J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band 1 Allgemeiner Teil [10. neubearbeitete Auflage, Reprint 2021] 9783112600702, 9783112600696

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J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band 1 Allgemeiner Teil [10. neubearbeitete Auflage, Reprint 2021]
 9783112600702, 9783112600696

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3. v. Ztaudingers Kommentar rum

bürgerlichen Gesetzbuch und dem Linführungzgesetze herausgegeben von

Dr. Erwin Riezler,

Dr. Erwin Pätzold,

Dr. Fritz Ostler,

Professor an der Universität München

Ministerialrat im Reichs-Justizministerium

Rechtsanwalt in München

Dr. h. c. Karl Kober,

Oskar Lechner,

Dr. Fritz Kiefersauer,

Hat 1. R. am (Obersten Landes­ gericht in München

(Dberregierungsrat im Reichs-Justizministerium

(Erster Bürgermeister in Mindelheim

Dr. Hans Nipperdey,

Dr. Karl Geiler,

Dr. Franz BränM,

Professor an der Universität Köln

Rechtsanwalt, Professor an der Universität Heidelberg

Landgerichtsrat in München

Dr. Martin Jonas,

Dr. Wilhelm Kiesow,

Dr. Ernst Brandts,

Ministerialrat im Reichs-Justizministerium

Senatspräsident am Reichsgericht

Ministerialrat im Reichs-Justizministerium

Dr. Gustav voehmer,

Dr.hans Albrecht Fischer,

Dr. Leo Raupe,

Professor an d. Universität Marburg

Professor an der Universität Breslau

Professor an der Universität Hamburg

Theodor Keidel, I. Staatsanwalt in München

10. neubearbeitete Auflage

1936 München, Berlin nnd Leipzig I. Schweitzer Verla,; (Arthur Sellier)

3. o. StMdWM Kommentar zam Mzerlichen Gesetzduch n«b dem Eiisöhrang-aesetze

i. Baud

Allgemeiner Teil Erläutert von

Dr. Erwin Riezler Professor an der Universität München

10. neubearbeitete Auflage

1936 München, Berlin und Leipzig I. Schweitzer Verlag (Arthur SSilier).

Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie., Freising-München

Vorwort zur zehnten Auflage. Der vorliegende Kommentar verdankt seine Bezeichnung dem ersten Heraus­

geber, dem im Februar 1902 leider zu früh verstorbenen Geheimrat Dr. I. v. Stau­ dinger. Die erste Lieferung erschien im April 1898, aber erst im März 1903 lag die erste Auflage vollendet vor. Bereits 1904 konnte die zweite Auflage er­ scheinen. Die folgenden drei Auflagen kamen als Doppelauflagen in rascher Folge

1907, 1909 und 1912/14 heraus. Die neunte Auflage konnte infolge der Er­ schütterungen des Weltkriegs erst 1925—1931 herausgebracht werden. Die neue zehnte Auflage wurde im Jahre 1934 in Angriff genommen. Zwischen neunter und zehnter Auflage liegt also der gewaltige Umbruch des deutschen Rechtsdenkens im Zuge der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung. Die geläuterten Anschauungen und Wertungen haben auch das BGB. in seinen zeitbedingten Grundlagen erschüttert, und die zuständigen Stellen in Partei und Staat sind an der Arbeit, das „bürgerliche" Recht auch äußerlich auf den lebendigen Grundlagen der völkischen Gemeinschaftsordnung neu zu formen. Dieser Fluß der Ereignisse stellte Verlag und Herausgeber vor die ernste Frage, ob denn für eine Neuauflage des „Staudinger" gerade jetzt ein geeigneter Zeitpunkt sei. Sie glaubten, diese Frage nicht verneinen zu sollen: die gesetzgeberische Durcharbeitung und Neu­ schaffung des ganzen BGB. wird nach amtlichen Erklärungen Jahre erfordern; überdies werden Rechtssätze, die mehr technische Fragen betreffen oder auch unter den neuen Rechtsauffassungen sich bewährt haben, sicherlich bleiben. Gerade zur Rechtsneubildung aber und zum Verständnis späterer Abweichungen ist — insbe­ sondere auch für den Rechtswahrernachwuchs — ein Gesamtbild über den jüngsten Stand der Rechtsentwicklung vor der Neuordnung äußerst wertvoll; ein solches Gesamtbild vermag jedoch nur ein wissenschaftliches Erläuterungswerk großen Stils

zu bieten. In diesem Sinne hat denn auch der Führer der Akademie für Deutsches Recht und der Deutschen Rechtsfront, Reichsminister Dr. Frank, den Entschluß, den Staudingerschen Kommentar im jetzigen Zeitpunkt neu aufzulegen, „deshalb besonders begrüßt, weil dieser ausgezeichnet bewährte Kommentar in seiner zehnten Auflage mitwirken soll, den Grundgedanken des werdenden deutschen bürgerlichen Rechts den Boden zu bereiten". Getreu dieser Zielsetzung wird die Neuausgabe nicht nur rückwärtsschauend die trotz allem gewaltige Arbeit widerspiegeln, die Theorie und Praxis in den letzten

Jahrzehnten und namentlich auch seit der letzten Auflage an die zeitgemäße Aus­ legung und Fortbildung des deutschen bürgerlichen Rechts verwendet haben; die Neuauflage wird vielmehr auch besonders bestrebt sein, die alten Gesetzesworte

VI

Vorwort zur zehnten Auflage.

in den auch einer fortschreitenden Auslegung und schöpferischen Rechtsfindung ge­ zogenen Grenzen mit dem durch die neue Gesamtordnung und Willensrichtung bedingten neuen Sinn und Rechtsgeist zu erfüllen und hiebei insbesondere stets der Fernwirkung der neuen Gesetze Rechnung zu tragen, die nationalsozialistisches Gedankengut auf Teilrechtsgebieten bereits jetzt voll und rein verwirklichen. Natürlich werden auch etwaige künftige Novellen zu Einzelabschnitten des BGB. noch im Laufe der Drucklegung miteinbezogen und erläutert werden. Im übrigen wird die Neuauflage die früheren erprobten Richtlinien und Grundsätze des Werkes inne­ halten, die insbesondere in wissenschaftlicher, praktischer und zugleich übersichtlicher Durchdringung des gesamten Rechtsstoffes unter steter Wahrung selbständigen Urteils und fortführender Kritik bestehen. Zur vollen Übersichtlichkeit der Erläuterungen und rascheren Auffindung der

Verweisungen werden in dieser Auflage als besondere Neuerung bei jedem Para­ graphen fortlaufende arabische Ziffern am Rande angefügt; demgemäß wird in den Einzelregistern und im Gesamtregister nicht mehr wie in den bisherigen Auflagen auf die Seitenzahlen, sondern auf die Paragraphen und die dazu gehörigen Randziffern der Anmerkungen bzw. Vorbemerkungen verwiesen. Die bereits eingeführten Inhaltsübersichten vor anmerkungsreichen Paragraphen und die Seitenüberschriften werden beibehalten. An Stelle von vier ausgeschiedenen Mitarbeitern sind unter weiterer Auf­ teilung des immer mehr anschwellenden Arbeitsstoffes neun neue Mitarbeiter getreten. Das Nähere zeigt folgende Übersicht: Einleitung:

Dr. Franz Brändl, Landgerichtsrat München. Dr. E. Riezler, Professor in München.

in

I. Buch: Allgemeiner Teil: II. Buch: Schuldverhältnisse: Allgemeiner Teil: Dr. E. Pätzold, Ministerialrat im Reichsjustiz­ ministerium, Berlin. Besonderer Teil: 88 433—515 . . . Dr. Fritz Ostler, Rechtsanwalt in München. 88 516—534 . . . Dr. Karl Kober, Oberstlandesgerichtsrat i. R. in München. 88 535—597 . . . Dr. Fritz Kiefersauer, Ersterrechtsk. Bürger­ meister in Mindelheim. Dr. Karl Kober. 88 598—610 . . . 8§ 611—630 . . . Dr. Hans Nipperdey, Professor in KölnMarienburg. 88 631—661 . . . Dr. Karl Kober. 88 662—704 . . . Dr. Hans Nipperdey. 88 705—740 . . . Dr. K. Geiler, Professor in Mannheim. 88 741—758 . . . Dr. Karl Kober. 88 759—778 . . . Dr. Franz Brändl. 88 779—811 . . . Dr. Karl Kober.

Vorwort zur zehnten Auslage.

§§ 812—822 . . . §§ 823—853 . . . Band III: Sachenrecht: . . . Band IV: Familienrecht: §§ 1297—1362 . .

§§ 1363—1563 . . §§ 1564—1588 . . §§ 1589—1921 . .

VII

O. Lechner, Oberregierungsrat im Reichs­ justizministerium in Berlin. Dr. Hans Nipperdey. Dr. Karl Kober. Dr. M. Jonas, Ministerialrat im Reichsjustiz­ ministerium, in Berlin. Dr. W. Kiesow, Senatspräsident in Leipzig. Dr. M. Jonas. Dr. E. Brandts, Ministerialrat im Reichs­ justizministerium in Berlin.

Band

V: Erbrecht: §§ 1922—2063 . . §§ 2064—2099 . . §§ 2100—2146 . . §§ 2147—2196 . . §§ 2197—2228 . . §§ 2229—2302 . . §§ 2303—2370 . . §§ 2371—2385 . . Band VI: Einführungsgesetz: Art. 7—31 .... Art. 1—6, 32—218 Sämtl. Alph. Register: . . .

Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

G. Boehmer, Professor in Marburg a. L. H. A. Fischer, Professor in Breslau. G. Boehmer. H. A. Fischer. G. Boehmer. H. A. Fischer. G. Boehmer. H. A. Fischer.

Dr. Leo Raape, Professor in Hamburg. TheodorKeidel, 1. Staatsanwalt i. München. Theodor Keidel.

Die redaktionelle Leitung führen Dr. Kober, Dr. Brandl und Theodor Keidel gemeinsam.

München, im Juni 1936.

Inhaltsübersicht zum ersten Bande. Seite

Vorwort zur 10. Auflage..................................................................................................... Literatur im allgemeinen Abkürzungen

V

IX XI

Einleitung I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

Zur Vorgeschichte des BGB Rechtsstoff und Stoffbegrenzung Gliederung des Rechtsstoffes Charakteristik des Rechtsstoffes des BGB. nach seiner Herkunft Geist des BGB. und Rechtserneuerung Rechtsquellen Rechtsanwendung Materialien zum BGB Bibliographie des BGB. und des EG. zum BGB

1 4 7 7 9 23 30 46 49

Erstes Buch. Allgemeiner Teil. 88

Erster Abschnitt. Personen Erster Titel: Natürliche Personen Zweiter Titel: Juristische Personen I. Vereine 1. Allgemeine Vorschriften 2. Eingetragene Vereine II. Stiftungen III. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes Zweiter Abschnitt. Sachen Dritter Abschnitt. Rechtsgeschäfte Erster Titel: Geschäftsfähigkeit Zweiter Titel: Willenserklärung Dritter Titel: Vertrag Vierter Titel: Bedingung. Zeitbestimmung Fünfter Titel: Vertretung. Vollmacht Sechster Titel: Einwilligung. Genehmigung Vierter Abschnitt: Fristen. Termine Fünfter Abschnitt: Verjährung Sechster Abschnitt: Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbst­

hilfe Siebenter Abschnitt: Sicherheitsleistung Alphabetisches Register

Seite

1—89 1—20 21—89 21—78 21—54 55—79 80—88 89 90—103 104^-185 104—115 116—144 145—157 158—163 164—181 182—185 186—193 194—225

50 50 175 190 202 327 361 395 399 474 505 543 745 800 828 918 932 942

226—231 232—240

1034 1057 1066

Literatur im allgemeinen. Die Besondere Literatur ist in Fußnoten (♦) bei den einzelnen Abschnitten, Titeln oder Paragraphen aufgeführt.

Achilles-Greiff — Bürgerliches Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, nach dem Tode des 1. Herausgebers A. Achilles in Verbindung mit Altstötter, O. Meyer, Kieckebusch und Strecker herausgegeben von M. Greiff, 10. Aufl., Berlin 1930. Biermann = I. Biermann, Bürgerliches Recht, Bd. I. Allgemeine Lehren und Personen­ recht, Berlin 1908. G. Böhmer, Einführung in das Bürgerliche Recht, 1932. K. Burchard und H. O. de Boor, Bürgerliches Recht, Berlin und Wien 1930. Cosack — K. Cosack, Lehrbuch des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., Bd. I, Jena 1921/22, 8. Aufl. 1927 in Verbindung mit H. Mittels. Crome = Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Berlin 1900. Dernburg, Pand. ----- H. Dernburg, Pandekten, 1. Bd., 6. Aufl. unter Mitwirkung von I. Biermann, Berlin 1901—1903. Dernburg, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens, 3. Aufl., Bd. I Die allgemeinen Lehren, Halle 1906. Düringer-Hachenburg = A. Düringer und M. Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897, 3. Aufl., 1930—35, bearbeitet von Hachenburg, Bing, Breit, Flecht­ heim, Geiler, Hoeniger, Lehmann und Werner. Eck — Eck, Vorträge über das BGB., 2, Aufl., Berlin 1903. Ehrenberg Viktor, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Leipzig 1913ff. Endemann --- F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., Bd. I, Berlin 1903. Enneccerus-Nipperdey — L. Enneccerus, Th. Kipp und Martin Wolff, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band: Einleitung, Allgemeiner Teil. 13. Bearbeitung von C. H. Nipperdey, Marburg 1931. Fischer-Henle-Titze = Bürgerliches Gesetzbuch. Handausgabe, begründet von O. Fischer und W. v. Henle, 14. Aufl. neu herausgegeben von Heinrich Titze, München 1932. (Der Allgemeine Teil ist bearbeitet von RA. Dr. Norbert Fischer.) Gareis — Karl Gareis, Der Allg. Teil des BGB., Berlin 1900. Otto Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I 1895, Bd. II 1905, Bd. III 1917, Leipzig. Goldmann-Lilienthal = E. Goldmann und F. Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, 3. Aufl., Bd. I, Berlin 1921. Greiff s. Achilles. Habicht — H. Habicht, Die Einwirkung des BGB. auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., Jena 1901. Hachenburg, Vortr. = M. Hachenburg, Das BGB. für das Deutsche Reich, Vorträge, 2. Aufl., Mannheim 1900. Hellmann = Fr. Hellmann, Vorträge über das BGB., Freiburg i. B. 1897. Henle, Lehrb. — Rudolf Henle, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Allgemeiner Teil, Berlin 1926. Holder — E. Holder, Kommentar zum Allg. Teil des BGB., Berlin 1900. Jacubezky, Bem. = K. Jacubezky, Bemerkungen zu dem Entwürfe eines BGB. für das Deutsche Reich, München 1892. E. Jung, Bürgerliches Recht, bei Rud. Stammler, Das gesamte Recht, Bd. 1 (1931) S. 447 ff. Kohler — I. Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. I, Berlin 1906. Kommentar von Reichsgerichtsräten: Das BGB. mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts erläutert von Bessau, Hallamik, Lobe, Michaelis, Oegg, Sayn, Schliewen und Seyffarth (RGRKomm.), 8. Aufl., 1934. Krückmann, Institutionen des BGB., 5. Aufl. 1929.

X

Literatur im allgemeinen.

Kuhlenbeck — L. Kuhlenbeck, Das BGB. für das Deutsche Reich, Bd. I, 2. Ausl., Berlin 1903. Kuhlenbeck, Von den Pandekten - L. Kuhlenbeck, Von den Pandekten zum BGB., I. Teil, Berlin 1898. Landsberg, Das Recht des BGB. Ein dogmatisches Lehrbuch. I./II. Hälfte, Berlin 1904. Lehmann — Heinrich Lehmann, Mgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Grundrisse der Rechtswissenschaft Bd. 1), 4. Aufl., 1933. Leonhard — R. Leonhard, Der Allg. Teil des BGB., Berlin 1900. Leonhard Franz, Bürgerliches Recht, Ein Lehrbuch in kurzen Sätzen (1923), 2.Aufl. 1926. O. Loening, I. Basch und E. Straßmann, Bürgerliches Gesetzbuch (Liebmanns Taschen­ kommentar Bd. 7), Berlin 1931. Loewenwarter Viktor, Wegweiser durch das BGB., 13.—15. Aufl., 1932. Loewenwarter Viktor, Lehrkommentar zum BGB., Bd. 1 (Allgemeiner Teil), 1924. Matthiaß — B. Matthiaß, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 7. Ausl., Berlin 1914. Meisner — Meisner, Das BGB., Bd. I, Breslau 1898. Müller-Meikel — G. Müller und G. Meikel, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reichs, 2. Aufl., Bd. I, München 1904. Neumann -- H. Neumann, Handausgabe des BGB. für das Deutsche Reich, Bd. I, 6. Aufl., Berlin 1912. Oertmann — Paul Oertmann, Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Tell, 3. Aufl. (1. Aufl. von Gareis), Berlin 1927. Oertmann, Bahr. Landesprivatrecht, 1. Abt., Halle 1903. Planck -- G. Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Bd. I, 4. Aufl., Berlin 1913, bearbeitet von Knoke, Strecker und Flad. Reichsgerichtspraxis — Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, herausgegeben von Otto Schreiber, 6 Bände (1929). Rehbein — H. Rehbein, Das BGB. mit Erläuterungen, Bd. I, Berlin 1899. RGRKomm. s. Kommentar von Reichsgerichtsräten. Rosenthal-- Heinrich Rosenthal, Bürgerliches Gesetzbuch, herausgegeben von A. Freymuth und B. Kamnitzer, 13. Aufl., Berlin 1931. Roth — P. Roth, Das Bayr. Zivllrecht, 1. Bd., 2. Aufl., Tübingen 1881. Schmidt, Dr. Rudolf, Bürgerliches Recht. Ein kurzgefaßtes Lehrbuch, Stuttgart 1927. Simeon-David, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Hälfte: Allgemeiner Teil, Schuld­ verhältnisse, 14. und 15. Aufl., 1928. Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, bearbeitet von Du Chesne, Dreyer, Gerold, Illing, Hahne, Keßler, Scherling, Soergel, 5. Aufl., 1931. Staub, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 14. Aufl., bearbeitet von Pinner, Bondi, Gadow, Heimchen, 4 Bände, Berlin 1932/33. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Bd. I. Berlin 1893. A. v. Tuhr, Der Mgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. I 1910, Bd. II, 1 1914, Bd. II, 2 1918. Warneyer, Das BGB. für das Deutsche Reich, erläutert durch die Rechtsprechung, Hand­ ausgabe, 6. Aufl., 2 Bde., 1933. Warneyer, Kommentar zum BGB. (in Verbindung mit Buchwald), 2. Aufl., Tübingen 1930. Wedemeyer, Allgemeiner Teil des BGB., Berlin 1933. Windscheid-Kipp, P. = B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, bearbeitet von Th. Kipp, Frankfurt a. M., 9. Aufl., 1909. Zitelmann, Das Recht des BGB. Ein Grundriß zum Selbststudium. I. Teil, Einl. und Allg. Teil des BGB., Leipzig 1900.

Abkürzungen. AG. = Ausführungsgesetz zum BGB. AGO. = Ausführungsgesetz zur Grundbuch­ ordnung und zu dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangs­ verwaltung. AkJ. = Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht (l.Jhrg. 1933/34). AkZ.(ZAkDR.) = Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (l.Jhrg. 1934). AnfG. = Gesetz betr. die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außer­ halb des Konkursverfahrens. ArbRspr. — Die Rechtsprechung in Arbeits­ sachen, herausgegeben v. Volkmar und seit 1933 mit Bensh.Samml. zu ArbRSamml. verbunden. ArchBürgR. = Archiv für bürgerliches Recht (1888—1919). ArchOffR. = Archiv für öffentliches Recht. ArchZivPrax. = Archiv für die zivilistische Praxis. BadNotZ. =- Badische Notariatszeitung. BadRpr. = Badische Rechtspraxis. BankA. = Bankarchiv. Zeitschrift für Bankund Börsenwesen (seit 1901). BayObLG. = Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen; BayObLGZa. = Sammlung usw. vor 1900. *BayZ. = Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1906—1934). *BayNotZ. = Zeitschrift für das bayerische Notariat und für die freiwillige Rechts­ pflege der Gerichte in Bayern. BenshSamml. = jetzt ArbRSamml., Ent­ scheidungen des RAG. und der LAG.,heraus­ gegeben von Dersch u. a. *Bl. f. R. i. Bez. d. KG. (KGBl.) = Blätter für Rechtspflege im Bezirke des Kammergerichts. BLN. — Bayrisches Landrecht. BGB. = Bürgerliches Gesetzbuch. cod. civ. — code civil. D. = Denkschrift (z. B. D. z. ZPO.); D. (ohne Beisatz) = Denkschrift zum Entwurf eines BGB. *DJZ. = Deutsche Juristenzeitung. *D.Justiz = Deutsche Justiz (Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege). *DNotB. = Zeitschrift des Deutschen Notar­ vereins, seit 1933 unter der nachfolgenden Bezeichnung. *DNotZ. — Deutsche Notarzeitschrift. *DNZ. = Deutsche Richterzeitung *DNecht (DR.) = Deutsches Recht. Zschr. d. Bundes NS. Deutscher Juristen.

*DStrR. = Deutsches Strafrecht (früher Goltd. Arch. s. Strafrecht). E. J, II, III — Entwurf I, II, III d. BGB. EG. = Einführungsgesetz z. BGB. ElsLothNotZ. = Notariats-Zeitschrift für Elsaß-Lothringen. ElsLothZ. = Juristische Zeitschrift für das frühere Reichsland Elsaß-Lothringen. JFG. = Jahrbuch für Entscheidungen in An­ gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbar­ keit und des Grundbuchrechts (Fortsetzung der Sammlungen RIA. u. KGJ. seit 1924), FGG. — Reichsgesetz über die Angelegenheitell der freiwilligen Gerichtsbarkeit. GBO. = Grundbuchordnung. GemR. = Gemeines Recht. GesuR. — Gesetz und Recht. GruchotsBeitr. = Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot. GrünhutsZ. = Zeitschrift für privates und öffentliches Recht, herausgegeben von Grünhut. GBBl. = Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern. GVG. = Gerichtsverfassungsgesetz. HGB. = Handelsgesetzbuch. *HansRuGZ. — Hanseatische Rechts- und Ge­ richtszeitschrift (früher zwei getrennte Ztschr., HansGZ. und HansRZ., seit 1928 vereinigt). HessRspr. = Hessische Rechtsprechung. HoldheimMSchr. = Monatsschrift für Han­ delsrecht usw., herausg. von Holdheim (1892—1919). *HRR. = Höchstrichterliche Rechtsprechung, Beilage zur JRdsch. seit 1928, zur D.Justiz seit 1935. JDR. = Neumanns Jahrb. (s. unten). JheringsJ. = Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts. JLBl. = Juristisches Literaturblatt. *JRdsch. = Juristische Rundschau (1925 bis 1935). *JW. = Juristische Wochenschrift. *KGBl. = Bl. s. R. i. Bez. d. KG. (s. oben). KGJ. = Jahrbuch für Entsch. d. Kammer­ gerichts in Sachen der freiwilligen Gerichts­ barkeit. KO. = Konkursordnung. Kreittmayr, Ann. = Kreittmayr, Annotatio­ nen zum bayer. Landrecht. KrVJSchr. = Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. *LZ. = Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907—1933).

XII

Abkürzungen.

M. I, 1 = Motive zum Entwürfe (I) eines BGB. Bd. I Seite 1. MecklZ. = Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung. Mot. z. EG. = Motive zum Einführungs­ gesetz z. BGB. Neumanns Jahrb. (JDR.) = Jahrbuch des Deutschen Rechts, begründet von H. Neu­ mann, herausgegeben von Schlegelberger und and. Niemeyers Z. — Zeitschrift für internationales Recht. NotG. = Notariatsgesetz. OLG. = Oberlandesgericht bzw. die Recht­ sprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts, herausgegeben von Mugdan und Falkmann. P. I, I = Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB. Bd. I Seite 1. PLR. = Preußisches Landrecht. PosMSchr. = Juristische Monatsschrift für Posen, Ost- u. Westpreußen u. Pommern. PrVBl. = Preußisches Verordnungsblatt. RAG. oder RArbG. = Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts. REHGE. = Entscheidungen des Reichserbhof­ gerichts. RFHE. — Entscheidungen d. Reichsfinanzhoss. *„Recht" = Das Recht, herausgegeben von Soergel u. and., nunmehr Monatsbeilage zur Deutschen Justiz. RG. = Reichsgesetz bzw. Reichsgericht. RGBl. = Reichsgesetzblatt. RGRKomm. s. unter Literatur. RGSt. = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. RGZ. — Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. RheinZ. = Rheinische Zeitschrift für Zivil­ und Prozeßrecht. RIA. = Entsch. in Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit und des Grund­ buchrechts, zusammengestellt im Reichs­ justizamt (1900—1923). RMG. = Entscheidungen des Reichsmilitär­ gerichts.

Sämtliche Gesetzesmaterialien sind in

ROHG. = Entscheidungen des Reichsooberhandelsgerichts. RömR. = Römisches Recht. RTK. 1 = Bericht der Reichstagskommisission Seite 1. SR. = Sachenrecht. Sächs. GB. = Bürgerliches Gesetzbuch) für das Königreich Sachsen. SächsArch. = Archiv für Rechtspflege 2 in Sachsen, Thüringen und Anhalt. SächsOLG. — Annalen des Sächs. ODberlandesgerichts in Dresden. SeuffA. = Seufferts Archiv für Entßscheidungen der obersten Gerichte. SeuffBl. = Seufferts Blätter für Rechtcksanwendung. *Soergel Rspr. = Jahrbuch des Zivilreechts von Dr. Soergel. StB. 1 = Stenographische Berichte des Reichstags Seite 1. StGB. = Strafgesetzbuch. StPO. = Strafprozeßordnung. VerglO. — Vergleichsordnung. *Warneyer Jahrb. = Warneyers Jahrbuchh der Entscheidungen auf dem Gebiete des Zijivil-, Handels- und Prozeßrechts. *WarnR.^ Warneyers Rspr. d. RG. auf r dem Gebiete des Zivilrechts. WürttZ. = Zeitschrift für die freiwillige: Ge­ richtsbarkeit und die Gemeindeverwaltung in Württemberg. ZAkDR. = AkZ. (s. oben). ZBlFG. = Zentralblatt für freiwillige; Ge­ richtsbarkeit u. Notariat, sowie Zwaangsversteigerung. ZBl. s. HR. = Zentralblatt für Handelsrecht. ZG. I, 1 = Zusammenst. d. gutachtl. Muße­ rungen zu dem Entw. eines BGB. Md. I Seite 1. ZHR. = Zeitschrift für das gesamte Handdelsrecht, begründet von Goldschmidt. ZOffR. = Zeitschrift für öffentliches Mecht (Wien und Berlin). ZPO. = Zivilprozeßordnung. ZVG. = Gesetz über die Zwangsversteigevrung und die Zwangsverwaltung. ZZP. = Zeitschrift für deutschen Zivilpraozeß, begründet von Busch.

it Ausgabe von I. Guttentag zitiert.

*) Die mit * Note bezeichneten Zeitschriften werden nach dem Jahrgang des Erscheinens zitiert, die übrigen Zeitschriften und Entscheidungssammlungen in der Regel nach der Bandpzahl.

Einleitung. Von Dr. Franz Brändl.

I. Zur Vorgeschichte des BGB. 1. Die Verkündigung des BGB. und seiner reichs- und landesrechtlichen Er-- 1 giinzungsgesetre stellte einen vorläufigen Abschluss des Kampfes zwischen rezipiertem und einheimischem Rechte und damit der Rezeptionsgeschichte dar. Wie weit fremdes, wie weit einheimisches Recht, wie weit endlich der Wurzel nach modernes Recht zur Herrschaft gelangt oder dabei verblieben ist, lätzt sich nur aus der Gesamtmasse des am 1. Januar 1900 in formelle Geltung getretenen oder in solcher bestätigten Rechtes ersehen. Der historischen und praktischen Bedeutung des BGB. als der ersten um­ fassenden einheitlichen und unmittelbar geltenden Kodifikation des deutschen Privat­ rechts tut es keinen Eintrag, dab ein vollständiges System dieses Rechtes nicht im BGB. allein gefunden werden kann. Es sei hier mit ein paar Worten an bekannte Tatsachen erinnert. 2. Das deutsche Volk ist nicht als Einheit in die Geschichte eingetreten, sein Recht 2 war daher von Anfang an nicht ein einheitliches Recht. Die verschiedenen deutschen Stämme hatten verschiedenes Recht,- nur Grundzüge waren gemeinsam. Diese Rechts­ spaltung setzte sich im Mittelalter in erweitertem Umfange fort. „Jede Landschaft, jedes weltliche oder geistliche Herrschaftsgebiet, jeder Gerichtsbezirk, jede Stadt, jede Mark, jedes Dorf erzeugte ein eigenartiges Recht" (Gierke). 3. Diese Rechtszersvlitterung erleichterte die Aufnahme (Rezeption) des römischen 3 Rechtes*) in seiner byzantinischen Überarbeitung. Nicht das deutsche Volk in seiner Gesamtheit oder auch nur Mehrheit, sondern der kleine Kreis der deutschen Juristen hat diesen folgenschwersten Rechtsumsturz mehr oder weniger gewaltsam durchgeführt*2),3 „taub gegen die Wahrheit, datz kein Volk mit der Seele eines anderen zu denken ver­ mag"2) Gierke vergleicht diesen Vorgang mit der „Annahme einer fremden Sprache mit Wortschatz, Grammatik und Syntax" durch ein Volk. Die Rezeption hat sich nicht durch einen Akt der Gesetzgebung, sondern gewohnheitsrechtlich schrittweise vollzogen. Ihre weiteren mannigfachen Ursachen sind bekannt (Zug des Zeitalters zur antiken Kultur,' die politische Idee, dah das Deutsche Reich das römische Reich deutscher Nation, die deutschen Kaiser Rechtsnachfolger der römischen Kaiser seien,- der starke Besuch italienischer Hochschulen, auf denen das römische Recht als das abendländische Weltrecht, als ratio scripta, behandelt wurde, durch deutsche Juristen,- Einfluß der Kirche und des kanonischen Rechts, das vielfach im römischen wurzelt,- Besetzung des Reichskammergerichts (seit 1495), der landesfürstlichen Hofgerichte und anderer parti­ kularer Gerichte mit doctores iuris; Anweisung an die Gerichte, nach dem fremden Recht zu urteilen; die gutachtliche Tätigkeit der Juristenfakultäten). Rezipiert wurde nicht nur Privatrecht, sondern auch öffentliches Recht im heutigen Sinne des Wortes. Theoretisch betrachtet ist die Rezeption der justinianischen Gesetzbücher, soweit sie in der glossa ordinaria des Accursius glossiert sind, „in complexu" erfolgt. In Wirklich-

*) Aus der Literatur über die Rezeption vgl. namentlich v. Below, Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (1905). 2) W. Merk, Vom Werden und Wesen des deutschen Rechts (1925), S. 30. 3) H. Brunner in Holtzendorff-Kohlers Enzykl. der Rechtswiss., 2. Aufl., Bd. I, 157/8. Staudinger, BGB. I (Brandl, Einleitung). 10. Aufl.

1

2 Ei«l. 4

Einleitung.

keit bat sich neben dem römischen Recht in Deutschland, insbesondere für agrarische und für Familienverhältnisse, sehr viel eingelebtes einheimisches Recht erhalten,- der Umfang der Rezeption war in den einzelnen Gebieten tatsächlich ein verschiedener. An­ derseits unterlag auch das römisch-byzantinische Recht, wie vor der Rezeption in dem Stammland Italien, so auch auf deutschem Boden, mannigfachen Änderungen im Sinne einer Anpassung an germanische Rechtsanschauungen. Derartige Änderungen sind gerade im Verkehrsrechte, besonders des Grobhandels, weiter entwickelt, in den neuesten Gesetzgebungen europäischer wie aubereuropäischer Länder festgehalten worden und haben im BGB. und seinen Neben- und Ausführungsgesetzen, insbesondere auch im HGB. eine weitere Ausgestaltung erfahren. Von Anfang an aber hatten sich diese germanischen Abwandlungen des gemeine Geltung beanspruchenden römischen Rechtes als lokale Satzung oder Gewohnheit zu verteidigen. Die Auseinandersetzung -wischen römischem und deutschem Rechte und die innere Aneignung des ersteren war mit der äuheren Vollendung der sog. Rezeption eher am Anfang als am Ende. Zunächst zeigte sich das gesamte einheimische Recht — römischen und deutschen Ursprungs — als ein Chaos, dessen Ordnung vergeblich von der alten Reichsgewalt erwartet wurde. Die auf diesem Wege nicht zu beseitigende Rechtsunsicherheit veranlahte zahlreiche partikularrechtliche Bearbeitungen beider Rechte. Umfangreichere Arbeiten mit gröberem Geltungsgebiete waren das Werk des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Hieher gehören: das Bayerische Landrecht von 1756, welches, trotz der vielfachen Polemik seines Verfassers Kreittmayr gegen das römische Recht in den „Anmerkungen", zum allergröbten Teile Pandektenrecht in der Auffassung des 18. Jahrhunderts enthält und die subsidiäre Geltung des gemeinen Rechtes anerkennt, das römischste neuere Parti­ kularrecht) ferner das Preubische Allgemeine Landrecht von 1794, das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811, der Code civil von 1804 (in neuer Ausgabe von 1807 Code Napoleon). Diese drei Gesetzbücher haben erheblich mehr germanisches Recht verarbeitet als das Bayerische Landrecht. 4 Läbt man die Tatsache auher Betracht, dab auch die zuletzt genannten drei Kodi­ fikationen grobenteils römisches Recht enthalten und insoweit nur formell, nicht materiell dessen Geltung abgeschafft haben, berücksichtigt man also nur die formelle Geltung, so kann man mit der Denkschrift zur Reichstagsvorlage vier grobe Rechtsgebiete fest­ stellen, indem man von der Geltung des dänischen Rechtes, des österreichischen BGB. und anderer Rechte für verhältnismäbig kleine Gebietsteile absieht: a) das Rechtsgebiet des gemeinen Rechts, ein durch das Deutsche Reich von den Alpen bis zur Nordsee, südlich zwischen Schwarzwald und Böhmerwald, nördlich zwischen Weser und Elbe, durch (damals) 23 Bundesstaaten gebender breiter Landstreifen. Hier galt zumeist römisches Recht für etwa 33% der deutschen Bevölkerung, subsidiär hinter einer groben Anzahl von Partikularrechten. Die Denkschrift zählt 30 der hauptsächlichsten auf, darunter das BLR. und sog. gemeines Sachsenrecht) b) das Rechtsgebiet des preußischen Landrechts in Preuhen (Ostpreuben, Westpreuhen, Posen, Schlesien, Brandenburg, Provinz Sachsen, Westfalen, in Teilen von Pommern, Hannover, der Rheinprovinz)) in Bayern (in Teilen der Kreise Ober-, Mittel- und Unterfranken und einer Reihe von Orten anderer Kreise)) in Äachsen-Weimar innerhalb der vormals Erfurtschen Gebietsteile. Es galt teils ausschlieblich, teils subsidiär hinter zahlreichen älteren und neueren Par­ tikularrechten für rund 43% der deutschen Bevölkerung ) c) das Rechtsgebiet des französischen Rechtes: die Rheinländer Preubens, Hessens, Bayerns, Baden (das Badische Landrecht von 1809 ist im wesentlichen eine

I. Zur Vorgeschichte des BGB.

Siul. 5, 6 3

amtliche Übersetzung des Code civil), Elsab-Lothringen, das oldenburgische Fürstentum Birkenfeld, ungefähr 17% der deutschen Bevölkerung- Partikular­ rechte waren ausgeschlossen d) das sächsische BGB. von 1863 galt im Königreich Sachsen unter Ausschlub von Partikularrechten für ungefähr 7% der deutschen Bevölkerung.

4. Die Forderung eines einheitlichen bürgerlichen Rechtes, seit Jahrhunderten 5 und insbesondere nach den Freiheitskriegen erhoben, wurde nach Gründung des Deut­ schen Reiches durch wiederholte Beschlüsse des Reichstags anerkannt. Das Reichsgesetz vom 13. Dezember 1873 erstreckte die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung auf das gesamte bürgerliche Recht. Am 22. Juni 1874 wurde eine aus 11 Juristen bestehende Kommission (die sog. I. Kommission) zur Ausarbeitung des Entwurfs eines BGB. für das Deutsche Reich berufen, nachdem Plan, Stoff und Methode des Gesetzbuchs durch die sog. Vorkommission festgestellt worden war. Die Arbeit der I. Kommission nahm über 13 Jahre in Anspruch. Ihr Ergebnis, der I. Entwurf (E. I), wurde samt 5 Bänden Motiven auf Grund Beschlusses des Bundesrats vom 31. Januar 1888 von dem Reichskanzler veröffentlicht mit der an die Vertreter der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, sowie der wirtschaftlichen Interessen gerichteten Aufforderung, an dem Werke Kritik zu üben. Die Urteile über den Entwurf veranlahten die Einsetzung einer II. Kommission, welche nicht blob aus Juristen, sondern auch aus Vertretern verschie­ dener wirtschaftlicher Jnteressenkreise, sowie der theoretischen Nationalökonomie bestand. Der von der II. Kommission in etwa 4 ^jähriger Arbeit bergestellte Entwurf des BGB. wurde im Laufe des Jahres 1895 veröffentlicht (E. II), sodann — in einer letzten Redaktion des Entwurfs des BGB. Ende Oktober 1895 und des Einführungsgesetzes Ende Dezember 1895 — dem Bundesrat überreicht („Bundesratsvorlage"). Vgl. hiezu unten 77 f. (Materialien zum BGB.). Die verbündeten Regierungen legten den vom Bundesräte mehrfach abgeänderten Entwurf der II. Kommission am 17. Januar 1896 dem Reichstage vor (E. III, „Reichs­ tagsvorlage"). Die Verhandlungen des Reichstags — einschlieblich derjenigen der vom Reichstage zur Vorbereitung der Beschlubfassung gewählten Kommission — fanden in der Zeit vom 3. Februar bis 1. Juli 1896 statt. Am 1. Juli 1896 wurde der Entwurf eines BGB. für das Deutsche Reich zusammen mit demjenigen des EG. in dritter Lesung vom Reichstag angenommen. Die Verkündigung des Gesetzes erfolgte unter dem Datum des 18. August 1896 im Reichsgesetzblatte vom 24. August 1896. Über die mit dem 1. Januar 1900 gleichzeitig mit dem BGB. in Kraft tretenden, in Art. 1 des EG. BGB. bezeichneten Gesetze und den Geltungsbeginn des EG.BGB. vgl. Bd. VI Erl. zu Art. 1 des EG. Bemerkenswert ist, dah in Art. 1 des EG. der Geltungsbeginn von Gesetzen auf den 1. Januar 1900 festgesetzt wurde, deren Entwürfe zur Zeit der Ver­ kündigung des EG. noch nicht den gesetzgebenden Organen des Reiches vorlagen. Juristisch war dies ein Gesetzgebungsprogramm, kein Gesetzesbefehl.

5. Der Titel bürgerliches Gesetzbuch"^) hat sein Vorbild im französischen „code 6 civil", im österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch und in anderen Gesetz­ büchern. Aus ihm ist weder zu schliehen, dah das Gesetz eine Stütze der „bürgerlichen" Gesellschaft gegenüber den unteren sozialen Schichten und ihren Bestrebungen bilden noch dah es nur die Rechtsverhältnisse des Bürgertums im Gegensatz zum „Adel" (der heute der rechtlichen Sonderbedeutung entbehrt) oder zur ländlichen Bevölkerung regeln wollte (wennauch gerade auf dem Gebiete des Agrarrechts vieles der Landesgesetz­ gebung vorbehalten geblieben war); wohl aber, dah es denCharakter einer das Privatrecht grundsätzlich zusammenfassenden Kodifikation hat (s. darüber Bem. 11 dieser Einleitung).

4) Vgl. über die Benennung Endemann, Lehrb. des bürg. R. 8. Ausl. Bd. I S. 24 Anm. 8; Kallmann DIZ. 03, 420; Schwarz in DRZ. 33, 226 (der „Bürgerlicher Rechts­ spiegel" vorschlägt); Winkler in „Muttersprache" 1933, 391 (Vorschlag: „Deutsches Landrecht"). 1*

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Einleitung.

II. RechtSstoff und Stoffbegrenzung. A. Das BGB. enthält bürgerliches Recht, aber nicht nur bürgerliches Recht und nicht alles bürgerliche Recht. 7 1. Nicht nur bürgerliches Recht. Das Gutachten der Vorkommission über die Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs sprach aus: „Ein bürger­ liches Gesetzbuch für das Deutsche Reich hat nur Privatrecht zu enthalten." Dieses Programm ist nicht vollständig festgehalten worden. Das BGB. enthält zahl­ reiche in das öffentliche Recht eingreifende Bestimmungen,- dem öffentlichen Rechte gehören diese Bestimmungen an, obwohl sie im BGB. stehen. Die moderne Unter­ scheidung von öffentlichem und bürgerlichem ^^6*) ist aus der römischen von jus privatum und jus publicum erwachsen. Sie bedeutet, wie man auch rechts­ politisch über sie denken mag, nach unserer positiven Rechtsordnung einen sachlichen Unterschied, der durch Art. 55 EG.BGB., durch die Behördenorganisation und durch Normen über das Verfahren, namentlich § 13 GBG. und § 148 ZPO., gestützt wird. Die Unterscheidung geht in letzter Linie darauf zurück, dah sich das Recht als Privatrecht mit dem einzelnen als solchem besaht, das Recht als öffentliches Recht mit der Gemein­ schaft als solcher und dem Menschen als Glied der Gemeinschaft. Mit aller Schärfe der begrifflichen Unterscheidung ist vereinbar, dah im wirklichen Rechte die Grenzen beider Gebiete flüssig werden, dah Normen beider Arten im selben Rechtsverhältnisse Zusammen­ treffen und in engstem Zusammenhänge stehen, dah das Privatrecht Züge des öffentlichen Rechtes in zunehmender Menge an- und aufnimmt und zumal nach nationalsozialistischer Nechtsauffassung vom Gemeinschaftsgedanken ebenso beherrscht werden soll wie das öffentliche Recht (vgl. unten 34), endlich dah öffentliches und Privatrecht sich in einem Rechtsverhältnisse nicht nur äuherlich, sondern auch innerlich verbinden, *) Schriften: E. Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen (1902) S. 159, 236ff.; Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht S. 108ff.; Jellinek, System der subjektiven öffent­ lichen Rechte S. 50ff.; Enneccerus-Nipperdey Bd. 1 § 31; O. Gierke, Deutsches Privat­ recht 1 § 4 S. 26ff.; Holliger, Das Kriterium des Gegensatzes zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, Züricher Diss. 1904; Fleiner, Institutionen des Verwaltungsrechts, 8. Ausl. § 4; Walz, Vom Wesen des öffentlichen Rechts, 1928; E. Jung, über die Abgrenzung des Privatrechts und öffentlichen Rechts, in ZRPHil. Bd. 2; E. Riezler im Rechtsvergl. HWB. II, 609ff.; Karl Friedrichs, Der Allgemeine Teil des Rechts: Eine Darstellung der gemeinsamen Lehren des öffentlichen und des privaten Rechts (Gruyter 1927). Ob ein wirklich durchgreifendes inneres Wesensmerkmal für die Unterscheidung von öffent­ lichem und privatem Recht zu finden sei, ist bestritten. Die Scheidung verwirft völlig Kelsen in seiner Lehre vom Stufenbau des Rechtes (Allgemeine Staatslehre, 1925, § 17; Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. Aufl. 1923, Kap. 26 und 27) und Schmelz eisen, Das Recht im Nationalsozialistischen Weltbild (Leipzig 1934), S. 34: Das den einzelnen wie die Allgemeinheit umfassende Recht ist eine Einheit, „genossenschaftliches" Recht; derselbe, Die Überwindung der Starrheit im neuzeitlichen Rechtsdenken (Berlin 1933) S. 21: Unsere Aufgabe für die Zukunft besteht darin, den Gegensatz zwischen Einzelmensch und Gemeinschaft in höherer Ganzheit funktional zu überwinden. Die neue Justizausbildungsordnung vom 22. Juli 1934 (RGBl. I, 727) vermeidet den Ausdruck bürgerliches Recht oder Privatrecht und teilt das bisherige Privat- und Wirtschaftsrecht in eigenartiger Weise in sachliche Sonder­ gebiete auf (§ 5: Das Recht der deutschen Familie einschließlich des Erbrechts, das Recht der geistigen und künstlerischen Schöpfung, der Herrschaft über die Sachgüter, der vertraglichen Beziehungen, das Recht des deutschen Bauern, der Arbeit und der Wirtschaft). Es dürfte aber kein hinreichender Grund bestehen, die innerlich gerechtfertigte begriffliche Unterscheidung und gesonderte Behandlung des öffentlichen und privaten Rechts in Zukunft aufzugeben; nur Übertreibungen in der Formulierung sind zu vermeiden, damit sie nicht plötzlich zu ungerecht­ fertigten Folgerungen führen. So Stoll AkZ. I, 137. Vgl. auch H. Meyer AkZ. II, 49.

II. Rechtsstoff und Stofsbegrenzung.

Linl. 8, 9 5

derart, daß öffentliches und Privatrecht ineinander übergehen/ Privatrecht der Natur des öffentlichen, öffentliches Recht der Natur des Privatrechts sich nähert. In zweifel­ haften Grenzfällen kann die Aufnahme der Norm in das BGB., als Teil der Regelung der Privatrechtsordnung, von Bedeutung für die fachliche Entscheidung sein.

2. Das BGB. enthält nicht das ganze bürgerliche Recht. Es behandelt im wesent- 8 lichen diejenigen Materien, welche früher in Pandektenlehrbüchern behandelt wurden. Ausgeschieden wurden a) dem Spezialrecht angehörige Materien und damit privatrechtliche Be­ stimmungen I. der alten, auch materielles Recht behandelnden Reichsgesetze. Diese sind grundsätzlich in Art. 32 EG.BGB. aufrecht erhallen und gelten daher neben dem BGB., soweit sich nicht ihre Aufhebung aus dem BGB. oder dem EG. selbst ergibt. Der Grund, der in der Denkschrift dafür angegeben ist, daß nämlich die Ausscheidung der betreffenden materiellrechtlichen Bestimmungen aus den einzelnen Reichsgesetzen deren Zusammenhang unterbrechen und deren Verständnis erschweren würde, gilt auch für das materielle Prozeßrecht, das in die ZPO. verwiesen wurde. Ausgeschieden wurde insbesondere: das gesamte Handels- und Wechsel­ recht, das Urheber- und Erfinderrecht, das Gewerberecht und das Korpo­ rationsrecht, soweit dieses bisher reichsgesetzlich geordnet war. II. die spezialrechtlichen Bestimmungen der bisherigen Landesrechte. Die 9 Ausscheidung erfolgte teils durch Vorbehalte im BGB. selbst, teils durch solche in Art. 55 ff. EG.BGB. Hier haben aber die Maßnahmen des Dritten Reiches zur Schaffung der Reichseinheit (Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 RGBl. I, 75; erstes, zweites und drittes Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar und 5. De­ zember 1934 RGBl. I, S. 91, 1214 und vom 24. Januar 1935 RGBl. I, 68) schon eingegriffen und werden noch weiter vereinheitlichend eingreifen?) Vorbehalte im BGB. selbst enthalten z. B. die §§ 85, 233, 919, 1315 Abf. 1, 1807/08 (f. dazu aber auch Art. 3 der VO. über Auflassungen, landes­ rechtliche Gebühren und Mündelsicherheit vom 11. Mai 1934 RGBl. I, 378), 1888, 2194, 2249. Die Verordnung zur Vereinheitlichung der Zuständigkeit in Familien- und Nachlaßsachen vom 31. Mai 1934 (RGBl. I, 472, Durch­ führungsbestimmungen vom 27. Juli 1934 RGBl. I, 738) hat die im BGB. (und FGG. §§ 36 Abs. 2, 66 Abs. 2, 73 Abs. 2) der landesrechtlichen Regelung vorbehaltene Behördenzuständigkeit und das Verfahren u. a. in den sog. Ehebefreiungsfachen, bei der Ehelichkeitserklärung und der Annahme an Kindes Statt (§§ 1320 Abs. 3, 1322, 1723 Abs. 2 und 3, 1745 Abs. 2 und 3), sowie für die Entgegennahme bestimmter den Namen der geschiedenen Frau und des unehelichen Kindes betreffender Erklärungen (§§ 1577, 1706 Abs. 2) nunmehr einheitlich geregelt und die landesrechtlichen Vorschriften über die Eheschließung von Ausländern (§ 1315 Abf. 2) außer Kraft gesetzt. Die Vorbehalte zugunsten des Landesrechts sind zum Teile allgemeine, sofern ganze privatrechtliche Gebiete der Landesgesetzgebung überwiesen wurden, teils besondere, indem für bestimmte in das BGB. einbezogene Teile des bürgerlichen Rechtes abweichende oder ergänzende landesrechtliche Vorschriften zugelassen waren. Soweit die allgemeinen Vorbehalte reichen, 2) Vgl. etwa Volkmar, DJ. 35, 88; Schlegelberger, Reichswasserrecht DIZ. 34, 1034; ferner zu Art. 112 EG. das Gesetz betreffend die Anwendung landesgesetzlicher Vor­ schriften über Bahneinheiten vom 26. Sept. 1934 mit Verordnungen vom 1. Nov. 1934 und 7. Januar 1935, RGBl. 34 II S. 811, 849; 35 II, 5.

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Einleitung.

konnte die Landesgesetzgebung alle die Materie betreffendeu Vorschriften des BGB., auch solche des Allgemeinen Teiles, durchbrechen und Sonderbe­ stimmungen treffen, z. B. für die Formerfordernisse Verjährung usw. Der Zahl, dem Umfang und der Tragweite nach am bedeutendsten waren die Vorbehalte im Gebiete des Sachenrechts und zwar die allgemeinen wie die besonderen. Hieher gehörten die Vorschriften über Berg-, Wasser-, Deich-, Siel-, Jagd-, Fischereirecht, über Enteignung, Gemeinheitsteilung, Zusammen­ legung von Grundstücken, Regelung gutsberrlicher und bäuerlicher Verhältnisse, Ablösung von Dienstbarkeiten und Reallasten, Familienfideikommisse, Lehenund Stammgüter, Rentengüter, Erbpacht, Anerbenrecht. Diese Materien ge­ hören nicht lediglich dem Privatrecht cm; sie sind teilweise dem Landesrechte belassen worden, weil sie auch dem öffentlichen Rechte oder dem Grenz­ gebiete zwischen öffentlichem und Privatrecht angehören oder mit staat­ lichen Einrichtungen derart Zusammenhängen, dab sie nicht getrennt davon behandelt werden können. Vgl. z. B. Art. 80,102—104,65,67,82,83 EG.BGB. Diese „Verlustliste der deutschen Rechtseinheit" (dazu Stoerk, Das BGB. und der Gesetzgebungsapparat des Deutschen Reiches, 1899, S. 148) ist seit­ dem wesentlich vermindert worden: das in Art. 75, 76, 108 vorbehaltene Bersicherungs-, Verlags- und Tumultschädenrecht ist reichsgesetzlich geregelt worden. Art. 84 ist ersetzt durch Reichsverfassung Art. 137 Abs. 4 (mit Art. 174) ; Art. 95 ist durch Aufhebung der Gesindeordnungen (RGBl. 1918, 1303; 1919, 285) gegenstandslos geworden. Art. 104 ist für den Geltungsbereich der Reichs­ abgabenordnung (§ 449 a. F., § 479 Z. 3 der Fassung vom 22. Mai 1931) auber Kraft getreten. Art. 134 ist aufgehoben durch § 8 des RG. über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBl. 939); die Art. 135 und 136 durch die §§ 64 und 48 des Jugendwohlfahrtsges. vom 9. Juli 1922 (RGBl. I, 633), Art. 69 soweit er die Jagd betrifft, sowie die Art. 70 bis 72 mit Wirkung vom 1. April 1935 durch § 71 Abs. 2 des Reichsjagdgesehes vom 3. Juli 1934 (RGBl. I, 549). Die landesgesetzlichen Vorschriften über das Anerbenrecht (Art. 64 EG.) sind nach Mabgabe der §§ 60, 61 Abs. 2 des Reichs­ erbhofgesetzes vom 29. Sept. 1933 mit geringen Vorbehalten am 1. Oktober 1933 auber Kraft getreten. Die Verordnung über Auflassungen, landesrecht­ liche Gebühren und Mündelsicherheit vom 11. Mai 1934 (RGBl. I, 378) er­ klärt entgegen Art. 143 EG. und § 925 BGB. die Notare einheitlich für das ganze Reich zur Entgegennahme von Auflassungen zuständig. Das Neuaufbaugesetz vom 30. Jan. 1934 hat den deutschen Einheitsstaat geschaffen und die Länder nur noch als Gebietskörperschaften und Verwaltungs­ einheiten belassen. Nach 83 der l.VO.über den Neuaufbau des Reichs v.2.Febr. 1934 (RGBl. 1,81) bedürfen Landesgesetze auch auf den vorbehaltenen Rechts­ gebieten (Art. 218 EG.BGB.) der Zustimmung des zuständigen Reichsministers. 10 d) Eine Reihe von generalrechtlichen Materien ist auberhalb des BGB. in Nebengesetzen geordnet: I. im EB.BGB. ein Teil des Internationalen Privatrechts und die zeitliche Herrschaft der Normen des BGB.; II. formelles Liegenschaftsrecht in der Grundbuchordnung und im Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung; III. formellrechtliche Vorschriften insbesondere des Vormundschafts-, Kindesan­ nahme-, Nachlab-, Vereinsrechts, ehelichen Güterrechts, auch des Handels­ rechts im Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Vorschriften zu II und III greifen gröbtenteils über das Gebiet des Privatrechts hinaus. Bezüglich des Internationalen Privatrechts ist die Zugehörigkeit zum Privat­ rechte überhaupt bestritten; s. darüber Bem. F der Einleitung vor EG. Art. 7 in Bd. VI.

III. Gliederung des Rechtsstoffs. IV. Charakteristik des Rechtsstoffs usw.

Einl. 11—15 7

v. Das BGB. will, soweit es reicht, eine Kodifikation, ein Zusammenhängen- 11 des, seinen Stoff erschöpfendes Ganzes sein. Es will ferner ein widerspruchs­ loses Ganzes sein zusammen mit den nach EG. Art. 1 gleichzeitig in Kraft getretenen und mit den nach Art. 32 des EG. aufrecht gebliebenen Reichsgesetzen. Diese Reichs­ gesetze stellen Sondergesetze im Verhältnisse zum BGB. dar. Vorschriften derselben, welche mit denjenigen des BGB. inhaltlich nicht im Einklänge stehen, enthalten daher nicht notwendig Widersprüche, sondern möglicherweise nur Gegensätze zum BGB.

IIL Gliederung des Rechtsstoffs. 1. Aus dem Bisherigen ergibt sich, datz das deutsche bürgerliche Recht als ein 12 zusammenhängendes Ganzes oder als ein System nicht allein aus dem BGB. und dessen EG. entnommen werden kann) ein sehr grober Teil dieses Rechtsstoffes ist vielmehr in Sondergesetzen des Reichs und der Länder enthalten, wobei vielfach Reichs- und Landesrecht derart ineinander greifen, datz ein und dasselbe Rechtsverhältnis teils reichsrechtlich, teils landesrechtlich geordnet ist. Das BGB. hat z. B. darauf ver­ zichtet, eine Ordnung des gesamten Personenrechts,, insbesondere des gesamten Kor­ porationsrechts aufzunehmen. Diese Ordnung gehört teilweise dem Reichsrecht außer­ halb des BGB., teilweise dem Landesrecht an, während das BGB. ein Generalrecht dazu stellt. Entstehung und Beendigung des Namensrechts sind teils reichsrechtlich/ teils landesrechtlich geordnet, der Schutz des Namensrechtes ist im BGB. und in anderen Reichsgesetzen geregelt. Ähnliches gilt im Schuldrechte, z. B. für den Arbeitsvertrag, und weiterhin im Sachenrecht. Soweit dies der Fall, kann das betreffende Rechtsver­ hältnis systematisch nicht lediglich nach dem BGB. dargestellt werden. 2. Zur systematischen Gliederung des Rechtsstoffs überhaupt gehört die Aufgabe, 13 die Stellung des Privatrechts im ganzen Gebiete des geltenden Rechtes zu kennzeichnen) im einzelnen kann dies durch den Hinweis auf innerhalb eines Rechts­ verhältnisses oder Rechtsinstituts wirksame Normen anderer Rechtsgebiete als des privat­ rechtlichen geschehen. Wenn in dieser Weise die Einheit allen Rechtes deutlich wird, so wird hiedurch einer besonders von Germanisten und neuerdings vom National­ sozialismus erhobenen Forderung Rechnung getragen, den Menschen als einheitliches Wesen und Glied der Volksgemeinschaft und seine Rechtsverhältnisse in ihrer Zusammen­ gehörigkeit anzufassen. 3. Der in das BGB. aufgenommene Rechtsstoff ist mit einer Ausnahme im all- 14 gemeinen entsprechend den bisherigen Systemen des Pandekten- und deutschen Privat­ rechts geordnet. Die eine Ausnahme betrifft die vielfach angegriffene Stellung des Rechtes der Schuldverhältnisse im II. Buche des BGB. Sie hat ihr Vorbild im „Ent­ würfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern" (München 1861). In den Motiven zu diesem Entwurf, Einleitung S.III, wird hierüber gesagt: „Die Voranstellung des Rechtes der Schuldverhältnisse rechtfertigt sich, abgesehen von der Wichtigkeit desselben für den Rechtsverkehr, durch die Erwägung, datz dieser Teil des Privatrechts fast gar keine Rechtssätze aus den übrigen Teilen des Rechtssystems zu seiner Voraussetzung hat, während seine eigenen Bestimmungen vielfach in dieselben eingreifen." Es dürfte wohl nicht berechtigt sein, aus dieser Anordnung rechtliche Folge­ rungen abzuleiten (vgl. hiezu ZG. I S. 17/18).

