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German Pages 630 [632] Year 1945
Lehrbuch der Experimentalphysik ZUM GEBRAUCH BEI AKADEMISCHEN VORLESUNGEN UND ZUM SELBSTSTUDIUM
Von
Dr. L. Bergmann
und
o. Professor an der T e c h n . Hochschule Breslau
Dr. Cl. Schaefer o. Professor an der U n i v e r s i t ä t Breslau
I. BAND
Mechanik . Akustik · Wärmelehre
2. u n d 3., d u r c h g e s e h e n e A u f l a g e
WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN vormals G. J. Gösehen'sche V e r l a g s h a n d l u n g · J. G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g Georg R e i m e r · Karl J. T r ü b n e r · Veit & C o m p .
1945
Alle R e c h t e , insbesondere das der Ü b e r s e t z u n g vorbehalten
Copyright 1945 by W a l t e r de G r u y t e r & Co. vormals G. J. Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g — J. G u t t e n t a g , \"erlagsb u c h h a n d l u n g — Georg R e i m e r — Karl J . T r ü b n e r — Veit & Comp.
Berlin W 35, Woyrschstraße 13 Archiv-Nr. 52 7 9 + 5 P r i n t e d in G e r m a n y D r u c k von W a l t e r de G r u y t e r & Co., Berlin
Vorwort Das Lehrbuch der Experimentalphysik, dessen erster Teil wir hiermit der Öffentlichkeit übergeben, soll die Physik etwa in dem Umfange und in der Art behandeln, wie es in den akademischen Vorlesungen der Verfasser geschieht; seiner H a l t u n g nach soll es ein elementares, f ü r den Anfänger bestimmtes Buch sein. Darin liegt ausgesprochen, daß es in mehrfacher Hinsicht ein Kompromiß sein m u ß . Einmal soll es natürlich nichts Unrichtiges, Unvollständiges und Unexaktes enthalten, zum anderen aber den Lernenden nicht zu viel mit Problematik belasten, — beide Forderungen widerstreben einander bis zu einem gewissen Grade. Ferner soll die Darstellung einerseits mit möglichst wenig mathematischem Formalismus auskommen, anderseits trotzdem exakt und prägnant sein: auch zwischen diesen Forderungen besteht eine deutliche Spannung. Schließlich wendet sich unser Buch an die vielgestaltige Hörerschar, die die Vorlesung über Experimentalphysik besucht: Physiker, Mathematiker, Chemiker, Pharmazeuten, Mediziner, Biologen, Ingenieure. Auch hier muß zwischen den verschiedenen Bedürfnissen dieser Berufe ein Ausgleich gefunden werden. — Man kann diesen Widerstreit in der T a t bei allen elementaren Lehrbüchern der Physik beobachten, und es ist lehrreich zu sehen, wie die Verfasser sich — je nach Neigung, Temperament u n d Lehrerfahrung — im konkreten Falle damit abfinden. I n unserm Buch ist eine straffere Systematik durchgeführt, als in den meisten elementaren Lehrbüchern. Damit wollen wir nicht sagen, daß diese Anordnung auch unter allen Umständen in der Vorlesung zweckmäßig sei: im Gegenteil wird m a n in der Vorlesung oft von einer rein logisch-sachlichen Anordnung abweichen können und müssen; aber um so notwendiger erscheint es uns, dem Lernenden zur Ergänzung der Vorlesung ein Buch in die H a n d zu geben, in dem das Vorgetragene sich an der ihm sachlich zukommenden Stelle befindet. Durch besonderen Druck sind einerseits fundamentale Tatsachen u n d Lehrsätze hervorgehoben, anderseits weitergehende Ausführungen und manche Rechnungen in Kleindruck gesetzt, die beim ersten Studium überschlagen werden können. — Die mathematischen Hilfsmittel gehen an keiner Stelle über das hinaus, was auf den höheren Schulen gelehrt wird; infolgedessen haben wir kein Bedenken getragen, in mäßigem Umfange die Elemente der Infinitesimalrechnung zu benutzen. Aus dem gleichen Grunde m u ß t e n wir aber zu unserm Bedauern darauf verzichten, die Vektorrechnung s y s t e m a t i s c h zu verwenden; nach unserer Erfahrung würde dadurch das Buch für viele ungenießbar geworden sein. Eine Änderung dieses Zustandes ist unseres Erachtens erst dann zu erhoffen, wenn die Vektorrechnung auf den höheren Schulen gründlich behandelt wird; es ist vielleicht nützlich, dies einmal mit Nachdruck auszusprechen. — Der Text ist mit Absicht ausführlich gehalten, damit die leitenden Gedanken überall möglichst deutlich und a r schaulich hervortreten.
Vorwort
IV
Trotz dem Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der verschiedenen Berufe ist es unvermeidlich, daß mancher in unserem Buch Dinge vermißt, die er in seinem späteren Berufe „nötig" habe, mancher anderseits Dinge findet, die f ü r seinen Beruf „ u n n ö t i g " seien. Wenn m a n diese Auffassung ernst nähme, würde sie bedeuten, daß man f ü r jede der genannten Fachgruppen ein besonderes Lehrbuch schreiben (und eine besondere Vorlesung halten) müßte. Aber dies entspricht der Auffassung der Fachschule, nicht dem Geist der Hochschule. Wir haben uns deshalb von der Überzeugung leiten lassen ; daß unser Buch — wie die Vorlesung über Experimentalphysik — die Darlegung eines wissenschaftlichen Systems bezweckt, u n d daß man aus einem solchen nicht beliebige Stücke in usum delphini herausbrechen k a n n . — Manchen Fachgenossen haben wir f ü r freundlichen R a t zu danken, insbesondere Herrn Kollegen Prof. W. H ü c k e l , an dessen Darstellung in seinem Lehrbuch der anorganischen Chemie wir uns in Nr. 65 (Atome und Moleküle, Atomgewicht u n d Molekulargewicht) mit seiner freundlichen Erlaubnis anschließen durften. Ganz besonderen Dank schulden wir Herrn Studienrat Dr. W. K l i e f o t h , Lehrbeauftragten f ü r Schulphysik an den Breslauer Hochschulen; er h a t nicht nur das Manuskript und die Korrektur kritisch gelesen, sondern uns auch ständig mit seiner großen Unterrichtserfahruna; unterstützt. B r e s l a u , im März 1043
L. Bergmann
Cl. Schaefer
Vorwort zur 2. und 3. Auflage Die 1. Auflage ist seit mehr als Jahresfrist vergriffen; besondereUnistände verhinderten einen sofortigen Neudruck, sodaß die 2. u n d 3. Auflage erst jetzt erscheinen kann. Sie ist im Wesentlichen ein Abdruck der 1. Auflage, jedoch von Druckfehlern und kleineren Versehen gereinigt. Zahlreichen Fachgenossen sind wir für freundliche Hinweise sehr d a n k b a r ; wenn sie nicht alle berücksichtigt werden konnten, so liegt dies nichtan mangelndem guten Willen, sondern an den Zeitumständen. Dem Verlag schulden wir besonderen D a n k für die Energie und Umsicht, mit der er trotz dieser ungünstigen Bedingungen die neue Auflage fertiggestellt h a t . B r e s l a u , im Dezember 1944
L. Bergmann
Cl. Schaefer
Inhaltsüb ersieht Seite
Einleitung
1
M e c h a n i k u n d Akustik I. Kapitel. Maß und Messen 1. 2. 3. 4. 5.
Längen messungen Winkelmessungen Bestimmung von Massen Flächen- u n d Raummessungen Zeitmessung
..
6 11 12 13 15
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
Absolute und relative R u h e und Bewegung; Begriff des Massenpunktes Gleichförmig geradlinige Bewegung; Begriff der Geschwindigkeit Geschwindigkeit bei ungleichförmiger Bewegung Begriff der Beschleunigung bei geradliniger Bewegung Zusammensetzung u n d Zerlegung von Bewegungen; Parallelogramm der Bewegungen. . Krummlinige Bewegung; allgemeine Definition der Beschleunigung I'allgesetze Wurfbewegung; vertikaler, horizontaler und schiefer Wurf Trägheit; erstes N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Kraftbegriff; zweites N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Zusammensetzung und Zerlegung von K r ä f t e n . Messung von K r ä f t e n Gewicht; träge und schwere Masse Stoß, S t o ß k r a f t , I m p u l s D ' A l e m b e r t s c h e s Prinzip; Trägheitskräfte Begriff der Arbeit und der Leistung Potentielle u n d kinetische Energie; E r h a l t u n g der Energie
18 20 22 23 24 27 31 35 39 41 44 48 51 52 56 60
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpiinkten 22. 23. 24. 25.
Drittes N e w t o n s c h e s Bewegungsgesetz Erster Impulssatz; E r h a l t u n g des Impulses eines freien Systems Massenmittelpunkt (Schwerpunkt); erster Impulssatz; Schwerpunktssatz Bewegungsmöglichkeiten (Ereiheitsgrade) von Systemen, insbesondere starren Systemen; Translation u n d R o t a t i o n 26. Trägheitsmoment (Drehmasse); Satz von S t e i n e r 27. Drehmoment (Drehkraft); Drehimpuls 28. Zweiter Impulssatz (Drehimpulssatz)
64 67 69 74 76 81 87
VI
In Ii altsüb ersieht IV. Kapitel. Anwendungen auf spezielle Bewegungen Seite
29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Zentripetal- u n d Zentrifugalkraft 94 Planetenbewegung, K e p l e r sehe Gesetze, Gravitation 99 Potential. F e r n k r ä f t e u n d N a h e k r ä f t e (Feldkräfte) 106 System der K r ä f t e am starren Körper; K r ä f t e p a a r 114 Mittelpunkt paralleler K r ä f t e ; Beziehung zum Schwerpunkt, Bestimmung des Schwerpunktes 120 Verschiedene F o r m e n des Gleichgewichtes; Standfestigkeit 125 Prinzip der virtuellen Verrückungen; die einfachen Maschinen 129 Pendelbewegung; konisches, mathematisches u n d physisches Pendel 136 Schwingungen; Zusammensetzung von Schwingungen 142 G e d ä m p f t e Schwingungen; freie und erzwungene Schwingungen, Resonanz 160 Bewegungen u m permanente (freie) Achsen; Kreiselgesetze 168 Die E r d e als rotierendes System; Mach weis der Erddrehung 177 Reibung fester Körper 185 V. Kapitel. Elastizität fester Körper
42. Die Kennzeichen des festen Aggregatzustandes 43. Begriff der elastischen Spannungen; Normal- und Tangentialspannungen; H o o k e s c h e s Gesetz 44. Reine Volumelastizität u n d reine Schubelastizität 45. Einseitige Dehnung; Biegung 46. Proportionalitäts-, Elastizitäts-, Fließgrenze; Festigkeit, H ä r t e 47. Stoßgesetze
194 197 199 203 209 212
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64.
Allgemeine Charakterisierung des flüssigen u n d gasförmigen Aggregatzustandes Verteilung des Druckes in schwerelosen Flüssigkeiten und Gasen Kompressibilität der Flüssigkeiten und Gase Die der Schwere unterworfene Flüssigkeit; Boden-, Seiten- u n d Aufdruck Die der Schwere unterworfenen Gase; der L u f t d r u c k und seine Wirkungen Archimedisches Prinzip Das Schwimmen eines Körpers; Metazentrum Allgemeines über strömende Flüssigkeiten Experimentelle Bestimmung der Zähigkeit: Gesetz von H a g e n - P o i s e u i l l e und von S t o k e s ; Widerstandsziffer, R e y n o l d s c h e Zahl Strömungsformen idealer Flüssigkeiten; wirbelfreie und wirbelnde Bewegung Kontinuitätsgleichung; B e r n o u l l i s c h e s Theorem; Druckmessung in bewegten Flüssigkeiten · U m s t r ö m u n g fester Körper durch ideale Flüssigkeiten; Stromlinienkörper; Magnuseffekt Wirbelbewegungen U m s t r ö m u n g fester Körper durch reale Flüssigkeiten Auftrieb u n d Widerstand eines Tragflügels;' Motorflug, Gleitflug, Segelflug Turbulenz Wasserkraftmaschinen
216 218 221 225 231 238 243 246 249 256 259 268 275 280 284 290 293
VII. Kapitel. Molekularphysik 65. Atome u n d Moleküle; Atomgewicht und Molekulargewicht; A v o g a d r o s c h e Hypothese 297 66. Allgemeines über Molekularkräfte; Wirkungssphäre; Adhäsion und Kohäsion 303
Inhaltsübersicht
VII Seite
67. 68. 69. 70. 71.
S t r u k t u r der festen K ö r p e r ; Kristalle u n d Kristallsysteme Oberflächenspannung Kapillarität Lösungen B r o w n s c h e Molekularbewegung, Diffusion, Osmose
304 311 321 326 330
VIII. Kapitel. Allgemeine Wellenlchre 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
Entstehung von Wellen aus Schwingungen; Grundbegriffe Interferenz; stehende Wellen; Kohärenz, Inkohärenz Polarisation v o n Transversalwellen Fortpflanzungsgeschwindigkeit elastischer Wellen H u y g h e n s - F r e s n e l s c h e s Prinzip Reflexion u n d Brechung nach der Wellentheorie D o p p l e r s c h e s Prinzip
IX. Kapitel. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91.
338 347 358 359 362 369 373
Akustik
Die Schallempfindungen u n d ihre physikalische Ursache; Charakteristika des Klanges Schallausbreitung; Reflexion, Brechung, Absorption Lineare Schallgeber Flächenhafte und räumliche Schallgeber Ultraschallgeber Bestimmungsstücke und Meßgrößen des Schallfeldes Schallempfänger; Messung der Schallfeldgrößen O h m - H e l m h o l t z s c h e s Grundgesetz der physiologischen Akustik; Resonanztheorie des Hörens Sekundäre Klangerscheinungen: Schwebungen, Kombinationstönc, Variationstöne. . . Mechanische Wirkungen des Schalles , Gliederung des musikalischen Tonbereiches; Konsonanz, Dissonanz, Tonleiter Das menschliche Stimmorgan; N a t u r der Vokale Das menschliche Gehörorgan und seine Funktionsweise
376 380 389 407 413 415 420 423 425 432 435 441 444
Wärmelehre X. Kapitel. Temperatur und Wärmemenge 92. 93. 94. 95. 96. 97
Grundbegriffe: T e m p e r a t u r ; Thermometrie Ausdehnung fester u n d flüssiger Körper Ausdehnung der Gase; Zustandsgieichung; absolute Temperatur Wärmenge Spezifische W ä r m e Übertragung der W ä r m e (Wärmeleitung, Konvektion, Strahlung)
450 455 462 470 475 479
XI. Kapitel. Mechanische Theorie der Wärme 98. Wärme als Energieform; allgemeines Energieprinzip; erster H a u p t s a t z der Wärmetheorie 487 99. Spezielle Prozesse mit idealen Gasen 496 100. Thermochemische Theorie der W ä r m e 504
VIII
Inhaltsübersicht Seite
101. Molekularkinetischc Theorie der Wärme 508 102. P e r p e t u u m mobile zweiter A r t ; reversible und irreversible Prozesse; C a r n o t s c h e r Kreisprozeß 524 103. Zweiter H a u p t s a t z der Wärmetheorie 531 104. Entropie; Prinzip von der Vermehrung der Entropie 536 105. Freie u n d gebundene Energie; chemische Affinität 541 106. H e l m h o l t z s c h e Gleichung; N e r n s t s c h e s Wärmetheorem 544 107. Änderung des Aggregatzustandes: Verdampfung und Verflüssigung 550 108. Änderung des Aggregatzustandes: Schmelzen u n d Sublimieren 580 109. Zustandsdiagramm; Phasenregel 586 110. Herstellung tiefer Temperaturen; technische Verflüssigung von Gasen 590 111. Thermodynamische Maschinen 594 112. Molekularkinetische D e u t u n g des zweiten H a u p t s a t z e s . 606 Namen- und Sachverzeichnis
613
Einleitung Das primär Gegebene für den Menschen sind seine Sinnesempfindungen. Erst von diesen aus schließt er auf die Existenz einer Außenwelt, die unabhängig von ihm „objektiv" da ist. Rein logisch betrachtet mag dieser Schluß nicht zwingend und die Voraussetzung von der objektiven Existenz einer Außenwelt nichts als eine naheliegende Hypothese sein. In der Tat hat es Philosophen und philosophische Systeme gegeben, die die reale Existenz der Außenwelt leugneten. Aber für den Naturforscher ist die Existenz einer solchen eine unabdingbare Voraussetzung; denn diese Außenwelt ist das Objekt der Naturforschung. Insbesondere haben Physik und Chemie als Zweige der exakten Naturwissenschaft die Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen den Geschehnissen der Außenwelt festzustellen. Die erste Schwierigkeit, die sie dabei antreffen, ist darin begründet, daß wir von der Außenwelt nur Kunde erhalten durch unsere Sinne. „In unserem Bewußtsein", sagt H e i n r i c h H e r t z , „finden wir eine innere geistige Welt von Anschauungen und Begriffen, außerhalb unseres Bewußtseins liegt fremd und kalt die Welt der wirklichen Dinge. Zwischen beiden zieht sich als schmaler Grenzstreifen das Gebiet der sinnlichen Empfindung hin. Kein Verkehr zwischen beiden Welten ist möglich als über diesen Grenzstreifen hinüber; keine Änderung in der Außenwelt kann sich uns bemerklich machen, als indem sie auf ein Sinnesorgan wirkt und Kleid und Farbe dieses Sinnes erborgt, keine Ursache unserer wechselnden Gefühle können wir uns in der Außenwelt vorstellen, als nachdem wir denselben, wenn auch noch so ungern, sinnliche Attribute beigelegt haben. Von höchster Wichtigkeit für jede Erkenntnis der Welt ist es also, daß uns jener Grenzstreifen gründlich bekannt ist, damit wir nicht das, was ihm angehört, für das Eigentum der einen oder der anderen der durch ihn geschiedenen Welten halten." Die Erforschung der Eigenschaften unserer Sinnesorgane ist die Aufgabe der Physiologie; sie ermöglicht uns, von unserer Wahrnehmung das abzuziehen, was auf die Rechnung der Sinnesorgane selbst kommt und so daraus zu schließen, was in der Außenwelt vor sich geht, auch wenn kein Ohr und kein Auge, überhaupt kein wahrnehmender Mensch vorhanden wäre. Schon die hier angedeutete Trennung ist nicht immer einfach, und es hat lange Zeit gedauert, bis die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Unterscheidung Allgemeinbesitz der Forschung wurde. Ein schlagendes Beispiel dafür ist der berühmte Streit zwischen Goethe und den Physikern über die Natur des Lichtes und der Farben. Goethes Versuche sind in sich richtig, wertvoll und einwandfrei; aber es sind Versuche, die der physiologischen Optik angehören, während die bekannten Versuche Newtons und der Physiker, weißes Licht in die Spektralfarben zu zerlegen, in die p h y s i k a l i s c h e Optik gehören. Daher die richtige Behauptung der Physiker, das weiße Licht sei etwas Kompliziertes, in ihm seien die Farben des Spektrums „enthalten", und anderseits die nicht weniger richtige Behauptung Goethes, die Empfindung „Weiß" sei eine e i n f a c h e , ebenso einfach wie die Empfindung Rot, Grün oder Blau. Der leidenschaftliche Protest Goethes gegen die unsinnige Behauptung der Physiker geht ebenso an dem wirklichen Sachverhalt vorbei wie die Ablehnung der Anschauung Goethes von Seiten der Physiker: Es ist durchaus miteinander verträglich, daß etwas, was unseren Sinnen, d. h. physiologisch, einfach erscheint, physikalisch etwas höchst Komplexes ist und umgekehrt. Heute B e r g m a n n u. S c h a e f e r , Experimentalphysik. I . 2. u. 3. Aufl.
1
2
Einleitung
ist dieser Sachverhalt allgemein anerkannt, und es wird deutlich zwischen physikalischer und physiologischer Optik oder Akustik unterschieden. Wir haben es im allgemeinen hier nur mit ersteren zu tun. Während so die Aufgabe der Physik und Chemie wenigstens begrifflich gegen die der Physiologie klar abgegrenzt ist, ist eine Gebietsabgrenzung zwischen diesen beiden Wissenschaften selbst schwieriger. Man kann etwa sagen, daß die Physik es mit den a l l g e m e i n e n Charakteren der Naturerscheinungen zu tun hat, d. h. denjenigen, die unabhängig von dem spezifischen Charakter der Stoffe sind, während die Chemie es umgekehrt vorzugsweise mit den Erscheinungen zu tun hat, die auf der s p e z i f i s c h e n Natur der Stoffe beruhen. Die Physik behandelt demgemäß die Erscheinungen, bei denen es sich nicht um Änderungen in der Zusammensetzung der betrachteten Körper handelt, die Chemie dagegen hat es mit Vorgängen zu tun, bei denen solche Änderungen die entscheidende Rolle spielen. Doch ist nicht aus dem Auge zu verlieren, daß diese Abgrenzung nur eine schematische ist, und daß in Wirklichkeit die moderne Physik und die neuere Chemie immer mehr zu einer sachlichen Einheit verschmelzen, und daß sie nur infolge des ungeheuren Stoffumfanges, d. h. aus rein praktischen Gründen, getrennt werden. Die Aufgabe der exakten Naturforschung, insbesondere der Physik, ist nicht nur die Feststellung der bloßen Tatsachen in der äußeren Welt, sondern vor allem der sinnvollen Verknüpfung derselben miteinander, die Aufzeigung ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Abhängigkeit. Das heißt: Wir fassen die Geschehnisse als im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehend auf. Der Zwang zu solcher Anordnung der Dinge ist in einer Uranlage des menschlichen Geistes begründet und wird Kausalgesetz oder Kausalitätsprinzip genannt. Ohne Zugrundelegung desselben wäre nicht der einfachste Schluß möglich. Das Kausalgesetz ist also die V o r a u s s e t z u n g für die Möglichkeit einer Naturforschung überhaupt, und es wäre ein Mißverständnis zu glauben, daß es empirisch begründet oder widerlegt werden könnte. Man kann daher etwas konkreter als vorher sagen: Die Aufgabe der Physik besteht in der Herstellung eines kausalen Zusammenhanges zwischen den Tatsachen. Damit dies möglich ist, müssen die Vorgänge in bestimmter Weise geordnet werden. Es liegt nun wiederum in der Organisation des Menschen begründet und ist infolgedessen unausweichlich, daß wir alles nur in den Kategorien „ R a u m " und „ Z e i t " zu begreifen vermögen. Ein Ereignis findet stets an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit statt. Dinge, die sich dieser Einordnung entziehen, gehören nicht vor das Forum der Physik, und die Behauptung, es gäbe physikalische Vorgänge, die nicht in Raum und Zeit begreiflich wären, heißt so viel, als zu erklären, daß sie für uns überhaupt unbegreiflich seien. Aber die selbstverständliche Voraussetzung, die wir machen müssen, wenn wir an den Versuch gehen, eine Physik zu begründen, ist die der „Begreiflichkeit" der Natur. Dazu gehört vor allen Dingen die Einordnung in die Kategorien „Raum" und „Zeit" und darüber hinaus noch die Aufstellung einer großen Zahl von weiteren Begriffen, mit deren Hilfe eben die kausale Ordnung des Naturgeschehens, d. h. das „Begreifen" derselben gelingt. Denn Begreifen heißt Begriffe bilden. Die systematische Entwicklung dieser Begriffe wird gehörige^ Ortes erfolgen. Hier müssen wir uns nur noch genauer mit Baum und Zeit befassen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Kritik unseres Raum- und Zeiterlebnisses selbst — das wird in der Physik als gegeben vorausgesetzt — sondern um die Möglichkeit, in Raum und Zeit messend vorzugehen; sonst ist nämlich die geforderte quantitative Darstellung physikalischer Vorgänge nicht möglich. Die Eigenschaften des R a u m e s werden durch die Axiome der Geometrie bestimmt. Es gibt aber nicht nur eine, sondern mehrere voneinander verschiedene Geometrien, und es erhebt sich die Frage, welche von ihnen die dem physikalischen Raum adäquate ist. Diese Frage kann nur e m p i r i s c h entschieden werden, im Gegensatz zu K a n t s Meinung, der die Gültigkeit der sogenannten
Einleitung
3
euklidischen Geometrie als a priori feststehend betrachtete. Man kann sagen, daß im allgemeinen alle Erfahrungen mit der Auffassung verträglich sind, daß unser Raum tatsächlich durch die euklidische Geometrie bestimmt wird (der einzige Fall, in dem dies nicht zuzutreffen scheint, wird später erörtert werden und kann vorläufig außer Betracht bleiben). Wir nehmen also folgendes an: Der leere Raum ist unendlich ausgedehnt, eben, homogen und isotrop. Unter Ebenheit des Raumes verstehen wir die Tatsache, daß unendlich ausgedehnte Geraden und Ebenen in ihm enthalten sind; homogen nennen wir ihn deshalb, weil jeder Punkt des Raumes von jedem anderen ununterscheidbar ist, und isotrop heißt er, weil alle durch einen Raumpunkt gelegten Richtungen gleichwertig sind. Schließlich ist der Raum dreidimensional, d. h. in jedem seiner Punkte können drei und nur drei aufeinander senkrechte Geraden errichtet werden, oder was dasselbe ist: wir können drei zueinander senkrechte Richtungen in jedem Punkte unterscheiden: links—rechts, oben—unten, vorne—hinten. Auf der Ebenheit des Raumes beruht die Möglichkeit, ihn durch starre Maßstäbe auszumessen; denn weil er eben ist, können diese, ohne eine Deformation zu erfahren, von einem Orte zu jedem anderen hin bewegt werden1). Wie die Raumausmessung im einzelnen praktisch -geschieht, wird in Kapitel I auseinandergesetzt. Die Z e i t ist im Gegensatz zum Räume eine eindimensionale Mannigfaltigkeit; in ihr gibt es nur Vergangenheit und Zukunft, die durch einen „Zeitpunkt", die Gegenwart, geschieden werden. Wie der Raum, so muß auch die Zeit gemessen werden; wie diese Messung mit Uhren — nach Festlegung einer Zeiteinheit — geschieht, wird gleichfalls im I. Kapitel erörtert. Hier sei nur auf einen besonderen Punkt aufmerksam gemacht: An einem gegebenen Orte des Raumes ist es verhältnismäßig einfach, die Zeit zu messen, d. h. durch eine Zahlenangabe zu charakterisieren. Es besteht aber die Aufgabe, diese Zeitangabe an alle Punkte des Raumes zu übermitteln, d. h. ihr einen allgemein verbindlichen Sinn zu geben. Die klassische Physik hat ohne weiteres angenommen, daß dies möglich sei; ihre Zeitangaben machen daher den Anspruch, u n i v e r s e l l zu sein. Erst die moderne Physik hat erkannt, daß hier ein P r o b l e m vorliegt; in der Optik werden wir darauf zurückkommen. Vorläufig halten wir an der klassischen Auffassung der universellen Zeit fest. Da die Kunde von der Außenwelt nur durch die Sinnesorgane in unser Bewußtsein gelangt, ist es natürlich, daß die ursprüngliche E i n t e i l u n g der P h y s i k in Einzeldispositionen nach den Sinnesorganen erfolgte. Der Gehörsinn reagiert auf Vorgänge, die unter dem Namen „Akustik" zusammengefaßt wurden, ebenso wie das Auge zur Abgrenzung eines Kapitels „Optik" Veranlassung war. Die „Wärmelehre" umfaßte die Erscheinungen, die durch den Wärmesinn bemerkt wurden, die „Mechanik" ist der Inbegriff der Vorgänge, die auf den Tast- und Muskelsinn einwirken. In dieser Einteilung der Physik nach den Sinnesorganen des Menschen zeigt sich deutlich ihr anthropomorpher Ursprung, und die gleiche Herkunft weisen ihre einfachsten und grundlegenden Begriffe auf. Der physikalische Begriff der „ K r a f t " ζ. B . kommt unzweifelhaft von dem Gefühl der Muskelanstrengung her, ebenso wie der physikalische Begriff der „Arbeit" von dem Gefühl der Ermüdung usw. Aber im Verlauf der weiteren Entwicklung der Wissenschaft werden diese Begriffe, die der Sprache des täglichen Lebens entnommen sind, immer mehr verfeinert und präzisiert, so daß sie stets einen ganz bestimmten Sinn besitzen, während die gleichen Worte im Leben deutliche Schwankungen und Ungenauigkeiten ihrer Bedeutung aufweisen. So entfernt sich schließlich die wissenschaftliche Sprache immer mehr von der des Alltages und muß dies tun, da sie sonst ihren Zweck nicht erfüllen könnte. Nur Unverstand kann aus dieser notwendigen Entwicklung einen Vorwurf gegen die Wissenschaft herleiten. Wir werden an verschiedenen Stellen Gelegenheit haben, diesen allmählichen SubliJ ) Dies wäre auch noch „möglich, wenn er eine konstante Krümmung besäße, wie das Beispiel der Kugeloberfläche zeigt.
1*
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Einleitung
mierungsprozeß festzustellen und seine absolute Notwendigkeit zu erkennen. Ihre höchste Vollendung, aber freilich auch die stärkste Abstraktion erreicht die wissenschaftliche Sprache in der Verwendung der mathematischen Symbole und des mathematischen Algorithmus. Es ist nur eine natürliche Folge dieses Prozesses, daß sich allmählich die Grenzen der ursprünglichen Einteilung verschoben haben. Nachdem ζ. B. in der Akustik festgestellt war, daß einem wahrgenommenen Klange in der Außenwelt eine periodische Luftbewegung entspricht, hat man alle diese periodischen Vorgänge, ganz gleichgültig, ob sie hörbar sind oder nicht, mit in die Akustik aufgenommen. Und in der Optik umfassen diejenigen Wellen, die in uns einen Lichteindruck hervorrufen, nur einen winzigen Bruchteil derjenigen, auf die unser Auge nicht reagiert. Hand in Hand damit hat die alte Einteilung der Physik einer anderen Platz gemacht. Die drei früher getrennten Gebiete der Mechanik, Akustik und Wärmelehre sind nunmehr in ein einziges verschmolzen, die beiden letzteren nämlich sind in der Mechanik aufgegangen; ebenfalls hat sich die Optik als ein Teilgebiet der Elektrizitätslehre herausgestellt. Um die Vereinigung der nunmehr entstandenen zwei großen Gebiete ist die Physik dauernd bemüht, ohne daß sie bisher befriedigend gelungen wäre. Das Material für die Physik liefert die B e o b a c h t u n g . Aber nicht die bloße Beobachtung von selbst ablaufender Naturvorgänge, wie sie der Astronom am gestirnten Himmel anstellt, ist das Wesentliche, sondern die planmäßige Anstellung von Versuchen unter einfachen, übersichtlichen und reproduzierbaren Bedingungen, kurz: das E x p e r i m e n t . Aber was ist planmäßig ? Was einfach und übersichtlich ? Diese Prädikate sind ja relativ; was von einem Standpunkt als einfach und übersichtlich erscheint, braucht es unter anderem Gesichtswinkel nicht zu sein. Daraus geht hervor, d a ß s i n n v o l l e s E x p e r i m e n t i e r e n n u r m ö g l i c h i s t in V e r b i n d u n g m i t e i n e r t h e o r e t i s c h e n V o r s t e l l u n g , in Verbindung mit einer von bestimmten Gesichtspunkten aus an die Natur gestellten Frage. Die rohe Empirie ist keine Erkenntnisquelle der Physik, eine Einzeltatsache bleibt eine Einzeltatsache, auch wenn sie tausendmal beobachtet ist. Erst ihre Interpretation in einem Systemgedanken macht die Empirie fruchtbar. So muß gleich Hand in Hand mit den ersten Beobachtungen eine gedankliche Verarbeitung gehen, die dann zu planmäßigen weiteren Experimenten Veranlassung gibt. Diese regen neue Fragestellungen an, die durch neue Versuche beantwortet werden, und so gelingt es allmählich, immer neue Tatsachen unter einem Gesichtspunkt zusammenzufassen, indem man vom Speziellen zum Allgemeineren fortschreitet. Dieses Verfahren nennt man I n d u k t i o n , und so ist denn die P h y s i k e i n e i n d u k t i v e W i s s e n s c h a f t . Es ist ein langer, mühsamer Weg, der zurückgelegt werden muß, bevor es gelingt, alle Tatsachen eines Gebietes unter einem einzigen oder einigen wenigen allgemeinen Gesichtspunkten zusammenzufassen, und da der Aufstieg vom Speziellen zum Allgemeinen nicht eindeutig ist, so sind natürlich Irrwege keineswegs ausgeschlossen. Gerade durch die Methode der Physik aber werden diese über kurz oder lang als solche erkannt. Denn wenn etwa an einem bestimmten Punkte der Wissenschaftsentwicklung eine falsche Verallgemeinerung gemacht worden ist, so zeigt sich dies unweigerlich daran, daß gewisse Folgerungen aus derselben dem Experiment nicht standhalten. So gilt zwar auch hier, daß der Weg des Fortschritts mit Irrtümern gepflastert ist, aber es findet wirklich ein Fortschreiten statt. Ist endlich das Ziel der Zusammenfassung aller Tatsachen erreicht, so hat man die „Grundgesetze" des betreffenden Gebietes gewonnen. Die ältesten Tatsachen der Mechanik ζ. B. stammen schon aus dem griechischen Altertum, aber erst G a l i l e i und N e w t o n gelang die Formulierung der mechanischen Grundgesetze. Nachdem diese einmal erlangt sind, kann man nunmehr durch D e d u k t i o n die Gesamtheit der Tatsachen aus ihnen ableiten. Es versteht sich, daß die Beobachtung eines Experiments kein bloßes Betrachten seines Ablaufes ist, sondern eine quantitative Verfolgung der einzelnen Vorgänge. Es ist
Einleitung
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daher eine der Hauptaufgaben des Physikers, M e s s u n g e n anzustellen; diese erst liefern das Material für die weitere Bearbeitung. Dabei ist es ganz im Sinne der vorhin geschilderten Wegentwicklung der Physik von ihrem anthropomorphen Ursprünge, daß bei den Messungen die Sinnesorgane immer mehr durch Apparate ersetzt werden, die jene Organe an Genauigkeit, Feinheit und Zuverlässigkeit übertreffen. Dies ist um so notwendiger, als wir für die elektrischen Erscheinungen kein eigenes Organ besitzen. Die Waage erkennt Gewichtsunterschiede, die mehr als tausendmal kleiner sind, als der Muskelsinn sie feststellen kann; Fernrohr und Mikroskop enthüllen Geheimnisse, zu denen kein menschliches Auge vordringen könnte; Thermometer können Temperaturdifferenzen anzeigen, die weit jenseits der Leistungsfähigkeit des Wärniesinnes liegen. Die physikalischen Apparate stellen daher im wahren Sinne des Wortes E r w e i t e r u n g e n u n s e r e r n a t ü r l i c h e n O r g a n e dar. Der doppelten Aufgabe der Physik, der planmäßigen Anstellung von Experimenten, der genauen Messung aller dabei auftretenden Größen einerseits und ihrer zusammenfassenden Deutung anderseits entsprechen die beiden Arbeitsrichtungen der E x p e r i m e n t a l p h y s i k und der t h e o r e t i s c h e n P h y s i k . Es ist klar, daß beide aufeinander angewiesen sind, daß der Experimentator den Theoretiker und dieser den Experimentalphysiker nicht entbehren kann, und daß zu einer gedeihlichen Entwicklung die gleichmäßige Pflege beider Arbeitsweisen notwendig ist. Gerade die heutige Blüte der Physik ist nur durch die gegenseitige Befruchtung beider Disziplinen möglich geworden. Die enge Zusammengehörigkeit zeigt sich natürlich auch bei einem Lehrbuch der Experimentalphysik: Dieses ist keine bloße Anhäufung von Experimenten (oder sollte es wenigstens nicht sein), sondern bezweckt die Darstellung eines wissenschaftlichen Systems, das auf Experimente gegründet und durch sie erläutert wird. Man kann mit einem gewissen Rechte neben die experimentelle und theoretische Physik die m a t h e m a t i s c h e P h y s i k stellen; dieser würde dann die Aufgabe zufallen, aus den von den ersteren gewonnenen Grundgesetzen alle möglichen Konsequenzen mathematisch zu entwickeln und durchzuarbeiten. Es gibt in der Tat Partien der Physik, die so abgeschlossen sind, daß im einzelnen nur noch mathematische Arbeit zu leisten ist. Das Verfahren der mathematischen Physik ist dann reine Deduktion aus den Voraussetzungen, die Experiment und Theorie geschaffen haben.
Die Aufgabe der Physik, wie jeder Wissenschaft, ist auf Erkenntnis der Wahrheit gerichtet; darin beruht ihre sittliche Würde, daß ihr nur daran liegt, die geistigen Schätze des Menschengeschlechtes zu vermehren. Aber der Besitz der Erkenntnis bedeutet gleichzeitig in gewissem Maße Beherrschung der Natur für die Zwecke der Menschheit. Die wissenschaftlich erkannten Zusammenhänge in diesem Sinne nutzbar zu machen, ist Aufgabe der T e c h n i k . Vom reinen Nützlichkeitsstandpunkte liegt die Frage nahe, ob nicht das Streben der reinen Wissenschaft, nur auf die Mehrung der Erkenntnis bedacht zu sein, ein unnötiger Umweg zu den Anwendungen ist, ob es nicht besser sei, direkt auf ein bestimmtes praktisches Ziel hinzuarbeiten. Die Geschichte der Wissenschaft hat darauf die Antwort gegeben, daß dies keineswegs der Fall ist, sondern daß es sich auch vom rein praktischen Gesichtspunkte als am besten erweist, wenn die Wissenschaft, ihrem ureigensten inneren Gesetze folgend, nach der Wahrheit strebt und nicht fragt, was sie nützt. Wenn die Zeit gekommen ist, werden ihr, wie bisher, die praktischen Anwendungen als reife Früchte der Erkenntnis von selbst in den Schoß fallen.
Mechanik und Akustik I.
Kapitel
Maß und Messen Eine Größe m e s s e n heißt, ihr zahlenmäßiges Verhalten zu einer (irgendwie festgelegten) E i n h e i t bestimmen. Damit dies möglich ist und man immer dieselben Ergebnisse erhält, auch wenn die Messungen von verschiedenen Personen und an verschiedenen Orten der Erde ausgeführt werden, ist die Festlegung bestimmter Maßeinheiten für die verschiedenen physikalischen Größen notwendig. E s sind also ζ. B . Maßeinheiten für die Länge, für das Volumen, für die Kraft, für die Arbeit, für die Wärmemenge, für die Elektrizitätsmenge, für die Stromstärke usw. erforderlich. E s wird sich im folgenden zeigen, daß es möglich und im allgemeinen zweckmäßig ist, diese verschiedenen Einheiten auf wenige Grundeinheiten zurückzuführen. Dies sind die Einheiten der Länge, der Zeit und der Masse. Das auf diesen Grundeinheiten aufgebaute Maßsystem bezeichnet man nach seinen Schöpfern G a u ß und W e b e r als das „absolute" Maßsystem.
1. Längenmessungen Als Längeneinheit dient in der Physik das Zentimeter (cm); es ist der hundertste Teil des „Meters". Die Länge des Meters ist durch ein in Sevres bei Paris im „Bureau des Poids et Mesures" aufbewahrtes Urmeter gegeben. Dieses Urmeter ist ein aus der sehr beständigen und festen .Legierung von 90°/ 0 Platin und 1 0 % Iridium hergestellter Metallstab, dessen Querschnittsform aus Abb. 1 hervorgeht. Diese Form wurde gewählt, um den Stab möglichst ZO77 leicht zu machen und ihn trotzdem vor Verbiegungen zu schützen. Auf der Mittelrippe, deren Länge sich auch bei Verbiegungen als „neutrale Zone" (s. S. 208) nicht ändert, Abb. 1. Profil des Meter sind in der Nähe der Enden zwei Strichmarken angebracht, prototype deren Abstand bei der Temperatur 0° Celsius und 760 mm Luftdruck die Länge des Normal- oder Urmeters darstellt. Von diesem Urmeter sind genaue Kopien hergestellt und an die verschiedenen Kulturstaaten verteilt worden. Das Meter sollte eigentlich den vierzigmillionsten Teil der Länge des durch die Pariser Sternwarte gehenden Erdmeridians darstellen. Die zu diesem Zweck von Me chain und Delambre 1791 ausgeführte Gradmessung ist jedoch nach späteren Messungen von Bessel mit einem Fehler behaftet, so daß das Urmeter tatsächlich um 0,00856 cm zu kurz ist; somit beträgt die Länge des Erdquadranten 10000856 m.
Das Meter wird nach dem Dezimalsystem in kleinere Einheiten, und zwar in 10 Dezimeter (dm), 100 Zentimeter (cm) und 1000 Millimeter (mm) eingeteilt. Als kleinere Längenmaße dienen weiter folgende Unterteilungen des Millimeters: das Mikron (μ) = 10~ 3 mm = 10~ 4 cm das Millimikron (m/ί) = 1 0 - 6 mm = 1 0 - 7 cm die Ängström-Einheit (Ä) = 10~ 7 mm = 10 _ 1 ταμ = 10~ 8 cm die ^ - E i n h e i t (X) = 10" 1 0 mm = ΙΟ" 3 Ä = 1 0 1 1 cm.
