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German Pages 884 [888] Year 1986
Bergmann- Schaefer Lehrbuch der Experimentalphysik II Elektrizität und Magnetismus
Bergmann-Schaefer Lehrbuch der Experimentalphysik Band II Elektrizität und Magnetismus 7. Auflage neubearbeitet und erweitert von Heinrich Gobrecht unter Mitarbeit von Jens H. Gobrecht und Klaus H. Gobrecht
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Walter de Gruyter G Berlin • New York 1987 DE
Autoren
Dr.-Ing. Heinrich Gobrecht em. o. Professor für Physik Technische Universität Berlin Dr.-Ing. Jens H. Gobrecht Forschungszentrum der Firma Brown, Boveri & Cie Baden /Schweiz Dr.-Ing. Klaus H. Gobrecht Institut Max von Laue - Paul Langevin Grenoble / Frankreich Der Band enthält 647 Abbildungen und 26 Tabellen.
, , . 1886-1986
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Bergmann, Ludwig: Lehrbuch der Experimentalphysik / BergmannSchaefer. - Berlin ; New York : de Gruyter NE: Schaefer, Clemens: Bd. 2. Elektrizität und Magnetismus / von Heinrich Gobrecht. Unter Mitarb. von Jens H. Gobrecht u. Klaus H. Gobrecht. - 7. Aufl., neubearb. u. erw. - 1987. ISBN 3-11-010261-7 NE: Gobrecht, Heinrich [Bearb.]
Copyright © 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Einbandentwurf: Wernitz & Wernitz, Berlin. Satz: Tutte GmbH, Salzweg-Passau. Druck: Gerike GmbH, Berlin. Bindung: Lüderitz & Bauer, GmbH, Berlin.
Vorwort zur 7. Auflage
Die fundamentalen Grundlagen der Physik beruhen auf Experimenten, die zu jeder Zeit und von jedermann wiederholt werden können und die (innerhalb der Streuung) stets zu den gleichen Ergebnissen führen. Ein Lehrbuch der Physik kann auf die Beschreibung solcher Experimente und auf die sich daraus ergebenden Schlüsse und Erkenntnisse nicht verzichten. Das volle Verständnis für die physikalischen Vorgänge wird erst dann ermöglicht, wenn die grundlegenden Experimente anschaulich und überzeugend sichtbar gemacht oder wenigstens glaubhaft beschrieben werden. Das war immer das Ziel des Buches, schon seit der ersten Auflage im Jahr 1950, als Ludwig Bergmann und Clemens Schaefer die ersten Autoren waren. Mit dem Fortschreiten der Zeit haben sich neue Erkenntnisse ergeben; andere Experimente wurden erdacht, alte sind verfeinert worden. Dadurch sind zwar die Grundgesetze der Physik nicht geändert oder gar ungültig geworden; aber ihre Darstellung konnte verbessert und somit das Verständnis erleichtert werden. Die Anwendungen der Physik in der Technik müssen erwähnt werden; einmal, weil sie das Verständnis erleichtern, und auch deshalb, weil sie die Physik zusätzlich interessant machen. Die Anwendungen aber haben große Änderungen erfahren, die in einem Physikbuch wenigstens angedeutet werden sollten. So gibt es mehrere Gründe, das Buch bei einer notwendig gewordenen Neuauflage zu verändern. Den Lesern, die in Briefen auf Fehler hingewiesen oder Verbesserungsvorschläge gemacht haben, sei besonders herzlich gedankt. Es ist eine Freude, dadurch zu sehen, mit welcher Gründlichkeit das Buch von vielen gelesen wird. Der Umfang eines Lehrbuchs ist begrenzt. Deshalb mußte oft ein Mittelweg zwischen leicht verständlicher Darstellung und vollständiger Exaktheit gefunden werden. Dieses Problem ist altbekannt. Es wurde versucht, in diesem Buch die besten Lösungen dafür zu finden. Berlin, Oktober 1986
Heinrich
Gobrecht
Inhalt
Die wichtigsten elektrischen und magnetischen Größen und ihre SI-Einheiten
XI
1 1 Elektrostatik, das elektrische Feld 1.1 Grundversuche 1 1.2 Die einfachsten Apparate zum Nachweis von elektrischen Ladungen 5 1.3 Gleichheit der getrennten positiven und negativen Ladungsmengen 8 1.4 Sitz der elektrischen Ladung auf einem LeiterFlächenladungsdichte 10 1.5 Coulombsches Gesetz - Einheit der Elektrizitätsmenge 16 1.6 Das elektrische Feld, die Feldstärke, Feldlinien, der elektrische Fluß 23 1.7 Das elektrische Potential 31 1.8 Die Kapazität 42 1.9 Die Influenz 44 1.10 Anwendungen der Influenz (Doppelplatte, Potentialsonde, Elektrophor, Kondensator) 50 1.11 Materie im elektrischen Feld 67 75 1.12 Die Polarisation der Dielektrika 1.13 Piezo-und Pyroelektrizität - Ferroelektrizität 88 1.14 Kontaktelektrizität, Austritt freier Elektronen aus Materie, polarisierte Elektronen 104 1.15 Die elektrostatische Energie; Kraftwirkungen im elektrischen Feld. 120 1.16 Messung sehr kleiner Ladungsmengen 127 1.17 Elektrostatische Generatoren 133 1.18 Das elektrische Feld der Erde 137 1.19 Die Beseitigung elektrostatischer Aufladungen 144 1.20 Anwendungen elektrostatischer Aufladungen 146 2 Der elektrische Strom 151 2.1 Begriff des elektrischen Stroms, Stromstärke, Stromdichte 151 2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm.. 155
VIII
Inhalt
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen, Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke 2.4 Elektrische Arbeit, Stromwärme 2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt 2.6 Die Natur der elektrischen Leitung in Metallen
165 176 182 193
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme 3.1 Das elektrische Feld stationärer Ströme 3.2 Das Magnetfeld eines Stromleiters; magnetische Feldlinien 3.3 Das Magnetfeld von Stromschleifen und Spulen 3.4 Das Magnetfeld im Dauermagneten; Ferromagnetika 3.5 Kraftwirkung zwischen Magnetfeldern 3.6 Strom-Meßinstrumente
197 197 200 206 213 222 238
4 Magnetismus 4.1 Grundtatsachen 4.2 Das Magnetfeld der Erde; Einfluß des Sonnenwindes 4.3 Materie im magnetischen Feld 4.4 Ferromagnetismus 4.5 Antiferromagnetismus und Ferrimagnetismus
253 253 266 271 282 297
5 Induktion 5.1 Entstehung der Induktion, Lenzsche Regel 5.2 Messung magnetischer Felder; magnetischer Spannungsmesser, Wechselspannungen, Wirbelströme 5.3 Selbstinduktion; gegenseitige Induktion; feste und lose Kopplung... 5.4 Allgemeines über Wechselströme 5.5 Mehrphasenströme, magnetische Drehfelder
307 307 320 333 336 375
6 Transformatoren, Generatoren, Motoren 6.1 Transformatoren 6.2 Die elektrischen Generatoren und Motoren
383 383 395
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen 7.1 Freie elektrische Schwingungen 7.2 Erzeugung gedämpfter elektrischer Schwingungen 7.3 Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen 7.4 Erzwungene Schwingungen, Kopplung 7.5 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen längs Leitungen, Lecher-Leitung, Telegraphen- und Wellengleichung 7.6 Elektromagnetische Raum wellen im Dielektrikum, offener Schwingungskreis, elektrischer Dipol und sein Strahlungsfeld, Hertzsche Versuche
423 423 431 439 445 458
477
Inhalt 7.7 Vergleich der elektromagnetischen Wellen mit den Lichtwellen; das elektromagnetische Spektrum 7.8 Anwendungen der elektromagnetischen Wellen in der Nachrichtenübermittlung, historische Entwicklung
IX
502 509
8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum 8.1 Die Leitfähigkeit der Gase 8.2 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken 8.3 Unselbständige Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 8.4 Die Natur der Elektrizitätsträger im Hochvakuum 8.5 Anwendungen der unselbständigen Elektrizitätsleitung im Hochvakuum 8.6 Die selbständige Stromleitung in Gasen bei niedrigem Druck 8.7 Die selbständige Elektrizitätsleitung in Gasen bei hohem Druck, Spitzen- und Büschelentladung, Funken, Lichtbogen
521 521 529 538 543
9 Der elektrische Strom in festen Körpern (Jens H.Gobrecht) 9.1 Die Stromleitung in Metallen 9.2 Die elektrische Leitung in Kristallen und Halbleitern 9.3 Technische Anwendungen von Halbleitern
623 623 639 647
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten (Jens H. Gobrecht) 10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte; Bildung der Ionen 10.2 Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse 10.3 Die Leitfähigkeit der Elektrolyte 10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente 10.5 Elektrodenprozesse, elektrolytische Polarisation 10.6 Technische Anwendungen
683 683 692 698 717 729 739
11 Energie: Gewinnung, Umwandlung, Speicherung, Fortleitung 11.1 Energiebedarf und Energiegewinnung 11.2 Energieumwandlung 11.3 Energiespeicherung 11.4 Energie-Fortleitung
753 753 762 776 779
12 Supraleitung (Klaus H. Gobrecht) 12.1 Grundlagen 12.2 Anwendungen der Supraleitung 12.3 Starkstromanwendungen der Supraleitung
785 785 797 804
Aufgaben Lösungen der Aufgaben
817 822
556 571 603
X
Inhalt
Weiterführende Literatur Fachwörterverzeichnis Deutsch-Englisch/Englisch-Deutsch Konstanten, Tabellen, Hinweise Register
835 837 859 863
Die wichtigsten elektrischen und magnetischen Größen und ihre SI-Einheiten
elektrischer Strom /
1 Ampere (A)
Elektrizitätsmenge, Ladung Q
1 Ampere • 1 Sekunde = = 1 Coulomb (C)
elektrische Spannung U
1 Ampere (A)
elektrische Leistung P
1 Volt (V) • 1 Ampere (A) = = 1 Watt (W)
elektrische Arbeit, Energie W
1 Watt (W) • 1 Sekunde (s) = = 1 Joule (J)
elektrischer Widerstand R spezifischer elektrischer Widerstand q
i
a
-
-
« 2
1 Ohm (Q) • 1 m _ 1 Meter (m) = 1 Ohm (ß) • 1 Meter (m)
elektrische Leitfähigkeit y, K, A
1 _ 1 Siemens (S) Q•m 1 Meter (m)
elektrischer Leitwert G
1 = 1 Siemens (S) Ohm (Q)
elektrische Kapazität C
1 Ampere • 1 Sekunde , = 1 Farad (F) 1 Volt (V)
elektrische Induktivität L
1 Volt • 1 Sekunde _ 1 Ampere (A)
elektrische Stromdichte J, S
1 Ampere (A) 1 mm 2
elektrischer Fluß W
1 Ampere • 1 Sekunde = 1 Coulomb (C)
J
^ ^
^
XII
Die wichtigsten elektrischen und magnetischen Größen, SI-Einheiten
elektrische Flußdichte D
elektrische Feldstärke E elektrische Feldkonstante en
1 Ampere • 1 Sekunde 1 Meter 2 _ 1 Coulomb (C) ~ 1 Meter 2 1 Volt (V) 1 Meter (m) elektrische Flußdichte D elektrische Feldstärke E As = 8,854-ÎO-12Vm
magnetische Feldstärke H
1 Ampere (A) 1 Meter (m)
magnetischer Fluß 4>
1 Volt • 1 Sekunde = 1 Weber (Wb)
magnetische Flußdichte B
1 Volt • 1 Sekunde _ 1 Weber _ 1 Meter 2
~~ 1 Meter 2 ~
= 1 Tesla (T) magnetische Feldkonstante ß 0
Frequenz v, / =
1 Periodendauer T
magnetische Flußdichte B magnetische Feldstärke H Vs = 1,2566 10" 6 — Am 1 = 1 Hertz (Hz) 1 Sekunde (s)
Die 7 Basiseinheiten des Internationalen Einheitensystems (Système International d'Unités, kurz SI), die durch die 10. und 14. Generalkonferenz festgelegt wurden, lauten: das das die das das
Meter Kilogramm Sekunde Ampere Kelvin
das Mol die Candela
Einheitenzeichen : Einheitenzeichen: Einheitenzeichen: Einheitenzeichen: Einheitenzeichen: Einheitenzeichen: Einheitenzeichen:
m kg s A K
für die Länge für die Masse für die Zeit für die elektr. Stromstärke für die thermodynamische Temperatur mol für die Stoffmenge cd für die Lichtstärke
(Man sollte nicht vom Sl-System sprechen, denn das „S" bei SI bedeutet bereits „System".)
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
1.1 G r u n d v e r s u c h e Um die vielen und verschiedenartigen Wirkungen der Elektrizität zu zeigen, braucht man keine Glühlampe, Kochplatte, keinen Radioapparat oder Staubsauger mehr vorzuführen. Elektrische Lichtquellen, Geräte und Maschinen sind allgemein bekannt. Über die Eigenschaften der Elektrizität ist daraus aber so gut wie nichts zu erfahren. Man merkt nur, daß der elektrische Strom durch einen metallischen Leiter fließen und in Licht, Wärme, Schall oder mechanische Arbeit umgewandelt werden kann. In diesem Kapitel sollen einfache Versuche mit der immer noch etwas geheimnisvollen Elektrizität beschrieben werden. Sie können zeigen, daß es zwei Arten elektrischer Ladungen gibt, die man trennen und ansammeln kann, die sich anziehen, also eine Kraft aufeinander ausüben, und die sich wieder vereinigen, wenn man sie nicht daran hindert. Diese Versuche gehören in das Gebiet der Elektrostatik, welches noch vor 200 Jahren das einzige Gebiet der Elektrizitätslehre war. Seit etwa 100 Jahren hat die Elektrodynamik das Interesse an der Elektrostatik zurückgedrängt. Neuerdings hat aber die Elektrostatik wieder an Bedeutung gewonnen. Einerseits wegen nützlicher Anwendungen, z. B. bei der Elektrophotographie (Kopiergeräte) und bei bestimmten Hochspannungsgeneratoren; andererseits wegen schädlicher Wirkungen, z.B. Zündgefahren beim Füllen von Tanks mit flüssigen Brennstoffen: Wenn sich größere Ladungsmengen ansammeln, die sich schließlich wie beim Gewitterblitz ausgleichen, dann können die Funken den Treibstoff in Brand setzen. In der Mechanik wird die Lehre vom Gleichgewicht der an ruhenden Körpern angreifenden Kräfte als Statik, dagegen der Einfluß von Kräften auf die Bewegung von Körpern als Dynamik bezeichnet. Ganz entsprechend werden in der Elektrizitätslehre die Kraftwirkungen ruhender Ladungen in der Elektrostatik behandelt. Der Einfluß von Kräften auf die Bewegung von Ladungen und die Kraftwirkung bewegter Ladungen werden in der Elektrodynamik beschrieben. Die Elektrostatik steht nicht aus historischen Gründen am Anfang, sondern weil man sehr einfache Versuche machen, elektrische Ladungen trennen und den Zustand des Raumes studieren kann, der unter dem Einfluß der getrennten elektrischen Ladungen steht, sei er mit Materie erfüllt oder nicht. Solche Versuche sind ungefährlich, wenn man sie mit geringen Ladungsmengen ausführt. Man
2
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
erhält die Ladungen bequem durch innige Berührung (Reiben) und anschließende Trennung zweier verschiedener Stoffe, z. B. Kunststoff (Plastikstab oder -folie) und Wolle. Der elektrische Strom, den man einer Steckdose entnehmen kann, besteht dagegen aus einer so großen Zahl von Ladungen, daß er lebensgefahrlich ist, wenn er durch den menschlichen Körper fließt. Zieht man ein Hemd oder einen Pullover aus synthetischen Fasern über den Kopf, so beobachtet man bei trockener Luft und im Dunkeln Funken und man hört sie knistern. Man sieht ferner, daß die Haare vom Kleidungsstück angezogen werden. Streichelt man eine Katze in trockener Luft mit einem Kunststoffstab oder -kämm, dann sieht man das Sträuben der Haare. Mit dem Kamm, dem Kunststoffstab oder dem Hemd kann man also Haare, Fasern, Papierschnitzel, aber auch schwebende Luftballons und Seifenblasen anziehen. Durch innige Berührung (Reiben) hat sich der Zustand der Stoffe derart verändert, daß von ihren Oberflächen Kraftwirkungen ausgehen. Bereits im Altertum hat (angeblich) Thaies von Milet eine solche Beobachtung an geriebenem Bernstein gemacht. Der Name einer in Kleinasien (Sardes) gefundenen goldhaltigen Legierung war Elektron; wegen der ähnlich goldgelben Farbe erhielt der Bernstein den gleichen Namen. Der merkwürdige Zustand, in dem sich ein Stück Bernstein nach inniger Berührung mit Wolle usw. befindet, wurde so nach dem Bernstein als „elektrisch" bezeichnet. Der elektrisch geladene Zustand des Bernsteins, des Kunststoffes oder der Wolle läßt sich sofort wieder beseitigen, wenn man mit der Hand über die Oberflächen streicht oder statt der Hand einen feuchten Lappen oder einen Metallstab nimmt. Eine Aufladung gelingt gar nicht, wenn man etwa statt des Bernsteins ein Metallstück in die Hand nimmt, oder statt der trockenen Wolle ein feuchter Lappen verwendet wird. Die Versuche gelingen auch nicht in feuchter Luft, weil die Oberflächen mit einem sehr dünnen, elektrisch leitenden Wasserfilm überzogen sind. Man kann leicht durch Versuche ermitteln, welche Stoffe die elektrische Aufladung ableiten können und welche nicht. So erhält man Leiter elektrischer Ladungen und Nichtleiter oder Isolatoren. Durch innige Berührung und anschließende Trennung zweier Stoffe werden beide in den elektrisch geladenen Zustand versetzt. Sofern verhindert wird, daß die Ladungen abfließen können, können fast alle Stoffe, ebenso wie Bernstein oder Wolle, elektrisch aufgeladen werden. Der sofortige Abfluß der elektrischen Ladungen kann durch einen isolierenden Griff verhindert werden, z. B. durch einen Griff aus Kunststoff. Dann wird auch ein Metallstück, also an einem isolierenden Griff aus Kunststoff, durch innige Berührung mit vielen Stoffen, auch mit Wasser, aufgeladen. Während bei einem Isolator die Ladungen an einzelnen Stellen der Oberfläche haften bleiben, verteilen sie sich bei einem Metallstück wegen dessen Leitfähigkeit gleichmäßig auf der Oberfläche. Da der menschliche Körper elektrisch leitend ist, versteht man auch, weshalb ein aufgeladenes Metallstück gegenüber der Hand durch einen Nichtleiter, z. B. Kunststoff, elektrisch „isoliert" sein muß. Die auf dem Metallstück befindliche
1.1 Grundversuche
3
elektrische Ladung würde durch Berühren mit der Hand sofort durch den menschlichen Körper zur Erde abfließen und sich auf der großen Erde verteilen. Setzt man einen metallischen Gegenstand, z. B. einen leeren Kochtopf aus Aluminium, auf eine Glasplatte oder eine Plastikfolie, dann können Ladungen von dem Topf wegen der Isolation nicht zur Erde abfließen. Man kann den Kochtopf dadurch aufladen, daß man eine Glas- oder Kunststoffstange mit einem Wolltuch reibt und dann die Ladungen von der Stange an irgendeiner Stelle des Topfes abstreift. Wegen der Leitfähigkeit des Metalls verteilen sich die Ladungen auf dem Topf, so daß er in seiner ganzen Ausdehnung in den elektrisch geladenen Zustand kommt. Wir haben also die Möglichkeit, den elektrischen Zustand sowohl mittels eines Leiters zu übertragen als auch sein Abfließen zur Erde durch einen Isolator zu verhindern. Zwischen Leitern und Nichtleitern gibt es in Wirklichkeit keine strenge Grenze; es bestehen vielmehr alle Arten von Zwischenstufen, von den besten bis zu den schlechtesten Leitern. Als gute Leiter der Elektrizität gelten die Metalle, Kohle, wäßrige Säure- oder Salzlösungen; Nichtleiter sind Glas, Quarz, Porzellan, Kunststoffe, Bernstein, Seide, Öle, Luft, Wasserdampf und andere Gase. Daß Luft die Elektrizität nicht leitet, ist ja geradezu die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt möglich ist, einen etwa durch Reiben eines Glas- oder Kunststoffstabes erzeugten elektrischen Zustand zu beobachten. Wäre die Luft nämlich ein Leiter, so würden die erzeugten elektrischen Ladungen sofort wieder abgeleitet werden und sich der Wahrnehmung entziehen. Hoch erhitzte Luft oder Flammengase leiten dagegen gut, was sich z. B. dadurch zeigen läßt, daß man einen geriebenen Kunststoffstab kurz über eine Bunsenflamme oder in einen heißen Luftstrom bringt: er wird sofort unelektrisch. Praktisch macht man beim Experimentieren von der Leitfähigkeit erhitzter Gase Gebrauch, um unerwünschte Aufladungen von Isolatoren zu beseitigen. Wir haben bisher den elektrischen Zustand geriebener Körper nachgewiesen durch die Beobachtung der Kraftwirkungen auf leichte Papierschnitzel, Haare, usw. Um nun die Kraftwirkungen zwischen den geriebenen Körpern genauer zu untersuchen, hängen wir einen geriebenen Kunststoffstab waagerecht auf (Abb. 1) und nähern einem seiner Enden einen auf gleiche Weise geriebenen zweiten Kunststoffstab; beide Stäbe befinden sich also im „elektrischen Zustand". Wir beobachten eine kräftige Abstoßung der einander genäherten Stabenden.
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Abb. 1 Drehbar aufgehängter Kunststoffstab
4
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Nähern wir aber dem aufgehängten Kunststoffstab einen geriebenen, d. h. ebenfalls elektrisierten Glasstab, so findet eine starke Anziehung statt, während schließlich zwei auf gleiche Weise geriebene Glasstäbe, von denen wir den einen freibeweglich aufhängen, sich gegenseitig ebenso abstoßen wie die beiden geriebenen Kunststoffstäbe. Dies führt zu der Auffassung, daß es zwei verschiedene, einander entgegengesetzt geladene, elektrische Zustände gibt. Gleichartig elektrisierte Körper stoßen sich ab, ungleichartig elektrisierte ziehen sich an. Da der Vorgang der Reibung ein wechselseitiger ist, wird nicht nur der geriebene Körper, sondern auch das „Reibzeug" elektrisch. Nähert man einem nach Abb. 1 aufgehängten geriebenen Glasstab das zum Reiben benutzte Stück Seide, so wird der Glasstab angezogen, während von dem gleichen Stück Seide ein mit einem Wollappen geriebener Kunststoffstab abgestoßen wird. Aus diesem Versuch folgt, daß zwei verschiedene, aneinander geriebene Körper stets beide und zwar ungleichartig elektrisch werden. Wir werden später sehen, daß die elektrischen Zustände aneinander geriebener Körper auch gleich stark sind, so daß sich ihre gemeinsame Kraftwirkung nach außen aufhebt. Die beiden Arten elektrischer Aufladung wurden schon sehr früh erkannt. Nach einem Vorschlag des Göttinger Gelehrten G.Chr. Lichtenberg (1778) spricht man (willkürlich) von positiver und negativer elektrischer Ladung. Ob ein bestimmter Körper durch Reiben positiv oder negativ elektrisch wird, hängt von dem Partner ab, mit dem er gerieben wird. Z. B. wird Glas positiv elektrisch beim Reiben mit Seide oder Leder, dagegen negativ elektrisch beim Reiben mit Pelz oder Wolle; Hartgummi wird an Wolle oder Pelz gerieben stets negativ, an Papier gerieben aber meist positiv. Übrigens kommt es nicht nur auf die stoffliche Natur des Körpers, sondern auch auf seine Oberflächenbeschaffenheit an. Schleift man die Hälfte eines polierten Glasstabes matt, so wird dieses Ende beim Reiben mit Wolle negativ elektrisch, während die polierte Hälfte mit dem gleichen Reibzug positiv elektrisch wird. Daß auch pulverförmige Stoffe durch innige Berührung elektrisch werden, zeigt folgender Versuch: Zerstäubt man ein Gemisch aus gleichen Teilen Mennige und Schwefelpulver durch ein Stück Gaze hindurch, so wird Schwefel negativ, Mennige positiv elektrisch. Läßt man das Gemisch auf zwei nebeneinander liegende geriebene Stäbe aus Glas und Hartgummi fallen, so bleibt der gelbe Schwefel am Glas, die rote Mennige am Hartgummi haften. Es werden nicht nur feste Stoffe elektrisch, sondern auch Flüssigkeiten. Ein aus Kunststoff bestehender, also isolierender Dusch Vorhang wird durch Wassertröpfchen aufgeladen, die ihre Ladung beim Austritt aus der Dusche erhalten haben. Der positiv geladene Vorhang wird vom negativ geladenen menschlichen Körper (weil mit der Erde verbunden) angezogen. Schüttelt man einen Tropfen Quecksilber, der sich in einer evakuierten Glasröhre befindet, dann bemerkt man im Dunkeln ein intensives Leuchten in der Röhre, dessen Ursache das Auftreten von elektrischen Ladungen entgegengesetzten Vorzeichnis zwischen Quecksilber
1.2 Die einfachsten Apparate zum Nachweis von elektrischen Ladungen
5
und Glas ist. Beim Ausgleich dieser Ladungen werden restliche Gasmoleküle zum Leuchten angeregt. - Gase lassen sich durch Reibung nicht elektrisch aufladen, wohl aber durch hohe Temperatur und durch energiereiche Strahlung (ultraviolettes Licht, Röntgenstrahlung, Gammastrahlung). Dabei werden die einzelnen Moleküle bzw. Atome elektrisch geladen.
1.2 Die einfachsten Apparate zum Nachweis von elektrischen Ladungen Elektroskope nennt man solche Geräte, die das Vorhandensein elektrischer Aufladungen anzeigen. Sie beruhen auf den vorher beschriebenen Kraftwirkungen. Die einfachste Ausführung ist das elektrische Doppelpendel (Abb. 2). Zwei kleine, möglichst leichte, mit einer dünnen Metallfolie überzogene Kügelchen sind an sehr dünnen Metallfäden an einem Metallbügel aufgehängt, der an einem isolierenden Stativ befestigt ist. Bei Aufladung des Metallbügels stoßen sich die Kügelchen ab. Man kann sich ein solches Doppelpendel ganz leicht herstellen, indem man sich aus Kunststoff- Stückchen, die oft zum Ausfüllen von Hohlräumen in Paketen verwendet werden, zwei Kügelchen herausschneidet und sie mit dünner Aluminiumfolie umgibt. Zum Aufhängen nimmt man einfach Nähgarn, das man mit etwas Wasser oder Graphitstaub vom Bleistift leitfähig macht. Zum isolierenden Stativ macht man einen Kunststoffkamm, den man über eine Tischkante hinausragen läßt und der auf den Tisch durch ein Buch festgelegt wird. Als elektrische Zuleitung kann ein Stück des Fadens dienen, das beim Zusammenknoten am Aufhängepunkt übrig blieb.
Abb. 2
Elektrisches Doppelpendel
Eine andere Anordnung mit Skala ist das Blättchen-Elektroskop (Abb. 3). Im Innern eines zylindrischen, auf beiden Seiten durch Glasscheiben abgedeckten Metallgehäuses hängen an einer oben isoliert eingeführten Metallstange zwei schmale Blättchen aus Aluminium- oder Goldfolie. Diese sehr dünnen Folien spreizen sich, wenn das kugelförmige Ende der Metallstange oben mit einem
6
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
elektrisch geladenen Körper berührt wird, weil sich die Ladungen auf Kugel, Stange und Blättchen verteilen. Da die Blättchen die gleiche Ladung haben, stoßen sie sich ab, d. h. sie spreizen sich auseinander, und zwar umso mehr, je größer die Ladung ist. Eicht man das Instrument, so daß die Zahlen der Skala bestimmten Ladungen entsprechen, dann wird das Elektroskop zu einem einfachen Elektrometer, mit dem man messen kann.
Statt zweier beweglicher Blättchen benutzt man vielfach nur einen beweglichen Leiter, der von einem festen abgestoßen wird. Bei dem Braunschen Elektrometer (Abb. 4) wird ein leichter, in Spitzen gelagerter Aluminiumanzeiger von einem vertikalen, festen Leiter abgestoßen, wenn diesem eine elektrische Ladung zugeführt wird (F. Braun, 1891). Hin empfindlicheres Elektrometer ist das Wulfsche Zweifadenelektrometer (Th. Wulf, 1907), dessen Aufbau aus der schematischen Abb. 5 hervorgeht. Durch die Deckplatte eines Metallgehäuses A ist, sehr gut isoliert, ein Metallstift E geführt,
1.2 Die einfachsten Apparate zum Nachweis von elektrischen Ladungen
7
j^K,
o
Abb. 5
Zweifadenelektrometer nach Wulf
der an seinem oberen Ende die Anschlußklemme K t trägt, und von dessen unterem Ende zwei sehr dünne Drähte von ca. 4 um Durchmesser und 5 bis 10 Zentimeter Länge herabhängen. Die beiden Drähte sind mit ihren unteren Enden an einem elastischen Quarzbügel Q befestigt, durch den sie schwach gespannt werden. Führt man den Fäden F 1 ; F 2 über die Klemme eine elektrische Ladung zu, so spreizen sie sich auseinander (gestrichelte Lage in Abb. 5). Ihr gegenseitiger Abstand kann in der Fadenmitte, wo er am größten ist, mit Hilfe eines Mikroskops mit Okularmikrometer sehr genau gemessen werden. Damit die Fäden beim Auseinandergehen in der Bildebene des Mikroskops bleiben, sind beiderseits in der Fadenebene zwei Schneiden (schmale Metallplatten) M t und M 2 angebracht, die mit dem über der Klemme K 2 zu erdenden Gehäuse leitend verbunden sind und somit die geladenen Fäden anziehen. Die bisher beschriebenen Instrumente zeigen zwar das Vorhandensein und die Menge der elektrischen Ladungen, liefern aber nicht das Vorzeichen. Letzteres leistet z. B. das Bohnenbergersche Elektroskop (Abb. 6). Zwischen zwei Platten Q
Abb. 6
Bohnenbergersches Elektroskop
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
(sog. Elektroden) E x und E 2 hängt an einer von oben isoliert eingeführten Metallstange S ein einzelnes schmales Aluminiumblättchen. Die beiden Elektroden Ej und E 2 sind durch eine besondere, meist im Gerät eingebaute Elektrizitätsquelle (z. B. Trockenbatterie) dauernd geladen, die eine positiv, die andere negativ. Infolgedessen wird das Aluminiumblättchen bei positiver Aufladung von der einen Elektrode abgestoßen und von der anderen angezogen; bei negativer Aufladung führt es den entgegengesetzten Ausschlag aus, so daß die Richtung des Ausschlages einen Schluß auf das Vorzeichen der Ladung zuläßt. - In ähnlicher Weise wird auch das beschriebene Zweifadenelektrometer (Abb. 5) zu einem Einfadenelektrometer, wenn man die beiden Fäden durch einen einzigen ersetzt, und die beiden Metallplatten Mi und M 2 positiv und negativ auflädt. Der Faden wird dann je nach dem Vorzeichen der ihm zugeführten Ladung nach rechts oder links abgelenkt. Später werden sehr empfindliche Elektrometer und andere Wege zur Messung von extrem kleinen Ladungsmengen beschrieben.
1.3 Gleichheit der getrennten positiven und negativen Ladungsmengen Die durch innige Berührung (Reibung) und Trennung zweier Stoffe erzeugten, entgegengesetzt elektrischen Zustände sind von gleicher Stärke. Die Ladungsmengen sind also gleich. Dies kann man unter Benutzung eines Elektrometers mit vielen Versuchen zeigen. Setzt man auf ein Elektrometer eine waagerechte, ebene Metallplatte und legt man darauf eine ebenfalls ebene Kunststoff-, Paraffin- oder Gummiplatte, dann zeigt das Elektrometer keinen Ausschlag, wenn man die obere Platte dreht, d. h. beide Platten durch Reiben elektrisiert. Hebt man aber die obere Platte ab, so erhält man sofort einen kräftigen Ausschlag am Elektrometer, der wieder verschwindet, wenn man die bewegliche Platte wieder auf die feste des Elektrometers aufsetzt. Der Versuch zeigt, daß durch Reibung die entgegengesetzten elektrischen Ladungen in gleicher Stärke erzeugt werden. - Verbindet man mit einem Elektrometer einen isoliert aufgestellten Metallbecher, der mit Wasser gefüllt ist, und taucht man eine an isolierendem Griff gehaltene Paraffinkugel in das Wasser, so zeigt das Elektrometer beim Herausziehen einen Ausschlag; dieser Ausschlag wird wieder Null, wenn man die Kugel in das Wasser zurücktaucht. Wasser und Paraffin haben also bei diesem Versuch gleich große, aber entgegengesetzte Ladungen erhalten. Der Versuch gelingt auch, wenn man Paraffin und Wasser durch andere Stoffe ersetzt; Paraffin hat die Besonderheit, daß es von Wasser nicht benetzt wird. Dieser letzte Versuch zeigt noch etwas anderes: Beim Eintauchen des Paraffins in die Flüssigkeit spielt die geringe Reibung gar keine Rolle; für die Entstehung
1.3 Gleichheit der getrennten positiven und negativen Ladungsmengen
9
des elektrischen Zustandes beim Herausziehen der Kugel ist nicht der Vorgang der Reibung, sondern die innige Berührung zwischen Paraffin und Wasser die Ursache. Bei festen Stoffen läßt sich eine solche innige Berührung wegen der stets vorhandenen mikroskopischen Rauhigkeit der Oberfläche nur durch kräftiges Zusammendrücken und gleichzeitiges Reiben erzielen; erst dadurch gelingt es, größere Teile der beiden Oberflächen zur wirklichen Berührung zu bringen. Auch hier ist es der innige Kontakt, der den Zustand der Elektrisierung herbeiführt. Die Bezeichnung „Reibungselektrizität" trifft daher nicht das Wesentliche; es ist richtiger, von Berührungs- oder Kontaktelektrizität zu sprechen. Hier soll schon daraufhingewiesen werden, daß bei inniger Berührung zweier Stoffe die Elektronen, das sind die elektrischen Elementarteilchen, von einem Stoff zum anderen übertreten, wodurch eine kleine, örtlich begrenzte Trennung von Ladungen stattfindet. Da die Elektronen negativ geladen sind, wird der Stoff, den die Elektronen verlassen, positiv aufgeladen. Auch bei der innigen Berührung zweier verschiedener Metalle treten Elektronen von einem Metall zum anderen über und man weiß ganz genau, welches von zwei bestimmten Metallen sich positiv auflädt. Wegen der Leitfähigkeit beider Teile findet aber stets über den letzten Berührungspunkt vor der Trennung noch ein vollständiges Zurückfließen der Elektronen statt. Dadurch ist es nicht möglich, die beschriebenen einfachen Versuche an zwei Stoffen durchzuführen, die beide leitend sind. Die Elektronen haben die kleinste in der Natur vorkommende Ladung, die genau gemessen werden kann. Sie heißt Elementarladung. Sind bei der innigen Berührung zweier Stoffe z.B. 1000 Elektronen zum anderen Stoff übergetreten, dann muß der Stoff, den die Elektronen verlassen haben, 1000 positive Elementarladungen enthalten. So versteht man leicht, daß die Zahl der negativen und die der positiven Ladungen immer gleich ist, und daß eine Vereinigung von gleicher positiver und negativer Ladung zur Neutralität führt. Da sich die Elektronen nicht unterscheiden, findet man eine Anziehung zwischen jedem Stoff mit positiver und jedem Stoff mit negativer Ladung. Man kann also zwei Paare mit vier verschiedenen Stoffen aufladen und die geladenen Stoffe austauschen. Stets ziehen sich ungleichnamige Ladungen an und gleichnamige stoßen sich ab. Für das Auftreten elektrischer Ladungen auf einem Körper ist es übrigens nicht unbedingt notwendig, Elektronen aus den Atomen zu entfernen bzw. hinzuzufügen, sondern es genügt, eine Verschiebung von negativ geladenen Atomen gegen positive geladene Atome etwa durch mechanischen Druck oder Dehnung bzw. thermische Ausdehnung hervorzurufen: dies zeigen die Erscheinungen der Piezo- und Pyroelektrizität. Denken wir uns z. B. drei positive und drei negativ geladene Atome entsprechend Abb. 7 a in den Ecken eines Sechsecks angebracht, so daß das ganze Gebilde nach außen elektrisch neutral ist, und üben wir in Richtung einer Sechseckdiagonale einen Druck darauf aus, so wird, wie es Abb. 7 b andeutet, das positive Atom 1 zwischen die beiden negativen Atome 2 und 6 und das negative Atom 4 zwischen die positiven Atome 3 und 5 geschoben.
10
Abb. 7
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
(a) (b) Auftreten elektrischer Ladungen durch Druck oder Dehnung
Infolge dieser veränderten Lage der einzelnen Atome erscheint das Gebilde nach außen nicht mehr elektrisch neutral, sondern in der Druckrichtung auf der einen Seite positiv und auf der entgegengesetzten Seite negativ elektrisch. Zu beachten ist aber, daß hierbei der Körper im ganzen unelektrisch bleibt und nur ein Teil seiner Oberfläche positiv, ein anderer ebenso stark negativ elektrisch wird, da eben stets gleich große Mengen entgegengesetzter Elektrizität verschoben werden. Die Piezoelektrizität wird vielfach angewendet. Ein Beispiel ist der piezoelektrische Gasanzünder: Man hält das kleine Gerät in der Hand und drückt mit dem Daumen auf einen isolierten Hebel, der einen Kristall zusammendrückt. Die entstehende Spannung von mehreren tausend Volt wird zu dem Ende eines kleinen Stabes geleitet, wo zwischen zwei Spitzen Funken von der Länge mehrerer Millimeter überspringen und das Gas anzünden. - Für viele der in der Elektrostatik beschriebenen Versuche lassen sich die elektrischen Ladungen einfach mit einem solchen piezoelektrischen Gasanzünder trennen und von den Spitzen durch Drähte fortleiten. Bei der Pyroelektrizität entstehen die elektrischen Ladungen ebenfalls auf den Oberflächen von bestimmten Kristallen; das Zusammendrücken bzw. Dehnen eine Kristalls erfolgt aber nicht durch äußeren Druck, sondern durch Temperaturänderung. Der piezoelektrische Effekt wurde im Jahr 1880 von den Brüdern J. und P. Curie entdeckt. Geeignete Kristalle sind Quarz, Turmalin, Seignettesalz und viele andere. Ausführlicher darüber in Abschn. 1.13.
1.4 Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter Flächenladungsdichte Wenn wir einen isoliert aufgestellten Leiter (einen sog. Konduktor) mit Elektrizität aufladen, indem wir ihm diese z. B. von einem geriebenen Hartgummi- oder Kunststoffstab übertragen, so wird die Elektrizität auf dem Leiter wegen ihrer freien Verschieblichkeit eine ganz bestimmte Verteilung annehmen, in der sie im
1.4 Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter - Flächenladungsdichte
11
Gleichgewicht ist. D a sich gleichnamige Elektrizitätsmengen gegenseitig abstoßen, folgt, d a ß sich die gesamte Ladung auf der äußeren Oberfläche des Leiters ansammelt; denn dann sind die einzelnen Teilchen so weit wie möglich voneinander entfernt. Wir beweisen dies zunächst für eine hohle Metallkugel, die eine Öffnung besitzt. Tastet m a n die äußere Oberfläche der Kugel mit einer kleinen Probekugel (oder Probescheibe), d. h. einer an isolierendem Griff befestigten Metallkugel oder Metallscheibe von Vi bis 1 cm Durchmesser ab, so nimmt die Probekugel (Probescheibe) von der betreffenden Stelle des Leiters eine Ladung ab, die der an dieser Stelle vorhandenen Ladung proportional ist. Berührt m a n dann mit der Probekugel den Knopf eines Elektroskops, so zeigt dieses die G r ö ß e der übertragenen Ladung an. Wir finden auf diese Weise, d a ß die geladene Kugel auf ihrer äußeren Oberfläche eine vollkommen gleichmäßige Verteilung besitzt. Führen wir aber die Probekugel in das Innere der Konduktorkugel ein und berühren irgendeine Stelle im Inneren derselben, so zeigt sich die Probekugel nach dem Herausziehen als völlig unelektrisch. Anderseits gibt eine elektrisch aufgeladene Probekugel, wenn m a n sie in das Innere der Hohlkugel einführt und diese berührt, an diese ihre gesamte Ladung a b und ist nach dem Herausziehen vollständig unelektrisch. Die von ihr abgegebene Elektrizität wandert nämlich sofort an die äußere Oberfläche der Kugel. - Umgibt m a n (Abb. 8) eine geladene Kugel
Abb. 8 Anordnung zum Nachweis, daß eine geladene Kugel nur auf ihrer Oberfläche Ladung besitzt
mit zwei ungeladenen Halbkugelschalen, die m a n an isolierenden Handgriffen anfaßt, so erweist sich nach Berührung der Halbschalen mit der inneren Kugel und nach Entfernen dieser Halbkugelschalen die innere Kugel als völlig ungeladen: Die Elektrizität ist auf die beiden Halbkugelschalen übergegangen (H. Cavendish, 1773). - Setzt m a n (Abb. 9) auf einen isoliert aufgestellten Metallteller A ein empfindliches Elektroskop E und stülpt darüber eine Glocke G aus Metallgaze, die durch einen D r a h t D in leitender Verbindung mit dem Knopf des Elektro-
12
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
A /
D
'N\
/
.6
Abb. 9 Zur Wirkung des Faraday-Käfigs
skops steht, so kann man die ganze Anordnung beliebig stark elektrisch aufladen, so daß z. B. ein auf der Gazeglocke angebrachtes gewöhnliches Doppelpendel einen kräftigen Ausschlag zeigt, ohne daß das im Innern befindliche Elektroskop eine Ladung anzeigt. M. Faraday hat diesen Versuch im großen angestellt, indem er einen Drahtkäfig von solchen Abmessungen herstellte, daß er selbst mit einem empfindlichen Elektroskop im Inneren Platz hatte. Dann zeigte das Elektroskop auch bei den kräftigsten Aufladungen des isoliert aufgestellten Käfigs keinerlei elektrische Wirkung an. Alle diese Versuche beweisen den Satz: • Bei einem metallischen Leiter sitzt die elektrische Ladung nur auf der Oberfläche. Auf der Oberflächenverteilung der elektrischen Ladung beruht auch die Wirkungsweise der erwähnten Probekugeln und Probescheiben beim Abtasten der elektrischen Verteilung auf der Oberfläche eines Leiters. In Abb. 10 ist im Querschnitt ein Teil eines Leiters A und einer daran angelegten Probekugel K und eines Probescheibchens S gezeichnet. Die Ladung verteilt sich auf die Oberfläche von Kugel und Scheibe und wird beim Wegführen derselben abgenommen.
s
Abb. 10 Zur Oberflächenverteilung der elektrischen Ladung
1.4 Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter - Flächenladungsdichte
13
Selbstverständlich kann im Inneren eines metallischen Hohlkörpers eine elektrische Ladung existieren, wenn sie in keiner leitenden Verbindung mit dem Hohlkörper steht. Dies kann man mit der Versuchsanordnung Abb. 9 zeigen, wenn man die Verbindung D zwischen Drahtkäfig G und Elektroskop E entfernt und letzteres vor dem Aufsetzen der Glocke auflädt. Dann behält es seine Ladung auch unter der Metallhülle bei. Die in der Elektrostatik benutzten metallischen Körper können als Hohlkörper mit dünner Wandstärke ausgebildet werden, da nur die Leiteroberfläche, nicht aber das im Inneren des Körpers befindliche Material für den Sitz der Ladung in Frage kommt. Dies ist anders in der Starkstromtechnik: Hier ist die Zahl der bewegten Ladungsträger oft so groß, daß diese in der dünnen Metalloberfläche nicht mehr ausreichend Platz haben, also auch im Innern des Leiters fließen müssen. - Ein im Innern einer geschlossenen und zur Erde abgeleiteten Hülle befindlicher Leiter ist vollkommen gegen äußere elektrische Einflüsse geschützt. Diese elektrische Schirmwirkung ist in vielen Fällen wichtig, z. B. um empfindliche elektrische Apparate vor elektrischen Störungen zu sichern. - Bei einem Gewitter sind die in einem Auto sitzenden Personen deshalb geschützt, weil sie sich in einem Faraday-Käfig befinden. Die oben beschriebene Erscheinung, daß die in das Innere eines metallischen Hohlkörpers gebrachte Ladung bei Berührung vollständig auf die äußere Oberfläche des Körpers übergeht, so daß man den Ladungsträger ungeladen herausziehen kann, benutzt man beim Gebrauch des Becherelektrometers zum Messen elektrischer Ladungen. Zu diesem Zweck setzt man auf den Elektrometerkopf (Abb. 11) ein oben offenes Metallgefäß; die in das Gefaßinnere mit einer Probekugel eingeführte zu messende Elektrizitätsmenge geht dann vollständig auf das Elektroskop über. Die Wirksamkeit dieses sog. Faradayschen Bechers ersieht man sehr deutlich aus folgendem Versuch: Von zwei gleichen Becherelektroskopen A und B sei das eine (A) ungeladen, während das andere (B) eine Ladung besitzt. Versucht man die La-
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
dung von B nach A mit Hilfe einer Probekugel in einzelnen Teilbeträgen zu überführen, so gelingt dies vollständig nur, wenn man die am Elektroskop B geladene Probekugel jedesmal in den Becher von A eintaucht. Berührt man dagegen mit der an B geladenen Probekugel nur die Außenseite des Bechers A, so läßt sich Elektrizität nur so lange übertragen, bis A ebenso stark aufgeladen ist wie B. Die an B geladene Probekugel kann dann ihre Ladungen nicht mehr an A abgeben. Beim Abtasten eines kugelförmigen Leiters mit der Probekugel fanden wir eine vollkommen gleichmäßige Verteilung der Elektrizität auf der Oberfläche der Kugel. Versteht man unter elektrischer Flächenladungsdichte die pro Fläche vorhandene Elektrizitätsmenge (gemessen in einer noch zu definierenden Einheit), so kann man sagen: • Die Flächenladungsdichte der Elektrizität auf einer Kugeloberfläche ist überall gleich. Die auf einem Flächenelement d A sitzende Elektrizitätsmenge sei d Q; dann ist die Flächenladungsdichte a
Für einen kugelförmigen Leiter vom Radius r, der die Ladung Q trägt, ist also a an allen Stellen der Oberfläche gleich. In diesem Fall ist a auch gleich dem Verhältnis der Gesamtladung Q zur ganzen Oberfläche A = An r2; also
ß
Bei konstanter Ladung Q ändert sich also die Ladungsdichte mit der Größe der Oberfläche des Leiters. Dies zeigt z. B. folgender Versuch: (Elektrisches Rouleau,
Abb. 12
Elektrisches Rouleau
1.4 Sitz der elektrischen Ladung auf einem Leiter - Flächenladungsdichte
15
Abb. 12). Ein metallisiertes Papierband B ist in mehreren Lagen um einen Metallzylinder M gewickelt, der an zwei Seidenschnüren Si und S 2 aufgehängt ist. Zieht man an dem Ende des freien Papierbandes mittels der Seidenschnur S 3 , so wickelt sich das Band vom Zylinder ab, wobei dieser an den Schnüren S t und S 2 emporrollt. Beim Nachlassen des Zuges rollt sich das Band wieder auf den Zylinder auf. Man kann also beliebig die leitende Oberfläche der Anordnung vergrößern und verkleinern. Lädt man die Anordnung elektrisch auf, so kann man mittels Probekugel und Elektrometer die Elektrizitätsdichte bei aufgewickeltem oder abgerollten Papierband untersuchen und findet, daß diese mit zunehmender Oberfläche abnimmt. Wir untersuchen die elektrische Ladungsverteilung an den verschiedenen Stellen der Oberfläche eines nichtkugelförmigen Leiters und geben diesem etwa die in Abb. 13 dargestellte Form. Wenn wir die Oberfläche mit einer Probekugel abtasten und die abgenommene Elektrizitätsmenge mit einem Becherelektroskop nach Abb. 11 messen, so finden wir, daß das Elektroskop den größten Ausschlag gibt, wenn wir die Ladung an der Stelle A abnehmen; den kleinsten Ausschlag erhalten wir dagegen beim Abtasten des ebenen Teiles etwa bei B. Die Ausschläge beim Abtasten an den Stellen C, D und E liegen zwischen den Werten von A und B, und zwar nehmen sie von C nach E ab. Die Flächenladungsdichte der Elektrizität ist also auf einem solchen Konduktor an verschiedenen Stellen ganz verschieden. Sie ist am größten an der Spitze, am kleinsten auf dem ebenen Zylinderboden. Diese Stellen unterscheiden sich aber nur durch ihre Krümmung, und wir können daher sagen: Die Dichte der Elektrizität an den verschiedenen Stellen eines Leiters ist um so größer, je kleiner der Krümmungsradius der Fläche an der betreffenden Stelle ist. Verbindet man z. B. zwei Kugeln mit verschiedenem Durchmesser mittels eines dünnen Drahtes miteinander und lädt sie auf, so zeigt die kleine Kugel eine größere elektrische Flächenladungsdichte als die große, wie sich durch Abtasten mit einer Probekugel ergibt. Einen besonders kleinen Krümmungsradius haben Spitzen. Infolgedessen findet an Metallspitzen eine sehr starke Anhäufung von Elektrizität statt; dadurch kommt es zu einem Ausströmen von elektrischen Ladungen (Elektronen) aus der Spitze. Die Elektronen lagern sich an Luftmoleküle an und diese werden nun,
Abb. 13 Besonders geformter Metallkörper zur Untersuchung der Oberflächenverteilung der Ladung
16
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
weil sie eine Ladung tragen, von der negativen Spitze abgestoßen. So entsteht der sog. ,,elektrische Wind". Das in Abb. 14 dargestellte Flugrad kommt bei negativer elektrischer Aufladung in rasche Umdrehungen, da es durch den von den Spitzen ausgehenden elektrischen Wind einen Rückstoß in der Pfeilrichtung erfährt. - Stellt man nach Abb. 15 eine mit einer Spitze versehene elektrisch geladene Kugel A einer ungeladenen Kugel B gegenüber, so wird letztere durch die aus der Spitze ausströmende Elektrizität aufgeladen; die Kugel A verliert dabei ihre Ladung bis auf einen kleinen Rest. Die Ausströmung aus der Spitze hört nämlich auf, wenn die Dichte der Elektrizität an der Spitze unter einen bestimmten Grenzwert abgesunken ist. Um daher bei elektrischen Leitern, die Ladungen größerer Dichte aufnehmen sollen, Verluste durch Ausströmung zu vermeiden, rundet man alle Kanten und Ecken ab und vermeidet so jegliche Art von Spitzen. - Beim Feldelektronenmikroskop treten im Hochvakuum aus einer sehr feinen Spitze Elektronen aus (Feldemission). Da sie geradeaus fliegen, geben sie auf einem Leuchtschirm ein stark vergrößertes Bild der Drahtspitze wieder.
Abb. 15
Zur Wirkung einer elektrisch geladenen Spitze
1.5 Coulombsches Gesetz - Einheit der Elektrizitätsmenge Als Merkmale des elektrischen Zustandes kennen wir nur das Auftreten von Kraftwirkungen: Gleichnamige Elektrizitäten stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Diese Kraftwirkung soll jetzt quantitativ untersucht werden. Als erster hat Ch. Coulomb (1785) dies mittels der in Abb. 16 skizzierten Drehwaage
1.5 Coulombsches Gesetz - Einheit der Elektrizitätsmenge
17
getan. An einem sehr dünnen Metallfaden F hängt waagerecht ein dünner Kunststoffstab. Dieser trägt an einem Ende eine kleine Metallkugel K l 7 am anderen Ende ein gleich schweres Gegengewicht. Eine zweite, gleich große Metallkugel K 2 wird elektrisch geladen und dicht neben die erste Kugel gestellt. Durch eine kleine Drehung am Torsionskopf T (oben) kann man leicht erreichen, daß die Kugel K t gerade eben die Kugel K 2 berührt. Diese gibt nun die Hälfte ihrer Ladung an die Kugel K j ab, weil beide Kugeln gleich groß sind. An der Vergrößerung des Abstandes von K : und K 2 , leicht meßbar durch einen am Spiegel Sp reflektierten Lichtstrahl, kann man nun die Kräfte ermitteln, mit welchen die beiden Kugeln gegenseitig abgestoßen werden. Die Größe der Kraft hängt von der Ladung ab, die man zu Beginn des Versuchs der Kugel K 2 gegeben hat. Man kann nach dem ersten Versuch die Kugel K 2 mit der Erde verbinden, also die Ladung entfernen. Dann haben beide Kugeln nach der zweiten Berührung je ein Viertel der Ladung, die zu Anfang der Kugel K 2 gegeben war. Die Kraft wird zweckmäßig so gemessen, daß die Abstoßungskraft durch die entgegengerichtete Torsionskraft des Fadens kompensiert wird. Wenn beide Kräfte gleich sind, dann befindet sich die Kugel K x wieder an ihrer ursprünglichen Stelle, also dicht neben der Kugel K 2 . Auch dies ist dann am reflektierten Lichtstrahl gut zu erkennen. Ebenso kann man aber auch die Kräfte für verschiedene Kugelabstände messen. Auf diese Weise hat Coulomb das nach ihm benannte Gesetz gefunden: • Die Kraft zwischen zwei elektrisch geladenen Körpern ist dem Produkt der beiden Elektrizitätsmengen, die auf den Körpern sitzen, direkt und dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional. Die Kraft hat die Richtung der Verbindungslinie der beiden Ladungen. Bezeichnet man mit F die Kraft zwischen den beiden Ladungen Qi und Q2, den Abstand mit R und eine Proportionalitätskonstante mit /, dann lautet das Coulombsche Gesetz:
18
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
(2) Dabei bedeutet ein positiver Wert von F, also gleiches Vorzeichen von Q1 und Q2, eine abstoßende Kraft, während ein negativer F-Wert, d.h. entgegengesetztes Vorzeichen von Qt und Q2, einer anziehenden Kraft entspricht. Das in Gl. (2) formulierte Gesetz gilt nur unter gewissen Voraussetzungen: Erstens müssen sich die beiden Ladungen auf so kleinen Körpern befinden, daß ihre linearen Abmessungen gegenüber ihrem gegenseitigen Abstand verschwinden, mit anderen Worten: die Ladungen müssen als „punktförmig" betrachtet werden können. Ferner müssen sich die Ladungen im Vakuum befinden. Freilich werden die praktischen Versuche stets im lufterfüllten Raum durchgeführt; dies bedingt aber nur eine sehr geringe Abweichung gegenüber Versuchen im Vakuum, die schwierig anzustellen wären. Die Abnahme der Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen mit dem Quadrat der Entfernung läßt sich bequemer mit der in Abb. 17 skizzierten Anordnung nachweisen. Eine leichte, metallisierte Kugel hängt an einem isolierenden Doppelfaden aus Kunstfasern. Direkt daneben befindet sich eine gleich große zweite Kugel, die auf einem isolierten und verschiebbaren Stativ befestigt ist. Werden die beiden Kugeln gleichnamig geladen, so stoßen sie sich ab, und die frei aufgehängte Kugel bewegt sich um die Strecke a aus ihrer Ruhelage; es sei dann R ihre Entfernung von der festen Kugel, wenn unter R der Abstand der Mittelpunkte beider Kugeln verstanden wird. Der abstoßenden Kraft wird das Gleichgewicht von einer Komponente F' der Schwerkraft gehalten. Ist m die Masse der Kugel und a der Ablenkungswinkel des Pendels aus der Ruhelage, so ist F' = mg sin a, a und wenn die Pendellänge / hinreichend groß ist, läßt sich sin a = - setzen, so daß | F | = | F ' | = mg y ist; damit ist die abstoßende Kraft F proportional der Ablenkung a. Verschiebt man die feste Kugel nach links um solche Beträge, daß die Entfernung zwischen ihr und der beweglichen Kugel 2R, 3 R, 4R usw. wird, so
(al Abb. 17
(b)
Anordnung zum Beweis des Coulombschen Gesetzes
1.5 Coulombsches Gesetz - Einheit der Elektrizitätsmenge
19
geht die Größe a, d. h. die Entfernung der beweglichen Kugel von ihrer Ruhelage und damit auch die Kraftwirkung F auf 1 / 4 , 1 / 9 , Vi6 u s w - des ursprünglichen Wertes a zurück. 1 Das Coulombsche Entfernungsgesetz — j läßt sich mit aller Strenge auch aus
R
der experimentell gefundenen Tatsache herleiten, daß im Inneren eines elektrisch geladenen Hohlleiters keinerlei elektrische Kraftwirkungen nachzuweisen sind, worauf zuerst G a u ß hingewiesen hat. Der Einfachheit halber nehmen wir den Leiter in Form einer Hohlkugel an, deren Oberfläche eine gleichmäßige Flächenladungsdichte er trägt. Im Inneren der Kugel befindet sich etwa im Punkt P (Abb. 18) eine Ladung Q. Wir ziehen durch P die Verbindungslinien zu der Be-
Abb. 18 Zum Beweis des Coulombschen Gesetzes grenzung eines beliebig ausgewählten Flächenelementes d Ai auf der Kugel und verlängern diese Geraden über P hinaus, so daß sie auf der gegenüberliegenden Seite das Flächenelement dA 2 aus der Kugel ausschneiden. Es entsteht so ein Doppelkegel mit den Grundflächen d A 1 und dyi 2 und der gemeinsamen Spitze in P. Die Abstände von d A 1 und d A2 von P seien R1 und R2 und der gemeinsame räumliche Winkel, unter dem die Grundflächen von P aus erscheinen, sei a>. Die mechanische Kraft, die von der auf d A l sitzenden Ladung auf die Ladung im Punkt P wirkt, sei / • wirkende Kraft /
Q • adA. —
Q•adA2 —
und ebenso sei die von der Ladung von d A2 auf Q
, indem wir die Potenz von R noch als unbestimmt
*
mit x bezeichnen; beide Kräfte sind entgegengesetzt gerichtet und müssen sich, da im Inneren der Kugel keinerlei elektrische Kraftwirkung nachweisbar ist, zu Null ergänzen, d. h. es muß
sein. Nun ist aber
dAt = Rl co und dA2 = R2a>,
20
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
so daß wir schreiben können
Dies ist aber nur möglich, wenn x = 2 ist, was zu beweisen war. Einheit der Elektrizitätsmenge. In Gl. (2) für das Coulombsche Gesetz tritt ein unbekannter Proportionalitätsfaktor/auf. Wäre er bekannt, so könnten wir mit Hilfe von Gl. (2) elektrische Ladungen messen. Denn wenn wir zwei gleiche Ladungen Q1 = Q2 = Q nehmen, so folgt aus Gl. (2) für diese Ladungen: (2a) Es sind also zwei Unbekannte in dieser Gleichung: Die Ladung Q und der Proportionalitätsfaktor / . Eine zweite Gleichung, die man zu Hilfe nehmen könnte, gibt es nicht. Man muß entweder/oder Q willkürlich festsetzen; dann kann man die andere Größe aus der Kraftmessung bestimmen. Der Mathematiker und Physiker C. F. Gauß hat vorgeschlagen, dem Proportionalitätsfaktor den Wert eins und die Dimension eins zu geben. Dann ist Q = R\/F. Die Messung der Elektrizitätsmenge, also der Ladung Q, ist dadurch auf die Messung einer Kraft und einer Länge zurückgeführt. Dann ist die Dimension der Ladung Q: dim Q = L 3 / 2 M 1 / 2 T _ 1 (L = Dimension der Länge, M = Dimension der Masse, T = Dimension der Zeit) Dieses sog. elektrostatische Maßsystem ist dadurch gekennzeichnet, daß der Proportionalitätsfaktor/im Coulombschen Gesetz den Zahlenwert und die Dimension eins hat. Wählt man als Einheiten Zentimeter, Gramm und Sekunde, dann erhält man die elektrostatische Einheit der Ladung (abgekürzt esE). Diese Einheit ist also 1 cm 3 / 2 g 1 / 2 s _ 1 oder 1 esE. Sie hat keinen besonderen Namen. Man spricht bei der Wahl dieser Einheiten auch vom elektrostatischen CGSSystem ( = Zentimeter-Gramm-Sekunde-System). Dieses Maßsystem hat seit Gauß eine große Rolle in der Physik gespielt. Man glaubte, alle Größen der Physik auf die Grundgrößen Länge, Masse und Zeit zurückführen zu können. Das ist jedoch nur beschränkt möglich. Deshalb hat man heute im Internationalen Einheitensystem (Système International, abgekürzt SI) als vierte Grundgröße die elektrische Stromstärke I mit der Einheit Ampere (A) hinzugenommen. Die elektrische Stromstärke / ist definiert als der Quotient Ladung durch Zeit; es ist die in der Zeit t durch einen beliebigen Querschnitt der Strombahn fließende Elektrizitätsmenge Q. Die Einheit der Stromstärke ist will-
1.5 Coulombsches Gesetz - Einheit der Elektrizitätsmenge
21
kürlich durch Vereinbarung festgelegt. Von 1908 bis 1947 galt: Ein Ampere ist derjenige Strom, der in einer Sekunde 1,1180 Milligramm Silber elektrolytisch abscheidet. Der elektrolytische Strom erfolgt so, daß jedes einzelne Silberatom eine elektrische Elementarladung trägt, also ein einwertiges, positives Ion ist. Bei der Silberabscheidung wird das Ion zum neutralen Atom. Durch diese Festlegung ist das Ampere auf eine bestimmte Anzahl von Elementarladungen zurückgeführt, die in einer bestimmten Zeit fließt. Seit dem 1. Januar 1948 gilt aufgrund internationaler Vereinbarung: • Ein Ampere ist die Einheit des Stromes, der in zwei parallelen, geradlinigen, unendlich langen, in einem Meter Abstand befindlichen Leitern fließt und der zwischen ihnen eine Kraft von 2 • 10 - 7 Newton pro Meter Länge ausübt. Jetzt ist das Ampere auf die Kraft zurückgeführt, welche die durch den Strom erzeugten Magnetfelder aufeinander ausüben. Das Produkt ein Ampere mal eine Sekunde (1 As) stellt somit eine bestimmte Anzahl von Elementarladungen, also eine bestimmte Elektrizitätsmenge oder Ladung dar. Ladung Q • Elektrische Stromstärke / = — — Zeit t Ladung Q = Elektrische Stromstärke / mal Zeit t. Die Einheit der elektrischen Stromstärke ist das Ampere (A), die der Zeit die Sekunde (s). Somit ist die Einheit der Ladung Ampere • Sekunde (As). Sie wird auch ein Coulomb (C) genannt. Das Produkt ein Ampere mal eine Sekunde (1 As) stellt somit eine bestimmte Anzahl von elektrischen Elementarladungen, also eine bestimmte Elektrizitätsmenge oder Ladung dar. Die kleinste in der Natur vorkommende Elektrizitätsmenge, die sog. elektrische Elementarladung, ist die Ladung eines Elektrons. Man kann diese Ladung sehr genau bestimmen (siehe später unter Millikan-Versuch). Sie beträgt e = 1,60219 10" 1 9 As. Bei einem Strom von 1 A fließen also rund 10 19 elektrische Elementarladungen je Sekunde durch einen beliebigen Querschnitt. „Elektron" hieß eine goldgelbe Münzlegierung in Kleinasien 1 . Wegen der Farbe übertrug man den Namen wohl auch auf den Bernstein. Die Eigenschaft, die dieser beim Reiben erhält, nannte William Gilbert (um 1600) zuerst „elektrisch".
