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German Pages 806 [445] Year 1971
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig BAND XXVII
AKADEMIE-VERLAG-BERLIN
JAHRBUCH DES MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE ZU LEIPZIG BAND XXVII
H E R A U S G E G E B E N VOM DIREKTOR
A K A D E M I E - V E R L AG • B E R L I N 1970
Redaktionssekretär: DR. BABBARA TEEIDE Die Autoren sind für den Inhalt ihrer Abhandlungen selbst verantwortlich Redaktionsschluß: 31. August 1969
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Copyright 1970 by Museum f ü r Völkerkunde zu Leipzig Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3 - 4 Lizenznummer: 202 • 100/163/70 Karten: 138/70 Fotos: Rabich, Cimermanis, P. Laufer, Böttger, Hanse, Wieckhorst, Taube,Lange Zeichnungen: Göbel, Thomas, Zirdzins Herstellung: VI/2/14 VEB 'Werkdruck, 445 Gräfenhainichen • 3397 Bestellnummer: 2085/11/13 • ES 15 F EDV: 751 621 5 44,-
Inhaltsübersicht
A . I. PERSIC
und
N . N . CEBOKSAROV,
Moskau
E i n halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e Leipzig Zu einigen P r o b l e m e n der Geschichte u n d Gegenwart der N a g a (Indische Union) (Mit 1 K a r t e )
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W E B N E B HABTWIG,
H E I N Z STINGL,
Leipzig
Zur I n s t i t u t i o n des obersten Bewässerungsbeamten in Buleleng (Nord-Bali) EBIXA TAUBE,
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59
Markkleeberg bei Leipzig
M u t t e r u n d K i n d im B r a u c h t u m der Tuwiner der Westmongolei (Mit 15 Abbildungen auf Tafel I - I V u n d 4 Figuren im Text)
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Leipzig Maidari-Fest im Ivolginsker Kloster I (Mit 1 Skizze u n d 4 Abbildungen auf Tafel V - V I )
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Riga Fischsperren in Vidzeme u n d Latgale (Lettische SSR) a m E n d e des 19. u n d zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s (Mit 13 Abbildungen auf Tafel V I I - X I I , 19 Figuren u n d 1 K a r t e i m Text)
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KRISTINA LANGE,
SAULVEDIS CIMEBMANIS,
GEOBG HÖLTKEB,
St. Augustin
Abermals: Mutter-Kind-Motiv u n d v e r w a n d t e Vorstellungen in der Holzplastik Neuguineas (Mit 27 Abbildungen auf Tafel X I I I - X X I Y u n d 1 Figur im Text) P . CABL LAUFEBF,
134
Oeventrop
Die Mandas-Maskenfeier der Mali-Baining (Neubritannien, Melanesien) (Mit 18 Abbildungen auf Tafel X X V - X X X I I )
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Inhaltsübersicht
4 FRANK TIESLEE,
Dresden
Tragbandsehilde aus dem Hatzfeldhafen-Gebiet und dem Hinterland der Berlinhafen-Küste, Nord-Neuguinea (Mit 3 K a r t e n , 2 Figuren im T e x t u n d 53 Abbildungen auf Tafel XXXIII—LH) WALTER BÖTTGER,
Leipzig
Zur gegenwärtigen Situation des Dorfes Suchodol, Bezirk Burgas, Y. R. Bulgarien (Mit 11 Abbildungen auf Tafel L I I I - L V I ) H A N S GRIMM,
185
218
Berlin
Ein Mumienschädel vom Paltacalo-Typus aus Peru (Mit 3 Abbildungen auf Tafel L V I I - L I X , 1 Figur u n d 4 Tabellen im Text) HANS-GEORG SCHINKEL,
233
Berlin
B e m e r k u n g e n zum Tränk- u n d Weiderecht der N o m a d e n Ostu n d Nordostafrikas
241
Leipzig Gelbschmiedearbeiten der N u p e im Museum f ü r Völkerkunde zu Leipzig (Mit 94 Figuren im Text u n d 34 Abbildungen auf Tafel L X I bis LXXII)
266
Oer-Erkenschwick Ü b e r einige B ä r e n k u l t o b j e k t e des Museums f ü r Völkerkunde zu Leipzig (Mit 2 Figuren im T e x t u n d 32 Abbildungen auf Tafel L X I I I bis LXXXVIII)
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P E T E R GÖBEL,
HANS-JOACHIM PAPROTH,
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie v o n A . I . P E R S I C u n d N . N . CEBOKSAROV, M o s k a u
Vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution h a t sich die ethnographische Wissenschaft in Rußland vorwiegend in den wissenschaftlichen Gesellschaften wie der Geographischen Gesellschaft in Petersburg, der Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaft, Anthropologie und Ethnographie in Moskau, der Gesellschaft der Freunde der Geschichte, Archäologie und Ethnographie in K a s a n und anderen entwickelt. Die besten Vertreter der russischen Ethnographie t r a t e n aktiv gegen die imperialistische Großmachtideologie, gegen Chauvinismus und Rassismus auf. Diese humanistischen Traditionen t r a t e n deutlich in der Tätigkeit N . G. Ö E B N Y S E V S K I J ' S , N. N. M I K L T J C H O - M A K L A J ' S , M . M . K O V A L E V S K I J ' S , D . N . ANTJCIN'S, L . J . STERNBEBGS, V . G . BOGOBAZ'S u n d
anderer fortschrittlicher Gelehrter zutage, die das Eindringen vieler reaktionärer Tendenzen, welche sich in der Epoche des Imperialismus in der Ethnographie einer Anzahl westlicher Länder entwickelten, in die russische Wissenschaft erschwerten. Das Wirken der wissenschaftlichen Gesellschaften und ihrer weitverzweigten Filialen begünstigte eine breite Entwicklung der ethnographischen Arbeit, das Sammeln von Feldmater ial und Publikationen ; die Thematik der Forschungen und die K o n t a k t e zu anderen Wissenschaften wurden erweitert. Bei der Erforschung der dörflichen Gemeinwesen t r a t die Ethnographie mit der Ökonomie und der Statistik in enge Berührung, bei d er Untersuchung des Gewohnheitsrechts entstanden Verbindungen zur Rechtswissenschaft, bei der Erforschung der Folklore ergaben sich K o n t a k t e m i t der Literaturwissenschaft. Ein großer Erfolg der vorrevolutionären russischen Ethnographie ist besonders im Wirken D. N . A N U C I N ' S zu sehen, der zur Lösung vieler kulturhistorischer Probleme ethnographische, anthropologische u n d archäologische Materialien in ihrer Gesamtheit verwendete. Wie bemerkenswert auch die Erfolge der vorrevolutionären Ethnographie in R u ß l a n d gewesen sein mögen, m a n darf sie jedoch nicht überschätzen. Insgesamt überwog in der russischen Ethnographie die evolutionistische Richtung, wenn sich auch seit den 70er J a h r e n des X I X . Jhs. in den Arbeiten einzelner fortschrittlicher Gelehrter der Einfluß des Marxismus zu zeigen begann. Der Gegenstand der Ethnographie blieb Undefiniert, die ethnographische Lehre war eine Einzelerscheinung, die ethnographischen Forschungen wurden nicht planmäßig geführt, das gesammelte Material wurde nicht verallgemeinert. 1 1
S. A. TOKAREV, I s t o r i j a r u s s k o j ètnografii (Do o k t j a b r ' s k i j period), M. 1966. Geschichte der russischen E t h n o g r a p h i e (Periode vor der Oktoberrevolution).
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A. I. PebSic und N. N. Ceboksarov
In den ersten Jahren nach der. Errichtung der Sowjetmacht begann sich die ethnographische Arbeit im Lande zu entfalten. „Indem sie die ökonomische und kulturelle Rückständigkeit, die Reste der alten nationalen Zwietracht überwanden, haben die Partei und die Sowjetmacht geduldig und kontinuierlich die allseitige Zusammenarbeit der Völker entwickelt, die sich im Dezember 1922 freiwillig zur Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken zusammengeschlossen haben." 2 Zur Lösung dieser Aufgabe waren die ethnographischen Materialien von Wichtigkeit, sie halfen richtige Wechselbeziehungen zwischen den Nationalitäten herzustellen, die Zusammenarbeit der Völker zu fördern und die ökonomische und kulturelle Umgestaltung der ehemals zurückgebliebenen nationalen Gebiete des Landes zu bewirken. Die kommunistische Partei und die Sowjetregierung, die forderten, daß der staatliche Aufbau in den nationalen Gebieten unter Beachtung der historisch entstandenen Wirtschafts- und Lebensbedingungen durchgeführt wurde, stellten viele Mittel zur Wiederherstellung der alten und der Einrichtung neuer ethnographischer Institutionen zur Verfügung. Bereits im Jahre 1917 wurde an der Akademie der Wissenschaften die Kommission zur Erforschung der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung Rußlands und der angrenzenden Länder wieder eingerichtet, die später zur Kommission für die Erforschung der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung der UdSSR umgestaltet wurde. 1919 schuf man ethnographische Zentren an den Universitäten in Petrograd und Moskau. 1924 wurde das Komitee zur Erforschung der Sprachen und ethnischen Kulturen des nörd liehen Kaukasus und im Jahre 1930 das Institut der Völker des Nordens gegründet. 1933 wurde auf der Grundlage des Museums für Anthropologie und Ethnographie das Institut für Anthropologie, Archäologie und Ethnographie gebildet, das später zum Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR umgestaltet wurde. 1926 erschien die Zeitschrift „Etnografija" (seit 1931 „Sovetskaja Btnografija"), die zum zentralen Organ aller Ethnographen des Landes wurde. I n diesen Jahren entstanden auch ethnographische Zentren und Publikationsorgane in der Ukraine, in Belorußland, in den kaukasischen, mittelasiatischen und anderen Republiken. Es bildeten sich qualifizierte Spezialisten heraus, darunter auch Angehörige der verschiedenen Nationalitäten. Die Ethnographen wurden in starkem Maße zur Lösung praktischer Aufgaben des sozialistischen Aufbaus herangezogen. Ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Erforschung der ethnischen Zusammensetzung der UdSSR und die Schaffung ethnographischer Karten erwiesen sich als große Hilfe bei der Durchführung der Bildung von nationalen Gebieten. Das gesammelte Material spielte auch bei der Festlegung konkreter Maßnahmen zur wirtschaftlichen und kulturellen Umgestaltung der nationalen Gebiete eine bedeutsame Rolle. 2
Tezisy Central'nogo Komiteta K P S S „50 let Velikoj Oktjabr'skoj socialistiöeskoj revoljucii", „Pravda", 25. VI. 1967 (Thesen des Zentralkomitees der K P d S U „50 Jahre Große Sozialistische Oktoberrevolution").
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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Große Bedeutung für die Entwicklung der sowjetischen Ethnographie hatten die Arbeiten W. I. LENINS, insbesondere seine Theorie über die Nationen und die Lehre über die gesellschaftlichen Strukturen. Die Leninschen Thesen über die Gleichberechtigung der Nationen und Sprachen, über die nationale Autonomie, die Nationalkultur und deren Klasseninhalt, über das Verhältnis der gesellschaftlichen Strukturen, haben für viele Jahre die Arbeitsrichtung der Ethnographen der UdSSR bestimmt und deren feste theoretische Grundlage gebildet. Die Entwicklung der Ethnographie in der UdSSR war ein langer Prozeß. I n den 20er Jahren trug diese Entwicklung mehr quantitativen als qualitativen Charakter. Die Ethnographie jener Jahre, die den progressiven Traditionen der vorrevolutionären russischen Wissenschaft folgte, begann erst allmählich ihre Umgestaltung auf der Basis der marxistischen Methodologie. Diese Umgestaltung begann in den 30er Jahren, als sich in scharfen Diskussionen die ersten Züge der sowjetischen ethnographischen Schule mit der ihr eigenen historischen Forschungsmethode und dem Bemühen, am konkreten Material der untersuchten Völker allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung darzustellen, abzeichneten. Als Widerspiegelung und Ergebnis dieses neuen theoretischen Niveaus erschien eine Anzahl von Arbeiten sowjetischer Ethnographen der älteren Generation, die vorwiegend der Gesellschaftsordnung der Völker der UdSSR und ihrer Entwicklung von urgemeinschaftlichen Verhältnissen bis zu späteren Formen der Verflechtung kapitalistischer oder auch sozialistischer Verhältnisse mit den Überresten der Gentilordnung gewidmet waren. Die Festigung der theoretischen Grundlagen der Wissenschaft, ihre theoretische Vertiefung, führten zu einer zeitweiligen Einengung der Problematik, was sich darin zeigte, daß in der 2. Hälfte der 30er Jahre viele traditionelle Objekte der ethnographischen Forschung nicht mehr bearbeitet wurden. Ein neuer Aufschwung in der Entwicklung der sowjetischen Ethnographie begann nach dem zweiten Weltkrieg. Die Besonderheiten dieser Entwicklung können nur in Verbindung mit den Besonderheiten und den Erfordernissen der gegenwärtigen historischen Epoche verstanden werden. Bekanntlich sind die beiden Nachkriegsjahrzehnte durch gewaltige revolutionäre Bewegungen im Leben der Völker gekennzeichnet. Es entstanden neue sozialistische Länder; eine Welle der nationalen Befreiungsbewegungen rief Dutzende neuer Unabhängiger Staaten ins Leben; wie nie zuvor in der Welt aktivierten sich ethnische, sozial-ökonomische und kulturelle Prozesse. Die Völker der UdSSR schlössen den Aufbau des Sozialismus ab und gingen zur Errichtung der kommunistischen Gesellschaft über, die der weiteren Umgestaltung auf allen Gebieten der Ökonomie, Kultur und Lebensweise weite Perspektiven eröffnet. Unter diesen Bedingungen wird die Erforschung der ethnischen und kulturellen Prozesse der Gegenwart, die eng mit der Praxis des Aufbaus des Kommunismus in der UdSSR und des Kampfes der fortschrittlichen Kräfte in der ganzen Welt verbunden sind, zu einer der Hauptaufgaben der sowjetischen Ethnographie. Gleichzeitig wächst in hohem Grade die wissenschaftliche und praktische Be-
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A . I . PERSIC und. N . N .
CEBOKSAHOV
deutung der Ethnographie, ihr Gegenstand wird genauer definiert, die wissenschaftliche Problematik und der Platz der Ethnographie im System der Gesellschaftswissenschaften kristallisieren sich profilierter heraus. Die gegenwärtige sowjetische Ethnographie ist ein spezialisierter Zweig der Geschichte, sie erforscht die ethnische Entwicklung und die Entwicklung der Kultur und Lebensweise der Völker. Dennoch ist die Ethnographie als Zweig der historischen Wissenschaft in einigen Beziehungen breiter angelegt. Sie schließt bis zu einem gewissen Grade eine Anzahl von Disziplinen ein, die im Grenzbereich der Ethnographie mit anderen humanitären und auch Naturwissenschaften liegen. Dazu gehören die Folkloristik, in der die Ethnographie sich mit der Literaturwissenschaft berührt, die Ethnogeographie, in der sie sich mit der Geographie verflechtet, die Ethnolinguistik, die ethnische Anthropologie, die Ethnopsychologie, die Ethnobotanik usw. Man kann also die Ethnographie als ein komplexes Wissensgebiet mit einem außerordentlich weiten Problemkreis betrachten. Die Ethnographie beschäftigt sich mit der Siedlungsgeschichte und der Klassiiikation der Völker, der Ethnogenese und ethnischen Geschichte, der Geschichte des Gesellschafts- und Familienlebens, der materiellen und geistigen Kultur u. a. Besondere Aufmerksamkeit widmen die sowjetischen Ethnographen den gegenwärtigen ethnischen und kulturellen Prozessen, d. h. dem ethnischen Aspekt der neuesten Geschichte der Menschheit und auch den Problemen der Geschichte der Urgesellschaft, deren Behandlung von großer weltanschaulicher Bedeutung ist. I n den Nachkriegs jähren hat sich auch eine einheitliche Grundorientierung in der Forschung herausgebildet, so daß man sagen kann, es hat sich eine sowjetische ethnographische Schule formiert. Gestützt auf die Methodologie des historischen Materialismus halten sich die Ethnographen der UdSSR in ihren Forschungen an das Prinzip des Historismus. Sie sehen die in vielen westlichen Ländern praktizierte Gliederung der Wissenschaft in eine „theoretische" Ethnologie und eine „beschreibende" Ethnographie als ungerechtfertigt an, denn die theoretische Seite der Wissenschaft kann nicht von ihrer Grundlage, den Fakten, getrennt werden. Ebenso ungerechtfertigt ist es für die sowjetischen Ethnographen, die Ethnographie in zwei selbständige Disziplinen aufzuteilen, von denen die eine ihr eigenes Volk oder die Völker europäischen Ursprungs erforscht, während die andere die zurückgebliebenen, außereuropäischen Völker untersucht, weil man die Erforschung verschiedener ethnischer Gemeinschaften nicht auf der Grundlage unterschiedlicher Forschungsprinzipien durchführen kann. Die methodologische Richtung der sowjetischen Schule in der Ethnographie spiegelt sich deutlich — als eine Art Fazit der Nachkriegsarbeit der sowjetischen Gelehrten — in der dreizehnbändigen Reihe „Die Völker der Erde" (die unter der Gesamtredaktion S. P. T O L S T O V S erschien) wider, die sich grundlegend von ähnlichen Werken B U S C H A N S , B E R N A T Z I K S oder B I A S U T T I S unterscheidet. Bekanntlich war das Hauptziel der genannten Werke die Beschreibung der in kultureller Beziehung unterentwickelten Völker der Erde; außerdem charakterisierte man dabei weniger den gegenwärtigen als vielmehr den tradi-
Bin halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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tionellen, im wesentlichen vergangenen kulturellen Habitus dieser Völker. I n der Reihe „Die Völker der Erde" wird, entsprechend den allgemeinen Prinzipien der sowjetischen Ethnographie, die ethnische und kulturelle Entwicklung aller Völker erforscht, sowohl der kleinen als auch der großen, der zurückgebliebenen wie der hochentwickelten. Die einzelnen Bände dieses Sammelwerkes haben, in letzter Zeit bezieht sich das auf die Gesamtausgabe, eine positive Einschätzung in der sowjetischen und auch ausländischen Presse erfahren. Zwei Bänden, und zwar dem Band „Bevölkerungszahl und Siedlungsgebiete der Völker der Erde" (1962) und dem Band „Die Völker Ostasiens" (1965) wurde der MikluchoMaklaij-Preis des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften der UdSSR zuerkannt. I n den Nachkriegs jähren haben sich die Kontakte zwischen den Ethnographen und den Fachvertretern der Nachbardisziplinen, die sich schon vor der Revolution angebahnt haben, weiter gefestigt. I n einer Anzahl von Arbeiten sowjetischer Ethnographen ( B . 0 . DOLGICH, V. K. G A R D A N O V , M. 0 . K O S V E N , L . P. P O T A P O V , S. A. T O K A R E V , S. P . TOLSTOV U. a.) wurden weitgespannte historische Probleme gestellt und historische und archäologische Quellen herangezogen; gleichzeitig untersucht man in vielen historischen Forschungen ( J . V . B R O M L E J , I . M . D J A K O N O V , A . I . N E U S Y C H I N , N . B . -JANKOVSKAJA U . a . )
solche traditionellen ethnographischen Themen wie die Entwicklung der Großfamilie und der nachbarlichen Gemeinde. Für die Nachkriegsperiode ist auch eine bedeutende Erweiterung der Basis der ethnographischen Arbeit charakteristisch. Gegenwärtig existieren an den Akademien fast aller Unionsrepubliken wie auch an den Instituten gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen vieler autonomer Republiken und Gebiete ethnographische Forschungszentren. In der Ukraine 3 und in Belorußland bestehen Sektoren für Ethnographie am Institut für Kunstwissenschaft, Folklore und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR und am Institut für Kunstwissenschaft, Ethnographie und Folklore des Kulturministeriums der Belorussischen SSR. I n Moldawien arbeiten die Ethnographen am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Moldauischen SSR. Ethnographische Sektoren oder Gruppen bestehen auch an den Instituten für Geschichte der Litauischen, Lettischen und Estnischen SSR. Einen großen Aufschwung erzielte die ethnographische Arbeit in den letzten Jahren in den Unionsrepubliken Transkaukasiens, wo die ethnographischen Einrichtungen hauptsächlich am Institut für Geschichte, Archäologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der Grusinischen SSR, am Institut für Archäologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der Armenischen SSR und am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Aserbaidshanischen SSR konzentriert sind. Erfolgreich arbeiten auch die Ethnographen Mittelasiens und Kasachstans, die organisatorisch in den 3
K. GUSLISTIJ, Ukrains'ka radjans'ka etnografija (pidsumki i perspektivi). I n : „Narodna tvorcist' ta etnografija", 1967, No. 1.
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A. I. PERSIC u n d N . N .
CEBOKSAROV
verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Instituten der entsprechenden Republiken verankert sind. Ethnographische Gruppen arbeiten in den Filialen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Kasan und Karelien. Mit der Einrichtung der Sibirischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurden neue Möglichkeiten für die Vertiefung und Erweiterung der ethnographischen Forschung unter den verschiedenen Völkern Sibiriens und des Fernen Ostens, unter den Russen, Altaiern, Tuwinen, Chakassen, Burjaten, Jakuten und den kleinen Völkern des Nordens geschaffen. Diese Arbeit ist vorwiegend am Institut für Geschichte, Philosophie und Philologie der Sibirischen Abteilung in Nowosibirsk und an den Filialen, der Fernöstlichen (in Wladiwostok), der Burjatischen und der Jakutischen, konzentriert. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der ethnographischen Forschungen werden in verschiedenen Veröffentlichungsreihen publiziert, die in Moskau, Leningrad, den Hauptstädten der Unionsrepubliken und in einigen Kreis- und Gebietszentren herausgegeben werden. Die Forschungsarbeiten werden auch in den beiden Spezialzeitschriften „Sovetskaja Etnografija" (Moskau) und „Narodna tvorcist ta etnografija" (Kiew) publiziert. Beide Zeitschriften bringen systematisch Übersichtsarbeiten zur Geschichte der ethnographischen Wissenschaft in der UdSSR. Damit wird der notwendigerweise gedrängte allgemeine Überblick über die Entwicklung der sowjetischen Ethnographie abgeschlossen 4 ; es folgt eine Charakteristik der hauptsächlichen Problemkomplexe. Ethnogenese u n d ethnische Geschichte Einen weiten Raum nehmen in den Arbeiten der sowjetischen Ethnographen die Fragen der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte ein. Vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution beschäftigten sich in Rußland vorwiegend •die Linguisten mit diesen Fragen, da der Ursprung der Völker im Grunde geJ
> Genauer über die H a u p t e n t w i c k l u n g s e t a p p e n der sowjetischen E t h n o g r a p h i e siehe: S. P . T O L S T O V , Sovetskaja skola v etnografii. I n : „Sovetskaja etnografija "(weiter als SE bezeichnet), 1947, No. 4. (Die sowjetische Schule in der Ethnographie), ders., Sorok let sovetskoj etnografii. I n : SE, 1957, No. 5 (Vierzig J a h r e Sowjet.ethnographie); S. A. T O K A R E V , Sovetskaja etnografija za sorok let. I n : Vestnik istorii m i r o v o j k u l ' t u r y , 1958, No. 2; (Die Sowjetethnographie im Verlaufe v o n 4 0 J a h r e n ) ; V. J u . K R U P J A N S K A J A , L . P . P O T A P O V , L . N. T E R E N T ' E V A , Osnovnye problemy etnograficeskogo izucenija narodov SSSR. I n : SE, 1961, No. 3. (Grundprobleme der ethnographischen Erforschung der Völker der U d S S R ) ; L. P . POT A P O V , Etnograficeskoe izucenie socialisticeskoj k u l ' t u r y i b y t a narodov S S S R . I n : SE, 1962, No. 2. (Die ethnographische Erforschung der sozialistischen K u l t u r u n d Lebensweise der Völker der U d S S R ) ; A. I . P E R S I C , A k t u a l ' n y e problemy sovetskoj etnografii. I n : SE, 1964, No. 4. (Aktuelle Probleme der sowjetischen Ethnographie).
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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nommeii auf die Herkunft ihrer Sprachen zurückgeführt wurde, während der Prozeß der Ethnogenese selbst häufig in der ständigen Migration dieser oder jener Völker und ihrer Ausbreitung über die Erde gesehen wurde. Als heraus ragende Beispiele derartiger Forschungen können die Arbeiten A. A. S A C H M A T O V S und D . K . Z E L E N I N S dienen, die dem Ursprung der ostslawischen Völker gewidmet waren. I n den 20er Jahren wurden ethnogenetische Probleme in den Arbeiten der Ethnographen der UdSSR relativ selten gestellt. Erst am Ende dieser Periode und besonders im folgenden Jahrzehnt widmete man diesen Problemen mehr und mehr Aufmerksamkeit. Die Fragen der Ethnogenese wurden größtenteils auf der Grundlage der Theorie N. J . M A K R S behandelt, der die Rolle der Migration in der ethnischen Geschichte der Völker völlig verneinte und ihre Formierung ausschließlich als Ergebnis einer autochthonen Entwicklung ansah. Die Konzeption M A R R S half den sowjetischen Gelehrten (darunter auch den Ethnographen), die veralteten primitiv-migrationistischen Theorien über den Ursprung vieler Völker der UdSSR und anderer Länder (der Slawen, Germanen, der IndoEuropäer insgesamt, der Finno-Ugren, der Türken, der Völker Sibiriens u. a.) zu überprüfen. Allerdings führte die vorbehaltlose, unkritische Ablehnung der Migration zur einer verzerrten Vorstellung über die Prozesse der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte, zur Ignorierung selbst jener Umsiedlungen, die zweifelsfrei in archäologischen und historischen (schriftlichen) Quellen ihren Niederschlag und ihre Widerspiegelung fanden. Nach dem Vaterländischen Krieg, bis zu Beginn der 50er Jahre, wurden sowohl die konkreten als auch die theoretischen Arbeiten der sowjetischen Ethnographen, die den Fragen des Ursprungs der Völker gewidmet waren, vorwiegend am Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau und Leningrad durchgeführt und in der Zeitschrift „Sovetskaja Etnografija" und in den „Arbeiten des Instituts für Ethnographie" publiziert. Komplexe ethnographische Forschungen unter • Teilnahme von Ethnographen, Archäologen, Anthropologen — in geringerem Grade Historikern — werden auch in einigen Unionsrepubliken, besonders im Baltikum und in Mittelasien 5 , durchgeführt. I n Verbindung mit der bekannten Diskussion über Fragen der Sprachwissenschaft wurden die Anschauungen M A R R S einer scharfen und nicht in 5
Siehe '/,. B . : S. P. TOLSTOV, Drevnij Chorezm, M., 1948; ders. Po sledam drevnechorezmijskoj civilizacii, M., 1948. (Das alte Choresm; Auf den Spuren der altchoresmischen Zivilisation); T. A. ZDANKO, Ocerki istoriceskoj etnografii karakalpakov. Rodoplemennaja struktura i rasselenie v X I X — naöale X X v v . In: Trudy instituta etnografii A N SSSR, (im weiteren TIE), T. I X , 1 9 5 0 ; B. O . D O L G I C H , Proischozdenie nganasanov. In: Sibirskij etnograficeskij sbornik, TIE, t. X V I I I , 1952. (Die Entstehung der Nganasanen); Sbornik „Materialy Baltijskoj etnografoantropologiceskoj ekspedicii ( 1 9 5 2 ) " , I n : TIE, t. X X I I I , 1 9 5 4 . (Materialien der Baltischen ethnographisch-anthropologischen Expedition); V. IST. BELICER, Narodnaja odezda udmurtov. Materialy k etnogenezu. In: TIE, t. X , 1951. (Die Volkskleidung der Udmurten. Materialien zur Ethnogenese).
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A . I . PERSIC u n d N . N .
CEBOKSAROV
allem gerechtfertigten Kritik unterzogen, was dazu führte, daß man von dem extremen Autochthonismus abging, gleichzeitig aber das allgemeine Interesse^ an ethnogenetischen Problemen merklich sank. Dessen ungeachtet wurde die komplexe Erforschung von Problemen der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte durch Wissenschaftler verschiedener Spezialgebiete weitergeführt, und man konnte am Ende der 50er und besonders in den 60er Jahren erneut an eine umfassende Verallgemeinerung des gesammelten Faktenmaterials über große regionale Gruppen sowjetischer und anderer Völker herangehen. Ethnogenetischen Problemen aus allen Perioden der Menschheitsgeschichte bis zur nationalen Entwicklung unserer Tage ist in allen Bänden der Reihe „Die Völker der Erde", in den Arbeiten der verschiedenen regionalen Komplexexpeditionen, die vom Institut für Ethnographie organisiert oder unter seiner Teilnahme durchgeführt wurden, in Monographien, Sammelbänden, und Zeitschriftenaufsätzen, die in den letzten Jahren publiziertworden sind, große Aufmerksamkeit gewidmet worden. Man kann sagen, daß in den Arbeiten sowjetischer Wissenschaftler in diesem oder jenem Grade die Hauptetappen der ethnischen Entwicklung aller Völker der Erde und in erster Linie der Völker unseres Landes behandelt worden sind. Als wichtig muß unterstrichen werden, daß diesen Problemen sowohl bei einzelnen Völkern als auch bei größeren Gruppen, die verwandte Sprachen sprechen oder in den Grenzen historisch-ethnographischer Gebiete liegen, wie z. B. im Baltikum, im Wolgaund Kama-Gebiet, im Kaukasus, in Mittelasien und Kasachstan, in West- und Ostsibirien, im sowjetischen und nichtsowjetischen Fernen Osten, in Vorder-,. Süd- und Südostasien, in Afrika, Amerika, Australien und Ozeanien nachgegangen wurde. 0
6 Siehe z. B.: „Baltijskij etnograficeskij sbornik". In: T I E , t. X X X I I , 1956. (Baltisoher ethnographischer Sammelband); Sbornik „Voprosy etniceskoj istorii estonskogo naroda", Tallin, 1956. (Sammelband „Fragen der ethnischen Geschichte des estnischen Volkes"); Sbornik „Voprosy etniceskoj istorii narodov Pribaltiki". I n : Trudy Pribaltijskoj obedinennoj kompleksnoj ekspedicii, t. I , Moskva 1959. (Sammelband „Fragen der ethnischen Geschichte der Völker des Baltikum");. Sbornik „Voprosy etniceskoj istorii mordovskogo naroda". In: T I E , t. L X I I I , 1960. (Sammelband „Fragen der ethnischen Geschichte des mordwinischen Volkes"); „Trudy Chorezmskoj archeologo-etnograficeskoj ekspedicii", 1.1—IV, Moskva 1952—1959. (Arbeiten der Choresmischen archäologisch-ethnographischen Expedition, Band I—IV, Moskau 1952—1959); „Trudy Kirgijskoj archeologo-etnografiöeskoj ekspedicii", 1.1—IV, Moskva 1956—1960. (Arbeiten der Kirgisischen archäologisch-ethnographischen Expedition, Band I—IV, Moskau 1956—1960); M. G. LEVIN, Etniceskaja antropologija i problemy etnogeneza narodov Dal'nogo Vostoka. In: T I E , t. L X X X I , 1958. (Ethnische Anthropologie und Probleme der Ethnogenese der Völker des Fernen Ostens); „Trudy Tuvinskoj kompleksnoj archeologo-etnografiöeskoj ekspedicii, t. I—II, Moskva-Leningrad 1960—1966. (Arbeiten der Tuwinischen archäologisch-ethnographischen Komplexexpedition, Band I—II, Moskau-Leningrad 1960—1966); K. G. GUSLISTIJ, Voprosy istorii
E i n halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e
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I n d e n letzten Jahren haben die sowjetischen Ethnographen der Erarbeitung "theoretischer Probleme der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte besonderes Interesse entgegengebracht. Auf dem V I I . Internationalen Kongreß der Anthropologischen u n d Ethnographischen Wissenschaften (der i m August 1964 in Moskau stattfand), wurde ein Symposium unter dem Titel „Probleme der H e r k u n f t alter u n d moderner Völker" veranstaltet. N a c h d e m Kongreß erschienen in verschiedenen Zeitschriften (Sovetskaja etnografija, „Voprosy istorii" u n d „Voprosy filosofii") einige Arbeiten sowjetischer Ethnographen, die der Definition des Begriffs „ethnische Gemeinschaft", deren charakteristischen Merkmalen, Klassifikationsprinzipien, d e n T y p e n ethnischer Gemeinschaften verschiedener historischer Epochen, (Stamm, Völkerschaft, Nation) u n d ihrer Wechselbeziehung zu wirtschaftlich-kulturellen, rassischen, klassenmäßigen, staatlich-politischen u n d anderen Gemeinschaften gewidmet waren. 7 Mit Vort r ä g e n zu verschiedenen ethnographischen T h e m e n sind sowjetische E t h n o -
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U k r a i n y i etniceskogo razvitija ukrainskogo naroda, Kiev, 1963 (Fragen der Geschichte der Ukraine u n d der ethnischen E n t w i c k l u n g des ukrainischen Volkes); B . O . D O L G I C H , R o d o v o j i plemennoj sostav narodov Sibiri v X V I I v., I n : T I E , t . LV, 1960. (Gentil- u n d S t a m m e s b e s t a n d der Völker Sibiriens im 17. J h . ) ; B . O . D O L G I C H , Proischozdenie dolgan. I n : „Sibirskij etnograficeskij sbornik", T I E , t . L X X X I V , 1963. (Der U r s p r u n g der Dolganen); S. V. I V A N O V , O r n a m e n t n a r o d o v Sibiri k a k istoriceskij istocnik (po m a t e r i a l a m X I X — nacala X X vv.), T I E , t . L X X X I , 1963. (Das O r n a m e n t der Völker Sibiriens als historische Quelle. N a c h Materialien des 19. Anfang des 20. J h . ) ; I. S. V D O V I N , Oöerki istorii i etnografii cukcej, Moskva-Leningrad, 1965. (Abriß der Geschichte u n d E t h n o g r a p h i e der Tschuktschen); I . S. G U R V I C , E t n i c e s k a j a istorija severe-vostoka Sibiri. I n : T I E , t . 89, 1966. (Ethnische Geschichte des nord-östlichen Sibiriens); Sbornik „Etniceskie processy i sostav naselenija v stranach P e r e d n e j Azii". I n : T I E , t . 83, 1963. (Sammelband „Ethnische Prozesse u n d B e s t a n d der Bevölkerung in den L ä n d e r n Vorderasiens); N. N. C E B O K S A R O V , Etniceskie processy v s t r a n a c h juznoj i jugovostoenoj Azii. IN: SE, 1966, No. 2. (Ethnische Prozesse in den L ä n d e r n Süd- u n d Süd-Ostasiens); D. A. O L D E R O G G E , Proischozdenie n a r o d o v central'nogo Sudana. I n : SE, 1952, No. 2. (Die H e r k u n f t der Völker des Zentral-Sudan). Derselbe, Z a p a d n i j Sudan v X V - X I X vv. I n : T I E , t . L I I I , 1960. (Der westliche S u d a n im 15.—19. J h . ) ; N. A. B U T I N O V , Proischozdenie i etniceskij sostav korennogo naselenija Novoj Gvinei. I n : T I E , t . L X X X , 1962. ( H e r k u n f t u n d ethnische Zusammensetzung der Grundbevölkerung Neuguineas). Sbornik „Nacii L a t i n skoj Ameriki". (Sammelband „Die Nationen Lateinamerikas") Moskva 1964, u n d viele andere. V. I . K O Z L O V , O p o n j a t i i etniceskoj obsenosti. I n : SE, 1967, No. 2. (Über den Begriff der ethnischen Gemeinschaft); ders.: Nekotorye problemy teorii nacii. I n : Voprosy istorii, 1967, No. 1. (Einige Probleme der Theorie der N a t i o n ) ; L. P . L A S U K , O f o r m a c h donacional'nych etniceskich svjazej. I n : Voprosy istorii, 1967, No. 4. (Über die F o r m e n vornationaler ethnischer Verbindungen); S. A. T O K A R E V , Probleme t i p o v etniceskich obsenostej. I n : Voprosy filosofii, 1964, No. 11. (Das P r o b l e m der T y p e n ethnischer Gemeinschaften); N. N. C E B O K S A R O V , P r o b l e m y proischozdenija drevnich i sovremennych narodov. (Probleme der E n t s t e h u n g
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graphen mehrmals erfolgreich auf internationalen Veranstaltungen, besonders; auf internationalen Kongressen im Jahre 1966, aufgetreten. 8 Gegenwärtig bereiten sowjetische Gelehrte Vorträge zu ethnogenetischen Fragen für den. VIII. Internationalen Kongreß für Anthropologische und Ethnographische Wissenschaften vor, der 1968 in Tokio stattfindet. Ungeachtet der Tatsache, daß viele konkrete und theoretische Fragen der Herkunft der Völker noch weit von einer endgültigen Lösung entfernt sind,, wurden in den Arbeiten sowjetischer Ethnographen (wie auch Wissenschaftler anderer benachbarter Disziplinen) die Hauptthesen einer Konzeption zur Ethnogenese und zur ethnischen Geschichte formuliert. Es besteht kein Zweifel, daß der weltumspannende Prozeß der Herausbildung, Entwicklung und der gegenseitigen Wechselbeziehungen ethnischer Gemeinschaften verschiedener Typen und Ordnungen, der im tiefen Altertum beim homo sapiens seinen Anfang nahm, sich durch die ganze Geschichte der Menschheit hindurch vollzog und in unseren Tagen seine Fortsetzung findet. Die ethnischen Gemeinschaften verschiedener Typen wie Stamm, Völkerschaft und Nation, ihre verwandten Gruppen und Untergliederungen, die sich nach vielen Kennzeichen hin (Sprache, Siedlungsterritorium, ökonomische Verbindungen, Kultur usw.) gegeneinander abgrenzen,, formieren und trennen sich unter dem Einfluß verschiedener Faktoren, u n t e r denen das allgemeine Tempo der sozialökonomischen Entwicklung, wirtschaftlich-kulturelle Besonderheiten, die mit natürlich-geographischen Bedingungen, verbunden sind, die größte Bedeutung haben. Dazu kommen demographische Indices, Umsiedlungsbewegungen, biologische Prozesse, kulturelle Wechselwirkungen und Assimilierungserscheinungen, Faktoren der geographischen und gesellschaftlichen Isolierung und Veränderungen der politischen Grenzen. Die sowjetischen Ethnographen beschränken sich in ihren ethnogenetischen Forschungen nicht auf das Vergangene, sondern sie widmen den ethnischen Prozessen unserer Zeit, die sich sowohl in der Sowjetunion als auch in anderen Ländern unter den Bedingungen des Aufbaus des Sozialismus und Kommuder alten und der gegenwärtigen Völker). Moskau 1964, Eröffnungsbeitrag auf dem Symposium. VII. Internationaler Kongreß der anthropologischen und ethnographischen Wissenschaften. Derselbe, Problemy tipologii étniceskich obscnostej v rabotach sovetskich étnografov. In: SE, 1967, No. 4. (Probleme der Typo8
logisierung ethnischer Gemeinschaften in denArbeiten sowjetischer Ethnographen). JU. P. A V E R K I E V A , Na X V I I I Mezdunarodnom kongresse psychologov i VI Mezdunarodnom kongresse sociologov (vpecatlenija ètnografa). In: SE, 1967, No. 1. (Auf dem XVIII. Internationalen Kongreß der Psychologen und dem VI. Intern a t i o n a l e n Kongreß der Soziologen. Eindrücke eines Ethnographen); T. D. Z L A T K O V S K A J A , JTJ. V. I V A N O V A , L. V. M A R K O V A , Voprosy ètnografii na I Mezdunarodnom kongresse balkanskich issledovanij v Sofii, ebenda. (Fragen der Ethnographie auf dem I. Internationalen Kongreß für Balkan-Forschung in Sofia) D. D. T U M A R K I K , N. N. C E B O K S A R O V , Antropologija i étnografija na X I Tichookeanskom nauônom kongresse, ebenda. (Anthropologie und Ethnographie auf dem X I . Pazifik-Kongreß).
Bin halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e
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nismus und des Zerfalls des imperialistischen Weltsystems und den gewaltigen Erfolgen der nationalen Befreiungsbewegungen in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas vollziehen, außerordentlich große Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren wurden einige Arbeiten veröffentlicht, die den ethnischen Prozessen in einzelnen Gebieten unseres Landes, dem Baltikum, dem Kaukasus, in Mittelasien usw. gewidmet sind. Auf der Grundlage umfassenden Tatsachenmaterials (inklusive statistischer Angaben) werden lokal begrenzte Umsiedlungsbewegungen untersucht und wirtschaftlich-kulturelle Wechselbeziehungen verschiedener Völker in Stadt und Land erforscht. Mischehen, Erscheinungen der Zwei- und Vielsprachigkeit gehören mit zu den Erscheinungen, die bei der Erforschung dieser Prozesse als Material herangezogen werden.9 Im Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wird eine Monographie unter kollektiver Teilnahme vorbereitet, die den ethnischen Prozessen in der UdSSR gewidmet ist. In dieser Monographie wird der Erhaltung und der Entwicklung der nationalen Besonderheiten in Kultur und Lebensweise wie auch der für die Epoche des entfalteten Auf baus des Kommunismus charakteristischen Annäherung der sozialistischen Nationen unserer Heimat, insbesondere der Verbreitung der russischen Sprache als Verkehrssprache zwischen den Nationalitäten, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Ähnliche Arbeiten wurden und werden auch über die Bevölkerungen anderer Länder durchgeführt. 10 Vor der Vollendung steht eine Monographie von einem
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V. K . G A R D A N O V , B. O. D O L G I C H , T. A. Z D A N K O , Osnovnye napravlenija etniceskich prozessov u narodov S S S R . I n : SE, 1961, No. 4. (Die H a u p t r i c h t u n g e n der ethnischen Prozesse bei den Völkern der U d S S R ) ; L. N. C I Z I K O V A , Zaselenie K u b a n i i sovremennye etniceskie processy. I n : SE, 1963, No. 6. (Die Besiedlung des K u b a n g e b i e t s u n d die gegenwärtigen ethnischen Prozesse); A. V. S M O L J A K , O nekotorych etniceskich processach u narodov Niznego i Srednego A m u r a . I n : SE, 1963, No. 3. (Über einige ethnische Prozesse bei den Völkern des U n t e r e n u n d Mittleren A m u r ) ; T . A. Z D A N K O , Etnograficeskoe izucenie processov razvitija i sblizenija socialisticeskich nacii v S S S R . I n : SE, 1964, No. 6. (Die ethnographische E r f o r s c h u n g von Prozessen der E n t w i c k l u n g u n d der A n n ä h e r u n g sozialistischer N a t i o n e n in der U d S S R ) ; O. A. G A N C K A J A i L. N. T E R E N T ' E V A , Etnograficeskie issledovanija nacionalnich prozessov v Pribaltike. I n : SE, 1965, No. 5. (Ethnographische Erforschung der nationalen Prozesse im B a l t i k u m ) ; A. G. T R O F I M O V A , Materialy otdelov ZAGS o b r a k a c h k a k etnograficeskij istoenik, ebenda. (Materialien der Abteilungen des S t a n d e s a m t s über Eheschließungen als ethnographische Quelle); N. G. V O L K O V A , Voprosy d v u j a z y c i j a n a Severnom K a v k a z e . I n : SE, 1967, No. 1. (Fragen der Zweisprachigkeit im nördlichen K a u kasus); J A . S . S M I R N O V A , Nacionalno-smesannye b r a k i u n a r o d o v KaraöaevoCerkessii. I n : SE, 1967, No. 4. (Mischehen zwischen verschiedenen Nationalitäten bei den Völkern Karatschai-Tscherkessiens); I. S. G U R V I Ö , Nekotorye problemy etniceskogo razvitija n a r o d o v S S S R . I n : SE, 1967, No. 5. (Einige Probleme der ethnischen E n t w i c k l u n g der Völker der U d S S R ) ; I. I . P O T E C H I N , Formirovanie nacional'noj obsenosti juznoafrikanskich b a n t u . I n : T I E , t. X X I X , 1955. (Die Formierung der nationalen Gemeinschaft bei d e n
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Mitarbeiterkollektiv unter dem Titel „Die nationale Entwicklung in den Ländern Vorder-, Süd- und Südostasiens", in der die ethnischen Prozesse charakterisiert werden, die sich gegenwärtig in der Türkei, dem Iran, in Afghanistan, Indien, Pakistan, Ceylon, Nepal, Birma, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam, Malaysia und auf den Philippinen vollziehen. Das Material, das dieser Monographie zugrunde liegt, wurde teilweise von sowjetischen Wissenschaftlern während ihres Aufenthaltes in den Ländern Vorder-, Süd- und Südostasiens selbst gesammelt. Die Arbeit zu einer kollektiven Monographie gleichen Profils, die den ethnischen Prozessen und der nationalen Entwicklung in den Ländern Europas, Afrikas, Nord- und Lateinamerikas gewidmet ist, befindet sich in Vorbereitung. Mit den Problemen der Herkunft der Völker und ihrer weiteren ethnischen Entwicklung sind die Fragen der Ethnolinguistik eng verbunden. An ihrer Erarbeitung nehmen sowjetische Ethnographen, die philologische Ausbildung haben, gemeinsam mit Sprachwissenschaftlern teil. Da die Sprache eines der hauptsächlichsten ethnischen Bestimmungselemente ist, ist es klar, daß keine ethnogenetische Frage ohne die Einbeziehung linguistischen Materials völlig gelöst werden kann. Besonders häufig müssen sich die Ethnographen der Bearbeitung linguistischer Probleme bei der Erforschung von Fragen der Herkunft jener Völker zuwenden, deren Sprachen erst unlängst schriftlich fixiert wurden und die bisher von den Philologen nur ungenügend erforscht wurden. So ist die Situation z. B. auf dem Gebiet der Sprachen der Grundbevölkerung Afrikas (südlich der Sahara), Amerikas, Australiens und Ozeaniens. Große Erfolge sind in der Sowjetunion auf dem Gebiet der ethnolinguistischen Erforschung der Völker Afrikas erzielt worden, die von wesentlicher theoretischer Bedeutung südafrikanischen Bantu); Derselbe, Zadaci izucenija etniceskogo sostava Afriki v svjazi s raspadom kolonialnoj sistemy. In: SE, 1957, No. 4. (Aufgaben der Erforschung der ethnischen Zusammensetzung Afrikas in Verbindung mit dem Zerfall des Kolonialsystems); Ders. Afrika smotrit v buduscee, Moskva, 1960: (Afrika blickt in die Zukuft); S . R . SMIRNO'V, Obrazovanie i puti razvitija severosudanskoj narodnosti. In: Afrikanskij etnograficeskij sbornik, TIE, t. X X X I V , 1956. (Die Bildung und die Entwicklungswege der nordsudanischen Völkerschaft); S . I. B R T J K , N. N. C E B O K S A B O V , Sovremennyj etap nacional'nogo razvitija narodov Azii i Afriki. I n : SE, 1961, No. 4. (Die gegenwärtige Etappe der nationalen Entwicklung der Völker Asiens und Afrikas); Etniceskie processy i sostav naselenija v stranach perednej Azii. In: TIE, t. 83, 1963. (Ethnische Prozesse und Zusammensetzung der Bevölkerung in den Ländern Vorderasiens); I. G . G R I G U L E V I C , A. V. E F I M O V , K voprosu o voznikonvenii i razvitii nacij v Latinskoj Amerika. In: Sbornik „Nacii Latinskoj Ameriki", Moskva, 1964. (Zur Frage der Entstehung und Entwicklung der Nationen in Lateinamerika. In: Sammelband „Die Nationen Lateinamerikas"); E. L. N I T O B U R G , O negritjanskom voprose v SSA. I n : Novaja i novejsaja istorija, 1963, No. 5. (Über" die Negerfrage in den USA); N. N. C E B O K S A R O V , Etniceskie processy v stranach juznoj i jugovostocnoj Azii. In: SE, 1966, No. 2. (Ethnische Prozesse in den Ländern Süd- und Südostasiens).
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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für die Lösung ethnogenetischer Probleme der Völker der ganzen Erde ist. 11 Ethnolinguistische Forschungen spielen auch eine nicht unwesentliche Rolle bei der Ausarbeitung neuer Schriftsysteme für schriftlose Völker. Unter der Leitung von D . A. O L D E R O G G E hat eine Gruppe sowjetischer und afrikanischer Ethnolinguisten 1963 und 1964 in der Republik Mali für die Projektierung von Alphabeten für verschiedene Sprachen dieses Staates (Bambara, Songai, Tomashek u. a.) eine große Arbeit geleistet. Ethnolinguistische Arbeiten, bei denen die ethnische Geschichte eines Volkes in enger Verbindung mit der Geschichte der Sprache und Kultur erforscht wird, werden nicht nur über die Völker Afrikas, sondern auch über andere große ethnische Gemeinschaften durchgeführt. Besonders erfolgreich gestalteten sich in den letzten Jahren die ethnolinguistischen Forschungen über turksprachige Völker und die Afghanen. 12
Ethnische Geographie Aufs engste sind mit den Problemen der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte Fragen der ethnischen Geographie verbunden. Die ethnische Geographie hat sich in den Jahren der Sowjetmacht zu einer besonderen Wissenschaftsdisziplin entwickelt, die die ethnische Zusammensetzung der Erdbevölkerung, ihre territoriale Verteilung, die Bevölkerungszahl und auch die Zusammensetzung der Völker nach ethnographischen Gruppen erforscht. 1 '' Bereits im Jahre 1940 wurde an der Moskauer Universität das Institut für ethnische Statistik und Kartographie gegründet, das zwei Jahre später an das Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR überführt wurde. Seit 1944 begann man an diesem Laboratorium planmäßig mit der Zusammenstellung von Karten über die Völker aller Erdgebiete. Diese Arbeiten 11
Afrikanskie etnografiöeskie sborniki, 1.1—IV, Moskva-Leningrad, 1956—1966. Der letzte dieser Sammelbände trägt die Bezeichnung „Africana" (Kultur und Sprache der Völker Afrikas). In: TIE, t.XC, 1966. Unter der Leitung von D. A. O L D E R O G G E wurden die Wörterbücher Suaheli-Russisch (Moskau, 1961) und Hausa-Russisch (Moskau, 1963) zusammengestellt. Siehe auch die unter Anmerkung 6 angeführten Arbeiten von O L D E R O G G E . 12 Siehe z. B . : N. A. B A S K A K O V , Karakalpakskij jazyk, t. I—II, Moskva, 1952. (Die karakalpakische Sprache); Ders.: Tjurkskie jazyki, Moskva, 1960. (Turksprachen); Ders.: Dialektv gerievych tatar (tüba-kiisi), Moskva, 1960. (Die Dialekte der Geri-Tataren. Tuba-Kiisi); E. R. T E N I S E V , Salarskij jazyk, Moskva, 1964. (Die salarische Sprache); Ders.: Jazyk zeltych uigurov, Moskva, 1966. (Die Sprache der gelben Uiguren); M. G. A S L A N O V , Afgansko-russkij slovar, Moskva, 1966. (Afghanisch-Russisches Wörterbuch). 13 Siehe: S. I. B R U K , Osnovnye problemy etniceskoj geografii (Metodika opiedelenija etniceskogo sostava naselenija, principy etniceskogo kartografirovanija), Moskva, 1964. (Grundprobleme der ethnischen Geographie. Methodik der Bestimmung der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung, Prinzipien der ethnischen Kartographie.). 2
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
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wurden nach dem Großen Vaterländischen Kriege wesentlich erweitert, als überall das Interesse für das Leben der Völker verschiedener Länder wuchs, als man sich in verstärktem Maße für die ethnischen und kulturellen Besonderheiten der Völker, für ihre geographischen und nationalen Wechselbeziehungen zu interessieren begann. Im Jahre 1951 wurde als Lehrmaterial eine Karte der Völker der UdSSR publiziert. Seit 1956 sind Karten über die Völker Hindostans, Chinas, der Mongolischen Volksrepublik und Koreas, Indochinas, Vorderasiens, Indonesiens, Malayas und der Philippinen und Afrikas erschienen. 1961 wurde die Karte „Völker der Erde" veröffentlicht. Fast allen Karten sind Erläuterungen beigegeben, die die hauptsächlichsten Daten über Bevölkerungszahlen, wirtschaftlich-kulturelle Besonderheiten und die ethnische Geschichte der betreffenden Völker enthalten. 14 Anhand der Angaben der Volkszählung, die 1959 in der UdSSR durchgeführt wurde, sind zwei Karten über die Völker der UdSSR zusammengestellt worden, von denen eine speziell als Lehrmittel iür die Mittelschule gestaltet wurde. Zum VII. Internationalen Kongreß für Anthropologische und Ethnographische Wissenschaften (1964) wurde ein „Atlas der Völker der Erde" vorbereitet; er besteht aus 76 mehrfarbigen Karten, die ein klares Bild von den Siedlungsgebieten geben und die Sprach- und Rassengruppen der Erdbevölkerung darstellen. Dem Atlas sind Tabellen und Materialien beigegeben, die allgemeine Angaben über die ethnische, rassische, sprachliche und konfessionelle Zusammensetzung der Völker der Welt enthalten. Außer den aufgezählten Karten und Kartenwerken sind vom Laboratorium für ethnische Statistik und Kartographie eine Vielzahl anderer ethnographischer Karten zusammengestellt worden, die in der Serie „Die Völker der Erde" und anderen Publikationen des Instituts für Ethnographie sowie in enzyklopädischen Werken und geographischen Lehrmaterialien veröffentlicht worden sind. In der Reihe „Die Völker der Erde" erschien ein spezieller Band, der der ethnischen Statistik und Kartographie gewidmet ist. 15 14
K a r t a n a r o d o v Indonezii, Moskva,, 1 9 5 6 . ( K a r t e der Völker Indonesiens); S. I. BBUK, K a r t a narodov K i t a j a , M N R i Korei, Moskva, 1959. ( K a r t e der Völker Chinas, der M V R u n d Koreas); Ders.: K a r t a n a r o d o v Indokit a j a , Moskva 1959. ( K a r t e der Völker Indochinas); Ders.: Narody P a r e d n e j Azii, Moskva, 1 9 6 1 . (Die Völker Vorderasiens); B . V. A N D B I A N O V , N a r o d y Afriki (Karta), Moskva, 1 9 6 0 . (Die Völker Afrikas. K a r t e . ) ; B . V. A N D B I A N O V , M . J A .
M . JA. BEBZINA,
BERZINA, S. I . B B U K , J A . R . VINNIKOV, F . N . KAMENEOKAJA, V . I . KOZLOV,
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Kar-
t a n a r o d o v mira, Moskva, 1 9 6 1 . ( K a r t e der Völker der E r d e ) ; M. J A . B E B Z I N A , S. I. BECK, N a r o d y Indonezii, Malaji i Filippin (Karta), Moskva, 1962. (Die Völker Indonesiens, Malajas u n d der Philippinen. Karte.). S. I . B B U K , J A . R . V I N N I K O V , V. I . K O Z L O V , B . V. A N D B I A N O V , K a r t a narodov S S S R , Moskva, 1 9 6 2 . ( K a r t e der Völker der U d S S R ) ; S. I . B B U K , J A . R . V I N N I K O V , V. I . K O Z L O V , N a r o d y S S S R . Uöebnaja k a r t a dlja srednej skoly, Moskva, 1963. (Die Völker der U d S S R . L e h r k a r t e f ü r die Mittelschule); Cislennost' i rasselenie n a r o d o v mira, Moskva, 1962. (Bevölkerungszahl u n d Siedlungsgebiete der Völker der E r d e ) ; Atlas narodov mira, Moskva, 1964 (Atlas der Völker der E r d e ) .
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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Bei der Zusammenstellung der K a r t e n über die Siedlungsgebiete der Völker der Erde m u ß t e von den sowjetischen Ethnographen eine ganze Reihe komplizierter theoretischer und methodischer Fragen der ethnischen Kartographie und Statistik gelöst werden. I m I n s t i t u t f ü r Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der U d S S R wurden einige neue Kartographierungsmethoden erarbeitet, darunter die Methode der ethnischen Territorien, die es möglich m a c h t , Gebiete mit gemischter ethnischer Zusammensetzung kartographisch darzustellen. Diese Methode gilt heute als grundlegend f ü r die Erarbeitung ethnographischer K a r t e n . Gleichzeitig wurde eine andere Methode der ethnischen Kartographierung entwickelt, die es erlaubt, auf einer K a r t e sowohl den ethnischen Bestand als auch die Bevölkerungsdichte darzustellen. Für die genaue Wiedergabe des ethnischen Bestandes schwach besiedelter Territorien wird ebenfalls die Methode der Bevölkerungsdichte angewandt, die es möglich m a c h t , den ethnischen Bestand jeder einzelnen Siedlung anzugeben. Mit Hilfe dieser Methode wurde bereits zu Beginn, der 30er J a h r e u. J h . die „Karte der Siedlungsgebiete der Völkerschaften des äußersten Nordens" zusammengestellt. 1 6 Die weitere Ausarbeitung von Methoden der ethnischen Kartographie, insbesondere des Verfahrens, verschiedene Indices zu kombinieren, ist weiterhin eine der wichtigsten Aufgaben der ethnographischen Wissenschaft. E n g m i t der ethnischen Geographie ist auch das Problem der Klassifizierung der Völker der Erde verbunden, das schon im Abschnitt über die Fragen der Ethnogenese und der ethnischen Geschichte angeschnitten wurde. Bekanntlich ist die Sprache eines der grundlegenden bestimmenden ethnischen Elemente. Gleiche oder verwandte Sprachen werden in der Mehrzahl der Fälle von Völkern gesprochen, die durch gemeinsamen Ursprung oder langwährende Nachbarschaft und wirtschaftlich-kulturelle Wechselbeziehungen verbunden sind. Auf diese Weise läßt die sprachliche Verwandtschaft bis zu einem gewissen Grade auch auf eine ethnische Verwandtschaft schließen. Die Sprache stellt jedoch n u r eines der ethnischen Bestimmungselemente dar. Die linguistische und ethnische Klassifikation der Völker ist bei weitem nicht gleichwertig. Die Versuche einiger ausländischer Gelehrter, Klassifikationen der Völker unter Einbeziehung verschiedener Elemente, wie z. B. sprachlich-anthropologischer, sprachlich-konfessioneller und auch sprachlich-politischer Faktoren, sind methodologisch nicht akzeptabel, wie das viele sowjetische Ethnographen in ihren Arbeiten nachgewiesen haben. Ein universelles Klassifikationsprinzip ist bis heute noch nicht entwickelt worden, einen gewissen Schritt in dieser Richtung haben jedoch die sowjetischen Wissenschaftler getan, indem sie eine ethnolinguistische Klassifikation erarbeiteten, in der als Grundlage einer Gruppierung der Völker die Sprache dient, in jenen Fällen jedoch, wo sie nicht als genügend gewichtiges abgrenzendes Kriterium zu fassen ist, werden auch andere ethnische Merkmale, 16
P. E. TEBLECKIJ, Karta rasselenija narodnostej Krajnego Severa, Moskva, 1933 (Siedlungskarte der Völkerschaften des Äußersten Nordens).
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in erster Linie charakteristische kulturelle Besonderheiten des Volkes und das ethnische Selbstbewußtsein, herangezogen. 17 Ethnische Soziologie Einer der wichtigsten Aufgabenbereiche der sowjetischen Ethnographie ist die (Erforschung der Sozialstruktur der Völker und in Verbindung damit der Besonderheiten und der Wechselbeziehungen der sie bildenden Klassen, professionaler, lokaler, konfessioneller und anderer Gruppen, d. h. der umfangreiche Fragenkreis, der unter der Bezeichnung ethnische Soziologie zusammengefaßt werden kann. Wie bereits bemerkt, hat die Erforschung der gesellschaftlichen Verhältnisse bereits in den 30er Jahren einen starken Aufschwung genommen, als die praktischen Bedürfnisse der Umgestaltung der ehemals zurückgebliebenen nationalen Gebiete des Landes eine historisch-ethnographische Analyse der Formen und Erscheinungen gemeinschäftlich-gentiler Strukturen in ihren Verflechtungen mit späteren Klassenverhältnissen erforderte. Dieses theoretisch komplizierte Problem wurde auch in den Nachkriegsjahren sowohl anhand der Materialien jener Völker der UdSSR, bei denen vor der ¡Oktoberrevolution vorkapitalistische Verhältnisse herrschten, als auch anhand des Materials einer Anzahl nichtsowjetischer Völker weiterhin bearbeitet. 1 ^ Die von Historikern 17
P. I. KTJSNER (KNYSEV), Etniöeskie territorii i etniceskie granicy. IN: T I E , t. X V , 1951. (Ethnische Territorien u n d ethnische Grenzen); Ders.: Metody kartografir o v a n i j a nacional'nogo sostava naselenija. I n : SE, 1950, No. 4. (Methoden der K a r t o g r a p h i e r u n g der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung); P. E . TERLECKIJ, O novom m e t o d e etnieeskogo kartografirovanija. I n : SE, 1953, No. 1. (Über eine neue Methode der K a r t o g r a p h i e r u n g ) ; S. I. BSUK, V. I. K o z t o v , Osnovnye problemy etniceskoj kartografii. I n : SE, 1961, No. 5. (Grundprobleme d e r e t h n i s c h e n K a r t o g r a p h i e ) ; S. I . BRUK, V . I . KOZLOV, M . G. LEVIN, O p r e d -
m e t e i zadacach etnogeografii. I n : SE, 1963, No. 1. (Über den Gegenstand u n d die A u f g a b e n der Ethnogeographie); S. I . BRITE, Principy etnieeskogo kartografirovanija. I n : „ E u r o p a et H u n g a r i a . Congressus ethnographicus in H u n g a r i a " , Budapest, 1965. 18 Siehe z. B . : P. KUSNEE, G o r n a j a Kirgizija (Sociologiceskaja razvedka), Moskva, 1928. (Berg-Kirgisien. Soziologische E r k u n d u n g . ) ; L. P . POTAPOV, Ocerk istorii Ojrotii, Novosibirsk, 1933. (Abriß der Geschichte Oirotiens); S. P . TOLSTOV, Genezis feodalizma v kocevych skotovodceskich. obscestvach. I n : Izvestija G A I M K , v y p . 103, 1934. (Genesis des Feudalismus in Viehzüchtergesellschaften); S . A . TOKAREV, Dokapitalisticeskie perezitki v Ojrotii, Leningrad, 1936. (Vorkapitalistische Überreste in Oirotien); T. A. ZDANKO, Ocerki istoriceskoj etnografii kara- 7 kalpaköv. (Abriß der historischen E t h n o g r a p h i e der K a r a k a l p a k e n ) ; Materialy obedinennoj nauenoj sessii, posvjascennoj istorii Srednej Azii i K a z a c h s t a n a v d o k t j a b r ' s k i j period, T a s k e n t , 1955. (Materialien der vereinigten wissenschaftlichen Session, gewidmet der Geschichte Mittelasiens u n d Kasachstans in der Perio d e vor der Oktoberrevolution); E . T. KARAPETJAN, A r m j a n s k a j a s e m e j n a j a obsci-
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und Ethnographen begonnene Bearbeitung dieser Fragen hat sich in den letzten Jahren zu umfassenden allgemein-soziologischen Diskussionen über die Gesellschaftsordnung der Nomadenviehzüchter, über den Charakter der frühen Klassengesellschaften und schließlich über die Periodisierung des weltweiten historischen Prozesses in der vorkapitalistischen Epoche entwickelt. Neben den allgemein-soziologischen Forschungen, die im wesentlichen auf die historische Vergangenheit der Völker gerichtet waren, wurde in den Nachkriegs jähren den Problemen der modernen Entwicklung der Völker und ihrer sozialen Organismen erstrangige Bedeutung beigemessen. Diese Forschungen, die mit den aktuellen Aufgaben des Aufbaus des Kommunismus in unserem Lande verbunden sind, erfassen in erster Linie hauptsächlich die Völker der UdSSR und sind zur Zeit in nur sehr geringem Umfange anderen Völkern, in der Hauptsache den Entwicklungsländern, gewidmet. Die Arbeit auf diesem Gebiet begann in der 2. Hälfte der 40er Jahre mit der Erforschung der sozialen und kulturellen Struktur der Kolchosbauern der Völker der UdSSR. Zunächst wurde diese Arbeit im Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR entwickelt und später auch in den ethnographischen Einrichtungen der Unionsrepubliken und der autonomen Republiken durchgeführt. Die ersten Veröffentlichungen — vorwiegend Zeitschriftenaufsätze —, die diesem Thema gewidmet waren, enthielten eine einfache Beschreibung der gegenwärtigen Lebensweise der Kolchosbauern im Vergleich mit ihrem Leben vor der Revolution. Der wissenschaftliche Wert derartiger Arbeiten wurde auch dadurch herabgemindert, daß häufig die von den Ethnographen beobachteten negativen Erscheinungen verschwiegen wurden. Tiefergehende Forschungen erscheinen seit der Mitte der 50er Jahre, wo eine Anzahl großer kollektiver Monographien über die Kolchosbauernschaft der Völker der UdSSR 1 9 na, Erevan, 1958. (Die armenische Familiengemeinde); R . C H A R A D Z E , Gruzinskaja semejnaja obseina, t. I—II, Tbilisi, 1960—1962. (Die grusinische Familiengemeinde) ; A. I. P E R S I C , Chozjajstvo i obscestvenno-politiceskij stroj Severnoj Aravii v X I X — pervoj treti X X v. In: TIE, t. L X I X , 1961. (Wirtschaft und gesellschaftlich-politische Ordnung in Nordarabien im 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jh.); N. A. K I S L J A K O V , Patriarchal'no-feodal'nye otnosenija sredi osedlogo naselenija Bucharskogo chanstva v konce X I X — nacale X X v. In: TIE, t. L X X I V , 1962. (Partiarchalisch-feudale Verhältnisse unter der seßhaften Bevölkerung des Khanats von Buchara gegen Ende des 19., zu Beginn des 20. Jh.); Ju. V. B R O M L E J , Stanovlenie feodalizma v Chorvatii, Moskva, 1964. (Die Entstehung des Feudalismus in Kroatien); V. K. G A B D A N O V , Obscestvennyj stroj adygskich narodov (XVIII- pervaja polovina X I X v), Moskva, 1967. (Gesellschaftsordnung der adygeischen Völker. 18. Jh. — erste Hälfte des 19. Jh.); Sbornik „Obseina i sociäl'naja organisaeija u narodov vostoenoj i jugo-vostoenoj Azii", Leningrad, 1967, und andere. (Die Gemeinde und die soziale Organisation bei den Völkern Ost- und Südostasiens). 19 N. N. E R S O V , N. A. K I S L J A K O V , E . M. P E S C E R E V A , S. P . R U S J A J K I N A , Kul'tura i byt tadzikskogo kolchoznogo krestjanstva. In: T I E , t. X X I V , 1 9 5 4 . (Kultur und Lebensweise der tadshikischen Kolchosbauernschaft); O. A. STJCHAREVA,
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CEBOKSAROV
veröffentlicht wurde, deren Autoren sieh die Aufgabe stellten, den Entwicklungsprozeß zu erforschen, um einerseits dessen positive Linien und andererseits die schädlichen mit der sowjetischen Lebensweise nicht zu vereinbarenden Überreste der Vergangenheit herauszuarbeiten. Diese Aufgabe wird in einer großen Reihe von Spezialpublikationen gelöst, die dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, den Familienverhältnissen und anderen Lebenssphären der Kolchosbauernschaft der Völker der UdSSR gewidmet sind. Die Anzahl derartiger Arbeiten, die sowohl vom Institut für Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR als auch von den ethnographischen Einrichtungen fast aller Unionsrepubliken und autonomer Republiken veröffentlicht wurden, ist bereits so angewachsen, daß nicht die Möglichkeit besteht, selbst die umfangreichsten davon hier anzuführen. Ein ähnlicher Weg von einer wenig tiefgehenden, häufig rein publizistischen Tätigkeit bis zu solider wissenschaftlicher Forschung ist während der letzten beiden Jahrzehnte auf dem Gebiet der ethnographischen Untersuchungen der Arbeiterklasse gegangen worden. I n den Veröffentlichungen, die den russischen, ukrainischen, belorussischen, grusinischen, kirgisischen, usbekischen, turkmenischen und aserbaidshanischen Arbeitern gewidmet sind, erforscht man die kulturelle Spezifik verschiedener Berufsgruppen der Arbeiterklasse, die Besonderheiten der Lebensstruktur der Bevölkerung von Industriesiedlungen, die erst unlängst von einer bäuerlichen Lebensweise zum Arbeiterleben übergegangen sind oder sich noch im Übergangsstadium befinden und untersucht die Herausbildung allgemein-sowjetischer Traditionen und progressiver Linien der kulturellen Entwicklung. Große Aufmerksamkeit wird auch der ethnographischen Erforschung der Herausbildung der Arbeiterklasse bei jenen Völkern der UdSSR gewidmet, bei denen sie sich erst vorwiegend nach der Oktoberrevolution forProsloe i nastijascee selenija Ajkyran, Taskent, 1955. (Vergangenheit und Gegenwart der Siedlung Aikyran); Selo Virjatino v proslom i nastojascem. I n : TIE, t. X L I , 1958. (Das Dorf Virjatino in Vergangenheit und Gegenwart); S. M. A B R A M ZOÜST, K . I . A N T i p n s r A , G . P . V A S I L ' E V A , E . I . M A C H O V A , D . S U L A J M A N O V , B y t
kol-
choznikov kirgizskich selenij Darchan i Cickan. In: TIE, t. X X X V I I , 1958. (Lebensweise der Kolchosbauern in den kirgisischen Siedlungen Darchan und Cickan); L. N. T E R E N T ' E V A , Kolchoznoe krestjanstvo Latvii. In: TIE, t. L I X , 1960. (Die Kolchosbauernschaft Lettlands); JTT. V. A R U T J U N J A N , Mechanisatory sel'skogo chozjajstva SSSR v 1929-1957 gg, Moskva, 1960. (Die Mechanisatoren der Landwirtschaft der U d S S R in den Jahren von 1929—1957); Ders.: Sovetskoe krest'janstvo v gody Velikoj Otecestvennoj vojny, Moskva, 1963. (Die sowjetische Bauernschaft in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges); Kul'tura i byt kolchoznogo krest'janstva Adygejskoj avtonomnoj oblasti, Moskva-Leningrad, 1964. (Kultur und Lebensweise des Adygäischen autonomen Gebiets); L. A. A N O C H I N A , M. N. S M E L E V A , Kul'tura i byt kolchoznikov Kalininskoj oblasti, Moskva, 1964. (Kultur und Lebensweise der Kolchosbauern des Kalininer Gebiets); O . F . K T J V E N O V A , Gromads'kij pobut ukrains'kogo seljanstva, Kiiv, 1966; Kul'tura i byt kasachskogo kolchoznogo aula, Alma-Ata, 1967 (Kultur und Lebensweise des kasachischen Kolchos-Auls).
E i n halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e
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mierte, wie z. B. bei vielen Völkern des äußersten Nordens, Sibiriens, des Wolgagebietes, Mittelasiens und Kasachstans und Kaukasiens. 20 Die ethnographische Erforschung der Kolchosbauernschaft und der Arbeiterklasse der Völker der UdSSR erwies sich als wirksame Hilfe bei der Lösung praktischer Aufgaben des kommunistischen Aufbaus. Die von Ethnographen gesammelten Materialien wurden beispielsweise bei der Planung neuer Siedlungs- und Behausungstypen verwendet, bei der Herausarbeitung neuer Sitten und Gebräuche, bei der Entfaltung des Kampfes der Partei und Gesellschaftsorganisationen mit schädlichen Überresten der Vergangenheit wie der faktischen Ungleichheit der Frau, der Kaufehe, der Polygynie, bei Meidungsriten und religiösen Traditionen. Von besonders positiver Bedeutung waren in dieser Beziehung die Arbeiten der Sibiriologen, die es möglich machten, das Tempo der weiteren Entwicklung in der Wirtschaft und Lebensweise des in der Vergangenheit am weitesten zurückgebliebenen Teiles der Bevölkerung der UdSSR, der kleinen Völker des Nordens, wesentlich zu beschleunigen. 21 Viele Arbeiten, wie z. B. die ethnographische Untersuchung des Prozesses der Seßhaftwerdung der mittelasiatischen Nomaden und Halbnomaden in der Sowjetperiode, erwiesen den Entwicklungsländern Asiens und Afrikas wertvolle praktische Hilfe. Die Erfahrungen, die in unserem Land bei der Schaffung der Bedingungen für den Übergang der Nomaden zur Seßhaftigkeit gesammelt wurden, hat man 1966 auf einem 20
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Siehe z. B . : A. I . R O B A K I D Z E , Nekotorye certy semejnogo b y t a ciaturskich gornjakov. I n : SE, 1953, No. 4. (Einige Züge des Familienlebens der Bergarbeiter v o n Ciatur); S. M. A B R A M Z O N , Prosloe i nastojascee kirgizskich sachterov KizylK i j a . I n : SE, 1954, No. 4. (Vergangenheit u n d Gegenwart der kirgisischen Bergleute v o n Kizyl-Kij); V. J U . K R T J P J A N S K A J A , Etnograficeskoe izucenie sovetskogo rabocego klassa. I n : Voprosy istorii, 1960, No. 11. (Die ethnographische Erforschung der sowjetischen Arbeiterklasse); S. A N N A K L Y C E V , B y t rabocich-neftjanik o v Nebit-Daga i K u m - D a g a , Aschabad, 1961. (Die Lebensweise der Erdölarbeiter von Nebit-Dagh u n d K u m - D a g h ) ; V. T. Z I N I C , Socialisticni peretvorennja, parostki novogo komunisticnogo v k u l ' t u r i t a p o b u t i robitnikiv R a d j a n ' s k o j Ukraini, Kiiv, 1963. V. A. C A B Y K Z A D E , O proizvodstvennom b y t e rabocich selkovoj promyslennosti g Nuchi. I n : Azerbaidzanskij etnograficeskij sbornik, No. 2, 1965. (Über das Produktionsleben der Arbeiter der Seidenindustrie der S t a d t Nucha). M. A. S E R G E E V , Nekapitalisticeskij p u t ' razvitija m a l y c h n a r o d o v Severa, MoskvaLeningrad, 1955. (Der nichtkapitalistische Entwicklungsweg der kleinen Völker des Nordens); V. N. U V A C A K , Perechod k socializmu malych narodov Severa, Moskva, 1958. (Der Übergang der kleinen Völker des Nordens z u m Sozialismus); Sovremennoe chozjajstvo, k u l ' t u r a i b y t malych n a r o d o v Severa, Moskva, 1960. (Die gegenwärtige W i r t s c h a f t , K u l t u r u n d Lebensweise der kleinen Völker des Nordens); V . I . V A S I L ' E V , J T J . B. S I M C E N K O , Z. P . S O K O L O V A , Problemy rekonstrukcii b y t a malych n a r o d o v Severa. I n : SE, 1966, No. 3. (Probleme der Rekons t r u k t i o n der Lebensweise der kleinen Völker des Nordens); L. V. C H O M I Ö , Nency, Leningrad, 1 9 6 6 . (Die Nenzen); C . M. T A K S A M I , Nivchi, Leningrad, 1 9 6 7 , u . a . (Die Nivchen).
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in der UdSSR durchgeführten Seminar der Internationalen Organisation f ü r Arbeit diskutiert, an dem die Vertreter von 16 Ländern teilnahmen, in denen die sich fortsetzende Krise der Nomadenviehzucht die Seßhaftmachung zu einer zwingenden Notwendigkeit der Entwicklung macht. 2 2 Die von den Ethnographen auf dem Gebiet der Erforschung der Arbeiterklasse und der Kolchosbauernschaft der yölker der UdSSR geleistete Arbeit machte eine weitere Vervollkommnung der Forschungsmethodik notwendig. Die Schlüsse, die anhand von Materialien einzelner Fabriken, Kolchosen oder auch ganzer Kreise gezogen werden können, reichen nicht immer für das Verständnis der Prozesse aus, die sich unter den Arbeitern oder Kolchosbauern des einen oder des anderen Volkes vollziehen. Die Betrachtung der Arbeiterklasse und der Kolchosbauernschaft als einzelne Forschungsobjekte erleichtert eine detaillierte Untersuchung dieser Klassen der Sowjetgesellschaft, sie gibt jedoch nicht die Möglichkeit, über die Wechselbeziehungen der verschiedenen Schichten der Stadt- oder Landbevölkerung und darüber hinaus der Stadt- und der Landbevölkerung insgesamt zu urteilen. Deshalb haben die sowjetischen Ethnographen, ausgehend von einer neuen Stufe der wissenschaftlichen Verallgemeinerung, die territorialen Grenzen der Forschung wesentlich erweitert und gehen gleichzeitig von der Erforschung der Klassen zur Erforschung lokaler Gemeinwesen — Städte, Siedlungen, Dörfer — über. Der nächste Schritt, die Erforschung der sozialen und kulturellen Prozesse im gesamtnationalen Maßstab, muß zur Lösung der kompliziertesten Aufgabe der ethnischen Soziologie führen, zur vergleichenden Analyse dieser Prozesse bei den verschiedenen Völkern der UdSSR. Die sich jetzt vollziehende Vertiefung der ethno-soziologischen Arbeit wird durch die beginnende Einbeziehung der Methoden der konkreten Soziologie in die Ethnographie erleichtert. Neben der Fragebogenforschung verwenden die Ethnographen in immer stärkerem Maße die statistischen Angaben der Zentralverwaltung für Statistik, der Standesämter, der Miliz und anderer; man nutzt maschinelle Methoden für die Materialbearbeitung und wendet nötigenfalls neue mathematische Verfahren beim Vergleich quantitativer Indices an. 23 Eine derartige Methode, die in der Kombination von Feldmaterialien und statistischen Angaben beruht, wurde erstmalig von den Teilnehmern der Baltischen Komplexexpedition angewandt und findet gegenwärtig schon ihren Niederschlag in 22
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T. A. ZDANKO, Mezdunarodnoe znacenie istoriceskogo opyta perechoda kocevnikov na osedlosti v respublikach Srednej Azii i Kazachstana. (Die internationale Bedeutung der historischen Erfahrung des Übergangs der Nomaden zur Seßhaftigkeit in den Republiken Mittelasiens und Kasachstans). Siehe: O . A . G A N C K A J A , G . F . D E B E C , O graficeskom izobrazenii rezul'tatov statisticeskogo obsledovanija meznacionalnych brakov. I n : SE, 1966, No. 3. (Über die graphische Darstellung der Ergebnisse der Untersuchung von nationalen Mischehen); J U . I . P E R S I C , O metodike sopostavlenija pokazatelej odnonacionalnoj i smesannoj brainosti. IN: SE, 1967, No. 4. (Über die Methodik des Vergleichs der Indices einheitlich nationaler und gemischtnationaler Ehen).
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ethnographischen Publikationen über andere Gebiete der UdSSR. 2/ ' Wichtig ist die Perspektive dieser Methode, die die unmittelbaren Beobachtungen durch die notwendigen Elemente jeder Wissenschaft, durch Zahl und Maß ergänzt, und damit jegliche Subjektivität bei der Wertung der beobachteten Prozesse ausschließt. Die Entfaltung ethno-soziologischer Forschungen in verschiedenen Gebieten des Landes macht die Ausarbeitung unifizierter Programme und Fragebogen unumgänglich notwendig, da sonst ein Vergleich der erhaltenen Materialien und folglich weitgefaßte theoretische Verallgemeinerungen nicht möglich sind. Die Arbeitsaufwendigkeit der Fragebogenforschung und der Erhalt statistischer Materialien in den örtlichen Einrichtungen fordern gleichzeitig eine Verbesserung der Organisationsformen der ethno-soziologischen Arbeit. Insbesondere gilt es offensichtlich, sich Gedanken über die Herstellung von Kontakten mit den örtlichen und konkret soziologisch arbeitenden Kollektiven zu machen. Kulturgeschichte Von der Erforschung der Gesellschaftsordnung der Völker verschiedener historischer Perioden ist die Untersuchung ihrer materiellen und geistigen Kultur nicht zu trennen. Es läßt sich schwerlich verneinen, daß für den Ethnographen von allen Merkmalen ethnischer Gemeinschaften die Spezifik der Kultur von größtem Interesse ist. Die Spezifik der Kultur eines jeden Volkes schließt bei jeder großen oder kleinen ethnischen Gemeinschaft die Existenz kultureller Züge ein, die mit den gleichen Zügen anderer Völker ähnlich oder sogar identisch sind. Gleichzeitig schließt jedes Ethnos, besonders dasjenige, das ein großes Siedlungsterritorium umfaßt, verschiedene lokale wirtschaftlich-kulturelle Varianten ein, die gewöhnlich als „ethnographische Gruppen" bezeichnet werden. I n der Klassengesellschaft existieren wesentliche kulturelle Unterschiede auch zwischen den verschiedenen Schichten ein und desselben Volkes. Die Leninsche These über zwei Nationen in jeder Nation, von zwei nationalen Kulturen in jeder nationalen Kultur 2 5 muß nicht nur auf die ethnischen Gemeinschaften der kapitalistischen Periode (d. h. auf die Nationen), sondern auch auf Gemeinschaften aller anderen Etappen der sozialökonomischen Entwicklung angewandt werden, die durch die Existenz antagonistischer Klassen und dem ständigen sich zwischen ihnen vollziehenden Kampf gekennzeichnet sind. Für das Verständnis der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der Kultur der Menschheit insgesamt wie auch der Herausbildung ihrer Spezifik bei einzelnen Völkern ist die von sowjetischen Ethnographen entwickelte Lehre von den wirtschaftlich-kulturellen Typen und historisch-ethnographischen Gebieten 24
Vergl. dazu die Arbeiten von O . A. G A N C K A J A , L . N . T E R E N T ' E V A , A. G . T B O F I und J A . S . S M I R N O V A (angeführt unter Anmerkung 9 ) . V . I . L E N I N , Kritiöeskie zametki po nacionalnomu voprosu. I N : GesammelteWerke, Bd. 24, S. 129 (russ.). (Kritische Anmerkungen zur nationalen Frage). MOVA
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von großer Bedeutung. Zwischen diesen beiden Begriffen besteht ein prinzipieller Unterschied. Die wirtschaftlich-kulturellen Typen entwickeln sich selbständig unter ähnlichen natürlichen Bedingungen bei verschiedenen Völkern, die in ihrem Entwicklungsniveau der Produktivkräfte einander ähnlich sind, geographisch jedoch häufig voneinander weit entfernt liegen. Die historisch-ethnographischen Gebiete dagegen umfassen Völker, die territorial benachbart sind und untereinander reale Verbindungen aufweisen, obwohl sie bisweilen zu verschiedenen wirtschaftlich-kulturellen Typen gehören. 20 Die Gliederung der historischethnographischen Gebiete verschiedener Ordnung kann als Grundlage für die ethnographische Klassifikation der Völker dienen. Dem Wesen nach ist die Gliederung des Materials in der Reihe „Die Völker der Erde" (wie auch in anderen ähnlichen Publikationen) nach großen historisch-ethnographischen Gebieten gegeben, die teilweise mit einzelnen Erdteilen zusammenfallen, mit umfassenden Landgebieten oder deren Hauptgliederungen. Für unser Land z. B. sind solche große historisch-ethnographische Gebiete, die sich im Verlaufe vieler Jahrhunderte historisch herausgebildet haben und ihre Realität bis heute noch beibehalten, der Europäische Teil der UdSSR (das ehemalige „Europäische Rußland"), der Kaukasus, Mittelasien und Kasachstan und Sibirien. Jede dieser Provinzen läßt sich in historisch-ethnographische Gebiete zweiter Ordnung untergliedern (z. B. Baltikum, Wolga-Kama-Gebiet, Nordkaukasien und Transkaukasien, West- und Ostsibirien, sowjetischer Ferner Osten usw.). Als Beispiele für die großen historisch-ethnographischen Provinzen außerhalb der UdSSR können Vorder- (Südwest), Süd- und Südostasien dienen. Außer der Reihe „Die Völker der Erde" sind die Fragen der Kulturgeschichte einzelner Völker oder ganzer Länder in vielzähligen historisch-ethnographischen Sammelbänden, Monographien und Zeitschriftenaufsätzen behandelt worden, die sowohl von den Ethnographen Moskaus und Leningrads, als auch von den Wis- ß S. P. TOLSTOV, Ocerki pervonacalnogo islama. I n : SE, 1932, No. 2. (Abriß des ursprünglichen Islam); Ders.: E t n o g r a f i j a i sovremennost'. I n : SE, 1946, No. 1. (Ethnographie u n d Gegenwart); M. G. LEVIN, N. X. CEBOKSAROV, Chozjajstvennok u l ' t u r n y e t i p y i istoriko-etnograficeskie oblasti. I n : SE, 1955, No. 4. (Wirtschaftlich-kulturelle T y p e n u n d historisch-ethnographische Gebiete); I n : SE, 1955, No. 4. „ C h o z j a j s t v e n n o - k u l ' t u r n y e t i p y " . I n : Ocerki obscej etnografii. Obscie svedenija, Avstralija i Okeanija, Amerika, A f r i k a ; Moskva, 1957. (Wh'tschaftlich-kulturelle Typen. Allgemeine Angaben, Australien u n d Ozeanien, Amerika, Afrika); N. N. CEBOKSAROV, O drevnich c h o z j a j s t v e n n o - k u l ' t u r n y c h svjazach n a r o d o v Pribaltiki. I n : SE, 1960, No. 3. (Über alte wirtschaftlich-kulturelle Verbindungen der baltischen Völker); CH. A. i A. CH. MOORA, K voprosu ob istoriko-kul'turnych oblastjach i r a j o n a c h Pribaltiki, ebenda. (Zur Frage der historisch-kulturellen Gebiete u n d Bezirke des B a l t i k u m ) ; LIN JAO-CHUA, N. N. CEBOKSAROV, Chozjajstvenno-kul'turnye t i p y k i t a j a . I n : T I E , t . L X X I I I , Moskva, 1961. (Die wirtschaftlich-kulturellen T y p e n Chinas); N. N. CEBOKSAROV, Chozjajstvenno-kul't u r n y e t i p y n a r o d o v vostocnoj Azii. I n : N a r o d y vostocnoj Azii, Moskva-Leningrad, 1965. (Die wirtschaftlich-kulturellen T y p e n Ostasiens).
Ein halbes J a h r h u n d e r t sowjetische Ethnographie
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s e n s c h a f t l e r n vieler Unionsrepubliken, a u t o n o m e r R e p u b l i k e n , Bezirken u n d K r e i s e n unseres L a n d e s — der U k r a i n e , Belorußlands, des B a l t i k u m , des Wolgau n d K a m a g e b i e t e s , des nördlichen K a u k a s i e n s u n d T r a n s k a u k a s i e n s , Mittelasiens u n d K a s a c h s t a n s , Sibiriens u n d des F e r n e n Ostens v e r f a ß t w u r d e n . I n der Mehrzahl der A r b e i t e n zur K u l t u r g e s c h i c h t e , die v o n sowjetischen E t h n o g r a p h e n geschrieben w u r d e n , f a n d e n n i c h t n u r eigene e t h n o g r a p h i s c h e Feldm a t e r i a l i e n , die d u r c h u n m i t t e l b a r e B e o b a c h t u n g e n g e s a m m e l t w u r d e n , Verw e n d u n g , s o n d e r n a u c h archäologische sowie schriftliche Quellen. 2 7 Besondere A u f m e r k s a m k e i t der sowjetischen E t h n o g r a p h e n w a r u n d ist n a t u r g e m ä ß d e n k u l t u r e l l e n U m g e s t a l t u n g e n z u g e w a n d t , die gegenwärtig bei d e n Völkern der S o w j e t u n i o n u n d a n d e r e r sozialistischer L ä n d e r vor sich gehen, wie a u c h d e n E n t w i c k l u n g s - u n d T r a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n der eigenständigen K u l t u r nichteuropäischer Völker, die u n t e r d e m schweren J o c h der K o l o n i a l h e r r s c h a f t stan27 Einen kurzen Überblick der wichtigsten ethnographischen Arbeiten zur Kulturgeschichte der Völker der U d S S R u n d anderer Länder siehe in folgenden Aufsätzen: A. I . Peksic, Aktual'nye problemy sovetskoj étnografii. I n : SE, 1964, No. 4. (Aktuelle Probleme der sowjetischen Ethnographie) ; V. K . S o k o l o v a , Sovetskaja fol'kloristika k 50-letiju O k t j a b r ' j a . I n : SE, 1967, No. 5. (Die sowjetische Folkloristik zum 50. J a h r e s t a g des Oktober). Von den neueren Arbeiten, die nicht in den genannten Aufsätzen erwähnt wurden, seien folgende angezeigt: A. Viibes, Eesti rahvapärane puutööndus, Tallin, 1960; S. S. Gadzieva, K u m y k i , Moskva, 1961. (Die K u m y k e n ) ; K . I. Antipina, Osobennosti materialnoj kul'tury i prikladnogo iskusstva juznychkirgizov, Frunze, 1962. (Besonderheiten der materiellen K u l t u r und der angewandten K u n s t der südlichen Kirgisen) ; P . Dündul i e n e , Zemdirbyste Lietuvoje, Vilnius, 1963; Issledovanija po material'noj kul't u r e mordovskogo naroda. I n : T I E , t.. L X X X V I , 1963. (Forschungen zur materiellen K u l t u r des mordvinischen Volkes); G. J u . S t e l ' m a c h , Istoricnij rozvitok cil'skich poselen'na Ukraini, Kiiv, 1964. (Die historische Entwicklung der ländlichen Siedlungen in der Ukraine) ; Abriß der Estnischen Volkskunde, Tallin, 1964; Lietuviu étnografijes brouzai, Vilnius, 1964; S. A. A v i z a n s k a j a , N. V. B i k b t j l a t o v , R. G. Ktjzeev, Dekorativnoe prikladnoe iskusstvo baskir, Ufa, 1964. (Die dekorative angewandte K u n s t der Baschkiren) K . T. K a r a k a s l y , Material'naja k u l ' t u r a azerbajdzancev) ; I. V. Z a c h a r o v â , R . D. Chodzaeva, Kazachskaja nacionalnaja odezda, X I X — nacalo X X v, Alma-Ata, 1964. (Die kasachische Nationaltracht, 19., Anfang 20. Jh.) ; V. V. Pimenov, Vepsy, Moskva-Leningrad, 1965. (Die Wepsen); R . F . T a r o e v a , Material'naja kul'tura karel, Moskva-Leningrad, 1965. (Die materielle K u l t u r der Karelier); E. P . Btjsygïïst, Russkoe naselenie Srednego Povolz'ja, Kazan, 1966. (Die russische Bevölkerung des mittleren Wolgagebiets); A. A. Popov, Nganasany, Moskva-Leningrad, 1948. (Die Nganassanen). Siehe auch die Arbeiten in den Zeitschriften „Sovetskaja ètnografija" u n d „Narodn a tvorcist' t a ètnografija", in den Sammelbänden des Museums für Anthropologie u n d Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der U d S S R (vypusk I—, X X I V ) und in verschiedenen Reihen wie z. B. „Iz istorii k u l ' t u r y litovskogo n a r o d a " , Vilnius, v y p . I—IV, in litauischer Sprache; „Archäologie u n d Ethnographie", Riga, vyp. I—VI, in lettischer Sprache; „ J a h r b u c h des ethnographischen Museums der Estnischen SSR", Tartu, vyp. I—XXI, in estnischer Sprache, u. a.
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A. I. Pbbsic und N. N. Ceboksaeov
den u n d heute den Weg der sozialökonomischen und politischen Befreiung beschreiten. Die sowjetischen Ethnographen haben aktiv Anteil an der Ausarbeit u n g der historisch-kulturellen Abschnitte in Geschichtswerken über fast alle Unionsrepubliken und vieler autonomer Republiken der U d S S R genommen und haben auch einige Arbeiten verfaßt, die der Kulturgeschichte anderer Länder, insbesondere Asiens, Afrikas, Amerikas, Australiens und Ozeaniens, gewidmet sind. Die sowjetischen Ethnographen haben in ihren Forschungen über die Kulturgeschichte außereuropäischer Völker immer besondere Aufmerksamkeit dem Beitrag dieser Völker zur Weltzivilisation gewidmet und sind dabei d a v o n ausgegangen, daß alle Völker die gleichen Möglichkeiten f ü r das Erreichen der höchsten Stufen des sozial-ökonomischen und kulturellen Fortschritts haben. 2 8 Besondere Aufmerksamkeit widmen die Wissenschaftler der U d S S R in den letzten J a h r e n den Prozessen der Wechselbeziehungen traditioneller und allgemein-menschlicher Elemente in der Kultur verschiedener Völker, die in diesem oder jenem Maße dem Einfluß der westeuropäischen und amerikanischen Zivilisation in der Zeit des Kapitalismus ausgesetzt waren. 2 9 Während der 50 J a h r e der Sowjetmacht sind viele Spezialforschungen erschienen, die der Geschichte einzelner Elemente der materiellen und geistigen Kultur der Völker der U d S S R gewidmet sind. I n geringerem Maße 28
Siehe z. B. A. S. Oklova, Afrika,nskie narody. Ocerki kul'tury, chozjajstva i byta,. Moskva, 1958. (Afrikanische Völker. Abriß der Kultur, Wirtschaft und Lebensweise). Vostocnoaziatskij etnograficeskij sbornik. In: TIE, t. LX, 1960. (Ostasiatischer ethnographischer Sammerband); Indejcy Ameriki. Etnograficeskij sbornik. In: TIE, t. XXV, 1955. (Die Indianer Amerikas. Ethnographischer Sammelband); Amerikanskij etnograficeskij sbornik, 1, I n : TIE, t. LVIII, 1960. (Amerikanischer ethnographischer Sammelband); Indijskij etnograficeskij sbornik. I n : TIE,. t . L X V , 1961. (Indischer ethnographischer Sammelband); D. D. Tumarkin, Rol' amerikanskich missionerov v razrusenii samobytnoj kul'tury gavajskogo narodai ego koloniaPnom poraboscenii. I n : Problemy istorii i etnografii narodov Avstralii, Novoj Gvinei i Gavajskich ostrovov. I n : TIE, t. L X X X , 1962. (DieT Rolle der amerikanischen Missionare bei der Zerstörung der ursprünglichen Kultur des hawaianischen Volkes und der kolonialen Unterdrückung); Ders.: Vtorzenie kolonizatorov v kraj „vecnoj vesny", Moskva, 1964. (Der Einfall der Kolonisatoren in das „Land des ewigen Frühlings"); L. A. Fadeev, Monopotapa. Drevnjaja. afrikanskaja civilizacija v mezdureci-Zambezi-Limpopo. I n : Afrikanskij etnograficeskij sbornik, IV. I n : TIE, t. L X X I I , 1962. (Monomotapa. Eine alte afrikanische Zivilisation im Zwischenstromland Sambesi-Limpopo); Kul'tura indejcev. Vklad indejcev Ameriki v mirovuju kul'turu, Moskva, 1963. (Die Kultur der Indianer. Der Beitrag der Indianer Amerikas zur Weltkultur); Kul'tura i byt narodov stran Tichogo i Indijskogo okeanov, Moskva-Leningrad, 1966. (Kultur und Lebensweise der Völker der Länder des Stillen und des Indischen Ozeans), u. a.
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Siehe z. B.: Nacii Latinskoj Ameriki, Moskva, 1964. (Die Nationen Lateinamerikas); I. R. Gbigulevic, Kul'turnaja revoljucija na Kube, Moskva, 1965. (Die Kulturrevolution auf Kuba); S. A. Arutjtjnov, Sovremennyj byt japoncev. (Die moderne Lebensweise der Japaner), Moskva, 1968.
E i n halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e
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-erschienen derartige Arbeiten über andere Länder. Große Aufmerksamkeit h a t m a n in diesen Arbeiten der Geschichte der landwirtschaftlichen Technik, der Transportmittel, der Siedlung, Behausung, der Nahrung, Kleidung sowie d e m künstlerischen Volksschaffen verschiedener R i c h t u n g e n (dem mündlichen, dramatischen, musikalischen, tänzerischen, bildnerischen u. a.) gewidmet. 3 0 I n d e n letzten Jahren erschien eine Anzahl v o n Arbeiten, die sich m i t der Erforschung religiöser Anschauungen und Kulte beschäftigen. Diese Arbeiten sind sowohl in Verbindung m i t allgemeinen theoretischen Problemen der Kulturgeschichte, als auch im Zusammenhang mit den praktischen Aufgaben der wissenschaftlichatheistischen Arbeit v o n großem Interesse. 3 1 Einen besonderen Platz n e h m e n unter den Arbeiten zur Kulturgeschichte jene speziellen Forschungen ein, die der Entzifferung der Schrift verschiedener antiker und mittelalterlicher Völker wie z. B. der Maya, der Bewohner der Osterinsel, der Schöpfer der altindischen Kultur Harappas, der K i d a n und Dschurdschen gewidmet sind. 3 2 Obwohl die -30 Die wichtigsten Arbeiten zu diesen F r a g e n wurden bereits in den vorherigen A n m e r k u n g e n (besonders A n m e r k u n g 27) verzeichnet; von den nicht a n g e f ü h r t e n Arbeiten seien folgende angegeben: G. S. CITAJA, Zemledel'ceskie sistemy i p a c h o t n y e o r u d i j a Gruzii. I n : Voprosy etnografii K a v k a z a , Tbilisi, 1952. (Bodenb a u s y s t e m e u n d Pfluggeräte Grusiniens); V. R . KABO, K a m e n n y e orudija avstralijcev. I n : T I E , t . L X X X , 1962. (Steingeräte der Australier); Vostocnoslavjanskij etnograficeskij sbornik. Ocerki narodnoj m a t e r i a l ' n o j k u l ' t u r y ruskich, ukraincev i beloruskich v X I X - nacale X X v. I n : T I E , t . X X X I , 1956. (Ostslavischer ethnographischer S a m m e l b a n d . Abriß der materiellen Volkskultur der Russen, U k r a i n e r u n d Belorussen im 1 9 . , A n f a n g des 2 0 . J h . ) ; S. D. L I S I C I A N , Starinnye pljaski i t e a t r a l ' n y e predstavlenija armjanskogo naroda, E r e v a n , 1958. (Alte Tänze u n d Theatervorstellungen des armenischen Volkes); Materialy i issledov a n i j a po etnografii ruskogo naselenija E v r o p e j s k o j casti S S S R . I n : T I E , t. L V I I , 1960. (Materialien u n d Forschungen zur E t h n o g r a p h i e der russischen Bevölkerung des europäischen Teils der U d S S R ) ; J u . F . N O V I K O V , I Z istorii p a c h o t n y c h orudij v Rossii. I n : Vestnik istorii material'noj k u l ' t u r y , 1961, No. 5. (Aus der Geschichte der Pfluggeräte in R u ß l a n d ) ; G. G. G R O M O V , J U . F . N O V I K O V , Nekotorye voprosy agroetnograficeskich issledovanija, I n : SE, 1967, No. 1. (Einige F r a g e n der agraie t h n o g r a p h i s c h e n F o r s c h u n g e n ) ; N. N. C E B O K S A R O V , J A . V. C I S T O V , N e k o t o r y e p r o blemy agroetnografii. N a p r i m e r e n a r o d o v Jugo-Vostocnoj Azii. I n : SE, 1967, No. 3. (Einige Probleme der Agrarethnographie. A m Beispiel der Völker Süd-Ostasiens). 31 V. V. B A R D A V E L I D Z E , Drevnie religioznye verovanija i obrjadovoe graficeskoe iskusstvo gruzinskich plemen, Tbilisi, 1957. (Alte religiöse Anschauungen u n d die graphische Zeremonialkunst der grusinischen S t ä m m e ) ; I. A. K R Y V E L E V , Religii i cerkvi v s o v r e m e n n o m mire, Moskva, 1961. (Religionen u n d K i r c h e n in der m o d e r n e n Welt); S. A. T O K A R E V , R a n n i e f o r m y religii, Moskva, 1 9 6 4 . (Frühf o r m e n der Religion) Ders.: Religija v istorii narodov mira, Moskva, 1964. (Die Religion in der Geschichte der Völker der E r d e ) ; B . I. S A R E V S K A J A , Starye i novye religii tropiceskoj i juznoj Afiriki, Moskva, 1964. (Alte u n d neue Religionen des tropischen u n d südlichen A f r i k a ) ; u. a. 32 Siehe: B. G. K U D R J A V C E V , P i s ' m e n n o s t ' ostrova Paschi. I n : Sbornik MAE, t. X I 1 9 4 9 . (DieOsterinsel-Schrift); D. A. O L D E R O G G E , Parallelnye t e k s t y tablic ostrova
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A . I. PERSIC u n d N . N .