IV. Charakteristik des Rechtsstoffs des BGB. nach feiner Herkunft. 1. Die Frage nach der Herkunft des Rechtsstoffs hat trotz der Forderung, das Gesetz 15 „aus sich" auszulegen (vgl. unten 58f., 79), eine praktische Bedeutung, die bei der Art dieses Stoffes nicht zu verkennen ist. Die Vorkommission und mit ihr die I. und II. Gesetzeskom­ mission bat es abgelehnt, dem BGB. eines der neueren deutschen Zivilgesetzbücher oder Gesetzentwürfe zugrunde zu legen. Die Grundlage sollte vielmehr das gemeine Recht

8 Cinl. 16, 17

Einleitung.

bilden, unter Berücksichtigung der neueren Gesetzgebung. Es sei, sagt das Gutachten der Borkommission, „sorgsam zu prüfen, wie weit die von der gemeinsamen Grundlage des sog. Gem. R. (gemeines Zivilrecht und deutsches Privatrecht) abweichenden Bestim­ mungen der neueren groben Zivilgesetzgebungen, der Landesgesetze und der etwaigen Reichsgesetze beizuhalten seien, oder ob und welche Ausgleichung zu versuchen sei". Bon diesem Programme wurde nur in bezug auf einen, allerdings sehr wichtigen Teil des BGB. im Drange der Not abgewichen: für das Recht der Schuldverhältnisse wurde der Dresdener „Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse"^) in bezug auf diejenigen Teile zugrunde gelegt, die der anfangs 1884 verstorbene Redaktor des Schuldrechts, v. Kübel, nicht vollendet hatte. Bei Beratung des Dresdener Entwurfs hatte aber nach dem Berichte des Herausgebers seinerzeit der oben 14 erwähnte bayerische Entwurf als „Leitfaden" gedient, unter „Mitberücksichtigung" des HessenDarmstädtischen Entwurfs und des Kgl. sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs, ferner unter „Vergleichung" der Grundsätze des Gem. R., sowie der gröberen deutschen Kodi­ fikationen und der Vorschriften des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs. Von dem Programme, dem BGB. das Gem. R. zugrunde zu legen, machte das Verfahren bezüglich des Rechtes der Schuldverhältnisse keine sachlich bedeutende Ausnahme, weil dem bayerischen Entwürfe selbst wieder das Gem. R. zugrunde lag- im wesentlichen war dessen Inhalt Pandektenrecht in der Auffassung der damaligen Zeit. Gleiches gilt von dem Entwürfe der I. Kommission in bezug auf die Schuldverhältnisse. Die II. Kommission hat hier wie sonst mehrfach mit Erfolg den Entwurf im deutschrechtlichen Sinne umgearbeitet. 16 Geht man auf die letzten für uns in Betracht kommenden Wurzeln des Rechts­ stoffs des BGB. zurück, so kann man allerdings feststellen, dab die grobe Masse des­ selben entweder römischen oder einheimischen deutschen Ursprungs ist. Man hat sich jedoch gegenwärtig zu hallen, welche Umbildung dieses Recht durch Theorie und Praxis, abgesehen von gesetzgeberischen Eingriffen, erfahren hat, eine Umbildung, die gleich der ursprünglichen Aufnahme des römischen Rechtes auf gewohnheitsrechtlichem Wege erfolgt ist. Die im 19. Jahrhundert auf Grund der Erfolge der sog. historischen Schule hie und da versuchte Reaktion zugunsten des „richtigen", d. h. des reinen Ju­ stinianischen Rechtes ist glücklicherweise nicht gelungen. Wenn daher auch für die ge­ schichtliche Erkenntnis des gellenden Rechtes dessen Zurückführung auf feine ältesten erkennbaren Wurzeln nicht entbehrlich ist, so ist für die Rechtsanwendung das gleiche Verfahren unter Umständen irreführend. Vielfach sind Bestimmungen der Partikularrechte das unmittelbare Vorbild des BGB. Auch dann handelt es sich meistens um ursprünglich römisches oder um ursprünglich einheimisches älteres Recht. In sehr vielen Fällen haben die Partikularrechte und deren wissenschaftliche und praktische Ent­ wicklung diese Elemente selbständig weitergebildet und in dieser ihrer modernen Gestalt ist die Aufnahme in das BGB. erfolgt. Auch hier würde ein Zurückgehen hinter die neuere Gestaltung ursprünglich römischen oder deutschen Rechtes einen Weg in die Irre bedeuten. 17 2. Will man den Rechtsstoff des BGB. nach seiner Herkunft kurz charakterisieren, so wäre zu sagen: römisches Recht überwiegt im I. und II. Buch. Den „Allge­ meinen Teil" des Gesetzes beherrscht es, abgesehen von dem hier aufgenommenen Personenrechte, nahezu vollständig, obwohl eine Abstraktion, wie die des Begriffs des „Rechtsgeschäfts", dem römischen Rechte nicht bekannt ist. Diese Rechtsparüen sind auch in moderner Zeit vor allem von Romanisten gepflegt worden und das römische Recht dieser Rechtsteile steht bemerkenswerterweise auch da, wo es formell nicht rezipiert worden ist, wie in den Gebieten des englischen und nordamerikanischen Rechtes, vielfach

x) „Im Auftrage der Kommission herausgegeben" von Dr. B. Francke, erstem Sekretär der Kommission, Dresden 1866.

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

Eint. 18, 19 9

in Anwendung. Das Sachenrecht beherrscht die deutschrechtliche Unterscheidung der beweglichen und unbeweglichen Sache, die auch dem römischen Rechte bekannt ist und erst im Justinianischen Rechte und infolgedessen im rezipierten römischen Rechte als nahezu ausgemerzt erscheint. Im Familiengüterrecht ist fast ausschließlich deutsches Recht kodifiziert. Das Eheschließungsrecht beruht im wesentlichen auf den Bestimmungen des Personenstandsgesetzes von 1875; das Ehescheidungs­ recht stellt in bezug auf die Ehescheidungsgründe ein Kompromiß zwischen den Normen der verschiedenen bisher herrschenden konfessionellen Systeme dar. Das Vormund­ schaftsrecht beruht auf dem Vorbilde des neuen preußischen Vormundschaftsrechtes. Nach Art der vormundschaftlichen Gewalt ist ferner die elterliche Gewalt des Vaters und der Mutter gestaltet; die Zulassung der elterlichen Gewalt der Mutter ist deutschem Rechte entnommen, wenn sie auch romanischem Rechte, z. B. dem ita­ lienischen Codice civile von 1865 Art. 220, bekannt ist. Das Erbrecht operiert im wesentlichen mit umgebildeten römischen Begriffen, hält insbesondere den Begriff der Universalsukzession fest; der gesetzlichen Erbfolgeordnung ist in Gestalt der dem römischen Rechte unbekannten, im österreichischen ABGB. durchgeführten Parentelenordnung eine deutschrechtliche Einrichtung zugrunde gelegt. Das eigenhändige Privattestament ist französischen Ursprungs. 3. Die aus dem BGB. ausgeschlossenen und dem Landesrechte vorbehaltenen 18 Rechtsinstitute gehören fast ausschließlich dem deutschen Rechte an. Der Wurzel nach modernes Recht gehört in der Hauptsache den dem BGB. vorangegangenen, in Art. 32 des EG.BGB. aufrecht erhaltenen Reichsgesetzen an. Seitdem hat sich der Besitzstand weiterhin zugunsten des deutschen Rechtes verschoben, vor allem infolge der immer weiter fortschreitenden öffentlichrechtlichen Durchdringung des Wirtschafts­ rechts und der sozialen Neugestaltung des Arbeits- und Siedlungsrechts (Merk, Vom Werden und Wesen des deutschen Rechts, S. 36), sowie der nationalsozialistischen Schöpfung eines deutschen Reichsbauernrechts (vgl. unten 40).

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.*) 1. Politisch-weltanschaulich ist das BGB. wenig ausgeprägt. Der I. Entwurf 19 wurde fernab vom Pulsschlag des Lebens mit einer fast übertriebenen Sachlichkeit und Wertschätzung der Technik und des römischen Rechts im Gellte eines „eklektischen *) Schriften: Rudolf Sohm, Bürgerliches Recht, in Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Bd.: Systematische Rechtswissenschaft, 2. Aufl., 1913, S. 66f.; Franz Schlegelberger, Die Entwicklung des deutschen Rechts in den letzten 15 Jahren (Berlin 1930); derselbe, Länder­ bericht „Deutsches Reich" im Rechtsvergleichenden Handwörterbuch, I. Bd. 1. Hälfte S. 31; derselbe, Vom Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung (Berlin 1934); Just. Wilh. Hedemann, Bürgerliches Gesetzbuch, in Stier-Somlos Handwörterbuch der Rechtswissenschaft (abgek. HdR.) 1, 839; derselbe, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, I. Teil: Neuordnung des Verkehrslebens (Berlin 1910); II. Teil: Die Entwicklung des Bodenrechts von der fran­ zösischen Revolution bis zur Gegenwart; 1. Hälften Das materielle Bodenrecht (Berlin 1930); 2. Hälfte: Die Entwicklung des formellen Bodenrechts mit Anhang: Bodenrecht und neue Zeit (1935); Karl Geiler, Beiträge zum modernen Recht (Bensheimer 1933); Heinrich Lange, Liberalismus, Nationalsozialismus und BürgerlichesRecht (Tübingen 1933), im folgenden zitiert: Lange; derselbe, Vom alten zum neuen Schuldrecht (Hamburg 1934); Heinrich Stoll, Das bürgerliche Recht in der Zeiten Wende (Tübingen 1933); derselbe, Die nationale Revolution und das bürgerliche Recht, DIZ. 33,1429; derselbe, Die Gesetzgebung des Dritten Reiches auf dem Gebiet des Privatrechts, in der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (abgek. AkZ.), 1. Jahrg. (1934) S. 137, 178; Hans Dölle, Das bürgerliche Recht im ns. deutschen Staat, in Schmollers Jahrb. für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 57. Jahrg. (1933), 649ff.; Lehnsen, Was ist am bürgerlichen Gesetzbuch deutschen Ursprungs? (Berlin

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Einleitung.

Empirismus" (Gu.tzwiller*)) ausgearbeilet. Vor allem der liefeindringenden Kritik der Germanisten, insbesondere des seiner Zeit weit vorauseilenden Otto v. Gierke*2) war es zu verdanken, daß er im Sinne deutschrechtlicher Gemeinschaftsgedanken überarbeitet wurde und dab das Gesetz in seiner endgültigen Fassung nationalem und sozialem deutschen Rechtsempfinden nach Inhalt und Form mehr Rechnung trug. Immerhin stellte auch das fertige Gesetz, so hoch auch die dadurch endlich erreichte nationale Rechts­ einheit zu veranschlagen ist, mehr eine Bestandsaufnahme (vgl. oben 15f.) als eine eigentlich rechtspolitische Neuordnung dar, einen vorsichtigen Abschlub des historisch Gegebenen, nicht den kühnen Anfang einer neuen Zukunft3). 20 So ist der liberal-individualistische Grundzug der Kodifikation, nur abge­ schwächt durch die rückläufige Bewegung der achtziger Jahre, leicht erklärlich. Das Primäre ist das Einzelindividuum und seine subjektiven Rechte, die mit den Interessen der Gesamtheit so in Einklang gebracht werden, dab dadurch die Freiheit des einzelnen möglichst wenig berührt wird. Das BGB. folgt dabei der individualistischen Auffassung des bürgerlichen Rechts, wonach das Gemeinwohl an der Regelung der Rechtsbeziehungen der einzelnen zueinander nur in mittelbarer Weise — durch das allgemeine Interesse an einer gerechten Friedensordnung — beteiligt und dieses schon durch einen sachgemäben Ausgleich zwischen den gegensätzlichen privaten Belangen gewährleistet sei, ohne dab der Staat auf die Gestaltung dieser privaten Rechtsverhältnisse darüber hinaus aus dem Gesichtspunkte der G esamtinteressen entscheidenden Einflub zu nehmen hätte (Dolle 651). Dem rechtsgeschäftlichen Einzelwillen sucht es möglichst Geltung zu verschaffen4), erlaubt, was es nicht verbietet, erstreckt die Nichtigkeit in extremer Lösung auch auf den im Interesse des Gegners oder der Gesamtheit erhaltenswerten Teil des Rechtsgeschäfts (eine Aus­ nahme machte die Kriegsrechtsprechung, RGZ. 88, 250; 98, 293, bei Überschreitung von Höchst- und Richtpreisen), läbt bei Vertragsverletzung den schärfsten Rechtsbehelf der Vertragsvernichtung auch da zu, wo ein billiger Ausgleich mehr entspräche oder die Lösung der Beziehungen mit dem bloben Einschnitt für die Zukunft möglich wäre und die Umstobung des Ganzen im Interesse des Rechtsgenossen oder der Gesamt-

1933); Rudolf Schraut, Deutscher Juristentag (abgek. DJT.) 1933, 4. Reichstagung des Bundes ns. Deutscher Juristen in Leipzig (Berlin 1933); Schle gelb erger-Freisler-H och eStaud, Jahrbuch des deutschen Rechts (abgek. JDR.) 1934 (Berlin); Hans Frank, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht (abgek. AkJ.), 1. Jahrg. 1933/34 (München); derselbe, Natsoz. Handbuch für Recht und Gesetzgebung (München 1935); Walter Merk, Deutsche Rechtserneuerung, Südd. Monatshefte Bd. 31 (1934), 258ff.; Helmut Nicolai, Grundlagen und Grundgedanken der ns. Weltanschauung (Leipzig 1934); G. K. Schmelzeisen, Das Recht im ns. Weltbild (Schafferverlag 1934). Weitere Literaturnachweise im Texte und S. 49! x) Über Gegenwart und Zukunft der Privatrechtswissenschaft (Tübingen 1927) S. 6. Vgl. ferner etwa Stoerk, Das BGB. und der Gesetzgebungsapparat des Deutschen Reichs, Greifs­ walder Festgabe für E. I. Bekker 1899, S. 142f.; Thieme, Aus der Vorgeschichte des BGB., DIZ. 34, 968; Jung, Über die Technik des Gesetzemachens, JheringsJ. 84, 1, bes. 15f. über den inhaltlichen Romanismus des BGB.; derselbe, Deutschrechtliches und Römischrechtliches zur Reform des bürgerlichen Rechts, AkZ. I, S. 183, 213. 2) Der Entwurf eines BGB. und das deutsche Recht (Leipzig 1889), auch in Schmollers Jahrb. 12, 843; 13, S. 183, 723; Die soziale Aufgabe des Privatrechts (Berlin 1889). 3) Zitelmann DIZ. 1900, 3; v. Tuhr, Grundlagen und Ausbau des bürg. Gesetzbuchs (1918) S. 96; Stoerk a. a. O. (Fußn. 1) S. 143. 4) M. I, 190 (126):... die beabsichtigte rechtliche Gestaltung tritt ein, weil sie gewollt ist ... und dazu RGZ. 68, 324. Vgl. ferner Planck DIZ. 99, 181: „Das subjektive Recht ist seinem Wesen nach Herrschaft des Wlllens des Berechtigten"; dazu etwa Oertmann, Interesse und Begriff in der Rechtswissenschaft (Leipzig 1931) S. 18f.; Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht S. 14 f.

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

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6eit vermieden werden sonnte5),6 7und 8 gestattet dem Richter trotz weitgehender Ver­ wendung elastischer Tatbestände und unbestimmter Rechtsfolgen (worüber unten 67) grundsätzlich nicht, aus Gründen der Billigkeit und Angemessenheit in bestehende Rechts­ verhältnisse gestaltend einzugreisen, es sei denn, daß der billige Interessenausgleich unter äußerlicher Aufrechterhaltung des Parteiwillens ermöglicht wird5). Die miß­ billigte Leistung darf aber nach § 817 S. 2 behalten, wer sie hat, statt sie — wie Dölle 667 und Lange 13 vorschlagen — der Gemeinschaft, dem Staate verfallen zu erklären. Die einzelnen werden grundsätzlich gleich behandelt, als einander gleich gedacht, 21 als sämtlich eigennützig, verständig, aktiv, frei in der Verfolgung ihrer Interessen (vgl. etwa G. Radbruch, Der Mensch im Recht, Tübingen 1927, S. 9f.) und nur isoliert betrachtet, „ihre kleine Welt um sich aufbauend, nicht hineingestellt in das brausende Leben der großen Städte und der Verbände, die den einzelnen ... in der Massen­ bewegung, den Massenverträgen untergehen lassen" (Hedemann, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1927, S. 199). Der einzelne ist in der Ausübung seiner Rechte grundsätzlich frei; für seine wirtschaftliche Betätigung gelten Vertrags-, Gewerbeund Wettbewerbsfreiheit. Rechtsausübung ist nur in seltenen Fällen unerlaubt (u. a. nach dem praktisch fast wertlosen Schikane-8 226 dann, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen). Die Rechtssätze bringen in ihrer Einzel­ formulierung die aus dem Gemeinschaftsgedanken fließende Rechtspflicht zu anstän­ digem Verhalten und zur Rücksichtnahme auf den Rechtsgenossen nicht immer deutlich zum Ausdruck und überließen in dieser Hinsicht sehr viel der sozialen Ausgestaltung durch die Rechtsprechung; diese hat dem Pflicht- und Gemeinschaftsgedanken in stei­ gendem Maße Geltung verschafft und das bürgerliche Recht immer mehr von den individualistisch-materialistischen Grundlagen des Gesetzes losgelöst, so daß ein Be­ sprecher der bahnbrechenden Teilsrreikentscheidung RGZ. 106, 272 meinte, das BGB. sterbe und das Reichsgericht sei sein Totengräbers. Das Vermögensrecht des BGB. ist ein geldwirtschaftliches Verkehrsrecht, städtisch­ kaufmännisch gedacht, „bürgerlich" im Sinne des dritten Standes, der seit der französi­ schen Revolution bis zum Weltkrieg die Kraft des nationalen Lebens in erster Linie verkörperte (Sohm 78, 145). Das Eigentum erscheint als das Vollrecht; sein Inhalt ist bei beweglichen und unbeweglichen Sachen jedenfalls im Ausgangspunkte gleich; lediglich die Voraussetzungen für Erwerb und Verlust sind bei dem Grundeigentum anders gestaltet und zwar wegen des Grundbuchwesens, das freilich seinerseits seine Entwicklung auch nur hinwiederum dem Realkredit verdankt, also der Mobilisierung des Bodenwerts durch die Hypothek. Auch das Grundeigentum ist frei veräußerlich und keinen Verschuldungs- und Teilungsschranken unterworfen, wird kapitalistisch als Ware gewertet5). Reste deutscher agrarrechtlicher Sonderrechtsbildungen blieben dem Landes­ recht vorbehalten (Art. 59f., 113 f. EG.BGB. und dazu Bem. 22 Einl. z. SR. in Bd. III). Seine Krönung findet der individualistische Gedanke in der unbeschränkten Testier­ freiheit. Gesetzlicher Erbe aber ist der Staat erst hinter den entferntesten Verwandten als Lückenbüßer zur Vermeidung erbloser Verlassenschaften, nicht als Vertreter 5) Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht S. 29f., 51 f., auch in DIZ. 34, 1297, DR. 34, 531, und Dölle DIZ. 34, 1019. 6) Klausing IW. 34, 934; Roselius AkZ. I, 93; Rumps DRZ. 21, 33; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht (Jena 1929) S. 289 f.; RGZ. 87, 211; 100, 132; 103, 333; 104, 222; 111, 63; WarnR. 16 Nr. 157; GruchotsBeitr. 65, 471. 7) Oppermann, Der Untergang des BGB., in der Potthosfschen Zeitschrift Arbeitsrecht 25, 255; ferner etwa Riß DRZ. 24, 358; Stoll AkZ. I, 137; Dölle DIZ. 34, 1019, sowie unten Bem. 25 und 76. 8) Dölle 669; Jung AkZ. I, 185; Jahrbuch der Bodenreform Bd. 30 (1934), Iss.: Untersuchungen und Vorschläge zum neuen deutschen Bodenrecht, sowie Bd. III Vordem. vor § 903.

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Einleitung.

des Gemeinschaftsgedankens. Letzterer Gedanke wird auch schwer verletzt durch das materialistische Prinzip der Erbteilung von Familienvermögen und Wirtschaftseinheiten zur gleichheitlichen Befriedigung der Miterben (Lange 25f.). 22 Die materialistische Grundströmung seiner Entstehungszeit hat im BGB. den Cha­ rakter eines gewissenhaften nüchternen Interessenausgleiches angenommen, im Schadensersatzrecht unter grundsätzlicher Gleichstellung des wirtschaftlich Starken und Schwachen auf der Aktiv- wie Passivseite (Ausnahme § 829; anders Art. 43, 44 Schweiz. OblN.). Bezeichnenderweise wurden im Reichstage die groben ethischen oder doch einer ethischen Ausfüllung fähigen Klauseln von Treu und Glauben, guten Sitten usw. als kaum einer Auseinandersetzung bedürftig stillschweigend angenommen. „Nur da wo die Kirche ihre groben Güter zu verteidigen hatte, wie im Eherecht, kam der ethische Unterton zum Erklingen, freilich auch hier in den Parteienstreit hineingezogen und damit seiner Würde als allgemeines Volksempfinden entkleidet" (Hedemann DIZ. 25, 4). Eugenische und rassische Gesichtspunkte fehlen dem Personen- und Familienrecht natürlich völlig. 23 Der Bedeutung des Arbeiterstandes ist das BGB. nicht gerecht geworden, so wenig wie es der Grohindustrie und den Groborganisationen damals schon Rechnung tragen konnte; auch die groben Lieferungsgeschäfte (Sukzessivlieferungsverträge, allgemeine Geschäftsbedingungen) finden weder im BGB. noch in dem allein aufrechterhaltenen Sonderrecht des Handels einen ausreichenden Unterbau (Hedemann, Einführung S. 244). Ein sozialer Einschlag ist vorhanden, aber es sind doch nur „Tropfen sozialen Ols", „Konzessionen, die an der Geltung des Jndividualitätsprinzips an sich nichts ändern, ja dieses gerade durch Verhütung von Übertreibungen festigen"9): 10Schutz des wirtschaftlich Schwachen im Miet-, Dienstvertrags-, Besitzrecht, Bestimmungen über Wucher, Zinsen, Herabsetzung von Vertragsstrafe und Mäklerlohn, Billigkeitshaftung des Vermögenden nach § 829; Schutz des Arbeitserwerbs der Frau in den besitzlosen Klassen*9), das Recht des sog. Dreibigsien (§ 1969) usw. 24 Von dem Inhalt des Gesetzes ist seine Form, Sprache und Fassung kaum zu scheiden. Auch insoweit ist das BGB. der Niederschlag der Rechtswissenschaft des 19. Jahr­ hunderts, namentlich der romanistischen Schule. Es entstand unter der Herrschaft des Rechtspositivismus, der an die Lückenlosigkeit des gemeinrechtlichen Systems und an die Möglichkeit glaubte, nach dessen Muster ein entsprechendes System auf dem Wege der Gesetzgebung aufstellen zu können. Um dieses Ziel und möglichste Rechtssicherheit zu erreichen, bediente man sich der Methode der sog. abstrakten Kasuistik: Man suchte unter Verwendung der gemeinrechtlichen Allgemeinbegriffe durch abstrakt gefabte, begrifflich scharf fixierte Normen eine möglichst grobe Zahl von Einzelentscheidungen zu treffen, an die der Richter gebunden sein sollten). Jedes Wort, jede Satzstellung

9) Schlegelberger, Entwicklung S. 41; Kober, Soziale Streiflichter (Skizzen zum BGB.), Bl. f. Rechtsanw. 64, S. 201,217; Oertmann, Individualistische und soziale Ideen im BGB., Zeitschr. f. populäre Rechtskunde I (1900), S. 17,33; ferner Planck DIZ. 99, 181; Stranz DIZ. 01, 8; Endemann, Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts Bd. 1 § 1; vor allem aber Anton Menger, „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen", als Kritik des I. Entwurfs 1890 erschienen und von unmittelbarem Einfluß z. B. auf die Aufnahme der §§ 617 f., gegenüber dem fertigen Gesetz aber längst überholt und gleichwohl noch 1927 in 5. Aufl. unverändert abgedruckt. Gegen alle „volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Theorien im BGB." Krückmann LZ. 15, S. 799, 879. 10) § 1367; freilich unzulänglich: der gesetzliche Güterstand entspricht in seiner heutigen Gestalt nicht den Bedürfnissen der Bauern, Handwerker und Kleingewerbetreibenden, in deren Kreisen die Frau im Haushalt oder Betrieb des Mannes mitarbeitet; denn sie erhält hier keinen Anteil am Vermögenszuwachs, der ihrer Mitarbeit zu verdanken ist (besonders unbillig im Falle einer vom Manne verschuldeten Scheidung). Merk, Südd. Monatshefte 31, 299. n) Max Rümelin, Erlebte Wandlungen in Wissenschaft und Lehre, Tübingen 1930, S. 35;

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

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bat einen bestimmten technischen Sinn. Die Paragraphen greifen kunstvoll derart in­ einander, dah man für das richtige Erfassen jeder Vorschrift zugleich sich aller anderen Rechtssätze bemüht bleiben muh na). So ist das BGB. ein Gelehrtenwerk, dem deutschen rechtsgelehrten Richter auf den Leib geschrieben, aber nicht volkstümlich wie das schweizerische Zivilgesetzbuch, das ein­ heitliche Werk des Berner Deutschrechtlers Eugen Huber, das nach der ganzen Art seiner Darstellung frischer, anschaulicher, dem Leben näher, kürzer, gemeinverständlicher ist12 * *).** ** 1* * 3. Schon in den Jahren vor dem Weltkrieg, namentlich aber in der Kriegs- und 25 Nachkriegszeit, haben sich die Wirtschafts- und Lebensgrundlagen gewandelt. Geiler hat die neuen zum Teil entgegengesetzten Gestaltungsprinzipien auf dem Gebiete des Privatrechts an der Schwelle zur neuen Zeit in einem 1931 gehaltenen Vortrage") treffend gekennzeichnet: Abkehr vom Individualismus, von der Atomisierung und Nationalisierung, zu der dieser geführt hatte,- Hinwendung zum Gemeinschaftsgedanken, zur sozialrechtlichen Gebundenheit, zum sozialen Recht. Die liberalen Prinzipien hatten sich in ihrer Überspitzung teilweise selbst widerlegt: In der „freien" Scholle sahen weite Kreise des Volkes nach den wirtschaftlichen Erschütterungen nur noch die Freiheit, die Grundlage ihrer Arbeit und Existenz an die wirklichen Bodenherrn, die Hypotheken­ gläubiger, zu verlieren (Freisler DJ. 34, 5; Jung AkZ. I, 186). Der Wirtschaftsprozeh der freien Konkurrenz hat aus sich selbst heraus Gegenprinzipien gegen den freien Wettbewerb entwickelt, die zu einer weitgehenden Gebundenheit der Wirtschaft führten: Unternehmungen wurden zu Verbands-, Gruppen- und Monopolwirtschaften, Kartellen und Konzernen zusammengefaht, zufolge der dem Kapitalismus innewohnenden Ten­ denz nach immer stärkerer Kapitalzusammenballung, nach Schaffung immer gröberer Wirtschaftsgebilde. Das Prinzip der Vertragsfreiheit wurde — im Namen der Vertrags­ freiheit! — ins Gegenteil verkehrt durch die Macht der Organisation, die sotvohl dem Vertragsgegner den Vertrag vorschrieb, als auch die Vertragsabschlüsse der eigenen Angehörigen beaufsichtigte und die auherhalb stehenden Dritten zügelte und beengte. Mit dem Wegfall der Kontrolle durch den freien Wettbewerb fiel aber die entscheidende Voraussetzung des liberalen Wirtschaftsrechts. Die rechtliche Organisationsfreiheit wurde im Zuge der „Verfeinerung" des Gesellschaftsrechts zur Verantwortungsbeschränkung, Gesetzesumgehung, Steuerschiebung, Ausbeulung der Unternehmungen mihbraucht (Grohmann-Doerth HansRGZ. 34, S. 19, 26t: „Sinnlos gewordenes liberales Wirt­ schaftsrecht"). Gesetzgebung (VO. gegen den Mihbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. November 1923 mit späteren Änderungen; Kontrahierungszwang und Zwangs­ vertrag) und Rechtsprechung (vgl. oben 21 am Ende des ersten Absatzes und den dort angeführten Aufsatz von Oppermann: Der Untergang des BGB.) traten dem hemmungs­ losen Wirtschaftsindividualismus entgegen und brachten das Gemeinwohl (Gesamt­ interesse) als übergeordnetes Rechtsprinzip mehr und mehr zur Anerkennung. Das personenrechtliche Element kam stärker zur Geltung, namentlich im Arbeits-, SiedBinder ZHR. 100, 23; Hedemann, Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht (Berlin 1913) S. 5; Schwister DIZ. 34, 1432. lla) Sohm 83; zum Sprachgebrauch des BGB. vgl. Planck-Knoke Komm. Bd. I Einl. Abschn. VI (technische Ausdrücke usw.); Gradenwitz, Wortverzeichnis zum BGB. (1902); Bernhardi, Handwörterbuch zum BGB. (3. Ausl. 1902); Schober, Mängel in der Fassung des BGB. außersprachlicher und sprachlicher Art, GruchotsBeitr. 65 (1921), 540. 12) Sohm 82; vgl. etwa die Charakteristik des Schweiz. ZGB. bei P. Tuor, Prof, in Bern, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (Zürich 1932) S. 10f., der übrigens das Deutsche BGB. dahin charakterisiert, daß darin „der bureaukratisch und militärisch disziplinierte Geist der deutschen Nation sich widerspiegelt". 1S) Mit anderen Aufsätzen und Borträgen veröffentlicht in „Beiträge zum modernen Recht" (Bensheimer 1933), dem (S. lff., 53, 70, 122) die obigen Ausführungen z. T. wörtlich folgen.

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Einleitung.

lungs- und Heimstätlenrecht. Die Vermögenssphäre, in erster Linie das Eigentum, wurde eingeengt, die Rechte wurden mit Pflichtgehalt erfüllt, das öffentliche Recht schickte sich an, das Privatrecht mehr und mehr zu durchdringen (Geiler a. a. O.). Diese Strukturwandlungen muhten natürlich auch den Ideengehalt des BGB. beeinflussen. Der Buchstabe des Gesetzes blieb allerdings mit geringen Ausnahmen (Erbbaurechtsverordnung vom 15. Januar 1919) unverändert. Das Gesetz konnte aber trotzdem von einer verständigen Rechtsprechung in verhältnismähiger Jugend14)15 fort- und umgebildet werden: dank der überwiegend dispositiven Natur der verkehrsrechtlichen Vorschriften, dank der Generalklauseln und endlich dank des Umstandes, dah das Gesetz­ buch gerade die grundlegenden Rechtsbegriffe bemüht der Rechtspflege und Wissen­ schaft zur Fortbildung überläht (zur Gesetzestechnik vgl. Sohm 83f.). Der marxistische Umsturz vom November 1918 hat trotz ursprünglich ausladender Reformforderungen das BGB. unberührt gelassen16). Als Zeugen seiner Program­ matik griffen nur die stark umstrittenen Grundrechte und Grundpflichten der Weimarer Reichsverfassung mit einer vielfach zweifelhaften Tragweite in das Privatrecht des BGB. ein16). Die Sozialisierungstendenzen waren bald wieder verebbt. Reichssiedlungs-, Reichsheimstättengesetz, Miet- und Pachtnotrecht sowie Arbeitsrecht brachten wichtige, neben dem BGB. herlaufende, dieses teilweise stark berührende Sondernormen aus einem antiliberalen Rechtsgeiste17).18 Im ganzen gesehen war aber die Entwicklung in der Zeit des Weimarer Systems keine einheitliche und konnte es auch nicht sein, weil das Parlamentsgetriebe und das Kräftespiel der Parteien und Jnteressentengruppen keine einheitliche Politik zulieb (Schlegelberger DJ. 34, 141). Vor allem aber fehlte es dem liberal-demokratischen Staate als grundsatz- und richtungslosem neutralem Gebilde an einer einheitlichen Weltanschauung. So hatte die ganze Systemzeit etwas Zwiespältiges, Übergangs- und Kompromihhaftes an sich (Geiler 24t). 3. Die Zeitwende trat ein mit dem 30. Januar 1933, als der Führer der National­ sozialistischen (im folgenden abgekürzt ns.) Deutschen Arbeiterpartei zum Reichskanzler berufen wurde. Der Sieg des Nationalsozialismus brachte nicht nur eine zieb bemühte Staatsführung, ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren, einen Neuaufbau des Reichs, sondern auch den endgültigen Durchbruch einer neuen Welt- undRechtsanschauung des in der völkischen Erneuerungsbewegung wieder auferstandenen deutschen Geistes. Die ns. Weltanschauung ist g anzheitlich (tot al), will Staat und Volk in allen Lebensäuherungen, das Denken und Handeln jedes einzelnen durchdringen und führt, auf biologi­ scher und idealistischer Grundlage aufgebaut, zu vielfach von den bisherigen abweichenden Auffassungen") auch auf dem an sich so zähflüssigen Gebiete der Privatrechtsordnung.

") Vgl. Schlegelberger, Entwicklung S. lf. („Bon der ewigen Jugend des Rechts"). 15) Vgl. etwa Hedemann, Das bürgerliche Recht und die neue Zeit (Jena 1919); Heinsheimer DIZ. 20, 54; Rabel DIZ. 21, 515. 16) Vgl. dazu das von Nipperdey herausgegebene dreibändige Sammelwerk: Die Grund­ rechte und Grundpflichten der Reichsverfassung (Berlin 1929/30). Als Lebensäußerungen einer überwundenen liberalistischen Staatsauffassung werden sie mit dem fortschreitenden Neu­ aufbau des Reichs auch formell aufzuheben sein. Einige Artikel, darunter Art. 153, wurden bereits durch § 1 der VO. des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Febr. 1933, RGBl. I, 83, ausdrücklich bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Vgl. dazu Medicus, Der Neuaufbau des Reichs, im ArchOfsR. n. F. 25, 64f.; C. Schmitt, DIZ. 34, 695; Huber IW. 34, 1745; ferner JDR. 34, S. 5, 464 mit weiteren Nachweisen. 17) Näheres in Bem. 33 der Einleitung zum Sachenrecht, Vordem. 3 und 14 vor § 903, Einleitung vor § 535, Vordem, vor § 581, Vordem, vor § 611. 18) Vgl. etwa Karl Zimmermann, Die geistigen Grundlagen des NS. (Leipzig 1933); Manfred Hoffmeister, Einführung in die ns. Weltanschauung (Berlin 1934).

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Ihre „Urvoraussetzung ist der Glaube an den Wert des Blutes" (Alfred Rosenberg, Das Wesensgefüge des NS. 1933 S. 12), ihr Kernstück die rassengesetzliche ßetite19). Rasse — jedenfalls heute nicht mehr gleichbedeutend mit Volkstum — ist eine hinsicht­ lich ihrer leiblichen und seelischen Eigenschaften erbgleiche Menschengruwe (Günther, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes 1933 S. 11). Der Geist der in einem Volke verbundenen Rassen bringt den Volksgeist hervor, 30 den schon Savigny hervorgehoben, aber immer noch an den allgemeinen Begriff der Menschheit gebunden 6ctt20). Der deutsche Volksgeist ist überwiegend nordisch-arisch. Von dem Wert der Rasse hängt letztlich die Kulturhöhe eines Volkes ab. Die Kreuzung einander fremder Rassen ist für deren Bedeutung in der Regel von Schaden (Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes, 1933, S. 261 f., 462L). Im übrigen wendet sich die ns. Weltanschauung gegen die einseitige Herrschaft des Verstandes (Intellekts), wie sie in dem lebensfremden Rationalismus zutage trat, und betont wieder die Werte der Seele: Gefühl, Gesinnung, Charakter, die alt­ deutschen Sittlichkeitsbegriffe von Wahrheit, Treue, ©free21), Gemeinsinn,- Gottvertrauen auf betont christlicher Grundlage22).23Ihr ausgesprochenster Wesenszug liegt im Willens­ en ästig en, in einer heroischen Lebensauffassung. Erstrebt wird eine Synthesevon Seele und Verstand als Ganzheit des deutschen Volksgeistes29).

19) Helmut Nicolai, Die rassengesetzliche Rechtslehre, 2. Ausl. 1933 (parteiamtliche Dar­ stellung, besprochen von Jung in ZfRechtsph. in Lehre u. Praxis Bd. 6 [1933], 189ff. und von Sauer im ArchRWPHil. 26 [1932/33], 84); derselbe, Rasse und Recht (Berlin 1933; auch DJT. 1933 S. 159f.); derselbe, Grundlagen der kommenden Verfassung (3. Aufl. Berlin 1933); derselbe, Der Staat im ns. Weltbild (Schäffer-Verlag 1935) S. 14 f.; G. K. Schmelz eisen, Das Recht im ns. Weltbild (Schäffer-Verlag 1934) S. 10; ferner die Aufsätze im DR. 34, 73ff; Frick DIZ. 34, 1; Mößmer AkZ. I, 86. Den Wert der Rasse als Faktor für die Entwicklung eines Volkes entwickelte auch der frühere Mitarbeiter dieses Kommentars Ludwig Kuhlenbeck in seinem heute wieder sehr zeitgemäßen „Beitrag zur rechtsphilosophischen und kritischen Würdigung der sog. Deszendenztheorie": Natürliche Grundlagen des Rechts und der Politik (Thür. Verlagsanstalt 1906). Vgl. auch Herbert Meyer, Recht und Volkstum (Weimar 1933) S. 30: Wenn auch Rechts­ sätze und -institute mit den Zeilen und Bedürfnissen sich wandeln und wechseln: eines bleibt: die großen Grundgedanken, in denen sich der Bolkscharakter und die der Nation eigentümliche Weltanschauung äußern. In ihnen tritt die besondere Ausgestaltung zutage, die die Idee des Rechts gerade bei uns gefunden hat. 20) Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Heidel­ berg 1814) S. 11,14, 30, und dazu C. Schmitt DRZ. 34, 307; ferner S. Brie, Der Bolksgeist bei Hegel und in der historischen Rechtsschule, im ArchRWPh. Bd. 2 (1908/09) S. 1, 179 f.; Alfred Manigk, Savigny und der Modernismus im Recht (1914) S. 52f., 65f.; M. Rümelin ArchZivPrax. 122, S. 295, 302; Julius Binder, Philosophie des Rechts (1925) S. 1045f., 1055f.; Dnistrjanskyi, Das Problem des Bolksrechts, im ArchZivPrax. 132, 257; Karl Larenz, Volksgeist und Recht, in der Zeitschr. für Deutsche Kulturphilosophie (neue Folge des Logos) Bd. I (1934) S. 40; dagegen aber Riezler, Das Rechtsgefühl S. 132, 138 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch unten 43. 21) Uber Ehre und Treue im Recht vgl. bes. die Aufsätze im DR. 34, S. 393 f., 521 f. 22) Vgl. Punkt 24 des Parteiprogramms: Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ... und das Rundschreiben des Reichsministers der Justiz vom 15. Jan. 1934 DJ. 34, 77 zur Frage des Wahlrechts zwischen religiösem oder weltlichem Eid: Die Reichsregierung gehe davon aus, daß der religiöse Eid in einem Staat von betont christlicher Prägung durchaus die Regel sein werde; ferner den religiösen politischen Eid der ns. Amts­ walter sowie der Beamten und Soldaten, der Reichsminister und der Mitglieder der Landes­ regierungen (RGBl. 1934 I, S. 785, 973), wozu Höhndorf DR. 34, 431. 23) G. K. Schmelzeisen, Die weltanschaulichen Grundlagen der Zeitwende, in der Zeit-

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Einleitung.

Das Recht wird nach ns. Auffassung nicht durch die Willkür des Gesetzgebers geschaffen, sondern im Einklang mit der Volksanschauung als dem letzten Geltungs­ grund des Rechtes nach der völkischen Rechtsidee von der Führung und namentlich vom Führer geformt (Dahm, „Deutsches Strafrecht" 34, 252); es wurzelt im völkischen Gewissen, in der Rassenseele24), genau so wie Sitte und Sittlichkeit, und steht in natur­ gegebener lebendiger Beziehung zur Sittlichkeit, so sehr, dah Adolf Hitler auf der gewaltigen Heerschau des Deutschen Juristentags in Leipzig 1933 erklären konnte, der ns. Staat dulde keinen Widerstreit zwischen Recht und Moral2^). Das Gesetz ist nur eine Form der Offenbarung des Rechts, formal das Ergebnis bemühter menschlicher Schöpfung und eines der wichtigsten Mittel der Führung, nach seinem Inhalt aber das Leben selbst, festgehalten und wohlgefügt in der Form von Paragraphen2«). Recht und Leben müssen sich gegenseitig durchdringen, damit nicht das Leben zum Chaos und das Recht zur blutleeren Abstraktion werde. 32 Ns.er Rechtsauffassung entspricht ein substanzhaftes, gefühlsbetontes (emotionales), fach-, nicht formallogisches Denken, das unter der Oberfläche juristischer Begriffe deren weltanschauliche Grundlagen aufzudecken bemüht ist, das nicht schematisch alle Subjekte und Sachverhalte gleichbehandelt, sondern deren sachliche Besonderungen von der politischen Gesamtorientierung aus in ihrem Wert oder Unwert für das völkische Gesamt­ wohl zu würdigen wagt; ein „konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken" (Schmitt), das Gesetz und Regeln nur als Ausdruck der bereits vorhandenen natürlichen Ordnung einer jeden Einrichtung ansieht und die wirklichkeitsfremde positivistische Auseinander­ reihung von Recht, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik durch eine dem deutschen Geist entsprechende „Sachgestaltung" überwindet,- wertende, auch im Rechtsgefühl wurzelnde, starres und billiges Recht möglichst verschmelzende Gerechtigkeit, nicht bloh leere, be­ rechenbare Rechtssicherheit (nicht: fiat Justitia, pereat mundus oder deutlicher pereat Germania, sondern: salus publica suprema lex!27) „Aufgabe des Rechtslebens ist

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schrift „Das Werk" (Düsseldorf) 1933, 290; Sauer, Die nationale Revolution im rechts- und sozialphilosophischen Lichte DIZ. 33, 597; auch ArchRSozPhil. Bd. 28 (1934), 154. 24) Schraut DJT. 1933, S. 148 (Volk, Staat und Recht), auch DRZ. 33, 273, ferner Nicolai in den Fußn. 19 angeführten Schriften; Schmelzeisen, Die Überwindung der Starr­ heit im neuzeitlichen Rechtsdenken (Berlin 1933) S. 27; Merk, Deutsche Rechtserneuerung S. 263; Küchenh off G., Nationaler Gemeinschaftsstaat, Volksrecht und Volksrechtsprechung (Berlin 1934). 25) DJT. 1933 S. 324, auch DRZ. 33, 277/8; ähnlich Gürtner DJ. 34, 370; Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht S. 46; Klausing DR. 34, 404; Freister in der Zeitschr. Deutsches Strafrecht 34, 5. Vgl. auch Rudolf Laun, Recht und Sittlichkeit (Hamburger Rektoratsrede 1924) S. 29: „Das Recht ist die Sittlichkeit, das Recht ist in den Herzen der Menschen"; Walther Schönfeld, Die logische Struktur der Rechtsordnung (Leipzig 1927) (S. 43: „unsittliches oder unmoralisches Recht ist ein Widerspruch in sich selbst und kein Recht"; Eugen Huber, Recht und Rechtsverwirklichung (Basel 1920) S. 34, 61 f. und dazu H. Fehr im ArchZivPrax. 123, 241: Huber habe „in seinem Streben nach enger Verbindung von Recht und Sittlichkeit die Stimme der Zukunft erlauscht, die wieder auf ein Zusammenmar­ schieren der beiden großen Mächte hinarbeite"; ferner etwa Otto von Gierke, Recht und Sittlichkeit, im Logos Bd. 6 (1916/17), 211 f.; Franz Oppenheimer, Die psychologische Wurzel von Sittlichkeit und Recht (1921); E. Riezler, Das Rechtsgefühl (1921), 54f.; Karl Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung (Berlin 1929) S. 36f. 26) Gürtner AkJB. 1,158; Schlegelberger, Vom Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung (Berlin 1934), S. 7; Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht S. 36; Höhn DR. 34, 433; über die Bedeutung des Gewohnheitsrechtes s. unten 45f. 27) C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Hans. Verlagsanst. 1934), auch DR. 34, 225, DJ. 34, 297; ferner die Aufsätze von Reinhard Höhn, Ernst

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

6inL 33

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nicht die Sicherung der Paragraphenanwendung, sondern vor allem die Sicherung des Volkslebens" (Frank auf dem Reichsparteitag in Nürnberg DR. 1934,425), „Lebens­ recht, nicht Formalrecht" (Frank und Rosenberg bei der Gründung des rechtsphiloso­ phischen Ausschusses der Ak. f. Deutsches Recht DR. 34, 231 f.). Die ns. Rechtsstaatsidee ist nicht so sehr eine formale wie im liberalen Gesetzes- und Ge- 33 waltenteilungsstaate (dazu unten 56), sandern eine inhaltliche, ausgerichtet an den Erfor­ dernissen bewutzt völkischer Gerechtigkeit und gewährleistet durch den vom Volke freigewählten Führer und durch die blutsmätzige Verbundenheit artgleicher Richter mit dem 93oU27a). Das Recht mutz wieder volksnah werden. Gemeinverständlich für jedermann kann heute ein Gesetzbuch natürlich nicht sein, aber es kann die Sprache des Volkes reden, schlicht, klar, eher bildhaft als zu abstrakt, und nach seinem Inhalt im Rechtsempfinden des Volkes wurzeln, auch durch elastische Normgestaltung, insbes. geeignete Blankettnormen, der Dynamik des Rechts Rechnung tragen und dem Richter durch Ermächti­ gungen zu freier ethischer Würdigung eine individualisierende Gerechtigkeitspflege er­ leichtern"). Eine so verstandene „Volkstümlichkeit" des Rechts macht eine auch in tech­ nischer Hinsicht hochentwickelte Jurisprudenz nicht entbehrlich, aber die Rechtsfindung darf nicht formalistisch, nicht eine Art Geheimwissenschaft sein und nicht doktrinären Theoremen die Lebensnähe opfern29).

Forsthoff, Friedr. Schaffstein, Heinz Hildebrandt, Erwin Noack u. a. über Formalismus und Recht in DR. 34, 346f. Musterbeispiel: Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Jan. 1934, worüber Schmitt S. 64. Schärfster Gegensatz: die (scheinbar!) wertfreie Rechtslehre Kelsens u. a., worüber etwa Heck ArchZivPrax. 122, 173: Die reine Rechtslehre und die jungösterreichische Schule der Rechtswissenschaft. — Zu erinnern ist in diesem Zu­ sammenhang auch an die von Erich Kaufmann aus der Münchner Staatsrechtslehrertagung 1927 vertretene sog. institutionelle Methode der Begrifssbildung (an Stelle der formal­ juristischen), die bei der Bildung der Rechtsbegriffe zurückgeht aus die individuellen Rechts­ institute, auf den in ihnen verkörperten, sozusagen sleischgewordenen „ethischen Gehalt, Ge­ rechtigkeitsgehalt": Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Heft 4 S. 77f., 81, und dazu Schwinge, Methodenstreit S. 11. 27a) Freister DJ. 34, S. 747, 1333; C. Schmitt IW. 34, 713; Schöne ArchOssR. 25, 267f.; Stoll AxchZivPrax. 138, 340 und dessen grundsätzliche Ausführungen über „Rechtsstaatsidee und Privatrechtslehre" in JheringsJ. 76, 134 f. (139). 28) Die Elastizität der Generalklauseln ist doch wohl eher ein Vorteil als „eine Gefahr für Recht und Staat" (Hedemann, Die Flucht in die Generalllauseln, Tübingen 1933). Hede­ manns Befürchtung, daß sie zu Verweichlichung, Unsicherheit und Willkür führen, erscheint jedenfalls für eine von ns. Geist getragene Rechtshandhabung unbegründet (so auch Larenz ZHR. 100, 380). Das kommende Recht dürfte den „dynamischen" Kräften, den Bewegungen, des Lebens und damit der richterlichen Auslegung mehr Spielraum lassen, ohne freilich das gegensätzliche, „stattsche" Recht zu verdrängen. „Jene Rechtsordnung ist die beste, welche statische und dynamische Kräfte in weiser Harmonie vereinigt" (Hans Fehr, Das kommende Recht 1933, S. 1, 26). „Ein klassisches Beispiel für das richtige Zusammenwirken statischer und dynamischer Grundsätze", „eine neue, weitausschauende Gesetzgebung" (S. 18) sieht Fehr (Professor in Bern) im deutschen Reichserbhofgesetz. — Uber „statisches und dynamisches Recht" im BGB. (vor allem gegen dessen Begriffe von „Sache" und „wesentlichem Bestandteil") vgl. Alfred Müller ArchRWPhil. XX (1927), 529f.; Schmelzeisen, Die Überwindung der Starrheit im neuzeitlichen Rechtsdenken S. 24f.; Wilh. Glungler, Rechtsschöpfung und Rechtsgestaltung (München 1930) S. 29f. sDen Auftakt gab Oswald Spengler, Der Untergang des Abend­ landes Bd. II (1924), S. 97: Das antike Recht war ein Recht von Körpern, unser Recht ist das von Funktionen. Die Römer schufen eine juristische Statik, unsere Aufgabe ist eine juristische Dynamik.... und dazu Gebhard BayZ. 23, 201; Rosenfeld DIZ. 23, 141]. 29) Schlegelberger, Vom Beruf usw. S. 17f.; Klausing, IW. 34, 935, auch DIZ. Staudinger, BGB. I (Brändl, Einleitung). 10. Aufl.

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18 6i*l. 34, 35

Einleitung.

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An die Stelle des Dualismus zwischen Staat und freier Einzelperson in der liberalen Demokratie ist heute eine dreigliedrige Einheit getreten: der Staat als der politisch-statische Teil, die Bewegung (NSDAP, in ihren Gliederungen) als das politisch-dynamische, Staat und Volk tragende Element, und das Volk als eine Sphäre der Selbstverwaltung, auf dessen Vertrauen zugleich die gesamte Staatsführung beruht. Der Staat ist die Lebensform des Volkes und zugleich Machtmittel in der Hand des Führers im Dienste der Volksgemeinschaft^). Der übertrieben scharfen römischrechtlichen und liberalen Sonderung zwischen öffentlichem und privatem Recht stellt die ns. Rechtsanschauung die innere „Ein­ heit alles Rechtes", jenes „kostbare Erbe germanischer Vorzeit"^) gegenüber und betont, dah alles Recht auf dem Pflicht- und Gemeinschaftsgedanken ruhe, das Recht des Indi­ viduums von den Elementen des öffentlichen Rechts durchtränkt werden müsse. 35 Die bisherigen Grundlagen der Privatrechtsordnung: Einzelpersönlichkeit und Einzelleistung (Leistungsprinzip), private Familie und Privateigentum, die bindende Kraft der Verträge, werden anerkannt, aber einem höheren Zwecke, dem Dienst am Volksganzen, untergeordnet und an letzterem Maßstab der Wert des einzelnen und jeder Rechtseinrichtung gemessen. Das Volk als Gesamtorganismus wird auch in den Mittelpunkt der privatrechtlichen Betrachtung und des privaten Interessenausgleichs ge­ rückt. Das subjektive Recht hört auf, ein eigensüchtiges zu sein, findet die Schranke seiner Ausübung, ja seine inhaltliche Begrenzung (Siebert DR. 34, 303) im Gemeinschafts­ interesse, im Wohle des Staates, bekommt eine soziale Funktion, wird zur „Aufgabe, die Pflicht und Recht in sich umfasst, die Pflicht dabei an erster Stelle nennend und das Recht als das vom Volk durch die Rechtsordnung gegebene Mittel zur Pflichterfül­ lung betrachtend" (Freister JDR. 34, IX). „Gemeinnutz geht vor Eigennutz"^): dieser Programmsatz bildet gewissermaßen die zentrale Rechtsidee neben jener anderen damit zusammenhängenden Forde­ rung, daß alles Recht der Erhaltung völkischer Art und Rasse zu dienen hat33).

29, 1266s.; M. Rümelin, Rechtsbewußtsein und Rechtsbetätigung des Volkes, ArchZivPrax. 122, 294; auch E. Fiedler, Das Privatrecht der Zukunft, in der Festgabe für Hans Soldan; Beiträge zur Erneuerung des deutschen Rechts (Berlin 1933). § 26 der neuen Justizausbildungs­ ordnung vom 22. Juli 1934 RGBl. I, 727 verlangt vom Rechtskundigen die Fähigkeit, „vermöge gründlicher Kenntnis des Rechts treffend und volksverständlich Recht zu sprechen". Vgl. auch die programmatische Einleitung zur Zivilprozeßnovelle vom 27. Okt. 1933 RGBl. I, 780: „Eine volkstümliche Rechtspflege ist nur in einem Verfahren möglich, das dem Volke ver­ ständlich ist...". Uber ns. Rechtsfindung vgl. vor allem Hildebrandt, Rechtsfindung im neuen deutschen Staate (Gruyter 1935), auch DR. 34, 353. 30) Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk (Hans. Verlagsanst. 2. Ausl. 1934), auch DJT. 1933, 245; Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht S. 34; Höhn DR. 34, 322; du Prel DR. 34,429. V ermögensrechtlich ist hervorzuheben, daß ausschließlich die NSDAP. als Gesamtkörperschaft, vertreten durch den Reichsschatzmeister, berechtigt und verpflichtet werden kann und daß keine Untergliederung der Partei eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Näheres im JDR. 34, S. 454/5, ebenda S. 683 über die der Partei angeschlossenen Verbände und Neichsges. zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat v. 1. Dez. 1933, RGBl. I, 1016. 31) Gierke in Schmollers Jahrb. 12, 854, und in seinem Vortrag: Die soziale Aufgabe des Privatrechts (1889) S. 7f.; ferner Hedemann AkJ. I S. 53 (209); Schlegelberger, Vom Beruf usw. S. 17; Jung JHJ. 84,80; Stoll AkZ. I, 137, sowie oben 7 mit Fußnote 1. 32) Dazu RGZ. 144, 112: alter Wahrspruch, daß „gemeiner Nutz vor sonderlichem geht": Graf und Dietherr, Deutsche Rechtssprichwörter 2. Aufl. 1869 S. 487, Nr. 23 und 27 des 9. Hauptstücks; Walter Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats­ und Rechtsentwicklung, in der Festschrift für Alfred Schultze 1934. 83) Stoll DIZ. 33, 1229; Schraut DJT. 1933 S. 150.