1. Längenmessungen
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Größere E i n h e i t e n s i n d : das D e k a m e t e r (Dm) = 10 m das H e k t o m e t e r (Hm) = 100 m das Kilometer (km) = 1000 m In der Astronomie wird als noch größere Längeneinheit das Lichtjahr benutzt; das ist die Strecke» die das Licht in derZeit von einem Jahr zurücklegt; 1 Lichtjahr = 9,4608 · 1012 km. Neuerdings verwendet man vielfach das Parsec; man versteht darunter die Entfernung, aus der der Erdbahndurchmesser unter einem Winkel (Parallaxe) von 1 Bogensekunde erscheint; 1 Parsec = 3,26 Lichtjahre. U m das U r m e t e r im Falle eines Verlustes oder einer i m L a u f e der J a h r e auft r e t e n d e n L ä n g e n ä n d e r u n g (infolge der unvermeidlichen V e r ä n d e r u n g des kristallinen Gefüges) jederzeit wieder reproduzieren zu können, h a t m a n d a s U r m e t e r m i t d e r Größe der optischen W e l l e n l ä n g e d e r r o t e n C a d m i u m s p e k t r a l l i n i e verglichen (A. M i c h e l s o n , 1895). D a n a c h b e t r ä g t der A b s t a n d der beiden S t r i c h m a r k e n auf d e m U r m e t e r 1553163,5 Wellenlängen der r o t e n Cadmiumlinie in trockener L u f t bei 14° C u n d 760 m m D r u c k . Die einfachste L ä n g e n m e s s u n g b e s t e h t in der B e n u t z u n g eines a u s Holz oder Metall bestehenden Maßstabes, dessen Teilung a n die zu messende Strecke angelegt u n d m i t i h r verglichen wird. I s t es n i c h t möglich, den M a ß s t a b u n m i t t e l b a r m i t d e m zu messenden K ö r p e r in B e r ü h r u n g zu bringen, so m u ß m a n a n diesem vorbei n a c h d e m M a ß s t a b hinvisieren. I n diesem Fall ist die Messung n u r d a n n einwandfrei, w e n n die Visierlinien auf dem M a ß s t a b senkrecht stehen. Andernfalls t r i t t eine scheinbare Verschiebung des K ö r p e r s gegen den M a ß s t a b (sogenannte P a r a l l a x e ) ein. Vorteilh a f t sind f ü r derartige Längenmessungen auf einem Spiegel eingravierte M a ß s t ä b e , die m a n an d e m zu messenden K ö r p e r vorbei so anvisiert, d a ß das Spiegelbild der Pupille des beobachtenden Auges m i t d e m E n d p u n k t der zu messenden Strecke zusammenfällt. Zur Messung des vertikalen A b s t a n d e s zweier P u n k t e bzw. zur Messung des lotrechten Abstandes zweier Horizontalebenen, in denen die b e t r e f f e n d e n P u n k t e liegen, d i e n t das von D u l o n g u n d P e t i t (1816) angegebene Kathetometer. E s b e s t e h t aus einer vertikalen Säule, die einen in Millimeter geteilten M a ß s t a b t r ä g t . Die Säule l ä ß t sich mittels dreier F u ß s c h r a u b e n vertikal stellen u n d ist u m die Vertikale d r e h b a r . An der Säule ist, vertikal verschiebbar, ein genau waagerecht eingestelltes F e r n r o h r a n g e b r a c h t . Dieses wird zunächst auf einen der beiden P u n k t e , deren A b s t a n d zu b e s t i m m e n ist, so eingestellt, d a ß der S c h n i t t p u n k t eines im Okular des F e r n r o h r e s befindlichen F a d e n k r e u z e s m i t diesem P u n k t e z u s a m m e n f ä l l t . N a c h d e m die H ö h e n lage des Fernrohres a n d e m M a ß s t a b der Säule abgelesen ist, wird das F e r n r o h r längs d e r Säule verschoben, u n d diese eventuell noch v e r d r e h t , bis d e r zweite P u n k t m i t d e m Fadenkreuz im F e r n r o h r zusammenfällt. Die Differenz der so e r m i t t e l t e n beiden H ö h e n lagen des F e r n r o h r e s gibt d a n n den vertikalen A b s t a n d der beiden anvisierten P u n k t e a n . Llljllllll E i n sehr viel b e n u t z t e s Gerät zur Messung kleiner L ä n g e n ist die Schublehre, deren vorderes E n d e in A b b . 2 dargestellt ist. Auf einem m i t einer Millimeterteilung versehenen Maßs t a b M , der a m vorderen E n d e ein rechtwinkliges AnsatzL I s t ü c k Α t r ä g t , ist der Schieber C m i t einem ebenfalls rechtwinkligen Ansatz Β a n g e b r a c h t . Dieser t r ä g t eine Marke, die Abb. 2. Sohublehre auf den Teilstrich Null der Maßstabteilung zeigt, wenn die
AJ
beiden Ansatzstücke Α u n d Β zusammengeschoben sind. D e r zu messende K ö r p e r (in Abb. 2 gestrichelt gezeichnet) wird zwischen die beiden Teile Α u n d Β gebracht u n d die E i n s t e l l u n g der M a r k e auf der Teilung abgelesen. M i t u n t e r ist das vordere Feld bei j e d e m der beiden Ansatzstücke Α u n d Β auf eine b e s t i m m t e
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I. Kapitel. Maß und Messen
Breite von meistens 5 mm abgestimmt, so daß man mit der Schublehre auch Innenmessungen ausführen kann, wie es in Abb. 2 (ebenfalls gestrichelt) angedeutet ist. Zu dem an der Teilung Μ abgelesenen Wert ist dann der Betrag von 10 mm hinzuzuzählen. Eine Verbesserung der Schublehre stellt das Schraubenmikrometer oder die Schraubenlehre (Abb. 3) dar. Der aus gehärtetem Stahl hergestellte U-förmige Bügel A trägt am Ende seines linken Schenkels einen Amboß W und am Ende seines rechten Schenkels eine Buchse Β mit Innengewinde, in die eine Schraubenspindel C eingepaßt ist. Die Ganghöhe der Schraube beträgt viel/y C ß ξ D fach 1 mm, d. h. die Schraube verschiebt sich bei einer vollen Umdrehung gerade um 1 mm. Diese Verschiebung läßt sich an einer auf Β eingravierten Teilung ablesen. Letztere ist so angebracht, daß der als Marke dienende linke Rand der Hülse E, die mit der Schraubenspindel starr verbunden ist, gerade auf Null steht, wenn der Abb. 3. Schraubenlehre Kopf der Schraube den Amboß W berührt. Um nun noch Bruchteile eines Millimeters abzulesen, befindet sich auf dem Rand der Hülse Ε ein in 100 Teile geteilter Teilkreis, dessen jeweilige Stellung an einer auf Β angebrachten Marke abgelesen werden kann. So ist es möglich, die Dicke eines Körpers, den man zwischen den Amboß W und den Kopf der Schraube bringt, auf 1 / 100 mm genau abzulesen. Damit der zu messende Körper nicht verschieden stark gedrückt wird, ist am rechten Ende von Ε eine „Gefühlsschraube" D angebracht, die beim Drehen durch Reibung die Schraubenspindel nur bis zu einem bestimmten Meßdruck mitnimmt. Dadurch wird der Körper bei jeder Messung zwischen Amboß und Schraubenkopf immer mit dem gleichen Druck eingeklemmt. Eine besondere Form des Schraubenmikrometers bildet das Sphärometer (Abb. 4). Durch die Mitte eines Dreifußes Α, dessen Füße C C2 und C 3 die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks bilden, geht die Schraubenspindel B; diese trägt am oberen Ende eine Scheibe E, deren Umfang in 500 Teile geteilt ist. Die vertikale Verschiebung der Schraube läßt sich grob in Millimetern an der Teilung D ablesen. Der Teilkreis auf Ε gestattet noch 1 / 500 einer Umdrehung zu erkennen, so daß sich bei einer Ganghöhe der Schraube von 1 / 2 mm noch Verschiebungen von 1 / 1000 mm messen lassen. Das Sphärometer wird auf eine gut ebene Unterlage gestellt, und die Schraube bis zur Berührung mit dieser Fläche heruntergeschraubt. Hierauf wird die Schraube zurückgedreht und der zu messende Körper, ζ. B. ein Glasplättehen, dessen Dicke bestimmt Abb. 4. Sphärometer werden soll-, unter die Schraube gelegt und diese bis zur erneuten Berührung heruntergeschraubt. Dann läßt, sich die gesuchte Dicke an den Teilungen D und Ε mit der angegebenen Genauigkeit ablesen. Auch bei diesem Gerät muß man sorgfältig darauf achten, daß man die Schraube stets mit dem gleichen Druck an den zu messenden Körper andrückt. Letzteres läßt sich ζ. B. auf optischem Wege sehr gut kontrollieren. Zu diesem Zweck stellt man das Sphärometer auf eine plane Glasplatte, auf der eine zweite kleinere Glasplatte liegt. Beleuchtet man die Oberfläche der letzteren mit einfarbigem Licht (ζ. B. Natriumlicht) und blickt nun schräg auf die Glasplatte, so sieht man diese von einem System heller und dunkler Interferenzstreifen durchzogen, deren gegenseitiger Abstand von der Dicke der Luftschicht zwischen den beiden Glasplatten abhängt. Drückt man daher die obere Glasplatte nur ein wenig gegen die untere, so verschieben sich die Interferenzstreifen. Dies ist ein außerordentlich empfindliches Kriterium f ü r jede Druckänderung. Bei der Messung mit dem Sphärometer schraubt m a n die Schraubenspindel stets nur so weit herunter,
1. Längenmessungen
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bis die Verschiebung der Interferenzstreifen einsetzt; das ist ein sicheres Zeichen dafür, daß der Druck gegen den zu messenden Körper stets der gleiche ist. In dieser Form heiß das Gerät Interferenz-
sphärometer, Eine einfache und viel benutzte Vorrichtung zur Messung kleiner Längen bzw· Dicken ist das Zehntelmaß. Seine Wirkungsweise beruht, wie Α i b . 5 zeigt, auf zwei ungleicharmigen Hebeln H 1 und H 2 , deren Hebellängen im Längenverhältnis 1 :10 stehen. An den Enden der kürzeren Hebelarme sind zwei Schneiden S angebracht, zwischen die der zu messende Körper geklemmt wird. Eine Feder F drückt zu diesem Zweck die Schneiden leicht zusammen. Auf der in Millimeter geteilten Kreisteilung Τ läßt sich die zu messende Strecke in lOfach vergrößertem Maßstab, d. h. bis auf 1 / 1 0 (daher Zehntelmaß) ablesen. Überträgt man die Bewegung des Hebels H 1 etwa mittels eines Zahnkranzes auf ein am Hebel H2 angebrachtes Zahnrad, das einen Zeiger trägt, so läßt sich an der Zeigerstellung die zu messende Strecke mit großer Genauigkeit ablesen. Auf diesem Prinzip beruht z . B . eine in der Mikroskopie viel benutzte Vorrichtung Abb. 5. Zehntelmaß zur Messung der Dicke von Deckgläsern. In der Abb. 6 ist eine sogenannte Meßuhr wiedergegeben, die für rasche Messungen von Längen bis 25 mm geeignet ist. Wird der unten herausragende Stift Α nach oben um die zu messende Strecke verschoben, so überträgt sich seine Bewegung über eine Zahnstange Β auf ein System von Zahnrädern a — e , wodurch der mit dem letzten Zahnrad e verbundene Zeiger / verdreht wird, so daß man auf dem Zifferblatt die zu messende Strecke mit einer Genauigkeit bis zu 1 / 1 0 0 0 mm ablesen kann. Für Messungen wird die Uhr in ein Stativ so eingesetzt, daß der senkrecht stehende Meßstift Α die horizontale Pußplatte berührt und der Zeiger dabei auf Null steht. Der zu messende Gegenstand wird dann zwischen Tisch und unteres Ende des Fühlhebels geschoben. Besonders gut eignet sich eine derartige Meßuhr zur Messung kleiner Längenänderungen, wie sie ζ. B . bei der thermischen Ausdehnung von Stäben usw. vorkommen. Die bisher beschriebenen Anordnungen zur Messung kleiner Längen oder Dicken sind noch mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Wie schon erwähnt wurde, muß bei Feinmessungen stets der Meßdruck besonders kontrolliert werden, was in exakter Abb. 6. Meßuhr Weise ζ. B. beim Interferenzsphärometer möglich ist. Bei allen Geräten, die mit einer Meßschraube oder Zahnrädern arbeiten, kommen noch durch Ungleichmäßigkeiten in der Ganghöhe der Schraube bzw. durch eine zu lose Führung der Schraube in der Schraubenmutter ( „ t o t e r G a n g " ) Fehler in die Messung hinein. Ein Gerät, das diese beiden Fehlerquellen nicht besitzt, ist der Dickenmesser nach Abbe (Tiefentaster; Abb. 7a). An einem kräftigen Stativ Α gleitet ein vertikaler Fühlstift D in zwei Lagern G1 und G2 und kann durch eine über die Rolle Rr laufende Schnur hochgezogen bzw. heruntergelassen werden, wenn man die Schnur durch Drehen der Rolle R 2 auf dieser auf- bzw. abwickelt. Durch das an der Schnur befestigte Gegengewicht Β wird das Eigengewicht des Fühlhebels D zum größten Teil ausgeglichen, so daß der Fühlhebel nur mit leichtem und immer gleichbleibendem Druck auf die Grundplatte Ρ (ebene Glasplatte) bzw. den zu messenden Körper aufdrückt. Der Fühlhebel trägt auf seiner vorderen Seite eine in 1 / 1 0 mm geteilte Skala Μ. Die Verschiebung von Μ wird durch ein Mikroskop F beobachtet. Im Gesichtsfeld des Mikro-
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I. Kapitel. Maß und Messen
skopokulars befindet sich eine horizontale Strichmarke, die sich mittels einer Mikrometerschraube C in vertikaler Richtung verschieben läßt; die Ganghöhe der Schraube ist so gewählt, daß eine volle Umdrehung eine Verschiebung der Strichmarke um einen Skalenteil des Maßstabes Μ bewirkt. Da die Trommel der Schraube in 100 Teile geteilt ist, lassen sich noch 0,001 mm messen. Die horizontale Strichmarke im Okular besteht meistens aus einem Doppelfaden, um, wie es Abb. 7b andeutet, eine besonders genaue Einstellung dadurch zu erreichen, daß der einzustellende Teilstrich gerade zwischen den beiden Fäden liegt. Zur Eichung und Nachprüfung der im vorangehenden beschriebenen Längen- und Dickenmesser verwendet man sogenannte Parallel-Endmaße ( J o hansson 1911). Es sind dies aus gehärtetem Stahl oder kristallinem Quarz hergestellte rechteckige oder zylindrische Körper, die von zwei parallelen Ebenen begrenzt werden. Der Abstand der parallelen Abb. 7. Dickenmesser nach Abbe, Endflächen ist bis auf Bruchteile eines μ genau bea) Gesamtansicht, b) Gesichtsfeld des Okulars kannt. Solche Endmaße werden in bestimmten Sätzen zusammengestellt, ζ. B. von 1 mm ab um je 1 / 1 0 0 mm bis 1,5 mm, dann um χ / 2 mm bis 25 mm steigend; hinzu kommen noch Stücke von 50, 75 und 100 mm. Durch Zusammenlegen mehrerer Stücke läßt sich jede andere Größe bis 200 mm Länge zusammensetzen. Die Endflächen derartiger Stücke müssen auf Hochglanz poliert sein. Drückt man zwei Stücke fest aufeinander, so treten bereits molekulare Anziehungskräfte auf, die zur Trennung der beiden Stücke Kräfte von mehreren Kilogramm erfordern (s. Nr. 66). Schließlich sei noch erwähnt, daß man auch mit jedem Mikroskop genaue Längenbzw. Dickenmessungen ausführen kann. Zu diesem Zweck wird das normale Okular durch ein Mikrometerokular ersetzt, bei dem sich im Gesichtsfeld eine in 1 / 1 0 mm geteilte Skala befindet, oder bei dem mittels einer Mikrometerschraube ein Faden bzw. ein Fadenkreuz meßbar durch das Gesichtsfeld bewegt werden kann (Abb. 8). Diese Mikrometerokulare müssen für jede am Mikroskop benutzte Vergrößerung besonders geeicht werden, indem man auf den Objekttisch eine bekannte Teilung (Objektmikrometer, meist 1/100-mm-Teilung) legt und diese mit der Okularskala bzw. der Verschiebung der Marke im Okular vergleicht. An besseren Mikroskopen ist meistens die Feinverschiebung des Mikroskoptubus mit einer Teilung versehen, so daß man auch in vertikaler Richtung Dicken ζ. B. von in Präparaten eingeschlossenen Teilchen messen kann, indem man nacheinander Abb. 8. Mikrometerokular auf die obere und untere Begrenzung des betreffenden Teilchens das Mikroskop scharf einstellt und die dazu notwendige Vertikalverschiebung abliest. Zum Abschluß dieses Abschnittes ist noch ein Hilfsmittel zu erwähnen, das dazu dient, an einer gegebenen Teilung noch Bruchteile eines Teilungsintervalles mit Sicherheit abzulesen. Es handelt sich um den Nonius, einen in 10 Teile geteilten Hilfsmaßstab, dessen Gesamtlänge gleich 9 Teilen des Hauptmaßstabes ist (Abb. 9a). Ist der Hauptmaßstab ζ. B. in Millimeter geteilt, so ist jeder Teil der Noniusteilung 9 / 1 0 mm lang. Steht dieser Nonius an irgendeiner Stelle der Hauptskala (Abb. 9b), so liest man am Nullstrich des Nonius die Anzahl der ganzen Millimeter ab und sucht denjenigen
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2. Winkelmessungen
Noniusteilstrich auf, der mit einem Teilstrich der Hauptskala genau zusammenfällt. Dieser Teilstrich des Nonius gibt dann die Anzahl der 1 / 1 0 mm an. Der hier beschriebene Nonius wird als n a c h t r a g e n d e r N o n i u s bezeichnet. Nonien finden sich ζ. B. auf jeder Schublehre, am Kathetometer, an den Kreuztischen der Mikroskope, den Spektrometerkreisen usw. Es gibt auch Nonien, die als v o r t r a g e n d e bezeichnet werden, bei denen 11 Teile des Nonius auf 10 Teile der Hauptteilung kommen.
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2. Winkelmessungen Als Einheit des Winkels im Bogenmaß dient derjenige Winkel, der bei einer Schenkellänge von 1 cm einen Kreisbogen von 1 cm Länge besitzt. In Abb. 10 ist ein solcher Winkel gezeichnet; er wird ein Radian genannt. Da nun die genaue Messung des Kreisbogens sehr schwierig ist, falls man nicht wie bei sehr kleinen Winkeln den Bogen durch die Sehne ersetzen kann, so benutzt man als Einheit des Winkels den 360. Teil eines Vollkreises und bezeichnet diese Einheit als Grad. Der Grad wird in 60 Minuten, die Minute in 60 Sekunden eingeteilt (1° = 60', 1' = 60"). Neuerdings wird an Stelle dieser sexagesimalen Winkeleinteilung auch eine Zentesimalteilung benutzt, wonach derVollkreis in 400, also ein rechter Winkel in 100 „Neugrad" eingeteilt wird. DerNeugrad wird dann in 100 Minuten (') und die Minute in 100 Sekunden (") geteilt.
Zur Umrechnung eines Winkels vom Bogenmaß in Gradmaß bzw. umgekehrt gelten folgende Beziehungen, die man leicht ableitet, wenn man bedenkt, daß ein Vollkreis im Bogenmaß gemessen 2π Radian und im Gradmaß gemessen 360° beträgt. ^fiOO 1 Radian = = 57,2958° = 57° 17' 4 5 " 2η 1° = 17,453-ΚΗ»] 1' = 2,909 - 1 0 - 4 Radian 1" = 4,85 ·10- 6 j
--
1cm
— »
Abb. 10. Winkeleinheit im Bogenmaß
Die einfachste Vorrichtung zur Winkelmessung ist der Transporteur. Es ist dies ein mit einer Gradeinteilung versehener Halb- bzw. Vollkreis, dessen Mittelpunkt mit dem Scheitelpunkt des Winkels zur Deckung gebracht wird, während die Nullinie mit einem Schenkel des zu messenden Winkels zusammenfällt. Der Schnittpunkt des anderenAbb. 11. Theodolit Schenkels mit dem Meßkreis liefert die Größe des Winkels in Grad. Für genaue Messungen dient der Theodolit; dieser besteht aus einem mit Fadenkreuz versehenen Fernrohr, das sowohl um eine vertikale als auch um eine horizontale Achse gedreht werden kann (Abb. 11). Dadurch sind horizontale und vertikale Winkel meßbar. Die Fernrohrdrehung wird an zwei Teilkreisen mit Winkelteilung abgelesen. Gewöhnlich sind diese Teilkreise in x / 2 Grad oder bei besseren Instrumenten in 1 / i Grad geteilt. Um auch hier Bruchteile dieser Teilung ablesen zu können, findet wieder der
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I. Kapitel. Maß und Messen
Nonius Anwendung. Infolge der sexagesimalen Teilung beträgt ζ. B . bei einer in halbe Grade geteilten Kreisteilung die Länge der Noniusskala gewöhnlich 29 Teile der Hauptskala und ist selbst in 30 Teile geteilt, so daß jedes Noniusintervall um 1 / 3 0 eines TeÜes der Hauptteilung, d. h. um 1' zu kurz ist. Dann läßt sich eine Meßgenauigkeit von 1' erreichen. Auf weitere (optische) Verfahren der Winkelmessung wird in der Optik noch näher eingegangen.
3. Die Bestimmung von Massen Jedem Körper ordnet die Physik einen bestimmten Zahlenwert zu, den man seine „Masse" nennt; auf ihre genauere Definition gehen wir in Nr. 15 ein. Sie bleibt bei allen Veränderungen, die man mit dem Körper vornimmt, u n v e r ä n d e r t und ist daher für den betreffenden Körper charakteristisch. Eine bestimmte Menge Wasser ζ. B . behält ihre „Masse" sowohl, wenn wir sie gefrieren lassen, als auch im Dampfzustande unverändert bei. I n einer vorläufigen Definition können wir geradezu sagen: Masse ist dasjenige Charakteristikum eines Körpers, das bei allen Verwandlungen gleich groß bleibt. Als Einheit der Masse dient in der Physik das Gramm (g). E s ist dies der 1000. Teil der Masse eines in Paris im Bureau des Poids et Mesures aufbewahrten Platiniridium Zylinders, der als Normalkilogramm bezeichnet wird. Die Masse dieses Kilogrammstückes sollte gleich der Masse eines Kubikdezimeters reinen Wassers, gemessen bei der Temperatur seiner größten Dichte, nämlich 4° C, sein. Spätere Messungen ergaben jedoch, daß das so hergestellte Normalkilogramm um 0,028 g zu groß ausgefallen ist. Trotzdem hat man es als Masseneinheit festgesetzt, indem man die ursprünglich gewählte Definition (ähnlich wie bei dem Normalmeter) aufgegeben hat. Von diesem Pariser Normalkilogramm sind 40 Kopien I . Ordnung hergestellt und an alle Kulturstaaten verteilt worden. Die in der Physik noch neben der Kilogrammeinheit und der Grammeinheit gebrauchten Unterteilungen der Masseneinheit sind das Milligramm (mg)
= Viooo g
das Mikrogramm oder Gamma (γ) =
/
1 1000
= 10~ 3 g
mg = 10~ 6 g
Die Verfahren zur Messung von Massen werden wir in K a p . I I , Nr. 17 behandeln. Die in der Volumeinheit enthaltene Masse nennen wir die Dichte des betreffenden Stoffes. Wir bezeichnen sie im folgenden mit ρ und können also schreiben: β
m =
ψ'
wenn m die im Volumen V enthaltene Masse bedeutet. Gelegentlich kennzeichnet man die Dichte eines Körpers auch dadurch, daß man angibt, wievielmal so groß seine Masse gegenüber der Masse des gleichen Volumens Wasser von 4° C ist. Diese unbenannte Verhältniszahl heißt Dichtezahl; sie stimmt zahlenmäßig mit der Dichte überein. I n der folgenden Tabelle sind die Dichtezahlen der wichtigsten festen, flüssigen und gasförmigen Stoffe zusammengestellt.
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4. Flächen- und Raummessungen
Aluminium 2,69 Blei 11,35 Eisen 7,5 —7,8 Eis (bei 0°) 0,92 Glas 2,4 —4,7 Flintglas 3,6 —4,7 Gold 19,29 Holz, Eichen- . . . . 0,7 —1,0 Tannen0,4 —0,7
a) Feste Körper (bei 18°) Kalium 0,86 Kalkspat 2,71 Kochsalz 2,15 Kork 0,20—0,35 Kupfer 8,93 Lithium 0,53 Magnesium 1,74 Messing 8,1—8,6 Natrium 0,97 Neusilber 8,6
b) Äthyläther (C„H10O) 0,716 Äthylalkohol (C2H5OH) 0,791 Methylalkohol (CH3OH) 0,793 Benzol (CeH6) 0,881 Chloroform (CHC13) 1,493 Glyzerin (C3H803) 1,26 Jodmethylen (CH2I2) 3,27 Kohlenstofftetrachlorid (CC1 4 ).. 1,596
Nickel Osmium Platin Quarz Silber Wismut Wolfram Zink Zinn
(bei 18°) Nitrobenzol (C„H5N02) Olivenöl Petroleum Quecksilber bei 0° Rizinusöl Terpentinöl (C10H16) m-Xylol (CaH10)
8,85 22,48 21,45 2,65 10,50 9,80 19,1 7,12 7,28
1,21 0,915 0,8 13,551 13,596 0,961 0,87 0,870
c) Gase (bei 0°; 760 mm Druck) Helium Kohlendioxyd Leuchtgas (etwa) Luft
0,0001785 0,0019767 0,0006 0,0012928
Sauerstoff Stickstoff Wasserstoff
0,0014289 0,0012505 0,0000899
4. Flächen- und Raummessungen Die F l ä c h e n e i n h e i t wird von einem Quadrat dargestellt, dessen Kante gleich der Längeneinheit ist. Wählt man als solche das Urmeter, so ergibt sich das Quadratmeter (qm oder m2), der 100ste Teil davon ist das Quadratdezimeter (qdm oder dm2). Dieses wird wieder in 100 Quadratzentimeter (qcm oder cm2) eingeteilt. Das Quadratzentimeter ist das in der Physik gebräuchliche Flächenmaß. Der 100ste Teil davon ist das Quadratmillimeter (qmm oder mm2). Im täglichen Leben sind ferner noch folgende Flächenmaße gebräuchlich: das Quadratkilometer (qkm oder km2) = 1000000 m2 2 das Quadrathektometer (qHm oder Hm ) = 1 Hektar (ha) = 10000 m2 das Quadratdekameter (qDm oder Dm2) = 1 Ar (a) = 100 m 2 . Die Einheit des R a u m m a ß e s kann auf zweierlei Art gewonnen werden. Indem man sie vom Längenmaß ableitet, erhält man das Kubikzentimeter (cm3). Als größere Einheit, nämlich 1000 cm3, dient als Kubikdezimeter (dm3). Die große Genauigkeit der Massenbestimmung durch Wägung hat anderseits dazu geführt, als Volum- oder Raumeinheit dasjenige Volumen zu definieren, welches von der Masse eines Kilogramms Wasser im Maximum seiner Dichte (4° C) und beim Normaldruck von 760 mm Hg eingenommen wird. Diese Volumeinheit wird als Liter (1) bezeichnet. Der 1000ste Teil hiervon, also das Volumen eines Gramms Wasser stellt das Milliliter (ml) dar. Da nach dem auf S. 12 Gesagten die Masse des Normalkilogramms, das ursprünglich gleich der Masse eines Kubikdezimeters Wasser von 4° C gedacht war, um 0,028 g zu groß ausgefallen ist, ist demnach das Liter gleich 1,000028 dm3 oder gleich dem Volumen eines Würfels von der Kantenlänge 1,000009 dm. Dies hat weiterhin zur Folge, daß die Dichte, worunter wir nach S. 12 die Masse pro Volumeinheit verstehen, verschieden ausfällt, je nachdem ob wir das Milliliter oder
14
I. Kapitel. Maß und Messen
das Kubikzentimeter als E i n h e i t des Volumens wählen. I m ersten F a l l würde Wasser bei 4° C die Dichte 1 g/ml, im zweiten F a l l die Dichte 1 / 1 , 0 0 0 0 2 0 = 0 , 9 9 9 9 7 2 g/cm 3 haben. Solange der auszumessende R a u m eine einfache geometrische Gestalt (Würfel, Quader, Zylinder, Kugel usw.) hat, l ä ß t sich sein Volumen aus seinen linearen Abmessungen ohne Schwierigkeit berechnen. Einfach ist auch die Messung eines Flüssigkeitsvolumens. Dazu verwendet man ζ. B . einen Meßzylinder oder eine Mensur, ein Gefäß, das durch eine auf der W a n d angebrachte Teilung in Kubikzentimetern geeicht ist. Auch mittels einer Meßpipette (Abb. 12) lassen sich Flüssigkeitsmengen abmessen. Während die Ausführung Abb. 12 a es nur gestattet, ein bestimmtes Volumen (z. Ii. 10 cm 3 ) abzumessen, indem man die Flüssigkeit durch Ansaugen bis zur oberen Strichmarke einfüllt, h a t die Ausführung Abb. 1 2 b noch eine auf der W a n d angebrachte Teilung, so daß es möglich ist, jedes Flüssigkeitsquantum innerhalb des Fassungsvermögens zu bestimmen.
/
Ν
ΊΟ ccm
\/ HC
Abb. 12. Meßpipetten. a) für ein bestimmtes Volumen, b) mit Unterteilung
Abb. 13. Überlaufgefäß
Abb. 14. Pyknometer, a) normale Ausführung, b) mit Thermometer
F ü r weniger genaue Messungen kann ferner das Überlaufgefäß Verwendung'finden (Abb. 13), das aus einem zylindrischen Gefäß mit einer seitlichen Ausflußöffnung besteht. Daher kann das Gefäß nur eine bestimmte Flüssigkeitsmenge aufnehmen, da die überschüssige Flüssigkeit herausfließt. B e i unregelmäßig gestalteten festen Körpern ist eine Volumbestimmung dadurch möglich, daß man die von den Körpern verdrängte Wassermenge mißt. Man kann also ζ. B . den betreffenden Körper in eine mit Flüssigkeit gefüllte Mensur werfen und feststellen, um wieviel Kubikzentimeter die Flüssigkeit steigt; oder man wirft den Körper in das oben beschriebene Überlaufgefäß und m i ß t die herausfließende Flüssigkeitsmenge (ζ. B . in einer Mensur). E i n e sehr häufig benutzte Vorrichtung zur Volummessung ist das Pyknometer (Meßflasche); es ist eine Glasflasche von genau bestimmtem R a u m i n h a l t (Abb. 1 4 a ) mit eingeschliffenem Stöpsel. Dieser besitzt eine feine Bohrung, durch die die überschüssige Flüssigkeit heraustreten kann. D a sich das Volumen einer Flüssigkeit mit der Temperatur stark ändert, ist das Pyknometer häufig mit einem Thermometer versehen (Abb. 1 4 b ) . U m das Volumen fester Körper (Sand, Mineralien usw.) zu bestimmen, wird das Pyknometerfläschchen unter Verwendung einer Flüssigkeit, von der das Gewicht (s) eines Kubikzentimeters bekannt ist, gewogen, einmal, wenn es nur mit der Flüssigkeit gefüllt und dann, wenn es mit der Flüssigkeit und dem zu messenden Körper gefüllt ist (G 2 ). B e s t i m m t man dann noch das Gewicht des Körpers allein (G 3 ), so l ä ß t sich aus diesen drei Wägungen das Volumen V des Körpers ermitteln.
5. Zeitmessung
15
Es ist: s Für Stoffe, die mit einer Flüssigkeit nicht in Berührung kommen dürfen, gibt es analoge Verfahren, bei denen an Stelle der Flüssigkeit ein Gas benutzt wird (Volumenometer). Schließlich läßt sich das Volumen V von Flüssigkeiten oder festen Körpern der Masse m auch durch eine einfache Wägung bestimmen, wenn die Dichte ρ des zu messenden Körpers bekannt ist. Dann ergibt sich
5. Z e i t m e s s u n g Bei jedem Naturvorgang spielen sich die einzelnen Ereignisse in einer zeitlichen Aufeinanderfolge ab, und es ist eine wichtige physikalische Aufgabe, die zwischen zwei Vorgängen liegende Zeit zu messen. Dazu ist zunächst die Festsetzung der Zeiteinheit notwendig. Als solche gilt in der Physik die Sekunde (sec). Sie ist der 86400.Teil eines mittleren Sonnentages. Die Zeit, die zwischen zwei aufeinanderfolgenden oberen Kulminationen der Sonne, d. h. zwischen zwei aufeinanderfolgenden Meridiandurchgängen der Sonne liegt, heißt „wahrer" Sonnentag. Dieser hat jedoch keine konstante Dauer, da sich die Erde auf einer Ellipse um die Sonne im Laufe eines Jahres mit verschiedener Bahngeschwindigkeit bewegt. Aus der in sehr übertriebenem Maßstab gezeichneten Abb. 15 geht diese tägliche Veränderung des wahren Sonnentages deutlich hervor. In Sonnennähe mögen die StelAbb. 15 Zur Veränderung des lungen 1 und 2 der Erde zwei aufeinanderfolgenden wahren Sonnentages Kulminationen des eingezeichneten Erdmeridians durch die Sonne entsprechen. Die Erde hat dabei um ihre Achse eine Drehung von 360°+
>
'
zusammensetzen;
s-
denn die Teilbewegungen A •— 1, 2 — 3, 4 — 5 einerseits und die Teilbewegungen >• ——> > 1 — 2 , 3 — 4, 5 — D anderseits sind ja unter sich g l e i c h g e r i c h t e t und können daher in diesem speziellen Falle wie g e w ö h n l i c h e Zahlen addiert werden. D a die
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
26
Geschwindigkeit c = -rr ist, d. h. sich von der gerichteten Strecke d § nur durch den dt
skalaren Zahlenfaktor
dt
unterscheidet, so sieht man, daß sich auch zwei Geschwin-
digkeiten nach dem Parallelogrammsatz zusammensetzen, und das gleiche gilt auch von den Beschleunigungen. Führt ζ. B. ein Massenpunkt (Abb. 24) gleichzeitig
4/
4L
Abb. 24. Zusammensetzung zweier Geschwindigkeiten Cj und c2
Abb. 25. Zusammensetzung von vier Geschwin· digkeiten zu einer Resultierenden
zwei Bewegungen mit den Geschwindigkeiten cx und C2 aus, so ergibt sich die „resultierende" Geschwindigkeit C nach Größe und Richtung als Diagonale eines Parallelogramms mit den Seiten Cj und C2. Um diese Resultierende zu finden, hat man die vollständige Konstruktion des Parallelogramms übrigens nicht nötig; es genügt vielmehr, wenn man die Geschwindigkeit C2 nach Größe und Richtung an den Endpunkt der Geschwindigkeit Ci anfügt. In Abb. 25 ist gezeichnet, wie sich 4 Geschwindigkeiten Cx, C2, C3 und C4 zu der resultierenden Geschwindigkeit C zusammensetzen.
*>—>y
Abb. 26. Zerlegung eines Vektors in zwei zueinander rechtwinklige Komponenten
Abb. 27. Zerlegung eines Vektors c in die drei Komponenten C x , C y , und C z parallel zu den Koordinatenachsen
Die Zusammensetzung von Bewegungen, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen spielt im täglichen Leben eine große Rolle. Fliegt ζ. B. ein Flugzeug von Norden nach Süden mit einer bestimmten Geschwindigkeit und weht gleichzeitig ein Wind aus Osten, so erhält das Flugzeug eine zusätzliche Geschwindigkeit durch den Wind in Richtung Ost—West, folglich eine resultierende Geschwindigkeit, die um einen gewissen Winkel von der Nord—Süd-Richtung nach Westen abweicht; sie bewirkt die sogenannte „Abtrift" des Flugzeuges. Oder wenn ein Schwimmer versucht, quer über einen Fluß zum jenseitigen Ufer zu schwimmen, so kommt senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung eine durch die Strömung des Flusses bedingte Geschwindigkeit hinzu, die eine resultierende Geschwindigkeit mit der Richtung schräg zum gegenüberliegenden Flußufer liefert, so daß der Schwimmer das jenseitige Ufer ein entsprechendes Stück weiter abwärts erreicht. Ebenso wie sich mehrere Vektoren zu einer Resultierenden zusammensetzen, läßt sich umgekehrt ein gegebener Vektor in verschiedene Komponenten zerlegen. Damit
11. Krummlinige Bewegung; Beschleunigung
27
diese Zerlegung aber eindeutig ist, muß die Richtung der einzelnen Komponenten vorgeschrieben sein. In Abb. 26 ist dargestellt, wie ein vorgegebener Vektor C in der % y-Ebene in die beiden Komponenten Cx und C y parallel zu der x - und y-Achse zerlegt wird. Ist λ die Neigung des Vektors C gegen die *-Achse, so sind die Beträge der Komponenten c x und c„ offenbar gegeben durch c x = c cos oc
und
c
e
— c sin λ ;
hieraus folgt weiterhin für den Betrag der resultierenden Geschwindigkeit C = j/c*2 + C,a . Die Abb. 27 zeigt schließlich die Zerlegung eines im Raum gelegenen Vektors C in die drei Komponenten Ca, undc z , deren Richtungen parallel den Koordinatenachsen χ , y , ζ sind. Es ist üblich, die Neigungswinkel des Vektors C gegen die Koordinatenachse, mit o c , β , γ zu bezeichnen; dann gelten für die Beträge die Beziehungen: c x — c cos«;
c y= c cos β ;
c t = c cosy ,
woraus wieder folgt: C = 1/c a * + V + c * .
ds
Da nach Gl. (3) c = , und da d x , d y , d z die Projektionen von d s auf die Koordinatenachsen sind, d. h. da d x = d s c o s o c ;
erhält man durch Division mit d t : c
dx * ~ d t '
d y = d so o s ß ;
d z = d s cosy ,
d y C
* ~
d z dt'
womit die Komponenten von C als erste Differentialquotienten der Koordinaten nach der Zeit ausgedrückt sind.
11. Krummlinige Bewegung; allgemeine Definition der Beschleunigung Wir haben bisher bei unseren Überlegungen nur Bewegungen in gerader Bahn vorausgesetzt. Wir betrachten jetzt einen Massenpunkt, der den in Abb. 28 gezeichneten ebenen Kurvenzug durchläuft. In jedem Punkt seiner Bahn ist die augenblickliche Richtung seiner Geschwindigkeit durch die Tangente an diesen Punkt der Kurve gegeben. Für bestimmte Punkte 1, 2 und 3 sind die betreffenden Geschwindigkeitsvektoren eingezeichnet. Sie unterscheiden sich im allgemeinen sowohl in ihrer absoluten Größe, als auch durch ihre Richtung. Da eine Geschwindigkeitsänderung Abb. 28. Zur krummlinigen Bewegung stets eine Beschleunigung darstellt, besteht die Aufgabe, diese in den einzelnen Bahnpunkten festzustellen. Wir greifen in Abb. 29a ein kleines Bahnelement 71 η J ι π π ι π π π Ν η ι π η ι π π h π
η
Abb. 36. Fall auf: der schiefen Ebene die Größe g · sin oc als Beschleunigung. Dadurch wird erreicht, daß die Kugel j e Sekunde einen kleineren W e g zurücklegt als beim freien Fall, und die durchlaufenen Wegstrecken lassen sich daher bequem verfolgen und messen. Zu diesem Zweck stellt man kleine Papierfähnchen 1, 2 und 3 an d e n Stellen der B a h n auf, deren Entfernungen vom Ausgangspunkt sich wie 1 : 4 : 9 verhalten. Die Fahnen zeigen quer über die B a h n und werden von der vorbeilaufenden Kugel zur Seite geschlagen, so daß man das Vorbeilaufen der Kugel an den markierten Stellen gut beobachten kann. Zweckmäßigerweise stellt man die Schläge eines Metronoms so ein, daß bei aufeinanderfolgenden Schlägen die Fähnchen von der K u g e l zur Seite geschlagen werden. Mittels solcher Versuche läßt sich experimentell die Gleichung (20)
s = ι (g sin oc) t2
bestätigen, die aussagt, daß sich die auf der schiefen E b e n e von einer herunterrollenden Kugel zurückgelegten Wege ebenfalls wie die Quadrate der Laufzeiten verhalten. Die in diesem F a l l wirkende Beschleunigung ist (21)
ga = g sin α 1 ) .
Auch in dieser Weise h a t G a l i l e i die Fallgesetze abgeleitet. Gelangt die rollende K u g e l auf den unteren horizontalen Teil der Fallrinne, so wird, da hier oc — 0 ist, die auf sie wirkende Beschleunigung ebenfalls Null. Die Kugel läuft daher auf dem horizontalen Teil mit der bisher erlangten Geschwindigkeit gleichförmig weiter. Durch Aufstellen eines weiteren Fähnchens (4) läßt sich diese Geschwindigkeit leicht bestimmen, indem man die von der Kugel in der Zeiteinheit durchlaufene Strecke auf der Horizontalen mißt. I n dem Beispiel der Abb. 36 muß das 1 ) Diese Behauptung trifft in Strenge nur zu, wenn der fallende Körper längs der Fallrinne gleitet, ohne zu rollen, was experimentell nur sehr schwierig —wegen der Reibung — herzustellen wäre. Rollt der Körper, so ist t a t s ä c h l i c h die Beschleunigung längs der schiefen Ebene kleiner als j s i n a . Aber das Grundsätzliche bleibt auch in diesem Falle richtig; nur ist der Wert der Beschleunigung ein anderer (vgl. S. 89).
35
13. Wurfbewegung
Fähnchen (4) um 6 Wegeinheiten von dem Fähnchen (3) entfernt sein. Für den Betrag c der Endgeschwindigkeit der auf der schiefen Ebene herunterrollenden Kugel findet man nach (21) die Beziehung: (22)
c =
(g
sin oc)
t.