CEBOKSAROV
Arbeit über die Entzifferung dieser Schriftsysteme bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, haben gerade die Ethnographen mit philologischer Ausbildung auf diesem Gebiet bedeutende Erfolge erzielt. Leider wird von den sowjetischen Ethnographen noch wenig Achtung auf theoretische Arbeiten zur Kulturgeschichte gelenkt. Erst in der letzten Zeit ist das Interesse an Fragen der Beziehung von Tradition (Kontinuität) und Innovation in der Kulturentwicklung gestiegen. Mit den historisch-kulturellen Forschungen ist eng die Zusammenstellung historisch-ethnographischer Atlanten verbunden, die eine deutliche Vorstellung; über die ethnographische Verbreitung einzelner Elemente der materiellen und geistigen Kultur wie auch deren gegenseitig verbundenen Komplexe vermitteln. Bereits 1961 erschien der „Historisch-ethnographische Atlas Sibiriens", der auf der Grundlage von Museumskollektionen und Feldmaterialien erarbeitet worden ist, die in der Zeit vor der Revolution von russischen und besonders nach der Revolution von sowjetischen Forschern gesammelt wurden. Die Karten dienen gemeinsam mit dem ihnen beigegebenen Text als ausgezeichnetes Quellenmaterial für weitere Arbeiten auf dem Gebiet der Ethnogenese und der Kulturgeschichte der Völker unseres Landes. I n nächster Zeit erscheinen die ersten Ausgaben des historisch-ethnographischen Atlas „Die Russen", die sich mit der Technologie des Bodenbaus, der Behausung und Kleidung beschäftigen. I n mehr als 60 Karten zeigt dieser Atlas, wie sich die Wirtschaft, Kultur und Lebensweise des russischen Bauern im Verlaufe der 2. Hälfte d es X I X . und d es Beginns des XX. Jahrhunderts verändert haben. Mit der Vorbereitung historisch-ethnographischer Atlanten über die Ukraine, Moldawiens, Belorußlands, des Baltikum, Kaukasiens und Mittelasiens wurde begonnen. 33
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Pasehi, ebenda. (Die Paralleltexte der Tafeln der Osterinsel); N . A . B U T I N O V , Ju. V. K N O R O Z O V , Predvaritel'noe soobscenie ob izucenii pis'mennosti ostrova Paschi. In: SE, 1956, No. 4. (Vorläufige Mitteilung über die Erforschung der Schrift der Isterinsel); Ju. V. K N O R O Z O V , Pis'mennost' indejcev majja, MoskvaLeningrad, 1963. (Die Schrift der Maya-Indianer); PretLvaritel'noe soobscenie ob issledovanii protoindijskich tekstov, Moskva, 1965. (Vorläufige Mitteilung über die Erforschung protoindischer Texte); Predvaritel'noe soobscenie o desifrovke kidanskogo pis'ma, Moskva, 1964. (Vorläufige Mitteilung über die Entzifferung der Kidan-Schrift. Istoriko-etnograficeskij atlas Sibiri, Moskva-Leningrad, 1961. (Historisch-ethnographischer Atlas Sibiriens); Russkie, Istoriko-etnograficeskij atlas, Moskva, 1968. (Die Russen. Historisch-ethnographischer Atlas); siehe auch: K. G . G U D L I S T Y J , V. F . G O R L E N K O , J A . P . P R I L I P K O , Rabota nad istoriko-etnograficeskom atlase na Ukraine. In: SE, 1967, No. 1. (Die Arbfeit am historisch-ethnographischen Atlas in der Ukraine); V. P . K O B Y C E V , A. I. R O B A K I D Z E , Osnovy tipologii i kartografirovanija zilisca narodov Kavkaza (Materialy k Kavkazskomu istoriko-etnografiöeskomu atlasu). In: SE, 1967, No. 2. (Grundlagen der Typologie und Kartographierung der Behausung der Völker des Kaukasus. Materialien zupi kaukasischen historisch-ethnographischen Atlas) E. N. S T U D E N E C K A J A , Odezda narodov Kavkaza (o sobiranii materialov dlja Kavkazskogo istoriko-etnograficeskogo a t -
E i n halbes J a h r h u n d e r t sowjetische E t h n o g r a p h i e
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Geschichte der Urgesellschaft Unter den theoretischen Problemen, die von den sowjetischen Ethnographen erarbeitet wurden, nehmen die Probleme der Urgeschichte einen der hervorragendsten Plätze ein. Das erklärt sich nicht nur aus der Wichtigkeit ethnographischer Materialien für die Interpretation der schweigenden Denkmäler der Archäologie, sondern auch aus der außerordentlich großen weltanschaulichen Bedeutung der urgeschichtlichen Thematik. Die von den Begründern des wissenschaftlichen Kommunismus geschaffene allgemeine Konzeption des historischen Prozesses und vor allem jene Hauptthesen, daß das Privateigentum, die monogame Familie, die Klassen und der Staat historische Kategorien sind und folglich historisch wandelbare gesellschaftliche Institutionen, sind bis heute Gegenstand heftiger Kritik der Ideologen des Antikommunismus, die versuchen, diesen Thesen neue Angaben der Ethnographie entgegenzusetzen, die in der Zeit von M A R X und E N G E L S nicht bekannt waren. Deshalb stand von Anfang an vor der sowjetischen Ethnographie die Aufgabe, das neue Faktenmaterial zu erforschen und zu verallgemeinern, das, wie sich herausstellte, nicht nur alle methodologisch wichtigen Thesen der marxistischen Lehre von der Urgesellschaft beweist, sondern noch mehr festigt und entwickelt. Schon seit Beginn der 30er Jahre wird in den Arbeiten der sowjetischen Ethnographen das Faktenmaterial, darunter das Material der eigenen Feldforschungen, das die Universalität der Urgemeinschaftsordnung als erster sozialökonomischer Formation, die alle Völker der Erde durchlaufen haben, beweist, verallgemeinert. Besonders große Aufmerksamkeit wird der Entdeckung der Grundzelle der Urgemeinschaft, der Gentilgemeinde, und der umfassenden Verbreitung eines der Merkmale der urgemeinschaftlichen Gens, der Dualorganisation, gewidmet. Gleichzeitig erfolgt die Erforschung der ursprünglichen Heirats- und Familienbeziehungen, die neues Material zugunsten der relativ späten Entstehung der individuellen Familie liefern. Es werden die späten Formen der Gentilordnung, insbesondere die patriarchalische Gens und ihre Strukturelemente, wie auch der konkrete Mechanismus der Auflösung der urgesellschaftlichen Gemeinde und die Entstehung der Klassengesellschaft erforscht. 34 Die Leningrader lasa). I n : SE, 1967, No. 3. (Die Kleidung der Völker des K a u k a s u s . Über die S a m m lung v o n Material f ü r den kaukasischen historisch-ethnographischen Atlas). Aus der Zahl der ethnographischen oder u n t e r Einbeziehung umfangreichen ethnographischen Materials geschriebenen Monographien oder Sammelbänden zur Geschichte der Urgesellschaft sind folgende zu n e n n e n : A. M. Z O L O T A K E V , Proischozdenie ekzogamii. I n : Izv. GAIMK, t . X , 1931. ( E n t s t e h u n g der Exogamie); Ders.: R o d o v o j stroj i religija ulcej, Chabarovsk, 1939. (Gentilordnung u n d Religion der Ultschen); Ders.: Rodovoj stroj i p e r v o b y t n a j a mifologija, Moskva, 1964, (Gentilordnung u n d Urmythologie); Ä. F . A N I S I M O V , Rodovoe obscestvo evenkov (tungusov), Leningrad 1936. (Die Gentilgesellschaft der E w e n k e n / T u n g u sen); Ders.: D u c h o v n a j a zizn' pervobytnogo obscestva, Leningrad, 1966. (Das-
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A . I . P E R S I C u n d IST. N .
CEBOKSAROV
Ethnographen beschäftigen sich intensiv mit der Bearbeitung des komplizierten Problems der Entwicklung der Verwandtschaftssysteme. 3 5 I m Zusammenhang d a m i t forderte die Entwicklung einer materialistischen K o n z e p t i o n der Urgeschichte u n d der K a m p f gegen antimarxistische historischethnographische Konstruktionen schon i n den Vorkriegsjähren eine Abgrenzung der Grundthesen v o n den Einzelthesen, die im Prozeß der Wissenschaftsentwicklung veraltet sind. Diese Arbeit, die sich besonders in den Nachkriegs jähren weit entfaltet hat, rief eine Anzahl wissenschaftlicher Probleme hervor, die auch weiterhin bearbeitet u n d diskutiert werden. Die wichtigsten darunter sind die Fragen einer allgemeinen Periodisierung der Urgeschichte, die Periodisierung der Entwicklung der Familienformen u n d die Wechselbeziehungen zwischen Gens und Gentilgemeinde. Die Akkumulierung neuer ethnographischer u n d archäologischer Materialien hat, wie das seinerzeit bereits E N G E L S vermutete, gezeigt, daß in der M O R G A N -
geistige Leben der Urgesellschaft); N. A. K I S L . J A K O V , Sledy pervobytnogo komm u n i z m a u gornych tadzikov Vachio-bolo, Leningrad, 1936. (Spuren des U r k o m m u nismus bei den Berg-Tadziken v o n Wachio-bolo); M. O . K O S V E N , Matriarchat. Istorijaproblemy,Moskva-Leningrad, 1948. (Das Matriarchat. Geschichte des Problems); Ders.: S e m e j n a j a obscina i p a t r o n i m i j a , Moskva, 1963. (Die Familiengemeindo u n d das P a t r o n y m ) ; J U . P . A V E R K I E V A , R a b s t v o u indejcev Severnoj Ameriki, Moskva-Leningrad, 1941. (Die Sklaverei bei den I n d i a n e r n Nordamerikas); Ders.: Razlozenie rodovoj obsciny i formirovanie rannelclassovych otnosenij v obscestve indejcev severo-zapadnogo poberez'ja Severnoj Ameriki. I n : T I E , t. X X , 1961. (Die Auflösung der Gentilgemeinde u n d die Formierung früher Klassenverhältnisse in der Gesellschaft der I n d i a n e r der Nordwest-Küste Nordamerikas); L. A. P A J N B B E Ö , Obscestvennyj stroj eskimosov i aleutov. Ot materinskogo roda k sosedskoj obscine. Moskva, 1964. (Die Gesellschaftsordnung der E s k i m o u n d Aleuten. Von der m ü t t e r l i c h e n Gens zur Nachbargemeinde); J u . I. S E M E N O V , K a k vozniklo celovecestvo, Moskva, 1966. (Wie e n t s t a n d die Menschheit); M. V. K R J U K O V , F o r m y social'noj organizacii drevnich kitajcev, Moskva, 1967. (Formen der Sozialorganisation der alten Chinesen); S a m m e l b ä n d e : Voprosy istorii doklassovogo obscestva, Moskva-Leningrad, 1936. (Fragen der Geschichte der Vorklassengesellschaft) ; Rodovoe obscestvo. Etnograficeskie materialy i issledovanija. I n : T I E , t . X I V , 1951. (Die Gentilgesellschaft. Ethnographische Materialien u n d Forschungen); P r o b l e m y istorii pervobytnogo obsöestva. I n : T I E , t . LIV, 1960. (Probleme der Geschichte der Urgesellschaft); u. a. -•i5 Siehe D. A. O L ' D E R O G G E . Nekotorye voprosy izucenija sistem rodstva. I n : SE, 1958, No. 1. (Einige F r a g e n der Erforschung der Verwandtschaftssysteme); Ders.: Osnovnye certy razvitija sistem rodstva. I n : SE, 1960, No. 6. (Grundzüge der E n t w i c k l u n g der Verwandtschaftssysteme); J u . M. L I C H T E N B E R G , Avstralijskie i melanezijskie sistemy rodstva. I n : Problemy istorii pervobytnogo obscestva. (Australische u n d melanesische Verwandtschaftssysteme); Ders.: Systemy rodstva u p a p u a s o v Novoj Gvinei. Problemy istoriii etnografii narodov Avstralii, N o v o j Gvinie i Gavajskich ostrovov. (Verwandtschaftsysteme bei den P a p u a s Neuguineas) ; u. a.
Ein halbes Jahrhundert sowjetische Ethnographie
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sehen Periodisienmg der Urgeschichte eine Anzahl faktischer Unrichtigkeiten festzustellen sind und die qualitativen Besonderheiten der Anfangs- und Endepochen der Urgemeinschaft nicht beachtet wurden. Deshalb wurden von sowjetischen Wissenschaftlern einige Varianten einer neuen Periodisierung erarbeitet; die Mehrzahl davon, wenn sie auch in terminologischen Details auseinandergehen, nähern sich in der Grundfrage, nämlich in der Gliederung der Urgeschichte in Epochen der Entstehung, der Blüte und der Auflösung der Gentilordnung. 36 Indem sie die These über die späte Entstehung der monogamen Familie absolut bestätigten, ließen die Angaben der modernen Ethnographie das Schema der ihr vorhergehenden Formen präzisieren, aus dem die von M O R G A N rekonstruierten Formen der Blutsverwandtschafts- und Punalua-Familie herausfallen. 37 Die vergleichende Analyse der Überreste, die sich bei verschiedenen Völkern erhalten haben, führte die Mehrzahl der sowjetischen Wissenschaftler zu dem Schluß, daß die exogame dual-gentile Gruppenehe die erste historische Form der gesellschaftlichen Regulierung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern gewesen ist; sie wurde später durch die Paärungsehe, verschiedene Formen der Polygamie und schließlich die Monogamie ersetzt. Andere Forscher, die von den lebenden Institutionen zurückgebliebener Völker ausgehen, von ihnen praktisch mit den Völkern der klassischen Urgeiiieinschaftsordnung identifiziert werden, sehen die Paarungsehe und die auf ihr basierende Familie als erste Form der Familienbeziehungen an. 38 Die neuen Angaben über die Frühformen der Familie und Ehe zwangen natürlicherweise dazu, sich erneut der Frage über die Wechselbeziehungen blutsver36
S. P. T O L S T O V , K voprosu o periodizacii istorii pervobytnogo obsöestva. I n : SE, 1946, No. 1. (Zur Frage der Periodisierung der Urgesellschaft); M. O. K O S V E N , O periodizacii pervobytnoj istorii. In: SE, 1952, No. 3. (Über die Periodisierung der Urgeschichte); A . I. P E R S I C , Razvitie form sobstvennosti v pervobytnom obscestve kak osnova periodizacii ego istorii. In: SE, 1955, No. 4. (Die Entwicklung der Eigentumsformen in der Urgesellschaft als Grundlage der Periodisierung ihrer Geschichte); Ju. I. S E M E N O V , O periodizacii pervobytnoj istorii. I n : SE, 1965, No. 4. (Über die Periodisierung der Urgeschichte); Ju. P. A V E R K I E V A , Estestvennoe i obscestvennoe razdelenie truda i problema periodizacii pervobytnogo obsöestva. In: Ot Aljaski do Ognennoj Zemli. Istorija i etnografija stran Ameriki, Moskva, 1967. (Die natürliche und die gesellschaftliche Arbeitsteilung und das Problem der Periodisierung der Urgesellschaft).
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M. Z O L O T A R E V , K istorii rannich form gruppovogo braka. In: Ucenye zapiske Moskovskogo oblastnogo pedagogieeskogo instituta, t. II, 1940. (Zur Geschichte der Frühformen der Gruppenehe); D. A . O L ' D E B O G G E , Malajskaja sistema rodstva. In: Rodovoe obscestvo. (Das Malayische Verwandtschaftssystem); D. D. T U M A R K I N , K voprosu o formach semi u gavajcev v konce X V I I I — nacale X I X v. In: SE, 1954, No. 4. (Zur Frage über die Familienformen bei den Hawaiianern am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jh.). Ausführlicher siehe: A. I . P E R S I C , Rannye formy semi i braka v osvescenii sovetskoj etnografii. IN: Voprosy istorii, 1967, No. 2. (Frühformen der Familie und Ehe in der Sicht der sowjetischen Ethnographie).
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A.
Jahrbuch des Museums f ü r Völkerkunde, Bd. X X V I I
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wandtschaftlicher und produktionsmäßiger Beziehungen in der Gentilgesellschaft zuzuwenden. Wesentliche Verbreitung hat der Standpunkt erfahren, wonach in der klassischen Gentilgesellschaft die Dislokalität der Ehe zum Zusammenfallen blutsverwandtschaftlicher mit ökonomischen Verbindungen führte und folglich zum Zusammenfallen der Gens mit der Gemeinde. Die Anhänger eines anderen Standpunkts unterscheiden, indem sie auf die relativ geringe Verbreitung der Dislokalität unter den zurückgebliebenen Stämmen der neuen Zeit verweisen, Gens und Gentilgemeinde, in denen sie unterschiedliche Kollektive sehen. 39 Diese Standpunkte stehen einander gar nicht so fern; allein jener zweifelsfreie Umstand, daß sowohl bei der matrilokalen als auch bei der patrilokalen Ehe die Mehrzahl der Gemeinschaft von den Mitgliedern einer Gens gebildet wurde zeigt, daß Gens und Gemeinde in starkem Maße zusammenfielen. I n den Veröffentlichungen der letzten Jahre wurde ein weiter Fragenkreis über die Geschichte der Urgesellschaft abgesteckt, der eine vertiefende Bearbeitung auf der Grundlage der von der Ethnographie gesammelten Materialien erforderlich macht. Das sind neben den schon erwähnten Fragen das Problem der historischen Wechselbeziehung zwischen mütterlicher und väterlicher Gens, über die konkret-historischen Varianten der Auflösung der Gentilordnungu. a. Der zentrale Platz unter ihnen ist das Problem der Quellenkunde der Urgeschichte und in erster Linie die Methodik der Interpretation ethnographischen Materials für urgeschichtliche Rekonstruktionen, von deren Ausarbeitung die Effektivität aller begonnenen und bei weitem noch nicht beendeten Diskussionen in starkem Maße abhängt. Im vorliegenden Aufsatz sind bei weitem nicht alle Seiten der Arbeit der sowjetischen Ethnographen behandelt worden. Aus Platzmangel bestand nicht die Möglichkeit z. B. auf die historiographische Arbeit der sowjetischen Ethnographen einzugehen und insbesondere auf die von ihnen geleistete Arbeit auf dem Gebiet der Kritik antimarxistischer ethnographisch-soziologischer Schulen/' 0 Fast nicht eingegangen wurde auf die Ausbildung ethnographischer Kader an den Universitäten, den Akademien und anderen wissenschaftlichen Institutionen Moskaus, Leningrads, aller Unionsrepubliken und vieler autonomer Republiken, wie auch auf die in den letzten Jahren verstärkte Aktivität bei der Vorbereitung von Lehrmaterialien über die Ethnographie und die Geschichte der Urge39
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Siehe z. B . : Ju. I. S E M E N O V , O nekotorych voprosachstanovlenijaceloveceskogo obscestva. In: Vopi'osy filosofii, 1965, No. 6 (Über einige Fragen der Herausbildung der menschlichen Gesellschaft); Obscina i social'naja organizacija unarodov Vostocnoj i Jugo-Vostoenoj Azii, Leningrad, 1967. (Die Gemeinde und die Sozialorganisation bei den Völkern Süd- und Südost-Asiens.) Siehe besonders die Sammelbände: Anglo-amerikanskaja etnografija nasluzbe imperializma. In: TIE, t. X I I , 1951. (Die anglo-amerikanische Ethnographie im Dienste des Imperialismus); Sovremennaja amerikanskaja etnografija. Teoreticeskie napravlenija i tendencii, Moskva, 1963. (Die moderne amerikanische Ethnographie. Theoretische Richtungen und Tendenzen); Protiv rasizma, Moskva, 1967. (Gegen den Rassismus.)
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sellschaft. 41 Entsprechende Aufmerksamkeit konnte auch nicht der Arbeit der ethnographischen Museen gewidmet werden, unter denen viele nicht nur Stätten der Bewahrung und Darstellung wertvoller Sammlungen sind, sondern auch große wissenschaftliche Zentren. Als Beispiele sollen hier das Museum für Anthropologie und Ethnographie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und das Staatliche Museum für Ethnographie in Leningrad, das Ethnographische Museum der Estnischen SSR in Tartu, das Freilichtmuseum in Lettland (Riga) und Estland (Tallin), das Ukrainische Museum für Ethnographie und Kunstgewerbe (Lwow) dienen. Umfangreiche ethnographische Arbeit wird auch von vielen Republiks-, Gebiets- und Kreismuseen und in einigen Italien auch von Städtischen Museen geleistet. Viele der genannten Museen arbeiten in engem K o n t a k t mit akademischen Einrichtungen, die ethnographische Forschungen durchführen; einer dieser Kontakte besteht in der Teilnahme der Museen an Feldarbeiten von Komplexexpeditionen. Alle sowjetischen Ethnographen, wo sie auch immer arbeiten, nehmen in,diesem oder jenem Maße an der Lösung eines weitgesteckten Kreises aktueller theoretischer und praktischer Probleme teil, die eng mit der Umgestaltung der Kultur- und Lebensweise in der Ud SSR und anderen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft, mit dem nationalen Befreiungskampf derjenigen Völker, die das Joch des Kolonialismus abgestreift haben, und mit dem sozial-ökonomischen und kulturellen Fortschritt der gesamten Menschheit verbunden sind. Die sowjetische Ethnographie, die die charakteristischen Besonderheiten der Kultur und Lebensweise eines jeden Volkes und dessen Beitrag zur Weltkultur erforscht, zeigt, gestützt auf die methodologische Grundlage des Marxismus-Leninismus, die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und folglich auch ethnischen Entwicklung aller Völker und beweist mit ihrem Material die Einheit dieses Prozesses. Damit leistet die Ethnographie ihren außerordentlich wichtigen Beitrag zum Kampf aller progressiven Kräfte der Menschheit mit den verschiedenen nationalistischen und rassistischen Konzeptionen, die Feindschaft und Zwietracht zwischen den Völkern säen. Wenn wir das Notwendige zu den großen Erfolgen der sowjetischen Ethnographie im Verlaufe ihrer fünfzigjährigen Existenz gesagt haben, so muß auch bemerkt werden, daß nicht alle Aufgaben, die vor unserer Wissenschaft stehen, im nötigen Maße gelöst wurden. Die sowjetischen Ethnographen, die ihr Hauptaugenmerk auf Fragen der Ethnogenese, der Geschichte der Gesellschaftsordnung und Kultur einzelner Völker, ganzer Länder und sogar ganzer Erdteile gelenkt haben, widmeten der Ausarbeitung allgemein-theoretischer Probleme unserer Wissenschaft im Weltmaßstab weniger Beachtung oder stellten sie zumindest zurück. Man muß sagen, daß Arbeiten beschreibenden Charakters bis heute in 41
S. A. TOKAREV, ß t n o g r a f i j a narodov S S S R , Moskva, 1958. (Die E t h n o g r a p h i e der Völker der U d S S R ) ; G. G. GKOMOV, Metodika etnograficeskich ekspedicii, Moskva 1966. (Methodik der ethnographischen E x p e d i t i o n ) ; Osnovy etnografii, Moskva, 1 9 6 8 . ( G r u n d l a g e n d e r E t h n o g r a p h i e ) ; A . I . PEBSIC, A . L . MONGAJT,V. P . ALBKSBBV,
I s t o r i j a pervobytnogo obseestva, Moskva, 1968. (Geschichte der Urgesellschaft). 3«
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der sowjetischen Ethnographie gegenüber den Forschungen theoretischer Richtung überwiegen. I n allernächster Zeit muß die Bearbeitung solcher allgemeintheoretischer Probleme, wie die ethnische Klassifikation der Völker der Erde, das Wechselverhältnis wirtschaftlich-kultureller, historisch-ethnographischer, ethnischer, sprachlicher, rassischer, sozial-klassenmäßiger, politischer und anderer Gruppen der Menschheit auf verschiedenen Etappen der historischen Entwicklung aktiviert werden. Große Aufmerksamkeit muß auch den Fragen der Entwicklung von Typen ethnischer Gemeinschaften, den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Geschichte, der Gentilorganisation und verschiedenen Gemeindeformen gewidmet werden, man muß sich mit den Elementen der materiellen und geistigen Kultur (insbesondere der Religion) und der Kultur insgesamt beschäftigen. Sehr wenig wird auf den Gebieten der Ethnopsychologie, der Ethnobotanik und der Rechtsethnographie getan. Noch wichtiger ist das Problem, daß in der Ethnographie wie auch in anderen Gesellschaftswissenschaften ein, wie das Zentralkomitee der K P d S U bemerkte, „Zurückbleiben in der Erforschung fundamentaler theoretischer Probleme, die allseitig den Mechanismus des Wirkens der Gesetzmäßigkeiten der modernen gesellschaftlichen Entwicklung aufdecken" zu beobachten ist. 42 Von den aktuellen Fragen, die unmittelbar mit der Gegenwart verbunden sind, erfordern die Probleme der nationalen Entwicklung und der Gesetzmäßigkeiten der Umgestaltung in der Kultur und Lebensweise in den sozialistischen Ländern, in den Entwicklungs- und anderen Ländern eine weitere theoretische Ausarbeitung unter aktiver Teilnahme der Ethnographen. Noch immer ist die Arbeit auf dem Gebiet der Methodik der ethnographischen Forschungen und der Ausarbeitung unifizierter Programme und Fragebogen mangelhaft. Viel ist auch noch bei der Erweiterung und Vertiefung der Ausbildung ethnographischer Kader verschiedener Qualifikationsrichtungen und auch bei der Popularisierung echter wissenschaftlicher ethnographischer Kenntnisse zu tun. Einer der wesentlichsten Beweise der Erfolge der ethnographischen Wissenschaft in den letzten Jahren ist das schnelle, wenn auch bei weitem noch nicht genügende Anwachsen der wissenschaftlichen Verbindungen zwischen den Ethnographen der UdSSR und anderer Länder. Diese Verbindungen zeigen sich in Auslandsaufenthalten sowjetischer Ethnographen (in einer Reihe von Fällen bestand die Möglichkeit, Originalmaterialien zu sammeln und Feldforschungen durchzuführen), in den Besuchen ausländischer Wissenschaftler in der Sowjetunion, in Gemeinschaftsarbeit bei Kollektivarbeiten (z. B. bei den Bänden „Die Völker des ausländischen Europas" im Rahmen der Reihe „Die Völker der Erde" und bei einer Anzahl von Sammelbänden über Lateinamerika), im Austausch wissenschaftlicher Literatur und schließlich in der Teilnahme sowjeti42
Postanovlenie CK K P S S „O merach po dal'neisemu razvitiju obsöestvennych nauk i povyseniju ich roli v kommunisticeskom stroitel'stve. In: Pravda, 22 avgusta 1967. (Beschluß des ZK der K P d S U „Über Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften und zur Erhöhung ihrer Rolle beim kommunistischen Aufbau).
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scher Ethnographen an internationalen Kongressen, Konferenzen, Beratungen und anderen Veranstaltungen, die sowohl in unserem Lande als auch im Ausland durchgeführt wurden. Große Bedeutung für die Entwicklung der sowjetischen Ethnographie und für die Festigung von Kontakten mit ausländischen Wissenschaftlern hatte der 1964 in Moskau abgehaltene VII. Internationale Kongreß der Anthropologen und Ethnographen. Besonders intensiv sind die Verbindungen zwischen den sowjetischen Ethnographen und den sozialistischen Ländern Europas und der Republik Kuba, die jährlich von unseren Forschern besucht werden. Mit jedem J a h r festigen sich auch die Verbindungen der sowjetischen Ethnographen mit den sich entwickelnden Ländern Asiens und Afrikas. 1964 und 1966 wurden in Indien von sowjetischen und indischen Gelehrten gemeinsame anthropologische und ethnographische Arbeiten durchgeführt; diese Forschungen werden auch weiter fortgesetzt. Es besteht kein Zweifel, daß in nächster Zukunft die schöpferische Zusammenarbeit zwischen sowjetischen und ausländischen Ethnographen noch beständiger, tiefer und vielseitiger wird. Die Entwicklung dieser Zusammenarbeit bereichert und vervollkommnet ständig unser Wissen und unsere Methoden, sie fördert gleichzeitig die Propagierung der sowjetischen ethnographischen Wissenschaft im Ausland, einer Wissenschaft, deren Erfolge im Verlaufe der 50 Jahre ihrer Entwicklung einen wesentlichen Platz im wissenschaftlichen und kulturellen Leben unseres Landes eingenommen haben und gleichzeitig einen großen Beitrag zur fortschrittlichen Wissenschaft der ganzen Welt darstellen. Übersetzung aus „Sovetskaja Etnografija", 1967, Nr. 5 übersetzt von W O L F G A N G K Ö N I G , Leipzig
Zu einigen Problemen der Geschichte und Gegenwart der Naga (Indien) 1 v o n W E E N E R HARTWIG, L e i p z i g (Mit 1 Karte)
Als am 1. Dezember 1963 in der kleinen, in d e n Bergen des indisch-burmesischen Grenzgebietes gelegenen Stadt K o h i m a Nagaland z u m sechzehnten Staat der Indischen U n i o n proklamiert u n d der Politiker Shilu A o als erster Chefminister einer selbständigen Naga-Regierung vereidigt wurde, war dies nicht nur für die rund 4 0 0 0 0 0 N a g a v o n historischer Bedeutung, sondern zugleich ein weit über die Grenzen des m i t etwa 1 6 0 0 0 qkm Fläche kleinsten indischen Unionsstaates hinausgehendes politisches Ereignis: Es leitete einen n e u e n Abschnitt in dem noch fortdauernden Prozeß der Lösung der vielgestaltigen Nationalitätenprobleme Indiens ein. 2 Die Schaffung des selbständigen Unions1
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Ü b e r a r b e i t e t e Fassung des R e f e r a t s zur Verteidigung der Inauguraldissertation „ W i r t s c h a f t u n d Gesellschaftsstruktur der N a g a in der zweiten H ä l f t e des 19. u n d zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s " a n der Philosophischen F a k u l t ä t der KarlMarx-Universität Leipzig. Siehe HARTWIG, 1969. N a c h d e m u n t e r F ü h r u n g des I n d i a n National Congress das L a n d in den letzten J a h r e n immer eindeutiger den kapitalistischen Weg der E n t w i c k l u n g eingeschlagen h a t (DANGE, 1969, p. 3), t r e t e n neben die gerechten Bestrebungen der nationalen Minderheiten u m Gewährung der regionalen Autonomie in Gebieten, in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung bilden, in verschiedenen Unionsstaaten separatistische Tendenzen, die das Ziel verfolgen, die im langjährigen Kampf der demokratischen K r ä f t e Indiens errungene Schaffung der linguistic states rückgängig zu machen. I m April des J a h r e s 1969 f a ß t e der N a t i o n a l Council der Kommunistischen P a r t e i Indiens (CPI) einen Beschluß gegen Separatismus u n d Chauvinismus, in d e m eindeutig nachgewiesen wird, d a ß diese der weiteren E n t w i c k l u n g des Landes abträglichen separatistischen Tendenzen ihre Ursachen letztlich — als Folge der allgemeinen kapitalistischen E n t wicklung — in der ungleichen ökonomischen E n t w i c k l u n g der einzelnen Regionen in den jeweiligen Unionsstaaten, aber a u c h der verschiedenen U n i o n s s t a a t e n selbst, h a b e n . Scharf verurteilt die C P I die Machenschaften der monopolistischen Kreise innerhalb der Congress P a r t e i , die bestrebt sind, „to unscrupulously utilise all regional feelings t o stir u p h a t r e d a n d animosities based on t h e simmering discontent or on traditional communal or local feelings, a n d t o opportunistically gang u p with certain elements whether overtly or f r o m behind t h e screen for dem a n d i n g t h e b r e a k u p of existing linguistic s t a t e s " (NEW AGE, April 20, 1969, p. 7; vgl. a u c h PRABHAKAB RAO, 1969, p. 4 u n d „Tasks a t t h e P r e s e n t Stage of t h e Struggle against Imperialism . . ., 1969, p. 31). I n d e m gleichen D o k u m e n t stellt sich der N a t i o n a l r a t der C P I zugleich nachdrücklich hinter die gerechten
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staates Nagaland war der herausragende Erfolg eines konsequent um seine nationalstaatliche Konsolidierung ringenden kleinen Volkes, das nur zwanzig Jahre zuvor 3 noch als eine aus einer Anzahl politisch, ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell rückständiger Stämme bestehende Bevölkerungsgruppe klassifiziert worden war. Aber gerade in der Tatsache, daß eine ehemalige „ Stammes" bevölkerung seine Nationalstaatlichkeit innerhalb der quasi föderalistischen indischen Republik erlangt hatte, liegt die gesamtindische Bedeutung der Gründung Nagalandes; rund 20 Millionen freie, gleichberechtigte Bürger Indiens, die Angehörigen mehr oder minder zahlreicher ethnischer Minderheiten des Landes, sahen oder sehen in dem erfolgreichen Kampf der Naga ihr Vorbild. 4 Trotz des Umstandes, daß Naga als Einzelpersonen seit Beginn unseres Jahrhunderts auf den Teeplantagen Assams und in den Kohlengruben von Margherita vorübergehend mit der jungen indischen Arbeiterklasse in Kontakt gekommen waren 5 , hatten es die britischen Kolonialbehörden durch die Errichtung eines Systems der politischen Isolierung, der administrativen Segregation und der „indirect rule" vermocht, die Entwicklung einer nationalen Befreiungsbewegung in den Naga-Bergen und erst recht das Einmünden der Ansätze einer solchen Bewegung in die allindische nationale Befreiungsbewegung, die unter Führung des Indischen Nationalkongresses nach dem Sieg der Oktoberrevolution in Rußland einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte, zu hemmen. Erst durch die Ereignisse des zweiten Weltkrieges wurden die Naga aus ihrer bisherigen politischen Isoliertheit herausgerissen und mit dem weltpolitischen Geschehen jener Zeit konfrontiert. I m März 1944 waren japanische Invasionstruppen von Burma her auch auf indisches Territorium vorgedrungen und hatten Manipur und das südöstliche Assam besetzt. Ebenso wie unter den burmesischen Chinund Kachin entwickelte sich auch in Assam unter den Mizo und in besonderm Maße unter den Naga eine antijapanische Volksbewegung. Die Naga, durch deren Wohngebiet die Forderungen der nationalen Minderheiten um Gewährung regionaler Autonomie. I m Zusammenhang mit diesem Kampf gegen Separatismus und Chauvinismus der reaktionären Kreise des Landes widmet die Kommunistische Partei Indiens ihre Aufmerksamkeit der Weiterentwicklung des auf Gleichberechtigung und Autonomie der Linguistic States sich begründenden föderalistischen Prinzips des Zusammenlebens der Völker Indiens (s. SAPRTT, 1 9 6 9 ) . 3 V g l . GTJHA, 4
Siehe LINK, RAO,
1951.
1966, pp. 7 5 - 8 1 ; B U R L I N G , 1967, pp. 2 2 2 - 2 2 3 ; „Restless Tribes", July 1 4 , 1968; N A G , 1969, S. 46; R A J E S W A R A R A O , 1969a, p. 7; R A J E S W A R A 1969b, p. 8; B I R A S I N G H , 1968, p. 7; A. I S L A M , 1969 a, p. 7; A. I S L A M , 1969b, DYAKOV,
p . 1 2 ; BHATTACHARYA, 1 9 6 8 , p .
5
6;
„Tribal People's Convention in W. Bengal", NEW AGE, Juni 29, 1969, p. 6; „Gujarat Adivasi Conference I n Dang District", NEW AGE, June 1, 1969, p. 11. G O K H A L E ( 1 9 6 1 , p. 3 7 ) übersieht diese Tatsache völlig, hebt jedoch den bedeutenden Einfluß der American Baptist Mission (s. a. S H A I Z A , 1 9 6 5 , pp. 3 5 — 3 6 ) letztlich auch auf die separatistischen Bestrebungen der Naga-Extremisten hervor.
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japanisch-alliierte Frontlinie verlief (s. Karte), bildeten Partisanengruppen, die zu Ende der Kampfhandlungen mehr Gefangene gemacht hatten als die gesamte 14. britisch-indische Armee. Überdies organisierten die Naga einen wirksamen Aufklärungsdienst, der wesentlich zum Erfolg der militärischen Operationen
der Alliierten beitrug; auch in den Reihen der britisch-indischen Streitkräfte, die Ende 1944 das okkupierte indische Territorium wieder befreiten, kämpften zahlreiche Naga sowie Angehörige anderer ethnischer Minderheiten Assams. Die aktive Teilnahme am bewaffneten Kampf zur Befreiung ihrer Heimatgebiete entwickelte und stärkte das politische Bewußtsein der sogen. Stammes-
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bevölkerung im nordöstlichen Indien. Gleichzeitig aber hatte sie dieser Kampf, in dem sie mit Angehörigen anderer indischer Nationalitäten Schulter an Schulter standen, aus der bisherigen, von den Kolonialherren beabsichtigten politischen Isolierung herausgeführt; sie waren mit den Forderungen der allindischen nationalen Befreiungsbewegung bekannt geworden, und als sie nach Kriegsende demobilisiert wurden und nach Hause zurückkehrten, war ihnen bewußt, daß die britische Kolonialherrschaft ihrem Ende zuging. Galt es zunächst, die Folgen der Kriegshandlungen in den betroffenen Gebieten zu beseitigen, so wurden doch schon bald Fragen der weiteren Zukunft diskutiert. I n verschiedenen Berggebieten Assams kam es 1946 zur Bildung von sogenannten Nationalräten. H a t t e der antij apanische Befreiungskampf die koloniale Fessel der politischen Isolierung der Bevölkerung dieser „Stammes"gebiete gesprengt, so sahen die politisch bewußten Kräfte in den Nationalräten das weitere Schicksal ihrer Heimatgebiete mit dem des ganzen Landes verbunden; sowohl die Mizo als auch die Naga erstrebten in jener Zeit die regionale Autonomie innerhalb der indischen Provinz Assam. Die britischen Kolonialherren, die nach Beendigung des Krieges den indischen Völkern das Recht auf Unabhängigkeit nicht mehr länger vorenthalten konnten, bemühten sich indes, wenigstens in den strategisch wichtigen Grenzgebieten im Nordosten, die sie nach wie vor mittels Ausnahmerecht beherrschten, ihre alten Positionen zu halten oder wiederzugewinnen. Doch die Naga wehrten alle derartigen Versuche erfolgreich ab. 6 Der antijapanische Befreiungskampf der Bevölkerung der assamesischen Bergdistrikte hatte also die Überwindung ihrer mehr als ein halbes Jahrhundert währenden politischen Isolierung vom übrigen Indien zur Folge, und das wiederu
Unter anderem hatte ein ehemaliger britischer Gouverneur vorgeschlagen, die Berggebiete Assams in einem neuen, vom übrigen Indien völlig losgelösten Staat, der den Status einer britischen Kronkolonie erhalten sollte, zusammenzuschließen (s. E L W I N , 1961, p. 52). Presseberichten aus dem Jahre 1968 zufolge (s. Ross, 1968) stehen bestimmte Vertreter der Extremisten, wie z. B. Inkongmeren, der Vizepräsident der NNC, ähnlichen und im gleichen Maße gegen den antiimperialistischen Kampf der Völker Südostasiens gerichteten Projekten durchaus nicht ablehnend gegenüber; auf eine diesbezügliche Frage des Reporters antwortete Inkongmeren wörtlich: „Eventually a confederation of all the Nagas and of the Kachins and Shans might be possible, but not now." Wenige Tage später erschien in dem gleichen Blatt ein Artikel des Mitarbeiters des Hudson Institute of New York, R. C. C R A N E , unter der bezeichnenden Überschrift „Asia's Next War?", in dem die verschiedensten separatistischen Bestrebungen innerhalb der zahlreichen nationalen Minderheiten in den jungen Nationalstaaten durch die Propagierung einer von Assam über Burma bis Thailand reichenden „loose confederation of freely cooperating medium-size nation-States" der Ahom, Naga, Shan u. a. Unterstützung finden; der Hinweis, daß die Befürworter solcher Tendenzen unter den nationalen Minderheiten, „the new nationalists, . . . would like to look to Thailand, rather than to India-Burma or China, as a window to the outside world and as an alternative political anchor for the South-East Asian subcontinent" ( C R A N E , 1968), läßt an der imperialistischen Urheberschaft dieses Projekts keinen Zweifel.
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um führte dazu, daß der ursprünglich antijapanische Volksbefreiungskampf nach der Vertreibung der Invasoren einen antibritischen Charakter annahm. Wurde diese junge antikolonialistische Befreiungsbewegung der Naga in der entscheidenden Phase nicht zum festen Bestandteil der breiten gesamtindischen nationalen Befreiungsbewegung, so lag es letztlich daran, daß sie jeder politischen Unterstützung in ihrem Kampf seitens des Indischen Nationalkongresses entbehren mußte. Zu sehr konzentrierte sich der Kongreß allein auf die Überwindung der separatistischen Bestrebungen der Moslemliga, als daß es ihm möglich gewesen wäre, eine reale Position zu den tatsächlichen, in den nationalen Befreiungskampf einmündenden Nationalitätenproblemen des Landes zu beziehen. 7 Im Gegensatz dazu hatte die Kommunistische Partei Indiens noch während des zweiten Weltkrieges erkannt, daß der Kampf für die Schaffung sogen. Sprachprovinzen ein integrierender Bestandteil des antiimperialistischen Kampfes für nationale Unabhängigkeit, für die Überwindung • feudaler Überreste sowie die Schaffung bestimmter, für die kulturelle Entwicklung aller Nationalitäten Indiens günstiger Bedingungen war. Auf dieser Grundlage war es der Kommunistischen Partei in den ersten Nachkriegs jähren gelungen, ihren Einfluß vorwiegend unter den dravidischsprachigen Nationalitäten Südindiens zu erhöhen. Doch in den Berggebieten Assams blieb die nationale Befreiungsbewegung lokal begrenzt 8 , und infolgedessen gewannen zunächst die Vertreter separatistischer Bestrebungen innerhalb des Naga National Council die Oberhand. I n der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre siegten jedoch die progressiven Kräfte unter Führung von Dr. Ao, weil sie die Lösung des „Naga.-Problems", die Schaffung eines eigenen Staates Nagaland, prinzipiell im Rahmen der 1950 verabschiedeten Verfassung der Indischen Union erstrebten und die bereits Jahre anhaltenden, von imperialistischen Kreisen inspirierten bewaffneten, antiindischen Aktionen der Extremisten zu beenden und eine friedliche Entwicklung einzuleiten suchten. Die Schaffung aller anderen Staaten der Indischen Union war bisher gemäß der Bestimmungen des Gesetzes zu Reorganisierung der staatlichen Gliederung von 1956, d. h. entsprechend der regionalen Verbreitung der indischen Hauptsprachen, erfolgt. Die Gründung Nagalands, dessen Bewohner zwar verwandte, aber doch so unterschiedliche Dialekte sprechen, daß sie sich zur Verständigung einer anderen Sprache bedienen müssen, erweist sich dagegen als Resultat und Bestandteil eines Prozesses, dessen Grundlage die gemeinsame historische Entwicklung und der gemeinsame politische Kampf eines kleinen Volkes um die Befreiung von der japanischen Okkupation und der britischen kolonialen Unterdrückung und schließlich der Kampf um die Erringung seiner nationalstaatlichen Selbständigkeit innerhalb der Indischen Union waren. 7
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S i e h e SAPRU, 1 9 6 9 , p . 4 ; GOKHALE, 1 9 6 1 , p . 3 7 .
Welche Aufmerksamkeit die CPI gegenwärtig gerade den Problemen der nationalen Minderheiten des Landes entgegenbringt, zeigt der bereits erwähnte Beschluß des National Council gegen Separatismus und Chauvinismus vom April 1969.
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Mit aller Deutlichkeit legt so das Beispiel der Naga dar, daß die gegenwärtigen Probleme der Adivasi, der sogen. „Stammesbevölkerung" Indiens, nicht zuletzt Probleme ihrer ethnischen bzw. nationalen Konsolidierung sind. Um diese vielschichtigen aktuellen Probleme richtig zu erfassen, ist eine detaillierte Kenntnis und Analyse nicht nur der jüngsten politischen Entwicklung, sondern auch der traditionellen Wirtschaft und der Gesellschaftsstruktur des betreffenden Volkes sowie der Besonderheiten seiner bisherigen geschichtlichen Entwicklung unbedingt erforderlich. Die Beziehungen der Naga zu den Nachbarvölkern der frühfeudalen Staatswesen in der Brahmaputra-Ebene und dem Manipur-Becken in der Vergangenheit hatten weniger stimulierend als vielmehr isolierend gewirkt. Jahrhunderte hindurch — bereits seit dem 13. Jahrhundert — hatten die ebenennahen Gemeinwesen der Naga einen ständigen Kampf gegen die Ahom um den Erhalt ihrer politischen Selbständigkeit geführt. Gewisse ökonomische Kontakte scheinen sich erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts angebahnt zu haben. Schon relativ f r ü h hingegen waren die Manipur-Naga in recht intensive Berührung mit den gesellschaftlich fortgeschritteneren Meithei gekommen. Der größte Teil der Naga, jene, die auf dem Territorium des heutigen Nagäland lebten, war während einer relativ langen Zeit räumlich und politisch von der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung in diesem Gebiet Südostasiens abgeschlossen 9 und hatte sich im Ergebnis dessen seine volle sprachliche, kulturelle und ethnische Eigenart bewahrt. Die Errichtung der britischen Kolonialherrschaft gegen Ende des 19. Jhs. hatte die Umwandlung der einstigen Abgeschlossenheit in eine politische Isoliertheit des Naga Hills District und seiner Bewohner vom übrigen Indien zur Folge. Die gewaltsame Befriedung des Landes und die Einführung des Geldverkehrs schufen eine gänzlich andere historische Situation, die der bisherigen, autochthonen Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaftsstruktur der Naga neue Impulse verlieh. Grundlage der traditionellen Wirtschaft der Naga war im 19. Jh. und ist auch heute noch der Bodenbau; einzige Geräte zur Vorbereitung des Bodens waren Dao, Grabstock und Hacke. Die Mehrzahl der Stämme baute auf Brand® Auf diese, einseitig u n d losgelöst von der Epoche der kolonialen U n t e r d r ü c k u n g aller Völker Indiens (einschließlich der Naga) durch die B r i t e n b e t r a c h t e t e Tatsache b e g r ü n d e t e n u n d b e g r ü n d e n auch noch gegenwärtig die extremistischen Kreise ihre separatistische F o r d e r u n g n a c h Abspaltung des Staates Nagaland v o n der Indischen Union (s. E L W I N , 1861, p. 73; R o s s , 1968, p. 6). M. S C O T T (1968) b e m ü h t sich, diese F o r d e r u n g der Separatisten m i t der B e m e r k u n g zu unterstützen, „the N a g a Hills were never p a r t of I n d i a , t h o u g h administered as an ,excluded a r e a ' b y a British governor" u n d glaubt anscheinend, allein m i t dem W ö r t c h e n „ t h o u g h " die historische Tatsache eliminieren zu können, daß der N a g a Hills District kolonialrechtlich genau den gleichen S t a t u s h a t t e wie alle anderen in der Kolonialzeit zu excluded areas e r k l ä r t e n Gebiete Indiens u n d d a m i t eindeutig fest integrierter Bestandteil des von den B r i t e n kolonial u n t e r d r ü c k t e n Indiens war.
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WERNE»
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rodungs- (sogen. Jhum-) Feldern hauptsächlich Bergreis an, während die Angami, die Eastern Rengma und einige ihnen benachbarte Dörfer der Sema und der Western Rengma sowie die Chiru auf Irrigationsterrassen- (sogen. Panikhet-) Feldern Naßreis erzeugten. Das geschlossen angelegte Anbauareal einer jeden Dorfgemeinschaft war in Parzellen aufgegliedert, die von den einzelnen Familien individuell, gleichsam auf eigene Rechnung, bewirtschaftet wurden. I n der Arbeitsorganisation sowohl der Jhum- als auch der Panikhet-Bauern dominierte die einfache Kooperation in Form der gegenseitigen Hilfe der einzelnen — benachbarten oder verwandten — Familien. Von besonderer Bedeutung für die Bewältigung der umfangreichen Feldarbeiten war der Einsatz der vereinigten Arbeitskraft der auf Altersgruppensystem beruhenden Produktionskollektive, der heranwachsenden Mädchen und Burschen, die reihum jeder Familie halfen. Ebenso wie die agrarische Produktion wurde auch die Viehwirtschaft, die den. größten Teil der Fleischnahrung lieferte, individuell betrieben. Bei der Jagd und in der Fischerei, durch die zusätzliche Nahrungsmittel beschafft wurden, gab es neben individuellen Aktionen auch verschiedene Formen kooperativen. Zusammenwirkens größerer oder kleinerer Kollektive. Grundlage, Inhalt und Umfang der handwerklichen Produktion, die neben der Nahrungsmittelerzeugung im traditionellen Wirtschaftsleben der Naga einen festen Platz einnahm, waren von den realen gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnissen, dem Angebot an natürlichen be- und verarbeitungsfähigen Materialien und den Arbeitserfahrungen und -fertigkeiten der einzelnen Produzenten bestimmt. Nur diesem handwerklichen Bereich der Produktion, der sich jedoch noch nicht sozial verselbständigt hatte, entstammten jene Erzeugnisse, die in die wenig entwickelte Sphäre der Zirkulation eingingen. Die Erzeugung des Hauptnahrungsmittels Reis dauerte sowohl auf den Jhumals auch auf den Panikhet-Feldern auf Grund der konkreten äußerlichen Voraussetzungen zur Produktion bedeutend länger als ein halbes Jahr, so daß das Produkt nur einmal im J a h r anfiel; der Zeitraum eines Jahres stellte somit die natürliche Zeiteinheit für die gesellschaftliche Gesamtproduktion dar. Folglich standen die für die einzelnen produktiven Tätigkeiten aufwendbare Arbeitszeit, als deren Maßeinheit der Arbeitstag galt, sowie der Anteil dieser einzelnen Tätigkeiten an der Erzeugung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts des betreffenden Gemeinwesens in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grad der Produktivität der agrarischen Produktion. Die Produktionszeit für das Hauptnahrungsmittel war in den einzelnen Gemeinwesen nicht einheitlich. Einen wesentlichen Unterschied in der Produktionszeit wies die Erzeugung von Bergreis und Naßreis auf. Der Bergreis erforderte eine Produktionszeit von 10 bis 11, der Naßreis hingegen von nur rund 8 Monaten. Während beider Produktionsprozesse traten jedoch natur- oder auch anderweitig bedingte Unterbrechungen auf, so daß die Arbeitsperiode, d. h. die Summe der zur Erzeugung des Produkts tatsächlich aufgewandten Arbeitstage nicht mit der jeweiligen Produktionszeit identisch war. Dieses Auseinanderfallen, der beiden Zeiteinheiten bildete die Grundlage für die enge zeitliche und arbeitsorganisatorische
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Verflechtung des Prozesses der agrarischen Produktion mit den verschiedensten handwerklichen Arbeitsprozessen 10 — eine Erscheinung, die das Wesen eines jeden selbstgenügsamen, auf Naturalwirtschaft beruhenden Gemeinwesens ausmacht. Andererseits zeugt gerade die bedeutende Verkürzung der Produktionszeit beim Naßreis von einer wesentlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität in der agrarischen Produktion der Panikhetbauern. Das hatte zur Folge, daß i n den Dörfern der Angami Naga und den betreffenden Gemeinwesen der anderen Stämme Arbeitskräfte zeitweilig oder gänzlich freigesetzt wurden, die nun stärker als bisher handwerkliche Tätigkeiten ausübten, mitunter zu kleinen Warenproduzenten oder gar zu Händlern wurden. Damit entstanden erste Elemente gesellschaftlicher Arbeitsteilung, die den Beginn eines neuen Stadiums in der Entwicklung der traditionellen Wirtschaft der Naga bekundeten. Die Gesellschaft der Naga, der eine historisch bedingte Stammesstruktur zugrunde lag, war in der 2. Hälfte des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. durch die Existenz und die wechselseitigen Beziehungen zweier Teilsysteme gekennzeichnet. Sie bildeten unterschiedliche soziale Strukturformen, die die Bevölkerung eines Stammes in dem einen Fall nach territorialem, in dem anderen nach Verwandtschaftsprinzip organisierten. Auf diese Weise gehörte der gleiche Personenkreis stets zwei grundverschiedenen Gruppen an. Eine jede dieser Gruppen war fest umrissen und in sich geschlossen und stellte .somit eine Grundeinheit einer der beiden Teilsysteme des gesellschaftlichen Gesamtsystems dar. 1 1 Als die Grundeinheiten der Territorial- resp. der Verwandtschaftsorganisation manifestierten sich eindeutig die Dorfgemeinschaften bzw. die unilinearen Verwandtschaftsgruppen. Seit die Periode der territorialökonomischen Erschließung des Landes in den •einzelnen Stammesgebieten im Verlaufe des 17.—19. Jhs. ihren Abschluß gefunden hatte, war das gesamte Land in den südöstlichen Bergen Assams unter die einzelnen Gemeinwesen aufgeteilt. Sie beanspruchten und behaupteten jeweils ein klar umrissenes, wenn auch nicht immer durch Grenzen deutlich markiertes Territorium. Als diese territorial determinierten Grundeinheiten der NagaGesellschaft erwiesen sich Ende des 19./Anfang des 20. Jhs. bei allen Stämmen allein die Dorfgemeinschaften. Sie grenzten sich gegen Außenstehende ab, vertraten die gemeinsamen Interessen aller ihrer Mitglieder gegenüber den anderen Gemeinwesen und verteidigten sie auch notfalls. Innerhalb der Dorfgemeinschaft bedienten sich alle Produzenten im wichtigsten Zweig der Gesamtproduktion des gleichen, gemeinsamen Grundarbeitsmittels, indem sie das zusammenhängende Anbauareal — das kultivierte JhumLand oder auch die Gesamtanlage der Irrigationsterrassen — zum einheitlichen, gemeinsamen field of employment für die agrarische Produktion der gesamten Gemeinschaft machten. Das war aber nur möglich auf der Basis kollektiven Eigentums am Hauptproduktionsmittel Grund und Boden, als dessen Träger 40
Vgl. MABX, 1893/XXIV—1963, S. 244. Vgl. LANGE, 1966, S. 34.
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W E R N E R HARTWIG
ausschließlich die Dorfgemeinschaft fungierte 1 2 , die damit auch die Grundeinheit der ökonomischen Struktur der Naga-Gesellschaft bildete. Die parzellenweise Bewirtschaftung eines Teils des einheitlichen geschlossenen Anbauareals und die private Aneignung der individuell erzeugten Produkte durch die einzelnen Haushaltungen 1 3 der betreffenden Dorfgemeinschaft standen keineswegs im Widerspruch zu diesen Grundbesitzverhältnissen, sondern charakterisierten eine historische Entwicklungsstufe der ökonomischen Struktur und damit des gesellschaftlichen Gesamtsystems, die der von Karl Marx definierten Ackerbaugemeinde entsprach. Das gemeinsame Territorium und die gemeinsamen politischen, territorialökonomischen und auch zeremonialen Interessen hatten die Mitglieder einer jeden Dorfgemeinschaft zu einem stabilen, politisch selbständigen und ökonomisch selbstgenügsamen Gemeinwesen zusammengefügt. Die Beziehungen zu anderen dörflichen Gemeinwesen waren unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich politische Beziehungen zwischen Gleichen, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhten. Jede über die Dorfgemeinschaft hinausgehende politische Organisation und folglich auch jede, die Interessen mehrerer Dorfgemeinschaften wahrnehmende politische Institution waren der Naga-Gesellschaft in jener Zeit fremd. Als politische Institutionen der Dorfgemeinschaft, die sowohl über die Beziehungen zu anderen Gemeinwesen entschieden als auch solche bedeutenden innerdörflichen Belange wie die Leitung des Wirtschaftslebens oder die Untersuchung und Schlichtung von Streitigkeiten jeder Art regelten, fungierten gewöhnlich die Dorfversammlung oder der Dorfrat. Spezielle Exekutivorgane existierten nicht. Auf Grund besonderer historischer Bedingungen waren verschiedene Funktionen an ganz bestimmte Personen gebunden. Solcherart exponierte Funktionäre der Dorfgemeinschaft waren der politische und der Zeremonialvorsteher. Sie leiteten ihr Amt gewöhnlich aus der Tatsache her, daß ihre Vorfahren einst maßgeblich an der Gründung des betreffenden Dorfe& beteiligt waren. I n den Gemeinwesen der Angami, Tangkhul, Kabui und Ao waren dagegen bei der Betrauung eines Mitgliedes der Dorfgemeinschaft mit der Funktion des politischen Vorstehers solche Faktoren wie Lebenserfahrung, Tapferkeit, Redegewandtheit und nicht zuletzt bereits eine gewisse Wohlhabenheit entscheidend. I n der 2. Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jhs. gliederten sich die dörflichen Gemeinwesen der Naga in sogen. Khels. Ein solches Dorfviertel war stets Wohnbezirk eines bestimmten Teils der Dorfgemeinschaft, dessen Mitglieder im wesentlichen durch sozialökonomische Beziehungen und gemeinsame Wehraufgaben miteinander verbunden waren. Die Zugehörigkeit zu einer Khelgemeinschaft verbürgte einem Mann und seiner Familie das Recht, sich in dem betreffenden Khel — und damit im Dorf — niederzulassen, d. h. ein eigenes Haus zu errichten; das Wohnen im Khel dokumentierte andererseits die unein« V g l . a . HARTWIG, 1 9 6 7 , S . UOFF.
13
Siehe a.
SAKHRIE,
in:
ELWIN, 1961,
p.
74.
Probleme der Geschichte und Gegenwart der Naga
47
geschränkte Zugehörigkeit zu der betreffenden Khelgemeinschaft. Die einzelnen Khelgemeinschaften waren stets fest in die jeweilige Dorfgemeinschaft integriert, und die Beziehungen zwischen ihnen wurden von dem Wirken der die Einheit und damit die Existenz der betreffenden Dorfgemeinschaft fördernden Verhaltensnormen getragen. I n den ökonomisch entwickelteren Gemeinwesen der Angami war in den zwanziger/dreißiger J a h r e n unseres J a h r h u n d e r t s ein fortschreitender Prozeß der Differenzierung der gesellschaftlichen Beziehungen zu beobachten. Das territoriale Organisationsprinzip konzentrierte sich jetzt auf den sozialökonomischen Bereich, büßte zugleich aber seine ehemalige Bedeutung im Bereich des Zeremoniallebens ein. Wichtigste Einrichtung der Khelgemeinschaft war das Morung, die Institution des sogen. Jungmänner hauses. I h r oblag es ursprünglich, den männlichen Nachwuchs im Kollektiv zu erziehen und allmählich in das ökonomische und gesellschaftliche Leben der Dorfgemeinschaft einzugliedern. Die damit verbundene Altersgruppenorganisation schuf die Grundlage f ü r die Wehreinheiten der Dorfgemeinschaft und zugleich f ü r bestimmte Formen der Arbeitsorganisation innerhalb der Khelgemeinschaften. Als Folge der Errichtung der Kolonialherrschaft und der gewaltsamen Befriedung des Landes durch die Engländer zerfielen die traditionellen Wehreinrichtungen. Das f ü h r t e bei einigen Stämmen, so bei den Konyak, Lhota, Ao und Rengma Naga, zu einer Umfunktionierung, bei den Chang, Sangtam, Sema und Angami Naga dagegen zur völligen Aufgabe der Morung-Institution, wobei bestimmte Funktionen auf andere Einrichtungen übergingen. Ende des 19./Anfang des 20. Jhs. beruhte die Verwandtschaftsorganisation der Naga-Gesellschaft auf patrilinearen Verwandtschaftsgruppen. Die Zugehörigkeit zu einem dieser Clans war gewöhnlich durch die Geburt bestimmt, konnte aber auch auf Adoption oder einer Art Willenserklärung begründet sein. H a t t e n sich aus einem anderen Dorf zugewanderte Familien oder Ehepaare in einem Khel niedergelassen, in dessen Gemeinschaft sie von n u n ab lebten und wirkten, und waren sie damit zu gleichberechtigten Mitgliedern der Dorfgemeinschaft geworden, so war aber ihre Eingliederung in das Verwandtschaftssystem des betreffenden Gemeinwesens noch nicht vollzogen. Das Oberhaupt der zugezogenen Familie schloß sich einem der im Khel vertretenen Clans — mit Zustimmung der betreffenden Clangenossen — an. Seine Zugehörigkeit zu diesem Clan, der nicht mit seinem Geburtsclan korrespondierte, beruhte also gewissermaßen auf einer Willenserklärung; die Zugehörigkeit seiner Kinder zum gleichen Clan war dagegen wiederum durch Geburt vermittelt. E i n Mann, dessen Clanzugehörigkeit auf Willenserklärung oder Adoption beruhte, war grundsätzlich den gebürtigen Clangenossen gleichberechtigt, ohne als blutsverwandt zu gelten. Daraus ergab sich, daß die positiven Äußerungen der Clanzugehörigkeit, wie gegenseitige Hilfe, Solidarität und moralischer Beis t a n d , ihn grundsätzlich in gleicher Weise wie alle anderen Angehörigen des ceans b e r ü h r t e n ; im Unterschied zu den gebürtigen Clangenossen war er jedoch nicht gezwungen, das strikte Exogamiegebot einzuhalten. Auf Grund des exogamen Charakters der Clans waren die Beziehungen zwischen ihnen in erster
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W E R N E R HARTWIG
Linie Heiratsbeziehungen. Galten mehrere Clans als miteinander verwandt, so stellten sie gewöhnlich größere exogame Einheiten 2. oder gar 3. Grades dar. Als oberstes Heiratsregulativ fungierte jedoch stets die E x o g a m i e der Grundeinheiten der Verwandtschaftsstruktur, die E x o g a m i e der Clans. Wie wir sehen, stellte die Gesellschaftsstruktur der N a g a i m untersuchten Zeitraum des 19. und des beginnenden 20. Jhs. ein noch ziemlich komplexes S y s t e m gesellschaftlicher Beziehungen dar; als deutlich ausgebildet erwiesen sich nur die zwei, auf territorialem bzw. verwandtschaftlichem Organisationsprinzip beruhenden Teilstrukturen. Dorfgemeinschaften und Clans als die Elemente, aus denen sich das eine u n d das andere Teilsystem der Naga-Gesellschaft zusammensetzte, waren eng miteinander verbunden, und zwar in der Weise, daß i n jeder territorial b e s t i m m t e n Grundeinheit stets mehrere — mindestens aber zwei — Clans existierten, während andererseits eine verwandtschaftlich determinierte Grundeinheit stets nur innerhalb einer Dorfgemeinschaft voll wirksam wurde. 1 4 Trotz der Tatsache der Existenz dieser beiden unterschiedlichen Struk14
Einwirkungen v o n außerhalb u n d innerhalb dieses Gesamtsystems gesellschaftlicher Beziehungen (vgl. EICHHORN/KLAUS/KRÖBER, 1967, S. 227), d. h. historisch konkrete Ereignisse, die — wie z. B. die Zuwanderung v o n Familien oder Ehep a a r e n aus a n d e r e n Dörfern bei den K o n y a k u n d den A n g a m i (vgl. HARTWIG, 1970, S. 183) oder die f ü r die Periode der territorialökonomisehen Erschließung des Landes bei allen S t ä m m e n charakteristische Gründung neuer Dorfgemeinschaften (s. HARTWIG, 1970, S. 194) — sowohl zu q u a n t i t a t i v e n als auch gewissen, in Grenzen vor sich gehenden qualitativen Veränderungen in den einzelnen Elem e n t e n des Gesamtsystems u n d der beiden existierenden Teilsysteme sowie in den Beziehungen der E l e m e n t e zueinander innerhalb des betreffenden Teilsystems f ü h r e n , werden durch die d e m System eigenen Regelmechanismen in einer Weise kompensiert, daß das Gesamtsystem seinen systemeigenen Zustand, seine qualit a t i v e Determiniertheit, aufrechterhalten k a n n (vgl. EICHHORN/KRÖBER, 1967, S. 381). Als eine solche, die u n t e r b e s t i m m t e n historischen Bedingungen auft r e t e n d e n Einwirkungen kompensierende Bückkopplung, als einen dem Ü b e r b a u der Gesellschaft zugehörenden „Regler", dessen F u n k t i o n d a r i n b e s t e h t , die gegebene gesellschaftliche S t r u k t u r aufrechtzuerhalten, ist das von allen N a g a - S t ä m m e n belegte Exogamiegebot anzusehen. Sein Wirken in der Periode der territorialökonomischen Erschließung des Landes verleiht der in diesem Zeitraum vor sich gehenden E n t w i c k l u n g des Gesamtsystems der gesellschaftlichen Beziehungen den Charakter eines — systemtheoretisch gesehen — ergodischen Prozesses, „in dem Entwicklungsstörungen m i t der Zeit ü b e r w u n d e n werden" (vgl. LANGE, 1966, S. 74f.) u n d w ä h r e n d dessen Dauer die gegebene, historisch bedingte Gesellschafts s t r u k t u r a u f r e c h t e r h a l t e n bleibt. Die daraus resultierende Stabilität des Gesamtsystems der gesellschaftlichen Beziehungen, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die E l e m e n t e der beiden Teilsysteme durch die Beherrschung der politischen I n s t i t u t i o n e n der territorial determinierten Dorfgemeinschaften seitens der Clans, der Grundeinheiten der Verwandtschaftsorganisation, aufs engste miteinander v e r b u n d e n waren, ist keinesfalls absolut (vgl. hierzu: ALBRECHT, 1968, S. 495); innerhalb der einzelnen Teilsysteme, insbesondere in der im R a h m e n der Territorialorganisation sich realisierenden ökonomischen S t r u k t u r , vollziehen sich
Probleme der Geschichte u n d Gegenwart der N a g a
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turformen in den gesellschaftlichen Beziehungen, die von den namhaftesten Erforschern der Naga-Gesellschaft, wie HUTTOJST, M I L L S , Y . F Ü R E R - H A I M E N D O R F und K A U F F M A N N , stets betont wurde, glaubt C. L É V I - S T R A U S S , der führende Vertreter des kategorischen Strukturalismus 15 in der Ethnographie 16 , sich ausdrücklich auf die Klassiker der materialistischen Geschichtsbetrachtung berufen zu dürfen, wenn er schreibt : „Es ist eine bei Marx und Engels häufig ausgedrückte Idee, daß die primitiven oder für primitiv gehaltenen Gesellschaften durch Blutsbande beherrscht werden (was wir heute Verwandtschaftsstrukturen nennen) und nicht durch Produktionsbeziehungen." 17 Da die Mitglieder einer Dorf- und selbst einer Khelgemeinschaft niemals nur einem einzigen Clan angehörten, waren die Beziehungen, in die sie innerhalb der materiellen Produktion traten, weder identisch noch liefen sie parallel mit den anderen, unilinearen Verwandtschaftsbeziehungen ; folglich war ein jedes dieser Naga-Gemeinwesen im Innern nicht nur durch enge Blutsbande, sondern vor allem durch die gemeinsamen territorialökonomischen, politischen und zeremonialen Interessen aller seiner Mitglieder fest zusammengefügt. Die materielle Basis aller dieser gesellschaftlichen Beziehungen war die gleiche, gemeinsame Stellung der Mitglieder der auf territorialem Strukturprinzip beruhenden Dorfgemeinschaft zum Hauptproduktionsmittel Grund und Boden. Die wesentlichen, bestimmenden gesellschaftlichen Beziehungen waren also auch in dieser noch nicht in antagonistische Klassen gespaltenen Stammesgesellschaft die Produktionsverhältnisse.
15 10
kontinuierlich Veränderungen (s. H A R T W I G , 1970, S. 214ff.), die zu inneren, letztlich die E n t w i c k l u n g des Gesamtsystems vorantreibenden Widersprüchen f ü h r e n u n d die Stabilität des gegebenen Systems immer mehr beeinträchtigen. I m konkreten Fall der Naga-Gesellschaft des ausgehenden 19. u n d des beginnenden 20. J a h r h u n d e r t s b e s t a n d der H a u p t w i d e r s p r u c h darin, daß die grundlegenden, ökonomischen Beziehungen die Mitglieder eines jeden Gemeinwesens n a c h territorialem Organisationsprinzip miteinander verbanden, während die politischen I n stitutionen dieser territorial determinierten Gemeinwesen jedoch in der Regel noch immer von den Grundeinheiten der V e r w a n d t s c h a f t s s t r u k t u r , den Clans, beherrscht wurden. Mit der Ü b e r w i n d u n g dieses Widerspruchs in den Gemeinwesen der Angami, der Manipur-Naga, der E a s t e r n R e n g m a u n d der L h o t a entwickelten sich neue gesellschaftliche Beziehungen, wodurch die traditionelle Art u n d Weise der V e r b i n d u n g der beiden Teilsysteme der Naga-Gesellschaft, die Art der Abhängigkeit, in der sich die Teilsysteme zueinander befinden (vgl. E I C H H O R N / K R Ö B E B , 1967, S. 380), durch eine neue ersetzt wurde. I n gleichem Maße, wie sich die neue S t r u k t u r durchsetzte, b ü ß t e das Exogamiegebot seine bisherige, das Gesamtsystem der gesellschaftlichen Beziehungen regelnde F u n k t i o n — seine engere F u n k t i o n als Heiratsregulativ blieb davon unbetroffen! — immer mehr ein. Siehe K R Ö B E R , 1 9 6 8 . K U R E L L A , 1968, S. 3. K R Ö B E R (1968) schließt Lévi-Strauss völlig zu Unrecht aus d e m Kreis der p r o m i n e n t e n Vertreter des kategorischen Strukturalismus a u s (s. L É V I - S T R A U S S , 1 9 6 7 , S.
331).
17
LÉVI-STRAUSS,
4
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
1967, S. 3 6 3 ; s. a . LÉVI-STRAUSS,
1968, p p .
335.
50
WEBNER HARTWIG
Diese Tatsache steht auf gar keinen Fall etwa in einem Widerspruch zu den bekannten Peststellungen von M A B X und E N G E L S 1 8 , daß die Urgemeinschaftsordnung die „durch enge Blutsbande beherrschte", auf „Geschlechtsverbänden beruhende Gesellschaftsordnung" ist. Als ein Widerspruch müssen sie einem allerdings erscheinen, wenn man, wie L É V I - S T B A U S S , voraussetzt, die Gesellschaft bestünde „aus Individuen und Gruppen, die miteinander im Tauschverkehr stehen", der „auf mindestens drei Ebenen" als „Austausch von Frauen, Austausch von Gütern und Dienstleistungen und Austausch von Mitteilungen vor sich geht" 19 und damit den von M A B X wissenschaftlich begründeten Systemcharakter der menschlichen Gesellschaft, d. h. die Tatsache, daß die „Gesellschaft nicht aus Individuen besteht, sondern die Summe der Beziehungen, Verhältnisse ausdrückt, worin diese Individuen zueinander stehen" 20, und daß unter allen diesen Beziehungen die Produktionsverhältnisse die bestimmende Rolle spielen 21 , oifennegiert. Da der „Ethnologe" L É V I - S T B A U S S zum Zielseiner „Strukturanalysen" die „unbewußten Elemente des sozialen Lebens", die „Struktur, die den Beziehungen im voraus gegeben ist", macht 2 2 und damit „in undialektischer Weise die Untersuchung der Systemstrukturen vereinseitigt, indem er sie aus ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit und der historischen Entwicklung herauslöst" 2 3 , dürfte es ihm kaum möglich sein, weder die Gesamtstruktur einer Gesellschaft zu analysieren noch nachzuweisen, daß eben diese Struktur Ergebnis eines Prozesses ist, und daß dieser Struktur Triebkräfte immanent sind, die sie eines Tages beseitigen und zu einer entwickelteren Form umgestalten werden.2'* Die Gesellschaftsstruktur der Naga des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jhs. war historisch in der Periode der territorialökonomischen Erschließung des Landes verwurzelt; sowohl die beiden Grundeinheiten der beiden Teilsysteme als auch die engen Beziehungen zwischen ihnen hatten ihren gemeinsamen Ausgangspunkt in der in jener Zeit erfolgten Gründung der dörflichen Gemeinwesèn. Die Konstituierung neuer Dorfgemeinschaften vollzog sich stets auf der Grundlage der in den Mutterdörfern existierenden Strukturprinzipien. Der Spezifik der Verwandtschaftsstruktur der Naga entsprechend, mußten die Oberhäupter der verschiedenen dorfgründenden Familien unterschiedlicher Clanzugehörigkeit sein. 25 Sie wurden in der Regel zu Begründern patrilinearer 's E N G E L S , 1 8 9 2 / X X I - 1 9 6 2 ,
S. 2 8 ; MARX, 1 8 8 1 / X I X - 1 9 6 2 ,
S. 3 9 9 .
1967, S . 3 2 1 . L É V I - S T R A U S S geht hier im Grunde auf P B O U D H O N (1847, I, S. 33f.) zurück, dessen idealistische und metaphysische Methode K . M A R X 1847 bereits in „Das Elend der Philosophie" ( M A R X , 1 8 8 5 / I V - 1 9 5 9 , S . 67ff., S . 130) kritisierte (s. hierzu a. : P A L E R M , 1969, p. 3 3 - 3 4 ) . 21 20 M A R X , 1953, S. 176. M A R X , 1 8 9 4 / X X V - 1 9 6 4 , S. 799f. 22 Vgl. L É V I - S T R A U S S , 1967, 12., S . 38 und S . 331. Zu den philosophischen Grundlagen dieser Konzeption s. K R Ö B E R , 1968, S . 1318; L A N G E 1966, S . 1. 19
LÉVI-STRAUSS,
23 H A G E R , 1 9 6 9 , S . 5 5 . 25
2/, S I E H E M A R X , 1 8 5 9 / X I I I - 1 9 6 1 ,
S. 8 f .
Diese gesellschaftliche Erscheinung war Folge der strikten Beachtung des E x o gamiegebots resp. — systemtheoretisch gesehen — Ausdruck des systemerhaltenden Wirkens der als ein „Regler" fungierenden E x o g a m i e (s. Anm. 14).
P r o b l e m e der Geschichte u n d Gegenwart der N a g a
51
Abstammungslinien, deren allmähliche Verselbständigung innerhalb der betreffenden Dorfgemeinschaft, ihre Formierung zu selbständigen Clans, wesentlich zur Konsolidierung des neuen Gemeinwesensbeitrug, ja geradezu notwendig war. Betrachtet man die Verwandtschaftsstruktur eines Stammes — gleichsam als eine Art „Stammbaum" — herausgelöst aus dem Gesamtsystem der gesellschaftlichen Beziehungen und ihrer konkreten historischen Entwicklung, so scheint ihr in jedem Fall eine „Tendenz zur Aufsplitterung" 2(5 immanent zu sein. I n Wirklichkeit verbirgt sich dahinter im Grunde das mehr oder minder bewußte Bemühen 2 7 der betreffenden Menschengemeinschaft, den im Laufe mehrerer Generationen durch natürliche, durch innere oder auch äußere Ursachen eingetretenen Veränderungen in den territorialen Einheiten und im Btestand der bisherigen Grundeinheiten der Verwandtschaftsorganisation Rechnung zu tragen, indem sie allmählich neue Grundeinheiten formiert, um damit das gegebene Teilsystem in sich und im gesellschaftlichen Gesamtsystem funktionstüchtig zu erhalten. 28 Wesentlich bei diesem Prozeß ist jedoch, daß die Formierung auf der Basis des traditionellen, historisch bedingten Strukturprinzips und gewöhnlich im Rahmen bisheriger Sub-Einheiten erfolgt. Wiederholt ist bisher von „Stämmen" der Naga, auch von „Stammesgesellschaft" und „Stammesstruktur" die Rede gewesen. Betrachtet man einen Stamm als eine ethnische Gemeinschaft, so hat man gewöhnlich eine Gruppe von Menschen im Auge, die einen gemeinsamen Dialekt oder zumindest verwandte Dialekte sprechen, gemeinsam über ein bestimmtes Territorium verfügen und sich in Clans gliedern. 29 Doch auch eine ethnische Gemeinschaft muß 26 S C H M I T Z , 1 9 6 4 , S . 4 1 27
28
20
4»
Siehe H A R T W I G , 1 9 7 0 , S. 183ff. u n d S. 195f. D a s B e m ü h e n , a k t i v in die Gestalt u n g der gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen, h ä n g t direkt ab v o m Grad der E r k e n n t n i s der gegebenen gesellschaftlichen Z u s a m m e n h ä n g e . E r s e t z t m a n die dialektische Analyse der lebendigen, widerspruchsvollen gesellschaftlichen Prozesse — in diesem Falle: der E n t w i c k l u n g der v e r w a n d t s c h a f t lichen Beziehungen — durch die H e r a u s a r b e i t u n g einer „den (gesellschaftlichen, W H ) Beziehungen im voraus gegebenen S t r u k t u r " ( L É V I - S T R A U S S , 1967, S . 331), so vermischt m a n die real existierenden gesellschaftlichen Beziehungen m i t der Widerspiegelung dieser Beziehungen in den ideologischen Anschauungen der b e t r e f f e n d e n Gemeinschaft (s. H T J T T O N , 1921, p p . 116—117 u n d L B V I - S T B A T J S S , 1968, p. 330) u n d vermag weder das spezifische, soziale Wesen der gesellschaftlichen Prozesse, die komplizierten Z u s a m m e n h ä n g e zwischen der Basis u n d dem Ü b e r b a u (vgl. H A G B E , 1969, S. 48) noch die gesellschaftliche A k t i v i t ä t b e s t i m m t e r sozialer Gruppen oder b e s t i m m t e r I n d i v i d u e n in einer gegebenen Gesellschaft richtig zu erfassen (s. L É V I - S T R A U S S , 1967, S. 36f., S. 79). H O D S O N , 1922, p. 78; mündliche Mitteilung von H e r r n Prof. Dr. S. A. T O K A E E W , Moskau, v o m 27. 3. 1969. Speziell z u m Sprachproblem u n t e r den N a g a teilte H e r r Prof. Dr. H . - E . K A U F F M A N N , München, in einem persönlichen Schreiben v o m 7. 5. 1969 freundlicherweise m i t : „Die L e u t e (haben) eine große Leichtigkeit, a n d e r e Dialekte aufzuschnappen. I c h traf Leute, die mindestens 4 , S t a m mes'-Sprachen ohne weiteres h a n d h a b t e n . "
52
WERNER HARTWIG
im Sinne der allgemeinen Systemtheorie als eine Struktur- und Entwicklungsform des gesellschaftlichen Lebens angesehen werden. 30 Der sich allgemein über zwei bis drei Jahrhunderte erstreckende Prozeß der territorialökonomischen Erschließung des Landes durch kolonisierende NagaGruppen hatte nicht nur ein Eindringen in ökonomisch bisher kaum oder nur wenig benutzte Gebiete der Patkoi- und Barail-Berge bewirkt, sondern auch im Ergebnis sowohl der kriegerischen als auch der mehr friedlichen Methoden der Kolonisierung zu ethnischen Verschiebungen, zur Zerreißung ehemals einheitlicher Stammesterritorien (Rengma, Sangtam) oder zur Formierung neuer ethnischer Gemeinschaften (Chang) geführt. Kam es dabei auch zu gegenseitigen Beeinflussungen auf den Gebieten der Sprache, der Lebensweise und der Kultur der verschiedenen Gemeinwesen, so bildeten sich neue Dorfgemeinschaften in dieser historischen Periode doch stets auf der Grundlage der in den Mutterdörfern existierenden Strukturprinzipien. Solange die sich relativ langsam entwickelnden Produktivkräfte noch nicht zu einer qualitativen Veränderung der die gesellschaftliche Gesamtstruktur bestimmenden Produktionsverhältnisse — ja nicht einmal zu ersten Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung — geführt hatten, konnten sich, wie M A R X sagt, die auf einem solchen „einfachen produktiven Organismus" beruhenden „selbstgenügenden Gemeinwesen . . . beständig in derselben Form reproduzieren" 31 . Wie wir sahen, war aber dieser „einfache produktive Organismus", waren die Produktionsverhältnisse in allen Gemeinwesen der Naga — ganz gleich, ob es sich um jhum- oder panikhettreibende Dorfgemeinschaften handelte, oder ob sie unterschiedlichen Stämmen angehörten — grundsätzlich gleichen Charakters. Das Teilsystem der ökonomischen Struktur allein bietet folglich ebensowenig wie die als Teilsystem isoliert betrachtete Verwandtschaftsstruktur den Schlüssel für die Analyse der Stammesstruktur der Naga. Er liegt vielmehr in dem engen wechselseitigen Verhältnis der Teilstrukturen und ihrer Elemente innerhalb des gesellschaftlichen Gesamtsystems. I n diesem Zusammenhang müssen wir uns noch einmal kurz in die Periode der territorialökonomischen Erschließung des Naga-Landes zurückbegeben. Die neuen dörflichen Gemeinwesen, die damals entstanden, entwickelten sieh nach ihrer Konstituierung erst allmählich zu selbständigen — in Khelgemeinschaften untergliederte — Grundeinheiten der Territorialstruktur der einzelnen 3° Vgl. EICHHORN/KLAUS/KRÖBER, 1967, S. 257. Fragen ethnischer Gemeinschaften als historische Typen der menschlichen Gesellschaft behandelt auch SATYBALOV (1968). Mit „The Problem of Tribe", „The Problem of Tribe as a Stage in Political Evolution" und „The Problem of Tribe in Contemporary Sociopolitical Contexts" befaßten sich 1967 die Teilnehmer eines Symposions in San Francisco, auf dem M. H. FRIED (1968) das Hauptreferat „On the Concepts of 'Tribe' and 'Tribal Society'" hielt. Dabei ging er insbesondere auf die beiden Hauptaspekte, der Stamm als ethnische Einheit und der Stamm als politische Organisationsform ein. 31
MARX, 1 8 9 0 / X X I I I - 1 9 6 2 , S. 3 7 9 .
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Stämme. Doch, bereits unmittelbar vom Zeitpunkt der Gründung des Dorfes an waren die auf verwandtschaftlichem Prinzip beruhenden Struktureinheiten — unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke — voll funktionsfähig ausgebildet. Die Repräsentanten eben dieser Einheiten standen in der Zeit der endgültigen Konsolidierung der jungen Dorfgemeinschaft dem politischen Vorsteher derselben beratend zur Seite. I n der Folgezeit kam es überall zur Ausbildung des erblichen Status der Clananführer, der in der Regel mit dem Platz der ursprünglichen Heimstatt des betreffenden Clans, jenem Hausgrund, auf dem bei der Gründung des Dorfes der Vorfahre des Clans sein Wohngebäude errichtete, verbunden war. Auch zu Beginn unseres Jahrhunderts fungierten bei der Mehrzahl der Stämme noch diese Anführer der im Dorf vertretenen Clans als Mitglieder der Dorfräte, waren die politischenInstitutionen,resp. Verhältnisse — um mit MARX und ENGELS zu sprechen — „noch durch enge Blutsbande beherrscht". Bei den Thendu Konyak und den A o waren diese politischen Verhältnisse in ihren Formen so sehr erstarrt, daß sie gewissermaßen gentilen Fesseln gleichkamen. Die historische Bedingtheit der im untersuchten Zeitraum existierenden Strukturen der beiden Teilsysteme begründete letztlich ihren inneren Zusammenhang im Rahmen des jeweiligen Stammes. I n der A r t und Weise, wie die Elemente des einen mit denen des anderen Teilsystems gekoppelt waren, und insbesondere wie, aufweiche Weise die politischen Institutionen der territorialen Grundeinheiten noch mit der Verwandtschaftsorganisation verflochten waren, darin manifestierte sich die Stammesstruktur der einzelnen ethnischen Gemeinschaften der Naga. 32 I m Stamm als einer historisch bedingten, konkreten Strukturform gesellschaftlichen Lebens vollzog sich gesetzmäßig, auf der Grundlage der ständigen Weiterentwicklung der Produktivkräfte, die allmähliche Veränderung der gegebenen gesellschaftlichen Beziehungen. I n den dörflichen Gemeinwesen der Angami, Manipur-Naga, Eastern Rengma, und Lhota war bis zum Beginn des 20. Jhs. der Einfluß der Verwandtschaftsorganisatiön auf die Institutionen politischen Charakters immer mehr eliminiert worden. I n ihnen saßen vielmehr die sozial angesehensten Männer des Dorfes, die ihr soziales Prestige mittels des zu einem regelrechten System entwickelten Verdienstfestwesens — der Hauptform der gesellschaftlichen Verwertung des individuell erzeugten und privat angeeigneten land- und viehwirtschaftlichen Mehrprodukts — aufgebaut hatten. A u f der Grundlage des Gemeineigentums am Grund und Boden, der parzellierten Bewirtschaftung desselben und der privaten Aneignung der individuell erzeugten Produkte war dieser Prozeß der Befreiung der politischen Institutionen der Dorfgemeinschaft von den engen Banden der Blutsverwandtschaft in den verschiedenen Gemeinwesen der Naga mehr oder minder weit ?'2
HUTTON (1921a, p. 121) schreibt von den Sema: „The villages which they inhabit are organised on a pattern generally prevalent throughout the tribe", betont aber zugleich in einer auf alle anderen Naga-Stämme ebenfalls zutreffenden Feststellung: „. . . the tribe itself is not an organized Community at all."
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WERNER HARTWIG
fortgeschritten. H a t t e n sie sich endgültig v o n diesen gentilen Fesseln befreit, so verkörperten sie Ackerbaugemeinden, die einerseits noch der klassenlosen Urgemeinschaftsordnung verhaftet waren, andererseits aber auf Grund des ihnen i m m a n e n t e n Dualismus bereits an der Schwelle zur frühen Klassengesellschaft standen. 3 3 Die Errichtung der britischen Kolonialherrschaft am E n d e des 19. Jhs. setzte dieser dynamischen Entwicklung der traditionellen Wirtschaft u n d Gesellschaft der N a g a ein Ende. 3 4 Die A u f n a h m e v o n Lohnarbeiten und das Eindringen v o n Geld i n das Wirtschaftsleben der N a g a wirkte stimulierend auf die vorhandenen Anfänge der Warenproduktion, und mit der Entwicklung der Ware-GeldBeziehungen begann der Niedergang der bisherigen Naturalwirtschaft. I n einigen Gemeinwesen zeigten sich Mitte der dreißiger Jahre bereits erste kapitalistische E l e m e n t e i m Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, u n d auch 33
F ü r dieses S t a d i u m der sozialökonomischen Entwicklung a m Übergang von der Vorklassen- zur f r ü h e n Klassengesellschaft war charakteristisch, daß die Dorfgemeinschaften, aus denen sich die Bevölkerung des jeweiligen S t a m m e s zusammensetzte, ökonomisch selbstgenügsam u n d politisch selbständig waren. F ü r die E n t wicklung größerer, über die Dorfgemeinschaften hinausreichender Gemeinwesen fehlten u n t e r diesen Bedingungen sowohl die ökonomischen als auch die politischen Voraussetzungen. I n den dreißiger J a h r e n des vorigen J a h r h u n d e r t s war es im Gebiet v o n Togwema vorübergehend zu gemeinsamen militärischen Aktion e n einiger Angami-Dörfer gegen britische Kolonialtruppen gekommen (s. SHAKESPEAR, 1914, p. 214); über eventuelle, daraus resultierende Ansätze eines organisatorischen Zusammenschlusses der betreffenden Dorfgemeinschaften zu einer größeren politischen E i n h e i t wird in den aus dieser Zeit s t a m m e n d e n Quellen nichts berichtet. Die Bevölkerung eines Stammes, die ein gemeinsames, genau begrenztes Territ o r i u m bewohnte, war in jener Epoche durch die folgenden Gemeinsamkeiten zu einer besonderen historischen S t r u k t u r - u n d Entwicklungsform des gesellschaftlichen Lebens, einer besonderen ethnischen Einheit, zusammengewachsen: durch einen gemeinsamen Dialekt (resp. durch v e r w a n d t e Dialekte), durch die Vorstellung, von zwei oder m e h r e r e n B r ü d e r n a b z u s t a m m e n (worauf sich ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl u n d die gemeinsame Stammesbezeichnung — s. HUTTON, 1921,pp. 388—389 —begründeten), durch die Gemeinsamkeit der K u l t u r , der Sitten u n d Gebräuche sowie der historischen E n t w i c k l u n g u n d n i c h t zuletzt durch die in allen zum gleichen S t a m m gehörenden Dorfgemeinschaften gleiche A r t u n d Weise der engen, historisch b e d i n g t e n V e r k n ü p f u n g der politischen Instit u t i o n e n m i t den Grundeinheiten der Verwandtschaftsorganisation (mit a n d e r e n W o r t e n : durch die einheitliche S t r u k t u r i e r t h e i t des Stammes).
34
Eine, wie KAUFFMANN (1939 a, S. 21) schreibt, „aus eigenem A n t r i e b auf eine machtpolitische U m g e s t a l t u n g hinaus (laufende Entwicklung), nämlich von der politischen Einheit der Dorfgemeinde zur Einheit eines aus mehreren (nicht weniger als 55, W H ) Dörfern bestehenden, doch v o m s t ä r k s t e n Dorf (dem Sema-Dorf Seromi, W H ) beherrschten kleinräumigen Territoriums", wurde in den zwanziger J a h r e n unseres J a h r h u n d e r t s von den britischen Kolonialbehörden u n t e r b u n d e n (vgl. h i e r z u : HARTWIG, 1970, S. 120).
Probleme der Geschichte und Gegenwart der Naga
55
im politischen Leben tauchten mit den einheimischen Regierungsberatern 3 5 gänzlich neue, nicht mehr an die alten Gemeinwesen gebundene Institutionen auf. Ohne Kenntnis aller dieser, bereits der Vergangenheit angehörenden Erscheinungen und Veränderungen müssen uns die aktuellen Prozesse der in den antiimperialistischen Befreiungskampf einmündenden ethnischen bzw. nationalen Konsolidierung der verschiedenen Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu einem großen Teil unverständlich bleiben. Im konkreten Falle der Naga läßt sich zusammenfassend feststellen: Grundlage und wesentliche Triebkraft bei der Erringung der nationalstaatlichen Selbständigkeit der Naga innerhalb der Indischen Union war neben der gemeinsamen historischen Entwicklung vor allem der gemeinsame politische, antijapanisch-antiimperialistische Kampf seit den Jahren des zweiten Weltkrieges. Das in diesem Kampf entwickelte Bewußtsein, nicht Nso sehr Angami, Sema oder Chang, sondern in erster Linie Naga zu sein 36 , ist für die weitere Konsolidierung dieses kleinen Volkes ebenso von Bedeutung wie die Notwendigkeit, auf der Grundlage der im Prinzip gleichen ökonomischen und der gleichen Stammesstruktur die gemeinsame, einheitliche Wirtschaft zu entwickeln, oder auf der Grundlage eines oder mehrerer lokaler Dialekte eine allen gemeinsame Schriftsprache zu schaffen.
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30
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RAJESWARA
Zur Institution des obersten Bewässerungsbeamten in Buleleng (Nord-Bali) v o n H E I N Z STINGL,
Leipzig
Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die „direkte Verwaltung" der noch relativ unabhängigen balinesischen Fürstentümer von Seiten der holländischen Kolonialregierung angestrebt wurde, begann gleichzeitig die wissenschaftliche Erforschung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf Bali. Aus der Vielzahl der sozialen Gruppierungen in dem Fürstentum Buleleng zogen nach der Errichtung der „direkten Verwaltung" im Jahre 1882 vor allem zwei Organisationsformen, die für das gesellschaftliche Leben von außerordentlich großer Bedeutung waren und es auch gegenwärtig noch sind, das Interesse der holländischen Kolonialbeamten auf sich. Es waren dies einmal die Bewässerungsg e m e i n s c h a f t e n , d i e „sekaha
subak's"
u n d z u m a n d e r e n d i e „sekaha
desa"
oder
Dorfgemeinschaften, welche die ökonomische und soziale Grundlage des von einer despotischen Fürstendynastie mit Hilfe einer aristokratischen Beamtenu n d Priesterschaft regierten Kleinstaates bildeten. Die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden europäischen Quellen über Buleleng belegen deutlich, daß neben der politisch-administrativen Verwaltung für die Dorfgemeinschaften ein separates Verwaltungssystem für die Bewässerungsgemeinschaften bestand i , dessen gewählte oder eingesetzte Beamte nicht nur die Irrigation und die dafür erforderlichen Arbeiten kollektiven Charakters organisierten, anleiteten und überwachten, sondern auch die Steuern und Abgaben «innahmen und verwalteten und in einem beschränkten Umfang die Gerichtsbarkeit über die ihnen unterstellten Personen ausübten. Während jedoch über die Organisation der Bewässerungsgemeinschaften auf Bali zahlreiche Publikationen vorliegen, fehlen zusammenfassende Untersuchungen zur Funktion der einzelnen mit den soeben angeführten Aufgaben betrauten Bewässerungsbeamten bis heute noch immer. Die folgenden Ausführungen zur Funktion des obersten Bewässerungsbeamten, des „sedahan agung" oder Hawptsedahan, in dem ehemaligen Fürstentum Buleleng sollen die hier bestehende Lücke schließen helfen, zum anderen aber auch auf die Notwend igkeit der Untersuchung solcher traditioneller Institutionen hinweisen, die bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind. 2 I VAN BLOEMEN WAANDERS, LIEFRINCK,
1858,
S.
107, 110, 178;
1886, S. 1 0 4 2 ; 1927, S. 19, 25,
VAN ECK,
1879,
S.
296f., 3 0 2 ;
33.
1964, S. 1 0 4 ; GEERTZ, 1964, S. 20. Den Ausführungen von HILGERSzufolge ist d i e B e z e i c h n u n g ,,sedahan" e i n ä l t e r e r j a v a n i s c h e r T i t e l f ü r einen Würdenträger. H I L G E R S - H E S S E , 1965, S. 90.
- DEMIN, HESSE
60
H E I N Z STINGL
Wie in vielen anderen Gebieten Südostasiens ist auch auf Bali der Reisanbau auf bewässerten Feldern, den „sawah's", der wichtigste Produktionszweig und die Existenzgrundlage der überwiegenden Mehrheit der einheimischen Bevölkerung. 3 Der Irrigationsbodenbau ist die intensivste Form des Bodenbaus, die gegenüber dem Brandrodungsfeldbau oder dem Anbau von Reis auf unbewässerten Feldern bedeutende wirtschaftliche Vorteile aufweist/» Die kontinuierliche Nutzung und gleichmäßige Verteilung des oftmals nicht überall in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehenden Wassers und damit im Zusammenhang die Errichtung und Instandhaltung der dafür erforderlichen Irrigationsanlagen, wie Dämme, Deiche, Kanäle, Tunnel und Schleusen, bedingen aber auch bestimmte Formen der Arbeitsorganisation und der Verwaltung, die mit komplizierten Rechtsverhältnissen verbunden sind. Auf Bali existieren schon seit Jahrhunderten'Bewässerungsgemeinschaften 5 , die „sekaha subak's", deren Mitglieder für einen Komplex von bewässerten Reisfeldern, die von einem Fluß oder Wasserarm gemeinsam bewässert werden, ebenso verantwortlich sind wie für die Irrigation, Errichtung und Instandhaltung der dafür erforderlichen Anlagen. Die Größe eines in kollektiver Arbeit bewässerten „sawah"-Komplexes ist sehr unterschiedlich und richtet sich vor allem nach den Boden- und Wasserverhältnissen. So existieren Bewässerungsgemeinschaften, deren Mitglieder fast 1000 ha und andere, deren Mitglieder kaum 20 ha bearbeiten. 6 So ist es auch verständlich, daß der bewässerte „sawah"-Komplex einer Irrigationsgemeinschaft sowohl das Grundgebiet einer als auch mehrerer Dorfgemeinschaften, aber auch nur einen Teil des Grundgebietes einer oder mehrerer Dorfgemeinschaften umfassen konnte. Es existierten also die verschiedensten Möglichkeiten des Zusammenschlusses zu einer Bewässerungsgemeinschaft, die durch die Boden- und Wasserverhältnisse bedingt waren, wodurch die Mitglieder einer Dorfgemeinschaft oft in verschiedenen Irrigationsgemeinschaften ver3
Im Jahre 1930 waren noch 75% der einheimischen Bevölkerung in der Landwii'tschaft tätig. BALI, 1960, S. 9.
4
KUBITSCHECK, 1 9 6 3 , S . 9 2 f .
5
Die Irrigationsgemeinschaften auf Bali existierten wahrscheinlich bereits in prähinduistischer Zeit, denn: „Daß Irrigation erst mit den indischen Einflüssen in Indonesien bekannt geworden sei, erscheint nicht nur aus ihrer Verbreitung als äußerst unwahrscheinlich, sondern auch durch das mit ihr verbundene organisatorische System und die damit zusammenhängenden komplizierten Rechtsverh ä l t n i s s e ( L E U R 1 9 5 5 [ 1 9 3 9 ] : 2 5 4 ) . " Z i t i e r t a u s MARSCHALL, 1 9 6 8 , S . 2 3 0 .
Auch
die Bezeichnungen für die Irrigationsanlagen und für die Irrigationsgemeinschaft, die noch altbalinesischen Ursprungs sind, sprechen dafür. Die Existenz einer Irrigationsgemeinschaft läßt sich schriftlich erstmals in einer fürstlichen Verordnung aus dem Jahre 1022 u. Z. unter der Bezeichnung „kesuwakan" nachweisen, während eine andere Verordnung aus dem Jahre 896 u. Z. bereits die Existenz von Tunnelbauern, „undagi pengarung", anführt . B A L I , 1 9 6 0 , S. 1 0 — 1 1 ; D E M I N 1 9 6 4 , S . 1 0 2 ; GORIS 1 9 5 3 , S . 3 9 . « HILGERS-HESSE, 1965, S. 89.
Zur Institution des obersten Bewässerungsbeamten
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einigt wurden, die über den Rahmen der Dorfgemeinschaft hinausgingen. Hierin dürfte aber auch die Ursache zu suchen sein, weshalb die Irrigationsgemeinschaften eine eigene Verwaltung besaßen, die nicht mit der Verwaltung der Dorfgemeinschaften identisch war.7 Wie die Quellen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegen, waren die Irrigationsgemeinschaften in Buleleng noch stark demokratisch organisiert. Die Mitglieder einer Irrigationsgemeinschaft, welche als „krama subak's" bezeichnet wurden, wählten aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden, den „klian subak" oder Subakältesten, der die nach dem balinesischen Kalender monatlich einmal stattfindenden Mitgliederversammlungen einberief und leitete. Er führte auch die gemeinsame Kasse und das Verzeichnis der Mitglieder der Irrigationsgemeinschaft, bestehend aus einem Lontarblatt für jedes Mitglied, auf dem der Name des Reisfeldbesitzers oder des Reisfeldbearbeiters, die Größe seines Feldes sowie die dafür zu entrichtenden Abgaben und die geleisteten Arbeitstage eingetragen waren. Als Vorsitzende der Irrigationsgemeinschaft konnten nur solche Personen gewählt werden, die weder in der Dorfgemeinschaft noch in der Tempel-Verwaltung eine andere Funktion innehatten. Die hauptsächlichsten Aufgaben des Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaft bestanden darin, die Hauptwasserleitung zu kontrollieren, die Instandsetzungsarbeiten an den Irrigationsanlagen zu leiten und die gleichmäßige Verteilung des Wassers innerhalb der Grenzen des Grundgebietes seiner Irrigationsgemeinschaft zu regeln. Auch die zwischen den Mitgliedern der Irrigationsgemeinschaft entstehenden Streitigkeiten und Verstöße gegen die in den Subak ver Ordnungen festgelegten Bestimmungen und Verhaltensnormen behandelte er in erster Instanz. In der Ausübung seiner Funktion wurde der Vorsitzende der Irrigationsgemeinschaft noch durch einige Handlanger, die sogenannten „panglima", unterstützt, die die Reisfelder ständig beobachteten und dafür sorgten, daß niemand zuviel oder zuwenig Wasser erhielt, daß kein Vieh Zugang zu den „sawah's" hatte und der wachsende Reis und die Leitungen nicht beschädigt wurden. Schließlich wurden monatlich wechselnd einige Mitglieder zu „saja's" ernannt, die mit der Durchführung routinemäßiger Arbeiten, wie z. B. mit der Verrichtung von Botengängen, betraut wurden. War der „sairaA"-Komplex einer Irrigationsgemeinschaft zu groß, so wurde er noch in „tempek's" oder „bandjaran subak's" unterteilt. Diese kleineren administrativen Einheiten wurden einem „klian tempek" oder „klian bandjaran subak" unterstellt, der mit der Aufsicht über eine sekundäre Wasserleitung betraut war, die ihr Wasser aus der Hauptleitung erhielt. Seine Aufgaben waren ansonsten die gleichen wie die des Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaft, unter dessen Aufsicht er stand. Die zwischen dem „klian bandjaran subak" und den ihm unterstellten Bauern entstandenen Streitigkeiten behandelte der Vorsitzende der 7
„The irrigation society, or subak, regulates all matters having to do with the cultivation of wet rice and it is a wholly separate Organization from the bandjar. 'We have two sorts of custom', say the Balinese, ,dry customs for the hamlet, wet ones for the irrigation society'. G E E R T Z , 1 9 5 9 , S . 9 9 5 .
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Irrigationsgemeinschaft als Schiedsrichter zuerst und versuchte sie friedlich beizulegen. 8 Seine Funktion schloß auch die Einnahme der Boden- und Wassersteuer für den regierenden Fürsten ein. Ein wesentliches Prinzip der Irrigationsgemeinschaften, das auch in den Subakverordnungen niedergelegt war, bestand darin, daß hinsichtlich der auf den „sawah's" ruhenden Verpflichtungen alle Mitglieder der Irrigationsgemeinschaft, zu welcher Klasse oder welchem Stand der Gesellschaft sie auch gehören mochten, den gleichen Rechten und Pflichten unterworfen waren. 9 Alle Mitglieder der Irrigationsgemeinschaft, die innerhalb eines Komplexes von bewässerten Reisfeldern gemeinschaftlich die Interessen und Belange der Irrigation wahrnahmen, waren auf Grund des erhaltenen Wasseranteils verpflichtet, an den notwendigen kollektiven Arbeiten zur Errichtung und Instandhaltung der Irrigationsanlagen teilzunehmen. 10 Im Gegensatz zu den demokratisch gewählten Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften stand die Hierarchie der Bewässerungsbeamten, deren Einsetzung direkt oder indirekt vom regierenden Fürsten vorgenommen wurde. Unmittelbar über den Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften standen die „sedahan tembuku" oder „sedahan pundukan", welche die Aufsicht über mehrere Irrigationsgemeinschaften führten und vom Hauptsedahan ernannt wurden. Sie waren ihm direkt unterstellt und überbrachten seine Befehle und Anordnungen an die ihnen unterstellten Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften. Vor ihrer Ernennung konnte der Hauptsedahan das Einverständnis der Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften einholen, dies war jedoch mehr eine formale Angelegenheit und nicht entscheidend für den endgültigen Beschluß des Hauptsedahans. Zu den wichtigsten Aufgaben der „sedahan tembuku", welche von L I E F R I N C K meistens als „sedahan" oder „ondersedahan" bezeichnet werden, gehörte die Wahrnehmung aller gemeinsamen Belange der ihnen unterstellten Irrigationsgemeinschaften, welche sich auf die Unterhaltung und Instandsetzung des gemeinsamen Dammes (empalan), der Leitung (telabah) oder die Verteilung des Wassers bezogen. Unter ihrer Aufsicht erfolgte die Einsetzung der Schleusen (verdeelingsblokken, der tembuku oder tamuku), welche die anteilmäßige Verteilung des Wassers zwischen den unter ihrer Aufsicht stehenden Irrigationsgemeinschaften regelten und deren Lage ohne ihre Erlaubnis nicht verändert werden durfte. 1 1 Zuwiderhandlungen, die das Bewässerungssystem der ihnen unterstellten Irrigationsgemeinschaften störten oder die Interessen anderer Irrigationsgemeinschaften verletzten, zogen stets eine schwere finanzielle Be8 VAN BIOEMEN WAANBEBS,
1 8 5 8 , S . 1 7 9 - 1 8 0 ; LIEFBINCK,
1 8 8 6 , S . 1042FF; 1 9 2 7 ,
S . 19FF.; K O B N , 1 9 3 2 , S . 2 5 2 , 2 5 5 ; H I L G E B S - H E S S E , 1 9 6 5 , S. 9 0 . 9 LIEFRINCK, 1 9 2 7 , S . 5 1 10
LIEFBINCK, 1 9 2 7 , S . 3 7 - 3 8 ; K O B N , 1 9 3 2 , S . 2 5 7 .
11
„Deze proportioneele verdeeling heeft gewoonlijk plaats door middel v a n verdeelingsblokken, „tamoekoe" of „temboekoe" g e n a m d , waarover de onder-sedahans het toezicht uitoefenen en w a a r a a n zij h u n titel v a n Sedahan-temboekoe te d a n k e n h e b b e n . " Zitiert n a c h LIEFRINCK, 1887, S. 183; Siehe auch LIEFRINCK,. 1 9 2 7 , S. 9 2 , 9 5 .
