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German Pages 282 [278] Year 2015
Ralf Bohn Inszenierung als Widerstand
Band 2
2009-11-02 13-04-48 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0323225064314878|(S.
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Editorial Die Reihe Szenografie & Szenologie versammelt aktuelle Aufsätze und Monografien zum neuen Ausbildungs- und Berufsfeld Szenografie. Im Kontext neuer Medientechniken und -gestaltungen, Materialien und narrativer Strukturen präsentiert sie Inszenierungserfahrungen in öffentlichen Vor-, Aus- und Darstellungsräumen. Zugleich analysiert die Reihe an Beispielen und in theoretischer Auseinandersetzung eine Kultur der Ereignissetzung als transdisziplinäre Diskursivität zwischen Design, Kunst, Wissenschaft und Alltag. Die Reihe wird herausgegeben von Ralf Bohn und Heiner Wilharm.
Ralf Bohn (Prof. Dr.) lehrt Medienwissenschaften an der FH Dortmund. Er arbeitet im Schnittpunkt von philosophischer, psychoanalytischer und technischer Medienanalyse.
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Ralf Bohn
Inszenierung als Widerstand Bildkörper und Körperbild bei Paul Klee
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Ralf Bohn Umschlagabbildung: Paul Klee: Vorhaben, 1938, 126 Kleisterfarbe auf Papier und Jute; originale Rahmenleisten, 75,5 x 112,3 cm für die Nutzung danke ich dem Zentrum Paul Klee, Bern Korrektorat: Adele Gerdes, Bielefeld Lektorat & Satz: Ralf Bohn Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1262-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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INHALTSVERZEICHNIS
ABSTRAKT
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EINLEITUNG
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I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN 1. Erfahrung der Sichtbarkeit
19
2. Verkörperung des Bildes
26
3. Opfer und Werk. Zum Körper-Bild-Inzest
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4. Die Unentschiedenheit
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5. Eine zweite Geburt wird angebahnt
67
6. Erste Szenifikation: von der Einbildung zur Sichtbarkeit
80
7. Die Erfindung des Widerstandes
89
II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN 1. Zweite Szenifikation: im Blick des anderen
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2. Endliche Unendlichkeit als monadische Szene
116
3. Ein Seiltanz: von der Zeichnung zur Malerei
123
4. Die zweite Geburt – der Maler im Bild
130
5. Vorstudien zur Postmoderne
138
6. Malerei unter Einsatz des Körpers
150
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III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT 1. Die primäre Disposition: das Ausfließen in die Szene
165
2. Elementarhypothesen: ein Bild, ein Zeichen, eine Zahl
181
3. Bauhausfraktionen: das Unvermittelbare der Gesellschaft
192
4. Dritte Szenifikation: Vergesellschaftung und Widerstand
203
IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER 1. Faschismus und Krankheit: Verkörperung des Anderen
217
2. Autonymie der Sklerose
226
3. Vierte Szenifikation: Pathognostik des Körperbildes
235
4. Vom Bild zur Stimme und zum verlorenen Ursprung
250
LITERATURVERZEICHNIS
268
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
276
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ABSTRAKT
In seinen Werken überträgt Paul Klee den Übergang von (innerer) Stimme und (äußerem) Bild in ein szenisches Spiel. Klee stellt uns die Frage nach einer möglichen Opferlosigkeit dieses Übergangs: Wie kann ich den anderen die Differenz zwischen Körper und Bild, die ich bin, erfahren lassen? In seiner neurodermitischen Erkrankung radikalisiert sich die Frage: Wie können Körper und Bild von mir identisch werden, ohne dass ich zum Ding erstarre? Klee experimentiert als Musiker, Zeichner, Maler, um den Übergang zwischen Körper und Bild transparent zu halten. Das Opfer meiner Defizienz muss in Gesellschaft beständig zirkulieren, ohne sich, wie in Krankheit oder Faschismus, zu verdinglichen. Im Graphismus einer inversiven Linie, die zwischen Musik, Schrift, Zeichen und Malerei schwankt, entwickelt Klee eine Bildtechnik, in der das Übersetzungsopfer zwischen innerer Stimme (Inkorporation von Gesellschaft) und äußerer Sichtbarkeit (Produktionsablösung) weder erstarren noch gänzlich ausfließen soll: Die Malerei ist der osmotische Widerstand, in dem diese Balance gehalten werden kann. Neben der kunstphilosophischen Problematik der Körperbildlichkeit stellt sich die Frage, wie gegenüber der faschistischen Identitätssetzung von Bild und Körper noch verantwortlich für einen anderen produziert werden kann. Die 1935 beginnende neurodermitische Erkrankung Klees (Sklerose als ‚Palimpsest‘, Verschluss der Organhäute) zeigt den Konflikt, der zwischen der Autonomie des Körpers und dem Körper als Bild-für-einen-anderen radikalisiert. Die Krankheit Klees ist als Selbstopfer (Abwehr der Autoimmunisierung) der Versuch, Versöhnung zwischen Natur, die sich selbst produziert, und dem Menschen, der sich im anderen produziert, darzustellen. Die Krankheit ist Aufklärung über einer Medienwelt, in der die Differenz zwischen unsinnlicher Mathematik und sinnlichem Design sich immer artistischer gebärdet. Vor allem die Zeichnungen Klees sind Szenografien einer auf Natur sich berufenden Kunst, die nicht mehr verdinglichen, sondern sich selbst in Bewegung zeigen will. Dieser performative Minimalwiderstand drückt sich anthropologisch durch die Hand aus, die vermittelst eines Stils die Leinwand berührt.
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Ich lerne ganz von vorn, ich beginne zu formen, als ob ich nichts wüsste von aller Malerei. Denn ich habe ein ganz kleines unbestrittenes Eigentum entdeckt: eine besondere Art der dreidimensionalen Darstellung der Fläche. Und abends kann ich mich hinlegen mit dem Bewusstsein einer getanen Arbeit. Das ist auch etwas. Ein fliegender Mensch! Hereinrenke die dritte Dimension in die Fläche. Armstellungen, Beindoubletten. Verkürzungslosigkeit. Ich träume sogar davon. Träume mich selber zu meinem Modell. Projiziertes Ich. Erwachend erkenne ich die Wahrheit. Ich liege kompliziert, aber flach, am Leintuch haftend. Ich bin mein Stil. Paul Klee, Tagebucheintrag vom 22. 6. 1902
Man sagt, ein Mensch werde in dem Augenblick geboren, wo das, was im Mutterleib zunächst nur virtuell Sichtbares war, zugleich für uns und für sich selbst sichtbar wird. Das Sehen des Malers ist eine fortwährende Geburt. (...) Aber das Fragen der Malerei zielt in jedem Fall auf dieses verborgene und fieberhafte Entstehen der Gegenstände in unserem Körper. Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist
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EINLEITUNG
Paul Klee, Musiker, Zeichner, Maler, erkrankt 1935 an einer neurodermitischen Autoimmunkrankheit, der Sklerose. Die Krankheit – das Erstarren der Organhäute – ist immer mit der Abschiebung Klees aus Deutschland in Zusammenhang gebracht worden; der ‚Stress‘ hat Klee ‚dünnhäutig‘ werden lassen. Spätestens ab 1938 konnte Klee seine eigene Krankheit als Zum-Bild-Werden des eigenen Körpers reflektieren. Die Hauthülle wird Palimsest, trocknet aus, wird glatt. Die Frage nach der Ursache der neurodermitischen Erkrankung bleibt indes nicht einfach auf den Faschismus abzuschieben. Was, wenn die Sklerose die ultimative Form der Malerei wäre und damit die Überbietungsform der Körper-Bild-Identität des Faschismus? Was, wenn Klees Bildkunst die Balance zwischen Mensch und sich ablösender Verdinglichung im Bild selbst als schuldhaft empfindet, alle Vermittlungen ausblendet und auf ein radikales Körperopfer zu Gunsten eines idealen Bildes setzt? Dieses Bild-für-einenanderen, das darstellt und zeigt, ohne sich vom Körper abzulösen, stellt die Frage der Bildlichkeit ganz neu, nämlich nach der Identität des produzierenden Menschen, der zugleich Bild und Körper (Image und Tableau), Ansicht und In-sich für einen anderen ist. Sowohl die Gewalt der Identifizierung von Bild und Körper als auch die restlose Übersetzung von (innerer) Stimme in Bild gibt die Sklerodermie in tödlicher Radikalität auf. Gleichzeitig aber ist die Arbeit Klees nicht von der Krankheit her zu denken, sondern von ihrer Moderierung in Werk und Personalisierung Klees. Die ‚Neurodermitis‘ ist von Anfang an da: aber sie ist am Ort des anderen, der befriedete, moderierte und medialisierte Ort des Bildes, mit seinen widerstreitenden Figuren und Szenifikationen. Es steht außer Frage, dass der Faschismus seinen Anteil an der Radikalisierung und ‚Entartung‘ des Bildes in einer medialisierten Politik hat, auch jener strukturelle Faschismus, der aus der gewalthaften Aneignung von Ursächlichkeit – Demaskierung des anderen – resultiert. Wer die Pseudoaufhebung von Schuld durch Verschiebung auf einen Verursacher betreibt, verhindert, den gesellschaftlichen Aufklärungswert von Krankheit selbst zu thematisieren. Zumal die Sklerodermie als ‚Verdinglichung des Körperbildes‘ ein definitives Urteil über die Unmöglichkeit der Identität von Körper und Bild fällt. Einerseits ist das Bild ontologisch weniger als ein Ding, andererseits lässt sein ontologischer Vorbehalt noch einen Blick darauf zu, dass sämtliche Dingproduktion letztlich darauf zielt, den Körper in die Dinge ausfließen zu lassen, um dessen
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Sterblichkeit zu entfernen. Zurück soll bleiben der reine Geist, der widerstandslose Medienübergang: die performativ erschaffende Stimme, der militante Befehl. Zugleich soll durch konsumative Rückeinverleibung der Dinge deren Status der Dauer auf den Körper übergehen, nicht aber dort selbst als Ding/Krankheit sich festsetzen. Einerseits muss also das Ausfließen des Körpers möglich sein, andererseits ist ihm ein minimaler Widerstand entgegenzustellen. Das Bild muss sich selbst in seiner Bildlichkeit als Übernahmeort der Projektions- und Reproduktionsschuld sowohl zeigen als auch dementieren, ja, dieser Kampf zwischen Äußerung und Widerstand ist der Widerstreit, den Klee in seinen Szenen und Körperdarstellungen als Gegenstand seiner persönlichen Bildphilosophie und seines Stils findet. Neurodermitische Krankheiten zeigen Fusionsdrohungen zwischen Mensch, Bild und Ding am Körper an. Szenifikationen halten dieses Beziehungsspiel in der Schwebe eines unabgelösten Außen. Der Körper spielt in der performativen Szene immer eine Rolle. In der Szene lösen sich keine Produkte ab, sondern produzieren sich Körper. Klee antwortet dem historischen Faschismus mit einem strukturellen, insofern beide Formen der Gewalt Schuldreinheit nur um den Preis der Selbstkonsumation betreiben können. Ausweis der in psychischen Hautkrankheiten angezeigten Fusionsdrohung und Indifferenzierung zwischen Mensch, Bild und Ding sind heute eine Unzahl dermatologischer Autoimmunisierungen, die auf fehlende Abnabelung der Dinge hindeuten, aber durch ein kulturelles Programm von Körperbemalungen, von Tätowierung, Schminke, kaschiert werden. Die Neurodermitis ist im Medienzeitalter zur Volkskrankheit geworden. Diese Bildnäherungen am Körper bleiben in fetischistischer Schwebe oder werden Oberflächenreprojektionen des Körpers: Kleidung, Mode, aber auch Gesten, zumeist sämtlich Hüllen und wie Schuhe Häute. Alle diese ablösbaren Körperbilder dramatisieren Symptomatik an sich: Das Symptom ist autonym die Krankheit selbst. Die Symptomfixierung ist mit der klassischen freudianischen Psychoanalyse nicht in Einklang zu bringen. Deswegen versuchen wir, in einer Weiterentwicklung der Sartre’schen „Psychoanalyse der Sachen“ namens ‚Pathognostik‘ – einer von Rudolf Heinz auch klinisch erprobten Methode – den Charakter der Bildwirklichkeit des Symptoms und des symptomatischen Bildes (der Malerei) neu zu fokussieren. Wir werden auf das schamhafte Erröten eingehen, eine physiologische Alltäglichkeit, die den Körper des Subjekts als Gegenstand charakterisiert, der performativ stets Ding und Bild zugleich ist, und in der Inszenierung die jeweilige Geltung als Drittensimulation austrägt, ohne dass es wirklich zu einer dinglichen Ablösung von ‚Erröten‘ kommt. Es ist ein Kennzeichen von Szenifikationen, dass sie sich aus dem Produktionszusammenhang herausnehmen, als Kunst aber in die Ökonomie Eingang finden können. Aber auch alle anderen Formen der Aussagen des Körpers
EINLEITUNG 11
deuten auf eine Problematisierung von Schuld und Entschuldung im Bild und in der Bildlichkeit der modernen Kunst. So privilegiert das Feld der Kunst auch sein mag: es ist zur Zeit Klees ein revolutionärer Ort ‚positiver Barbarei‘ – wenn man den Worten Blochs und Benjamins folgen darf. Es handelt sich um ästhetisierte ‚Heiligungen‘ von Dinglichkeit in Inszenierungsorte, für die Heidegger den anschaulichen Begriff ‚Zeit-Spiel-Raum‘ gebraucht. Bei Klee bezieht sich der Schuldvorbehalt der Malerei auf die Differenz von Hören und Sehen, respektive seinen frühen Vorlieben Musik und Malerei – letztere dann noch einmal reduziert und gebrochen in der grafischen Linie. Während Musik spurlos verklingt, haftet der Produktionsgrund der Malerei stets auf dem gereinigten Körper eines anderen Produktionsgrundes. Sofort stellt sich die Frage, warum diese Thematisierung der Schuld nicht in der Familientradition der Klees, der Musik verbleibt? Die Antwort, die im Folgenden entwickelt wird: Klee nähert sich ganz bewusst über die Grafik der Malerei, weil die Musik keinen Widerstand bietet, also den Inszenierungspielraum zwischen innerer Stimme (Gewissen, Introjektion der vergesellschafteten Handlungen, Personalisierung) und individueller Entäußerung ausblendet. Diese These zwingt zu der Behauptung, dass die faschistisch militante Ausmerzung von Schuld noch in ästhetisch sublimierter Produktion vorhanden ist und somit Klee, in Reaktion auf die faschistische Ausschließung, Bildlichkeit in sich selbst als Bild der Sklerodermie, Bild seines eigenen Körpers zurückzunehmen hat. Das heißt, Klees Körper beschränkt die Möglichkeit der Freiheit der Produktion auf die Hautoberfläche, während seine professionelle Künstlerschaft ihn in der letzten Phase der Krankheit umso vehementer in einem grandiosen Produktionsschub gegen die Autoimmunisierung mobilisiert: Produktionshysterie als Immunisierung der Autoimmunität: Versteinerung und Verflüssigung zugleich arbeiten als Krankheit. Man darf sagen, Klee antwortet dem historischen Faschismus mit einem strukturellen, insofern beide Schuldreinheit nicht ‚produzieren‘ können, beide um den Preis des Todes die Selbstkonsumation betreiben. Doch wie erwähnt, dürfen wir das Widerstandsproblem nicht von der Krankheit aus darstellen, wir müssen auf das Werk und die Personalisierung Klees insgesamt eingehen, d.h. wir müssen nachweisen, dass der Widerstreit der Szene von Anfang an das Problem der Widerständigkeit des Bildes selbst ist. Die These der Schuldverschränkung der Krankheit als Aussage einer Pathologik soll zurückgeführt werden auf die Platzierung eines angemessenen Widerstandes (Funktion der Selbstdarstellung künstlerischer Arbeit), die eben die Musik nicht liefert, ja, sie verhindert, dass sich Klee gleichsam aus sich selbst herausarbeiten kann – wie Sartre so treffend sagt –, ein ‚ganzer Mensch‘ wird und somit die ambivalente Natur des Menschen nicht nur bildlich darstellt, sondern ist. Der Weg dieser Arbeit, die Vergesellschaftung des Subjekts Paul Klee zum respektier-
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ten Künstler, soll hier anhand der Spurenlegung nicht am Einzelwerk, sondern am Werkganzen analysiert werden. Dialektisch zwingt uns diese Argumentation, die Frage nach der Genese der Gesellschaft zu stellen, deren dominierender Dingvorbehalt darin besteht, Bilder zu produzieren, zumindest sich aber als visuell zu verstehen, um in eben dieser Entgegensetzung Körperlosigkeit in der Bildlosigkeit der Zahl zu fundieren. Die entsprechenden Professionen Mathematik und Design verbinden sich in der Medienmaschine des Computers. Die diffuse Form der Systemsklerose befällt Klee 1935. Thematisiert wird das Bild-Körper-Problem bei Klee schon von Anfang an in den Differenzen von Musik/ Stimme, die den Körper durchdringen, und Grafik/Malerei, die die Hautmembran als Leinwand/Pergament/Papier distanziert beschreiben. Aus diesem Zusammenhang heraus ist die Frage der Begleichung der Gabe der Produktion ökonomisch zu denken: so wie Zeichen und Design die abgelösten, partikularen Dinge abstrakter Produktion den Sinnen näher bringen und eine distanzierte Sachbeziehung ermöglichen, indem sie den Todeszustand der Dinge moderieren, so kalibriert die Kunst ihre Produktionen in Nähe und Ferne zum Körper. Eindruck und Ausdruck, so hat Wilhelm Worringer formuliert, sind die beiden Widerstandsorte, die das Bild, gegen seine Flächigkeit, in eine ökonomische Beziehung von Künstler und Betrachter bringen. Das Bild der Kunst hält einer inzestuösen Vermittlung zwischen Mensch und Ding stand und unterlegt die identifizierende Produktion einer ästhetischen Urteilskraft. Auf diese Weise sind heute Warendinge zugleich auch immer als Bilder zu identifizieren. Duchamp hat am radikalsten die Frage gestellt, wie szenografische Kunstfertigkeit einzusetzen ist, um zwischen Ding und Bild, Technik und Inszenierung, Designverhüllung und ästhetischer Aufklärung sinnvolle Unterscheidungen zu provozieren. Klee steht am Bauhaus im Zentrum dieser Fragestellung zwischen Design- und Kunstfunktion. Wenn Sartre behauptet, Klees Dilemma bestehe darin, die Ambiguität des Zeichens in die Malerei respektive Zeichnung eingeführt zu haben, verweist er auch auf die Stellung Klees als Lehrer des Bauhauses. Inmitten von Designern und Künstlern werden hier gesellschaftliche Probleme, die Industrialisierung der Zeichenproduktion des Designs, der Medien- und Darstellungstechniken, in einem sozialen Gestus versammelt, wie der Gedanke einer mittelalterlichen Künstlergemeinschaft, deren Bild Gropius zur Gründung des Bauhauses nicht nur der ökonomischen Erfordernisse wegen inszeniert. Klee setzt die Konfrontation des Malers mit den Techniken der Moderne in Szene, das heißt, er öffnet den Bildraum für ein theatrales Beieinander von Zeichen und Mal an Körperdarstellungen und -gesten. Die Elemente, insbesondere die Linie, beziehen sich autopoetisch auf sich selbst und tragen untereinander den Agon von Kunst und Design aus. Dabei geht es nicht um einen neuen Paragone, sondern um
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die Inszenierung der Sterblichkeitsabwehr im Ding und dessen Reanimation in einer szenischen Maschinerie. Die Ambivalenz des Freiheitsbegriffs von Produktion tritt hier ans Licht. Wie soll – angesichts der Sichselbstgleichheit der Natur – im menschlichen Kosmos von personaler Selbstermächtigung (Immunisierung, Heiligung) Kommunität (Vergesellschaftung) hergestellt werden, ohne nicht in jene automatische, maschinenhafte, technische Abschließungs-Aufschließung zu gelangen, wie sie die Systemtheorien strukturieren, d.h. wie ist Ausfluss (Malerei) und Einbehalt (Musik) ökonomisch möglich? Doch nur, wenn man dem Ursprung des Spuren-Hinterlassens auf den Grund geht. Klees Antwort besteht in der Bewahrung der Ambivalenz von Stimme und Bild als deren gemeinsamer Urszene. Klees inversive Linie thematisiert den Zustand zwischen ‚schwebender‘ Gestalt und ‚manifester‘ Form. Sowohl auf symbolischer wie auf funktionaler Ebene ist dieser Zustand durch die Figur des Engels präsentiert, der die mediale Verkörperung/Entkörperlichung von Bote und Nachricht ist, Verkörperung, die sich vom Körper durch das ‚heilige‘ Werk befreit hat. Zugleich implementiert Klee in die Bilder Zeichen (etwa Buchstaben, Pfeile, Interpunktionen etc.), die im Schmelztiegel der Szene ihre Umcodierung erfahren. Der Buchstabe im Bild zeigt, dass die Szene auch eine akustische Dimension haben kann. Das bedeutet, dass Klee in mehrfacher Weise die Fläche des Bildes als Membran der Schuldökonomie zwischen Kunstanspruch und Designgestaltung, als mediale Mitte zwischen Körper und Ding belassen will. Man darf behaupten, Klee revidiere in diesem Programm der Zurücknahme der Ablösung des Werkes, die Ablösung der Musik durch die Malerei, des Akustischen durch das Visuelle und damit einen kritischen Teil seiner künstlerischen Personalisierung. Unter Personalisierung wird der Vorgang der vergesellschafteten Professionalisierung und Inkorporierung verstanden. Klees außergewöhnliche Stelle in der Kunstgeschichte begründet sich durch die Spiegelung hochdifferenzierter Künste: Musik, Grafik, Malerei. Gefährlich wird der medialisierende Seiltanz, wenn die gesellschaftlichen Kräfte, der Progress der Wissenschaft und ihre Realien (Technik), sowie die faschistische Durchstreichung jeglicher Vermittlung kriegsmäßig die paranoetische Identifikation von Einbildungskraft und Realisierung betreiben. Der Zeit-Spiel-Raum der Inszenierung tendiert in dem Moment gegen Null, in dem der Imperativ einer Handlung keine ästhetischen Vermittlungen mehr erlaubt. Damit muss nicht von vornherein eine gewalthafte oder pathologische Form gemeint sein: schon die Gestik des Schimpfens, das Bild der Zornesröte reichen aus, um den hysterisierten Körper in Szene zu setzen und für einen anderen die Problematik sichtbar zu machen. Die Unvermitteltheit, die Alternativlosigkeit und ein inzestuöser Schuldkollaps können so als Faktoren einer Radikalisierung von ‚Zeichengebung‘ gewertet werden, in deren Verlauf sich die Haut der Organe in ein geglättetes, fast transparentes