Bezeichnen wir die Höhe des Ausgangspunktes der Kugel über der Horizontalen mit h, so ist sin« = h/s. Setzt man diesen Wert in (20) und (22) ein und eliminiert aus beiden Gleichungen die Zeit, so erhält man für die Endgeschwindigkeit wieder die Gl. (19): die wir bereits auf S.33 abgeleitet hatten. Sie besagt im Hinblick auf die Fallversuche auf der schiefen Ebene: D i e E n d g e s c h w i n d i g k e i t e i n e s a u s e i n e r b e s t i m m t e n H ö h e f a l l e n d e n K ö r p e r s i s t u n a b h ä n g i g d a v o n , ob der K ö r p e r f r e i f ä l l t oder a u f e i n e r b e l i e b i g g e n e i g t e n E b e n e h e r a b g l e i t e t . Wenn wir schließlich die geneigte Bahn immer steiler stellen, so daß schließlich « = 9 0 ° wird, so gehen die oben für den Fall auf der geneigten Bahn gefundenen Beziehungen in die für den freien Fall abgeleiteten über. Von Galilei stammt noch folgender Satz: Zieht man von dem höchsten Punkt Α eines vertikal aufgestellten Kreises (Abb. 37) nach beliebigen Punkten seines Umfanges Sehnen oder auch von irgendwelchen Punkten auf dem Rreisumfang nach dem tiefsten Punkt, so werden alle diese Sehnen ABlt AB2, .. . B/J, B/J, . . . in der gleichen Zeit durchfallen, und die Fallzeit ist gleich der Zeit, die ein Körper zum Durchfallen des vertikalen Kreisdurchmessers AG benötigt. Zum Beweis dieses Satzes berechnen wir die Fallzeit längs der Sehne CB1, die mit der Horizontalen den Neigungswinkel oc1 bildet. Aus Gl. (20) folgt für die Fallzeit längs dieser Sehne
-t
2
sl
(
4 2r Λ/\
//y*
Abb. 37. Fall auf der Kreissehne
Seine*!'
Nun ist in dem Dreieck AG B1 der Winkel CAB1 ebenfalls gleich α d a die Schenkel beider Winkel paarweise senkrecht aufeinander stehen. Mithin ist sx — 2 r sin und somit t
=
Die Fallzeit längs einer Sehne ist also unabhängig vom Neigungswinkel α und gilt demnach für alle in Abb. 37 gezeichneten Sehnen, t =
anderseits aber auch die Fallzeit für den freien Fall
längs des vertikalen Durchmessers 2 r. Experimentell läßt sich dieser Sehnensatz beweisen, indem man auf verschiedenen von einem Punkte ausgehenden Fallrinnen, deren Länge gleich den Kreissehnen sind, Stahlkugeln abrollen läßt, die man elektromagnetisch im gleichen Augenblick auslöst. Man beobachtet dann ein^ Ankommen aller Kugeln im Endpunkt jeder Sehne im gleichen Zeitpunkt.
13. Wurfbewegung; vertikaler, horizontaler und schiefer W u r f Wirft man einen Körper mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit c0 v e r t i k a l in die H ö h e , so wird seine nach aufwärts gerichtete Bewegung durch die Anziehung der Erde verzögert, denn der Körper erfährt, sobald er losgelassen ist, nach unten die Beschleunigung g. Auf Grund des Prinzips von der ungestörten Überlagerung zweier Bewegungen (S. 25) beträgt demnach die nach aufwärts gerichtete Geschwindigkeit nach t sec: (23)
c =
c0 —
g t ,
3*
36
Π . Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
und der in dieser Zeit zurückgelegte Weg ist (24)
s =
c0t—\gfi.
Diese Gleichung zeigt, daß der nach aufwärts gerichteten, mit der konstanten Geschwindigkeit c0 vor sich gehenden Bewegung c0t eine nach abwärts gerichtete beschleunigte Bewegung ( — d . h . ein f r e i e r F a l l , überlagert ist; wir haben es also auch hier — wie in dieser ganzen Nummer —, mit f r e i e m F a l l zu tun, nur jedesmal u n t e r v e r ä n d e r t e n B e d i n g u n g e n . Denn das Wesentliche ist immer dasselbe: eine nach abwärts gerichtete konstante Beschleunigung. Der Körper steigt nach (23) so lange aufwärts, bis seine Geschwindigkeit Null geworden ist; zufolge (23) ist dies nach der „Steigezeit" (25)
'
-
f
der Fall. In dieser Zeit erreicht der Körper die „Steighöhe" s, die man aus (24) erhält, wenn man darin für t den Wert t, =
einsetzt. So ergibt sich
_ι_ ν
(26)
2
»0
g
2g
Die größte Höhe, die der nach aufwärts geworfene Körper erreichen kann, ist die gleiche, aus der er herabfallen muß, damit er am Boden eine seiner Anfangsgeschwindigkeit c 0 gleiche Endgeschwindigkeit erhält; aus Gl. (26) folgt nämlich tatsächlich c0 = γ 2gs. Ebenso benötigt der Körper zum Steigen und Fallen die gleiche Zeit; ferner sieht man aus Gl. (26), daß die Steighöhe mit dem Quadrat der Anfangsgeschwindigkeit ansteigt. Ganz analog läßt sich der W u r f s e n k r e c h t n a c h u n t e n behandeln. In diesem Fall addiert sich zur Anfangsgeschwindigkeit c0 die durch den freien Fall bedingte Geschwindigkeit gt. Man erhält folgende Gleichungen für die in der Zeit t erreichte Geschwindigkeit c und den in derselben Zeit durchfallenen Weg s: (23 a) (24 a)
c = co + gt, S = C0t + |g< 2 .
Der Körper bewegt sich also auch hier gleichförmig beschleunigt nach unten. Wird ein Körper unter dem Winkel α schräg nach aufwärts geworfen, so würde er, wenn die Anziehung der Erde nicht wirkte, in dieser Richtung eine geradlinige Bahn mit der ihm erteilten Anfangsgeschwindigkeit c 0 durchlaufen, d.h. in gleichen Zeiten die gleichen Wegstrecken AB, BC, CD,... durcheilen (Abb. 38a). Da er aber in Wirklichkeit noch die Beschleunigung g Abb. 38. Schiefer Wurf. nach unten erfährt, wird er gleichzeitig eine Falla) Entstehung der Bahnkurve, b) Komponentenzerlegung der bewegung ausführen, so daß sich in Abb. 38a die verAnfangsgeschwindigkeit tikal nach unten gezogenen Strecken Bb, Ce, Dd, . . . wie 1 : 4 : 9 , . . . verhalten. Die von dem Körper durchlaufene W u r f b a h n Abcde stellt eine P a r a b e l dar. Um die Gleichung dieser Bahnkurve zu finden, zerlegen wir die vorgegebene Anfangsgeschwindigkeit C 0 nach dem Parallelogramm der Bewegungen in eine horizontale C o x und eine vertikale Komponente C o y (Abb. 38b); für die Beträge ergibt sich: Cot = c0 Cosa ,
c
o» =
c
o sin«.
13. Wurfbewegung
37
Dementsprechend wird der geworfene Körper in der Zeit t in horizontaler Richtung den Weg χ = c0 eos/x-t mit gleichförmiger Geschwindigkeit und in vertikaler Richtung nach dem Gesetz des vertikalen Wurfes [Gl. (24)] den Weg y= c0 sin während sie frei
19. D'Alembertsches Prinzip; Trägheitskräfte
55
fällt, gewichtslos. Dies läßt sich in verschiedener Weise zeigen. Hält man ζ. B. eine sich leicht öffnende und schließende Papierschere an einem Ohr fest und öffnet sie, so klappt sie sofort zu, besonders wenn man an die eine Spitze als zusätzliches Gewicht einen Kork steckt. Läßt man die Schere aber geöffnet frei fallen, so bleibt sie während des Fallens offen, da die Schwerkraft während des Fallens vollkommen kompensiert ist. Dasselbe zeigt auch der in Abb. 53 skizzierte Appraat. Am unteren Ende eines Stiftes S ist eine runde Holzplatte P2 mit etwa 10 cm im Durchmesser angebracht. Eine zweite gleichgroße Platte mit einem Loch in der Mitte liegt auf der ersten Platte
"F \m
i
t UM'
Abb. 52. Poggendorffsche Waage
Abb. 53. Anordnung zum Nachweis, daß eine freifallende Masse gewichtslos ist
Abb. 54. Aufhebung der Schwere beim freien Fall
auf. Zwischen den beiden Platten befindet sich eine Spiralfeder, die so bemessen ist, daß sie von dem Gewicht der oberen Platte gerade zusammengedrückt wird. Läßt man nun den ganzen Apparat frei nach unten fallen, so beobachtet man, daß die obere Platte von der Feder hochgehoben wird. Die Platte Px wird durch die nach oben wirkende Trägheitskraft während des Falles gewichtslos und kann daher die Spiralfeder nicht mehr zusammendrücken. Legt man zwischen zwei nach Abb. 54 aufeinandergesetzte Gewichte von etwa 5 kg einen Streifen Papier, so läßt sich dieser nicht herausziehen, ohne daß er reißt. Wenn man aber die Gewichte frei fallen läßt, so kann man den Streifen unverletzt herausziehen, da jetzt das obere Gewicht gewichtslos geworden ist und nicht mehr auf seine Unterlage drückt. Daß ein auf einem plötzlich beschleunigten Wagen stehender Körper gegen die Fahrtrichtung umkippt, läßt sich ebenfalls durch das Auftreten einer Trägheitskraft erklären. Bezeichnet man mit — α den Abb. 55. Nachweis der TrägheitsBetrag der Beschleunigung, die der Wagen erfährt, und kraft beim Anfahren eines Wagens mit m die Masse des darauf befindlichen Körpers, so auf der Horizontalen (a) und beim setzen sieh, wie man aus Abb. 55a entnimmt, die Herunterfahren auf einer schiefen Ebene (δ) gegen die Beschleunigungsrichtung des Wagens gerichtete Trägheitskraft — ma und die nach unten gerichtete Schwerkraft mg des Körpers zu einer resultierenden R zusammen. Geht diese nicht durch die Grundfläche des Körpers, so kippt dieser in der Pfeilrichtung um. Läßt man dagegen den Wagen mit dem darauf stehenden Körper eine schiefe Ebene beschleunigt herunterfahren (Abb. 55b), so bleibt der Körper während der beschleunigten Bewegung sicher stehen, da jetzt die Resultierende von — ma und mg durch die Standfläche des Körpers geht.
56
Π. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
Dieser letzte Versuch läßt sich noch in einer anderen Form anstellen. Stellt man auf das Brett einer Schaukel einen dünnen Metallstab, so bleibt dieser frei auf dem Schaukelbrett stehen, auch wenn die Schaukel größere Schwingungsamplituden macht. Wie aus Abb. 56 hervorgeht, setzt sich in jedem Augenblick die nach unten gerichtete Schwerkraft mg mit der Trägheitskraft — ma zu einer Resultierenden R zusammen, die den Stab gegen das Brett der Schaukel drückt. In der Abb. 56 sind zwei Augenblicke der Schaukelbewegung festgehalten. Rechts beginnt die Schaukel ihre beschleunigte Abwärtsbewegung; die Richtung des Beschleunigungsvektors stimmt mit der Bewegungsrichtung überein. Links bewegt sich die Schaukel mit verzögerter Bewegung nach ihrem linken Endausschlag. Eine Verzögerung ist aber gleichbedeutend mit einer negativen Beschleunigung, so daß auch jetzt wieder der Beschleunigungsvektor nach der Ruhelage der Schaukel gerichtet ist. Setzt man statt des Stabes auf das Schaukelbrett eine U-förmig gebogene Glasröhre, so daß die Verbindungslinie ihrer beiden Schenkel mit der Richtung der Schaukelbewegung zusammenfällt, und füllt man die Röhre mit gefärbtem Wasser, so beobachtet man beim Schwingen der Schaukel, daß das Abb. 56. Zur Wirkung der Träg- Wasser in beiden Schenkeln stets gleich hoch steht. heitskräfte beim Schaukeln Dies scheint zunächst mit der Wirkung der Schwerkraft nicht in Übereinstimmung zu sein, erklärt sich aber, da auf das Wasser außer der Schwerkraft noch die Trägheitskraft wirkt und die Resultante beider die Lage des Wasserniveaus bestimmt. 20. Begriff der Arbeit und d e r Leistung Ebenso wie der Begriff der K r a f t psychologisch entstanden ist durch das Gefühl der Muskelanstrengung, so hat auch ein zweiter physikalischer Begriff, der der Arbeit, seine Wurzel in persönlichen Erfahrungen des Menschen im täglichen Leben. Wenn wir ζ. B. mit unserer Muskelkraft ein Gewicht heben, so sprechen wir von einer „Arbeit", die wir verrichten. Wir können die Größe dieser Arbeit angenähert nach der Ermüdung unserer Muskeln schätzen. Danach beurteilt, verrichten wir eine Arbeit von ganz bestimmter Größe, wenn wir etwa ein Gewicht von 1 kp um 1 m in die Höhe heben; heben wir dasselbe Gewicht 2 bzw. 3 m hoch, so spüren wir die doppelte bzw. dreifache Ermüdung, „fühlen" also, daß wir die doppelte bzw. dreifache Arbeit leisten. Die doppelte bzw. dreifache Arbeit müssen wir gefühlsmäßig auch leisten, wenn wir statt eines Gewichtes von 1 kp das doppelte bzw. dreifache Gewicht um 1 m heben. Bei diesem Heben müssen wir die nach unten gerichtete Kraft der Schwere durch eine gleichgroße Gegenkraft überwinden, und zwar längs der ganzen Strecke, um die wir das Gewicht gegen die Schwerkraft verschieben. Diesen und ähnlichen Beispielen aus dem täglichen Leben, in denen wir das Gefühl haben, Arbeit zu leisten, ist der Umstand gemeinsam, daß ein Körper, an dem eine Kraft angreift, eine Verschiebung unter ihfem Einfluß erleidet. Demgemäß sagen wir in der Physik allgemein — und zwar ganz unabhängig davon, ob wie im obigen Beispiele, eine Gegenkraft zu überwinden ist: Das Produkt aus den Beträgen der Kraft Κ und der Verschiebung s des Massenpunktes ist die von der Kraft Κ längs dieses Weges s geleistete Arbeit A.
Die Arbeit ist also kein V e k t o r , sondern eine skalare Größe. — Keine physikalische Arbeit verrichten wir, wenn der von der Kraft angegriffene Körper sich nicht verschiebt, wenn wir ζ. B. gegen einen Wagen drücken, ohne ihn fortzubewegen.
20. Arbeit und Leistung
57
Wir haben also die vorläufige Gleichung:
(41)
A=K-s.
Der eben betrachtete Fall, daß der wirkenden Kraft eine gleich große entgegengesetzt ist, die „überwunden" werden muß, ist nur ein Grenzfall, den wir deshalb vorangestellt haben, weil an ihm besonders anschaulich wird, warum die Arbeit proportional der Kraft Κ und der Verschiebung s gesetzt wird. I n Wirklichkeit muß natürlich die wirkende Kraft größer sein als die entgegenwirkende (im obigen Beispiel die Schwere), damit der Körper überhaupt in Bewegung kommt; aber der Unterschied kann behebig klein, in der Grenze Null sein. J e kleiner der Unterschied zwischen beiden Kräften wird, um so langsamer geht der Vorgang vor sich, um so mehr Zeit — in der Grenze unendlich lange Zeit — braucht der Körper, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. D a s ist für die Berechnung der Arbeit gleichgültig. Der andere Extremfall ist der, daß der wirkenden K r a f t ® k e i n e Gegenkraft entgegenwirkt; dann erzeugt & an dem Körper natürlich eine Beschleunigung r, d. h. nach Durchlaufen der Strecke s h a t e r eine bestimmte Geschwindigkeit erlangt. Stellt man sich auf den Standpunkt des d ' A l e m b e r t schen Prinzips, so kann man diesen zweiten Grenzfall auf den ersten zurückführen, indem man der eingeprägten Kraft $ durch die d'Alembertsche Trägheitskraft — mα das Gleichgewicht halten läßt; daß in diesem Falle kein w i r k l i c h e s Gleichgewicht zustande kommt, zeigt sich eben am Auftreten der Beschleunigung. Im allgemeinsten Falle wird der eingeprägten Kraft, deren Arbeit wir berechnen wollen, sowohl eine explizite Gegenkraft als auch eine Trägheitskraft entgegenwirken; dies ist ζ. B. der Fall, wenn wir einen Körper durch eine Kraft, die größer als sein Gewicht ist, nach oben beschleunigen lassen. Wir kommen auf diese verschiedenen Fälle weiter unten noch zurück.
Bei der ganzen bisherigen Betrachtung sind zwei Voraussetzungen gemacht worden, einerseits, daß die Kraft Κ während der Verschiebung s k o n s t a n t ist, und anderseits, daß Kraftvektor ίΐ und Verschiebungsvektor § g l e i c h g e r i c h t e t sind. Von diesen Voraussetzungen müssen wir uns weiter unten befreien; doch genügt schon Gl. (41). um das Notwendige über die Einheiten zu sagen. Als Einheit der Arbeit gilt in der Physik sinngemäß diejenige, die von der Krafteinheit (1 Dyn) längs der Wegeinheit (1 cm) geleistet wird; sie wird als 1 Erg bezeichnet. Es ist also 1 Erg = 1 Dyn ·1 cm . Für die D i m e n s i o n der A r b e i t finden wir also2
[A] = [mit' ]
bzw. im absoluten Maßsystem: [A] = [g cm2 sec - 2 ] . Die Arbeit von 1 Erg wird geleistet, wenn man eine Masse von 1,02 mg um 1 cm hochhebt. Neben dieser sehr kleinen Arbeitseinheit hat man noch 10' Erg = 1 Joule als größere Einheit eingeführt, für die auch die Bezeichnung Wattsekunde üblich ist. Es ist die Arbeit, die notwendig ist, um 1,02 kg um 10 cm zu heben. 1000-60-60 = 3600000 Wattsekunden nennt man eine Kilowattstunde (kWh). Im praktischen oder technischen Maßsystem dient das Kilopondmeter (kpm) als Einheit der Arbeit, früher als „Meterkilogramm" (mkg) bezeichnet; es ist diejenige Arbeit, die man leistet, wenn man 1 kp Gewicht um 1 m hochhebt. Dabei ist zü beachten, daß diese Angabe insofern ungenau ist, als sich der Zahlenwert des Gewichtes mit dem Ort auf der Erdoberfläche ändert (vgl. S. 178). Diese Verschiedenheit spielt zwar für viele praktische Zwecke keine Rolle, wohl aber für genaue physikalische Messungen, weswegen man hierfür das Erg als Einheit vorzieht. Zur Umrechnung aus dem einen in das andere Maßsystem dienen folgende Beziehungen : 1 kpm = 981000 Dyn -100 cm = 9,81 -107 Erg = 9,81 Joule (Wattsekunden), 1 Joule = 1/9,81 kpm = 0,102 kpm, 1 Kilowattstunde = 3,67 -10 5 kpm.
58
II. Kapitel. Mechanische Grundbegriffe; Mechanik des Massenpunktes
Häufig kommt es vor, daß die Kraft in einer solchen Richtung an dem zu bewegenden Körper angreift, in der die Bewegung selbst n i c h t erfolgen kann. Zieht man ζ. B. (Abb. 57) mittels eines Strickes schräg an einem Wagen, so bilden Kraftrichtung und Bewegungsrichtung einen Winkel so gehorchen sämtliche Massenpunkte des Systems den Bewegungsgleichungen:
(48)]
=
,
Das ist nichts Neues. Neues aber gewinnen wir, wenn wir alle diese Gleichungen addieren. Denn in der links auftretenden Summe aller Kräfte heben sich nach dem dritten Newtonschen Gesetz die i n n e r e n heraus, und es bleibt nur die (nach dem Parallelogrammsatz zu bildende) Resultierende der ä u ß e r e n Kräfte übrig, die wir durch den Index ,,a" auszeichnen. Auf der rechten Seite steht der erste zeitliche Differentialquotient von der Summe sämtlicher Impulse; somit erhalten wir: (49a)
Σ®* = 5*
68
I I I . Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
Ersetzen wir nun die äußeren Kräfte durch ihre Resultante J®, ebenso die Summe der Impulse durch den (ebenfalls nach dem Parallelogrammsatz zu bildenden) Gesamtimpuls so können wir Gleichung (49a) schreiben: in Worten: Bei einem System von Massenpunkten ist die resultierende äußere Kraft gleich der sekundlichen Änderung des Gesamtimpulses ( E r s t e r I m p u l s s a t z ) . Diese Gleichung ist die direkte Verallgemeinerung der Newtonschen Bewegungsgleichung e i n e s Massenpunktes in der Impulsform (39); denn auch dort ist ja die Kraft, die auf der linken Seite auftritt, die ä u ß e r e Kraft. Diese Verallgemeinerung wird offentsichtlich nur dadurch möglich, daß infolge des dritten Axioms die inneren Kräfte sich herausheben. Dies bedingt natürlich eine g r o ß a r t i g e V e r e i n f a c h u n g , da man sich um die i n n e r e n Kräfte nicht zu kümmern braucht; ohne das dritte N e w t o n s c h e Axiom wäre — so kann man ohne Übertreibung sagen — eine „Mechanik der Systeme" gar nicht durchführbar. Wir werden in der nächsten Nummer den 1. Impulssatz in eine noch bequemere und anschaulichere Form bringen, wodurch die Analogie zur Mechanik e i n e s Massenpunktes womöglich noch stärker hervortritt.
Besonders einfach und bedeutsam wird der erste Impulssatz, wenn das betrachtete System f r e i ist. Dann g i b t es k e i n e ä u ß e r e n K r ä f t e , die Summe der inneren anulliert sich wie vorhin, d. h. die auf der linken Seite von (49) stehende resultierende K r a f t & ist gleich Null. Somit folgt: (50)
^M- = 0 ,
oder
3 = constant.
In einem freien System bleibt der resultierende Impuls $ (nach Größe und Richtung) erhalten. W a r d e r s e l b e i n s b e s o n d e r e z u i r g e n d e i n e r Z e i t der B e w e g u n g g l e i c h N u l l , so b l e i b t er a u c h w ä h r e n d d e r g a n z e n B e w e g u n g g l e i c h Null. Experimentell läßt sich der „Satz von der Erhaltung des Impulses" in folgender Weise demonstrieren: Wir knüpfen an den in der vorigen Nummer erwähnten Versuch an, bei dem zwischen zwei Wagen von den Massen m1 und m2, die auf einer horizontalen glatten Unterlage beweglich sind, eine zusammengedrückte Feder angebracht ist. Die sich entspannende Feder erteilt den beiden Massen nach dem dritten N e w t o n schen Axiom entgegengesetzt gleiche Kräfte, die Wagen erhalten nach Ablauf der Kraftwirkung Geschwindigkeiten C x und C 2 , die einander entgegengesetzt gerichtet sind; die Impulse sind also m1C1 bzw. m2C2 und weisen natürlich gleichfalls in entgegengesetzte Richtungen. D a zu Beginn des Versuches (alles in Ruhe!) der Gesamtimpuls jedenfalls Null ist, so muß er es auch nach dem Versuche sein, d. h. es muß gelten: (51)
m1C1 + m2C2 = 0 .
Das bedeutet aber, daß die Absolutbeträge der Geschwindigkeiten ct und c2 sich umgekehrt wie die Massen m1 und m2 verhalten, was der Versuch auch wirklich ergibt. Besonders einfach ist der Sonderfall, daß beide Mengen gleich sind; dann ist Cj = —C2, d. h. auch die Geschwindigkeiten sind dann entgegengesetzt 1 gleich. D e r S a t z v o n d e r E r h a l t u n g d e s I m p u l s e s s t e l l t im G r u n d e genommen nur eine andere F o r m u l i e r u n g des d r i t t e n Newtonschen A x i o m s v o r . Z . B . läßt sich die Wirkung der Rakete, die wir in der vorigen Nummer als Beispiel für das dritte Axiom erörterten, natürlich auch mit Hilfe des Impulssatzes erklären: Die Pulvergase mit der Masse m 1 werden mit einer großen Geschwindigkeit C t von der Rakete ausgestoßen, erhalten also einen Impuls wi^Ci. Da zu Beginn die Rakete in Ruhe war, hatte sie den Gesamtimpuls Null; damit dieser nach dem Anzünden der Rakete erhalten bleibt,· muß die Rakete mit ihrer Masse m 2 eine Be-
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktsatz
69
wegung mit der Geschwindigkeit C2 ausführen, so daß m^Cj berechnet sich
m2C2 = 0 ist. Hieraus
In der Ballistik macht man bei der Bestimmung der Geschoßgeschwindigkeit mit dem sogenannten ballistischen Pendel von dem Satz der Erhaltung des Impulses Gebrauch. Das ballistische Pendel (Abb. 67) besteht aus einer an einer Stange aufgehängten großen Masse Μ (ζ. Β. Kiste mit Sand). Das Geschoß, dessen Geschwindigkeitsbetrag bestimmt werden soll, und das die Massei» haben möge, wird in den Pendelkörper hineingeschossen, so daß es darin stecken bleibt; auf diese Weise erteilt als "Λ Geschoß dem Pendel eine bestimmte Geschwindigkeit Cj. Bestimmt man diese (etwa aus der Steighöhe h des Pendels) ζύ Ct = j/2gh (s. hierzu S. 33), so gilt nach \ dem Impulssatz für ein freies System die Gleichung: > Λ mc = (M + «i)Ci5 hierin ist mc der Impulsbetrag v o r .—— ] und (M + m) sein Wert n a c h dem Eindringen \_f> des Geschosses in den Pendelkörper. Für die GeschoßA b b 67 Ballistisches Pendel geschwindigkeit ergibt sich damit der Ausdruck c=
l/2?Ä, in dem alle Größen auf der rechten Seite der Messung zugänglich tri ' ° sind. Mißt man statt h, was bequemer ist, den maximalen Ausschlagswinkel oi des Pendels, und die Pendellänge l, so hat man statt h die Größe l (1 — cos«) einzusetzen. In dem Impulssatz treffen wir zum zweitenmal auf ein Gesetz, das aussagt, daß eine gewisse Größe einen konstanten Wert besitzt, oder daß die zeitliche Änderung einer Größe Null ist. Das erste „ E r h a l t u n g s g e s e t z " fanden wir bereits in Nr. 21 für die Energie. In der Physik ist man stets bemüht, solche Erhaltungssätze zu finden; sie ermöglichen in besonders einfacher und durchsichtiger Weise die Formulierung aller Erscheinungen. M + m
24. Massenmittelpunkt (Schwerpunkt); erster Impulssatz; Schwerpunktsatz In der vorangehenden Nummer hatten wir eine andere Formulierung des ersten Impulssatzes angekündigt, die die Analogie zur Bewegungsgleichung (32) e i n e s Massenpunktes noch deutlicher herausstellen sollte. Dazu bedürfen wir eines neuen Begriffes: Die einzelnen Massen m 1 bis m n des betrachteten Systems liegen zerstreut an verschiedenen Stellen des Raumes; wir wollen versuchen, sie durch die Gesamtmasse m 1 + m 2 -f- · · · -f- m n an einer Stelle des Raumes so zu ersetzen, daß das oben gesteckte Ziel erreicht wird. Wir beginnen mit einem ganz einfachen Fall: Wir betrachten zwei g l e i c h e Massen m in einem bestimmten Abstände voneinander. In diesem Falle liegt es nahe, sie zu ersetzen durch die Gesamtmasse 2m, die wir auf der Verbindungslinie, und zwar so anbringen, daß sie dieselbe g e r a d e h a l b i e r t . Haben wir es aber mit zwei verschiedenen Massen mx und m2 zu tun, so erhebt sich natürlich die Frage aufs neue, wo nunmehr die Gesamtmasse m l + auf der Verbindungslinie anzubringen ist. Darüber kann natürlich nur die Erfahrung entscheiden, und jeder mögliche theoretische Ansatz muß sich an ihr bewähren. Immerhin kann man von vornherein vermuten, daß die Gesamtsumme jetzt nicht mehr in der Mitte der Verbindungslinie anzubringen ist, sondern n ä h e r an der größeren M a s s e . Wir wollen demgemäß genauer ver-
70
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
langen, d a ß d i e G e s a m t m a s s e d e n A b s t a n d d e r E i n z e l m a s s e n i m u m g e k e h r t e n V e r h ä l t n i s d e r E i n z e l m a s s e n m 1 u n d m 2 t e i l t . Diese Festsetzung hat sich in der Tat bewährt. Die Lage der beiden Einzelmassen m 1 und m 2 sei etwa dadurch bestimmt, daß wir die Lagevektoren t j und t2 angeben, die von einem w i l l k ü r l i c h e n Bezugspunkte0 gezogen sind (Abb. 68). „ Die Verbindungsstrecke Α Β ist dann als der Vektor (ϊ2 — tx) zu betrachten; denn nach den Regeln der Vektoraddition (Parälellogrammkonstruktion) ist die Resultierende von O A — t i und A B = t 2 — ϊχ eben der Vektor O B = t 2 . Bringen wir jetzt im Punkte C, dem Endpunkte des zu bestimmenden Lagevektors f die Masse m 1 + m 2 an, dann ist — wieder nach den Regeln der Vektoraddition — (52)
( {
Ic*=i—Ϊ!, _
y C B = r2—Ϊ; da diese Strecken sich umgekehrt wie die Massen m 1 und m2 verhalten sollen, und ihre Summe gleich A B = t 2 — t x sein muß, so muß gelten:
(52 a)
r ^—(t.- i —t )I r—r1x = m— 1 + m2
S l «2— t = m1 + m 2 («. — * i ) ·
Man überzeugt sich in der Tat leicht, daß durch (52 a) unseren Forderungen genügt wird. Es ergibt sich also — durch Division beider Gleichungen — aus (52a): τ — tx = t2 — r m2 m1
'
oder ausgerechnet: (52b)
-
=
+ m1 + m2
Diese Gleichung liefert uns den zur Bestimmung des Ortes C der Gesamtmasse m 1 - \ - m 2 dienenden Lagevektor j . Nehmen wir jetzt eine dritte Masse m 3 mit dem Lagevektor r 3 hinzu und vereinigen nach der gleichen Vorschrift die in C befindliche Masse m x + m 2 mit dieser dritten Masse m 3 , so finden wir für den Ort der neuen Gesamtmasse m 1 -j- m 2 -j- t n a , d. h. für seinen Lagevektor, den wir wieder j nennen wollen, die zu (52b) analoge Gleichung:
-5
- _ mltt + m2r, + η,χ + w2 +
^
Man erkennt nun schon das allgemeine Gesetz der Bildung: Wenn wir η Massen m l t m2 m n an den Enden der Lagevektoren ϊ 1 ; t 2 , . . . , t n ersetzen wollen (Abb. 69), so haben wir die Gesamtmasse m 1 + m 2 -)- · · · + m n an dem Endpunkte S des Vektorsϊ anzubringen:
^53j
η Σ ™vtr - _ m1t1+m2ti + ··· + mntn _ ι m^ + m2 + · · · + mn
Σ ™r 1
71
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktaatz
Projiziert man die Lagevektoren ϊ und r„ auf die Koordinatenachsen, so erhält man die kartesischen Koordinaten x, y, ζ des Punktes, an dem die Gesamtmasse vereinigt ist: _ _ J]mvzv 2mvxv - _ 2Jm v y v (53a) Σ™ν ' Legt man den Koordinatenanfangspunkt direkt in diesen Punkt, so werden ΐ = χ = y = z— 0, und man hat dann die Gleichungen: (53b)
JJmytr = 0 ,
JJm v x„ = 0 ,
= 0,
Σ ^ , ζ , = 0,
die auch als Definition dieses ausgezeichneten Punktes gelten können. Natürlich wissen wir noch nicht, ob unser ganzes Verfahren physikalische Bedeutung h a t ; selbst wenn es keinen tieferen physikalischen Sinn hätte, so ist es doch jedenfalls in sich zulässig und einwandfrei; jedenfalls haben wir einen
Abb. 68. Bestimmung des Massenmittelpunktes zweier Massen m 1 und m 2
Abb. 69. Bestimmung des Massenmittelpunktes von η Massen
g e o m e t r i s c h e n P u n k t im System festgelegt. Glücklicherweise erweist es sich aber auch als hervorragend nützlich. Der durch (53) bestimmte Lagevektor der Gesamtmasse Σ m ist ein auf bestimmte Weise aus den Einzelmassen und Einzellagevektoren gebildeter M i t t e l w e r t . Man erkennt dies besonders deutlich an Gl. (53 b): Die Summe der auf diesen „mittleren" Punkt bezogenen, mit den Massen mv multiplizierten Abstände t , dieser Massen ist gleich Null; d. h. die positiven und negativen Anteile dieser Summen anullieren sich, was offenbar nur dann möglich ist, wenn der Punkt, bezüglich dessen dies der Fall ist, eine m i t t l e r e Lage besitzt. Wir wollen daher den Endpunkt des Vektors t den „Massenmittelpunkt" nennen; noch gebräuchlicher ist der Name „Schwerpunkt"; ihre Begründung erfährt diese letztere Bezeichnung in Nr. 33. Folgendes ist von Bedeutung: Unsere ganze Ableitung beruht auf den Gleichungen (52a), die auch bei zahlreichen Massen ja immer wieder angewendet werden. In ihr treten nur die M a s s e n u n d ihre g e g e n s e i t i g e n A b s t ä n d e auf; wo der B e z u g s p u n k t Ο l i e g t i s t daher ganz g l e i c h gültig. Die L a g e des Massenmittelpunktes ist daher a u s s c h l i e ß l i c h durch das S y s t e m der Massen bestimmt, aber g ä n z l i c h u n a b h ä n g i g von der Wahl des Bezugspunktes, der ja nur eine mathematische Hilfskonstruktion ist.
Wir wollen uns jetzt vorstellen, daß die Massen unseres Systems sich b e w e g e n , d. h. daß die Lagevektoren t, in einer kleinen Zeit dt übergehen i n t , + dxr. D a n n ä n d e r t sich g l e i c h z e i t i g d i e L a g e d e s S c h w e r p u n k t e s . E r hat nunmehr den Lagevektor t dx . Und die Größe und Richtung seiner Verschiebung folgt durch Differentiation von (53) zu: η
Σ™ ν Αχ ν dt = -
η Σ™>V
1
.
72
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten.
Dividieren wir beide Seiten dieser Gleichung durch das Zeitelement dt, in dem die Verrückungen dt, und dt vor sich gehen, so folgt:
dt dt
., dtv Zm>-dt £mr "
dϊ
= ist aber die G e s c h w i n d i g k e i t des r-ten Massenpunktes (nach Größe und Richtung), dx = C ist somit a l s o d i e G e s c h w i n d i g k e i t d e s S c h w e r p u n k t e s . Wir haben also dafür : (54)
r - -Z m > c >
Σ™r
Natürlich brauchen die Geschwindigkeiten C, nicht k o n s t a n t zu sein, da die einzelnen
de wt
Massenpunkte im allgemeinen eine Beschleunigung αν = -j— besitzen werden; dann ist im allgemeinen natürlich auch der Schwerpunkt beschleunigt. Für dessen Beschleunigung erhalten wir durch nochmalige Differentiation von (54) nach der Zeit:
Multiplizieren wir nun in Gl. (54) mit der Gesamtmasse halten wir: (54a)
Mi. =
= Μ herauf, so er-
•
Rechts steht jetzt die Vektorsumme der Einzelimpulse der Einzelmassen, d. h. der Gesamtimpuls unseres Systems, links offenbar der Impuls 3 des Schwerpunktes. Gl. (54a) lautet daher in Worten: Der Gesamtimpuls eines beliebigen Systems ist gleich dem Impuls des Schwerpunktes. Nun hatten wir in Gl. (49a) den ersten Impulssatz formuliert; unter Benutzung von (54a) können wir ihn jetzt so aussprechen: Bei einem System von Massenpunkten ist die resultierende äußere Kraft gleich der sekundlichen Änderung des Impulses des Schwerpunktes. Und da die sekundliche Änderung des Schwerpunktsimpulses gleich dem Produkt der in ihm konzentrierten Gesamtmasse Μ und der Beschleunigung 0 des Schwerpunktes ist, können wir schließlich den ersten Impulssatz auch schreiben: (56)
S = Μα,
in Worten: Bei einem beliebigen System ist die resultierende äußere Kraft gleich dem Produkt aus seiner Gesamtmasse und der Beschleunigung des Schwerpunktes. In dieser Form (56) hat der erste Impulssatz genau die Gestalt der Newtonschen Bewegungsgleichung (32) für einen einzelnen Massenpunkt. Darin liegt für uns die Berechtigung, daß wir einen solchen „Schwerpunkt" überhaupt eingeführt, und daß wir ihn auf die dargelegte Art bestimmt haben. Es folgt daher der Satz: Im Schwerpunkt eines Systems kann man sich dessen Gesamtmasse vereinigt und die resultierende äußere Kraft angreifend denken. Darin liegt schließlich auch die Rechtfertigung der Tatsache, daß wir im vorigen Kapitel, das vom einzelnen Massenpunkt handelt, dennoch mit ausgedehnten Körpern (d. h. mit S y s t e m e n von Massenpunkten) experimentier en, weil es eben nicht anders geht. Gemeint war in diesen Fällen immer der Schwerpunkt der benutzten Körper.
24. Massenmittelpunkt; Schwerpunktsatz
73
Besonders einfach wird natürlich jetzt auch d e r S a t z v o n d e r „ E r h a l t u n g d e s I m p u l s e s " f ü r f r e i e S y s t e m e . Da für solche der Gesamtimpuls konstant bleibt, können wir jetzt sagen, d a ß d e r I m p u l s d e s S c h w e r p u n k t e s e i n e s f r e i e n S y s t e m s k o n s t a n t b l e i b t , oder auch, nach (56), da die äußere K r a f t gleich Null i s t , d a ß d e r S c h w e r p u n k t e i n e s f r e i e n S y s t e m s u n b e s c h l e u n i g t i s t . Er hat eine nach Größe und Richtung konstante Geschwindigkeit C. Der Schwerpunkt eines freien Systems bewegt sich daher nach dem Trägheitsgeselz: Er ist entweder in Ruhe oder in gleichförmiger geradliniger Bewegung begriffen. I n dieser Form nennt man den Erhaltungssatz des Impulses auch den Satz yon der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes. Auch in folgende negative Aussage kann man den Satz kleiden: In einem freien System (in dem also Einwirkung äußerer Kräfte fehlt), kann durch die Wirkung der inneren Kräfte der Schwerpunkt nicht verschoben werden. Folgender Versuch veranschaulicht die Richtigkeit dieses Satzes: Auf einem Wagen (Abb. 70) ist ein Pendel aufgehängt, das an seinem unteren Ende eine größere Masse trägt. Läßt man dieses Pendel schwingen, so bewegt sich der Wagen ruckweise hin und her, und zwar stets entgegengesetzt der Bewegung des Pendels. Man kann deutlich beobachten, daß der gemeinsame Schwerpunkt der ganzen Anordnung, der in der Abb. 70. Versuch zum Nachweis des der Erhaltung der Bewegung Ruhelage des Pendels über der Mitte des Wagens Satzes vondes Schwerpunktes liegt, seine Lage im Raum nicht verändert. — Ferner: Wenn eine ruhende Granate krepiert, so werden unter der Wirkung der Pulvergase die Sprengstücke nach allen Seiten weggeschleudert. Die Bewegung dieser'Stücke erfolgt dabei stets so, daß der Schwerpunkt der Granate seine Lage im Raum unverändert beibehält. — In dem genannten Satze ist schließlich auch der Grund zu suchen, weshalb M ü n c h h a u s e n sich nicht an seinem Zopf aus dem Sumpf herausziehen kann, da er durch innere Kräfte seinen Schwerpunkt nicht in Bewegung zu versetzen vermag. Auch die Richtigkeit des allgemeinen Impulssatzes (56) läßt sich durch Versuche zeigen. Bringt man ζ. B. an einem Bierfilz ein Stück Blei exzentrisch an, so liegt der Schwerpunkt des beschwerten Filzes im Blei. Wirft man ihn jetzt schräg in die Höhe, wobei man ihm gleichzeitig noch eine beliebige drehende Bewegung erteilen kann, so beschreibt der Schwerpunkt nichtsdestoweniger die einfache parabolische Wurfbahn, die ein Massenpunkt unter den gleichen Bedingungen durchläuft. Alle anderen Punkte des Filzes dagegen vollführen gleichzeitig eine drehende und fortschreitende komplizierte Bewegung. Die Bahn des Schwerpunktes kann man leicht beobachten, wenn man das Bleistück mit einer auffallenden Farbe anstreicht. •—· Die gleiche Erscheinung zeigt eine im Fluge platzende Granate; auch hier bewegt sich der Schwerpunkt des gesamten Systemes auf der ursprünglichen Geschoßbahn weiter. —- Die Sternschnuppenschwärme sind Bruchstücke von periodischen Kometen, die zerplatzt sind; welche Bahnen auch die Bruchstücke beschreiben, der S c h w e r p u n k t d e s S y s t e m s verfolgt nach wie vor seine alte elliptische Bahn weiter. Zur rechnerischen Bestimmung des Schwerpunktes geht man, statt Gl. (53) zu benutzen, besser von der Komponenten-Darstellung (53a) aus:
74
I I I . Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
Bei Körpern mit kontinuierlich verteilten Massen gehen die Summen in Integrale über, da man jedes Massenelement (dm) mit seiner Koordinate (x oder y oder z) zu multiplizieren hat:
(53c)
f xdm
X= J—
J dm
,
y
=
.
Iydm J dm
i
=
fzdm
J - — . Jdm
Die Berechnung läßt sich natürlich nur für geometrisch einfach gestaltete Körper durchführen. Auch ohne Rechnung erkennt man aber, daß ζ. B. der Schwerpunkt einer homogenen Kugel mit ihrem Mittelpunkte zusammenfällt.