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

Einl. 36, 37

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„Recht und Wirtschaft (oder, richtiger vielleicht, wirtschaftliches Denken und Wirt­ schaftsethos auch im Bereiche des Erwerbslebens) dürfen fortan ebensowenig unüber­ brückbare Gegensätze bedeuten mie Recht und Moral."34)* „Das Volk lebt nicht für die Wirtschaft und die Wirtschaft existiert nicht für das Kapital, sondern das Kapital dient der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Volk" (Adolf Hitler^)). Die staatliche Wirtschafts­ führung soll sich aber auf Zielsetzung und Beaufsichtigung beschränken, die Zerstörung volkswirtschaftlicher Werte sowie die Vernichtung schwacher Wirtschaftsgruppen durch einen ungezügelten, rücksichtslosen Wettbewerb verhüten und die Gegensätze zwischen und in den einzelnen Wirtschaftsgruppen beseitigen, im übrigen jedoch die Durchführung der ihnen über­ tragenen Aufgaben ihrer Selbstverantwortung überlassen (Stoll AkZ. I, S. 140, 178). Boden und Arbeit werden nicht als bloße Produktionsfaktoren, nicht als Ware gewertet und als die wichtigsten nationalen Güter besonders geschützt, und zwar der l ä n d li ch e Boden vor dem städtischen, im Gegensatz zu den Ausgleichungstendenzen des 19. Jahrhunderts. So stellt der NS. für die Rechtserneuerung keine starren Grundsätze auf, die nur 36 die Möglichkeit organischer Entfaltung verbauen würden, sondern begnügt sich, insbes. in Punkt 19 seines Programms „Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht" zu fordern. Im Grunde ist auch diese Gegenüberstellung nur ein anderer Ausdruck für den Gegensatz zwischen deutschem Pflicht- und Gemeinschaftsdenken und dem in der Hauptsache auf fremdem Nährboden erwachsenen Liberalismus als einer Entartung des Freiheitsgedankens in einen über­ steigerten Individualismus und Materialismus36). Der Wert des römischen Rechts für Rechtsgeschichte und Nechtsvergleichung wird nicht verkannt, aber man macht es insbes. in der Form des Pandektismus mitverantwortlich für die liberalistische, indi­ vidualistische, materialistische, rationalistische Überspitzung des Rechtsdenkens, für die Verkennung der Werte des Volkstums und der Gesamtheit und für die Entfremdung des nicht rechtsgelehrten Volksgenossen von seinem Rechte, für die in dem letzten Jahr­ zehnt so oft beklagte Vertrauenskrise des Rechts und des Staats (Dölle 649). 4. Das BGB. kann die neuen Rechtsgedanken ohne Änderung des Wort- 37 fauteS37)38 unmittelbar durchsetzen im Bereiche der Generalklauseln, der Wert­ begriffe, die im Geiste der jeweils herrschenden Anschauungen auszufüllen sind (Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte, die guten Sitten, wichtiger Grund, Tunlichkeit, billiges Ermessen, die auf den Anstand zu nehmende Rücksicht)33). Auch

34) Klausing IW. 34, 935; auch Schmitt AkZ. I, 18; Buchner ebenda S. 99; Löning DIZ. 33, 810; Walter Schönfeld in Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben Bd. II (1929), 209; Müller, Gesamtwirtschaft und Gemeinwohl in der Kartellverordnung IW. 34, 1703; Hans Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht (Freiburg 1933; gegen Willkürrechtsbildungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die der Staat unter seine Kontrolle nehmen, dafür aber für allgemein verbindlich erklären solle, S. 25f.) und in HansRGZ. 34 A 19: Sinnlos gewordenes liberales Wirtschaftsrecht — eine Aufgabe ns.er Rechtserneuerung. 36) Nach Herrmann-Nitsch, Die Wirtschaft im ns. Weltbild (Schäfferverlag 1934) S. 26. 3e) Lange, Lib. usw. Vorwort; Frank, AkJ. 1, 31. 37) wie sie etwa Felix Kaiser, Justizreform? Juristenreform! (Berlin 1933) S. 29 vorschlägt. 38) Vgl. unten 66 und 74 a. E.; ferner Dölle 657; Lange IW. 33, 2858; Bilfinger IW. 33, 2550; C. Schmitt Leitsätze DR. 33, 201= IW. 33, 2793; Müllereisert, Herrschende Anschauungen und NS., BayZ. 34, 201; Dahm, DStR. 34, 90; Stoll AkZ. I, 138. Das Steueranpassungsgesetz vom 16. Okt. 1934 (RGBl. I, 925) §§ 1 u. 2 bestimmt ausdrücklich, daß die Steuergesetze nach ns. Weltanschauung — unter Berücksichtigung der Volksanschauung, des Zwecks und der wirtschaftlichen Bedeutung der Gesetze sowie der Entwicklung der Verhältnisse — auszulegen und daß die Tatbestände und Fragen der Billigkeit und Zweckmäßigkeit innerhalb von Ermessensentscheidungen nach ns. Weltanschauung zu beurteilen sind.

20 eint 38—40

Einleitung.

im Bereich des privaten Interessenausgleichs ist das Verhallen des einzelnen nicht bloh unter dem Gesichtspunkte zu prüfen, ob es gegenüber dem Gegner dem Anstands­ gefühl entspricht, sondern auch daraufhin, ob es den Forderungen des Gemeinwohls genügt, ohne dah es deswegen nötig wäre, mit Dölle S. 651, 660 f., den Staat, veranlagen Falles vertreten durch den Staatsanwalt, als unmittelbar Beteiligten an dem dadurch dreiseitig gewordenen Privatrechtsverhältnis aufzufassen. Kg Aber es sind nicht nur die Blankettnormen und die immer elastischer werdenden Begriffe und Tatbestände, die den neuen Rechtsgeist in breitem Bette einströmen lassen- das Gesetz ist ja nicht als eine in der Vergangenheit liegende Fixierung eines vergangenen Willens aufzufassen, sondern als „Zustand",- „sein Wille ist nichts Ge­ wesenes, sondern auf Sollen gerichtetes Sein" (ManigkHdR.il, 488/9; vgl. auch Rümelin ArchZivPrax. 122, S. 276, 292,- sowie unten 58), und der Jurist hat nicht die Aufgabe, das Vergangene solange gegen das Gegenwärtige zu halten, bis ein spe­ zieller Befehl des Gesetzgebers ihm das unmöglich gemacht hat (Schmitt DIZ. 34, 694, Freister DJ. 34,1333). Die Rechtsanwendung hat freilich das BGB. bis zu seiner Ände­ rung in der vorliegenden überkommenen Fassung zugrundezulegen, aber doch die Gesetzesworte mit dem durch die neuen Werturteile und die neue Gesamtordnung bedingten neuen Sinn und Rechtsgeist zu erfüllen (vorbildlich die Teilstreikentscheidung RGZ. 106, 275). Es ist schon angesichts der bisherigen Strukturwandlungen oben 26 f., 21 hervorgehoben worden, dah wir längst nicht mehr nach dem Buchstaben des BGB. leben, so wie er zur Zeit der Erlassung des Gesetzes aufgefaht wurde, und dah die programmatischen Artikel der Weimarer Verfassung mit ihren Wertungen die Rechtsanwendung beherrschten. Um wieviel mehr muh die neue Willensrichtung und Wertordnung des NS. die alten Worte mit neuem Inhalt füllen?39) Aufgabe der Rechtsanwendung ist es insbesondere, die neuen Gedanken und Rechtsformen, die bisher nur in Teilgesetzen für Sonderrechts­ gebiete verwirklicht wurden (vgl. unten 40), für das gesamte Privatrecht nutzbar zu machen und die Fernwirkung der neuen Gesetze auf die früheren Werturteile bei der Auslegung (Anpassung) der alten Gesetze stets im Auge zu behalten (Stoll AkZ. I, 182; Elster DJ. 35, 144). 39 Aber freilich über den Text des Gesetzes kann auch eine fortschreitende Auslegung und schöpferische Rechtsfindung nicht hinaus (Gürtner in DJ. 34, 369 = AkJ. 1.158). Der Richter ist auch im ns. deutschen Rechtsstaat an das Gesetz gebunden (vgl. unten 56 und 68) und kann deshalb in vielen Punkten ns.enl Gedankengut nicht unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung und Umschaltung durch ein positives staatliches Gesetz, Geltung verschaffen (Freisler in DJ. 33, 694, Schmitt IW. 34, 716). 40 So hat ja auch der neue Staat bereits mit einer Reihe von Gesetzen in das bürger­ liche Recht unmittelbar eingegriffen. Ungleich zahlreicher sind die öffentlich-rechtlichen Wandlungen, die das Privatrecht mittelbar berühren. Die Mahnahmen zur Schaffung der Reichseinheit sind in ihren Auswirkungen auf das BGB. und EG. bereits oben Bem. 9 gewürdigt. Die Mahnahmen zum ständischen Aufbau der Volksgemein­ schaft (vgl. bes. Reichsnährstandgesetz vom 13. September 1933 RGBl. I, 626; Reichs­ kulturkammergesetz vom 22. September 1933 RGBl. I, 661; Gesetz über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 29. November 1933 RGBl. I, 1015; Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft vom 27. Februar 1934

89) Aktuelle Erörterungen dieser Art veranlaßten namentlich die Firmenzusätze „deutsch" und „national" (Crisolli IW. 33, 2102; 34, 666, Groschusf JurRdsch. 34 S. 32, 81, Schraut DR. 34, 97, C. Schmitt DIZ. 34, 694 und IW. 34, 717 gegen KG. IW. 34 S. 491, 1247, auch DRZ. 34 Nr. 329) und die Anfechtung jüdisch-arischer Mischehen (worüber Schneider IW. 34, 869, Stoll DIZ. 34, 561 mit weiteren Literaturangaben, RGZ. 145, S. 1, 8f. gegen OLG. Karlsruhe HRR. 34 Nr. 489; dazu Mößmer AkZ. I, 86 und Matzke IW. 34, 2593). Vgl. auch Krug DJ. 35, 170/1.

V. Geist des BGB. und Rechtserneuerung.

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RGBl. I, 185) setzen an die Stelle der bisherigen meist auf privatrechtlicher Grundlage beruhenden Zusammenschlüsse allgemeine Pflichtverbände öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung nach dem Führerprinzip und eigener Ehrengerichtsbarkeit unter Staatsaufsicht. Die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung, Markt- und Preis­ regelung, Entschuldung ziehen auch das Privatrecht in Mitleidenschaft, schränken insbesondere die Vertragsgestaltungs- und -abschlußfreiheit stark ein und führen zu einer Plan- und Gemeinwirtschaft. Es liegt in der Natur der Sache, daß der allgemeine Ideengehalt der neuen Zeit im öffentlichen Recht viel schneller und unmittelbarer gesetzliche Verwirklichung findet als auf dem Gebiete des Privatrechts, das einerseits der mittelbaren Beeinflussung durch Erziehung, Übung und praktische Rechtsfortbildung zugänglicher ist, andererseits nicht ohne die Gefahr schwerer wirtschaftlicher Erschütte­ rungen mit einem Schlag auf die neue Gedankenwelt umgestellt werden kann. Aus letzterem Grunde hat sich auch die bisherige Gesetzgebung namentlich auf wirkschaftlichem Gebiete und in der Arierfrage bewußt Beschränkungen in der Durch­ führung der ns. Grundsätze auferlegt. (Näheres zum ganzen bei Stoll AkZ. I, S. 137, 178 t, Lenz, DJ. 34,1635 und in den einschlägigen Übersichten im Jahrbuch des Deutschen Rechts.) Der folgende Überblick beschränkt sich auf die bis Ende 1933 verkündeten, das Privatrecht mittelbar oder unmittelbar berührenden richtungweisenden Gesetze: Das Reichserbhofgesetz vom 29. Sept. 1933 (RGBl. I, 685) revolutioniert den Eigentumsbegriff und rückt an Stelle des „Rechtes" die Aufgabe in den Kern­ punkt des Lebens eines groben Standes- es betrachtet den Bauern nicht als Einzel­ person, sondern als Treuhänder seiner Sippe, der in der Geschlechterfolge der Erbhof als ungeteilte Betriebseinheit erhalten bleiben soll, und wertet die Bearbeitung des Bodens als Pflicht am Volksganzen 4Ö); es schränkt die Testierfreiheit ein und beschränkt die gesetzliche Anerbenordnung auf die nächsten Angehörigen und auf deutsche Staats­ bürger deutschen oder stammesgleichen Blutes. Das Gesetz über die Beschränkung der Nachbarrechte vom 13. Dez. 1933 (RGBl. I, 1058) schließt die nachbarrechtlichen Ansprüche des Eigentümers oder Be­ sitzers gegenüber Betrieben aus, denen durch eine vom Reichsinnenminister zu erteilende Genehmigung eine Vorzugsstellung eingeräumt ist, weil sie für die Volksertüchtigung von Bedeutung sind (näheres in Bd. III Bem. 21 vor § 903). Das Gesetz gegen Waldverwüstung vom 18. Januar 1934 (RGBl. I, 37) verbietet bei Strafe die kapitalistische Ausnützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes durch gemeinschädliche Abholzungen. Das Reichsjagdgesetz vom 3. Juli 1934 (RGBl. I, 549) macht dem Jäger als „Sachwalter anvertrauten Volksguts" zur Pflicht, das Wild zu hegen und zu pflegen, und bringt privatrechtlich eine Änderung des bisherigen Wildschadensersatzrechtes (§§ 44f., 71 Abs. 2: Aufhebung des § 835 BGB. und Änderung des § 840 BGB.), eine Regelung der Jagdpacht (88 12f.) und Bestimmungen über die Benützung von Jägernotwegen, Duldung von Jagdeinrichtungen und das Fern­ halten von Wild (88 28, 29, 41). Das Gesetz gegen Mißbräuche bei der Eheschließung und der Annahme an Kindes Statt vom 23. Nov. 1933 (RGBl. I, 979) beseitigt auf dem Gebiete des Familienrechts Verfallerscheinungen der liberalistischen Epoche wie die sog. Namens­ heirat, Scheinadovtion und Adelskäufe und zwar teilweise rückwirkend ab 9. November 1918, und bringt durch die Neufassung des 8 1754 BGB. den Rassegedanken auch inso­ fern zur Geltung, als die Bestätigung eines Kindesannahmevertrages nunmehr auch dann zu versagen ist, wenn „vom Standpunkt der Familie des Annehmenden oder im 40) Freister JDR. 34, 47f. sowie Bem. 20 vor § 903 in Bd. III; ferner Wieacker, Zum Wandel der Eigentumsverfassung DIZ. 34, 1446.

22 eint 41

Einleitung.

öffentlichen Interesse wichtige Gründe gegen die Herstellung eines Familienbandes zwischen den Vertragschliehenden sprechen"").

Der Gesundheitspab zum Zwecke der Eheschliebung usw. harrt noch der Einfüh­ rung, aber nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, 529) können Erbkranke durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit grober Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dab ihre Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. Nach dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheits­ verbrecher und über Mabregeln der Sicherung und Besserung vom 24. Nov. 1933 (RGBl. I, 995) können Sittlichkeitsverbrecher entmannt werden. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (RGBl. I, 45), eine sozialpolitische Tat gröbten Ausmabes, ersetzt die marxistische Klassenkampfideologie durch ein Treuverhältnis. Jeder Betrieb bildet fortan eine Schick­ salsgemeinschaft zwischen Führer und Gefolgschaft, gegründet auf die soziale Ehre und auf den Leistungsgedanken. Dieses Grundgesetz des ns. Arbeilsrechtes und das neue Ethos des Arbeitsverhältnisses mub auch auf die Auslegung der einschlägigen Bestim­ mungen des BGB. rückwirken (Dersch AkJ. I, 119; Stoll AkZ. I, 182; vgl. auch schon RGZ. 106, 275).

Die Vorarbeiten zur Schaffung eines sozialen Mietrechts mit dem Hauptziele, ein Wohnrecht zu schaffen, das auch dem Mieter ein „Heimgefühl" vermittelt (Freister AkZ. I, 202), haben vorläufig zur Vereinbarung eines deutschen Einheits(formular)mietvertrags (veröffentlicht mit Bek. des Reichsjustizmin. vom 7. März 1934 DJ. 304) geführt. Im Bereiche des Zivilftreitverfahrens brachte die Novelle vom 27. Okt. 1933 (RGBl. I, 780) die endgültige Abkehr von der liberalistischen Prozebordnung durch Einführung der Wahrheitspflicht, möglichste Zusammendrängung des Prozebstoffs in einer mündlichen und unmittelbaren Verhandlung und Befreiung des Richters von formalen Beweisregeln. Auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung erstrebt die Novelle vom 24. Okt. 1934 (RGBl. 1, 1070) und das Gesetz zur Verhütung mibbräuchlicher Ausnutzung von Vollstreckungsmöglichkeiten vom 13. Dez. 1934 (RGBl. I, 1234) die billige Unterordnung des Einzelinteresses unter das Gesamtwohl, indem sie einerseits den schuldlos in Zahlungsschwierigkeiten geratenen gutwilligen Schuldner vor unnötiger, „gesundem Volksempfinden gröblich widersprechender" Härte eines rück- und einsichtslosen Gläubigers ebenso schützen wie andererseits den Gläubiger gegen einen böswilligen Schuldner (Volkmar AkZ. I, 194, DIZ. 34, 1622).

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Schon diese Teilgesetze und Teilmabnahmen beweisen, dab der NS. die sittlichen und seelischen Kräfte freigemacht hat, das Wesen des eigenen Volkes wieder zu er­ kennen und die ihm eigentümliche und innewohnende Ordnung volksgemäh zu for­ men. Es erscheint daher die Zeit reif und berufen, auch eine Erneuerung des BGB. im ganzen nach Inhalt und Form zu prüfen. Reichsminister Dr. Frank hat mehrere Ausschüsse der von ihm gegründeten Akademie für Deutsches Recht mit dieser schwie­ rigen Aufgabe fcetnnit41 42). Wir dürfen dankbar hoffen und wünschen, „dab am Ende aller Arbeit die grobe, zusammenfassende Schöpfung eines neuen, zum Herzen des Deutschen sprechenden Gesetzbuches stehen möge, das den Lebensäuherungen des Volkes die Rechtsform gibt, die seinem Wesen und seinem Sehnen entspricht" (Schlegelberger, Vom Beruf usw. S. 25).

41) Amtliche Begründung DJ. 33, 765; Pfundtner-Neubert, Das neue deutsche Reichsrecht, Bd. 2 unter II, b, 23 S. 1, 9; LG. Berlin DRZ. 34 Nr. 210. 42) DRZ. 33, 321 = IW. 33, 2673, sowie AkJ. I S. 53, 126, 193 (Hedemann), 197 (Mößmer), 200 (Gelpcke).

VI. Rechtsquellen.

Ei«l. 42, 43 23

VI. Rechtsquellen.*) Das objektive Recht stellt eine Ordnung menschlicher Verhältnisse dar: jeder einseine Rechtssatz „ordnet" bestimmte Verhältnisse. Wenn man das objektive Recht als Rechtsordnung bezeichnet, so verbindet sich hiemit ein zweiter Sinn: das objektive Recht ist in sich selbst eine Ordnung, ein zusammenhängendes, geschichtlich erwachsenes Ganzes, nicht ein bloß zufälliges Aggregats einzelner Sätze, so wenig wie das Volk, dessen das Recht ist, eine bloße Summe von Menschen darstellt. Darüber, wie die Rechts­ ordnung überhaupt entsteht, kann in ihr selbst keine Entscheidungsnorm gefunden werden. Theoretische und geschichtliche Betrachtung zeigt, daß alles Recht, wie es von Menschen zu verwirklichen ist, auf Anerkennung von Menschen beruht, daß bloß einseitige Auferlegung durch irgendwelche Gewalthaber fürs erste für das Volk noch kein Recht bewirkt. Dies ist — auch für modernes Recht, insbesondere Gesetzesrecht — der richtige Kern derjenigen (vor allem germanistischen) Theorie, die das Wesen des Rechtes in der Überzeugung findet2). Für die Annahme einer solchen Anerkennung bedarf es nicht — wie bei einem Vertrag oder anderen privaten Rechtsverhältnissen — der Kenntnis und Billigung des Inhaltes der einzelnen Rechtsnormen. Ohne Aner­ kennung der Normen, als rechtlich notwendiger, sind sie nicht Rechtsnormen,- die Tat­ sache der Anerkennung selbst und ihre geschichtlichen Ursachen, unter welchen sich die Unterwerfung unter dauernde Gewalt befinden kann, gehören wohl der Rechts­ geschichte, aber nicht dem Rechte an.

42

1. „Rechtsauelle" ist ein bildlicher Ausdruck mit mehrfacher Bedeutung. 43 a) Nechtsauelle ist zunächst der rechtserzeugende Faktor oder die Mehrheit solcher Faktoren in einem bestimmten Gebiet und einer bestimmten Zeit. Das Recht setzt eine freie Gemeinschaft voraus, deren Ordnung es sein will,- eine freie Gemeinschaft ist nicht mehr vorhanden, wenn ihr die Ordnung lediglich von außen, von einer nicht zu ihr selbst gehörigen Macht auferlegt wird und nicht von ihr selbst stammt. Daher ist die Auffassung des deutschen Rechtes3), daß

*) Schriften: Adickes, Zur Lehre von den Rechtsquellen (1872); Paul v. Roth, System des deutschen Privatrechts Bd. 1 (1880), 248 ff.; E. Huber im Polit. Jahrb. der Schweiz. Eidgenossenschaft Bd. 25 (1911), 24ff.; Oppenheim, Zur Lehre vom internationalen Ge­ wohnheitsrecht, in Niemeyer's Ztschr. f. intern. R. Bd. 25 (1915), 1; M. Rümelin, Gesetz, Rechtsprechung und Volksbetätigung auf dem Gebiet des Privatrechts, ArchZivPrax. 122, S. 145, 265; Alf Roß, Theorie der Rechtsquellen (Wiener Staats- und Rechtswissenschaftl. Studien Bd. XIII) 1929, insbes. S. 290ff.; F. Endemann, Die Rechtsquellen des bürger­ lichen Rechts und ihre Auslegung, in Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben (1929) Bd. 2, 132ff.; E. Mezger, Der Begriff der Rechtsquelle, in der Festgabe für Heck, Rümelin, A. B. Schmidt, 1932, Beilagenheft zum ArchZivPrax. 133, 19ff. *) Vgl. hiezu Jhering, Geist des Röm. Rechts I § 3, Binder ZHR. 100, 34; dagegen Stampe in DIZ. 05, S. 417, 713: „Die Rechtsordnung ... ist nur eine Summe von Rechts­ sätzen"; derselbe, Unsere Rechts- und Begrisfsbildung S. 3 und 10ff. 2) Vgl. Brie, Die Lehre vom Gewohnheitsrecht I (1899) S. 235, 246ff.; Geiler, Beiträge zum modernen Recht, S. 30 f., 163 f.: Die Geltung der Rechtsnormen beruht darauf, daß sie lebendiger Ausdruck, Integration der Rechtsgemeinschaft sind, von der Überzeugung und An­ erkennung der Rechtsgenossen getragen werden. Vgl. ferner oben Bem. 31. 3) Vgl. hiezu schon Puchta, Das Gewohnheitsrecht (2 Bde., 1828, 1837) I, XIII: „Das Volk ist aber nicht bloß der Boden, auf welchem das Recht entsteht, sondern es ist auch die Quelle des Rechtes selbst"; weitere Ausführung S. 133—143; s. auch Hölder, Natürliche und juristische Personen (1905) S. 134; Dnistrjanskyi ArchZivPrax. 132, 330: Das Volk ist die einzige wahre Rechtsquelle. Gesellschasts-, Gesetzes- und Richterrecht sind bloß soziale Formen des Rechts; sie schaffen nicht das Recht, sondern sie bilden es. Und zwar werden in Staat und

24 eint 44, 45

44

45

Einleitung.

alles Recht von dem Volke als der Rechtsgemeinschaft aus gebt, nicht eine bloß historische Auffassung, sondern auch theoretisch richtig, schon aus dem Grunde, weil das Recht ohne Anerkennung nicht besteht. Welche Elemente im einzelnen Falle zum Zweck der Rechtserzeugung über die Gemeinschaft suggestiv verfügen und wie dies geschieht, kommt hier nicht in Betracht, eben­ sowenig wie die geschichtliche Form der Erscheinung dieser Elemente, ob ins­ besondere ihre Funktion als bloßer Organe der Gemeinschaft anerkannt oder verkleidet ist. d) Wenn man Gesetz oder Rechtsgewohnheit als Rechtsauelle bezeichnet, so meint man damit einen bestimmten Tatbestand, in welchem sich der Vorgang der Rechtserzeugung darstellt, durch welchen Menschen die von ihnen gewollte Rechtsordnung herstellen. Der rechtserzeugende Faktor kann Organe, Anstalten und Formen, wie für die Rechtsanwendung, so auch für die Rechtssetzung schaffen, als Werkzeuge seines rechtserzeugenden Willens) er kann aber ebensowenig sich selbst wie spätere rechtserzeugende Faktoren an diese Organe, Anstalten und Formen binden und jene oder sich von der Rechtssetzung außerhalb derselben und ohne ihre Vermittlung ausschließen. c) Geschichtlich ist die Art der Rechtserzeugung, welche man als gewohnheitSrechtli(6e4* )* bezeichnet, die ursprüngliche, in gewissem Sinne sogar begrifflich,' denn daß bestimmte Organe der Gemeinschaft für diese mit tatsächlicher Wirk­ samkeit Recht setzen, hat die fortwährende tätige Anerkennung dieser Organe und ihres Amtes als vertretender Organe der Rechtserzeugung zur Voraussetzung. In diesem Sinne kann gesagt werden, daß die verbindende Kraft des Gesetzes, das heute die dem Umfang nach weitaus stärkste Rechtsauelle ist, auf Gewöhnheilsrecht beruht und daß diesem nicht nur zeitlich oder für bestimmte Perioden der Rechtsgeschichte, sondern überhaupt begrifflich die übergeordnete Stellung zukommt, nicht aber umgekehrt dem Gesetze gegenüber dem Gewohnheitsrecht 6).* 8 Gesellschaft Vorbilder geformt, die durch den Richter im Urteil nach gebildet werden. Im Recht als Ganzem verbindet sich das Reich der Form mit dem Reich der Werte. 4) Schriften über Gewohnheitsrecht: Brie, Die Lehre vom Gewohnheitsrecht (1899); Wilhelm Schuppe, Das Gewohnheitsrecht, zugleich eine Kritik der beiden ersten Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1890); Zitelmann im ArchZivPrax. 66, 323ff.; A. Sturm, Revision der gemeinrechtlichen Lehre vom Gewohnheitsrecht (1900); Oertmann, Rechtsordnung und Berkehrssitte (1914) S. 16ff., 346ff.; Gmür, Zivilgesetzbuch und Gewohnheitsrecht, in der Festgabe für Eugen Huber (1919) Uff.; Stier-Somlo, Die Volksüberzeugung als Rechtsquelle, im Jahrb. der intern. Ber­ einigung für vergleichende Rechtswissenschaft Bd. 5, I, 71 ff.; E. Riezler, Das Rechtsgefühl (1921), 135ff.; E. Jung, Das sog. Gewohnheitsrecht als Grundfrage der Rechtsquellenlehre, ArchRWPHil. Bd. 22 (1929), 227ff.; St. Dnistrjanskyi, Das Problem des Volksrechts, Arch. ZivPrax. 132, 257ff., insbes. 320ff.; Max Rümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheits­ rechts und ihre Begründung, Tübinger Kanzlerrede 1929 (dazu Larenz KritBSchr. 62, 58ff.); H. Jsay, Rechtsnorm und Entscheidung (1929) S. 230fs.; Nawiasky, Zur Lehre vom Gewohn­ heitsrecht, in der Festschrift des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (1929); Egger, Kommentar zum Schweiz. ZGB. Bd. 1 (2. Aufl. 1930), Bem. IV zu Art. 1; Hans Mokre, Zur Theorie des Gewohnheitsrechts, ZOsfR. Bd. 12 (1932), S. 273, 386ff.; Mezger ArchZivPrax. 133 Beilagenheft S. 32ff.; Fr. Flumene, La consuetudine nel suo valore giuridico, Parte generale (Lassari 1925); Paul Binogradoff, The probiern of customary law, Acta Academiae universalis iurisprudentiae comparativae I (1928), 231 ff. 8) Die Versuche, das Gewohnheitsrecht als bloßes „Erzeugnis der romantisch-histori­ schen Phantasie" oder als indirektes Gesetzesrecht, als vom Gesetzgeberin dlancoakzeptierte Verkehrsregeln zu erklären (so Oscar Bülow, Heitere und ernste Betrachtungen 1901 S. 109;

VI. Rechtsquellen.

«int 46 25

Mit dieser Auffassung wird das Gewohnheitsrecht nicht etwa auf eine rechtsordnungs­ transzendente Ursache zurückgeführt/ vielmehr selbst als ein immanenter Bestandteil der Rechtsordnung anerkannt,- abgelehnt wird allerdings die von der sog. reinen Rechtslehre (so offenbar von Nawiasky a. a. O. lFutzn. 41) vertretene Meinung, datz Rechtsnorm heute nur sein könne, aber auch alles sei, was sich auf die „Autorität des Staates" zurückführen lasse. Man fahl auch den „Positivismus" in der allgemeinen Rechtslehre zu eng auf, wenn man ihm die Auffassung unterschiebt, als ob er nur das vom Staat „gesetzte" Recht gelten lassen wolle,- auch das Gewohnheitsrecht ist „positives Recht" (im Gegen­ satz zu einem Klotzen Rechtsideal, sei es einem naturrechtlichen oder einem andern).

Mit der im vorstehenden gekennzeichneten Stellung des Gewohnheitsrechts gegen­ über der Gesetzgebung ist aber der kodifikatorischen Bedeutung des BGB. (vgl. oben 11) kein Abbruch getan.

2. Das Gewohnheitsrecht kann auf dem Gebiete des Privatrechts (für das 46 Strafrecht vgl. Frank, Bem. I, 1 zu StGB. § 2) als originäre selbständige Rechtsauelle durch Vorschriften des Gesetzes nicht beschränkt werden. Es bedarf daher auch keiner Gestattung durch das Gesetz. Es ist insbesondere unrichtig, wenn auf Grund vermeint­ lich bindender römischer Gesetzesstellen angenommen wurde, datz Gewohnheitsrecht aus irrtümlicher Auffassung des bestehenden Rechtes sich nicht bilden könne8* ).* 6Die 7 Rezeption des römischen Rechtes hätte dann, als ein einziger grotzer Rechtsirrtum, überhaupt nicht auf gewohnheitsrechtlichem Wege erfolgen können7). Das Gewohnheitsrecht darf nicht gegen die Grundlagen der geltenden Rechts­ ordnung und nicht gegen die guten Sitten verstotzen,- zu weit geht es aber, wenn auch Vernünftigkeit oder Löblichkeit der Gewohnheit verlangt wird8). In einem praktisch wichtigen Falle besteht sein Inhalt gerade darin, datz die sonst zulässige Berufung auf § 138 (Nichtigkeit von Rechtsgeschäften wegen Verstotzes gegen die guten Sitten) aus­ geschlossen ist, insofern nämlich die Beitrittserklärung zu einer Aktiengesellschaft oder G.m.b.H. nicht wegen Sittenwidrigkeit als nichtig angesehen werden kann, RGZ. 123, 104.

Was in &efeüen über die Voraussetzungen der Bildung und der Zulässigkeit von Gewohnheitsrecht gesagt wird, gehört tatsächlich zum „unverbindlichen Ge­ setzesinhalt" im Sinne Eiseles ArchZivPrax. 69 S. 275, 289. Vgl. dazu auch Weigelin, Gesetzes- und Gewohnheitsrecht LZ. 26, 29f. Der im I. E. enthaltene Versuch einer gesetzlichen Einengung des Gewohnheitsrechtes ist im BGB. aufgegeben worden.

Richtig ist, datz eine Rechtsbildung durch Gewohnheitsrecht heute nicht zu ver­ muten ist, sondern im Streitfälle des Beweises insofern bedarf, als es dem Gericht Kiß, Gesetzesauslegung und ungeschriebenes Recht, in JheringsJahrb. 58, 414ff.), sollen hier nur erwähnt werden. 6) Wie hier auch RGRKomm. 2 vor § 1; Endemann, Lehrb. des deutschen bürg. Rechts, 8. Aufl. I, 36 und in Reichsgerichtspraxis II, 136; and. Ans. RG. in GruchBeitr. 49, 1154, s. aber auch die unten 51 angeführten Urteile, wonach jetzt als genügend angesehen wird, wenn an die Stelle der ursprünglich irrtümlichen Annahme, daß eine bestehende Rechtsvorschrift befolgt werde, die allmähliche Überzeugung von der Notwendigkeit der Übung getreten ist,ferner RGZ. 107, 84; 113, 359; 115, 314; 116, 247 (255); 135, 345 (Bildung von Handels­ gewohnheitsrecht). 7) Auf richterliche Rechtserzeugung — als einen Gegensatz zum Gewohnheitsrecht — führt O. Bülow, Gesetz und Richteramt (1885) S. 26 die Rezeption zurück, auf „das Ge­ baren jener treulos vom einheimischen zum fremden Recht abfallenden Richter" und deren „rechtsschöpferischen Beruf". Ebenso Schwister DIZ. 34, 1431. 8) So Endemann, Lehrbuch 1,35 § 9 Note 7; auch Dernburg, Das Bürg. Recht 3. Aufl., I. 82; and. Ans. Gierke DPR. I, 169.

26 eint 47-49

Einleitung.

unbekannt ist; doch ist das Gericht bei der Ermittlung gewohnheitsrechtlicher Rechts­ normen nach ZPO. § 293 auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisauellen zu benutzen und zum Zwecke solcher Benutzung das Erforderliche anzuordnen. Zu weit geht es, wenn Nawiasky a.a.O. annimmt, eine gewohnheitsrechtliche Rechtsbildung könne „nur soweit in Frage kommen, als auf einem bestimmten Rechtsgebiete der Spezialgesetzgeber ausdrücklich Gewohn­ heitsrecht zuläbt oder nachweislich von der Voraussetzung seiner Geltung aus­ geht". Wenn auch das parlamentarische System die Bedeutung der Gesetzgebung als (vermeintlichen) Ausdrucks des Volkswillens sehr verstärkt hatte, so blieb es doch, auf dem Gebiete des Privatrechts wenigstens, immer eine tatsächliche Frage, ob neben der staatlich geregelten noch eine andere Art von Rechtsbildung sich durchzusetzen ver­ mochte. Die nationalsozialistische Rechtsauffassung erkennt die Rechtsbildung durch Gewohnheitsrecht ohne weiteres an; ist ihr doch der Staat bei der Rechtsschöpfung nach einem bekannten bildlichen Ausdruck nur Hebamme, nicht Wöchnerin (Merk, Deutsche Rechtserneuerung, Südd. Monatshefte, 31. Jahrg. S. 263, und oben Bem. 31). Dah einem Reichsgewohnheitsrecht die Kraft zur Auherwirkungsetzung eines Reichsgesetzes zukommt, wird anerkannt in RGZ. 135, 345.

47

Als Beispiele gewohnheitsrechtlicher Rechtsbildung seien angeführt: die Zulässigkeit der Blankettunterschrift bei gesetzlich vorgeschriebener Schriftform (vgl. Bem. IV, 1 zu § 126); die dem mittelbaren Vertreter unter Umständen zustehende Schadensliauidation aus fremdem Interesse (vgl. Vordem. 8 vor § 164); das Aus­ sonderungsrecht des Fiduzianten im Konkurse des Fiduziars (vgl. Bem. VI, H der Ein­ leitung vor § 104); die Anerkennung der Sicherungsübereignung (vgl. Bem. 32 zu § 929); die Anerkennung der vorbeugenden Unterlassungsklage (s. dazu neuerdings Endemann, RGPraxis II, 152f.); die Unanfechtbarkeit von Beitrittserklärungen im Vereinsrecht und Gesellschaftsrecht (vgl. Bem. VI, e der Einleitung vor § 116). Auch die für die Rechte und Pflichten des Bühnendarstellers geltenden Normen sind zum Teil gewohnheits­ rechtliche (für das österreichische Recht ausdrücklich anerkannt in § 50 des österr. Schauspielerges. vom 13. Juli 1922).

Vgl. im übrigen über das Gewohnheitsrecht, insbesondere Überseine Voraus­ setzungen und über das Verhältnis partikularen Gewohnheitsrechts zum Reichsrecht Bem. III, 5 zu EG. Art. 2 in Bd. VI dieses Werkes.

48

3. Das Recht hat einen örtlichen, persönlichen und sachlichen Geltungsbereich, den es seinem Begriffe nach nicht überschreiten kann. Innerhalb dieses Bereichs gibt es Bezirke, die es nicht überschreiten soll. Nach Reichsverfassungsrecht gehen Reichsgesetze den Landesgesetzen vor (NV. von 1871 Art. 2, RV. von 1919 Art. 13 Abs. 1: „Reichsrecht bricht Landesrecht" und die oben 9 a. E. und unten 49 angeführte Neuaufbaugesetzgebung).

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4. Landesvrivatrecht. Das BGB. bat das Landesprivatrecht in Art. 55 EG. grundsätzlich aufgehoben, in den Art. 59—152 bezüglich der dortselbst bezeichneten Materien das Landesrecht als „unberührt" erklärt, das öffentliche Recht der Länder dagegen überhaupt nicht grundsätzlich berührt. Hienach ergab sich die Notwendigkeit einer doppelten Grenzziehung: Es war im einzelnen Falle die Grenze zwischen öffentlichem und Privatrecht festzustellen; es war weiter die Grenze zwischen dem vor­ behaltenen Privatrechtsgebiete und dem Gebiete des Reichsprivatrechts zu ziehen. Für die Landesgesetzgebung, der die Aufgabe zufiel, mit Rücksicht auf das BGB. das grundsätzlich unberührte und das nur teilweise unberührte Recht einer Revision und Umgestaltung im Sinne einer Anpassung an das Reichsrecht zu unterstellen, war die Notwendigkeit gegeben, sich innerhalb des durch die reichsgesetzliche Zuständigkeit gewiesenen sachlichen Gebietes zu halten. Ob und inwieweit dies geschehen, konnte nicht die Landesgesetzgebung, sondern nur der Richter entscheiden.

VI. Rechtsquellen.

eint 50, 51 27

Nach Art. 13 Abs. 2 der RV. vom 11. August 1919 konnte bei Zweifeln oder Mei­ nungsverschiedenheiten darüber, ob eine landesrechtliche Vorschrift mit dem Reichsrecht vereinbar sei, die zuständige Reichs- oder Landeszentralbehörde nach näherer Vorschrift des Ausführungsgesetzes vom 8. Avril 1920 (RGBl. 510) die Entscheidung des Reichsgerichts anrufen; die Entscheidung hatte Gesetzeskraft. Jetzt kann die Ent­ scheidung einfach durch die Reichsregierung getroffen werden, da durch das Ges. über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 (RGBl. I, 75) Art. 2 die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergegangen sind und die Landesregierungen der Reichs­ regierung unterstehen. Im übrigen können jetzt neue Landesgesetze überhaupt nur noch mit Zustimmung des zuständigen Reichsministers erlassen werden. S. oben 9. 8. Als Rechtsauelle ist auch die sog. Autonomie anzusehen, das ist die Befugnis 50 nicht staatlicher Verbände zur Schaffung objektiven Rechtes. Vgl. hierüber und über das der Autonomie entsprechende Gewohnheitsrecht, die Observanz, Niedner Einführungsges., zu Art. 2; Gierke, DPR. I § 19; Dnistrjanskyi, JheringsJ. 79,57 ff.; M. I, 10ff., Bem. III, 4 zu Art. 2 des EG. in Bd. VI dieses Komm. Kein Ausfluß der Auto­ nomie ist jedoch vom Standpunkt des BGB. aus bei einem rechtsfähigen Verein der Gründungsvertrag, durch den die Satzung geschaffen wird; s. darüber und über die Vereins-„Autonomie" überhaupt 6—8 zu § 25. Das in Art. 57, 58 EG.BGB. vorbehaltene Recht der Autonomie als Standes­ vorrecht der früheren Landesherrn und der vormals reichsständischen Familien ist in Preußen beseitigt durch § 1, II, 1 des Preuß. Ges. über die Aufhebung der Standes­ vorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen vom 23. Juni 1920 (GesS. S. 367). In Bayern ist mit der Aufhebung der Adelsrechte (Ges. vom 28. März 1918, Bayer. Verf.-Urk. vom 14. Aug. 1919 § 15 Abs. 2 Satz 1) auch die Autonomie aufgehoben; vgl. BayObLGZ. 20 A, 235. Wegen der übrigen Länder s. Bem. HI, 2 zu EG. Art. 57. Die Hauptbedeutung der Autonomie liegt auf öffentlichrechtlichem Gebiet (ge­ meindliche Selbstverwaltungskörper und sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts). Auch die Betriebsgemeinschaft nach § 1 des RG. zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Jan. 1934 (RGBl. I, 45) ist ein autonomer öffentlichrechtlicher Verband ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die Betriebsordnung nach § 26 autonome Satzung (objektive Rechtsnorm); die Tarifordnung (§ 32 das.) dagegen ist eine (überbetriebliche) echte Rechtsverordnung; Dersch, Die Rechtsnatur der Tarifordnung und der Betriebsordnung und ihre praktischen Auswirkungen, in der Zeitschr. Deutsches Arbeitsrecht 34, 65; Huber IW. 34, 1019. Observanz ist die in einem bestimmten engeren Kreise bestehende lange dauernde 51 (nicht gerade notwendig zehnjährige) gleichmäßige tatsächliche Übung, die verbunden ist mit der Überzeugung, zu solchem Verhalten rechtlich verpflichtet zu sein. Beim Mangel entgegenstehender Umstände begründet die Tatsache der langjährigen Übung aber eine Vermutung für diese Rechtsüberzeugung; daß die opinio necessitatis fehle, muß erst beweisen, wer dies behauptet. Ein Irrtum vermag dann nicht zur Observanzbildung zu führen, wenn die Übung nach Meinung der Beteiligten auf Anwendung eines in Wahrheit nicht bestehenden Rechtsgrundsatzes oder auf falscher Rechtsauslegung beruht, wohl aber dann, wenn sie dem allgemeinen Rechtsgefühl entspringt, daß sie unter den obwaltenden Umständen dem Rechte und der Billigkeit entspreche. Vgl. Preuß. OVG. 76, 378ff. und in IW. 31, 3402 Nr. 6; RGZ. 52, 423ff.; 76, 113ff.; RG. IW. 10, 944; WarnR. 12 Nr. 23; HRR. 31 Nr. 134.

Von der Observanz unterscheidet sich nach RGZ. 102, 12 und „Recht" 24 Nr. 321 das Herkommen; es beruht auch nicht auf einer vertraglichen Grundlage, sondern ist eine Übung, die ein besonderes Rechtsverhältnis dauernder Art zwischen zwei Beteiligten (und nur zwischen diesen) regelt und ein Anerkenntnis zum Ausdruck bringt, das die vertragliche Regelung ersetzt. Vgl. auch Gierke, DPrR. I, 172.

28 vi«l. 52-54

Einleitung.

6. In einem gewissen Sinne kann auch das Rechtsgefübl als eine Rechtsauelle bezeichnet werben9* ).*10* Die * * deutsche Gesetzgebung hat es nirgends als einen Entstehungs­ grund des Rechts anerkannt. Man kann es aber eine mittelbare Rechtsauelle nennen, insofern es zu den psychologischen Entstehungsauellen vieler (durchaus nicht aller) gesetzlicher Bestimmungen gehört, andrerseits das wichtigste, wenn auch nicht das einzige, Entstebungselement des Gewohnheitsrechts ist. Darüber hinaus ist aber das Rechtsgefühl (oder Rechtsbewuhtsein) eine wichtige unmittelbare Quelle für das der „Lückenausfüllung" dienende, durch die Rechtskunst gebildete Recht praeter legem, das freilich den Charakter eines unsicheren Rechts hat (s. darüber unten 68, 70, 75 letzter Absatz). Im Rechtsgefühl selbst spielen jedoch neben den rein gefühlsmäßigen in starkem Mähe intellektuelle Vorstellungen und Wertungen mit. Cosack (Lehrbuch des bürg. R. 8. Aufl. Bd. 1 8 10 S. 19ff.) erblickt eine selbständige Rechtsauelle in dem „Bedürfnis des Rechtslebens",- diese Auffassung steht der vorigen insofern nahe, als eben das Bedürfnis des Rechtslebens sich zunächst im Rechts­ gefühl äuhert und dieses durch jenes wesentlich mitbestimmt wird. Vgl. dazu auch Rümelin ArchZivPrax. 122,171. 53 7. Dagegen sind nicht als Rechtsauelle zu erachten: die „Berkehrssitte" (88 157, 242) und die Handelsgebräuche (8 346 HGB.)"), die allgemeinen Geschäfts­ bedingungen ^), die Rechtsprechung, die Rechtswissenschaft. Wohl aber können Recht­ sprechung und Wissenschaft zur Rechtsfortbildung erheblich beitragen, indem sie zur Bildung von Gewohnheitsrecht führen. „Juristenrecht" ist, soweit es wirklich neu­ gebildetes Recht ist, ein Teil des Gewohnheitsrechts. Es gibt Gebiete, auf welchen sich Gewohnheitsrecht nur als Juristenrecht, als Gerichtsgebrauch und Recht der Wissen­ schaft entwickelt. So auf dem Gebiete des Prozehrechts. Im Bereiche des bürgerlichen Rechtes kann das Juristenrecht diese bevorzugte Stellung nicht beanspruchen, wenn­ gleich sich auch hier das Gewohnheitsrecht vornehmlich im Gerichtsgebrauch äuhert. Vgl. oben 47 und unten 68 über das sog. Richterrecht. 54 8. Zur Lehre von den Rechtsauellen gehört auch die Lehre von der örtlichen und zeitlichen Geltung der Rechtsnormen. Die erstere ist zum Teil im EG. Art. 7—31, die letztere im EG. Art. 153ff. behandelt. Nicht entschieden ist der Fall eines Zusammen­ treffens von zeitlicher und örtlicher Kollision der Gesetze. Hier ist die Frage nach der Priorität der einen oder andern Kollision zu beantworten. Die Mei­ nungen sind geteilt: nach Niedner Einführungsges. S. 297 ist die örtliche Kollision zuerst zu lösen, nach 5>röu6t12) und andern die zeitliche. Die Entscheidung zugunsten der

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®) Darüber ausführlich E. Riezler, Das Rechtsgefühl (1921), namentlich S. 123ff., wo auch weitere Literatur angegeben ist. Bgl. auch Max Rümelin, Rechtsgefühl und Rechts­ bewußtsein (1925); A. E. Hoche, Das Rechtsgefühl in Justiz und Politik (1932). — Stark über­ treibend behauptet H. Jsay, Rechtsnorm und Entscheidung (1929) S. 3 und weiterhin, das Rechtsgefühl entweder allein oder in Verbindung mit der praktischen Vernunft sei die Quelle, welche allein Recht erzeugen könne. 10) Dafür Danz, Laienverstand und Rechtsprechung S. 20; derselbe, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte (3. Aufl. 1911) S. 128: „Vom BGB. sanktioniertes Gewohnheits­ recht." Vgl. dagegen Düringer-Hachenburg-Geiler HGB., 3. Aufl. 1,12ff. („abgeschwächte Rechtsquellen" insofern, als ihre Anwendung stets durch den Parteiwillen ausgeschlossen werden kann und sie erst kraft Gesetzes, also abgeleitete Kraft haben) und besonders ausführlich Oertmann, Rechtsordnung und Berkehrssitte (1914). n) die neuerdings Großmann-Doerth in der oben S. 19 Fußn. 34 angeführten Schrift als „selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft" (lex contractus) dem staatlichen Recht gegenüberstellt; vgl. ferner Helmut Rühl, Rechtsschöpfung durch die Wirtschaft (Mannheim 1931). 12) Die Einwirkung des BGB. auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl. S. 39 und die daselbst angeführten Schriftsteller.

VI. Rechtsquellen.

Elul. 55, 56 29

Priorität der zeitlichen Kollisionsnormen dürfte den Vorzug verdienen,- in diesem Sinne hat das Reichsgericht ständig entschieden: zum „bisherigen Rechte" gehören auch die bisherigen örtlichen Kollisionsnormen. Vgl. IW. 01, 452, DIZ. 02, 44 Nr. 8; BöhmsZ. XII, 618; OLG. (Dresden) 8, 12; s. aber auch Einleitung J vor Art.7 EG. in Bd. VI dieses Werkes. 9. Der Richter hat gegenüber der Berufung auf eine Rechtsauelle das Recht und, 55 wenn Zweifel bestehen, die Pflicht zu prüfen, ob eine solche wirklich vorliegt. Er hat insbesondere bei Rechtssätzen, die auf Verordnungen beruhen, zu prüfen, ob der Ver­ ordnungsweg überhaupt zulässig war und nicht etwa ein Gesetz notwendig gewesen wäre. Nach der Weimarer Verfassung war der Richter auch befugt, ein ordnungsmäßig erlassenes Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit, nicht aber auf seine Zweckmäßigkeit zu prüfen (RGZ. 111, 320, dazu Stoll JheringsJ. 76, 193f. mit weiteren Nachweisen, aber auch die rückwirkende Einschränkung durch das Reichsgesetz über die Rechtmäßig­ keit von Verordnungen und Verwaltungsakten vom 3. Juli 1934, RGBl. I, 530, und da­ zu Grünewald im Beamtenjahrbuch 34, 430). Das Reichsgericht sprach aus, daß der Richter grundsätzlich überhaupt nicht befugt sei, einem ordnungsmäßig erlassenen Gesetze seines Inhaltes wegen die Anwendbarkeit abzusprechen, weil es nach seiner Meinung gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben im Verkehr verstoße (107, 317; 125, 279) oder fehlerhaft sei (121,172; 125, 41); der Gesetzgeber sei selbst­ herrlich und an keine andern Schranken gebunden als diejenigen, die er sich selbst in der Verfassung oder in anderen Gesetzen gezogen habe (118, 325). Es ist aber in diesem Zusammenhang auch an die Kundgebung des Vorstands des Richtervereins beim Reichs­ gericht vom 8. Jan. 1924 zu erinnern, die den Gesetzgeber davor warnte, durch sein Machtwort die Aufwertung zu verbieten und dadurch die Gefahr herbeizuführen, daß der geplante Eingriff durch das höchste Gericht als rechtsunwirksum seiner unsittlichen Folgen wegen beurteilt werden würde"). Der nationalsozialistische deutsche Rechtsstaat (darüber oben 31 f.) erkennt den 56 Grundsatz der Unabhängigkeit der Rechtsprechung und der Gesetzmäßigkeit der Ver­ waltung an, aber nur im Rahmen der einheitlichen, geschlossenen und gleichgerichteten, im Führer verkörperten Gesamtstaatsgewalt. Die liberal-rechtsstaatliche Gewalten­ teilung von Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung mit dem Ziele, durch die gegenseitige Hemmung und Beschränkung dieser drei voneinander unabhängigen Gewalten ein Gleichgewicht zu schaffen, in dem der staatsfreie private Bereich der Einzelperson den höchstmöglichen Schutz erhallen solle, widerspricht dem politischen Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staatsaufbaus und echtem Führertum. Die Fülle der gesetz­ gebenden Gewalt, insbesondere auch die Verfassungsgesetzgebung, ist in der Hand der Reichsregierung und damit des Führers und Reichskanzlers13 14). Ein richterliches Prüfungs-

13) DRZ. 24, 7, aber auch S. 40, 41; zustimmend Jsay, Die Isolierung des deutschen Rechtsdenkens (1924) S. 33f., 39; Goldschmidt, Gesetzesdämmerung IW. 24, S. 245, 343; Freiherr Marschall v. Bieberstein, Vom Kampf des Rechts gegen die Gesetze (Stuttgart 1927) S. 157; vgl. ferner DIZ. 24, S. 136 (Karger), 188 (Hedemann), 202 (Hachenburg), 243 (Simons), 864 (Bendix); DRZ. 25, S. 71 (Jacusiel), 73 (Nasse), 74 (Schmoschewer); Hippel DIZ. 28, 1517; Lobe LZ. 29, 871; Jung JheringsJ. 84, 14; ablehnend Stoll, Rechtsstaatsidee und Privatrechtslehre JheringsJ. 76, 202; M. Rümelin ArchZivPrax. 122, 266; Heck ebenda 223; Schwinge, Methodenstreit S. 23; Larenz, Problem der Rechtsgeltung S. 32f. ") C. Schmitt, Nationalsozialismus und Rechtsstaat IW. 34, 713, auch DIZ. 34, 945; E. R. Huber, Die Einheit der Staatsgewalt DIZ. 34, 950; Ed. Kern, Grenzen der richter­ lichen Unabhängigkeit? ArchRSozPhil. Bd. 27 (1934), 310; H. Henkel, Die Unabhängigkeit des Richters in ihrem neuen Sinngehalt (Hamburg 1934); L. Schöne, Richter und Rechts­ pflege im neuen Staat, ArchOffR. 25, 265 mit weiteren Nachweisen; Maunz, Deutsche Ver­ waltungsblätter 34, 209; Heintzeler DJ. 34, 1438; Sauer DJ. 35, 181.

30 Eial. 57

Einleitung.

recht hat daher jedenfalls gegenüber den nach dem 24. März 1933 (RGBl. I, 141) er­ lassenen Gesetzen keinen Raum. Auch „Jndividualgesetze" sind zulässig, sofern in einem besonders und unvergleichbar gelagerten Falle eine konkrete Einzelentscheidung sach­ gerecht, vernünftig und notwendig ist.18) Wohl aber können Rechtsverordnungen wie z. B. die vom Treuhänder der Arbeit erlassenen Tarifordnungen (§ 32 AOG., wozu oben 50), vom Gericht auf ihre Gesetzmäßigkeit, nicht aber auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit, nachgeprüft werden (Dersch, Rechtsnatur der Tarifordnung, DAR. 34, 69; dagegen Höhn DR. 34,435 gegen jede inhaltliche Unterscheidung zwischen Gesetz und Rechtsverordnung; vgl. auch LAG. Berlin in DJ. 35, 73). Die Frage, ob ältere Gesetze mit der heutigen Staatsauffassung und der national­ sozialistischen Weltanschauung noch vereinbar sind, hat der Gesetzgeber, nicht der Richter zu entscheiden. Der Richter ist an das Gesetz gebunden, „hat nicht die Aufgabe, die gellenden Gebote des Staats zu ändern, also Recht zu schaffen, sondern die Pflicht, das Recht zu schöpfen aus dem Born der Normen, die das Volk im Volksstaat durch den Führer gesetzt hat" (Freister DJ. 33, 694). Auch die älteren Gesetze verdanken ihre Weitergeltung dem Ordnungswillen des neuen Staates^), sind aber zeitgemäß aus dem neuen Rechtsgeift auszulegen (s. oben 37/38).

57

1. Allgemeines.

VII. Rechtsanwendung.**)

Der unmittelbare Zweck des Rechtes ist, angewendet zu werden, als Entscheidungs­ norm zu dienen und zwar nicht nur für Streitfälle, sondern auch und in erster Linie

15) Huber DIZ. 34, 956, wo als Beispiel angeführt wird das RG. über die Befreiung des Reichspräs. v. Hindenburg von Reichs- und Landessteuern für das Rittergut Neudeck vom 27. Aug. 1933, RGBl.I, 595; die constitutio personalis des römischen Rechts; vgl. Regels­ berger Pandekten I § 30 Note 1; Gierke DPrR. I § 19 Note 1 und die dortigen Zitate. 16) Freister DJ. 33, 694 und 34, S. 747, 1333; weiter C. Schmitt DR. 33, 201; Wunderlich DIZ. 34, 10; Krug DJ. 34, 53; Lühr DRZ. 34, 33; Hoche JDR. 34, 25; Bull ArchZivPrax. 139, 337; Hildebrandt DR. 34, 354; Dölle DIZ. 34, 1017, und in Schmollers Jahrb. Bd. 57, 653; Herschel DIZ. 33, 1008; Wassermann KGBl. 34, 37; Dahm, DStrR. 34, S. 90, 252; RGZ. 143, 83 („Wesen und Berechtigung des Doppelver­ dienens sind indessen so bestritten, daß nur der Gesetzgeber zu entscheiden vermag...."); 144, 310 („Nach wie vor gilt der die allgemeine Rechtssicherheit verbürgende, an der Spitze des GBG. stehende Grundsatz, daß der Richter dem Gesetz unterworfen ist. Ebenso gilt noch jetzt § 336 RStGB., wonach die Beugung des Rechts mit Zuchthaus bestraft wird"); vgl. auch die RGE. in DJ. 34, 515; PrOBG. in IW. 34, 1269; KG. DJ. 34, 193; LAG. Berlin KGBl. 34, 3; and. Ans. Küchenhoff G., Nationaler Gemeinschaftsstaat, Bolksrecht und Volksrechtsprechung (Gruyter u. Co. 1934) S. 30 f., LAG. Gleiwitz DRZ. 33 Nr. 687; LG. Kassel IW. 34, 783. *) Schriften: C. A. Reuterskiöld, über Rechtsauslegung (Upsala 1899); Bierling, Juristische Prinzipienlehre Bd. 4 (1911) § 53; Arthur Baumgarten, Die Wissenschaft vom Recht und ihre Methode Bd. I (1920) §§ 13f., Bd. II (1922) S. 586f.; F. Endemann, Die Rechtsquellen des bürgerlichen Rechts und ihre Auslegung, in Neichsgerichtspraxis Bd. II (1929), S. 132 f.; Manigk in Stier-Somlos Handwörterbuch der Rechtswiss. (HdN.) I, 431; II, 474; Germann, Grundsätze der Gesetzesauslegung, in Ztschr. f. Schweizerisches Recht Bd. 65 (1924), 193 s., mit Nachweisen weiterer schweizerischer sowie französischer und italienischer Schriften; W. Walder, Grundlehre jeder Rechtsfindung, ArchRWPhil. Bd. 21 (1927/28), S. 90, 240; Karl Friedrichs, Der Allgemeine Teil des Rechts (1927) S. 123f. (auch in IW. 21, 878); Heinz Hildebrandt, Rechtsfindung im neuen deutschen Staat (Gruyter 1935); WindscheidKipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. (1906) I, §§ 20f.; Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des bürg. Rechts Bd. I §§ 48 f. Weitere Schriftennachweise im folgenden Text, besonders unten S. 40—43 Fußnoten und S. 49!

