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German Pages 648 [652] Year 1961
L. Bergmann
• Cl. Schaefer
Lehrbuch der Experimentalphysik Band I
LEHRBUCH DER EXPERIMENTALPHYSIK ZUM G E B R A U C H B E I
AKADEMISCHEN
V O R L E S U N G E N U N D ZUM
SELBSTSTUDIUM
Von Prof. Dr. Dr. med. h. c. L. Bergmann f
Prof. Dr. Dr. rer. nat. h. c. Cl. Schaefer
Universität Gießen u. Leitz-Werke Wetzlar
Universität Köln
I. Band
Mechanik • Akustik • Wärmelehre Mit 650 Abbildungen 6., durchgesehene und verbesserte Auflage
W A L T E R
DE
G R U Y T E R
&
CO.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. BERLIN
1961
© Copyright 1954, 1958, 1961 by Walter de Gruyter & Co., vorm. G. J . Göschen'sche Verlagshandlang, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Eeimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., Berlin W 30, G enthiner Str. 13 — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten — Archiv-Nr. 52 79 61 —Printed in Germany— Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 30
Vorwort zur 1. Auflage Das Lehrbuch der Experimentalphysik, dessen ersten Teil wir hiermit der Öffentlichkeit übergeben, soll die Physik etwa in dem Umfange und in der Art behandeln, wie es in den akademischen Vorlesungen der Verfasser geschieht; seiner Haltung nach soll es ein elementares, für den Anfänger bestimmtes Buch sein. Darin liegt ausgesprochen, daß es in mehrfacher Hinsicht ein Kompromiß sein muß. Einmal soll es natürlich nichts Unrichtiges, Unvollständiges und Unexaktes enthalten, zum anderen aber den Lernenden nicht zu viel mit Problematik belasten, — beide Forderungen widerstreben einander bis zu einem gewissen Grade. Ferner soll die Darstellung einerseits mit möglichst wenig mathematischem Formalismus auskommen, anderseits trotzdem exakt und prägnant sein: auch zwischen diesen Forderungen besteht eine deutliche Spannung. Schließlich wendet sich unser Buch an die vielgestaltige Hörerschar, die die Vorlesung über Experimentalphysik besucht: Physiker, Mathematiker, Chemiker, Pharmazeuten, Mediziner, Biologen, Ingenieure. Auch hier muß zwischen den verschiedenen Bedürfnissen dieser Berufe ein Ausgleich gefunden werden. — Man kann diesen Widerstreit in der Tat bei allen elementaren Lehrbüchern der Physik beobachten, und es ist lehrreich zu sehen, wie die Verfasser sich — je nach Neigung, Temperament und Lehrerfahrung — im konkreten Falle damit abfinden. In unserem Buch ist eine straffere Systematik durchgeführt, als in den meisten elementaren Lehrbüchern. Damit wollen wir nicht sagen, daß diese Anordnung auch unter allen Umständen in der Vorlesung zweckmäßig sei: im Gegenteil wird man in der Vorlesung oft von einer rein logisch-sachlichen Anordnung abweichen können und müssen; aber um so notwendiger erscheint es uns, dem Lernenden zur Ergänzung der Vorlesung ein Buch in die Hand zu geben, in dem das Vorgetragene sich an der ihm sachlich zukommenden Stelle befindet. Durch besonderen Druck sind einerseits fundamentale Tatsachen und Lehrsätze hervorgehoben, anderseits weitergehende Ausführungen und manche Rechnungen in Kleindruck gesetzt, die beim ersten Studium überschlagen werden können. — Die mathematischen Hilfsmittel gehen an keiner Stelle über das hinaus, was auf den höheren Schulen gelehrt wird; infolgedessen haben wir kein Bedenken getragen, in mäßigem Umfange die Elemente der Infinitesimalrechnung zu benutzen. Aus dem gleichen Grunde mußten wir aber zu unserem Bedauern darauf verzichten, die Vektorrechnung s y s t e m a t i s c h zu verwenden; nach unserer Erfahrung würde dadurch das Buch für viele ungenießbar geworden sein. Eine Änderung dieses Zustandes ist unseres Erachtens erst dann zu erhoffen, wenn die Vektorrechnung auf den höheren Schulen gründlich behandelt wird; es ist vielleicht nützlich, dies einmal mit Nachdruck auszusprechen. — Der Text ist mit Absicht ausführlich gehalten, damit die leitenden Gedanken überall möglichst deutlich und anschaulich hervortreten.
VI
Vorwort
Trotz dem Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen Berufe ist es unvermeidlich, daß mancher in unserem Buch Dinge vermißt, die er in seinem späteren Berufe „nötig" habe, mancher anderseits Dinge findet, die für seinen Beruf „unnötig" seien. Wenn man diese Auffassung ernst nähme, würde sie bedeuten, daß man für jede der genannten Fachgruppen ein besonderes Lehrbuch schreiben (und eine besondere Vorlesung halten) müßte. Aber dies entspricht der Auffassung der Fachschule, nicht dem Geist der Hochschule. Wir haben uns deshalb von der Überzeugung leiten lassen, daß unser Buch — wie die Vorlesung über Experimentalphysik — die Darlegung eines wissenschaftlichen Systems bezweckt, und daß man aus einem solchen nicht beliebige Stücke in usum delphini herausbrechen kann. — Manchen Fachgenossen haben wir für freundlichen R a t zu danken, insbesondere Herrn Kollegen Prof. W. H ü e k e l , an dessen Darstellung in seinem Lehrbuch der anorganischen Chemie wir uns in Nr. 65 (Atome und Moleküle, Atomgewicht und Molekulargewicht) mit seiner freundlichen Erlaubnis anschließen durften. Ganz besonderen Dank schulden wir Herrn Studienrat Dr. W. K l i e f o t h , Lehrbeauftragten für Schulphysik an den Breslauer Hochschulen; er hat nicht nur das Manuskript und die Korrektur kritisch gelesen, sondern uns auch ständig mit seiner großen Unterrichtserfahrung unterstützt. B r e s l a u , im Juli 1943 L. B e r g m a n n
Cl. S c h a e f e r
Vorwort zur 2. und 3. Auflage Die 1. Auflage ist seit mehr als Jahresfrist vergriffen; besondere Umstände verhinderten einen sofortigen Neudruck, so daß die 2. und 3. Auflage erst jetzt erscheinen kann. Sie ist im wesentlichen ein Abdruck der 1. Auflage, jedoch von Druckfehlern und kleineren Versehen gereinigt. Zahlreichen Fachgenossen sind wir für freundliche Hinweise sehr dankbar; wenn sie nicht alle berücksichtigt werden konnten, so liegt dies nicht an mangelndem guten Willen, sondern an den Zeitumständen. Dem Verlag schulden wir besonderen Dank für die Energie und Umsicht, mit der er trotz dieser ungünstigen Bedingungen die neue Auflage fertiggestellt hat. B r e s l a u , im Dezember 1944 L. B e r g m a n n
Cl. S c h a e f e r
VII
Vorwort
Vorwort zur 4. Auflage Die neue Auflage ist im wesentlichen ein von Druckfehlern und Unrichtigkeiten gereinigter Abdruck der letzten Auflage, da wir am Gesamtcharakter des Buches nichts zu ändern fanden. Für manche kritische Hinweise sind wir vielen Fachgenossen dankbar, namentlich den Herren Prof. Dr. K. v o n F r a g s t e i n , Dr. H. N a s s e n s t e i n und Dr. H. J . G o e h l i c h ; auch manche Kommilitonen haben auf diese Weise zur Verbesserung beigetragen. W e t z l a r und K ö l n , im Mai 1954 L.Bergmann
Cl. S c h a e f e r
Vorwort zur 5. Auflage Unter Beibehaltung unserer grundsätzlichen Einstellung ist die vorliegende fünfte Auflage sorgfältig durchgesehen und von uns bekannt gewordenen Versehen befreit worden. Auch diesmal haben wir nicht nur vielen Kollegen, sondern auch manchen Kommilitonen für Kritik und Hinweise zu danken. W e t z l a r und K ö l n , im Juli 1958 L. B e r g m a n n
Cl. S c h a e f e r
Vorwort zur 6. Auflage Das Vorwort zur 6. Auflage muß mit einer schmerzlichen Feststellung beginnen: sie ist die erste, bei der Ludwig Bergmann nicht mehr mitwirken konnte. Er starb unerwartet am 14. September 1959 aus scheinbar voller Gesundheit heraus. Hier ist nicht der Ort, um dem Schmerz Ausdruck zu geben, den ich selbst durch den Tod meines Schülers, Kollegen und Freundes Bergmann erlitten habe. Aber ich darf darauf hinweisen, daß es der schlimmste Schlag war, der unser Buch treffen konnte. War doch kaum ein anderer so wie Bergmann geeignet und befähigt, ein „Lehrbuch der Experimentalphysik" zu schreiben, denn er war ein Experimentator von großem Format und
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Vorwort
ein begeisterter Lehrer. Ich kann nur hoffen, daß es gelungen ist, die neue Auflage in seinem Sinne zu bearbeiten. Die Grundhaltung des Buches ist unverändert; die kleineren Zusätze und Änderungen, zu denen wir meistens durch kritische Leser angeregt wurden, bedürfen nicht der Aufzählung im einzelnen; eine größere Einschaltung habe ich über das Helium-Problem hinzugefügt (Nr. 112). Möge die neue Auflage die gleiche freundliche Aufnahme finden, wie die bisherigen! Allen denjenigen jüngeren oder älteren Physikern, die mich mit ihren Vorschlägen unterstützt haben, danke ich herzlichst; ebenso dem Herrn Verleger, der auf alle Wünsche bereitwilligst einging. Köln, im Mai 1961 Clemens Schaefer
Inhaltsübersicht Seite
Einleitung
1
Mechanik und Akustik I. Kapitel. Maß und Messen 1. 2. 3. 4. 5.
Längenmessungen Winkelmessungen Bestimmung von Massen Flächen- und Raummessungen Zeitmessung
6 11 12 13 15
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
Absolute und relative Ruhe und Bewegung; Begriff des Massenpunktes Gleichförmig geradlinige Bewegung; Begriff der Geschwindigkeit Geschwindigkeit bei ungleichförmiger Bewegung Begriff der Beschleunigung bei geradliniger Bewegung Zusammensetzung und Zerlegung von Bewegungen; Parallelogramm der Bewegungen .. Krummlinige Bewegung; allgemeine Definition der Beschleunigung Fallgesetze Wurfbewegung; vertikaler, horizontaler und schiefer Wurf Trägheit; erstes N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Kraftbegriff; zweites N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Zusammensetzung und Zerlegung von Kräften; Messung von Kräften Gewicht; träge und schwere Masse Stoß, Stoßkraft, Impuls D ' A l e m b e r t s c h e s Prinzip; Trägheitskräfte Begriff der Arbeit und der Leistung Potentielle und kinetische Energie; Erhaltung der Energie
18 20 22 23 24 27 31 35 39 41 44 48 51 52 56 60
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten 22. 23. 24. 25.
Drittes N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Erster Impulssatz; Erhaltung des Impulses eines freien Systems Massenmittelpunkt (Schwerpunkt); erster Impulssatz; Schwerpunktsatz Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) von Systemen, insbesondere starren Systemen; Translation und Rotation 26. Trägheitsmoment (Drehmasse); Satz von S t e i n e r 27. Drehmoment (Drehkraft); Drehimpuls 28. Zweiter Impulssatz (Drehimpulssatz)
64 67 69 74 76 81 87
X
Inhaltsübersicht IV. Kapitel. Anwendungen auf spezielle Bewegungen
29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Seite
Zentripetal- und Zentrifugalkraft 94 Planetenbewegung, K e p l e r s c h e Gesetze, Gravitation 99 Potential. F e r n k r ä f t e und Nahekräfte (Feldkräfte) 106 System der K r ä f t e am starren K ö r p e r ; K r ä f t e p a a r 114 Mittelpunkt paralleler K r ä f t e ; Beziehung zum Schwerpunkt, Bestimmung des Schwerpunktes 120 Verschiedene Arten des Gleichgewichtes; Standfestigkeit 125 Prinzip der virtuellen Verrückungen; die einfachen Maschinen 129 Pendelbewegung; konisches, mathematisches u n d physisches Pendel 136 Schwingungen; Zusammensetzung von Schwingungen 142 Gedämpfte Schwingungen; freie und erzwungene Schwingungen, Resonanz 160 Bewegungen um permanente (freie) Achsen; Kreiselgesetze 168 Die Erde als rotierendes System; Machweis der Erddrehung 178 Reibung fester Körper 185 V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
42. Kennzeichen des festen Aggregatzustandes 43. Begriff der elastischen Spannungen; Normal- und Tangentialspannungen; H o o k e s c h e s Gesetz 44. Reine Volumelastizität und reine Schubelastizität 45. Einseitige Dehnung; Biegung 46. Proportionalitäts-, Elastizitäts-, Fließgrenze; Festigkeit, H ä r t e 47. Stoßgesetze
194 197 199 203 209 212
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64.
Allgemeine Charakterisierung des flüssigen und gasförmigen Aggregatzustandes Verteilung des Druckes in schwerelosen Flüssigkeiten und Gasen Kompressibilität der Flüssigkeiten und Gase Die der Schwere unterworfene Flüssigkeit; Boden-, Seiten- und Aufdruck Die der Schwere unterworfenen Gase; der L u f t d r u c k und seine Wirkungen Archimedisches Prinzip Schwimmen eines Körpers; Metazentrum Allgemeines über strömende Flüssigkeiten Experimentelle Bestimmung der Zähigkeit: Gesetz von H a g e n - P o i s e u i l l e und von S t o k e s ; Widerstandsziffer, R e y n o l d s c h e Zahl Strömungsformen idealer Flüssigkeiten; wirbelfreie u n d wirbelnde Bewegung Kontinuitätsgleichung; B e r n o u l l i s c h e s Theorem; Druckmessung in bewegten Flüssigkeiten Umströmung fester Körper durch ideale Flüssigkeiten; Stromlinienkörper; Magnuseffekt Wirbelbewegungen U m s t r ö m u n g fester Körper durch reale Flüssigkeiten Auftrieb und Widerstand eines Tragflügels; Motorflug, Gleitflug, Segelflug Turbulenz Wasserkraftmaschinen
216 218 221 225 231 238 243 246 249 256 259 268 275 280 284 290 293
VII. Kapitel. Molekularphysik 65. Atome und Moleküle; Atomgewicht u n d Molekulargewicht; A v o g a d r o s c h e Hypothese 297 66. Allgemeines über Molekularkräfte; Wirkungssphäre; Adhäsion und Kohäsion 303
Inhaltsübersicht 67. 68. 69. 70. 71.
Struktur der festen Körper; Kristalle und Kristallsysteme Oberflächenspannung Kapillarität Lösungen B r o w n s c h e Molekularbewegung; Diffusion; Osmose
72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
Entstehung von Wellen aus Schwingungen; Grundbegriffe Interferenz; stehende Wellen und Kohärenz, Inkohärenz Polarisation von Transversalwellen Fortpflanzungsgeschwindigkeit elastischer Wellen H u y g h e n s - F r e s n e l s c h e s Prinzip Reflexion und Brechung nach der Wellentheorie D o p p l e r s c h e s Prinzip
79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86.
Die Schallempfindungen und ihre physikalische Ursache; Charakteristika des Klanges Schallausbreitung; Reflexion, Brechung, Absorption Lineare Schallgeber Flächenhafte und räumliche Schallgeber Ultraschallgeber Bestimmungsstücke und Meßgrößen des Schallfeldes Schallempfänger; Messung der Schallfeldgrößen O h m - H e l m h o l t z s c h e s Grundgesetz der physiologischen Akustik; Resonanztheorie des Hörens Sekundäre Klangerscheinungen: Schwebungen, Kombinationstöne, Variationstöne. . . Mechanische Wirkungen des Schalles Gliederung des musikalischen Tonbereichs; Konsonanz, Dissonanz, Tonleiter Das menschliche Stimmorgan; Natur der Vokale Das menschliche Gehörorgan und seine Funktionsweise
XI Seite
304 311 321 326 330
VUL Kapitel. Allgemeine Wellenlehre 338 347 358 359 362 369 373
I X . Kapitel. Akustik
87. 88. 89. 90. 91.
376 380 389 407 413 415 420 423 425 432 435 441 444
Wärmelehre X. Kapitel. Temperatur und Wärmemenge 92. 93. 94. 95. 96. 97.
Grundbegriffe: Temperatur; Thermometrie Ausdehnung fester und flüssiger Körper Ausdehnung der Gase; Zustandsgieichung; absolute Temperatur Wärmemenge Spezifische Wärme Übertragung der Wärme (Wärmeleitung, Konvektion, Strahlung)
450 455 462 470 475 479
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme 98. Wärme als Energieform; allgemeines Energieprinzip; erster Hauptsatz der Wärmetheorie 487 99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen 496 100. Thermochemische Prozesse 504
XII
Inhaltsübersicht Seite
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme 508 102. Perpetuum mobile zweiter Art; reversible und irreversible Prozesse; C a r n o t s c h e r Kreisprozeß 524 103. Zweiter Hauptsatz der Wärmetheorie 531 104. Entropie; Prinzip von der Vermehrung der Entropie 536 105. Freie und gebundene Energie; chemische Affinität 541 106. H e l m h o l t z s e h e Gleichung; K e r n s t s c h e s Wärmetheorem 544 107. Änderung des Aggregatzustandes: Verdampfung und Verflüssigung 550 108. Änderung des Aggregatzustandes: Schmelzen und Sublimieren 580 109. Zustandsdiagramm; Phasenregel 586 110. Herstellung tiefer Temperaturen; technische Verflüssigung von Gasen 590 111. Thermodynamische Maschinen 594 112. Probleme der Tieftemperaturphysik 606 113. Molekularkinetische Deutung des zweiten Hauptsatzes 609 Namen- und Sachregister
627
Einleitung Das primär Gegebene für den Menschen sind seine Sinnesempfindungen. Erst von diesen aus schließt er auf die Existenz einer Außenwelt, die unabhängig von ihm „objektiv" da ist. Rein logisch betrachtet mag dieser Schluß nicht zwingend und die Voraussetzung von der objektiven Existenz einer Außenwelt nichts als eine naheliegende Hypothese sein. In der Tat hat es Philosophen und philosophische Systeme gegeben, die die reale Existenz der Außenwelt leugneten. Aber für den Naturforscher ist die Existenz einer solchen eine unabdingbare Voraussetzung; denn diese Außenwelt ist das Objekt der Naturforschung. Insbesondere haben Physik und Chemie als Zweige der exakten Naturwissenschaft die Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen den Geschehnissen der Außenwelt festzustellen. Die erste Schwierigkeit, die sie dabei antreffen, ist darin begründet, daß wir von der Außenwelt nur Kunde erhalten durch unsere Sinne. „In unserem Bewußtsein", sagt Heinrich H e r t z , „finden wir eine innere geistige Welt von Anschauungen und Begriffen, außerhalb unseres Bewußtseins liegt fremd und kalt die Welt der wirklichen Dinge. Zwischen beiden zieht sich als schmaler Grenzstreifen das Gebiet der sinnlichen Empfindung hin. Kein Verkehr zwischen beiden Welten ist möglich als über diesen Grenzstreifen hinüber; keine Änderung in der Außenwelt kann sich uns bemerklich machen, als indem sie auf ein Sinnesorgan wirkt und Kleid und Farbe dieses Sinnes erborgt, keine Ursache unserer wechselnden Gefühle können wir uns in der Außenwelt vorstellen, als nachdem wir denselben, wenn auch noch so ungern, sinnliche Attribute beigelegt haben. Von höchster Wichtigkeit für jede Erkenntnis der Welt ist es also, daß uns jener Grenzstreifen gründlich bekannt ist, damit wir nicht das, was ihm angehört, für das Eigentum der einen oder der anderen der durch ihn geschiedenen Welten halten." Die Erforschung der Eigenschaften unserer Sinnesorgane ist die Aufgabe der P h y s i o l o g i e ; sie ermöglicht uns, von unserer Wahrnehmung das abzuziehen, was auf die Rechnung der Sinnesorgane selbst kommt und so daraus zu schließen, was in der Außenwelt vor sich geht, auch wenn kein Ohr und kein Auge, überhaupt kein wahrnehmender Mensch vorhanden wäre. Schon die hier angedeutete Trennung ist nicht immer einfach, und es hat lange Zeit gedauert, bis die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Unterscheidung Allgemeinbesitz der Forschung wurde. Ein schlagendes Beispiel dafür ist der berühmte Streit zwischen Goethe und den Physikern über die Natur des Lichtes und der Farben. Goethes Versuche sind in sich richtig, wertvoll und einwandfrei; aber es sind Versuche, die der physiologischen Optik angehören, während die bekannten Versuche Newtons und der Physiker, weißes Licht in die Spektralfarben zu zerlegen, in die p h y s i k a l i s c h e Optik gehören. Daher die richtige Behauptung der Physiker, das weiße Licht sei etwas Kompliziertes, in ihm seien die Farben des Spektrums „enthalten", und anderseits die nicht weniger richtige Behauptung Goethes, die Empfindung „Weiß" sei eine einfache, ebenso einfach wie die Empfindung Rot, Grün oder Blau. Der leidenschaftliche Protest Goethes gegen die unsinnige Behauptung der Physiker geht ebenso an dem wirklichen Sachverhalt vorbei wie die Ablehnung der Anschauung Goethes von seiten der Physiker: Es ist durchaus miteinander verträglich, daß etwas, was unseren Sinnen, d. h. physiologisch einfach erscheint, physikalisch etwas höchst Komplexes ist und umgekehrt. Heute B e r g m a n n u. S c h a e f e r , Experimentalphysik. I.
1
2
Einleitung
ist dieser Sachverhalt allgemein anerkannt, und es wird deutlich zwischen physikalischer und physiologischer Optik oder Akustik unterschieden. Wir haben es im allgemeinen hier nur mit ersteren zu tun. Während so die Aufgabe der Physik und Chemie wenigstens begrifflich gegen die der Physiologie klar abgegrenzt ist, ist eine Gebietsabgrenzung zwischen diesen beiden Wissenschaften selbst schwieriger. Man kann etwa sagen, daß die Physik es mit den a l l g e m e i n e n Charakteren der Naturerscheinungen zu tun hat, d . h . denjenigen, die unabhängig von dem spezifischen Charakter der Stoffe sind, während die Chemie es umgekehrt vorzugsweise mit den Erscheinungen zu tun hat, die auf der s p e z i f i s c h e n Natur der Stoffe beruhen. Die Physik behandelt demgemäß die Erscheinungen, bei denen es sich nicht um Änderungen in der Zusammensetzung der betrachteten Körper handelt, die Chemie dagegen hat es mit Vorgängen zu tun, bei denen solche Änderungen die entscheidende Rolle spielen. Doch ist nicht aus dem Auge zu verlieren, daß diese Abgrenzung nur eine schematische ist, und daß in Wirklichkeit die moderne Physik und die neuere Chemie immer mehr zu einer sachlichen Einheit verschmelzen, und daß sie nur infolge des ungeheuren Stoffumfanges, d. h. aus rein praktischen Gründen, getrennt werden. Die Aufgabe der exakten Naturforschung, insbesondere der Physik, ist nicht nur die Peststellung der bloßen Tatsachen in der äußeren Welt, sondern vor allem der sinnvollen Verknüpfung derselben miteinander, die Aufzeigung ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Abhängigkeit. Das heißt: Wir fassen die Geschehnisse als im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehend auf. Der Zwang zu solcher Anordnung der Dinge ist in einer Uranlage des menschlichen Geistes begründet und wird Kausalgesetz oder Kausalitätsprinzip genannt. Ohne Zugrundelegung desselben wäre nicht der einfachste Schluß möglich. Das Kausalgesetz ist also die V o r a u s s e t z u n g für die Möglichkeit einer Naturforschung überhaupt, und es wäre ein Mißverständnis zu glauben, daß es empirisch begründet oder widerlegt werden könnte. Man kann daher etwas konkreter als vorher sagen: Die Aufgabe der Physik besteht in der Herstellung eines kausalen Zusammenhanges zwischen den Tatsachen. Damit dies möglich ist, müssen die Vorgänge in bestimmter Weise geordnet werden. E s liegt nun wiederum in der Organisation des Menschen begründet und ist infolgedessen unausweichlich, daß wir alles nur in den Kategorien „ R a u m " und „ Z e i t " zu begreifen vermögen. Ein Ereignis findet stets an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit statt. Dinge, die sich dieser Einordnung entziehen, gehören nicht vor das Forum der Physik, und die Behauptung, es gäbe physikalische Vorgänge, die nicht in Raum und Zeit begreiflich wären, heißt so viel, als zu erklären, daß sie für uns überhaupt unbegreiflich seien. Aber die selbstverständliche Voraussetzung, die wir machen müssen, wenn wir an den Versuch gehen, eine Physik zu begründen, ist die der „Begreiflichkeit" der Natur. Dazu gehört vor allen Dingen die Einordnung in die Kategorien „ R a u m " und „Zeit" und darüber hinaus noch die Aufstellung einer großen Zahl von weiteren Begriffen, mit deren Hilfe eben die kausale Ordnung des Naturgeschehens, d. h. das „Begreifen" derselben gelingt. Denn Begreifen heißt Begriffe bilden. Die systematische Entwicklung dieser Begriffe wird gehörigen Ortes erfolgen. Hier müssen wir uns nur noch genauer mit Baum und Zeit befassen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Kritik unseres Raum- und Zeiterlebnisses selbst — das wird in der Physik als gegeben vorausgesetzt — sondern um die Möglichkeit, in Raum und Zeit messend vorzugehen; sonst ist nämlich die geforderte quantitative Darstellung physikalischer Vorgänge nicht möglich. Die Eigenschaften des R a u m e s werden durch die Axiome der Geometrie bestimmt. E s gibt aber nicht nur eine, sondern mehrere voneinander verschiedene Geometrien, und es erhebt sich die Frage, welche von ihnen die dem physikalischen Raum adäquate ist. Diese Präge kann nur e m p i r i s c h entschieden werden, im Gegensatz zu K a n t s Meinung, der die Gültigkeit der sogenannten
3
Einleitung
euklidischen Geometrie als a priori feststehend betrachtete. Man kann sagen, daß im allgemeinen alle Erfahrungen mit der Auffassung verträglich sind, daß unser Raum tatsächlich durch die euklidische Geometrie bestimmt wird (der einzige Fall, in dem dies nicht zuzutreffen scheint, wird später erörtert werden und kann vorläufig außer Betracht bleiben). Wir nehmen also vorläufig folgendes an: Der leere Raum ist unendlich ausgedehnt, eben, homogen und isotrop. Unter Ebenheit des Raumes verstehen wir die Tatsache, daß unendlich ausgedehnte Geraden und Ebenen in ihm enthalten sind; homogen nennen wir ihn deshalb, weil jeder Punkt des Raumes von jedem anderen ununterscheidbar ist, und isotrop heißt er, weil alle durch einen Raumpunkt gelegten Richtungen gleichwertig sind. Schließlich ist der Raum dreidimensional, d. h. in jedem seiner Punkte können drei und nur drei aufeinander senkrechte Geraden errichtet werden, oder was dasselbe ist: wir können drei zueinander senkrechte Richtungen in jedem Punkte unterscheiden: links—rechts, oben—unten, vorne—hinten. Auf der Ebenheit des Raumes beruht die Möglichkeit, ihn durch starre Maßstäbe auszumessen; denn weil er eben ist, können diese, ohne eine Deformation zu erfahren, von einem Ort zu jedem anderen hin bewegt werden 1 ). Wie die Raumausmessung im einzelnen praktisch geschieht, wird in Kapitel I auseinandergesetzt. Die Z e i t ist im Gegensatz zum Räume eine eindimensionale Mannigfaltigkeit; in ihr gibt es nur Vergangenheit und Zukunft, die durch einen „Zeitpunkt", die Gegenwart, geschieden werden. Wie der Raum, so muß auch die Zeit gemessen werden; wie diese Messung mit Uhren — nach Festlegung einer Zeiteinheit — geschieht, wird gleichfalls im I. Kapitel erörtert. Hier sei nur auf einen besonderen Punkt aufmerksam gemacht: An einem gegebenen Orte des Raumes ist es verhältnismäßig einfach, die Zeit zu messen, d. h. durch eine Zahlenangabe zu charakterisieren. Es besteht aber die Aufgabe, diese Zeitangabe an alle Punkte des Raumes zu übermitteln, d. h. ihr einen allgemein verbindlichen Sinn zu geben. Die klassische Physik hat ohne weiteres angenommen, daß dies möglich sei; ihre Zeitangaben machen daher den Anspruch, u n i v e r s e l l zu sein. Erst die moderne Physik hat erkannt, daß hier ein P r o b l e m vorhegt; in der Optik werden wir darauf zurückkommen. Vorläufig halten wir an der klassischen Auffassung der universellen Zeit fest. Da die Kunde von der Außenwelt nur durch die Sinnesorgane in unser Bewußtsein gelangt, ist es natürlich, daß die ursprüngliche E i n t e i l u n g d e r P h y s i k in Einzeldisziplinen nach den Sinnesorganen erfolgte. Der Gehörsinn reagiert auf Vorgänge, die unter dem Namen „Akustik" zusammengefaßt wurden, ebenso wie das Auge zur Abgrenzung eines Kapitels „Optik" Veranlassung war. Die „Wärmelehre" umfaßte die Erscheinungen, die durch den Wärmesinn bemerkt wurden, die „Mechanik" ist der Inbegriff der Vorgänge, die auf den Tast- und Muskelsinn einwirken. In dieser Einteilung der Physik nach den Sinnesorganen des Menschen zeigt sich deutlich ihr anthropomorpher Ursprung, und die gleiche Herkunft weisen ihre einfachsten und grundlegenden Begriffe auf. Der physikalische Begriff der „ K r a f t " z. B. kommt unzweifelhaft von dem Gefühl der Muskelanstrengung her, ebenso wie der physikalische Begriff der „Arbeit" von dem Gefühl der Ermüdung usw. Aber im Verlauf der weiteren Entwicklung der Wissenschaft werden diese Begriffe, die der Sprache des täglichen Lebens entnommen sind, immer mehr verfeinert und präzisiert, so daß sie stets einen ganz bestimmten Sinn besitzen, während die gleichen Worte im Leben deutliche Schwankungen und Ungenauigkeiten ihrer Bedeutung aufweisen. So entfernt sich schließlich die wissenschaftliche Sprache immer mehr von der des Alltages und muß dies tun, da sie sonst ihren Zweck nicht erfüllen könnte. Nur Unverstand kann aus dieser notwendigen Entwicklung einen Vorwurf gegen die Wissenschaft herleiten. Wir werden an verschiedenen Stellen Gelegenheit haben, diesen allmählichen SubliDies wäre auch noch möglich, wenn er eine konstante Krümmung besäße, wie das Beispiel der Kugeloberfläche zeigt. 1*
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Einleitung
mierungsprozeß festzustellen und seine absolute Notwendigkeit zu erkennen. Ihre höchste Vollendung, aber freilich auch die stärkste Abstraktion erreicht die wissenschaftliche Sprache in der Verwendung der mathematischen Symbole und des mathematischen Algorithmus. Es ist nur eine natürliche Folge dieses Prozesses, daß sich allmählich die Grenzen der ursprünglichen Einteilung verschoben haben. Nachdem z. B. in der Akustik festgestellt war, daß einem wahrgenommenen Klange in der Außenwelt eine periodische Luftbewegung entspricht, hat man alle diese periodischen Vorgänge, ganz gleichgültig, ob sie hörbar sind oder nicht, mit in die Akustik aufgenommen. Und in der Optik umfassen diejenigen Wellen, die in uns einen Lichteindruck hervorrufen, nur einen winzigen Bruchteil derjenigen, auf die unser Auge nicht reagiert. Hand in Hand damit hat die alte Einteilung der Physik einer anderen Platz gemacht. Die drei früher getrennten Gebiete der Mechanik, Akustik und Wärmelehre sind nunmehr in ein einziges verschmolzen, die beiden letzteren nämlich sind in der Mechanik aufgegangen; anderseits hat sich die Optik als ein Teilgebiet der Elektrizitätslehre herausgestellt. Um die Vereinigung der nunmehr entstandenen zwei großen Gebiete ist die Physik dauernd bemüht, ohne daß sie bisher befriedigend gelungen wäre. Das Material für die Physik liefert die B e o b a c h t u n g . Aber nicht die bloße Beobachtung von selbst ablaufender Naturvorgänge, wie sie der Astronom am gestirnten Himmel anstellt, ist das Wesentliche, sondern die planmäßige Anstellung von Versuchen unter einfachen, übersichtlichen und reproduzierbaren Bedingungen, kurz: das E x p e r i m e n t . Aber was ist planmäßig? Was einfach und übersichtlich? Diese Prädikate sind ja relativ; was von einem Standpunkt als einfach und übersichtlich erscheint, braucht es unter anderem Gesichtswinkel nicht zu sein. Daraus geht hervor, d a ß s i n n v o l l e s E x p e r i m e n t i e r e n n u r m ö g l i c h i s t in V e r b i n d u n g m i t e i n e r t h e o r e t i s c h e n V o r s t e l l u n g , in Verbindung mit einer von bestimmten Gesichtspunkten aus an die Natur gestellten Frage. Die rohe Empirie ist keine Erkenntnisquelle der Physik, eine Einzeltatsache bleibt eine Einzeltatsache, auch wenn sie tausendmal beobachtet ist. Erst ihre Interpretation in einem Systemgedanken macht die Empirie fruchtbar. So muß gleich Hand in Hand mit den ersten Beobachtungen eine gedankliche Verarbeitung gehen, die dann zu planmäßigen weiteren Experimenten Veranlassung gibt. Diese regen neue Fragestellungen an, die durch neue Versuche beantwortet werden, und so gelingt es allmählich, immer neue Tatsachen unter einem Gesichtspunkt zusammenzufassen, indem man vom Speziellen zum Allgemeineren fortschreitet. Dieses Verfahren nennt man I n d u k t i o n , und so ist denn d i e P h y s i k e i n e i n d u k t i v e W i s s e n s c h a f t . Es ist ein langer, mühsamer Weg, der zurückgelegt werden muß, bevor es gelingt, alle Tatsachen eines Gebietes unter einem einzigen oder einigen wenigen allgemeinen Gesichtspunkten zusammenzufassen, und da der Aufstieg vom Speziellen zum Allgemeinen nicht eindeutig ist, so sind natürlich Irrwege keineswegs ausgeschlossen. Gerade durch die Methode der Physik aber werden diese über kurz oder lang als solche erkannt. Denn wenn etwa an einem bestimmten Punkte der Wissenschaftsentwicklung eine falsche Verallgemeinerung gemacht worden ist, so zeigt sich dies unweigerlich daran, daß gewisse Folgerungen aus derselben dem Experiment nicht standhalten. So gilt zwar auch hier, daß der Weg des Fortschritts mit Irrtümern gepflastert ist, aber es findet wirklich ein Fortschreiten statt. Ist endlich das Ziel der Zusammenfassung aller Tatsachen erreicht, so hat man die „Grundgesetze" des betreffenden Gebietes gewonnen. Die ältesten Tatsachen der Mechanik z. B. stammen schon aus dem griechischen Altertum, aber erst G a l i l e i und N e w t o n gelang die Formulierung der mechanischen Grundgesetze. Nachdem diese einmal erlangt sind, kann man nunmehr durch D e d u k t i o n die Gesamtheit der Tatsachen aus ihnen ableiten. Es versteht sich, daß die Beobachtung eines Experiments kein bloßes Betrachten seines Ablaufes ist, sondern eine quantitative Verfolgung der einzelnen Vorgänge. Es ist
Einleitung
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daher eine der Hauptaufgaben des Physikers, M e s s u n g e n anzustellen; diese erst liefern das Material für die weitere Bearbeitung. Dabei ist es ganz im Sinne der vorhin geschilderten Loslösung der Physik von ihrem anthropomorphen Ursprünge, daß bei den Messungen die Sinnesorgane immer mehr durch Apparate ersetzt werden, die jene Organe an Genauigkeit, Feinheit und Zuverlässigkeit übertreffen. Dies ist um so notwendiger, als wir für die elektrischen Erscheinungen kein eigenes Organ besitzen. Die Waage erkennt Gewichtsunterschiede, die mehr als tausendmal kleiner sind, als der Muskelsinn sie feststellen kann; Fernrohr und Mikroskop enthüllen Geheimnisse, zu denen kein menschliches Auge vordringen könnte; Thermometer können Temperaturdifferenzen anzeigen, die weit jenseits der Leistungsfähigkeit des Wärmesinnes liegen. Die physikalischen Apparate stellen daher im wahren Sinne des Wortes E r w e i t e r u n g e n u n s e r e r n a t ü r l i c h e n O r g a n e dar. Der doppelten Aufgabe der Physik, der planmäßigen Anstellung von Experimenten, der genauen Messung aller dabei auftretenden Größen einerseits und ihrer zusammenfassenden Deutung anderseits entsprechen die beiden Arbeitsrichtungen der E x p e r i m e n t a l p h y s i k und der t h e o r e t i s c h e n P h y s i k . Es ist klar, daß beide aufeinander angewiesen sind, daß der Experimentator den Theoretiker und dieser den Experimentalphysiker nicht entbehren kann, und daß zu einer gedeihlichen Entwicklung die gleichmäßige Pflege beider Arbeitsweisen notwendig ist. Gerade die heutige Blüte der Physik ist nur durch die gegenseitige Befruchtung beider Disziplinen möglich geworden. Die enge Zusammengehörigkeit zeigt sich natürlich auch bei einem Lehrbuch der Experimentalphysik: Dieses ist keine bloße Anhäufung von Experimenten (oder sollte es wenigstens nicht sein), sondern bezweckt die Darstellung eines wissenschaftlichen Systems, das auf Experimente gegründet und durch sie erläutert wird. Man kann mit einem gewissen Rechte neben die experimentelle und theoretische Physik die m a t h e m a t i s c h e P h y s i k stellen; dieser würde dann die Aufgabe zufallen, aus den von den ersteren gewonnenen Grundgesetzen alle möglichen Konsequenzen mathematisch zu entwickeln und durchzuarbeiten. Es gibt in der Tat Partien der Physik, die so abgeschlossen sind, daß im einzelnen nur noch mathematische Arbeit zu leisten ist. Das Verfahren der mathematischen Physik ist dann r e i n e D e d u k t i o n aus den Voraussetzungen, die Experiment und Theorie geschaffen haben.
Die Aufgabe der Physik, wie jeder Wissenschaft, ist auf Erkenntnis der Wahrheit gerichtet; darin beruht ihre sittliche Würde, daß ihr nur daran liegt, die geistigen Schätze des Menschengeschlechtes zu vermehren. Aber der Besitz der Erkenntnis bedeutet gleichzeitig in gewissem Maße Beherrschung der Natur für die Zwecke der Menschheit. Die wissenschaftlich erkannten Zusammenhänge in diesem Sinne nutzbar zu machen, ist Aufgabe der T e c h n i k . Vom reinen Nützlichkeitsstandpunkte liegt die Frage nahe, ob nicht das Streben der reinen Wissenschaft, nur auf die Mehrung der Erkenntnis bedacht zu sein, ein unnötiger Umweg zu den Anwendungen ist, ob es nicht besser sei, direkt auf ein bestimmtes praktisches Ziel hinzuarbeiten. Die Geschichte der Wissenschaft hat darauf die Antwort gegeben, daß dies keineswegs der Fall ist, sondern daß es sich auch vom rein praktischen Gesichtspunkte als am besten erweist, wenn die Wissenschaft, ihrem ureigensten inneren Gesetze folgend, nach der Wahrheit strebt und nicht fragt, was sie nützt. Wenn die Zeit gekommen ist, werden ihr, wie bisher, die praktischen Anwendungen als reife Früchte der Erkenntnis von selbst in den Schoß fallen.
Mechanik und Akustik I.
Kapitel
Maß und Messen Eine Größe m e s s e n heißt, ihr zahlenmäßiges Verhalten zu einer (irgendwie festgelegten) E i n h e i t bestimmen. Damit dies möglich ist und man immer dieselben Ergebnisse erhält, auch wenn die Messungen von verschiedenen Personen und an verschiedenen Orten der Erde ausgeführt werden, ist die Festlegung bestimmter Maßeinheiten für die verschiedenen physikalischen Größen notwendig. Es sind also z. B. Maßeinheiten für die Länge, für das Volumen, für die Kraft, für die Arbeit, für die Wärmemenge, für die Elektrizitätsmenge, für die Stromstärke usw. erforderlich. Es wird sich im folgenden zeigen, daß es möglich und im allgemeinen zweckmäßig ist, diese verschiedenen Einheiten auf wenige Grundeinheiten zurückzuführen. Dies sind die Einheiten der Länge, der Zeit und der Masse. Das auf diesen Grundeinheiten aufgebaute Maßsystem bezeichnet man nach seinen Schöpfern G a u ß und W e b e r als das „absolute" Maßsystem.
1. Längenmessungen Als Längeneinheit der Physik wählen wir das Zentimeter (cm); es ist der hundertste Teil des „Meters". Die Länge des Meters ist durch ein in Sevres bei Paris im „Bureau des Poids et Mesures" aufbewahrtes Urmeter gegeben. Dieses Urmeter ist ein aus der sehr beständigen und festen Legierung von 90% Platin und 10% Iridium hergestellter Metallstab, dessen Querschnittsform aus Abb. 1 hervorgeht. Diese Form wurde gewählt, um den Stab möglichst Zern leicht zu machen und ihn trotzdem vor Verbiegungen zu schützen. Auf der Mittelrippe, deren Länge sich auch bei Verbiegungen als „neutrale Zone" (s. S. 208) nicht ändert, Abb. 1. Profil des Meter sind in der Nähe der Enden zwei Strichmarken angebracht, prototyps deren Abstand bei der Temperatur 0° Celsius und 760 mm Luftdruck die Länge des Normal- oder Urmeters darstellt. Von diesem Urmeter sind genaue Kopien hergestellt und an die verschiedenen Kulturstaaten verteilt worden. Das Meter sollte eigentlich den vierzigmillionsten Teil der Länge des durch die Pariser Sternwarte gehenden E r d m e r i d i a n s darstellen. Die zu diesem Zweck von M e c h a i n u n d D e l a m b r e 1791 ausgeführte Gradmessung ist jedoch n a c h späteren Messungen von B e s s e l m i t einem Fehler beh a f t e t , so d a ß das U r m e t e r tatsächlich u m 0,00856 cm zu kurz ist; somit b e t r ä g t die Länge des E r d q u a d r a n t e n 10000856 m.
Das Meter wird nach dem Dezimalsystem in kleinere Einheiten, und zwar in 10 Dezimeter (dm), 100 Zentimeter (cm) und 1000 Millimeter (mm) eingeteilt. Als kleinere Längenmaße dienen weiter folgende Unterteilungen des Millimeters: das Mikron (fu) = 10~3 mm = 10 - 4 cm das (m/Li) = 10-« mm = 10" cm die Angstrom-Einheit (À) = 10 - 7 mm = 10 _1 mfi = 10~° cm die X-Einheit (X) = 10- 1 0 mm = 10"3 A = 10"11 cm.
1. Längenmessungen
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Größere Einheiten sind: das Dekameter (Dm) =
10 m
das Hektometer (Hm) =
100 m
das Kilometer
(km) = 1000 m.
In der Astronomie wird als noch größere Längeneinheit das Lichtjahr benutzt; das ist die Strecke, die das Licht in der Zeit von einem J a h r zurücklegt; 1 Lichtjahr = 9,4608 • 1012 km. Neuerdings verwendet man vielfach das Parsec; man versteht darunter die Entfernung, aus der der Erdbahnradius unter einem Winkel (Parallaxe) von 1 Bogensekunde erscheint; 1 Parsec = 3,26 Lichtjahre = 3,08 • 1013 km.
Um das Urmeter im Falle eines Verlustes oder einer im Laufe der Jahre auftretenden Längenänderung (infolge der unvermeidlichen Veränderung des kristallinen Gefüges) jederzeit wieder reproduzieren zu können, hat man es bereits seit längerer Zeit mit der Größe geeigneter optischen Wellenlängen verglichen. Als zu wählende Wellenlänge ist die der orangefarbenen Spektrallinie Kryptonisotops 86 im Vakuum bestimmt worden; danach ist das Meter definiert als das 1650763,73-fache der genannten Vakuumwellenlänge. Die einfachste Längenmessung besteht in der Benutzung eines aus Holz oder Metall bestehenden Maßstabes, dessen Teilung an die zu messende Strecke angelegt und mit ihr verglichen wird. Ist es nicht möglich, den Maßstab unmittelbar mit dem zu messenden Körper in Berührung zu bringen, so muß man an diesem vorbei nach dem Maßstab hinvisieren. In diesem Fall ist die Messung nur dann einwandfrei, wenn die Visierlinien auf dem Maßstab senkrecht stehen. Andernfalls tritt eine scheinbare Verschiebung des Körpers gegen den Maßstab (sogenannte P a r a l l a x e ) ein. Vorteilhaft sind für derartige Längenmessungen auf einem Spiegel eingravierte Maßstäbe, die man an dem zu messenden Körper vorbei so anvisiert, daß das Spiegelbild der Pupille des beobachtenden Auges mit dem Endpunkt der zu messenden Strecke zusammenfällt. Zur Messung des vertikalen Abstandes zweier Punkte bzw. zur Messung des lotrechten Abstandes zweier Horizontalebenen, in denen die betreffenden Punkte liegen, dient das von D u l o n g und P e t i t (1816) angegebene Kathetometer. Es besteht aus einer vertikalen Säule, die einen in Millimeter geteilten Maßstab trägt. Die Säule läßt sich mittels dreier Fußschrauben vertikal stellen und ist um die Vertikale drehbar. An der Säule ist, vertikal verschiebbar, ein genau waagerecht eingestelltes Fernrohr angebracht. Dieses wird zunächst auf einen der beiden Punkte, deren Abstand zu bestimmen ist, so eingestellt, daß der Schnittpunkt eines im Okular des Fernrohres befindlichen Fadenkreuzes mit diesem Punkte zusammenfällt. Nachdem die Höhenlage des Fernrohres an dem Maßstab der Säule abgelesen ist, wird das Fernrohr längs der Säule verschoben, und diese eventuell noch verdreht, bis der zweite Punkt mit dem Fadenkreuz im Fernrohr zusammenfällt. Die Differenz der so ermittelten beiden Höhenlagen des Fernrohres gibt dann den vertikalen Abstand der beiden anvisierten Punkte an. |[iillMiiifi niünii Ein sehr viel benutztes Gerät zur Messung kleiner Längen ist die Schublehre, deren vorderes Ende in Abb. 2 dargestellt ist. Auf einem mit einer Millimeterteilung versehenen Maßstab M, der am vorderen Ende ein rechtwinkliges Ansatzstück A trägt, ist der Schieber C mit einem ebenfalls rechtwinkligen Ansatz B angebracht. Dieser trägt eine Marke, die Abb. 2. Schublehre auf den Teilstrich Null der Maßstabteilung zeigt, wenn die beiden Ansatzstücke A und B zusammengeschoben sind. Der zu messende Körper (in Abb. 2 gestrichelt gezeichnet) wird zwischen die beiden Teile A und B gebracht und die Einstellung der Marke auf der Teilung abgelesen. Mitunter ist das vordere Feld bei jedem der beiden Ansatzstücke A und B auf eine bestimmte
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I. Kapitel. Maß und Messen
Breite von meistens 5 mm abgestimmt, so daß man mit der Schublehre auch Innenmessungen ausführen kann, wie es in Abb. 2 (ebenfalls gestrichelt) angedeutet ist. Zu dem an der Teilung M abgelesenen Wert ist dann der Betrag von 10 mm hinzuzuzählen. Eine Verbesserung der Schublehre stellt das Schraubenmikrometer oder die Schraubenlehre (Abb. 3) dar. Der aus gehärtetem Stahl hergestellte U-förmige Bügel A trägt am Ende seines linken Schenkels einen Amboß W und am Ende seines rechten Schenkels eine Buchse B mit Innengewinde, in die eine Schraubenspindel C eingepaßt ist. Die Ganghöhe der Schraube beträgt vielIV C ß E D fach 1 mm, d. h. die Schraube verschiebt sich bei einer vollen Umdrehung gerade um 1 mm. Diese Verschiebung läßt sich an einer auf B eingravierten Teilung ablesen. Letztere ist so angebracht, daß der als Marke dienende linke Rand der Hülse E, die mit der Schraubenspindel starr verbunden ist, gerade auf Null steht, wenn der Abb. 3. Schraubenlehre Kopf der Schraube den Amboß W berührt. Um nun noch Bruchteile eines Millimeters abzulesen, befindet sich auf dem Rand der Hülse E ein in 100 Teile geteilter Teilkreis, dessen jeweilige Stellung an einer auf B angebrachten Marke abgelesen werden kann. So ist es möglich, die Dicke eines Körpers, den man zwischen den Amboß W und den Kopf der Schraube bringt, auf 1 / 1 0 0 mm genau abzulesen. Damit der zu messende Körper nicht verschieden stark gedrückt wird, ist am rechten Ende von E eine „Gefühlsschraube" D angebracht, die beim Drehen durch Reibung die Schraubenspindel nur bis zu einem bestimmten Meßdruck mitnimmt. Dadurch wird der Körper bei jeder Messung zwischen Amboß und Schraubenkopf immer mit dem gleichen Druck eingeklemmt. Eine besondere Form des Schraubenmikrometers bildet das Sphärometer (Abb. 4). Durch die Mitte eines Dreifußes A, dessen Füße C l t C 2 und C 3 die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks bilden, geht die Schraubenspindel B ; diese trägt am oberen Ende eine Scheibe E, deren Umfang in 500 Teile geteilt ist. Die vertikale Verschiebung der Schraube läßt sich grob in Millimetern an der Teilung D ablesen. Der Teilkreis auf E gestattet noch 1 / 5 0 0 einer Umdrehung zu erkennen, so daß sich bei einer Ganghöhe der Schraube von 1 / 2 mm noch Verschiebungen von 1 / 1000 mm messen lassen. Das Sphärometer wird auf eine gut ebene Unterlage gestellt, und die Schraube bis zur Berührung mit dieser Fläche heruntergeschraubt. Hierauf wird die Schraube zurückgedreht und der zu messende Körper, z. B. ein Glasplättchen, dessen Dicke bestimmt Abb. 4. Sphärometer w e r den soll, unter die Schraube gelegt und diese bis zur erneuten Berührung heruntergeschraubt. Dann läßt sich die gesuchte Dicke an den Teilungen D und E mit der angegebenen Genauigkeit ablesen. Auch bei diesem Gerät muß man sorgfältig darauf achten, daß man die Schraube stets mit dem gleichen Druck an den zu messenden Körper andrückt. Letzteres läßt sich z. B. auf optischem Wege sehr gut kontrollieren. Zu diesem Zweck stellt man das Sphärometer auf eine plane Glasplatte, auf der eine zweite kleinere Glasplatte liegt. Beleuchtet man die Oberfläche der letzteren mit einfarbigem Licht (z. B. Natriumlicht) und blickt nun schräg auf die Glasplatte, so sieht man diese von einem System heller und dunkler Interferenzstreifen durchzogen, deren gegenseitiger Abstand von der Dicke der Luftschicht zwischen den beiden Glasplatten abhängt. Drückt man daher die obere Glasplatte nur ein wenig gegen die untere, so verschieben sich die Interferenzstreifen. Dies ist ein außerordentlich empfindliches Kriterium für jede Druckänderung. Bei der Messung mit dem Sphärometer schraubt man die Schraubenspindel stets nur so weit herunter,
1. Längenmessungen
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bis die Verschiebung der Interferenzstreifen einsetzt; das ist ein sicheres Zeichen dafür, daß der Druck gegen den zu messenden Körper stets der gleiche ist. In dieser Form heißt das Gerät Interferenzsphärometer.
Eine einfache und viel benutzte Vorrichtung zur Messung kleiner Längen bzw. Dicken ist das Zehntelmaß. Seine Wirkungsweise beruht, wie Abb. 5 zeigt, auf zwei ungleicharmigen Hebeln H1 und H2, deren Hebellängen im Längenverhältnis 1 :10 stehen. An den Enden der kürzeren Hebelarme sind zwei Schneiden 5 angebracht, zwischen die der zu messende Körper geklemmt wird. Eine Feder F drückt zu diesem Zweck die Schneiden leicht zusammen. Auf der in Millimeter geteilten Kreisteilung T läßt sich die zu messende Strecke in lOfach vergrößertem Maßstab, d. h. bis auf x / 10 (daher Zehntelmaß) ablesen. Überträgt man die Bewegung des Hebels H1 etwa mittels eines Zahnkranzes auf ein am Hebel H 2 angebrachtes Zahnrad, das einen Zeiger trägt, so läßt sich an der Zeigerstellung die zu messende Strecke mit großer Genauigkeit ablesen. Auf diesem Prinzip beruht z. B. eine in der Mikroskopie viel benutzte Vorrichtung Abb. 5. Zehntelmaß zur Messung der Dicke von Deckgläsern. In der Abb. 6 ist eine sogenannte Meßuhr wiedergegeben, die für rasche Messungen von Längen bis 25 mm geeignet ist. Wird der unten herausragende Stift A nach oben um die zu messende Strecke verschoben, so überträgt sich seine Bewegung über eine Zahnstange B auf ein System von Zahnrädern a—e, wodurch der mit dem letzten Zahnrad e verbundene Zeiger / verdreht wird, so daß man auf dem Zifferblatt die zu messende Strecke mit einer Genauigkeit bis zu 1 / 1000 mm ablesen kann. Für Messungen wird die Uhr in ein Stativ so eingesetzt, daß der senkrecht stehende Meßstift A die horizontale Pußplatte berührt und der Zeiger dabei auf Null steht. Der zu messende Gegenstand wird dann zwischen Tisch und unteres Ende des Fühlhebels geschoben. Besonders gut eignet sich eine derartige Meßuhr zur Messung kleiner Längenänderungen, wie sie z. B. bei der thermischen Ausdehnung von Stäben usw. vorkommen. Die bisher beschriebenen Anordnungen zur Messung kleiner Längen oder Dicken sind noch mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Wie schon erwähnt wurde, muß bei Feinmessungen stets der Meßdruck besonders kontrolliert werden, was in exakter Abb. 6. Meßuhr Weise z. B. beim Interferenzsphärometer möglich ist. Bei allen Geräten, die mit einer Meßschraube oder Zahnrädern arbeiten, kommen noch durch Ungleichmäßigkeiten in der Ganghöhe der Schraube bzw. durch eine zu lose Führung der Schraube in der Schraubenmutter ( „ t o t e r Gang") Fehler in die Messung hinein. Ein Gerät, das diese beiden Fehlerquellen nicht besitzt, ist der Dickenmesser nach Abbe (Tiefentaster; Abb. 7a). An einem kräftigen Stativ A gleitet ein vertikaler Fühlstift D in zwei Lagern G1 und G2 und kann durch eine über die Rolle Rx laufende Schnur hochgezogen bzw. heruntergelassen werden, wenn man die Schnur durch Drehen der Rolle R2 auf dieser auf- bzw. abwickelt. Durch das an der Schnur befestigte Gegengewicht B wird das Eigengewicht des Fühlhebels D zum größten Teil ausgeglichen, so daß der Fühlhebel nur mit leichtem und immer gleichbleibendem Druck auf die Grundplatte P (ebene Glasplatte) bzw. den zu messenden Körper aufdrückt. Der Fühlhebel trägt auf seiner vorderen Seite eine in 1 / 10 mm geteilte Skala M. Die Verschiebung von M wird durch ein Mikroskop F beobachtet. Im Gesichtsfeld des Mikro-
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I. Kapitel. Maß und Messen
skopokulars befindet sich eine horizontale Strichmarke, die sich mittels einer Mikrometerschraube C in vertikaler Richtung verschieben läßt; die Ganghöhe der Schraube ist so gewählt, daß eine volle Umdrehung eine Verschiebung der Strichmarke um einen Skalenteil des Maßstabes M bewirkt. Da die Trommel der Schraube in 100 Teile geteilt ist, lassen sich noch 0,001 mm messen. Die horizontale StrichJ marke im Okular besteht meistens aus einem DoppelJ. ö B faden, um, wie es Abb. 7 b andeutet, eine besonders genaue Einstellung dadurch zu erreichen, daß der F IDL einzustellende Teilstrich gerade zwischen den beiden E Fäden liegt. Zur Eichung und Nachprüfung der im vorangehenden beschriebenen Längen- und Dickenmesser G7 D verwendet man sogenannte Parallel-Endmaße ( J o a) •K h a n s s o n 1911). E s sind dies aus gehärtetem Stahl Ö! oder kristallinem Quarz hergestellte rechteckige oder zylindrische Körper, die von zwei parallelen Abb. 7. Dickenmesser nach Abbe, Ebenen begrenzt werden. Der Abstand der parallelen a) Gesamtansicht, b) Gesichtsfeld Endflächen ist bis auf Bruchteile eines (j, genau bedes Okulars kannt. Solche Endmaße werden in bestimmten Sätzen zusammengestellt, z. B . von 1 mm ab um je Yioo m m bis 1,5mm, dann um y 2 mm bis 25 mm steigend; hinzu kommen noch Stücke von 50, 75 und 100 mm. Durch Zusammenlegen mehrerer Stücke läßt sich jede andere Größe bis 200 mm Länge zusammensetzen. Die Endflächen derartiger Stücke müssen auf Hochglanz poliert sein. Drückt man zwei Stücke fest aufeinander, so treten bereits molekulare Anziehungskräfte auf, die zur Trennung der beiden Stücke Kräfte von mehreren Kilogramm erfordern (s. Nr. 66). Schließlich sei noch erwähnt, daß man auch mit jedem Mikroskop genaue Längenbzw. Dickenmessungen ausführen kann. Zu diesem Zweck wird das normale Okular durch ein Mikrometerokular ersetzt, bei dem sich im Gesichtsfeld eine in 1 / 10 mm geteilte Skala befindet, oder bei dem mittels einer Mikrometerschraube ein Faden bzw. ein Fadenkreuz meßbar durch das Gesichtsfeld bewegt werden kann (Abb. 8). Diese Mikrometerokulare müssen für jede am Mikroskop benutzte Vergrößerung besonders geeicht werden, indem man auf den Objekttisch eine bekannte Teilung (Objektmikrometer, meist 1 / 100 -mm-Teilung) legt und diese mit der Okularskala bzw. der Verschiebung der Marke im Okular vergleicht. An besseren Mikroskopen ist meistens die Feinverschiebung des Mikroskoptubus mit einer Teilung versehen, so daß man auch in vertikaler 11 Richtung Dicken z. B . von in Präparaten eingeschlossenen Teilchen messen kann, indem man nacheinander Abb. 8. Mikrometerokular auf die obere und untere Begrenzung des betreffenden Teilchens das Mikroskop scharf einstellt und die dazu notwendige VertikalverSchiebung abliest. Zum Abschluß dieses Abschnittes ist noch ein Hilfsmittel zu erwähnen, das dazu dient, an einer gegebenen Teilung noch Bruchteile eines Teilungsintervalles mit Sicherheit abzulesen. E s handelt sich um den Nonius, einen in 10 Teile geteilten Hilfsmaßstab, dessen Gesamtlänge gleich 9 Teilen des Hauptmaßstabes ist (Abb. 9a). Ist der Hauptmaßstab z. B . in Millimeter geteilt, so ist jeder Teil der Noniusteilung 9/10 mm lang. Steht dieser Nonius an irgendeiner Stelle der Hauptskala (Abb. 9b), so liest man am Nullstrich des Nonius die Anzahl der g a n z e n Millimeter ab und sucht denjenigen
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2. Winkelmessungen
Noniusteilstrich auf, der mit einem Teilstrich der Hauptskala genau zusammenfällt. Dieser Teilstrich des Nonius gibt dann die Anzahl der Vio mm an. Der hier beschriebene Nonius wird als n a c h t r a g e n d e r N o n i u s bezeichnet. Nonien finden sich z. B . auf jeder Schublehre, am Kathetometer, an den Kreuztischen der Mikroskope, den Spektrometerkreisen usw.