25. Bewegungsmöglichkeiten (Freiheitsgrade) von Systemen, insbesondere starren Systemen; Translation und Rotation Der erste Impulssatz wurde in den vorhergehenden Nummern aus den N e w t on sehen Bewegungsgleichungen (49), die für jeden Massenpunkt des betrachteten Systems gelten, in Verbindung mit dem dritten N e w t o n sehen Axiom von der Gleichheit der Aktion und Reaktion abgeleitet. Außer diesem Satze gilt für beliebige Systeme noch ein z w e i t e r I m p u l s s a t z , zu dessen Formulierung wir einiger Vorbereitungen in dieser und den nächsten Nummern bedürfen. Betrachten wir zunächst einen Massenpunkt; seine Lage ist bestimmt durch drei Angaben, etwa die kartesischen Koordinaten x, y, ζ oder durch seinen Lagevektor t, d. h. durch den Betrag r desselben-und zwei Winkel, die seine Richtung festlegen, oder durch drei andere, passend gewählte Abmessungen: I m m e r aber sind es drei Angaben. Bleiben wir etwa bei den kartesischen Koordinaten, dann kann man den Massenpunkt ζ. B. parallel der %-Achse verschieben, ohne seine y- und z-Werte zu ändern; das gleiche gilt von Verschiebungen parallel den y- und ^-Richtungen. Ein Massenpunkt kann also d r e i u n a b h ä n g i g e V e r s c h i e b u n g e n erleiden; er hat,wie man sagt, drei Freiheitsgrade. Daraus folgt sofort, daß ein beliebiges System von η frei beweglichen Massenpunkten im ganzen 3 η Freiheitsgrade besitzt; es ist klar, daß die Bewegung eines solchen Systems im allgemeinen sehr kompliziert ist. Wir wollen nun ein sehr wichtiges spezielles System ins Auge fassen, nämlich ein solches, b e i d e m a l l e g e g e n s e i t i g e n E n t f e r n u n g e n j e z w e i e r M a s s e n p u n k t e v o l l k o m m e n u n v e r ä n d e r l i c h sein s o l l e n ; ein solches System nennt man ein „ s t a r r e s " , den von dem System gebildeten Körper einen „ s t a r r e n K ö r p e r " . Es gibt in der Natur zahlreiche Körper, die sogenannten „festen", bei denen diese Bedingung sehr angenähert erfüllt ist, ζ . B. bei einem Stahlblock. Bei sehr genauen Messungen freilich zeigen sich Änderungen der Abstände der einzelnen Massenpunkte, die man daran erkennt, daß der feste Körper Volum- und Gestaltsänderungen unter dem Einfluß äußerer Kräfte erleidet; die Untersuchung dieser feineren Veränderungen gehört in die Lehre der E l a s t i z i t ä t (Kap. V). Hier wollen wir ganz davon absehen und bewußt die Abstraktion eines starren Körpers bilden. Wieviel Freiheitsgrade hat nun ein starres Gebilde ? Zur Beantwortung dieser Frage können wir von der Tatsache ausgehen, daß ein starrer Körper sich nicht mehr bewegen kann, wenn drei nicht in einer Geraden liegende Punkte desselben festgehalten werden. Wären dies drei freie Punkte, so würde jeder von ihnen drei Freiheitsgrade, der starre Körper also deren neun besitzen. Indessen ist dies natürlich nicht der Fall. Der Punkt 1 ist allerdings frei beweglich, hat also seine vollen drei Freiheitsgrade, Punkt 2 und 3 aber sind nicht mehr frei, da sowohl 2 wie 3 ihren Abstand von 1 nicht ändern dürfen, ebensowenig wie der Abstand von 2 und 3 veränderlich ist. Die Punkte 2 und 3 haben also drei Bedingungen zu erfüllen, unterliegen also
25. Freiheitsgrade; Translation und Rotation
75
drei Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Somit gehen von den neun Freiheitsgraden drei ab; es bleiben für den starren Körper sechs Freiheitsgrade übrig. Diese müssen sich natürlich in den Möglichkeiten seiner Bewegung bemerkbar machen. Erstens kann ein starrer Körper offenbar eine solche Bewegung ausführen, d a ß er dabei seine Orientierung im Räume nicht ändert. Dann verschiebt sich jeder seiner Punkte nach Größe und Richtung um die gleiche Strecke. Diese spezielle Bewegung nennt man eine Translation. Sie kann dargestellt werden durch einen Vektof, den man an einem b e l i e b i g e n Punkte des starren Körpers anbringt; sein Betrag ist gleich der Größe der Verschiebung, seine Richtung gleich der Richtung der Verschiebung zu wählen. Man nennt diesen Vektor den Translationsvektor. Wenn der starre Körper sich in dieser Weise bewegt, haben alle seine Punkte die gleiche Geschwindigkeit (wieder nach Größe und Richtung), und diese heißt entsprechend Translationsgeschwindigkeit. Der Translationsvektor (oder die Translationsgeschwindigkeit) kann in speziellen Fällen parallel der x-, y- oder der z-Achse gerichtet sein: B e i d e r T r a n s l a t i o n m a c h e n sich drei von den sechs F r e i h e i t s g r a d e n des s t a r r e n Körpers bemerkbar. E i n e z w e i t e B e w e g u n g s m ö g l i c h k e i t des starren Körpers ist die folgende: Wenn zwei Punkte desselben in Ruhe gehaltefl werden, so bleiben sämtliche P u n k t e der sie verbindenden Geraden in Ruhe, alle anderen Punkte beschreiben Kreise um diese Gerade als Rotationsachse. Der Winkel, um den sich der Körper dreht, ist der Rotationswinkel, das Verhältnis eines kleinen Rotationswinkels zum Zeitelement, in dem die Drehung vor sich geht, die Rotationsgeschwindigkeit (oder Winkelgeschwindigkeit). Es ist wichtig, daß sowohl die Rotation wie die Rotationsgeschwindigkeit gleichfalls V e k t o r c h a r a k t e r besitzt. Denn außer ihrem Betrage sind sie noch durch die Richtung der Achse charakterisiert, um die die Drehung stattfindet; wir betrachten daher die Richtung der Rotationsachse auch als die Richtung dieser Vektoren, die wir in einem beliebigen Punkte der Achse auftragen können. Den p o s i t i v e n S i n n d e s R o t a t i o n s v e k t o r s setzen wir folgendermaßen fest: Blickt man in Richtung der Rotationsachse und erfolgt dann die D r e h u n g i m U h r z e i g e r s i n n e , so soll der Vektor der Rotation bzw. Rotationsgeschwindigkeit vom Beschauer fortweisen. Ebensogut können wir den Rotationsvektor bzw. die Rotationsgeschwindigkeit als die Resultierende von drei speziellen Rotationen bzw. Rotationsgeschwindigkeiten ansehen, die um die Koordinatenrichtungen als Rotationsachsen erfolgen (Zerlegung und Zusammensetzung geschehen nach dem Parallelogrammsatz). Man erkennt daraus, d a ß i n e i n e r R o t a t i o n s b e w e g u n g u m e i n e b e l i e b i g e A c h s e s i c h die weiteren drei Freiheitsgrade des starren Körpers bemerklich machen. Die allgemeinste Bewegung eines starren Körpers läßt sich aus einer Translation und einer Rotation zusammensetzen; dabei kommen alle sechs Freiheitsgrade zur Geltung. Es ist noch eine d r i t t e B e w e g u n g s m ö g l i c h k e i t des starren Körpers vorhanden: Wir können •einen P u n k t festhalten; alle anderen Punkte beschreiben dann Bahnen, die auf konzentrischen Kugelflächen um dieses „ R o t a t i o n s z e n t r u m " liegen. Man kann indessen zeigen, daß diese Rotation um einen Punkt stets auf eine Rotation um eine durch diesen Punkt gehende Achse zurückgeführt werden kann, die allerdings im allgemeinen ihre Lage im Körper von Augenblick zu Augenblick ändert und deshalb „ M o m e n t a n a c h s e " oder „ i n s t a n t a n e R o t a t i o n s a c h s e " genannt wird. Um diese dritte Bewegungsform brauchen wir uns also nicht zu kümmern.
Wie schon oben erwähnt, hat ein System von η f r e i e n Massenpunkten viel mehr Freiheitsgrade, d. h. Bewegungsmöglichkeiten als ein starrer Körper. Doch kann sich natürlich auch ein beliebiges System in Sonderfällen wie ein starrer Körper bewegen, d. h. Translation und Rotation sind mögliche Bewegungstypen aller (nicht nur starrer) Systeme. Das ist deshalb wichtig, weil der später abzuleitende „zweite Impulssatz"
76
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
sich gerade auf Rotationsbewegungen bezieht und deshalb für a l l e (nicht nur für starre) Systeme Gültigkeit besitzt. Die Zahl der Freiheitsgrade mag noch in ein paar Spezialfällen angegeben werden: Ein Massenpunkt, der sich auf einer bestimmten vorgeschriebenen Kurve bewegen muß, hat nur mehr 1 Freiheitsgrad; ist er auf eine Fläche beschränkt, kann er 2 Freiheitsgrade betätigen. Ein starrer Körper, der in einem Punkte festgehalten wird, hat offensichtlich noch 3 Freiheitsgrade; sind aber 2 Punkte festgehalten, so ist nur noch eine Bewegung mit 1 Freiheitsgrad möglich.
26. Trägheitsmoment (Drehmasse); Satz von Steiner Wir wollen im folgenden die charakteristischen Unterschiede im Verhalten des starren Körpers bei Translation und Rotation herausarbeiten. Wir betrachten z . B . die kinetische Energie eines in T r a n s l a t i o n begriffenen starren Körpers. Da die Translationsgeschwindigkeit für jeden Punkt desselben die gleiche ist, ist die gesamte kinetische Energie offenbar: (57)
iMc2.
EMn = ±c*2;m = trans
Das ist der nämliche Ausdruck wie bei einem Massenpunkt, und der innere Grund dafür ist eben die Gleichheit der Geschwindigkeit für alle Punkte. Bei einer R o t a t i o n ist dies natürlich nicht mehr der Fall. Die Punkte der Achse sind sämtlich in Ruhe, und die außerhalb der Achse gelegenen Punkte haben um so größere Geschwindigkeiten, je größer ihr Abstand r von der Achse ist. Bezeichnen wir den Vektor der Rotationsgeschwindigkeit mit u, seinen Betrag entsprechend mit u> so ist der Betrag der Geschwindigkeit aller Punkte im Abstände r von der Achse: c
=ru.
Damit ist nun der Ausdruck für die kinetische Energie zu bilden: (58)
£"kin =
=
rot
;
denn d i e R o t a t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ist im ganzen Körper konstant. Setzt man zur Abkürzung den Ausdruck (59)
=
und nennt ihn das „Trägheitsmoment" des starren Körpers bezüglich der gewählten Rotationsachse, so können wir schreiben: (60)
Ekin =
.
rot
Die Dimension des Trägheitsmomentes ist [Θ] =
[mP],
bzw. im absoluten Maßsystem: [ιΘ] = [g cm2J . Bereits bei Betrachtung eines Massenpunktes hatten wir erkannt, daß seine Masse m als das Maß für das Beharrungsvermögen betrachtet werden muß. Das gleiche gilt nach (57) für die T r a n s l a t i o n s b e w e g u n g eines starren Körpers: auch hier ist die Masse Μ der Ausdruck für seine Trägheit. A n d e r s a b e r bei der R o t a t i o n s b e w e g u n g ; Gl. (60) zeigt, daß an Stelle der Masse Μ der Ausdruck Θ = ^ m r 2 tritt: d e r w e s e n t l i c h d a v o n a b h ä n g t , wie d i e M a s s e n um d i e R o t a t i o n s a c h s e v e r t e i l t s i n d ; die gleiche Masse kann sehr verschiedene Trägheitsmomente be-
26. Trägheitsmoment
77
sitzen, je nachdem sie sich in kleinerem oder größerem Abstände von der Achse befindet. Für die Rotationsbewegung ist daher nicht die Masse, sondern das Trägheitsmoment das geeignete Maß für das Beharrungsvermögen. Um sowohl den Unterschied gegen die Translationsbewegung als die analoge Beziehung zur Trägheit zum Ausdruck zu bringen, nennt man neuerdings das Trägheitsmoment ganz zweckmäßig die Drehmasse. Übrigens erlauben die Gleichungen (59) und (60) eine anschauliche Definition des Trägheitsmomentes, die wir später benutzen werden. Denken wir uns eine Masse
deren Beträge sind: Dy = r1K1 sin
if.) . . . ,
£>„= rnKn s i n ( r n K n ) ;
jedes Moment hat eine bestimmte durch Ο gehende Achse und Richtung. Wir können also diese Momente nach dem Parallelogrammsatze, wie alle Vektoren, zu einem resultierenden Moment zusammensetzen und erhalten so das Gesamtdrehmoment aller Kräfte um den gewählten festen Momentenpunkt: Φ
1.» V
In dem so definierten Moment φ haben wir diejenige Größe vor uns, die bei Drehung von Systemen, insbesondere von starren Systemen, an die SteBe der Gesamtkraft « = 2 ? » , tritt. Die Dimension eines Drehmomentes ist: [D] = [K] [i|
=[mi»i-»],
oder im absoluten Maßsystem: [D] = [g cm2 sec -2 ] ; das Drehmoment hat also die gleiche Dimension wie die Arbeit. Wenn man bedenkt, welch innige Verbindung nach dem ersten Impulssatz zwischen der resultierenden äußeren Kraft S und dem Gesamtimpuls 3 = Σ ™ , C» besteht, so liegt es offenbar nahe, m i t dem I m p u l s mvtv einer Masse dieselbe Operation v o r z u n e h m e n , die v o n der K r a f t zum D r e h m o m e n t φ , f ü h r t . Das heißt folgendes (Abb. 87): In Ρ befinde sich eine Masse mv, von der Geschwindigkeit („, also vom Impuls m v t v . Verbinden wir Ρ mit einem beliebigen festen Punkte, ζ. B. dem Koordinatenanfangspunkt 0, nennen den Lagevektor tv und bilden dann das Produkt . , , rr mv cv sin (ry c,),
Abb. 87. Drehimpuls U in bezug auf e i n e n f e s te n Momentenpunkt
so nennen wir diesen Wert den Betrag des „Impulsmomentes" oder des „Drehimpulses" Μν um eine durch den Momentenpunkt Ο gehende Achse, die senkrecht zur Ebene der Vektoren t„ und C„ steht. Diesen Drehimpuls betrachten wir daher ebenfalls als einen Vektor tt», der senkrecht zur Ebene der Vektore Xv und Cv steht, in Abb. 87 also senkrecht zur Zeichenebene; die positive Richtung ist wieder so bestimmt, daß die Reihenfolge tv. C„ tl» dieselbe ist wie die Folge x, y, ζ; in der Abbildung ist also die Richtung von U, von vorn nach hinten zu wählen, r, sin(t,C„) ist offenbar gleich (j v , wo ρ„ das von Ο auf die Richtung von gefällte Lot ist. Wenn wir nun die Winkel-
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
86
geschwindigkeit M, einführen, so ist cv = qv uv , also der Betrag des Drehimpulses der Reihe nach gleich den folgenden Ausdrücken: Uv = rp mvcv sin (r v cy) = mvqvcv
= (mpov2)nv
.
Dabei ist mvgf offenbar das Trägheitsmoment Θν der Masse m, η bezug auf die durch Ο gehende vorhin definierte Achse. Wir können also jetzt für den Drehimpuls der betrachteten Masse die Vektorgleichung hinschreiben: Ur = m r Or2 Uy = 0,Ur·
(69)
Haben wir ein ganzes System von Massen, so können wir mit jedem Impulse so verfahren; wir erhalten also eine Anzahl von Drehimpulsvektoren, alle auf Achsen bezogen, die durch Ο hindurchgehen. Da wir schon festgesetzt hatten (Nr. 25), daß tt» ein Vektor ist, der auf der Drehungsachse aufzutragen ist, gilt nach (69) das gleiche für jeden Drehimpulsvektor tt»; wir haben jeden von ihnen vom festen Momentenpunkt Ο in Richtung seiner Achse aufzutragen und können dann die sämtlichen Vektoren tt, nach dem Parallelogrammsatz, d. h. vektoriell, addieren. Das gibt also die folgende Gleichung für den gesamten Drehimpuls tt des Systems: (70)
n =
θ, n, = 2;
In dem besonderen Falle, daß es sich um einen starren Körper handelt, der sich um eine feste Achse dreht, ist die Rotationsgeschwindigkeit tt^ im ganzen Körper konstant ς]ei h tt, und in diesem Spezialfälle geht dann Gl. (70) für den Drehimpuls des starren Körpers über in: (70a)
U = Θ U, 2
wo Θ = £mrQr das Trägheitsmoment des gesamten Körpers um die feste Achse ist. Diesen Spezialfall des Drehimpulses hatten wir durch eine Art von Analogiebetrachtung bereits in Gl. (61) der vorigen Nummer gefunden. Es ist übrigens zu beachten, wenn die Achse im Körper nicht festliegt, daß Θ„ und Θ keine Konstanten sind, da die Abstände ρν sich dann im allgemeinen zeitlich ändern. Als Ergebnis dieser Nummer können wir also feststellen: Den für die Translationsbewegung zuständigen Begriffen der Kraft und des Impulses 3 treten für die Rotationsbewegung die Begriffe des Drehmomentes (oder der Drehkraft) φ und des Drehimpulses tt zur Seite. Die Dimension des Drehimpulses ist: [ « ] > [&] [»] = [m P] r 1 ] = [m l2 tr»] , bzw. im absoluten Maßsystem: [U] = [g cm2 sec -1 ] . Denken wir uns die am Schlüsse der Nr. 26 angegebenen 4 Körper (Scheibe, Kugel, Kreisel und Fahrrad) mit 5 Umdrehungen je Sekunde um ihre Achse rotierend, so haben sie eine Winkelgeschwindigkeit tt = 2n · 5 = 31,4 sec"1 Damit ergeben sich folgende Beträge für die Drehimpulse: 1. Scheibe: Ό = 25,9 · 104 g cm^ec" 1 . 2. Kugel: U = 13,8 · 10δ 3. Kreisel: ü = 70,4· 104 4. Fahrrad: U = 75,4· 106 „ Die Erde macht in 86140 sec eine Umdrehung, ihre Winkelgeschwindigkeit ist also
8OT =
7,3
'10"5
SeC_1
·
Der Drehimpuls der Erde hat also den Wert: 5. Erde:
U = 474 · 1038 g c m W 1 .
28. Zweiter Impulssatz
87
28. Zweiter Impulssatz (Drehimpulssatz) Wir können nunmehr folgende Tabelle aufstellen, die die einander entsprechenden Größen für Translation und Rotation einander gegenüberstellt: Translation Geschwindigkeit tv Masse mv
Einzelimpuls
Gesamtimpuls Kraft
Gesamtkraft
= mpcv
3 = ^/Sn S„
$t =£$ty
Rotation Rotationsgeschwindigkeit »V Trägheitsmoment (Drehmasse) ©„ = m,rv2 Einzeldrehimpuls Θν»ν Gesamtdrehimpuls tt = JWy Drehmoment (Drehkraft) « r Gesamtmoment Φ = Htv
Der erste Impulssatz lautet nun nach Gl. (49 b):
Die obige Tabelle führt uns nun z i einem weiteren'Satze, indem wir die entsprechenden Größen einfach substituieren:
Darin bedeutet Φ z u n ä c h s t das Moment a l l e r Kräfte, der ä u ß e r e n sowohl wie der i n n e r e n . In (49b) aber bede itet Si nur die Summe der ä u ß e r e n Kräfte, da die inneren Kräfte sich nach dem Reaktionsprinz ρ paarweise herausheben, und wir betonten auch, daß gerade darauf die Bedeutung des ersten Impulssatzes beruht, weil man sich um die (vielfach unbekannten) inner m Kräfte nicht zu kümmern braucht. Wie steht es nun in dieser Hins cht mit der Gleichung (71), die doch das Analogon zum ersten Impulssatz darstellt ? Von Nutzen kann auch hier der Satz nur sein, wenn sich in (71) die Momente der inneren Kräfte herausheben. Man kann dies zwar n i c h t für b e l i e b i g e i n n e r e K r ä f t e beweisen, sondern nur für söge annte „Zentralkräfte", die in Richtung der Verbindungslinie je zweier Massen Abb. 88. wirken. Dies zeigt sofort Abb. 88, in der sich in P t Drehmomente von Zentralkräften und P 2 zwei Massen befinden, die aufeinander die nach dem Reaktion spr nzip gleichen und entgegengesetzten Zentralkräfte Stj und J®2 = —Sij ausüben mögen; die Lagsvektoren der beiden Massen sind und t2. Zur Bildung der Drehmomente und φ 2 dieser beiden Kräfte in bezug auf Ο hat man die Beträge Di = r1K1sm(r1Kj)
und
D2 = r2 K2 s i n ( r 2 K 2 )
zu bilden, wobei natürlich K1 = K2 ist. Die Produkte r1 sin (r 1 Kj)
und
r2 sin (r2 K2)
sind aber beide gleich a, dem senkrechten Abstände der gemeinsamen Wirkungslinie beider Kräfte von 0. Die Beträge D1 und I)2 sind also gleich aK1, aber ihre Vektoren φ, und φ 2 haben entgegengesetzte Richtung, da beide Momente; in entgegengesetztem Sinne um eine durch Ο gehende Achse zu drehen bestrebt sind. Also ist die Summe + φ 2 = 0, wie behauptet wurde. Da wir aber nicht wissen, ob die Voraussetzung von Zentralkräften in der Natur stets zutrifft, müssen wir an das Experiment appellieren. Dies zeigt nun in der Tat,
88
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
d a ß die M o m e n t e der i n n e r e n K r ä f t e sich s t e t s p a a r w e i s e a n u l l i e r e n ; die experimentellen Beweise werden wir weiter unten erbringen. Setzen wir den Beweis als bereits erbracht voraus, so bedeutet — ganz analog wie im ersten Impulssatz — auch in der Gleichung (71) φ n u r m e h r d a s M o m e n t d e r ä u ß e r e n K r ä f t e . I n dieser Fassung nennt man (71) daher den zweiten Impulssatz (Drehimpulssatz), der in Worten folgendermaßen ausgesprochen werden k a n n : Das Gesamtdrehmoment der an einem beliebigen System angreifenden äußeren Kräfte ist gleich der sekundlichen Änderung des Gesamtdrehimpulses. Besonders einfach wird die Aussage des Drehimpulssatzes, wenn keine äußeren K r ä f t e vorhanden sind, also bei einem f r e i e n S y s t e m . F ü r ein solches gilt nach (71), da die linke Seite verschwindet: (72)
( Id.h.
=
tt = J7tt„ = j ; © , t t » = Const.,
in Worten: Der Gesamtdrehimpuls eines freien Systems bleibt nach Größe und Richtung konstant (Satz v o n der E r h a l t u n g des D r e h i m p u l s e s ) . E r t r i t t dem Satz von der Erhaltung des gewöhnlichen Impulses zur Seite. Wie das freie System sich auch im einzelnen bewegen möge, immer behält der Pfeil, durch den wir seinen Drehimpuls als Vektor darstellen können, seine Länge und seine Orientierung im Räume bei. Man nennt daher die Richtung des Drehimpulses eines freien Systems die invariable Achse, die dazu senkrechte Ebene durch den Momentenpunkt die invariable Ebene des Systems. I n dem besonderen Falle, daß das System starr ist und sich um eine feste Achse dreht, nimmt sowohl der Drehimpuls (71) wie auch der Erhaltungssatz (72) des Drehimpulses eine besonders einfache Gestalt an. Denn dann hat Jtv im ganzen Körper den gleichen W e r t U und Θ = Σ wirrt2 ist zeitlich konstant. Folglich gelten unter dieser Voraussetzung die Sätze: (71a) (72a)
® = 0 t t = Const.,
in Worten: Dreht sich ein starrer Körper um eine im Körper feste Achse, so ist das Drehmoment der äußeren Kräfte % gleich dem Produkt aus dem Trägheitsmoment Θ um diese Achse und der Winkelbeschleunigung ^ . Bewegt sich ein starrer Körper kräftefrei um eine feste Achse, so ist das Produkt aus Trägheitsmoment und Winkelgeschwindigkeit und folglich auch die Winkelgeschwindigkeit selbst eine Konstante. In diesem Falle ist die Analogie zu den entsprechenden Aussagen des ersten Impulssatzes besonders eng: Denn nach (56) ist die äußere Kraft gleich dem Produkt aus der Masse des Körpers und der Beschleunigung des Schwerpunktes: Κ = Mä, und im kräftefreien Falle ist der Impuls des Schwerpunktes konstant: Mc = Const. Der experimentelle Nachweis für die Richtigkeit der Behauptung, daß die Momente der inneren K r ä f t e sich herausheben, wird im folgenden so geführt, daß die Richtigkeit der Gleichungen (71a) und (72a) gezeigt wird; denn sie könnten nicht erfüllt sein, wenn die inneren K r fte ein nicht verschwindendes Moment hätten. Zur experimentellen Bestätigung der Gl. (71a) gibt es zahlreiche Anordnungen, von denen wir zwei bringen. Bei der in Abb. 89 skizzierten Apparatur lassen sich an
89
28. Zweiter Impulssatz
einem aus Leichtmetall hergestellten Kreuz k, das um eine in Spitzen gelagerte Achse a drehbar ist, zwei Metallringe m 1 und m 2 anbringen; auf der Achse des Kreuzes ist ferner eine Doppelrolle b befestigt, auf deren kleinerem oder größerem Umfang eine Schnur aufgewickelt ist, die am freien Ende ein Gewicht G trägt; dieses übt das Drehmoment D = Gr aus, wenn r der jeweils benutzte Radius der Seilrolle ist. Infolgedessen bekommt das System nach (71a) eine bestimmte Winkelbeschleunigung , die man dadurch erhält, daß man das Gewicht G an einem Maßstab vorbeifallen läßt und seine Fallbeschleunigung r mißt. Man beobachtet dann, daß die Winkelbeschleunigung des rotierenden Systems um so größer ist, je größer das Drehmoment,
Abb. 89. Anordnung zum Nachweis der Gleichung ® = θ
Abb. 90. Bergabrollender Zylinder (Galileische Fallrinne)
d. h. der Radius der Seilrolle ist. Ersetzt man ferner den Metallring m l durch den Metallring m 2 , dessen Masse doppelt so groß wie die von m 1 ist, während sein Radius nur den -Lr-ten Teil desjenigen des großen Ringes ist, so erhält man mit beiden Ringen Κ2
die gleiche Winkelbeschleunigung: Denn beide Ringe haben offenbar gleiches Trägheitsmoment, obwohl die Massenverteilung verschieden ist. Als zweiten Versuch (Abb. 90) lassen wir die auf S. 77 beschriebenen Zylinder -— siehe die Abb. 71a und 71b — von verschiedener Massenverteilung, d . h . verschiedenem Trägheitsmoment, aber gleicher Masse und gleichem Radius R, nebeneinander eine schiefe Ebene herabrollen. Wir beobachten dann, daß der Zylinder mit dem kleineren Trägheitsmoment schneller herunterrollt als der mit dem größeren, wie es nach (71 a) sein muß; denn beide Zylinder erfahren das gleiche Drehmoment D = Ga. (s. Abb. 90); G ist das Gewicht des Zylinders und α der Arm des Drehmomentes. Diese Anordnung liefert übrigens die strenge Theorie der Galileischen Fallrinne, die wir in Nr. 12 besprochen haben; dort hatten wir auch angemerkt, daß die Beschleunigiing parallel der schiefen Ebene nicht g sina, wie Galilei annahm, sondern wegen des Rollens kleiner sei. Für die Wihkelbeschleunigung -j- erhalten wir nach dem 2. Impulssatz (71a) die Gleichung: dt Θ
—Q a = OB sina = mg Β sina ,
wenn m die Masse des herabrollenden Zylinders ist; Θ ist das Trägheitsmoment desselben, aber nicht dasjenige um die durch den Scherwpunkt S gehende, senkrecht zur Zeichenebene stehende Achse; vielmehr findet die Drehung um die zum Punkte Β verkürzte jeweilige Berührungslinie zwischen
90
III. Kapitel. Mechanik eines Systems von Massenpunkten
Zylinder und schiefer Ebene statt. Die lineare Beschleunigung (Beschleunigung am Umfang des Zylinders) ist offenbar Ii
. Folglich erhalten wir aus der letzten Gleichung dafür: „du Tt
R
mR2 =
-e-
9 S m o i
·
V
Σ% V
=
d. h. sowohl die resultierende äußere Kraft wie das resultierende äußere Drehmoment müssen verschwinden. Bei starren Körpern, die in einem bzw. zwei Punkten festgehalten sind, kommt wie oben nur die zweite dieser Gleichungen zur Verwendung, da die erste von selbst erfüllt ist.
IV. K a p i t e l
A n w e n d u n g e n auf spezielle B e w e g u n g e n In den beiden vorhergehenden Kapiteln wurden für den einzelnen Massenpunkt, und für Systeme von solchen die allgemeinen Prinzipien dargelegt, nach denen im Einzelfalle die Bewegung zu bestimmen ist. In diesem Kapitel machen wir Anwendungen der gefundenen Sätze auf spezielle Bewegungen.
29. Zentripetal- und Zentrifugiiikraft Wenn sich ein Massenpunkt auf einer krummlinigen Bahn mit ungleichförmiger Geschwindigkeit bewegt, so erfährt er nach Gl. (10) und (11) auf S. 28, zwei Beschleunigungen, die Tangentialbeschleunigung = > u n < i die Zentripetalbeschleu2 nigung a n = -i- c . Nach dem zweiten N e w t o n s c h e n Axiom wirken demnach auf den Massenpunkt zwei Kräfte, die wir entsprechend als Tangential- bzw. Zentripetalkraft bezeichnet haben. Für sie gelten die Gleichungen — nach Gl. (32b) auf S. 45: T a n g e n t i a l k r a f t : Kt = (32 b) Zentripetalkraft:
=
=
m
,
29. Zentripetal- und Zentrifugalkraft
95
Während die K r a f t Kt nur eine Änderung der Bahngeschwindigkeit bedingt, wirkt Kn stets senkrecht zur Bahn nach dem Zentrum des Krümmungskreises und zwingt den Massenpunkt zur Abweichung von seiner ursprünglich geradlinigen Bahn. I n dem besonderen Fall, daß sich der Massenpunkt auf einem Kreise mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, ist Kt = 0 und Kn nimmt einen konstanten Wert an. Bezeichnen wir mit η die Zahl der Umläufe des Massenpunktes in der Sekunde, mit Τ die Dauer eines Umlaufes, mit u die Winkelgeschwindigkeit und mit r den Bahnradius, so können wir die Zentripetalkraft in folgender Weise ausdrücken: (73)
mc2
Kn — -y-
= mru2 = m4n2rn2
—m
^
71^ Τ
.
In Worten: Die Zentripetalkraft ist dem Quadrat der Bahngeschwindigkeit bzw. dem Quadrat der Winkelgeschwindigkeit direkt proportional. Bei k o n s t a n t e r W i n k e l g e s c h w i n d i g k e i t (oder, was dasselbe ist, bei k o n s t a n t e r U m l a u f s z e i t bzw. U m l a u f s z a h l ) des bewegten Körpers ist sie dem Bahnradius direkt, bei k o n s t a n t e r B a h n g e s c h w i n d i g k e i t jedoch diesem umgekehrt proportional. Drückt man die Winkelgeschwindigkeit durch Umlaufszahl oder Umlaufszeit aus, so ist die Zentripetalkraft dem Quadrat der Umlaufszahl direkt oder dem Quadrat der Umlaufszahl umgekehrt proportional. Von der Wirkung der Zentripetalkraft überzeugen wir uns durch folgende Versuche: Um einen Stein auf einem Kreis herum zuschleudern, müssen wir ihn an einer Schnur anbinden, deren anderes Ende wir festhalten; die straff gespannte Schnur hält den Stein auf der Kreisbahn, die er sofort verläßt, wenn wir die Schnur loslassen. — Legen wir auf ein um eine vertikale Achse drehbares horizontales Brett eine Kugel und versetzen es in Drehung, so beobachten wir, daß sich die Kugel um so eher Von der ihr aufgezwungenen Kreisbahn entfernt, je größer ihr Abstand von der Drehachse ist, je größer ihre Masse ist und je rascher wir das Brett drehen. Damit die Kugel an der Kreisbewegung teilnimmt, müssen wir sie durch eine nach dem Kreismittelpunkt gerichtete K r a f t halten, etwa, indem wir sie durch einen Faden mit dem Kreismittelpunkt verbinden. Schreiben wir die Gl. (73) in der Form Kn + (—mru2) = 0 , so können wir nach den Überlegungen von Nr. 19 die Größe (—mru 2 ) als d ' A l e m b e r t s c h e T r ä g h e i t s k r a f t a u f f a s s e n , die gleichfalls an der b e w e g t e n Masse a n g r e i f t , der Zentripetalkraft entgegengerichtet ist und ihr das Gleichgewicht hält;, man hat dieser in Richtung des Bahnradius nach außen vom Zentrum wegweisenden Trägheitskraft einen besonderen Namen gegeben: „Zentrifugal"- oder ,,Flieh"-Kraft. Für die Größe bzw. die Abhängigkeit der Zentrifugalkraft von Masse, Bahnradius, Bahngeschwindigkeit usw. gilt das gleiche wie für die Zentripetalkraft. Da die Zentrifugalkraft nur ein anderer Ausdruck dafür ist, daß die Trägheit sich der Richtungsänderung durch die Zentripetalkraft widersetzt, verschwindet sie gleichzeitig mit der letzteren. Lassen wir ζ. B. beim herumgeschleuderten Stein die Schnur los, d. h. anullieren wir die Zentripetalkraft, so verschwindet auch die sogenannte Zentrifugalkraft, und der Stein fliegt nach dem Trägheitsgesetz in Richtung der B a h n i a n g e n t e weg. Dieses tangentiale Abfliegen kann man sehr schön an einem funkensprühenden Schleifstein beobachten: Die infolge der Reibung beim Schleifen eines. Stahlstückes glühend gewordenen Stahlspäne verlassen den Schleifstein tangential. Wie schon in Nr. 19 ausgeführt, braucht man von d'Alembertschen Trägheitskräften, im besonderen von Zentrifugalkräften, überhaupt nicht zu sprechen, wenn man den Bewegungsvorgang nicht als „dynamisches Gleichgewicht" betrachten will: Wie alle Trägheitskräfte tritt auch dieZentrifugalkraft nur dann auf, wenn man statische Methoden und statische Begriffe verwendet, die eigentlich nicht verwendet werden dürfen; den hierdurch begangenen Fehler kompensiert mart
96
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
durch Einführung der Trägheitskräfte, hier der Zentrifugalkraft. Die Einführung dieses Begriffes ist bequem in der Ausdrucksweise, verlangt aber, daß der Lernende den Sachverhalt gründlich durchschaut; ist dies nicht der Fall, so kann der Begriff Zentrifugalkraft zu Verwirrung Anlaß geben, was in der Geschichte der Physik häufig genug der Fall gewesen ist. Wir wollen das schon benutzte Beispiel betrachten, daß wir einen Stein,an einer Schnur herumschwingen, die wir am anderen Ende mit der Hand festhalten; dann g l a u b t man die Zentrifugalkraft in dem nach außen gerichteten Zuge der Schnur an der Hand deutlich zu spüren und drückt sich auch häufig so aus. Dennoch ist dies nicht richtig, und es ist lohnend, an diesem einfachen Beispiele den Sachverhalt zu erläutern (Abb. 96). Damit der Stein seine Kreisbahn beschreiben kann, muß auf ihn — in irgendeiner Weise — eine Zentripetalkraft nach innen ausgeübt werden; in unserem Beispiele geschieht dies durch die Spannung der (gedehnten) Schnur. I n Abb. 96 ist diese Zentripetal2enMfogalkrafr kraft als nach innen gerichteter Pfeil an dem S t e i n angebracht. W e l c h e K r a f t g r e i f t n u n a n d e r H a n d a n f N i c h t e t w a die Z e n t r i f u g a l k r a f t , sondern die reale Reaktionskraft nach dem dritten Newtonschen Axiom; sie ist durch einen nach Abb. 96. Zur Definition von Zentriaußen gerichteten Pfeil an der H a n d markiert; fugal- und Zentripetalkraft Zentripetalkraft und Reaktionskraft sind, wie immer, einander entgegengesetzt gleich, haben aber verschiedene Angriffspunkte. Die Zentrifugalkraft dagegen muß, da sie bei Behandlung der Bewegung als statisches Problem der Zentripetalkraft das Gleichgewicht halten soll, an dem S t e i n selbst angebracht werden, wie es in Abb. 96 auch .geschehen ist; die Zentrifugalkraft ist der Zentripetalkraft gleich, aber entgegengesetzt gerichtet, sie ist also gleich und gleich gerichtet mit der an der Hand angreifenden Beaktionskraft, Was man an der Hand als Zug nach außen verspürt, ist also nicht eigentlich die Zentrifugalkraft — diese greift ja gar nicht an der Hand anl —, sondern die ihr nach Größe und Richtung gleiche Reaktionskraft. Man muß sich also ein für allemal folgendes merken: 1. Die Zentrifugalkraft greift an demselben Punkte an wie die Zentripetalkraft. 2. Die R e a k t i o n der Zentripetalkraft greift nach dem dritten Newtonschen Axiom an einem anderen Punkte an wie die Zentripetalkraft, ist aber der Zentrifugalkraft nach Größe und Richtung gleich. 3. Bei den sogenannten Zentrifugalapparaten und Versuchen über Zentrifugalkraft beobachtet man meistens, wie in dem eben besprochenen Falle, nicht die Zentrifugalkraft, sondern die Newtonsche Reaktionskraft. Wenn man sich dies einmal klar gemacht hat, kann man den Begriff der Zentrifugalkraft unbedenklich benutzen, wie es auch im folgenden geschieht. Κ 0 - -*--Λ
m\
W*—
Abb. 97. Messung der Zentrifugalkraft
Abb. 98. Vi =
.... dir* mi/ /T?2
Abb. 99. Wirkung der Zentrifugalkraft bei rotierenden Flüssigkeiten
Die Größe der Zentrifugalkraft einer auf einem Kreise mit gegebenem Radius umlaufenden Masse läßt sich mit der in Abb. 97 wiedergegebenen Anordnung quantitativ messen. Bei Rotation des Apparates um die vertikale A c h s e l hebt die an der Masse m 1 angreifende Zentrifugalkraft eine Masse m2 hoch und hält sie dann gegen die Schwere im Gleichgewicht, wenn sie gleich deren Gewicht m2g ist. Die Hebung von m2 erfolgt demnach, sobald u2 = ist. — Läßt man den in Abb. 98 im Querschnitt gezeichneten Apparat, bei dem zwei verschieden große durch einen Eaden miteinander verbundene Massen m1 und m2 auf einer horizontalen Stange leicht ver-
29. Zentripetal- und Zentrifugalkraft
97
schieblich angebracht sind, u m die A c h s e l rotieren, so wirkt die Z e n t r i f u g a l k r a f t jeder Kugel als Z e n t r i p e t a l k r a f t auf die andere. D a m i t keine der beiden K u g e l n sich bei der R o t a t i o n längs der . Stange verschiebt, inuß, da beide die gleiche Winkelgeschwindigkeit haben, mxrxu-f = oder m 1 : m 2 = r2:rl sein, d . h . die Massen b e h a l t e n ihre A b s t ä n d e von der Achse d a n n u n d n u r d a n n bei, wenn sich die A b s t ä n d e u m g e k e h r t wie die Massen v e r h a l t e n . Setzt m a n ein Glasgefäß von der in Abb. 9 9 a gezeichneten F o r m , in dessen u n t e r e m Teil Quecksilber u n d Wasser übereinander geschichtet sind, u m die v e r t i k a l e Achse in schnelle U m d r e h u n g e n , so bewegt sich entsprechend Abb. 9 9 b das schwerere Quecksilber n a c h den Stellen des größten U m f a n g e s u n d bildet d o r t w ä h r e n d der R o t a t i o n einen Ring, über den sich n a c h innen zu ein R i n g von Wasser schichtet. I n derselben Weise erklärt sich auch die W i r k u n g der Zentrifugen, die zur T r e n n u n g verschieden schwerer Flüssigkeiten bzw. verschieden schwerer Stoffe, die in einer Flüssigkeit verteilt sind, dienen. So wird z . B . bei der Milchzentrifuge der R a h m d a d u r c h von d e r Magermilch a b g e t r e n n t , d a ß m a n die Vollmilch in einem Gefäß in schnelle R o t a t i o n v e r s e t z t : Die spezifisch schwerere Magermilch wird a n die G e f ä ß w a n d getrieben, w ä h r e n d sich der leichtere R a h m in der N ä h e der Drehachse a n s a m m e l t , wo er d u r c h eine geeignet a n g e b r a c h t e Ö f f n u n g abgelassen werden k a n n . Auch die Wäscheschleuder ist a n dieser Stelle zu erwähnen. Bei ihr findet sich die nasse W ä s c h e in einem Kessel, dessen W a n d u n g Löcher besitzt. W i r d der Kessel in rasche U m d r e h u n g versetzt, so wird das schwere Wasser n a c h der W a n d des Kessels getrieben u n d fliegt d u r c h die Löcher heraus. — Neuerdings h a t m a n Ultra-Zentrifugen konstruiert, die U m d r e h u n g s zahlen η bis 2000 pro Sekunde, also maximale Winkelgeschwindigkeiten w = 2πη bis z u 4 π · 10® sec - 1 besitzen. Die m a x i m a l e E n t f e r n u n g von der R o t a t i o n s a c h s e ist etwa r = 2 cm. Mit einer solchen Zentrifuge k a n n m a n maximale Beschleunigungen ru2 von 3,2 -10 8 cm s e c - 8 erzielen, die r u n d 300000 m a l größer sind als die Erdbeschleunigung g. Bei diesen A p p a r a t e n müssen die A b s t ä n d e von der Achse klein g e h a l t e n werden, weil die F l i e h k r ä f t e sonst so groß würden, d a ß kein Material i h n e n s t a n d h a l t e n k ö n n t e . Diese B e m e r k u n g gilt allgemein: J e größer die Dimensionen eines rotierenden K ö r p e r s , ζ. B. eines Schwungrades, quer zur Achse sind, u m so kleiner ist die zulässige Winkelgeschwindigkeit. A Versetzt m a n einen K e t t e n r i n g auf einer Schwungradscheibe m i t horizontaler Achse in schnelle R o t a t i o n , so werden die Kettenglieder d u r c h die nach a u ß e n wirkenden Zentrifugalk r ä f t e so stark angespannt, d a ß die K e t t e wie e i n elastischer R i n g wirkt. W i r f t m a n die K e t t e w ä h r e n d der R o t a t i o n von der Scheibe ab, so l ä u f t sie auf d e m Boden wie ein starrer Reifen weiter u n d überspringt sogar Hindernisse. — L ä ß t m a n eine auf der Achse eines Motors befestigte, kreisrunde K a r t o n s c h e i b e sehr schnell rotieren, so wird sie d u r c h die Z e n t r i f u g a l k r ä f t e d e r a r t stark angespannt, d a ß m a n sie wie eine Kreissäge zum Durchsägen von Holz b e n u t z e n kann. Abb. 100. Zentrifugalregulator Bei dem in der Technik zur Steuerung von D a m p f m a s c h i n e n b e n u t z t e n Zentrifugalregulator befinden sich (Abb. 100) zwei kugelförmige Massen m a n den E n d e n zweier Stangen l, die d r e h b a r a n der vertikalen A c h s e l befestigt sind. R o t i e r t die ganze V o r r i c h t u n g u m die A c h s e l , so werden die Massen m infolge der Z e n t r i f u g a l k r a f t .nach außen gezogen u n d d a d u r c h gehoben. Diese H e b u n g ü b e r t r ä g t sich d u r c h die B e r g m a n n u. S c h a e f e r , Experimentalphysik. I. 2. u. 3. Aufl.