1
In Sophokles' Antigone sagt Kreon: „Schachert Ihr nur und wuchert, führt von Sardes ein Elektron, wenn's Euch lüstet, oder reines Gold".
22
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Durch die Einführung der elektrischen Stromstärke / als neue Grundgröße mit der Einheit Ampere folgt, daß die Ladung Q im Coulombschen Gesetz durch die Einheit A • s festgelegt ist. Dadurch ist man nicht mehr frei in der Wahl der Konstante. Diese ergibt sich zwangsläufig. Man schreibt dann das Coulombsche Gesetz in der Form:
4tz£q
(3)
R2
v
'
Der Faktor 47t berücksichtigt die Kugelsymmetrie. Die Konstante s 0 heißt die elektrische Feldkonstante. Wählt man für die Ladung 1 As, für den Abstand der Ladungen 1 m und für die Kraft 1 Newton ( = 1 Volt • Ampere • Sekunde durch Meter), so ergibt sich bei der Messung im Vakuum folgender Wert: Elektrische Feldkonstante e 0 = 8,854 10
12
As . Vm
An dieser Stelle muß das Volt als Einheit für die elektrische Spannung bereits verwendet werden. Es wird im übernächsten Abschnitt behandelt. Es ist immer sehr nützlich, wenn man eine wichtige Gleichung dadurch besser kennenlernt, daß man mit ihr ein einfaches Beispiel durchrechnet. Es sei die folgende Aufgabe gestellt: Wie groß ist im Vakuum die Kraft, mit der sich zwei elektrische Ladungen von je 1 As im Abstand von 1 km anziehen bzw. abstoßen? Antwort: Nach dem Coulombschen Gesetz ist die Kraft nach Einsetzen der Größen in SI-Einheiten F
_
1
=
4,-8,854 - 1 0 - « ^ ' Vm 1 Vm 111,21-10" 1 2 As
1 As • 1 As 106m2
1 As -1 As 106 m 2
lWs 111,21 • 10~ 6 m
F = 0,009 • 10 6 N = 9 • 10 3 N ( « 9 0 0 kp). Dabei muß man die wichtige Beziehung verwenden: 1 Newtonmeter = 1 Wattsekunde = 1 Joule kg-m2 s2 1W (Watt) = 1 V (Volt) • 1 A (Ampere) 1 N (Newton) = 0,102 kp (Kilopond) = 105 dyn 1 J (Joule) = 10 7 erg = 107 cm 2 gs~ 2 = 0,24 Kalorien. 1 Nm (Newtonmeter) = 1
1.6 Das elektrische Feld, die Feldstärke, Feldlinien, der elektrische Fluß
23
1.6 Das elektrische Feld, die Feldstärke, Feldlinien, der elektrische Fluß Es ist naheliegend, die Frage zu stellen, in welchem Zustand sich der Raum zwischen zwei elektrischen Ladungen befindet. Für diese Betrachtung möge der Raum vollkommen frei von Materie sein. Aufgrund der Experimente ist sichergestellt, daß eine Kraft zwischen den Ladungen herrscht und daß diese Kraft den leeren Raum durchsetzt. Die Kraft ist auch sofort vorhanden, nachdem die Ladungen gebildet oder genähert wurden. Die erforderliche Zeit für den Aufbau der Kraft ist so kurz, daß für die Übertragung Lichtgeschwindigkeit angenommen werden muß. Die Frage ist ähnlich der nach dem Zustand des Raums zwischen zwei sich anziehenden Körpern, die eine Masse haben (Gravitation). Die gestellte Frage kann nicht beantwortet werden. Es soll aber versucht werden, möglichst viel über den Raum zu erfahren, der sich zwischen zwei Ladungen befindet. Man sollte annehmen, daß der Zustand des Raums unterschiedlich ist, ob er sich zwischen zwei geladenen oder ungeladenen Platten befindet. Aber ist er das wirklich? Man sagt: In dem Raum zwischen zwei elektrischen Ladungen herrscht ein elektrisches Feld. Die Stärke dieses Feldes sollte von den Ladungsmengen und von ihrer Dichte abhängen. Auf der Suche nach einer Methode, die Stärke des Feldes in Abhängigkeit vom Ort zu messen, kommen wir bald auf den Gedanken, eine kleine Probeladung in das Feld zu bringen. Wir zögern aber dies zu tun, weil wir ja durch die Probeladung das ursprüngliche Feld verändern oder mindestens beeinflussen. Denn diese Hilfsladung erzeugt ein Feld, das sich dem ersten Feld überlagert. Man kann aber diese Störung dadurch gering werden lassen, daß man die Hilfsladung und den Körper, der sie trägt, sehr klein macht. Tatsächlich kann man auf diese Weise die Stärke des elektrischen Feldes, die Feldstärke, sehr gut messen. Man bestimmt die Kraft, die auf eine bekannte Probeladung wirkt. Eigentlich müßten solche Messungen im Raum ohne Materie erfolgen. Das könnte, wenn auch keineswegs vollkommen, so aber doch praktisch durch ein Hochvakuum erreicht werden. Man macht aber keine großen Fehler, wenn die Messungen in Luft durchgeführt werden. Qualitative Vorversuche wurden schon erwähnt. Sie gaben erste Hinweise, daß geladene Papierschnitzel, verschieden geladenes Schwefel- und Mennigepulver und leichte Metallfolien im elektrischen Feld je nach ihrer Ladung zur einen oder anderen Seite mit einer unsichtbaren Kraft angezogen werden. In der Abb. 6 biegt sich das hängende Aluminiumblättchen, je nach dem Vorzeichen seiner Ladung, nach rechts oder nach links. Die Stärke des Ausschlags hängt sowohl von der Ladung des Aluminiumblättchens als auch von der Stärke des elektrischen Feldes (Feldstärke) zwischen den Elektroden ab. Als Feldstärke des elektrischen Feldes bezeichnet man den Quotienten: Kraft dividiert durch eine Probeladung Q. Je kleiner Q genommen wird, desto genauer ist die Feldmessung. Nennen wir die Feldstärke, die ein Vektor ist, nach Größe
24
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
und Richtung E, so gilt die Definitionsgleichung: E=
lim£, Q 0U
(4)
wenn F die auf die Probeladung ausgeübte Kraft bedeutet. M a n kann daher kurz sagen: Feldstärke ist Kraft durch Ladung; bzw. Kraft ist Ladung mal Feldstärke. Denn in einem Feld der Stärke E erfährt eine hinreichend kleine Ladung Q die meßbare Kraft: (5)
F = Q-E.
Für die Dimension der Feldstärke ergibt sich im SI: dim E
dim F dun Q
dimUIT/L dim IT
dimU dim L
Für die Dimension der Kraft ist hier gesetzt: Dimension der Arbeit dividiert durch Dimension der Länge. Die Dimension der Arbeit ist bei elektrischen Größen: dim UIT; d. h. also Dimension der Spannung U mal Dimension der Stromstärke / mal Dimension der Zeit t. Bekannte Einheiten der Arbeit sind die Kilowattstunde und die Wattsekunde (ein Watt = ein Volt mal ein Ampere). Als Einheiten für die elektrische Feldstärke werden benutzt Volt/Meter (V/m) bzw. auch V/cm. Der Begriff der elektrischen Spannung U und seine Einheit Volt werden im Abschnitt 1.7 behandelt. Schreibt man das Coulombsche Gesetz in der Form: |f| Qx
=
, i -4Tie0
Qi R2' F
dann stellt die linke Seite die Feldstärke E = — dar, in welcher die Kraft F auf öi die Probeladung Qx wirkt. Ist Q1 = Q2, dann gilt somit, daß der Betrag der Feldstärke einer punktförmigen Ladung Q im Abstand R ist: = 0, cos(? = l .
Folglich ist der von der Ladung ausgehende elektrische Fluß, d. h. die von der Ladung insgesamt ausgehende „Feldlinienzahl":
Denn wenn mehrere Ladungen Qu Q2,... Q„ vorhanden sind, addiert sich der von jeder einzelnen ausgehende elektrische Fluß algebraisch; auch ist es offenbar gleichgültig, ob man als umschließende Fläche eine Kugelfläche oder eine beliebige andere geschlossene Fläche wählt. Bezeichnet man mit e0 \E„\dA- der kleine Kreis am Integralzeichen soll andeuten, daß es sich um eine geschlossene Fläche handelt - den gesamten Fluß durch eine geschlossene Fläche, so hat man also §s0\E„\dA
= f ~ZQ
(8)
in Worten: • Der gesamte elektrische Fluß durch eine geschlossene Fläche ist proportional der Summe der eingeschlossenen Ladungen (Gaußscher Satz). Umschließt im besonderen die Fläche gar keine Ladung (Q = 0), so ist der gesamte Fluß e01 En | dA = 0, d. h. es treten ebensoviel Feldlinien in das Innere des geschlossenen Gebietes ein wie aus. Dabei ist die positive Normalenrichtung nach außen genommen. Man bezeichnet daher eine positive Ladung Q auch als Quelle von Feldlinien und entsprechend eine negative Ladung als Senke (oder negative Quelle) von
26
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Feldlinien, da nach Vereinbarung die Feldlinien stets von positiven Ladungen ausgehen und in negative einmünden. Als positive Richtung der Feldlinien bezeichnet man daher diejenige von den positiven zu den negativen Ladungen, d. h. diejenige, in der sich eine positive Ladung auf der Feldlinie bewegen würde. Befindet sich die elektrische Ladung auf einem Leiter, so verlaufen die von ihr ausgehenden Feldlinien stets senkrecht zur Leiter Oberfläche. Wäre dies nicht der Fall, würde also E schräg zur Leiteroberfläche stehen, so könnte man E in eine Komponente senkrecht (E„) und eine tangential (£,) zur Leiteroberfläche zerlegen. Letztere würde aber wegen der freien Beweglichkeit der elektrischen Ladungen eine Bewegung der Elektrizität in der Leiteroberfläche bewirken, im Widerspruch zu dem vorausgesetzten Gleichgewichtszustand; daher kann eine tangentiale Kraftkomponente nicht vorhanden sein. Die Metalle sind fast ausnahmslos gute elektrische Leiter. Wenn sie elektrisch geladen sind, dann sitzen die Ladungen auf der Oberfläche, wie schon gezeigt wurde. Daher wird bei den Metallen nur von der Flächenladungsdichte gesprochen, also von der Ladung pro Fläche, nicht aber von der Raumladungsdichte, d. h. von der Ladung pro Volumen. Diese kann z. B. bei einer Flamme angegeben werden, da die Ladungen hier im Raum verteilt sind. Im Abschnitt 1.9 (Influenz) wird gezeigt, daß durch ein elektrisches Feld Ladungen in einem Metall an die Oberfläche „verschoben" werden können. Dadurch entstand früher der Ausdruck „elektrische Verschiebung" bzw. „elektrische Verschiebungsdichte" oder auch „dielektrische Erregung". Jetzt wird dafür der Ausdruck elektrische Flußdichte verwendet und mit dem Buchstaben D bezeichnet. Die elektrische Flußdichte D ist gleich dem elektrischen Fluß f , dividiert durch die Fläche A, also D = ¥¡A. Die in Gl. (1) behandelte Flächenladungsdichte a = Q/A ist gleich dem Betrag der elektrischen Flußdichte | D |. Die elektrische Flußdichte D = Q/A ist ein Vektor, dessen Richtung senkrecht zur Fläche A steht. Die elektrische Ladung Q kann man mit dem Elektrometer messen. Die elektrische Feldstärke kann man durch die Kraftwirkung auf eine kleine Probeladung ebenfalls messen. Für ein homogenes elektrisches Feld, wie es zwischen den Platten eines Plattenkondensators herrscht (Abb. 23), ergibt sich außerdem die Feldstärke aus dem Verhältnis U/d, d.h. Spannung durch Plattenabstand (vgl. Gl. 16a). Bestimmt man durch Messung die elektrische Flußdichte D und die elektrische Feldstärke E, dann findet man (streng genommen bei Messungen im Vakuum) für den Quotienten stets den gleichen Wert: n
a -ü - eu0 = 8,854 - 1 0 " 1 2 E ' V-m Die elektrische Feldstärke E, erzeugt durch elektrische Ladungen, ist proportional der elektrischen Flußdichte D — Q/A. e0 ist die elektrische Feldkonstante. Sie ergibt sich aus der Definition der Größen D und E für das elektrische Feld.
1.6 Das elektrische Feld, die Feldstärke, Feldlinien, der elektrische Fluß
27
Selbstverständlich gibt es in der Natur keine Feldlinien. Sie sind aber ein bequemes Hilfsmittel, den Verlauf eines elektrischen Feldes zu beschreiben. Ähnlich wie ein Pfeil die Richtung und den Betrag einer vektoriellen Größe anzeigt und sogar Rechenoperationen ermöglicht, obgleich er in der Natur nicht existiert, so geben die Feldlinien ein anschauliches Bild vom elektrischen Feld. Der Ausdruck „Fluß" ist der Hydrodynamik entnommen. Die Strömungsgeschwindigkeit ist ein Vektor. Bei stationärer Strömung (d. h. Zufluß = Abfluß) ist das Volumen, das pro Zeit durch einen zur Geschwindigkeitsrichtung senkrechten Querschnitt fließt, gleich Betrag der Geschwindigkeit mal durchströmter Fläche. Für jeden Querschnitt einer Röhre ist das Produkt Geschwindigkeit mal senkrecht durchströmter Fläche konstant (Kontinuitätsbedingung). Stellt man die Strömung durch Stromlinien dar, dann bleibt ihre Zahl im Innern der Röhre konstant. An der Stelle einer Verengung der Röhre liegen die Linien dichter, d. h. ihre Zahl pro Fläche ist größer. Hier ist die Geschwindigkeit größer. Die Dichte der Stromlinien zeigt somit den Betrag der Geschwindigkeit an. Wie bei einer Flüssigkeitsströmung aus der Röhrenwand keine Flüssigkeit kommt, also die Quelle und Senke nur am Anfang und Ende eines Rohres vorhanden sind, so treten die elektrischen Feldlinien nur bei den Ladungen ein bzw. aus. Im ladungsfreien Raum, den die Feldlinien durchsetzen, gibt es keine Quellen und Senken. Deshalb ist der gesamte Fluß der elektrischen Feldstärke konstant. Der Betrag der elektrischen Feldstärke läßt sich durch die „Zahl der Feldlinien" pro Fläche ( = D = elektrische Flußdichte) beschreiben. So kann man anschaulich leicht verstehen, daß die Gesamtzahl der Feldlinien ( = elektrischer Fluß f ) der Gesamtzahl der Ladungen Q (Quellen bzw. Senken) am Anfang und Ende der Feldlinien proportional ist. Man kann den Feldlinienverlauf auch sichtbar machen. In den Abb. 19-24 sind einige solcher Bilder wiedergegeben. Sie werden in der Weise erhalten, daß auf den Boden einer flachen Kristallisationsschale die metallischen Leiter in Form entsprechend ausgebildeter Metallplatten gelegt und elektrisch aufgeladen werden. Die Schale wird mit einem dickflüssigen, gut isolierenden Öl (Terpentinoder Rizinusöl) gefüllt, in dem gewöhnlicher feinkörniger Grieß verteilt ist. Dieses Grießpulver ordnet sich dann längs der Feldlinien an, so daß sich wenigstens in einer Ebene ein qualitativer Überblick über den Feldverlauf ergibt. Die Abb. 19 zeigt das Feld um einen einzelnen kreisförmigen Pol. Die elektrischen Feldlinien gehen radial nach außen; da sie sich dabei immer weiter voneinander entfernen, erkennt man daraus die Abnahme des Feldes mit wachsender Entfernung von der Ladung. In der Abb. 20 sind zwei gleiche Pole entgegengesetzt gleich stark aufgeladen. Hier verlaufen alle Feldlinien von dem einen ( + ) nach dem anderen ( —) Pol. Dies erkennt man besonders deutlich bei den Feldlinien zwischen beiden Polen; aber auch die nach außen von den Polen gehenden Feldlinien schließen sich auf weiteren Bahnen im Außenraum. Da sich zwei entgegengesetzte Ladungen stets anziehen, so muß in Richtung der die beiden Ladungen verbindenden Feldlinien ein Zug herrschen. Wir kön-
28
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
Abb. 22
Abb. 23
Abb. 24
Abb. 19-24 Elektrische Feldlinienbilder. Abb. 19 Einzelner geladener Pol; Abb. 20 Zwei entgegengesetzt geladene Pole; Abb. 21 Zwei gleichnamig geladene Pole; Abb. 22 Spitze und entgegengesetzt geladene Platte; Abb. 23 Zwei entgegengesetzt geladene, ebene Platten; Abb. 24 Geladener Hohlkörper mit kleiner Öffnung
nen uns davon ein anschauliches Bild machen, wenn wir uns die Feldlinien zwischen zwei Ladungen durch dicht nebeneinander gepackte, gespannte Gummibänder ersetzt denken. Diese haben dann das Bestreben, sich zu verkürzen und die beiden Ladungen einander zu nähern. Werden die Ladungen festgehalten, so daß sich die Bänder nicht zusammenziehen können, so sind sie trotzdem noch imstande, sich seitlich zu verschieben: die Bänder werden das Bestreben haben, sich der geradlinigen Verbindungslinie der beiden Ladungen zu nähern, um dadurch ihre Länge zu verkürzen. Dadurch übt jedes Band auf die weiter innen gelegenen einen seitlichen Druck so lange aus, bis der entstehende Gegendruck diesen gerade kompensiert. Übertragen wir das an den Gummibändern gewonnene Bild auf die zwischen den Ladungen verlaufenden Feldlinien, so können wir sagen: • In einem elektrischen Feld herrscht in der Richtung der Kraftlinien ein Zug, quer zu ihnen aber ein Druck. Die Größe dieser Faradayschen Spannungen ist zuerst von J.C1. Maxwell be-
1.6 Das elektrische Feld, die Feldstärke, Feldlinien, der elektrische Fluß
29
rechnet worden. Danach haben in einem Feld der Feldstärke E Zug- und Druckkräfte pro Fläche im Vakuum den Wert s0E2/2. Abb. 21 zeigt das Feldlinienbild um zwei gleichnamig geladene Pole. Es gibt keine Feldlinie, die von dem einen nach dem anderen Pol herüberläuft; die von beiden ausgehenden Feldlinien drängen sich infolge des quer zu ihnen herrschenden Druckes gegenseitig weg. An dem Feldlinienverlauf zwischen einer Spitze und einer ebenen, entgegengesetzt geladenen Platte (Abb. 22) erkennt man sehr deutlich die Richtigkeit des bereits oben aufgestellten Satzes, daß die elektrischen Feldlinien immer senkrecht von den Leiteroberflächen ausgehen und in sie einmünden. Die Mehrzahl der Feldlinien entspringt an der Spitze; dort ist also die Dichte der Ladungen besonders groß, was wir bereits mit dem Versuch nach Abb. 13 experimentell gefunden haben. Das Feld zwischen Platte und Spitze ist ein inhomogenes Feld, da die Dichte der Feldlinien und somit die Feldstärke sich von Punkt zu Punkt ändert. Im Gegensatz hierzu zeigt Abb. 23 den Feldlinien verlauf zwischen zwei ebenen Platten. Ein solches Feld, in dem die Feldstärke an allen Punkten die gleiche Richtung und den gleichen Wert hat, nennen wir ein homogenes Feld. Schließlich zeigt Abb. 24 das Feldlinienbild um einen geladenen Hohlkörper mit kleiner Öffnung: Das Innere des Hohlkörpers ist vollkommen feldfrei. Alle Feldlinien verlaufen senkrecht von der Leiteroberfläche nach außen. Die bisher gezeigten Feldlinienbilder geben nur einen Überblick über das Feld in einer Ebene; in Wirklichkeit hat natürlich jedes Feld eine räumliche Ausdehnung. Man kann sich ein Bild des räumlichen Feldverlaufs machen, wenn man sich zu seiner Darstellung eines oder mehrerer Papierbüschel bedient, bestehend aus einer großen Zahl schmaler, dünner Papierstreifen, die am oberen Ende einer Metallstange befestigt sind. Lädt man die Metallstange auf, so stellen sich die einzelnen Papierstreifen in die Richtung der von dem oberen Ende der Stange ausgehenden Feldlinien (Abb. 25). Nähert man zwei gleichnamig geladene Papierbüschel, so entsteht das in Abb. 26 dargestellte Bild. Sind die beiden Büschel
Abb. 25 Mittels Papierbüschel dargestellter elektrischer Feldlinienverlauf um einen geladenen Pol
30
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Abb. 26 Mittels Papierbüschel dargestellter elektrischer Feldlinienverlauf um zwei gleichnamig geladene Pole
Abb. 27 Mittels Papierbüschel dargestellter elektrischer Feldlinienverlauf um zwei entgegengesetzt geladene Pole
entgegengesetzt geladen (Abb. 27), so erkennt man deutlich, wie die durch die Papierfäden dargestellten Feldlinien von einem Pol zum anderen laufen. In den bisher erörterten Fällen entsprangen und endeten die Feldlinien in den positiven und negativen Ladungen. Es liegt aber die Frage nahe, ob es nicht auch in sich zurücklaufende Feldlinien gibt. Im elektrostatischen Feld ist dies nicht der Fall; man kann die Richtung des Feldes vereinbaren und ganz allgemein den Satz aussprechen: • Im elektrostatischen Feld entspringt jede Feldlinie an einer positiven Ladung und endet in einer negativen; die elektrischen Ladungen sind die Quellen des elektrischen Feldes. Anders ausgedrückt: Im elektrostatischen Feld gibt es keine in sich geschlossenen Feldlinien. Die allgemeine Gültigkeit dieses Satzes ergibt sich aus folgender Überlegung: Wenn es auch nur eine in sich geschlossene Feldlinie gäbe, so würde eine Ladung längs dieser Feldlinie einen Antrieb erfahren, der sie entlang derselben, d. h. auf einer geschlossenen Bahn, bewegen würde. Das elektrostatische Feld würde also durch Herumbewegen der Ladung bis zu ihrem Ausgangspunkt zurück positive
1.7 Das elektrische Potential
31
Arbeit leisten; durch fortgesetzte Wiederholung dieses Vorganges ließe sich aus dem Feld dauernd Arbeit gewinnen. Dies ist erfahrungsgemäß nicht der Fall; folglich kann es im elektrostatischen Feld keine geschlossenen Feldlinien geben. Ein solches Feld nennt man wirbelfrei. • Das elektrostatische Feld im Vakuum ist ein wirbelfreies Quellenfeld.
1.7 Das elektrische Potential Wenn in einem Gravitationsfeld ein Körper von einem Punkt des Feldes zu einem anderen, z. B. im Schwerefeld der Erde ein Rucksack mit Lebensmitteln auf eine Berghütte gebracht wird, dann ist die hierzu erforderliche Arbeit gleich, wenn der Bergsteiger einen langen und weniger steilen oder einen kurzen Weg wählt. Die Arbeit ist Gewicht mal Höhenunterschied. Hat aber der Bergsteiger sich verirrt und kommt er wieder an den Ausgangsort zurück, dann ist die geleistete Arbeit Null. Analog hierzu ist im elektrischen Feld die Arbeit A, die geleistet werden muß, um eine Ladung Q von einer Stelle des Feldes zu einer anderen zu bringen, unabhängig vom Weg, auf dem dies geschieht. Die Kraft, die eine Ladung Q im elektrischen Feld der Stärke E erfährt, ist Ladung mal Feldstärke (Q • E). Die Arbeit A ist Kraft mal Weg, also p2 p2 A = Q\ Ecos(Eds)ds Pi
= Q J Esds. Pi
(9)
Hierbei bedeutet d.v das Wegelement, £ (Eds) der Winkel zwischen den positiven Richtungen von E und ds, E cos (£ d,s) die Komponente von E in Richtung von di. Führen wir nun eine Ladung Q in einem elektrischen Feld von P, nach P2 und dann auf einem anderen Wege wieder nach Pt zurück, d. h. durchlaufen wir mit Q eine geschlossene Kurve, so muß die dabei geleistete Arbeit Null sein. Es muß also das Linienintegral der elektrischen Feldstärke über eine beliebige geschlossene Kurve (was wir durch einen Kreis im Integralzeichen andeuten) verschwinden: §Esds = 0.
(10)
Das ist der mathematische Ausdruck dafür, daß es im elektrostatischen Feld keine geschlossenen Feldlinien gibt, d. h. der Ausdruck für seine Wirbelfreiheit. Das Linienintegral der elektrischen Feldstärke zwischen zwei Punkten Pt und P2 heißt die elektrische Spannung U zwischen diesen beiden Punkten; es ist also: Pz U = | Ecos(Eds)ds Pi
p2 = J" Esds. Pi
(11)
32
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Dabei ist wohl zu beachten, daß der Begriff „Spannung" nicht in mechanischem Sinne aufzufassen ist, sondern nach Gl. (9) eine Arbeit pro Ladung darstellt; Gl. (9) können wir demnach folgendermaßen schreiben: A =
QU.
(12)
• Die Arbeit bei der Verschiebung einer Ladung Q zwischen zwei Punkten, zwischen denen die Spannung U herrscht, ist gleich dem Produkt aus Ladung und Spannung. Man ordnet jedem Punkt des elektrischen Feldes - wie im Gravitationsfeld einen bestimmten Wert zu. Es ist das elektrische Potential, das angibt, welche Spannung dieser Punkt gegenüber einem passend gewählten Bezugspunkt hat. Als solchen wählt man einen im Unendlichen liegenden Punkt, an dessen Stelle für praktische Zwecke die Erdoberfläche treten kann. Das Potential im Unendlichen oder auf der Erdoberfläche ist also definitionsgemäß Null. • Das Potential in einem Punkt des elektrischen Feldes ist der Quotient aus der Arbeit ( = Q- E- ds) die man aufwenden muß, um eine positive Ladung Q aus dem Unendlichen (oder vom Erdboden) bis an diesen Punkt zu bringen, dividiert durch diese Ladung Q. Somit ist die Spannung zwischen zwei beliebigen Punkten des Feldes gleich der Potentialdifferenz zwischen diesen Punkten: t/ P l P 2 = FPl - FP2,
(13)
wenn VVl und VPi die Potentialwerte in den Punkten Pt und P2 sind. Der Leser wird bemerken, daß das elektrische Potential einer Punktladung gleich + Q / R ist, während das Gravitationspotential (s. Band I) den Wert — GM/R hat (G = Gravitationskonstante). Dieser Unterschied im Vorzeichen beruht aber nur darauf, daß bei der Gravitation die anziehenden Kräfte (weil es die einzigen sind, die auftreten) positiv gerechnet werden; in der Elektrostatik ist aber bei Anziehung der Zähler des Coulombschen Gesetzes Q1 • Q2/R2 negativ, da ö i und Q2 entgegengesetzte Vorzeichen haben, was bei der Gravitation nicht passieren kann, da alle Massen positiv sind. Der Unterschied im Vorzeichen trägt dem Rechnung, ist aber im übrigen unwesentlich. Eine Spannung t / k a n n nur zwischen zwei Punkten, nicht aber an einem Punkt herrschen, wie das Potential. Das Potential ist nichts anderes als die Spannung zwischen einem vereinbarten Punkt des Feldes (z. B. Erde) und einer anderen Stelle des Feldes. Weil der eine Punkt des Feldes festgelegt ist, kann man so das Potential eines anderen Punktes angeben. Es sei darauf hingewiesen, daß das elektrische Potential eine Arbeit pro Ladung, das Potential der Gravitation eine Arbeit pro Masse darstellt. Die Einheit der Spannung im internationalen Einheiten-System (SI) ist das Volt (V). Es ist gerade die Potentialdifferenz, zu deren Überwindung die Ladung
1.7 Das elektrische Potential
33
1 Coulomb ( = 1 Amperesekunde) genau eine Arbeit von 1 Joule ( = 107 erg = 1 Newtonmeter = 1 Voltamperesekunde = 1 Wattsekunde) aufwenden muß: 1 Newtonmeter 1 Amperesekunde
1 Wattsekunde 1 Amperesekunde 1 Volt • 1 Amperesekunde = 1 Volt. 1 Amperesekunde
Die elektrische Potentialdifferenz, also die Spannung U, und deren Einheit wird somit aus der Messung einer mechanischen Arbeit und der elektrischen Ladung abgeleitet. Im SI ist das Ampere eine Basiseinheit, woraus sich durch Multiplikation mit der Sekunde die Amperesekunde ( = Coulomb) als Einheit für die Ladung ergibt. Die Verknüpfung von elektrischen mit mechanischen und kalorischen Größen ist oft notwendig. Die mechanische Arbeit und die elektrische Arbeit sind dann gleich, wenn die auf beiden Wegen erzeugten Wärmemengen gleich sind. Dann ist: Kraft • Weg = Spannung • Stromstärke • Zeit. Die Einheit der Spannung 1 Volt ist international dadurch festgelegt worden, daß willkürlich gesetzt ist: 1 Newtonmeter (1 m 2 kgs ~ 2 ) = 1 Voltamperesekunde (VAs) oder Wattsekunde (Ws) (14) Dadurch hat man auf beiden Seiten einfache und gleiche Zahlenwerte. Dies ist aber, wie gesagt, nur dadurch erreicht worden, daß man die Einheit Volt entsprechend gewählt, also angepaßt hat. Um im Laboratorium eine bestimmte Spannung großer Genauigkeit leicht zur Verfügung zu haben, ist eine chemische Stromquelle ausgewählt und international vereinbart worden, deren Spannung besonders konstant ist. Es ist das Weston-Normalelement, das an den Klemmen bei 20 °C eine elektrische Spannung von 1,01846 Volt hat. Mehr darüber in Abschnitt 10.5. Das Gefälle des Potentials hängt davon ab, ob eine bestimmte Potentialdifferenz über einer kleinen oder großen Wegstrecke besteht. Im ersten Fall ist das Gefalle groß, im zweiten Fall klein. Aus den Gl. (11) und (13) folgt die Beziehung: P2 VPl — Vp2 = J Esds und somit: Pi — dV — Esds;
(15)
dabei deutet das Minuszeichen an, daß in Richtung einer Feldlinie das Potential abnimmt. Aus Gl. (15) folgt für die elektrische Feldstärke die Beziehung: E, = - dV - = - g r a dJ V = (.dV l , -
+
.dV , -
, - dV\ \
+ k
(16)
34
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
dV dV —— ist der Gradient des Potentials, — — ist also das Potentialgefälle. Die dj ds elektrische Feldstärke hat die Richtung des größten Potentialgefälles und ist gleich dem negativen Gradienten des Potentials. Für ein homogenes Feld geht Gl. (16) über in: Vi-V2
u 7'
(16a)
wenn und V2 die Potentiale auf den beiden im Abstand d befindlichen Platten bedeuten. Bei gekrümmten Feldlinien (z. B. am Rand der Platten) ist der Abstand d durch die Feldlinienlänge zu ersetzen. In Gl. (4) war die elektrische Feldstärke definiert als die auf die Probeladung Q ausgeübte Kraft F dividiert durch die Probeladung Q. Jetzt können wir die elektrische Feldstärke auch auffassen als den Quotienten: Potentialdifferenz (oder Spannung) durch Abstand (U/d). Für die Dimension ergibt sich dort wie hier: Spannung durch Länge; für die Einheit also Volt/Meter (V/m). Verbindet man in einem elektrischen Feld die Punkte gleichen Potentials miteinander, so erhält man eine Äquipotential- oder Niveaufläche. Bei der Verschiebung einer Ladung auf einer solchen Fläche wird keine Arbeit geleistet. Die Niveauflächen müssen daher senkrecht zur Richtung der elektrischen Feldlinien verlaufen. Für eine punktförmige Ladung sind die Niveauflächen also Kugelflächen um die Ladung als Mittelpunkt. In Abb. 28 sind für eine solche Ladung die Schnitte einiger Niveauflächen mit der Zeichenebene (Niveaulinien) durch die ausgezogenen Kreise angedeutet, während die gestrichelten Geraden die Feldlinien darstellen.
Abb. 28 Elektrische Niveaulinien ( ) und Feldlinien ( ) um eine punktförmige Ladung. Die Bedeutung der Zahlen wird durch Gl. (17 a) beschrieben
1.7 Das elektrische Potential
35
Die Oberfläche eines jeden guten Leiters hat an jeder Stelle gleiches Potential; sie ist somit eine Äquipotential- oder Niveaufläche. Die Feldlinien stehen deshalb immer senkrecht auf den Leiteroberflächen. Dies gilt auch für die Erdoberfläche, die wegen ihrer Leitfähigkeit ebenfalls eine Äquipotentialfläche ist. Die Feldlinien sind (vereinbarungsgemäß) zur negativ geladenen Erde gerichtet. Die Feldstärke E läßt sich leicht messen; sie beträgt am Erdboden im zeitlichen Mittel etwa 130 V/m und nimmt mit der Höhe stark ab. Die negative Gesamtladung Q der Erde beträgt etwa 6 • 105 As; die Flächenladungsdichte er ( = Ladung durch Fläche) ist im zeitlichen Mittel rund 10 ~ 9 As/m 2 . Die positiven Ladungen befinden sich in der Erdatmosphäre räumlich verteilt. Den Nachweis, daß die Oberfläche eines geladenen Leiters eine Niveaufläche darstellt, erbringen wir mit der in Abb. 29 skizzierten Versuchsanordnung. Der Knopf eines Elektroskops E ist mittels einer biegsamen Drahtlitze mit einer Probekugel P verbunden. Führen wir diese an der Oberfläche des geladenen Leiters K entlang, so zeigt das Elektroskop stets denselben Ausschlag. Das System Leiter-Probekugel-Litze-Elektroskop stellt einen einheitlichen Leiter dar, auf dem überall das elektrische Potential denselben Wert hat. Verbinden wir den Metallkörper K leitend mit der Erde, so geht der Ausschlag des Elektroskops sofort auf Null, da jetzt das ganze System Elektroskop-Litze-Konduktor-Erde einen einheitlichen Leiter darstellt, dessen Potential gleich dem Nullpotential der Erde ist. Aus diesen Versuchen ersehen wir, daß der Ausschlag eines Elektroskops dem Potential entspricht, auf dem sich das Elektroskop befindet. Wir hatten bisher das Elektroskop dazu benutzt, das Vorhandensein elektrischer Ladungen anzuzeigen. Daß das Elektroskop und besonders das Elektrometer auch eine Potentialdifferenz bzw. Spannung messen kann, wird durch diesen Versuch angedeutet und später ausführlich behandelt.
Abb. 29 Anordnung zum Nachweis, daß die Oberfläche eines geladenen Leiters eine Äquipotentialfläche ist
Um das Potential einer punktförmigen Ladung Q im Abstand R zu berechnen, denken wir uns eine positive Ladung Q gegen das Feld von der Stelle R1 und R2 verschoben. Nach Gl. (9) ist die dazu erforderliche Arbeit: A = -Q\
R
Ri
ERdR.
36
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Das Minuszeichen tritt deshalb auf, weil die Ladungsbewegung und die Richtung der Kraft entgegengesetzt sind. Der Winkel ist 180°; cos 180° = — 1. 1 Q Nun ist nach Gl. (6) ER = • —^, s o daß sich ergibt: 4ne0 [R Am0 R, R
4ns0
R j
Für eine Kugel mit sehr kleinem Radius, z. B. für das Ende einer feinen Spitze (Halbkugel), folgt, daß die Feldstärke und das Potential unmittelbar vor der Spitze sehr hoch sind. Bei negativer Ladung der Spitze können dadurch Elektronen das Metall verlassen (sog. Feldemission). Geschieht dies in Luft, dann lagern sich die freien Elektronen an Moleküle der Luft an, wodurch diese aufgeladen, d. h. ionisiert werden und ebenfalls dem Feld folgen. So entsteht der „elektrische Wind", der in Luft von einer negativ geladenen Spitze ausgeht. Im Hochvakuum werden die Elektronen durch Moleküle nicht behindert; sie folgen dann den strahlenförmig von der Halbkugel der Spitze ausgehenden Feldlinien. Läßt man sie auf einen Leuchtschirm treffen, dann geben sie ein stark vergrößertes Bild der Spitze. Dies ist das Prinzip des Feldelektronenmikroskops (E.W. Müller). Wenn z. B. die Spitze einen Krümmungsradius von 0,1 (im und das Bild der Spitze auf dem Leuchtschirm einen Durchmesser von 10 cm hat, dann ist die Vergrößerung 106 fach! Man legt zwischen der Spitze (Kathode) und einer ringförmigen Anode, durch welche die Elektronen fliegen, eine Spannung von etwa 2000 Volt an. Hat die Metallkugel selbst einen größeren Radius von z. B. einigen Zentimetern, dann ändert sich außerhalb der Kugel nichts am Potential- und Feldlinienverlauf. Die Ladung verteilt sich gleichmäßig auf der größeren Kugeloberfläche; die Flächenladungsdichte ist also geringer. Für einen Punkt außerhalb der Kugeloberfläche ist es aber gleich, ob die Kugel klein oder groß ist. Das Potential außerhalb der Kugel ist so, wie Gl. (17) es angibt, wobei der Abstand R die Entfernung vom Kugelmittelpunkt ist. Das Potential der Kugeloberfläche selbst ist, wenn der Kugelradius mit r bezeichnet wird, r
« = 4¿TT-
(b)
Licht
i i
/ krVty/ h
! T
-
(c)
(d)
Abb. 97 Photokathode mit Sekundärelektronenvervielfacher (SEV), schematisch. Die das Hochvakuum umschließende Glashülle ist fortgelassen. Die einzelnen Spannungen werden den Prallanoden über einen Spannungsteiler zugeführt. Alle Elektronen werden schließlich an der Anode gesammelt. (a) schalenförmige Photokathode und Prallanoden; (b) durchsichtige Photokathode auf der Innenseite der Planglasplatte und streifenförmige Prallanoden in Jalousieanordnung; die letzte Prallanode ist ungeteilt, darüber ein dünnes Drahtnetz als Anode; (c) durchsichtige Photokathode und Drahtgewebe als Prallanoden; die letzte Prallanode ist ein Blech, darüber die Anode als Drahtnetz; (d) zweistufiger Mikrokanalplatten-Verstärker ohne Photokathode (Ausschnitt ca. 1000fach vergrößert) 3 8 = 6561 Elektronen. Wenn jede Prallanode eine höhere Beschleunigungsspannung haben würde, dann könnte der Verstärkungsfaktor statt je drei auch sechs oder acht sein. Aber dann würden Isolationsschwierigkeiten auftreten, weil z. B. zwischen der Kathode und der letzten Anode eine Spannung von rund 5000 Volt herrschen müßte. Bei einem kleinen Glasgefaß mit geringen Abständen der Zuführung von außen zu den Prallplatten bereitet eine solche Spannung Schwierigkeiten. Es sei bemerkt, daß handelsübliche Multiplier dieser Art kreisförmig angeordnete Prallanoden haben, so daß die Spannungszuführung ringförmig in einem Glasteller angeordnet ist. Zwei andere Typen von Photokathoden mit SEV
118
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
zeigen die Teilbilder b und c. Bei beiden befinden sich durchsichtige Photokathoden auf der Innenseite planparalleler Glasplatten. Im Teilbild b sind die Prallplatten Metallstreifen, die jalousieartig übereinander angeordnet sind. Im Teilbild c liegen feinmaschige Drahtgewebe in Abständen übereinander. Diese können z.B. aus Silber bestehen. Sie können während des Pumpprozesses durch eine Glimmentladung in Sauerstoff oxidiert werden, worauf eine Caesiumschicht destilliert wird. So entsteht eine Schicht Ag —Cs 2 0 —Cs, welche auch eine gute Ausbeute an Sekundärelektronen zeigt. Die Zahl der Prallanoden oder der Drahtgewebe kann nicht beliebig erhöht werden; die Verstärkung kann also nicht beliebig gesteigert werden, weil das Rauschen auch mit verstärkt wird und einen untragbar hohen Störungsgrad ergibt. Das Rauschen entsteht durch Elektronen, die von der ersten Elektrode, von der Kathode, zufällig, also nicht durch das Lichtsignal, ausgelöst werden. Die Ursache kann die Wärme der Umgebung sein, welche thermisches Rauschen verursacht. Durch die Wärmebewegung können zufallig Stöße zusammenkommen, die einzelnen Elektronen den Austritt ermöglichen. Aus diesem Grunde werden die Photokathoden oft gekühlt, wenn die Signale zu schwach sind. Die Kühlung erfolgt mit flüssigem Stickstoff. Besonders geeignet sind dafür Photokathoden auf der Innenseite planparalleler Glasplatten. Zwar müssen diese Photokathoden äußerst dünn sein, weil das Licht die Elektronen erst nach dem Durchgang durch die Schicht auslösen kann. Und so geht auch ein Teil des Lichtes verloren, der ohne Auslösung eines Elektrons durch die Photoschicht hindurchgeht. Aber der Vorteil der Photokathoden auf der Innenseite von planparallelen Glasscheiben besteht darin, daß ein unmittelbarer optischer Kontakt möglich ist. So werden große Kristalle organischer Substanzen mit ihrer geschliffenen Fläche außen auf die ebene Glasscheibe mit der Photokathode gesetzt oder geklebt. In diesem Szintillationskristall werden durch energiereiche Strahlung (z. B. radioaktiver Prozesse) Lichtblitze erzeugt, die von der Photokathode mit SEV aufgenommen und in elektrische Impulse umgewandelt werden. Sie werden nach Verlassen des SEV weiter verstärkt. Da die Elektronen praktisch trägheitslos sind, ist die Zeitverzögerung zwischen dem Eingang des Lichtes und dem Ausgang des elektrischen Impulses so klein, daß sie meist vernachlässigt werden kann. Der Szintillationsdetektor mit Sekundärelektronenvervielfacher ist heute ein unentbehrliches Hilfsmittel in der Kernphysik. Für Laboratoriumszwecke sind im Handel Sekundärelektronenvervielfacher erhältlich, die man sich in Vakuumgefaße einbauen kann. Die Zahl der Stufen beträgt 14 (und mehr); die Verstärkung liegt in der Größenordnung von 108. Flächenhafte Prallanoden (sie werden auch Dynoden genannt) werden oft auch linear angeordnet und magnetische Fokussierung hält die Elektronen zu Bündeln zusammen. Die Prallanoden der einbaufähigen SEV bestehen oft aus BeCuoder AgMg-Legierungen. Der Dunkelstrom, von der Kathode aus gerechnet, ist kleiner als 0,1 Elektronen pro Sekunde. Es muß erwähnt werden, daß auch Ionen Sekundärelektronen auslösen, und
1.14 Kontaktelektrizität, Austritt freier Elektronen aus Materie
119
zwar ist der Faktor 1 bis 5 Elektronen pro auftreffendes Ion. Die erforderliche Energie beginnt bei etwa 2 keV. Ein Maximum der Ausbeute wie bei Elektronen gibt es nicht; die Ausbeute steigt etwa linear bis zu 20 keV an. Elektronenvervielfacher-Kanäle und Kanalplatten. Eine andere Art der Sekundärelektronenvervielfachung benutzt Röhrchen, in welchen die Primärelektronen die Sekundärelektronen auslösen. Elektronen, die im Hochvakuum durch irgend einen Prozeß ausgelöst worden sind, treten, durch eine Spannung beschleunigt, in den Kanal, d.h. in ein gerades oder beliebig gekrümmtes Röhrchen ein. Hier treffen sie auf die Wand und lösen Sekundärelektronen aus. Die Innenwand des Kanals ist gleichmäßig mit einer hochohmigen Schicht eines sekundäremittierenden Materials bedeckt. Zwischen Eingang und Ausgang liegt eine Spannung von wenigen tausend Volt. Der Widerstand der Schicht zwischen Eingang und Ausgang beträgt etwa 109 Ohm. Die Elektronen bewegen sich also in Richtung auf den Ausgang zu und treffen auf dem Weg immer wieder auf die Wand, wobei sie Sekundärelektronen auslösen. Die Verstärkung beträgt bis zu 108. Der Durchmesser eines Kanals beträgt 1 - 2 mm; die Länge wenige Zentimeter. Für Laboratoriumszwecke sind solche Elektronenvervielfacher-Kanäle im Handel erhältlich. Ferner gibt es die sog. Kanalplatten. Bei diesen sind viele der eben beschriebenen Kanäle zu einem Bündel zusammengefaßt. Eine solche Vielkanalplatte kann ein Elektronenbild, entstanden durch ein Lichtbild auf einer photoelektrischen Schicht, fortleiten und dabei verstärken. Um die Bildqualität zu erhalten, macht man den Durchmesser der Kanäle sehr klein, wenige hundertstel Millimeter. Die Länge der Kanäle, also die Dicke der Kanalplatte, beträgt 0,5 bis 1 Millimeter. Solche Sekundärelektronen-Vielkanalplatten haben für die Bildverstärkung große technische Bedeutung erhalten. Abb. 97 d zeigt stark vergrößert den Querschnitt eines kleinen Teils einer zweistufigen Mikrokanalplatte. Der obere Teil hat gekrümmte Wände. Der Durchmesser eines Kanals ist 40 um. Darunter anschließend befindet sich eine Platte mit noch feineren Kanälen (Durchmesser 12 (j.m), die gerade Wände haben. Das Verhältnis von Länge zu Durchmesser eines Kanals ist bei der oberen Stufe 80, bei der unteren Stufe 40. Die Verstärkung kann bis zu 107 betragen. Wegen der Feinheit der Kanäle ist das Auflösungsvermögen sehr hoch. Die Polarisation der Elektronen. Ähnlich wie die Erde sich dreht, so haben auch die Elektronen eine Eigendrehung um sich selbst. Man nennt diese den Spin der Elektronen. Beide Richtungen sind gleich häufig, z. B. bei der Photo-ElektronenEmission einer Caesium-Schicht. Die Drehimpulsvektoren dieser emittierten Elektronen haben alle möglichen Richtungen. Aber in ferromagnetischen Stoffen (Eisen oder Nickel) ist jeweils im Bereich eines winzigen Kriställchens eine Richtung des Drehimpulsvektors bevorzugt. Ist das Material magnetisiert, dann haben die Drehimpulsvektoren in vielen Kriställchen die gleiche Richtung, d. h. der Spin der Elektronen ist parallel gerichtet. Durch Lichteinstrahlung auf einen
120
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
ferromagnetischen Einkristall, z. B. Nickel, werden Elektronen emittiert, welche ganz oder überwiegend einen gleichgerichteten Spin haben. Die Drehimpulsvektoren dieser Elektronen sind parallel gerichtet. Solche Elektronen nennt man polarisierte Elektronen. Der Nachweis erfolgt durch Beschuß einer Goldfolie mit diesen polarisierten Elektronen. Sie werden in eine Vorzugsrichtung gestreut, während nicht polarisierte Elektronen in verschiedene Richtungen gestreut werden. - Bei bestimmten Prozessen, z. B. beim radioaktiven ß-Zerfall, werden mehr Elektronen der einen Spin-Orientierung als der anderen ausgesandt. Dies ist verwunderlich, weil man nicht einsehen bzw. verstehen kann, warum die Natur links oder rechts bevorzugt. Man nennt diese Erscheinung Paritätsverletzung.
1.15 Die elektrostatische Energie; Kraftwirkungen im elektrischen Feld Zur Aufladung eines Leiters ist eine bestimmte Arbeit W notwendig. Sie wird umso größer sein, je größer die Elektrizitätsmenge Q ist, die man auf den Leiter bringt, d. h. je höher das Potential Fist, das der Leiter bei gegebener Kapazität C annimmt. Um eine unendlich kleine Ladung d Q auf einen Leiter mit dem Potential V zu bringen, ist nach Definition des Potentials (Arbeit, die geleistet werden muß, um die Ladung Q aus dem Unendlichen an den betreffenden Feldpunkt zu bringen) die unendlich kleine Arbeit d W zu leisten dW=VdQ
oder
dW =
(da V = ®
Um die Arbeit zu bekommen, die zur Heranschaffung der gesamten Elektrizitätsmenge Q erforderlich ist, haben wir diesen Ausdruck von Null bis Q zu summieren, d. h. zu integrieren: IQ
1
O2
Da Q = C • V ist, kann man das Ergebnis umwandeln: 1 O2 2 C
1
1
2
2
Wenn es sich um die Aufladung eines Leiters gegen einen anderen handelt und zwischen beiden die Spannung U herrscht, wie dies z. B. bei Kondensatorplatten der Fall ist, dann ergibt sich W=^CU2.
(38)
1.15 Die elektrostatische Energie; Kraftwirkungen im elektrischen Feld
121
Betrachten wir die Energie, die zum Aufladen eines Plattenkondensators erforderlich ist; sie ist gleich dem Energieinhalt des aufgeladenen Kondensators. Der Plattenkondensator habe einen Plattenabstand d, die Fläche der Platten sei A und die Permittivitätszahl des Dielektrikums sei eT. Wir wissen, daß die elektrische Feldstärke E = U/dund daß die elektrische Flußdichte einerseits D = Q/A ist und daß andererseits gilt D = er • e0 • E. Dann ist der Energieinhalt W des Plattenkondensators 1 - £r • e 0 • E2 • A • d.
(39)
Der Energieinhalt eines Plattenkondensators ist somit proportional dem Quadrat der Feldstärke E und proportional dem Volumen A • d des Kondensators. Dividiert man die Energie durch das Volumen A • d, dann erhält man die Energiedichte:
Wie das folgende Beispiel zeigt, ist es nicht möglich, große Energiemengen in elektrischen Feldern zu speichern. Ein Hochspannungskondensator habe eine Plattenfläche von 100 cm 2 und einen Plattenabstand von 10 cm. Das Dielektrikum sei Luft. Die maximale Spannung an den Platten sei 100000 Volt; die Feldstärke ist somit 106 V/m. Der Kondensator kann nur eine Energie von 4,43 • 10" 3 Ws speichern. In diesem Beispiel hat der Kondensator eine geringe Kapazität der Größenordnung 1 0 " 1 2 Farad. Wählt man als Beispiel eine sehr viel höhere Kapazität, z. B. ein Farad, (die Erde hat nur eine Kapazität von 7 • 10 4 Farad), dann kann aus technischen Gründen (elektrischer Durchschlag) die Spannung nur sehr klein sein. Wählen wir als Beispiel eine Spannung von 10 Volt, dann ist die speicherba1 re Energie W=- CU2 = 50 Ws. Man kann den Energieinhalt des Plattenkondensators auch dadurch bestimmen, daß die Platten mit einer Kraft F auf den Abstand d auseinandergezogen werden. Nehmen wir an, daß der Abstand der Kondensatorplatten von dß auf d vergrößert wird. Dann wird der Energieinhalt gemäß Gl. (39) ebenfalls verdoppelt. Doch zögern wir bei dem Gedanken, weil mit Vergrößerung des Plattenabstandes auch die Kapazität sich ändert, und zwar kleiner wird. Schalten wir den Kondensator von der Spannungsquelle ab, so daß die Ladung Q auf den Platten konstant bleibt, dann wächst mit der Vergrößerung des Abstandes d auch die Spannung U; denn Q = C • U und Q bleibt konstant, wenn der Kondensator nicht mehr mit der Spannungsquelle verbunden ist. U wächst ebenso wie d, und damit bleibt die Feldstärke E konstant, auch wenn der Plattenabstand d vergrößert wird. Der Energieinhalt wächst also linear mit dem Abstand der Platten.
122
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Kennt man diesen, dann braucht man nur noch die Kraft zu messen, um die Energie des Kondensators zu bestimmen. Die Kraft kann mit der Spannungswaage durch Gewichtsvergleich gemessen werden, wie im folgenden Absatz beschrieben wird. Spannungswaage. Die zwischen den Platten eines Kondensators wirkende Kraft F kann (nach William Thomson, dem späteren Lord Kelvin) mit einem Gewicht auf einer empfindlichen Waage gemessen werden. Die Kraft ist Energieinhalt des Kondensators dividiert durch den Plattenabstand d, also F=~
W
1 = ~El-e0-E2-A.
(40)
Abb. 98 Spannungswaage (schematisch). Die zwischen den beiden Kondensatorplatten wirkende Kraft wird mit einem Gewicht gemessen
Die Abb. 98 zeigt eine etwas geänderte Balkenwaage. Die rechte Waagschale ist die obere Kondensatorplatte; auf die linke Waagschale werden die kleinen Gewichtsstücke gelegt. Die dem Kondensator rechts zugeführte Spannung ergibt bei einem bestimmten Plattenabstand d eine Feldstärke, deren Kraftwirkung mit dem Gewicht auf der anderen Seite der Waage verglichen wird. Um Randfelder auszuschließen, wird die obere Kondensatorplatte mit einem festen Schutzring versehen, der die gleiche Spannung wie die obere Platte bekommt. Die untere Kondensatorplatte ist entsprechend größer (Abb. 99). Die angelegte Spannung muß mehrere Tausend Volt betragen, damit die Kraft ausreichend groß wird, um genau gemessen zu werden. Man mißt den Abstand der Kondensatorplatten d
Abb. 99 Schutzringkondensator für Spannungswaage: Px u. P 2 sind die Kondensatorplatten; R ist der Schutzring
1.15 Die elektrostatische Energie; Kraftwirkungen im elektrischen Feld
123
und die Kraft F (als Gewicht). Man kennt die Fläche der oberen Kondensatorplatte, die elektrische Feldkonstante e0 sowie die Permittivitätszahl sr für Luft. Daraus kann man die Spannung U berechnen. Selbstverständlich wird man bei der Wägung der Kraft die Spannung t/mit einem empfindlichen Spannungsmesser gleichzeitig messen. Es sollte hier aber darauf hingewiesen werden, daß auf diese Weise die Spannung „absolut" gemessen werden kann. Diese Möglichkeit spielte in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine sehr große Rolle. - Um noch genauer messen zu können, verwendet man auf der linken Seite keine Waagschale mit Gewichten, sondern man benutzt die magnetische Kraftwirkung zweier Spulen, deren magnetische Anziehungskraft sehr fein und genau reguliert werden kann. Selbstverständlich muß diese Kraft vorher mit Gewichten geeicht werden. Die Einheit der mechanischen Arbeit ist das Newtonmeter (Nm). Die Einheit der elektrischen Arbeit bzw. Energie ist die Wattsekunde (Ws). Beide Einheiten wurden durch Vereinbarung gleichgesetzt: 1 Newtonmeter
= 1 Wattsekunde (Volt • Ampere • Sekunde)
Die Einheiten m, kg, s, A sind Basiseinheiten des SI. Die Einheit Volt ist somit eine abgeleitete Einheit. Punktförmige Ladung im homogenen elektrischen Feld; der Millikan-Versuch. Die elektrische Feldstärke E ist im Abschnitt Nr.l .6 definiert durch die Gleichung E = F/Q. Die Feldstärke ist gleich der auf eine kleine Probeladung Q wirkende Kraft F, dividiert durch die Probeladung Q. Die Kraft ist also Ladung mal Feldstärke, F = Q - E. Hier setzen wir die Feldstärke E = U/d als meßbar und bekannt voraus und wollen die Ladung durch die Messung der Kraft bestimmen. A. Millikan hat (1910) auf diese Weise mit einem nach ihm benannten Versuch die elektrische Elementarladung bestimmen können. Hier seine Versuchsanordnung: In einem Kondensator (Abb. 100) werden aus einer feinen Düse winzige Öltröpfchen zerstäubt. Sie sind im Mikroskop bei seitlicher Beleuchtung vor dunklem Hintergrund als helle Punkte sichtbar. Wegen der thermischen Bewegung der Luftmoleküle zeigen die Öltröpfchen die Brownsche Molekularbewegung. Die Tröpfchen sinken allmählich nach unten. Wenn aber ein elektrisches Feld eingeschaltet wird, dann wandern einige, die beim Zerstäuben negativ aufgeladen
+ O o
o
Q-E o
Abb. 100 Millikan-Versuch (Prinzip). Spannung zwischen den Kondensatorplatten 3000 bis 5000 Volt; diese ist stufenlos regelbar. Abstand der Kondensatorplatten ca. 15 mm; Radius der Öltröpfchen einige um; Masse der Öltröpfchen etwa 10~ lo g
124
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
wurden, nach oben. Die elektrische Feldstärke kann durch stufelose Regelung der Spannung so eingestellt werden, daß ein ausgesuchtes Tröpfchen in der Schwebe bleibt. Dann ist die elektrische Kraft, die das Tröpfchen nach oben zieht, genau gleich dem Gewicht m • g. Die elektrische Kraft ist Q • E. Also gilt die Gleichung Q • E = m • g. E ist die Feldstärke E = U\d\ g ist die Fallbeschleunigung. Um die Ladung des Tröpfchen zu errechnen, muß vorher die Masse m bestimmt werden. Dies geschieht auf folgende Weise: Das Stokessche Gesetz sagt aus, daß eine Kugel mit dem Radius r, wenn sie sich in einer ruhenden Flüssigkeit mit der dynamischen Viskosität t] mit der Geschwindigkeit v bewegt, die Reibungskraft R = 6nr}rv erfahrt. Auf ein nach unten absinkendes Teilchen wirkt als beschleunigende Kraft die Schwerkraft G 4 = mg = - r3ngg, wo q die Dichte und g die Fallbeschleunigung bedeuten, und 4 nach oben der Auftrieb A = - r3nQ'g, wo q' die Dichte des Mediums ist. Das Teilchen fallt so lange beschleunigt, bis seine Geschwindigkeit so groß geworden ist, daß R = G — A ist; dann heben sich die auf das Teilchen wirkenden Kräfte gerade auf und das Teilchen fällt nach dem Trägheitsgesetz mit der konstanten Geschwindigkeit v. Es ist also 4 6nr}rv = -nr3gg-
4
-nr3g'g,
woraus für den Teilchenradius r folgt:
Für die Teilchenmasse ergibt sich dann: 4
m = -r 3
3
no.