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strafung der Täter nach sich. Eine weitere Aufgabe der „sedahan tembuku" bestand in der Einnahme der Steuern und Abgaben, wobei sie sich auf die Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften stützten, denen sie die diesbezüglichen Anordnungen des Hauptsedahan überbrachten. Zu ihrer Funktion gehörte schließlich auch noch die Untersuchung und Beilegung von Streitigkeiten sowohl zwischen verschiedenen Irrigationsgemeinschaften als auch zwischen Mitgliedern einer ihnen unterstellten Irrigationsgemeinschaft in zweiter Instanz. Schema der Organisation des Yerwaltungssystems für die Irrigation Regierender
Fürst
sedahan agung
sedahan
tembuku
sedahan tembuku
ktian subak
küan subak
Mian subak
ktian subak
ktian tempek
khan tempek
ktian tempek
ktion tempek
1
krama subak
1
krama
subak
krama
subak
krama
subak
Der oberste Bewässerungsbeamte in dem Fürstentum Buleleng, der „sedahan oder Hauptsedahan, war als „Majordomus" des regierenden Fürsten in letzter Instanz für alle die Irrigation und die Irrigationsgemeinschaften betreifenden Probleme und Angelegenheiten zuständig. Er war mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestattet, die sich über alle ihm unterstellten Personen erstreckten. In Buleleng galt er als eine der einflußreichsten und sozial angesehensten Persönlichkeiten, und seine Familie zählte zu den reichsten des ganzen Fürstentums. In den europäischen Quellen kommt bereits in den verschiedenen Bezeichnungen für den Hauptsedahan zum Ausdruck, daß seine Funktion auf das engste mit dem Irrigationsbodenbau sowie mit der Einnahme und Verwaltung der Steuern verbunden war. So bezeichnet ihn van Bloemen Waand e r s als „ontvanger generaal" und „administrateur of penjarikan", der Vereinigung der „sedahan's" oder der „sekaha sedahan", deren Vorsitzender er war. Von Liefkinck wird er wiederholt als „hoofd-sedahan", aber auch als „major domus" des Fürsten, „administrateur van het kroondomein", „hoofd van het sawah-bestuur", der „opperste der sawah-beambten" und als „ondercollecteur" erwähnt. Aber auch Bezeichnungen wie „minister van financien". „opperwateragung"
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beheerders", „grootwaterschapsheer", „Oberwassermeister" und „chief t a x collector" werden für den „sedahan agung" verwendet. 12 I n den anderen balinesischen Fürstentümern wurden jene Personen, die die gleiche Funktion innehatten wie der Hauptsedahan in Buleleng, oftmals mit einem anderen Titel bezeichnet. So hießen sie in Klungkung „klijang agung", in Bangli „mekel" oder „pambekel pakaseh" und in Badung und Mengwi „sedahan gede" oder „panjarikan gede".13 I n Buleleng wurde der Hauptsedahan von dem regierenden Fürsten ernannt, dem er auch direkt unterstellt war. Über seine Tätigkeit war er nur ihm Rechenschaft schuldig. Die Funktion des Hauptsedahan war deshalb sowohl auf Grund seiner unabhängigen Position als auch wegen der großen ökonomischen Vorteile, die mit der Einnahme und Verwaltung der Steuern verbunden waren, eine sehr begehrte Tätigkeit. 14 Nicht umsonst erwähnt V A N B L O E M E N W A A N D E R S , daß die meisten „sedahans agoeng", die er auf Bali kennenlernte, „welgestelde en veelal rijke personen sijn". 15 Da die soziale Stellung des einzelnen auf Bali sehr stark durch seine Kastenzugehörigkeit bestimmt wurde, erhebt sich die Frage, welche Personen für die Funktion des Hauptsedahan in Frage kamen. Dazu erwähnt lediglich K O R N , daß die Fürsten, die den „sedahan agung" einsetzten, Angehörige aus der Kaste der Brahmanen bevorzugten. 16 Es darf jedoch mit Sicherheit angenommen werden, daß für die Funktion des Hauptsedahan Angehörige aller drei Hauptkasten, der Brahmanen, Ksatria's und Wesija's, welche unter der Bezeichnung „triwangsa" zusammengefaßt wurden, in Betracht kamen, denn ebensowenig wie ein Angehöriger der drei Hauptkasten zum Vorsitzenden einer Irrigationsgemeinschaft oder einer Dorfgemeinschaft gewählt werden durfte 1 7 , dürfte ein Angehöriger aus der Kaste der Shudra's für das Amt des Hauptsedahan in Frage gekommen sein. Bei der Ausübung seiner administrativen und organisatorischen Tätigkeit wurde der Hauptsedahan durch die ihm unmittelbar unterstellten „sedahan tembuku" unterstützt, welche seine Anordnungen an die Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften weiterzuleiten hatten. Nach V A N B L O E M E N W A A N D E R S waren dem Hauptsedahan im Jahre 1856 vierzig „sedahan tembuku" unterstellt, welche die Aufsicht über 120 Irrigationsgemeinschaften führten. 1 8 Alle „sedahan tembuku" waren in der „sekaha sedahan", der Gemeinschaft oder Gesellschaft der „sedahan's", organisiert, deren Vorsitzender der Hauptsedahan war. Einmal im Monat (der balinesische Kalendermonat zählt 35 Tage) fand eine Zusammen12 V A N B L O E M E N W A A N D E R S , 1 8 5 8 , S . 1 1 0 , 1 7 8 , 2 2 8 ; L I E F R I N C K , 1 8 8 6 , S . 1 0 3 9 ,
1043,
1046-1047; 1887, S. 26, 380-381, 384; V A N E C K und L I E F R I N C K , 1875, S. 169; K O R N , 1932, S. 23, 2 3 4 - 2 3 5 ; H I L G E R S - H E S S E , 1965, S. 90; G E E R T Z , 1964, S. 20. « K O R N , 1 9 3 2 , S. 292. 15
«S K O R N , 1 9 3 2 , S . 1 4 1 . 18
«
VAN BIOEMEN WAANDERS,
LIEFRINCK, 1886, S.
1858, S. "
HILGERS-HESSE,
1965, S. 93.
Die Gesamtbevölkerung des Fürstentums von Buleleng schätzte V A N B L O E M E N W A A N D E R S 1 8 5 6 auf etwa 3 2 1 7 0 Einwohner, die sich über 123 Dörfer verteilten. Den genaueren Angaben von VAN ECK zufolge betrug die Bevölkerungszahl der 127 Dörfer von Buleleng 1873 etwa VAN BIOEMEN WAANDERS, 1858,
S.
1046.
172. 140, 178.
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kunft aller „sedahan tembuku" in Buleleng, der Residenz des Fürsten und dem Wohnsitz des Hauptsedahan, statt. Für alle „sedahan tembuku" war es Pflicht, an diesen Zusammenkünften teilzunehmen. Kamen sie dieser Verpflichtung nicht nach, so konnten sie von dem Hauptsedahan abgesetzt oder mit einer Geldstrafe von 200 „kepeng's" belegt werden. Auf diesen Versammlungen wurden unter der Leitung des Hauptsedahan alle Fragen und Probleme der Irrigation und der Irrigationsgemeinschaften gemeinsam beraten. Bei diesen Zusammenkünften der „sedahan tembuku" informierte sich der Hauptsedahan ausführlich über die in den einzelnen Irrigationsgebieten herrschenden Wasserverhältnisse, den Stand der Aussaat oder der Erntearbeiten sowie über den Zustand der Bewässerungsanlagen. Dadurch konnte er stets die der jeweiligen Situation entsprechenden Maßnahmen anordnen. Bei diesen Zusammenkünften wurde auch die Einnahme der Steuern und Abgaben geregelt. Als Vorsitzender der -„sekaha sedahan" führte der Hauptsedahan außerdem ein Verzeichnis für jeden „sedahan tembuku", in dem die von ihm zu entrichtenden Steuern und Abgaben schriftlich niedergelegt waren. Ebenso wurden alle seit der letzten Zusammenkunft entstandenen Delikte und Streitigkeiten zwischen verschiedenen Irrigationsgemeinschaften oder einzelnen Mitgliedern, die weder von den Vorsitzenden noch von den „sedahan tembuku" zu einer beide Parteien befriedigenden Lösung gebracht werden konnten, in Anwesenheit der betreffenden Parteien von dem Hauptsedahan endgültig beigelegt. 19 Das Urteil des Hauptsedahan war in der Regel rechtskräftig und endgültig, da er als die höchste gerichtliche Instanz der ihm unterstellten Personen galt, gegen dessen Entscheidung nur in seltenen und schwerwiegenden Fällen bei dem regierenden Fürsten Berufung eingelegt werden konnte. I m Zusammenhang mit der Gesellschaft der „sedahan", der „sekaha sedahan", ist es erforderlich, auf die von K O R N angeführten „klijang sedahan" einzugehen 20 , 67261 Einwohner, die .sich ihrer Kastenzugehörigkeit und ethnischen Herkunft nach folgendermaßen zusammensetzte: Brahmanen 886 Ksatria's 1205 Wesija's 2059 57866 Shudra's mohammed. Balinesen 2400 Chinesen 359 Araber 86 andere Fremde 2400. Die Volkszählung von 1930 ergab eine Bevölkerungszahl von 170 638, die sich bis 1954 auf 258726 Einwohner erhöhte. V A N BLOEMEN WAANDEKS, V A N BLOEMEN WAANDERS,
1 8 5 8 , S. 1 4 0 ; VAN ECK, 1 8 8 0 , S . 3 ; BALI, 1 9 6 0 , S. 6. 1858,
S. 110,
179,
228;
LIEFRINCK,
1886,
S. 1047,
1 0 5 3 , 1 0 5 5 ; 1 9 2 7 , S. 2 4 ; KORR, 1 9 3 2 , S. 2 9 3 . 20
„Bij de bespreking van het bestuur der bevloeiingsgemeenschappen. . ., bleek reeds dat de vorstelijke ambtenaren, die belast waren met de inning der landelijke in-
5
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. XXVII
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die seiner Auffassung zufolge als Unterbeamte des Hauptsedahan in den drei Distrikten von Buleleng, nämlich Tedjakula, Buleleng und Bandjar, eingesetzt gewesen sein sollen. Ihre von K O R N angeführten Aufgaben 2 1 sind jedoch mit denen des Hauptsedahan identisch. Der bei L I E F B I N C K mehrfach erwähnte „klijang sedahan" 22 hat als selbständiger Unterbeamter des Hauptsedahan wohl niemals existiert. I n diesem Falle hat K O R N die Angaben von L I E F B I N C K falsch interpretiert. Die Existenz der „Iclijang sedahan" als Unterbeamte des Hauptsedahan wird auch von V A N B L O E M E N W A A N D E R S nicht bestätigt. Seinen Ausführungen ist nur zu entnehmen, daß zu seiner Zeit die Aufsicht über die Agrarwirtschaft, die Verteilung des Wassers und die Einnahme der Steuern der Hauptsedahan, vierzig „sedahan tembuku" und hundertzwanzig „klian subak" und „klian bandjaran subak" ausübten. 2 3 E r f ü h r t auch für den Hauptsedahan die Bezeichnung „penjarikan" als Vorsitzender der Gesellschaft der „sedahan" an. 24 Die Bezeichnung „penjarikan" oder „panjarikan" bedeutet Schreiber und war auf Bali teilweise auch für die Vorsitzenden der Dorf- und Irrigationsgemeinschaften gebräuchlich. 25 K O R N selbst führt an, daß in den von L I E F B I N C K veröffentlichten Subakverordnungen, den „kerta sima subak", angegeben wird, daß der „klijang sedahan" mit den „panjarikan" identisch ist. 26 Auf Bali hat die Bezeichnung „klijang" oder „klian" die Bedeutung von „Ältester". 27 Unter Berücksichtigung der Angaben von V A N B L O E M E N W A A N D E R S und der in den Subakverordnungen angeführten Aufgaben des „klijang sedahan" kommt m a n zu dem Schluß, daß die Bezeichnung „klijang sedahan" in der oben angeführten Bedeutung als „Ältester sedahan" für den Hauptsedahan gebräuchlich war und auf seine Funktion als Vorsitzender der „sekaha sedahan" zurückgeführt werden muß. Keinesfalls stimmt es, wenn K O R N schreibt: „Het is Liefrinck zelf geweest, die vroeger reeds drie trappen van vorstelijke waterstaatsambtenaren opmerkte, t. w. den sedahan agoeng, de sedahans en de onder-sedahans, waarvan
21
komsten, tevens in verschallende landschappen een waterstaatsdienst vormten. In Boeleleng bestond die dienst uit den sedahan agoeng, die in ieder ryksdeel, Oost-, Middel- en West-Boeleleng, beschikte over een klijang sedahan, onder wien de sedahans temboekoe of poendoekan." Zitiert nach K O R N , 1932, S. 292. „Wat den klijang sedahan aangaat, die vormt een schakel tusschen de sedahans en den sedahan agoeng, hetgeen blijkt uit zijn taak, zooals die in de sima beschreven wordt. Hij vat een nalatigen sedahan op en zendt hem den vorst toe, hij zorgt voor de groote padischuren, waarin de rijst geborgen wordt, welke den vorst als padjeg toekomt, hy meet namens den sedahan agoeng nieuwe belastingplichtige sawahs op enz." Zitiert nach K O B N , 1932, S. 255.
22 L I E F B I N C K , 1 9 2 1 , S . 3 1 5 , 3 2 5 , 3 4 9 , 3 5 2 , 3 6 7 ; 1 9 2 7 , S . 1 2 1 . 23 V A N B L O E M E N W A A N D E R S , 1 8 5 8 , S . 1 7 8 . 2/
' V A N BLOEMEN WAANDERS, 1858, S. 228.
25 V A N E C K u n d L I E F B I N C K , 1 8 7 5 , S . 1 7 0 , 2 2 , 2 3 2 , 2 3 8 ,
169.
26 K O B N , 1932, S. 254; L I E F B I N C K , 1921, S. 315; Pandeeten van het Adatrecht, 1918, iv., stuk B., S. 802. 27 „klijan van k'lih en dus eigenlijk ,oudsten'. Sommingen schrijven en spreken uit k'liang". Zitiert nach V A N E C K und L I E F B I N C K , 1 8 7 5 , S. 1 6 7 .
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de middelste groep de klijangs sedahans geweest moeten zijn." 2 8 Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, daß L I E F R I N C K die Bezeichnungen „sedahan" und „onder-sedahan" als Synonyma für den „sedahan tembuku" verwendet hat. 2 9 Die Verteilung des Wassers war eine der wichtigsten Aufgaben des Hauptsedahan, die außerordentlich sorgfältig und wohlüberlegt durchgeführt werden mußte, damit alle Irrigationsgemeinschaften, sowohl am Unter- als auch am Oberlauf der einzelnen Flüsse, zur rechten Zeit die von ihnen benötigte Wassermenge erhielten. I n den bereits mehrfach erwähnten Subakverordnungen, den „kerta sima subak" oder „awig awig", die von dem regierenden Fürsten und dem Hauptsedahan in Zusammenarbeit mit den „sedahan tembuku" und fallweise mit dem betroffenen „klian subak" ausgearbeitet wurden, sind deshalb auch ausführliche Bestimmungen über die Verteilung und Nutzung des Wassers sowie die Instandhaltung der Irrigationsanlagen und den Schutz derselben gegen Beschädigung enthalten. 3 0 Die Subakverordnungen, die sowohl auf das traditionelle Gewohnheitsrecht der Irrigationsgemeinschaften als auch auf die gesetzlichen Bestimmungen des regierenden Fürsten und des Hauptsedahan zurückzuführen sind, bildeten die schriftlich fixierten Normen des öffentlichen Verhaltens und der Verpflichtungen, die für die Mitglieder der Irrigationsgemeinschaften verbindlich waren. So beginnt eine dieser Verordnungen von Buleleng mit folgenden Worten: „Regulation of Gusti Gede Ngurah, who resides and rules at Buleleng. This edict applies to all subjects to the east of P o n j o k B a t u as far a s P e t e m o n a n t h e adjoining mountainland, and applies alike to Brahmins, ksatriyas, wesyas, and sudras, to all who must pay taxes on irrigable fields and levies on coconut groves and dry fields as these are levied by the agricultural officials in the aforementioned territory." 3 1 Neben den allgemeinen Bestimmungen enthielten die Subakverordnungen spezielle Artikel über den Sawahbesitz, den Sawahherrendienst, die Verteilung des Wassers, das Bepflanzen der „sawah's", die Bodensteuerabgaben, über Streitigkeiten zwischen „sawah"-Hesitzem, Diebstahl und Beschädigung fremden Eigentums sowie über die Viehhaltung auf den „sawah's" und ihrer Umgebung, das Legen von Fußangeln und die abzuhaltenden Hahnenkämpfe. Diese in den Subakverordnungen festgelegten Bestimmungen, die auch die zu entrichtenden Geldstrafen für die einzelnen Vergehen enthielten, waren für den Hauptsedahan, die „sedahan tembuku" und die Vorsitzenden der Irrigationsgemeinschaften die verbindliche gesetzliche Grundlage für die Ausübung ihrer Funktion. Als Exekutivbeamter des regierenden Fürsten, der als nomineller Obereigentümer des Wassers in den Flüssen, Brunnen und Quellen galt 32 , bestimmte der Haupt28 K O R N , 1 9 3 2 , S . 2 5 5 . M LIEFRINCK, 1 8 8 6 , S . 1 0 4 7 ; 1 8 8 7 , S . 1 8 3 ; 1 9 2 7 , S . 9 2 . :
»O V A N E C K u n d LIEFRINCK, 1 8 7 5 , S . 224FF.; LIEFRINCK, 1 9 2 1 , S . 3 2 3 ; 1 8 8 6 , S . 1053FF. BALI, 1 9 6 0 , S. 2 7 8 .
M LIEFRINCK, 1 8 8 6 , S. 1 5 6 4 F . ; 1 8 8 7 , S. 1 8 2 ; 1 8 9 0 , S. 4 3 2 ; 1 9 2 7 , S. 72, 9 1 . 5»
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Heinz S t i n g l
sedahan für die einzelnen Irrigationsgemeinschaften den Zeitpunkt des Beginns der Bewässerung und der Aussaat sowie die dabei einzuhaltende Reihenfolge, wenn diese nicht in den geltenden Subakverordnungen bereits festgelegt war. 3 3 So heißt es z. B . in einer Subakverordnung von Buleleng bezüglich der Verteilung des Wassers: „Het is het verlangen van Goesti Gede Ngoerah eene beurtregeling voor het bevloeiingswater te treffen. Tegen de derde maand komt al het water ter beschikking der soebaks Panaroekan, Krobokan en Bengkel. Tegen de achtste maand wordt de beschikking over al het water gegeven aan de soebaks Klontjing, Babakan, Soehoeg, Soedadji, Menjali en Galoengan. Het soebaklid dat, 's vorsten wil niet eerbiedigend, de waterregeling in de war stuurt, hetzij bovenstrooms of benedenstrooms, zal bij opsporing beboet wordenmet 12.500 kepengs, van welke boete 10.000 kepengs den vorst worden aangeboden en 2500 ten goede komen aan de benadeelde partij." 3 ' 1 Die Verteilung des Wassers zwischen den einzelnen Irrigationsgemeinschaften war vor allem deshalb von so großer Bedeutung, weil auf Grund der geringen Niederschlagsmenge und der kurzen Flußläufe, die zum größten Teil während des Ostmonsun austrockneten, in den Distrikten Buleleng und Tedjakula die vorhandene Wassermenge nicht ausreichte, um eine Bewässerung der Reisfelder in allen Irrigationsgemeinschaften gleichzeitig vorzunehmen. Die Bewässerung der „sawaÄ"-Komplexe der einzelnen Irrigationsgemeinschaften mußte deshalb in zeitlichen Abständen von ein bis drei Monaten erfolgen. I n der Regel erhielten die in der Küstenebene gelegenen Irrigationsgemeinschaften zuerst das Verfügungsrecht über die Nutzung des Wassers, wobei ausschlaggebend war, daß sie über die ertragreichsten „sawah's" verfügten. Sobald die Verteilung des Wassers durch den Hauptsedahan stattgefunden hatte und in die Leitungen der Irrigationsgemeinschaften floß, erhielten diese das Verfügungsrecht über das Wasser. Die weitere Verteilung des Wassers zwischen den einzelnen Irrigationsgemeinschaften oder zwischen den Mitgliedern einer Irrigationsgemeinschaft war dann eine Angelegenheit der „sedahan tembuku" und der Vorsitzenden, der „Jclian subak". Die Neugründung einer Irrigationsgemeinschaft, die stets mit großen finanziellen und materiellen Ausgaben verbunden war, weil oftmals kilometerlange Tunnel oder Wasserleitungen gegraben werden mußten, erforderte die Zustimmung des Hauptsedahan. E r überprüfte, ob nicht durch die neu anzulegenden Dämme und Leitungen bereits existierende Irrigationsgemeinschaften in ihren Wasserrechten beeinträchtigt wurden. Wenn dies nicht der Fall war, so erteilte er im Einverständnis mit dem regierenden Fürsten die Erlaubnis zur Gründung der neuen Irrigationsgemeinschaft. Die neu angelegten „sawah's" waren in der Regel für die nächsten drei Ernten von allen Abgaben und Steuern 33 Van E c k und Liefjrinck, 1875, S. 231, 237; 1921, S. 343; Hilgers-Hesse, 1965, S. 97-98. 34 Liefrinck, 1921, S. 367.
Zur I n s t i t u t i o n des obersten Bewässerungsbeamten
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befreit, was eine gewisse Entschädigung für die finanziellen Ausgaben und für den mit der Umwandlung von unbewässerten Feldern (tegal oder gaga) in „sawah's" verbundenen kollektiven Arbeitsaufwand darstellte. 35 Auch bei der Verlegung einer Hauptleitung behielt sich der Hauptsedahan die letzte Entscheidung vor. Er erteilte den Mitgliedern einer Irrigationsgemeinschaft erst dann die Erlaubnis für die Verlegung der Hauptleitung, die infolge einer Beschädigung durch Hochwasser für die Wasserzufuhr unbrauchbar geworden war, wenn drei Versuche zu ihrer Wiederherstellung erfolglos verlaufen waren. 36 Wenn während der Bestellung der „sawah's" Haupt- oder Nebenleitungen durch Beschädigung oder andere Einwirkungen in einen schlechten Zustand gerieten und für die Wasserzufuhr unbrauchbar geworden waren, konnte der Hauptsedahan ihre Verlegung anordnen, auch wenn die neuen Leitungen über bereits bepflanzte „sawah's" führten. 3 7 Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Verwaltung der fürstlichen Domänen, die einen nicht unbedeutenden Anteil des kultivierten Bodens ausmachten. Schließlich bestanden für ihn auch bestimmte Repräsentationspflichten, indem er für den Unterhalt und den Empfang der Gesandten aus den anderen balinesischen Fürstentümern und anderer Gäste des Fürsten zu sorgen hatte. 3 8 Zu den wichtigsten Aufgaben des Hauptsedahan gehörte die Oberaufsicht über die Steuereinnahme. Die von dem Fürsten von Buleleng erhobene Grundrente umfaßte sowohl die Arbeitsrente in Form von Dienstleistungen als auch die Produktenrente von den bewässerten und unbewässerten Reisfeldern einschließlich anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse, aber auch bereits die Geldrente, welche von den von der Residenz am weitesten entfernt liegenden Irrigationsgemeinschaften anstelle der Bodensteuer in Naturalien entrichtet wurde. Die bedeutendste Einnahmequelle des Fürsten von Buleleng bestand in der Boden- und Wassersteuer, die er durch seine Verwaltungsbeamten, den Hauptsedahan und den „sedahan tembuku", von den Reisfeldbesitzern oder den Reisfeldbearbeitern eintreiben ließ. Sie waren die exekutiven Beamten, die die Interessen des Fürsten gegenüber den Mitgliedern der Irrigationsgemeinschaften mit Hilfe der in den Subakverordnungen niedergelegten Bestimmungen und wenn notwendig mit Gewalt durchzusetzen hatten. Als Grundeinheit für die Erhebung der Steuer diente ein „tenah winih", worunter eine „sawah"-Fläche verstanden wurde, die bei guter Ernte 50 Reisgarben von einer vorgeschriebenen Größe lieferte. 39 Die Steuer, „tigasana tjarik", unterteilte sich in die Produktensteuer an Reis (-padjeg) und in die Wassersteuer (suwinih). Für ein „tenah winih" mußten fünf „timbang" Reis, was etwa einem Sechstel des Ernteertrages entsprach, als Bodensteuer sowie hundert „kepeng's" in Geld als Wassersteuer an den Fürsten entrichtet werden. Die Wassersteuer 35
LIEFBINCK, 1927, S. 15, 73, 74.
36 L I E F B I N C K , 1 9 2 1 , S . 3 4 1 .
37
LIEFBINCK, 1 9 2 1 , S. 3 4 9 .
•18 L I E F B I N C K , 1 8 8 6 , S . 1 0 4 6 ; 1 8 8 7 , S . 39
LIEFBINCK, 1887, S. 376.
366-367.
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wurde nach der Wassermenge berechnet, die erforderlich war, um ein „tenah winih" zu bewässern. Wenn für neu angelegte „sawah's" die Steuern festgelegt wurden, so begab sich der Hauptsedahan mit dem dafür zuständigen „sedahan tembuku", dem Vorsitzenden und den Mitgliedern der Irrigationsgemeinschaft auf die neuangelegten Reisfelder, wo er die Unterteilung in „tenah winih" vornahm. Der Hauptsedahan bestimmte für jeden „sawah"-Besitzer, unter Berücksichtigung aller Umstände, die auf die Reisproduktion Einfluß ausüben konnten, die Anzahl der „tenah winih" und die dafür zu bezahlende Steuer. Für jeden „sawah"-Besitzer wurde auf einem Lontarblatt die Anzahl der „tenah winih" und die entsprechenden Unterteile 40 , einschließlich seines Namens und Wohnsitzes, aufgeschrieben. Es wurde zweifach angefertigt und sowohl der „sedahan tembuku" als auch der Vorsitzende, der „klian subak", erhielten je ein Exemplar, während der Hauptsedahan für sich selbst nur die gesamte Anzahl der „tenah winih" der neugegründeten Irrigationsgemeinschaft aufzeichnete, um zu wissen, welchen Steuerbetrag er insgesamt von seinem „sedahan tembuku" für die ihm unterstellte Irrigationsgemeinschaft zu bekommen hatte. Mißglückte die Ernte und betrug damit die zu entrichtende Steuer mehr als ein Sechstel des Ernteertrages, so konnten sich die davon betroffenen Mitglieder einer Irrigationsgemeinschaft durch die Vermittlung ihres Vorsitzenden mit einem Antrag auf Steuerermäßigung über den „sedahan tembuku" an den Hauptsedahan wenden, der ihnen nach der Feststellung des tatsächlichen Ernteertrages Steuerermäßigung gewährte. 41 Die Bezahlung der Bodensteuer wurde nicht eingefordert, bevor nicht fünfunddreißig Tage nach der Ernte, d. h. nach dem balinesischen Kalender ein voller Monat, vergangen waren. Doch danach mußte sie nach der ersten Aufforderung durch den „sedahan tembuku" sofort entrichtet werden. 42 Kam ein steuerpflichtiger „sawah"-'Besitzer dieser Aufforderung nicht nach, so wurde seine Bodensteuer verdoppelt. Dieser doppelte Betrag mußte innerhalb der nächsten drei Tage entrichtet werden. Vergingen diese abermals, ohne daß die Steuer bezahlt wurde, so wurden seine „sawah's" gerichtlich unter Interdikt gestellt. Bezahlte er in diesem Falle nicht innerhalb von zehn Tagen die doppelte Bodensteuer und eine Geldstrafe von 2500 „kepeng's" sowie 250 „kepeng's" Gerichtskosten (pengaboet sawan), dann wurden seine Reisfelder für die zu entrichtende schuldige Steuersumme verpfändet. Sie durften von dem Eigentümer nicht eher eingelöst werden, bis der Pfandnehmer nicht mindestens eine Ernte von den „sawah's" eingebracht hatte. Fand sich kein Interessent, um die „sawah's" für die schuldige Steuersumme in Pfand zu nehmen, so wurden sie zur Verfügung des Fürsten gestellt. Dasselbe geschah auch, wenn sich der verurteilte Eigentümer der Beschlagnahme widersetzte. 43 Entscheidungen dieser Art wurden vom Hauptsedahan vorgenommen. LIEFBINCK, 1 8 8 7 , S . 3 7 7 . 41
LIEFBINCK, 1 8 8 7 , S. 3 8 0 .
« LIEFBINCK, 1 8 8 7 , S. 3 8 1 . « V A N E C K u n d LIEFBINCK, 1 8 7 5 , S . 2 4 1 - 2 4 2 ; K O R K , 1 9 3 2 , S . 2 9 5 .
Zur Institution des obersten Bewässerungsbeamten
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Als Zwangsmittel zur Durchsetzung seiner Anordnung und der in den Subakverordnungen niedergelegten Bestimmungen konnte der Hauptsedahan Geldstrafen auferlegen und die Pfändung oder Beschlagnahme der „sawah's" anordnen. Als äußerstes Zwangsmittel konnte er auch den Entzug des Wassers anordnen, was fast in jedem Falle dazu führte, daß seine Anweisungen befolgt wurden. Als härteste Strafe, die oftmals einem Todesurteil gleichzusetzen war, galt die Verbannung. So heißt es in Artikel 2 der allgemeinen Bestimmungen der von V A N E C K und L I E F R I N C K veröffentlichten Subakverordnuiigen: „Jeder, der diesen Gesetzen zuwiderhandelt oder nicht getreu seinen Pflichten gegenüber den Göttern nachkommt, ist strafbar. Er verliert dadurch das Recht, mit den anderen zusammenzuwohnen und muß aus dem Dorf verbannt werden. Kleine Vergehen werden mit Geldbußen bestraft." 4 4 Obwohl im allgemeinen schon die Verbannung nur bei äußerst schwerwiegenden Verstößen gegen die Subakverordnungen ausgesprochen wurde, war in einigen Subakverordnungen sogar festgelegt, daß diejenigen, die sich der Beschlagnahme der „sawah's" oder dem Wasserentzug widersetzten, mit dem Tode bestraft werden konnten. 45 Die Verteilung der auferlegten Geldstrafen erfolgte sehr ungleichmäßig. Nach L I E F R I N C K erhielt der Hauptsedahan und seine Untergebenen, die „sedahan tembuku", bei Geldstrafen, die wegen Diebstahl usw. den Angeklagten auferlegt wurden, ein Fünftel des Betrages, während dem Geschädigten vier Fünftel als Entschädigung zufielen. 46 Der ein Fünftel betragende Anteil der Geldbußen war nur eine der Einnahmequellen des Hauptsedahan. Weiterhin besaß er das Recht, von den Steuern pro „tenah winih" (eine „sawaA"-Fläche, die 50 Reisgarben lieferte) jeweils 1 kati Reis, das entsprach einem Gewicht von etwa 0,6 kg, einzubehalten. Den Angaben von V A N B L O E M E N W A A N D E E S zufolge konnte der Hauptsedahan pro Ernte mit einem Aufkommen von insgesamt 3400 kati, das sind umgerechnet etwa 2100 kg Reis, rechnen. 47 Darüber hinaus dürften aber dem Hauptsedahan auch noch zusätzliche Einnahmequellen zur Verfügung gestanden haben. So schreibt V A N B L O E M E N W A A N D E R S : „Aangezien hij geen andere inkomsten heeft en van dit weinigje niet volgens zijnen stand kan leven, meent hij daarom dan ook geregtigd te zijn zieh schadeloos te mögen stellen en een groot gedeelte der vorstelijke inkomsten, die noodwendig door zijne handen moeten gaan, te verduisteren." 4 8 Diese Aussage, die recht deutlich die Möglichkeiten der Bereicherung durch Korruption und Veruntreuung zeichnet, wird außerdem noch durch L I E F R I N C K S Feststellung bestätigt, daß die Position des „sedahan agung" sehr begehrt war, wegen „de groote voordeelen, hetzig dan wettige of onwettige, aan de administratie van zulk een groot inkomen verbonden." 49 Schließlich 44
V A N E C K u n d LIEFRINCK, 1875, S.
«
LIEFRINCK, 1886, S.
1057.
40
LIEFRINCK, 1886,
1058.
47
V A N BLOEMEN WAANDERS,
1858, S.
171.
48
V A N BLOEMEN WAANDERS,
1 8 5 8 , S.
171-172.
S.
LIEFRINCK, 1 8 8 6 , S.
1046.
224.
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erhielt er von dem Fürsten in der Regel zehn Familien unterstellt, die ihm bei der Ausübung seiner Funktion behilflich waren und unter anderem seine Befehle a n die „sedahan tembuku" zu überbringen hatten. 5 0 Nach Beseitigung der Fürstenherrschaft und der Errichtung der „direkten Verwaltung" in Buleleng im J a h r e 1882 durch die niederländische ' Kolonialverwaltung wurde der H a u p t s e d ä h a n dem in Singaradja stationierten Residenten f ü r Bali und Lombok unterstellt. Seine bisherigen Einnahmen f ü r die Ausübung seiner Funktion wurden ihm entzogen, dafür erhielt er monatlich ein Gehalt von 150 Gulden. Außerdem wurde ihm der Titel eines „ondercollecteur" zuerkannt. „Evenals a a n deze personen op J a v a is hem in de eerste plaats de inning en administratie der landrente opgedragen, . . . Voorts is hij gebleven het hoofd van h a t sawah-bestuur, als zoodanig dus belast met de verdeeling van het water en de behartiging v a n alle landbouwbelangen, terwijl de rechtsmacht die hij vroeger bezat bestendigd is geworden door de bepaling vervat in de laatste alinéa v a n art. 10 van Staatsblad 1882 N°. 143, luidende: „De Machten betreffende waterrecht en plansoenen, welke volgens de landsinstellingen behooren t o t de competentie van den sëdahan-agoeng (ondercollecteur) en de hem ondergeschickte beambten, blijven daartoe behooren." 5 1 Das gesamte Verwaltungssystem f ü r den Irrigationsbodenbau wurde also in Buleleng von der holländischen Kolonialverwaltung übernommen und in ihren Dienst gestellt. Als in den ersten Jahrzehnten des 20. J a h r h u n d e r t s auch die anderen balinesischen Fürstent ü m e r unter die „direkte Verwaltung" der Kolonialregierung kamen, versuchte m a n dort, die Verwaltung f ü r den Irrigationsbodenbau nach dem Vorbild von Buleleng zu reorganisieren. Auch war m a n bestrebt, die Anzahl der „sedahan tembuku" zu verringern. Während sich die Anzahl der Irrigationsgemeinschaften in Buleleng von 261 im J a h r e 1885 auf 271 im J a h r e 1917 erhöhte, wurde die Anzahl der „sedahan tembuku", die sich 1875 auf 55 belief, bis 1917 auf 17 verringert. 5 2 Zu den vornehmsten religiösen Verpflichtungen des regierenden Fürsten von Buleleng h a t t e ehemals die Leitung der alljährlich vor der Bestellung der ReisSO V A N B L O E M E N W A A N D E R S , 1 8 5 8 , S . 1 7 9 . S1
LIEFRINCK führt weiterhin an: „Overigens is door de invoering van ons rechtstreeksch Bestuur in het sawah-bestuur geene verandering gebracht ; de soebaks zijn geheel ovefgelaten aan hunne eigen inwendige administratie en de behartiging harer belangen blijft geheel aan haar zelve toevertrouwd zoolang deze niet in strijd zijn met die van andere soebaks, doch zoodra het laatste het geval is, dan wel zoo hare handelingen strekken tegen het algemeen belang, dan moet zij onvoorwardelijk de bevelen van de onder-sëdahans en den hoofd-sëdahan opvolgen, behoudens natuurlijk in hoogste instantie beroep op het Europeesch bestuur, wiens bemoeienis zieh kan bepalen tot hat uitoefenen van contrôle over het beheer en de inning der padjëg en hat voeren der opperste leiding in zake sawah-bestuur en l a n d b o u w b e l a n g e n , . . . " LIEFRINCK, 1886, 1047.
32 L I E F R I N C K , 1 9 2 7 , S . 1 8 4 ; K O R N 1 9 3 2 , S . 3 1 7 , 3 2 5 ; VAN E C K u n d L I E F R I N C K , S. 222.
1875,
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felder an den im gebirgigen Binnenland liegenden Bergseen stattfindenden Opferfeste gehört. 53 Sie wurden als unentbehrliche Voraussetzung für das Gedeihen einer guten Reisernte betrachtet, und Mitglieder aus allen Irrigationsgemeinschaften nahmen daran teil. Nach der Errichtung der „direkten Herrschaft" und der Ablösung des regierenden Fürsten wurde seitens der niederländischen Kolonialverwaltung die Leitung dieser Opferfeste dem Hauptsedahan übertragen. 54 Auch gegenwärtig finden diese Opferfeste in Anwesenheit des Hauptsedahan und seiner Unterbeamten, den „sedahan's", statt. 5 5 Auch nach der Beseitigung der holländischen Kolonialherrschaft in Indonesien wurde das traditionelle Verwaltungssystem für die Irrigationsgemeinschaften und die Einnahme der Grundrente beibehalten. Sowohl der Hauptsedahan einer heutigen Provinz, die einem ehemaligen Fürstentum entspricht, als auch die „sedahan tembuku" und die „klian subalc" wurden als Verwaltungsbeamte in den Dienst der indonesischen Regierung gestellt. Nach den Angaben des Ministeriums für Information der Republik Ind onesien vom Jahre 1953 existierten auf Bali insgesamt 1230 Irrigationsgemeinschaften, 71 sedahans („sedahan tembuku") und 8 „sedahan agung".5C Literaturverzeichnis : Studies in Life, Thought, and Ritual. Selected Studies on Indonesia. Vol. V , T h e Hague and Bandung 1960. B L O E M E N W A A N D E B S , P . L . V A N , 1858: Aanteekeningen omtrent de zeden en gebruiken der Balinezen, inzonderheid die van Buleleng. T B G , Dl. V I I I , S. 105—279. flEMHH, JI. M . , 1964: OCTPOB Earai. MocKBa. ECK, R . VAN und LIEFBINCK, F . A., 1875: K e r t a - S i m a of gemeente- en waterschapswetten op B a l i . T B G , Dl. X X I I I , S. 1 6 1 - 2 5 7 . ECK, R . VAN, Schetsen van het eiland Bali. T N I , 4 e s . , V I I (1878), B d . 2, r 2S. 8 5 - 1 3 0 , ' 1 6 5 - 2 1 3 , 3 2 5 - 3 5 6 , 4 0 5 - 4 3 0 , V I I I (1879), B d . 1, S. 3 6 - 6 0 , 1 0 4 - 1 3 4 , 2 8 6 - 3 0 5 , 3 6 5 - 3 8 7 , I X (1880), B d . 1, S. 1 - 3 9 , 1 0 2 - 1 3 2 , 1 9 5 - 2 2 1 , 4 0 1 - 4 2 9 , B d . 2, S. 1 18, 8 1 - 9 6 . G E E B T Z , C . , 1959: F o r m and Variation in Balinese Village Structure. I n : American BALI
A n t h r o p o l o g i s t , Vol. 61, N r . 6, S.
991-1012.
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•W VAN ECK, 1878, S. 110. Siehe auch WIRZ, 1927, S. 260ff. M
LIEFBINCK, 1886, S.
55
„Aangezien het meerwater van essentieel belang wordt geacht vooi het bsyloiingsstelsel, worden de plechtigheden steeds bijgewoond door de sedahan agung, de functionaris die belast ist met de inning van de landrente en het toezicht over de sübak's (watersehappen) en door de sedahan's, zijn assistenten." Zitiert nach GORIS, 1953, S. DEMIN, 1964, S.
195. 104.
1229.
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17-30,181-189,364-385,515-553.
LIEFRINCK, F . A., Bijdrage t o t de kennis v a n h e t eiland Bali, TBG, X X X I I I (1890), S. 2 3 3 - 4 7 2 .
LIEFRINCK, F . A., 1917: Landsverordeningen v a n inlandsche vorsten op Bali, 'sGravenhage. LIEFRINCK, F . A., 1921 : Nog eenige verordeningen en overeenkomsten v a n baiische vorsten. 's-Gravenhage. LIEFRINCK, F . A., 1927: Bali en Lombok. Geschriften. A m s t e r d a m . MARSCHALL, W., 1968: Metallurgie u n d f r ü h e Besiedlungsgeschichte Indonesiens. I n : Ethnologica, Neue Folge, B d . 4, Köln, S. 2 9 - 2 6 3 . P a n d e c t e n v a n h e t A d a t r e c h t . 1918: IV., De overige rechten op grond en water. Amsterdam. WIRZ, P., 1927: Der Reisbau u n d die Reisbaukulte auf Bali u n d Lombok. TBG, Dl. L X V I I , Batavia. B K I Bijdragen t o t de Taal-, Land- en Volkenkunde (van Nederlandsch-Indië). Uitgegeven door h e t Koninklijk I n s t i t u u t voor Taal-, Land- en Volkenkunde. A m s t e r d a m , 's-Gravenhage. I G D e Indische Gids. A m s t e r d a m T B G Tijdschrift voor (Indische) Taal-, Land- en Volkenkunde. Uitgegeven door h e t Bataviaasch Genootschap v a n K ü n s t e n en W e t t e n s c h a p p e n . B a t a v i a , 's-Gravenhage. T N I Tijdschrift vor Neerland's (Nederlandsch) Indië. Batavia, Groningen, ZaltBommel 1 , Bussum, A m s t e r d a m , 's-Gravenhage, Nijmegen.
Mutter und Kind im Brauchtum der Tuwiner der Westmongolei von
ERIKA TAUBE,
Markkleeberg bei Lei'pzig
(Mit 15 Abbildungen auf Tafel I—IV und 4 Figucen im Text)
I m Bajan-Ölgij-Aimak, im äußersten Westen der Mongolischen Volksrepublik, liegt am Oberlauf des Chowd-Flusses und am Cagän-gol der Cengel-Sum. In ihm wohnen neben 3—4000 Kasachen und einigen Urianchai etwa 2400 Tuwiner — ein kleines Völkchen mit einer reichen Folklore und mit einer kaum überschaubaren Zahl alter Sitten und Bräuche. Obwohl ich in den Sommermonaten 1966, 1967 und 1969 insgesamt etwa fünf Monate bei ihnen zubrachte, bin ich mir darüber im klaren, daß ich nur einen Teil ihres Brauchtums kennengelernt habe. Einige der Bräuche, die im Zusammenhang mit Mutter und Kind stehen, sollen hier beschrieben werden. Kinder sind den Tuwinern das höchste Gut — das Verhalten ihnen gegenüber wird durch diese Grundauffassung bestimmt. Sie werden sehr frei gehalten, die wirksamste Erziehungsmaßnahme scheint mir das gute Vorbild zu sein. Freundlichkeit, Achtung vor dem anderen, besonders vor dem Älteren, Hilfsbereitschaft und Freigebigkeit — überhaupt ein Kollektiv-Empfinden sind so selbstverständlich, daß sich in den Kindern, die von klein auf daran gewöhnt sind, diese Wesenszüge von selbst herausbilden. Sie zeigen sich — wie überall dort, wo viele Kinder gemeinsam heranwachsen — bereits bei kleinen Kindern im Umgang mit noch jüngeren. Die Kinder werden schon sehr bald zu kleinen Arbeiten herangezogen. Ihre Aufgaben steigern sich mit zunehmendem Alter. Dazu gehören zum Beispiel das Sammeln von Brennmaterial (trockener Mist, Strauchwerk oder Holz, je nach den natürlichen Bedingungen), am Morgen das Wegtreiben und am Abend das Heimholen des Milchviehs, das An- und Abbinden der Jungtiere während des Melkens, das Zubereiten von Teig und Nudeln, das Feuermachen. Ungefähr mit zehn Jahren sind die Kinder so weit, daß sie auch allein die Herde beaufsichtigen können (es werden nur Schafe und Ziegen gehütet), was keineswegs immer ein leichte Aufgabe ist. 1 Im gleichen Alter beteiligen sich die Mädchen üblicherweise am Melken, gelegentlich sieht man aber auch schon viel kleinere damit beschäftigt. Größere Kinder hacken auch Holz. — Jungen von 6 bis 7 Jahren fangen schon an, mit zum Teil selbst gefertigten Fallen Zieselmäuse zu fangen, deren Felle sie selbst abziehen und spannen (Abb. 1, Taf. I). So sind sie auf die J a g d vorbereitet, wenn sie mit 10/11 Jahren ein 1
Vgl. T S C H I N A G , G ALS A N : Bisen, der Hirtenjunge. In: Die Zaubertruhe, Bd. 15, Jahrgang 1969, S. 4 6 - 5 5 .
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ERIKA
TAUBE
Gewehr in die H a n d bekommen, um m i t zur Murmeltierjagd zu gehen. Mit 12 J a h r e n sind die Kinder im allgemeinen so weit, daß sie die wichtigsten alltäglichen Arbeiten selbständig verrichten können. — Ich habe es kaum erlebt, daß mit Kindern sehr h a r t geschimpft wurde, ich habe nie gesehen, daß ein Kind geschlagen worden ist. 2 Bei Gesprächen der Erwachsenen verhalten sich die Kinder ruhig und reden nur, wenn sie gefragt werden. Wenn ein Kind in Gegenwart von Gästen doch etwas lebhafter ist oder wenn es irgendeine Dummheit gemacht h a t , geschieht es wohl, daß es leicht gegen die Schultern oden den Rücken gepufft wird — das ist aber auch das Äußerste an „körperlicher Züchtigung". — Die ganz kleinen Kinder, etwa bis zu 4 Jahren, werden besonders zärtlich umhegt. Sie bekommen beinahe immer ihren Willen: Der Säugling wird gestillt, waniL immer er schreit, oder von einem der Erwachsenen oder älteren Geschwister geduldig herumgetragen. Dem 2-3jährigen Kind gibt m a n seinen „Zucker", wenn es ihn verlangt. Trotzdem m e r k t m a n beim Fünfjährigen nur selten etwas von Trotz und Eigensinn. Vielleicht behandelt m a n sie so liebevoll, weil man. weiß, d a ß der E r n s t des Lebens schon bald beginnt: Von 5 J a h r e n a n h a t das K i n d seine täglichen Pflichten, die immer mehr werden, je älter das Kind und je größer die Familie wird. Auf Grund der äußeren Verhältnisse ist es — wie auch bei den Mongolen — nichts Außergewöhnliches, daß m a n Kinder aus anderen Familien (von Verwandten oder Bekannten) auch f ü r längere Zeit in den eigenen Familienkreis a u f n i m m t — im schlimmsten Fall, wenn die Mutter gestorben ist, aber auch dann,, wenn die Kinder zur Schule ins Zentrum des Sum gehen, die Eltern aber bei den Herden auf dem Lande bleiben müssen. Da alle Kinder sich an den verschiedenen Arbeiten des täglichen Lebens beteiligen und auch ihre Eltern, wenn möglich, zu ihrem Unterhalt mit beitragen, indem sie Nahrungsmittel, Holz u. a. bringen, ist es f ü r die aufnehmende Familie kaum eine Belastung. Die Kinder werden aber auch sonst wie eigene gehalten, so daß sie keineswegs auf Liebe verzichten müssen. — Das Erstgeborene wird noch heute oft den Großeltern, übergeben und von'diesen häufig regelrecht adoptiert, vor allem d ann, wenn bei ihnen keine unverheirateten Kinder mehr wohnen." Handelt es sich um einen Jungen, dann nimmt er oft die Stellung des J ü n g s t e n ein mit allen Rechten, die diesem zukommen. 3 — I m Falle von Kinderlosigkeit kennt m a n natürlich auch die Adoption (uruy'lar azirär oder azirap alir). Die Adoption wird mit einem Fest gefeiert. Wenn sie erfolgt, solange das Kind noch sehr klein ist, wird dieses unter den Rock der aufnehmenden F r a u gehalten, dann durchschneidet m a n einen F a d e n und holt das Kind hervor. Das adoptierte Kind h a t alle Pflichten des leiblichen Kindes zu erfüllen, genießt aber gleichzeitig auch alle Rechte desselben. Familien mit sehr vielen Kindern geben gelegentlich das eine oder andere 2
3
Auch M Ä N C H E N - H E L F E N (S. 80) erschien das Verhalten gegenüber Kindern bei den Tuwinern bemerkenswert. Zum Beispiel behielt der Jüngste früher stets und oft auch, noch heute bei seiner Verheiratung die elterliche Jurte und lebte darin zusammen mit seinen Eltern.
Mutter und Kind im Brauchtum der Tuwiner
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•einer Familie, die ein Kind adoptieren möchte. Das Stehlen und Aufbewahren von Kinderkleidungsstücken aus einer kinderreichen Familie oder das Stehlen u n d Anziehen von Unterhosen einer Frau, die viele Kinder geboren hat, sind allerdings fragwürdige Mittel gegen Kinderlosigkeit. Wird ein Kind erwartet, darf m a n zunächst nichts vorbereiten. Die Schwangere (bodu bayaj, wörtl. „eine, deren Körper schwach ist"; oder xol buduär, wörtl. „eine, deren Arme und Beine schwer sind"; oder grob: bös, yirinniy', wörtl. „mit Bauch") vermeidet aus verständlichen Gründen den Genuß von Alkohol, sie soll keine schweren Gegenstände heben, und sie hackt kein Holz. Auch heißen Tee darf sie nicht trinken, „damit sich das Kind nicht verbrennt", •oder „damit es keine Glatze bekommt". Fisch ißt sie nicht, damit ihr Kind nicht s t u m m wird. Sie darf keine F ä d e n und Stricke drehen (dzeb ezer) und nicht sticken oder häkeln (gesteler, negir), damit sich die Nabelschnur nicht um den Hals des Kindes wickelt. Die Schwangere darf auch nicht in die J u r t e einer Kreißenden gehen und sich direkt m i t ihr beschäftigen. Dieses Verbot, dem wohl Vorstellungen von der Unreinheit der Gebärenden zugrunde liegen, ist erst d a n n aufgehoben, wenn deren Kind geboren ist. 4 I n ihrer eigenen J u r t e darf sie dagegen f ü r eine andere Schwangere tätig sein, zum Beispiel eine Suppe oder ähnliches zubereiten. Nur wenn keine andere F r a u in der Nähe ist, geht die Schwangere zu einer Gebärenden und hilft ihr. 5 Wenn eine Schwangere sitzt, darf m a n nur hinter ihr vorbeigehen, niemals vor ihr. Es ist ein allgemeines Gebot der Höflichkeit, nicht vor Sitzenden vorbeizugehen, das aber nicht immer und unter allen Umständen eingehalten werden kann. Daß diese Forderung ausdrücklich in bezug auf Schwangere gestellt wird, ist einfach eine Vorsichtsmaßnahme, damit m a n die junge F r a u nicht a n den Leib stößt, was in kleinen oder überfüllten J u r t e n — zum Beispiel bei Festen — leicht passieren könnte. Um einen Hinweis auf das Geschlecht des kommenden Kindes zu erhalten, macht m a n einen Versuch mit einer kleinen Wasserblase (ijlayy'i), die manchmal in der F e t t h a u t außen am Labmagen von Schafen zu finden ist und die m a n .gewöhnlich den Kindern zum Spielen gibt. Man hält sie mit den Fingerspitzen der einen H a n d hoch und kneift die H a u t der Blase unten mit den Fingernägeln leicht ein. An dieser Stelle zeigt sich n u n eine kleine Ausstülpung: Ist sie tropfenähnlich geformt, so soll es ein Mädchen werden, h a t sie ein kleines Spitzchen, so 4
Ähnlich sind auch einige Sitten und Bräuche bei den Mansen anläßlich der Geburt eines Kindes (vgl. R O M B A N D E E V A , S. 87). •5 In einer Jurtengemeinschaft mit sechs kasachischen und zwei tuwinischen Jurten hatte ich folgendes Erlebnis: Beide tuwinischen Frauen waren schwanger. Als bei der einen von ihnen die Wehen begannen, wurde sie von der 15jährigen Schwester ihres Mannes betreut. Danach — so war vereinbart — sollte ich die Nabelschnur durchschneiden. Da unter der Geburt jedoch Komplikationen eintraten, kam die andere junge Tuwinerin trotz ihres Zustandes zu Hilfe, obwohl noch vier ältere und sechs junge Kasachinnen hätten helfen können. Sie wurden — wohl wegen nationaler Ressentiments — nicht darum gebeten.
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sagt man, es würde ein J u n g e (Fig. 1). - Wer beim Fleischessen den kleinen Knochen (dovuq) aus dem Bein des Schafes erwischt, der der Kniescheibe des Menschen entspricht (Fig. 2), der wirft ihn — säuberlich abgeputzt — n a c h d e m Ehrenplatz der J u r t e , gegenüber der Tür (dör, mong. xojmor), oder er schnipst ihn mit dem Daumen von den Fingerspitzen auf das Kopfkissen; dadurch soll.
Fig. 1
Fig. 2 Seitenansicht, Aufsicht
m a n ein schönes Kind bekommen. 6 — I m übrigen sollte jeder, der in eine Jurtetritt, in welcher gerade xojtpaq (gegorene Milch von Jaks, Schafen und Ziegen)gestampft wird, den Stampfer (bisyi) im xojtpaq- Sack (göger) wenigsten einige Male hin- und herbewegen, damit ihm keine buckligen Kinder geboren werden. Erst wenn die Wehen (e't ärir) begonnen haben, darf die Schwangere etwas f ü r das Kind vorbereiten. Das Nötigste für die E n t b i n d u n g (uruy ündürer, auch dzir, wörtl. leichter werden; xol budun dirtar, wörtl. „ihre Arme und Beine ziehen"; yaraq yulä dzir'ir, wörtl. „ihre Augen und Ohren werden licht") — die Schere oder das Messer und den Faden zum Abbinden, den m a n aus Fäden dreht, die aus Baumwollstoff gezogen worden sind — m u ß jemand anderes zurecht legen;: die werdende Mutter darf es nicht selbst tun. Die Kreißende liegt auf dem Boden auf einer weichen warmen Decke. I h r Oberkörper ist halb aufgerichtet und wird im Rücken von einem hohen Kissen gestützt. Eine oder zwei Frauen, halten sie, während sie sich selbst an der Gitterwand der J u r t e oder am Bettgestell festklammert. — Ist das Kind geboren (geboren werden: üner oder törür). so bindet m a n etwa 5 cm vom Kind entfernt und nach wiederum 5 cm ein zweites Mal die Nabelschnur (xin) ab und schneidet sie dazwischen durch (xin gezer). Derjenige, der dies t u t (gewöhnlich eine F r a u aus der Familie oder aus einer benachbarten Jurte), wird „Nabelmutter" (xin ije) genannt und bleibt f ü r das Kind eine Art Pate. Solange der Nabelstumpf nicht abgefallen ist, darf" diese Nabelmutter keine Arbeiten mit der Nadel ausführen, damit die Nabele
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Vgl. das tuwinische Sprichwort: Dovuq asdännttj oy'lu dzaras, dorzuq asdänniij a'di dzügürük „Wer den Knochen dovuq gut abgeputzt hat — dessen Kind wird schön! Wer den Knochen dorzuq gut abgeputzt hat — dessen Pferd wird schnell!" Mitunter scheint die Nabelmutter durch besondere Sprüche gesegnet zu werden.. So schloß meine Gastgeberin, nachdem sie mir gesagt hatte, daß ich in der Nach-
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wunde nicht anschwillt. 7 — Sobald das Kind geboren ist, schlachtet der Vater oder bei dessen Abwesenheit ein anderer Mann aus der Jurtengemeinschaft ein Schaf. Von einer seiner Drüsen bindet m a n dünne Scheiben auf den Nabel des Neugeborenen, das inzwischen gereinigt worden ist, damit der Nabelstumpf leichter abfällt. Bis er abgefallen ist, m u ß alles, was mit ihm in Berührung gestanden h a t — Nachgeburt (so, soyyu) und Schere — warm gehalten werden: Man legt die Schere aus diesem Grunde zwischen Pilzdecken. Auch darf in dieser Zeit nicht m i t ihr geschnitten werden. — N u n wickelt m a n das Kind ein, gibt ihm ein Stück rohes F e t t vom Fettschwanz des eben geschlachteten Schafes zum Lutschen in den Mund, da ja während des ersten Tages noch nicht gestillt wird, und steckt es mit auf das B e t t zur Mutter. 8 Darauf wird die Nase des Säuglings von einem der älteren Familienmitglieder (Großvater, Großmutter) mit etwas B u t t e r bestrichen oder mit Asche b e t u p f t ; bei einer Entbindung außer H a u s geschieht das, sobald das Neugeborene zum ersten Male mit seiner Mutter in die J u r t e k o m m t . Dies k o m m t einem Ankunftssegen gleich: Auf dieselbe Weise werden auch neuangekommene Jungtiere dem Anwesen eingegliedert. Auf die Nachgeburt legt m a n von allen Speisen das Beste (dezi), wickelt sie in Filz oder wattierte Decken, damit sie warm bleibt, und vergräbt sie an trockener Stelle in die Erde. — Falls die Nachgeburt oder der erste Schrei des Kindes ausbleibt, werden böse Geister verantwortlich gemacht, die in beiden Fällen durch Lärm vertrieben werden: 9 Wenn die Nachgeburt nicht sofort kommt, schlägt m a n auf die Säge; manchmal gibt m a n d er Mutter auch R u ß (xö) vom Boden des Kessels (pas), um die Nachgeburt auszutreiben. Falls das Kind nicht sofort schreit, schlägt m a n über dem Kopf des Neugeborenen dreimal mit einem Stein auf die Schaufel oder — wenn das nicht hilft — an einen kleinen Kessel (idzeygi), wie ihn die Jäger zum Kochen benutzen. Wenn Jungtiere leblos geboren werden, bläst m a n ihnen kräftig ins Ohr; auf die gleiche Weise h a t eine mir gut bekannte F r a u auch ein Kind zum Atmen gebracht. — Wenn bei der Mutter die Milch nicht einschießt, kocht die Nabelmutter Tee, den die Wöchnerin trinken muß. Für die Mutter gelten die n u n folgenden 40—45 Tage als Schonzeit. I n dieser Periode darf sie keinen arayi (aus gegorener Milch destilliertes alkoholisches Getränk) und keinen K u m y s trinken, kein Murmeltierfleisch 10 sowie keine A r t Geflügel essen: Davon könnten Veränderungen der Muttermilch herrühren, die
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b a r j u r t e das K i n d abnabeln solle, mit dem W u n s c h : xolur\ aq bolsun \ — „Deine H ä n d e mögen weiß werden!" ( — Es möge dir gelingen!). Vergleiche zur E n t b i n d u n g V A J N S T E J N S . 1 3 9 . — Der Fettlutscher soll auch vorbeugend wirken gegen eine spätere E r k r a n k u n g an padya, einer Krankheit, die mit bitterem Geschmack im Hals u n d Erbrechen von Galle einhergeht u n d die m a n mit Mehlschleim (ximirän) und eventuell auch mit Fleisch heilt.
" Vgl. DYRENKOVA, 10
S. 25.
Nach reichlichem Genuß von Murmeltierfleisch — vor allem, wenn m a n lange oder noch gar keins gegessen h a t — können auch Erwachsene leicht Durchfall bekomm e n ; das gleiche gilt für Kumys.
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dem Säugling schaden. — Im allgemeinen wird sehr lange gestillt — bis das nächste Kind kommt und selbst darüber hinaus. Häufig sieht man Mütter, die Drei- bis Vierjährigen noch die Brust geben (mitunter allerdings lediglich, um sie zu beruhigen). — I n den ersten drei Tagen nach der Geburt gilt die Frau als unrein: Sie ißt aus einem eigenen Schüsselchen, sie darf sich das Fleisch nicht selbst schneiden. Von dem geschlachteten Schaf muß sie viel Fleischbrühe trinken und Fleisch essen, damit sie schnell wieder zu Kräften kommt, denn am dritten Tage steht sie wieder auf. Das ist der Tag des Wiegenfestes (dzas uruy'nu Öpejge [oder yavajya] yär [xün]) — der Tag, an welchem man das kleine Kind in die Wiege legt. Die Bedeutung dieses Tages liegt in der Reinigung, im Freiwerden der Mutter und des Kindes von der unsichtbaren Unreinheit. 11 Am Morgen werden Wacholderzweige (artis) in Wasser ausgekocht 12 , und mit diesem Wasser wäscht die Mutter sich selbst und ihr Kind (dzunar). Alles, was die Wöchnerin in diesen drei Tagen gebraucht hat, wird über Wacholder-Rauch gehalten und so gereinigt. Nun wird das Kind in die Wiege gelegt, die der Vater innerhalb der ersten drei Tage selbst angefertigt hat. I n einen besonderen Riemen, „Zügel" (tin) genannt, der am Kopfteil der Wiege befestigt ist, bindet man ein Knöchelchen (yaziq) aus dem Fersengelenk des am Tag der Geburt geschlachteten Schafes — auf diese Weise kann man später an der Zahl der dort eingebundenen Knöchel die Zahl der Kinder einer Familie ablesen (Abb. 2, Taf. I). Totgeburten bezeichnet man einfach durch einen Knoten im „Zügel". Stirbt später ein Kind, so entfernt man sein Knöchelchen aus dem „Zügel" und macht an dessen Stelle ebenfalls einen Knoten. — Die tuwinische Wiege ist so praktisch eingerichtet, daß das Kind nicht in nassen oder verschmutzten Windeln liegen muß. 13 — Falls ein Kind gestorben ist, legen manche Eltern das Nächstgeborene nicht wieder in eine Wiege. Dann wird das Kind in wattierte Decken gewickelt und zu einem Bündel geschnürt. I n diesem Falle bestreicht man das Gesäß des Kindes gegen Wundwerden mit pulverisierten Teeblättern, die m a n — ähnlich wie den Schnupftabak — im Mörser gestampft h a t ; heute dient als Mörser oft eine einfache hölzerne Schale (savil) und als Stößel ein Schaufelstiel. — Häufig nimmt man dann bei der nächsten Entbindung eine andere Person als Nabelmutter, gern noch unverheiratete Jugendliche oder größere Kinder (gleich ob Junge oder Mädchen), und ein anderes Instrument zum Durchschneiden der Nabelschnur, zum Beispiel ein Messer statt der Schere. Auf jeden Fall verändert m a n etwas, wenn mehrere Kinder vorher gestorben oder totgeboren sind: Man glaubt, daß irgend etwas an der Wiege, der Nabelmutter oder dem Schnittinstrument unrein gewesen sein muß, oder daß sich in der Wiege ein böser Geist versteckt hält. — Stirbt ein Kind (doydävas, „nicht bleiben"; ender, „sich verirren"; dzive bolvas, „zunichte werden"; yorsäya bär, „einkaufen gehen"), so 11
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Vgl. ROMBANDEEVA,
S. 90.
Solches Wasser wird auch bei a n d e r e n Gelegenheiten, zum Beispiel bei K r a n k h e i t , verwendet. « Siehe dazu T A U B E , S. 1 9 9 f f .
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macht man. ihm mit Ruß irgendwo am Körper ein Zeichen (zum Beispiel ein kleines Kreuz); bei Spätergeborenen sucht man dann an dieser Stelle nach einem Muttermal und glaubt, auf diese Weise Wiedergeburten zu erkennen.1'1 Wenn man hört, daß ein K i n d geboren ist, erkundigt man sich mit folgenden Worten nach seinem Geschlecht: oldza dzü 1% — „Was für eine Beute ist es?"; man erhält zur Antwort: örge duzaydär — „einer, der Zieselmäuse fängt", das bedeutet, ein Junge; oder: ösgü sär — „eine, die Ziegen melkt", dies meint, daß es ein Mädchen ist. Früher wünschten sich die Eltern mehr einen Jungen, und Mädchen wurden gering geachtet: Es kam vor, daß jemand sagte, er habe keine Kinder, obwohl er einige Töchter besaß. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, daß die Mädchen bei der Heirat aus der Familie weggingen und so für die Eltern nur selten eine Stütze im Alter sein konnten, während immer einige oder wenigstens einer der Söhne auch nach der Verheiratung mit den Eltern in einer Jurtengemeinschaft blieben; das bedeutete für die Eltern ein ruhiges Alter, frei von Sorgen und Mühen, das sie ganz dem Glück mit den Enkeln widmen konnten. 15 Bis heute scheinen kleine Jungen (wie ja auch bei uns nicht selten) eine etwas bevorzugte Stellung einzunehmen oder der besondere Stolz der Eltern zu sein. Beim Photographieren kleiner Kinder wird oft Wert darauf gelegt, daß das Geschlecht zu erkennen ist. Man spielt auch gern mit kleinen Jungen „yurtuy berl" oder „yurtuy ekell" („Gib dein Würmlein!" oder „Bring dein Würmlein!"): Man fordert die Kleinen mit diesen Worten auf, ihr Glied zu berühren und so zu tun, als gäben sie es dem Erwachsenen in dessen offene Hand, der seinerseits die Hand an die Lippen führt, so tut, als koste er davon, und sein Wohlgefallen kundgibt. Solche Spiele, die den Stolz über die Männlichkeit des Kindes ausdrücken, kommen auch bei anderen Völkern vor. 10 A m Tag, da das Kind zum erstenmal in die Wiege gelegt wird, kommen am zeitigen Nachmittag die Gäste. Jeder Erwachsene bringt irgend etwas mit — ein bißchen börsaq (gesottenes Gebäck), Zuckerzeug, äxsi (Trockenquark in kleinen Stücken), yu'rt (Trockenquark in großen Stücken) oder ein Fell. Auf jeden Fall ist das Geschenk in ein Stück neuen Stoff eingewickelt, aus dem später etwas für das Kind genäht werden kann. Auch ein Krug taraq (saure Milch), yimis (Kumys, gegorene Stutenmilch), eine Flasche oder ein Krug aray'i (aus gegorener Milch destilliertes alkoholisches Getränk) kommen als Geschenk in Frage. Diese Gaben sind eine Beisteuer zum Fest. K o m m t ein Mann zusammen mit seiner Frau, so wird die Frau die genannten Dinge, der Mann aber einen Geldschein schenken. — Die Frauen aus den Nachbarjurten bringen oft gleich einen „Teller" (tavaq) mit, wie man ihn jedem vorsetzen muß, der in die Jurte 14 15
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Den gleichen Brauch kennen auch die Golden ( H a r v a S. 166). Vgl. dazu das tuwinische Sprichwort xariya bergen uruy', xajaya a'dyan oq — „Ein Mädchen, das man in die Fremde gibt, (ist wie) ein Pfeil, den man in den Fels schießt". Besonders verbreitet sind solche Spiele in islamischen Ländern (Vgl. E d w a b d e s und M a s t e r s : Quelle der Erotik. Eine Studie des afro-asiatischen Sexualverhaltens. Flensburg (1967), S. 60.
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kommt; auf ihm liegt in jedem Falle ärs'i, außerdem ad libitum Würfelzucker, Bonbons, börsaq, öreme (Sahne), bistaq (etwas Käseartiges) und Butter (üs). Diese Teller werden, wenn die Feier schon etwas fortgeschritten ist, mit auf den Tisch gestellt und nach dem Fest mit einer Kleinigkeit darauf (einer Nadel, etwas Garn oder auch ein wenig Zuckerzeug) dem Eigentümer zurückgebracht — wie grundsätzlich jedes Gefäß, in dem etwas als Geschenk in die J u r t e gebracht wurde, nicht leer zurückgegeben wird. — Alle Gaben werden vom Eintretenden wortlos oder auch mit einem Segensspruch (alyis) abgelegt, entweder gleich auf das im allgemeinen rechts von der Tür stehende Regal oder einen Schrank, oder aber auf oder neben die Wiege, die auf das Bett in der rechten Jurtenhälfte gesetzt worden ist. Wenn aray'i gebracht wurde, spritzt die Großmutter zuerst ein wenig auf den Herd und in die Himmelsrichtungen, dann auf die Wiege. — Den Eintretenden werden zunächst Tee und der „Teller" angeboten. Danach wird Fleisch aufgetragen, wobei das beste Stück, der Fettschwanz mit einem Teil vom Rücken (uza), zuerst der Nabelmutter vorgelegt wird. Bis vor etwa zehn Jahren machten die Eltern des Neugeborenen dieses Fleischstück zusammen mit etwas aray'i, etwas von den „weißen Speisen" (aq dzem, alles, was aus Milch hergestellt wurde) und etwas weißem Stoff der Nabelmutter zum Geschenk. Auch das Fell des anläßlich der Geburt geschlachteten Schafes wurde ihr überreicht. Diesen Brauch nennt man xol ayartir, „die Hände weiß machen": jemandem, der etwas Schwieriges oder Unangenehmes getan hat, etwas Weißes schenken; dies war auch gegenüber Ärzten, Schamanen und Kastrierern üblich. — Später, wenn das Kind größer geworden ist, macht es selbst der Nabelmutter ein Geschenk — Stoff oder ähnliches — und erhält seinerseits auch etwas von ihr. Das Fest nimmt den üblichen Verlauf: Vor dem Fleischessen wäscht man sich in der Nähe der Jurtentür oder außerhalb die Hände, wobei einer aus der gastgebenden Familie den Gästen das Wasser zugießt. Dann schneiden ein oder zwei jüngere Männer das Fleisch von den Knochen in kleine Stücke für die sehr Alten und für die Frauen — die Männer haben alle ihr eigenes Messer. Nach dem Essen werden Kumys und aray'i eingeschenkt. Die Schale erhält zunächst der Älteste, dann geht sie reihum. So wird getrunken und gesungen, bis keine Getränke mehr vorhanden sind. Im Zusammenhang mit dem Wiegenfest müssen die Segenssprüche für das Neugeborene erwähnt werden. Es sind zwei Arten zu unterscheiden: Einmal gibt es die tuwinischen Segenssprüche (alyis), die meist gesagt werden, wenn man nach dem Betreten der J u r t e sein Geschenk auf die Wiege legt. Diese Sprüche sind gewöhnlich nicht sehr lang, sie umfassen üblicherweise zwei oder vier Verse. Zum anderen gibt es längere, die von mongolischsprechenden Nachbarvölkern (in erster Linie kommen wohl die Urianchai in Frage) übernommen wurden und die mit dem mongolischen Ausdruck jerol benannt sind; man trägt sie — in der Regel beim Trinken — auch in mongolischer Sprache vor. Es gibt natürlich auch lange tuwinische Segenssprüche, aber sie sind nicht so zahlreich: Diese Gattung der Volksliteratur scheint sich bei den Tuwinern nicht so ausgeprägt zu haben wie bei ihren mongolischen Nachbarn. — Die längeren Segens-
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Sprüche werden meist von älteren Leuten oder von Männern ausgebracht. Dazu erheben sie sich, stehen einem der nächsten Angehörigen des Kindes zugewandt und halten die mit aray'i gefüllte Schale, auf der etwas bistaq und ein Geldschein liegen, mit beiden Händen vor sich hin. Der, an den sie sich richten, steht ebenfalls auf. Bei den letzten Worten reichen sie die Schale ihrem Gegenüber. Der Empfänger nimmt sie mit beiden Händen entgegen, kostet von dem bistaq, trinkt von dem aray'i, läßt die Schale auffüllen und reicht sie dem Spender zurück, der nun seinerseits trinkt. Die übrigen Anwesenden sitzen dabei und halten die Hände mit nach oben gewendeten Handflächen im Schoß, als wollten sie etwas in Empfang nehmen. Dies ist das Grundzeremoniell, das aber noch durch variierende Zusätze erweitert werden kann. — Hier einige Beispiele solcher tuwinischer Segenssprüche: für Kinder beiderlei Geschlechts: Merl aq bazimni alir bolsun! „Er möge einer werden, der meinen weißen Kopf nimmt!" ( = Er möge so einen weißen Kopf bekommen wie ich, er möge so alt werden wie ich!) Bürul basdiy' burzaq disdig' muy bujanniy'
bolsun!
„Einen grauen Kopf, stummelige Zähne, tausendfache Tugend möge es haben!" TJzun dzasdiy', ür dziryaldiy', säril saymajliy', bürul bisyaydiy', möyge dzasdiy', möygiin öpejlig' bolsunl „Mit hohem Alter, mit langwährendem Glück, mit grauem Haar über der Stirn, mit fahler Haut, mit ewigem Leben, mit einem silbernen Wieglein möge es (versehen) sein!" Möygü törelig', Möygün taymaliy', Xän eziyge xajraldiy', Edzen eziyge ergelig', Geldereves gezigdig', Buldaravas bujanniy' bolsunl „Eine beständige Regierung, ein silbernes Eigentumszeichen, an des Fürsten Tür Beliebtheit, an der Herrn Tür Gerechtigkeit, 6*
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unvergängliche Seligkeit, unverlierbare Tugend mögen ihm (zuteil) werden!" Bönuy oyunan türgen sayiyyan sayiziyya dze'dip durar bolsun! „Schneller als die Gewehrkugel möge es seine Wünsche erreichen!" (wörtlich: seine gedachten Gedanken) für Jungen: Oldzayarniy duzä b'iziy' bolsun! „Die Fangschlinge eurer Beute ( = eures Kindes) möge fest werden!" ( = Euer Junge möge viele Zieselmäuse fangen!) Duzä biziy', diymalari gövej bolsun! „Seine Fangschlinge möge fest, seine jüngeren Geschwister mögen zahlreich sein!" Erdemtin bolsun\ Bidzirde xolunuy uzü sever bolsunl A'darda bözu dzecen bolsunl Dzer a'dbas mergen bolsun! Dzerge olurvas sedey bolsun! „Ein Gelehrter möge er werden! Beim Schreiben möge seine Schrift sauber sein! (wörtlich: die Buchstaben seiner Hand) Beim Schießen möge sein Gewehr treffsicher sein! Ein Schütze, der nicht vorbeischießt (wörtlich: nicht in die Erde), möge er werden! Ein Vornehmer, der nicht auf dem Erdboden sitzt, möge er werden!" für Mädchen: Uzü däsy'ir bolsun! „Ihr Nähen möge schnell (wörtlich: laut) sein!" Ist das Kind drei Jahre alt (ein paar Monate mehr oder weniger fallen nicht ins Gewicht), gibt es noch einmal ihm zu Ehren ein Fest (uruy' xilb'i alir [xün]), wenn zum ersten Mal das Haar geschnitten wird. Dabei schneidet jeder der Festteilnehmer ein Büschelchen ab. Bis zu diesem Tag läßt man das Haar des Kindes lose hängen oder bindet oben auf dem Kopf oder im Nacken ein Büschelchen zusammen (Abb. 3 u. 4, Taf. I) — Es gibt verschiedene Kinderfrisuren:
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1. Ganz kahl geschorenes Köpfchen. 2. Das Köpfchen ist ringsum geschoren, am Wirbel aber ist ein Büschel H a a r e zum Zöpfchen geflochten (Abb. 5, Taf. II). 3. Der Hinterkopf und die Seiten sind geschoren, über der Stirn bleibt ein Schöpfchen stehen ( s a y m a j ) (Abb. 6, Taf. II). 4. N u r der Hinterkopf ist geschoren, über der Stirn und an den Seiten bleibt das H a a r lang (Abb. 5, Taf. II). — Diese Frisur ist besonders beliebt. Die ersten beiden Frisuren tragen vor allem Jungen, die letzten beiden J u n g e n u n d Mädchen. Zwei Zöpfe flicht m a n den Mädchen erst, wenn sie etwas größer sind (mindestens etwa 5 Jahre). H e u t e sieht m a n bei Mädchen natürlich auch einen kurzen Bubikopf. Anläßlich des Festes des ersten Haarschnittes gibt m a n dem Kind seinen N a m e n ; dieser Brauch ist heute allerdings am Verschwinden: Sehr häufig wird jetzt der N a m e schon bald nach der Geburt gewählt. — Diesen ersten N a m e n könnte m a n als den offiziellen bezeichnen, denn tuwinische Kinder haben mitunter sehr viele N a m e n (mein Freund Galsan h a t t e — von vielen Koseformen abgesehen — als Kind sechs Namen). Meist wird der Name von einem der älteren Familienmitglieder oder auch von einem der Gäste gegeben. — Was den I n h a l t der N a m e n betrifft, so sind es Eigenschaften, die m a n f ü r das Kind wünscht (eine A r t Omen, gleichzeitig wohl auch an die Adresse böser Geister gerichtet, daß sie vor den Eigenschaften des Kindes zurückschrecken) 17 , oder die m a n a n ihm schon zu entdecken glaubt (Dzalaygös — „anhaltende Glut"), Hinweise auf körperliche Merkmale (Uluy'yaraq — „Großauge"), Kosenamen, zum Teil in Anlehnung an das Aussehen, das Benehmen oder die Kleidung des Kleinkindes (Dzuruy'uvä — „Pelzbaby", Silemen — „Freßsäckchen", Dapal — „etwas kurzes Dickes"), wohlklingende Namen (Dzecek—„Blume"), Tiernamen (Güsge — „Maus", Torlä - „Haselhuhn", Möndele — „kleines Murmeltier"). — Der sprachlichen Herk u n f t nach gibt es im wesentlichen tuwinische, mongolische, kasachische und m i t dem Lamaismus (vermutlich über das Mongolische) gekommene tibetische Namen. — Da es keine tuwinischen Schulen gibt, haben die tuwinischen Kinder die W a h l zwischen der mongolischen und der kasachischen Schule. F a s t 1 0 0 % entscheiden sich f ü r die mongolische. Beim Schuleintritt erhalten sie dort vom Lehrer einen mongolischen Namen, der f ü r das weitere Leben als offizieller N a m e gilt. I n der Familie und überhaupt in der privaten Sphäre wird jedoch nur der in der Familie gegebene N a m e gebraucht. — I n den letzten J a h r e n ist allerdings zu beobachten, daß relativ oft den kleinen Kindern schon in der Familie mongolische oder russische N a m e n gegeben werden, d. h. manche Kinder haben heute neben dem mongolischen gar keinen tuwinischen N a m e n mehr. Unter den russischen Namen sind auch solche, die im Russischen gar keine Vornamen oder ü b e r h a u p t keine N a m e n sind, wie z. B. Gagarin, Öqalab « russ. Öhalov), Malen"
V g l . VJATKINA, S. 234.
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kov, Seser ( < russ. SS SR). 18 — Eine weitere Art von N a m e n ist von besonderem Interesse für den Volkskundler: Es sind die Namen, die den Zweck haben, böse Geister, die nach dem Glauben der Tuwiner immer und überall auf der Lauer liegen, von dem Kind, aber auch später vom erwachsenen Menschen, fernzuhalten. E s sind abschreckende Namen wie Mayyis (das Ungeheuer der Volksüberlieferung), Dzerlig' („der Wilde"), oder Namen, die etwas Unscheinbares oder Häßliches ausdrücken, u m das Interesse der bösen Geister abzulenken, wie Dirtiyuvä („krummes Baby"), Ozruqban („Fürzchen"), Dzolbun („Strolch", „Herumtreiber"). Dem Schutz vor bösen Geistern, durch die besonders Kinder gefährdet sind, dienen auch verschiedene Bräuche, die vor allem bis zum 10. Lebensjahr beachtet werden. — Zuvor aber noch ein Wort zur Kleidung: Die Kinder tragen ein Hemd, Hosen (die bei den Kleinen im Schritt offen sind 1 8 a ), Stiefel und ein Obergewand, das sich im Schnitt von dem der Männer nicht unterscheidet, dem mongolischen Deel gleicht und wie dieser mit einem langen Stoffgürtel zusammengehalten wird (Abb. 7, Taf. II). Die dünne, höchstens leicht wattierte Ausführung nennt m a n lav(a)saq, die dicke, stark wattierte oder mit Pelz gefütterte heißt ton. H e u t e sind natürlich im Sommer auch die verschiedensten vom Handel angebotenen Kleidungsstücke zu sehen (Abb. 8
Fig. 3 18
I n einer Familie h a t t e eine Großmutter, die mich gut kannte, den kleinen J u n g e n „Erika" genannt. Als ich davon hörte u n d ihr sagte, daß dies ein Mädchenname sei, antwortete sie: „Ob Mädchenname oder J u n g e n n a m e — das ist gleich. Ich will, daß er „Erika" h e i ß t ! " 18a Solche Hosen heißen alayaydiy' dzüvür, wörtlich „Hose m i t Insel".
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u n d 9, Taf. I I , I I I ) . Das alte tuwinische Männerkleid h a t t e nicht wie der mongolische Deel ein Stehbündchen, sondern wie die Frauen- und Mädchenkleider einen kleinen Umlegekragen mit spitzen Ecken. Es ist anzunehmen, daß auch die Kinderkleider früher mit einem solchen Kragen ausgestattet waren. — J u n g e Mädchen trugen — bis zu ihrer Verheiratung — ein besonderes Gewand (ebenfalls: lav(a)saq oder ton), d a s — i m Gegensatz zum Frauenkleid — mit Gürtel getragen wurde (daher f ü r die Verheiratete die Bezeichnung yurzaq < yur dzoq, „ohne Gürtel", s. Fig. 3 und Abb. 10, Taf. III). Dieses Kleidungsstück ist heute f a s t verschwunden. Ich sah es nur einmal: Das betreffende Mädchen war in kurzen Abständen mehrmals sehr krank gewesen, und eine Schamanin h a t t e den R a t gegeben, daß sie ein alttuwinisches Mädchenkleid tragen sollte. — Grundsätzlich werden alle Kleider rechts geschlossen. Bei besonders anfälligen Kindern sieht m a n aber auch linksseitig zu knöpfende Gewänder (Abb. 13). Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, daß sich die bösen Geister gern in der Kleidung festsetzen; deshalb darf m a n Kinderkleidung, die über N a c h t außerhalb der J u r t e gelegen hat, dem Kind nicht anziehen, ehe sie über dem Rauch von verbrennendem Wacholder (artis) durch Hin- und Herschwenken gereinigt worden ist. 19 Will n u n irgendein Übel auf die gewohnte Weise von rechts in das Kleid hineinschlüpfen, so findet es diese Seite verschlossen und keinen Eingang. — Zur Kopfbedeckung dienen Mützen (bört), leicht wattiert oder mit Pelz gefüttert (Abb. 11, 12 und 13, Taf. I I I , IV) und bei größeren Mädchen Kopftücher. Als Abwehrzauber werden die verschiedensten Gegenstände an die Kleidung der Kinder genäht, zumeist als allgemeiner Schutz gegen böse Geister. Kleine Büschel von Uhufedern finden sich an den Mützenecken (Abb. 14, Taf. IV), a n den Schultern (hier z . B . speziell gegen Lobreden) und auch am Rücken zwischen den Schultern. Leere Patronenhülsen, Krallen und Zähne von Bär, Wolf u n d Irbis, Adler- und Falkenkrallen, kleine Stücke vom Fell eines Wolfes oder Irbis und hartgewordenen Schlangenkot befestigt m a n a n verschiedenen Stellen der Kleidung, vor allem am Brustlatz; Krallen sah ich auch am Gürtel: Die K r a f t dieser Tiere gegenüber schädlichen Dämonen soll auf das Kind übergehen. Kleine Schellen (yoyya) am Gürtel (Abb. 15, Taf. IV), an der Mütze, an den Stiefelchen und a n den Schultern, manchmal mit einem Löwenbild, dienen gleichzeitig als Schmuck. Mitunter werden a n den Schultern kleine durchlöcherte Steine angenäht. E i n Zipfelchen rotes Tuch oder ein kleines Stück dzaq-Holz20 (dies auch bei Erwachsenen) am Kragen befestigt hilft besonders gegen Blitzschlag. Eine kleine Nachbildung eines Gerbergeräts (daly'iy' mit sürgü) wird kleinen Mädchen, die im Schlaf mit den Zähnen knirschen, an den vorderen Saum des Kleides genäht, weil das Knirschen als schlechtes Vorzeichen gilt 19
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Vgl. die tuwinische Redensart dzedger dzerj isdinde — „das Unheil sitzt schon im Ärmel". Mongolisch zag, „Salzstrauch, Salzbaum, Saksaul", Haloxylon ammodendron, bis zu 6 m hoher, oft verkrüppelter B a u m mit unscheinbaren Blättchen und sehr hartem Holz, einzeln wachsend, charakteristisch für die Salzsteppen Zentralasiens.
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(Bei kleinen Jungen dagegen hält man es für ein Zeichen von K r a f t und Männlichkeit). Ein weißer Stein, innen an dem Kleidersaum befestigt, schützt gegen Lobreden (z. B. wenn ein Kind zu lebhaft und aufgeweckt ist), während ein schwarzer Stein schlechtes Gerede abwehrt. Auch gegen zu frühes Laufen wird ein Stein am Saum befestigt. — An einer Kette werden Kindern die verschiedensten (meist geschenkte) Dinge als Schutz um den Hals gehängt: Steinchen, Haare, Wolle u. a. Kleine Pfeile, leere Patronenhülsen, ein Stück Bärenfell, Krallen und Reißzähne von starken Tieren wie Bär und Irbis sowie Adlerkrallen oder getrockneten Schlangenkot näht man auch an das Kopfteil der Wiege (eymeh). Ein kleines geschnitztes Füchslein findet man ebenfalls am Wiegenkopf oder in den Zügel (tin) 2i gebunden, vor allem dann, wenn das Kind schlecht schläft oder im Schlaf leicht erschrickt. Dagegen soll auch ein bißchen Haar vom Nacken eines brünstigen Kamelhengstes (girgen im i y bura) helfen, das in einem Beutelchen an der gleichen Stelle befestigt wird. — Wenn größere Kinder im Schlaf phantasieren und herum wandern (dzülür), hängt m a n ihnen einen aus Birkenholz (yaday) geschnitzten kleinen Fuchs oder Hasen an einem roten Faden um den Hals. Schließlich kann man Fig. 4 gegen Unruhe auch etwas Wacholder und Schwefelgügür auf die Glut im Herd legen: Wenn es anfängt zu knistern und zu spritzen, nimmt man das Kind auf den Arm und bewegt es drei- oder siebenmal im Kreis über der Glut (siriyd'är). Falls man nachts mit kleinen Kindern reisen muß, macht m a n ihnen mit R u ß einen Strich mit dem Finger von der Stirn über den Nasenrücken. Gelegentlich sieht man auch Kinder, denen mit roter Farbe drei Striche ins Gesicht gemalt sind (wie z. B. Fig. 4). — Wenn Jungen etwas größer geworden sind, bekommen sie manchmal ein Messer mit einem gelben Horngriff: Man sagt ihnen, solange sie dieses Messer hätten, könne ihnen nichts Böses widerfahren. — Da mit Einbruch der Dunkelheit die bösen Geister besonders gefährlich werden, verbietet man den Kindern, abends, wenn es zu dämmern anfängt, draußen herumzulärmen; wenn sie noch im Freien spielen, werden sie immer wieder angehalten, nicht laut zu sein. — Mein Freund Galsan erzählte, daß ihn seine Mutter, wenn er in der Dunkelheit allein aus der J u r t e gehen mußte, folgende Worte gegen die Angst lehrte: „Om dere düd dere dür sü xä."22 I n bezug auf kleine Kinder werden Wörter gebraucht, die einen Ersatz darstellen für die allgemein-sprachlichen Bezeichnungen, z. B. der Teile des kind21
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Dieser „Zügel" ist ein v o m Kopfteil zum F u ß t e i l der Wiege gespanntes R i e m c h e n , mit welchem sich die M u t t e r die Wiege u m h ä n g e n k a n n u n d über welchen m a n m i t u n t e r eine Decke legt, die das K i n d vor Licht u n d Wind schützt (vgl. T A U B E S. 201f.). E s gibt bei d e n Tuwinern ein Märchen (Nomnurjdzürenirjgüzü), welches ein Beispiel f ü r die W i r k s a m k e i t dieser Formel bietet. — Beginn (om) u n d Schluß ( < s k t . svähä) erinnern an eine buddhistische Dhärani, aber im übrigen ist mir eine D e u t u n g n i c h t möglich; auch die Tuwiner k o n n t e n darüber keine A u s k u n f t geben.
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liehen Körpers, von Gegenständen, die dem Kind gehören oder für das Kind da sind, oder für bestimmte Tätigkeiten. Da diese Ersatzwörter nicht vom Kind selbst, sondern nur von Erwachsenen im Gespräch mit dem Kind und im Gespräch untereinander gebraucht werden, neige ich dazu, anzunehmen, daß sie ihren Ursprung in dem Wunsch haben, die sehr kleinen Kinder dem Zugriff böser Geister zu entziehen. Solche Wörter sind zum Beispiel i'ddiy ajä, „Wiege" (wörtlich: „ H u n d e n a p f " ) 2 3 , mayAär, „laufen" (sonst nur für Tiere gebraucht), bar'il, „Kleid" (für ton, wörtl. „Topflappen"), dudyus, alle Art kindlicher „Oberbekleidung" wie ton und lav(a)saq, zirge, „Zahn" (sonst dis, wörtl. „Nisse"), öpej, „Wiege" (sonst yavaj). Im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Kindheit kann man unter den Zengel-Tuwinern eine Fülle von Bräuchen beobachten, die darauf gerichtet sind, alle Kinder gesund aufzuziehen und sie vor schädigenden Einflüssen zu bewahren: Einiges davon ist fast vergessen, vieles ist noch immer lebendig, und manches wird mir entgangen sein.
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2:1
Als „ H u n d e n a p f " (ampten sän) bezeichnen auch die Mansen die erste Wiege de» K i n d e s (vgl. R O M B A N D E E V A S. 87).
Maidari-Fest im Ivolginsker Kloster von
KBISTINA LANGE,
Leipzig
(Mit 1 Skizze und 4 Abbildungen auf Tafel V - V I )
Nach der Missionierung durch mongolische und tibetische Vertreter der Ge-lugspa waren bis zum Jahre 1741 bei den Ost-Burjaten elf buddhistische Klöster (Kloster = Dacan) gegründet worden. I n jenem Jahre wurde der Vorsteher des Congolsker Dacan's auf Erlaß des russischen Zaren zum Oberhaupt der burjatischen Buddhisten erklärt. I m Jahre 1764 wurde diesem Oberhaupt vom DalaiLama der Titel Bandido-chambo-lama (Pandita mK'an-po bla-ma) verliehen, und das „Kloster am Gänse-See" (Gusino-ozerskij dacan) wurde seine Residenz. 1816 bestanden bereits 39 Dacane im Gebiet der Ost-Burjaten, zu denen bis Ende des 19. Jahrhunderts noch drei weitere Neugründungen hinzukamen. Infolge ihrer feudalen Position und des reaktionären Verhaltens der meisten Mönche während der sozialistischen Umgestaltung in dem damals zur Burjat-Mongolischen Autonomen Sozialistischen Sowjet-Republik gehörenden Gebiet der R S F S R (Russische Sozialistische Föderative Sowjet-Republik) wurden alle Dacane in den 30iger Jahren unseres Jahrhunderts aufgelöst. Nach dem zweiten Weltkrieg, der von den Völkern der Sowjetunion gemeinsam als Großer Vaterländischer Krieg geführt worden war, gründeten ehemalige burjatische Mönche bei der Gemeinde Ivolga (1965: 7200 Einwohner; Bezirk Ulan-Ude, Burjatische ASSR, RSFSR) ein neues buddhistisches Kloster. Dieser Ivolginsker Dacan, etwa 40 Autostraßen-Kilometer südwestlich der Hauptstadt Ulan-Ude, ist nunmehr der offizielle Sitz des Bandidochambo-lama als Oberhaupt der Buddhisten in der UdSSR. 1967, während eines Studienaufenthaltes am Burjatischen Institut für Gesell-, schaftswissenschaften in Ulan-Ude 1 , hatte ich Gelegenheit, diesen Ivolginsker Dacan zu besuchen. Er liegt etwa 4 km südlich der Hauptsiedlung Ivolga, einige hundert Meter von einer Teilsiedlung des gleichen Ortes entfernt. Auf dem ebenen, 100 x 100 m großen, eingezäunten Gelände befanden sich: ein aus Holz konstruierter, kleinerer Tempel (ebenfalls: Dacan); ein zweiter, größerer, aus Stein erbauter Tempel, der noch nicht ganz vollendet war; zwei mC'od-rten, Grabmäler des 1. Vorstehers und Bandido-chambo-lama und eines anderen im 1
Vgl. L A N G E , K . / T A U B E , M.; Tibet-Forschungen in der U d S S R seit 1945; E t h n o graphisch-Archäologische Zeitschrift. Berlin: V E B Deutscher Verlag der Wissenschaften 10/1969:2, 2 4 5 - 2 6 6 ; L A N G E , K . / Z U R A V L E V A , V. P . : Bibliographie sowjetischer Arbeiten zur Tibet-Forschung; ebenda, 267—283.
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Kloster verstorbenen Mönches; zwei Gruppen von Gebetsmühlen-Ständern; die auf steinernen Sockeln errichteten Holzhäuser für derzeit 28 im Kloster lebende Mönche, für einen Teil der Kloster-Bibliothek und für einen gut gedeihenden Ableger des Bodhi-Baumes, der damals etwa 2 m hoch war. Eines der Häuser steht dem Bandido-chambo-lama zur ständigen Verfügung. Es amtiert i?ambal-dorje ('Jam-dpal-rdo-rje) GOMBOEV aus dem Aginsker Dacan (Kloster Agha im Aginsker Burjatischen Nationalen Kreis, Bezirk Tschita, RSFSR.) Siregetü (K'ri-pa, „Vorsteher") des Ivolginsker Dacan's ist Cyden (CTe-ldan rDo-rje-ba-jra skyabs-bu) C Y D E N O V ; sein Stellvertreter (Chambinsume) ist Munche C Y B I K O V . Von den übrigen Mönchen sei hier noch der damals fast 80-jährige dGe-bses Lobsan-isi (bLo-bzan-ye-ses) B A L C I N O V genannt, der die Bibliothek verwaltet. Die ehemaligen Mönche, auf deren Initiative hin der Ivolginsker Dacan gegründet wurde, hatten vorher im weltlichen Leben das gesetzliche Rentenalter erreicht. Auch als Mönche erhalten sie aus staatlichen Mitteln monatlich 80 Rubel Rente. Einige von ihnen hatten in den Jahrzehnten vorher Familien gegründet, zu denen sie weiterhin Kontakt halten. Novizen werden in das Kloster nicht aufgenommen. Die Mönche versehen — einander abwechselnd — den täglichen Dienst im Tempel, sie halten esoterische Riten ab, und sie betreuen einzelne Gläubige in der näheren und ferneren Umgebung, wenn sie z. B. zu Totengebeten gerufen werden. Die Einstellung der Mönche zu ihrer Gegenwart innerhalb und außerhalb des Klosters ist aufgeschlossen und ohne spürbares Ressentiment: sie waren in der früheren ost-burjatischen Gesellschaft verwurzelt, sie haben den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung miterlebt und daran teilgenommen, und sie nehmen nun den Platz ein, den diese neue Gesellschaft ihnen freistellt einzunehmen. Ihre Art der Religionsausübung entspricht ihren persönlichen Wünschen und den Bedürfnissen der übrigen Bevölkerung, unter der es zwar noch Gläubige gibt, der aber im allgemeinen an einer Religionspropaganda nichts liegt. Ältere Burjaten besinnen sich noch zu gut auf das organisierte Schmarotzertum zahlreicher Geistlichkeit, und die jüngeren Generationen haben und finden nur selten eine echte Beziehung zu den überlieferten Glaubens vor Stellungen. Man akzeptiert die Mönche, wenn es Männer sind, die ihre letzten Jahre einer ihrem Glauben entsprechenden Lebensweise widmen, darunter gibt es auch Greise, die zu keiner anderen Tätigkeit mehr taugen und die in der Zurückgezogenheit klösterlichen Daseins gut aufgehoben sind. Eine gewisse Bedeutung haben — auch für weitere Kreise der ost-burjatischen Bevölkerung — bestimmte exoterische buddhistische Kulte, die von den Mönchen ausgestaltet werden und an denen Burjaten mit unterschiedlicher Grundeinstellung zur Religion jeweils auf ihre Weise teilnehmen. Zu diesen Kulten gehören die traditionell religiösen Volksfeste; die Neujahrsfeier im Winter im Aginsker Dacan und das Maidari-Fest im Sommer im Ivolginsker Dacan. Im Jahre 1967 fielen der 3., 4. und 5. Tag des 2. Sommermonats, an denen •das Maidari-Fest alljährlich begangen wird, auf den 10., 11. und 12. Juli. Wäh-
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rend das religionshistorisch und auch tibetologisch untersuchenswerte Ritual des Maidari-in Chural's im Ivolginsker Dacan 2 einer späteren Studie vorbehalten bleiben soll, möchte ich hier versuchen, den bei einem außenstehenden Beobachter bleibenden Eindruck von diesem Fest zu vermitteln und den äußeren Ablauf der Feier zu schildern. Bereits zwei Tage vor Beginn des Festes waren einzelne Verwandte und gute Bekannte der Mönche ins Kloster gekommen, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Der fast fertig gebaute neue Tempel war noch mit dem notwendigen Inventar einzurichten: lehnenlose Holzbänke für die Zuschauer mußten gezimmert und die farbigen Stoff-Draperien für die tragenden Holzsäulen m u ß t e n genäht werden. Die helfenden Männer und Frauen übernachteten in der nahegelegenen Teilsiedlung von Ivolga. Zum ersten Tag des Festes reisten dann die Mönchsgäste aus dem Aginsker Dacan an, um an der einstimmenden Kanjur-Lesung teilzunehmen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang — je drei Stunden lang mit anschließender zweistündiger Pause — saßen die Mönche in zwei Doppelreihen im großen Tempel und trugen unter Vorsitz des Bandido-chambo-lama die 108 Bände des tibetischen bKa'-'gyur nach der Ausgabe von sNar-t'ari vor, wobei jeder bestimmte Bücher zu lesen hatte. Während der Bandido-chambo-lama in gelbe Seidengewänder gekleidet war, trugen die übrigen Mönche ihre rote Tracht, die sie gewöhnlich auch nur innerhalb des Klostergeländes anlegen. Zum Anfeuchten der Kehlen und zur Erfrischung wurde den Mönchen während des Vortragens Tee gereicht, der mit Milch und etwas Salz zubereitet wird, wozu zerstoßene Stücke Teeziegel in Wasser gekocht, mit Milch aufgefüllt und mit Salz gewürzt werden. Zuschauer und Zuhörer gab es an diesem ersten Festtag noch nicht. Nach Sonnenuntergang suchten die Mönche ihre Nachtlager in den Häusern des Klosters auf; sie hatten sich selbst und den Ort auf den Maidari direkt gewidmeten Teil des Festes vorbereitet. Am zweiten Tag bei Sonnenaufgang begann die eigentliche Maidari-Feier, der Chural („Versammlung") zu Ehren des zukünftigen Buddha Maidari (Maitreya), den die Gläubigen als Friedensbringer erwarten. Während die Ivolginsker Mönche, unterstützt durch ihre Aginsker Gäste, seit Sonnenaufgang im großen Tempel den ersten Teil des Rituals zelebrierten, gesellten sich zu den seit Morgengrauen eingetroffenen immer neue Zuhörer und Zuschauer. Sie hatten den Weg aus dem Aginsker Gebiet zum Teil per Eisenbahn zurückgelegt, im Dacan trafen sie mit Autobussen, Lastkraftwagen, Taxen, auf Pferde wagen und zu Fuß ein. Alle begaben sich zunächst einmal in den Tempel. Wer kein freies Plätzchen mehr zum Sitzen oder Stehen fand, machte wenigstens einmal oder auch mehrmals die Gebetsrunde im entgegengesetzten Uhrzeigersinn durch das Innere des 2
rGyal ba Byams pa mgon po'i mö'og/d c'o ga 'don c ca'i gorim (rGyalba Byams pa'i sgrub t'abs dari 'brel ba'i mc'od c'o ga dGa' ldan päd mc'od 'jug pa'i gru gzins), angeblich zusammengestellt von Sag-dban-blo-bzan sKal-bzari-spyin-pa (geb. 1 8 1 6 ) ; vgl. über ihn V O S T M K O V , A . I . : Tibetskaja istoriceskaja literatura. Moskva 1962, 115f.
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Tempels auf einem schmalen Gang, der zwischen den in der Mitte sitzenden .Mönchen und den an den Wänden entlang und in den Nischen sitzenden und stehenden Zuhörern und Zuschauern frei geblieben war. Dann ging man wieder ins Freie und setzte innerhalb des Klostergeländ es auf bald ausgetretenen Pfaden i m Rasen die Gebetsrunden fort, die um den älteren Tempel, in dem die wertvolleren Bücher der Klosterbibliothek aufbewahrt werden, und um das gesamte bebaute Klostergelände führten, vorbei an dem mö'od-rten u n d ' d e n Gebetsmühlen (Abb. 1, Taf. V). Alle waren festlich gekleidet, viele im traditionellen Degel. Da waren alte Mütterchen, barhäuptig und in ihren dunkel-seidenen Festkleidern mit der roten Seidenschärpe der Pilger: mit der Gebetsschnur zwischen den Fingern, die Anzahl ihrer Kugeln entsprechend je 108 Mal das Ommani-padme-hüm vor sich hin murmelnd, zogen sie — zeitweise ganz in ihr Tun versunken — ihre Runden und gaben im Vorübergehen jeder Gebetsmühle einen Stoß. Da waren Zweier- und Dreiergruppen von Männern und Frauen mittleren Alters in traditionell burjatischer Tracht oder auch in moderner Kleidung: sie wanderten miteinander plaudernd den großen Rundgang entlang, wobei sie das Klostergelände und seine Bauten besichtigten und die letzten Neuigkeiten über Verwandte und Bekannte austauschten. Auch jüngere Ehepaare bewegten sich— •ein wenig unsicher, wie es schien — auf dem großen Rundgang vorwärts, während ihre Kinder spielend dafür sorgten, daß die Gebetsmühlen nicht stillstehen blieben. I n dem Mandala-förmigen Tempel — mit seinem Eingangstor von Osten, dem Altar nach Westen und zwei rechteckigen Nischen nach Norden und Süden — beteten und sangen inzwischen die Mönche. Den Vorsitz führte wiederum der Bandido-chambo-lama (1). Die vordere Reihe zu seiner Rechten begann mit dem Ehrenplatz für den angesehensten Gast (2), den der Vorsteher des Aginsker Dacan's einnahm. Ihm gegenüber, zur Linken des Bandido-chambo-lama in der vorderen Reihe, war der Platz des Siregetü des Ivolginsker Dacan's (3). Neben den beiden Siregetü saßen die beiden Zor-rje („Opfer-Herren") (4), neben denen die dbU-mjad („Vorsänger") (5) Platz genommen hatten. Neben und hinter den Vorsängern saßen die übrigen Mönche (6), zu denen sich auch einige alte Männer gesellten, die einen Teil ihrer früheren Jahre in Klöstern verlebt hatten und die sich im Laufe der Feier immer besser auf einzelne Gesänge besannen, z . B . auf eine Art „Pausenlied", das zum Teetrinken aufforderte. Rechts und links des Eingangs hatten zwei dGe-bskos („Ordnungshüter") ihre Plätze (7); ein mÖ'odpa' i dPon-po („Altarwächter") (8) achtete auf den hinter einer großen Glasscheibe sichtbaren Altar mit der Maidari-Statue im Zentrum. Die Zuschauer und Zuhörer — meist ältere Menschen, vor allem Frauen — drängten sich auf, neben und vor den engstehenden Holzbänken in den Nischen nach Norden und Süden und auf und vor einer Bankreihe entlang der Rundungen zwischen Eingangstor, Altar und Nischen. Sie teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen dem vorgetragenen Ritual und den Besuchern des Tempels, die nur ihre Gebetsrunden machen konnten. Manche dieser Besucher legten auch die Handflächen in Brusthöhe aneinander, selbst wenn sie nicht beteten und sich
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vor den zu verehrenden Gegenständen und Persönlichkeiten verneigten, sondern aufmerksam die Tempeleinrichtung musterten und unter den im Tempel, Versammelten nach bekannten Gesichtern suchten.
I n der Mittagspause ab 12 Uhr, zu der sich die Mönche erschöpft und hungrigin die Häuser zurückzogen, wo die Ivolginsker ihre Aginsker Gäste zu bewirten hatten, verließen auch die Zuschauer die dumpfe Luft des Tempels, dessen Eingang hinter ihnen geschlossen wurde (Abb. 2, Taf. V). Man lagerte sich gruppenweise im Schatten der Gebäude und unter den Bäumen am Ostzaun. Dort wurde gegessen, getrunken und geschwatzt; manche schliefen auch nach den Anstrengungen ihrer weiten Reise und dem ermüdenden Zuhören, Zuschauen und ImKreise-Gehen des langen Vormittags. Nur ganz wenige zogen auch jetzt noch — bei fast 40°C im Schatten und unter der sengenden Mittagssonne — ihre Runden durch das Klostergelände. Wer unter diesen wenigen noch zu beten hatte, den ließ man ungestört gewähren, und offensichtlich beeindruckte nur mich die bei einzelnen zu beobachtende Hingabe an das Gebet, die Denken, Fühlen und Bewegungen der Betenden gleichermaßen zu bestimmen schien. Es waren zwei ältere Frauen, die meine Aufmerksamkeit erregten. Die eine legte den großen Rundgang zurück, indem sie erst aufrecht stehend, mit aneinander gelegten Händen Stirn, Mund und Brust streifte, sich niederkniete und sich mit Hilfe ihrer Ellenbogen und dann auch Hände der Länge nach auf ihrem Pfad ausstreckte, die Stirn auf den Erdboden senkte und die aneinander gelegten Hände über ihren Kopf erhob. I n dieser Stellung verharrte sie, ihre Gebete-
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murmelnd, ehe sie wieder aufstand, zu der Stelle ging, die sie mit der Stirn ber ü h r t hatte, und ihre Übung von neuem begann. Die andere t a t auf ähnliche Weise vor dem qualmenden Weihrauch-Becken am Eingang zum großen Tempel Buße: nachdem sie mit den aneinander gelegten Händen Stirn, Mund und Brust berührt hatte, kniete sie vor der dort liegenden Holzpritsche nieder, streckte sich auf ihr aus und blieb für die Länge ihrer Gebete so liegen, ehe sie wieder aufstand und das gleiche wiederholte. — Ein älterer burjatischer Besucher mit der roten Pilgerschärpe, der den Vormittag über bei den Mönchen im Tempel gesessen hatte, meinte auf eine entsprechende Frage schmunzelnd: „Sie müssen sich wohl für große Sünderinnen halten." Für die Fortsetzung der Feier war auf dem freien Platz neben dem neuen Tempel ein großes, weißes Zeltdach mit schwarzen aufgenähten Ornamenten aufgespannt worden, unter dem sich um 15 Uhr — wiederum unter Vorsitz des Bandido-chambo-lama — die Mönche bei den Musikinstrumenten und um die Gabentische versammelten. Wo noch Raum blieb, saßen und hockten dann die alten Männer, während die Frauen und alle übrigen Besucher unter dem Zeltrand einen dichten Kreis bildeten (Abb. 3, Taf. VI). Nach etwa zwei Stunden waren die Opfer Maidari zu Ehren dargebracht, und die Mönche zogen sich mit den wenigen — der noch nicht ganz überlebten Tradition wegen überhaupt — dargebrachten und angenommenen Gaben zurück. Das benutzte Kultgerät wurde wieder abgeräumt. Nach einer Pause begaben sich die Mönche einzeln und in Gruppen in den großen Tempel. Das war für die Zuschauer das Zeichen, daß der Höhepunkt des Festes nahte. Alles versammelte sich vor dem geschlossenen Eingang zum Tempel, und es breitete sich eine neugierige Spannung aus. Endlich öffnete sich das Tempeltor, und es erschienen — unter den Klängen ihrer Instrumente — zunächst die Musikanten. Sie waren nun in farbige, meist gelbe Seidengewänder gekleidet, mit feierlichen Gesichtern und gemessenen Schrittes stiegen sie die Stufen herab und schwenkten nach links auf den großen Rundgang um das bebaute Klostergelände. Hinter ihrem etwa 15 m langen Zug wurde nun der erwartete Maidari-Wagen sichtbar: ein vierrädriges Gefährt mit einem hohen Aufsatz für die mitgeführte Statue des zukünftigen Buddha Maidari, davorgespannt waren zwei holzgeschnitzte, im Größenverhältnis dazu passende Pferde. Nachdem dieser reich geschmückte Wagen die Tempelstufen herabgehoben worden war und sich auf dem Rundgang — an bunten Bändern gezogen — in Bewegung gesetzt hatte, t r a t der Bandido-chambo-lama aus dem Tempel und folgte ihm in einigem Abstand. Zum Schluß kamen noch die anderen Würdenträger, nun zum größten Teil auch in farbenprächtigen Seidengewändern und mit den ihrem Rang zustehenden Kopfbedeckungen; in ihren Händen trugen sie Opfergaben und die „Acht buddhistischen Glückssymbole". An das Ende dieses Zuges hingen sich noch die wenigen Mönche ohne besondere Funktion in dieser Prozession und einige Gläubige. Unter dem Dröhnen der geschlagenen und dem Rufen der geblasenen Musikinstrumente wurde die Statue des Maidari dreimal um das Klostergelände innerhalb der Umzäunung geleitet.