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Pergament verwandelt. Diese Transparenz-für-einen-anderen macht das Dilemma der Produktion offensichtlich, das nur durch ein ‚heiliges‘ Körperopfer gebannt werden kann. Der Körper zeigt in einer Bannungs- und Blockademimetik der Organmembranen die Produktionsambivalenz als leibhafte Szene. In der Sklerodermie wird die Körpergrenze zum Palimpsest. Die Szene und die ‚Szenopathologie‘ Klees ist Ausdruck dieser Blockadevalenz, wie sie der Faschismus als Fusion von Produktion und Konsumation im großtechnischen Maßstab realisiert. Wie stellt man die Negation der Bildwerdung als Durchstreichung des Bildes anders dar? Man kann sehr wohl über das Bilderverbot sprechen, man kann es aber nicht malen, wenigstens nicht, ohne sich in einer ironischen Karikatur oder in logischen Schleifen selbst zu widersprechen, wie die Bilder Magrittes und Eschers das versuchen. Auf die groteske Schleife (Lemniskate) als Präform von Schrift wird bei Klee noch einzugehen sein. Hinzu kommt, dass der Körper die stabile Mitte, die er als Genuss anstrebt, durch seine Selbstinstrumentalisierung beständig stört, also in Arbeit setzen muss, um nicht zu verdinglichen: denn der totalisierte Körper ist der tote Körper. In den frühen, allegorischen Figurationen Klees (Candide-Zyklus) wird experimentell durchgeführt, wie weit der Körper zu dezentrieren und in ein szenisches Spiel einzulassen ist, ohne zu zerreißen. Für sich behauptet Klee die geringste Marge zwischen künstlerischer Individualität (Ausdruck) und gesellschaftlicher Ästhetisierung (Eindruck, Darstellung, deren Verdinglichung sich im ‚Stilus‘ ‚ausdrückt‘). „Ich bin mein Stil.“ Diese Identität von Ich und Bildlichkeit (Image und Tableau) gelingt, indem Klee eigens sein ihn herausforderndes Problem der Zwischenwelt von Grafik (die die Fläche bezeichnet) und Malerei (die die Fläche verdrängt) fortwährend im Werk realisiert, oft simultan übereinander im Kontrast von sphärischem Untergrund und scharf konturierter Zeichnung: „Hereinrenkung der dritten Dimension“ als Rettung vor dem todesdrohenden Ding. Hierzu gehört immer wieder der Verweis auf Natur, die nichts als Produktion selbst ist und insofern nicht verdinglichen kann. Jens Roselt hat den Vorgang der ‚Verkörperung‘ – personale Konstitution des Einzelnen in der Gesellschaft – als theatrale Lösung der Kunst insgesamt charakterisiert. Die wechselseitige Konstitution zeichnet sich am/als Körper ab, und zwar, wie wir später mit Sartre feststellen können, in eben dem Maße, wie jeder performative Tauschakt in der Abschließung der Zahl als Unabschließbarkeit ihrer Menge und Serialisierung gedacht wird. Das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft ist insofern (und konkret statistisch) ein Rechenverhältnis von Einheiten oder genauer ‚Einheitshypothesen‘, die sich dem Werden widersetzen. Theatral wird der Körper dann, wenn er sich auf den Tausch von Individualität und Gesellschaftlichkeit bezieht, also auf das ‚individuelle Allgemeine‘ (Sartre) der Sprachlichkeit. „Der Körper ist nicht die Voraussetzung und eine Identität nicht der Ausgangspunkt einer
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Handlung, sondern das Ergebnis oder die Leistung eines performativen Aktes.“1 In Folge dieser wechselseitigen Konstitution kann als Ort/Stelle des Tauschaktes kein ontologischer, sondern ein Handlungsraum präzisiert werden. Dieser Handlungsraum ist die Szene, in der sich die Auseinandersetzung Klees mit der Gesellschaft und der Prozess seiner Personalisierung im Bild als Stil abzeichnet, so aber, dass die mathematische Logik, insbesondere mengentheoretische Implikationen, ausschließt, dass es ein (externes) Drittenmoment zwischen Subjekt und Gesellschaft gibt, mit Ausnahme unechter ‚Drittenprovisorien‘: der Medienphantasmen. Als starke These kann formuliert werden, dass das Bild ein für sich selbst nicht durchsichtiges Moment ist, das weder im Zeichen noch im Ereignis aufgeht, Moment, das niemals vollständig entschuldet, also inzestuös rückangeeignet – weder autonom hervorgebracht, noch vollständig in Bedeutung aufgelöst werden kann. Bezieht Schuldeinbehaltung sich auf sich selbst (Körper als Widerspruchsinstanz des Drittenphantasmas), ändert sich nichts am Konflikt der Immunität/Kommunität, da das Symptom an mir (Mal) ein Zeichen für einen anderen darstellt, also eine Auflösung des Subjekts zum Ding als stets todesdrohendem Drittenrepräsentanten. Statt vom Ursprung einer Krankheit wäre von der Radikalisierung einer Kulturtechnik des Sinns auszugehen – Sinn als retroaktive Bezugnahme auf die Produktionsbedingungen; so wie man den Sinn eines Satzes von seinem Ende her nachträglich aktiviert. Der Charakter einer szenischen Zwischenwelt verleiht dem Bild ein Bannungsmoment, gegen unendlich drängende Einbildungskraft, die bei Klee nicht als Einbildung, sondern als Stimmenphänomen (‚Innere Stimme‘, Akustik) aufgefasst ist. Stimme ist im Übrigen weder Genie noch Gabe, sondern Introjektion des Gesellschaftlichen als Binnenwiderstand. Die Ambivalenz von Können und Wollen, wie sie Worringer für die Stilgeschichte der Kunst veranschlagt hat, wird in der Zwischenwelt Klees durch die szenische 1 Jens Roselt: Phänomenologie des Theaters. München 2008, S. 29. Betreffend dieser Darstellung ist
die Frage Derridas zu stellen, wie denn die ‚Bösartigkeit‘ des Körpers in das ‚Heil‘ einer naturhaften Einheit überführt werden könne, in der nicht zwangsweise ‚Körper‘ und ‚Produktion‘ auseinanderspringen: „Von dem Vorsatz geleitet, die Religion in der Gegenwart abstrakt zu denken, gehen wir von dem Vermögen und den Kräften der Abstraktion aus; wir tun dies, um es am Ende zu wagen, die folgende Hypothese aufzustellen: Im Hinblick auf all die Kräfte der Abstraktion und der auflösenden Trennung (Entwurzelung, Entortung, Entkörperlichung, Formalisierung, verallgemeinerte Schematisierung, Objektivierung, Telekommunikation usw.) erweist sich die Religion als jenes, was in einen reaktiven Antagonismus eingebettet ist und was gleichzeitig in einer überbietenden wiederholten Selbstbehauptung besteht.“ Jacques Derrida: Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der ‚Religion‘ an den Grenzen der bloßen Vernunft. In: Ders.: Gianni Vattimo: Die Religion. Frankfurt am Main 2001, S.10f. Derrida geht auf den Zusammenhang von Heil, Heilung, Immunisierung und der „Logik der Auto-Immunisierung des Heilen“ als einer ‚anderen Produktion‘ ein: „Die immunitäre Abwehrreaktion beschützt das Heile und Ungeschädigte des eigenen Körpers, indem sie Antikörper gegen fremde Antigene produziert. Der Prozeß der Auto-Immunisierung, der uns hier besonders interessiert, besteht bekanntlich darin, daß ein lebender Organismus gegen seinen eigenen Selbstschutz dadurch sich schützt, daß er seine eigenen immunitären Abwehrkräfte zerstört.“ (S.72)
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Reduktion, das theatralische Moment seiner oft mehrfach gerahmten Bildebenen und durch die infantilisierende Expression der Elemente (Zeichen, Symbole, Körperteile) differenziert. Szenen wie die Zwitschermaschine (1922), die nicht dem Experiment von Bildtechniken und -kompositionen dienen (obgleich sie Technisches darstellen), zeigen das Zusammenvorhandensein mehrerer Körper im sphärischen Raum, der deskriptiv (akustisch!) koordiniert wird. Mit avancierten Instrumenten den Schuldverschiebungen bzw. deren Blockaden und Krisen nachzugehen, heißt, den Ursprung von Kultur selbst in der Mitte der kulturellen, rhythmischen, seriellen, ‚kultischen‘ Gesellschaft, in der Konstruktion des Todestriebes, der unauflösbaren Ambivalenz von organischer Offenheit und anorganischer Schließung anzusiedeln, also in der Praxis der Vergesellschaftung. Das künstlerische Engagement ist eine Praxis der Freiheit.2 Das Spiel dieser Freiheit, die Freiheit als Spiel zu bewahren, gelingt dem Künstler, indem er das Reale seiner Existenz als das Unhintergehbare seines eigenen Widerstreits in die Waagschale wirft. Mit der Einführung des Zeichens in das künstlerische Bild überschreitet und bestimmt Klee die Grenze zum Design als Camouflage verlebendigter Dinge, was ihn als Lehrer am Bauhaus in einen Konflikt führt, den er immer wieder neu zu vermitteln versucht, der aber Ende der 20er Jahre für ihn unerträglich wird. Denn Design dient als Fetisch einer explodierenden Produktions- und Schuldverdeckung. Die ontosemiologische Differenz, die hier zwischen den Zeichen/Bildern und den Dingen aufklafft, thematisiert sich in der Klee’schen Bildwelt als Stil seiner Linienführung und in den Bildraum einbrechender performativer (typografischer) Zeichen – prägnant im Bild Villa R (1919). Der monadische Kern der Unhintergehbarkeit des Todestrieb- respektive Produktionskonflikts ist im Zeichen gerade so angelegt, dass es zwischen der Spur des Ursprungs (der Gabe, die ‚hörend‘ vernommen wird) und seiner Bildlichkeit (die als allegorische die Todesverdeckungen kontert) oszilliert. Neben den Überlegungen Heideggers und Derridas, die um den Ursprungs- respektive den Gabenbegriff kreisen, sind es vor allem die unterschiedlichen psychoanalytischen Methoden zur Kulturdiagnostik von Freud, Lacan, Sartre und Rudolf Heinz, die es ermöglichen, die Pathologik Klees im Zusammenhang mit seiner Arbeit der Personalisierung und seinem Ethos von Kunst zu differenzieren. Das erfolgt nicht so sehr am einzelnen Bild, als vielmehr an der Subjektausweisung im Bildmedium, die Klee selbst eben mit dem Begriff des Stils belegt. Dabei ist der Stil weder Manier noch Individualität, sondern die Andersheit des Eigenen – der durch das Subjekt hindurchgegangene Widerstand. Wenn der Maler in postmoderner Hinsicht im Bilde ist, dann kann der Symptomkomplex der Sklerose, wie ihn Hans Suter jüngst aus medizinischer Sicht an Klee diagnostiziert hat, als ultimativer Grenzversuch gegen die Gewalten der faschistischen 2
Vgl. Bernard-Henry Lévy: Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. München 2005, S.208.
EINLEITUNG 17
Unbedingtheit der Produktion, als Selbstanmaßung der Geburt freigelegt werden. Beständig aber muss die Malerei sich gegen die Zeichnung und beide gegen die Musik als Rückversicherung gegen die Totalverdeckung/Verhüllung der Leinwand behaupten. Klee reduziert das von Cezanne thematisierte ‚transparente Bild‘ auf seinen existentiellen Kern. Dass Bilder, Medien und Zeichen in einer globalisierten Medien- und Designwelt Hautverhüllungen sind, weil sie die Frage nach den Produktionsgründen verdecken, gleichzeitig aber katalytisch fordern, ist sowohl der historischen Person, dem monadischen Werk wie auch dem Krankheitsbild Klees zu entnehmen. Einen Rahmen dafür will die vorliegende Arbeit geben. Dazu gilt es zunächst, den Weg der Personalisierung Klees als Spiegelung seiner Widerstandsebenen, der Musik, der Grafik, der Zeichnung, der Malerei nachzuzeichnen. Wir bedienen uns dabei der Methode, die Sartre implizit als Übergang von Individualität, Subjektivität, Personalität im Austausch mit den Instanzen des Anderen erarbeitet: der Menge, der Gruppe, dem Kollektiv, der Partei, der Gesellschaft, also den transzendenten Ganzheiten, die die Nichtganzheit des Körpers kompensieren und gegenüber denen der Einzelne in Rechenschaftspflicht steht: nämlich aus der Intimität des Körpers eine Antwort, auf die Frage nach dem Grund der Gabe der Gesellschaft zu geben. Eine Antwort die Prinzipiell verwehrt ist, deren Suche jedoch das gesamte Produktionsphantasma als Sinn entbindet. Nicht von ungefähr thematisieren viele Bilder Klees szenisch-allegorische Versammlungen, in denen der Einzelne nur gleichnishaft, theatral und körperattraktiv die Beziehungen zu anderen zum Ausdruck bringen kann. Erst wenn diese persönliche Entwicklung Klees abgeschritten ist, die Behauptung „Ich bin mein Stil“ vollzogen wird, kann auf den Darstellungscharakter der Symptome der Sklerodermie eingegangen werden, für die im Besonderen gilt, dass hier Körperding und Körperbild – wie im schamhaften Erröten – performativ aufeinander verweisen. Die Inszenierung der Krankheit als ein selbstreferentielles Aussagesystem ist nicht im Sinne eines Zeichens, sondern im Sinne eines Mals (einer Unterscheidung Benjamins folgend) zu verstehen. Die Symptomaussagen der Sklerodermie sind also ‚wörtlich‘ zu nehmen. Davon ausgehend wird die von Freud gemiedene Symptomfokussierung psychopathologischer Aussagen im Sinne einer pathognostischen Analyse – nach Rudolf Heinz – in den Theoriekontext medizinischer, psychoanalytischer und kunstwissenschaftlicher Betrachtungen eingeordnet. Wir fragen nach der Bildlichkeit des Körpers für einen anderen. Ziel ist es, den von Klee festgestellten Spielraum zwischen dem technischen Können des Designs und dem künstlerischen Wollen abzuschreiten und als Sachbeziehung gesellschaftlicher und individueller Ökonomien zurückzubeziehen. Die Wahl eines Aussagesystems ist stets mit der Positionierung eines Widerstandes verbunden, dessen inneres Spiel eine szenologische Analyse zum Ausdruck bringt.
18 RALF BOHN
Für die Möglichkeit der Veröffentlichung dieser Arbeit danke ich der Fachhochschule Dortmund, insbesondere dem Fachbereich Design. Die Veröffentlichung ist ein Baustein des Masterstudiengangs „Szenografie und Kommunikation“. Ich danke weiterhin Prof. em. Dr. Rudolf Heinz für eine Vielzahl von Anregungen und Gesprächen, die innerhalb und außerhalb des Vereins für Psychoanalyse und Philosophie e.V., Düsseldorf, geführt worden sind, sodass sich die Publikation auch als Unternehmen darstellt, die pathognostischen Initiativen einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für die Nutzung der Abbildungen danke ich Heidi Frautschi vom Zentrum Paul Klee Bern. Abbildungstitel werden in der Originalschreibweise wiedergegeben. Meerbusch, September 2009
19
I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
I.1.
ERFAHRUNG DER SICHTBARKEIT
Die Kunst der Moderne hat, einer Einsicht Luhmanns zufolge, die Systemunterscheidung „Wahrnehmung – Kommunikation“ von der Notwendigkeit der Repräsentation gelöst. Selbstbeziehungen treten an Stelle der Fremdreferenzen, Materialaspekte werden durch die Problematisierung von Funktionalitäten dominant. Das Werk dient als Projektionsfläche einer Subjektivität, die zwischen Bild und Körper oszilliert. Mangels Repräsentation tritt der Malende selbst ins Bild. Das Bild wird personalisiert. Merleau-Ponty hat mit Hinweis auf Will Grohmann bei Klee auf die Schöpfungseinheit verwiesen, nach der das einzelne Werk hinter der Gesamtproduktion zurücktritt. Das einzelne Bild ist nur jeweils monadische Thematisierung eines Anfangs, der in zufälliger Konstellation sich in die Gesamtheit der Lebensarbeit fügt, so wie das Subjekt in jedem seiner Momente sich aus sich herausarbeitet. Das Ideal der unendlichen Linie konkurriert mit dem Umstand, dass man inmitten der anderen einen Anfang nur szenisch, also unter Vorbehalt setzt. Die Bildszenen Klees sind Problematisierungen eines unvordenklichen Anfangs, unterstehen kunstphilosophisch dem Paradigma der experimentellen Zurücknahme eines idealistischen Könnens. Klee ist nicht an einer Übersetzung des Ursprungs, sondern an einer monadologischen Entfaltung von Ursprünglichkeit interessiert. Das setzt eine kosmologische Einheitlichkeit der Welt voraus, wie sie in Klees Naturbegriff gesehen wird. Klee bestimmt Natur als Schöpfungsinstanz, Produktivität, die sich selbst nicht zurücknehmen kann, die ist, was sie wird. Heidegger hat vermutet, dass die ontologische Bestimmung des Seins als Produktivität, die sich selbst enthalten/aufschieben kann, den Werkcharakter der Kunst ausmacht. Das geschieht nicht in destruktiver Absicht, sondern in Differenz zu einem barbarischen Grundzug der Moderne, in dem Zerstörung jeder Produktion vorausgehen muss. Das technische Können ist zugleich der Imperativ des Wollens. Im Werk widersteht der Künstler den Realisierungszwängen kultureller Produktivität und schiebt seine Bildnisse gleich einem Dia quer in den Strahlengang der Technisierung. Gegenüber der absichtvollen Zurücknahme der Technik hat Worringer Idealisierung als Kunstkönnen thematisiert. Das ästhetische Ideal wird zugunsten eines work in progress dann aufgegeben, wenn die Einsicht in den Zwangscharakter des Ideals reflektiert wird und wenn das Ideal der Abschließung (und somit die Dialektik
20 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
von Zerstörung und Aufbau) in einer Deckung von Körper und Bild Produktivität finalisieren könnte. Als Beispiel führt Worringer die hellenistische Skulptur an. Die Kunst der Moderne kann jeweils vom avantgardistisch gesetzten technischen Mittel der Idealität/Natur absehen. Worringer hat, wegweisend für die Kunstphilosophie des 20. Jh., auf diesen Gegensatz in der Unterscheidung zwischen gotischer und hellenistischer Kunst mit Hilfe der Analyse der Ausdrucksform der Linie aufmerksam gemacht. „Denn es handelt sich hier nicht um Naturerinnerungen, sondern um Wirklichkeitserinnerungen. Dieser Unterschied ist für das ganze gotische Problem von einschneidender Bedeutung. Denn das Wirkliche ist mit dem Natürlichen keineswegs identisch. Man kann die Wirklichkeit sehr scharf erfassen, ohne dadurch der Natur näher zu kommen.“3 Kunst selbst wird in einer metonymischen Verschiebung subjektiviert, nicht mehr dem Ideal der Natur, sondern der Wirklichkeit des Menschen verpflichtet. Man nimmt nicht mehr ein Bild von van Gogh wahr, man erkennt einen ‚van Gogh‘; man liest das Bild als persönliches Ausdruckszeichen des Menschlichen, nicht mehr als genialisches Produkt. Für Paul Klee ist das Verhältnis von Maskierung und Demaskierung des Wirklichen ein zentraler Topos seiner Kunst und seiner Kunstphilosophie. Nicht, dass es ihn zur Darstellung eines wahren Gesichts drängt – seine szenische Logik wehrt alle metaphysischen Letztbegründungen ab. Ihm geht es um die Entfaltung künstlerischer Produktion innerhalb des Ensembles der Künste, die sich gegenseitig die Wahl ihrer Widerstandsebenen vorhalten, um nicht mit der Realität identisch werden zu müssen. Vom Design und der Architektur, von der Vielfalt der Medialisierungen Musik, Grafik, Malerei, Dichtung nimmt er schon vor dem Eintritt in das Bauhaus so viel auf, wie seine frühen Karikaturen als Riss des Menschen zwischen Wollen und Können preisgeben. Der in das Tableau, die Designverhüllung eingeschlossene Körper, der sich in grotesken Verzerrungen aus seiner Imago, seiner ideellen Ganzheit zu befreien sucht und maskenhaft das Innere nach außen kehrt, realisiert für ihn das Drama der Wirklichkeit. Denn immer muss der Körper seine Deformation ausweisen, sich gegen sein Bild behaupten. Der zerstückelte, deformierte, karikierte, theatralische und hysterisierte Körper wird zum Emblem der existentiellen Entfaltung des Menschen, der, wie Sartre sagt, sich als anderer unter anderen in Szene setzt. Wir werden davon ausgehen, dass das Werk Klees in seiner prozesshaften Gesamtheit, als Lebenswerk über seine Motive Aufschluss gibt. Das selbstkritische Unternehmen der Inversion von Maske und Maskierung wird von Klee als Dialektik einer Ablösung der Dinge vom Körper verstanden. Während 3
Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik, S.206. In: Ders.: Schriften Band 1, Hg. Hannes Böhringer, Helga Grebing und Beate Söntgen, München 2004. Auf die Rezeption Worringers durch Klee hat Marianne L. Teuber aufmerksam gemacht: dies., Zwei frühe Quellen zu Paul Klees Theorie der Form, in: Paul Klee. Das Frühwerk 1883-1922. Ausstellungskatalog München 1979, S.261-296.