Zur Durchführung des Versuches benutzt man meistens Öltröpfchen (q = 0,92 g/cm 3 ), die man in Luft (q' = 0,00129 g/cm 3 , r\ = 1,83 • 10" 9 N • s • cm " 2 ) beobachtet. Sehr viele Messungen haben ergeben, daß die Ladung Q der Öltröpfchen und anderer Teilchen im Kondensator stets ein ganzes Vielfaches der Elementarladung e war. Diese ist die Ladung des Elektrons und ebenso die des Protons. Die Ladung des Elektrons ist stets negativ, die des Protons stets positiv. Sie beträgt nach neuesten Messungen: e = 1,6021892 ± 0,0000046 • 10" 1 9 Coulomb (oder Amperesekunde) Da es infolge der Molekularbewegung schwierig ist, den Schwebezustand eines
1.15 Die elektrostatische Energie; Kraftwirkungen im elektrischen Feld
125
Teilchens einzustellen, beobachtet man einfacher die Bewegung eines geladenen Teilchens im Kondensatorfeld und bestimmt die Geschwindigkeit des Teilchens für die beiden Fälle, daß das elektrische Feld mit der Schwerkraft gleich- bzw. entgegengesetzt gerichtet ist. Bezeichnen v + und v_ die beobachteten Geschwindigkeiten des Teilchens in beiden Fällen, so hat man zur Berechnung von Q die beiden Gleichungen: 4 -nr3
g(e-ß')
4 , -nr3g(Q-Q')
U + Q— = 6itr¡rv+ U - Q— = 6nr¡rv-
aus denen durch Subtraktion folgt: n
3nr r
l ( mU
\
Die zwischen den Kondensatorplatten herrschende Feldstärke E ergibt sich aus der Spannung zwischen den Platten dividiert durch den Plattenabstand, also E = U/d. Man erreicht ohne große Mühe, daß die Ladung Q der Öltröpfchen nicht größer ist als die fünffache Elementarladung e. Der Millikan-Versuch wurde oft wiederholt und verbessert ausgeführt. Dadurch wurde die Genauigkeit der Bestimmung der Elementarladung beträchtlich erhöht. Die thermische Molekularbewegung setzt aber eine Grenze. Deshalb wurde die genaueste Messung im Vakuum ausgeführt. Drei italienische Forscher der Universität Genua haben (1977, s. Lit.) eine Methode beschrieben, mit welcher sie eine sehr viel größere Empfindlichkeit als Millikan erreichten. Sie benutzten statt der Öltröpfchen winzige Teilchen von Graphit und später Eisenzylinder. Diese Teilchen wurden durch ein Magnetfeld in der Schwebe gehalten. (Dies ist bei Graphit deshalb möglich, weil dieser stark diamagnetisch ist.) Die Masse der Graphitkörner betrug 2 • 10 ~ 1 0 kg; die der Eisenkörner 2 • 10 ~ 7 kg. Die mittlere Tropfenmasse Millikans lag bei 10" 1 4 kg. Die frei schwebenden Körner wurden durch ein horizontales elektrisches Wechselfeld, je nach der Ladung mehr oder weniger stark, in vertikale Schwingungen versetzt. Die Eisenzylinder eignen sich wegen des stärker wirkenden Magnetfeldes besser. Jeweils ein Korn wurde einerseits mit Mikroskop und Fernsehapparat beobachtet; andererseits fiel der Schatten auf Photodioden, mit denen Intensitätsdifferenzen des Lichts registriert wurden. Die Eisenzylinder besaßen zunächst Ladungen der Größenordnung 105 e; diese wurden auf wenige e reduziert. Die Schwingungsamplitude änderte sich dann jedesmal sprunghaft, wenn sich diese kleine Zahl der Ladungen um eine änderte, d. h. wenn ein Elektron abgetrennt wurde oder hinzukam. Die Dämpfung beim Einschwingen in den neuen Ladungszustand erfolgte elektronisch. Die Forscher konnten die Elementarladung bis auf 0,025 e genau messen. Aus der Zahl der
126
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
positiven Ladungen im Eisenkorn (2 • 10" 7 kg Eisen enthält 5 • 10 18 Atome) konnten sie angeben, daß die Ladung eines Elektrons und die eines Protons sich um weniger als 1 0 " 2 1 e unterscheiden. Es gibt auch keinen Hinweis auf die Existenz einer geteilten Elementarladung. In abgewandelter Form kann der Schwebekondensator zu verschiedenen Experimenten verwendet werden. Einen interessanten Versuch beschreibt H. Straubel in Phys. Bl. 28,498,1972 (Lit). Er läßt ein winziges, hygroskopisches Kriställchen, z.B. CoCl 2 mit 2, 4 oder 6 H 2 0 , das eine elektrische Ladung trägt, im Kondensator schweben und beobachtet optisch in trockener oder feuchter Luft die Kristallwasseraufnahme oder -abgabe. Dabei kann in feuchter Luft die Wasseraufnahme bis zum vollständig gelösten Tropfen verfolgt werden. Der Vorteil dieser Methode ist, daß es keine Unterlage gibt, welche den Vorgang beeinflussen kann. Radialsymmetrisches elektrisches Feld. Da es eine Anziehung zwischen zwei Kondensatorplatten gibt, wie bei der Spannungswaage gezeigt wird, muß es auch eine Anziehung zwischen der Oberfläche einer geladenen Kugel und den umgebenden Zimmerwänden oder der Erdoberfläche geben. Diese Umgebung stellt für eine kleine Kugel eine große Entfernung dar. Da das elektrische Feld von allen Seiten nahezu gleichmäßig, also radialsymmetrisch auf die Kugel wirkt, äußert sich die Kraft wie ein Zug auf die Kugeloberfläche bzw. wie ein Druck aus dem Innern der Kugel. Nach Gl. (40) ist die Kraft zwischen zwei Kondensatorplatten W = ~-e 1 -s E2-A F= — r 0
(40)
Dividiert man durch die Fläche A, dann erhält man den Druck p ( = Kraft/Fläche), der vom Innern der Kugel auf die Kugeloberfläche wirkt: P = ^ = \-*r-Zo-E2 A 2
(41)
Hierbei ist die Feldstärke E diejenige, die an der Kugeloberfläche wirkt. Man kann den Zug durch ein elektrisches Feld auf die Kugeloberfläche, bzw. den Druck von Innen auf die Oberfläche sehr schön mit einer medizinischen Tropfflasche demonstrieren. Hält man die Tropfflasche so, daß ein Wassertropfen an der Öffnung hängt, dann wird dieser ja durch die Oberflächenspannung zusammengehalten und bleibt an der Flaschenöffnung hängen. Berührt man nun mit einem Draht, der eine elektrische Ladung gegen Erde führt, den Tropfen, dann verschwindet der Tropfen sofort und die Flasche entleert sich mit einem dünnen Strahl, solange der Draht mit der elektrischen Spannung vor der Öffnung das Wasser berührt. Ein Draht ohne elektrische Spannung zeigt nicht die gleiche Wirkung. Die elektrische Spannung zwischen der Kugeloberfläche und der Um-
1.16 Messung sehr kleiner Ladungsmengen
127
gebung übt einen Zug auf die Kugeloberfläche aus, der wie ein Druck von innen wirkt und die Oberflächenspannung verkleinert. Die Feldstärke an der Kugeloberfläche ist E = U/R. Je kleiner also die Kugel ist, desto größer ist der Druck. Bei extrem kleinen Kugeln, wie sie die Halbkugeln sehr feiner Spitzen darstellen (Feldelektronenmikroskop), beträgt die Feldstärke etwa 10 7 Volt/cm. Die Kraft ist dann in der Lage, Elektronen aus dem Metall „herauszureißen".
1.16 Messung sehr kleiner Ladungsmengen Elektrostatische Aufladungen sind dadurch gekennzeichnet, daß zunächst nur sehr kleine Ladungsmengen bei sehr kleiner Spannung entstehen, die durch Abstandsvergrößerung hohe Spannungen ergeben und erst durch Ansammlung großer Ladungsmengen zu gefährlichen Entladungen (Blitzen) führen können. Beim Studium dieser Erscheinungen ist es daher wichtig, sehr kleine Ladungsmengen schon bei der anfänglichen Entstehung (Trennung) messen zu können. Die einfachsten Geräte zum Nachweis elektrischer Ladungen sind bereits in den ersten Abschnitten dieses Kapitels behandelt. Einfache Elektrometer sind in den Abb. 4, 5 und 6 dargestellt und im Text beschrieben. Ergänzend hierzu sei auch das Becherelektrometer hervorgehoben (siehe Abb. 11 und Text dazu). Auf der Suche nach empfindlicheren Instrumenten entstand (1855 von William Thomson, dem späteren Lord Kelvin, erfunden) das Quadrantenelektrometer (Abb. 101). Das Instrument besteht aus zwei horizontal und übereinander liegenden Scheiben aus Metall (Durchmesser etwa 5 cm; Abstand 1 cm). Jede Scheibe ist in vier Sektoren geteilt; jeweils zwei übereinander liegende Sektoren sind außen durch ein Metallblech verbunden; der Hohlraum ist nach außen verschlossen. Jeder der vier Quadranten ist mit einem hohlen Tortenstück vergleichbar, bei dem die Längsseiten offen sind. Je zwei gegenüberliegende Quadranten sind miteinander zu einem Quadrantenpaar leitend verbunden. Alle vier Quadranten sind ein wenig nach außen gezogen; dadurch ist in der Mitte etwas Platz für den zentralen, dünnen Stab, der an einem Band oder Faden hängt.
Abb. 101
Quadrantenelektrometer
128
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Zwischen den Quadranten entsteht ein elektrisches Feld, wenn an die beiden Quadrantenpaare eine Spannung gelegt wird. An dem zentralen, dünnen Stab hängt horizontal ein sehr leichtes Metallblech, welches die Form des Zeichens für unendlich hat, also die Form einer liegenden Acht. Dieses Blech wird auf jeder Seite in den entgegengesetzt geladenen Quadranten hineingezogen und gleichzeitig von dem gleich geladenen Quadranten abgestoßen. So dreht sich die Achse des Aufhängestäbchens, das an einem feinen Bronzeband aufgehängt ist. Eine einige Meter entfernt aufgestellte Skala kann über den am Aufhängestäbchen befestigten Spiegel mit einem Fernrohr beobachtet werden. Zur Verringerung des Gewichts werden in die bewegliche achtförmige Scheibe mehrere Löcher gestanzt, wodurch die Festigkeit kaum verkleinert wird. Das Bronzeband oder der metallisierte Quarzfaden (1/100 mm dick), an dem die achtförmige Scheibe hängt, dient zugleich auch der Ladungszufuhr zur Scheibe, die meist „Nadel" genannt wird. Es gibt drei verschiedene Schaltungsmöglichkeiten, s. Abb. 102. Die Quadranten- und die Nadelschaltung geben eine nahezu lineare Skala der Auslenkung in Abhängigkeit von der Ladung. Für beide Schaltungen wird eine Hilfsspannung von 100- 300 Volt verwendet; und beide sind zur Messung von kleinen Ladungen und Spannungen geeignet. Bei der Nadelschaltung ist die Kapazität kleiner. Die idiostatische Schaltung ist für Wechselspannungen geeignet. Der Ausschlag hängt vom Quadrat der Wechselspannung ab, ist also vom Vorzeichen unabhängig. Die Empfindlichkeit ist bei allen Quadrantenelektrometern sehr von der Aufhängung, also von der Dicke des Quarzfadens oder des Bronzebandes, abhängig. Man kann Spannungen von 10~ 4 Volt und bei Kapazitäten von 10" 1 0 F somit Ladungen von 10" 1 4 Coulomb messen. Große Nachteile sind die Erschütterungsempfindlichkeit, die lange Einstellzeit (Schwingungsdauer) und die schwierige Justierung.
Illltn rC H
-o
oVy
(a) (b) (c) Abb. 102 Verschiedene Schaltungsarten des Quadrantenelektrometers; (a) Quadrantenschaltung, (b) Nadelschaltung, (c) idiostatische Schaltung
Eine nicht weniger empfindliche Variante ist das Duantenelektrometer (Hoffmann 1917). Es ist für den Selbstbau geeignet. Zwei Hälften einer Metallscheibe sind horizontal nebeneinander aufgestellt und haben einen geringen, variablen
1.16 Messung sehr kleiner Ladungsmengen
129
Abstand voneinander. Darüber befindet sich, zentral an einem sehr dünnen, leitenden Faden oder Metallband aufgehängt, ein sektorförmiges, sehr leichtes Metallblech (Abstand von den Duanten etwa 1 - 2 mm). Die Hilfsspannung zwischen den Duanten beträgt bis 200 Volt. Der drehbare Metallsektor wird durch das elektrische Streufeld zwischen den Duanten je nach seiner Ladung zur positiven oder zur negativen Platte gedreht (Abb. 103). Die Empfindlichkeit läßt sich dadurch steigern, daß das Gefäß, in dem sich das Instrument befindet, evakuiert wird (zur Verringerung der Luftdämpfung). Die erreichbare Empfindlichkeit liegt bei 10" 5 Volt bzw. bei 10" 1 5 Coulomb pro Skalenteil.
(Q)
(b) Abb. 103 Duantenelektrometer, schematisch; (a) von vorn, (b) von oben gesehen Schwingkondensator-Elektrometer. Wird einem elektrischen Plattenkondensator eine kleine Ladung zugeführt und wird danach der Kondensator von der Spannungsquelle getrennt, dann beobachtet man am Kondensator eine kleine Spannung, die man erhöhen kann, wenn man die Kondensatorplatten weiter trennt. Dies wurde im Abschnitt 1.10 ausführlich behandelt. Die Vergrößerung des Abstandes der Kondensatorplatten hat eine Verkleinerung der Kapazität zur Folge. Läßt man nun eine der beiden Platten gegen die andere mit einer bestimmten Frequenz schwingen, dann erhält man an den Kondensatorplatten eine Wechselspannung, sofern die Spannungsquelle abgeschaltet ist. Wenn die Spannungsquelle mit den Platten verbunden bleibt und daher die Spannung zwischen den Platten konstant bleibt, bekommt man einen zu und von den Platten flutenden elektrischen Strom (Wechselstrom). Sowohl die Wechselspannung an den Kondensatorplatten als auch der Wechselstrom in einer Leitung, die zu einer Platte führt, lassen sich in elektronischen Geräten leicht verstärken. Wechselspannungen und Wechselströme lassen sich dann leicht verstärken, wenn der Verstärker der Frequenz angepaßt ist. Der Verstärker ist sogar gegen Störungen höchst unempfindlich, wenn er ein sogenanntes elektrisches Sieb enthält, das nur die eine Frequenz bevorzugt durchläßt. Schwingkondensator-Elektrometer haben Spannungsempfindlichkeiten bis zu 10" 4 Volt und weniger pro Skalenteil und Ladungsempfindlichkeiten von 10" 1 5 Coulomb. Ihre Konstanz ist ein besonderer Vorteil.
130
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Röhrenelektrometer. In Abb. 92 ist schematisch eine Röhrendiode dargestellt, bestehend aus einem glühenden Wolframfaden und einem röhrenförmigen Anodenblech, das den Wolframfaden umschließt. Wird zwischen Glühfaden (Kathode) und Anode eine Spannung gelegt, dann werden die vom Glühfaden emittierten Elektronen von der Anode angezogen. Wird nun zwischen Kathode und Anode eine Spirale (ein sogenanntes Gitter) eingebaut, das eine mehr oder weniger negative Spannung gegenüber der Kathode erhält, dann werden mehr oder weniger Elektronen durch das Gitter hindurch zur Anode gelangen, ohne das Gitter (wegen der negativen Ladung) zu berühren. Man kann also den Elektronenstrom zwischen Kathode und Anode steuern, und zwar leistungslos, solange keine Ladungsträger auf das Gitter gelangen. Diese Dreielektrodenröhre oder Triode (Kathode, Gitter, Anode) hat in der Rundfunktechnik über ein halbes Jahrhundert lang eine sehr große Bedeutung gehabt. Die Kathoden werden überwiegend indirekt geheizt, d.h. innerhalb des Kathodenröhrchens, das die Elektronen emittiert, befindet sich der glühende Wolframfaden. Das Kathodenröhrchen ist mit gesinterten Erdalkalicarbonaten bedeckt, welche atomares Barium enthalten (niedrige Austrittsarbeit, gute Elektronenemission). Es ist naheliegend, eine solche Triode zur Messung kleiner Ladungsmengen zu verwenden. Dem Gitter wird die kleine zu messende Ladung zugeführt. Dadurch wird der Elektronenstrom von der Kathode zur Anode mehr oder weniger gebremst oder hindurchgelassen. Somit sind wenige Ladungen auf dem Gitter in der Lage, einen viel größeren Elektronenstrom zu steuern. Es findet eine Verstärkung statt. Jedoch gibt es größere Schwierigkeiten, wie die folgenden Überlegungen zeigen. Da ausschließlich die Ladungen gemessen werden sollen, die auf das Gitter geleitet werden, dürfen nur diese und keine anderen Ladungen auf das Gitter kommen. Um Kriechströme zu vermeiden, wird das Gitter getrennt durch eine Bernsteinisolierung herausgeführt (Abb. 104). Um zu vermeiden, daß die Elektronen durch Stoß restliche Luftmoleküle ionisieren, sollte das Vakuum extrem gut sein. Man schafft dies aber nur bis zu einer Grenze, die nicht ausreicht. Deshalb muß man die Anodenspannung so niedrig machen, daß die Energie der Elektronen nicht genügt, um restliche Moleküle zu ionisieren. Die Anodenspannung muß deshalb unter 10 Volt liegen, was aber zur Folge hat, daß der Verstärkungsfaktor sehr klein (2-3) ist. Um die Heizleistung herabzusetzen, werden direkt geheizte Kathoden (thorierte Wolframfaden oder Barium-Aufdampf-Kathoden - W - O - Ba - verwendet, die schon bei Rotglut eine gute Elektronenemission geben. Die Elektrometerröhren haben einen Eingangswiderstand von 10 14 bis 10 15 Ohm und eine Eingangskapazität von 10-20 pF. Die Nullpunktsdrift ist unvermeidbar; sie kann aber in Grenzen gehalten werden (z. B. durch Verwendung von zwei Röhren gleichen Typs). Heute werden an Stelle der Elektrometerröhren auch Feldeffekttransistoren verwendet (MOSFET = Metal-Oxide-Semiconductor-Field-Effect-Transistor; diese werden bei den Halbleitern behandelt).
1.16 Messung sehr kleiner Ladungsmengen
131
direkt geheizte Kathode ersetzt (z. B. thorierter Wolframdraht), wodurch die Röhre noch weiter verbessert wird
Auch bei den Feldeffekttransistoren kann der Eingangswiderstand sehr hohe Werte erreichen (10 14 Ohm; aber die Werte der Elektrometerröhren werden auch nicht übertroffen). Da die Gitterfehlströme bei den Elektrometerröhren 10" 1 4 bis 10" 1 5 A betragen, ist es hoffnungslos, noch kleinere Ströme messen zu wollen. Die Grenze liegt bei den Feldeffekttransistoren ebenfalls bei dieser Größenordnung. Aber beide Meßgeräte haben den Vorteil, daß elektronische Verstärker angeschlossen werden können, die das kleine Signal verstärken. Dies geht umso besser, wenn aus dem kleinen Gleichstrom ein Wechselstrom gemacht werden kann. Die Speisespannung muß in jedem Fall sehr stabil sein. Die Fadenelektrometer. Obgleich ein Hinweis schon am Anfang dieses Kapitels gebracht wurde (Abb. 5), sollen diese Elektrometer hier noch einmal erwähnt werden. Das Prinzip ist einfach: ein oder zwei dünne Platinfaden, 4 bis 8 (im Durchmesser, sind vertikal durch einen Quarzbügel unten gespannt. Der oder die beiden Fäden hängen oben zusammen an der elektrischen Zuleitung, die äußerst gut isoliert ist. Die Länge der Fäden beträgt etwa 6 cm. Zu beiden Seiten des einen oder der zwei Fäden befinden sich schmale, plattenförmige Elektroden, die unter sich einen Kondensator bilden. Dies ist beim Einfadenelektrometer der Fall: die dem einen Faden zugeführte Ladung erfahrt eine Kraft im elektrischen Feld der beiden Kondensatorplatten. Dieses Hilfsfeld wird dadurch erzeugt, daß eine Hilfsspannung an die beiden Platten gelegt wird (maximal 600 Volt). Die Feldstärke zwischen -den beiden Platten kann außerdem durch Veränderung des Abstands der Platten nach Wunsch eingestellt werden. Bei zwei Fäden liegt eine Spannung zwischen den beiden Fäden einerseits und beiden Kondensatorplatten andererseits. So erfolgt eine Abstoßung zwischen den beiden Fäden und gleich-
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
zeitig eine Anziehung zwischen jedem Faden und der nächstliegenden Platte. Die dünnen Fäden werden im Mikroskop, das im Okular eine Skala hat, beobachtet. Man erreicht beim Einfadenelektrometer eine Spannungsempfindlichkeit von 10" 3 Volt pro Skalenteil und eine Ladungsempfindlichkeit von 10" 1 3 Coulomb pro Skalenteil. Kritischer Vergleich der Elektrometer. Hat man im Laboratorium einen Raum, in welchem ein schwer justierbares und gegen Erschütterungen empfindliches Instrument auf einem Sockel erschütterungsfrei aufgestellt werden kann und wenn es dort stehen bleiben kann, dann würde sich ein Quadrantenelektrometer oder noch besser ein im Vakuum stehendes Duantenelektrometer vorzüglich eignen. Man kann durch die Wahl der Faden- oder Banddicke die Empfindlichkeit bis zur Grenze steigern. Die Empfindlichkeitsgrenze ist durch die Brownsche Molekularbewegung bestimmt. Denn schließlich muß die kleine Drehbewegung des Spiegels, hervorgerufen durch das Meßsignal, größer sein als die statistischen Schwankungen um die Ruhelage, hervorgerufen durch die Brownsche Molekularbewegung. Gleichheit herrscht, wenn die zugeführte Meßleistung mal der Meßzeit, also P • i, ebenso groß ist wie die auftreffende Energie der Moleküle, also k -T. (k ist die Boltzmann-Konstante = 1,38 • 10" 2 3 Ws • K " 1 ; T ist die Temperatur bei der Messung, also Raumtemperatur = 300 K). Die Energie k T beträgt bei Raumtemperatur 4 • 10" 2 1 Ws. Will man mit dem Duantenelektrometer bei einer Spannung von 10 ~ 5 Volt eine Ladung von 10" 1 6 As messen, dann beträgt diese Energie von 10~ 21 Ws bereits weniger als die Energie der Brownschen Molekularbewegung. Eine kleinere Leistung ist nachweisbar, wenn man die Beobachtungszeit t größer macht, z. B. die Schwingungsdauer des Instruments durch Verwendung eines längeren oder dünneren Fadens erhöht. Die Raumtemperatur kann man nicht wesentlich herabsetzen, kann also kT = 4 • 1 0 " 2 1 Ws als konstant ansehen. Hierbei sei ausdrücklich erwähnt, daß es gleichgültig ist, ob sich das bewegliche System (Spiegel, Faden, usw.) in Luft oder im Vakuum befindet. Das Vakuum beim Duantenelektrometer hat nur den Zweck, die Dämpfung zu verkleinern. - Das Quadrantenelektrometer und besonders das im Vakuum befindliche Duantenelektrometer haben den Vorteil großer Empfindlichkeit. Die Nachteile sind schwierige Justierung, Erschütterungsempfindlichkeit und lange Einstellzeit (große Schwingungsdauer). Das Schwingkondensator-Elektrometer hat diese Nachteile nicht. Man kann es leicht von einem Raum zum anderen tragen und sofort zur Messung benutzen. Die Empfindlichkeit ist nicht kleiner als die des Duantenelektrometers in Vakuum. Das Schwingkondensator-Elektrometer wird im Handel bevorzugt angeboten. Das Röhrenelektrometer wird in Sonderfallen im Laboratorium noch benutzt, insbesondere dann, wenn auf die Speziairöhre mit getrennter Gitterausführung verzichtet werden kann. Denn wenn nicht höchste Empfindlichkeit verlangt wird, genügt oft auch eine normale Triode, deren Glaskolben und Sockel gut
1.17 Elektrostatische Generatoren
133
gereinigt worden sind, und deren Kathode unterheizt wird. Aber zunehmend wird die Elektrometerröhre durch einen Feldeffekttransistor (MOS-FET) ersetzt. Beide haben den Vorteil, daß eine elektronische Nachverstärkung möglich, die A p p a r a t u r leicht zu transportieren ist und d a ß die Aufstellung keiner Justierung bedarf. Wenn nicht die höchste Empfindlichkeit erforderlich ist, bewähren sich die Fadenelektrometer wegen ihrer Einfachheit sehr gut. Sie sind leicht transportierbar und sofort zur Messung bereit. Von großem Vorteil ist auch, d a ß bei beiden der Empfindlichkeitsbereich in weiten Grenzen durch Verschiebung der seitlichen Hilfselektroden leicht regelbar ist. Der Sekundärelektronenvervielfacher ist, wie schon beschrieben, nur zu verwenden, wenn freie Elektronen im Vakuum zur Verfügung stehen. D a n n allerdings kann durch eine hohe Zahl von Prallanoden (Pralldynoden) und bei größeren Aufladezeiten die höchste Empfindlichkeit erreicht werden. Bemerkt sei, d a ß der Sekundärelektronenvervielfacher (SEV) nicht als Elektrometer bezeichnet wird.
1.17 Elektrostatische Generatoren Generatoren sind Stromerzeuger. Elektrostatische Generatoren liefern kleine Ströme bei hohen Spannungen. Das Prinzip ist bei allen das gleiche: der erste Schritt ist eine Trennung von Ladungen entgegengesetzter Polung. Diese kann durch Ladungsübertritt von einem Stoff zu einem anderen bei inniger Berührung oder durch Influenz erfolgen. Bei größeren Maschinen werden Ladungen aus einer besonderen Erregerquelle (das ist ein kleiner Generator) entweder auf ein Transportband aufgesprüht oder durch Influenz in Metallstreifen getrennt. Der zweite Schritt ist die Vergrößerung des Abstandes der beiden Ladungsarten durch mechanische Bewegung. Hierdurch wird die Spannung erhöht, und zwar im gleichen Verhältnis wie die Kapazität des kleinen Kondensators abnimmt. Beträgt z.B. der Abstand beider Ladungen nach der Trennung 1 0 - 4 c m , und beträgt die Spannung 0,1 Volt, dann erhöht sich die Spannung auf 10 4 Volt, wenn der Abstand auf 10 cm vergrößert wird. Denn es gilt immer: Q = C • U. Wenn die Kapazität des kleinen Kondensators u m den F a k t o r 10 5 abnimmt (durch Abstandsvergrößerung der Ladungen), d a n n m u ß die Spannung um den Faktor 10 5 steigen, weil die Zahl der Ladungen sich nicht ändert. Die größten Spannungen (bis zu 12 Millionen Volt) lassen sich mit dem elektrostatischen Bandgenerator erreichen. Bei diesem geschieht die Aufladung eines metallischen Hohlraums in der Weise, d a ß mittels eines Transportbandes (aus G u m m i oder Seide) elektrische Ladungen fortlaufend in das Innere des Hohlraumes transportiert werden, wo sie sofort auf die Oberfläche abfließen, so daß das Band ungeladen den R a u m wieder verläßt. Abb. 105 a zeigt eine Skizze einer
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
+
B
+
G
+
+
W, ( a )
Abb. 105 gung
(b)
Elektrostatischer Bandgenerator; (a) mit Fremderregung, (b) mit Selbsterre-
zuerst von van de Graaf (1932) angegebenen Ausführung eines solchen Bandgenerators. Ein etwa 1 m breites und mehrere Meter langes, endloses Gummiband B läuft über zwei Walzen Wj und W 2 . Die Walze W l 5 die von einem Motor angetrieben wird, befindet sich dicht über dem Boden, während W 2 im Innern einer großen, isoliert aufgestellten Hohlkugel K untergebracht ist. Von einer Hilfsspannungsquelle G werden fortlaufend elektrische Ladungen auf das Band durch einen Spitzenkamm S t aufgesprüht. Diese Ladungen gelangen, wenn das Band rotiert, in das Innere der Kugel K, werden dort von den Spitzen S 2 abgesaugt und verteilen sich auf der Kugeloberfläche. Das Transportband verläßt also ungeladen wieder die Kugel. Auf diese Weise ist es möglich, durch fortwährendes Hinzuführen neuer Ladungen die Elektrizitätsmenge auf der Oberfläche der Kugel so zu steigern, daß zwischen Kugel und Erde sehr hohe Spannungen auftreten. Denn wieder gilt die Gleichung Q = C • U. Bei konstanter Kapazität C steigt die Spannung U auch mit der Zunahme der Ladung Q. Derartige Bandgeneratoren lassen sich auch mit einer elektrischen Selbsterregung betreiben (Abb. 105 b). Zu diesem Zweck wird die obere Walze W 2 nicht aus Metall, sondern aus einem Isolierstoff (Glas oder Kunststoff) hergestellt. Durch Berührung des Gummibandes mit dieser sog. „Erregerrolle" und nachträgliche Trennung von derselben tritt eine Spannung auf (Band negativ, Rolle positiv). Die Hohlkugel lädt sich dadurch im Sinne der Rolle auf (in Abb. 105 positiv). Das Band läuft mit der entgegengesetzten negativen Ladung abwärts und influenziert auf dem aufwärts laufenden Band eine positive Ladung, indem negative Elektrizität über den Spitzenkamm S 1 zur Erde weggedrückt wird. Die negative Ladung des abwärtslaufenden Bandes fließt durch die metallene Spannrolle W 3 zur Erde ab. Auf diese Weise bringt das aufwärtslaufende Band fortlaufend positive Ladung in die Kugel K. Die käuflichen Bandgeneratoren, besonders für mittlere und hohe Spannungen (bis 12 MV), befinden sich in Druckkesseln. Dadurch werden die Größe und die Sprüh Verluste kleiner. Man vermeidet solche Gase, aus denen durch die
1.17 Elektrostatische Generatoren
135
Hochspannung aggressive Ionen entstehen könnten (z. B. Ozon). Meist wird reiner Wasserstoff bei einem Druck von 1 • 105 bis 3 • 105 Pascal verwendet, aber auch Stickstoff mit einem Zusatz von 25% C 0 2 . Ein käuflicher 2-MV-Generator hat eine Höhe von 2,20 m und einen Durchmesser von 0,9 m. Die Bandgeschwindigkeit beträgt 30 m/s. Die maximale Stromstärke ist 250 (iA. Allgemein läßt sich sagen, daß die Leistungsgrenze dieser elektrostatischen Generatoren bei etwa 2 kW liegt. Statt eines Bandes wird jetzt auch ein kleiner, schnell rotierender Kunststoffzylinder mit großem Erfolg verwendet. Diese Entwicklung wurde besonders von N. Felici vorangetrieben. Seine Trommelgeneratoren bestehen aus einem feststehenden Glaszylinder (Ständer), um welchen der zylindrische Läufer mit einer hohen Umlaufgeschwindigkeit rotiert (3000 Umdrehungen pro Minute). Der Abstand zwischen der äußeren Oberfläche des Glaszylinders und der inneren Oberfläche des Kunststoffzylinders beträgt nur 0,3 bis 0,5 mm (!). Auf den rotierenden Kunststoffzylinder werden Ladungen aus einem kleinen Generator gesprüht. Die Abb. 106 zeigt das Prinzip eines solchen Trommelgenerators, Teilbild a von der Seite, Teilbild b axial gesehen. Die Sprühelektroden und die Saugelektroden sind messerartige Schneiden, im Teilbild a mit Sp bezeichnet. Es gibt im Handel kleine (faustgroße) Trommelgeneratoren mit beachtlicher Leistung.
Abb. 106 Elektrostatischer Trommelgenerator, schematisch. U m einen feststehenden Glaszylinder dreht sich in geringem Abstand koaxial ein Kunststoffzylinder, auf welchen Ladungen von einem Hilfs-Generator (HG) gespritzt werden. Diese werden nach einer Viertel-Umdrehung wieder abgesaugt. Der Generator befindet sich in einem Druckkessel mit Wasserstoffüllung bei 15 • 105 Pa ( = 15 bar). Beispiel: Gesamtdurchmesser 70 cm; Länge 70 cm; 3000 Umdrehungen pro Minute; Spannungen 100 kV; 30 Watt.
In vielen älteren Sammlungen findet man die für einfache Demonstrationszwecke sehr geeignete Influenzmaschine. Der wesentliche Gedanke der sehr geistreichen Erfindung (W. Holtz, 1865; A. Töpler, 1866; James Wimshurst, 1883) ist am Gerät nicht sogleich erkennbar. Deshalb soll hier eine Beschreibung der Funktionsweise folgen. Zwei gleich große Hartgummi- oder Kunststoffscheiben sind so angeordnet, daß sie in geringem Abstand voneinander und auf der gleichen Achse sitzend
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Abb. 107
Influenzmaschine
gegenläufig rotieren. Der Antrieb erfolgt durch ein Handrad (s. Abb. 107). Auf den äußeren Flächen der beiden Scheiben sind Aluminiumstreifen geklebt. Um die Wirkungsweise besser verstehen zu können, sind die dünnen Aluminiumstreifen in der Abb. 108 durch dicke Kästen ersetzt, die auf zwei gegenläufig rotierenden Zylindern statt auf den Scheiben sitzen. Beginnen wir mit den beiden Metallstücken auf der linken Seite, die beide nur eine positive Ladung tragen. Die beiden Saugkämme nehmen die Ladung ab und führen sie zu der linken Kugel, die durch das Plus-Zeichen gekennzeichnet ist.
die im Gegensinn rotieren. Die dünnen Aluminiumfolien sind in der Zeichnung durch Kästchen dargestellt, damit das Vorzeichen der Ladung eingezeichnet werden konnte
1.18 Das elektrische Feld der Erde
137
Beide Metallstücke sind nun ganz oder fast frei von Ladungen. In der Stellung darüber erfährt das äußere Metallstück durch Influenz eine Trennung seiner Ladungen, weil das innere Metallstück von oben mit einer positiven Ladung gegenüber angekommen ist. In der Stellung darüber entfernt ein Saugkamm die positive Ladung und führt sie zu einem Saugkamm auf der gegenüberliegenden Seite, der dort die negative Influenzladung entfernt. Diese beiden Saugkämme vernichten also zwei entgegengesetzte Ladungen, weil die Saugkämme miteinander verbunden sind. Nun hat das oberste Metallstück nur noch negative Ladungen, die vom Saugkamm rechts abgenommen werden und zur negativen Kugel geführt werden. Der gleiche Vorgang spielt sich ab, wenn man mit der Betrachtung vom negativen Metallstück ganz rechts auf der Innenseite ausgeht, das gerade vom Saugkamm geleert wird. In der Stellung darüber werden wieder Influenzladungen erzeugt, diesmal von der äußeren negativ geladenen Platte, die außen von oben angekommen ist. Danach wird in der folgenden Stellung darüber auf der Innenseite die eine Ladungsart entfernt durch Ausgleich mit der positiven Ladung des Metallstücks, das auf der Innenseite gerade 180 Grad gegenüber steht. Es finden somit zweimal außen und zweimal innen Influenzwirkungen statt. Von den Kugeln rechts und links werden die Ladungen zweckmäßig einem Kondensator zugeführt (z. B. Leidener Flasche). Es lassen sich Spannungen bis zu 100 kV erzeugen.
1.18 Das elektrische Feld der Erde Es soll hier das elektrische Feld außerhalb der Erdoberfläche beschrieben werden. Wenn man bei schönem Wetter, d. h. an einem wolkenlosen Tag die elektrische Feldstärke E oberhalb des Erdbodens mißt, dann findet man auf freiem Feld eine Feldstärke von etwa 100 bis 300 Volt/Meter. Die Niveauflächen liegen horizontal, die Feldlinien verlaufen also senkrecht zur Erdoberfläche. Die tiefer liegenden Niveauflächen sind stets negativ gegenüber den höher liegenden. Als
Höhe
Abb. 109
Abnahme der Feldstärke des elektrischen Erdfeldes mit der Höhe
138
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Mittel langjähriger Beobachtungen hat man die folgenden Feldstärken in der Nähe des Erdbodens gemessen: über Land 135 V/m und über See 126 V/m. Messungen in einem Freiballon lieferten in 20 km Höhe nur noch 1/100 des am Boden gemessenen Wertes. Abb. 109 zeigt den Verlauf der Feldstärke in Abhängigkeit von der Höhe. - Wenn irgend ein Gegenstand auf der Erdoberfläche, z. B. ein Baum oder ein Haus, das elektrische Feld stört, dann verlaufen die Niveauflächen und die Feldlinien anders, z.B. wie die Abb. 110 zeigt.
Abb. 110
Deformation der Potentialflächen des elektrischen Feldes der Erde
Die Messung der Feldstärke geschieht in der Weise, daß man das Gehäuse eines Elektrometers leitend mit einem Metallstab verbindet, den man in den Erdboden gesteckt hat; oder man verbindet das Gehäuse mit einem Wasserhahn, da dieser (fast) immer Erdpotential hat. Der isolierte Pol des Elektrometers (Einfaden- oder Zweifadenelektrometers) wird mit einer Sonde verbunden (Tropfsonde oder Flammensonde, Abb. 111). Beide Sonden sind in der Lage, etwaige (Influenz-)Aufladungen abzuführen, die Tropfsonde mit fallenden Wassertropfen, die Flammensonde mit den nach oben steigenden heißen und leitenden Flammengasen. Die Erdkugel ist also von einem elektrischen Feld umgeben, dessen Niveauflächen - von Störungen unmittelbar an der Erdoberfläche abgesehen - konzentrische Kugelflächen sind. Wenn man die Feldstärke kennt, die in der Nähe der Kugeloberfläche herrscht, dann kann man die Ladung der Kugel ausrechnen. Um die Ladung der Erdkugel auszurechnen, benutzen wir die schon oft verwen-
Abb. 111 Flammensonde. Ein sehr gut isolierter Draht endet in der Flamme einer Kerze. Die aufsteigenden heißen Gase sind elektrisch leitend und entfernen vorhandene (Influenz*) Aufladungen des Drahtes. Das andere Ende des Drahtes ist mit einem Elektrometer verbunden
1.18 Das elektrische Feld der Erde
139
deten Gleichungen: elektrische Flußdichte D = e 0 • er • £"und |Z)| = Q/A. In diesem Fall ist A die Oberfläche der Erdkugel; ^4 = 5 - 1 0 1 4 m 2 . Somit ist Q = e 0 • er • • A. Die elektrische Feldkonstante e 0 = 8,854 • 10" 1 2 As/Vm. Wählen wir einen mittleren Wert für die elektrische Feldstärke nahe der Erdoberfläche, nämlich 130 V/m, dann erhält man für die elektrische Ladung der Erdkugel abgerundet 6 • 105 Ampere • Sekunde oder Coulomb. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses elektrische Feld, das die Erde umgibt, nichts zu tun hat mit dem hohen elektrischen Feld, das bei einem Gewitter entsteht, örtlich sehr begrenzt ist und zu den Entladungen (Blitzen) führt. Die Lufthülle der Erde enthält positive und negative Ionen. Dies kann man dadurch leicht feststellen, daß sich ein Elektrometer schneller entlädt als sein Isolationswiderstand zuläßt. Auch beobachtet man, daß ein Elektret mit der Zeit seine Wirksamkeit verliert, weil die Oberfläche des Elektreten an beiden Polen die jeweils entgegengesetzten Ladungen angezogen hat und dadurch die Ladungen des Elektreten kompensiert werden. Die Zahl der Ionen läßt sich messen. In der Nähe des Erdbodens sind etwa tausend Ionen in 1 cm 3 enthalten. Man beachte jedoch, daß die Gesamtzahl der Moleküle 3 • 10 19 pro cm 3 beträgt! Die Zahl der positiven Ionen ist etwas größer als die der negativen. Die positiven Ionen wandern unter der Wirkung des elektrischen Feldes zur Erde hin, also nach unten. Nach sehr kurzer Zeit müßte die negative Ladung der Erde dadurch kompensiert sein, was aber nicht der Fall ist; denn die Ladung der Erde bleibt nahezu konstant. Deshalb muß man schließen, daß auch die negativen Ladungen zur Erde strömen. Die Ionenzahl nimmt mit der Höhe schnell zu: in 10 km Höhe beträgt sie das 30-fache; in 100 km Höhe beginnt eine Schicht von sehr starker Ionisation, die bis zu 300 km Höhe hinaufreicht (Ionosphäre). Es stellt sich also die Frage, welche Kräfte verursachen, daß ein negativer Ladungsstrom entgegen dem elektrischen Feld der Erde zur Erde hinabströmt. Hierzu muß kurz erklärt werden, daß von der Sonne nicht nur das sichtbare Licht und energiereiche ultraviolette sowie Röntgenstrahlung, also elektromagnetische Wellen ausgestrahlt werden, sondern daß auch sehr energiereiche Protonen ( = Wasserstoffkerne) und Elektronen die Sonne verlassen. Dieser Sonnenwind umströmt die Erde mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 km/s und wird vom Magnetfeld der Erde stark beeinflußt. Er verursacht z. B. das Polarlicht (Nordlicht). Ein geringer Teil mag bis zur Erdoberfläche gelangen und die negative Aufladung der Erde verursachen. Genaueres über diese Vertikalströmung ist jedoch noch nicht bekannt. Ein Teil des Ionengehaltes der Luft nahe der Erdoberfläche ist auf den Gehalt der Erdkruste an radioaktiven Substanzen zurückzuführen. Auch das Baumaterial der Häuser ist nicht frei von radioaktiven Elementen, die bei ihrem Zerfall energiereiche Strahlung aussenden und dadurch Ionen erzeugen. In Gebieten, in denen die Erdoberfläche reich an radioaktivem Material ist (z.B. Urangestein), ist auch der Ionengehalt der Luft größer.
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Entstehung der hohen Feldstärke bei Gewittern. Bei der folgenden Betrachtung wird zunächst von solchen Gewittern abgesehen, die bei Vulkanausbrüchen auftreten. Auch Wintergewitter, Hochgebirgsgewitter und Staubgewitter sollen zunächst ausgeschieden sein. Die Voraussetzung für das Entstehen eines Gewitters ist das Vorhandensein wenigstens einer Wolke (es gibt kein Gewitter am blauen Himmel). Während am wolkenlosen Himmel die elektrische Feldstärke im Mittel 130 V/m in der Nähe des Erdbodens beträgt, ändert sich dieser Wert noch nicht, wenn sich eine Gewitterwolke in einer Entfernung von etwa 20 km befindet. Aber bei einer Annäherung auf etwa 7 km steigt die elektrische Feldstärke in Bodennähe schon auf 5000 V/m; und beim Durchzug der Wolke steigt der Wert auf 20.000 V/m und darüber. Aus größerer Entfernung kann man eine Gewitterwolke an der hohen, pilzartigen Form erkennen. Jeder Flugzeugpilot weiß, daß man eine Gewitterwolke besser umfliegt als daß man versucht, über sie hinweg zu fliegen. Die vertikalen Luftbewegungen in der Wolke sind gewaltig, auch dann, wenn das Gewitter noch nicht begonnen hat. Im Zentrum befindet sich ein schmaler Schlauch von aufsteigender Luft hoher Geschwindigkeit (unten 5 m/s; oben bis zu 40 m/s), während ringsherum die Luft kräftig abwärts strömt. Flugzeugpassagiere erleben beim Flug durch eine Gewitterwolke sowohl ein starkes, plötzliches Fallen, um 100 m und mehr, als auch danach ein kräftiges Steigen, falls der Flug durch das Zentrum erfolgt. Die feuchtwarme Luft, die in dem 8 bis 10 km hohen Schlot emporsteigt, kühlt sich zunehmend ab, und zwar so stark, daß oben die Wassertröpfchen der Wolke zu größeren Graupel- und Hagelkörnern und der Wasserdampf der Luft zu Eiskriställchen geworden sind. Oben fließt der Strom radial auseinander; die Graupel- und Hagelkörner fallen mit dem abwärts gerichteten Luftstrom nach unten, erwärmen sich und sind meist zu dicken Wassertropfen geschmolzen, wenn sie den Erdboden erreicht haben. Der starke gegenläufige Aufwärts- und Abwärtsstrom mit wachsenden festen bzw. schmelzenden Teilchen scheint wesentlich für die Trennung der Ladungen und Ansammlungen der positiven im oberen Teil der Wolke und der negativen im unteren Teil bzw. auf der Erdoberfläche zu sein. Doch möchten wir gern mehr und vor allem Genaueres über die Trennung der Ladungen und ihre Ansammlung wissen. Obgleich die Gewitter schon immer einen großen Eindruck auf die Menschen machten und obgleich wegen der großen Zahl (durchschnittlich auf der Erde 40.000 Gewitter pro Tag!) es an Beobachtungen und an theoretischen Überlegungen nicht gefehlt hat, gibt es bis heute keine Erklärung oder Theorie über die Entstehung und Ansammlung der Ladungen, die voll zufriedenstellend ist. Wir beschränken uns daher auf die Tatsachen und deuten eine der vielen Erklärungen nur kurz an. Man beobachtet leicht, daß ein großer Teil (ca. 4/5) der Blitze nicht zwischen einer Wolke und der Erdoberfläche, sondern innerhalb einer Wolke vertikal und horizontal und auch zwischen zwei Wolken stattfindet. Offensichtlich gibt es hohe elektrische Felder zwischen dem oberen Teil einer Wolke und dem unteren
1.18 Das elektrische Feld der Erde
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Teil einer benachbarten oder der gleichen Wolke. Oben wurde schon erwähnt, daß die Zahl der Ionen - auch an einem wolkenlosen Tag - mit der Höhe ansteigt und in 10 km Höhe etwa den 30fachen Wert hat gegenüber dem Wert in der Nähe der Erdoberfläche. Auch wurde erwähnt, daß die Zahl der positiven Ladungen größer ist als die der negativen. Nun ist bekannt, daß Wasser und Eis eine größere Neigung haben, negative Ladungen an sich zu binden als positive anzuziehen. In dem Schlot der Wolke mit dem aufsteigenden Luftstrom bilden sich zunehmend die Eiskristalle, und es tritt zunehmend eine Kondensation von Wassertröpfchen oder Eis-(Reif-)Kriställchen ein. In dem absteigenden Luftstrom hingegen ist bereits zu Beginn der Gehalt an Hagelkörnern und Eisstückchen groß. Wenn es also richtig ist, daß Wasser und Eis eine größere Affinität zu negativen Ladungen haben, dann muß der Abwärtsstrom mehr negative Ladungen nach unten bringen, wodurch der obere Teil der Wolke zunehmend positiv wird. Vielleicht kann man so die Entstehung der hohen Feldstärke verstehen. Doch sei wiederholt, daß es nur der Versuch einer Erklärung ist. Oben wurden Gewitter bei Vulkanausbrüchen und bei Sandstürmen usw. ausgeschlossen. Denn die vorstehende Erklärung kann auf diese überhaupt nicht zutreffen. Bei Vulkanausbrüchen werden heiße Lavastücke, große und kleine, nach oben geschleudert. Sie kommen wesentlich kühler auf die Erde zurück. Offenbar kann der kalte Staub mehr negative Ladungen nach unten bringen als der heiße Staub Ladungen nach oben bringen kann. So entsteht auch hier eine Anreicherung von positiver Ladung in hohen Luftschichten über dem Vulkan und eine Anreicherung von negativer Ladung in unteren Luftschichten oder auf der Erdoberfläche. Aber auch diese Erklärung ist nur eine Annahme. Über das Auftreten sehr hoher Feldstärke bei einem Sandsturm oben auf der Cheops-Pyramide bei Kairo berichtete Werner Siemens um 1860 in Poggendorffs Annalen der Physik. Während des Aufstiegs begann und verstärkte sich der Sandsturm. Es war ein „außergewöhnlich kalter Wüstenwind, der von einer eigentümlichen, rötlichen Färbung des Horizonts begleitet war". Siemens beobachtete auf der Spitze mehrere Erscheinungen, die den Verdacht aufkommen ließen, daß es sich um elektrische Aufladungen handeln müsse. So spürte er im Finger eine prickelnde Empfindung und er erhielt einen gelinden elektrischen Schlag, als er aus einer Weinflasche trank. Er umwickelte die Weinflasche mit einem nassen Tuch und verband den metallenen Kopf der Flasche mit dem Innern, um eine Leidener Flasche auf diese einfache Art herzustellen. Durch einfaches Hochhalten der Flasche mit der Hand konnte er sie aufladen, so daß er Funken von etwa 1 cm Länge daraus ziehen konnte. Die Feldstärke auf der Spitze der Pyramide ist also ungewöhnlich groß gewesen. Zwei Ursachen dürften genannt sein: einmal tritt bei Häusern, Bäumen, und anderen Erhebungen eine Verdichtung der Niveaulinien, bzw. -flächen ein, wie dies in der Abb. 110 angedeutet ist. Der Sandsturm aber hat dazu für eine kräftige, negative Aufladung der Pyramide gesorgt, indem die Sandkörner, durch den Wind von der Erde abgehoben, gegen die Pyramide geflogen sind. Dabei haben offenbar die Sandkörner
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
ihre negative Ladung, die sie von der Erde her mitbrachten, an die Pyramide abgegeben. Wenn die Feldstärke so groß geworden ist, daß die Ladungsträger infolge der Anziehung bzw. Abstoßung eine große Energie erhalten, so daß sie durch Stoß neue Ladungsträger bilden können, dann setzt lawinenartig eine Funkenbildung ein; d. h. ein Blitz entsteht. Die vielen, schnell gebildeten Ladungsträger haben einen leitenden Kanal für den Blitz geschaffen. Beim Gewitter treten Spannungen von vielen Millionen Volt und Ströme von 10.000 bis 20.000 Ampere auf. Mit Hilfe ultraschneller Filmaufnahmen hat man gefunden, daß etwa die Hälfte aller Blitze aus zwei oder mehr (bis zu 20) rasch aufeinander folgenden Teilblitzen besteht. Nach der ersten Entladung fließen sofort oben positive und unten negative Ladungen aus der Umgebung nach. Der folgende Blitz benutzt den dann noch vorhandenen leitfahigen Kanal. Zur Schadensverhütung bei Gewittern werden „Blitzableiter" auf den Gebäuden angebracht (Erfinder: Benjamin Franklin um 1750). Ihre Wirkung besteht mehr darin, das Auftreten eines Blitzes zu verhindern als ihn abzuleiten. Denn von den Spitzen, die auf den Gebäuden angebracht sind, fließen negative Ladungen ab und verschieben somit die Potentialflächen nach oben. Wenn dann wirklich eine Entladung über dem Gebäude entsteht, dann tritt sie überwiegend zwischen den höher gelegenen negativen Ladungen und den hoch oben liegenden positiven Ladungen auf. Der Blitz ist durch den Blitzableiter gewissermaßen vom Haus weg nach oben verschoben worden. Die elektrischen Freileitungen auf dem Lande (Hochspannungs-, Starkstromleitungen) haben über den stromführenden Metallseilen eine geerdete Leitung (Erdseil). Diese ist nicht nur der „Null-Leiter", sondern sie dient zugleich als Blitzschutz. Wenn sich eine Gewitterwolke über den Freileitungen befindet, dann ist die elektrische Feldstärke unterhalb der geerdeten Leitung wesentlich herabgesetzt, weil die Feldlinien von der positiven Ladung der Wolke überwiegend zum höher gelegenen Erdseil verlaufen. Wenn aber trotzdem eine gefährliche Überspannung in einer stromführenden Leitung (auch Telephonleitung) vorhanden ist, die kurzzeitig durch einen fernen oder nahen Blitz entstanden ist, bei Starkstromleitungen auch durch einen Schaltvorgang, der eine „Wanderwelle" auslösen kann, dann muß diese Spannungsspitze möglichst sofort vernichtet werden. Anderenfalls können Transformatoren und elektrische Geräte, vor allem sehr empfindliche elektronische Geräte, großen Schaden erleiden. Schon Werner Siemens baute um 1850 zur Verhütung größerer Schäden Überspannungsabieiter ein. Es waren zwei Platten, die sich sehr dicht gegenüber standen (Abstand etwa 1 mm). Wenn die Überspannung einen unzulässig hohen Wert erreichte, sprangen Entladungsfunken von einer Platte zur anderen über. Denn die eine Platte war mit dem stromführenden Leiter, die andere Platte mit der Erde verbunden. Heute werden durchweg kleine, spannungsabhängige Widerstände (sogenannte Varistoren) verwendet. Praktisch jedes empfindliche elektrische Gerät
1.18 Das elektrische Feld der Erde
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enthält einen Varistor. Sie bestehen aus feinkörnigem Siliciumcarbid (SiC) oder Zinkoxid (ZnO) oder Oxiden einiger anderer Metalle mit gewissen Zusätzen. Die Substanz wird mit einem keramischen Binder zu Scheiben oder Stäben gepreßt und nach dem Trocknen bei hoher Temperatur gesintert. Dann erhalten sie Kontaktflächen aus Kupfer oder Zink. Bei normaler Spannung haben die Varistoren einen sehr geringen Leckstrom. Übersteigt aber die Spannung einen bestimmten Wert, der für jede Type verschieden und daher frei wählbar ist, dann wird der Strom über den Varistor zur Erde geführt und das Gerät bleibt verschont. Der Varistor kann also in sehr kurzer Zeit seinen elektrischen Widerstand erheblich verkleinern, sofern eine Mindestspannung erreicht ist. Der noch größere Vorteil ist aber, daß ein Varistor innerhalb von wenigen Mikrosekunden schon wieder bereit ist, die nächste Spannungsspitze abzuleiten. Der Kugelblitz. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen über den Kugelblitz, auch in wissenschaftlichen Zeitschriften (Naturwissenschaften 38, 515, 1951; Umschau 82, 249, 1982). Ein Preisausschreiben des „Deutschen Ausschusses für Blitzableiter" führte zur Einsendung von fünfzig Kugelblitzaufnahmen. Von der Meßstation auf dem San Salvatore sind allein in den Jahren von 1963 bis 1971 über tausend photographische Aufnahmen von Blitzen gemacht worden. Strenge Nachprüfungen haben ergeben, daß Beobachtungen von Kugelblitzen Täuschungen waren, und daß sehr häufig feste Lichtpunkte bei bewegter Kamera photographiert werden. Denn bei der Dunkelheit kann die Kamera längere Zeit belichten, also geöffnet sein, und ein normaler Blitz ist so kurzzeitig, daß er auch bei bewegter Kamera ein sehr scharfes Bild liefert, während ein dauernd leuchtender Punkt bei länger geöffneter und bewegter Kamera eine Zickzackkurve gibt. Zusammenfassend sei gesagt, daß bis heute keine photographische Aufnahme von einem Kugelblitz existiert und daß bei sehr vielen Beobachtungen nachgewiesen werden konnte, daß der vermeintliche Kugelblitz eine Täuschung war. Bedenkt man, daß es an jedem Tag etwa 40.000 Gewitter, bzw. daß es im Durchschnitt in jeder Sekunde 100 Blitze auf der Erde gibt, und daß bis jetzt kein Kugelblitz mit Sicherheit beobachtet oder photographiert wurde, dann ist die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß es den Kugelblitz mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht gibt. Hat die Feldstärke oder der Ionengehalt der Luft Einfluß auf das Wohlbefinden des Menschen? Diese Frage ist oft gestellt worden und man könnte vermuten, daß ein Einfluß vorhanden ist, weil sowohl die elektrische Feldstärke um den Mittelwert von 130 V/m sehr schwankt als auch der Ionengehalt sich ändert. Bis jetzt ist beim Menschen kein Einfluß mit Sicherheit nachgewiesen worden. Dagegen scheinen Experimente bestätigt zu haben, daß bei weißen Mäusen das Essen, Trinken und Spielen bevorzugt in einem Raum mit höherer Feldstärke (3.500 V/m) stattfindet und das Schlafen lieber in einem Raum mit normaler Feldstärke
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
(130 V/m) oder auch in einem Faraday-Käfig, also in einem abgeschirmten Raum der Feldstärke Null. Auch ein höherer Ionengehalt der Luft (102- bis 103-mal höher als der normale Gehalt) scheint bei Tieren einen größeren Einfluß zu haben als beim Menschen. Tiere scheinen allgemein auch empfindlicher gegen Spannungen und Ströme als der Mensch zu sein. Der elektrische Zaun, der Weideflächen umgibt, erhält kurzzeitige Spannungsspitzen aus einer Selbstinduktionsspule. Diese sind für den Menschen offenbar weniger unangenehm als für die Kühe. - Dagegen ist ein elektrischer Schlag von einem elektrischen Fisch (Zitteraal, Zitterwels, Zitterrochen) weit unangenehmer. Diese Fische erzeugen in ihrem Muskelgewebe Spannungsstöße bis zu 800 Volt bei erstaunlicher Leistung, entweder zu ihrer Verteidigung oder zum Beutefang. In der modernen Küsten-See-Fischerei werden in der Nähe des Meeresbodens kurze Spannungsimpulse erzeugt. Diese scheuchen die Seezungen hoch, die dann ins Netz gehen (Elektrofischerei). Wegen der guten elektrischen Leitfähigkeit des Salzwassers ist dabei der Stromverbrauch beträchtlich.