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Die Zuschauer bildeten rechts und links des Pfades eine Gasse und ließen die Prozession an sich vorüberziehen. Wenn das Ende gerade vorbeigekommen war, liefen sie quer durch das Klostergelände, um den festlichen Zug von neuem zu betrachten. Es gab nur wenige, die sich von diesem Schauspiel nicht beeindrucken ließen, das die tief stehende Nachmittagssonne effektvoll beleuchtete (Abb. 4, Taf. VI). Als dann jedoch die Rundgänge beendet waren und die Mönche mit dem Aufsatz des Wagens und der Maidari- Statue aus dem Blickfeld verschwunden waren, legte sich die Hochstimmung rasch. Man stand vor dem nun kahl wirkenden Fahrzeug neben dem ebenfalls verlassenen Zeltdach und begutachtete fachmännisch Holzkonstruktionen und Kunstfertigkeit der Zimmerleute und Schnitzer. Mit den bunten Bändern von Pferden und Wagen spielten die Kinder. Nur um drei alte Männer, die aus bronzenen Kannen in mitgebrachte kleine Fläschchen geweihtes, angeblich heilkräftiges Wasser verteilten, scharten sich noch •Gruppen von Gläubigen. Mit den Ereignissen dieses Tages war für die Masse der Besucher das MaidariFest vorbei, sie verabschiedeten sich und reisten wieder nach Hause. Im Kloster blieben die Ivolginsker Mönche mit ihren Aginsker Gästen und die zusammengeschmolzene Schar der Gläubigen, die auch den letzten Feiertag noch miterleben wollten. Man übernachtete gemeinsam in Häusern1 der Gastgeber. Am dritten und letzten Festtag war regnerisches und trübes Wetter. Die Mönche hatten sich trotzdem schon in den frühen Morgenstunden im Tempel .zusammengefunden, um gemeinsame Gebete um den Frieden der Welt und das Wohl aller Menschen zu halten. Die Zuhörer fanden nun alle bequem Platz auf den Sitzen im neuen Tempel. I m Vergleich zum vorhergehenden Tag wirkte die am dritten Tag im Tempel versammelte Gemeinde geschlossener. Obwohl die eigentliche Andacht bei den einzelnen, meist älteren Menschen von sehr unterschiedlicher Dauer und Tiefe war, lauschten doch alle mit offensichtlichem Wohlgefallen den klangvollen Liedern, die von den Mönchen im Wechsel mit den Gebeten vorgetragen wurden. Am Nachmittag, nachdem auch dieser Ausklang des Maidari-Festes vorüber war, rüsteten sich die letzten Besucher und Gäste zum Aufbruch. Nach einer Abschiedsrunde durch das Klostergelände und die Häuser der bekannten und verwandten Mönche begab man sich auf den Weg nach Ivolga zu den Bushaltestellen. I n der nahen Siedlung wurden die dort untergestellten Pferdewagen eingespannt, und am Seiteneingang zum Klostergelände fuhren die Lastkraftwagen vor. Ein wenig später kamen aus Ulan-Ude die Taxen, um die Nachzügler in die Stadt zu bringen, von wo aus sie die weitere Heimreise antreten konnten. Einige Tage später waren die Spuren des Festes auch den inzwischen ausgeruhten Mönchen von Ivolga kaum noch anzumerken. Aufregung und Geschäftigkeit der letzten Tage vor dem Fest waren gewichen. Alle Gäste waren abgereist, und auch der Bandido-chambo-lama hatte sich wieder in den Aginsker Dacan begeben. Im still gewordenen Ivolginsker Dacan und in ihren wieder in •die gewohnte Ordnung gebrachten Häusern gingen die hier heimischen Mönche
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ihren üblichen Beschäftigungen nach. Mit einiger Genugtuung konnten sie feststellen, daß ihr Maidari-Fest noch den erwarteten Anklang gefunden hatte, aber sie waren auch froh, daß sie die außergewöhnlichen Anstrengungen überstanden hatten. Fragt m a n sich nun als außenstehender Beobachter, ob das Maidari-Fest 1967 im Ivolginsker buddhistischen Kloster wirklich ein „religiöses Volksfest" war, so kann man das weder einfach bejahen, noch einfach verneinen. Nach meinen Beobachtungen des Festes selbst und nach den vorher, während des Festes und nachher geführten Gesprächen mit im Kloster lebenden Mönchen, mit ehemaligen Mönchen und mit Menschen aller Altersstufen, die in einem solchen Zusammenhang als „Laien" zu bezeichnen wären, komme ich zu folgender Meinung : Der Chural war für alle Teilnehmer eine gern wahrgenommene Gelegenheit des Zusammentreffens und des gegenseitigen Austausches über mitteilenswürdige Ereignisse. Der Ort der Zusammenkunft ließ zwar keine Ausgelassenheit aufkommen, aber es herrschte eine fröhliche, teilweise besinnliche und nachdenkliche Stimmung, die allen Freude und Entspannung bereitete. Damit hatte der Chural für alle Teilnehmer seine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Die traditionsgemäße religiöse Funktion des Chural, — die gemeinsame, den Glauben der einzelnen stärkende Begegnung mit allen Teilnehmern gleichermaßen eigenen und vertrauten Symbolen der angeblichen Widerspiegelung ihrer irdischen Existenz —, war gebrochen und zerlegt wie ein Lichtstrahl, der durch ein Prisma fällt. Das Prisma bildeten in diesem Falle die Teilnehmer am Chural, in ihrer Gesamtheit Ost-Burjaten, jedoch mit unterschiedlicher Lebenserfahrung, Weltanschauung und Kenntnis historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Zu verzeichnen war ein Spektrum individueller, aber doch wohl verallgemeinerungsgültiger Auffassungen von den symbolhaften Vorgängen des Festes, — schwankend zwischen Gläubigkeit und Verständnislosigkeit. Erschloß sich die Bedeutung der in tibetischer und mongolischer Sprache vorgetragenen Worte sowieso nur den wenigen Eingeweihten unter den Mönchen, so war festzustellen, daß sich — trotz der nicht zu leugnenden emotionalen Wirkung der Zeremonien — die meisten der „Laien" um eine von realistischer Betrachtung ausgehende Einordnung des Rituals bemühten, wobei sich nur einzelne Teile davon — z. B. das Wunschbeten für den Frieden der Welt und das Wohl aller Menschen — ihrem Verständnis erschlossen. Für die im Kloster lebenden burjatischen Mönche kann die buddhistische Religion — wenn sie sich mit ihren Werken und Symbolen beschäftigen —, ein Ausdruck ihrer eigenen Persönlichkeit sein; dann sieht man ihren Gesichtern und Bewegungen an, daß sie sich als Diener und Werkzeuge ihres Glaubens fühlen, und bei den ältesten von ihnen ist dieser Ausdruck ein ständig zu beobachtender Wesenszug. Aber alle sind sie welterfahren genug, die außerhalb der religiösen Lehren existierenden Gegebenheiten zu kennen und neue Erfahrungen einordnen zu können. Das t u n sie mit der gleichen Interessiertheit, Allgemeinbildung und Toleranz wie etwa ein ca. 30jähriger burjatischer Kolchos-Hirte oder ein ca. 50jähriger russischer Taxi-Fahrer aus Ulan-Ude, die beide auf die 7 Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. XXVII
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Auskunft, man käme aus der ihnen unbekannten Stadt Leipzig, prompt weiterfragen: „Ist das unsere (d. h. eine in der Sowjetunion liegende) Stadt?" I n den weiteren Gesprächen werden dann speziell interessierende Themen bevorzugt, z. B. Rinderarten, Weidemöglichkeiten, Größe und Produktion landwirtschaftlicher Genossenschaften — oder Automarken, Leistungsfähigkeit, Straßenzustand — oder eben Religion, ihre Ausübung und deren staatlich-gesetzliche Grundlagen, Tempel/Kirchen, Klöster. Bestandteil aller längeren Gespräche sind außerdem gegenseitige Mitteilungen über Lebensweise, Bildungsmöglichkeiten, Verdienst einzelner Berufsgruppen, Angebot an Konsumgütern u. ä. Im Alltagsleben der Ost-Burjaten, die sich auf dem Maidari-Fest 1967 trafen, hat die buddhistische Religion jedenfalls keine Bedeutung mehr. Für die ältere Generation, auch für die ehemaligen Mönche, die in der neuen Gesellschaft mit allen Konsequenzen Wurzel geschlagen haben, sind Gebete eine Fest- und Feiertagsangelegenheit als mehr oder weniger ausgekostete Zugabe zu einem gesellschaftlichen Ereignis und einer ansprechenden kulturellen Veranstaltung.
Fischsperren in Vidzeme und Latgale (Lettische SSR) am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts v o n S. CIMERMANIS, R i g a (Mit 13 Abbildungen auf TafelVII—XII, 19 Figuren und 1 Karte im Text)
Ein sehr wenig untersuchtes Problem der Fischereigeschichte in den Ländern des Ostseeraumes ist die Entwicklung von Fischsperren. Während die finnischen Fischsperren verhältnismäßig erschöpfend beschrieben wurden, gibt es nur wenige Publikationen über die Sperren in Lettland und so gut wie keine über die in Litauen und Estland. Um größere Forschungen unternehmen zu können, bedarf es zunächst der Ausarbeitung einer Typologie der Fischsperren für einen kürzeren Zeitraum und der Veröffentlichung des Faktenmaterials aus dieser Periode, damit die Fachleute die Möglichkeit erhalten, das Material über verschiedene Völker zu vergleichen. Es wurden die Jahrzehnte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gewählt, als die Sperrfischerei in Lettland ihre Blütezeit erlebte. Inhalt dieser Abhandlung sind die Ergebnisse der im nördlichen und östlichen Teil Lettlands (Vidzeme, Latgale) während mehrerer Jahre unternommenen Untersuchungen über Sommerfischwehre, eine Einführung in die Prinzipien ihrer Systematisierung und ein Einblick in die Methoden der Forschungstätigkeit. Es werden auch die Faktoren kurz berührt, die auf die eine oder andere Art und Weise die Herausbildung und Entwicklung der Wehrarten beeinflußten. Die Untersuchungen sind in dieser Richtung fortzusetzen, um Material aus ganz Lettland zusammenzutragen und Vergleiche in größerem Maßstab mit den gebräuchlichen Fischwehren bei Nachbarvölkern anstellen zu können. Diese Vergleiche würden interessante Erkenntnisse für die Geschichte der Sachkultur wie für die Geschichte der kulturellen Beziehungen ergeben. Wertvolle Konsultationen gewährten mir während der Vorbereitungsarbeit der Direktor des Berliner Museums für Volkskunde, Dr. U . S T E I N M A N N , der die Veröffentlichung dieser Arbeit anregte, Dr. R . P E E S C H und Dr. W. R U D O L P H von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Ich bin ihnen dafür zu herzlichstem Dank verpflichtet. Die Sperrfischerei in den Flüssen und Seen Lettlands am Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jhs. war eine der ökonomisch wichtigsten und gebräuchlichsten Fischfangmethoden. Die natürlichen Bedingungen waren sehr günstig: Viele Flüsse besitzen für die Sperrfischerei hervorragend geeignete Stromschnellen und Flußbetten, wo es ein leichtes war, Fischwehre der einen oder anderen Konstruktion zu errichten. Um die Jahrhundertwende wurden an den Ufern der 7*
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Saui.vedis Cimermanis
Flüsse Lettlands noch keine großen Industriebetriebe gebaut, deren Abflußwässer die Flüsse h ä t t e n verunreinigen können. Nur sehr wenige Flüsse waren schiffbar und diese auch nur auf kurzen Strecken des Unterlaufes, die für Wehrbauten sowieso nicht geeignet sind, da die Strömung hier tief und langsam ist. F ü r Flöße und Boote waren in Stromschnellen schmale Rinnen ausgehoben, sogenannte Flößerwege. Auch große Wasserkraftwerke, deren Staubauten die Fisühwege gesperrt hätten 1 , wurden in den Flüssen Lettlands nicht angelegt. Erst in den dreißiger J a h r e n dieses Jahrhunderts wurden die für die Fischerei bis dahin so vorteilhaften Flüsse wie Aiviekste, Dubna, Ica und andere ausgebaggert. Das Ergebnis war, daß die f ü r die Fischerei günstigen Stellen verändert wurden, die Sperrfischerei an Bedeutung verlor und stellenweise völlig eingestellt wurde. 2 Bis zu den dreißiger J a h r e n aber bestanden in den Flüssen Lettlands gute Voraussetzungen für die Flußwanderung wertvoller Fischarten (Lachs, Neunauge, Aal) und f ü r die Errichtung von Fischwehren resp. Fischzäunen.
Die wichtigsten Sperrfischereigebiete in L e t t l a n d E n d e des 19. u n d Anfang des 20. J h s . Die K a r t e ist nach dem v o m Autor gesammelten Expeditionsmaterial u n d den D a t e n des L C W A aufgestellt (Zeichnungen von V i l n i s Zirdzins). 1
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Das größte Wasserkraftwerk wurde E n d e der dreißiger J a h r e a n einer für die Fischerei sehr wichtigen Stromschnelle der Daugava, bei Kegums, errichtet. N a c h dem Bau dieses Wasserkraftwerkes war auch oberhalb von ihm die bis dahin sehr lebhafte Fischerei auf Lachs, Aal u n d Neunauge nicht mehr möglich. N a c h dem vom Autor 1967 gesammelten Material (im folgenden — E ) ; dieses Material befindet sich im I n s t i t u t f ü r Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Lett. SSR im Archiv der Gruppe für ethnographische Forschungen.
Fischsperren
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Die wichtigsten Sperrfischereibezirke (siehe Karte) in Lettland lagen in den Mittel- und Unter laufen in den Rigaer Meerbusen und der in die Ostsee mündenden Flüsse (Daugava, Gauja, Salaca, Yenta, Svetupe, Irbe) wie auch in den größeren Nebenflüssen der Daugava — Aiviekste, Dubna, Ogre. Auch in anderen Flüssen wurden Wehre errichtet — in der Ica, Saka, Roja, Yitrupe und anderen —, aber hier waren sie von geringerer Bedeutung. Dagegen war die Zahl der Wehre an den für die Sperrfischerei besonders geeigneten Stellen recht beträchtlich. So gab es z. B. noch Anfang des 20. Jhs. im Unterlauf der Salaca auf einer Strecke von 10 km nicht weniger als 20 Wehre 3 ; in der Daugava gab es vom unteren Ende der Insel Dole bis Kegums, auf einer Strecke, die ungefähr 30 km beträgt, 32 Wehre 4 , in der Dubna standen in den Grenzen der Varkava Gemeinde auf ungefähr 20 km des Flußlaufes mindestens 17 Wehre. 5 I n der Daugava befanden sich von Lokstene bis Plavinas, auf einer Strecke von ungefähr 5 km Länge, im Jahre 1940 14 Wehre 6 , in der Aiviekste waren im Jahre 1902 auf einer Strecke von Jaunlubäna bis zur Flußmündung K u j a (ungefähr 30 km) 8 Wehre 7 aufgestellt. Als Sperrfischereibezirke, in denen man eine spezifische Methode anwandte, sind noch der Babitsee und der Fluß Lielupe bei Kalnciems zu erwähnen, wo die Fischer mit individuellen Geräten — Katicen — fischten. Um die Jahrhundertwende war der Fischfang an den oben erwähnten Stellen unterschiedlich organisiert: 1. individueller Fischfang, mit dem sich eine Person oder eine Familie beschäftigte und 2. kollektiver Fischfang, an dem sich mehrere Fischer oder auch große Wehrfischerkollektive beteiligten, die aus 10—20 und mehr Mitgliedern bestanden. Einzelne Fischer und kleinere Kollektive betätigten sich an schmalen Flüssen oder auch an Ufern großer Flüsse, wo Zäune nur für ein Gerät oder wenige Fischfanggeräte eingerichtet wurden. Große Fischervereinigungen betätigten sich an den Unterläufen der Daugava, der Gauja und Salaca, wo Sperren von 10 bis 100 und mehr Meter Länge errichtet wurden, deren Aufbau und Beaufsichtigung für einen einzelnen oder einige wenige Menschen nicht möglich gewesen wäre. Gegenwärtig sind uns für die Zeit um die Jahrhundertwende folgende größere Wehrfischerkollektive bekannt: An den Stromschnellen der Daugava bei Dole in Greizene, Pendere und Gruzis ein Kollektiv von 23 Mitgliedern, die Gruppe von Stävüzkauls mit 25 Mitgliedern, die Gruppe von Äkakauls 8 mit 48 Fischern, an den Stromschnellen der Daugava von G^inauka oberhalb Jekabpils ein Kollektiv aus 23 Fischern. 9 Kleinere Kollektive errichteten Zäune und fischten Neunaugen in der Carnikava: am Lej3 6
7
E 30, 1968. 4 E 30, 1968. 5 E 30, 1967. S. CIMEBMANIS. Saldüdenu zveja Vidzeme 19. un 20 gs. — Arheologija un etnogräfija. V. Riga, 1963 (im folgenden S. CIMEBMANIS. A E V), S. 90. Zentrales Staatliches Geschichtsarchiv der Lettischen SSR (im folgenden — LCVVA) Fonds 685, Beschr. 1, Sache 1082, Blatt 4 - 5 .
S E 21, 3 9 5 3 ; 3 9 5 5 ; 3 9 5 9 ; 4081. O E 30,
1967.
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SATJLVEDIS C I M E B M A N I S
galenzaun 10 Fischer, am Nabiesu 8 und am Augsnieku 7 Fischer. 10 Diese Zahlen beweisen, daß sich an Orten intensiver Sperrfischerei die Mitglieder fast jeder Bauernwirtschaft mit Fischfang beschäftigten, und an einigen Orten hatten sich sogar Fischer-Bauern-Dörfer gebildet. 11 In der von Fischfang und Landwirtschaft freien Zeit gingen diese FischerBauern anderen Beschäftigungen nach, z. B. dem Flößen. 12 Die Anfänge der Sperrfischerei in Lettland sind bereits in der Jungsteinzeit zu suchen. Das ist aus den Funden im Bezirk Ventspils (Westlettland) in der Siedlung des Särnates-Moores, wo die Überreste eines Spannfischkorbes gefunden wurden, ersichtlich. Diese Funde stammen aus dem 2. Jahrtausend v. u. Z. 13 Leider sagt der Fund nichts darüber aus, wie die Sperre eingerichtet, wie die Reuse darin aufgestellt war und welche Fische gefangen wurden. Der älteste uns zur Zeit bekannte schriftliche Hinweis auf Fischsperren in Lettland bezieht sich auf das Jahr 1211. Es ist der Vertrag zwischen dem Bischof Rigas und dem Schwertbruderorden über die Aufteilung des Landes. 1 '' Darin ist vermerkt, daß das Fischwehr auf dem Flusse Daugava an der Insel Dole in die Hände des Ordens übergeben wird. Diesem Vertrag folgte im 13. J h . und in den anschließenden Jahrhunderten eine ganze Reihe anderer Urkunden, in denen Plätze für den Fischfang vermerkt sind, oder die Aufteilung der Sperren zwischen den verschiedenen feudalen Landesherren festgelegt wird. Es ist schwierig, anhand dieser Dokumente etwas über die Konstruktion der Fischwehre zu sagen. Dagegen sind die wichtigsten Plätze für die Sperrfischerei sorgfältig angeführt. Ein Teil von ihnen entspricht den oben angeführten Sperrfischereibezirken um die Jahrhundertwende, der andere betrifft solche Plätze, wo wegen Änderungen der Flußverhältnisse, wegen wirtschaftlicher oder anderer Bedingungen die Fischerei noch vor dem von uns betrachteten Zeitabschnitt aufgegeben wurde. Aus den ältesten Urkunden der Feudalzeit geht dennoch klar hervor, daß wenigstens seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts in Lettland große Fischsperren zu finden waren, deren Errichtung und Nutzung nur einem größeren Fischerkollektiv möglich waren, d. h. einer Fischervereinigung. Diese Urkunden bezeugen, daß schon Anfang des 13. Jhs. in Lettland traditionelle Plätze 10
E 30, 642 und 643; diese Mitgliederzahlen der Fischergruppen in Carnikava im Jahre 1 9 0 4 erwähnt auch B . H E I N E M A N I S (B. A . TeöHeMaH. PLIÖOJIOBCTBO Ha BajiTHöcKOM Mope y pyccKHX SeperoB: — BecTHHK pw6onpoMHUiJieimocTn. CII6., 1904, N« 7—9,
11
S. C I M E B M A N I S . Negu zveja Carnikava 19. gs. otrajä puse un 20. gs. — Arheologija un etnogräfija., VI. Riga, 1964. (im folgenden — S. C I M E B M A N I S A E VI), S. 164; auch S. C I M E B M A N I S A E V, S. 83; E 30, 1967. Über die Arbeitsorganisation der Wehrfischerei in Kollektiven siehe S. C I M E B -
S.
12
540).
MANIS. A E V , S . 8 3 u n d A E V I , S . 13 14
164f.
Latvijas P S R vesture. I. Riga, 1953, S. 12. Z . L I G E B S . Latviesu tautas kultüra (im folgenden — S.
105.
Z. LIGEBS.
Ltk.). Riga,
1944,
Fischsperren
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für die Sperrfischerei bestanden, und daß es auch Fischereirechte gab, die die deutschen Feudalherren, die Lettland überfallen hatten, zu übernehmen und zu eigenem Nutzen zu verwenden suchten. Aus den ältesten Schriftstücken erfahren wir noch ein sehr wesentliches Merkmal der alten Fischsperren: Schon in der ersten Hälfte des 13. Jhs. wurden die Fischwehre in den größeren Flüssen nach denselben Prinzipien wie im 19. und 20. Jh. errichtet. Man baute die Sperren vom Ufer ausgehend zur Mitte des Flusses und ließ an bestimmten Stellen Öffnungen in der SperrvorrichtungJ 5 Daraus läßt sich schließen, daß die Sperrfischereireglementierungen, denen wir während der ganzen Feudalzeit begegnen und die der Kontrolle seitens der Feudalherren und Gutsbesitzer über die traditionellen Fischfangplätze der Bewohner Lettlands dienten, im wesentlichen Grundsätze für die Errichtung von Fischsperren beibehielten, die die einheimischen Fischer in jahrhundertelanger Praxis ausgearbeitet hatten. Gesichertere und vielfältigere Kunde über den Aufbau der Fischsperren in Lettland geben uns die Quellen des 17. Jhs. Wehre dieser Zeit sind von Zeitgenossen gezeichnet und beschrieben worden, mit großer Sorgfalt werden die Spezifika der Fischereiausrüstungen in diesen Quellen wiedergegeben. I n ihnen werden hauptsächlich die Sperren beschrieben und abgebildet, die sich in der Nähe größerer Niederlassungen und in der Nähe von Verkehrswegen befanden. Darum sind nicht immer die charakteristischsten Fischsperren Lettlands beschrieben worden. Ein krasses Beispiel hierfür ist das Fischwehr am Wasserfall Rumba im Flusse Venta beiKuldiga, das der Arzt von Dobele, R o s m s L E N T I L I J S , in seinen Erinnerungen von 1677—1680 wie folgt beschreibt: „Unglaublich dürfte es vielleicht manchem scheinen, daß bei den Kurländern auch die Gewohnheit herrscht, Fische in der Luft zu fangen; aber dort wundert sich niemand darüber. Es gibt nämlich eine bestimmte Art von Fischen, die den Karauschen an Größe, nicht aber an Breite gleichkommen. Sie haben die Gewohnheit, dem Windaufluß entgegenzustreben. Nahe bei der Stadt Goldingen gleitet der Fluß über eine nicht allzu hohe Stromschnelle. Wenn nun die Fische an diese Stromschnelle heranschwimmen und nicht weiter zu kommen wissen, bemühen sie sich, mit einem ungeheuren Sprung den Hügel zu überwinden; aber am Rande desselben sind gewisse breite Körbe der Reihe nach aufgestellt, in welche nicht wenige von den Fischen hineingleiten und so in der Luft gefangen werden". 16 Im Jahre 1 7 3 5 publiziert J . Z E D L E R in seinem Universallexikon die Beschreibung der Einzelteile der Konstruktion und der Nutzung dieses Wehres: „Wo im Rummel die gesprengte und ausgebickete Stelle oder Lücke (lett. nokall) ist, müssen die hölzernen Böcke (lett. bukke), an denen lange Neben- und Querstangen mit den daranhängenden Fischkörben befestigt sind, der starken Flut wegen besonders fest und hoch sein. Die „geschwohrnen" Rummelfischer >r
' Z. LIGERS. L t k . , S . 107 u n d f o l g e n d e .
R. LENTILIJS. C u r l a n d i a e q u a e d a m n o t a b i l i a . X I . R i g a , 1924, S. 39 u n d 41.
— Latvijas Universitates raksti.
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S A U L V E D I S CIMERMANIS
leeren abends und morgens die Fischkörbe und bringen den Fang ins Amt". 1 7 I m Jahre 1 7 4 7 stellte der kurländische Architekt B A R N I K E L I S dieses Wehr auf einer Karte dar (Abb. 1, Taf. VII). Anfang des 19. Jh. beschrieb Freiherr VON S C H L I P P E N B A C H das Wehr und bemerkte dabei, daß diese sonderbare Art von Fischfang in Kurland selten ist und daß auf sie der Ausd ruck „in Kurland werden die Fische in der Luft gefangen" zurückzuführen ist. 18 I m 20. Jh. beschäftigte sich ATJGUST B I E L E N S T E I N mit dieser Methode des Fischfangs und gab eine genaue Beschreibung. 19 Eine zweite, in den Quellen oft erwähnte Vorrichtung der Sperrfischerei sind die „Katicas" — eine Art Fischzäune (Abb. 3, Taf. VII), die in den Grenzgewässern zwischen dem kurländischen Herzogtum und dem Rigaer Patrimonialbezirk im Babitsee und in der Lielupe verwendet wurden. Hier entstanden zwischen den Gewässereigentümern und Fischern viele Streitigkeiten hinsichtlich der Anwendung von Fischzäunen. Das Rumba-Wehr bei Kuldiga (Abb. 2, Taf. VII) besitzt in der Literatur große Popularität, es stellt eine in ganz Lettland einmalige Erscheinung dar. Man errichtete es deshalb im Wasserfall der Venta, weil die zum Laichen stromaufwärts ziehenden Lachse und Wemgallen über den Wasserfall hinwegsprangen. Die Fischer stellten oberhalb des Wasserfalles Dreifüße, d. h. Böcke auf. Daran waren breite, aus Weidenruten geflochtene Körbe angebracht, in die die springenden Fische hineinfielen. Es scheint, daß auch im 19. und zu Anfang des 20. Jhs. im Babitsee und in der Lielupe die Katicas als Geräte von lokaler Bedeutung angewendet wurden. 20 Die Fischsperren in Lettland sind ebenso verschiedenartig wie die Flußbetten und Strömungsverhältnisse der Flüsse Lettlands und die Verhaltensweisen der zu fangenden Fische. Diese Mannigfaltigkeit der Sperren spiegelt sich in verschiedenen Geschichtsquellen wider, z. B. in den in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. zusammengestellten schwedischen Karten, in den Wackenbüchern, Gerichtsakten, Beschreibungen der Zeitgenossen, auf Zeichnungen und in anderen Dokumenten. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jhs. erhalten wir sehr präzise Nachrichten über Fischwehre für Lachse von Dole (Abb. 4 , Taf. V I I I ) und für Wemgallen (Abb. 5 , Taf. V I I I ) in der Daugava. Sie sind im zweiten Teil der von A B N D T 1 7 5 3 herausgegebenen Livländischen Chronik beschrieben und auch auf den Zeichnungen des bekannten Geschichtsforschers J . B R O T Z E Ende des 1 8 . und Anfang des 19. Jhs. abgebildet und in deren Annotationen erklärt. Der wissenschaftliche Wert der Beschreibungen von A R N D T und B R O T Z E ist so groß, daß es wichtig ist, sie zu zitieren. Sie erlauben wesentliche Schlüsse. 17
18
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Großes Vollständiges Universal—Lexicon, Bd. I X . Verl. J. H. Zedier, Halle, 1735, Sp. 1020-1021. Malerische Wanderungen durch Kurland von U L R I C H Freyherrn VON S C H L I P P E N BACH. Riga und Leipzig, 1809, S . 272. A . B I E L E N S T E I N . Die Holzbauten und Holzgeräte der Letten. Zweiter Teil (im folgenden — A . B I E L E N S T E I N . Holzbauten). Petrograd, 1 9 1 8 , S . 6 7 4 - 6 7 5 . In den Jahren 1957—1968 v o m Autor gesammeltes Material.
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Hier die Beschreibung von ARNDT über das Lachswehr von Dole: „Zuerst stellen die Fischer Wasteln oder Böcke, so breit der Strom ist, fast in einem halben Cirkel neben einander, dergestalt dass die Rundung gegen den Strom zu stehen komt. Diese Böcke, deren Füsse unten weit, oben in einem Spitzigen Winkel zusammen gehen, werden durch draufgelegte und angebundene Stangen, bevestiget, und mit grossen Steinen beschweret, damit das Wasser sie nicht aufheben, noch der Strom fortreissen könne. Fürs andre werden die Decken oder so genanten Palaggen verfertiget. Man bindet dünne Stöcke von Gränen oder Tannen, deren Dicke im Durchschnitt 1 oder anderthalb Zolle beträget, und welche die Fischer Tharen nennen, mit Bast an drey Stangen, die anderthalb bis 2 Faden lang sind und eine Elle weit von einander liegen, ganz dichte zusammen. Der Palaggen aber liegen 60, 80 bis 100 Stück nach der Breite des Stroms neben einander, werden gegen den Strom vor die Böcke bis auf den Grund gesetzet, und an die Böcke mit Bast oder Witzen, das ist zusammen geflochtenen jungen Birken, angebunden. I n den Palaggen wird eine Oefnung gelassen, vor welcher die eigentliche Lachskammer zu liegen komt. Diese Lachskammern, deren wol 5 bis 7 in einer Wehren liegen, sind viereckigt und haben vorne einen weiten Eingang, worein der Lachs, der aus der See gegen den Strom gehet, den Strich nimt, hinten aber sich durch eine Oefnung von etwan 4 bis 5 Zoll drengen und durcharbeiten mus. Weil nun der Fisch sich gleich auf die Seite wendet, und in der geraumen Kammer den Eingang nicht wieder findet, so heben die Fischer ihren Gefangenen mit einem grossen so genanten Kessel heraus, und keulen ihn auf den Kopf, dass er davon das Ausreissen vergist. Die Lachswehren werden im Anfang des Maimonats geschlagen." 21 Abb. 4 zeigt ein Lachswehr, dessen Konstruktion vollkommen dem des oben, beschriebenen entspricht und das J. BKOTZE noch eingehender beschreibt: „Lachswehren werden an untiefen örtern der Flüsse geschlagen und bestehen aus einem von Rückern („Tharen") in den Strom eingesetzten mit Bast oder Witzen verbundenen Zaun, welcher zweimal gebogen ist, so dass er bey a eine Bucht macht, die dem Strome entgegen liegt. Dieser Zaun, der Stückweis in Palaggen in den Strom gesetzt ist, wird durch Strebebäume b, die mit Steinen beschwert sind, gehalten; damit ihn das Wasser nicht umreisse. I n der Mitte dieser Wehre sind bey c viereckigte Umzäunungen, die Kammern genannt werden, angelegt. Diese Kammern haben, wie nebenstehende Figur zeigt, einen engen Eingang bey d. Hier drängt sich der Lachs, welcher immer den Strom aufwärts steigt, durch: kann aber wenn er in c ist, nicht mehr zurück . . . Eine Lachswehr wird folgendermassen geschlagen oder gesetzt. Erst werden die Wasseln oder Böcke b so breit als der Strom neben einander in einer Krümmung gesetzt, und durch darüber gelegte und fest gebundene Stangen befestiget, auch nachher mit grossen Steinen beschwert. Alsdann werden die sogenannten Pa21
D e r Lief l ä n d i s c h e n C h r o n i k a n d r e r T h e i l v o n L i e f l a n d u n t e r s e i n e n H e r r e n . M e i s t e r n , w e l c h e die a l t e G e s c h i c h t e d e s O r d e n s u n d d e r b e n a c h b a r t e n V ö l k e r e r l ä u t e r t . H a l l e i m M a g d e b u r g i s c h e n , 1753, S. 16—17.
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SAULVEDIS
CIMERMANIS
laggen oder Decken gemacht, und zwar auf folgende Art: Man bindet mit Bast an 3 Stangen bb, die etwa 1 bis 1 1 / 2 Faden lang sind , und 1 Elle weit von einander liegen, dünne Stöcke an. Diese Stöcke, so die Bauren Taren nennen, sind 1 auch i / 2 Zoll dicke von Gränen oder Tannen und werden ganz dicht neben einander an die Stangen bb befestigt. Dergleichen Palaggen nun, deren man, nach dem der Strom breit, 60, 80 bis 100 Stück nöthig hat, werden vor die Wasseln oberwerts oder gegen den Strom gesetzt und an dieselben mit Bast oder Witzen (d. i. zusammengedrehte junge Birken) angebunden. Vor der Oefnung cc wird eine Kammer angebracht." 2 2 Eine etwas andersartige Konstruktion weisen die Wemgallenwehre der Daugava auf (Abb. 5). Hier treten an Stelle von Holzkammern Netzreusen auf. B R O T Z E beschreibt dieselben wie folgt: „Die zum Fange der Wemgallen bestimmten Wehren werden auf folgende Art geschlagen: Man setzt Böcke in den Strom, die man durch Rücker miteinander verbindet und durch Wiecken befestiget ; die Böcke selbst werden mit Steinen beschwert, um dem Strome widerstehen zu können. Eine zweite Reihe von Rückern (auch wohl schmalen Brettern) ist in der Mitte dieser Böcke, und zwar an der Seite befestigt, wo der Strom herkommt ; diese dient sowohl zum Stege als auch die Stangen der Netze zu halten: und die dritte untere Reihe von eben solchen Rückern stehet nur ein wenig über das Wasser hervor. Sind,diese Rücker lang und stark genug; so legt man kürzere Rücker a, a zwischen, und befestigt alles wohl mit Weidengerten. Nun ist das Gestelle der Wehre fertig. Die Netze, welche die Gestalt b haben, werden nun an die mittleren Hölzer so angelegt, dass die Stangen c sich gegen den Strom stemmen, das Netz selbst aber, dessen Oefnung ein halber Zirkel ist, mit der graden Seite unten genau unter die unterste Reihe von Rückern, den Strom abwärts zu liegen komme; damit aber die Fische nicht zwischen durchschlupfen, so werden die Zwischenräume mit Birkenreisern d verlegt, auch am Ende der Wehre noch ein Netz e den Strom her abgestellt. Die 2 auf der Wehre stehenden Menschen holen die gefangenen Wemgallen heraus, nämlich der eine hebt das Netz mit einem Kexe (d. i. eine Stange mit einem eisernen Widerhaken) auf, und der andre hilft mit der Stange, an der das Netz befestiget ist, nach. Am Ufer steht ein einzelner Bock". 2:i Außerdem zeichnet und beschreibt J . C H . B E O T Z E auch Sperren in den langsam fließenden oder stehenden Gewässern, so den Fischzaun beim Dorfe Straupe im Babitsee. 2 ' 1 Diese Zeichnungen und Beschreibungen sind so präzis, daß man nach ihnen und den heute existierenden Wehren (Abb. 6, Taf. IX) die Veränderungen feststellen kann, die an den Wehren der Insel Dole im Zeitraum von der Mitte des 18. Jhs. 22
J . CH. BROTZE. S a m m l u n g v e r s c h i e d e n e r L i e f l ä n d i s c h e r M o n u m e n t e . . . (im folg e n d e n — J . CH. BROTZE. M o n u m e n t e . . .), I I , 10. D e r zweite Teil d e r Beschreib u n g ist d e r v o n A R N D T sehr ä h n l i c h . E s ist möglich, d a ß B R O T Z E sie bei d e r Ausa r b e i t u n g der eigenen verwendet h a t .
21
J . CH. BROTZE, M o n u m e n t e . . ., V I , 1 6 3 .
2/
' J . C H . BROTZE. M o n u m e n t e . . . X , 18.
Fischsperren
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bis zur Mitte des 20. Jhs. vorgenommen wurden. Diese Veränderungen betreffen •vor allem die Konstruktion, da neue Werkstoffe aufgekommen waren, die den Aufbau von Wehren beschleunigten. Die Veränderungen an der tragenden Konstruktion waren gering. Die Art der Befestigung der Wehrrücker bzw. Lattenschirme hat sich geändert. Mitte und Anfang des 18. 'Jhs. wurden die Lattenschirme so angefertigt, daß man an die Bockstangen Knüppel mit Bast anband, wobei die Knüppel dicht aneinander gelegt wurden. Diese Arbeit nahm viel Zeit in Anspruch. Als die Fischer Nägel verwenden konnten, änderte sich die Art der Anfertigung von Wehrrückern. Schon zu Hause nagelte man an die ungefähr meterlangen Querstangen Knüppel, und zwar in derselben Anordnung, wie sie früher angebunden wurden, und verfertigte so die einzelnen Wehr schirme. Sie wurden zum Wehr gebracht und jeder Teil wurde an die waagerechten Wehrstangen angenagelt. Die einzelnen Schirme behielten ihre alte Bezeichnung „täres" bei. Nur die aus den einzelnen Schirmen zusammengenagelten Rücker finden wir heute nur an den Mitte des 20. Jhs. errichteten Lachswehren von Dole. Auch die Gestalt der Lachskörbe hat sich verändert: Wenn Mitte und Ende des 18. Jhs. die Wehre von Dole Lachskörbe mit Kehlen hatten (Abb. 4, Taf. VIU), so sind schon Ende des 19. Jhs. Körbe mit Knebelmechanismen und zufallenden Verschlüssen an ihre Stelle getreten (Abb. 7, Taf. IX). Ein ähnliches Entwicklungstempo weisen auch die Sperren am Unterlauf der Venta uncL.Gauja, wie auch am Babitsee, auf, an denen sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jhs. bzw. seit dem Ende des 18. Jhs. und der ersten Hälfte des 19. Jhs. bis zur Mitte des 20. Jhs. nur wenig geändert hat. I n diesem Zusammenhang kann man die Frage nach dem Alter und den frühen Formen der in Lettland bekannten Fischsperrkonstruktionen stellen, worüber allerdings nur höchst mangelhafte Angaben vorhanden sind. Zunächst einige Gedanken zur Methodik. Zur Klärung dieser Frage sind Angaben aus verschiedenen Quellen zu nutzen und unter strenger Wahrung des historischen Prinzips miteinander zu vergleichen. Zur Kontrolle muß man die wesentlichen Entwicklungslinien der vergleichbaren Fischfanggeräte und anderer Zweige der materiellen Kultur heranziehen, wobei das jeweilige Entwicklungstempo in den einzelnen Gebieten und während größerer Zeitabschnitte zu berücksichtigen ist. Als Ausgangspunkt sollen Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos der gegenwärtig in Gebrauch befindlichen Fischsperren dienen. Dieses Material wird durch Angaben über Wehre vervollständigt, die heute nicht mehr vorhanden sind, aber auf Grund von Aussagen alter Fischer rekonstruiert werden konnten. Alle diese Unterlagen werden dann mit Beschreibungen und Zeichnungen von jahrzehnte- und sogar jahrhundertealten Wehren, die von Zeitgenossen angefertigt wurden, verglichen. Auf diese Weise stellen wir die zeitliche Dauer der Entwicklungsschritte fest und sehen, daß man in der Zeitspanne der letzten 150 bis 300 Jahre viele Sperren kaum noch verändert hat. Das bedeutet, daß bis zu dieser Zeit die Technik des Baues von Fischsperren schon einen solchen Stand
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Saulvedis Cimebmanis
erreicht hatte, daß sie in einem sehr hohen Maße den natürlichen Gegebenheiten des gewählten Fischfangplatzes entsprach und einen reichen Fang garantierte. Zur Charakterisierung früherer Entwicklungsabschnitte und zur Bestimmung der Bauelemente von Wehren müssen zusätzliche Quellen erschlossen werden. Als solche können Angaben der Linguistik dienen. Sie vermitteln uns ein gewisses Bild von den Wehren, die sich nicht bis in unsere Tage erhalten haben, und sei es nur aus dem Grunde, weil sie aus Holz erbaut waren und der Feuchtigkeit nicht so lange standhalten konnten. So haben, um ein Beispiel zu nennen, die Wehre von Dole mehrere alte finnisch-ugrische Benennungen ihrer Teile behalten, die mit den Benennungen der analogen Teile in den Fischsperren der im Baltikum und im Norden der U d S S R lebenden finnisch-ugrischen Völker verwandt sind. Die Benennungen können davon zeugen, daß diese Sperrenteile bei Dole schon verwendet wurden, als dort die livischen Fischer die einflußreichsten waren und die Geräte wenigstens teilweise livische Bezeichnungen trugen. 2 5 Eine der ältesten Arten von Neunaugenwehren sind die „Vastala" 2 6 (Abb. 8,. Taf. X). Hier wird folgendes Konstruktionsprinzip angewendet: Über den Fluß baut m a n eine so dichte Sperre, daß das Wasser fast nicht hindurchkommen kann. Infolgedessen stauen sich oberhalb der Sperre große Wassermengen. I m Wehr läßt man an bestimmten Stellen Lücken, an denen m a n flußabwärts Fischfanggeräte aufstellt. Das Wasser, das mit großer Wucht durch die Lücken schießt, reißt die Neunaugen, die bemüht sind, durch die Lücken hindurchzukommen, mit und in die Reusen hinein (Fig. 1). Diese Art des Fischens kennt
''•äs&e&xxM Fig. 1. Schema des Neunaugenwehres, „Vastala", in Estland, F l u ß P ä r n u (I. Manninek, Sachkultur . . ., S. 226). 1 — Sperre, 2—Reusen, 3—Richtung der Strömung, 4 — Richtung der Bewegung der Neunaugen. 25
26
Die auf der Insel Dole in den letzten J a h r e n geborgenen archäologischen Belege zeugen davon, daß in der f r ü h e n Feudalzeit die ethnische Zusammensetzung der Einwohner recht heterogen war (E. S n o r e . Doles vampeniesu kapulauki. — Zinatniskas atskaites sesijas referätu tezes par arheologu, antropologu u n etnogräfu 1966. gada p e t i j u m u rezultätiem. Riga, 1967, S. 40). Die im J a h r e 1961 aufgezeichnete Benennung des Wehres zeigt, daß die einstige Benennung der tragenden Teile des Wehres — der Böcke im 18. J h . — in der neueren Zeit auf die ganze Sperre bezogen wird. Außerdem bezeichnet m a n jeden einzelnen Bock auch gegenwärtig noch immer mit „vastala" ( E 30, 1968).
Fischsperren
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m a n auch in Nord-Vidzeme, in der Salaca. im estnischen Parnu sowie in anderen Flüssen. 27 Die „Vastala" hat einen starken Wasserdruck auszuhalten. Deshalb werden die Böcke breiter angelegt als bei den übrigen Wehren von Dole, und die Füße •der Böcke werden in ungefähr 60 cm tief in den Felsen gebohrte Löcher gesteckt. Um die Böcke noch standfester zu gestalten, legt man zwischen ihren Füßen •eine Plattform an, auf die ungefähr eine Tonne Steine geschichtet wird. An die Vorderfüße der Böcke werden auf der Strömungsseite mit Weidenruten zwei -waagerechte Stangen angebunden. Die untere, die sogenannte Grundstange
Eig. 2. K o n s t r u k t i o n s s c h e m a der „Vastala", des Neunaugenwehres im Unterlauf d e r D a u g a v a a n der Insel Dole, Bezirk Riga (Rekonstruktion n a c h Aussagen v o n J Ä N I S BBBKMANIS, g e b o r e n 1 8 7 9 , u n d JEKABS KRÜKA, g e b . 1 8 8 4 ) ( E 21, 4 0 7 5
und
4078). 1 —Dreifuß „Äzis", 2 — die die Bockfüße h a l t e n d e n Stangen „Sütras", 3 —Bretter „Lamezi" z u m A u f h ä u f e n der Steine, 4 —die u n t e r e Stange, „Dibenskärts", des Zaunes, 5 —die obere Stange „Sulkärts", 6 — K n ü p p e l „ S t u t e s " zum H e b e n •und Senken der „Dibenskärts", 7 — die Sperrknüppel „Sulgi", 8 — R i c h t u n g der Strömung.
„Dibenskärts", befindet sich fast auf dem Felsen. Mit Hilfe von Stöcken, die an den Enden der Grundstange befestigt sind — „Stute" —, wird die Stange an den Bockfüßen entlang ins Wasser hinuntergelassen. Die obere Stange, die sog. „Sulkärts", ist auch an den Füßen befestigt, befindet sich jedoch etwas über dem höchstmöglichen Wasserspiegel. An der flußaufwärts gerichteten Seite des Wehres sind an die Stangen dicht aneinander Tannenknüppel — „Sulgi" — hineingestellt. Diese „Sulgi" sind gerade Knüppel und liegen so eng aneinander, daß sie eine dichte Sperre bilden, die viel Wasser aufstaut (Fig. 2). Hinter den 27
E 30, 1968; I. MANNINEN. Die Sachkultur Estlands. I. B a n d (im folgenden I . MANNINEN. Sachkultur). T a r t u , 1931, S. 226.
-
110
SAUL VEDIS
CIMERMANIS
„Sulgi" sind noch kleine Bündel aus Stroh oder Erbsenstroh gelegt, die man mit den Füßen feststampft und aller drei bis vier Meter mit Steinen befestigt. Eine „Vastala" kann man nur auf glattem, massivem Felsen errichten, wo es dem Wasser nicht möglich ist, den Boden unter dem Wehr auszuspülen. 28 Die bis zum heutigen Tage erhaltene Bezeichnung der oberen Stange der „Vastala" — „Sulkärts" — scheint aus dem Finnisch-Ugrischen zu stammen. Dieses Wort ist mit dem livischen „suolm" und estnischen „sulgema" in Verbindung zu bringen, die die Bedeutung „versperren", „eindämmen" haben. Auch die Benennung „sulgi" entspricht logisch und etymologisch dem estnischen Wort „sulg", was den Sinn „verriegelbar", „zusammengepfercht", „zusammengedrängt" hat. I n diesem Sinn wird das Wort auch für ein Bauelement des Wehres verwendet. Auch das schon bei der Erwähnung der Lachswehrrücker von Dole gebrauchte Wort „täres" („täres" oder „täri") (Abb. 9, Taf. X) entspricht den ähnlichen Benennungen von Rückern bei den finnisch-ugrischen Völkern. Die Esten nennen sie „tari" 2 9 , an den Flüssen Kareliens wird die Benennung „tarja" gebraucht. :iü In der jüngsten Vergangenheit ist dieses Wort mit unbedeutender Veränderung auch in der Terminologie der Arbeitsgeräte der russischen Fischer Kareliens heimisch geworden. Die russischen Fischer sprechen es wie „tara" aus. Aber auch bei den Ostjaken (Chanten) nennt man die Rücker „täres" und bei den Wogulen (Mansi) „täras". 3 1 Diesen Bezeichnungen steht der Ausdruck „sarja" nahe, der am Uleä-Fluß in Schweden und am Kumo-Fluß in Nord-Finnland gebräuchlich ist und der sich als „sarjanen" am Grenzfluß Torneä zwischen Schweden und Finnland findet.32 Zieht man in Betracht, daß 1. in Urkunden vom Anfang des 13. Jhs. das Bestehen der Fischwehre erwähnt wird, daß 2. diese Wehre bis zum heutigen Tage ihre alten finnisch-ugrischen Benennungen beibehalten haben, die zum Teil schon Anfang des 16. Jhs. und Mitte des 18. Jhs. aufgezeichnet wurden, und daß sich 3. zumindest im Zeitraum der letzten 200 Jahre der Aufbau der Dole-Wehre im wesentlichen nicht geändert hat, dann scheint die Folgerung angebracht zu sein, daß solche Wehre in der Daugava schon vor dem 13. Jh. errichtet wurden. Auch den Beginn der Errichtung des schon beschriebenen Wehres am RumbaFall in der Venta kann man in die Zeit des frühen Feudalismus datieren. Am 10. August 1290 bestimmte der Meister des Deutschen Ordens die Einkünfte der Ordensburgen Kuldiga und Ventspils. I n dieser Urkunde wird festgelegt, daß 28 E 21, 4075 und 4078. 29 I. M A N N I N E N . Sachkultur, S. 229. 30 U . S I R E L I U S . Über die Sperrfischerei bei den finnisch-ugrischen Völkern (im folgenden — U . S I R E L I U S . Sperrfischerei . . .). Helsingfors, 1 9 0 6 . S. £ 0 0 und 3 4 0 ; MaTepnajiH K no3HaHHK> pyccKoro ptißoJioBCTBa. 1913 r. TOM II; BbinycK 9. C. IleTepc6ypr, 1913, S. 8. 31 U . S I R E L I U S , Sperrfischerei, S. 4 3 3 . 32 U . S I R E L I U S , Sperrfischerei, S. 2 0 0 .
Fischsperren
111
im Unterlauf der Venta, von der Flußmündung stromaufwärts bis Kuldlga, Wehre nicht weiter als bis zur Flußmitte errichtet werden dürfen. 33 So können wir annehmen, daß schon zu dieser Zeit bei Kuldiga eine dem Orden gehörende Sperre bestanden hat, deren Fangergebnisse durch die unterhalb von Kuldiga errichteten Wehre nicht fühlbar beeinträchtigt werden durften. 3 4 Unsere Auffassung vom bedeutenden Alter eines Teils der in Lettland im 18. — 20. J h . errichteten Wehrarten und ihrer Bestandteile wird durch Belege über das Alter der Fischfanggeräte anderer Völker bestätigt. So weist zum Beispiel V. V A S I L J E V in seinen Studien über die Entstehungsgeschichte der Fischsperrgeräte der Ob-Ugren darauf hin, daß den Fischzäunen ähnliche Sperren schon im 4. bis 3. J t . v. u. Z. bekannt waren. 35 Den Fischfang mit dem Wintergarn im alten Preußen zu Ende des 1 6 . Jhs. beschrieb H E N N E N B E R G E R , und Prof. B E N E C K E bemerkte 1880, daß dort noch im letzten Viertel des 19. Jhs. auf fast dieselbe Weise gefischt wurde. B E N E C K E fügte hinzu, daß man das Wintergarn in derselben Art wahrscheinlich schon viel früher gebraucht hat. :i(i Diesen Gedanken legt das im Jahre 1233 herausgegebene Fischereiprivilegium nahe, in dem es den Einwohnern verboten wird, mit einem Netz, das maji hier „niewod" 37 nennt, zu fischen. Es ist festzustellen, daß die Fischer der Seen Lettlands ihre Arbeit noch im 20. Jh. in einer Art betrieben, die der von H E N N E N BERGER beschriebenen Fischfangmethode mit dem Wintergarn sehr ähnlich war. 38 Auf einer russischen Miniatur des 14. Jhs. ist ein Fischzug in einem See abgebildet 39 , der dieselben wesentlichen Merkmale zeigt, die wir in den Beschreibungen der ethnographischen Expeditionen des 19. —20. Jhs. finden. Die einzelnen Teile des Zugnetzes sind aus einer noch älteren Periode bekannt. So zum 33
Liv-, E s t h - u n d K u r l ä n d i s c h e s U r k u n d e n b u c h n e b s t R e g e s t e n , I . B a n d . N r . 612. R e v a l , 1853. 34 Diesen G e d a n k e n s p r a c h schon 1944 Z. LIGERS a u s (Ltk. S. 115), obwohl A. BIELENSTEIN die E r r i c h t u n g des W e h r e s bei K u l d i g a a m R u m b a - F a l l m i t der Tätigkeit H e r z o g J a k o b s v o n K u r l a n d i m 17. J h . v e r b i n d e t (A. BIELENSTEIN. Holzb a u t e n , S. 675). 35 B. BacujibeB. IlpoSneiwa nponcxo/KnemiH opynnii 3anopHoro ptiConoBCTBa OSCKMX yrpoB. — CH6HPCKHK 3THorpamecKHH cSopmiK. IY. MocKBa, 1962, S. 143. ;!,i B . BENECKE. B e i t r ä g e zur Geschichte der Fischerei in Ost- u n d W e s t p r e u ß e n (im f o l g e n d e n — B . BENECKE. B e i t r ä g e . . .) Altpreussische M o n a t s s c h r i f t . Siebenz e h n t e r B a n d . K ö n i g s b e r g in P r . , 1880, S. 327. 37 B . BENECKE. B e i t r ä g e . . . S. 302. Dieses N e t z ist, wie seine slavische B e n e n n u n g zu e r k e n n e n gibt, n i c h t s a n d e r e s als der W i n t e r z u g , d e n die russischen B a u e r n n o c h h e u t z u t a g e „ n j e w o d " n e n n e n . Diese B e z e i c h n u n g h a b e n a u c h die B e w o h n e r O s t l e t t l a n d s — die L e t t e n — ü b e r n o m m e n , die d a s N e t z „nevods" n e n n e n . 38 A u f z e i c h n u n g e n e t h n o g r a p h i s c h e r E x p e d i t i o n e n i m Mittelteil L e t t l a n d s (Vidzeme) u n d i m Ostteil L e t t l a n d s (Latgale). 39 I n d e n h i s t o r i s c h e n russischen Quellen ist d a s Z u g n e t z schon viel f r ü h e r erw ä h n t , schon i m 11.—12. J h . B. MantM. IIpoMHCJibi /ipenHepyccitoM jjepeBim (im f o l g e n d e n IIpoMbicJibi. . .). O^epmi no HCTOPHH pyccKoü NEPEBHH X—XII BB. MocKBa, 1956, S. 124.
112
Satjxvedis Cimbrmanis
Beispiel entsprechen die Senker des 19. — 20.Jhs. (in Bast eingewickelte Steine) denjenigen, die man bei Ausgrabungen aus dem 10. J h . gefunden hat/' 0 Es sind jedoch nicht alle Typen von Sperren so alt. Die Sperren wurden größtenteils an den reißendsten Stellen der Flüsse errichtet, wo sie mehr oder weniger den Verkehr und die Flößerei störten, den Wasserspiegel erhöhten und öfters die oberhalb der Sperre anliegenden Wiesen überfluteten. Deshalb finden wir schon seit dem 13. J h . die urkundliche Reglementierung der Wehre in verschiedenen Verträgen, Erlassen, Wirtschaftsbüchern und anderen Dokumenten. Während des ganzen Zeitraumes, für den uns schriftliche Quellen über die Geschichte der Fischerei Lettlands zugänglich sind, ist der Kampf zwischen Wehrerbauern, die die Bestimmungen nicht eingehalten haben, und den zuständigen Behörden zu beobachten. So zum Beispiel scheinen die heutigen Neunaugenwehre in der Salaca und die aus Dreifüßen errichteten Sperren in der Aiviekste verhältnismäßig jung zu sein. .Noch bis zum Jahre 1850 errichtete man im felsigen Flußbett der Salaca Steinwehre. Diese erhöhten den Wasserspiegel und überschwemmten die am oberen Flußlauf liegenden Gutswiesen. Die Gutsbesitzer am Oberlauf und am Burtnieksee führten Klage bei den entsprechenden Dienststellen. Das Ergebnis ihrer Beschwerde war der Befehl, die in der Nähe der Güter in der Salaca errichteten Steinwehre zu beseitigen. Die Güter, die sich intensiver mit Fischfang befaßten, erhoben daraufhin Einspruch. Ein Schriftstück aus dem Jahre 1858 spiegelt diesen Streit wider. Die Verwaltung des Vidzemschen Gouvernements richtete es an die Bau- und Wegekommission des Gouvernements. Wir lesen darin unter anderem: „Veranlaßt durch vielfache Klagen der am Burtneckschen See und an dem oberen Laufe der Salis liegenden Güter über ihnen Schaden verursachendes Aufstauen des Flusses durch die in demselben yorfindlichen festen steinernen Fischwehren hatte das Wolmarsche Ordnungsgericht unterem 31. ^ugust 1856 die Niederreißung solcher, mißbräuchlich erbauten Fischwehren angeordnet, wogegen die Güter Alt- und Neu-Salis bei den Anführungen, daß bei dem felsigen Boden des Flußbettes und der reisenden Strömung der Salis die Construktion leichter Wehren unmöglich sei, und daß dieser Fluß, bei einem Gefälle von 130 Fuß, selbst durch die gegenwärtig darin angelegten Steinernen Fisch wehren, die nur bis zum Wasserspiegel reichen, und die Königsader offen lassen, unmöglich gestaut werden und den mehr als 60 Werst oberhalb belegenen Ländereien irgendwelchen Schaden zufügen könne — bei dieser Regierung Beschwerde erhoben haben, während andere Güter, denen ein gleiches Commissum des Ordnungsgerichts geworden, demselben nicht gebührende Folge geleistet und das Ordnungsgericht zu einer Strafdecretierung von 50. Rbl. S. für jede bei ihnen nachträglich aufgefundene steinerne Fischwehre veranlaßt haben, über welche Strafauferlegung sie sich sodann gleichfalls bei der Gouvernementsregierung beschwert." 41 '40 B. Koothh. HoBropoACKHe H p e B H O c m . ^epeBHHHtie M H e j i H H . B . M a j i b M , IIpoMMCJiH, S. 122. 41
L C V V A Fonds 10, Beschr. 2, Sache 4445, B l a t t 2.
MocKBa,
1968, S. 22, 104.
Fischsperren
113
I m Endergebnis trug die Gouvernementsverwaltung der Bau- und Wegekommission auf, unter anderem zu klären, ob es möglich sei, am Unterlauf der Salaca Wehre anderer Konstruktion zu bauen und zu prüfen, ob wegen der vorhandenen Steinwehre im Oberlauf des Flusses das Wasser so steige, daß die anliegenden Güter Schaden nehmen. Das Resultat der Untersuchungen mußte der Gouvernementsverwaltung mitgeteilt werden. 42 Leider ist es bis jetzt nicht gelungen, den Beschluß über die Untersuchungen sowie die Anordnungen über die Errichtung der Wehre in der Salaca ausfindig zu machen. Dennoch zeigen die gegenwärtigen Wehre der Salaca (siehe S. 127/28), daß von den einstigen Steinwehren hier möglicherweise einige Elemente der Konstruktion noch erhalten sind — einzelne Steinaufschüttungen, zwischen denen Lücken für die Aufstellung der Geräte gelassen sind, und eine oder mehrere Königsadern. Zur präzisen Klärung der Frage sind jedoch noch Forschungen in den Archiven notwendig. Es scheint, daß die an den felsigen Stellen der Aiviekste aus Dreifüßen errichteten Wehre erst Ende des 19. und Anfang des 20. Jhs. entstanden sind, denn noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind in den Beschreibungen der Fischerei in der Aiviekste die aus Stein erbauten Sperren hervorgehoben, als Gegensatz zu . den Sperren in den anderen Flüssen Vidzemes. So zum Beispiel bemerkt die Zeitschrift „Baltijas Vestnesis": „In diesem Fluß (Aiviekste — S. C.) befinden sich viele Wehre (Stellen für Fischfang), die, wie die Alten erzählen, aus der Schwedenzeit stammen. (Im Volksmund wird damit der Zeitraum vom 17. bis Anfang des 18. Jhs. bezeichnet, als Vidzeme Schweden Untertan war. — S. C.) Diese Wehre sind nicht wie anderswo aus Holz, sondern aus Stein. Es ist ein Steinwall aufgeschichtet, in dessen Mitte sich ein kleiner Durchlaß befindet. Ein Netz wird davor gespannt, in das die Fische, ob sie wollen oder nicht, hineingeraten." 43 Nach ihren Standorten sind die Fischsperren Lettlands wie folgt einzuteilen: 1. Sperren in stehenden oder langsam fließenden Gewässern und 2. Sperren in reißenden Wasserläufen. I n stehenden oder langsam fließenden Gewässern verwendete man für die Sperren Latten- oder Stangenzäune. Dem Fangprinzip entsprechend sind diese in zwei Gruppen zu teilen: Zur ersten Gruppe gehörten Fischzäune, deren Fangteil entweder der Zaun selber oder eine ihm in der Konstruktion ähnliche Ergänzungseinrichtung war. Bei den Zäunen der zweiten Gruppe bestand der Fangteil aus anderem Material und besaß eine andere Konstruktion als der Zaun selber. Er wurde an den dafür vorgesehenen Stellen im Zaun angebracht. Als Beispiel für die erste Gruppe sind die Fischzäune im Babltsee zu nennen, und es scheint, als ob auch die Zäune in der Lielupe dazugehörten, die zwischen Babite und Kalnciems in der gesamten Feudalzeit und im Kapitalismus verwendet wurden (Fig. 3). Das Grundprinzip des Aufbaues eines solchen Fischzaunes ist das folgende: Mit dünnen Weidengerten, mit Bast oder mit Stricken « LCVVA F o n d s 10, Beschr. 2, Sache 4445, B l a t t 3. « „Baltijas Vestnesis", 1877, Nr. 41. 8
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
114
SAULVEDIS
CIMERMANIS
werden aus ca. zwei Meter langen Latten, deren untere Enden zugespitzt sind, drei bis fünf ungefähr drei Meter lange Zäune geflochten. Einen Zaun treibt man in das Fluß- oder Seebett quer zum angenommenen Fischweg ein. Aus den übrigen formt man an j^dem Ende des geraden Zaunes je eine herzförmige Kammer mit schmalem Eingang. Die Fische schwimmen längs des geraden
Fig. 3. „ K a t i c a " im Babitsee (D. TROCIG, K a t i c a — sens zvejniecibas veids. — Senatne u n d mäksla. 1940, I . S. 120). 1 — Zaun, 2 — K a m m e r n .
Zaunes, gelangen in die Kammer und finden keinen Ausweg mehr. Aus der Kammer schöpft man die Fische mit Keschern 44 heraus. An anderen Orten Lettlands sind Fischzäune nicht mit Sicherheit festgestellt worden 45 , obgleich mit solchen Zäunen bei unmittelbar benachbarten und auch in einiger Entfernung lebenden Völkern Fischfang betrieben wurde. Es ist möglich, daß diese Zäune im Babitsee und in der Lielupe deshalb länger in Anwendung blieben, weil im flachen und verwachsenen See der Fang mit anderen Geräten recht beschwerlich war. I n der Feudalzeit wurde darum diese Fangart legalisiert, verschiedentlich beurkundet und reglementiert. An anderen Stellen wurden die Fischzäune möglicherweise schon in feudaler Zeit durch mehrere Varianten von Paarreusen ersetzt (Abb. 10, Taf. XI), deren Konstruktion auf dem gleichen Grundprinzip beruht. An diesen Orten schwand die Erinnerung an die Fischzäune mit den alten Fischergenerationen. Zu diesem Schluß gelangt man, wenn man die in Latgale und in ostpreußischen Seen betriebene Weise des Fischfangs mit Garnreusen betrachtet, deren Aufstellung vollkommen d.er der Fischzäune entspricht. 46 44
46
I n der lettischen ethnographischen L i t e r a t u r h a t D. T R O C I G die Fischzäune eingehend beschrieben (Katica — sens zvejniecibas veids. — Senatne u n mäksla. 1940. I), ebenso auch Z. L I G E R S (Die Volkskultur der L e t t e n . I. Riga, 1942). Auf S. 124 seiner Arbeit b e r u f t sich D. T R O C I G auf die Sammlung von J . J A U N Z E M S aus d e m J a h r e 1935 u n d e r w ä h n t , d a ß Fischzäune auch im Lubänasee gef u n d e n worden sind. E s scheint jedoch, d a ß er Fischzäune m i t den im Lubänasee gebräuchlichen Sperren verwechselt h a t (siehe S. 115). Die aus dem Gebiet von L u b ä n a erhaltenen Nachrichten sind recht widerspruchsvoll. I n den J a h r e n 1963—1967 v o m Autor in den Bezirken von Balvi, Daugavpils, Kräslava, Ludza, Preili u n d R e z e k n e gesammelte Unterlagen. B . B E N E C K E . Fische,
115
Fischsperren
Ein Fischzaun anderer Art war der in den kleinen Flüssen und Flußarmen der Gauja in der Nähe von Ligatne (Vidzeme) verwendete Lattenzaun (Fig. 4). Er bestand aus zwei parallellaufenden Zäunen. Sie wurden aus 2 m langen Kieferlatten gefertigt, die man mit Lindenbast oder einer Schnur an drei Stellen zusammenband. Die Abstände zwischen den Latten betrugen ungefähr 2 cm. Die Zäune wurden ins Flußbett quer über den ganzen Fluß in Form des Buchstaben S hineingetrieben. Das eine Ende des Zaunes befestigte man an dem einen Flußufer, das andere an dem anderen. Die Fische schwammen am Zaun entlang, fanden am Ufer einen freien Durchgang, schwammen hinein und damit zwischen die beiden Zäune, die ungefähr 30 cm voneinander
Fig. 4. Schema eines L a t t e n zaunes in der U m g e b u n g von Ligatne, Bezirk Cesis (Gezeichn e t n a c h der Aussage des im J a h r e 1901 geborenen KARLIS EGLITS)
( E 18, 4565).
A-Plan,
B - S c h n i t t ; 1 - Ufer, 2 - B e t t des Flusses, 3 — Zaun.
entfernt waren. Die Mitte war verschlossen, so daß die Fische nicht hindurch und an das andere Ende gelangen konnten. 47 Als Beispiele für die zweite Gruppe sind die langen aus Pfosten gefertigten Zick-Zack-Sperren in den stehenden Gewässern der Buchten des Lubanasees, im See selbst und in den von der Aiviekste überschwemmten Sumpfwiesen anzuführen (Fig. 5). Die Pfosten rammte man in die Erde, und dazwischen flocht man Reisig ein. Stellenweise ließ m a n im Zaun Lücken zum Einsetzen der Reusen/' 8
47
Fischerei u n d Fischzucht in Ost- u n d W e s t p r e u ß e n (im folgenden — B. BENECKE. Fische . . .). Königsberg i. Pr., 1881, S. 390 u. a. Vgl. S. CIMERMANIS. Lettische Binnenfischereigeräte als Gegenstand interethnischer Forschung. — Kolloquium B a l t i c u m E t h n o g r a p h i c u m 1966. Berlin, 1968, S.,32. E 18, 4565. Ähnliche Zäune gebrauchten auch die U n g a r n (U. SIRELIUS. Sperrf i s c h e r e i . . ., S . 1 2 0 ) .
Vgl. U.
SIRELIUS.
Sperrfischerei . . . S. 47, 67, 203, 206, 216, u. a.;
MaTepHa.nu K
no3HaHHio p y c c K o r o pbißoJioBCTBa. 1 9 1 3 r . , TOM 2 , Bbin. 5. C - I I e T e p c ß y p r , 1 9 1 3 , T a b . V I
u. a. 64 65
B . B E N E C K E . Fische . . ., S. 380-381. LCVVA Fonds 7363, Beschr. 1, Sache 388. II. CKOM y e 3 ß e JIIKWI. r y 6 . — M a T e p H a n u
E o p n c o B . PMÖHHÜ n p o w w c e j i B Py>K-
K no3Hannio
p y c c K o r o pbiöonoBCTBa. 1 9 1 3 R.,
TOM 2 , BbinycK 1 2 . C - I I e T e p c ß y p r , 1 9 1 3 , S . 1 0 . «6 S . CIMEKMÄNIS. A E V I , S . 1 6 3 . 67
TJ. S I R E L I U S .
Sperrfischerei. . ., S.
b i s 2 3 8 ; S . CIMEBMANIS. A E V I , S .
1 6 9 - 1 7 0 ; I. MANNINEN. 175-176.
Sachkultur . . ., S.
237
Fischsperren
125
Flusses eingetriebenen Pfosten gebildet wurden. An den oberen Enden der Pfosten befestigte man an der der Strömung abgewandten Seite eine waagerechte
F i g . 12. Schema des Aalwehres im Mittellauf der D u b n a , Gemeinde Vark a v a , Dorf Pügaini, Bezirk Preili (Gezeichnet n a c h den Aussagen des im J a h r e 1890 geb. J A Z E P S S T A R I S u n d des 1903 geb. K A Z I M I R S K T T R SIETIS). A — P l a n des Wehres: 1 — Flügel, 2 — Steg über d e m W e h r t o r , g e n a n n t „ L a k t a s " , 3 — Aalnetz mit Fühlleinen, 4 — R i c h t u n g der Ström u n g ; B — L ä n g s s c h n i t t : 1 — Wehrknüppel, 2—Wehrstange, 3 —Reisigbündel, 4 — Torpfahl, 5 — Pfosten z u m Anbinden des Aalnetzes, genannt „Pokulena", 6 — Stock zum Herausheben des Netzes, g e n a n n t „Mylins", 7 — A a l n e t z ; C — A a l n e t z : 1 — u n t e r e Stange „Apaksas koks", 2 — Stock zum Herausheben des Netzes, g e n a n n t „Mylins", 3 — Pfähle z u m F e s t m a c h e n des Netzes, g e n a n n t „Pokulenas", 4 — Netz mit Fühlleine u n d Weidenrutenringen an den Seiten. Schon in den zwanziger J a h r e n des 20. J h s . war a m E n d e des Netzes eine Kehle m i t 3 Weidenrutenbügeln eingerichtet (E 30, 1967).
SAULVEDIS CIMERMANIS
Stange. Die Zwischenräume zwischen den Pfosten wurden mit senkrecht eingesetzten Reisigbündeln ausgefüllt, die an die waagerechte Stange angebunden wurden. Die Bündel lagen dicht nebeneinander. Am Schmalende des Trichters, in dem „Tor", wurden in den Flußgrund besondere Pfähle eingerammt. Daran befestigte man die Aalnetze. A n d e n Flügelenden wurden über das „Tor" Bretter
Fig. 13. Schema des Aalwehres in der D a u g a v a , Stromschnelle Pirkazas u n t e r h a l b v o n Jekabpils, Bezirk J e k a b p i l s (Gezeichnet n a c h den Aussagen
des im J a h r e
1879
g e b . PETEEIS ZÄLITIS)
( E 30, 1967).
A — P l a n des Wehres, B L ä n g s s c h n i t t ; 1 — WehrfLügel m i t den ins Flußb e t t eingetriebenen Pflöcken u n d waagerecht gelegten Reisigbündeln, 2 — ins F l u ß b e t t e i n g e r a m m t e Pflöcke des Wehrbocks, 3 — Bockstangen, 4 — Aalnetz m i t Fühlleinen, 5 — Boot m i t Fischern, 6 — R i c h t u n g der Strömung.
gelegt, auf denen zur Fangzeit die Fischer saßen und das Netz beobachteten. Sokonnte das Wehr die ganze Fischfangsaison über stehen, denn es störte den Flußverkehr nicht. 68 I n den Pirkazen-Stromschnellen der Daugava unterhalb von Jekabpils (Vidzeme) hatten die Pfahlwehre für den Aalfang eine andere Konstruktion, hier waren der Boots-, der Flößer- und der Aalweg in einem Strome vereint (Fig. 13). Hier wurden, wie andernorts, zuerst Pfähle ins Flußbett gerammt und ihre 08 E 3 0 , 1 9 6 7 .
Fischsperren
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Zwischenräume mit waagerecht gelegten Erlenzweigbündeln gefüllt. So entstanden zwei Wehrflügel. Danach kürzte m a n mit einem speziellen Beil mit langem Stiel die Pfahlenden so weit, daß sie nur noch bis zu 50 cm unter die Wasseroberfläche (bei niedrigstem Wasserstand) reichten. Am Schmalende des Trichters, wo für die Befestigung des Aalnetzes gewöhnlich besondere Pfähle angebracht wurden, wurden an jeder Seite je drei Pfosten eingekeilt. Ihre oberen Enden befanden sich unter dem Wasserspiegel. An jeden dieser Pfosten wurde eine stärkere Stange angebunden. Wenn alle Stangen in die Höhe gehoben und ihre oberen Enden zusammengebracht wurden, entstand ein eigenartiger Dreifuß, an dem man das Aalnetz befestigte. Dieser Dreifuß wurde am Abend aufgerichtet, wenn man sich zum Nachtfang vorbereitete. Am Morgen, wenn sich die Flöße in Bewegung setzten, waren die Stangen gelöst und lagen im Wasser. Die Flöße gingen darüber, ohne das Wehr zu beschädigen. 69 Eine eigentümliche Konstruktion weisen die im Unterlauf der Salaca (Nordvidzeme) eingerichteten Neunaugenwehre auf (Fig. 14). Diese Konstruktion B
zirk Limbazi, 1968 (E 30, 1968). A - P l a n ; B - S c h n i t t e ; 1 - aus Steinen aufg e h ä u f t e Inseln „ D a m b j i " , 2 — zur Befestigung der D ä m m e e r b a u t e Balkenwände, 3 — vorderer (erster) Tragbalken, 4 — mittlerer (zweiter) Tragbalken m i t einem Zahn, g e n a n n t „Zobs", 5 — letzter (dritter) Tragbalken, 6 — Pfähle, 7 — Stützen, 8 — Steg, 9 — W e h r s t a n g e n , 10 — R i c h t u n g der Strömung. ß» E 30, 1967.
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Saulvedis Cimebmanis
unterscheidet sich von allen bisher in Lettland vorgefundenen. Das Bett der Salaca ist im Unterlauf felsig und mit einer dicken Schicht Kieselsteine bedeckt. Die Strömung ist sehr stark. Die Wehre erstrecken sich über die ganze Flußbreite. Sie sind folgendermaßen konstruiert: Zunächst werden im Fluß Steine zu Inseln ovaler Form von ungefähr 20 Meter Länge und fünf Meter Breite aufgehäuft, deren Vorderenden schmaler und gegen den Strom gerichtet sind. 70 Zwischen den Inseln läßt m a n 5—15 Meter breite „Ströme" für die Neunaugenreusen und eine acht Meter breite Lücke zum Flößen. Die Zahl der Inseln also ist von der Breite des Flusses abhängig. Bei der Aufhäufung der Inseln wird eine Schicht Steine gelegt, dann eine Schicht aus Wacholder- und Nadelholzzweigen, dann wieder eine Schicht Steine usw. So können die Neunaugen zwischen den Steinen nicht hindurchschlüpfen. Jede Insel erhebt sich ungefähr 70 cm über den normalen Wasserstand. Die Flußufer und Inselseiten werden mit drei Balkenkränzen befestigt. Die Vorderenden der Balken sind zugespitzt, und zwar so, daß sie mit dem zugespitzten Ende der Insel eine Linie bilden. Jeder Balken ist mit Holznuten in dem Flußbett oder an der Steininsel befestigt. Unter diesen Balken sind drei Querbalken in das Flußbett eingerammt und mit dicken Holznuten darin festgemacht. Die Hauptstellung hat der mittlere Querbalken, an dessen einer Seite eine Leiste — „Zahn" genannt — angebracht ist. Auf diesen Balken stützen sich die Raufen des Lachswehres und die Verschlüsse (Schieber) des Neunaugenwehres, die das Wasser aufhalten. Auch die Neunaugenreusen stützen sich auf diesen Querbalken. Der erste (vordere) Querbalken schützt den zweiten vor der Ausspülung. Der letzte (dritte) Querbalken schützt wiederum den der Strömung abgewandten Teil des Wehres vor der Ausspülung. Das Wehr als solches wird aus zwei Reihen Pfosten (ungefähr 6—10 cm im Durchmesser) gebildet, die ins Flußbett getrieben sind. Zwei Pfosten, von denen einer hinter dem anderen steht, bilden ein Paar. Jedes Pfostenpaar wird durch eine oder zwei Stützen befestigt, deren zugespitzte Enden ins Flußbett hineingetrieben sind. Die Pfostenpaare sind untereinander mit waagerechten Stangen in verschiedener Höhe verbunden. Gegen die Stangen der Vorderseite stützen sich die Wehrrücker und die Stangen der Neunaugenreusen. Gegen die zwei oberen Stangen sind die aus dem Wasser gehobenen Reusen und deren Stangen gelehnt. Über das ganze Wehr f ü h r t ein Fußsteg aus Brettern. Dieser r u h t auf Querhölzern, die an jedem Pfostenpaar angebracht sind. Alle Teile sind mit Weidenruten oder Stricken, in neuerer Zeit mit Draht, zusammengefügt. Wehrbauten dieser Art standen im ganzen Unterlauf der Salaca. Sie besaßen nur einige geringe Unterschiede, wie z. B. eine statt zwei Stützen für ein Pfostenpaar, oder einen Querbalken statt drei. Mehrere Neunaugenwehre wurden mit Lachswehren kombiniert, d. h. einige Meter oberhalb des Neunaugenwehres befand sich das Lachswehr fast gleicher Konstruktion. Den Weg der Lachse versperrten Rücker im Wehr, an einigen Stellen waren Lachskörbe aufgestellt. 70
Diese Wehrkonstruktion entspricht der sog. Kastenwehrkonstruktion in nordfinnischen Flüssen (U. S i r e l i u s , Sperrfischerei . . ., S. 240ff.).
Fischsperren
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Durch das Neunaugenwehr gelangten die Lachse über die Königsader. 71 Schriftlichen Berichten zufolge wurden ähnliche Wehre wie in der Salaca auch in der
Fig. 15. Schema des Aalwehres in der D a u g a v a - Stromschnelle Bebrulej a bei Plavinas, Bezirk Stucka (Gezeichnet n a c h den Aussagen alter Fischer). 1 —Wehrwand m i t Dreifüßen, S t a n g e n u n d Reisigbesen, 2—Aalnetz m i t Fühlleinen, 3 — Boote m i t Fischern, 4 — R i c h t u n g der S t r ö m u n g u n d Weg der Aale.
Fig. 16. Schema des Aalwehres in der Daugava- Stromschnelle G linauka,Be zirk Jekabpils (E 30, 1967). 1 - Ufer, 2—Richtung der Strömung, 3— Stromschnelle, 4 — aus Dreifüßen gebildete Wehrwände, 5 — Sandbank m i t Aalnetzen.
Svetupe und Vitrupe gebaut, die in den Rigaschen Meerbusen etwas südlicher als die Salaca münden. Große Vielfalt wiesen auch Wehre auf, die aus Dreifüßen errichtet wurden 72 (Abb. 4,6,8, Taf. VIII, I X , X und Fig. 3). Hier war die Richtung der Anordnung weniger von der Flußströmung und dem Flußbett abhängig. Die diesen Sperren gemeinsamen Konstruktionselemente sind ein oder mehrere aus nicht allzu dickem Rundholz gebildete Dreifüße oder Böcke, die dicht nebeneinander oder ™ E 30, 1968. 72 Die Dreifüße L e t t l a n d s h a b e n bisher P . B O B I S O Y (Ltk.) u n d S . C I M E B M A N I S (AE V ) beschrieben. 9
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
(PHÖHMÜ
npoMbicen.), Z. L I G E R S
130
SAULVEDIS
CIMERMANIS
mit kleineren Zwischenräumen in den Fluß gestellt werden. Die Böcke wurden mit zwei oder mehreren waagerechten Stangen in der ganzen Sperrlänge miteinander verbunden. Die untere Stange befand sich nicht weit vom Flußgrunde entfernt, die obere etwas über dem Wasserspiegel. An diese Stange befestigte man die Wehrrücker, Bretter, Rundhölzer u. dgl. Damit die Sperre noch dichter wurde, vervollständigte man die Rücker mit Reisig- und Strohbündeln. Die Böcke wurden des öfteren mit Steinen beschwert, wofür man besondere Plattformen anbrachte. An breiteren Fangstellen wurde ein Dreifuß hinter den anderen gestellt. So bildeten sie eine Reihe, die dem Wehr die Form einer geraden Linie (Abb. 6, Taf.IX), eines Bogens (Abb. 4 und 8, Taf. VIII, X ) oder eines Trichters (Fig. 15) gab. Manchmal stellte man die Böcke sogar so auf, daß sie mehrere nebeneinanderstehende Trichter bildeten (Fig. 16). Diese Wehre nahmen einen Teil des Flusses oder auch seine ganze Breite ein, nur die erforderliche Königsader blieb frei. Die bedeutendsten Standorte solcher Wehre befanden sich in Lettland in dem felsigen Flußbett der Daugava von > Dole bis Livani, wo man Sperren für Lachs-, Neunaugen-, Wemgallen- und Aalfang aufstellte. Gleiche Wehre für die Aalfischerei baute man auch oberhalb von Kräslava bei Elksni und Murauka (Latgale). Außer in der Daugava errichtete man diese Wehre auch in der Aiviekste, von der Mündung bis Saikava, im Mittel- und Oberlauf der Gauja,
Fig. 17. Schema des Neunaugenwehres „Virga" in der Daugava bei Aizkraukle, Bezirk Stucka (Gezeichnet nach den Aussagen des im J a h r e 1897 geb. J Ä N I S P A N DELS) (E 21, 4263). A - Plan; B - Seitenansicht; 1 - Ufer, 2 - Dreifuß „Virga", 3 — Steg, 4 — Neunaugenreusen mit Stangen, 5 — Sperre mit Tannenzweigen, 6 — Richtung der Strömung.
Fischsperren
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in der Ogre, Ärona, Berzaune (Vidzeme) und in anderen Flüssen. 73 An die Dreifüße befestigte man auch im Rumbawehr in der Venta bei Kuldiga Kescher für Wemgallen und Lachse. Die zweite Art von Sperren mit Dreifüßen, die in ganz Lettland bekannt ist, sind die sogenannten „Virgas", „Vastalas", „Ari" und andere Sperren (Fig. 17), die m a n zum Fischfang am Ufer errichtete oder auch in nicht weit davon entfernten Untiefen und Stromschnellen. Wenn bei den vorher beschriebenen Wehrböcken die Vorderfüße nur wenig kürzer als die Stützfüße waren, so hat eine „Virga" Füße von recht verschiedener Länge. Der lange Stützfuß wird in den meisten Fällen auf das Flußufer gelegt. Von dort richtet man zu den Vorderfüßen hin Stege ein, die gleichzeitig als Stützen für die Reusen ftangen dienen. Die Reusen werden in der „Virga" dicht nebeneinander gesetzt oder auch mit geringen Zwischenräumen angebracht. Die Zwischenräume, wie auch den Abstand zwischen den Reusen und dem Ufer, dichtet man mit Stangen, Reisig, Steinen und dgl. ab. In der Daugava und Salaca stellt man eine Absperrung aus mehreren „Virgas" zusammen, d. h. in die aus den Vorderfüßen des am Ufer befindlichen Bocks gebildete Gabelung wird das Ende des Fußes der nächsten Stütze hineingelegt und auf das Stegquerholz legt man das Ende des Steges vom nächsten Bock. Auf diese Art legt man einen Bock ans Ende des anderen, bis die ganze für den Fang vorgesehene Strecke gesperrt ist. Es sind auch Fälle bekannt, wo die Dreifüße vom Typ „Virga" in größerer Entfernung vom Ufer aufgestellt werden, aber bis dorthin werden dann Stege eingerichtet. 74 Nicht selten werden die großen Bock- und Pfahlwehre wie auch die „Virgas" durch unterhalb der Fanggeräte eingerichtete Kammern (Fig. 18) oder durch von der Sperre nach unten laufende Zäune vervollständigt (Fig. 19), die die Fische daran hindern, an den Sperren und Reusen vorbeizuziehen.
F i g . 18. Schema eines Wehres m i t K a m m e r n i m Mittellauf der G a u j a bei Z v ä r t a v a , Bezirk V a l k a (Gezeichnet n a c h d e n Aussagen des i m J a h r e 1890 geh.
JÄNIS
DUKSIS)
(E
18,
4334). 1 - Ufer, 2 - D r e i f u ß „Aris", 3 — Reusen, 4 —Reisiggeflecht, 5 — K a m m e r n , 6 — R i c h t u n g der Strömung. 7:1 74
Vom A u t o r in den J a h r e n 1958—1968 gesammeltes Material. Vom A u t o r in den J a h r e n 1960—1968 gesammeltes Material; auch Z. L t k . , S. 104ff.
LIGERS.
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Satjlvedis Cimermanis
Bockwehre sind außer in Lettland auch in Estland, in den Flüssen des Finnischen Meerbusens, des Weißen Meeres und der Barentsee zu finden.75 Jedoch unterscheiden sich die Sperren Lettlands recht wesentlich von diesen Wehren, vor allem darin, daß in den nördlichen Flüssen die Böcke massiver sind und eine andere Konstruktion besitzen. I n Lettland werden keine zusätzlichen oder über die Böcke laufenden brückenartigen Stege errichtet. Die Böcke werden auch nicht untereinander durch massive Balkenkonstruktionen verbunden, was im
2
F i g . 19. S c h e m a des W e h r e s i m U n t e r l a u f der Ogre, B e z i r k Ogre (Gezeichnet n a c h d e n A n g a b e n des i m J a h r e 1900 geb. A l f r e d s Lattzums) (E 18, 4609). 1 - U f e r , 2 - F l u ß b e t t , 3 - D r e i f u ß „ V a s t a l a " , 4 — R e u s e n , 5 — Reisiggeflecht zwischen d e m U f e r u n d d e n R e u s e n , 6 — Z a u n , der die F i s c h e d a r a n h i n d e r t , a m W e h r v o r b e i z u z i e h e n , 7 — L ü c k e , d u r c h die die F i s c h e zwischen d e m Z a u n u n d W e h r h i n e i n s c h w i m m e n , 8 — R i c h t u n g der S t r ö m u n g .
Norden augenscheinlich wegen des hohen Wasserdrucks unerläßlich ist. I n Lettland werden die Dreifüße nur mit Steinen beschwert und die Füße der Böcke zusätzlich im Flußbett festgerammt, wenn das Wehr einer besonders schweren Belastung ausgesetzt ist (z. B. die „Vastala" am Neunaugenwehr bei Dole, siehe S. 109). Das bisher vorliegende Material läßt den Schluß zu, daß die Fischsperren in Lettland an der Wende vom 19. zum 20. J h . recht mannigfaltig waren. I h r Aufbau war in erster Linie von den natürlichen Gegebenheiten der Fangstelle abhängig (Flußbett, Strömung, zugänglicher Werkstoff u. a.). Gleichzeitig ist zu beobachten, daß an Orten mit ziemlich gleichartigen natürlichen Bedingungen Wehre recht unterschiedlicher Konstruktion errichtet wurden, daß man ein und denselben Teil der Sperre oder die gesamte Sperre unterschiedlich benannte. Diese Unterschiede können mehrere Ursachen haben, z. B. das Bestreben der 75
U . S i r e l i u s . Sperrfischerei . . . S. 146 ff.
Fischsperren
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Fischer, die Wehrkonstruktion zu vervollkommnen, sie standfester, leichter errichtbar und zum Fang noch besser geeignet zu gestalten. Weitere Ursachen sind die von den betreffenden Behörden und Gewässereigentümern verwirklichten Maßnahmen der Fischereireglementierung, der Einfluß der in der Nachbarschaft lebenden Fischer oder der Nachbarvölker, ethnische Traditionen u. a. m. Es müßten jedoch die Gründe für die Unterschiede in der Konstruktion und f ü r die Unterschiede in den Benennungen in jedem Fall komplex ermittelt werden, indem man alle vorhandenen unterschiedlichen Quellen nutzt und umfangreiche Vergleiche mit Wehren der in näherer und weiterer Entfernung lebenden Bevölkerungen vornimmt. Ein solches Vorgehen würde interessante Einsichten in die Geschichte der Sachkultur und in die ethnische Geschichte erlauben.
Herrn Direktor Professor Dr. Hans Damm (Leipzig) zur Vollendung des 75. Lebensjahres in Freundschaft zugeeignet
Abermals : Mutter-Kind-Motiv- und verwandte Vorstellungen in der Holzplastik Neuguineas von
GEORG HÖLTKEK,
St. Augustin
(Mit 27 Abbildungen auf Tafel X I I I - X X I V und 1 Figur im Text)
I m „Jahrbuch des Museums f ü r Völkerkunde zu Leipzig" ( X X I V , 1967, pp. 7—35) konnte ich schon einen Artikel über das „Mutter-Kind-Motiv und verwandte Vorstellungen in der Holzplastik Neuguineas" veröffentlichen, in dem ich die mir bis dahin bekannt gewordenen Beispiele dieser in Neuguinea seltenen Statuetten der interessierten Fachwelt vorstellte. Ich h a t t e damals schon die Vermutung gewagt, in den Beständen der völkerkundlichen Museen der Welt könnten wohl noch weitere Exemplare gefunden werden. Seitdem sind mir noch, vor allem — wie erwartet — aus verschiedenen Museen f ü r Völkerkunde, eine Anzahl neuer Belege bekannt geworden, die ich im folgenden vorlegen d a r f . ' D a die beiden Aufsätze zum gleichen Thema innerlich zusammengehören, möchte ich den früheren Artikel als I. Teil und diesen hier als I I . Teil angesehen wissen. Ich zitiere sie auch von jetzt an, der Einfachheit halber, als: Teil I und Teil I I . Die Gliederung ist in beiden Teilen gleich. Auch diesmal habe ich mich auf Neuguinea beschränkt. Wiederum möchte ich, wie schon im Teil I, für die Hilfe vielfacher Art meinen verbindlichen D a n k aussprechen. Ich danke insbesondere f ü r die großmütige Überlassung der Photoabzüge den Herren Direktoren folgender Museen: The Museum of Primitive A r t (New York), Musée de l'Homme (Paris), Rijksmuseum voor Volkenkunde (Leiden), Tropenmuseum (Amsterdam), Museum voor Landen Volkenkunde (Rotterdam), Museum f ü r Völkerkunde (Basel), Museum f ü r Völkerkunde (Berlin), Museum f ü r Völkerkunde (Dresden), RautenstrauchJoest-Museum (Köln), Linden-Museum (Stuttgart) und Museum f ü r Völkerkunde (Frankfurt/M). Auf meine Anfrage hin meldeten mir brieflich eine Fehlanzeige in ihren Museumsbeständen die Herren Tibor Bodrogi (Budapest, Brief vom 25. 8. 1967), K a r l Erik Larsson (Göteborg, Brief vom 8. 11. 1967), Andreas Lommel (München, Brief vom 9. 11. 1967) und Herbert Tischner (Hamburg, Brief vom 24. 3. 1969). Besonderen Dank schulde ich auch dem Missionar Heinrich Lehner SVD (Marienberg am Sepik, Neuguinea). 1. A k t u n d S c h w a n g e r s c h a f t I m Teil I (p. 14) h a t t e ich die Vermutung geäußert, daß in der naturvölkischen K u n s t die Darstellung des Geschlechtsaktes wohl nur (oder vorwiegend) der Malerei vorbehalten sei. Für die Plastik Neuguineas konnte ich nur auf eine un-
Abermals: Mutter-Kind-Motiv
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klare literarische Notiz (Geelvinkbai) und das zweifelhafte Stück aus der WIRZSammlung (Sentani-See) hinweisen. Diese Meinung muß jetzt etwas modifiziert werden, nachdem GERD KOCH bei den Abelam (Maprik) eine Holzplastik dieser Art erwerben und in seinem prächtigen Buche 1 publizieren konnte. Zusammen mit dem nachher noch zu erwähnenden Exemplar aus der WIRZ-Sammlung im Basler Völkerkundemuseum sind dies allerdings auch die einzigen bis jetzt bekannten Belege für Plastiken mit kopulierenden Paaren aus Neuguinea. Abb. la, Taf. X I I I ist eine Blitzlichtaufnahme in einer verschlossenen Hütte bei den Abelam, und zwar in der Siedlung Kalabu I., die der Sammler GERD KOCH schon im Buntdruck (seine Abb. 1 2 ) veröffentlicht hat. Der Schnitzkünstler Waivn Urula (im Hintergrund des Bildes) bemalt zusammen mit seinem Helfer eine große Holzplastik, die er mit einem Querbeil (Eisenklinge) verfertigt hatte. Die Zeit zwischen der Fertigstellung und dem Bemalen des Schnitzwerks mit rotem und gelbem Ocker, schwarzer und weißer Farbe betrug etwa ein halbes Jahr ( 1 9 6 6 ) . Es handelt sich hier um den Friesbalken ( t i k i t ) eines Zeremonial-Yamsvorratshauses für lange Yams, der zwei kopulierende Geisterpaare darstellt und als Fries den unteren Abschluß der bemalten Frontseite des Hauses bilden soll. Der Fries zeigt außen an den Enden je einen Geistermann und innen, K o p f an K o p f , die beiden Frauen. Der Künstler bemalt gerade die eine Frau und der Helfer das Gesicht der anderen. A m oberen Ende 2 liegt der eine Mann, während der Penis des zweiten Mannes vom unteren Bildrand her hineinragt. Die ganze Länge des Balkens beträgt 4 2 1 cm. Er befindet sich jetzt im Museum für Völkerkunde in Berlin ( V I 4 8 6 0 3 ) . Für weitere Einzelheiten der Beschreibung darf ich auf das Buch von G. KOCH (wie Anm. 1) verweisen. Abb. l b , Taf. X I I I bringt ein Detail des gleichen, aber jetzt vollständig bemalten Friesbalkens, und zwar die „obere" Hälfte (rechte Hälfte bei KOCH, Abb. 2 9 ) , die ein Geisterpaar in actu copulationis zeigt. Die Länge der im Detail wiedergegebenen Hälfte dürfte etwa 2 2 0 cm betragen. Die Frauengestalt ist die gleiche, bei der in unserer Abb. l a der Künstler gerade mit leichtem Pinsel (Vogelfedern, an ein Stäbchen gebunden) die üblichen Farbkonturen auf die graue Tonschlammgrundierung aufträgt. Zwar sind die sekundären Geschlechtsmerkmale kaum angedeutet, aber die typische Gesichtsbemalung (ockergelb für den Mann, weiß für die Frau) läßt über das Geschlecht der Figuren keinen Zweifel. Beidseitig oben neben dem K o p f des Mannes sieht man vogelkopfähnliche Ornamente. Von der zweiten Frau ist unten nur noch der obere Teil des Kopfes sichtbar. Zwischen den beiden Frauen1 GERD KOCH, Kultur der Abelam. Die Berliner „Maprik"-Sammlung. (Veröffentl. d. Mus. f. Völkerkunde Berlin, N. F. 16, Abtlg. Südsee V I I I ) Berlin 1968. Abb. 12, 29, 30, 31. 2 Da es sieh um einen Friesbalken handelt, der naturgemäß quer gelagert wird, würde man richtiger nicht von „oben" und „unten", sondern von „rechts" und „links" sprechen. Doch legt das Photo die vertikale Orientierung nahe, der ich auch, der Übersichtlichkeit halber, in meiner nächsten Abbildung folge.
136
GEORG
HÖLTKEB
köpfen am R a n d erscheinen zwei kleine, gelbbemalte Köpfchen, welche die Kinder (Söhne!) der Frauen andeuten sollen (KOCH, p. 46). Abb. 2, Taf. X I V . Meine Bemühungen, das in Teil I (p. 14) schon erwähnte, aber bisher fragliche Stück aus der W I R Z - Sammlung zu identifizieren, h a t t e n Erfolg. Das Objekt befindet sich tatsächlich, wie vermutet, im Museum f ü r Völkerkunde in Basel (Vb 5770). Winz selbst h a t diese Holzplastik zuerst in einer ungenauen Zeichnung (vgl. die Hände!) bekannt gemacht. 3 Dies hier ist die Erstpublikation der photographischen Aufnahme. Es handelt sich u m ein altes, ziemlich beschädigtes Schnitzwerk, das als „Hausschmuck" diente und aus Ayafo am Sentani-See s t a m m t . Dargestellt wird ein kopulierendes (Geister?-) Paar. Die sekundären Geschlechtsmerkmale der F r a u (untere Gestalt) werden kaum angedeutet. Die verschiedene Haltung der im übrigen nur roh geformten Hände ist eine nette und beachtenswerte Nuance des Schnitzwerkes. I n der Zeichnung bei W I R Z (p. 25) t r ä g t diese Plastik noch einen längeren Zapfen, der am Gesäß der unteren Figur ansetzend sich nach unten richtet, aber in unserer Abb. 2 nicht zu sehen ist. Wie mir freundlicherweise Herr Assistent A. J E A N N E R E T u n t e r m 24. 3. 1969 mitteilt, existiert dieser Zapfen an der Plastik heute nicht mehr. Er wird abgefallen sein. 4 Mit diesem Zapfen wurden solche hölzernen Zierstücke — zumeist waren es Fisch-, Vogel- oder andere Tierfiguren — in das Dach der Wohn- und Kulthäuser gesteckt (WIRZ, p. 32). Unser Exemplar s t a m m t von einem Wohnhause im Dorfe Ayafo (WIRZ, p. X). Die Höhe des Schnitzwerks beträgt 55 cm. Über weitere Einzelheiten sind wir nicht unterrichtet, da W I R Z in seinem Buche nicht näher darauf eingeht. Abb. 3, Taf. XIV. Für die Darstellung der Schwangerschaft brachte ich im Teil I zunächst eine Malerei von einer H a u s t ü r aus West-Neuguinea (p. 15, Fig. 1). Eine andere dort genannte Malerei aus dem Sepik-Gebiet konnte ich inzwischen als Photo erwerben. Es wird hier als Abb. 3 eingefügt. 5 Es handelt sieh u m eine Malerei auf zusammengenähten Palmblattscheiden, die aus dem Gebiet des Keram River (rechter Nebenfluß des Sepik) s t a m m t und sich jetzt im Museum of Primitive A r t in New York (Nr. 56264) befindet. Ein Mann (Geist) erscheint zwischen zwei „kopfstehenden" 6 Frauen. Die dunklere Frauen3
4
P A U L Winz, Bei liebenswürdigen Wilden in Neuguinea. S t u t t g a r t 1929, p. 25, Fig. 12. „Ce morceau de bois a problement existé, mais comme la pièce est en mauvais état (elle a été victime des vers), il n'en reste plus de trace a u j o u r d ' h u i " (A. J E A N NERET).
5
6
Dieses Photo wurde bereits veröffentlicht in : D O U G L A S N E W T O N , New Guinea A r t in the Collection of the Museum of primitive Art. New York 1967, p. 45, u n d in: J E A N G U I A R T , Ozeanien. München 1 9 6 3 , p. 1 7 7 u n d Abb. 2 0 4 auf p. 2 2 8 . F ü r die Menschen am Sepik stehen die zwei F r a u e n selbstverständlich nicht „auf dem Kopf". Die Zeichnung folgt einfach platzfüllend dem zur Verfügung stehenden freien R a u m . Auf die psychologisch interessante Fähigkeit der „GestaltErfassung" durch die Bewohner Neuguineas habe ich schon öfters hingewiesen. Auch nach meinen Erfahrungen konnten sie auf vorgelegten Photos die dar-
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gestalt (links in unserm Bilde) trägt auf dem Bauche eine Zeichnung, die m a n wohl als Darstellung eines F ö t u s im Mutterleibe interpretieren darf. Abb. 4, Taf. X V . I c h m a c h t e im Teil I (p. 15) auch schon auf die besonderen Schwierigkeiten aufmerksam, in b e s t i m m t e n Plastiken eindeutig schwangere Frauen als solche zu erkennen. 7 Unsere Abb. 4 aus d e m Linden-Museum in Stuttgart (Nr. 6 1 5 7 2 , Sammlung H A U G ) dürfte aber m i t hoher Wahrscheinlichkeit eine Schwangere zeigen, obwohl auch hier eine zwingende Aussage nicht möglich ist. Weil die R u n d u n g e n des verdickten Bauches bis an die Grenzen des
7
gestellten Personen aus jeder der vier R i c h t u n g e n gleich gut erkennen, wie sie auch Bilder in B ü c h e r n u n d H e f t e n von beliebiger Seite her b e t r a c h t e t e n . Dahin gehört auch, d a ß neuerdings die „Boys" sich wohl ihren N a m e n in Spiegelschrift auf den A r m t a t a u i e r e n lassen. Oben oder u n t e n , rechts oder links m a c h t f ü r sie beim B e t r a c h t e n keinen Unterschied. — D a diese merkwürdige A r t der GestaltE r f a s s u n g über den Binzelfall hinaus f ü r weitere Kreise Interesse findet, mögen hier einige k o n k r e t e Beispiele aus den Quellenschriften notiert werden: (für die Torres Strait) A. C. HADDON, The Decorative Art of British New Guinea. (Roy. Irish Acad. „ C u n n i n g h a m Memoirs", X.) Dublin 1894, p p . 2öf.; A. C. H A D D O N , H e a d - H u n t e r s . (The T h i n k e r ' s Library, no. 26.) L o n d o n 1932, p. 17; (für WestNeuguinea) A. F . R . W O L L A S T O N , Pygmies a n d P a p u a n s . London 1912, p. 145; H A N S N E V E R M A N N , E i n Besuch bei Steinzeitmenschen. S t u t t g a r t 1941, p. 31; C H A V I S C R O K E T T , F r e u n d s c h a f t m i t Menschenfressern. Rüchlikon-Zürich 1948, p. 206. I n k o n k r e t e n Einzelfällen anderenorts ist aber eine Plastik doch wohl m i t ziemlicher Sicherheit als schwangere F r a u zu b e s t i m m e n . So bei einer Tonfigur aus dem phönikischen Friedhof in Achsiv (5./6. J h . v. Z.) im Archäologischen Museum in J e r u s a l e m ( P E N U E L P . K A H A N E , Das biblische u n d archäologische Museum. I n : Ariel. Berichte über K u n s t u n d Forschung in Israel, Nr. 2. Jerusalem 1966, Tafel IV) oder bei einer Tonfigur aus N a y a r i t in Mesoamerika (G. S O M O L I N O S D ' A B D O I S , G e b u r t u n d M u t t e r s c h a f t in der altmexikanischen K u n s t . I n : I m a g e Roche. Grenzach 1968, p. 29). I n beiden Fällen drücken die F r a u e n m i t ihren U n t e r a r m e n von oben her gegen den vorgewölbten Bauch, „um die Austreibung zu u n t e r s t ü t z e n " . N a c h unserer Aufgliederung k ö n n t e n wir diese S t a t u e t t e n auch bei den Gebärszenen einordnen. N e n n e n k a n n m a n hier auch das 10 cm h o h e T o n figürchen im Chupicuaro-Stil (300 v. Chr.), Fig. c auf p. 27 bei S O M O L I N O S D ' A B D O I S (siehe oben), von dem der Verfasser s a g t : „Der K ü n s t l e r h a t b e s t i m m t e Einzelheiten genau b e a c h t e t : Die D e h n u n g von H a u t u n d Nabel durch den intraabdominellen Druck, die beträchtliche E n t w i c k l u n g der Brüste, die bei Figuren von Nichtschwangeren aus der gleichen Stilperiode fehlen" (p. 27). — Dagegen ist es n a c h meiner Meinung wieder m e h r eine Sache des Glaubens als der E r kenntnis, ob m a n in der von B E B N D T gezeigten S t a t u e t t e der Wuradilagu aus dem nordöstlichen A r n h e m - L a n d (Australien) eine Schwangere sehen k a n n oder nicht, während eine zweite Figur aus der gleichen Gegend eindeutig eine Gebärende darstellt ( R O N A L D M. B E B N D T , T h e Wuradilagu Song Cycle of N o r t h e a s t e r n ArnhemL a n d . I n : M E L V I L L E J A C O B S , T h e Anthropologist looks a t M y t h . Austin 1966. P l a t e I, P r e g n a n t Wuradilagu, P l a t e I I , Wuradilagu in Childbirth). Die Mythe selbst n i m m t auf die beiden Holzplastiken keinen Bezug.