I.1. ERFAHRUNG DER SICHTBARKEIT 21
aber Musik in den Körper zurückdringt und spurlos verhallt, kann Malerei die leibliche Distanz wahren und verwahren: Einfach schon dadurch, dass der Maler mit dem Pinsel das Bild auf Distanz hält und zugleich mit ihm im innigsten Kontakt steht. Das Symbol dieser Inversion ist das der Haut, das des Pergaments, der Organhülle. Malerei (die Unterscheidung zur Zeichnung steht noch an) ist ein osmotischer Prozess. Eigenschaften der Osmose sind Transparenz und Plastizität, mediale Durchlässigkeit und sinnenhafte Eintritts- und Austrittsöffnungen, es handelt sich also bei den theatralischen Darstellungen Klees um die Wirklichkeit des sozialen Prozesses, in der die Person, um nicht zum Tableau zu erstarren, die Individualität einer Maske wählen kann, um die Ereignishaftigkeit von Gesellschaft reflektieren zu können. Gerade, weil es kein ‚wahres Gesicht‘ geben kann, liegt in der Wahl der Maske der Spiel-Raum für eine Produktivität der Gesellschaft. Im modernen Theater untergraben Bühnenrollen tatsächlich die Rollen des Alltagslebens, indem sie diese als ‚unecht‘ erklären. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die prosaische Welt, die Heimat der persona, falsch und trügerisch, das Theater aber, die Welt des Individuums, real und allein schon durch seine Existenz eine ständige Kritik an der Heuchelei aller Sozialstruktur, die den Menschen nach dem Bild abstrakter sozialer Statusrollen formt [...] Das würde bedeuten, daß sich der Ort der Handlungen vom ‚wirklichen Leben‘ in die ‚Indikativ‘-Bereiche der Wirtschaft und Politik, in die Theater genannte Welt des Spiels, der Phantasie, der Illusion und Unterhaltung verlagert hat.4
Um organische Wirklichkeit auf das Bild zu übertragen, setzt Klee in seinen Einzelwerken, insbesondere in den zeichnerischen, die unendliche, nicht Form abschließende Linie mit der Linie der Schrift in Kontrast: Dadurch gewinnt das Bild eine organologische Austrittsöffnung hin zur Repräsentation der Stimme. Es wird deutlich, dass die Bildlichkeit des Klee’schen Stils von der Bildlichkeit der Typografie und des Zeichens zwar verschieden ist, dass aber konventionalisierte Formen keineswegs konventionell verwendet werden. Wenn das Zeichen sich innerhalb des Bildes aufhält, hat es die Funktion eines Nabels, einer Sichtbarkeit der Produktion handelnder Gesellschaft. Die Doppelrolle von Tableau und Image – wir werden mit Lacan darauf eingehen – macht Klees Inszenierungen zu einer Darstellung der Selbstreflexion der Gesellschaft auf ihre eigenen generativen Bedingungen. Klee fragt: Wie ist es dem Einzelnen möglich, ein Bild der Andersheit namens (abstrakter) Gesellschaft zu entwerfen und zu inkorporieren? Sichtbarkeit kann, so paradox es klingt, nur vernommen, also gehört werden. Das inversive Da-Sein von Sehen und Sichtbarkeit ist die ursprüngliche Einheit der Welt, im Klangwesen der Malerei als das „unvordenkliche Denken“.5 Merleau-Ponty, der in diesem Zusammenhang die frühromantische Figur der 4 Victor Turner: Theaterspielen
im Alltagsleben und Alltagsleben im Theater. In: Ders.: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt am Main 2009, S.184f. 5 Maurice Merleau-Ponty: Das Auge und der Geist. In: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Hamburg 1984, S.29.
22 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Inversion von Subjekt und Gesellschaft rehabilitiert, macht auf die spezifische Unsichtbarkeit der Produktion von Sichtbarkeit – so Klees Diktum – aufmerksam. In der Simulation der dritten Dimension werden Gegenstände von anderen Gegenständen verdeckt. In Klees gestaffeltem Perspektivismus kommt das nicht vor. Es ist gerade eine Eigenheit seines Stils, dass die Elemente sich nur selten überschneiden, häufig aber, wie in Vexierbildern, sich gegeneinander simultan behaupten und so die Grenze von Sehen und Sichtbarkeit produktiv werden lassen. Besteht nicht das Geheimnis von Bildlichkeit darin, dass das Sichtbare immer auf einen Schlag alles gibt und somit in „synchronische[r] Aktion“6 auch die Malerei am Geschäft der dialektischen Verweisung auf Unsichtbarkeit teilhat? Für Klee gilt die Malerei nicht mehr als Kunst der Verdeckung, sondern als Kunst der diaphanen Aufdeckung bildlicher Raumsimulation. Vom Betrachter erhofft sich Klee einen über die Darstellung hinausgehenden Blick. „Ich will hoffen, daß der Laie, welcher in Bildern nach einem von ihm besonders geliebten Gegenstand Jagd macht, im Bereich meiner Umgebung allmählich ausstirbt und mir von nun an höchstens als ein Gespenst begegnet, das nichts dafür kann.“7 Klee wünscht sich einen maieutischen Betrachter, der an der Schöpfung als Sichtbarkeit Anteil nimmt. Wie immer man das Werden referiert, im Bild lässt es sich trotz synchronischer Aktion nur ruckweise erzeugen. Die Kontiguitäten des Werks bedürfen der konstellierenden Beziehung. Die Arbeit des Künstlers muss sich unter einer programmatischen Konfession fassen lassen. Eine solche Schöpferische Konfession entsteht 1918. Sie metaphorisiert die Linie als seismische Phantasie der Reise eines Helden „ins Land der besseren Erkenntnis“.8 Ein jedes Bild auf dieser Lebenslinie ist monadisches Experiment. Klee thematisiert die bessere Seite der Erkenntnis oft durch kleine mechanische Maschinen, die an technische Zeichnungen gemahnen und in denen Vektoren, Buchstaben und Zahlen auftauchen. Die Reise des Helden als Experiment seiner Selbstverfügung funktionalisiert eben in der Reise selbst, als Vehikel, als Maschinenphänomen. Wie die Szene, so definiert sich das Bild durch eine Abschließung (Rahmung), die binnendramatisch überschritten werden muss, indem sie thematisiert, was sie ausschließt. Die Ambivalenz zwischen Wollen und Können, zwischen Selbstautarkisierung und Vergesellschaftung gebiert letztlich hysterisierte Maschinenphänomene, die an Stelle des Körpers die stabilisierende Arbeit der Inszenierung fetischistisch verrichten – fetischistisch, insofern das fetischistische Objekt Stellvertretungscharakter hat, also Grenz-Bildphänomen ist; Ding, das zum rettenden Bild verflüssigt ist. Von einer ursprünglichen Einheit der Natur und der Sichtbarkeit zu sprechen, kann nur Sinn machen, wenn sich die Sinne untereinander ihres Übersetzungsopfers 6 Delaunay: Über das Licht – Übersetzung von Paul Klee. In: Paul Klee: Kunstlehre. Aufsätze, Vorträge, Rezensionen und Beiträge zur bildnerischen Formlehre. Leipzig 1987, S.59. 7 Paul Klee: Über die moderne Kunst. In: Kunst-Lehre. Aufsätze, Vorträge, Rezensionen und Beiträge zur bildnerischen Formlehre. Leipzig 1987, S.78. 8 Klee, Schöpferische Konfession. In: Kunst-Lehre, a.a.O. S.61.
I.1. ERFAHRUNG DER SICHTBARKEIT 23
bewusst werden, ja, wenn dieses Opfer zum eigentlichen Kern des Werkgeschehens gemacht wird. Klee thematisiert den Opferprozess, indem er auf die Probleme der Zeitlichkeit der Malerei eingeht. So sagt er, dass es „an der Mangelhaftigkeit des Zeitlichen in der Sprache“ liegt, dass sich in ihr das Problem der Vorgängigkeit nicht wie in der bildenden Kunst stellt. „Denn es fehlt an den Mitteln, eine mehrdimensionale Gleichzeitigkeit synthetisch zu diskutieren.“9 Die Linearität der Sprache und die narrative Linie sind für Klee Mittel der Übertragung von Zeitlichkeit und Totalisierung. Mit Mitteln der Kombination, der multidimensionalen Konstruktion (die Gleichzeitigkeit der allegorischen Versammlung, eben die Sartre’sche ‚Vergesellschaftung‘) bis zur „Komposition“ werden alle „importanten Dimensionen durchlaufen“.10 Klee, der diese Begriffe von Kandinsky übernimmt, gliedert das Bild in unterschiedliche Präsenzebenen, die aufeinander Bezug nehmen, nicht aber einander verdecken. Lambert Wiesing hat in diesem Zusammenhang von einer „artifiziellen Präsenz“11 gesprochen, die ein jedes Bild ausdrückt. Klee generiert damit nicht eine zufällige, surrealistische Montage-Technik, wie sie etwa der frühe Max Ernst protegiert, er setzt darauf, dass alle Bildelemente untereinander im Grunde verwandt sind und so etwas wie ein Zufall nur aufgrund des Vergessens dieser inneren, natürlichen Verwandtschaft angenommen werden kann. Obwohl Klee mit den Etiketten des Surrealismus kokettiert, behauptet er eine fugenlos monadische Wirklichkeit, in der nicht das Band des Unbewussten, sondern die Extensionen des in den Raum ausgreifenden Körpers generativ sind. Wenn nämlich das Imaginäre sich rückhaltlos in Realität verwandeln lässt – so die Ideologie ästhetisierter Gewalt im Faschismus –, sprengt das die wohl abgewogenen Distanzen und Aufschübe der gesellschaftlichen Vermittlungen von Wollen und Können. Wenn mit dem ‚Juden‘ zugleich sein Bild vernichtet werden soll, muss paradoxerweise jeder Jude zuerst stigmatisiert werden, Identität von Bild und Körper ausgewiesen sein. Luhmann hat diese faschistische Paradoxie als Gedächtnisproblem und insofern als Problem der Bemächtigung des Imaginären dargelegt: Das Medium selbst trägt die Verzögerungsfunktion (bezogen auf die Wiederverwendung der Formbildung), die allem Gedächtnis zu Grunde liegt, denn Gedächtnis ist nicht etwa Speicherung von etwas Vergangenem (wie sollte das gehen?), sondern Hinausschieben der Wiederholung. Die Formbildung dagegen erfüllt die ebenfalls für alle Gedächtnisleistungen wesentliche Funktion der Diskriminierung von Erinnern und Vergessen.12
Gedächtnis dient also einer Inzestabwehr (Bild-Körper-Differenz) und funktioniert nach Maßgabe von Störung, entgegen eben dem Maschinenphantasma idealisierter Medienproduktion. Nichts anderes als der faschistische, maschinenhafte 9
Ebd., S.73. Ebd., S.81. 11 Lambert Wiesing: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt am Main 2005. 12 Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1997, S.170f. 10
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Zwang zur unvermittelten, sofortigen Realisierung von Produktion und Reproduktion (Spitzenleistung der Technik) lässt Klee einerseits tödlich erstarren – denn er erkennt darin seinen eigenen Zwang zur Produktion (seine menschliche Natur) –, andererseits arbeitet er hysterisch gegen die Möglichkeit dieses letzten wirklichen Bildes an, das mit der Realität zusammenfällt, indem er auf den Aufschub der Form in Gestalt seiner inversiven Engelzeichnungen, also das Gesetz der unendlichen Linie („nulla dies sine linea“) setzt – Engel, die nicht nur Allegorien der Vermittlung schlechthin, sondern als Gedächtnisform, Opferrückstand der Körperaufhebung sind. Perdita Rösch hat jüngst zeigen können, dass gerade in diesem für Klees Selbstreflexion bedeutsamen Motivkreis die Immanenz der Bewegung an die unmögliche Transzendierung des Körpers gebunden ist. Denn immer spricht der Bote auch mit seinem Körper als Erscheinung, ist Bild, Botschaft und Verkörperung zugleich, verkörpert fiktional körperlos die Schuldfreiheit einer Produktion.13 Hier, zwischen Botschaft und Boten siedelt die Differenz von Musik und Malerei, vorausgesetzt man befreit sie vom Zwang zur Repräsentation. Sartre hat das an dem Vorbehalt und dem Widerstand Giacomettis erläutert: „Wie läßt sich Leere malen? Offenbar hat sich niemand vor Giacometti darin versucht. Seit fünfhundert Jahren sind die Bilder zum Bersten voll: das ganze Universum zwängt man in sie hinein. Giacometti beginnt damit, daß er die Welt aus seinen Gemälden verbannt.“14 Auch Klee befreit sich von der Fülle und den Verdeckungen des Bildes. Dadurch, dass er jedem Element seinen eigenen Platz im Bild zuweist, wird das Bild szenisch, die Einheiten beginnen ihren Streit um Einheitlichkeit. Man kann behaupten, Klee ‚malt‘ nicht, er ist eigentlich Szenograf, Choreograf, der den Elementen eine Handlungsregie auf einer kulissenartigen Bildbühne zuweist. Die Figuren sind gestisch und biegen sich unter der Verantwortung ihrer Handlungen, deren Folgen sie nicht übersehen. 13
Vgl. Perdita Rösch: Die Hermeneutik des Boten. Der Engel als Denkfigur bei Paul Klee und Rainer Maria Rilke. München 2009, S.26: „Zum einen ‚be-deutet‘ ein Engel immer schon, allein schon sein Auftreten ist ein Signal: Achtung, hier ist eine Botschaft. Zum anderen ist die Botschaft (Inhalt) nicht von ihrem Medium (Form) zu trennen, traditionellerweise sind die Engel zugleich Bote und Botschaft, ihr Signal ist also eigentlich: Achtung, ich bin (m)eine Botschaft.“ Diese Ambivalenz ist wesentlich für Klees Setzung („Ich bin mein Stil“). Nur aus diesem Widerstreit wird erkennbar, dass die Problematik der Schöpfung nicht aufgrund einer ‚göttlichen Gabe‘, sondern als Problem der immanenten Szenifikation von Bildlichkeit und Körperlichkeit gedacht werden kann. Auf Worringers, Schillers und Klages’ Denkfiguren von Körper und Ausdruck hat in diesem Zusammenhang Régine Bonnefoit hingewiesen: Von der Bedeutung der Schlangen- und Zickzacklinie in Klees Kunsttheorie. Eine Geschichte zweier Kontrahenten. In: Paul Klee. Kein Tag ohne Linie. Herausgegeben vom Zentrum Paul Klee, Bern, mit Tilman Osterwold, Ausstellungskatalog, Bern 2005, S.64ff. Man darf zudem darauf verweisen, dass Sartre ebenfalls ausdrücklich unter dem Motto „nulla dies sine linea“ (Jean-Paul Sartre: Die Wörter. Autobiographische Schriften Bd. 1. Reinbek 1987, S.144) produziert respektive schreibt, und zwar mit eindeutigem Hinweis auf die Opferderivation, Reinigung und Heiligung des Ausflusses, der als unendlicher stets widerständig gehalten werden muss, d.h. durch Arbeit, nicht durch „Talent“ sich zum Produkt verfestigt – zugleich nicht verfestigen darf. So wie der Körper Medium des Widerstands und Membran der Durchlässigkeit ist. 14 Jean-Paul Sartre: Die Gemälde Giacomettis. In: Porträts und Perspektiven, a.a.O., S.282.
I.1. ERFAHRUNG DER SICHTBARKEIT 25
Das eindrucksvollste literarische Zeugnis eines Rücktauschs von Körper und Bild (Handlung und Aussehen) hat Oscar Wilde gemalt. Es ist die verführerische Stimme (Lord Henrys) in Das Bildnis des Dorian Gray, die den Tausch zwischen realer Handlung und ästhetischem Spiel in die Wette eines Bildes setzt und damit den performativen Charakter der Malerei demonstriert. Wildes Darstellung bildet die Folie für die Feststellung, dass alles ästhetisch Tiefe in Wahrheit auf der immanenten Oberfläche stattfinden muss, dass die Masken der Personalisierung die Wirklichkeit der Wahrheit zeigen. Wenn das Symptomatische die Praxis einer sich selbst referierenden Handlung ist, so ist damit der Bezug zu neurodermitischen Komplexionen hergestellt. Die Sklerose ist, ebenso wie das klinisch ausgewiesene, neurodermitische Dorian-GraySyndrom und die häufigere Form der Hautrötung Rosacea,15 als Abwehrmaßnahme wider gelingende Totalverbildlichung (Geist) gedacht. Als Restrettung des Körpers aus dem Geist (Engel) erscheint am Körper das Symptom. Und zwar ist es die Reduktion der Dimensionalität, die als Sicherungsmaßnahme in der Neurodermie greift. Ein Erinnerungsbild, das die Erinnerung selbst thematisiert, ist, etwa im Ausdruck des Errötens, sinnfällig. Im Erröten kontert der vom Blick des anderen verdinglichte Schuldkörper mit seinem Zum-Bild-Werden. „Kunst zu offenbaren und den Künstler zu verbergen ist das Ziel der Kunst“,16 so formuliert Oscar Wilde in der Vorrede zum Dorian Gray die Tendenzen des viktorianischen Ästhetizismus. Im Bildnis des Dorian wird invers der Künstler zum Bild und das Bild zum Künstler. Inversion zeichnet die moderne Künstlerpersönlichkeit aus. Entgegen dem Pathos, mit dem das Bauhaus für die Zwecke des Funktionalismus missbraucht wurde und für die Sünden der Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg herhalten musste,17 hielt wenigstens unter Gropius sich noch der Gedanke einer teamorientierten Kollektivarbeit unter Künstlerpersönlichkeiten. Den Begriff der Persönlichkeit hat Worringer, in Umkehrung des Gebrauchs in Burckhardts Renaissancedarstellung, als integrativ für einen Künstler aufgefasst.18 Persönlichkeit ist bei Klee an Erfahrung gebunden. Erfahrung ist im Gegensatz zur Erinnerung körperbildender Widerstand. Im Sinne seines Da-Seins-Begriffs bei Heidegger heißt es: „Das Wesen des Erscheinens ist die Erfahrung.“19 Es ist jene Erfahrung gemeint, in der die Dinge zum Menschen sprechen, so die Inversionsformel Klees. Damit entfer15
Zur Übersicht psychosomatischer Hauterkrankungen siehe: Wolfgang Harth/Uwe Gieler: Psychosomatische Dermatologie. Heidelberg 2006, S.50ff., S.122ff. und S.118ff. 16 Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. München 2004, S.7. 17 Bazon Brock: Eine schwere Entdeutschung. Wir widerrufen das 20. Jahrhundert. 14. BauhausProgramm heute: Widerruf des 20. Jahrhundert. In: Bazon Brock, III GS 1991-2002, Der Barbar als Kulturheld. Köln 2002, S.880. 18 Worringer, Formprobleme der Gotik, a.a.O., S.297f. 19 Martin Heidegger: Hegels Begriff der Erfahrung. In: Holzwege. Frankfurt am Main 1980, S.177.
26 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
nen sie sich von der Bestimmung, „Werkzeug“ oder „Medium“ zu sein.20 „Erfahrung ist jetzt das Wort des Seins, insofern dieses vom Seienden her als einem solchen vernommen ist.“21 Erfahrungen sind leibhafte Produktivität, da sie an den Bildern und Dingen das Wesentliche ihrer Produziertheit erfassen, d.h. die Immanenz des Begehrens eines Anderen für einen anderen, der niemals in seiner Totalität erscheint.22 Jede gestalthafte Abschließung, das war Klees Einsicht aus seiner Naturlehre, zeugt ihre Andersheit als Phantasma eines ausgeschlossenen Dritten, der ‚die Gesellschaft‘ ist. Das Ausfließen des Körpers zum Ding wird durch das Erscheinen der inneren Stimme in Schach gehalten.
I.2.