9 12 3 1a)
b)
Es gibt auch Nonien, die als v o r t r a g e n d e bezeichnet werden, bei denen 11 Teile des Nonius auf 10 Teile der Hauptteilung kommen.
e 7 89
10
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1 I I I T Tt i t 2 3 ¡ 6 7 « 9 10 0 1 2 3 + 5 S 7 8 9 ; 7 11 12 13 ( I I I ) 11 l l l l l 11 1 1 1 1-671 012 3 * . - u \ Abb. 9. Nonius a) Nullstellung, b) Einstellung: 2,7
2. Winkelmessungen Als Einheit des Winkels im Bogenmaß dient derjenige Winkel, der bei einer Schenkellänge von 1 cm einen Kreisbogen von 1 cm Länge besitzt. In Abb. 10 ist ein solcher Winkel gezeichnet; er wird ein Radian genannt. D a nun die genaue Messung des Kreisbogens sehr schwierig ist, falls man nicht wie bei sehr kleinen Winkeln den Bogen durch die Sehne ersetzen kann, so benutzt man als Einheit des Winkels den 360. Teil eines Vollkreises und bezeichnet diese Einheit als Grad. Der Grad wird in 60 Minuten, die Minute in 60 Sekunden eingeteilt (1° = 60', 1' = 60"). Neuerdings wird an Stelle dieser sexagesimalen Winkeleinteilung auch eine Zentesimalteilung benutzt, wonach der Vollkreis in 400, also ein rechter Winkel in 100 „Neugrad'' eingeteilt wird. Der Neugrad wird dann in 100 Minuten (') und die Minute in 100 Sekunden (") geteilt.
Zur Umrechnung eines Winkels vom Bogenmaß in Gradmaß bzw. umgekehrt gelten folgende Beziehungen, die man leicht ableitet, wenn man bedenkt, daß ein Vollkreis im Bogenmaß gemessen 2n Radian und im Gradmaß gemessen 360° beträgt.
- 7cm Abb. 10. Winkeleinheit im Bogenmaß
1 Radian = ~ = 57,2958° = 57° 17' 45" 2ji 1° = 17,453 • 10" 3 1' = 2,909 • 10" 4 Radian 1" = 4,85 • IO" 6 Die einfachste Vorrichtung zur Winkelmessung ist der Transporteur. E s ist dies ein mit einer Gradeinteilung versehener Halb- bzw. Vollkreis, dessen Mittelpunkt mit dem Scheitelpunkt des Winkels zur Deckung gebracht wird, während die Nullinie mit einem Schenkel des zu messenden Winkels zusammenfällt. Der Schnittpunkt des anderen Abb. 11. Theodolit Schenkels mit dem Meßkreis liefert die Größe des Winkels in Grad. Für genaue Messungen dient der Theodolit; dieser besteht aus einem mit Fadenkreuz versehenen Fernrohr, das sowohl um eine vertikale als auch um eine horizontale Achse gedreht werden kann (Abb. 11). Dadurch sind horizontale und vertikale Winkel meßbar. Die Fernrohrdrehung wird an zwei Teilkreisen mit Winkelteilung abgelesen. Gewöhnlich sind diese Teilkreise in y 2 Grad oder bei besseren Instrumenten in % Grad geteilt. Um auch hier Bruchteile dieser Teilung ablesen zu können, findet wieder der
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I. Kapitel. Maß und Messen
Nonius Anwendung. Infolge der sexagesimalen Teilung beträgt z. B. bei einer in halbe Grade geteilten Kreisteilung die Länge der Noniusskala gewöhnlich 29 Teile der Hauptskala und ist selbst in 30 Teile geteilt, so daß jedes Noniusintervall um 1 / 30 eines Teiles der Hauptteilung, d. h. um 1' zu kurz ist. Dann läßt sich eine Meßgenauigkeit von 1' erreichen. Auf weitere (optische) Verfahren der Winkelmessung wird in der Optik noch näher eingegangen.
3. Die Bestimmung von Massen Jedem Körper ordnet die Physik einen bestimmten Zahlenwert zu, den man seine „Masse" nennt; auf ihre genauere Definition gehen wir in Nr. 15 ein. Sie bleibt bei allen Veränderungen, die man mit dem Körper vornimmt, u n v e r ä n d e r t und ist daher für den betreffenden Körper charakteristisch. Eine bestimmte Menge Wasser z. B. behält ihre „Masse" sowohl, wenn wir sie gefrieren lassen, als auch im Dampf zustande unverändert bei. In einer vorläufigen Definition können wir geradezu sagen: Masse ist dasjenige Charakteristikum eines Körpers, das bei allen Verwandlungen gleich groß bleibt. Als Einheit der Masse benutzen wir in der Physik das Gramm (g). Es ist dies der 1000. Teil der Masse eines in Paris im Bureau des Poids et Mesures aufbewahrten Platiniridiumzylinders, der als Normalkilogramm (kg) bezeichnet wird. Die Masse dieses Kilogrammstückes sollte gleich der Masse eines Kubikdezimeters reinen Wassers, gemessen bei der Temperatur seiner größten Dichte, nämlich 4° C, sein. Spätere Messungen ergaben jedoch, daß das so hergestellte Normalkilogramm um 0,028 g zu groß ausgefallen ist. Trotzdem hat man es als Masseneinheit festgesetzt, indem man die ursprünglich gewählte Definition (ähnlich wie bei dem Normalmeter) aufgegeben hat. Von diesem Pariser Normalkilogramm sind 40 Kopien I. Ordnung her gestellt und an alle Kulturstaaten verteilt worden. Die in der Physik noch neben der Kilogrammeinheit und der Grammeinheit gebrauchten Tinterteilungen der Masseneinheit sind das Milligramm (mg)
= Viooo g 1
=
10-3
g
6
das Mikrogramm oder Gamma (y) = /1000 mg = 10~ g. Die Verfahren zur Messung von Massen werden wir in Kap. II, Nr. 17 behandeln. Die in der Volumeinheit enthaltene Masse nennen wir die Dichte des betreffenden Stoffes. Wir bezeichnen sie im folgenden mit o und können also schreiben: m wenn m die im Volumen V enthaltene Masse bedeutet. Gelegentlich kennzeichnet man die Dichte eines Körpers auch dadurch, daß man angibt, wievielmal so groß seine Masse gegenüber der Masse des gleichen Volumens Wasser von 4° C ist. Diese unbenannte Verhältniszahl heißt Dichtezahl; sie stimmt zahlenmäßig mit der Dichte überein. In der folgenden Tabelle sind die Dichtezahlen der wichtigsten festen, flüssigen und gasförmigen Stoffe zusammengestellt.
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4. Flächen- und Raummessungen a) Feste Körper (bei 18°) . . 2,69 . . 11,35 Blei Eisen . . 7,5 --7,8 Eis (bei 0°) . . . . . . 0,92 Glas .. 2,4-4,7 Flintglas . . 3,6 --4,7 Gold . . 19,29 Holz, Eichen- . . . . 0,7 --1,0 Tannen- . . . . 0,4 —0,7 Aluminium
Kalium Kalkspat Kochsalz Kork Kupfer Lithium Magnesium Messing Natrium Neusilber
0,86 2,71 2,15 0,20—0,35 8,93 0,53 1,74 8,1—8,6 0,97 8,6
Nickel Osmium Platin Quarz Silber Wismut Wolfram Zink Zinn
8,85 22,48 21,45 2,65 10,50 9,80 19,1 7,12 7,28
b) Flüssigkeiten (bei 18°) Äthyläther (C4H10O) Äthylalkohol (C2H5OH) Methylalkohol (CH3OH) Benzol (C„He) Chloroform (CHC13) Glyzerin (C 3 H 8 0 3 ) Jodmethylen (CH 2 I 2 ) Kohlenstofftetrachlorid (CC1 4 )..
0,716 0,791 0,793 0,881 1,493 1,26 3,27 1,596
Nitrobenzol (C 6 H 6 N0 2 ) Olivenöl Petroleum Quecksilber bei 0° Rizinusöl Terpentinöl (C 10 H le ) m-Xylol (C8H10)
1,21 0,915 0,8 13,551 13,596 0,961 0,87 0,870
c) Gase (bei 0° 760 mm Druck) Helium Kohlendioxyd Leuchtgas (etwa) Luft
0,0001785 0,0019767 0,0006 0,0012928
Sauerstoff Stickstoff Wasserstoff
0,0014289 0,0012505 0,0000899
4. Flächen- und Raummessungen Die F l ä c h e n e i n h e i t wird von einem Quadrat dargestellt, dessen Seite gleich der Längeneinheit ist. Wählt man als solche das Urmeter, so ergibt sich das Quadratmeter (qm oder m 2 ), der lOOste Teil davon ist das Quadratdezimeter (qdm oder dm2). Dieses wird wieder in 100 Quadratzentimeter (qcm oder cm2) eingeteilt. Das Quadratzentimeter ist das in der Physik gebräuchliche Flächenmaß. Der lOOste Teil davon ist das Quadratmillimeter (qmm oder mm2). Im täglichen Leben sind ferner noch folgende Flächenmaße gebräuchlich: das Quadratkilometer (qkm oder km2) = 1000 000 m2 das Quadrathektometer (qHm oder Hm 2 ) = 1 Hektar (ha) = 10 000 m2 das Quadratdekameter (qDm oder Dm2) = 1 Ar (a) = 100 m 2 . Die Einheit des R a u m m a ß e s kann auf zweierlei Art gewonnen werden. Indem man sie vom Längenmaß ableitet, erhält man das Kubikzentimeter (cm3). Als größere Einheit, nämlich 1000 cm 3 , dient als Kubikdezimeter (dm3). Die große Genauigkeit der Massenbestimmung durch Wägung hat anderseits dazu geführt, als Volum- oder Raumeinheit dasjenige Volumen zu definieren, welches von der Masse eines Kilogramms Wasser im Maximum seiner Dichte (4° C) und beim Normaldruck von 760 mm Hg eingenommen wird. Diese Volumeinheit wird als Liter (1) bezeichnet. Der lOOOste Teil hiervon, also das Volumen eines Gramms Wasser stellt das Milliliter (ml) dar. Da nach dem auf S. 12 Gesagten die Masse des Normalkilogramms, das ursprünglich gleich der Masse eines Kubikdezimeters Wasser von 4P C gedacht war, um 0,028 g zu groß ausgefallen ist, ist demnach das Liter gleich 1,000028 dm3 oder gleich dem Volumen eines Würfels von der Kantenlänge 1,000009 dm. Dies hat weiterhin zur Folge, daß die Dichte, worunter wir nach S. 12 die Masse pro Volumeinheit verstehen, verschieden ausfällt, je nachdem ob wir das Milliliter oder
I. Kapitel. Maß und Messen
14
das Kubikzentimeter als Einheit des Volumens wählen. Im ersten Fall würde Wasser bei 4° C die Dichte 1 g/ml, im zweiten Fall die Dichte Vi,00002s = 0,999972 g/cm 3 haben. Solange der auszumessende Kaum eine einfache geometrische Gestalt (Würfel, Quader, Zylinder, Kugel usw.) hat, läßt sich sein Volumen aus seinen linearen Abmessungen ohne Schwierigkeit berechnen. Einfach ist auch die Messung eines Flüssigkeitsvolumens. Dazu verwendet man z. B. einen Meßzylinder oder eine Mensur, ein Gefäß, das durch eine auf der Wand angebrachte Teilung in Kubikzentimetern geeicht ist. Auch mittels einer Meßpipette (Abb. 12) lassen sich Flüssigkeitsmengen abmessen. Während die Ausführung Abb. 12a es nur gestattet, ein bestimmtes Volumen (z. B. 10 cm3) abzumessen, indem man die Flüssigkeit durch Ansaugen bis zur oberen Strichmarke einfüllt, hat die Ausführung Abb. 12 b noch eine auf der Wand angebrachte Teilung, so daß es möglich ist, jedes Flüssigkeitsquantum innerhalb des Fassungsvermögens zu bestimmen.
/ \
/ \ [can —7*
70 cc/n
—72 70 -zâ
\ / 2
\/ Abb. 12. Meßpipetten, a) für ein bestimmtes Volumen, b) mit Unterteilung
Abb. 13. Überlaufgefäß
Abb. 14. Pyknometer, a) normale Ausführung, b) mit Thermometer
Für weniger genaue Messungen kann ferner das Überlaufgefäß Verwendung finden (Abb. 13), das aus einem zylindrischem Gefäß mit einer seitlichen Ausflußöffnung besteht. Daher kann das Gefäß nur eine bestimmte Flüssigkeitsmenge aufnehmen, da die überschüssige Flüssigkeit herausfließt. Bei unregelmäßig gestalteten festen Körpern ist eine Volumbestimmung dadurch möglich, daß man die von den Körpern verdrängte Wassermenge mißt. Man kann also z. B. den betreffenden Körper in eine mit Flüssigkeit gefüllte Mensur werfen und feststellen, um wieviel Kubikzentimeter die Flüssigkeit steigt; oder man wirft den Körper in das oben beschriebene Überlaufgefäß und mißt die herausfließende Flüssigkeitsmenge (z. B. in einer Mensur). Eine sehr häufig benutzte Vorrichtung zur Volummessung ist das Pyknometer (Meßflasche); es ist eine Glasflasche von genau bestimmtem Rauminhalt (Abb. 14a) mit eingeschliffenem Stöpsel. Dieser besitzt eine feine Bohrung, durch die die überschüssige Flüssigkeit heraustreten kann. Da sich das Volumen einer Flüssigkeit mit der Temperatur stark ändert, ist das Pyknometer häufig mit einem Thermometer versehen (Abb. 14b). Um das Volumen fester Körper (Sand, Mineralien usw.) zu bestimmen, wird das Pyknometerfläschchen unter Verwendung einer Flüssigkeit, von der das Gewicht (s) eines Kubikzentimeters bekannt ist, gewogen, einmal, wenn es nur mit der Flüssigkeit gefüllt (Gi) und dann, wenn es mit der Flüssigkeit und dem zu messenden Körper gefüllt ist (G2). Bestimmt man dann noch das Gewicht des Körpers allein (G3), so läßt sich aus diesen drei Wägungen das Volumen V des Körpers ermitteln.
5. Zeitmessung
Es ist:
15
y ^a1+03—G2 s
F ü r Stoffe, die mit einer Flüssigkeit nicht in Berührung kommen dürfen, gibt es analoge Verfahren, bei denen an Stelle der Flüssigkeit ein Gas benutzt wird (Volumenometer). Schließlich läßt sich das Volumen V von Flüssigkeiten oder festen Körpern der Masse m auch durch eine einfache Wägung bestimmen, wenn die Dichte o des zu messenden Körpers bekannt ist. Dann ergibt sich V
=
— Q
5. Zeitmessung Bei jedem Naturvorgang spielen sich die einzelnen Ereignisse in einer zeitlichen Aufeinanderfolge ab, und es ist eine wichtige physikalische Aufgabe, die zwischen zwei Vorgängen liegende Zeit zu messen. Dazu ist zunächst die Festsetzung der Zeiteinheit notwendig. Als solche gilt in der Physik die Sekunde (sec). Sie ist der 86400.Teil eines mittleren Sonnentages. Die Zeit, die zwischen zwei aufeinanderfolgenden oberen Kulminationen der Sonne, d. h. zwischen zwei aufeinanderfolgenden Meridiandurchgängen der Sonne liegt, heißt „wahrer" Sonnentag. Dieser hat jedoch keine konstante Dauer, da sich die Erde auf einer Ellipse um die Sonne im Laufe eines Jahres mit verschiedener Bahngeschwindigkeit bewegt. Aus der in sehr übertriebenem Maßstab gezeichneten Abb. 15 geht diese tägliche Veränderung des wahren Sonnentages deutlich hervor. I n S o n n e n n ä h e mögen die StelAbb. 15. Zur Veränderung des lungen 1 und 2 der Erde zwei aufeinanderfolgenden wahren Sonnentages Kulminationen des eingezeichneten Erdmeridians durch die Sonne entsprechen. Die Erde hat dabei um ihre Achse eine Drehung von 360°+ÖC ausgeführt. I n S o n n e n f e r n e liegen zwei entsprechende Erdstellungen, die wieder zu zwei aufeinanderfolgenden Kulminationen eines Meridians durch die Sonne gehören, näher zusammen. Die Erddrehung ist jetzt während der zwischen den Kulminationen liegenden Zeit 360° + a ' . Man sieht sofort, daß « > « ' ist, d. h. der wahre Sonnentag ist jetzt um die Zeit, die der Erddrehung um den W i n k e l « — o c ' entspricht, kürzer. Der wahre Sonnentag verändert sich also von Tag zu Tag und ist daher zur Ableitung einer Zeiteinheit nicht geeignet. Man ersetzt daher die ungleichmäßige scheinbare Bewegung der Sonne um die Erde durch die gleichmäßige Bewegung einer gedachten Sonne und versteht unter einem mittleren Sonnentag die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kulminationen dieser gedachten Sonne. Der mittlere Sonnentag wird in 24 Stunden (h) zu je 60 Minuten (min) zu je 60 Sekunden (sec) eingeteilt. Dieses auf die Erddrehung gegründete Zeitmaß ist keineswegs vollkommen. Dazu wäre die Voraussetzung, daß die Erddrehung auch über längere Zeiten konstant ist. Nun bedingt aber bei rotierenden Massen jede Massenverlagerung in Richtung senkrecht zur Drehachse eine Änderung der Umdrehungsgeschwindigkeit und damit der Umlaufszeit. Bei der Erde können solche Massenverlagerungen durch Entstehen oder Verschwinden von Gebirgen, Seen usw. bewirkt werden. Es hat daher nicht an Vorschlägen gefehlt, eine Zeiteinheit zu schaffen, die diese Veränderlichkeit nicht besitzt. Das würde z. B. der Fall sein, wenn als Zeiteinheit die Zeit gewählt würde, die das Licht braucht, um die Länge eines Normalmeters hin und zurück zu durchlaufen.
Um Zeiten zu messen, brauchen wir Vorrichtungen, die in reproduzierbarer Weise bestimmte Zeitdauern angeben. Solche Anordnungen nennen wir Uhren. Bereits im Altertum h a t man zu diesem Zweck das Auslaufen von Wasser aus einem Gefäß mit einer bestimmten Öffnung benutzt; die Zeit wird durch die Menge des ausgelaufenen Wassers bestimmt. Nachbildungen derartiger Wasseruhren, die mehr oder weniger
I. Kapitel. Maß und Messen
16
kunstvoll ausgeführt waren, finden sich im Deutschen Museum in München. Z. B. hat G a l i l e i 1620 nach diesem Verfahren die Zeit bei seinen berühmten Fallversuchen bestimmt und heute noch benutzen wir im täglichen Leben die „Eieruhr". An Stelle dieser relativ ungenauen Verfahren benutzt der Physiker heute zur Zeitmessung Anordnungen, die durch p e r i o d i s c h sich w i e d e r h o l e n d e Bewegungen die Zeiteinheit oder Vielfache davon in reproduzierbarer Form liefern 1 ). Wir beschreiben im folgenden einige einfache derartige Mittel zur Zeitmessung, ohne aui die Einzelheiten des Aufbaus moderner Uhren einzugehen.
Abb. 16. Metronom
Abb. 17. Unruhe einer Uhr
Zur Zählung von Sekunden dient das gewöhnliche Sekundenpendel ( H u y g e n s 1673); es ist dies ein Pendel (s. S. 139), das zum Ausführen eines Hin- oder Herganges gerade eine Sekunde braucht. Indem man gleichzeitig das schwingende Pendel und den Ablauf des zu messenden Vorganges beobachtet, kann man durch Abzählen der Pendelschwingungen die Dauer des Ablaufes angeben. Häufig besitzt das Sekundenpendel eine Vorrichtung, die nach Ablauf jeder Sekunde ein Knacken bzw. ein Glockensignal erzeugt, so daß man die Sekundenschläge zählen kann, ohne das Pendel selbst zu beobachten. Um die Schwingungen des Pendels, die ohne besondere Maßnahmen infolge der Luft- und Lagerreibung langsam abklingen würden, dauernd aufrechtzuerhalten, wird das Pendel, wie es bei jeder Pendeluhr geschieht, mittels eines Uhrwerks dauernd zu neuen Schwingungen angestoßen (s. S. 161). Ein auf diesem Prinzip beruhender Zeitmesser ist das Metronom ( M ä l z e l 1813), das in Abb. 16 dargestellt ist. Das Metronom besitzt ein mit Schlagwerk versehenes Pendel, dessen Schwingungsdauer innerhalb weiter Grenzen durch eine auf der oberen Pendelstange verschiebbare Masse verändert werden kann. Die Anzahl der Schwingungen pro Minute und damit auch die Zeit zwischen zwei Schlägen läßt sich auf einer hinter der Pendelstange angebrachten Teilung ablesen. Als Zeitmesser mit einer Genauigkeit von 1 / 2 bis 1 sec dient die gewöhnliche Taschenuhr mit Sekundenzeiger. Der gleichmäßige Gang derartiger Uhren wird durch die Unruhe bedingt. Diese besteht, wie es Abb. 17 andeutet, aus einem kleinen Schwungrad, dessen Achse in Spitzenlagern möglichst reibungslos gelagert ist. An der Achse 1 ) Tür die höchsten Anforderungen an Genauigkeit benutzt man bei den sog. „Quarzuhren" kleine Quarzstäbe, die elektrisch angeregt werden und mit einer Frequenz von 60000 schwingen (s. S. 413). Es gelingt damit, eine Genauigkeit der Zeitmessung von 0,001 sec/Tag zu erreichen; dies bedeutet in drei Jahren erst eine Schwankung von 1 sec. Diese Genauigkeit wird noch übertroffen von der „Atomuhr", bei der zur Zeitmessung eine bestimmte Eigenschwingung, z. B. des NH3Molekiils (2,38704 • 1010 Schwingungen/sec.) benutzt wird.
17
5. Zeitmessung
des Rades ist das eine Ende einer Spiralfeder befestigt, deren anderes Ende von einer feststehenden Säule gehalten wird. Dreht man das Rad aus seiner Ruhelage heraus und läßt es dann los, so vollführt es unter der Wirkung der Spiralfeder Drehschwingungen mit konstanter Schwingungsdauer (s. S. 147). Bei der normalen Taschenuhr braucht die Unruhe zu einer halben Schwingung 1 / 5 sec. In diesen Zeitabständen erfolgt die Steuerung des Uhrwerkes und das Ticken der Uhr. Genauere Messungen kürzerer Zeiten bis herunter zu 1 / 100 sec liefert die Stoppuhr. Es ist dies eine Taschenuhr, deren Werk so eingerichtet ist, daß der Zeiger in einer Minute bzw. in einer Sekunde einmal herumläuft. Ist also der Umfang des Zifferblattes in 100 Teile geteilt, so läßt sich im letzteren Fall noch 1 / 100 Sekunde genau ablesen. Durch Druck auf einen Knopf beginnt der Zeiger zu laufen, bei einem zweiten Druck bleibt der Zeiger stehen, so daß man die gestoppte Zeit ablesen kann, und ein dritter Druck auf den Knopf läßt den Zeiger wieder in die Nullage zurückspringen und macht
Abb. 19. Stimmgabelsehreiber
Abb. 18. Modell einer elektrischen Uhr zur Messung kurzer Zeiten
die Uhr für eine neue Messung fertig. Die Technik stellt auch Stoppuhren her, die zwei umlaufende Zeiger besitzen, die gleichzeitig loslaufen, aber nacheinander angehalten werden können, so daß sich bei einem Vorgang zwei Zeitabstände hintereinander messen lassen. Zuweilen ist eine solche Stoppuhr noch mit einer elektrischen Kontaktvorrichtung versehen, durch die beim ersten Drücken des Knopfes im gleichen Augenblick, wenn der Zeiger losläuft, ein Kontakt geschlossen wird, um erst beim Anhalten des Zeigers wieder geöffnet zu werden. Dadurch ist es möglich, den zu messenden Vorgang auf elektrischem Wege einzuleiten und wieder anzuhalten. Von den sehr vielen, zum Teil sehr komplizierten Verfahren, die heute zur Messung sehr kurzer Zeiten von weniger als 1 / 100 sec zur Verfügung stehen, können nur einige typische Anordnungen hier besprochen werden. In Abb. 18 ist schematisch eine Anordnung gezeichnet, bei der eine auf ihrem Umfang in 100 Teile geteilte Scheibe C von einem an das Wechselstromnetz anschaltbaren Synchronmotor B mit z. B. genau 100 Umdrehungen in der Minute gedreht wird. Die Scheibe kann durch die am Winkelhebel D angebrachte Stahlschneide a festgehalten werden, während der Motor weiterläuft. Zu diesem Zweck sitzt die Scheibe C nur mittels einer Reibungskuppelung E auf der Motorachse. Wenn nun durch Druck auf die Taste d oder durch Einschalten des Elektromagneten G die Hemmung bei a aufgehoben wird, beginnt die Zeitmessung und endigt erst dann, wenn die Schneide a wieder gegen den Rand der Scheibe schlägt. Beachtet man, daß man noch halbe Skalenteile auf der Scheibe ablesen kann, so erkennt man, daß man mit dieser Anordnung bei 100 Umläufen in der Minute noch Zeiten von 3 / 1000 sec messen kann. Auch Stimmgabelschwingungen, deren Zahl pro Sekunde je nach der Stimmgabel zwischen 100 und einigen Tausend liegt, benutzt man häufig zur Festlegung kurzer Zeitabschnitte. Die Abb. 19 zeigt den sogenannten Stimmgabelschreiber. Auf einer berußten Trommel schreibt eine an einer Stimmgabelzinke befestigte Spitze eine B e r g m a n n u. S c h a e f e r ,
Experimentalphysik.
I
2
18
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
Wellenlinie auf, während die Trommel gedreht wird und sich dabei gleichzeitig in Richtung der Trommelachse verschiebt. Letzteres wird durch Ausbildung der Trommelachse als Schraubenspindel bewirkt. Markiert m a n mit einer besonderen Vorrichtung (in Abb. 19 nicht gezeichnet) auf der Trommel gleichzeitig den Beginn und das Ende der zu messenden Zeitspanne, so kann man diese Zeit durch Auszählen der Stimmgabelschwingungen mit großer Genauigkeit leicht ermitteln. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß man sehr kurze, aber periodisch wiederkehrende Zeitdauern, wie z. B. die Schwingungsdauer einer Feder, die Umlaufszeit eines schnell rotierenden Rades usw. dadurch messen kann, daß man den betreffenden Vorgang intermittierend beleuchtet (Stroboskopie, P l a t e a u 1832). Man verändert zu diesem Zweck, bei t i e f e n Frequenzen anfangend, die Beleuchtungsfrequenz etwa durch Benutzung einer rotierenden Lochscheibe so lange, bis der betreffende periodische Vorgang stillzustehen scheint. Dies ist n u r dann möglich, wenn der betrachtete Vorgang, z. B. die schwingende Feder, von zwei aufeinanderfolgenden Lichtblitzen an der gleichen Stelle des Raumes getroffen wird. Ist die Lochzahl der Scheibe m und ihre Umdrehungszahl pro Sekunde k, so ist die gesuchte Zeitdauer der Federschwingung Zu beachten ist dabei folgendes: Wenn der periodische Vorgang bei k Umdrehungen der Lochscheibe zum Stillstand gekommen ist, so gilt das gleiche auch bei 2 k, 4 k . . . Umdrehungen derselben; dann aber sieht m a n den schwingenden Körper (z. B. die schwingende Feder) gleichzeitig in 2, 4 , . . . Lagen. Zur Berechnung der Schwingungsdauer ist daher nur die t i e f s t e Frequenz der Lochscheibe zu verwenden. II. K a p i t e l
M e c h a n i s c h e G r u n d b e g r i f f e ; Mechanik d e s Massenpunktes 6. Absolute und relative Ruhe und Bewegung; Begriff des Massenpunktes Von einem Gegenstand können wir im allgemeinen durch einfache Beobachtung sagen, ob er seine Lage unverändert beibehält oder ob er seine Stellung dauernd verändert. I m ersten Fall sagen wir, der betreffende Körper sei in Buhe, im zweiten Fall sprechen wir von einer Bewegung des Körpers. Diese Bewegung kann ganz verschiedenartiger N a t u r sein. Bewegt sich der Körper so, daß er in gleichen Zeitabschnitten gleiche Wege zurücklegt, so nennen wir die Bewegung eine gleichförmige; sind jedoch die in gleichen Zeiten zurückgelegten Wege verschieden, so haben wir es mit einer ungleichförmigen Bewegung zu tun. Bewegen sich die einzenen P u n k t e des Körpers auf einander parallelen Linien um gleiche Stücke in der gleichen Zeit, so handelt es sich um eine fortschreitende Bewegung oder Translation, behält dagegen eine im Körper festliegende Linie oder ein festliegender P u n k t eine feste Lage im R a u m bei, während die anderen P u n k t e des Körpers konzentrische Kreise u m diese Achse bzw. Kugeln um diesen P u n k t beschreiben, so sprechen wir von einer Drehbewegung oder Rotation. Schließlich kann es vorkommen, daß bei einer Drehbewegung eines Körpers die Achse selbst noch eine fortschreitende Bewegung a u s f ü h r t : dann macht der Körper gleichzeitig eine translatorische und eine rotatorische Bewegung. Dieser Fall liegt z. B. bei einem rollenden R a d e vor. J e d e noch so verwickelt erscheinende Bewegung kann stets aus Transations- u n d Rotationsbewegungen zusammengesetzt werden. Sowohl von R u h e als auch von Bewegung eines Körpers läßt sich nur sprechen, wenn wir den Körper relativ zu seiner Umgebung betrachten oder genauer gesagt,
6. Absolute und relative Bewegung
19
wenn wir ein B e z u g s s y s t e m zugrunde legen, relativ zu dem Ruhe oder Bewegung beurteilt wird. Im gewöhnlichen Leben wählen wir als solches Bezugssystem die Erde und geben die Lage eines Körpers dadurch an, daß wir seine Entfernung vom Äquator sowie von einem Nullmeridian angeben und außerdem als dritte Größe die Höhe über dem Meeresspiegel wählen. Wenn man nun sagt, daß ein so festgelegter Körper „ruhe", so gilt diese Aussage natürlich nur relativ zur Erdoberfläche; denn in bezug auf die Sonne als Bezugskörper führt der Körper sowohl eine Drehbewegung wie auch eine Translation aus, da die Erde sich um ihre Achse dreht und gleichzeitig eine geschlossene Bahn um die Sonne ausführt. Man kann daher stets nur von relativer Ruhe bzw. Bewegung sprechen. Noch ein weiteres Beispiel möge dies erläutern: Steht man auf einem Schiff, das flußabwärts fährt, so ist man relativ zum Schiff in Ruhe, auf das Ufer bezogen jedoch in einer fortschreitenden Bewegung. Bewegt man sich auf dem Schiff entgegen der Fahrtrichtung, so vollführt man relativ zum Schiff eine translatorische Bewegung, während man unter Umständen sich relativ zum Ufer in Ruhe befinden kann. Von absoluter Buhe oder Bewegung zu sprechen, hat also nur einen Sinn, wenn man ein Bezugssystem zugrunde legen könnte, das sich wirklich in Ruhe befindet. Eine Reihe mechanischer Versuche wird später zeigen, daß als solches Fundamentalsystem ein Bezugssystem angesehen werden kann, das im Fixsternhimmel festgelegt ist. Natürlich ist auch dies im Grunde eine r e l a t i v e Bewegung, nämlich relativ zu der Gesamtheit der Fixsterne. Aber während es nach den Gesetzen der Mechanik u n z u l ä s s i g wäre, anzunehmen, daß die E r d e r u h t und der Fixsternhimmel sich bewegt, ist die umgekehrte Annahme (ruhender Fixsternhimmel und bewegte Erde) mit ihr verträglich, d. h. das ptolcmäische Weltsystem widerspricht unserer Mechanik, während das kopernikanische mit ihr in Einklang ist.
Man benutzt zur Festlegung von Längen und Bewegungen sogenannte Koordinatensysteme, die in dem Bezugssystem verankert sind. Das am häufigsten benutzte System besteht aus drei zueinander senkrechten Geraden, „ K o o r d i n a t e n a c h s e n " , die man mit den Buchstaben X, Y und Z bezeichnet Z (Abb. 20). Die positiven Richtungen der drei Achsen sind dabei so gewählt, daß die Y-Achse durch p2 eine Rechtsdrehung um 90° aus der X-Achse und ¿2 die Z-Achse wieder durch eine ebensolche RechtsPT drehung aus der Y-Achse hervorgegangen ist *1 -Vi (rechtshändiges System). Der Schnittpunkt dieser drei Geraden heißt der N u l l p u n k t oder der Anf a n g s p u n k t des Koordinatensystems. Die Lage À i eines Punktes P im Raum wird durch die drei y, senkrechten Abstände x, y, z von den Achsen anX gegeben, wobei die Vorzeichen dieser Zahlen anAbb. 20. Zur Erklärung des rechtgeben, auf welcher Seite der Achse in bezug auf den winkligen Koordinatensystems Nullpunkt der betreffende Punkt liegt. In der Abb. 20 hat somit der Punkt P t die Koordinaten + xi> + Vi und + zlt dagegen P 2 die Koordinaten — x2, — y2 und — z 2 . Die Abstände der beiden Punkte von dem Koordinatenanfangspunkt sind durch die Beziehungen = l/*i2
+ Vi + Zi2
und
r2 =
+ y2a +
z22
gegeben. Der gegenseitige Abstand der beiden Punkte ist: d =
— (— x2)f
+ [Vl -
(— y2)f
+ (*x — z2)2.
Bei den Betrachtungen dieses Kapitels ist es zweckmäßig, zunächst nicht von ausgedehnten Körpern zu sprechen, sondern nur von materiellen Punkten oder Massenpunkten. Unter einem Massenpunkt versteht man einen so kleinen Körper, daß seine Lage hinreichend genau durch e i n e n geometrischen Punkt angegeben werden kann. 2*
20
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
Das hat den großen Vorteil, daß auch seine Bewegung sehr einfach bestimmbar ist. Bei einem Punkt hat es offenbar keinen Sinn, von einer Rotation zu sprechen; die Bewegung ist also eine rein translatorische. Experimentell h a t man es freilich stets mit ausgedehnten Körpern zu tun, und wir werden daher im nächsten Kapitel der „Mechanik eines Massenpunktes" eine „Mechanik der Systeme von Massenp u n k t e n " an die Seite stellen müssen; da jeder ausgedehnte Körper als ein Aggregat von Massenpunkten betrachtet werden kann, werden wir dann auch die Bewegung ausgedehnter Körper beherrschen. Außerdem läßt sich zeigen, daß es in jedem System, also in jedem ausgedehnten Körper, e i n e n P u n k t gibt (den sogenannten Schwerpunkt), der sich genau nach den Gesetzen e i n e s Massenpunktes bewegt. Wenn wir daher bei der Behandlung der e i n z e l n e n Massenpunkte auch gezwungen sind, mit ausgedehnten Körpern zu experimentieren, so rechtfertigt sich das dadurch, daß wir immer an Stelle der Körper den Schwerpunkt derselben meinen.
7. Gleichförmig geradlinige Bewegung; Begriff der Geschwindigkeit Ein Massenpunkt bewegt sich gleichförmig geradlinig, wenn er auf gerader Bahn in gleichen Zeiten gleiche Wege zurücklegt. Bezeichnen wir mit s die in der Zeit t zurückgelegte Wegstrecke, so ist das Verhältnis s/t eine Konstante. Diese Konstante, die im folgenden mit c bezeichnet wird, nennen wir die Geschwindigkeit des Punktes 1 ). Wir können auch sagen: D i e S t r e c k e , d i e ein P u n k t b e i g l e i c h f ö r m i g g e r a d liniger Bewegung in der Z e i t e i n h e i t z u r ü c k l e g t , h e i ß t seine Geschwind i g k e i t , oder: bei geradlinig gleichförmiger Bewegung erhält man die Geschwindigkeit als Quotient aus zurückgelegter Wegstrecke s und der während der Durcheilung von s verflossenen Zeit t. Es ist also:
Sind also die Geschwindigkeit c und die Zeit t, während der sich die Bewegung abspielt, bekannt, so kann man auf Grund der Gleichung (1) die vom Massenpunkt durchlaufene Wegstrecke s angeben. Der Zahlenwert der Geschwindigkeit hängt von den benutzten Einheiten für Länge und Zeit ab; wir sagen z. B.: ein Wagen fährt auf gerader Strecke mit einer Geschwindigkeit von 3,6 km/Stunde oder, was das gleiche ist, mit 60 m/min oder 100 cm/sec. Um also die Maßzahl der Geschwindigkeit zu erhalten, hat man die Maßzahl der Länge durch die Maßzahl der Zeit zu dividieren. Um anzudeuten, welche Benennungen die Zahlen haben, aus denen die Maßzahl der Geschwindigkeit entsteht, geben wir dem Ergebnis die Benennung z. B. cm/sec. Das Symbol cm/sec ist ein Ersatz für die Geechwindigkeitseinheit, man nennt es die Dimension der Geschwindigkeit und schreibt sogenannte Dimensionsgleichungen, in denen man die zu untersuchende Größe (hier die Geschwindigkeit) und ihre Dimension in eckige Klammern einschließt. Sind Länge und Zeit in beliebigen Einheiten gemessen, so deutet man die Längeneinheit durch den Buchstaben l, die Zeit durch t an. Für die Geschwindigkeit heißt dann die Dimensionsgleichung : (2) [e] = P f - i ] . Neben die hier vorkommenden Grundgrößen der Länge und der Zeit tritt noch eine dritte, die Masse, mit dem Symbol m. In der Mechanik können wir alle physikalischen Größen auf diese drei Grundgrößen zurückführen. Wir verstehen dann unter Dimension die Angabe der Potenz, mit der die drei Grundgrößen in die physikalische Größe eingehen. Man kann also die Dimension jeder aus den drei Grundgrößen abgeleiteten Größe in der Form ma lb t° ausdrücken, wobei a, b, c Zahlen sind, die positiv, negativ oder gleich Null sein können. c = Abkürzung von „eeleritas"
21
7. Gleichförmig geradlinige Bewegung
Wählen wir speziell als Grundeinheiten für die Länge das Zentimeter (cm), für die Masse das Gramm (g) und für die Zeit die Sekunde (sec), so bezeichnet man dieses Maßsystem als das Zentimeter-Gramm-Sekunden-System, kurz als CGS-System. In diesem Maßsystem lautet dann die Dimension der Geschwindigkeit: [c] = [cm sec - 1 ].
(2 a)
Ein großer Nutzen dieses Dimensionsbegriffes besteht in der Möglichkeit, in einfacher Weise die Richtigkeit einer aufgestellten Gleichung zu prüfen. Diese ist nur dann richtig, wenn die Dimensionen der Ausdrücke auf beiden Seiten der Gleichung dieselben sind. Außerdem kann man häufig aus Dimension sgleichungen eine physikalische Gesetzmäßigkeit finden (siehe z. B. Nr. 75, S. 359). Ein weiterer Vorteil besteht in der Durchsichtigkeit der Umrechnung von einem Maßsystem in ein anderes. Wenn wir z. B. eine Geschwindigkeit von 10 cm/sec in k m / h ausdrücken wollen, so haben wir: 10 cm sec
10 • 10" 6 km
0,36 km/h.
Einen Überblick über die im täglichen Leben vorkommenden Geschwindigkeiten gibt in Durchschnittswerten folgende Tabelle: 1,5 2—4 6 5—8 7,6 8 — 11 9 10-13 5-20 16 — 25 25-30 30
m/sec
m/sec
m/sec Fußgänger Schwacher Wind Wettläufer Pferd im Galopp Fliege Schlittschuhläufer . . . Blutumlauf (Mensch) . Schnelldampfer Radfahrer Personenzug Schnellzug Brieftaube
Luftschiff Sturm Schwalbe Kraftwagen Flugzeug Schall in der L u f t bei 0° Schall im Wasserbei 19° Umdrehung der Erde am Äquator Geschoß e. Feldkanone Geschoß e. Infanteriegewehres
bis 40 40 40-70 bis 100 bis 200 331 1461 465 620 H 820
Geschoß e. Langrohr1600 geschützes km/sec Mond 1 Umdrehung d. Sonne am Äquator 2 Erde auf Bahn u m Sonne 29,6 Sternschnuppe 20 — 150 Licht u. elektr. Wellen im Vakuum 300000
Zur Angabe einer Geschwindigkeit ist nach dem Vorhergehenden die Messung einer Strecke sowie die Bestimmung einer Zeit erforderlich. Als Beispiel für einemGeschwindigkeitsmessung sei im folgenden die Bestimmung der Mündungsgeschwindigkeit einer Pistolenkugel ausgeführt (Abb. 21). Auf der verlängerten Achse eines Elektromotors M, dessen Umlaufszahl mit einem Umdrehungsmesser U gemessen werden kann, sind im Abstand s zwei Pappscheiben und S2 befestigt. Feuert man aus der Pistole P in der bezeichneten Richtung parallel zur Achse des Motors durch die Pappscheiben einen Schuß, der die erste Scheibe an der Stelle ax trifft, so wird die Scheibe S2 an Abb. 21. Messung der Geschwindigkeit einer Stelle a2 durchschlagen, die gegenüber der einer Pistolenkugel Durchschußöffnung in S-l um den Winkel oc versetzt ist. Denn um den Winkel oc dreht sich die Scheibe, während das Geschoß'die Strecke s zurücklegt. Macht die Scheibe Z Umdrehungen pro Minute, so ergibt sich a 60
für die Flugzeit des Geschosses längs der Strecke s die Zeit t = T^Y damit für die Geschwindigkeit der Wert c = j = ^
a
— QZ
u
. Bei einem Versuch war z. B.
s = 30 cm und Z = 1800 Umdrehungen/min. Für oc ergab sich ein Betrag von 15°, so daß c =
6
30 1800 _ ^ ^ ^ ^ 15
S ec
_1
= 216 m sec -1 .
22
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
8. Geschwindigkeit bei ungleichförmiger Bewegung Das im vorangehenden Gesagte bezog sich auf eine gleichförmige Bewegung. E s stand uns daher frei, bei der Bestimmung der Geschwindigkeit sowohl die in einer beliebig großen Zeit als auch die in einer beliebig kleinen Zeit zurückgelegte Strecke zu benutzen. Dieses Verfahren versagt aber, wenn der sich bewegende Punkt auf geradliniger Bahn in gleichen Zeiträumen verschieden große Wege zurücklegt; z. B. seien die zur Zurücklegung der ungleichen Strecken s 2 — Sj, s 3 — s 2 , s 4 —- s 3 usw. in Abb. 22 erforderlichen Zeiten gleich, also t2 — t1 = t3 — t2 = ii — t3 usw. Bilden wir nun zur Bestimmung der Gei 1 1 1 schwindigkeit die Quotienten 5,
S2
S3
5«
Abb. 22. Zur Geschwindigkeit bei ungleich förmiger Bewegung
tn
t-t
so ergeben diese natürlich verschiedene Werte für die Geschwindigkeit. Aber die genannten Quotienten stellen nur Durchschnittswerte der Geschwindigkeit, die sogenannte mittlere Geschwindigkeit, in den betreffenden Zeitintervallen dar; mit anderen Worten: wenn
man dem Punkt zur Zeit t2 an der Stelle s 2 die Geschwindigkeit
-J-2 erteilen würde, 2
so durcheilte er die Strecke s3—s2 in gleichförmiger Bewegung und würde zur Zeit t3 in Punkt s3 eintreffen. Während also Anfang und Ende der Bewegung richtig dargestellt werden, können wir über die Lage des Punktes in den dazwischen liegenden Zeiten n i c h t s aussagen. Man sieht ohne weiteres ein, daß die Größe der mittleren Geschwindigkeit von der Größe des gewählten Zeitintervalls abhängt, und daß somit die wirkliche Bewegung um so ungenauer dargestellt wird, je größer das Zeitintervall ist; man muß daher, um den wahren Wert der Geschwindigkeit zu erhalten, das Zeitintervall s o k l e i n wie m ö g l i c h w ä h l e n . Einen solch kleinen Zeitraum nennen wir ein „Zeitelement" und bezeichnen es mit At. Der in diesem Zeitelement zurückgelegte A s .
Weg wird entsprechend als „Wegelement" As bezeichnet. Dann ist —— ¡ die m i t t l e r e J t
G e s c h w i n d i g k e i t im Zeitintervall A t. Bildet man diesen D i f f e r e n z e n q u o t i e n t e n für immer kleinere Zeitelemente, so geht er schließlich in den ersten D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n von s nach t über, und wir können schreiben: a
..
As
ds
t-*o
At
dt
lim — =
•
Dieser Grenzwert, der zwar von t, aber nicht mehr von der Größe des Zeitintervalles abhängt, gibt den Betrag der Geschwindigkeit c im „Zeitpunkt t" an. Wir haben also die Beziehung: m - j t und können sagen: Die Geschwindigkeit ist der erste Differentialquotient des Weges nach der Zeit. Die Gleichung (3) wurde hier entsprechend Abb. 22 für eine geradlinige Bewegung abgeleitet. Man sieht aber leicht, daß von der Voraussetzung der Geradlinigkeit in Wirklichkeit keinerlei Gebrauch gemacht wurde, so daß die Gleichung (3) auch für jede krummlinige Bewegung und damit ganz allgemein gilt. Auf einen besonderen Punkt muß aber noch hingewiesen werden. Eine Geschwindigkeit ist nicht nur durch die Angabe des Zahlenwertes definiert, sondern zu ihrer vollkommenen Bestimmung gehört auch die Angabe der Richtung. Zwei Geschwindig-
9. Beschleunigung bei geradliniger Bewegung
23
keiten sind verschieden, sowohl wenn sie in gleicher R i c h t u n g verschieden große Beträge h a b e n , als a u c h wenn sie bei gleicher Größe nach verschiedener R i c h t u n g weisen.
Größen, zu deren vollständiger Charakterisierung neben der Angabe eines Zahlenwertes (des sogenannten Betrages) noch die Angabe einer Bichtung erforderlich ist, bezeichnet man als Vektoren, im Gegensatz zu den S k a l a r e n , die (wie z.B. Zeit oder Volumen) bereits durch eine Maßzahl bestimmt sind. 9. Begriff der Beschleunigung bei geradliniger B e w e g u n g Wie wir im letzten Abschnitt sahen, ist bei einer ungleichförmigen Bewegung die Geschwindigkeit nicht k o n s t a n t , sondern ä n d e r t sich zeitlich. B e t r a c h t e n wir zunächst eine geradlinige ungleichförmige Bewegung, so nennen wir diese, je n a c h d e m die Geschwindigkeit bei der Bewegung in gleichen Zeiträumen u m gleiche Beträge zu- oder a b n i m m t , eine gleichmäßig beschleunigte oder verzögerte Bewegung. S t a t t von Verzögerung können wir auch, was wir im folgenden der Einfachheit halber stets t u n werden, v o n negativer Beschleunigung sprechen. Bezeichnet m a n m i t c„ die Geschwindigkeit zu Beginn der B e o b a c h t u n g u n d m i t c n a c h Ablauf von t Sekunden, so gibt der Ausdruck
C
t
C
" = a 1 ) die Geschwindigkeitsänderung in der Zeiteinheit a n . I n dem
vorliegenden Fall ist a ein k o n s t a n t e r W e r t . F ü r eine gleichmäßig beschleunigte geradlinige Bewegung können wir d e m n a c h sagen:
Die Beschleunigung ist die Geschwindigkeitsänderung in der Zeiteinheit. Wir h a b e n also die Gleichung: Die Dimension der Beschleunigung ist n a c h (4) \_ct~1'] u n d u n t e r Rücksicht auf Gl. (2): [¿¿~2] bzw. im absoluten M a ß s y s t e m : [cm sec~ 2 ]. Schreiben wir Gl. (4) in der F o r m (5)
c = at + c 0 ,
so gibt uns die Gleichung die Möglichkeit, die Endgeschwindigkeit eines k o n s t a n t beschleunigten Massenpunktes nach t Sekunden zu berechnen, wenn Beschleunigung a u n d Anfangsgeschwindigkeit c 0 gegeben sind. Die Wegstrecke s, die ein gleichmäßig beschleunigter K ö r p e r in der Zeit t zurücklegt, l ä ß t sich folgendermaßen b e s t i m m e n : Der etwa a u s d e m Z u s t a n d der R u h e (c 0 = 0) beschleunigte K ö r p e r , h a t nach t Sek u n d e n die Geschwindigkeit c = at erreicht, wenn a die Beschleunigung bedeutet. D a diese Geschwindigkeit gleichmäßig mit der Zeit z u n i m m t , ist die m i t t l e r e Geschwindigkeit cm w ä h r e n d der Zeit t gleich d e m halben W e r t der Endgeschwindigkeit at; also ist der zurückgelegte Weg (6)
s -•-c m t =
-at2.
E s ist also bei gleichmäßig beschleunigter geradliniger Bewegung der zurückgelegte W e g gerade h a l b so lang, als wenn die Bewegung m i t der Endgeschwindigkeit in der gleichen Zeit gleichmäßig erfolgt wäre. Aus den Gleichungen (5) und (6) folgt weiterhin:
(7)
as.
D a s einfachste Beispiel f ü r das zuletzt Gesagte liefert der freie Fall, auf den wir weiter u n t e n noch n ä h e r eingehen werden. D i e bisher g e b r a u c h t e Definition der Beschleunigung versagt, wenn es sich u m Bewegungen h a n d e l t , deren Geschwindigkeit sich ungleichmäßig ändert. I n diesem Fall ist die Z u n a h m e bzw. A b n a h m e der Geschwindigkeit in gleichen aufeinandera = Abkürzung von „acceleratio".
24
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
folgenden Zeiträumen verschieden groß, und wir müssen in Analogie zu den auf S. 22 bei der Definition der Geschwindigkeit gebrachten Überlegungen die Geschwindigkeitsänderung A c in einem hinreichend kleinen Zeitelement A t betrachten. Macht man dann wieder den Grenzübergang zu unendlich kleinen Zeitelementen, so können wir schreiben: ,m Aa de (8) a — hm — = , v ' a t —o At dt d. h. die Beschleunigung einer geradlinigen Bewegung wird durch den Differentialquotienten der Geschwindigkeit nach der Zeit bestimmt. da Setzen wir für c den in (Gl. 1) angegebenen W e r t c = ^ ein, so ergibt s i c h : (0)
=
in W o r t e n : Die Beschleunigung einer geradlinigen Bewegung ist der zweite Differentialquotient des Weges nach der Zeit. Wir können noch hinzufügen, was man leicht einsieht, daß in diesem F a l l die Richtung der Beschleunigung mit derjenigen der Geschwindigkeit, also des Bahnelementes, übereinstimmt, so daß wir auch von einer Bahnbeschleunigung oder Tangentialbeschleunigung sprechen; um dies anzudeuten, haben wir in Gl. (9) der Beschleunigung den Index t („tangential" zur B a h n ) hinzugefügt. Nun erwähnten wir oben, daß wegen des Vektorcharakters eine Geschwindigkeit sich auch dann ändert, wenn sich nur die Richtung, nicht aber ihre Größe ändert. Auch in diesem Falle muß also eine Beschleunigung vorhanden sein, die wir die Normalbeschleunigung (a n ) nennen; diese werden wir im übernächsten Abschnitt näher untersuchen. E i n e allgemeine Bemerkung sei noch hinzugefügt. Ebenso wie wir die Geschwindigkeit als sekundliche Änderung der Lage, die Beschleunigung als sekundliche Änderung der Geschwindigkeit eingeführt haben, könnte man natürlich eine entsprechende Änderung der Beschleunigung als „Beschleunigung zweiter Ordnung", deren Änderung wieder als „Beschleunigung dritter Ordnung" usw. einführen. E s ist von fundamentaler Bedeutung, daß man derartige weitere Begriffsbildungen n i c h t n o t w e n d i g h a t : Die Mechanik kommt mit den Begriffen „Geschwindigkeit" und „Beschleunigung" aus, und zwar wird sich herausstellen, daß der zentrale Begriff die Beschleunigung ist; wir kommen darauf in den Nummern 14 und 15 noch zurück.