1.19 Die Beseitigung elektrostatischer Aufladungen Wirkungen kleiner elektrostatischer Aufladungen werden täglich beobachtet: Die Abstoßung und Anziehung der Haare beim Kämmen; das „Kleben" verschiedener Kleidungsstücke aneinander; der Staub auf einer Schallplatte nach dem Abwischen mit einem trockenen Tuch; der elektrische Schlag beim Anfassen der Autotür von außen nach dem Aussteigen, usw. Nach der Verbreitung der Kunststoffe ist die Zahl solcher Beobachtungen erheblich angestiegen, weil die Kunststoffe sehr gut isolieren und dadurch einen Ausgleich der elektrischen Ladungen verhindern. Die Ursache ist stets die gleiche: Bei der Berührung zweier Stoffe mit unterschiedlicher Austrittsarbeit für Elektronen treten Elektronen von dem Stoff mit der kleineren Austrittsarbeit zu dem anderen Stoff über. Diesen Vorgang kann man nicht vermeiden. Man kann nur dafür sorgen, die Ladungen wieder zusammen zu bringen, z.B. durch stark ionisierte, also leitfähige Luft, oder durch Ableitung zur Erde. Beides geschieht, wenn auch oft auf Umwegen. So werden Kunststoffteppiche mit eingewebten Metalldrähten verkauft. Autoreifen erhalten etwas Leitfähigkeit durch Beimengung von Graphit. Schallplatten werden mit einem Tuch abgewischt, das einen hauchdünnen Flüssigkeitsfilm auf der Schallplatte hinterläßt, der leitfahig ist und somit die Ladungen entfernt, die knackende Geräusche im Lautsprecher geben würden. In einer Wasserhaut sind Spuren von Salzen gelöst. Die Leitfähigkeit ist meistens ausreichend, um die Ladungen abzuführen. Will man Versuche auf dem Gebiet der Elektrostatik machen, dann gelingen diese gar nicht oder schlecht in feuchter Luft. In den
1.19 Die Beseitigung elektrostatischer Aufladungen
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geheizten Räumen während des Winters ist die Luft relativ trocken; im Sommer gelingen Versuche nur an besonders trockenen Tagen. Sehr gefährlich kann es werden, wenn sich elektrische Aufladungen ansammeln können. Die Spannung, die entstehen kann, ist durch die Abstandsvergrößerung der beiden Ladungen gegeben; sie kann nicht größer werden, als dem Verhältnis des Abstandes der Ladungen zwischen Endzustand und Anfangszustand entspricht. Aber die Ladungen addieren sich, wenn sie sich z. B. auf einem kugelförmigen Gebilde ansammeln. Wenn z. B. in einer Fabrik Papier von einer dicken Rolle abläuft, dabei aufgeladen wird und das Papierband diese Ladungen nacheinander zu einer anderen Rolle bringt, die nicht leitend mit der ersten verbunden ist, dann kann es zu gefahrlichen Ladungsansammlungen kommen. Ein kleiner Entladungsfunke braucht nur eine Energie von 0,1 Ws zu haben, um ein Luft-Staub-Gemisch zu einer Explosion zu bringen. Um dies zu vermeiden, sollten alle Metallteile geerdet, d. h. miteinander verbunden sein, damit die getrennten Ladungen zurückfließen können. Darüberhinaus sollte man dorthin, wo die erste Ladungstrennung erfolgt, Ionen blasen, um die Luft leitfähig zu machen. Schließlich sollte stets ein bestimmter Feuchtigkeitsgehalt vorhanden sein. Es hat sehr viele Unglücksfälle infolge der Ansammlung elektrostatischer Aufladungen gegeben. Einer der Gründe für die Zunahme von Explosionen ist die Steigerung der Geschwindigkeit der Vorgänge, z. B. die Geschwindigkeit von Transportbändern kann so groß werden, daß für den Ausgleich von Ladungen nicht mehr genügend Zeit vorhanden ist. Das Füllen von großen Kraftstoffbehältern in Ölraffinerien oder von Flugzeugtanks geschieht mit wachsender Geschwindigkeit. Hier sind zwar die Schlauchleitungen im Innern mit geerdeten Drahtgeweben versehen und alle miteinander verbunden. Es ist aber schon zu Katastrophen gekommen, die vielleicht hätten vermieden werden können, wenn neben einer gut funktionierenden Kontrolle der Erdleitungen die Geschwindigkeit der brennbaren Flüssigkeit begrenzt worden wäre. Eben wurde erwähnt, daß es zweckmäßig sei, Ionen an die Stelle zu blasen, wo die Ladungstrennung erfolgt, damit die Ladungstrennung sofort wieder verschwindet. Es muß kurz noch die Funktion eines solchen Gerätes beschrieben werden, das in der Lage ist, ionisierte Luftmoleküle zu erzeugen. Es gibt zwei Möglichkeiten: die eine ist die Erzeugung eines elektrischen „ Windes" durch Anlegung einer hohen Spannung an Spitzen. Man betrachte hierzu die Abb. 14 und 15 am Anfang dieses Kapitels. Zum Beispiel sei an eine kammförmige Anordnung feiner Spitzen eine hohe, negative Spannung gelegt. Dann bläst von diesen Spitzen ein „elektrischer Wind", der dadurch entsteht, daß Elektronen infolge der hohen Feldstärke die Spitzen verlassen und sich an Moleküle der Luft anlagern. Die ionisierten Luftmoleküle folgen dem elektrischen Feld und entfernen sich von der Spitze. Sie erzeugen so einen schwachen Wind, der durch einen Ventilator verstärkt werden kann. Die zweite Möglichkeit besteht in der Erzeugung von Ionen in einer elektrischen Funkenentladung. Die gebildeten Ionen werden durch einen Ventilator an die gewünschte Stelle geblasen.
146
1 Elektrostatik, das elektrische Feld
Oben wurde erwähnt, daß dünne Wasserhäute stets eine geringe Leitfähigkeit besitzen und daher in der Lage sind, Ladungen abzuleiten. Es gibt Stoffe (z. B. Glas), an denen Wasserhäute sehr fest haften. Die Moleküle an der Oberfläche dieser Stoffe haben „hydrophile" Enden, die eine Neigung haben, Wassermoleküle an sich zu binden. Andere Stoffe dagegen (z. B. Paraffin) lassen sich nicht mit Wasser benetzen; sie haben „hydrophobe" Molekülenden an der Oberfläche. Wenn es gelänge, z. B. Textilfasern an der Oberfläche mit hydrophilen Molekülenden, mit dünnen hydrophilen Schichten zu versehen, so daß die Fasern mit einer hauchdünnen Wasserhaut bedeckt wären, dann würden die Fasern beim Spinnen nicht mehr auseinander spreizen und den Fabrikationsgang stören; Kleider würden nicht mehr aneinander „kleben" usw. Forschungsarbeiten in dieser Richtung sind erfolgversprechend. Die Mannigfaltigkeit von elektrostatischen Störungen ist sehr groß, aber auch ebenso groß die Vielfalt der Entladegeräte im Handel. Es gibt Ionen-Sprühstäbe, Ionen-Sprühpistolen, Ionen-Sprühdüsen, usw. Viele Fabrikationsverfahren sind ohne Beseitigung von elektrostatischen Aufladungen überhaupt nicht möglich. Wer jemals versucht hat, Staub von seinem Film zu entfernen, weiß, wie schwer dies ohne Beseitigung der elektrischen Aufladung zu machen ist. Bei Filmkopiermaschinen geschieht dies selbstverständlich durch Beseitigung der elektrischen Aufladung. Schließlich soll noch auf eine Möglichkeit hingewiesen werden, die Ausbreitung oder Bewegung von elektrisch geladenen Staubteilchen usw. zu verhindern. Dabei handelt es sich nicht um die Vernichtung von Ladungen, sondern die geladenen Teilchen können eine bestimmte Grenze nicht passieren. Eine solche Anordnung wird auch elektrischer Vorhang genannt (S. Masuda, Tokyo). Er besteht aus einer Reihe vertikal aufgestellter Stäbe; zwischen zwei benachbarten Stäben liegt eine Wechselspannung. Jeder 1., 3., 5., 7. Stab usw. liegt an einem Pol, jeder 2.,4., 6., 8. Stab usw. am anderen Pol der Wechselspannung. Geladene Partikel, welche in der Luft schweben, können diese Barriere von Stäben nicht durchdringen. Sie werden im elektrischen Wechselfeld, das zwischen den Stäben herrscht, festgehalten und schweben dort in der Luft hin und her, solange das Wechselfeld eingeschaltet ist.
1.20 Anwendungen elektrostatischer Aufladungen In Abschnitt 1.17, bei der Behandlung der großen Maschinen, die einige Millionen Volt erzeugen können, wurde schon angedeutet, daß die hohe Spannung dazu dient, Elektronen, Protonen ( = Wasserstoffkerne) und schwerere Atomkerne zu beschleunigen. Durch Zusammenstoß mit anderen Atomkernen sollen Kerne zertrümmert und Bestandteile herausgeschlagen werden, wie z. B. Neutronen. Die großen Generatoren, die eine Spannung von 1 MV und mehr erzeugen können, werden also für Versuche in der Kernphysik verwendet.
1.20 Anwendungen elektrostatischer Aufladungen
147
Ein anderes sehr wichtiges Anwendungsgebiet, bei welchem eine weniger hohe Spannung, aber größere Ströme verwendet werden, ist die Abscheidung kleiner geladener Teilchen von Staub oder Pulvern. So sind die elektrostatische Abscheidung von Rauchteilchen in Schornsteinen und die elektrische Entstaubung seit langem bekannt und werden angewendet. Die Staub- oder Rauchteilchen werden mit elektrischen Ladungen besprüht und wandern aus dem Gasstrom heraus zu einer Elektrode eines elektrischen Feldes. Dort geben sie ihre Ladung ab, bilden eine ziemlich feste Schicht und werden entfernt bzw. fallen herunter. Ein neues, sehr wichtiges Anwendungsgebiet ist die elektrostatische Trennung von Salzmischungen. In der Kalisalz-Industrie wurden bisher die Salze Kaliumchlorid, Magnesiumsulfat und Natriumchlorid ( = Kochsalz), die als Gemisch im Bergbau gewonnen werden, durch Lösen in Wasser, Verdampfen und Kristallisieren von einander getrennt. Auf Grund systematischer Forschungsarbeit über die Kontaktspannung dieser Salze mit Oberflächenbedeckung durch andere Stoffe von molekularer Dicke und nach technischer Entwicklung des Verfahrens konnte erreicht werden, daß jetzt rund 1000 Tonnen Rohsalz pro Stunde auf elektrostatischem Wege in die drei Anteile zerlegt werden. Hier eine kurze Beschreibung des interessanten Vorgangs: Das gemahlene, feinkörnige, trockene Salzgemenge fällt durch einen Plattenkondensator mit vertikal stehenden Platten, an denen eine Spannung von 120.000 Volt liegt. Die Fallstrecke beträgt 2 Meter. Infolge der Kontaktspannung sind die NaCl-Kristalle negativ, die KCl- und die MgS0 4 -Kristalle positiv geladen. Beim zweiten, ebenfalls trockenen Durchgang werden an einer Elektrode MgS0 4 - und an der anderen Elektrode KCl-Kristalle, mit anderen restlichen Salzen, abgeschieden. Diese werden dann in einem nassen Verfahren abgetrennt. Ganz wesentlich ist die Trockenheit der Räume, in denen dies geschieht. Bekanntlich sind diese Salze hygroskopisch; sie überziehen sich schnell mit einer Wasserhaut. So wurde gefunden, daß eine Trennung von NaCl einerseits und MgS0 4 und KCl andererseits nur bei einer relativen Luftfeuchte von 15% mit Erfolg stattfinden kann. Die Trennung von KCl und MgS0 4 kann nur in extrem trockener Luft stattfinden, nämlich bei einer Luftfeuchte unter 5%. Die Trennung im elektrischen Feld ist nur möglich, weil die einzelnen Kriställchen elektrisch geladen sind. Der Grund für diese Aufladung ist die Kontaktspannung oder Voltaspannung. (s. Abschnitt 1.14). Berühren sich die Oberflächen eines NaCl-Kristalls und eines KCl-Kristalls, dann treten Elektronen vom KC1Kristall zum NaCl-Kristall über. Nach der Trennung der Kristalle sind beide geladen. Es ist leicht einzusehen, daß dieser Elektronenübertritt durch eine dünne Wasserschicht auf dem Kristall gehemmt oder erschwert wird. Deshalb die Forderung nach extremer Trockenheit. Andererseits kann eine Bedeckung einer Oberfläche die Elektronenaustrittsarbeit herabsetzen, wie ebenfalls in Abschnitt 1.14 geschildert wird. Dort wird beschrieben, daß z.B. Wolfram eine ziemlich hohe Elektronenaustrittsarbeit hat, die durch eine einatomare Sauerstoffschicht noch erhöht wird. Wird diese dann aber mit einer sehr dünnen Ba-
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1 Elektrostatik, das elektrische Feld
riumschicht bedeckt, dann sinkt die Elektronenaustrittsarbeit auf einen sehr kleinen Wert. Das heißt, der Elektronenaustritt aus Wolfram ist durch die Bedekkung mit Sauerstoff und Barium sehr viel leichter geworden. Es ist noch nachzutragen, daß es störend ist, daß sich die beiden Elektrodenplatten des Kondensators mit Staub bedecken, der ebenfalls mit seiner Ladung angezogen wird. Deshalb hat man in dem beschriebenen technischen Verfahren die Platten des Kondensators durch senkrecht stehende Röhren ersetzt, die sich ständig drehen und bei denen auf der Hinterseite der Staub abgewischt wird. An Stelle einer Kondensatorplatte gibt es z.B. 6 sich drehende Röhren, die dicht nebeneinander stehen. Als nächste technische Anwendung sei das elektrische Farbspritzverfahren genannt. Verlassen die Farbstoffteilchen eine Spritzpistole in elektrisch geladenem Zustand und mit geringer Geschwindigkeit, dann folgen sie einem elektrischen Feld, z.B. zwischen der Spritzpistole und einem metallischen Gitter, das mit Farbe versehen werden soll. Da die elektrischen Feldlinien aber auch (im Bogen) die Rückseite des Gitters erreichen, gelangen die Farbteilchen auch auf die Rückseite. Dies ist bei Anwendung von Druckluft nicht der Fall. Hierbei fliegen die Farbteilchen stets und nur geradeaus.
Ganz ähnlich ist das Elektrosprühverfahren. Der Zweck ist, eine gleichmäßige dünne Schicht zu erzeugen. Meist geschieht dies durch Aufdampfen; aber nicht alle Substanzen lassen sich (leicht) verdampfen. In solchem Fall zieht man das Elektrosprühverfahren vor. Abb. 112 zeigt das Prinzip. In einem Glaskolben mit ausgezogener Spitze befindet sich eine Flüssigkeit, in welcher die sehr kleinen Partikel entweder aufgeschwemmt oder sogar gelöst sind. Die Austrittsmenge kann durch eine Nadel geregelt werden. Durch das hohe elektrische Feld wird die Oberflächenspannung verkleinert. Dadurch ist die Tropfengröße sehr verkleinert. Es treten also sehr viele und sehr kleine Tropfen aus und der Abstand zwischen der Öffnung und der Platte soll so groß gewählt werden, daß die Flüssigkeit unterwegs verdampft. Die Teilchen - oder im Fall einer gelösten Substanz,
1.20 Anwendungen elektrostatischer Aufladungen
149
die Kriställchen - geben auf der Platte ihre Ladung ab und sitzen sehr fest. Da die Teilchen alle die gleiche Ladung haben, stoßen sie sich ab; das heißt, es kann keine Klumpenbildung auftreten. Eine sehr wichtige Anwendung elektrostatischer Aufladungen ist die Elektrophotographie. Sie wird ausschließlich für Kopiergeräte verwendet. Die ersten erfolgreichen Photokopiergeräte sind von der Firma Xerox entwickelt worden. Das Prinzip ist kurz folgendes: Eine dünne Schicht von amorphem Selen befindet sich auf einer geerdeten Aluminiumplatte. Die Selen-Schicht wird zunächst gleichmäßig mit positiven Ladungen besprüht und danach belichtet. (Das zu kopierende Blatt Papier wird mittels eines Objektivs auf der Selenschicht abgebildet.) Dort, wo die Selen-Schicht hell belichtet wird, wo also das Papier weiß bleiben soll, wird das Selen leitfahig. Die aufgesprühten Ladungen verschwinden während der Belichtung. Aber dort, wo schwarze Buchstaben abgebildet sind, behält das Selen seine Isolationsfähigkeit und damit auch seine Ladung. Anschließend werden negativ geladene Farbstoffteilchen auf die Selenplatte gebracht. Sie bleiben an den Stellen haften, wo sich positive Ladungen befinden. Schließlich wird ein Blatt Papier auf die Selenplatte gelegt, welches auf der Rückseite positive Ladungen trägt. Dadurch werden die negativ geladenen Farbstoffteilchen auf der Selenplatte an das Papier gezogen. Das Papier mit den Farbstoffteilchen wird abgenommen; durch Wärmestrahlung wird der Farbstoff auf dem Papier fixiert und die Ladungen werden vernichtet. (Diese vereinfachte Darstellung verzichtet auf mehrere technisch wichtige und interessante Besonderheiten.)
2 Der elektrische Strom
2.1 Begriff des elektrischen Stroms, Stromstärke, Stromdichte Werden die Platten eines elektrischen Kondensators mit einem Metalldraht verbunden, dann bricht das elektrische Feld sofort zusammen. Das sieht man leicht am Ausschlag eines Elektrometers. Die Ladungen sind durch den Metalldraht von einer Platte zur anderen gewandert oder geströmt. Sie haben einen elektrischen Strom gebildet. Da die positiven Ladungen an die Atome, also an die Materie gebunden sind, und da man nicht beobachtet, daß beim elektrischen Strom im Metalldraht Materie wandert, muß man den Schluß ziehen, daß beim elektrischen Strom in einem Metalldraht nur die praktisch materielosen Elektronen von der negativen Platte zur positiven Platte wandern oder strömen: • Der elektrische Strom in Metallen besteht aus negativen Elektronen. Würden auch positive Materieteilchen am Strom beteiligt sein, dann würde man z. B. beobachten, daß bei einem elektrischen Strom von einer Zinkplatte über einen Kupferdraht zu einer Silberplatte Zinkatome in den Kupferdraht hinein wandern und Kupferatome in die Silberplatte, sofern die Zinkplatte positiv und die Silberplatte negativ war. In einer positiv geladenen Kondensatorplatte fehlen einige Elektronen. Allein durch das Fehlen der Elektronen ist die Neutralität gestört und die Platte ist positiv geladen. Ein Kupferatom hat 29 Elektronen und somit 29 positive Elementarladungen im Kern. Ein Silberatom hat 47 Elektronen und 47 positive Elementarladungen im Atomkern. Beide Metalle sind sehr gute Leiter der Elektrizität. Trotzdem gibt jedes Atom des Silbers und jedes Atom des Kupfers im Mittel nur etwa ein Elektron frei, das für den Stromtransport verwendet wird. Das Metall Bismut hat 83 Elektronen im Atom und somit 83 positive Elementarladungen im Kern. Das Bismut ist ein schlechter Leiter der Elektrizität, weil es sehr wenige Elektronen für den elektrischen Strom freigibt: Eintausend Atome geben im Mittel nur ein Elektron für die elektrische Leitung frei. • Die eben gemachten Ausführungen beziehen sich auf Metalle. In diesen besteht der elektrische Strom ausschließlich aus Elektronen. Das ist in Flüssigkeiten anders. In Salzlösungen gibt es positiv und negativ geladene Atome, die Ionen genannt werden und die den elektrischen Strom bilden. - In Gasen und im
152
2 Der elektrische Strom
Vakuum gibt es außer freien positiven und negativen Ionen auch freie Elektronen, die einen elektrischen Strom bilden können oder am Strom beteiligt sind. Die Entladung eines Kondensators muß nicht durch einen Metalldraht geschehen. Man kann auch mit der Hand die Elektronen von der negativen zur positiven Kondensatorplatte tragen, indem man ein Stück Metall an einem Kunststoffgriff hält und es durch Berührung mit der negativen Platte auflädt, danach die Ladungen an der positiven Platte abstreift. Das kann man wiederholen und somit portionsweise den Kondensator entladen, wie man an einem Elektrometer leicht feststellen kann. Wählt man ein sehr empfindliches Elektrometer und nimmt man ein größeres Stück Metall, z. B. eine Kugel an einem Kunststoffstab, dann kann man sehen, daß während des Transportes der Kugel von der negativen zur positiven Kondensatorplatte die Spannung am Kondensator sinkt; es fließt also ein elektrischer Strom, während die Kugel mit den Ladungen bewegt wird. Der Abfall der Ladung des Kondensators, sichtbar am Elektrometer, hört sofort auf, sobald man die Bewegung unterbricht, indem man irgendwo unterwegs zwischen den Kondensatorplatten die Kugel ruhen läßt. Bewegt man die Kugel rückwärts, dann lädt sich der Kondensator wieder etwas auf; das heißt, es fließt ein Strom in umgekehrter Richtung. Es ist also gleichgültig, ob sich die Ladung durch den Metalldraht, einen in Ruhe befindlichen Leiter, hindurch bewegt, oder ob die Leitung sich mit ihrem Träger durch den Raum bewegt: • Das Wesentliche eines elektrischen Stroms ist die Bewegung elektrischer Ladungen. Die Bewegung elektrischer Ladungen nennt man elektrischen Strom. Um die Stärke eines Stroms anzugeben, braucht man eine neue Größe. Sie heißt elektrische Stromstärke I. Sie ist die pro Zeitelement d t durch einen beliebigen Querschnitt fließende Ladung (Elektrizitätsmenge) d Q\ , =
dQ d7'
< 42)
Oder kurz: Die elektrische Stromstärke I ist der Quotient: Ladung durch Zeit. Die Einheit der Stromstärke / ist das Ampere (A), eine Basiseinheit des Internationalen Einheiten-Systems (SI). Der Name ist gewählt zu Ehren des französischen Physikers André Marie Ampère (1775-1836). „Das Ampere ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der, durch zwei im Vakuum parallel im Abstand 1 Meter voneinander angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern je 1 Meter Leiterlänge die Kraft 2 • 10" 7 Newton hervorrufen würde." (9. Generalkonferenz für Maß und Gewicht, 1948). Von 1908 bis 1948 war ein Ampere derjenige Strom, der in einer wäßrigen Lösung von Silbernitrat in der Sekunde 1,118 mg Silber abscheidet.
2.1 Begriff des elektrischen Stroms, Stromstärke, Stromdichte
153
Beide Meßvorschriften sind gleichwertig. Die erste ist jetzt international vereinbart. Wir hatten im 1. Kapitel die Einheit der Ladungsmenge schon oft benutzen müssen und dort geschrieben 1 Coulomb = 1 Ampere • Sekunde als Einheit für die Ladung. Jetzt wissen wir, daß das Ampere die Basiseinheit ist. Aus Q = I • t ergibt sich Ampere • Sekunde als Einheit für die Ladung. M a n weiß, daß in Metallen nur Elektronen den elektrischen Strom bilden und d a ß sie wegen ihrer negativen Ladung nur zur positiven Elektrode fließen können. Andererseits bewegen sich in elektrolytischen Leitern, also in Salz- und Säurelösungen, elektrische Ladungen beiderlei Vorzeichens in entgegengesetzter Richtung. Was soll m a n unter der Stromrichtung verstehen? Aus historischen Gründen wurde beibehalten, d a ß als Stromrichtung gilt: die Bewegung von positiven Ladungsträgern zur negativen Elektrode. Zur Vermeidung von Irrtümern wird davon nur selten Gebrauch gemacht. M a n m u ß immer zwischen dem Ausdruck „Stromrichtung" und Bewegung bestimmter Ladungsträger unterscheiden. Gelegentlich findet m a n die Vorstellung, als sei die Geschwindigkeit der Elektronen im Metalldraht sehr hoch. Diese Vorstellung kommt daher, weil bei Einschalten einer entfernten Glühlampe diese sofort leuchtet. Die Elektronen bewegen sich ebenso wie die Atome unregelmäßig in allen Richtungen hin und her; wird ein elektrisches Feld eingeschaltet, so führen sie eine Driftbewegung aus. Diese ist überraschend langsam. Selbst in den sehr gut leitenden Metallen wie Silber oder Kupfer ist die Driftgeschwindigkeit etwa 0,1 mm/s. U n d auch dieser kleine Wert gilt für eine ziemlich hohe Feldstärke. Das sofortige Leuchten beim Einschalten einer Glühlampe kann m a n durch Vergleich mit einem langen Güterzug verstehen: Wenn vorn die Lokomotive beim Ankoppeln den ersten Wagen stößt, dann pflanzt sich dieser Stoß sehr schnell bis zum letzten Wagen fort. Eine kleine Verschiebung der ersten Elektronen führt zur sofortigen Verschiebung der nächsten und übernächsten usw. Bei konstanten und zeitlich sehr langsam veränderlichen Strömen ist die Stromstärke / über den Leiterquerschnitt gleichmäßig verteilt, nicht aber, wie wir später sehen werden, bei schnell veränderlichen Strömen. M a n f ü h r t daher noch einen neuen Begriff ein, den Vektor J der Stromdichte. Er hat die Richtung des Stromes, d. h. die Richtung der Bewegung der positiven Ladung; sein Betrag ist gleich der Stromstärke pro Flächeneinheit des zur Stromrichtung senkrechten Querschnitts A. Ist also der Strom konstant, so ist einfach: I / I = 4 A -
(
4
3
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Ist aber der Strom - bei schnell veränderlichen Strömen - ungleichmäßig über den Querschnitt verteilt, so zerlegen wir A in die Elemente d A, die so klein gewählt sind, daß in jedem Element noch eine gleichmäßige Stromverteilung herrscht. D a n n ist die (unendlich kleine) Stromstärke dl in einem solchen Element
154
2 Der elektrische Strom d/=
\J\dA
und die gesamte Stromstärke ergibt sich durch Summation (bzw. Integration) über den ganzen Querschnitt zu: I=\\J\dA. Steht schließlich der Querschnitt A nicht senkrecht zur Richtung von J, so zerlegen wir letzteres in zwei Komponenten, eine zu d A tangentielle (/,) und eine zu d A senkrechte (/„). Letztere ist gleich | J\ cos a, wenn a der Winkel zwischen / u n d der Normale von d A ist. Diese senkrechte Komponente J„ ist es allein, die elektrische Ladungen durch d A hindurchtransportiert. Also ist schließlich allgemein: dl = JndA = |/|cosad^4 und der Gesamtstrom wird: / = \ J n d A = jV|cosadv4
(44)
Im folgenden werden wir uns hauptsächlich mit linearen Strömen beschäftigen, d. h. Strömen, die in linearen Leitern fließen, bei denen also der Querschnitt klein gegen die Länge des Leiters ist. Den Gegensatz hierzu bilden körperliche Ströme, die deshalb schwierig zu behandeln sind, weil man die Lage der Stromlinien nicht von vornherein kennt, während sie bei den linearen Strömen durch die Richtung des Leiters bestimmt ist. Ferner werden wir in diesem Kapitel voraussetzen, daß die Stromstärke zeitlich konstant ist. Solche Ströme heißen stationär, weil bei ihnen zwar dauernd Elektrizität fließt, aber durch jeden Querschnitt in jeder Sekunde die gleiche Menge. Würde dies nämlich nicht der Fall sein, sondern durch einen Querschnitt mehr Elektrizität hindurchtreten als durch die übrigen, so würde sich in ihm Elektrizität dauernd anhäufen, also der Zustand sich mit der Zeit ändern; ebenso wäre es, wenn etwa weniger Ladung durch einen Querschnitt hindurchtreten würde. In einem stationären Strom ist also die Stromstärke I überall, in allen Querschnitten, wie groß oder wie klein sie seien, die gleiche. Die Stromdichte | J\ ist daher dort größer, wo der Querschnitt A kleiner ist und umgekehrt: Die Stromdichten J1 und J2 in zwei Querschnitten Ar und A2 verhalten sich umgekehrt wie diese: \Jt\:\ J2\ =
A2:A1
Das bedeutet eben, daß die Stromstärke I m A1 und A2 die gleiche ist. Die Meßmethoden der Stromstärke / werden später behandelt.
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm
155
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm Überbrückt man einen geladenen Kondensator abwechselnd durch verschieden schlechte Leiter wie Papier, Holz, Schiefer, Graphitstrich auf Papier, usw., dann stellt man am Elektrometer ein verschieden schnelles Abklingen der Spannung fest. Man bemerkt zunächst immer einen schnellen Abfall, der dann in einen langsameren übergeht. Trägt man die Spannung über der Zeit auf, so erkennt man den exponentiellen Abfall der Spannung. Die Exponentialkurven werden zu Geraden, wenn man die Spannung logarithmisch aufträgt (Abb. 113). Die jeweilige Spannung am Kondensator, wenn U0 die Anfangsspannung ist, beträgt: U = U 0 • e"Jlc
(45)
t ist die Zeit, R ist der Widerstand des Leiters, C ist die Kapazität.
Abb. 113 Zeitlicher Verlauf der Spannung U eines Kondensators während seiner Entladung. Die Kurven 1 und 2 zeigen den exponentiellen Abfall; die Geraden V und 2' ebenfalls, jedoch in halblogarithmischer Darstellung Ändert man die Anfangsspannung U0, so findet man stets den gleichen Wert für den Widerstand des Leiters, der die Kondensatorplatten verbindet. Ist der Widerstand R groß, so entlädt sich der Kondensator langsam. Das Gleiche gilt auch, wenn die Kapazität C groß ist. Das Glied RC heißt daher die Abklingkonstante oder Zeitkonstante. Sie hat die Dimension einer Zeit und wird meist mit dem kleinen griechischen Buchstaben T gekennzeichnet. Die Zeitkonstante gibt an, innerhalb welcher Zeit der Anfangswert U0 auf den e-ten Teil abgeklungen ist. Man kann mit dieser Methode, nämlich einer Kondensatorentladung und Messung der Spannung U in Abhängigkeit von der Zeit, den Widerstand des
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2 Der elektrische Strom
Leiters bestimmen, welcher den Kondensator entlädt. Die Methode wird auch angewendet, allerdings nur für sehr große Widerstände, weil bei kleinen Widerständen die Entladung zu schnell vor sich geht. Andere Methoden zur Messung des Widerstandes werden später behandelt. Man sieht an der Kondensatorentladung, daß Leiter, die verschiedene Widerstände haben, den Strom verschieden stark hindurch lassen. Die Stromstärke, welche fließt, ist proportional der Spannung, die an den Enden des Leiters liegt. Proportionalitätskonstante ist der Widerstand R. Dies ist das Ohmsche Gesetz. Es lautet: U = R -1
(46)
U = Spannung R = Widerstand / = Stromstärke Das Gesetz trägt den Namen nach seinem Entdecker Georg Simon Ohm (1826 in Erlangen). Es gilt für alle Metalle bei konstanter Temperatur. Die Richtigkeit des Ohmschen Gesetzes läßt sich leicht prüfen. Man entlädt einen Auto-Akkumulator über verschiedene Widerstände. Jede Zelle des (geladenen) Akkumulators hat eine Spannung von 2 Volt. Überzeugend ist die Durchführung der folgenden Messungen: 1. Man stellt sich einen Widerstand her, z.B. zwei Meter von dünnem Widerstandsdraht, wie er für Heizöfen verwendet wird. Dieser wird so aufgewickelt, daß sich die Windungen nicht berühren. Man kann auch einfach ein Bügeleisen oder einen Heizofen nehmen. Dann stellt man sich einen „Stromkreis" her, d.h. man schaltet den Akkumulator bzw. eine Zelle in Reihe mit dem Draht und einem Strommesser. Man benutzt nacheinander verschiedene Spannungen des Akkumulators, eine Zelle hat zwei Volt, zwei Zellen haben 4 Volt, usw. Ergebnis: der Strom / ist genau proportional der anliegenden Spannung U des Akkumulators. Der Widerstand R im Stromkreis wurde ja nicht geändert. Durch Division der Spannung U durch den Strom / erhält man stets den gleichen Wert des Widerstandes R. 2. Man stellt sich aus dünnem Widerstandsdraht von einer Rolle Widerstände verschiedener Länge, aber von gleichem Querschnitt her, z. B. 1 Meter, 2 Meter usw., wickelt die einzelnen Längen auf und nimmt sie wieder ab, aber so, daß sich die einzelnen Windungen nicht berühren. Dann benutzt man eine bestimmte Spannung U des Akkumulators. Man findet sofort, daß der Strom / umgekehrt proportional der Länge des Widerstandes ist, bzw. daß der Widerstand R genau proportional der Länge des Drahtes ist. Der Widerstand steigt mit der Länge des Drahtes bei gleichem Querschnitt. 3. Man verändert den Querschnitt des Widerstandsdrahtes dadurch, daß man zwei oder drei gleiche Längen des gleichen Drahtes parallel spannt. Der Widerstand ist bei doppeltem Querschnitt halb so groß. Der Widerstand ist bei
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm
157
gleichem Material und bei gleicher Länge dem Querschnitt umgekehrt proportional. Die Versuche zeigen einerseits die strenge Gültigkeit des Ohmschen Gesetzes. Hier soll jedoch schon darauf hingewiesen werden, daß das Ohmsche Gesetz dann seine Gültigkeit verliert, wenn nicht genug Ladungsträger für den Elektrizitätstransport zur Verfügung stehen, z. B. beim Stromdurchgang durch Gase oder Flüssigkeiten. Andererseits zeigen die Versuche, daß bei gleichem Material die Abmessungen (Länge, Querschnitt) den Widerstand R bestimmen. Die Einheit des elektrischen Widerstandes ist das Ohm (Q): 10hm = / A V Q l t 1 Ampere
(47)
Das Ohm ist die abgeleitete SI-Einheit des elektrischen Widerstandes. Es wurde 1948 international als „absolutes Ohm" eingeführt. Es gilt die folgende Definition: Ein Ohm ist gleich dem elektrischen Widerstand zwischen zwei Punkten eines fadenförmigen, homogenen und gleichmäßig temperierten metallischen Leiters, durch den bei der elektrischen Spannung 1 Volt zwischen den beiden Punkten ein zeitlich unveränderlicher elektrischer Strom der Stärke 1 Ampere fließt. Bei den Versuchen oben wurde stets das gleiche Widerstandsmaterial benutzt. Nimmt man verschiedene Materialien, dann findet man bei gleicher Länge und gleichem Querschnitt verschiedene Widerstände. Der elektrische Widerstand eines Drahtes oder eines Stabes ist:
R = Q= l = A=
Widerstand spezifischer Widerstand Länge des Leiters Querschnittsfläche des Leiters
(48)
Der spezifische Widerstand Q ist eine Materialkonstante; er hat für jedes Metall und für jede Metall-Legierung einen bestimmten Wert. Seine Einheit ist Q • m 2 /m oder Q • m. In Tabelle 4 sind einige Werte angegeben. Der spezifische Widerstand Q ist von der Temperatur abhängig. Der Temperaturkoeffizient a bedeutet die Änderung des spezifischen elektrischen Widerstandes mit der Temperatur (Einheit: K ~ x ). Er ist ebenfalls in der Tabelle mit angegeben. - Ein Demonstrationsversuch nach Abb. 114 zeigt anschaulich die Änderung des elektrischen Widerstandes mit der Temperatur. Die Abb. 115 zeigt deutlich, wie verschieden die Widerstandsänderung mit der Temperatur bei verschiedenen Stoffen ist.
158
2 Der elektrische Strom
sehen Widerstandes. Ein Platindraht und eine Glühlampe sind in Reihe geschaltet. Wird der Platindraht erhitzt (Bunsenbrenner), dann leuchtet die Glühlampe kaum; wird er abgekühlt (durch flüssigen Stickstoff), dann leuchtet die Glühlampe hell
Abb. 115 Änderung des elektrischen Widerstandes verschiedener Leiter mit der Temperatur
Tab. 4 Spezifischer elektrischer Widerstand g bei 0 °C und Temperaturkoeffizient a von reinen Metallen Metall Ag AI Au Bi Cr Cu Fe Hg
a
in l O ^ K " 1
Metall
in r ' Q - m 1,50 2,50 2,04 107 15,0 1,55 8,71 94,07
4,10 4,67 3,98 4,45
Mn Ni Pb Pt Sn W Zn
Q
-
4,33 6,57 0,99
in 1 0 - 8 f i m
Q
a in 1 0 - 3 K _ 1
710 6,58 19,3 9,81 10,1 4,89 5,45
0,17 6,75 4,22 3,92 4,63 4,83 4,2
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm
159
Die starke Temperaturabhängigkeit des Widerstandes von Eisen benutzte man zu einer automatischen Regulierung der Stromstärke: Wird die Spannung an den Enden eines Stromkreises erhöht, so wird dadurch nach dem Ohmschen Gesetz die im Kreise fließende Stromstärke bei gleicher Temperatur entsprechend größer. Liegt aber im Stromkreis ein aus Eisendrähten gebildeter Widerstand, so erwärmt sich dieser Draht durch den in ihm fließenden Strom und sein Widerstand steigt an. Es kann sogar dazu kommen, daß trotz Spannungserhöhung wegen der starken Widerstandszunahme des Eisendrahtes die Stromstärke absinkt. Durch geeignete Wahl der Abmessungen kann man daher in gewissen Grenzen bei Schwankungen der Spannung die Stromstärke automatisch konstant halten. Damit die Temperatur des Eisendrahtes nicht zu hoch ansteigt, baut man ihn in einen mit Wasserstoff gefüllten Glaskolben ein (Eisen-WasserstoffWiderstand). Von der Temperaturabhängigkeit des Widerstandes reiner Metalle macht man ferner Gebrauch beim Widerstandsthermometer. Dieses besteht aus einer sehr dünnen, meist in Quarz eingeschmolzenen Platindrahtwendel. Mit dem bekannten Temperaturkoeffizienten des Platins kann man aus dem Widerstand der Wendel auf die Temperatur schließen, auf der sich dieselbe befindet. Solche Widerstandsthermometer lassen sich bis hinauf zu 600° C und besonders für tiefe Temperaturen verwenden. Eine Abart der Widerstandsthermometer sind die Bolometer, die zur Strahlungsmessung dienen. Sie bestehen aus einem in einem Rahmen meist zickzackförmig ausgespannten sehr dünnen Platinband (Dicke etwa 5 • 10" 5 mm), dessen Oberfläche mit Ruß oder Platinmohr geschwärzt ist. Wird die Platinfolie von einer Strahlung getroffen, so wird diese absorbiert und in Wärmeenergie verwandelt. Dadurch tritt eine Widerstandserhöhung des Platins ein, die sich sehr genau messen läßt; aus ihr ergibt sich die einfallende Strahlungsenergie. Im Laboratorium braucht man gelegentlich Widerstände von bestimmter Größe und Konstanz, sei es zum Vergleich oder zu Meßzwecken. Abb. 116 zeigt einen Normalwiderstand; er besteht aus einem Manganinband, das in einem Me-
(a) Abb. 116
Normal widerstand: (a) Außenansicht, (b) Längsschnitt
(b)
160
2 Der elektrische Strom
tallgehäuse untergebracht ist: letzteres kann bei der Messung in einen Thermostaten zur Konstanthaltung der Temperatur eingesetzt werden. Der Widerstand wird mit den Klemmen A und B in den Stromkreis eingeschaltet; die Klemmen C und D dienen zum Anschluß eines Voltmeters zur Messung des Spannungsabfalles am Widerstand. Während dieser Normalwiderstand nur einen einzigen Widerstandswert darstellt, kann man mit dem in Abb. 117 wiedergegebenen Stöpselwiderstand (Stöpselrheostat) verschiedene Widerstandswerte einstellen. Ein derartiger Widerstandskasten besteht aus einer Reihe von hintereinandergeschalteten Drahtspulen, deren Einzelwiderstand bekannt ist. Aus besonderen Gründen müssen die Widerstandsspulen „bifilar" gewickelt werden. Darunter ist folgendes zu verstehen: Man nimmt Anfang und Ende des Drahtes zusammen und legt ihn doppelt, indem man ihn von der Mitte aus wickelt. Dadurch liegen an allen Stellen der Wicklung Hin- und Rückleitung dicht nebeneinander; Abb. 118 b zeigt dies. Die Enden der einzelnen Spulen sind angelötet an Metallklötze M (Abb. 118 a), die auf der isolierenden Deckplatte des Kastens festgeschraubt sind. Je zwei Metallklötze können durch Hineinstecken eines Stöpsels S leitend miteinander verbunden werden. Bei gesteckten Stöpseln ist der Widerstand zwischen den Metallklötzen praktisch gleich Null, so daß der Strom ungeschwächt hindurchfließt. Zieht man einen oder mehrere Stöpsel, so muß der Strom durch die unter den Klötzen liegenden Spulen fließen. Die Größe des dadurch eingeschalteten Widerstandes in Ohm ist neben jedem Stöpselloch angegeben.
rung der bifilaren Wicklung (b)
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm
161
la)
oc Abb. 119 Zwei Ausführungsformen von Regulierwiderständen; (a) Schiebewiderstand, (b) Drehwiderstand
Zum bequemen Einregulieren von Stromstärken dienen entweder Schiebewiderstände bzw. Drehwiderstände (Abb. 119) oder Kurbelwiderstände (Abb. 120). Bei ersteren kann ein Gleitkontakt C längs eines den Widerstand bildenden spulenförmig aufgewickelten Drahtes verschoben, und dadurch ein mehr oder weniger großer Teil des Drahtes in den betreffenden Stromkreis eingeschaltet werden. Bei Kurbelwiderständen dagegen werden durch einen über Kontaktknöpfe geleiteten Hebel die einzelnen Abteilungen des aus frei ausgespannten Spiralen bestehenden Drahtes eingeschaltet. Die Normalwiderstände (Widerstandsnormale) werden nur für Präzisionsmessungen und zum Eichen anderer Widerstände benutzt. U m den Einfluß der Luftfeuchtigkeit auszuschließen, werden die Drahtwicklungen mit einer Schutzschicht überzogen oder auch luftdicht abgeschlossen, wenn höchste Konstanz
162
2 Der elektrische Strom
gefordert wird. Sie werden von 0,001 Ohm bis zu 100.000 Ohm hergestellt. Als Werkstoff werden Manganin und Gold-Chrom-Legierung verwendet, bis herab zu 0,1 Ohm als Draht, darunter als Blech. Die Belastbarkeit ist sehr gering, maximal 1 Watt oder 0,1 Watt. Die jährlichen Änderungen liegen meist unter ein Millionstel des Wertes. Die Tatsache, daß Elektronen im Magnetfeld Kreisbewegungen ausführen, führt in festen Körpern dazu, daß die Driftbewegung der Elektronen in einem elektrischen Feld behindert wird. Das bedeutet, daß in einem Magnetfeld der Widerstand eines Leiters größer ist, wenn das Magnetfeld senkrecht zur Stromrichtung steht. Dies ist umso mehr der Fall, je tiefer die Temperatur ist, weil dann die Kreise der Elektronen durch die Wärmebewegung weniger gestört sind. Bei Wolfram z.B. kann ein Magnetfeld den Widerstand bei sehr tiefer Temperatur um den Faktor 105 erhöhen. Man kann diese Widerstandsänderung zur Ausmessung von Magnetfeldern benutzen. Dies geschah zuerst mit der Bismutspirale (W. Thomson, 1858, s. Abb. 121). Bei dieser wie auch bei den heute überwiegend verwendeten Halbleitern InSb und InAs, die einen viel größeren Effekt als Bismut geben, ist die Abkühlung auf tiefe Temperatur nicht notwendig.
Abb. 121 Bismutspirale zur Ausmessung magnetischer Felder, natürliche Größe. Zum Vergleich: die heute verwendeten Hallsonden haben Durchmesser von 0,3 bis 1,5 mm Wenn im Vorstehenden das Wort Widerstand erscheint, so ist eigentlich der spezifische elektrische Widerstand gemeint. Da sich aber die Abmessungen nicht ändern, wird auch kein Fehler gemacht, wenn einfach Widerstand geschrieben wird. An dieser Stelle sei erwähnt, daß an Stelle des spezifischen elektrischen Widerstandes q auch oft der reziproke Wert 1 /g verwendet wird. Dieser heißt dann elektrische Leitfähigkeit und wird mit den kleinen griechischen Buchstaben y oder a gekennzeichnet. Um den Begriff des elektrischen Widerstandes R anschaulich darzustellen, sollen einige Versuche geschildert werden. Der erste betrifft den Spannungsabfall U längs eines Widerstandes. Nach dem Ohmschen Gesetz ist die Spannung und damit auch der Spannungsabfall U = R-1. Wenn ein Leiter an einem Ende die Spannung U bzw. das Potential V gegen Erde hat, und wenn das andere Ende des Leiters geerdet ist, d. h. die Spannung Ubzw. das Potential Fgegen Erde Null ist, dann muß man einen linearen Spannungsabfall beobachten, sofern der Querschnitt des Leiters konstant ist. Dies zeigt Abb. 122. Von dem Innenpol einer größeren Leidener Flasche L führt eine mehrere Meter lange Holzlatte zu einer
2.2 Der elektrische Widerstand, das Ohmsche Gesetz, das Natur-Ohm p^o
p^.
p^
A
163
p^»
U'k
la)
lb) Abb. 122 Versuchsanordnung zum Nachweis des Spannungsabfalls längs eines vom Strom durchflossenen Leiters
isoliert aufgestellten Kugel K. Auf der Latte sind in gleichen Abständen kleine Elektroskope angebracht, die durch ihren Ausschlag an der betreffenden Stelle das Potential anzeigen. Laden wir die Leidener Flasche auf das Potential V, so zeigen alle Elektroskope nach Eintritt des elektrischen Gleichgewichts denselben Ausschlag, da die Lattenoberfläche eine Niveaufläche darstellt. Verbindet man aber die Kugel K mit der Erde, so daß ihr Potential Null wird, so nehmen die Elektroskope die in Abb. 122 b wiedergegebenen Ausschläge an, aus denen hervorgeht, daß von dem einen Ende der Latte zu ihrem anderen Ende ein gleichmäßiger Spannungsabfall besteht. Da sich bei diesem Versuch die Leidener Flasche allmählich entlädt, wird mit zunehmender Zeit das Spannungsgefälle längs der Holzlatte immer kleiner, weil der in der Latte fließende Strom dauernd abnimmt. Will man dies verhindern, so muß man etwa mit einer Influenzmaschine der Leidener Flasche dauernd so viel neue Ladung zuführen, daß ihr Potential auf einem konstanten Wert bleibt. Es ist nützlich, die bisher besprochenen elektrischen Strömungserscheinungen mit Vorgängen des Fließens von Wasser durch eine Rohrleitung zu vergleichen. Schließen wir an das untere Ende eines mit Wasser gefüllten Standzylinders A (Abb. 123 a) ein horizontales Glasrohr an, das in einen zunächst leeren Standzylinder B einmündet, so wird nach Öffnen des am Rohr befindlichen Hahnes das
s
B
A
B
=s8= Abb. 123
(a) (b) Hydrodynamisches Analogon zur Entladung eines Kondensators
164
2 Der elektrische Strom
Wasser von A nach B überströmen, und zwar zunächst rasch und dann immer langsamer, je geringer mit zunehmender Zeit der Höhenunterschied der beiden Flüssigkeitssäulen wird. Das Fließen hört auf, sobald in beiden Zylindern die Flüssigkeit gleich hoch steht (Abb. 123 b). Dieser Versuch ist das hydrodynamische Analogon zur oben beschriebenen Entladung eines Kondensators. Die Niveaudifferenz der beiden Wassersäulen, d.h. die an den Enden des Rohres herrschende Druckdifferenz, entspricht der elektrischen Potentialdifferenz oder elektrischen Spannung. Die Stärke des Wasserstromes, d. h. die pro Sekunde durch den Rohrquerschnitt fließende Wassermenge, entspricht der elektrischen Stromstärke. Man sieht leicht, daß bei Benutzung verschiedener Rohre die durch dieselben in gleichen Zeiten fließenden Wassermengen um so größer sind, je kürzer und weiter das Rohr ist, d.h. je kleiner der Reibungswiderstand ist, den das fließende Wasser in dem Rohr überwinden muß. Dieser Reibungswiderstand wirkt der das Wasser beschleunigenden Kraft entgegen, so daß das Wasser mit konstanter Geschwindigkeit strömt. Diese Analogie war bestimmend für die Einführung des Begriffes „elektrischer Widerstand" eines Leiters. Auch den Potentialabfall längs eines durchströmten Leiters können wir an der Wasserströmung veranschaulichen, indem wir an dem Rohr in gleichen Abständen eine Anzahl Manometerrohre zur Druckmessung anbringen. Lassen wir das Wasser aus dem Rohrende frei ausströmen, so erhalten wir die in Abb. 124a dargestellte Druckverteilung längs des Rohres. Um das Druckgefalle konstant zu halten, müssen wir das Wasserniveau im Gefäß durch Ergänzung der abfließenden Wassermenge auf derselben Höhe halten. Im Teilbild b wird der Querschnitt des Abflußrohres durch Einschieben eines Drahtes zum Teil verkleinert. Dadurch steigt der Widerstand, und nach dem Ohmschen Gesetz wird der Spannungsabfall größer; in diesem Analogieversuch wird der Druckabfall größer.
(a) (b) Abb. 124 Hydrodynamischer Analogieversuch zum Ohmschen Gesetz
Das Natur-Ohm. Wenn auch die jährliche Änderung eines Normalwiderstands gering ist, so kann sie doch im Verlauf vieler Jahre (z. B. durch Rekristallisation) zu groß werden. Daher besteht der Wunsch nach einem natürlichen Widerstandsnormal, das unabhängig von einem Gegenstand ist. Dies ist ja beim Längennormal und Zeitnormal der Fall, und zwar durch Zurückführung auf die Lichtgeschwindigkeit bzw. auf die Frequenz einer Atomschwingung. Jetzt ist es möglich,
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze
165
auch das Ohm durch ein Naturmaß festzulegen. An dieser Stelle ist eine Beschreibung der Messung noch nicht möglich. Der Weg sei nur angedeutet: In einem starken Magnetfeld von 20 Tesla und bei tiefer Temperatur ( « 1 K ) beschreiben die Elektronen im festen Körper kleine Kreise. Die Dichte der Elektronen wird mit Hilfe des Hall-Effekts bestimmt. Hierbei wird die Spannung gemessen, die im Magnetfeld senkrecht zum Stromfluß auftritt. Wenn in einer sehr dünnen Halbleiterschicht, wie sie an der Oberfläche eines SiliciumFeldeffekttransistors vorhanden ist, das Magnetfeld und die Dichte der Elektronen so aufeinander abgestimmt sind, daß genau eine ganze Zahl von LandauNiveaus besetzt ist, dann hat der Hall-Widerstand einen Wert, der nur noch von Naturkonstanten abhängt (Planck-Konstante h und elektrische Elementarladung e). Damit kann überall auf der Welt ohne besonders großen technischen Aufwand der Normalwiderstand von einem Ohm auf ein Millionstel genau dargestellt werden. Voraussetzung ist die genaue Kenntnis der Naturkonstanten h und e. Die Genauigkeit der in den Staatsinstituten aufbewahrten Widerstandsnormale wird 10 fach übertroffen. Dieser sog. „Quanten-Hall-Effekt" wurde 1980 durch Klaus von Klitzing in Würzburg und Grenoble an Silicium-Feldeffekt-Transistoren (genauer MOSFETs) entdeckt und tiefgründig untersucht 1 (s. Lit.).
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze über Stromverzweigungen, Spannungsteilung, Potentiometer, Wheatstonesche Brücke Bisher hatten wir als Bahn des elektrischen Stromes einen einzigen Leiter vorausgesetzt. Nunmehr betrachten wir die Stromverteilung innerhalb eines Leitersystems, bei dem die einzelnen stromführenden Zweige in einem beliebig komplizierten Netz miteinander verknüpft sind. Als gegeben werden die Widerstände der einzelnen Leiter und die an ihnen liegenden Spannungen betrachtet; gesucht sind die Stärken der in den Einzelzweigen fließenden Ströme, d. h. die Stromstärken. Die Grundlage zur Lösung dieser Aufgabe bilden zwei Sätze von G. Kirchhoff. Der erste Kirchhoffsche Satz sagt aus: • An jedem Verzweigungspunkt (Knotenpunkt) mehrerer Leitungen ist die Summe der auf ihn zufließenden Stromstärken gleich der Summe der von ihm abfließenden. In Abb. 125 würde z. B. I 1 + 1 2 = / 3 + / 4 + / 5 sein. Daß dies in der Tat so sein muß, folgt aus der Überlegung, daß es andernfalls an der Verzweigungsstelle 1
Klaus von Klitzing, Stuttgart, Nobelpreis 1985
166
2 Der elektrische Strom
Abb. 125
Stromverzweigungspunkt
entweder zu einer Anhäufung oder zu einer Abnahme elektrischer Ladungen kommen müßte, wodurch sich das Potential dieser Stelle dauernd ändern würde, im Widerspruch mit der vorausgesetzten stationären Stromverteilung. Es muß daher an jedem Knotenpunkt eines von zeitlich konstanten Strömen durchflossenen Leitersystems die gleiche Elektrizitätsmenge zu- und abfließen. Rechnet man die zufließenden Ströme als positiv und versieht die abfließenden mit dem negativen Vorzeichen, so kann das 1. Kirchhoffsche Gesetz in der Form geschrieben werden: S / = 0. Der zweite Kirchhoffsche Satz lautet:
• In jedem beliebig aus einem Leiternetz herausgegriffenen in sich geschlossenen Stromkreis ist die Summe der Spannungen gleich der Summe der Produkte aus den Stromstärken und den Widerständen der einzelnen Zweige. Dabei müssen die Stromrichtungen im Sinne des Uhrzeigers etwa als positiv, die gegen den Uhrzeiger folglich als negativ gerechnet werden (oder umgekehrt); ebenso sind die Spannungsquellen U mit dem richtigen Vorzeichen, also positiv zu zählen, wenn sie einen Strom im positiven Sinne hervorrufen. In einer Gleichung lautet dieser 2. Kirchhoffsche Satz: T.U = I/i?.
/
Abb. 126
c
Masche eines Stromnetzes ohne eingeschaltete Spannung
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze
167
b
Uhrzeigersinn
Abb. 127 Potentialverlauf längs der Widerstände der in Abb. 126 gekennzeichneten Strommasche
Zum Beweis betrachten wir in einem beliebigen Leitungsnetz einen geschlossenen Stromweg, eine sog. Masche des Netzes, z. B. die Strombahn A, B, C, D, A der Abb. 126, in der die eingezeichneten Pfeile die Stromrichtung angeben, und in der zunächst keine Spannungsquellen vorhanden sein mögen. Wir denken uns die Masche bei A aufgeschnitten und gradlinig ausgestreckt, wobei wir die Länge der einzelnen Strecken AB, BC usw. so wählen, daß sie den in diesen Leiterstücken enthaltenen Widerständen R2 usw. entsprechen (Abb. 127). Errichten wir in den Punkten A, B, C, D Ordinaten gleich den in diesen Punkten herrschenden Potentialwerten und verbinden ihre Endpunkte, so erhalten wir die gebrochene Linie a, b, c, d, a, aus der wir ersehen, daß das Potential von A nach B steigt, von B nach D abnimmt, um dann wieder auf dem Weg nach A zu steigen. Da der gebrochene Linienzug notwendig wieder in der gleichen Höhe endigt, muß die Summe aller Höhendifferenzen gleich Null sein. Die Höhendifferenzen stellen aber die Potentialunterschiede längs der einzelnen Leiterstücke dar, für die wir nach dem Ohmschen Gesetz die folgenden Ausdrücke hinschreiben können: V*-VB
= UAB =
VB-VC
= UBC =
+I2R2
uCD =
+I3R3
VC-VD= VD~VA
= Uda
-I1R1
= -I
4
R
4
.
Die Minuszeichen in zweien der obigen Gleichungen kommen daher, daß im Ohmschen Gesetz der Potentialabfall, der gleich IR ist, positiv gerechnet wird; VA — VB sowohl wie VD — VA sind aber Potentialanstiege, sind also gleich — IR zu nehmen. Durch Addition der obigen Gleichungen finden wir: 0 = UAB + UBC + UCD + F/DA = - A R! + I2 R2 + I3 R3 - /4
.
Unter Berücksichtigung des über die Vorzeichen Gesagten kann man also die rechte Seite schreiben: 2 / - Ä = 0,
168
2 Der elektrische Strom
was für den hier betrachteten Spezialfall - keine elektromotorischen Kräfte in den Maschen - bereits das 2. Kirchhoffsche Gesetz darstellt. Die Summe der Teilspannungen für einen vollständigen Umlauf um eine Netzmasche nennt man die Umlaufspannung derselben; sie hat für jede Masche stets den Wert Null - wegen der Eindeutigkeit des Potentials. Enthält die Masche auch Spannungsquellen (C/j und U2 nach Abb. 128), so müssen wir zur Bestimmung der Teilspannungen auf die allgemeinere Gleichung des Ohmschen Gesetzes zurückgreifen. Dann gelten folgende Gleichungen für die vier Zweige der Masche der Abb. 128: U^-U^+hR,, Ubc + U2 = +I2R2,
U(CD — UDA — t
1
3
i k
3
+I4R4.
Abb. 128 Masche eines Stromnetzes mit eingeschalteten Spannungsquellen Addieren wir diese Gleichungen, so erhalten wir wegen des Verschwindens der Umlaufspannung: U2 - U, = h R1 + I2 R2 - h R3 + U Ra • Auf der linken Seite steht, unter Berücksichtigung der Vorzeichenwahl, die Summe der Spannungen aus den Quellen, die man bei einem Umlauf um die Masche im Uhrzeigersinn erhält; auf der rechten Seite steht die in gleichem Sinn zu verstehende Summe der Produkte aus Stromstärke und Ohmschem Widerstand. Wir wenden die Kirchhoffschen Sätze auf folgende Schaltungen an: 1. Zwei in Reihe geschaltete Widerstände R1 und R2 sind an eine Spannungsquelle von der Spannung U angeschlossen (Abb. 129). Dann ist nach dem 2. Kirchhoffschen Gesetz: U = I0Ri + I0R0 + I0(R1 + R2); R0 ist der Leitungswiderstand der Spannungsquelle. (Seine Existenz folgt aus der Tatsache, daß beim Kurzschließen der Spannungsquelle die Stromstärke nicht unendlich groß werden kann). Es gilt demnach allgemein:
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze
169
• Bei Hintereinanderschaltung von Widerständen ist der Gesamtwiderstand gleich der Summe der Einzelwiderstände: R=
£
Rk.
k= 1
In
Rn —n_nr-
R,
Abb. 129
- m n H
r2
Reihenschaltung zweier Widerstände
2. Zwei Widerstände R1 und R2 sind parallel geschaltet (Abb. 130) und an eine Spannungsquelle von der Spannung U angeschlossen. Dann gilt für die beiden Verzweigungspunkte a und b nach dem 1. Kirchhoffschen Satz: Io = Ii +
I, = 1A MOA Abb. 130
,
- 0 0/UUUlrRs
Parallelschaltung zweier Widerstände
Wenden wir ferner für jeden der beiden geschlossenen Stromkreise UaR^bU und Ua.R2bU das 2. Kirchhoffsche Gesetz an, so erhalten wir die Gleichungen: U = I0Ri + I0R0 + I1R1 und U = I0Ri + I0R0 + I2R2. Bezeichnen wir den Gesamtwiderstand zwischen den Punkten a und b mit Rx, so gilt ferner: U=U
+ /0/io +
Aus diesen drei Gleichungen findet man: IoRx = A ^ i = d.h.
hR2i
170
2 Der elektrische Strom
Durch Addition folgt weiter: 1 R d.h.
oder: 1 _ Rx
1
1 R2
Rl
in Worten: • Der reziproke Gesamtwiderstand zweier parallelgeschalteten Widerstände ist gleich der Summe der reziproken Werte der Einzelwiderstände. Allgemein ist ebenso: - = s — R k Rk Die Kehrwerte der Widerstände nennt man auch die Leitwerte. • Bei Parallelschaltung von Widerständen ist der resultierende Leitwert gleich der Summe der Einzelleitwerte. 3. Weiter folgt: IlR1 oder: Ii.I1
= I2R•2 =
R2.R
d.h.: • In zwei parallelgeschalteten Leitern verhalten sich die Stromstärken umgekehrt wie die Widerstände. Von der Parallelschaltung zweier Widerstände macht man Gebrauch, wenn man den Meßbereich eines Strommessers vergrößern will. Gegeben sei ein Amperemeter, dessen maximaler Meßbereich 1 A beträgt. Um mit diesem Instrument einen Strom von 10 A messen zu können, müssen wir ihm parallel einen Widerstand Rs legen (Abb. 131), der 9/10 des gesamten Stromes, also 9 A aufnimmt, so daß nur Vio des Stromes, nämlich 1 A, durch das Meßinstrument fließt. Nennen wir Rg den Widerstand des Instrumentes, so gilt also: Rs
oder:
1 9 ' R ° ~ i o : 10
1
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze
171
Allgemein gilt: Um den Meßbereich eines Amperemeters mit dem Eigenwiderstand Rg auf den x-fachen Betrag zu erhöhen, muß man parallel zu dem Instrument einen Nebenschlußwiderstand Rs schalten, dessen Größe durch die Beziehung Rs = RJ(x — 1) gegeben ist. Um also dem Amperemeter den 10-, 100-, 1000-, ... fachen Meßbereich zu geben, müssen die Nebenschlüsse 1/g, 1 / 99 , i / 9 9 9 , . . . von Rg betragen. Solche Nebenschlußwiderstände (englisch Shunt genannt) werden daher stets zusammen mit dem Instrument von der Industrie geliefert, oder sie sind eingebaut und umschaltbar.
widerstand
Wir kommen nochmal auf die Schaltung in Abb. 129 zurück. Durch die beiden hintereinandergeschalteten Widerstände Rx und R2 fließt die gleiche Stromstärke / 0 ; infolgedessen tritt an den Enden von Rt eine Spannung Uy gleich I0R1 und an den Enden von R2 eine Spannung U2 gleich I0 R2 auf, während an den Enden von R1 + R2 die Gesamtspannung U = I0(R1 + R2) liegt. Durch geeignete Wahl des Widerstandsverhältnisses R1\ R2 kann man also etwa an Rt jeden beliebigen Bruchteil der Spannung U abgreifen. Eine solche Schaltung nennt man eine Spannungsteiler- oder Potentiometer Schaltung. Abb. 132 zeigt eine solche unter Benutzung eines Schiebewiderstandes. Verschiebt man den Gleitkontakt c von dem einen Ende a des Widerstandes nach dem anderen b, so erhält man zwischen den Klemmen d und e jeden Spannungswert Ux zwischen Null und der an den Enden a und b des Widerstandes liegenden Spannung U. Liegt zwischen a und c I
° Uxo d
e R
Abb. 132
I 1
Q R
Potentiometerschaltung
172
2 Der elektrische Strom
der Widerstand R{ und zwischen c und b der Widerstand R2, so ist: Ur=U
R1 + R2'
denn nach dem Ohmschen Gesetz ist U = I0(Rt + R2) und Ux = Auf Spannungsteilung beruht auch die Anordnung zur Erweiterung des Meßbereichs von Voltmetern (Abb. 133). Soll z. B. mit einem Voltmeter, das maximal 10 Volt anzeigt, eine Spannung von 100 Volt gemessen werden, so muß man diese große Spannung so teilen, daß 9 / 10 derselben (gleich 90 Volt) auf einen vor das Instrument geschalteten „Vorschaltwiderstand", V10 derselben (gleich 10 Volt) auf das Instrument selbst entfallen, d. h. man muß den 9fachen Wert von Rg vor das Voltmeter vorschalten, entsprechend den 99-, 999-, ... fachen Wert von Rg, wenn man 1000, 10000 ... Volt mit dem gleichen Instrument messen will. -100 v -
-90 V-
-10V—
-njiruirLrRv
Abb. 133
Erweiterung des Meßbereichs eines Voltmeters durch einen Vorwiderstand
Allgemein gilt: Um den Meßbereich eines Voltmeters mit dem Eigenwiderstand Rg auf den x-fachen Betrag zu erhöhen, muß man vor das Instrument einen Widerstand Rv schalten, dessen Größe durch die Beziehung Rv = (x — \)Rg gegeben ist. Geeignete Vorschaltwiderstände werden von der elektrischen Industrie zu jedem Voltmeter mitgeliefert bzw. sind in das Instrument zur Wahl fest eingebaut. Von J. Poggendorff (1841) wurde die Spannungsteilerschaltung zur Spannungsmessung benutzt. Als Spannungsteiler dient ein in Material und Querschnitt gleichmäßiger Metalldraht AB (Abb. 134), durch den eine Hilfsbatterie einen konstanten Strom hindurchschickt; zwischen A und B liegt also eine Spannung, die (praktisch) gleich der Spannung U der Hilfsbatterie ist. Zwischen A und einem auf dem Draht verschiebbaren Gleitkontakt C ist die zu messende
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche Sätze
173
Spannung Ux über ein empfindliches Galvanometer G geschaltet. Der Kontakt C wird nun so lange verschoben, bis das Galvanometer keinen Strom mehr anzeigt; damit dies immer möglich ist, muß die Spannung der Hilfsbatterie größer als die zu messende sein. Dann ist die am Draht zwischen A und C abgegriffene Spannung gerade entgegengesetzt gleich der gesuchten Spannung Ux; diese Spannung ist aber anderseits gleich IRÄC, wenn /die durch den Draht fließende Stromstärke und RAC den ohmschen Widerstand zwischen A und C bedeutet. Letzterer ist aber proportional der Länge a des Drahtstückes AC, die man an einem unter dem Draht liegenden Maßstab ablesen kann. Ersetzt man nun Ux durch eine bekannte Spannung Un, z. B. von einem Normalelement - zweckmäßig benutzt man zum Umschalten eine Wippe - , so muß man eine neue Abgleichung herbeiführen; das in diesem Falle zwischen A und C liegende Drahtstück habe die Länge b; dann gilt: Ux:Un
= a:b;
d.h.