7
98
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Stangen s auf eine längs der Achse gleitende Hülse H , die ihrerseits mittels eines in der Abbildung nicht gezeichneten Gestänges die Dampfzufuhr drosselt, wenn die Drehzahl der Maschine einen bestimmten Betrag übei£,
w o f ü r wir auch n a c h Gl. (99) schreiben k ö n n e n : (101a)
d2y dt 2
4 π2 rp2 y =
—i — ton 2
ansehen,
deren Amplitude
periodisch ändert. Die resultierende
Schwingung schwillt also von Null zu einem Maximum 2b an, wird wieder Null usw. Wir nennen diesen Vorgang eine Schwebung. Die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden maximalen Amplituden nennt man die S c h w e b u n g s d a u e r Ts; es ist die ωτ — ωχχ t von + 1 in — 1 verwandelt; d. h. wenn sich Zeit, die vergeht, wenn sich cos das Argument des Kosinus um π ändert. E s gilt also die Gleichung: ωι — ωπ
Tg = π ,
woraus folgt: 2π Τ = = * α>ι — (ou
1
=
vi — vii
y i r H T u — Tx
Die S c h w e b u n g s f r e q u e n z v„ d . h . die Zahl der Schwebungen in der Sekunde beträgt demnach v, = Vi — Vu. J e weniger die Frequenzen der Einzelschwingungen voneinander abweichen, desto geringer ist die Zahl der Schwebungen. Die Amplitude der Schwebung geht nur dann auf Null herunter, wenn die Amplituden der Einzelschwingungen gleich sind. Wir sprechen in diesem Fall von einer reinen Schwebung im Gegensatz zur unreinen Schwebung, die dann vorliegt, wenn die beiden Einzelschwingungen verschiedene Amplituden haben. Eine besonders große Rolle spielen die Schwebungen in der Akustik. Die Zusammensetzung zweier Schwingungen mit gleicher oder verschiedener Frequenz läßt sich experimentell auf verschiedene Weise zeigen. Wir geben folgende zwei Versuchsanordnungen dafür an. In der Abb. 174 sind zwei einseitig eingeklemmte Bandfedern dargestellt, die in der Vertikalen Biegungsschwingungen ausführen können
Abb. 174.
Zusammensetzung zweier Schwingungen mittels schwingender Federn
Abb. 175. Apparat zur Vorführung der Zusammensetzung zweier Sinusschwingungen gleicher Richtung
und am freien Ende einen kleinen Spiegel tragen. Bildet man über beide Spiegel einen hellen Lichtpunkt auf einem Schirm ab, so beschreibt dieser Punkt auf dem Schirm beim Schwingen beider Federn ihre resultierende Schwingung. Läßt man den Lichtstrahl, bevor er auf den Schirm fällt, über einen Drehspiegel mit vertikaler Achse gehen, so daß er bei Rotation dieses Spiegels in eine horizontale Linie auseinander gezogen wird, so erhält man auf dem Schirm die Schwingungskurve der resultierenden Schwingung. Die Frequenzen der einzelnen Schwingungen lassen sich durch Verändern der Längen der Federn variieren. Ein zweiter Vorführungsapparat für die Überlagerung zweier Sinusschwingungen, der im Gegensatz zu der soeben beschriebenen Versuchsanordnung auch die Einstellung
153
37. Schwingungen; Zusammensetzung von Schwingungen
jeder Phasendifferenz zwischen den beiden Schwingungen ermöglicht, ist in Abb. 175 dargestellt. Vor einem vertikalen Spalt befindet sieh ein kleines Stäbchen, das mit seinen Enden am Umfang zweier Kreisscheiben in Löchern drehbar gelagert ist. Die beider Scheiben sitzen an den Enden zweier Achsen 1 und 2, die unabhängig voneinanden gedreht werden können. Befindet sich ζ. B. die Achse 2 in Ruhe und rotiert die Achse I mit v1 Umdrehungen je Sekunde, so beschreibt das Stäbchen einen Kegelmantel vor dem Spalt; bildet man das Stäbchen auf einem Schirm über einen Drehspiegel mit vertikaler Achse ab, so erhält man auf dem Schirm eine Sinuslinie mit der Frequenz Durch Verschieben des Spaltes in horizontaler Richtung kann man jede Amplitude zwischen Null und der größten durch den Radius der Kreisscheibe gegebenen einstellen. Steht die Achse 1 still und dreht sich die Achse 2 mit ^Umdrehungen je Sekunde, so erhält man auf dem Schirm eine zweite Schwingung mit der Frequenz v2- Bei gleichzeitiger Drehung beider Achsen erhält man dann die Überlagerung der beiden Einzelschwingungen, und zwar für den Fall gleicher Amplituden, wenn der Spalt genau in der Mitte steht. Durch Verschieben des Spaltes kann man jedes Amplitudenverhältnis einstellen. Damit die beiden Schwingungen ein festes Frequenzverhältnis haben, erfolgt der Antrieb der beiden Achsen 1 und 2 über Zahnräder mit entsprechendem Übersetzungsverhältnis von einer dritten Achse 3. Dabei kann man durch Verdrehen des bei F angebrachten Rades die Phase zwischen den beiden Schwingungen beliebig einstellen und auf diese Weise ζ. B. die in Abb. 169, 171—173 dargestellten Schwingungskurven erhalten. Ebenso wichtig wie die Zusammensetzung mehrerer harmonischer Schwingungen zu einer resultierenden Schwingung ist die Zerlegung einer gegebenen b e l i e b i g e n periodischen Bewegung f(t) in eine Summe von harmonischen Teilschwingungen. Dies ist, wie F o u r i e r gezeigt hat, stets, und zwar nur auf eine Weise, möglich: r f(i) = A0 + A1 cosmt + A2 cos2mt + As cos3mt + · · · l + B-y sinco/ + B2 sin2a)/ + sin3&>i + · · · .
(106) wobei ω = ^
die Kreisfrequenz, Τ die Schwingungsdauer des periodischen Vorganges
ist. Außer der „Grundfrequenz" ω treten in der Fourier-Entwicklung (106) im allgemeinen alle ganzzahligen Vielfache 2ω, 3 ω , . . . , die sogenannten „harmonischen Oberschwingungen" auf. In besonderen Fällen können einzelne Glieder fortfallen; für die Praxis genügt es, meistens, wenn man die Entwicklung nach den ersten Gliedern abbricht. Man nennt eine solche Zerlegung eine Fourier-Analyse; auf das Rechenverfahren gehen wir nicht ein. Lediglich als Beispiel für die Zerlegung einer beliebigen periodischen Bewegung f{t) ist in Abb. 176a eine periodische Dreieckskurve gezeichnet, von der Amplitude b und der Periode Τ bzw. der Kreisfrequenz ω =
.
Die Fourier-Analyse ergibt folgende Zerlegung dieser Schwingung: (106a)
8h + -^τβϊηδωί —-^r sin7a>2 /W = J r sin ω t — ^rsin3(wi ö2 7Z
Das Bildungsgesetz für die höheren Glieder der Reihe ist danach leicht erkenntlich; insbesondere sieht man, daß alle Kosinusglieder und die geradzahligen Vielfachen der Grundfrequenz ω fehlen. Beschränkt man sich auf die angeschriebenen vier ersten Glieder der Reihe, die im oberen Teile der Abb. 176b einzeln dargestellt sind, so erhält man durch Überlagerung derselben die unterste Kurve dieser Figur, die — abgesehen von einigen Kräuselungen — die Dreieckskurve der Abb. 176a schon recht gut darstellt; durch Hinzunahme von noch mehr Gliedern kann die Annäherung entsprechend weiter getrieben werden.
154
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Es sei bemerkt, daß man die Fourier-Analyse einer gegebenen periodischen Funktion auch auf rein mechanischem Wege vollziehen kann; solche Apparate heißen harmonische Analysatoren. Es ist interessant, daß das Ohr einen solchen harmonischen A n a l y s a t o r b e s i t z t , worauf wir in der Akustik näher einzugehen haben. Aus diesem Grunde spielt die Fourier-Analyse in diesem .Zweige der Physik eine besonders wichtige Rolle.
Wir kommen jetzt zu dem zweiten Fall der Zusammensetzung zweier Schwingungen, deren Richtungen gegeneinander geneigt sind. Wir wollen nur den wichtigsten Fall behandeln, daß die beiden Schwingungsrichtungen senkrecht aufeina n d e r stehen, also z.B. parallel der x- und y-Riehtung eines Koordinatensystems. Wir setzen dementsprechend die beiden Schwingungen, die zunächst gleiche Frequenz haben mögen, gleich:
•a)
x = asmwt
und
y = b sin(co< + φ) .
Der Massenpunkt beschreibt eine Bahn, die in jedem Augenblick nach dem Parallelogrammgesetz aus den Einzelverrückungen zusammengesetzt ist; wegen der Phasendifferenz ψ zwischen den beiden Schwingungen ist sie im allgemeinen gekrümmt und von der Größe der Phasendifferenz abhängig. U m die Bahnkurve zu finden, eliminieren wir aus den beiden Gleichungen die Zeit t und schreiben dazu y in der F o r m ;
b)
y = b sincoi cosg? + b cosmt sin95. Aus der ersten Gleichung finden wir Abb. 176. Fourier-Zerlegungeiner periodischen Dreieckskurve
sin ω t =
cos ω t ••
—,
dies ergibt, in die vorstehende Gleichung eingesetzt: bx y = — cos φ
• am φ,
• l ^ q
oder anders geschrieben: χ2 6a
2 xy cos φ ab
'φ.
Dies ist aber die Gleichung eines Kegelschnittes, und da die K u r v e ganz im Endlichen verläuft, kann es nur eine Ellipse sein, deren Mittelpunkt mit dem Koordinatenanfangspunkt zusammenfällt, die aber — wie das Auftreten des Gliedes mit x y anzeigt —- nicht die Koordinatenachsen zu Hauptachsen besitzt; die Ellipsenachsen sind vielmehr gegen die Koordinatenachsen gedreht, um einen Winkel ψ, dessen Größe wiederum von der Phasendifferenz φ abhängt. Um einen Überblick über die möglichen Bahnformen und ihre Orientierung zu erhalten, betrachten wir verschiedene Spezialfälle. 1. φ = 0. Die Ellipsengleichung geht dann über in die Form: α
b
oder
Jy
— — α
In diesem Fälle degeneriert die Ellipse in eine Gerade im 1. und 3. Quadranten, deren Neigung gegen die Λ:-Achse durch tang ψ = — gegeben ist. Wir haben also eine lineare €1
i
Schwingung vor uns, deren Amplitude nach dem Parallelogrammgesetz ^ α2 + δ2 ist.
37. Schwingungen; Zusammensetzung von Schwingungen
155
Θ Β ) das in Abb. 198 gezeichnete Bild: Die m o m e n t a n e D r e h a c h s e bewegt sich auf dem Mantel eines·Kegels, dem soge.
Β Ache des kleinsten Tfligheitsmomentes Abb. 197. Festlegung der drei Kreiselachsen
Abb. 198. Die drei Kreiselachsen
nannten Rastpolkegcl (Herpolhodiekegel) um die raumfeste Impulsachse. Die F i g u r e n a c h s e bewegt sich ebenfalls auf dem Mantel eines Kegels, dem Nutationskegel um die Impulsachse. Dabei rollt auf dem raumfesten Rastpolkegel ein mit der Figurenachse starr verbundener Kegel, der Gangpolkegel (Polhodiekegel), ab. Die Spitzen sämtlicher Kegel liegen in demselben Punkt, nämlich dem festgehaltenen Punkte des Kreisels (hier also dem Schwerpunkte), die Berührungslinie von Rastpol- und Gangpolkegel liefert die Richtung der momentanen Drehachse. Es kann vorkommen, daß die Impulsachse des Kreisels mit der Figurenachse zusammenfällt. Man spricht in diesem Fall von einem nutationsfreien Kreisel. Dieser Fall liegt ζ. B. vor, wenn Abb. 199. Diskuswurf man den in Abb. 196 gezeichneten Kreisel, während er rotiert, vorsichtig auf seine Unterlage aufsetzt, ohne ihm einen s e i t l i c h e n Stoß zu v e r s e t z e n . Dann behält auch die Figurenachse ( = Impulsachse) ihre Lage im Raum bei. Eine richtig abgeschleuderte Diskusscheibe ζ. B., die durch eine Drehung der Hand in Rotation um ihre Hauptträgheitsachse versetzt wird, stellt einen kräftefreien Kreisel dar, bei dem die Impulsachse mit der Figurenachse zusammenAbb. 200. Gyroskop von Fessel fällt, so daß die Scheibe während des Wurfes ihre Achsenlage im Raum beibehält (Abb. 199). Dadurch wirkt die Scheibe auf dem absteigenden Ast b ihrer Bahn wie ein Tragflügel und erreicht so größere Wurfweiten als auf der normalen Wurfparabel a.
39. Freie Achsen; Kreiselgesetze
173
Wir untersuchen nunmehr die Wirkung äußerer K r ä f t e auf einen rotierenden Kreisel. Zu diesem Zweck benutzen wir den in Abb. 200 abgebildeten, von F e s s e l angegebenen Apparat ( G y r o s k o p ) , bei dem ein in einem Kreisring C gelagerter Kreisel/^ a n dem einen Ende eines Waagebalkens W angebracht ist, so daß seine Figurenachse mit der Richtung des Waagebalkens zusammenfällt. Der Kreisel ist also nutationsfrei, da Impuls- und Figurenachse zusammenfallen. Der Waagebalken W ist in einem Gelenk um die Achse Α drehbar gelagert, und das Gewicht des Kreisels wird durch •ein Gegengewicht G ausgeglichen; dadurch ist der Waagebalken im Schwerpunkt unterstützt, und es wirken zunächst auf den Kreisel keinerlei äußere Kräfte. Das die Achse Α tragende Gelenk ist schließlich noch um die vertikale Achse Β leicht drehbar. Wird der Kreisel in Rotation versetzt, so behält seine Figurenachse (zugleich Impulsachse) ihre Lage im R a u m bei, da keinerlei Drehmomente auf den Kreisel einwirken. Wenn wir nun von oben auf das linke E n d e des Waagebalkens mit einer K r a f t Ρ drücken (Abb. 201a), so üben wir auf den Kreisel ein Drehmoment φ aus, das ihn um die Achse Α in der eingezeichneten Pfeilrichtung zu verdrehen sucht. Wir beobachten dann, V d a ß die Achse des Kreisels diesem Drehmoment nicht folgt, vielmehr ihm rechtwinklig ausweicht und eine Bewegung in horizontaler Richtung u m die vertikale Achse Β vollführt. Dieses merkwürdige Ergebnis erklärt sich folgendermaßen: Der rotierende Kreisel besitzt einen bestimmten Drehimpuls dessen Richtung •durch den Umlaufssinn des Kreiselkörpers gegeben ist. Bei der in Abb. 201 a angenommenen Drehrichtung zeigt der Impulsvektor U^ in Richtung der Kreiselachse nach rechts. Durch das Drehmoment, dessen Vektor auf den Beschauer zu gerichtet ist, erhält der Kreisel einen weiteren Drehimpuls Uχ>, der sich mit dem Drehimpuls Ux in der Abb. 201. Zur Erklärung der Präzession eines Kreisels gezeichneten Weise zu dem resultierenden Drehimpuls tt zusammensetzt. Die Kreiselachse stellt sich nun in die Richtung dieses resultierenden Drehimpulses ein: der Kreisel vollführt also eine Drehung um die vertikale Achse B. Abb. 201b zeigt, wie sich die Bewegung des Kreisels ändert, wenn wir auf das linke Ende des Waagebalkens eine K r a f t Ρ von unten nach oben wirken lassen. Dadurch kehren sich die Richtungen des Drehmomentes φ und des Drehimpulses UD um, und der Kreisel weicht in einer umgekehrten Drehung um Β der ihm aufgezwungenen Drehung um Α aus. Schließlich zeigen die Abb. 201c und d, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn wir dem Kreisel eine Drehung um die vertikale Achse Β auf zwingen. In diesen Fällen sind der Vektor des erzwungenen Drehmomentes φ und des dadurch erzwungenen Drehimpulses WD vertikal gerichtet. Die Kreiselachse stellt sich wieder in Richtung des resultierenenden Drehimpulses Μ ein und vollführt
174
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
zu diesem Zweck eine Drehung um die horizontale Achse Α in der jeweils eingezeich neten Drehrichtung. In Abb. 201c s e n k t er sich, während er sich in Abb. 201d h e b t . Wir nennen diese B e w e g u n g d e s K r e i s e l s u n t e r d e m E i n f l u ß e i n e r ä u ß e r e n K r a f t die Präzession des Kreisels. Hängt man an das linke Ende des Waagebalkens ein kleines Übergewicht G, das eine dauernd nach unten gerichtete Kraft p auf den Waagebalken ausübt, so rotiert der Kreisel mit gleichmäßiger Geschwindigkeit um die vertikale Achse B . Versucht man diese Drehung um die Achse Β zu vergrößern, indem man, wie in Abb. 202a, noch eine K r a f t Ρ in horizontaler Richtung gegen das linke Ende des Waagebalkens wirken läßt, so sinkt der Kreisel tiefer, d. h. er stellt seine Achse unter einem bestimmten Winkel Λ zu der ursprünglich horizontalen Lage ein. Das der Schwere unterworfene linke Ende des Waagebalkens wird dabei g e g e n d i e S c h w e r k r a f t g e h o b e n . Umgekehrt erhebt sich der Kreisel, wenn man, wie in Abb. 202b, die Präzessionsbewegung um die Achse Β zu verzögern sucht.
Abb. 202. Präzession des Kreisels
Abb. 203. Nachweis der Kreiselpräzession
Sehr schön lassen sich diese Vorgänge noch an dem in Abb. 203 gezeichneten Kreisel verfolgen. Der Kreisel Κ ist in einem Ring R gelagert; in der Verlängerung der Kreiselachse ist an dem Ring ein kurzes Ansatzstück Β angebracht, das mit einem Gelenk C drehbar an einer vertikalen Stange befestigt ist. Diese Stange S hängt mit einem Stift drehbar in einer Öse H. Hält man die Anordnung an dieser Öse Η in der Hand und bringt man den Kreisel, nachdem man ihn in Rotation versetzt hat, in die gezeichnete Lage, so daß die Kreiselachse horizontal liegt, so beginnt der ganze Kreisel um die Stange S in der eingezeichneten Richtung zu „präzessieren". E s übt nämlich die Schwere G des Kreisels ein Drehmoment um eine horizontale Achse auf den Kreisel aus, dem der Kreisel durch eine Bewegung um die Stange 5 dauernd auszuweichen sucht. Vergrößert man die Drehung des Kreisels um die Stange S, indem man dieser eine zusätzliche Drehung mit der Hand erteilt, so richtet sich die Kreiselachse auf, verzögert man dagegen die Drehbewegung um S, so sinkt die Kreiselachse ab. Wir überblicken die Verhältnisse am besten an Hand des in Abb. 203 miteingezeichneten Bildes der Zusammensetzung der Drehimpulsvektoren. Der Drehimpuls des rotierenden Kreisels setzt sich mit dem Drehimpuls tt®, der von dem nach unten ziehenden Gewicht G des Kreisels um das Gelenk C hervorgerufen wird, zu dem Drehimpuls U^g zusammen, in dessen Richtung sich die Kreiselachse einstellt. Dies führt zunächst, zu der Rotation des ganzen Kreisels um die Stange 5 . Vergrößert man die Drehung so erhält der Kreisel einen Zusatzimpuls U'. tt' und U^o ergeben den schräg nach oben gerichteten resultierenden Drehimpuls U, in dessen Richtung sich die Kreiselachse bei der zusätzlichen Drehung einstellt.
39. Freie Achsen; Kreiselgesetze
175
Die Präzessionsbewegung kann man auch an jedem Kinderkreisel beobachten. In Abb. 214 ist ein kegelförmiger Kreisel gezeichnet, der für einen von oben schauenden Beobachter gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Der Impulsvektor U Ä der Kreiselrotation ist also nach oben gerichtet. Die im Schwerpunkt S des Kreisels angreifende Schwerkraft G versucht diesen, sobald sich seine Achse aus der Vertikalen entfernt, um die Kreiselspitze zu kippen. Dieser Kippbewegung weicht der Kreisel dauernd durch eine dazu senkrechte Bewegung aus; infolgedessen rotiert seine Achse auf dem Mantel eines Kegels, dessen Achse auf dem Boden steht. Dieser letzte Versuch verläuft allerdings nur dann in der beschriebenen Weise, wenn der Kreisel eine scharfe Spitze besitzt, und wir von j e d e r Reibung zwischen Spitze und Boden absehen. T a t s ä c h l i c h ist jedoch das untere Ende des Kreisels abgerundet, und es besteht zwischen dem Kreisel und der Bodenfläche eine gewisse Reibung. Dann beobachtet man, daß sich der Kreisel, wenn seine Achse zunächst schief zur Vertikalen steht, .V
Abb. 204. Präzession des Kinderkreisels
Abb. 205. Präzession beim Kinderkreisel unter Berücksichtigung der Reibung
Abb. 206. Aufrichtung eines rotierenden Kreisels
bei genügend schneller Rotation aufrichtet (Abb. 205). Das untere Ende des Kreisels bewegt sich dabei ebenfalls auf einer spiralförmigen Bahn, wobei es längs dieser Bahn noch kleine Schwankungen ausführt, von denen wir hier aber absehen. Wie kommt nun die Aufrichtung des Kreisels gegen die Schwere zustande? Wir betrachten zu diesem Zweck Abb. 206, die in starker Vergrößerung das untere Ende des Kreisels im Querschnitt zeigt. Die Berührung des Kreisels mit der Bodenfläche geschieht, wie man sieht, nicht mit dem Endpunkt der Figurenachse Α, sondern mit dem Punkt B . Beschreibt nun der Kreisel eine Präzessionsbewegung, so ändert sich dieser Punkt dauernd und die Aufeinanderfolge der Berührungspunkte bildet den Umfang eines Kreises, von dem in Abb. 206 B B ' einen Durchmesser darstellt. Längs dieses Kreises rollt der Kreisel bei seiner Präzessionsbewegung auf der Bodenfläche ab. Nun rotiert aber der Kreisel gleichzeitig um die Figurenachse Α, und diese Rotation bewirkt, wenn zwischen Kreisel und Boden Reibung vorhanden ist, ein b e s c h l e u n i g t e s V o r r ü c k e n des Kreisels längs der Bahnkurve auf dem Boden. Auf S. 174 haben wir aber gesehen, daß eine Beschleunigung der Präzessionsbewegung bei dem in Abb. 202 skizzierten Versuch eine Kraftwirkung des Kreisels gegen die Schwere bewirkt. Das gilt auch für den in Abb. 205 gezeichneten Kreisel, der sich demzufolge allmählich aufrichtet. Bedingung ist aber, daß das untere Ende des Kreisels gegen die Bodenfläche eine Reibung besitzt und der Kreisel genügend schnell rotiert. Selbstverständlich darf die Reibung dabei nicht zu groß sein; denn die dadurch verbrauchte Energie wird der Rotationsenergie des Kreisels entzogen, so daß dessen Umdrehungszahl rasch abklingt und der Kreisel umfällt.
176
I V . Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
Auf dem soeben beschriebenen Vorgang des Aufrichtens eines Kreisels beruht auch die Erscheinung, daß sich ein gekochtes Ei, wenn man es auf einer waagerechten rauhen Ebene in genügend rasche Rotation versetzt, aufrichtet und auf seiner Spitze wie ein Kreisel rotiert. Durch diesen Versuch kann man ein gekochtes E i von einem rohen unterscheiden. Das rohe E i zeigt nämlich die Erscheinung des Aufrichtens nicht; die Kreiselgesetze gelten nur für starre Körper, und^ als ein solcher kann das rohe E i wegen seines flüssigen Inhaltes natürlich nicht angesehen werden." Die Kreiselgesetze spielen bei vielen Vorgängen des täglichen Lebens eine wichtige Rolle. Wirft man ζ. B . einen Bierdeckel wie eine Diskusscheibe schräg nach oben (Abb. 207a), indem man ihm gleichzeitig eine Drehung um die Achse seines größten Trägheitsmomentes erteilt, so richtet sich der Bierdeckel um die Flugrichtung als Achse auf und nimmt schließlich die in Abb. 207b gezeichnete Stellung ein. Dieser Vorgang erklärt sich folgendermaßen: Der Bierdeckel stellt einen Kreisel
Abb. 207 Als Diskus geworfener Bierdeckel
Abb. 208 Zum Freihändigfahren mit dem Fahrrad
dar mit dem Impuls Während des Fluges versucht die Luftströmung den Deckel um die Achse A zu drehen und ihn mit seiner Fläche quer zur Wurfrichtung zu stellen. Dadurch erhält der Bierdeckel einen Zusatzimpuls VLÄ, und die Impulsachse stellt sieh in die Richtung des resultierenden Drehimpulses U ein. Dies führt zu einer Drehung des Bierdeckels um die Wurfrichtung als Achse. Auch das Freihändigfahren mit dem Fahrrad beruht zum Teil auf den Kreiselgesetzen, zum Teil auf der Zentrifugalkraft (siehe S. 98). I n Abb. 208 ist das Vorderrad eines Fahrrades gezeichnet; bei der Rotation in der Pfeilrichtung besitzt es in Richtung seiner Achse den Drehimpuls Θη. Für das Trägheitsmoment eines einzelnen Fahrrades hatten wir auf S. 80 den Wert 2,4 · 10 6 g cm 3 angegeben. Bei einem Raddurchmesser von 70 cm beträgt der Radumfang 220 cm. Bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h ergibt dies eine Winkelgeschwindigkeit vom Betrage u
=
71
20-105 36ÖÖT~22Ö
=
sec
und somit einen Drehimpuls vom Betrage 37,9 · 10 6 g cm 2 s e c - 1 . Neigt sich nun der Fahrer ζ. B . nach links, so kommt sein Schwerpunkt seitlich über den Unterstützungspunkt des Rades, und dieses erfährt eine Kippung um die Fahrtrichtung als Achse. Dadurch erhält das R a d ein Drehmoment um die Achse Α und dementsprechend einen Zusatzimpuls U^. Der Wirkung dieses Zusatzdrehimpulses versucht das R a d als Kreisel durch eine Drehung um die Achse Β in der eingezeichneten Pfeilrichtung auszuweichen. Dadurch beschreibt das Fahrrad eine Rechtskurve, und zwar so lange, bis die Spur des Rades wieder unter der Schwerpunktslinie durchgelaufen ist. Dann νβΓβμοΜ das Gewicht des Fahrers das R a d nach rechts zu kippen, so daß das Vorderrad die umgekehrte Bewegung wie vorher beschreibt und in eine Kurve nach links einbiegt. Indem sich dieses Spiel dauernd wiederholt, wird ein Umkippen des Fahrrades vermieden. Voraussetzung dafür ist aber eine hinreichend große Kreiselwirkung des Rades, was gleichbedeutend mit einer genügend großen Fahrgeschwindigkeit ist. Bekanntlich ist auch nur dann ein sicheres Freihändigfahren möglich. Sehr häufig macht sich bei schnell rotierenden Massen die Kreiselwirkung störend bemerkbar, wenn die Richtung der Rotationsachse geändert wird. Ζ. B . wirkt bei den älteren elektrischen Lokomotiven, bei denen die Kraftwirkung von der Achse des Motors durch Stangen auf die einzelnen Räder übertragen wird, der Rotor des Elektromotors als Kreisel. Seine Achse hegt horizontal und senkrecht zur Fahrtrichtung; durchfährt die Lokomotive eine Kurve, so wird dabei die Achsenrichtung des Kreisels um die Vertikale gedreht. Der Kreisel sucht dieser ihm aufgezwungenen Bewegung durch eine Drehung um die Fahrtrichtung als Achse auszuweichen, was unter Umständen zu einem Herausspringen der Maschine aus den Schienen führen kann. I n derselben Weise wirken .auch die Kreiselkräfte der Räder des Zuges.
177
40. Erde als rotierendes System
Beim Flugzeug spielen die Kreiselkräfte des Propellers eine wichtige Rolle. So versucht bei einem vom Flugzeugführer aus gesehenen rechtsläufigen Zugpropeller, dessen Drehimpulsvektor in die Flugrichtung zeigt, die Kreiselwirkung das Flugzeug beim Durchfliegen einei Linkskurve vorn aufzurichten und den Schwanz des Flugzeuges nach unten zu drücken. Beim Durchfliegen einer Rechtskurve wird dagegen das Flugzeug vorn nach abwärts gedrückt, während sein Schwanz gehoben wird. Da man beim Durchfliegen einer Kurve das Flugzeug infolge des größer werdenden Luftwiderstandes etwas abwärts steuern muß, wird dies bei einer Rechtskurve von der Kreiselwirkung des Propellers bewirkt; man spricht von einem rechtswendigen Flugzeug. Läuft aber der Propeller links herum, so ist das Flugzeug linkswendig. Besonders groß werden diese Kreiselkräfte bei Propellern mit Umlaufmotoren. Durch Benutzung von zwei entgegengesetzt umlaufenden Propellern lassen sich zwar die Kreiselkräfte in bezug auf das Flugzeug als Ganzes ausschalten, doch sind die Kräfte für jeden Propeller allein vorhanden und müssen durch die Verstrebungen und Verbindungen der beiden Motore aufgenommen werden. J T Die Tatsache, daß ein rotierender Kreisel seine \ Achsenrichtung im Raum beizubehalten sucht, wird in der Technik in Form des sogenannten Geradlaufapparates Abschuß zur Steuerung eines abgeschossenen Torpedos im Wasser benutzt. Wird der Torpedo durch äußere Kräfte aus seiner Schußrichtung abgelenkt, so betätigt der Kreisel ein \ Relais, durch das ein Motor in Tätigkeit gesetzt wird, der seinerseits das Seiten- bzw. Höhensteuer entsprechend nachstellt, damit der Torpedo wieder in seine alte LaufAbschuß bahn einbiegt. -Θ Θ « z * Zur Verringerung der sogenannten Rollschwingungen eines Schiffes um seine Längsachse dient der Schlicksche Treffpunkt Schiffskrf isel. Der von einem Elektromotor angetriebene Abb. 209. Flugbahn eines Langschwere Kreiselkörper ist mit vertikaler Achse in einem geschosses; a) im luftleeren Raum, Gehänge gelagert, das als Ganzes um eine horizontale b) bei Luftwiderstand und Rechtsdrall zur Schiffsachse senkrechte Achse drehbar ist. Um diese im Aufriß, c) im Grundriß Achse führt der Kreisel infolge der Präzession bei Schiffsschwingungen um die Längsachse schwingende Bewegungen aus. Durch geeignete Dämpfung dieser Kreiselschwingungen werden infolge der Rückwirkung auf die Schiffsechwingungen diese erheblich gedämpft. Beim Blindflug von Flugzeugen benutzt man die Kreiselwirkung zur Schaffung eines künstlichen Horizontes, an dem man das Steigen, Gleiten, sowie jede Neigung Abb. 210. Wirkung des Luftwiderdes Flugzeuges erkennen kann, sowie zur Herstellung standes auf ein Langgeschoß eines Wendezeigers, der eine Drehung des Flugzeuges um die vertikale Achse anzeigt. Auf den Kreiselkompaß gehen wir im nächsten Abschnitt ein. Schließlich spielt die Kreiselwirkung auch in der Ballistik eine bedeutende Rolle. Damit ein Langgeschoß am Ziel stets mit der Spitze aufschlägt, erteilt man dem Geschoß beim Abschuß eine Rotation um seine Längsachse, den sogenannten D r a l l , indem man das Geschützrohr mit schraubenartigen Zügen versieht. In diese Züge schneidet sich der aus weichem Metall gefertigte Führungsring des Geschosses ein, so daß dieses eine Umdrehung um seine Längsachse erhält. Als Beispiel sei angeführt, daß das Infanteriegeschoß Modell 98 nach dem Abschuß in der Sekunde 3750 Umdrehungen macht, seine Winkelgeschwindigkeit beträgt also 23S60 sec - 1 . Während des Fluges wirkt dann das Geschoß wie ein Kreisel. Die mit der Geschoßachse zusammenfallende Drehimpulsachse würde im luftleeren Raum entsprechend Abb. 209a ihre Richtung stets zur Abschußrichtung parallel beibehalten. Nun wirkt aber während des Fluges auf das Geschoß der Luftwiderstand, dessen Angriffspunkt Α (Mittelpunkt der parallelen Kräfte) nach Abb. 210 im vorderen Teil des Geschosses liegt. Der Luftwiderstand W sucht das Geschoß um eine durch seinen Schwerpunkt gehende zur Flugrichtung senkrechte Achse zu drehen. Dieser Drehbewegung sucht das als Kreisel wirkende Geschoß durch eine Präzessionsbewegung auszuweichen. Bei dem meistens benutzten Rechtsdrall zeigt der Drehimpulsvektor in die Flugrichtung nach vorne, die Spitze des Geschosses beschreibt demnach unter der Wirkung des Luftwiderstandes eine Rechtsdrehung, wenn man in Richtung der Flugbahn sieht. Bei geeigneter Wahl des Dralles erreicht man, daß die Spitze des Geschosses nach Durchlaufen der ganzen Geschoßbahn nach unten zeigt (Abb. 209b). Das Geschoß durchläuft dabei während seiner Präzessionsbewegung den Präzessionskegel nicht vollkommen, sondern die Spitze bleibt stets nach rechts abgelenkt. Infolge des dadurch einseitig wirkenden Luftwiderstandes erfährt das Geschoß eine Rechtsabweichung gegen die eigentliche Ziellinie, wie es in Abb. 209 c in der Aufsicht von oben gezeigt ist.
^
B e r g m a n n u. S c h a c f e r , Experimentalphysik. I. 2. u. 3. Aufl.
!
&
12
178
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
40. Die Erde als rotierendes System; Nachweis der Erddrehung Die Erde rotiert u m eine durch ihre Pole hindurchgehende freie Achse; eine vollständige Umdrehung gegen den Fixsternhimmel erfolgt in 86164 sec. Demnach beträgt 2π
die Winkelgeschwindigkeit der Erdkugel nur u — g g · ^ = 7,3 · 10~5 sec - 1 . Immerhin ergeben sich für die lineare Geschwindigkeit eines P u n k t e s an der Erdoberfläche recht beträchtliche Werte. F ü r einen Ort unter dem Breitegrad φ ist οφ = u R cos φ , wobei der Erdradius R = 6,37 -10 8 cm ist. Für den Erdäquator ergibt dies c 0 = 465 m/sec, für φ — 51° (ζ. Β. Breslau) c51» = 293 m/sec. Infolge der Erdrotation erfährt jeder Körper mit der Masse m auf der Erde eine von der Erdachse fortgerichtete Zentrifugalkraft @ = t n a ; die für die Rotation des betreffenden Körpers erforderliche Zentripetalkraft wird von der Erdanziehung geliefert; befindet sich der Körper auf der geographischen Breite φ, so ist der R a d i u s des betreffenden Breitenkreises r = R cos φ und die auf den Körper wirkende Zentrifugalbeschleunigung hat den B e t r a g a = u2 r = u2R C O S φ ; mit den obigen Worten ergibt dies: a = 3,4 cos φ cm sec~2 . Nach Abb. 211 läßt sich diese Zentrifugalbeschleunigung in die beiden Komponenten aR und a t zerlegen, von denen die erstere senkrecht, die zweite parallel zur Erdoberfläche gerichtet i s t : a B = a cos (p = u2R cos2
2 Achse. Zieht man bei rotierendem O A ? Zylinder Ζ die Klemmbacken mit Bi den Schrauben S j undS 2 an, so wird Η durch die Reibung die ganze AnG' ordnung in dem eingezeichneten Drehsinn mitgenommen, so daß der our H U Hebelarm Η an den Anschlag N t kommt; durch Aufsetzen von Gewichten G auf die Waagschale läßt es sich erreichen, daß der Hebelarm frei zwischen den Anschlägen N t und iV2 spielt. In diesem Fall ist der an dem Umfang des Zylinders Ζ wirkende Reibungswiderstand R gleich der von der Maschine ebenfalls am Zylinderumfang ausgeAbb. 228. Bremsdynamometer, a) Anordnung; b) Zuübten Kraft Κ (s.Abb.228b). Nun sammensetzung der Kräfte wird dem Drehmoment Rr der Ende des Hebelarms l wirkenden GeReibungskraft von dem Moment Gl des am
SÄ2_
wichtes G das Gleichgewicht gehalten, so daß gilt: Rr
=
Gl
oder
R=G—
.
Da aber R — Κ ist, folgt: K =
G-
Die Leistung L der Maschine ist gleich dem durch die Zeit dividierten Produkt aus Kraft mal Weg. Legt also der Zylinderumfang in t Sekunden die Strecke s zurück, so ist: Gls ΊΊΓ '
41. Reibung fester Körper
191
Macht der Zylinder in der Sekunde «Umdrehungen, so ist s = 2 n r n t und somit L = 2πη
Gl,
oder, wenn wir mit Ν die Tourenzahl pro Minute bezeichnen: L =
Gl = 0,105 GIN kpm/min ,
wenn wir G in kp und l in m angeben.
Gleitende Reibung tritt auch überall dort auf, wo sich Achsen in gewöhnlichen Lagern drehen. Um die Lagerreibung, die einen unerwünschten Verlust von mechanischer Energie darstellt, möglichst zu vermindern, wendet man „ S c h m i e r m i t t e l " an, die man meistens in der Form von ö l oder Fett zwischen die aufeinander gleitenden Flächen bringt. Bei der Bewegung gleiten dann die an den beiden sich gegeneinander bewegenden Körpern haftenden Ölschichten aufeinander, und der Reibungskoeffizient ζ. B. für Schmiedeeisen auf Gußeisen sinkt dadurch von 0,2 auf etwa 0,06. Zu beachten ist, daß bei Anwendung eines Schmiermittels der Reibungswiderstand nicht mehr von der Größe der sich berührenden Flächen unabhängig ist, da es sich um die Reibung von F l ü s s i g keitsschichten handelt, die sich nicht nur in drei, sondern in allen Punkten berühren. Die Schmiermittelreibung gehört deshalb streng genommen nicht hierher, da ein hydrodynamischer Vorgang vorliegt; daher nur diese Bemerkung.
Wir wenden uns nun zur sogenannten rollenden Reibung. Diese liegt vor, wenn ein runder Körper, ζ. B . ein Rad oder eine Walze, auf der Unterlage abrollt. In Abb. 229 ist der Querschnitt eines auf der schiefen Ebene JJ liegenden Zylinders Ζ gezeichnet, an dessen Achse (im Schwerpunkt 5) die Schwerkraft G angreift; der Winkel der schiefen Ebene sei oc. Wäre keine rollende Reibung vorhanden, so w ü r d e d e r Z y linder Ζ schon bei der k l e i n s t e n Neig u n g oc d e r s c h i e f e n E b e n e h e r a b r o l l e n , und zwar würde er sich um die jeweilige Berührungslinie drehen, die in der Abbildung zum Punkt Β verkürzt ist; denn diese Berührungslinie haftet infolge der Haftreibung an der Unterlage. In Wirklichkeit jedoch muß man einen e n d l i c h e n W i n k e l oc einstellen, b e v o r s i c h d e r Abb. 229. Zur Erklärung der rollenden Reibung Z y l i n d e r in g l e i c h f ö r m i g e B e w e g u n g s e t z t . E s muß also dem Drehmoment der Schwere, das gleich Ga = Gr sin oc ist, ein anderes Moment, nämlich das der rollenden Reibung das Gleichgewicht halten; da die Reibungskraft proportional der Normalkraft Ν = G cos oc ist, können wir also schreiben: G r sinoc = f" G cos« , d. h. der sogenannte „Koeffizient der Rollreibung" ist gegeben durch (115)
/" =
ftang«.
Die hier auftretende Reibung ist viel kleiner als bei der Gleitung, wie man durch folgende Überlegung sieht: Beim Rollen kommen nach und nach andere Mantellinien der Walze in Berührung mit immer anderen Stellen der Unterlage, und es werden die vorhandenen Unebenheiten leichter als beim Gleiten überwunden, da diese ähnlich wie die Zähne eines Zahnrades in entsprechende Lücken eingreifen. D e r K o e f f i z i e n t / " d e r R o l l r e i b u n g i s t n a c h (115) zum U n t e r s c h i e d g e g e n /„ u n d /' k e i n e r e i n e Z a h l , s o n d e r n v o n d e r D i m e n s i o n e i n e r L ä n g e , da es sich hier um Momente (nicht um Kräfte) handelt; / " wird daher etwa in cm angegeben. Für Guß-
192
IV. Kapitel. Anwendung auf spezielle Bewegungen
eisen auf Gußeisen hat /" den Wert 0,008 cm, für Eichenholz auf Eichenholz den Wert 0,018 cm. Wie ein Vergleich mit den Zahlenwerten für /0 und /' in der Tabelle auf S. 187 zeigt, ist die Kollreibung also viel kleiner als die Haft- und Gleitreibung. An die vorletzte Gleichung läßt sich noch folgende Betrachtung anknüpfen: Wenn wir verschiedene Walzen von gleichem Gewicht G, d. h. von gleicher Normalkraft Ν — G cos α vergleichen, und beachten, daß die Reibungskraft R = G sin « ist, so nimmt diese Gleichung die Gestalt an:
und sie besagt, d a ß (bei g l e i c h e r N o r m a l k r a f t ) der R e i b u n g s w i d e r s t a n d R dem R a d i u s der W a l z e u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l ist. Lassen wir z . B . eine Walze aus Eichenholz auf einer schiefen Ebene gleichen Materials rollen, so ist nach den obigen Zahlen /" = r tang α = 0,018 cm. Hat also die Walze einen Radius von 1 cm, so ist tgα = 0,018, was einem Winkel von 1° entspricht; d . h . man muß der •schiefen Ebene den Neigungswinkel 1° geben, damit sich die Walze in gleichförmige Bewegung setzt. Nimmt man dagegen r = 0,1 cm, so wird t g « = 0,18, d. h. oc — 10° 10', d. h. bei kleinem Radius ist die Reibungskraft größer. Aus diesem Grunde benutzt man beim Fahren über Sandboden Wagen mit möglichst großen Rädern (sogenannte ,, Sandschneider"). Die Vorgänge bei der Rollreibung sind in Wirklichkeit komplizierter als oben geschildert: Die Walze und ihre Unterlage können nämlich nicht mehr als s t a r r e Körper betrachtet werden, sondern erleiden e l a s t i s c h e V e r f o r m u n g e n . Die Berührung zwischen einem Zylinder und seiner Unterlage geschieht daher nie in einer Mantellinie, sondern in einer kleinen F l ä c h e . In Übereinstimmung mit dieser Auffassung ist die rollende Reibung kleiner bei solchen Materialien, die nur schwer deformierbar sind.