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GEORG HÖLTKER
Originalholzblockes reichen, wäre nämlich auch eine schnitztechnisch bedingte Formgebung denkbar, zumal die Statuette in der künstlerischen Bewertung nur eine mittelmäßige Leistung bedeuten kann. Es handelt sich bei dieser Schnitzerei offenbar um einen hölzernen „Betelmörser", der aus Mendam in der KarauDörfergruppe der Nor-Papua (Murik) stammt. Eine Frau trägt mit überlangen, aufgereckten Armen auf ihrem Kopfe eine kleine Schüssel („Schalenträgerin" 8 ), in der zahnlose Männer oder auch Respektspersonen ihre Betelnüsse zerkleinern, bevor diese zum Kauen in den Mund geschoben werden. Nabel und Geschlechtsmerkmale werden stark betont. Die schräggestellten Augen sind in dieser Stilprovinz an der Nordost-Küste ebenso typisch wie die besondere Herausarbeitung der Hand- und Fußknöchel. Die 19 cm hohe Statuette, die ganz und gar mit Ocker gerötelt wurde, ist sicherlich kein Produkt aus rezenter Zeit.
2. Gebärszenen Drei bis dahin unbekannte Beispiele für die eindeutige Darstellung einer gebärenden Frau habe ich schon im Teil I (p. 16f.) vorgelegt (Rook Isl., Kairiru Isl. und Suain). Drei neue Belege kann ich jetzt hinzufügen. Nachdem mir das Berliner Museum noch am 22. 9. 1967 brieflich eine Fehlanzeige schicken mußte, konnte Herr Dr. GERD KOCH in seiner 1 9 6 6 in Neuguinea erworbenen AbelamSammlung gleich zwei Exemplare vorweisen, die sich jetzt in Berlin befinden und vom Sammler (vgl. Anm. 1) schon publiziert wurden (seine Abb. 52 und 6). Dankenswerterweise darf ich die beiden aussagekräftigen Belege in meinen Aufsatz aufnehmen. Abb. 5, Taf. XV. (Berlin: Vi 48638) ist ein kultisches Schnitzwerk aus schwerem Holz (Höhe: 261cm). „Angeblich zum Typ der Kultbildnisse für Männerhäuser im Yama-Gebiet gehörend und dort geschnitzt" (KOCH, p. 52). Yama ist ein Dorf im südlichen Wohngebiet d er Abelam, das bis auf etwa 15 km an den Sepik heranrückt. Das Bildwerk „mit sorgfältig geglätteten Flächen und gerundeten Konturen . . . (zeigt) eine weibliche Figur auf einer größeren gebärenden Gestalt stehend, deren gewinkelte Beine auf beinartigen Stützen über einer rundlich gestuften Sockelpartie ruhen . . . Die Gebärende (erscheint) mit gestuftem Kopfseitenschmuck in Fortsetzung der gewinkelten Beine der oberen Figur. Von dem gerade geborenen Kind sind bereits Kopf und Hals sichtbar" (KOCH, p. 52). Über den speziellen kultischen Gebrauch sind wir nicht unterrichtet, auch nicht über das Alter der Plastik, doch ist die Darstellung' einer Gebärenden zweifellos gewollt und unbestritten eindeutig. Abb. 6, Taf. XVI. Dieses Bildwerk stammt im Gegensatz zu dem vorhergehenden nicht aus dem Süden, sondern aus dem Norden des Abelam-Wohn3
Vgl. d a z u : GEORG HÖLTKER, T a t s a c h e n u n d G e d a n k e n r u n d u m e i n N e u g u i n e a K r u z i f i x ( I n V e r b o T u o . S t . A u g u s t i n 1963, p . 404 u n d A n m . 5).
Abermals: Mutter-Kind-Motiv
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gebietes (Nord-Maprik), genauer aus der Siedlung Kumunimbis, die nach der Karte wohl an die 40 km nördlich von Yama liegt. Der Sammler konnte diese Kultfigur im Oktober 1966 von einer Mittelsperson auf der Station Maprik erwerben, nach deren zuverlässig erscheinenden Angaben sie in einem Zeremonialhaus in Kumunimbis verwahrt wurde (briefliche Mitteilung von KOCH vom 27. 10. 1967). Auch dieses Stück befindet sich jetzt im Museum für Völkerkunde in Berlin (Nr. VI 48637), mißt in der Höhe 183 cm und wurde mit rotem und gelbem Ocker, schwarzer und weißer Farbe helleuchtend bemalt, wie die Bunttafel bei KOCH (Abb. 6) erkennen läßt. Vermutlich wurde die Figur aus einem umgedrehten Baumstamm mit Astgabel geschnitzt, der schon von Natur aus •die merkwürdige, sonst kaum zu motivierende Krümmung aufwies. Die Darstellung einer Gebärenden ist eindeutig. Die Frau trägt die übliche weiße Gesichtsbemalung, deren streng horizontaler Abschluß über den Augen gerade für den nördlichen Maprik-Stil als typisch gelten muß. Quer über der Stirn liegt ein Diadem aus Hundeeckzähnen in weißer Farbe aufgemalt. Vagina und Mund des Kindes leuchten in lebhaftem Rot. „Die früher angeblich in einem Kulthaus in Kumunimbis bewahrte, aus schwerem Holz gearbeitete Figur stellt vermutlich eine Klanmutter dar" •(KOCH, p . 40).
Abb. 7, Taf. X V I zeigt uns einen Kor war von der Geelvinkbai, der zu den selteneren Typen der stehenden Einzelfiguren ohne Schädel und „Schild" gehört. E r befindet sich jetzt im Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden (Nr. 370 b i s 3948), i s t 24,5 c m h o c h u n d w u r d e b e r e i t s v o n TH. P. VAN BAAREN p u b l i z i e r t . 9
Über die berühmten Korware werde ich im 4. Kapitel noch ausführlicher zu sprechen haben. Hier darf ich kurz darauf hinweisen. I n dieser hölzernen Ahnenfigur (Korwar) kann man wohl mit ziemlicher Sicherheit die Darstellung einer gebärenden Frau erkennen (vgl. auch die Andeutung der Brüste), deren neugeborenes Kind gerade den Mutterschoß verläßt. Die Formgebung des Kindes ist zwar — typisch für den Korwar-Stil überhaupt — grob und unprofiliert, doch dürfte unsere Interpretation als Gebärszene richtig sein, zumal wenn man damit unsere Abb. 6 vergleicht. Für weitere Einzelheiten vgl. das 4. Kapitel. Leider konnte ich über, den in Teil I (p. 18) genannten Hauspfosten aus Kambot, der eine Gebärende darstellen soll, nichts Genaueres mehr erfahren. Ich bin heute ziemlich sicher, daß hier irgendwie ein Irrtum vorliegen muß. Jedenfalls möchte ich das fragliche Stück aus der Liste der gesicherten Belege ausklammern, wenigstens vorläufig und so lange keine Sicherheit gewonnen ist. Vielleicht taucht das Objekt, das inzwischen vom Sammler verkauft wurde, später einmal irgendwo in Museums-Sammlungen auf. FL
T H . P . V A N B A A K E N , K o r w a r s a n d K o r w a r Style. A r t a n d ancestor worsliip in N o r t h - W e s t N e w Guinea. (Arts i n its C o n t e x t . M u s e u m Series, 2.) T h e H a g u e - P a r i s 1968, A b b . 6. (Vgl. d a z u a u c h m e i n e Rezension i m A n t h r o p o s 1968/69.)
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GEORG H Ö L T K E R
3. Mutter und Kind Abb. 8, Taf. XVI zeigt uns eine Holzplastik aus Kambot am Keram River, die ich schon in Teil I (p. 19) durch eine Voranzeige bekannt gemacht hatte. Damals konnte ich mich nur auf kurze briefliche Notizen des Sammlers H E I N EICH L E H N E R stützen. Nachdem jetzt auch ein Photo zur Verfügung steht, ist es klar, daß es sich nicht um eine Gebärszene handelt, wie ich damals vermutete. Aber in die Gruppe „Mutter und Kind" dürfen wir das Bildwerk wohl ohne Bedenken einordnen. Es handelt sich um eine Frau, deren Geschlechtscharakter durch die massigen Brüste betont wird und die mit gespreizten und gewinkelten Beinen auf einem Standholz steht. Ihre Füße sind beidseitig am Standholz in Blockeinheit durch einige grobe Kerbe angedeutet. Die Hände der etwas überlangen Arme liegen an den Oberschenkeln. Der stilisierte Leib (mit Nabel) geht in die wuchtige Schulterpartie über. Der grob geschnitzte Kopf zeigt keinen Haaransatz, aber dafür betonte Augenwülste, durchbohrte und gezackte Ohrmuscheln, Kaurischnecken auf kleinen Polstern als Augen, breite Nase und breiten Mund, der durch eine weiße Bemalung auf der Oberlippe noch besonders akzentuiert wird. Vor der Frau steht, mit dem Gesicht nach vorn, ein weibliches Kind, das seine Ärmchen zum Kopf emporreckt. Das ist, allgemein gesagt, eine in der Neuguinea-Plastik nicht sehr häufige Formgebung. Sein Kopf liegt vor der Genitalgegend der Mutter, seine Beine reichen mit den Fersen bis an den unteren Rand des Standholzes, vor dem Beine und Füße in normaler Stellung plastisch herausgeschnitzt wurden. Seine Unterarme liegen auf den Oberschenkeln der Frau (eine schnitztechnisch interessante und gelungene Lösung der Darstellung!). Dieses Schnitzwerk befindet sich in der Privatsammlung L E H N E K (Marienberg am Sepik). Unsere frühere Herkunftsangabe Kambrimbo ist falsch. Das Stück kommt aus Kambot am Keram River. Leider sind keine Angaben über Größenverhältnisse vorhanden. Meine frühere Angabe der Höhe (38 cm für die Frau, 19 cm für das Kind) beruht offenbar auf einem Irrtum. Man könnte die Höhe des ganzen Bildwerks auf 150—160 cm schätzen, wenn man zum Vergleich die Hände des Mannes nimmt, der das Objekt beim Photographieren festgehalten hat. Auch die gestreifte Bettdecke im Hintergrund läßt wohl auf diese Zahlen schließen. Über die profane oder kultische Bedeutung und Verwendung des sicherlich nicht rezenten Stückes ist hier nichts bekannt. Abb. 9 (a und b), Taf. X V I I ist eine Plastik in der Privatsammlung L E H N E R (Marienberg am Sepik), die aus Anduar am Yuat River stammt. Die Höhe der Figur beträgt 73 cm, die des Kindes 44 cm. Schweres Hartholz wurde als Rohmaterial verwendet. Weitere spezielle Angaben fehlen. Das Photo zeigt uns eine Mutter, die ihr Kind auf dem Rücken trägt. Das Kind umfaßt von hinten her mit beiden Händen den Hals der Mutter. Die Frau
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mit langen Hängebrüsten, gewinkelten und verkürzten Beinen und übergroßen Füßen sitzt auf einer Art „Sitzholz", das wir aber wohl kaum als eigentlichen Sitzhocker (Stuhl), wie er am Sepik bekannt ist, deuten dürfen, sondern wohl nur als stehengebliebenen Rest des ursprünglichen Holzblockes, der mit dem Standklotz der Figur verbunden ist. Die Hände der Mutter fassen nach rückwärts und stützen das Kind in den Hüften. Merkwürdig geformt erscheint der Kopfputz der Frau. Man erkennt auf dem Photo nicht mit Sicherheit, was hier dargestellt werden soll. Die auffälligen Winkel auf der Wange werden wohl Tatauierungsmuster sein. Zwei Kaurischnecken. bilden die Augen. Lange gedrehte Schnüre um den Hals und in den durchbohrten Ohrmuscheln der Frau sind offenbar als Schmuck gedacht. Eine frische Bemalung mit weißer {und roter?) Farbe läßt das Photo erkennen. Daraus dürfen wir wohl schließen, daß diese Statue bis in die neueste Zeit hinein noch als (kultisches?) Schnitzwerk in Gebrauch war. Darauf könnte auch der Frauenschurz hinweisen, denn Statuen „außer Betrieb" sind meistens nackt. Ein absoluter Beweis ist das allerdings nicht. Ich weiß, daß manche Bewohner Neuguineas, die Europäern ihre Gegenstände zum Verkauf anbieten, vorher mitunter die betreffenden Stücke neu bemalen und schmücken, um sie für den fremden Käufer attraktiver zu machen. Über Symbolwert und Verwendung dieses Bildwerks wissen wir nichts. Abb. 10 (a und b), Taf. XVII. Dies ist ein sehr interessantes Stück aus dem Linden-Museum in Stuttgart, auf das mich freundlicherweise Herr Kunstmaler S E R G E B R I G N O N I (Bern) aufmerksam gemacht hat. Das jetzt stark verwitterte Bildwerk kam 1961 in das Linden-Museum (Nr. S 3 9 8 8 4 , Sammlung GÜNTHER M A R K E R T ) . E S stammt von den Jatmül am mittleren Sepik und wurde vom Sammler als „Wasser-Stampftrommel" bezeichnet. Das ist bestimmt ein Irrtum. Es handelt sich offenbar um einen Dachgiebelaufsatz der Kulthäuser mit dem in der Literatur so benannten „Seelenvogel".10 Die Schnitzerei ist 200 cm hoch. Sie besteht aus einem kegelförmigen, etwa 105 cm hohen und ausgehöhlten Körper, an dessen leicht geschwungener Spitze ein hochgereckter Vogel angeschnitzt ist. Seine Krallen halten eine davorstehende Frauenfigur mit Kind am Kopf fest. Die Außenwand der Basis ist mit den üblichen Schnitzmotiven der Jatmül und an den Seiten mit fast schon verschwundenen Masken verziert. Der Vogelkörper ist in einem kurzen Zwischenstück mit der Spitze der Basis verbunden. Er ist breit und völlig flach an der Rückseite heruntergezogen, wo die Schwanzfedern der Basis aufliegen. Die Vogelbeine sind abgewinkelt, ein als Versteifung dienender Zapfen führt vom Frauenkopf zum weither vortretenden Kehlsack des Vogels. Der Hals wird schräg nach oben gestreckt, der mächtige, gekrümmte Schnabel läßt an einen Nashornvogel denken. J0
Auf die Problematik des „Seelenvogels" am Sepik brauche ich hier nicht näher einzugehen. Es wäre sehr erwünscht und sicherlich auch erfolgversprechend, wenn sich einmal eine gründliche Monographie dieses (wie es scheint) nur am Sepik beheimateten Symbols annehmen würde.
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GEORG
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Die Frauengestalt steht mit abwärts gestreckten Füßen vor der Basis. Sie ist vollplastisch gearbeitet. Die Gelenke erscheinen stark betont, ebenso der Nabel und die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Vor dem Bauch hält sie mit beiden übergroßen und schalenförmig geöffneten Händen ein winziges Neugeborenes. (Angaben nach der Karteikarte des Museums.) Die Detailaufnahme (Abb. 10 b) läßt wohl keinen Zweifel daran, daß es sich hier um ein neugeborenes Kind handelt, dessen Gestalt nur flüchtig geformt und dessen Geschlecht nicht bestimmbar ist. Diese mögliche Annahme hat aber nur Interpretationswert. Mehr läßt sich vorläufig nicht darüber sagen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Stück zeigt der hölzerne Dachaufsatz, vom mittleren Sepik, den K E L M 11 aus der Berliner Sammlung veröffentlicht hat. Abb. 11 (aundb), Taf. XVIII. Diese interessante Mutter-Kind-Gestalt befindet sich jetzt im Rautenstrauch-Joest-Museum (Museum für Völkerkunde in Köln : Nr. S 1079). Die Höhe beträgt 49 cm, die Kopfbreite von Ohr zu Ohr 12,5 cm. Die Statuette wurde schon vor der Jahrhundertwende von P . L Ü C K E R (früher Administrator der Neu-Guinea Compagnie) in Neuguinea erworben und soll nach den Angaben des Sammlers aus dem „Arop-Distrikt" stammen. Arop ist ein Dorf nordwestlich von Aitape an der Nordostküste von Neuguinea. 12 L Ü C K E R zeigte 1 9 0 0 seine umfangreiche ethnographische Sammlung aus Neuguinea auf einer Ausstellung in seiner Vaterstadt Düsseldorf. Den Ausstellungskatalog dazu veröffentlichte Direktor FHAUBEKGER. 1 3 In diesem Katalog hat die Statuette die Nr. 57 und wird als „weibliche Figur, ihr Kind tragend" bezeichnet. Mit den meisten Gegenständen der Düsseldorfer Ausstellung kam auch dieses Schnitzwerk 1902 in das Rautenstrauch-Joest-Museum nach Köln. Diese frühe Erwerbung ist für die Altersbestimmung interessant. Die Plastik wurde bisher noch nicht publiziert und war praktisch unbekannt geblieben. Die Formgebung der Statuette fällt mit ihren großen Linien nicht aus dem Rahmen der an der Nordost-Küste heimischen Stilprovinz. Bemerkenswert wären nur noch die starke Betonung der kreisrund geformten Genitalien der Frau und die aus dem Mund vorgestreckte Zunge. Einmalig ist aber die Wiedergabe des Mutter-Kind-Motivs. Die vor dem Bauch zusammengelegten Fäuste der Mutter umfassen die Füße des Kindes. Das Kind steht mit gewinkelten Beinen aufrecht vor der Brust der Mutter. Nach der Art eines Erwachsenen legt das Kind die Hände auf seine Oberschenkel und reckt den Kopf bis unter das Kinn der Frau. Recht verschieden wurde die Gesichts- und Augenpartie bei Mutter und Kind gestaltet. Während die Augen der Mutter horizontal liegen, zeigen sich die des Kindes in typischer Schrägstellung. Deswegen und auch 11
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K u n s t vom Sepik. (Veröffentl. d. Mus. f. Völkerkunde Berlin, N. F.. 10, Abtlg. Südsee, V) Berlin 1966. I . Bd. Abb. 367. Vgl. d a z u : G E O R G H Ö L T K E R , Verstreute ethnographische Notizen über Neuguinea (Anthropos, 45/46, 1940/41, p. 9). F R A U B E R G E R , Katalog der Ausstellung ethnographischer Gegenstände aus Deutsch Neu-Guinea im Kunstgewerbemuseum zu Düsseldorf, -29. 4 . - 2 5 . 5. 1900. Düsseldorf 1900. HEINZ KELM,
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wegen der Größe des Kinderkopfes glaubt man, den Kopf eines Erwachsenen vor sich zu haben. Damit wäre dann die Plastik nicht die Darstellung eines MutterKind-Motivs, sondern einer mythischen Vorstellung, die wir als solche aber nicht näher bestimmen können. Es wird nach den vielen Jahren, die seit dem Ankauf verstrichen sind, nie mehr möglich sein, die offene Frage alternativ zu beantworten, wenn uns nicht ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommt. Die Rückseite der Statuette (Abb. I I b , Taf. XVIII) zeigt eine merkwürdige Nacken-Schnitzerei, für die ich keine Parallele kenne. Ob sie etwa auf eine mythische Vorstellung hinweist? Man hat den Eindruck, es könnte ein Vierfüßler sein, etwa eine Eidechse oder ein Frosch, doch das bleibt vorläufig nur eine mögliche Interpretation. Ebenso wissen wir nichts über den Symbolwert der Nackenschnitzerei. Oder sollte es ein Menschenkind mit gewinkelten Gliedmaßen sein, das irgendwie zwischen den Schulterblättern in den Körper der Frau einzudringen versucht? Eine solche Sinndeutung könnte der mythischen Erklärung; des Mann-Kindes vor der Brust der Frau auch einen gewissen Rückhalt geben. Doch es ist eben nur eine Interpretation, für die uns außer dem visuellen Eindruck alle Unterlagen fehlen. Die sichtbare Sorgfalt, mit der gerade die Nackenfigur ausgeschnitzt wurde, läßt jedenfalls an eine für den Künstler wichtige Vorstellung denken. Abb. 12 (a und b), Taf. X V I I I ist für unser Thema ein sehr interessantes und einmaliges Stück, das sich jetzt im Musée de l'Homme in Paris befindet (Nr. 55. 78.1. Coll. F R A N Ç O I S E G I R A R D ) . Es stammt vom mittleren Sepik und ist 5 4 cm hoch. Um eine Frau handelt es sich hier, die zwei Kinder beidseitig auf ihren Hüften trägt. Die merkwürdige Kopfbildung bei der Mutter und den Kindern entspricht durchaus der lokalen Stilprovinz. Die Brüste der Mutter sind stark betont, der Nabel ist nur flüchtig angedeutet. Die Arme der Frau greifen mit den Händen nach rückwärts, um die beiden Kinder auf der Hüfte zu stützen. Ein Faserschurz bedeckt die Genitalien der Mutter und des größeren Kindes, das also ebenfalls weiblichen Geschlechtes ist. Das zweite Kind trägt keinen Schurz ; es ist aber nicht erkennbar, ob es ein Knabe oder Mädchen sein soll. Die Wahrscheinlichkeit spricht für ein kleines Mädchen. Das größere Kind hält sich am Oberarm der Mutter fest, das kleinere legt die wenig profilierten Hände auf die Brust (Abb. 12 b). Die wuchtigen, gewinkelten Beine der Frau stehen auf einem runden Standholz, dem die Füße, grob angedeutet, breit aufliegen. Die spitzen Höcker auf dem Standholz könnten an einen Aufhängehaken denken lassen, doch ist die Plastik zu massiv für einen Aufhängehaken. Zudem bestimmt die unten abgeflachte Basis die Figur primär zum Stehen. Eine band- und flächenartige x Bemalung in weißer und schwarzer (und roter?) Farbe ist der ganzen Figur eigentümlich. In die durchbohrten Ohrmuscheln und in die Nasenscheidewand wurden gedrehte Zierschnüre eingeknotet. Zwei Kaurischnecken bilden die Augen der Frau. Über Alter, Bedeutung und Symbolwert des Bildwerkes wissen wir leider nichts.
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Abb. 13 (a und b), Taf. X I X bringt eine Darstellung, die man in der Antike „Galaktotrophusa" (die Stillende) genannt hätte. Die Plastik befindet sich jetzt im Tropenmuseum in Amsterdam (Nr. 2670/28). Es handelt sich zweifellos um einen Aufhängehaken, der aus dem Dorf Kanganuman am mittleren Sepik stammt und 72,5 cm hoch ist. Schon im Teil I (p. 20) habe ich dieses Stück aus der Winz-Sammlung genannt und beschrieben. Darauf darf ich hier verweisen, um Wiederholungen zu vermeiden. Damals konnte ich leider kein brauchbares Photo von diesem Aufhängehaken bekommen. Mit Freude lege ich jetzt die interessante Plastik in zwei guten Photoaufnahmen vor. Ergänzend darf ich noch darauf hinweisen, daß Aufhängehaken mit einer Frauengestalt ohne Kind in Nordost-Neuguinea zwar vorkommen, aber im allgemeinen doch selten sind. K E L M (wie Anm. 11, I. Abb. 10 und 11 ; II, Abb. 70) hat einige Beispiele aus der Berliner Sammlung veröffentlicht. Abb. 14, Taf. X I X zeigt ebenfalls die Darstellung einer stillenden Mutter. Die Statuette stammt vom mittleren Sepik und steht jetzt im Musée de l'Homme in Paris (Nr. 61. 7 8 . 3 . Coll. FRANÇOISE G I R A R D ) . Die Höhe beträgt 4 6 cm. Die grobe Kopf- und Gesichtsbildung der Mutter folgt dem zuständigen Lokalstil. Das an der linken Brust saugende Kind ruht in den Händen der Mutter quer vor ihrem Leib. Die Frau mit normal langem Oberkörper sitzt auf einem runden Standholz, an dessen Außenseite die stark verkürzten und gewinkelten Beine vollplastisch herausgeschnitzt wurden. Der Standklotz ist aber kein normaler Sitzhocker. Die flache Unterseite der Basis ermöglicht ein festes Stehen auf dem Boden. Über das Geschlecht des Kindes läßt sich nach dem Photo nichts aussagen. In den Augenhöhlen der Frau sind die Augen (vermutlich Kaurischnecken) herausgefallen (herausgebrochen?). Schmuck und Kleidung trägt die Frau nicht. Eine leichte Bemalung ist noch erkennbar. Ein breiter Spalt, wohl infolge der Austrocknung des Holzes, reicht von den Brüsten bis zum Rand des Standholzes. Mehr läßt sich zur Zeit über diese Statuette nicht sagen. 4. Ähnliche Vorstellungen Einleitend bekenne ich offen, daß ich keine glückliche Hand hatte, als ich seinerzeit den Ausdruck „verwandte Vorstellungen" in den Haupttitel aufnahm. Denn „Verwandtschaft" besagt doch immer eine wirkliche, wenn auch fallweise noch nicht erkannte Verbindung zwischen zwei Dingen. Aber eben eine solche innere oder auch nur ideenmäßige Verbindung ist in unseren Fällen nicht ohne weiteres anzunehmen, kaum da und dort zu vermuten und wohl auch vielfach gar nicht vorhanden. Jedenfalls müssen wir von diesem Ansatz ausgehen, nicht vom Gegenteil. Darum ist der Ausdruck „ähnliche Vorstellungen" besser, wobei zunächst nur der visuelle Eindruck entscheidend ist. Gleichwohl will ich die hier folgenden Beispiele wegen ihrer für unser Thema immerhin beachtenswerten
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Formgebung vorlegen, um sie dem interessierten Leser zu Vergleichszwecken bekannt zu machen. Es soll damit noch nichts präjudiziert werden. Abb. 15 Taf. X I X ist einKorwarimRijksmuseum voor Volkenkundein Leiden (Nr. 29383). Die Höhe der Holzplastik, die vermutlich von den Schouten Inseln stammt, beträgt 24,5 cm. Ich habe auf die Problematik der Korware schon im Teil I (p. 30f.) hingewiesen. Die letzte zusammenfassende und wohl endgültige Studie über die Korware schrieb VAN BAAKEN14, der auch dieses Stück bereits publiziert hat (seine Abb. 12). Zu allen Fragen der Altersbestimmung, Bedeutung, Symbolik upd Stilistik der Korware sei auf dieses grundlegende Werk verwiesen. Das Wort „Korwar" bezeichnet primär den Totengeist und dann übertragen auch Schädel und hölzerne Ahnenfigur (steinerne Korware sind äußerst selten). Diese Ahnenfiguren waren bis zur letzten Jahrhundertwende an der Geelvinkbai (West-Neuguinea) zu Hause. Sie dienten als Mittler zwischen den Lebenden und den Toten. Ihr Platz war gewöhnlich im Wohnhause, sie genossen Verehrung, wurden fallweise von den Priestern befragt und waren Familienbesitz (in den Fällen der Clanahnen auch Gemeinschaftseigentum). Es gibt Kor wäre mit und ohne Schädel. Die mit Schädel werden wohl die älteren sein. Bei den meisten Korwaren hält die Hauptfigur vor sich einen in durchbrochener Arbeit geschnitzten flachen Aufsatz fest, der vermutlich auf eine stilisierte Darstellung von Schlangen zurückgeht und in der Literatur einfach „Schild" genannt wird. Unsere vier Beispiele (Abb. 7, 15, 16, 17) haben keinen „Schild". Es handelt sich, aufs ganze gesehen, um Ausnahmen. Der auf Abb. 15, Taf. X I X gezeigte Korwar hält vor sich statt des üblichen „Schildes" eine kleine, vermutlich männliche Menschengestalt, die man als „Kind" deuten könnte. Die Schwierigkeit ist nur, daß die Hauptfigur, wie bei allen Korwaren, geschlechtslos ist. Nirgends wird an den Objekten selbst das Geschlecht der Hauptfigur angedeutet. Schon aus diesem Grunde können wir nicht so unmittelbar von einem Mutter-Kind-Motiv sprechen. V A N B A A K E N sagt allerdings ausdrücklich (p. 91), die Bewohner des Gebietes der Geelvinkbai könnten sehr wohl männliche und weibliche Korware unterscheiden. 15 Abb. 16, Taf. XX. Dieser hölzerne Korwar steht jetzt im Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden (Nr. 929—692). Er ist 33 cm hoch und stammt aus Saoe1/1
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T H . P. VAN B A A K E N , Korwars and Korwar Style. Art and Ancestor Worship in North-West N e w Guinea. (Art in its Context. Museum Series: vol. 2) Paris-The H a g u e 1968. „Dr. K a m m a kindly teils m e in a letter that in the Geelvinkbay everyone is able t o distinguish between male and female korwars" (VAN B A A R E N , wie Anm. 14, p. 91, Anm. 176). Aber wo an der Plastik liegt der Unterschied, fragen wir. — F . C. K A M M A , dem wir mehr als ein Dutzend kenntnisreicher Schriften zur Ethnographie der Geelvinkbai verdanken, ist Missionar in West-Neuguinea. Sein Urteil hat demnach beachtliches Gewicht und ist für unsere Interpretation v o n besonderer Bedeutung. Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
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korem (Doreh-Gebiet) an der Geelvinkbai. K O O I J M A N j6 und V A N B A A K E N (wie Anm. 14, seine Abb. 45) haben das Stück bereits publiziert. Zur Sinndeutung gilt das gleiche, das ich schon zu meiner Abb. 15 sagte. Abb. 17, Taf. X X ist ein Kor war aus Holz von der Geelvinkbai, der sich jetzt im Museum of Primitive Art in New York befindet (Nr. 58. 210). Die Höhe mißt 18 cm. Zur Interpretation verweise ich auf das bei meiner Abb. 15 schon Gesagte. Beachtenswert ist der kleine Unterschied zu den beiden vorhergehenden Beispielen: Hier haben wir ein „sitzendes Kind", das sich mit seiner Brustseite der Hauptfigur zuwendet. Das Stück wurde erstmals von N E W T O N (wie Anm. 5, p. 1) publiziert. Abb. 18, Taf. X X dürfte eine mythische Darstellung sein. Das hölzerne Schnitzwerk (Höhe: 25 cm) stammt von den Nor-Papua (Murik) und befindet sich jetzt im Museum of Primitive Art in New York (Nr. 57. 79). Eine Frauenbüste mit betont weiblicher Brust ruht auf vier ganzfigurigen und vollplastisch geschnitzten menschlichen Gestalten, die unschwer als zwei Männer und zwei Frauen erkannt werden. Die beiden Frauen sehen wir außen, die Männer in der Mitte nebeneinander. Diese vier Figuren stehen auf einer grobgeschnitzten, unten abgeflachten Basis und sind im großen und ganzen gleichförmig gestaltet. Wegen der typischen Darstellung der Haargrenze und der ausgesprochen gereckten Gestalt der vier Figuren, wegen der scharfen Kante, die senkrecht über die Stirn läuft, und dem Seeadler-Motiv auf der Brust der Mutter, wegen der zu hoch angesetzten Ohren und anderer Eigentümlichkeiten gehört diese Schnitzerei nicht zum engeren, eigentlichen Murik-Stil 17 , sondern eher in die größere Stilprovinz der Nordost-Küste. Die Herkunftsangabe „Murik" macht aber stilistisch keine Schwierigkeit. Die Schnitzerei auf der Brust der Frau soll bestimmt kein Tatauierungsmuster sein, sondern stellt offenbar das Seeadler-Motiv 18 dar, das als Zierat der Statuette, nicht der Frau gedacht ist. Daß dieses Schnitzwerk nur eine mythische Darstellung sein kann, dürfte kaum zweifelhaft sein. Vielleicht ist es eine Clanmutter oder eine Geisterfrau mit ihren beiden Söhnen und deren Frauen. Wenn man nur wüßte, welche Mythe dahinter steht! Bei Durchsicht der umfangreichen Mythensammlung der Murik 19 ließen sich mehrere passende Hinweise finden. Es könnte beispielsweise die Geisterfrau Namint sein, deren Heldensöhne Kaoko und Gemboarö die menschenmordende Blutschlange töteten und danach mit ihren Frauen die Gründer eines neuen Clans und einer neuen Siedlung wurden (bei H Ö L T K E K , wie Anm. 19 die Mythe Nr. 31, pp. 417-420). I n diesem Falle hätten wir ein echtes Mutter-Kind-Motiv vor uns. Leider ist das kein zwingender Beweis. Darum muß dieses Beispiel zunächst bei den unsicheren Belegen eingeordnet 16
S. KOOIJMAN, De Kunst van Nieuw-Guinea. Den Haag, s. a., p. 18, Abb. 2. Vgl. dazu: GEORG H Ö L T K E R , Sakrale Holzplastik der Nor-Papua in Nordost-Neuguinea (Ethnologica, N. F. IV, Köln 1969, pp. 455-493). 18 Vgl. dazu: HÖLTKER, wie Anm. 8, p. 407 und Tafel VIII. 19 ' G E O R G H Ö L T K E R , Erzählungen der Nor-Papua im Murik-Gebiet von NordostNeuguinea (Annali Lateranensi, 31, 1967, pp. 323—534).
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werden. Dieses Bildwerk wurde erstmals, allerdings ohne Kommentar, von DOUGLAS N E W T O N (wie Anm. 5, p. 31) publiziert. Abb. 19, Taf. X X zeigt uns ein Schnitzwerk in einem Stück, das aus Grinjambe am mittleren Sepik stammt. Früher war es in der Privatsammlung L E H N E R (Neuguinea). Es ist nicht bekannt, in welcher Museumssammlung es sich jetzt nach dem Verkauf durch LEHNEK befindet. Auch werden leider keine Größenverhältnisse angegeben. Ich schätze die ganze Höhe auf etwa 130—150 cm. Zum Zweck des Photographierens wurde das Schnitzwerk an einen Baumstamm gelehnt. Diese Kompositfigur nur nach dem Photo allein zu deuten, ist wohl unmöglich, zumal bis heute kein Parallelstück bekannt wurde. Es handelt sich in der Darstellung um eine Frau mit Hängebrüsten, die mit gespreizten Beinen unmittelbar (ohne Standklotz) auf dem Boden steht. Nabel und Halskette werden durch eingeschnittene Rillen angedeutet. Der Faserschurz ist beachtenswert. Auf den Schultern der Frau steht eine kleinere männliche Gestalt, die einen mächtigen und verzierten Haartrichter trägt. Der Kopf ist an der Stirn und rund um den Mund und die Augen weiß bemalt. Man könnte die kleinere Figur wohl als „Kind" deuten. Dagegen spricht eigentlich nur der große Haartrichter der Männer, doch könnte dieser in einer mythischen Darstellung auch einfach nur als männliches Attribut angesehen werden. Frauenschurz und frische Bemalung im Gesicht legen die Vermutung nahe, daß die Plastik noch in neuerer Zeit in (kultischem?) Gebrauch war. Wenn man diese Plastik überhaupt als Darstellung des Mutter-Kind-Motivs interpretieren darf (was immerhin nicht unmöglich ist), dann doch nur als mythische Darstellung. Im wirklichen Leben gibt es eine solche Kindertragweise nicht. Welchen Zwecken dieses Bildwerk gedient hat, wissen wir nicht. Es dürfte ziemlich sicher aus einem Kulthause stammen. Abb. 20, Taf. X I X ist für unser Thema ein umstrittenes Beispiel. Es handelt sich um einen Kanukopf aus Awar 2 0 an der Hansabucht, den JOSEF MUCH SVD 1937 photographierte. Die Größenverhältnisse sind leider nicht bekannt. Man sieht eine menschliche Gestalt, vermutlich eine Frau (vgl. beispielsweise die Haartracht!), die zwischen ihren gewinkelten Beinen eine zweite menschliche Figur festhält, deren Kopf auf dem Bauch der Frau liegt. Nach dem Photo zu schließen, besitzt die zweite Figur den Kopf eines Erwachsenen. Das Geschlecht ist nicht erkennbar. Es dürfte zweifelhaft sein, ob man diese Darstellung als Mutter-Kind-Motiv ansehen kann. Vielleicht ist es nur die ÜbereinanderGruppierung zweier erwachsener Personen. Eine mythische Vorstellung wird wohl dahinter stehen. Mehr wissen wir nicht. Abb. 21 (a und b), Taf. X X I . Im Teill (p. 30) hatte ich als ein für unser Thema umstrittenes Stück eine Plastik (Abb. 10) von den Asmat veröffentlicht und be20
Vgl. d a z u : GEORG HÖLTKER, Die Nubia-Awar an der H a n s a - B u c h t in NordostNeuguinea ( J a h r b u c h d. Mus. f. Völkerkunde zu Leipzig, X X , 1964, pp. 33—70).
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schrieben, die mir trotz der musealen Angabe „Mutter und Kind" fehlinterpretiert erschien. Diese Meinung h a t sich inzwischen nicht geändert. E s dürfte sich, wie ich damals sagte, u m eine pfostenartige Übereinander-Gruppierung v o n zwei Figuren handeln, zumal Darstellungen dieser Art der A s m a t - K u n s t geläufig sind. 2 1 I n diesen Vorstellungskreis wird auch das vorliegende Objekt aus Berlinhafen gehören, das gerade in diesem Falle ein interessantes ikonographisches Gegenstück bildet. V o n einem Parallelismus des Ideengehaltes kann freilich keine R e d e sein. E s handelt sich bei unserer Abb. 21 u m einen Tarostampfer aus d e m i n deutscher Kolonialzeit so benannten Berlinhafen an der N o r d o s t - K ü s t e Neuguineas, der bereits als Zeichnung v o n N T J O F F E K 2 2 publiziert wurde. Unsere Abb. 21, Taf. X X I ist m i t beiden Photos eine Erstveröffentlichung. D a „Berlinhafen" damals ein geographischer Sammelbegriff war, kann m a n heute nicht mehr feststellen, aus welchem Dorf genau dieser Quetschkolben k o m m t . Er gehört in die Sammlung v o n etwa 90 Holzkolben, die S C H L A G I N H A U F E I T 1909 aus Neuguinea in das Dresdener Museum brachte. Als Herkunftsorte werden die Dörfer Arop, Malol, Paup, Y a k a m u l u n d U l a u (vgl. Anthropos 21
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Vgl. dazu das in der Komposition, (eine Figur kopfstehend auf einer andern) ähnliche Stück bei G E R B R A N D S , wie A n m . 26, p. 304; vgl. auch p. 279, Fig. G (eine Figur s t e h t auf d e m Kopf der andern). — I n t e r e s s a n t ist in diesem Zus a m m e n h a n g die Fig. F (p. 276): E i n e kleinere menschliche Gestalt reitet auf den Schultern der größeren. „ S t a n d i n g male figure carrying a smaller one on his b a c k " ( G E R B R A N D S , p. 276). Die Trägerfigur ist also ein Mann, obwohl das P h o t o wegen des merkwürdig geformten Genitale zunächst an eine F r a u denken läßt. I c h b i n mir nicht ganz sicher, ob G E R B R A N D S diese beiden letzten Figuren nicht schon vorher veröffentlicht h a t (A. A. G E R B R A N D S , The Art of t h e Asmat, New Guinea. Collected by Michael C. Rockefeiler. T h e Museum of Primitive Art. New Y o r k 1962); diese auf p. 2 u n t e n , die v o r h e r g e n a n n t e auf d e m Umschlag der gleichen Schrift. — E i n P r o b l e m f ü r unser Verständnis bleibt i m m e r h i n das gelegentlich v o r k o m m e n d e „Auf-dem-Kopf-stehen" einzelner Figuren. N u r schnitztechnisch bedingt k a n n es n i c h t sein, d a es sich u m seltene A u s n a h m e n handelt. Ob es dabei vielleicht u m die merkwürdige Orientierungsfähigkeit der Bewohner Neuguineas geht, die ich in A n m . 6 a n g e d e u t e t h a b e ? Oder vielleicht u m die Vorstellung vom „Anders-sein" im Totenreiche, wie m a n es in der naturvölkischen K u n s t bisweilen feststellen k a n n , z. B. die Prozessionsbewegung gegen den Uhrzeiger (auf den Broncetrommeln in Indonesien) oder „die Türen, die sich n a c h links ö f f n e n " (Alt-Mexiko) ? Auch auf den Felsbildern Nordwest-Neuguineas gibt es gelegentlich Figuren, die auf d e m Kopf stehen. Man h a t d a f ü r folgende E r klärung v e r s u c h t : „ . . . Menschen, die af en toe u p h u n zijde liggen of wel op den kop s t a a n en die waarschijnlijk voorstellingen v a n dooden zijn, v a n h e n die in h e t hiernamaals leven, ,das ganz Andere' dus, hetgeen aangeduid wordt door de voorstelling om t e k e e r e n " ( G . L. T I C H E L M A N en W . J o s . D E G R U Y T E R , Nieuw-Guineesche Oerkunst. D e v e n t e r 1944, p. 33f.). O . N U O F F E R , Quetschkolben von Berlinhafen. (Abhandlungen u. Berichte d. Zoolog, u. Anthropol.-Etnogr. Museums zu Dresden, Bd. 35). Leipzig 1917, Tafel 3, Fig. 10.
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3 5 / 3 6 , 1 9 4 0 / 4 1 , Karte auf p. 7) genannt. N U O F F E B (wie Anm. 2 2 , p. 3 ) begründet auch, warum er lieber statt „Tarostampfer" den Ausdruck „Quetschkolben" wählt, da mit diesen Geräten die gekochten Taro und andere Knollengemüse (Yams, Süßkartoffeln) weder zerkleinert, noch zerstampft, noch zerrieben, sondern zerquetscht werden. Stilistisch zeigt das Objekt nächste Verwandtschaft mit dem Tumleo-Stil. NUOFFER (p. 2 2 ) beschreibt diesen Kolben folgendermaßen: „Auf dem Kopf einer weiblichen Halbfigur sieht man vorgebeugt ein Wesen, das einen dicken, rundlichen Rumpf und einen mit der Haarröhre 2 3 geschmückten Menschenkopf h a t ; seine Füße (der größte Teil des rechten Beines ist abgebrochen) klammern sich an das Hinterhaupt der Frau, seine Hände langen zu ihren entgegengestreckten Händen hinab". N U O F F E B (p. 22) rechnet diese Darstellung zu den „Entführungsszenen", in der ein Dämon oder tierisches Geisterwesen eine Frau, manchmal gegen ihren Willen, entführt (raubt oder befreit). Mit dieser Interpretation dürfte er Recht haben, da er sie mythisch unterbauen kann. „Sicherlich im Einverständnis mit der zu entführenden Frau handelt der menschenköpfige Dämon unserer Abbildung, der sich zu ihr herabbeugt und im Begriff ist, ihre bereitwillig gereichten
H ä n d e z u e r g r e i f e n " (NUOFFEB, p . 23).
Es ist jetzt wohl nicht mehr zweifelhaft, daß hier kein Mutter-Kind-Motiv vorliegt. Das Stück wäre also hier fehl am Platze. Trotzdem lege ich diese Abbildung dem interessierten Leser vor, um ihm dadurch ein mögliches Vergleichsstück zu der Abbildung 10 (Teil I) zu zeigen. Dieser Quetschkolben befindet sich immer noch im Museum für Völkerkunde in Dresden (Nr. 29459). Die Höhe des ganzen Objektes beträgt 54 cm, die der Schnitzerei 39 cm. Abb. 22 (a und b), Taf. X X I I wird wahrscheinlich eine Gebärszene darstellen, bei der allerdings kein menschliches Kind den Mutterschoß verläßt. Es handelt sich um den unteren Teil eines Hauspfostens, der aus dem zerfallenen Männerhaus der J a t m ü l in Kanganumun am Sepik stammt. Wegen seiner Überlänge wurde der Pfosten für den Transport nach Europa in drei Teile zersägt. Unsere Abbildung zeigt den unteren Teil. Dieser Pfosten hieß „Kamwibangeh" oder „Kamwoi". Es war ein Mittelpfosten des Hauses, der mit zwei andern zusammen den Firstbalken trug. J e t z t befindet er sich im Museum für Völkerkunde in Frankfurt/M. (Nr. N. S. 45364, Sammlung HABERLAND/SCHUSTER 1961). Die Höhe der Figur beträgt 215 cm. Die am unteren Teil des Pfostens eingeschnitzte weibliche Figur ist die mythische Geisterfrau Nsimbwori, die Urmutter aller Menschen, Erfinderin des 23
D i e Haarröhre wird in der Literatur sonst gewöhnlich „Haarkörbchen" oder „Haartrichter" genannt. Vgl. dazu: JOSEF REIBER/GEOKG HÖLTKEB, Vergilbte Manuskript-Blätter aus Neuguinea (Intern. Archiv, f. Ethnogr., 41, 1942, p. 173); GEORG HÖLTKEB, AUS dem Kulturleben der Kire-Puir am unteren B a m u (Jahrbuch d. Mus. f. Völkerk. zu Leipzig, X I X , 1962, p. 79); HANS DAMM, Die sogenannten Haarkörbchen und verwandter Kopfputz in Melanesien (Acta Ethnographica Academiae Scientiarum Hungaricae, 8, 1959, pp. 63—83).
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GEORG HÖLTKER
Feuers, das Feuer und der Venus-Stern selbst. Zur Beschreibung der Figur zitiere ich HABERLAXD, der den Pfosten erworben und schon publiziert h a t 2 4 : „Die Heroin Nsimbwori ist in einer eigentümlichen Körperhaltung dargestellt: die Beine hockend an die Seiten angewinkelt, die Arme angewinkelt erhoben. Die Gebilde in ihren Händen und rechts und links des Hauptes werden als Strick und Brennholz erklärt, weil sie ja die Mutter des Feuers ist. Auf dem Haupt die stilisierte Nachbildung einer kleinen, mit Nassa-Schnecken benähten Kappe. Die Augen bestehen aus kleinen Conus-Stücken. Die Nasenscheidewand ist durchbohrt, im Loch ein kleiner geflochtener Ring. In den Ohren je drei kleine Löcher zur Aufnahme von Bastfransen. Breiter, mit vielen Zähnen besetzter Mund. Auf Gesicht und Brust Reste der weißen, spiraligen Bemalung. Kleine hängende Brüste. An Stelle des Nabels eine große Seerose, von der vier weiße, spitze Gebilde ausgehen (Fische?). Prominenter Möns pudoris. Aus der Vagina ragt ein merkwürdiger Gegenstand hervor — einem mit Schuppen besetzten Schwanz vergleichbar —, der von den Gewährsleuten unterschiedlich gedeutet wurde: als Tausendfüßler oder Assel im Augenblick der Geburt, als Schwanz eines Krebses oder als Nachgeburt. Es ist möglich, daß die Haltung der Nsimbwori die Gebärhaltung darstellen soll. Rechts und links ihrer Füße je zwei Asseln, rechts und links des Bauches zwei kleine Fische. Links von ihr (vom Beschauer aus gesehen) eine lange gerade Schlange — ihre Tochter Ndumagwa" (HABERLAND, p . 4 2 f . ) .
Die Interpretation als mythische Gebärszene dürfte im Recht sein. Das ist auch der Grund, weshalb die Abb. 22 hier in meine Serie aufgenommen wurde, obwohl kein Kind geboren wird. Abb. 23 (a und b) Taf. X X I I zeigt uns eine Hausplanke, die stilistisch eindeutig in die Tami-Stilprovinz gehört. Sie stammt aus Simbang bei Finschhafen und steht jetzt im Museum für Völkerkunde in Leipzig (Nr. Me 14297, Sammlung DANNIEL 1942). Die Höhe beträgt 98 cm, die Breite 22 cm. Eine menschliche Figur mit sehr hohem Kopfaufsatz und einem bis auf die Brust herabgedrückten, klobigen Gesicht steht breitbeinig auf einem ornamental gestalteten Standklotz. Die Hände liegen auf den Oberschenkeln. Das Geschlecht ist nicht erkennbar. Vor dem Unterleib der Figur ist ein zweites menschliches Gesicht mit Augen und Mund eingeschnitzt. Was oder wen soll die Hauptfigur, was das zweite Gesicht darstellen? Man weiß es nicht, weil dazu alle Angaben fehlen. Möglicherweise ist es eine Schwangerschaftsdarstellung, weniger eine Gebärszene. Daß es sich um eine mythische Darstellung handelt, dürfte ziemlich sicher sein. Man müßte dafür einmal die lokalen Mythen konsultieren. Eine solche Sonderuntersuchung fällt aber aus dem Rahmen meiner jetzigen Aufgaben heraus. Sie muß dem Spezialisten überlassen bleiben. Vielleicht können uns die Missionare von Finschhafen, die sich schon so V' EIKE HABESLAND, B e s c h n i t z t e P f o s t e n des Männerhauses m u n s i m b i t (Dorf K a n g a n u m a n a m Sepik) in den Völkerkunde-Museen S t u t t g a r t und F r a n k f u r t (Tribus, Nr. 15, August 1966, pp. 2 1 - 4 6 und Abb. 19).
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oft in unserer Wissenschaft als vorzügliche Sachkenner ausgewiesen haben, bei Gelegenheit einmal eine plausible Erklärung geben. Bis dahin bleibt diese Hausplanke für unser Thema ein unsicheres Stück, das gleichwohl verdient, auch in unserer Serie vorgestellt zu werden. Abb. 24 (a und b), Taf. X X I I I bringt die wohl merkwürdigste Plastik der ganzen Serie. Sie steht im Rautenstrauch-Joest-Museum (Museum für Völkerkunde in Köln, Nr. S 1080) und soll aus dem Bezirk Aitape stammen. Die Höhe beträgt 62 cm. Wie die Statuette der Abb. 11 war auch dieses Objekt 1900 auf der ethnographischen L Ü C K E R - Ausstellung in Düsseldorf zu sehen. Im Ausstellungskatalog ist es unter Nr. 58 aufgeführt, wo ergänzend auf p. 46 erwähnt wird: „Weibliche Figur. Soll die Geburt eines Kindes darstellen." Mit den übrigen Exponaten kam auch diese 1902 nach Köln und wird hier zum erstenmal veröffentlicht. Die schlanke Frauengestalt wendet unnatürlich den Kopf im scharfen rechten Winkel nach links, weshalb sie in der Längsachse verdreht erscheint, es aber faktisch nicht oder kaum ist. Von der Stirn aus ragt ein langer Zapfen nach hinten, den ich nicht weiter erklären kann. Beachtlich ist aber die stilistisch bekannte scharfe Kante über Stirn und Nasenrücken. Die Gesichtsbildung mit breiter Nase ist ziemlich grob ausgefallen. Hinter dem weitgeöffneten Mund ist eine tiefe Mundhöhle ausgeschnitzt (eine für die Neuguinea-Plastik sehr seltene Eigentümlichkeit). Der Hals erscheint unnatürlich dick, der Leib ohne Brüste schlank. Die in den Schultern zu hoch angesetzten, gewinkelten Arme ergreifen mit den grobgeschnitzten Händen den Kopf eines Tieres und halten es mit der Bauchseite vor den Körper der Frau. Das Tier wird durch eine zackige Rückenlinie und einen langen, geringelten Schwanz charakterisiert, aber man kann nicht bestimmen, welches Tier gemeint ist. Die Hüften der Frau erscheinen ungewöhnlich schmal, die gewinkelten Beine stehen auf einem flachen Standholz. Vor der Frau steht eine kleinere menschliche Gestalt, die ihr Gesicht auf das Genitale der Frau legt. Der auf unserer Abb. 24b, Taf. X X I I I sichtbare Höcker am Kopf ist nicht die Nase, sondern das rechte Ohr der kleineren Figur. Diese dickbäuchige und schmalhüftige Gestalt hat die Arme gewinkelt und berührt mit den Zehen der grobgeschnitzten Füße vorn das Standholz der Frau. Dieses Standholz der Frau aber liegt einem zweiten, oben und unten zugespitzten Standklotz auf. Wegen dieses zweiten Standholzes möchte ich das Objekt als Kanu-Steven ansehen. Ob der Zapfen auf dem Kopf vielleicht zur oberen Befestigung des Steven am K a n u gedient hat? Das ganze Stück ist dick mit rotem Ocker eingerieben, auf dem die weiße Punkt- und Flächenbemalung und die schwarzen Flecken auf Hals, Brust, Bauch, Gesäß und Füße der Frau aufgetragen sind. Die Interpretation des Düsseldorfer Katalogs (Geburtsszene) ist sicher falsch. Man könnte statt dessen an einen bösen (Krankheits-)Dämon denken, der in den Schoß der Frau einzudringen versucht. Das ist eine Vorstellung, die, wie mir Herr Dr. W A L D E M A R STÖHR vom Kölner Museum sagte, in Indonesien bisweilen vorkommt. Wir gehen bestimmt nicht fehl, wenn wir die ganze Plastik
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GEORG H Ö L T K E R
als eine mythische Darstellung auffassen, wenn wir auch über die Einzelheiten nichts wissen. 5. Christliche Madonnen Ganz im Gegensatz zur afrikanischen Plastik älterer (alte Kongomission!) und neuerer Zeit ist das christliche Madonnenbild (Maria mit Kind) in der Kunst Neuguineas außerordentlich selten, obwohl beispielsweise die Kruzifixe relativ häufig vorkommen. 25 Mir sind bis jetzt nur zwei Beispiele für christliche Madonnen bekannt geworden. Abb. 25, Taf. X X I I I . Diese Mutter-Kind-Darstellung ist wohl eindeutig in neuester Zeit unter Missionseinfluß entstanden und soll eine Madonna mit Kind sein. Als solche wurde sie auch ausdrücklich vom Sammler erworben. Heute befindet sie sich im Linden-Museum in Stuttgart (Nr. 122261, Sammlung M A R K E R T ) und ist 41 cm hoch. Die ganze Figur aus einem Stück ist gerötelt. Geschwärzt erscheinen die Frisuren beider Gestalten, die Augenbrauen beider, die Nase des Kindes, eine merkwürdige Dreieckzeichnung im Gesicht beider, die Füße des Kindes und die Schampartie der Frau. Die Mutter besitzt weder primäre noch sekundäre Geschlechtsmerkmale. Das Kind ist geschlechtslos. Die überstarken Beine der Frau stehen fußlos auf einem flachen Standholz. Das Kind liegt mit seinem Rücken flach auf dem Rücken der Mutter, wobei die Frau mit ihrer zurückgreifenden linken Hand das Kind stützt. Nach Angabe des Sammlers stammt die Statue vom mittleren Sepik, ziemlich „oberhalb des Chambri-Sees". Künstlerisch ist sie kaum noch mittelmäßig zu nennen. Es fehlen die Kompositionstechnik, die harmonische Formgebung und der Schwung der Linien aus der alten guten Sepik-Kunst. Zudem ist das Objekt aus extrem leichtem Holz verfertigt. Das allein schon weist auf eine schlechte Nachbildung durch unbegabte Schnitzer hin. Ob die Statuette je in kultischem Gebrauch war, ist unbekannt. Abb. 26, Taf. X X I I I zeigt das zweite Beispiel einer christlichen Madonna. Es stammt aus dem Asmat-Dorfe Jow an der Casuarinen-Küste, nahe der Mündung des Betsj River, und wurde dort von dem 1961 in West-Neuguinea so tragisch umgekommenen jungen Feldforscher M I C H A E L R O C K E F E L L E R erworben. J e t z t steht diese Statue im Museum of Primitive Art in New York (Nr. MR 75) und wurde bereits von GERBRANDS26 publiziert. Sie soll vom Asmat-Künstler Wurchen aus Eisenholz geschnitzt worden sein und ist 85 cm hoch. Wir sehen eine Frau mit gespreizten, gewinkelten Beinen und abgeschrägten Füßen, einem kubischen Kopf mit langer Nase und breitem Mund und einem 25
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Vgl. dazu: H Ö L T K E R , wie Anm. 8, und GIORGIO H O E L T K E R , U n Crocifisso del Rio Sepik (Nuova Guinea). In: Annali Lateranensi, 4, 1940, pp. 199—211. A D R I A N A. G E R B R A N D S , The Asmat of New Guinea. The Journal of Michael Rockefeiler. New York 1967, p. 278, Fig. A.
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ungewöhnlich dicken Hals. Die Frau legt die Hände auf ihre Hüften. Vor der Brust der Frau ist ein langgestrecktes Kind 2 7 in Blockeinheit plastisch ausgeschnitzt, das die Ärmchen, unnatürlich nach rückwärts greifend, um den Oberkörper der Mutter legt. Das Kind trägt eingeschnitzt ein Lendentuch oder europäische Hosen. Durch diese Bekleidung i s t die Statue eindeutig als modernes Stück ausgewiesen. Sie macht zwar einen altertümlichen Eindruck, der aber künstlich und gewollt durch den Qualm des Herdfeuers bewirkt wurde. Obwohl dieses Objekt stilistisch noch ganz im Rahmen des herkömmlichen Äsmat-Stils bleibt — ausgenommen vielleicht die Haltung des Kindes, zu der wir keine Parallelen haben — und obwohl auch das Rohmaterial (Eisenholz) noch dem traditionellen Brauch entspricht, wird man dieses moderne Stück doch wohl kaum für eine mythische Darstellung alter Ideen halten können. G E R B R A N D S denkt an die Möglichkeit eines christlichen Madonnenbildes: „The whole carving might be meant to represent ,Mary and the Child'" ( G E R B E A N D S , p. 2 7 8 ) . Dieser Meinung schließe ich mich vorläufig an, bis wir vielleicht später größere Sicherheit gewinnen.
6. Ergänzende Notizen zum Teil I Meinen Angaben im Teil I sollen hier noch einige ergänzende Notizen und Literaturhinweise folgen, die ich damals nicht gekannt habe. Besonders aus der neueren Fachliteratur wird einiges nachzutragen sein. Zu p. 8f.: Dort habe ich auf die prähistorischen und archaischen Mutter-Kind-Darstellungen hingewiesen. Eine Interpretation der vorgeschichtlichen dickleibigen Venus-Statuetten versucht nun auch VON K Ö N I G S W A L D . 2 8 E r hält die oft behauptete „magische Bedeutung" dieser Figuren nicht für die einzig entscheidende. Die paläolithischen Venus-Figuren fanden sich „in der überwiegenden Zahl der Fundstellen in der Wohnschicht, nichts weist auf einen besonderen Kult hin. Machen wir uns von der Idee eines ,Fruchtbarkeitsidols' los, dann bleibt für uns die viel wahrscheinlichere Deutung einer , Schutzgöttin' übrig, einer Figur, die andere abschrecken und fernhalten und als magische Hüterin den Wohnplatz beschützen soll" (p. 491). - 7 E s m a g in diesem Z u s a m m e n h a n g von allgemeinerem Interesse sein, auf eine alte Holzplastik aus N o r d - V i e t n a m hinzuweisen. Dabei h a n d e l t es sich u m eine etwa 35 cm hohe S t a t u e t t e m i t der Darstellung des Mutter-Kind-Motivs von unbek a n n t e m Alter, die h e u t e im Historischen Museum von H a n o i s t e h t . Die M u t t e r mit kubischem Kopf u n d dickem H a l s hält vor sich ein langgestrecktes K i n d ( I H R E PATKÓ-MIKLÓS, 28
Die K u n s t
Vietnams.
Budapest
1967, A b b . 1 auf
p. 7;
Beschreibung auf p. 38. G. H. R . VON KÖNIGSWALD, Die Göttin ohne Gesicht (Miscelánea en H o m e n a j e al A b a t e H e n r i Breuil). Barcelona 1964, pp. 487-494.
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GEORG
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Ausführliche und sachkundige Mitteilungen zu den alt-ägyptischen Funden hat W E I N D L E R 2 9 vorgelegt, wohl die beste Studie zu diesem Thema. Von besonderem ikonographischem Interesse ist auch die alt-ägyptische Statue im Ägyptischen Museum in Berlin (Nr. 8288) „Isis säugt den Horus". Der knabenhafte Horus steht vor Isis und saugt an ihrer Brust. 30 Das erinnert an die in Neuguinea oft zu machende Beobachtung, daß fünfjährige und noch ältere Knaben stehend an der Brust ihrer sitzenden Mutter saugen. Eine Silbernadel aus Luristan (1. Jahrtausend v. Ztr.) mit einer sehr deutlichen Geburtsszene hat FRASER 3 1 bekannt gemacht. Zu p. 8, Anm. 2 : Zu der grundlegenden Monographie von N U O I T E R über die „Afrikanische Plastik in der Gestaltung von Mutter und Kind" ist ergänzend die neue Studie von R O O S E N S 3 2 Z U erwähnen. Wenn N U O F F E R sich noch mit 30 Beispielen der Mutter-Kind-Darstellung aus Afrika begnügen mußte, kann R O O S E N S bereits 250 Belege in Bild und Text vorlegen. Seine Interpretation dieser afrikanischen Plastiken ist : „Les sculptures mère-et-enfant sont des symboles de la fécondité" (p. 2 8 ) .
Zu p. 10: N U O F F E R sagt ganz mit Recht zu den afrikanischen Mutter-Kind-Figuren, daß man florin keine idyllischen Genrebilder suchen solle. Vielleicht sind wir Europäer (und die typischen Nordamerikaner nicht ausgenommen) durch falsche Kunsterziehung gefühlsmäßig allzu leicht geneigt, vor allem in den abendländischen Mutter-Bildern nur das sentimentale, niedliche „Mutter-sein" zu wünschen. Das „Anders-sein" der Mutterschaft, nämlich Muttersorge, Leid, Enttäuschung usw., tritt dahinter weit zurück, als ob das Mutter-sein die leichteste und lieblichste Sache der Welt wäre, die nur aus Zärtlichkeiten und Gebärden inniger Zuneigung bestände. 1963 erschien im Hanns Reich Verlag München der Bildband „Die Mutter und ihr Kind", der dieser Schwäche weiter Kreise unter den laienhaften Bilderfreunden viel zu weit entgegenkommt. Der Buchrezensent R A I N E R F A B I A N kritisiert denn auch mit Recht: „Sicher wurde hier die Chance versäumt, das in der Literatur (Hebbel) und Malerei (Ludwig Richter) vorge29
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F . WEINDLER, G e b u r t s - l i n d W o e h e n b e t t d a r s t e l l u n g e n a u s a l t - ä g y p t i s c h e n T e m p e l r e l i e f s . E i n B e i t r a g z u r p r ä h i s t o r i s c h e n U r g e b u r t s h i l f e a n .der H a n d v o n 16 O r i g i n a l a u f n a h m e n i n L i c h t d r u c k u n d 12 A b b i l d u n g e n i m T e x t . M ü n c h e n 1915, p p . 4, 9, 12f., 17, 27, 29, 3 1 f . RUD. QUANTER, D a s W e i b i n d e n R e l i g i o n e n d e r V ö l k e r . 2. A u f l . B e r l i n 1912, Tafel I X . DOUGLAS FRASER, The Heraldic W o m a n . I n : DOUGLAS FRASER, The Many Faces of P r i m i t i v e A r t . A C r i t i c a i A n t h o l o g y . E n g l e w o o d C l i f f s / N . I 9 6 0 , p . 38, F i g . 1. D a s Bild erschien auch i n : H E N R Y E. SIGERIST, A n f ä n g e der Medizin. Zürich 1963, I I . B d . A b b i l d u n g e n . E . ROOSENS, I m a g e s A f r i c a i n e s d e la M è r e e t l ' E n f a n t . ( P u b l i c a t i o n s d e F/Univ e r s i t é L o v a n i u m d e K i n s h a s a , 21.) L o u v a i n 1967. V g l . d a z u m e i n e R e z e n s i o n i m A n t h r o p o s 62, 1967, p . 5 9 6 f .
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prägte Ideal des instinkthaft Mütterlichen durch ein neues, bewußteres und kraftvolleres Bild zu ersetzen" (Rheinischer Merkur, Nr. 46 vom 15. 11. 1963, p. 32). Machen wir uns frei von dieser verpönten Voreingenommenheit, wenn wir die Kunstwerke der Naturvölker betrachten! Zu p . 1 2 : Die Mutter-Kind-Darstellungen verteilen sich, geographisch gesehen, auf die nördliche Hälfte der Insel, das heißt: in West-Neuguinea bis südlich zu den Asmat, in Nordost-Neuguinea bis an den Ramu River (Bosmun). Aus Papua ist mir kein einziger Beleg bekannt geworden. Ob das nur eine Forschungslücke ist ? Darum halte ich auch die Zeichnung einer doppelköpfigen menschlichen (?) Gestalt 3 3 auf dem Bauch der Hauptperson auf den sogenannten „Erinnerungsschilden" aus dem Purari Delta nicht für Schwangerschaftsbilder. Sie dürften totemistisch zu erklären sein. Zu p. 12, Anm. 16: Einen weiteren konkreten Beleg für die Tatsache, daß kleinere Figuren neben größeren oft als „Kinder" bezeichnet werden, bringt K O O I J M A N . Er beschreibt kurz die sogenannten mimia-Figuren von den Inseln in der Torres Strait und sagt, daß manche fast lebensgroß, andere sehr klein seien. Die kleineren würden an die größeren gebunden und als deren „Kinder" bezeichnet. 34 Zu p. 14, Anm. 26: Neuerdings hat V A N B A A R E N die Kopulationsfiguren im alten Kulthaus von Dore (Geelvinkbai) nochmals erwähnt. Sie dürften demnach ziemlich gut verbürgt sein. V A N B A A K E N schreibt: ,.. . . the figures of the ceremonial house are described as having large and conspicuous genital parts and as being represented sometimes in the act of coition" (wie Anm. 9, p. 68). Zu p. 15, Anm. 29: Ganz so selten, wie ich damals glaubte, ist die Darstellung der Madonna im gesegneten Zustand in der europäischen, speziell auch deutschsprachigen Volkskunst doch nicht. Man braucht nur einmal die Gebetszettel und Einlegebilder des 16.—18. Jahrhunderts durchzusehen, deren beispielsweise das Schweizerische Museum für Volkskunde in Basel eine außerordentlich reiche Kollektion besitzt. Erinnert sei nur an den Holzschnitt „Mariae Heimsuchung" in dem Bildzyklus „Marienleben" von A L B R E C H T D Ü R E R . BEITL 3 5 bringt als weitere Beispiele zwei Gebetszettel, den einen aus Salzburg, den anderen von Bogenberg, wobei der letztere eine seltenere Darstellung h a t : Das Kind im Strahlenkranz ist auf dem Leib der Mutter gezeichnet. Ähnlich so auch auf dem mittelrheinischen Gemälde 33
Vgl. dazu: A L B E R T B U E L L L E W I S , Carved and Painted Designs from New Guinea. (Field Museum. Anthropology Designs Series, 5.) Chicago 1931. Plate 17, untere Reihe, Objekt 2 und 3. 3 '< „Sommige zijn levensgroot, andere zeer klein. Deze laatsten worden in de Regel aan de grotere vastgebonden en als hun ,kinderen' beschouwd" (KOOIJMAN, wie Anm. 16, p. 89). ;;3 R I C H A R D B E I T L , Der Kinderbaum. Brauchtum und Glaube um Mutter und Kind. Berlin 1942, pp. 34 und 35.
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(um 1410) vom Friedberger Altar, das sich jetzt im Erzbischöflichen Museum' in Utrecht befindet.36 Zu p. 16, Anm. 33 : Neben den Azteken in Altmexiko, denen die genannte Erdgöttin Tlazolteotl zugehört, zeigen auch die steinernen Maya-Skulpturen bisweilen eine Gebärende, wie beispielsweise auf dem Bilde bei S O M O L I N O S D ' A E D O I S . (wie Anm. 7), p. 28. In den Bilderschriften der Azteken und Maya sind die Gebärszenen ziemlich häufig zu sehen ;. vgl. dazu B . B E L O N O S C H K I N , Medizinische Darstellungen aus altmexikanischen Codices, Stockholm 1966, Abb. 1 (Codex Vaticanus B, Blatt 23), Abb. 2 und 4 (Codex Borgia, Blatt 51 und 24), Abb. 3 (Codex Laud, Blatt 32); ferner S O M O L I N O S D ' A R D O I S , p. 32 (Codex Nuttall und Codex Bourbon). Zu p. 27: Zu unserer Angabe über Mütter als „Zeigepersonen ihres Kindes" bringt NEUMANN37 eine instruktive Abbildung. Es handelt sich um die Abreibung eines Minoischen Siegelringes, gefunden in Böotien. Die Mutter zeigt den auf ihren Knien stehenden göttlichen Sohn den Priestern zur Adoration.
F i g . 1. E i n e hölzerne Spielpuppe der B o s m u n - K i n d e r . N a c h BLACKWOOD, w i e A n m . 38, p. 2 7 5 , F i g . 3.
Zu p. 29: Zu einer hölzernen Spielpuppe (Teil I, Fig. 1) aus Bosmun (besser: Bosngun), die eine Frau mit einem Kind rittlings im Nacken darstellt, sagt Miss B L A C K WOOD38, diese Methode, die Kinder zu tragen, sei bei den Bosmun „häufig" zu sehen (p. 275). Ob es gerade häufig vorkommt, möchte ich bezweifeln, da diese Kindertragweise in Nordost-Neuguinea überhaupt zu den Ausnahmen gehört. Aber sie ist den Bosmun bekannt, wie meine Abb. 27, Taf. X X V I beweist. Diese lebende Frau mag hier die Liste der leblosen „Museums-Mütter" ebenso organisch wie dekorativ abschließen. Ich photographierte sie am 13. 2. 1937 in dem Dorfe Dongun. Es ist die Bosmun-Frau Sakon mit ihrer Tochter Lucia. Hier reitet das Kind auf einer Schulter der Mutter, die das Beinchen festhält. Auch 36
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G E R T R U D S C H I L L E R , Ikonographie der christlichen K u n s t , B d . I . Gütersloh 1 9 6 6 , p. 214 und B i l d Nr. 133. E R I C H N E U M A N N , T h e Great Mother. An Analysis of t h e Archetype. Translated from t h e German. (Bollingen Series, 47.) New Y o r k 1955, p. 314, F i g . 69. B E A T R I C E B L A C K W O O D , Some Arts and Industries of t h e B o s m u n , R a m u R i v e r , New Guinea. I n : Südseestudien. Festschrift für F e l i x Speiser, Basel 1951, pp. 266 bis 288.
Abermals: Mutter-Kind-Motiv
157
•der Brauch, das Kind auf beiden Schultern, also im Nacken reiten zu lassen, ist bekannt. I n meinem Photo-Archiv habe ich noch ähnliche Bilder aus Yakamul, Ulupu, But, Wewak und vom Sepik. Zu p. 32if.: Meine damalige Interpretation der Mutter-Kind-Figuren Neuguineas im wesentlichen als „Fruchtbarkeitsidole" halte ich noch immer voll und ganz aufrecht. Dem magischen Denken geht logisch eine wenigstens vage religiöse Vorstellung voraus. Wie nahezu die gesamte Kunst Neuguineas sind auch diese Figuren niemals rein profan gedacht, sondern irgendwie als Ausdruck eines religiösen Weltbildes. Besonders gilt das für die plastisch geformten oder gemalten •eigentlichen Kultbilder. Speziell über die Abelam-Kunst (Maprik) sagt F O R G E 3 9 (sein Zitat mag hier stellvertretend für viele andere stehen): „As in most New Guinea societies, all art among the Abelam is basically cult art and can only be displayed in the context of the ceremonials of the tambaran cult" (p. 67). Daß dabei die Religion der Bewohner Neuguineas sich nicht mit tiefsinnig philosophischen Reflexionen über das Mutter-Kind-Verhältnis verbindet, wie S C H I P F L I N G E R für die asiatischen Hochreligionen (Buddhismus, Taoismus, Hinduismus) nachweisen kann 40 , braucht nicht eigens betont zu werden. Man hat sich gefragt, ob die drastischen Mutter-Kind-Darstellungen, besonders die Kopulations- und Gebärszenen, nicht etwa als sexuelle Anreger aufzufassen seien. Dabei hat man vergleichsweise an die europäische, speziell englische Folklore gedacht, die berichtet, daß bis in die neuere Zeit hinein die Bräute auf dem Wege zur Hochzeit die sogenannten Sheila-Bilder 41 ansahen, um sich geschlechtlich zu erregen. Eine solche oder ähnliche Zweckbestimmung kommt in Neuguinea sicherlich für die Frauen nicht in Frage, da die entsprechenden Plastiken in der Regel „Männer-Geheimnis" sind und in den Kulthäusern vor den Augen der Frauen streng gehütet werden. Daß eine solche Zweckbestimmung der Plastiken für die Männer in Frage kommt, wäre an sich denkbar, doch wir haben dafür weder eine positive Angabe noch irgendeinen Versuchstest. Zu p . 3 4 : Zur exakten Interpretation von Museumsstücken aus Neuguinea ist, wie ich schon sagte, in den meisten Fällen die letzte Möglichkeit der Nachkontrolle an Ort und Stelle längst vorbei. Zwar sagt G E R B R A N D S 4 2 mit Recht, zur SinndeuThe Abelam Artist. In: Maurice Freedman (Edit.), Social Organization. (Festschrift iür Raymond Firth.) London 1967, pp. 65—84.
39 A N T H O N Y F O R G E , 40
41
A2
Der fraulich-mütterliche Aspekt im Göttlichen (Kairos, 9, 1967, pp. 277-295). "Sheila-na-gig ('Woman of the Castle') . . . are always nude and are represented in the frontal aspect the legs usually wide apart, and the hands so posed as to call attention to the genitalia; . . . the genitalia are exaggerated in size and position" ( M . A. M U R R A Y , Female Fertility Figures. In: The Journ. of the Roy. Anthrop. Institute London, 54, 1934, p. 97). A. A. G E R B R A N D S , The Study of Art in Anthropology. In: The Social Sciences (Unesco). The Hague 1968, pp. 15-21.
THOMAS SCHIPFLINGER,
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GEORG H Ö L T K E B
tung eines primitiven Kunstwerks gehöre notwendig die Frage nach dem Künstler, nach der sozialen Funktion der Kunst und des Einzelstückes usw., aber diese Fragen müssen in unsern Fällen leider unbeantwortet bleiben, ausgenommen bei den neueren Sammlungen von denAsmat und Abelam ( G E R B K A N D S ' 1 3 . beiden Asmat; G . K O C H , wie Anm. 1 , und F O R G E , wieAnm. 3 9 , beiden Abelam). Daß man trotzdem auch tote Museumsstücke in gewissen Grenzen durch Vergleich, mythisch-ethnographischen Unterbau usw. zum Reden bringen kann, ist jedem Ethnologen und Museologen geläufig. Nur darf man die Grenzen nicht überschreiten wollen. Die allgemeine Kunstgeschichte spricht in solchen Fällen von der „ikonographischen Analyse".
7. Zusammenfassung Zurückschauend auf beide Teile unserer Studie über das Mutter-Kind-Motiv in der Plastik Neuguineas wird es erwünscht sein, hier kurz die Ergebnisse der Untersuchung zusammenzustellen. 1. Für kopulierende (Geister-)Paare haben wir als gesicherte Belege nur die Abb. 1 und 2 im Teil I I ; Abb. l a und l b stammen von den Abelam und beziehen sich auf das gleiche Objekt, Abb. 2 stammt vom Sentani-See. Wahrscheinlich gehört auch die Literaturangabe aus Dore an der Geelvinkbai hierher (Teil I, p. 14 und Ergänzungen dazu im Teil II). 2. Für die Darstellung einer Schwangerschaft sind im Teil I die Fig. 1 (WestNeuguinea) und im Teil I I die Abb. 3 (Keram River) so gut wie sichere Belege. Es handelt sich allerdings in beiden Fällen um Malereien, nicht um Plastiken. Die Abb. 4 im Teil I I (Murik) zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Darstellung einer Schwangeren. 3. Für die Wiedergabe von Gebärszenen sprechen eindeutig: Teil I, Abb. 1 (Rook Isl.), I, Abb. 2 (Kairiru Isl.), I, Abb. 13 (Suain); II, Abb. 5 (Süd-Maprik) und II, Abb. 6 (Nord-Maprik). Der Korwar von der Geelvinkbai (II, Abb. 7) gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dazu. 4. Für die Darstellung des Mutter-Kind-Motivs sind als gesicherte Belege anzusehen: I, Abb. 3 (Kambrindo/Sepik), I, Abb. 4 und 5 (Sentani-See), I, Abb. 6 (Aitape), I, p. 29 und II, Fig. 1 (Bosmun); II, Abb. 8 (Keram River), II, Abb. 9 (Yuat River), I I , Abb. 10 (Jatmül), I I , Abb. 12 (Mittlerer Sepik), II, Abb. 13 (Kanganuman/Sepik), II, Abb. 14 (Mittlerer Sepik), II, Abb. 18 (Murik), II, Abb. 25 (Mittlerer Sepik) und II, Abb. 26 (Asmat). Wahrscheinlich kann A. G E E B B A N D S , Wow-ipits. Eight Asmat Woodcarvers of New Guinea. The Hague 1967. Vgl. beispielsweise dazu: S I X T E N R I N G B O M , Nuptial Symbolism in some FifteenthCentury Reflexions of Roman Sepulchral Portraiture (Temenos, 2, 1966, pp. 68by 97; Zitat auf p. 96).
'•'•'< A D B I A N 44
Abermals: Mutter-Kind-Motiv
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man auch noch Abb. 7 aus Teil I (Sentani-See) und Abb. 11 aus Teil I I (Arop) hinzurechnen. Dagegen bleiben als echte Beispiele umstritten: I, p. 26 (WestNeuguinea), I, Abb. 10 (Asmat) und II, Abb. 19 (Grinjambe/Sepik). - Es sind demnach 14 sichere, 2 wahrscheinliche und 3 zweifelhafte Belege für die Gestaltung von Mutter und Kind in der Schnitzkunst Neuguineas. 5. Ähnliche Vorstellungen, sei es für die Schwangerschaft, Gebärszenen, Kompositfiguren oder rätselhafte Korware, bringen wir in Teil II, Abb. 15, 16, 17 (Geelvinkbai), Abb. 20 (Awar), Abb. 21 (Berlinhafen), Abb. 22 (Kanganuman/ Sepik), Abb. 23 (Finschhafen) und Abb. 24 (Aitape). 6. Als eindeutige Fruchtbarkeitsidole, allerdings ohne Kenntnis der Einzelheiten, sehen wir im Teil I die Abb. 11 (Unterer Sepik) und Abb. 12 (Mittlerer Sepik) an. 7. Die übrigen Abbildungen (I, Abb. 8 und 9, II, Abb. 27) sind Hinweise und Vergleichsstücke. 8. Der geographischen Verbreitung nach kommt das Mutter-Kind-Motiv nur in der nördlichen Hälfte Neuguineas vor: an der Westküste nach Süden bis zu den Asmat, in Nordost-Neuguinea südlich bis an den R a m u River (Bosmun). Nur noch eine Gebärszene wurde, südlich davon, von der Astrolabebai (Rook Isl.) bekannt (Teil I, Abb. 1). I n ganz Papua haben wir bisher keinen einzigen Beleg gefunden. 9. Die Namen der Schnitzkünstler konnten in zwei Fällen angegeben werden: Teil II, Abb. 1 (Abelam) und Abb. 26 (Asmat). Aber es fehlen fast immer die näheren Angaben über die Schnitzkunst und deren soziale Bedeutung in den jeweiligen Gemeinschaften. 10. Von den älteren Bildwerken stammen wahrscheinlich mehrere Exemplare noch aus dem vorigen Jahrhundert. Sicher wissen wir das aber nur von den beiden Kölner Statuetten (Teil II, Abb. 11 und 24). Die meisten Bildwerke sind wohl Produkte der letzten Jahrzehnte. 11. Nur für wenige Objekte lagen Angaben des Sammlers oder des betreffenden Museums (Karteikarte) vor. Unsere Beschreibung konnte sich darum zumeist nur auf den visuellen Eindruck stützen. 12. Ab und zu wurde eine Angabe über den Charakter des verwendeten Holzes (Hartholz, Eisenholz, extrem weiches Holz) gemacht. Eine genauere Bestimmung der Holzart fehlt aber in allen Fällen. 13. Alle Statuetten, einschließlich der Kompositfiguren, sind aus einem einzigen Holzblock (in Blockeinheit) geschnitzt. 14. Die meisten Darstellungen werden Kultfiguren in irgendeinem Sinne sein. Aber positive Angaben darüber sind äußerst selten. 15. Zum Problem der Sinndeutung werden die Bildwerke wesentlich als magische (zumeist kultische) Fruchtbarkeitsfiguren interpretiert. Dazu wird fallweise zusätzlich noch die eine oder andere Bedeutung hinzukommen, wie Ahnenfigur, Totenbild oder Totem.
Die Mandas-Maskenfeier der Mali-Baining (Neubritannien, Melanesien) von
P . CARL L A U F E R F ,
Oeventrop, Westf.
(Mit 18 Abbildungen auf Tafel X X V - X X X I I )
Die wissenschaftliche Erforschung der Mali, einer südöstlichen Untergruppe des Baining-Volkes im bergigen Innern der sog. Gazelle-Halbinsel Neubritanniens, ist noch verhältnismäßig jungen Datums, denn sie hat eigentlich erst — u m ganz exakt zu sein — vor gut 35 Jahren eingesetzt, wohingegen die Kenntnis ihrer Nachbargruppe, der Uramot-Kairak im Zentralgebiet, einige Jahre weiter zurückgeht und das allermeiste, was etwa seit 1900 allgemein über die Baining veröffentlicht wurde, die Ghachet im Nordwesten in unmittelbarer Nähe des Weberhafens betrifft. Der Grund dafür, weshalb gerade die Chachet als erste so sehr in das Blickfeld des allgemeinen Interesses getreten sind, lag darin, daß diese Gruppe seit langem den blutigen Überfällen und Sklavenzügen der melanesischen Gunantuna ausgesetzt und von diesen schon stark dezimiert war. Durch das Eingreifen der damaligen deutschen Kolonialregierung und der Mission wurde diesen Überfällen ein Ende gesetzt. 1 Etwas günstiger lagen die Lebensbedingungen noch für die Zentral-Baining (Uramot und Kairak), obwohl auch sie von den Gunantuna, wohnhaft am Tamavatur-Berg, die bereits den vorgeschobenen Posten der Vir-Leute aufgerieben hatten, von Zeit zu Zeit bekriegt wurden. Bei ihnen setzten Missionierung und Erforschung um 1930 herum ein und bei der noch vollkommen intakten Südostgruppe der Mali erst gegen 1935. Da über die Stammesaufteilung, den somatischen Typ und die gesundheitlichen Verhältnisse des Baining-Volkes bereits drei ausführliche Arbeiten im Druck vorliegen, kann an dieser Stelle von einer Wiederholung des einschlägigen Tatsachenmaterials Abstand genommen werden. 2 Statt dessen möge hier eine gedrängte Übersicht über die intertribalen Zusammenhänge des Maskenwesens bei den drei genannten Stammesgruppen unserem Thema vorausgeschickt wer1
P. M. RASCHER, Baining (Neupommern), Land und Leute, Aschendorff-Münster 1909. Das Buch ist eine Sammlung von Berichten, die bereits viel früher in den Jahrgängen der Hiltruper Monatshefte publiziert worden waren. Der Verfasser starb 1904. 2 Vgl. C. LAUFER, Stammesaufteilung und Siedlungsweise der Baining-Völker, im Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig (XX), Berlin 1964, 84—107 mit Karte auf 87; Derselbe, Die Baining-Stämme in ihrer äußeren Erscheinung, im Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie (39), Zürich 1962-63, 1 9 - 4 3 mit Karte auf 22; Ders., Krankheiten und Heilmittel der Baining, im Bull. Schw. Ges. 1963/64, 15-40.
Die Mandas-Maskenfeier
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den, um sowohl der Gemeinsamkeiten wie auch der Unterschiede dieser Kultfeiern innerhalb der einzelnen Landesteile wenigstens in Kürze Rechnung zu tragen. Vergleichender Überblick über das Baininger Maskenwesen Als erster Autor überhaupt brachte m. W. der Abenteurer W. P O W E L L eine beiläufige Notiz über einen Tanz der Chachet, den er bei einem flüchtigen Besuch bei der Ortschaft Matakanaputa (= Masikondpuka) zu Gesicht bekam. 3 Ausführlich über ein solches Ereignis zu berichten, war aber erst P . M. R A S C H E R in der Lage, der Ende 1895 eine erste Expedition ins Innere dieses Gebietes unternahm, u m sich knapp drei Jahre später als Missionar unter diesem Bergvolk niederzulassen. Aus seiner Hand stammt je ein authentischer Bericht über den Säreigha-Tagestanz und den sog. los-Schlangentanz zur Nachtzeit. 4 Bei diesem einmaligen Augenzeugenbericht ist es so ziemlich bis heute geblieben bis auf eine Ausnahme: U m 1930 herum verfaßte P . J. T H E I L auf Anregung von P . W. S C H M I D T S V D eine eingehende Monographie über den ganzen Verlauf der grandiosen Säreigha-Maskenfeier mit all ihren Zeremonien und Liedtexten. Unglücklicherweise jedoch ging dies wertvolle, zum Druck nach Europa abgesandte Manuskript unterwegs verloren und zu einer nochmaligen Bearbeitung des gesammelten Materials konnte der Verfasser sich später nicht mehr entschließen m i t der Begründung: „Es ist umsonst, da die wenigen Alten, die sich in diesen Dingen noch auskannten, inzwischen schon alle gestorben sind!" 5 3
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W. P O W E L L , Unter den Kannibalen von Neu-Britannien, Leipzig 1884, 174: „Beide Geschlechter trugen bei diesem Tanz zierliche, gefärbte Meßgewänder (ich finde keine bessere Bezeichnung) aus Tapa, Brust, Unterleib und Rücken bedeckend, in der Taille vorn u n d hinten zu einer Schneppe zulaufend, u n d manche trugen nur eine Vorder- oder Rückenhälfte, welche dann mit F ä d e n am Hals u n d an den Armen angebunden waren. Einzelne Männer h a t t e n einen ebenfalls sehr zierlichen u n d b u n t gefärbten Lendenschurz; die vorherrschenden Farben waren schwarz, rot und weiß, nur selten war gelb angewendet." M. R A S C H E R (1. c.) 1909, 186—198, 249—255. So ziemlich alle späteren Autoren über Baining berufen sich auf R A S C H E R . Vgl. F O Y , Tanzobjekte vom BismarckArchipel, Nissan u n d Buka, in Publikationen aus dem Königlichen Ethnographischen Museum zu Dresden (13), Dresden 1900; B. A N K E R M A N N , Eine Tanzmaske der Baining, im Ethnogr. Notizblatt (II, 1), Berlin 1899, 44—48; S A R F E R T , Zwei Bainingmasken, im J a h r b u c h des Städtischen Museums für Völkerkunde (II), Leipzig 1907, 29—32, u. a. m. Besonders R . P A R K I N S O N , Dreißig J a h r e in der Südsee, S t u t t g a r t 1907, zitiert R A S C H E R ausgiebig (613ff.). P . J . T H E I L wirkte von 1925 bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges und später noch einmal mehrere J a h r e hindurch unter den Chachet. 1951 erhielt ich den wissenschaftlichen Nachlaß des in Amerika verstorbenen P . J . M E I E R und fand zu meiner freudigen Überraschung darunter einen Teil der Kladde, die T H E I L ZU seinem verlorengegangenen Manuskript verwendet h a t t e . Der Autor, den ich über seine vergilbten Blätter in K e n n t n i s setzte, gab mir nicht nur seine Erlaubnis, dieses Material auswerten zu dürfen, sondern ergänzte es liebenswürdiger Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, B d . X X V I I
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P . CAKL LAUTER
Verständlich war eine solche Resignation durchaus, denn als ich selbst ein wenig später die Chachet erstmalig zu Gesicht bekam, begegnete ich einem armseligen, mitleiderregenden Volk, das noch immer schwer an der Last seiner Vergangenheit trug: Von der Außenwelt degradiert, ihres inneren gesellschaftlichen Zusammenhaltes beraubt und in ihrer physischen Resistenz gebrochen, waren sie zu in sich gekehrten, verschlossenen, schwermütigen, ja in mancher Hinsicht zu völlig teilnahmslosen Menschen geworden, die für sich nicht mehr viel vom Leben erwarteten, obgleich man sich ein paar Jahrzehnte hindurch mit allen gutgemeinten Mitteln bemüht hatte, ihnen wieder auf die Beine zu helfen. Vom ethnologischen Standpunkt aus gesehen ist es deshalb sicherlich ein Nachteil gewesen, daß die Forschung gerade bei diesen „Aschenbrödeln" im Baininger Gebiet zuerst eingesetzt hatte und auf diese Weise das deprimierende Urteil, das man von ihrem kulturellen Status gewann, für lange Zeit kritiklos auf das Bergvolk in seiner Gesamtheit übertrug, ohne die übrigen Untergruppen überhaupt näher kennengelernt zu haben !6 Etwas besser orientiert wurden wir dann in der Folgezeit über die Sakraltänze der Uramot und Kairak im Zentralgebiet. Hier haben australische Autoren wie W. J. R E A D , G. B A T E S O N and J. P O O L E erstmalig die nächtlichen Schlangentänze (miaus = ios der Chachet) aufgenommen und in der Zeitschrift Oceania publiziert.7 1 9 3 8 legte der Missionar P . A. M A Y K H O F E K eine Beschreibung ihrer weise nachträglich auch noch durch E r k l ä r u n g e n u n d Erweiterungen, so daß ich hoffen k a n n , diese f r ü h e r e n Forschungen T H E I L S bei passender Gelegenheit zu veröffentlichen. I c h selbst habe in den 26 J a h r e n meines Aufenthaltes in Neub r i t a n n i e n keine Maskentänze der Chachet mehr zu Gesicht b e k o m m e n . 0 M. R A S C H E R , der außer zahlreichen anderen linguistischen Arbeiten auch eine G r a m m a t i k („Grundregeln der Bainingsprache", gedruckt in den Mitteilungen des Seminars f ü r orientalische u n d ozeanische Sprachen, Berlin 1904, 31—85) verfaßte, schrieb v o n sich selbst sehr bescheiden: „Zu welchem Zweck diese Tänze aufg e f ü h r t werden, darüber bin ich mir selbst noch nicht im klaren, da ich ja noch zu sehr Anfänger in der Bainingsprache bin u n d die L e u t e noch nicht lange genug in ihrem täglichen Leben u n d Treiben beobachtet h a b e " . U n d : „Soviel ich von den Bainingern erfahren k o n n t e , finden diese Tänze zu E h r e n der Toten s t a t t " (1. c.193). Spätere Schreiber waren in ihrer Beurteilung dieses Problems weit weniger vorsichtig u n d ließen gern ihrer P h a n t a s i e freien Lauf. Mit R e c h t konstatiert E . V A T T E R , Religiöse Plastik der Naturvölker, F r a n k f u r t 1926: E s bleibt „die b e d e u t s a m e Tatsache bestehen, daß sich im E u r o p ä e r u n d im Primitiven zwei verschiedene A r t e n des Denkens u n d Vorstellens gegenübertreten. F r a g e u n d A n t w o r t sind nicht a d ä q u a t , Schlüssel u n d Schloß passen nicht ineinander."" U n d weiter zitiert er den Ausspruch des englischen Missionars F I S O N : „Wenn ein E u r o p ä e r zwei oder drei J a h r e u n t e r Wilden gelebt h a t , ist er sich sicherlich dessen bewußt, daß er sie v o n Grund auf k e n n t ; wenn er etwa zehn J a h r e u n t e r ihnen geweilt h a t , so findet er, wenn er ein guter Beobachter ist, d a ß er sehr wenig v o n ihnen weiß, u n d d a n n erst beginnt er, K l a r h e i t über dies oder jenes zu gewinnen." (23) 7 W . J . READ, A Snake Dance of t h e Baining, in Oceania (II), Sydney, December 1931; G. B A T E S O N , F u r t h e r Notes on a Snake Dance of t h e Baining, Oceania (II),.
Die Mandas-Maskenfeier
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-Mawdas-Tagestänze v o r . 8 D i e D a r s t e l l u n g dieser Ereignisse ist im allgemeinen z w a r z u t r e f f e n d , a b e r i h r e D e u t u n g bleibt n o c h w e i t g e h e n d v a g e u n d u n b e f r i e d i g e n d , e b e n weil die eigentlichen religiösen G r u n d l a g e n dieser F e i e r n k a u m k l a r e r k a n n t w u r d e n . Sehr b e z e i c h n e n d ist die B e m e r k u n g , die R E A D ü b e r sein E r l e b n i s m a c h t e : „ T h e n a t i v e s were v e r y r e l u c t a n t t o disclose m u c h i n f o r m a t i o n . " U n d B A T E S O N schrieb gleicherweise: „ I n g e n e r a l I c a n a d d v e r y little t o w h a t Mr. R E A D s a y s of t h e significance of t h e s e d a n c e s . I could n e v e r collect a n y g e n e r a l s t a t e m e n t e i t h e r t h a t t h e ceremonies were good f o r t h e crops or t h a t t h e y r e f e r r e d t o g h o s t s or a n c e s t o r s . " 9 U n d a u c h M A Y B H O F E R d r ü c k t sich sehr vorsichtig a u s : „ I m g a n z e n g e n o m m e n s c h e i n t es, d a ß d e r Mandas-Tanz wohl ursprünglich mythologische Bedeutung h a t t e u n d auch dem Gedächtnis der Toten galt."10
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March 1932; J . POOLE, Still f u r t h e r Notes on a Snake Dance of t h e Baining, Oceania ( X I I I ) , March 1943. P . A. MAYBHOFER, erster Missionar in Mittel-Baining, schrieb u. a . : Erstlingsf a h r t e n , in Salzburger Monatshefte U L F 1935, Neu-Baining, ebda. 1935 u n d : L a m i n q i , ebda. 1938. Viel zu f r ü h starb auch er einsam u n t e r seinen L e u t e n w ä h r e n d des zweiten Weltkrieges, bevor die japanische Invasionsarmee seine B e r g s t a t i o n besetzte. READ (1. c.) 234; BATESON (1. c.) 337. Letzterer f ä h r t weiter f o r t : „The Baining are n o t an easy people t o work among, a n d though t h e y were keen enough to exhibit their dances a n d masks, t h e y were very unwilling to talk a b o u t their religion" (ebda.). Zwei Seiten weiter formuliert er d a n n seine eigene Meinung: „Thus t h e miaus dances, p a t t e r n s a n d songs contain little direct reference t o such m a t t e r s as are usually included u n d e r t h e heading of ,religion'. E v e n granting t h a t t h e p e r f o r m a n c e has m a n y features which are s y m p t o m a t i c of religion — e. g., t h e exclusion of w o m e n f r o m participation in t h e secrets, t h e outpouring of artistic effort a n d t h e wearing of masks — t h e fact remains t h a t t h e only clear references t o s u p e r n a t u r a l or symbolic m a t t e r s are in t h e vocabulary used for t h e masked f i g u r e s " (338).
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A. MAYBHOFER, L a m i n q i (1. c.), 218. Wie absolut irrig u n d zugleich verletzend das Urteil von sogenannten „ Sight-Seei's" sein k a n n , zeigt ein Beispiel bei M. WRIGHT, T h e Gentle Savage, Melbourne 1966, 106: E i n weißer Pflanzer lud Gäste beiderlei Geschlechts zu einem »waws-Nachttanz der U r a m o t in der N ä h e seiner P l a n t a g e ein. Als ein paar Geister-Darsteller m i t vorgestreckten Sexualatt r a p p e n dabei u m ein loderndes Feuer sprangen, rief eine der D a m e n l a u t : „How positively disgusting! I t should be s t o p p e d ! " Also wurde u n t e r der E m p ö r u n g der Tänzer die V o r f ü h r u n g plötzlich abgebrochen. Auch ich habe diesen Tanz, der sich eigentlich a vungbung n e n n t , schon b e d e u t e n d früher miterlebt u n d durchaus n i c h t obszön g e f u n d e n . Man m u ß wissen, daß ihm — wenn auch in k r a ß z u m A u s d r u c k gebrachter Weise — eine hohe sittliche Idee zugrunde liegt: Die m i t solchen A t t r a p p e n a u s s t a f f i e r t e n Tänzer sollen die bösen Geister der Urzeit darstellen (a singgal), die darauf aus sind, die J u g e n d zu sexuellen Ausschweifungen zu v e r f ü h r e n . L ä ß t diese sich darauf ein, so wird sie selbst zu bösen Geistern, die im F e u e r b r e n n e n müssen, wie das auch praktisch demonstriert wird! Man springt m i t den J u n g e n durch den Scheiterhaufen oder warf f r ü h e r sogar einige größere B u b e n in die Glut!
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P. Cakl L a u f e r
Inzwischen sind wir heutigentags zu der klaren Überzeugung gekommen, daß alle Baining-Gruppen im Gegensatz zu den benachbarten melanesischen Gunantuna ursprünglich nur Sakraltänze besaßen, d. h. allen ihren Festlichkeiten kommt ein religiöser Charakter zu, der natürlich auch soziale und wirtschaftliche Aspekte hat. Um den tieferen Sinn ihrer Maskenfeiern schon an dieser Stelle vorweg zu enthüllen, sei dies betont: Der Baining, der sich bei dieser Gelegenheit einer Maske bedient, identifiziert sich mit dieser so sehr, daß er damit eine fremde Wesenheit inkorporiert, die seine eigene während des Vorstellungsaktes vollkommen ersetzt und verdrängt. Er wird in seiner Überzeugung und auch in der Überzeugung der Zuschauer tatsächlich zu dem Geist, den er darstellt. Es handelt sich dabei immer um eine Heraushebung des Menschen über sein eigenes Ich, um eine sublime Inbeziehungsetzung des betreffenden Individuums zur Welt des Übernatürlichen. I h m ist dabei von vornherein klar, daß ein derartiges mystisches Hinausgehen über sich selbst keinen natürlichen Ursprung haben kann, sondern auf eine Berufung von Seiten eines höchsten Wesens zurückgehen muß, mit ihm zusammen die mystische Vorzeit von neuem mitzuerleben! Und so heißt es dann auch in ihrer Geheimtradition, daß „Er", der die beiden Stammeltern (Gha-mu-majom) erschaffen hat, diese auch als seine Stellvertreter und Hüter der Bundesgeheimnisse eingesetzt hat, die in den jährlich abzuhaltenden Maskenfeiern und den damit verbundenen Jugendweihen niedergelegt sind! Aus diesem Grund besteht für das ganze Volk die Verpflichtung zur Teilnahme an diesen heiligen Riten, die eine immerwährende Neuschöpfung der Natur beinhalten und damit zugleich den Fortbestand des Stammes garantieren.u Am klarsten und unzweideutigsten t r i t t diese Idee noch in Erscheinung bei den Jfa»(ias-Maskentänzern der Mali im Südost-Gebiet, bei denen ich das außergewöhnliche Glück hatte, zu Beginn des Jahres 1953 auf Einladung der Leute von Marungga vier Wochen lang den ganzen Verlauf dieser Feier miterleben zu dürfen, angefangen von der Inklausurierung der jungen Initianden bis zum abschließenden Maskenfest auf dem Dorfplatz dieser Ortschaft. 1 2 Währeno die11
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Mit dem rein religiösen Inhalt dieser Maskenfeier verbinden sieh demgemäß auch noch Elemente aus dem sozialen und wirtschaftlichen Bereich wie die Jugendinitiation als Zeichen der Erreichung voller Stammesmitgliedschaft und die Beeinflussung der Fruchtbarkeit von Jagdwild und Feldern, denn die ganze Welt wird als eine Schöpfung, also als eine in sich geschlossene Einheit aufgefaßt. Der Anlaß dazu war folgender gewesen: Im Seminar zu Vunapope hatte ich mehrere Jahre hindurch vor Studenten aus Neubritannien, Papua und den Salomonen unter anderem auch Religionswissenschaft doziert. Unter ihnen befanden sich auch die beiden Neuankömmlinge Setavo und Merpesachong aus SüdostBaining, mit denen ich wegen ihrer anfänglichen Scheuheit eine besondere Freundschaft schloß, so daß sie mir nach und nach auch alles, was ihre eigene Jugendweihe betraf, vertrauensvoll offenbarten. Als beide nach Kriegsschluß nach Hause in die Ferien gingen, beeinflußten sie ihre Stammesangehörigen so sehr zu meinen Gunsten, daß diese mich zur Teilnahme an der erstmals wieder in Marungga stattfindenden Mandas-Feier baten, wo ich vom ersten Tage an von ihnen wie ein
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ser Zeit verbrachte ich fast jede erste Nachthälfte, so oft nur das Wetter es zuließ, im abgelegenen Ghusak, dem Versammlungsplatz der alten Männer im Busch, wo ich v o n ihnen Aufschluß über ihre Schöpfungsmythen erhielt und tagsüber in die Herstellung und Bedeutung der einzelnen Maskenformen eingeweiht wurde, ja sogar dabei mithelfen durfte. I m Gegensatz zu den Chachet sind die Mali ein freies und v o n der Außenwelt kaum wesentlich beeinflußtes Volk geblieben, weit aufgeschlossener und froher als ihre westlichen Nachbarn, obschon auch sie während des letzten Krieges v o n Seiten d er japanischen Invasionsarmee Schweres zu erdulden gehabt hatten. 1 3 Von ihnen soll nun im folgenden die Rede sein, nachdem ich schon früher meine ersten Eindrücke und Erfahrungen in zwei längeren Arbeiten niedergelegt hatte. 1 ' 1 Die sozialen Aspekte der Jugendinitiation Es scheint mir angebracht, zunächst auf den von Außenseitern für mehr profan gehaltenen Sinn der Jugendweihe einzugehen und erst im weiteren Verlauf des Berichtes die dem Maskenwesen zugrunde liegenden Mythen zu erörtern, u m die Beschreibung des Verlaufs der Feier nicht nochmals unterbrechen zu müssen. 1 5 Die Mali teilen sich in zwei geographisch voneinander geschiedene Stammeshälften: in die Raungta (oder „Busch"-Mali), wohnhaft in den zurückliegenden F r e u n d u n d nicht als unbeliebter Fremder behandelt wurde und selbst bei den Festvorbereitungen mithelfen durfte. 13 Auf den bloßen Verdacht hin, mit australischen Spionen konspiriert zu haben, stellten die J a p a n e r die gesamte Bevölkerung zweier Ortschaften erbarmungslos vor ihre Maschinengewehre, wobei nur ein alter Mann namens Buruilc entkam, der seitdem zeitweilig an so schweren Depressionen litt, daß er wochenlang allein in die Wildnis des Urwaldes flüchtete, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt h a t t e . 14 Vgl. C. L Ä U F E R , Rigenmucha, das Höchste Wesen der Baining, in Anthropos (41—44), 1946—49, 497—560; Derselbe, Jugendinitiation u n d Sakraltänze der Baining, Anthropos (54) 1959, 905—938. Eine weitere Arbeit über die religiösen Vorstellungen der Baining wird in nächster Zeit ebenfalls im Anthropos erscheinen. 15 Was n u n im folgenden über die sozialen Verhältnisse gesagt werden wird, bezieht sich nur auf die Südost-Gruppe, denn infolge der Zerrüttung ihrer gesamten Stammesorganisation h a t t e n die Chachet im Nordwesten bereits vor der J a h r hundertwende ihre Aufteilung in Totemklans verloren u n d leben seitdem „systemlos", u m einen Ausdruck T H E I L S ZU gebrauchen. Doch erfuhr P . L . B R E N N I N K M E Y E B , daß sich u m 1945 in der Landschaft Randulit noch einige alte Leute an das Bestehen ehemaliger Totemgruppen erinnerten, denen heutzutage allerdings keine praktische Bedeutung mehr zukommt. Der Zerfall der Klanordnung ist sicherlich dafür verantwortlich zu machen, daß die Chachet in einem fast zur Regel gewordenen Austausch von Kleinkindern einen Ersatz f ü r ihre einstige, jetzt verlorengegangene Heiratsregulierung gesucht haben u n d auch fanden: U m die Familien zu gegenseitigem Beistand fester miteinander zu verbinden, wurden die eigenen Kinder gegen fremde ausgetauscht u n d dies nicht nur einmal, sondern oft mehrfach, u m die betreffenden Austauschfamilien aneinander zu ketten.