Ux=Unüb'
Der Vorteil dieser Kompensationsmethode liegt vor allem darin, daß der zu messenden Spannungsquelle während der Messung kein Strom entnommen wird, so daß man sehr genau die elektrische Spannung messen kann, während dies bei Benutzung eines Voltmeters immer nur angenähert der Fall ist. Außerdem ist die Methode eine sog. Nullmethode, bei der auf Stromlosigkeit des anzeigenden Meßinstrumentes eingestellt wird - wie stark auch im übrigen die Ströme in den anderen Leitungsteilen sein mögen; die Abgleichung ist daher mit großer Genauigkeit möglich. Kompensationsmethoden mit Nullabgleich werden wegen ihrer großen Empfindlichkeit häufig in der Meßtechnik benutzt. Um das Nullinstrument vor einer Zerstörung zu schützen, muß vor jeder Messung sichergestellt sein, daß der Strom für das Instrument nicht zu groß ist (durch stufenweise Umschaltung vom unempfindlichen auf den empfindlichen Bereich). Eine zur Messung von Widerständen fast ausschließlich benutzte Schaltung ist die von Ch. Wheatstone (1843) angegebene Brückenschaltung (Abb. 135).
D
A
Abb. 135
Wheatstonesche Brückenschaltung
174
2 Der elektrische Strom
Der von der Spannungsquelle U kommende Strom verzweigt sich in den Punkten A und B; in beide Zweige sind je zwei Widerstände und R2 und R3, R4 eingeschaltet. Die beiden Zweigleitungen werden durch die „Brücke" CD, in der ein empfindlicher Strommesser (Galvanometer) G liegt, überbrückt. Durch Verändern der beiden Widerstände Rt und R2 kann man es erreichen, daß die Brücke C D stromlos wird, d. h. daß das Galvanometer beim Schließen des Schalters S keinen Strom anzeigt. Wir fragen nach den Bedingungen, die für diesen Fall erfüllt sein müssen. Nach dem ersten Kirchhoffschen Gesetz gelten für die vier Verzweigungspunkte bei A, B, C und D die folgenden Gleichungen: I0 = h + h\ I0 = I2 + I4; I2 = I1+I5-,
/3 = /4 + /5,
aus denen für den Fall, daß / 5 = 0 ist, folgt: /3 = I4
und
/, = / 2 •
Wenden wir ferner auf die beiden Maschen A D C A und DBCD das zweite Kirchhoffsche Gesetz an, so gilt: I3R3 + IsR5 - / I - R I = 0 und I*R4 — I2R2 — I5R5
=
0,
aus denen für den Fall, daß I 5 = 0 ist, folgt: I3R3=I1R1
und
I4 R4 =
I2R2.
Schreiben wir diese beiden Beziehungen in der Form: — — — I3
und
— — — R2 I4
so erhalten wir, da / 3 = / 4 und r2
= I 2 ist, die Proportion:
- IL3 r4
Nur wenn diese Gleichung erfüllt ist, ist die Brücke abgeglichen, d.h. der Brückenzweig CD stromlos. Sind also drei Widerstände, z.B. Ri, R2 und R4, bekannt, so läßt sich der vierte aus der Proportion berechnen. Es ist also: R^ — —— R4. R2 Bei der praktischen Ausführung der Schaltung bildet man die beiden Widerstände und R2, von denen nur ihr Verhältnis bekannt zu sein braucht, aus den Abschnitten eines Widerstandsdrahtes von bestimmter Länge und überall gleichem Querschnitt, der auf einem Maßstab mit Millimeterteilung ausgespannt ist. Längs des Drahtes läßt sich ein Kontakt verschieben, dessen Einstellung auf dem
2.3 Anwendungen des Ohmschen Gesetzes, Kirchhoffsche
175
Maßstab abgelesen wird. Dieser verschiebbare Kontakt ist der Punkt C in dem Schaltbild (Abb. 135). Da der Widerstandsdraht überall gleichen Querschnitt besitzt und sein spezifischer Widerstand überall der gleiche ist, ist das Verhältnis der links und rechts vom Kontakt C liegenden Widerstände Rt und R2 gleich dem Verhältnis der Drahtlängen : l 2 , die man auf dem Maßstab abliest. Es ist also: l
2
Wie Abb. 136 zeigt, bilden die vier Widerstände in der Wheatstoneschen Brükkenschaltung (Abb. 135) ein Drahtviereck, in dessen einer Diagonale die Stromquelle, in dessen anderer das Galvanometer liegt. Man kann daher wegen der Symmetrie in der Schaltung (Abb. 135) Stromquelle und Galvanometer miteinander vertauschen. D
Abb. 136
Schema der Wheatstoneschen Brückenschaltung
Anstatt den Meßdraht auf einem Maßstab auszuspannen, wickelt man ihn häufig in genau 10 Windungen auf einen Zylinder aus isolierendem Material (Kohlrauschsche Walzenbrücke, Abb. 137). Die Drahtenden sind über die Achse und zwei Schleifkontakte an zwei Klemmen geführt; den Schleifkontakt ersetzt
Abb. 137
Walzenbrücke nach Kohlrausch
176
2 Der elektrische Strom
ein Rädchen, das am Rande eine Rille besitzt, mit der es auf dem Draht gleitet. Durch diese Walzenbrücke wird die Unterbringung eines langen Meßdrahtes auf einem kleinen Raum ermöglicht. Die Wheatstonesche Brückenschaltung ist gleichfalls eine Nullmethode; bei einem empfindlichem Galvanometer im Brükkenzweig ist die Einstellung auch bei starken Strömen in den übrigen Zweigen mit außerordentlicher Genauigkeit möglich. Die Widerstandsthermometer und Bolometer werden im allgemeinen gleichfalls als einer der vier Widerstände in der Wheatstoneschen Brücke angewendet; ist die Brücke etwa bei Zimmertemperatur abgeglichen, so ruft jede Temperaturänderung am Draht des Widerstandsthermometers oder des Bolometers wieder einen Strom in der Brücke hervor, der als Maß für die Temperaturdiiferenz oder Energiestrahlung dienen kann.
2.4 Elektrische Arbeit, Stromwärme Bei einer Kondensatorentladung über einen Widerstand R fließt die gespeicherte elektrische Ladung von einer Kondensatorplatte durch den Widerstand zur anderen Platte; die Spannung am Kondensator verschwindet; die Ladung auf den Platten ist verschwunden. Die im Kondensator gespeichert gewesene Energie aber kann nicht verloren gehen. Sie tritt als Reibungsenergie der Elektronen im Widerstand und damit als Wärme auf. An den Enden des Widerstandes besteht die Potentialdifferenz V2 — V1 = £/; sie wird von der Ladung Q = I • t durchfallen. Dadurch wird die Energie W = U • Q = U • I • t als Wärme frei. Sie wird Joulesche Wärme genannt. Die elektrische Energie kann also in Wärme umgewandelt werden. Die Umwandelbarkeit der Energie von einer Energieform in eine andere ist ein typisches Kennzeichen für jede Art von Energie. Hier wenige Beispiele: Elektrische Energie = mechanische Energie = Arbeit = Wärme = kinetische Energie = potentielle Energie usw. Die Einheit der Energie ist: 1 Wattsekunde (Ws) = 1 Joule (J) = 1 Newtonmeter (Nm), bzw. 1 Kilowattstunde (kWh) = 3,6 • 106 Ws. Die Leistung ist Energie durch Zeit oder Arbeit durch Zeit. Die Einheit der Leistung ist somit: 1 Watt (W) = 1 Volt • 1 Ampere bzw. 1 Kilowatt (kW) = 1000 Watt. J.P. Joule hat (1840) experimentell gezeigt, daß die in einem Leiter erzeugte Stromwärme dem Quadrat der Stromstärke I, dem Widerstand R und der Zeit t proportional ist. Dies ist auch leicht einzusehen: Die Energie oder die Stromwär-
2.4 Elektrische Arbeit, Stromwärme
177
me W ist U I t. Ersetzt man U durch R • I, dann folgt das Joulsche Gesetz: W=I2Rt
(49)
James Prescott Joule (1818-1889) entdeckte dieses Gesetz schon in jungen Jahren. Er war ein eifriger Experimentator und besonders bestrebt, die Natur der Wärme zu ergründen, die man damals noch für einen Stoff hielt. Durch sein Stromwärmegesetz zeigte er sehr früh, daß Wärme kein Stoff sein kann. Dies wurde später durch seine Reibungsversuche noch bestätigt. Da die elektrische Energie oder Arbeit, die Wärme und die mechanische Arbeit vollkommen äquivalent, d.h. gleichwertig sind, kann man für diese verschiedenen Energieformen auch die gleiche Einheit, nämlich Wattsekunde bzw. Kilowattstunde verwenden. Die Meßmethoden sind aber verschieden und dadurch entstanden verschiedene Einheiten, die vielfach aus rein praktischen Gründen noch verwendet werden. Die Einheit der mechanischen Arbeit ist das Newtonmeter (Nm), d. h. die Einheit der Kraft mal Einheit des Weges. Die Wärmemenge wird durch Temperaturerhöhung von Wasser gemessen. So entstand die Einheit Kalorie (cal). U m aber die verschiedenen Einheiten möglichst durch eine zu ersetzen, hat man festgelegt, bzw. hat sich ergeben: • 1 Wattsekunde (Ws) = 1 Newtonmeter (Nm) = 1 Joule (J) = 107 Erg (erg) = 0,24 Kalorien (cal); 1 Kilowattstunde (kWh) = 3,6 • 10 6 Ws = 3,6 • 106 N m = 3,6 • 106 J = 860 kcal; 1 Kalorie (cal) = 4,1868 Joule (J); 1 Kilokalorie (kcal) = 1,16 • 1 0 " 3 kWh = 4,19 • 10 3 Joule (J). U m das mechanische Wärmeäquivalent zu messen, erzeugt man durch mechanische Arbeit Reibung, die wiederum Wärme erzeugt. Man mißt die Größe der mechanischen Arbeit und die erzeugte Wärme und vergleicht die Mengen beider Energieformen. - U m das elektrische Wärmeäquivalent zu messen, steckt man einen Tauchsieder bekannter Leistung in eine mit Wasser gefüllte Thermosflasche, mißt die Zeit des Stromdurchflusses, die Temperaturerhöhung des Wassers und die Wassermenge. Man vergleicht somit die geleistete elektrische Arbeit mit der vom Tauchsieder an das Wasser abgegebenen Wärmemenge. Bei solchen Versuchen ist stets peinlich darauf zu achten, daß keine Wärme entweicht. Wir prüfen die Richtigkeit des Jouleschen Gesetzes mit der in Abb. 138 skizzierten Versuchsanordnung. In zwei vollkommen gleichen Glasgefäßen A und B sind je zwei Spiralen aus dünnem Draht untergebracht; werden diese Spiralen durch einen hindurchfließenden Strom erwärmt, so überträgt sich ihre Erwärmung auf die sie umgebende Luft; diese dehnt sich aus und drückt die Flüssigkeit in dem offenen Schenkel des Manometers in die Höhe. Der an einer Skala ablesbare Stand des Manometers ist also ein M a ß für die im Gefäß entwickelte Wärme. Die vier Drahtspiralen sollen den gleichen Widerstand R haben. Dies läßt sich zunächst in der Weise kontrollieren, daß man nacheinander die Spulen 1 und
178
2 Der elektrische Strom
Abb. 138 Anordnung zur Prüfung des Jouleschen Gesetzes 3,2 und 4 und 1 und 4 in Reihe schaltet und einen Strom hindurchschickt. Dann müssen jedesmal die beiden Manometer den gleichen Stand anzeigen. Schaltet man dann die Widerstände 1,2 und 3 hintereinander, so befindet sich im Gefäß A der Widerstand 2 R und im Gefäß B der Widerstand R. Schickt man durch die in Reihe geschalteten Widerstände einen Strom I, so wird in A die doppelte Wärmemenge wie in B entwickelt, was man an dem doppelt so hohen Anstieg des mit A verbundenen Manometers erkennen kann. Dann schalten wir die Widerstände 3 und 4 parallel und in Reihe mit den hintereinandergeschalteten Widerständen 1 und 2. Im Gefäß A befindet sich jetzt der Widerstand 2 R, in B dagegen der resultierende Widerstand 1 /2 R. Schicken wir durch diese Schaltung einen Strom I, so entsteht in A pro Sekunde die Wärmemenge I2 • 2 R und in B die Wärmemenge / 2 • 1/2 R; die in A erzeugte Wärmemenge ist also jetzt viermal so groß wie die in B, was sich aus dem Stand der Manometer tatsächlich ergibt. Nach dem Jouleschen Gesetz hängt unter sonst gleichen Bedingungen (gleiche Stromstärke, gleicher Drahtdurchmesser, gleiche Drahtlänge) die entwickelte Wärme nur noch vom spezifischen Widerstand bzw. der Leitfähigkeit des Drahtmaterials ab. Dies läßt sich zeigen, indem man einen starken Strom durch eine Kette hindurchschickt, die abwechselnd aus gleich dicken und gleich langen Eisen- und Kupferdrähten besteht (Abb. 139). Man beobachtet dann, daß bei einer bestimmten Stromstärke nur die Eisendrähte glühen, während die Kupferdrähte infolge ihrer sechsmal größeren Leitfähigkeit dunkel bleiben.
2.4 Elektrische Arbeit, Stromwärme
179
Die Umwandlung von elektrischer Energie in Wärme erfolgt ohne Verluste. Selbstverständlich muß man bei einer Messung jedes Entweichen von Wärme vermeiden bzw. jede erzeugte Wärmemenge bei der Messung erfassen. Dies kann weitgehend verwirklicht werden, wenn sich ein Tauchsieder in einer mit Wasser gefüllten Thermosflasche befindet. Bei den im Haushalt verwendeten Heiz- und Kochgeräten wird ein Widerstandsmaterial (Chromstahl, Nickel-Chrom 80/20, Fe-haltig) verwendet, das bei einer Temperatur bis ca. 1000 °C zwar eine dünne Oxid-Schicht an der Oberfläche bildet, nicht aber durchoxidiert wird. Im Laboratorium werden oft Öfen verwendet, bei denen ein Platindraht oder -band auf einem Keramikrohr aufgewickelt ist. Außerhalb des Rohres befindet sich eine gute Wärmeisolierung; die zu erhitzenden Stoffe werden (z. B. in einem Tiegel oder Quarzrohr) in das Keramikrohr gelegt. Wegen des hohen Schmelzpunktes des Platins (1774°C) und seiner relativ guten chemischen Beständigkeit haben sich diese Öfen sehr gut bewährt. Noch höhere Temperaturen erhält man mit Widerstandsstäben aus Siliciumcarbid (ca. 2000 °C). Vermeidet man jede Art von Oxidation, z. B. durch Hochvakuum oder durch ein umgebendes Schutzgas (Wasserstoff-Atmosphäre), so kann man auch Wolfram oder Molybdän als Widerstandsmaterial verwenden; diese Metalle haben sehr hohe Schmelzpunkte (Wo 3380°C; Mo 2622 °C). Bei den Glühlampen erhält ein einfach oder doppelt gewendelter Wolframfaden eine Temperatur von etwa 2600 K. (Die ersten Glühlampen wurden 1854 von Goebel hergestellt, 1879 von Edison verbessert; man verwendete Kohlefäden, die durch Verkohlung von Bambusfasern unter Luftabschluß hergestellt wurden.) Um die Verdampfung des Wolframfadens zu verringern, wird der Glaskolben nicht mehr evakuiert, sondern mit einem Gas (Stickstoff, Argon, Krypton) gefüllt. Hierbei gibt der Glühfaden auch Wärme an das Füllgas ab. Dieser Anteil hängt wesentlich von der Länge des Glühfadens, praktisch aber kaum vom Durchmesser ab. Deshalb werden die Wolframfäden in Form von Wendeln, meist sogar von Doppelwendeln, verwendet (Abb. 140 a). Die mittlere Lebensdauer der Glühlampen beträgt etwa 1000 Stunden. Sie kann wesentlich erhöht werden, wenn die Temperatur des Glühfadens etwas gesenkt wird. Mit einer solchen Änderung sinkt aber die Lichtausbeute beträchtlich, weil der Anteil an unsichtbarem, infrarotem Licht bei Senkung der Glühtemperatur außerordentlich stark ansteigt. Die Lichtausbeute ist das Verhältnis von dem gesamten Lichtstrom sichtbaren Lichtes zur hineingesteckten elektrischen Leistung. Die Einheit ist Lumen durch Watt. Durch Temperaturerhöhung wird die Lichtausbeute erhöht und die Lebensdauer durch Verdampfung des Wolframs herabgesetzt, weil das Füllgas die Verdampfung nicht ganz verhindern kann. Mit der Zeit wird der Wolframfaden zu dünn und brennt durch; auch wird die innere Wand des Glaskolbens durch das verdampfte Wolfram geschwärzt und absorbiert das Licht. Abb. 140c zeigt eine Projektionslampe nach einer gewissen Brenndauer mit dem geschwärzten Glaskolben. Abb. 140 b zeigt eine gleich aussehende Lampe nach gleicher Betriebs-
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2 Der elektrische Strom
(a) (b) (c) (d) Abb. 140 (a) Wolfram-Doppelwendel; (b) Projektionslampe mit „Gitter" zur Herabsetzung der Diffusion des Wolframs von der Glühwendel zur Glaswand; (c) die gleiche Lampe wie bei (b) nach gleicher Betriebsdauer, jedoch ohne „Gitter" (man beachte die Schwärzung der Glaswand); (d) Halogen-Glühlampe für Photo-Aufnahmezwecke, 800 Watt, Gesamtlänge 8 cm zeit. M a n sieht einen dünnen Wolframfaden, der die Glühwendel ähnlich wie ein „ G i t t e r " bei einer Verstärkerröhre umgibt. Dieses Gitter erhält durch Bestrahlung von der Glühwendel eine Temperatur von etwa 1500 °C und hat den Zweck, das Temperaturgefälle von der Glühwendel zur Glaswand weniger schroff verlaufen zu lassen. D a d u r c h wird die Diffusion der Wolfram-Partikel, die sich in unmittelbarer N ä h e der Glühwendel bilden, in Richtung zur Glaswand stark herabgesetzt. Ein anderer, alter G e d a n k e führte zur Halogenlampe, die wegen des technologischen Aufwandes (z. B. Quarzkolben) erst spät eingeführt wurde. Sie h a t aber inzwischen sehr große Bedeutung erlangt (Abb. 140d). Als Füllgas wird ein H a logen (Fluor, Chlor, Brom, Iod) benutzt, überwiegend Iod. Der Ausdruck Halogen ( = Salzbildner) wird in der Chemie verwendet, da diese Elemente d u r c h Verbindung mit Metallen Salze bilden, z.B. NaCl. Das verdampfte Wolfram verbindet sich bei niedrigerer Temperatur, z. B. an der Wand, mit dem Halogen zu einer Wolfram-Halogen-Verbindung, die gasförmig ist. D u r c h Diffusion gelangen Moleküle dieser Verbindung auf die heiße Wolframwendel. Bei hoher Temperatur dissoziiert aber die Wolfram-Halogen-Verbindung, d. h. auf der heißen Wendel wird die Verbindung in ihre Bestandteile zerlegt. D a s Wolfram bleibt auf dem Wolframdraht und ist somit zurückgeführt; das Halogen (z.B. Iod) diffundiert fort und steht an der kälteren Wand wieder zur Verfügung, sich mit dem verdampften Wolfram zu verbinden. D u r c h diesen R ü c k t r a n s p o r t des verd a m p f t e n Wolframs ist es möglich, die Temperatur der Wolfram-Glühwendel zu erhöhen, wodurch des Spektrum des ausgesandten Lichtes weiter in den sichtbaren Bereich geschoben wird. Der Anteil des blauen Lichtes wird größer; das Licht sieht „weißer" aus. D a d u r c h ist auch der Wirkungsgrad gestiegen. Eine Schwär-
2.4 Elektrische Arbeit, Stromwärme
181
zung des Kolbens tritt selbst nach längerer Betriebsdauer nicht ein. Tabelle 5 zeigt den Anstieg der Lichtausbeute im Lauf der Entwicklung. Eine Projektionslampe ist mit aufgeführt, die zwar eine sehr hohe Lichtausbeute, dafür aber auch eine kurze Lebensdauer besitzt. Zum Vergleich sei erwähnt, daß moderne Gasentladungslampen (Leuchtröhren) eine Lichtausbeute bis zu 118 lm/W erreichen. Bei diesen wird die elektrische Energie nicht in Wärme umgewandelt, sondern zur Anregung von Metallatomen (Hg, Na) verwendet, die das Licht aussenden. Tab. 5 Lichtausbeute verschiedener Lampenarten Lampenart
Lichtausbeute bei gleicher mittlerer Lebensdauer von 1000 Std. in Lumen/Watt
Kohlefadenlampe; Vakuum
3
Lampe mit langem, nicht gewendelten Wolframdraht; Vakuum
9
Lampe mit einfach gewendeltem Wolframdraht; Argon als Füllgas
11
Lampe mit Wolfram-Doppelwendel; Krypton als Füllgas
14
Halogenlampe
21
kurzlebige Projektionslampe; mittlere Lebensdauer 25 Stunden; Wolfram-Doppelwendel; 2 bar/Iod-Füllung; 350 Watt
41 kurze Lebensdauer
zum Vergleich: Natriumdampf-Leuchtstoff-Lampe
118 lange Lebensdauer
Eine weitere Anwendung der Stromwärme stellen die Schmelzsicherungen dar. Sie sollen verhüten, daß eine elektrische Leitung im Falle eines Kurzschlusses zu stark erwärmt wird und das Gebäude in Brand setzen kann. Die Schmelzsicherungen bestehen zu diesem Zweck aus einem in einer Porzellanpatrone in eine Sandfüllung eingebetten Blei- oder Silberdraht, der nur für die zulässige Stromstärke ausreicht, bei höherer aber durchschmilzt und so den Strom selbsttätig ausschaltet. Die Sicherung stellt also eine künstlich hergestellte schwächste Stelle an einem bequem zugänglichen Punkt der Leitung dar. Auch zu Meßzwecken wird die elektrische Stromwärme benutzt. Man mißt die erzeugte Wärmemenge und schließt daraus auf die elektrische Leistung bzw. den Strom. Abb. 141 zeigt das Prinzip eines Hitzdrahtstrommessers. Ein dünner Platindraht H ist zwischen den beiden Punkten A und B, den Anschlußklemmen des Instrumentes, ausgespannt. In der Mitte des Drahtes bei C ist ein Faden befestigt, der über eine Rolle R führt und von einer Feder F gespannt wird. An der Achse der Rolle ist der Zeiger Z des Instrumentes befestigt. Dehnt sich nun infolge der Erwärmung durch einen elektrischen Strom der Draht aus, so zieht
182
2 Der elektrische Strom
B
A
Abb. 141
Schema eines Hitzdrahtstrommessers
die Feder an dem Faden und dreht damit die Rolle und den Zeiger im Uhrzeigersinn. Da die Erwärmung des Drahtes H proportional I2 ist, hängt die Längenänderung des Drahtes nicht von der Stromrichtung ab. Daher kann ein Hitzdrahtinstrument sowohl für Gleich- als auch für Wechselstrom benutzt werden. Man kann auch einfach die Erwärmung eines kurzen, dünnen Drahtstückes mit einem feinen Thermoelement (Abschnitt 2.5) messen, dessen (aus verschiedenen Metalldrähten bestehendes) Leiterpaar mit dem Meßdraht durch Punktschweißung verbunden ist (Abb. 142).
G
2
Abb. 142
Kupfer-Konstantan-Thermoelement
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt Bildet man einen elektrischen Stromkreis ohne Spannungsquelle, aber aus Drähten verschiedenen Materials bestehend, dann fließt ein elektrischer Strom, wenn die Berührungsstellen zweier verschiedener Metalle eine unterschiedliche Temperatur haben. Dies wurde zuerst von T h . J . Seebeck (1821) festgestellt. Man nennt einen solchen, nur durch Wärmewirkung hervorgerufenen Strom einen thermoelektrischen Strom oder kurz Thermostrom. Das bei Erwärmung oder Abkühlung den Strom liefernde Metallpaar heißt Thermoelement. Der beschriebene Vorgang läßt sich experimentell am einfach-
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt
183
sten so verwirklichen, daß man zwischen zwei mit den Klemmen eines empfindlichen Galvanometers verbundene Kupferdrähte einen Konstantan- oder Neusilberdraht oder besser noch ein Bismutstäbchen lötet und eine der beiden Lötstellen mit der Hand oder einer Flamme erwärmt (Abb. 142). Dann zeigt das Galvanometer einen Strom an, dessen Richtung sich umkehrt, wenn man die betreffende Lötstelle abkühlt oder wenn man an ihrer Stelle die andere Lötstelle erwärmt. Für die Entstehung des Thermostromes sind also nicht die Absolutwerte der Temperaturen an den beiden Lötstellen, sondern die Differenz zwischen diesen beiden Temperaturen verantwortlich. 2
Betrachten wir einen aus drei verschiedenen Metallen a, b und c bestehenden Kreis (Abb. 143) und bezeichnen wir die durch Erhitzen der Verbindungsstellen 1,2,3 entstehenden Thermospannungen mit t/ ab , Ubc und £/ca, so muß bei Erwärmung aller drei Verbindungsstellen auf die gleiche Temperatur die Beziehung t/ab + Ubc + t/ca = O bestehen. Hieraus folgt z. B. Uab = t/ ac + t/ cb , d. h. wir erhalten abgesehen vom Vorzeichen dieselbe Thermospannung, wenn wir nur die Stelle 1 allein erwärmen, oder wenn wir die Stellen 2 und 3 gemeinsam auf die höhere Temperatur bringen. Wenn man das Metall c als Lötmetall für die Verbindung der Metalle a und b betrachtet, ist es also für die Bestimmung von Thermospannungen gleichgültig, durch welches Lötmittel die betreffenden Metalle verbunden sind. Die letzte Gleichung zeigt ferner, daß man sämtliche Metalle, Legierungen und Halbleiter in eine thermoelektrische Spannungsreihe so einordnen kann, daß an der erwärmten Lötstelle der Strom aus dem in der Reihe folgenden Metall zu dem voranstehenden übergeht (Tabelle 6). Geringe Verunreinigungen oder verschiedenartige Vorbehandlungen können die Werte sehr verändern. Verbindet man z. B. einen zur Hälfte hartgezogenen, zur Hälfte ausgeglühten Messingdraht mit einem empfindlichen Galvanometer, so entsteht bei Erwärmung der Grenze zwischen ausgeglühtem und noch hartem Metall ein Thermostrom, da sich diese beiden Drahtteile wie verschiedenartige
184
2 Der elektrische Strom
Metalle verhalten. Auch ein elastisch auf Spannung beanspruchter Draht zeigt gegen einen unbeanspruchten Draht einen Thermoeffekt. Kristalle desselben Metalles ergeben an der Berührungsstelle verschieden orientierter Flächen oft beträchtliche thermoelektrische Wirkungen. Tab. 6
Thermoelektrische Spannungsreihe (Thermospannungen in mV/100 K) bei 100 °C
bei 0°C Bi Konstantan Ni Pd Pt Hg C AI Pb Sn Manganin Ir Rh Zn Ag Au W Fe Si Te Se
Platin gegen 7,0 3,4 — 1,5 — 0,3 0,0 0,0 + 0,2 + 0,4 + 0,4 + 0,4 + 0,6 + 0,7 + 0,7 + 0,7 + 0,7 + 0,7 + 0,8 + 1,8 + 45 + 50 —
—
Bismut gegen
Kupfer gegen
0,0 4,1 + 5,5 + 6,7 + 7,0 + 7,0 + 7,2 + 7,4 + 7,5 + 7,5 + 7,6 + 7,7 + 7,7 + 7,7 + 7,7 + 7,7 + 7,8 + 8,8 + 52 + 57 + 85
+ + + + +
—
8 4,1 2,2 1,0 0,8 0,8 0,6 0,4 0,4 0,3 0,1 0,1 0,1 0,0 0,0 0,0 0,1 1,0 44 49 98
Für Temperaturmessungen im Laboratorium und in der Industrie eignen sich die Thermoelemente vorzüglich. Man beachte jedoch, daß die Thermospannungen nicht genau proportional der Temperaturdifferenz sind. Deshalb braucht man zu jedem Thermoelement bei genauen Messungen eine Eichtabelle. Die folgenden Kombinationen haben sich bewährt; sie sind auch im Handel erhältlich: • Kupfer/Konstan tan Eisen/Konstantan Nickel/Nickelchrom Platin/Platin-Rhodium
4,25 mV 5,37 mV 4,10 mV 0,643 mV
kalte Lötstelle bei 0°C; heiße Lötstelle bei 100 °C.
Die hier angegebenen Thermospannungen sollen nur Anhaltswerte sein. Man beachte, daß die Spannungen für eine Temperaturdifferenz von 100 K gelten, und zwar dann, wenn die kalte Verbindungsstelle 0 °C und die heiße 100 °C hat. Steigt
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt
185
10 -
Abb. 144 Integrale Thermospannung verschiedener Metalle gegen Eisen im Bereich zwischen 0°C und 980 °C
die Temperatur weiter, z. B. auf mehrere Hundert Grad, dann ist der Verlauf der Gesamtspannung, der integralen Thermospannung vielfach merkwürdig. In Abb. 144 ist die integrale Thermospannung für einige Metalle gegen Eisen aufgetragen. Man sieht, daß einige Elemente sogar einen Wechsel des Vorzeichens zeigen. Daraus ist erkennbar, daß man die Thermospannung nur für eine sehr kleine Temperaturdifferenz angeben sollte. Es ist üblich, diese différentielle Thermospannung nur für eine Temperaturdifferenz von 1 Kelvin anzugeben, jeweils bei einer bestimmten Temperatur. In Abb. 145 ist die différentielle Thermospannung einiger Metalle gegen Kupfer im Temperaturbereich von 0°C bis 100 °C aufgetragen. Man kann daraus die integrale Thermospannung zwischen zwei Metallen für einen bestimmten Temperaturbereich ablesen. Als Beispiel ist der Bereich von 40 °C bis 100 °C für die Kombination Fe/Cd schraffiert. Dieses schraffierte Gebiet entspricht also der integralen Thermospannung. Die integrale Thermospannung für das Thermoelement Fe/Cd und für den Temperaturbereich 40 °C (kalte Verbindungsstelle) bis 100 °C (heiße Verbindungsstelle) beträgt somit
186
2 Der elektrische Strom
100 Temperatur t in °C
200
Abb. 145 Différentielle Thermospannung verschiedener Metalle bezogen auf Kupfer im Temperaturbereich 0°C bis 200 °C
Obwohl ein einzelnes Thermoelement nur eine sehr kleine Thermospannung liefert, kann man mit seiner Hilfe doch verhältnismäßig starke Ströme erzeugen, wenn man den Widerstand des ganzen Kreises nur klein genug macht. Biegt man z.B. einen 10mm starken Kupferdraht A (Abb. 146) zu einer Schleife und schließt sie durch zwei kurze eingelötete Konstantanstücke B, so fließt in diesem Kreis ein Strom von etwa 40 Ampere, wenn man durch Eintauchen des rechtwinklig umgebogenen Drahtendes in ein Glas mit Eiswasser die eine Lötstelle auf etwa 0° abkühlt und gleichzeitig die andere Lötstelle auf etwa 100 ° erhitzt, indem man das freie andere Ende des Kupferdrahtes in eine Bunsenflamme bringt. Es entsteht dann eine Thermospannung von etwa 4,2 • 10" 3 Volt. Da der Widerstand des ganzen Kreises, der in der Hauptsache durch die beiden Konstantan-
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt
187
stücke bestimmt wird, in der Größenordnung von 10~ 4 Ohm liegt, erhält man einen Thermostrom von 42 Ampere, der sich durch seine magnetische Wirkung nachweisen läßt. Zu diesem Zweck legt man die Kupferschleife zwischen zwei mit entsprechenden Rillen versehene gut aufeinander passende Eisenstücke C j und C 2 , die dann durch das magnetische Feld der einen Stromwindung so fest zusammengehalten werden, daß man an C 2 ein Gewicht von mehreren kg Masse anhängen kann. Die wichtigste Anwendung von Thermoelementen ist ihre Benutzung zu Temperaturmessungen. Für die meisten Zwecke genügt schon ein aus Drähten zweier verschiedener Metalle gebildetes Element, dessen eine Lötstelle man an den Ort der zu bestimmenden Temperatur bringt, während man die andere Lötstelle auf einer konstanten Temperatur, etwa der des schmelzendes Eises hält. Für Temperaturen von — 200 °C bis + 4 0 0 ° C verwendet man Kupfer-Konstantan, bis 800 °C Eisen-Konstantan-Elemente; für Temperaturen bis 1300 °C ist eine Kombination aus Platin und einer Legierung von Platin mit 10% Rhodium gebräuchlich. Um eine Berührung beider Drähte zu vermeiden, führt man den einen Draht durch ein dünnes Quarz- oder Porzellanrohr. Der Vorteil der Thermoelemente liegt in ihrer Kleinheit und der dadurch bedingten geringen Wärmekapazität, sowie in der Möglichkeit, das Anzeigeinstrument an einem anderen Ort aufzustellen. Dadurch ist z.B. eine Überwachung von Temperaturen direkt schwer zugänglicher Stellen möglich. Für medizinische und biologische Zwecke werden Thermoelemente als nadeiförmige Sonden hergestellt, die den Temperaturverlauf im lebenden Organismus zu verfolgen gestatten. Zur Strahlungsmessung benutzt man meist eine größere Anzahl hintereinander geschalteter Thermoelemente, eine sog. Thermosäule. Bei der schon früh (1835) gebauten Thermosäule sind Antimon- und Bismutstäbchen nach Abb. 147 so miteinander verlötet, daß die ungeradzahligen Lötstellen nach der einen, die geradzahligen nach der anderen Seite zeigen. Nur die Hauptlötstellen werden von der Strahlung getroffen; die Nebenlötstellen bleiben kalt. Dadurch addieren sich die Thermospannungen. Abb. 148 zeigt eine lineare Thermosäule, die zu Strahlungsmessungen von Spektrallinien geeignet ist. Zur besseren Absorption der Strahlung sind die Hauptlötstellen einzeln mit einer kleinen, geschwärzten Metallfolie bedeckt.
säule (b)
188
2 Der elektrische Strom
, 1 1 , 1 , 1 , 1 1 , 1 Eisen Konstantem
Abb. 148
Anordnung der Thermoelemente in einer linearen Thermosäule
An Stelle einer Thermosäule wird heute ein einzelnes, sehr kleines Thermoelement bevorzugt (geringere Wärmekapazität). Die auffallende Strahlung wird durch eine rotierende Blende periodisch etwa 10 mal pro Sekunde unterbrochen; der thermoelektrische Wechselstrom wird elektronisch verstärkt. Das Thermoelement befindet sich im Hochvakuum (infrarotdurchlässiges Fenster aus Quarz, LiF, usw.). - Eine prinzipielle Empfindlichkeitsgrenze ist dadurch gegeben, daß die Metalle nicht nur den elektrischen Strom, sondern auch die Wärme von der Lötstelle fortleiten. Man sucht deshalb nach Stoffen, die eine hohe Thermokraft und eine hohe elektrische Leitfähigkeit, jedoch eine schlechte Wärmeleitfähigkeit besitzen. Die theoretische Grenze liegt bei 10 ~ 1 1 Watt; praktisch kann noch eine auffallende Strahlung von 3 • 10~ 10 Watt nachgewiesen werden. Zur Messung kleiner Wechselströme, insbesondere von Hochfrequenzströmen, dient das Thermokreuz (Abb. 149). Bei diesem sind ein dünner Eisen- und ein Konstantandraht kreuzweise umeinander geschlungen und verlötet; ihre Enden sind zu den vier Anschlüssen A, B, C, D geführt. Legt man A und B an den zu messenden Wechselstrom, so fließt dieser über die Lötstelle und erwärmt sie. Die dadurch auftretenden Thermospannungen lassen sich an den Stellen C und D
Abb. 149
Thermokreuz zur Messung schwacher Wechselströme
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt
189
Konstantem Platindraht
Abb. 150
Thermoelement-Anordnung zur Messung von Wechselströmen
abnehmen und mit einem Gleichstrom-Galvanometer G messen. - Eine andere Anordnung zeigt Abb. 150. Der zu messende Wechselstrom wird durch einen dünnen Platindraht geleitet, an dem die Lötstelle eines Thermoelementes angelötet ist. Der mit einem Gleichstrom-Galvanometer meßbare Thermostrom liefert dann ein Maß für die Stärke des Wechselstromes. Die thermoelektrische Spannung ist sehr klein. Die mittlere differentielle Thermospannung liegt bei 1 0 - 4 bis 10" 5 V/K. Die thermoelektrische Spannung (Galvani-Spannung) ist nicht zu verwechseln mit der Kontaktspannung (Volta-Spannung). Diese ist die Differenz der Austrittsarbeiten für Elektronen zweier Stoffe; sie entsteht auch zwischen zwei Isolatoren und auch dann, wenn sich zwei Stoffe nahe gegenüberstehen und nicht berühren (sofern eine schwache Leitfähigkeit der Luft die wenigen Ladungen übertragen kann). Die Thermoelektrizität tritt nicht bei Isolatoren, sondern nur bei Metallen und einigen Halbleitern auf. Es muß eine gut leitende Verbindung hergestellt sein (Schweiß- oder Lötstelle). Es können große Ströme fließen, wie Abb. 146 zeigt. Die Metalle und einige Halbleiter enthalten freie Elektronen, maximal ein Elektron pro Atom. Dieses Elektron ist so wenig an das Atom gebunden, daß es sich frei bewegen kann. Die Gesamtzahl dieser freien Elektronen läßt sich mit einem Gas vergleichen; es gibt eine thermische Bewegung (wie bei den Molekülen eines Gases). Die maximale Energie der Elektronen ist begrenzt. Trägt man diese Energie in Abhängigkeit vom Ort auf, dann kann man die maximale Energie mit der Oberfläche eines Sees vergleichen. Diese maximale Energie ist aber bei verschiedenen Metallen verschieden groß. Werden nun zwei Metalle eng verschweißt, dann können die beiden Seen, um bei dem Bild zu bleiben, nicht nebeneinander mit verschiedener Höhe der Oberflächen bestehen bleiben. Es kommt schnell zu einem Ausgleich, bis die beiden Oberflächen, also die maximalen Energiewerte, wieder gleiche Höhe haben. Wird aber an einer Schweißstelle die Temperatur erhöht, dann entsteht wieder ein Niveauunterschied, weil die kinetische Energie der Elektronen in verschiedenen Metallen verschieden erhöht wird. Wenn stets Wärme von außen nachgeliefert wird, dann hat dies zur Folge, daß dauernd ein Ausgleich der verschiedenen Energiehöhen der Elektronen stattfindet; das heißt: es fließt ein Thermostrom. Dieses einfache Bild könnte dazu verleiten, anzunehmen, daß man eine Thermospannung auch erhalten würde, wenn man nur eine Schweißstelle erwärmt. Dies
190
2 Der elektrische Strom
ist aber nicht möglich. Ohne Temperaturgefalle (heiße Lötstelle und kalte Lötstelle) kann kein dauernder elektrischer Strom fließen. Um beim Thermoelement das Temperaturgefalle dauernd aufrecht zu erhalten, müssen die vernichteten und erzeugten Wärmemengen dauernd von außen zu- und abgeführt werden. Die Differenz dieser Wärmemengen muß gleich sein der elektrischen Arbeit des Thermostroms. Peltier-Effekt. Etwa 15 Jahre nach der Entdeckung des thermoelektrischen Effekts durch Th.J. Seebeck, nach dem dieser auch oft Seebeck-Effekt genannt wird, wurde von dem französischen Uhrmacher und Physiker Jean C. A. Peltier gefunden, daß an den Lötstellen eines Thermoelementes eine Erwärmung und eine Abkühlung auftritt, wenn durch das Thermoelement ein elektrischer Strom fließt. Die heiße Lötstelle beim Thermoelement kühlt sich ab und die kalte erwärmt sich, wenn der Elektronenstrom die gleiche Richtung hat wie der Elektronenstrom, der bei dem Seebeck-Effekt auftritt. Beim Seebeck-Effekt wird elektrische Energie aus dem bestehenden Temperaturgefälle genommen; beim PeltierEffekt wird der Elektronenstrom dem Zweileiterkreis aufgeprägt, also Energie zugeführt. Dies muß zur Folge haben, daß das Energieniveau der Elektronen bei der ersten Lötstelle (die beim Thermoelement heiß war) gehoben wird, wobei aus der Umgebung Wärme abgezogen wird (Abkühlung) und bei der zweiten Lötstelle (beim Thermoelement kalt) der Umgebung Wärme zugeführt wird. Die große Schwierigkeit des Nachweises besteht darin, daß durch den elektrischen Strom, der durch das Thermoelement geschickt wird, gleichzeitig Joulesche Wärme auftritt. Man muß also einen Weg suchen, der nur die Erwärmung und Abkühlung zeigt, nicht aber die Joulesche Wärme. Eine solche Möglichkeit wird nun beschrieben. Bei der Anordung der Abb. 151 ist ein Antimonstäbchen A zwischen zwei Bismutstäbchen Bx und B2 gelötet. Die beiden Lötstellen sind luftdicht in zwei Gefäßen T h j und Th 2 eingeschlossen, die durch eine U-förmige Glasröhre miteinander verbunden sind. Im unteren horizontalen Teil dieser Verbindung befindet sich ein Flüssigkeitstropfen F. Schickt man einen Strom von Bx über A nach
2.5 Thermoelektrizität, Peltier- und Thomson-Effekt
191
B 2 , so verschiebt sich der Tropfen von rechts nach links, da an der Lötstelle in T h j eine Abkühlung und an der Lötstelle in Th 2 eine Erwärmung auftritt. Bei Stromumkehr kehrt sich der beobachtete Effekt gleichfalls um. Die im Stromkreis natürlich gleichzeitig erzeugte Joulesche Wärme stört nicht, da sie einerseits in beiden Glaskugeln gleich groß ist, und sie anderseits dadurch sehr klein gemacht werden kann, daß man durch Wahl dicker Antimon- und Bismutstäbe den Widerstand klein macht, dem die Joulesche Wärme proportional ist. Lötet man ein Bismut- und Antimonstäbchen oder einen Kupfer- und Konstantandraht kreuzweise übereinander (Abb. 152) und schickt man von einer Batterie B einen Strom über die Lötstelle, so tritt je nach der (mittels des Stromwenders U einstellbaren) Stromrichtung eine Erwärmung oder Abkühlung der Lötstelle ein; nach Ausschalten des Stromes kann man diese Temperaturänderung durch die von ihr erzeugte Thermospannung nachweisen, indem man mittels des Schalters S ein Galvanometer G an die anderen Enden des Thermokreuzes anlegt. Dieser Versuch zeigt sogar noch mehr: Von dem durch die Lötstelle fließenden Strom wird ein bestimmter Energiebetrag zur Erzeugung der Temperaturänderung der Lötstelle verbraucht; die in der Lötstelle aufgespeicherte thermische Energie läßt sich nach Abschalten des Stromes im Galvanometerkreis als Thermostrom wieder zurückgewinnen.
Schließlich sei noch auf eine Demonstration des Peltier-Effektes bei hohen Temperaturen hingewiesen. Lötet man zwei etwa 12 cm lange, etwa 0,3 bis 0,5 mm starke Drähte aus Eisen und Konstantan hart aneinander, ohne daß die Lötstelle eine Verdickung erfahrt, und bringt man die Drähte in einem evakuierten Glasrohr durch einen elektrischen Strom zum Glühen, so hat man je nach der Stromrichtung einen verschiedenartigen Anblick. Fließt der Strom so, daß er die Lötstelle erwärmt, d.h. also vom Eisen zum Konstantan, so glüht die Lötstelle heller als die Drähte; kehrt man die Stromrichtung um, so daß die abkühlende Wirkung des Peltier-Effektes eintritt, so bleibt die Lötstelle dunkel und die Orte des stärksten Glühens befinden sich in etwa drei und fünf Siebentel der gesamten Drahtlänge. Elektrischer Strom und Wärmestrom. Der Wärmestrom wird in reinen Metallen bei jeder Temperatur überwiegend von den Elektronen getragen. (In verunreinig-
192
2 Der elektrische Strom
ten Metallen und in Metallegierungen ist der Anteil der Phononen zwar ebenso groß. Phononen sind die Energiequanten einer elastischen Welle, d. h. Energie der Kristallgitterschwingung). - Der elektrische Strom besteht ausschließlich aus der Drift-Bewegung der freien Leitungselektronen vom negativen zum positiven Pol, verursacht durch das elektrische Feld. - Der Wärmestrom und der elektrische Strom im reinen Metalldraht sind also Erscheinungen, für welche die freien Leitungselektronen verantwortlich sind. Gibt es viele freie Elektronen im Metall, wie z. B. im Silber und im Kupfer, dann kann sowohl der elektrische Strom als auch der Wärmestrom größer sein als z. B. im Bismut, in welchem es nur wenige freie Elektronen gibt (etwa tausend Mal weniger als im Silber). Gute elektrische Leiter sind auch gute Wärmeleiter. Das kann man im täglichen Leben oft beobachten. Dies kommt etwas präziser zum Ausdruck im Wiedemann-Franz-Lorenzschen Gesetz. Es lautet: Wärmeleitfähigkeit X elektrische Leitfähigkeit y Das Verhältnis von Wärmeleitfähigkeit zur elektrischen Leitfähigkeit ist proportional der thermodynamischen Temperatur T. Der Lorenz-Koeffizient L ist oberhalb von 250 K nahezu konstant und für verschiedene Metalle nicht sehr verschieden. Thomson-Effekt. William Thomson (der spätere Lord Kelvin) hat schon 1854 darauf aufmerksam gemacht, daß ein Unterschied bestehen muß, ob ein Metalldraht von einem Wärmestrom und einem elektrischen Strom gleichzeitig in einer Richtung durchflössen wird, oder ob die beiden Richtungen entgegengesetzt gerichtet sind. Dieser Unterschied ist auch gefunden worden und heißt ThomsonEffekt. Fließt ein elektrischer Strom in Richtung eines Temperaturgefälles, wobei unter elektrischem Strom stets ein Elektronenstrom gemeint ist, fließt er also vom heißen zum kalten Ende des Drahtes, dann findet bei einigen Metallen eine Verschiebung der Temperatur im Sinn der Stromrichtung statt. Dies ist z. B. bei Cu, Ag und Au der Fall. Bei anderen Metallen, z. B. bei Fe, Pt, Zn, Ni, und Konstantan, findet eine Temperaturverschiebung im Gegensinn der Stromrichtung statt. Im ersten Fall wird Wärme entwickelt, im zweiten Fall verbraucht. Man spricht daher auch vom positiven und negativen Thomson-Effekt. Die pro Zentimeter und pro Sekunde entwickelte „Thomson-Wärme" ist der Stromstärke / und dem Temperaturgefälle d T / d l längs des Leiters proportional. Proportionalitätskonstante ist der Thomson-Koeffizient. Er ist je nach der Metallart positiv oder negativ. Für Blei ist er gleich Null. Ein sehr anschauliches Verfahren zur Demonstration des Thomson-Effektes ist das folgende: Vier vertikal ausgespannte gleich starke und lange Drähte tauchen mit ihrem unteren Ende in Quecksilber (Abb. 153 a). Bringt man die Drähte durch einen Strom zum hellen Glühen, so entsteht an den durch das Quecksilber gekühlten Enden ein Temperaturgefälle und infolgedessen ein Thomson-Effekt,
2.6 Die Natur der elektrischen Leitung in Metallen
Wolfram
(a)
193
Platin
(b)
Abb. 153 Versuch zum Nachweis des Thomson-Effekts, (a) Versuchsanordnung, (b) beobachtete Glühwirkung der Drähte über dem Quecksilber
durch den die Grenzen des Glühens bei den in verschiedener Richtung vom Strom durchflossenen Drähten in entgegengesetztem Sinne verschoben werden. Abb. 153 b zeigt zwei photographische Aufnahmen dieser Glüherscheinung, dabei deuten die mit Pfeilen versehenen Striche unter den Aufnahmen die Richtung des Stromes in den einzelnen Drähten an.
2.6 Die Natur der elektrischen Leitung in Metallen Es wurden schon zahlreiche Andeutungen zu diesem Thema gemacht. Dieser Abschnitt soll zusammenhängend das Gebiet behandeln, soweit es an dieser Stelle schon möglich ist. Die Behauptung, daß nur freie Leitungselektronen die elektrische Leitung in Metallen übernehmen, wurde damit begründet, daß mit der elektrischen Leitung in Metallen kein Materie-Transport verbunden ist. Dies gilt genau nur für feste Metalle. (Es gibt allerdings eine Ausnahme: In einem glühenden Eisendraht wandert Kohlenstoff in Richtung zur Kathode). Doch es fehlt der Nachweis, daß wirklich freie Elektronen im Metall vorhanden sind. Dieser Beweis wird durch den Versuch von R. C. Tolman erbracht. Der Gedanke des Versuchs besteht darin, daß auch Elektronen Trägheitskräften unterliegen müssen, obgleich ihre Masse sehr klein ist. Aber ihre Zahl ist groß. Tolman brachte eine mit Kupferdraht bewickelte Spule in sehr schnelle Umdrehungen und brachte sie durch sehr kräftiges Bremsen zum plötzlichen Stillstand. Die Enden der Spule, mit einem Galvanometer verbunden, zeigten eine entgegengesetzte Aufladung im richtigen Sinn. Infolge der Massenträgheit der Elektronen gab es an einem Ende der Spule einen Überschuß von Elektronen und am anderen Ende einen Mangel. Der spezifische Widerstand reiner Metalle steigt nahezu proportional der thermodynamischen Temperatur. (Dies gilt nicht für tiefe Temperaturen). Der Widerstand entsteht überwiegend durch Stöße der freien Leitungselektronen mit
194
2 Der elektrische Strom
den Phononen des Kristallgitters. Ein Phonon ist das Energiequant einer elastischen Welle, einer Gitterschwingung. Wo es wenige Phononen gibt, das ist bei sehr tiefer Temperatur und in sehr reinen Kristallen der Fall, können die Leitungselektronen weite Strecken (über 106 Atomabstände) zurücklegen, ohne mit den Restatomen oder anderen Leitungselektronen zusammenzustoßen. Man muß bedenken, daß alle festen Metalle aus kleinen Kristallen bestehen und daß die Atome ohne ihr loses Valenzelektron, genauer also die Ionenrümpfe, nur etwa 15 bis 30 % des Volumens des Kristalls ausmachen. Die große mittlere freie Weglänge der Leitungselektronen im Kristall unter dem Einfluß eines elektrischen Feldes läßt auch den Schluß zu, daß das Leitungselektron von den Gitterbausteinen, also den Ionenrümpfen, offensichtlich nicht abgelenkt wird und daß Streuprozesse mit anderen Leitungselektronen sehr selten oder vielleicht garnicht vorkommen. Wir stellen die Frage: Wie kann man die Driftgeschwindigkeit der Elektronen im Metall erfahren? Bekannt ist die Ladung eines Elektrons aus dem MillikanVersuch: Elementarladung e = 1,6 • 10" 1 9 Coulomb oder Amperesekunden. Die Zahl der strömenden Elektronen ist durch die Stromstärke / gegeben: n•e / - — (H> n = Zahl der Elektronen t = Zeit Wir fragen nach der Geschwindigkeit u der Elektronenströmung und setzen l/u für t ein: / =
(52)
Da die Geschwindigkeit u der Drift-Bewegung der Elektronen von der Feldstärke E abhängt, wird der Begriff der Beweglichkeit fi verwendet: ^ ., . Geschwindigkeit u Beweglichkeit u = — —-. ^ elektr. Feldstärke E
v(53)
In der Beweglichkeit /x ist also die Geschwindigkeit u verschiedener Ladungsträger stets auf die gleiche Feldstärke E bezogen. Jetzt fehlt nur noch die Zahl der Elektronen pro Volumen V. Wir nehmen an, daß ein einwertiges Atom wie Cu leicht das lose an das Atom gebundene Elektron abgeben kann, welches dadurch zu einem Leitungselektron wird. So ist im Volumen V die Zahl der Leitungselektronen gleich der Zahl der Atome. Und diese kennen wir aus der relativen Atommasse AT (für Cu = 63,55), der Avogadro-Konstante NA = 6,02 • 10 26 /kmol, und der Dichte Q ( = Masse/Volumen) für Kupfer. Die Zahl der Elektronen n im Volumen V für Kupfer beträgt: 63,55 kg
8 , 9 - 1 0 3 ^ = 8 , 4 . 1 0 » . ^J rcr m
2.6 Die Natur der elektrischen Leitung in Metallen
195
Bevor wir diesen Wert in die Gl. (52) einsetzen, müssen wir diese so umwandeln, daß sie sich auf die Leitfähigkeit bezieht. Kurz zur Erinnerung: elektrischer Widerstand R = y (Ohmsches Gesetz) spezifischer Widerstand g = Widerstand R
Fläche Länge /
1 1 l Leitfähigkeit y = — = ' q R A Das Ohmsche Gesetz läßt sich auch so schreiben: I = y • A • E , bzw. die Stromdichte ist //A, also j = y • E . 1 y =
1
_._
= n
.e.M;M
=
_
y = 8 4
59 • 106 „_ . l o a , . 1 > 6 . 1 ( ) _ 1 9 =4,39-10-
m/s — .
Aus der elektrischen Leitfähigkeit, der Ladung des Elektrons und der Zahl der Elektronen im Kubikmeter Kupfer wurde die Beweglichkeit errechnet. Aus dieser ergibt sich, daß im Kupfer bei Einwirkung einer Feldstärke von 1 V/m die Geschwindigkeit der Elektronen 4,39 mm/s beträgt. Aber dieser kleine Betrag ist noch zu hoch, weil sich im Kupfer eine Feldstärke von 1 V/m (wegen der hohen Leitfähigkeit des Kupfers) nicht realisieren läßt. Man kann sich merken, daß die Geschwindigkeit der Elektronen im Kupferdraht unter 1 mm/s beträgt. Die hohe Leitfähigkeit der Metalle wie Kupfer, Silber und Gold beruht also nicht auf einer großen Geschwindigkeit der Elektronen im Draht, sondern auf deren sehr großen Anzahl. Die Grenzen des Ohmschen Gesetzes. Der Inhalt des Ohmschen Gesetzes ist die Proportionalität von Strom und Spannung. Wird die Spannung erhöht, steigt der Strom. Solange der Widerstand konstant bleibt, gilt auch das Ohmsche Gesetz. Versuche mit extrem dünnen Silber- und Goldfolien unter starker Kühlung haben ergeben, daß erst bei Stromdichten von 5 • 106 A/cm 2 eine Änderung des spezifischen Widerstandes um 1,5 % auftritt. Solange dieser bzw. die elektrische Leitfähigkeit y = n • e • ¡x konstant bleibt, gilt auch das Ohmsche Gesetz. Da die elektrische Elementarladung e eine Naturkonstante ist, bleiben nur die Möglichkeiten, daß sich die Zahl der Elektronen im Volumen V oder daß sich die Beweglichkeit ändert. Bei Stoffen wie Halbleitern ist die Zahl der Ladungsträger geringer und so kann man bei diesen leicht eine Abweichung vom Ohmschen Gesetz deshalb feststellen, weil eine Erschöpfung der Ladungsträger eintritt. Es stehen dann für einen größeren Strom, der wegen erhöhter Spannung fließen sollte, nicht mehr genügend Ladungsträger zur Verfügung. Der Strom nimmt nicht mehr proportional der Spannung zu. Man kann aber auch die Drift-Geschwindigkeit der Leitungselektronen herabsetzen, indem man senkrecht zur Strom-
196
2 Der elektrische Strom
richtung ein starkes Magnetfeld einwirken läßt. Die Elektronen beschreiben dann kleine Kreise, besonders bei sehr tiefer Temperatur, wo die Kreise nicht gestört sind, und in reinen und guten Einkristallen. So kann ein gut leitender Wolfram-Einkristall bei sehr tiefer Temperatur durch ein starkes Magnetfeld zu einem Isolator gemacht werden. - Da alle Metalle in festem Zustand aus Kristallen bestehen, muß noch erwähnt werden, daß viele Experimente an größeren Einkristallen einwandfrei ergeben haben, daß die elektrische Leitfähigkeit von der Kristallrichtung abhängt. Dies kann nur dadurch erklärt werden, daß die Beweglichkeit // in verschiedenen Kristallrichtungen verschieden ist.