Von der rollenden Reibung macht man Gebrauch, indem man beim Verschieben schwerer Lasten unter diese Walzen legt. Auch die Räder sämtlicher Fuhrwerke stellen eine Anwendung der rollenden Reibung dar. Um auch die noch verbleibende gleitende Reibimg in den Achsenlagern in eine Rollreibung zu verwandeln, bedient man sich der Kugel- oder Wälzlager, bei denen man entsprechend Abb. 230 zwischen Achse Α und Lagerschale L eine größere Zahl von Stahlkugeln oder Stahlwalzen bringt. Auf diese Weise erniedrigt sich der Reibungswiderstand auf etwa 2°/0 des Wertes, den er in einem gewöhnlichen Lager mit gleitender Reibung hat. Die Reibung ist schließlich der Grund dafür, daß eine Lokomotive einen Zug in Bewegung setzen kann. Daß dies nicht, wie der Laie gewöhnlich Abb. 230. Querschnitt durch ein meint, die Kraft ist, die die Lokomotive infolge der Kugellager. Kuppelung auf die Wagen ausübt, ist deshalb klar, weil dieser Kraft nach dem Reaktionsprinzip das Gleichgewicht gehalten wird durch die gleich große, entgegengesetzt gerichtete Kraft, die die Wagen auf die Lokomotive ausüben. Als e i n z i g e ä u ß e r e K r a f t b l e i b t die R e i b u n g ü b r i g , die von den S c h i e n e n a u f die T r e i b r ä d e r der L o k o m o t i v e a u s g e ü b t wird. Da sich die Räder beim Rollen mit ihrem unteren Teil nach rückwärts bewegen, ist die Haftreibung in der Tat nach v o r n e gerichtet und ist — unter sonst gleichen Umständen — um so größer, je größer das Gewicht der Maschine ist. Deshalb heißen die normalen Eisenbahnen in der Technik direkt „ R e i bungsbahnen".
41. Reibung fester Körper
193
Die „Zugkraft" einer gegebenen Maschine ist leicht zu berechnen. Zunächst muß das Gewicht Ο derselben bekannt sein; ferner muß auch die Zahl der Bäderpaare (oder Achsen) gegeben sein, die als Treibräder (Treibachsen) dienen, d. h. an denen die Kraft der Dampfmaschine angreift, sowie die Zahl der übrigen Räderpaare, die als Laufräder (Laufachsen) dienen. Auf allen Achsen zusammen ruht das Gesamtgewicht, das so auf die einzelnen Achsen verteilt wird, daß auf jede Treibachse etwa 20 Tonnen des Gewichtes entfallen. Hat also eine Maschine ein Gewicht β von 180 Tonnen, 4 Treib- und 4 Laufachsen, so ruht auf den ersteren eine Last O' von 80 Tonnen, auf den letzteren eine solche von 100 Tonnen. Für die Zugkraft Ζ kommen demnach vom Gesamtgewicht nur O' = 80 Tonnen in Frage; sie ist offenbar gegeben durch die Beziehung Z=f0Q';
annähernd ist /„ für Gußeisen auf Gußeisen etwa 0,2 (oder etwas größer). Die gedachte Lokomotive von 180 Tonnen Gewicht besitzt demnach eine Zugkraft Ζ = 0,2 · 801 = 161 (das ist rund 1 / 11 des Gesamtgewichtes). So etwa liegen die Verhältnisse bei Schnellzugslokomotiven, bei denen es weniger auf große Zugkraft ankommt, als vielmehr darauf, große Geschwindigkeit zu erzielen. Bei Güterzugslokomotiven kommt es dagegen umgekehrt auf große Zugkraft an, während die Geschwindigkeit nicht zu groß zu sein braucht. Eine bestimmte Güterzugslokomotive der Deutschen Reichsbahn hat ζ. B. ein Gewicht von rund 501, 3 Treibachsen, keine Laufachsen; hier kommt daher für die Zugkraft das volle Gewicht von 501 in Betracht, das unter Zugrundelegung des obigen Zahlenwertes von / 0 eine Zugkraft von rund 10 t ( = 1 / 6 des Gesamtgewichtes) ergibt. Natürlich wirkt der H a f t r e i b u n g an den Treibrädern der Lokomotive die R o l l r e i b u n g an den R ä d e r n d e r W a g e n u n d d i e G l e i t r e i b u n g a n d e n (ges c h m i e r t e n !) A c h s e n derselben entgegen; solange die Zahl der Wagen nicht so groß ist, daß diese Reibungskräfte größer werden als die Haftreibung der Treibräder, kann die Lokomotive den Zug in Bewegung setzen. Beseitigt man aber (ζ. B . durch ölen der Schienen) einen großen Teil der Haftreibung, so drehen sich die Räder der Lokomotive auf der Stelle. Die Dampfmaschine der Lokomotive muß natürlich die Energie liefern, um die Widerstände der Wagen (und den Luftwiderstand des ganzen Zuges!) zu überwinden; aber der Zug kann nur fahren, wenn die Haftreibung an den Treibrädern hinreichend groß ist. — Da die Reibung der Normalkraft proportional ist, so kann man einen Zug gegebener Länge stets dadurch in Bewegung setzen, daß man eine hinreichend schwere Maschine nimmt (die schwerste Lokomotive der Welt wiegt 310 Tonnen); das ist einer der Gründe, weswegen man schwere Lokomotiven baut. Umgekehrt kann eine gegebene Lokomotive nur einen Zug bestimmter Länge antreiben. Die obige Darlegung bezog sich auf einen bereits in Bewegung befindlichen Zug. Etwas anders liegt die Sache, wenn der Zug still steht und erst anfahren soll. Dann hat auch die Reibung der Wagenräder an den Schienen und die Reibung an den Wagenachsen den Charakter von Haftreibung, ist also größer als im Zustande der Bewegung. Dann kann es passieren, daß die Reibung der Wagen die Reibung der Lokomotive übersteigt. Der Lokomotivführer kann sich in diesem Falle dadurch helfen, daß er die Maschine etwas zurückstößt, wobei infolge der lockeren Kuppelung die Wagen nacheinander, beginnend mit dem ersten Wagen hinter der Maschine, in Bewegung gesetzt und dicht aufeinander geschoben werden. Fährt die Maschine darauf wieder in der Zugrichtung an, so setzt sie nacheinander die einzelnen Wagen in Bewegung. Sobald sie einmal in Bewegung sind, ist die Wagenreibung kleiner als die Haftreibung an den Treibrädern der Maschine. — Der Leser mache sich selbst das Zusammenwirken von Haft-, Gleit- und Rollreibung beim Stoße eines Billardballes mit dem Queue klar, insbesondere die „Rückläufigkeit" und den „Effekt" gestoßener Bälle. Zum Schlüsse dieser Nummer noch eine Bemerkung von grundsätzlicher Bedeutung. Wenn wir die R e i b u n g a l s e i n e n e n e r g i e v e r z e h r e n d e n V o r g a n g bezeichnen, so gilt das nur hinsichtlich der m e c h a n i s c h e n E n e r g i e , die in der T a t durch sie vermindert wird. Dafür aber tritt stets Wärme auf, von der wir heute wissen (und in der Wärmelehre eingehend begründen werden), daß sie auch eine Energieform darstellt: W a s d u r c h R e i b u n g an m e c h a n i s c h e r E n e r g i e v e r l o r e n g e h t , w i r d an W ä r m e e n e r g i e g e w o n n e n , so d a ß der G e s a m t b e t r a g d e r E n e r g i e u n v e r ä n d e r t b l e i b t . So gewinnt auch die Bezeichnung der reibungslosen Mechanik als „reine" Mechanik eine tiefere Bedeutung: Wenn die Reibungserscheinungen in die Mechanik einbezogen werden, ist ein volles Verständnis der Vorgänge in der Mechanik allein nicht mehr möglich. B e r g m a n n u. S c h a e f e r , Experimentalphysik. I . 2. u. 3. Aufl.
13
194
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
V. K a p i t e l
Elastizität der festen K ö r p e r 42. Kennzeichen des festen Aggregatzustandes Wir haben bisher in der Mechanik die Körper, mit denen wir uns beschäftigten, als Massenpunkte oder als vollkommen starr vorausgesetzt. Beide Abstraktionen wurden gemacht, um das komplizierte Problem der Mechanik zu vereinfachen. Bei den Massenpunkten brauchten wir nur von T r a n s l a t i o n zu sprechen; bei den starren Körpern traten die R o t a t i o n s b e w e g u n g e n hinzu, aber die t a t s ä c h l i c h unter dem Einfluß der äußeren Kräfte auftretenden Deformationen wurden ausgeschaltet. Mit der Untersuchung dieser Deformationen und ihrer Abhängigkeit von den äußeren Kräften wollen wir uns im folgenden beschäftigen; wir nähern uns der Wirklichkeit also wieder um einen Schritt. Man nennt die deformierbaren Körper im Gegensatz zu den bisher betrachteten starren Gebilden elastisch, und die Eigenschaft, vermöge deren sie Formänderungen zeigen, „Elastizität" — im Gegensatz zur „Starrheit". Wir beschränken unsere Überlegungen zunächst auf den festen Körper. Bekanntlich gibt es neben dem festen Aggregatzustand eiiies Stoffes noch den flüssigen und den gasförmigen Zustand, auf deren Eigenschaften wir weiter unten eingehen werden. Die verschiedenen Aggregatzustände sind nicht für bestimmte Stoffe charakteristisch, sondern derselbe Stoff kann, je nach den äußeren Umständen, in jedem der drei Aggregatzustände vorkommen ( z . B . Eis, Wasser, Wasserdampf). In welchem Zustande sich ein Stoff gerade befindet, hängt außer von den auf ihn einwirkenden äußeren Kräften wesentlich von seiner Temperatur ab; hiervon wird im Abschnitt Wärmelehre noch besonders die Rede sein. Wir können die verschiedenen Aggregatzustände ganz grob etwa folgendermaßen kennzeichnen: I m f e s t e n A g g r e g a t z u s t a n d hat jeder Körper ein b e s t i m m t e s V o l u m e n und eine b e s t i m m t e G e s t a l t , die beide einer Veränderung sehr große Kräfte entgegensetzen. I m f l ü s s i g e n Z u s t a n d e ist zwar der W i d e r s t a n d g e g e n e i n e V o l u m v e r ä n d e r u n g ebenfalls sehr g r o ß , während der W i d e r s t a n d g e g e n e i n e G e s t a l t s v e r ä n d e r u n g p r a k t i s c h N u l l ist: Flüssigkeiten besitzen im allgemeinen keine bestimmte Gestalt, sondern passen sich der Form ihres Behälters an. G a s e setzen schließlich weder einer Volumveränderung noch einer Gestaltsveränderung erhebliche Kräfte entgegen: Ein g a s f ö r m i g e r S t o f f h a t k e i n b e s t i m m t e s V o l u m e n u n d k e i n e b e s t i m m t e G e s t a l t , sondern füllt jeden noch so großen Raum beliebiger Gestalt vollkommen aus. Die Feststellung des Aggregatzustandes macht, abgesehen von Grenzfällen, im allgemeinen keine Schwierigkeiten. Für uns kommt hier der Übergang fest—flüssig in Frage, und da haben wir es allerdings nicht selten mit einem solchen Grenzfalle zu tun, der die Entscheidung, ob ein Stoff als fest oder flüssig zu betrachten sei, schwierig macht. Wachs, Siegellack, Pech, Glas werden im täglichen Leben zu den festen Körpern gerechnet. Man beobachtet aber anderseits, daß ζ. B . ein Stück Siegellack, wenn es längere Zeit auf dem Tisch liegt, allmählich seine Gestalt verändert und zu fließen anfängt, v. O b e r m a y e r hat folgenden Versuch angestellt: Legt man ein Stück Pech in eine Rinne auf ein Stück Kork und oben auf das Pech einen Kieselstein, so ist nach einigen Tagen das Pech in die Rinne geflossen, der Kieselstein durch das Pech auf den Boden der Rinne gesunken, der Kork an die Oberfläche des Pechs gestiegen. Das sind Erscheinungen, die wir sonst nur von Flüssigkeiten gewohnt sind, und in der T a t muß man vom strengen Standpunkte aus die eben genannten und verwandte Stoffe
42. Kennzeichen des festen Aggregatzustandes
195
als außerordentlich z ä h e F l ü s s i g k e i t e n b e t r a c h t e n . Ganz a n d e r s liegen die Verhältnisse z . B . bei den Metallen, die u n t e r d e m E i n f l u ß äußerer K r ä f t e zwar b e s t i m m t e Deformationen a n n e h m e n , die aber zugleich m i t den K r ä f t e n a u c h wieder rückgängig werden. Die Metalle werden wir jedenfalls den festen K ö r p e r n zurechnen müssen. E i n charakteristischer Unterschied zwischen diesen u n d den zuerst g e n a n n t e n Stoffen ist der, d a ß die wirklichen festen K ö r p e r , z . B . die Metalle, bei einer scharf definierten T e m p e r a t u r v o m festen in den flüssigen Z u s t a n d p l ö t z l i c h übergehen, w ä h r e n d Wachs, Siegellack, Pech, Glas usw. m i t steigender T e m p e r a t u r einen s t e t i g e n Ü b e r gang vom „ f e s t e n " in den flüssigen Z u s t a n d zeigen, i n d e m sie allmählich weich, d a n n zäh- u n d schließlich dünnflüssig werden. D e r G r u n d h i e r f ü r liegt in d e m molekularen A u f b a u der einzelnen Stoffe, auf den \^ir d a h e r kurz eingehen müssen, obwohl d e r systematischen B e h a n d l u n g dieser F r a g e n erst N r . 67 gewidmet ist. Schon die Tatsache, d a ß ein b e s t i m m t e r Stoff in verschiedenen Aggregatzuständen bestehen k a n n u n d d a b e i im allgemeinen beim Ü b e r g a n g von einem zum a n d e r e n Z u s t a n d sein Volumen ä n d e r t , legt die H y p o t h e s e nahe, d a ß die Materie n i c h t a u s einem K o n t i n u u m besteht, d a s den R a u m vollständig u n d stetig erfüllt, sondern sich vielmehr aus getrennten, gleichartigen Teilchen a u f b a u t . Die V o l u m ä n d e r u n g eines K ö r p e r s etwa beim Ü b e r g a n g v o m flüssigen in den gasförmigen Z u s t a n d w ü r d e d a n n in einer Ä n d e r u n g der A b s t ä n d e der kleinsten Teilchen v o n e i n a n d e r bestehen. Man n e n n t diese kleinsten Teilchen Moleküle. I h r e außerordentliche K l e i n h e i t folgt aus verschiedenen E r f a h r u n g s t a t s a c h e n . Man k a n n P l a t i n d r ä h t e ziehen, deren Durchmesser kleiner als 0,0008 m m ist. Aus Gold lassen sich sogar lichtdurchlässige, d ü n n e Folien herstellen, deren Dicke in der Größenordnung von 1 0 - 5 m m liegt, ohne d a ß dabei der Z u s a m m e n h a n g u n d die Festigkeit der Materie verlorengehen. Ölschichten auf Wasser lassen sich bis h e r u n t e r zu Dicken von 5 · 10~ 7 m m erzeugen, ohne d a ß die Schichten zerreißen; 10~ 9 g N a t r i u m k ö n n e n noch d u r c h die G e l b f ä r b u n g der Bunsenf l a m m e nachgewiesen werden, u n d 1 0 - 1 8 g Fluoreszein in einem K u b i k m i l l i m e t e r Wasser sind noch an der G r ü n f ä r b u n g zu erkennen. Aus diesen u n d vielen a n d e r e n Beispielen folgt f ü r den R a d i u s der als kugelförmig gedachten Moleküle etwa 10~ 8 cm. Weiterhin h a t die chemische Analyse gezeigt, d a ß sich die verschiedenen Stoffe u n d somit auch die Moleküle dieser Stoffe aus gewissen Grundstoffen, den chemischen E l e m e n t e n , zusammensetzen, v o n d e n e n bis h e u t e 90 b e k a n n t sind. Die kleinste Bausteine, aus denen sich diese 90 E l e m e n t e zusammensetzen, n e n n e n wir Atome. Ζ. B . besteht ein Molekül Wasserstoff aus zwei A t o m e n Wasserstoff, ein Molekül Ozon aus drei A t o m e n Sauerstoff, ein Molekül Kochsalz a u s je 1 A t o m N a t r i u m u n d Chlor, u n d ein Molekül Schwefelsäure a u s 2 A t o m e n Wasserstoff, 1 A t o m Schwefel u n d 4 Atomen Sauerstoff. Zusammenfassend k ö n n n e n wir sagen, d a ß a l l e K ö r p e r s i c h a u s M o l e k ü l e n bzw. A t o m e n a u f b a u e n . Zwischen den einzelnen Molekülen bzw. A t o m e n eines Stoffes bestehen n u n m e h r oder weniger große K r ä f t e , die wir als Molekularkräfte bezeichnen u n d auf deren Wirksamkeit wir i m einzelnen in K a p i t e l VTI noch n ä h e r eingehen werden. A m stärksten sind die Molekularkräfte bei den festen K ö r p e r n , deren Moleküle a m dichtesten beieinanderliegen. E b e n diese K r ä f t e sind es, die den K ö r p e r als Ganzes zusammenh a l t e n u n d ihm Volumen u n d Gestalt verleihen. Die ideale G r u n d f o r m des festen K ö r p e r s ist der Kristall. Bei i h m b e s t e h t eine r e g e l m ä ß i g e A n o r d n u n g d e r A t o m e b z w . M o l e k ü l e i n g e o m e t r i s c h g e n a u d e f i n i e r t e n r ä u m l i c h e n „ G i t t e r n " . Ganz grob können wir uns diesen kristallinen Z u s t a n d so veranschaulichen, d a ß die einzelnen Moleküle bzw. Atome, die wir der E i n f a c h h e i t halber d u r c h K u g e l n darstellen, d u r c h Schraubenfedern m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n sind, wie es A b b . 231 in einem ebenen Schnitt zeigt. J e d e s A t o m oder Molekül k a n n d a n n u m seine R u h e l a g e Schwingungen a u s f ü h r e n ; die dazu notwendige Schwingungsenergie r ü h r t von der d e m K ö r p e r inne13*
196
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
wohnenden Wärmeenergie her. Bei steigender Temperatur wird die kinetische Energie der einzelnen Teilchen immer größer, und die Schwingungsweite nimmt immer größere Werte an. Schließlich werden bei einer bestimmten Temperatur die Amplituden der Schwingungen so groß, daß die gegenseitigen Anziehungskräfte zwischen den Teilchen überwunden werden und der geordnete Aufbau des Kristalles zerstört wird: Der Körper ist in den flüssigen Zustand übergegangen. In der Flüssigkeit sind die Atome bzw. Moleküle nicht mehr fest an eine bestimmte Ruhelage gebunden, sondern können sich aneinander, wenn auch nicht ungehindert, vorbeibewegen. Die zwischen ihnen wirkenden Kräfte sind wesentlich kleiner als im festen Zustande. Die Dichte des Stoffes ist dabei im allgemeinen nur unwesentlich geringer als im festen Zustande. Bei weiterer Erhöhung der Temperatur wird schließlich die kinetische Energie der einzelnen, sich unregelmäßig bewegenden Teilchen noch größer, so daß sich die gegenseitigen Abstände weiter vergrößern und die Kräfte entsprechend verringern: Der Körper ist in den gasförmigen Zustand übergegangen. Im folgenden interessieren uns die festen Körper. Wie schon erwähnt, ist der K r i s t a l l mit seiner ganz regelmäßigen Anordnung der Bausteine der i d e a l e feste Körper. Zeigt sich diese Regelmäßigkeit durch den ganzen Körper hindurch, so sprechen wir von einem (idealen) Einkristall; sind dagegen viele, unter Umständen mikroskopisch kleine Kristalle in verschiedener Orientierung nebeneinander gelagert, so haben wir es mit einemYielkristall oder mit einem m i k r o k r i s t a l l i Abb. 231. Modell des kristallinen Zustande» nen G e f ü g e des festen Körpers zu tun. Letzterer Fall liegt bei den vorhin besonders erwähnten Metallen in ihrem gewöhnlichen Zustande vor, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man eine Bruchfläche unter dem Mikroskop betrachtet. Den Gegensatz zu den kristallinen Körpern bilden die amorphen Stoffe, wie Wachs, Siegellack, Glas usw. Ihr Aufbau ist im wesentlichen wie der der Flüssigkeiten; sie haben keinen wohldefinierten Schmelzpunkt. Von einem rein experimentellen Standpunkt kann man aber ζ. B. Glas bei Zimmertemperatur noch als festen Körper betrachten. Es gibt übrigens Stoffe (Schwefel, Selen, Quarz usw.), die sowohl im amorphen wie im kristallisierten Zustand existieren können. Beim plötzlichen Erkalten flüssigen Schwefels bildet sich ζ. B. amorpher Schwefel, eine knetbare Masse, während beim langsamen Abkühlen oder beim Abscheiden aus einer Lösung sich Schwefel in kristalliner Form bildet.
Besitzt ein Körper an allen Stellen die gleichen physikalischen Eigenschaften (Dichte, Härte, Elastizität, Farbe usw.), so nennt man ihn homogen im Gegensatz zu den inhomogenen oder heterogenen Stoffen, deren Eigenschaften von Stelle zu Stelle variieren. Diese Einteilung gilt natürlich nur in makroskopischen Bereichen; denn vom atomistischen Standpunkt aus kann es keinen völlig homogenen Körper geben, da sieh die Eigenschaften der Moleküle und Atome von denen der Zwischenräume unterscheiden. Ist das physikalische Verhalten eines Körpers in jedem Punkte richtungsabhängig, so nennt man ihn anisotrop. Dies ist ζ. B. bei allen Kristallen der Fall. Den Gegensatz hierzu bilden die isotropen Stoffe; hierzu gehören die amorph - festen Körper, ferner die Flüssigkeiten1) und Gase; aber auch die aus ungeordnet angehäuften Mikrokristallen bestehenden Körper (ζ. B. die Metalle in ihrem gewöhnlichen Zustande) sind — im x) Wir sehen hier davon ab, daß es unter besonderen Bedingungen auch anisotrope Flüssig keiten, sogenannte „flüssige Kristalle" gibt.
43. Elastische Spannungen; Hookesches Gesetz
197
Mittel — als isotrop („statistisch-isotrop") anzusehen. Auch hier ist zu beachten, daß diese Unterscheidung wieder nur im makroskopischen Sinne gilt; streng isotrop kann nur ein Kontinuum sein, nicht eine sich aus einzelnen Atomen oder Molekülen aufbauende Materie.
Es kann vorkommen, daß ein isotroper Körper durch äußere Einflüsse (Druck, elektrisches Feld usw.) anisotrop wird.
Im folgenden beschäftigen wir uns nur mit dem einfachsten Falle der elastischen Probleme, nämlich der Elastizität fester isotroper Stoffe. 4 3 . Begriff der elastischen Spannungen; Normal- und Tangentialspannungen; Hookesches Gesetz
Die äußeren Kräfte, die auf den festen Körper wirken, können von zweierlei Art sein: Sie können einmal sogenannte Massenkräfte sein, die an den einzelnen Volumelementen angreifen. Von dieser Art ist ζ. B. die Schwerkraft, die ja in der Tat der Masse proportional ist und an jedem einzelnen Volumelement angreift. Ferner aber können es sogenannte Oberflächenkräfte sein, die an den einzelnen Oberflächenelementen angreifen. Wir werden uns im folgenden auf die Betrachtung der letzteren beschränken, also ζ. B. immer von der Wirkung der Schwerkraft absehen. Man kann dann den Betrag der Kraft Α Κ, die an einem Flächenelement AF angreift, der Größe des letzteren proportional setzen, also schreiben: AK = SAF ,
oder (116)
* =
Die GrößeS ist also die auf die Flächeneinheit wirkende Kraft und wird allgemein als Spannung bezeichnet. Sie steht natürlich im allgemeinen nicht senkrecht auf AF, sondern kann beliebig dagegen orientiert sein. Man kann sie daher in zwei Komponenten zerlegen, deren eine senkrecht zu dem betrachteten Flächenelement, deren andere ihm parallel gerichtet ist. Die erste Komponente heißt die Normalspannung oder der Druck; die parallele Komponente heißt entsprechend Tangentialspannungund führt auch den Namen Schubspannung. Der Druck ist also die Normalkraft pro Flächeneinheit, die Schubspannung die Tangentialkraft pro Flächeneinheit. Die Namen erklären sich aus der Wirkung, die diese Kräfte haben; wir gehen in der nächsten Nummer genauer darauf ein. In jedem Falle ist die Dimension beider Spannungskomponenten die einer Kraft pro Flächeneinheit, d. h. mit-2 bzw. im absoluten Maßsystem [S] = [g cm - 1 sec -2 ] . Die Einheit des Druckes bzw. der Schubspannung haben wir also dann, wenn die Kraft von 1 Dyn — entweder senkrecht oder parallel dem Flächenelement — auf den Quadratzentimeter wirkt; für den Druck heißt diese Einheit ein Mikrobar: 103 Mikrobar werden ein Millibar, 10® Mikrobar ein Bar1) genannt. Die technische Einheit des Druckes ist 1 technische Atmosphäre (at) = 1 kp/cm2. Früher bezeichnete man 1 dyn/cm2 als ein Bar.
198
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
Zur Umrechnung dienen die Gleichungen: 1 at = 0,981 Bar, 1 Bar = 1,019 at. Für die Tangentialspannung existieren keine Namen; sie werden in dyn/em 2 oder in Atmosphären angegeben, ohne daß die Namen Bar und Mikrobar für diese Einheiten in Gebrauch wären.
Hohe Drucke lassen sich verhältnismäßig leicht erzeugen, wenn man die Fläche, auf die eine Kraft wirkt, hinreichend klein macht. Daß man ζ. B . eine Reißzwecke mit der von einem Finger ausgeübten Kraft, die in der Größenordnung von 1 kp liegt, in ein Brett eindrücken kann, hat seinen Grund in der feinen Spitze der Reißzwecke. Nehmen wir an, daß der Durchmesser dieser Spitze etwa 0,2 mm betrage, so ist ihr Querschnitt 3 , 1 4 - 1 0 - 4 cm2, so daß der von der Spitze auf das Brett ausgeübte Druck _, ο , , 1r,P4 ϊ = 3180 at 3,14 · 10
4
cm 2
beträgt. Negativer Druck wird als Zug bezeichnet. E s könnte nach der obigen Darlegung so scheinen, als ob die Bedeutung der Spannungen auf die Oberfläche der Körper beschränkt sei. Allein eine einfache Überlegung zeigt, daß man das Vorhandensein solcher Spannungen auch im Innern jedes elastischen Körpers annehmen kann, ja annehmen muß. Denken wir uns nämlich aus einem elastischen Körper, der unter dem Einfluß äußerer Kräfte im Gleichgewicht ist, einen Teil (ζ. B . eine Kugel) herausgeschnitten (Abb. 232). Dann wird, wenn der schraffierte Bereich plötzlich fortgenommen ist, der übrige Teil des Körpers nicht mehr im Gleichgewicht sein, sondern eine n e u e Gleichgewichtslage aufsuchen, bei der die Gestalt und das Volumen des entstandenen Hohlraumes sich ändern. Daraus folgt, daß der herausgeschnittene Teil des Körpers, so lange er noch an Ort und Stelle war, Kräfte auf den umgebenden Körper ausübte. Soll dieser also nach Fortnahme jenes Stückes unverändert im alten Gleichgewichtszustande bleiben, so müssen geeignete Kräfte auf der Oberfläche des Hohlraumes angebracht werden, nämlich die gleichen Kräfte, die der herausgenommene Teil vorher auf seine Umgebung ausgeübt hatte. — Auch der herausgenommene Teil kann nicht in seinem ursprünglichen Gleichgewichtszustande verharren, aus dem nämlichen Grunde: Der umgebende Körper übte auch auf ihn Kräfte aus, die wir nach Entfernung des Stückes wieder durch geeignete Oberflächenkräfte ersetzen müssen, wenn wir den Gleichgewichtszustand unverändert erhalten wollen. Es sind also in jedem Punkte des elastischen Körpers Kräfte wirkend zu denken, wenn äußere Kräfte am Körper angreifen, und zwar sind nach dem Vorhergehenden diese inneren Kräfte offenbar Flächenkräfte. Denn wenn wir durch eine gedachte Fläche FF einen Teil (1) des Körpers gegen den Rest (2) abgrenzen (Abb. 233), so üben beide Teile durch die Trennungsfläche hindurch Kräfte aufeinander aus. Diese Kräfte gehorchen natürlich dem Reaktionsprinzip. Sie heben sich daher in ihrer Wirkung nach außen auf, da die resultierende Kraft sowohl wie das resultierende Moment gleich Null sind: Durch sie kann weder der Schwerpunkt des Körpers eine Veränderung seiner Bewegung erfahren, noch eine Drehung um denselben eintreten. Sie scheinen deshalb bei flüchtiger Betrachtung nicht vorhanden zu sein. In Wirklichkeit sind jedoch diese inneren Spannungen stets wirksam und verlangen Berücksichtigung, da sie im Grunde die unmittelbare Ursache der Deformation sind. Man kann sich ja den Vorgang einer elastischen Beanspruchung so denken.: Die auf den Körper wirkenden Oberflächenkräfte rufen in seinem Innern die erörterten Spannungen hervor, diese wiederum die lokalen Verzerrungen. Das elastische Problem besteht also darin, aus den äußeren Kräften zunächst die inneren Spannungen und aus diesen die Verzerrungen zu finden — eine im allgemeinem! höchst schwierige Aufgabe, weswegen wir uns auf die einfachsten Fälle beschränken werden.
44. Volum- und Schubelastizität
199
Glücklicherweise gilt für den zweiten Teil der Aufgabe, den Zusammenhang zwischen, den Spannungen und den Verzerrungen, ein sehr einfaches Gesetz, das H o o k e ausgesprochen hat: Die Verzerrungen sind proportional den Spannungen (ut tensio sie vis). F r e i l i c h g i l t dieses Hookesche Gesetz nur f ü r s e h r k l e i n e D e f o r m a t i o n e n ; wie weit es im einzelnen Falle zutrifft, müssen die Beobachtungen selbst ergeben. Man nennt die Grenze, bis zu der es Gültigkeit besitzt, die Proportionalitätsgrenze; unsere folgenden Betrachtungen halten sich stets innerhalb derselben. Wird diese Grenze überschritten, so ist die Deformation nicht mehr linear in den Spannungen, sondern es treten höhere Potenzen (z.B. Quadrate) der Spannungen auf. So lange indessen auch diese Verzerrungen eine gewisse Grenze nicht überschreiten, haben sie immer noch die Eigenschaft, sofort wieder zu verschwinden, wenn man die äußeren Kräfte und damit die Spannungen fortnimmt: Der Körper ist immer noch im eigent-
lichen Sinne des Wortes „elastisch". Geht man aber mit den Verzerrungen noch über diese „Elastizitätsgrenze" hinaus, so bildet sich die Verzerrung nicht mehr vollständig zurück, wenn die Kräfte aufgehoben werden, sondern der Körper erfährt eine dauernde D e f o r m a t i o n , d. h. eine dauernde Veränderung seiner Molekularstruktur. So wichtig diese dauernden Verformungen des Materials für die Praxis sind — alles Walzen, Pressen, Stanzen, Kneten usw. beruht ja auf diesem Vorgang — so sehen wir doch hier davon vollständig ab 1 ), weil es keine e l a s t i s c h e n Vorgänge im eigentlichen Sinne des Wortes mehr sind. Wie bereits erwähnt, setzen wir im folgenden immer die strenge Gültigkeit des Hookeschen Gesetzes voraus, bleiben also stets unterhalb der Proportionalitätsgrenze. 4 4 . R e i n e Volumelastizität und r e i n e
Schubelastizität
Im allgemeinen ändern sich bei elastischen Verformungen sowohl das Volumen wie die Gestalt der festen Körper. Nur in besonders einfachen Fällen tritt die eine oder die andere Verzerrung isoliert auf; mit solchen wollen wir uns zunächst befassen. Wir betrachten einen Festkörper beliebiger Gestalt, auf dessen Oberfläche ein überall konstanter Druck p wirken möge (Abb. 234). Das kann dadurch geschehen, daß man den Körper in eine Flüssigkeit einbettet, die in einem Gefäß mit beweglichem Stempel eingeschlossen ist, und nun durch Belastung des Stempels auf die Flüssigkeitsoberfläche den gewünschten Druck wirken läßt; wie wir im VI. Kapitel sehen werden, wirkt dann dieser Druck an allen Stellen der Flüssigkeit und überträgt sich durch sie auf den eingelagerten Festkörper. Dann wird einfach dessen Volumen verkleinert, wie es Abb. 234 andeutet, ohne daß eine G e s t a l t s ä n d e r u n g a u f t r i t t . Statt, den Körper durch gleichmäßigen D r u c k zu k o m p r i m i e r e n , kann man ihn auch Mit Ausnahme der Nr. 46, in der wir kurz darauf eingehen.
200
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
durch Zug dehnen, etwa, indem man ihn vom Atmosphärendruck in ein Vakuum bringt; auch in diesem Falle ändert sich n u r das Volumen. Greift man im Innern des Körpers irgendwie gelegene Teilvolumina gleicher Größe heraus, so erfährt jedes von ihnen die gleiche Volumänderung, ein Beweis dafür, daß in jedem Punkte des Körperinneren gleichfalls der Druck p herrscht. Natürlich ist die absolute Volumänderung um so größer, je größer das Ausgangsvolumen ist; d . h . es kommt immer nur auf die Volumänderung der Volumeinheit, die sogenannte „relative" V o l u m Änderung an. Das Hookesche Gesetz verlangt nun in Übereinstimmung mit dem Experiment, daß die relative Volumänderung proportional dem wirkenden Druck p ist. Hat also das Volumen beim Druck Null den Anfangswert V0 und ändert es sich beim Druck p auf V0 + Δ V, so ist (117) Abb. 234. Volumelastizität eines festen Körpers
= 'ο Diese experimentell gefundene Beziehung spricht
e
^en aus> λγ
d a ß die r e l a t i v e
Volumverminderung
— proportional dem wirkenden Druck p ist; Vο
der Proportionalitätsfaktor q, der von Material zu Material verschieden ist, heißt die (kubische) Kompressibilität des Festkörpers; der reziproke Wert — = Q der Kompressionsmodul. Die Dimension von q ist offenbar die eines reziproken Druckes: Μ = [r1] = Ο-111·2], bzw. im absoluten Maßsystem: [?] = [g -1
c m se°2]
·
Die Dimension des Kompressionsmoduls ist also die eines Druckes selbst: [(?] = Μ = [mt 1 1~ 2 ]
bzw.
[g cm" 1 sec" 2 ] .
Nach Gl. (117) ist die Kompressibilität q gleich der relativen VolumVerminderung, die durch die Druckeinheit erzeugt wird, sie ist bei den festen Körpern im allgemeinen sehr klein, ihr Kehrwert () also sehr groß. D. h.: Es bedarf sehr großer Drucke, um eine kleine relative Volum Verminderung zu erzielen. Ζ. B . liegt die Kompressibilität von Gläsern zwischen 1,7 · 1 0 - 6 und 2,9 · 10~6 a t - 1 , d . h . bei Drucksteigerung um eine Atmosphäre ändert sich das Volumen nur um wenige Millionstel seines Ausgangswertes; der Kompressionsmodul dieser Gläser hat also Werte zwischen 588000 kp/cm2 und 345000 kp/cm2. Da diese Zahlen sehr groß sind, — sie würden noch unhandlicher sein, wenn man im absoluten Maßsystem, also in Dyn/cm2 messen würde — pflegt man den Kompressionsmodul nicht auf Quadratzentimeter, sondern auf Quadratmillimeter zu beziehen, so daß wir hier 5880 kp/mm2 und 3450 kp/mm2 erhalten würden. Noch kleiner ist die Kompressibilität von Kupfer, nämlich rund 10~6 at - 1 , was einem Kompressionsmodul von 10000 kp/mm2 entspricht. Übrigens ist die hier geschilderte Methode zur Bestimmung von q und Q umständlich und daher nur selten angewendet worden; wir werden in Nr. 45 bequemere Anordnungen kennenlemen, bei denen es sich allerdings nicht um r e i n e Volumänderung handelt.
Das Gegenstück zu dem hier betrachteten Falle haben wir dann, wenn wir etwa auf die Oberseite eines Würfels von der Kantenlänge α eine tangentiale Kraft Κ wirken
44. Volum- und Schubelastizität
201
lassen, während die Unterfläche festgehalten wird (Abb. 235); der Würfel wird dann in der aus der Figur ersichtlichen Weise deformiert: Alle Ebenen parallel der Grundfläche des Würfels bleiben Quadrate, sie werden nur nach rechts um einen gewissen Betrag verschoben, so daß die parallel der Zeichenebene liegenden Flächen R h o m b e n werden; Grund- und Gegenfläche bleiben Quadrate; die beiden letzten Flächen werden Rechtecke. Man erkennt sofort, daß das Volumen des Würfels erhalten bleibt; wir haben es also wirklich mit einer r e i n e n G e s t a l t s ä n d e r u n g zutun, die durch die Größe
Abb. 235. Scherung eines Würfels
Abb. 236. Drillung eines Stabes
des Winkels c 2 , so ist wieder nach dem Impulssatz: (m1 + m.2) c =
Ci + m2 c2,
•—χ ^ f „ \ V KJs^^
und somit (133)
^
V c=
m1 für »«! = m 3 wird speziell (133a)
c=
1
++ m2 ,
2
;
\ Abb. 246. Zusammenstoß zweier Kugeln, a) gerader zentraler Stoß; b) schiefer zentraler Stoß
.
Diese Ergebnisse lassen sich experimentell prüfen, indem man zwei Kugeln aus weichem Ton oder zwei mit Sand gefüllte Säckchen nebeneinander aufhängt und gegeneinander prallen läßt. In dem Falle ζ. B., daß beide Massen gleich groß sind, kommen beide Körper nach dem Stoß zur Ruhe, wenn ihre Anfangsgeschwindigkeiten gleich groß waren. Wir berechnen die Energie, die bei diesem unelastischen Stoß in Wärme umgewandelt wird. Die kinetische Energie vor dem Stoß ist Ρ _ m1 c,2 2
und nach dem Stoß 77
——2
m2 c22 2 ' ™2
c
„
2
.
.
für die Differenz dieser Energiebeträge erhält man unter Benutzung des für c in den Gleichungen (132) bzw. (133) gefundenen Wertes die Größe: (134) v '
\
i
™lmAc1±c2y 2(TOj + m2)
In dem speziellen Fall, daß die Kugeln sich gegeneinander bewegen — o b e r e s Vorzeichen in Gl. (134) — und daß m, = w 2 = m und c t = c 2 = c ist, nimmt die in Wärme umgesetzte Energie den Betrag wc 2 an; dies ist aber gleich 2 - ^ m c 2 = Έ λ \ d . h . die gesamte Energie der. sich aufeinander zu bewegenden Kugeln wird in Wärme umgewandelt.
214
V. Kapitel. Elastizität der festen Körper
b) Der elastische Stoß.