10. Zusammensetzung und Zerlegung von Bewegungen; Parallelogramm der Bewegungen W i r wiesen bereits bei der Definition der Geschwindigkeit darauf hin, daß diese die Eigenschaft eines Vektors besitzt, d. h. neben ihrem Betrage noch die Angabe der R i c h t u n g verlangt. Dasselbe gilt auch von der Beschleunigung. Man kann daher solche Größen, d. h. Yektoren, nicht wie gewöhnliche Zahlen behandeln, also nicht in der gewöhnlichen Weise addieren oder subtrahieren; wenn z. B . ein Massenpunkt gleichzeitig zwei Bewegungen mit absolut gleicher, aber verschieden gerichteter Geschwindigkeit ausführen soll, so weiß man von vornherein gar nicht, was überhaupt unter der „ S u m m e " dieser beiden Geschwindigkeiten verstanden werden soll. Nur in dem einfachen Falle, daß die beiden zusammenzusetzenden Bewegungen (oder Geschwindigkeiten oder Beschleunigungen) die gleiche oder gerade entgegengesetzte Richtung haben, kann man diese Vektoren nach den gewöhnlichen Rechenregeln a d d i e r e n (im ersten Falle) und s u b t r a h i e r e n (im zweiten Falle). I m folgenden bezeichnen wir
10. Parallelogramm der Bewegungen
25
Vektoren s t e t s mit großen oder kleinen d e u t s c h e n fettgedruckten Buchstaben; also z. B. die Geschwindigkeit mit C, die Beschleunigung mit d, ein (in bestimmter Riehtung durchlaufendes) Wegelement mit oL% usw. Wenn Anfang und Ende einer gerichteten Strecke durch Buchstaben, z. B. durch A und B bezeichnet sind, so wird der Vektorcharakter durch einen darübergesetzten Pfeil angedeutet, also AB. Komponenten von Vektoren nach bestimmten Richtungen (z. B. nach der x- oder y-Richtung) erhalten einen entsprechenden Index, z. B. Cx (^-Komponente der Geschwindigkeit C) oder (tv (y-Komponente der Beschleunigung fl). Allgemein wird der a b s o l u t e B e t r a g eines Vektors durch lateinische Buchstaben bezeichnet, z. B. c und a für die Beträge der Vektoren C und (t. Wir betrachten den Fall, daß ein Massenpunkt mehrere Bewegungen gleichzeitig ausführen soll. Für den Ablauf seiner Gesamtbewegung gilt erfahrungsgemäß das Prinzip von der Unabhängigkeit der Bewegungen oder Superposition von Bewegungen: Führt ein Körper gleichzeitig mehrere Bewegungen aus, so ist der von dem Körper erreichte Ort unabhängig davon, ob die Bewegungen gleichzeitig oder einzeln nacheinander ausgeführt werden. Damit ist identisch der Satz vom „Parallelogramm der Bewegung": Führt ein Körper gleichzeitig zwei geradlinige Bewegungen aus, so bewegt er sich längs der Diagonale des aus den beiden Teilbewegungen gebildeten Parallelogramms. Wir können uns diese beiden Formulierungen durch folgende einfache Versuche anschaulich machen: Eine Tafel T (Abb. 23) sei zwischen zwei Schienen 5 in vertikaler Richtung verschiebbar. Führt man mit einem Stück Kreide bei ruhender Tafel auf dieser eine Bewegung in horizontaler Richtung aus, so gelangt man z. B. vom Punkt A auf geradliniger Bahn nach dem Punkt B. Führt man dagegen in vertikaler Richtung eine Bewegung mit der Kreide auf der Tafel aus, indem man z. B. die Tafel gegen die im Punkte A angesetzte Kreide verschiebt, so gelangt man zu dem Punkte C. Werden nun diese beiden EinzelbeweAbb. 23. Zusammensetzung gungen des Kreidestückes gegen die Tafel gleichzeitig zweier Bewegungen ausgeführt, indem man bei nach oben sich bewegender Tafel gleichzeitig die Kreide in horizontaler Richtung von A nach rechts bewegt, so gelangt man zum Punkt D. Die „resultierende" Bewegung oder die „Summe" der Einzelbewegungen ist also AD, d. h. die D i a g o n a l e d e s a u s d e n E i n z e l b e w e g u n g e n AB
u n d AC g e b i l d e t e n R e c h t e c k s . Zu demselben
Punkt D gelangt man auch, wenn man erst die Bewegung A B in horizontaler Richtung bei ruhender Tafel ausführt und dann die vertikale Bewegung von B nach D anschließt. Man kann auch die beiden Teilbewegungen AB und BD in irgendeiner anderen Wegfolge so ausführen, daß dabei die gesamte erste und die gesamte zweite Bewegung vollführt werden, also etwa so, daß man bei dem Versuch die Kreide zunächst von A nach 1, dann von 1 nach 2, von 2 nach 3, von 3 nach 4, von 4 nach 5 und schließlich von 5 nach D führt. Die in d i e s e l b e Richtung fallenden Teilbewegungen A — 1> 2 — 3 und 4 — 5 ergeben die eine Teilbewegung A B, während sich die anderen Bewegungen 1 — 2 , 3 — 4 und 5 — D zur zweiten Teilbewegung BD zusammensetzen; > — denn die Teilbewegungen A — 1, 2 — 3, 4 — 5 einerseits und die Teilbewegungen 1 — 2 , 3 — 4, 5 — D anderseits sind ja unter sich g l e i c h g e r i c h t e t und können daher in diesem speziellen Falle wie g e w ö h n l i c h e Zahlen addiert werden. Da die
26
I I . Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
Geschwindigkeit C = — ist, d. h. sich von der gerichteten Strecke
nur durch den
skalaren Zahlenfaktor ^ unterscheidet, so sieht man, daß sich auch zwei G e s c h w i n d i g k e i t e n nach dem Parallelogrammsatz zusammensetzen, und das gleiche gilt auch von den B e s c h l e u n i g u n g e n . Führt z. B. ein Massenpunkt (Abb. 24) gleichzeitig
Abb. 24. Zusammensetzung zweier Ge schwindigkeiten Ci und c2
Abb. 25. Zusammensetzung von vier Geschwindigkeiten zu einer Resultierenden
zwei Bewegungen mit den Geschwindigkeiten ti und C2 aus, so ergibt sich die „resultierende" Geschwindigkeit c nach Größe und Richtung als Diagonale eines Parallelogramms mit den Seiten Cx und C2. Um diese Resultierende zu finden, hat man die vollständige Konstruktion des Parallelogramms übrigens nicht nötig; es genügt vielmehr, wenn man die Geschwindigkeit C2 nach Größe und Richtung an den Endpunkt der Geschwindigkeit Ci anfügt. In Abb. 25 ist gezeichnet, wie sich 4 Geschwindigkeiten CD C2, C3 und C4 zu der resultierenden Geschwindigkeit C zusammensetzen.
Y
'iL
*>—v
Abb. 26. Zerlegung eines Vektors in zwei zueinander rechtwinklige Komponenten
Abb. 27. Zerlegung eines Vektors c in die drei Komponenten t x , C«, und C2 parallel zu den Koordinatenachsen
Die Zusammensetzung von Bewegungen, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen spielt im täglichen Leben eine große Rolle. Fliegt z. B. ein Flugzeug von Norden nach Süden mit einer bestimmten Geschwindigkeit und weht gleichzeitig ein Wind aus Osten, so erhält das Flugzeug eine zusätzliche Geschwindigkeit durch den Wind in Richtung Ost—West, folglich eine resultierende Geschwindigkeit, die um einen gewissen Winkel von der Nord—Süd-Richtung nach Westen abweicht; sie bewirkt die sogenannte „Abtrift" des Flugzeuges. Oder wenn ein Schwimmer versucht, quer über einen Fluß zum jenseitigen Ufer zu schwimmen, so kommt senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung eine durch die Strömung des Flusses bedingte Geschwindigkeit hinzu, die eine resultierende Geschwindigkeit mit der Richtung schräg zum gegenüberliegenden Flußufer liefert, so daß der Schwimmer das jenseitige Ufer ein entsprechendes Stück weiter abwärts erreicht. Ebenso wie sich mehrere Vektoren zu einer Resultierenden zusammensetzen, läßt sich umgekehrt ein gegebener Vektor in verschiedene Komponenten zerlegen. Damit
11. Krummlinige Bewegung; Beschleunigung
27
diese Zerlegung aber eindeutig ist, muß die Richtung der einzelnen Komponenten vorgeschrieben sein. In Abb. 26 ist dargestellt, wie ein vorgegebener Vektor C in der x y-Ebene in die beiden Komponenten Cx und Cy parallel zu der x- und y-Achse zerlegt wird. Ist oc die Neigung des Vektors C gegen die x-Achse, so sind die Beträge der Komponenten cx und cy offenbar gegeben durch cx = c cos oc
und
cy = c sin oc;
hieraus folgt weiterhin für den Betrag der resultierenden Geschwindigkeit c = 1/c„* +
cw*.
Die Abb. 27 zeigt schließlich die Zerlegung eines im Raum gelegenen Vektors C in die drei Komponenten Cx, C„ und C 2 , deren Richtungen parallel den Koordinatenachsen x, y, z sind. E s ist üblich, die Neigungswinkel des Vektors C gegen die Koordinatenachsen, mit oc, ß, y zu bezeichnen; dann gelten für die Beträge die Beziehungen: cx =
c cos oc;
cy = c cos ß;
cz=
c cosy ,
woraus wieder folgt: C = l/cm* + Cf* + c,2 .
ds Da nach Gl. (3) c =
, und da dx, dy, dz die Projektionen von ds auf die Koordinaten-
achsen sind, d. h. da dx = ds c o s a ; erhält man durch Division mit dt: dx °x = dt'
dy = ds cos/3;
" di'
C =
dy
dz = ds cosy ,
°*=
dz dt'
womit die Komponenten von C als erste Differentialquotienten der Koordinaten nach der Zeit ausgedrückt sind.
11. Krummlinige Bewegung; allgemeine Definition der Beschleunigung Wir haben bisher bei unseren Überlegungen nur Bewegungen in gerader Bahn vorausgesetzt. Wir betrachten jetzt einen Massenpunkt, der den in Abb. 28 gezeichneten ebenen Kurvenzug durchläuft. In jedem Punkt seiner Bahn ist die augenblickliche Richtung seiner Geschwindigkeit durch die Tangente an diesen Punkt der Kurve gegeben. Für bestimmte Punkte 1, 2 und 3 sind die betreffenden Geschwindigkeitsvektoren eingezeichnet. Sie unterscheiden sich im allgemeinen sowohl in ihrer absoluten Größe, als auch durch ihre Richtung. Da eine Geschwindigkeitsänderung Abb. 28. Zur krummlinigen Bewegung stets eine Beschleunigung darstellt, besteht die Aufgabe, diese in den einzelnen Bahnpunkten festzustellen. Wir greifen in Abb. 29a ein kleines Bahnelement d§ zwischen zwei Punkten P 1 und P 2 der gekrümmten Bahn heraus und zeichnen in diesen beiden Bahnpunkten die dort geltenden Geschwindigkeitsvektoren C1 und C 2 ein. Wenn das Bahnelement hinreichend klein ist, kann es als Teil eines Kreises, des sogenannten Schmiegungskreises, betrachtet werden. Errichtet man in den Berührungspunkten die Lote, so schneiden sich diese in dem Mittelpunkt 0
28
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
des Schmiegungskreises. Die beiden so gewonnenen Radien r bilden miteinander den Winkel dq>, den auch die beiden Geschwindigkeitsvektoren Cj und miteinander einschließen. In der Abb. 29 b sind die beiden Geschwindigkeiten Cj und (2 nochmals nach Größe und Richtung von einem gemeinsamen Anfangspunkt P aus eingetragen. Die Verbindungslinie ihrer Endpunkte AB liefert dann einen Vektor de, der nach Größe und Richtung die Geschwindigkeitsänderung darstellt, die der Punkt bei der Bewegung längs des Bahnelementes d% erfährt. Nach S. 24 bedeutet diese Geschwindigkeitsänderung aber eine Beschleunigung, deren Richtung mit der von d C zusammenfällt. Der Vektor A B ist also proportional der gesuchten Beschleunigung, seine absolute Größe ist noch unbekannt. Wir zerlegen AB in zwei zueinander senkrechte Komponenten AG und OB parallel und senkrecht zur Richtung von Cj; dann erhalten wir
Abb. 29. Zur Ableitung der Normalbeschleunigung
Abb. 30. Zur Berechnung der Normalbeschleunigung
für a zwei Komponenten; die eine parallel zu Ci bezeichnen wir als Tangentialbeschleunigung de, während die andere senkrecht zu Cj Normalbeschleunigung ttn genannt wird, (ti ist also lediglich die Änderung der G r ö ß e der Geschwindigkeit bei gleichbleibender Richtung und besitzt nach (9) den Betrag nrIN
dc a
*=
d2" Tt=dW
Um die Komponente fl„, die die Richtungsänderung von Cx hervorruft, zu berechnen, betrachten wir die Abb. 30; in dieser stellt P1P2 ein hinreichend kleines Wegelement der krummlinigen Bahnkurve dar, das als Teil eines Schmiegungskreises um 0 angesehen werden kann, und das in der Zeit dt von dem Massenpunkt durchlaufen werden soll. Wenn sich der Massenpunkt von P 1 aus u n b e s c h l e u n i g t weiter bewegte, so würde er in der Zeit dt in Richtung der Kreistangente nach A gelangen. Die nach dem Punkt 0 gerichtete Beschleunigung zwingt den Punkt aber auf die Kreisbahn, so daß er nach dem Punkt P 2 gelangt. Wir fällen von P 2 das Lot auf den von P1 nach 0 gezogenen Radius. P j C ist dann die Strecke, um die der Punkt von der Tangente nach dem Kreismittelpunkt in der Zeit dt beschleunigt bewegt wird. Nach Gleichung (6) ist also: PXC =
\andfi-
11. Krummlinige Bewegung; Beschleunigung
29
aus der Ähnlichkeit der beiden Dreiecke P1CP2 und P1P2B folgt weiter die Proportion: P1C:P1P2
=
PiP^Piß.
Je kleiner nun die Zeit dt gewählt wird, um so mehr nähert sieh die S e h n e P j P 2 dem B o g e n P1P2- Letzterer ist aber gleich c • dt, so daß wir für P 1 C erhalten: 1
2r
Aus einem Vergleich dieses Ausdruckes für P1C mit dem vorher gefundenen folgt dann: 1
nix
(dsY
Passen wir zusammen, so können wir sagen, daß bei jeder krummlinigen Bewegung eine Beschleunigung auftritt, die sich im allgemeinen in zwei Komponenten zerlegen läßt, von denen die Tangentialkomponente a t in Richtung der Bahntangente wirkt und nur eine Ä n d e r u n g des B e t r a g e s der Bahngeschwindigkeit hervorruft, — von dieser Komponente allein ist in Nr. 9 die Rede —, während die Normalbeschleunigung a„ senkrecht zur Bahn in Richtung der Bahnnormalen nach der konkaven Seite hin gerichtet ist und die Ursache für die Ä n d e rung der G e s c h w i n d i g k e i t s r i c h t u n g dar^ ¿y stellt (Abb. 31). Der Betrag Ch 1 \ ; x^ty^ 5 ^ a der Gesamtbeschleunigung ist aus at und an natürlich nach ¿jf ^V dem Parallelogrammsatz bestimmt zu: ¡P 2 (Ha)
a = Va? + an .
Abb. 31. Komponentenzerlegung der Beschleunigung bei krummliniger
Man kann die Zerlegung der Beschleunigung in Bewegung eine Tangentialbeschleunigung dt und eine Normalbeschleunigung a n umgehen, wenn man sie auf die Koordinatenachsen projiziert; nennt man die Winkel, die a mit denselben bildet, oc, ß, y, so hat man nach dem Parallelogrammsatz für die Beträge: ax = a cos ot, ay = a cos ß , az = a cos y . Für a x , a y , fl, erhält man sehr einfache Ausdrücke, wenn man bedenkt, daß z. B. a x die Beschleunigung der g e r a d l i n i g e n Bewegungskomponente parallel der ^-Richtung dx . • ' d. h. die sekundliche Änderung der Geschwindigkeit cx = ist. Daher ergibt sich sofort: d2x d2 y d2z a a a (Hb) *=dP> * = l¥>' ' = dVDas heißt: Die Beschleunigungskomponenten in kartesischen Koordinaten sind die zweiten Ableitungen der Koordinaten nach der Zeit. Den Betrag der Gesamtbeschleunigung a findet man nach dem Parallelogrammsatz zu 1 / id2 x\2 , /d2y\2 , /d2z\2 a
= \/M + U l j + M •
Die Bequemlichkeit dieser Ausdrücke für die Beschleunigungskomponenten beruht offensichtlich darauf, daß wir hier die einfachen Formeln für die Tangentialbeschleunigung benutzen dürfen, da die Projektionen jeder Bewegung auf die Koordinatenachsen g e r a d l i n i g sind. Wir haben bisher angenommen, daß die krummlinige Bewegung in einer E b e n e verläuft; ist dies nicht der Fall, haben wir es also mit einer krummlinigen r ä u m l i c h e n Bewegung zu tun, so läßt sich für die betreffende Bahn an jeder Stelle eine sogenannte S c h m i e g u n g s e b e n e finden, an deren Richtung sich eine durch den betreff enden Punkt
30
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
und zwei benachbarte Punkte hindurchgelegte Ebene um so besser anlegt, je näher die drei Punkte beieinander liegen. In dieser Schmiegungsebene liegt dann sowohl die Tangentialbeschleunigung d« und Normalbeschleunigung 3n> so gehorchen sämtliche Massenpunkte des Systems den Bewegungsgleichungen:
(48)
=
Das ist nichts Neues. Neues aber gewinnen wir, wenn wir alle diese Gleichungen addieren. Denn in der links auftretenden Summe a l l e r Kräfte heben sich nach dem dritten N e w t o n s c h e n Gesetz die i n n e r e n heraus, und es bleibt nur die (nach dem Parallelogrammsatz zu bildende) Resultierende der ä u ß e r e n Kräfte übrig, die wir durch den Index „a" auszeichnen. Auf der rechten Seite steht der erste zeitliche Differentialquotient von der Summe sämtlicher Impulse; somit erhalten wir:
2J
~
T t H • 5*
68
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
Ersetzen wir nun die äußeren K r ä f t e durch ihre Resultante S , ebenso die Summe der Impulse durch den (ebenfalls nach dem Parallelogrammsatz zu bildenden) Gesamtimpuls SO können wir Gleichung (49a) schreiben: (49 b) in Worten: Bei einem System von Massenpunkten ist die resultierende äußere Kraft gleich der sekundlichen Änderung des Gesamtimpulses ( E r s t e r I m p u l s s a t z ) . Diese Gleichung ist die direkte Verallgemeinerung der Newtonschen Bewegungsgleichung e i n e s Massenpunktes in der Impulsform (39); denn auch dort ist ja die Kraft, die auf der linken Seite auftritt, die ä u ß e r e Kraft. Diese Verallgemeinerung wird offensichtlich nur dadurch möglich, daß infolge des dritten Axioms die inneren Kräfte sich herausheben. Dies bedingt natürlich eine g r o ß a r t i g e V e r e i n f a c h u n g , da man sich um die i n n e r e n Kräfte nicht zu kümmern braucht; ohne das dritte N e w t o n s c h e Axiom wäre — so kann man ohne Übertreibung sagen — eine „Mechanik der Systeme" gar nicht durchführbar. Wir werden in der nächsten Nummer den 1. Impulssatz in eine noch bequemere und anschaulichere Form bringen, wodurch die Analogie zur Mechanik e i n e s Massenpunktes womöglich noch stärker hervortritt.
Besonders einfach und bedeutsam wird der erste Impulssatz, wenn das betrachtete System f r e i ist. Dann g i b t es k e i n e ä u ß e r e n K r ä f t e , die Summe der inneren anulliert sich wie vorhin, d. h. die auf der linken Seite von (49) stehende resultierende K r a f t ® ist gleich Null. Somit folgt: (50)
-jj- = 0 ,
oder
3
=
constant.
In einem freien System bleibt der resultierende Impuls $ (nach Größe und Richtung) erhalten. W a r d e r s e l b e i n s b e s o n d e r e zu i r g e n d e i n e r Z e i t d e r B e w e g u n g g l e i c h N u l l , s o b l e i b t er a u c h w ä h r e n d d e r g a n z e n B e w e g u n g g l e i c h Null. Experimentell läßt sich der „Satz von der Erhaltung des Impulses" in folgender Weise demonstrieren: Wir knüpfen an den in der vorigen Nummer erwähnten Versuch an, bei dem zwischen zwei Wagen von den Massen m 1 und ra2, die auf einer horizontalen glatten Unterlage beweglich sind, eine zusammengedrückte Feder angebracht ist. Die sich entspannende Feder erteilt den beiden Massen nach dem dritten N e w t o n schen Axiom entgegengesetzt gleiche Kräfte, die Wagen erhalten nach Ablauf der Kraftwirkung Geschwindigkeiten Cx und C2, die einander entgegengesetzt gerichtet sind; die Impulse sind also tn1 bzw. m2C2 und weisen natürlich gleichfalls in entgegengesetzte Richtungen. Da zu Beginn des Versuches (alles in Ruhe!) der Gesamtimpuls jedenfalls Null ist, so muß er es auch nach dem Versuche sein, d. h. es muß gelten: (51)
m 1 Ci + m2C2 = 0 .
Das bedeutet aber, daß die Absolutbeträge der Geschwindigkeiten c1 und c 2 sich umgekehrt wie die Massen Wj und m 2 verhalten, was der Versuch auch wirklich ergibt. Besonders einfach ist der Sonderfall, daß beide Massen gleich sind; dann ist Ct = — C2, d. h. auch die Geschwindigkeiten sind dann entgegengesetzt gleich. D e r S a t z v o n d e r E r h a l t u n g d e s I m p u l s e s s t e l l t im G r u n d e genommen nur eine andere F o r m u l i e r u n g des d r i t t e n Newtonschen A x i o m s v o r . Z . B . läßt sich die Wirkung der Rakete, die wir in der vorigen Nummer als Beispiel für das dritte Axiom erörterten, natürlich auch mit Hilfe des Impulssatzes erklären: Die Pulvergase mit der Masse m 1 werden mit einer großen Geschwindigkeit C1 von der Rakete ausgestoßen, erhalten also einen Impuls m 1 C l . D a zu Beginn die Rakete in Ruhe war, hatte sie den Gesamtimpuls Null; damit dieser nach dem Anzünden der Rakete erhalten bleibt, muß die Rakete mit ihrer Masse m 2 eine Be-
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktsatz
69
wegung mit der Geschwindigkeit C2 ausführen, so daß m1 Cj + m2C2 = 0 ist. Hieraus berechnet sich m,5 C,2 = C, . tn2 1 In der Ballistik macht man bei der Bestimmung der Geschoßgeschwindigkeit mit dem sogenannten ballistischen Pendel von dem Satz der Erhaltung des Impulses Gebrauch. Das ballistische Pendel (Abb. 67) besteht aus einer an einer Stange aufgehängten großen Masse M (z. B. Kiste mit Sand). Das Geschoß, dessen Geschwindigkeitsbetrag bestimmt werden soll, und das die Masse m haben möge, wird in den Pendelkörper hineingeschossen, so daß es darin stecken bleibt; auf diese Weise erteilt das Geschoß dem Pendel eine bestimmte Geschwindigkeit Cj. Bestimmt man diese (etwa aus der Steighöhe h des Pendels) zu Cx = |/2gA (s. hierzu S. 33), so gilt nach \ dem Impulssatz für ein freies System die Gleichung: i .-fiä-^-imc — (M + w)c x ; hierin ist mc der Impulsbetrag vor und (MJrm)c1 sein Wert nach dem Eindringen des Geschosses in den Pendelkörper. Für die GeschoßÄ bb . 6 7 . Ballistisches Pendel geschwindigkeit ergibt sich damit der Ausdruck c— ——— ]/ 2gh, in dem alle Größen auf der rechten Seite der Messung zugänglich sind. Mißt man statt h, was bequemer ist, den maximalen Ausschlagswinkel tx des Pendels, und die Pendellänge l, so hat man statt h die Größe l (1 — cos«) einzusetzen. In dem Impulssatz treffen wir zum zweitenmal auf ein Gesetz, das aussagt, daß eine gewisse Größe einen konstanten Wert besitzt, oder daß die zeitliche Änderung einer Größe Null ist. Das erste , , E r h a l t u n g s g e s e t z " fanden wir bereits in Nr. 21 für die Energie. In der Physik ist man stets bemüht, solche Erhaltungssätze zu finden; sie ermöglichen in besonders einfacher und durchsichtiger Weise die Formulierung aller Erscheinungen.
24. Massenmittelpunkt (Schwerpunkt); erster Impulssatz; Schwerpunktsatz In der vorangehenden Nummer hatten wir eine andere Formulierung des ersten Impulssatzes angekündigt, die die Analogie zur Bewegungsgleichung (32) eines Massenpunktes noch deutlicher herausstellen sollte. Dazu bedürfen wir eines neuen Begriffes: Die einzelnen Massen m^ bis mn des betrachteten Systems liegen zerstreut an verschiedenen Stellen des Raumes; wir wollen versuchen, sie durch die Gesamtmasse + % + • •• + an einer Stelle des Raumes so zu ersetzen, daß das oben gesteckte Ziel erreicht wird. Wir beginnen mit einem ganz einfachen Fall: Wir betrachten zwei gleiche Massen m in einem bestimmten Abstände voneinander. In diesem Falle liegt es nahe, sie zu ersetzen durch die Gesamtmasse 2m, die wir auf der Verbindungslinie, und zwar so anbringen, daß sie dieselbe gerade h a l b i e r t . Haben wir es aber mit zwei verschiedenen Massen m1 und m2 zu tun, so erhebt sich natürlich die Frage aufs neue, wo nunmehr die Gesamtmasse m1 + m2 auf der Verbindungslinie anzubringen ist. Darüber kann natürlich nur die Erfahrung entscheiden, und jeder mögliche theoretische Ansatz muß sich an ihr bewähren. Immerhin kann man von vornherein vermuten, daß die Gesamtsumme jetzt nicht mehr in der Mitte der Verbindungslinie anzubringen ist, sondern n ä h e r an der g r ö ß e r e n Masse. Wir wollen demgemäß genauer ver-
70
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
langen, d a ß die G e s a m t m a s s e den A b s t a n d der E i n z e l m a s s e n im umgek e h r t e n V e r h ä l t n i s der E i n z e l m a s s e n w, und m 2 t e i l t . Diese Festsetzung hat sich in der Tat bewährt. Die Lage der beiden Einzelmassen m1 und m2 sei etwa dadurch bestimmt, daß wir die Lagevektoren t j und x2 angeben, die von einem w i l l k ü r l i c h e n Bezugspunkte 0 gezogen sind (Abb. 68). „ Die Verbindungsstrecke A B ist dann als der Vektor (t 2 — z u betrachten; denn nach den Regeln der Vektoraddition (Paralellogrammkonstruktion) ist die Resultierende von OA = t, und AB = t2 — t j eben der Vektor OB = x2• Bringen wir jetzt im Punkte C, dem Endpunkte des zu bestimmenden Lagevektors t die Masse tn1 + m2 an, dann ist — wieder nach den Regeln der Vektoraddition — (52)
f l
A C = t — t C R == v t„ — — CB 2
l
t
t v -;
da diese Strecken sich umgekehrt wie die Massen m1 und m2 verhalten sollen, und ihre Summe gleich A B = V 2 — s e i n muß, so muß gelten:
(52 a)
m, . . ^ - i - s r n ^ v - t j .
Man überzeugt sich in der Tat leicht, daß durch (52 a) unseren Forderungen genügt wird. Es ergibt sich also — durch Division beider Gleichungen — aus (52 a):
oder ausgerechnet: (52b)
t — tt ro2 - _
=
r2 — t m1 '
+ m2r2 m1 + m2
Diese Gleichung liefert uns den zur Bestimmung des Ortes C der Gesamtmasse m -\-m dienenden Lagevektor f . Nehmen wir jetzt eine dritte Masse m3 mit dem Lagevektor t3 hinzu und vereinigen m i t dieser dritten nach der gleichen Vorschrift die in C befindliche Masse m1 + Masse m3, so finden wir für den Ort der neuen Gesamtmasse m1 + m2 + m 3 , d. h. für seinen Lagevektor, den wir wieder x nennen wollen, die zu (52b) analoge Gleichung: 1
(52c)
2
- _ m^i + m2ta + m3x3 m1
+
m2
+
m3
'
Man erkennt nun schon das allgemeine Gesetz der Bildung: Wenn wir n Massen m1, tn2, . . . , mn an den Enden der Lagevektoren t 1 : t2, • • • , Xn ersetzen wollen (Abb. 69), so haben wir die Gesamtmasse mx + m2 + • • • + m„ an dem Endpunkte S des Vektors i anzubringen: n
™vtv
71
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktsatz
Projiziert man die Lagevektoren t und t , auf die Koordinatenachsen, so erhält man die kartesischen Koordinaten x, y, z des Punktes, an dem die Gesamtmasse vereinigt ist: 2Jmrxv - _ £mvyv (53 a) x = y JJmr ' £H™, mv ' " j;mr ' Legt man den Koordinatenanfangspunkt direkt in diesen X = x =y = ~z — 0, und man hat dann die Gleichungen: (53b)
£mvt, = 0,
2mvxv = 0,
2mryr = 0,
Punkt,
so werden
2mtz, = 0,
die auch als Definition dieses ausgezeichneten Punktes gelten können. Natürlich wissen wir noch nicht, ob unser ganzes Verfahren physikalische Bedeutung hat; selbst wenn es keinen tieferen physikalischen Sinn hätte, so ist es doch jedenfalls in sich zulässig und einwandfrei; auf alle Fälle haben wir einen
A/m,)
Abb. 68. Bestimmung des Massenmittelpunktes zweier Massen m1 und m2
Abb. 69. Bestimmung des Massenmittelpunktes von n Massen
g e o m e t r i s c h e n P u n k t im System festgelegt. Glücklicherweise erweist es sich aber auch als hervorragend nützlich. Der durch (53) bestimmte Lagevektor der Gesamtmasse 2* m ist ei-n auf bestimmte Weise aus den Einzelmassen und Einzellagevektoren gebildeter M i t t e l w e r t . Man erkennt dies besonders deutlich an Gl. (53 b): Die Summe der auf diesen „mittleren" Punkt bezogenen, mit den Massen mv multiplizierten Abstände X, dieser Massen ist gleich Null; d. h. die positiven und negativen Anteile dieser Summen anullieren sich, was offenbar nur dann möglich ist, wenn der Punkt, bezüglich dessen dies der Fall ist, eine m i t t l e r e Lage besitzt. Wir wollen daher den Endpunkt des Vektors f den „Massenmittelpunkt" nennen; noch gebräuchlicher ist der Name „Schwerpunkt"; ihre Begründung erfährt diese letztere Bezeichnung in Nr. 33 Folgendes ist von Bedeutung: Unsere ganze Ableitung beruht auf den Gleichungen (52a), die auch bei zahlreichen Massen ja immer wieder angewendet werden. In ihr treten nur die Massen und ihre gegenseitigen Abstände auf; wo der Bezugspunkt 0 liegt ist daher ganz gleichgültig. Die L a g e des Massenmittelpunktes ist daher ausschließlich durch das System der Massen bestimmt, aber gänzlich unabhängig von der Wahl des Bezugspunktes, der ja nur eine mathematische Hilfskonstruktion ist.
Wir wollen uns jetzt vorstellen, daß die Massen unseres Systems sich b e w e g e n , d.h. daß die Lagevektoren t , in einer kleinen Zeit dt übergehen i n t , + dt„. D a n n ä n d e r t sich g l e i c h z e i t i g die L a g e des S c h w e r p u n k t e s . E r hat nunmehr den Lagevektor r + d i . Und die Größe und Richtung seiner Verschiebung folgt durch Differentiation von (53) zu:
n
2m,dtv 1
72
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten.
Dividieren wir beide Seiten dieser Gleichung durch das Zeitelement dt, in dem die Verrückungen d t , und dt vor sich gehen, so folgt: di _ dt
drv Zm>HF '
dv —TT = C, ist aber die G e s c h w i n d i g k e i t des v-ten Massenpunktes (nach Größe und di Richtung), j j = c ist a l s o d i e G e s c h w i n d i g k e i t d e s S c h w e r p u n k t e s . Wir haben (54) also dafür:
C =
•
Natürlich brauchen die Geschwindigkeiten C, nicht k o n s t a n t zu sein, da die einzelnen dt Massenpunkte im allgemeinen eine Beschleunigung 0„ = -—• besitzen werden; dann (tt ist im allgemeinen natürlich auch der Schwerpunkt beschleunigt. Für dessen Beschleunigung erhalten wir durch nochmalige Differentiation von (54) nach der Zeit: (55) Multiplizieren wir nun in Gl. (54) mit der Gesamtmasse £ my = M herauf, so erhalten wir: (54a)
Ml =
.
Rechts steht jetzt die Vektorsumme der Einzelimpulse der Einzelnlassen, d. h. der Gesamtimpuls § unseres Systems, links offenbar der Impuls 3 des Schwerpunktes. Gl. (54a) lautet daher in Worten: Der Gesamtimpuls eines beliebigen Systems ist gleich dem Impuls des Schwerpunktes. Nun hatten wir in Gl. (49a) den ersten Impulssatz formuliert; unter Benutzung von (54a) können wir ihn jetzt so aussprechen: Bei einem System von Massenpunkten ist die resultierende äußere Kraft gleich der sekundlichen Änderung des Impulses des Schwerpunktes. Und da die sekundliche Änderung des Schwerpunktsimpulses gleich dem Produkt der in ihm konzentrierten Gesamtmasse M und der Beschleunigung ft des Schwerpunktes ist, können wir schließlich den ersten Impulssatz auch schreiben: (56)
9 = Mä ,
in Worten: Bei einem beliebigen System ist die resultierende äußere Kraft gleich dem Produkt aus seiner Gesamtmasse und der Beschleunigung des Schwerpunktes. In dieser Form (56) hat der erste Impulssatz genau die Gestalt der Newtonschen Bcwegungsgleichung (32) für einen einzelnen Massenpunkt. Darin liegt für uns die Berechtigung, daß wir einen solchen „Schwerpunkt" überhaupt eingeführt, und daß wir ihn auf die dargelegte Art bestimmt haben. Es folgt daher der Satz: Im Schwerpunkt eines Systems kann man sich dessen Gesamtmasse vereinigt und die resultierende äußere Kraft angreifend denken. Darin liegt schließlich auch die Rechtfertigung der Tatsache, daß wir im vorigen Kapitel, das vom einzelnen Massenpunkt handelt, dennoch mit ausgedehnten Körpern (d. h. mit Systemen von Massenpunkten) experimentierten, weil es eben nicht anders geht. Gemeint war in diesen Fällen immer der S c h w e r p u n k t der benutzten Körper.
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktsatz
73
Besonders einfach wird natürlich jetzt auch d e r S a t z v o n d e r „ E r h a l t u n g d e s I m p u l s e s " f ü r f r e i e S y s t e m e . D a f ü r solche der Gesamtimpuls k o n s t a n t bleibt, können wir jetzt sagen, d a ß d e r I m p u l s d e s S c h w e r p u n k t e s e i n e s f r e i e n S y s t e m s k o n s t a n t b l e i b t , oder auch, nach (56), d a die ä u ß e r e K r a f t gleich Null ist, d a ß der S c h w e r p u n k t eines f r e i e n S y s t e m s u n b e s c h l e u n i g t ist. Er h a t eine n a c h Größe u n d R i c h t u n g k o n s t a n t e Geschwindigkeit C. Der Schwerpunkt eines freien Systems bewegt sich daher nach dem Trägheitsgesetz: Er ist entweder in Ruhe oder in gleichförmiger geradliniger Bewegung begriffen. I n dieser F o r m n e n n t m a n den E r h a l t u n g s s a t z des Impulses a u c h den Satz von der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes. Auch in folgende negative Aussage k a n n m a n den Satz kleiden: In einem freien System (in dem also Einwirkung äußerer Kräfte fehlt), kann durch die Wirkung der inneren Kräfte der Schwerpunkt nicht verschoben werden. Folgender Versuch veranschaulicht die Richtigkeit dieses Satzes: Auf einem W a g e n (Abb. 70) ist ein P e n d e l aufgehängt, das an seinem unteren E n d e eine größere Masse t r ä g t . L ä ß t m a n dieses P e n d e l schwingen, so bewegt sich der W a g e n ruckweise hin u n d her, u n d zwar stets entgegengesetzt der Bewegung des P e n d e ' s . Man k a n n deutlich beobachten, d a ß der gemeinsame Abb. 70. Versuch zum Nachweis des Schwerpunkt der ganzen Anordnung, der in der Satzes von der Erhaltung der Bewegung Ruhelage des Pendels über der Mitte des Wagens des Schwerpunktes liegt, seine Lage im R a u m nicht v e r ä n d e r t . — F e r n e r : W e n n eine r u h e n d e G r a n a t e krepiert, so werden u n t e r der W i r k u n g der Pulvergase die Sprengstücke n a c h allen Seiten weggeschleudert. Die Bewegung dieser Stücke erfolgt dabei stets so, d a ß der S c h w e r p u n k t der G r a n a t e seine Lage im R a u m unverä n d e r t beibehält. — I n dem genannten Satze ist schließlich a u c h der G r u n d zu suchen, weshalb M ü n c h h a u s e n sich nicht an seinem Zopf aus dem Sumpf herausziehen kann, d a er durch innere K r ä f t e seinen Schwerpunkt nicht in Bewegung zu versetzen vermag. Auch die Richtigkeit des allgemeinen Impulssatzes (56) l ä ß t sich durch Versuche zeigen. Bringt m a n z. B. an einem Bierfilz ein Stück Blei exzentrisch an, so liegt der Schwerpunkt des beschwerten Filzes im Blei. W i r f t m a n ihn j e t z t schräg in die Höhe, wobei m a n ihm gleichzeitig noch eine beliebige drehende Bewegung erteilen kann, so beschreibt der Schwerpunkt nichtsdestoweniger die einfache parabolische W u r f bahn, die ein Massenpunkt u n t e r den gleichen Bedingungen d u r c h l ä u f t . Alle anderen P u n k t e des Filzes dagegen vollführen gleichzeitig eine drehende u n d fortschreitende komplizierte Bewegung. Die B a h n des Schwerpunktes k a n n m a n leicht beobachten, wenn m a n das Bleistück m i t einer auffallenden F a r b e anstreicht. — Die gleiche Erscheinung zeigt eine im Fluge platzende G r a n a t e ; auch hier bewegt sich der Schwerp u n k t des gesamten Systemes auf der ursprünglichen Geschoßbahn weiter. •— Die Sternschnuppenschwärme sind Bruchstücke von periodischen K o m e t e n , die zerplatzt sind; welche B a h n e n a u c h die B r u c h s t ü c k e beschreiben, der S c h w e r p u n k t d e s S y s t e m s verfolgt nach wie vor seine alte elliptische B a h n weiter. Zur rechnerischen Bestimmung des Schwerpunktes geht man, statt Gl. (53) zu benutzen, besser von der Komponenten-Darstellung (53a) aus:
74
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
Bei Körpern mit kontinuierlich verteilten Massen gehen die Summen in Integrale über, da man jedes Massenelement (dm) mit seiner Koordinate (x oder y oder z) zu multiplizieren hat:
(53 c)
f xdm Jdm
f ydrn '
Jdm
Die Berechnung läßt sich natürlich nur für geometrisch einfach gestaltete Körper durchführen. Auch ohne Rechnung erkennt man aber, daß z. B. der Schwerpunkt einer homogenen Kugel mit ihrem Mittelpunkte zusammenfällt.
25. Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) von Systemen, insbesondere starren Systemen; Translation und Rotation Der erste Impulssatz wurde in den vorhergehenden Nummern aus den N e w t o n sehen Bewegungsgleichungen (49), die für jeden Massenpunkt des betrachteten Systems gelten, in Verbindung mit dem dritten N e w t o n s c h e n Axiom von der Gleichheit der Aktion und Reaktion abgeleitet. Außer diesem Satze gilt für beliebige Systeme noch ein z w e i t e r I m p u l s s a t z , zu dessen Formulierung wir einiger Vorbereitungen in dieser und den nächsten Nummern bedürfen. Betrachten wir zunächst e i n e n Massenpunkt; seine Lage ist bestimmt durch drei Angaben, etwa die kartesischen Koordinaten x, y, z oder durch seinen Lagevektor t, d. h. durch den Betrag r desselben und zwei Winkel, die seine Richtung festlegen, oder durch drei andere, passend gewählte Abmessungen: I m m e r aber sind es drei Angaben. Bleiben wir etwa bei den kartesischen Koordinaten, dann kann man den Massenpunkt z. B . parallel der ar-Achse verschieben, ohne seine y- und 2-Werte zu ändern; das gleiche gilt von Verschiebungen parallel den y- und ^-Richtungen. Ein Massenpunkt kann also d r e i u n a b h ä n g i g e V e r s c h i e b u n g e n erleiden; er hat,wie man sagt, drei Freiheitsgrade. Daraus folgt sofort, daß ein beliebiges System von n frei beweglichen Massenpunkten im ganzen 3 n Freiheitsgrade besitzt; es ist klar, daß die Bewegung eines solchen Systems im allgemeinen sehr kompliziert ist. Wir wollen nun ein sehr wichtiges spezielles System ins Auge fassen, nämlich ein solches, b e i d e m a l l e g e g e n s e i t i g e n E n t f e r n u n g e n j e z w e i e r M a s s e n p u n k t e v o l l k o m m e n u n v e r ä n d e r l i c h s e i n s o l l e n ; ein solches System nennt man ein „ s t a r r e s " , den von dem System gebildeten Körper einen „ s t a r r e n K ö r p e r " . E s gibt in der Natur zahlreiche Körper, die sogenannten „festen", bei denen diese Bedingung sehr angenähert erfüllt ist, z. B . bei einem Stahlblock. Bei sehr genauen Messungen freilich zeigen sich Änderungen der Abstände der einzelnen Massenpunkte, die man daran erkennt, daß der feste Körper Volum- und Gestaltsänderungen unter dem Einfluß äußerer Kräfte erleidet; die Untersuchung dieser feineren Veränderungen gehört in die Lehre der E l a s t i z i t ä t (Kap. V). Hier wollen wir ganz davon absehen und bewußt die Abstraktion eines starren Körpers bilden. Wieviel Freiheitsgrade hat nun ein starres Gebilde ? Zur Beantwortung dieser Frage können wir von der Tatsache ausgehen, daß ein starrer Körper sich nicht mehr bewegen kann, wenn drei nicht in einer Geraden liegende Punkte desselben festgehalten werden. Wären dies drei freie Punkte, so würde jeder von ihnen drei Freiheitsgrade, der starre Körper also deren neun besitzen. Indessen ist dies natürlich nicht der Fall. Der Punkt 1 ist allerdings frei beweglich, hat also seine vollen drei Freiheitsgrade, Punkt 2 und 3 aber sind nicht mehr frei, da sowohl 2 wie 3 ihren Abstand von 1 nicht ändern dürfen, ebensowenig wie der Abstand von 2 und 3 veränderlich ist. Die Punkte 2 und 3 haben also drei Bedingungen zu erfüllen, unterliegen also
25. Freiheitsgrade; Translation und Rotation
75
drei Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Somit gehen von den neun Freiheitsgraden drei ab; es bleiben für den starren Körper sechs Freiheitsgrade übrig. Diese müssen sich natürlich in den Möglichkeiten seiner Bewegung bemerkbar machen. Erstens kann ein starrer Körper offenbar eine solche Bewegung ausführen, daß er dabei seine Orientierung im Räume nicht ändert. Dann verschiebt sich jeder seiner Punkte nach Größe und Richtung um die gleiche Strecke. Diese spezielle Bewegung nennt man eine Translation. Sie kann dargestellt werden durch einen Vektor, den man an einem b e l i e b i g e n Punkte des starren Körpers anbringt; sein Betrag ist gleich der Größe der Verschiebung, seine Richtung gleich der Richtung der Verschiebung zu wählen. Man nennt diesen Vektor den Translationsvektor. Wenn der starre Körper sich in dieser Weise bewegt, haben alle seine P u n k t e die gleiche Geschwindigkeit (wieder nach Größe und Richtung), und diese heißt entsprechend Translationsgeschwindigkeit. Der Translationsvektor (oder die Translationsgeschwindigkeit) kann in speziellen Fällen parallel der x-, y- oder der z-Achse gerichtet sein: B e i d e r T r a n s l a t i o n m a c h e n sich drei von den sechs F r e i h e i t s g r a d e n des s t a r r e n Körpers bemerkbar. E i n e z w e i t e B e w e g u n g s m ö g l i c h k e i t des starren Körpers ist die folgende: Wenn zwei Punkte desselben in Ruhe gehalten werden, so bleiben sämtliche Punkte der sie verbindenden Geraden in Ruhe, alle anderen Punkte beschreiben Kreise um diese Gerade als Rotationsachse. Der Winkel, um den sich der Körper dreht, ist der Rotationswinkel, das Verhältnis eines kleinen Rotationswinkels zum Zeitelement, in dem die Drehung vor sich geht, die Rotationsgeschwindigkeit (oder Winkelgeschwindigkeit). Es ist wichtig, daß sowohl die Rotation wie die Rotationsgeschwindigkeit gleichfalls V e k t o r Charakter besitzt. Denn außer ihrem Betrage sind sie noch durch die Richtung der Achse charakterisiert, um die die Drehung stattfindet; wir betrachten daher die Richtung der Rotationsachse auch als die Richtung dieser Vektoren, die wir in einem beliebigen Punkte der Achse auftragen können. Den p o s i t i v e n S i n n d e s R o t a t i o n s v e k t o r s setzen wir folgendermaßen fest: Blickt man in Richtung der Rotationsachse und erfolgt d a n n d i e D r e h u n g i m U h r z e i g e r s i n n e , so soll der Vektor der Rotation bzw. Rotationsgeschwindigkeit vom Beschauer fortweisen. Ebensogut können wir den Rotationsvektor bzw. die Rotationsgeschwindigkeit als die Resultierende von drei speziellen Rotationen bzw. Rotationsgeschwindigkeiten ansehen, die um die Koordinatenrichtungen als Rotationsachsen erfolgen (Zerlegung und Zusammensetzung geschehen nach dem Parallelogrammsatz). Man erkennt daraus, d a ß in e i n e r R o t a t i o n s b e w e g u n g u m e i n e b e l i e b i g e A c h s e s i c h die weiteren drei F r e i h e i t s g r a d e des s t a r r e n K ö r p e r s bemerklich machen. Die allgemeinste Bewegung eines starren Körpers läßt sich aus einer Translation und einer Rotation zusammensetzen; dabei kommen alle sechs Freiheitsgrade zur Geltung. Es ist noch eine dritte Bewegungsmöglichkeit des starren Körpers vorhanden: Wir können einen Punkt festhalten; alle anderen Punkte beschreiben dann Bahnen, die auf konzentrischen Kugelflächen um dieses „Rotationszentrum" liegen. Man kann indessen zeigen, daß diese Rotation um einen Punkt stets auf eine Rotation um eine durch diesen Punkt gehende Achse zurückgeführt werden kann, die allerdings im allgemeinen ihre Lage im Körper von Augenblick zu Augenblick ändert und deshalb „Momentanachse" oder „instant&ne Rotationsachse" genannt wird. Um diese dritte Bewegungsform brauchen wir uns also nicht zu kümmern. Wie schon oben erwähnt, h a t ein System von n f r e i e n Massenpunkten viel mehr Freiheitsgrade, d. h. Bewegungsmöglichkeiten als ein starrer Körper. Doch kann sich natürlich auch ein beliebiges System in Sonderfällen wie ein starrer Körper bewegen, d. h. Translation und Rotation sind mögliche Bewegungstypen aller (nicht nur starrer) Systeme. Das ist deshalb wichtig, weil der später abzuleitende „zweite Impulssatz"
76
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
sich gerade auf Rotationsbewegungen bezieht und deshalb für a l l e (nicht nur für starre) Systeme Gültigkeit besitzt. Die Zahl der Freiheitsgrade mag noch in ein paar Spezialfällen angegeben werden: Ein Massenpunkt, der sich auf einer bestimmten vorgeschriebenen Kurve bewegen muß, hat nur mehr 1 Freiheitsgrad; ist er auf eine Fläche beschränkt, kann er 2 Freiheitsgrade betätigen. Ein starrer Körper, der in einem Punkte festgehalten wird, hat offensichtlich noch 3 Freiheitsgrade; sind aber 2 Punkte festgehalten, so ist nur noch eine Bewegung mit 1 Freiheitsgrad möglich.
26. Trägheitsmoment (Drehmasse); Satz von Steiner Wir starren Wir starren gleiche
wollen im folgenden die charakteristischen Unterschiede im Verhalten des Körpers bei Translation und Rotation herausarbeiten. betrachten z . B . die kinetische Energie eines in T r a n s l a t i o n begriffenen Körpers. Da die Translationsgeschwindigkeit für jeden P u n k t desselben die ist, ist die gesamte kinetische Energie offenbar:
(57)
£kin = £ c 2 j ; W = trans
I i i .
Das ist der nämliche Ausdruck wie bei e i n e m Massenpunkt, und der innere Grund dafür ist eben die Gleichheit der Geschwindigkeit für alle Punkte. Bei einer R o t a t i o n ist dies natürlich nicht mehr der Fall. Die P u n k t e der Achse sind sämtlich in Ruhe, und die außerhalb der Achse gelegenen Punkte haben um so größere Geschwindigkeiten, je größer ihr Abstand r von der Achse ist. Bezeichnen wir den Vektor der Rotationsgeschwindigkeit mit U, seinen Betrag entsprechend mit u, so ist der Betrag der Geschwindigkeit aller Punkte im Abstände r von der Achse: c = ru . Damit ist nun der Ausdruck f ü r die kinetische Energie zu bilden: £kIn = \ 2 c 2 m = \ u i 2 m r z - , rot denn d i e R o t a t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ist im ganzen Körper konstant. Setzt man zur Abkürzung den Ausdruck (58)
(59)
JJmr2 = 0 ,
und nennt ihn das „Trägheitsmoment" des starren Körpers bezüglich der gewählten Rotationsachse, so können wir schreiben: £kin = 1 0 « 2 . rot Die Dimension des Trägheitsmomentes ist (60)
[ 0 ] = [m/ 2 ] , bzw. im CGS-System: [0] = [g cm«j . Bereits bei Betrachtung e i n e s Massenpunktes hatten wir erkannt, daß seine Masse m als das Maß f ü r das Beharrungsvermögen betrachtet werden muß. Das gleiche gilt nach (57) für d i e T r a n s l a t i o n s b e w e g u n g eines starren Körpers: auch hier ist die Masse M der Ausdruck f ü r seine T r ä g h e i t . A n d e r s a b e r b e i d e r R o t a t i o n s b e w e g u n g ; Gl. (60) zeigt, daß an Stelle der Masse M der Ausdruck 0 —¿mr^ tritt, der w e s e n t l i c h d a v o n a b h ä n g t , wie die Massen um die R o t a t i o n s a c h s e v e r t e i l t s i n d ; die gleiche Masse kann sehr verschiedene Trägheitsmomente be-
26. Trägheitsmoment
77
sitzen, je nachdem sie sich in kleinerem oder größerem Abstände von der Achse befindet. Für die Rotationsbewegung ist daher nicht die Masse, sondern das Trägheitsmoment das geeignete 31 aß für das Beharrungsvermögen. Um sowohl den Unterschied gegen die Translationsbewegung als die analoge Beziehung zur Trägheit zum Ausdruck zu bringen, nennt man neuerdings das Trägheitsmoment ganz zweckmäßig die Drehmasse. Übrigens erlauben die Gleichungen (59) und (60) eine anschauliche Definition des Trägheitsmomentes, die wir später benutzen werden. Denken wir uns eine Masse 0 = £ mr2 im Abstände 1 von der Drehachse angebracht und mit der Geschwindigkeit u um die Achse gedreht, so besitzt sie die gleiche kinetische Energie, wie der wirkliche Körper, nämlich die durch Gl. (60) bestimmte. Man kann daher sagen: Das Trägheitsmoment ist diejenige gedachte Masse, die man im Abstände 1 von der Drehungsachse anbringen muß, so daß die Rotationsenergie des Körpers keine Änderung erfährt. Wir erkennen bereits hier, daß bei der Rotationsbewegung die Drehgeschwindigkeit « und die Drehmasse 0 die Rollen der Translationsgeschwindigkeit C und der Masse M übernehmen; an die Stelle des Impulses MC tritt bei der Rotation um eine feste Achse der Ausdruck 0U, der als „Drehimpuls" U (Impulsmoment oder Drall) bezeichnet wird: (61)
tt
= (74) und die von der Sonne (Index 0) auf ihn (Index 1) ausgeübte Zentripetalkraft: und 4 ji 2 mr (74 a) Kol = Nun besteht nach dem dritten K e p l e r sehen Gesetz zwischen den Umlaufszeiten T1 und T2 zweier Planeten und ihren Entfernungen^ undr 2 von der Sonne die Beziehung: f
2
r
3
i±- = r±?y ri
oder
r
3
r
3
.IL. = I»_ 1Y ?Y • r3 Die letzte Formulierung sagt aber aus, daß die Größe ^ für alle Planeten einen konstanten Wert k' hat; k' ist also unabhängig von der Masse des betrachteten Planeten, wird aber noch von der Masse des Zentralkörpers, d. h. der Sonne, abhängen, was sich weiter unten auch wirklich ergeben wird. Für Kol können wir unter Einführung von k' schreiben: ('5) #oi = ^ > oaer
d. h. die von der Sonne aui einen Planeten ausgeübte Anziehungskraft ist der Masse des Planeten direkt und dem Quadrate seiner Entfernung von der Sonne umgekehrt proportional.
Das Gesetz wurde zuerst von N e w t o n (1686) aufgestellt. Für die Zentralbeschleunigung des Planeten findet man also den Wert: (76) = ^ und für zwei Planeten gilt: (77)
« i r : " « r = 'lA =»2
d. h. die Zentralbeschleunigungen zweier Planeten verhalten sich umgekehrt wie die Quadrate ihrer Abstände von der Sonne. Bei der exakten Berechnung unter Zugrundelegung einer elliptischen Bahn tritt an Stelle von Gleichung (74) der Ausdruck aT =
471213 , worin r T2r2
die Entfernung Sonne-Planet und l die große Halb-
achse der Bahnellipse bedeutet, und an Stelle von Gleichung (74a) die Gleichung
4:rc2Z3m
K01 = rp«rz >
die übrigen Gleichungen (75) bis (77) bleiben dieselben.
Nach dem Reaktionsprinzip wird nicht nur der Planet von der Sonne angezogen, sondern er zieht mit der gleichen Kraft die Sonne an. Demzufolge hat einerseits die Kraft K10, die der Planet auf die Sonne ausübt, schon aus Symmetriegründen die gleiche Form wie (75): (75a)
=
wenn M die Masse der Sonne und k" eine andere Konstante ist, und anderseits ist K01 -= K10; daher folgt: k'm= k" M , es muß also in k' der Faktor M, in k" der Faktor m stecken, so daß wir mit einer neuen universellen Konstanten C schreiben können: (78) k' m = k" M = C m M .
30. Planetenbewegung; Keplersche Gesetze; Gravitation
101
Hier sieht man zunächst tatsächlich, daß k' von der Sonnenmasse M abhängig, d. h. ihr proportional ist, da k' — C M ist. Damit wird nach (75) und (75a): Setzen wir noch i n 2 C = /, so erhalten wir: (79) Dies ist d a s N e w t o n s e h e G r a v i t a t i o n s g e s e t z : Die zwischen zwei Massen bestehende Anziehungskraft ist den beiden Massen direkt und dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional. Die in Gl. (79) auftretende Konstante / heißt die „Gravitationskonstante"; ihre Dimension ist: [ / ] =
M J = [S"1Cm3seC_2]Das von N e w t o n zunächst für die Planetenbewegung gefundene Gesetz für die gegenseitige Anziehung zweier Massen wurde von ihm in genialer Weise auf die Anziehung aller Massen durch die Erde auch auf der Erdoberfläche angewendet. Nach dieser Auffassung wird die Schwere und damit das Gewicht eines Körpers durch die von der Erde auf den betreffenden Körper ausgeübte Massenanziehung bedingt. N e w t o n wurde zu dieser Auffassung durch die besondere Erkenntnis geführt, daß die Zentripetalbeschleunigung, die der Mond zur Erde hin erfährt und die ihn auf eine Kreisbahn (genauer Ellipsenbahn) zwingt, n i c h t s a n d e r e s a l s d i e W i r k u n g d e r i r d i s c h e n S c h w e r k r a f t i s t . Bezeichnen wir mit r die Entfernung Erdmittelpunkt— Mondmittelpunkt und mit T die Dauer eines Mondumlaufes um die Erde, so ist nach 4T2 y Gl. (74) die nach der Erde hin gerichtete Zentralbeschleunigung des Mondes: aT = ; da r = 383930 km und T= 2360580 sec ist, wird ar = 0,272 cm/sec 2 (vgl. S. 31). Wenn diese Beschleunigung durch die Schwerkraft der Erde hervorgerufen sein soll, die an der Erdoberfläche, d. h. im Abstand des Erdradius R vom Erdmittelpunkt, die Fallbeschleunigung g = 981 cm/sec 2 hervorbringt, so muß nach dem Gravitationsgesetz, speziell nach (77), die Beziehung bestehen: _ 1 Är " ^ r2 ' R2'
D a r = 6 0 7? ist, wird dann aT — 981 r- — 0,272 cm/sec 2 . D a s i s t a b e r d e r s e l b e oDUU B e t r a g , den wir v o r h e r aus a s t r o n o m i s c h e n B e o b a c h t u n g e n a b g e l e i t e t hatten. Beachtet man, daß die hier durchgeführte Rechnung nur näherungsweise gilt, so ist die Übereinstimmung zwischen den beiden auf gänzlich verschiedene Weise gefundenen Werten für ar um so erstaunlicher; sie ist einer der sichersten Beweise dafür, daß die Schwerkraft und die Anziehungskraft, die die Planeten auf ihren Bahnen hält, ein und dasselbe ist. Die im Gravitationsgesetz auftretende universelle Konstante / hat folgende physikalische Bedeutung: Sie stellt die Anziehungskraft zweier Massen m — M = 1 g im Abstände r = 1 cm in Dyn dar; sie wurde zuerst von C a v e n d i s h (1798) experimentell mit einer D r e h w a a g e in folgender Weise bestimmt (Abb. 103): Zwei kleine kugelförmige Massen a und b sind an den Enden einer sehr dünnen Stange befestigt, Die Stange ist waagerecht an einem dünnen vertikalen Draht (in Abb. 103 senkrecht zur Zeichenebene) drehbar aufgehängt. Bringt man zwei große Bleikugeln c und d seitlich neben die Kugeln a und b, so ziehen sich c und a sowie b und d gegen-
Hier ist die Voraussetzung gemacht, daß man sich die anziehende Wirkung der Erde auf einen äußeren Massenpunkt in ihrem Mittelpunkt konzentriert denken darf; dies kann in der Tat bewiesen werden.