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
3.1 Das elektrische Feld stationärer Ströme Das elektrische Feld eines stromdurchflossenen Leiters ist zwar viel weniger bedeutungsvoll als das magnetische Feld, das einen Leiter umgibt. Doch ist eine kurze Betrachtung nicht uninteressant. Der elektrische Strom fließt, weil ein elektrisches Feld vorhanden ist. Ohne Feld würde keine Bewegung von Elektronen stattfinden. Das Feld muß auch in jedem Abschnitt des Leiters vorhanden sein. Zur Vereinfachung denken wir uns ein Stück eines extrem schlechten Leiters. Die Enden der Feldlinien des elektrischen Feldes müssen Ladungen sein. Wo Elektronen sind, liegen die negativen Enden der Feldlinien; wo Elektronen fehlen, liegen die positiven Enden. Da der Leiter mit Ladungen angefüllt ist, und da auch an der Leiteroberfläche Ladungen liegen, müssen die Feldlinien, die von diesen Ladungen ausgehen, zum Teil im Raum liegen (Abb. 154). Das ist überraschend. Aber man kann den Verlauf der Feldlinien des elektrischen Feldes neben dem Leiter sichtbar machen.
Abb. 154 Elektrische Feldlinien ( flossenen Leiter
) und Niveaulinien (
) um einen stromdurch-
Freilich kann man zur Erzeugung des Feldlinienbildes nicht das elektrische Feld benutzen, das sich um einen metallischen Leiter ausbildet, das im allgemeinen viel zu schwach dazu ist, weil wegen der großen Leitfähigkeit keine erheblichen Potentialdifferenzen auf dem Leiter auftreten. (In einer Kupferleitung z. B. beträgt die maximale Feldstärke E = 10" 1 V/m.) Man kann aber z.B. einen
198
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
graphitierten Papierstreifen hohen Widerstandes nehmen, dessen Enden mit den Polen einer Influenzmaschine verbunden sind und gegeneinander eine Spannung von 20000 bis 40000 Volt besitzen. Die Mitte des Papierstreifens wird geerdet, um dort - zwecks Übereinstimmung mit Abb. 154 - das Potential V = 0 zu haben, d. h. den Verlauf der Feldlinien symmetrisch zur Mitte zu erhalten. Dann bilden sich mit der üblichen Versuchsanordnung - Grieskörner in Rizinusöl - die Feldlinien sehr schön aus, wie Abb. 155 zeigt, die in dieser Weise gewonnen ist; der schwarze Strich in der Mitte der Abbildung ist der stromführende Papierstreifen. Man erkennt aus beiden Abb. 154 und 155, daß die Feldlinien nicht senkrecht von dem Leiter ausgehen oder in ihn einmünden; die Feldstärke besitzt also an der Leiteroberfläche eine von Null verschiedene Tangentialkomponente. Das unterscheidet das Feld eines elektrischen Stromes von dem einer elektrischen Ladung: bei letzerer gibt es keine Tangentialkomponenten im Außenraum (im Innenraum überhaupt kein Feld), und die Kraftlinien setzen senkrecht auf dem Leiter an.
Abb. 155
Elektrisches Feldlinienbild eines stromdurchflossenen Leiters
Die Größe der elektrischen Ladung auf dem Leiter ist leicht zu berechnen. Nennen wir die Kapazität des Leiters pro Länge C, so ist die eines kleinen Stückes von der Länge dl offenbar C' dl. Hat nun diese Stelle des Leiters das Potential V, so sitzt hier die Ladung dQ = C' Vdl. Wegen der im allgemeinen kleinen Kapazität pro Länge ist auch dQ im allgemeinen klein und macht sich kaum bemerkbar; hat man es dagegen mit großen Kapazitäten zu tun, wie z. B. bei einem überseeischen Kabel, das ja eine riesige Leidener Flasche darstellt, so sitzen erhebliche Mengen Ladungen auf demselben, deren Ausbildung längere Zeit erfordert. Würde man den stromführenden Draht an einem Punkt z. B. mit einer Elektrisiermaschine verbinden, so würde zu den bisher besprochenen Aufladungen noch
3.1 Das elektrische Feld stationärer Ströme
199
eine rein elektrostatische Ladung hinzutreten, die pro Zentimeter Länge einen bestimmten (positiven oder negativen) Betrag hat. Sie überlagert sich den räumlich variablen Ladungen und bewirkt so lediglich eine Verschiebung der Stelle des Potentials Null. Das Feld dieser zusätzlichen elektrostatischen Ladung besitzt für sich keine Tangentialkomponente, da es eben senkrecht auf dem Leiter steht. Daher beeinflußt eine solche Ladung den Strom auch nicht im geringsten. Man kann z. B. ein galvanisches Element durch ein Amperemeter und einen Widerstand schließen, den ganzen Stromkreis auf einen Isolierschemel setzen und dann beliebig mit einer Elektrizitätsquelle aufladen: das Amperemeter zeigt unabhängig davon stets die gleiche Stromstärke. Natürlich ist das elektrische Feld nicht-geradliniger Leiter entsprechend komplizierter, aber im Prinzip ist es immer dasselbe: die Stellen positiven Potentials tragen positive, die negativen Potentials negative Ladungen, zwischen denen die Feldlinien verlaufen. Biegt man z.B. den geradlinigen Leiter der Abb. 155 zu einer Schleife zusammen, so erhält man in der Schleifenebene das Feldlinienbild der Abb. 156 a; auch hier erkennt man deutlich, daß die elektrischen Feldlinien nicht senkrecht auf dem Leiter stehen, sondern geneigt sind. Das unterscheidet den Feldverlauf der Abb. 156 a von dem in einem Plattenkondensator. Abb. 156 b gibt das elektrische Feld senkrecht zur Schleifenebene: hier hat man das bekannte Bild zweier entgegengesetzt gleicher elektrischer Ladungen vor sich.
(a) (b) Abb. 156 Elektrisches Feldlinienbild eines U-förmig gebogenen, stromdurchflossenen Leiters; (a) parallel und (b) senkrecht zur Leiterebene
200
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
3.2 Das Magnetfeld eines Stromleiters; magnetische Feldlinien Vorbemerkung-. In diesem und in den folgenden Abschnitten ist die Richtung des elektrischen Stromes (ebenso wie die Richtung des elektrischen Feldes) stets von plus nach minus festgelegt, also im Gegensatz zur Richtung des Elektronenstroms. Im Jahre 1820 entdeckte der dänische Physiker Chr. Oersted eine Wechselwirkung zwischen elektrischen Strömen und Magneten. Er beobachtete nämlich, daß eine Magnetnadel aus ihrer Ruhelage abgelenkt wurde, wenn ein stromführender Draht parallel zur Magnetnadel über dieselbe gehalten wurde. Floß der Strom bei diesem Versuch von Süden nach Norden, so wurde der Nordpol der Nadel nach Westen, ihr Südpol nach Osten abgelenkt (Abb. 157). Die Ablenkung der Nadel war aber entgegengesetzt, wenn die Stromrichtung umgekehrt oder der Draht unter die Nadel gehalten wurde (Abbildung 157 b). Ferner konnte Oersted bereits zeigen, daß die Magnetnadel um so kräftiger aus der Nord-SüdRichtung abgelenkt wird, je stärker der durch den Draht fließende Strom ist. Damit wurde Oersted zum Begründer eines neuen Zweiges der Physik, des Elektromagnetismus. Ganz allgemein wird das Ergebnis der Oerstedschen Versuche, d.h. die Richtung, nach der die Ablenkung der Magnetnadel erfolgt, durch folgende Regel von A.M. Ampère bestimmt: • Denkt man sich in dem Stromleiter eine menschliche Figur mit dem Strome schwimmend, den Kopf voran und das Gesicht der Nadel zugekehrt, so wird ihr Nordpol nach der linken Seite abgelenkt (Ampèresche Schwimmregel). In der Anwendung bequemer ist die folgende Regel: Legt man die rechte Hand in die Richtung des Stromes, so daß dieser vom Handgelenk nach den Fingerspitzen fließt und kehrt die Handfläche der Nadel zu, so wird deren Nordpol stets nach der Richtung des ausgestreckten Daumens abgelenkt.
ta) (b) Abb. 157 Oersteds Versuch zum Nachweis des magnetischen Feldes eines Stromleiters Die beschriebene Einwirkung eines stromdurchflossenen Leiters auf eine Magnetnadel beweist, daß sich in der Umgebung des Leiters ein Magnetfeld ausbildet, das sich dem Erdfeld überlagert und so die ursprüngliche Einstellung der Magnetnadel in die Nord-Süd-Richtung stört. Wir fragen nach der besonderen Art dieses Feldes. Diese Frage ist indessen so allgemein nicht zu beantworten, da das
3.2 Das Magnetfeld eines Stromleiters; magnetische Feldlinien
201
Magnetfeld außer von der Stromstärke offenbar auch von der Gestalt des Leiters abhängen wird; da diese ganz beliebig sein kann, wäre es hoffnungslos, einen allgemein gültigen Ausdruck für das Feld zu finden. Wir können nur spezielle einfache Leiterformen zugrunde legen, z. B. einen unendlich langen geradlinigen Draht (der im Unendlichen natürlich irgendwie geschlossen sein muß, da alle stationären Ströme geschlossen sind).
hängter Magnetnadeln
Magnetisches Feld im Außenraum eines unendlich langen geradlinigen Leiters. Untersucht man mit einer vollkommen frei beweglichen (etwa an einem Faden aufgehängten) Magnetnadel die Umgebung eines vertikalen, geradlinigen Stromleiters (Abb. 158), so stellt sich die Nadel stets horizontal und mit ihrer Längserstreckung senkrecht zum Leiter ein; sie ist also in der gewählten Horizontalebene tangential zu einem um den Draht als Mittelpunkt beschriebenen Kreis gerichtet. Voraussetzung ist hierbei, daß das Magnetfeld des Stromleiters das Erdfeld an Intensität stark überwiegt, damit letzteres nicht stört. Wir erhalten also den Satz:
Abb. 159 Mittels Eisenpulver sichtbar gemachte magnetische Feldlinien in einer zum Stromleiter senkrechen Ebene
202
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
• Die magnetischen Feldlinien (//-Linien) im Außenraum eines geradlinigen, stromdurchflossenen Leiters verlaufen in zum Stromleiter senkrechten Ebenen als konzentrische Kreise um den Leiter. Führt man den Leiter senkrecht durch ein Stück Karton, auf das man Eisenfeilspäne streut, so ordnen sich diese in der Tat zu Kreisen, wie Abb. 159 zeigt. In der folgenden Abb. 160 ist zur Ergänzung das Feldlinienbild in der Ebene des horizontal liegenden Drahtes wiedergegeben. Die Eisenteilchen ordnen sich in diesem Fall in kurzen geraden Linien an, die zur Drahtrichtung senkrecht verlaufen: ein Beweis, daß das Feld keine longitudinale, d. h. zur Drahtrichtung parallele Komponente besitzt.
Abb. 160 Mittels Eisenpulver sichtbar gemachte magnetische Feldlinien in einer Ebene dicht über dem Stromleiter
Die magnetischen Feldlinien eines geradlinigen Stromes beginnen oder enden also nirgendwo in magnetischen Polen, sondern bilden in sich geschlossene Kurven-, diese Aussage ist ganz allgemein gültig für jede beliebige Gestalt des Stromkreises. Die positive Richtung der Feldlinien ergibt sich aus der Einstellung der Magnetnadel (s. Abb. 158), und man findet folgenden Zusammenhang: • Blickt man in Richtung des Stromes, so stimmt die positive Richtung der magnetischen Feldlinien mit dem Uhrzeigersinn überein. Damit gleichwertig sind folgende Regeln: Die magnetischen Feldlinien umgeben einen Strom in dem Sinn, in dem man eine rechtsgängige Schraube (Korkzieher) drehen muß, damit sie sich in der Stromrichtung verschiebt (Maxwellsche Schraubenregel); oder auch: Umfaßt man den Stromleiter mit der rechten Hand (Abb. 161), so daß der Daumen in die Stromrichtung zeigt, so umschließen die Finger den Leiter in der positiven Richtung der magnetischen Feldlinien. Durch diese Bestimmung ist einem willkürlich bestimmten Umlaufssinn (dem positiven Umlaufssinn der Feldlinien) eine bestimmte Fortschreitungsrichtung (die positive Stromrichtung) zugeordnet, und zwar im Sinn einer Rechtsschraube. Bedenkt man, daß sowohl die Festsetzung der positiven Stromrichtung als
3.2 Das Magnetfeld eines Stromleiters; magnetische Feldlinien
203
y
Abb. 161 Zur Festlegung des Zusammenhangs zwischen Stromrichtung und Richtung der magnetischen Feldlinien (Maxwellsche Schraubenregel)
auch die der positiven Richtung der Feldlinien konventionelle Festsetzungen sind, so erkennt man, daß man die Zuordnung der positiven Fortschreitungsrichtung zu dem als positiv betrachteten Umlaufssinn auch gerade umgekehrt, nämlich im Sinn einer Linksschraube hätte treffen können. Das ist an sich gleichgültig und würde sich in den späteren Gleichungen nur durch das Auftreten eines Minuszeichens bemerkbar machen. Wir bleiben bei unserer hier getroffenen Festsetzung. Da eine Magnetnadel sich stets in die gleiche Richtung der Feldlinien eines Magnetfeldes einstellt, kann man daraus schließen, daß der Nordpol einer Magnetnadel einer Feldlinie folgen würde, bzw. daß der Südpol einer Magnetnadel in die entgegengesetzte Richtung wandern würde, wenn dies möglich wäre. In Abb. 162 ist ein Versuch beschrieben, bei welchem das Wandern eines Pols in Richtung der magnetischen Feldlinien gezeigt wird. Dies ist möglich, weil die Einwirkung der magnetischen Feldlinien des stromdurchflossenen Drahtes auf den Südpol der Magnetfeld ausgeschlossen wird. Der Boden einer Flasche ist abgesprengt; die Flasche steht mit dem Gummistopfen nach unten und ist mit Wasser gefüllt. Durch den Gummistopfen ist ein dicker Kupferdraht gesteckt,
Abb. 162
Bewegung eines Magnetpoles N im Feld eines Stromleiters
204
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
der oben rechtwinklig abgebogen ist. Eine magnetisierte Stricknadel ist durch einen Korken gesteckt und schwimmt senkrecht im Wasser. Wird ein elektrischer Strom (von einer Autobatterie) durch den Kupferdraht geschickt, dann bewegt sich die Magnetnadel im Kreis. Dies ist nur möglich, weil das Magnetfeld des Kupferdrahtes dort, wo er oben angebogen ist, nicht auf die Magnetnadel einwirken kann. Ein Nachteil ist, daß die Magnetnadel nur einen Kreis beschreiben kann, da sie an den abgebogenen Kupferdraht stößt. Man kann dann aber die Stromrichtung umkehren und die Magnetnadel sich zurückbewegen lassen.
proportional mit der Entfernung von diesem abnimmt
Wir wollen nun die Abhängigkeit der von einem geradlinigen Strom / in der Entfernung a erzeugten magnetischen Feldstärke H von den beiden Größen / und a untersuchen. Dazu dient folgender Versuch: Am oberen Ende des vertikalen Stromleiters (Abb. 163) sind drei Fäden befestigt, die einen Holzring tragen, in dem drei Stabmagnete in zum Stromleiter senkrechter Richtung so befestigt sind, daß ihre gleichnamigen Pole nach außen (und innen) zeigen. Leitet man durch den Draht einen Strom, so beobachtet man keinerlei Ablenkung oder Drehung des Magnetsystems um den Stromleiter, wie groß man auch die Stärke des Stromes wählt. Es müssen also, wenn wir mit Fx und F2 die Beträge der von dem Magnetfeld auf Nord- und Südpol ausgeübten Kräfte und mit a1 und a2 ihre senkrechten Abstände vom Stromleiter bezeichnen, die Drehmomente entgegengesetzt gleich, ihre Beträge F1 a1 und F2 a2 also einander gleich sein, d. h. es muß die Beziehung bestehen: = F2- a2, woraus die Proportion folgt: F1\F2 = a2\ai. Da die Nordund Südpole der Stabmagneten gleich stark sein müssen, sind die Kräfte und Feldstärken einander proportional, d. h. \H1\:\H2\
=
a2:al
Die magnetische Feldstärke eines geradlinigen Stromes ist umgekehrt proportional dem senkrechten Abstand von dem Leiter.
3.2 Das Magnetfeld eines Stromleiters; magnetische Feldlinien
205
Um die Abhängigkeit der Feldstärke / / v o n der Stromstärke / zu finden, spannen wir in einiger Entfernung über einer Magnetnadel einen Draht horizontal in der Ost-West-Richtung aus, so daß er mit der Ruhelage der Magnetnadel einen rechten Winkel bildet (Abb. 164). Wir schicken durch den Draht, und zwar in der Richtung von Ost nach West, einen Strom / und nähern ihn langsam der Magnetnadel. Bei einer bestimmten Entfernung a zwischen Draht und Nadel beobachten wir, daß die Einstellung der Nadel unbestimmt wird und diese bei weiterer Annäherung des Drahtes in die gerade entgegengesetzte Richtung umschlägt. In dem Augenblick, in dem die Einstellung der Magnetnadel unbestimmt wird - die Nadel schwingt dann mit großer Amplitude hin und her ist das am Ort der Nadel vom Strom erzeugte Magnetfeld gerade gleich und entgegengesetzt der Horizontalkomponente des Erdfeldes. Schwächen wir den Strom im Draht auf die Hälfte, ein Drittel usw. der ursprünglichen Stromstärke, so müssen wir, um das gleiche Ergebnis zu erhalten, die Entfernung a zwischen Draht und Nadel ebenfalls auf die Hälfte, ein Drittel, usw. verkleinern. Daraus folgt, daß die von einem geradlinigen Strom erzeugte Magnetfeldstärke der Stromstärke direkt proportional ist.
Abb. 165 Durch Eisenpulver sichtbar gemachtes Magnetfeld in einer zu einem stromdurchflossenen Hohlzylinder senkrechten Ebene
206
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
Wir haben bis jetzt das Magnetfeld im Außenraum eines Leiters, der vom Strom durchflössen wird, betrachtet. Aber wie ist das Magnetfeld im Innenraum eines Leiters? Nehmen wir zunächst einen hohlen Leiter an, bei welchem der elektrische Strom in der Wand fließt. Man kann sich die Wand ersetzt denken durch eine Vielzahl von parallelen Drähten, die dicht nebeneinander liegen und den Strom leiten. Jeder Draht ist vom kreisförmigen Magnetfeld umgeben. In jedem inneren Punkt heben sich die Magnetfelder dieser Ströme auf. D.h. im Innern eines elektrischen Hohlleiters gibt es bei Stromfluß kein Magnetfeld. Die Abb. 165 zeigt sehr anschaulich, daß im Innenraum des Hohlleiters das Eisenpulver ungeordnet liegen geblieben ist, während im Außenraum das Eisenpulver die kreisförmigen Feldlinien deutlich zeigt. Geht man vom Hohlleiter zu einem stromdurchflossenen Vollzylinder über, indem man die Wandung des Hohlleiters immer dicker und den Radius des Hohlraums immer kleiner werden läßt, dann ergibt die Rechnung, daß im Innern eines Vollzylinders, der in Richtung der Längsachse einen elektrischen Strom leitet, das Magnetfeld proportional dem Abstand von der Achse ist. Die Feldlinien im Innern des Leiters sind ebenfalls Kreise um die Drahtachse, ebenso wie die Feldlinien im Außenraum des Leiters. Die Abb. 166 zeigt graphisch den Verlauf der magnetischen Feldstärke im Innern des Leiters und im Außenraum.
H
Abb. 166 Abhängigkeit der magnetischen Feldstärke eines kreisförmigen zylindrischen Leiters von der Entfernung R von der Leiterachse
3.3 Das Magnetfeld von Stromschleifen und Spulen Ein kreisförmiger, stromdurchflossener Leiter verhält sich wie ein Stabmagnet, dessen Achse durch den Mittelpunkt des Kreises geht und senkrecht auf der Kreisfläche steht. Abb. 167 zeigt den Versuch mit einer kreisförmigen Stromschleife. Die Stromzuführungen gehen über die Lager; ein einstellbares Gewicht an einem Hebel ermöglicht die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen der Anziehungskraft eines Stabmagneten und der Stromschleife. Beim Wechsel der Stromrichtung muß auch der Stabmagnet umgedreht werden, wenn wieder Gleichgewicht hergestellt werden soll. Der folgende Versuch zeigt, daß ein kreisförmiger Stromleiter sich wie eine Magnetnadel verhält. In Abb. 168 sieht man
3.3 Das Magnetfeld von Stromschleifen und Spulen
207
einen kreisförmigen Stromleiter an einem Faden aufgehängt. Führt man über zwei Näpfchen, die mit Salzwasser gefüllt sind, einen elektrischen Strom zu, dann stellt sich die Stromschleife mit ihrer Fläche senkrecht zur Nord-Süd-Richtung ein. Die Achse der Stromschleife verhält sich ebenso wie eine Magnetnadel. In Abb. 169 sieht man das magnetische Feldlinienbild einer Stromschleife, links die Anordnung von Eisenpulver, rechts eine schematische Zeichnung der Feldlinien. Hier sieht man, daß in der Achse der Stromschleife die Feldlinien die gleiche Richtung haben, weil die Stromrichtung im Draht rechts vom Betrachter in die Papierebene hineingeht und im Draht links umgekehrt aus der Papierebene auf
(b) Abb. 169 Magnetisches Feldlinienbild einer Stromschleife; (a) mit Eisenpulver sichtbar gemacht; (b) gezeichnet
208
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
den Betrachter zu herauskommt. Das hat zur Folge, daß das Feldlinienbild ganz ähnlich dem eines Magnetstabs ist, wie man durch Vergleich mit Abb. 170 sehen kann. Allerdings muß man daran denken, daß die magnetischen Feldlinien, welche innerhalb der Stromschleife liegen, beim Stabmagneten innerhalb der festen Materie verlaufen.
la) (b) Abb. 170 Feldlinienbild eines Stabmagneten; (a) mit Eisenpulver sichtbar gemacht; (b) schematisch dargestellt
Man kann die Stromschleife so abändern, daß an Stelle des zylindrischen Drahtes ein dünnes Blech genommen wird, z.B. von der Breite 3 cm. Dadurch erreicht man, daß im Innern der Blechschleife die magnetischen Feldlinien auf einer längeren Strecke, z. B. 3 cm, parallel liegen, ähnlich wie beim Stabmagneten. Oder statt der kreisförmigen Schleife aus Blech nimmt man einfacher einen zylindrisch aufgewickelten Draht, der eine Spule bildet. Wenn die einzelnen Windungen dicht beieinander liegen, unterscheidet sich das Magnetfeld nicht von dem der Blechschleife. Denn die kreisförmigen magnetischen Feldlinien sind zwischen den einzelnen Windungen entgegengesetzt gerichtet und heben sich auf; im Innern der Spule und außerhalb der Spule aber sind sie parallel gerichtet und addieren sich. Die Abb. 171 zeigt das Feldlinienbild einer stromdurchflossenen Spule. Obgleich die einzelnen Windungen der Spule nicht sehr dicht nebeneinander liegen, verlaufen die magnetischen Feldlinien im Innern der Spule parallel und gehen nur außen an den Enden der Spule auseinander. Dieses Bild macht deutlich, was im Stabmagneten nicht sichtbar werden kann, daß es nur geschlossene magnetische Feldlinien gibt, sowohl beim geradlinigen Draht, bei der Stromschleife und bei der Spule, als auch im Stabmagneten. Das Verhalten einer langen Spule ist identisch dem Verhalten eines Stabmagneten. Dort, wo magnetische Feldlinien sich überlagern oder wo sie zusammenlaufen - sie schneiden sich nie! - ist die Wirkung auf das Eisenpulver größer. Dies ist auch an den Enden eines Magnet-
3.3 Das Magnetfeld von Stromschleifen und Spulen
209
Abb. 171 Mit Eisenpulver sichtbar gemachtes magnetisches Feldlinienbild einer zylindrischen Spule stabes der Fall. Hier scheinen die Feldlinien an den Enden außerhalb des Stabes auf einen Punkt im Stab hinzuweisen, der auch Magnetpol genannt wird. In Wirklichkeit aber liegen die magnetischen Feldlinien hier nur sehr dicht. Es gibt nur geschlossene magnetische Feldlinien. Dies wird besonders deutlich in der Abb. 172. Hier ist die Spule ringförmig als Torus ausgebildet. Die Spule hat keinen Anfang und kein Ende, wo die Feldlinien austreten könnten. M a n sieht daher den Kreisring mit den geschlossenen Feldlinien. An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, d a ß die elektrischen Feldlinien, im Gegensatz zu den magnetischen, stets von einer Ladung zur anderen gehen. Später wird allerdings eine sehr wichtige Erscheinung besprochen - die elektromagnetische Welle - , bei welcher kreisförmige elektrische Feldlinien nicht von einer Ladung ausgehen, sondern sich ringsförmig um kreisförmige magnetische Feldlinien ausbilden.
Abb. 172 Mit Eisenpulver sichtbar gemachte magnetische Feldlinien im Innern einer geschlossenen Ringspule (Torus)
210
3 Das elektrische und magnetische Feld stationärer Ströme
Abb. 173
Zur Messung des Magnetfeldes im Innern einer Spule
Die magnetische Feldstärke / / i s t ein Vektor. Man kann die magnetische Feldstärke einer Spule oder eines Stabmagneten durch Vergleich mit einer bekannten Feldstärke H0 messen. Die Feldstärken addieren sich wie Vektoren. In Abb. 173 sieht man eine Magnetnadel in einer Spule hängen. Die Magnetnadel dient nur zur Anzeige. Sie wird in die Richtung der horizontalen Komponente des magnetischen Erdfeldes eingestellt, solange durch die Spule noch kein Strom fließt. Die Spule liegt senkrecht zur Magnetnadel. Läßt man durch die Spule einen Strom fließen, dann wird die Magnetnadel sowohl durch das magnetische Feld der Erde als auch durch das der Spule beeinflußt. Man kann die Stromstärke I so einstellen, daß beide Felder gleich groß sind und die Magnetnadel einen Winkel von 45° gegen die beiden Richtungen der Felder bildet. (Abb. 174). Man kann so durch Vergleich mit einer bekannten Feldstärke eine unbekannte messen. Durch Veränderung der Stromstärke I und durch Auswechseln von Spulen verschiedener Windungszahl und Länge findet man auf diese Weise, daß der Betrag der magnetischen Feldstärke H in einer langen, gestreckten Spule proportional der Stromstärke I und proportional der Windungszahl pro Spulenlänge ist. N-1 magnetische Feldstärke | H\ = —-— / = elektrische Stromstärke N = Windungszahl der Spule / = Länge der Spule Die Einheit der magnetischen Feldstärke ist A/m. N
Abb. 174
Ho
Zur Wirkung der Tangentenbussole (bussola, ital. = Kompaß)
(54)
3.3 Das Magnetfeld von Stromschleifen und Spulen
211
Der Horizontalkomponente des magnetischen Erdfeldes entspricht eine Feldstärke von etwa H = 16 A / m . Eine längere Spule mit 20 Windungen/cm hat bei einem Stromdurchgang von / = 10 A eine magnetische Feldstärke von H = 20000 A/m. Durch Entladung einer Kondensatorbatterie lassen sich während sehr kurzer Zeit in kleinen Spulen Feldstärken bis zu 60 • 106 A/m erzeugen. Das Problem ist stets die Abführung der Jouleschen Wärme aus den Spulen. Deshalb enthalten sehr große, eisenlose Magnete einzelne, spiralförmige Kupferscheiben als Windungen, die durchlöchert sind, damit Kühlwasser parallel zur Spulenachse durch die Löcher fließen kann (Bitter-Magnete). Man erreicht bei einem Leistungsaufwand von 1 MW über längere Zeit in einem Innenraum vom Radius 1 cm eine Feldstärke von etwa 107 A/m. Magnetischer Fluß 0 und magnetische Flußdichte B. In den Feldlinienbildern sieht man die magnetischen Feldlinien sowohl dichter werden als auch auseinander gehen. Niemals schneiden sie sich. Niemals entstehen sie an irgend einem Punkt im Raum. Es sind stets geschlossene Linien, welche einen elektrischen Strom umgeben. Die Gesamtheit aller magnetischen Feldlinien, die einen elektrischen Strom begleiten, nennt man den magnetischen Fluß die Winkelgeschwindigkeit. Wird der Winkel a beim Drehen der Schleife aus der Nullage C D in der Zeit t erreicht, so gilt die Proportion: t _ OL T~1ti woraus folgt: «=
2n U T
so daß wir schreiben können: 2 7lt
C, die gleichfalls in Abb. 319 eingetragen sind. Sie zeigen, daß zwischen UQC und I0 eine Phasenverschiebung von 90° besteht, und zwar eilt I 0 der Spannung voraus. Wir betrachten folgende Spezialfälle: 1. Kapazität C = 0. Dann wird I0 = 0; ein Strom kann nicht fließen: Ein Kondensator der Kapazität Null stellt eine Unterbrechung der Leitung dar. 2. Kapazität C = oo. In diesem Falle wird I0/R, d.h. ein Kondensator unendlich großer Kapazität wirkt für einen Wechselstrom wie ein Kurzschluß. Ferner wird tan q> = 0, d. h. cp = 0. Es tritt also bei unendlich großer Kapazität keine Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung auf, und es gilt das Ohmsche Gesetz, wie für Gleichstrom.
Abb. 319
Vektordiagramm für einen Stromkreis mit Kapazität und Widerstand in Reihe
5.4 Allgemeines über Wechselströme
359
3. Ohmscher Widerstand R = 0. Dann wird tgcp = oo, also cp = 90°: der Strom eilt der Spannung um 90° voraus. Für den Scheitelwert von / erhalten wir / 0 = U0- co C. Bei diesem Strom haben wir es wieder mit reinem Blindstrom zu tun; denn wegen cp = 90° ist die von der Wechselstromquelle an den Kreis abgegebene Leistung gleich Null. Um dies zu verstehen, betrachten wir Abb. 320, in der eine sinusförmige Spannung Uund ein dieser um 90° voreilender Strom / in Abhängigkeit von der Zeit aufgetragen sind: außerdem ist die (U • /)-Kurve eingezeichnet. In der ersten Viertelperiode, während die Spannung ansteigt und der Strom absinkt, gibt die Stromquelle elektrische Energie an den Kreis, d.h. an den Kondensator ab, in dem sich ein elektrisches Feld aufbaut. Die Ladung ist beendet, wenn der Strom durch Null geht. In der zweiten Viertelperiode kehrt der Strom seine Richtung um, der Kondensator entlädt sich wieder und gibt seine elektrische Energie an die Stromquelle zurück, worauf sich das Spiel von neuem wiederholt. Streng genommen gelten diese Verhältnisse nur bei einem vollkommen verlustfreien Dielektrikum. Im allgemeinen findet aber in Dielektrika, besonders bei hohen Frequenzen infolge der Umpolung der in ihnen erzeugten oder der Umlagerung der in ihnen bereits vorhandenen Dipole eine Erwärmung statt, die einen Verbrauch an elektrischer Energie darstellt, so daß zu dem Blindstrom noch ein kleiner Wirkstrom kommt. Man gibt diese dielektrischen Verluste durch einen Verlustwinkel ö an, der folgendermaßen definiert ist: Die gesamte in einem Kondensator auftretende Verlustleistung ist durch Pv = Ieff
UeffcosL eine Phasenvoreilung der Spannung um 90° bewirkt, bezeichnen wir ihn mit icoL. Entsprechend wird der kapazitive Widerstand, der eine Phasennacheilung der Spannung um 90° hervorruft, mit
1
— o)C bezeichnet. Abb. 331c. Der Wirkwiderstand, der keinerlei Phasenverschiebung erzeugt, wird weiterhin mit R bezeichnet. Mit diesen imaginären Widerständen kann man nun genau so wie mit ohmschen Widerständen bei Gleichstrom rechnen. Zum Schluß ist das Ergebnis ins Reelle zu übertragen. Der absolute Betrag des gesuchten Wechselstromwiderstandes ist gleich der Wurzel aus der Quadratsumme des reellen und imaginären Teiles; die Phasenverschiebung tan
L>-
An diesen Beispielen kann der Leser die Einfachheit der symbolischen Rechnungsweise ersehen, wenn er damit die nach dem früheren Verfahren berechneten gleichen Aufgaben vergleicht. Aber die Rechnung hätte sich noch wesentlich vereinfachen lassen, wenn man die trigonometrischen Funktionen hätte herausheben können. Das gelingt durch folgenden Kunstgriff: Mit den trigonometrischen Funktionen ist die imaginäre Exponentialfunktion durch die Eulersche Formel e 10 " = coscoi + isintüi verknüpft. Es ist also coscüi = reeller Teil von ei
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Röntgen - Strahlen 7 - Strahlen
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Synchrotron-Strahlung Channeling - S t r a h l u n g
Abb. 457
Elektromagnetisches Spektrum
508
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
Leistungen unentbehrlich. Die Mikrowellen breiten sich etwa wie sichtbares Licht aus und werden auch wie dieses durch Parabolspiegel gebündelt. Die Fortleitung, z. B. von der Röhre zum Parabolspiegel, geschieht in runden oder rechteckigen Hohlleitern. Dadurch werden sie gegen Abstrahlung vollständig geschützt. Die Millimeter- und Submillimeter-Wellen (10 11 bis 10 12 Hz), die mit Röhren äußerst schwer herzustellen sind, lassen sich auch durch Temperatursträhler erzeugen. Sie gehören also zu den längsten Wellen des infraroten Lichtes. Infrarotes Licht ist immer in der Temperaturstrahlung (z. B. der Sonne und der Glühlampe) vorhanden. Sichtbares und ultraviolettes Licht wird bekanntlich auch durch Temperaturstrahler (Sonne, Glühlampe) oder durch leuchtende Atome einer Gasentladung (Hg-Dampf) erzeugt. Röntgenstrahlen entstehen durch Aufprall von schnellen Elektronen auf Materie. Die Elektronen treten aus einer Glühkathode aus, werden durch Hochspannung beschleunigt und beim Aufprall auf Materie gebremst. Es entsteht die sogenannte Röntgen-Bremsstrahlung. Reicht die Energie der Elektronen aus, um aus den getroffenen Atomen innere, fest gebundene Elektronen herauszuwerfen, so entsteht durch Nachrükken anderer Elektronen des Atoms auch eine monochromatische Eigenstrahlung der getroffenen Atome (charakteristische Röntgenstrahlung). Langwellige („weiche") Röntgenstrahlen entstehen schon bei einer Elektronenenergie von 20 keV, kurzwellige („harte") bei Elektronenenergien von 100 bis 200 keV. Die Durchdringungsfähigkeit von harten Röntgenstrahlen durch Materie ist viel größer als die von weichen Röntgenstrahlen. In das Gebiet der harten Röntgenstrahlen fällt auch die Gammastrahlung, die von den Atomkernen bei Umwandlungsprozessen, z. B. beim radioaktiven Zerfall, ausgesandt wird. Während ultraviolettes Licht von Materie stark absorbiert wird, werden Röntgenstrahlen von Materie bekanntlich nur wenig beeinflußt. Deshalb gelingt es auch kaum, Linsen für Röntgenstrahlen herzustellen. In neuester Zeit gewinnt das Spektralgebiet von 0,6 bis 1,2 |im Wellenlänge, das ist rotes und infrarotes Licht, für die Nachrichtenübertragung in Glasfaserkabeln zunehmend an Bedeutung. Viele haarfeine Fasern aus reinen Gläsern oder Quarzglas, zu einem Bündel zusammengefaßt, leiten das Licht über mehrere Kilometer unter geringen Verlusten fort. Infolge der Totalreflexion kann das Licht die Glasfasern nicht verlassen. Die hohe Lichtfrequenz wird überlagert (moduliert) mit sehr vielen niedrigen Frequenzen, die den Inhalt von tausenden von Telephongesprächen tragen. Als Lichtquellen dienen Leuchtdioden oder Laser. Als Empfanger werden Halbleiter-Photodioden oder empfindliche Photokathoden mit Sekundärelektronenvervielfachung verwendet. Diese neue Technik der Nachrichtenübertragung hat in Großstädten deshalb besondere Bedeutung, weil ein Glasfaserkabel viele Kupferkabel ersetzen kann.
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen
509
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen in der Nachrichtenübermittlung, historische Entwicklung Die großartige Entwicklung der drahtlosen Nachrichtenübermittlung von den ersten Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Verbreitung farbiger Fernsehprogramme über Satelliten verdient einen historischen Rückblick. Es ist heute k a u m noch vorstellbar, daß mit so einfachen Mitteln hervorragende Leistungen der Forscher und Ingenieure vollbracht wurden. Im folgenden treten biographische Bemerkungen in den Hintergrund. D a f ü r werden wichtige Fortschritte in Physik und Technik gewürdigt. Als erster hat G. Marconi (1897) Versuche angestellt, mit elektrischen Wellen Morsezeichen über größere Entfernungen zu übertragen. Er benutzte zu diesem Zweck als Strahler einen vertikal ausgespannten Draht, die Antenne, deren unteres Ende über eine Funkenstrecke F mit der Erde verbunden war (Abb. 458 a). Die Funkenstrecke wurde von der Sekundärwicklung eines Funkeninduktors J gespeist. In dem offenen Schwingungkreis der Sendeantenne A s entstehen dann beim Funkenübergang Schwingungen, deren Frequenz durch die Induktivität des Antennendrahtes und seine Kapazität gegen Erde gegeben ist. M a n kann einen derartigen senkrecht zur Erde ausgespannten Leiter als obere Hälfte eines in der Grundschwingung erregten stabförmigen Erregers auffassen. Wie m a n aus dem in Abb. 441 wiedergegebenen elektrischen Feldlinienbild eines Dipols erkennt, stehen die elektrischen Feldlinien senkrecht auf der durch die Dipolmitte gelegten Äquatorebene. M a n kann daher die Äquatorebene durch eine dünne leitende Fläche ersetzen, ohne den Vorgang der Wellenausbreitung zu stören, da die für elektrische Feldlinien notwendige Bedingung des Senkrechtstehens auf der leitenden Fläche erfüllt bleibt. Dasselbe gilt auch, wenn man die untere Hälfte des Strahlungsfeldes mit einem Leiter vollkommen ausfüllt. D a n n bleibt nur noch das über der leitenden Schicht verlaufende Strahlungsfeld übrig. Dieser Fall liegt bei einer auf der Erdoberfläche errichteten Antenne vor, deren unteres Ende geerdet ist. M a n kann sich diese jederzeit durch ihr Spiegelbild unter der Erde zu
A
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(b) Drahtlose (a) Sende- und Empfangsanlage nach Marconi
510
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
einem Dipol ergänzt denken. Die von einer solchen Antenne der Höhe h abgestrahlte Wellenlänge ist also gleich 4 h. Für die Strahlungsleistung einer geerdeten Antenne erhält man nur die Hälfte des für eine Dipolantenne angegebenen Wertes. Wichtig ist eine gute Erdung der Antenne, damit die im Übergangswiderstand auftretenden Energieverluste klein bleiben. (Man erreicht eine gute Erdverbindung durch ein in das Grundwasser eingesenktes Metallblech oder durch Verlegung eines ausgedehnten Drahtnetzes im Erdboden um den Antennenfußpunkt herum.) Durch Einschalten einer Spule in das untere Ende der Antenne läßt sich die ausgestrahlte Wellenlänge vergrößern, durch Einschalten einer Kapazität, die dann in Reihe mit der Antennenkapazität liegt, dagegen verkleinern. Auf der Empfangsseite benutzte Marconi eine ebensolche Antenne Ae, in deren unteres Ende an Stelle der Funkenstrecke der von E. Branly (1890) erfundene Kohärer oder Fritter K als Wellenindikator eingeschaltet war (Abb. 458 b). Der Kohärer besteht aus zwei in einer Glasröhre befindlichen Metallelektroden, zwischen denen sich feine Metallspäne befinden. In normalem Zustand ist der Übergangswiderstand zwischen den Elektroden so groß, daß die Batterie B t das Relais R nicht betätigen kann. Treffen jedoch elektrische Wellen auf die Antenne, so werden in ihr elektrische Schwingungen erzeugt, die zwischen den lose a n e i n a n derliegenden Metallspänen winzig kleine Fünkchen erzeugen, die die Späne zusammenbacken, so daß der Übergangs widerstand auf wenige Ohm heruntergeht und das Relais betätigt wird. Dieser niedrige Widerstand bleibt so lange bestehen, bis durch eine Erschütterung des Kohärers die Metallteilchen wieder getrennt werden. Die Erschütterung geschieht automatisch, da das Relais einen zweiten Stromkreis schließt; dadurch betätigt die Batterie B 2 eine elektrische Klingel, deren Klöppel den Kohärer erschüttert. Mit einer solchen Anlage konnte Marconi zum ersten Male Morsezeichen über den Atlantischen Ozean senden. Da bei der Marconischen Anlage die Funkenstrecke in der Antenne liegt, sind die ausgesandten Wellen sehr stark gedämpft, so daß sie bereits nach wenigen Schwingungen abgeklungen sind. Hinzu kommt, daß die in der Antenne verfügbare Energie, die V2 CU2 beträgt, wobei C die Antennenkapazität und U die Zündspannung der Funkenstrecke sind, sich nicht beliebig erhöhen läßt, da C verhältnismäßig klein ist und einer Erhöhung von U durch Isolationsschwierigkeiten bald eine Grenze gesetzt ist. Diese Nachteile des Marconischen Systems wurden von F. Braun (1900) dadurch wesentlich behoben, daß er die elektrischen Schwingungen in einem wohldefinierten geschlossenen Schwingungskreis (sog. Stoßkreis) erzeugte und dann induktiv auf den eigentlichen Antennenkreis übertrug (Abb. 459 a). Durch Vergrößerung der Kapazität C ist zunächst eine erhebliche Steigerung der Energie % CU2 möglich. Da der Antennenkreis keine Funkenstrecke mehr enthält, sind die in ihm erregten Schwingungen viel weniger gedämpft als beim Marconisender; dadurch wird eine Vergrößerung der Nutzschwingungszeit erreicht, d. h. der Zeit, in der der Antennenkreis nach der Erregung durch den Stoßkreis Energie abstrahlen kann. Da der Antennenkreis auf
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen A
511
V
ooo -4. Abb. 459
Drahtlose Sende- und Empfangsanlage nach Braun
den Stoßkreis abgestimmt sein muß, ergeben sich allerdings bei zu fester Kopplung zwei Kopplungswellen in der Antenne. Um Einwelligkeit zu erzielen, muß man daher auf Kosten der Energie die Kopplung genügend lose wählen. Der Nachteil der Zweiwelligkeit wurde schließlich durch Einführung der Löschfunkenstrecke (s. Abb. 407) beseitigt, die außerdem eine Erhöhung der Funkenfrequenz zuließ. Letzteres ergab auf der Empfangsseite neben einer Leistungssteigerung einen definierbaren Ton, der im Gegensatz zum gewöhnlichen Knallfunkensender auch noch bei atmosphärischen Störungen gut herausgehört werden konnte. Diese Löschfunkensender waren bis zur Einführung der Elektronenröhre als Schwingungserzeuger ausschließlich in Gebrauch. F. Braun gebührt ferner das Verdienst, den Empfang durch Einführung des von ihm erfundenen Kristalldetektors wesentlich verbessert zu haben. Der Detektor D, dessen Schaltung Abb. 459 b zeigt, stellt einen kleinen Gleichrichter dar, der die im Empfanger von den ankommenden Wellen erzeugten hochfrequenten Schwingungen gleichrichtet. Jeder durch einen Funken erzeugte Wellenzug ergibt einen Gleichstromstoß, so daß man im Empfangstelephon T einen Ton hört, dessen Höhe durch die Funkenfrequenz im Sender bedingt ist. Weitere Marksteine auf dem Gebiet der drahtlosen Telegraphie sind die Einführung des Lichtbogengenerators zur Erzeugung ungedämpfter Wellen und die Benutzung von Hochfrequenzmaschinen bei Langwellenstationen (Wellenlänge 6 bis 24 km). Abb. 460 zeigt die Schaltung eines Lichtbogensenders, der zum ersten Mal die Möglichkeit einer drahtlosen Telephonie gab. Zu diesem Zweck muß die Amplitude der vom Sender erzeugten Wellen im Rhythmus der Sprache oder Musik beeinflußt, d. h. moduliert werden. Dies kann z. B. dadurch geschehen, daß man in die Antenne ein Starkstrommikrophon, oder wie es Abb. 460 zeigt, eine „Steuerdrossel" S nach F. Pungs einbaut. Der zur Vermeidung von Wirbelstrombildung fein unterteilte Eisenkern der Drossel trägt zwei Wicklungen; die eine liegt im Antennenkreis, während die andere von einem Gleichstrom durchflössen wird, dessen Stärke durch ein Mikrophon M beeinflußt werden kann. Die dadurch hervorgerufene Änderung der Magnetisierung des Eisens beeinflußt die Induktivität und damit den Wechselstromwiderstand der Hochfrequenzwicklung.
512
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
A
Abb. 460
Drahtloser Telephoniesender mit Lichtbogengenerator
Moduliert man eine Hochfrequenzschwingung / = I0 sin co t der Kreisfrequenz co im Takt einer niederfrequenten Schwingung mit der Amplitude I'0 und der Kreisfrequenz co', so nimmt die modulierte Schwingung das Aussehen von Abb. 461 an und kann durch die Gleichung: I = Uo + I'o sin co' t) sin co t wiedergegeben werden. Dafür schreibt man häufig auch: / = I0 (1 + m sin co' t) sin co t, wobei man unter m = — den Modulationsgrad versteht, der maximal den Wert 1 annehmen kann. Trigonometrische Umformung der letzten Gleichung liefert: m m I = / 0 sin co / + —I 0 cos (co — co) / — — / 0 cos (co + co) / . Diese Gleichung sagt aus, daß außer der Trägerkreisfrequenz co (bzw. der Trägerfrequenz v) noch zwei Seitenkreisfrequenzen co + co' und co — co' (bzw. Seitenfrequenzen v + v' und v — v') auftreten. Diese drei Frequenzen strahlt ein modulierter Sender aus. Um eine modulierte Welle unverzerrt zu empfangen, muß der Empfanger die Trägerfrequenz und mindestens eine Seitenfrequenz aufnehmen, d.h. er muß eine hinreichende große Dämpfung, also eine hinreichend breite Resonanzkurve besitzen. Bei Übertragung von Sprache und Musik kommen
Abb. 461
Amplituden-Modulation einer Hochfrequenzschwingung
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen
513
Modulationsfrequenzen von 100 bis 10000 Hz vor, so daß ein damit modulierter Sender zwei „Seitenbänder" von 10000 Hz, also ein Gesamtfrequenzband von 20000 Hz ausstrahlt. Damit sich zwei Telephoniesender gegenseitig durch Interferenz nicht stören, müssen ihre Trägerfrequenzen einen Abstand von 20000 Hz haben. Das bedingt, daß sich in dem zur Verfügung stehenden Frequenzspektrum der elektrischen Wellen nur eine endliche Anzahl von Sendestationen unterbringen läßt, die um so dichter beieinanderliegen dürfen, je höher ihre Frequenz, d. h. je kürzer ihre Betriebswellenlänge ist. Man kann das Auftreten zweier Seitenfrequenzen bei der Modulation einer Trägerfrequenz mit einem technischen Frequenzmesser zeigen. Führt man diesem z. B. eine Frequenz 50 Hz zu und moduliert man diese mit der Frequenz 2 Hz, indem man die Stromzuführung zweimal pro Sekunde in regelmäßiger Folge unterbricht, so treten neben der Frequenz 50 Hz die beiden Nebenfrequenzen 48 Hz und 52 Hz als Seitenfrequenzen auf, wie dies die Abb. 462 zeigt. Außer der bis jetzt behandelten Amplitudenmodulation (AM) gibt es die ebenso wichtige Frequenzmodulation (FM). Diese hat den großen Vorteil, nicht störanfällig zu sein. Alle Störungen wie z.B. Blitze und Funken geben Amplitudensignale; die Frequenz wird aber nicht verändert. Bei der Frequenzmodulation wird das Signal der Trägerfrequenz dadurch aufgeprägt, daß die Frequenz geändert wird. Dies geschieht durch Änderung der Kapazität des Schwingkreises. Die Amplitude des Signals wird in einen Frequenzhub umgewandelt. Bei der Demodulation geschieht das Umgekehrte. Alle Ultrakurzwellen- (UKW-) und Fernsehsender haben Frequenzmodulation; alle Lang-, Mittel- und Kurzwellensender haben Amplitudenmodulation. Den entscheidenden Fortschritt brachte 1916 die Einführung der Elektronenröhre, sowohl als Generatorröhre auf der Sendeseite, wie auch als Gleichrichterund Verstärkerröhre auf der Empfangsseite. Da es dadurch möglich wurde, die in der Empfangsantenne von den ankommenden Wellen hervorgerufenen Schwingungen sowohl hochfrequenzmäßig als auch nach der Gleichrichtung noch niederfrequenzmäßig fast beliebig zu verstärken, konnte die Reichweite einer drahtlosen Sendestation außerordentlich vergrößert bzw. bei gegebener Reichweite die Größe der Sendeanlage wesentlich verkleinert werden. Es macht heute keinerlei Schwierigkeiten mehr, jede irdische Entfernung mit elektrischen Wellen zu überbrücken, und es gelingt sogar, elektrische Wellen am Mond reflektieren zu lassen.
48
50
52
Hz
48
50
52
Hz
Abb. 462 Modulation eines Wechselstromes von 50 Hz; (a) mit 2 Hz; Aufnahme (b) zeigt das Auftreten der Seitenfrequenzen bei 48 und 52 Hz
514
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
D u r c h die Verwendung der Elektronenröhre als Verstärker k o n n t e auf der Empfangsseite die bereits 1914 von F. Braun vorgeschlagene Rahmenantenne A n w e n d u n g finden, deren besonderer Vorteil neben ihrer Handlichkeit in ihrer Richtwirkung besteht. Die R a h m e n a n t e n n e (Abb. 463) ist nichts weiter als eine Flachspule großen Querschnitts (V2 bis 2 m 2 ), die mit einem D r e h k o n d e n s a t o r einen geschlossenen Schwingungskreis bildet. Steht die Windungsebene dieser R a h m e n a n t e n n e in Richtung der a n k o m m e n d e n Wellen, so induziert deren magnetisches Feld in den Windungen maximale Empfangsströme. Bei einer Drehung u m 90°, so d a ß die Rahmenfläche senkrecht auf der Richtung n a c h der Sendestation steht, verschwindet der E m p f a n g . Abbildung 464 zeigt das bei Dre-
Zum Verstärker
Abb. 463
Rahmenantenne
Richtung — z u m Sender
Abb. 464
Empfangscharakteristik einer Rahmenantenne
Abb. 465 Parabolantennen, (a) Der Hornstrahler des Senders (oder Empfängers) sitzt im Brennpunkt des Parabolspiegels, (b) Der Hornstrahler sitzt im Scheitelpunkt. In der Nähe des Brennpunktes sitzt ein Reflektor (Rotationshyperboloid)
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen
515
Abb. 465 Parabolantennen, (c) Das große Radio-Teleskop des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie Bonn. Die nach allen Seiten hin drehbare Antenne hat einen Durchmesser von 100 m und dient dem Empfang elektromagnetischer cm-Wellen, die von Sternen des Weltraums ausgesandt werden. Das Radio-Teleskop steht in Effelsberg in der Eifel.
516
7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
hung einer Rahmenantenne erhaltene Empfangsdiagramm. Man benutzt daher die Rahmenantenne mit Vorteil zu Peilzwecken in der Navigation. Für den großen Wellenlängenbereich, der heute in der Nachrichtentechnik verwendet wird (von den Langwellen, k = 2 km, bis zu den kürzesten Fernsehwellen, k = 2,5 cm) kann nicht die gleiche Antennenart verwendet werden. Die Antenne muß der Wellenlänge, die gesendet oder empfangen werden soll, angepaßt sein. Die kürzeren Wellen, kleiner als 1 m Wellenlänge, und besonders die Dezimeter- und Zentimeterwellen, breiten sich wie Lichtstrahlen aus. Deshalb kann man auch Parabolspiegel verwenden, welche die Strahlung gebündelt aussenden (Abb. 465). Die Richtcharakteristik ist eine schmale Keule oder bei den Dezimeter- und Zentimeterwellen ein paralleles Strahlenbündel. Es geht keine Strahlungsenergie nach den Seiten, nach oben oder in entgegengesetzter Richtung verloren. Solche Parabolantennen dienen den Richtfunkstrecken für die Verbreitung des UKW-Rundfunk- und Fersehnetzes, für Sender und Empfänger. Siehe auch Abb. 465 c. Zum Senden und Empfang der Ultrakurzwellen für Rundfunk und Fernsehen werden meist Dipolantennen verwendet. Je kleiner die Wellenlänge, desto kürzer die Dipole. Auf den Dächern der Wohnhäuser sieht man noch oft das Bild: Ganz oben einen vertikalen Stab als Antenne für Lang-, Mittel- und Kurzwellenempfang, darunter eine VHF-Drehkreuzantenne für den Empfang von Frequenzen von 40 bis 100 MHz (Abb. 466 a). Teilbild b zeigt eine viel verwendete andere Art
(c) Abb. 466 Antennen, (a) Senkrechter Stab für Lang-Mittel- und Kurzwellen, darunter VHF-Drehkreuz-Antenne (zwei senkrecht zueinander stehende Dipole), (b) Senkrechter Stab mit Dipol-Antenne, (c) „Yagi"-Antenne mit Reflektor für UHF. An Stelle der horizontalen Dipole werden Dipolkreuze verwendet, wenn auch vertikal polarisierte Strahlung empfangen werden soll
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen
517
einer Dipolantenne für UKW-Empfang. Im Teilbild c sieht man eine typische UHF-Yagi-Antenne mit vielen horizontal liegenden Dipolen und einem Reflektor. Die Antenne wird genau auf den Sender gerichtet. Über die Very-HighFrequencies (VHF) und Ultra-High-Frequencies (UHF) und ihre Wellenlängen und Kanäle siehe am Ende dieses Kapitels. Schon früh hat die Frage interessiert, wie sich die elektrischen Wellen über die gekrümmte Erdoberfläche fortpflanzen. Dabei sind mehrere Wellengebiete zu unterscheiden, nämlich die Langwellen (1 bis 100 km), die Mittelwellen (100 bis 1000 m), die Kurzwellen (10 bis 100 m), die Ultrakurzwellen (1 bis 10 m), die Dezimeterwellen (0,1 bis 1 m), die Zentimeterwellen (1 bislO cm) und die Millimeterwellen. Die langen Wellen pflanzen sich vom Sender aus hauptsächlich als Oberflächenwellen fort, indem sie an der leitenden Erdoberfläche in ähnlicher Weise geführt werden wie die früher besprochenen Drahtwellen an einem Draht. Besäße die Erde unendlich große elektrische Leitfähigkeit, so würde eine Abnahme der Feldstärke nur infolge der Verteilung der Energie auf immer größere Flächen stattfinden, und die elektrischen Feldlinien ständen genau senkrecht zur Erdoberfläche. Die endliche Leitfähigkeit des Erdbodens und Seewassers bedingt aber eine schwache Neigung der elektrischen Feldlinien schräg zur Erdoberfläche und damit infolge des Auftretens einer zur Oberfläche parallelen Feldkomponente wegen ihrer Stetigkeit ein geringes Eindringen der Wellen in die Erde und infolgedessen eine Absorption. Zu der mitgeteilten Gl. (185) für die Feldstärke in der Entfernung r von einem Sender treten auf der rechten Seite noch zwei Faktoren hinzu, von denen der eine der Erdkrümmung und der zweite der Absorption Rechnung trägt. Infolge des exponentiellen Absorptionsgliedes der Form exp(— a r / j / I ) (a eine Konstante) ist der Empfang um so besser (oder die Reichweite einer Sendestation um so größer), je größer die Wellenlänge ist; aus diesem Grunde wählte man früher für den Überseeverkehr große Wellenlängen (z. B. Nauen-Buenos Aires 18 km). Eine Grenze in der Erhöhung der Wellenlänge ist jedoch durch die immer kleiner werdende Strahlung der Sendeantenne gegeben, deren wirksame Höhe sich nicht in gleichem Maße vergrößern läßt. Die Technik baute nach diesen Gesichtspunkten die drahtlosen Stationen für den Überseeverkehr und steigerte die Sendeleistung auf einige 100 Kilowatt, um am Empfangsort die für einen sicheren Empfang notwendige Feldstärke in der Größenordnung von 10" 5 Volt/m zu erzielen. Es erregte daher beträchtliches Aufsehen, als im Jahre 1924 amerikanische Amateure zeigten, daß man die gleichen Entfernungen auch mit elektrischen Wellen unter 100 m Wellenlänge und einer vielfach kleineren Leistung (unter günstigen Verhältnissen genügen 10 bis 100 Watt) überbrücken kann. Daß sich dabei diese kurzen Wellen wesentlich anders ausbreiten als die langen Wellen, ergibt sich aus folgenden Beobachtungen: Um den Sender bildet sich eine tote Zone aus, in der kein Empfang möglich ist; zwischen den bei Tag und bei Nacht überbrückbaren Entfernungen ergeben sich beträchtliche Unterschiede, und es gibt für eine Verkehrslinie besonders günstige Wellenlängen, in deren unmittelba-
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7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
rer Nachbarschaft sehr ungünstige Wellen liegen können, wobei die günstige Wellenlänge noch mit der Tages- und Jahreszeit sich ändert. Eingehende Untersuchungen haben ergeben, daß sich diese kurzen Wellen vorwiegend als Raumstrahlung ausbreiten, da die Bodenwelle infolge Absorption bereits nach wenigen Kilometern je nach der Wellenlänge vollkommen verschwunden ist. Von entscheidendem Einfluß auf die Ausbreitung der Raumwellen ist dabei der Zustand der die Erdkugel umgebenden Atmosphäre, aus deren höheren Schichten ein Teil der vom Sender frei in den Raum hinausgestrahlten Energie wieder zur Erde zurückreflektiert bzw. gebrochen wird. Als Erste haben 1902 E. Kennelly und O. Heaviside unabhängig voneinander daraufhingewiesen, daß in etwa 100 km Höhe über dem Erdboden sich eine Schicht befindet, in der sich unter dem Einfluß der Sonnenstrahlung (ultraviolettes Licht, Korpuskularstrahlung) eine starke Ionisation, d.h. ein Auftreten elektrischer Ladungsträger ausbildet, so daß diese Schicht, die man allgemein als Kennelly-Heaviside-Schicht bezeichnet, eine verhältnismäßig gute elektrische Leitfähigkeit besitzt. Da durch das Vorhandensein von Ionen und Elektronen die Permittivitätszahl der Atmosphäre abnimmt und somit nach der Maxwellschen Relation die Brechzahl kleiner wird, findet bei schrägem Einfall elektrischer Wellen in diese Kennelly-Heaviside-Schicht eine allmähliche Brechung und Krümmung der Wellen zur Erde zurück statt, wie es Abb. 467 schematisch für eine Reihe von Wellenstrahlen angibt. Man erkennt, daß die Reichweite von einem relativ großen Wert bei horizontaler Ausstrahlung (Strahl 1) mit wachsendem Ausstrahlungswinkel zunächst bis zu einem Minimum (Strahl 6) abnimmt, um dann wieder auf höhere Werte anzuwachsen (Strahl 7-9). Noch steiler von der Antenne abgestrahlte Wellen durchdringen die Ken-
7.8 Anwendung der elektromagnetischen Wellen
519
nelly-Heaviside-Schicht und kehren nicht mehr zur Erde zurück. Der Strahl 6 in Abb. 467 bildet die äußere Grenze der um den Sender liegenden toten Zone. Da die Bildung der Kennelly-Heaviside-Schicht vorwiegend durch die Sonneneinstrahlung bedingt ist, reicht die Schicht am Tage tiefer herunter als in der Nacht. Dadurch erklärt sich die oben erwähnte Abhängigkeit der Reichweite der kurzen Wellen von der Tageszeit sowie das Auftreten günstiger Wellenlängen. Wie man aus Abb. 467 ersieht, gibt es jenseits der toten Zone Gebiete, in die mehrere Wellen einfallen, die auf verschiedenen Wegen vom Sender kommen, zum Beispiel Strahl 4 und 8. Dies führt zu Interferenzerscheinungen, die unter dem Namen Schwundeffekt oder Fading bekannt sind und sich in Schwankungen der Empfangslautstärke bemerkbar machen. Bei Entfernungen zwischen 50 und 150 km kann es vorkommen, daß die tote Zone verschwindet, indem sich das Boden- und Raumwellengebiet überschneiden. Hier kommt es zu besonders unangenehmen Schwundeffekten. In den letzten Jahren ist es gelungen, durch Echoversuche mit elektrischen Wellen die wirksame Höhe der Kennelly-Heaviside-Schicht zu messen sowie ihre Struktur und dauernde Veränderung näher zu studieren. Diese Erforschung der Ionosphäre mit Hilfe der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen ist nicht nur für den Nachrichtenverkehr, sondern auch für die Geophysik und die Raumfahrt von Bedeutung. Man kennt jetzt die Ionenkonzentration der sog. E-Schicht (100 km Höhe) und der sog. F-Schicht (250 km Höhe). Die Beobachtungen des täglichen und des jahreszeitlichen Ganges der Ionenkonzentration, der Zusammenhang mit dem Magnetfeld der Erde und den Sonnenflecken ergeben wichtige Informationen über die Korpuskularstrahlung der Sonne über das Magnetfeld der Erde. Wie schon erwähnt, breiten sich die elektromagnetischen Wellen unterhalb von 1 m Wellenlänge wie Lichtstrahlen aus und lassen sich durch Parabolspiegel bündeln. Man sieht oft die Stationen der „Richtfunkstrecken" auf Bergen als Türme mit den ausgerichteten Parabolspiegeln oder die sich drehenden Radarantennen auf Flugplätzen und auf Schiffen. Laufzeitröhren. Bei sehr hohen Frequenzen ist die Zeit für den Lauf der Elektronen zwischen Kathode und Anode einer Röhre vergleichbar mit der Zeit einer Schwingung. Dies hat zur Folge, daß die Elektronen im Vergleich mit der Schwingungszeit zu spät an der Anode ankommen. Sie bewegen sich also nicht mehr phasenrichtig. Man geht daher einen anderen Weg und nutzt die Laufzeit der Elektronen aus. Man läßt die Elektronen z. B. durch zwei Gitter fliegen, die den Schwingungskondensator bilden. Während des Fluges der Elektronen zwischen den beiden Gittern ändert sich bei der hohen Frequenz bereits die Spannung zwischen den Gittern. Dies hat zur Folge, daß einige Elektronen beschleunigt, andere gebremst werden. Die Elektronen werden „phasenfokussiert", d. h. es werden Bündel (Pakete) von Elektronen gebildet. Wenn diese durch ein zweites Gitterpaar fliegen, und zwar besonders dann, wenn die Elektronen maximal zu Paketen gebündelt sind, können sie diesen zweiten Kondensator zu Schwingun-
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7 Elektromagnetische Schwingungen und Wellen
gen anregen. So kann eine Verstärkung und bei Rückkopplung auf den ersten Kreis eine Selbsterregung, das heißt Schwingungserzeugung eintreten. Solche Laufzeitröhren wurden etwa ab 1950 entwickelt und danach zunehmend eingesetzt. Es gibt Klystrons, Magnetrons und Wanderfeldröhren. Ihr Prinzip ist zwar grundsätzlich verschieden. Doch haben sie eines gemeinsam: die Ausnutzung der Elektronenlaufzeit für die Verstärkung und Erzeugung sehr hoher Frequenzen. Man kann mit ihnen bis zu Millimeterwellen vordringen. Die hohen Frequenzen (bis zu etwa 100 MHz {X = 3 m) werden wie Lichtstrahlen über Parabolspiegel fortgeleitet. Sie breiten sich also geradlinig aus. Heute werden für den Hörfunk die folgenden Frequenzen (Wellenlängen) benutzt (runde Zahlen): • Langwellen: 140 kHz (2,14 km) bis 350 kHz (860 m) Mittelwellen: 500 kHz (600 m) bis 1600 kHz (188 m) Kurzwellen: 3,2 MHz (94 m) bis 30 MHz (10 m) Ultrakurzwellen (UKW): 87,5 MHz (3,4 m) bis 108 MHz (2,78 m) Für den Fernsehfunk (Bild- und Ton-Träger, deren Abstand ist 5,5 MHz) werden die folgenden Frequenzen (Wellenlängen) benutzt (runde Zahlen): • Bereich I 47 MHz (6,4 m) bis (Kanal 2-4) Bereich III 174 MHz (1,7 m) bis (Kanal 5-12) Bereich IV 470 MHz (0,6 m) bis (Kanal 21-39) Bereich V 623 MHz (0,5 m) bis (Kanal 40-60) Bereich VI 12 GHz (2,5 cm) neu
68 MHz (4,4 m) 230 MHz (1,3 m)
VHF = Very High Frequencies
620 MHz (0,5 m) 790 MHz (0,38 m)
UHF = Ultra High Frequencies
Die Polarisation der Langwellen- und Mittelwellensender-Strahlung ist vertikal, die der Kurzwellensender horizontal, die der UKW-Sender überwiegend horizontal. Etwa 2/3 der Fernsehsender strahlt horizontal polarisierte Wellen aus, der Rest vertikal polarisierte. Selbstverständlich müssen die Empfangsantennen der Polarisation der Strahlung angepaßt sein: die Dipole einer Fernseh-Empfangsantenne müssen horizontal liegen, wenn die Polarisation der Strahlung des Senders horizontal ist. Dies ist aber nicht immer möglich, z. B. bei Autoantennen, die überwiegend vertikale Strahlung empfangen. Deshalb gibt es UKW-Sender, die zirkulär polarisierte Strahlung aussenden. Diese entsteht durch Überlagerung einer horizontalen und einer vertikalen Komponente mit 90° Phasenverschiebung. Allerdings ist dies mit dem Nachteil verbunden, daß Antennen, die horizontal polarisierte Strahlung empfangen, weniger Strahlungsfeldstärke (70%) erhalten.