VII. Rechtsanwendung.

eint 58 31

für die im Verhältnis zu jenen unvergleichlich häufigeren friedlichen „Geschäftsfälle" *). Um angewendet zu werden, mutz aber das Recht nach seinem Inhalte feststehen. Den Inhalt eines Gesetzes klarzulegen, ist Sache der wissenschaftlichen Auslegung3*),-2 ihre Aufgabe ist um so bedeutender, je weniger offenbar dieser Inhalt ist. Die Auslegung des Gewohnheitsrechts fällt mit der Feststellung des Gewohnheitsrechtssatzes zu­ sammen. Wo aber Gesetz und Gewohnheitsrecht auf eine Rechtsfrage schweigen oder zu schweigen scheinen, mutz gleichwohl das richtige Recht — praeter legem — gefunden werden. Die Grenzen zwischen Auslegung im engeren Sinn (Rechtsentfaltung) und ergänzender, fortbildender Rechtsfindung, richterlicher Rechtsschöpfung sind flüs­ sig 3) und die Ergebnisse hier wie dort oft nicht zwingend, nicht entweder „richtig" oder „falsch"; die Hauptsache ist, datz sie dem Einzelfalle angemessen, gerecht sind. Staat und Recht sind nicht Selbstzweck, sondern nur Lebensform und Lebensordnung des Volkes und finden in dem Wohle des Volksganzen Inhalt und Grenzen4).* 6Die Rechtswissen­ schaft ist ihrer Natur nach nicht eine exakte Wissenschaft wie die Mathematik, die Rechts­ anwendung kein Rechenexempel3).

2. Auslegung. Hinsichtlich der Auslegung von Gesetzen stehen sich zwei Theorien gegenüber3). 58 Die subjektive Theorie (historische Auslegung) hält für matzgebend den historisch gegebenen wirklichen „Willen des Gesetzgebers" — sofern dieser nicht in einem

*) Franz Klein im Recht 06, 417; Riezler, Das Rechtsgefühl (1921) S. 158. 2) Von ihr ist die durch neues Gesetz erfolgende sog. authentische Auslegung mit Rück­ wirkung (nachträgliche Legalinterpretation) zu unterscheiden. RGZ. 94, 162; 124, 228. Der Gesetzgeber kann auch sonst, freilich nur innerhalb gewisser Grenzen, bestimmte Wege der Rechts­ findung vorschreiben, z. B. durch Fiktionen, gesetzliche Begriffe und Konstruktionen; Stoll JheringsJ. 76, 159 Fußn. 1; Leonhard, Auslegung und Auslegungsnormen (Marburg 1917), vgl. auch unten Fußnote 11 a. 3) Vgl. etwa W. Burkhardt, Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzesauslegung (Bern 1925) S. 82: „Gesetzesergänzung durch freie Rechtsfindung, analoge Anwendung bestehender Rechtssätze auf neue Fälle, Ergänzung unvollständig formulierter und genaue Bestimmung mehrdeutig formulierter Vorschriften sind nur verschiedene Stufen und Modalitäten einer und derselben Tätigkeit: Findung des richtigen Rechtes. Sie spielen sich in engerem oder weiterem Raum ab; aber sie sind von gleichem Wesen. Es besteht zwischen ihnen nur ein gradueller Unterschied, nicht ein begrifflicher." Ähnlich Kiß JheringsJ. 58, 450 mit dem Hinweis, daß auch eine Scheidung zwischen vollständigen, zweifelsfreien und lücken- und zweifelhaften Ge­ setzesbestimmungen praktisch nicht möglich ist. Vgl. ferner Dernburg, Pandekten Bd. 1 § 38; Gmür, Die Anwendung des Rechts nach Art. 1 des Schweiz. ZGB. (1908) S. 65f.; v. Tuhr, Allg. Teil Bd. I, 1 S.40, auch dessen Vortrag: Grundlagen und Ausbau des BGB. (Straß­ burg 1918); Hensel in der Bonner Festgabe für Zitelmann (1923) S. 237f. (Steuerumgehungs­ bekämpfung durch erweiternde Auslegung und Analogie?); Hedemann, Einführung in die Rechtswiss., 2. Aufl., S. 115; Heck, Begriffsbildung und JntJur. S. 107. 4) Heinrich Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht (Hamburg 1934) S. 35, 38, 40; RG. IW. 22, 910: Das Recht ist nicht Selbstzweck, sondern lediglich Schutz und Sicherung der Interessen der Bürger des Staates, und zwar einmal der persönlichen, sodann aber vor allem der wirtschaftlichen Interessen. Diese Interessen stehen daher beherrschend hinter den Rechtssätzen und Rechtsregeln, die zu ihrem Schutze dienen. Ähnlich RGZ. 142, 40. 6) Gustav Rümelin, Werturteile und Willensentscheidungen im Zivilrecht (Freiburg 1891) S. 29f.; Riezler, Venire contra factum proprium (Leipzig 1912) S. 129; Egger, Schweizerische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft (Berlin 1913) S. 6, 18; WindscheidKipp § 22. 6) Die Darstellung folgt hier zum Teil wörtlich Manigk HdR. I, 432, II, 488; vgl. ferner Josef Lucas, Zur Lehre vom Willen des Gesetzgebers (1908); Bierling, Jur. Prinzipien-

32 ei*L 59, 60

Einleitung.

einzelnen Willensträger individualisiert ist, ein der Auslegung der privaten Willens­ erklärung (§ 133 BGB.) entnommenes Bild —; sie geht daher bei Zweifeln vorwiegend auf die Gesetzesmaterialien, die Parlamentsverhandlungen, die occasio legis ein. Die objektive Auslegung (Ausdruckstheorie) erfaßt den Rechtssatz zwar in der vorliegenden Form, in dem Gesetz gewordenen Wortlaut, aber mit dem durch die gegenwärtigen Lebensbedürfnisse und Werturteile bedingten Sinn. Beide Theorien werden aber durch die Erwägung überbrückt, dab der Wille des Gesetzgebers im Zweifel, jedenfalls auf der Grundlage der historischen Nechtsauffassung, selbst dahin gebt, eine praktisch brauchbare Norm auch für die Zukunft zu schaffen, und dab der Gegenwartsgesetzgeber, der eine Norm nicht auber Kraft setzt, ihr tatsächlich neue Kraft verleiht, zwar nicht in einen vom Text abweichenden Sinn willigt, aber doch unter Umständen in einen früher nicht gewollten, nicht geahnten Sinn, sofern er nur vom Text noch gedeckt wird. 59 a) „Alle Auslegung fängt beim Worte an" (Dernburg), bei der Wort- und Satz­ interpretation nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem besonderen Stil und Zusammenhang des Gesetzes (vgl. z. B. den technischen Ausdruck „Ver­ fügung" und die Legaldefinition des § 90 BGB.): sog. grammatische (sprach­ liche) Auslegung. Führt sie zu keinem befriedigenden Ergebnisse, so ist zur sog. logischen (richtiger teleologischen) Auslegung zu schreiten, nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck des Gesetzes (ratio legis) zu fragen und dabei namentlich auf den Wert des Ergebnisses Rücksicht zu nehmen, das den jeweiligen kulturellen Anschauungen und wirtschaftlichen Bedürfnissen möglichst gerecht werden soll. Letztere Auslegung ist auch gegenüber einem sprachlich unzweideutigen Wortlaute nicht ausgeschlossen,- denn die Worte sind nur der möglicherweise unvollkommene Ausdruck der mabgebenden Gedanken?). Engherzige Buchslabenauslegung führt zum Formalismus, zu starke Be­ tonung der systematischen und historischen Gründe zum Stillstand, einseitige Berücksichtigung des Zweckmoments zu unsicherer, schwankender, ja willkürlicher Rechtsprechung. Die wahre Kunst der Auslegung beruht auf der von juristischem Takt und gesundem Menschenverstand geleiteten richtigen Abwägung aller Aus­ legungsgründe (so mit Recht Enneccerus Lehrb. § 51 a. E.). Gesetze des Dritten Reiches enthalten zuweilen einen Vorspruch, der Zweck und Absichten des Gesetzes klarstellt und mahgebende Richtlinien für die Auslegung enthält. Auch sonstige programmatische Änderungen des Führer­ willens sind bei ihrer Auslegung Leute ebenso zu berücksichtigen wie früher die parlamentarischen Gesetzesmaterialien (s. unten 60, 79). 60 b) Den nicht ganz einheitlichen Standpunkt des Reichsgerichts mögen folgende Proben aus der amtlichen Sammlung beleuchten: Auch für die Auslegung von Gesetzen habe der Grundsatz des § 133 BGB. zu gelten, dab nicht an dem buch­ stäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille des Gesetz­ gebers (127, 48; 133, 386), des Gesetzes (89, 187? 96, 327) zu erforschen sei, der wirkliche Sinn und Zweck des Gesetzes (139, 112; 117, 429), der Zweck des Ge­ setzes, wie er in der Entstehungsgeschichte und im Gesetze selbst zum Ausdruck gekommen sei (68, 320); der einer Vorschrift zugrundeliegende Rechtsgedanke lehre IV, S. 257f., 408; Merkl DRZ. 19, 290; Heck ArchZivPrax. 112, 1s. und Begriffsbild, und JntJur. S. 107; Stoll JheringsJ. 76, 171; vgl. auch unten 60, 74 a. E. und die Er­ läuterungen zu § 133. 7) Heck IW. 19, 102 Fußnote gegen RG. ebenda und IW. 12, 69; Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 65; Ehrlich JheringsJ. 58, 2; Fuchs in IW. 22, 8 und LZ. 29, S. 21 und 289; Binder ZHR. 100, 40; Walder ArchRWPh. Bd. 21, 247.

vii. Rechtsanwendung.

Einl. 61 33

sei erforderlichenfalls durch Einschränkung oder Erweiterung des bloßen Wort­ sinnes zur Geltung zu bringen (90, 57; 96, 327). Als Hilfsmittel für die Aus­ legung dürfe der Richter in Zweifelsfällen die Absicht des Gesetzgebers und den erkennbaren Zweck des Gesetzes, die gesetzgeberischen Vorarbeiten, die Stel­ lung der Vorschrift als Bestandteil eines zusammenhängenden Rechtssystems und auch Äußerungen gesetzgebender Faktoren in zweckentsprechender Weise heran­ ziehen (96, 327). Die Vorarbeiten (Gesetzesmaterialien) seien jedoch in der Regel bloß unterstützend zu verwerten (128,111 mit weiteren Nachweisen; 133,386; auch 125,269; 142,236). Die Ausdrucksweise eines Gesetzes werde unvermeidlich beeinflußt durch die Gedankenwelt der Verfasser; je rascher und stärker sich das Ver­ kehrsleben wandle, die Technik fortschreite, desto weniger tauge zur Auslegung eine Begründung, die vor der Zeit solcher Wandlungen liege (113, S. 416, 418 betr. Rundfunk; vgl. auch 123, 314). Ein allgemeiner Grundsatz der Auslegung sei, daß im Zweifel der Gesetz­ geber eine nützliche, nicht eine schädliche Vorschrift habe aufstellen wollen (74, 72). Bei verschiedenen Möglichkeiten der Auslegung verdiene im Zweifel diejenige den Vorzug, die dem Willen des Gesetzgebers am meisten entspreche (104, 173). Höher als der Wortlaut des Gesetzes stehe sein Zweck und Sinn; diesen im Einzelfalle der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben als dem obersten Satz bei Auslegung von Rechtsgeschäften den jeweiligen Streitfall einer billigen und vernünftigen Lösung zuzuführen, sei die Aufgabe des Richters (142, 40). Andererseits sei aber doch die Einschränkung zu machen, daß der Wille des Gesetzgebers im Gesetz wenigstens irgendwie Ausdruck gefunden haben müsse (104, 173; 133, 387; 139, 112).7a) Je einfacher und klarer der Wortlaut einer Gesetzesbestimmung sei, um so schwerer werde sich eine von ihm abweichende Auslegung rechtfertigen lassen (139, 112). c) Durch die Anwendung dieser Hilfsmittel kann nicht nur der unklare oder unvvll- 61 ständige Ausdruck des Gesetzes in seinem wahren Sinne bestimmt werden: sog. deklaratorische Auslegung, sondern auch der unrichtige Ausdruck oder Gedanke des Gesetzes (es läßt sich mitunter schwer unterscheiden, ob der Gesetzgeber nicht gesagt hat, was er bat sagen wollen, oder nicht gedacht hat, was er hat denken wollen, Windscheid-Kipp Pand. I, § 22) berichtigt werden: berichtigende Auslegung. Letztere ist entweder einschränkende (restriktive) °) oder aus­ dehnende (extensive«) oder sonst abändernde^) Auslegung, je nachdem der

7a) Gegen diese Ausdrucks- (Andeutungs-) Theorie des Reichsgerichts Heck ArchZivPrax. 112, S. 143, 154, Rümelin ebenda 122, 275; Stoll JheringsJ. 76, 169. 8) z. B. Beschränkung der Worte „oder ein sonstiges Recht" in § 823 I auf absolute Rechte durch RGZ. 57, 356; der Verzugsfolgen des § 326 auf den Verzug mit der Hauptleistung durch RGZ. 53, 164; 57, 110. 9) z. B. Ausdehnung der Worte „eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet" in § 126 I, insofern RGZ. 74, 69 es genügen läßt, wenn der Bevollmächtigte lediglich mit dem Namen des Vertretenen unterschreibt. 10) Z. B. Beschränkung des § 67 IV HGB. auf eine dem Handlungsgehilfen ungünstige ungleiche Kündigungsfrist durch RGZ. 68, 317; Einschränkung der Voraussetzung für den völligen Wegfall der Unterhaltspflicht des Mannes nach § 1579 II BGB., wenn die schuldlos geschiedene Ehefrau „den Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann", durch RGZ. 97, 278; Ausschluß der Anfechtung der Beitrittserklärung zu einer Kapitalgesell­ schaft oder Genossenschaft durch RGZ. 68, 344; 123,102. über Berichtigung von Widersprüchen im Gesetz und Redaktionsversehen vgl. RGZ.87, 305; 90, 57; BayObLGZ. 6, 354: Lobe „Recht" 13, 699; Stoll JheringsJ. 76, 184; Heck ArchZivPrax. 112, 145. Staudtnger, BGB. I (Brandl, Einleitung). 10. 9Iufl.

3

34 Sink. 62

Einleitung.

Gesetzeswortlaulauf mehr oder auf weniger oder auf sonst teilweise anderes geht als bei Gesetzeserlatz offenbar beabsichtigt. Die ausdehnende Auslegung steht der Gesetzesanalogie nahe- die einschränkende und abändernde Auslegung stellt im Ergebnis häufig eine Gesetzeslücke fest, wo eine Vorschrift Fälle umfaßt und Folgen herbeiführt, die vom Gesetzgeber nicht erkannt oder bedacht sind und sonst vernünftigerweise nicht so geordnet sein würden, und macht so den Raum frei für eine schöpferische Nechtsfortbildung. Das Gesetz verlangt nicht blinden, sondern „denkenden Gehorsam" und schließt solche mit dem Wort­ laut immerhin noch vereinbare „abändernde Rechtsfindung" nicht aus").

62

3. Analogie, Lückenausfüllung und schöpferische Rechtsfindung. a) E. I enthielt als § 1 die Vorschrift: „Auf Verhältnisse, für welche das Gesetz keine Vorschrift enthält, finden die für rechtsähnliche Verhältnisse gegebenen Vorschriften entsprechende Anwendung. In Er> mangelung solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden Grundsätze maßgebend."

Von der II. Kommission wurde die Vorschrift gestrichen. Mit dem Inhalt (nicht mit der Fassung) war man einverstanden, ging aber davon aus, daß zur Handhabung der Analogie eine eigene gesetzliche Ermächtigung nicht erforder­ lich sei, zumal Analogie und Auslegung in engstem Zusammenhang miteinander stünden, über die Auslegung aber gleichfalls Vorschriften nicht ausgenommen würden. E. I unterschied im Einklang mit der damals herrschenden Theorie (Windscheid, Pand. I §§ 22, 23) Gesetzes- und Rechtsanalogie. Die Ge­ setzesanalogie im Sinne jenes Entwurfs geht aus von der Auffassung, daß das einzelne mehr oder minder umfassende Gesetz ein systematisches Ganzes sein will, „ein organisches Gefüge innerlich zusammenhängender Normen",- die Rechtsanalogie von der Auffassung der Rechtsordnung als eines Ganzen, aus deren „Geist" die Entscheidung abzuleiten ist, wenn die Gesetzesanalogie nicht zum Ziele führt. Nach anderen hat sowohl die Gesetzes- als auch die Rechts­ analogie ein beschränkteres Anwendungsgebiet: Die Gesetz es analogie ist Ab­ leitung eines Prinzips aus einem einzelnen Rechtssatz, Rechtsanalogie die Ableitung aus mehreren Rechtssätzen, aus einem Komplex von Rechtssätzen (Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch I § 53)lia). In jedem Fall wird sohin ein Anhalt für die zu treffende Entscheidung im geltenden Recht gesucht. Die Analogie steht der ausdehnenden Auslegung nahe, und es mag im einzelnen Falle oft zweifelhaft sein, ob wir es mit dem einen oder dem anderen Behelf u) Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 48, 122; Wüstendörfer ArchZivPrax. 110, 333; Heck ebenda 112, 196f.; Rümelin ebenda 122, 290; Stoll JheringsJ. 76 S. 176, 183; Josef LZ. 26, 567; Heck, Begriffsbildung und JntJur. S. 107; Enneceerus Lehrb. I § 54. Vgl. etwa RGZ. 106, 272 (Teilstreik) und 107, 78 (Hypothekenaufwertung). Zur Präsumtion des „vernünftigen" Gesetzgebers vgl. Kohler GoltdArch. 53, 386, Gmelin DRZ. 09, 102, Reichel a. a. O. S. 77, Baumgarten, Wissenschaft vom Recht I, 297^ RGZ. 74, 72 (ver­ einigte Zivilsenate), aber auch Pagenstecher, Unbilliges Ergebnis und Gesetzesauslegung JurRdsch. 26, 361; Stoll JheringsJ. 76, 187; RGZ. 20, 325; 114, 34; 119, 26; 144, 310, wonach wirtschaftliche Gesichtspunkte und allgemeine Billigkeitserwägungen gegenüber aus­ drücklichen Gesetzesvorschriften zurücktreten müssen. Vgl. auch oben Bem. 55 a. E. lla) Dagegen handelt es sich lediglich um eine die Rechtsanwendung oft erschwerende Abkürzung der Fassung, wenn das Gesetz selbst „entsprechende" Anwendung der für einen bestimmten Fall gegebenen Vorschrift auf einen anderen Fall vorschreibt. Verwandt ist der technische Notbehelf der Fiktion: sie besagt, daß der Tatbestand a gleich dem anders­ gearteten Tatbestand b zu behandeln sei, wozu etwa R. Mallachow, Rechtserkenntnistheorie und Fiktionslehre. Das „Als-ob" im Jus (München 1922).

VII. Rechtsanwendung.

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zu tun haben. Grundsätzlich aber wendet die ausdehnende Auslegung die Rechts­ norm auf den Tatbestand an, weil sie ihn noch zu decken vermag, die Analogie, obwohl sie ihn nicht mehr zu decken vermag. Die Analogie ist häufig ein geeignetes Mittel, sog. Lücken des Gesetzes12) 63 auszufüllen, d. h. eine Norm für die Entscheidung in Fällen zu gewinnen, in denen die Rechtsordnung einen den Fall ausdrücklich und unmittelbar entschei­ denden Rechtssatz nicht enthält, aber die Bedürfnisse des Lebens und des Rechts­ verkehrs doch eine Entscheidung in einem bestimmten Sinne fordern. Der Gesetz­ geber mag einzelne Rechtsfragen bewußt nicht geregelt, andere übersehen haben; auch werden Fortschritte des Verkehrs und der Technik und die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse stets neue Fragen aufwerfen, die er noch gar nicht berücksichtigen konnte1^). Der Analogieschluß ist kein rein logisches, sondern zugleich ein teleologisches 64 Verfahren (Riezler, Rechtsgefühl S. 145f.). In Betracht kommen rechtspolitische Jnteressenerwägungen des Gesetzgebers, aber auch rechtstechnische Gesichtspunkte der Ordnung, Übersichtlichkeit und Folgerichtigkeit (Praktikabität), die ihn bei der Schaffung der einzelnen Vorschriften bestimmend beeinflußt haben (Heck, Begriffsbildung S. 72t, Oertmann, Interesse und Begriff S. 27). Im allge­ meinen dürfte es eher gerechtfertigt sein, einen gegebenen Rechtssatz auf solche von ihm nicht erfaßte Tatbestände entsprechend anzuwenden, die zur Zeit der Schaffung des Rechtssatzes in dieser Art noch gar nicht vorkamen, aber eine Regelung im Sinne jenes Satzes verlangen, als auf solche Tatbestände, die von dem Rechtssatze nicht erfaßt werden, obwohl sie zur Zeit seiner Schaffung schon vorlagen. In letzterem Falle spricht die Vermutung eher dafür, daß der Gesetz­ geber sie eben nicht in dieser Weise entscheiden wollte (argumentum e contrario, Gegenschluß). Doch läßt sich eine schlechthin durchgreifende Regel nicht auf­ stellen. b) Die Gesetzes- wie die Rechtsanalogie gehört der Praxis cm14);* 16 sie ist auch bei 65 Ausnahmerechtssätzen (leges singuläres) nicht ausgeschlossen, soweit der rechts­ politische Grund für die Sonderregel auch auf andere ähnliche Fälle zutrifft"). Die Zulässigkeit und insbesondere die Praktikabilität der Rechtsanalogie im Sinne der Ableitung der Entscheidungsnorm aus dem Zusammenhang der Rechtsordnung als einem Ganzen ist bestritten. Daß die Rechtsordnungen der verschiedenen Völker und Zeiten nicht zufällige Gruppen disparater Normen darstellen, sondern geschichtlich, wenn auch nicht gerade allenthalben auf fried12) Vgl. dazu E. Jung, Von der logischen Geschlossenheit des Rechts (1900) und ArchZiv.Prax. 118, 101 f.; Zitelmann, Lücken im Recht (1903) und die daselbst S. 38f. angeführten Schriften; Herrfahrdt, Lücken im Recht (1915); Elze, Lücken im Gesetz (1916); Burkhardt, Die Lücken des Gesetzes und die Gesetzesauslegung (1925); Stoll JheringsJ. 76, 175; insbes. über Lücken im BGB. auch Schober GruchBeitr. 65, 551. Vgl. ferner Wilhelm Fuchs, Lex permissiva, Jndifferenzstandpunkt, rechtsleerer Raum, Lückenfrage, in der Internatio­ nalen Zeitschrift für Theorie des Rechts, 1. Jahrg. (1926/27, Brünn) S. 183, 200. 13) Man denke etwa an die durch die Geldentwertung, Film- und Funkrecht entstandenen Probleme, worüber Grau, Rechtsprechung oder Gesetzgebung zur Anpassung des Privatrechts an die unveränderten Verhältnisse? im ArchZivPrax. 122, 318; Elster, Vom kulturellen Fort­ schritt der Rechtsfindung, JurRdsch. 29, 212. 14) Beispiele: RGZ. 137, 13; 107, 363; 116, 151 und bei Reichel, Gesetz und Richter­ spruch S. H3f.; ferner unten Fußnote 16 und Bem. 75 am Anfang. 16) Oertmann, Interesse und Begriff S. 29; Reichel, Gesetz und Richterspruch S.104; Wüstendörser, ArchZivPrax. 110, 312; Smoschewer KGBl. 24, 102; RGZ. 102, 319; 104, 56; 116, 91 (gegen letzteres Urteil Baumbach ZPO. Einleitung unter II, 8).

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lichem Wege erwachsene Ordnungen und insofern Einheiten sind, ist bereits oben Bem. 42 hervorgehoben. Es wäre allerdings verkehrt, die einzelnen Normen und Institute als Ableitungen aus einem oder einigen Gedanken, etwa wie bei einem philosophischen System, zu behandeln, während sie in der Tat mög­ licherweise verschiedenen Kulturstufen und sogar gegensätzlichen, geschichtlich sich ablösenden Gewalten ihre Entstehung verdanken, daher das Ganze not­ wendig widersprechende Elemente aufweist. Damit ist aber vereinbar, dah auf dem Wege der Induktion sich auch einheitliche, für das Ganze charakteristische Prinzipien ergeben, die nicht in Paragraphen formuliert sein müssen, aber trotzdem deutlich werden, wenn man Rechtsordnungen verschiedener Völker und verschiedener Geschichtsperioden vergleicht. Derartige Vorstellungen erscheinen als elementare Grundlagen des gesamten Rechtsstoffs und daher als eine andere Form dieses Stoffes. Ob und wieweit sie praktisch verwertbar sind, hängt davon ab, ob sie noch den erforderlichen Grad von Bestimmtheit besitzen, um aus ihnen ohne Willkür einen für die Entscheidung des einzelnen Falles tauglichen Rechts­ satz zu gewinnen. Unter dieser Voraussetzung aber ist auch gegen die Analogie auf derart breitester Grundlage, die in den Motiven zum BGB. auf Grund der seinerzeit herrschenden Meinung anerkannt wird, nichts einzuwenden18 16).17

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c) Betrachtet man ferner die einzelne Rechtsordnung, z. B. diejenige eines be­ stimmten Privatrechts, als ein (Unstimmigkeiten nicht ausschliehendes) System, innerhalb dessen die Normen und Institute in mehr oder minder umfangreichen Begriffen sich wiederfinden, so ergibt sich, abgesehen von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Begriffe für die Rechtsanwendung wie für die Rechtsetzung, als weitere Möglichkeit der Rechtsfindung die Ableitung von Nechtssätzen aus Begriffen und. aus dem (gesetzlichen, nicht einem wissenschaftlichen) System der Begriffe, das von Heck und anderen als begriffsjuristisch bekämpfte sog. Jnversionsverfahren*7). In der Tat liegt hier die Gefahr formallogischer Übertreibungen und Spitzfindigkeiten besonders nahe, wenn vor der „Begriffs­ vertauschung" die Wertung der zu beurteilenden Lebenserscheinungen vernach­ lässigt wird. Soll daher dieses Verfahren der Rechtsfindung zulässig sein und nicht in die berüchtigte sog. technische (zweckblinde) Begriffsjurisprudenz ausarten, so hat man sich dessen bewuht zu bleiben, dab die Rechtsbegriffe und zwar sowohl die „Gesetzesbegriffe" als auch die „wissenschaftlichen Ordnungs­ begriffe'^^) kein selbständiges Leben füfrcerx19), dah sie keine Hirngespinste 16) Vgl. Windscheid-Kipp, Pand. I § 23; Er ome,System des bürg. Rechts I §21 S. 107 zu Note 6; insbes. Bierling, Juristische Prinzipienlehre IV S. 411 f. Beispiele von Rechts­ analogie durch Ableitung der Entscheidungsnorm aus der Ordnung des öffentlichen und des Privatrechts bieten RGZ. 58, 130; 100, 69; 101, 105; 104, 84; 145, 112 (wo die Ausübung von Privatrechten hinter öffentlichen Interessen der Allgemeinheit zurücktreten muß, erhält der zur Aufopferung des Privatrechts Genötigte hiefür einen Anspruch auf Schadloshaltung, der vom Nachweis des Verschuldens unabhängig ist); 112, 189 (Enteignungsentschädigung); 97, 43/4 (Beamtenrecht). 17) Heck DIZ. 09, 1458 und Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz S. 73, 93, 110; Baumgarten, Wissenschaft vom Recht 1,297; II, 617; Stoll ArchZivPrax. 133, Beilagen­ heft S. 96, 115.

18) Heck, Begriffsbildung und JntJur. S. 52, 72f. 19) Es war schon gefährlich, wenn Jhering, Geist des römischen Rechts, 4. Ausl. Bd. II, S. 360, 384, die Begriffe als „wahre Rechtskörper", und Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814) S. 29 als „wirkliche Wesen, deren Dasein und deren Genealogie den Juristen durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist",

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sein dürfen, daß sie vielmehr nur die rechtliche Ordnung der Tatsachen des Lebens auf den kleinsten Umfang zurückführen sollen, somit auf der lebendigen Anschau­ ung der Welt und nicht auf „reinem Denken" beruhen, also ihrem Inhalt nach entwicklungsfähig und daher elastisch, veränderlich sein, den jeweiligen örtlichen und zeitlichen Kulturauffassungen folgen müssen, unbeschadet der zu fordernden juristischen Präzision-"). Es ist auch nicht angängig, die wahren Gründe einer Entscheidung durch eine begriffsjuristische Scheinbegründung (Kryptosoziologie oder stilistische Formelverwertung) zu verdecken (Heck, Begriffsbildung und JntJur. S. 98, Wüstendörfer ArchZivPrax. 110, 242). d) Schlechthin absolute, eindeutige Begriffe und Regeln gibt es wohl in der 67 Mathematik, aber nicht im Recht. Auch diejenige Satzung, die sowohl den Tat­ bestand als auch die Rechtsfolgen mit der schärfsten in der Jurisprudenz erreich­ baren Präzision bestimmt, bewegt sich in Begriffen, die den Erscheinungen der Wirklichkeit entnommen find, deren Grenzen daher nie mit der etwa in der Technik möglichen Exaktheit gezogen werden können. Ob ein Wechsel, ein Darlehen, ein Verein, eine Fabrik, eine Eisenbahn, eine Arznei, ein Schrift­ werk, ein Werk der malenden, zeichnenden oder bildenden Kunst, eine Tötung gegeben ist, darüber kann im allgemeinen wie im konkreten Fall gestritten wer­ den, insbesondere über die Abgrenzung derartiger Begriffe von anderen, auch dann, wenn sie als Rechtsbegriffe nicht einfach dem Leben entnommen sind, sondern eine juristische Differenzierung erfahren haben. Die richterliche Deutung der Tatsachen und damit auch der sie fassenden Rechtsbegriffe ist daher schon auf dem Gebiete des „absoluten" Rechtssatzes erforderlich und sie bedarf auch hier unter Umständen einer über die gewöhnliche Erfahrung des Lebens weit hinausreichenden, nur durch Dritte, Sachverständige zu beschaf­ fenden Kenntnis der Verhältnisse. Der Richter ist also auch da nicht etwa bloßer „Subsumtionsautomai", wo das Gesetz selbst „das letzte Wort konkreter Be­ stimmung ausspricht" (Stein, Privates Wissen des Richters S. 43). Die Rechts­ anwendung hat aber, heute in zunehmendem Matz, mit relativen Rechtssätzen, relativen Tatbeständen und Rechtsfolgen, Rahmenbegriffen (Ausfüllungs-, Ventil-, Delegations-, Würdigungs-, Wertbegriffen), General­ klauseln, Blankettnormen, zu arbeiten: z. B. der Inhalt der Verträge ist so auszulegen, „wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrs­ sitte es erfordern" (BGB. § 157); es ist zu prüfen, ob „ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt" (§ 138); oder, ob nicht „in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weife einem anderen vorsätzlich Schaden zugefügt worden ist" (§ 826); ob ein „wichtiger Grund" zur Kündigung eines Dienstver­ hältnisses (§ 626) oder einer Gesellschaft vorliegt (§ 723); ob jemand „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt" außer acht gelassen hat (§ 276); ob der Ehemann das eingebrachte Gut der Frau „ordnungsmäßig" verwaltet (§ 1374); ob eine Entscheidung des Mannes einen „Mißbrauch" seines Rechtes darstellt (§ 1354). In allen derartigen Fällen (weitere Anwendungsfälle „unbestimmter Rechtsverpersönlichte. Vgl. Schlegelberger, Vereinheitlichung der deutschen Justiz S. 18, Heck, Begriffsbildung und JntJur. S. 67, 91; Schwister DIZ. 34, 1433. 20) Vgl. hiezu vor allem Müller-Erzbach, Die Relativität der Begriffe und ihre Be­ grenzung durch den Zweck des Gesetzes, JheringsJ. 61 (1912), 343; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz S. 52f.; Stoll ArchZivPrax. 133 Beilagenheft S. 60, 81 und bei Richter (s. Literaturfußn. unten S. 43) S. 92; Oertmann, Interesse und Begriff in der Rechtswissenschaft (1931) S. 42s.; Binder ZHR. 100, S. 14, 33; auch schon Savigny, Vom Beruf usw. (s. die vorhergehende Fußnote) S. 30 f.: Das Recht hat kein Dasein für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen, von einer besonderen Seite angesehen ..

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folgen" und „elastischer Tatbestände" siehe bei Planck-Knoke Bd. 1 Einleitung unter VII, 1 und 2) wird mit Erfahrungssätzen operiert, die der Anschauung des Lebens, und zwar gemätz der Vorschrift des Gesetzes und in dessen Sinn, zu entnehmen sind. Daher ist der Begriff von „Treu und Glauben", der Begriff der „Verkehrssitte", der „guten Sitten", der „Ordnungsmätzigkeit", des „Mihbrauchs" innerhalb des Gesetzes ein — revisibler (§ 550 ZPO., RGZ. 63, 391) — Rechtsbegriff, der sich von den Rechtsbegriffen der absoluten Rechts­ sätze nur durch den Umfang und die gröbere Flüssigkeit der Begriffsgrenzen unterscheidet, demgemäb auch durch weitergehende Unbestimmtheit der Rechts­ anwendung. Hier kann man von planmähigen (uneigentlichen) Gesetzes­ lücken (Kitz JheringsJ. 58, 466, Stoll ebenda 76, S. 153, 176) sprechen, die der Richter nach der Weisung des Gesetzgebers und soweit sein Ermessen Raum bat, nach Billigkeit und Zweckmätzigkeit im Rahmen der ns. Weltanschauung auszu­ füllen hat. Vgl. die dahinlautende ausdrückliche Bestimmung des § 2 Steueranpassungsges. vom 16. Okt. 1934 RGBl. I, 925, wozu oben Bem. 37 mit Futznote 38, und Dahm, DStrR. 34, 91: „Im ns. Staat entspricht der Auflockerung des formalen Denkens und der Zunahme der Richtermacht eine weitgehende materielle und politische Bindung- so gesehen, gehört die Zukunft nicht dem „freien", sondern dem „gebundenen" Ermessen, wobei allerdings die Bindung an inhaltliches materielles Recht, an die Volksanschauung und den Willen der politischen Führung im Vordergrund steht, die Abhängigkeit vom formalen Gesetz und vom Willen des historischen Gesetzgebers aber zurücktritt." e) Die Tätigkeit der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, die den Inhalt des Gesetzes gegenüber seinem Wortlaut bereichert, erweitert, fort- und umbildet, wird mit Recht als schöpferische Rechtsfindung2*), das vom Richter praeter legem gebildete, mit dem Gewohnheitsrecht nicht identische, aber oft zu solchem sich verdichtende Recht als Richterrecht (Rechtsprechungsrecht)2?) bezeichnet 2*) Kohler, über die schöpferische Kraft der Jurisprudenz, JheringsJ. 25 (1887), 262; Unger in GrünhutsZtschr. für das Privat- u. off. Recht Bd. 31 (1904), S. 110, 399; Bülow,, Recht" 06, 769; Radbruch, Rechtswissenschaft und Rechtsschöpfung, Arch.f. Sozialwiss. und Sozialpol. Bd. 22, 355; Düringer DRZ. 09, 271; Lobe „Recht" 13, 699; Regelsberger JheringsJ. 58,148; Kiß ebenda 416; Ehrlich ebenda 67, 58; Rundstein ArchBürgR. 34, 9; Engelmann SeufsBl. f. Rechtsanw. 75, 6; Drews DIZ. 23, 249; Walter Jellinek, Schöpferische Rechts­ wissenschaft (1928); Klimmer LZ. 29, 1099; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht (Jena 1929), bes. S. 275f.; Wachinger DRZ. 32, 226; Gürtner DJ. 34, 370 (= AkJ. 1, 160); Schwister DIZ. 34, 1430; RGZ. 97, 44 (der Richter schöpft aus Natur und Inhalt des Rechtsverhältnisses eine Rechtsregel in Ausfüllung einer Lücke des positiven Rechts ...); 101, 339 („Rechtsweiterbildung"); 104, 397 („selbstschöpferisch"); 114, 217 (es gilt, einen Weg zu finden ...); 142, 239 („in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsauffassung"). 22) Danz, Richterrecht (1912) und DIZ. 14, 8; Kiß JheringsJ. 58,418,447; Enneccerus Lehrbuch I § 53 IV; Walder ArchRWPHil. 93b. 21,116, 253 (Ergänzungsrecht, Analogierecht); Beschluß (Bergleichsvorschlag) des Reichsgerichts IW. 22, 910: „Wenn das Gesetz versagt, tritt der Richter an die Stelle des Gesetzgebers für den einzelnen Fall." Allerdings hat auch die richterliche Rechtsfindung ihre Grenzen; wenn der vor gebrachte Anspruch gar keinen Raum in dem gesamten (positiven) Rechtssystem findet, ist er abzuweisen und beginnt der Bereich und der Kampf der Gesetzgebungspolitik; vgl. Bierling, Zur Kritik der juristischen Grund­ begriffe I, 102; Leonhard, Auslegung und Auslegungsnormen S. 23; RGZ. 129, 271. — Über die Zusammenordnung von Gesetzgeber und Richter vgl. auch Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung (1929) S. 40; Binder ZHR. 100,81; Schönfeld, Deutsche Rechtserneuerung ArchRSozPhil. 27 (1934/35), 474; Kisch, Der deutsche Richter, AkZ. I, 9; Dahm in „Deutsches Strafrecht" 34,89. Gegen den Ausdruck „Richterrecht" Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 108.

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und in diesem Sinne gesagt, das Gesetz sei allgemeine, das Richterrecht individuelle (nur für den konkreten Fall gellende) Rechtsnorm")? Gesetz und Richteraml schaffe dem Volk fein Recht"). Der deutsche Richter ist, zumal nach dem Willen des neuen Staates, berufen, dem Recht in feiner Gesamtheit zu dienen, „dem Gesetz") unterworfen" (§ 1 GVG.), aber in Ausfüllung des Gesetzesrahmens und jenseits der Gesetzesschranken zugleich auch Rechtsschöpfer, Gestalter der rechtlichen Dinge, Wahrer des zwar ungeschriebenen, aber aus der Seele des deutschen Volkes erwachsenen und seinen Lebensnotwendigkeilen gemähen Rechts, Gesetzgeber des Einzelfalls (Kisch, Z^itschr. d. Ak. f. DR. 1, 9). Auch für den deutschen Richter gilt"), was der berühmte Artikel 1 des Schweiz. ZGB. über die „Anwendung des Rechts" sagt: „Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht Und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber ausstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung." Die von Eugen Huber stammenden „Erläuterungen zum Vorentwurf" (1901) I, 37 besagen hiezu: „Der Richter soll in solchen Füllen so entscheiden, wie

23) Unger in GrünhutsZeitschr. 31, 110. In weiterem Umfang ist das „judiciary law" (case-law) des englischen Rechts dem Gesetze ebenbürtig. Die Urteile der höchsten englischen Gerichte (des House of Lords und bet Court of Appeal) binden nicht nur die unteren Gerichte, sondern auch sie selbst und zwar solange, als sie nicht durch Gesetz aufgehoben werden, erzeugen also innerhalb bestimmter Grenzen positives und objektives Recht über den Einzelfall hinaus und treten damit als wirkliche und formelle Rechtsquelle neben das Gesetz, das sehr fragmentarische, aber in der letzten Zeit stark angewachsene Statute law. Die judicial precedents fcilben die in Hunderten von Bänden gesammelte Hauptmasse des englischen Rechts. Vgl. Andreas B. Schwarz in Zivilgesetze der Gegenwart Bd. II (Das Zivilrecht Englands) 1. Teil (1931) S. 14 f.; Gerland, Probleme des englischen Rechtslebens, insbes. das Präzedentiensystem (1929); K. N. Llewellyn, Präjudizienrecht und Rechtsprechung in Amerika (1933, wozu Riezler KritVSchr. 63, 189). 24) Bülow, Gesetz und Richteramt (1885) S. 48. H. Jsay, Rechtsnorm und Entscheidung (1929), behauptet für das Verkehrsrecht in Umkehrung des wahren Verhältnisses, die Rechts­ norm beruhe auf der Entscheidung (worunter er nicht nur die richterliche Entscheidung versteht); die Entscheidung selbst aber werde durch das Rechtsgefühl erzeugt, d. h. bei ihr beruhe die Ver­ knüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge auf dem Rechtsgefühl. Daraus ergebe sich für sie die Eigenschaft der Allgemeingültigkeit. Das Recht werde nicht durch die Gesamtheit der Normen, sondern durch die Gesamtheit der Entscheidungen dargestellt. Diese Auffassung ist nicht einmal für das englische Recht richtig (s. vorhergehende Fußnote), geschweige denn für das deutsche Recht. Gegen Jsays Paradoxie mit Recht Neuner ZBl. f. Handelsrecht 5 (1930), 25; Schönfeld ArchZivPrax. 134, 99; Heck, Begriffsbildung u. JntJur. S. 116s.; auch Geiler ArchRWPhil. 24 (1930/31), 545 (und Beiträge zum modernen Recht S. 135). 26) Im Sinne jeder Rechtsnorm; Reichel, Gesetz u. Richterspruch S. 61; Münch DRZ. 24, 339. 26) Planck-Knoke Bd. I Einleitung unter VII, 4; Enneccerus Lehrb. § 53 III a. E.; Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 51, 106; Heck, Problem der Rechtsgewinnung 2. Aufl. S. 21; Rümelin ArchZivPrax. 122, 292 und in seiner Kanzlerrede: Das neue schweiz. ZGB. und seine Bedeutung für uns (1908); Schlegelberger, Die Entwicklung des deutschen Rechts (1930) S. 27; RGZ. 115, 16: daher ist zu prüfen, wie der Gesetzgeber, wenn er solche Fälle im Auge gehabt hätte, die Frage . .. geregelt hätte. BayObLGZ. 27, 113. — Vgl. auch § 56 des Reichserbhofgesetzes: Entstehen bei Anwendung dieses Gesetzes Zweifel, so hat der Richter so zu entscheiden, wie es dem in den Einleitungsworten dargelegten

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der konsequente Gesetzgeber entschieden haben würde, wenn er an diese Fälle gedacht hätte." Also trotz des subjektiven Textes ein der Nechtsanalogie nahe­ stehendes objektives Verfahren, das im Gesetz wurzelt. Hiezu Gmür, Die Anwendung des Rechts nach Art. 1 des schweiz. ZGB. (1908); Egger, Schwei­ zerische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft (Berlin 1913) S. 8f., 28: Art. 1 ist ein Selbstbekenntnis des Gesetzgebers über die ihm und seiner Macht gezogenen Schranken, eine Absage ebensosehr an alle pseudogelehrte scholastische Recht­ sprechung wie an den Richtersubjektivismus der extremen Freirechtsschule, ein Hinweis auf die unversieglichen Quellen stets lebendigen Rechts, die Gewähr einer gesunden und volkstümlichen Rechtsprechung. Mit der Forderung einer lebens- und volksnahen Rechtsprechung wendet sich der Nationalsozialismus vor allem gegen die Buchstaben- und Begriffsjuris­ prudenz, gegen das „Rechnen mit Begriffen" (Savigny, Vom Beruf usw. S. 29), gegen die — durch die bisherige weltanschauliche Zerrissenheit begünstigte — Lehre von der Alleinherrschaft und Alleingenügsamkeit des vermeintlich lücken­ losen Gesetzes27 * *) * und * * * findet die Rechtsanwendung bereits aufgelockert durch die Erkenntnis, datz es sich hiebei nicht um rein logische Operationen handle, sondern um „Werturteile und Willensentscheidungen" (G. Rümelin); daß der gute Richter die richtige Entscheidung oft auf Grund seines durch Lebenserfahrung und Wissen­ schaft geläuterten „Rechtsgefühls" (Indizium) intuitiv erschaut, ehe seine logische Tätigkeit nachprüfend emfefct28). Das ist mit ein Verdienst der nun noch zu skizzierenden sog. modernistischen Strömungen in der Privatrechtswissenschaft.

4. Zum Metbodenstreit in der Privatrechtswissenschaft*). Die sog. modernistischen Strömungen in ihren Hauptspielarten: Freirechtsbewegung, soziologische Methode und Interessenjurisprudenz, wenden sich gegen die Übertreibungen

Zweck des Gesetzes entspricht." Dazu Gülland DR. 34, 362. Die „Auslegungsregel" des § 63 des preuß. Ges. über bäuerliches Erbhofrecht vom 15. Mai 1933 (GS. 165) bestimmte in Abs. 3 noch: „Ist eine Frage zu entscheiden, die in diesem Gesetze nicht besonders geregelt ist, so hat der Richter unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks so zu entscheiden, wie wenn er im Rahmen zwingenden Reichsrechts als ordentlicher und gewissenhafter Gesetzgeber den Fall selbst ent­ schieden hätte." 27) Schlegelberger, Was erwarten das deutsche Volk und der deutsche Jurist von der Vereinheitlichung der deutschen Justiz? (Berlin 1934) S. 18; Lange, Vom alten zum neuen Schuldrecht (1934) S. 40 f. 28) Wachinger DRZ. 32, 226, Rosenthal IW. 24, 251, Weiß DRZ. 25, 309 und da­ gegen Bode DRZ. 25, 142; Jsay, Rechtsnorm und Entscheidung S. 60, 75; Heck, Begriffs­ bildung u. JntJur. S. 111; auch Unger DIZ.06, 786 Fußnote, wobei noch an das treffende Wort Bährs (Gesammelte Aussätze Bd. I, 403) erinnert werden mag: Der Jurist, der seine Logik nicht mit auf die Welt gebracht hat, wird schwerlich darin gefördert werden dadurch, daß er ein collegium logieum hört. Vgl. ferner Walder ArchRWPhil. Bd. 21 S. 95f., 105, 260; M. Rumpf, Gesetz und Richter (1906) S. 31 (was für psychische Faktoren treten im Richter bei der Rechtsanwendung in Tätigkeit?), 39, 44f.; W. Weber, Uber die Eignung zum Juristen. Eine psychologische Untersuchung der Tätigkeit des Juristen, insbes. des Richters (Berlin 1934). ♦) Die überreiche Literatur findet sich chronologisch ausgezeichnet für die Jahre 1899 bis 1912 bei Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, Anhang; fortgesetzt bis 1914 im ArchZivPrax. 112,1; Zusammenstellungen ferner bei Oertmann, Gesetzeszwang und Richter­ freiheit (1909) S. 44 und bei E. Jung, Das Problem des natürlichen Rechts (1912) S. 330. Kritische Übersichten von Hedemann im ArchBürgR. 31, 296 und 34,114, sowie bei Reichel, Gesetz und Richterspruch (1914) S. 28 f. Umfassende Schriftennachweise nicht nur für den deutschen, sondern auch für den romanischen und anglo-amerikanischen Rechtskreis

VII. Rechtsanwendung.

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des Rechtspositivismus und der sog. technischen Begriffsjurisprudenz29) und haben als praktische Methodenlehren einen funktional-teleologischen Grundzug gemeinsam, unter­ scheiden sich aber im übrigen in großen Zügen etwa wie folgt: bei Alf Roß, Theorie der Rechtsquellen, Bd. XIII der von Kelsen herausgegebenen Wiener Staats- und Rechtswissenschaftlichen Studien (1929). Hier seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit folgende in ihrer Stellungnahme untereinander sehr abweichende Schriften aufgeführt (weitere Nachweises, namentlich in den Fußnoten S. 30,43): G6ny, Methode d'interpretation et sources en droit prive positif (Paris 1899, 2. Aufl. 1919); derselbe, Science et technique en droit prive positif, 2 Bde. (1921, 1924); Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft(1903); derselbe, Grundlegung der Soziologie des Rechts (1913); derselbe, Die juristische Logik, ArchZivPrax. 115, 125 (auchSonderabdruck,2.Aufl. 1925); —Gnaeus Flavius(Kantorowicz), Der Kampf um die Rechtswissenschaft (1906); derselbe, Rechtswissenschaft und Soziologie (1911); derselbe, Aus der Vorgeschichte der Freirechtslehre (1925); — Ernst Fuchs, Schreibjustiz und Richterkönigtum (1907); derselbe, Recht und Wahrheit in unserer heutigen Justiz (1908); derselbe, Gemeinschädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz (1909); derselbe, Juristischer Kulturkampf (1912); — Stampe, Unsere Rechts-und Begriffsbildung (1907); der­ selbe, Die Freirechtsbewegung (1911); — M. Rumpf, Gesetz und Richter (1906); derselbe, Volk und Recht (1910); — E. Jung, Von der logischen Geschlossenheit des Rechts (1900); der­ selbe, Positives Recht (1907); derselbe, Rechtsregel und Rechtsgewissen, ArchZivPrax. 112,1; — Danz, Laienverstand und Rechtsprechung (1898) ;derselbe, Die Auslegung der Rechts­ geschäfte (3. Ausl. 1911); derselbe, Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz, JheringsJ. 54, 2; — Wurzel, Das juristische Denken (1904, 2. Aufl. 1924); Brütt, Die Kunst der Rechtsanwendung (1907); R. Löning, über Wurzel und Wesen des Rechts (1907); K. Schmölder, Die Büligkeit als Grundlage des bürgerlichen Rechts (1907); StierSomlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, in Festschrift für Lab and II (1908), 445; Düringer, Richter und Rechtsprechung (1909); Sinzheimer, Die soziologische Methode in bet Privatrechtswissenschaft(1909); I. G. Gmelin, Quousque?(1910); Alfred Bozi, Die Weltanschauung der Jurisprudenz (1907, 2. Aufl. 1911); Karl Wieland, Die historische und die kritische Methode in der Rechtswissenschaft (1910); R. von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen (1910); Vierhaus, über die Methode der Rechtsprechung (1910); Za­ charias, Über Persönlichkeit, Aufgaben und Ausbildung des Richters (1911); Hans Kelsen, Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode (1911); Fritz Berolzheimer, Die Gefahren einer Gefühlsjurisprudenz (1911); R. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft (1911) S. 584 s.; 2. Aufl. 1924; Gareis, Moderne Bewegungen in der Wissenschaft des deutschen Privatrechts (1912), auch SeufsBl. f. Rechtsanw. 75 (1910), 7f.; C. Schmitt, Gesetz und Urteil (1912); Wildhagen, Richter und Recht, in der Festgabe für Rießer (1913), S. 326; Spiegel, Gesetz und Recht (1913); Paltai, Der Kampf um die Rechtswissenschaft (1913); Manigk, Savigny und der Modernismus im Recht (1914); Rundstein, Freie Rechtsfindung und Differenzierung des Rechtsbewußtseins, Arch. BürgR. 34, 1; Wüstendörfer, Die deutsche Rechtsprechung am Wendepunkt, ArchZivPrax. 110, 219; Kretschmar, Über die Methode der Privatrechtswissenschaft (1914); derselbe, Grundfragen der Privatrechtsmethoden, JheringsJ. 67, 233; F. Somlo, Juristische Grundlehre (1917); R. Deinhardt, Volkstüm­ liches Recht (1922); A. Mendelssohn-Bartholdy, Imperium des Richters, Reichsgerichts­ praxis (1929), Bd. VI, lf.; Max Rümelin, Erlebte Wandlungen in Wissenschaft und Lehre (1930); derselbe, Die Billigkeit im Recht (1921); derselbe, Rechtssicherheit (1924); derselbe, Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein (1925); E. Schwinge, Der Methodenstreit in der heutigen Rechtswissenschaft (1930); Swoboda, Das Privatrecht der Zukunft (1932);J. Binder, Bemerkungen zum Methodenstreit in der Privatrechtswissenschast, ZHR. 100, 4f. 29) Heck DIZ. 09, 1458 (Was ist diejenige Begriffsjur., die wir bekämpfen?); Fuchs IW. 22,7 („fach logische Konstruktion im guten, das gerechte und sachlich angemessenste Ergebnis suchenden Sinn und Rechtsgewinnung nach Treu und Glauben und Verkehrssitte sind nicht Gegensätze zur neuen Lehre"); Reichel, Gesetz und Richterspruch S. lf.

42 Sink. 7S, 73 72

73

Einleitung.

a) Nach der Freirechtsschule 3°) ist der Richter an das Gesetz gebunden, soweit dessen Wortlaut klar und unzweifelhaft ist (unmittelbarer Gesetzesinhalt), nicht mehr dagegen, wenn er seine Gedanken erst durch irgendwelche Künste der Auslegung ermitteln mühte, die doch nur den wirklichen Vorgang der Urteilsfindung aus dem rechtlichen Nichts zu bestimmten, insbes. „soziologischen" Zwecken verdecken würden („Kryptosoziologie", Pandektologie). Jenseits des Buchstabens des Gesetzes, das in eine Summe von Rechtssätzen aufgelöst, atomisiert wird, beginnt das Gebiet der „freien", d. h. gesetzesfreien Rechtsfindung. Die Lücken des Gesetzes, die hienach in gewaltigem Ausmah angenommen werden (nicht bloh, wo ein erwünschter Rechtssatz überhaupt fehlt, sondern auch wo eine vorhandene Norm zweifelhaft oder nach den besonderen Umständen des Falles im Ergebnis offenbar unbillig erscheint), hat der Richter ohne jede Verhüllung volunta­ ristisch und intuitiv aus seinem Rechtsgefühl auszufüllen, seiner wissenschaft­ lichen Überzeugung folgend, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gegen­ wart, der im Volk wurzelnden Anschauungen, der Jnteressenlage des einzelnen Falles und seiner typischen soziologischen Struktur (Kantorowicz DRZ. 11, 353; Fuchs IW. 22, 7). Gesetzesfreie Rechtsfindung in diesem Sinne und Umfang ist mit der Vorstellung eines autoritären Staats unvereinbar (Gürtner, AkJ. 1, 158); berechtigt ist nur die justizreformatorische Forderung, dah der Gesetzgeber dem Richter durch geeignete Rahmenbegriffe und Blankettnormen die Entscheidungs­ freiheit gewähren möge, die notwendig ist, um dem Leben durch eine individuali­ sierende Rechtspflege gerecht zu werden3*). b) Die rechtssoziologische Methode33 30) 31 ist 32 vor allem als wirtschafts- und arbeits­ rechtliche Methode bekannt geworden; sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Spannungen zwischen dem Gesetz als dem sein sollenden Recht und dem wirklich seienden und werdenden „lebenden" Recht, auf die „Dyna­ mik" des Rechts; sie fordert empirische Rechtswirklichkeitsbetrachtung, einerseits Erforschung der Rechtstatsachen33) als der stofflichen, seinsmähigen Grund­ lagen der Rechtsinstitute, andererseits eine richtige, erschöpfende Tatbestands-

30) Vgl. hieher vor allem die früheren Schriften von Ehrlich (der das Wort „freie Rechts­ findung" geprägt hat, aber auch ArchZivPrax. 115, 125); Kantorowicz (aber auch „die Lontra-l6^6m-Fabel",DRZ. 11,258); Fuchs(der seine Methode als — freirechtlich gerichtete — soziologische bezeichnet hat, LZ. 29, 26: mit Hilfe des $ 242 durch das BGB. über das BGB. und den BGBismus hinaus! Von einem BGBismus spricht auch Gutzwiller, über Gegen­ wart und Zukunft der Privatrechtswissenschaft, Tübingen 1927, S. 10); Stampe (Aufsätze DIZ. 05, S. 416, 713, 1017, wozu Heck ebenda 1140) und neuerdings Hermann Jsay, Rechts­ norm und Entscheidung (1929, wozu oben Fußn. 24). 31) So Riß, Staffel u. a. DRZ. 11, S. 75, 577, 724 (zweiter deutscher Richtertag); Rumpf und Riß, DRZ. 13, S. 775, 798 (dritter deutscher Richtertag); über die Stellung des Richters im ns. Staat vgl. bes. Kisch AkZ. I, 9; Dahm DStrR. 34, 87 und oben 68, 67 a. E. 32) Vgl. bes. Sinzheimer, Die soziol. Methode in der Privatrechtswiss. (1909) und in der Potthoffschen Zeitschrift „Arbeitsrecht" 1922,187; Oppermann ebenda 25, 267; Wüsten­ dörfer, Zur Hermeneutik der soziol. Rechtsfindungstheorie, ArchRWPHil. IX (1915/16) und ArchZivPrax. 110, 246; Oertmann HoldhMonSchr. 20 (1911), 1 und Fuchs ebenda S. 82; Netter HansRZ. 27, 61; Geiler, Die wirtschaftsrechtliche Methode, GruchotsBeitr. 27, 593 und Beiträge zum modernen Recht (1933) S. 22, 35; Manigk, Savigny und der Modernismus, S. 215f.; Binder ZHR. 100, 45f.; gegen den Ausdruck „soziol. Meth." Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 42. 33) Arthur Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung. Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht (Tübingen 1914).

