder Hartgummi versehen. Auf diese Weise vermeidet man eine direkte oder durch den menschlichen Körper vermittelte Berührung mit der E r d e ; man muß daraus schließen, daß eine solche den elektrischen Zustand des Metallstabes vernichtet. Letzteres geschieht allerdings auch bei den Körpern der ersten Gruppe, aber mit einem sehr wesentlichen Unterschiede. Ein Metall braucht nur an einer einzigen Stelle direkt oder indirekt mit der Erde in Kontakt gebracht zu werden, um sofort in seiner ganzen Ausdehnung unelektrisch zu werden; dagegen verlieren die Stoffe der ersten Gruppe ihren elektrischen Zustand nur an den Stellen, die mit der Erde in Berührung sind, während er ihnen an den anderen, wenn auch dicht benachbarten Stellen erhalten bleibt. Im engsten Zusammenhang damit steht ferner die Tatsache, daß Metalle, wenn sie unter den oben angeführten Vorsichtsmaßregeln auch nur an einer Stelle gerieben werden, sofort in ihrer ganzen Ausdehnung elektrisch werden, während ein der ersten Gruppe zugehöriger Körper nur an den geriebenen Stellen die Fähigkeit erlangt, andere leichte Körperchen anzuziehen. Man drückt diesen Sachverhalt am einfachsten dadurch aus, daß man den Körpern zweiter Klasse, insbesondere den Metallen, die Eigenschaft zuschreibt, den durch Reiben erzeugten elektrischen Zustand von den geriebenen Stellen zu allen anderen Punkten des betreffenden Körpers „ f o r t z u l e i t e n " , während man den Körpern erster Klasse diese Fähigkeit abspricht. Letztere heißen deshalb Nichtleiter oder Isolatoren, die Körper der zweiten Klasse Leiter des elektrischen Zustande*. D a der menschliche Körper zu den Leitern gehört, ist es klar, weshalb ein Metall auch gegen diesen 1 Experimentalphysik II

2

I. Kapitel. Elektrostatik

vermittels eines Nichtleiters „isoliert" sein muß; die auf dem Metall durch Reibung erzeugte Elektrizität würde durch den menschlichen Körper zur Erde abgeleitet und damit der geriebene Leiter wieder unelektrisch werden. Verbindet man anderseits einen auf einem isolierenden Glasstativ aufgestellten ungeriebenen Metallkörper, von dem also keinerlei Kraftwirkungen ausgehen, durch einen Metalldraht etwa mit einer geriebenen Glasstange, so zeigt der Metallkörper in seiner ganzen Ausdehnung Elektrisierung, d. h. es werden dann von allen Stellen seiner Oberfläche leichte Körperchen angezogen. Wir haben also die Möglichkeit, den elektrischen Zustand sowohl mittels eines Leiters zu übertragen oder sein Abfließen zur Erde durch einen Isolator zu verhindern. Zwischen Leitern und Nichtleitern gibt es in Wirklichkeit keine strenge Grenze, es bestehen vielmehr alle Arten von Zwischenstufen, von den besten bis zu den schlechtesten Leitern. Als gute Leiter des elektrischen Zustandes gelten die Metalle, ferner Kohle, Wasser, Säure- und Salzlösungen, der menschliche Körper sowie stark erhitzte Gase; weniger gut leiten Holz, Marmor, Papier, Stroh, Alkohol; Nichtleiter sind u.a. Glas1), Quarz, Porzellan, Hartgummi, Harze, Schwefel, Bernstein, Seide, öle, Luft, Wasserdampf und andere Gase. Daß Luft die Elektrizität nicht leitet, ist ja geradezu die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt möglich ist, einen etwa durch Reiben eines Glasoder Hartgummistabes erzeugten elektrischen Zustand zu beobachten. Wäre die Luft nämlich ein Leiter, so würde der soeben erzeugte elektrische Zustand sofort wieder abgeleitet werden und sich der Wahrnehmung entziehen. Stark erhitzte Luft oder Flammengase leiten dagegen gut, was sich z. B. dadurch zeigen läßt, daß man einen geriebenen Hartgummistab durch eine Bunsenflamme zieht oder in einen heißen Luftstrom bringt: er wird sofort unelektrisch. Praktisch macht man beim Experimentieren von der Leitfähigkeit erhitzter Gase Gebrauch, um unerwünschte Elektrisierung von Isolatoren zu beseitigen. Wir haben bisher den elektrischen Zustand geriebener Körper nachgewiesen durch die Beobachtung der Kraftwirkungen auf leichte Papierschnitzelchen usw. Wir wollen von jetzt ab die Kraftwirkungen zwischen den geriebenen Körpern selbst untersuchen, hängen einen geriebenen Hartgummistab waagerecht auf (Abb. 1) und nähern einem seiner Enden einen auf gleiche Weise geriebenen zweiten Hartgummistab; beide Stäbe befinden sich also nach dem Gesagten im „elektrischen Zustande". Wir beobachten eine kräftige Abstoßung der einander genäherten Stabenden. Nähern wir aber dem aufgehängten Hartgummistab einen geriebenen, d. h. ebenfalls elekAbb. 1. Drehbar aufgehängter irisierten Glasstab, so findet eine starke Anziehung statt, Hartgummistab während schließlich zwei auf gleiche Weise geriebene Glasstäbe, von denen wir den einen freibeweglich aufhängen, sich gegenseitig ebenso abstoßen wie die beiden geriebenen Hartgummistäbe. Dies führt zu der Auffassung, daß es zwei verschiedene, einander polar entgegengesetzte elektrische Zustände gibt, die man früher als den „ h a r z e l e k t r i s c h e n " und „ g l a s e l e k t r i s c h e n " bezeichnete (Du f a y , 1734). Dann können wir die oben angeführte Beobachtung folgendermaßen aussprechen: Gleichartig elektrisierte Körper stoßen sich ab, ungleichartig elektrisierte ziehen sich an.