8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
8.1 Die Leitfähigkeit der Gase Gase sind gute Isolatoren. Ihre elektrische Leitfähigkeit bei Raumtemperatur und bei normalem Druck ist sehr klein, aber immerhin meßbar. Jeder elektrische Leiter verliert trotz bester Bernstein-Isolation allmählich seine Ladung in Luft oder in anderen Gasen. Diese Abnahme der Ladung kann nicht durch die Leitfähigkeit des Bernsteins erklärt werden. Die elektrische Leitfähigkeit des Bernsteins liegt bei etwa 10" 1 8 O h m " 1 cm" 1 . Die der Gase ist etwa einhundert mal größer. Sie ist nicht konstant, sondern hängt stark von äußeren Einflüssen ab. Entgegen häufig geäußerter Meinung hat auch Wasserdampf nur eine sehr kleine Leitfähigkeit, wie E. Warburg in besonderen Versuchen gezeigt hat. Daß elektrostatische Versuche in Luft mit großem Wasserdampfgehalt häufig nicht gelingen, liegt nur daran, daß sich auf den Apparateteilen eine dünne Wasserhaut infolge Kondensation des Dampfes niederschlägt, die elektrolytisch leitet. Eine elektrische Leitfähigkeit gibt es immer dann, wenn bewegliche Ladungsträger vorhanden sind. Dies können ionisierte, also elektrisch geladene Gasmoleküle sein. Diese können (z. B. durch energiereiche Strahlung) ein Elektron verloren haben; dann ist das neutrale Molekül zu einem positiven Ion geworden. Das abgespaltete Elektron kann sich eine kurze Zeit lang im elektrischen Feld bewegen und trägt somit zur Leitfähigkeit bei. Dann kann es sich an ein neutrales Molekül anlagern und bildet mit diesem ein negatives Ion, das ebenfalls einen Beitrag zur Leitfähigkeit liefert. Schließlich neutralisieren sich die positiven Ionen und die negativen Ionen oder Elektronen wieder und damit erlischt ihr Beitrag zur elektrischen Leitfähigkeit. Die geringe elektrische Leitfähigkeit der Gase zeigt aber, daß immer ein kleiner Teil von Ladungsträgern im Gas vorhanden ist. Man kann diesen Teil leicht durch Strahlung oder Temperatur erhöhen und dadurch die Leitfähigkeit ganz wesentlich verändern. Die elektrische Leitfähigkeit y eines Gases steigt einerseits mit der Zahl der Ladungsträger pro Volumen und andererseits mit ihrer Beweglichkeit. Unter Beweglichkeit fi versteht man das Verhältnis Geschwindigkeit/Feldstärke, also die auf die anliegende Feldstärke bezogene Geschwindigkeit der Ladungsträger. Die elektrische Leitfähigkeit der Gase deutet somit auf das Vorhandensein geringer Mengen von elektrischen Ladungen in den Gasen hin.
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8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
Einige einfache Versuche sollen zur Anschaulichkeit beitragen. In Abb. 468 sieht man einen Plattenkondensator, der an eine Gleichspannungsquelle, hier an eine Batterie B, angeschlossen ist. Zwischen den Platten P j und P 2 des Kondensators ist Luft. Ihre geringe Leitfähigkeit reicht nicht aus, im Galvanometer G einen Strom anzuzeigen. Wir bringen nun ein Pendel, bestehend aus einer leichten Metallkugel an isolierendem Faden, ins Innere des Kondensators und berühren mit der Metallkugel etwa die positiv geladene Platte P x . Die Kugel übernimmt dann eine ganz bestimmte positive Ladung, wird von P t abgestoßen und von P 2 angezogen. Dort gibt sie bei der Berührung ihre positive Ladung ab, übernimmt von P 2 eine gleich große negative Ladung, die sie nunmehr nach P x transportiert. So geht das Spiel weiter, das Pendel geht dauernd zwischen P j und P 2 hin und her, positive Ladung von P t nach P 2 und negative Ladung in umgekehrter Richtung befördernd. Mit anderen Worten: Es fließt jetzt ein elektrischer Strom. Es war dazu notwendig, daß bewegliche positive oder negative (bzw. positive und negative) Ladungen in den Nicht-Leiter Luft eingebettet wurden. Diese Ladungen werden durch das elektrische Feld in Bewegung gesetzt, stellen also einen Strom dar. Wir können sagen, daß durch die beschriebene Anordnung die Luft ein „Leitvermögen" erhalten hat.
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Abb. 468
B Versuch zur Stromleitung durch Ladungsträger
Eine Variante des Versuchs besteht in folgendem: Zwischen die Platten eines horizontal liegenden Kondensators bringt man Aluminiumpulver; werden die Platten geladen, so tanzen die Aluminiumteilchen zwischen den Platten hin und her und führen schließlich den Ausgleich der Ladungen herbei, und zwar um so schneller, je größer die Zahl der AI-Teilchen ist. Daraus kann man schließen, daß die Leitfähigkeit der Gase um so größer sein wird, je größer die Zahl der Elektrizitätsträger ist. Man kann den eben genannten Modellversuch auch leicht abändern. Wie bereits früher erwähnt, wird bei einem Gemisch von Mennige und Schwefelpulver, das man tüchtig durcheinanderwirbelt und dann durch eine Düse bläst, die Mennige positiv, der Schwefel negativ elektrisch. Bläst man ein solches Gemisch
8.1 Die Leitfähigkeit der Gase
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Abb. 469 Zylinderkondensator zum Nachweis der Elektrizitätsleitung durch staubförmige Träger der Ladungen
durch einen Zylinderkondensator, an dessen Elektroden eine Spannung von etwa 200 Volt über ein Galvanometer liegt, so zeigt dieses einen Strom an (Abb. 469). Die Anordnung trifft man zweckmäßig folgendermaßen: Die aus einem in der Mitte auseinandernehmbaren Metallrohr bestehende Außenelektrode A verjüngt sich an beiden Enden zu Schlauchansätzen; die Innenelektrode I besteht aus einem isoliert eingeführten Metallstift (mit abgerundeten Ecken). Nimmt man nach dem Durchblasen den Kondensator auseinander, so findet man die mit dem negativen Pol verbundene Elektrode mit einer Schicht von Mennige, die positive dagegen mit einer Schwefelschicht überzogen. Dieser Modellversuch wird in der Technik in großem Maßstab zur Entstaubung von Abgasen in Mühlen, Zementwerken, Bergwerken usw. benutzt. Zu diesem Zweck leitet man die Gase durch einen vertikal stehenden, großen Zylinderkondensator (Abb. 470), an dessen Elektroden eine Spannung von 50000 Volt (und höher) liegt. Wenn die in den Gasen enthaltenen Staubteilchen nicht von vornherein geladen sind, so wählt man die Spannung der drahtförmigen Innenelektrode so hoch, daß eine Spitzenentladung auftritt, die die Teilchen auflädt; diese schlagen sich dann an der Wandung nieder. Bezüglich der Leistungsfähigkeit solcher Anlagen sei als Beispiel angeführt, daß aus dem Flugstaub eines
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8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
Bleibergwerkes auf diese Weise täglich 3 Tonnen Staub mit einem Bleigehalt von 90 % abgeschieden wurden; der erforderliche elektrische Energiebedarf belief sich auf 190 Kilowattstunden. Auch bei elektrischem Stromdurchgang in Gasen werden wie bei der später behandelten Elektrolyse die Bezeichnungen Anode, Kathode und Ionen benutzt. Allerdings sind hier die Ionen überwiegend nur ein- oder mehrfach elektrisch geladene Gasmoleküle oder -atome, während bei der Elektrolyse die Ionen auch aus geladenen größeren Atomgruppen, wie z. B. S O ^ - , bestehen. Außer den Ionen treten auch noch freie negative Ladungen von der Größe einer elektrischen Elementarladung auf, ohne Bindung an Materie. Es sind die Elektronen. Diese lagern sich allerdings meistens an unelektrische Atome oder Moleküle an, mit denen zusammen sie dann negative Ionen bilden; es gibt aber auch Fälle, namentlich bei sehr geringen Gasdrucken, in denen die Elektronen selbst an dem Entladungsvorgang, teilweise sogar ausschließlich, teilnehmen. Dies ist z. B. in den Elektronenröhren der Fall. Daß, wie oben erwähnt, die bei den Gasentladungen auftretenden Ionen mit denen der Elektrolyse im allgemeinen nicht identisch sein können, folgt z. B. aus der Tatsache, daß auch in chemisch einheitlichen Gasen ( 0 2 , H 2 , N 2 , Hg, den Edelgasen) eine Ionisation auftritt, d.h. daß z.B. 0 + - wie auch O"-Ionen vorhanden sind, während bei der Elektrolyse nur O 2 - - I o n e n usw. bekannt sind. Schon daraus ergibt sich, daß die Entstehung der Ionen hier eine ganz andere sein muß wie bei der Elektrolyse, bei der sie durch den Lösungsvorgang erzeugt werden. Je nachdem, ob die Ladungsträger - Ionen oder Elektronen - in den Entladungsraum hineingebracht werden oder durch den Entladungsvorgang selbst entstehen, unterscheidet man unselbständige oder selbständige Entladung; eine unselbständige Entladung kann freilich unter Umständen in eine selbständige übergehen, wenn der einmal in Gang gesetzte Entladungsvorgang sich weiterhin selbst Ionen schafft. Ionisatoren. Die Mittel, durch die Ionen bei der unselbständigen Entladung in Gasen erzeugt werden können, nennt man allgemein Ionisatoren; je nach ihrer Wirkungsweise erzeugen sie Ionen im ganzen Volumen - sog. Volumenionisation - oder aber nur an den das Gasvolumen begrenzenden Flächen - sog. Oberflächenionisation. Unter Ionisierungsstärke versteht man die Zahl der pro Volumen und Zeit erzeugten Ionenpaare. Eine Einheit der Ionisierungsstärke ist also diejenige, bei der ein Ionenpaar je cm 3 und Sekunde entsteht. Wir geben im folgenden die wichtigsten Ionisatoren an. 1. Volumenionisation durch Röntgenstrahlen und durch Strahlung radioaktiver Substanzen. Läßt man durch ein Gas zwischen zwei Kondensatorplatten, an die eine elektrische Spannung über ein Galvanometer angeschlossen ist, ein Bündel Röntgenstrahlen hindurchgehen, das durch eine Blende begrenzt ist
8.1 Die Leitfähigkeit der Gase
525
G
(damit die Kondensatorplatten selbst nicht getroffen werden), so entstehen positive Ionen und Elektronen. Ein Strom läßt sich durch den Ausschlag des Galvanometers nachweisen (Abb. 471). Ebenso erzeugen die von radioaktiven Substanzen ausgehenden energiereichen Strahlen durch Abtrennung von Elektronen eine Volumenionisation. Man kann dies z. B. zeigen, indem man ein radioaktives Präparat in die Nähe eines geladenen Elektroskops bringt, das dann sofort seine Ladung verliert, weil es von den gebildeten Paaren die entgegengesetzt geladene Ladungsträgerart an sich heranzieht. Dabei ist es gleichgültig, ob das Elektroskop positiv oder negativ geladen ist. Dies beweist, daß in der Luft Ladungsträger beiderlei Vorzeichens vorhanden sind. Es sind zunächst positive Ionen und negative Elektronen. Nach einiger Zeit lagern sich die Elektronen an Gasmoleküle an und bilden negative Ionen, so daß dann Ionen beiderlei Vorzeichens vorhanden sind. Durch Messung der Zeit, innerhalb der ein auf ein bestimmtes Potential aufgeladenes Elektrometer bekannter Kapazität einen anderen Potentialwert annimmt, ist es möglich, die im Gasvolumen befindliche Ionenmenge zu bestimmen. Man setzt zu diesem Zweck auf die Elektrode des Elektrometers einen sogenannten Zerstreuungskörper Z (Abb. 472), der von einem geerdeten Gehäuse umgeben ist. Das zu untersuchende Gas wird entweder in das Gefäß eingefüllt oder mit bekannter Strömungsgeschwindigkeit durch dieses hindurchgesaugt (Ebertscher Ionenaspirator). - Zieht man eine mit einem Funkeninduktor verbundene Funkenstrecke so weit auseinander, daß gerade keine Funken mehr übergehen, so setzt sofort ein lebhafter Funkenstrom ein,
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8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
wenn man die Luft der Funkenstrecke mit Röntgenstrahlen oder mittels einer radioaktiven Substanz bestrahlt. 2. Volumenionisation durch Temperaturerhöhung. Eine Spaltung von Gasmolekülen in Ladungsträgerpaare findet auch durch Erhitzen von Gasen statt. Infolge der hohen Temperatur wird die thermische Bewegung der Moleküle so groß, daß sie bei Zusammenstößen Elektronen abspalten. Bringt man z. B. unter eine isoliert aufgehängte geladene Metallplatte A, die mit einem Elektrometer verbunden ist (Abb. 473), etwa ein glimmendes Streichholz, eine rotglühende elektrisch geheizte Drahtspirale oder die Lockflamme eines Bunsenbrenners, so verschwindet in kurzer Zeit die Ladung des Elektrometers. Die Entladung hört aber auf, wenn man die ionisierte Luft mit einem Ventilator (Fön), bevor sie die Platte A erreicht, zur Seite bläst. Daß sich in der erhitzten Luft tatsächlich Ionen befinden, läßt sich dadurch zeigen, daß man (Abb. 474) die erhitzte Luft zwischen den Platten eines Kondensators aufsteigen läßt. Legt man mittels des Schalters in Stellung 1 eine Spannung von etwa 200 Volt an, so bleibt der Elektrometerausschlag konstant, da alle Ionen an die Platten abgeführt werden. Schaltet man dagegen (durch Umschalten auf Stellung 2) die Spannung der Batterie B ab, wodurch gleichzeitig der Kondensator kurzgeschlossen wird, so beginnt sofort wieder die Entladung des Elektrometers. Das
Abb. 473
Volumenionisation durch Flammengase
8.1 Die Leitfähigkeit der Gase
527
Abb. 475 Nachweis positiver und negativer Ionen gleichzeitige Vorhandensein positiver und negativer Ladungen zeigt folgender Versuch (Abb. 475): Bläst man unmittelbar vor der negativ geladenen Kondensatorplatte mittels einer Düse D die ionisierte Luft aus dem Kondensator in eine Metallhülse A, die ein Drahtsieb als Deckel trägt, so zeigt ein damit verbundenes Elektrometer E eine negative Ladung; wiederholt man den Versuch vor der positiv geladenen Platte, so erhält man positive Elektrometerladung. Der Grund ist einfach: vor der positiven Platte sind die negativen Ladungen von dieser angezogen und neutralisiert worden. Dadurch ist hier ein Überschuß an positiven Ladungen feststellbar. Von der negativen Platte sind die positiven Ladungen angezogen worden. Deshalb sind hier vor der negativen Platte die negativen Ladungen im Überschuß. Auf der Temperaturionisation beruht die Leitfähigkeit von Flammen. Bringt man z. B. in eine nichtleuchtende Bunsenflamme zwei Platinelektroden im Abstand von einigen Millimetern an und legt an diese über ein Spiegelgalvanometer eine Spannung von etwa 100 Volt (unter Vorschaltung eines geeigneten Schutzwiderstandes), so erhält man einen schwachen Strom durch die Flamme hindurch. Dieser wächst erheblich an, wenn man eine Natrium- oder Kaliumsalzperle so in die Flamme einführt, daß der leuchtende Metalldampf die Elektroden umspült; die Leitfähigkeit der Flamme wird durch die entstehenden Metallionen erheblich vergrößert. Ein hochionisiertes Gas, das also eine hohe Konzentration von Ladungsträgerpaaren enthält und das wegen der gleichen Anzahl positiver und negativer Ladungen nach außen neutral ist, wird Plasma genannt. Es besitzt eine sehr große elektrische Leitfähigkeit. Wegen der hohen Temperatur der Sterne, also auch unserer Sonne, befinden sich diese im Plasmazustand. Im Laboratorium erzeugt man ein Plasma z. B. in einem elektrischen Lichtbogen. In der Technik wird das Plasma in magneto-hydrodynamischen (MHD-)Generatoren zur Stromerzeugung benutzt. Hierbei strömt ein Plasma durch ein Magnetfeld, das die positiven und negativen Ladungen zu verschiedenen Seiten ablenkt. Die Ladungen strömen gegen Elektroden, von wo sie als elektrischer Gleichstrom weitergeleitet werden können. 3. Oberflächenionisation durch lichtelektrischen Effekt. Diese Erscheinung wurde
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8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
von H. Hertz (1887)als Nebenresultat bei seinen Untersuchungen über elektrische Wellen beobachtet: Bei einer an einen Induktor angeschlossenen Funkenstrecke, die so weit auseinandergezogen ist, daß gerade kein Funken mehr übergeht, setzt sofort ein lebhaftes Funkenspiel ein, wenn die negative Elektrode von ultraviolettem Licht getroffen wird. Äußerlich ähnelt dieser Versuch dem vorhin beschriebenen, bei dem man der Funkenstrecke eine radioaktive Substanz nähert; aber während bei diesem Versuch eine Wirkung auf die Luft stattfindet, d. h. die Bestrahlung der Pole gleichgültig ist, handelt es sich hier um eine Einwirkung auf das Metall der Kathode. Dies geht deutlich aus einer Variante des Hertzschen Versuches hervor, die von W. Hallwachs (1888) angegeben wurde. Wenn man eine negative geladene isolierte Metallplatte mit ultraviolettem Licht bestrahlt, so verliert sie ihre negative Ladung, indem durch die Strahlung negative Elektronen aus dem Metall herausgelöst werden, die mit großer Geschwindigkeit fortfliegen. Diese auf das Metall ausgeübte Wirkung tritt auch im höchsten Vakuum auf, was beweist, daß man es hier mit einer Wirkung auf das Metall, nicht auf ein Gas zu tun hat. Macht man aber den Versuch in einem mit Gas erfüllten Raum, so können die frei gewordenen Elektronen, die auf die Gasmoleküle auftreffen, unmittelbar an der Metalloberfläche sekundäre Ionen bilden; daher entsteht eine Oberflächenionisation. Dieser Hallwachssche Versuch funktioniert auch, wenn die bestrahlte Metallplatte ungeladen ist; auch dann verlassen Elektronen das Metall, das sich deshalb positiv auflädt. Daher kommt der Effekt zum Stillstand, wenn das positive Plattenpotential so hoch geworden ist, daß die ausgeschleuderten negativen Elektronen wieder zur Platte zurückgezogen werden (sogenanntes Haltepotential). Der lichtelektrische Effekt besteht also in der Abtrennung von Elektronen durch elektromagnetische Strahlung. Er tritt bei Gasen, Flüssigkeiten und festen Körpern (bei Metallen und Isolatoren) auf, sofern die Energie der auffallenden Strahlung ausreicht, Elektronen abzutrennen. Er muß somit die Bindungsenergie des Elektrons von der Strahlung aufgebracht werden. Die Energie jeder elektromagnetischen Strahlung ist E = h v, d. h. gleich dem Produkt aus der Planck-Konstante h = 6,6 • 10~ 34 Js mal der Frequenz. Wenn die auffallende Strahlung für die Abtrennung eines Elektrons nicht ausreicht, kann sie nicht etwa durch Erhöhung der Strahlungsstärke bei gleicher Frequenz ersetzt werden. Eine Erhöhung der Strahlungsstärke bewirkt eine Vergrößerung der Zahl der emittierten Elektronen. Eine Erhöhung der Strahlungsenergie über die Abtrennarbeit (Austrittsarbeit) hinaus bewirkt eine Zunahme der kinetischen Energie, mit der die Elektronen das Molekül oder das Metall verlassen. Infrarotes Licht von etwa 1 um Wellenlänge ist energetisch gerade eben noch ausreichend, um Elektronen von Substanzen mit der kleinsten Austrittsarbeit abzutrennen. Diese Substanzen bestehen aus Schichten von SilberSauerstoff-Caesium. Die Unterlage Silber-Sauerstoff" verkleinert die geringe Austrittsarbeit von Elektronen beim Caesium noch weiter.
8.2 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken
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4. Ionisation an Glühelektroden. Bringt man einen Draht auf Rotglut, so sendet er positiv geladene (im Metall okkludierte) Gasatome aus, die eine negativ geladene Elektrode, die mit einem Elektrometer verbunden ist, entladen. Bei Erhitzen auf Weißglut treten in der Hauptsache langsame negative Elektronen aus, die nach Anlagerung an neutrale Gasmoleküle negative Ionen bilden, so daß nun umgekehrt eine positiv geladene Elektrode entladen wird. Im Hochvakuum, in dem die Zahl von Molekülen in der Volumeneinheit sehr viel kleiner ist, fallt die Ionisierung durch Anlagerung fort; aber die Glühelektrode bietet gerade dann eine ausgezeichnete Möglichkeit, um freie Elektronen zu erzeugen (Glühemission). Beschleunigt man die aus einer Glühkathode tretenden Elektronen durch ein elektrisches Feld ausreichender Stärke, dann reicht deren kinetische Energie aus, um Elektronen (Sekundärelektronen) von Gasmolekülen oder auch von festen Oberflächen abzutrennen. Diese Art der Ionisation von Gasen mittels Elektronenstoß hat große theoretische und praktische Bedeutung. 5. Sonstiges. In Funken entsteht ebenfalls eine starke Ionisation. Ionisatoren zur Vernichtung elektrostatischer Aufladungen bestehen meist aus zahlreichen Funkenstrecken, durch welche Luft geblasen wird. Der aus dem Gerät kommende Luftstrom enthält neben Ionen auch Verbindungen von Stickstoff mit Sauerstoff, ferner Ozon. - Die stille elektrische Entladung entsteht in einem elektrisch ganz oder halb isolierten Raum, der einem elektrischen Wechselfeld ausgesetzt ist. Eine Wechselspannung von etwa 10 bis 50 kV liegt an zwei Kondensatorplatten außerhalb des Entladungsraumes. Strömt Luft hindurch, so enthält sie nach Verlassen Ozon und Ionen. Nach diesem Verfahren wird Ozon zur Entkeimung von Wasser hergestellt. Auf jedem Bananendampfer befinden sich solche Apparate zur Herstellung von Ozon, damit die Bananen nicht faulen.
8.2 Unselbständige Entladung bei höheren Drucken Wiedervereinigung von Ionen (Rekombination). Eine einmal erzeugte Ionisation bleibt nicht dauernd bestehen, sondern nimmt im Laufe der Zeit gesetzmäßig ab. Denn infolge der thermischen Bewegung müssen Zusammenstöße zwischen positiven und negativen Ionen erfolgen, worauf Neutralisation eintritt. Dieser Vorgang wird noch unterstützt durch die elektrische Anziehung der entgegengesetzt geladenen Ionen. Man nennt diesen Vorgang, der merklich nur in Gasen von normalen Drucken stattfinden kann, Wiedervereinigung oder Rekombination. Man überzeugt sich durch folgenden Versuch (Abb. 476): In einem vertikalen, geerdeten Messingrohr R befinden sich in gleichen Abständen übereinander isoliert eingeführte Innenelektroden J, die einzeln mit einem Elektrometer E verbunden werden können. Lädt man dieses und die gerade mit ihm verbundene
530
8 Der elektrische Strom in Gasen und im Hochvakuum
Innenelektrode auf ein bestimmtes Potential auf und läßt dann von unten in das Rohr ionisierte Luft mit mäßiger Geschwindigkeit einströmen (z. B. Flammengase), so beobachtet man, daß die Ladung der untersten Elektrode sehr rasch (etwa in einer Sekunde), die der mittleren nach einigen Sekunden und die der oberen Elektrode erst nach längerer Zeit verschwindet. Dies zeigt, daß ein erheblicher Teil der Ionen auf dem Wege durch das Rohr verschwunden ist. Die Wiedervereinigung kommt übrigens fast ausschließlich durch die thermischen Zusammenstöße zustande, während die elektrische Anziehung nur eine relativ untergeordnete Rolle spielt. Denn der mittlere Abstand zweier entgegengesetzt geladener Ionen ist relativ groß, etwa 0,0015 cm, da maximal nur etwa der 1 0 - 1 1 t e Teil der Moleküle dissoziiert ist. Da die Wiedervereinigung der Ionen praktisch nur durch die Zusammenstöße bewirkt wird und die Zahl der Zusammenstöße je Zeit proportional sowohl der Zahl n + der positiven Ionen je Volumen als auch der Zahl n _ der negativen Ionen ist, so kann man die Zahl der je Zeit und Volumen verschwindenden Ionen gleich a n + n _ setzen; a wird als Wiedervereinigungskoeffizient bezeichnet;
L---J
,B
*
is —- Photolack
Si0 2
| H
| I |
As
CVD- Si0 2 '///J//Ä
Abb. 582 Einige ausgewählte wesentliche Prozeßschritte für die Herstellung eines n-Kanal MOS-Feldeffekttransistors in einer integrierten Schaltung (NMOS-Prozeß). CVDS i 0 2 bedeutet „chemical vapor deposited S i 0 2 "
9.3 Technische Anwendung von Halbleitern
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
681
Photolithographische Strukturierung für Transistor-Sockel Ätzen der Sockel, ca. 0,5 um tief. (Abb. 582,1) 0,2 |im dicke Si0 2 -Schicht durch thermische Oxidation erzeugen 0,2 um dicke Si 3 N 4 -Schicht nach CVD-Verfahren abscheiden Photolithographische Strukturierung Plasmaätzung des Si 3 N 4 und des Si0 2 außer auf Sockel Bor-Ionenimplantation („Kanalbegrenzungsimplantation") (Abb. 582.2) Photolack ablösen Thermische Oxidation dort, wo kein Si 3 N 4 auf der Oberfläche ist. Oxiddicke ca. 0,7 um („Feld-Oxid", Abb. 582.3) Plasmaätzen des Si 3 N 4 Bor-Ionenimplantation, um Kanaldotierung einzustellen Abscheidung einer etwa 1 (im dicken, polykristallinen Si-Schicht nach dem CVD-Verfahren („poly-Si", Abb. 582.4) Photolithographische Strukturierung für die Gate-Elektroden Plasmaätzen des poly-Si, Gate-Elektroden bleiben stehen Arsen-Ionenimplantation für Source und Drain (Abb. 582.5) Abscheidung von ca. 0,2 [im Si0 2 durch CVD-Verfahren (Schutzisolation für poly-Si Gate-Elektrode) Photolithographische Strukturierung für Source- und Drain-Kontakte Plasmaätzen der Kontaktfenster in Si0 2 für Source- und Drain-Kontakte und Kontaktstellen auf Gate-Elektrode Aufdampfen einer Aluminium-2%Si-Legierung (ca. 1 (j.m dick) Photolithographische Strukturierung für die Verbindungsleitungen Plasmaätzen des AI, nur die Leitungen bleiben stehen (Abb. 582.6)
Zwischen den einzelnen Prozeßschritten können jeweils noch mehrere Reinigungs-, Prüf- und Glühprozesse liegen, die hier nicht beschrieben werden, da sie für das Verständnis des Herstellungsprozesses nicht wesentlich sind. Ein besonders stark n- oder p-dotierter Si-Bereich wird häufig mit n + - bzw. p + -Si bezeichnet oder, wenn es klar ist, daß es sich um den Halbleiter Si handelt, einfach mit n + bzw. p + . (Abb. 582). Der integrierte Schaltkreis muß nun elektrisch geprüft werden. Bei komplexeren Schaltkreisen rechnet man oft damit, daß nur etwa 50 % aller hergestellter IC auch funktionieren. Ein häufiger Grund für Fehler sind Staubpartikel, die sich bei einer der photolithographischen Strukturierungen auf der Scheibe abgelagert haben. Unter Staubkörnchen wird der Photolack nicht belichtet. Schwebeteilchen in der Luft haben oft ja die gleiche Größe wie die Transistoren in dem IC selbst! Man verwendet deshalb größte Sorgfalt darauf, daß die Räume, in denen integrierte Schaltkreise gefertigt werden, absolut staubfrei sind. Personen, die dort arbeiten, müssen entsprechende Schutzkleidung tragen. Nach dem Zerteilen der Si-Scheibe in die einzelnen „chips" werden nur die heraussortiert, die die Prüfung bestanden haben. Die unbrauchbaren IC haben
682
9 Der elektrische Strom in festen Körpern
Abb. 583 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Ausschnittes aus einem integrierten Schaltkreis. Die heller und rauh erscheinenden Streifen sind Leiterbahnen aus aufgedampftem Aluminium. Die glatten Streifen dazwischen sind aus hochleitfahigem, polykristallinem Silicium (Gate-Elektroden). Das geübte Auge erkennt in dem Gebiet vier MOS-Transistoren
beim Prüfen eine Farbmarkierung erhalten und werden weggeworfen. Abb. 583 zeigt einen rasterelektronenmikroskopisch aufgenommenen Ausschnitt aus einer integrierten Schaltung in diesem Stadium, bevor sie also weiterverarbeitet wird. Die Kontaktstellen werden mit dünnen Aluminium-Drähten durch Ultraschall verschweißt; das andere Ende der Drähte wird mit den Lötstiften verbunden. Der IC wird schließlich in einem der bekannten Gehäuse (Abb. 575) meistens mit Kunststoff vergossen.
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten bearbeitet von Jens H. Gobrecht
10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte; Bildung der Ionen Wie es sich in den vorangegangenen Kapiteln bereits gezeigt hat, ist eine grundsätzliche Voraussetzung dafür, daß ein Stoff den elektrischen Strom leiten kann, das Vorhandensein beweglicher elektrischer Ladungsträger. Diese sind bei Metallen ausschließlich negativ geladene Elektronen. In ionisierten Gasen tragen neben den Elektronen auch positiv geladene Ionen zum Stromtransport bei. Bei den elektrolytischen Flüssigkeiten sind die Ladungsträger ausschließlich Ionen, und zwar sowohl positiv wie negativ geladene. Dieses Kapitel soll nur elektrische Vorgänge in elektrolytischen Flüssigkeiten (kurz: Elektrolyte) behandeln, d. h. daß der Strom durch geschmolzene Metalle, die ebenfalls zu den flüssigen Leitern gehören, hier nicht mit berücksichtigt wird, da der Leitungsmechanismus der gleiche ist wie bei den festen Metallen. Der Aufbau dieses Kapitels ist so gestaltet, daß zunächst der Frage nachgegangen wird, woher die Ionen in den Elektrolyten überhaupt kommen. Dann folgt die quantitative Beschreibung der Wechselwirkung zwischen der den Elektrolyten passierenden Ladungsmenge und dessen chemischer Veränderung (Faradaysche Gesetze); denn Stromfluß durch Elektrolyte wird immer von irgendeiner chemischen Reaktion begleitet. Man spricht deshalb auch von „elektrochemischen" Vorgängen und nennt deshalb dieses Teilgebiet der physikalischen Chemie Elektrochemie. Weiter werden wir uns mit der Leitfähigkeit der Elektrolyte selbst näher befassen, sowie die Mechanismen untersuchen, die zu den verschiedenen elektrochemischen Phänomenen führen. Schließlich werden anhand der Vorgänge an Elektroden auch die wichtigsten technischen Anwendungen elektrochemischer Prozesse erklärt wie z. B. Batterien oder die Aluminiumherstellung. Die Begriffe Elektrolyt, Elektrolyse, Elektrode, Ion, Kation und Anion wurden bereits von M. Faraday (1791-1867) als Nomenklatur für die Elektrochemie eingeführt und sind bis heute erhalten geblieben. Überhaupt spielte Faraday bei der Beschreibung der Grundlagen elektrochemischer Vorgänge eine ganz hervorragende Rolle. Es ist zweckmäßig, kurz die Begriffe der Chemie „Säure, Salz, Lauge" sowie den der „Wertigkeit" oder „Valenz" ins Gedächtnis zurückzurufen.
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Die Säuren sind Wasserstoffverbindungen, in denen der Wasserstoff ganz oder teilweise durch ein Metall ersetzt werden kann. Geschieht dies, dann entsteht ein Salz. Hier ein Beispiel: In H 2 S 0 4 (Schwefelsäure) kann der Wasserstoff z. B. durch Cu oder Na oder K ersetzt werden; es entstehen dann die Salze C u S 0 4 (Kupfersulfat), N a 2 S 0 4 (Natriumsulfat) oder K 2 S 0 4 (Kaliumsulfat). Laugen enthalten die Hydroxylgruppe OH, z. B. Natronlauge NaOH, Kalilauge KOH usw. Bringt man Säuren und Laugen in geeigneten Mengen zusammen, so bildet sich neben Wasser ein Salz. Beispiel: Schwefelsäure und Kalilauge reagieren nach folgendem Schema miteinander: H 2 S 0 4 + 2KOH
K2S04 + 2H20.
Eine solche Reaktion wird allgemein als Neutralisationsreaktion bezeichnet und ist in der analytischen Chemie von großer Bedeutung. In den eben angeführten Beispielen wurden die zwei Wasserstoffatome der Schwefelsäure einerseits ersetzt durch 2 Na- oder 2 K-Atome, anderseits durch 1 Cu-Atom. Es kann demnach ein Atom Na oder K ein Atom H ersetzen: Na und K sind daher chemisch „gleichwertig" mit H. Anderseits ersetzt 1 Atom Cu 2 Atome H; Cu ist daher gleichwertig mit 2 H. Da man Wasserstoff als „einwertig" bezeichnet, weil es kein Element gibt, im Vergleich zu dem H höherwertig ist, so sind demgemäß auch Na und K einwertig (ebenso wie Cl, Ag... usw.): dagegen ist Cu in dem genannten Beispiel als zweiwertig zu bezeichnen. Zu beachten ist aber, daß manche Elemente, z. B. Cu und Fe, in mehreren Wertigkeiten auftreten können. Z. B. ist in der Verbindung CuS0 4 , wie schon gesagt, Cu zweiwertig, dagegen in CuCl einwertig, weil auf 1 Atom des einwertigen Cl 1 Atom Cu kommt. Ähnlich ist in FeCl 2 (Eisen(II)-chlorid) Fe zweiwertig, in FeCl 3 (Eisen(III)-chlorid) dagegen dreiwertig usw. Nach diesem kurzen Exkurs in die anorganische Chemie wollen wir uns nun der Entstehung der elektrischen Leitfähigkeit in Elektrolyten zuwenden. Dazu soll zunächst eines der ältesten Beispiele einer elektrochemischen Reaktion, die Wasserzersetzung, betrachtet werden. Taucht man zwei Platinbleche (wir werden später sehen, warum Platin für diese Art von Versuchen besonders geeignet ist) in ein Glasgefäß, das mit reinem, zweimal destilliertem Wasser gefüllt ist, und legt an die beiden Bleche eine Spannung zwischen 100 und 200 V (Abb. 584), so findet praktisch kein Stromdurchgang statt. Eine in den Kreis eingeschaltete Glühlampe bleibt dunkel, ein Amperemeter gibt keinen Ausschlag: reines Wasser leitet den Strom also praktisch nicht. Fügt man dem Wasser jedoch einige Tropfen Schwefelsäure hinzu, so fließt sofort ein erheblicher Strom durch die Leitung. Die Lampe leuchtet hell auf, der Strommesser gibt einen Ausschlag: die hier benutzte wäßrige Lösung der Schwefelsäure ist also ein Leiter. Gleichzeitig beobachtet man, daß an den beiden Platinblechen, die man allgemein als Elektroden bezeichnet, Gasblasen auftreten, während dies im Innern des Elektrolyten nicht der Fall ist. Diejenige Elektrode, die mit dem negativen Pol der Spannungsquelle verbunden ist, heißt nach Faraday die Kathode (vom griechischen %6L hinab und öSög Weg, d. h. wörtlich „Hin-
10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte
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hinauf, also „Hinaufweg"). Man glaubte früher, daß die Ladungsträger an der Anode in den Elektrolyten eintreten, an der Kathode austreten. Die genauere Beobachtung zeigt jedoch, daß an der Kathode die positiven Ionen von der Kathode Elektronen erhalten, an der Anode die negativen Ionen Elektronen an die Anode abgeben. Dabei entladen sich die Ionen, und es entsteht an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Sauerstoff. Analog zur Elektronenröhre treten also die Elektronen an der Kathode aus dem Metall heraus und an der Anode wieder in das Metall hinein. Woher kommt die plötzliche Leitfähigkeit des Wassers, nachdem etwas Schwefelsäure zugefügt wurde? Zwar ist ohne weiteres einzusehen, daß sich die Flüssigkeiten H 2 0 und H 2 S 0 4 miteinander völlig mischen, doch erklärt dies allein nicht das nun offenbare Vorhandensein elektrischer Ladungsträger, da das H 2 S 0 4 oder etwa das NaCl-Molekül für sich elektrisch neutral ist. Wir wissen heute, daß Salze in kristalliner Form bereits aus einzelnen (positiv und negativ geladenen) Ionen aufgebaut sind. Die elektrostatische Anziehungskraft zwischen den Ionen führt dabei zur Ausbildung eines festen Körpers mit regelmäßiger Kristallstruktur - einem sog. Ionenkristall, z. B. NaCl. Die entgegengesetzt geladenen Ionen ziehen sich dort mit der Coulomb-Kraft „ *
=
Qi-Qz 4n • s0 • eT • 2r ~A
an, wobei r der Abstand der Ionen ist, e0 die elektrische Feldkonstante, e r die Permittivitätszahl und Q 1 bzw. Q 2 die Ladung der beiden Ionen. Will man nun z. B. die im Kristallgitter des NaCl gebundenen Ionen trennen, um etwa in einem Elektrolyten freie Ladungsträger zu erzeugen, muß die Arbeit W = j Fdr b aufgewandt werden, wobei b der Abstand zwischen N a + und Cl~ im Kristall ist. Dieser kann aus kristallographischen Experimenten bestimmt werden und be-
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
trägt etwa 0,2 nm. Für die Trennung der Ionen müssen wir also an Luft (er « 1) die Arbeit g ? % d r = 1,15 • 10~ 18 J = 7,19 eV 0,2nm4 7I-£ 0 -r Z
pro Molekül NaCl aufwenden, ein Energiebetrag, der thermisch von der Umgebung erst bei relativ hohen Temperaturen aufgebracht werden kann. Ganz anders verhält es sich im Lösungsmittel, da für die meisten Lösungsmittel s r » 1 gilt; insbesondere hat Wasser eine Permittivitätszahl von e r = 81. Die gleiche Rechnung ergibt für NaCl in H 2 0 W H20 = 0,095 eV, ein wesentlich kleinerer Energiebetrag, der von der Umgebung sehr leicht zugeführt werden kann. Die Aufspaltung der gelösten Moleküle in Ionen nennt man elektrolytische Dissoziation. Die negativ geladenen Ionen, die zur Anode wandern, werden Anionen, die positiv geladenen, die entsprechend zur Kathode wandern, werden Kationen genannt. Wie stimmt die Vorstellung der elektrolytischen Dissoziation mit anderen gesicherten Tatsachen überein? Man weiß, daß in Lösungen ein osmotischer Druck herrscht, und im Zusammenhang damit zeigen sie gegenüber dem reinen Lösungsmittel Dampfdruckerniedrigung, Gefrierpunkterniedrigung und Siedepunkterhöhung. Alle diese Effekte sind nach dem thermodynamisch streng bewiesenen und experimentell bestätigten Gesetz von Raoult der Konzentration direkt proportional, wie in Band I für die Dampfdruckerniedrigung, für die Siedepunkterhöhung und für die Gefrierpunkterniedrigung ausführlich dargelegt ist. Es wird aber dort auch schon darauf aufmerksam gemacht, daß die Raoultschen Gesetze gerade für wäßrige Lösungen nicht zu stimmen scheinen, weil alle die genannten Effekte zu groß gefunden werden. Wenn aber der gelöste Stoff wirklich dissoziiert ist, ist dies ohne weiteres verständlich. Denn man darf dann nicht einfach die Konzentration des undissoziierten Stoffes einsetzen, sondern muß berücksichtigen, daß der gelöste Stoff in mehrere Bruchstücke aufgespalten ist; das bedeutet ja offenbar eine Vergrößerung der Konzentration, und dies wirkt im Sinne einer Vergrößerung aller oben erwähnten Effekte. In der Tat stimmen bei Berücksichtigung der Aufspaltung in Ionen auch bei den wäßrigen Lösungen die Raoultschen Gesetze vollkommen. Man hätte also schon aus den scheinbaren Abweichungen von diesen Gesetzen auf eine Spaltung der Moleküle des gelösten Stoffes schließen können. Dieser Zusammenhang wurde in voller Klarheit von S. Arrhenius (1887) erkannt, der als der eigentliche Begründer der elektrolytischen Dissoziationstheorie angesehen werden muß, obwohl schon vorher R. Clausius (1857) und H. v. Helmholtz (1880) nahe verwandte Anschauungen ausgesprochen haben. Wie später noch gezeigt werden wird, sind aber nur im Falle sehr starker Verdünnung wirklich alle Moleküle eines Salzes bzw. einer Säure oder Lauge dissoziiert. Darüber hinaus gibt es außer Wasser eine große Zahl anderer
10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte
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Flüssigkeiten, die als Lösungsmittel für Elektrolyte geeignet sind. Da deren Permittivitätszahlen in der Regel jedoch kleiner sind, üben sie eine entsprechend kleinere dissoziierende Wirkung auf den gelösten Stoff aus. Dieser Zusammenhang wurde zuerst von W. Nernst bemerkt (Nernstsche Regel), er wird durch Tabelle 19 belegt: Tab. 19.
Elektrolytische Dissoziation bei verschiedenen Lösungsmitteln
Lösungsmittel Benzol Ether
Permittivitätszahl er 2,3 4,1
Ethanol Ameisensäure Wasser Blausäure
25 62 81 96
elektrolytische Dissoziation spurenweise Dissoziation merkliches Leitvermögen gelöster Elektrolyte ziemlich starke Dissoziation starke Dissoziation sehr starke Dissoziation sehr starke Dissoziation
Es scheint allerdings der allerprimitivsten Erfahrung der Chemiker zu widersprechen, daß z. B. Na-Ionen im Wasser vorhanden sein könnten, ohne daß die bekannte, sehr heftige Reaktion vor sich geht: 2 Na + 2 H 2 0 -> 2 N a O H + H 2 1 , die zur Entstehung von Natronlauge und Wasserstoff führt. In der Tat ist seinerzeit dieser Einwand gegen die Arrheniussche Dissoziationstheorie gerade von den Vertretern der anorganischen Chemie gemacht worden. Heute weiß man, daß die chemischen Eigenschaften eines Atoms oder Moleküles fast ausschließlich durch die Konstitution seiner äußeren Elektronenhülle bestimmt werden. Diese unterscheidet sich aber bei einem Na + -Ion mit einer Edelgaskonfiguration grundsätzlich von der eines Na-Atoms. Außer Lösungsmitteln, in denen Salze, Säuren oder Laugen dissoziiert sind, gibt es zwei weitere Arten von Elektrolyten: geschmolzene Salze und Festelektrolyte. Wird die Temperatur eines Ionenkristalles (z.B. NaCl) soweit erhöht, daß die thermische (Schwingungs-)Energie der einzelnen Gitterbausteine die Bindungsenergie der Atome und Moleküle untereinander übersteigt, werden die Bindungen gelöst, und es liegt dann ein Elektrolyt mit beweglichen Ionen vor. Festelektrolyte bestehen aus keramischen Materialien (z. B. ß-A\203), Gläsern oder Salzen (z. B. AgI), in denen bestimmte Ionen - besonders bei erhöhter Temperatur-wie etwa N a + oder Ag + relativ frei beweglich sind. Salzschmelzen und Festelektrolyte bieten interessante Aspekte für einige technische-Anwendungen, worauf später noch eingegangen wird. Wenn man die Elektrolysezelle aus Abb. 584 etwas verändert, indem man die beiden Elektroden in den beiden Schenkeln eines U-förmigen Rohres unter-
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
bringt, erhält man einen Zersetzungsapparat nach A. W. von Hofmann (Abb. 585). Der Vorteil besteht darin, daß die an Anode und Kathode entstehenden gasförmigen Elektrolyseprodukte aufgefangen werden und so für eine quantitative Analyse zur Verfügung stehen. Füllt man das Rohr mit verdünnter Schwefelsäure und läßt einen Gleichstrom durch diese „elektrochemische Zelle" fließen, stellt man nach einiger Zeit fest, daß sich im Kathodenschenkel doppelt so viel Gas gesammelt hat wie bei der Anode. Eine Analyse ergibt, daß sich an der Anode Sauerstoff und an der Kathode Wasserstoff gebildet hat. Es scheint, daß das Wasser durch die Elektrolyse in seine Bestandteile H 2 und 1/2 0 2 zerlegt worden ist. Dieser Mechanismus soll nun genauer untersucht werden: Schwefelsäure bildet in wäßriger Lösung die Ionen 2 H + und SO| ~. Dabei dissoziiert die gelöste Schwefelsäure nicht vollständig, sondern nur zu einem bestimmten Prozentsatz, der von der Konzentration abhängig ist. Die beiden H + -Ionen tragen zusammen natürlich die gleiche Ladung, nur umgekehrten Vorzeichens, wie das Säureradikal SOl~, da sonst das Gesamtmolekül nicht elektrisch neutral wäre. (Dagegen kann an dieser Stelle noch nicht geschlossen werden, daß auf allen einwertigen Ionen die gleiche Ladung und auf allen 2-, 3-,... «-wertigen das 2-, 3-,... «-fache dieser Ladung sitze. Um diese Behauptung begründen zu können, bedarf es weiterer quantitativer Untersuchungen, auf die wir später eingehen). Die H + -Ionen wandern zur Kathode, geben dort ihre positive Ladung durch Aufnahme von Elektronen ab und steigen dann nach der Molekülbildung zu H 2 als Gas auf. An der Anode wird das negative S0 4 ~-Ion entladen, und es bildet sich der aktive Zwischenzustand S0 4 , der sofort mit dem wäßrigen Lösungsmittel reagiert. An der Anode läuft dann insgesamt folgende Reaktion ab: S04 " + H 2 0
H 2 S 0 4 + ^ 0 2 1 + 2e " .
Daher bildet sich erstens die Schwefelsäure wieder zurück, so daß die H 2 S 0 4 Menge unverändert bleibt; zweitens wird an der Anode Sauerstoff abgeschieden. Da die Wassermenge abnimmt, wird die Konzentration der Lösung größer. Es macht also in der Tat den Eindruck, als ob eine Elektrolyse des Wassers vorläge;
10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte
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aber das ist, wie die obige Darlegung zeigt, nur eine Folge der sekundären Reaktion der S0 4 -Gruppe mit dem Lösungsmittel. Diese sekundären Reaktionen bewirken allgemein, daß nicht die ursprünglichen Dissoziationsprodukte sich an den Elektroden abscheiden, sondern andere sekundäre Produkte. Man sieht an diesem Beispiel, wie die sekundären Reaktionen die Erscheinung komplizieren. Bei der Elektrolyse des Kupfersulfats besteht die primäre Dissoziation in der Bildung eines Cu 2 + -Kations und des ebenfalls zweiwertigen S0 4 ~-Anions. Wenn die Elektroden aus Platin, d. h. einem chemisch schwer angreifbaren Material, bestehen, spielt sich weiter folgendes ab: An der Kathode werden die C u 2 + Ionen entladen und die entstehenden Cu-Atome als metallischer Niederschlag abgeschieden. An der Anode bildet sich, wie vorher, nach Abgabe der Ladung, die aktive Zwischenstufe S0 4 , die sofort mit Wasser reagiert, wodurch H 2 S 0 4 gebildet und j 0 2 frei wird. Gesamtergebnis: Anode und Kathode empfangen wieder entgegengesetzt gleiche Elektrizitätsmengen; an der Kathode wird metallisches Kupfer abgeschieden, an der Anode Sauerstoff frei; gleichzeitig wird Schwefelsäure neu gebildet. Anders verläuft - wieder infolge sekundärer Reaktion - die Zersetzung, wenn wir Cu-Elektroden benutzen. An der Kathode bleibt alles beim alten. Auch jetzt schlägt sich metallisches Cu nieder, und positive Ladung wird an sie abgegeben. An der Anode gibt S 0 4 _ zunächst seine negative Ladung ab, reagiert aber dann mit dem Kupfer der Anode: S 0 4 + Cu
CuS04.
Die Kupferanode wird aufgelöst, und zwar im gleichen Betrage, wie sich auf der Kathode ein Cu-Niederschlag bildet; die Kupfersulfatlösung bleibt daher im ganzen unverändert. Dieses ist das Prinzip der in der Technik weit verbreiteten galvanischen Oberflächenbeschichtung. Ein unedles, korrosionsanfälliges Metall wie z. B. Stahl kann so als Kathode in einer Elektrolytlösung, die etwa Chrom-, Nickel- oder Goldionen enthält, mit dem edleren Metall beschichtet werden. Als Anode dient dabei das jeweilige Metall, damit die Ionenkonzentration des edlen Metalls in der Lösung konstant bleibt. Noch einige Beispiele sollen erwähnt werden: Bringt man in einen mit elektrochemisch ebenfalls nicht angreifbaren Kohleelektroden versehenen Hofmannschen Zersetzungsapparat verdünnte Salzsäure (HCl), so stellt man an der Kathode die Abscheidung von Wasserstoff fest, während sich an der Anode das gleiche Volumen1 Chlor entwickelt, entsprechend der Bildung von H ~ - und C1 ~ Ionen. Hier liegt ein besonders einfacher Fall vor, indem die primär entstandenen Dissoziationsprodukte ohne sekundäre Reaktion an den Elektroden frei werden. Füllt man dagegen den Apparat mit NaCl-Lösung, so wird zwar an der Anode wieder Chlorgas ausgeschieden, während an der Kathode nicht Natrium, sondern Wasserstoff, und zwar volumengleich 1 mit dem entwickelten Chlorgas, frei 1 Da Chlor sich leicht in Wasser löst, muß man, bevor man die Volumenmessung beginnt, den Versuch so lange laufen lassen, bis das Wasser mit Chlor gesättigt ist; erst von diesem Moment an erweisen sich die abgeschiedenen Mengen von H 2 und Cl 2 als volumengleich.
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Abb. 586 Versuchsanordnung zum Nachweis der Natriumionen bei der Elektrolyse von NaCl
wird. Hier ist klar, daß der Wasserstoff kein primäres Reaktionsprodukt sein kann. Vielmehr reagiert das primär abgeschiedene Natrium nach Abgabe seiner Ladung mit dem Lösungswasser nach der Gleichung: Na + H 2 0
NaOH + ¿ H 2 T ,
d.h. es entsteht an der Kathode sekundär Natronlauge, und Wasserstoff wird frei. Das Auftreten der Natronlauge kann man nachweisen, indem man Phenolphthalein (als Indikator für Laugen) zusetzt; es färbt die Lösung an der Kathode blutrot. Übrigens kann man direkt nachweisen, daß primär Natrium an der Kathode abgeschieden wird, indem man Quecksilber als Kathodenmaterial verwendet (Abb. 586). Die freiwerdenden Na-Atome diffundieren sofort in das flüssige Quecksilber hinein und werden so dem Angriff des Wassers entzogen: durch Abdestillieren des Quecksilbers kann man das Natrium wiedergewinnen. Als nächstes Beispiel betrachten wir die Zersetzung einer wäßrigen Lösung von Bleiacetat [Pb(CH 3 COO) 2 • 3 H 2 0 ] . Wir füllen dasselbe in eine flache Glasküvette, in die zwei aus Bleidraht gebildete Elektroden eintauchen, deren Gestalt und Polung der Abb. 587 zu entnehmen sind. Bei Stromdurchgang beobachtet
+
Abb. 587
-
Bleibaum
10.1 Vorgänge beim Stromdurchgang durch Elektrolyte
691
man, daß sich an der stabförmigen Kathode Blei in blattförmigen Kriställchen abscheidet, wodurch diese ein baumähnliches Aussehen bekommt (sogenannter Bleibaum); an der Anode ist äußerlich nichts zu bemerken. Durch Wägung derselben vor und nach dem Versuch kann man aber feststellen, daß Blei in Lösung gegangen ist: die Anode ist um ebensoviel leichter geworden wie die Kathode durch den Niederschlag schwerer. Die Auflösung des Bleis der Anode läßt sich auch direkt beobachten, wenn man nach Bildung des Bleibaumes die Stromrichtung umkehrt: dann verschwindet allmählich das vorher abgeschiedene Blei und geht in Lösung. Die primäre Dissoziation liefert die Ionen P b 2 + und zweimal CH3COO", von denen das Blei sich an der Kathode abscheidet, während die beiden CH 3 COO~ -Ionen mit dem Blei der Anode reagieren: Pb + 2(CH 3 COO)~
Pb(CH 3 COO) 2 + 2 e " .
d.h. das Blei der Anode wird aufgelöst und neues Bleiacetat gebildet. (Man erkennt also, daß der Vorgang im Prinzip genau so verläuft wie bei der oben besprochenen Elektrolyse von CuS0 4 zwischen Cu-Elektroden.) Schließlich betrachten wir noch die Elektrolyse einer Lösung von Kaliumnitrat (KNOj) in Wasser. Als Elektroden verwenden wir Platinbleche, die in die beiden Schenkel eines U-Rohres eintauchen. Bei Stromdurchgang beobachtet man an beiden Elektroden eine Gasentwicklung, deren Analyse ergibt, daß sich an der Kathode wieder Wasserstoff, an der Anode Sauerstoff bildet, und zwar im Volumenverhältnis 2:1. Beide Gase können offensichtlich nur durch sekundäre Prozesse entstanden sein. Fügt man der Lösung etwas Lackmustinktur zu, so tritt an der Kathode eine Blau- und an der Anode eine Rotfärbung auf. Daraus folgt, daß an der Kathode eine Lauge, an der Anode eine Säure entstanden ist. Der Prozeß verläuft nach dem folgenden Schema: Die primäre Dissoziation liefert die Ionen K + und N 0 3 . Der sekundäre Prozeß an der Kathode verläuft nach Abgabe der Ladungen folgendermaßen: 2K + 2 H 2 0 -> 2KOH + H 2 T, und an der Anode: 2 N 0 3 + H 2 0 -+ 2 H N 0 3 + K > 2 | . Das an der Kathode freiwerdende Kalium bildet unter WasserstofTentwicklung mit dem Wasser der Lösung Kalilauge, während die NOJ-Ionen bei gleichzeitiger Abgabe ihrer Ladungen an der Anode mit dem Wasser unter Sauerstoffentwicklung zu Salpetersäure reagieren. Setzt man der Lösung etwas Phenolphthalein zu, so tritt intensive Rotfärbung an der Kathode auf. Daß dabei chemisch äquivalente Mengen von Säure und Lauge entstehen, folgt daraus, daß nach Abschalten des Stromes und Umrühren die Verfärbung an der Kathode wieder verschwindet, da Kalilauge mit der äquivalenten Menge Salpetersäure nach der Formel:
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
KOH + H N 0 3
KNO3 + H 2 0
wieder das neutrale Salz und Wasser bildet. Ganz analog verläuft auch die Elektrolyse von N a 2 S 0 4 und K 2 S 0 4 zwischen Platinelektroden, deren genauere Analyse dem Leser überlassen bleibe; als Resultat ergibt sich: An der Kathode Abscheidung von Wasserstoff und Bildung von Natron- bzw. Kalilauge, an der Anode Freiwerden von Sauerstoff und Bildung von Schwefelsäure. Die obengenannten Beispiele lassen sich beliebig vermehren; in allen Fällen ergibt sich, daß die Metalle und Wasserstoff stets als Kationen auftreten, d. h. zum negativen Pol wandern. Dieser Satz erleidet bezüglich des Wasserstoffes allerdings eine Ausnahme bei der Elektrolyse der Alkalihydride (LiH, NaH usw.). Hier tritt der Wasserstoff als Anion auf und scheidet sich an der Anode ab. Ganz generell muß in diesem Zusammenhang festgestellt werden, daß der Elektrolyt als Ganzes immer elektrisch neutral ist. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß die Gesamtzahl der auf die negativen Ionen verteilten Ladungen gleich der Gesamtzahl der auf die Kationen verteilten positiven Ladungen sein muß.