VII. Rechtsanwendung.

Eml. 74 43

fett Stellung als Grundvoraussetzung für jedes richtige Urteil (da „auf einen Zentner Tatsachen kaum ein Lot Jurisprudenz entfällt"). Die Rechtsprechung und Rechtswissenschaft hat die Normen, die schon der Gesetzgeber nicht zu starr und unbeweglich, sondern anpassungsfähig, dynamisch gestalten solle, „weiterzuentwickeln, lebendig zu erhalten, den Veränderungen der sozialen und wirt­ schaftlichen Verhältnisse und den Besonderheiten des Einzelfalles anzugleichen und so immer wieder bis zu einem gewissen Grade aufs neue zu konkretisieren und damit zu entrationalisieren" (Geiler, Beiträge S. 22, 35f.). Die soziologische Betrachtungsweise ist ein wertvolles Hilfsmittel zur stetigen Revision der Begriffsinhalte und des Systems, indem sie den Blick für das Wesentliche freimacht, das Recht lebensnah erhält. Die dogmatische Methode der Rechtsfindung kann sie nicht ersetzen, aber wirksam ergänzen (so auch Sinzheimer S. 13, 24; Kantorowicz, Rechtswiss. u. Soz.). Abzulebnen ist ein Ein­ schwenken zur Freirechtlerei, die freirechtlich gerichtete soziologische Juris­ prudenz, wie sie Ernst Fuchs teilweise vertreten hat (vgl. HoldhMonSchr., 20. Jahrg., S. 1, 82t). c) Die sog. Interessenjurisprudenz *) schält aus der soziologischen Betrachtung des 74 Rechtslebens die Jnteressenwertung als besonders brauchbaren Maßstab für die Rechtsanwendung heraus und darf mit den die Rechtssicherheit gefährdenden Bestrebungen der Freirechtler nicht auf eine Linie gestellt werden (Heck DIZ. 05, 1140). Sie leugnet zwar den apriorischen Charakter der Rechtsbegriffe und der Rechtsnormen34), erkennt jedoch an, daß die Rechtswissenschaft die Bildung fester Begriffe nicht entbehren kann, daß sie nach Klarheit über den Inhalt der von ihr verwendeten Begriffe zu streben hat und daß sie einer Systematik fähig und bedürftig ist. Sie verlangt aber, datz in viel höherem Maste, als dies gemeinhin in der Pandektenwisfenschaft des 19. Jahrhunderts und auch noch in den An­ fängen der Herrschaft des BGB. geschehen ist, die Frage nach dem Grund und Zweck der Rechtsnormen gestellt wird und dah die dadurch gewonnene Einsicht *) Neuere Schriften: Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, ArchZiv.Prax. 112, Iss.; derselbe, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912, 2. Aufl. 1932); derselbe, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932); derselbe, Interessenjurisprudenz (1933); Hermann Jsay, Die Methode der Interessenjurisprudenz, ArchZivPrax. 137, 33ff.; Heck, Die Leugnung der Interessenjurisprudenz durch Hermann Jsay, ArchZivPrax. 137, 47ff.; Müller-Erzbach, Die Relativität der Begriffe und ihre Abgrenzung durch den Zweck des Gesetzes, JheringsJ. 61, 343ff.; derselbe, Reichsgericht und Interessenjurisprudenz, Reichsgerichtspraxis (1929), II, 161 ff.; derselbe, Wohin führt die Interessenjurisprudenz? (1933); W. Schönfeld, Rechtsperson und Rechtsgut im Lichte des Reichsgerichts, Reichsgerichts­ praxis II, 191 ff.; Wachinger, Bedeutung und Grenzen der richterlichen Jnteressenabwägung, IW. 32, 3041 ff.; derselbe, Was not tut, DRZ. 32, 225; Oertmann, Interesse und Begriff in der Rechtswissenschaft (1931); Manigk, Interessenjurisprudenz, Hdwbch. der Rechtswissen­ schaft III, 309ff.; Stoll, Begriff und Konstruktion in der Lehre der Interessenjurisprudenz, S. 60f. Beilageheft zum ArchZivPrax. Bd. 133; derselbe, Juristische Methode (Praktische Grundforderungen der JntJur. und ihre Bedeutung in unserer Zeit), S. 83 f. bei R i ch t e r, Leben in der Justiz (Berlin 1934); N. Sohn, Interessenjurisprudenz und Patentamt, ArchZivPrax. 137,345ff.;Hönigswald, „Begriff" und „Interesse", ArchZivPrax.138,1 und dazu Heck ebenda S. 129. — Von größeren systematischen Werken, die nach der Methode der Interessenjurispru­ denz gearbeitet sind, sind hervorzuheben: R. Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht, 2. und 3. Aufl. 1928; Ph. Heck, Grundriß des Schuldrechts (1929); derselbe, Grundriß des Sachen­ rechts (1930); auch große Teile des Ehrenbergschen Hdb. des Handelsrechts (1913ff.). 34) Vgl. hiezu auch E. Riezler, Apriorisches im Recht, ArchRWPhil. Bd. 17 (1923/24) S. 264ff., Oertmann, Interesse und Begriff S. 58.

44 Einl. 74

Einleitung.

für die Rechtsanwendung und für die Rechtsauslegung fruchtbar gemacht wird. Es wird betont, dab die Rechtsbildung regelmäbig das Ergebnis eines Interessen­ kampfes ist und dah planmäbig erforscht werden mutz, welche Interessen durch die einzelnen gesetzlichen Vorschriften geschützt werden sollten. Diese Forschung fetzt vor allem eine Beobachtung der tatsächlichen Erscheinungen des Lebens (nicht nur des Wirtschaftslebens) und ihrer Ursachen und Zusammenhänge voraus. Es ist nicht nur zu ergründen, in wessen Interesse eine Rechtsnorm gebildet ist, sondern auch, welcher Art das geschützte Interesse ist und wie weit der Interessen­ schutz geht. Mit dem Gegensatz von Materialismus und Idealismus bat die richtig verstandene Interessenjurisprudenz nichts zu tun, da sie grundsätzlich ihr Augen­ merk nicht nur auf Vermögensinteressen, sondern auch auf immaterielle Interessen ethischer, geistiger, völkischer Art richten will. Dab bei dieser Methode nur typische Jnteressenlagen zu würdigen sind, nicht die individuellen Interessen der konkreten Partei, ergibt sich schon aus der Erwägung, dab es sich um ein Ver­ fahren zur Erkenntnis der Normen des objektiven Rechts handelt. Die Beachtung der rechtspolitischen Gründe, die hinter der Rechtsnorm stehen, war auch der gemeinrechtlichen Wissenschaft nicht völlig fremd; es braucht nur an Jherings Wort vom Zweck als dem Schöpfer des Rechts erinnert zu werden oder an den stark teleologischen Zug in den Werken Dernburgs; selbst Windscheid, der als der typische Vertreter der heute bekämpften Begriffsjurisprudenz gilt, lehrt (Pandekten I § 21), dab bei der Auslegung der Gesetze der Zweck, den der Gesetzgeber erreichen wollte, zu beachten ist. Die Interessen beider Teile wägt bewubt RGZ. 20, 312; 37, 26; 43, 202. Die heutige sog. produktive (nicht nur genetische) Interessenjurisprudenz der Tübinger Schule — man mag auch von teleologischer Methode sprechen (Stoll ArchZivPrax. 133 Beil. 74 schlägt die Be­ zeichnung „Wertungsjurisprudenz" vor) — hat aber doch das zweifellose Verdienst, dah sie ihre im vorstehenden kurz gekennzeichnete Methode nicht nur als ein theo­ retisches Postulat aufstellt, sondern für die Erkenntnis und Anwendung des Rechts wirklich durchzuführen bestrebt ist. Man braucht bei ihr auf „konstruktionelle" Mittel nicht zu verzichten, insbesondere nicht auf Gleichschlub und Gegenschluh; aber gerade die Entscheidung, welcher dieser beiden entgegen­ gesetzten Behelfe in den zahlreichen Fällen, in denen sie bei rein logischer Be­ trachtung beide möglich scheinen, den Vorzug verdient, wird durch die Methode der Jnteressenwertung häufig erleichtert. Man wird freilich nicht übersehen dürfen, dab gerade im deutschen BGB. manches nicht Ergebnis einer bewubten Jnteressenabwägung durch den damaligen Gesetzgeber, sondern einfach übernommenes Erbgut aus den älteren Rechten ist. Vor allem aber wird man daran festhalten müssen: wo der Gesetzgeber selbst eine deutlich erkennbare Jnteressenwertung vorgenommen hat, bleibt der Richter an diese gebunden, auch wenn er selbst eine andere vornehmen würdet»); denn im allgemeinen sind Gesetze aus der Zeit ihrer Entstehung zu erklären. Der Gegen­ satz zur sog. objektiven Theorie wird aber dadurch abgeschwächt, dab Heck den Willen des Gesetzgebers objektiviert als die zusammenfassende Bezeichnung für diejenigen Gemeinschaftsinteressen, die im Gesetz zur Geltung gelangt sind"). Wo aber die im Gesetz selbst liegende Jnteressenwertung Zweifel läbt, wird diejenige Auslegung vorzuziehen sein, welche der durch die heutigen tatsächlichen

84a) vorausgesetzt ist dabei, daß die Jnteressenlage noch die gleiche ist (sonst Gesetzes­ lücke, s. oben 61) und daß das frühere gesetzliche Werturteil nicht durch die Fernwirkung neuer Gesetze geändert ist (oben 38). ") Heck ArchZivPrax. 121, S. 1, 64s.; Stoll ArchZivPrax. 133 Beilagenheft S. 71 und bei Richter S. 98f.; Genzmer ArchZivPrax. 137, 243.

VII. Rechtsanwendung.

Etnl. 75 45

Lebensverhältnisse gebotenen Jnteressenwertung am besten entspricht,- und wo das Gesetz selbst Wertbegriffe verwendet, deren Inhalt der Zeitströmung unterworfen ist (wie z. B. den Begriff der „guten Sitten" oder den des „wichtigen Grundes"), ist nicht der Inhalt matzgebend, den der Begriff zur Zeit der Schaffung des Gesetzes gehabt hat, sondern der gegenwärtigen Auf­ fassung Rechnung zu tragen (vgl. hiezu oben Bem. 37, 67). 6) In der praktischen Rechtsanwendung spielte der Methodenstreit nicht die 75 Rolle, die man nach den methodologischen Kampfschriften vermuten könnte (Riezler, Rechtsgefühl S. 139). Das Reichsgericht33) ist immer bemüht, irgendwie „Anhalt im positiven Recht" zu gewinnen (100, 130/31), „die Lücken in den gesetzlichen Bestimmungen aus den Grundgedanken des Gesetzes zu er­ gänzen" (82, 361), „die Gesetzeslücken durch entsprechende Anwendung der für ein rechtsähnliches Verhältnis gegebenen Vorschriften auszufüllen" (87, 99; 93, S. 179, 212; 95,146) und das Gefundene in die alten Rechtsbehelfe der Aus­ legung und Analogie einzuspannen, steht aber bei aller Betonung der Gesetzes­ treue dem Gesetze heute doch wesentlich freier gegenüber. Seine Entscheidungen enthalten Anklänge an den Wortschatz aller Richtungen (wie ja auch in der Theorie eine Synthese sich angebahnt 6öt36 37)). 38 Das Reichsgericht wendet sich gegen unfreies, formalistisches Haften am Worte (85, 117), gegen theoretisch­ konstruktive Bedenken (88, 253), gegen lebensfremde formalistische Konstruktion (123,405), gegen leeren Formalismus (102, 278; 124,146), weist den Richter an vor der juristischen Konstruktion die Wirklichkeiten des Lebens und die Macht der Tatsachen zu berücksichtigen (99, 234) und bei der Rechtsfindung auf dem Gebiete des Vermögens- und Währungsrechtes vor Erwägungen formaler Natur in erster Linie den wirtschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, das Recht den wirtschaftlichen Interessen, soweit es irgend möglich ist, elastisch anzupassen, damit ein billiger und gerechter Ausgleich der widerstreitenden Belange der Parteien gefunden werden könne (100, 132; 102, 274; 104, 397; 125, 41; 139, 318; 141, 217 mit weiteren Nachweisen); es greift bei einer nicht vorher­ sehbaren späteren wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage ausnahmsweise gestaltend in bestehende Vertragsverhältnisse ein, um klares Unrecht zu verhindern (100, 132; 103, 333; 104, 222), schreitet in dem berühmten Urteil vom 28. Nov. 1923 (107, 78) über die starren Währungsvorschriften hinweg zur Hypotheken­ aufwertung und bildet in der auch methodologisch interessanten33) Teilstreikentschei-

36) Vgl. hiezu vor allem Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht (1929), insbes. S. 275f.; Staffel, Freie Rechtsfindung in der Rechtspr. des RG., JurRdsch. 31, 6; v. Basse, Positivismus und RG., JurRdsch. 31, 97 sgegen RGZ. 125, 420, wonach die Vorschrift des §1 S.2 preuß. KommBeamtGes. — Anstellung als Beamter nur durch Aushändigung einer Anstellungsurkunde — sich über die dem Gesetzgeber vermeintlich durch die Natur der Sache gezogenen Schranken hinwegsetzen und deshalb keine Beachtung verdienen, also unverbind­ licher Gesetzesinhalt im Sinne Eiseles, ArchZivPrax. 69, 275, sein sollte. Nunmehr be­ stimmt aber § 1 des Reichsbeamtenges. vom 31. März 1873 in der Fassung des Anderungsges. vom 30. Juni 1933 RGBl. I, 433 ausdrücklich: Wer keine solche Urkunde erhalten hat, ist kein Reichsbeamter im Sinne dieses Gesetzes.^ 37) Schönfeld, Reichsgerichtspraxis II, 194: Die Rechtswiss. ist Begriffsjur. ihrer Form nach und Jnteressenjur. ihrem Gehalt nach; Endemann ebenda II, 141; Walder ArchRWPhil. Bd. 21, 91; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht S. 280; Riezler, Rechtsgefühl S. 139 und Venire contra factum proprium S. 128 („teleologisch gerichtete Konstruktionsjuris­ prudenz"); Schwinge, Methodenstreit S. 28 (gegen den Methodenmonismus); Manigk, Savigny und der Modernismus, S. 233; Reichel, Gesetz und Richterspruch S. 47. 38) S. die Würdigung Stolls ArchZivPrax. 133Beilagenheft S. 115 u. bei Richt er S. 85,102.

46 Li«l. 76, 77

Einleitung.

düng (106, 272) das vom BGB. noch rein individualistisch angeschaute Arbeits­ verhältnis im Sinne des neuen Gedankens der sozialen Arbeits- und Betriebs­ gemeinschaft rechtsschöpferisch fort. Häufig begegnet die Berufung auf das „Rechtsempfinden" (89, 121; 117, 431; 119,187), das allgemeine Rechtsempfinden (78, 239; 85,117), das natürliche Rechtsempfinden und die Verkehrsanschauung (91, 8), das natürliche Rechtsgefühl (45, 173) und die Billigkeit (GruchotsBeitr. 55, 963), das im Volke wurzelnde Rechtsgefühl (99,34). 142, 40 vollends führt aus: scheide der vom Gesetz verfolgte einzige Zweck nach Lage des besonderen Falles aus, so bestehe kein Anlaß, eine Vorschrift (§ 15 II GmbHG.) als zwingende gesetzliche Regelung mit der Folge anzusehen, daß durch starres Festhalten an dieser Regel eine allein dem Rechts­ gefühl entsprechende Lösung verhindert würde; denn das Gesetz sei nicht seiner selbst wegen geschaffen, sondern dazu bestimmt, die Verhältnisse der jeweiligen Beteiligten in billiger und verständiger Weise unter Berücksichtigung ihres in erster Linie zu ermittelnden und zum Ausdruck gebrachten übereinstimmenden Vertragswillens auszulegen. Auch die Anwendung festumrissener, insbes. zwingender Rechtssätze macht das Reichsgericht mit Recht von der Vereinbarkeit des jeweiligen Ergebnisses mit der ethischen Norm abhängig auf Grund der systematischen Auslegung, wonach jeder Rechtssatz nur als „Glied im Organismus des einheitlichen ge­ schlossenen Rechtssystems zu verstehen ist, das System des BGB. aber von dem Grundsätze von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte und der Zurückweisung jeder Arglist im weitesten Sinne durchdrungen" wird (85, 117)39), so z. B. die Entscheidung der Frage, ob dem Aufrechnungsverbot des § 394 auch Gegenforderungen des Arbeitgebers aus einer schweren uner­ laubten Handlung des Arbeitnehmers unterliegen (85 S. 108,117) oder ob und inwieweit gegenüber Formvorschriften des Gesetzes oder gegenüber der Einrede der Verjährung oder gegenüber dem Spieleinwand die Berufung auf Treu und Glauben versage (107, 360; 115, 137; 144, 242; vgl. auch 113, 193; 119, 255 gegenüber 68, 245 über eigensüchtige Generalversammlungsbeschlüsse der Aktionärmehrheit, dazu Staub-Pinner 14. Aufl., Bem. 11 c zu § 185 HGB.).

VIII. Materialien zum BG».*). A* Zum I. Entwurf des BGB. und des EG.: 1. Dieser behandelt in fünf Büchern den Allgemeinen Teil, das Recht der Schuld­ verhältnisse, das Sachenrecht, das Familienrecht, das Erbrecht. Die I. Kommission hatte aber auch eine „die Vorschriften über die räumliche Herrschaft der Rechtsnormen" betreffende Vorlage beraten und festgestellt. Diese war, nach dem Berichte ihres Re­ daktors Gebhard, dem Reichskanzler bei Einreichung des Entwurfs des Gesetzes mit dem Bemerken vorgelegt worden, daß man es für zweifelhaft erachte, ob es geeignet sei, Vorschriften dieser Art in das Gesetzbuch aufzunehmen, und datz die Entscheidung hier­ über anheimgegeben werde. Die Vorlage ist in den Entwurf erster Lesung nicht ausge­ nommen und nicht veröffentlicht worden. S9) Staffel JurRdsch. 31, 6; Lobe LZ. 29, 868; Gadow, Die Einrede der Arglist, JheringsJ. 84, 174; Walder ArchRWPHil. Bd. 21, 257; Wendt ArchZivPrax. 100, 105; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht S. 316; W. Siebert, Verwirkung und Un­ zulässigkeit der Rechtsausübung (Marburg 1934); sowie die Bem. 7 zu § 133 in Bd. I und IV zu § 242 in Bd. II. *) Vgl. Georg Maas, Bibliographie der amtlichen Materialien zum BGB. für das Deutsche Reich und zu seinem Einführungsgesetze (1897).

VIII. Materialien zum BGB.

Ein«. 78 47

Die I. Kommission hat für die Bearbeitung der nach dem Gutachten der Vor­ kommission für das materielle Recht zu entwerfenden fünf Bücher je einen Redaktor bestellt, nämlich für den Allgemeinen Teil: Gebhard, für die Schuldverhültnisse: v. Kübel, für das Sachenrecht: Johow, für das Familienrecht: Planck, für das Erbrecht: v. Schmitt. Für das EG. hatte jeder Redaktor die seinem Gebiete zugehörigen Vorschriften zu bearbeiten. Mit Ausnahme v. Kübels, der bald erkrankte und im Januar 1884 starb, haben die Redaktoren die ihnen übertragenen Teilentwürfe hergestellt. Bor, während und nach Herstellung der Teilentwürfe fanden Gesamtberatungen der Kommission statt. Die hierüber aufgenommenen Sitzungsprotokolle, 734 an der Zahl und 12309 metallographierte Folioseiten stark, sowie die von den Redaktoren der Teilentwürfe zu diesen gefertigten, im Buchdruck vervielfältigten Motive stellen die eigentlichen „authentischen" Motive zu den Entwürfen dar. Mit Rücksicht auf den Umfang dieses Materials wurden aber zum I. Entwürfe des BGB. gedrängte, die Übersicht erleichternde Motive ausge­ arbeitet. Diese Arbeit erfolgte auf Grund der Motive zu den Teilentwürfen, sowie der Sitzungsprotokolle durch die Hilfsarbeiter der Redaktoren, zum Teile unter deren Leitung. Die Gesamtkommission hat jedoch diese Arbeit nicht geprüft und nicht genehmigt. Diese Motive zum E. I wurden durch den Buchhandel in fünf Bänden veröffentlicht unter dem Titel „Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Amtliche Ausgabe." Berlin und Leipzig. I. Guttentag, 1888. Be­ arbeitet war Band I von Karl Heinrich Börner, Band II von Karl v. Ege, Band III von Viktor v. Liebe, Band IV von Hermann Struckmann, Band V von Wilhelm Neubauer. 2. Die gutachtlichen Anhörungen zu dem veröffentlichten E. I des BGB. und EG.BGB. sind im Reichsjustizamt zur amtlichen Verwertung in gedrängten Aus­ zügen zusammengestellt und, soweit sie bis zum November 1890 bekannt waren, als Manuskript gedruckt worden unter dem Titel „Zusammenstellung der gutachtlichen Auherungen zu dem Entwürfe eines BGB.", gefertigt im Reichsjustizamt, 6 Bände, 1890, 1891. Hiezu ferner eine „Zusammenstellung der gutachtlichen Auherungen zu dem Entwürfe eines EG.BGB.", gefertigt im Reichsjustizami, als Manuskript gedruckt, 1 Band, 1891.

3. Die einzelnen Bundesregierungen haben auf Grund einer Aufforderung des Reichskanzlers vom 27. Juni 1889 Vorschläge und gutachtliche Auherungen zu E. I aus­ gearbeitet. Diese sind teils als Manuskript gedruckt, teils Metallographien worden. Sie wurden ebenfalls im Reichsjustizamte bearbeitet, in gedrängtem Auszuge zusammengestellt und als Manuskript gedruckt unter dem Titel „Zusammenstellung der Auherungen der Bundesregierungen zu dem Entwürfe eines BGB., gefertigt im Reichsjustizamt". 2 Bände, Berlin 1891.

4. Im Buchhandel ist erschienen: „Bemerkungen zu dem Entwürfe eines BGB. für das Deutsche Reich. Dem Kgl. bayr. Staatsministerium der Justiz vorgelegt von dem Referenten Karl Jacubezky, Kgl. Ministerialrat." München 1892, Wolf u. Sohn. Nach dem Vorwort sind in diese „Bemerkungen" auch Ausführungen eingeschaltet, welche der Verfasser als ständiges Mitglied der II. Kommission zur Vorbereitung der Berichterstattung über das Recht der Schuldverhältnisse ausgearbeitet hat. 8. Zum H. Entwurf: Der von der II. Kommission gefertigte Entwurf des BGB. behandelte den Rechts- 78 stoss in sechs Büchern. Buch VI enthielt das internationale Privatrecht, dessen Auf­ nahme die Kommission in ihrer zweiten Sitzung beschlossen hatte. Die Grundlage der Beratungen bildete der E. I des BGB. und des EG.BGB. Für jedes Buch des BGB. wurde ein Referent bestellt, dem Referenten des Allgemeinen Teils auch das Referat

48 Einl. 79

Einleitung.

über das EG. und das internationale Privatrecht übertragen,- als Generalreferent fungierte Planck. Die Beschlüsse der II. Kommission wurden zunächst 1895 veröffent­ licht unter dem Titel: „Entwurf eines BGB. für das Deutsche Reich. Zweite Lesung. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission. Auf amtliche Veranlassung." Berlin, I. Guttentag, 1895. Diese Veröffentlichung wird in amtlichen Drucksachen und in der Literatur alsEntwurfll (E.H) bezeichnet,- diesem Gebrauch hat sich gegenwärtiger Kom­ mentar angeschlossen. Die Beschlüsse der II. Kommission sind in E. II zum Teil in Anmerkungen zu den im Text stehenden Paragraphen niedergelegt und betreffen auch Änderung oder Streichung solcher Anmerkungen. Dem Bundesrat wurde das Werk der Kommission in einer Fassung überreicht, welche die in E. II in Anmerkungen stehen gebliebenen Beschlüsse in den Paragraphentext einreiht und eine andere Paragraphierung aufweist als E. II. Diese letzte Fassung des Entwurfes der II. Kommission wurde erst 1898 veröffentlicht unter dem Titel: „Entwurf eines BGB. und eines zugehörigen EG. sowie eines Gesetzes betr. Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der ZPO., der KO. und der EG. zur ZPO. und KO. In der Fassung der Bundesratsvorlagen. Auf amtliche Veranlassung." Berlin, I. Guttentag, 1898. Die II. Kommission hielt 457 Sitzungen ab. Die hierüber aufgenommenen Proto­ kolle wurden zunächst — 9524 Folioseiten stark — metallographiert. Das Reichsjustiz­ ami veranlahte deren Veröffentlichung in einer Bearbeitung. Diese ist erschienen unter dem Titel: „Protokolle der Kommission für die II. Lesung des Entwurfes des BGB. Im Auftrage des Reichsjustizamtes bearbeitet von Dr. Achilles, Reichsgerichts­ rat a. D., Dr. Spahn, Kgl. preuh. Kammergerichtsrat, Dr. Gebhard, Grohh. badischer Geh. Rat." 6 Bände und 1 Registerband. Berlin, I. Guttentag, 1897—1899. In bezug auf die Art dieser Bearbeitung sagt das „Vorwort" (Bd. 1 S. XIV):

„Der Inhalt der Protokolle wird, unter Weglassung lediglich geschäftlicher Be­ merkungen, grundsätzlich so wiedergegeben, wie die Protokolle liegen. Dies fchlieht nicht aus, dah etwaige offensichtliche Irrungen berichtigt, dah der Kürze dienende oder das Verständnis erleichternde Änderungen des Ausdruckes vorgenommen werden und dah Ausführungen, die mit Rücksicht auf den Inhalt des Gesetzbuches und der Neben­ gesetze für die Auslegung ohne jede Bedeutung fein sollten, wegfallen, sofern dies nicht wegen des Zusammenhanges mit anderen Ausführungen untunlich erscheint."

Die Beratungen des Bundesrats über E. II sind nicht veröffentlicht. Die Be­ schlüsse sind aus den Änderungen ersichtlich, welche E. III, die „Reichstagsvorlage"/ gegenüber E. II aufweist. Dem Reichstag wurde der E. III zusammen mit einer im Reichsjustizamte gefertigten „Denkschrift" vorgelegt. Vermutungen, welche über die Gründe von Änderungen in der Literatur laut geworden sind, fallen nicht mehr unter den Begriff der „Materialien".

Über die Verhandlungen des Reichstags und seiner Kommission vgl. die Drucksachen und stenographischen Berichte des Reichstags, 9. Legislaturperiode, 4. Session 1895/1896, insbesondere den Bericht der Reichstagskommission, Drucks. Nr. 440—440 d.

Die Verhandlungen im Reichstag sind noch besonders im Buchhandel heraus­ gegeben worden: „Erste/ zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines BGB. im Reichstag, Stenographische Berichte." Berlin, I. Guttentag, 1896 (914 S.). Ferner: „Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf eines BGB. und eines EG. nebst einer Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Enneccerus, Dr. v. Buchka, Dr. Bachem, Schröder." Berlin, I. Guttentag, 1896.

79

6. über die Bedeutung der Materialien für die Gesetzesauslegung s. oben 58 bis 60, Bierling, Juristische Prinzipienlehre Bd. IV (1911) S. 373f. sowie Mirre IW. 24, 456.

IX. Bibliographie des BGB. und des EG.

Ei«l. 80 49

IX. Bibliographie des BGB. und des EG. 1. Bibliographie des Bürgerlichen Rechts. Verzeichnis von Einzelschriften und 80 Aufsätzen über das im BGB. vereinigte Recht, sachlich geordnet von Dr. jur. Georg Maas, Bibliothekar des Reichsgerichts, 1888—1898, in Bd. 16 des Arch. für Bürg. Recht, auch als Sonderausgabe erschienen. Fortsetzung von demselben Verfasser in den Bänden 18, 19, 20, 22, 24 und 26 des ArchBürgR.

2. Oertmann, Zivilistische Rundschau, ArchBürgR. 18, 345; 20, 51; 21, 95; 22, 313; 24, 334; Winter desgleichen, ebenda 24, 340; Hedemann desgleichen, ebenda 25, 326; 27, 287; 31, 287; 34,115; Dittenberger desgleichen, ebenda 37, 329. 3. Jahrbuch des Deutschen Rechts, herausgegeben von Hugo Neumann, Jahr­ gang 1904 f.; seit 1916 von Schlegelberger und anderen; seit 1934 von Schlegel­ berger, Freister, Hoche, Staud.

Literaiurnachtrag. Das in der Fußnote S. 9/10 angeführte Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung (Herausgeber Dr. Hans Frank) ist nach Drucklegung des Manuskripts erschienen. Aus seinem vielseitigen Inhalt seien folgende einschlägige Beiträge besonders an­ geführt: S. 933: Lange, National?ozialismus und bürgerliches Recht; S. 957: Siebert, Die Volksgemeinschaft im bürgerlichen Recht; S. 971: Hubernagel, Nationalsozialistische Rechtsauffassung und Generalklauseln; S. 1004: Bley, Nationalsozialistischer Richter und Familie in der freiwilligen Gerichtsbarkeit; S. 3: C. Schmitt, Der Rechtsstaat; S. ll:Gercke, Rasse und Recht; S. 17: Kier, Volk, Rasse und Staat; S. 29: Jung, Deutsche Rechtsphilo­ sophie: S. 71: Bechert, Deutsche Rechtsentwicklung und Nechtserneuerung.

Ltau ding er, BGV. I (Riemer, Allgemeiner Teil). 10. Aufl.

4

Erstes Buch.

Allgemeiner Teil. Von Dr. Erwin Riezler.

Erster Abschnitt.

Personen. Erster Titel. Natürliche Personen. Vorbemerkungen*).

1

l. A. „Person" bedeutet im BGB ein mit der Fähigkeit, Träger von Rechten und Ver­ bindlichkeiten zu sein, mit Rechtsfähigkeit, ausgestattetes Wesen. Der Sprachgebrauch des BGB stimmt in dieser Richtung überein mit derjenigen neuerer Partikularrechte (vgl. PLR. Tl. I Tit. 1 § 1, Tl. II Tit. 6 §81; BLR. £1.1 cap. 3 § 1 und Anm. § 1 Nr.2; sächs. BG. I, II. Abt. „von der Person"). Im übrigen s. in bezug auf die Verwendung des Ausdrucks „Person" im BGB.: Gradenwitz, Wortverzeichnis zum BGB. S. 120, 121. Vgl. auch H. A. Fischer a. a. O. S. 24f. — Schweiz. ZGB. Art. 31: „Persönlichkeit". Als Arten der „Personen" erscheinen in der Überschrift des ersten Titels die „natür­ lichen Personen", d. h. die Menschen (§ 1), im zweiten Titel die „juristischen Personen". ♦) Schriften: Gierke, DPR.I§40; Stobbe-Lehmann, DPR. I §§30,36; Regels­ berger, Pand. I § 56; Kuhlenbeck, Von den Pandekten usw. I § 2; Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe II, 74ff.; Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens I §§ 48ff.; Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 8. Aufl. I §§ 24ff.; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts I, 190ff.; Leonhard, Der All­ gemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs §§ 29ff.; Hölder, Natürliche und juristische Per­ sonen, Leipzig 1905; Biermann I, 427ff.; Kohler I § 100; v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des BGB. I §21; Schloßmann, Persona und Hyocwov im Recht und im christlichen Dogma (1906); R. Stammler, Ungewißheit des Rechtssubjekts, in der Festschrift für die Gießener Juristenfakultät (1907); Binder in der KrBJSchr. Bd. 49 (1911) S. 272ff.; Pagel, Zur Lehre von der Rechtsfähigkeit, im ArchBürgR. 42, 227ff.; C. Haff, Institutionen der Persön­ lichkeitslehre und des Körperschaftsrechts (1918); H. A. Fischer, Subjekt und Vermögen, in der Festschrift für E. Rosenthal (1923); Gustav Schwarz ArchBürgR. 32, 12ff. und 35, 10ff.; Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925) S. 62ff.; W. Schönfeld, Rechtsperson und Rechtsgut im Lichte des Reichsgerichts, in RGPrax. im D. Rechtsleben (1929) II, 191 ff.; Husserl, Rechtssubjekt und Rechtsperson, ArchZivPr. 127, 129ff.; St. Dnistrjanskyi JheringsJ. 79, 53ff.; H. Rheinselder, Das Wort persona, Halle 1928 (Beiheft 57 zur Ztschr. f. romanische PhÜologie); Wanda Hanke, Rechtsfähigkeit, Persönlichkeit, Handlungsfähigkeit (1931). Zu „persona" auch Schnorr v.Carolsfeld, Vorstudien zur Geschichte der Juristischen Person im klassischen römischen Recht (1932) S. 52 ff.

I. Titel. Natürliche Personen.

Vordem. 2—4

51

Die Unterarten der letzteren sind nach der äußeren Gesetzeseinteilung: I. Vereine, II. Stif­ tungen, III. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes. Der Ausdruck „natürliche Per­ sonen" kommt außer in der Überschrift des ersten Titels nicht mehr vor. Das BGB stellt weder für die „Personen" überhaupt, noch für die juristischen Personen ausdrücklich gemein­ same Regeln in den beiden von den Personen handelnden Titeln des ersten Abschnittes auf. Die Frage, inwieweit den „natürlichen Personen" und inwieweit den „juristischen Personen" Rechtsfähigkeit zukommt, ist aus dem Gesamtinhalte des deutschen Rechtes zu beantworten.

B. Das Wort „Rechtsfähigkeit" ist erst im vorigen Jahrhundert zu einem technischen 2

Ausdrucke der Jurisprudenz geworden. Es kommt z. B. in dem 1800 erschienenen 2. Bande von Glücks Erl. der Pand. noch nicht vor, dagegen bei Savigny, System des Röm. R. Bd. II, 2 (1840) und zwar hier anscheinend als bereits bekannt. Dem gemeinen Sprachgebrauche ist das Wort fremd (Bierling, Zur Kritik II, 75). Bei den Reichstagsverhandlungen wurde es bean­ standet, RTK. zu § 1. Die Rechtsfähigkeit ist ein Berhältnisbegriff oder, wie Brinz (Pand., 2. Aufl. I, 105) es bezeichnete, ein Gemeinschaftsbegriff, wie der Begriff des Rechtes selbst. Die Rechts­ fähigkeit setzt eine Rechtsgemeinschaft voraus, innerhalb deren sie begründet ist als eine Eigen­ schaft ihrer Mitglieder. Während früher diese Rechtsgemeinschaft auf die Mitglieder einer bestimmten Staats- oder Volksgemeinde und anfänglich weiter noch auf gewisse voll­ berechtigte Kreise innerhalb eines Staates beschränkt war und daher volle Rechtsfähigkeit nur den Volks- oder Standesgenossen zukam, nicht dagegen den Fremden, ist im modernen Rechte diese Beschränkung der Rechtsfähigkeit auf die Angehörigen eines Staates oder son­ stigen Gemeinwesens nur im Gebiete des öffentlichen Rechtes noch grundsätzlich vorhanden; es kommt die Fähigkeit zum Besitz und zur Ausübung öffentlicher Rechte, wie z. B. des aktiven und passiven Wahlrechtes, innerhalb eines Gemeinwesens regelmäßig nur dessen Ange­ hörigen zu, übrigens zumeist auch diesen nicht allen, z. B. nicht Jugendlichen unter 20 Jahren. Dagegen hat das Zivilrecht diese Schranke wenigstens für die eine Hauptart der Rechtsfähig­ keit, welche das Röm. R. als commercium bezeichnet—die Fähigkeit zum Erwerbe und zum Haben von Vermögensrechten —, in der Hauptsache längst fallen lassen und damit auf diesem Gebiete die Rechtsgemeinschast, innerhalb der Grenzen der Geltung des einschlägigen Zivilrechtes, allen Menschen zugänglich gemacht. Im Gebiete des Familienrechtes freilich ist erst durch das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875, betr. den Personenstand und die Eheschließung, die Rechtsgemeinschaft und damit die Rechtsfähigkeit über die früher durch Kirchenrecht und weltliches Recht gesetzten Schranken hinaus erweitert worden. Diese Entwicklung der privat­ rechtlichen Rechtsfähigkeit zu einer durch das Gesetz innerhalb seines Geltungsgebiets dem Menschen als solchem beigelegten Eigenschaft ist nunmehr durch das BGB vorerst abgeschlossen. Inwieweit Reste des früheren Rechtszustandes, in welchem nicht der Grundsatz der Rechts­ gleichheit bestand, sondern die Ungleichheit die Regel war, noch aufrechterhalten werden, soll in einzelnen Beziehungen erörtert werden. Es muß dabei unterschieden werden zwischen der Rechtsfähigkeit im allgemeinen und den einzelnen Rechtsfähigkeiten oder Rechtsfähigkeits­ arten des Privatrechtes. Wer im allgemeinen rechtsfähig ist, hat deswegen noch nicht die Rechts­ fähigkeit für jede Art von Rechten, auch nicht innerhalb des Privatrechtes. — Vgl. im übrigen über den Begriff der Rechtsfähigkeit auch 1 zu 8 1. Mit der bürgerlichrechtlichen braucht sich die steuerrechtliche Rechtsfähigkeit, für welche 3 die positiven Bestimmungen der Steuergesetze maßgebend sind, nicht zu decken. Vgl. darüber Ernst Goldschmidt in BayZ. 22,197 ff. und in IW. 23, 587 f.; Blau und Oefterding, Steuerrecht und BGB. (1934) S. Isf.

1. Vollständiger Mangel der Rechtsfähigkeit oder RechtSunfähigkeit ist im Falle der 4 Sklaverei*) gegeben. „Sklaverei ist dem deutschen Rechtsgebiete fremd"; soM.1,25. Dies ist richtig und war auch vor dem Verlust der deutschen Schutzgebiete richtig, soferne das über­ seeische ehemalige deutsche Schutzgebiet nicht zum deutschen „Rechtsgebiete" gehörte. *) Vgl. Kohler ZVerglR. 14 S. 294, 321, 409; 15 S. 1.

52

Vordem. 5

I. Abschnitt. Personen.

Innerhalb der deutschen Schutzgebiete trat am 1. Januar 1900 das BGB in Kraft: Art. 4 EG. BGB.; § 2 SchutzgebG. vom 15. März 1888: § 3 KonsGG. vom 10. Juli 1879. Vorher galten in den deutschen Schutzgebieten das PLR. und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Gesetze derjenigen Landesteile, in welchen das PLR. galt, daher auch das preuß. Gesetz vom 9. März 1857, betr. die Abänderungen der im PLR. Tl. II Tit. 5 §§ 198ff. ent­ haltenen Bestimmungen über Sklaverei. Nach diesem Gesetze wurden Sklaven mit dem Augen­ blicke frei, wo sie das preußische Gebiet betraten. Bei analoger Anwendung dieser Gesetze auf die Schutzgebiete wären Sklaven in dem Augenblicke frei geworden, in welchem sie die Grenze der deutschen Schutzgebiete überschritten. Indessen die Geltung dieser Gesetze war im deutschen Schutzgebiet subjektiv beschränkt und erstreckte sich nur auf Reichsangehörige und Schutzgenossen, zu welchen Sklaven nicht gehören (§ 1 KonsGG. vom 10. Juli 1879). Es war daher juristisch erklärlich, daß eine in Ostafrika publizierte Verordnung des Kaiserlichen Gouverneurs von Ostafrika vom 1. September 1891, „betr. den Freikauf von Sklave^" (Deutsches Kolonialblatt 1891, 502), die Fortexistenz der Sklaverei und des Zustandes der Unfreiheit innerhalb des deutschen Schutzgebiets voraussetzte und sanktionierte, indem z. B. hienach der Sklave erst nach Bezahlung der Loskaufsumme als „Freier" galt und die einschlägigen Rechtsverhältnisse unter Mitwirkung der deutschen Beamten geordnet wurden. Auch das BGB galt sodann in der­ selben subjektiven Beschränkung in den Schutzgebieten, in welcher vorher das preußische Recht galt. Es blieb daher daselbst nach dem 1. Januar 1900 der alte Rechtszustand aufrecht. Dabei hatte es auch nach §§ 2, 19 KonsGG. vom 7. April 1900 und nach Art. 1 des Reichs gesetzes vom 25. Juli 1900, Änderungen des SchutzGebG. betr., sowie §§ 3, 4 SchutzGebG. in der Fassung vom 10. September 1900 sein Bewenden (bis zum Verlust der Schutzgebiete). Sklavenhandel ist durch das Reichsgesetz betreffend die Bestrafung des Sklavenraubs und des Sklavenhandels vom 25. Juli 1895 (RGBl. 1895, 425) verboten, die gegen das Verbot verstoßenden Rechtsgeschäfte sind nach § 134 BGB. nichtig. Nach StGB. § 234 wird, wer sich eines Menschen bemächtigt, um ihn .... in Sklaverei, Leibeigenschaft.... zu bringen, wegen Menschenraubs mit Zuchthaus bestraft; über das Verhältnis dieser Bestimmung zum Ges. von 1895 s. Frank, StGB. 18. Aufl. Bem. 1, 3 zu § 234. Vgl. auch das internationale Abkommen über die Sklaverei vom 25. Sept. 1926; Ges. vom 14. Januar 1929, RGBl. II, 63. Auch Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit bestehen im heutigen Deutschland nicht mehr. Sie können, soweit sie zu Beeinträchtigungen der Rechtsfähigkeit führen, nach deutschem Recht auch bei Ausländern nicht anerkannt werden, da die Anerkennung der vollen Rechts­ fähigkeit eines jeden Menschen aus privatrechtlichem Gebiet zu den Grundprinzipien des deutschen Rechts im Sinne des EG. Art. 30 gehört.

5

2. Religiöse. Klosterpersonen (Mönche und Nonnen), welche die lebenslänglichen Gelübde abgelegt haben, sind gemeinrechtlich unfähig, Vermögen für sich zu erwerben. Vgl. Urteil des OLG. Frankfurt SeuffA. Bd. 48 Nr. 167. Nach PLR. Tl. II Tit. 11 § 1199 wurden Mönche und Nonnen nach abgelegtem Kloster­ gelübde als verstorben angesehen und waren daher unfähig, Eigentum oder andere Rechte zu erwerben, zu besitzen oder darüber zu verfügen. Vgl. ferner Noth, BZR. I § 33 Note 13 ff., M. z. E. des EG. Art. 48 S. 168.

Nach bayr. Rechte konnten sie bis zu 2000 fl. bewegliches Vermögen für ihr Kloster er­ werben. Noth, BZR. 2. Aufl. 1 § 33 zu Note 6 ff., § 38; Kahl, Die deutschen Amortisations­ gesetze (1880) S. 298 und derselbe, Artikel „Amortisationsgesetze" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften von Conrad und Lexis; BayObLGZ. 7, 767; 11, 214. Hiebei wurde vorausgesetzt, daß es sich um einen von der obersten Kirchenbehörde approbierten Orden, nicht um eine neuere Kongregation handelte (bayr. VO. vom 17. November 1803, 27. April 1807).

Diese weitgehenden Beschränkungen sind durch die Art. 55 und 87 Abs. 2 EG. außer Kraft getreten. Mönche und Nonnen bleiben also nach heutigem Recht trotz ihres Gelübdes der Armut rechtsfähig und grundsätzlich erwerbsfähig, ebenso bleiben sie trotz ihres Gelübdes des Gehor­ sams geschäftsfähig (vgl. RGZ. 97, 122ff.). „Unberührt" blieben nur landesgesetzliche

I. Titel. Natürliche Personen.

Borbcm. 6—8 53

Beschränkungen der Erwerbsfähigkeit von Religiösen in bezug aus unentgeltlichen und in bezug auf erbrechtlichen Erwerb, soweit solcher landesrechtlich nur mit staatlicher Genehmigung statt­ finden darf (EG. Art. 87). Die Zulassung dieser Beschränkungen hatte den Zweck, die Durch­ führung der Amortisationsgesetze gegen die Erwerbungen der „toten Hand" mittelbar zu sichern (s. Art. 86 des EG. und Mot. z. EG. S. 170). Vgl. hiezu die Ausführungen in der Vor­ dem. 2 zu §§ 13—20 und auch Bem. 7 zu § 1923.

Bon der Möglichkeit, in dieser Weise die Erwerbsfähigkeit der Religiösen zu beschränken, hat man indessen weder in Preußen noch in Bayern noch in andern größeren Ländern Gebrauch gemacht; dagegen z. B. in Lübeck AG.BGB. § 14 und im Land Thüringen, §§ 17, 18 AV.BGB. vom 16. Mai 1923, GS. 287. Vgl. Bem. 6 zu EG. Art. 87. Dagegen haben die Ausführungsgesetze zumeist die Amortisationsgesetze selbst neu 6 geordnet. S. über die Einzelheiten die Bem. zu EG. Art. 86 und 87; insbesondere über die Frage, ob die landesrechtlichen Amortisationsgesetze, soweit sie religiöse Gesellschaften be­ rühren, durch RVerf. Art. 137 aufgehoben sind, Bem. III zu Art. 86 und dazu (in verschiedenem Sinne) I. Schmitt, Kirchliche Selbstverwaltung im Rahmen der Reichsverfassung (1926) S. 97f.; G. I. Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland (1930) S. 394; Anschütz, Bem. 4 zu RVerf. Art. 137; Enneccerus-Nipperdey § 98 Anm. 11.

Nach dem Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 (RGBl. II, 679 ff.) Art. 13 behalten bzw. erlangen die katholischen Kirchenge­ meinden, Kirchengemeindeverbände und Diözesanverbände, die Bischöflichen Stühle, Bis­ tümer und Kapitel, die Orden und religiösen Genossenschaften sowie die unter Verwaltung kirchlicher Organe gestellten Anstalten, Stiftungen und Vermögensstücke der katholischen Kirche die Rechtsfähigkeit für den staatlichen Bereich nach den allgemeinen Vorschriften des staatlichen Rechts. Die Deutsche Evangelische Kirche ist rechtsfähige Körperschaft des öffent­ lichen Rechts des Reichs (Ges. vom 14. Juli 1933 Art. 2). Uber die Beschränkungen der Klosterangehörigen vom Standpunkt des internationalen Rechts s. K. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht I (1910), 172ff.

3. Durch die Geburt begründete Vorrechte oder rechtliche Beeinträchtigungen 7 bestimmter Stände gibt es heute in Deutschland nicht mehr: vgl. RVerf. Art. 109. Über die Rechtsverhältnisse des Adels, insbesondere des hohen Adels wird in den Bem. zu EG. Art. 57 bis 59 gehandelt werden. Über den adeligen Namen s. 4 ff. zu § 12.

4. Ehre*). Die Ehre, in erster Linie von ethischer Bedeutung, ist als Rechtsbegriff 8 die soziale Achtung, die einer Person nach dem Urteil ihrer Mitmenschen zukommt. Sie ist ein von der Rechtsordnung anerkanntes grundsätzlich allen Menschen zukommendes Rechtsgut, das außer dem strafrechtlichen auch bürgerlich-rechtlichen Schutz findet. Sie ist nach der bisher herrschenden (sehr anfechtbaren) Lehre zwar nicht ein „Recht", dessen widerrechtliche und schuldhafte Ver­ letzung nach § 823 Abs. 1 zum Schadensersatz verpflichten würde (vgl. RGZ. 51, 374ff.; 60, 4 E.; a. M. Dernburg IW. 1905, 161 ff.), wohl aber kann eine Schadensersatzpflicht wegen Ehrverletzung unter Umständen auf § 826 gegründet werden; oder auch auf § 823 Abs. 2, insofern die dem Ehrenschutz dienenden Gesetze, insbesondere StGB. §§ 185—187, Gesetze sind, die im Sinne des § 823 Abs. 2 „den Schutz eines andern bezwecken"; doch nimmt RGZ. 51, 376 an/ daß § 823 Abs. 2 nicht anwendbar sei, wenn dem Verletzer der fremden Ehre StGB. § 193 (Wahrung berechtigter Interessen) zur Seite steht. Über den Schutz der sog. *) Schriften (außer den Lehrbüchern des Strafrechts und den Kommentaren zum StGB.): Otto Gierke, DPrivR. Bd. 1 §§ 52, 53 S. 416ff.; Binding, Die Ehre und ihre Verletzbarkeit (Rektoratsrede, Leipzig 1890); A. Fränkel, Der Schutz der Ehre nach bürgerlichem Recht (Breslau 1908); Süßheim, Die Rechtsfolgen ehrlosen Verhaltens, GrünhutsZ. 29, 491 ff.; A. Lobe, Artikel Ehre im HWRechtsW. Bd.2(1927) S. 160ff.; E.Riezler, Artikel Ehre imRechtsvergl. HWB. Bd. 2 (1929) S. 758ff.; J.A. Müllereisert, Die Ehre im deutschen Privatrecht, 1931. — Während des Druckes erschien im „Deutschen Recht" Bd. 4 S. 393ff. über die Ehre eine Reihe von kleineren Aufsätzen (von Brandt, v. Schwerin, H. Schultze, Klausing, Noack, Wagner, Rohlfing, Jaenicke, v. Rauchhaupt, Dabrn^.

54 Borbem. 9

I. Abschnitt. Personen.

Kreditehre s. § 824, über den Schutz der weiblichen Geschlechtsehre §§ 825, 847 Abs. 2, 1300 Ein in manchen Gesetzgebungen (bisher nicht in der deutschen) anerkanntes Postulat ist der besondere Rechtsschutz der sog. Urheberehre, Künstlerehre, Erfinderehre als des aus der Tatsache des geistigen und künstlerischen Schaffens fließenden unveräußerlichen und unvererblichen Persönlichkeilsrechts, als Urheber oder Erfinder einer Schöpfung anerkannt zu werden; s. darüber Schanze, Die Erfinderehre und ihr Rechtsschutz (1906); Kisch, Handbuch des deut­ schen Patentrechts (1923) S. 50; Riezler bei Molitor-Hueck-Riezler, Der Arbeitsvertrag (1925) S. 258 ff. Neuestens wird aber die „soziale Ehre" als ein besonderes Rechtsgut unter den Schutz der Rechtsordnung gestellt durch § 36 des Ges. zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Ja­ nuar 1934 (RGBl. I, 45ff.). Darnach werden gröbliche Verstöße der durch die Betriebsgemein­ schaft begründeten Pflichten als Verstöße gegen die soziale Ehre von den Ehrengerichten gesühnt. In § 36 ist des Näheren aufgezählt, wann solche Verstöße vorliegen. Die soziale Ehrengerichts­ barkeit ist in den §§ 38ff. näher geregelt. Vgl. dazu auch Mansfeld, Deutsches Arbeitsrecht 34, 33ff. und Deutsches Recht Bd. 4 (1934) S. 123ff.; Weigelt, Arbeitsrecht und Volkstum 34, 217ff. Der Begriff der Ehrbarkeit erscheint im RErbhofG. vom 29. Sept. 1933 (RGBl. I, 685 ff.) § 11 Abs. 1. Darnach muß der Bauer d. i. der Eigentümer eines Erbhofs ehrbar sein. Vgl. dazu die Kommentare zum RErbhG. Die neueste Rechtsauffassung neigt dazu, auch eine Standesehre wieder als besonderes Rechtsgut anzuerkennen; gesetzliche Anerkennung hat sie schon gefunden in § 59 der 1. VO. über den vorläufigen Ausbau des Handwerks vom 15. Juni 1934 (RGBl. I, 493); vgl. dazu den genannten Aufsatz von Rohlfing.

Eine „Verpfändung" der Ehre oder des Ehrenwortes verstößt in rein vermögens­ rechtlichen Angelegenheiten regelmäßig gegen die guten Sitten und ist daher nach § 138 nichtig; von einer echten Verpfändung kann im übrigen schon deshalb keine Rede sein, weil Ehre und Ehrenwort weder Sachen noch Rechte sind und daher nicht zu den verpfändbaren Gegenständen gehören (vgl. Kullmann JW. 15, 1286; Müllereisert a. a. O. S. 262ff.; RGZ. 74, 322ff.; 78, 258ff.). Auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts kann ehrloses Verhalten relativer Grund zur Ehescheidung oder zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sein (BGB. §§ 1568, 1575), ferner Grund zu Maßregeln des Bormundschaftsgerichts gegen den Träger der elterlichen Gewalt (§§ 1666, 1686, 1687 Ziff. 3) oder zur Entziehung des Pflichtteils (§ 2333 Ziff. 5). Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ist geregelt in StGB. §§ 32—37. über Ehrenminderungen (vielleicht besser privatrechtliche Zurücksetzung, vgl. EnneccerusNipperdey I § 87, III) des Gemeinschuldners im Konkurse vgl. BGB. §§ 1781 Ziff. 3, 1792 Abs. 4, 1866 Ziff. 2, 1886, 1895, 1915; GVG. §§ 32, 84, 109; ArbGG. §§ 21, 37, 43. 9

5. Fremde*). Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit des Fremden richten sich in Deutsch­ land grundsätzlich nach dem Recht seiner Heimat; Einschränkung dieses Grundsatzes in EG.BGB. Art. 7 Abs. 3 Satz l. Für das Privatrecht kommt auch in Betracht die Vorschrift des EG.BGB. Art. 88. „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche den Erwerb von Grundstücken durch Ausländer von staatlicher Genehmigung abhängig machen." Vgl. hiezu Gierke, DPR. I § 56 S. 448. Von diesem Vorbehalte hat Hessen Gebrauch gemacht in AG. Art. 15, ferner Hamburg AG. § 28; Bayern (AG. Art. 10) nur für solche ausländische juristische

*) Vgl. H. Strauch, Das Fremdenrecht, in der ZHR. Bd. 13 (hat heute vorwiegend geschichtliche Bedeutung); Hans v. Frisch, Das Fremdenrecht 1910 S. 129ff. Dieser bestreitet, entgegen der herrschenden Ansicht, daß der Niederlassungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz dem einzelnen Staatsangehörigen ein wirkliches Wohnrecht gewähre. Für dieses Recht spricht indessen der Wortlaut und die Beschränkung der Ausweisung auf bestimmte allerdings sehr weit gefaßte Tatbestände im früheren Vertrag (vom 31. Mai 1890), wie indem neuen. Vgl. über das Fremdenrecht auch Neumeyer, Internationales Berwaltungsrecht I [1910], 10{f., 171f.; Jsay, Das deutsche Fremdenrecht (1923); A. Bergmann, Der Aus­ länder im deutschen Recht (Personenrecht, Eherecht, Kindschaftsrecht), 1934.

I. Titel. Natürliche Personen.

Vordem. 10—13 55

Personen, welche religiöse oder wohltätige Zwecke oder Zwecke des Unterrichts oder der Erziehung verfolgen, es ist aber bestritten (vgl. darüber Henle-Schneider-Manglkammer, Die bayer. AusfG., 3. Ausl. 1931, Bem. 3 zu Art. 10 und die dort angeführten Schriften), ob Art. 10 nicht mit Rücksicht auf Art. 2 Abs. 2 Satz 3 des Konkordats zwischen Bayern und dem Heiligen Stuhl vom 29. März 1924 für die Orden und religiösen Korporationen der katholischen Kirche die Geltung verloren hat. Art. 13 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (RGBl. II, 679 ff.) entscheidet diese Frage nicht. Die auf Grund des Vorbehalts in EG. Art. 88 ergangenen Landesgesetze haben, da Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht; insoweit keine Wirkung, als Staatsverträge des Reichs den Angehörigen eines ausländischen Staates den Erwerb von Grundstücken im Inland erlauben; die hier in Betracht kommenden Staatsverträge sind zu­ sammengestellt in Bem. 4 zu EG. Art. 88. Fremde entbehren grundsätzlich des Wohnrechts im Inland und können daher von durch Wohnsitz begründeten Privatrechten ausgeschlossen werden. Vgl. Gierke, DPR. I § 56 S. 449, § 57 S. 454 f. Ausnahmsweise haben Fremde durch Staatsvertrag Wohnrecht. Vgl. Nieder­ lassungsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 13. November 1909 (Reichsgesetzblatt 1911 S. 887) Art. 1, 2*). Die zahlreichen Handels­ abkommen des Deutschen Reichs mit fremden Staaten sind zusammengestellt bei Schlegelberger-Hoche, Das Recht der Neuzeit, 10. Aufl. 1935 S. 132 ff. 6. Uneheliche Kinder. Das BGB. schließt die unehelichen Kinder nicht vom testamentarischen, aber vom gesetzlichen Erbrecht in bezug aus den Vater aus, weil es eine väterliche Verwandtschaft mit dem außerehelichen Kind nicht anerkennt (§ 1589 Abs. 2). In bezug auf den Unterhaltsanspruch stellt es die unehelichen Kinder dem Vater gegenüber schlechter als die ehelichen (§§ 1602, 1603, 1708, EG. Art. 208). Nach RVerf. Art. 121 sind den unehelichen Kindern „durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche, seelische und gesell­ schaftliche Entwickelung zu schaffen wie den ehelichen Kindern". Das ist ein bloßer Programm­ satz, aus dem nicht unmittelbar subjektive Rechte und Pflichten abzuleiten sind. Der im Reichs­ arbeitsblatt 1925 Nr. 77 S. 459 ff. veröffentlichte Entwurf eines Gesetzes über die unehelichen Kinder und die Annahme an Kindes Statt ist nicht Gesetz geworden. Eine Reform ist geplant. Schriften darüber s. in den Vorbem. vor §§ 1705ff. 7. Bezüglich der unehelichen Mutter und der mütterlichen Voreltern unehelicher Kinder vgl. §§ 1776, 1782, 1855, 1861, 1863, 1867, 1912 und ferner die Bem. zu § 1705.