VERKÖRPERUNG DES BILDES
Es ist angebracht, sich zunächst ein Bild zu machen, von dem, was als Ab- und Aufschließung an Körper und Ding gemeint ist. Wir folgen dem paradigmatischen Aufsatz über Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, in dem Lacan die mimetische Funktion des Bildes auf die Wahrnehmung des Körpers als defizitäre Ganzheit zurückführt. Die reinste Form des Bildes manifestiert der Spiegel, das Instrument, das sich selbst beinahe vollständig zum Verschwinden bringen kann und damit Erinnern und Vergessen zugleich als Bildgedächtnis(-aufschub) thematisiert. Der Spiegel ist die Kulmination einer Aktualität, in der das frühgeburtliche Menschenkind sich als hier und jetzt einschätzt. Die Isolation des Körpers von den Dingen wird im Spiegel zur Realität verklärt. Im Spiegel erscheint der Körper ganz, aber als Bild. Denn der Körper in seiner Ganzheit und Bedürfnislosigkeit identifiziert sich einerseits mit den Dingen als Ding, um andererseits jenen Widerstand zu erfinden, der ihn aus der narzisstischen Starre seiner Totalisierung befreit und zur raumausgreifenden Körperdezentrierung zwingt. Das Greifen der Kinder in den Spiegel und das Begreifen einer fundamentalen Differenz zwingt dazu, Totalisierung 20
Ebd., S.125. Ebd., S.176. 22 Ebd., S.166f. „Demnach besteht die Grundhaltung des absoluten Erkennens nicht darin, das erscheinende Bewußtsein mit einem Aufwand von Kenntnissen und Argumenten zu überfallen, sondern darin, dieses alles wegzulassen. Durch das Weglassen gelangen wir in das reine Zusehen, das uns das Erscheinen zu Gesicht bringt. Im Zusehen erreichen wir es, ‚die Sache wie sie an und für sich selbst ist, zu betrachten‘. Die Sache aber ist das erscheinende Wissen als das Erscheinende. Die Sachheit der Sache, die Realität des Realen ist das Erscheinen selbst,“ so Heidegger in seiner Hegel-Interpretation. Der Kommentar Heideggers: ist das Weglassen nicht selbst ein Machen, dessen Reinheit überprüft werden muss? 21
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 27
im Phänomen der Selbstdistanzierung aufzulösen. Für den ambivalenten Zustand benutzt Lacan den deutschen Begriff der Gestalt und knüpft damit an eine Tradition der frühen deutschen Psychologen (Wundt, Ehrenfels, Koffka, Köhler, Wertheimer) an. Das Kind, das sich im Spiegel seiner Totalität erkennt, begreift die Distanzsetzung als einen Zusatz, der den Dingen nicht zukommt. Im Bild rettet das Kind einen Spiel-Raum, um nicht mit sich selbst identisch werden zu müssen. Die Bildfunktion ist mit der Wahrnehmungsfunktion nicht identisch, insofern in jener die Vorsicht zum Ausdruck kommt, nicht als Ding unter Dingen aufzugehen. Damit das Kind zu sich selbst ein Bildverhältnis aufbauen kann, muss es diese Distanz, die es von seiner Idealität trennt, akzeptieren und konstruieren. Diese Distanz zu den Dingen wird als Bildlichkeit begriffen, und es ist ersichtlich, dass dieser Bildbegriff nicht an Zweidimensionalität gebunden sein muss. Eher ist hier der von Sartre ins Spiel gebrachte Begriff des ‚Seins-Risses‘ für das Phänomen der Bildlichkeit einzusetzen, denn der Begriff Seins-Riss impliziert eine quasi transzendente Funktion des kosmologisch einheitlichen Raums der Natur, konstituiert sich aber nicht als diese, sondern als eine zweite und erst aufgrund dieses Parallelisierungsaufschubs als Wirklichkeit. Klee macht also die Differenz zwischen Natur und Wirklichkeit sichtbar, indem er sich auf die Realität des Bildes bezieht.23 Die Kunstwissenschaft, spezifischer, die Bildwissenschaft ist auf dem Wege, die Unterscheidung von Visualität und Bildlichkeit nachzuvollziehen, indem sie mit dem Begriff der Verkörperung des Bildes24 die reale Funktion, d.h. im Sinne Lacans, die Funktion der ‚objektiven Subjektivität‘ des Bildwerdens anerkennt. Insofern ist das Distanzproblem zentral für die Kategorie der Kommunikation. Kommunikation ist Arbeit an der Distanz respektive der Inzestabwehr. Bei Klee ist der Begriff 23 Vgl. Gernot Böhme: Theorie des Bildes. München 2004, S.9. „Bilder haben ihre besondere, eine eigentümliche Seinsweise. Es ist nicht die Seinsweise der Dinge. Um davon reden zu können, wird [...] zwischen Realität und Wirklichkeit unterschieden. Realität – das ist das Potential von Dispositionsprädikaten, die im leiblichen Umgang mit Dingen erfahren werden können. Wirklichkeit – das ist die Erscheinung als solche. [...] Die Wirklichkeit des Bildes steht in einer Spannung zu dem, was es als Realität ist.“ 24 Siehe Martina Dobbe: Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte. München 2007, S.62. Dobbe vollzieht diese Erkenntnis bezeichnenderweise an der Fotografie, die ursprünglich dokumentarisch begriffen wird, im Spiegel der Kunst sich von dieser Funktion befreit, von sich selbst distanziert und damit das Spiel zwischen Bild- und Sachebene eröffnet. „Einzigartig scheint vielmehr die Hartnäckigkeit zu sein, mit der [Bernd und Hilla Becher; R.B.] die Fotografie als Medium der Intermedialität thematisiert und dabei zugleich bildnerisch artikuliert, d.h. bildnerisch bewältigt haben – in dem Sinne, in dem Paul Klee davon sprach, daß die Kunst nicht das Sichtbare wiedergibt, sondern selbst sichtbar macht. Wenn heute der Status des Bildes – in der Kunst genauso wie in den Massenmedien – zunehmend in die Diskussion geraten, wenn die Frage, was Bilder konstituiert und was Bildlichkeit jenseits der Abbildlichkeit strukturiert, aktuell geworden ist, so beziehen Bechers in dieser Diskussion eine von den Bildmöglichkeiten der Fotografie überzeugte und überzeugende Position. Ihre Besonderung liegt in der Radikalität, mit der die Fotografie als Medium der Intermedialität noch einmal verkörpert, d.h. als Bild gefasst zur Anschauung gebracht wird.“
28 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
‚Verkörperung des Bildes‘ sowohl im Genitivus subjectivus als auch objectivus zu verstehen. Lacan macht deutlich, dass es, ausgehend von der reinen Spiegelfunktion, vor dem Erscheinen der Sprache und den Verwicklungen mit dem anderen, ein „Ideal-Ich“25 gibt, das sich als „Gestalt“ (der autonome, totalisierte Körper) imaginiert, derart, dass das Sein des Bildes auf immer mit der Rettung der Ich-Bildung verknüpft ist. Die Verschiebung der partialen ‚Triebe‘ auf ein Wahrnehmungsobjekt knüpft an dieses metonymische Objekt die Funktion nach Wiederherstellung einer ursprünglichen, idealen Imago (Namen-des-Vaters an Stelle des Anderen). Zugleich muss das imaginierte Bild als Ausweis absoluter Distanz (Spiegeldinge sind nicht zu greifen), als eine ontologische Andersheit angesehen werden. Die Rettung vor Selbstverdinglichung geht in seiner vollen Distanziertheit in ein ‚Bildgedächtnis‘ über, d.h. sie wahrt die Zwischenstellung zur Realität als Imagination. In der wechselweisen Oszillierung einer phantasmatischen Verkörperung kann sich die Lebendigkeit dieses Vorgangs erhalten. Denn im Spiegel (Tableau) erscheint der andere, der ich bin, zugleich lebendig und tot, was Lacan „Begriff des Todestriebs eine kreationistische Sublimierung“26 Freud’scher Begriffe nennt. Die Identifikation mit dem unverfügbaren, aber wahrnehmbaren anderen lässt im Kind die ganze „kreationistische“ Leistung der Kultur, zugleich Uridentifikation und Uraggression zu sein, reifen. Das Kind begreift sich als unbegreifbar. Auf Biegen und Brechen, so zeigen die frühen Karikaturen Klees, insbesondere die Blätter zum Roman Candide, versuchen die Figuren in den Deformationen des Körpers eine Distanz zu sich selbst zu arrangieren. Eine Verdopplung des Körpers gelingt jetzt nur noch wechselseitig in Körperbild und Bildkörper. Insbesondere ist auf die Brückenfiguration der Körper zu verweisen, der hysterischen Figur des arc-de-cercle,27 in der Klee das Sich-selbst-Produzieren andeutet. Aus der Immanenz dieser Gebärde führt erst die Sprache hinaus, die freilich dem Kind im Alter des Spiegelstadiums noch nicht zur produktiven Verfügung steht. Die Distanz zum eigenen Bild darf nicht statisch sein, sie muss gegen sich selbst arbeiten. Das gelingt in der Malerei, indem der Maler mit dem Pinsel die 25 Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie in der psychoanalytischen
Erfahrung erscheint. (1949). In: Schriften 1. Frankfurt am Main 1975, S.64. 26 Jacques Lacan: Die Ethik der Psychoanalyse. Das Seminar Buch VII (1959-60). Weinheim 1996,
S.257. Imaginationen dienen dazu, das ständige Kommen und Gehen der Mutter als Signifikat – Gesetz des Fehlenden – zu Inkorporieren und darin genau die subjektive Abtrennung von Vater und Mutter zu leisten. Vgl. Jacques Lacan, Die Bildungen des Unbewussten. Das Seminar Buch V. Wien 2006, S.203. Das Bild repräsentiert eine anhaltende anwesende Abwesenheit. 27 Ralf Bohn: Die Erfahrung der Kunst und das Gedächtnis des Zeichens. Skizzen der Ungleichzeitigkeit bei Benjamin und Klee. In: Christoph Weismüller (Hg.): Psychoanalyse und Philosophie. Pathognostica Bd.7, Jb. 2007, Düsseldorf 2008. Hier wird auf die spezielle klinische Separation der Körper-Bildlichkeit der grande hysterie eingegangen.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 29
Leinwand von der Unvermitteltheit der weißen Fläche befreit. Wir begegnen hier dem Argument, das Merleau-Ponty dem Realismus der Fotografie mit einem Zitat Rodins vorwirft: „Es ist der Künstler, der die Wahrheit spricht, und das Foto, welches lügt, denn in der Wirklichkeit steht die Zeit nicht still.“28 Damit sind Einwände für den Realismus des Films gekontert. „Man spürt jetzt vielleicht besser, was alles jenes kleine Wort ‚sehen‘ in sich trägt. Das Sehen ist kein bestimmter Modus des Denkens oder eine Selbstgegenwart; es ist mein Mittel, von mir selbst abwesend zu sein, von innen her der Spaltung des Seins beizuwohnen, durch die allein ich meiner selbst innewerde.“29 Während also im Foto zu viel, im Film zu wenig Distanz herrscht, wahrt die Malerei das rechte Maß – entgegen der Einlassung, Klee hätte doch den Film, mindestens das Theater wählen müssen, um Werden und die Natur als das Werdende angemessen thematisieren zu können. Das Kind begreift in anthropologischer Sicht auch die identifikatorische Tatsache, dass es für den anderen ebenfalls eine Unbegreiflichkeit darstellt, so dass es sich vor dem eigenen Bilde als volle Form, zugleich aber als Mangel einer opaken Einsamkeit empfindet. Das Kind produziert sich für den anderen als Bild, es posiert, es schneidet Grimassen – hütet sich aber, anders als Dorian Gray, mit diesen Grimassen identifiziert zu werden: es spielt sie, es entfaltet sich in einer Szene, um zu sagen – und das zeigt den protosprachlichen Charakter der Szene auch bei Klee: Ich bin nicht mein Bild. Hier bemerkt man schon eine zweite, für Klee wichtige Aufgabe, neben der Sichtbarmachung im inszenierten Bild: die Entzauberung der identifikatorischen Idee eines Ich-Ideals in einem Ur-Bild. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die bildnerischen Techniken das Problem der Idealität bestimmen und zugleich verdecken, indem sie als mediale Form die ewige Dauer der Dinge bannen, um sie im Prozess enthüllender Semantisierung als Mangel zu konstituieren. „Hier figurieren also die zwei Termini Ideal-Ich und Ich-Ideal.“30 Das Bild verkörpert die Einheit des idealen Ichs als ‚Geist‘, zerfällt aber realistischerweise sogleich in seine Dinglichkeit als Verkörperung der Sterblichkeit. Die transzendentale Defizienz wie die Defizienz jeder Transzendentalität ist Ausdruck der konstitutiven Bestimmung der Medialität des Bildes. 28 Merleau-Ponty: Das Auge und der Geist, a.a.O., S.39. Merleau-Ponty zitiert Auguste Rodin: L’art,
entretiens réunis par Paul Gsell. Paris 1931, S.86. Ebd. Im Folgenden bezieht sich Merleau-Ponty explizit, über Grohmanns Arbeit vermittelt, auf Klee und die ambivalente Funktion der idealen Linie/Grenze und der realen Linie/Spur: „Niemals vielleicht vor Klee hatte man ‚eine Linie träumen lassen‘.“ (S.36) „Gegenständlich oder nicht, die Linie ist jedenfalls nicht mehr Nachahmung der Dinge oder selbst Ding. Sie ist eine bestimmte Verrückung des Gleichgewichts auf der Indifferenz des weißen Papiers, eine bestimmte Bohrung im Ansich, eine bestimmte konstitutive Leere. […] Die Linie ist nicht mehr, wie in der klassischen Geometrie, die Erscheinung eines Seins auf der Leere des Hintergrunds; sie ist, wie in den modernen Geometrien, Einschränkung, Absonderung, Modulation einer vorherigen Räumlichkeit.“ (S.38) 30 Jacques Lacan: Freuds technische Schriften. Das Seminar Buch I (1953-54). Weinheim 1990, S.172. 29
30 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Es gibt einen ersten Ausweg aus dem Dilemma der korrespondierenden Totalisierungen. Er besteht darin, das Bild von allem zu befreien, was es (zum Schein) repräsentiert, um es selbst als Idealität der Nichtidealität zu bestimmen. Unbeirrt von seiner Selbststilisierung hält auch der Klee des Bauhauses an der Skepsis gegenüber der Malerei fest und sieht sich als Stifter inszenierter Bildlichkeit, als eine Art Bühnenbildner oder Szenograf, der seine Protagonisten in den Kulissen theatraler Kompositionen einweist und gestisch figuriert.31 Seine Bildfiguren sind der Wirklichkeit näher, aber dem Naturalismus entfremdet – das einzelne Werk ist, im Sinne der Romantik, konstitutives Fragment einer Lebensarbeit. Als fragmentarische Totalität im monadischen Sinne kann Klee sich nun auf seinen Stil („Ich bin mein Stil“) als das Wesentliche der konstitutiven Dialektik von Wahl und Aufhebung des Widerstandes beziehen. Derrida hat gefolgert, dass das von Repräsentation befreite ‚arbiträre Bild‘ natürlicherweise die Schrift(spur) des ursprünglichen Differenten bewahrt. Die Klee’sche Linie, oft als Spur eines Kohlepapierabdrucks hergestellt, sowie die späten Schriftbilder (etwa Alphabet I und II) zeigen diese Nähe zu einer Schrift, die sich noch nicht oder schon wieder zum Bild aufgeschwungen hat, gleichsam im Hieroglyphischen verbleibt. Die Schriftspur ist keine Abstraktion vom Bild, sondern ist als ursprüngliche Linie Ausdruck einer gestischen Bewegung.32 Schrift als das ‚ursprünglichere Bild der Stimme‘, so die These, macht den spezifisch szenisch-choreografischen Aspekt der Kunst Klees aus. Der artifiziellen Synchronie des Theatralischen entspricht die Destruktion des Über-Ichs (des Phantasmas des Ursprungs), in der die Ambivalenz von Selbstdurchstreichung (Masochismus; den Tod töten) und Sadismus (den anderen für das Todestriebdilemma, die Ich-Spaltung verantwortlich machen) für einen Moment schwebend inne hält: „Das Über-Ich, das ist der Imperativ des Genießens – Genieße!“33 Dieser Imperativ des Genießens ist bei Klee durch einen unbedingten Arbeitswillen gebrochen. Genießen ist Ausdruck der Entlastung der Todesabwehr, gleichsam Feier eines diesseitigen Messianismus, in dem die Dinge im Bild als erlöste erscheinen. Wie kaum ein Künstler setzt Klee sich mit den Problemen der industrialisierten Zeichengebung auseinander, die den Menschen die Technik der Todesverdeckung andienen. Dass Organmaschinen nur als gestörte laufen, diese Behauptung, die von 31 Vgl.
Osamu Okuda: Bild als Bühne. Die theatralische Raumgestaltung bei Paul Klee. In: Überall Theater. Katalog zur Ausstellung im Zentrum Paul Klee. Ostfildern 2007, S.247. 32 „Zwischen Zeichnen und Schreiben bestand also in den letzten Jahren ein auffallender Zusammenhang, das eine konnte gleichsam an die Stelle des anderen treten. Charakteristisch für beides war die Fläche des ‚schönen Papiers‘ und darauf eine bedeutungsvolle Ansammlung linearer Zeichen. Noch entscheidender war aber, dass Klee sich bei den meisten Zeichnungen auf einfache, reine lineare Formgebilde beschränkte.“ Jürgen Glaesemer: ‚nulla dies sine linea‘. In: Paul Klee, Kein Tag ohne Linie, a.a.O., S.75. 33 Jacques Lacan: Encore, Das Seminar Buch XX (1973-73). Weinheim 1991, S.9.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 31
Luhmann34 bis Deleuze/Guattari35 unter explizitem Hinweis auf die Bildmaschinen Klees Anwendung findet, nimmt Klee im Zusammenhang mit seiner Technik auf, indem er die akademischen Techniken zuerst lernt und dann verwirft. Klee verweist in seinen Tagebüchern immer wieder auf den Widerstand, den ihm das Malerische gegenüber dem Grafischen bereitet. Die Repräsentation im ‚zum Bersten vollen Bild‘ ist ihm zuwider. Das Zeichen als entzauberter Fetisch erlaubt es Klee, die Fläche zu entfalten, während die Malerei doch eher das verdeckt, was es zu zeigen gilt.
Abb. 1 Bildlichkeit als Widerstand. Todestriebkonzeption und Widerstandsebene nach Freud, Lacan und Worringer
Klee wird das von seiner synästhetischen Fetisch- und Tauschfunktion befreite Zeichen im Bild hoffähig machen. Das vom Zwang, als Träger sinnlicher Übersetzung zu dienen, befreite Bild kann nun die ursprüngliche Funktion der Schriftspur einnehmen. Die Nähe zur barocken Allegorie ist nicht unbeabsichtigt. Die Allegorie entscheidet nicht zwischen Bild, Schrift und Ornament und demonstriert die virtuose Beherrschung von Technik und Techniken. Auch das ‚R‘ in Villa R bekommt vielfältige Konnotationen: als Laut, als Form, als Type, als gelesener Buchstabe. Die Techniken der Allegorie erweitern den szenischen Spielraum von Bildlichkeit. Und 34
Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, a.a.O., S.168.
35 Gilles Deleuze/Félix Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Frankfurt am Main
1979, S.313. Ausgehend von Pathologie gilt „gleiches in den bildenden Künsten: Das von der aktiven Linie und dem mehrdimensionalen Punkt erstellte reine Figurale auf der einen und die mannigfaltigen Konfigurationen auf der anderen Seite, die, durch die passive Linie und die Fläche, die sie erzeugt, gebildet, dazu ausersehen sind, wie bei Paul Klee diese ‚Zwischenwelten, die vielleicht nur für Kinder, Verrückte, Primitive sichtbar sind‘, zur Darstellung zu bringen.“ Deleuze/Guattari beziehen sich auf die von Lyotard angeregte Kritik des Signifikanten in Discours, figures.
32 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
noch weiter: Von dieser Idee ausgehend, lässt sich zeigen, dass die Spur Klees in der Rhythmik der Musik gründet. Die Elemente sind sozusagen konzertant, weil sie aus den defizitären Klangkörpern der Subjekte einen Körper der Gesellschaft hervorbringen. Sind die Figuren im Barock hierarchisiert, sind sie bei Klee komponiert. Schöpfung und Vergesellschaftung – nach diesem Prinzip komponiert Klee Malerei als Symphonie. Wenn die Musik für Klee den Widerstand zurücknimmt, dann deswegen, weil sie die Repräsentation der inneren Stimme ist, und weil sie die immer schon realisierte, in die Wiege gelegte Musikalität der Familie (und seiner Frau) ist. Die Musik leistet im Vergleich zum Bilde nichts für die Verkörperung. Von der Position Freuds aus kann der Todestrieb, als ein die Partialtriebe/ Widerstände zusammenfassendes ‚Triebbild‘ erst thematisiert werden, wenn das Fort-Da der Erscheinung sich an das ‚o‘ und ‚a‘ der Sprache knüpft, das heißt, wenn Bildlichkeit sich zu Gunsten der Sprache wieder durchstreicht.36 Es ist also letztlich die in der bildenden Kunst gegenüber der Musik aufschiebende Arbeit der Individualisierung, die Klees Disposition zur Musik, Grafik, Zeichnung, Malerei als eine Artikulation der Inszenierung von Widerstand, bestimmt. Spannend ist, in den Aussagen Klees zu verfolgen, wie die Widerstandswahl in seinen frühen Jahren immer wieder thematisiert wird, und zwar als Stationen des zu beherrschenden Ensembles der Medien- und Kunsttechniken. Diesem Weg der konkreten Wahl eines Widerstandes soll nachgegangen werden – nicht an je einzelnen Bilddokumenten, sondern an der Formulierung des monadischen Stilwillens Klees. Gehen wir noch einmal zu Lacans Darstellung des Spiegelstadiums zurück. Der Hinweis Lacans auf die „spezifische Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt“37 unterschiebt eine latente Unabgeschlossenheit des Körpers. Die Phantasmatik der Vorzeitigkeit gründet sich auf eine Idealität der Ganzheit des Körpers im Spiegel des anderen. Den Bewegungen eines Seiltänzers gemäß, die zum gestischen Repertoire der Figuren Klees gehören, manifestiert sich der andere in einer membranartigen Durchsichtigkeit, deren Idealität in der Transparenz des Bewusstseins für sich selbst besteht. Die Grenze als Bewusstsein hat die Funktion einer Schutzhülle der Leibraumsphäre, die den Rücksturz zum Ursprung der Selbstidentität (Ich-Ideal, Inzest) wie den Durchmarsch in den Tod der Dinge aufschiebt. Das Bild des anderen – mit allen sadistischen und masochistischen Identifizierungen –, das sich aus den Thesen Lacans ableiten lässt, formuliert eine organisch-anorganische Todestriebambivalenz: Die Natur, das ist das Reale dieser Dynamik, deren Stillstellung niemals gelingt. Realität ist als ereignishafte nur in einem wankenden Spiel erfahr36
Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzips. In: Sigmund Freud: Das Ich und das Es. Frankfurt am Main 1982. 37 Lacan, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, a.a.O., S.66.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 33
bar, dessen dekonstruktive Bewegung Klee an der Körperdarstellung nachvollzieht, wie etwa im Bild Übermut (1939). Ohne Inszenierung dieser Bewegung existiert auch kein Ereignis – es ginge völlig bildlos in der Evidenz der Wirklichkeit auf. Die menschliche Geste ist sozusagen ‚unnatürlich‘.
Abb. 2 ∞ Paul Klee: Übermut, 1939
Der Aufbau der Bilder Klees im Sinne der gleichberechtigten, synchronen Versammlung von Ding und Körper in einem leibhaften Raum vektorieller Beziehungen ist szenisch und allegorisch: im Bild Übermut selbst als Linie des Lebensweges nachvollziehbar. Das Bildliche konstituiert einen szenischen Ort der instrumentalisierten, rhythmisierten Versammlung (im Heidegger’schen Sinne ‚thing‘38). In den Skansionen des Anfangs und des Endes, die in jeder Szene eine wichtige Bedeutung haben, vermittelt Klee das Malerische durch das Grafische und das Grafische durch das Zeichenhafte.39 Das Bild wird gleichsam von der Linie und der ironischen Bildunterschrift gerahmt. Die Lebenslinie als Drahtseil verdeutlicht ein Weiteres: Mitte und Vermittlung wird bei Klee stets in allen Raumdimensionen als Entfaltung von Ort und Topos gedacht. Klee will den geheimen Bauplan des 38
Martin Heidegger: Bauen Wohnen Denken. In: Vorträge und Aufsätze. Stuttgart 2000, S.147. Klee, Über die moderne Kunst. In: Kunst-Lehre, a.a.O., S.72. Der Künstler „tut an der ihm zugewiesenen Stelle beim Stamme doch gar nichts anderes, als aus der Tiefe Kommendes zu sammeln und weiterzuleiten. Weder dienen noch herrschen, nur vermitteln.“
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34 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Werdens mit den artifiziellen, besser gesagt den soziologischen Sachbeziehungen vergleichen, die er auf Seiten des Subjekts wiederfindet: Das Subjekt als selbstbewusste Person, die innerhalb der Gesellschaft ihre monadische Autarkisierung und ihren autonomen Stil findet und eine zweite, selbsttätige Geburt vollzieht – mit allen Problemen der Verschuldung gegenüber der Gesellschaft. Das Problem: ‚Die Gesellschaft‘ ist jetzt die angestrebte Totalität – aber nicht mehr als Bild, sondern als inkorporiertes ‚Gewissen‘, das was ich in der Verantwortung der Gesellschaft produziere. Wir werden an den Analysen Sartres zeigen, wie sich aus diesem Selbstverhältnis die gesamte solitäre Struktur seines Werkes entwickelt. Walter Benjamin ist die Bedeutung der Frage nach dem Organischen und dem Anorganischen bei Klee nicht entgangen. Er gliedert sie in den analytischen Prozess der modernen Kunst ein: Und dieses Vonvornbeginnen hatten die Künstler im Auge, als sie sich an die Mathematiker hielten und die Welt wie die Kubisten aus stereometrischen Formen aufbauten, oder als sie wie Klee sich an Ingenieure anlehnten. Denn Klees Figuren sind gleichsam auf dem Reißbrett entworfen und gehorchen, wie ein gutes Auto auch in der Karosserie vor allem der Notwendigkeit des Motors, so im Ausdruck ihrer Mienen vor allem dem Innern. Dem Innern mehr als der Innerlichkeit: das macht sie barbarisch.40
Bildwerdung ist zunächst und besonders bei Klee synthetisierendes Medium und experimentelle Analyse – je orientiert am Widerstand gegen anorganische Abschließung. Z.B. zeichnet Klee seine Spuren oftmals durch Blaupausen, um ihnen etwas Technisches zu verleihen – als Sichtbarkeit der Produktionsspuren. Sichtbarkeit zu produzieren, meint einen Seiltanz zu bestehen, der umso länger gelingt, wie das gemalte Bild zu Gunsten der reduzierten Zeichnung zurückgenommen wird und die unendliche, inversive Linie die Formabschließung in der Schwebe hält, so als schwebe der Betrachter in der Vorstellung einer Explosionszeichnung, halte sich gleichsam im Experimentalraum der Wissenschaft, nicht aber im Realisierungsraum der Technik auf. Man sieht bei Klee unzählige Darstellungen von Körpern, die zwischen zwei Medien (Bild-, Spiegel-, Wasseroberfläche) treiben, zerstückelt werden und sich auflösen. Lacan erinnert an die konvulsivischen Figuren Boschs: Dieser zerstückelte Körper […] zeigt sich regelmäßig in den Träumen, wenn die fortschreitende Analyse auf eine bestimmte Ebene aggressiver Desintegration des Individuums stößt. Er erscheint dann in der Form losgelöster Glieder und exoskopisch dargestellter, geflügelter und bewaffneter Organe, die jene inneren Verfolgungen aufnehmen, die der Visionär Hieronymus 40 Walter Benjamin: Metaphysisch-geschichtsphilosophische Studien. GS Bd. II. Frankfurt am Main
1980, S.215f. Wobei daran zu erinnern ist, dass Benjamin zwischen positiver und negativer Barbarei unterscheidet. Siehe Ralf Bohn: Die Erfahrung der Kunst und das Gedächtnis des Zeichens. Skizzen der Ungleichzeitigkeit bei Benjamin und Klee. In: Christoph Weismüller (Hg.): Psychoanalyse und Philosophie. Pathognostica Bd.7, Jb. 2007. Düsseldorf 2008.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 35
Bosch in seiner Malerei für immer festgehalten hat […] Aber diese Form erweist sich als greifbar im Organischen selbst, an den Bruchlinien nämlich, welche die fantasmatische Anatomie umreißen und die offenbar werden in Spaltungs- und Krampfsymptomen.41
In diesen Partial-Figuren vollzieht sich das Schicksal der orphischen Totalisierung eines reinen, intrauterinen Geistes – weshalb Eurydike ja eine Wassernymphe ist. Spiegel, Leinwand und Bild sind sphärische Transitmittel von der Realität der Teilbarkeit der Dinge (Einheiten) zur Unteilbarkeit der Existenz: „der Musik wegen: weg vom Sehen, der Spiegeloberfläche des Wassers, ab zu den Müttern, der frühesten Frühe unerinnerbarer gesichtsloser Sinnlichkeit: Wasser selbst als Transit zum Gehör.“42 Wie im Bild Zweierlei Augenmass (um 1938) präzisiert Klee den nach vorne und rückwärts und den in sich reflektierenden Blick mit den typischen, asymmetrischen Augendarstellungen.