10.2 Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse Faraday hat als erster (1831) die quantitativen Zusammenhänge zwischen der bei der Elektrolyse durch den Elektrolyten hindurchgeflossenen Ladungsmenge Q und der dabei entstehenden Masse m der Elektrolyseprodukte untersucht. Er hat folgendes experimentell gefunden: • Die an einer Elektrode abgeschiedene Stoffmenge ist der durch den Elektrolyten hindurchgegangenen Ladung, d. h. dem Produkt aus Stromstärke und Zeit, proportional (erstes Faradaysches Gesetz). Das Gesetz läßt sich z. B. mit dem Wasserzersetzungsapparat (Abb. 585) beweisen: Schließen wir an die Elektroden eine Gleichspannungsquelle an und lassen die Stromstärken 1,21, 3 / während der Zeit t oder den gleichen Strom / während t,2t,3t fließen, so verhalten sich die jeweils abgeschiedenen Knallgasmengen wie 1 : 2 : 3 . Entsprechend verhält es sich mit den anderen bereits beschriebenen elektrochemischen Reaktionen; das erste Faradaysche Gesetz ist stets erfüllt. Es gilt also: m = C•Q= C•I•t
(237)
wenn mit C die Proportionalitätskonstante bezeichnet wird. Sie bedeutet Masse pro Ladung und wird das elektrochemische Äquivalent des betreffenden Stoffes genannt.
10.2 Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse Tab. 20
693
Elektrochemische Abscheidungen (/ = 1A)
Zeit
Silber
Kupfer (zweiwertig)
Nickel
Quecksilber
Wasser
1 Sekunde 1 Minute 1 Stunde
1,118mg 0,3294 mg 0,0933 mg 0,3058 mg 1,040 mg 67,08 mg 19,76 mg 5,6 mg 18,30 mg 61,40 mg 4025 mg 1186 mg 1098 mg mg 3744 mg 335,9
Wie das elektrochemische Äquivalent C von der Masse m 0 des Atoms (bzw. der Atomgruppe) und seiner elektrischen Ladung abhängt, zeigt die folgende Betrachtung: Ist n die Zahl der je Zeit an einer Elektrode abgeschiedenen Atome, so ist offenbar in Gl. (237) m = nm0t zu setzen: ebenso ist / = nQz, wenn Qz die auf einem Ion der Wertigkeit | z | befindliche Ladung bezeichnet; durch Einsetzen beider Ausdrücke in Gl. (237) folgt für das elektrochemische Äquivalent C; C =
mn
(238a)
d.h. C ist der Masse des Atoms (bzw. der Atomgruppe) direkt, der auf ihm sitzenden Ladung umgekehrt proportional. Erweitert man die rechte Seite dieser Gleichung mit der Avogadro-Konstanten NÄ( = 6,02 • 10 23 m o l - *), so ist NÄm0 = M die molare Masse (numerisch gleich der relativen Molekül- oder Atommasse), und Na Qz ist die Gesamtladung der betreffenden molaren Masse. Daher ist das elektrochemische Äquivalent auch: C =
M NaQz
(238b)
Aus seinen experimentellen Resultaten konnte Faraday eine weitere Gesetzmäßigkeit ableiten: • Die durch die gleiche Elektrizitätsmenge in verschiedenen Elektrolyten abgeschiedenen Massen von Stoffen sind den äquivalenten molaren Massen dieser Stoffe proportional (zweites Faradaysches Gesetz). Unter äquivalenter molarer Masse 1 versteht man den Quotienten: Molare Masse dividiert durch die Wertigkeit, also den Ausdruck M/\z\. Das ist gerade die Masse, die sich z. B. genau mit 1,008 g H oder 8 g O verbindet. Aus den chemischen Formeln HCl, NaCl, H 2 0 , N a 2 0 , H 2 S 0 4 , CuS0 4 , FeCl 3 usw. geht hervor, daß die folgenden Stoffmengen einander elektrochemisch äquivalent sind: 1 mol H, 1 mol Cl, 1 mol Na, \ mol O, j mol Cu, j mol S0 4 , ^ mol Fe. 1
Früher war dafür auch der Ausdruck „Grammäquivalent" gebräuchlich, eine Abkürzung für „äquivalentes Grammatom". Ein Grammatom ( = relative Atommasse in Gramm) ist ein veralteter Ausdruck für die molare Masse. Häufig wird für die äquivalente molare Masse auch noch der Ausdruck Val benutzt.
694
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Dabei ist zu beachten, daß die Gase (nicht die Edelgase und Metalldämpfe) als mehratomige Moleküle existieren, also H 2 , 0 2 , Cl 2 usw. Die Stoffmenge 1 mol H entspricht also \ mol H 2 (Wasserstoff); die Stoffmenge 1 mol O entspricht \ mol O 2 (Sauerstoff). Ferner ist zu beachten, daß einige Elemente verschiedene Wertigkeit haben: Im Kupfer(I)-chlorid (CuCl) ist das Kupfer einwertig, im Kupfersulfat (CuS0 4 ) dagegen zweiwertig. Das Eisen ist zwei- oder dreiwertig, z.B. Eisen(II)-chlorid bzw. Eisen(III)-chlorid. Die Gültigkeit des zweiten Faradayschen Gesetzes läßt sich durch folgenden Versuch zeigen: In einen Stromkreis schaltet man hintereinander 2 Hofmannsche Zersetzungsapparate (Abb. 585), von denen der erste Kohleelektroden und eine verdünnte wäßrige Lösung von HCl, der andere Platinelektroden und wäßrige Lösung von H 2 S 0 4 enthält. Nach Anlegen einer Spannung fließt durch beide Apparate der gleiche Strom. Nach einiger Zeit stellt man fest, daß an beiden Kathoden das gleiche Wasserstoffvolumen abgeschieden ist, während sich die an den Anoden abgeschiedenen Gasvolumina von Chlor und Sauerstoff wie 1: \ verhalten. Da Chlor einwertig und Sauerstoff zweiwertig ist, verlangt das zweite Faradaysche Gesetz, daß sich die abgeschiedenen Stoffmengen wie 1: \ verhalten. Da nun nach dem Avogadroschen Gesetz gleiche Volumina bei gleichem Druck und bei gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Molekülen enthalten, so werden also in diesem Versuch mit 1 Mol H 2 gleichzeitig abgeschieden 1 Mol Cl 2 und j Mol 0 2 . Nach dem zweiten Faradayschen Gesetz ist also: C =
M
k
(
2
3
9
)
wo k ein universeller Proportionalitätsfaktor ist; nach Gl. (238b) ist weiter:
c=
mrw
d.h.
M
kM (239a)
(240)
Dies kann aber nur dann universell, d. h. von spezifischen Stoffeigenschaften unabhängig sein, wenn ßz = e\z\
(241)
ist, wo e eine universelle Ladung bedeutet: denn dann hebt sich \ z\ aus Gl. (240) fort, und im Nenner bleibt die universelle Größe NÄe stehen. Damit wird also der Proportionalitätsfaktor k in Gl. (239):
k
- W e '
(242>
10.2 Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse
695
Setzt man dies in Gl. (239a) ein, so ergibt sich weiter für die Gesamtladung eines Mols: NAQz = NAe\z
(243)
Die vorhin in Gl. (241) eingeführte universelle Ladung e ist offenbar diejenige, die sich auf einem einwertigen Ion befindet, wie aus Gl. (241) sofort folgt. Alle einwertigen Ionen tragen also nach den Faradayschen Gesetzen die gleiche Ladung e, und 1 Ion der Wertigkeit |z| die Ladung e\z\. Die Stoffmenge ein Mol trägt nach Gl. (243) die Ladung NAe\z\. Elektrochemisch äquivalent, also gleichwertig, sind solche Stoffmengen bzw. Massen, deren Ionenzahl gleich ist und deren Ionen die gleiche Ladung tragen, d.h. die gleiche Wertigkeit |z| haben. Denn nur dann ist die gesamte transportierte Ladung gleich. Bezieht man die Stoffmenge ein Mol auf gleiche Wertigkeit, und zwar vereinbarungsgemäß auf die Wertigkeit eins, indem man durch | z | dividiert, so erhält man jeweils ein äquivalentes Mol bzw. dessen äquivalente molare Masse M/\z\. Ihre elektrische Ladung ist immer F = NA - e.
(244)
Da sowohl NÄ wie auch e als universelle Konstanten eingeführt wurden, ist dementsprechend auch F eine Naturkonstante und hat die Dimension einer Ladung pro Stoffmenge. Die Tabelle 21 enthält die elektrochemischen Äquivalente C einiger Stoffe, die molaren Massen M, die Wertigkeit |z|, die Gesamtladung der molaren Massen NAe\z \ und schließlich die Ladung F p r o äquivalente molare Masse, die nach der obigen Darlegung eine universelle Größe sein soll. Wie die Tabelle zeigt, ergibt sich für die verschiedenen Stoffe für F tatsächlich immer praktisch der gleiche Wert. Die geringen Abweichungen rühren - neben der bei jedem Experiment bestehenden Meßungenauigkeit - hauptsächlich daher, daß bei elektrochemischen Versuchen außer der gewünschten Elektrodenreaktion parasitäre Reaktionen mit Verunreinigungen im Elektrolyten ablaufen. Will man z. B. aus einer angesäuerten CuCl-Lösung Cu an der Kathode abscheiden, so wird ein geringer Teil der Ladungen statt zur Cu-Abscheidung zur Wasserstoffentwicklung verbraucht. Der genaueste Wert für F ist: F = 96484,55 + 0,27 As • mol ~ 1 (z = l ) . Diese Tatsache hat Faraday so formuliert: • Zur Abscheidung der Stoffmenge ein äquivalentes Mol bzw. der äquivalenten molaren Masse ist eine Elektrizitätsmenge von 96485 Coulomb erforderlich (drittes Faradaysches Gesetz). Diese Elektrizitätsmenge pro äquivalentes Mol wird als Faraday-Konstante und mit dem Buchstaben F bezeichnet.
696
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Tab. 21 Die elektrochemischen Äquivalente einiger Stoffe und die daraus sich ergebende Faraday-Konstante Stoff
CIO3
M g • mol-1
kl
H C1 Ag
0,01045 0,3672 1,118
1,008 35,457 107,68
1 1 1
96459 96507 96494
96459 96507 96494
O Cu 1 Hg
0,0829 0,3294 1,040
16,00 73,57 200,61
2 2 2
193004 192987 192894
96502 96494 96447
N AI Fe 2
0,0484 0,0936 0,1929
14,00 26,97 55,88
3 3 3
289258 289530 289582
96419 96510 96527
Sn Mn
0,3083 0,1423
11870 54,93
4 4
386000 386015
96500 96504
V
0,1057
50,95
5
482498
96500
U
0,4119
238,07
6
578784
96464
1 2
NÄe\z\ (Ladung pro Mol) Coulomb
F = NÄe (Ladung pro äquivalentes Mol) Coulomb
Zweiwertiges Kupfer. Dreiwertiges Eisen.
Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß die Feststellung der Universalität der zur Abscheidung einer äquivalenten molaren Masse erforderlichen Elektrizitätsmenge ein rein experimentelles Ergebnis ist. Es liegt aber nahe, darüber hinaus anzunehmen, daß diese Gesamtladung F sich gleichmäßig auf alle einzelnen Ionen verteilt; diese Hypothese hat zuerst H.v. Helmholtz (1881) in seiner Faraday-Lecture gemacht. Damit ist ausgesprochen, daß ebenso wie die Materie auch die Elektrizität atomistische Struktur hat; die Ladung eines einwertigen Ions e = F/NA wäre danach die kleinste existierende elektrische Ladung. Der numerische Wert ergibt sich, indem man den Wert der Faraday-Konstante F durch die Avogadro-Konstante NÄ dividiert. Es ergibt sich der Wert: e = F/NA = 96485 As • m o l " 1 ¡6,022 • 10 23 m o l " 1 = 1,602-10" 1 9 As
(\z\ = \).
Man hat niemals eine kleinere Elektrizitätsmenge beobachtet; e wird daher auch die elektrische Elementarladung genannt. Der mit den Faradayschen Gesetzen bestimmte Wert der Elementarladung stimmt übrigens hervorragend gut mit Werten von e überein, die aus ganz andersartigen Messungen, z. B. dem MillikanVersuch (Bewegung geladener, kolloidaler Teilchen im elektrischen Feld) erhal-
10.2 Die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse
697
ten wurden. Damit haben die Faradayschen Gesetze eine allgemeine Bedeutung erlangt. Man kann aus der 6. Spalte der Tabelle noch eine wichtige Größe berechnen. Dividiert man die in ihr angegebene Ladung pro Mol durch die äquivalente molare Masse M/\z\, so erhält man die Ladung pro Masse, die als spezifische Ladung bezeichnet wird: spezifische Ladung =
F\z\ M
NÄe\z\ M
NAe\z\ NAmt
(245)
Daraus ist zu schließen, daß jedes Ion eine seiner Wertigkeit entsprechende Zahl von Elementarladungen auf sich trägt. Coulombmeter. Früher haben die Faradayschen Gesetze der Elektrolyse in Form von Coulombmetern zur Messung von Ladungsmengen und Strömen eine praktische Anwendung gefunden. Es war sogar lange Zeit die Einheit der elektrischen Stromstärke, das Ampere, durch eine elektrochemische Meßvorschrift definiert: Ein Strom hat die Stärke von 1 Ampere, wenn er, in gleichmäßiger Stärke fließend, in der Sekunde 1,118 mg Silber abzuscheiden vermag. Dabei fließt also die Elektrizitätsmenge von 1 Amperesekunde oder Coulomb in der Sekunde durch den Leiterquerschnitt. Ein zur Durchführung dieses Versuches geeignetes Coulombmeter zeigt Abb. 588. Einer der Nachteile dieses Meßprinzips besteht darin, daß bei steigender Stromstärke irgendwann nicht mehr genügend Ag + -Ionen zur Kathode diffundieren können. Dann beginnen dort Parallelreaktionen abzulaufen (z. B. H 2 Entwicklung), wodurch die Messung ungenau wird. Heute stehen in der Meßtechnik elektronische Coulombmeter und Amperemeter zur Verfügung, die präziser und einfacher zu bedienen sind, weshalb die elektrochemischen Coulombmeter nur noch historische Bedeutung haben.
+
Abb. 588
Silbercoulombmeter
698
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Lange Zeit hindurch wurden in der Technik erfolgreich Quecksilbercoulombmeter benutzt. Durch Multiplikation der gemessenen Elektrizitätsmenge It mit der (konstanten) Netzspannung U wurde die vom Elektrizitätswerk gelieferte elektrische Energie bestimmt. Bei dem sogenannten Stiazähler (Abb. 589) dient als Elektrolyt eine wäßrige Lösung von Kaliumiodid und Quecksilberiodid. Die Anode A besteht aus Quecksilber, die Kathode K aus einem kegelförmigen Stück Kohle. Anoden- und Kathodenraum sind durch ein Diaphragma D getrennt, das aus zusammengefrittetem Glaspulver besteht. Dieses läßt den Elektrolyten hindurch, verhindert aber ein direktes Durchdringen des Quecksilbers. Bei Stromdurchgang scheidet sich an der Kathode Quecksilber in feinen Tröpfchen ab, die in das Meßrohr M absinken, dessen Skala direkt in Kilowattstunden geeicht ist. Ist das Meßrohr vollkommen gefüllt, so kann man durch Kippen des Zählers das Quecksilber durch das Rohr R wieder in den Anodenraum zurückbefördern.
10.3 Die Leitfähigkeit der Elektrolyte Die Elektrolyte besitzen in jedem konkreten Fall einen elektrischen Widerstand R, der gleich ist dem Quotienten aus dem Spannungsabfall U und der Stromstärke I, d.h. R = U/1. Ist der Elektrolyt flüssig, so hängt R (bei einer gegebenen Menge Flüssigkeit) von der Form des Gefäßes ab, das den Elektrolyten enthält;
10.3 Die Leitfähigkeit der Elektrolyte
699
in einer langen, engen Röhre hat der Elektrolyt einen größeren Widerstand als in einer weiten kurzen. Es hat also nur dann einen Sinn, von einem bestimmten Widerstand des Elektrolyten zu sprechen, wenn er in ein Gefäß bestimmter Form gefüllt ist. Dagegen ist der spezifische Widerstand q charakteristisch für den inneren Zustand des Elektrolyten; unter q versteht man, wie auch bei metallischen Leitern, den Widerstand eines Würfels von 1 cm Kantenlänge (vorausgesetzt, daß er gleichmäßig durchströmt wird!). Es ist üblich, statt q seinen Kehrwert, die Leitfähigkeit a anzugeben. Für eine Flüssigkeitssäule der Länge / und des konstanten Querschnitts A, die den Widerstand R besitzt, ist demnach - K
A +
Ionen und eine dementsprechende Konzentrationsab»K
nähme statt. J. W. Hittorf (1853), der diese Vorgänge zuerst eingehend untersucht
10.3 Die Leitfähigkeit der Elektrolyte
707
hat, nennt die Größen
— und - — die Überführungszahlen von Anion VA + VK Va + Vk und Kation; bezeichnen wir sie mit tA und tK, so gilt: =
= »A +
V
K
+ »A +
=
(248)
VK
Hieraus folgt sofort Vk =
»A
t*
(249)
t/
d.h. das Verhältnis der Ionengeschwindigkeiten ist gleich dem der Überführungszahlen. Die Überführungszahlen sind von der Stromstärke unabhängig, ändern sich aber merklich mit der Konzentration der Lösung. In der Tabelle 23 sind Überführungszahlen der Anionen in verschiedenen Elektrolyten für eine 0,1 «-Lösung angegeben. Tab. 23 Überführungszahlen der Anionen in einigen Elektrolyten Elektrolyt
Überführungszahlen tA =
HCl KCl NaCl LiCl
v
0,164 0,506 0,607 0,687
A
+
v
Elektrolyt
Überführungszahlen tA =
K
KN03 KOH NaOH H 2 S0 4
v
A
+
v
K
0,497 0,735 0,82 0,185
Es fällt auf, daß die Überführungszahl tA für Elektrolyte, die O H " - und H + Ionen enthalten, besonders stark von 0,5 abweicht. Es müssen also z. B. die OH Ionen schneller als die Cl~-Ionen und die H + -Ionen schneller als die N a + - und K + -Ionen wandern. Es wurde bereits gezeigt, daß die Äquivalentleitfähigkeit eines Elektrolyten bei unendlicher Verdünnung dem Grenzwert A x zustrebt, der dann erreicht wird, wenn sämtliche Moleküle in Ionen zerfallen sind. Wenn sich nun die A „-Werte, wie aus Abb. 592 hervorgeht, bei verschiedenen Elektrolyten unterscheiden, so kann dies seinen Grund nur in der verschiedenen Wanderungsgeschwindigkeit der Ionen haben, da nach dem dritten Faradayschen Gesetz die verschiedenen Ionenäquivalente stets die gleiche Elektrizitätsmenge 96485 Coulomb transportieren. In verdünnter Lösung kommt nun jedem Ion eine durch seine Wanderungsgeschwindigkeit bedingte Äquivalentleitfähigkeit zu, wobei es gleichgültig ist, welcher Verbindung das betreffende Ion angehört. Dies erkennt man aus den ^„.-Werten der Salze in Tabelle 24.
708
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Tab. 24 Grenzwerte der Äquivalentleitfähigkeit einiger Elektrolyte bei unendlicher Verdünnung Salz
A x in cm 2 mol
KCl NaCl KNO3 NaN03 LiCl LiN0 3
130,10 108,99 126,50 105,33 98,88 95,18
1
Ohm
1
Diese können in folgender Weise paarweise kombiniert und die Differenz ihrer /i^-Werte (A Am) festgestellt werden: KCl NaCl
= 130,10 = 108,99
K N 0 3 = 126,50 N a N 0 3 = 105,33
^
=
^
=
0
21,11
NaCl = 108,99 N a N 0 3 = 105,33 = KCl KN03
0
0
=
21,17
LiCl LiN03
= =
98,88 95,18
=
3,70
NaCl = 108,99 N a N 0 3 = 105,33
3,60
N a N 0 3 = 105,33 L i N 0 3 = 95,18 ^
=
3,66
= 130,10 = 126,50 =
O
O
10,15
=
3,66
NaCl LiCl
= 108,99 = 98,88
^
=
0
0
10,11
KCl LiCl
= 130,10 = 98,88
KNO LiN03
= 126,50 = 95,18
AAm
=
AAm
=
31,32
31,32
Diese Tabelle besagt, daß die Differenz der A „ -Werte zweier Salze mit gemeinsamen Ion (z.B. K + und N a + oder Cl~ und NO^~) unabhängig ist von dem anderen Ion Cl~ oder N O J usw. F. Kohlrausch drückte diese Tatsache in folgendem Satz aus: • Bei sehr großer Verdünnung transportieren die Ionen in einem Elektrolyten den Strom unabhängig voneinander mit einer für jedes Ion charakteristischen Geschwindigkeit (Gesetz von der unabhängigen Wanderung der Ionen). Man kann dieses etwas salopp auch dadurch beschreiben, daß bei großer Ver-
10.3 Die Leitfähigkeit der Elektrolyte
709
dünnung z. B. ein Chlorid-Ion (Cl~) „nicht mehr weiß", ob es vor seiner Dissoziation ursprünglich mit einem Natrium- oder einem Kaliumatom verbunden war. Man kann also setzen (C eine Konstante); AX = C(va + Vk).
(250)
Falls nun das Ohmsche Gesetz für Elektrolyte gilt, was erfahrungsgemäß in den normalen Fällen der Fall ist, so sind die Ionengeschwindigkeiten vA und vK proportional dem Betrag der elektrischen Feldstärke | E | : VA = HA\e\',
vK = fiK\E\;
(251)
die Größen [iA und fi K , d.h. die Geschwindigkeiten pro Feldstärke, heißen die Beweglichkeiten der Ionen. Um die Gl. (251) zu beweisen, berechnen wir den Widerstand eines Rohres vom Querschnitt A, in dem durch zwei plattenförmige Elektroden gleichen Querschnitts eine Elektrolytsäule der Länge b abgegrenzt sei. In dem Elektrolyten mögen sich n dissoziierte Moleküle je Volumen, also n Anionen und n Kationen befinden, von denen jedes die Ladung Q = \z\e tragen soll. Wird an die Elektroden eine Spannung U angelegt, so fließt durch den n• Q n- Q Querschnitt je Zeit die Elektrizitätsmenge A vK zur Kathode und — AvÄ zur Anode. Der Gesamtstrom ist also: nQ , I=—y-A(VA
, U + i>K) = £>
wenn R den elektrischen Widerstand der Flüssigkeitssäule bedeutet. Daraus folgt für R, wenn wir gleichzeitig die elektrische Feldstärke | £ | = ^ einführen: b AnQ
vA + vK
Damit nun, wie es das Ohmsche Gesetz verlangt, R unabhängig von der Feldstärke, d.h. der an das Elektrolytgefäß angelegten Spannung Uist, muß sich aus dem Ausdruck
die Feldstärke | E \ herausheben, d. h. es muß vA + vK den Va + VK Faktor \E\ enthalten, d.h. die Gl. (251) gelten. Damit folgt aus Gl. (252) für die Leitfähigkeit a die Beziehung:
Diese Beziehung (Gl. 253) ist übrigens fundamentaler Natur und gilt für alle leitenden Stoffe mit dem (geringfügigen) Unterschied, daß eben in Elektrolyten -
710
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
und auch in vielen Halbleitern - zwei Sorten Ladungsträger mit unterschiedlichen Beweglichkeiten vorliegen, während es in Metallen nur eine Art Ladungsträger gibt. Bezeichnen wir mit mK die Masse eines Kations, so stellt nmK die Masse pro Volumen der an der elektrolytischen Leitung beteiligten Kationen dar; ist ferner m' die Gesamtmasse pro Volumen des als Kation dissoziierbaren Teils der gelösten Substanz, so ist nmK = am', wenn a den Dissoziationsgrad bezeichnet. Schließlich ist nach Gl. (245) die spezifische Ladung — = mK wir Gl. (253) in folgender Form schreiben:
M
. Damit können
mK F\z\ m' F\z\ • ° = n{nA + n,d— — = H 3 B 0 3 + 3HC1. Die Leitfähigkeit des reinen Wassers beträgt bei Zimmertemperatur: CTi8
= 4,4 • 10~ 8 O h m - 1 c m - 1 .
716
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Da bei 18 °C im cm 3 0,9986 g = 0,05543 Mol Wasser enthalten sind, ergibt sich die Äquivalentleitfähigkeit zu: A
4,4 10" 8 „„ , O h m - 1 cm 2 i18s = 0,05543 = 0,798 -10" 6 . mol
Nach Gl. (255) und (256) folgt dann für den Dissoziationsgrad a, wenn wir für die Beweglichkeit der Ionen die Werte aus der Tabelle 25 einsetzen: a = — = °'798 10"6 = 14710Ax 96490(0,00315 + 0,00174) mit anderen Worten: Es ist von 676 Mill. Wassermolekülen nur eines in seine Ionen zerspalten! Da der Dissoziationsgrad andererseits durch den Anteil der dissoziierten Moleküle an allen vorhandenen Molekülen definiert ist, ist in reinem Wasser Ch+ C H ° ~ a _ —
H2O
C
H2O
wenn c die Konzentration des jeweiligen Stoffes ist. So kann man mit dem Wert cHl0 = 55,41 mol/1 bei 18°C leicht das bekannte Ionenprodukt des Wassers =
-COH- * 1 0 " 1 4 ( m o l / l ) 2
ausrechnen, das der wichtigen pH-Wert-Skala zu Grunde liegt. Eine erhebliche Leitfähigkeit zeigen geschmolzene Salze infolge thermischer Dissoziation, worauf wir bereits kurz hinwiesen. Leitet man z. B. in einem URohr aus schwer schmelzbarem Glas mittels Kohleelektroden durch geschmolzenes Bleichlorid (PbCl 2 ) einen Strom, so scheidet sich an der Kathode metallisches Blei ab und sinkt zu Boden, während an der Anode Chlor frei wird. In diesem Zusammenhang ist auch die elektrolytische Leitung der Gläser zu erwähnen. Glas ist vom physikalischen Standpunkt nicht eigentlich als fester Körper, sondern als unterkühlte Flüssigkeit von großer Zähigkeit zu betrachten. So leitet Glas den elektrischen Strom wie eine Flüssigkeit mit steigender Temperatur besser. Ein Glasstab wird zwischen Metallelektroden eingeklemmt und über einen Vorschaltwiderstand und ein Amperemeter an eine Spannung von 220 V gelegt. Erhitzt man den Glasstab mit einem Bunsenbrenner, so beginnt bereits vor Erreichen der Rotglut ein Strom durch das Glas zu fließen, der dann mit steigender Temperatur immer stärker wird. Auch nach Entfernung des Bunsenbrenners steigt der Strom weiter, da das Glas durch Joulesche Wärme weiter aufgeheizt wird, bis es schließlich durchschmilzt. Im Gegensatz zu den Metallen besitzen die Elektrolyte einen negativen Temperaturkoeffizienten des elektrischen Widerstandes; dieser nimmt mit steigender Temperatur ab, die Leitfähigkeit nimmt also zu. Da es üblich ist, die Leitfähigkeit
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente
717
für 18 °C anzugeben, gilt für eine andere Temperatur t die Gleichung: Der Temperaturkoeffizient ß liegt in der Größenordnung von 0,02 K ~ 1 und nimmt mit steigender Konzentration ab. Die Ursache für die Zunahme der Leitfähigkeit mit der Temperatur liegt in erster Linie darin, daß mit steigender Temperatur sich die Ionenbeweglichkeit erhöht, was zum Teil durch die Abnahme der Zähigkeit des Lösungsmittels erklärlich ist. Für einige Ionen ist in der Tabelle 26 die Zunahme der Beweglichkeit mit der Temperatur wiedergegeben. Außer der Ionenbeweglichkeit ändert sich auch der Dissoziationsgrad mit der Temperatur, der bei einigen Elektrolyten größer wird, bei den meisten jedoch abnimmt. So ist es zu erklären, daß bei bestimmten Lösungen die Leitfähigkeit mit der Temperatur ansteigt, um nach Erreichung eines Maximums bei weiterer Temperaturerhöhung wieder abzunehmen. Z. B. zeigt eine wäßrige Lösung von Phosphorsäure maximale Leitfähigkeit bei 65 °C und eine Kupfersulfatlösung bei 75 °C. Tab. 26
H+ K+ Na+ Li + CIÑO, " S04-" OH"
Abhängigkeit der Ionenbeweglichkeit ji in cm 2 /Ys von der Temperatur 0°C
18°C
25 °C
100°C
0,00233 0,00042 0,00027 0,00020 0,00042 0,00042 0,00042 0,00109
0,00315 0,00064 0,00043 0,00033 0,00065 0,00062 0,00068 0,00174
0,00363 0,00076 0,00052 0,00041 0,00080 0,00074 0,00083 0,00210
0,00660 0,00210 0,00155 0,00124 0,00214 0,00196 0,00265 0,00463
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente Bisher haben wir uns hauptsächlich mit der Entstehung und den Eigenschaften von Ionen in Elektrolyten beschäftigt sowie mit den quantitativen Zusammenhängen zwischen dem Stromdurchgang durch Elektrolyte und der Menge des chemisch umgesetzten Stoffes. Dabei waren die Elektroden in den meisten Beispielen „inert", also nicht an der chemischen Reaktion direkt beteiligt und dienten lediglich als Quelle oder Senke von elektrischen Ladungen. Für die meisten Metalle stellt sich aber heraus, daß sie sich als Elektroden in Elektrolyten nicht inert verhalten. Das bedeutet, daß z. B. an der Anode, an der chemisch gesehen immer ein Oxidationsvorgang abläuft (bei der HCl-Elektrolyse z. B. 2 Cl~ -» Cl 2 + 2e~), unter Umständen auch das Metall der Elektrode selbst oxidiert wird. Dabei hat der Ausdruck Oxidation hier die in der Chemie allgemein gültige Be-
718
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
deutung des Entzugs von Elektronen und bezieht sich nicht etwa nur auf den speziellen Fall der chemischen Reaktion von Metallatomen mit Sauerstoff. An einer Elektrode findet also immer ein Übergang zwischen elektronischer Leitung im Metall der Elektrode zu ionischer Leitung im Elektrolyten statt. An der Kathode werden dabei Elektronen an den Elektrolyten abgegeben (Reduktion von Ionen) und an der Anode werden Elektronen von im Elektrolyten enthaltenen Ionen an diese abgegeben (Oxidation von Ionen) oder - wie gesagt - positiv geladene Ionen aus dem Material der Elektrode an den Elektrolyten abgegeben. So erfolgt dieser Ladungsaustausch in dem Daniell-Element (Abb. 600) an den beiden Elektroden nach folgendem Schema: Zinkelelektrode: Z n ^ ± Z n 2 + + 2e~ Kupferelektrode: C u ^ C u 2 + + 2e~ (e~ bedeutet hier eine elektrische Elementarladung). + ClK
-
+
-
r -
-
—
+ +
—
+ z —
-
-
+ -
+
_ + -
-
—
- +
..- —CuS0— - —j 4
-
—
ZnSO;
Abb. 600 Schnitt durch ein Daniell-Element
Wie nach thermodynamischen Erkenntnissen zu erwarten ist, werden beim Ablauf dieser beiden Reaktionen unterschiedliche Energiemengen verbraucht bzw. frei. Liefert z. B. die Oxidation von Zn zu Z n 2 + mehr Energie, als für die Reduktion von Cu 2 + zu Cu gebraucht wird, so verläuft nach der elektrischen Verbindung der beiden Elektroden des Daniell-Elementes spontan die Reaktion Zn + Cu 2 +
Zn 2 + + Cu
ab. Generell kann aber ohne Kenntnis der thermodynamischen Daten und der Elektrolyteigenschaften (Konzentration, Temperatur) nicht von vornherein bestimmt werden, in welche Richtung die Reaktion abläuft, d. h. welches Metall die Anode und welches die Kathode ist. Die Triebkraft der elektrochemischen Reaktion äußert sich als sogenannte elektromotorische Kraft und kann bei offenem Stromkreis als elektrische Spannung zwischen Anode und Kathode gemessen
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente
719
werden. Die genaue Berechnung der elektromotorischen Kraft (EMK) aus thermodynamischen Werten in Abhängigkeit von den Elektroden- und Elektrolyteigenschaften wird ausführlich weiter unten dargestellt. Anschaulich kann die Entstehung einer EMK mit Hilfe der Vorstellungen von Nernst (1889) erklärt werden: Ähnlich wie jede Flüssigkeit einen bestimmten Dampfdruck besitzt, der den Austritt der Flüssigkeitsmoleküle in den Dampfraum regelt, soll jedes Metall einen elektrolytischen Lösungsdruck (auch Lösungstension) besitzen, der beim Eintauchen des Metalls in eine Flüssigkeit die Metallionen in diese hineintreibt. Diesem elektrolytischen Lösungsdruck wirkt der osmotische Druck der bereits in Lösung befindlichen Ionen entgegen in genau derselben Weise, wie der Auflösung eines im Wasser löslichen Stoffes der osmotische Druck des bereits gelösten Stoffes entgegenwirkt und zu einem Gleichgewichtszustand führt. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt aber darin, daß es hier positive Ionen, nicht ungeladene Moleküle sind, die aus dem Metall in die Flüssigkeit eintreten. Was dies bedeutet, tritt schon im einfachsten Fall hervor, wenn ein Metall, z. B. Zink, in reines Wasser taucht. Wie oben bereits erläutert, können die neutralen Metallatome der Elektrode nur als positiv geladene Ionen in Lösung gehen. Das in Wasser getauchte Zink wird also positive Zinkionen in das Wasser hineinsenden und dieses positiv aufladen, während es selbst durch den Verlust dieser Ionen eine negative Ladung annimmt. Durch die entgegengesetzte Aufladung von Metall und Flüssigkeit entsteht zwischen beiden ein elektrisches Feld, das den weiteren Austritt von Ionen aus dem Metall behindert. So kommt es sehr bald zu einem Gleichgewichtszustand, der den uns bereits bekannten Potentialsprung zwischen Metall und Flüssigkeit bedingt, für den man auch die Bezeichnung GalvaniPotential gebraucht. Wir tauchen nun das Metall in einem zweiten Versuch nicht in reines Wasser, sondern in eine Lösung, die bereits Ionen des betreffenden Metalles enthält, z. B. Zink in eine Lösung von Zinksulfat. Haben wir es mit einer sehr verdünnten Lösung zu tun, die nur wenige Ionen enthält, also einen kleinen osmotischen Druck hat, so wird das Metall infolge seines Lösungsdruckes noch imstande sein, Ionen in die Lösung hineinzusenden und sich wieder gegen die Lösung negativ aufzuladen; der Potentialsprung ist aber geringer als im ersten Falle, da hier osmotischer Druck den Ionenaustritt behindert. Steigern wir aber die Konzentration der Lösung, so wird schließlich der Zustand erreicht, bei dem der Lösungsdruck des Metalles durch den osmotischen Druck der gelösten Ionen gerade kompensiert wird, so daß sich überhaupt kein Potentialsprung ausbilden kann. Schließlich kann sogar der Fall eintreten, daß bei sehr starker Konzentration der Lösung das Elektrodenpotential sein Vorzeichen gegenüber der Flüssigkeit umdreht, indem jetzt umgekehrt die Lösung vermittels des osmotischen Druckes Ionen in das Metall hineintreibt. Dies ist z. B. bei Kupfer und in noch stärkerem Maße bei Silber und Gold der Fall, wenn diese Metalle in Lösungen ihrer Salze tauchen, z. B. in Kupfersulfat-, Silbernitrat- oder Goldchloridlösungen. Die genannten Metalle haben also positives Potential gegenüber ihren Lösungen. Auch hier tritt natürlich infolge des (in diesem Falle umgekehrten) Po-
720
10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
tentialsprunges sehr bald ein Gleichgewichtszustand ein, ehe noch wägbare Mengen von Ionen von dem Metall aufgenommen sind. Eine absolute Messung des Galvani-Potentials ist deshalb nicht möglich, weil man dazu eine zweite Elektrode in die Flüssigkeit eintauchen müßte und somit stets nur den Potentialunterschied zwischen beiden konstatieren kann. Zur Bestimmung relativer Werte benutzt man nach Nernst z.B. die sogenannte Standardwasserstoffelektrode. (Jede andere „Standardelektrode" würde im Prinzip dasselbe leisten.) Sie besteht aus einer platinierten Platinelektrode, über die ein Wasserstoffstrom perlt und die in eine Säure von der Wasserstoffionenkonzentration von 1 Mol pro Liter eintaucht, wie sie z.B. 0,5 mol/1 Schwefelsäure bei Zimmertemperatur aufweist. Platiniertes Platin ist Platin, das durch ein bestimmtes Verfahren (Platinieren) eine sehr poröse, schwammige Oberfläche bekommen hat. Wie noch gezeigt wird, ist es zur Vermeidung von Polarisationseffekten wichtig, daß die Elektrode dem Elektrolyten eine große Oberfläche aussetzt. Durch die Porosität wird die effektive Platin-Elektrodenoberfläche erheblich vergrößert. Übrigens sieht platiniertes Platin nicht metallisch glänzend, sondern schwarz aus, da das Licht in den vielen Poren „gefangen" wird und deshalb nicht reflektiert werden kann. Die auf die Standardwasserstoff elektrode als Nullpunkt bezogenen elektrolytischen Potentiale verschiedener Metalle in Lösungen, deren Ionenkonzentration 1 Mol pro Liter betragen, werden als Standardpotentiale E° bezeichnet: sie sind in der Tabelle 27 zusammengestellt. Tab. 27 Standardpotentiale E° Vorgang
E° in Volt
Vorgang
E° in Volt
Li Li + + e~ K K + + e~ Mg Mg 2+ + 2e~ Mn ^ Mn 2+ + 2e" Zn Zn 2+ + 2e~ Fe Fe 2+ + 2e~ Ni Ni 2+ + 2e~ Fe Fe 3+ + 3e"
-3,02 -2,92 -1,55 -1,01 -0,76 -0,44 -0,25 -0,04
Pb Pb 2+ + 2e~ H2 2H + + 2e~ Sb Sb 3+ + 3e~ Cu Cu 2+ + 2 e " Cu Cu + + e" Ag ^ Ag + + e~ Hg - Hg + + e" Au Au 2+ + 2e~
-0,13 0,000 + 0,2 + 0,345 + 0,51 + 0,81 + 0,86 + 1,5
Es fällt auf, daß die Standardpotentiale von „edlen" Metallen, also solchen, die Ihren metallischen Glanz über lange Zeit behalten, positiv sind, während die Potentiale der leicht oxidierenden und korrodierenden, also „unedlen" Metalle negative Vorzeichen haben. Die Tabelle 27 wird auch als Spannungsreihe bezeichnet. Zur Berechnung der EMK galvanischer Elemente (EMK = Abkürzung für elektromagnetische Kraft, das ist die Quellenspannung) genügt die Kenntnis dieser Standardpotentiale unter Standardbedingungen, da der willkürliche Nullpunkt sich heraushebt. Denn die EMK galvanischer Elemente setzt sich sub-
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente
721
straktiv aus zweien der so gemessenen Standardpotentiale zusammen. Z. B. ist die EMK des Daniell-Elementes nach dieser Tabelle gleich dem Normalpotential von Cu in CuS0 4 gleich 0,345 Volt, vermindert um das von Zn in ZnS0 4 gleich 0,76 Volt, d. h. gleich 0,345 - ( - 0,76) Volt = 1,105 Volt; natürlich ist dabei abgesehen von der minimalen Potentialdifferenz zwischen ZnS0 4 und CuS0 4 . Man kann auch ein Element bilden, in dem die beiden Elektroden aus Cu bestehen, wenn man die eine Cu-Platte in CuCl-Lösung, die andere in CuS0 4 -Lösung eintauchen läßt. Denn im ersten Fall ist die in Betracht kommende Spannung Cu / C u + , weil in CuCl-Lösung Kupfer einwertig ist, sie hat den Wert +0,51 Volt; im zweiten Fall dagegen ist die Spannung C u / C u 2 + zu nehmen, d.h. 0,345 Volt. Die EMK des so gebildeten Elements beträgt 0,510 - 0,345 Volt = 0,165 Volt, was mit der Erfahrung übereinstimmt; ähnlich auch mit zwei- und dreiwertigem Eisen. In der oben angegebenen Spannungsreihe, die, wie gezeigt, die Berechnung der EMK galvanischer Elemente ermöglicht, ist die Reihenfolge der Metalle die gleiche, die man erhalten würde, wenn man feststellt, welches Element ein anderes aus seiner Lösung verdrängt. Taucht man z. B. einen Zinkstab in eine Kupfersulfatlösung, so geht das Zink in Lösung, und es scheidet sich Kupfer am Zinkstab ab. Die bereits bei der Kurzschließung des Daniell-Elementes beschriebene, spontan ablaufende Reaktion kann also auch an einer einzelnen Zn-Elektrode ablaufen. Natürlich läuft die Reaktion nur so lange ab, bis die gesamte ZnOberfläche mit einer ausreichend dicken Cu-Schicht bedeckt ist, durch die dann keine Zn 2 + -Ionen mehr hindurchtreten können. Solche als Metallfallungen bekannten Erscheinungen beruhen also auf elektrolytischen Vorgängen. Man kann z. B. blankes Eisen durch Eintauchen in eine Kupfersulfatlösung mit einem Kupferüberzug versehen. Da die Oberfläche des Eisens nie ganz homogen ist, wird sich stets eine Stelle A finden, die in der Lösung eine EMK zum Eisen liefert. Man kann sich dies qualitativ so vorstellen, daß an einer Metalloberfläche (z. B. Eisen) immer eine gewisse Zahl von KristallgitterUnregelmäßigkeiten vorliegen, wie z. B. Versetzungen oder Korngrenzen. Die an solchen Defekten lokalisierten Metallatome sind im Gitter schwächer gebunden als die im homogenen Gitter befindlichen Atome. Das bedeutet, daß diese quasi gelockerten Atome noch gegen einen bestimmten Lösungsdruck in Lösung gehen können, der aber schon zu groß ist, um regelmäßig gebundene Atome aus dem Gitter zu lösen. Die Stellen (A) mit Gitterdefekten wirken dann als mikroskopische Anoden, der Rest der Oberfläche als Kathode. Man spricht in diesem Fall von Lokalelementen und Lokalströmen. Ebenso wie Kristallgitterdefekte können auch Verunreinigungen und mikroskopische Einschlüsse in Metallen zu Lokalelementen führen. So lösen sich stark verunreinigte Metalle (z.B. Eisen oder Zink) viel leichter in Säuren als sehr reine Metalle. Bringt man beispielsweise handelsübliches Zink, das Spuren von Kohlenstoff enthält, in verdünnte Schwefelsäure, so gehen, da sich das Zink und der Kohlenstoff in leitender Verbindung befinden, Zn21" -Ionen in Lösung, während am edleren Kohlenstoff H + -
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
Ionen entladen werden. Dies führt in einem Daniell-Element zur Korrosion der Zn-Elektrode auch ohne Verwendung eines äußeren Stromkreises. Um bei galvanischen Elementen die Zinkelektrode vor der Einwirkung der Säure bei nicht geschlossenem Element zu schützen, überzieht man sie mit einer Amalgamschicht, die die Inhomogenitätsstellen zudeckt und damit die Bildung von Lokalströmen und Auflösung des Zinks verhindert. Um die Wasserstoffentwicklung aus reinem Zink in verdünnter Schwefelsäure einzuleiten oder zu beschleunigen, genügt es, eine sehr geringe Menge von Kupfersulfatlösung oder Platinchloridlösung hinzuzufügen. Dadurch scheiden sich Spuren von Kupfer oder Platin auf dem Zink ab, und durch die dann einsetzenden Lokalströme kommt es sofort zu einer lebhaften Wasserstoffentwicklung. Solche Lokalströme treten auch überall da auf, wo sich verschiedene, einander berührende Metalle in einer Säure- oder Salzlösung befinden. Man muß daher z. B. an Schiffen im Meerwasser das Vorhandensein verschiedener blanker Metalle an der Schiffsaußenseite vermeiden, da es sonst zu einer Zerstörung des weniger edlen Metalles durch Elektrolyse kommt. Es soll nun die Entstehung der EMK beim Daniell-Element genau erörtert werden (Abb. 600). Die Zelle wird symbolisiert durch Z n | Z n 2 + | | C u 2 + |Cu Eine poröse Membran trennt die CuS0 4 -Lösung von der ZnS0 4 -Lösung. Natürlich werden nach längerer Zeit auch einige Cu 2 + -Ionen durch die Trennwand mit der Zn-Elektrode diffundieren und durch die bereits besprochene Cu-Abscheidungsreaktion an der Zn-Elektrode reduziert. Dieser Prozeß wird jedoch sehr langsam ablaufen, und wir können ihn für die nachfolgenden, grundsätzlichen Überlegungen vernachlässigen. Die Zinkelektrode sendet positive Ionen in die Zinksulfatlösung und lädt sich dadurch negativ auf das Potential Ei = —0,76 Volt (bezogen auf die Standardwasserstoffelektrode); bei der Kupferelektrode ist der Lösungsdruck so klein, daß positive Ionen aus der Kupfersulfatlösung auf die Elektrode übergehen und diese positiv auf das Standardpotential E2 = + 0,345 Volt aufladen. Die EMK des Elementes ist, wie schon ausgeführt, gleich der Differenz der Elektrodenpotentiale E2 — E1 = 1,05 Volt, bei Konzentration der Lösungen 1 mol/1. Bei dieser Überlegung haben wir unberücksichtigt gelassen, daß sich auch zwischen den beiden Lösungen ein kleiner Potentialsprung einstellt. Diesen kann man ebenfalls in Rechnung stellen, worauf wir hier nicht näher eingehen. Nach dem Gesagten muß eine Erhöhung der Konzentration der Zinksulfatlösung die Fähigkeit der Zinkelektrode, positive Ionen in die Lösung zu schicken, verkleinern, wodurch das Potential dieser Elektrode und damit auch die EMK des Elementes sinkt. Anderseits ergibt eine Vergrößerung der Konzentration der Kupfersulfatlösung erhöhte Abscheidung von positiven Kupferionen auf der Kupferelektrode und dadurch Erhöhung des positiven Potentials derselben und damit der EMK des Elementes; beides stimmt mit der Erfahrung überein.
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Schließt man das Element durch eine die Elektroden verbindende Leitung, so gleichen sich die auf ihnen befindlichen Ladungen aus, und es fließt außen ein Elektronenstrom vom Zink zum Kupfer. Die Folge ist, daß nunmehr neue Ionen vom Zink in seine Lösung und aus der Kupfersulfatlösung auf das Kupfer übertreten, d.h. es läuft die bereits erwähnte Reaktion ab: Zn + Cu 2 + -v Zn 2 + + Cu (Die vorhandenen Anionen nehmen an der Reaktion nicht teil und können deshalb in der Darstellung fehlen.) Dieser Vorgang spielt sich so lange ab, bis sich alles Zink aufgelöst und eine äquivalente Menge Kupfer auf der Kupferelektrode niedergeschlagen hat. Die von dem Daniell-Element in Form elektrischer Energie gelieferte Arbeit stammt also aus der chemischen Energie, die bei der Auflösung des Zinks und dem Niederschlag von Kupfer frei wird. Es wäre aber unrichtig, aus diesem Satz zu schließen, daß in jedem galvanischen Element der Gewinn an elektrischer Arbeit ausschließlich durch die Abnahme der chemischen Energie geliefert würde, d. h. daß die elektrische Arbeit stets gleich der Wärmetönung des chemischen Vorganges wäre. Es kann, worauf schon hingewiesen wurde, einerseits ein Teil der elektrischen Energie auch aus der Wärmeenergie des Elementes bestritten werden; dann kühlt sich das Element während des Prozesses ab, und die gewonnene elektrische Arbeit ist größer als die Wärmetönung. Oder umgekehrt: Es kann die gelieferte elektrische Arbeit kleiner sein als die Wärmetönung, und dann erwärmt sich das Element. Nur in Ausnahmefallen, wozu allerdings gerade das Daniell-Element gehört, ist die elektrische Arbeit praktisch gleich der Wärmetönung. In diesem singulären Falle, den wir zunächst einmal voraussetzen wollen, kann man die elektromotorische Kraft U direkt aus der Wärmetönung bestimmen, indem man sie gleich der elektrischen Arbeit setzt. Wir berechnen zunächst die elektrische Arbeit. Wenn das Element durch einen äußeren Widerstand Ra geschlossen ist, so ist seine Klemmenspannung U nach dem Ohmschen Gesetz gleich I Ra; es tritt also Joulesche Wärme vom Betrag I2 Rat = IUt auf, die die äußere elektrische Arbeit darstellt. It ist aber die gesamte Elektrizitätsmenge, die während der Zeit t durch den Leiter fließt. Neben der Arbeit IUt tritt im allgemeinen auch im Innern des Elementes Joulesche Wärme auf, wegen des inneren Widerstandes Um möglichst einfache Verhältnisse zu haben, wollen wir annehmen, daß Rt Ra sei, was wir z. B. dadurch erreichen können, daß wir Ra gegen oo gehen lassen; dann wird die gesamte elektrische Arbeit im Außenraum des Elementes geleistet. Wenn Ra immer größer wird, nähert U sich unbegrenzt dem Wert der EMK des offenen Elementes, und die maximal zu gewinnende elektrische Arbeit A W wird also A W = Ult. Wir haben bei dieser Art von Betrachtung den Vorteil, daß die irreversible Joulesche Wärme immer mehr zurücktritt. Dies ist von Bedeutung für den gleich
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zu erörternden allgemeinen Fall, bei dem ausdrücklich vorausgesetzt werden muß, daß das Element reversibel arbeitet. Freilich ist die Bedingung, daß Ra gegen oo geht, nicht hinreichend, um vollständige Reversibilität des Elementes zu gewährleisten; dazu müssen vielmehr auch die chemischen Prozesse rückgängig gemacht werden können, wenn man einen Strom im umgekehrten Sinne durch das Element hindurchsendet; auch dies ist beim Daniell-Element der Fall. Es kommt nun darauf an, die Elektrizitätsmenge Ii zu bestimmen, die erforderlich ist, um etwa 1 Mol des zweiwertigen Zinks in Lösung überzuführen und 1 Mol zweiwertigen Kupfers abzuscheiden. Diese Bestimmung ist möglich mit Hilfe des zweiten Faradayschen Gesetzes der Elektrolyse, nach dem in gleichen Zeiten durch den gleichen Strom chemisch äquivalente Mengen abgeschieden werden, und zwar werden zur Abscheidung eines äquivalenten Mols 96485 As benötigt. Um also je 1 Mol Zink und Kupfer umzusetzen, sind 2 • 96485 As notwendig, allgemein bei z-wertigen Stoffen also | z | • F. Es ist dann beim DaniellElement I t = \z\-F=
2 -96485 As.
Dieser Wert muß gleich der Wärmetönung Qw der chemischen Reaktion sein, die den Strom liefert. (Leider werden die elektrische Ladung und die Wärmemenge beide mit dem gleichen Symbol, nämlich Q bezeichnet. Da in der Elektrochemie beide Größen häufig vorkommen, wollen wir hier - abweichend von der Norm - die bei elektrochemischen Reaktionen auftretende Wärmetönung mit Qw bezeichnen.) Daraus folgt für die Klemmenspannung (EMK) des DaniellElementes mit einem Wert von Qw = 209,96 kJ/mol: U=
O \z\-F
=
209 96 • 103 Ws ' = 1,088 V , 2-96485 As
was tatsächlich sehr angenähert mit dem experimentellen Befund (1,09 bis 1,10 Volt) übereinstimmt; immerhin ist der experimentell gefundene Wert etwas (etwa um 1 / 1 0 0 Volt) größer. Aber: Wie eingangs betont, ist die obige Berechnung, die übrigens zum ersten Male von Helmholtz in seiner berühmten Schrift über die Erhaltung der Energie angegeben wurde, im allgemeinen nicht richtig. Denn wie später zuerst Helmholtz und Gibbs (1882) erkannten, ist die maximale Arbeit nicht gleich der Wärmetönung, sondern - vollkommene Reversibilität des Prozesses vorausgesetzt gleich der Abnahme der freien Enthalpie A G. Für die maximale Arbeit gilt daher (vgl. Bd. I) die Helmholtz-Gibbssche Gleichung, hier analog für A G geschrieben: AG = AH+
dAG T——. dT
Die maximal erhaltene elektrische Arbeit ist also nur dann gleich der Wärmetönung Qw, wenn die freie Enthalpie des Prozesses temperaturunabhängig ist.
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente
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Allgemeiner gilt: Spannung U =
AG z\ • F
und damit (da wir in diesem Fall vereinfachend Wärmetönung Qw = AH setzen können) TT
U • \z \ • F = A H + T • \ z\ • F • —— oI AH T- dU ~~ \z\ - f ' dT Der Term U/d T kann sowohl positiv als auch negativ sein, und kann experimentell ermittelt werden. Für das Daniell-Element findet man + 3 3 nV/K bei 273 K. Daraus folgt das Korrekturglied für die Klemmenspannung bei 273 K: R\
TT
T- — = 273 • 33 • 10" 6 = 9 mV dT womit sich schließlich völlige Übereinstimmung zwischen der gemessenen und der berechneten EMK ergibt. Allgemein sei noch folgendes bemerkt: Die maximale Arbeit ist ein Maß für die chemische Affinität des im Element sich abspielenden chemischen Vorganges. Diese ist nicht gleich der Wärmetönung, wie es das Prinzip von Berthelot-Thomsen behauptet, sondern ist durch die Helmholtz-Gibbssche Gleichung bestimmt. Unsere erste Annahme AH = Qw würde also das (unrichtige) Berthelotsche Prinzip benutzen; beim Daniell-Element stimmt dies allerdings zufallig recht gut. Die Thermodynamik kann auf Grund ihrer Prinzipien die EMK eines Elementes im allgemeinen nicht vollständig bestimmen, sondern liefert nur eine DifferentialGleichung, der sie zu gehorchen hat, die Helmholtz-Gibbssche. Dagegen gelingt es durch Heranziehung der Vorstellungen der kinetischen Theorie, wie W. Nernst gezeigt hat, wenigstens grundsätzlich den Wert der EMK zu bestimmen. Nach Nernst ist die Potentialdifferenz zwischen einer in einem wäßrigen Elektrolyten befindlichen Metallelektrode und der Lösung R •T U=-—— \z\-F
P Inp
(257)
Hierin ist R die universelle Gaskonstante, p der osmotische Druck der Lösung und P der elektrolytische Lösungsdruck des Metalles. Diese Beziehung wird auch als Nernstsche Gleichung bezeichnet und ist in dieser oder ähnlicher Form von grundlegender Bedeutung in der physikalischen Chemie. Statt der Drucke P und p kann man auch die Konzentrationen C der Ionen in Metallen und c in der Lösung einführen, da diese den Drucken proportional sind. Für Zimmertempe-
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10 Elektrischer Strom in Flüssigkeiten
ratur von 18 °C, also T = 291 K, und Einsetzen der Werte für R und Verhält man, wenn man gleichzeitig zum dekadischen Logarithmus übergeht, die folgende F o r m der Nernstschen Gleichung: rT f, =
p
0,058 V , —
l
o
g
0,058 V , =
P
—
l
o
g
c c -
(258)
Nernst gelangte zur Gl. (257), die aussagt, daß die bei der reversiblen Ausdehnung eines Mols eines idealen Gases vom Druck auf einen Druck p2 gewinnbare maximale Arbeit AH = R- T\n(pl /p2 ) ist. Indem er für px und p2 den elektrolytischen Lösungsdruck P und den osmotischen Druck p der Ionen in der Lösung setzte und beachtete, daß die beim Übergang eines äquivalenten Mols des Metalles in den Ionenzustand gewinnbare Arbeit gleich \z\FA V ist, erhielt er:
\z\FU=
-RTl
n-, P
woraus sofort Gl. (257) folgt. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, d a ß die Gültigkeit von Gl. (257) an die Voraussetzung geknüpft ist, d a ß die betrachtete Metallelektrode reversibel ist; denn die eben benutzte thermodynamische Gleichung gilt nur für einen solchen Prozeß. Die Reversibilität einer Elektrode läßt sich dadurch prüfen, daß m a n einen Strom durch die Kombination Metall-Flüssigkeit sendet, wobei m a n zuerst eine bestimmte Elektrizitätsmenge in der einen und sodann in der umgekehrten Richtung schickt. Bei einer reversiblen Elektrode m u ß sich nach diesem Prozeß alles wieder im Anfangszustand befinden und keine sonstige Änderung in der N a t u r auftreten sein. Z. B. stellen Zink in Zinksulfat und Kupfer in Kupfersulfat reversible Elektroden dar, während Zink in verdünnter Schwefelsäure eine irreversible Elektrode bildet, wie man leicht feststellt. M a n besitzt mit galvanischen Elementen die Möglichkeit, viele chemische Reaktionen beliebig langsam, d. h. im thermodynamischen Sinn reversibel oder praktisch im Gleichgewicht ablaufen zu lassen und daraus genaue thermochemische Daten zu gewinnen. Bei der üblichen kalorimetrischen Bestimmung dieser Größen läuft die Reaktion meistens schnell - und damit weit entfernt vom Gleichgewicht ab. Tab. 28
Lösungsdruck in Pascal für einige Elektroden
Elektrode
Lösungsdruck
K Zn Fe Pb
2 4 2 3
Cu Ag
17 1,2 •10~ Pa 1 •10~ 19 Pa
• 1045 Pa • 1021 Pa • 1010 Pa •10" 1 Pa
10.4 Elektrochemische Reaktionen, Galvanische Elemente
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Wenn wir in Gl. (257) unter p den in Pa angegebenen osmotischen Druck der in der Lösung befindlichen Ionen verstehen und diese für eine Lösung, deren Äquivalentkonzentration c — 1 mol/1 ist, berechnen, so können wir unter Benutzung der in der Spannungsreihe mitgeteilten Standardpotentiale E° den Lösungsdruck P der betreifenden Elektrode berechnen (s. Tabelle 28). Wir sehen, daß man es bei Lösungsdrucken in der Elektrochemie mit Drucken zu tun hat, die - auf mechanische Verhältnisse übertragen - gewaltige Auswirkungen haben würden; z. B. wäre kaum irgendein Gefäß in der Lage, einen Gasdruck von 2 • 10 45 Pa ( = 2 • 10 4O at) auszuhalten. Lösungsvorgänge von Ionen aus einer Elektrode spielen sich jedoch im mikroskopischen Bereich an der Phasengrenze fest/flüssig ab und lassen sich nicht ohne weiteres mit makroskopischen, mechanischen Verhältnissen vergleichen. Wie aus Gl. (258) folgt, hängt die Größe von U bei einem bestimmten Metall von der Konzentration des Elektrolyten ab. Schichtet man daher z. B. eine konzentrierte und eine stark verdünnte Kupfersulfatlösung übereinander und führt in beide Lösungen Kupferelektroden ein, so hat man zwischen diesen Elektroden eine Potentialdifferenz zu erwarten von der Größe (für |z| = 2):
= 0,029 V log El — = 0,029 V log — Vi
(259)
die also nur von dem Konzentrationsunterschied in den beiden Lösungen herrührt; der unbekannte Lösungsdruck P hebt sich dabei heraus. Bei einem Konzentrationsverhältnis