8. Geschlecht**).

10

U 12

a) Uber Zwitter vgl. Motive I S. 26. Das überwiegende Geschlecht entscheidet; falls kein Geschlecht überwiegt, können die Normen nicht angewendet werden, die ein be­ stimmtes Geschlecht zur Voraussetzung haben, z. B. die Bestimmungen des Eherechts. Vgl. Bem. 2 zu § 1323; KG. 9. Nov. 1928 IW. 31, 1495. b) Eine Zurücksetzung des weiblichen Geschlechtes war enthalten in ZPO. § 1032 13 Abs. 3, BörsG. vom 8. Mai 1908 § 7 Abs. 1 Nr. 1 — diese Zurücksetzungen sind nunmehr aufgehoben durch RG. vom 11. Juli 1922 und 28. Dez. 1921 (RGBl. 1922 I, S. 573 und 25); ferner nach vorbehaltenem Landesrechte in den Bestimmungen des preußi­ schen und bayrischen Fideikommißrechts. vgl. PLR. Tl. II Tit. 4 § 189; bayr. Familienfideikommißedikt § 73. Nach dem BGB. selbst sind Mann und Frau weder als Ehegatten noch als Eltern gleichgestellt. Vgl. §§ 1354, 1358, 1363, 1443, 1519, 1549, 1627, 1634, 1684, 1687, 1697. Besondere Schutzvorschriften zugunsten der Frau im BGB. §§ 825, 847, 1300. Die Frau (auch die Ehefrau) ist als solche in ihrer Geschäftsfähigkeit nicht beeinträchtigt, sie ist, soweit sie voll geschäftsfähig ist, prozeßfähig und sie ist (im Gegen­ satz zum Röm. R.) interzessionsfähig.

*) Vgl. aber auch EG.BGB. Art. 31 (Retorsionsrecht). ♦*) Vgl. Planck, Die rechtliche Stellung der Frau (1899); Eugen Wilhelm, Die recht­ liche Stellung der (körperlichen) Zwitter de lege lata und de lege ferenda Bd. 7 Heft 1 der juristisch-psychiatrischen Grenzfragen (Halle 1909); Strathmann, Unterschiede in der Rechts­ lage von Männern und Frauen (1911).

56 «orbem. 14—17

I. Abschnitt. Personen.

14

c) Nach RVerf. v. 11. Aug. 1919 Art. 109*) Abs. 2 haben Männer und Frauen grundsäylich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Nach Art. 119 Abs. 1 beruht die Ehe „auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter". Nach Art. 128 Abs. 2 werden alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte beseitigt. Alle diese Be­ stimmungen sind aber nur Programmsätze, deren Ausführung der Gesetzgebung über­ lassen bleibt. Vgl. das verfassungsändernde Ges. über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten vom 30. Mai 1932 (RGBl. I, 245), geändert durch Ges. vom 30. Juni 1933 (RGBl. I, 433). 15 d) Nach RG. v. 11. Juli 1922 können Frauen die Fähigkeit zum Richteramt erwerben, ebenso zu Handelsrichtern, Urkundsbeamten und Gerichtsvollziehern ernannt werden. Das bedeutete jedoch bisher schon für die Frau nicht etwa ein Recht darauf, unter bestimmten Voraussetzungen ein solches Amt zu verlangen. 16 9. Handlungsfähigkeit und Rechtsfähigkeit identifizieren Bierling, Jur. Prinzipienlebre I S. 201 ff.; Holder, Natürliche u. juristische Personen S. 70ff., lllff.; Binder, Problem der juristischen Persönlichkeit in der Erlanger Festschrift für Regelsberger S. 54, 60; v. Beseler Ztschr. d. Sav.-St. Rom. Abt. 46, 85 f. Hienach kann der nicht unbeschränkt Geschäftsfähige Privatrechte nicht haben, die entsprechenden Rechte stehen dem gesetzlichen Vertreter als „Amts­ rechte" zu, ebenso belasten ihn auch die von der herrschenden Ansicht für möglich erachteten Schulden des Mündels mit der Maßgabe, daß er sie nur aus dem „Amtsvermögen" zu zahlen braucht. Bei Eintritt der Geschäftsfähigkeit verwandelt sich das Amtsvermögen in Privatver­ mögen des Volljährigen. Hat der Geschäftsunfähige keinen gesetzlichen Vertreter, so besteht weder Amts- noch Privatvermögen, ebenso auch wenn z. B. ein Geschäftsfähiger schläft usf. (Hölder, Natürliche und juristische Personen S. 137, 139). Hiezu vgl. Gierke, DPR. I § 30 Note 14 („sonderbare Verirrung"); anderseits Schwarz im ArchBürgR. Bd. 32 S. 1 ff., Bd. 35 S. 10ff., Zitelmann, Internat. Privatrecht I S. 87 Note 8, Enneccerus-Nipperdey I § 76 Note 1, der bemerkt, daß diese Auffassung dem § 1 und „zahllosen anderen Vorschriften des BGB. und allen anderen bekannten Rechten" widerspreche, aber „logisch möglich" sei. Nach unserer Auffassung ist die begriffliche Trennung der Handlungsfähigkeit, insbesondere der Geschäftsfähigkeit, von der Rechtsfähigkeit ein von der Gesetzgebung (nicht nur vom BGB., vgl. auch Schweiz. ZGB. Art. 11 und 12) übernommener und zugleich einer natürlichen An­ schauung entsprechender Fortschritt der Theorie, der nicht wieder aufgegeben werden sollte. Gegen die Höldersche Auffassung auch G. Husserl ArchZivPr. 127, 187 f. Vgl. auch unsere Bem. 1 zu § 1. 17 11. 1. Die „natürlichen Personen" sind Personen nicht schon von Natur, sondern durch die Rechtsordnung, nicht anders als die juristischen Personen. Dem Menschen wird die Rechtsfähigkeit mit der Vollendung der Geburt, dem menschlichen Verbände wird sie nicht immer schon auf Grund seiner Existenz verliehen. Noch weniger können bestimmte Privat­ rechte als solche bezeichnet werden, welche dem Menschen ausnahmslos und unter allen Um­ ständen aus Grund seiner Existenz anhaften müßten. „Angeborene schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte", welche das österr. BGB. § 16 dem Menschen als solchem zuerkennt, oder „allgemeine Rechte der Menschheit", welche nach PLR.Tl. I Tit. 1 § 10 schon dem nasci­ turus zugeschrieben werden, können nur insoweit gelten, als sie die positive Rechtsordnung wirklich im einzelnen gewährt. Soweit dies nicht der Fall, sind derartige „angeborene" oder „mitgeborene Rechte" trotz programmatischer „Erklärung der Menschenrechte" nur politische, ethische usw. Postulate (vgl. Philipp Lotmar, „Vom Rechte, das mit uns geboren ist", *) Die schwierige staatsrechtliche Frage der Fortgeltung der RVerf. kann hier nicht er­ örtert werden. Zweifellos haben ihre Sätze nicht mehr die besondere Bedeutung von Berfas­ sungsbestimmungen, wenn sie zum Teil auch als Rechtsnormen noch bestehen. Die RVerf. gilt nicht mehr, soweit sie, sei es ausdrücklich, sei es durch das Inkrafttreten inhaltlich abändernden Rechtes ausgehoben ist; sie gilt natürlich auch nicht mehr, soweit die verfassungsrechtlichen Institutionen, von denen sie handelt (wie der Reichsrat), beseitigt sind. Ob und inwieweit aber auch über diese Grenzen hinaus eine Beseitigung der RVerf. zur Zeit schon anzunehmen ist, ist zweifelhaft und bestritten.

I. Titel. Natürliche Personen.

Borbem. 18—20

57

Bern 1893; dagegen Meisner, BGB. S. 4ff. für den alten naturrechtlichen Stand­ punkt). Soweit das positive Recht solche Postulate anerkennt und zu Rechtsnormen gestaltet, kann dies im Wege des öffentlichen oder im Wege des Privatrechts oder im Wege des öffentlichen und des Privatrechts geschehen. Anerkennt das Privatrecht aus der Natur des Menschen oder aus dem Begriffe der Person abgeleitete Rechte, welche ihrem Subjekte „die Herrschaft über einen Bestandteil der eigenen Persönlichkeitssphäre gewährleisten" (Gierke), so werden diese als Personenrechte oder „Persönlichkeitsrechte", auch Individualrechte bezeichnet*). Sie gehören zu den sog. absoluten Rechten. Das PLR. Tl. I Tit. 1 §§ 2ff. und das österr. BGB. (Tl. I, erstes Hauptstück) haben den „Personenrechten" eigene Darstellungen gewidmet. 2. In dem von den Personen handelnden ersten Abschnitt des deutschen BGB. ist nur 18 ein Personenrecht, das Namensrecht, im § 12 als besonderes Privatrecht und entsprechend seinem Charakter als absolutes Recht gegen jede Verletzung, auch gegen nicht schuldhafte, geschützt. 3. In analoger Anwendung des § 12 und weiter der sachenrechtlichen Normen der 19 §§ 862, 1004 des BGB. hat das Reichsgericht ausgesprochen, daß dem „durch einen wider­ rechtlichen Eingriff in ein durch das Gesetz geschütztes Rechtsgut Betroffenen" eine actio quasi negatoria auf Unterlassung zustehe, wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind. Als solche Rechtsgüter werden bezeichnet: der Kredit, das Fortkommen, der Erwerb einer Person RGZ. 60, 6; 61, 366 — IW. 05, 715 Nr. 2. Auch dem Wappenrecht wird ein solcher Schuh zuzugestehen fein. Vgl. hiezu Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts II § 190 und diesen Komm. Bd. II, 3 Vordem, z. 25. Tit. des II. Buches. 4. Als Personenrechte werden ferner aber insbesondere das Recht auf Leben, körperliche 20 Integrität, Gesundheit, Freiheit, Ehre in der Literatur bezeichnet. Vgl. dazu § 823 mit Bem. Über die Tragweite dieser Bestimmung in Ansehung der Frage, was nach dem BGB. zu den Persönlichkeitsrechten zu rechnen ist, namentlich gegenüber den Verh. d. RTK. zu § 807 E. III, herrscht aber Streit. Hat das BGB. die im § 823 genannten Rechtsgüter: Leben, Gesund­ heit, Freiheit als Gegenstände besonderer Privatrechte und damit als Personenrechte an­ erkannt?**) Planck beruft sich für die Verneinung der Frage nicht nur auf die Fassung,

sondern auch auf die Entstehungsgeschichte des § 823, wonach man nicht annehmen könne daß das BGB. ein besonderes subjektives Recht auf Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre habe anerkennen wollen; „das Leben, der Körper, die Gesundheit und Freiheit sind in dem § 823 nicht als Rechte bezeichnet und stehen dadurch im Gegensatze zu den folgenden Worten: ,das Eigentum oder ein sonstiges Recht': die Ehre ist ganz weggelassen". Lediglich um die tatsächliche Unrichtigkeit dieses an sich nicht entscheidenden Arguments zu zeigen, soll hier auf die „Materialien" eingegangen werden. Die Protokolle der II. Komm, sprechen nicht gegen die Anerkennung der bezeichneten Rechtsgüter als Personenrechte, sondern für dieselbe. Die M. zu § 704 des E. I erklären es allerdings als zweifelhaft, ob das Leben, der *) Über die „Persönlichkeits-" und „Individualrechte" überhaupt vgl. Gierke, DPR. I § 81, woselbst auch die Hauptgegner der Theorie der „Persönlichkeitsrechte" verzeichnet sind. Vgl. auch Specker, Die Persönlichkeitsrechte mit besonderer Berücksichtigung des Rechts auf die Ehre im schweizerischen Privatrecht (1911); Mauczka in GrünhutsZ. 39, lff.; Wieruszowski, DRichtZ. 27, 225ff.; Reinhardt, Das Persönlichkeitsrecht in der geltenden Rechtsordnung (1931). **) Die Frage wird bejaht u. a. (abgesehen von diesem Kommentar Bem. II zu § 823) von Meisner S. 4ff. zu § 1; Hachenburg, Vorträge S. 153, 154; Kuhlenbeck, Von den Pandekten usw. II S. 357, Komm, zu § 823 Note 8; Dernburg, Das bürgerliche Recht II § 383 zu Note 5—9; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts II § 190, Fischer-HenleTitze zu § 823 Note 8; Kuhlenbeck im „Recht" 07, 482; H. Lehmann, Die Unterlassungs­ pflicht (1906) S. 130; Kunkel in der BayZ. 07, S. 286, 314ff.; verneint von Planck-Knoke, Vordem. 3 vor 8 1; Endemann I § 200 zu Note 26ff.; Oertmann, Komm. 3. Ausl. Bem. 1 zu § 823 und die dort angeführten Schriftsteller; Oertmann, Allg. Teil S. 9 (unter Aner­ kennung, daß sich Persönlichkeitsrechte auf Grund von Sondergesetzen und auf Grund von Untersuchungen der allgemeinen Rechtslehre ergeben können); Crome II § 325; Schönfeld, „Zum § 823 BGB." (Münchener Diss. 1899); Biermann I S. 458 Note 23; v. Tuhr § 6 S. 152 Anm. 66 und die daselbst zitierten; RGZ. Bd. 51 S. 369ff. (unter Berufung auf Planck, Oertmann und Cosack).

58

Vordem. 20

I. Abschnitt. Personen.

Körper, die Gesundheit, die Freiheit, die Ehre als „Rechte" bezeichnet werden können, und erachten gerade wegen dieses Zweifels die Aufnahme einer ausdrücklichen Vorschrift, wonach die schuldhafte Verletzung dieser Rechtsgüter schadensersatzpflichtig macht, als erforderlich. Dies geschah durch E. I § 704 Abs. 2 Satz 2, welcher lautete: „Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesund­ heit, der Freiheit, der Ehre anzusehen". Diese Bestimmung wurde von der II. Komm, abge­ lehnt, ebenso wie ein dieselbe unwesentlich modifizierender Antrag (P. II, 566, 573). Die Ab­ lehnung wurde aber damit begründet, daß die vorgeschlagene Bestimmung einen „durchaus doktrinären Eindruck mache" (P. II, 573). Nur in bezug auf die Verletzung von Freiheit und Ehre wurde von der Mehrheit geltend gemacht, daß sachliche Bedenken gegeben seien, hier einen besonderen privatrechtlichen Schutz eintreten zu lassen (Prot. vom 26. Oktober 1892). Einiger­ maßen im Widerspruche hiemit steht die unmittelbar vorausgehende Ausführung in den P. II, 568 in bezug auf die Anschauungen der Komm, bei Annahme eines Modifikationsantrags zu E. I § 704 (Prot. vom 25. Oktober 1892). Hier wird ein Persönlichkeitsrecht in bezug auf Freiheit und Ehre anerkannt, das nach dem Protokolle vom nächsten Tage „sachlichen Bedenken unter­ liegt". Die Unklarheit bezüglich der eigentlichen Meinung der Komm, wird indessen beseitigt durch das Prot. vom 22. Mai 1895, an welchem Tage die dermalige Fassung des § 823 beschlossen wurde. Der bezügliche von der Komm, gebilligte Vorschlag wurde als „in der Hauptsache redaktioneller Natur" erklärt; „bei der früheren Beratung habe man den lehrhaften Schlußsatz des § 704 E. I, daß als Verletzung eines Rechtes „im Sinne der vorstehenden Vorschriften" auch die Verletzung eines der einzeln aufgeführten immateriellen Rechtsgüter anzusehen sei, mit Recht gestrichen, da die heutige Wissenschaft ein Persönlichkeitsrecht im weiteren Sinne annehme. Danach finde sich aber im E. II nirgends ausgesprochen, daß die Verletzung dieser Güter sich zivilrechtlich als ein Delikt darstelle". Dieser Begründung zufolge wurde die dermalige Fassung gewählt, um einerseits einen „doktrinären Eindruck" zu vermeiden, anderseits aber, well durch die Fassung des E. I der Annahme weiterer Persönlichkeitsrechte als der ausdrücklich genannten präjudiziert zu sein schien, was den Absichten der II. Komm, nicht entsprach. Die Fassung des § 823 wurde sonach nicht gewählt, um etwa zwischen den in § 823 bezeichneten Rechtsgütern (Leben, Gesundheit usw.) einerseits und dem in § 823 erwähnten „Eigentum" einen Gegensatz dahin festzustellen, daß die ersteren nicht ebenfalls „Rechte" seien. Wenn Planck daraus hinweist, daß in § 823 das Leben, die Gesundheit usw. nicht als Rechte bezeichnet seien und dadurch im Gegensatze zu den folgenden Worten „das Eigentum oder ein sonstiges Recht" stehen, während die Ehre ganz weggelassen sei, so ist von der Möglichkeit einer solchen Auslegung allerdings schon in der II. Komm, in der fraglichen entscheidenden Sitzung vom 22. Mai 1895 die Rede gewesen, aber nur als von einer Auslegungsmöglichkeit, welche mit Rücksicht auf die vorgeschlagene, von der II. Komm, gebilligte und in das Gesetz übergegangene Fassung zu befürchten sei. Dem von der II. Komm, zum Beschlusse erhobenen Anträge wurde nämlich entgegengehalten, daß es nach seiner Fassung fraglich erscheine, „ob alle Rechts­ güter gedeckt seien". „Die Schlußklausel: »oder ein sonstiges Recht' schließe sich an .Eigentum' an und könne daher enger verstanden werden" (P. VI, 201). Dieser lediglich redak­ tionelle Einwand zeigt, wie darüber Einverständnis bestand, daß „alle Rechtsgüter" d. h. alle sog. Persönlichkeitsrechte als Rechte im Sinne des § 823 grundsätzlich anerkannt werden sollten. Die Weglassung der „Ehre" in dem angenommenen Anträge und demgemäß auch in § 823 ist dadurch erklärlich, daß für den Rechtsschutz der Ehre besondere Vorschriften gegeben waren (§§ 824, 825) und man in bezug auf die Ehre eine allgemeine Vorschrift wie die in § 823 enthaltene als bedenklich erachtete, wie dies auch seitens der RTK. (Drucks. Nr. 440 S. 103) ausgesprochen wurde. Vgl. über die Ehre auch oben Vorbem. 8. Hienach wollte die II. Komm, in § 823 a) bic neben und vor dem „Eigentum" genannten Rechtsgüter als Persönlichkeitsrechte anerkennen, b) anerkennen, daß auch andere persönliche Rechtsgüter Persönlichkeitsrechte seien und unter dem Schutze des § 823 stehen können; und weiter

I. Titel. Natürliche Personen.

Borbem. 21—23 59

c) wollte die Komm, nicht alle persönlichen Rechtsgüter unter den Schutz des § 823 als „Rechte" stellen. Bestätigt wird diese Auffassung der Verhandlungen durch die Denkschrift S. 100, welche zu § 807 (= § 823 BGB.) bemerkt: „Dementsprechend macht der § 807 die Schadensersatz­ pflicht davon abhängig, daß die schädigende Handlung entweder das Recht eines andern, insbesondere dessen Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum verletzt oder gegen ein den Schutz eines andern bezweckendes Gesetz verstößt". Es fragt sich, ob diese Absichten der II. Komm., welche von der RTK. nicht abgelehnt worden sind, im Gesetze den entsprechenden Ausdruck gefunden haben. Grammatische Auslegung führt nicht dazu, den von Planck in § 823 gefundenen Gegensatz zwischen „Eigentum oder ein sonstiges Recht" einerseits und den vor diesen Worten cn.fgeführten Rechtsgütern, als deren letztes die „Freiheit" genannt wird, anderseits als notwendig zu erachten. Zuzugeben ist freilich, daß dieses Ergebnis nicht zweifelfrei sein kann; denn das Leben, der Körper usw. sind, wenn man von § 823 absieht, nirgends im BGB, insbesondere nicht im Abschnitte von den „Personen", als Rechte bezeichnet und diese Bezeichnung in § 823 wäre sogar sprachwidrig, wenn sie sich lediglich auf die vor dem Worte „Freiheit" erwähnten Rechtsgüter beziehen würde. Andererseits sprechen erhebliche Interessen für die An­ erkennung dieser (zu 20 behandelten) Persönlichkeitsgüter als Rechte, wie für die oben zu 19 be­ zeichneten (über gegenteilige Interessen vgl. v. Tuhr S. 152). 5. Inwieweit andere als die in § 823 genannten persönlichen Rechtsgüter als „Rechte" 21 zu gellen haben und damit unter § 823 fallen, hängt vor allem von der Entwicklung des Lebens ab, die auch bezüglich dieser die analoge Rechtsanwendung im Sinne der RGE. zu 19 gestalten oder gebieten würde. Daß § 823 nur von der schuldhaften Verletzung und von der hiedurch begründeten Schadensersatzpflicht spricht, steht, wie das Beispiel des in § 823 genannten Eigen­ tums zeigt, der Anerkennung negatorischen Rechtsschutzes bei nur objektiv widerrechtlichen Ein­ griffen nicht entgegen. Vgl. hiezu Kohler a. a. O. und die Bemerkungen zu § 823. Ein sog. „allgemeines" Persönlichkeitsrecht, dessen Inhalt über den Schutz bestimmter 22 einzelner im Gesetz durch besondere Normen als schutzfähig anerkannter Persönlichkeitsgüter hinausgeht, wird gegen Gierke, Kohler u. a. von der überwiegenden Meinung und insbesondere vom Reichsgericht (vgl. RGZ. 113, 414) abgelehnt. III. Internationales Privatrecht. Über die Frage, nach welchem Rechte in örtlicher 23 Hinsicht über die Rechtsfähigkeit, die allgemeine wie die besondere, sowie über die aus dem Begriffe der Person ableitbaren Persönlichkeitsrechte zu entscheiden ist, hatten die Vorentwürfe zum BGB folgende Bestimmung getroffen: „Die Rechtsfähigkeit wird nach dem Rechte be­ urteilt, welches über das Rechtsverhältnis, bei dem sie in Frage kommt, entscheidet." Gebhardscher Vorentwurf § 5 und Mot. zu demselben S. 30—39. Das EG.BGB. enthält keine Be­ stimmung. In der Literatur sind zwei Meinungen vertreten. Nach der einen, heute überwiegen­ den, entscheidet grundsätzlich das Personalstatut (Gierke, DPR. I S. 222), genauer gesagt, die Gesetzgebung, welche unter der Voraussetzung der Rechtsfähigkeit Personalstatut wäre. Nach der andern, welche insbesondere durch v. Bar und Stobbe vertreten wird, soll die bezeichnete in den deutschen Vorentwürfen enthaltene Regel gelten. Beide Anschauungen lassen Ausnahmen zu (vgl. hiezu: E. Zitelmann, Internationales Privatrecht II S. 180ff.). In Betracht kommt, daß bestimmte, auf die Rechtsfähigkeit bezügliche Normen des deutschen Rechtes ausschließlicher Natur sein wollen, so daß der deutsche Richter entgegenstehenden Normen anderer Rechtsgebiete die Anwendung versagen muß. Hieher gehört der Rechtssatz, daß jedem Menschen die allgemeine Rechtsfähigkeit zukommt. Doch haben auch derartige ausschließliche Rechtssätze ihre Anwendungsgrenzen. Der deutsche Richter kann einem Sklaven nicht mit Erfolg Rechtsfähigkeit auch für das Sklavenland zusprechen. Auf diesem Standpunkte stand auch die Praxis des deutschen Kolonial­ rechtes. Für die besonderen Rechtsfähigkeiten im Sinne der Zulassung zu besonderen Rechts­ einrichtungen dürfte die Herrschaft der oben bezeichneten Regel der deutschen Borentwürfe anzuerkennen sein. Ausschließlicher Natur ist nur die Bejahung der Rechtsfähigkeit des Menschen überhaupt; vgl. EG. zu BGB Art. 30. Bezüglich der Frage dagegen, wann die Rechtsfähig-

60 1, 1

I. Abschnitt. Personen.

feit des Menschen beginnt, so ferne diese Frage von der Entscheidung darüber abhängt, wann ein lebender Mensch zu sein beginnt, kann dem deutschen Rechte ausschließliche Natur nicht zu­ geschrieben werden. Kommt es auf die Entscheidung dieser Frage an, so entscheiden, wie in zeitlicher Beziehung, so auch in örtlicher nicht notwendig die Grundsätze des BGB. Vgl. auch Neumeyer, Internationales Privatrecht, 2. Ausl. S. 17 und Intern. Verwaltungsrecht I, 106ff.; Raape, Vordem, vor EG. Art. 7 in Bd. VI dieses Werkes. § 1*.)

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt. E. i, 3; ii, i; in, i.

1

I. 1. Die Rechtsfähigkeit (vgl. über den Begriff auch Vordem. 2 zu diesem Titel) ist die Eigenschaft einer Person, vermöge deren sie fähig ist, Träger von Rechten und Verbindlichkeiten zu sein. Sie kommt natürlichen Personen zu (Menschen) und juristischen Personen. Sie ist nach unserem Recht (es handelt sich um eine positivrechtliche Frage) eine wesentliche Eigenschaft der Person, welche weder durch Vertrag noch durch einseitigen Verzicht ihres Trägers noch durch eine gerichtliche Aberkennung verloren gehen oder beschränkt werden kann. Sie steht, soweit es sich um die allgemeine Rechtssähigkeit und nicht um die besondere im Sinne der Teilnahme von bestimmten einzelnen Rechtseinrichtungen handelt, grundsätzlich allen Menschen ohne Rücksicht auf Staats­ angehörigkeit, Abstammung, Konfession, Beruf und Stand in gleicher Weise zu. Würde ein nach den Regeln des Internationalen Rechts anzuwendendes ausländisches Recht die allgemeine Rechtsfähigkeit einer Person verneinen oder beschränken, so wäre es inso­ weit als „gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes" verstoßend nach EGBGB. Art. 30 von deutschen Gerichten nicht anzuwenden. Wer rechtsfähig ist, ist ein Rechtssubjekt(die Ausfassung von Schwarz, ArchBürgR. 32, 31 ff., daß der Mensch nicht Vermögens­ subjekt im eigenen Interesse, sondern nur Vertreter eines Vermögenszwecks sei, hat mit Recht überwiegende Ablehnung erfahren). Die Rechtsfähigkeit ist nach geltendem Recht, wie sich schon aus der Gegenüber­ stellung des § 1 einerseits und der §§ 1O4ff. andererseits ergibt, scharf zu unterscheiden von der nicht jedem Menschen zustehenden Handlungsfähigkeit, das ist der Fähig­ keit, durch eigenes Verhalten Rechtswirkungen hervorzubringen, die sich wiederum in Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähigkeit teilt (f. Vordem. 1 vor § 104). Weder ist mit Brinz (Pandekten 2. und 3. Aufl. § 52) der Begriff der Rechtsfähigkeit dem der Hand­ lungsfähigkeit unterzuordnen noch umgekehrt mit Hölder (Natürliche und juristische Personen S. 117 f.) der Begriff der Handlungsfähigkeit dem der Rechtsfähigkeit. Die Auffassung, daß in den Fällen, in denen jemand sein Vermögen rechtlich nicht verwalten kann (etwa wegen Geschäftsunfähigkeit), er „nicht Subjekt der durch dessen Existenz gegebenen rechtlichen Macht" sei, die vielmehr als eine amtliche seinem gesetzlichen Ver­ treter zustehe (so Hölder a. a. O.) ist rechtspolitisch bedenklich (vgl. dagegen EnneccerusNipperdey I, § 76 Anm. 1, b), jedenfalls aber nicht die des geltenden Rechts, das nament­ lich in seinen Vorschriften über die Stellvertretung deutlich zu erkennen gibt, daß es den Vertretenen und nicht den Vertreter als das Subjekt der Rechte und Verbindlichkeiten ansieht,- auch kann nach geltendem Recht kein Zweifel sein, daß der Handlungsunfähige (nicht etwa sein Vertreter) als rechtsfähiges Subjekt von Liegenschaftsrechten ins Grund­ buch einzutragen ist. Gegen Hölder auch Planck-Knoke* Vordem. 1 vor § 1; Oertmann, Vordem. 1, d, a vor § 1; vgl. auch Pagel a. a. O. S. 233f. Abzulehnen ist nach dem Gesagten auch die Auffassung von M. Schwabe, Die selbstbestimmte Einheit der Körper­ schaft (1930) S. 10 ff., daß Rechtsfähigkeit nichts anderes sei als Willensfähigkeit. Weiter als der Begriff der Rechtsfähigkeit ist der des „R e ch t s der Persönlichkeit"; es begreift in sich nicht nur die Fähigkeit, Subjekt von Rechten zu sein, sondern auch die, in seiner Persönlichkeit unabhängig von den damit verbundenen Vermögensinteressen Rechtsschutz zu finden (vgl. Egger, Komm. z. Schweiz. ZGB., 2. Aufl. Bem. I, 3 zu Art. 11). Inwieweit Persönlichkeitsrechte tatsächlich anerkannt find, ist eine Frage der

*) Schriften: W. Hundus, Der Beginn der Rechtsfähigkeit des Menschen nach dem BGB und dem bisherigen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Vitalitätssrage des gemeinen Rechts (1908); Ehrlich, Die Rechtsfähigkeit, Bd. I der Sammlung „Das Recht", Berlin 1909 (populäre und historische Darstellung); A. Pagel, Zur Lehre von der Rechts­ fähigkeit, im ArchBürgR. 42, 227ff.; A. Eisenmann, Die Erlangung der Mensch-Eigenschaft (1915). Vgl. auch die oben S. 50 in der Fußnote **) angegebenen Schriften.

I. Titel. Natürliche Personen.

1, 2—5 61

positiven Rechtsordnung,- für das Deutsche Recht sind die Grenzen fraglich und bestritten, s. darüber oben Borbem. 18—22 zu diesem Titel und Bem. II, A, 2, e zu § 823. 2. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt. So auch nach Röm.R., auf welches die M. 1,28 sich berufen,- c. 3C. deposth. bered. 6, 29. Nicht ausgesprochen ist: mit der Geburt eines lebenden Menschen, weil dies selbst­ verständlich ist. Ein Mensch ist nur vorhanden, wenn ein lebendes Wesen vorhanden ist. Eine Totgeburt ist auch nach vollendeter Trennung vom Mutterleibe kein Mensch. Brinz, Pand. I, 2. Aufl. § 50 zu Note 7; 1. 129 D. 50, 16. E. I libh die Rechtsfähigkeit „mit der Geburt" beginnen. Dies war als ungenau getadelt worden, weil die Geburt kein schlechthin momentaner Vorgang sei. Nach dem Schweizerischen ZGB. Art. 31 Abs. 1 beginnt die Persönlichkeit „mit dem Leben nach vollendeter Geburt". 3. „Die Geburt ist vollendet mit der auf natürlichem oder künstlichem Wege herbeigeführten Trennung vom Mutterleibe" (M. I, 28). Wann dies der Fall, ist Sache tatsächlicher Feststellung, insbes. der Feststellung durch die medizinische Wissenschaft. Ein negatives Moment steht fest: Lösung der Nabelschnur ist nicht erforderlich (M. I, 28). Notwendig ist nur, dah das Kind den Mutterleib verlassen habe, nicht datz der Zusammen­ hang des Kindes mit dem Mutterleib vollständig aufgehoben sei. Nur in diesem Sinne kann das Erfordernis der „Trennung" des Kindes vom Mutterleibe verstanden werden. Dies ist auch der Standpunkt- des Gem.N.: 1.3 C. 6, 29; Regelsberger, Pand. Bd. 1 § 58 zu Note 2. Dagegen ist nach dem StGB, für die Existenz eines Menschen die Vollendung der Geburt in dem eben dargelegten Sinne nicht erforderlich. Es ist vielmehr nur er­ forderlich, dah das Kind zu irgendeinem Teile bereits den Mutterleib verlassen hat, § 217 StGB. Denn hier wird ein „Kind" schon während der Geburt („in der Geburt") als vorhanden angenommen, unter der Voraussetzung, datz Leben vorhanden ist. Es genietzt also auch die erst in der Geburt befindliche Leibesfrucht vor dem Strafgesetze „in bezug auf ihre vitale Existenz und Integrität die Rechte eines geborenen Menschen" (RGSt. 1, 448). 4. Lebende Geburt ist anzunehmen, wenn das Kind „nach der vollständigen Trennung vom Mutterleibe Lebenszeichen irgendwelcher Art gegeben hat, sollte es auch unmittelbar nach dieser Lebensäutzerung verstorben sein" (v. Sicherer, Komm, zum PersG. S. 104). Lebende Geburt ist dagegen nicht vorhanden, wenn das Kind zwar vor oder während der Geburt gelebt hat, aber vor vollendeter Geburt gestorben ist. Hiebei mutz, wer sich auf das Leben nach der Geburt beruft, dies beweisen (M. 1,28). Welcher Art die „Lebens­ zeichen" waren, ist gleichgültig. Sie können z. B. in dem durch die Lungenprobe zu be­ weisenden Atmen des Kindes bestehen. Das BGB. stellt im Gegensatz zum österr. allg. BGB. § 23 keine Rechtsvermutung für die lebende Geburt auf, irrt Einklänge mit dem Gent.R. (Kuhlenbeck, Von den Pandekten I S.93) und int Gegensatze zum BLR. Tl. I cap. 3 § 2 Nr. 4 a. E., sächs. BG. § 34. In bezug auf das preutz. R. vgl. PLR. Tl. I Tit. 1 § 13. Anderseits beweist das standesamtliche Geburtsregister, wenn in dieses die Geburt eingetragen worden ist, gemätz § 15 PStG, die Tatsache der lebenden Geburt; dagegen ist aber der Nachweis der Fälschung, der unrichtigen Eintragung oder der Unrichtigkeit der Anzeigen und Feststellungen, auf Grund deren die Eintragung erfolgt ist, zulässig. Dieselbe Beweiskraft haben Auszüge, welche als gleichlautend mit dem Standesregister bestätigt und mit der Unterschrift und dem Dienstsiegel des Standes­ beamten oder des zuständigen Gerichtsbeamten versehen sind. Die gleiche Beweiskraft kommt dem Eintrag in das standesamtliche Register zu, wonach ein Kind „tot geboren oder in der Geburt verstorben ist"; der Eintrag beweist mit der erwähnten Matzgabe, datz ein lebender Mensch nicht geboren worden ist. Die Eintragung der totgeborenen und in der Geburt verstorbenen Kinder ist durch das PersG. vorgeschrieben, jedoch soll dieser Eintrag nur int Sterbe-, nicht int Geburts­ register erfolgen. § 23 PStG. 5. Gemeinrechtlich war Lebensfähigkeit oder Vitalität in mehrfachem Sinne als Erfordernis der Rechtsfähigkeit aufgestellt worden. Eine ältere Theorie schlotz die Rechtsfähigkeit aus, wenn das lebendig geborene Kind aus irgendwelchen Gründen meßt lebensfähig war, sei es, weil es nicht den Grad der Reife erlangte, der zur selb­ ständigen Fortsetzung des Lebens autzerhalb des Mutterleibes erforderlich ist, oder datz z. B. mangelhafte Bildung von zur Fortsetzung des Lebens notwendigen Organen eine Lebensunfähigkeit bewirkte. In neuerer Zeit ist das Erfordernis der Lebensfähigkeit int Gem. R. überhaupt bestritten worden. Vgl. Savigny, System II S. 385ff.; Vangerow, Pand. I § 32 und die hier angeführten Schriftsteller. Die überwiegende Meinung hielt, zum Teil auf Grund der dem deutschen Rechte in dieser Frage zugeschriebenen Bedeutung (Gierke, DPR. I § 41 Anm. 12), an dem Erfordernisse der Lebensfähigkeit in dem engeren Sinne fest, dah das Kind vermöge seiner Reife lebensfähig sein soll. Beim

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I. Abschnitt. Personen.

Mangel dieser Lebensfähigkeit wird die Rechtsfähigkeit bestritten von Windscheid, Pand. Bd. 1 § 52; Wächter, Pand. I § 400; Dernburg, Pand. I § 50; Brinz, Pand. I § 50; Gierke, DPR. I § 41 Anm. 12. And. Ans. Regelsberger, Pand. I § 58 S. 243, 244; Endemann I § 93 Note 4. Das Erfordernis der Lebensfähigkeit wird nicht aufgestellt durch das BLR. Tl. I cap. 3 § 2 Nr. 4 (vgl. BlfRA. Bd. 7 S. 219 Anm. 6), das PLR. und das sächf. GB.; dagegencod. civ. art. 725; bad. LR. Satz 314, 725, 906; cod. c. espanol Art. 30. Das BGB. läßt das Erfordernis der Lebensfähigkeit überhaupt fallen (M. I, 28). Es ist daher ein rechtsfähiger Mensch existent geworden, wenn auch nur einen Augenblick ein lebendes Kind nach der Geburt existierte. Enneccerus-Nipperdey § 77, III; Planck-Knoke Bem. 2 zu § 1. Mit Unrecht behauptet Kuhlenbeck (Von den Pand. S. 80) das BGB. lasse die gemeinrechtliche Streitfrage offen. Er vertritt die Ansicht, daß auch dann, wenn die vom Mutterleibe vollständig getrennte Leibesfrucht gelebt hat, als ein lebendes Wesen geboren worden ist, ein Sachverständigengutachten darüber ein­ zuholen sei, ob die Leibesfrucht „bereits im Besitze aller zur Lebensfähigkeit absolut erforderlichen Organe war oder ob sie den hiezu notwendigen embryonalen Entwicklungsprozeh noch nicht abgeschlossen hatte". Auf diese Fragen kann es nach dem BGB nicht mehr ankommen, wenn feststeht, daß die Leibesfrucht nach der Geburt gelebt hat*). Grund für diese Behandlung waren rein praktische Erwägungen der Rechtssicherheit (M. I, 28). 6. Das Gem.R.stellt als weiteres Erfordernis der Rechtsfähigkeit die „menschliche Bildung" des geborenen Kindes auf und versagt die Rechtsfähigkeit dem sog. monstrum oder prodigium. Windscheid, Pand. Bd. I 8 52 z. N. 6; Brinz, Pand. Bd. I § 50 z. N. 17; Savigny, System II S. 9; Gierke, DPR. I § 40, II, 2. Was monstrum oder prodigium ist, sagen die Quellen nicht. Savigny findet die „wirkliche Grenze der Menschengestalt" darin, „daß der Kopf menschliche Bildung an sich tragen muh". Regels­ berger, Pand. Bd. I § 58 S. 213 erklärt mit Recht, datz der ganze Begriff an Unklarheit leidet und unbrauchbar ist. Trotzdem ist derselbe aus dem Gem.R. in mehrere deutsche Partikularrechte übergegangen, so in das BLR. Tl. I cap. 3 § 2 Nr. 5; PLR. Tl. I Tit. 1 § 17; sächs. BG. § 33; ebenso cod. c. espanol Art. 30. Die neuere medizinische Wissenschaft bezeichnet den Begriff der Monstrosität als inhalts- und gegenstandslos (vgl. M. I, 28). Das BGB hat mit Rücksicht hierauf das Erfordernis der „menschlichen Bildung" nicht ausgenommen. Der Mißgeburt im Sinne eines abnorm gebildeten, aber immerhin noch menschlichen Wesens, welchem schon nach Röm.R. Rechtsfähigkeit zukommt, wird diese auch durch das BGB. nicht abge­ sprochen. „Geburten ohne menschliche Form und Bildung gibt es nicht. Ein noch so mißgestaltetes Kind ist ein Kind, ein Mensch" (Kuhlenbeck a. a. O. S. 80, 81; vgl. Oertmann, Bem. 2; M. I, 29).- Uber Zwitter s. oben Vordem. 12 S. 55. Über die Rechtsverhältnisse am Körper des lebenden Menschen vgl. Bem. 2 zu § 90.

II. Der nasciturus.**) 1. Das Röm. R. betrachtet

die Frucht im Mutterleibe als einen erst in der Entstehung begriffenen, aber noch nicht existenten Menschen. Rechte kann daher die Leibesfrucht noch nicht erwerben. Das Gem. R. hat aber anderseits diese unfertige Existenz doch nicht als bloße Nicht­ existenz behandelt, vielmehr den Erwerb von Rechten, welche dem Ungeborenen erworben wür­ den, wenn er schon geboren wäre, „Vorbehalten", nicht gegeben — Vorbehalten nicht als dem Ungeborenen, sondern als dem, der zur Welt kommt (Brinz, Pand. Bd. 1, 2. Aufl. §50 emäh § 84 gilt sie dann für Zuwendungen des Stifters als schon vor dem Tode desselben entstanden. Es bedarf aber auch hier der Rechtsübertragung im einzelnen, es findet nicht etwa wie bei Erbeinsetzung einer Stiftung eine Gesamtnachfolge statt. Übereinstimmend Planck-Knoke 2 zu 8 84. 3. Die Verpflichtung des Stifters lb eginnt mit dem Augenblicke der Genehmigung. 3 Eine Rückwirkung auf die Zeit des SMtungsgeschäfts findet nicht statt, sofern nicht etwa aus dem Stiftungsgeschäfte sich ergibt, dah eine solche Rückwirkung dem Willen des Stifters entspricht (M. I, 123). Vor Genehmigung der Stiftmng ist der Stifter überhaupt nicht gebunden, da er das Stiftungsgeschäft jederzeit widerrufen kann. Dah der Widerruf nach Ein­ reichung des Gesuchs um Genehmigung! nur gegenüber der hiefür zuständigen Behörde erfolgen kann, begründet keine Gebundenheit des Stifters nach Art der Gebundenheit des Vertragschliehenden bei einem bedingten Rechtsgeschäfte, wie Hölder 2 zu 8 82, Meurer S. 276, ähnlich Jacke S. 16, v. Tuhr I 8 41 S. 608 zu Note 77ff. annehmen. Überein­ stimmend mit der hier vertretenen Auffassung Planck-Knoke 2 zu 8 82; Goldmann und Lilienthal I 8 23; Oertmann 2; Warneyer I. Der E. I schrieb für den Fall, dah die staatliche Genehmigung der Stiftmng durch Landesrecht für erforderlich erklärt werden sollte, vor, dah der Stifter vom dem Augenblicke an gebunden sein sollte, in welchem er um die staatliche Genehmigung nach sucht. Ein Widerrufsrecht stand nach dem E. I dem Stifter von jenem Augemblicke an nicht mehr zu. Vermöge dieser seiner Verpflichtung sollte sich der Stifter in der gleichen Lage befinden wie derjenige, welchem eine bedingte Verpflichtung obliegt. Diiese Gebundenheit sollte nur aufhören bei Ver­ sagung der Genehmigung (M. I, 123). Die II. Komm, beseitigte diese Gebundenheit des Stifters und nahm im Gegensatze hiezu die freie Widerruflichkeit des Stiftungs­ geschäfts auf, und zwar mit Rücksicht lauf die Auffassung der Stiftung als einseitiges Rechtsgeschäft (P. I, 592). Eine Gebundenheit des Stifters sollte erst mit dem Augen­ blicke der staatlichen Genehmigung eintreten. Es wurde insbesondere gesagt: die Analogie *) Jacke, Haftung des Stifters und seiner Erben, Diss. Rostock 1905.

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I. Abschnitt. Personen.

der Vertragsofferte liehe sich für eine frühere Bindung des Stifters nicht geltend machen (P. I, 592). Diese Auffassung ist im Gesetze mit genügender Deutlichkeit zum Ausdrucke gelangt. Vor staatlicher Genehmigung der Stiftung besteht keine Verpflichtung des Stifters, auch keine bedingte. Es wird daher auch von Planck-Knoke 2 zu 8 82 mit Recht angenommen, dah der Stifter, solange er nicht gemäh § 82 gebunden ist, also bis zum Augenblicke der Genehmigung der Stiftung, in der Verfügung über die der Stiftung zugesicherten Vermögensgegenstände nicht beschränkt ist, dah er wegen Veränderung, insbesondere Verschlechterung derselben nicht haftet und dah die Vorschriften über be­ dingte Rechtsgeschäfte (§§ 160, 161) hier keine Anwendung finden können. 4 4. über Art und Umfang der Haftung des Stifters besteht Streit. Nach E. I § 58 Satz 3 sollten die Vorschriften über die Haftung des Schenkers auf den Stifter analog anzuwenden sein. Diese Bestimmung wurde in der II. Komm, gestrichen in der Absicht, die Entscheidung der Frage der Wissenschaft und der Rechtsprechung zu überlassen (P. I, 593, III). Nach Planck-Knoke 3 zu 8 82 entsteht durch Genehmigung seitens des Staates ein dem Schenkungsversprechen, und im Falle des 8 82 Satz 2 der durch Veränderung vollzogenen Schenkung durchaus entsprechendes Rechtsverhält­ nis, sofern sich nicht aus den Umständen des Falles ein anderes ergibt, und soll daher der Stifter analog dem Schenker haften (§§ 521—524). Nach Stintzing S. 401 sind die Schenkungsregeln nie anzuwenden, weil eine Schenkung nicht vorliegt. Der Stifter­ soll nach gewöhnlichen Grundsätzen haften auf das Erfüllungsinteresse, wenn er Rechte, zu deren-Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, vor der Genehmigung auf andere übertragen hat. Nach den Ausführungen zu 3 dürfte dies unrichtig sein und die Plancksche Auffassung den Vorzug verdienen. So auch Meurer S. 276; Ende­ mann I S. 216? Oertmann 2, b. 5 5. Der Stifter haftet der Stiftung, ohne dah es seitens derselben einer An­ nahmeerklärung bedarf. Die Haftung ist geltend zu machen durch das zur Ver­ tretung der Stiftung nach auhen hin berufene Organ der Stiftung, den Vorstand. Ist der Stifter selbst der Vorstand, so ist gemäh 8§ 86, 29 BGB. für die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Stifter ein anderer Vorstand durch das Amtsgericht des Stiftungssitzes zu bestellen, wenn nicht nach der Verfassung der Stiftung oder nach Landesrecht ein anderes sich ergibt, insbesondere eine öffentliche Behörde zur Ver­ tretung der Stiftung überhaupt oder doch für den betreffenden Fall berufen ist. 6 6. Gegenüber den genuhberechtigten Stiftungsanwärtern (Destinatären) besteht keine Haftung des Stifters. Wohl aber können die Destinatäre unter Umständen einen klagbaren Anspruch gegen die Stiftung haben. S. darüber des Näheren 17 vor 8 80.

§ 83. Besteht ba§ Stistungsgeschäft in einer Verfügung von Todes wegen, so hat das Nachlaßgericht die Genehmigung einzuholen, sofern sie nicht von dem Erben oder dem Testamentsvollstrecker nachgesucht wird. E. I, 58; II, 80; III, 80.

I. Letztwillige Errichtung einer Stiftung. 8 83 entscheidet die im Gem. R. be­ stehende, von der herrschenden Meinung bejahte Streitfrage, ob die Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung auch dadurch erfolgen könne, dah ein Erblasser den auf Errichtung der Stiftung gerichteten Willen im Wege der Einsetzung der Stiftung zum Erben oder durch Zuwendung eines Vermächtnisses erklärt (M. I, 120; Meurer 8 29). Die Vor­ schrift, dah die Genehmigung der Stiftung von Todes wegen, wenn sie nicht vom Erben oder Testamentsvollstrecker nachgesucht wird, vom Nachlahgericht einzuholen sei, ist durch die II. Komm, beschlossen worden. 2 II. Eine Verfügung von Todes wegen im Sinne des 8 83 kann getroffen werden in einem Testament oder Erbvertrag, auch in einem Erbvertrag unter Ehegatten, die ihr beiderseitiges Vermögen einer zu errichtenden Stiftung zuwenden (anders Harrer im ZBlFG. 19, 370); vgl. auch 11 (bezüglich des Widerrufs). Im Gegen­ satz zum Stiftungsgeschäft unter Lebenden muh bei Errichtung einer Stiftung von Todes wegen der Stiftung im Stiftungsgeschäfte ein Vermögen zugewendet werden (Hölder 2 zu 8 83). 3 HI. Die Verfügung von Todes wegen kann bestehen: in der Einsetzung der Stiftung als Erbin, als Miterbin, als Borerbin, als Nacherbin, als Ersatzerbin. Sie kann ferner bestehen in einem Vermächtnis und einer Auflage. Sie kann dagegen nicht bestehen in einer Schenkung von Todes wegen, weil dieses Rechtsgeschäft seinem Begriffe nach (8 2301) bei einer Juristischen Person, die erst nach dem Tode des Erb-

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lassers ins Dasein tritt, unanwendbar ist. Ob eine derartige Verfügung in Anwendung von §§ 140, 2084 als Vermächtnisverfügung aufrecht erhalten werden kann, ist eine Frage der Auslegung des einzelnen Falles. Vgl. dazu auch Enneccerus-Nipperdey § 110 Anm. 18. Im einzelnen ist noch folgendes zu bemerken: 1. Wird die Stiftung durch Erbeinsetzung in einem Testament oder in einem Erbvertrag errichtet, so ist für den Fall der Genehmigung § 84 anwendbar: die Stif­ tung gilt als bereits vor dem Tode des Stifters entstanden und erwirbt daher mit dem Tode das Erbvermögen. Das Stiftungsgeschäst selbst besteht in der Verfügung von Todes wegen. Ist daher die Stiftung auf Grund derselben und der staatlichen Genehmi­ gung entstanden, so kann die Erbschaft nicht ausgeschlagen werden (Zitelmann I, 72; a. A. Stintzing S. 440). Sache der staatlichen Prüfung ist es, festzustellen, ob die Erb­ einsetzung der Stiftung eine genügende Garantie für die Durchführung ihrer Zwecke verschafft, so dah es einer Ausschlagsberechtigung nicht bedarf; es ist anzunehmen, dah eine solche für die letztwillig errichtete Stiftung auch nicht besteht; vgl. Planck-Knoke 6, Oertmann 3. Über Bestellung einer Nachlahpflegschaft für die als Erbin berufene Stiftung vgl. § 1960 BGB., § 25 der bayr. MinBek. vom 20. März 1903, das Nachlahwesen betr. (JMBl. n. F. I, 459ff.). 2. Ist die Stiftung als Milerbin eingesetzt, so ist § 2043 BGB. anzuwenden. Die Auseinandersetzung unter den Erben ist ausgeschlossen, bis die Entscheidung über Erteilung oder Versagung der Genehmigung eingetroffen ist. 3. Ist die Stiftung als Nacherbin (§ 2100) eingesetzt, so ist § 83 anwendbar. Der Vorerbe oder der Testamentsvollstrecker können die Genehmigung der Stiftung nachsuchen und, wenn es von diesen unterlassen wurde, ist die Einholung der Genehmi­ gung Sache des Nachlahgerichts. Die Stiftung entsteht hier mit der Genehmigung und schon vor dem Nacherbfall. Soweit die Stiftung Nacherbin werden kann, muh auch die Eintragung eines durch die Einsetzung geschaffenen Rechtes ins Grundbuch erfolgen. Mit Rücksicht auf § 84 kann die als Nacherbin eingesetzte Stiftung Nacherbin werden, auch wenn sie zur Zeit des Nacherbfalles noch nicht entstanden ist, wenn sie nur überhaupt durch staatliche Genehmigung entsteht. Für den Grundbuchverkehr gilt daher der Satz, dah die ange­ ordnete Nacherbfolge der Stiftung im Grundbuche von Amts wegen eingetragen werden muh, wenn der Erbe eingetragen wird. KG. in RIA. 4, 228. Es ist sonach dem Vorstande der Stiftung möglich, deren Interessen gegen den Vorerben zu wahren. 4. Die Stiftung kann auch als Vor erb in eingesetzt sein. Da hiemit die Vermögensausstattung der Stiftung zeitlich beschränkt ist, so kann eine derartige letztwillige Verfügung als Stiftungsgeschäft nur dann zugelassen werden, wenn auch der Zweck der Stiftung ein zeitlich begrenzter oder wenn die Vorerbschaft so geordnet ist, dah die der Stiftung während der Zeit der Borerbschaft anfallenden Mittel eine dauernde Ausstattung für den Stiftungszweck darstellen. Dies ist indessen eine lediglich für die Prüfung des Stiftungsgeschäfts in bezug auf die tatsächliche Ausstattung der Stiftung in Betracht kommende Erwägung. Denn rechtlich genügt die Einsetzung der Stiftung als Vorerbin jedenfalls. Die Behauptung Stintzings S. 442, dah beim Eintritte des Nacherbfalles immer eine Liquidation der Stiftung einzutreten habe, ist nicht richtig. Dies wäre nur dann richtig, wenn durch den Eintritt des Nacherbfalls das für die Stif­ tung erforderliche Vermögen derselben entzogen und die Erfüllung des Stiftungs­ zwecks unmöglich würde oder wenn der Stiftungszweck von vorneherein auf die Zeit der Vorerbschaft beschränkt ist. 5. Ist die Stiftung als Ersatzerbin (§ 2096) eingesetzt, so kann die Genehmigung des Stiftungsgeschäfts sofort nach dem Tode des Erblassers erfolgen. Wird die Stiftung genehmigt, so entsteht die Juristische Person alsbald und schon vor dem Eintritte der Berufung der Stiftung zur Ersatzerbfolge. Fällt die Ersatzerbenberufung hinweg, indem der Vorberufene die Erbschaft annimmt, so entfällt die für den Stiftungszweck erforder­ liche Ausstattung. Die Einsetzung einer zu gründenden Stiftung als Erfatzerbin dürfte daher nur ausnahmsweise genügen, um die staatliche Genehmigung zu rechtfertigen. 6. Besteht das Stiftungsgeschäft in einer Vermächtnisverfügung, so wird die Wirksamkeit der Verfügung nach BGB. dadurch nicht beeinträchtigt, dah der mit dem Vermächtnisse belastete Erbe oder Vermächtnisnehmer die belastete Zuwendung aus­ schlägt. Das Vermächtnis begründet eine auf dem Nachlah selbst lastende Schuld und fällt daher nicht aus, wenn der mit demselben Belastete persönlich ausschlägt (§ 2161). Auch die Vermächtnisverfügung kann die Zuwendung an die Stiftung zeitlich in der Weise begrenzen, wie die Erbeinsetzung. Sie kann durch Bestimmung eines Nachver­ mächtnisses zeitlich begrenzt sein. Hiefür gilt mit Rücksicht auf § 2191 Abs. 2 das oben 7 bezüglich der Erbeinsetzung Gesagte.

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I. Abschnitt. Personen.