102
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
seitig an und bewirken eine kleine Verdrillung des Aufhängefadens. Aus dieser Verdrillung kann man die Größe der zwischen den Massen der Kugeln wirkenden Anziehungskraft bestimmen; da die E n t f e r n u n g der Mittelpunkte der sich anziehenden Massen ebenfalls bekannt ist, erhält man auf diese Weise die GravitatiAbb. 103. Prinzip der Drehwaage tionskonstante /. Die Messung dieser Konstanten wurde später von B a i l y (1842), R e i c h (1852), C o r n u (1870 bis 1878), J o l l y (1878), B r a u n (1896), R i c h a r z u n d K r i g a r - M e n z e l (1896) mehrfach, mit zum Teil anderen Versuchsanordnungen, wiederholt. Diese Messungen e rgeben als genauesten Wert / = 6,67 • 10- 8 Dyn cm 2 g " 2 , d . h . e i n e M a s s e v o n 1 g z i e h t e i n e z w e i t e g l e i c h g r o ß e in d e r E n t f e r n u n g v o n 1 cm b e f i n d l i c h e M a s s e m i t d e r K r a f t v o n 6,67-10~ 8 D y n a n . Mit Hilfe des Gravitationsgesetzes können wir die Masse der Erde sowie anderer Himmelskörper berechnen. Die K r a f t , mit der eine an der Erdoberfläche befindliche Masse m von der Masse M der Erde, die wir uns im Erdmittelpunkt vereinigt denken können, angezogen wird, ist nach dem Gravitationsgesetz / N e w t o n sehen Axiom mg.
und nach dem zweiten
M Dies liefert die Gleichung / p j = g und hieraus folgt
M = ^-j-. Setzen wir in diese Gleichung die oben angeführten Werte für g, R und / ein, so erhalten wir für die Masse der Erde den W e r t M = 5,98 -10 27 g. Da das Volumen der Erde gleich 1,1 -10 27 cm 3 ist, ergibt sich f ü r die mittlere Dichte der E r d e der Wert 5,52 g/cm 3 . Da die Dichte der oberen Erdrinde nur etwa 2,5 g/cm 3 beträgt, m u ß man daraus schließen, daß der Kern der E r d e aus Massen wesentlich größerer Dichte (vielleicht Eisen) aufgebaut ist. Hierfür spricht •— neben den Erfahrungen der Seismik — auch die mehrfach beobachtete Erscheinung, daß die Fallbeschleunigung beim Eindringen in das Erdinnere (z. B. in tiefen Bergwerksschächten) z u n i m m t ; man n ä h e r t sich hierbei der Hauptmasse der Erde, die nach dem Gravitationsgesetz die H a u p t anziehung auf den fallenden Körper ausübt. I m Erdmittelpunkt selbst m u ß dagegen die Anziehung auf einen dort befindlichen Körper Null sein, da sich die von den ringsum befindlichen Erdmassen ausgehenden K r ä f t e aufheben. In ähnlicher Weise wie die Erdmasse können wir auch die Masse der Sonne berechnen. Nach Gl. (74) ist die Beschleunigung, die ein Planet zur Sonne hin erfährt, 4^2 aT = r; nennen wir die Sonnenmasse M und die Planetenmasse m, so ist diese M Beschleunigung anderseits nach dem Gravitationsgesetz a, = / — , so daß wir für M die Beziehung finden: M = ^Jjü Nach dem dritten K e p l e r s c h e n Gesetz ist der / Wert ^ f ü r alle Planeten konstant, und zwar gleich 3,355 -10 24 cm 3 sec - 2 , wie man findet, wenn man etwa f ü r r den Erdbahnradius ( = 1,495 • 1013 cm) und für T das E r d j a h r (3,156-10 7 sec) einsetzt. Dies liefert f ü r die Sonnenmasse M den Wert 1,98 • 1033g. Auf die gleiche Weise kann man die Masse jedes Planeten bestimmen, wenn er Trabanten besitzt und man deren Abstände r vom Zentralkörper und ihre Umlaufszeit T, r3 d . h . das Verhältnis •=•„ f ü r dieses System bestimmen kann. Dies ist z. B. für J u p i t e r r3 und seine Monde der Fall. Nach Gl. (78) ist das Verhältnis proportional der Masse des Zentralkörpers, also haben wir die beiden Gleichungen:
103
30. Planeteilbewegung; Keplersche Gesetze; Gravitation
Ï72/Sonnensystem
V^7/ Jupitersysteni
'
'
wenn M und m die Massen von Sonne und Jupiter sind. Die Beobachtungen ergeben, r3 daß für Jupiter ^ n u r den 1048sten Teil von 3,355-10 24 beträgt; d. h. die Jupitermasse beträgt nur den 1048sten Teil der Sonnenmasse, d . h . l,9-10 3 0 g. (Der Planet Venus z. B. besitzt keinen Mond; seine Masse muß daher [und kann] auf andere Weise, nämlich durch Beobachtungen der Störungen seiner Bahn bestimmt werden.) So erhält man folgende Tabelle für das Sonnensystem, wenn die Masse der Erde gleich 1 gesetzt wird: Sonne
Merkur
333432
0,04
Venus 0,82
Erde
Mars
Jupiter
0,11
317,0
Saturn
Uranus
Neptun
94,8
16,4
17,0
Es geht daraus hervor, daß die Masse der Sonne die aller Planeten zusammengenommen um mehr als das 700fache übertrifft; der gemeinsame Schwerpunkt des Sonnensystems liegt infolgedessen immer in großer Nähe der Sonne, zeitweise sogar im Sonneninnern selbst. Beschränkt man sich auf die Betrachtung des Systems SonneErde, so liegt der Schwerpunkt nur um 451 km vom Sonnenmittelpunkt entfernt, während der Sonnenradius 1391-10 3 km beträgt. Diese Feststellungen sind für das Folgende wichtig. — Bisher folgten wir der historischen Entwicklung des Problems, die in der Gewinnung des Gravitationsgesetzes (79) gipfelte. Nachdem dieses einmal bekannt ist, kann man den Gang umkehren und den Kraftausdruck (79) in die N e w t o n s c h e Bewegungsgleichung S = » z a einsetzen; für jeden Planeten und die Sonne hat man je eine derartige Gleichung aufzustellen. Beschränken wir uns zuerst auf die Betrachtung der Sonne und e i n e s Planeten, das sogenannte Zweikörperproblem, so kann man nun d e d u k t i v alle Aussagen über die Planetenbewegung, z. B. die K e p l e r schen Gesetze wiedergewinnen. Und zwar in erweiterter und verbesserter Form. Einmal ergibt nämlich die Ausrechnung, daß die Bahnen der Himmelskörper nicht unbedingt Ellipsen zu sein brauchen, sondern ganz allgemein Kegelschnitte sein können; in der Tat hat man bisher die Kometenbahnen als parabolische oder hyperbolische Bahnen aufgefaßt und berechnet 1 ). Aber das N e w t o n s c h e Gravitationsgesetz liefert auch eine Korrektur der empirisch gefundenen K e p l e r sehen Gesetze, und zwar schon bei Beschränkung auf das Zweikörperproblem. Denn nach dem Satz von der Erhaltung des Schwerpunktes muß d e r g e m e i n s a m e S c h w e r p u n k t d e s S y s t e m s S o n n e — P l a n e t in R u h e b l e i b e n 2 ) , n i c h t die S o n n e , wie es das erste K e p l e r sche Gesetz will. Allerdings liegt nach den vorhergehenden Darlegungen der Schwerpunkt so nahe am Sonnenzentrum, daß die Bewegung der Sonne, die natürlich auch auf einer Ellipse um den gemeinsamen Schwerpunkt vor sich geht, sehr klein ist. Dies ist die mechanische Begründung und exakte Formulierung des heliozentrischen Standpunktes. Aber in jedem Falle ist hier schon eine Korrektur bzw. Präzisierung des ersten K e p l e r s c h e n Gesetzes vorhanden. Dies ist in noch höherem Maße der Fall, 1 ) Allerdings scheint es nach neueren Rechnungen von S t r ö m g r e n , als ob auch die Kometenbahnen äußerst langgestreckte Ellipsen wären, mit anderen Worten, daß auch die Kometen unserem Sonnensystem angehörten. 2 ) Von einer gleichförmigen Bewegung des Schwerpunktes (und damit des ganzen Sonnensystems) können wir hier absehen; tatsächlich bewegt sich das Sonnensystem mit einer Geschwindigkeit von 20 km/sec gegen das Sternbild des Herkules, mit einer solchen von 300 km/seo gegenüber anderen galaktischen Systemen.
104
IV. Kapitel: Anwendung auf spezielle Bewegungen
wenn wir das gesamte Sonnensystem b e t r a c h t e n . D e n n e s i s t n a c h d e m N e w t e i n sehen G r a v i t a t i o n s g e s e t z e k l a r , d a ß die P l a n e t e n d a n n in S t r e n g e k e i n e e l l i p t i s c h e n B a h n e n b e s c h r e i b e n k ö n n e n . D a s w ü r d e n u r der Fall sein, wenn jeder P l a n e t ausschließlich u n t e r d e m K r a f t e i n f l u ß der S o n n e stünde. Dieser ist zwar wegen ihrer großen Masse überwiegend, aber n i c h t der einzige. D e n n jeder P l a n e t e r f ä h r t —• gerade n a c h dem N e w t o n sehen Gesetz — von jedem anderen auch eine K r a f t w i r k u n g , u n d d i e s e s t ö r t d i e e i n f a c h e e l l i p t i s c h e B a h n d e s Z w e i k ö r p e r p r o b l e m s . Dieses allgemeine w-Körperproblem ist zwar in Strenge n i c h t lösbar, doch erlaubt die relative Kleinheit der von den P l a n e t e n ausgeübten K r ä f t e eine Näherungsrechnung. Gerade diese Störungsrechnung bildet n u n im G r u n d e genommen den größten T r i u m p h des Gravitationsgesetzes, das alle Erscheinungen a m gestirnten H i m m e l mit beliebiger Genauigkeit u n d f ü r jede beliebige Zeit voraus u n d zurück zu berechnen g e s t a t t e t . N u r eine einzige Abweichung ist bisher festgestellt w o r d e n : N a c h Abrechnung aller Störungen bleibt die K e p l e r - E l l i p s e des der Sonne a m n ä c h s t e n befindlichen P l a n e t e n Merkur nicht im R ä u m e fest, sondern deren große Achse e r f ä h r t eine kleine D r e h u n g u m 4 3 " in einem J a h r h u n d e r t 1 ) . Aus dieser Angabe ersieht m a n vielleicht a m besten die ungeheure Leistung des Gravitationsgesetzes; es ist kein W u n d e r , d a ß N e w t o n s Schöpfung f ü r die gesamte P h y s i k vorbildlich wurde. Es kann noch hinzugefügt werden, daß die Gültigkeit des Gravitationsgesetzes durchaus nicht auf das Sonnensystem beschränkt ist; wir kennen vielmehr Tausende von Doppelsternen, die ihre Bahnen ebenfalls genau nach diesem Gesetze beschreiben, obwohl hier der allgemeinere Fall vorliegt, daß der gemeinsame Schwerpunkt wegen der ungefähren Gleichheit der beiden Massen keineswegs innerhalb einer der beiden, sondern weit außerhalb derselben liegt. — Hier geziemt es sich, der Tatsache zu gedenken, daß es in neuester Zeit nicht nur gelungen ist, künstliche Satelliten ins Weltall zu schießen, ja sogar mit einem geeigneten Projektil, entsprechend der Absicht, die Mondoberfläche zu treffen. Diese Versuche sind freilich nicht zu dem Zwecke gemacht worden, um die Gültigkeit des Newtonschen Gravitationsgesetzes nachzuweisen; diese Feststellung hindert aber nicht, die ungeheure technisch-wissenschaftliche Leistung zu bewundern, die hinter diesen Erfolgen steht. — Nil mortalibus arduum est!
Wie oben erwähnt, ist nach der N e w t o n s c h e n Mechanik in V e r b i n d u n g mit dem Gravitationsgesetz n u r der von K o p e r n i k u s b e g r ü n d e t e h e l i o z e n t r i s c h e Standp u n k t zulässig; die p t o l e m ä i s c h e Auffassung d e s g e o z e n t r i s c h e n W e l t s y s t e m s m u ß — v o n d i e s e r B a s i s a u s — verworfen werden. Dagegen ist es bei einer rein k i n e m a t i s c h e n — nicht d y n a m i s c h e n ! •— B e s c h r e i b u n g der B a h n natürlich zulässig, z . B . die E r d e als r u h e n d a n z u s e h e n . D u r c h b l o ß e B e o b a c h t u n g d e r B a h n e n k a n n also das ptolemäische System niemals widerlegt werden; das folgt schon daraus, d a ß die Alten — n a c h Maßgabe der Genauigkeit ihrer Beoba c h t u n g e n — z. B . die Finsternisse n a c h dem ptolemäischen System ebensogut vorausberechnen k o n n t e n wie wir; vom reinen B e o b a c h t u n g s s t a n d p u n k t a u s k a n n man h ö c h s t e n s p r a k t i s c h e Vorteile des kopernikanischen Systems zugeben, niemals aber die ausschließliche Richtigkeit desselben beweisen. D a s ist n u r möglich vom S t a n d p u n k t e einer T h e o r i e d e r M e c h a n i k , die über d i e k i n e m a t i s c h e B e s c h r e i b u n g hinausgeht. Eine wichtige Folge der Gravitationswirkung zwischen Erde und Mond sind die Gezeiten, worunter wir auf der Erde den regelmäßigen Wechsel von Ebbe und Flut verstehen. Bereits N e w t o n erkannte den Zusammenhang dieser Erscheinungen mit der Phase der Mondstellung und gab eine Theorie der fluterzeugenden Kraft. Eine alle Einzelheiten berücksichtigende Behandlung des Problems ist kompliziert; wir geben daher im folgenden nur eine die Grundzüge der Erscheinungen erklärende Darstellung. Wenn wir Erde und Mond als ein freies System betrachten, so muß bei dem Umlauf des Mondes um die Erde die Bewegung so erfolgen, daß der gemeinsame Schwerpunkt 1 ) Die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins liefert eine Deutung der Gravitation, die eine kleine Korrektur am Newtonschen Gravitationsgesetz und damit gerade die erwähnte Periheldrehung von 43" quantitativ ergibt.
30. Planetenbewegung; K e p l e r s c h e Gesetze; Gravitation
105
von Erde und Mond in Ruhe bleibt. Dies kann man mit dem in Abb. 104 skizzierten Versuch zeigen. Zwei verschieden große Kugeln sind durch eine kurze Kette miteinander verbunden und hängen mit dem an einer beliebigen Stelle der Kette befestigten Bindfaden ab an der vertikal gestellten Achse einer Schwungmaschine oder eines Motors. Rotiert diese Achse, so kommt das aus den beiden Massen M und m befindliche System in eine Rotation u m die durch den gemeinsamen Schwerpunkt S gehende Achse aS. Man kann deutlich beobachten, daß die beiden Kugeln verschieden große Kreise um S beschreiben. Da die Masse der Erde etwa 80mal so groß ist wie die des Mondes, liegt der gemeinsame Schwerpunkt S noch innerhalb der Erde, etwa 3 / 4 des Erdradius vom Erdmittelpunkt nach dem Mond zu entfernt (Abb. 105). U m diesen gemeinsamen Schwerpunkt bewegt sich nicht nur der Mond, sondern auch die Erde, in 27 1 / 2 Tagen einmal. Von einer Eigenrotation der Erde kann man absehen, so daß alle Punkte der E r d e gleich große Kreise genau so wie der Erdmittelpunkt um den Schwerpunkt S (Radius 3 / 4 iü), aber jeweils mit verschiedenen Mittelpunkten durchlaufen, infolgedessen erfahren auch alle P u n k t e der Erde die gleicheZentrifugalkraft ihre Richtung ist der Verbindungslinie Erde-Mond parallel und vom Monde weggerichtet 1 ); in Abb. 105 ist im P u n k t e P eingezeichnet. Außerdem ist dort noch die K r a f t SJ„ der Mondanziehung eingetragen. Die beiden K r ä f t e setzen sich zusammen und ihre f ü r die Wasserbewegung allein in Betracht kommende Horizontalkomponente ist gleich: 3 m / H \ 3 5111 . y 9 in "TT M\r } 2
,
wenn g die Erdbeschleunigung, B der Erdradius und r die Entfernung E r d e Mond ist. Diese K r a f t erzeugt die durch die Pfeile angedeutete Wasserverschiebung, die also nach den Punkten a und b hin gerichtet ist. Die P u n k t e a und b stellen die Orte der höchsten Flut dar, während die P u n k t e c und d sowie die auf einem durch c und d gehenden zur Papierebene senkrechten MeriAbb. 104. dian befindlichen Stellen die Orte der Ebbe sind. Infolge des Mondumlaufes Rotation zweier verum die Erde und der gleichzeitigen Drehung der Erde um die Nord-Südachse schieden großer Masverschiebt sich nun dauernd der beschriebene Zustand, so daß innerhalb von sen um ihren gemeinrund 24 3 / 4 Stunden zweimal an einem Ort höchste Flut und tiefste Ebbe ein- samen S c h w e r p u n k t e tritt. Außer der Mondanziehung spielt, wenn auch wegen der großen E n t fernung in geringerem Maße, die Anziehung der Sonne f ü r das Auftreten der Gezeiten eine Rolle. I n den Zeiten, wo Sonne, Mond und Erde in einer Geraden stehen (Voll- bzw. Neumond), verstärken sich die anziehenden Wirkungen von Sonne und Mond, und es kommt zu den sogenannten S p r i n g f l u t e n , während zu den Zeiten, wo Sonne und Mond mit der Erde als Scheitelpunkt einen rechten Winkel bilden (erstes und letztes Mondviertel) die Flutwirkung am kleinsten ist ( N i p p f l u t ) . Mit Hilfe der genauen Theorie dieser Erscheinungen und unter Benutzung des vorliegenden Beobachtungsmaterials ist es gelungen, f ü r jeden P u n k t der Erde die Zeiten des Eintritts und die Höhe der Flut, sowie die Zeiten der Ebbe voraus zu bestimmen und in sogenannten Gezeitentafeln festzulegen. Die Gezeiten spielen eine Rolle für die Frage nach der Konstanz des Tages, d. h. der als Zeiteinheit gewählten Sekunde. Denn da die Erde sich infolge ihrer Achsendrehung gewissermaßen unter den Flutbergen hinwegdreht, müssen die zwischen der festen Erdkruste und der Flut auftretenden Reibungskräfte dahin streben, die UmAbb. 105. Erklärung der Gezeiten drehungsgeschwindigkeit der Erde zu verlangsamen, bis die Dauer der Rotation gleich der der Revolution des Mondes geworden ist. Dann würde die Erde dem Monde stets die gleiche Seite zuwenden, wie es bei dem Mond bereits der Fall ist, von dem wir n u r eine Hälfte sehen. I n der T a t scheint in den letzten tausend Jahren, worauf astronomische Beobachtungen hindeuten, der Tag um etwa 1 / 100 Sekunde länger geworden zu sein. •— Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß man die Atome selbst als Planetensysteme im kleinen aufgefaßt hat, bei denen negative elektrische Ladungen (als Planeten) einen positiv geladenen Kern (als Zentralsonne) umkreisen. Da das Anziehungsgesetz zwischen diesen Ladungen die Gestalt des N e w t o n s c h e n Gravitationsgesetzes (79) hat, so gehen auch hier analoge Bewegungen wie im großen vor sich (Gültigkeit der K e p l e r s c h e n Gesetze usw.). ') Die Zentrifugalkräfte infolge der Achsendrehung der Erde spielen für die obige Überlegung keine Rolle, sie sind daher einfach fortgelassen.
106
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
31. Potential; Fernkräfte und Nahekräfte (Feldkräfte) Wir wollen die Energieverhältnisse in einem System gravitierender Massen näher betrachten. Um uns bequem ausdrücken zu können, führen wir einen neuen Begriff ein, der in vielen Gebieten der Physik, namentlich der Elektrizitätslehre, eine wichtige Rolle zu spielen berufen ist. Wenn man an eine beliebige Stelle des Raumes, in dem Massen enthalten sind, eine weitere Masse bringt, so wirkt auf diese nach dem N e w t o n sehen Gravitationsgesetze eine K r a f t . Jedem R a u m p u n k t e in der Umgebung von gravitierenden Massen ist also eine bestimmte K r a f t zugeordnet. Ganz ebenso würde es auch sein, wenn wir die gravitierenden Massen durch elektrische Ladungen oder magnetische Pole ersetzten: Dann wäre in jedem Punkte des Raumes eine elektrische oder magnetische K r a f t wirksam. In einem solchen Falle nennt man das Raumgebiet, innerhalb dessen die K r ä f t e wirksam sind, ein Kraftfeld. Im vorliegenden Falle spricht man von einem Gravitationsfelde, entsprechend von einem elektrischen oder magnetischen Felde; ein spezielles Gravitationsfeld ist z. B. das Schwerefeld der Erde. Der Begriff des „Feldes" ist durchaus nicht auf Kräfte beschränkt. Betrachten wir z. B. eine strömende Flüssigkeit, so befindet sich in einem bestimmten Augenblick an jedem Punkte derselben ein Flüssigkeitsteilchen von bestimmter Geschwindigkeit; hier spricht man sinngemäß von einem Geschwindigkeitsfelde, wenn man die Gesamtheit der GeschwindigkeitsVerteilung charakterisieren will. Ebenso kann man von einem Temperaturfeld in der Umgebung eines erhitzten Körpers sprechen, da jedem Punkte derselben eine bestimmte Temperatur zukommt. Diese Beispiele mögen genügen, um den Begriff des Feldes zu erläutern.
Bei der Untersuchung der Energieverhältnisse in einem Gravitationsfelde beschränken wir uns zunächst auf den einfachsten Fall, daß dieses Feld von e i n e r festgehaltenen Masse M herrührt. Bringt man dann an irgendeinen P u n k t des Feldes im Abstände r von M eine andere bewegliche Masse m, so erfährt diese die auf M f Mvn hingerichtete K r a f t — ; das Minuszeichen deutet darauf hin, daß die K r a f t die Entfernung r zu verkleinern bestrebt ist. Vergrößern wir den Abstand von r auf r + dr, so muß gegen die Anziehung eine Arbeit geleistet werden. Allgemein ist nach Gl. (41a) die unendlich kleine Arbeit dA = Kds cos (Kds); hier ist die Kraftrichtung gerade entgegengesetzt der Verschiebung dr, also c o s ( K d s ) = — 1 ; folglich erhalten wir für dA den W e r t : = + f J2 ^ d r r lind wenn die Masse m aus dem Abstände r0 in gerader Richtung in den Abstand r gebracht wird (Abb. 106a): d A
(80)
Diese Gleichung ist zunächst nur unter der Voraussetzung abgeleitet, daß der Massenp u n k t m sich in gerader Linie von r0 nach r1 verschiebt; wir wollen jetzt weiter beweisen, daß die Arbeit immer den gleichen Wert (80) hat, auch wenn die Masse m auf einem beliebigen Wege aus dem Abstände rB in den Abstand r1 gelangt. I n Abb. 106 b seien die P u n k t e r0 und r1 — wie wir der Kürze halber sagen wollen — durch eine beliebige Kurve £ verbunden. Wir betrachten die unendlich kleine Arbeit dA' längs eines beliebigen, im Abstände r von M befindlichen Wegelementes AB — ds der Kurve (£; im P u n k t e A des
31. Potential; Fernkräfte und Nahekräfte
Elementes ist die nach M hinweisende K r a f t K = —
107
f 31 m ^ eingezeichnet; sie bildet
mit der positiven Richtung von ds den stumpfen Winkel (K, ds), der gleichfalls in der Figur markiert ist. Die genannte Arbeit ist also allgemein: dA' = K c o s ( K , ds)ds . Wir vergleichen sie mit einer anderen Arbeit, die wir nach dem Vorhergehenden direkt angeben können. Schlagen wir um M durch A und B zwei Kreise mit den Radien r und r + dr, so schneiden diese aus der geraden Verbindungslinie M r0 rlt längs deren wir vorher die Arbeit berechnet haben, das Stück A'B' = dr aus. Bei Verschiebung längs dieses Stückes ist die unendlich kleine Arbeit ,, , fMrn , dA = + ' ~ d r ; denn da A und A' sich in gleicher Entfernung von M befinden, hat K in beiden Punkten den gleichen Betrag. Verlängern wir nun die Richtung der K r a f t K im Punkte A rückwärts über sich hinaus bis zum AC = A' B' = dr die Projektion von
Abb. 106a) und b). Berechnung der beim Verschieben einer Masse in einem Gravitationsfeld geleisteten Arbeit
Punkte C (in Abb. 106b punktiert), so stellt ds dar. Da ./ a— R
Die Grenzen des Integrals ergeben sich durch folgende Überlegung: Ist # = 0, so wird r = a — R; ist # = n, so nimmt r den Wert a + B an. Daher liefert die Ausführung des Integrals:
±ll2jih ist aber das ganze Volumen der Hohlkugel, 4R2nhg also die ganze Masse M derselben; folglich liefert die letzte Gleichung für das Potential Va der Hohlkugel: va = t E , a
(f)
d. h. die H o h l k u g e l w i r k t auf e i n e n ä u ß e r e n P u n k t so, als ob i h r e G e s a m t m a s s e im Z e n t r u m k o n z e n t r i e r t wäre. Da man eine Vollkugel in eine Anzahl ineinander gesteckter Hohlkugeln zerlegen kann, so gilt dasselbe für eine Vollkugel, und damit ist der behauptete Satz bewiesen. Der Gradient des Potentials V„ ist
und hat den Wert — , und dieser Betrag ist da a2 gleich der Feldstärke, die demnach ebenfalls so berechnet werden kann, als ob die ganze Masse der Hohlkugel in ihrem Mittelpunkte vereinigt wäre. In genau der gleichen Weise, kann man nun auch zeigen, daß das Potential Vi einer homogenen Hohlkugel vom Radius B in einem inneren Punkte konstant ist: TT M = Const. V,: = f, — dV Daraus ergibt sich nach Gl. (84), da in diesem Falle der Gradient von Vi = -j—' = 0 ist, weil Vt von a gar nicht abhängt, d a ß eine h o m o g e n m i t Masse b e l e g t e H o h l k u g e l auf e i n e n i n n e r e n P u n k t ü b e r h a u p t k e i n e G r a v i t a t i o n s k r a f t a u s ü b t . Die einzelnen Massenelemente tun dies freilich, aber die Resultante aller Kräfte verschwindet. Betrachten wir jetzt eine Vollkugel mit dem Radius B und fragen nach ihrem Potential auf einen inneren Punkt P im Abstände a vom Kugelzentrum (Abb. 110), so können wir die Kugel in zwei Teile zerlegen, eine Vollkugel mit dem Radius a durch den Punkt P und eine Hohlkugel von der Dicke B — a. Die letztere übt nach dem soeben bewiesenen Satze auf P keinerlei Wirkung aus, sondern nur die kleinere Vollkugel, für die P ein äußerer Punkt ist. Da man deren Potential V a ' auf P so berechnet, als ob die Gesamtmasse M' = ja3ng in O konzentriert wäre, so erhält man für V a ': Abb. 110. Zum Potential im Innern einer Vollkugel
v
, _
4
, a3jte _
4
d. h. das Potential und damit die Kräfte werden immer kleiner, je näher P dem Kugelmittelpunkte O kommt. Denn der Gradient von V a ' ist gleich
113
31. Potential; Fernkräfte und Nahekräfte
Die Feldstärke im Punkte P ist also direkt proportional dem Abstand a vom Kugelmittelpunkt, nicht mehr proportional — 1 — Die Erde ist keine homogene Vollkugel (vgl. S. 102); daher nimmt beim Eindringen ina Erdinnere die Schwerkraft zunächst zu, statt ab, wie es bei einer homogenen Vollkugel der Fall sein müßte.
Nunmehr können wir zur Berechnung des E r d p o t e n t i a l s an der E r d o b e r f l ä c h e so vorgehen, als ob ihre Gesamtmasse M = 6 - 1 0 2 7 g im Mittelpunkte der Erde vereinigt wäre; da der Erdradius R = 6,37 -10 8 cm ist, erhalten wir für das Erdpotential : FErde =
6 67 • 10~ 8 • 6 • 1 0 "
'
6
,37.108
=
' *1010
62 8
Er
§/g >
da, wie vorher festgestellt, V eine Arbeit pro Masseneinheit ist. Es muß also eine Arbeit von 62,8 • 1010 Erg aufgewendet werden, um ein Gramm von der Oberfläche der Erde bis ins Unendliche zu transportieren, wobei ein entsprechender Betrag potentieller Energie in der Grammasse aufgespeichert wird. Umgekehrt verliert beim Übergang aus dem Unendlichen bis zur Erdoberfläche ein Gramm die potentielle Energie 62,8 -10 1 0 Erg und gewinnt den gleichen Betrag an kinetischer Energie Je 2 . Aus = 6 2 , 8 - l 1 0 folgt für die Endgeschwindigkeit c der Betrag 11,2-10 5 cm/sec = ll,2km/sec. Umgekehrt müßte eine Masse mit dieser Geschwindigkeit von der Erdoberfläche abgeschossen werden, damit sie aus ihrem Anziehungsbereich ins Unendliche gelangte. Zum Schlüsse dieser Nummer wollen wir eine grundsätzliche Frage erörtern, die durch die Form (79) des Newtonschen Gravitationsgesetzes nahegelegt wird. In diesem Gesetze treten zwei Massen M und m auf, die sich in der Entfernung r voneinander befinden; jede übt auf die andere die genannte Kraft aus. Es liegt daher nahe, zu sagen, die auf die Masse m ausgeübte Kraft gehe von der Masse M aus und „überspringe" den Zwischenraum zwischen ihnen. Solche Kräfte, die in einem Raumpunkte entstehen und in einem davon räumlich getrennten wirken, nennt man Fernkräftc. Bereits N e w t o n hatte die hierin liegende logische Schwierigkeit gefühlt und nur gesagt, die Form des Gravitationsgesetzes lasse sich so interpretieren, „als ob" zwischen den beiden Massen eine Fernkraft wirke. E r war aber ein zu vorsichtiger Forscher, als daß er die tatsächliche Existenz von Fernkräften behauptet hätte; er lehnte dies vielmehr mit dem berühmt gewordenen Worte ab: Hypotheses non fingo. Seine Nachfolger waren weniger vorsichtig, und als man später ganz ähnlich gebaute Gesetze auch für die Kräfte zwischen elektrischen Ladungen, zwischen Magnetpolen und zwischen elektrischen Strömen und Magnetpolen fand, wurde der Glaube an die Existenz von Fernkräften für lange Zeit in der Physik herrschend. Der erste, der wieder daran zweifelte, war M i c h a e l F a r a d a y , der gerade umgekehrt die These verfocht, daß eine Kraft nur am gleichen Orte wirken könne, an dem sie auch entsteht; wenn scheinbar — wie im Falle der Anziehung oder Abstoßung elektrischer Ladungen oder der Massenanziehung — doch räumliche Abstände zwischen Entstehungsort und Wirkungsort vorhanden seien, so müsse der Zwischenraum in irgendeiner Weise daran beteiligt sein. Wenn man eine Kraft auf eine Masse ausüben will, so muß man sie entweder direkt, z. B . mit der Muskelkraft der Hand, angreifen, oder man muß zwischen der Masse und der Hand ein Seil (z. B. aus Gummi) spannen; dann vermittelt das Seil die von der Hand ausgehende Kraft, indem dieses „gespannt" wird, d. h. in einen von dem normalen abweichenden Zustand gerät; so wird die Kraft der Hand Punkt für Punkt „weitergeleitet" und befähigt, an der Masse anzugreifen. Wäre das Seil unsichtbar, so würde man trotzdem den Eindruck einer Fernkraft haben. In dieser Weise stellt sich F a r a d a y vor, daß bei allen scheinbaren Fernkräften das Zwischenmedium die Fortleitung der Kräfte übernimmt und hat für die elektrischen und magnetischen Erscheinungen diese Anschauung zum Siege geführt. Seit dieser B e r g m a n n u. S c h a e f e r ,
Experimentalphysik. I.
8
114
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Zeit ist m a n der Überzeugung, daß F e r n k r ä f t e überhaupt nicht existieren, sondern daß man es immer mit Nahkräften zu tun h a t . Für die Gravitation freilich ist der Ersatz der Fernkraft durch Nahekräfte im Sinne F a r a d aya bisher nicht gelungen, vielmehr scheinen bei der Gravitation vollkommen andere Verhältnisse vorzuliegen, worauf später eingegangen werden soll.
Der N a m e „ N a h e k r ä f t e " ist unglücklich gewählt, da es sich nicht um die Frage größerer oder kleinerer E n t f e r n u n g handelt, sondern darum, daß bei Nahekräften überhaupt keine endliche Distanz vorhanden ist; Molekularkräfte z. B., auch wenn sie nur in Entfernungen von 1 0 - 6 m m wirken, wären in diesem Sinne echte F e r n k r ä f t e . Daher ist die Bezeichnung „Feldkräfte" besser, und hierin ist überhaupt historisch der Ursprung des Feldbegriffes zu suchen: D a s F e l d b e w i r k t d i e V e r m i t t l u n g d e r Kräfte. Obwohl man heute überzeugt ist, daß keine F e r n k r ä f t e existieren, vereinfacht es nicht selten die Darstellung, wenn man sich so ausdrückt, als ob es F e r n k r ä f t e gäbe; wir sagen ja auch, daß die Sonne aufgeht, obwohl wir wissen, daß die E r d e sich dreht.
32. System der Kräfte am starren Körper; Kräftepaar In Nr. 16 haben wir die Aufgabe behandelt, K r ä f t e zu einer Resultierenden zusammenzusetzen, die an e i n e m Massenpunkt angreifen. Die analoge Aufgabe t r i t t auch beim starren Körper auf, wenn an diesem mehrere K r ä f t e angreifen; sie ist aber in diesem Fall dadurch kompliziert, daß im allgemeinen die K r ä f t e an verschiedenen P u n k t e n des ausgedehnten Körpers angreifen. Wir müssen versuchen, die Mannigfaltigkeit der K r ä f t e möglichst zu vereinfachen; erst wenn dies gelungen ist, k a n n untersucht werden, wann ein starrer Körper unter der Wirkung mehrerer K r ä f t e im Gleichgewicht bleibt, bzw. welche Bewegungen er a u s f ü h r t .
Abb. 111. Zusammensetzung zweier Kräfte, die an verschiedenen Punkten eines starren Körpers angreifen
Bei dieser Aufgabe hilft uns die in Nr. 27 erörterte L i n i e n f l ü c h t i g k e i t der K r ä f t e . Danach können wir im starren Körper den Angriffspunkt einer K r a f t in ihrer eigenen Richtung beliebig verschieben, ohne die Wirkung der K r a f t dadurch zu verändern; eine K r a f t am starren Körper hat, wie damals auseinandergesetzt, keinen Angriffsp u n k t , sondern eine Angriffslinie (Wirkungslinie).
Wir betrachten den in Abb. 111 dargestellten Fall, daß z w e i K r ä f t e und S 2 , die zunächst i n e i n e r E b e n e liegen mögen ( „ k o m p l a n a r e " K r ä f t e ) , an zwei Punkten A und B des starren Körpers so angreifen, daß ihre Richtungen mit der Verbindungslinie ihrer Angriffspunkte verschiedene Winkel einschließen. Um die Resultante dieser beiden K r ä f t e zu finden, verlegen wir die Angriffspunkte der beiden K r ä f t e in den Schnittpunkt ihrer Wirkungslinien. J e t z t haben wir zwei K r ä f t e am g l e i c h e n Punkte, können also das Kräfteparallelogramm konstruieren, das uns die Resultante SJr nach Größe und Richtung liefert. Die K r a f t können wir nun wieder in ihrer Richtung beliebig, z. B. bis zum P u n k t e D verschieben. Damit der starre Körper unter der Einwirkung der beiden gegebenen K r ä f t e und im Gleichgewicht bleibt, m u ß also eine dritte K r a f t angreifen, die S r gleich, aber entgegengesetzt gerichtet ist und die gleiche Angriffslinie mit S r besitzt. Wir können dies auch so ausdrücken:
32. Kräfte am starren Körper; Kräftepaar
115
Drei an einem starren Körper in einer Ebene angreifende Kräfte halten sich das Gleichgewicht, wenn ihre Angriffslinien durch einen Punkt gehen und jede der drei Kräfte der Resultierenden aus den beiden anderen gleich, aber entgegengesetzt gerichtet ist. Dies zeigen wir mit der bereits in Abb. 46, S. 45 benutzten Versuchsanordnung (Abb. 112), bei der die durch die G e w i c h t e ^ , G2 und G3 dargestellten K r ä f t e nicht an einem gemeinsamen P u n k t , sondern an drei Stellen einer den starren Körper darstellenden leichten Scheibe angreifen. Im Gleichgewicht gehen die Angriffsrichtungen der drei K r ä f t e durch e i n e n P u n k t . Die in Abb. 111 benutzte Konstruktion scheint zu versagen, wenn d i e b e i d e n in e i n e r E b e n e l i e g e n d e n Kräfte u n d j®2 e i n a n d e r p a r a l l e l s i n d (Abb.113): Dann fällt nämlich der Schnittpunkt ihrer Angriffslinien ins Unendliche. In diesem Fall helfen wir uns dadurch, daß wir zwei gleich große, aber entgegengesetzt gerichtete Hilfskräfte ± S , deren Richtung mit der Verbindungslinie der Angriffspunkte der gegebenen K r ä f t e zusammenfällt, in den P u n k t e n A und B zu den gegebenen K r ä f t e n hinAbb. 112. Gleichgewicht zufügen. Dadurch wird am Gleichgewicht des Körpers dreier Kräfte an einem starren nichts verändert, denn die beiden hinzugefügten K r ä f t e Körper i S heben sich am starren Körper wegen ihrer Linienflüchtigkeit auf. Wir setzen jetzt S j mit + S zu einer Resultierenden und ebenso mit — @ zu einer Resultierenden $J2' zusammen. Die Richtungen von S / und St2' sind nun nicht mehr parallel, sondern schneiden sich im P u n k t e C. Indem wir dort das Kräfteparallelogramm mit SJj' und konstruieren, erhalten wir die Resultierende S r , die wir nun so in ihrer Richtung verschieben können, daß ihr Angriffspunkt z. B. nach D fällt. Slr ist gleich der Summe von und S 2 ; dies erkennt man, wenn man in dem gemeinsamen Angriffspunkt C die K r ä f t e und wieder in ihre Komponenten zerlegt. Dann heben sich die beiden Hilfskräfte + Si und — S heraus, und es bleiben nur die K r ä f t e J^ und S 2 übrig. Der Schnittpunkt D der Wirkungslinie von S r mit der Verbindungslinie der Angriffspunkt e A und B der gegebenen K r ä f t e wird Mittelpunkt der parallelen Kräfte gen a n n t . D möge die Strecke AB im Verhältnis rx: r2 teilen. Bezeichnen wir den Winkel zwischen und $1/ mit tx und den zwischen Si2 und S 2 ' mit ß, so finden Abb. 113. Zusammensetzung zweier gleichsich diese Winkel auch bei C wieder, und gerichteter paralleler Kräfte K, d h • i.t — iL — 68 1St tgß >t~ K1' Durch die Angriffslinie der Resultierenden zweier parallelen Kräfte wird die Verbindungslinie ihrer Angriffspunkte im umgekehrten Verhältnis der Kräfte geteilt. Experimentell beweisen wir die Richtigkeit dieses Satzes, indem wir eine leichte, in gleiche Teile geteilte Stange (Abb. 114) in ihrer Mitte über einer Rolle an einem Faden aufhängen und durch ein Gewicht G austarieren. Hängen wir jetzt z . B . in der Entfernung r = 8 links vom Mittelpunkt ein Gewicht G1 von zwei Einheiten u n d 8*
116
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
rechts von der Mitte im Abstand r = 4 ein Gewicht G2 von vier Einheiten ein die Stange, so müssen wir zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes an den über die Rolle laufenden Faden ein Gewicht G 3 = 2 - f 4 = 6 Einheiten anhängen. In der folgenden Nummer werden wir dieses Ergebnis auf beliebig viele parallele Kräfte verallgemeinern. In derselben Weise, wie wir soeben zwei gleichgerichtete parallele Kräfte zusammengesetzt haben, lassen sich auch zwei e n t g e g e n g e s e t z t g e r i c h t e t e p a r a l l e l e K r ä f t e zusammenfügen; dies zeigt Abb. 115, bei der die Bezeichnungen dieselben wie in Abb. 113 sind. Die resultierende Kraft ist jetzt der Größe nach gleich der Differenz der beiden gegebenen parallelen, aber entgegengesetzt gerichteten Einzelkräfte und ihrer Richtung nach parallel und gleichgerichtet mit der größeren der Einzelkräfte. Ihre
Abb. 114. Gleichgewicht paralleler Kräfte
Abb. 115. Zusammensetzung zweier entgegengesetzter paralleler Kräfte
Wirkungslinie trifft die über den Angriffspunkt der größeren der beiden Einzelkräfte hinaus verlängerte Verbindungslinie der gegebenen Angriffspunkte in einem Punkt D, dessen Abstände von den Angriffspunkten der gegebenen Kräfte sich wieder umgekehrt verhalten wie diese selbst. In Abb. 115 ist also: 0 =
und
DA :DB =
K2\K1.
B e i zwei e n t g e g e n g e s e t z t g l e i c h e n K r ä f t e n versagt aber die im vorangehenden beschriebene Konstruktion; denn in diesem Fall rückt der Punkt C von Abb. 115 ins Unendliche und die Resultierende erhält den Wert N u l l . H i e r g i b t es also keine resultierende E i n z e l k r a f t ; diese beiden entgegengesetzt gleichen K r ä f t e sind n i c h t weiter reduzierbar, sondern bilden einen K r ä f t e t y p u s f ü r s i c h . Man bezeichnet ein Kräftesystem aus zwei parallelen, gleich großen, aber entgegengesetzt gerichteten Kräften, deren Angriffslinien nicht in derselben Geraden liegen, als ein „ K r ä f t e p a a r " oder einen „ D r e h z w i l l i n g " . Ein solches Kräftepaar erzeugt, wie wir sofort zeigen werden, eine Drehung des starren Körpers, es kann n i e m a l s durch eine Einzelkraft, sondern stets nur durch ein zweites gleiches, aber entgegengesetzt gerichtetes Kräftepaar kompensiert werden. Wir überzeugen uns zunächst mittels einer einfachen in Abb. 116 skizzierten Anordnung von der Wirkung eines solchen Kräftepaares auf einen frei beweglichen Körper. Auf einem runden Brett a ist in senkrechter Stellung ein zweites Brett b befestigt; das Ganze kann auf einer Wasseroberfläche schwimmen. Bläst man durch zwei gleiche, parallel gestellte, aber entgegengesetzt gerichtete Düsen D1 und D2 gleich starke Luftströme gegen das Brett b, so wirkt auf dieses ein Kräftepaar und dreht den ganzen Körper um die gestrichelt eingezeichnete Achse. Ein Kräftepaar übt also ein Dreh-
32. Kräfte am starren Körper; Kräftepaar
117
moment auf den starren Körper aus. Seine Größe berechnen wir an Hand der Abb. 117. Wir verbinden die Angriffspunkte Pt und P2 der beiden gleich großen Kräfte und = — ( d i e wir durch Verschiebung der Kräfte in ihrer Richtung so wählen können, daß die Verbindungslinie P1P2 = l senkrecht auf den beiden Kraftrichtungen steht), mit einem beliebig angenommenen Bezugspunkt 0 . Von 0 fällen wir die Lote und a 2 auf die Richtungen der beiden Kräfte. Das von der Kraft ffi-j auf den starren Körper in bezug auf 0 ausgeübte Drehmoment hat den Betrag:
Dt = r1
sinocj = a1K1 ;
da es im Uhrzeigersinne dreht, ist es vom Beschauer der Abb. 117 fortgerichtet und nach der früheren Festsetzung als positiv zu rechnen. Das von ausgeübte Drehmoment ® 2 hat dagegen den Betrag:
D2 = r2K2 sina2 = a2K2; es dreht im Gegenzeigersinne, ist zum Beschauer hin gerichtet und als negativ zu rechnen. Beide Drehmomente sind einander parallel, das resultierende Drehmoment 2) ist also gleich der Summe + der Einzelmomente. Für den Betrag des resultierenden Drehmomentes finden wir also
Abb. 116. Wirkung eines Kräftepaares
(85)
D = D1 + D2 = alK1 + a2K2 =
Abb. 117. Berechnung des Kräftepaares
— a2)Kt = IK1.
Nennen wir den senkrechten Abstand l der beiden Kraftrichtungen den „Arm" des Kräftepaares, so können wir sagen: Das Drehmoment des Kräftepaares ist gleich dem Produkt aus der Größe der Kraft und dem Arm des Kräftepaares. Man erkennt, daß die Lage des Bezugspunktes 0 für die Größe des Drehmomentes, das von einem Kräftepaar ausgeübt wird, k e i n e Rolle spielt. Ein Kräftepaar ist nun offenbar nicht nur durch die Größe IK charakterisiert, sondern auch durch die E b e n e des Paares; denn von ihrer Stellung hängt ja die Achsenrichtung ab, um die die Drehung erfolgt. Mit anderen Worten: E i n K r ä f t e p a a r i s t e i n V e k t o r Sß, als dessen Betrag P wir die Größe IK ansehen; seine Richtung bestimmen wir folgendermaßen: Auf der Ebene des Kräftepaares, z. B . in dem Halbierungspunkte des Armes l, errichten wir ein mit Pfeil versehenes Lot von der Länge I K . Die positive Richtung des Pfeiles ist so zu wählen, daß für ein in dieser Richtung blickendes Auge die Drehung im Uhrzeigersinne vor sich geht. Die beiden Abb. 118a und 118b sind danach ohne weiteres verständlich. Da die Wirkung eines Kräftepaares lediglich in der Ausübung des Drehmomentes (85) besteht, und dieses nur vom Produkte IK abhängt, so sind alle solche Verschiebungen des Paares im starren Körper zulässig, bei denen das Drehmoment ungeändert bleibt. Das heißt aber, daß d a s P a a r im s t a r r e n K ö r p e r — natürlich unter Beibehaltung seiner Richtung! •— v o l l k o m m e n b e l i e b i g v e r s c h o b e n w e r d e n k a n n :
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
118
D a s Kräftepaar SJ5 ist ein freier Vektor, i m Gegensatz zu d e m linicnfliichtigen K r a f t vektor W i r k ö n n e n d i e s l e i c h t a n H a n d d e r A b b . 119 b e w e i s e n . G e g e b e n ist d a s K r ä f t e p a a r SJJ v o m B e t r a g e P = IK. W i r n e h m e n auf d e r V e r l ä n g e r u n g seines A r m e s e i n e n B e z u g s p u n k t e ) a n u n d z i e h e n d u r c h 0 e i n e u n t e r d e m W i n k e l tx g e g e n OB g e n e i g t e Gerade. W i r verschieben d a n n die Angriffsp u n k t e A u n d B des gegebenen K r ä f t e p a a r e s dL
//
.//
/L i
7T
7/
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Vgc A fa" X /
A " H
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P
Abb. 118. Zwei entgegengesetzt drehende Kräftepaare
Abb. 119. Verschiebung eines Kräftepaares in der Zeichenebene
bis z u m S c h n i t t m i t d i e s e r G e r a d e n . D e n A b s t a n d d e r n e u e n A n g r i f f s p u n k t e A' u n d B' n e n n e n w i r V. D i e b e i d e n in A' u n d B' a n g r e i f e n d e n K r ä f t e i Si z e r l e g e n w i r in j e zwei K o m p o n e n t e n p a r a l l e l u n d s e n k r e c h t z u l ' . D a n n b i l d e n d i e K o m p o n e n t e n SV' ein n e u e s K r ä f t e p a a r m i t d e m A r m V, w ä h r e n d s i c h d i e K o m p o n e n t e n S " g e g e n s e i t i g a u f h e b e n . D a s M o m e n t d e s n e u e n K r ä f t e p a a r e s h a t d e n B e t r a g K' l'. N u n s i e h t m a n s o f o r t , d a ß K' — K cosot
u n d l' =
cosa K r ä f t e p a a r e sind einander gleichwertig.
u n d s o m i t K'V
= Kl
ist,
d. h. die beiden
Als Beispiele f ü r das Auftreten eines Kräftepaares seien erwähnt die S c h r a u b e n p r e s s e (Kopierpresse), bei der man am Querarm mit den beiden Händen anfaßt, um ein Drehmoment auszuüben, die Flügel einer Windmühle, an deren schräg gestellten Flächen der Winddruck entgegengesetzt gerichtete Kraftkomponenten hervorruft, die zusammen ein Kräftepaar bilden. Auch die in der Physik vielfach benutzte b i f i l a r e A u f h ä n g u n g gehört hierher. I n Abb. 120 ist z. B. ein Stab A B von der Länge d an zwei gleichlangen parallelen Fäden A a und Bb von der Länge l aufgehängt. Wird der Stab aus seiner Ruhelage in die gestrichelte Lage A' B' verdreht, so wird er dabei durch die Schrägstellung der Aufhängefäden etwas gehoben. Sein nach unten gerichtetes Gewicht G können wir uns zu gleichen Teilen in den Punkten A' und B' angreifend denken. Die in A' vertikal nach unten wirkende K r a f t | G ist durch den Vektor A' C dargestellt. Wir zerlegen ihn in die beiden Komponenten A'D in Richtung des Aufhängefadens l und A'E senkrecht dazu. Die letztere K r a f t komponente ersucht den Stab in seine Anfangslage zurückzubringen und bildet mit der gleich großen, aber entgegengesetzt gerichteten K r a f t am anderen Ende des Stabes ein Abb. 120. Zur bifilaren Aufhängung Kräftepaar. Das Drehmoment dieses Kräftepaares ist A' E • d; aus der Ähnlichkeit der rechtwinkligen Dreiecke A'aF und CA'E folgt die Beziehung: A'E: A'C = A'F: A'a. Wird der Stab um den Winkel tx verdreht, so ist A'F = i d sin«, u n d es folg»,: Gd sina A'E-.^O =-Ldsina:l oder A'E = 41 Gd2 sine so daß das gesuchte Drehmoment den Betrag annimmt. 4Z
119
32. Kräfte am starren Körper; Kräftepaar
Wenn ein K r ä f t e p a a r an einem freibeweglichen Körper angreift, wie dies z. J3. bei dem Versuch in Abb. 116 der Fall war, so tritt die Frage auf, um welchen P u n k t die Drehung des Körpers stattfindet. Der Einfachheit halber denken wir uns den starren Körper aus zwei einzelnen Massenpunkten mit den Massen m i und m 2 gebildet, die durch eine masselose Stange miteinander verbunden sind. Wir wählen den Arm des Kräftepaares, was wir ohne Einschränkung der Aufgabe jederzeit können, gleich dem Abstand der Massenpunkte und lassen die K r ä f t e an den Massen selbst angreifen (Abb. 121). Dann erhalten diese Massen die Beschleunigungen a1 und a2 in Richtung
£
Abb. 121. Bestimmung des Drehpunktes bei einem Kräftepaar
Abb. 122. Wirkung einer an einem freien starren Körper angreifenden Kraft ®
der wirkenden Kräfte, und es muß nach dem zweiten N e w t o n s c h e n Axiom m1 a} = m2a2 sein. I n einem Zeitelement At werden die beiden Massen um die Strecken sl = \aiAt 2, und s 2 = | a2A ß bewegt, und es ist Sj: .s2 = al: a2 = m2: mL. Verbinden wir die E n d p u n k t e von Sj und s2 miteinander, so m u ß die Verbindungslinie diejenige von m1 und m2 in einem P u n k t 0 schneiden, der während der Wirkung des Kräftepaares in R u h e bleibt. Aus der Ähnlichkeit der beiden Dreiecke folgt sl:s2 = x1:x2, und mit Berücksichtigung der letzten Gleichung:
x1:x2 = m2:m1
oder
mL x1 = m2 x2 .
Diese letzte Gleichung sagt aber aus (siehe S. 70ff.), daß 0 der Massenmittelpunkt oder Schwerpunkt von m x und m 2 ist. W a s wir hier f ü r zwei einzelne Massen bewiesen haben, gilt auch für eine beliebige Massenverteilung, so daß wir den Satz aussprechen können: Ein an einem Ireibeweglichen Körper angreifendes Kräftepaar dreht diesen Körper so, daß seine Drehung um eine durch den Massenmittelpunkt gehende Achse erfolgt. Die Drehung ist dabei unabhängig von der l ä g e des Kräftepaares, da dieses ein freier Vektor ist. Wir zeigen weiter, daß sich jede beliebige, an einem freien starren Körper angreifende K r a f t durch ein K r ä f t e p a a r und eine im Massenmittelpunkt angreifende Einzelkraft ersetzen läßt. I n Abb. 122 greife im P u n k t e eines starren Körpers die K r a f t S an. Wir fällen vom Massenmittelpunkt 5 auf die Richtung von St das Lot l und lassen gleichzeitig in S zwei weitere K r ä f t e SJ' und SS" angreifen, die der K r a f t Si gleich, aber einander entgegengesetzt gerichtet sind, und deren Wirkungslinien mit der von Si parallel laufen. Da sich 0 ' und S " in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben, wird durch sie an der Bewegung des ganzen Körpers nichts geändert. Nun können wir die gegebene K r a f t S mit SJ' zu einem K r ä f t e p a a r Sß mit dem Arm l zusammensetzen, das f ü r sich allein eine Drehung des Körpers um den Massenmittelpunkt 8 her vorrufen würde; die übrigbleibende K r a f t S " , die im Massenmittelpunkt angreift, r u f t dann außerdem eine Translation des Körpers hervor.
120
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Die Gesamtbewegung des Körpers unter der Wirkung einer nicht im Massenmittelpunkt angreifenden Kraft setzt sich demnach aus einer Translation des Schwerpunktes und einer Rotation um denselben zusammen. Dies können wir experimentell mit der in Abb. 116 gezeichneten Anordnung zeigen. Bläst man nur mit e i n e r Düse gegen einen beliebigen Punkt auf dem oberen Brett, so führt die ganze Anordnung auf der Wasseroberfläche gleichzeitig eine Drehung und eine fortschreitende Bewegung aus. Bläst man aber gegen den Massenmittelpunkt, der etwas über der Mitte des unteren Brettes liegt, so vollführt der Körper nur eine fortschreitende Bewegung. Greifen an einem starren Körper mehrere Kräftepaare gleichzeitig an, so können wir sie, da sie f r e i e Vektoren sind, unter Erhaltung ihrer Richtung an e i n e n Punkt des starren Körpers verschieben und dort nach den Regeln der Vektoraddition (Parallelogrammkonstruktion) zu e i n e m resultierenden Paar zusammensetzen. Unser bisheriges (vorläufig auf komplanare Kräfte beschränktes) Ergebnis können wir folgendermaßen aussprechen: Das System der Kräfte am starren Körper läßt sich auf eine Einzelkraft und ein Kräftepaar zurückführen; nur in Sonderfällen ist die Reduktion auf eine Einzelkraft möglich. Dies Ergebnis gilt aber auch für nichtkomplanare Kräfte, deren Angriffslinien sich also nicht schneiden, wie wir jetzt zeigen wollen. In der räumlich zu denkenden Abb. 123 greifen an einem Körper etwa zwei beliebig gerichtete Kräfte und $t2 in den Punkten A und B an. Wir fügen in einem beliebigen Punkt P des starren Körpers vier weitere Kräfte hinzu: SJj' und Sit/' sowie und S 2 " ; dabei soll ft/ = — S / ' und Si 2 ' = — Si 2 " sein. Die Wirkungslinie von J l j ' und soll zu der Wirkungslinie von ¡®x parallel verlaufen, während die Wirkungslinie von S 2 ' und S 2 " parallel zu SV2 gerichtet sein soll. Da sich und , sowie und S? 2 " gegenseitig aufheben, wird an der gegebenen Kräfteverteilung des starren Körpers nichts geändert. Si,' und S 2 ' können wir zu einer Resultierenden Zusammensetzung nichtkomplanarer Kräfte zusammensetzen. bildet mit Ji 2 '' mit j e ein Kräftepaar; beide Kräftepaare lassen sich zu e i n e m resultierenden Kräftepaar zusammenfassen. Damit können wir das Ergebnis unserer Untersuchung ganz allgemein in dem Satz aussprechen: Ein beliebiges Kräftesystem des starren Körpers kann im allgemeinen nicht durch eine resultiernde Einzelkraft, wohl aber durch eine Einzelkraft und ein Kräftepaar ersetzt werden.
33. Mittelpunkt paralleler K r ä f t e ; Beziehung z u m B e s t i m m u n g des
Schwerpunkt,
Schwerpunktes
In der vorigen Nummer haben wir für zwei parallele Kräfte, die an bestimmten Punkten des starren Körpers angreifen, den sogenannten Mittelpunkt derselben geometrisch bestimmt: E s ist der Punkt auf der Verbindungslinie ihrer Angriffspunkte, an dem die resultierende Kraft (gleich der algebraischen Summe der Einzelkräfte) angreift und der die Verbindungslinie im umgekehrten Verhältnis der Kräfte teilt.
33. Mittelpunkt paralleler Kräfte; Schwerpunkt
121
Wir wollen diesen Punkt jetzt einerseits rechnerisch festlegen, d. h. zeigen, wie sich die Koordinaten des Mittelpunktes paralleler Kräfte aus den Koordinaten der beiden Kraftangriffspunkte ableiten, und andererseits den Begriff des Mittelpunktes auf beliebig viele parallele Kräfte erweitern. Wir können die erstere Aufgabe genauso lösen, wie wir in Nr. 24 das analoge Problem erledigt haben, die Koordinaten des Schwerpunktes zweier Massen zu bestimmen. In Abb. 124 mögen die beiden parallelen Kräfte und @2 a n den Punkten A und B des starren Körpers angreifen, die Resultierende @r = + sei in D angebracht. Die Punkte A, B, D bestimmen wir durch ihre Lagevektoren tu r 2 , t, die von dem übrigens beliebigen festen Koordinatenanfangspunkte 0 aus konstruiert sind. Dann ist: AD=X—t1;
DB
=
t2 — t .