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Dörfern Laminggi, Kumbachem, Konumba, Ulacham, Aringgi, Segdambu, Maranächi, Suruchi usw., aufgeteilt in zwei Totems Karuoika-Sporenkukuk (Gentropus ateralbus) und Langerka-Edelpapagei (Electus pectoralis). D e m entsprechend unterscheiden sich auch die Mbilta (oder „Ufer"-Mali) in ihren zwei Totems, von denen der Marupki-Kla,n in Soadong, Mrei, Ulanggi, Mangau und Iii beheimatet ist und der Kalcha-Klan in den Plätzen Kiviringia, Kilingia und Marungga. 1 6 Eine Ehe war nur gültig zwischen zwei Personen verschiedener Totems, doch lag kein besonderes Verbot vor, das eine Heirat zwischen Buschund Uferbewohnern untersagte. Aber in alter Zeit kamen derartige Verbindungen nicht allzui, häufig zustande, weil die Alten ihre Kinder nicht zu weit v o n sich wegziehen lassen wollten. Heutigentags ist natürlich auch in dieser Hinsicht schon eine Änderung der früheren Gewohnheit eingetreten. 1 7 Aber jede Liaison zwischen Angehörigen des gleichen Totems gilt noch jetzt als Inzest, der als der Stammesmoral widersprechend von allen verurteilt und rigoros bestraft werden würde. 18 I m allgemeinen werden zwei Kinder v o n ihren Eltern schon sehr früh füreinander zur Ehe bestimmt, und zwar nach folgendem Prinzip: Ein Junge v o m 16
Vgl. C . L ä u f e r , Stammesaufteilung . . . (1. c.), 9 2 — 9 4 . Außerdem liegt von mir eine ausführliche Arbeit über „Ehe und Familie in Baining" seit geraumer Zeit im Anthropos-Institut u n d wartet auf ihre Veröffentlichung. Deshalb mögen hier kurz die sozialen Verhältnisse der Südost-Gruppe erläutert werden: Die aufgeführten Heiratsklans n e n n t m a n nengpes u n d sagt z. B.: „ngoa nengpes", was soviel bedeutet wie „meine Totemgruppe", „mein Anteil". Noch gebräuchlicher ist der Ausdruck „ngu ieilc", d. h. „mein U r a h n mütterlicherseits". Alle jene, die einen andern „Urahn" haben, gelten als Außenstehende (a naingista, sing, naingisha), die bei den Festen wohl gastlich bewirtet werden, aber doch längst nicht auf der gleichen Stufe stehen wie die „a rua/oek", die als „Bruder" (a ruacha) oder „Schwester" (a ruäichi) ein u n d derselben Großfamilie betrachtet u n d geliebt werden. Einer Mythe zufolge bestand diese Totem-Organisation im Anbeginn noch nicht, sondern wurde erst später eingesetzt durch Namucha, einen Boten Rigenmuchas, der zur Befriedung der Nachkommen des ersten Menschenpaares, die wegen Weibergeschichten untereinander in Streit geraten waren, zur Erde geschickt wurde. Noch heute k a n n man die U r a m o t sagen hören, wenn sie zwei verfeindete Klanverwandte zur Vernunft bringen wollen: „Warum seid Ihr E u c h feind, da I h r doch den gleichen ieik h a b t ! "
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Dazu h a t die Mission nicht unwesentlich beigetragen, da ihr daran gelegen ist, unter W a h r u n g der Totemregulierung die kleinen, weitverstreuten Stammesgruppen zu einer größeren Einheit zusammenzuschmelzen, u m den negativen Einwirkungen der neuen Zeit besser widerstehen zu können. Blutschänder heißen bei den Mali a sursneska (m) bzw. sursneski (w) u n d die Blut-, schände selbst a sursnas. Früher wurden solche Delinquenten von ihren nächsten Verwandten aus Scham ums Leben gebracht, heute, wo die Regierung ein solches Vergehen untersagt h a t , erhalten die Schuldigen von ihren Angehörigen mindestens eine gehörige Tracht Prügel. Hiebe gibt es übrigens auch schon f ü r unmündige Kinder, die bei einer solchen gemeinsamen sexuellen Spielerei ertappt wurden.
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Totem A bekommt ein Mädchen vom Totem B und deren Bruder (im weiteren Sinne) im Austausch wieder eine Braut aus der Familie des Totems A. Natürlich kommt es bei diesem Modus nicht selten vor, daß wegen des Altersunterschiedes der eine Teil längere Zeit auf einen Partner warten muß, aber die Vereinbarung von Seiten der beiden Familien liegt auf jeden Fall schon fest. Hier ist nicht der Ort, auf alle möglichen Einzelfälle der Gattenwahl näher einzugehen. Nur soviel mag gesagt sein, daß die kreuzweise Verbindung zwischen „Schwägern" und „Schwägerinnen" für die Baining die ideale Lösung darstellt, und damit treten bei den Jugendweihen die beiderseitigen „Schwiegerväter" als Paten in den Vordergrund des Interesses: Niemals kann ein Vater den eigenen Sohn zur Einweihung führen, sondern normalerweise fällt diese Rolle dem künftigen Schwiegervater des Jungen zu, und beide gehen bei dieser Gelegenheit einen lebenslänglichen Freundschaftsbund ein. Das zeigt sich schon in der Neuformulierung der gegenseitigen Anrede: Fortan spricht der Initiand seinen Paten nur noch mit dem Titel „Vater der NN (Name dessen Tochter)" an, während der künftige Schwiegervater sein Patenkind mit „Bruder der NN (Name der in Frage kommenden Schwester des Jungen)" tituliert. Diese Umschreibung heißt a sarirmenga und ist für beide Teile verpflichtend. 19 Damit sind wir nun zum eigentlichen Thema gekommen: Der Pate nimmt von nun an sein Patenkind unter seinen besonderen Schutz, tritt im Notfall immer für ihn ein und stellt sich ihm während der vierwöchigen Klausur als Helfer und Berater zur Seite. Während der Mandas-Feier erhält der Initiand von der Gattin seines Paten, der künftigen Schwiegermutter also, einen neugewirkten bunten .RaZfa-Netzbeutel zum Geschenk, und er selbst hat nach Schluß der Jugendweihe seinem Paten für die geleisteten Dienste ebenfalls ein Präsent zu machen, das ihm — falls er noch klein ist — seine Eltern vorstrecken; meist ein Schwein oder auch — wie es heute schon vorkommt — eine Geldsumme im Wert von zwei 19
Die nach europäischen Begriffen äußerst verzwickten Verwandtschaftsbeziehungen wurden bei den Chachet für einen Außenstehenden völlig undurchsichtig wegen der schon erwähnten, im Exzeß verbreiteten Sitte des Kinderaustausches unter den Familien. Eine solche Adoption, a tingtingiem ma nana genannt, hatte nämlich zur Folge, daß ein Kleinkind unter Umständen zu 3—4 Adoptiveltern der Reihe nach kam, die alle als die „richtigen Eltern" angesehen wurden. Auf diese Weise erwuchsen dem betreffenden Knaben oder Mädchen für eine spätere Partnerwahl natürlich eine Unmenge von Heiratstabus. Sobald es bei zwei Ehekandidaten hieß, die Eltern der beiden seien miteinander verwandt (ajen a matta a ruavek. nara), war jede Vermählung aussichtslos. Erst die Mission'hat diesen komplizierten Verhältnissen ein Ende bereitet. Bei den Südost-Baining liegen die Verhältnisse von jeher klarer. Hier kommt es normalerweise nur in solchen Fällen zu Adoption, wenn eine verheiratete Frau mehrere Kinder hat und ihre „Schwägerin" keines aufzuziehen imstande ist. Dann übernimmt letztere von der ersteren ein schon kräftiger entwickeltes Kind oder übergibt ihr eigenes Neugeborenes der anderen frühzeitig genug zur Aufzucht. Es würde zu weit führen, hier auch noch auf die Ehen von Witwern oder „Spätberufenen" einzugehen.
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australischen Pfund. Sollte der Novize während der Klausurzeit sich den Weisungen seines Paten nicht fügen, so erhält er von diesem unter Umständen eine Buße auferlegt, oder aber er bezieht Hiebe durch eine Art „Ordnungspolizei" (a vangka), von der gleich noch die Rede sein wird. Das Alter für die Teilnahme an der Jugend initiation kann bei den einzelnen Jungen oft recht verschieden sein. Besitzt einer bereits eine verheiratete Schwester, so kommt er eher an die Reihe als einer, der noch keine hat oder nur eine kleine, noch unmündige; in letzterem Falle muß er manchmal lange warten und benutzt in heutiger Zeit darum meist den Ausweg, daß er für einige Jahre auf eine Plantage zur Arbeit geht. Durchweg sind alle Kandidaten, die zur Initiation kommen, schon puber, da sie vom ersten Anzeichen erlangter Geschlechtsreife an das elterliche Heim verlassen und ins Männerhaus (a bangka ama chomeska) übersiedeln müssen. Mit Mädchen dürfen sie sich unter keinen Umständen einlassen und selbst gewisse Tändeleien zwischen Kleinkindern werden von den Erwachsenen sehr streng bestraft, weshalb sich beide Geschlechter schon ganz von selbst vor gegenseitigen Intimitäten hüten. Trotzdem herrscht unter ihnen absolut keine unnatürlich wirkende Absonderung oder gar pharisäische Meidung des anderen Geschlechts, weil eben jedes Familienmitglied von klein auf dazu erzogen wird, das andere zu achten und nicht zu beleidigen, ein Verhalten, das auf jeden Fremden vom ersten Tage seines Aufenthaltes unter diesen Leuten so ungemein sympathisch wirkt. 20 Die Klausur der Novizen In jedem Jahr findet im Mali-Gebiet einmal eine Jugendweihe mit den damit verbundenen Mandas-Tänzen statt, und zwar lösen sich dabei die einzelnen Ortschaften in einer bestimmten Reihenfolge ab, indes alle Dörfer ihre dafür ausersehenen Kandidaten zur Teilnahme an diesen Platz entsenden. Der Beginn dieser Feiern fällt in die Zeit nach der Wintersonnenwende, also in den Januar, wenn die Sonne nach dem Solstitium wieder merklich aus dem Süden aufwärts steigt. Das ist zugleich auch die Haupterntezeit für die Taros, die das „tägliche Brot" für die Baining darstellen, wie sie selbst angeben. 21 Schon längere Zeit 20
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Besonders auffallend ist die Achtung und das Entgegenkommen älteren Frauen gegenüber, ein Verhalten, wie ich es kaum jemals in dem Maße bei anderen Stämmen Neubritanniens gefunden habe. I m alltäglichen Dorfleben sind die Matronen tonangebend und werden selbst bei den öffentlichen Festen oft von den alten Herren konsultiert, wobei ein energisches Kopfschütteln — anders als bei uns — immer eine Zustimmung bedeutet! Sie drängen sich jedoch niemals in den Vordergrund, sondern warten in ihrer stillen, bescheidenen Art, bis man sie fragt. Bereitwillig hockten sie sich an manchen Abenden zusammen und sangen mir auf meine Bitte die Lieder vor, die sie bei den einzelnen Maskenauftritten vorzutragen hatten. Man sagt, daß in der zweiten Jahreshälfte der Stammvater Damki, der die Sonne trägt-, und die Stammutter Dam, die den Mond in der Hand hält, immer schneller nach Süden wandern, um dann zu Anfang des neuen Jahres von dort schwer mit
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vorher hat der Ältestenrat des für die Maskenfeier in Betracht kommenden Dorfes die übrigen Ortschaften über den Tag der Einführung in das Noviziat in Kenntnis gesetzt und dafür gesorgt, daß die Jungen mit ihren Paten und auch die vielleicht auswärts auf Plantagen arbeitenden Burschen rechtzeitig zur Stelle sind und bei d er Ankunft zunächst im Männerhaus des Dorfes Aufnahme finden. Inzwischen hat m a n auch bereits mit der Vorarbeit für Maskenherstellung begonnen, nachdem in den vorausgegangenen Wochen der TaywIBaststoif zubereitet und alles übrige Material wie Bambus, Binde- und Nähgarn zusammengetragen wurde. Der private Versammlungsplatz der Festveranstalter liegt unweit des Dorfes im Busch versteckt und heißt Ghusak. Darauf erhebt sich ein großer kegelförmiger R u n d b a u (a bangka nanicha mandas), um den herum als Arbeitsstätten einfache Windschirme (a chatnamet) errichtet sind, die Schutz gegen das in dieser Jahreszeit oft einsetzende Regenwetter bieten. 22 I n der Nacht vor dem festgesetzten Termin beginnen die Männer im Ghusak zu singen und mit Bambusrohren im Takt den Boden zu stoßen, wobei sie sich mit den Frauen in den Gehöften abwechseln, die ihnen mit ihrem Gesang Antwort geben. Am anderen Morgen betritt der Dorfhäuptling das Männerhaus und r u f t die Kandidaten einzeln beim Namen heraus, um ihnen ihre Paten vorzustellen. Diese nun führen ihre Schützlinge an eine entlegene Stelle im Busch, wo sie ihr Noviziat absolvieren müssen. Über jeden einzelnen wird ein Schutzzauber gemacht, indem man ihm Stirn, Brust und Rücken mit Kalkstaub und Ingwerknollen einreibt, wobei der Häuptling sagt: „Von jetzt an seid Ihr „Ireng" und d ü r f t nicht mehr ins Dorf zu den Nichteingeweihten zurück!" A ireng sind flügellose Stab- oder Gespensterheuschrecken (Eurycantha horrida), die im Laub der Bäume verborgen leben; kommen sie aber einmal auf den Erdboden herunter, so müssen sie sterben. Das ist demnach eine Warnung an die Burschen, fortan ihre Klausur nicht mehr zu verlassen! 23 Weiter wird ihnen eingeTaros beladen wieder nach Baining zurückzukehren. Darum feiern die Chachet und die Zentral-Baining beider Abschied im Spätherbst mit Nachttänzen und Schlangen, um damit den dunklen, chaotischen Urzustand und in den sich häutenden Reptilien die Verheißung des kommenden ewigen Lebens zu symbolisieren. Diese Art von Mambucha-Tänzen (Chachet) oder Vungbung-Tänzen (Uramot-Kairak), deren Beschreibung ich mir für eine andere Gelegenheit aufspare, habe ich bei den Mali selbst nie vorgefunden. 22 Die Herstellungsweise von Tapa-Rindenstoff (a simal) und der Gebrauch der verschiedenen Handwerkszeuge und Materialien brauchen hier nicht weiter besprochen zu werden, da über diese Dinge schon ein ausführlicher Artikel vorliegt. Siehe C. LÄUFER, Handwerkliche Fertigkeiten der Baining, in Acta Ethnographica (XIV, 1 - 2 ) , Budapest 1965, 179-191. 2:1 U m diese Warnung niemals zu vergessen, heißen die Kandidaten fortan selbst „Ireng" und müssen sich gegenseitig so nennen, dürfen sich also nicht mehr mit ihrem persönlichen Namen anreden, zumal dieses Insekt während der Klausur auch einen Bestandteil ihrer täglichen Nahrung bildet. Die etwa 20 cm langen Tiere werden gegessen, nachdem man sie über einem Holzfeuer leicht angeröstet hat.
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schärft: „Ihr dürft nicht lügen, nicht stehlen, Euren Paten nicht ungehorsam sein und nicht später den Frauen erzählen, was jetzt vor sich geht!" Auch das sind wahrhaftig keine leeren Drohungen, wie man sofort sehen wird. Auf ihrem Weg in die Klausur macht die Prozession auf einmal an einer kleinen Lichtung Halt, wo sie von sogenannten wm-Geistern (sing, vangka) erwartet wird. Das sind mit einem Blätterumhang (a merang) bekleidete Männer, die auf dem Kopf einen H u t gleich einem umgedrehten Trichter tragen, der früher mit Zungenblut vollkommen rot bespuckt wurde; das Blut gewann man, indem sich der betreffende Träger mit einem scharfen Blattrand quer über die Zunge schnitt (a tire augoltaing). Heute verwendet man statt dessen den roten Blütenstaub von Bixa orellana. J e nach der Herstellungsweise unterscheidet man zweierlei Arten von „Helmen": a chesoki besteht aus einem Rotangring, dessen kegelförmiges Gerüst mit Basttuch überspannt ist; darüber liegen von der Spitze herab mehrere Schichten von Buschblättern, a ngraun genannt, während beim a ilotka zur Bedeckung weichgeklopfte Rinden von Baumarten wie a tavacha, ngalauvanotka oder ngulemneski verwendet werden. Vom vorderen Hutrand fällt ein altes Ralka-Netz über das Gesicht des Trägers bis auf die Schultern hinab und zeigt als Nase eine aufgenähte Porzellanschnecke (a kulumgha). Die Waden der so Vermummten sind mit Farnkraut umwickelt, und in den Händen halten sie ein Bündel Gerten von etwa 3,50 m Länge. Jeder Vangka nimmt sich nun einen Kandidaten vor, der beide Arme über den Kopf heben muß, und peitscht dessen Oberkörper so, daß bei jedem Hieb um Rücken und Brust eine Rute zerbricht. Wird ein Junge bei dieser Prozedur schwach, so schiebt ihn sein Pate zur Seite und nimmt an seiner Stelle die noch verbleibende Anzahl von Streichen auf sich. Kein Kandidat darf während dieser Geißelung (a venbönos) einen Schmerzenslaut von sich geben, denn die vorausgegangene Kalk-Ingwer-Zauberei hatte ja den Zweck, ihn mannhaft und stark zu machen. 24 Ist dieser grausame Auftritt endlich vorbei, so verschwinden die Flagellanten im Gebüsch, und die Novizen werden noch ein Stück weiter in den Wald geführt, wo sie unter Anleitung der Paten jetzt eine kleine Rodung anlegen und für ihren eigenen Bedarf mit primitiven Wind schirmen ausstatten müssen. Alle Arbeiten geschehen gemeinsam: Gemeinsam bauen sie ihre Unterschlupfe (a chatnamet), gemeinsam gehen sie zum Wasserschöpfen und zum Baden, zur Nahrungssuche und zum Fang der ireng-Stabheuschrecken, deren Genuß manch einem im Anfang noch Übelkeit verursacht, bis sie sich langsam an diese Kost gewöhnt haben. Selbstverständlich haben alle Frauen ihr Lager zu meiden, 2
'* U m die J u n g e n bei der Geißelung nicht auf gefährliche Weise zu verletzen, werden die Gerten (a mambel) an der Spitze der Länge n a c h ein Stück eingeschnitten, so d a ß sie beim Aufschlag zwar gehörig klatschen, aber nicht in die H a u t einschneiden. Allerdings gibt es auch trotz dieser Vorsichtsmaßnahme bei den so Malträtierten immer noch genug Schwellungen u n d Verletzungen geringerer Art, weshalb die Mission später die L e u t e dazu überredet h a t , diese Prozedur auf ein Mindestmaß zu beschränken.
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ebenso wie es den abgesonderten Burschen verboten ist, sich dem Dorf zu nähern. 2 5 Sehr strenge Vorschriften bestehen für die Inklausurierten auch hinsichtlich des Fastens und der Abstinenz. Ra ter ka ngovangirong heißt: „Sie meiden 1 folgende Speisen wie ausgewachsene Taros (a not), die auf heißen Steinen gebraten werden (erlaubt sind ihnen nur a dirong, kleine Knollen, die sich über Holzfeuer rösten lassen), geräuchertes Schweinefleisch (a selik ama ngamos), Flußgarneelen (a uren), Blätterspinat aus Abelmoschus esculentus (a chiel), lange und kurzknotige Zuckerrohrarten (a laver und nireng), zwei wilde Saccharum-Arten {a chenang und mundik), zwei Bananensorten (a tanggam und merairas), zwei Yamsarten (a narek und merang) sowie die Käferlarven a serong. Erlaubt sind ihnen dagegen Gemüse aus a uras (großentfaltete Taroblätter) und a ehandairong (junge, noch zusammengerollte Blätter dieser Pflanze). Zum Teil müssen sich die Novizen tagsüber ihr tägliches Essen selbst suchen, zum Teil erhalten sie es abends von den älteren Männern im Chusak, die es von den Frauen bekommen. 2e So sind die jungen Leute fast den ganzen Tag über irgendwie 1 -beschäftigt, um für ihre bescheidenen Lebensbedürfnisse aufzukommen. Ihre Paten freilich sind nicht an die vielerlei Verbote ihrer Schützlinge gebunden! Die Unterweisung der Novizen Allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit erhalten die Initianten im Beisein ihrer Paten gut zwei Stunden lang von einem oder zwei greisen Experten (a ngungpracha) in einer antiquierten Sprache, einen erstmaligen Unterricht über die heiligen Stammestraditionen, deren Sinn ihnen anschließend im heutigen Idiom erklärt wird: Über die Person und die Eigenschaften ihres Schöpfers Rigenmucha, die Erschaffung des ersten Menschenpaares, die Einsetzung der altehrwürdigen Kulthandlungen und der ethischen Verhaltungsmaßregeln für den einzelnen' wie für das ganze Volk und zum Schluß auch über die Bedeutung der verschiedenen Mandas-Ma,sken, mit denen die Novizen selbst bald auftreten 25
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Falls die uan-Geister merken, daß ein Novize durch Abwesenheit glänzt — was in heutiger Zeit schon leichter einmal vorkommen kann — dpnn durchstreifen sie nachts das Dorf. Sollte ein Junge sich heimlich zu den Hütten zurückgeschlichen haben, so nimmt er schleunigst Reißaus. Die Familienhütten selbst darf kein vangka betreten. Nur alte Frauen dürfen sich nach Anbruch der Dunkelheit noch draußen im Freien aufhalten. Werden Kleinkinder noch angetroffen, so erhalten sie Prügel. Zum Abendessen trommeln die Männer im Chusak mit ihren Bambusrohren auf den Erdboden oder blasen scheppernde peipei-Bambusflötcn, deren Mundstücke nach oben hin flach geschabt und eingeschnitten sind. Das ist für die Frauen im Dorf das Signal, das aus Feldfrüchten, Gemüsearten und Fleisch zubereitete Mahl an eine bestimmte Stelle in der Nähe des Versammlungsplatzes zu schaffen, wo der Proviant von den wartenden Männern abgeholt wird. Das für die Novizen bestimmte Quantum an rohen Nahrungsmitteln wird in den Busch zum Lagerplatz der Jungen gebracht, die ihre Kost selbst herrichten müssen.
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werden. Selbstverständlich darf man nicht erwarten, daß dieser Unterricht nach, einem systematisch aufgebauten Lehrplan erfolgt, vielmehr ist es so, daß der Lehrer zwischendurch oft genug Themen einschaltet, die sich gerade aus aktuellen Tagesereignissen ergeben und von den alten Herren im Ghusak bei der Herstellung der Tanzmasken vorher besprochen wurden. Da ich schon früher an. anderer Stelle den ganzen Fragenkomplex der Ursprungsmythen in seiner Gesamtheit dargestellt habe, soll jetzt im folgenden nur das Allerwesentlichste kurz, wiederholt werden, soweit es im Rahmen dieser Arbeit für das Verständnis notwendig ist. 27 Rigenmucha, der Ursprungslose, der auch als der Mächtige (Morka), der Erhabene (Särucha), der droben über dem Himmelsgewölbe Herrschende (Bucha ka vuk) und als der überall zugleich Seiende (Oha re metka lochup) angeredet wird,, schuf im Anbeginn durch sein bloßes Wort (a meramon) zuerst die noch öde, unbelebte Erde (a ivitki klan), dann die beiden großen Gestirne Sonne (a chunungka) und Mond (a jachongki) und zuletzt das erste Menschenpaar Damki (m)> und Dam (w). Diesen beiden Menschen und ihren Nachkommen (a ruis) gab er sein Gesetz (a rodemka), so wie es jetzt bei der Jugendweihe den Anwesenden verkündet wird. Als unmündige Kinder (a subamka) brauchten sie es noch nicht im einzelnen zu kennen, aber jetzt als Erwachsene (a cherotka) und baldige Vollmitglieder des Stammes sind sie an dieses Gottesgesetz gebunden bis zum Tode, d enn all ihr Tun und Lassen muß ausgerichtet sein auf den, der immer da war und überall zugegen ist! Als seinen ersten sichtbaren Vertreter hier auf Erden hat Rigenmucha den Stammeltern (Chamumaiom) und ihren Nachfahren die vernünftige Seele (a chloachacha) durch die Fontanellen in den stofflichen Körper (a ngendeng) gelegt, damit die Menschen ihm dadurch ähnlich seien. Aber schon unter den ersten Kulturheroenbrüdern ist der Ungehorsam und damit der Tod in die Welt gekommen. Wer nicht gehorcht, wird im Tode zu einem bösen Geist (a singgalka), wer dagegen das Böse (a slavocha, pl. slavo) meidet, wird als ein leuchtender Stern in Glück und Frieden am Firmament weiterleben.28 27
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V g l . C. LAUFES,, Der Gottesglaube der Mali (530—534) u n d der Gottesglaube d e r U r a m o t (509—513) in: Rigenmucha, das H ö c h s t e W e s e n der B a i n i n g , A n t h r o p o s 1946/49. N o c h genauere D a t e n über das T h e m a b r i n g t ein V o r t r a g , betitelt „ D i e religiösen Lebensgrundlagen der B a i n i n g " , den ich a m 2 4 . Oktober 1 9 6 8 im R a h m e n der Colloquia E t h n o l o g i c a zu St. A u g u s t i n hielt u n d der nächstens a u c h noch i m A n t h r o p o s erscheinen wird. Zur N a m e n s e r k l ä r u n g dies: D i e B a i n i n g - S p r a c h e k e n n t für die N o m i n a keine P a s s i v f o r m , sondern d r ü c k t sich immer durch das A k t i v aus. So b e d e u t e t der N a m e Rigen-mu-cha wörtlich: „ N i e m a n d h a t g e m a c h t i h n " , also „der U n e r s c h a f f e n e " i m Gegensatz zu Cha-mu-macha = „ E r h a t g e m a c h t den (ersten) M a n n " u n d Cha-mu-maicha = „ E r h a t g e m a c h t den (ersten) M a n n " und Chamu-maichi — „ E r h a t g e m a c h t die (erste) F r a u " , also die beiden v o n i h m „ E r schaffenen TJreltern" (Cha-mu-mcriom)! Der U r v a t e r erhält den N a m e n Damki, d. h. „der große F e l s " , weil er die Grundlage für das ganze Menschengeschlecht darstellt. Jeder gewöhnliche Stein heißt a damka, aber zur Intensivierung seiner
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Von großer Bedeutung ist weiterhin auch der Unterricht über die Einsetzung •der Jugendweihen und der damit Hand in Hand gehenden Maskenfeiern. Da heißt es beispielsweise: Im Anbeginn wurden beide Stammeseltern vom Schöpfer damit beauftragt, die Überlieferungen in feierlichem Ritus an ihre Nachkommen weiterzugeben. Das geschah denn auch, indem der Urvater seine Söhne -und die Urmutter ihre Töchter in die heiligen Satzungen einführte. Als aber Damlci, der Ahnherr, vor seiner Gattin das Zeitliche segnete, ging die ganze Sorge für die Erhaltung der religiösen Traditionen auf diese allein über. Die kulturhistorische Bedeutung dieser Tatsache läßt sich noch heute in den folgenden Mythen erkennen, die mir in Marungga mitgeteilt wurden: „Vor urdenkli•chen Zeiten war ein Bainingweib damit beschäftigt, Feuerholz zu spalten, und bei dieser Arbeit flog plötzlich ein Splint wirbelnd und brausend durch die Luft. Darüber erstaunt probierte die Frau den Vorgang noch einmal aus mit dem gleichen Erfolg. Sie machte sich diese neue Entdeckung zunutze, stellt das erste Schwirrholz (a salecha) her und erschreckte damit die Männerwelt. Doch ein neugieriger Kerl kam schließlich hinter den Trick; er tötete diese Frau und zeigte das Schwirrholz seinen Genossen, die nun ihrerseits die Unkenntnis der übrigen Frauen ausnützten, um ihnen mit diesem Ding einen Schrecken einzujagen". Auch die Entdeckung der hochroten Farbe aus Blut, die zur Maskenbemalung gebraucht wird, hält man den Frauen zugute. Derlei Erzählungen scheinen aber nur zusammenhanglose Ausschnitte aus einem großen, einheitlichen Mythos zu sein, der diesen Inhalt h a t : Tatsache bleibt, daß die Urmutter wegen ihrer einzigartigen Stellung zu allen Zeiten beim Bainingvolk eine immense Würde besaß und große Verehrung genoß, und daß dies heute noch der Fall ist. Wird sie doch im Liede besungen als die mächtige Herrin und Gebieterin (Säraighi) und als das große Tor, „daraus alles Leben hervorgeht"! Noch in unseren Tagen gilt der Tanzplatz für die Mandas-Masken als ihr „Mutterschoß", aus dem die Jugend zur Vollmitgliedschaft des Stammes wiedergeboren wird. Ihre Maske ist unter allen anderen Arten die vornehmste und beherrscht den ganzen Verlauf der intertribalen Gemeinschaftsfeiern. Ihr wird das Zustandekommen aller damit verbundenen Zeremonien und religiösen Symbole zugeschrieben. Wenn es eben hieß, daß jene Frau, die das Schwirrholz erfand, dafür getötet wurde, so trifft das nicht im "wörtlichen Sinne auf die Urmutter zu, sondern soll einfach bedeuten: Ihre weiblichen Nachkommen verzichteten zugunsten der Männer auf den Besitz dieses •Geheimnisses! Denn in der Mythe heißt es weiter: Die Frauen, die zu Beginn noch die Initiationsriten leiteten, wurden wegen der langen Vorbereitungen der Sache überdrüssig und kamen zu der Ansicht, daß die Männer wohl besser imGröße u n d Einmaligkeit wird n a c h der grammatikalischen Regel das Personalsuffix -ka durch -ki ersetzt! Der N a m e Dam für die U r m u t t e r ist eine Pluralform u n d b e d e u t e t einfach „Steine" u n d hier als P e r s o n e n n a m e soviel wie etwa „Mutter der Unvergänglichen". Speziell im mythischen Bereich d r ü c k t sich der Baining vornehmlich in Symbolen aus, die für Europäer ohne nähere E r k l ä r u n g oft schwer verständlich sind.
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Stande seien, diese Arbeiten zu bewältigen. Darum übergaben sie ihnen schließlich die ganze Angelegenheit und behielten nur einen kleinen Sektor daraus für sich selbst. Dafür werden sie noch heutigentags von den Männern hochgeachtet !29 Über den Moralunterricht ist bei der Einführung der Ireng-Novizen in die Klausur schon einiges gesagt worden, darum können wir uns hier auf die Wiedergabe einiger anderer wichtiger Verbote beschränken: Der N a m e Rigenmuchas ist so heilig, daß er niemals müßig ausgesprochen werden darf, vor Stammesfremden überhaupt nicht. Wenn m a n über Eigenmucha oder die großen Stammesahnen redet, so darf das nur nach Anbruch der Dunkelheit geschehen, d e n n die Nacht gehört den Geistern! Wer bei Rigenmuchas oder des Stammvaters N a m e n schwört, ist in jedem Fall zur Wahrheit und zur Einhaltung des Eides, verpflichtet. Einem Mitmenschen durch Mord oder Pluchzauberei das Leben zu nehmen, ist ein schweres Vergehen gegen den Schöpfer selbst, cfer allein Herr über Leben und Tod ist. Keine Sünde ist es dagegen, wenn Ehefrauen ihren Gatten oder Kinder ihren Eltern in den Tod folgen, denn so etwas geschieht nur aus Mitleid und Liebe. Ebenso ist es kein Verbrechen, wenn auf einen Stammesbeschluß hin ein eklatanter Frevel gesühnt werden muß, denn das verlangt die allgemeine Gerechtigkeit und Sicherheit. Deshalb werden bei Mord, Ehebruch und Inzest die Schuldigen getötet. Geschlechtliche Beziehungen sind nur in der legal geschlossenen Ehe erlaubt, sie sichern das Fortbestehen der Familie u n d des Stammes. 3 0 29
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Parallel zur Jugendweihe der Burschen verläuft auch eine solche der herangereiften Mädchen, die in einem anderen Buschlager vor sich geht. Dort werden sie von ein paar alten, kundigen Frauen unterrichtet, u n d zwar hauptsächlich über ihre Rechte u n d Pflichten in Familie u n d Dorfgemeinschaft auf religiöser Basis. Auch werden ihnen die heute schwer verständlichen Lieder beigebracht, die sie bei der Mand-as-Feier zum Schlag der Trommel mitzusingen haben. U n d zum Abschluß der Männertänze werden sie auch noch mit einer eigenen siverkiMaske auftreten, die allerdings von einem alten H e r r n angefertigt wird. Aus Schicklichkeitsgi'ünden habe ich selbst nicht an diesen nächtlichen Sitzungen der Mädchen teilgenommen und k a n n deswegen auch nichts Genaueres über deren I n h a l t aussagen außer dem allgemeinen Sinn, der mir später verdeutlicht wurde. I n ganz Baining ist die Monogamie von jeher die Regel gewesen, nur bei den Chachet kam es nach T h e i l s Angaben gelegentlich vor, daß ein angesehener Mann sich gegen den Willen des Volkes noch eine zweite F r a u zulegte. Ein solches Delikt wurde von den Leuten zwar schweigend, aber doch unwillig hingenommen. Starb aber ein solcher Bigamist, so wurde seine zweite F r a u umgebracht, weil man sie verantwortlich machte für den vorzeitigen Tod des Bigamisten, der nicht ihr wirklicher Gatte war. Bei den Mali und ihren Nachbarn s t a n d auf Ehebruch die Todesstrafe für den Verführer, während der Frau, die sich mit ihm eingelassen h a t t e , der Schenkel mit einem Speer durchbohrt' wurde. Zu meiner Zeit noch geschah ein Fall von N o t z u c h t : Ein Asimbali-'M.a.nri h a t t e eine Mali-Frau überfallen u n d dafür wurde nicht nur er getötet, sondern m i t ihm auch noch 14 andere Männer seiner Sippe. Frauen wurden aber nie umgebracht, nicht einmal auf Kriegszügen l
Die Mandas-Maskenfeier
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Die Beendigung des Noviziats Da sich, wie schon gesagt, alle Dörfer der Südost-Baining immer an einer gemeinsamen Mandas-Feier beteiligen, so stammen auch die meisten in Marungga vorbereiteten Novizen von auswärts und erwarten, je näher das Ende ihrer Klausur heranrückt, mit Ungeduld die Ankunft ihrer Angehörigen aus ihren Heimatplätzen. Bevor es aber soweit ist, spielt sich noch folgendes ab: Während der ganzen Zeit der Festvorbereitung, da die verhältnismäßig kleine Gruppe der Gastgeber mit der Fertigstellung der verschiedenen Tanzmasken genug zu t u n hat und ihre Frauen mit der Versorgung der Männer und Novizen, mit der Einübung von Liedern und der Instand setzung des Tanzplatzes vollkommen ausgelastet sind, legen auch die von auswärts geladenen Gäste die Hände nicht in den Schoß, sondern beteiligen sich auf ihre Weise am guten Gelingen der kommenden Schlußfeier. Während der weibliche Teil ebenfalls für die Bereitstellung von Feldfrüchten sorgt, die als Gegengeschenk mitgenommen werden sollen, verfertigen einige Männer zum gleichen Zweck Tanzmasken, und andere verlegen sich auf Wildschweinjagd. Von der Beute werden die Schinken abgeschnitten, in Blätter eingewickelt, geräuchert und in der Erde vergraben. Dieser Prozeß wiederholt sich mehrmals, so daß das Fleisch konserviert wird, aber mit der Zeit auch einen fürchterlichen Geruch ausstrahlt, der die Baining aber keineswegs vom Genuß abhält. 3 1 Unterdessen roden die Frauen von Marungga den am Rande ihrer Dorfschaft gelegenen Tanzplatz, a lochupki genannt. Lochupki bedeutet aber zugleich auch „Heimat'^ und „Himmel" und offenbart damit einen Symbolgehalt, der noch einen weiteren Akzent dadurch erhält, daß die Männer am unteren Ende des ovalen Platzes einen kleinen Erdhügel aufwerfen, der den Namen a oemka metki, „Mutterschoß", trägt. Damit soll angedeutet werden, daß dieInitianden, die bei ihrem ersten Auftreten diesen Hügel mit den Füßen berühren müssen, aus der SäraigM-Vrmutter zum Vollmannestum wiedergeboren werden! Am unteren Ende des Platzes, der die Form eines Ruderblattes besitzt, wird dem oemkaHügel gegenüber eine offene H ü t t e für den Frauenchor und zur Aufnahme der primitiven Holztrommel (a runepki) errichtet. Dieses Instrument ist nichts weiter als ein Stück Baumstamm mit einem natürlichen Astloch, das in roher Bearbeitung etwas ausgeweitet wurde und bis zum Tanzbeginn mit Laub ausgefüllt ist. An den Längsseiten des Platzes, der durch aneinandergelegte Baumstämme abgegrenzt ist, erbaut man hohe Stellagen zum Stapeln der Feldfrüchte, die 31
Eine solche Arbeitsteilung ist also eine gute Lösung der Schwierigkeiten, die sich aus einem so groß angelegten Fest ergeben. In Marungga waren es damals über 800 Personen, die zusammenkamen, und das für mehrere Tage! In bezug auf die geräucherten Wildbretschinken wäre noch zu bemerken, daß — soviel ich mich erinnere — Frauen und Kinder nicht davon aßen, sondern nur die Männer, die einen stärkeren Magen zu besitzen scheinen. Die ersteren wurden mit frischem Fleisch (a selik ama icheru) von Haustieren beköstigt.
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von den Gästen mitgebracht werden. I n seinem oberen, sich verjüngenden Teil des Festplatzes wird, ein Verbindungsweg zum Ghusak hin gebahnt und vorläufig noch durch ein ngamongka-Tor aus einer aufrecht stehenden Matte von geflochtenen &aüaüew-Blättern abgesperrt. Erst vor Tanzbeginn wird es entfernt, um den Maskenträgern den Zugang zu ermöglichen. Endlich ist alles soweit. Während der Nacht des zweiten Vortages treffen von auswärts die ersten männlichen Gäste ein, die ihre daheim angefertigten Masken mitbringen. Alle werden im Chusak durch brüderliche Umarmung aufs herzlichste begrüßt und danach bewirtet. Um dieselbe Zeit etwa schröpft man den Kandidaten in ihrem Buschlager noch einmal den Rücken in Lendenhöhe u n d reibt diese Stellen mit Kalk und Blättersaft ein, damit sie schnell wieder heilen. I m Laufe des nächsten Tages kommen dann auch die anderen auswärtigen Gäste, voran die Männer, die die konservierten Schweineschinken über der Schulter tragen, gefolgt von den Frauen und Kindern, alle schwer bepackt mit Lasten von Taros und Gemüse in großen Tragnetzen. Auch sie werden von den Einheimischen bejubelt. N u n hat sich das Dorf mit freudig erregten Menschen gefüllt, die nach dem langen, mühsamen Marsch bergauf und bergab zunächst einmal beköstigt und dann in den einzelnen H ü t t e n untergebracht werden. 32 Gegen 16 Uhr begeben sich einige Männer mit blaugefärbtem Gesicht und mit roten tonggitka-Blättern im Armband auf die Rodung zwischen Ghusak und Novizenklausur, wo sie damit beginnen, ihre Schwirrhölzer zu schwingen, deren dumpfes Brausen weithin die L u f t erfüllt. Plötzlich t r i t t eine Pause ein, während der die Kandidaten herbeigeführt werden und sich auf einem gefällten Baumstamm in einer Reihe niedersetzen müssen, indes die Paten hinter sie treten und ihnen mit den Händen die Augen zuhalten. Wieder setzt das ohrenbetäubende Heulen ein, dessen Ursache die Jungen noch nicht kennen. Dann zieht m a n ihnen die Hände vom Gesicht und zum erstenmal werden sie jetzt bekannt gemacht mit dem Geheimnis der Stimme Rigenmuchas, die da zu ihnen gesprochen h a t ! 3 3 Während ihr Erstaunen noch anhält, treten abermals die gefürchteten MM-Geister mit einem Schrei aus dem Gebüsch hervor, um die Kandidaten einer letzten Geißelung zu unterziehen, sie wird in der bereits beschriebenen Weise vorgenommen. Ist dies geschehen, so überreicht jeder Pate seinem Vangka 32
Kein einheimischer Mann schläft während dieser Zeit in seinem Familienheim, sondern im Chusak, oder wer dort nicht beschäftigt ist, im allgemeinen Männerhaus (a ban-gka ama chomeska), wo auch die letzte Gruppe der von auswärts eintreffenden männlichen Gäste u n t e r k o m m t . •33 Das ist n u n keineswegs ein frommer Betrug! Rigenmucha, der keinen sichtbaren menschlichen Körper u n d damit auch keine menschliche Stimme besitzt, k a n n sich eben nur auf dem Wege über Mittelspersonen, die ihm zu Diensten stehen, sinnlich faßbar bemerkbar machen, u n d das geschieht in diesem Fall eben durch das Schwirrholz, ähnlich wie die beiden Stammeltern sich im Blasen heiliger Bambusflöten k u n d t u n . Das alles bleibt für die Nichteingeweihten offiziell ein Geheimnis, was nicht ausschließt, daß inoffiziell auch einige weibliche Honoratioren d a r u m wissen mögen.
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einen aus B a m b u s geflochtenen R i n g (a ngoaiachi), den dieser wiederum seinem Opfer über den A r m zieht und dann um den H a l s herumlegt, als wollte er d a m i t zu erkennen geben: Von j etzt a b sind wir beide Freunde! I m Anschluß an diese Versöhnungsgeste drückt jeder P a t e seinem Schützling den S t a b mit dem Schwirrholz in die H a n d und ist diesem selbst beim Schwingen desselben behilflich. U n d weiter geht der Zug zum Chusak, wo die Neulinge von ihren älteren K a m e r a d e n mit einem ohrenbetäubenden Freudenlärm empfangen werden, der durch Blasen von Gras- und Blattsiffeln (a moachenki) erzeugt wird: I n den gekuppten H ä n d e n halten sie zwischen beiden gestreckten D a u m e n einen schmalen Blattstreifen, der beim Anblasen einen schrillen, krächzenden Ton ähnlich dem R u f der K r ä h e n von sich gibt. Andere wieder spielen auf kleinen dünnen B a m busflöten ( a ngalavarenka nanak), deren Mundstück etwas eingeschnitten ist, so daß beim Vibrieren der beiden H ä l f t e n ein quäkendes Scheppern ähnlich dem Weinen von Kleinkindern entsteht. N u n heißt m a n die Novizen sich paarweise vor der Maskenhütte niedersetzen und überreicht ihnen zwei andere Blasinstrumente aus B a m b u s von verschiedener L ä n g e u n d Dicke, das dumpfere a raunka und das hellere a kalavarengki genannt. Beide stellen die Stimmen des S t a m m v a t e r s und der S t a m m u t t e r dar und werden der Reihe nach von je einem Initiandenpaar in Tätigkeit gesetzt. Der gewaltige L ä r m hält eine ganze Weile an und bildet die Ouvertüre zum Beginn des eigentlichen Tanzfestes am nächsten Vor mit tag. 3/1 Dabei singt der Chor der Männer: „Vor kurzem noch haben wir zerstreut im B u s c h gewohnt, heute sind wir miteinander vereint und sehen uns wieder gegenseitig!" Unterdessen sind vor Anbruch der Nacht auch die letzten Nachzügler von auswärts eingetroffen und haben ihre L a s t e n an Nahrungsmitteln auf den Stellagen rings um den Tanzplatz herum deponiert. Alles läßt sich zum vorbereiteten Abendessen nieder, das wie gewöhnlich serviert wird, und für eine Weile versiegt der L ä r m a u s dem Chusak. Richtige R u h e aber tritt erst u m Mitternacht ein, denn so lange hat m a n sich noch zu erzählen und über die Tanzmaskenfolge a m anderen Morgen und ähnliche Probleme zu verhandeln. Die Mandas-Maskentänze35 K a u m hat die Morgendämmerung eingesetzt, wird es im Chusak schon wieder lebendig: D a s B r a u s e n der Schwirrhölzer und der L ä r m der Siffeln und verAuch hier haben wir es mit einer tiefbedeutsamen Symbolik zu tun: Auf das SchöpferWort Rigenmuchas, dargestellt im Brausen der Schwirrhölzer, geben jetzt die Stammeltern Antwort durch Blasen der beiden Bambustrompeten und ebenso deren Kinder und Kindeskinder auf dem Wege der kleineren Flöten und Blattsiffeln. Das alles wird einem Außenstehenden erst einigermaßen verständlich durch die von den Eingeborenen selbst gegebenen Erklärungen. ,15 Wir haben bislang so oft schon das Wort „ M a n d a s " gebraucht, ohne dessen verbalen Sinn gedeutet zu haben. Dieser Name besagt soviel wie „Verkleidete" und wurde mir noch näher umschrieben als „Menschen mit altem Gesicht", also um Darsteller der Vorzeit. Und ganz allgemein versteht man unter a mainka, pl. a main, den, bzw. die Tänzer zum Unterschied von den Masken, mit denen sie
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schiedenen Flöten bringt das noch schlafende Dorf im Nu auf die Beine, denn gegen 9 Uhr soll der erste Auftritt beginnen und vorher gibt es noch vielerlei zu erledigen: Die für heute vorgesehenen Maskenträger lassen sich der Reihe nach den Körper kunstgerecht bemalen, die Novizen üben zum letztenmal mit ihren Paten den Tanzschritt ein und lernen, ihre Maske richtig auszubalancieren durch zwei Schnüre, die sie in den Händen halten. Auch die Sängerinnen im Dorf schmücken sich, indem sie sich das Kopfhaar färben und breite, buntgewirkte Netztaschen über Scheitel und Rücken hängen. Alles Volk strömt zusammen, nimmt rings um den Tanzplatz seine Stellung ein und harrt in gespannter Erwartung des Signals aus dem Chusak, daß endlich die große Schau beginnt. Nun wird der durch Matten verschlossene Zugang geöffnet, ein alter Mann betritt den Plan und ruft: „A mundem"\ (Feuer!), worauf er ein paar brennende Holzscheite auf den „Mutterhügel" niederlegt und Büschel duftender Kräuter darüberstreut, deren Rauch himmelwärts wirbelt.36 Mit einem Signal aus dem Chusak erfolgt jetzt der Auftritt der ersten beiden Jicwidas-Maskenträger, ein Ereignis, das man a vias lochupki nennt. Es sind zwei
Männer von auswärts, denen immer die Ehre zukommt, am Ort ihrer Gastgeber die Feier einzuleiten, und zwar im Angedenken an die Toten des letzten Jahres. Ihnen voraus geht ein unmaskierter Freund mit einem Schweineschinken auf der Schulter, der zwischen dem „Mutterhügel" und dem Frauenchor in der Trommelhütte Platz nimmt. Sobald diese kleine Gruppe in der Passage erscheint, postieren sich zwei Frauen mit je einem Tarobündel in den Händen
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a u f t r e t e n . I n der vorliegenden Arbeit werden die H a u p t m a s k e n abgebildet, die ich. selbst in Marungga 1953 a u f g e n o m m e n habe. D a r u m h a b e ich geglaubt, davon absehen zu können, die ganze Herstellungsweise der verschiedenen Arten hier im einzelnen zu beschreiben, zumal sich in fast allen größeren Museen schon Maskenformen aus dem Chachet-Gebiet befinden, deren Material sich in keiner Weise von jenem der Mali-Masken unterscheidet. Deshalb hier nur ein knappes R e s ü m e e : A simal sind Baststoffstücke aus der p r ä p a r i e r t e n R i n d e von Broussonetia papyriflca, die m i t F ä d e n einer W i n d e n a r t (a leve) zusammengenäht werden, wobei m a n als N ä h n a d e l den d ü n n e n Flügelarmknochen (a ingbuluvus) des Fliegenden H u n d e s gebraucht. Z u m festen Untergestell der Masken verwendet m a n Streifen eines stärkeren B a m b u s (ngot) oder einer dünneren Art (a io), wie er auch meist zu gleichnamigen Wasserbehältern verwendet wird. Als Spanten dienen gespaltene Luftwurzeln einer Uferpalme (a sangar), die m i t R a n k e n (a tavol) oder m i t B a s t v o m tangam-üemm festgeknotet werden. Zuletzt wird über das fertige Gestell eine Unterlage von a raing- oder mindirn-Blätter gelegt u n d der vorher angefeuchtete Bastüberzug straff darüber v e r n ä h t . Als Messer zum Abschneiden der B i n d f ä d e n dient ein scharfrandiges Bambusstück. Die Bemalung geschieht n a c h dem Trocknen mit einem beiderseitig glatt zugeschnittenen chusak-Stengel. Diese Zeremonie, die eben nur dies eine Mal stattfindet, deutet hin auf all die Kinder, die dem Schoß der U r m u t t e r Chamumaichi in der Vergangenheit schon entsprossen sind u n d nach einem gerecht g e f ü h r t e n Leben als leuchtende Sterne an den H i m m e l versetzt worden sind. Vgl. C. L A U F E R , Eine Bainingseele geht z u m Himmel, in Hiltruper Monatshefte 1954.
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beiderseits des Eingangs und geleiten die Masken bis zur Mitte des Tanzplatzes. Während nun die runepki-Trommel einsetzt, nimmt einer der Maskierten ein brennendes Scheit auf und wirft es über sich hinweg nach hinten als Angebinde für den Toten, dem man Licht und Leben wünscht. Die bizarren Masken, die die beiden Männer über den K o p f gestülpt haben, heißen im Dual a sölevem (PI., sölevep) und stellen einen Teil des Skeletts dar, nämlich Wirbelknochen. Während nun der Chor ein Trauerlied anstimmt, tanzen die beiden Männer zuerst hintereinander, dann gegeneinander, im Dreivierteltakt den Boden stampfend, um zuletzt im Kreis herumzuziehen und den Erdhügel mit den Füßen zu betreten. Unterdessen arrangieren sich die Frauen der Verwandtschaft zu einer Prozession, angeführt von der Gattin (a langoaingki) des Verstorbenen oder sonst einer nächsten Angehörigen. Sie trägt auf ihrem Rücken in der Netztasche ein zerbrochenes Steinbeil, also auch ein Zeichen der Trauer. Als erste tritt sie zu den Maskenträgern und reicht ihnen Taro, Zuckerrohr und vielleicht sogar noch ein Kleinkind zuerst um den Kopfaufsatz, dann um die Brust herum und schließlich zwischen den gespreizten Beinen hindurch und all die anderen Frauen folgen weinend ihrem Beispiel. So offenbart sich in dieser Zeremonie die innige Verbundenheit der Hinterbliebenen mit ihren Toten! In gleicher Weise werden auch noch die letzthin Verstorbenen aus den übrigen Ortschaften geehrt, denn im Gegensatz zu den verschlossenen Chachet zeigen die Südost-Baining ihre Gefühle offener. 37 Der ganze erste T a g ist dem Gedächtnis der Toten gewidmet und darum folgt ein sölevem-Tanz dem anderen, bis alle Ortschaften zu ihrem Recht gekommen sind. A u c h ist es Sitte, daß ein Mann, der eine oder mehrere Masken hergestellt hat, andere einlädt, damit aufzutreten, was für die Betreffenden immer eine große Ehre ist. Dafür ist er dann später auch verpflichtet, den heutigen Gastgeber mit dessen Maske an seinem Ort tanzen zu lassen und ihn dafür zu beschenken; alles beruht auf Gegenseitigkeit. Auch verstorbene Chorleiterinnen werden im Lied namentlich erwähnt, und die jeweilige mit ihnen verwandte Frauengruppe singt dabei: „Wer wird nächstens die Tänze leiten, wenn w i r gestorben sein werden?" Die nächsten Tage sind der Darstellung des Geschehens in der mythischen Urzeit gewidmet und damit zugleich der aktiven Teilnahme der jungen Initiierten. Befassen wir uns zunächst mit der vorbereitenden Bemalung ihres Körpers: Jeder Bursche stellt sich im Ghusak in Positur, wobei er sich mit den Händen auf zwei Stöcke stützt, um zu verhindern, daß die frisch aufgetragenen Farben verschmiert werden. Verschiedene Blattpäckchen enthalten die in Frage kommenden Hauptfarben: Weiß besteht aus einer Tonerde (a maelchi), die auch 37 W i r k l i c h r ü h r e n d m i t a n z u s e h e n w a r in M a m n g g a der A u f t r i t t eines n o c h verh ä l t n i s m ä ß i g k l e i n e n B u b e n , der als l e t z t e r m i t der M a s k e seines j ü n g s t dahing e s c h i e d e n e n V a t e r s erschien, m i t n o c h u n g e l e n k e n S c h r i t t e n u m den E r d h ü g e l t r i p p e l t e u n d sich v o n der eigenen M u t t e r u n d d e n S c h w e s t e r n b e s c h e n k e n ließ. A u f a l l g e m e i n e n W u n s c h m u ß t e er den T a n z w i e d e r h o l e n ! 1 2*
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eßbar ist und stellenweise in den Oberläufen der Flüsse gefunden wird, Schwarz aus der Asche von Rotang- oder Betelpalmblättern (a churem), die man mit dem Saft des mem H Ö L T K E R 1 9 3 7 , S. 9 6 5 .
2
Tragbandsehilde
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sich in Sammlungen beispielsweise neben den Tragbandschilden aus Dalua Griffschilde mit der gleichen Herkunftsbezeichnung. Diese Griffschilde entsprechen dem „Typ Potsdamhafen" 24, dessen Verbreitung vom Sepik-Unterlauf der Küste folgend westlich etwa die mittlere Gruppe der Kleinen SchoutenInseln und östlich über Potsdamhafen die Gegend von Hatzfeldhafen erreicht. Bislang unbeachtet blieb eine stilistisch vom Potsdamhafen-Schild zu unterscheidende Variante von Griffschilden, deren Verbreitung nach den mir zur Verfügung stehenden Belegen (für Busiw, Simbine und Kronprinzenhafen) etwa von Hatzfeld- bis Kronprinzenhafen reicht. Hier befindet sich zugleich das Gebiet des behandelten Tragbandschildtyps, dessen Verbreitung seinerseits westlich bis Manam belegt ist. Wie weit diese Schilde im Hinterland und der Küste folgend nach Osten verbreitet sind, ist schwer festzustellen, zumal für diese Gebiete wie für den Schildt y p überhaupt die Literaturquellen nicht sehr reichlich fließen. So meldet zwar W E B N E R von Manam „kleine, aber schwere viereckige Schilde aus Hartholz. Der Schildbuckel stellt ein Gesicht mit riesiger Nase dar" 2 5 und (von Karkar aus gesehen nach Westen) „schwere, ovale, meist reich geschnitzte und bemalte Formen" 2 6 , unterscheidet diese aber von den kleinen viereckigen Manam schilden. Seine Beschreibungen, die nichts über die Tragvorrichtung entnehmen lassen, sind jedoch so unklar, daß mit einem dieser beiden Typen auch die Griffschilde des „Potsdamhafen-Typs" bzw. seiner östlichen Variante gemeint sein können. Das scheint auch für „große viereckige Kriegsschilde aus Holz" zuzutreffen, über die G R A B O W S K I aus dem Gebiet von Hatzfeldhafen berichtet. 27 Daneben unterscheidet W E R N E R noch „eine ganz große rechteckige Form", die er im Ort Bunabun antraf. 2 8 Hier finden wir möglicherweise eine Parallele zu dem problematischen Stück von Abb. 30. Detaillierte Angaben zur Tragweise liegen nur von H Ö L T K E R vor. Seiner Beschreibung dürfen wir wohl mit Sicherheit entnehmen, daß der hier vorgelegte Schildtyp gemeint ist. Neben großen Holzschilden, worunter er zweifellos die Griffschilde versteht, „existiert bei vielen Stämmen (nicht aber zum Beispiel in Bosngun) noch der sogenannte kleine Holzschild. Aber während dieser kleine Schild auf Manam an einer Schnur um den Hals als, Deckung für Kopf und linken Arm getragen wird (mit einer sehr charakteristischen Halteschnur für die zwei ersten Finger der linken Hand an der vorderen Schildkante), tragen ihn die Mänamverwandten Sepa und Wanami an einer eigenartigen Halteschnur am linken Oberarm, die Tanggum gleichzeitig den großen Schild am Arm und den kleinen an einer Schnur um den Hals vor der Brust und die Ngaimbom sogar einen großen Schild am Arm und gleichzeitig je einen kleinen Holzschild auf Brust und Rücken." 29 Den unterschiedlichen Schildtypen entspricht auch die übrige Bewaffnung dieses Gebietes. Während im Verbreitungsgebiet der Griffschilde bis Hatzfeld~ik Nach 27
SCHMIDT 1 9 2 9 .
GRABOWSKI 1 8 9 5 , S. 1 8 8 .
25
W E E N E R 1 9 1 1 , S. 245. 2F
S W E R N E R 1 9 1 1 , S. 2 7 7 .
26 29
E B E N D A , S. 2 7 7 . HÖLTKER 1 9 3 7 , S. 9 6 5 .
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TIESLER
hafen Speere als Hauptwaffe angesehen werden müssen und oft auch als einzige Waffe gelten, sind sowohl von P Ö C H als auch von R E C H E Bogen bemerkt worden. 30 Die vereinzelt im Sepik-Mündungsgebiet und westlich davon auftretenden Bogen entsprechen bis ins Detail den von der Berlinhafen-Küste her bekannten Typen und sind zweifellos auf den intertribalen Handelsrouten von dort eingeführt worden. 31 Die von Watam an östlich, z. B. an der Hansa-Bucht und auf Manam auftretenden Bogen unterscheiden sich wiederum deutlich von diesen, scheinen aber ebenfalls nur eine sehr geringe Rolle in der Bewaffnung zu spielen. Auch die zugehörigen Pfeile können nicht mit denen des Berlinhafen-Gebietes verglichen werden, deren wirkliche Verbreitung über das Hinterland, den oberen Sepik, die Oberläufe seiner südlichen Zuflüsse bis zu den obersten KoroworiDörfern reicht. 32 Von Hatzfeldhafen an nach Osten scheinen die Bogen wieder fester Bestandteil der Bewaffnung der Küstenbevölkerung zu sein. W E E N E R bemerkt sie erstmalig in dem noch westlich von Hatzfeldhafen gelegenen Dorfe Abui bei Leuten „aus dem nahen Hügeldorf Imbua. Sie trugen Bogen und Pfeil, welche Waffen hier zum ersten Male wieder erscheinen" 33 . Daß die Bogen vor allem in den Inlanddörfern ihre Bedeutung behaupten konnten, berichtet auch T R A N E L . 3 4 Weiter nach Osten scheinen sie jedoch auch in den Küstendörfern wachsende Bedeutung und schließlich paritätischen Anteil an der Bewaffnung zu erlangen. Neben Belegen für die Dörfer Malala, Babiri und Bunabun illustriert W E R N E R S Darstellung diese Annahme: „. . . die stark bewaffnete Eskorte, die man mir von Bunabun aus mitgab . . . waren vier Männer, von denen zwei Speere, zwei Bogen und Pfeile trugen." 3 5 Hatzfeldhafen bildet somit ungefähr das Zentrum eines Gebietes, dessen ausgesprochen gemischter Offensivbewaffnung, Bogen neben Lanze, Speer und Speerschleuder, das Auftreten zweier völlig unterschiedlicher Schildarten entspricht : die den Lanzen und Speeren zuzuordnenden hohen Griffschilde und die kleineren Tragbandschilde. Eine Mischbewaffnung dieser deutlichen Ausprägung wurde bislang im Sepik-Raum nirgends beobachtet. Ob die hier erstmals vorgestellten Tragbandschilde in Zusammenhang mit dem Bogen benutzt wurden, ist quellenmäßig zumindest nicht belegbar. H Ö L T 3" R E C H E 1 9 1 3 , S . 3 3 7 .
32
HABERLAND
31
V g l . TIESLER I 1 9 6 9 , S. 7 6 f.
1966b, S. 50.
33 W E R N E R 1 9 1 1 , S . 2 6 4 . 34
35
T R A N E L 1952, S. 458f. „Im Inlanddorf Widaro sind noch Bogen vorhanden, die nach Aussage der Leute dort bodenständig sind. In Widaro sowohl als auch in den anderen benachbarten Inlanddörfern gibt es auch Bogen, die aus der Gegend von Yakiba . . . stammen." In Siariarap, Widaro und Boanawaw (zur Lage vgl. Karte 1) werden sie in neuerer Zeit als Jagdwaffe für die Schweinejagd benutzt. W E R N E R 1 9 1 1 , S. 2 7 0 — 2 7 5 . I m östlich sich anschließenden Gebiet der AstrolabeBai werden Bogen und Speer ebenfalls gemeinsam benutzt ( M E Y E R / P A R K I N S O N 1894, Taf. 34 ist zugleich eine der besten Illustrationen zur Tragweise von Schulterhängeschilden).
Tragbandsehilde
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Beobachtungen widersprechen zum Teil sogar der bisherigen Meinung, wonach Bogen und Tragbandschilde automatisch in einen funktionellen Zusammenhang gesetzt werden. Zumindest bei den Tanggum und Ngaimbom scheint der Tragbandschild vielmehr der zusätzlichen Deckung zu dienen, wobei Griffschild und Speer wohl den Charakter als Hauptwaffen behalten. Die Funktion der zusätzlichen Deckung dürfte jedoch nicht ursprünglich sein. Die relativ einheitliche Form dieses Schildtyps, verglichen mit den unterschiedlichen Trag- und Anwendungsweisen, lassen Verwendungen wie die bei den Tanggum und Ngaimbom beobachteten als sekundär erscheinen. Das nur wenig geringere Durchschnittsgewicht (4,6 kg gegenüber 6,1 kg bei den Griffschilden, gemessen an Serien von je 10 Exemplaren) machen seine Eignung als um den Hals zu hängende Zusatzdeckung ebenfalls fraglich. Möglicherweise ist der Tragbandschild bei diesen beiden Gruppen früher unbekannt gewesen oder durch den Griffschild zurückgedrängt worden. Daneben könnte die für Manam, die Zepa und Wanami belegte Absicht, mit dem Tragbandschild die linke Körperseite zu decken, als Hinweis auf die Verwendung des Bogens gewertet werden. XEES
Klarer wird die Bedeutung des bisher unbekannten Schildtyps innerhalb einer Gesamtsicht über die Tragbandschilde des Sepik-Gebietes (vgl. auch Karte 3). Die morphologisch völlig andersartigen Rundschilde mit Tragband aus dem Gebiet der Astrolabe-Bai können wir dabei von vornherein ausschließen. Die nächste Parallele finden wir in den Tragbandschilden des Ramu-KeramGebietes, die ihrerseits neben Ausstrahlungen in das Gebiet der pygmoiden Bevölkerung der Schrader-Berge vor allem Zusammenhänge zu dem kleinen Schild (rumag) der Bogenschützen des Hagen-Wahgi-Gebietes deutlich werden lassen. 36 Ihre genaue Verbreitung ist immer noch schwer abzuschätzen. Die von K E L M veröffentlichte größere Zahl genau lokalisierter Stücke läßt eine erstaunlich weit nördlich und in Sepiknähe liegende Verbreitungsgrenze deutlich werden. 3 7 Hier treten denn auch, ähnlich wie im Gebiet von Hatzfeldhafen, in den gleichen Dörfern Tragband- und Griffschilde des am Sepik-Unterlauf verbreiteten Typs nebeneinander auf. Für den mittleren und oberen Keram und den R a m u liegen dagegen keine genaueren Belege vor: „Wir sind nicht in der Lage, ihr genaues Herkommen zu bestimmen und müssen uns mit der allgemeinen Angabe ,Mittlerer R a m u ' begnügen." 3 8 Einige genauer lokalisierte Stücke aus diesem Gebiet seien deshalb hier nachgetragen: Abb. 33. MfV. Leipzig Me 12729 (Kauf Martens 1920) Herkunft: Kaururun, „210 km aufwärts v. Ramu" Höhe: 51 cm; Breite: 22,5 cm „Brustschild. An beiden Seiten 2 Löcher, durch die ein Strick aus Baumrindenstoff geht, zum Umhängen um den Hals." Die Vertiefungen der Ornamente sind mit SC T I S C H N E R 1 9 3 9 , S . 3 3 f . ,
3' -8
70.
1968, Abb. 387-416. H A B E R L A N D 1966c, S. 134.
KELM I I I
200
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TIESLER
roter und weißer Farbe ausgefüllt. Rückseitig ist der obere Teil der Schildkante gegenüber der Fläche erhöht (ähnlich Abb. 51). Abb. 34. MfV. Leipzig Me 12730 (Kauf Martens 1920) Herkunft: wie Abb. 19 Höhe: 88 cm; Breite: 33,5 cm Brustschild, wie oben. Die Rückseite ist jedoch völlig glatt. Der Schild ist in Richtung der Längsachse leicht gewölbt. Bin Sprung im Holz wird von einer durch zwei Perforationen gezogenen Rotanbindung zusammengehalten. Abb. 35 und 51. MfV. Leipzig Me 13080 (Kauf Hintz 1925) Herkunft: Ramu-Ebene Höhe: 53 cm; „Kleiner Holzschild, ornamentiert, wird auf dem Rücken getragen."
Den Katalogangaben zufolge könnte demnach auch bei diesem Schildtyp die Tragweise unterschiedlich sein. Der westlich folgende Gebietsstreifen zwischen der Nordabdachung des Gebirges und den südlichen Zuflüssen des Sepik zeigt zwar weitgehend eine Dominanz des Bogens, weist aber keine Tragbandschilde auf. Selten auftretende Griifschilde sind ebenso wie die Speere vom Mittelsepik her eingeführt oder inspiriert, nicht aber autochthon. 3 9 Erste Tragbandschilde treffen wir wieder, neben einem Streufund (?) im Gebiet zwischen Leonhard-Schultze- und Frieda-Fluß 4 0 , an der nördlichen Siedlungsgrenze der Mianmin-Gruppe beim Dorf Usage zwischen den Oberläufen des Frieda- und Mai-Flusses/»1 Sie bilden den nördlichen Ausläufer der relativ einheitlichen, nur in Dekordetails voneinander abweichenden Schilde des Telefomin-Gebietes, die erst in neuester Zeit bekannt geworden sind. 42 Das unweit davon gelegene zweite geschlossene Verbreitungsgebiet von Tragbandschilden am Sepik-Oberlauf zeigt einen deutlich unterschiedenen Typ, dessen Grenzen durch die Einmündungen des Gelb- und Oktober-Flusses bezeichnet werden. 43 Die zwischen dem Sepik-Oberlauf und der Berlinhafen-Küste liegenden Inlandgebiete dürfen als ein Zentrum der Bogenbewaffnung gelten. Die Küstenbevölkerung wird von hier aus mit Bogen und Pfeilen versorgt, die auf den intertribalen Handelsrouten ihren Weg bis in das Nor-Gebiet finden.44 Die weite Verbreitung relativ einheitlicher Pfeiltypen dürfte zum großen Teil auf dieser Tatsache beruhen. Es war zu vermuten, daß die in einem angenommenen f u n k M H A B E R L A N D 1965a, S. 165; 1966b, S. 53. Dorf Apiap, S C H U S T E R 1968, Abb. 34. «
SCHUSTER 1967,
«2 C R A N S T O N E
S. 2 7 8 ; 1968, A b b .
35.
1968.
« Vgl. K E I M I I 1966, Abb. 197-220. Hier sind auch zum Teil die bei S C H M I D T 1929, Abb. X und X a sowie bei S C H U L T Z E 1914, Taf. X X X V a , c, d abgebildeten Schilde mit erfaßt. « T I E S L E E I 1969, S . 75ff.
Tragbandschilde
201
tionellen Zusammenhang d a m i t stehenden Tragbandschilde ebenfalls in diesem Gebiet auftreten würden, zumal dessen nördliche und südliche Grenze bereits als Verbreitungsgebiete bekannt waren. Die hier vorgelegte Serie bestätigt diese V e r m u t u n g / ' 5 Leider kann vorläufigäußer der Angabe „Lumi-Gebiet" wenig über die genaue Verbreitung dieses Schildtyps gesagt werden. E i n bereits zu Anfang des J a h r h u n d e r t s von A. B . Lewis im Hinterland des Küstendorfes Sissano erworbener Schild vom LumiT y p (Field Mus. N a t . Hist. Chicago 139 4 5 5 ) weist jedoch a u f eine zumindest relativ weit nach Norden reichende Verbreitung hin. Dabei zeigen die Schilde in F o r m und Dekor eine überraschende Einheitlichkeit. Abb. 36. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—64 (vgl. S. 188) H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 92,5 c m ; B r e i t e : ca. 60 cm Abb. 37. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—65 H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 90 c m ; B r e i t e : 64 cm Abb. 38. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—67 H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 1 1 0 c m ; B r e i t e : 73,5 cm Abb. 39. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—66 H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 110 c m ; B r e i t e : 65 cm Abb. 40. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—68 H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 94 c m ; B r e i t e : ca. 60 c m Abb. 41 und 52. Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden 4247—63 H e r k u n f t : Lumi-Gebiet H ö h e : 105 c m ; B r e i t e : 72 cm Die Schilde, die einheitlich eine Dicke von ca. 3 cm haben, sind unbemalt und a u f der Vorderseite berußt. Einheitlich ist auch bei allen Schilden der Verlauf des Tragbandes, wie ihn Abb. 52 zeigt. Die Tragvorrichtung besteht aus dem eigentlichen Strang zum Tragen und aus insgesamt vier Schlaufen, die ihn am Schildkörper fixieren. Diese Schlaufen, die als einziger Teil des Tragbandes an der Vorderseite sichtbar sind, bestehen aus Rotanstreifen, die wohl zur Zierde mit Geflecht überzogen sind, wie die schadhafte Stelle auf Abb. 40 zeigt. Die Schlaufen laufen durch j e zwei dicht beieinanderliegende Perforationen der Schildfläche. Die obere fünfte Schlaufe ist dabei nicht, wie man anhand der Vorderansicht vermuten könnte, als senkrechter Strang ipit dem Tragband verbunden, sondern ohne erkennbare F u n k tion. Die Dekorelemente sind bei allen Schilden die gleichen. I n ihrer Zusammenstellung sind sie lediglich im Bereich der Schildmitte stärker variiert. Der hier nicht abge' ,3 Das Vorkommen von Tragbandschilden im Lumi-Gebiet wurde mir durch eine persönliche Mitteilung Prof. E . H A B E R L A N D S bekannt, dem für diesen und andere Hinweise gedankt sei.
202
FRANK TIESLEE
bildete Chioagoer Schild aus dem Sissano-Hinterland ist dabei mit dem Stück auf Abb. 40 fast völlig identisch und zeigt somit, daß trotz der vermutlichen räumlichen und zeitlichen Entfernung auch im Dekor das einheitliche Bild dieses Schildtyps gewahrt bleibt.
Den nördlichen Anschluß an die Lumi-Schilde und zugleich die Verbindung zum Verbreitungsgebiet der Berlinhafen-Schilde bilden die ebenfalls hier erstmals bekannt gemachten Schilde des Küstenhinterlandes. Die genaue Lage des vom Sammler als Kabinge bezeichneten Herkunftsortes ist erstmals auf einer BAUDISSIN-HUK
Karte 2.
Karte P. J . R E I B E R S ZU finden, der das Dorf Kabinde nennt/» 6 Auf den zeitlich nur wenig jüngeren Karten B E H R M A N N S ist die Lage des Dorfes, das bei ihm Kabine heißt, etwas nach Süden verschoben. 47 Neuere australische Karten (z. B. Blatt Aitape 1: 253 440) verzeichnen diesen Ort nicht. I n seiner Gegend befindet sich eine Gruppe von Dörfern mit der Bezeichnung „Kapoam villages". Ein Dorf Kapoam ist bereits mit annähernd gleicher Lage sowohl bei R E I B E R als auch bei B E H R M A N N (dort als Kopoam) angegeben. Die beigefügte Karte (2) folgt den Lageangaben B E H R M A N N S . Abb. 42 und 53. Field Mus. Nat. Hist. Chicago 140030 (J. N. Field Exp. 1909-13) Herkunft: Berlinhafen, Kabinge, 15 miles inland Höhe: 112 cm; Breite: 59 cm 46
REIBER/RICHARZ
1910, Taf. 16.
47
BEHRMANN
1924, Karte Blatt 2.
Tragbandschilde
203
A b b . 43. Field Mus. N a t . Hist. Chicago 140031 (J. N. Field E x p . 1909-13) H e r k u n f t : Kabinge H ö h e : 105 c m ; B r e i t e : 58 cm A b b . 44. Field Mus. N a t . H i s t . Chicago 140032 (J. N. Field E x p . 1909-13) Herkunft: Kabinge H ö h e : 96 c m ; B r e i t e : 52 cm Abb. 45. Field Mus. N a t . Hist. Chicago 140033 (J. N. Field E x p . 1909-13) H e r k u n f t : Kabinge H ö h e : 112 c m ; B r e i t e : 62 cm I n A u s m a ß u n d F o r m n ä h e r n sich diese Schilde eher den L u m i - S t ü c k e n als den K ü s t e n f o r m e n a n , m i t denen sie wiederum die n a h e der Schildmitte liegenden Perfor a t i o n e n gemeinsam h a b e n . Dekor u n d Verlauf des Tragbandes zeigen jedoch eindeutig, d a ß es sich n i c h t u m eine Übergangsform, sondern u m einen eigenen Schildtyp h a n d e l t . Der Verlauf des zweiten erhaltenen T r a g b a n d e s (Abb. 45) ähnelt d e m auf A b b . 53 sichtbaren, n u r ist das B a n d etwas kürzer u n d nicht so s t a r k m i t Rindenstoff umwickelt. Die O r n a m e n t e sind n u r flach in die Schildfläche eingegraben u n d werden m e h r durch die B e m a l u n g b e t o n t , die allerdings n u r bei Abb. 42 gut erhalten ist. Die F a r b e n sind weiß, rot u n d schwarz. Der relativ einheitliche Dekor ist d u r c h konzentrische Kreise gekennzeichnet, die in Schildmitte liegen. Zur Schildmitte strebende u n d z u m Teil gezahnte Linien bilden an Ober- u n d U n t e r k a n t e Dreiecksfelder (deutlich auf Abb. 44). Beurteilt m a n die künstlerische Lösung, darf m a n die Kabine-Schilde wohl als die einfachsten bisher im Sepik-Gebiet b e k a n n t gewordenen Schilde bezeichnen. Seit längerer Zeit b e k a n n t dagegen sind die Tragbandschilde der Nordküste, •die entlang des westlich v o n Berlinhafen ausgehenden Küstenstriches bis ins Gebiet der politischen Grenze z u West-Irian ihre Verbreitung gefunden haben u n d sich in zwei Varianten scheiden lassen. 4 8 D a s Kartenbild (3) zeigt deutlich, daß die Verbreitungszonen der Tragbandschilde das v o n der K ü s t e z u m oberen Sepik hin immer schmaler werdende Gebiet speerführender Gruppen kranzförmig umgeben/* 9 Der eindeutige Zus a m m e n h a n g v o n B o g e n u n d Tragbandschild wird hierbei für das Sepik-Gebiet nochmals deutlich. Mehr noch, es hat den Anschein, als habe der in historisch jüngerer Zeit Eingang gefundene Speer ein ehemals zusammenhängendes Verbreitungsgebiet auseinandergedrückt und die Tragbandschilde in die peripheren « Vgl. S C H M I D T 1 9 2 9 , Abb. X I I I u n d X I V . Zu I r r t ü m e r n Anlaß gab eine Zeitlang die gleichzeitige (?) oder nach der Befriedung beginnende (?) Verwendung der Tragbandschilde als T ü r b r e t t e r , H a u s verkleidungen usw., die f ü r fast alle Verbreitungsgebiete belegt ist, so f ü r den Berlinhafen- u n d den H a t z f e l d h a f e n t y p ( S C H T T L T Z E 1914, S . 15; T B A N E L 1952, S . 459), für die Obersepikschilde ( H A B E B X A N D 1965b, S . 45) u n d die Tragbandschilde der A y o m - P y g m ä e n ( G U S I N D E 1958, S . 555). H e u t e k a n n jedoch auch ungeachtet der oft n i c h t m e h r v o r h a n d e n e n B i n d u n g e n keinerlei Zweifel darüber bestehen, daß es sich in allen genannten Fällen eindeutig u m Tragbandschilde gehandelt h a t (vgl. auch H A B E S L A N D 1966a).
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FRANK
TIESLER
Lagen historischer Verschmelzungsprozesse abgedrängt. Die bloßen geographischen Verbreitungstatsachen können zwar kartographisch Zusammenhänge suggerieren, beweisen jedoch keineswegs einen tatsächlichen früheren Zusammenhang der einzelnen Tragbandschildtypen. Einen solchen historischen i.-.' . /A Auftreten von Tragbandschilden
Karte 3. Zusammenhang wahrscheinlich zu machen, bedarf es der bejahenden Antwort auf mindestens zwei Fragen: 1. Gibt es kennzeichnende Merkmale, die allen oder dem überwiegenden Teil der einzelnen Tragbandschildtypen gemeinsam sind? 2. Gibt es neben der Tragvorrichtung ein oder mehrere typische Merkmale, welche die Tragbandschilde von den Griffschilden abheben und die diese nicht aufweisen ? Zur Beantwortung dieser Fragen gilt es, zunächst für die HatzfeldhafenSchilde die typischen Merkmale sowohl morphologischer als auch dekorativer Art zu kennzeichnen. Betrachten wir zuerst die Besonderheiten der Tragbandführung, so läßt sich die vorliegende Serie leicht in zwei Gruppen scheiden. Bei der ersten Gruppe (A), belegt durch die Abb. 1 bis 22, weist zwar nur noch die reichliche Hälfte aller Schilde die Tragbänder auf, doch scheinen die dieser Gruppe eigenen morphologischen Besonderheiten darauf hinzudeuten, daß sie zum Teil in mißverstandener Weise erneuert worden sind. Eindeutig der Tragbandführung dienen die Ösen der Mittelleiste und der ursprünglichen (?) Seiten-
Tragbandschilde
205
leisten. Von diesen Merkmalen und ihren Abwandlungen ausgehend, läßt sich vom Bindungstyp her diese Gruppe in mehrere Untergruppen scheiden: _A 1 Als kennzeichnend darf hierfür Abb. 1 angesehen werden. Der Verlauf des Tragbandes über die Schildvorderseite wird durch die Ösen in der Mittelleiste und den Seitenleisten fixiert. Es läuft um die Außenkanten und ist rückseitig verknotet. Abb. 2 bis 6 gehören ebenfalls zu diesem Typ. Teilweise Verdoppelung der Mittelleiste (vgl. Abb. 2 und 5) und mehrfache Perforation der Leisten sind dabei unerheblich. -A 2 An die Stelle der Seitenleisten sind einfache Ösen getreten. Die Bindung läuft notwendig ebenfalls um die Außenkante des Schildes. Abb. 7 und 8 dürfen als Beispiele gelten.
0
Ruckseite
Fig. 1. Bindungstypen. A 3 Der Grundgedanke, mit Hilfe verschiedener Ösen einer Durchbohrung der Schildfläche auszuweichen, wird bei diesem Typ verlassen. Die Öse der Mittelleiste bleibt in ihrer Funktion erhalten, während das Tragband seitlich durch Perforationen der Schildfläehe läuft. Es kann dabei ganz (Abb. 11) oder teilweise (Abb. 9 und 10) durch die Löcher geführt werden. Auch die Schilde Abb. 12—22 dürfen zu dieser Gruppe gezählt werden, wenngleich in einigen Fällen die Ösen der Mittelleiste nicht mehr ihrer Funktion entsprechend benutzt werden oder benutzt werden können. Typisch für diese Gruppe von Schilden sind auch die häufigen Ösen in den •oberen Teilen der Mittelleisten (Abb. 2 - 5 , 7, 9 und 13—22). Sie dienten zweifellos der Fixierung eines zweiten, senkrecht verlaufenden Bandes, welches die Funktion hatte, das querverlaufende Tragband an der Schildrückseite nach oben zu ziehen. Leider ist dieses Band nur noch an vier Schilden erhalten geblieben (Abb. 13 und 20—22). Über den Sinn dieser Anordnung müssen wir leider im unklaren bleiben. Eine herausfallende Besonderheit zeigen die Schilde Abb. 14 bis 18 und zum Teil 19: eine vierfache Perforation der Schildfläche. Da Teile oder Reste einer Bindung in einzelnen Löchern sichtbar sind, kann nicht angenommen werden, daß es sich in allen Fällen um eine zufällige Anordnung handelt. Es ist möglich, •daß zwei parallellaufende Bänder die Tragvorrichtung bildeten (vgl. Abb. 26). Funktionell könnte das obere dabei zum Durchstecken des Armes, das untere -als Handgriff gedient haben. Eine solche Lösung wäre als Inspiration durch die •Griffschilde aufzufassen, zumal auch bei ihnen die Griffe nicht selten unterhalb
206
FRANK TIESLER
der Mitte angelegt sind, wie das auch bei unseren Schilden der Fall ist. Das Gewicht des Schildes wird dabei vom Träger gewissermaßen hebend getragen. Diese Besonderheit darf wohl als typisches Merkmal einer auf M a n a m beheim a t e t e n regionalen Variante der Hatzfeldhafen-Schilde angesehen werden. Die zweite Gruppe (B) ist nur m i t drei E x e m p l a r e n belegbar (Abb. 27—29), die sich jedoch deutlich v o n den Schilden der Gruppe A abheben. Die Mittelleisten sind hier auch formal nicht für eine Ausarbeitung zu Ösen angelegt (vgl. dagegen Abb. 18). An einen Verlauf der Bindung über die Schildvorderseite scheint demnach bei diesem T y p nicht gedacht worden zu sein. Den für diese Gruppe typischen Tragbandverlauf zeigen Abb. 27 und 28. Der vorderseitige Verlauf der Rotanstreifen von Abb. 29 dürfte ebenso sekundärer Natur sein, wie die auf Abb. 28; und 29 an den Mittelleisten vorhandenen Durchbrüche. E i n e weitere Unterteilung dieser Gruppe (B) wird dadurch nicht gerechtfertigt. Die Dekortypen entsprechen im wesentlichen den beiden Bindungstypen A und B . Ohne bei Einzelheiten zu verweilen, soll die Einteilung zunächst n a c h den Grundgedanken der Dekoranordnung getroffen werden. Dekortyp B , der einfachere und wohl als Ausgangstyp aufzufassende, bleibt auf die Schilde des Bindungstyps B beschränkt und ist somit unter Hinzuziehung von Abb. 30 durch vier Exemplare belegt. Am klarsten zeigt ihn Abb. 2 7 O b e r - und Unterkante des Schildes bilden die Basis von Dreiecken, deren K a n t e n gezahnt sind und welche die Umrisse einander zugewandter Gesichter bilden. Die beiden „Kinnspitzen" sind durch eine Mittelleiste verbunden. Die Dekoranordnung ist neben einer zwangsläufigen (?) vertikalen Symmetrie vor allem horizontal weitgehend symmetrisch getroffen worden. Die gedachte horizontale Symmetrieachse verläuft dabei durch die Schildmitte. 5 0 Abb. 28—30 zeigen wohl einen reicheren Dekor als Abb. 27, dagegen eine zunehmende Verwässerung der Grundidee, die jedoch noch erkennbar
Fig. 2. Dekortypen. bleibt. Typisch für diesen Dekortyp ist die in äußerst flach gehaltenem Relief ausgeführte Darstellung. Dekortyp A ist verbunden mit den Schilden des Bindungstyps A. Der dem Dekortyp B zugrunde liegende Gedanke zeigt sieh auch hier noch. Mit einer Ausnahme (Abb. 5) finden sich die beiden mit den Spitzen einander zugewandten Dreiecke auch 50
Allein diese horizontale Axialsymmetrie ist im folgenden Gegenstand der B e trachtung.
Tragbandschilde
207
a n allen Schilden des B i n d u n g s t y p s A. Aber n u r in wenigen Fällen fungieren die Dreiecksflächen noch als Träger v o n Gesichtsdarstellungen (Abb. 9 u n d teilweise Abb. 4). Meistv sind sie m i t zumindest v o n der Anlage her symmetrisch gedachten O r n a m e n t e n ausgefüllt. Lediglich bei einem Beispiel k ö n n e n diese O r n a m e n t e m i t einiger Sicherheit v o n Gesichtsdarstellungen abgeleitet werden (Abb. 14). Beherrschendes Zierelement dieses Schildtyps ist eine die Mittelleiste u n t e r b r e c h e n d e Gesichtsdarstellung geworden, die meist in der Schildmitte, h i n u n d wieder darüber, nie aber d a r u n t e r plaziert ist. Mit ziemlicher Sicherheit dürfen wir hierbei a n eine E n t l e h n u n g v o m Dekor der Griffschilde dieses Gebiets denken, der ebenfalls auf einer vorherrschenden, oft oberhalb der Mitte befindlichen Gesichtsdarstellung b a siert. Teilweise m a c h t auch die stilistische Gestaltung der Gesichter diesen Zusamm e n h a n g deutlich (vgl. Abb. 14—16, 19, 20). I n den meisten Fällen h a t sich jedoch eine im Gebiet v o n Hatzieldhafen angesiedelte regionale Stilvariante bei den Gesichtsdarstellungen b e h a u p t e n können. Kennzeichnend sind die vergleichsweise geringe Plastizität der Darstellung u n d Besonderheiten in der B e h a n d l u n g der Augen-Stirn-Region. 6 1
Neben diesen unterscheidenden Merkmalen gibt es einige Details, die beiden Typen gemeinsam sind und somit als kennzeichnende Dekoreigenheiten der Tragbandschilde des Hatzfeldhafen-Gebietes gelten dürfen. Auffällig sind die gezahnten K a n t e n der m i t Gesichtern ausgefüllten Dreiecke (Abb. 4, 9, 27—30), die auch dort erhalten bleiben, wo die Gesichtsdarstellungen fehlen. Meist weisen auch die u n t e r e n H ä l f t e n der zentralen Gesichtsdarstellungen des T y p s A diese Z a h n u n g auf. Plausibel ist H Ö L T K E R S E r k l ä r u n g , wonach es sich dabei u m die Darstellung des Bartwuchses handeln soll. 62 D u r c h K A U F M A N N wissen wir, d a ß a u c h andere Deutungsmöglichkeiten zumindest nicht ausgeschlossen werden dürfen. 5 3 Als typisch sind auch die bereits e r w ä h n t e n „Spiralschäfte" anzusehen. Meist paarig a u f t r e t e n d , gehen sie von der Mittelleiste aus (Abb. 6, 8, 10, 15, 17—21, 28), k ö n n e n aber auch, vor allem bei den Schilden des Typs B, aus den Stirnregionen der einander z u g e w a n d t e n Gesichter herauswachsen (Abb. 27, 29, 30 vgl. auch Abb. 7). H i n u n d wieder enden die Schäfte in einer Doppelspirale (Abb. 28, 30). Zuletzt e r w ä h n t sei noch ein Dekorelement, das wegen seiner Plazierung a m besten als „Ohr" bezeichnet werden k a n n . Ebensowenig wie bei den Spiralschäften k a n n hier etwas über den Bedeutungsinhalt des O r n a m e n t e s ausgesagt werden, wenngleich z. B. auf Abb. 13 die Ähnlichkeit m i t einem Ohr u n v e r k e n n b a r ist (vgl. dagegen Abb. 19 u n d 20. Bei letzterem wurde die A n o r d n u n g wohl infolge der Schmalheit der zur V e r f ü g u n g stehenden Fläche verschoben). Charakteristisch ist a u c h die geringe H ö h e der Schilde. Mit einem D u r c h s c h n i t t v o n 114 cm scheint jedoch T y p B ( E x t r e m w e r t e : 103/125 cm) höher zu sein als die Schilde des T y p s A (Durchschnitt 99 cm, E x t r e m w e r t e : 84/114 cm). Die durchschnittliche Breite liegt einheitlich bei 32 cm.
Wägt man Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Schildtypen A und B gegeneinander ab, so fällt es schwer, eine Aussage darüber zu treffen, ob es sich 51
Vgl. D a l u a - T y p bei
52
HÖLTKER
53
KAUFMANN
TIESLER
1963. 1968, S.
77.
1968, S. 56.
208
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ehemals um einen Schildtyp handelte, aus dem sich im Laufe der Zeit eine jüngere Form herausentwickelt hat, oder ob man von vornherein zwei unterschiedliche Tragbandschildtypen annehmen muß. Die Unterschiede in der Tragbandanordnung und die damit zusammenhängende morphologische Verschiedenheit der Schilde könnte die letztere Annahme wahrscheinlich machen. Es muß auch daran gedacht werden, daß eine annähernd gleichartige Variabilität in der Tragbandführung bei keinem der bislang aus dem Sepik-Gebiet bekannt gewordenen Tragbandschildtypen zu finden war. Alle diese Typen haben, jeder für sich, ein relativ einheitliches Erscheinungsbild. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, daß Typ A keine Besonderheiten außer den (nur bei A 1 und A 2 auftretenden) Seitenösen aufweist, die nicht schon bei den Schilden des Typs B .vorgebildet sind. Das trifft für die Mittelleiste ebenso zu wie für die Dekoranordnung. Die herausfallende zentrale Gesichtsdarstellung wurde bereits als eine durch Griffschildeinflüsse stimulierte Zutat gekennzeichnet. Solange unsere Materialkenntnis für dieses Gebiet keinen größeren Umfang gewinnt, darf man wohl schlußfolgern, daß es sich ehemals um einen Schildtyp gehandelt hat. Mit dem Vordringen der Griffschilde und dem Absinken der Bedeutung des Bogens gerieten die alten Schilde zwar nicht in Vergessenheit, aber ihre Funktion begann sich zu verändern. Sie wurden, bei den einzelnen Gruppen in unterschiedlicher Weise, der neuen Bewaffnung als zusätzliches Deckungsmittel beigefügt. Der gemischten Offensivbewaffnung entsprach auch die gemischte Defensivbewaffnung. Dabei veränderten sieh die umfunktionierten Schilde: Sie wurden kleiner (Typ A) und übernahmen Dekorbesonderheiten der dominierenden Griffschilde (Abb. 22 als Extrembeispiel). Ob der nunmehrige Verlauf des Tragbandes über die Vorderseite und die damit verbundene Umgestaltung der Mittelleiste zu einer Reihe von Ösen durch die neue Tragweise bedingt waren, bleibt unklar. H Ö L T K E R S Bemerkung über die Manam-Tragweise deutet aber diese Möglichkeit zumindest an. 54 Neben der sich neu bildenden Form erhielt sich jedoch noch der alte Grundtyp (B). Wenngleich nur noch von untergeordneter Bedeutung und, wie es angesichts des Zahlenverhältnisses der vorgestellten Serie scheinen will, auch quantitativ im Hatzfeldhafen-Gebiet kaum noch in Erscheinung tretend, besitzt er doch für Vergleiche mit den anderen Tragbandschildtypen stärkere Relevanz als der überfremdete Typ A. Wir müssen berücksichtigen, daß die Verbreitungsgebiete der anderen Tragbandschilde zwar ebenso wie die Hatzfeldhafen-Küste eine periphere Lage gegenüber den vom Sepik ausgehenden Entwicklungen haben, zugleich aber auch entfernt von allen anderen stärkeren neuen Einflüssen sind, die naturgemäß zuerst an der Küste wirksam werden. Trotzdem blieben auch an der Küste die alten Elemente stark genug, selbst auf die Griffschilde auszustrahlen, wie die beiden Schilde aus dem Dorfe Moro (Abb. 31 und 32) beweisen. 54
Siehe oben.
209
Tragbandschilde
Nachdem die notwendige und mögliche Klarheit über die Tragbandschilde des Hatzfeldhafen-Gebietes und ihre typischen Merkmale gewonnen wurde, können wir zu den oben gestellten zwei Fragen zurückkehren und sehen, inwieweit sich Übereinstimmungen mit den anderen bisher bekannt gewordenen Tragbandschildtypen des Sepik-Gebietes ergeben. Die Ramu-Keram-Schilde lassen für den Bindungsverlauf keinen Vergleich zu. Lediglich die in Schildkantennähe angebrachten Perforationen bilden eine Ähnlichkeit, jedoch von so allgemeiner Natur, daß sie als Argument entfallen muß. I m Dekor der Schildfläche treten dagegen Übereinstimmungen in nicht zu übersehender Deutlichkeit auf. Während der auf die obere Schildhälfte beschränkte Dekor als typisch und der leicht erhabene ornamentierte Keil (Abb. 33 —35) als kennzeichnend für diesen Schildtyp angesehen werden, besitzt er, wenn auch weniger häufig, andere Dekoreigenheiten, die ihn den HatzfeldhafenSchilden ähnlicher machen. Neben der axialsymmetrischen Dekorverteilung 55 finden wir auch deren Hauptmerkmal, die beiden meist in erhabenen Feldern liegenden einander zugewandten Gesichter. I n einem besonders deutlichen Falle sind sie sogar durch eine ausgeprägte Mittelleiste miteinander verbunden. 5 6 Ob diese Merkmale als typisch anzusehen, als jüngerer Einfluß oder als Relikt einer früher üblichen Dekor weise zu werten sind, muß vorläufig offen bleiben. Die Telefomin-Schilde zeigen ebenfalls einen — wohl durch ihre besondere Funktion bedingten — ganz eigenen Bindungsverlauf. Im Dekor finden wir jedoch einige bekannte Elemente wieder. Die axialsymmetrische Dekoranordnung darf für diese Schilde als kennzeichnend gelten. Daneben finden wir häufig die m. E. im Sepik-Gebiet sonst nicht auftretenden Spiralschäfte, auch in ihrer Ausprägung zur Doppelspirale. Sie gehen oft von der Mittelachse aus und zeigen sogar eine dem Dekor der Hatzfeldhafen-Schilde vergleichbare Anordnung. 57 Auch die an Ober- und Unterkante ansetzenden Dreiecksfelder finden wir bei den Telefomin-Schilden angedeutet! Die Anordnung der Spiralschäfte, „X-Zeichen mit Spiralen an den Enden", wird von S C H U S T E R als die Abwandlung zweier einander zugewandter Gesichter (!) aufgefaßt. 5 8 Die Tragbandschilde des Sepik-Oberlaufs sind in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Der von der Oberkante aus verlaufende und das Tragband nach oben ziehende senkrechte Bindungsstrang ist eine Besonderheit, die bislang nur an den Obersepik- und nun auch an den Hatzfeldhafen-Schilden beobachtet werden konnte. Es läßt sich allerdings vermuten, daß der ansonsten funktionslose Zapfen, der über die Oberkante der Angriffshafen- und teilweise der Berlinhafen-Schild e ragt und vereinzelt auch an Keram-Ramu-Schilden auftritt 5 9 , sowie die Perforation an der Oberkante der Lumi- Schilde, ursprünglich der Fixierung eines Vgl. KELM I I I 1968, A b b . 394, 395,
399.
56 Vgl. ebenda, besonders Abb. 394, aber auch 390, 395, 399; SCHMIDT 1929, Taf. III Abb. I X . 57 Vgl. a u c h A b b . 28 u n d GRANSTONE 1968, pl. 2 a . 58 S C H U S T E R 1 9 6 8 , S . 1 3 f . 14
Vgl. KELM I I I 1968, A b b . 399, a u c h
Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. X X V I I
394.
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senkrecht verlaufenden Stranges gedient haben. Eindrücklich tritt auch die axialsymmetrische Anordnung der Ornamente hervor. Bei ihnen ist es zum Teil unverkennbar, „daß sie die Details großer, überaus stark stilisierter, mit einer Ausnahme fast spiegelbildlich angeordneter Antlitze darstellen, deren gemeinsamer, zumeist bezahnter Mund in der Schildmitte liegt" co . Spiralschäfte lassen sich bei vielen Schilden dieses Gebietes ebenfalls1 leicht erkennen. Die im Lumi-Gebiet auftretenden Tragbandschilde zeigen trotz der bereits bekannten randnahen vierfachen (bzw. achtfachen) Perforation und der an der Schildoberkante befindlichen Schlaufe einen Tragbandverlauf, der mit den bislang bekannten Typen nicht direkt vergleichbar ist. Ob die obere Schlaufe als Rudiment eines ehemals senkrecht verlaufenden Bindungsstranges deutbar ist, mag dahingestellt bleiben. Bekannte Züge birgt dagegen die Ornamentierung der Schilde. Trotz der zum Teil seitlich ausschwingenden Spiralen in der Mitte (vgl. Abb. 37) ist die axialsymmetrische Anordnung deutlich erkennbar geblieben. Die großen Doppelspiralen an den Enden machen den Eindruck einander zugewandter stilisierter Gesichter. Der Dekor baut sich auf den gleichen Grundelementen auf wie beispielsweise der der Telefomin-Schilde. Abb. 39, 40 und Chicago 139 455 zeigen deutlich, daß die Doppelspiralen als eine Bündelung der auf den Telefomin-Schilden kreuzweise angeordneten auseinanderlaufenden Spiralschäfte aufgefaßt werden können. Die mittlere Ausbuchtung, bei den LumiSchilden in Form konzentrischer Kreise, verdeutlicht diese Wirkung. Ähnlichkeiten in den Grundelementen des Dekors bestehen auch mit einigen ObersepikSchilden und Stücken aus dem Berlinhafen-Gebiet (vgl. Abb. 49). Die Schilde aus dem Dorf Kabine im Hinterland der Berlinhafen-Küste tragen einen deutlich axialsymmetrisch angeordneten Dekor mit Dreiecksfeldern an Ober- und Unterkante, deren Spitzen zur Schildmitte weisen. Die sogenannten Berlinhafen-Schilde wurden von S C H M I D T wohl zu Recht in zwei Gruppen geteilt. Gi Gemeinsam ist ihnen jedoch die Eigenart einer sehr weit in der Schildmitte fixierten Tragbandführung, die im Sepik-Gebiet mit Ausnahme der Kabine-Schilde ohne Parallele ist. Im Dekor zeigt die westliche Gruppe (Typ Angriffshafen) eine sehr deutliche Axialsymmetrie. Die Anordnung der Ornamente legt zum Teil einen Vergleich mit einigen Keram-Schilden nahe. 62 Einige Schilde zeigen von den Hatzfeldhafen-Schilden her bekannte Dekoreigenheiten in voller Deutlichkeit: Abb. 46. Field Mus. Nat. Hist. Chicago 139445 (J. N. Field E x p . 1 9 0 9 - 1 3 ) . Herkunft: Sissano Höhe: 184 c m ; Breite: 73 cm Abb. 47. Field Mus. Nat. Hist. Chicago 139447 (J. N. Field E x p . 1 9 0 9 - 1 3 ) . Herkunft: Sissano Höhe: 169 c m ; Breite: 56 cm 60 K E L M
I I 1966, Abb. 1 9 7 - 2 2 0 .
ET SCHMIDT 1 9 2 9 , S . 1 7 1 f . u n d A b b . X I I I u n d 62 V g l . b e i s p i e l s w e i s e SCHMIDT 1 9 2 9 , A b b . X I V ,
XIV. 1 und 3 mit Abb. I X ,
3.
Tragbandschilde
211
Abb. 48. Field Mus. Nat. Hist. Chicago 146 759 (Capt. H. Voogdt) Herkunft: Dallmannhafen Höhe: 165 cm; Breite: 61 cm Abb. 46 zeigt deutlich die einander zugewandten dreiecksförmigen Gesichtsdarstellungen und die beide verbindende Mittelleiste, die bei Abb. 47 allerdings fehlt und bei Abb. 48 in eine Reihe kreisförmiger Felder aufgelöst ist. Die Herkunftsangabe zu Abb. 48, welche eine Verschiebung der bisher angenommenen Verbreitungsgrenzen der Berlinhafen-Schilde zur Folge haben müßte, erscheint angesichts der Gleichartigkeit mit den Sissano-Schilden fraglich. Zu beachten bleibt jedoch das taragau-Motiv (vgl. S. 192), welches im Berlinhafen-Gebiet nicht auftritt, dagegen für die Inseln und Küstengebiete östlich von Dallmannhafen typisch ist. Die andere, zahlenmäßig anscheinend bedeutendere Gruppe (Typ Arop, Berlinhafen), weist eine wesentlich variantenreichere Ornamentik auf. Die über und über ornamentierten Schildflächen lassen einen Grundgedanken der Dekoranordnung nur schwer erkennen. Vielfach findet man jedoch noch eine streng axialsymmetrische Gliederung gewahrt. Sie wird jedoch oft von zusätzlichen Dekorelementen überwuchert. 63 Häufiger Bestandteil des Dekors sind auch hier meist paarig angeordnete, von der Mitte ausgehende Spiralschäfte.164 Die vielfältigen und oft sehr unterschiedlichen Dekorformen weisen häufig eine Ähnlichkeit mit denen anderer Schildtypen auf. So deutet ein durch E R D W E G veröffentlichter Schild von Tumleo, der durch seine jegliche Krümmung vermeidende Ornamentik herausfällt 65 , auf die Schilde des Berlinhafen : Hinterlandes hin. Deutlich sind bei diesem Stück die beiden von Ober- und Unterkante ausgehenden Dreiecksfelder und die zentrale Gesichtsdarstellung erkennbar. Neben Parallelen zum Schilddekor im Gebiet des Leonhard-Schultze-Flusses 66 finden wir auch Exemplare, deren Ornamentik Gemeinsamkeiten mit der der TelefominSchild e zeigt: Abb. 49. Naprstek Museum Prag 16 762 Herkunft: ohne, wohl Berlinhafen-Gebiet 67 Höhe: 82 cm; Breite: 35 cm Bemalung: weiß, rot, schwarz Die Schwärzung der erhabenen Ornamentteile nicht durch Farbe sondern durch Verkohlen ist schließlich eine Besonderheit, welche die BerlinhafenSchilde mit denen aus Kabine und vom Sepik-Oberlauf teilen. os z . B . EBDWEG 1902, S. 327, A b b . 2 2 6 c . M U . a. e b e n d a : CHAUVET 1930, T a f . 75 A b b . 303. «Ä EBJDWEG 1 9 0 2 , S . 3 2 7 .
66 MfV. Leipzig Me 7919, Malol; SCHUSTEK 1968, Abb. 46, Dorf Palu. Nach briefl. Mitteilung von Dr. E. HEBOLD (Prag) wurde das Stück vor dem ersten Weltkrieg von Musikanten erworben, die auf deutschen Schiffen spielten. 1952 wurde es aus dem Städt. Museum von Prisecnice (Erzgebirge) nach Prag übernommen. Die Herkunftsangabe lautete „Patershafen (Französische Kolonie)", womit Peterhafen auf den Französischen Inseln (Deslacs oder Vitu) gemeint sein dürfte. Die Herkunft aus dem Berlinhafen-Gebiet dürfte jedoch ohne Zweifel sein.