Beim elastischen Stoß wird, wie bereits oben ausgesprochen, die beim Zusammenstoß auftretende Verformung nach dem Stoß sofort wieder in Bewegungsenergie zurückverwandelt, d. h. beide Kugeln bewegen sich nach dem Zusammenstoß mit den neuen {zu bestimmenden) Geschwindigkeiten c^ und c2'. Neben der Erhaltung des Impulses bleibt hier auch die Bewegungsenergie erhalten. Nach dem Impulssatz ist: m1c1 + m2c2 = «jC^
+ m2c2'
;
nach dem Energiesatz ist ferner: Aus diesen beiden Gleichungen berechnen sich die Endgeschwindigkeiten c/ undc 2 ' zu: c
,_
^(OT!-^)
+
2m2c±
ml+mi (135) r , c2 (m2 — mL) + 2ml c, L2 l m 1 +m 1 Daraus kann man folgende Spezialfälle ablesen: Sind die Massen beider Kugeln gleich, so wird: ,_ C , _c c c 1
i
—
2 I
2 —
i>
d. h. die beiden Kugeln bewegen sich nach dem Stoß mit vertauschten Geschwindigkeiten. Ist bei gleichen Massen c2 = 0, so wird: Cj' = 0 ; c2' = Cj, d. h. die stoßende Kugel kommt zur Ruhe, die gestoßene Kugel übernimmt die ganze kinetische Energie der stoßenden und bewegt sich mit deren Geschwindigkeit weiter. — Ist schließlich c2 = 0 und m2 = oo, so haben wir den Fall, daß eine Kugel mit der Masse m1 und der Geschwindigkeit c1 gegen eine unendlich große ruhende Kugel stößt, die man als „feste Wand" betrachten kann; dann wird Cj' = —
,
c2' = 0 ,
d. h. es kehrt sich nur die Geschwindigkeit der stoßenden Kugel um, die also von der festen Wand zurückgeworfen wird. Die experimentelle Verwirklichung dieses Spezialfalles hatten wir bereits in Nr. 21 auf S. 62 besprochen. Im übrigen kann man die Vorgänge beim elastischen Stoß prüfen, indem man zwei gleiche oder verschieden große Stahlkugeln als Pendel bifilar aufhängt (Abb. 247) und gegeneinander schlagen läßt. Auch das in Abb. 248 dargestellte Gerät, das aus einer größeren Zahl gleicher nebeneinander aufgehängter Stahlkugeln besteht, ermöglicht die Vorführung der Stoßgesetze. Läßt man z . B . die erste Kugel links gegen die übrigen in Ruhe befindlichen Kugeln stoßen, so überträgt sich der Stoß über alle Kugeln, indem jede mit der folgenden ihre Geschwindigkeit austauscht, so daß schließlich die letzte Kugel wegfliegt und bis zur gleichen Höhe steigt, aus der die erste Kugel losgelassen wurde. Läßt man gleichzeitig zwei oder drei Kugeln gegen die übrigen anschlagen, so fliegt stets eine gleichgroße Zahl von Kugeln von der anderen Seite weg. Läßt man schließlich von den sieben Kugeln vier gegen drei anschlagen, so bewegen sich wieder vier Kugeln an der anderen Seite weg, indem von den anschlagenden vier Kugeln nur drei in Ruhe bleiben und eine mit den übrigen drei weiterfliegt. Alle diese Versuche finden ihre Erklärung unter den oben gemachten Voraussetzungen, daß Energie- und Impulssatz zu Recht bestehen, so daß man die Stoßgesetze geradezu als Beweis für die Richtigkeit dieser Sätze ansehen kann. Benutzte man den Energiesatz allein, so würde ζ. B. beim Anprall von vier Kugeln in Abb. 248 die Möglichkeit bestehen, daß auf der Gegenseite nur eine Kugel mit der doppelten Geschwindigkeit abgestoßen wird; die kinetische
47. Stoßgesetze
Energie der aufprallenden vier Kugeln wäre dann ~
215 c2 und die der abgestoßenen
{2c) 2 , d. h. der Energiesatz wäre erfüllt, nicht aber der Impulssatz; vor dem Stoß
wäre der Impuls 4 m c und nach dem Stoß nur 2m c. Nur wenn vier Kugeln abgestoßen werden, sind gleichzeitig beide Sätze erfüllt. Ist nx die Zahl und c1 die Geschwindigkeit der stoßenden, n z und c 2 Zahl und Geschwindigkeit der gestoßenen (vorher in Ruhe befindlichen) Kugeln, so müssen die Gleichungen bestehen: μ, ηιΊ c, =
n,m 2 "'20c,i
C
wie es auch der Versuch zeigt.
"?
Abb. 247. Nachweis der Stoßgesetze
Γ
Abb. 248. Anordnung zur Vorführung der Stoßgeaetze
Abb. 249. Schiefer Stoß einer Kugel gegen eine Wand
c) Schiefer Stoß gegen eine Wand. Während im vorhergehenden nur g e r a d e S t ö ß e behandelt wurden, beschränken wir uns bezüglich des s c h i e f e n S t o ß e s auf den hier genannten Sonderfall. Wenn nach Abb. 249 eine Kugel in der Richtung AO gegen eine elastische Wand stößt und die Strecke OB Größe und Richtung der Geschwindigkeit darstellt, so kann man diese —> —r in die beiden Komponenten OC senkrecht und OD parallel zur Wand zerlegen. Nach - r dem im vorhergehenden Gesagten wird die Normalkomponente OC in die entgegengesetzt gerichtete OC' verwandelt, während die Tangentialkomponente OD unverändert bleibt. Mit dieser setzt sich die neue Normalkomponente OC' zu der resultierenden Geschwindigkeit OE zusammen, mit der die Kugel nach dem Stoß die Wand verläßt. Die Geschwindigkeit der stoßenden Kugel ändert also nur ihre Richtung. Die Kugel wird an der Wand reflektiert, und zwar ist d e r R e f l e x i o n s w i n k e l g l e i c h d e m E i n f a l l s w i n k e l ; d i e R e f l e x i o n s r i c h t u n g l i e g t f e r n e r in d e r d u r c h d i e E i n f a l l s r i c h t u n g und das E i n f a l l s l o t b e s t i m m t e n E b e n e . Nach der hier dargelegten Methode -— Zerlegung der Geschwindigkeit in Tangential- und Normalkomponente, Umkehrung der Normalkomponente und Wiederzusammensetzung mit der unveränderten Tangentialkomponente — läßt sich auch der s c h i e f e S t o ß z w e i e r K u g e l n vollständig behandeln.
216
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
Obwohl der elastische Stoß, wie der Name sagt, ein Anwendungsbeispiel der E l a s t i z i t ä t s theorie ist, haben wir die Stoßgesetze durch bloße Anwendung allgemeiner mechanischer Prinzipien (Impuls- und Energiesatz) abgeleitet, ohne von speziell elastischen Vorgängen zu reden. Das zeigt also schlagend die Nützlichkeit der allgemeinen Erhaltungssätze der Dynamik. Es zeigt sich aber auch ein N a c h t e i l ihrer a u s s c h l i e ß l i c h e n Anwendung: W i r e r f a h r e n n i c h t s über die D e t a i l v o r g ä n g e beim Stoß, ζ. B. kennen wir nicht die Größe der Abplattung oder der Berührungsfläche, nicht die Größe der Drucke, nicht die Größe der Stoßdauer usw. Um diese Einzelheiten kennenzulernen, muß man die Elastizitätstheorie heranziehen. Das hier vorliegende Problem der Berührung elastischer Körper hat H. Hertz gelöst, und in seiner Arbeit sind die oben aufgeworfenen Fragen beantwortet. Zwei von ihm ausgerechnete Fälle mögen die Größe der Stoßdauer und den Radius des Berührungskreises zeigen. Stoßen zwei Stahlkugeln von 2,5 cm Radius mit gleichen Geschwindigkeiten cx = c2 = 1 cm/sec aufeinander, so hat die Stoßdauer den Wert 0,00038 sec, der Radius des Berührungskreises ist gleich 0,13 mm. Hätte man dagegen zwei Stahlkugeln von der Größe der Erde, die mit der gleichen Geschwindigkeit aufeinander stießen, so würde die Stoßdauer 27 Stunden (!) betragen, während der Radius der Berührungsfläche 32 km wäre.
VI. K a p i t e l
Mechanik der Flüssigkeiten und Gase 48. Allgemeine Charakterisierung des flüssigen und gasförmigen Aggregatzustandes Die Flüssigkeiten unterscheiden sich von festen Körpern dadurch, daß ihre einzelnen Moleküle keine feste, einander zugeordnete Lage besitzen, sondern sich relativ frei gegeneinander verschieben können. Die Folge davon ist, daß eine Flüssigkeit keine bestimmte Gestalt besitzt, sondern stets die Form des Behälters annimmt, in dem sie sich befindet. Man kann dies auch folgendermaßen ausdrücken: Die F l ü s s i g k e i t b e s i t z t im G e g e n s a t z zum f e s t e n K ö r p e r k e i n e G e s t a l t s e l a s t i zität. Nur in dem besonderen Falle, daß es sich um sehr kleine Flüssigkeitsmengen handelt, nehmen diese Kugelgestalt an, scheinbar im Gegensatz zu dem vorhin Gesagten. Indessen werden wir später sehen, daß in diesem Falle Oberflächenkräfte (die sogenannte Oberflächenspannung) wirksam sind, unter deren Einfluß die Flüssigkeit die Gestalt einer Kugel annimmt. Bei großen Flüssigkeitsmengen spielen diese Kräfte keine Rolle, weil dann die Oberfläche gegenüber dem Volumen zurücktritt, bei kleinen Mengen aber ist es gerade umgekehrt: Dann überwiegen die Wirkungen, die von der Oberfläche ausgehen. Wir kommen in den Nrn. 68 und 69 noch eingehend darauf zurück; hier können wir vollkommen davon absehen. Im Gegensatz zu den Flüssigkeiten haben die Gase das Bestreben, jeden ihnen gebotenen noch so großen Raum vollkommen auszufüllen. Im gasförmigen Zustande sind die Anziehungskräfte zwischen den einzelnen Molekülen äußerst klein. Das zeigt z . B . die Tatsache, daß man ausströmendes Leuchtgas schon nach kurzer Zeit an einer weit entfernten Stelle des Raumes durch den Geruch wahrnehmen kann. Die Abstände zwischen den einzelnen Molekülen des Gases sind infolge der starken Reduktion der Anziehungskräfte um ein Vielfaches größer als die der Flüssigkeitsmoleküle; demzufolge haben alle Gase eine viel kleinere Dichte als Flüssigkeiten: sie beträgt nur etwa Viooo der Dichte des Wassers (siehe Tabelle auf S. 13). Ebenso wie bei festen Körpern sind auch bei.Flüssigkeiten und Gasen die Moleküle keineswegs in Ruhe, sondern führen eine lebhafte Bewegung aus, die durch die in dem betreffenden Körper herrschende Temperatur bestimmt ist. Im flüssigen und gasförmigen Zustande führen aber die Moleküle keine schwingende Bewegung um eine feste Ruhelage aus wie beim festen Körper, sondern sie bewegen sich in einer gänzlich ungeordneten Zickzackbewegung, da sie mit benachbarten Teilchen immer
48. Flüssiger und gasförmiger Aggregatzustand
217
wieder zusammenstoßen und entsprechend den Stoßgesetzen aus ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt werden. Diese Bewegung wirkt den Anziehungskräften der Flüssigkeits- und Gasmoleküle entgegen; da bei den Gasen diese K r ä f t e sehr klein sind, reichen sie im allgemeinen nicht aus, um diese Bewegungen merklich zu beeinflussen; jedes Gasmolekül bewegt sich daher zwischen den Zusammenstößen mit anderen Molekülen im wesentlichen frei und unabhängig von den übrigen. Daher k o m m t der Expansionsdrang der Gase, d . h . die Fähigkeit, jedes Volumen völlig auszufüllen. Bei den Flüssigkeiten sind die Bewegungen nicht vollkommen frei, da die molekularen K r ä f t e merklich größer sind; auch ist die Gestalt der Moleküle von erheblichem Einfluß. Daher bleibt bei Flüssigkeiten einerseits das Volumen gewahrt, während anderseits die gleichzeitig vorhandene Beweglichkeit die Anpassung an jede Gefäßgestalt ermöglicht. Daß solche Bewegungen der Moleküle in Flüssigkeiten und Gasen existieren, wird experimentell durch die sogenannte Brownsche Molekularbewoifung bewiesen, eine 1827 von dem Botaniker B r o w n entdeckte Erscheinung. Wenn man in einen Tropfen Wasser kleine Teilchen (ζ. B. eines nicht löslichen Farbstoffes oder eines Stoffes m i t hohem Brechungsquotienten, beispielsweise des Minerals Rutil) suspendiert, und diese Teilchen unter dem Mikroskop mit nicht zu kleiner Vergrößerung betrachtet, so beobachtet man, daß sie sich in lebhafter, zitternder Bewegung auf ganz unregelmäßigen zickzackförmigen Bahnen befinden. Dadurch, daß die Wassermoleküle, die wir wegen ihrer Kleinheit nicht direkt sehen können, regellos auf die in der Flüssigkeit befindlichen Partikel stoßen, überwiegt ihre Stoßkraft bald in der einen, bald in der anderen Richtung und eerzeugt so die beobachtete regellose Hin- und Herbewegung der Teilchen. J e kleiner sie sind, um so schneller bewegen sie sich und geben uns indirekt dadurch ein Bild von der eigentlichen Molekularbewegung. Auch an Rauch- oder Staubteilchen in Gasen läßt sich diese B r o w n s c h e Bewegung beobachten, und zwar mit sehr viel kleinerer optischer Vergrößerung, da die Gasteilchen infolge ihrer großen gegenseitigen Abstände wesentlich größere Bewegungen ausführen. Wir kommen noch mehrmals ausführlich auf diese ,,Molekular"-Bewegung zurück (vergleiche N r . 71 und 101). Bei Betrachtung verschiedener Flüssigkeiten, ζ. B. von Wasser und Öl, fällt auf, daß die „Beweglichkeit", d. h. ihr Reagieren auf äußere Krafteinwirkung ganz verschieden ist. Wir sprechen von „leichtflüssigem" Wasser und „zähflüssigem" Öl. I m ersten Falle genügt bereits eine sehr kleine Kraft, um die Form der Wassermenge zu verändern, im zweiten Falle muß sie größer sein. Diese Erscheinung erklärt sich durch die verschiedene Größe der Molekularkräfte; jeder Flüssigkeit schreiben wir eine sogenannte innere Reibung oder Zähigkeit zu. Darauf kommen wir in N r . 55 und 56 noch zurück. Im folgenden wollen wir eine solche Flüssigkeit voraussetzen, die k e i n e i n n e r e R e i b u n g besitzt, und die wir deshalb als „ideale" Flüssigkeit bezeichnen; bei r u h e n d e n Flüssigkeiten machen sich diese K r ä f t e ohnehin nicht bemerkbar. Wir wollen weiterhin annehmen, daß die Flüssigkeit i n k o m p r e s s i b e l ist, d. h. ihr Volumen unter der Einwirkung von äußeren Kräften nicht verändert. Dies ist zwar, wie wir in Nr. 50 sehen werden, nicht in Strenge erfüllt: Auch die Flüssigkeiten sind elastisch, doch ist ihre Zusammendrückbarkeit nur klein, daß man sie in vielen Fällen vernachlässigen kann. Die idealisierende Annahme der Inkompressibilität ist natürlich in der gleichen Absicht gemacht, wie die Bildung des Begriffes „starrer Körper", nämlich um die Behandlung der Erscheinungen zu vereinfachen. I m Gegensatz zu den Flüssigkeiten sind alle Gase leicht zusammendrückbar, sie besitzen eine große Kompressibilität. Dagegen ist die innere Reibung bei Gasen etwa lOOmal kleiner als bei Flüssigkeiten, so daß wir von ihr zunächst vollkommen absehen können.
218
V I . Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
49. Verteilung des Druckes in schwerelosen Flüssigkeiten und Gasen ί Wir denken uns in einem beliebig geformten, allseitig geschlossenen Gefäß eine Flüssigkeit und setzen zunächst voraus, daß diese der Schwere nicht unterworfen sei. Das Gefäß (Abb. 250) habe an zwei beliebig gelegenen Stellen zwei Rohransätze mit leicht verschiebbaren Stempeln S\ und S2 von verschiedenem Querschnitt f1 und / 2 . Auf den Stempel wirke eine Kraft daher erfährt die Flüssigkeitsoberfläche an dem Stempel den Druck p1 —
1
; nach dem Reaktionsprinzip drückt die
Flüssigkeit mit dem gleichen Druck und der gleichen Kraft gegen den Stempel. Wird derselbe um die Strecke s x in die Flüssigkeit hinein verschoben, so wird dadurch die Flüssigkeitsmenge slf1 verdrängt und dabei die Arbeit Ä 1 s 1 geleistet. Da die Flüssigkeit als nicht zusammendrückbar vorausgesetzt ist, wird der Stempel S 2 von der Flüssigkeit durch eine Kraft Κ 2 um die Strecke s 2 nach außen verschoben, wobei s 2 / 2 = s1f1 sein muß. Da die am Stempel geleistete Arbeit nach dem Energiesatz nicht verlorengehen kann, muß Ä'1s1 = K2s2 also K ~ = K. sein. Ä'2 K, ·" Nun ist aber -γ- = p.2 der von der Flüssigkeit auf den Abb. 250. Druckverteilung in einer schwerelosen Flüssigkeit
empel S 2 ausgeübte Druck. Es ist demnach p l = · h. der Druck, den der Stempel S j gegen die Flüssigkeit ausübt, ist gleich dem Druck, mit dem die Flüssigkeit gegen den Stempel S2 wirkt. Was wir für den Stempel S 2 gezeigt haben, gilt natürlich auch für jede andere Stelle der Gefäßwandung und ebenso für jede Fläche eines in die Flüssigkeit gebrachten Körpers. Wir haben damit den von P a s c a l 1659 aufgestellten Satz: Ein auf eine Flüssigkeit ausgeübter Druck verteilt sich durch die ganze Flüssigkeit nach allen Seiten mit gleicher Stärke. Oder: Im Innern sowie an den Grenzflächen einer äußeren Kräften nicht unterworfenen ruhenden Flüssigkeit herrscht Uberall der gleiche Druck. Man nennt ihn den hydrostatischen Druck; dieser übt auf jede mit der Flüssigkeit in Berührung befindliche Fläche in senkrechter Richtung eine Kraft aus, die der Größe der gedrückten Fläche direkt proportional ist; Abb. 251. Prinzipversuch zum von dieser Tatsache wird bei allen weiter zu beNachweis der Normalspannungen in einer Flüssigkeit sprechenden praktischen Anwendungen Gebrauch gemacht. Es geht aus dieser Darlegung hervor, daß der Druck die s p e z i e l l e F o r m der e l a s t i s c h e n S p a n n u n g e n ist, die den Flüssigkeiten und Gasen eigentümlich ist: In einer idealen (reibungslosen) Flüssigkeit existieren nur Normalspannungen, eben der Druck. Anders ist es in einer z ä h e n F l ü s s i g k e i t ; hier können auch Tangentialoder Schubspannungen infolge der Reibungskräfte auftreten, auf die wir in Nr. 55 eingehen werden. Um uns vom Druck eine anschauliche Vorstellung zu bilden, machen wir folgendes Gedankenexperiment: Wir stellen uns zwei kleine, etwa kreisförmige ebene Metallscheiben von je 1 cm2 Fläche her, die an Stielen befestigt sind (Abb. 251). Drückt man dieselben fest zusammen und taucht sie in eine Flüssigkeit, so d a ß z w i s c h e n i h n e n k e i n e F l ü s s i g k e i t v o r h a n d e n i s t , so übt die Flüssigkeit von außen eine Kraft auf sie aus, die sie zusammenhält; diese Kraft ist gleich dem Druck an der betreffenden Stelle. Um dies Plattenpaar zu trennen, müßte man an den Griffen mit St
d
49. Druckverteilung in schwerelosen Flüssigkeiten
219
eben dieser Kraft nach außen ziehen und könnte so — im Prinzip wenigstens — den Druck an der betreffenden Stelle messen. Dreht man das Plattenpaar an der gleichen Stelle der Flüssigkeit in eine beliebige andere Richtung (die durch die Stiele angezeigt wird), so e r w e i s t s i c h d e r D r u c k a u c h i n a l l e n R i c h t u n g e n a n d e r g l e i c h e n S t e l l e a l s d e r g l e i c h e . — Dieses Plattenpaares werden wir uns in Ge-
Abb. 252. Modellversuch zum Nachweis der Druckverteilung a) in festen Körpern (einseitig) b) in einer Flüssigkeit (allseitig)
danken häufig bedienen, um spätere Ausführungen über die Druckverteilung anschaulich zu machen. Die allseitige Druckverteilung in einer Flüssigkeit erklärt sich aus der leichten Yerschiebbarkeit der Flüssigkeitsteilchen. Das machen wir uns durch einen Modellversuch klar: In einem Metallklotz Κ (Abb. 252a) befindet sich eine vertikale Bohrung, in die ein Metallstempel 5 genau hineinpaßt, in zwei seitlichen Bohrungen sind zwei Stempel Z1 und Z2 leicht verschiebbar. Üben wir auf den Stempel S von oben einen Druck aus, so überträgt sich dieser Druck durch den festen Stempel nur auf die Bodenfläche der vertikalen Bohrung; die Stempel Z1 und Z 2 bleiben in ihrer ursprünglichen Lage. Füllen wir aber die Bohrung mit Sand •oder kleinen Stahlkugeln (Abb. 252b), und drücken wir von oben auf diese, so überträgt sich der Druck nicht nur auf die Bodenfläche, sondern in gleicher Stärke auch auf die Seitenfläche der Bohrung. Die beiden Stempel Z1 und Z2 werden infolgedessen nach den Seiten herausgedrückt. Die gegeneinander leicht verschiebbaren Stahlkugeln stellen ein grobes Modell der Flüssigkeit dar, das wir noch öfter gebrauchen werden. — Die allseitige Druckverteilung in Wasser zeigen wir mit dem in Abb. 253 dargestellten Gerät. Eine Glaskugel Abb. 253. Nachweis der allseitigen mit einem zylindrischen Rohrstutzen besitzt eine Druckverteilung in einer Flüssigkeit große Zahl kleiner Öffnungen. Füllt man die Kugel mit Wasser und übt auf dieses durch einen in den Rohrstutzen eingeführten Kolben einen Druck aus, so spritzt das Wasser gleichmäßig aus den verschiedenen Öffnungen heraus. Eine wichtige Anwendung der gleichmäßigen Druckverteilung in einer Flüssigkeit stellt die hydraulische Presse dar. Sie besteht nach Abb. 254 aus zwei durch eine Rohrleitung R verbundenen zylindrischen Gefäßen Zs und Z 2 , in denen sich zwei Kolben S x und S 2 von verschiedenem Querschnitt verschieben können. Beide Gefäße
220
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
und die Rohrleitung sind mit einer Flüssigkeit (Wasser oder Öl) gefüllt. Der Querschnitt des Kolbens S, sei 1 cm2, der des Kolbens S 2 sei 100 cm2. Drückt man den Kolben St mit einer Kraft K1 — 1 kp in das Gefäß Zx hinein, so übt man auf die Flüssigkeit einen Druck von 1 kp/cm2 = 1 at aus; dieser Druck herrscht dann auch im. Zylinder Z 2 , so daß der Kolben S 2 mit einer Kraft K2 = 100· 1 kp = 100 kp nach oben gedrückt wird. Mit dieser Kraft W ^ drückt die auf dem oberen Ende des Kolbens S2 befestigte Platte Ρ gegen einen zwischen Ρ und dem Widerlager W eingesetzten Körper. Die hydraulische Presse stellt also eine Maschine dar, die ähnlich wie der Hebel oder der Flaschenzug eine gegebene Kraft vergrößert. Das Übersetzungsverhältnis ist dabei durch das Verhältnis der Kolbenquerschnitte gegeben. Arbeit wird indessen auch hier nicht gewonnen, denn wenn ^^^^ggggggggggga — mit den oben angenommenen ... „ . . τ ι. Mi J L · Ϊ j , χ. Dimensionen — der Kolben S,
Abb. 254. Längsschnitt durch eine hydraulische Presse
,,,
um eme Strecke Sj = 1 cm verschoben wird, so hebt oder senkt sich So nur um die Strecke ,s2 = 0,01 cm, so daß die die Arbeit darstellenden Produkte K1s1 und iC2s2 gleich sind.
Damit bei mehrmaligem Herunterdrücken des Kolbens 2) = fqg(K
-
h2) .
Die rechte Seite von Gl. (143) stellt aber, wie man sofort sieht, das Gewicht der vom Körper Κ verdrängten Flüssigkeitsmenge dar. Wir können also sagen:
239
53. Archimedisches Prinzip
Der Aultrieb eines Körpers in einer Flüssigkeit ist gleich dem Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit (Archimedisches Prinzip, um 250 v. Chr.). Gl. (143) können wir noch in einer anderen Form darstellen. Nennen wir das Gewicht des Körpers GK, seine Dichte ρε, sein Volumen V, das Gewicht der verdrängten Flüssigkeitsmenge G r i , sowie ihre Dichte ρπ, so ist das scheinbare Gewicht G' des Körpers in der Flüssigkeit: (144)
G' = GK — GF1 = (ρκ —
erOgF.
Der Körper erleidet also in der Flüssigkeit einen s c h e i n b a r e n G e w i c h t s v e r l u s t G F 1 , der gleich seinem Auftrieb, d. h. dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeitsmenge ist. Ist das Gewicht des Körpers größer als das der von ihm verdrängten Flüssigkeitsmenge (GK > G r l ), so sinkt er unter. I m Grenzfall GK = 6 P I ist der Körper an jeder Stelle im Gleichgewicht (er „ s c h w e b t " ) . Diese verschiedenen Möglichkeiten kann man mit der in Abb. 289 dargestellten Anordnung demonstrieren ( C a r t e s i a n i s c h e r
Abb. 288. Auftrieb eines Körpers in einer Flüssigkeit
Abb. 289. Cartesianischer Taucher
T a u c h e r ) : In einem mit Wasser gefüllten Standzylirider G, der oben durch eine Gummimembran verschlossen ist, befindet sich ein hohler Glaskörper Κ mit einer Öffnung am unteren Ende. Das Gewicht dieses Körpers mit der darin .eingeschlossenen Luft ist kleiner als das Gewicht der von ihm verdrängten Wassermenge, so daß er oben schwimmt. Übt man aber durch die Gummimembran einen Druck auf das Wasser aus, so wird die in Κ befindliche Luft zusammengepreßt, und es dringt Wasser in den Körper Κ ein. Dadurch wird der Körper Κ (Glas + Luft + W a s s e r ! ) schwerer und sinkt nach unten. Durch passend gewählten Druck kann man die'in eindringende Wassecmeijge so regulieren, daß er an jeder Stelle im Standzylinder schwebt. Auch an der aus kleinen Stahlkugeln bestehenden Modellflüssigkeit (S. 219) können wir dieses Schwimmen bzw. Untersinken eines Körpers verfolgen; mischen wir unter die in einem Becherglas befindlichen Stahlkugeln eine Holzkugel, so erscheint diese bei leichtem Schütteln des Gefäßes an der Oberfläche. Eine Bleikugel dagegen sinkt allmählich unter. I m übrigen erfahren nicht nur feste Körper, sondern auch Flüssigkeiten in anderen Flüssigkeiten einen Auftrieb. Aus diesem Grunde steigen leichte Flüssigkeiten in schweren stets an die Oberfläche (ζ. B . Öl in Wasser), während schwere Flüssigkeiten in leichteren untersinken (ζ. B . Wasser in Benzol). Auf einen Punkt sei indes hingewiesen. Der Auftrieb kann auf einen untergetauchten Körper nur wirken, wenn die Flüssigkeit auch wirklich unter die Bodenfläche des Körpers dringt. Drückt man ζ. B. einen plangeschliffenen Glaswürfel auf den ebenen Boden eines Gefäßes und füllt dann Quecksilber ein, so bleibt der Würfel auf dem Boden liegen; das Quecksilber kann nicht zwischen Würfel
240
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
•und Gefäßboden eindringen, folglich drückt nur die über dem Würfel stehende Quecksilbersäule auf ihn. Sobald man aber den Würfel etwas kippt, daß Quecksilber unter seine Bodenfläche eindringen kann, steigt er in die Höhe.
Zum quantitativen Nachweis des Archimedischen Prinzips benutzen wir die in Abb. 290 dargestellte Anordnung. Auf der linken Seite einer Tafelwaage steht ein Gefäß G mit einem Überlaufrohr, das bis über ein Gefäß G' auf der rechten Seite der Waage reicht. G wird so weit mit Wasser gefüllt, daß gerade keine Flüssigkeit mehr nach G' überläuft. Dann wird die Waage durch Gewichte Ρ ins Gleichgewicht gebracht. Taucht man jetzt einen an einem Faden hängenden Metallkörper Κ in das Gefäß ein, so erfährt das Gefäß G infolge des zum Auftrieb entgegengesetzt wirkenden Gegendruckes eine zusätzliche Belastung nach unten, und zwar gerade von der Größe des Auftriebes. Gleichzeitig fließt aber die vom Körper verdrängte Wassermenge in das
Abb. 290. Nachweis des Archimedischen Prinzips
Abb. 291. J o l l y sehe Federwage
Gefäß G' über, und dadurch kommt die Waage wieder ins Gleichgewicht. Der Versuch zeigt also direkt, d a ß d a s G e w i c h t d e r vom K ö r p e r v e r d r ä n g t e n F l ü s s i g k e i t g e r a d e g l e i c h d e m h y d r o s t a t i s c h e n A u f t r i e b ist. Das Archimedische Prinzip bietet ein sehr genaues Mittel zur Bestimmung des Volumens unregelmäßig gestalteter Körper durch Zurückführung auf zwei Wägungen, und damit auch ihrer Dichte. Zu diesem Zweck hat man den betreffenden Körper einmal in Luft und zum anderen in einer Flüssigkeit von bekannter Dichte ρΓ1 zu wägen. Die Differenz dieser beiden Massen M L und Μ F , ergibt die Masse der verdrängten Flüssigkeit. Ihr Volumen und damit das des Körpers ist dann: 0F1 und die Dichte des Körpers ML
β -
Μτ-Μτι
Diese Messung gestaltet sich besonders einfach, wenn man als Flüssigkeit Wasser (von 4° C) mit der Dichte = 1 benutzt. Von den mannigfachen Apparaturen zur Bestimmung der Dichte zeigt Abb. 291 die J o l l y s c h e Federwaage. An einer Spiralfeder hängen untereinander zwei leichte Waagschalen; die untere befindet sich stets in einem mit Wasser gefüllten Gefäß, das sich auf einem verschiebbaren Tischchen in der geeigneten Höhe einstellen läßt. Ein am unteren Ende der Feder angebrachter Zeiger spielt über einer vertikalen Millimeterskala, die zur Vermeidung des Parallaxenfehlers als Spiegelskala aus-
241
53. Archimedisches Prinzip.
geführt ist. Zur Wägung in Luft legt man den Körper auf die obere Waagschale; die dadurch bedingte Dehnung hx der Feder ist dem Gewicht (iL des Körpers in Luft proportional. Danach wird der Körper auf der unteren Waagschale in Wasser gewogen. Beträgt jetzt die Dehnung der Feder h2, so ist die Differenz ht— h2~GL — On, d. h. proportional dem Gewicht der verdrängten Wassermenge. Die gesuchte Dichte ist dann: Gl Κ Q GL-Gm *i — ' Wie man aus Gl. (143) ableitet, verhalten sich die Auftriebe eines und desselben Körpers in zwei Flüssigkeiten wie die Dichten dieser Flüssigkeiten. Diese Tatsache benutzt man, um mit der in Abb. 292 dargestellten M o h r s c h e n W a a g e die Dichte einer Flüssigkeit zu bestimmen. An dem einen Ende des zweiarmigen Waagebalkens hängt ein Glaskörper K ; durch ein Gegengewicht β auf der anderen Seite ist der Waagebalken so ausbalanciert, daß er im Gleichgewicht ist, wenn sich der Körper Κ in Luft befindet. Der Waage sind eine Anzahl Reitergewichte beigegeben, deren Einheitsgewicht so bemessen ist, daß es, am rechten Ende des Waagebalkens aufgehängt, den Auftrieb des Körpers Κ gerade dann ausgleicht, wenn sich dieser in Wasser der Dichte 1 (Temperatur 4° C) befindet. Hängt der Körper Κ in einer Flüssigkeit mit unbekannter Dichte, so muß man zur Aus-
balancierung der Waage entweder weitere Gewichte aufsetzen, oder das Einheitsgewieht nach dem Drehpunkt der Waage schieben. Aus der Größe der aufgehängten Gewichte und der meistens in 10 Teile geteilten Skala des rechten Waagearmes kann man dann direkt die Dichte bestimmen. Da Wasser von 4° nicht immer zur Verfügung steht, muß man die Tabelle auf S. 461 zur Umrechnung benützen. Um die Dichte fester Körper zu bestimmen, die nur in Form von Pulver oder kleinen Splittern vorliegen, verfährt man häufig so, daß man sich aus verschieden schweren Flüssigkeiten eine Mischu ^ herstellt, in dem die festen Teilchen gerade schweben. Dann ist ihr Auftrieb gerade gleich dem Gewicht derselben und ihre Dichte gleich der der Flüssigkeit. Letztere bestimmt man dann mittels der Mohrschen Waage. Das bisher n u r f ü r Flüssigkeiten ausgesprochene Archimedische P r i n z i p gilt ebenso a u c h f ü r Gase, d a in diesen infolge ihrer Schwere ein n a c h u n t e n z u n e h m e n d e r D r u c k herrscht. Infolgedessen e r f ä h r t jeder von einem Gas umgebene K ö r p e r einen A u f t r i e b , d e r gleich d e m Gewicht der von ihm v e r d r ä n g t e n Gasmenge ist. W i r zeigen diesen A u f t r i e b mit d e m in Abb. 293 dargestellten D a s y m e t e r . A n einem leichten W a a g e b a l k e n h ä n g t eine Glaskugel Κ; sie wird d u r c h ein Metallgewicht G a m a n d e r e n E n d e d e s Waagebalkens im Gleichgewicht gehalten, solange sich der A p p a r a t im l u f t e r f ü l l t e n R ä u m befindet. K u g e l u n d Gegengewicht erfahren beide einen A u f t r i e b ; der A u f t r i e b d e r K u g e l ist a b e r infolge ihres größeren Volumens größer als der des Gegengewichtes. I n Wirklichkeit ist also die K u g e l schwerer als das Gegengewicht. Dies e r k e n n t m a n sofort, wenn m a n den A p p a r a t u n t e r eine Glasglocke setzt u n d aus dieser die L u f t h e r a u s p u m p t . D a n n sinkt die K u g e l n a c h u n t e n , u m beim Einlassen von L u f t wieder m i t dem Gegengewicht ins Gleichgewicht zu k o m m e n . Setzt m a n anderseits das D a s y meter in ein m i t Kohlensäure gefülltes Becherglas, so erscheint die K u g e l · leichter als d a s Gegengewicht, da sie in der spezifisch schwereren Kohlensäure einen g r ö ß e r e n A u f t r i e b als das Gegengewicht e r f ä h r t . Bergm ann u. S ch aef er, Experimentalpliyeik. I. 2. υ. 3. Aufl.
16
242
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
Durch den Auftrieb eines Körpers in Luft wird jede Wägung verfälscht, bei der, wie es meistens der Fall ist, der zu wägende Körper und das ihn austarierende Gewicht verschiedenes Volumen haben. Man muß daher die in Luft ausgeführte Wägung auf den luftleeren Raum reduzieren. Bezeichnen wir mit m das scheinbare Gewicht des Körpers, also die Gewichtsstücke, die ihn in Luft auf der Waage austarieren, mit λ die Dichte der Luft (λ = 0,00129), mit ρ die Dichte des Körpers, mit ρ' die Dichte der Gewichtsstücke (im allgemeinen Messing: ρ' = 8,4) und mit Μ das gesuchte wahre Gewicht des Körpers im luftleeren Raum, so gilt die Gleichung: Μ oder:
,
Μ
,
m —λ, β
λ =m
Q
Μ — ΊΪΙ 1 - ± Q wofür man mit hinreichender Genauigkeit setzen kann Μ = mil(Λ Μ
I
\ θ
und ~ beide sehr klein gegen 1A: Q !
λ ^ λ τ-Η Q θ
λ λ\ . θ βτ 1Ι hinzuzufügen, der um so größer st, je mehr sich die Dichten des Körpers und der Gewichtsstücke voneinander unterscheiden. Ζ. B. beträgt die Korrektion beim Wägen eines Liters Wassers mit Messinggewichten .
(
1000 · 0,001293 ( i - _ _ L ) = 1,14 g .
Ebenso wie in einer Flüssigkeit eine spezifisch leichtere Flüssigkeit in die Höhe steigt, erleidet auch in einem Gas ein anderes leichteres einen Auftrieb. Das ist der Grund, weshalb warme Luft stets in die Höhe steigt, während die schwerere kalte Luft zu Boden sinkt. Hierauf beruht die Wirkungsweise des Luftballons. Damit ein solcher Ballon in der atmosphärischen Luft aufsteigt, muß er mit einem Gas gefüllt sein, dessen Dichte kleiner ist als die der Luft. Die Abb. 294 zeigt die an einem Ballon herrschenden Druckkräfte. Da im Gleichgewicht an der unten befindlichen Öffnung weder Gas aus dem Ballon heraus, noch Luft in denselben einströmt, ist dort der Außen- und Innendruck derselbe; wir nennen ihn p2. Der von oben auf den Ballon wirkende Druck der atmosphärischen Luft p ist dann p1 = p2— h).g, wenn h die Höhe des Ballons und λ die Dichte der Luft bedeuten. Der im Balloninnern nach oben wirkende Druck ist anderseits: ρΆ = p2—-hog, wenn ρ die Dichte des Füllgases ist (dabei ist wegen der relativ geringen Größe von h von der Änderung von λ und ρ mit der Höhe abgesehen). Da ρ < λ ist, ist p3 > pit und der resultierende nach oben gerichtete Druck hat die Größe: Ps — Pi = hg{X — Q) .
Die Steigfähigkeit eines Ballons ist um so größer, je größer sein Volumen und j e kleiner sein Gewicht ist. Man füllt daher einen Ballon mit Wasserstoff (ρ = 0,000089) oder Leuchtgas (ρ = 0,0006). Ein kugelförmiger Ballon von 15 m Durchmesser hat ein Volumen von rund 1760 m 3 . Sein Auftrieb bei Wasserstoffüllung beträgt dann: 1760 -10 6 (0,001293—• 0,000089) = 2122 -10 3 p = 2122 kp , bei Leuchtgasfüllung rund 1200 kp. Ein Teil dieses Auftriebes dient dazu, die Hülle und das Netzwerk des Ballons zu tragen, während der Rest zum Tragen der Gondel und der Nutzlast Verwendung findet. Auch die Z u g w i r k u n g von K a m i n e n und hohen Schornsteinen ist eine Folge des Auftriebes, da die im Innern des Schornsteines erwärmte Luft eine geringere Dichte
54. Schwimmen'; Metazentrum
243
hat als die Luft im Außenraum. Es stellt sich daher im Schornstein die gleiche Druckverteilung ein, wie sie in Abb. 294 für den mit Gas gefüllten Ballon beschrieben wurde. Da der Schornstein oben und unten offen ist, findet ein Ausströmen der warmen Luft aus der oberen Öffnung heraus statt, was wiederum eine Zugwirkung an der unteren Öffnung ergibt, die dem Feuer die nötige Frischluft zuführt und um so größer ist, je höher der Schornstein ist. — Schließlich herrscht auch in den Gasleitungen unserer Häuser eine ähnliche Druckverteilung, die zur Folge hat, daß das Gas in den oberen Stockwerken stets mit einem größeren Druck ausströmt als in den tiefer gelegenen Kellerräumen. Wir zeigen dies mit dem B e h n s c h e n R o h r (Abb. 295). Ein Glasrohr, dem in der Mitte Leuchtgas zugeführt wird, besitzt an seinen beiden Enden je eine kleine Brennöffnung. Bei horizontaler Lage des Rohres brennen die an diesen Öffnungen
entzündeten Flammen gleich groß; neigt man aber das Rohr, wie es Abb. 295 zeigt, so kann man bei geeignet eingestellter Gaszufuhr erreichen, daß an dem tieferen Ende die Flamme fast erlischt, an dem höher gelegenen Ende aber eine helleuchtende große Flamme brennt. Während an der tieferen Stelle nur eine sehr kleine Druckdifferenz zwischen Luft und Leuchtgas vorhanden ist, besteht an der nur wenige Zentimeter höher gelegenen Stelle bereits eine genügend große Druckdifferenz, die ein kräftiges Ausströmen des Gases ermöglicht. Mißt man mit einem Wassermanometer im Keller und in einem oberen Stockwerk eines Hauses den Gasdruck pu bzw. p0, so kann man, wenn die Dichte λ der Luft und die Dichte ρ des Gases bekannt sind, die Höhe h zwischen den Meßstellen im Keller und im oberen Stockwerk bestimmen. Bezeichnen w0 und wu die in Zentimeter gemessenen Wassersäulen des Manometers und b„ bzw. bu die Luftdrucke an den beiden Meßstellen, so bestehen die Gleichungen:
daraus folgt: und
Pu = bu + «>u 9 » Po = Pu — he9>
Po = Κ + «\> 9 b0 = bu — hXg ,
b0 + w0g = b0 + hXg + ivug — hgg h =
w0 — wu λ —ρ
54. Schwimmen eines Körpers; Metazentrum An jedem in einer Flüssigkeit befindlichen Körper, sei es, daß er ganz oder nur teilweise untergetaucht ist, wirken zwei Kräfte, die nach unten gerichtete Schwerkraft und die vertikal nach oben gerichtete Auftriebskraft. Während die Schwerkraft am Schwerpunkt des Körpers angreift, greift die Auftriebskraft im Schwerpunkt des vom 16*
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VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
Körper verdrängten Flüssigkeitsvolumens, des sogenannten D e p l a c e m e n t s , an. Diese Angriffspunkte fallen nur dann zusammen, wenn der Körper homogen ist und vollkommen in die Flüssigkeit eintaucht. In jedem anderen Fall bilden das Gewicht des Körpers und sein A u f t r i e b ein K r ä f t e p a a r , das den Körper so lange zu drehen sucht, bis die Angriffslinien beider Kräfte in eine Richtung fallen, was der Fall ist wenn die beiden Angriffspunkte vertikal übereinander liegen. Wir betrachten den für die Praxis wichtigsten Fall, daß das vom Körper verdrängte Flüssigkeitsvolumen kleiner ist als sein Eigenvolumen, d. h., daß der Körper an der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmt und dabei mit einem Teil seines Volumens in diese eintaucht. Dies ist nach dem im vorigen Abschnitt Gesagten bei einem massiven Körper nur möglich, wenn seine Dichte kleiner als die Dichte der Flüssigkeit ist. Soll ein Körper von höherer Dichte auf einer Flüssigkeit schwimmen, muß man ihm eine geeignete Form geben, damit die von ihm verdrängte als Abb. 296. Labile Schwimmlage eines rechteckigen, homogenen Wassermenge schwerer Klotzes sein Eigengewicht ist. Dies ist ζ. B. bei metallischen Hohlkörpern, eisernen Schiffen usw. der Fall. Von^den verschiedenen Schwimmlagen, die ein solcher Körper einnehmen kann, ist meistens nur eine einzige Lage stabil, während alle anderen Lagen unstabil sind. So wissen wir, daß z.B. ein Holzbalken stets waagerecht und niemals verAbb. 297. Stabile Schwimmlage eines rechteckigen, homogenen tikal im Wasser schwimmt, Klotzes und daß ein Brett stets nur stabil schwimmt, wenn es flach auf dem Wasser liegt. In Abb. 296a ist ein rechteckiger Holzklotz gezeichnet, der in aufrechter Stellung in einer Flüssigkeit schwimmt. An seinem Schwerpunkt S K greift die nach unten wirkende Schwerkraft ® an, während an dem Schwerpunkt SF der verdrängten Flüssigkeit die nach oben gerichtete Auftriebskraft angreift. Obwohl beide Kräfte in entgegengesetzter Richtung wirken und sich gegenseitig aufheben, ist diese Schwimmlage labil. Das erkennt man, wenn man den Holzklotz etwas kippt, so daß er die in Abb. 296b gezeichnete Lage einnimmt. Während die Lage des Schwerpunktes S K im Holzklotz unverändert bleibt, verschiebt sich der Schwerpunkt SF der verdrängten Flüssigkeit. Die an beiden Punkten angreifenden Kräfte bilden jetzt ein Kräftepaar, das den Holzklotz weiter zu kippen sucht, bis er die in Abb. 297a gezeichnete Lage einnimmt. Obwohl auch jetzt wieder der Schwerpunkt des Holzklotzes vertikal über dem Schwerpunkt des verdrängten Flüssigkeitsvolumens liegt, ist diese Schwimmlage stabil. Kippen wir nämlich jetzt den Klotz etwa in die Lage der Abb. 297b, so tritt zwar wieder ein Kräftepaar auf, das aber jetzt den Klotz in die alte Lage von Abb. 297a zurückzudrehen sucht. Entscheidend ist also für die Stabilität die Lage des Kräftepaares, das bei einer kleinen Verdrehung des Körpers aus der Schwimmlage heraus entsteht. Ziehen wir in der Gleichgewichtslage des Körpers (Abb. 296a bzw. 297 a) die
54. Schwimmen; Metazentrum
245
vertikal gerichtete Verbindungslinie der beidenSchwerpunkte und SF, so wird diese Linie bei der Kippung des Körpers von der nach oben gerichteten Auftriebskraft in einem Punkt Μ geschnitten (Abb. 296b bzw. 297b), den man das Metazentrum nennt. Nur wenn dieses Metazentrum über dem Schwerpunkt des Körpers liegt (Abb. 297b), ist die betreffende Schwimmlage stabil; die Stabilität ist um so größer, je höher Μ über SK liegt. Damit also ein Schiff im Wasser stabil schwimmt, muß man seinen Schwerpunkt möglichst tief legen. Zu diesem Zweck versieht man Schiffe häufig mit einem Bleikiel und bringt Schiffsmaschinen und schwere Ladungen möglichst tief im Schiffsinnern an. Durch eine zu große Deckladung kann dagegen ein Schiff leicht zum Kentern kommen. Befestigt man an der Bödenfläche des in Abb. 296a gezeichneten Klotzes eine Eisenscheibe, so rückt dadurch der Schwerpunkt SK unter den Schwerpunkt Sp und bei der in Abb. 298 gezeichneten Lage dieses Klotzes liegt jetzt das Metazentrum über SK, so daß der Klotz auch in der vertikalen Lage stabil schwimmt.