Abb. 124.
Bestimmung des Mittelpunktes paralleler Kräfte
Die Längen dieser beiden Strecken sollen sich umgekehrt wie die Beträge K1 und K2 der Kräfte verhalten, gleichzeitig soll ihre Summe gleich (r2 — r,) sein. Das gibt die Bestimmung: K. Ki (86 a) t-> — t = -ti = (*« — *i) K, («2 — I i ) • Man überzeugt sich in der Tat leicht, daß durch Gl. (86a) beide Bedingungen erfüllt sind. Ebenso wie die Abb. 124 der früheren Abb. 68 entspricht, entspricht Gl. (86a) der Gl. (52a) auf S. 70; sie gehen ineinander über, wenn man statt K1 und K2 die Massen m1 und m2 setzt. Für den Lagevektor t des Mittelpunktes der beiden parallelen Kräfte findet man aus (86a): K 1 tj -f K 2 t2 (86 b) t = Kx + K 2 ' die wiederum das genaue Analogon von Gl. (52b) für den Schwerpunkt ist. Nachdem so der Mittelpunkt für zwei parallele Kräfte festgestellt ist, können wir eine dritte parallele Kraft {Ü3 an einem beliebigen Punkte E des starren Körpers hinzufügen und nach dem gleichen Verfahren den Mittelpunkt für die bereits vereinigten Kräfte S^ + S 2 am Punkte D und am Punkte E bilden. Das liefert in genau der gleichen Weise für den Lagevektor des Mittelpunktes dieser drei parallelen Kräfte: (86c)
Ztt + Z r + A j + Ä2 + Ä3 und so hat man schließlich für beliebig viele Kräfte: r =
2
v
(87)
Projiziert man die Lagevektoren r und V„ auf die Koordinatenachsen, so erhält man die kartesischen Koordinaten des gesuchten Punktes: (87 a)
- _ 2J Kvxv
-
_ZKvVv £ Kv
z —
£ Kv Würde man in (87) und (87a) Kv durch mt ersetzen, so erhielte man die entsprechenden Gleichungen des Schwerpunktes, wie sie bereits in Nr. 24 angegeben sind Der durch Gl. (87) bestimmte Punkt ist derjenige, an dem man die resultierende Kraft = J j S„ anzubringen hat; durch eine hier angebrachte Einzelkraft —
122
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
h ä l t man also allen wirklich a n g r e i f e n d e n p a r a l l e l e n K r ä f t e n das G l e i c h g e w i c h t . Hier haben wir eben einen ausgezeichneten Fall vor uns, in dem die Kräfte am starren Körper e i n e R e s u l t i e r e n d e b e s i t z e n , a b e r k e i n K r ä f t e p a a r a u f t r i t t . Der Mittelpunkt der parallelen Kräfte ist natürlich im allgemeinen vom Schwerpunkte vollkommen verschieden; es handelt sich j a hier um den Mittelpunkt von K r ä f t e n und nicht von M a s s e n . Nur in einem Spezialfälle, wenn nämlich alle Parallelkräfte K , proportional den Massen m t sind, an denen sie angreifen, würde nach (87) oder (87a) der K r a f t m i t t e l p u n k t in den Massenmittelpunkt übergehen, d. h. in den S c h w e r p u n k t . Aber eben dieser Spezialfall ist von besonderer Wichtigkeit : Denn massenproportionale parallele Kräfte kommen in der Natur bei der Schwere vor. Befindet sich ein vollkommen frei beweglicher Körper im Schwerefeld der Erde, so wirkt auf jedes seiner Massenelemente dm eine vertikal nach unten gerichtete Kraft vom Betrage dm-g, wenn g die Fallbeschleunigung bedeutet. Alle diese Kräfte weisen nach dem Erdmittelpunkt und sind bei der großen Entfernung dieses Punktes als parallel anzusehen. Wir können also diese parallelen Kräfte zu einer Resultierenden zusammensetzen, deren Größe nach den Ausführungen des vorigen Abschnittes K = gdm = dm = gM ist, wenn M die Gesamtmasse des betrachteten Körpers darstellt. Die resultierende Kraft greift im Mittelpunkt paralleler Kräfte an, der h i e r mit dem Massenmittelpunkt identisch ist, und der deshalb auch Schwerpunkt genannt ist. Dieser Ausdruck „Schwerpunkt" wird also jetzt verständlich, wenn auch die Bedeutung des Massenmittelpunktes dadurch nicht erschöpft wird. Unterstützen wir den Körper in diesem Schwerpunkt, so muß er im Gleichgewicht bleiben. Wir können dies z. B . in sehr einfacher Weise bei einer runden gleichmäßig dicken Holz- oder Metallscheibe zeigen. Ihr Schwerpunkt liegt, wie leicht verständlich, in der Mitte der Scheibe, und zwar in halber Höhe ihrer Dicke. Bohrt man daher die Scheibe bis zur halben Dicke genau in der Mitte an, und setzt man die Scheibe mit dieser Bohrung auf eine Spitze, so bleibt sie im Gleichgewicht, während sie, an jeder anderen Stelle unterstützt, sofort umkippt. Kann sich der betrachtete starre Körper um eine waagerechte Achse drehen, so üben die einzelnen Massenelemente dm Drehmomente auf den Körper in bezug auf die betreffende Achse aus, deren Beträge gleich dm-ga sind, wenn wir unter a den Arm des jeweiligen Drehmomentes verstehen; wir erhalten diesen Arm, indem wir von der Achse auf die vertikale Kraftrichtung das Lot fällen. In Abb. 125 sind für den Körper K , der sich um die zur Papierebene senkrechte Achse A drehen kann, für zwei MassenAbb. 125. Gleichgewicht elemente die Kraftrichtungen und die Arme a ihrer paralleler Kräfte Drehmomente eingezeichnet. Die Drehmomente sämtlicher Massenelemente setzen sich zu einem resultierenden Drehmoment zusammen, dessen Betrag gleich der Summe der Beträge der einzelnen Momente ist. E s ist also Dr = g^dm-a, oder in der Schreibweise der Integralrechnung Dr = g f adm. Geht nun die A c h s e l durch den Schwerpunkt des Körpers, so befindet sich der Körper in jeder Lage im Gleichgewicht, d. h. das von der Schwerkraft auf ihn ausgeübte resultierende Drehmoment ist Null. Wir können also als Bedingung für dieses Gleichgewicht schreiben: (88)
£ dm-a
= 0
und somit den Satz aussprechen:
oder
fadm
=
0,
33. Mittelpunkt paralleler Kräfte; Schwerpunkt
123
Ist dio Summe der durch die Schwere erzeugten Drehmomente aller Massenelcincnte eines um eine Achse drehbaren starren Körpers für jede Stellung des Körpers gleich Null, so geht die Achse durch den Schwerpunkt des Körpers. Der Körper befindet sich dann in jeder Stellung im Gleichgewicht. Geht nun die Achse A des Körpers nicht durch den Schwerpunkt 5 (Abb. 126), so können wir uns die gesamte Masse M im Schwerpunkt vereinigt denken, wo sie mit einer K r a f t Mg vertikal nach unten wirkt und ein Drehmoment Mgs ausübt, wenn s den senkrechten Abstand der Achse von der Angriffslinie der K r a f t M g bedeutet. Das resultierende Drehmoment hat dann den Betrag: D, = Mgs
.
Unter der Wirkung dieses Drehmomentes muß der Körper eine Drehung ausführen und kann erst dann im Gleichgewicht sein, wenn Dr verschwindet. Dies ist aber nur möglich, wenn s = 0, d. h. die Angriffslinie der im Schwerpunkt des Körpers angreifenden Schwerkraft durch die Achse hindurchgeht. Dies ist der Fall, wenn der Schwerpunkt senkrecht unter der Achse 1 ) liegt.
Abb. 126. Zur Bestimmung des durch die Schwere erzeugten Drehmomentes bei einem drehbar aufgehängten starren Körper
Abb. 127. Bestimmung des Schwerpunktes eines viereckigen Brettes durch Aufhängen
Hierauf beruht ein einfaches Verfahren zur experimentellen Ermittlung des Schwerpunktes. Hängt man den betreffenden Körper etwa an einer Schnur auf, so wird er eine solche Lage einnehmen, daß sein Schwerpunkt unter seinen Aufhängepunkt zu liegen kommt. Die Verlängerung des Aufhängefadens muß also durch den Schwerpunkt gehen und ist somit e i n g e o m e t r i s c h e r O r t f ü r d e n S c h w e r p u n k t . Hängt man den Körper noch an einem zweiten Punkt auf, so geht auch jetzt wieder die Verlängerung des Aufhängefadens durch den Schwerpunkt, somit einen z w e i t e n g e o m e t r i s c h e n O r t liefernd; der Schnittpunkt beider ergibt die Lage des Schwerpunktes. Abb. 127 zeigt als Beispiel die Schwerpunktsbestimmung bei einem viereckigen Brett, das zunächst an der Ecke a und dann an der Ecke b an einem Faden aufgehängt wurde. E s sei noch erwähnt, daß der Schwerpunkt eines starren Körpers nicht immer im Körper selbst zu liegen braucht, vielmehr kommt häufig der Fall vor, daß sich der Schwerpunkt außerhalb des Körpers befindet. So liegt z. B . bei einem ringförmigen Körper (Holzreifen) der Schwerpunkt im Mittelpunkt des Ringes und bei einer Hohlkugel im Kugelmittelpunkt. Für eine homogene, überall gleichdicke dreieckige Platte ist die Lage des Schwerpunktes durch den Schnittpunkt zweier Mittellinien gegeben. Zerlegt man nämlich das Dreieck entsprechend Abb. 128 in lauter schmale Streifen, die parallel zu einer Seite ( A B in Abb. 128) verlaufen, so liegt bei jedem dieser Streifen der Schwerpunkt 1)
oder über der Achse: dieser Fall liefert aber kein stabiles Gleichgewicht, vgl. Nr. 34,
124
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
in der Mitte, d. h. der Schwerpunkt des ganzen Dreiecks m u ß ebenfalls auf der Mittellinie CD liegen. D a das gleiche für jede der drei Mittellinien gelten muß, liefert der S c h n i t t p u n k t der Mittellinien den gesuchten Schwerpunkt. F ü r ein Viereck findet man den Ort des Schwerpunktes, indem man das Viereck in Dreiecke zerlegt und für jedes Dreieck den Schwerpunkt n a c h dem eben angegebenen Verfahren ermittelt. B e s t i m m t man noch die Masse der einzelnen Dreiecke, so kann m a n den gemeinsamen Schwerpunkt aller Dreiecksschwerpunkte n a c h dem auf S . 7 0 beschriebenen Verfahren angeben. Die rechnerische Bestimmung des Schwerpunktes räumlich ausgedehnter Körper ist nur für solche Körper möglich, die eine regelmäßige Gestalt haben und erfordert im allgemeinen die Hilfe der Integralrechnung. Man geht dabei von dem auf S. 122, Gl. (88), abgeleiteten Satz aus, daß das resultierende Drehmoment der Schwerkraft
Abb. 128. Bestimmung des Schwerpunktes eines Dreiecks
Abb. 129. Berechnung des Schwerpunktes eines geraden Kreiskegels
aller Massenelemente des Körpers in bezug auf den Schwerpunkt den Wert Null haben muß. Als Beispiel sei die Berechnung des Schwerpunktes eines homogenen geraden K r e i s k e g e l s angeführt. Wir machen die Achse des Kegels, dessen Höhe h sei, zur x-Achse eines rechtwinkligen Koordinatensystems (xy) (Abb. 129) und zerlegen den Kegel in eine Anzahl dünner, zur Grundfläche paralleler Scheiben der Dichte dx. Die im Abstand x von der Kegelspitze gelegene Scheibe hat die Masse dm = gny2dx, wenn g die Dichte und y den Radius der Scheibe bedeuten. Der Schwerpunkt S, der auf der Achse des Kegels liegen muß, habe von der Spitze O den Abstand f . Die betrachtete Kreisscheibe übt dann in bezug auf den Schwerpunkt das Drehmoment ggny2dx ({— x) aus, wo § — x der Arm des Momentes ist. Das Integral dieses Ausdruckes, erstreckt über den ganzen Kegel, liefert uns dann die Summe der Drehmomente aller Kreisscheiben, die wir nach (88) gleich Null zu setzen haben; dies liefert: gng j y2dx (f — x) = 0
oder
f £y2dx
— f xy2dx
= 0.
Nun ist beim Kegel y = Const. x, und damit wird: Ä h { f x2dx - fx3dx 0 0
= 0
oder nach Ausführung der Integration: f
woraus folgt:
h3 _ h* "3" " T ' S =
i-h,
d. h. der Schwerpunkt des Kreiskegels liegt auf der Achse in ein Viertel der Höhe über der Grundfläche. Dieses Ergebnis gilt auch für den Schwerpunkt einer geraden Pyramide der Höhe h. In derselben Weise findet man, daß der Schwerpunkt einer Halbkugel um drei Achtel des Radius vom Kugelmittelpunkt entfernt ist.
125
34. Arten des Gleichgewichts; Standfestigkeit
34. Verschiedene Arten des Gleichgewichts; Standfestigkeit Ein nur der Schwerkraft unterliegender Körper befindet sich dann im Gleichgewicht, wenn sein Schwerpunkt unterstützt und damit die in diesem Punkte angreifende Schwerkraft wirkungslos wird. Die verschiedenen Möglichkeiten wollen wir an dem einfachen Beispiele eines um eine feste Achse drehbaren Quaders betrachten. Der Schwerpunkt eines homogenen Quaders liegt in der Mitte desselben. Lassen wir die Achse durch den Schwerpunkt S hindurchgehen, so bleibt der Quader, wie wir aus der vorhergehenden Nummer wissen, in jeder der in Abb. 130a gezeichneten Stellungen im Gleichgewicht. Wir sprechen in diesem Fall von indifferentem Gleichgewicht. Geht die Achse durch irgendeinen anderen Punkt des Quaders, so sind nach Nr. 32 zwei Fälle möglich, in denen der Körper keine Drehbewegung ausführt, d. h. sich im Gleichgewicht befindet. In Abb. 130b liegt der SchwerpunktS vertikal u n t e r dein
r
K v
s\\
< V \ \ \
v > V
mg
V mg
C
Abb. 130. Indifferentes (a), stabiles (b) und labiles (c) Gleichgewicht
Drehpunkt. Die Angriffslinie der Schwerkraft geht somit durch die Achse, und folglich ist kein Drehmoment vorhanden. Wird der Körper aus dieser Lage in eine andere, z. B. die in der Figur gestrichelte, gedreht, so übt die im Schwerpunkt angreifende Schwerkraft ein Drehmoment auf den Körper aus, durch das er in die Gleichgewichtslage zurückgedreht wird. Ein solches Gleichgewicht heißt stabil oder beständig. Schließlich ist noch ein dritter Fall möglich (Abb. 130c), daß der Schwerpunkt vertikal ü b e r der Drehachse liegt, so daß wiederum die Angriffslinie der Schwerkraft durch die Achse geht. Wir haben dann unbeständiges oder labiles Gleichgewicht. Wird nämlich jetzt der Körper noch so wenig aus der Gleichgewichtslage herausgebracht (gestrichelte Lage in Abb. 130 c), so übt die im Schwerpunkt angreifende Schwerkraft nunmehr ein Drehmoment aus, das den Körper weiter aus der labilen Gleichgewichtslage herausdreht, und zwar so lange, bis er in die Lage des stabilen Gleichgewichts gelangt. Das Wesentliche bei diesen drei Arten von Gleichgewicht ist das Folgende: Der s t a b i l e Z u s t a n d ist dadurch charakterisiert, daß der in ihm befindliche Körper, wenn er durch einen kleinen Stoß aus der Gleichgewichtslage entfernt wird, unter leichtem Hin- und Herschwingen wieder in s e i n e a l t e L a g e z u r ü c k k e h r t ; (die kleinen Schwingungen, die er um die Gleichgewichtslage ausführt, werden natürlich allmählich durch Reibung vernichtet). Das l a b i l e G l e i c h g e w i c h t ist dadurch gekennzeichnet, daß ein beliebig kleiner Stoß genügt, um den Körper, der sich in einem solchen Zustande befindet, mit wachsender Geschwindigkeit a u s d i e s e r L a g e d a u e r n d zu e n t f e r n e n und ihn in eine a n d e r e — s t a b i l e — L a g e ü b e r z u f ü h r e n . Beim i n d i f f e r e n t e n G l e i c h g e w i c h t endlich ist jede Lage, in die ein kleiner Stoß den Körper überführt, wieder eine G l e i c h g e w i c h t s l a g e .
126
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Aus dieser Definition der verschiedenen Arten des Gleichgewichtes folgt ein w i c h t i g e r S a t z v o n D i r i c h l e t ü b e r d i e G r ö ß e d e r p o t e n t i e l l e n E n e r g i e in einer Gleichgewichtslage: In einer stabilen Gleichgewichtslage ist die potentielle Energie ein Minimum, während sie in einer labilen Gleichgewichtslage ein Maximum ist. Wir wollen den Satz nicht allgemein beweisen, sondern seine Richtigkeit an Abb. 130 erläutern. I n 130b haben wir eine s t a b i l e L a g e , und man erkennt, daß der S c h w e r p u n k t S i n d i e s e r so t i e f a l s m ö g l i c h l i e g t ; da die p o t e n t i e l l e E n e r g i e proportional der H ö h e des Schwerpunktes über der Erdoberfläche ist, ist sie in der T a t ein M i n i m u m . Umgekehrt ist es in Abb. 130c: Dort liegt der Schwerpunkt so h o c h als möglich, die p o t e n t i e l l e E n e r g i e ist also ein M a x i m u m . In der indifferenten Lage (Abb. 130a) ist die potentielle Energie von der Lage des Körpers unabhängig. Daraus ergibt sich nun ein praktisches Kriterium zur Entscheidung, welche Art von Gleichgewicht in einem gegebenen Falle vorliegt:
Abb. 131. Stabilisierung eines instabilen Körpers
Abb. 132. Zur Stabilisierung eines instabilen Körpers
Der Zustand ist stabil, wenn bei jeder kleinen Yerrückung aus der Gleichgewichtslage der Schwerpunkt gehoben wird (d. h. die potentielle Energie größer wird), labil, wenn der Schwerpunkt sich bei jeder Yerrückung senkt (d. h. die potentielle Energie kleiner wird), indifferent, wenn die Schwerpunktslage (damit die potentielle Energie) unverändert bleibt. Wir wollen die Kriterien auf die im folgenden angeführten Beispiele anwenden. Bekanntlich gelingt es praktisch nicht, einen Bleistift auf seine Spitze zu stellen, weil sein Schwerpunkt dann die höchstmögliche Lage h a t : er befindet sich im labilen Gleichgewicht u n d wird durch die geringste Erschütterung zum Umfallen gebracht. Bringt man aber (Abb. 131) zwei hinreichend große Hilfsmassen K1 u n d K2 an dem Bleistift an, so daß sie sich seitlich unterhalb der Spitze befinden, so bleibt der Stift auf seiner Spitze stehen. J e t z t befindet sich die Anordnung im stabilen Gleichgewicht, weil nunmehr der gemeinsame Schwerpunkt S so tief gelagert ist, daß er sich bei jeder Verrückung h e b e n muß. Dieser Versuch gelingt aber nur, wenn die Hilfsmassen s t a r r mit dem Bleistift verbunden sind. Ändert man den Versuch so ab, daß entsprechend Abb. 132 die beiden Kugeln K 1 und K% mittels der beiden Stangen und s2 an den Enden einer am Bleistift angebrachten Querstange d r e h b a r aufgehängt sind, so befindet sich der Bleistift wieder im labilen Gleichgewicht. Denn obwohl der gemeinsame Schwerpunkt S des Systems, absolut genommen, jetzt ebenso tief liegt, wie vorher in Abb. 131, s e n k t e r s i c h n o c h t i e f e r , wenn man den Stift aus der vertikalen Lage ein wenig herausbringt. Sobald man aber durch Feststellen der Gelenke G1 und 02 die Anordnung starr macht, d . h . wieder zu dem Fall der Abb. 131 zurückgeht, h e b t sich der Schwerpunkt wieder, wenn man aus der Vertikalen ein wenig herausgeht, und das System befindet sich im s t a b i l e n Gleichgewicht.
34. Arten des Gleichgewichts; Standfestigkeit
127
Dies Ergebnis ist im ersten Augenblick überraschend. Aber man kann sich leicht klarmachen, daß der Schwerpunkt S' der beiden Hilfsmassen K1 und K2 allein in Abb. 132, d. h. bei lockeren Gelenken, bei einer Verrückung im g l e i c h e n Niveau bleibt, sich w e d e r h e b t n o c h s e n k t , während der Schwerpunkt S " des Stiftes allein bei einer Verrückung sich s e n k e n muß; folglich muß sich auch der gemeinsame Schwerpunkt S s e n k e n , d. h. das nichtstarre System der Abb. 132 ist tatsächlich l a b i l . Man kann sich dies auch in folgender Weise anschaulich machen: Solange die beiden Massen K1 und K2 nicht starr mit dem übrigen System verbunden sind, stellen sie K r ä f t e dar, die wegen ihrer Linienflüchtigkeit in ihrer Richtung beliebig verschoben werden können; man kann die Massen K1 und K2 so hoch oder so tief anbringen, wie man will. E s kann daher auf die Lage des Schwerpunktes 8 ' dieser Massen gar nicht ankommen; es kommt immer nur auf das Verhalten des Schwerpunktes 8 " des Stiftes an. Eine ähnliche Anordnung haben wir z. B. bei einer Waage: Q^O^ ist der Hebelarm, K1 und K2 die daran hängenden Waagschalen nebst Gewichten. A u c h b e i d e r W a a g e k o m m t es n u r a u f d e n S c h w e r p u n k t 8 " d e s H e b e l a r m e s a n — ohne Rücksicht auf die Waagschalen und ihre Belastung! — ; allerdings ist zum Unterschiede gegen Abb. 132 bei der Waage 8" . ,-ön 'sso gelagert, daß der Hebelarm schon ' ^ ' für sich allein stabil ist. Sehr schön kann man die Richtigkeit der Gleichgewichtskriterien an den RuheAbb. 133. Indifferentes (a), stabiles (b) und labiles (c) lagen erkennen, die eine Kugel annimmt, Gleichgewicht einer Kugel wenn sie entweder auf einer waagerechten Ebene oder in einer konkaven Kugelschale oder auf der konvexen Fläche einer Kugelschale ruht. Im ersten Fall (Abb. 133a) befindet sich die Kugel im indifferenten Gleichgewicht; denn bei einer Lagenänderung der Kugel bleibt ihr Schwerpunkt in derselben Höhe. Im zweiten Fall (Abb. 133b) haben wir stabiles Gleichgewicht; denn bei jeder Lagenänderung wird der Schwerpunkt gehoben, und die Kugel rollt daher von selbst wieder in die tiefste Lage zurück. Im letzten Fall (Abb. 133 c) nimmt der Schwerpunkt der Kugel die höchstmögliche Lage ein, kann also nur sinken: Die Kugel befindet sich im labilen Gleichgewicht. — In den eben betrachteten drei Lagen der Kugel befindet sich in j e d e m F a l l e d e r S c h w e r p u n k t o b e r h a l b d e s U n t e r s t ü t z u n g s p u n k t e s . Häufig findet man die Behauptung, das Gleichgewicht sei s t a b i l , wenn der Schwerpunkt u n t e r dem Unterstützungspunkte, l a b i l , wenn der Schwerpunkt ü b e r dem Unterstützungspunkte liege, i n d i f f e r e n t , wenn beide Punkte zusammenfielen. Wäre diese Behauptung richtig, so müßte die Kugel in allen drei Fällen im labilen Gleichgewicht sein, was offenbar unrichtig ist. Daher genügt dieses Beispiel, um zu zeigen, daß die oben wiedergegebene Behauptung nicht allgemein zutreffen kann. In gewissen speziellen Fällen, z. B. dem der Abb. 130, ist sie zulässig; aber auch in diesem Falle gilt natürlich unsere Charakterisierung des Gleichgewichtes, die auf jeden Fall paßt. Wir h a b e n bisher nur die Gleichgewichtslagen bei solchen K ö r p e r n b e t r a c h t e t , die e n t w e d e r u m eine A c h s e d r e h b a r ( A b b . 130) oder n u r in e i n e m P u n k t u n t e r s t ü t z t w a r e n (Abb. 131—133). I m allgemeinen wird jedoch ein K ö r p e r m i t einer m e h r o d e r w e n i g e r g r o ß e n F l ä c h e a u f einer U n t e r l a g e r u h e n . D a m i t er s i c h i m G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d befind e t , m u ß d a s v o n s e i n e m S c h w e r p u n k t gefällte L o t durch d a s Innere der S t a n d f l ä c h e gehen, denn nur so wird die W i r k u n g der b am Schwerpunkt angreifenden Schwerkraft Abb. 134. durch die Auflagefläche aufgehoben. Abb. Standfestigkeit eines schiefen Zylinders 1 3 4 a z e i g t d i e s f ü r einen s c h i e f e n Z y l i n d e r . B e s i t z t d a g e g e n d e r s c h i e f e Z y l i n d e r d i e in A b b . 1 3 4 b d a r g e s t e l l t e G e s t a l t , s o f ä l l t er u m ; d a die Angriffslinie der S c h w e r k r a f t j e t z t nicht durch die U n t e r s t ü t z u n g s f l ä c h e des K ö r p e r s hindurchgeht, r u f t die S c h w e r k r a f t a m K ö r p e r ein D r e h m o m e n t hervor, d a s ihn u m den P u n k t a im Sinne des Uhrzeigers dreht u n d z u m U m k i p p e n bringt. L i e g t ein K ö r p e r n i c h t m i t seiner g a n z e n F l ä c h e a u f d e r U n t e r l a g e a u f , s o n d e r n b e r ü h r t er d i e s e n u r a n einzelnen P u n k t e n ( S t u h l b e i n e ) , s o g i l t a l s U n t e r s t ü t z u n g s f l ä c h e diejenige F l ä c h e , die m a n erhält, wenn m a n die a m weitesten außen liegenden Unters t ü t z u n g s p u n k t e d u r c h g e r a d e L i n i e n m i t e i n a n d e r v e r b i n d e t . M a n ü b e r l e g t sich leicht, d a ß d e r K ö r p e r d i e U n t e r l a g e in m i n d e s t e n s drei P u n k t e n b e r ü h r e n m u ß .
128
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
die nicht in einer Geraden liegen, wenn überhaupt ein stabiles Gleichgewicht möglich sein soll. Als Maß für die S t a b i l i t ä t der Gleichgewichtslage gibt man die Größe der Standfestigkeit an. Um ein Maß für diese zu finden, machen wir folgenden Versuch. Wir stellen eine Zigarrenkiste nacheinander auf ihre drei Flächen und versuchen sie durch eine an ihrem Schwerpunkt S, der in de Mitte der Kiste liegt, angreifende waagerechte Kraft K um eine Kante «ihrer Standflächezu kippen (Abb.135). Wir stellen bei diesem Versuch fest, daß die Kraft K um so größer sein muß, je kleiner die Höhe h des Schwerpunktes über der Grundfläche ist. Verändern wir auch noch das Gewichte der Zigarrenkiste, indem wir sie mit Sand oder Bleischrot füllen, so finden wir weiter, daß K auch mit dem Gewicht G des umzukippenden Körpers wächst. Abb. 135. Dynamisches Maß der Befestigen wir ein Brett unter dem Boden der Standfestigkeit Kiste, das größer oder auch kleiner als dieser ist, so daß die Standfläche der Kiste vergrößert oder verkleinert wird, so wird damit auch die Kraft K größer bzw. kleiner. Wir können zusammenfassend sagen: Die Standfestigkeit eines Körpers ist um so größer, je größer die Unterstützungsfläche des Körpers, je schwerer der Körper ist und je tiefer sein Schwerpunkt liegt.
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Abb. 136. Geometrisches Maß der Standfestigkeit
Damit also ein Körper sicher steht, muß man seine Bodenfläche möglichst groß machen und seinen Schwerpunkt (zum Beispiel durch Ausgießen des Bodens mit Blei) so tief wie möglich legen. Dieses Ergebnis wollen wir noch in Form einer Gleichung darstellen. Die Kraft K übt auf den Körper in bezug auf die Drehachse a ein Drehmoment Kh aus. Diesem wirkt das Drehmoment Gb entgegen, das die Schwere desKörpers bei einer Kippung um die gleiche Achse a ausübt. Nur wenn Kh ^ Gb ist, kann der Körper um-
kippen. Wir nehmen daher üC = Gb _ als Maß der S t a n d f e s t i g k e i t . Neben diesem
„dynamischen" Maß der Standfestigkeit gibt man gelegentlich als „geometrisches" Maß den Winkel c o s
b
=
cot,
2nvb
zu den Zeiten
t = 0, \ T, \ T, | T,..., w e n n die A m p l i t u d e der Schwingung Null ist, der M a s s e n p u n k t also durch die R u h e l a g e hindurchgeht. Die Geschwindigkeit ist dagegen Null f ü r t = \T, , . . , wenn die Elongation ihr M a x i m u m erreicht, der schwingende P u n k t also seine Bewegungsrichtung u m k e h r t . D u r c h eine nochmalige Differentiation der Gl. (99) k o m m e n wir zur Beschleunigung a des schwingenden M a s s e n p u n k t e s : . A
.
(ioi)
de
« = _
dt
d2y
= _ ! 2dt
=
4jt2 , . 2n A -yä- b s m - j r t =
4 t i 2v2b
sm2nvt
=
—aPb
sin
cot,
w o f ü r wir a u c h n a c h Gl. (99) schreiben k ö n n e n : (101a)
a =
d2y
=
—
4ji2 y J12
=
—4
"2 y
=
-co2y;
d. h . d i e B e s c h l e u n i g u n g d e s s c h w i n g e n d e n P u n k t e s i s t d e r E l o n g a t i o n , d. h . d e r E n t f e r n u n g v o m R u h e p u n k t d i r e k t p r o p o r t i o n a l , i h r a b e r s t e t s e n t g e g e n g e s e t z t . D a s s t i m m t m i t der f r ü h e r e n F e s t s t e l l u n g überein, d a eine „ z u r ü c k t r e i b e n d e " K r a f t proportional der Elongation wirksam ist, u n d dies ist gerade das bereits oben erw ä h n t e Kennzeichen der harmonischen oder sinusförmigen Schwingung. D e r größte W e r t der Beschleußt2 V' 13 nigung rp2 b = An^vb wird erreicht zu den Zeiten ;j_Ji [y
t = \ T, ,. . . , wenn der M a s s e n p u n k t im E n d p u n k t seiner B e w e g u n g zur R u h e k o m m t u n d seine Bewegungsrichtung umkehrt. Beispiele f ü r eine harmonische Schwingung sind eine an einer Spiralfeder schwingende Masse, das b Pendel, die Biegungsschwingungen einer einseitig einAbb. 165. Schwingung einer geklemmten Bandfeder. Auch eine in einer U-förmigen Wassermasse in einem UR ö h r e auf- u n d abschwingende Wassermasse vollführt Rohr (a) und einer an einem eine harmonische Schwingung, d e n n die K r a f t , die das Rad aufgehängten Kette (b) Wasser in seine R u h e l a g e z u r ü c k t r e i b t , ist stets der Elongation y proportional. Wie Abb. 165a erkennen l ä ß t , ist das Übergewicht der i m linken Schenkel um die Strecke y über der Nullinie stehenden Wassersäule gleich 2qpgy = c o n s t - y (q = Querschnitt der Röhre, q — Dichte der Flüssigkeit). Ersetzen wir die Flüssigkeit d u r c h eine nicht zu leichte K e t t e , die wir entsprechend Abb. 165 b mittels einer a n die beiden K e t t e n e n d e n angebundenen Schnur über ein drehbares
\J
B e r g m a n n u . S c h a e f e r , Experimentalphysik. I .
10
146
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
leichtes Rad hängen, so führt die Kette ebenfalls eine harmonische Schwingung aus, wenn wir sie durch Anheben auf einer Seite aus der Ruhelage entfernen. Wir berechnen die Schwingungsdauer einer harmonisch schwingenden Masse m. Die potentielle Energie, die sie in einem ihrer Umkehrpunkte (y = b) besitzt, ist gleich der Arbeit, die man leisten muß, um die Masse aus der Ruhelage an diesen Punkt zu bringen. Da die dazu notwendige Kraft K der Elongation y proportional ist, also K = ky, erhält man für die Arbeit nach S. 59 den Wert \kb2. Beim Durchgang durch die Ruhelage hat die Masse die größte Geschwindigkeit Cm^ = 1
1
und demnach
4 ji2
die maximale kinetische Energie m c^ax = —m b2. Da nach dem Energiesatz in der Ruhelage die potentielle Energie sich vollständig in kinetische umgewandelt hat, also maximale potentielle und maximale kinetische Energie gleich sein müssen, folgt: und hieraus (102)
Gl. (102) sagt zunächst aus, was wir schon von der Pendelschwingung her wissen, daß die Schwingungsdauer bzw. Schwingungszahl von der Amplitude der Schwingung unabhängig ist. Im übrigen ist die Schwingungsdauer der Wurzel aus der Masse direkt und der Größe k umgekehrt proportional, k ist aber die im Abstände 1 von der Ruhelage auf die Masse wirkende Kraft; wir bezeichnen daher k in Analogie zu dem bei der Pendelschwingung — Gl. (96) •— auftretenden Direktionsmoment als Direktionskraft. Wenn man die Tabelle in Nr. 28 betrachtet, in der diejenigen Größen einander gegenübergestellt sind, die für eine Translation oder Rotation charakteristisch sind, so erkennt man, daß die beiden Gleichungen (102) und (96) sich vollkommen entsprechen: Setzt man in (102) statt der Masse das Trägheitsmoment, statt der Direktionsbraft das Direktionsmoment, so geht sie direkt in (96) über.
Die Abhängigkeit der Schwingungsdauer von der Masse zeigen wir, indem wir an einer Spiralfeder nacheinander Massen von 100, 400 und 900 g schwingen lassen. Dann verhalten sich die Schwingungsdauern wie 1 : 2 : 3 . Ersetzen wir dann die Feder durch eine aus stärkerem Draht gewickelte, die durch eine bestimmte Belastung weniger gedehnt wird, also eine größere Direktionskraft als die erste Feder besitzt, so wird die Schwingungsdauer bei der gleichen Masse entsprechend kleiner. Bei der in Abb. 165b gezeichneten Kette, derenLänge l und deren Gesamtmasse M betrage, ist die Direktionskraft, wie man leicht findet, k = — • Die Schwingungsdauer wird also T =
. Sie
ist demnach unabhängig von dem Gewicht der Kette und nur von der Länge derselben abhängig; sie stimmt überein mit der Schwingungsdauer eines mathematischen Pendels von der halben Kettenlänge. Man kann dies leicht zeigen, indem man statt einer Kette zwei Ketten nebeneinander an den Faden anhängt; die Schwingungsdauer ändert sich dabei nicht. Hängt man aber die beiden Ketten hintereinander an, so erhöht sich die Schwingungsdauer auf den / 2 - = 1,41 -fachen Wert. Das gleiche gilt auch für die im U-Rohr schwingende Flüssigkeit: Ihre Schwingungsdauer ist unabhängig vom Querschnitt der Flüssigkeitssäule und dem spezifischen Gewicht der benutzten Flüssigkeit und nur abhängig von der Gesamtlänge der Flüssigkeitssäule, was sich durch entsprechende Versuche ohne weiteres zeigen läßt.
Eine besondere Art von Schwingungen stellen die Drehschwinguilgen dar. Wenn wir an der vertikalen Achse A einer drehbaren Masse M (Abb. 166) eine Schneckenfeder so anbringen, daß ihr inneres Ende mit der Achse verbunden ist, während das äußere Ende am Lagergestell G befestigt ist, so gerät die Masse M, wenn wir sie aus der Ruhelage herausdrehen und dann loslassen, in hin- und hergehende Drehbewe-
37. Schwingungen; Zusammensetzung von Schwingungen
147
gHilgen, die wir als Drehschwingungen bezeichnen. Derartige Schwingungen f ü h r t z. B. die U n r u h e in jeder T a s c h e n u h r aus. Man k a n n zeigen, d a ß bei genügender Länge der Schneckenfeder das zu einer Verdrehung der Achse notwendige D r e h m o m e n t dem Drehwinkel , 3co, . . . , die sogenannten „harmonischen Oberschwingungen" auf. I n besonderen Fällen können einzelne Glieder fortfallen; f ü r die P r a x i s genügt es meistens, wenn m a n die E n t w i c k l u n g n a c h den ersten Gliedern a b b r i c h t . Man n e n n t eine solche Zerlegung eine Fourier-Analyse; auf das Rechenverfahren gehen wir nicht ein. Lediglich als Beispiel f ü r die Zerlegung einer beliebigen periodischen Bewegung f(t) ist in Abb. 176a eine periodische Dreieckskurve gezeichnet, von d e r Amplitude b u n d der Periode T bzw. der Kreisfrequenz m = ~ . Die F o u r i e r - A n a l y s e ergibt folgende Zerlegung dieser Schwingung: (106a)
f(t) =
^ sin co t — 4;sin3ft)< +
sin5a>< — - i sin7coi +
D a s Bildungsgesetz f ü r die höheren Glieder der Reihe ist d a n a c h leicht erkenntlich; insbesondere sieht man, d a ß alle Kosinusglieder u n d die geradzahligen Vielfachen der Grundfrequenz co fehlen. B e s c h r ä n k t m a n sich auf die angeschriebenen vier ersten Glieder der Reihe, die im oberen Teile der Abb. 176b einzeln dargestellt sind, so erhält m a n d u r c h Überlagerung derselben die u n t e r s t e K u r v e dieser Figur, die —- abgesehen von einigen Kräuselungen —• die Dreieckskurve der Abb. 176a schon r e c h t g u t darstellt; d u r c h H i n z u n a h m e von noch mehr Gliedern k a n n die A n n ä h e r u n g entsprechend weiter getrieben werden.
154
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Es sei bemerkt, daß man die Fourier-Analyse einer gegebenen periodischen Funktion auch auf rein mechanischem Wege vollziehen kann; solche Apparate heißen harmonisch. Analysatoren. Es ist interessant, daß das Ohr einen solchen h a r m o n i s c h e n A n a l y s a t o r b e s 1 t z t , worauf wir in der Akustik näher einzugehen haben. Aus diesem Grunde spielt die Fourier-Analyse in diesem Zweige der Physik eine besonders wichtige Rolle.
Wir kommen jetzt zu dem zweiten Fall der Zusammensetzung zweier Schwingungen, deren Richtungen gegeneinander geneigt sind. Wir wollen nur den wichtigsten Fall behandeln, daß die beiden Schwingungsrichtungen senkrecht aufeina n d e r stehen, also z. B . parallel der x- und y-Richtung eines Koordinatensystems. Wir setzen dementsprechend die beiden Schwingungen, die zunächst gleiche Frequenz haben mögen, gleich:
3)
x = a sincoi
und
y = b sin(co£ + c 2 , so ist wieder nach dem Impulssatz: und somit (133)
(mj + m2) c = m1 cx + m 2 c 2 ,
_ wiiCi + m2c2 "
c=
Cl
^ 2
^
-
-. / x a. p » . ) V—^TVJ V—
für tYb1 = 2 tyh wird sü6zi6ll (133a) '
3—».-U-«--J^-o- j - * V /
\
Abb.246. Zusammenstoß zweier Kugeln, a) gerader zentraler Stoß; b) schiefer zentraler Stoß
Cz
Diese Ergebnisse lassen sich experimentell prüfen, indem man zwei Kugeln aus weichem Ton oder zwei mit Sand gefüllte Säckchen nebeneinander aufhängt und gegeneinander prallen läßt. In dem Falle z. B., daß beide Massen gleich groß sind, kommen beide Körper nach dem Stoß zur Ruhe, wenn ihre Anfangsgeschwindigkeiten gleich groß waren. Wir berechnen die Energie, die bei diesem unelastischen Stoß in Wärme umgewandelt wird. Die kinetische Energie vor dem Stoß ist
jp
"h«!
und nach dem Stoß 2
_m1+m2 5
c
„
'
für die Differenz dieser Energiebeträge erhält man unter Benutzung des für c in den Gleichungen (132) bzw. (133) gefundenen Wertes die Größe: (134)
El—Ei =
^°*)2 2 (iiij + m2)
m i m 2 ( C l
In dem speziellen Fall, daß die Kugeln sich gegeneinander bewegen — o b e r e s Vorzeichen in Gl. (134) — und daß mx = ra2 = m und Cx = c2 = c ist, nimmt die in Wärme umgesetzte Energie den Betrag mc2 an; dies ist aber gleich 2 4 m c ! - E1; d. h. die gesamte Energie der sich aufeinander zu bewegenden Kugeln wird in Wärme umgewandelt.
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
214
b) Der elastische Stoß Beim elastischen Stoß wird, wie bereits oben ausgesprochen, die beim Zusammenstoß auftretende Verformung nach dem Stoß sofort wieder in Bewegungsenergie zurückverwandelt, d. h. beide Kugeln bewegen sich nach dem Zusammenstoß mit den neuen (zu bestimmenden) Geschwindigkeiten c / und c 2 '. Neben der Erhaltung des Impulses bleibt hier auch die Bewegungsenergie erhalten. Nach dem Impulssatz ist: m1c1 + m2c2 = m^i
+ m2c2' ;
nach dem Energiesatz ist ferner: Jw^
2
= ¿w^c/2 + ¿w2c2'2.
+
Aus diesen beiden Gleichungen berechnen sich die Endgeschwindigkeiten c / und c 2 ' zu: /_ (135)
1 («H — m i) +
2m
2 C2
1 _
mj + m, c2 (m2 — m,) + 2?»! cx t — y * m1 +i m,2 Daraus kann m a n folgende Spezialfälle ablesen: Sind die Massen beider Kugeln gleich, so wird: — c2; c 2 = Cj, *
'
I
C
,
d. h. die beiden Kugeln bewegen sich nach dem Stoß mit vertauschten Geschwindigkeiten. Ist bei gleichen Massen c 2 = 0, so wird: Cj = 0;
c2 =
,
d. h. die stoßende Kugel kommt zur Ruhe, die gestoßene Kugel übernimmt die ganze kinetische Energie der stoßenden und bewegt sich mit deren Geschwindigkeit weiter. — Ist schließlich c 2 = 0 und m i = oo, so haben wir den Fall, daß eine Kugel mit der Masse m 1 und der Geschwindigkeit cx gegen eine unendlich große ruhende Kugel stößt, die man als „feste W a n d " betrachten kann; dann wird c1 =
cx,
c2 = 0 ,
d. h. es kehrt sich nur die Geschwindigkeit der stoßenden Kugel um, die also von der festen Wand zurückgeworfen wird. Die experimentelle Verwirklichung dieses Spezialfalles hatten wir bereits in Nr. 21 auf S. 62 besprochen. I m übrigen kann man die Vorgänge beim elastischen Stoß prüfen, indem man zwei gleiche oder verschieden große Stahlkugeln als Pendel bifilar aufhängt (Abb. 247) und gegeneinander schlagen läßt. Auch das in Abb. 248 dargestellte Gerät, das aus einer größeren Zahl gleicher nebeneinander aufgehängter Stahlkugeln besteht, ermöglicht die Vorführung der Stoßgesetze. Läßt man z. B. die erste Kugel links gegen die übrigen in R u h e befindlichen Kugeln stoßen, so überträgt sich der Stoß über alle Kugeln, indem jede mit der folgenden ihre Geschwindigkeit austauscht, so daß schließlich die letzte Kugel wegfliegt und bis zur gleichen Höhe steigt, aus der die erste Kugel losgelassen wurde. L ä ß t m a n gleichzeitig zwei oder drei Kugeln gegen die übrigen anschlagen, so fliegt stets eine gleichgroße Zahl von Kugeln von der anderen Seite weg. L ä ß t m a n schließlich von den sieben Kugeln vier gegen drei anschlagen, so bewegen sich wieder vier Kugeln an der anderen Seite weg, indem von den anschlagenden vier Kugeln nur drei in R u h e bleiben und eine mit den übrigen drei weiterfliegt. Alle diese Versuche finden ihre Erklärung unter den oben gemachten Voraussetzungen, daß Energie- und Impulssatz zu Recht bestehen, so daß man die Stoßgesetze geradezu als Beweis für die Richtigkeit dieser Sätze ansehen kann. Benutzte man den Energiesatz allein, so würde z. B. beim Anprall von vier Kugeln in Abb. 248 die Möglichkeit bestehen, daß auf der Gegenseite nur eine Kugel mit der doppelten Geschwindigkeit abgestoßen wird; die kinetische
47. Stoßgesetze
215
Energie der aufprallenden vier Kugeln wäre dann —¿j- c2 und die der abgestoßenen — (2c) 2 , d. h. der Energiesatz wäre erfüllt, nicht aber der Impulssatz; vor dem Stoß £'
wäre der Impuls 4 m c und nach dem Stoß nur 2 m c . Nur wenn vier Kugeln abgestoßen werden, sind gleichzeitig beide Sätze erfüllt. Ist n1 die Zahl und ct die Geschwindigkeit der stoßenden, n 2 und c 2 Zahl und Geschwindigkeit der gestoßenen (vorher in Ruhe befindlichen) Kugeln, so müssen die Gleichungen bestehen: n1m1c1 n1m1 2
= n2m2c2
CS =
2 2 c* .2
U m
2
(Impulssatz), (Energiesatz) . m2):
Hieraus folgt bei Kugeln gleicher Masse (m1 «! = w2 ,
i — c2,
c
wie es auch der Versuch zeigt,
T~7
\Qf2,
b ) P = J = ff13 •
Aus dieser Gleichung folgt für den Randwinkel: (177)
cos 9?
Wir setzen zunächst, da — 1 5S cos
andeutet, und erhält die folgende Tonfolge: c 1
des 2
\ 2 5
7 25 / \
d _
\ / 2.5 24
8 / \
es 9 \ / 16. 15
6
5 / \
e _ \ / 25. 24
i 4 / \
4 \ / 16 15
f
ges
3 / \
36 25 / \
\ / 2.7 25
\ / 2 ö_ 24
g
as
3 2 / \
8 5 / \
\ / 1_6_ 15
a
b
h
_ 5 . i L J-5. 3 5 8 / \ / \ / \ \ / \ / \ / 2.5 2_T_ 2.5. 24 25 24
c1 \ / 16. 15
9 ^ /
Bei diesen beiden Tonleitern sind nun, wie man sofort sieht, die Intervalle zwischen den einzelnen Tönen immer noch verschieden; außerdem fallen die einander entsprechenden Töne eis und des, dis und es usw. auseinander. Um letzteres zu vermeiden, ersetzt man jedes Paar durch einen zwischen ihnen liegenden Ton, dem man je nachdem die Namen eis oder des, dis oder es usw. gibt (sogenannte e n h a r m o n i s c h e V e r w e c h s l u n g ) , wobei übrigens für die genauere Festlegung des Zwischentones noch verschiedenartige Gesichtspunkte geltend gemacht worden sind. Den vereinigten Zwischentönen entsprechen beim Klavier die schwarzen Tasten. Bei den Instrumenten mit festliegenden Tönen (Orgel, Harmonium, Klavier) ist man noch einen Schritt weitergegangen und hat die noch vorhandenen Abweichungen der 12 Intervalle zwischen den Tönen der obigen Tonleiter dadurch beseitigt, daß man unter Beibehaltung der die vollkommenste Konsonanz bildenden Oktave sämtliche Intervalle innerhalb der Oktave gleich groß macht. Wenn x das gesuchte Inter12
vall ist, muß die Beziehung » „ „ „ „
c c c c" c'" tfv cV
16,4 32,6 65,4 130,7 261, l 1 ) 523,0 1046,0 2092,0 4183,9
16 32 64 128 256 512 1024 2048 4096
= = = = = = = = =
24 25 2« 2' 28 29 2 10 211 212
20 10 5 2,5 1,3 0,7 0,4 0,2 0,1
Die Tonbereiche der menschlichen Stimme sowie einiger Musikinstrumente in der folgenden Tabelle zusammengestellt:
Tonquelle
Ungefährer Tonbereich Bezeichnung
Männerstimme bei ruhigem Sprechen . . . Frauenstimme bei ruhigem Sprechen . . . . Singstimme im Chorgesang f ü r Baß „ Tenor „ Alt „ Sopran „ Koloratursängerin Klavier Violine
sind
Frequenz in Hz
g - 1 bis g 1 » g g
96 bis 192 „
c-1 c f c1
64 128 171 256
„ a
e1
„ e2 „ a2 „ o a - 3 „ a4 „ a3 g C-3 „ c6
27 192 16
192 384
„ „ „ „
320 427 640 833 2048 „ 3413 „ 1707 „ 4096
,,
Den größten Tonbereich von c~3 bis c 5 u m f a ß t also die Orgel; die (gedackten) Pfeifen f ü r den tiefsten Ton c - 3 haben eine Länge von rund 5 m, während dem höchsten Ton c 5 eine offene Pfeife von 4 cm Länge entspricht. Umfangreiche Untersuchungen zur Entwicklung der Tonleitern, wie zu allen Fragen der physikalischen und physiologischen Akustik finden sich in dem 1862 zuerst erschienenen Werke von H e l m h o l t z : „Die Lehre von den Tonempfindungen". Der Inhalt ist heute natürlich in mancher Hinsicht überholt; dennoch strahlt das unvergleichliche Werk auch noch 100 Jahre nach seinem ersten Erscheinen in unverwelklicher Frische; jeder Physiker, Mediziner und Musikliebhaber sollte es gelesen haben.
90. Das menschliche Stimmorgan; Natur der Vokale Das menschliche Sprechorgan stellt in seinem Aufbau eine Z u n g e n p f e i f e mit zwei membranösen Zungen, den S t i m m b ä n d e r n , dar. Diese sind im K e h l k o p f am oberen Ende der Luftröhre angebracht und werden durch den von der Lunge gelieferten Luftstrom angeblasen. Der Kehlkopf besteht, wie es Abb. 520a im Längsschnitt von rückwärts gesehen zeigt, aus dem Ringknorpel a und dem Schildknorpel b; hinzu kommen noch in dem in Abb. 520a weggeschnittenen Teil zwei weitere Knorpel, die sogenannten Gießkannenknorpel. Alle diese Knorpel können durch Muskeln verschiedenartig bewegt werden, c ist der Durchschnitt durch die „wahren", d der Durchschnitt durch die sogenannten „falschen" Stimmbänder (auch Taschenbänder ge') Die temperierte (nicht die reine!) Sexte a 1 von c 1 ist der Kammerton mit der Frequenz 440 Hz.
IX. Kapitel. Akustik
442
nannt). Zwischen beiden befinden sich zwei sackartige Höhlungen (Ventriculi Morgagni). Zwischen den wahren Stimmbändern c, die das obere E n d e der Luftröhre abschließen, befindet sich die S t i m m r i t z e . Dadurch, daß die Stimmbänder vorn am Schildknorpel und hinten je an einem Gießkannenknorpel angewachsen sind, können sie durch die gegenseitige Bewegung dieser Knorpel mehr oder weniger stark gespannt und die Stimmritze mehr oder weniger weit geöffnet werden. In Abb. 520b ist die Stimmritze mit den beiden Stimmbändern von oben zu sehen; sie ist beim erwachsenen Mann 2—2,4 cm lang und öffnet sich bis zu 1,4 cm Weite. Der Eingang zum Kehlkopf kann bei Schluckbewegungen durch den K e h l d e c k e l verschlossen werden, so daß Speisen und Getränke nicht in die Luftröhre gelangen können. Wird nun von den Lungen her L u f t durch die Stimmritze gepreßt, so geraten die Stimmbänder wie zwei gegeneinander schlagende Zungen in Schwingungen (sogenannte
a
b
Abb. 520. Längsschnitt (a) und Querschnitt (b) durch den menschlichen Kehlkopf
P o l s t e r p f e i f e ) und erzeugen je nach ihrer Spannung Klänge, die im allgemeinen reich an Oberschwingungen sind. Indem die Rachen-, Mund- und Nasenhöhle als Resonanzraum wirken, werden aus diesem Tongemisch einzelne Töne durch Resonanz verstärkt und besonders kräftig nach außen abgestrahlt. Jedem Sprachlaut entspricht also eine ganz bestimmte Stellung der Mundhöhle. Dies erklärt die besondere N a t u r und die Entstehung der Yokale, die, wie H e l m h o l t z zuerst erkannte, ein K l a n g f a r b e p h ä n o m e n sind. Man kann sich davon in folgender Weise überzeugen. Wenn man bei der Stellung des Mundes zum Aussprechen des Vokals 0 mit dem Finger gegen die Backe oder mit einem Stäbchen von unten nach oben gegen die oberen Schneidezähne klopft, so hört man deutlich den f ü r den Vokal 0 charakteristischen Resonanzton der Mundhöhle. H ä l t man vor der Öffnung der auf den Vokal 0 eingestellten Mundhöhle eine den Ton b 1 = 462 Hz gebende Stimmgabel, so wird die Mundhöhle zu Resonanzschwingungen angeregt; formt man den Mund zum Aussprechen des Vokals A bzw. U, so m u ß man zur Erzeugung der Resonanz eine Stimmgabel mit dem Ton b 2 = 924 H z bzw. f = 171 Hz wählen. Wenn man einen Finger über die untere Zahnreihe auf die obere Fläche der Zunge legt und nacheinander die Vokale A, E, I spricht, so fühlt man deutlich, wie sich der Zungenrücken ruckweise bei E und noch stärker bei I in die Höhe hebt und so den Resonanzraum verkleinert. Da also bei der Vokalbildung die Mundhöhle als Resonator mitwirkt, der stets unabhängig von der Tonhöhe immer auf eine bestimmte Form eingestellt wird,
90. Menschliches Stimmorgan; Vokale
muß j e d e r V o k a l b e s t i m m t e in der T o n s k a l a f e s t l i e g e n d e s o g e n a n n t e Formanten b e s i t z e n .
443 Partialtöne,
Während die Klangfarbe der meisten Musikinstrumente im wesentlichen durch die relative Lage der Partialtöne zum Grundton und durch ihr gegenseitiges Intensitätsverhältnis gegeben ist, ist nach H e l m h o l t z an dem Zustandekommen eines Vokals das relative Moment in den Schwingungen der Stimmbänder beteiligt und das absolute in der Wirkung des Resonanzraumes der Mundhöhle. „Die Vokalklänge unterscheiden sich von den Klängen der meisten anderen musikalischen Instrumente also wesentlich dadurch, daß die Stärke ihrer Obertöne nicht nur von der Ordnungszahl derselben, XX U000 6* sondern überwiegend von deren absoluter as* Tonhöhe abhängt." Singt man z. B. den ges4 Hz Vokal A auf die Note Es ( = 77 Hz), so ist X e* 2 der verstärkte Ton b der 12. Oberton von XX d* Es ( = 924 Hz), während beim Singen von 2000 XX XX A auf den Ton b 1 ( = 462 Hz) der verstärkte 3 as 1 Ton der zweite Oberton von b ist. ges3 e3 Eine experimentelle Bestätigung hat die d3 Helmholtzsche Vokaltheorie besonders c3 1000 durch die Versuche von S t u m p f erfahren, b2 as2 2 der sowohl bei gesungenen Vokalen mittels ges Interferenzapparaten die einzelnen Partialtöne nacheinander beseitigte als auch aus reinen Pfeifentönen Vokale künstlich zuc2 500 b1 1 sammensetzte. Letzteres hatte übrigens as bereits H e l m h o l t z mit Hilfe von elektroges1 A A magnetisch betriebenen Stimmgabeln und ei daran angebrachten Resonatoren mit Erfolg d11 c getan. In der Abb. 521 sind die Formanten 250 b für gesungene Vokale zusammengestellt. as Dabei darf unter Formant übrigens nicht ges ein einzelner Ton verstanden werden, sone dern vielmehr ein ganzer Streckenbereich d c des Tongebiets, soweit dieser zur Kennzeichnung des betreffenden Vokals besonders U O A O A U E J beiträgt1). Man muß ferner bei den meisten Vokalen noch zwischen Haupt- und Neben- Abb. 521. Formanten gesungener Vokale (nach S t u m p f ) formanten unterscheiden. Erstere sind in Abb. 521 durch zwei Kreuze angegeben, sie
V
Sä
sind ausschlaggebend für den Vokal, während die Nebenformanten (in Abb. 521 durch ein Kreuz angedeutet) den speziellen Vokalcharakter bedingen. In der menschlichen Sprache, die an Umfang und Vielseitigkeit alle künstlichen Musikinstrumente übertrifft, kommen Frequenzen zwischen 100 bia 10000 Hz vor; daraus ersieht man, welch hohe Anforderung an alle die Geräte gestellt werden muß, mit denen eine Übertragung der Sprache vorgenommen werden soll. Glücklicherweise zeigt die Erfahrung, daß auch bei Verzicht auf den Tonbereich oberhalb von 5000 Hz die Sprache noch sehr gut verständlich ist. E r s t wenn man die Schwingungen oberhalb 2000 Hz unterdrückt, wird die Sprache verschleiert und schwer verständlich. Gute Schallplatten geben Frequenzen bis 5000, gute Rundfunklautsprecher Frequenzen bis 6000 Hz wieder. l ) Das erklärt die Abweichungen zwischen den im Text gegebenen Resonanzfrequenzen der Mundhöhle und den in der Tabelle enthaltenen Formantiagen; namentlich beim Vokal U ist der Bereich sehr groß.