Da der Vorgang der Reibung ein wechselseitiger ist, wird nicht nur der geriebene Körper, sondern auch das „Reibzeug" elektrisch. Nähert man einem nach Abb. 1 aufgehängten geriebeneu Glasstab das zum Reiben benutzte Stück Seide, so wird der Glasstab angezogen, während von dem gleichen Stück Seide ein mit einem Wollappen geriebener Hartgummistab abgestoßen wird. Aus diesem Versuch folgt, daß zwei verschiedene aneinander geriebene Körper stets beide und zwar ungleichartig elektrisch werden. Wir werden später zeigen (S. δ), daß die elektrischen Zustände aneinander geriebener Körper auch gleich stark sind, daß daher ihre gemeinsame Kraftwirkung sich nach außen aufhebt. Die Polarität der beiden elektrischen Zustände ist also die analoge, wie 1 ) Dies gilt allerdings nicht von allen Glassorten. Gläser bestimmter Zusammensetzung können die Elektrizität leiten. Außerdem kommt es häufig vor, daß infolge von Hygroskopie sich auf der Glasoberfläche eine Wasserhaut bildet, die die Elektrizitätsleitung übernimmt. Dies kann man verhindern, indem man die Glasoberfläche mit einem Schellacküberzug versieht.

2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes

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zwischen den positiven und negativen Zahlen; dies hat dann dazu geführt, daß man (willkürlich) den einen, und zwar den glaselektrischen als positiven, den harzelektrischen als negativen elektrischen Zustand bezeichnet, und kurz von positiver und negativer Elektrisierung oder Ladung spricht. Ob ein bestimmter Körper durch Reiben positiv oder negativ elektrisch wird, hängt von dem Partner ab, mit dem er gerieben wird. Z. B. wird Glas positiv elektrisch beim Reiben mit Seide oder einem amalgamierten Lederlappen, dagegen negativ elektrisch beim Reiben mit Pelzwerk oder Wolle; Hartgummi wird an Wolle oder Pelzwerk gerieben stets negativ, an Papier gerieben aber meist positiv. Übrigens kommt es nicht nur auf die stoffliche Natur des Körpers, sondern auch auf seine Oberflächenbeschaffenheit an. Schleift man die Hälfte eines polierten Glasstabes matt, so wird dieses Ende beim Reiben mit Wolle negativ elektrisch, während die polierte Hälfte mit dem gleichen Reibzeug positiv elektrisch wird.

Daß auch pulverförmige Stoffe durch Reiben elektrisch werden, zeigt folgender Versuch: Zerstäubt man ein Gemisch aus gleichen Teilen Mennige und Schwefelpulver durch ein Stück Gaze hindurch, so wird Schwefel negativ, Mennige positiv elektrisch. Läßt man das Gemisch auf zwei nebeneinander liegende geriebene Stäbe aus Glas und Hartgummi fallen, so bleibt der gelbe Schwefel am Glas, die rote Mennige am Hartgummi haften (siehe hierzu S. 72). Es werden ferner nicht nur feste Stoffe elektrisch, sondern auch Flüssigkeiten, worauf wir in Nr. 3 zurückkommen. Hier sei nur folgender einfacher Versuch genannt: Schüttelt man in einer evakuierten Glasröhre Quecksilber, so bemerkt man im Dunkeln ein intensives Leuchten der Röhre, dessen Ursache, wie wir später zeigen werden, auf dem Auftreten von elektrischen Zuständen entgegengesetzten Vorzeichens zwischen Quecksilber und Glas beruht. Dagegen lassen sich Gase durch Reibung nicht elektrisieren; den Grund hierfür können wir erst später in Kap. 8 angeben. 2. Die einfachsten Apparate zum Nachweis des elektrischen Zustandes Da der Mensch kein Organ zum Erkennen des elektrischen Zustandes besitzt, sind besondere Apparate dazu erforderlich, die man Elektroskope nennt; sie beruhen auf den oben beschriebenen Kraftwirkungen. Die einfachste Ausführung ist das e l e k t r i s c h e D o p p e l p e n d e l (Abb. 2). Zwei kleine, möglichst leichte, mit einem dünnen Metallüberzug versehene Kügelchen sind an dünnen Leinenfäden oder mit sehr dünnen Drähten an einem Metallbügel aufgehängt, der am oberen Ende eines isolierenden Stativs befestigt ist. Wird der Metallbügel elektrisch geladen, so teilt sich der elektrische Zustand den beiden Kügelchen mit, und diese stoßen sich infolge der Gleichnamigkeit ab (in Abb. 2 gestrichelt gezeichnet). Diese Abstoßung ist um so größer, je stärker der mitgeteilte elektrische Zustand ist. Eine empfindlichere Anordnung ist das B l ä t t c h e n - E l e k t r o s k o p nach A. B e n n e t , 1786(Abb. 3). Im Innern eines meist zylindrischen auf beiden Seiten durch Glasscheiben abgedeckten Metallgehäuses hängen an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange zwei schmale Blättchen aus Blattgold oder Aluminiumfolie; die Metallstange Abb. 2. Abb. 3. trägt meistens oben eine Kugel (oder Elektrisches Doppelpendel Blättchen-Elektroskop Platte). Wird die Kugel mit einem elektrischen Körper berührt, so geht ein Teil seines elektrischen Zustandes auf Kugel, Stange und Blättchen über, und letztere divergieren um so mehr, je kräftiger der elektrische Zustand des herangebrachten Körpers ist. Häufig ist unterhalb der Blättchen eine Skala angebracht, auf 1*