67
14»
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FRANK
TIESLER
Es wird ersichtlich, daß die räumlich voneinander so entfernten Tragbandschildtypen des Sepik-Gebietes typologisch in mehrfacher Hinsicht als eng verwandt gelten dürfen. Senkrechter Bindungsstrang, axialsymmetrische Dekoranordnung, die zum Teil gegeneinander gewandte Gesichter erkennen läßt, Spiralschäfte und Dreiecksfelder an Ober- und Unterkante sind Elemente, die jeweils alle oder einen großen Teil der einzelnen Tragbandschildtypen trotz aller Eigenheiten kennzeichnen. Weitere Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen Schildtypen deuteten sich an. Ein kurzer Blick auf die GrifFschilde läßt diese Tatsache noch deutlicher werden. 08 Die Griffschilde der Küste, des Sepik-Unterlaufes und des mittleren Sepik bis zum Dorfe Malu zeigen als beherrschendes Dekorelement eine meist in der oberen Schildhälfte pfazierte Gesichtsdarstellung. Alle anderen Ornamente sind dieser unter- bzw. zugeordnet. Die Dekorunterschiede zwischen den einzelnen Griffschildtypen sind nur stilistischer, nicht aber prinzipieller Natur. I m Laufe der weiteren Ausbreitung gelangte dieser Grundtyp, wenn auch zum Teil in abgewandelter Form, entlang der südlichen Sepik-Zuflüsse zum Beispiel bis in die Gegend des Alfendio 69 und sepikaufwärts etwa bis zum Leonhard-SchultzeFluß. Die über diese Grenze hinaus verbreiteten Griffschilde am oberen Sepik tragen bereits andere Dekormerkmale. Schon im Abschnitt Kara-WogumaschKupkein beginnt die beherrschende Gesichtsdarstellung zurückzutreten. Axialsymmetrische Dekoranordnung und einander zugewandte Gesichter rücken in den Vordergrund. Im Gebiet des Mai-Flusses tauchen sogar die Spiralschäfte als Dekor eines Griffschildes auf. Bemerkenswert ist jedoch, daß die im Sepik-Gebiet seltene Grifform des Schildes als Beweis für die besondere Altertümlichkeit dieser Kultur gilt. 70 Wie zum Teil im Hatzfeldhafen-Gebiet scheinen auch in dieser Kontaktzone zwischen beiden Schildarten Dekoreigenheiten der Tragbandschilde auf die GrifFschilde übertragen worden zu sein. Das räumlich durchmischte Auftreten beider Schildarten ist jedoch, anders als im Hatzfeldhafen-Gebiet, für den Obersepik nicht typisch — der Mai-Fluß kann als Grenze zwischen beiden angesehen werden. Eine Beeinflussung ist auch von, den in diesem Gebiet häufigen Rindenmalereien her denkbar. Bereits bei den Kwoma zeigen sie als Motiv die einander zugewandten Gesichter, um schließlich am Mai-Fluß in den Dekortyp des Telefomin-Gebietes bzw. des oberen Sepik überzugehen. 71 In der südlichen Randzone der Griffschildverbreitung wandelt sich der Dekor in ähnlicher Weise. Aus dem Gebiet zwischen Korowori und Korosemeri sind Schilde mit axialsymmetrischer Dekoranordnung bekannt geworden, unter ihnen solche mit einander zugewandten Gesichtern, die durch eine Mittelleiste verbunden sind. 72 «8
Vgl. hierzu das Material in R E C H E H A B E R L A N D 1963; 1965a und b.
70 H A B E R L A N D
1913; 69
1963, S. 116 u n d Taf. I I I ,
71
Vgl.
SCHUSTER 1 9 6 8 ,
72
Vgl.
HABERLAND
SCHMIDT
HABERLAND 4.
S. 13ff. u n d A b b . 29, 31,
1965a, Abb. 6c und 8.
33.
1929;
KELM I - I I I
1966b.
1966/68;
Tragbandschilde
213
Deutlich heben sich die durch mehrere Gemeinsamkeiten verbundenen Tragbandschildtypen des Sepik-Gebietes von den Griffschilden ab. Die bislang unbekannt gewesenen Typen aus der Gegend von Hatzfeldhafen, dem Hinterland der Berlinhafen-Küste und dem Lumi-Gebiet, verdichten dieses Bild entscheidend und verleihen zugleich der nun deutlicher zum Ausdruck kommenden Verbreitung eine viel stärkere Aussagekraft. 7 3 Vom Obersepik aus sind die Tragbandschilde nördlich und südlich bis zur Küste hin verbreitet. Trotz des heutigen punktuellen Auftretens darf vermutet werden, daß es sich ehemals um ein geschlossenes Verbreitungsgebiet gehandelt hat. Nördlich, im Gebiet zwischen Sepik und Küste, kommt das relativ deutlich zum Ausdruck, und es ist zu vermuten, daß die Zukunft weitere Belege aus diesem Raum bringen wird. I n dem südlichen Gebietsstreifen zwischen Fluß und Gebirgsrand dagegen scheint die große Lücke zwischen Mai/Frieda-Fluß und dem Keram/RamuGebiet nicht für eine solche Annahme zu sprechen. Wir haben jedoch gerade für dieses Gebiet mehrere Hinweise auf eine ehemals stärkere kulturelle Gleichartigkeit. Anhand stilistischer Merkmale hat erstmals B Ü H L E B die Zusammenhänge dieses Raumes aufgezeigt. 74 Namentlich am Beispiel der Hakenfiguren und verwandter Ausdrucksweisen im Gebiet zwischen Ramu (Sogeram) und oberem Mittellauf des Sepik läßt sich das illustrieren. Wichtig ist es festzustellen, daß die kulturellen Traditionen der Bewohner dieses Gebietes meist nicht den Flußläufen folgen, sondern quer zuihnen, d. h. in Ost-West-Richtung, verlaufen. 75 Am Sepik selbst beginnt sich bereits vom Gebiet der Kwoma an eine nordwärts gerichtete Orientierung in den Traditionen bemerkbar zu machen. Sie kommt auch bei den Gruppen am mittleren Mai-Fluß und am Gelb-Fluß zum Ausdruck. 76 Die Tragbandschilde bilden somit ein zusätzliches Indiz für die sich hier abzeichnenden Zusammenhänge. Die erwähnten einheitlichen Pfeiltypen v fügen sich ebenfalls in dieses Bild ein. Historisch jüngere Einflüsse, in unserem Fall Speer und Griffschild, gelangten dann von der Küste ausgehend sepikaufwärts und drängten die älteren Tragbandschilde in die peripheren Lagen des Sepik-Gebietes. Völlig durchzusetzen vermochten sie sich jedoch nur an Teilen der Küste, sowie am Unter- und Mittellauf des Sepik. Bereits in den Randgebieten ihrer Verbreitung wurden sie vom Dekortyp der Tragbandschilde beeinflußt, der sich auch auf anderen Kulturelementen, z. B. den Rindenmalereien, erhalten konnte. I n den auseinandergedrängten Verbreitungsgebieten setzte sich der wohl bereits wesentlich früher begonnene Prozeß der Sonderentwicklung und lang73
V g l . K a r t e 3.
75
7/
SCHUSTER 1967, S. 275ff. Die heutigen Flußsiedlungen sind vielfach erst auf Betreiben der Weißen entstanden. „Daß die Flußorientierung jung ist, zeigt auch die sprachliche Gliederung in diesem Gebiet, die nicht den Flußläufen folgt, sondern über sie hinweggreift." (Ebenda, S. 276). Auch heute noch sind die Verbindungen in den Gebieten zwischen den Flüssen lebhafter als die flußabwärts gerichteten.
76
KAUFMANN 1 9 6 8 , S . 6 8 ; SCHUSTEB 1 9 6 7 , S. 2 7 7 u n d 2 7 9 .
> BÜHLEB 1960.
214
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samen Umformung der einzelnen Tragbandschildtypen fort. Er führte zu dem differenzierten und oft schwer vergleichbaren Bild, das die Tragbandschilde des Sepik-Gebietes heute bieten. Die gemeinsamen Grundelemente sind jedoch erkennbar geblieben und belegen den alten Zusammenhang. Hinzu kamen die unterschiedlichen Einflüsse, die auf die einzelnen Verbreitungsgebiete einwirkten. Sie bewirkten beispielsweise an der Küste, wo historisch jüngere Kulturzüge besonders stark wirksam werden konnten, neben dem Funktionswandel der Schilde die teilweise Übernahme von Elementen aus dem Dekortyp der Griffschilde. Daß sich auch ein ursprünglicherer Typ an der Küste halten konnte, erklärt sich aus den eng verflochtenen Beziehungen zwischen Küsten- und Hinterlandgruppen. Dadurch wurden nicht nur die Tragbandschilde an der Küste gehalten sondern, sowohl westlich als auch östlich der Speerzone, auch der hier ältere Waffentyp Pfeil und Bogen immer wieder zur Küste vermittelt. 77 Als sich zu Beginn unseres Jahrhunderts der europäische Einfluß an der Küste entfaltete, wurde der Zusammenbruch der Küstenkultur als Gesamterscheinung lange verhindert, da sich die Beziehungen zum nichtbeeinflußten Hinterland als stützender Faktor erwiesen. 78 I n verstärktem Maße dürfte das Hinterland die gleiche Funktion ausgeübt haben, als der mit der Ankunft der Austronesier beginnende Kulturwandel die Küste ergriff, wenngleich er infolge des geringeren kulturellen Gefälles nicht gleichermaßen destruktiv wirkte. Die Einflüsse der Hinterlandgruppen auf die Küstenkultur sind bislang kaum beachtet worden. Im Vordergrund stand zu sehr die Vorstellung von der Ausstrahlung der Küste in die Hinterlandgebiete. Diese ist jedoch in den einzelnen Abschnitten der Küste sehr unterschiedlich. Bei den weitgehenden Einflüssen im Gebiet der Arapesh z. B. ist zu berücksichtigen, daß es sich hier um eine einheitliche nichtaustronesische Sprachgruppe handelt, die sich tief ins Inland hinein erstreckt. I n Gegenden vorwiegend austronesischer Besiedlung ist dagegen der Einfluß gering. Der Unterschied zwischen den räumlich so dicht benachbarten Schilden aus Kabine und denen der Berlinhafen-Küste macht das anschaulich. Die Frage, ob die hier vorgestellten Tragbandschilde als austronesisches oder nichtaustronesisches Kulturelement aufzufassen sind, wurde bisher absichtlich zurückgestellt. Sie beantwortet sich aus dem Vorangegangenen von selbst. I m Hatzfeldhafen-Gebiet treten die Tragbandschilde bei austronesischen (Manam, Sepa, Wanami) und nichtaustronesischen Gruppen auf. An der BerlinhafenKüste sind die Schilde des östlichen Typs vorwiegend bei austronesischen Gruppen zu finden, während die des westlichen Typs mehr in nichtaustronesischen Gebieten heimisch sind. 79 Alle Inlandschilde stammen von nichtaustronesischen Gruppen. 78
77
TIESLER I 1969, S. 75 ff.
70
Z u r s p r a c h l i c h e n S t e l l u n g d e r K ü s t e n g r u p p e n vgl. TIESLEE I 1969, S. 21ff u n d I I 1970, A n h a n g : D i e l i n g u i s t i s c h - d e m o g r a p h i s c h e S i t u a t i o n .
EBENDA, S. 10.
Tragbandschilde
215
Für die Küstenschilde allein ist das Bild zu verworren, um eine Zuordnung treffen zu können. Im Rahmen einer echten, sich konsolidierenden Mischkultur, wie wir sie an der Küste vorfinden80, dürfen wir kaum erwarten, einzelne Kulturelemente allein bei ihren ehemaligen Schöpfern und Trägern vorzufinden. Oft sind die funktionellen Bezüge zerrissen oder durch andere ersetzt worden, wie im Gebiet von Hatzfeldhafen. Erst die Einfügung der Hatzfeldhafen- und Berlinhafen-Schilde in das Problem der Tragbandschilde im gesamten Sepik-Gebiet läßt das Bild klar werden. Es zeigt die Tragbandschilde als Elemente einer älteren Kulturschicht, die trotz Überlagerungen und Veränderungen durch historisch jüngere Kulturen auch an der Küste noch erkennbar geblieben ist. Es wird deutlich, daß die Kulturen des Sepik- Stromtales und der vorgelagerten Küste im Zusammenhang gesehen werden müssen, wenn ihr historischer Werdegang erklärbar werden soll. Voraussetzung dafür ist jedoch auch ein besseres Bekanntwerden der materiellen Kultur der Küstengruppen, wozu die vorliegende Arbeit beitragen soll.
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Zur gegenwärtigen Situation des Dorfes Suchodol Bezirk Burgas, Y. R. Bulgarien 1 von
WALTER BÖTTGER,
Leipzig
(Mit, 11 Abbildungen auf Tafel L I I - L V I )
Suchodol 2 ist ein relativ junges Dorf. Nach Angaben unseres Gewährsmannes -wurde es erst im 19. J h . gegen Ende der Türkenherrschaft über Bulgarien von Türken gegründet und trug ursprünglich auch einen türkischen Namen — Kurudere; diese Ortsbezeichnung wurde später im bulgarischen Namen Suchodol beibehalten. Die ursprünglich zum größten Teil aus Türken bestehende Dorfbewohnerschaft erfahr eine andere Zusammensetzung, nachdem in den Jahren 1885—1908 die Reste der türkischen Provinz Rumelien an das damalige Fürstentum Bulgarien verwaltungsmäßig angeschlossen und dem nachmaligen Königreich Bulgarien endgültig einverleibt wurden. Damals wanderte die türkische Ortsbevölkerung bis auf wenige Familien aus, ihre Anwesen wurden von bulgarischen Familien übernommen; heute ist die Bevölkerung rein bulgarisch. I n dem am Orte gesprochenen Dialekt haben sich aber bis auf den heutigen Tag noch zahlreiche Turkizismen und türkische Lehnwörter gehalten, was die Verständigung ziemlich erschwert — eine Erscheinung, die man in fast allen östlichen Landesteilen, die ja nach der Befreiung Bulgariens von der Türkenherrschaft im Jahre 1878 bis zum Jahre 1908 unter tjirkischer Oberhoheit verblieben, feststellen kann. Das Dorf liegt in etwa 180 m Höhe über dem Meeresspiegel, auf rötlichem, fetten Boden, in dem fruchtbaren Hügelgelände, das sich östlich der Bakadzicite zwischen dem Stranza-Gebirge im Süden und den östlichen Ausläufern des Balkans erstreckt. Seine Häuser stehen am nördlichen Rand eines etwa 20—30 m tiefen Tales, das von einem in südöstlicher Richtung verlaufenden Bach in die 1
Dieser Aufsatz e n t s t a n d auf Grund eigener Beobachtungen u n d von Informationen seitens eines Mitglieds des Dorfsowjets während eines sechstägigen Aufenthaltes im Dorfe Suchodol in der VR Bulgarien im Oktober 1968, dessen Besuch sich f ü r meine F r a u u n d mich zufällig ergab. Da er nicht im R a h m e n eines vorbereiteten Studienaufenthaltes s t a t t f a n d u n d weder seitens bulgarischer staatlicher Stellen noch vom Dorfsowjet irgendwie organisiert worden war, entsprechen unsere E i n d r ü c k e im wesentlichen der tatsächlichen Alltagssituation eines gewöhnlichen Dorfes, nicht etwa denen eines Musterdorfes. Viele der dabei gemachten Beobachtungen u n d E r f a h r u n g e n d ü r f t e n über den R a h m e n des besuchten Dorfes h i n a u s f ü r die gegenwärtige Situation abseits gelegener Dörfer der V R Bulgarien allgemein charakteristisch sein. 2 Der N a m e b e d e u t e t etwa „Trockental".
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Hügelfläche eingeschnitten wurde. Dieser Bach wird innerhalb der Dorfgemarkung aus mehreren Quellen gespeist, deren Wasser ebenfalls zahlreiche, mehr oder weniger tiefe Rinnen in den Boden gegraben haben. Zum Teil wurden diese Quellen schon in der Türkenzeit zu Brunnen und Viehtränken umgebaut. Der Bach wurde von den Dörflern nach dem 9. I X . 1944 — dem Gründungstag der VR Bulgarien — durch Errichtung eines Dammes zu einem kleinen See von •etwa 700 m Länge und 20—30 m Breite angestaut, dessen Wasser mittels einer zur selben Zeit errichteten Pumpenstation zur Bewässerung der auf den angrenzenden Hügeln gelegenen Felder genutzt wird. Der Stausee dient gleichzeitig zur Haltung von Wassergeflügel, vornehmlieh Gänsen, die die Dörfler auf individueller Basis betreiben; sein Fischreichtum bildet eine willkommene Bereicherung des Küchenzettels. Ein zweiter, wesentlich kleinerer Stausee liegt nordöstlich des Dorfes; er wurde ebenfalls erst nach dem Jahre 1944 angelegt. Verkehrsteehnisch liegt das Dorf abseits der großen Verkehrsverbindungen. 3 Obwohl es von der Bezirkshauptstadt Burgas in Luftlinie nur 40 km entfernt ist, ist es erst in den Jahren nach Errichtung der Volksherrschaft in Bulgarien durch den Ausbau einer Piste zur Landstraße zweiter Ordnung an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen worden. Abseits von dieser Landstraße spielt sich der Verkehr mit den Nachbardörfern noch immer nur über Feldwege oder unbefestigte Pisten ab, die bei schlechtem Wetter kaum befahrbar sind. Heute ist Suchodol Endstelle einer von Burgas ausgehenden Autobuslinie. Die mit dem Bus zurückzulegende Strecke beträgt aber etwa 60 km, und nur die Hälfte der Strecke — bis zur Kreisstadt Grudovo — besitzt eine feste Straßendecke. Dann beginnt die Landstraße, die nur mit Steinschotter'» notdürftig, aber nicht dauerh a f t befestigt ist. Der Omnibus verkehrt nur einmal täglich; er verläßt das Dorf morgens gegen 5 Uhr und trifft abends gegen 19.30 Uhr wieder ein; zur Bewältigung der Strecke Suchodol-Grudovo-Burgas benötigt er etwa 150 Minuten. Immerhin bedeutet der Anschluß des Dorfes an das öffentliche Verkehrsnetz durch diese tägliche Busverbindung für die Dörfler eine gewaltige Verbesserung gegenüber den früheren Verkehrsverhältnissen. Verpaßt man aber diese Omnibusverbindung aus irgendeinem Grund, wie es uns erging, als wir das Dorf wieder verlassen wollten, dann ist man immer auf die Hilfsbereitschaft eines motorisierten Dorfbewohners angewiesen, denn im allgemeinen ist wegen des immer noch unbefriedigenden Straßenzustandes kein Taxifahrer zu bewegen, nach Suchodol zu kommen. Auch wir mußten diese Erfahrung machen und durften uns glücklich schätzen, daß uns der Besitzer eines „Trabant" auf schmalen Feldwegen, auf denen ein Ausweichen mit einem zufällig entgegenkommenden Fahrzeug vielerorts unmöglich gewesen wäre, sowie auf den letzten sechs Kilometern von 3
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Auf den handelsüblichen Landkarten der VR Bulgarien ist der Ort nicht angegeben, nur auf einer 1962 in Sofia erschienenen „Touristenkarte von Bulgarien" (Maßstab 1 : 500 000) findet er sich abseits jeder Verkehrsverbindung. Dieser Schotter wird von Zigeunerfamilien in Saisonarbeit mühevoll von Hand hergestellt, indem größere Gesteinsbrocken mit primitiven, offenbar selbst gefertigten Hämmern zerschlagen werden.
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dem Nachbarort Djulevo aus auf einer breiten, mehrspurigen Piste zu dem auf diese Weise nur etwa 15 km entfernten Grudovo brachte. I m Dorfe selbst sind die Straßen, abgesehen von dem Teilstück, das der Omnibus benutzt, völlig unbefestigt, uneben, von tief ausgefahrenen Rinnen durchfurcht und bei Dunkelheit halsbrecherisch. Bei schlechtem Wetter, vor allem im Winter, versinkt man auf ihnen nach Aussage der Dörfler bis zu den Knien, im Schlamm. Nach ihrer Breite gemessen würde sich allerdings manche unserer Kleinstädte glücklich schätzen, solch breite Straßen zu besitzen. Die Hauptstraße verläuft in west-östlicher Richtung; sie erweitert sich im Zentrum des Dorfes zu einem weiträumigen Platz, an dem die öffentlichen Gebäude stehen, auf die im folgenden ausführlicher eingegangen werden soll. Hier befindet sich auch die Bushaltestelle. Von dieser Hauptstraße zweigen rechtwinklig nach beiden Seiten die ebenso breiten, wenn nicht gar breiteren Nebenstraßen ab, die teils an Wirtschaftsgebäuden enden, teils in die Feldwege einmünden. An allen Straßen stehen Lichtmaste für elektrische Beleuchtung, die erst in den letzten Jahren gesetzt worden sind, jedoch haben wir es während unseres Aufenthaltes im Dorfe an keinem Abend erlebt, daß die Straßenbeleuchtung eingeschaltet worden wäre, vielleicht des Vollmondes wegen, der, nachdem er hoch genug stand, eine Straßenbeleuchtung auch völlig ersetzte. Flächenmäßig nimmt das Dorf einen ziemlich großen Raum ein, ohne daß sich zwischen den einzelnen Gehöften größere ungenutzte Flächen erstrecken. Es erweckt den Anschein, als sei es aus mehreren Ortsteilen zusammengewachsen. Das entspräche insofern der Regel, als zur Zeit der Türkenherrschaft der türkische und der bulgarische Teil der Bevölkerung am gleichen Ort in getrennten Ortsteilen (mahala) ansässig waren. Diese Trennung ging nach der Befreiung verloren. Nach Angaben unseres Gewährsmannes hat sich der Ort aus bescheidenen Anfängen zu einer stattlichen Siedlung von etwa 300 Häusern entwickelt und zählte im Jahre 1944 etwa 1700 Einwohner. Seither ist diese Entwicklung rückläufig, denn zur Zeit unseres Besuches im Jahre 1968 hatte das Dorf nur noch rund 700 Bewohner mit 62 Kindern im schulpflichtigen Alter. Die übrigen rund 1000 Bewohner haben ihr Dorf im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte verlassen und eine Beschäftigung in der rasch, aufblühenden Industrie der jungen Volksrepublik aufgenommen, besonders in den während der letzten Jahre neu errichteten Betrieben im Raum von Burgas, wo. offenbar ein großer Arbeitskräftebedarf auch a'n ungelernten Arbeitern besteht und die Lebens- und Entwicklungsbedingungen vorteilhafter sind als auf dem Lande. Abgewandert sind natürlich vor allem die jüngeren Leute, aber auch solche im mittleren Alter, und gegenwärtig ist die große Mehrzahl der Dorfbevölkerung älter als 40 Jahre. Seitens der Staatsorgane, so wurde uns wiederholt versichert, werde kein Versuch unternommen, die Abwanderer zum Bleiben zu bewegen, da ihnen das Dorf bei der rasch voranschreitenden Mechanisierung landwirtschaftlicher Arbeiten keine ausreichenden Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten bieten könne, in der Industrie hingegen Arbeitskräfte dringend benötigt würden. Das Argument, daß diese enorme Landflucht schon in absehbarer Zeit, spätestens aber mit Erreichung des Rentenalters der
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jetzt schon überalterten Dorfbevölkerung, spürbare Folgen für die Landwirtschaft mit sich bringen werde, glaubte unser Gewährsmann mit dem Hinweis auf die fortschreitende Technisierung derselben entkräften zu können. Wie im ganzen Lande herrschten auch im Dorfe Suchodol vor dem 9. I X . 1944 rückständige, kleinkapitalistische Verhältnisse auf der Grundlage des althergebrachten Zadruga-Systems. 5 Die Anbaumethoden und die dazu zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Geräte waren primitiv 6 , die erzielten Erträge niedrig. I m Jahre 1949 wurde im Dorfe von 30 Familien die erste landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegründet, der im Jahre 1950 auch die übrigen Familien mit Ausnahme von zehn, die weiterhin bei ihrer privaten Landwirtschaft verblieben 7 , beitraten. I m Zuge der weiteren Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft in der VR Bulgarien gab die LPG von Suchodol im Jahre 1959 ihre Selbständigkeit auf und schloß sich mit den LPG von vier benachbarten Dörfern zu einer Groß-LPG zusammen, von denen es im Jahre 1962 in der VR Bulgarien 972 gab. Die Gesamtanbaufläche dieser landwirtschaftlichen Großproduktionsgenossenschaft beträgt 72000 Dekar 8 oder 7200 ha; damit ist sie bald doppelt so groß wie die durchschnittliche Anbaufläche derartiger GroßLPG in der VR Bulgarien, die im Jahre 1963 mit 4200 ha angegeben wurde. 9 Die Anbaufläche der LPG, der das Dorf Suchodol angehört, wird wie folgt genutzt: 1. Getreide 2200 ha 2. Mais 800 ha 3. Sonennblumen 500 ha 5
4. Baumwolle 5. Wein 6. Obst
340 ha 120 ha 110 ha
Zum Zadruga-System s. z. B. bei R. P E S E V A , Struktura na semejstvoto i na roda v Bälgarija v kraja n a X I X i nacaloto na X X vek. I n : Izvestija na etnografskija institut i muzej, Bd. V I I I , Sofia 1965, S. 1 0 7 - 1 1 2 , sowie bei R. P E S E V A - P O P O V A , Materialen i duhoven bit na sävremennoto selsko semejstvo v selo R ä z e v o Konare, Plovdivsko. I n : Izvestija na etnografskija institut i muzej, Bd. IV, Sofia 1961, S. 83/84. •6 So wurde zum Pflügen noch weitgehend der sog. Schwingpflug (ralo) benutzt. Zum bulgarischen ralo s. z. B. bei V. M A B I N O V , Naselenie i bit na srednite Rodopi. I n : Kompleksna naucna rodopska ekspedicija prez 1953 godina — dokladi i materiali. Bälgarska akademija na naukite. Sofia 1955, S. 48—56. — N a c h Angaben v o n H . M Ü N N I C H gab es zur Zeit der Übernahme der Herrschaft durch die bulgarische Volksregierung nur 276000 eiserne Pflüge gegenüber 550000 Holzpflügen, 165000 Wirtschaften besaßen überhaupt keine landwirtschaftlichen Geräte und 200000 keine Zugtiere. (In: Zwischen Sofia und dem Schwarzen Meer, 2. Aufl., Leipzig 1962, S. 15). 7 I m Jahre 1968 gab es im Dorf nur noch zwei oder drei Familien, die nicht Mitglieder der LPG geworden waren und ihren Boden in althergebrachter Weise bestellten, wobei sie hart an der Grenze des Existenzminimums lebten, s Die bulgarische Landwirtschaft rechnet nach Dekar, nicht nach Hektar, wie e s bei uns üblich ist. E i n Dekar entspricht 1 / 10 ha, 10a oder 1000 qm. Bulgarien, Reiseführer v o n L. M E L N I S K I , Dr. I . B O K O V , D. K A S A S S O V und A . V E L Ö E V , Sofia 1963, S. 85.
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Die restlichen 3130 ha werden mit Futterpflanzen wie Luzerne und Runkelrüben! bestellt bzw. mit Gemüsekulturen (vor allem Tomaten und Paprika); die LPG baut aber auch Hanf, Anis, Koriander und in größerem Maße Wassermelonen a n ; eine uns nicht näher bekannte Mäche ist Wiese oder dient als Weidefläche.. Unter Getreide ist hauptsächlich Weizen zu verstehen. I n viel geringerem Maße und eigentlich nur zu Futterzwecken werden auch Hafer und Roggen. angebaut. 10 Der Durchschnittsertrag des Weizens liegt bei 360 kg/Dekar, was einem Hektarertrag von 36 dz entspricht. Das Ablieferungssoll der LPG beträgt 7100 t Weizen jährlich. An Mais erntet die LPG durchschnittlich 340 kg/Dekar. an Sonnenblumen 183 kg/Dekar, bei Baumwolle 90 kg/Dekar. An Wein werden sowohl weiße als auch blaue Traubensorten angebaut. Der durchschnittliche Hektarertrag von 80 dz bei Keltertrauben entspricht der für die VR Bulgarien, üblichen Norm. In den Obstplantagen herrschen Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen und Quitten vor. Die Obsterträge sind oft größer als die Aufnahmefähigkeit des Marktes; z. B. wurden im Herbst 1968 größere Mengen nicht absetzbarerÄpfel zur Schweinemast benutzt. Infolge der großen Fruchtbarkeit des Bodens erreichen manche Gemüsesorten hier ein Mehrfaches der bei uns üblichen Größe.. Zur Bearbeitung des Bodens stehen der Groß-LPG drei schwere Traktoren sowjetischer Bauart zu je 80 P S sowie zwölf mittelschwere zu je 54 P S zur Verfügung ; mit ihnen wird die Anbaufläche bis zu 40 cm Tiefe gepflügt. An leichten Geräteträgern und Lastkraftwagen besitzt die LPG 29 Stück von sowjetischer, deutscher, ungarischer und bulgarischer Bauart; dazu kommt noch die stattliche Zahl von 24 sowjetischen Kombines. Bei diesem gut bestückten Maschinenpark überrascht es nicht, daß Zugtiere — vor allem Pferde und Maultiere — nur noch eine sehr untergeordnete Rolle bei den landwirtschaftlichen Arbeiten spielen. Die gesamte Anbaufläche wird jährlich mit 6 dz Dünger pro Hektar gedüngt; über das Verhältnis von Stalldünger zu Kunstdünger liegen uns keine Angaben vor.. Gegenüber dem Ackerbau nimmt die Viehzucht in der Groß-LPG nur eine untergeordnete Stellung ein. Großvieh wird — außer einigen Zugtieren — überhaupt nicht gehalten, dafür aber 7000 Schafe, die jährlich 300—500 kg Wolle und 61 Liter Milch pro Schaf liefern. Nach Aussagen unseres Informanten ist die Schafzucht in den letzten Jahren stark rückläufig. Ehemals soll es im Dorfe Suchodol allein über 6000 Schafe gegeben haben, deren Zahl um etwa zwei Drittel zurückgegangen ist. Die Gründe dafür sind wohl die gleichen wie in anderen Teilen des Landes: Da die Land jugend zu einem großen Teil in die Industrie abwandert, ist kaum noch Nachwuchs für den Schäferberuf zu bekommen, weshalb viele LPG gezwungen sind, ihre Schafhaltung einzuschränken, wenn die gegenwärtig vorhandenen Schäfer aus Alters- oder Krankheitsgründen ihren Beruf aufgeben. 11 Trotzdem war im Jahre 1968 im Dorfe Suchodol noch ein 10 11
Die d a f ü r vorgesehene Anbaufläche ist uns n i c h t b e k a n n t . Vgl. dazu z. B . V. M A S I N O V , Skävremenen bit i k u l t u r a na ovcevädi ot k a z a n läskija staroplaninski r a j o n . I n : Izvestija n a etnografskija institut i muzej,. Bd. I X , Sofia 1966, S. 5 - 2 0 .
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spezieller Widderhirt für eine relativ kleine Herde von Schafböcken, die den größten Teil des Jahres getrennt von den Milchschafen weiden, beschäftigt. Das Schwergewicht der Viehhaltung liegt jedoch auf der Schweinezucht. Die Groß-LPG hält 7000 Schweine, wovon allein 1300 in Suchodol gemästet werden. Daß bei der Schweinemast unter anderem auch das nicht absetzbare Frischobstaufkommen Verwendung findet, war bereits oben erwähnt worden. Die LPG liefert jährlich 420 t Schweinefleisch an den Staat. Der neuerrichtete Maststall — ein Ziegelbau mit festem Dach und zementiertem Fußboden und anschließendem kleinen Auslauf für die Tiere, an dem Vorratsräume für Futtermittel und ein Aufenthaltsraum für den Schweinezuchtbrigadier und seine Gehilfen angebaut sind — liegt in unmittelbarer Nähe des größeren Stausees und wird sehr sauber gehalten. I n ihm verbringen die Mastschweine, die, noch ehe sie ein J a h r alt geworden sind , in die Schlachthäuser von Burgas geliefert werden, die letzten Wochen ihres Lebens. Der ähnlich gestaltete, aber größere Stall für die Ferkelaufzucht, wovon allein in Suchodol an die 2000 Stück gehalten werden, befindet sich hingegen am Nordrand des Dorfes. Hier liegen außerdem einige der großen, tief in den Boden eingelassenen Grünfuttersilos mit zementierten Seitenwänden und Fußböden, die hochragenden, mit Draht verkleideten Gestelle der Maissilos sowie eine Anzahl Wirtschaftsgebäude, in denen das ausgedroschene Getreide lagert, das in der mit Kraftstrom betriebenen genossenschaftlichen Mühle weiterverarbeitet wird. 12 Das Stroh wird am Südrand des Dorfes in großen, hausförmigen Diemen gestapelt, in deren Nähe sich auch die Winterställe der Schafe befinden. Diese sind nach Süden oifen, mit Stroh gedeckt, haben jedoch ebenfalls weiß getünchte Backsteinwände; vor ihnen erstrecken sich die Pferche, in denen sich die Tiere bei schönem Wetter aufhalten und wo sie auch gemolken werden können. Weitere Wirtschaftsgebäude — entweder weiß getüncht oder mit unverputzten Backsteinwänden — zur Getreidelagerung, Stallungen und offene Remisen für den Fuhrpark liegen am Ostrand des Dorfes; zur Zeit unseres Aufenthaltes in Suchodol wurde hier auf einem großen, freien Platz inmitten der Wirtschaftsgebäude Mais gelagert, von Hand enthülst und die Maiskolben in Säcke abgepackt. Hinsichtlich der Arbeitsteilung war auffällig, daß den Frauen zur Zeit unseres Besuches im allgemeinen die unqualifizierten Handarbeiten, wie Weinlese, Paprika- und Tomatenernte, Enthülsen von Mais, Grünfuttersilage usw. zufielen, während die Männer die qualifiziertere Arbeit leisteten, die Maschinen bedienten und die Traktoren, Autos und Geschirre führten. Nur wenige Frauen arbeiteten in der Ferkelzuchtbrigade, und die Brigadiers aller Arbeitsgruppen schienen uns ausschließlich Männer zu sein. Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich hierbei etwa Überbleibsel 12
Auf den üblichen flachen Gestellen, von denen jedes mehrere Reihen säuberlich aufgefädelter B l ä t t e r t r ä g t , wurde hier auch T a b a k getrocknet. T a b a k scheint aber kein wesentlicher Produktionszweig dieser L P G zu sein, obwohl einige Felder d a m i t bestellt waren. T a b a k gedeiht jedoch gut in dieser Gegend, u n d nordöstlich von Suchodol liegt ein allerdings bescheidenes Z e n t r u m des T a b a k a n b a u s .
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patriarchalischer Anschauungen im Bewußtsein der Dorfbevölkerung nachteilig für die Gleichberechtigung der Frauen auswirken. Als durchschnittliche Höhe des Jahreseinkommens eines LPG-Mitgliedes nannte unser Informant 1400 Lewa, was einem guten bulgarischen Durchschnittseinkommen entspricht. Der bezahlte Jahresurlaub beträgt 14 Tage, er verlängert sich aber entsprechend den Jahren der LPG-Zugehörigkeit. Das Rentenalter beginnt für die Frauen mit dem 55. Lebensjahr, für die Männer mit dem 60. Die großen Erfolge, die das bulgarische Volk unter Leitung der kommunistischen Partei Bulgariens seit dem 9. I X . 1944 wie auf allen anderen Gebieten, so auch auf dem ökonomischen Sektor errungen hat, haben selbst in so entlegenen Dörfern wie Suchodol ihren Niederschlag gefunden. Besonders seit Gründung der LPG im Dorfe und der dadurch bedingten Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch bessere Anbaumethoden in Verbindung mit zunehmender Technisierung, wozu der selbständige Einzelbauer niemals die nötigen Mittel hätte aufbringen können, hat sich die Lebensweise der Dorfbewohner von Grund auf verändert. Am augenfälligsten wird diese Veränderung der Lebensweise bei den Häusern und Wohnungseinrichtungen der Genossenschaftsbauern. Die meisten von ihnen wohnen heute in Häusern, die erst nach Errichtung der Volksherrschaft erbaut worden sind. Als Folge der starken Abwanderung ehemaliger Dörfler in die Städte gibt es in Suchodol jedoch bereits einige verlassene Grundstücke, zum Teil mit darauf errichteten, noch nicht ganz fertiggestellten Neubauten, deren Besitzer während des Bauens mit ihren Familien aus den oben genannten Gründen in die Stadt gezogen sind. Das scheint uns gegen die Darstellung unseres Informanten, die Abwanderung erfolge planmäßig, zu sprechen, denn wer beginnt schon mit dem Bau eines Hauses auf dem Lande, wenn er ohnehin die Absicht hat, nicht dort zu bleiben. Da die Grundstücke sowie die darauf errichteten Häuser nicht Eigentum der LPG, sondern Privatbesitz sind, können sie nach dem Weggang der Eigentümer nicht entschädigungslos weitervergeben werden, sondern verwildern, und die teils schon überdachten Neubauten beginnen nach kurzer Zeit wieder zu verfallen. Sollten sie sich nicht einer besseren Verwendung zuführen lassen? Die alten Katen, die teilweise noch aus der Türkenzeit stammten, sind fast ganz verschwunden. Soweit die Genossenschaftler noch in niedrigen, aus der Periode vor der Gründung der Volksrepublik stammenden Häusern wohnen, sind diese mehrräumig, ziegelgedeckt und von ansprechendem Äußeren, vor allem aber haben auch sie — wie die neuerrichteten Häuser — Strom- und Wasserleitungsanschluß. Beides hat es im Dorf früher nicht gegeben. Der Anschluß des Dorfes an die öffentliche Stromversorgung erfolgte noch im Jahre 1949, im gleichen Jahre also, als auch die LPG gegründet wurde. Wann die Wasserleitungen gelegt worden sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Wenn sie im allgemeinen auch nur bis in die Grundstücke, nicht direkt bis in die Häuser reichen, bedeutet dies doch eine wesentliche Verbesserung gegenüber früher, wo jeder
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Eimer Wasser mit der Tragstange über der Schulter vom öffentlichen Brunnen geholt werden mußte — eine Erscheinung, die auch heute noch nicht in allen Dörfern ganz verschwunden ist. Diese Arbeit obliegt zumeist den weiblichen Familienmitgliedern. Nur in den Gehöften der wohlhabenden Bauern existierten gelegentlich eigene Ziehbrunnen. Die nach dem 9. I X . 1944 errichteten Häuser sind zumeist ebenfalls eingeschossig, nur selten haben sie ein Obergeschoß. Sie sind aus Backsteinen errichtet, die oft erst nach Jahren verputzt werden, und mit Dachziegeln gedeckt. Die Fenster der neueren Häuser sind bedeutend größer als die der älteren. Meist besitzen die Neubauten drei Zimmer, die als Schlaf-, Kinder- und Wohnzimmer eingerichtet sind. I n der Regel hält sich die Familie aber nicht im Wohnzimmer auf, das zumeist als Gastzimmer dient, sondern in der Küche. Diese steht häufig mit den anderen Zimmern nicht in direkter Verbindung, sondern ist nur vom Hof aus durch einen separaten Eingang zu erreichen; sie befindet sich eigentlich im Kellergeschoß und manchmal führen auch einige Stufen zu ihr hinab, während man zu den anderen Räumen, die auf einer anderen Ebene liegen, einige Stufen hinaufsteigen muß. An die Küche schließt zumeist ein auf gleichem Niveau liegender Vorratsraum an; einen eigentlichen Keller gibt es hingegen im allgemeinen nicht. Während die Wohn- und Schlafräume gedielte Holzfußböden haben, besteht der Fußboden in der Küche gewöhnlich aus festgestampftem Erdreich, das größtenteils mit Lappenteppichen (cergi) bedeckt ist. Solche — oft hausgewebte — Teppiche findet man auch in den anderen Zimmern, nicht nur auf dem Lande, sondern selbst noch in städtischen Wohnungen. Die Veränderungen in der Hauseinrichtung gegenüber früher fallen dem Besucher, der mit der ehemaligen Lebensweise auf bulgarischen Dörfern nicht vertraut ist, gar nicht auf. Die Zimmer sind ausreichend und zweckentsprechend möbliert. Die Möbel stammen aus der jungen bulgarischen Möbelindustrie. Auffällig ist allenfalls die große Anzahl von Betten, von denen sich mindestens eins in jedem Räume befindet, oft sogar auch in der Küche. Es gibt kein gemeinsames Familienlager mehr mit Teppichunterlage und Schilfmatten oder Teppichen zum Zudecken beim Schlafen. Die Ehebetten sind im allgemeinen zweischläfig wie die französischen, mit hölzernem Kopf- und Fußende; die Einzelbetten haben gewöhnlich ein Eisengestell. Sie besitzen alle Sprungfedermatratzen und Aufleger, das Bettzeug besteht aus Steppdecken, deren Breite den Betten angepaßt ist, sowie aus mit Federn gefüllten Kopfkissen, alles mit weißer Bettwäsche bezogen. Tagsüber werden die Betten mit bunten Überdecken zugehangen, auf denen Paradekissen stehen. I n den Küchen und den Wohnzimmern können die Betten tagsüber als Sitzgelegenheiten dienen. Tische und Stühle von normaler Höhe sind Selbstverständlichkeiten; die niedrigen türkischen Tischchen mit der kupfernen Tischplatte und die dazugehörigen flachen, dreibeinigen Schemel sind ganz außer Gebrauch gekommen. Nur am Feierabend sieht man die Frauen noch auf niedrigen Stühlen, die allerdings vierbeinig sind und eine Lehne haben, vor ihren Häusern sitzen, wobei sie spinnen oder eine Handarbeit machen. Auf den Tischen liegen Tischdecken oder -tücher. An den Wänden hängen bunte 15
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Wandbehänge mit den verschiedensten, häufig kitschigen Motiven, die großenteils bereits aus industrieller Produktion stammen. Vor den Fenstern hängen Gardinen, auf den Fensterbrettern stehen Blumentöpfe. Zur Schonung der Gardinen vor den Sonnenstrahlen werden die Fenster in der heißen Jahreszeit m i t Zeitungspapier beklebt. Heizungsvorrichtungen gibt es in den Zimmern nicht mit Ausnahme der Küche, in der ein transportabler Herd bulgarischer Produktion steht; die Heizung der übrigen Räume erfolgt bei Bedarf mit elektrischen Heizgeräten. 13 Der Küchenherd wird überwiegend mit Holz geheizt, aber im Sommer kochen viele Familien im Freien, auf dem im Garten vor der Küche befindlichen Sommerherd. Dieser besteht meist aus einer von zwei parallelen Ziegelreihen eingefaßten Feuergrube, über die eine Eisenplatte gelegt wird, und ist entsprechend niedrig. Die Mahlzeiten werden bei schönem Wetter gern im Freien eingenommen. Das Eßgeschirr besteht aus Keramik oder Porzellan, die Kochgerätschaften aus Gußeisen oder emailliertem Eisenblech. Kupferne Küchengeräte gibt es nicht mehr, Aluminium gerätschaften haben noch kaum Eingang gefunden. Da das Dorf seit dem Jahre 1949 an das öffentliche Stromnetz angeschlossen ist, haben alle Häuser elektrisches Licht, Beleuchtungskörper werden aber im allgemeinen noch nicht verwendet, sondern die Zimmer nur durch eine von der Decke hängende Glühbirne erhellt. Dafür fehlt wohl in keinem Haus ein Radio, und auf manchen Dächern sieht man auch bereits Fernsehantennen. Gerade das Fernsehen hat für das kulturelle Leben auf einem so entlegenen Dorfe wie Suchodol eine große Bedeutung, und es ist zu erwarten, daß die Zahl der Fernsehgeräte in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Jedes Haus steht in einem kleinen Vorgarten mit Blumenbeeten und einem Staket, an dem sich ein oder mehrere Rebstöcke emporranken und so eine schattige Reblaube bilden, in der gern die Mahlzeiten eingenommen werden. Auch einige Obstbäume können hier stehen. Nach der Straße zu wird der Vorgarten durch eine Hecke oder einen Latten- bzw. Flechtwerkzaun abgegrenzt. Man betritt den Garten durch eine meist hölzerne Gartenpforte, neben der der Briefkasten angebracht ist. 14 I n diesem Garten befindet sich auch der Wasseranschluß für das Haus. Ein Latten- oder Flechtwerkzaun trennt den Garten vom Wirtschaftshof ab, der um ein Vielfaches größer als der erstere ist; er kann bis zu 0,5 ha umfassen. Teilweise wird er als Obstgarten genutzt. Eine bestimmte Fläche dient dem Anbau von Futterpflanzen für das Geflügel und das Kleinvieh, das jede Familie hält, sowie dem Anbau von Knoblauch, mit dessen Erzeugung, die den Eigenbedarf weit überschreitet, einzelne Genossenschaftler einen hübschen Zusatzverdienst erzielen. Im Wirtschaftshof befinden sich auch die Ställe und Verschlage für das individuelle Kleinvieh und Geflügel, das die Genossenschaftsbauern halten, der Abort, Schuppen für das Holz, Heu, Stroh und andere 1:1 u
I n den Städten k o m m e n daneben immer stärker kleine N a p h t a - Ö f e n in Gebrauch. Straßenschilder u n d H a u s n u m m e r n sind in Suchodol noch u n b e k a n n t , desgleichen Namensschilder an den Türen, so daß m a n als F r e m d e r ohne die Hilfe eines Ortsansässigen ziemlich hilflos ist, wenn m a n jemanden aufsuchen möchte.
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Futtermittel sowie für Werkzeuge und Geräte, unter denen sich manchmal noch ein alter Webstuhl befindet, der gelegentlich sogar noch genutzt wird, und Remisen für Fahrzeuge. Einige Genossenschaftsbauern halten einen kleinen, einspännigen, vierrädrigen, oft bunt bemalten Wagen (karuca) und einen Esel oder ein Maultier dazu, andere sind motorisiert. Leichte Krafträder sind zahlreicher als Personenkraftwagen 15 , von denen es im Dorf kaum ein halbes Dutzend geben soll: ihre Besitzer sind meist Gewerbetreibende. 16 Jeder Genossenschaftsbauer hält eine Anzahl Hühner, meist auch Puten, Gänse und Enten, dazu ein oder zwei Schweine und bis zu vier Ziegen. Abgesehen von den Ziegen, die jeden Morgen vom genossenschaftlichen Ziegenhirt auf die unbebauten Flächen oder die abgeernteten Felder zur Weide getrieben werden und erst abends kurz vor Sonnenuntergang zurückkehren und selbst ihre Gehöfte wieder aufsuchen, stehen die Tiere tagsüber nicht unter Aufsicht; die Schweine tummeln sich auf den Dorfstraßen vor den Grundstücken ihrer Besitzer, Hühner und Puten halten sich ebenfalls dort oder in den Wirtschaftshöfen auf, während Gänse und Enten herdenweise den größeren Stausee aufsuchen; Tauben werden offenbar überhaupt nicht gehalten. Auffällig ist das völlige Fehlen von Hunden, deren Haltung auf Grund einer Verordnung der bulgarischen Volksregierung generell verboten ist 17 , Katzen hingegen sind überall anzutreffen. Die Dorfbewohnerschaft ist gut und ausreichend ernährt. Bei den Nahrungsmitteln stehen neben Brot, das nicht mehr selbst gebacken, sondern aus der genossenschaftlichen Bäckerei bezogen wird, Milch und Milchprodukte — Frischund Sauermilch, Schafskäse und Quark — an erster Stelle. An zweiter Stelle stehen die verschiedenartigsten Gemüse, frisch oder eingelegt, während Fleisch, hauptsächlich Schweinefleisch, erst den dritten Platz einnimmt. Der Eierkonsum ist auffallend gering; häufiger-wird einmal ein Huhn geschlachtet, vor allem dann, wenn es Gäste zu bewirten gilt. Da ein großer Teil der genannten Nahrungsmittel von den Genossenschaftsbauern selbst produziert wird oder billig von der LPG erworben werden kann, sind alle bäuerlichen Familien in der Lage, ihre in den Städten lebenden Angehörigen regelmäßig damit zu unterstützen, und es gibt wohl nur wenige bulgarische Familien in der Stadt, denen eine solche Unterstützung mit Naturalien nicht zur Verfügung steht. Suchodol besitzt darüber hinaus seit einigen Jahren ein Landwarenhaus, wo neben vielen Gebrauchsartikeln des täglichen Bedarfs auch Lebensmittel angeboten werden, die es vor der Errichtung der Volksherrschaft in Bulgarien auf dem Lande nur selten gab: Zucker, Reis, Teigwaren, Süßigkeiten, Konfitüren, Öl, Fisch-, Obstund Fleischkonserven usw.; gerad e auf dem Sektor der Warenstreuung verschwindet der Unterschied zwischen Stadt und Land in der VR Bulgarien recht ,r
> Die Motorräder s t a m m e n aus der bulgarischen P r o d u k t i o n , u n t e r den P K W s dominiert der „ T r a b a n t " . Z. B. der Bäcker der Genossenschaft u n d der Barbier. 17 N u r Schäfer dürfen H u n d e halten, allerdings mehr im Gebirge als in den Niederungen ; außerdem t r i f f t m a n H u n d e nur noch in den abgelegenen Gebirgshiitten als W a c h h u n d e an. 15*
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augenfällig. Das reichliche Aufkommen an Obst wird entweder roh verzehrt oder aber gedörrt bzw. anders konserviert; ganz beträchtliche Mengen — namentlich an Pflaumen und Weintrauben — werden zu Schnaps gebrannt, wozu den Dörflern eine eigene Schnapsbrennerei (kazan) am Westrand des Dorfes mit einem erfahrenen Brennmeister zur Verfügung steht: Sie ist mit zwei kupfernen Brennvorrichtungen ausgerüstet, die mit Holz beheizt werden; m a n erhält nach achtstündigem Brennen aus 200 kg Pflaumen 40 1 Schnaps. Außerdem keltert jede Familie eine größere Menge Trauben zu hausgemachtem Wein. Auch in der Kleidung der Dorfbevölkerung besteht ein augenfälliger Unterschied gegenüber der Zeit vor der Gründung der Volksrepublik. Die alte Volkstracht ist völlig verschwunden und hat der Konfektion nach mitteleuropäischem Schnitt Platz gemacht. Nur einige ältere Männer tragen noch die mit einem roten Leibgurt befestigten Hosen nach türkischem Schnitt (poturi) aus hausgemachtem, derben Wollstoff und die langärmlige, oft mit Lammfell gefütterte Jacke aus gleichem Material sowie die Lammfellmütze. Bei der Mehrzahl der Männer ist auch dieses ehemals unabdingbare Attribut des bulgarischen Bauern durch eine Sportmütze verdrängt worden. I n der Fußbekleidung überwiegen lederne Schnürschuhe, die einstmals typischen Opanken sieht man kaum noch. Bei der Frauenkleidung überwiegen Rock und Bluse als Arbeitskleidung, die ebenso aus der bulgarischen Bekleidungsindustrie stammen wie Kleider oder Kostüme, die sonn- und feiertags getragen werden. Nur an besonderen Festtagen — Familienfestlichkeiten wie Nationalfeiertagen — kann man die verheirateten Frauen noch in der ehemaligen Landestracht bewundern, die reich und farbenfroh bestickt ist. Bei solchen Gelegenheiten sieht man auch noch den dazugehörigen kostbaren Silberschmuck. Die Mädchen gehen aber auch bei solchen Gelegenheiten nach der neuesten Mode gekleidet, und auch die Männer tragen ausschließlich moderne Oberhemden, Krawatten und konfektionierte Anzüge. Dank des ausreichenden Einkommens verfügt jede Familie über die Mittel, um sich zweckentsprechend kleiden zu können. An öffentlichen Einrichtungen besitzt das Dorf eine Schule, ein Kulturhaus und eine Sanitätsstation. Alle diese Gebäude stehen im Zentrum des Dorfes, wo sich auch das Landwarenhaus, die Schenke und die Kirche befinden. Die Kirche ist jedoch geschlossen, da es im Dorf keinen Geistlichen gibt und offenbar auch kein Bedürfnis nach geistlicher Betreuung seitens der LPG-Mitglieder besteht. Die Sanitätsstation befindet sich in einem neuerrichteten Gebäude, in dem auch der Vorsitzende des Dorfsowjets seine Kanzlei hat. Sie ist zweistöckig und wird von den Dörflern als Poliklinik bezeichnet. I n ihr ist ein praktischer Arzt tätig, der im gleichen Gebäude auch seine Wohnung hat. E r scheint allerdings nur leichte Erkrankungen und Verletzungen ambulant zu behandeln; ob ihm auch eine kleine Bettenstation zur Verfügung steht, ist uns nicht bekannt. Schwerere Fälle werden in das Kreiskrankenhaus Grudovo überwiesen bzw. nach Burgas. 1 8 18
W ä h r e n d bei Unfällen die ärztliche Hilfe sofort in Anspruch genommen wird, scheint m a n bei K r a n k h e i t e n den Arzt erst d a n n zu R a t e zu ziehen, wenn H a u s -
Gegenwärtige Situation des Dorfes Suchodol
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Die Schule ist ebenfalls eine neues, erst nach d e m 9. I X . 1944 errichtetes Gebäude m i t mehreren Unterrichts- und Aufenthaltsräumen für die 62 Kinder, die v o n vier Lehrern u n d drei Erziehern ganztägig betreut werden. Der Unterricht erfolgt nach Altersgruppen getrennt; das Stadium der einklassigen Elementarschule m i t ihrer völlig ungenügenden Ausbildungsmöglichkeit, die in westeuropäischen Staaten auf dem Lande immer noch in gar nicht geringer Zahl anzutreffen ist, gehört in der jungen Volksrepublik Bulgarien selbst i n so entlegenen Dörfern wie Suchodol der Vergangenheit an. 1 9 D a s Kulturhaus besitzt einen Vortrags- u n d Kinosaal m i t einer kleinen Bühne. Hier finden in regelmäßigen Abständen Filmvorführungen u n d andere Kulturveranstaltungen s t a t t ; während unseres Aufenthaltes im Dorf trat beispielsweise ein Zauberkünstler auf, dessen Darbietungen allerdings — gemessen an der Zahl der Dorfbevölkerung — nicht den rechten Zuspruch fanden; Filme sollen besser besucht sein. B e i solchen Veranstaltungen m a c h e n sich die noch immer häufigen Stromabschaltungen besonders unangenehm bemerkbar. Diese durch das rasche T e m p o der Industrialisierung und Elektrifizierung in der V R Bulgarien zur Zeit noch bedingten abendlichen Stromabschaltungen sind vielleicht auch ein Grund für die auf dem Dorfe noch recht geringe Verbreitung des Fernsehens, das als kulturelle Institution auch auf dem Lande gewaltig an
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m i t t e l u n d andere, teilweise in den Bereich des Aberglaubens gehörende P r a k t i k e n keinen Erfolg zeitigen. Träger dieser P r a k t i k e n u n d „Heilkenntnisse" sind alte F r a u e n , die sich äußerlich in keiner Weise von der gleichaltrigen weiblichen Dorfbevölkerung unterscheiden. So war beispielsweise w ä h r e n d unseres Aufenthaltes im Dorfe ein erst wenige Wochen alter Säugling e r k r a n k t . Die Krankheitsursache war u n b e k a n n t . Das K i n d h a t t e T e m p e r a t u r , verweigerte die N a h r u n g s a u f n a h m e u n d schrie stundenlang. Die K i n d e s m u t t e r u n t e r n a h m zunächst keine Schritte, u m Abhilfe zu schaffen, sondern versuchte lediglich das K i n d zu stillen. Auf Betreiben der G r o ß m u t t e r , einer F r a u A n f a n g der Vierziger, wurde a m zweiten Tag eine alte F r a u geholt, die folgende Zeremonie d u r c h f ü h r t e : Aus der Ofenglut fischte sie schließlich n e u n Bröckchen Glut nacheinander u n d m a c h t e m i t jedem ein dreimaliges Kreuzzeichen über einem m i t Wasser gefüllten Gefäß, worauf sie sie hineinfallen ließ, wobei sie leise vor sich h i n m u r m e l t e ; darauf wurden dem Wasser B l ä t t e r eines u n s n i c h t b e k a n n t e n Gewächses hinzugefügt, u n d m i t diesem Wasser sollte das K i n d mehrmals an den e r k r a n k t e n Stellen, vor allem a n der Stirn (wegen des Fiebers?) b e t u p f t werden — irgendeine Entschädigung f ü r ihre Dienste verlangte sie jedoch nicht. E r s t a m A b e n d des d r i t t e n Tages, als keine Besserung e i n t r a t , wurde auf A n r a t e n meiner F r a u , die diese Zeremonie beoba c h t e n k o n n t e , der Arzt konsultiert, der Soor (Schwämmchen) konstatierte u n d Mutter u n d K i n d sofort in die Kinderklinik des Kreiskrankenhauses bringen ließ, wo die Diagnose bestätigt u n d das K i n d n a c h 14 Tagen geheilt entlassen wurde. Äußerungen unseres aufgeklärten I n f o r m a n t e n zufolge ist der Einfluß solcher „weisen F r a u e n " auf die weibliche Dorfbevölkerung noch beachtlich, u n d die jüngeren F r a u e n k ö n n e n sich in dieser Hinsicht nur schwer gegenüber ihren M ü t t e r n u n d Schwiegermüttern durchsetzen. A u c h u n t e r den Erwachsenen gibt es keine Analphabeten mehr.
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Bedeutung gewinnen wird, sobald die kontinuierliche Stromversorgung gewährleistet sein wird. Eine beachtliche soziale Funktion als abendlicher Treffpunkt der männlichen LPG-Mitglieder erfüllt zur Zeit noch die Schenke. Hier findet m a n sich bei einem Bier oder einem Schnaps zusammen und bespricht die Tagesereignisse oder tauscht Informationen aus. Dabei wird sehr mäßig getrunken; Betrunkene haben wir in der Schenke und im Dorfe nicht gesehen. Den Frauen ist das Betreten der Schenke zwar nicht verwehrt, aber es kann durchaus als eine lokale Sensation gelten, wenn eine F r a u den Schankraum betritt, und ohne Begleitung ihres Mannes oder eines anderen männlichen Familienmitgliedes würde sie sich das Betreten der Schenke wohl auch k a u m wagen. Hier wirken überholte Verhaltensvorschriften noch sehr stark nach. Stark ausgeprägt ist noch immer die Verbundenheit der ländlichen Familien mit ihren in die Stadt gezogenen Sippenmitgliedern, die regelmäßig m i t Naturalien unterstützt und zu Festlichkeiten und Feiertagen gern als Gäste bewirtet und aufgenommen werden. Aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Dorfbewohner untereinander ist stark ausgeprägt und äußert sich sowohl in gegenseitiger Hilfe als auch durch Teilnahme an allen ein Mitglied der Dorfgemeinschaft betreffenden Ereignissen wie z. B. Hochzeiten, Geburten, Begräbnissen und Namenstagsfeiern. An solchen Festlichkeiten n i m m t nach Mitteilung unseres Gewährsmannes grundsätzlich das ganze Dorf aktiv teil und nicht nur die Sippenmitglieder. Bei solchen Gelegenheiten äußert sich die traditionelle bulgarische Gastfreundschaft recht augenfällig. Aber nicht nur die Dorfgemeinschaft feiert ein solches Ereignis zusammen, auch jeder zufällig im Dorf Anwesende k a n n ohne weiteres daran teilnehmen, und sogar vorüberkommende Passanten werden eingeladen oder — bei Hochzeiten — zumindest von der B r a u t beschenkt, was wir bei anderer Gelegenheit selbst erlebten. Wenn wir auch in Suchodol nicht an einer Hochzeit teilnehmen konnten, so h a t t e n wir doch Gelegenheit, eine andere Feier der Dorfgemeinschaft kennenzulernen, die allerdings nicht die Dimensionen einer Hochzeit hatte. Der Grund dieser Feier war die Einberufung eines jungen Traktoristen zum Wehrdienst, ein Anlaß, der vor dem 9. I X . 1944 unseres Wissens nicht festlich begangen wurde. Die Feier f a n d am Abend s t a t t und dauerte etwa vom Einbruch der Dunkelheit bis gegen Mitternacht. Der Vater des jungen Mannes h a t t e zur Bewirtung der Gäste einen H a m m e l und zwei Ziegen geschlachtet; zu dem Festmahl gab es Weißbrot u n d Kohlgemüse. Als Getränke wurden Pflaumenschnaps, Flaschenbier und junger Wein gereicht. Die Festtafel war im Hof gedeckt, nur einige Ehrengäste wurden im H a u s bewirtet. Für die Unterhaltung der Gäste sorgten ein Akkordeonspieler, ein Klarinettist und ein Trommelschläger, einer der Gäste h a t t e auch einen Dudelsack bei sich. Zu der Musik wurden von den Gästen die typisch bulgarischen Reigentänze (horo und räcenica) getanzt, mitunter zeigte ein Tänzer auch einmal einen Knietanz, wie er von den Kosaken bekannt ist. Der Gefeierte erhielt verschiedene Geschenke, darunter vom Vorsitzenden des Dorfsowjets, der eine kleine Ansprache hielt, als Geschenk der L P G ein
Gegenwärtige Situation des Dorfes Suchodol
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Nylon-Oberhemd, sonst verschiedene Kleinigkeiten, vorallem aber Geldscheine, die er an seinem Oberhemd befestigt trug. 20 Soweit wir feststellen konnten, lieferte jeder Gast ein kleines Geschenk ab, worunter auch Naturalien waren. Wenn schon so eine kleine Feier in solchem Ausmaß begangen wird, kann man sich leicht vorstellen, welcher Aufwand erst bei Hochzeiten getrieben wird. Die traditionelle bulgarische Gastfreundschaft, die sich bis auf den heutigen Tag auf den Dörfern im Gegensatz zur Stadt, wo sie uns nachzulassen scheint, lebendig erhalten hat, wird aber nicht nur bei solchen mehr oder weniger offiziellen Anlässen gepflegt. Betritt man das Anwesen eines Genossenschaftsbauern, dann wird einem unbedingt eine Erfrischung angeboten. Das bezieht sich durchaus nicht nur auf den ausländischen Gast. Wir konnten beobachten, daß ein Besucher, der zufällig hereinschaute, als die Familie eine Mahlzeit einnahm, sofort mit zu Tisch gebeten wurde, und als wir eines Tages zur Mittagsstunde einen genossenschaftlichen Weinberg besuchten, wo die Weinlese in vollem Gange war, wurden wir von den dort arbeitenden Genossenschaftsbäuerinnen, die eben Mittagsrast hielten, mit dem bewirtet, was sie selbst gerade verzehrten: Brot, Tomaten, Schafskäse, Knoblauch und Weintrauben. Jede ließ es sich zur Ehre gereichen, etwas von ihrem Mahl für uns abzugeben, alle rückten etwas zusammen, damit wir in ihrer Mitte an dem blank gescheuerten Holztisch Platz fänden. Er wurde rasch mit einem sauberen Tuch bedeckt, in dem sie das Brot mit zur Arbeit nehmen. Es war immer wieder ein Erlebnis, wie rasch man mit den Genossenschaftsbauern und -bäuerinnen Kontakt bekam, mit welcher Bereitwilligkeit sie Auskünfte gaben und wie aufgeschlossen und interessiert sie sich allen Themen gegenüber zeigten, die im Gespräch berührt wurden. Die Zeit unseres Aufenthalte^ in Suchodol war zu kurz, als daß wir nähere Einzelheiten über Bräuche und Festlichkeiten hätten erfahren können. Als gesetzliche Feiertage werden das Neujahr, der 1. Mai, der 24. Mai (Kirilund Methodiustag) und der 9. September (Tag der Gründung der Volksrepublik Bulgarien) begangen; Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind keine gesetzlichen Feiertage mehr. Wie in vielen Dörfern, in denen Weinbau betrieben wird, werden auch in Suchodol am Tage des Schutzheiligen der Weinberge, Trifon Zarezan 21 , einige Zeremonien, wie Beschneiden der Weinstöcke und Darbringung eines Trankopfers auf den Weinfeldern, durchgeführt. Dann feiert man im Dorfe weiter. Außerdem wird der Georgstag als Beginn des Sommerhalbjahrs am 6. Mai noch allgemein gefeiert. I n Suchodol zählt ferner der 1. November'als Tag des Jahrmarktes zu den Feiertagen; aus diesem Anlaß finden sich viele Gäste aus den Nachbardörfern und den Städten ein und man feiert bei Schweinebraten, Wein und Schnaps, Musik und Tanz. Gegen 14 Uhr 20
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Wir konnten eine Fünf-Lewa-Note sowie mehrere Zwei- und Ein-Lewa-Scheine erkennen. In ähnlicher Weise sahen wir bei einer Hochzeit am Brautkleid Geldscheine befestigt, darunter auch solche höheren Wertes. Nach Mitteilung unseres Informanten ist das der 14. Februar.
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beginnen, als H ö h e p u n k t des Jahrmarktes Ringkämpfe 2 2 , die bis gegen 16 Uhr dauern; anschließend findet die Siegerehrung m i t Verteilung v o n Geldprämien statt, u n d a m Abend wird als weiterer H ö h e p u n k t ein Kinoprogramm veranstaltet. Zusammenfassend kann m a n feststellen, daß die Verbesserungen der Lebensbedingungen in einem Dorf wie Suehodol seit der Errichtung der Volksherrschaft in der V R Bulgarien und besonders nach Gründung der L P G ganz evident sind. D e n Verbesserungen der Lebensbedingungen auf dem materiellen Sektor stehen gewiß auch wesentliche Veränderungen auf geistig-kulturellem Gebiet gegenüber, die jedoch bei einem Kurzaufenthalt v o n nur einigen T a g e n nicht so stark in Erscheinung treten, sondern erst bei längerem Leben auf d e m Dorfe in vollem U m f a n g erforscht werden könnten.
Bei einem neuerlichen Kurzbesuch des Dorfes im September 1970 m u ß t e n wir feststellen, d a ß sich die Einwohnerzahl des Dorfes durch weitere Abwanderungen in die S t ä d t e inzwischen abermals verringert h a t u n d dieser Prozeß auch weiterhin a n h ä l t . Dieser U m s t a n d h a t t e die Schließung der g e n a n n t e n Dorfschule zur Folge, da die Zahl der im Dorfe verbliebenen Kinder die A u f r e c h t e r h a l t u n g des Schulbetriebes nicht mehr ermöglicht; die noch verbliebenen Kinder aller Alterstufen besuchen jetzt den U n t e r r i c h t in der etwa 4 k m e n t f e r n t e n Schule des N a c h b a r o r t e s Orhanovo. Auch der die Sanitätsstation von Suehodol leitende Arzt war verzogen, so daß d a s Dorf zur Zeit unseres Besuches ohne Arzt w a r ; die Sanitätsstation sollte jedoch so bald als möglich wieder besetzt werden. Auf dem Gebiet der Verkehrsverbindungen h a t sich die Situation mittlerweile insofern etwas gebessert, als die über Grudovo h i n a u s f ü h r e n d e L a n d s t r a ß e zweiter O r d n u n g eine Asphaltdecke Erhalten h a t u n d n u r noch die letzten vier K i l o m e t e r zwischen Suehodol u n d Orhanovo unbefestigt sind. I n Orhanovo befindet sich ein H a l t e p u n k t der Omnibusse, die m e h r m a l s täglich zwischen Burgas, Grudovo u n d K a r n o b a t verkehren. D a d u r c h wird den Einwohnern von Suehodol eine rationellere u n d schnellere Verkehrsverbindung mit N a c h b a r o r t e n eröffnet, entferntere O r t s c h a f t e n u n d S t ä d t e werden f ü r sie, u n a b h ä n g i g von der Jahreszeit, leichter u n d sicherer erreichbar, wodurch sie besser a m ökonomischen u n d kulturellen Leben in ihrer n ä h e r e n u n d weiteren U m g e b u n g teilnehmen k ö n n e n . 22
Über die dabei zu beachtenden Regeln u n d die Teilnahmeberechtigten liegen u n s keine n ä h e r e n Angaben vor.
Ein Mumienschädel vom Paltacalo-Typus aus Peru von
H A N S GRIMM,
Berlin
(Mit 3 Abbildungen auf Tafel L V I I - L I X 1 Figur und 4 Tabellen im Text)
Die Südamerika-Sammlungen des Leipziger Museums für Völkerkunde enthalten einen sehr interessanten Mumienschädel aus Peru, dessen genauere Herkunft und Datierung leider wegen kriegsbedingter Vernichtung von Sammlungsakten nicht mehr ermittelt werden kann. Es ist möglich, daß es sich um ein Stück handelt, das die Nummer 261 getragen hat und dann aus Ancon (Sammler Behr) stammen müßte. Herrn Prof. Dr. H. Damm, Direktor des Museums, sei für die Erlaubnis zur Untersuchung des Stückes, für die langfristige Leihgabe und für seine Bemühungen um die Identifikation des Objekts besonders herzlicher Dank ausgesprochen. Es handelt sich um ein Calvarium, das von Kopfhautresten und Haar bedeckt ist (Abb. I b i s 3, Taf. LVII—LIX). Die Knochenoberfläche ist glatt und von einer sehr hellen, gelblich-braunen, wie „altes Elfenbein" wirkenden Farbe. Das Haar ist schwarzbraun, gelegentlich etwas rötlich schimmernd, seine Textur flachwellig. I n der Vorderansicht (Norma frontalis) lassen sich kräftige, nach lateral allerdings stark abflachende Überaugenbögen erkennen. Der Augenhöhlenumriß ist annähernd rechteckig. Die Nasenöflnung (apertura piriformis) ist schmal und zeigt einen scharfkantigen Unterrand. Die Wangenbeine sind mäßig vorgewölbt, die fossa canina beiderseits flach. Das septum nasi ist nach rechts konvex verbogen. Die Nasenbeinknochen sind sehr lang. Zwischen den Zahnwurzelfächern für die Frontzähne finden sich sehr deutliche Einziehungen (juga alveolaria). I n der Seitenansicht von rechts ( N . lateralis dextra) ergibt sich eine deutlich schräge Stirn und eine unter einem kräftigen Glabellarwulst (Stufe I I I nach B R O C A ) mäßig eingezogene Nasenwurzel. Die Nasenbeine zeigen eine sehr deutliche S-förmige Schwingung. Der Nasenstachel (spina nasalis) ist kräftig (Stufe 3 nach B R O C A ) . Es besteht eine geringe Alveolarprognathie. I n der „Pteriongegend" treffen sich Keilbein (os sphenoides) und Scheitelbein (os parietale) auf 16 mm langer Naht. Das Hinterhaupt ist gut gewölbt, ein Hinterhauptshöcker (protuberantia occipitalis externa) ist kaum sichtbar. Der Warzenfortsatz (processus mastoides) ist klein und spitz. Die linke Seitenansicht (N. lateralis sinistra) bietet analoge Verhältnisse, die „Pteriongegend" ist nicht kontrollierbar.
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H A N S GBIMM
Die Hinterhauptsansicht ( N . occipitalis) ist vom Kopfhaar verdeckt. Die Draufsicht (N. verticalis) ist „ovoid". Die Ansicht von unten ( N . basalis) zeigt eine noch offene „Basalfuge" (fissura sphenoccipitalis). Das Hinterhauptsloch ist oval, wobei der spitze Pol des eiförmigen Umrisses nach vorn liegt. Das Relief des Nackenmuskelfeldes ist kräftig. Insbesondere fallen rechts grubige Vertiefungen für den Ansatz des musculus rectus capitis dorsalis major und des m. rect. cap. dors, minor auf. Sie sind tiefer als links. Die Gaumenquernaht bildet beiderseits der Mittellinie nach hinten schwach konvexe, wenig gezackte Bögen. Der Zahnbogen ist paraboloid. Die Gaumenwölbung ist flach. Die meisten Zähne sind nach dem Tode verlorengegangen, es ist rechts nur noch der 1. Molar, links nur 1. und 2. Molar vorhanden, diese drei Zähne zeigen nur eine geringe Abkauung. Nach einem von Dr. R. Z U H R T (Poliklinik für Konservierende Stomatologie, Abteilung für Kariesforschung, Humboldt-Universität Berlin) freundlichst mitgeteilten Röntgenbefund weisen die Molaren weite Pulpacaven und Wurzelkanäle auf. Rechts oben ist keine Anlage für den 3. Molaren erkennbar. Der von Herrn Oberarzt Dr. Z. Z U H R T (Universitäts- Zahn- und Kieferklinik der Charité) freundlichst zur Verfügung gestellte Befund für den Unterkiefer lautet : „Die Mandibula zeigt sehr verwaschene Konturen und keine deutlichen Muskelmarken. Der Kieferwinkel beträgt etwa 110°. Das foramen mandibulae liegt beiderseits oberhalb der Kauebene, das foramen mentale beiderseits unterhalb P 2 . Die beiden rechten Praemolaren sind postmortal verlorengegangen, Schneidezähne und Eckzahn rechts sind im Bereiche ihrer Kronen postmortal mehr oder weniger zerstört. Im Bereich des tiefzerstörtenMj links ist ein Defekt des Kieferknochens erkennbar, der Einblick gewährt in eine glattwandige Höhlung, in deren Mitte die mesiale Wurzel des betreffenden Zahnes erkennbar ist. Durch Schwund des Alveolarknochens ist die distale Wurzel von buccal her fast in ihrer ganzen Länge erkennbar. M2 links weist in seiner Kaufläche eine etwa stecknadelkopfgroße Kavität, für die aber nicht unbedingt die Karies verantwortlich gemacht werden kann. M ( rechts zeigt einen deutlichen kariösen Defekt nach distal, während M2 in der Kaufläche eine Vertiefung zeigt, die nicht unbedingt kariösen Ursprungs sein muß. 3 Molaren sind nicht sichtbar." Die Verhältnisse am Schädel deuten nicht auf irgendeinen Versuch einer Schädeldeformation hin ! Es mag sich um ein Individuum im jüngeren Erwachsenenalter gehandelt haben. Auch der zahnärztliche Beurteiler (ZUHRT) gelangte zu der Altersdiagnose „20 bis 30 Jahre". Eine Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht ist schwierig. Die Geschlechtsdiagnose nach dem Schädel allein unterliegt ja gewissen Schwierigkeiten, wenn man nicht die Variationsbreite einer ganzen Serie kontrollieren kann. Die Maße (Tabelle 1) kennzeichnen den Schädel als einen absolut kleinen. Die relativen Maßverhältnisse (Tabelle 2) ergeben eine Einordnung in die Gruppe der lang-schmalen (dolichokranen) Schädel, wobei die Höhe im Verhältnis zur Länge bzw. zur Breite beträchtlich
Ein Mumienschädel
235
bleibt (Hypsikranie bzw. Akrokranie). Die Stirn ist im Verhältnis zur größten Breite ziemlich breit: der Schädel ist eurymetop. Er zeigt ein mittelhohes OberBesicht (ist „mesen") und mittelhohe Augenhöhlen (Mesokonchie). Die Nasen•öffnung ist auffällig schmal (Leptorrhinie) und der Gaumen außerordentlich breit (Brachystaphylie). Wesentliche Charakteristika unterscheiden den offenbar aus dem Bereich der mittleren Küste Perus stammenden Mumienschädel vom Typus des heutigen Hochlandindianers. Dieser von v. E I C K S T E D T als „andin" bezeichnete Typ ist i m gesamten gebirgigen Teil Perus und Boliviens sowie in den benachbarten Ländern durch die 5—6 Millionen zählenden Quechua und Aymara vertreten. Übereinstimmend haben Ethnographen und Anthropologen (z. B. v. E I C K STEDT, 1934; STEGGERDA . . .) diese Indianer als kurzköpfige Menschen mit mittelhohem Gesicht und mittelbreiter Nase gekennzeichnet (vgl. dazu M A S O N , 1957). Die Schilderung y. EICKSTEDTS (1934, pp. 723-24) betont die besondere Derbheit der „andinen" Körperform. Angesichts der ethnischen Kontinuität im Zentral-Andengebiet können diese Merkmale weitgehend auch den in vorspanischer Zeit hier ansässigen Populationen zugeschrieben werden. Man kann also sagen, daß der untersuchte Schädel offenbar von einem Individuum der alten Küstenbevölkerung Perus stammt, die sich im anthropologischen Typ wesentlich von den Hochlandbewohnern unterschieden haben muß. Diese Annahme entspricht ja auch den Aussagen indianischer und spanischer Chronisten über das unterschiedliche Aussehen der Quechua-Kolonisten und der alteingesessenen Bevölkerung in den von den Inka unterworfenen Küstenprovinzen. Von allen metrischen und morphologischen Eigentümlichkeiten der „Andinen" weicht nämlich unser Schädel durch relative Kleinheit und Grazilität, Langschädligkeit und Schmalnasigkeit ab; z. B. ist gegenüber dem Kopfindex von 8 0 , 8 , den M A S O N für Quechua angibt (und der freilich wegen der auflagernden Weichteile nicht streng vergleichbar ist!), der Längenbreitenindex des Mumienschädels um fast 9 Indexeinheiten niedriger! Bei dem von M A S O N (S. 6 ) angegebenen Nasalindex von 82 muß es sich ohnehin um einen Druckfehler handeln! Der Autor bezeichnet die Quechua ausdrücklich als mesorrhin, der Index müßte dann (am Schädel) zwischen 47,0 und 50,9 gelegen haben. 82 würde dagegen einer ungeheuerlichen Breitnasigkeit (Hyperchamaerrhinie) entsprechen. Die Verhältnisse an unserm Museumsstück entsprechen aber auch nicht einer „zentraliden Feinheit" im Sinne v. EICKSTEDTS, denn zu den „Zentraliden" gehört ebenfalls relativ breite Nase und außerordentliche Kürze des Kopfes (v. E I C K S T E D T S. 7 1 6 ) . Wir wählen zum Vergleich einen von R . VIRCHOW untersuchten, nur wenig deformierten Schädel aus dem Totenfeld von Ancon. Dieser ähnelt seinerseits einem ebenfalls in der Leipziger Sammlung befindlichen, mit „SAM 13566 (53/1908 Titicacasee Thiel-Sussmann)" bezeichneten Schädel, der bei praktisch gleicher, nur um 0,6% größerer Länge eine um 16,5% größere Hirnschädelbreite und um 11,5% höheren Längenbreitenindex sowie eine um 9,9% größere Jochbogenbreite aufweist (vgl. Tabelle 3).
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H A N S GRIMM
I n Figur 1 sind die prozentualen Abweichungen des Mumienschädels von dem Anconschädel Nr. 1554 dargestellt. Die Reihenfolge ergab sich aus einer von d e r größten negativen Abweichung bis zur größten positiven Abweichung aufgestellten Rangreihe. Man erkennt, daß es vor allem einige Dimensionen des Obergesichtes sind, welche die Kleinheit des Leipziger Museumsstücks bewirken (Nasenhöhe, Nasenbreite, Orbitalhöhe, Jochbogenbreite). Am Hirnschädel findet sich vor allem die größte Breite reduziert. Die innerhalb von + 5 % liegenden Abweichungen vernachlässigen wir hier. Damit ergibt sich eine nennenswerte positive Abweichung nur für den Nasalindex. Trägt man nun die
Fig. 1. Sogenanntes Abweichungsdiagramm nach Mollison. Es sind die prozentualen Abweichungen des Sammlungsstückes 261 (?) und der Mittelwert der von RIVET untersuchten Paltacaloserie (Frauen) aufgetragen. Die Vergleichsbasis wird von dem Ancon-Schädel Nr. 1554 nach R. VERCHOW geliefert. Die Abweichungskurven (ausgezogen: Objekt 261, gestrichelt: Paltacalo) zeigen einen ganz ähnlichen Verlauft
von R I V E T angegebenen, in die Tabellen von M A R T I N - S A L L E R aufgenommenen Schädelmaße der Paltacalo-Serie als prozentuale Abweichungen von den Maßen des Anconschädels ein, so findet sich ein ganz ähnlicher Verlauf! Typologisch entspricht also das Kranium den Formtendenzen der Paltacalo-Schädel. Bei diesen Paltacalo-Schädeln handelt es sich um insgesamt 11 Fundstücke aus Felsgrotten nahe bei Paltacalo im südlichen Ecuador, denen neben dem niedrigen Schädelindex auch andere spezifische Züge („similar to those of Lagoa Santa", MAS OK" S. 26) zugeschrieben werden. Bei der geographischen Nachbarschaft der heutigen Staaten Ecuador und Peru ist es nicht verwunderlich, einen PaltacaloTypus in Peru anzutreffen. Über „Palta" findet man bei K R I C K E B E R G die Angabe, daß sie den äußersten Süden Ecuadors bewohnen. K R I C K E B E R G führt aus: „In spanischer Zeit wurden durch die Einführung des Quechua auch die Sprachen der einheimischen Völker Ecuadors so restlos verdrängt, daß sie heute fast nur noch in Ortsnamen fort-
E i n Mumienschädel
237
leben. Diese Völker zerfielen in zwei Gruppen, eine ältere und eine jüngere. Zur •ersteren gehören von den Gebirgsvölkern mindestens die Pasto im äußersten Tabelle 1 ;Schädelmaße des Objekts 261 (?) u n d der Vergleichsstüoke bzw. Yergleichsserie N r . u n d Bezeichnung •des Maßes n a c h M A R T I N - S A L L E R
Objekt
SAM
Paltacalo*
261 (?)
13 566
$
$
1 Größte Hirnschädellänge 5 Schädelbasislänge 7 L ä n g e des f o r a m e n m a g n u m 8 Größte Hirnschädelbreite 9 Kleinste Stirnbreite • 11 Breite über den Gehörgängen 12 Größte H i n t e r h a u p t s b r e i t e 13 Breite der Schädelbasis 16 Breite des f o r a m e n m a g n u m .27 Mediansagitt. Parietalbogen „ Okzipitalbogen 28 29 „ Frontalsehne „ Parietalsehne 30 31 „ Okzipitalsehne 43 Obergesichtsbreite 45 Jochbogenbreite 46 Mittelgesichtsbreite 48 Obergesichtshöhe 51 Orbitalbreite 52 Orbitalhöhe re./li. 54 Nasenbreite 55 Nasenhöhe 62 Gaumenlänge 63 Gaumenbreite •64 Gaumenhöhe (Palatometer)
176 177 93,5 — 31,5 127 148 90 97 121 105,5 — 97 — 29 116 126 — 113 102 ' — 111 93 121 133 93 62,5 63,5 39/38 32,5/31 — — 21 — 46 39 41,5 10
i 7h 98 35,9 124 91
182 101 32,8 130 94
* nach
RIVET,
zitiert bei
-
-
-
-
—
-
28,5 -
29,3 127 120
—
—
—
—
-
-
-
-
124,8 -
136,6 -
66,3
68,0
34,7 24,3 47,7
34,6 25,6 49,6
-
-
-
-
—
-
-
-
MARTIN- SALLES.
Tabelle 2 P r o p o r t i o n e n des Objekts 261 (?) u n d der Vergleichsstücke bzw. Vergleichsserie !Nr. u n d Bezeichnung •des I n d e x n a c h M A B T I N - S A L L E R
Objekt 261 (?)
SAM 13566
I 1 I 2 I 3 I 13 142 I 48
72,1 76,1 105,5 70,9 83,3/81,6 45,6
83,6 -
Längen-Breiten-Index Längen-Höhen-Index Breiten-Höhen-Index Transversaler F r o n t o - P a r i e t a l - I n d e x Orbital-Index re./li. Nasal-Index
-
Paltacalo i $
c
73,2 104,4 73,4 51,0
71,4 73,9 103,5 72,1 51,4
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H A N S GRIMM
Norden des Landes, die wahrscheinlich Tukano waren, und die Palta im äußersten Süden, die R I V E T ZU den Jívaro rechnet; an der Küste die Esmeralda. Manta, Huancavilca und Puna . . . " ( K R I C K E B E R G , 1939, pp. 221/222). Wie weit Tabelle 3 Ähnlichkeit der Maße und des Längen-Breiten-Index zwischen dem als Vergleichsbasis in Abb. 1—3, Taf. LVII—LIX benutzten Schädel aus Ancon und einem Schädel vom Titicacasee (SAM 1 3 5 6 6 ) Nr. des Maßes nach M A R T I N - S A L L E R 1 8 9 45 48 I 1 I 2 I 42 I 48 * bei R.
VIRCHOW
SAM 13566
177 148 97 133 63,5 83,6 — — —
Ancon n.
VIRCHOW
178,5 148,0 93,5 137 72* 82,9 74,5 91,2 41,0
bezeichnet als „Gesichtshöhe B (n-Alveolarrand)". Tabelle 4 Dimensionen der Molaren im Oberkiefer Zahn 6 re. 6 Ii. 7 Ii.
Abrasion
Breite
Dicke
1 1 2
9,2 9,7 9,1
10,4 10,0 9,8
die Stilelemente des Kopfes und Gesichtes solcher rezenten Indianer noch an die Besonderheiten der Paltacalo-Schädel erinnern, muß leider eine offene Frage bleiben. Nun soll dieses Einzelstück natürlich nicht als Widerlegung gängiger Vorstellungen von den frühgeschichtlichen peruanischen Bevölkerungsgruppen angeführt werden. Es erlaubt nicht mehr als den Hinweis, daß auch in diesen Populationen eine große Variationsbreite oder gar Typenvielfalt herrschte, der an Hand des in manchen Sammlungen noch reichlich vorhandenen Materials weiter nachgegangen werden sollte. Kann doch v. E I C K S T E D T S Einteilung der südamerikanischen Indianer in Zentralide, Andide, Margide usw. nur als erster Versuch einer Übersicht betrachtet werden. N E W M A N nennt seine Betrachtung in der Tat „rather sweeping". Auch das neueste deutschsprachige Werk zur regionalen Anthropologie, L U N D M A N S „Geographische Anthropologie", nennt „die Syste-
E i n Mumienschädel
239
matik der Indianergruppen oft eine heikle, ja vielfach noch ganz ungelöste Frage". Leider hat aber das Interesse der Anthropologen in viel höherem Maßeden Schädeldeformationen ( I M B E L L O N I , V I R C H O W U. a.), den Trepanationen ( C O U E V I L L E , S T E W A R T U. a.) und den paläopathologischen Befunden ( A I C H E L , H R D L I Ö K A , S T E W A R T ) gegolten, so daß demgegenüber die schlichte Kraniologie ( N E W M A N ) stark zurücktritt. Es kommt hinzu, daß das wenige zum Vergleich verfügbare Material oft nur in Form von Mittelwerten geboten wird, also heutigen biometrischen Ansprüchen nicht genügt bzw. nur geringen Informationswert hat. Die Anthropologie der südamerikanischen frühgeschichtlichen Bevölkerungsgruppen stellt also auch der „klassischen" Kraniologie noch immer Aufgaben. Wenn sich heute das Interesse gerade unter dem Einfluß des Internationalen Biologischen Programms (IBP) den Anpassungsproblemen (Human Adaptability) zuwendet und dabei informationsstarke funktionelle Daten (Atemphysiologie der Hochlandbewohner usw.) eine Rolle spielen, so bleibt uns für eine langfristige Verfolgung der Anpassungsvorgänge doch nur der morphologische Niederschlag, so daß sich „moderne" und „klassische" Arbeitsweisen der Anthropologie ergänzen müssen, um unser Bild von der „Biologie des Menschen" zu formen. Literaturverzeichnis « O., 1932: Ergebnisse einer Forschungsreise nach Chile-Bolivien. 2. Die künstliche Schädeldeformation. Z. f ü r Morphologie u n d Anthropologie X X X I , 3-62. C O U R V I L L E , C. B., u n d K . H . A B B O T , 1942: Cranial Injuries of t h e Precolumbian l n c a s , with Comments on Their Mechanism, Effects, a n d Lethality. Bulletins of t h e Los Angeles Neurological Society 7, 107 (Sept.). v. E I C K S T E D T , E . , 1934: R a s s e n k u n d e u n d Bassengeschichte der Menschheit. Stuttgart. G R I M M , H . , 1 9 5 5 : Vierfache Trepanation bei einer I n k a m u m i e . Zbl. f. Neurochirurgie
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H A N S GRIMM
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von Ancon in P e r u . E i n Beitrag zur K e n n t n i s der K u l t u r u n d I n d u s t r i e des Inca-Reiches. 3. B a n d , Berlin (A. Asher u. Co.), Tafel 108-116.
Bemerkungen zum Tränk- und Weiderecht der Nomaden Ost- und Nordostafrikas von
HANS-GEORG SCHINKEL,
Berlin
Das Tränk- und Weiderecht der Nomaden Ost- und Nordostafrikas (Bedscha, Sudanaraber, tigre- und agausprechende Nomaden in Eritrea, Afar, Somal, Galla und Hamitoniloten) ist im allgemeinen wenig differenziert und labil; es läßt sich in wenigen Grundzügen charakterisieren. Die vorliegende Arbeit, die das Recht auf Bodenbauland ausklammert, f a ß t weitverstreute fragmentarische Beobachtungen zusammen. Die Analyse dieser Rechtsverhältnisse ausschließlich nach schriftlichen Quellen wird durch die oftmals uneinheitliche Verwendung von Termini wie Stamm, Klan, Familie usw. erschwert. So gibt es z. B. in der Frage der traditionellen Systeme der öffentlichen Weidereservation noch manche Unklarheiten. Ein Hauptmerkmal ist die oftmalige Mitbenutzung der Brunnen und Weiden durch Fremde, die entweder nach Rücksprache erlaubt wird oder eigenmächtig erfolgt. Dies hat seine Ursache in den natürlichen Ressourcen, die auf die Dauer im eigenen Territorium nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Landbesitzende Einheiten sind große blutsverwandte Nomadengemeinschaften — Stämme, Stammessektionen, seltener Klane und Stammesbünde, im allgemeinen jedoch keine Großfamilien. Diese landbesitzenden Gemeinschaften, die niemals ganzjährig die von ihnen beanspruchten Territorien nutzen, treten nach außen als Erzwinger des Landrechts auf. Das Besitzrecht auf Brunnen ist, bedingt durch den Arbeitsaufwand bei der Grabung und Instandhaltung und durch andere Faktoren, mehr individualisiert als das Weiderecht: Sie gehören oftmals Einzelpersonen bzw. Großfamilien. Der Umfang des Personenkreises, der bestimmte Weiden oder Brunnen besitzt, hängt hochgradig von ökologischen Faktoren ab. Er kann sich bei ein und denselben Nomaden jahreszeitlich stark differenzieren: durch die Menge des anfallenden Weidefutters bzw. Tränkwassers und durch die unterschiedliche Erschließbarkeit und Zuverlässigkeit seines Vorkommens. J e unsicherer und knapper Naturweide bzw. Tränkwasser anfällt, um so größere Flächen gehören gewöhnlich einer landbesitzenden Einheit, um so größer ist der Personenkreis, der von einem Wasservorkommen abhängt. — Auf dem relativ großen Territorium der landbesitzenden Einheit können sich die einzelnen Betriebe der nomadischen Viehbesitzer freizügig verlagern, wobei dem Erstkommenden das Vorrecht der Weidenutzung in dem von ihm aufgesuchten Landstrich zusteht. Eine Reservation von Weideland für die Trockenzeit erfolgt hierbei im Rahmen des Einzelbetriebes, nach dem Ermessen des einzelnen Vieh16 Jahrbuch des Museums für Völkerkunde, Bd. XXVII
242
HANS-GEORG
SCHINKEL
besitzers. 1 Einschränkungen erfährt dieses Recht der Freizügigkeit nur bei Seuchen, wenn die Besitzer der heimgesuchten Herden verpflichtet sind, sich zu bestimmten Weiden und Brunnen zurückzuziehen und die Stammesgenossen zu warnen. 2 Fällt — bei insgesamt gesehen knappen Ressourcen — bestimmte Notzeitweide sicher und in nicht zu geringer Menge an (z. B. in Höhenlagen und auf periodisch austrocknenden Überschwemmungsflächen), so können unter Umständen öffentliche Systeme der Weidereservation für die trockene Jahreszeit entstehen, die die volle Freizügigkeit der Nomadenbetriebe auf die günstigen Phasen des jährlichen Wirtschaftszyklus beschränken. Dife auf die öffentliche Meinung und gegebenenfalls auf sakrosankte und religiöse Vorstellungen gekratzte Autorität der Stammes-, Sektions- oder Klanoberhäupter verhindert in solchen Fällen die vorfristige Nutzung der öffentlich reservierten Notzeitweiden. Es besteht die Tendenz der Individualisierung solcher Reservate, d. h. die Nutzung erfolgt jeweils in Teilzonen, in denen sich kleine, eng blutsverwandte Gemeinschaften (z. B. Klane) aufhalten, während die übrigen Weiden, in der günstigeren Jahreszeit, relativ großen Gemeinschaften zur Verfügung stehen (z. B. dem Stamm). Tritt der Fall ein, daß in allen Phasen des jährlichen Wirtschaftszyklus die Weide reichlich und sicher anfällt (z. B. in Eritrea), so kommt es entweder zur freien Nutzung durch große Nomadengemeinschaften (mehrere Stämme), wobei sich niemand um die Weide auf diesen Niemandsländern streitet, oder es erfolgt die Nutzung der einzelnen Landstriche gewohnheitsgemäß durch bestimmte Familien, ohne daß diese Rechtsansprüche erheben können. Ist — bei durchschnittlicher Ausstattung mit weidewirtschaftlichen Ressourcen — die Mitbenutzung des Weidelandes oder der Brunnen durch späterkommende Nachbarn oder durch Fremde, die nicht zur landbesitzenden Einheit gehören, möglich, so schließen die Nomaden sehr oft und bereitwillig Weide- oder Tränkabkommen mit solchen Interessenten ab, Feinde natürlich ausgenommen. Diese Bereitwilligkeit ist als eine Maßnahme der wechselseitigen Weide- und Tränkwasserversicherung anzusehen. — I n den arideren Nomadengebieten Ost- und Nordostafrikas wird das Recht auf Grund und Boden und auf Brunnen von außen nur anerkannt, wenn die Besitzer beides tatsächlich und regelmäßig nutzen, wenn die Nachbargruppen selbst über ausreichende Ressourcen verfügen, oder wenn sie militärisch nicht in der Lage sind, fremde Weiden und Brunnen zu erobern. Hier kann das Recht des Stärkeren zur einzigen Grundlage des Besitzes an Weideland und Brunnen werden. — In einigen Fällen finden sich in der Literatur über das ost- und nordostafrikanische Nomadentum Hinweise auf den Privatbesitz von Weideland. Nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen wollen wir die einzelnen Phänomene, zunächst des Weiderechts, näher untersuchen und mit Beispielen belegen. 1
2
Vgl. bei S C H I N K E L , 1970, Abschnitt „Der jährliche Wirtschaftszyklus und die Notzeitweiden". S a m b u r u : S P E N C E R , 1965, S. 5. D o d o t h : T H O M A S , 1965, S. 152. H u m r : C U N N I S O N „ 1966, S. 157.
T r ä n k - und W e i d e r e c h t der N o m a d e n Ost- und N o r d o s t a f r i k a s
243
Der Besitz weiter Räume durch große Nomadengemeinschaften Zahlreiche Landstriche leiden jahrelang unter Dürren, um dann in einer bestimmten Saison vorzügliche Weiden abzugeben.'5 Wäre so eine Weidezone im Besitz einer oder weniger Großfamilien, so könnte deren Vieh in den Dürrejahren nicht ernährt werden, in einem regenreichen Jahr jedoch bliebe viel Weidefutter ungenutzt. Erst durch die volle Freizügigkeit der Nomaden auf den weiten Flächen großer landbesitzender Einheiten (von den öffentlichen Weidereservationen abgesehen), durch alljährliche Modifikation der Routen, können die Nomaden „dem Regen folgen" und die sporadisch entstehenden Weidegründe erschließen. Der nomadische Viehbesitzer, der in einer bestimmten Saison als erster einen Weidegrund aufsucht, darf diese Weide nutzen/1 Er erwirbt aber dadurch kein absolutes Recht. Bei den Samburu z. B. muß ein später nachfolgender Nomade, selbst bei Weideknappheit, zugelassen werden, wenn er vorher den zuerst Angekommenen um die Erlaubnis zur Mitbenutzung bittet; das Nachrücken wird nur bei Mißachtung dieser Formalität als echte Rechtsverletzung angesehen.5 Dem Stamm6 gehört das Land z. B. bei den Humr, Somal, Turkana, Kababisch, Jie, Samburu und (in voramharischer Zeit) bei den Boränaund Alabdu-Galla. Für die Masai, Datoga, Bischarin und Beni Amer werden Unterstämme1 als Landbesitzer angegeben. R A Y N E 8 schreibt (im Unterschied zu G U L L I V E R 9 ) den Turkana-ifZawera das Landrecht zu. Bei den Toposa und Didinga besitzen (nach DRIBERG10) die Klane das WeideÜ b e r die Unzuverlässigkeit der Niederschläge nach Menge, Zeitpunkt und L o k a l i t ä t in Ost- und N o r d o s t a f r i k a s. SCHINKEL, 1970, Abschnitt „ E r k u n d u n g der W e i den u s w . " sowie T a b e l l e 8: „Natürliche Grundlagen der N o m a d e n Wirtschaft in den L ä n d e r n Ost- und N o r d o s t a f r i k a s " . '' Beispielsweise bei den H u m r - B a g g a r a (CUNNISON, 1954, S. 61), den Borana-Galla
a
(HABERLAND,
1963,
S. 7 0 ) u n d d e n S o m a l
(LEWIS,
1955, S. 91 f . ; P A U L I T S C H K E ,
1 8 8 9 , S. 3 ) . S P E N C E R , 1 9 6 5 , S. 5.
5
«Humr:
CUNNISON,
1966, S . 2 5 , 2 0 . S o m a l : L E W I S ,
1961, S . 51 f f . ;
PAULITSCHKE,
1888, H a r a r , S. 130f.; ders., 1889, S. 3,; B E R T A R E L L I , 1929, S. 730; Cozzi, 1965, S. 126. Turkana und J i e : GULLIVER, 1955, S. 3 2 f f . ; ders., 1953, S. 64. K a b a b i s c h : SELIGMAN,
1918,
S . 117.
Samburu:
SPENCER,
1965,
S. 5 f .
Galla:
HABERLAND,
1963, S. 32, 70, 286. 7
M a s a i : HUNTINGFORD, 1953, S. 108 (ol-osho). D a t o g a : WILSON, 1953, S. 38; ders., 1952, S. 44 (eimochant). Bischarin: SELIGMAN, 1915, S. 81 (bedana); v g l . dens., 1913, S. 599. Beni A m e r : HEUGLIN, 1877, S. 68.
8
1918, S. 184: jeder K l a n habe „its o w n well-defined grazing ground. . .", was bedeute, daß keine R i n d e r auf Nachbarterritorien getrieben werden d ü r f t e n ; die persönliche F r e i z ü g i g k e i t der Turkana sei jedoch in keiner W e i s e eingeschränkt, s. A n m e r k u n g 6.
10
16»
B e i S E L I G M A N , 1932, S . 3 6 4 b z w . 3 6 2 . G U L L I V E R , 1953, S . 88.
244
HANS-GEORG
SCHINKEL
land und organisieren auch die Verlagerungen. Bei den Toposa hat jeder Klan sein eigenes Territorium, und auch ^die Randzonen an Flüssen sind klanweise eingeteilt. Übertritte werden nicht zugelassen, vor allem nicht in der Reifezeit der Früchte der Borassus-Palme. Es besteht die Tendenz, daß die gleichen Betriebe immer wieder an derselben Stelle ihre Krale aufschlagen. Auch bei den Midschurtin-Somal ist der Klanbesitz offensichtlich klar ausgeprägt, denn B A L S A N 1 1 schreibt: „Chaque clan possède ses aires de transhumance, ses wadi, ses arbres à aromates, et, en cas de transgressions illicites, il préféré défendre ses droits lui-même."
Bei Stämmen mit ökologisch stark differenzierten Weidezonen (so bei manchen Galla-Nomaden in Südäthiopien) gelten, entsprechend der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Weidefutter, verschiedene Rechtssatzungen (Klanbesitz an Weide im Hochland, Stammesbesitz im Tiefland). 12 Manche Somalistämme kennzeichnen die ihnen gehörigen Territorien mit Eigentumszeichen (sumad), die in Bäume eingeschnitten werden und gewöhnlich den Viehbesitzmarken ähneln. 13 Die nomadischen Viehbesitzer z. B. der Somal, Hadendoa, Borana, Humr, Turkana und Samburu können sich mit einer unbeschränkten Viehzahl über die ganze Weideiläche ihrer landbesitzenden Einheit (hier der Stamm) ausbreiten und miteinander beliebig kooperieren. 14 Die Turkana- und die SamburuNomaden sagen: „Dies ist unser Land. Sind wir nicht alle Turkana (Samburu) ?" 15 Wenn ein Turkana seinen gewohnten Wirtschaftsraum verlassen will, bittet er aus rein praktischen Gründen einen geeigneten Verwandten oder Bundesfreund, ihn in die neue Umgebung (innerhalb der Stammesgrenzen) einzuführen. 16 Nach C U N N I S O N 1 7 nimmt der fortwährende Wechsel des HumrViehbesitzers von Gemeinschaftsbetrieb zu Gemeinschaftsbetrieb und von Siedlung zu Siedlung Ausmaße an, die man als „sekundären Nomadismus" bezeichnen könne; „no one has a fixed set of people with whom he continually and exclusively resides." Er teilt nicht die Auffassung mancher Autoren, die von einer Bindung der Humr-Lineage an ein bestimmtes Territorium sprechen. 18 11
1964/65, S. f 29. Gudschi- und Arussi-Galla: H A B E R L A N D , 1 9 6 3 , S. 7 0 , 3 5 9 , 4 3 0 . « Z Ö H R E R , 1 9 6 4 / 6 5 , S. 1 5 1 ; ders., 1 9 Ç 9 , S. 5 3 . L E W I S , 1 9 6 1 , S. 4 3 . 14 Somal: T R U S T T E R R I T O R Y , 1952, S. 62, 121. Borana: H A B E R L A N D , 1963, S. 32, 70. Humr: CUNNISON, 1966, S. 20, 25, 43, 84 (nur nicht über Bodenbauland). Turkana : GULLIVER, 1953, S. 64; ders., 1955, S. 11 f., 32ff., 37. Samburu: SPENCER, 1965, S. 7,5. O W E N schreibt über die Hadendoa (1937, S. 201) : „There is hardly a cell. . . that has not representatives dotted over the whole Hadendowa area. A sheik with £ E 10 of tribute to collect may have to collect some of the money from near Sinkat, some from the Eritrean border, a few rials on the Atbara and the rest in the Gash." 12
15
T u r k a n a : GULLIVER, 1955, S. 34. S a m b u r u : SPENCER, 1965, S. 5. GULLIVER, 1953, S. 65.
" 1 9 6 6 , S. 4 2 . V g l . CUNNISON, 1954, S. 61.
18
CUNNISON, 1966, S. 1 9 0 .
Tränk- und Weiderecht der Nomaden Ost- und Nordostafrikas
245
Freilich sind dem ständigen Wechsel der Wanderrouten und der fortwährenden Durchmischung der Nomadenbetriebe praktische (wenn auch--nicht juristische) Grenzen gesetzt. Denn die Nomaden wollen nicht isoliert von der Mehrzahl ihrer Verwandten leben, und warum sollten sie bestimmte Wanderwege, die sie besonders gut kennen, bei ausreichender Weide- und Tränkwasserbasis nicht wieder bevorzugen? Die Uraga, Mati und Hoku (Unterstämme der südlichen Gudschi-Galla) konnten zwar ihre Wohnsitze aufschlagen, wo immer es ihnen im südlichen Gudschi-Land beliebte, doch brachte dies unter Umständen Nachteile mit sich, weil sie verpflichtet waren, an bestimmten heiligen Plätzen der Familien und Klane im Rahmen des Gada-Systems zu opfern. 19 Obwohl Freizügigkeit herrscht, besteht auch bei den einzelnen Sektionen der Humr, der Samburu und der Somal die Tendenz, bestimmte Weidezonen in bestimmten Teillandschaften einzuhalten. 20 Solche traditionellen Nutzungszonen der Sektionen oder ähnlicher Gemeinschaften haben aber keine festen Grenzen, und es kommt zu beträchtlichen Überschneidungen. Das gewohnheitsgemäße Aufsuchen 2 1 bestimmter Wirtschaftsräume durch Nomadengruppen oder einzelne Nomaden f ü h r t niemals zum Besitzanspruch: Bei Futtermangel in größerem Umfang verfügen alle Angehörigen der viel größeren landbesitzenden Einheit über alle Weiden. Stämme und Sektionen traten auch gegenüber Handelskarawanen als landbesitzende Einheiten auf. So verlangten z. B. die Ababde, Bischarin, Hadendoa und Issa-Somal von durchreisenden Händlern und von Transport-Trecks Durchgangszölle. 22 I n anderen Fällen erschwerten die Nomaden den Transithandel durch Überfälle (Masai, Afar, Issa). Manchmal war der Handel jedoch so wichtig, daß die Nomaden sogar Angehörige feindlicher Stämme durch das eigene Territorium ziehen ließen (Bischarin und Hadendoa bei Gosdjereb am Atbara, Afar und Galla, Somal um Berbera, handeltreibende Masai- bzw. Bantufrauen). 2 3 "
HABERLAND, 1963, S. 349.