Abb. 3 ∞ Paul Klee: (Ohne Titel) Zweierlei Augenmass, um 1938
In den Zeichnungen Klees findet man das ganze Motivprogramm experimenteller Selbstauflösung und Körperaufhebung: angefangen bei der Radierung Der Held mit dem Flügel von 1905, bis zu den Serien der Engel- oder Schwellenfiguren (Zyklus Weiland und Noch nicht). Sieht man nicht in diesem von Lacan formulierten Definitionsversuch des Begehrens am Bild auch den Genuss, den es Klee bereitet, 41
Lacan, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, a.a.O., S.67. Rudolf Heinz: Klang-Kallistik. Notizen zu Orpheus und der Schönheit von Musik. In: Ders., Pathognostische Studien II. Essen 1987, S.175. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang auch an das Motiv des Fisches bei Klee, das für die ungeteilte mediale Heimat (Wasser) einsteht.
42
36 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
eine Inversion der Wahrnehmungsidentifikation mit der Triebidentifikation einzuleiten, die weniger sexuell als existentiell ist, um jene Bewegung zwischen dem Sein und Nichts zu kontinuieren und zu balancieren, die Lacan 1949, spöttisch an die Adresse Sartres, als Erfindung einer „existentiellen Psychoanalyse“43 belächelt? Sartre kontert diesen Angriff mit der Behauptung, dass die Dinge eben nicht nur Dinge, sondern menschliches Begehren repräsentieren, das sich in der Ding-Bildlichkeit hält. Eine Psychoanalyse der Sachen widmet sich dem szenisch organisierten Widerstand als Versuch der Selbstanschauung des Körpers am anderen. Und genau damit wird der Übergang vom solipsistischen Geist-Gespenst zum gesellschaftlichen Körper relevant. Die Realisierung des Aufschubs der gesellschaftlichen Phantasmatik der Körperprothetik ist als „utopische[r] Gegenentwurf zur schlechten Realität“44 im Bilderkorpus von Klee manifestiert. ‚Perfektion in der Nichtvollendung‘, ist das Motto der Klee’schen Stilistik, die über Jahrzehnte die unterschiedlichsten Experimente auf sich vereinigt und eine Technik der Derealisierung kultiviert. Bei Klee laufen Realität und Wirklichkeit als Möglichkeitspositionen parallel und spinnen unter dem Seiltänzer ein sicherndes Netz. Klee lebt zwischen den Bildern. Er verkörpert mit seiner Mehrfachbegabung das transdisziplinäre Orchester im Subjekt, wollte damit rechnen, dass seine Bilder als Allegorien der menschlichen Beziehungen gelesen werden. Gegen das Ideal des Künstler-Genies und seines Geistes setzt er den Restwiderstand der Ironie und den Humor, exakt verzeichnet im Bild zur Gruppe geschlungen (1930). Gegen die drohende Totalisierung des Kollektivs setzt er die barbarische Rückständigkeit des Körpers. Es ist somit unabdingbar, die Personalisierung Klees als eine Vermittlung der Einheit der Körper darzustellen, und zwar unter Bezugnahme auf das, was historisch zwischen Kaiserreich und Nazismus sich ereignet. Der Vater ist ganz Geist, ganz Idee, eben ganz Gedanke. Seine Bewegung kann mathematisch gerade sein, unbeeinflusst von Hindernissen, reibungslos weil körperlos, ungehemmt an Länge endlich oder unendlich. Diese Fähigkeit des Menschen geistig irdisches und überirdisches beliebig zu durchmessen im Gegensatz zu seiner physischen Ohnmacht ist die menschliche Urtragik. Die Tragik der Geistigkeit.
Bild ist Grenzfläche dieses Ausdrucks, wie die Haut in ihrer Involution die Grenzfläche des Körpers. In den Beiträge(n) zur bildnerischen Formenlehre heißt es 1921 weiter: Die Folge dieser gleichzeitigen Ohnmacht des Körpers und der gleichzeitigen geistigen Beweglichkeit ist die Zwiespältigkeit des menschlichen Seins. Halb Gefangener halb Beflügelter kommt jedem der beiden Teile durch die Wahrnehmung seines Partners die Tragik seiner Halbheit zum Bewusstsein. […] Also am Anfang liegt die Tragik schon.45 43
Lacan, Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, a.a.O., S.69. Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.877. 45 Paul Klee, Beiträge zur bildnerischen Formlehre. In: Kunst-Lehre, a.a.O., S.235. Glaesemer hat darauf hingewiesen, dass in den späten Bauhaus-Jahren Klee sich angesichts seines ‚gehobenen‘ Lebensstils 44
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 37
Abb. 4 ∞ Paul Klee: zur Gruppe geschlungen, 1930
Der Klee unterschobene Modernismus hat neben dem archaischen noch einen postmodernen Affekt, er besteht darin, sich der Welt „natürliche[r] Zeichen“46 zu erinnern, indem die artifizielle Kontextualität der Zeichen gesprengt wird. Tatsächlich sind die versprengten Zahlen, Buchstaben, Interpunktionen und Körperteile, Allegorien des menschlichen Körpers, der selbst eine vergesellschaftete Organisation, eine Versammlung von Instrumenten darstellt. Sie deuten auf die Ent- und Verkörperung des Denkens in der Bewegung der Zeichnung. Benjamin hat Recht, wenn er an den Techniken Klees deren exakte Kunstfertigkeit lobt, und sie ihrerseits mit dem Gleichnis der mathematischen Exaktheit der Ingenieurs- und Designkonstruktion belegt. Klee beharrt auf dem Unterschied zwischen Malerei, die Wirklichkeit ‚verdeckt‘, und der Zeichnung, die als „Teiloperation“ diese Verdeckung entbirgt – indem sie gleichzeitig verschiedene Rissansichten ermöglicht: „Ich bin auch Zeichner“,47 sagt Klee – das meint: Ich bin elementarer Konstrukteur der szenische, Konstellationen, Szenograf.
durchaus der Konflikt zwischen „bürgerlicher Existenz“ und „freiem Künstlertum“ bemerkbar machte. Jürgen Glaesemer: Paul Klee, Handzeichnungen II, 1921-1936. Bern 1984, S.157. Insbesondere die Forderung nach einem eigenen Haus, als Bedingung für einen Umzug nach Düsseldorf, zeigt, unter welchen Umständen Klee sich seine Arbeit alimentieren lassen wollte. 46 Rainer Crone: Paul Klee und die Natur des Zeichens. In: Paul Klee und Edward Ruscha. Projekt der Moderne. Sprache und Bild. Hg. Petrus Graf Schaesberg, Regensburg 1998, S.40. 47 Paul Klee, Über die moderne Kunst. In: Kunst-Lehre, a.a.O., S.84. Wenn auf Klee als Zeichner und seine inverse Linie Bezug genommen wird, dann gilt das vor allem für den Klee des mittleren Stils, der sich ab 1912/13 herauskristallisiert, sowie für den Spätstil ab 1936.
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Kommen wir auf die Ökonomie zwischen der organischen und der anorganischen Welt zu sprechen. Die Ökonomie „ist in der Begrenzung der Lust oder der Unlust“48 begründet, die sich in der Dualität des Anorganischen und des Organischen verankert. Aufklärungsarbeit meint bei Klee: Bannung der ambivalenten Triebbewegung an einem Mittleren: der Leinwand. Die Leinwand trennt die verführerische Angst der Fusion von Realität und Imagination als eine Art Schirm, wie die Haut einen Schirm und Schutz der Organe darstellt. Wenn das Leben „sich nicht begrenzt, ganz und gar nicht, begrenzt es sich absolut: absolute Entladung, Entbandung, Nichtsein oder Tod.“49 Neben der anorganischen Begrenzung hat die Leinwand aber auch eine zweite Funktion: sie eröffnet einen szenischen Raum, der dem In-sich-Widerstand der Ökonomie (Todestrieb) einen Spielraum verschafft. Und drittens ist die weiße Fläche der Ort, an dem die Barbarei schon stattgefunden hat, was in ihr die ganze Vorgeschichte der Produktion gefährlich verdichtet und gerade in ihrer Bereinigung das evoziert, von dem sie zu reinigen gedenkt: die Opfersubstanz des Körpers.
Abb. 5 Todestriebkonzeption nach Klee im Sinne der monadischen Lemniskate
Zur Medialisierung der „Darstellung, die neben dem topischen und dem dynamischen Moment noch dies ökonomische zu würdigen versuch[t]“,50 liefert Freud, wie bekannt, die Relation von organischem versus anorganischem Zustand, mit 48
Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits. 2. Lieferung. Berlin 1987, S.170. Ebd., S.171. 50 Freud, Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S.121. 49
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 39
Hinweis auf eine von Fechner entliehene „Tendenz zur Stabilität“, deren Ausdruck in der Verschiebung des „Selbsterhaltungstriebes“ auf das „Realitätsprinzip“51 liegt. Diese Verschiebung, der zugleich der Drang einer externalen, organischen Abschließungstendenz innewohnt, realisiert die generativen Geheimnisse des Körpers (das Geburtsphantasma) in der Produktion von Dingen und den kulturell distanzierten Sachbeziehungen. Um an dieser Abschließung, also dem zum Tode gerichteten Anteil des ‚Triebes‘ nicht schuldig zu werden, muss die potentielle Erstarrung der Dinge in einer irgendwie gearteten Maschinität/Organität, einem Vorbehalt der Abschließung ökonomisiert werden. Das heißt, die Aspekte des Ein- und Austrags in die Dinge müssen in ihnen selbst (als Gebrauchswert in Techniken – Fetischwert im Warendesign) kenntlich gemacht werden. Die Kenntlichkeit erfolgt entweder über die kombinatorische Konstellation der Dinge zu Maschinen, ihren Anschluss an die organischen Energien, oder in Zeichenschnittstellen: in der diskursiven Kette der sprachlichen Struktur schließen Zeichen sich nicht ab, sie verweigern den ersten/singularen Signifikanten und fusionieren mit den Maschinen in den Designfunktionen. Die szenische Rettung, also Rückbindung toter Dinge an den Körper, geschieht im Spiel als protomediale, dysfunktionale Parodie, ist aber eine Art asymmetrischer Selbstaufzehrung, wie sie etwa in Voltaires Candide beschrieben wird – Gesellschaft, die sich permanent selbst ausbeutend erhält. Klee drückt die Ökonomie der Todestriebkomponenten unmissverständlich in einem Vorbehalt gegen die Abschließung der Linie in eine Form, der Form in eine Gestalt und der Gestalt in einem Gemälde aus, ist also zunächst protomedial selbst durch Verschiebung motiviert. Form ist also nirgends und niemals als Erledigung, als Resultat, als Ende zu betrachten, sondern als Genesis, als Werden, als Wesen. Form als Erscheinung aber ist ein böses, gefährliches Gespenst. Gut ist Form als Bewegung, als Tun, gut ist die tätige Form. Schlecht ist Form als Ruhe, als Ende, schlecht ist erlittene, geleistete Form. Gut ist Formung. Schlecht ist Form; Form ist Ende, ist Tod. Formung ist Bewegung, ist Tat. Formung ist Leben.52
Der kunstwissenschaftliche Begründungszusammenhang zwischen der späteren Freud’schen Markierung des Todestriebs und der hier thematisierten Überarbeitung knüpft, wie bereits bemerkt, an Überlegungen Wilhelm Worringers aus dem Jahre 1908 an, die Klee gut bekannt waren. Worringer hat in einer wirkungsmächtigen Dissertation die Begriffe ‚anorganisch – organisch‘ mit dem Kunstwollen und dem Kunstkönnen in Verbindung gebracht. In der ‚abstrakten‘, nicht aber in der primitiven Kunst übersteigt die technische Fähigkeit des Künstlers (Können) hinsichtlich eines Naturalismus (Idealismus) in der Darstellung dasjenige, was er in bestimmter stilistischer Hinsicht darstellen will. Die Abstraktion, wie sie von Kandinsky zum 51 52
Ebd., S.123. Paul Klee: Unendliche Naturgeschichte. Form und Gestaltungslehre Bd. II. Basel 1970, S.269.
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Beispiel auch als mediale ‚Konkretion‘ bezeichnet wird, ist demnach eine bewusste Reduktion eines idealen Naturalismus, eine Stilisierung. Stil ist ein Beleg für die Markierung des Möglichkeitsbereichs zwischen dem Können und dem Wollen, markiert also eine Realität unter Vorbehalt und wirkt so szenisch. Als Beleg führt Worringer die ‚abstrakte‘ Frontalität der ägyptischen Hofkunst und den meisterhaften Naturalismus der Volkskunst (etwa das Motiv des Schreibers) an. In der gleichen Epoche trifft man unterschiedliche Darstellungen von Organität, die, so Worringers These, eine historische Datierung von Kunst als progredienter Technik zweifelhaft werden lässt. Kunst behauptet sich gegen den Realisierungszwang der Technik, wider den Idealismus von Wissenschaft. Kunst und Technik treiben auseinander, sind aber Bestandteil des gleichen Produktionsbegehrens, also der Körperablösung. Als Beleg genügt der Hinweis auf die akademischen Fertigkeiten, die der frühe Klee in der anatomischen Zeichnung (Kunstkönnen) beweist, und die kindlichen Figurendarstellungen etwa in den dreißiger Jahren (Kunstwollen). Wenn also die anatomische Darstellungsfähigkeit zur Grundlage eines stilistischen Wollens, einer Beschränkung der Techniken des Wiederholungszwanges wird, dann trifft dieser Sachverhalt exakt die Momente, die Freud für die Theorie des Todestriebes veranschlagt: den Vorbehalt gegenüber der ästhetischen Realisierbarkeit technischer Einfühlung in die Dinge, für die der Begriff des anatomisch zerstückelten Körpers steht. Salopp gesagt, den Tod will man den Dingen gerne abtreten – aber nicht um den Preis der Partialisierung. Deswegen muss die Konsumation über die mediale Kontinuität der Ware rückvermittelt werden. Die Probleme werden dann unüberschaubar, wenn industrielle Produktion auf Handwerkskunst trifft und zwischen Bildern und Dingen nicht mehr unterschieden werden kann. Denn in gewissem Sinne löst sich das Kunstwerk nicht vom Künstler und hält deswegen einen anderen medialen Zustand als das industrielle Produkt, das in seinem Warencharakter immer schon bildhaft ästhetisiert ist. Worringer sieht die „psychischen Voraussetzungen des Abstraktionsdranges […] im Weltgefühl jener [sich im Können zurücknehmender; R.B.] Völker, in ihrem psychischen Verhalten dem Kosmos gegenüber“.53 Der Abstraktionsdrang, also der Vorbehalt gegenüber identifizierenden, einfühlend-mimetischen Möglichkeiten, wird als Folge einer „großen inneren Beunruhigung“ angesehen, „mit einer stark transzendentalen Färbung aller Vorstellungen. Diesen Zustand möchten wir eine ungeheure geistige Raumscheu nennen.“54 Das Abstrakte erfährt als kristallinisch Reines, Distanziertes gegenüber dem amorphen Naturalen eine Bevorzugung. Es schafft sich die Szenerie als Leere des Raumes.55 53
Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Amsterdam 1996 (1908), S.49. 54 Ebd., S.49. 55 Ebd., S.37.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 41
Von besonderer Bedeutung in der Darstellung des leeren Raumes sind Linienund Flächendarstellungen (auch Ornamentik), die die subjektiven Anteile der Wahrnehmung minimieren. Noch im Biedermeier zeugt die Unmöglichkeit einer weißen Wand die Furcht vor dem Ausfließen in die Leere. Worringer geht so weit, zu behaupten, dass der Abstraktionsdrang „am Anfang jeder Kunst [steht]“56 und von einigen Völkern nicht überwunden wird. Wenn er, wie in der Gotik, mit dem Naturalismus sich verbindet, kommt es zu einem mathematischen Kunststil, wie die Kathedralbaukunst vielfach beweist, indem sie das Maß ihrer Freiheit vom Zwang ‚idealistisch‘ zu sein, am Charakter des Aufstrebenden und Diaphanen bemisst. In ihr mischen sich, das ist auch für die frühe, angeblich vorgeschobene Intention des Bauhauses von Bedeutung, über die Templer vermittelt okzitanische Unruhe und orientalische Mathematik57 in einer Raum konstituierenden, zugleich aber transzendierten Raumabschließung. Dieses Spiel zwischen technischem Können und theologischem Wollen treibt die Kathedralkunst an die Grenze der reinen Medialität. Die Kathedrale wird ganz lichtdurchflutete Hülle und mehr noch, Resonanzraum der göttlichen Stimme, Sterblichkeitsabwehr durch Entdinglichung, Körpermembran. Wir begegnen hier einer Kunst, die unmittelbar vom anorganischen in den organischen Zustand übergeht. Diese biographische Situation finden wir bei Klee: eine umfassende, auch akademische Ausbildung, die zu einem äußerst sensiblen, reduzierten persönlichen, aber gleichwohl raffinierten wie ‚primitiv-abstrakten‘ ‚gotischen‘ Stil führt. Gerade die technische Raffinesse, auch in Bezug auf Dramaturgie und Bildaufbau, gepaart mit einer kindlichen Naivität, macht die stilistische Eigenheit Klees aus. Der Zauber der Abstraktion und der Ornamentik dient letztlich dem Distanzgewinn gegenüber dem ‚einfühlenden‘ Wiederholungszwang und der Abwehr des todestrieblichen Identitätszwangs, das heißt eines konsumtiv-genießenden Prinzips reproduktiver Kunst. Zugleich jedoch muss die Distanzierung selbst maßvoll sein, sie muss sich am Objekt, dem Körper, halten – so Klee gegen Kandinsky. Lacan hat die Stabilisierung von Lust (Produktion) und Genuss (Konsumation) in ihrer vergesellschafteten Rhythmik betont. Worringer konkretisiert für die Phase des Genusses folgende Formel: „Ästhetischer Genuß ist objektivierter Selbstgenuß. Ästhetisch genießen heißt, mich selbst in einem von mir verschiedenen sinnlichen Gegenstand genießen, mich in ihn einzufühlen.“58 Worringers psychologischer Fundierung der Kunst gelingt sieben Jahre vor Freuds Jenseits des Lustprinzips die Darstellung eines Prinzips der Steuerung von Lust und Genuss. Die Agoraphobie wird von Worringer explizit als Überbleibsel der Angst vor dem Raum respektive der Reinheit des Spiegels und dem Überschuss 56 Worringer,
Abstraktion und Einfühlung, a.a.O., S.49. Ebd., S.54. 58 Worringer, Abstraktion und Einfühlung, a.a.O., S.47f. 57
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des Könnens thematisiert.59 Die Agoraphobie beschreibt den Vorbehalt vor der instabilen Mittelstellung zwischen Wollen und Können, dem Organischen und dem Anorganischen, und vor allem den Sog der Präsenz in den endlosen Raum der Dramatik der Sachbeziehungen, die Gefahr des Ausfließens der Einbildungskraft in diesen Raum und die Skepsis gegenüber einem Medium/Widerstand der Rückvermittlung. Dieser Hinweis auf eine Neurose betrifft das körperliche Aussagesystem: widerstandsloses Ausfließen in der industriell-abstrakten Produktion bedarf gerade einer ‚dicken Haut‘, d.h. aggressiver Medieninterventionen. In der Interpretation der Phobie durch Worringer schwingt freilich eine historische Bestimmung mit, die doch eigentlich eine epochale sein sollte. Dies ist der auffälligste Unterschied zwischen der Freud’schen, subjekttheoretischen Darstellung und der kunstwissenschaftlichen Worringers. Aber auch die subjekttheoretische Darstellung Freuds kann nun nicht mehr umhin, sich als Phänomen medienkalibrierender Raumorganisation identifizieren zu lassen. Die Phobie entlarvt die zynischen Betrugsmanöver der medialen Distanzkoordinierung – und nicht nur dieser; sind doch die Gleichgewichtsorgane die zentralen Sinne der phobischen Induzierung. Es ist fatal, wenn der Cartesianismus Entfernung plötzlich genau verortet. Welche revolutionäre Position das Bauhaus demgegenüber hatte, zeigt sich in der Fähigkeit, eine weiße, ungegliederte Wand auszuhalten, ohne sofort mit ornamentalen Einschreibungen zu beginnen. Was diese Leere hält, wird gerade am Bauhaus deutlich: eine virtuose Beherrschung unterschiedlichster Techniken und neuer Materialien. Um es abschließend zu sagen: Der Trieb hat keine Richtung, insofern auch keinen Ursprung. Wenn es ihn als Kategorie gibt, dann nur im aufbrechenden Riss einer Mitte in der er sich antagonistisch als Sinn stabilisiert. So ist der Todestrieb keinesfalls ein Trieb hin zum Tode, sondern der sich im Dasein manifestierende Widerstand seiner selbst vor dem Horizont des bloßen Seins. Das Subjekt durchkreuzt seine technischen Möglichkeiten im Vorbehalt seines künstlerischen Ausdruckswillens. Der Kunst Klees eignet dabei etwas Kritisches und bewusst Primitives, um nicht zu sagen, der Luxus eines rückständigen Genießens. Aber gerade dadurch steht sie nicht außerhalb der Gesellschaft. Sie stellt, wie die Phobie und neurotische Erkrankungen im Allgemeinen, eine Aufklärungsform wider die Aufklärung dar. Gegen das Votum des Primitiven gilt es bei Klee nachzuweisen, dass dieses kritische Bewusstsein sich von der skizzierten Zeichnung bis in das Drama der sklerodermitischen Erkrankung hinzieht, und zwar als Entzugsform der Freiheit, Binnenfaschismus von Pathologie. 59
Ebd., S.49. Vgl. dazu Freud: Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S.139: „Ich gestatte mir an dieser Stelle ein Thema flüchtig zu berühren, welches die gründlichste Behandlung verdienen würde. Der Kantsche Satz, dass Zeit und Raum notwendige Formen des Denkens sind, kann heute infolge gewisser psychoanalytischer Erkenntnisse einer Diskussion unterzogen werden.“ Diese Diskussion ist anhand der Metapher der Elektrizität durchgeführt worden, in: Ralf Bohn: Technikträume und Traumtechniken. Die Kultur der Übertragung und die Konjunktur des elektrischen Mediums, München 2004.