7. Das Stiftungsgeschäft von Todes wegen kann auch in einer Auflage bestehen. Der Stifter ordnet in der Auflageverfügung an, dah einer rechtsfähigen Stiftung, die er zu bestimmtem Zwecke begründen will, der durch die Auflage Beschwerte eine bestimmte Summe oder Sache zu leisten habe. Richtig ist, dah in diesem Falle die Stif­ tung kein klagbares Recht auf die Erfüllung der Auflage hat (8 1940). Anderseits können aber der Erbe oder derjenige, welchem der Wegfall des mit der Auflage Belasteten un­ mittelbar zustatten kommt, und, wenn die Stiftung im öffentlichen Interesse gelegen ist, auch die zur Wahrung dieses Interesses zuständige Behörde die Vollziehung der Auflage verlangen (8 2194), und an einem Belasteten fehlt es auch dann nicht, wenn der unmittelbar mit der Auflage Beschwerte wegfällt (§§ 2192, 2161). Es besteht also kein Bedenken dagegen, dah auch durch Auflage eine Stiftung begründet werden kann. Vgl. hiezu Oertmann 1, b; RGRKomm. 1. Abzulehnen ist die Auffassung, dah im Falle der Auflageverfügung der „unmittelbare" Stifter nicht der Erblasser, sondern der Beschwerte sei (Stintzing S. 454) oder dah der Beschwerte immer als der Stifter zu erachten sei (Meurer S. 285 zu Note 4 und die dort Angeführten- dem Vorstehenden zustimmend Oertmann 1, d, /?). Richtig ist nur, dah die Auflage auch den Inhalt haben kann, dah der Beschwerte eine Stiftung zu errichten habe. Das Stiftungsgeschäft kann aber auch in der letztwilligen Auflageverfügung vollständig als Geschäft des Erb­ lassers enthalten sein. Die Auflage bietet trotz des Mangels eines klagbaren Anspruchs auf Erfüllung seitens des durch die Auflage Bedachten eine juristisch genügende Form für das Stiftungsgeschäft. Hiebei ist darauf hinzuweisen, dah die Bestimmung des § 82, welche eine auf den Erben übergehende Verpflichtung des Stifters zum Vollzüge seiner Zuwendung an die Stiftung festsetzt, auf das Stiftungsgeschäft von Todes wegen überhaupt nicht anwendbar ist und dah es daher nicht zum Wesen des Stiftungsgeschäfts von Todes wegen gehört, dah neben der Pflicht des Beschwerten zur Leistung an die Stiftung auch ein dieser Pflicht entsprechendes Recht des Bedachten auf diese Leistung bestehe. Es genügt, dah der Vollzug der Auflage in anderer Weise als durch einen An­ spruch des Bedachten sichergestellt ist (8 2194). Vgl. zu der Frage auch EnneccerusNipperdey § 110 Sinnt. 18; Planck-Knoke 4. Die Landesgesetze haben in einer Reihe von Ländern die Zuständigkeit der Behörden zum Einschreiten in betreff des Vollzugs von Auflagen im öffentlichen In­ teresse geordnet: vgl. für Preuhen AV. z. BGB. vom 16. Nov. 1899 Art. 7; Baden AV. vom 26. Nov. 1926 § 22; Bayern AG. Art. 107, 91V. (Zuständigkeitsverordnung) § 24; Braunschweig AG. § 23; Bremen AG. § 12; Hessen AG. Art. 36,131; Lippe AG. § 20; Lübeck AG. § 25; Mecklenburg-Schwerin AV. § 39; MecklenburgStrelitz AV. § 38; Sachsen AV. § 10; Thüringen AV. § 144. Vgl. Bem. zu § 2194. IV. Widerruflichkeit. 11 1. Das Stiftungsgeschäft von Todes wegen ist von feiten des Stifters frei widerruflich, wenn es durch Testament errichtet ist. Ist es durch Erbvertrag errichtet, so kann auch der Widerruf nur durch Vertrag erfolgen, § 2290 (ebenso Hölder 1, b; Planck-Knoke 1; Soergel zu § 83; anders v. Tuhr S. 598, Oertmann 1, a) oder, wenn das Stiftungsgeschäft in einer Vermächtnisverfügung oder Auflage bestand, durch Testament mit Zustimmung des Vertragsgegners (§ 2291). Das vertragsmähige Stiftungsgeschäft kann auch durch Ausübung des Rücktrittsrechts erlöschen (§§ 2293ff.). Es kann aber auch ein Erbvertrag ein Stiftungs­ geschäft ohne Bindung gegenüber dem Vertragsgegner enthalten und zwar ein Stif­ tungsgeschäft von Todes wegen oder unter Lebenden. Zum Widerruf eines solchen Stiftungsgeschäftes bedarf es weder eines Vertrages noch der Zustimmung des Erb­ vertragsgegners. Wird die Stiftung durch einen Erbvertrag unter Ehegatten oder Verlobten errichtet, in welchem an die zu errichtende Stiftung vertragsmähig eine Zuwendung gemacht wird, so wird das Stiftungsgeschäft gemäh §§ 2279 und 2077 hinfällig, wenn die Ehe nichtig ist oder vor dem Tode des Stifters aufgelöst wird oder zwischen den Verlobten nicht zustande kam (vgl. hiezu Stintzing S. 461, 462). 12 3. Das in einer letztwilligen Verfügung bestehende Stiftungsgeschäft von Todes wegen kann vom Erben des Stifters nicht mehr widerrufen werden. § 81 ist auf das Stiftungsgeschäft von Todes wegen nicht anwendbar. Eben deswegen kann hier die staatliche Genehmigung auch ohne Antrag eines Beteiligten erteilt werden (Planck-Knoke 5 zu 8 83). § 83 schreibt vor, dah durch das Nachlahgericht die staatliche Genehmigung einzuholen sei, sofern sie nicht vom Erben oder vom Testamentsvollstrecker nachgesucht werde. Es handelt sich hiebei nicht um eine formelle Voraussetzung der Genehmigung, wie bei dem Antrag beim Stiftungsgeschäfte unter Lebenden, sondern vielmehr nur um eine Anzeige, durch welche das Genehmigungsverfahren in die Wege geleitet wird (Hölder 1 zu § 83; Planck-Knoke 5 zu 8 83). Die Tätigkeit des Nachlabgerichts ist zu diesem Zwecke insbesondere dann erforderlich, wenn die Stiftung zum alleinigen Erben eingesetzt ist und kein Testamentsvollstrecker ernannt 10

2. Titel. Juristische Personen. II. Stiftungen.

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wurde. Die Einholung der Genehmigung ist dem Nachlatzgerichte, wenn der Erbe oder Testamentsvollstrecker sich passiv verhält, zur Pflicht gemacht, und es hängt daher nicht vom Ermessen des Nachlatzgerichts oder von seinem Urteil über den Wert oder Unwert der Stiftung ab, ob die Genehmigung eingeholt werden soll oder nicht. Die Prüfung des Wertes und die Billigung der Stiftung ist lediglich Aufgabe der für die Genehmigung selbst zuständigen Stellen. In bezug auf die Gültigkeit der Stiftung ist die Vorschrift des § 83 nur instruktionell. Die Genehmigung ist auch dann gültig, wenn sie ohne Tätigkeit des Nachlatzgerichtes auf die Anzeige einer dritten Person erfolgt.

§ 84. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters genehmigt, so gilt sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tode entstanden. E. I, 61 Abs. 3; II, 81; III, 81.

1. Die Vorschrift des § 84 trifft sowohl die Stiftung unter Lebenden als auch die Stiftung von Todes wegen. Die Stiftung unter Lebenden wird möglicherweise erst nach dem Tode des Stifters genehmigt, auch wenn der Stifter selbst noch den Antrag auf Genehmigung gestellt hat. Insbesondere können auch die vom Stifter mit der Einreichung des Gesuchs um Genehmigung beauftragten Personen (§ 81 Abs. 2 3) das Gesuch erst nach dem Tode des Stifters einreichen. Auch kann, wenn der Stifter selbst weder einen Antrag gestellt, noch mit Einreichung eines Gesuchs andere beauftragt hat, der Erbe des Stifters die Genehmigung beantragen. Alle diese Fälle trifft § 84. Durch die Bestimmung des § 84 wird für den Bereich der Stiftung der Forderung des § 1923 genügt. Vgl. Oertmann 1, b; v. Tuhr I 8 41 S. 608; RGRKomm. 1. 2. Die Stiftung gilt als vor dem Tode des Stifters entstanden für Zuwendungen des Stifters; nicht bloß für die Zuwendungen im Stiftungsgeschäfte von Todes wegen, sondern auch für die Zuwendungen im Stiftungsgeschäfte unter Lebenden; ferner aber auch für Zuwendungen, welche der Stifter auherhalb des Stiftungs­ geschäfts vor der Genehmigung zugunsten der Stiftung verfügt hat. Die Stiftung, obwohl erst nach dem Tode des Stifters entstanden, kann diese Zuwendungen geltend machen, wie wenn sie schon vor dem Tode des Stifters entstanden wären. Es ist zwar richtig, datz die im Stiftungsgeschäft unter Lebenden selbst vom Stifter der noch nicht genehmigten Stiftung gemachten Zuwendungen schon gemäß § 82 im Falle der Ge­ nehmigung zur Geltung gelangen, denn § 82 unterscheidet nicht den Fall der Genehmi­ gung vor dem Tode und den Fall der Genehmigung nach dem Tode des Stifters. Trotzdem hat aber auch für diesen Fall § 84 Bedeutung. Denn er bestimmt für diese Zu­ wendungen im Stiftungsgeschäft unter Lebenden die Rückziehung auf den Augen­ blick vor dem Tode des Stifters, nicht etwa auf den Augenblick der Errichtung des Stiftungsgeschäftes. Es gelten die Anspriiche der Stiftung als mit dem Tode des Stifters bereits entstanden und Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, gelten als bereits mit dem Tode des Stifters auf die später genehmigte Stiftung übergegangen. So mit zutreffenden Gründen Planck-Knoke 2 zu 8 84; vgl. Biermann § 143 Anm. 6, b; Oertmann 1, c; Warneyer zu 8 84; a. A. Hölder 2 zu 8 84. 3. Die gesetzliche Fiktion des 8 84 trifft nur die Zuwendungen des Stifters selbst. Für die Zuwendungen Dritter an die noch nicht genehmigte und daher noch nicht entstandene Stiftung gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Dernburg I 8 92 S. 315). Die Erbeinsetzung einer noch nicht genehmigten Stiftung durch einen Dritten kann gemäß 8 2101 durch die Annahme einer Einsetzung der zukünftigen Stiftung als Nacherbin aufrecht erhalten werden. Entspricht dies nicht dem Willen des Erblassers, so ist die Erbeinsetzung unwirksam. Dagegen kann ein Vermächtnis zugunsten einer noch nicht genehmigten Stiftung eines anderen immer wirksam verfügt werden. Vgl. hiezu Endemann III 8 6 Nr. 1, b und 8 38 Ziff. 2, b; Planck-Knoke 2 zu 8 84; v. Tuhr I 8 41 S. 609. 4. Bis zur Genehmigung der Stiftung besteht ein Schwebezustand; s. 21 zu 8 80; vgl. auch NGZ. 88, 335ff.; Warneyer zu 8 84. Für die Widerruflichkeit während des Schwebezustandes gilt auch hier die Regel des 8 81 Satz 2; das unter den dort genannten Voraussetzungen bestehende Widerrufsrecht des Erben erlischt auch damit, daß der Erbe selbst die Genehmigung der Stiftung beantragt; denn dieser Antrag kommt einem Verzicht auf das Widerrufsrecht gleich. Verfügt der Erbe während des Schwebezustandes über Vermögensstücke, die im Stiftungsgeschäft der Stiftung gewidmet sind, so stellen sich diese Verfügungen, Staudinger, BGB. I (Riezler, Allgemeiner Teil.) i0. Ausl. 25

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386 84,5; 85,1—3

I. Abschnitt. Personen.

wenn die Genehmigung erfolgt und infolgedessen die Stiftung für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tode entstanden gilt, als Verfügungen eines Nichtberechtigten dar. Trotzdem wird man die Verfügungen nicht aus diesem Grunde als unwirksam erachten dürfen,' zwar ist § 184 Abs. 2 hier nicht unmittelbar anwendbar, da es sich nicht um Verfügungen handelt, die „von dem Genehmigenden" getroffen worden sind- aber eine analoge Anwendung des § 184 Abs. 2 dürfte auch hier gerecht­ fertigt sein,' vgl. dazu 7 zu § 184. So auch Planck-Knoke, im Ergebnis auch Oertmann, beide zu § 84. 5 5. Mit der Versagung der Genehmigung ist das Stiftungsgeschäft endgültig wirkungslos- vgl. 9 zu 8 81. Stellt etwa der Erbe nach der Verweigerung der Genehmigung einen neuen Antrag auf Genehmigung, so kann sich dieser nicht mehr auf das rechtlich nicht mehr bestehende Stiftungsgeschäft des Erblassers, sondern nur auf eine Stiftung des Erben selbst beziehen, wozu aber vorausgesetzt ist, dah der Erbe seinerseits ein Stiftungsgeschäft in gehöriger Form vorgenommen hat.

§ 85. Die Verfassung einer Stiftung wird, soweit sie nicht auf Reichs­ oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungsgeschäft bestimmt. E. I, 60; II, 82; III, 82.

1

1. Über den Begriff der Verfassung vgl. 9 vor 88 80ff. und 2 zu 8 86. Zu eng ist die Behauptung Hölders (1 zu 8 85), dah die Verfassung der Stiftung nichts anderes sei, als die Ordnung ihrer Verwaltung. Zur Verfassung der Stiftung gehört, wie beim rechtsfähigen Verein, vor allem die Bestimmung des Zweckes der Juristischen Person, daher auch mit Recht die AG.BGB. in der Änderung des Zweckes der Stiftung eine wesentliche Verfassungsänderung erblicken. Vgl. z. B. preuhisches AG.BGB. Art. 5. Zur Verfassung der Stiftung gehören ferner die Normen bezüglich der Mittel, durch welche die rechtsfähige Stiftung ihren Zweck erfüllt, die Bestimmungen über Bildung, Bestellung, Vertretungsmacht und Geschäftskreis der Organe, über den Sitz, die Umwandlung und Beendigung der Juristischen Person, sowie die hiefür zuständigen Organe, die Bestimmungen über Rechte und Rechtsstellung der Stiftungsdestinatare, endlich die Normen bezüglich des Schicksals des Stiftungs­ vermögens nach Umwandlung und Beendigung der Stiftung. Nur als zur Ver­ fassung der Stiftung gehörig können die Landesgesetze Bestimmungen über die Auf­ hebung der Juristischen Person oder über die Änderung des Zweckes außerhalb des Falles des 8 87 treffen. Vgl. hiezu 1 zu 8 87. Auf 8 85 beruht z. B. die landesgesetz­ liche Regelung in dem preußischen Ges. über Änderung von Stiftungen vom 10. Juli 1924 (GS. 575), wonach Stiftungen durch Beschluß ihrer Vorstände mit Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde aufgehoben oder in ihren Zwecken geändert werden können, wenn es wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse angezeigt erscheint (die Rechtsgültigkeit dieses Gesetzes wird anerkannt in RGZ. 121, 166ff.). 2 2. a) Für die Verfassung der Stiftung gibt 8 85 drei Quellen an: Reichsrecht, Landesrecht, das Stiftungsgeschäft. b) Die Verfassung der Stiftung kann, wie die eines rechtsfähigen Vereins (8 25), in doppeltem Sinne auf dem objektiven Rechte „beruhen". Ein Teil der Rechts­ vorschriften stellt zwingende Normen dar und kann weder durch das Stiftungs­ geschäft noch durch die staatliche Genehmigung beseitigt werden. Zum Beispiel ist die reichsrechtliche Norm der 88 86, 26, wonach die Stiftung einen Vorstand haben mutz, zwingende Norm und kann auch durch das Landesrecht nicht be­ seitigt werden. Wohl aber kann das Landesrecht selbst besümmen, wer der Vor­ stand einer Stiftung sein soll, deren Vorstand nicht durch das Stiftungsgeschäft besümmt ist (vgl. Lent in DIZ. 12, 431 ff.). Landesrechtliche Vorschriften, nach denen die Verwaltung öffentlicher Stiftungen staatlich beaufsichtigt wird (vgl. 23 vor 8 80), sind zwingend und der Stifter kann davon keine Befreiung ge­ währen. Vgl. hiezu M. I, 121. Anderseits ist es Aufgabe des Stiftungsgeschäfts, über die Bildung und Bestellung des Vorstandes der Stiftung Bestimmungen zu treffen. Die Landesrechte greifen hier regelmäßig nur ergänzend ein und sind dispositiver Natur. 3 c) In bezug auf die Verwendung des Stiftungsnutzens und die den Stiftungs­ destinatären zustehenden Rechte vgl. im allgemeinen 17 vor 8 80. Das Stiftungsgeschäft kann die Bestimmung der Stiftungsdestinatäre „objektiven Voraussetzungen" unterwerfen, so dah für eine Wahl seitens irgendwelcher Stiftungsorgane kein Raum bleibt (vgl. Kohler, Bürg. Recht I, 416 III). Dies kann insbesondere bei Familienstiftungen der Fall sein (RG. in SeuffA. 56

2. Titel. Juristische Personen. II. Stiftungen. 85,4; 86,1,2

387

Nr. 216). Sind diese Voraussetzungen gegeben, so wird in Theorie und Praxis die Klagbarkeit der Forderungen der Sliftungsdeslinatäre angenommen- vgl. RGZ. 9, 207; 61, 36; SeuffA. a. a. O., P. I S. 598; Enneccerus-Nipperdey § 111 II; Dernburg § 25 Anm. 279; Planck-Knoke 2; v. Tuhr S. 611 f.; RGR.Komm. 2. Auch in RGZ. 121, 166 ff. wird die Frage, ob die Destinatäre ein Klagerecht auf bestimmungsmähige Verwendung des Stiftungsvermögens haben, als eine im Zweifel zu bejahende Frage der Auslegung des Stiftungsgeschäftes angesehen, v. Tuhr meint, dah hier „nach der herrschenden Lehre" eine Lücke im Gesetz vorliege und der Anspruch „praeter legem" gewährt würde; er selbst führt Analogien des Vermächtnisses oder des Vertrages zugunsten Dritter an, die den Anspruch stützen sollen; ähnlich Oertmann 4; Klinger, Das Klagerecht der Stiftungsinteressenten, Bonner Diss. 1914, S. 67 ff. Der Anspruch ist aber unter den angegebenen Voraussetzungen ein Anspruch aus dem Stiftungs­ geschäfte selbst und es ist nicht abzusehen, warum er noch einer weiteren Stütze oder Konstruktion bedürfen sollte; dies ist insbesondere auch nicht wegen § 305 der Fall. Dah grundsätzlich keine Unmöglichkeit besteht, überhaupt aus ein­ seitigem Rechtsgeschäft (ein solches ist das Stiftungsgeschäft, s. 3 zu 8 80) Ansprüche entstehen zu lassen, ist unbestreitbar. Abzulehnen ist auch die Annahme Zitelmanns, Das Recht des BGB. S. 74, dah der Klaganspruch nur auf etwaige landesrechtliche Bestimmungen gestützt werden könne. Das gültige Stiftungs­ geschäft genügt. Wo jedoch die Früge der Klagbarkeit landesgesetzlich besonders geregelt ist, etwa in dem Sinne, dah der Verwaltungsrechtsweg gewiesen wird, bat es bei dieser landesrechtlichen Regelung sein Bewenden. Die Ansprüche der Stiftungsdestinatäre haben nicht gleichen Rang mit denjenigen der Geschäfts­ gläubiger der Stiftung. Vgl. hiezu Kohler I, 417, anderseits v. Tuhr I, 613. Sie sind auch nach anderer Richtung, insbesondere bei Familienstiftungen, Rechte nicht derselben Art wie gewöhnliche Forderungen. Nutzungsberechtigten Fa­ milienmitgliedern kann bezüglich der Stiftungsverwaltung ein klagbares Über­ wachungsrecht zustehen. Vgl. RG. in IW. 09, 160 Nr. 5; RGZ. 61, 36; RGRKomm. 2. 3. In verschiedenen AG.BGB. ist dem Staate, der die Genehmigung zu erteilen 4 hat, die Befugnis eingeräumt, die Verfassung der Stiftung zu regeln, soweit sie nicht im Stiftungsgeschäfte geregelt ist. Wird von dieser Befugnis von der Behörde Gebrauch gemacht, so beruht insoweit die Verfassung nicht auf dem Stiftungsgeschäft. Sie beruht auf dem Landesrecht, das in diesen Fällen die Rechtsnatur eines Blankettgesetzes hat. § 86.

Die Vorschriften des § 26, des § 27 Abs. 3 und der §§ 28 bis 31, 42 finden auf Stiftungen entsprechende Anwendung, die Vorschriften des § 27 Abs. 3 und des § 28 Abs. 1 jedoch nur insoweit, als sich nicht aus der Verfassung, insbesondere daraus, daß die Verwaltung der Stiftung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, ein anderes ergibt. Die Vorschriften des § 28 Abs. 2 und des § 29 finden auf Stif­ tungen, deren Verwaltung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, keine Anwendung. E. I, 61; II, 83; III, 83.

I. Die vereinsrechtlichen Vorschriften, welche durch 8 86 auf die rechtsfähige 1 Stiftung zur entsprechenden Anwendung übertragen werden, betreffen die Ver­ fassung der Juristischen Person, deren Haftung auf Schadensersatz, die Wirkung einer Konkurseröffnung über das Vermögen der Stiftung. II. 1. Unbedingt anwendbar sind auf die Stiftung die Vorschriften des 8 26. 2 Die Stiftung muh daher, gleichviel in welcher Verwaltung sie steht, wie schon wieder­ holt betont, einen Vorstand haben. Über die Bildung des Vorstandes und seine Ver­ tretungsmacht entscheidet zunächst das Stiftungsgeschäft, dann Landesrecht; soweit das Landesrecht selbst eine Bestimmung über den Vorstand trifft, ist eine Regelung im Stiftungsgeschäft nicht notwendig (vgl. Lent in DIZ. 12, 432ff.). Durch das Stiftungs­ geschäft kann die Vertretungsmacht des Vorstandes mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. Die Normen des BGB. 8 27 Abs. 1 und 2 bezüglich der Bestellung des Vor­ standes sind auf die Stiftung in § 86 nicht als entsprechend anwendbar erklärt.Doch sind diese Normen in den Landesgesetzen, welche die Verfassung der Stiftung und

388 86, 3—7

I. Abschnitt. Personen.

insbesondere die Bestellung des Stiftungsvorstandes regeln, dem Inhalte nach mehrfach als anwendbar erklärt. Vgl. hiezu: Braunschweig AG. 12; Hamburg AG. § 12; Lippe AG. §§ 9,10; Mecklenburg-Schwerin AV. §§ 18,19; Mecklenburg-Strelitz AV. §§ 18,19; für Lübeck vgl. Stiftungsges. vom 6. März 1926 § 8. Nach preußischem Recht ist einer Familienstiftung die Genehmigung zu versagen, wenn die Stiftungsurkunde nicht „ausreichende Bestimmungen über die Bestellung eines Vorstandes enthält": AG. BGB. Art. 1 § 2; KG. in OLG. 5, 381 ff. Die testamentarische Anordnung des Stifters aber, daß die von ihm errichtete Familienstiftung durch das Gericht verwaltet werden soll, enthält die erforderliche Bestimmung über die Bestellung des Vorstands. Ergeben sich weder aus dem Stiftungsgeschäft noch aus der Landesgesetzgebung Normen über die Bildung des Vorstandes, so ist der Stiftung die staatliche Genehmigung zu versagen; so auch Planck-Knoke 2, anders z. B. Enneccerus-Nipperdey § 110, IV, 1. Natürlich kann bei einer Stiftung unter Lebenden die um Genehmigung ersuchte Behörde vor der Entscheidung über die Genehmigung den Stifter mit oder ohne Fristsetzung zur Ergänzung des Mangels des Stiftungsgeschäftes auffordern. Von dem Falle, daß es an Normen über die Bildung des Vorstandes fehlt, ist der nach § 29 zu behandelnde (f. aber 6) Fall zu unterscheiden, daß erforderliche Vorstandsmitglieder tatsächlich fehlen. 3 2. Für die Geschäftsführung des Vorstandes und dessen Rechtsverhältnis zur Stiftung ist § 27 Abs. 3 als anwendbar erklärt. Aus der Verfassung der Stiftung, insbesondere daraus, daß etwa eine öffentliche Behörde zur Verwaltung der Stiftung berufen ist, kann sich aber im einzelnen Falle die Unanwendbarkeit der nach § 86 und § 27 Abs. 3 auf das Verhältnis der Stiftung zum Vorstände und umgekehrt entsprechend anzuwendenden Auftragsnormen ergeben. Vgl. hiezu bayr. AG. Art. 89, bayrisches VGG. Art. 8 Ziff. 35, wodurch nicht nur für „Rechtsansprüche auf den Genuß oder Mitgenuß von Stiftungen", sondern auch für „Rechte im Betreff der Stiftungs­ verwaltung und der Verleihung des Stiftungsgenufses" der Venvaltvngsrechtsweg eröffnet wird; vgl. auch badisches Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 Art. 11 Abs. 2, dazu Vollzugs-Bek. vom 12. Januar 1927, insbes. § 11. 4 3. 8 28 Abs. 1 betrifft die Beschlußfassung des Vereinsvorstandes und ver­ weist wieder auf 88 32,34, woselbst die Beschlußfassung der Bereinsmitgliedrr geregelt ist. Bei entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen auf Stiftungen bedarf es, falls der Süftungsvorstand aus mehreren Personen besieht, zur Beschlußfassung einer ordnungsmäßig berufenen Versammlung des Vorstandes und es entscheidet in dieser Versammlung die Mehrheit der erschienenen Mitglieder (vgl. hiezu BayObLG. 7, 99 [= DIZ. 07, 741). Ohne Versammlung würde ein Vorstandsbeschlu^ gültig sein, wenn alle Vorstandsmitglieder ihre Zustimmung schriftlich erklären. En Vorstands­ mitglied ist nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlußfassung die Vornahme eines Rechts­ geschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Stiftung betrifft. Die Anwendung des 8 28 Abs. 1 kann durch dlk Verfassung der Stiftung ausgeschlossen sein, insbesondere dadurch, daß die Verwaltung einer öffentlichen Behörde überwiesen ist. Letzteres ist z. B. bei sog. öffentlichen Stif­ tungen, der weitaus größten Zahl aller Stiftungen, in Bayern regelmäßig der Fall. Vgl. Mecklenburg-Schwerin AV. 8 22. In bezug auf das preußische Recht vgl. Gierke, DPR. I 8 78 Note 55. Für Württemberg vgl. AG.BGB. Art. 133, für Baten Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 8§ 12ff. Besonders zu beachten ist, daß die Verwaltung aller örtlichen Stiftungen jetzt, soweit nicht durch Gesetz oder den Stifter ändert bestimmt ist, nach 8 66 Abs. 1 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1$35 (RGBl. I, 49) der Gemeinde zusteht. 5 4. 8 28 Abs. 2 ist nach 8 86 Abs. 2 auf Stiftungen, deren Verwaltung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, nicht anwendbar. Es gilt in dyser Richtung lediglich Landesrecht, das mehrfach den Inhalt des 8 28 Abs. 2 wiedergibt 6 5. 8 29, wonach fehlende Vorstandsmitglieder auf Antrag eiws Beteiligten durch das Amtsgericht des Sitzes der Juristischen Person ergänzt werdm können, ist auf Stiftungen, die der Verwaltung öffentlicher Behörden unterstehen, elenfalls nicht anwendbar. Auch hier kommt lediglich Landesrecht zur Geltung. 7 6. 8 30 ist auf Stiftungen überhaupt anwendbar. Hienach kann die Verfassung der Stiftung neben dem Vorstande für bestimmte Geschäfte besonder; Vertreter aufstellen. Vgl. hiezu 2 ff. zu § 30. Das Vorkommen anderer Organe dir Juristischen Person neben dem Vorstande ist bei Stiftungen häufig. „Häufig ist namertlich die Ver­ leihung des Stiftungsgenusses von der Stiftungsverwaltung abgetrennt md besonderen »Kollatoren* überwiesen", Gierke, DPR. I S. 655; so vor allem bei Stipenäenstiftungen. Bei Familienstiftungen ist für wichtigere Beschlußfassungen mehrfach die Serfammlung der Familienmitglieder als Stiftungsorgan bezeichnet. Vgl. Preußen AG. Art. 2; Anhalt AG. Art. 6; badisches Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 Art. 36 f.

2. Titel. Juristische Personen. II. Stiftungen.

86,8—10; 87,1,2 389

7. 8 31, welcher die Haftung für die Organe regelt, ist auf Stiftungen jeder Art 8 als anwendbar erklärt, vorausgesetzt, daß ihnen Rechtspersönlichkeit zukommt. Diese Vorschrift kann, wie bei Vereinen, auch bei Stiftungen durch die Verfassung und daher auch durch Landesrecht nicht beseitigt werden. Auf sog. fiduziarische (unselbständige) Stiftungen ist § 31 nicht anwendbar,- vgl. 1 vor § 80. 8. Durch die Eröffnung des Konkurses verliert, wie sich aus der vorgeschriebenen g entsprechenden Anwendung des § 42 ergibt, die Stiftung die Rechtsfähigkeit. Sie verliert aber mit der Rechtsfähigkeit zugleich ihre rechtliche Existenz, denn es gibt nach dem BGB. keine nicht rechtsfähigen Stiftungen von selbständiger Existenz (eine unselbständige Existenz hat die sog. fiduziarische Stiftung, s. über sie 1 vor § 80). Der nicht rechtsfähige Verein hat bei der Stiftung kein Analogon. Vgl. Hölder 6; Planck-Knoke 8; Oertmann 2, g. Für die Zwecke des Konkurses und der Liauidation gilt die durch die Konkurseröffnung ihrer Rechtsfähigkeit beraubte Stiftung als rechtlich fortbestehend,- s. auch Warneyer IV. Die Anwendung des § 42, welche anscheinend in § 86 allgemein zwingend vor­ geschrieben wird, ist bei bestimmten Stiftungen mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dah eine Konkurseröffnung bei ihnen ausgeschlossen ist. Vgl. hiezu 13 zu § 42. Autzerdem sollte § 42 Abs. 2 auch auf Stiftungen vorübergehend keine Anwendung finden in den in der BO. vom 28. April 1920 in der Fassung vom 22. Dez. 1922 bestimmten Fällen,- diese VO. ist aber durch das Ges. vom 30. März 1930 wieder aufgehoben,vgl. 9 zu § 42. Durch die Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens, die bei Stif­ tungen nach VerglO. § 108 möglich ist, verliert die Stiftung nicht die Rechtsfähigkeit. 9. Die Vorschriften des § 86 sind in Ermangelung besonderer Vorschriften der 10 Landesgesetze auch auf Stiftungen des öffentlichen Rechts anzuwenden. BayObLG.7, 99 = DIZ. 07, 74.

§ 87.*)

Ist die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden oder gefährdet sie das Gemeinwohl, so kann die zuständige Behörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben. Bei der Umwandlung des Zweckes ist die Absicht des Stifters tunlichst zu berücksichtigen, insbesondere dafür Sorge zu tragen, daß die Erträge des Stiftungsvermögens dem Personenkreise, dem sie zustatten kommen sollten, im Sinne des Stifters tunlichst erhalten bleiben. Die Behörde kann die Verfassung der Stiftung ändern, so­ weit diß Umwandlung des Zweckes es erfordert. Bor der Umwandlung des Zweckes und der Änderung der Ver­ fassung soll der Vorstand der Stiftung gehört werden. EG. BGB. E. II, Art. 85.

I. Entstehung der Vorschrift. § 87 wurde durch die Reichstagskomm. ausgenommen. 1 E. I, II, III iberweisen die Bestimmung über die Umwandlung und das Erlöschen der Stiftung den Landesgtsetzen. Der Bundesratsentwurf des EG.BGB. Art. 60 und die Reichstagsvorlage deS EG. Art. 85 sagen: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über das Erlöschen und die Umwandlung der Stiftung" (vgl. M. I, 124; P. I, 489, 606, 607; VI, 119). In der ReichStagskonm. erachtete man diesen Vorbehalt zugunsten der Landesrechte als unnötig. Es wurde hechlossen, den Art. 85 des E. II EG.BGB. zu streichen und dafür den nunmehrigen § 87 ins BG». aufzunehmen. Die Reichstagskomm. war der Meinung, daß durch die Streichung deS Art. 85 E II EG.BGB. und durch die Aufnahme des § 87 in das Gesetz das Erlöschen und die Umwandlung der Stiftung ausschließlich reichsrechtlich geregelt sei. Dies war ein Irrtum unt stand im Widersprüche mit der Aufnahme des § 85. Vgl. 1 zu § 85; RGZ. 121, 166 ff. Zustinmend Oertmann 1; a. M. Kohler I S. 426. H. Aufhebung und Erlöschen der Stiftung. Nach § 87 kann die Stiftung er- 2 löschen durhAufhebung seitens der zuständigen Behörde, nach §§ 86,42 durch Konkurs­ eröffnung iber das Stiftungsvermögen. Infolge Verlustes des Stiftungsvermögens erlischt die Stiftung nicht von selbst,- sie kann in diesem Falle nur aufgehoben werden *) Schvften: Gradenwitz in der Königsberger Festschrift zur Erinnerung an Kant, 1904, S. 17Lff.; Thiesing, Zur Aufhebung und Änderung der Verfassung einer Stiftung, in DIZ. 13,318ff.; Breslauer, Zur Auslegung des § 87 BGB., in IW. 23, 226f.; Walter E. Hindemmn, Der Stiftungszweck, Ztschr. f. Schweizer R. 1928, 225ff.

390 87,8—7

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I. Abschnitt. Personen.

(vgl. Planck-Knoke Bem. 8 zu 8 86; Kohler I § 186, II; Hölder, Natürl. und Jurist. Personen S. 244; Dernburg I § 92 VIII; Oertmann Bem. 2, c; a. M. Kuhlenbeck, Von den Pandekten I, 262). Stiftungen sind vergleichsfähig, s. VerglO. vom 26. Febr. 1935 (RGBl. I, 321) § 108. Das Vergleichsverfahren berührt ihren Bestand nicht. Außerdem kann die Stiftung auf Grund ihrer Verfassung erlöschen: 1. durch Ablauf der Zeit, für welche sie begründet wurde; 2. durch vollständige Erfüllung des Zweckes, für welchen sie begründet wurde, z. B. bei Errichtung eines Denkmals; 3. durch Eintritt einer auflösenden Bedingung des Stiftungsgeschäfts; 4. durch Zurücknahme der Genehmigung, wenn diese von der zuständigen Behörde auf Ruf und Widerruf erteilt wurde. Die Schaffung einer nach Belieben der Ver­ waltungsbehörde bestehenden Juristischen Person ist zulässig (P. I, 576). 5. a) Auf Grund landesrechtlicher Verfassungsbestimmungen kann eine Stiftung, auch wenn bei der Genehmigung derselben nicht ein Vorbehalt nach Maßgabe von Ziff. 4 gemacht wurde und auch wenn der Tatbestand des § 87 nicht vorliegt, aufgehoben und abgeändert werden. Die landesgesetzliche Regelung in dieser Beziehung kann erfolgen gemäß BGB. § 85 (vgl. dazu RGZ. 121,166ff.). b) Wo solche verfassungsmäßige Bestimmungen bestehen, bedarf es bei der Ge­ nehmigung der einzelnen Stiftung keines ausdrücklichen Vorbehalts. Der Vorbehalt beliebiger Aufhebung oder Umwandlung der Stiftung ist dann durch das Gesetz allgemein gegeben. «) In Preußen war für die Änderung einer Stiftung früher maßgebend Art. 4 des AG. z. BGB. in Verbindung mit Art. 5 der preuß. AusfBO.z.BGB. Vgl. über Art. 4 preuß. AG. z. BGB., insbesondere über sein Verhältnis zu BGB. 8 87 unsere früheren Aufl. Bem. II, 5, a zu 8 87; Kohler, Lehrbuch I, 426; Stintzing a. a. O. Jetzt können in Preußen nach dem preuß. Ges. über die Änderung von Stiftungen vom 10. Juli 1924 (GS. S. 575), dessen Rechts­ gültigkeit in RGZ. 121, 166 ff. anerkannt ist, Stiftungen durch Beschluß ihrer Vorstände mit Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde (die sich bei örtlichen Stiftungen aus 8 33 der Ersten VO. zur Durchführung der D. Gemeindeordnung vom 22. März 1935 ergibt) aufgehoben oder in ihren Zwecken geändert werden, wenn es wegen wesentlicher Veränderung der Verhältnisse angezeigt erscheint. Die Absicht des Stifters ist tunlichst zu berücksichtigen. In dem Beschlusse kann auch ein Anfallberechtigter bestimmt werden. Diese Bestimmung des 81 Abs. 1 gilt für Familienstiftungen mit der Maßgabe, daß ihre Satzungen auch in­ soweit gemäb Abs. 1 geändert werden können, als sie nicht den Zweck der Stiftung betreffen. Kommt in den Fällen des 8 1 ein Beschluß des Vorstandes nicht zu­ stande, obwohl er nach Ansicht der Aufsichtsbehörde angezeigt erscheint, so kann nach 8 2 die Aufsichtsbehörde nach entsprechender Mitteilung an den Vorstand die Nachprüfung der Vermögensverwaltung einstweilen einstellen. ß) Nach bayerischem Recht kommt hier zunächst die Unterscheidung von öffent­ lichen Stiftungen und rein privaten Stiftungen in Betracht. Vgl. 11 vor 88 80 ff. Uber die Änderung und Aufhebung öffentlicher Stiftungen s. die eingehenden Darlegungen von v. Marth BayZ. 29, 244ff. Hervorzuheben ist, daß gegen einen auf Grund des BGB. 8 87 ergangenen Beschluß der Kreis­ regierung über die Aufhebung oder Umwandlung einer Stiftung jetzt Be­ schwerde zum Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, wenn vom Vorstand der Stiftung oder einem Genußberechtigten bestritten wird, daß die Voraus­ setzungen des 8 87 vorliegen, daß also die Erfüllung des Stiftungszwecks un­ möglich geworden sei oder das Gemeinwohl gefährde. Dies gilt auch für die von einem Bezirk verwalteten Stiftungen (vgl. BezO. Art. 45 Nr. 1). Doch bat der Berwaltungsgerichtshof wohl nur über das bestrittene Zutreffen jener Voraussetzungen zu entscheiden, nicht darüber, ob die Stiftung auf­ zuheben oder nur in ihrem Zwecke umzuwandeln sei, auch nicht darüber, in welcher Weise die Umwandlung erfolgen soll; diese Ermessensfragen ent­ scheiden die zuständigen Verwaltungsbehörden. Die Änderung kann sich auch in Form der Zusammenlegung von Stiftungen vollziehen, sei es daß eine Stiftung der anderen einverleibt wird, sei es daß verschiedene Stiftungen ver­ einigt werden. Für reine Privatstiftungen enthält das bayrische Recht keine Be­ stimmung, wonach ihre Umwandlung durch Verwaltungsakt zulässig wäre. Sie unterstehen lediglich privatrechtlichen Bestimmungen. Ihre Verfassung gibt die Möglichkeit einer Umwandlung durch Eingriff der Staatsgewalt auf Grund Landesrechts nicht an die Hand, für sie kann daher in bezug auf einen solchen Eingriff nur 8 87 BGB. die Grundlage bilden. Vgl. Bem. 11.

2. Titel. Juristische Personen. II. Stiftungen.

87, 8*—10

391

Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 der bayr. VerfUrk. v. 14. Aug. 1919, einer Be­ stimmung, die zwar nicht als Verfassungsgrundsatz, aber als einfacher Rechts­ satz noch Geltung beansprucht, darf Stiftungsvermögen unter keinem Vorwande dem Staatsvermögen einverleibt werden (vgl. VerfUrk. v. 1818 Tit. IV § 10, Beil. II § 47). Vgl. jetzt auch § 66 der Deutschen Ge­ meindeordnung vom 30. Jan. 1935, wonach bei örtlichen Stiftungen, die von der Gemeinde verwaltet werden, das Stiftungsvermögen von dem übrigen Gemeindevermögen getrennt zu halten ist. ?) Für Württemberg vgl. AG.BGB. vom 29. Dez. 1931 Art. 133 Abs. 1; für Baden Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 § 10 und Vollzugs-Bek. vom 12. Januar 1927 § 2 Ziff. 5; für Sachsen AV.BGB. vom 6. Juli 1899 § 7 Abs. 2; für Lübeck Stiftungsges. vom 6. März 1926 §§ 5, 6; für Hessen AV.BGB. Art. 8; für Thüringen AV.BGB. (vom 16. Mai 1923) § 10. Wo bisher etwa die oberste Landesjustizbehörde zuständig war, ist jetzt durch Art. 1 der VO. zur Durchführung des Dritten Ges. zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 18. März 1935 (RGBl. I, 381) die Zuständigkeit auf die obersten Landesbehörden der inneren Verwaltung über­ gegangen. HI. Die Anwendung des § 87 hat materielle und formelle Voraussetzungen. 8 1. Materielle: a) Die Erfüllung des Stiftungszwecks ist unmöglich geworden. Die Unmöglichkeit 9 kann eine tatsächliche oder rechtliche sein. Der Stiftungszweck ist rechtlich un­ möglich, wenn er unerlaubt ist (Gierke, DPR. I, 658). Nun setzt aber § 87 eine rechtsfähige bestehende Stiftung voraus, und eine Stiftung, deren Zweck von vorneherein unerlaubt ist, wäre von Anfang an nichtig, abgesehen davon, datz sie wohl die staatliche Genehmigung nie erlangen würde. Soll von rechtlicher Unmöglichkeit bei Anwendung des § 87 die Rede sein, so mutz daher diese rechtliche Unmöglichkeit nachträglich eingetreten sein infolge einer Veränderung der Verhältnisse oder der Auffassungen. In dieser Beziehung ist zu bemerken, datz § 87 sich auch auf die vor dem Geltungsbeginne des BGB. bestehenden Stiftungen erstreckt (EG-BGB. Art. 163). Eine Stiftung wurde z. B. begründet für politische Zwecke, welche ursprünglich erlaubt, später, sei es wegen eines inzwischen er­ gangenen gesetzlichen Verbotes (vgl. etwa Ges. vom 14. Juli 1933, RGBl. I, 479) oder weil die Stiftung infolge politischer Änderungen einem anderen Staate angehört, nicht mehr erlaubt sind. Vgl. hiezu Kohler, ArchBürgR. 3, 250ff. Abzulehnen ist die Ansicht von Gradenwitz (in der Königsberger Festschrift zur Erinnerung an Kant, 1904, S. 191 ff.), der Stiftungszweck dürfe nach § 87 durch die Behörde auch dann geändert werden, wenn zwar dessen Erfüllung möglich und erlaubt, aber anzunehmen sei, „es würde der Stifter bei verständiger Würdigung der gegenwärtigen Sachlage und der gemachten Erfahrungen die Änderung gebilligt haben", also z. B. dürfte eine Stiftung, die vor hundert Jahren zugunsten der Postbeamten einer Provinz gemacht wurde, in eine Stiftung zugunsten der Eisenbahnbeamten geändert werden. Ist schon dies Beispiel unglücklich, so mutz überhaupt die Übertragung des Prinzips der §§ 119, 2078 Abs. 1 auf die Stiftung, abgesehen von anderen Gründen, schon deswegen abgelehnt werden, weil es die Auffassung der Sachlage durch den Erklärenden im Augenblick der Erklärung und nicht den Fall einer späteren Änderung der Verhältnisse betrifft. In der Tat soll aber nach Gradenwitz die clausula rebus sic stantibus des § 321 auf den Stifterwillen angewendet werden. Das ist nach § 87 ausgeschlossen, wenn auch die Voraussetzung, datz die Zweckerfüllung „unmöglich" geworden ist, nicht zu eng aufgefatzt werden darf (über Grenzfälle vgl. Breslauer in IW. 23, 226, f. auch Planck-Knoke 3, Enneccerus-Nipp erden § 111 Anm. 4). Oertmann 4, findet die Auffassung von Gradenwitz „aus inneren Gründen beifallswert", gibt aber zu, datz sie „im geltenden Recht keine zuver­ lässige Stütze" hat. Zu weit geht m. E. die Formulierung von Warnener zu § 87, die Erfüllung des Zwecks sei schon unmöglich, wenn er „nach den Anschauungen der Gegenwart als unvernünftig angesehen werden mutz". Anders steht es auf Grund landesrechtlicher Verfassungsbestimmungen, von welchen Graden­ witz nicht spricht. Vgl. 4. b) Die Erfüllung des Stiftungszwecks gefährdet das Gemeinwohl. Auch dies ist 10 in der Hauptsache nur infolge von Veränderung der Verhältnisse oder der Auf­ fassung anzunehmen. Denn nach § 87 mutz die fatzungsgemähe Erfüllung des Stiftungszwecks gefährlich sein. Es genügt nicht, datz der Vorstand der Stiftung sich gesetzeswidrig verhält und dadurch das Gemeinwohl gefährdet, oder datz andere Stiftungsorgane dies tun. Vgl. über den Begriff der „Gefährdung

392 87,11—13

I. Abschnitt. Personen.

des Gemeinwohls" 3 zu § 43. Gegenüber einem etwaigen gesetzwidrigen Verhalten der Stiftungsorgane hat die Staatsaufsichtsbehörde einzuschreiten und nötigenfalls die gesetzwidrig handelnden Organträger abzuberufen. In dieser Beziehung hat eine Reihe von AG. und AV. Bestimmungen getroffen. 11 2. Formelle Voraussetzung ist das Bestehen einer für die in § 87 Abs. 1 bezeichneten Verfügungen zuständigen Behörde. a) Zuständige Behörde in den Fällen, in denen der Bundesrat die Genehmigung für die Stiftung zu erteilen hat, ist nach dem BGB. der Bundesrat,- an seine Stelle ist zunächst nach § 3 des Übergangsges. vom 3. März 1919 der Staatenausschuh und an dessen Stelle nach Art. 179 der RVerf. vom 11. Aug. 1919 der Reichsrat getreten, nach dessen Aufhebung durch Ges. vom 14. Febr. 1934 das zuständige Reichsministerium. b) Für die Stiftungen, die ihren Sitz in einem deutschen Lande (früher Bundes­ staate) haben, ist vorbehaltlich des zue Gesagten die zuständige Behörde durch das Landesrecht, das öffentliche Recht des einzelnen Bundesstaates (jetzt „Landes"), zu bezeichnen. 12 Im übrigen hatte bisher in der Bezeichnung der zur Aufhebung oder Um­ wandlung der Stiftung zuständigen Stelle das öffentliche Recht des einzelnen Landes vollkommen freie Hand. Jedoch ist, wo bisher etwa die oberste Landes­ justizbehörde zuständig war, jetzt durch Art. 1 der VO. zur Durchführung des Dritten Ges. zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 18. März 1935 (RGBl. I, 381) die Zuständigkeit auf die obersten Landesbehörden der inneren Verwaltung übergegangen,- denn es handelt sich bei der Zweck­ umwandlung wie bei der Aufhebung der Stiftung um „Berwaltungsgeschäfte" (s. unten 16). Die zuständige „Behörde" kann eine Verwaltungsstelle, können auch mehrere zusammenwirkende Verwaltungsstellen sein. Früher war es auch möglich, dah Landesrechte ein Zusammenwirken des Landesherrn und der Volksvertretung zur Aufhebung einer Stiftung vorschrieben. Für Preuhen s. über die Änderung von Stiftungen jetzt das Ges. vom 10. Juli 1924 (GS. S. 575), für Bayern Marth a. a. O., Württemberg AG.BGB. Art. 131 Abs. 1; für Baden Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 § 10; Thüringen AB. § 10; Lübeck StiftG. vom 6. März 1926 §§ 5, 6. c) Bei örtlichen Stiftungen steht nach § 66 Abs. 2 der deutschen Gemeinde­ ordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl. I, 49) die Umwandlung des Stiftungs­ zwecks und die Aufhebung der Gemeinde zu; sie bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Bei solchen Stiftungen sind, wenn die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist oder das Gemeinwohl gefährdet, die Vorschriften des § 87 BGB. anzuwenden. Die Umwandlung des Stiftungs­ zwecks und die Aufhebung der Stiftung steht der Gemeinde zu; sie bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. So D.GemeindeO. § 66 Abs. 2. Wer die Aufsichtsbehörde ist, ergibt sich bis auf weiteres aus § 33 der Ersten VO. zur Durchführung der D.GemeindeO. vom 22. März 1935 (RGBl. I, 393). 13 IV. 1. Bei Umwandlung des Stiftungszwecks ist nach § 87 Abs. 2 die Absicht des Stifters tunlichst zu berücksichtigen, insbesondere dafür Sorge zu tragen, dah die Erträgnisse des Stiftungsvermögens dem Personenkreise, dem sie zustatten kommen sollten, im Sinne des Stifters tunlichst erhallen bleiben. Die Absicht des Stifters ist in erster Linie aus der Ptiftungsurkunde zu ermitteln, soweit jedoch diese keine Anhalts­ punkte gibt, können auch andere Willensäuherungen des Stifters herangezogen werden (vgl. Planck-Knoke 4, Warneyer zu § 87). Nicht zu beachten ist der Wille des Stifters, soweit er gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten verstöht. Noch weitergehend nehmen Kohler S. 252 und Oertmann 3, d, 1 an, er sei auch dann nicht zu beachten, wenn er „kulturfeindlich" sei; dem kann mangels einer gesetzlichen Grundlage und mangels allgemeiner Übereinstimmung über den Begriff der Kulturfeindlichkeit, der kein Rechts­ begriff ist, nicht zugestimmt werden; bei manchen modernen Erscheinungen des Sports und der Technik werden die Meinungen über ihr Verhältnis zur Kultur auseinander­ gehen, es wäre willkürlich, auf diesen Gebieten einen Stifter über die gesetzlichen Grenzen hinaus zu beschränken. Die Absicht des Stifters wird z. B. dadurch berücksichtigt, dah — wie früher Art. 67 GemO. für Bayern rechts des Rheins vorschrieb — bei Veränderungen des speziellen Stiftungszwecks der „Hauptzweck" gewahrt bleibt, d. h. dah die Stiftung innerhalb desjenigen allgemeinen Verwaltungs- und Kulturbereiches erhalten bleibt, welchem der besondere Stiftungszweck angehörte, so dah z. B. eine religiöse Stiftung für Kultus­ zwecke, eine Schulstiftung für Unterrichtszwecke erhalten wird. Hier kommt auch die Be­ stimmung des Art. 5 des bayr. AG.BGB. in Betracht, welcher die Vorschrift des Tit. IV § 9 Abs. 4 der bayrischen Verfassungsurkunde von 1818 als unberührt bezeichnet. Hienach

2. Titel. Juristische Personen. II. Stiftungen.

87,14—17; 88,1

393

kann eine Stiftung für Zwecke des Kultus, der Wohltätigkeit und des Unter­ richts innerhalb des Bereichs einer bestimmten Religion diesem Bereiche nicht ent­ fremdet werden. Nach v. Seydel wäre die Beschränkung der Verfassung auf die drei genannten Zwecke nicht von Bedeutung. Gemeint soll sein, daß kein Stiftungs­ oermögen seinem besonderen Stiftungszwecke solle entzogen werden. Ob soweit bei Auslegung des Art. 5 bayr. AG.BGB. gegangen werden kann, ist zweifel­ haft? vgl. auch v. Marth a. a. O. S. 244ff.? Schneider-Henle-Manglkammer 3. Aufl. zu Art. 5. Jedenfalls ist aber die Auslegung, daß das Stiftungsvermögen dem allge­ meinen Bereich, welchem der besondere Stiftungszweck angehört, nicht entfremdet werden soll, nicht zu weitgehend. Bei solcher Auffassung schützt die Bestimmung der alten bayr. Verfassungsurkunde noch nicht den besonderen Personenkreis der Stiftungs­ anwärter, auf den § 87 Abs. 2 Bezug nimmt. Nach § 87 Abs. 2 ist der Stiftungsnutzen tunlichst auch dem Personenkreise, dem er zu statten kommen sollte, zu erhallen. Das BGB. gebt gegenüber der bayrischen Verfassungsurkunde einerseits weiter als diese in der Berücksichtigung der Stiftungsinteressenten, anderseits läßt aber das BGB. dem Ermessen Raum („tunlichst"), was bei der Bestimmung der bayrischen Verfassung nicht der Fall ist. Die angeführte Vorschrift des Tit. IV § 9 Abs. 4 der bayr. VerfUrk. von 1818 steht mit den Bestimmungen der bayr. VerfUrk. vom 14. Aug. 1919 (vgl. § 25) nicht im Widerspruch und dürfte daher gemäß § 94 der neuen VerfUrk. bis zum Erlab des in § 25 Abs. 2 der neuen VerfUrk. vorbehaltenen (aber nicht ergangenen) besonderen Gesetzes über das Stiftungswesen fortbestehen. Zu beachten ist, dab nach § 25 Abs. 1 Satz 2 der neuen bayr. VerfUrk. Stiftungsvermögen „unter keinem Vorwande dem Staatsver­ mögen einverleibt werden" darf. Für Baden vgl. Stiftungsges. vom 19. Juli 1918 § 10. S. auch Deutsche GemeindeO. § 66. 2. Die Umwandlung des Zweckes der Stiftung ist Änderung der Verfassung der Stiftung. § 87 Abs. 2 Schlußsatz sagt aber: „Die Behörde kann die Verfassung der Stiftung ändern, soweit die Umwandlung des Zweckes dies erfordert." Damit soll gesagt werden, daß die weiter erforderlichen Verfassungsänderungen, welche die Umwandlung des Zweckes der Stiftung mit sich bringt, ebenfalls der für die Umwand­ lung des Zweckes zuständigen Behörde gestaltet sind. Die Umwandlung des Zweckes kann z. B. eine andere Organisation der Stiftungsverwaltung oder der über die Ver­ wendung des Stiftungsnutzens entscheidenden Organe oder die Verlegung des Sitzes der Stiftung erforderlich machen. 3. Vor der Entscheidung über die Umwandlung des Zweckes und die Änderung der Verfassung „soll" der Vorstand der Stiftung gehört werden. Er braucht also nicht gehört zu werden vor der Entscheidung über die Aufhebung der Stiftung. Die Nicht­ beachtung dieser Vorschrift des § 87 hat auf die Rechtswirkung der Entscheidung keinen Einfluß. V. Die Umwandlung des Zweckes einer Stiftung, wie die Aufhebung einer Stiftung durch die „zuständige Behörde" ist ein Akt des öffentlichen Rechtes, ein Verwalt ungsakt, keine richterliche Entscheidung. Dieser Verwaltungsakt hat, wie sich aus § 87 ergibt, materiellrechtliche Voraussetzungen (vgl. 9 und 10). Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist Aufgabe der zuständigen Behörde. Wird die Umwand­ lung der Stiftung oder ihre Aufhebung auf Grund von § 87 beschlossen, ohne daß die erforderlichen materiellrechtlichen Voraussetzungen gegeben oder genügend festgestellt sind, so sind regelmäßig Rechtsmittel gegen den Umwandlungs- oder Aufhebungsbeschluß schon mit Rücksicht auf die Zuständigkeitsordnung ausgeschlossen. Vgl. 11 und 12. VI. Die Vorschriften des § 87 sind auf unselbständige (sog. fiduziarische) Stiftungen nicht unmittelbar anzuwenden? RGZ. 104, 305 ff. lehnt auch die analoge Anwendung ab? s. 1 vor § 80. Uber die Frage, ob §§ 87, 88 auf die Auseinandersetzung des Vermögens einer sog. Küsterlehrvfründe (vgl. Preuß. G. betr. die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen vom 28. Juni 1906 § 30) entsprechend anzuwenden sei, s. RGZ. 133, 69ff.? vgl. auch RG. in IW. 26, 1446 Nr. 4.

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§ 88. Mit dem Erlöschen der Stiftung fällt das Vermögen an die in der Verfassung bestimmten Personen. Die Vorschriften der §§ 46 bis 53 finden entsprechende Anwendung. E. I, 61, 62 Abs. 1; II, 84; Hl, 84.

I. § 88 ordnet das Schicksal des Vermögens der Stiftung nicht bloß für 1 den in § 87 bezeichneten Fall der Aufhebung der Stiftung, sondern für alle Fälle der Beendigung der Stiftung. Vgl. hiezu die Bem. 2 und 3 zu § 87.

394 88,2—6 2

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I. Abschnitt. Personen.