I. Kapitel. Elektrostatik

4

der sich die Größe des Ausschlages der B l ä t t c h e n ablesen l ä ß t ; dadurch wird das I n s t r u m e n t zum E l e k t r o m e t e r . S t a t t zweier beweglicher Leiter benutzt man vielfach nur einen beweglichen Leiter, der von einem festen abgestoßen wird. B e i dem B r a u n s c h e n E l e k t r o m e t e r (Abb. 4) wird ein leichter in Spitzen gelagerter Aluminiumanzeiger von einem vertikalen festen Leiter abgestoßen, wenn diesem eine elektrische Ladung zugeführt wird ( F . B r a u n , 1891). Ein sehr empfindliches E l e k t r o m e t e r ist das W u 1 f s c h e Ζ w e i f a d e η e 1 e k t r ο m e t e r (Th. W u 1 f , 1 9 0 7 ) , dessen Aufbau aus der schematischen Abb. 5 hervorgeht. Durch die D e c k p l a t t e eines

Abb. 4. Braunsches Elektrometer

Abb. S. Zweifadenelektrometer nach Wulf

c

ν (F. (Ει

κ \ εE2Λ

Abb. 6. Bohnenbergersches Elektroskop

Metallgehäuses Α ist, mittels Bernstein isoliert, ein Metallstift Ε geführt, der an seinem oberen E n d e die Anschlußklemme K i trägt, und von dessen unterem E n d e zwei sehr dünne D r ä h t e von e t w a 4 μ Durchmesser und etwa 8 c m L ä n g e herabhängen. Die beiden D r ä h t e sind m i t ihren unteren E n d e n an einem elastischen Quarzbügel Q befestigt, durch den sie schwach gespannt werden. F ü h r t man den F ä d e n Flt F2 über die K l e m m e Κλ eine elektrische Ladung zu, so spreizen sie sich auseinander (gestrichelte L a g e in A b b . 5). I h r gegenseitiger A b s t a n d kann in der F a d e n m i t t e , wo er am größten ist, m i t Hilfe eines Mikroskops m i t Okularmikrometer sehr genau gemessen werden. D a m i t die F ä d e n beim Auseinandergehen in der Bildebene des Mikroskops bleiben, sind beiderseits in der Fadenebene zwei Schneiden S1 und S2 angebracht, die m i t dem über K l e m m e K2 zu erdenden Gehäuse leitend verbunden sind und somit die geladenen F ä d e n anziehen. Die bisher beschriebenen Instrumente zeigen zwar das Vorhandensein und die S t ä r k e eines elektrischen Zustandes an, liefern aber nicht sein Vorzeichen. Letzteres leistet z . B . das B o h n e n b e r g e r s c h e E l e k t r o s k o p (Abb. 6). Zwischen zwei P l a t t e n (sog. Elektroden) E1 und E2 hängt an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange S ein einzelnes schmales Aluminiumblättchen. Die beiden Elektroden Et und E2 sind durch eine besondere, meist im Gerät eingebaute Elektrizitätsquelle (ζ. B . Zambonisäule, siehe S. 8 5 ) dauernd, die eine positiv, die andere negativ, geladen. Infolgedessen wird das Aluminiumblättchen bei positiver Aufladung von der einen Elektrode abgestoßen und von der anderen angezogen; bei negativer Aufladung führt es den entgegengesetzten Ausschlag aus, so daß die Eichtling des Ausschlages einen Schluß auf das Vorzeichen der Ladung

3. Gleichheit der positiven und negativen durch Reibung erzeugten Ladungen

5

zuläßt. — In ähnlicher Weise wird auch das oben beschriebene Zweifadenelektrometer (Abb. 5) zu einem E i n f a d e n e l e k t r o m e t e r , wenn man die beiden Fäden durch einen einzigen ersetzt, die beiden Metallschneiden S1 und