I. 2. VERKÖRPERUNG DES BILDES 43
Die Lemniskate (liegende Acht – ‚∞‘) der Bewegung der Triebinversion ist das Insignum der Linie Klees; wie überhaupt die Linie nun zum zentralen Thema der Stilistik der Malerei in der Moderne (und Postmoderne) wird. Linie bezeichnet Bewegung wie Distanz zwischen zwei Punkten. Worringer hat das, zeitgleich mit Klee, erkannt: „Also mutet jede Linie mir schon jene innere Bewegung zu, die die beiden Momente in sich schließt: die Ausweitung und Begrenzung. Außerdem stellt jede Linie vermöge ihrer Richtung und Form noch allerlei spezielle Zumutungen an mich.“60
Abb. 6 ∞ Paul Klee: II Das Ziel, mein Ziel!, 1918
Klee versteht diese ethische Position als die eigentlich künstlerische aber auch symptomatische, denn sie bedeutet eine Steigerung des Widerstandes und eine Depotenzierung allein reproduktiver Raffinesse. Das Zeichnen als psychologische Konkretisierung eines physischen Produkts (der Linie) sichert den Einspruch gegenüber der Illusionskraft der Malerei und bannt deren konsumtive Verführungskraft. Dieser Einspruch ist dem Faschismus diametral entgegengesetzt, der sich ganz auf die forcierte Ästhetisierung der Politik verlegt. Genau hier scheinen Affinitäten zur Klee’schen Krankheit zu liegen. Denn der Faschismus versucht, die Körper 60 Ebd., S.38. Vgl. auch die Darstellung der medialen Linie für die Malerei der Postmoderne in: Martina
Dobbe: Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes. Exemplarische Untersuchungen zur Medienästhetik der Malerei im Anschluss an Positionen von Nicolas Poussin und Cy Twombly. München 1999, S.260ff. Dobbe geht wie Worringer von der Einfühlungstheorie Lipps’ aus und untersucht in diesem Zusammenhang den Begriff des Abstrakten bei Kandinsky.
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zusammenzuschweißen und eine monströse Volksmaschine zu schaffen, die nicht im sinnendifferentiell-organischen, sondern in gesellschaftlich-medientechnischer Forcierung agiert: Der Einzelne in der Masse wird zum ‚industriellen‘ Zeichen, das von seiner Zeichenhaftigkeit kein Bewusstsein erlangt.61 Klee dagegen versucht, die psychischen Kräfte, denen immer etwas Maschinenhaftes, Marionettenhaftes anhaftet, zu dissoziieren. Von wesentlicher Bedeutung sind dabei die Dehnbarkeit und die Beweglichkeit der Haut bzw. die Ausdrucksfähigkeit der Körperteile. Das ist weniger im Sinne einer Organprojektionstheorie62 als im Sinne Leibniz’scher Monadologie gedacht, in der das Außen und das Innen zwei Faltungen einer unendlichen Fläche darstellen. Auch hier steht die Figur des Möbiusbandes als Ornament des Unendlichen Pate: sogar als Körperfigur hat Klee sie 1918 einmal realisiert. Der Titel dieser Arbeit II Das Ziel, mein Ziel! (1918) verweist auf das Eindringen des Gesellschaftlichen in die Individualität – mit obligatorischem Abschluss, dem Ausrufezeichen, das sowohl finalisiert als auch zur Handlung aufruft. Die Schuld der Todesantizipation als Organabschließung muss unter allen Umständen – die im Übrigen die Umstände der Kunst der Moderne sind – vermieden werden. Das Bild wird mehrdeutig, poetisch und fiktional. Einzig die (poetische) Fiktion ist der Ort der Wirklichkeit, nicht die nackte Realität, darin kommen Heidegger und Freud überein. „Die Fiktion manifestiert die Wahrheit: die Manifestation, die sich veranschaulicht, indem sie sich entzieht.“63 Der Entzug der Realität in den fiktional-poetischen Motiven Klees ist oft mit dem Hinweis auf eine Traum- oder Kinderwelt charakterisiert worden. Aber man wird der Sonderstellung Klees innerhalb der modernen Kunstgeschichte nicht gerecht, bzw. verbleibt kunstwissenschaftlich immanent, wenn man nicht die ungeheure Dynamik des in der Krankheit entstandenen Spätwerks ab 1937 zur Aufklärung einer unhaltbaren Opferlosigkeit in Beziehung setzt, in der die Sklerose die Schuld eines strukturellen Faschismus als Gewalt unvermittelter Abschließung/Totalisierung an sich selbst demonstriert: Die Sklerose ist eine Aussage der auf Organhaut (‚Design‘) bezogenen Organabschließung, Faschistisierung des Körpers – wider dessen sadistische Konsequenz am anderen als Masochismus. Aller Widerstand gegen eine personalisierte Untersuchung des Stils würde letztlich auf Akzeptanz der Zufälligkeit von Faschismus, Werk und Krankheit hinaus61
Einschlägig für diese Argumentation ist Siegfried Kracauers Auseinandersetzung mit dem Faschistischen, aber auch dem Massenornament der amerikanischen Revuen. Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt am Main 1977. Kracauer spricht von einer „Ambivalenz des Abstrakten“ (S.59). 62 Die Organprojektionstheorie entwirft Ernst Kapp unter dem Einfluss der Hegel’schen Philosophie und eines längeren Amerika-Aufenthaltes, vgl. Ernst Kapp: Grundlinien der Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Düsseldorf 1978 (Nachdruck der 1. Aufl., Braunschweig 1877). 63 Derrida, Die Postkarte, a.a.O., S.247.
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laufen bzw. sich in einer endlos zirkularen Schuldverschiebung verstricken, deren Verdrängungsreservoir der historische Nationalsozialismus sein soll („Die Nazis sind schuld, dass ...“). Als Möglichkeit bliebe die transzendierende Berufung auf ‚Genie‘. Hier wäre aber nur wieder einem fetischisierten Kraft- oder Geistbegriff Vorschub geleistet. Was sich im löchrig inversen Hautorgan zeigt, ist die Erklärung für eine Innen-Außen-Verschränkung, „eine doppelte Oberfläche“,64 deren Doppelung bei narzisstischen Störungen sich zu schließen droht. Deswegen hat Klee ständig die Gefahr vor Augen, die Leinwand durch den Akt des Malens zu verdecken – Malerei als Maske, die Wirklichkeit verdeckt.65 Gegen diesen Schuldkollaps setzt er die Zeichenkunst. Denn wenn die Löcher der Bild-/Organhaut einmal geschlossen sind, droht das Bild „eine vollkommen perfekte Maschine“66 zu werden.
I.3.
OPFER UND WERK. ZUM KÖRPER-BILD-INZEST
Was Max Weber für den pietistischen Ruf als Berufung und Beruf67 ausgemacht hat, ist einem Vertrag mit Gott verpflichtet, erfüllt sich in der Ökonomie von Gabe und Opfer, speist sich aus der Differenz von Ruf und Blick. Im Unterschied zwischen dem, was sich gibt und nicht gibt, was ruft und sich zeigt, lociert sich die Malerei der Moderne: sie lebt vom Körperdurchgang, nicht vom Abgeschiedenen des Dinges. Freud sprach in diesem Zusammenhang von einer Trauerarbeit, die Abschied nimmt, ohne im Angesicht des Mangels zu vergessen. Vielleicht ist es besser, hier Macht durch Gabe des Bildes zu übersetzen, nicht zu verwechseln mit Wiedergabe. Im Gegensatz zur visuellen Information ist die Aufgabe des Bildes nicht, seinen Gegenstand genau und getreu wiederzugeben, sondern zu sehen geben, das heißt zu geben, was es nicht hat, wobei dieses Nicht-Haben gerade nicht wieder als Formel von Trug und Täuschung zu lesen ist: Es kommt gerade auf die Vermeidung des Habens, des Festhaltens und Innehabens beim Bild an, damit man sieht.68 64
Didier Anzieu: Das Haut-Ich. Frankfurt am Main 1991, S.163. „Die beiden Oberflächen des Haut-Ichs sind zu einer einzigen vereinigt, und diese ist verdreht wie der Ring, den der Mathematiker Möbius beschrieben hat und mit dem Lacan als erster das Ich verglichen hat.“ (S.164) 65 So der zentrale Aspekt der Perspektiv- und Cartesianismuskritik Merleau-Pontys in: Das Auge und der Geist, a.a.O., S.23. „Das kartesische Modell des Sehens ist der Tastsinn.“ 66 Anzieu, Das Haut-Ich, a.a.O., S.170. 67 Max Weber: Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus. Bodenheim 1993, S.34f. 68 Michael Wetzel: Die Wahrheit nach der Malerei. München 1997, S.16.
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Gropius hat 1920 in einem Aufsatz,69 Heidegger in einem Vortrag von 1953 mit dem Titel Die Künste im Zeitalter der Technik 70 auf die Vor-Sicht der Künste gegenüber den Techniken aufmerksam zu machen versucht. Dabei steht die Frage der Rück-Sichtslosigkeit der Technik im Zentrum der Überlegungen, nicht eine bloße Technikkritik. Das Unbedingte der Technik als Realitätsmacht soll gegen das Bedingte der Kunst aufgewogen werden. „Bei riskanten technischen Prozessen schreibt er [Klee] den Werdegang auf die Rückseite des Bildes […] es gibt keine Technik um ihrer selbst willen, sie gehört zum Spiel der Kräfte und dient wie das Formale einem geistigen Ziel.“71 Ziel der Technik Klees ist nicht Zweck, sondern ihrem eigentlichen Begriff gemäß Übertragung. Die endlose Zahl der Bildexperimente ist Beweis dafür, dass Klee niemals ein Bild gemalt haben wird, das die Produktionsgabe paralysiert. Die Gabe ist „philosophisch“ ein „ungerechtes Geschenk, das der Bevorzugte durch die Moral sich (als Wille und Selbstkritik) erst verantworten muß.“72 Die antagonistische Frage nach dem Opfer des Rufs unterstellt die Malerei nicht mehr der Reproduktion, sondern dem Stil. Bild ist nicht mehr Werk, sondern Opfer und Selbstbestätigung in Arbeit. Die Stilbestimmung, der Klees Selbstbeobachtung gilt, vollzieht sich für ihn im Zwischenreich der Grafik und somit auch in einer technischen Nähe zur Gebrauchsgrafik, zum Kunsthandwerk und zur Illustration. Präzisierungen des Stils, etwa die, die Klee anlässlich der Lektüre des Dorian Gray macht, sind in seinen biographischen Aussagen von zentraler Bedeutung: „Frei nach Wilde: Stil ist in der bildenden Kunst die dem Material angepaßte Form der Wahrheit. Wie ungleich ungeschickter sagte ich früher dasselbe.“ Sogleich nach dieser Präzisierung folgt die Abwehr der Malerei und der Rückzug auf die Musik: „[…] – wenigstens vermag für mich die Spezialität Malerei keine allererste Stellung einzunehmen, nur der Geist Menschheit – und verborgensten Saiten zu erschüttern, die in unserer Seele zum Musizieren gespannt sind. […] Speziell die Farbe an sich ist ein mystisches Lebendigsein und der Ton eine Art Empfindung.“73 Zu dieser Unbestimmtheit der frühen Sinnendisposition schreibt Will Grohmann, Freund und Biograph: „Man hat gesagt, daß Klee, der Mensch, noch mehr war als der Künstler, aber wer wollte behaupten, zu wissen, wer er war? Die Persönlichkeit bleibt ein größeres Rätsel als das Werk.“74 69 Vgl. Walter Gropius: Architektur. Wege zu einer optischen Kultur. Frankfurt am Main 1982. Gropius beklagt die ungehemmte, ziellose „Verwissenschaftlichung“ und plädiert für eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft, und zwar schon im Stadium der Planung (S.169f.), die sich eine „gesamtheitliche“ Aufgabenstellung geben müsse. Als „Prototyp des ‚ganzen Menschen‘“ wird der Künstler angesehen. (S.173) „Ich behaupte dagegen, daß unsere desorientierte Gesellschaft der schöpferischen Teilnahme an den Künsten als eines wesentlichen Ausgleichs gegenüber der Wissenschaft dringend bedarf, um ihrer atomisierenden Wirkung Einhalt zu gebieten.“ (S.174) 70 Martin Heidegger: Die Künste im Zeitalter der Technik. Vortrag. München 1953. 71 Will Grohmann: Paul Klee. Stuttgart 1954, S.375. 72 Paul Klee: Briefe an die Familie. Bd.1: 1893-1906, Hg. Felix Klee, Köln 1979, S.219 (25.3.1902). 73 Klee, Briefe, Bd.1, a.a.O., S.480 (8.2.1905). 74 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.96.
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Das Bildnis des Dorian Gray führt auf die Frage nach der Idee der Malerei und ihrer ethischen Neubestimmung durch Klee zurück, insbesondere auf die Funktion des Sehens und des Bildes für den konkreten anderen, aber auch für die Gesellschaft. Um bis zur Frage der Genese der Krankheit und der Schuldentdeckung vorzudringen, bedarf es nicht nur der biographischen und psychologischen Analyse der Person Klees, ähnlich wie Sartre das an Genet, Tintoretto, Wols, Giacometti und an Flaubert75 versucht hat. Der Ruf, Klee nennt es „das Stärkste“, seinen „Trieb“, „das keine Benennung verträgt […] verdunstend, so wie man es bei einem Namen nennen will“,76 zeigt sich als Medium des Widerstandes im Medium der Bildtechniken. Wir haben es hier mit einer doppelten Brechung, der von Kunst und Technik im Umfeld des Sozialen, zu tun. In der Kleeforschung ist es üblich und naheliegend, eine der Ursachen der „multifaktoriellen“77 psychosomatischen Autoimmunerkrankung, die mit der jüngsten Studie Hans Suters auf die progressive systemische Sklerodermie festgelegt werden darf, in der Exilierung Klees durch die Nationalsozialisten zu sehen. Es ist nun auffällig, dass Paul Klee im Sommer 1935 unvermittelt schwer an einer primär scheinbar banalen viralen Affektion der oberen Luftwege erkrankte, von der er sich nur mühsam erholte. Suchen wir nach einer möglichen Erklärung, so drängt sich die Tatsache der für ihn tragischen Lebenszäsur auf. Ich bin überzeugt, dass die Verfemung und die Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten sowie die Emigration in das von ihm als ‚eigentlicher Heimatort‘ bezeichnete Bern zur Krankheitsauslösung beigetragen haben. […] Auch andere Autoren […], halten einen Zusammenhang des Krankheitsausbruchs mit den Diffamierungen und der Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten für möglich oder wahrscheinlich. Kränkung kann bekanntlich krank machen! Paul Klee selbst schreibt am 3. April 1933 an seine Frau Lily: „Ich gebe zu, dass die ganze Ungewissheit um Amt und Bezüge aufregend wirken kann. Doch das nützt ja nichts, im Gegenteil, es macht krank, zehrt an den Nerven und am Gemüt, und dann geschieht wirklich ein Hauptunglück als wankende Gesundheit.“78
Diese erste Verschiebung des Krankheitsbildes berücksichtigt nicht den in den Symptomen der Krankheit angelegten Aufklärungsgehalt in Bezug auf das Wesen des Faschismus, der Ästhetisierung von Politik.79 Ästhetisierung der Politik ist so zu ver75 Jean-Paul Sartre: Der Idiot der Familie. GW Bd. 5. Reinbek 1986. Bei Flaubert ist es „das schlechte Verhältnis zu den Wörtern“ (S.11), das den Widerstand des „kleinen Gustave“ erregt. Die mangelhafte Differenzierung von Materialität (Geste des gesprochenen Wortes) und Bedeutung, „Naivität“, führt dazu, dass die Bedeutung im Akt der Literarisierung hergestellt und gesichert werden soll. Die Literatur ist hier, wie in der Zeichenkunst Klees, ein sich selbst aufschiebender Widerstand. Zur Diskussion des Terminus des ‚individuellen Allgemeinen‘ siehe Manfred Frank: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher. Frankfurt am Main 1977. 76 Klee, Briefe, Bd. 1, a.a.O., S.151 (18.9.1901). 77 Harth/Gieler, Psychosomatische Dermatologie, a.a.O., S.118: „Die Ätiopathogenese der progressiven systemischen Sklerodermie ist noch weitgehend ungeklärt.“ 78 Hans Suter: Paul Klee und seine Krankheit. Bern 2006, S.153f. 79 Christoph Weismüller: Das Humane der Globalisierung. Zur Objektivität von Narzissmus, Ödipuskomplex und Todestrieb. Düsseldorf 2004. Weismüller beschreibt den Nationalsozialismus als
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stehen: das Bild eines ‚anderen‘ genügt, um ihn zu vernichten, da die Unerreichbarkeit der Identität von Ideal-Bild und Person Anlass zum Sadismus ist, wie ihn Lacan als einen der Effekte des Spiegelstadiums diagnostiziert: Sadismus als Widerstand gegen die Unverfügbarkeit des ganz Anderen, der inneren Stimme im äußeren Bild. Entsprechend wird das jüdische (kommunistische, dissidente etc.) Bild vernichtet – indem man den Körper vernichtet, oder indem man alle Bilder identisch macht. Das heißt, der Faschismus vertauscht oder verwechselt unentwegt die sinnlich-phantasmatische (leibliche) Ebene mit der körperlichen, ja erweist sich geradezu als Meister in der Etablierung dieser Tauschordnung. Der andere ist die Verstellung meiner Frage nach der Vollständigkeit meines Seins: insofern darf der faschistische Volkskörper keine Andersheiten und keine anderen Sichtweisen zulassen. Es ist etwas über die magische Gewalt von Bild und Sein überhaupt ausgesagt. Das Opfer, das Klee in der Sklerodermie anbietet, besteht darin, Bild und Körper für einen anderen in Deckung zu bringen, was der christlichen Opferbotschaft entspricht. Hier lauert die Gefahr des Jemand-anderen-zum-Bild-Machens – Heiligsprechung, Immunisierung, zumal zwischen Bild (Tableau des Körpers, Portrait), Körper (Subjekt) und Image (Leib für mich) unterschieden werden muss. Was heißt das für den sichernden Aufklärungsgehalt der Krankheit (Pathos) des Faschismus: Der Faschismus ist das, was das Rätsel der unvollendeten Einheit des Subjekts in die Unvermitteltheit der körperlichen Erfahrung zurückführt: der kürzeste Weg zur Selbsterkenntnis ist der des toten Körpers an der Grenze der Sterblichkeit, wie es der psychopathische Voyeur im Film Peeping Tom80 darstellt. Diese Grenze aber stellt Gesellschaft je schon in ihrer diskursiven Verfassung dar. Die Gesellschaft ist alle und keiner, nicht aber, so die Ideologie des Nazismus, ein Körper, also die Summe ‚organischer Einheiten‘, die sich nach den Gesetzen der Geometrie (Riefenstahl) choreografieren lassen. Das Führerprinzip (der von Goebbels und Hitler medialisierte ‚Führer‘) ist der szenische Ausdruck dieser Entkörperlichung der Gesellschaft, aber als göttlicher Körper re-projeziert. Der Faschismus klagt am glei„Selbstabstoßungsbewegung“ (S.69) wider die Erstarrung der Weimarer Republik und als erste virtuell sich global denkende Totalität, deren „Exekutionsfunktion“ in maschineller Technik und elektronischen Medien ruht. Auf diese Totalisierung hin gedacht werden alle Gewaltpositionen ästhetisch-virtuell fundiert und spreizen das fundamentale Todestriebverhältnis von Autonomie und Inzest. (S.70) Auch Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, GS Bd. I, Frankfurt am Main 1980, S.508. „So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“ Zum Problem der Ästhetisierung bei Benjamin: Ralf Bohn: Fiat ars – pereat mundus. Zur universalen Ästhetik der Globalisierung. In: Christoph Weismüller/André Karger (Hg.): Gewalt und Globalisierung 2. Düsseldorf 2006. 80 Peeping Tom, 1959, Regie: Michael Powell, mit Karl-Heinz Böhm. Mark Lewis, der von seinem Vater, einem Verhaltensbiologen, in der Jugend mit Experimenten der Angsteinflößung konfrontiert wird, tötet Frauen, während er sie filmt. Um den Realismus der Todesaufzeichnung zu steigern, hält er ihnen dabei einen Spiegel vor, sodass die Kamera, als Maschine der lebendigen Bilder, nicht nur die Sterblichkeit des anderen, sondern auch den Blick der eigenen Sterblichkeit im Spiegel aufnimmt.