444
I X . Kapitel. Akustik
91. Das menschliche Gehörorgan und seine Funktionsweise 1 ) Das menschliche Ohr besteht aus drei Hauptteilen: Dem «äußeren O h r , dem M i t t e l o h r ( P a u k e n h ö h l e ) und dem I n n e n o h r ( L a b y r i n t h ) . Wie die schematische Abb. 522 zeigt, wird das äußere Ohr durch die Ohrmuschel und den im Felsenbein sb liegenden, etwa 2,1 bis 2,6 cm langen Gehörgang gg gebildet. Letzterer wird durch das Trommelfell tf gegen das Mittelohr ph abgeschlossen. Das Trommelfell ist eine ungefähr kreisrunde, nach innen trichterförmig eingezogene Membran, von 9—10 mm Durchmesser, die in einem knöchernen Ring ziemlich schlaff ausgespannt ist. Das Mittelohr ph ist gegen das Innenohr durch das „ovale Fenster" abgeschlossen und durch die etwa 3,5 cm lange Ohrtromsb pete (eustachische Röhre) ot t. mit dem Nasen-Rachenraum verbunden. Diese Verbindung dient zum Ausgleich des Luftdruckes gegen das Trommelfell; gleichzeitig ist der Ausgang der Ohrtrompete nach der Mundhöhle durch eine sehnige Membran verschlossen, die sich bei jeder Schluckbewegung öffnet.
&
Man kann sich hiervon leicht überzeugen, wenn man bei zugehaltener Nase und geschlossenem Mund in diesem einen Überdruck erzeugt und dabei gleichzeitig eine Abb. 522. Schnitt durch das menschliche Ohr Schluckbewegung ausführt. Man fühlt dann, wie das Trommelfell nach außen gedrückt wird; zugleich tritt ein taubes Gefühl auf, das auch nach Öffnen von Mund und Nase bestehenbleibt und erst wieder verschwindet, wenn man eine neue Schluckbewegung ausführt und dadurch den Überdruck im Mittelohr und in der Ohrtrompete ausgleicht.
Im Mittelohr befinden sich die drei G e h ö r k n ö c h e l c h e n : H a m m e r h, A m b o ß a und S t e i g b ü g e l s. Der Hammer ist mit dem Trommelfell verwachsen und überträgt dessen Schwingungen auf Amboß und Steigbügel, der mit seiner Platte in der Mitte des o v a l e n F e n s t e r s aufsitzt. Diese ganze Anordnung im Mittelohr hat nach H e l m h o l t z die Aufgabe, wie ein Hebelwerk die auf das Trommelfell auftreffenden Luftschwingungen von verhältnismäßig großer Amplitude aber geringer Kraft in Bewegungen von kleinerer Amplitude aber größerer Kraft umzuwandeln. Hinter dem ovalen Fenster beginnt das innere Ohr (Labyrinth); es besteht aus den drei halbkreisförmigen B o g e n g ä n g e n bg (die das Gleichgewichtsorgan des Menschen bilden und mit dem Hören nichts zu tun haben), dem V o r h o f vh und der S c h n e c k e tht. Dieser ganze Teil des Ohres ist mit einer wässerigen Flüssigkeit, der E n d o l y m p h e ausgefüllt; damit die inkompressible Flüssigkeit bei Druckschwankungen ausweichen kann, ist gegen die Ohrtrompete das r u n d e F e n s t e r rf vorgesehen, das mit einer Membran verschlossen ist. Die aus etwa 2 bis 2f Windungen bestehende S c h n e c k e ist durch eine zum Teil knöcherne, zum Teil häutige Membran in zwei Kanäle geteilt, wie es der in Abb. 523 gezeichnete Querschnitt durch eine 1 ) In dieser Nummer sind manche Angaben der Übersichtlichkeit halber wiederholt, die schon früher gemacht wurden.
91. Das menschliche Gehörorgan und seine Funktionsweise
445
Schneckenwindung darstellt. Der eine K a n a l (Scala vestibuli) m ü n d e t in den Vorhof, der andere (Scala t y m p a n i ) f ü h r t n a c h dem r u n d e n F e n s t e r . Beide K a n ä l e stehen a n der Spitze der Schnecke durch eine enge Öffnung, das S c h n e c k e n l o c h ( H e l i c o t r e m a ) miteinander in Verbindung. Der knöcherne Teil der Scheidewand h e i ß t L a m i n a spiralis ossea, der häutige Teil setzt sich aus der M e m b r a n a vestibuli u n d der M e m b r a n a b a s i l a r i s z u s a m m e n . Auf der letzteren ist das C o r t i s c h e O r g a n , ein sehr kompliziertes Gebilde, aufgelagert, in dem die E n d e n der Gehörnerven in den mit feinen H ä r c h e n versehenen Hörzellen m ü n d e n . Jedesmal, wenn diese H ä r c h e n von der B a s i l a r m e m b r a n b e r ü h r t werden, k o m m t eine Nervenreizung u n d eine Gehörsempfind u n g zustande. I n Abb. 524 ist ein schematischer Längsschnitt d u r c h die Schnecke wiedergegeben, aus dem m a n erkennt, d a ß die Breite der B a s i l a r m e m b r a n vom Schneckenanfang bis zur Spitze der Schnecke allmählich zunimmt 1 ). Die M e m b r a n
Abb. 523. Querschnitt durch die unterste Windung der Schnecke
Abb. 524. Schematische Darstellung des Spiralbaues der Schnecke
b e s t e h t aus einer großen Zahl (13000 bis 24000) lose z u s a m m e n h ä n g e n d e r Radialfasern, die als ein System von verschieden a b g e s t i m m t e n Resonatoren angesehen werden können, deren Eigenfrequenz durch ihre Länge, Masse u n d S p a n n u n g bedingt ist. Die Resonatoren f ü r die tiefsten Töne liegen (Abb. 524) an der Spitze, die f ü r die hohen Töne an dem Anfang der Schnecke. Wir h a b e n uns den V o r g a n g d e s H ö r e n s also etwa folgendermaßen vorzustellen: N a c h d e m die Schallwelle den Gehörgang passiert h a t , t r i f f t sie auf das T r o m m e l f e l l u n d versetzt dieses in Schwingungen. Die Gehörknöchelchen, letzten E n d e s also die Steigbügelplatte, übertragen diese d u r c h das ovale F e n s t e r auf die im L a b y r i n t h befindliche Flüssigkeit. D a d u r c h werden diejenigen F a s e r n der B a s i l a r m e m b r a n , deren Eigenperiode mit der Periode der erregenden Schwingung u n g e f ä h r übereins t i m m e n , zum Mitschwingen angeregt u n d bewirken in den zu ihnen gehörenden Hörzellen des C o r t i s c h e n Organs einen Nervenreiz. Die Stärke des Tones k o m m t d a b e i durch die Amplitude der Schwingungsbewegung der betreffenden F a s e r n zur W a h r n e h m u n g . U n t e r s u c h u n g e n über die Zeitdauer, w ä h r e n d welcher ein Ton auf das Ohr wirken m u ß , d a m i t dieses einen E i n d r u c k seiner H ö h e w a h r n i m m t , ergaben, d a ß zwei Schwingungen genügen; das b e d e u t e t bei den tiefsten musikalischen T ö n e n eine D a u e r von 6 • 10~2 sec u n d bei den höchsten etwa 6 • 10~ 4 sec. Die u n t e r e bzw. obere Hörgrenze liegt beim menschlichen Ohr bei etwa 16 u n d 20000 H z ; die obere *) In der schematischen Abb. 524 ist die Basilarmembran gestreckt gezeichnet.
446
I X . Kapitel. Akustik
Hörgrenze sinkt aber mit zunehmendem Alter; mit 50 Jahren liegt sie im Mittel bei 13000 Hz. Die Empfindlichkeit des Ohres, d. h. das Ansprechen des Ohres auf kleine Schallintensitäten ist überraschend groß. Um Verwechslungen zu vermeiden, ist es vorteilhaft, die Schallstärke J1) als (objektive) Reizstärke und die vom Ohr wahrgenommene Empfindung als Lautstärke oder (subjektive) Empfindungsstärke A zu bezeichnen. Unter Reizschwelle versteht man die Reizstärke, die bei einer bestimmten Tonhöhe notwendig ist, um in dem Ohr eine eben merkliche Empfindung hervorzurufen: je kleiner die Reizschwelle, um so größer die Ohrempfindlichkeit. In Abb. 525 ist in der unteren Kurve der Schwellenwert für die Hörempfindung in Abhängigkeit von
Frequenz Abb. 525.
-
Reizschwellenkurven für Hör- und Sehmerzempfindung
der Frequenz aufgetragen, und zwar sind links die Werte der Reizstärke (Schallintensität) in erg/cm 2 sec und rechts die dazugehörigen Druckamplituden in Mikrobar, d. h. in dyn/cm 2 eingetragen; daraus geht hervor, daß das Ohr für den Ton 2000 Hz etwa 10 8 mal so empfindlich ist wie für die tiefsten Töne, und etwa 10 5 mal so empfindlich wie für die höchsten noch wahrnehmbaren Töne. Eine Schallintensität z. 13. von rund 10~8 erg/cm 2 sec bei der Frequenz von 2000 Hz bedeutet, daß die das Trommelfell erregenden Luftteilchen nur eine Schwingungsamplitude von etwa 10~9 cm ausführen, was ungefähr dem 10. Teil eines Moleküldurchmessers entspricht. Aus diesen Zahlen erkennt man vielleicht am besten die hohe Empfindlichkeit des menschlichen Ohres. — Wird dem Ohr bei ein und demselben Ton immer mehr Schallenergie zugeführt, also die Schallstärke J vergrößert, so tritt zu der immer stärker werdenden Tonempfindung schließlich eine S c h m e r z e m p f i n d u n g . In der oberen Kurve der Abb. 525 sind die Schwellenwerte für die Schmerzempfindung bei den verschiedenen Frequenzen wiedergegeben. Die Schnittpunkte beider Kurven ergeben die untere und obere Hörgrenze; innerhalb der von beiden Kurven umschlossenen sogenannten H ö r f l ä c h e liegt also die Gesamtzahl der physiologisch brauchbaren Töne. Das Ohr kann rund 300000 verschiedene Töne nicht nur wahrnehmen, sondern auch hinsichtlich ihrer Tonstärke und Höhe unterscheiden; es werden bei mittelstarken Tönen in mittlerer Tonhöhe noch Intensitätsunterschiede von etwa lo°/ 0 wahr>) Vgl. die Definition in Nr. 84 (S. 416).
91. Das menschliche Gehörorgan und seine Funktionsweise
447
g e n o m m e n , w ä h r e n d u n t e r u n g ü n s t i g e r e n B e d i n g u n g e n d i e U n t e r s c h i e d s s e i l welle bei e t w a 3 0 % liegt. D i e F ä h i g k e i t d e s O h r e s i m E r k e n n e n v o n T o n h ö h e n u n t e r s c h i e d e n , d a s sog e n a n n t e A u f l ö s u n g s v e r m ö g e n d e s O h r e s , schwankt stark mit der T o n h ö h e ; bei 500 H z g e n ü g t d a z u eine Ä n d e r u n g der F r e q u e n z u m Schwingungen. E s i s t e r s t a u n l i c h , d a ß d a s O h r g l e i c h g u t auf S c h a l l i n t e n s i t ä t e n J a n s p r i c h t , d i e sich u m d a s 1013fache u n t e r s c h e i d e n , o h n e bei d e n g r o ß e n R e i z s t ä r k e n S c h a d e n zu erleiden. Dies ist d a d u r c h möglich, d a ß sich die s u b j e k t i v e E m p f i n d u n g s s t ä r k e ( L a u t s t ä r k e A) v i e l l a n g s a m e r a l s d i e o b j e k t i v e R e i z s t ä r k e J ä n d e r t . D i e s e r Z u s a m m e n h a n g w i r d a n n ä h e r n d d u r c h d a s W e b e r - F e c h n e r s e h e psychophysisehe Gesetz a u s g e d r ü c k t , d a s f ü r alle S i n n e s e m p f i n d u n g e n gilt. E s b e s a g t : Die E m p f i n d u n g s s t ä r k e w ä c h s t m i t dem Logarithmus der Reizstärke. E s gilt also speziell f ü r d a s O h r : A = C o n s t . log J, d.h. die vom Ohr e m p f u n d e n e L a u t s t ä r k e A ist proportional dem L o g a r i t h m u s d e r S c h a l l i n t e n s i t ä t J. Auf Grund dieses (wenn auch nur annähernd gültigen) Zusammenhanges zwischen Lautstärke A und Schallstärke J hat man in der Technik ein L a u t s t ä r k e n m a ß gebildet. Man vergleicht zu diesem Zwecke die Lautstärke A eines Tones von der Reizstärke (Schallintensität) J mit einer Normallautstärke, und nimmt als solche diejenige, die einem „Normalton" von 1000Hz bei der Reizschwelle J0 = 10 -16 Watt/cm 2 = 10 - 8 erg/cm 2 sec zukommt; man definiert demgemäß (log = B r i g g s c h e r Logarithmus zur Basis 10): (236)
A = 10 log-—•
als die in P h o n gemessene Lautstärke eines beliebigen Tones von der Schallintensität J . Ein Ton hat «7 1 -L demgemäß die Lautstärke 1 Phon, wenn f ü r seine Intensität J gilt: log — = — , d. h. J = J 0 • 10 1 0 ; 0
das gibt J = 1,256 J0.
.
Da dies eine sehr unbequeme Zahl ist, so definiert man lieber die Laut-
stärke von 10 Phon; diese besitzt ein Ton, f ü r dessen Intensität J gilt: l o g — Jo = 1, d. h. J = 10J 0 ; in W o r t e n : Ein Schall h a t die Lautstärke 10 Phon, wenn seine Intensität gleich dem zehnfachen Schwellenwerte J0 des Normaltons ist. Dementsprechend h a t ein Klang, f ü r den J = 100 Ja = J 0 • 102 ist, die Lautstärke 20 Phon, und man erkennt an diesem speziellen Beispiel, was Gl. (236) allgemein besagt, wie langsam die Lautstärke ansteigt. Ist (an der Schmerzgrenze) die Schallintensität J = 1013 J0, so h a t die Lautstärke erst den Wert von 130 Phon. Während also die (objektive) Reizstärke von ihrem Schwellenwert auf das 1013 fache wächst, steigt die subjektive Lautstärke von Null nur auf 130 Phon. I m Durchschnitt kann das Ohr noch Lautstärkenunterschiede von 1 Phon erkennen. I n der folgenden Tabelle sind einige Beispiele f ü r die durchschnittlichen Lautstärken von Schall und Geräuschen des täglichen Lebens angegeben: Flugzeug (in 4 m Entfernung) Niethämmer Motorradgeknatter (Höchstwert) Sehr laute Hupe (in 7 m Entfernung) Schreien; laute Radiomusik in geschlossenen Räumen . . . Sehr leise Hupe, Straßenbahn auf gerader Strecke Einzelne Schreibmaschine, Unterhaltungssprache Straßenlärm mittlerer Stärke Gedämpfte Unterhaltungssprache Straßenlärm in stiller Wohngegend Blätterrauschen Leises Uhrticken Blättersäuseln bei geringer Luftbewegung
120 Phon 110 „ 100 ,, 90 ,, 80 ,, 70 „ 60 ,, 50 ,, 40 ,, 30 ,, 20 „ 15 ,, 10 „
Es ist interessant, sich die Konsequenzen der Lautstärkendefinition (236) für den Fall klarzumachen, daß mehrere gleich starke Schallquellen zusammenwirken: Die relative Zunahme der Lautstärke in Phon ist nämlieh u m so größer, je schwächer die einzelnen Schallquellen sind. H a t z. B. von 10 Schallquellen jede die Lautstärke von 1 Phon, so ist ihre Gesamtlautstärke 1 + 10 = 11 Phon.
448
I X . Kapitel.
Akustik
Denn für e i n e Schallquelle mit. der Intensität J1 ist A1 = 1 Phon artige mit der Gesamtintensität 10Jj
10 log ^ , also für 10 gleichet)
A10 = 10 l o g - ^ i - = 10 log 10 + 10 l o g ^ = 10 + 1 = 11 Phon . wn 'Ja Hier haben wir also eine Steigerung der Lautstärke auf den 11 fachen Betrag. Dagegen ergeben 10 Schallquellen von je 10 Phon zusammen nur 10 + 10 = 20 Phon (Verstärkung auf das Doppelte) oder 10 Motorräder von je 90 Phon ergeben zusammen nur 100 Phon (d. h. Verstärkung auf das 1,1 fache). Umgekehrt ist die verhältnismäßige Schwächung der Gesamtlautstärke durch verhältnismäßig gleiche Herabsetzung der objektiven Reizstärke bei sehr lautem Schall viel kleiner als bei leisem. Zur Messung von Lautstärken werden von der Technik P h o n m e s s e r gebaut, die im Prinzip aus einem Mikrophon in Verbindung mit einem Verstärker und einem Meßinstrument bestehen, dessen Skala direkt in Phonzahlen geeicht ist.
Erfahrungsgemäß besitzt das menschliche Gehörorgan eine ausgesprochene R i c h t u n g s e m p f i n d l i c h k e i t . Sie beruht auf dem Zusammenwirken beider Ohren. I n Abb. 526 bedeute L das linke und R das rechte Ohr, die sich im Abstand a ( = 21 cm) befinden. Durch die Mitte ihrer Verbindungslinie ist eine senkrechte Ebene gelegt, deren Spur in der Papierebene mit M M bezeichnet ist. Nur wenn sich die Schallquelle in einem P u n k t e dieser Mittelebene befindet, sind die Schallwege zu beiden Ohren gleich groß, und beide Ohren empfangen den Schall in demselben Augenblick. Der Beobachter hat in diesem Fall den Eindruck, daß die Schallquelle genau in der Mitte vor oder Abb. 526. Zur Richtungsempfindlich- hinter ihm liegt. Liegt aber die Schallquelle S in keit des menschlichen Ohres einer Richtung, die mit der Ebene M M den Winkel « bildet, so besteht zwischen den an beide Ohren gelangenden Schallreizen eine Zeitdifferenz A t = -i^— = a s " 1 0 t (c = Schallgeschwindigc
c
keit). Dennoch hört man normalerweise den Schall nicht doppelt, erst mit dem einen und dann mit dem anderen Ohr, sondern man empfindet einen einheitlichen Schalleindruck und die Schalldifferenz macht sich nur mittelbar durch eine verschiedene Lokalisation der Schallquelle bemerkbar. Trifft wie in Abb. 526 der Schall zuerst auf das rechte und dann auf das linke Ohr, so h a t man den Eindruck, daß die Schallquelle rechts von der Mittelebene liegt. E s genügt bereits ein Wegunterschied LA von 1 cm, d. h. eine Zeitdifferenz von - * = 3 - 1 0 - 5 sec, um eine Abweichung vom o4000
Mitteneindruck hervorzurufen. Dies bedeutet, daß man beim Hören die Richtung, aus der der Schall kommt, auf ungefähr 3° genau angeben kann. Bei einer Wegdifferenz LA = a = 21 cm beträgt die Zeitdifferenz A t rund 6 - 1 0 _ 4 s e c , und m a n empfindet den Eindruck größter Seitlichkeit ( « = 90°) der Schallrichtung. Da —r^- = — cos« ist, folgt, daß für kleine Winkel mithin das Temperaturgefälle — "jJ", F o u r i e r setzt nun die durch den Querschnitt / in der Sekunde senkrecht hin-
X. Kapitel. Temperatur und Wärmemenge
480
durchtretende Wärmemenge Q proportional der Fläche / gefälle
A T
— , also
AS
Temperatur-
.rp
Q=
- X f ~
Q=
-Xf
As
bzw., zur Grenze übergehend: (253)
und dem
Das Minuszeichen bedeutet dabei, daß der Wärmestrom immer in Richtung abnehmender Temperatur fließt. Der Proportionalitätsfaktor X, der übrigens selbst von der Temperatur abhängig ist, heißt das spezifische Wärmeleitvermögen oder auch die Wärmeleitzahl. Ihre physikalische Bedeutung ergibt sich aus (253), wenn man /, AT und ds gleich 1 nimmt; dann wird der Absolutbetrag von Q gleich X. D i e W ä r m e l e i t z a h l i s t a l s o d i e in K a l o r i e n g e m e s s e n e W ä r m e m e n g e , d i e s e n k r e c h t d u r c h d i e S e i t e n f l ä c h e e i n e s W ü r f e l s v o n d e r K a n t e n l ä n g e 1 cm p r o Sekunde h i n d u r c h t r i t t , wenn zwischen der Vorder- und H i n t e r f l ä c h e die T e m p e r a t u r d i f f e r e n z von 1°C b e s t e h t . Daraus ergibt sich sofort die Dimension der Wärmeleitzahl; da Q in cal gemessen wird, folgt: cal (254) [X] = , v L J ' cm sec grad Bereits die alltägliche Erfahrung zeigt, daß große quantitative Unterschiede im Wärmeleitvermögen vorhanden sind, wobei wir zunächst an feste Körper denken: Man kann einen Kupferstab, dessen eines Ende in einer Bunsenflamme erhitzt wird, nicht am anderen Ende in der Hand halten, da sein Leitvermögen zu groß ist, wohl aber einen gleich dimensionierten Holzstab; die Brauchbarkeit der Zündhölzer beruht auf der geringen Leitfähigkeit des Holzes. — Auch der folgende Versuch zeigt die Verschiedenheit von X für einige Metalle. I n den Deckel eines mit Wasser gefüllten Gefäßes (Abb. 555) sind gleich dimensionierte Stäbe (aus Cu, Zn, Fe, Pb) eingesetzt, die mit einer thermoskopischen Farbe (Cuproquecksilberjodid) bestrichen sind; die rote Färbung schlägt bei 71° C in tiefes Braun um. Bringt man das Wasser zum Sieden, so erkennt man, daß der Farbumschlag bei Cu am raschesten fortschreitet, am langsamsten bei P b — die gestrichelte Linie in der Abb. 555 zeigt den Umschlag in einem bestimmten Momente — , bis schließlich die Stäbe in ihrer ganzen Ausdehnung schwarz geworden sind. Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied des Leitvermögens bei folgender Anordnung: Zwischen zwei Metalldosen sind ein Kupfer- und ein Eisenstab von etwa 30 cm Länge hart eingelötet (Abb. 556). Die Stäbe sind mit einem Thermokolor (siehe S. 454) bestrichen, das im Gebiet zwischen 400° und Zimmertemperatur mehrere Farbumschläge zeigt. Erhitzt man das linke Gefäß elektrisch durch eine in ihm untergebrachte Heizwicklung auf etwa 400° C und kühlt das rechte Gefäß mittels durchfließendem Leitungswasser, so stellt sich nach einiger Zeit auf beiden Stäben eine verschiedene stationäre Temperaturverteilung ein, die an den Farbumschlägen des Thermokolors erkennbar ist und etwa das in Abb. 556 skizzierte Aussehen hat. Dabei ist zu beachten, daß die Wärme nicht nur in Richtung der Stäbe fortgeleitet wird, sondern auch noch durch den Mantel an die Luft abgegeben wird; daher fällt die Temperatur längs der beiden Stäbe exponentiell ab, aber für Cu und F e verschieden; da man die Temperaturen an den Umschlagstellen kennt, läßt sieh aus dem Abstand dieser Stellen die Temperaturkurve für beide Stäbe gewinnen (Abb. 557) und daraus das Verhältnis der beiden Wärmeleitwerte ableiten. Die absolute Bestimmung von X ist eine experimentell und theoretisch schwierige Aufgabe. Wir beschränken uns daher auf die Wiedergabe der numerischen Ergebnisse, zunächst für feste reine Metalle. In der zweiten Spalte der Tabelle (S. 481) sind die
97. Übertragung der Wärme (Wärmeleitung, Konvektion, Strahlung)
481
/ - W e r t e in der in (254) a n g e g e b e n e n E i n h e i t m i t g e t e i l t ; die Metalle sind n a c h fallenden L e i t w e r t e n geordnet, S i l b e r h a t den g r ö ß t e n , W i s m u t den k l e i n s t e n L e i t w e r t ; die Z a h l e n v e r h a l t e n sich u n g e f ä h r wie 5 0 zu 1. W ä h r e n d also durch die V o r d e r f l ä c h e eines K u p f e r w ü r f e l s v o n 1 cm K a n t e n l ä n g e , f ü r dessen Vorder- und H i n t e r f l ä c h e ein T e m peraturgefälle v o n 1 0 b e s t e h t , pro S e k u n d e r u n d eine K a l o r i e fließt, s t r ö m t b e i W i s m u t n u r e t w a 1/80 K a l o r i e d u r c h . In der dritten Spalte der Tabelle sind die Werte für das elektrische Leitvermögen a angegeben; die elektrische Strömung gehorcht einer Gleichung von derselben Gestalt wie (253); nur tritt an Stelle Cu Zn
Sr,
Fe
Pb
lt 00 360° I65°125° 65° 20° Abb. 556. Anordnung zur Demonstration der verschiedenen Wärmeleitung in einem Kupfer- (oben) und Eisenstab (unten)
Abb. 555. Wärmeleitung in Metallen
von Q die Elektrizitätsmenge pro Sekunde, an Stelle von X das elektrische Leitvermögen a, an Stelle des Temperaturgefälles das Potentialgefälle. Die in der Tabelle angegebenen Werte von a sind mit einem solchen Faktor multipliziert, daß für Silber thermisches und elektrisches Leitvermögen gleich werden. Man erkennt nun erstens, daß die obige Anordnung nach fallendem X gleichzeitig auch eine Anordnung nach fallendem a ist: Wärmeleitung und Elektrizitätsleitung laufen einander parallel. Darüber hinaus zeigt die vierte Spalte, daß \ - annähernd konstant (wegen unserer Wahl der Einheit für a o sogar gleich 1) ist; während X und a einzeln von Ag bis B i um das Fünfzigfache
variieren, ist - merklich konstant, 0) vorliegt; in diesem Falle wird positive Arbeit dA' = —dA
= +
padV
vom S y s t e m n a c h a u ß e n a b g e g e b e n . Für eine endliche Volumänderung, die das Volumen Vt in V2 überführt, folgt aus (257 a): F,
(257 b)
A — -— f
padV;
F,
im Falle, daß der Druck pa unabhängig vom Volumen V ist (was nicht immer der Fall zu sein braucht), kann man pa aus dem Integral herausnehmen und erhält einfacher: (257 c)
A
=—p.(Vt—V1).
Auch hier sieht man wieder, daß die äußere Arbeit positiv ist, wenn der Druck das Volumen verkleinert und umgekehrt. Die äußere Arbeit wird i m m e r durch die Gleichungen (257) gegeben, gleichgültig, ob dem äußeren Druck pa eine Spannung innerhalb des Systems entgegenwirkt oder nicht. Der äußere Druck pa ist durch die Versuchsbedingungen gegeben; es kann z. B. der äußere Luftdruck sein, es kann aber auch das System in einen unter beliebigem Druck gehaltenen Behälter eingeschlossen sein, usw., das muß in jedem Falle experimentell festgestellt werden. V o n dem ä u ß e r e n D r u c k pa i s t s t r e n g zu u n t e r s c h e i d e n der i n n e r e D r u c k pi des S y s t e m s , der d u r c h die N a t u r dess e l b e n b e s t i m m t i s t . Denn es existiert ja für jeden Stoff eine Zustandsgieichung, die pt als Funktion der Dichte Q und der absoluten Temperatur T liefert. Im allgemeinen haben pa und pt nichts miteinander zu tun, und begrifflich sind sie immer zu unterscheiden; denn pa ist willkürlich in die Hand des Experimentators gegeben, Pt dagegen durch Dichte und Temperatur des Systems definiert; f ü r die B e r e c h n u n g d e r ä u ß e r e n A r b e i t k o m m t d a h e r b e g r i f f l i c h i m m e r n u r pa in F r a g e .
493
98. Wärme als Energieform; allgemeines Energieprinzip
Ein Beispiel m a g diesen Sachverhalt erläutern. I n Abb. 570 sei in einem Gefäß mit dichtschließendem verschiebbarem Stempel St ein Mol eines Gases von der Temp e r a t u r T u n d der Dichte q eingeschlossen. I m I n n e r e n des Gases herrscht n a c h n T>!77 Gl. (246c) der D r u c k = e (m = Molekulargewicht). Dieser D r u c k w i r k t von innen auf den Stempel. Von a u ß e n aber wirkt der beliebig gegebene D r u c k pa. I s t , wie in Abb. 570 a n g e n o m m e n , pa > fy, so wird der Stempel n a c h innen getrieben, das Gas k o m p r i m i e r t ; es e r f ä h r t eine V o l u m v e r m i n d e r u n g , d. h. dV < 0. D a h e r ist die von a u ß e n dem System z u g e f ü h r t e Arbeit — p a d V positiv. I s t jedoch pa < p{, so wird der S t e m p e l n a c h a u ß e n gedrückt, u n d dV ist positiv. Die äußere Arbeit ist nach wie vor gleich — p a d V , aber sie ist j e t z t negativ, d . h . das System leistet j e t z t Arbeit gegen den äußeren D r u c k pa. Auch in dem Falle, d a ß pa u n d pi n u r u m beliebig wenig verschieden sind, ist die äußere Arbeit immer noch gleich — p a d V \
Po
mwLWLmr*
-St
Pi
Abb. 570. Zur begrifflichen Unterscheidung von äußerem und innerem Druck
Abb. 569. Arbeitsleistung eines allseitigen äußeren Druckes
nur geht die Verschiebung des Stempels —• wegen der starken Gegenwirkung von p{ — j e t z t sehr langsam vor sich; aber bei Berechnung der Arbeit spielt die Zeit j a keine Rolle (wohl bei Berechnung der s e k u n d l i c h e n Arbeit, der sogenannten Leistung!). U n d in j e d e m Falle gilt natürlich der 1. H a u p t s a t z ; denn es k o m m t nicht darauf an, wie rasch oder wie langsam die Prozesse vor sich gehen. (In der P r a x i s k o m m t es natürlich darauf an, d a unendlich langsam laufende Maschinen bedeutungslos f ü r sie sind, aber das b e r ü h r t nicht die Gültigkeit des Energieprinzips.) Letztere B e m e r k u n g k a n n m a n d a d u r c h f r u c h t b a r machen, d a ß m a n den äußeren D r u c k pa n u r unendlich wenig verschieden von pt n i m m t . Der Prozeß g e h t d a n n freilich unendlich langsam vor sich, wäre also f ü r die P r a x i s gar nicht zu b r a u c h e n ; aber f ü r die Berechnung der äußeren Arbeit können wir d a n n hinreichend genau setzen: dA = —padV
=
—pidV,
und d a m i t h a b e n wir den Vorteil, f ü r pa = p{ die Zustandsgieichung b e n u t z e n zu können; z . B . erhalten wir f ü r ein ideales Gas: (258)
dA = —p,dV
~ ^ - d V . m B e g r i f f l i c h ist auch hier zwischen pa u n d pi streng zu unterscheiden; es f i n d e t n u r numerische Gleichheit zwischen beiden Drucken s t a t t . Solche unendlich langsam laufende Prozesse n e n n t m a n quasistatisch, weil das System in jedem Augenblick beliebig genau im Gleichgewicht ist. D a f ü r , d a ß e i n P r o z e ß q u a s i s t a t i s c h i s t , i s t d i e m e c h a n i s c h e B e d i n g u n g p a = Piist aber auch noch eine t h e r m i s c h e B e d i n g u n g zu erfüllen. W e n n nämlich dem r
=
494
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
System Wärmemengen zugeführt werden, so müssen die Wärmereservoire, denen sie entnommen werden, natürlich eine höhere Temperatur Ta haben, als es die Temperatur T t des Systems ist, damit durch Wärmeleitung die Wärme übergehen kann; der Übergang erfolgt auch hier um so langsamer, je näher Ta an liegt. Macht man Ta nur unendlich wenig verschieden von T j ; so geht der Wärmetransport unendlich langsam vor sich. Die t h e r m i s c h e Bedingung für Q u a s i s t a t i k eines Prozesses ist also die, daß die T e m p e r a t u r der W ä r m e s p e i c h e r bis auf unendlich K l e i n e s gleich der S y s t e m t e m p e r a t u r ist. Außer dem oben hervorgehobenen Vorzug der quasistatischen Prozesse, daß man zur Berechnung von pa die Zustandsgieichung verwenden kann, haben sie auch den, daß der Prozeß umkehrbar ist. Denn dazu braucht man nur pi unendlich wenig größer zu machen als pa> und ebenso Tt unendlich wenig größer als Ta. Der Fehler, den man
0
Abb. 571. Arbeitsleistung bei einem quasistatischen Prozeß
0
A'
C
V
Abb. 572. Arbeitsdiagramm eines quasistatischen Prozesses
macht, indem man pa = pt und Ta = T{ setzt, ist unendlich klein und kann außer Betracht bleiben. Die bei einem quasistatischen Prozeß dem System von außen zugeführte Arbeit — fpdV kann einer graphischen Darstellung entnommen werden; denn in dem Arbeitsausdruck ist dann p eine bestimmte Funktion von V. (Welche, das hängt von der Art des Prozesses ab; ist es z. B. ein isothermer, so ist p = const/F, und diese Kurven sind bereits in Abb. 545 dargestellt; für andere Prozesse, wie wir sie z. B. in der folgenden Nummer kennenlernen werden, sind es andere Kurven, aber jeder quasistatische Vorgang kann durch eine ihn charakterisierende Kurve in der ¡öF-Ebene repräsentiert werden). Z. B. stelle die Kurve zwischen den Punkten^, und B in Abb. 571 einen solchen beliebig gewählten Prozeß dar. Wenn wir auf der Abszissenachse C' und D' markieren, die den Werten V und V 4- dV des Volumens entsprechen und in beiden die Lote C'C und D'D bis zum Durchschnitt mit der Kurve A B errichten, so stellt C'C offenbar den Druck p dar, der dem Volumen F, also dem Punkt C der Kurve entspricht. Folglich ist der Inhalt des schraffierten Vierecks C'C DD' gleich dem Produkt pdV, also — zunächst vom Vorzeichen abgesehen — gleich der unendlich kleinen Arbeit, die dem System zugeführt wird, während es von C nach D gelangt. Also stellt die Fläche A B B'A', die begrenzt wird von der Kurve A B, den beiden Loten AA' und BB' auf die Abszissenachse und dem Stück A'B' dieser selbst — wieder vom Vorzeichen B abgesehen — die Gesamtarbeit J pdV dar. Wir können aber auch das Vorzeichen A
der Arbeit berücksichtigen. Wenn wir die Kurve von A nach B durchlaufen und in gleicher Richtung, d.h. im Uhrzeigersinn, das ganze Flächenstück AB B'A', so entspricht dem eine n e g a t i v zugeführte Arbeit: denn auf dem Wege von A nach B
98. Wärme als Energieform; allgemeines Energieprinzip
495
B
ist
dV
> 0, also —
J p d V
< 0 ; diese Arbeit wird also gegen den äußeren Druck
A
geleistet. Umgekehrt ist es, wenn der Prozeß von B nach A vor sich geht, und wir das ganze Flächenstück BAA'B' entgegen dem Uhrzeigersinn umkreisen. Denn auf A
der Strecke
BA
ist
dV
< 0, also —
f B
0. Daraus ergibt sich die Regel, daß
pdV~>
die d u r c h ein F l ä c h e n s t ü c k der pV-Ebene d a r g e s t e l l t e A r b e i t d a n n als p o s i t i v oder n e g a t i v zu r e c h n e n i s t , wenn bei dem P r o z e ß die F l ä c h e e n t g e g e n dem U h r z e i g e r s i n n e oder in d e m s e l b e n u m l a u f e n wird. Dies findet eine besonders wichtige Anwendung bei den bereits erwähnten Kreisprozessen; diese werden in der ¡¿F-Ebene offenbar durch eine geschlossene Kurve dargestellt, z . B . ABCD in Abb. 572; wir wollen annehmen, daß der Prozeß in der Richtung ABC DA (Pfeile in der Abb. 572) vor sich gehe. Fällen wir nun von den Punkten yi und C, die dem kleinsten und größten Werte des Volumens entsprechen, die Lote A A' und C C' auf die Abszissenachse, so stellt nach dem Vorhergehenden die im Uhrzeigersinne umlaufene Fläche ABCC'A'A die negative Arbeit dar, die dem System auf der Strecke ABC zugeführt wird; ganz ebenso stellt die im Gegenzeigersinne umkreiste Fläche CDAA'C'C die positive zugeführte Arbeit auf der Strecke CDA dar. Die gesamte zugeführte Arbeit ist also gleich der Differenz der Flächenstücke A B C C ' A ' und ADCC'A', d. h. gleich dem Flächeninhalt der Schleife A BCD, die in der Figur schraffiert ist. Da die Schleife im Uhrzeigersinne umkreist wurde, d. h. der Prozeß von A über B nach C und über D nach A zurück vor sich ging, ist die von außen her zugeführte Arbeit negativ, d. h. sie ist nach außen abgegeben worden. Umgekehrt würde es sein, wenn der Prozeß im Sinne ADC BA durchlaufen würde. Diese graphische Darstellung der Arbeit werden wir im folgenden, besonders in Nr. 99 benutzen. — Wir können nunmehr die erste, von Mayer vorgenommene Berechnung des mechanischen Wärmeäquivalents / besprechen. Denken wir uns ein Mol eines idealen Gases in einem Behälter mit beweglichem Stempel (wie in Abb. 570) eingeschlossen, dessen absolute Temperatur T° sei. Wenn wir durch Wärmezufuhr die Temperatur auf (T + 1)° erhöhen, kann dies entweder so geschehen, daß wir unter Festhaltung des Stempels das Molvolumen V konstant halten, wobei natürlich der Druck pt steigt; oder wir können die Wärmezufuhr unter Konstanthaltung des Druckes vor sich gehen lassen, wobei sich der Stempel entsprechend verschieben muß. Im ersteren Falle muß man die Molwärme Cv bei konstantem Volumen, im zweiten die bei konstantem Druck Cp zuführen. Zwischen diesen beiden Vorgängen besteht der Unterschied, daß im letzten Falle (p = const.) eine negative äußere Arbeit, nämlich gegen den äußeren Druck geleistet ist, die nach (257 c) gleich —p a {V 2 — V^ ist. Diesem Arbeitsbetrag muß die Differenz der zugeführten Wärmemengen J(Cp -— C„) gleich und entgegengesetzt sein. Wenn wir den Prozeß quasistatisch führen, so ist pa = pi zu setzen, und nach der Zustandsgieichung ist: P i V ^ R T , ptVs= R(T +
1) .
Durch Subtraktion folgt für die Arbeit: A = - M V
t
- V
1
)
=
- R ,
also besteht nach dem 1. Hauptsatz die Gleichung: d. h.
J(CP
—
C.)
=0,
+ A
(259) cp —
cv
496
X I . Kapitel.
Mechanische Theorie der Wärme
Nehmen wir für R nach S. 465 den Wert 8,313 -10 7 erg/Mol grad und für die Differenz Cp — Cv den aus der Tabelle auf S. 477 folgenden Mittelwert 1,993 cal/Molgrad, so folgt für /: Q Ol q 1 A7 / = 1*993 = 4,171-10' erg/cal = 425,2 kpm/cal, d. h. hinreichend übereinstimmend mit (255b). Legen wir umgekehrt den besten /-Wert 4,186-10' erg/cal zugrunde, so können wir R, das bisher in erg/Mol grad ausgedrückt war, in cal/Mol grad ausrechnen; es ist offenbar: (260)
R =
cal/Mol grad = 1,986 cal/Mol grad ,
d. h. der W e r t der a b s o l u t e n G a s k o n s t a n t e ist gleich rund 2 K a l o r i e n / M o l g r a d , Damit haben wir gleichzeitig bewiesen, daß das experimentelle Ergebnis C p — C„ = 2 cal (S. 478), eine direkte Folge des Energieprinzips ist. Die oben wiedergegebene Berechnung des mechanischen Wärmeäquivalents durch M a y e r war eine große wissenschaftliche Tat, auch wenn der numerische Wert infolge der Ungenauigkeit der damaligen Daten unrichtig ausfiel. Aber es ist zu bemerken, daß bei der Berechnung eine stillschweigende Voraussetzung gemacht ist, nämlich die, daß Arbeit nur gegen den äußeren Durck pa geleistet wird. Da aber bei den wirklichen Gasen Anziehungskräfte zwischen den Molekülen bestehen, so wird grundsätzlich jedenfalls auch Arbeit gegen die molekularen Anziehungskräfte geleistet. Bei der Mayerschen Berechnung wird also angenommen, daß die Arbeit gegen die Molekularkräfte gegenüber der Arbeit gegen den äußeren Druck zu vernachlässigen ist. M a y e r hat sich zwar auf ein Experiment G a y - L u s s a c s berufen, aus dem dies hervorzugehen scheint. Aber der G a y L u s s a c s c h e Versuch (S. 502) ist nicht beweiskräftig; erst spätere genauere Versuche von T h o m s o n (dem späteren Lord K e l v i n ) und J o u l e (S. 503) haben diese Voraussetzung als nahezu richtig erwiesen.
99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen Wir wenden den 1. Hauptsatz auf einige besonders wichtige mit einem idealen Gas vornehmen; wir benutzen ihn in der Form den Faktor / fortlassen, da wir uns die Wärmemenge dQ nicht in mechanischen Einheiten gemessen denken; wir legen also die (261)
dU = dQ —•
Prozesse an, die wir (256), in der wir noch in Kalorien, sondern Gleichung zugrunde:
pdV.
Die in ihr vorkommenden Größen dU, dQ, p hängen von den Werten ab, die der Temperatur T und dem Volumen V (bzw. dem Druck p des Systems) zukommen. Wenn diese Größen gegeben sind, muß der Zustand vollkommen bestimmt sein; denn es genügen bereits zwei von den Größen -p, V, T dazu: nach der Zustandsgieichung ist der Druck p durch V und T festgelegt. Wir wollen also dU, dQ, p als von V und T (den sogenannten Z u s t a n d s v a r i a b e l n ) 1 ) abhängig betrachten. Wir nehmen im folgenden ein für allemal 1 Mol des Gases und führen diesem eine solche Wärmemenge dQ zu, daß seine Temperatur von T auf T dT steigt; je nachdem wir dabei das Volumen V oder den Druck p konstant halten, ist die zugeführte Wärmemenge entweder gleich CvdT oder CpdT. 1. H a l t e n wir z u n ä c h s t das V o l u m e n V k o n s t a n t , so ist dV = 0, dQ = CvdT,
und Gl. (261) liefert: dU =
CvdT,
woraus sich für die innere Energie eines Gases allgemein ergeben würde: (262)
U = f CvdT
+ K ,
l ) Es könnten auch p und T sowie p und V als Zustandsvariable benutzt werden; es ist aber immer zweckmäßig, als die eine Variable die Temperatur T zu wählen.
99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen
497
wobei aber zu beachten ist, daß die Integrationskonstante zwar in bezug auf T eine Konstante ist, aber noch vom Werte des Volumens V abhängen wird. Für i d e a l e G a s e liegen die Verhältnisse besonders einfach, da aus den weiter unten zu besprechenden Versuchen von G a y - L u s s a c , J o u l e und T h o m s o n - J o u l e hervorgeht, daß U für solche völlig unabhängig vom Volumen V ist; daher ist K eine absolute Konstante. Ferner folgt aus sorgfältigen Versuchen von R e g n a u l t , daß bei idealen Gasen Cv selbst innerhalb sehr weiter Grenzen eine absolute Konstante ist. Für ideale Gase also kann (262) sofort integriert werden und liefert: (262a)
U = Ct T + Const.,
in Worten: Die innere Energie eines idealen Gases ist der absoluten Temperatur proportional, aber vollkommen unabhängig vom Volumen. Da (262a) sich auf 1 Mol, d . h . m Gramm bezieht, erhält man die s p e z i f i s c h e i n n e r e E n e r g i e u, die auf 1 Gramm bezogen ist, nach Division durch m, wobei Q rechts die spezifische Wärme c„ = ^ a u f t r i t t : (262 b) u = cvT + Const. Für eine beliebige Gasmasse M erhält man die innere Energie durch Multiplikation von (262b) mit M ; sie ist also auch der Masse direkt proportional, d . h . die innere Energie verhält sich a d d i t i v , indem die Energiebeträge der einzelnen Massenelemente sich einfach addieren. Letzteres gilt übrigens nicht nur für ideale Gase, sondern allgemein, wie aus Gl. (261) hervorgeht, in der sowohl dQ wie dV der Masse der betrachteten Substanz proportional sind; das gleiche muß daher auch für U gelten. Es ergibt sich übrigens aus (262) und (262 a), daß die innere Energie nur bis auf eine Konstante bestimmt ist, entsprechend dem Umstand, daß man nur Energiedifferenzen messen kann. 2. N u n m e h r w o l l e n w i r e i n e E r w ä r m u n g b e i k o n s t a n t e m D r u c k p b e t r a c h t e n ; in (261) setzen wir, ein ideales Gas voraussetzend, für dU nach (262a) seinen Wert CvdT ein; folglich lautet die Aussage des 1. Hauptsatzes hier: CvdT = CpdT — pdV, oder, nach Division durch dT: C
Dabei ist
*—
C
°
=
const.
wie der Index andeutet, so aus der Zustandsgieichung pV = RT zu
bilden, daß p der Voraussetzung entsprechend konstant bleibt. Das liefert pdV = also
RdT,
ldV\ _ Ji \dT) p = Oonst. V Setzt man diesen Wert in die letzte Gleichung ein, so folgt das uns bereits aus der vorhergehenden Nummer bekannte Ergebnis R o b e r t M a y e r s : (263)
Cp — Cv = R .
3. J e t z t b e t r a c h t e n w i r e i n e n i s o t h e r m e n P r o z e ß (T = Const.). Wegen (262) folgt zunächst, daß dann auch U konstant, d . h . dU = 0 ist. Der 1. Hauptsatz liefert also hier die Aussage: (264) Bergmann
0 = dQ — pdV = dQ + u. S c h a er e r , Experimentalphysik. I.
dA. 32
498
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
Das bedeutet aber, daß d i e g e s a m t e z u g e f ü h r t e W ä r m e in A r b e i t u m g e s e t z t wird. Man kann dies z. B . so ausführen, daß man das Gas — wie in Abb. 570 — in ein Gefäß G mit verschieblichem Stempel St einschließt und nun von außen quasistatisch Wärme zuführt. Würde man den Stempel festhalten, so würde die Temperatur des Gases steigen und der Druck sich entsprechend der Zustandsgieichung erhöhen. Dadurch aber, daß der Stempel sich nach außen bewegt, d. h. Arbeit gegen den äußeren Druck geleistet wird, den wir immer so regulieren, daß er nur unendlich wenig kleiner ist als der innere Druck, kann man die Temperatur und damit die Energie U des Gases konstant halten, und am Ende des Prozesses ist die aufgenommene Wärmemenge völlig in Arbeit umgewandelt. Man findet häufig die Behauptung, es sei eine besondere Eigenart der Wärmeenergie, daß sich zwar alle anderen Energieformen vollständig in Wärmeenergie umsetzen ließen, während Wärme stets nur zum Teil in andere Energieformen zurückverwandelt werden könne. Das obige Beispiel zeigt, daß diese Formulierung jedenfalls nicht allgemein richtig ist; was davon zutrifft, werden wir später erörtern (vgl. den Schluß von Nr. 103).
4. W e i t e r w o l l e n wir e i n e n P r o z e ß m i t dem i d e a l e n G a s e v o r n e h m e n , b e i dem k e i n e W ä r m e dQ z u g e f ü h r t w i r d ; e i n e n s o l c h e n V o r g a n g n e n n t m a n adiabatisch. Dafür liefert der 1. Hauptsatz nach (261) und (262a): CtdT =
—pdV.
Führen wir den Prozeß gleichzeitig quasistatisch, so können wir für p den inneren .ß T Druck nehmen, der der Zustandsgieichung p = -p- gehorcht. Setzt man diesen Wert ein, so ergibt sich: CvdT + SldV
=
0.
Dividiert man diese Gleichung durch T, so erhält man: = 0, + und in dieser Form läßt sie sich sofort integrieren; denn in beiden Summanden tritt das Differential des Log. nat. auf; also: (265)
C„ln T + R In V = Const.
Diese Gleichung kann man als die Bedingung eines adiabatisch-quasistatischen Prozesses mit einem idealen Gas ansehen. Sie ist noch einiger Umformungen fähig. Denn man kann (265) schreiben: In T°f> + I n V R = In (TC*VR) = Const., also, nach Übergang zu den Numeris: TcvVcp—° = Const., wobei nach (263) noch R = Cp — Ct gesetzt wurde. Schließlich kann man noch die C,-te Wurzel ziehen, die natürlich auch konstant sein muß; man erhält so: (265a)
Co-C. TV cv = TV—1 = Const.
Q Cp Dabei ist Gr = x gesetzt, und es tritt hier das uns schon bekannte Verhältnis der en Wärmen auf. Endlich kann man noch mit Hilfe der Zustandsgieichung T spezifischen pV
fortschaffen, indem man setzt: T = (265 b)
, und damit liefert (265a) schließlich: pV* = Const.,
499
99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen
die uns bereits b e k a n n t e P o i s s o n s c h e Gleichung — siehe S. 224 — f ü r die a d i a b a tische Kompression, die an Stelle des isothermen B o y l e - M a r i o t t e s c h e n Gesetzes fiV — Const. t r i t t ; in der obigen Gleichung ist der F a k t o r R in die rechts stehende K o n s t a n t e mit einbezogen. S t a t t V k a n n natürlich a u c h die ihr u m g e k e h r t proportionale Dichte Q e i n g e f ü h r t w e r d e n : -H- = Const. e* Wie schon f r ü h e r b e m e r k t , sind die Schallschwingungen adiabatische Prozesse; das A u f t r e t e n der Größe x in der F o r m e l (203) S. 361 f ü r die Schallgeschwindigkeit ist d a h e r verständlich. E b e n s o wie die I s o t h e r m e n pV = Const. (siehe Abb. 545) können a u c h die K u r v e n pV" = Const., die als adiabatische Kurven oder kurz als Adiabaten bezeichnet werden, in der pV-Ebene graphisch dargestellt werden (Abb. 573); sie
o V Abb. 573. Adiabaten ( ) und Isothermen ( eines idealen Gases
)
Abb. 574. Temperaturänderung bei adiabatischer Volumänderung
verlaufen steiler als die I s o t h e r m e n . Alle A d i a b a t e n schneiden d a h e r jede I s o t h e r m e u n d u m g e k e h r t ; je zwei I s o t h e r m e u n d Adiabaten bilden also ein krummliniges Viereck miteinander, wie Abb. 573 erkennen l ä ß t , in der die I s o t h e r m e n gestrichelt eingetragen sind. Aus den Gleichungen (265) u n d (265 a) folgt, d a ß bei einer adiabatischen Volumverkleinerung oder -Vergrößerung die T e m p e r a t u r T steigen bzw. sinken m u ß . D a s k a n n m a n m i t folgender A n o r d n u n g zeigen: I n einen oben verschlossenen, m i t L u f t gefüllten Glaskolben ist ein sehr empfindliches T h e r m o m e t e r (am besten ein elektrisches) e i n g e f ü h r t ; ein seitliches Ansatzrohr m i t H a h n k a n n m i t einer L u f t p u m p e v e r b u n d e n werden (Abb. 574). L ä ß t m a n die P u m p e wirken u n d ö f f n e t den H a h n zum Glaskolben, so wird die L u f t v e r d ü n n t , gleichzeitig zeigt das T h e r m o m e t e r eine Abkühlung a n . L ä ß t m a n die äußere L u f t wieder einströmen, so t r i t t eine K o m pression ein, die m i t T e m p e r a t u r e r h ö h u n g v e r b u n d e n ist. E i n e ähnliche Anordnung b e n u t z t m a n nach C l é m e n t u n d D e s o r m e s , u m d a s Verhältnis x der spezifischen W ä r m e n zu bestimmen. Eine Glasflasche von mehreren Litern I n h a l t ist m i t einem doppelt d u r c h b o h r t e n Stopfen verschlossen (Abb. 575); durch die eine B o h r u n g f ü h r t ein R o h r mit einem H a h n m i t möglichst weiter Öffnung, während d u r c h die andere B o h r u n g das eine E n d e eines Quecksilbermanometers eingesetzt ist. Man bläst zunächst in die Flasche m i t einer P u m p e etwas L u f t hinein, so 32*
500
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
daß nach Schließen des Hahnes das Manometer einen gewissen Überdruck in der Flasche anzeigt. Öffnet man dann kurzzeitig den Hahn, so daß sich der Druck der Luft in der Flasche mit dem Druck im Außenraum ausgleichen kann, so beobachtet man nach Schließen des Hahnes ein erneutes Ansteigen des Druckes in der Flasche. Der Grund hierfür liegt in der Abkühlung der Luft während ihrer Ausdehnung beim Öffnen des Hahnes. JSlach Schließen desselben tritt dann allmählich ein Temperaturausgleich ein, indem sich die Luft auf die Temperatur des Außenraumes erwärmt, wodurch eine Druckerhöhung stattfindet. Bezeichnen wir mit bzw. h2 die am Manometer zu Beginn und am Schluß des Versuches abgelesenen Druckhöhen, mit b den äußeren Atmosphärendruck, so haben wir zu Beginn des Versuches in der Flasche eine Luftmenge von dem Druck p^ = b + hlt dem Volumen Vl und der Temperatur T1 (Zustand I). Im Augenblick des Öffnens des Hahnes haben wir dagegen: den Druck p2 = b, das Volumen V2 und die Temperatur T2 (Zustand II), und nach Schließen des Hahnes stellt sich nach einiger Zeit: der Druck p3 = b + h2, das Volumen V2 und eine Temperatur T1 (Zustand I I I ) ein. Beim Übergang vom Zustand I nach I I haben wir es mit einem adiabatischen Prozeß zu tun, da während der kurzen Zeit des Hahnöffnens keinerlei Wärme dem Gas zu- oder abgeführt wird. Daher die Gleichung:
piVl* = p2V2*. Anderseits stellt der Übergang von Zustand I nach I I I einen isothermen Prozeß dar, da die Temperatur bei der Änderung der Zustandsgrößen p und V konstant ( = 7\) bleibt. Wir erhalten daher die zweite Gleichung: PiVi = P*v 2 • Erheben wir diese Gleichung in die x-te Potenz und dividieren sie durch die erste, so ergibt sich oder
=
Pi
P2
(h:\X=PL. \P»J Pi
Hieraus folgt durch Logarithmieren
x (In pl — In p3) = lnp1 — In p2, und durch Einsetzen der Werte für plt *
_
—
p2 und
ln(6+ hj) — In6 ln(6+ — ln(6 + h2) '
Da Aj und h2 klein gegen b sind, kann man die Näherungsgleichung In (b + h) = In 6 + benutzen und erhält in erster Näherung x =
hl
—A2
Auch das p n e u m a t i s c h e oder K o m p r e s s i o n s f e u e r z e u g (Abb. 576) beruht auf adiabatischer Kompression. In einer einseitig geschlossenen, meist aus Glas bestehenden dickwandigen Röhre R läßt sich ein luftdicht schließender Kolben K verschieben, der in einer Vertiefung seines Bodens ein Stück Feuerschwamm Z trägt. Stößt man den Kolben rasch in den Zylinder hinein, so tritt durch die plötzliche Verdichtung der Luft eine so starke Temperaturerhöhung ein, daß sich der Feuerschwamm entzündet. Da wir es mit einem adiabatischen Prozeß zu tun haben, gilt nach Gl. (265a) die Beziehung: T — 1-r y k-i J l 'vl x—i — 2 2 y
501
Msr
99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen oder
Nehmen wir beispielsweise an, daß das Luftvolumen auf den zehnten Teil verkleinert wird, und setzen w i r T x - 293° K, d. h. gleich 20° C, s o w i r d T 2 = 100'4 -293 = 2,51 -293 = 735,4° K = 462,4 ü C. Die unter 3. und 4. besprochenen isothermen und adiabatischen Prozesse kann man auch unter einem anderen Gesichtspunkt ansehen. Denn offenbar kann man sagen: Da beim isothermen Vorgang trotz Wärmezufuhr die Temperatur sich nicht ändert, so verhält sich hier das Gas so, als ob seine spezifische Wärme unendlich groß wäre. Umgekehrt ist es bei den adiabatischen Vorgängen: Hier ändert sich die Temperatur, ohne daß Wärme zugeführt wird, was einer spezifischen Wärme Null entspricht. Man erkennt hieraus, daß man — je nach dem vorgenommenen Prozeß — beliebig viele spezifische Wärmen zwischen •— oo und + oo definieren kann, nicht nur, wie man meistens sagt, nur zwei, nämlich Cp und Cv. D i e s p e z i fischen W ä r m e n sind weniger f ü r den S t o f f , als f ü r den P r o z e ß c h a r a k t e r i s t i s c h ; diese B e m e r k u n g gilt nicht nur f ü r Gase, sondern für alle Stoffe.