2» H u m r : C U N N I S O N , 1 9 6 6 , S. 2 6 , 1 9 5 , sowie Karte auf S. 1 9 0 ; B O E N , 1 9 6 5 , S. 2 1 6 , Karte auf S. 2 1 5 . Samburu: S P E N C E R , 1 9 6 5 , S. 5 . Somal: L E W I S , 1 9 6 1 , S. 4 7 ; ders. 1 9 5 5 , S. 9 2 inach CUCINOTTA, 1 9 2 1 ) ; Cozzi, 1 9 6 5 , S. 1 2 6 . . 21 s. Anmerkung 20 und weiterhin: SPENCER, 1965, S. 7 (Samburu); PAUL, 1950, S. 236 (Beni Amer); C U N N I S O N , 1954, S. 61 f., 59; ders., 1966, S. 25; T R U S T T E R R I TORY, 22
23
1952,
S. 62,
121
(Somal);
HABERLAND,
1963,
S. 286
(Alabdu-Galla);
GULLIVER, 1953, S. 64f., 11 (Turkana); ders., 1955, S. 33 (Jie). Ababde: B U R C K H A R D T , 1 8 2 0 , S. 8 . Bischarin: B U R C K H A R D T , 1 8 2 0 , S. 2 9 5 . Hadendoa: O W E N , 1 9 3 7 , S. 2 0 5 . Issa: B U C H H O L Z E R , 1 9 5 9 , S. 2 0 . Bischarin und Hadendoa: BURCKHARDT, 1820, S. 294. Afar und Galla: PAULITSCHKE, 1893, S. 298. S o m a l u m B e r b e r a : HAGGENMACHER, 1876, S. 3 6 f . Masai UND B a n t u : FISCHER, 1 8 8 4 / 8 5 , S. 5 1 ; THOMSON, 1 8 8 5 , S. 148, 3 9 8 ; MERKER, 1 9 1 0 , S. 3 0 ; HUNTINGFORD, 1 9 5 3 , S. 110.
246
HANS-GEORG
SCHINKEL
Traditionelle Systeme der öffentlichen Weidereservation Diese lassen sich z. B. bei den Karamojong, Suk, Kababisch und bei Galla Südäthiopiens (Arussi, Gudschi, Alabdu) nach weisen. 2/1 Bei Nichtbeachtung werden harte Strafen verhängt (Konfiskation von Vieh). — Die westlichen Arussi 2 5 demonstrierten in ihrem (bis 1900 intakten) transhumantischen System, in welchem Grade bei Nomaden die Größe der landbesitzenden Einheit und die Notwendigkeit der Weidereservation von der Verläßlichkeit der Weide und von ihrer Menge und Güte während der einzelnen Jahreszeiten abhängt. I m Hochland (über 2300 m), wo sich die festen Wohnsitze innerhalb der einzelnen, deutlich abgegrenzten Klangebiete befanden, lagen auch die Felder und Trockenzeitweiden der Klane. I m Klanterritorium herrschte Freizügigkeit f ü r Klanmitglieder, jedoch nicht in der Phase der alljährlichen Transhumanz, die vor Beginn der Hauptregenzeit im Mai begann und etwa November endete. 2 0 I n dieser Zeit wurde das ganze Hochland zum Weidesperrgebiet (wogdra) erklärt; nur die Weide f ü r die hier verbleibenden Milchkühe, Hochland-Schafe und Pferde wurde ausgenommen. Diese beschränkte Viehzahl m u ß t e aber vorwiegend in der Nähe der Gehöfte ihrer individuellen Eigentümer weiden. Bestimmte Zeremonien erklärten die Hochweiden f ü r sakrosankt und unantastbar, welcher Zustand erst wieder durch die Gada-Autoritäten aufgehoben werden mußte. Bei den Alabdu-Galla wurde einem Übeltäter, der die Weidesperrbezirke (kdlo) verletzte, als besonders abschreckende Strafe eine trächtige K u h getötet. 2 7 I m Mittelland der Arussi (1800-2300 m) gab es lediglich traditionelle Weidegebiete der Klane, ohne Ausschließlichkeitsanspruch; oft bildeten sich hier, im Gegensatz zum Hochland, Weide-, Nachbar- und Kralgemeinschaften von Angehörigen verschiedener Klane heraus. I m Tiefland schließlich herrschte völlige Freizügigkeit und das Prinzip der Nutzung durch den zuerst Gekommenen. Hier und im Mittelland konnte das trockene Gras von jeder beliebigen Person und zu jedem Zeitpunkt angezündet werden, während im Hochland eingehende Beratungen der Klanoberhäupter vorausgingen, die einen genauen Plan f ü r das Grasabbrennen durch die einzelnen Klane aufstellten. 2 8 Bei den Kamelnomaden Nordkordofans wird durch die strenge Autorität der Scheichs der Sektionen und Stämme eine genaue, an den jährlichen Regenfällen orientierte Abweidung in parallelen Linien durchgesetzt 2 9 ; die Scheichs sorgen f ü r die Reservierung von Weidefutter f ü r den Rückweg und f ü r das Vieh 2/1
Alabdu: H A B E E L A N D , Anmerkungen.
25 H A B E R L A N D , 20
1963,
1963, S. 430,
S. 286. Die Belege f ü r die anderen S t ä m m e s. folgende 70.
H A B E R L A N D , 1 9 6 3 , 'S. 4 3 1 .
27 H A B E R L A N D , 1 9 6 3 , S . 2 8 6 ,
430.
28 H A B E R L A N D , 1 9 6 3 , S . 4 3 1 .
2f
SELIGMAN,
1918,
S.
117.
REID,
1930,
S.
166; ders., 1935,
S . 5 8 f . BORN, 1965, S. 95. V g l . BARBOUB, 1961, S.
170.
S.
119.
DAVIES,
1957,
Tränk- und Weiderecht der Nomaden Ost- und Nordostafrikas
247
nachfolgender Gruppen, auch achten sie auf die Respektierung der Weiden benachbarter Sektionen und Stämme. — Die Suk reservierten schon in voreuropäischer Zeit termitensicheres Gras und anderes Weideland für außergewöhnliche Dürren. 30 Einen schweren Rückschlag erleidet die Wanderviehzucht, wenn solche öffentlichen Reservationen von Nachbarstämmen nicht respektiert werden. Die Kenya Land Commission berichtet über die wohlorganisierten Verlagerungen der Karamojong zu den Notzeitweideplätzen 3 1 : „Such movement is strictly controlled by the chiefs and elders of the tribe themselves. The dry-weather grazing grounds are for the most part to be found along the Suk boundary, and were therefore the first areas to be attacked by the marauding Suk in their search for grazing. I t was in fact largely due to the continuous use of their dry-weather grazing grounds by the Suk which created such enmity in the minds of the Karamojong, who, when they themselves had in due course reached these reservations, found that they had been denuded by the Suk, and nearly precipitated a state of open hostilities such as actually occured in 1928."
Nomaden der Nord-Somal erklärten sich zu einem von der britischen Administration vorgeschlagenen System der Weidereservation nur in dem Maße enthusiastisch bereit, wie die eigenen Stammesterritorien einbezogen und die der Nachbarn ausgeklammert wurden. 32 Das Bemühen der Engländer, bei den Samburu öffentliche Weidereservate einzurichten und zu pflegen, fand bei diesen Nomaden niemals Gegenliebe, und als Kenia unabhängig wurde und zwei Jahre vorher die Kontrolle über die Reservate aufhörte, ignorierten die Samburu alle Regelungen und Maßnahmen, die ihnen die Engländer aufgezwungen hatten und wirtschafteten wieder freizügig nach altgewohnter Weise. 33
Weideabkommen Was S E L I G M A N 3'» über die Bedscha im Hinblick auf Weideabkommen sagt, kann auch für viele andere Stämme des Untersuchungsgebietes gelten: „ . . . there is a very considerable degree of give and take in the arrangements made for the pasturage and watering of the flocks, and while the boundaries of each division are known, they are by no means strictly adhered to in practice. This applies even to such large units as tribes . . . "
Ähnliches schreibt
LAMPEN
über die Baggara 3 5 :
„Most tribes allow strangers to spend the summer within their boundaries, after an acknowledgment of their rights accompanied by a small present." S C H N E I D E » , 1 9 5 9 , S . 1 5 5 . K E N Y A L A N D COMMISSION, 1 9 3 4 , S . 1 7 3 3 , v g l . S . 1 7 4 3 . K E N Y A L A N D COMMISSION, 1 9 3 4 , S . 17 5 5 .
32
LEWIS, 1 9 6 1 , S. 51.
SPENCER, 1965, S. X X f . Vgl. a u c h zahlreiche A b s c h n i t t e der KENYA LAND COMMISSION, 1 9 3 4 .
1913, S. 599. Nach PAUL (1954, S. 5) erlauben die Bedscha usus fructus, solange 35 kein Landdisput vorliegt. 1935, S. 134.
248
HANS-GEORG
SCHINKEL
Die nördlichen Sudanaraber können bei knappwerdender Weide immer mit ihren südlichen Nachbarn Weideabkommen treffen, so daß auch in den magersten Jahren der größte Teil ihres Viehs überlebt. 36 Heutzutage gehören in Kordofan in den einzelnen Stammesgebieten nur 60—70% der Einwohner tatsächlich den namengebenden Stämmen an; das hängt, neben der modernen Tendenz zur Detribalisierung, sicher auch mit den seit langem üblichen Weideabkommen der Nomadenstämme zusammen. 37 — Beni Amer-Gruppen zahlten (um 1880) einem Hadendoa-Scheich für erlaubte Schafweide am Setit eine Naturalentschädigung von 600 Schafen 3 8 ; ebenso waren es die Kawachla, Schenabla und andere Benutzer der Kheiran (Grundwasserbecken) in Kordofan gewohnt, für das Abweiden bestimmter Landstriche Viehprodukte an die Eigentümer (Dar Hamid-Ferachna) zu zahlen. 39 Die Fayyarin-Humr lassen ihr Vieh auf Grund von Weideabkommen im Sommer im Südosten des Rizeigat-Landes grasen, die Salamat im Nubagebiet. 40 Fellata-Rinderzüchter in Darfur schließen (als landlose Einwanderer, die erst vor einigen Jahrzehnten aus dem westlichen Sudan eintrafen) mit den Habania und anderen Sudanarabern Weideverträge ab. 41 Hier im Ostsudan ziehen manchmal diejenigen Stämme, die Weideerlaubnis auf fremden Territorien erhalten haben, mit ihren Gastgebern mit (so einige Hawawir und andere - Sudanaraber mit den Kababisch). 42 Die Nomadenstämme des ehemaligen Französisch-Somaliland (heute Afar- und IssaKüste) besitzen (nach A U B E R T D E L A R U E 4 3 , 1 9 3 9 ) genau festgelegte Weidezonen ; bei Dürre erkauft man sich durch eine bestimmte, in Talern zu zahlende Summe das Recht des Zugangs zu fremden Weiden. Die Somal im Süden des afrikanischen Osthorn überqueren bei ihren Verlagerungen oft zahlreiche stammesfremde Weidegründe, z. B. passieren die Galgail, deren Stammesland sich südlich von Bulo Burti befindet, die Stammesterritorien der Elai, Eile, Tunni und Bimal und gelangen im Dezember oder Januar nicht selten bis in die Umgebung von Kissimaju. 44 Bei den südlichen Somal gibt es die sogenannten Shegat-Bündnisse 45 , die einem permanenten Weideabkommen unter Aufgabe der politischen EigenBABBOUR, 1 9 6 1 , S. 169. 37 B O R N , 1 9 6 5 , S . 10Ö. 38 JAMES.. 1 8 8 4 , S . 1 8 0 . 39 M A C M I C H A E L , 1 9 2 0 , S . 2 3 8 ; v g l . S E L I G M A N , 1 9 1 3 , S . 6 2 7 . 40
1 9 6 6 , S . 1 9 5 bzw. 2 5 . L A M P E N weiterhin über die Baggara ( 1 9 3 5 , S. 134): „They are not jealous of their boundaries and if dues are paid no question of trespass as a rule arises." CTJNNISON,
41 B A R B O U R , 1 9 6 1 , S . 1 6 6 f . B O R N , 1 9 6 5 , S. 1 0 0 , 2 0 4 , Vgl. L A M P E N S Bemerkung über die Baggara: „In fact, following long tradition, the tribal heads are only too ready to harbour anyone from other tribes." 43 1939, S. 22.
42
44
TRUST TERRITORY, 1 9 5 2 , S. 124.
«
ZÖHRER, 1 9 6 4 / 6 5 , S. 1 4 5 f .
Tränk- und Weiderecht der Nomaden Ost- und Nordostafrikas
249
ständigkeit gleichkommen. Die interessierten Nomaden wenden sich an die Häuptlinge bzw. „Sultane" von Stämmen; diese Oberhäupter nehmen die Fremdlinge regulär und unwiderruflich in ihren Stamm auf und gewähren, ohne jede Bezahlung, das Recht auf Weidenutzung, daneben Tränkrecht und militärischen Schutz. Da in Somaliland immer mehr Nomaden aus dem austrocknenden Norden in den nun übervölkerten Süden abwandern, wurde die Weide der shegat-gewährenden Stämme in vielen Fällen zu knapp, und es kam zu Feindseligkeiten und Selbständigkeitsbestrebungen der in das Shegat-Verhältnis getretenen Somal. Frei genutzte Niemandsländer Bei reichlicher Weide erübrigen sich offensichtlich Bezahlungen an die oft nur noch formalen Eigentümer (zumindest werden materielle Entschädigungen in der Literatur nicht erwähnt), und es entstehen von zahlreichen Nomaden frei genutzte Niemandsländer. — In den Kontaktgebieten der Beni Amer mit den Habab, Marea, Ad Scheich und Bet Maala stehen die Weiden den Herden aller Stämme zur Verfügung/* 6 MUNZINGER47 sagt in diesem Sinne über die Weiderechtsverhältnisse bei den Beni Amer „Weide hat keinen Herrn" und „Land, Gras, Baum und Wasser sind Gemeingut der ganzen Nation". Auch S E L I G M A N 4 8 bestätigt eine ähnliche Situation bei den Bedscha südlich von Tokar: „ . . . inter-tribal strife on account of wells and grazing grounds is not at all common . . ." Die Butana bietet große Mengen hervorragender Kamelweide, deshalb wird sie von den Herden zahlreicher kamelzüchtender Araberstämme beweidet (Schukrija, Schaikija, Dubaina, Rufaa, Kenana, Kawachla u.a.). Doch nicht allein bei reichlicher Ausstattung der Weiden, sondern auch bei militärischer und zahlenmäßiger Unterlegenheit der eigentlichen Besitzer kommt es oftmals zur Nutzung durch zahlreiche Stämme 4 9 : „Though the Shukria are probably the rightful owners of this district (die Butana, H.-G. S.) . . . other tribes were always accustomed to graze here gratuitously, though without, it seems, the permission of the owners, who apparently were not strong enough to effectively resist this invasion. An arrangement has now been made by the Government assigning specified areas to the various tribes for grazing purposes." In der ostsudanesischen Kontaktzone der Kamelaraber (im Norden) und der Rinderaraber (im Süden) überschneiden sich die Weidegebiete: In der Trockenzeit werden sie von den Kamelzüchtern, in der Regenzeit von den Rinderzüchtern aufgesucht 50 . Eine ähnliche Überlappung der Stammesgebiete ist bei I S P E N C E R , 1 9 6 5 , S . 2 9 1 . M U m d e n A b y a d - S e e : BORN, 1965, S. 216. - LAMPEN, 1935, S. 134. 53
SELIGMAN, 1 9 1 3 , S . 6 2 7 b z w . 5 9 9 . SANDARS, 1 9 3 5 , S . 2 1 6 ; d e r s . , 1 9 3 3 , S . 1 4 8 .
M
SELIGMAN, 1 9 1 5 , S . 8 1 .
55
SELIGMAN, 1 9 1 3 , S . 5 9 7 .
5« B R I T I S H SOMALILAND, 1 9 4 5 , S . 4 . L E W I S , 1 9 5 5 , S . 9 1 f . ; d e r s . , 1 9 6 1 , S . 3 9 . D a s h a t
manche Autoren, wie z: B. PANKHURST (1951, S. 185), dazu verleitet, jegliches, auch tribales Besitzrecht an Weide zu negieren. "
HUNTINGFORD, 1 9 5 3 , S. 93.
58 CUNNISON, 1966, S. 25, 19; d e r s . , 1954, S. 59, 62. DAVIES, 1957, S. 130. Ü b e r d i e a l t e n V e r h ä l t n i s s e s. MARNO, 1874, S. 259 u n d PALLME, 1843, S. 78. 59 D A V I E S . 1 9 6 6 , S . 1 9 8 f .
Tränk- u n d Weiderecht der N o m a d e n Ost- u n d Nordostafrikas
251
•chronischer Kriegsgefahr entstanden im Nomadenraum oftmals menschenleere, weidewirtschaftlich ungenutzte Niemandsländer, z. B. bei den Somal, Afar, •Samburu, Masai und Borana-Galla. (;(l Die „effektive O k k u p a t i o n " u n d das „ R e c h t des Stärkeren" als Grundlage des Landbesitzes Der ost- und nordafrikanische Nomadismus, der keinen Futteranbau und auch keine Weidedüngung kennt, ist fast ausnahmslos auf Naturweide angewiesen, die, besonders in den unwirtlichsten Nomadengebieten, nur sehr unzuverlässig und mit starken jahreszeitlichen Schwankungen anfällt. Die Nomaden dieser Zonen beuten daher das natürliche Weidefutter (Gräser, Blätter, Zweige, Rinde und Wurzeln) rücksichtslos aus, was nach und nach zu Erosion und Denudierung, zur Veränderung des Wasserhaushaltes und zu Klimawechsel führen kann. So bezeichnet I I A B E R L A N D c i die Somal als „die schlimmsten Landverwüster, die man sich denken kann". I n Anbetracht der Austrocknung wird dann die Aneignung fremder Territorien und Hilfsquellen zu einer Existenzfrage, und es kommt zu verlustreichen Kämpfen, die sich über mehrere Generationen hinziehen. Die Erbfeindschaft der Afar und der südlich benachbarten Issa-Somal (im ehemaligen Französisch-Somaliland) 62 , die bis in die jüngere Vergangenheit nicht nur auf die Eroberung von Brunnen, Weiden und Vieh, sondern auch auf die gegenseitige Ausrottung abzielte, ist ein besonders krasses Beispiel für das Recht des Stärkeren bei versagenden Subsistenzmitteln. Nur die militärisch überlegene Nomadengemeinschaft kann als Landbesitzer auftreten, nur sie ist laufend in der Lage, ihr Recht auf Grund und Boden zu erzwingen. Die Issa ihrerseits wurden im Süden von den Gadabursi-Somal nach Westen gedrängt (nach Informationen von P A U L I T S C H K E um 1885) °3, ebenso hatten die Habr Toi Djala-Somal, deren Sitze um 1860 noch östlich von Berbera und Burao lagen, u m 1890 bereits die Grenze von Französisch-Somaliland erreicht. L E W I S 0 ' 1 schreibt über die Landrechtssituation bei den Somali-Nomaden: „ . . . tribal territory is always in a state of dynamic equilibrium among the various forces exerted by neighbouring tribes in their spheres of influence. The pastures of one tribe shade into those of another and are constantly under dispute." I m Süden wurden die Galla Kenias von den Somal hart bedrängt, und um 1870 wurde der größte Teil dieser Galla (zwischen Dschuba und Sabaki) von den ? > » " »WitmiiwiL»'"'"!" vor oder neben dem Gebrauch als Löteisen noch anderweitig Verwendung fand. E r kann nur Fig. 97. MAf 23796 a/b. i n d e r Flamme erhitzt werden, wobei eine Zange vonnöten ist. Das Lötzinn ist eine kompakte Masse mit einer Rinne, die sicher durch das mehrmalige Überziehen des heißen Lötkolbens entstand. 3. Zur Soziologie des Gelbschmiedehandwerkes 3.1. Wohngebiete Gelbschmiede findet man jetzt fast ausschließlich in Bida. Die einzige Ausnahme ist Kacha, wohin Gelbschmiede aus Bida kamen, in der Annahme, daß 163
Die Zahl der Musterpunzen kann man aus den Figuren der Ornamente erkennen.
164 H A M B L Y , 1 9 3 5 , p . 165
403.
Eine Materialprüfung war durch den Kriegsverlust des Lötzinns nicht möglich.
Gelbschmiedearbeiten der Nupe
315
in diesem Handelszentrum ein günstiger Absatz ihrer Produkte gewährleistet wäre. 166 Die Gelbschmiede in Bida kann man, unterteilen in eine Gruppe im ekpä167 Etsu
M a s a b a u n d eine i m ekpä Etsu U s m a n . Die G e l b s c h m i e d e des ekpä
Etsu
U s m a n hatten etwa von 1897 bis 1926 ihre wirtschaftliche Blütezeit, da unter der Regierung von Etsu Bello und Etsu Mohamadu viele Aufträge an Handwerker dieses Stadtbezirkes vergeben wurden. Die Aufträge ließen nach, als 1926 Etsu Saidu — ein Mitglied des Hauses Masaba — an die Macht kam und die Handwerker des Stadtbezirkes Etsu Masaba bevorzugte. 168 Verstärkt wurde dieser Wechsel der ökonomischen Situation auf Grund politischer Verhältnisse durch die unterschiedliche verkehrstechnische Erschließung dieser beiden Gebiete. Die Frauen verkaufen in der Straße der Gelbschmiede vor den Werkstätten die Waren. 169 Eine moderne Autostraße f ü h r t durch den Masaba-Bezirk und ist ein begünstigender Faktor, zumal auch Märkte in der Nähe sind und europäische Kunden zu den Käufern zählen. 170 Im ekpä Etsu Usman fehlen diese Vorteile. 171 Die handwerkliche Leistung ist für diesen wirtschaftlichen Umschwung nicht von Bedeutung gewesen. Beide Gruppen galten als gleichwertig in ihren Fertigkeiten. Neben den Waren für einen europäischen Kundenkreis entfällt ein Teil der traditionellen Produkte auf den Export. Ein großer Teil der Produkte sind Luxuswaren, deren Gebrauch jedoch nicht allein auf die Stadt oder Hauptstadt beschränkt war, deren Hauptabnehmer aber im höfischen und politischen Zentrum konzentriert waren. 172 Da Bida eine relativ junge Stadt ist — eine Gründung des ersten Fulbeherrschers in Nupe um 1860 173 — wird man nicht 166 N A D E L , 1 9 5 1 , p . 2 6 9 .
'67 In Bida gibt es 3 ekpä. Eine Übersetzung dieses Begriffes mit Stadtteil, Stadtbezirk ist nur annähernd richtig. NADEL, 1951, p. 43 schreibt: „ . . . they represent political factions, organizations of partisanship and patronage, which cut across the other social, cultural, and tribal strata." D a sie mit den 3 Herrscher liriien verbunden sind, spricht NADEL auch von einer „dynastic division" (op. cit., p. 102). «8 NADEL, 1951, pp. 84, 269-270. Etsu Saidu regierte bis 1934 und lebte bis 1935 (op. cit., p. 9 6 ) . VERNON-JACKSON, 1960, p. 53 führt Gelbschmiede im Gbongbofu — quarter und Tswatako — quarter an. Hinzu kommen die Tswata Muku als dritte Gruppe. Ihre Spezialisierung war folgende: Tswatako: Armringe, Löffel und Schöpflöffel, sowie Ohrringe; Tswata Muku: Verarbeitung von Aluminium zu Armringen, Fußringen, Ohrringen; Gbongbofu: Reparaturen, Herstellung von Metallgefäßen, Kesseln, Tabletts, Behältern. Die Hersteller von Rasiermessern unterstehen ebenfalls dem Zunftmeister Mükü. 169 NADEL, 1951, p. 41 betrifft eine Schilderung aus den 30er Jahren. MACROW, 1962, p. 60 bildet einen Laden ab. »70 N A D E L , 1 9 5 1 , p . 2 7 0 . « 2 NADEL, 1951, p. 270. »73 N A D E L , 1 9 5 1 , p . 4 0 .
171 N A D E L , 1 9 5 1 , p p . 4 1 , 2 7 0 .
316
P E T E R GÖBEL
fehlgehen, die Zentren des Gelbschmiedehandwerkes vor diesem Zeitpunkt in den älteren Hauptstädten des Nupe-Reiches zu s u c h e n . m 3.2. Zunftorganisation Die Gelbschmiede bildeten eine Zunft. 1 7 3 Sie besaßen einen Zunftmeister, Mukü. Dieser Titel wurde wie alle Zunftmeistertitel vom Etsu verliehen, zusammen mit dem üblichen Geschenk eines Turbans. In der Vergangenheit erhielten die Zunftmeister einen kleinen Tribut von den Mitgliedern ihrer Zunft und waren von den Steuern befreit. Der gesamte Verkehr zwischen dem Hof und der Zunft wurde über den Zunftmeister abgewickelt. Er übernahm die Aufträge, verteilte sie und kontrollierte den Stand der Arbeiten. Anläßlich des Sallah — eines bedeutenden mohammedanischen Festes — überreicht der Mukü dem Etsu eine jährliche „Abgabe" in Form eines Geschenkes, emisa (Gruß), bestehend aus Produkten der Zunft. 1 7 6 Der Zunftmeister wird mit dem Gruß „Dömbäsi" geehrt. 177 Neben dem Zunftmeister Mukü gab es seinen Nachfolger und Stellvertreter Shaba Mukü. Beide sind Häupter zweier Familiengruppen, denen die ersten Vertreter der tswata muku — der Gelbschmiede — entstammen sollten, auf die sich die meisten Gelbschmiede (wenn auch oft nur theoretisch) in ihrer Abstammung zurückführen. Die beiden Titel wurden abwechselnd von Vertretern beider Familiengruppen besetzt. Durch die steigende Bedeutung der Gruppe im ekpä Etsu Masaba erlangte der Shaba Mukü, diesen Titelträger stellte der Bezirk damals, Mitte der 30er Jahre größere Autorität und mehr Einfluß als der eigentliche Zunftmeister, ein Vertreter des ekpä Etsu Usman. 178 Bei der Herstellung neuer Warensorten, so zu Beginn der Produktion f ü r Europäer, propagierte der Zunftmeister die neue Linie und unterstützte die Mitglieder bei der Meisterung technischer Fragen. In der Wand der Werkstatt des Zunftmeisters sind noch Standardmaße — ema Sg. — verschiedener Produkte eingekratzt (Kreise, Ellipsen und Vierecke verschiedenen Ausmaßes). 179 Um den Beruf eines Gelbschmieds ausüben zu können, bedarf es einer Lehrzeit, die bis zu 10 Jahren dauern kann. Danach arbeitet der Gelbschmied in einer Werkstatt des ekpä. In einer Werkstatt arbeiten 3 oder 4 Männer, oft nahe Verwandte. Es kommt jedoch auch vor, daß Fremde zusammenarbeiten oder nahe Verwandte in verschiedenen Werkstätten arbeiten. 180 Alle Mitglieder einer Werk SABASHINA 1955, S. 8, 20, 21, 24.
I n der Gegend von K u s h i r o soll einst, so berichtet H U B E R 1964, S. 55, „eine Ainuf r a u den Bären, den sie großgezogen h a t t e , in dem Augenblicke, da sie ihm den Abschiedsleckerbissen [sie!] vorsetzte, befreit h a b e n , i n d e m sie den Strick durchschnitt. Der so befreite Bär b r a c h in die versammelte Volksmenge ein, t ö t e t e 15 Personen u n d entfloh in die Berge." 34
SCHEUBE 1 8 8 0 , S. 4 8 .
330
HANS-JOACHIM
PAPROTH
blitzschnell das eine Ohr des Bären und hält es fest. Zur gleichen Zeit wird von beiden Seiten der Strick gezogen und der Bär dadurch wehrlos gemacht. J e t z t f a ß t der Ainu auch das andere Ohr des Bären, hebt das Tier an den Ohren hoch und wirft es mit kraftvollem Schwünge aus dem Käfig . . . Man . . . zerrt ihn dann nach der Mitte des Festplatzes." 35 Bild 2 Einer der Männer faßt den Bären bei den Ohren und steigt auf seinen Rücken. Andere Männer nähern sich dem Bären, binden drei Seile u m seinen Hals und lassen ihn nach Belieben hin und her toben. Gleichzeitig schießt der Häuptling einen Pfeil in Richtung auf die Berge ab und ruft: Kamoi shino omante! Daraufhin fertigen die Männer, aber auch kleine Kinder, aus dem Stegreif Bogen und Pfeile an. Schließlich beginnt ein Sohn des Häuptlings oder ein Sohn der den Bären haltenden Familie erste Pfeile zu schießen. Die Pfeile treffen, aber der Bär wird dadurch nur verletzt.
Am Ende des vorhergehenden Kommentars haben wir an der Mitteilung daß der Bär von seiner Pflegemutter aus dem Käfig herausgelassen wird, Zweifel geäußert. Auch die daran sich anschließende Äußerung, daß einer der Männer den Bären bei den Ohren f a ß t und auf seinen Rücken steigt, damit drei andere Männer sich dem Tiere nähern und es fesseln können, müssen wir anzweifeln. Noch als er im Käfig saß, sind ja dem Bären, so lauten alle Berichte neuerer Zeit, die Fesseln schon angelegt worden. Das von M U K A K A M I als Auftakt zur Fesselung beschriebene Geschehen findet, wie die nachfolgenden Mitteilungen zeigen, zwar tatsächlich statt, es ist von ihm aber nicht genau genug beobachtet und in seiner wahren Bedeutung deshalb nicht erkannt worden. Auf dem Festplatz angekommen, wird dem Bären ein ponpake genanntes Festkleid angelegt, das aus ineinander verflochtenen Strohbändern besteht. Ein junger Ainubursche springt — ganz so wie M U B A K A M I das beobachtet hat — von hinten auf den Rücken des Bären, ergreift dessen Ohren und beißt sich mit aller Macht im Fell zwischen den Ohren fest. Umher stehende Burschen springen hinzu, halten die Beine des Bären fest und schieben ein Holzstück in das Bärenmaul, in das sich das gequälte Tier verbeißt. Während es so niedergehalten wird, kann auf seinem Rücken das ponpake befestigt werden. Die günstige Gelegenheit wird ausgenützt: Mit großen Nadeln näht man dem Bären auch noch Ohrenbänder (kamui-ningari oder kisarumpe) an die Ohren. 30 Der bei M U K A K A M I erwähnte Brauch des Abschießens eines Pfeils in Richtung auf die Berge kann mit folgenden in der modernen Ainuliteratur beschriebenen Riten verglichen werden: Nach B A T C H E L O R schießen die alten, in einer Reihe sitzenden Männer als „parting salute" für die sich auf den Weg ins Götterland begebende Bärenseele einige hepere-ai (Pfeile des Bärenjungen) zum nordöst-
MURAKAMIS,
35 H U B E R ,
1964, S. 5 3 f .
36 I N U K A I U . N A T O E I 1 9 4 0 , S . 1 0 3 L ,
17; S A R A S H I N A 1955, K a s a i 1943, S. 41. S.
S.
30;
1 2 1 ; v g l . H U B E R 1964, S. 5 4 ; YONEMURA
PILSUDSKI
1909,
S.
56f.;
LABBE
1903,
S.
1952,
247f.;
Bärenkultob j ekte
331
liehen Teil des Himmels ab37, nach M U N R O läßt man die Pfeile über den Festplatz fliegen, daran interessierte Knaben laufen hinterher/um sie zu holen; 38 nach H U B E R tritt einer der Ältesten neben den toten Bären und schießt über ihn hinweg einen Pfeil in die Luft. Gleichzeitig stoßen alle anwesenden Ainumänner einen lauten Schrei aus. Ein zweites Mal wird gegen Ende des Bärenfestes geschossen. Dann „treten die Männer mit Bogen und Schmuckpfeilen vor dem heiligen Zaune an und schießen die Pfeile über diesen hinweg in den Wald. Treffen sie dabei den Stamm eines Baumes, so dürfen sie sich etwas wünschen, und die Götter sollen diesen Wunsch erfüllen." 39 Ganz gleich, wohin die Pfeile auch abgeschossen werden: in Richtung auf die Berge, zum nordöstlichen Teil des Himmels, über den Festplatz, in den Wald —; gleich auch, zu welchem Zeitpunkt des Festes das geschieht: nach M U R A K A M I vor der Tötung, nach B A T C H E L O R , M U N R O und H U B E R sofort nach der Erschießung des Bären, oder, wie Huber ebenfalls berichtet, am Ende des Festes, bevor der Bärenschädel am nusa-Zaun befestigt wird — der Zweck der Handlung soll (nach Aussage der Ultschen und Niwchen) „das Säubern des Weges" sein40, d. h. wohl des Weges, den die Bärenseele einschlägt, wenn sie sich zum „Herrn der Bären" fortbegibt. In verkürzter, den wahren Sachverhalt präziser als M U R A K A M I selbst darstellenden Form hat H I L G E N D O R F in einem schon vor 100 Jahren „nach den Aufzeichnungen eines Japaners" geschriebenen Referat die Textstelle wiedergegeben, mit der wir uns nun beschäftigen wollen: „Dann schießt jedermann vom Greise bis zum Kinde seinen Bogen auf den Bären ab, ohne ihn jedoch zu verletzen."« Gleich nachdem der Bär aus dem Käfig herausgeholt worden ist, andernorts erst nachdem man ihn an einen tush-op-ni genannten Pfahl gebunden hat, be37 B A T C H E L O R 1 9 3 2 , S . 4 4 ; v g l . K I T A G A W A 1 9 6 1 , S . 1 4 8 . 38 M U N B O 1 9 6 2 , S . 1 7 0 . 39
1964, S . 56f.; vgl. auch S A R A S H I N A 1955, S . 61; I N U K A I U . N A T O R I 1940, 127; Y O S H I D A , S . l l . S A R A S H I N A 1955, S . 45 erwähnt ein Pfeilspiel (ai-puiomani), „bei dem man versucht, einen Pfeil durch die aufstrebenden Äste eines Baumes hindurchzuschießen, indem man sich gleichzeitig etwas wünscht — dieser Wunsch geht in Erfüllung, wenn der Pfeil glatt hindurchgeht." Ein anderes von S A R A S H I N A erwähntes Glücksspiel, das darin besteht, auf eine Zielscheibe (ein an den Pfahl, an den der Bär gebunden wird, gelehntes inau) zu schießen, ähnelt dem von S T E R N B E R G 1905, S . 266 erwähnten „Probewettschießen" beim Bärenfest der Niwchen. Als Ziel dient ein hinter dem Bären aufgerichtetes Brett. Über ähnliche Bräuohe bei den Bärenzeremonien der Ewenken, Mansen und Lappen (man will herausfinden, wer den nächsten Bären töten wird) siehe H O L M B E R G 1925, HUBER S.
S. 3 3 ; PAPROTH 1 9 6 4 , S. 47. 40
So nennen die Ultschen und Niwchen das Abschießen von Pfeilen in Richtung auf den Bären vor seiner Tötung durch einen gezielten Pfeilschuß. ( Z O L O T A R E V 1 9 3 7 , S . 1 1 8 ; T A K S A M I 1 9 6 7 , S . 2 1 9 ) . Vgl. auch Ö B A Y A S H I U . P A P R O T H 1 9 6 6 , - S . 220 ff.
41
HILGENDORF 1873/76, S . 6.
332
H A N S - J O A C H I M PAPROTH
ginnen die am Feste teilnehmenden Männer Schmuckpfeile auf den Bären abzuschießen. Es sind das am Vortage des Bärenfestes hergestellte, hepere ai genannte Pfeile, die eine rübenförmige mit einer etwa 2 cm langen Holznadel versehene Spitze haben. Da die Pfeilspitze mit dem Pfeilschaft nur lose verbunden ist, so daß sie leicht abbricht, und die Pfeile selbst mit einem schwachen, nur beiläufig gemachten Bogen abgeschossen werden, verletzen sie den Bären kaum. Bleiben sie dennoch im Bären stecken, was bedeutet, daß der „Gott" sie angenommen hat, dann werden sie mit einem langen Stab, an dessen Spitze Bambusgras gebunden ist, abgeschlagen. Auf die am Boden liegenden Pfeile wird geschlagen, damit sich Pfeilspitze und -schaft voneinander trennen können; sie vom Boden aufzuheben und mit nach Hause zu nehmen, ist verboten. 42 Das Abschießen der Schmuckpfeile erfolgt in einer durch das Verteilen der Pfeile schon vorher festgelegten Reihenfolge: nach SCHETTBE „unter Vortritt des Otena" ( = des Häuptlings); nach S A B A S H I N A beginnend „bei den Männern des Hauses, in dem das Bärenjunge aufgezogen worden ist"; nach H U B E B bei den „nächsten Verwandten des ,Sendehauses' . . ., worauf sich alle anwesenden Männer anschließen." 43 Auch kleinere Knaben und sogar blinde Männer läßt man schießen, indem man ihnen die Hand führt. 4 4 Nehmen Japaner und Europäer als Gäste am Bärenfest teil, läßt man auch diese auf den Bären schießen.45Auf einen männlichen Bären werden 50, auf einen weiblichen 60 Pfeile abgeschossen; nach S A B A S H I N A bleiben diese Zahlen unverändert, ganz gleich ob der Bär 2 oder 3 Jahre alt ist. HTTBEB dagegen behauptet, die Zahl der abgeschossenen Pfeile richte sich nicht nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach dem Alter des Bären. Auf einen dreijährigen männlichen Bären werden z. B. 120 Pfeile abgeschossen. 46 Die Pfeile können auf alle Körperstellen des Bären gezielt werden, nur der Kopf darf nicht getroffen werden. 47 Durch die vielen Pfeilschüsse aufs äußerste gereizt, wird der Bär immer wilder, was dahingehend ausgelegt wird, daß er nach dem Willen der Götter nun freudig zu tanzen beginnt. 48 Verständlieh, daß bei einer solchen Auslegung des Verhaltens des gequälten Tieres die an der Schießerei beteiligten Leute immer freudiger werden, je wilder der Bär sich gebärdet. 49 Der Sinn des „grausamen Ritus" liegt nicht darin, dem Bären Qualen zuzufügen, beabsichtigt ist eine Beteiligung aller an der Tötung des Tieres; jeder will mithelfen, den Bären „fortzusenden' 1 ; jeder will dem Abschied nehmenden 42
I N U K A I U. N A T O E I 1 9 3 9 , S . 2 6 3 f . , 2 6 6 f . ; 1 9 4 0 , S . 1 2 2 ; SABASHINA 1 9 5 5 , S . 1 2 , 3 3 ; K U B A M I T S U 1 9 5 3 , S . 6 0 f . ; BATCHELOB 1 9 3 0 , S . 4 0 .
«S SCHETTBE 1 8 8 0 , S . 4 8 ; SABASHINA 1 9 5 5 , S . 3 3 ; H U B E B 1 9 6 4 , S . 5 5 . 44
I N U K A I U. N A T O B I 1 9 4 0 , S . 1 2 2 ; H U B E B 1 9 6 4 , S . 5 5 .
« KITAGAWA 1 9 6 1 , S . 1 4 5 ; SCHEUBE 1 8 8 0 , S . 4 8 . 46
SABASHINA 1 9 5 5 ,
S . 1 2 ; I N U K A I U. N A T O B I 1 9 3 9 ,
1 9 6 4 , S. 5 5 . 47
SABASHINA 1 9 5 5 , S . 3 3 ; H U B E B 1 9 6 4 , S . 5 5 .
48
I N U K A I U. NATOBI 1 9 3 9 , S . 2 6 7 .
« BATCHELOB, 1 9 0 1 , S . 4 8 8 .
S. 2 6 4 ;
1940,
S. 1 0 1 ;
HUBEB
Bärenkultobjekte
333
Tier als Geschenk einen Pfeil mit auf den Weg geben 50 — (was ursprünglich durchaus eine A r t Täuschungsmanöver gewesen sein kann: „Dadurch, daß . . . [bei der Tötung] alle ihre Hand mit im Spiele haben, soll das Opfer keinen Einzelschuldner an seinem Tode herausfinden.") 51 Damit das Geschenk von der IBärenseele auch tatsächlich mitgenommen werden kann, muß die Pfeilseele befreit, die materielle Form, in der sie eingeschlossen ist, zerstört werden. Das geschieht durch das Schlagen auf den Pfeil, der dabei auseinanderbricht.52
Bild 3 Schon im voraus sind drei Balken von ungefähr 8 shaku (240 cm) Länge vorbereitet worden. Nach dem Bogenschießen legt man den Hals des Bären auf den einen Balken, drückt von oben mit dem zweiten und legt den dritten [um das Tier festzuhalten] quer über den Rumpf. Noch während der Bär erwürgt wird, legt jemand ein mit Silber verziertes Schwert an den Bärenhals, jedoch ohne damit das Tier zu töten. An einigen Orten streuen die versammelten Ainu gleichzeitig Kuchen aus KolbenTiirse aus. Die Frau, die den Bären großgezogen hat, kann es [den Vorgang der Tötung] nicht ertragen, sie wirft sich zu Boden und trauert. Endlich wird den Qualen des durch die vielen Pfeilschüsse immer schwächer werdenden Bären eine Ende bereitet. Der Jäger, der als der geschickteste Bogenschütze der Siedlung gilt, (nach anderen Angaben jemand aus der Familie, die den Bären großgezogen hat) tritt vor den Bären hin und schießt mit einem starken Jagdbogen den eigentlichen, „schwächender P f e i l " genannten, Fangpfeil auf das Herz des Bären ab.53 Sofort stürzen sich einige Männer auf den Bären, stecken seinen Hals zwischen zwei übereinandergelegte Baumstämme, hocken sich darauf und würgen, indem sie mit ihrem Körpergewicht die Balken zusammenpressen, den Bären so lange, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gibt. 54 I n einigen Gegenden ist die Reihenfolge der angewandten Tötungsmittel eine umgekehrte: Zunächst wird der Bär gewürgt, dann erst schießt einer der Männer auf das mit dem Tode ringende Tier einen Pfeil ab (oder sticht ihm mit einem langen Messer ins Herz). 55 Bei dem von SCHEUBE beschriebenen Bärenfest wurde der Bär nur durch Erdrosseln getötet. 56 Da bei der Tötung vermieden werden muß, daß auch nur ein Tropfen Blut auf die Erde tropft, mag das Erdrosseln -50 H U B E R 1 9 6 4 , S . 55.
51
-52 S A R A S H I N A
HUBER
1955,
S. 3 3 ;
Ö B A Y A S H I U. P A P R O T H 1966, S . 2 2 0 . 1964,
S. 55. V g l . d i e
a l s A b b . 105 b e i
IZUMI
wiedergegebene japan. Zeichnung, die das Zerstören der Pfeile darstellt. .53 I N U K A I u. N A T O R I 1939, S . 267; S A R A S H I N A 1955, S . 34; M U N R O .1962, S . 170; H U B E B 1964, S . 55f.; W I R Z 1955, S . 33 bildet eine japan. Zeichnung ab, auf der das Erschießen des Bären dargestellt ist. 54 H U B E R 1 9 6 4 , S . 5 5 f . ; B A T C H E L O R 1 9 3 0 , S . 4 0 f . ; I N U K A I U. N A T O R I 1 9 3 9 , S . 2 6 8 ;
SARASHINA 1955, S. 3 4 f . ; MUNRO 1962, S. 170 spricht v o n „ritual i m i t a t i o n of
strangling": „The bear though dead, is now [nach der Erschießung] ceremonially strangled between two poles." •55 B A T C H E L O R O. J . , S . 2Ö8.
56 S C H E U B E , 1 8 8 0 , S . 4 8 .
334
HANS-JOACHIM
PAPROTH
des Bären von den Ainu sogar als die ideale Tötungsart angesehen werden. Nach einer Mitteilung von Inukai und Natori werden auch nur ältere Bären, die zu stark sind, um durch bloßes Erwürgen umgebracht werden zu können, zusätzlich durch Pfeilschuß getötet. 5 7 Dagegen k o m m t bei den Ainu auf Sachalin das Erdrosseln als Tötungsart f ü r den Bären überhaupt nicht vor; bei ihren Bärenfesten wird der Bär stets durch einen Pfeilschuß getötet. 5 8 Die beim Erwürgen des Bären verwendeten Stämme werden rekutnumba-ni oder ok-numba-ni (Hölzer zum Erdrosseln) genannt; der obere heißt „Greis", der untere „Greisin". Zumeist handelt es sich um dreikantige Stämme. Oft verwendet m a n Balken, die aus dem Boden d es Bärenkäfigs genommen wurden, manchmal aber auch solche, die vom Dach des Käfigs stammen. An einigen Orten wird f ü r das Erwürgen des Bären auch nur ein einzelner Stamm gebraucht, dessen eines Ende aufgespalten ist. Der Hals des Bären wird in den Spalt hineingesteckt und durch das Zusammenpressen des Spalts wird der Bär erdrosselt. 59 Nach M U R A K A M I werden drei Balken verwendet; der dritte Balken wird auf den Bärenleib gelegt und dient dazu, den Bären festzuhalten. Das von M U R A K A M I erwähnte und von ihm auch im Bilde dargestellte Trauern der Pflegemutter über den Tod ihres Schützlings ist auch von S C H E T J B E beobachtet worden. Während der Bär erwürgt wurde, „setzten die Frauen und Mädchen jammernd ihren Tanz f o r t und schlugen dabei auf die über dem Bären knieenden Männer ein, sicherlich um ihren Unwillen über die Grausamkeit derselben kundzutun". 6 0 Anders beschreibt S A R A S H L N A das Verhalten der Frauen zu diesem Zeitpunkt des Festgeschehens. Nach seiner Darstellung hören die Frauen mit dem Tanz auf und stimmen ein Freudengeschrei „onononono" an. 6 1 Nach Angaben von I N U K A I und N A T O R I klettern, nachdem der Bär tot ist,, einige Männer auf den Käfig und bestreuen die gesamte Festversammlung mit Walnüssen (die in neuerer Zeit auch mit Orangen oder Mandarinen vermischt sind). 62 Das von M U R A K A M I erwähnte Ausstreuen von Kolbenhirsekuchen durch (richtiger: für) die versammelten Ainu dürfte wohl eine ähnliche Sitte gewesen sein. 63 Bild 4 Vor den sushiyashiyankata6i (den mit inau geschmückten Zaun) werden zur Ausschmückung Schwerter, Dolche, sowie Gefäße, die mit Edelsteinen oder mit Gold 57 I N U K A I U . N A T O R I 1 9 4 0 , S . 58 P I F C S U D S K I 1 9 0 9 ,
S.
122,
S. 5 7 ; LABBE 1903, S. 2 5 1 f.; K A S A I 1 9 4 3 , S. 2 4 ; NISHIZURU
1943,
134.
59 S A R A S H I N A
1955,
von Herrn Prof.
S. 3 5 ;
INUKAI
ÖBAYASHI
60 S C H E U B E 1 8 8 0 , S . 4 8 .
U. N A T O R I
1939,
S. 2 6 8 ;
nach Auskünften von Prof. 61
und briefl. Mitteilung
KUBODERA.
SARASHINA 1955, S. 35.
62 I N U K A I U . N A T O R I 1 9 3 9 , S . 2 6 8 ; Y O S H I D A , S . 1 1 . 63 Nach H I L G E N D O R F : „Reiss und Awa (Panicum italicum) 64
wird ausgestreut." Der erste Teil des Wortes ist wahrscheinlich korrumpiert und muß wohl nushia(= nusa) gelesen werden.
Bärenkultobjekte
335
und Silber verziert sind, gelegt oder [diese Gegenstände werden an den Zaun selbst] gehangt. Bs werden alle Schätze ausgestellt, um den Bären zu versöhnen. Der getötete Bär wird nun in die Mitte des Platzes gelegt, man kleidet ihn in eine Ainutracht, legt ihm Ohrringe oder ein Schwert an, bringt ihm Sake und Essen dar und verehrt ihn den alten Bräuchen gemäß. Der Häuptling betet dann: „Chikoru kamoi tanebetsukuno kamoinianutsu tandoanakini omante konruitaban. Unser Gott, Du bist nun endlich ein Gott geworden. Heute senden wir Dich, unseren älteren Bruder, fort!" (Um dem Gott ihre Ehrfurcht anzuzeigen, nennen ihn die Ainu auch ihren älteren Bruder). „Shukanna kamoi nianuha oaba chikorunankoru koshu taneanakine eorotasaranbatsukinankonna.65 Wenn du im nächsten Jahr wiederkommst, werde ich selbst dich fangen. Gehe doch bitte fort!" Danach rufen alle versammelten Männer und Frauen Sprüche aus, [die Männer] tragen Schwerter, Kleider und Ohrringe, feiern also in tapferer, göttlicher Kriegsausrüstung, und fangen kamoinomi (göttliches Festtrinken) an. Die auf die Tötung des Bären folgenden Bräuche werden in den einzelnen Gegenden recht unterschiedlich ausgeführt. An einigen Orten wird der Bär sogleich auf dem Tötungsplatz abgehäutet, in anderen erst am nächsten Tage. H A L L O W E L , schreibt darüber: „Nachdem der Bär getötet worden ist, wird sein Körper oder sein Fell mit dem noch daran befindlichen Kopf zum Gegenstand weiterer Zeremonien. Er wird entweder vor dem nusa-Zaun oder in der Hütte auf eine Matte gelegt, man schmückt ihn mit inao und verschiedenen anderen Dingen und setzt ihm Speise und Trank vor." 66 H T J B E B zählt folgende Gegenstände auf, die vor den nusa-Zaun gelegt werden: „5 Schwerter, 2 Pfeilköcher, 3 Holzstäbchen mit daran aufgesteckten Hirseklößen, 1 getrockneter Lachs, 50 Schmuckpfeile, 4 Trinkbecher mit Barthebern darauf, sowie ein Bündel eßbaren Krautes." 67 Nach S A K A S H I I T A schmückt man den auf eine Matte gelegten Bärenkörper mit Schwertern (wenn es sich um ein männliches Tier handelt) und mit Kugeln (wenn es sich um ein weibliches Tier handelt). „Man glaubt, daß der vom Fleisch freigewordene Gott zwischen den Ohren auf dem Kopf sitzt. Die alten Leute reihen sieh vor dem auf den Festplatz gelegten Bären nebeneinander auf. Sie beten zu dem Bärenjungen, das nun wieder die eigentliche Gestalt des Gottes 65
Ein Vergleich des Ainutextes der Leipziger Rolle mit dem der Rollen aus dem Hamburger und dem Brooklyner Museum ergibt folgende Abweichungen: L.: chikoru kamoi tanebatsukuno kamoinianutsu tandoanakini H.: " " tanehatsukuno " " — — B.: " " " " " nianuso tamande L.: omante konruitaban//shukanna kamoi nianuha oaba chikorunankoru usw. H.: " " tahan oaha B.: " taban " " nianuso oaba " " Es ist nicht versucht worden herauszufinden, wie der Text ursprünglich im Ainu gelautet haben mag (etwa: oaba = 'oyapä = nächstes J a h r ; kanna = kdnna suy = ich werde zurückkommen). HALLO WELL 1926, S. 127.
«7 H T J B E B 1 9 6 4 , S . 5 3 .
336
HANS-JOACHIM
PAPROTH
angenommen hat. Die Worte der Gebete sind nicht festgelegt; sie richten sich nach den einzelnen Personen und den Rollen, die diese [bei den vorhergehenden Zeremonien des Festes] auszuführen hatten. Die verwendeten Wörter sind sehr altertümlich; viele werden nur bei dieser Gelegenheit gebraucht. Während der Gebete wird dem Kopf des Bären (wo der Gott sitzt) mittels des ikupashui [eines Libationsstäbchens] Sake gereicht. Das geschieht bei einem Bärenmännchen von rechts, bei einem Weibchen von links." 08 I n dem von M T J K A K A M I mitgeteilten Gebet kommt deutlich die Ainuvorstellung zum Ausdruck, daß der Bär, der den Vorschriften gemäß „fortgeschickt" worden ist, und eine Menge Geschenke zum Mitnehmen ins Götterland erhalten hat, gerne bereit ist, in der Gestalt eines Bärenjungen zu den Menschen zurückzukehren und sich erneut fangen zu lassen. Eine von B A T C H E L O R veröffentlichte Rede, in der der Sprecher den Bären auffordert, sich erneut von ihm fangen zu lassen, hat folgenden Wortlaut: „Mein liebes Bärenjunge, bitte höre mir zu! Ich habe lange Zeit für dich gesorgt und bringe dir jetzt inao, Kuchen, Wein und andere kostbare Dinge dar. Setze dich nun auf die mao 69 und die anderen Dinge, die dir hiermit geschenkt werden, und geh zu deinem Vater und deiner Mutter. Gehe frohen Muts und erfreue sie. Wenn du ankommst, rufe eine Menge göttlicher Gäste zusammen und veranstalte ein großes Fest. Komme erneut auf diese Welt, damit ich, der dich aufgezogen hat, aufs neue mit dir zusammentreffen und dich noch ein zweites Mal für eine Opferung [ = „Sendung"] aufziehen kann. Ich grüße dich, liebes Bärenjunge; gehe fort in Frieden." 70 I n einem von N A T O R I bei den Hiratori-Ainu aufgezeichneten Gebet, das gesprochen wird, wenn sich die Bärenseele auf den Heimweg begibt, heißt es: „Sei friedlich, Bärenjunges! Hashiinauukkamui [die Göttin der Jagd] wird dich beschützen, bis du sicher bei Medotu-shikamui [dem Herrn der Bären] angekommen bist. Nimm Sake, Reiskuchen und andere gute Dinge mit dir. Medotushikamui wird über diese Gaben erfreut sein, und er wird dich als einen neuen Bären zu uns zurückkehren lassen." 71 Nach S A R A S H I N A ist es in einigen Gegenden üblich, bei der Verabschiedung des geschmückten Bärenschädels (marapto) einen Heldengesang (yukar) zu singen. Ist die spannendste Stelle des Liedes erreicht, hört man mit dem Vortrag auf. Man will, daß die Götter auch auf den Schluß des Liedes neugierig werden, und um ihn zu erfahren, erneut ein Bärenjunges zu den Ainu schicken. 72 Das erinnert an eine Mitteilung T A K S A M I S über das Bärenfest der Niwchen. Während des Festessens sagen die Alten dem Bären: „Komm wieder zu uns zurück!" Sie nehmen an, daß der getötete Bär in die Taiga zurückgeht, nach einiger Zeit aber «S S A R A S H I N A 1 9 5 5 , S . 3 8 . 69 70
7
I m Original: „Do thou now ride upon . . ." 1901, S. 491 f. — Andere Versionen derselben Rede hat B A T C H E L O R in „Ainu Life and Lore", S. llOf. und in „Ainu Bear Festival", S. 42 veröffentlicht. BATCHELOR
* NATORI 1941, S.
72
103F.
SARASHINA 1 9 5 5 , S. 56.
Bärenkultobj ekte
337
in neuer Fellverkleidung wieder von den Berggipfeln zu den Niwchen herabkommt. Zwar weiß der Bär, der zu den Mensehen hinabsteigt, daß er getötet wird, dennoch beneiden ihn die anderen Bären und sagen zu ihm: „Du wirst die schönen menschlichen Stimmen zu hören bekommen." 73 Mit derselben Schläue wie die Ainu versuchen auch die Mansi den auf der Jagd erlegten Bären zu einem neuen Besuch bei ihnen zu bewegen. In einer Ecke, in die der Bär nicht sehen kann, bohrt einer der Männer ein Loch in ein Brett, so daß ein Knirschen zu hören ist. Darüber verwundern sich die Leute und fragen: „Was für ein Vogel singt denn da so schön? Wir haben ja unser Lebtag noch keinen Vogel mit so schöner Stimme gehört. Seht doch mal nach, was das ist!" Man schaut nach, aber niemand kann den Vogel entdecken. Dann sagt einer: „Jetzt haben wir nur seine Stimme gehört. Aber sobald unser jüngerer Bruder uns wieder besucht, werden wir vielleicht auch den Vogel sehen." Im goldenen Haus des „oberen Gott-Vaters"'(des Himmelsgottes) angekommen — so schildert es das zum Abschluß des Bärenfestes gesungene Bärenlied — setzt sich die Bärenseele auf die zobelpelzbekleideten Knie ihres Vaters, packt aus dem Hanzen die Gaben aus und verteilt sie an ihre Brüder und Schwestern. Auf die Frage seines Vaters „Wie wurdest du dort behandelt?" erzählt der Bär, was er gesehen und erlebt hat, versichert auch, daß es ihm bei den Menschen gefallen habe — nur: das wolle er gerne wissen, was für ein Vogel da in der Stube der Menschen „derart lustig, derart schön" gesungen hat. Der göttliche Vater des Bären tröstet ihn: „In einem anderen Herbst geh wieder zu Besuch! In die Hütte des Menschen . . . steige wieder hinab!" „Vielleicht siehst du diesmal den, der in der Ecke der dunklen Hütte Töne hervorbrachte, das Tierlein mit knirrender, knarrender Stimme."7/* Bild 5 Wenn es soweit gekommen ist, gibt der Häuptling allen, von edlen Gästen, wie Verwalter und Angestellte [des dortigen Handels- und Schutzpostens] (Japaner) bis zu eingeborenen Kindern und Knechten, reichlich Wein zu trinken. Auch werden einige Tage lang verschiedene Tänze getanzt. A m nächsten Tag wird der Bär abgehäutet, und man ißt Suppe mit Bärenfleisch. Der Häuptling befestigt ein inaho am Bärenhals [richtig wohl: am Bärenschädel] und steckt es zu Ehren des Bären an den nushia. In einigen Gegenden tötet man den Bären, streift gleich das Fell ab, stellt eine ungefähr 3 shahu [90 cm] lange Stange auf, legt das Fell mitsamt dem Kopf darauf, gibt Kleid und Schwert dazu und bringt sake u n d Speise dar. Es gibt aber auch Gegenden, wo man den Bären im Hause verehrt. Je nach den Ortschaften bestehen also kleine Abweichungen.
Im Kommentar zu Bild 4 ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Zeremonien, die auf die Tötung des Bären folgen, in den einzelnen Gegend en auf unterschiedliche Weise ausgeführt werden. Das ist auch bei der letzten Zeremonie des Bärenfestes der Fall, die darin besteht, daß der Bärenschädel geschmückt «
7'« 22
TAKSAMI
1967, S. 185; vgl. K B E J N O V I Ö 1929, S. 95ff. 1958 a, S. 381; Ders. 1958 b, S. 382ff., 416f.
KANNISTO,
Jahrbuch des Museums f ü r Völkerkunde, B d . X X V I I
338
HANS-JOACHIM
PAPROTH
und am nusa-Zaun aufgehängt wird. Darauf hat M U E A K A M I selbst schon hingewiesen. Nach I N U K A I heißt die Rite unmenke und ist eine der wichtigsten des ganzen Bärenfestes. 7 5 Nach K I N D A I C H I ist es eine heimliche Zeremonie, bei der keine F r a u zugegen sein darf und die mitten in der Nacht stattfindet. 7 6 Nachdem das Gesicht des Bären mit Wasser und Sake gesäubert worden ist 77 , wird zuerst von dem vom Körper bereits abgetrennten, aber noch mit dem Fell versehenen Kopf die ganze H a u t bis auf einen Fellstreifen um die Spitze des Maules und die Ohren abgezogen. D a n n wird das Fleisch vom Kopf abgelöst, wobei an einigen Orten die Bindegewebsligamenta über den Augen bis zu den Ohren hin übriggelassen werden. Schließlich wird das Gehirn entfernt, indem bei männlichen Tieren die linke, bei weiblichen die rechte Schädelhälfte mit einem Zeremonialschwert zertrümmert wird. I n Chitose und Töro wird ein besonderer kleiner Holzspatel zum Herausnehmen des Gehirns verwendet. I n Yakumo wird f ü r den Fall, daß am Kopf ein kleiner Hautstreifen übriggelassen worden war, dieser mit der Rinde von Weinranken umwickelt. Das nennt m a n eine „Frisur machen". Der durch das herausgenommene Gehirn entstandene Hohlraum wird mit zertrümmerten Schädelknochen und Rindenstreifen (denen manchmal Hefe beigemengt wird) ausgefüllt. 78 I n die Augenhöhlen werden die in Holzspäne eingewickelten Pupillen zusammen mit pusu-kusuri (Reis und Hefe gemischt) eingelegt; 79 zuweilen werden die Augäpfel aber auch mit einem inaurü (einem Schälstreifen) umwickelt und unter dem Gabelholz, auf das der geschmückte Schädel schließlich aufgesteckt wird, aufgehängt. 8 0 Andernorts werden die Augäpfel aufgegessen und die Augenhöhlen mit inau und beigemengter Hefe ausgefüllt. 8 1 Auch in die Nasenhöhlen werden kleine Holzwedel hineingesteckt, in die das Ahnenzeichen eingeritzt worden ist; sie heißen engocharushpe. Durch die Nasenhaut steckt man bis zum Hinterkopf ein angespäntes Holz hindurch; an der Stelle, wo es mit dem Hinterkopf verbunden ist, werden die Genitalien hineingelegt. 82 Bei den Hidaka-Ainu werden die herausgeschnittenen Geschlechtsteile (ganz gleich ob es sich um männliche oder weibliche handelt) ebenso wie die Augäpfel mit einem inaurü umwickelt und unterhalb des Gabelholzes an einem ok-meue-ni genannten Stab (der bei der Abtrennung des Kopfes vom Körper eine Rolle spielte) aufgehängt. 8 3 An einigen Orten ißt m a n den Zungenknorpel roh; in Chitose wird er jedoch in Sasa-Blätter eingeschlagen und dem Bären ins "
INUKAI 1 9 3 7 , S. 2 7 ; v g l . SLAWIK 1 9 5 2 , S.
76 K I N D A I C H I 1 9 4 9 , S . 3 4 9 ; O K A 1 9 3 0 , S . 77 7
I N U K A I U. N A T O R I 1 9 4 0 , S .
198f.
1090.
126.
8 INUKAI 1937, S. 28.
70 S A R A S H I N A 1 9 5 5 , S . 4 7 . 80
ÖBAYASHI
1960, S. 285, nach
SHIRAOI 1 9 4 1 , S.
SHIN'ICHI MITSUOKA,
Ainu no sokuseki,
176f.
INUKAI 1937, S. 28. 82 S A R A S H I N A 1 9 5 5 , S . 4 7 ; v g l . I N U K A I U . N A T O R I 1 9 4 0 , S . 83 Ö B A Y A S H I 1 9 6 0 , S . 2 8 5 .
127.
6. Aufl.,
339
Bärenkultobj ekte
Maul gelegt. I n Shiraoi wird ein inau in die Mundhöhle hineingelegt, in Yakumo wird sie mit Sasa-Blättern aufgefüllt, während an anderen Orten überhaupt keine Einlage anstelle der Zunge tritt. I n Chikabumi und Abashiri werden von den Nasenlöchern bis zum Schädel mehrere aus den Rindenstreifen der inau gefertigte Stricke befestigt; sie sollen dazu dienen, den Bären den Geruch der Menschen nicht riechen zu lassen. Zuweilen wird dem Bärenkopf noch ein tara genanntes Tragseil angelegt (d. h. es wird ein Fellstreifen zwischen den Ohren und den Augenhöhlen stehengelassen), mit dem der Bär die ihm mitgegebenen Geschenke tragen soll. 84 I n Fushiko (Tokachi) wird am Schädel auch ein aus inau-kike (einzelnen Spanlocken) hergestellter Ring befestigt, der die Augenbrauen andeuten soll. Er wird über Schädeldach, Stirnknochen und Schläfen gelegt und mit Weidenrinde an Ohren und Backenknochen festgebunden. 85 Bei den Hidaka-Ainu wird der Schädel nur mit einem hepere-kosonde (Festkleid des Bärenjungen) genannten inau oder inaurü geschmückt. Bei den im Nordosten Hokkaidös wohnhaften Ainu wird von der Vorderseite her längs über den Schädel ein keise-inau genanntes inau gelegt. 86 Der geschmückte Bärenschädel wird marapto (Gast) genannt. 8 7 „Nach der ,Schmückung' wird der Schädel wieder auf das Fell vor dem heiligen Zaun gelegt und reichlich mit Hirsebier bespritzt. Der Älteste, der die Ausschmückung vornahm, entschuldigt sich beim Bären, daß er seine Sache so ungeschickt gemacht habe; der Bär möge ihm deswegen nicht böse sein, sondern ruhig und zufrieden ins Land seiner Ahnen heimkehren." 88 Danach~wird der Schädel in eine Holzgabel gesteckt, die kamui-shinta (GottesFuhrwerk) oder yuk-sapa-o-ni oder yuk-pa-oma-ni (das den Bärenkopf tragende Holz) genannt wird. An die Ohren werden zwei ashurupe-inau genannte Holzwedel gesteckt; bei einem Weibchen ist das linke inau länger, bei einem Männchen das rechte. Unterhalb des Schädels wird das beim Abhäuten und Zerteilen 84
INUKAI 1937, S.
28f.; über das „Tragband" vgl. auch
u . NATOBI 1940, S. 85
H U B E B 1964, S. 57; INUKAI
126.
I N U K A I U . N A T O B I 1940, S. 92—95. — Die am Schädel vollzogenen Manipulationen bezwecken eine möglichst getreue Wiederherstellung des früheren Zustandes. Ähnlich behandeln die Ewenken den Bärenschädel (sie beziehen ihn mit dem Fell, das vorher v o m Kopf abgezogen worden ist, fügen die Augen in die Augenöffnungen ein, legen die Zunge ins Maul, befestigen auch die Ohren und hängen den so restaurierten Kopf auf einen Baum), Orotschen, Ewenken und Tuwiner färben ihn mit schwarzer, einige Indianerstämme mit roter Farbe. Ähnlich behandeln tropische Völker die menschlichen Trophäen- oder Ahnenschädel. Die Jukagiren füllen Späne in den Bärenschädel, dabei sagen sie: „Wir legen nun dein Gehirn hinein." V A S I L ' E V 1948, S. 92ff.; Ö B A Y A S H I u. P A P B O T H 1966, S. 224ff.; H A L L O W E L L 1926, S. 136ff.; vgl. damit auch die Behandlung des Büffelschädels bei den „Sonnentänzen" der Prärieindianer ( D R Ä G E B 1959, S. 59—86).
SO Ö B A Y A S H I
1960,
S. 2 8 5 ;
SABASHINA
1955,
S. 4 7 ;
INUKAI-NATOBI
127. 87
KITAGAWA 1 9 6 1 , S. 130, 1 4 7 ; SABASHINA 1 9 5 5 , S. 47.
88
H U B E B 1964, S. 57.
OO*
1940,
S.
101,
340
HANS-JOACHIM
PAPROTH
des Bären verwendete ok-meue-ni quer angebunden, so daß die Gabel die Form eines Kreuzes erhält. An das ok-meue-ni hängt m a n die aus Holzspänen gefertigten Sandalen des Gottes (kamui-shitokeri). I n eine Matte eingewickelt werden schließlich auch noch die Mitbringsel, die der abreisende Gott ins Land der Götter mitnehmen soll, an dem Gabelholz befestigt. 89 „Den Stab mit dem Bärenschädel stellen sie a m heiligen Zaun auf, wo er stehen bleibt, bis Sonne, Regen, Schnee, Hitze und Kälte ihn nach J a h r e n zernagt und zerbröckelt haben." 0 0 Am Ende seines Bärenfestberichts geht M U R A K A M I noch auf die Bärenarten, die auf Hokkaidö vorkommen, ein: Es gibt fünf Arten von Bären auf Yezo: holcuyuku; onnehokuyuku (brauner Bar); arukitsufuwa. Letzterer ist eine Art brauner Bär, der größer als onkohokuyuku ist.' Zuweilen kommt aus den tiefen Bergen ein großer Bär hervor, der fast ein jo (3 m) groß ist. Wenn er Menschen sieht, fällt er diese an. Arukitsufuwa, wie ihn die Ainu nennen, bedeutet ein hervorkommendes Tier. Wenn sie ihn töten, essen sie ihn nicht. Er ist der Häuptling der braunen Bären. Nach der Überlieferung soll sich der Geist eines großen Baumes in ihn verwandelt haben. Wenn man ihn mit der Axt zerteilt und in den Bergen liegen läßt, soll er sich wieder in einen Baum verwandeln.
Es folgt noch ein Zitat über den Bären aus dem Buch Pin-ts'aokang-mu von L i ScHiN-OHIIN (1596), einem chinesischen Handbuch der Naturgeschichte und Heilmittelkunde, das hier aber weggelassen ist. Die von M U R A K A M I erwähnten Ainuwörter f ü r Bär lassen sich teilweise in dem Ainu-Wörterbuch von C H I R I belegen: hokyük; okü-yuk; ¿nne-kamuy;91 ein weiteres ist in einer von G R E E Y aufgezeichneten Abschiedsrede an den Bären enthalten: „The arukitsufu (god bear) reclines with dignity upon a new m a t , with his nose sniffing at cups of wine and oil." 92 2. E i n „ g e s c h m ü c k t e r B ä r e n s c h ä d e l " i m Leipziger V ö l k e r k u n d e m u s e u m Ein aus der Sammlung Dr. S C H E U B E stammender „geschmückter Bärenschädel", der im Leipziger Museum a u f b e w a h r t wird, könnte als ein Anschauungsstück f ü r die im K o m m e n t a r zu Bild 5 der MuRAKAMi-Rolle ausführlich beschriebenen Ainubräuche dienen, würde nicht der kronenartige Kopfputz, der heute den Schädel ziert, sein ursprüngliches Aussehen verfälschen. Nach brieflicher Mitteilung von H e r r n Dr. H A R T W I G s t a m m t dieses Stück „aus der Sammlung des bekannten Forschers P I L S U D S K I , der während der Zaren89 S A R A S H I N A
von Prof.
1955,
S. 4 8
und durch Herrn Prof.
ÖBAYASHI
vermittelte Angaben
KÜBODBEA.
90 H U B E R 1 9 6 4 , S . 5 7 .
91
92
C H I R I , Bd. 2, 1962, S. 153, 157, 158. Vgl. S I E B O L D , Bd. 2, 1969, S . 257: „Die Japaner nennen ihn [eine auf Hokkaidö vorkommende Art des Ursos Arctos] Ökuma, d. i. großer Bär, und dieAinos Hokjuk'. Auch unterscheiden die Ainos und nach ihnen die Japaner zwei Varietäten . . .". K I T A G A W A 1961, S. 148 nach E. G R E E Y , The Bear-Worshippers of Yezo, B O S T O N 1884, S. 143.
Bärenkultobjekte
341
zeit als polnischer Emigrant auf Sachalin lebte. Es ist dann später über B K U N O A D L E K , der seinerzeit am Petersburger Museum f ü r Anthropologie und Ethnographie arbeitete, an H A N S M E Y E K in Leipzig gekommen und von diesem später unserem Museum übereignet worden. I n der anscheinend von A D L E R angefertigten Liste steht zu diesem Objekt: ,Ise Kirao — Kopf binde f ü r einen Bären aus Hobelspänen, wird dem Bären während des Bärenfestes aufgesetzt .Ost - Sachalin.'" Über den Schädel selbst teilt mir H e r r Dr. H A R T W I G (ebenfalls brieflich) folgendes m i t : „Merkwürdigerweise ist der Bärenschädel, den wir in unserer Ausstellung haben und dem die obengenannte ,Kopfbinde' aufgesetzt ist, viel später inventarisiert worden. E r s t a m m t nachweislich aus der Sammlung Dr. S C H E U B E und befindet sich bereits seit mindestens 1891 in unserem Museum. I n den zur Sammlung S C H E U B E gehörenden Akten befindet sich allerdings nur ein gedruckter Katalog, dem nichts weiter zu entnehmen ist als: ,Bärenschädel als religiöses Symbol aufgeputzt.' . . . Auf Grund der unterschiedlichen Inventarnummern, die die Stücke zu unterschiedlichen Sammlungen gehörend auszeichnen, m ü ß t e m a n annehmen, daß die ,Kopfbinde' erst zu einem späteren Termin in unserem Museum auf den Schädel gesetzt worden sei. Es erhebt sich d a n n aber die Frage, warum dies erfolgte." Als Antwort auf diese Frage läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß die Kopfbinde im Museum auf den Schädel aufgesetzt worden ist, weil m a n angenommen hat, daß die Binde als Kopfschmuck f ü r den S c h ä d e l aufzufassen sei. Das ist aber nicht der Fall. Wenn in dem gedruckten Katalog von einem „aufgeputzten Schädel" gesprochen wird, dann wegen des mittels einer geflochtenen Bast(?)schnur am Schädel befestigten Holzklötzchens, das wohl eine A r t inau darstellen soll. S C H E U B E selbst h a t das Schmücken und Aufhängen des Bärenschädels wie folgt beschrieben: „Darauf wurde der Kopf des Bären mit der zusammengewickelten H a u t vor dem Götterzaun niedergelegt und in derselben Weise geschmückt, wie es vorher mit der Leiche geschehen war; außerdem wurde ein I n a b o hinzugefügt, und es f a n d davor wieder ein allgemeines Trankopfer s t a t t . Nachdem dies beendet, wurde die H a u t vom Schädel abgezogen, nur an der Schnauze und an den Ohren blieb sie an demselben haften. I n die rechte Seite des Hinterhauptbeins — beim männlichen Bären geschieht es auf der linken Seite — wurde sodann ein Loch gebrochen, um durch dies das Gehirn zu entleeren. Letzteres wurde sogleich in die Becher vertheilt und mit Sake vermischt getrunken. An Stelle des Gehirns wurde die Schädelhöhle mit gehobelten Holszpiralen ausgefüllt. Die Augen wurden ebenfalls herausgenommen und das an denselben hängende Orbitalfett sofort von dem jungen Aino, welcher das Amt des Schlächters versah, abgebissen und gegessen. Mit den gleichen Holzspiralen umwickelt wurden d a n n die Augen wieder in ihre Höhlen eingesetzt. Die Mundhöhle wurde m i t Bambusblättern ausgestopft und der Schädel außen m i t Holzspiralen geschmückt. . . . Hierauf wurde der Schädel wieder in das Fell eingefügt und beide vor dem Götterzaun niedergelegt, davor Schwert, Köcher, Inabo und das Holz, welches der Bär,
342
HANS-JOACHIM PAPROTH
während er erwürgt wurde, im Maul gehabt hatte. Erst nachdem vor dem Schädel abermals ein Trankopfer stattgefunden hatte, wurde derselbe auf einer etwa 2V2 Mtr. hohen Stange, welche oben in einer durch die Jochbogen hindurch gesteckte Gabel endete, am Götterzaun aufgerichtet, während die ganze Gesellschaft, Männer wie Frauen, singend und lärmend davor tanzte. Die Stange war an ihrem obern gabelförmigen Ende jederseits mit einem Inabo, an welchem Bambusblätter befestigt waren, versehen. Unter dem Schädel wurde querüber das Maulholz befestigt und Schwert und Köcher aufgehangen. Die beiden letzteren pflegen schon nach kurzer Zeit, etwa 1 Stunde, wieder abgenommen zu werden, während das übrige an seinem Platze bleibt." 93 Von einem am Schädel befestigten Holzstäbchen ist in dieser Schilderung keine Rede, auch ist davon auf der dem Aufsatz beigegebenen Zeichnung, die den auf das Gabelholz gesteckten Bärenschädel zeigt, nichts zu sehen. Leider kann ich auch in anderen Beschreibungen und auf anderen Abbildungen des geschmückten Bärenschädels ein Holzklötzchen, wie es am Leipziger Schädel angebracht ist, nicht nachweisen. Das will aber natürlich über die Echtheit eines solchen Schmuckes nichts aussagen. Mit Sicherheit läßt sich aber feststellen, daß der kronenartige Kopfputz nicht auf den Schädel gehört. Einen ähnlichen Kopfputz hat L. S T E R N B E R G von den Sachalin-Ainu mit der Unterschrift „inao zum Schmuck des Bärenkopfes" (in der russischen Ausgabe: „ Ü H a y — H a r o n o B H H K ( M o u e j i t ) Ha y Ö H B a e M o r o [ ! ] MeHBeflH, n j i e T e H U H H3 CTpyjKeK") veröffentlicht. Leider ist er im Text seines Aufsatzes nicht näher darauf eingegangen; dort sagt er lediglich, daß der aus Spänen geflochtene Schmuck als ein inau aufzufassen sei, das während des Bärenfestes auf den Kopf des Bären gesetzt werde. 94 Auf die Sachalin-Ainu bezieht sich auch eine Mitteilung, aus der wir über die in den Museumsakten genannte Bezeichnung ise kirao, sowie über die Funktion des Kopfschmuckes etwas (wenn auch nicht eben viel) erfahren. I n dem 1943 in Toyohara erschienenen Buch „Karafuto Ainu" von S A D A Y O S H I N I S H I Z U R U heißt es, daß vor der Tötung des Bären Schmückungen am Bärenkopf vorgenommen werden. Sobald der Bär niedergezwungen worden ist, werfen sich einige junge Männer auf ihn und bringen die Verzierungen (kirau) am Kopf an. An die Ohren wird ein Baumwollschmuck (chipuino) befestigt. Den Rücken schmückt man mit einem ponbake. Kirau bedeutet „Geweih" oder „Horn"; 'ponbake heißt „Schürze". Das ponbake wird aus Stroh hergestellt und ist in der Mitte breiter als an den Enden. Es wird um den Bärenleib gewunden. Nahrungsmittel, die der Bär besonders gerne mag (chikariibe), werden daran befestigt. 95 93 SCHETTBE 1 8 8 0 , S . 5 1 . STEENBEBS
1933,
S. 616
und
Ta6.
11,2;
HAAS
1925,
A b b . 72,
Fig. 2
(nach
L. STERNBERG, The I n a u Cult of t h e Ainu. Boas Anniversary Volume, New Y o r k 1906, PI. 35). 95
NISHIZURU 1943,. S. 132. KASAI 1943, d e s s e n B e s c h r e i b u n g d e s B ä r e n f e s t e s z u -
meist wörtlich mit Nishizurus Bericht übereinstimmt, e r w ä h n t wohl das Anbringen der Ohrgehänge u n d des ponbake, sagt aber ü b e r h a u p t nichts über das
Bärenkultobjekte
343
Die in den Akten genannte Bezeichnung kann also mit „Geweih" {kirau) des Bären (iso) übersetzt werden. 96 Aus den Mitteilungen NISHIZTJRUS geht aber auch hervor, daß der Kopfschmuck (wenn er mit kirau nicht überhaupt nur das ponbake und den Ohrenschmuck meint) an dem noch l e b e n d e n Bären angebracht wird. Da S T E R N B E R G in der russischen Ausgabe seines Aufsatzes ausdrücklich von dem Kopfschmuck für den t o t e n Bären spricht, ist es natürlich möglich, daß die „Ehrenzeichen", mit denen der noch lebende B ä r geschmückt worden ist, bis zur Enthäutung und Zerlegung noch am Körper verbleiben. E s wäre sogar denkbar, daß der Kopfschmuck dem entfleischten Schädel von neuem aufgesetzt wird. Die Tatsache, daß der aus Sachalin stammende Kopfschmuck nicht auf den aus Hokkaidö stammenden Schädel gehört — meines Wissens hat SCHETJBE, aus dessen Sammlung der Schädel stammt, nur die Hokkaidö-Ainu aufgesucht — würde das nicht verändern. So wie der Schädel im Museum ausgestellt ist, können an ihm zwei verschiedene Arten von Bärenkopfschmuck (einmal das Holzklötzchen, zum andern die kronenartige Kopfbinde) gleichzeitig studiert werden. 3. Einige Bemerkungen über die T ö t u n g s s t ä t t e für den B ä r e n und das Aufbahren des Bärenkopfes bei den Niwchen Wie schon gesagt, feiern auch die auf der Insel Sachalin und in der Gegend der Amurmündung lebenden Niwchen Bärenfeste, bei denen in Gefangenschaft großgezogene Bären getötet werden. Nach H A T T O R I 1 0 Tage vor Beginn des Bärenfestes (nach S T E R N B E R G erst an dem nau-wachn-ku genannten Vorabend der Feier) beginnen auf Sachalin die Söhne des Festgebers mit dem Schnitzen der nau, d. h. der Stöcke mit gekräuselten Spänen an der Spitze, die den räcra-Kultstäben der Ainu entsprechen. Mit Ausnahme der mu-nau (den an den Schiffen anzubringenden Kultstäben) werden alle Arten von nau angefertigt. Und zwar wird nach S T E R N B E R G jede nau-Art paarweise hergestellt; „jedes Paar stellt ein Ehepaar dar, auf daß sie es lustiger hätten und sich befruchteten und vermehrten." 9 7 S T E R N B E R G berichtet weiter, daß ein Teil der nau „zum Schmuck auf die Spitze der Pfähle der Arena gesetzt, ein anderer Teil an sie unten angebunden" wird. Die von ihm Arena genannte Hinrichtungsstätte für die Bären „besteht aus einem mäßigen festgestampften Platze, in dessen Mitte, der Anzahl der zu tötenden Bären entsprechend, ein oder mehr Paar (heiliger Bäume) Pfähle, zwikirau. — B U S S E 1 8 7 2 , S. 5 5 sagt von den Sachalin-Ainu, daß sich nach dem Herausholen des Bären aus dem Käfig vier Männer auf das Tier warfen und es auf den Boden niederzwangen. Dann legten sie verschiedene schmückende Gegenstände auf den Bären und einen kleinen hölzernen Wedel auf seinen Kopf, OC Vgl. CHIRI, Bd. 3 , 1 9 5 4 , S . 2 6 3 : „kiraw (-e [H(okkaidö)]; -he [S(achalin)] [ki- räu]"; H A T T O R I 1964, S. 181 (12): kiraw, kiraw — Horn. H0M HCKYCCTNE HHBXOB H afiHOB (KpaTKHe cooßmeHHH HncTMTyTa araorpa^HH, T.V), Mocnna—JieHMiirpaA. L E V I N , M. G. (M. T. JleBHH), 1949: Anypo—CaxajiHHCKan aHTponoJioro—STHorpatfiHiecKaH: SKcneflmjHH (KpaTK. Cooßu;. HHCT. 3THorp., T. V ) , Mocraa—JleHUHrpan. L I S S N E R , I . , 1 9 5 2 : Artikel über die Ainu in „Kristall", 7 . Jahrg., Nr. 2 2 . L I S S N E R , I., 1958: Aber Gott war da, Ölten u. Freiburg i. B r . M A C R I T C H I E , D . , 1 8 9 2 : The Ainos (Internationales Archiv für Ethnographie, Supplement zu Bd. 4), Leiden. M A N N D O R F , H., o. J . : Die Völker Sibiriens. Museum für Völkerkunde Wien. M T J N R O , N. G., 1962: Ainu Creed and Cult, London. N A T O R I , T . , 1 9 4 1 : Saru Ainu no kuma okuri ni okeru kamigari no yurai to nusa. (Hoppö-bunka kenkyü hökoku, Bd. 4), Sapporo. 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Bärenkultob j ekte
351
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TAUBE
TAFEL I
Abb. 1. Junge mit Falle und Zieselmaus. Photo: Taube (1967) Abb. 2. Kind in der Wiege. (1966)
Abb. 3. Kleines Mädchen im lav(a)saq mit losem Haar. (1967) Abb. 4. Kleiner Junge mit auf dem Kopf zusammengebundenem Haarschöpfchen. (1966)
TAFEL
II
TAUBE
A b b . f>. Z w e i J u n g e n mit beliebten K i n d e r f r i s u r e n (rechts Frisur 2, links Frisur 4). (1966) A b b . 6. K l e i n e r Junge mit Stirnschöpfchen (saymaj).
(1966)
A b b . 7. Z w e i J u n g e n i m ton (links) und in U n t e r k l e i d e r n . (1967) A b b . 8. E i n e i n h a l b j ä h r i g e r m i t Sonnenhütchen und losem H a a r . (1967)
TAUBE
TAFEL
M
A b b . 9. K i n d e r in t r a d i t i o n e l l e r u n d n e u z e i t l i c h e r K l e i d u n g . (1967) A b b . 10. S t e h e n d e F r a u i m Kleid d e r V e r h e i r a t e t e n (mit Z o p f b e u t e l n ) u n d s i t z e n d e i m lav(a)sa,q der u n v e r h e i r a t e t e n M ä d c h e n . (1966)
A b b . 11. L e i c h t w a t t i e r t e s K i n d e r m ü t z c h e n , m i t Münzen, Perlen und Knöpfen benäht. Die Q u a s t e n a n d e n s e i t l i c h e n Zipfeln d i e n e n als ä u ß e r l i c h e r E r s a t z f ü r U h u f e d e r n . (1966) A b b . 12 K l e i n e s K i n d m i t W i n t e r m ü t z e . Y a k h a a r b ü s c h e l v e r t r e t e n die U h u f e d e m . (1967)
TAFELiv
TAUBE
A b b . 13. Zwei J u n g e n m i t d e n f e l l g e f ü t t e r t e n W i n t e r m ü t z e n der g r ö ß e r e n K i n d e r . D e r ton d e s r e c h t s s t e h e n d e n K i n d e s ist l i n k s s e i t i g zu s c h l i e ß e n . (1967) A b b . 14. S ä u g l i n g i m M ü t z c h e n m i t U h u f e d e r n . (1967) A b b . 15. K l e i n e s M ä d c h e n m i t S i l b e r s c h m u c k a m lav(a)saq u n d Schellen a m G ü r t e l . (1966)
LAXGK
TAFKL V
Abb. 1. Auf dor Uebetsi-unde. Im H i n t e r g r u n d der Alte Tempel
Abb. 2. Die V o r m i t t a g s f e i e r im Neuen Tempel
ist b e e n d e t . Im H i n t e r g r u n d das Fest zeit
TAFEL VI
Abb. 3. Der Bandido-chambo-lama leitet die nachmittägliche Opferfeier Abb. 4. Während des Umzuges mit dem Maidari-Wagen
LANGE
CLMERMANIS
TAFEL VII
Abb. 1. Das Rumbawehr in der Venta bei Kuldiga (eine Zeichnung aus J. Ch. B A R N I C K E L ' S Karte vom Jahre 1747)
Abb. 2. Das Rumbawehr in der Venta bei Kuldiga Anfang des 20. Jhs. (Heimatkunde von Kurland von W. SAHM, Breslau, 1917, S. 21)
Abb. 3. Ein Fischer mit der zum Tragen fertigen „Katica" im Dorfe Straupciems am Babitsee 1807 (J. Ch. B R O T Z E , Monumente . . . X, 18)
TAFEL VIII
CLMERMAIJIS
Abb. 4. Lachswehr im Unterlauf der Daugava Ende des 18. Jhs., seiner Lage entsprechend müßte es das Wehr von Berzmente sein (J. Ch. BROTZE, Monumente . . ., I I , 10). Die Lage des Wehres scheint ungenau wiedergegeben zu sein, da am Ende der Insel keine genügend breite Königsrinne zu sehen ist.
Abb. 5. Wehr für Wemgallen im Unterlauf der Daugava Ende des 18. Jhs. (J. Ch. BROTZE, Monumente. . ., V I , 163). Die das Wehr tragende Konstruktion könnte falsch gezeichnet sein, denn an den Böcken sind nur zwei Füße anstatt drei, wie es im Unterlauf der Daugava Brauch war, zu sehen. Außerdem ist nicht erklärlich, wie zwischen die beiden auf der Abbildung wahrnehmbaren Bockfüße Steine aufgelegt werden konnten (vgl. die Böcke auf den Abb. 4 und 6).
ClMERMANIS
Abb. 6. Lachswehr in der Daugava-Stromschnelle Stävüzkauls bei der Insel Dole im J a h r e 1961 (E Film 866, Neg. 22). Links vom Wehr ziehen sich zwei Zäune stromabwärts, die die Lachse d a r a n hindern, seitwärts auszuweichen (Fotografien von S. CiMERMANIS).
Abb. 7. Lachskorb mit zufallendem Verschluß u n d Knebelmechanismus im Stävüzkaula-Wehr 1961 (E Film 867, Neg. 17)
TAFEL
IX
TAFEL
X
ClMEBMANIS
Abb. 8. Neunaugenwehr, „Vastala", in der Daugava-Stromschnelle Pendere bei der Insel Dole im Bezirk Riga, 1961 (E Film 870, Neg. 17)
Abb. 9. Rücker eines Lachswehres, ,,Täres", u n d das Gerät zum F a n g der Lachse, im Wehr von Stävüzkauls 1961 (E Film 867, Neg. 4 - 5 )
„Buri",
TAFEL
ClMERMANIS
Abb. 10. Paarfischreuse im Bezirk von Cesis, Inesi, Gehöft „Sävas"
(E Film
XI
772, Neg.
12-13) Abb. 11. Neunaugen- und Lachswehr im Unterlauf der Gauja bei Carnikava, Bezirk Riga, im J a h r e 1961. Gesamtansicht der dicht aneinander gestellten Reusen, die aus dem Wasser gehoben sind (E Film 877, Neg. 18).
TAFEL XII
ClMERMANIS
A b b . 12. D e r f ü r die A u f s t e l l u n g d e r R e u s e n v o r g e s e h e n e Teil des W e h r e s „ V a s t a l a " in der D a u g a v a - S t r o m s c h n e l l e P e n d e r e im J a h r e 1961 (E F i l m 870, N e g . 18). L i n k s in d e r A b b i l d u n g ist d e r d i c h t e Z a u n d e r S p e r r e zu s e h e n , der h e u t z u t a g e a u s B r e t t e r n g e b i l d e t w i r d . Die oberen E n d e n d e r B r e t t e r s i n d a n die s o g e n a n n t e n „ S u l k ä r t s " b e f e s t i g t . A b b . 13. W e h r i m B e z i r k V a l k a , K ä r k i , N e g . 26)
G e h ö f t „Ärcelpeni", i m J a h r e 1958 (E F i l m 482,
HÖLTKER
Abb. 1 (a). Der Abelam-Künstler W a i v u Urula (im H i n t e r g r u n d des Bildes) b e m a l t mit seinem Helfer einen 421 cm langen Friesbalken, der zwei kopulierende Geisterpaare darstellt. S t a n d o r t : Photo-Archiv Museum f ü r Völkerkunde Berlin. P h o t o : GEBD KOCH (1966)
Abb. 1 (b) (Detail). Der halbe bemalte Friesbalken d e r A b e l a m m i t einem kopulierenden Geisterpaar. Länge etwa 220 cm. S t a n d o r t : Museum f ü r Völkerkunde Berlin, Nr. V I 48603. P h o t o : Mus. f. Völkerkunde, Berlin
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Abb. 2. Hölzerner H a u s s c h m u c k aus Ayafo am Sentani-See, ein kopulierendes (Geister ?-)Paar darstellend. H ö h e : 55 cm. S t a n d o r t : Museum f ü r Völkerkunde Basel (Vb 5770). P h o t o : Mus. f. Völkerkunde Basel Abb. 3. Eine Malerei vom K e r a m River m i t Darstellung einer Schwangeren (links). H ö h e 1 6 1 c m . S t a n d o r t : The Museum of Primitive Art (New York), no. 56. 264. W i t h t h e Courtesy of t h e Museum of Primitive A r t . P h o t o : C H A B L E S U H T
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Abb. 4. Ein Betelmörser aus Men d a m (Murik), der eine schwangere F r a u als Schalenträgerin darstellt. H ö h e : 19 cm. S t a n d o r t : Linden-Museum S t u t t g a r t , Nr. 61572 (Sammlung Haug). P h o t o : Linden-Museum S t u t t g a r t Abb. 5. Kultfigur aus Y a m a (Süd-Maprik), deren u n t e r e Frauenfigur eine Gebärende darstellt. H ö h e : 261 cm. Stando r t : Museum f ü r Völkerkunde Berlin, Nr. V I 48638. P h o t o : Mus. f. Völkerkunde Berlin
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Abb. 6. Hölzerner Kor war von der Geelvinkbai, vermutlich eine Gebärende darstellend. H ö h e : 24,5 cm. S t a n d o r t : Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden, Nr. 370—3948. P h o t o : R i j k s m u s e u m v. Volkenkunde, Leiden Abb. 7. Mutter u n d Kind, eine Plastik aus K a m b o t a m K e r a m River. H ö h e : vermutlich 150—160 cm. S t a n d o r t : P r i v a t s a m m lung Lehner (Neuguinea). P h o t o : H E I N R I C H L E H N E R
Abb. 8. Kultfigur aus K u m u n i m b i s (Nord-Maprik), eine Gebärende darstellend. H ö h e : 183 cm. S t a n d o r t : •Museum f ü r V ö l k e r k u n d e Berlin, Nr. V I 48637. P h o t o : Mus. f. Völkerkunde Berlin
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•Abb. 9 (a u n d b ) . M u t t e r u n d K i n d , eine P l a s t i k a u s A n duar a m Y u a t River. Höhe des B i l d w e r k s : 73 e m , d e s K i n d e s : 44 c m . S t a n d o r t : Privatsammlung Lehner (Neuguinea). Photos: H E I N RICH
LEHNE»
A b b . 10 (a. u n d b). E i n Dachgiebelaufsatz von den J a t m ü l a m m i t t l e r e n Sepik. H ö h e : 200 c m . S t a n d o r t : Linden-Museum in Stuttg a r t , N r . S 39884. P h o t o s : Linden-Museum Stuttgart
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Abb. I i (a u n d b). E i n e alte Holzplastik aus dem Arop-Distrikt. Höhe: 49 cm. S t a n d o r t : Bautenstrauch-Joest-Museu m in Köln, Nr. S 1079. P h o t o s : • Mus. f. Völkerk u n d e Köln
Abb. 12 ( a u n d b ) . Plastik mit Mutter u n d zwei Kindern vom mittleren Sepik. H ö h e : 46 cm. Stando r t : Musée de l ' H o m m e in Paris, Nr. 55.78.1 (Coli. Françoise Girard). Photos: Musée de l ' H o m m e Paris
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Abb. 13 (a und b). E i n Aufhängehaken aus Kanganuman am mittleren Sepik. H ö h e : 72,5 cm. S t a n d o r t : Tropenmuseum in Amsterdam, Nr. 2670/28. P h o t o s : Tropenmuseum Amsterdam
Abb. 14. Plastik einer stillenden Mutter vom mittleren Sepik. Höhe: 46 cm. Standort: Musée de l'Homme in Paris, Nr. 61.78.3 (Coll. Françoise Girard). P h o t o : Musée de l'Homme Paris Abb. 15. Korwar, vermutlich von den Schouten Inseln. Höhe: 24,5 cm. Standort : Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden, Nr. 29 383. P h o t o : Rijksmus. v. Volkenkunde Leiden
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Abb. 16. Korwar aus Saoukorem an der Geelvinkbai. Höhe : 33 cm. Standort: Rijksmuseum voor Volkenkunde in Leiden, Nr. 929-692. Photo : Rijksmus. v. Volkenkunde Leiden Abb. 17. Korwar von der Geelvinkbai. Höhe : 18 cm. Standort : The Museum of Primitive Art in New York, no. 58. 210. With the Courtesy of The Museum of Primitive Art. Photo: CHARLES
Abb. 18. Mythische Darstellung, vermutlich eine Clanmutter mit ihren Söhnen und deren Frauen, von den Nor-Papua (Murik). Höhe: 25 cm. Standort: The Museum of Primitive Art in New York, no. 57.79. With the Courtesy of The Museum of Primitive Art. Photo: C H A R L E S U H T Abb. 19. Ein kultisches Schnitzwerk aus Grinjambe am mittleren Sepik. Höhe ¡vermutlich 130—150 cm. Standort: unbekannt. Photo: H E I N R I C H LEHNER
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Abb. 20. E i n Kanukopf aus Awar an der H a n s a b u c h t . Größenverhältnisse unbekannt. Photo: J O S E F M U C H ( 1 9 3 7 )
Abb. 21 (a u n d b). Schnitzerei a n einem Quetschkolben aus Berlinhafen, vermutlich eine E n t f ü h r u n g s szene darstellend. S t a n d o r t : Museum f ü r Völkerkunde zu Dresden, Nr. 29459. P h o t o s : Mus. f. Völkerk. Dresden
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Abb. 22 (a u n d b). Hauspfosten aus K a n g a n a m u n a m Sepik m i t einer mythischen Gebärszene. H ö h e der F i g u r : 215 cm. S t a n d o r t : Museum f ü r Völkerkunde in F r a n k f u r t (M.), Nr. N. S. 45364. P h o t o s : Mus. f. Völkerk. Frankfurt
Abb. 23 (a u n d b). H a u s p l a n k e aus Simbang bei Finschhafen mit einer u n b e k a n n t e n Darstellung (Schwangerschaft?). H ö h e : ' 9 8 c m , Breite: 22 cm. S t a n d o r t : Museum f ü r Völkerk u n d e zu Leipzig, Nr. Me 14297 (Sammlung Danniel 1942). P h o t o s : Mus. f. Völkerk. Leipzig
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Abb. 24 (a u n d b). E i n Bildwerk mit zwei Personen aus Aitape; vermutlich ein K a n u - S t e v e n . H ö h e : 62 cm. S t a n d o r t : Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, Nr. S 1080. P h o t o s : Mus. f. Völkerk. Köln
Abb. 25. Christliche Madonna m i t K i n d v o m mittleren Sepik. H ö h e : 41 cm. S t a n d o r t : Linden-Museum in S t u t t g a r t , Nr. 122 261 (Sammlung Markert). P h o t o : Linden-Museum Stuttgart Abb. 26. Vermutlich eine christliche Madonna mit K i n d aus dem AsmatDorf J o w . H ö h e : 85 cm. S t a n d o r t : The Museum of Primitive Art in New York. T h e Michael C. Rockefeller Collection (M R 75). W i t h t h e Courtesy of The Museum of Primitive Art. Photo: J o h n S c h i f f
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A b b . 27. Die B o s m u n - F r a u S a k o n m i t ihrer T o c h t e r L u c i a a u s d e m Dorf D o n g u n . P h o t o : G E O B G H Ö L T K E R (1937)
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Abb. 1. Mambuchi, Leiter Afcmdas-Jugendweihe in rungga. Photo: P. C. Laufer
Abb. 2. Fertigstellung der murupkiKasuarmaske. Photo: P. C. Laufer
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der Ma-
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Abb. 3. Herstellung der Maskenrahmen. Photo: P. C. Laufer
Abb. 4. Bemalung der MandasMaskenhüllen. Photo: P. C. Laufer
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Abb. 5. Eine fertige Maske wird in den vopghi-Traghelm eingelassen. P h o t o : P. C. Laufer
Abb. 6. Herstellung der Maskenr a h m e n . P h o t o : P. C. Laufer
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Abb. 7. Zwei sölevem-Totenmasken. P h o t o : P . C. Laufer
Abb. 8. Masken, von links: ealingl, urungki, ngoarenchi, säraichi. P h o t o : P. C. Laufer
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Abb. 9. Maskenhaus (bangka nanicha mandas) im Chusak. P h o t o : P . C. Laufer
Abb. 10. Klusachong, Leiterindes Frauenchores. Photo : P . C. Laufer
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A b b . 11. M o n a s a n t r o m m e l (a runepki). P . C. L ä u f e r
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der SehlagPhoto:
A b b . 12. Die ran-Coisterpolizei. P h o t o : P . C. L a u f e r A b b . 13. Die K a n d i d a t e n b l a s e n die S t a m m e l t e r n - B a m b u s f l ö t e n . P h o t o : P . C. L a u f e r
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Abb. 14. Erster A u f t r i t t der Totenmasken (a sölevep). Photo : P . C. Laufer A b b . 15. Die Maskenehrung durch die verwandten Frauen. P h o t o : P . C. Laufer Abb. 16. Die Anführerin Frauenprozession. P h o t o : P . C. Lauf er
der
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Abb. 17. Die abgetrennte Masken hülle als Geschenk an die Schwester. Photo: P. C. Laufer
Abb. 18. Abschiedsreigen der auswärtigen Männer auf dem Tanzplatz. Photo: P. C. Laufer
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BÖTTGER
A b b . 1. A n s i c h t dos D o r f e s Suchodol, Bezirk B u r g a s
A b b . 2. D a s Z e n t r u m dos D o r f e s m i t Schule u n d K u l t u r h a u s A b b . 3. A l t e Schafställo u n d n e u e W i r t s c h a f t s g e b ä u d e d e r L P G
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BÖTTOER
Abb. 4. Wohnhaus eines Genossenschaftsbauern
Abb. 5. Der neuerrichtete große Stausee Abb. 6. Die neue Schweinemastanlage am Stausee, im Vordergrund alte Schäferhütte
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BÖTTOER
A b b . 9. J o d e F a m i l i e h ä l t eine oder m e h r e r e Ziegen, die a b e n d s in die G r u n d s t ü c k e ihrer Besitzer z u r ü c k k e h r e n . A b b . 10. G e n o s s e n s c h a f t s b ä u e r i n n e n b e i m E n t h ü l s e n v o n Mais
A b b . 11. E i n Teil d e r reichen M a i s e r n t e des J a h r e s 1968
GRIMM
Abb. 1
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Abb. 2
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GrRIMM
ÄBb.
3
TAFKL LXI
G O H KL
A b b . 1. kóto
me,sellano,
FKOHKNIUS,
1912, 2.
mmtge-batsú
soni unti (laicati d e r ä l t e r e n X u p e - S a m m h m g . X a o h
Bd.
¡ölt
A b b . 2 . u'oth't u n d dam
der älteren X u p e - S a m m l u n g . X a e b FKOHKNIUS, 1 9 1 2 , 2. Bd.
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Abb. 3. babafun u n d 2 wodá der älteren Nupe-Sammlung. N a c h
Abb. 4. dakan MAf 25931 der älteren Nupe-Sammlung
Abb. 5. wodá MAf 25929 der älteren N u p e - Sammlung
GÖBEL
FKOBENIUS,
1912, 2. Bd.
GÖBEL
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Abb. 6. täsa-maschato MAf 25928 der älteren N u p e - S a m m l u n g a) Seitenansicht b) Draufsicht
Abb. 7. Deckel MAf 25930 der älteren Nupe-Sammlung
A b b . 9. MAf 23819 Ansicht v o n u n t e n
Abb. 8. MAf 23828 Seitenansicht
Abb. 10. MAf 23831 Seitenansicht
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Abb. 11. MAf 23832 Seitenansicht
Abb. 12. MAf 23843
a) Seitenansicht
Abb. 13. MAf 23844
a) Seitenansicht
b) Ansicht von unten
b) Ansicht von unten
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Abb. 14. MAf 23846
Abb. 15. MAf 23817
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
Abb. 16. MAf 23818
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
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Abb. 17. MAf 23833
GÖBEL
a) Seitenansicht
Abb. 18. MAf 23839
a) Seitenansicht
Abb. 19. MAf 23848
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
b) Draufsicht
b) Draufsicht
GÖBEL
TAFEL LXVII
Abb. 20. MAf 23853
Seitenansicht
b) Draufsicht
Abb. 21. MAf 23856
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
Abb. 22. MAf 23859
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
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Abb. 23. MAf 23879
[
GÖBEL
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
f -
Abb. 24. MAf 23836
Abb. 25. MAf 23874b
a) Seitenansicht
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
b) Draufsicht
GÖBEL
Abb. 27. MAf 23858a
TAFEL LXIX
a) Seitenansicht
b) Ansicht von unten
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Abb. 29. MAf 23876b
a) Seitenansicht
b) Draufsicht
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Abb. 30. MAf 23808
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Abb. 31. MAf 23802
Abb. 32. MAf 23800
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Abb. 1. Japanische Bilderrolle in 5 Bildern, das Bärenfest der Ainu darstellend (OAs 5282). Bild 1. Füttern des im Käfig sitzenden Bären am Morgen des Bärenfestes
Abb. 2. Bild 2. Der aus dem Käfig herausgelassene Bär wird mit stumpfen Pfeilen beschossen.
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Abb. 3. Bild 3. Erwürgen des Bären zwischen aufeinandergelegten Balken
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Abb. 4. Bild 4. Der vor dem „heiligen Zaun" niedergelegte Bär
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TAFEL L X X V I
Abb. 7. Modell eines „Bärenopferplatzes" (Niwchen; NAs 1418)
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