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chen Objekt den unmittelbaren Vollzug des Todestriebs ein: die Unsterblichkeit als Entkörperlichung und das Bild des Helden als Verkörperung. Selbstverständlich gelingt es der faschistischen Ästhetik oberflächlich und vor allem durch rhythmisierte Massierung, auch die reine Dinghaftigkeit von Gesellschaft zu ästhetisieren. Aber es handelt sich um die Ästhetik der Maschinisierung, Serialisierung, Automatisierung. Wenn alle Bilder Dinge sind, wird der Blick tödlich. Auf diese Aktion des Faschismus setzt Klee die Reaktion eines strukturellen Faschismus, indem er Bild und Körper in der Monstranz des Hautpathos als Inversionobjekte als getrennte verbindet. Er belässt es nicht bei der moderierten Form der Menschheitsscham, angesichts der nazistischen Greuel. Als Krankheit ist die Sklerodermie natürlich keine bewusste ‚Performance‘, sondern Radikalisierung der im Bild noch auf Distanz gehaltenen Opfersubstanz. Das Bild, das der Faschist von sich hat, projiziert er umstandslos als Realität. Aber er projiziert es nicht nur, wie der Paranoiker, er ist in der Lage, es (waffen-) technisch zu realisieren. Wenn es einen Grund für Klee gab, auf den Faschismus zu reagieren, dann den, den Schrecken zu spüren, seine Bilder in der Ausstellung der entarteten Kunst diesem Blick ausgesetzt zu sehen und zu spüren, dass in der Tat die Schuldverstrickung des Bilderproduzierens – so moderiert sie auch sein mag – nicht zu lösen ist. Gegen die minimale Spur der eigenen Verschuldung, den die flüchtigste Linie produziert, bleiben zwei Möglichkeiten: die Produktion zu beenden oder die Bilder in sich selbst einzubehalten, sie symptomatisch zu sein und damit Sinn und Sein in inzestuöse Deckung zu bringen. Klee wäre selbst das ideale Bild, das er von sich darstellt, wäre es am gleichen sinnlich/körperlichen Objekt: der Hautmembran. Die Sklerose vermittelt beide Wege: nur noch unter Schmerzen malen zu können und die Aufzeichnungsfläche der Haut als Ort des schuldabsorptiven Kainsmals anzubieten. Krankheit bricht hier nicht nur einfach aus, sie stellt eine Problematik der Unlösbarkeit dar, ohne die Konsequenzen zu verschweigen. Die Sklerodermie macht aus der Haut ein sich selbst reinigendes Palimpsest. Der Tod ist für Klee ab 1938 eine sichtbare Option der Entschuldung. Die Krankheit ist aufklärende Gegengewalt wider den Faschismus.81 Sie kann nicht als Folge des Faschismus und der damit ver81 Die Darstellungen der Verschiebung der Schuld der Krankheit auf den Nazismus bei Suter sind ein-
leuchtend, klären aber nicht das Problem der Ästhetisierung der Politik eines strukturellen Faschismus/ Sadismus. „Ich bin überzeugt, dass Klee sehr bald die ganze Brutalität der Nationalsozialisten, das Elend, den sich anbahnenden Krieg und die Katastrophe in Europa voraussah. Dies deutet Jürgen Glaesemer an: ‚Klee sah in den Tagen nach Hitlers Machtergreifung voraus, was zu erwarten war.‘ Er war eben nicht nur in seiner Kunst ein ‚Avantgardist‘, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes auch ein ‚Vorausseher‘ des Weltgeschehens.“ (S.131) Was Klee hier sieht, hat Thomas Mann schon in den zwanziger Jahren bemerkt, Sartre noch 1933 in Berlin aber überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Nochmals: Es geht nicht darum, den Einfluss der nazistischen Bedrohung auf Klee zu schmälern, sondern es geht darum, dass das Wesen der Krankheit Klees zeigt, dass es paradox ist, aus der Struktur des Sadismus mittels eines ästhetisierenden Fetischismus schuldlos herauszutreten; bestünde die Schuld auch nur darin, durch die Produktion eines Bildes ein Stück Realität zu verdecken. Die Krankheit
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bundenen Isolation abgeschoben werden, sondern ist Erkenntnisform des strukturell Faschistischen technisierter Gesellschaft. Der Faschismus ist selbst weder Grund noch Schicksal, er ist die ultimative Epikalypse der Selbstabschließung/-finalisierung der Kultur, der Aufhebungsversuch des Zeit-Spiel-Raumes im Bild-Körper-Inzest. Ausgehend von der Membran der Symptomatik soll die Untersuchung sich auf die Vorgeschichte des Faschismus als Vorgeschichte der Techniken der Gewalt ausdehnen. Zumal es sich bei der Sklerose, dem Erstarren oder Zum-Bild-Werden der Haut als Körperbildfläche, um eine Art Mumifizierung,82 Gegengewalt als Krankheit handelt. Das Symptom ist die Aufklärung, insofern es die schuldverschiebende Konsumation behindert. Wenn dieses ‚ist‘ die Beziehung des Seins zum Zeichen ‚repräsentiert‘, finden wir hier einen Triebbegriff, der nicht in einem Kraftbegriff – und einen Symptombegriff, der nicht im Symbolischen aufgeht. Das Symptom ist Körperbild und zugleich (tödliche) Abschaffung des Körpers. Wir haben gleichsam den von Freud in dieser Ambivalenz gehaltenen Todestrieb als gesellschaftliche Schizophrenie isoliert: eine Produktion, die sich von sich selbst aufschiebt/differiert, indem sie das, was sie produziert, konsumatorisch vernichtet, um nicht mit der in den Waren abgeleiteten Sterblichkeit konfrontiert zu werden. Klee, durch den diese Bewegung hindurchgeht (man kann natürlich nicht, qua selbstbewusstem Subjekt, sich eine Sklerodermie ‚zulegen‘), macht das Symbol der Lemniskate, das Zeichen mathematischer Unendlichkeit, zu seinem Kainsmal.83 Das nicht Ablösbare, nicht in die Ökonomie einbringbare ‚Vor-Zeichen‘ des Symptoms, verharrt auf der Körperoberfläche als ‚Mal‘ der ‚semiologischen Lüge‘, alles ließe sich durch Zeichen ist als Bild der im Körper einbehaltende Binnenwiderstand von Sterblichkeitsaustreibung – zugleich Anerkennung des anderen und Widerstand gegen die eigene Defizienz. Der Faschismus macht in dieser Hinsicht nichts anderes, als das Sein aus dem Schein ‚herauszuprügeln‘, das heißt, vom anderen (Juden) die Entschuldung der Welt zu verlangen, die ihm selbst nicht gelingt. Die Analyse darf nicht bei der Konstatierung ‚Der Faschismus war schuld!‘ stehen bleiben, sondern muss die gemeinsame Wurzel von Psychopathologie und Faschismus (Masochismus/Sadismus) aufdecken. Im Übrigen gilt ein Wort von Hannah Arendt: Der Faschismus ist extrem, niemals radikal. 82 Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.238. „Ein typisches Merkmal dieser Krankheit (diffuse Form der Systemsklerose) ist eine Verdickung und Verhärtung der Haut. Wie um sich gegen aussen zu schützen, bildete der Kranke gleichsam einen ‚Panzer‘ um seinen Organismus. Doch verdickte und verhärtete die Krankheit nicht nur die Haut, sondern in einem unaufhaltsamen Prozess auch das Bindegewebe innerer Organe. Klee erstarrte gewissermaßen körperlich, nicht aber geistig seelisch.“ Die Haut als Palimpsest schützt weniger vor dem Außen, als sie – wir werden das zeigen – annonciert, dass es gar kein Außen, keine autonome Drittenposition geben kann. „Kein Bild, keine Skulptur wird direkt wiedergeben können, dass das Individuum als Dritter in der Einheit der gleichen Praxis (also der gleichen Wahrnehmung) an die Einheit der Individuen, als von der nicht totalisierten Totalisierung untrennbare Momente, gebunden ist und an jedes von ihnen als Dritten, das heißt vermittels der Gruppe.“ Jean-Paul Sartre: Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek 1980, S.399f. 83 Deutlicher noch als Freud räumt Melanie Klein ein, dass die Tragweite des Todestriebes phantasmatisch an die Produktion der Dinge gekoppelt ist: „In enger Verbindung mit der Ablenkung des Todestriebes nach außen heftet sich der Lebenstrieb – mit Hilfe der Libido – an das äußere Objekt.“ Melanie Klein: Das Seelenleben des Kleinkindes. Stuttgart 1991, S.173.
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eintauschen; aber auch als nazistische oder stalinistische Anmaßung der Beherrschung des eigenen Ursprungs und der Produktion des neuen Menschen, dadurch, dass man den Geist des alten abschaltet. Unter dem absolutierenden Blick wird auch die Kunst der Moderne problematisch. Noch im Fin de siècle, in der Jugend Klees, wird die Bekenntnisfrage gestellt: „Und wie steht es mit der Kunst? […] ‚Sie ist eine Krankheit‘ “84 – so heißt es im Dorian Gray. Dagegen und gegen den Einspruch der Krankheit als des nur Ästhetischen behauptet sich Klee mit ungeheurer Anstrengung und einem großartigen Spätwerk, das ruckhaft von der Problematisierung der musischen Gabe der Geburt in die Gabe des Todes umschlägt. Diese Inversion, so werden wir zeigen, verdoppelt die Singularität der Geburt. Die Sklerose zeigt das Leben als Ganzes, indem sie das, was sie zeigt, zugleich opfert: das Bild und den Körper Klees.
Abb. 7 ∞ Paul Klee: Physiologische Analyse des Blutkreislaufes. Rein flüssig. IV/41
Um zunächst den Sinn der Ding-, Zeichen- und Kunstproduktion darlegen zu können, müssen die Verhältnisse im Zuge der Konsolidierung der Moderne gegen Ende des 19. Jh. angesprochen werden, die in einem barbarischen Akt ihre Vorgeschichte zu negieren beginnt. „Erfahrungsarmut“, so Benjamin, ist das Ergebnis auch des Bauhauses, das Räume schafft, „in denen es schwer ist, Spuren zu hinterlassen“.85 Diese zweite Moderne reagiert nicht nur auf die Folgen des Ersten Weltkriegs, wie unmittelbar der Surrealismus, sie reagiert auf die Inflation der Zeichen, der Kommunikation und der Industrialisierung des Designs als Instanz 84 Wilde, 85
Dorian Gray, a.a.O., S.231. Benjamin, Metaphysisch-geschichtsphilosophische Studien, a.a.O., S.218.
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der Verdeckung und Umhüllung aller Produktionsangelegenheiten, das heißt der Reintegration und Versinnlichung der abstrakten, medial unsinnlichen und opferreichen Produktionsvorgeschichte, die stets die Geschichte der Abschaffung des Körpers ist. Auch hierzu liefert Oscar Wilde das Dekor. Reichtum und Armut fallen gesellschaftlich in die Extreme. Dass Klee am Bauhaus diese Konflikte unmittelbar erlebt, steht außer Frage. Für den Verlauf der Klee’schen Krankheit soll außerdem gezeigt werden, dass in ihr die katholisch-christliche Idee von der Gabe der Geburt in die protestantische einer Gnade des Todes invertiert. In genau dieser Weise hat Max Weber den Opfervorbehalt als eine Ideologie angesehen, die mit der Ideologie des Kapitalismus und der Funktion des entschuldeten Zeichens auf die Opferprämie der Arbeit als Gegengabe schielt, die aber zugleich als Ware verdeckt ist. Wenn der Pietismus zur Mäßigung im Konsum verpflichtet, dann nur vor dem Hintergrund harter Arbeit und somit der Folge der Kapitalbildung, d.h. der Schuldhortung. „Das aber ist es eben, was dem präkapitalistischen Menschen so unfaßlich und rätselhaft, so schmutzig und verächtlich erscheint. Daß jemand zum Zwecke seiner Lebensarbeit ausschließlich den Gedanken machen könne, dereinst mit hohem materiellen Gewicht an Geld und Gut belastet ins Grab zu sinken, scheint ihm nur als Produkt perverser Triebe.“86 Für Klee kann von Anfang an der Wert nur solcher Hand-Arbeit zählen, die nimmt, was sie gibt. Entsprechende Äußerungen durchziehen sowohl Tagebuch- wie Briefeintragungen. Seiner Braut vertraut er die „Phrase“ an: „Alles [„dieser ganze geistige ‚Verkehr‘“] läuft schließlich darauf hinaus, die Arbeitsfähigkeit zu steigern; und das eheliche Verhältnis soll sich diesem alleinseligmachenden Zweck unterordnen.“87 Zeichnen wir die Epochen der Personalisierung Klees und seine habituelle Situierung gegenüber den design- und medienspezifischen Krisen und Katastrophen der industrialisierten Ästhetik nach. Dass wir uns an die Methode Sartres anlehnen, hat vielfache Gründe. Der wichtigste ist, dass Sartre die Stasen der Idealisierung des Ichs nicht nur beschreibt, sondern in experimentellen Szenifikationen als Auseinandersetzung mit dem anderen festhält und den Anspruch der erhellenden, offenen Mitte szenischer Bildlichkeit auf der Ebene der Literatur verdeutlicht. Das heißt, Sartre weiß zwischen der abstrakten Analyse und der praktischen Tat durchaus so zu unterscheiden, dass er die Performativität und Dramatik der menschlichen Beziehungen zu den Sachen 86 Weber,
Die protestantische Ethik, a.a.O., S.29. Klee, Briefe Bd.1, a.a.O., S. 421, vom 10.5.1904. Klee spielt auf die lange Verlobungszeit und Trennung an. Er verbietet sich eine „Tristan-Duselei“. Schon in dieser Szene wird etwas von der pietistischen, calvinistischen Ruhe und Unbeirrbarkeit, von der Vernunft und Redlichkeit seiner Arbeit zum ‚Lob Gottes‘ deutlich. Über die Eskapaden seiner Schwester Mathilde schreibt er am 11.3.1904 an seine Braut Lily mit geradezu existenzialistischer Schärfe: „Von meiner Schwester: ‚Sie hat wenig vom Leben?‘ Man ist doch nicht da, um etwas davon zu haben; da hinein kann ich mich nicht finden. Man hat sie auf die Welt gesetzt; sie ist da. Punkt. (Mich auch).“
87
I. 3. OPFER UND WERK. ZUM KÖRPER-BILD-INZEST 53
und Werken philosophisch nicht unterschlägt. Diese szenische Verdichtung folgt dem Klee’schen Konzept der synchronen Versammlung. Die Fähigkeit Sartres, seine Unzulänglichkeiten und Irrtümer immer wieder auch der Selbstkritik zu unterziehen und sich nicht fassbar zu machen,88 zeigt, auf welche Weise Klee die Übertragungen von Ontischem und Semiotischem offen zu halten sich verpflichtet sieht. In der Darstellung der Dramatik des Lebens bezieht sich Sartre „auf eine doppelte Reihe von Zeichen – auf jene, die sich in die Texte einschreiben, und jene, die sich in den Körper eingravieren.“89 Er erkennt, dass der ihm später unter der eigenen Polemik pervertierte Begriff des künstlerischen Engagements sich in der Literatur auf Zeichen wie in der Malerei auf Symbole beziehen kann. „Dass man, indem man ein Wort für ein Ding verwendet, diesem immer schon seine ‚Unschuld‘ raubt“, das kann auch so verstanden werden, dass die Unschuld eine Fiktion ist, der der Künstler auf gleicher Ebene zu begegnen hat, indem er im Bild die ursprüngliche Stimme graphologisch restituiert.90 In diesem von Sartre entwickelten und dramatisierten Widerstehenkönnen der Kunst steht nicht das Genie, sondern die Arbeit im Vordergrund, die Weise, in der sich der Mensch durch seine Taten und Werke hindurch entscheidet. Den Worten der Schriftsteller stellt Klee die Überzeugung seiner Linie entgegen. Die Linie „tilgt das Zeichen, indem sie es ableitet.“91 Hat man die Linie, oder, wie Klee sagen würde, hat einen die Linie, kann man auf ihr den Seiltanz des Engagements zwischen den großen Ideologien wagen. Lévy bringt die Tendenz des idealen, mathematischen und somit ableitungslosen Zeichens in seiner Sartre-Biografie auf die Formel, mit der Sartre die Gefahr des Faschismus bei Heidegger kritisiert. „Barthes: Die Sprache ist ‚faschistisch‘. Die Freudianer: ganz im Gegenteil, die Sprache hat eine befreiende Kraft! Die Debatte zwischen den Heideggerianern und den Heidegger-Kritikern über die Frage, ob die Wörter zu den Sachen führen oder vielmehr den Zugang zu ihnen versperren“,92 beantwortet Sartre mit einem Verweis auf die Mimetik der Zeichen im Körper, auf ihren performativen Gehalt. Er hält deswegen eine Psychoanalyse der Sachen für unabdingbar. Die Sklerose bleibt in der ontosemiologischen Differenz gefangen. Der Vernichtung der Körper im Faschismus entspricht die Selbstkonsumation der Krank88
Lévi, Sartre, a.a.O., S.64. Lévi spekuliert über Sartres entschiedene Unentschiedenheit/Freiheit in Bezug auf die Wahl der Medien und Genres: „Und zweifellos steckt in dieser Entscheidung auch ein gewisses Maß an Rationalität, die […] mit der eigentümlichen Struktur des Sartre’schen Ichs zusammenhängt, mit der Beweglichkeit, mit seiner Unfähigkeit, sich in einer Essenz oder Form zu verfestigen, sich auf eine Fach oder eine Gattung zu konzentrieren.“ 89 Ebd., S.46. 90 Ebd., S.82. 91 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt am Main 1979, S.105. 92 Lévi, Sartre, a.a.O., S.75. Barthes’ Ausdruck bezieht sich auf die Wahl zwischen Zuhören und Sprechen. Man kann zwar gemeinsam zuhören, aber nicht gemeinsam sprechen, wohl aber singen.
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heit, bei Klee insbesondere im Merkmal der extremen Schluckbeschwerden, also der Inkorporationssperre.93 Bildhafter formuliert: Der Nazismus entledigt sich der Körper, indem er sie durch das Bad des Todes als reine Zeichen, also Zahlen auferstehen lässt. Leni Riefenstahl hat das in Perfektion und symmetrischer Harmonie in den Nürnberger Parteitagen reflektiert: Körperzeichen und Bildzeichen – diese sich rettende Abständigkeit zweier strukturaler Serien – fallen im Faschismus inzestuös zusammen.
I.4.
DIE UNENTSCHIEDENHEIT
Es wird keine billige Schuld darin gesehen, dass Klee dem Wunsch der Mutter nach Vervollkommnung seiner zeichnerischen Gabe nachgeht und somit die väterliche Musiktradition abweist, die im Übrigen auch die Tradition der Mutter ist. Klee ist ‚begabt‘. Mit der Wahl beginnt die Personalisierung: Denn das Selbstbewusstsein kann nur widerstreitendes Bewusstsein (von sich) sein. Ohne Widerstand (Gedächtnis) kein Bewusstsein-von-sich. Woran soll aber der kleine Paul sich orientieren? Die Schuld, die sich in den Dingen repräsentiert, bildet sich im kollektiven Immunisierungs- und Autonomisierungssog als anale, partiale Körperabspaltung, über deren Disposition das Infans seine erste Macht entfalten kann. Nichts in der Biographie des kleinen Paul deutet auf ein Trauma als ein singuläres und individuelles Ereignis hin, an dem er sich abarbeiten könnte. Später wird schon die kleinste Nachlässigkeit in der Fürsorge der Arbeit94 (und der Arbeitsmöglichkeit im Exil) für eine Bannung des Aufschubs vom Syndrom zum Symptom sorgen: sei es, dass Klee künstlerische Nachlässigkeit, ein Gefühl der Müdigkeit, der Depression oder der Verzweiflung befällt, die er sorgsam hegt und als Barometer seiner Fähigkeiten abklopft, oder sei es, dass er sich endlich von der Brotarbeit befreit fühlt und die Freiheit der Malerei ihm die Unfreiheit seiner Wahl vor Augen führt. Schon in der 93 Harth/Gieler, Psychosomatische Dermatologie, a.a.O., S.119: „Veränderungen der Speiseröhre treten bei den meisten Sklerodermiepatienten schon in der Frühphase der Erkrankung auf.“ Und Suter, a.a.O., S.105: „Speiseröhrenbefall: schmerzhafte Schluckstörungen, weshalb nur noch die Einnahme einer breiig-flüssigen Kost in kleinen Portionen möglich war.“ 94 Klee, Brieffragment vom 3.2.1900, Bd.1, a.a.O., S.83: „Ich arbeite, man kann getrost sagen, Tag und Nacht, alles was sich mir bietet, zu verdauen, um es dann womöglich als Kunstwerk zu reproduzieren.“ Das ist bei Klees Werk sicherlich keine Untertreibung. Stets bei bester Gesundheit, traktiert ihn dann im Sommer 1935 ein festsitzender Bronchialkatarrh und eine Diagnose auf Masern wird gestellt. Suter (Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O.) vermutet, dass es sich bei diesem ersten Krankheitsschub nicht um die Sklerose handelt, sondern dass die Arbeitshemmung (auch aufgrund des ‚Exils‘) möglicherweise die Sklerodermie erst induziert hat. Wir werden darauf später eingehen.
I. 4. DIE UNENTSCHIEDENHEIT 55
geringsten Neurose, dem kleinsten Tick, offenbart sich die Todestriebambivalenz als ungerechtfertigtes Urvertrauen auf die Zwanghaftigkeit technischer Übertragungen menschlicher Sachbeziehungen. Doch nichts in der Berner Umgebung deutet auf einen Zwang hin. Wie dem auch sei, der kleine Paul wählt die Malerei gegen die Musik. Es besteht indes auch kein Zweifel, dass Klee, der schon als Kind – durch seine Mutter vermittelt – die Überzeugung erlangt, mit einer künstlerischen Gabe gesegnet zu sein, in unrastiger Arbeit die konkrete Schuld der projektiven Erfüllung im Opfer von Arbeit einholen will, das Wort der Mutter in die Farben der Sichtbarkeit taucht. Als Musiker wäre er dieser Arbeit enthoben, er wäre nur das geblieben, was sein Vater war. Besteht wirklich kein Zweifel an diesem bourgeoisen, freudianischen Konzept des Tauschs von Begabung in Wiedergabe? Bis hierhin hört es sich an, als könne das Werk Klees auf die Zeitumstände interpoliert werden: die beginnende Moderne der Jahrhundertwende ausgangs des Existenzialismus; die Initiative Kandinskys als Widerstand gegen den partialisierenden Positivismus, lanciert durch die wirkungsmächtige morphologische Kosmologie Wladimir Solowjows und die Lebensphilosophien bis hin zu Klages, den Klee rezipiert; die Widersprüchlichkeit von der Einheit der Kunst und der seriellen Partikularität des Warendesigns, von Funktionalismus und Bauhüttentradition im Bauhaus; die Politisierung der Kunst, der Faschismus und die Provinzialität der Heimkehr nach Bern. Diese einmalige historische Großwetterlage zeichnet Klee als Sohn seiner Zeit. Gegen die (kunst-)historisierenden Einwände eine philosophische und phänomenologische Perspektive zu setzen, heißt, den disziplinierenden Gestus der Wissenschaft transdisziplinär auf den jeweils fehlenden Selbstbezugsort hin zu überschreiten. Denn auch die Wissenschaft jener Zeit ist von einem ausgeprägten Sinn dessen erfüllt, was sie als widerständig überwinden will. Zentral für diesen letzten formalen Idealismus steht die universelle Begründung von Logik und Mathematik im sogenannten Hilbert-Programm, das zwischen Frege und Gödel, zwischen Russell und Wittgenstein bis Luhmann die Schnittstelle einer einzigartigen Anstrengung um Ganzheit und den Wunsch, eine (Turing-)Maschine zu werden, ausbildet. Auch zu dieser gesellschaftlichen Seite der idealen Produktion kommen wir später. Man hat sich auch bei Sartre nicht entscheiden können, ob man einen dichtenden Philosophen oder einen philosophischen Literaten las, und dringt auf Bekenntnisse und Zeugnisse. Sartres Biographie hinterlässt da keinen Mangel. Bei Klee scheint die Sache zunächst nicht anders zu liegen. Werke gibt es in Überfülle, Schriften und Briefe sind dagegen überschaubar. Doch alles wirkt einer geheimen Zensur unterworfen, ist szenisch bearbeitet und kleinlich redigiert. Haben wir es mit einem malenden Musiker oder einem musizierenden Grafiker, Zeichner, Maler zu tun? Gibt es einen Stil von Klee oder gibt es viele? Ist sein Stil stillos oder atavistisch? Ist das Bekenntnis Klees zur Malerei bis hin zur Stilisierung dieser Profession in der Tunisreise 1914 echt oder echt in seiner Maskierung?