5. W i r u n t e r s u c h e n d a h e r n u n m e h r e i n e n Vorg a n g , bei d e m d a s Gas s i c h so v e r h ä l t , d a ß ihm e i n e b e l i e b i g e k o n s t a n t e s p e z i f i s c h e W ä r m e y (bzw. hier Molwärme T) zukommt. Solche Prozesse nennt m a n polytropischc Vorgänge. Ihre Bedeutung beruht darin, daß in Wirklichkeit die meisten Zustandsänderungen polytropisch sind, da strenge Temperaturkonstanz und strenge Adiabasie nur ideale Grenzfälle sind. Die einem Mol des Gases bei einer polytropischen Zustandsänderung zugeführte Wärmemenge dQ ist also definitionsgemäß TdT, während der Arbeitsausdruck der gleiche ist wie unter 4. Daher liefert der 1. Hauptsatz nach Gl. (261) und (262a):
CvdT = rdT —
Abb. 575. Versuch von Clement undDesormes zur Bestimmung von cp/c„
^dV.
Division mit T liefert: o
-R
In T°v-r + In V R = Const.
'K
r/4(C, also nach Integration :
=
Weiter läßt sich durch Übergang zu den Numeris und Ersetzung von R durch Cp — C„ schreiben:
7 T)=U(Vlt
T).
Die Temperatur spielt, da sie konstant geblieben ist, keine Rolle in dieser Gleichung; letztere sagt aus, d a ß d i e i n n e r e E n e r g i e t r o t z Ä n d e r u n g d e s V o l u m e n s k o n s t a n t g e b l i e b e n ist. Das bedeutet aber — und davon haben wir schon im Prozeß 1 Gebrauch gemacht —, daß U unabhängig von V ist, und das ist nur dann möglich, wenn zwischen den einzelnen Molekülen des Gases keine Kohäsionskräfte wirken. Der Nachteil dieser Anordnung — und damit ein Mangel an Beweiskraft — beruht darin, daß die Gasmengen klein gegen die Wassermasse des Kalorimeters sind; J o u l e
99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen
503
h a t zwar die Dimensionen des Kalorimeters so gewählt, d a ß es sich den Gefäßen Gj u n d G2 möglichst dicht anschließt, u m die Wassermengen so klein wie möglich zu m a c h e n ; aber es waren doch genauere Versuche notwendig, u m das obige E r g e b n i s sicherzustellen bzw. zu begrenzen. E i n e n s o l c h e n V e r s u c h h a b e n T h o m s o n und Joule ausgeführt. 7. T h o m s o n - J o u l e - P r o z e ß
(Abb. 578).
I n einem (schlecht wärmeleitenden) R o h r R aus Buchsbaumholz sitzt ein W a t t e pfropf W, durch den mittels eines Stempels St t ein Gas u n t e r dem k o n s t a n t e n D r u c k j>1 hindurchgepreßt wird; d a s Volumen desselben links von W sei V v I n dem W a t t e pfropf t r i t t wegen der R e i b u n g ein Druckverlust ein, so d a ß sich rechts von ihm der D r u c k auf p2 erniedrigt, das Volumen auf V2 erhöht. Zu Beginn des Versuches s t e h t St2 dicht auf der rechten Seite des Pfropfes, a m E n d e dagegen Si1 an seiner linken Seite; links u n d rechts von W befinden sich empfindliche T h e r m o m e t e r . W ä r m e menge Q wird auch hier nicht z u g e f ü h r t ; dagegen wird A r b e i t t geleistet, die offenbar
den W e r t p1V1— p^V2 h a t . D e n n p1V1 ist die Arbeit des äußeren Druckes pu wenn er das Volumen V1 gegen die R e i b u n g s k r ä f t e im W a t t e p f r o p f durch diesen hindurchpreßt, u n d — p2V2 ist derjenige Teil, der auf der a n d e r e n Seite dadurch wiedergewonnen wird, d a ß der rechte S t e m p e l durch die Ausdehnung des Gases auf das Volumen V2 gegen den äußeren D r u c k p2 verschoben wird. Also liefert der 1. H a u p t s a t z hier: U
i
- u
1
= piv1
—
p2v2,
wobei die Einzelheiten des komplizierten Strömungsvorganges wieder vollkommen gleichgültig sind. (In der praktischen A u s f ü h r u n g b e n u t z t m a n keine b e s t i m m t e Gasmenge, sondern läßt eine unbegrenzte Menge in stationärem Strome durch den W a t t e pfropf h i n d u r c h t r e t e n ; das geschieht dadurch, d a ß linka eine D r u c k p u m p e das Gas u n t e r dem D r u c k p1 d u r c h den Pfropf hindurchdrückt, während rechts eine Saugpumpe Gas in dem Maße absaugt, d a ß d a u e r n d der D r u c k p2 aufrechterhalten bleibt.) D a m a n den Versuch n a t u r g e m ä ß nicht mit idealen Gasen machen kann, so wurde eine R e i h e von realen Gasen u n t e r s u c h t (C0 2 , L u f t , 0 2 , N 2 , H 2 ), die in der g e n a n n t e n Reihenfolge dem idealen Verhalten immer näher k o m m e n . Man f a n d bei diesen realen Gasen eine kleine T e m p e r a t u r ä n d e r u n g bei Vergrößerung des Volumens von V1 auf V2, a b e r sie w a r u m so k l e i n e r , j e n ä h e r d a s b e t r e f f e n d e G a s d e m I d e a l z u s t a n d e w a r : P r o Atmosphäre Druckunterschied betrug die T e m p e r a t u r ä n d e r u n g bei C 0 2 3 / 4 ° C, bei L u f t , 0 2 , N 2 ungefähr 1 / 4 ° C, bei H 2 dagegen n u r 1 / 4 0 ° C. (Diese geringe T e m p e r a t u r ä n d e r u n g k o n n t e bei der G a y - L u s s a c sehen Anordnung nicht wahrgenommen werden.) Aus dem obigen Ergebnis darf man schließen, d a ß s i c h f ü r e i n i d e a l e s G a s d i e T e m p e r a t u r ä n d e r u n g N u l l e r g e b e n w ü r d e ; da in diesem Falle nach dem B o y l e - M a r i o t t eschen Gesetz auch p1V1 — p2V2 = 0 ist, so
504
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
würde d a n n a u c h die z u g e f ü h r t e Arbeit A = 0 sein, u n d a u s der o b i g e n Gleichung folgt d a n n U2 = U1, d . h . d a s gleiche E r g e b n i s , wie b e i d e m G a y - L u s s a c s c h e n Experiment, a b e r m i t d e r a u s d r ü c k l i c h e n B e s c h r ä n k u n g a u f i d e a l e G a s e . F ü r r e a l e G a s e ergibt sich nach dem Obigen eine Temperaturänderung bei Volumvergrößerung; dann ist auch p1V1 — p 2 F 2 =f= 0, d. h. A =f= 0. Für die wirklichen Gase ist der T h o m s o n - J o u l e Prozeß also viel komplizierter als der G a y - L u s s a c s c h e , bei dem unter allen Umständen ^ 4 = 0 ist. E s kommt bei dem T h o m s o n - J o u l e - P r o z e ß also auch noch auf das Verhältnis der Arbeit des äußeren Druckes zur Arbeit gegen die Molekularkräfte (Kohäsionskräfte) an; je nach dem Werte dieses Verhältnisses kann beim T h o m s o n - J o u l e - V e r s u c h sowohl eine Temperaturabnahme wie auch eine Temperatursteigerung eintreten; letzteres ist in der Nähe der Zimmertemperatur z. B. bei H 2 der Fall. — Auf dem unscheinbaren Effekt der Temperaturerniedrigung für L u f t beruhen die von L i n d e und H a m p s o n angegebenen Maschinen zur Verflüssigung von Gasen. (Vgl. Nr. 110, S. 592.) — Man kann übrigens den V o r g a n g d e r D i f f u s i o n als einen doppelten G a y - L u s s a c - P r o z e ß ansehen. Denken wir uns in den beiden Gefäßen G1 und ö 2 der Abb. 577 zwei verschiedene Gase von gleichem Druck eingeschlossen, und öffnen wir den Hahn, so tritt eine Diffusion ein, d. h. jedes Gas dringt in das andere ein, und der Prozeß kommt erst zur Ruhe, wenn die Durchmischung gleichförmig geworden ist. Nach dem D a l t o n s c h e n Gesetz nimmt nun jedes Gas das Gesamtvolumen ein, jedes Gas hat also einen G a y - L u s s a c - P r o z e ß vorgenommen, denn die Anwesenheit des anderen Gases ist ja gerade nach dem D a l t o n s c h e n Gesetz gleichgültig. F ü r ideale Gase darf also beim Vorgang der Diffusion k e i n e Temperaturänderung eintreten — in naher Übereinstimmung mit den Tatsachen, die ergeben, daß bei wirklichen Gasen um so kleinere Temperaturänderungen auftreten, je näher sie dem idealen Zustande sind. — Man erkennt aus den vorstehenden Darlegungen, daß es bei einem idealen Gase in verhältnismäßig einfacher Weise möglich ist, durch geeignete Experimente mit Hilfe des 1. Hauptsatzes und der Zustandsgieichung die Energiegleichung (262a) zu gewinnen. Damit hat man f ü r ein ideales Gas alle Unterlagen, die zur vollständigen Bestimmung seines Verhaltens notwendig sind. F ü r alle anderen Stoffe (z. B. die wirklichen Gase) ist dies nicht der Fall, und man bedarf, um hier dasselbe zu leisten, eines ganz neuen Satzes, des sogenannten 2. Hauptsatzes der Wärmetheorie. Daraus ersieht man, welche Bedeutung das ideale Gas für die Wärmelehre besitzt, und darin liegt die Berechtigung zur Bildung einer solchen Abstraktion, —• genau ebenso, wie sich die entsprechenden Idealisierungen der reinen Mechanik (Massenpunkt, starrer Körper, reibungslose Flüssigkeit usw.) durch ihren Erfolg rechtfertigen.
100. Thermochemische Prozesse A u c h die c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n g e h ö r e n zur D o m ä n e d e s 1. H a u p t s a t z e s . A m e i n f a c h s t e n sind diejenigen, die o h n e V o l u m ä n d e r u n g , d. h. ohne ä u ß e r e Arbeitsl e i s t u n g v e r l a u f e n . D a s sind praktisch alle R e a k t i o n e n z w i s c h e n f e s t e n u n d flüssigen Stoffen, d a deren V o l u m ä n d e r u n g e n m i n i m a l s i n d ; i m a l l g e m e i n e n f a l l e n d a g e g e n R e a k t i o n e n m i t g a s f ö r m i g e n T e i l n e h m e r n n i c h t in diese K a t e g o r i e , w e i l die d a b e i a u f t r e t e n d e n V o l u m ä n d e r u n g e n erheblich z u sein p f l e g e n ; nur, w e n n derartige Prozesse in g e s c h l o s s e n e n G e f ä ß e n v o r sich g e h e n , wird k e i n e äußere A r b e i t g e l e i s t e t . D e r 1. H a u p t s a t z n i m m t d a n n w e g e n der f e h l e n d e n ä u ß e r e n Arbeit die e i n f a c h e Gestalt a n : (267)
U,—
U1 =
Q.
Alle c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n zerfallen in z w e i K l a s s e n : B e i der e i n e n ist W ä r m e z u f u h r v o n a u ß e n n o t w e n d i g (Q > 0), d a s b e d e u t e t Z u n a h m e der inneren E n e r g i e durch die R e a k t i o n ; bei der a n d e r e n g e b e n sie u m g e k e h r t W ä r m e n a c h a u ß e n a b (Q < 0), U wird durch die R e a k t i o n kleiner. D i e letzteren R e a k t i o n e n sind bei w e i t e m die h ä u f i g s t e n , u n d der Chemiker b e z e i c h n e t sie als exotherme Vorgänge, i m G e g e n s a t z zu d e n ersteren, die endotherme R e a k t i o n e n g e n a n n t w e r d e n ; die e x o t h e r m e n P r o z e s s e w e r d e n a u c h als solche m i t „ p o s i t i v e r W ä r m e t ö n u n g " , die e n d o t h e r m e n als solche m i t „ n e g a t i v e r W ä r m e t ö n u n g " b e z e i c h n e t . (Man m u ß sich also m e r k e n : Q > 0 bedeutet negative, Q < 0 positive Wärmetönung.) Zur b e q u e m e n F o r m u l i e r u n g der Energiebilanz b e n u t z e n wir i m A n s c h l u ß a n die Schreibweise der Chemiker eine g e e i g n e t e S y m b o l i k . D i e R e a k t i o n s g l e i c h u n g P b + S = P b S b e d e u t e t , d a ß a u s 1 G r a m m - A t o m B l e i und 1 G r a m m - A t o m S c h w e f e l
100. Thermochemische Prozesse
505
sich 1 Gramm-Molekül Schwefelblei bildet. Wir wollen nun in Zukunft unter dem chemischen Symbol, z. B. Pb, nicht nur den Stoff, sondern zugleich die innere Energie des Gramm-Atoms bzw. Mols verstehen. Pb ist also für uns die innere Energie eines Gramm-Atoms Blei, S diejenige eines Gramm-Atoms Schwefel und PbS diejenige eines Mols Schwefelblei. Um feste, flüssige, gasförmige Stoffe voneinander unterscheiden zu können, verwenden wir Klammern: Eckige Klammern [ ] bezeichnen feste, runde ( ) flüssige, geschweifte {} gasförmige Reaktionsteilnehmer. [H 2 0] ist also die innere Energie eines Mols Eis, (H 2 0) desgleichen von Wasser, { H 2 0 } die von Wasserdampf. Wenden wir dies auf die obige Reaktion an, so haben wir für den Anfangszustand Ux = [Pb] + [S] , für den Endzustand U2 = [PbS] . Geht die Reaktion vor sich, so gibt sie eine positive Wärmetönung von 18400 cal nach außen ab, d . h . Q = — 1 8 4 0 0 cal, und die vollständige Reaktionsgleichung lautet: [PbS] — [Pb] — [S] = — 18400 cal, wobei natürlich die Energiewerte U nicht in Erg, sondern in Kalorien gemessen zu denken sind. Diese Gleichung bedeutet also: Wenn 207 g Blei und 32 g Schwefel sich zu 239 g Bleisulfid verbinden, wird eine Wärmemenge von 18400 Kalorien nach außen abgegeben. Ein Mol Schwefelblei ist also um 18400 Kalorien energieärmer, als es die Ausgangsprodukte [Pb] und [S] sind. Bei der analogen Reaktion (Bildung von Schwefeleisen) [FeS] — [Fe] — [S] = — 23 800 cal ist die Wärmetönung leicht beobachtbar: Man mischt in einem Reagenzglas 56 g pulverisiertes Eisen und 32 g pulverisierten Schwefel innig miteinander und erhitzt das Gemisch mit einem Bunsenbrenner; bei Eintritt der Reaktion erwärmt die auftretende Wärmetönung die Verbindung zu heller Rotglut. Als weiteres Beispiel einer exothermen Reaktion betrachten wir die Bildung von Zinksulfat durch Einbringen von Zink in eine Kupfersulfatlösung; dabei fällt Kupfer als Metall aus. Hier ist also: U1 = [Zn] + (CuS0 4 );
Ut = [Cu] + (ZnS0 4 ) .
Bei dieser Reaktion werden 50900 cal frei. Die Reaktionsgleichung lautet also vollständig : [Cu] + (ZnS0 4 ) — [Zn] — (CuS0 4 ) = — 50900 cal . Macht man denselben Versuch mit Eisen statt mit Zink, so tritt eine Wärmetönung von 38000 cal auf: [Cu] + (FeS0 4 ) — [Fe] — (CuS0 4 ) = — 38000 cal . Die Subtraktion beider Reaktionsgleichungen liefert die Energiebilanz einer dritten Reaktion: [Fe] + (ZnS0 4 ) — [Zn] — (FeS0 4 ) = — 12900 cal . Durch Bestimmung der Wärmetönung bei dieser letzteren Reaktion gewinnt man also wieder eine Prüfung des Energiegesetzes. Man zeigt beide Ausgangsreaktionen mit Hilfe des auf S. 466 beschriebenen Differentialthermoskops, indem man beide Thermoskopgefäße mit gleichen Mengen konzentrierter Kupfersulfatlösung füllt und in das eine '/ioo Mol = 0,65 g Zinkpulver.
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
506
in das a n d e r e 1 / 1 0 Mol = 0,56 g Eisenpulver h i n e i n s c h ü t t e t u n d m i t einem Glasstäbchen u m r ü h r t . Beide Thermoskope zeigen E r w ä r m u n g e n an, deren Verhältnis sich aus den ablesbaren Steighöhen der Flüssigkeitsmanometer zu 51 : 38 ergibt, wie es nach den obigen Reaktionsgleichungen zu erwarten ist. Als Beispiel einer e n d o t h e r m e n R e a k t i o n betrachten wir das Schmelzen von 1 Mol Eis bei 0° C. Hier h a b e n w i r : U1 = [ H 2 0 ] ,
U2 =
(H20),
u n d da zum Schmelzen von 1 g Eis die W ä r m e m e n g e von 80 Kalorien z u g e f ü h r t werden m u ß , so ist Q = -f- 18 -80 cai, d a das Molekulargewicht des Wassers 18 ist. Die Energiebilanz f ü r diesen Vorgang l a u t e t also: ( H 2 0 ) — [ H 2 0 ] = + 1440 cai . 1 Mol Wasser von 0° ist also um 1440 Kalorien energiereicher als 1 Mol Eis der gleichen Temperatur. Vermittels chemischer Reaktionen ergibt sich eine experimentelle P r ü f u n g des 1. H a u p t s a t z e s , wenn m a n , von einem b e s t i m m t e n Anfangszustande U1 ausgehend, denselben E n d z u s t a n d U0_ auf verschiedenen Wegen erreichen k a n n ; die Energiedifferenz U2 — U1 m u ß in allen Fällen die gleiche sein. Eine sehr schöne U n t e r s u c h u n g dieser Art ist bereits 1840 von H e s s a u s g e f ü h r t worden, — bemerkenswerterweise vor Formulierung des Energieprinzips d u r c h M a y e r u n d H e l m h o l t z . E s h a n d e l t sich dabei u m folgende R e a k t i o n : 1 Mol konzentrierter Schwefelsäure ( H 2 S 0 4 ) wird zur R e a k t i o n gebracht m i t 2 Mol N H 3 in wässeriger Lösung in unendlicher V e r d ü n n u n g , was m a n ( 2 N H 3 - a q ) schreibt; als R e a k t i o n s p r o d u k t ergibt sich ( ( N H 4 ) 2 S 0 4 - a q ) , d . h. schwefelsaures Ammonium in wässeriger Lösung, ebenfalls in unendlicher Verd ü n n u n g . Die thermochemische Reaktionsgleichung l a u t e t nach H e s s : ((NH 4 ) 2 S0 4 -aq) — ( H 2 S 0 4 ) — (2 N H 3 -aq) = — 50166 c a i , d . h . der Vorgang ist exotherm m i t einer positiven W ä r m e t ö n u n g von 50166 cai. S t a t t n u n konzentrierte Schwefelsäure direkt m i t (2 NH 3 * aq) reagieren zu lassen, k a n n m a n zuerst einmal zu konzentrierter Schwefelsäure 1 Mol Wasser hinzusetzen u n d d a n n die so v e r d ü n n t e Schwefelsäure m i t ( 2 N H 3 - a q ) wieder zu ( ( N H 4 ) 2 S 0 4 - a q ) z u s a m m e n t r e t e n lassen. Das liefert 2 Reaktionsgleichungen : ( H 2 S 0 4 • 1 H 2 0 ) — ( H 2 S 0 4 ) — ( H 2 0 ) = — 6450 cai, ( ( N H 4 ) 2 S 0 4 -aq) •— ( H 2 S 0 4 - 1 H 2 0 ) — ( 2 N H 3 -aq) = 43691 c a i , von denen die erste sich auf die V e r d ü n n u n g von konzentrierter Schwefelsäure m i t einem Mol Wasser bezieht. Addiert m a n die beiden Gleichungen, so findet m a n als gesamte W ä r m e t ö n u n g 6450 -j- 43691 = 50141 cai, das ist innerhalb der Fehlergrenzen derselbe W e r t wie oben. I n dieser Weise k a n n m a n weitergehen, z. B. konzentrierte Schwefelsäure nacheinander mit 2, 3, . . ., Mol Wasser v e r d ü n n e n u n d d a n n erst m i t (2 N H 3 - aq) reagieren lassen; die S u m m e der W ä r m e t ö n u n g e n m u ß stets die gleiche bleiben. H e s s fand folgende W e r t e bei 1. 2. 3. 4.
Verwendung Verdünnung Verdünnung Verdünnung
von mit mit mit
konzentrierter Schwefelsäure 1 Mol Wasser 2 Mol Wasser 3 Mol Wasser
50161 cai 50141 ,, 50284 „ 50720 ,,
Diese W ä r m e t ö n u n g e n stimmen auf weniger als l°/ 0 miteinander überein, wie es nach dem Energieprinzip sein m u ß ; das von H e s s e r k a n n t e Gesetz der konstanten W ä r m e -
100. Thermochemische Prozesse
507
summen ist also ein spezieller Fall desselben. — Man bemerkt übrigens, daß die oben benutzten thermochemischen Gleichungen wie gewöhnliche algebraische Gleichungen behandelt, also addiert oder subtrahiert werden können. Reaktionen mit gasförmigen Komponenten läßt man in verschlossenem Gefäß, einer sogenannten B e r t h e l o t s c h e n B o m b e (Abb. 579), vor sich gehen und kann dann den 1. Hauptsatz ebenfalls in der vereinfachten F o r m (267) anwenden. Ein Beispiel ist die Bildung von festem P b S 0 4 aus P b , S und 0 2 nach der Reaktionsgleichung : [ P b S 0 4 ] — [ P b ] — [S] — 2 { 0 „ } = — 2 1 6 2 1 0 cal . Anderseits kann man zuerst [S] und { 0 2 } zusammentreten lassen nach der F o r m e l : { S 0 2 } — [S] — { 0 2 } = — 71080 c a l , und dann aus { S 0 2 } , [ P b ] und { 0 2 } wieder [ P b S 0 4 ] entstehen lassen: [ P b S 0 4 ] — [Pb] — { S 0 2 } — { 0 2 } = — 1 4 5 1 3 0 c a l . Die gesamte Wärmetönung 7 1 0 8 0 + 1 4 5 1 3 0 = 2 1 6 2 1 0 cal ist, wie es der 1. Hauptsatz erfordert, auch wirklich ebenso groß wie bei der direkten Reaktion. Solcher Beispiele gibt es zahlreiche, und es soll hier nur noch erwähnt werden, daß man auf diese Weise auch die Wärmetönung von Prozessen berechnen kann, die nicht direkt bestimmbar ist. I n dieser Lage ist man z. B . bei der Verbindung von [C] mit l / 2 { 0 2 } zu { C O } ; die dabei auftretende Wärmetönung kann nicht gemessen werden. Dagegen sind folgende Reaktionen b e k a n n t : { C 0 2 } — [C] — { 0 2 } = — 9 7 0 0 0 c a l , { C 0 2 } — {CO} — i { 0 2 } =
— 6 8 0 0 0 cal ,
von denen die erste die Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n dioxyd, die zweite die von Kohlenoxyd zu Kohlendioxyd darstellt. Durch Subtraktion ergibt sich: { C O } — [C] — i { 0 2 } =
— 29000 cal,
womit die gesuchte Wärmetönung gefunden ist.
Abb. 579. Berthelotsche Bombe. S = Schale zur Aufnahme der zu ^Glühs h-aJe
'Entzünden der Substanz; O = ver-
zum Z
schraubbare Öffnungen zum Einlassen von Sauerstoff
Sobald die chemischen Vorgänge, bei denen eine Gasreaktion auftritt, nicht in geschlossenen Gefäßen vor sich gehen, muß man berücksichtigen, daß jede Volumveränderung einer mechanischen Arbeitsleistung und somit einer Wärmemenge äquivalent ist. Wenn ein Liter Gas unter Atmosphärendruck gebildet wird, ist dazu infolge der Überwindung des äußeren Luftdruckes eine Arbeit von 1,0332.1000 kpcm = 10,332 kpm notwendig, die einer Wärmemenge von 10,332: 0,427 = 24,2 cal äquivalent ist. Man kann also stets die in Litern gemessene Volumänderung bei dem betreffenden Prozeß durch Multiplikation mit 24,2 in Grammkalorien ausrechnen. Als Beispiel betrachten wir die Verbrennung von 1 Mol Wasserstoff mit 1 I 2 Mol Sauerstoff zu flüssigem Wasser. Dabei entstehen 68400 cal. Bei dieser Reaktion verschwinden aber 1x / 2 Mol Gas, und da 1 Mol Gas unter Normalbedingungen den Raum von 22,41 Liter einnimmt, so verkleinert sich das Volumen um 1,5-22,41
+
Liter, wenn wir mit t die Temperatur des entstehenden Wassers bezeichnen,
so daß der Atmosphärendruck eine Arbeit leistet, die 1,5-22,41 ^ 1 + ^ j j 24,2 cal
entspricht.
Für t = 20° ergibt dies 879 cal. Diese Wärmemenge ist von den an der Reaktion beteiligten Stoffen verbraucht worden und muß daher von dem Wert 68400 cal abgezogen werden. Daher lautet die Reaktionsgleichung: ( H 2 0 ) — {H 2 } — i { 0 2 } = — 67521 cal.
508
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
Zum Schluß dieses Abschnittes seien für eine Reihe von Stoffen die bei Verbrennung von l g frei werdenden Wärmemengen ( V e r b r e n n u n g s w ä r m e n ) angegeben; diese Zahlen sind für unsere künstlichen Wärmequellen von Bedeutung. Stoff Wasserstoff Petroleum Terpentinöl Wachs Gasöl (Dieselöl) Stearinsäure Kohlenstoff Holz- und Steinkohle Koks Alkohol Braunkohle Leuchtgas Tannenholz Schwefel
Verbrennungswärme in cal/g 33760 11400 10850 10500 10000 9550 8730 7—8000 7100 7080 6000 5400 4400 2300
Diese Beispiele mögen genügen, um die vielseitige Anwendbarkeit des 1. Hauptsatzes in der Chemie zu zeigen; zu erwähnen ist, daß zahlreiche Wärmetönungen von dem dänischen Chemiker J u l i u s T h o m s e n und dem französischen Chemiker B e r t h e l o t bestimmt worden sind.
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme In den vorhergehenden Nummern sind die Tatsachen besprochen, die zu der Folgerung zwingen, daß die Wärme eine Energieform ist; dagegen war nichts darüber gesagt worden, w e l c h e Energieform wir der Wärme zuzuschreiben haben. Denn darüber sagt natürlich der 1. Hauptsatz nichts aus. Jede weitergehende Behauptung über die spezielle Natur der Wärmeenergie ist daher eine H y p o t h e s e , die über die unmittelbare Erfahrung (Unmöglichkeit des Perpetuum mobile) hinausgeht. Es liegt indessen nahe, diese Frage mit unserer Auffassung von der atomistischen Struktur der Materie zu verknüpfen. Die kleinsten Teilchen der Materie sind ja im allgemeinen nicht in Ruhe, sondern besitzen kinetische Energie; wir können diese Bewegung zwar nicht sehen, aber doch wenigstens indirekt durch die B r o w n s c h e Molekularbewegung (S. 331) erkennbar machen. Daher hat man — zuerst der Berliner Gymnasiallehrer K r ö n i g , dann vor allem R. C l a u s i u s und J . Cl. M a x w e l l —- die Hypothese aufgestellt, daß die Wärmeenergie identisch mit der kinetischen Energie der Moleküle bzw. Atome sei; diese Theorie nennt man daher die molekular kinetische Theorie der Wärme. Sie ist insbesondere für Gase, die nach aller Erfahrung die einfachste Konstitution von den materiellen Körpern haben, ausgebildet, und wir wollen uns daher mit diesen beschäftigen. B e t r a c h t e n w i r z u n ä c h s t i d e a l e G a s e . Vom molekularen Standpunkt aus — vgl. S.469 —- ist ein solches als ein Aggregat von Molekülen verschwindender Volumausdehnung zu betrachten, die keine K r ä f t e aufeinander ausüben. Ein Molekül eines idealen Gases muß sich also gleichförmig geradlinig bewegen, bis es mit anderen Molekülen oder der Wandung des einschließenden Gefäßes zusammenstößt, wo es nach den Gesetzen des elastischen Stoßes reflektiert wird. Man sieht sofort, wie man von da zu w i r k l i c h e n Gasen weitergehen kann; deren Moleküle haben endliches Volumen und üben bei ihren Zusammenstößen K r ä f t e aufeinander aus; ihre Bahn ist also geradlinig nur außerhalb der Wirkungssphäre (siehe S. 303) dieser Molekularkräfte.
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
509
Von einer so detaillierten Hypothese muß man natürlich mehr Leistungen verlangen als von dem 1. Hauptsatz allein. Dieser liefert uns zwar die Energiebilanz, aber z . B . nicht die Zustandsgieichung, die Koeffizienten der inneren Reibung, der Wärmeleitung und Diffusion, die Werte der spezifischen Wärmen cp und c„ usw.: alles dieses aber liefert die kinetische Theorie in wesentlichem Einklänge mit der Erfahrung, so daß man heute diese Theorie in ihren Grundzügen als endgültig gesichert betrachten kann. Ableitung der Zustandsgieichung. Unsere erste Aufgabe wird sein, die Zustandsgieichung idealer Gase aus dieser Anschauung herzuleiten. D a ß ein Gas auf die Gefäßwandungen einen Druck ausübt, ist nach obigem verständlich, weil die Moleküle mit der W a n d zusammenprallen und von ihr zurückgeworfen werden; jedes Molekül übert r ä g t also Impuls an die Wand, und die sekundliche Änderung desselben pro Flächeneinheit der W a n d ist nach der 2. N e w t o n sehen Bewegungsgleichung eben der Druck; lediglich diesen Gedanken haben wir auszuführen, um zur Zustandsgieichung zu gelangen. Wenn man nun daran geht, den Impuls durch die Molekularstöße auf die Wand zu ermitteln, so stößt man auf etwas grundsätzlich Neues. Denn die Bewegung der Moleküle beherrschen wir nach den Gesetzen der Mechanik nur dann vollkommen, wenn wir f ü r e i n e n Zeitpunkt die Lage und die Geschwindigkeit jedes einzelnen von ihnen kennen. Bei der ungeheuren Zahl derselben wäre es aber ein aussichtsloses Beginnen, wenn man den Versuch machen wollte, diese Daten zu gewinnen; wir müssen versuchen, ohne diese Kenntnis auszukommen. Besäßen wir sie, so könnten wir angeben, welche i n d i v i d u e l l e n Moleküle in jedem Augenblick mit der Wand zusammenstoßen, und mit welcher Geschwindigkeit sie das t u n . An Stelle der fehlenden Kenntnis müssen ergänzende W a h r s c h e i n l i c h k e i t s a u s s a g e n treten, und dies ist ausreichend, weil die detailliertere Kenntnis nicht notwendig ist. Denn es kommt offenbar gar nicht darauf an, w e l c h e Moleküle in einer Sekunde zum Stoß mit der W a n d gelangen u n d Impuls übertragen, sondern nur w i e v i e l e , und diese letztere Angabe verlangt erheblich weniger Kenntnisse als die erste. E s genügt auch, wenn wir s t a t t der wirklichen Geschwindigkeit c jedes einzelnen Moleküls einen geeigneten M i t t e l w e r t derselben kennen; denn auch der Druck des Gases ist ja ein zeitlicher Mittelwert über alle die einzelnen Stöße; obwohl die Stöße d i s k o n t i n u i e r l i c h Impuls übertragen, empfinden wir nur einen k o n t i n u i e r l i c h e n M i t t e l d r u c k . Die Sache liegt ähnlich wie bei einer Lebensversicherungsgesellschaft; ihre Mortalitätstabellen geben ihr Kenntnis davon, w i e v i e l e der bei ihr Versicherten beispielsweise in einem Alter zwischen 50 und 60 Jahren aller Voraussicht nach sterben; aber es ist ihr gleichgültig, w e l c h e I n d i v i d u e n von diesem Lose betroffen werden und an welcher Krankheit sie zugrunde gehen. Ihr genügt es für ihre Rentabilität zu wissen, daß nach ihren Statistiken so und so viel Prozent in dem genannten Lebensalter mit Tod abgehen. Wir machen es hier also ähnlich: Statt einer detaillierten individuellen Kenntnis genügt auch uns eine Art Statistik. Damit tritt in die Physik etwas grundsätzlich Neues ein, nämlich s t a t i s t i s c h e oder W a h r s c h e i n l i c h k e i t s - A u s s a g e n , an Stelle der bisher allein vorhandenen, vollkommen d e t e r m i n i e r t e n Behauptungen.
Welches sind nun diese Wahrscheinlichkeitsaussagen 1 In einem kräftefreien Gase ist keine Richtung vor der anderen ausgezeichnet; es ist also kein Grund vorhanden, warum ein Molekül sich lieber in der einen als in der anderen Richtung bewegen sollte. Deswegen machen wir die Annahme, daß die Geschwindigkeiten sich auf alle Richtungen gleichmäßig verteilen. Das kommt, wie die genaue Rechnung zeigt, darauf hinaus zu sagen, daß je 1 / 3 der Moleküle von links nach rechts, von oben nach unten, von vorn nach hinten und umgekehrt fliegt. J e die Hälfe von diesem Drittel, d. h. je 1 / a , fliegt also von links nach rechts, von rechts nach links usw. Eine weitere Annahme ist die folgende: Da jeder Raumteil mit jedem anderen gleich berechtigt ist, ist anzunehmen, daß die Moleküle sich gleichmäßig über das ganze Volumen verteilen; ist also N die Gesamtzahl im Volumen V, so fallen auf jedes Kubikzentimeter im Mittel N n = Moleküle. Was endlich die Geschwindigkeit angeht, so kann man nicht an-
510
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
nehmen, daß alle Moleküle die gleiche Geschwindigkeit haben, im Gegenteil werden alle Werte von 0 bis oo vorkommen, aber nur relativ wenige werden diese extremen Werte haben, weitaus die Mehrzahl der Moleküle wird eine Geschwindigkeit mittlerer Größe besitzen, mit der wir daher rechnen können; das genaue Gesetz, nach dem die Geschwindigkeiten verteilt sind, werden wir weiter unten angeben. Wir erläutern die Vorstellungen der kinetischen Theorie an einem „Modellgas", dessen „Moleküle" aus Stahlkugeln bestehen. Den Gasbehälter bildet ein horizontal liegender Metallrahmen R (Abb. 580), der auf der Ober- und Unterseite durch zwei Glasplatten abgedeckt ist, so daß man hindurchprojizieren kann. Um den Stahlkugeln eine gleichmäßige lebhafte „Wärmebewegung" zu erteilen, ist durch die linke Stirnseite des Rahmens ein verschiebbarer Stempel St eingeführt, der durch einen an der Achse A eines Motors angebrachten Exzenter in eine hin- und hergehende Bewegung versetzt werden kann, deren Frequenz sich durch die Umlaufszahl des Motors regulieren läßt. Dadurch werden die Kugeln angestoßen und schwirren in dem Rahmen in ganz unregelmäßigen Zickzackbahnen hin und her, wobei sie miteinander und mit den Wänden zusammenstoßen und nach den Gesetzen des elastischen
Abb. 580.
Anordnung zur Erläuterung der Vorstellungen der kinetischen Gastheorie an einem Modellgas
Stoßes reflektiert werden. Fast augenblicklich stellt sich eine ganz ungeordnete Bewegung ein, bei der die Kugeln über den ganzen Raum verteilt sind. Nach diesen Voraussetzungen betrachten wir nun (Abb. 581) ein Stück Wandung von 1 cm 2 Fläche und fragen, wieviel Moleküle in der Sekunde auf dieselbe von links nach rechts auftreffen. Und zwar greifen wir zunächst nur die Moleküle heraus, die gerade die Geschwindigkeit cx besitzen, während wir von den übrigen vorläufig ganz absehen. Ist die Zahl dieser Moleküle pro cm 3 gleich n 1 , so kommen wegen unserer Voraussetzung für die Flugrichtung links—rechts nur 1/6n1 pro cm 3 in Frage. Da die Moleküle die Geschwindigkeit cx haben, so kommen offenbar alle diejenigen in der Sekunde noch mit der Wand zum Stoß, die innerhalb eines Zylinders von 1 cm 2 Grundfläche und c1 Zentimeter Höhe liegen; dieser besitzt also das Volumen c1 Kubikzentimeter und enthält insgesamt n1c1 Moleküle der Geschwindigkeit c,, von denen 1/6, das sind -J«jCj Moleküle, in der Sekunde auf die Wand auftreffen. Wenn jedes Molekül die Masse ¡1 hat, so ist sein Impuls /ic 1 ; würde es nach dem Stoß an der Wand liegen bleiben, so wäre sein Impulsverlust (gleich dem Impulsgewinn der Wand) gleich /iCj; da aber die Geschwindigkeit beim elastischen Stoß sich in —c, verwandelt, so verliert das Molekül und gewinnt die Wand den doppelten Impuls 2//c,. Sämtlich in der Sekunde zum Stoß gelangenden Moleküle der Geschwindigkeit c, übertragen also der Wand einen Impuls vom Betrage • 2 /iq = ¡ i c ? . Nunmehr betrachten wir auch die Moleküle von den anderen Geschwindigkeiten c2, c 3) c4, . . . , für die die gleiche Berechnung gilt; diese Stöße liefern der Wand einen sekundlichen Impulsgewinn von £w2juc22, \nzfi c 3 2 , i^/nc^, ...; die Moleküle aller Geschwindigkeiten zusammen also übertragen je Sekunde an die W a n d den Impuls: Cj2 + n2c22 + n3c32 + •••) = 2 ntca2.
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
511
Nach d e m 2. N e w t o n s c h e n Axiom ist dieser sekundliche Impulsgewinn der W a n d gleich der auf sie ausgeübten K r a f t , u n d d a es sich hier u m die Flächeneinheit handelt, gleich dem wirkenden D r u c k p. Also folgt : P =
•
N u n m e h r wollen wir s t a t t der einzelnen Geschwindigkeiten cx bzw. s t a t t ihrer Quad r a t e c„2 das arithmetische Mittel einführen, das wir c2 n e n n e n . D a n n i s t : P =
2ntt
.
ist aber gleich der Anzahl der Moleküle aller Geschwindigkeiten, d . h. aller Moleküle im Kubikzentimeter, die wir schon oben mit n bezeichnet h a t t e n . Also ergibt sich schließlich f ü r den D r u c k : infic2.
p =
Die Gültigkeit dieser Gleichung läßt sich qualitativ mit dem in Abb. 580 dargestellten Apparat zeigen. Zu diesem Zweck ist gegenüber dem beweglichen Stempel St in dem Kähmen R eine verschiebbare Platte P angebracht, die durch eine Schubstange mit einem Zeiger Z in Verbindung steht. Die Ruhelage der Platte wird durch eine zwischen ihr und der Rahmenwand angebrachte Schraubenfeder gegeben. Sobald der Exzenter E in Be1cm' wegung gesetzt wird, üben die auf die Platte P treffenden Kugeln auf diese einen Druck aus, dessen Größe sich an der Zeigerstellung ablesen läßt. Erhöht man die Drehzahl des Motors und damit die Geschwindigkeit der Kugeln, so steigt entsprechend der auf die Platte P ausgeübte Druck. Das Instrument zeigt den Mittelwert des sekundlich übertragenen Impulses als konstanten Druck. Abb. 581. cl wird als das „mittlere GeschwindigkeitsZur Berechnung des Gasdruckes
q u a d r a t " bezeichnet, n/j, ist die Gesamtmasse der Moleküle in der Volumeinheit, d. h. gleich der Dichte o, und die obige Gleichung geht über in: (268)
Dies m u ß bereits die Zustandsgieichung sein, u n d in der T a t f i n d e t man durch einen Vergleich mit Gl. (246c) auf S. 464, d a ß die linken Seiten völlig übereinstimmen, so daß sich durch Gleichsetzen der rechten Seiten weiter ergibt: R ~ 1— c — m ^ = "ö" 6 ";
m ist dabei eine Masse gleich dem chemischen Molekulargewicht des Gases. Man kann diese Gleichung durch E r w e i t e r u n g m i t \ f i in die übersichtlichere F o r m b r i n g e n : (269)
C
~
2 m
1
'
aus der hervorgeht, d a ß unsere Annahmen uns zu folgendem Ergebnis f ü h r e n : Die mittlere kinctische Energie \ f i c - der Gasmoleküle ist proportional der absoluten Temperatur T. D a m i t h a b e n wir die Z u s t a n d s g i e i c h u n g abgeleitet und gleichz e i t i g e i n e k i n e t i s c h e D e u t u n g d e r T e m p e r a t u r g e w o n n e n . Mit der Zustandsgieichung sind auch alle Folgerungen aus ihr wiedergewonnen: Die A v o g a d r o s c h e H y p o t h e s e , das B o y l e - M a r i o t t e s c h e Gesetz, das D a l t o n s c h e Gesetz d e r P a r t i a l d r ü c k e usw.
XI.'Kapitel.
512
Mechanische Theorie der W ä r m e
D a nach (269) T der positiven Größe ific2 proportional ist, ist der kleinste Wert, den T annehmen k a n n , gleich Null; es gibt also eine tiefste Temperatur, den absoluten Nullpunkt, der kinetisch d a d u r c h charakterisiert ist, daß die Moleküle die Geschwindigkeit Null besitzen. D a m i t ist jede P a r a doxie, die mit dem Begriff einer tiefsten T e m p e r a t u r v e r k n ü p f t erschien (vgl. S. 469), vollkommen beseitigt. G l e i c h u n g (268) g e s t a t t e t , d i e m i t t l e r e G e s c h w i n d i g k e i t c d e r G a s m o l e k ü l e z u berechnen, wenigstens der Größenordnung nach. E s ist dabei nämlich zu beachten, daß c 2 nicftt g e n a u g l e i c h c i s t , w i e m a n s i c h l e i c h t a n n u m e r i s c h e n B e i s p i e l e n k l a r m a c h t 1 ) ; den genauen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ausdrücken, nämlich ]/c® = 0 , 9 2 1 ) / c 2 , k a n n d i e e x a k t e R e c h n u n g e r s t d a n n l i e f e r n , G e s e iz d e r G e s c h w i n d i g k e i t s v e r t e i l u n g b e k a n n t i s t , w o r a u f w i r a m N u m m e r eingehen werden.
wenn
Schluß
das
dieser
E i n s t w e i l e n g e b e n wir i n d e r f o l g e n d e n T a b e l l e d i e W e r t e und c für einige G a s e b e i O 0 C = 2 7 3 , 1 5 ° K a n (auf d e n i n d e r T a b e l l e m i t a u f g e f ü h r t e n W e r t d e r „ w a h r s c h e i n l i c h s t e n G e s c h w i n d i g k e i t " cw k o m m e n w i r a m S c h l u ß d i e s e s A b s c h n i t t e s , S . 5 2 3 , zurück); es ergeben sich also sehr erhebliche Geschwindigkeiten, die der Größeno r d n u n g nach m i t d e n S c h a l l g e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 3 8 2 ) v e r g l e i c h b a r s i n d . Gas Wasserstoff Stickstoff Luft Sauerstoff Kohlendioxyd Joddampf
..
f ?
c
1838 m/sec 492 „ 485 „ 461 „ 392 „ 164 „
1694 m/sec 453 „ 447 „ 425 „ 361 „ 151 „
1487 m/sec 398 „ 395 „ 377 „ 318 „ 133 „
Man k a n n diese Molekulargeschwindigkeiten direkt messen. Dies b e r u h t auf der experimenteilen Peststellung ( D u n o y e r ) , daß ein bis zum Schmelzpunkt erhitzter Metalldraht (z. B. Silberd r a h t , oder, was technisch bequemer ist, ein versilberter P l a t i n d r a h t ) im V a k u u m v e r d a m p f t , d. h. nach allen Seiten gleichmäßig Silberatome aussendet (da Ag einatomig ist, sind hier Molekül u n d Atom identisch). Man k a n n also auf diese Weise M o l e k u l a r s t r a h l e n erzeugen. Stellt m a n in den Strahlengang eine kalte Metallplatte, so bleiben die sie treffenden Atome oder Moleküle d a r a n h a f t e n . Auf diesen beiden Tatsachen b e r u h t die von S t e r n erdachte Methode zur Messung der Molekulargeschwindigkeit. I n Abb. 582 bedeute O ein hochevakuiertes Gefäß, das u m eine zur Zeichenebene senkrechte Achse A mit großer Winkelgeschwindigkeit drehbar ist; in der Achse A befindet sich ein versilberter P l a t i n d r a h t , der elektrisch z u m Glühen erhitzt wird, wobei er nach allen Seiten Ag-Moleküle aussendet, deren mittlere Geschwindigkeit c sei; sie h ä n g t natürlich von der Glühtemperatur ab. I n unmittelbarer N ä h e der Achse befindet sich in einer Blende B ein kleines Loch, das einen feinen Molekularstrahl ausblendet u n d im Abstände l davon die Auffangplatte P. Solange das Gefäß O nicht rotiert, t r i f f t der Molekularstrahl die P l a t t e P a n der Stelle M, wo sich ein „ S i l b e r p u n k t " bildet. D a die Geschwindigkeit c ist, b r a u c h t der Strahl vom Passieren der Lochblende bis zum Auftreffen in M die Zeit r = — . W i r d aber O z. B . im Uhrzeigersinne m i t der Winkelgeschwindigkeit u gedreht, so verschiebt sich während der Laufzeit r die P l a t t e P u m das Stück l2 u d = lur = —=- ; der Molekularstrahl t r i f f t daher nicht mehr die Stelle M, sondern die u m das c Stück d dagegen verschobene M'. Man erhält also zwei Silberpunkte M u n d M' im meßbaren Abstände d; aus l, u, d ergibt sich d a n n sofort die mittlere Geschwindigkeit c. (Dieser einfache Gedankengang e r f ä h r t natürlich eine Komplikation dadurch, daß nicht alle Moleküle die gleiche Geschwindigkeit besitzen, doch sehen wir hier davon ab.) F ü r die Geschwindigkeit c findet m a n also: _ V-u c
l
) Der Mittelwert von 3, 4, 5 ist ^
Mittelwert
f
2
^
~ *
= 4; dagegen die Wurzel aus dem quadratischen
2
3 + 4 -
= V 16,66 > 4 .
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
513
Bei einer Temperatur von 1473° K fand man experimentell für c Werte zwischen 675 und 643 m/sec, während sich nach der Formel (269) 672 m/sec hätte ergeben sollen, — in Anbetracht der schwierigen Messung also völlige Übereinstimmung. — Die eben wiedergegebene Ableitung der Zustandsgieichung ist ein erster Erfolg der kinetischen Theorie der Wärme; besonders wichtig ist nun, daß man unmittelbar sieht, wie für wirkliche Gase diese Herleitung zu ergänzen bzw. zu verbessern ist. Einmal muß das endliche Volumen der Gasmoleküle berücksichtigt werden und zum anderen Male die anziehenden Kräfte zwischen ihnen. Van der W a a l s hat diese Rechnung tatsächlich durchgeführt und zum ersten Male eine Zustandsgieichung erhalten, die für den gasförmigen und flüssigen Zustand (wenigstens annähernd) gültig ist und die wir bereits mehrfach, z. B. auf S. 469, angeführt haben. Wir gehen auf diese Rechnung nicht ein, sondern geben nur das Endresultat an:
(?+
RT,
W2
wo V das Molvolumen, a und b Konstanten sind; — ist die Korrektur, die von der Anziehungskraft der Moleküle herrührt und den Druck vermehrt (sogenannter Binnendruck), 6 die Volumberichtigung. Nach der genauen Rechnung ist b das Vierfache des von den Molekülen selbst eingenommenen Raumes. Der Wert von b, den man von einer großen Anzahl von Stoffen kennt •— vgl. Tabelle auf S. 469 —, liefert zusammen mit der Loschmidtschen Zahl L = 0,602• 1024 einen Wert für die Molekülgröße. Betrachten wir nämlich die Moleküle als kugelförmig vom Radius r, so nehmen die L Moleküle eines Mols den Raum ^r 3 nL ein, und dieses Volumen ist gleich dem vierten Teil von b. Setzen wir für die Gase H 2 , 0 2 , Na, C0 2 , H 2 0 den Mittelwert von b, nämlich b — 33,4 cm3, so haben wir also die Gleichung: 33,4-3. 10"24 Abb. 582. Anordnung zur Messung r» der Molekulargeschwindigkeit 4.4.3,14.0,6 Damit ergibt sich für r ein Wert von rund 1,4-10~8 cm, in größenordnungsmäßiger Übereinstimmung mit allen sonstigen Methoden. Gleichverteilungssatz der kinetischen Energie (Äquipartitionstheorem). Wir knüpfen jetzt an Gl. (269) an, die wir noch in eine etwas andere Gestalt bringen. ¡1 ist die Masse eines Moleküls, m eine Masse, deren numerischer Wert gleich dem chemischen Molekulargewicht ist, — ist demnach die Zahl L der Moleküle im Mol, d. h. die schon in /1 Nr. 65, S. 301 eingeführte L o s c h m i d t s c h e ( A v o g a d r o s c h e ) Zahl. Demgemäß kann man (269) schreiben: !L~7i T - ~ kT (269 a) 2 C - TL 1 ~ 2 k l • R Die Größe k = T führt den besonderen Namen: Boltzmannsche Konstante; k — 1,36" 1 0 - 1 6 erg/grad. Gl. (269a) kann noch verallgemeinert werden; es ist offenbar: C^ —
Cy" -]- Cz~ ,
wo cx, Cy, cz die Komponenten von c sind. Wegen der völligen Gleichwertigkeit aller Geschwindigkeitsrichtungen ist im Mittel auch noch: Cx'
und daraus folgt weiter: =
U 3Iri >
Cti'
U
C2~
V — 3C">
Z2 =~13/ -l -
L
Man kann also statt (269a) die drei Gleichungen schreiben: 2 c"x 2 "" ' 2 "" 2 2 * Wir fassen ein einatomiges Molekül ins Auge, das wir im Anschluß an B o l t z m a n n schematisch als eine starre Kugel betrachten. Eine solche hat in der in Nr. 25 ein{269b)
B e r g m a n n n. S c h a e f e r , Experimentalphysik. I.
33
514
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
g e f ü h r t e n Ausdrucksweise — wie jeder starre K ö r p e r — sechs Freiheitsgrade, u n d zwar drei der Translation u n d drei der R o t a t i o n u m drei zueinander senkrechte Achsen. Die Gleichungen (269b) bringen zum Ausdruck, d a ß die kinetische Energie jedes der drei translatorischen Freiheitsgrade den gleichen mittleren W e r t \kT b e s i t z t ; dies ist eine Folge der d a u e r n d e n Z u s a m m e n s t ö ß e der Moleküle. Wie s t e h t es n u n m i t den rotatorischen Freiheitsgraden ? D a nach N r . 47 alle Z u s a m m e n s t ö ß e von Kugeln zentral sind, so werden keine R o t a t i o n e n d u r c h die Z u s a m m e n s t ö ß e erzeugt u n d etwa v o r h a n d e n e R o t a t i o n e n d u r c h sie n i c h t g e ä n d e r t ; es k a n n sich also bei starren Kugeln der Energieaustausch n i c h t auf die rotatorischen Freiheitsgrade erstrecken. Somit k o m m e n f ü r einatomige Gase u n t e r den f ü r ihre Gestalt g e m a c h t e n Voraussetzungen n u r die drei translatorischen Freiheitsgrade in B e t r a c h t . Diese Aussage ist einer starken Verallgemeinerung fähig. B e t r a c h t e n wir zunächst eine Mischung von zwei einatomigen Gasen, z. B. Helium u n d N e o n ; die Molekülmassen seien ¡i r u n d /i 2 , die mittleren Geschwindigkeitsquadrate Cj2 u n d c 2 2 . W e n n diese Gasmischung die T e m p e r a t u r T besitzt, so m u ß f ü r beide Gase n a c h (269a) g e l t e n : iil7~2 c
2
i
_—
—kT
2
'
^
2
2
—
3
2
kT
usw., d. h . die mittlere kinetische Energie beider Gase m u ß im Wärmegleichgewicht die nämliche sein, u n d das gilt nach (269b) auch f ü r jeden einzelnen Freiheitsgrad. Komplizierter liegen die Verhältnisse bei zweiatomigen Molekülen; diese b e t r a c h t e n wir a n g e n ä h e r t als starre Rotationsellipsoide, die u m die eine Achse also symmetrisch ausgebildet sind. Auch f ü r ein solches Molekül gilt zunächst n a c h (269a) iL c2 = 2'
-x-kT
¿1
u n d ebenso nach (269b): iL 7c 1 -— i L c7 1 —- i L 7c ä — _ i .rxt r . 2 x 2 y 2 z 2 Aber es gilt noch mehr. D e n n w ä h r e n d bei d e m kugelförmigen einatomigen Molekül f ü r den Energieaustausch n u r die drei translatorischen Freiheitsgrade in B e t r a c h t k o m m e n , k a n n ein zweiatomiges noch u m zwei zueinander u n d zur Symmetrieachse senkrechte Achsen R o t a t i o n e n a u s f ü h r e n — diese Achsen sind in Abb .583 p u n k t i e r t — ; denn diese R o t a t i o n e n k o m m e n sicher durch die im allgemeinen nicht zentralen Zus a m m e n s t ö ß e der Moleküle zustande. W e n n m a n auf G r u n d der mechanischen Stoßgesetze die R e c h n u n g d u r c h f ü h r t , so f i n d e t m a n , d a ß a u c h d i e k i n e t i s c h e E n e r g i e f ü r jeden dieser zwei F r e i h e i t s g r a d e der R o t a t i o n den m i t t l e r e n B e t r a g \kT hat. Man k ö n n t e denken, d a ß bei zweiatomigen Molekülen noch ein d r i t t e r rotatorischer Freiheitsgrad in B e t r a c h t käme, nämlich der einer R o t a t i o n u m die Symmetrieachse des Ellipsoids entsprechende. Aber eben wegen der S y m m e t r i e u m diese Achse kann durch die Z u s a m m e n s t ö ß e eine nicht v o r h a n d e n e R o t a t i o n gar nicht hervorgerufen und eine zufällig v o r h a n d e n e nicht g e ä n d e r t werden, aus dem gleichen G r u n d e wie bei der Kugel. Deswegen n i m m t dieser d r i t t e rotatorische Freiheitsgrad an dem Energieaustausch n i c h t teil. (Ein zweiatomiges Molekül besitzt natürlich, wie jeder starre Körper, sechs Freiheitsgrade, a b e r f ü r den Energieaustausch k o m m e n n u r die drei translatorischen u n d zwei rotatorische in Frage.) F ü r dreiatomige Gase dagegen k o m m e n alle drei rotatorischen Freiheitsgrade in B e t r a c h t , wenn nicht die drei Atome in einer geraden Linie angeordnet sind u n d das Molekül auf diese Weise wieder die S y m m e t r i e eines Rotationsellipsoids besitzt. Dieser Energieaustausch auf die in F r a g e k o m m e n d e n Freiheitsgrade ist, wie schon oben bemerkt, eine Folge der d a u e r n d e n Zusammenstöße, d. h. der mechanischen Stoßgesetze; m a n n e n n t das mechanisch zu beweisende Ergebnis dieses Austausches
515
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
das Äquipartitionstheorem der kinetischen Theorie; es kann folgendermaßen ausgesprochen werden: Im thermischen Gleichgewicht hat jeder am Energieaustausch teilnehmende Freiheitsgrad der kinetischen Energie im Mittel die gleiche Energie \kT. Das ist eine sehr weitgehende Aussage, um so mehr, als sie nicht auf Gase beschränkt ist, vielmehr ebenso f ü r flüssige und feste Körper gilt. Denn wenn solche mit einem Gase im Temperaturgleichgewicht sind, und etwa im Anfang die kinetische Energie pro Molekül des Gases größer oder kleiner wäre, so würden die Zusammenstöße zwischen Gas-, Flüssigkeits- u n d Festkörpermolekülen doch in relativ kurzer Zeit bewirken, daß der Ausgleich stattfindet. Theorie der spezifischen Wärmen, Dulong-Petitsches Gesetz. Das Äquipartitionstheorem liefert uns nun sofort die in Nr. 96 mitgeteilten Werte der spezifischen Wärmen der Gase. Betrachten wir zunächst ein einatomiges Gas. F ü r ein solches — wir nehmen 1 Mol an — gewinnen wir die gesamte Energie U, indem wir die 3 Gleichungen (269b) addieren und mit L erweitern; wir finden also: Symmetrie
(270a)
C/ = ^ 7 ¿i
2
=
U
=
-
Achse
¿i
Das ist zunächst in Übereinstimmung mit Gl. (262a), die aus dem 1. H a u p t satz gefolgert wurde, wonach U proAbb. 583. portional der absoluten Temperatur und Rotationsellipsoid eines zweiatomigen Moleküls unabhängig vom Volumen sein sollte; der Vergleich mit (262a) liefert f ü r die Molwärme C„ bei konstantem Volumen den Wert: (271a)
CV =
^ R ,
und da wir in Gl. (260) bereits bewiesen hatten, daß i ? » 2 cal/Mol grad ist, folgt — in Übereinstimmung mit den Tatsachen, vgl.Tabelle auf S. 477 — Ct ä ; 3 cal/Mol grad. Da nach (264) allgemein Cp — Cc — R « 2 cal/Mol grad ist, so ist gleichzeitig
Q
o
= x = 5/„
= 1,666, gleichfalls in Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Genau ebenso liegt die Sache mit den zwei- und dreiatomigen Gasen. F ü r ein zweiatomiges haben wir pro Molekül nicht dreimal den W e r t -hk T, sondern f ü n f m a l anzusetzen, also pro Mol (durch Multiplikation mit L): (270b)
U =
=
woraus wiederum durch Vergleich mit (262a) folgt: (271 b)
C„ =
R äs 5 cal/Mol g r a d .