H. Das Vermögen der Stiftung fällt an die in der Verfassung bestimmten Personen. Vermögen kann die Stiftung auch noch besitzen, wenn eine Unterbilanz vorhanden ist. Auch dann muh das Aktivvermögen an irgendwelchen Berechtigten fallen. IH. Die Verfassung in Sinne des § 88 wird durch das Stiftungsgeschäft und durch das dieses ergänzende oder abändernde Landesrecht bestimmt. Das BGB. selbst trifft keine Verfügung in bezug auf die Bezeichnung der Anfallberechtigten, da nur §§ 46—53, nicht aber § 45 als entsprechend auf die Stiftungen anwendbar erklärt sind (Hölder, Natürliche und Juristische Personen, S. 263 nimmt eine reichsgesetzliche subsidiäre Erbfolge des Fiskus an). IV. Die Landesrechte haben zu § 88 mehrfach Bestimmungen getroffen. a) Es bezeichnen den Fiskus oder „den Staat" als anfallberechtigt für den Fall, dah nicht die Verfassung der betreffenden Stiftung andere Anfallberechtigte nennt: Preuhen AG. Art. 5 § 2 (mit Ausnahme der von einer Gemeinde oder sonstigen Körperschaft des öffentlichen Rechts errichteten oder verwalteten Stiftungen, diese fallen an die Körperschaft),' Anhalt AG. Art. 7; Bayern AG. Art. 5; Braunschweig AG. § 14; Bremen AG. § 5; Hamburg AG. § 19? Hessen AG. Art. 9; Lippe AG. § 11; Mecklenburg-Schwerin AB. § 21 (mit Ausnahme der im Gebiete der Städte Wismar und Rostock unter der Aufsicht des Magistrats stehenden oder von städtischen Behörden verwalteten Stiftungen, deren Ver­ mögen an die betreffenden Städte fällt, § 22); Mecklenburg-Strelitz AV. § 21; Württemberg AG. vom 29. Dez. 1931 Art. 133 Abs. 3; Thüringen AV. § 14. Vom Fiskus und gegen den Fiskus als Anfallberechtigten können, wie sich aus §§ 46, 1966 ergibt, die Rechte erst geltend gemacht werden, nachdem vom zuständigen Amtsgericht festgestellt ist, dah ein anderer Anfallberechtigter nicht vorhanden ist. Aus dem für entsprechend anwendbar erklärten § 46 mit § 1942 Abs. 2 ergibt sich, dah der Fiskus den Anfall nicht ablehnen kann. Das Anfalls­ recht des Fiskus setzt voraus, dah die Stiftung erloschen ist. Von diesem Zeitpunkt an ist das Vermögen der bisherigen Stiftung kein Stiftungsvermögen mehr. Es wird daher m. E. auch nicht von landesrechtlichen Bestimmungen betroffen, wonach das Vermögen bestimmter Stiftungen dem Staatsvermögen nicht ein­ verleibt werden darf, wie dies die Bayer. VerfUrk. von 1919 Art. 25 Abs. 1 für das Vermögen der „öffentlichen Stiftungen" vorschreibt. Es wäre sonst nicht einzu­ sehen, was mit dem Vermögen der erloschenen Stiftung mangels anderer Be­ stimmungen geschehen soll. Anders Henle-Schneider-Manglkammer, Die bayr. Ausf.-Gesetze zum BGB., 3. Aufl. (1931), Bem. 3 zu Art. 5, wo angenommen wird, das Anfallsrecht des Fiskus sei durch B. VerfUrk. Art. 25 Abs. 1 (und durch Art. 18 Abs. 2) „stark eingeschränkt"; nicht das Anfallsrecht ist eingeschränkt, sondern nur die Art der Verwendung (vgl. 5). b) Lübeck: die Gemeinde, in welcher die Stiftung ihren Sitz hatte; Stiftungsges. vom 6. März 1926 § 7. c) Preuhen AG. Art. 5 und Waldeck AG. Art. 4 § 2 für Stiftungen, die von einer Gemeinde oder anderen Körperschaft des öffentlichen Rechtes errichtet oder ver­ waltet waren: die betreffende Gemeinde oder Körperschaft des öffent­ lichen Rechtes. d) In bezug auf Sachsen vgl. AV.BGB. § 7 Abs. 2. V. Die Verwendung des heimgefallenen Vermögens ist, wenn der Fiskus anfallberechtigt ist, reichsgesetzlich vorgeschrieben, da § 46 als entsprechend anwendbar erklärt ist: der Fiskus hat das Stiftungsvermögen tunlichst in einer den Zwecken der Stiftung entsprechenden Weise zu verwenden. Die AG. einzelner Länder haben die Vorschriften des § 46 bezüglich der Verwendung des Stiftungsvermögens auf andere Anfallberechtigte ausgedehnt. So Preuhen AG. Art. 5 § 2? Württemberg Art. 133. In Bayern ist die Frage, in welcher besonderen Art die Verwendung zu erfolgen habe, eine Ermessensfrage, über die das Finanzministerium und das Staatsministerium, unter dessen Aufsicht die Stiftung gestanden hat, entscheiden; s. v. Marth a. a. O. S. 248. In den Fällen des § 46 besteht kein Ausschlagungsrecht ; es findet auch keine Liquidation des Stiftungsnachlasses statt. VI. Wenn anderen Anfallberechtigten als dem Fiskus oder diesem gleichgestellten Anfallberechtigten das Vermögen der erloschenen Stiftung zufällt, hat Liquidation gemäh §§ 47—53 BGB. stattzufinden. Die Liquidatoren haften also nach Mahgabe des § 53 (vgl. die Bem. hiezu). Wird die Stiftung von einer öffentlichen Behörde verwaltet, so tritt an die Stelle der Haftung der Liquidatoren aus § 53 die Haftung der pflicht­ widrig handelnden Beamten nach Mahgabe des § 839 und an ihre Stelle die Haftung des Staates oder der Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht, bei örtlichen Stiftungen, die nach § 66 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 von der Gemeinde verwaltet werden, also die Haftung der Gemeinde; s. Oertmann 3, d.

2. Titel. Juristische Personen. III. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes.

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III. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes. § 89.*)

Die Vorschrift des § 31 findet auf den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtes ent­ sprechende Anwendung. Das gleiche gilt, soweit bei Körperschaften, Stiftungen und An­ stalten des öffentlichen Rechtes der Konkurs zulässig ist, von der Vorschrift des § 42 Abs. 2. E. I, 63; II, 85; III, 85.

1. Entstehung. E. I hatte in §§ 42—57 eine Reihe von Bestimmungen gemeinsam 1 für Juristische Personen des bürgerlichen Rechtes und des öffentlichen Rechtes ausgestellt, so insbesondere über die Notwendigkeit eines Vorstandes und dessen Bertretungsmacht. Die II. Komm, beschloß, mehrfachen Anregungen der Kritik entsprechend, in bezug auf die Juristischen Personen des öffentlichen Rechtes sich auf die zwei Vorschriften zu beschränken, die § 89 aufstellt, im übrigen aber die Ordnung derJuristischenPersonen des öffentlichen Rechtes dem öffentlichenRechte und damit damals im wesentlichen dem Landesrechte zu überlassen (M. 1,82; P. I, 607, 608ff.). In bezug auf den Fiskus hatte der E. I in § 63 nur die Bestimmung getroffen, daß die landes­ gesetzlichen Vorschriften, nach denen dem Fiskus Juristische Persönlichkeit zusteht, unberührt bleiben. Die Notwendigkeit dieser Vorschrift wurde damit begründet, daß der E. I nur Körper­ schaften und Stiftungen kenne, während sich die Meinung vertreten fand, daß der Fiskus eine Juristische Person eigener Art und weder Körperschaft noch Stiftung sei, so daß zweifelhaft werden konnte, ob in Ermangelung eines Vorbehalts dem Fiskus Juristische Persönlichkeit zukomme. Diese Erwägung führte wohl auch in der II. Komm, dazu, den Fiskus neben den öffentlich-rechtlichen Korporationen und Stiftungen zu erwähnen (P. I, 611). In betreff der Anstalten war man der Ansicht, daß dieselben, soweit sie auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes vorkämen, unter die privatrechtlichen Stiftungen fielen und daß sich deshalb die Anwendbarkeit der für die privatrechtlichen Stiftungen aufgenommenen Vorschriften auf die privatrechtlichen Anstalten von selbst ergebe. Auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes dagegen erhebe sich nicht selten Zweifel darüber, ob eine Anstalt den Körperschaften oder den Stiftungen zuzuzählen sei (P. I, 611). Vgl. hiezu die Einl. 44 zum 2. Titel. 2. Mer denBegriff derJuristischen Personen des öffentlichenRechtes**) vgl. oben die Einl. 7—9 zum 2. Titel, s. auch 37 ebenda. Im Anschlüsse hieran ist noch zu bemerken: Eine Juristische Person des öffentlichen Rechtes ist das einzelne Land (früher Bundesstaat) als Landesfiskus. Daß der Landesfiskus als Rechtspersönlichkeit noch besteht und nicht etwa durch Art. 2 des Ges. über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934, wonach die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergegangen sind, seine selbständige Existenz verloren hat, ist zweifellos. Auch das Reichsland ElsatzLothringen war Fiskus, verschieden vom Reichsfiskus, und galt daher hier als besonderer Bundesstaat. Das Deutsche Reich ist reichsgesetzlich als Juristische Person des öffent*) Schriften: Gierke, Haftung des Staats und der Gemeinde für Beamte in Ver­ handlungen des 28. Deutschen Juristentages I. Bd. (1903); Hölder, Natürliche und Juristische Personen S. 318ff.; Altmann S. 3ff.; Oertmann, Bayr. Landesprivatrecht § 26; Kisch, Elsäss.-lothring. Landesprivatrecht §§ 22—30; Richard Weyl, Der Fiskus im gegenwärtigen deutschen Privatrecht; Festgabe für Hänel 1907 S. 85ff.; Schuler, Die öffentlichrechtliche Körperschaft, Erlanger Diss. 1908; Hubrich, Entstehung der öffentlichrechtlichen Korporationen in Preußen, ArchBürgR. 33, 22; O. Mayer, Die Haftung des Staates für rechtswidrige Amtshandlungen, im SächsArch. 8, lff.; R. Salmann, Haftung der Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt nach dem preußischen Gesetz vom 1. August 1909 und dem Reichsgesetz vom 22. Mai 1910, IW. 11, 78ff.; K. Röhrich, Die Haftung des Staates aus § 89 BGB. (Diss. Tübingen 1905); Beyer, Zum Begriff des Staatsorgans und seiner Tätigkeit, im Arch.ÖffR. 34, 365ff.; Waldecker, Korporationen des öffentlichen Rechts nach preußischem Recht, 1913; Behr, Vom Recht des Fiskus, ArchOffR. 38, 288ff.; Werneburg, Die Haftung des Militärfiskus, DIZ. 16, 290ff.; Friedrichs, Anstalt des öffentlichen Rechts, DIZ. 30, 489; E. Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat (1931). Vgl. auch die Schriften zu § 31. **) Vgl. A.Nußbaum, Rechtsgeschäfte öffentlichrechtlicher Korporationen im ArchBürgR. 21, lff.; I. Hatschek, Die rechtliche Stellung des Fiskus im BGB. (ArchBerwR. 7, 424ff.); Giese, Begriff und Recht des Reichsfiskus (Greifswald 1900); Weber, Staat und Fiskus in DIZ. 02, 481; Meurer a. a. O. § 37.

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396 89,3

I. Abschnitt. Personen.

lichen Rechtes und als Fiskus anerkannt. Vgl. die Einl. 37 zum 2. Titel S. 186 und bezüglich des Reichsmilitärfiskus (jetzt Reichswehrfiskus) die RGZ. 20, 148; 53, 240ff. Die Grenze zwischen Landesfiskus und Reichsfiskus hat sich im Wandel der politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse mehrfach zugunsten des Reichsfiskus verschoben. Der Reichsfiskus steht nicht unter einheitlichem Recht, sondern ist in jedem Rechtsgebiete den Rechtsregeln unterworfen, welche die dort geltende Gesetzgebung hinsichtlich des ein­ heimischen Mskus aufstellt. RGZ. 54,198ff., insbes. 202. (Auch in den Schutzgebieten gab es einen Landesfiskus. Mer Privilegien desselben vgl. die Kaiserliche Verordnung vom 13. Okt. 1910 betr. die ausschliehliche Berechtigung der Landesfisci der Schutzgebiete Afrikas und der Südsee zur Aufsuchung und Gewinnung von Mineralien im Meeres­ boden, RGBl. 1910,1095ff.). Jedes Land, wie auch das Reich, ist nur ein einziger Fiskus. RG. in WarnR. 1908, 131 Nr. 184. Die Unterscheidung z. B. eines Post- oder Militärfiskus bezeichnet nicht eigene Juristische Personen, sondern nur „Verwaltungsabteilungen" (v. Staudinger, Vortr. S. 159). Juristische Personen des öffentlichen Rechtes sind ferner diejenigen Einrichtungen des Staates oder Reiches, denen eine in privatrechtlicher Beziehung selbständige Vertretung, insbesondere in bezug auf das Ver­ mögen zukommt. Wie weit dies der Fall, entscheidet für die dem Reiche angehörigen Ein­ richtungen Reichsrecht, für die einem Lande angehörigen Landesrecht. Durch die neuere Reichsgesetzgebung sind verschiedene Körperschaften des öffentlichen Rechts neu geschaffen worden; s. die Zusammenstellung in Einl. 37 zum Titel: „Juristische Per­ sonen"; dazu die Gemeinden (öffentliche Gebietskörperschaften nach § 1 Ziff. 2 der Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, RGBl. I, 49); die Reichsschrifttumskammer, die Reichspressekammer, die Reichsrundfunkkammer, die Reichstheaterkammer, die Reichsmusikkammer, die Reichskammer der bildenden Künste und die Gesamtkörperschaft der „Reichskulturkammer" (s. Reichskulturkammergesetz vom 22. Sept. 1933, RGBl. I, 661, §§ 1, 2, DurchführungsVO. vom 1. Nov. 1933, RGBl. I, 797, §§ 1 und 2). Nach § 4 der BO. zur Durchführung des Ges. zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 29. März 1935 (RGBl. I, 562) besitzen die Gliederungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (die selbst eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist) keine eigene Rechtspersönlichkeit und kein eigenes Vermögen; wohl aber können nach § 5 die angeschlossenen Verbände (aufgezählt in § 3) eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Höhere Lehranstalten, wie Gymnasien, sind in dem einen Lande Juristische Personen des öffentlichen Rechtes, in dem anderen einfache Anstalten der Unterrichtsverwaltung des Staates oder einer Gemeinde. Die Universitäten, wenigstens die älteren, sind wohl durchweg Juristische Personen, nicht dagegen sind überall die einzelnen Fakultäten als selbständige Rechtspersönlichkeiten anerkannt. 3 Wie weit Religionsgesellschaften als Juristische Personen überhaupt und ins­ besondere als Juristische Personen des öffentlichen Rechtes zu gelten haben, wird teils durch Reichsrecht, teils durch das öffentliche Recht der einzelnen Länder entschieden. Nach Art. 137 Abs. 5 der RVerf. vom 11. Aug. 1919 bleiben die Religionsgesellschaften Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religions­ gesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Ver­ fassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schlietzen sich mehrere derartige öffentlichrechtliche Religionsgesellschasten zu einem Verbände zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlichrechtliche Körperschaft. Nach dem Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 (RGBl. II, 679ff., dazu Ges. vom 12. Sept. 1933, RGBl. I, 625) Art. 13 behalten bzw. erlangen die katholischen Kirchengemeinden, Kirchengemeinde­ verbände und Diözesanverbände, die Bischöflichen Stühle, Bistümer und Kapitel, die Orden und religiösen Genossenschaften sowie die unter die Verwaltung kirchlicher Organe gestellten Anstalten, Stiftungen und Vermögensstücke der katholischen Kirche die Rechts­ fähigkeit für den staatlichen Bereich nach den allgemeinen Vorschriften des staatlichen Rechtes. Sie bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren; den andern können die gleichen Rechte nach Matzgabe des für alle geltenden Gesetzes gewährt werden. Nach dem Ges. über die Verfassung der deutschen Evangelischen Kirche vom 14. Juli 1933 (RGBl. I, 471) Art. 2 ist die deutsche Evan­ gelische Kirche Körperschaft des öffentlichen Rechts des Reiches. Die Rechte und Pflichten des deutschen Evangelischen Kirchenbundes gehen auf die Evangelische Kirche über. Das bayerische Konkordat vom 29. März 1924 bestimmt in Art. 2 Abs. 2 für Orden und religiöse Kongegrationen, datz ihnen, soweit sie bisher die Rechte einer öffent­ lichen Körperschaft genossen haben, diese gewahrt bleiben; die übrigen erlangen Rechts­ fähigkeit oder die Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach den für alle Bürger oder Gesellschaften geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Die katholische Gesamtkirche als solche ist nach kanonischem Recht (c. iur. c. can. 100 § 1) als Juristische Person (moralis persona) ,,ex ipsa ordinatione divina“

2. Titel. Juristische Personen. III. Juristische Personen des ösfentlich. Rechtes.

89,4—8 397

anzusehen. Dagegen dürfte die Frage, ob sie nach dem heutigen deutschen staatlichen Recht eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei (für das Gebiet des ehemaligen Preub. LR. bejaht in RGZ. 143, 110 und überhaupt von Enneccerus-Nipperdey § 112, III, 4, vgl. andererseits für Bayern M. v. Seydel, Bayer. Staatsrecht, 2. Aufl. III, 529 Anm. 5, in der 3. Aufl. von Grahmann II, 496) eher zu verneinen sein, da sie in Deutsch­ land keine einheitliche äubere Organisation hat- vgl. I. Lammeyer, Die Juristischen Personen der katholischen Kirche (1929) S. 224. Aber auch wenn die Frage grundsätzlich zu bejahen wäre, — man könnte daran denken, die katholische Gesamtkirche als eine sog. Internationale Juristische Person (vgl. Einl. 10 zum 2. Titel S. 180) anzusehen, dürfte sie doch für die Anwendung des § 89 der praktischen Bedeutung entbehren. Die in Bayern bestehenden öffentlichen Glaubensgesellschaften sind schon in der bayr. Verfassungsurkunde von 1818 ausdrücklich als vermögensfähig erklärt (II. VerfBeil. §§ 24, 28, 44 „genieben die Rechte öffentlicher Korporationen"). § 18 Abs. 2 der bayr. VerfUrk. vom 14. Aug. 1919 bestimmt, dab bestehende Religionsgesellschäften, Religionsgemeinden oder geistliche Gesellschaften, dann ihre Anstalten, Stif­ tungen oder sonstigen Einrichtungen rechtsfähig bleiben, soweit sie es bisher waren, neue können die Rechtsfähigkeit nach Mahgabe des gellenden Rechtes (vgl. RBerf. Art. 137, BGB. §§ 21 ff.) erwerben. Partikularrechtlich und gemeinrechtlich wird auch die einzelne Pfründe als Juristische Person behandelt. Vgl. Gierke, DPR. I S. 639 Note 27. Nach Meurer § 37 sind die Juristischen Personen der Kirche nicht Juristische Personen des öffentl. Rechtes im Sinne des § 89, sondern unterstehen mit Ausnahme der im EG. Art. 80 Abs. 2 besonders gestellten Pfründestiftungen grundsätzlich und nicht nur in bezug auf die in § 89 genannten Bestimmungen dem BGB. Diese Auffassung wird da­ mit begründet, dab die Frage, welche Juristischen Personen als öffentlichrechtliche zu gelten haben, nach Neichsrecht zu beantworten sei und zwar, da ein „förmliches Reichsgesetz" hierüber nicht vorhanden, nach „der Rechtsübung im Reiche". Hienach aber sei eine Juristische Person des öffentlichen Rechtes nur bei „organischer Ein­ fügung in den Staatsorganismus" gegeben. Diese fehle bei Juristischen Personen der Kirche (Meurer S. 335). Die Auffassung Meurers entspricht nicht dem Stande des damaligen Reichsrechts. Es bestanden bis zur NVers. von 1919 (vgl. deren Art. 137) innerhalb des Deutschen Reiches wohl Staats- und Landeskirchenrechte, aber kein Reichs­ kirchenrecht. Die „Rechtsübung" im Deutschen Reich, soweit sie die Juristischen Personen der Kirche und die Rechtsfähigkeit derselben auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes betrifft, hatte nicht Reichsrecht zur Grundlage. §89 ist durch die II. Kommission beschlossen worden. In den Verhandlungen wurde die Kirche als Verband des öffentlichen Rechtes — wie der Staatsverband — bezeichnet - insbesondere wurde festgestellt, dab das bürgerliche Recht jedes vom öffentlichen Rechte geschaffene Nechtssubjekt anzu­ erkennen habe und dab die vom öffentlichen Rechte für diese Rechtssubjekte geschaffene Daseinsordnung auch auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes mabgebend sei. Dar­ über, dab nach Landesrecht die Juristischen Personen der Kirche als öffentlichrechtlich gelten, besteht kein Zweifel (so auch Meurer S. 332). Dab sie nach Reichsrecht dies nicht sein sollten, ist zu bestreiten. — Übereinstimmend Oertmann 1, f, ß» Innerhalb des Bereichs jeder Juristischen Person des öffentlichen Rechtes können sich wieder für besondere Zwecke und Gegenstände Einrichtungen mit selbständiger Rechts­ fähigkeit und daher als Juristische Personen bilden, so auf dem Gebiete des Reiches z. B. die Reichsbank. Vgl. hiezu die Einl. 37 ff. zum 2. Titel. 3. Über die Grenze zwischen Juristischen Personen des öffentlichen Rechtes und Juristische Personen des Privatrechtes, die durch das öffentliche Recht bestimmt wird, vgl. Einl. 7 ff. zum 2. Titel. Die Behauptung Hölders, dab Juristische Personen des öffentlichen Rechtes alle nicht durch Privatrechtsgeschäfte entstandenen Juristischen Personen seien, ist ungenügend - denn auch durch Privatrechtsgeschäfte können Juristische Personen des öffentlichen Rechtes zur Entstehung gelangen, soferne die Juristische Person als ein Glied dem öffentlichrechtlichen Organismus, z. B. dem Lande, dem Reiche oder einer als Juristische Person anerkannten Kirche eingefügt worden ist, wozu ein öffentlichrechtlicher Akt erforderlich ist. Vgl. hiezu Planck-Knoke 1 zu § 89- Oertmann 1. 4. Auf den Fiskus wie auf alle anderen Juristischen Personen des öffentlichen Rechtes ist die Vorschrift des § 31 erstreckt worden. Dies entspricht dem früheren Rechte, das neuerlich wenigstens die Deliktsfähigkeit der Juristischen Person anerkannt hat und auch schon eine Schadensersatzpflicht ohne Delikt kannte. Vgl. hiezu im allgemeinen Gierke, DPR. I § 61 S. 476 Note 5 und 6, § 67 S. 528ff. 5. Für die Auslegung des § 31 vgl. die Bem. zu § 31. Die Vorschrift des § 31 trifft den Staat — und dasselbe gilt für andere Juristische Personen des öffent­ lichen Rechts — nur, wo er in Ausübung fiskalischer Rechte handelt, wo er als Juristische

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I. Abschnitt. Personen.

Person an dem Geschäftsverkehr teilnimmt oder auf Grund von Befugnissen handelt, die im bürgerlichen Recht wurzeln? vgl. RGZ. 72, 349; 140, 426. Wo dagegen der Beamte in Ausübung staatlicher Hoheitsrechte, insbes. in Ausübung seiner obrigkeitlichen Gewalt, handelt (z. B. als Berufsvormund, vgl. RGZ. 91, 384? 132, 25 ff.) waren zunächst nach EG. Art. 77 die landesgesetzlichen Vorschriften maßgebend (vgl. RGZ. 78, 326) und bezüglich der Haftung des Reichs für seine Beamten das RG. vom 22. Mai 1910. Jetzt gilt in dieser Beziehung in erster Linie RVerf. von 1919 Art. 131, welcher bestimmt: Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienste der Beamte steht. Der Rückgriff gegen den Beamten bleibt Vorbehalten. Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden. Die nähere Regelung liegt der zuständigen Gesetzgebung ob. RVerf. Art.131, der nicht als verfassungsrechtlicher Satz, wohl aber als einfacher Rechts­ satz noch in Geltung ist, enthält nicht nur einen sog. Programmsatz, sondern unmittelbar geltendes Recht (vgl. RGZ. 102,168? 103, 430; 104, 291? 106, 34). Die auf Grund des EG. Art. 77 ergangenen Landesgesetze sowie das erwähnte Reichsgesetz vom 22. Mai 1910 sind jedoch damit nicht schlechthin aufgehoben, sondern nur soweit sie mit RVerf. Art. 131 übereinstimmen und soweit sie ihm widersprechen; sie gellen aber noch fort, soweit sie sich nur als „nähere Regelung" durch die Gesetzgebung darstellen (eine solche ist ja durch Art. 131 Abs. 2 ausdrücklich vorbehalten), also z. B. die Haftung des Staates gegenüber Ausländern beschränken. Vgl. des Näheren Bem. zu § 839 und insbesondere zu EG. Art. 77, ferner v. Marth in BayZ. 30, 331 ff. Als Landesgesetze, die auf Grund des EG. Art, 77 ergingen, kommen in Betracht: Preußisches Gesetz über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Aus­ übung der öffentlichen Gewalt, vom 1. Aug. 1909, ergänzt durch Gef. vom 14. Mai 1914 und vom 16. Nov. 1920; Anhalt, Gesetz betr. die Haftung des Staates usw., vom 2. April 1910; Baden, AG. Art. 45 in der Fassung der Bek. vom 13. Okt. 1925; Bayern, AG. Art. 60, 61 (vgl. auch Ges. vom 7. März 1924, GVBl. S. 65); Bremen, Ges. vom 19. März 1921? Braunschweig, Ges. über die Haftung des Staates usw., vom 28. Juli 1910; Hessen, AG. Art. 78, 79; Lübeck, Ges. über die Haftung des Staates usw. vom 17. Febr. 1912? Oldenburg, Ges. über die Haftung des Staates usw., vom 22. Dez. 1908; Thüringen, AV. vom 21. März 1923 § 55; Württem­ berg, AG. vom 29. Dez. 1931 Art. 188—190; Hamburg, AG. Art. 27a—c (Ges. vom 26.Jan. 1920); Mecklenburg-Schwerin, Ges. vom 2. März 1921 und vom 11. Nov. 1926; Mecklenburg-Strelitz, Ges. vom 27. Jan. 1921. Für die im § 89 (mit 31) geregelte Haftung des Staates und der anderen öffent­ lichen Körperschaften auf privatrechtlichem Gebiete können die besonderen Vorschriften des § 839 nicht herangezogen werden. Der Staat kann, wie in RGZ. 78, 329 aus­ geführt ist, wenn er auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen wird, den seine Beamten durch Vernachlässigung ihrer Dienstobliegenheiten Dritten zugefügt haben, „keine gesonderte Rechtsstellung um deswillen beanspruchen, weil den Beamten die von ihnen verletzte Dienstpflicht als öffentlichrechtliche obliegt. Wird bei Handhabung dieser Obliegenheiten diejenige Sorgfalt außer acht gelassen, welche im Rechtsleben nach dem bürgerlichen Gesetze zu beobachten ist, so muß sich auch der Staat die Beurteilung der Handlungsweise seinerBeamten nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichenRechts (§§ 276, 823 BGB.) gefallen lassen, wie seine eigene Haftung für diese den allgemeinen Vorschriften der §§ 31, 89, 831 BGB. untersteht". Die öffentliche Körperschaft hat also bei unerlaubten Handlungen ihrer Beamten im Gebiet des privaten Rechts keinen An­ spruch auf die in § 839 bestimmten Milderungen der Haftung, sie braucht aber anderer­ seits für Pflichtverletzungen ihrer Beamten im Privatrechtsverkehr nicht deshalb einzu­ stehen, weil er Beamter ist, wenn im gleichen Falle eine Körperschaft des Privatrechts für ihre pflichtwidrig handelnden Angestellten nicht haften würde. Vgl. RGZ. 91, 341; 121, 382; 128, 353; 131, 239ff. Vgl. auch 27 und 27 a zu § 31. Nicht als Privatrechtssubjekt, sondern in Ausübung eines Hoheitsrechts handelt der Staat z. B. bei der Strafvollstreckung, und zwar auch bei der ärztlichen Behandlung der Gefangenen durch den Strafanstallsarzt (vgl. RGZ. 78, 326ff.), die Gemeinde z. B. als Baupolizeibehörde (RGZ. 140, 282). Die Soldatenräte (bei den Feldtruppen im November 1918 und im Inland) hatten im Hinblick auf den Kreis der ihnen gestellten Aufgaben nicht die Rechtsstellung von verfassungsmäßig berufenen Vertretern des Reichs im Sinne der §§ 89, 31, sie wirkten aber bei der Ausübung der öffentlichen Gewalt auf militärischem Gebiete mit; daher traf, wenn sie in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt vorsätzlich oder fahrlässig die ihnen einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt haben, nach § 1 RG. vom 22. Mai 1910

II. Abschnitt. Sachen.

89,9, IO? Vordem. 399

die Verantwortung das Reich nach Maßgabe des § 839 BGB. (vgl. RGZ. 99, 285ff.). Vgl. auch die Bem. zu § 839. Verfassungsmäßig berufener Vertreter (vgl. § 31) ist, auch wenn es sich um 9 die Anwendung des § 89 handelt, nur, wer nach den staatlichen oder sonstigen körper­ schaftlichen Organisationsbestimmungen selbst zur Vertretung berufen ist und innerhalb seines Geschäftsbereichs eine dem Vorstand einer Juristischen Person ähnliche Selb­ ständigkeit, Verantwortlichkeit und rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht hat (vgl. RGZ. 53, 279; 74, 23; 74, 250), also z. B. nicht der einen Brückenbau leitende Offizier bei einem Pionierbataillon (vgl. RGZ. 120, 304ff.), erst recht nicht untergeordnete Beamte, wie Schreiber, Boten, Gemeindediener, Bahnwärter, Rangierleiter, Hilfsbriefträger, Hausmeister, Schuldiener, Schutzleute; nach RG. in IW. 06, 706 auch nicht Post­ assistenten. Es kommt für die Anwendung der §§ 31 und 89 nicht auf den Titel des Beamten an, der bei der Blüte des Titelwesens in Deutschland die wahre Funktion des Beamten nicht immer erkennen läßt, sondern darauf, ob die Dienstaufgabe, in deren Erfüllung der Beamte gehandelt hat, durch organisatorische Bestimmungen geregelt ist; trifft dies nicht zu, sondern hat der Beamte die Aufgabe, bei deren Verrichtung er ge­ handelt bat, erst von verfassungsmäßig berufenen Vertretern zugewiesen erhalten, so besteht eine Haftung grundsätzlich nicht nach §§ 31, 89, sondern nur nach Maßgabe des

§ 831. Bgl. hiezu auch die Erläuterungen zu § 31, insbesondere 12, 15, 18. 6. In bezug auf die Eröffnung des Konkurses über Juristische Personen 10 des öffentlichen Rechtes vgl. 13 zu § 42; Erntn*. AG. ZPO. und KO. Art. 9, 10; ferner sächsische Verordnung zur Ausführung der ZPO. und KO. §§ 4, 5; Hessen, Ges. betr. Änderung des AG.ZPO. und KO. vom 21. Juni 1899 Art. 1 Nr. I (Art. 4, a und 4, e); Mecklenburg-Schwerin, AB.KO. vom 9. April 1899 § 2; Mecklenburg-Strelitz, AV.KO. vom 9. April 1899 § 2; Thüringen, AV.ZPO. und KO. § 12, Gem. und KrO. § 145 Abs. II; Württemberg, AG.BGB. vom 29. Dez. 1931 Art. 299. Vgl. auch die Kom­ mentare zu KO. § 213 (insbesondere Jaeger und Mentzel). Über das Vermögen der Gemeinden findet ein Konkursverfahren nicht statt (GemO. vom 30. Jan. 1935 § 116 Abs. 2). Wegen der Handwerkerinnungen und Kreishandwerkerschaften s. VO. über den vorläufigen Aufbau des Handwerkes vom 15. Juni 1934 (RGBl. 1,493) §§ 52, 57. § 42 Abs. 2 fand auch auf die Juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorüber­ gehend keine Anwendung in den in den Gesetzen vom 28. April 1920 und vom 24. Dez. 1922 bestimmten Fällen. Diese Gesetze sind jedoch aufgehoben durch das Ges. vom 25. März 1930; vgl. 9 zu § 42.

Zweiter Abschnitt.

Sachen. Vorbemerkungen. Übersicht. Altertumssunde 30; Beisammensein 14; Beschränkung der Berkehrsfähigkeit 34; Besitz 5; Betriebsvermögen 18; Bewegliche Gegenstände 19; Bienenschwarm 10; Chancen des Geschäfts 18; Corpus ex distantibus 12; Denkmalsschutz 33; Erbschaft 15; Extrakommerzialität 21; Fahrnis 19; Faustpfandrecht 13; Finanzvermögen 29;

Fonds de commerce 18; Gegenstand 3, 6; Gemeingebrauch 27; Geschäftsvermögen 17; Gestaltungsrechte 5;

Grabgitter 26; Grabstätten 26; Grundstücke 19; Güter 4; Handlungen 5; Immobilien 19; Kämmereivermögen 29; Kirchenstühle 26; Kunstwerke 33; Liegenschaften 19; Luft 24; Meer 24 a; Mobilien 19; Öffentliche Sachen 27; Pfandrecht an Sachgesamtheiten 13; Rechtsgesamtheit 15; Rechtsinbegriff 15;

Res extra commercium 21; — incorporalis 12; «4 — omnium communes 23;

II. Abschnitt. Sachen.

89,9, IO? Vordem. 399

die Verantwortung das Reich nach Maßgabe des § 839 BGB. (vgl. RGZ. 99, 285ff.). Vgl. auch die Bem. zu § 839. Verfassungsmäßig berufener Vertreter (vgl. § 31) ist, auch wenn es sich um 9 die Anwendung des § 89 handelt, nur, wer nach den staatlichen oder sonstigen körper­ schaftlichen Organisationsbestimmungen selbst zur Vertretung berufen ist und innerhalb seines Geschäftsbereichs eine dem Vorstand einer Juristischen Person ähnliche Selb­ ständigkeit, Verantwortlichkeit und rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht hat (vgl. RGZ. 53, 279; 74, 23; 74, 250), also z. B. nicht der einen Brückenbau leitende Offizier bei einem Pionierbataillon (vgl. RGZ. 120, 304ff.), erst recht nicht untergeordnete Beamte, wie Schreiber, Boten, Gemeindediener, Bahnwärter, Rangierleiter, Hilfsbriefträger, Hausmeister, Schuldiener, Schutzleute; nach RG. in IW. 06, 706 auch nicht Post­ assistenten. Es kommt für die Anwendung der §§ 31 und 89 nicht auf den Titel des Beamten an, der bei der Blüte des Titelwesens in Deutschland die wahre Funktion des Beamten nicht immer erkennen läßt, sondern darauf, ob die Dienstaufgabe, in deren Erfüllung der Beamte gehandelt hat, durch organisatorische Bestimmungen geregelt ist; trifft dies nicht zu, sondern hat der Beamte die Aufgabe, bei deren Verrichtung er ge­ handelt bat, erst von verfassungsmäßig berufenen Vertretern zugewiesen erhalten, so besteht eine Haftung grundsätzlich nicht nach §§ 31, 89, sondern nur nach Maßgabe des

§ 831. Bgl. hiezu auch die Erläuterungen zu § 31, insbesondere 12, 15, 18. 6. In bezug auf die Eröffnung des Konkurses über Juristische Personen 10 des öffentlichen Rechtes vgl. 13 zu § 42; Erntn*. AG. ZPO. und KO. Art. 9, 10; ferner sächsische Verordnung zur Ausführung der ZPO. und KO. §§ 4, 5; Hessen, Ges. betr. Änderung des AG.ZPO. und KO. vom 21. Juni 1899 Art. 1 Nr. I (Art. 4, a und 4, e); Mecklenburg-Schwerin, AB.KO. vom 9. April 1899 § 2; Mecklenburg-Strelitz, AV.KO. vom 9. April 1899 § 2; Thüringen, AV.ZPO. und KO. § 12, Gem. und KrO. § 145 Abs. II; Württemberg, AG.BGB. vom 29. Dez. 1931 Art. 299. Vgl. auch die Kom­ mentare zu KO. § 213 (insbesondere Jaeger und Mentzel). Über das Vermögen der Gemeinden findet ein Konkursverfahren nicht statt (GemO. vom 30. Jan. 1935 § 116 Abs. 2). Wegen der Handwerkerinnungen und Kreishandwerkerschaften s. VO. über den vorläufigen Aufbau des Handwerkes vom 15. Juni 1934 (RGBl. 1,493) §§ 52, 57. § 42 Abs. 2 fand auch auf die Juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorüber­ gehend keine Anwendung in den in den Gesetzen vom 28. April 1920 und vom 24. Dez. 1922 bestimmten Fällen. Diese Gesetze sind jedoch aufgehoben durch das Ges. vom 25. März 1930; vgl. 9 zu § 42.

Zweiter Abschnitt.

Sachen. Vorbemerkungen. Übersicht. Altertumssunde 30; Beisammensein 14; Beschränkung der Berkehrsfähigkeit 34; Besitz 5; Betriebsvermögen 18; Bewegliche Gegenstände 19; Bienenschwarm 10; Chancen des Geschäfts 18; Corpus ex distantibus 12; Denkmalsschutz 33; Erbschaft 15; Extrakommerzialität 21; Fahrnis 19; Faustpfandrecht 13; Finanzvermögen 29;

Fonds de commerce 18; Gegenstand 3, 6; Gemeingebrauch 27; Geschäftsvermögen 17; Gestaltungsrechte 5;

Grabgitter 26; Grabstätten 26; Grundstücke 19; Güter 4; Handlungen 5; Immobilien 19; Kämmereivermögen 29; Kirchenstühle 26; Kunstwerke 33; Liegenschaften 19; Luft 24; Meer 24 a; Mobilien 19; Öffentliche Sachen 27; Pfandrecht an Sachgesamtheiten 13; Rechtsgesamtheit 15; Rechtsinbegriff 15;

Res extra commercium 21; — incorporalis 12; «4 — omnium communes 23;

400 Borbem. 1—3 Res extra publicae 27; — religiosae 26; — sacrae 26; — sanctae 26; Sachbegriff 2; Sacheinheit 8, 10; Sachenmehrheit 8, 9; Sachgesamtheit 12; Sachinbegriff 12; Sicherungsübereignung 13; Sondervermögen 17; Surrogation 15, 17; Teilbarkeit 9, 10, 20; Teilung 9; Überblick 1;

II. Abschnitt. Sachen. Unbewegliche Gegenstände 19; Universitas facti 12; Universitas iuris 15; Unkörperliche Geschäftswerte 6; Unternehmen 18; Veräußerungsverbote 32, 33; Verbindung 11; Verkehrsunfähigkeit 21, 31; Vermengung 11; Vermischung 11; Vermögen 16; Berwaltungsvermögen 28; Vindicatio gregis 12; Ware 4; Wasser 24 a.

1

I. Unter den möglichen Objekten der Rechtsverhältnisse und subjektiven Rechte bilden die Sachen einen für sich abgeschlossenen Kreis. Für sie trifft der zweite Abschnitt ge­ meinsame Bestimmungen, welche von allgemeiner Bedeutung sind. Diese Bestimmungen be­ fassen sich mit dem Begriffe der Sachen (§ 90) gewissen möglichen rechtlichen Eigenschaften der Sachen, nämlich Vertretbarkeit (§ 91) und Verbrauchbarkeit (§ 92), den Bestandteilen der Sachen und den Folgerungen aus der Bestandteilseigenschast (§§ 93—96), dem Begriffe des Zubehörs (§§ 97, 98), endlich mit den Früchten, Nutzungen und Lasten einer Sache (§§ 99 bis 103). Der E. I hatte diese Bestimmungen in seinem dritten Buche an die Spitze des Sachen­ rechts gestellt (§§ 778—796). Mit gutem Grunde stehen sie jetzt im Allgemeinen Teile. Denn das Sachenrecht als selbständiges systematisches Ganzes beruht wesentlich auf dem Gegensatze zwischen dinglichen und persönlichen Rechten. Die hier zu besprechenden allgemeinen Vor­ schriften über Sachen sehen aber von diesem Gegensatze völlig ab; sie können ebensogut für das Recht der Schuldverhältnisse (Sache als Objekt einer Leistungspflicht), für das Familienrecht und für das Erbrecht von Bedeutung werden. Vgl. auch Bem. 1 ff. der Einl. des dritten Buches (Bd. III S. Iff.).

2

II. Sache und Gegenstand*). 1. Nach dem Sprachgebrauchs des BGB. zählen die Sachen zwar, wie sich aus der

gesetzlichen Begriffsbestimmung des § 90 ergibt, zu den Gegenständen, aber nicht alle Gegen­ stände sind Sachen. Zur Herstellung des Sachbegriffs muß noch die Körperlichkeit dazu­ kommen. Die Rechte, und zwar auch die Rechte an Sachen, gehören daher nicht zu den Sachen, wohl aber zu den „Gegenständen". Wenn trotzdem Rechtsverhältnisse, welche nicht Sachen zum Objekte haben, z. B. der Nießbrauch an Rechten und das Pfandrecht an Rechten, im Sachenrechte behandelt werden, so zeigt dies eben nur, daß das sog. „Sachenrecht" im Sinne der Systematik des BGB. nicht so sehr durch die Sacheigenschaft der Objekte der in ihm behan­ delten Rechtsverhältnisse, als vielmehr durch die absolute Wirkung dieser Rechtsverhältnisse charakterisiert wird. 3 2. „Gegenstände" im Sinne des BGB. sind Sachen, Energien (z. B. die Wasserkraft), Jmmaterial-Güter (z. B. Erfindungen) und Rechte. Sohm ist in den erwähnten Abhand­ lungen zu dem Grundsätze gelangt, daß „Gegenstände" im Sinne des BGB. nur Gegenstände von Verfügungen (vgl. über diesen Begriff Bem. 63 der Einl. vor § 104) sind, und daß Ver­ fügungen nur über Vermögensrechte möglich sind. Diesen Thesen ist aber mehrfach wider­ sprochen worden, am nachdrücklichsten und eingehendsten durch Binder a. a. O. Als gesichertes Ergebnis des Streites wird man soviel betrachten dürfen, daß es auch Gegenstände gibt, über

*) Schriften: Sohm, Der Gegenstand (1905); derselbe, Vermögensrecht, Gegen­ stand, Verfügung, im ArchBürgR. 28, 173ff.; derselbe, Noch einmal der Gegenstand, in JheringsJ. 53, 373ff.; Binder, Der Gegenstand, in ZHR. 59, Iff.; derselbe, Vermögensrecht und Gegenstand, im ArchBürgR. 34,209ff.; Hedemann im ArchBürgR. 31, 322ff.; Kloeß im ArchZivPrax. 103, 67ff.; Bekker, Grundbegriffe des Rechts und Mißgriffe der Gesetzgebung (1910) S. 1 ff., 284; G. Husserl, Der Rechtsgegenstand (Rechtslogische Studien zu einer Theorie des Eigentums), 1933; Th. Maunz, Hauptprobleme des öffentlichen Sachenrechts, 1933.

II. Abschnitt. Sachen.

Vordem. 4—6 401

welche aus verschiedenartigen, teils tatsächlichen, teils rechtlichen Gründen nicht verfügt werden kann; daß etwas trotz der Unübertragbarkeit „Gegenstand" im Sinne des BGB. sein kann, beweisen §§ 1439, 1522, 1552. Sicher ist ferner, daß ein rechtlich erheblicher Gegensatz zwischen den Gegenständen des Rechtsverkehrs und der Persönlichkeit anzuerkennen ist (vgl. dazu auch Riezler im ArchBürgR. 27, 240). Der weitere Satz aber, daß eine Verfügung nur über Gegen­ stände vermögensrechtlichen Charakters möglich sei, verliert seinen selbständigen Wert, wenn man als Charakteristikum des Vermögensrechts im Gegensatz zum Persönlichkeitsrecht nicht die Bewertbarkeitt in Geld, sondern eben die Fähigkeit, Objekt von Verfügungen zu sein, bezeichnet. Ob diese Charakterisierung des Vermögensrechts richtig ist, läßt sich aber nicht a priori mit logischen Gründen beweisen, sondern es handelt sich hier, wie so häufig bei nicht gesetzlich festgelegten Begriffen, um eine Sache des Übereinkommens über die Terminologie. Für die Gegenwart läßt sich nur betonen, daß ein einheitlicher Sprachgebrauch gerade hier nicht besteht, sondern mit dem Begriffe des Vermögensrechts als Gegensatz zum Persönlichkeitsrecht tatsächlich in doppeltem Sinne operiert wird: bald wird das entscheidende Merkmal erblickt in der Natur des geschützten Interesses, das beim Vermögensrecht ein geldwertes, beim Persönlichkeitsrecht ein ideelles sein soll (so wohl die herrschende Lehre und insonderheit Binder; vgl. namentlich dessen Aus­ führungen im ArchBürgR. 34, 227 ff. und in seiner „Rechtsstellung des Erben" 1, 6 ff.), bald darin, ob das Recht von der Person seines Trägers abgelöst werden kann oder von einer per­ sönlichen Eigenschaft desselben abhängig ist (in diesem Sinne Sohm in JheringsJ. 53, 383; vgl. auch Riezler, Urheber- und Erfinderrecht S. 15 ff., 19 f.).

3. Enger als der Begriff der Sache ist der der „Ware" (vgl. z. B. BGB. §§ 196 Abs. 1, 764, HGB. § 1 Abs. 2 Ziff. 1, Börsenges. §§ 50ff.). Waren sind umsatzfähige bewegliche Sachen. Vgl. zum Begriff der Ware auch RGZ. 130, 85 ff. In § 2 UnlWG. ist bestimmt, daß Waren im Sinne dieses Gesetzes auch landwirtschaftliche Erzeugnisse sind; damit ist nicht gesagt, daß land­ wirtschaftliche Erzeugnisse nicht auch im Sinne anderer Gesetze Gegenstände des Handels­ verkehrs, also „Waren" sein könnten. Vom Begriff der Ware wiederum verschieden ist der Begriff des „Gutes" im Sinne des Speditionsrechts und des Frachtrechts; er erfordert nicht Umsatzfähigkeit, aber Transportfähigkeit. Daher gehören z. B. Leichen (über sie 5 zu § 90) zwar zu den Gütern, aber nicht zu den Waren.

4

4. Handlungen sind keine „Gegenstände"; ebensowenig die sog. Gestaltungsrechte $ oder „unselbständigen Rechte", die nur Begleiterscheinungen eines Rechtes oder einer Rechtslage sind, z. B. das Aufrechnungsrecht, das Anfechtungsrecht, das Kündigungsrecht, das Zurück­ behaltungsrecht; s. über die Gestaltungsrechte 11 zu § 194. Auch der Besitz ist kein „Gegenstand". (Vgl. Sohm, Der Gegenstand; a. M. Wilutzky im ArchBürgR. 28, 67 Anm. 16). 5. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung (ebenso RGRKomm. 3 zu § 90) rechnet tz zu den „Gegenständen" des schuldrechtlichen Verkehrs (nicht auch der dinglichen Beherrschung) auch rein tatsächliche Verhältnisse, die einen gewissen Bermögenswert haben, wie die Kundschaft, Geschäftsgeheimnisse, Zeitungstitel, eine Praxis, das „Geschäft" als solches, das „Unternehmen" (dazu ausführlicher die folgende Vordem. 18), betrachtet diese unkörperlichen Geschäfts­ weite*), wie ich sie nennen möchte, namentlich als mögliche Objekte eines Kaufvertrags oder Pachtvertrags und wendet aus solche Verträge auch die Vorschriften über die Sachmängelhafftung beim Kauf entsprechend an. Vgl. RGZ. 63, 57ff.; 67, 86ff.; 68, 49ff.; 70, 224; 95, 36. Diese im Gesetz selbst nicht zum Ausdruck kommende Auffassung hat zweifellos einen Halt in der tatsächlichen Berkehrsübung; vgl. auch Bem. V, 2, e zu § 433. Steuerrechtlich sind jedoch die immateriellen Geschäftswerte im allgemeinen nicht bewenctungssähig und bewertungspflichtig; Ausnahmen sind z. B. zu machen für Apothekerkomzessionen und Wirtschaftskonzessionen. Vgl. Reichsfinanzhof vom 28. Febr. 1930 DIZ. 30„ 765. Vgl. auch Mirre im Jahrb. des Steuerrechts XI/XII (1932) S. 325 Nr. 84.

*) Vgl. Alfred Hueck, Unkörperliche Geschäftswerte (Münsteraner Diss. 1912); A. Voigt, Di« wirtschaftlichen Güter als Rechte, im ArchRWPHil. 6, 304ff.; Pisko in Ehrenbergs Hdbch. des» HR. II, 195ff. (hier weitere Angaben); Oertmann ebenda IV, 2 S. 356ff. Staudinger, BGB. I (Riezler, Allgemeiner Teil.)

10. Aufl.

402 Vordem. 7—9 7

II. Abschnitt. Sachen.

6. Holder (2 zu § 90) lehrt, die Sachen könnten im Gegensatze zur Person nicht ein Subjekt, sondern ausschließlich ein Gegenstand von Rechtsverhältnissen sein. Dem wird auch zustimmen können, wer unter Verwerfung der Fiktionstheorie an die Rechtssubjektivität des Zweckvermögens und des Nachlasses glaubt. Denn diese Erscheinungen fallen als Komplexe von Rechten (oder von Sachen und Rechten) nicht unter den Sachbegriff. Auch die Grunddienst­ barkeiten bilden keine Ausnahme; ihr Subjekt ist nicht das „herrschende Grundstück", sondern dessen jeweiliger Eigentümer. III. Sacheinheit und Sachenmehrheit.

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Ein absolut gültiges Merkmal für den Begriff der „einheitlichen Sache" (ihn verwendet BGB. § 947) gibt es nicht. Auch die Berkehrsauffassung, auf die gerne hingewiesen wird, vermag ein solches nicht anzugeben; vgl. darüber Lenel, Gutachten für den 29. DJT. Bd. 3 S. 21 ff. Allgemein läßt sich nur sagen, daß rechtlich eine „einheitliche Sache" da vorliegt, wo eine rechtliche Sonderbehandlung der Stücke unmöglich ist. Während die natürliche Einheit einer Sache bestimmt wird durch den körperlichen Zu­ sammenhang ihrer Telle und durch ihre räumliche Abgrenzung gegenüber anderen Sachen, wird die rechtliche Einheit demnach bestimmt durch die Notwendigkeit der gleichen Rechtslage für sämtliche Teile. Natürliche und rechtliche Einheit der Sache können, müssen aber nicht zu­ sammenfallen*). 9 1. Die natürliche Sacheinheit kann tatsächlich und rechtlich zur Sachenmehrheit werden, sofern nur die Sache ohne Wertzerstörung teilbar ist (vgl. die wohl interpolierte 1. 26 § 2 D. de leg. I). Das kann sich vollziehen: a) ohne Willen des Verfügungsberechtigten (durch natürliche Ereignisse oder Teilung durch Dritte; Beispiele: ein Tier wirft Junge; ein vor der Säge lagernder Baumstamm wird von einem Unbefugten zersägt; von einer Flüssigkeit wird ein Teil­ quantum in ein anderes Gefäß geschüttet); b) durch Willkür des Verfügungsberechtigten. Dieser kann aus der Sacheinheit eine Mehrheit gestalten, indem er entweder den körperlichen Zusammenhang ihrer Telle aufhebt (wohl nur bei beweglichen Sachen möglich), also z. B. ein Quantum Flüssigkeit oder gasförmigen Stoffes in verschiedene Behältnisse faßt, oder indem er eine den körperlichen Zusammenhang nicht aufhebende räumliche Abgrenzung vornimmt, wodurch

*) Die Individualisierung der Grundstücke (über diesen Begriff vgl. 1 vor §§ 873ff.) steht nunmehr im engsten Zusammenhänge mit dem Grundbuchrecht. Mehrere Grundstücke können dadurch zu einem Grundstücke vereinigt werden, daß der Eigentümer sie als e i n Grundstück in das Grundbuch eintragen läßt; ferner kann ein Grundstück dadurch zum Bestandteil eines anderen Grundstücks gemacht werden, daß der Eigentümer es diesem im Grund­ buche zuschreiben läßt (§ 890 BGB.). Im Interesse der Rechtssicherheit soll eine Zuschreibung oder Vereinigung jedoch nur dann vorgenommen werden, wenn hievon eine Verwirrung nicht zu besorgen ist (GBO. § 4; vgl. auch EG. Art. 119 Nr. 3). Nur unter letzterer Voraussetzung darf auch über mehrere selbständige Grundstücke desselben Eigentümers, die im Bezirke desselben Grundbuchamts gelegen sind, ein gemeinschaftliches Grundbuchblatt geführt werden (GBO. § 4), während regelmäßig jedes Grundstück im Grundbuch ein besonderes Grundbuchblatt erhält (j 3). Der Landesgesetzgebung ist die Behandlung einer Mehrheit von Grundstücken als einer „Bahneinheit" Vorbehalten (s. EG. Art. 112 mit Bem.); die einschlägigen Landesgesetze sind in 6 zu EG. Art. 112 genannt. Die Landesgesetzgebung kann nach GBO. § 83 auch ein Bahngrundbuch schaffen. Vgl. für Preußen Ges. über die Bahneinheilen vom 8. Juli 1902 §§ 8 ff. Die Grundstückseinheiten werden in amtlichen Verzeichnissen (den Katastern, Lagerbüchern, Plänen zu Steuerzwecken) nach Nummern und Buchstaben (z. B. Pl.-Nr. 743 b) aufgeführt. Die Einrichtung dieser Verzeichnisse wird durch landesherrliche (jetzt Reichsjustizminister) Ver­ ordnung bestimmt (GBO. §§ 2, 96). Die Bezeichnung der Grundstücke in den Grundbüchern muß sich nach der Bezeichnung in diesen amtlichen Verzeichnissen richten. Vgl. hiezu auch Vordem. 6 vor §§ 873ff. und Güthe-Triebel zu GBO. § 2. Nicht zutreffend ist die Behauptung der M. III, 55, daß bisher (d. h. vor der Einrichtung der Grundbücher) in Bayern die Hypothekenbücher unabhängig von den Katastereinrichtungen geführt wurden; s. dagegen Jacubezky, Bem. S. 189 ff. Uber die Bedeutung des Katasters bei dem Erwerbe von Rechten an Grundstücken s. 28 zu § 892 und die dort angeführten Schriften.

II. Abschnitt. Sachen.

Vorbem. 10-^12 403

jedoch nur bei Grundstücken, nicht bei beweglichen Sachen, eine Sachenmehrheit geschaffen werden kann. In den beiden Fällen a und b wird durch die Teilung (bzw. Abgrenzung) als solche zwar nicht die Einheitlichkeit der Rechtslage, aber die Notwendigkeit dieser Einheitlichkeit aufgehoben;

e) n i ch t durch Ausübung der staatlichen Zwangsgewalt. Es kann daher ein Grundstück, solange es Einzelsache ist, nicht teilweise der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung unterworfen werden.

2. Eine natürliche Mehrheit von Sachen kann zur Sacheinheit werden oder 10 doch wenigstens rechtlich als eine solche behandelt werden. Folgende Möglichkeiten kommen vor albm in Betracht: a) Eine Sacheinheit ist trotz der körperlichen Vielheit abgegrenzter Einzelobjekte dann anzunehmen, wenn diese Objekte als einzelne ohne Wert sind und daher für den Verkehr nicht als einzelne, sondern nur als Vielheit in Betracht kommen. Dahin gehören ein Getreidehaufen, eine Quantität Heu, ein Sand- oder Kohlenhaufen usw. (Mit Recht weist Oertmann, Vordem. 2, c vor § 90, darauf hin, daß Kohärenz ;um rechtlichen Begriffe der Sacheinheit nirgends gefordert wird.) Durch Wegnahme oder Abteilung entsteht rechtlich nur dann eine neue Sache, wenn die weggenommene oder abgeteilte Menge für den Verkehr einen, wenn auch geringen, Wert hat. Vgl. mch RGZ. 87, 43 ff. Auch der Bienenschwarm wird theoretisch hieher zu stellen sein, nicht in dieselbe Eategorie wie die Herde, bei welcher von vornherein die Stücke als einzelne Wert haben. ?r hat im BGB. in §§ 961 ff. eine besondere rechtliche Behandlung erfahren. b) Ane Mehrheit von beweglichen Sachen kann mit oder ohne Willen des Verfügungs- 11 berechtigten dergestalt untrennbar miteinander vermischt, vermengt oder verrunden werden, daß die bisherigen Einzelsachen nunmehr als Bestandteile einer neuen inheitlichen Sache erscheinen, über die rechtlichen Folgen dieser natürlichen Vereinieitlichung s. BGB. §§ 948, 947. Ebenso kann eine bewegliche Sache mit einer unbewegichen dergestalt verbunden werden, daß sie als deren Bestandteil erscheint (s. §§ 94,95,946). c) 5ine Mehrheit von Sachen kann als eine Einheit erscheinen unter dem Gesichtspunkte 12 >er Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Zweckes, welchem sie dienen. Das Jerhältnis kann entweder derart sein, daß eine Sache dauernd dem wirtschaftlichen Zwecke der anderen zu dienen bestimmt ist, daher in Beziehung auf diese (die „Hauptache") als Zubehör gilt (s. §§ 97, 98), oder es können die mehreren selbständigen Einzelbjekte durch die Gemeinsamkeit ihres wirtschaftlichen Zweckes verbunden sein, ohne >arum unter sich in einem notwendig von Rechtsfolgen begleiteten Verhältnisse der Wer- und Unterordnung zu stehen. In diesem Falle spricht man von einem Sachnbegriff, einer Sachgesamtheit*) (universitas facti, auch corpus ex distantibus; 'gl. fr. 30 D. 41, 3); vgl. dazu Rostosky in JheringsJ. 74, 96 ff. Ein Hauptbeispiel ür eine Sachgesamtheit ist das Warenlager. Die der deutschrechtlichen Auffassung entsprechende von einzelnen Partikularrechten BLR. Tl. II Kap. 5 § 6 Zisf. 4, PLR. Tl. I Tit. 2 §§ 32, 36—39) und von manchen