Bodenfläche beschwerten Holzklotzes
Um den Kippwinkel α geneigtes Schiff
Die Entfernung des Metazentrums Μ vom Schwerpunkt SK des schwimmenden Körpers nennt man die metazentrische Höhe. In Abb. 299 ist der Querschnitt eines um den Winkel α gegen die Vertikale geneigten Schiffes gezeichnet, dessen metazentrische Höhe h sei. Sie wird, wie man sich leicht überlegt, mit der Neigung des Schiffes kleiner. Durch Wahl eines geeigneten Schiffsquerschnittes, der oben breiter als unten ist, kann man aber erreichen, daß sich bei größerer Neigung die Wasserverdrängung und ihr Schwerpunkt so verschiebt, daß dadurch die metazentrische Höhe für stärkere Kippungen des Schiffes größer wird. Verschieben wir, wie Abb. 299 zeigt, die im Schwerpunkt Sp angreifende Antriebskraft S„ in ihrer Wirkungslinie bis zum Metazentrum M, so ist der Betrag des Drehmomentes des von ft und ί>ία gebildeten Kräftepaares, das den Schiffskörper vom Gewicht G aufrichtet: D = Gh sin« . Nun stellt das Schiff aber ein schwingungsfähiges System dar, das um seine Längsrichtung Schwingungen ausführen kann, die man das Rollen des Schiffes nennt. Die Schwingungsdauer Τ dieser Schwingungsbewegung ist nach Gl. (96) S. 141:
wenn Θ das Trägheitsmoment des Schiffes um seine Längsachse, Gh das Direktionsmoment bedeuten, und wir nur kleine Neigungswinkel betrachten, so daß wir statt sin α den Winkel oc setzen können. Aus dieser Gleichung folgt, daß Τ mit wachsendem h abnimmt. Damit aber das Schiff möglichst ruhig fährt und von den Meereswellen nur
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VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
zu langsamen Schwingungen angestoßen wird, m u ß Τ groß und demnach h möglichst klein seil., was mit der Forderung möglichst großer Stabilität in Widerspruch t r i t t . Auf beide Gesichtspunkte h a t m a n beim Bau von Ozean schiffen zu achten. Da die von einem schwimmenden Körper verdrängte Flüssigkeitsmenge genau soviel wiegt wie der Körper, wird dieser u m so tiefer in die Flüssigkeit eintauchen, je kleiner deren Dichte ist. Diese Tatsache benutzt X \ man dazu, um aus der Eintauchtiefe die Dichte einer Flüssigkeit zu bestimmen. Der dabei angewandte Schwimmer heißt „Senkspindel" oder „Aräometer" u n d h a t die in Abb. 300 dargestellte längliche Gestalt. Damit er in der Flüssigkeit in aufrechter Lage stabil schwimmt, ist er in seinem unteren Teil mit Schrot oder Quecksilber beschwert. Der röhrenförmige obere Teil trägt eine Skala, die die Dichte der Flüssigkeit f ü r jede Eintauchtiefe angibt. I m Handel gibt es ferner Aräometer, deren Skala in Prozenten eines bestimmten Stoffes geeicht ist, dessen Gehalt in der Abb. 300. Flüssigkeit man untersuchen will (Alkoholometer, Säuremesser, MilchAräometer messer usw.).
55. Allgemeines über strömende Flüssigkeiten Bisher haben wir ruhende Flüssigkeiten b e t r a c h t e t ; wenden wir uns jetzt zur Untersuchung der Bewegung von Flüssigkeiten (und Gasen), so müssen wir eine Betrachtung der K r ä f t e vorausschicken, unter deren Einfluß die Strömung erfolgt. E s können zunächst äußere K r ä f t e , wie die Schwere, auf jedes Flüssigkeitsteilchen wirken; ebenso können Druckdifferenzen eine Beschleunigung hervorrufen. Bei den w i r k l i c h e n F l ü s s i g k e i t e n kommen dazu noch innere Kräfte, die die Moleküle aufeinander ausüben: Diese K r ä f t e erzeugen die Zähigkeit der Flüssigkeit u n d werden als Reibungskräfte bezeichnet. Nach dem zweiten N e w t o n sehen Axiom ist die Resultierende aller dieser auf ein Flüssigkeitsteilchen wirkenden K r ä f t e gleich dem P r o d u k t aus dessen Masse u n d der ihm erteilten Beschleunigung: Das ist der Inhalt der zuerst v o n L . E u l e r aufgestellten sogenannten „hydrodynamischen Gleichungen", die also nichts weiter sind als die konsequente Anwendung der von N e w t o n f ü r materielle P u n k t e geschaffenen Grundlage auf Flüssigkeiten und Gase. Wenn man im Sinne des d ' A l e m b e r t s c h e n Prinzips das negative P r o d u k t aus Masse und Beschleunigung auch hier als T r ä g h e i t s k r a f t bezeichnet, so k a n n m a n den Inhalt der hydrodynamischen Bewegungsgleichungen auch dahin aussprechen: Für jedes Flüssigkeitsteilchen müssen die äußeren Kräfte, die Druckdifferenzen, die Reibungskräfte und die Trägheitskräfte sich das Oleichgewicht halten. J e nach dem Verhältnis dieser K r ä f t e zueinander fällt die Bewegung natürlich außerordentlich verschieden aus. D a die Summe der äußeren K r ä f t e und Druckdifferenzen den Reibungs- u n d Trägheitskräften das Gleichgewicht halten muß, se k o m m t es wesentlich auf das Verhältnis dieser letzteren an. Zwei Extremfälle, die uns genauer beschäftigen werden, sind dadurch charakterisiert, daß im ersten Falle die R e i b u n g s k r ä f t e ü b e r w i e g e n , so daß die Trägheitskräfte vernachlässigt werden können, während im zweiten Falle umgekehrt die Reibungskräfte gegenüber den Trägheitskräften i g n o r i e r t werden können. D a m i t diese Unterscheidung f r u c h t b a r wird, müssen wir uns zunächst etwas mit der N a t u r d e r R e i b u n g s k r ä f t e beschäftigen. Zunächst sei an einen bekannten Versuch erinnert: W e n n man ein mit Wasser gefülltes Glas um eine vertikale Achse in Rotation versetzt, so beobachtet man, daß nach einiger Zeit die g a n z e F l ü s s i g -
55. Allgemeines über strömende Flüssigkeiten
247
k e i t s m a s s e m i t r o t i e r t . Das ist n u r möglich, w e n n zwischen den einzelnen koaxialen Schichten K r a f t w i r k u n g e n bestehen, die die R o t a t i o n von der Glaswand allmählich auf die inneren Flüssigkeitsschichten ü b e r t r a g e n . — D a s Wesentliche a n diesem Versuch e r k e n n e n wir durch die B e t r a c h t u n g des folgenden theoretisch einfacheren Falles (Abb. 301). Zwischen zwei parallelen ebenen P l a t t e n AB u n d CD im Abstände h befinde sich Flüssigkeit; P l a t t e AB wird festgehalten, CD dagegen m i t der Gechwindigkeit c0 in ihrer E b e n e bewegt. D a n n b e o b a c h t e t m a n , d a ß die Flüssigkeit in zu den P l a t t e n parallele Schichten zerfällt, die m i t verschiedenen Geschwindigkeiten a n e i n a n d e r vorbeigleiten. Die Flüssigkeitsschicht, die der bewegten P l a t t e CD u n m i t t e l b a r anliegt, h a t die volle Geschwindigkeit c0 derselben: Sie „ h a f t e t " in eitjer d ü n n e n Schicht fest an ihr. D a s gleiche gilt von d e r untersten, m i t der P l a t t e Α Β in B e r ü h r u n g befindlichen Schicht, a u c h sie h a f t e t , d . h. besitzt die Geschwinkeit 0. Von der u n t e r e n P l a t t e bis zur oberen Abb. 301. n i m m t die Geschwindigkeit c der einzelnen Schichten Zur Flüssigkeitsreibung zu, u n d zwar, wie A b b . 301 anzeigt, l i n e a r ; sie wächst proportional dem Abstände von der r u h e n d e n P l a t t e . Der Vorgang erklärt sich folgendermaßen: Die oberste Flüssigkeitsschicht m i t der Geschwindigkeit c 0 ü b t auf die zunächst folgende eine T a n g e n t i a l k r a f t aus, die letztere gleichfalls in Bewegung setzt; das gleiche t u t diese Schicht m i t der nächsten nach u n t e n folgenden u n d so f o r t . J e d e Schicht ü b t auf die n a c h u n t e n folgende eine beschleunigende K r a f t aus u n d e r f ä h r t von ihr n a c h d e m R e a k t i o n s prinzip eine gleich große, a b e r verzögernde K r a f t . Diese K r a f t ist n a c h Ausweis der E r f a h r u n g proportional der F l ä c h e F der aneinander vorbeigleitenden Schichten, i h r e m Geschwindigkeitsunterschiede Δ c, einem von der N a t u r der Flüssigkeiten a b h ä n genden F a k t o r η u n d schließlich u m g e k e h r t proportional d e m A b s t ä n d e Δ h der beiden i n s Auge g e f a ß t e n Schichten. D e m n a c h folgt f ü r die T a n g e n t i a l k r a f t : V
z?
ein Ausdruck, der in der Grenze f ü r unendlich b e n a c h b a r t e Schichten in den folgenden übergeht:
Κ D i e auf die Flächeneinheit wirkende K r a f t -=• = τ ist also die Größe der T a n g e n t i a l JP
-oder S . e h u . b s p . a n n u n g , wie wir im vorigen K a p i t e l (S. 197) s a g t e n : de (145) I n einer w i r k l i c h e n F l ü s s i g k e i t existiert also a u ß e r der in d e n N r n . 47—53 allein b e t r a c h t e t e n N o r m a l s p a n n u n g , d . h . dem D r u c k p, a u c h eine T a n g e n t i a l s p a n n u n g , die durch (145) gegeben ist. Die N o r m a l s p a n n u n g p ist eine eigentlich elastische Spannung, d e n n sie ist der D e f o r m a t i o n proportional, w ä h r e n d d i e S c h u b s p a n n u n g r der Flüssigkeiten der r e l a t i v e n G e s c h w i n d i g k e i t zweier N a c h b a r s c h i c h t e n proportional ist. Sie ist also k e i n e e l a s t i s c h e K r a f t , die j a b e s t r e b t wäre, die D e f o r m a t i o n rückgängig zu m a c h e n ; sie h a t vielmehr die Tendenz, die schnellere Schicht zu verlangsamen, die langsamere zu beschleunigen, d. h . d e n G e s c h w i n d i g k e i t s u n t e r s c h i e d auszugleichen, m i t a n d e r e n W o r t e n so zu wirken, wie wir es von der R e i b u n g fester K ö r p e r her k e n n e n . Deshalb eben n e n n t m a n die hier a u f t r e t e n d e Schubspan-
248
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
nung τ eine Reibungskraft und η den Koeffizienten der inneren Reibung oder kurz die Zähigkeit der betreffenden Flüssigkeit. Man erkennt übrigens, da r proportional der relativen Geschwindigkeit ist, daß in den Erörterungen der vorhergehenden Nummern, wo nur von ruhenden Flüssigkeiten die Rede war, Reibungskräfte gar nicht auftreten, die Annahme einer idealen, reibungsfreien Flüssigkeit dort also jedenfalls gerechtfertigt war. Ob und wann die gleiche Annahme bei strömender Flüssigkeit zulässig ist, wird weiter unten erörtert. Bevor wir weitergehen, müssen wir noch feststellen, wie man die Bewegung eines Flüssigkeitsteilchens sichtbar macht, damit es auf seiner Bahn verfolgt werden kann. Handelt es sich uni' Teilchen in der freien Oberfläche der Flüssigkeit, so kann man Bärlappsamen aufstreuen, der dann mit fortgeführt wird und so im Laufe der Zeit die Bahnlinie des Teilchens beschreibt. Bei Teilchen im Innern der Flüssigkeit kann man ähnlich verfahren, indem man an diese Stelle einen Farbstoff oder Aluminiumpulver bringt, die mitgeführt werden. Gasströmungen kann man durch Einbringen von Tabaksrauch oder Salmiaknebel sichtbar machen. Während sich die so sichtbar gemachte B a h n l i n i e auf die G e s c h i c h t e , d . h . das zeitliche Nacheinander e i n e s Teilchens bezieht, kann man sich einen Überblick über die m o m e n t a n e n S t r ö m u n g s v e r h ä l t n i s s e verschaffen, indem man Kurven konstruiert, deren Tangente in jedem Punkte die Richtung der im betrachteten Zeitpunkt vorhandenen Strömungsgeschwindigkeit hat, die sogenannten Stromlinien. Diese beziehen sich also auf das m o m e n t a n e N e b e n e i n a n d e r z a h l r e i c h e r T e i l c h e n , sind also im allgemeinen von den Bahnlinien verschieden. Nur in dem allerdings besonders wichtigen Falle, daß die Strömung s t a t i o n ä r ist, d. h. daß an die Stelle jedes Teilchens im nächsten Moment ein genau gleiches mit gleicher Geschwindigkeit tritt, gibt eine Stromlinie gleichzeitig auch die Bahn jedes Einzelteilchens wieder. An sich geht durch j e d e n Punkt der Flüssigkeit eine Stromlinie, ihre Gesamtheit gibt uns ein qualitatives Bild der Strömung. Wir können aber die Stromlinien auch zu einer q u a n t i t a t i v e n D a r s t e l l u n g des „ G e s c h w i n d i g k e i t s f e l d ö s " verwerten, indem wir ihre Anzahl geeignet beschränken: Wir ziehen durch jede senkrecht zur Richtung der vorhandenen Geschwindigkeit stehende Querschnittseinheit nur so viel Stromlinien, als der Betrag der Geschwindigkeit Einheiten hat. Aus der Zahl der ein Quadratzentimeter durchsetzenden Stromlinien kann man dann also die Geschwindigkeit an der betreffenden Stelle entnehmen. Im besonderen folgt: Wo die Stromlinien sich zusammendrängen, haben wir größere, wo sie weit auseinander liegen, haben wir kleinere Geschwindigkeit. Zieht man durch jeden Punkt des Randes einer kleinen geschlossenen Kurve die Stromlinien, so erhält man ein schlauchartiges Gebilde, dessen Wandung aus lauter Stromlinien besteht, eine sogenannte Stromröhre. Sie hat also die Eigentümlichkeit, daß durch ihre Wandung keine Flüssigkeit hindurchtritt; die Flüssigkeitsmenge, die sich einmal innerhalb einer Stromröhre befindet, bleibt daher dauernd darin und wird ein Stromfaden genannt. Manchmal ist es möglich, daß man die ganze Strömung als e i n e n einzigen Stromfaden betrachtet; ζ. B . bei Strömung durch ein materielles Rohr; das Rohr bildet dann als Ganzes eine Stromröhre. Diese Art der Untersuchung, die geeignet ist, einen ersten Überblick über die Strömung zu liefern ( E u l e r s c h e S t r o m f a d e n t h e o r i e ) , ist vielfach in technischen Kreisen üblich und wird (unter Hinzunahme empirischen Materials) als „Hydraulik" bezeichnet. Die Flüssigkeits- und Gasbewegungen fallen natürlich verschieden aus, je nachdem das Volumen dabei erhalten bleibt oder sich ändert. Bei den eigentlichen Flüssigkeiten ist nach Ausweis der Nr. 50 die Kompressibilität so klein, daß man ganz allgemein von einer Volumänderung bei der Strömung absehen kann. Bei Gasen ist aber nach dem Β o y l e - M a r i o t t e s c h e n (isothermen) Gesetz (137) oder dem adiabatischen Gesetz (137a) das Volumen sehr stark vom Druck abhängig, so daß man erwarten sollte, daß
56. Hagen-Poiseuillesches und Stokessches Gesetz; Reynoldssche Zahl
249
sich dies bei der Strömung von Gasen sehr bemerklich macht. Indessen wird sich zeigen (Nr. 57), daß die bei der Strömung auftretenden Druckdifferenzen im allgemeinen klein sind, also dann auch die Volum Veränderungen außer Betracht bleiben können. Dies gilt so lange, als die Strömungsgeschwindigkeit nicht in die Nähe der Schallgeschwindigkeit kommt, die in Luft etwa 340 m/sec beträgt. Da wir solche Fälle nicht in Betracht ziehen werden, ergibt sich für uns das wichtige Ergebnis, daß wir alle im folgenden vorkommenden Flüssigkeiten, unter denen wir jetzt auch die Gase mitverstehen, bei der Bewegung als volumbeständig betrachten dürfen. Eine Unterscheidung der Flüssigkeitsströmungen· ist noch in d e r Hinsicht notwendig, j e nachdem sich bei ihnen der Einfluß der Reibungskräfte bemerklich macht oder nicht. Wir unterscheiden demgemäß die H y d r o d y n a m i k r e i b u n g s l o s e r ( i d e a l e r ) F l ü s s i g k e i t e n , die natürlich einfachere Gesetze befolgen, von der Hydrodynamik reibender oder zäher Flüssigkeiten. Zwar sind alle wirklichen Flüssigkeiten bis zu einem gewissen Grad zäh. Aber wir können schon jetzt sagen, daß unter bestimmten Umständen die von der Reibung herrührenden Schubkräfte gegenüber den anderen Kräften, insbesondere den Trägheitskräften, verschwinden können. Das ist nach (145) nicht nur dann der Fall, wenn der Reibungskoeffizient η klein ist, sondern auch, wenn de , der Geschwindigkeitsgradient, unmerklich ist. In allen diesen Fällen dürfen wir die Flüssigkeit als ideal betrachten. In der Tat lassen sich viele Beobachtungsergebnisse bei w i r k l i c h e n Flüssigkeiten schon unter der Annahme der R e i b u n g s l o s i g k e i t verstehen. Aber nicht alle! Wir werden gerade auf diese Abweichungen unser besonderes Augenmerk zu richten haben.
56. Experimentelle Bestimmung der Zähigkeit; Gesetz von Hagen-Poiseuille und von Stokes; Widerstandsziffer, Reynoldssche Zahl Zunächst müssen wir also feststellen, wie groß die Zähigkeit η ist und wie sie gemessen wird. Bevor wir an die Unters chung der Bewegung i d e a l e r Flüssigkeiten herangehen können, werden wir gerade den entgegengesetzten Extremfall betrachten, in dem die Reibungskräfte die Trägheitskräfte bei weitem überwiegen; gerade dieser Extremfall eignet sich offenbar am besten zur Bestimmung der Reibungskoeffizienten. E s sind besonders zwei einfache Yersuchsanordnungen, die sich experimentell und theoretisch haben durchführen lassen. Die erste bezieht sich auf die Strömung von Flüssigkeiten durch Rohre; diese wurde fast gleichzeitig von dem deutschen Ingenieur H a g e n und dem französischen Arzte P o i s e u i l l e untersucht. Der erstere wurde durch naheliegende technische Fragen dazu geführt, der letztere von dem Wunsche getrieben, die Art der Blutbewegung in den Arterien und Venen verstehen zu lernen. Um die Schwere vollkommen auszuschließen, legen wir ein langes Rohr vom Radius r horizontal; es ist an ein Vorratsgefäß angeschlossen, in dem die zu untersuchende Flüssigkeit bis zur Höhe h steht; durch geeigneten Zufluß hält man diese Höhe und damit den Druck am Beginn des Rohres konstant (Abb. 302). Die Flüssigkeit fließt dann durch das Rohr aus, und zwar wird im stationären Zustande offenbar in jeder Sekunde ein bestimmtes Flüssigkeitsvolumen austreten. Wie geht nun die Strömung in dem Rohr vor sich ? Zunächst haftet an der kreisförmigen Rohrwand die Flüssigkeit in einer sehr dünnen Schicht fest, die die Gestalt eines Hohlzylinders hat. Die daran nach Innen anschließende Schicht — ebenfalls ein Hohlzylinder von etwas kleinerem Radius — bewegt sich mit kleiner Geschwindigkeit, die dann folgende mit etwas größerer, und so fort, bis man in die Mitte des Rohres kommt, wo die größte Durchflußgeschwindigkeit herrscht. Wie bei der schematischen
250
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
Anordnung der Abb. 301 zerfällt die Flüssigkeit in S c h i c h t e n , die aneinander vorbeigleiten, ohne sich zu stören. Deshalb nennt man diese Strömung auch Schichtströmung oder Laminarbewegung. Die Strömungslinien, die mit den Bahnlinien identisch sind, sind offenbar Geraden parallel der Rohrachse. Natürlich werden diese einfachen Verhältnisse beim Einlauf vom Vorratsgefäß ins Rohr etwas gestört und sich erst in einiger Entfernung vom Anfang des Rohres rein ausbilden, wenn die „Einlaufsstörungen" infolge der Reibung abgeklungen sind. Man kann sich durch einen Versuch davon überzeugen, daß die Geschwindigkeitsverteilung im Rohre der gegebenen Schilderung entspricht, wenn man nämlich in einem bestimmten Moment gefärbte Flüssigkeit hinter der ungefärbten einströmen läßt. Zu Beginn haben wir dann eine scharfe vertikale Trennungsebene zwischen der gefärbten und ungefärbten Flüssigkeit (Abb. 303 a); nach einiger Zeit hat sich diese in eine gekrümmte Fläche nach Abb. 303 b deformiert. Das „ G e s c h w i n d i g k e i t s p r o f i l " ist, wie Versuch und Rechnung ergeben, p a r a b o l i s c h .
2r
yrr Abb. 302. Flüssigkeitsströmung durch ein Rohr
x
* N \\\\ Abb. 303. Ausbildung des Geschwindigkeitsprofils bei einer Rohrströmung
Die treibende Kraft für die Flüssigkeit besteht hier lediglich in einer D r u c k d i f f e r e n z , da andere äußere Kräfte ausgeschaltet sind, d. h. der Flüssigkeitsdruck muß in Abb. 302 von links nach rechts abnehmen. Wäre die Flüssigkeit ideal, r e i b u n g s l o s , so würde zur Aufrechterhaltung dieser Strömung, die in jeder Schicht mit konstanter Geschwindigkeit vor sich geht, nach dem Trägheitsgesetz gar keine Kraft, d . h . keine Druckdifferenz erforderlich sein, und umgekehrt würde eine D r u c k d i f f e r e n z d e r reibungslosen F l ü s s i g k e i t eine beschleunigte Bewegung erteilen. H i e r , bei der w i r k l i c h e n F l ü s s i g k e i t , wird der treibenden Druckdifferenz in jedem Zeitpunkte und an jedem Teilchen durch die Reibungskraft das Gleichgewicht gehalten. Man kann sich in der Tat leicht überzeugen, daß der Druck längs des Rohres fällt; man bohrt zu dem Zweck das Rohr an verschiedenen Stellen an und setzt vertikale Steigrohre ein, wie es Abb. 302 zeigt. In diesen Rohren steigt die Flüssigkeit so hoch, bis der Druck der Flüssigkeitssäule gerade so groß ist, wie der Druck der im horizontalen Rohre strömenden Flüssigkeit, und der Versuch zeigt, daß die Flüssigkeit in den Steigrohren um so tiefer steht, je weiter entfernt das Steigrohr vom Druckgefäß angesetzt ist. Für eine reibungslose Flüssigkeit würden die Druckhöhen natürlich gleich hoch 1 ) sein, ebenso für r u h e n d e Flüssigkeiten, weil dann die Anordnung 302 ein System kommunizierender Röhren bildet. Davon kann man sich leicht überzeugen, indem man das Ausflußrohr zuhält. Nennen wir nun das in der Zeit t ausfließende Flüssigkeitsvolumen V, und sind die Drucke an zwei Steigrohren, die um die Strecke l voneinander entfernt sind (Abb. 302), !) Nach dem T o r i c e l l i s c h e n Theorem (S. 266) ist die Druckhöhe dann in allen Rohren gleich Null.
56. H a g e n - P o i s e u i l l e s c h e s und Stokessches Gesetz; R e y n o l d s s c h e Zahl
251
φ ί und f>2, d. h. ist die Druckabnahme pro Zentimeter, das sogenannte D r u c k g e f ä l l e . gleich
γ ,
so ergibt sich aus den Versuchen von H a g e n und P o i s e u i l l e folgende
Beziehung: (146)
y=nr*(
V l
8 ηΐ
-
das nach den beiden Entdeckern als das Hagen-Poiseuillesche Gesetz bezeichnet wird. Das sekundliche Durchflußvolumen
ist danach um so größer, je größer der Rohr-
radius r und das Druckgefälle
sind; es ist anderseits umgekehrt proportional
^
dem Reibungskoeffizienten η der untersuchten Flüssigkeit. V, -py, φ2, l, t, r sind leicht genau zu messen ; Gl. (146) kann daher dazu dienen, η zu bestimmen und wird tatsächlich mit Vorliebe dazu benutzt. Gl. (146) kann nur gelten, w e n n d i e F l ü s s i g k e i t a m R a n d e h a f t e t , wie bisher vorausgesetzt; da (146) mit großer Genauigkeit (auch für Gase) zutrifft, enthält das H a g e n · P o i s e u l l e s c h e Gesetz den experimentellen Beweis für die Tatsache des Haftens. Nur bei sehr verdünnten Gasen tritt ein G l e i t e n an der Rohrwand und damit eine Abweichung von (146) auf.
Man kann das H a g e n - P o i s e u i l l e s c h e Gesetz noch in eine andere Form bringen, wenn man s t a t t der verschiedenen Geschwindigkeiten der einzelnen Schichten die m i t t l e r e G e s c h w i n d i g k e i t c d e r S t r ö m u n g einführt; das kommt offenbar darauf hinaus, das ganze Rohr als e i n e einzige Stromröhre, die durchfließende Flüssigkeit als e i n e n Stromfaden zu betrachten. F ü r c gilt offenbar: r 2 — = ιτπ c ; t
denn beide Seiten der Gleichung stellen das sekundliche Durchflußvolumen dar. F ü h r t man diesen Ausdruck f ü r — in (146) ein, so erhält man f ü r das Druckgefälle t
i
>
das bei gegebenem Rohrradius r zur Erzeugung der mittleren Strömungsgeschwindigkeit c erforderlich ist, den W e r t : (146a) '
Pl
Τ
l
=
.
r-
Multiplizieren wir noch mit dem Rohrquerschnitt r % n und mit der Länge l, so gibt (Pi—Pz)r2jt die K r a f t , die in dem Rohre von der Länge l und dem Radius r die Durchflußgeschwindigkeit c erzeugt: (146b)
Κ = 8πηΙο
.
Dieser K r a f t ist gleich und entgegengesetzt die Reibungskraft, d. h. der sogenannte Reibungswiderstand W, den das Rohr der Strömung entgegensetzt; der Betrag des Reibungswiderstandes ist also auch:' (147)
Ρ7=8πηΐο ,
und man erkennt, daß er verschwindet, wenn η = 0 ist, d. h. f ü r eine ideale Flüssigkeit, wie es offenbar auch sein muß. Bevor wir die Meßergebnisse f ü r η mitteilen, besprechen wir einen zweiten Fall, der von S t o k e s untersucht wurde. Dabei bewegt sich eine Kugel vom Radius r unter dem Einfluß einer äußeren K r a f t Κ in einer (unendlich ausgedehnten) reibenden Flüssigkeit; eben wegen der Reibung stellt sich bald ein stationärer Zustand her, in dem die Kugel sich mit konstanter Geschwindigkeit c bewegt. Umgekehrt kann man auch die Flüssigkeit stationär mit der konstanten Geschwindigkeit c strömen und auf die Kugel eine solche K r a f t Κ wirken lassen, daß sie gerade in Ruhe bleibt. Nach dem
252
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
von S t o k e s aufgestellten und durch zahlreiche Versuche bestätigten Gesetze ist der Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit c und der Kraft Κ bzw. dem ihr gleich großen Reibungswiderstand W, den die Kugel bei der Bewegung erfährt, gegeben durch das Stokessche Gesetz: (148)
W = βπητο .
Man kann sich leicht überzeugen, daß unter dem Einfluß einer konstanten Kraft eine in einer Flüssigkeit bewegte Kugel konstante Geschwindigkeit annimmt: Die kleinen Gasbläschen, die aus Selterswasser oder Sekt (unter dem Einfluß der Auftriebskraft) aufsteigen, zeigen dies sofort; man kann auch eine kleine Stahlkugel etwa in Glyzerin (unter dem Einfluß der Schwere) fallen lassen. Das S t o k e s s c h e Gesetz spielt in der Elektrizitätslehre eine große Rolle; dort werden kleine elektrisch geladene Partikel in Luft dem gleichzeitigen Einfluß der Schwere und elektrischer Kräfte ausgesetzt, worauf wir noch zurückkommen; auch die Fallgeschwindigkeit kleiner Nebeltröpfchen in Luft gehorcht den Stokesschen Gesetze. Aus Gl. (148) folgt auch hier, daß der Reibungswiderstand verschwindet, wenn η = 0 d. h. in einer reibungslosen Flüssigkeit. — Die Gestalt der Stromlinien ist hier schon recht kompliziert; sie wird durch Abb. 304 wiedergegeben, und zwar in einem Meridianschnitt durch die Kugel; die Strömung erfolgt von links nach rechts. Man erkennt daraus folgendes: Diejenige Stromröhre, die ι den Pol Ρ der Kugel trifft, spaltet sich auf, umfließt die Kugel, um am Gegenpole P ' Abb. 304. Strömung um eine Kugel bei Berücksichtigung der Reibung wieder zusammenzufließen. Die benachbarten Stromlinien weichen in ähnlicher Weise vor der Kugel aus, um sich hinterher der Parallelströmung wieder anzunähern. Weiter außerhalb ist die Parallelströmung nicht mehr merklich gestört. Das Strömungsfeld zerfällt auch hier in einzelne Schichten, die mit verschiedener Geschwindigkeit unter Reibung aneinander vorbeiströmen, wobei die innerste Schicht fest an der Kugel haftet, d. h. die Geschwindigkeit Null besitzt: Es handelt sich also auch hier um eine typische Laminarströmung. Das Strömungsbild ist bezüglich der Achse P F ' (in Abb. 304 oben und unten) völlig symmetrisch, ebenso in bezug auf die Achse QQ' (links und rechts in der Figur). Dagegen ist — wegen der Reibung! — der D r u c k auf die l i n k e K u g e l h ä l f t e g r ö ß e r a l s a u f die r e c h t e : Die Resultierende der Druckkraft liefert eben den Widerstand nach Gl. (148). Man erkennt dies leicht, wenn man eine S t r o m r ö h r e betrachtet; ein Schnitt durch eine solche ist in der Abbildung schraffiert. Da durch die Wände der Stromröhre keine Flüssigkeit hindurchtritt, hat man in der Strömung durch eine Stromröhre das genaue Analogon zum H a g e n - P o i s e u i l l s c h e n Fall vor sich, nur daß hier der Querschnitt der Stromröhre nicht überall der gleiche ist. Faßt man zwei Stellen einer Stromröhre ins Auge, eine vor, eine hinter der Kugel und symmetrisch gelegen, also Stellen vom gleichen Querschnitt, so nimmt hier wie dort der Druck in der Bewegungsrichtung (von links nach rechts) ab. Die Flüssigkeit ist in praxi natürlich nie unendlich ausgedehnt, sondern etwa in einem zylindrischen Gefäß eingeschlossen; das bedingt Korrekturen an der einfachen Form des Gesetzes (148), auf die wir hier nicht eingehen.
Mit Hilfe des H a g e n - P o i s e u i l l e s c h e n Gesetzes (146) und des Stokesschen Gesetzes (148) hat man zahlreiche Messungen von η ausgeführt. — Zunächst ergibt sich
56. Hagen-Poiseuillesches und Stokessches Gesetz; Reynoldsche Zahl
253
die Dimension von η am einfachsten aus (147) oder (148): D a W die Dimension einer K r a f t hat, findet man für die gesuchte Dimension der Zähigkeit:
(149)
Μ =
bzw. im absoluten M a ß s y s t e m : (149 a)
nSH»^]·
[rß = [g cnr" 1 sec- 1 ] .
D i e gleiche Dimension folgt natürlich aus der Definitionsgleichung (145) für die Schubspannung r . E i n e Flüssigkeit hat danach die Zähigkeit η •— 1, wenn sich in ihr unter dem Einfluß einer Schubspannung τ = 1 dyn/cm 2 ein solcher Geschwindigkeitsgradient ausbildet, daß die relative Geschwindigkeit zweier um 1 cm voneinander abstehender Schichten gerade 1 cm/sec beträgt. Diese E i n h e i t heißt 1 Poise ( P ) ; ihr hundertster T e i l heißt Centipoise (cP). I n der folgenden Tabelle ist?/ in Poisen angegeben. Zähigkeit in Ρ Temperatur in °C
Material
0,01590
20
H20 h20 h20
0,01808 0,01008 0,00285
0 20 100
Äthylalkohol Äthyläther Benzol
0,01250 0.0-255 0,00632
Hg
Glyzerin (wasserfrei) Rizinusöl Argon Helium Luft Wasserstoff
....
14,90 9,69 0,0002104 0,0001891 0,0001733 0,0000857
1 i J
20 20 20
1
η
Man sieht am Beispiel des Wassers in dieser Tabelle, daß η mit zunehmender T e m p e ratur sehr stark a b n i m m t : Das gilt für a l l e F l ü s s i g k e i t e n . Gerade umgekehrt verhalten sich die G a s e : B e i ihnen wächst die Zähigkeit m i t zunehmender T e m p e r a t u r . B e i Messungen der Zähigkeit ist daher auf genaue Temperaturbestimmung und T e m p e raturkonstanz zu achten. Die Betrachtung der obigen Zahlen zeigt, daß für Wasser und L u f t , d. h. für die in der Praxis wichtigsten Flüssigkeiten, die Zähigkeit η sehr klein ist; wenn daher de — siehe Gl. (145) — ^ nicht sehr groß ist, i s t m a n i m a l l g e m e i n e n b e r e c h t i g t , von der R e i b u n g a b z u s e h e n und die F l ü s s i g k e i t als i d e a l zu b e t r a c h t e n . D a s werden wir in den folgenden Nummern wirklich tun. Allerdings gilt das nur, wenn wie oben betont, die Kleinheit von η nicht durch einen sehr großen Geschwindigkeitsgradienten kompensiert wird; in diesem F a l l e dürften die von der Zähigkeit herrührenden Schubkräfte gemäß (145) nicht ignoriert werden. W o ist dies der F a l l ? S t e t s a n d e r O b e r f l ä c h e e i n g e t a u c h t e r K ö r p e r . Halten wir etwa den K ö r p e r i e s t und lassen die Flüssigkeit daran vorbeiströmen, so ist wegen des Η a f t e n s die Strömungsgeschwindigkeit am Körper selbst gleich Null; in senkrechter R i c h t u n g vom Körper fort a b e r steigt sie — wegen des kleinen W e r t e s von η — sehr rasch zu dem vollen Werte an, den sie für eine reibungslose Flüssigkeit hat. i s t also in einer m e h r oder w e n i g e r d ü n n e n ,
Der Gradient
dem K ö r p e r
— dh anliegenden
254
VI. Kapitel. Mechanik der Flüssigkeiten und Gase
S c h i c h t i m m e r g r o ß , u m so g r ö ß e r , j e k l e i n e r ^ i s t . D a h e r m u ß in d i e s e r „Grenzschicht", wie P r a n d t l 1904 zuerst erkannt hat, d i e R e i b u n g s t e t s b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n , w i e k l e i n a u c h ?] sei. Außerhalb der Grenzschicht jedoch darf die Flüssigkeit als ideal betrachtet werden. Man hat dies lange übersehen und irrigerweise die Reibung bis dicht an die Oberfläche des eingetauchten Körpers vernachlässigt; so karft es, daß die reibungslose Hydrodynamik in vielen Fällen nicht mit der E r fahrung übereinstimmte, o b w o h l η klein war. — Man kann die obigen Formeln (147) und (148) für den Widerstand eines durchströmten Rohres und einer umströmten Kugel noch etwas anders fassen. Man schreibt nämlich — im Anschluß an ein ursprünglich von N e w t o n aufgestelltes Widerstandsgesetz — f ü r j e d e A r t v o n F l ü s s i g k e i t s w i d e r s t a n d : (150) wo F die angeströmte Fläche,
w=f-\2 sein; diese Arbeit ist aber offenbar . , , , , p1f1ds1
—
p2f2ds2;
denn p1f1 und p2f2 sind die Kräfte, ds^ und ds2 die von ihnen hervorgerufenen Verschiebungen, wobei zu beachten ist, daß i n . R i c h t u n g der Kraft, ds2 e n t g e g e n d e r R i c h t u n g von p2f2 liegt. Zu beachten ist dabei, daß hier von R e i b u n g s k r ä f t e n vollkommen abgesehen ist, weswegen die sich weiter u n t e n ergebende Beziehung zwischen Druck und Geschwindigkeit nur für ideale Flüssigk e i t e n g i l t . Durch Gleichsetzung der beiden obigen Ausdrücke finden wir also: QfidsAgK
+ K2)
+ p1f1ds1
= Qf2ds2{gh2
+ Jc22) + p2f2ds2
.
Da aber nach der Kontinuitätsgleichung (156a) f1ds1 = f2ds2 sein muß, vereinfacht sich die Gleichung zu: Qih + γ
c 2
i + Pi = QiK + γ c22 + Pz = Const.
Allgemein ist für jede Stromröhre der Ausdruck (157)
Qgh + ^-c* +P = Const.,
wobei der numerische Wert der Konstante im allgemeinen von Röhre zu Röhre wechselt. Nur in dem Falle, daß die Bewegung durch einen Druck aus der Ruhe erzeugt wurde, d. h. für eine w i r b e l f r e i e Bewegung, muß die Konstante für die ganze Flüssigkeitsmenge die gleiche sein. Denn in diesem Falle (c = 0) geht (157) in die im g a n z e n R ä u m e geltende Druckgleichung der Hydrostatik (140) über (nur die Bezeichnung ist hier etwas anders). Gl. (157) heißt das Bernoullische Theorem. I n dem besonderen Falle, daß äußere Kräfte ausgeschaltet sind (Stromröhre horizontal, h = Const.) nimmt sie die Form an: (158)
p + -|-c 2 = Const.
In dieser Gestalt spricht sie quantitativ aus, was wir qualitativ schon vorher erkannt hatten, daß der Druck in einer strömenden Flüssigkeit um so kleiner ist, je größer die Geschwindigkeit an der betreffenden Stelle ist. Bezeichnen wir insbesondere den Druck in der ruhenden Flüssigkeit (c = 0) mit p0, so folgt aus (158): (159)
Po =
P + Y * ·
p0 wird als der Gesamtdruck, p als der statische, die Größe-|- c2, die ja von der Dimension eines Druckes ist, aus später hervorgehenden Gründen als Staudruck bezeichnet. I n dieser Ausdrucksweise kann man das B e r n o u l l i s c h e Theorem so aussprechen: Gesamtdruck = statischer Druck + Staudruck. Diese Bezeichnungen sind recht unglücklich — nach dem Vorgang der Technik — gewählt; es wäre sachgemäßer, p0 als den statischen Druck, d. h. den Druck in der ruhenden Flüssigkeit,