Da C p — CB äs 2 cal/Mol grad ist, so ist für zweiatomige Gase k beides in Übereinstimmung mit der Beobachtung. Ebenso ist f ü r die dreiatomigen Gase (6 Freiheitsgrade): (270c) (271 c)
JJ = L^-kT Jt
Cp
1,40,
öl'
= 3RT ,
C „ = 3 f i » 6 cal/Mol grad ,
also x = ~ = -5- = 1,333. 33"
516
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
D i e k i n e t i s c h e Theorie der W ä r m e liefert a l s o die M o l w ä r m e n der Gase in voller Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t der Erfahrung, w a s bisher k e i n e andere Theorie zu leisten v e r m o c h t e . I n der obigen Theorie der spezifischen Wärmen ist vorausgesetzt, daß die Moleküle s t a r r e G e b i l d e sind, da sonst die angesetzte Zahl der Freiheitsgrade nicht stimmen würde; ferner ist bei den dreiatomigen Molekülen die Voraussetzung gemacht, daß die Atome nicht geradlinig angeordnet sind, da sie sonst genau die Symmetrie der zweiatomigen Moleküle hätten, und dann kämen f ü r den Energieaustausch nach dem oben Gesagten nur 5 Freiheitsgrade in Betracht. Ein dreiatomiges Molekül, das dieser letzten Forderung entspricht, ist das desH 2 0-Dampfes, das nach neueren Untersuchungen d r e i e c k s f ö r m i g ist, also mit 6 Freiheitsgraden am Energieaustausch teilnimmt. Dagegen ist das C0 2 -Molekül g e r a d l i n i g ; also kämen f ü r den Energieaustausch nur 5 Freiheitsgrade in Frage, — und dennoch finden wir f ü r x den Wert 1,30, der dem theoretischen Wert 1,33 naheliegt. Der hier vorliegende anscheinende Widerspruch löst sich, worauf wir schon bei Diskussion der Tabelle auf S. 478 aufmerksam machten, dadurch, daß das CO r Molekül nicht mehr als starr zu betrachten ist, sondern daß die beiden O-Atome gegen das C-Atom s c h w i n g e n können. Da diese Schwingung durch die Molekularstöße angeregt wird, so nimmt sie am Energieaustausch teil. Es kommt dadurch erstens ein sechster Freiheitsgrad der kinetischen Energie hinzu, aber auch noch ein siebenter wegen der potentiellen Energie der Schwingung, die im Mittel gleich der kinetischen Energie der Schwingung ist. Demnach müssen wir theoretisch f ü r das C0 2 -Molekül folgende Werte erwarten * Cp = 8,937 cal/Molgrad, CB = 6,951 cal/Molgrad, x = 1,28; sie liegen den in der Tabelle auf S. 477 aufgeführten Zahlen wesentlich näher als die auf Grund der Starrheit mit 6 Freiheitsgraden berechneten (C„ = 7,944 cal/Molgrad, Cv = 5,998 cal/Molgrad, x = 1,333). Damit können wir jetzt auch qualitativ die in Nr. 80 auf S. 382 erwähnte D i s p e r s i o n d e r S c h a l l g e s c h w i n d i g k e i t bei mehratomigen Gasen, z. B. dem Kohlendioxyd erklären. Wenn eine Schallwelle ein Gas durchsetzt, so entstehen in den Druckbäuchen periodische Temperaturschwankungen; dabei verteilt sich die Wärmeenergie sowohl auf die „äußeren" Freiheitsgrade als auf die „inneren" Freiheitsgrade, die den Eigenschwingungen der Moleküle entsprechen. Letztere brauchen aber zu ihrer Anregung eine gewisse Zeit und werden also nicht mehr angeregt, wenn die Druckschwankungen in der Welle zu rasch aufeinander folgen, d. h. wenn die Schallfrequenz einen bestimmten Wert überschreitet. I n diesem Falle wird mit anderen Worten die Molwärme Cv des Gases kleiner. Auf S. 361 fanden wir f ü r die Schallgeschwindigkeit in einem Gas die Gleichung:
wofür wir auch schreiben können:
-l/f^fif'
da Cp — C„ = R ist. Wenn also Cv mit steigender Schallfrequenz abnimmt, bedeutet dies ein Ansteigen der Schallgeschwindigkeit, wie es die Kurve in Abb. 465 für Kohlensäure zeigt. — Bemerkenswerterweise wurde dieser Effekt bereits im J a h r e 1881 von H . A. L o r e n t z vorausgesagt. D e r gleiche G e d a n k e n g a n g liefert a u c h d a s D u l o n g - P e t i t s c h e G e s e t z f ü r d i e s p e z i f i s c h e n W ä r m e n e i n a t o m i g e r f e s t e r K ö r p e r . E i n solcher ist d a d u r c h v o n e i n e m Gase unterschieden, d a ß die e i n z e l n e n M a s s e n p u n k t e a n eine b e s t i m m t e R u h e l a g e g e b u n d e n sind, u m d i e sie —- i n f o l g e der W ä r m e b e w e g u n g — S c h w i n g u n g e n a u s f ü h r e n . J e d e r M a s s e n p u n k t h a t w i e d e r 3 Freiheitsgrade, die k i n e t i s c h e E n e r g i e pro A t o m ist also gleich f k T . Aber hier t r i t t w e g e n der B i n d u n g a n e i n e f e s t e R u h e lage n o c h p o t e n t i e l l e E n e r g i e a u f , die b e i einer h a r m o n i s c h e n S c h w i n g u n g i m Mittel gleich der k i n e t i s c h e n E n e r g i e ist. D i e G e s a m t e n e r g i e pro A t o m ist also 2 -\hT = 3 kT. B e t r a c h t e n wir a l s o 1 Mol S u b s t a n z , so ist die innere E n e r g i e U g l e i c h : (272a) U = L-3kT=3RT . F ü h r t m a n bei k o n s t a n t e m V o l u m e n die W ä r m e m e n g e C, zu, so s t e i g t die T e m p e r a t u r auf ( T + 1)°, a l s o ist d i e Z u n a h m e der i n n e r e n E n e r g i e 3 R, m i t h i n (272 b)
C, =
3R «
6 cal/Mol grad ,
u n d d i e s i s t d a s D u l o n g - P e t i t s c h e G e s e t z (S. 476). Im ganzen hat sich also die kinetische Theorie in erstaunlicher Weise bewährt. Dennoch ist ihre Erklärung der Werte der spezifischen Wärmen nicht als endgültig zu betrachten. Denn wir wissen heute sicher, daß die einatomigen Moleküle keine starren Kugeln, die zweiatomigen keine Rotations-
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
517
ellipsoide, sondern äußerst komplizierte nichtstarre Gebilde sind. Damit aber ist unserer Berechnung der am Energieaustausch teilnehmenden Freiheitsgrade der Boden entzogen. Auch vermag die Theorie auf keine Weise den Abfall der Molwärmen und spezifischen Wärmen fester Körper und der zweiatomigen Gase (insbesondere des Wasserstoffs) mit der Temperatur zu erklären. B e i d e S c h w i e r i g k e i t e n w u r z e l n im Ä q u i p a r t i t i o n s t h e o r e m , d a s j e d e m F r e i h e i t s g r a d e d e r k i n e t i s c h e n E n e r g i e den B e t r a g \lcT z u e r t e i l t . D a d i e s e s T h e o r e m m e c h a n i s c h b e w i e s e n i s t , m u ß d a r a u s die F o l g e r u n g g e z o g e n w e r d e n , d a ß in den G r u n d l a g e n d e r k l a s s i s c h e n M e c h a n i k eine t i e f g r e i f e n d e Ä n d e r u n g v o r g e n o m m e n w e r d e n m u ß : E s k a n n h e u t e k e i n e m Z w e i f e l m e h r u n t e r l i e g e n , d a ß die G e s e t z e d e r M e c h a n i k n u r eine A n n ä h e r u n g d a r s t e l l e n , die bei a t o m a r e n P r o z e s s e n und t i e f e n T e m p e r a t u r e n v e r s a g t , — so g l ä n z e n d sie sich im ü b r i g e n b e w ä h r t h a t . Die A u f k l ä r u n g d i e s e s V e r h a l t e n s i s t d e r Q u a n t e n t h e o r i e gel u n g e n , die a n S t e l l e des Ä q u i p a r t i t i o n s t h e o r e m s ein a n d e r e s G e s e t z l i e f e r t , d a s für h i n r e i c h e n d h o h e T e m p e r a t u r e n in den G l e i c h v e r t e i l u n g s s a t z als G r e n z g e s e t z ü b e r g e h t . Demgemäß sind das D u l o n g - P e t i t s c h e Gesetz sowie die entsprechenden Aussagen über die spezifischen Wärmen der Gase ebenfalls nur als Grenzgesetze für hinreichend hohe Temperaturen zu betrachten; auch ergibt sich so die richtige Zahl der für den Austausch in Betracht kommenden Freiheitsgrade. Wir kommen später ausführlich darauf zurück.
Brownscho Molekularbewegung. Nach den letzten Bemerkungen könnte man daran zweifeln, ob die kinetische Theorie der Wärme überhaupt berechtigt ist, und man muß die Frage aufwerfen, ob nicht die genannten Schwierigkeiten durch eine andere Auffassung zu beseitigen wären. Unter diesen Umständen ist es von besonderer Wichtigkeit, daß wir in der bereits mehrfach genannten B r o w n s c h e n Molekularbewegung einen experimentellen Beweis für die grundsätzliche Richtigkeit der kinetischen Theorie besitzen (vgl. Nr. 71). Sie besteht bekanntlich darin, daß in Gasen und Flüssigkeiten suspendierte leichte, sehr kleine Teilchen (Rauchteilchen, Gummigutt, Rutilpulver usw.) unter dem Mikroskop eine lebhafte zitternde Bewegung zeigen, von der Abb. 412 einen Begriff gibt. Das Bild ist in der Weise gewonnen, daß in das Mikroskopokular ein quadratisches Netz eingeführt wird, und man nun in bestimmten Zeitintervallen x (z. B . r = 30 sec) ein herausgegriffenes Teilchen beobachtet und seine augenblickliche Lage fixiert; verbindet man alle diese Punkte, so erhält man die in der Abbildung dargestellte Zickzack-Kurve. Wir deuten uns diese Erscheinung so, daß wir annehmen, die Stöße seitens der umgebenden Gas- oder Flüssigkeitsmoleküle seien die Ursache für die ruckartigen Bewegungen des Teilchens. Unter dieser Voraussetzung haben E i n s t e i n und v. S m o l u c h o w s k i fast gleichzeitig die Theorie dieser Bewegung entwickelt. Nennen wir den Abstand zweier benachbarter Fixierungspunkte (im Zeitabstande i) As und projizieren sie auf eine feste beliebige Richtung, so erhalten wir eine Strecke A x. Indem wir dies für je zwei Punkte machen, die Projektionen Ax quadrieren (Ax2), aus diesen Quadraten das Mittel nehmen (Ax 2 ), so ergibt sich nach den genannten Autoren für n X* folgende Gleichung: (273)
= ]/Jf
/iL= ySnr/r
R dabei ist k = wieder die B o l t z m a n n s c h e Konstante, ry die Zähigkeit (innere Reibung) der umgebenden Flüssigkeit oder des Gases, r der Radius des Brownschen Teilchens. Wird diese Gleichung experimentell bestätigt, so ist sie rückwärts ein Beweis für die Richtigkeit der zugrunde gelegten Yoraussetzug, daß die Moleküle in lebhafter Bewegung begriffen sind. In der geschilderten Weise haben u. a. P e r r i n und T h e S v e d b e r g die obige Gleichung geprüft und sie vollkommen zutreffend gefunden. Z. B . ergab sich, daß j/zl x2 proportional der Wurzel aus dem Beobachtungsintervall |/t ist, das der Experimentator j a wählen kann, wie er will. Ferner soll nach (273) j/17 2 unabhängig von der Masse der Teilchen sein, die in der Gleichung überhaupt nicht auftritt. In den P e r r i n s c h e n Versuchen variierte die Masse in dem unge. heuren Bereich von 1 : 1 5 0 0 0 , und dennoch ergab sich innerhalb der Fehlergrenzen
518
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
tatsächlich völlige Unabhängigkeit davon. Schließlich kann man noch die Temperaturabhängigkeit von |M x- bestimmen; diese steckt einmal in dem Faktor f f , zum anderen aber in der Zähigkeit r], die bei Flüssigkeiten bekanntlich (vgl. Nr. 56, S. 253) mit der Temperatur stark abnimmt: Auch hier fand sich völlige Übereinstimmung mit (273), wie zuerst Seddig (1909) feststellte. Der schlagende Beweis für die Richtigkeit der Gl. (273) und damit für die kinetische Theorie aber liegt darin, daß man die Loschmidtsche Zahl L aus ihr mit außerordentlicher Genauigkeit bestimmen kann. So ergab sich der bereits früher mitgeteilte Wert L = 6,02 -1023, der genauer als ein Prozent ist. Zu bemerken ist übrigens, daß bei der Gl. (273) auch die Richtigkeit des Äquipartitionstheorems vorausgesetzt ist (Faktor kT), — was offenbar bei der hier in Frage kommenden Temperatur (Zimmertemperatur) zulässig ist, wie wir bereits wissen. Aus den bekannten Werten von R und L ergibt sich nunmehr auch der Wert der Boltzmannsehen Konstante k: (274)
I 1
k
-
bzw
- i = l o i n S = 1 ' 3 7 5 - 1 0 " 1 6 -g/Molgrad k = 0,328 • 10- 23 cal/Mol grad .
Bei der Temperatur von 0° C = 273° K beträgt also die kinetische Energie pro Freiheitsgrad V2 • 1,375 • 1 0 - 1 6 • 273 = 1,88-10~ 1 4 erg. Diese Arbeit würde hinreichen, um ein Wassertröpfchen vom Radius r = 3,6-10~ 3 cm um 1 cm hochzuheben. Die innere Energie von 1 Mol eines einatomigen idealen Gases bei der gleichen Temperatur ist danach 3,4 • 10 10 erg = 347 kpm; diese innere Energie würde also hinreichen, um ein Gewicht von 347 kp ein Meter hoch zu heben. — Die Brownsche Molekularbewegung hat übrigens auch eine meßtechnische Bedeutung, insofern sie der Genauigkeit von Messungen eine unübersteigbare Grenze setzt. Wir wollen dies an dem Falle der bereits mehrfach erwähnten Spiegelablesung erläutern: Ein sehr kleiner Spiegel sei an einem sehr dünnen Quarzfaden aufgehängt und reflektiere einen Lichtstrahl auf eine Skala; jede Drehung des Spiegels macht sich durch eine Verschiebung des Lichtzeigers auf der Skala bemerkbar, und es scheint zunächst, als ob durch Vergrößerung des Abstandes Spiegel—Skala, d. h. der Länge des Lichtzeigers, die Genauigkeit der Ablesung beliebig vergrößert werden könne. Aber der Spiegel hat niemals eine feste Ruhelage, weil die unregelmäßigen Stöße der Luftmoleküle ihn in eine zitternde Bewegung versetzen, die auf der Skala um so größer erscheint, je länger der Lichtzeiger ist. Die dadurch bedingte Ungenauigkeit der Ablesung einer Spiegeldrehung kann offenbar auf keine Weise beseitigt werden. Solche Spiegelablesung benutzt man z. B. zur Messung von Stromstärken in den Galvanometern, und folglich kann die Genauigkeit der Strommessung nie über ein gewisses Maß gesteigert werden. — Übrigens verändert die Wärmebewegung grundsätzlich auch die Dimensionen fester Körper, so daß keine Möglichkeit besteht, Längenmessungen genauer zu machen, als der Betrag dieser Schwankungen ist. Diese haben übrigens auch noch eine große grundsätzliche Bedeutung, auf die wir später eingehen (Nr. 113).
Stoßzahl und freie Weglänge. Man hat gegen die aus der kinetischen Theorie folgenden großen Geschwindigkeiten der Moleküle früher gelegentlich einen Einwand erhoben: Wenn diese Zahlen wirklich zuträfen, so müsse z . B . die Diffusion zweier Gase ineinander außerordentlich rasch vor sich gehen, während sie in Wirklichkeit ein stundenlang dauernder Vorgang ist. Clausius hat diesen Einwand entkräftet, indem er darauf hinwies, daß ein Molekül in einer Sekunde keineswegs diese großen Strecken zurücklegen könne, da es dauernd mit anderen Gasmolekülen zusammenstößt und daher eine Zickzackbahn von genau der gleichen Art beschreibt, wie wir sie bei der B r o w n sehen Molekularbewegung beobachten. Clausius und nach ihm genauer Maxwell haben auch die Zahl Z der Z u s a m m e n s t ö ß e berechnet, die ein Molekül pro Sekunde erfährt: die Rechnung ergibt für die Stoßzahl den Wert: (275a)
Z = A]ßnnrn.
Darin bedeuten n die Zahl der Moleküle im Kubikzentimeter, r ihren Radius, c ihre mittlere Geschwindigkeit. Das ist eine ungeheure Zahl von Zusammenstößen, wie man leicht findet, wenn man überschlagsweise folgende Zahlen (für Atmosphärendruck) einsetzt: r = 1 0 - 8 cm, c = 10 5 cm/sec, n =
6 02 • 10 23
'
i
, nft ; damit ergibt sich eine
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
519
Größenordnung von einigen Milliarden Stößen pro Sekunde; die genaueren Zahlen sind in der Tabelle auf S. 522 angegeben. Zwischen zwei Zusammenstößen verläuft die Bahn eines Moleküls geradlinig; die mittlere Geschwindigkeit c besteht also aus Z kleinen geradlinigen Stücken, deren Größe / man erhält, wenn man c durch Z dividiert; diese Strecke heißt die „mittlere freie Weglänge". Für (275b)
¿=
J z
=
_ J 4 j/2« rar2
folgt mit den oben angegebenen Werten für Atmosphärendruck eine Größenordnung von etwa 10 -ä cm. Der Zusatz „bei Atmosphärendmck" ist notwendig, da die Zahl n der Moleküle im Kubikzentimeter dem Druck proportional ist; Z ist danach ebenfalls dem Druck proportional, l umgekehrt proportional. Wegen des kleinen Wertes der mittleren freien Weglänge legen die Gasmoleküle in einer Sekunde also keineswegs die großen Strecken zurück, wie sie ihrer mittleren Geschwindigkeit c entsprechen würden, sondern im Gegenteil nur winzig kleine; damit wird nun verständlich, daß und warum die Diffusion trotz der großen Molekulargeschwindigkeit c ein so langsam verlaufender Vorgang ist. Eine Bestätigung der Grundanschauungen der kinetischen Gastheorie stellt das von C r o o k e s angegebene R a d i o m e t e r (Lichtmühle) dar; dieses besteht aus einem vierarmigen, auf einer Nadelspitze leicht drehbaren Flügelrädchen (Abb. 584), dessen Flügel aus einseitig berußten Glimmerblättchen bestehen. Die Blättchen sind in vertikaler Stellung so angebracht, daß die berußten Flächen nach derselben Drehrichtung zeigen. Das Ganze ist in einer Glaskugel eingeschlossen, aus der die Luft weitgehend entfernt ist. Trifft eine Wärmestrahlung auf die Blättchen des Flügelrädchens, so werden diese auf der geschwärzten Seite stärker erwärmt als auf der blanken. Dadurch erfahren die auf der geschwärzten Seite aufprallenden Gasmoleküle einen stärkeren Impuls und üben auch einen stärkeren Rückstoß auf die Flächen aus als die auf die blanken Flächen aufprallenden Teilchen. Auf diese Weise kommt das Rädchen Abb. 584. Radiometer in eine fortlaufende Drehung. Eine Verdünnung des Gasinhaltes ist notwendig, damit die von den Flächen abprallenden Gasmoleküle eine hinreichend große freie Weglänge haben und nicht sofort von den übrigen Gasteilchen wieder auf die Platte zurückgeworfen werden. Durch Anbringen einer geschwärzten Platte an einem mit einer elastischen Rückstellkraft versehenen Arm kann dieser Radiometereffekt auch zu quantitativen Strahlungsmessungen benutzt werden.
Wärmeleitung und Reibung. Darüber hinaus liefert die Berücksichtigung der Zusammenstöße auch eine kinetische Erklärung für die Erscheinung der i n n e r e n R e i b u n g und der W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t eines Gases. Beginnen wir mit der letzteren und betrachten den einfachen Fall der Abb. 585, daß sich ein Gas wischen zwei ebenen Platten befindet, von denen die obere die Tempeatur Tlt die untere die Temperatur T2(T1 > r 2 ) besitzt. Dann geht ein Wärmestrom von der oberen Platte zur unteren, und der ganze Zwischenraum zerfällt in ebene Schichten von konstanter Temperatur, die von oben nach unten linear abnimmt. Nach der kinetischen Theorie ist nun die Temperatur proportional |/iC 2 ; es hat also für die Gasteilchen, die der oberen Wand benachbart sind, c2 den größten Wert, der nach unten hin immer mehr abnimmt, um seinen kleinsten Betrag an der unteren Platte zu erreichen. Ein Molekül also, das von der oberen Wand ins Innere fliegt, hat eine größere kinetische Energie als diejenigen Moleküle, mit denen es zusammenstößt; eben durch die Zusammenstöße aber teilt es ihnen von seiner größeren Energie mit, die gestoßenen Moleküle bekommen also größere Werte von c2, das Stoßende verliert von seinem Anfangswerte. D. h. aber offenbar nichts anderes, als daß durch die Stöße der schnelleren Moleküle auf die langsameren kinetische Energie, d. h. Wärme, von oben nach unten
520
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
transportiert wird. D a s i s t der V o r g a n g der W ä r m e l e i t u n g in k i n e t i s c h e r D e u t u n g . Die rechnerische Verfolgung dieses Gedankens, die wir hier nicht angeben können, liefert für den Koeffizienten A der Wärmeleitung [vgl. S. 480, Gl. (253)]: (276a)
A=
'
fk C
24J/2*
/ bedeutet dabei die Zahl der Freiheitsgrade der Gasmoleküle (/ ist also gleich drei für einatomige, fünf für zweiatomige, sechs für dreiatomige Gase). Allerdings ist diese
7*7
—
T2
Abb. 585. Kinetische Deutung der Wärmeleitung eines Gases
Abb. 586. Kinetische Deutung der inneren Reibung eines Gases
Gleichung nicht ganz streng richtig, sondern es fehlt ein Zahlenfaktor darin, der wegen der Schwierigkeit der Rechnung nicht angebbar ist. Ganz analog ist die Erklärung der i n n e r e n R e i b u n g . In Abb. 586 sei wieder ein Gas zwischen zwei Platten enthalten, von denen die untere ruht, die obere sich mit der Geschwindigkeit C von links nach rechts bewegt. An der oberen Wand bewegt sich also das anliegende Gas mit der Geschwindigkeit C, an der unteren ruht es; die Geschwindigkeit steigt linear von unten nach oben an, so daß das Gas in parallele Schichten konstanter Geschwindigkeit zerfällt (vgl. auch Abb. 301, S. 247). Ein Molekül, das aus dem Innern kommend, mit der oberen Platte zusammenstößt, bekommt durch den Kontakt zu seiner Wärmebewegung noch die gerichtete Geschwindigkeit C dazu, gewinnt also Impuls, den es, von der Wand zurückprallend, an die Moleküle einer tieferen Schicht überträgt. Demgemäß verliert die obere Platte durch jeden Zusammenstoß Impuls, der nach unten hin bis zur ruhenden Platte transportiert wird. Wirkt auf beide Wände keine äußere Kraft, so muß das Ergebnis sein, daß die obere durch den dauernden Impulsverlust zur Ruhe, die untere durch den dauernden Impulsgewinn in Bewegung kommt: Die obere Platte wird verzögert, die untere beschleunigt. Das ist gerade das, was man als die Wirkung der inneren Reibung des Gases bezeichnet; somit haben wir auch eine Deutung dieses Vorganges erhalten. Für den Koeffizienten rj der Zähigkeit liefert die Theorie den Wert: (276 b)
v
=
fic 12 |/2ji
auch in dieser Formel ist ein nicht genau anzugebender Zahlenfaktor hinzuzufügen. Zahlen werte von rj für verschiedene Gase finden sich in der Tabelle auf S. 253. Beide Gleichungen (276) rühren von M a x w e l l her. Sie führen zu einer im höchsten Maße überraschenden Folgerung: Sie enthalten nur Größen, die sich auf das einzelne Molekül beziehen (/, ?,/*)> die universelle B o l t z m a n n s c h e Konstante k und Zahlenfaktoren, a b e r b e m e r k e n s w e r t e r w e i s e t r i t t in b e i d e n die D i c h t e q (bzw. der D r u c k p) des G a s e s n i c h t auf. D a s b e d e u t e t , d a ß n a c h der k i n e t i s c h e n T h e o r i e weder W ä r m e l e i t u n g n o c h Z ä h i g k e i t e i n e s G a s e s von d e r D i c h t e ( o d e r von dem D r u c k ) a b h ä n g e n . Diese auf den ersten Blick äußerst
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
521
unwahrscheinliche Folgerung hat sich durch das Experiment indessen vollkommen bestätigt: Reibung und Wärmeleitung sind für ein Gas bei Atmosphärendruck die gleichen wie bei 1 / 1 0 0 Atmosphäre, wie z. B . für die Reibung die folgende Tabelle nach Versuchen von K u n d t und W a r b u r g für Luft zeigt, in der die 2. Spalte eine der Zähigkeit rj proportionale Größe enthält.
Druck in mm Hg 750 380 20,5 2,4 1,53 0,63
Const. t] 0,0579 0,0586 0,0582 0,0566 0,0556 0,0528
Die Unabhängigkeit der inneren Reibung eines Gases vom Druck läßt sich mit folgender Anordnung zeigen: In einer genau rund ausgeschliffenen Glasröhre R (Abb. 587) befindet sich eine sehr gut gearbeitete Kugel K , deren Abb. 587. Nachweis der Unabhängigkeit Durchmesser nur wenige Tausendstel Millimeter der inneren Reibung eines Gases vom Druck kleiner ist als der Innendurchmesser der Röhre. Ist die Röhre auf beiden Seiten geschlossen, so rollt die Kugel bei schräger Stellung der Röhre nur sehr langsam in derselben herunter, da die von ihr verdrängte Luft infolge der inneren Reibung nur allmählich am Umfang der Kugel vorbei in den darüber befindlichen R a u m entweichen kann. Man kann daher die Zeit, die die Kugel braucht, um eine bestimmte Strecke zwischen zwei Marken M1 und M2 zu durchlaufen, sehr bequem mit einer Stoppuhr messen. Diese Zeit ändert sich nicht, auch wenn man den Druck in der Röhre durch Auspumpen mittels einer Vakuumpumpe auf wenige Torr erniedrigt. Dies ist ein schlagender Beweis dafür, daß die innere Reibung eines Gases vom Druck weitgehend unabhängig ist. Dies überraschende Ergebnis kann man sich durch folgende Überlegung anschaulich machen: Reibung und Wärmeleitung werden durch die Stöße der Moleküle hervorgebracht, und da bei halbem Druck nach Gl. (275a) auch die Zahl der Zusammenstöße auf die Hälfte heruntergeht, sollte man meinen, daß damit auch Reibung und Wärmeleitung abnehmen müßten. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil gleichzeitig die mittlere freie Weglänge l nach (275b) auf den doppelten Wert steigt. Die Zahl der Stöße nimmt allerdings auf die Hälfte ab, aber jeder Stoß transportiert dafür auch den Impuls bzw. die Energie auf die doppelte Strecke. — Wenn allerdings der Druck so niedrig wird, daß die freie Weglänge von der Größenordnung der Gefäßdimensionen wird, so nehmen A und rj rapide zu Null ab; denn nunmehr finden ja innerhalb des zur Verfügung stehenden Raumes keine Zusammenstöße der Moleküle miteinander mehr statt. Diese Erkenntnis ist wichtig, z. B . für die richtige Fabrikation von Dewarschen Gefäßen (Thermosflaschen): Ein schlechtes Vakuum in ihnen setzt die Wärmeleitung überhaupt nicht herab, sie können nur funktionieren, wenn das Vakuum sehr hoch ist. Die obige Darlegung zeigt, daß der Mechanismus von Reibung und Wärmeleitung im Kern der gleiche ist, nur daß bei der Reibung Impuls, bei der Wärmeleitung Energie transportiert wird: Beide Erscheinungen sind „Austauschphänomene" zwischen Molekülen größerer und kleinerer mittlerer Geschwindigkeit c. Dieser innere Zusammenhang zeigt sich auch noch in folgendem: Bildet man den Quotienten — , so erhält man V
X 1 k 1 R j] — 2 /i — 2 fiL ' darin ist fiL die Masse m eines Mols, numerisch also gleich dem Molekulargewicht, so daß weiter folgt: 1 1 ß
X I . Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
522
Rf ist aber — vgl. die Gleichungen (271)
die Molwärme C. bei konstantem Volumen, — also m die spezifische Wärme c„. Berücksichtigt man schließlich noch, worauf vorher hingewiesen wurde, daß die Gleichungen (276) je einen unsicheren Zahlenfaktor enthalten, dessen Quotient auch in die letzte Gleichung eingeht, so erhält man schließlich: (277)
= Const. c„
Auch dieser überraschende Zusammenhang zwischen Wärmeleitung, Wärme hat sich durchaus bestätigt.
Reibung und spezifischer
Endlich ersieht man aus Gl. (276b), daß r) mit der absoluten Temperatur zunehmen muß, da c dies tut. Man kann dies z. B. mit der in Abb. 588 dargestellten Anordnung zeigen, bei der zwei gleiche Kapillarröhren K^ und K i hintereinandergeschaltet sind; am Anfang, in der Mitte und am Ende befinden sich je ein Manometer Mly M2 und M3. Bläst man durch die Kapillaren einen Luftstrom von links nach rechts, so zeigen die Manometer einen linearen Druckabfall an, wie er durch die gestrichelte Linie angedeutet ist. Erhitzt man aber die Kapillare K2, so steigt der Druck im Manometer M , (strichpunktierte Einstellung), woraus hervorgeht, daß der Strömungswiderstand in der erhitzten Kapillare infolge der Erhöhung der Ko Ki inneren Reibung größer geworden ist. Da man von Flüssigkeiten her das umgekehrte Verhalten der Reibungskoeffizienten gewohnt war, stieß auch diese Folgerung zunächst auf Unglauben; aber die Erfahrung hat auch hier die kinetische Theorie bestätigt. M, D i e e x p e r i m e n t e l l e B e s t i m m u n g der Zähigkeit rj n a c h der in Nr. 56 geschilderten Methode ( D u r c h f l u ß m e t h o d e nach Abb. 588. Temperaturabhängigkeit der H a g e n - P o i s e u i l l e ) liefert nun auch das inneren Reibung eines Gases Mittel, u m die freie W e g l ä n g e 7 zu bes t i m m e n . D e n n w e n n m a n a u s (275) u n d (276) den u n b e k a n n t e n Molekülradius r eliminiert, kann m a n für rj schreiben:
M,
Icun r¡ = - r =
(276c)
1 T Q
l c
Darin ist die Zähigkeit durch die D i c h t e g, die mittlere freie W e g l ä n g e l und die m i t t lere Geschwindigkeit ~ ausgedrückt. U n t e r B e n u t z u n g der W e r t e für ~c aus der Tabelle S. 5 1 2 f i n d e n sich folgende Ergebnisse für / und Z bei A t m o s p h ä r e n d r u c k : Gas
Mittlere freie Weglänge l
ZahlZ der Zusammenstöße
Molekülradius r
1,78-10" 6 cm 1,2 — 1,95-10" 8 cm Wasserstoff 9,520-10» sec" 1 Stickstoff 0,95 1,65 — 2,1 4,750 Sauerstoff 1,02 4,160 1,45 — 1,95 — Wasserdampf 0,71 7,980 Kohlendioxyd 0,65 5,530 1,7 — 2 , 3 Schwefeldioxyd 0,47 6,390 — Die Kenntnis der freien Weglänge liefert eine neue Methode, um die ungefähre Größe eines Moleküls, d. h. seinen Radius r zu berechnen. Wenn ein Kubikzentimeter eines Gases, der n Moleküle enthalte, soweit komprimiert wird, daß das Gas in den flüssigen Zustand übergeht, die Moleküle sich also fast bis zur Berührung nähern, so wird in diesem Zustand das Gas annähernd den Raum V' = n^Ttr3 einnehmen. Indem wir den Wert n aus Gl. (275b) berechnen und einsetzen, ergibt sich
oder
r =
3)/2 l 3 j/2 Jy,
wobei also V das Volumen von einem Kubikzentimeter Gas im flüssigen Zustand bedeutet.
101. Molekularkinetische Theorie der Wärme
523
Unabhängig von diesem Verfahren läßt sich der Molekülradius auch aus den Werten der inneren Reibung sowie aus der Konstante b in der van der Waalsschen Gleichung (S. 513) berechnen. Die für verschiedene Gase gefundenen Werte sind in der letzten Spalte der Tabelle mit aufgeführt; sie liegen alle in der Größenordnung von 10~8 cm. Das Gesamtergebnis ist also eine unzweifelhafte Bestätigung der kinetischen Theorie der W ä r m e ; wo sich Abweichungen von der Erfahrung zeigen (Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmen), sind sie nicht dem Grundgedanken der Theorie zur Last zu legen, sondern dem Umstände, daß die klassische Mechanik revisionsbedürftig ist, eine Aufgabe, der sich die Quantentheorie bereits mit großem Erfolge unterzogen hat. Maxwellsches Gesetz der G e s c h w i n d i g k e i t s v e r t e i l u n g . Zum Schlüsse wollen wir die Frage beantworten, wie sich die Geschwindigkeiten zwischen den Grenzen 0 und oo auf die Moleküle 100
90 80
/
70 60 «i 40 ^30 Cr, 8 20
/
\
// /
50
/ t
\
\
\
\ k,
1 1» 2,2 2,4 2,6 2,8 3 0,2 0,4 Oß 0,8 1/1,2)1,4 1,62 1,8 c/C„ > Abb. 589. Maxwellsches Gesetz der Geschwindigkeitsverteilung eines Gases verteilen. Maxwell hat dieses Problem gelöst. Wenn N die Gesamtzahl der Moleküle ist, so fragen wir nach der Zahl AN e von Molekülen, die eine Geschwindigkeit zwischen c und c+ Ac haben. (Wir können nicht fragen, wie groß die Zahl von Molekülen ist, die e x a k t die Geschwindigkeit c besitzen; das könnten wir nur beantworten, wenn wir Lage und Geschwindigkeit aller Moleküle zu einer Zeit kennten; wir können eben deshalb nur eine W a h r s c h e i n l i c h k e i t s a u s s a g e machen, und die Wahrscheinlichkeit, daß ein Molekül haarscharf eine bestimmte Geschwindigkeit besitze, ist gleich Null.) Darauf hat Maxwell die Antwort gegeben: (278a)
ANe
= 4 nc2
Ne
\2nkT/
2kT Ac.
Der rechts stehende Ausdruck hat für ein bestimmtes c, das wir die w a h r s c h e i n l i c h s t e Geschwindigkeit cm nennen wollen, sein Maximum; man findet für cw den Wert:
t
2kT ß
Damit kann man diese Gleichung etwas anders schreiben: (278b)
AN.
A / „va
indem man die Geschwindigkeit c in Vielfachen der wahrscheinlichsten Geschwindigkeit cw aus. ANe drückt; ^^j^gibt die relative Zahl der Moleküle an, denen die Geschwindigkeit zwischen c und N
524 c+
XI. Kapitel.
Mechanische Theorie der Wärme
AN Ac zukommt; 100 ^ c gibt diese relative Zahl in Prozenten an. Trägt man also 4*s 100
*
-
400 / c Y 1
(-) w
\cwl als Ordinate g e g e n — als Abszisse auf, so erhält man die Kurve Abb. 589, aus der hervorgeht, daß c w die Mehrzahl der Moleküle Geschwindigkeiten besitzt, die sich um das Maximum der Kurve herumgruppieren. Das rechtfertigt die vereinfachte Rechnung, die wir hier gegeben haben. Z. B. ist die prozentische Anzahl der Moleküle, deren Geschwindigkeiten um 20% nach oben und unten von der wahrscheinlichsten Geschwindigkeit cm abweichen, durch den Inhalt des Flächenstücks gegeben, das durch die zu den Abszissen 0,8 und 1,2 — gehörenden Ordinaten sowie die zwischen ihnen Ctü liegenden Abschnitte der Abszissenachse und der Kurve begrenzt ist. Das ist angenähert ein Rechteck von der Breite 0,4 und der Höhe 80, also vom ungefähren Flächeninhalt 32; mithin sind rund 32°/ 0 aller Moleküle in diesem Geschwindigkeitsintervalle enthalten. Die Größe c w hängt mit der _ — 2c /— mittleren Geschwindigkeit c durch die Beziehung c = = l,13c,„ zusammen; für ]/c 2 erhält ]/n man die Gleichung: ß = ]/h5cw = 1,225 cw . Für einige Gase sind die Werte von cw in der Tabelle auf S. 512 mitaufgeführt.
102. Perpetuum mobile II. Art; reversible und irreversible Prozesse; Carnotscher Kreisprozeß Das Energieprinzip ist der große Regulator aller Naturvorgänge: E s schließt alle diejenigen Prozesse aus, die mit Vermehrung oder Verminderung der Gesamtenergie verbunden wären. A b e r es g e h e n in d e r N a t u r k e i n e s w e g s a l l e P r o z e s s e v o r s i c h , d i e n a c h d e m E n e r g i e p r i n z i p m ö g l i c h w ä r e n , sondern grob gesprochen, nur etwa die H ä l f t e von ihnen. Ein Beispiel möge dies erläutern. Ein zur Höhe h gehobener Stein von der Masse M repräsentiert eine Energie Mgh] fällt er zur Erde, so gewinnt er kinetische Energie, die unmittelbar vor dem Aufschlagen gleich Mgh ist und durch den Aufschlag vernichtet wird; aber dafür könnte man mit hinreichend feinen Meßinstrumenten nachweisen, daß sowohl der Stein wie die Aufschlagstelle sich erwärmt haben, daß eine Mgh äquivalente Wärme aufgetreten ist. Dieser Prozeß ist etwas Alltägliches. Aber der umgekehrte Vorgang, daß ein ruhig auf dem Boden liegender Stein sich abkühlt und d a f ü r in die Höhe steigt, wird nicht beobachtet, obwohl er nach dem Energieprinzip ebensogut möglich wäre; ja, ein solcher Vorgang scheint uns geradezu ungereimt. Was ist nun das Charakteristische an diesem gedachten, nicht wirklich auftretenden Prozeß ? Allgemein ausgedrückt besteht es darin, daß ein Wärmereservoir (Stein und Boden) sich abkühlt und d a f ü r die äquivalente Hebung einer Last (des Steines) auft r i t t ; sonst ist in der ganzen N a t u r keine Veränderung eingetreten. Wenn ein Prozeß, bei dem nur diese Änderungen in der N a t u r auftreten, existierte, so wäre er freilich kein gewöhnliches P e r p e t u u m mobile; denn die Energie bleibt dabei vollkommen erhalten. Aber er h ä t t e für den Menschen denselben materiellen Vorteil wie ein solches, nämlich kostenlos Arbeit zu liefern. Denn mit einer Maschine, die ihn ausführte, könnte er die ungeheure Wärmeenergie des Meeres und der L u f t direkt in Arbeit umwandeln, indem er das Wasser oder die L u f t a b k ü h l t . Man h a t deshalb einen derartigen gedachten Prozeß ganz passend ein Perpetuum mobile II. Art genannt, im Gegensatz zu dem echten Perpetuum mobile, dem man den Zusatz , , I . A r t " gibt. Nach Ausweis der E r f a h r u n g gibt es auch kein P e r p e t u u m mobile I I . Art; neben
102. Perpetuum mobile II. Art; reversible und irreversible Prozesse
525
den Satz von der Unmöglichkeit eines Perpetuums mobile I . Art tritt daher ein weiterer Satz von ähnlicher Bedeutung und Fruchtbarkeit, den wir folgendermaßen aussprechen: Es gibt keinen Vorgang, der nichts weiter bewirkt, als die Abkühlung eines Wärmereservoirs und die äquivalente Hebung einer Last (Satz von der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile II. Art). Die analytische Formulierung f ü h r t zu dem sogenannten 2. Hauptsatz der Wärmetheorie, ebenso wie der Satz von der Unmöglichkeit eines P e r p e t u u m mobile I. Art zum Energieprinzip (1. H a u p t s a t z ) hinleitete. Dieser Satz ist freilich — im Gegensatz zu dem von der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile I. Art — nicht uneingeschränkt gültig, wie wir später sehen werden. In der Welt der Atome gilt er nicht, und die Brownsche Molekularbewegung läßt uns im Mikroskop Vorgänge beobachten, die im kleinen ein Perpetuum mobile II. Art darstellen. Dennoch kann man mit solchen „mikroskopischen" Prozessen keine Maschine konstruieren, mit der man kostenlos auf die oben geschilderte Weise Arbeit zu gewinnen vermöchte. Deshalb bleiben alle Konsequenzen des Satzes erhalten, und wir können vorläufig von seiner beschränkten Gültigkeit absehen.
Mit dem eben formulierten Satze haben wir die Möglichkeit gewonnen, sämtliche Prozesse in zwei Kategorien einzuteilen, in reversible und irreversible Vorgänge. U n t e r einem i r r e v e r s i b l e n Vorgang v e r s t e h e n wir einen solchen, der auf k e i n e Weise, welche M e t h o d e n u n d A p p a r a t e d a b e i a u c h verw e n d e t w e r d e n m ö g e n , so r ü c k g ä n g i g g e m a c h t w e r d e n k a n n , d a ß k e i n e weiteren V e r ä n d e r u n g e n in d e r N a t u r z u r ü c k b l e i b e n . U n t e r einem r e v e r s i b l e n P r o z e ß d a g e g e n v e r s t e h e n wir einen s o l c h e n , d e r auf i r g e n d e i n e W e i s e so r ü c k g ä n g i g g e m a c h t w e r d e n k a n n , d a ß k e i n e r l e i V e r ä n d e r u n g e n in d e r N a t u r z u r ü c k b l e i b e n . Wir geben einige Beispiele für beides. R e v e r s i b e l sind vor allem die Vorgänge der reinen Mechanik, d. h. diejenigen, bei denen von allen Reibungsvorgängen abgesehen wird. Eine Halbschwingung eines Pendels wird durch die darauffolgende offenbar vollständig rückgängig gemacht. Ü b e r h a u p t ist jeder rein mechanische Vorgang reversibel, da man nur die Richtung der Geschwindigkeit aller Massen umzukehren braucht, damit der Prozeß rückwärts bis zum Anfange durchlaufen wird. Dabei ist es aber keineswegs notwendig, daß der „ R ü c k w e g " derselbe sei wie der „Hinweg". Beispiel d a f ü r ist etwa das konische Pendel: Wenn die an seinem unteren Ende befestigte Masse einen Halbkreis beschrieben hat, so bringt das Durchlaufen der zweiten Kreishälfte das Pendel auf einem anderen Wege wieder in die Ausgangslage zurück. Neben den Prozessen der reinen Mechanik gehören auch die der reinen Elektrodynamik und Optik zu den reversiblen, da auch hier von allen Reibungserscheinungen, die Wärme erzeugen können, abgesehen wird. Schließlich gehören in diese Kategorie die in Nr. 98, S. 493 definierten sogenannten quasistatischen, unendlich langsam verlaufenden Prozesse, d . h . diejenigen, bei denen innerer und äußerer Druck bis auf unendlich Kleines einander gleich sind, und bei denen die Temperaturen der Wärmereservoire sich gleichfalls nur um unendlich wenig von den Temperaturen der die Wärme aufnehmenden oder abgebenden Körper unterscheiden: Eine unendlich kleine Änderung der Drucke und der Temperaturen genügt, um den Prozeß auf dem gleichen Wege rückläufig zu machen. Zu beachten ist dabei — entgegen manchen Darstellungen —•, daß ein quasistatischer Prozeß zwar immer ein reversibler Vorgang ist, ein reversibler aber keineswegs immer quasistatisch zu verlaufen braucht. Reversibilität ist der umfassendere Begriff.
Zu den i r r e v e r s i b l e n Prozessen gehört vor allem die Erzeugung der Wärme durch Reibung, etwa dadurch, daß ein Gewicht in einer zähen Flüssigkeit langsam herabsinkt. Denn wenn man diesen Vorgang rückgängig machen wollte, so bedürfte man gerade einer Maschine, die nichts weiter bewirkt, als Abkühlung der erwärmten
526
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
Flüssigkeit und entsprechende Hebung des herabgesunkenen Gewichtes •— und eine solche wäre die Realisierung eines Perpetuum mobile I I . Art und existiert nicht. Auch der in Nr. 99 erörterte G a y - L u s s a c s c h e Prozeß (adiabatische Ausdehnung eines Gases ins Vakuum) ist irreversibel. Denn man könnte zwar durch einen beweglichen Stempel die Ausdehnung wieder rückgängig machen. Aber dabei erwärmt sich das Gas, und der Stempel ist von seiner ursprünglichen Höhe herabgesunken. Also brauchte man, um auch diese beiden Änderungen noch rückgängig zu machen, wieder ein Perpetuum mobile II. Art. Im wesentlichen identisch damit ist die Diffusion zweier Gase ineinander. Das sind nach dem D a l t o n s c h e n Gesetze zwei gleichzeitig verlaufende G a y - L u s s a c s c h e Prozesse, zu deren völliger Rückgängigmachung wieder ein Perpetuum mobile II. Art gehört. In der Natur können wir nun z . B . Reibung niemals vollkommen ausschließen; die von selbst e i n t r e t e n d e n Prozesse sind also t a t s ä c h l i c h alle i r r e v e r s i b e l , u n d R e v e r s i b i l i t ä t i s t ein i d e a l e r G r e n z f a l l , der nie auftritt; das schließt aber nicht aus, daß wir uns dieses Begriffes bei Gedankenexperimenten bedienen dürfen. E i n i d e a l e r r e v e r s i b l e r P r o z e ß von großer Bedeutung ist der sogenannte Carnotsche Kreisprozeß, der eine Idealisierung der Vorgänge in den thermodynamischen Maschinen (Dampfmaschine, Gasmotor usw.) darstellt und der von S. C a r n o t (1824) erdacht wurde, um die Arbeitsbedingungen solcher Maschinen zu verstehen, insbesondere, um festzustellen, ob und wie ihre Leistung von der Natur der „Arbeitssubstanz" (Wasserdampf, Gas usw.) abhängt. Wir führen ihn mit einem idealen Gase aus, da wir von diesem bereits alle notwendigen Daten kennen; mit einer anderen Substanz können wir ihn nicht berechnen, ehe wir nicht den 2. Hauptsatz der Wärmetheorie kennengelernt haben. Bei diesem C a r n o t s c h e n Kreisprozeß durchläuft das ideale Gas eine Reihe von Zustandsänderungen, in deren Verlauf sowohl Wärmemengen wie auch Arbeit zu- und abgeführt werden. Um uns bequem ausdrücken zu können, wollen wir z u g e f ü h r t e Wärmemengen und Arbeiten mit Q undyl, a b g e g e b e n e dagegen mit Q' und A' bezeichnen. Da eine abgegebene Wärmemenge als negativ zugeführte betrachtet werden kann — das gleiche gilt für die Arbeitsgrößen — so ist natürlich stets Q' = — Q, A' = — A , so daß man nachher alles, wenn man will, durch die z u g e f ü h r t e n Wärmeund Arbeitsgrößen ausdrücken kann. Nach dieser Vorbemerkung wenden wir uns zur Ausführung des C a r n o t - Prozesses; dazu brauchen wir folgende — nur in Gedanken herstellbare — Anordnung (Abb. 590): Ein Mol des gewählten idealen Gases G befinde sich in einem durch einen beweglichen Kolben K verschlossenen Zylinder Z; der Kolben selbst und die Wände des Zylinders seien vollkommene Nichtleiter der Wärme, während der Zylinderboden umgekehrt aus unendlich gut leitendem Material besteht; in Abb.590 ist alles nichtleitendeMaterial schraffiert. Ferner benutzen wir zwei Wärmereservoire, Rl von der höheren Temperatur Tl und R2 von der niedrigeren Temperatur T2; die Reservoire setzen wir als so groß voraus, daß sie beliebige Mengen Wärme aufnehmen oder abgeben können, ohne daß ihre Temperatur sich merklich ändert. Schließlich benutzen wir noch ein Stativ St, das wieder aus völlig nichtleitendem Material besteht. Indem man das Gas mit den Wärmereservoiren R1 und i?2 in Verbindung bringt, kann man Wärme auf dasselbe übertragen oder von ihm abnehmen; indem man den Kolben K sich hereinoder herausbewegen läßt, kann Arbeit von außen zugeführt oder nach außen abgegeben werden. Bringt man schließlich das Gas auf das StativS/, so ist es völlig von der Außenwelt abgeschlossen, und man kann nunmehr durch Bewegen des Kolbens noch adiabatische Prozesse vornehmen. Mit diesen Zurüstungen führen wir folgende 4 Teilprozesse aus, die das Gas im ganzen wieder auf seinen Anfangszustand zurückbringen.
102. Perpetuum mobile II. Art; reversible und irreversible Prozesse
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1. Das Gas habe die Temperatur T1 des Reservoirs R1, ferner das Volumen V1 und den Druck p1. Wir setzen den Zylinder auf Rx, so daß das Gas mit Rx in wärmeleitender Verbindung ist. Indem wir den äußeren Druck stets unendlich wenig kleiner wählen, als den inneren Druck, erreichen wir, daß der Stempel K sich nach außen bewegt, unter Arbeitsleistung gegen den äußeren Druck. Die dabei eintretende Abkühlung wird in jedem Moment kompensiert durch die Wärme, die durch den Boden des Zylinders aus R1 zu dem Gas hinüberströmt, so daß der Prozeß i s o t h e r m verläuft. Nachdem ein bestimmtes Qantum Wärme Q t an das Gas übertragen ist, dieses dafür eine äquivalente Arbeit Ai nach außen geleistet hat, hat es ein größeres Volumen V2 und den kleineren Druck p2 angenommen, aber seine Temperatur T1 beibehalten. 2. Nunmehr heben wir den Zylinder von 7?, ab und setzen ihn auf das Stativ St, so daß das Gas völlig wärmeisoliert ist. Indem wir auch jetzt wieder den äußeren Druck unendlich wenig kleiner machen als den inneren, bewirken wir, daß der Kolben K noch weiter nach außen geht. Diesmal tritt aber eine Abkühlung des Gases ein, da der Vorgang jetzt a d i a b a t i s c h verläuft. Diesen Teilprozeß lassen wir so lange vor sich gehen, bis das Gas die Temperatur T2 des Reservoirs R2 erreicht hat. Wärme ist dem Gas jetzt nicht zugeführt worden, aber es hat wieder einen Arbeitsbetrag A'2 nach außen abgegeben, der auf Kesten der inneren Energie des Gases geleistet wird, die nach Gl. (262a) infolge der Temperatursenkung von Tx auf T2 abgenommen hat; Volumen und Abb. 590. Druck haben die Werte V3 und p3 anPrinzipversuch zum Carnotschen Kreisprozeß genommen.
m •
3. Jetzt bringen wir den Zylinder mit dem Reservoir R2 in wärmeleitende Verbindung und wählen den äußeren Druck unendlich wenig größer als den inneren. Das hat zur Folge, daß der Kolben sich jetzt nach innen bewegt und das Gas komprimiert. Dabei leistet der äußere Druck eine Arbeit As, die dem Gase zugeführt wird; bei der Zusammendrückung würde es sich erwärmen, wenn nicht die Temperaturerhöhung in jedem Augenblick durch Abgabe von Wärme an R2 kompensiert würde: Der Prozeß verläuft wieder i s o t h e r m . Das Gas überträgt auf diese Weise dem Reservoir R2 eine Wärmemenge Q'2, die das Äquivalent der aufgenommenen Arbeit Az ist. Am Ende dieses Teilprozesses hat das Gas seine Temperatur T2 beibehalten, sein Volumen auf Vi verkleinert, seinen Druck auf pi vergrößert. 4. Schließlich setzen wir den Zylinder wieder auf das isolierende Stativ St und lassen den äußeren Druck — nunmehr wieder a d i a b a t i s c h — das Gas soweit zusammendrücken, daß es nicht nur seine Ausgangstemperatur Tx wieder gewinnt, sondern auch die Ausgangswerte von Druck und Volumen px und Vx wieder annimmt. Das kann man stets erzielen, indem man den Teilprozeß 3 im geeigneten Stadium abbricht, d . h . indem man A 3 und Q'2 so wählt, daß die Werte pi und V4 mit den Werten px und Fj auf der gleichen adiabatischen Kurve liegen. Bei diesem Teilprozeß wird dem Gas von außen die Arbeit At zugeführt, die dazu verwendet wird, die innere Energie desselben (infolge der Temperaturerhöhung von T2 auf T,) zu steigern. Wir v e r a n s c h a u l i c h e n uns nun den C a r n o t s c h e n K r e i s p r o z e ß durch e i n e g r a p h i s c h e D a r s t e l l u n g in d e r / > F - E b e n e . Der Anfangszustand des Gases sei in dieser Ebene durch den Punkt A dargestellt, dem also der Druck px, das Volumen Vx, die Temperatur T, zukommen (Abb. 591). A liegt folglich auf der für die Temperatur Tx gültigen Isotherme. Im Teilprozeß 1 wird das Gas isotherm aus-
528
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme
gedehnt, bis sein Volumen V 2 , sein Druck geworden sind (Punkt B). Nunmehr setzt der adiabatische Teilprozeß 2 ein, der das Gas auf der durch B gehenden Adiabate bis zum Punkte C (p3, V3) bringt; da gleichzeitig die Temperatur auf T2 herabsinkt, liegt C auf der zu T, gehörenden Isotherme. Nunmehr wird das Gas wieder isotherm komprimiert, bis der Punkt D (/>4, F 4 ) auf dieser Isotherme erreicht ist, der so gewählt ist, daß nunmehr eine adiabatische Kompression (Teilprozeß 4) unter Temperaturerhöhung auf T1 wieder zum P u n k t e t . (p1, V}) zurückführt. Insgesamt hat das Gas aus den Reservoiren die Wärmemenge
Qi — Ql =
Qi+Q*
aufgenommen; ferner ist ihm von außen ein Arbeitsbetrag —A\—A' 2 + A 3 + A t = A x + A 2 + A 3 + A t zugeführt worden. Diese Größen wollen wir nun im einzelnen berechnen. Da wegen der Temperaturkonstanz auf dem ersten IsothermeniAipifVf) stück sich die Energie U des idealen Gases nicht ändert, gilt nach Gl. (264): Bip2lV2) cLQx = pdV = ^ dV = — dA1 Zj=Const. = +dA[, also nach Integration zwischen den Grenzen und V2: v,
C(p3y3) i H
G
T2 = Const. • ! /
Q l = R T , [ ^ = R T 11 (279a) < V V
F,
Q1 bedeutet dabei die aufgenommene Wärme, A \ die nach außen abgegebene Arbeit; sie ist > 0, da V2 > V1 ist. Da dA[ = pdV ist, so ist die gesamte auf der Isotherme nach außen abgegebene Arbeit in Abb. 591 gegeben durch das Flächenstück A B G E , das von der Isotherme A B , den beiden Loten A E und BG von A und B auf die Abszissenachse und dem Stück EG dieser
Abb. 591. Zustandsdiagramm eines Car not sehen Kreisprozesses
v.
Achse eingeschlossen wird; denn dieser Flächeninhalt ist gleich j p d V . f, 2. Auf der ersten Adiabate ist dQ = 0, also lehrt der 1. Hauptsatz hier:
dü = CvdT = — pdV = dA2 = — dA2, und die Integration liefert für die (gleichfalls nach außen abgegebene) Arbeit: (279b)
A't=
T,
— CvjdT
= — Cv(T2— T J ) ;
A2 ist gleichfalls positiv, da T1 > T2 ist. Analog wie oben wird A durch den Flächeninhalt BCHG dargestellt. Daß die auf diesen beiden Teilstrecken z u g e f ü h r t e n Arbeiten Aj und A2 negativ sind, kommt dadurch zum Ausdruck, daß die beiden Flächenstücke ABGE und BCHG, wie der Carnotsche Prozeß selbst, im Uhrzeigersinne umlaufen werden.
529
102. Perpetuum mobile II. Art; reversible und irreversible Prozesse
3. Auf der zweiten Isotherme T2 ist wieder dU = 0, also wie oben nach (264): RT dQ2 = pdV =
dV = - d A
3
,
und durch Integration folgt: (279c) — q2 = +