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Wir werden versuchen, das Psychologische, von dem Klee so oft spricht, von seiner Mitte her zu begreifen. Das geschieht zunächst dadurch, dass wir den Triebbegriff durch den Begriff des Widerstandes ersetzen und seine Manifestation als Linie beschreiben. Schon 1899 versucht Klee sich von München aus gegenüber seinem Vater zu legitimieren: „Von moderner Technik – Conzerte – natürlich keine Ahnung, aber was soll ich mich als Maler, und der bin ich mit Leib und Seele, mit moderner Violinliteratur […] abgeben“.95 Und zwei Monate später: „Ich bin ein wirklicher Maler geworden. Von Schwanken keine Spur, sondern ich bin ganz sicher, daß ich dazu geboren bin, nicht aber zur Musik.“96 Diese Worte sind 15 Jahre vor der als Epiphanie stilisierten Tunisreise geschrieben – 15 Jahre voller Selbstzweifel. Von Anfang an hat Klee vor, ein kleiner Napoleon der Kunst zu werden! Woher kommt dieser unerschütterliche Anspruch? Dienen die Bekenntnisse einer Selbstlegitimation: der Abkehr vom Vater, den er als still und schwächlich beschreibt? Die Beziehung zur Mutter dagegen ist fest – doch die Mutter selbst in kränklichem Körper gefangen. Aber auch hier dominiert die Musik: „Mutter Ida Maria […] war musikalisch ausgebildet und hätte es wohl ganz gern gesehen, wenn auch ihr Sohn Musiker geworden wäre.“97 1905, als sein Entschluss zur Malerei gefestigt scheint, tauchen wieder Zweifel auf: „Aus mir wird nämlich, wenn auch kein Maler, so doch ein Kolorist. […] Meine Malerei ist und bleibt Schweinerei, aber ich lasse doch nicht ganz von ihr, vielleicht habe ich doch einmal heimlich eine glückliche Stunde. […] Ich bin einmal Graphiker und als solcher immer sicher, Neues und Echtes zu bringen.“98 In diesen Aussagen wird die ambivalente Entwicklung Klees deutlich: er bleibt stets auf der Grenze der ontosemiologischen Differenz: Die Musik oder die bildende Kunst? Die Spur oder das Bildliche? Die Grafik oder die Malerei? Die Form oder die Farbe? Der Signifikant oder das Signifikat? Die Maske oder das Gesicht? Nichts wird entschieden. Stets wird eine imaginäre Mitte gesucht und als Fiktion zur Darstellung gebracht. Immer wieder, bis zuletzt wird die Entscheidung vom Vernehmen eines Rufs abhängig gemacht, muss sich aber aus der Stille der Arbeit herauskristallisieren als eine Art entscheidungsloser aber bestimmter Naturprozess. Schließlich kommt der Ruf der Blauen Reiter, dann der an das Bauhaus. Eine Reihe von Ambivalenzen wird dadurch auf Institutionen verschoben. Gehen wir auf einige Stilzüge Klees ein. Gilt Klee, neben Braque, der Primat, das Zeichen in das Kunstwerk eingeführt zu haben, so muss man zunächst die Frage stellen, was denn ein Zeichen in einer Kunst ohne Reproduktionscharakter zu suchen hat. Die Funktion des Zeichens ist, ein Abwesendes durch ein Anwesendes 95
Klee, Briefe 1, a.a.O., S.66, vom 14.12.1899. Klee, Briefe 1, a.a.O., S.83, an die Mutter, 3.2.1900, aus München. 97 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.26. 98 Klee, Briefe 1, a.a.O., S.650, an die Mutter, 24.6.1906. 96
I. 4. DIE UNENTSCHIEDENHEIT 57
zu repräsentieren (arbiträr oder analog), im Sinne der ontologischen Bestimmung: eine als Realität des Seins gedachte Welt in das ‚Medium‘ der Kunst zu überführen. Der Signifikant verdeckt das Signifikat. Das Zeichen als Evokation des Imaginären verweist auf die Unmöglichkeit eines Originals. Das Zeichen ist Namen-des-Vaters an Stelle des fehlenden Anderen, der als Gesetz der Ersetzung (Fort-Da der Mutter) nicht selbst ersetzt werden kann, sondern in einem anderen (dem Zeichen) präsent ist. Man sieht, dass der Begriff der Originalität in der Kunst der Moderne einen Circulus vitiosus entkleidet. Und genau darum geht es in der Kunst: Die Frage des Erkennens von der Wahrnehmung her offen zu halten – sie nicht in einer hierarchisierenden Signifikation zu verschließen, Visualität nicht mit Bildlichkeit zu verwechseln, gar die Produziertheit des Werks zu kappen. Wenn Klee ‚das Zeichen‘ in die Kunst einführt, verabschiedet er den Abschließungscharakter eines Werks und konkret alle mit einer Rahmung verbundenen Aspekte des Bildes, der Fläche und der instantanen Präsenz. Das Bild wird unvollendbar, monadisch, und tritt wieder in die Sphäre der gesellschaftlichen Vermittlungen. Bildlichkeit wird zum Naturprozess, zu einem Stadium der Genese des Subjekts – spezifischer bei Klee: zu einem Stadium des Menschen. Kurz, das Bild wird performative Wirklichkeit. Unter den Aspekten von Kommunikabilität und der Konvertierbarkeit der Sinnesdifferenzen genießt das Zeichen den Vorzug, unendliche Übertragbarkeit zu suggerieren, ohne dass die Übertragungsverluste selbst zur Repräsentation gelangen. Klees ingeniöser Stil besteht darin, die Dialektik der mimetischen Bewegung in das Verhältnis von Tableau (Hintergrund) und Gravur so eingearbeitet zu haben,99 dass das Zeichen zwar noch seine konventionalisierte Form als Verkörperung des Gesellschaftlichen hält, im Wesentlichen aber deiktischen und performativen Charakter annimmt. Ein Ausrufezeichen im Bild ist sowohl eine Manifestation einer Form als auch eine des Übergangs von Punkt und Strich, als auch eine Betonung des Rufes. Aber das Ausrufezeichen beendet keinen Satz, es szenifiziert vor allem eine Satzhandlung, d.h. es verwandelt den Sinn eines Satzes in eine performative Inszenierung, die Rückkehr des Bildes in Stimme, ja, in die Verkörperung der Stimme, die ich bin. Interpunktionen und Vektoren, häufig Elemente in Klees Bildwelten, sind einer choreografischen Rhythmik verpflichtet und implantieren in die Synchronie der Bildebene diachrone Vollzüge, wie in Anfang eines Gedichts (1938). Die Bildelemente, sofern sie nicht durch die Linie miteinander in Verbindung stehen, agieren wie eine Anzahl streitender Kinder, die sich auf ein geheimes Zeichen hin in die Regeln eines Spiels einfinden und eine konsistente Gruppe bilden, die einer immanenten Intendanz gehorcht. Jedes performative Zeichen muss sich zugleich als eine theatralische Markierung von den malerischen Formen absetzen. Das Zeichen ist der Gesellschaft verpflichtet. Insofern fragt Sartre zu Recht nach den Vergesellschaftungsformen des Zeichens bei Klee. 99
Siehe Crone, Paul Klee und die Natur des Zeichens, a.a.O., S.38ff.
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Abb. 8 ∞ Paul Klee: Anfang eines Gedichtes, 1938
Wesentlich im Spiel der Desemiotisierung ist die Ausgestaltung des Hintergrundes als symbolischer Kosmos (meist aquarelliert, oft als Alterungsspur ausgeführt), der der ziselierten, grafischen Linie, die eine Art Bauplan und Choreografie des Bildes vorgibt, unterlegt wird. Der Hintergrund ist Kulisse und Bühnenbild. Die Linie wird nach einer Vorzeichnung oft mittels Kohlepapier auf den noch feuchten Hintergrund durchgezeichnet oder ‚gedruckt‘, was ihr einen technischen Charakter verleiht. Der Abdruck selbst ist im engeren Sinne Spur. Produktionsgrund, Produktionsmittel und Produkt dienen dazu, eine Sprache der Natur nicht nur wiederherzustellen, sondern zu erfinden. Paradigmatisch hierfür steht das berühmte Bild der Zwitschermaschine (1922): Vier kleine, maschinisierte Vögelchen, die vor einer wolkigen ‚Landschaft‘ mechanisch ihren Hungergesang erlernen. Klee hat das Vorbild für eine solche Maschine im Deutschen Museum in München gesehen. Alle vier Vögelchen sind ganz Stimme. Ganz in diesem partiellen Begehren verkörpert, bedienen sie die Maschine, die sie bedient. Dieses Aufgehen des Körpers in den Leib der Stimme ist die Ganzheit, die das Bild erreichen kann. Der Witz der Szenerie ist, dass der Verweisungsbezug der Maschine eine Technik der Übertragung vom Bild in den Laut (Gezwitscher) leistet und damit die Malerei in ihrer eigentlichen Funktion performiert, sie zur (Laut-)Schrift macht. Der große, wissende, tätige Gott der Arbeit fällt mit dem Bildhintergrund zusammen. Der Hintergrund ist jeweils eine Welt oder, wie Klee sagt, Weltanschauung, in der die Ökonomie sich mit dem Sein verbindet und für einen Moment ein Dasein, einen Widerstand erschafft.
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Abb. 9 ∞ Paul Klee: Die Zwitschermaschine, 1922
Man darf sagen: Das Bild ist eine kuriose Sehmaschine, die das Sichtbare in Gesang verwandelt, andererseits ist es eine Maschine der Sichtbarmachung, der Erscheinung dessen, was immer schon da, aber nicht anwesend ist, weil es, wie im Buchstaben, verdrängt worden ist. Die gesamte Szene der Zwitschermaschine spielt sich in einem Wald, einem grünen Rahmen ab – so, als müsse eigens auf den Konstruktionsplan der Bildmaschine hingewiesen werden: Achtung! Hier handelt es sich nicht um ein Bild, sondern um den Versuch der (Re-)konstruktion einer Schrift des Vogelgesangs. Der grüne, gemalte Rahmen hat die Funktion einer ägyptischen Kartusche, mittels der die unterschiedlichsten Funktionen einer Textur geordnet werden können: das Bild, der Buchstabe, der Laut, das Satzzeichen, die grammatische Struktur.100 So entsteht – wie auf geheimen Wink – aus den im Wald verstreuten Vogelstimmen ein zwangsläufiger Chorgesang arbiträrer und symbolischer Verweisungen, denen man synästhetisch nachgehen kann. Das Zeichen, die Maschine, die Linie, die Schrift: Klee nutzt seine Mehrfachbegabung. Der sicheren Beherrschung der grafischen Linie gesellt sich die malerischmediale Farbraumgestaltung erst spät hinzu.101 Oft sind die ‚Gemälde‘ nur kolorierte 100 Auf den Zusammenhang von Rahmen (Parergon) und Kartusche hat Derrida aufmerksam gemacht. Jacques Derrida: Die Wahrheit in der Malerei. Wien 2008, S.219ff. 101 Was ein wesentlicher Unterschied zu Cezanne ist, der fast ausschließlich auf weiß arbeitet und
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Zeichnungen, das heißt, in das Sein des Bildes hinein versetzte Sprachlichkeiten, so als könne der Klang dieser Natursprache nur verstanden werden, wenn er auf dem Instrument der Farbigkeit (Tonalität) gespielt wird. Das Bild ist mehr ethische Handlung als ästhetische Erscheinung, ersetzt die Reproduktionswelt durch eine Ereigniswelt. Das Tableau dieses Bildtheaters lebt orphisch von Raum und Stimme, von Szene und Geste und findet seine Gegenwelt in der Bildunterschrift, die die Resemiotisierung des Lautzeichens verkörpert und dem Tableau ein Image zuweist. Oft simuliert der amorphe Hintergrund eine Patina, drückt Zeit und Alterung aus und kontrastiert die strukturalen Spuren des Vordergrundes genealogisch. So führt Klee nicht in erster Linie das Zeichen in die Malerei ein, wie Sartre feststellt, sondern er entzaubert die fetischisierende Kraft eines fixierenden Denkens in Zeichen, indem er auf dessen Körperbezug verweist. Es handelt sich um entwöhnte, verfremdete Zeichen eines Leibes, um leibhaftige Male und Wunden, Symptome, Physiognomien. Die metonymisch desemiotisierten Differenzen sind nicht mehr auf der Ebene der Identifikation oder Konvention zu fixieren, es sind, so Sartre in seinem Aufsatz über Giacometti, Fragen: „Erscheinungen oder Entschwindungen?“ Giacomettis „Ziel ist es nicht, uns vor ein Bild zu stellen, sondern Trugbilder zu schaffen, die, obwohl sie sich immer nur für das ausgeben, was sie sind, doch in uns Gefühle und Einstellungen hervorrufen, die sich normalerweise aus der Begegnung mit wirklichen Menschen ergeben.“102 Im Gegensatz zu Giacometti, der sich „zwischen dem Sein und dem Nichts keinerlei Übergang“ denken kann, nicht mehr weiß, „wo die Leere anfängt und der Körper aufhört“,103 kann sich Klee die Konstruktion unendlich vieler Übergänge denken, denn alles ist mit allem dadurch verbunden, dass es am Werden teilhat. Die monadische Teilhabe nennt der Existentialismus den Leib und Klee werdende Natur. Das Zeichen gewinnt den Charakter einer Membran zurück, den es im Übrigen niemals verloren hat, sondern beständig aufschiebt. Eine weitere Relation von Zeichen und Körper ergibt sich gegenüber den Bildtiteln. Diese Titel, weil sie häufig ironisch arbeiten, verweisen ebenfalls auf die Differenz von Struktur und Genesis, Realität und Wirklichkeit. Denn die Titel sind, ‚bildlich‘ gesprochen, dem Bild eingeschrieben. Klee geht so weit, Titel aufgrund von Vorschlägen der Betrachter zu ändern. Der Betrachter, der abends mit Klee das Tagwerk begutachtet, seine Frau von sich behauptet, nicht zeichnen zu können. Vgl. Götz Adriani: Paul Cezanne. Zeichnungen. Köln 2002. Cezannes Zeichnungen sind weich und malerisch. 102 Es handelt sich beim Sphärischen, bei der Atmosphäre des Hintergrundes um ein Phänomen, das Luhmann als mediale Differenzierung bezeichnet: „Der Raum macht es möglich, daß Objekte ihre Stellen verlassen. Die Zeit macht es notwendig, daß die Stellen ihre Objekte verlassen. […] Atmosphäre ist gewissermaßen ein Überschusseffekt der Stellendifferenz.“ Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, a.a.O., S.181. 103 Sartre, Die Gemälde Giacomettis, a.a.O., S.288f.
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Lily oder enge Freunde, war aufgefordert, an der Formulierung der ‚kosmischen Ordnung‘ mitzuarbeiten, sich aus den vorgegebenen Fragmenten sein Bild zu machen.104 Die Titel geben das Recht, der Frage des Bildes einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, sie haben nicht das Recht, die Ambivalenzen und Inversionen zu entscheiden, die das performative Ereignis stellt. Klee ironisiert die Zeichen, indem er ihre Funktion über den Bereich, in dem ihre Währung gilt, hinaustreibt und indem er die Grenze zwischen Signifikant und Signifikat inversionslogisch in der Korrespondenz von Malerei und Zeichnung, Hintergrund und Linie differenziert. Im Geist Luhmanns gesprochen: Klee programmiert nicht nur die Zeichen, sondern den Prozess der Semiose um. Biographisch kommt hinzu, dass er eine starke Abneigung gegen Mathematik mit der Ahnung ihrer defizienten Selbstbegründung hegt. Der Zahl kommt die Funktion eines besonders reinen, immunisierten Zeichens zu. Eine solche Reinheit ist Maskierung. Ihre Demaskierung geschieht im Rhythmus von Musik, ist an eine komplexe Leib- und Körperprothetik im Spiel gebunden. Die Beherrschung von Techniken, die Möglichkeit ihrer unendlichen, an die Endlichkeit der Materialität (Farbe, Klangkörper) gebundenen Verfeinerung ist zunächst Widerstand gegen das arbiträr Elementare; gegen absolute Musik, gegen die absolute Linie.105 Klee bezweifelt nicht, dass es Einheit der Natur gibt, aber er bezweifelt, dass es möglich ist, sie anders als durch monadische Maschinen zu offenbaren. Denn bei der Definition der Zahl Eins handelt es sich um den Versuch, ihre Natürlichkeit zu legitimieren, um den Körper als aisthetische Kategorie auszuschalten und als ideale Einheit zu restituieren, das macht sie zu einem willkommenen Element soziologischer Statistik. Es war das Hilbert-Programm, das versprach, alle intuitionistischen Elemente aus der Mathematik zu verbannen. Die Konstruktivität der Zahl wird in eine Naturgegebenheit verwandelt, um damit auf zweifelhafte Weise der Zahl eine Physis zu geben. Wir treffen hier auf die von Worringer in genealogischer Rücksicht lancierten Kategorien von Intuition und Konstruktion, die für die Kunsttheorie des ausgehenden 19. Jh. so entscheidend werden. So steht es mit dem Einfluss Kandinskys und seiner Verführungskraft gegenüber Klee nicht zum Besten: „Als letzter abstrakter Ausdruck bleibt in jeder Kunst die Zahl“106 – so Kandinsky. Klee kann diesen Bezug zum Letzten nicht teilen. Er bleibt in der Mitte: wählen oder gewählt werden? An Musik interessiert ihn nicht die Emotionalität und das Romantische, 104 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt am Main 1985, S.122. 105 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.65. 106 Vgl. Dobbe, Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes, a.a.O., S.220. Eine technisch absolute Linie sieht Dobbe etwa in den Drippings von Pollock, die alles andere als kontingent sind, sondern ganz bewusstes Unterlaufen des „Figur-Grund-Verhältnis[es]“.
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sondern das „Musik-mathematische“,107 als das den Künsten Gemeinsame, das ihnen erlaubt, über die jeweiligen Sinnendifferenzen hinweg Beziehung aufzunehmen. Von daher nahm Klee auch die Grenzthematisierungen von Design, also industrialisierter und industrieller Gestaltung und Kunsthandwerk, also Körpereinbringung in das Produktionsergebnis, kritisch auf. Das Bauhaus war der Ort, an dem sich diese Differenzen fruchtbar konstellierten.108 Damit war ein Inventar von Gegensätzen gewonnen: Das Zeichen, die Maschine, die Schrift, die Spur, das Sphärische, das Bestimmte, die Linie, die Farbe, die Zahl, die Menge, die Gruppe. Luhmann ist in seiner theoretischen Darstellung des Kunstsystems bemüht, die technischen und ‚psychologischen‘ Momente der Kunst zu überbrücken, wenn er den Aspekt des Genießens des Aufschubs – die Einsicht in die Unerfüllbarkeit der Idee der Sterblichkeit, so der Begriff des Genießens bei Lacan109 – identifiziert. Genuss ist gesellschaftlich legitimierter Widerstand gegen das phantasmatische Telos des Todesaufschubs. Heutiger Kunst obliegt innerhalb der ästhetischen Funktionssysteme die Aufgabe, den konsumatorischen Genuss produktiv zu überwinden, ihn als Produktion zu retten. Luhmann führt weiter aus: Eine bloße Präferenz für nach Regeln angefertigte Werke reicht jetzt nicht mehr aus; denn in dem Maße, als man das Kunstwerk als nach Regeln gefertigt erkennt, erkennt man es auch als nicht neu und kann es deshalb nicht mehr genießen. Der Code muß jetzt abstrahiert werden, um Präferenz für positiv bewertete Kunst zum Ausdruck zu bringen; und eben deshalb können ihm keine Richtlinien mehr entnommen werden.110 107 Wassily
Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. Bern 2004, S.134.
108 Vgl. Ole Henrik Moe: Paul Klee und die Musik. Einleitung zum Katalog der Kunsthalle Frankfurt
1986, Berlin, S.14. Siehe Jochen Hörischs Einführung zur Ontosemiologie des Mediums Geld in: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main 1996, S.11ff. Hörisch geht von der in der Münze markierten Differenz von Zahl und Bild aus, die in sich die Struktureigenschaften der Metonymie und der Metapher versinnbildlicht, also den Gegensatz von Sinn und Sinnlichkeit paradigmatisch auf die Spitze treibt. Siehe auch ders.: Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Frankfurt am Main 2001, S.211. Hörisch bezieht den Begriff der Ontosemiologie auf das in modernen Medien angestrebte Zusammenfallen von Sein und Zeichen. 110 Zum Begriff des Genießens bei Lacan und Sartre vgl. Andreas Cremonini: Die Durchquerung des Cogito. Lacan contra Sartre. München 2003, S.160. Cremonini weist auf den Begriff der Verkörperung des Genießens hin. Der Genuss fundiert in der Einsicht, dass es unmöglich ist, die Sterblichkeit (den Körper) zu überwinden. Lust dagegen ist von der Hoffnung beseelt, es dennoch zu können. Bei Sartre ist das Genießen an die Einsicht in den Übergang zwischen Objekt und Subjekt gebunden. Dies wäre der Fetischismus als gelungene Abwehr der Todesdrohung der Dinge, vornehmlich ästhetisch, d.h. auf dem Feld von Design und Kunst. Vgl. Lacan, Die Ethik der Psychoanalyse, a.a.O., S.214f., im Hinblick auf den toten Vater in Freuds Mann Moses: „Diese Tat ist das ganze Geheimnis. Es verhüllt uns, daß die Tötung des Vaters den Weg zum Genuß, den man durch seine Gegenwart für verboten hielt, nicht nur nicht öffnet, sondern in verstärktem Maße verbreitet. […] Nachdem das Hindernis durch die Tötung beseitigt ist, bleibt gleichwohl der Genuß verboten und mehr noch: das Verbot gilt in verstärktem Maße. […] So kommen wir zu der Formel, daß, um zu diesem Genuß zu gelangen, eine Übertretung notwendig ist und daß das Gesetz genau dazu dient.“ 109
I. 4. DIE UNENTSCHIEDENHEIT 63
So abstrakt Luhmann die Strategie der Kunst als Regulativ des Genießens auch darstellt, so konkret könnte er sich dabei auf die Arbeit Klees berufen, der in der Zeit des Übergangs der Moderne in die Postmoderne erstens nicht ablässt von dem Gestus eines spielerischen, oft humorvollen Genussangebots, jedoch das Inventar der Codierung kritisch in diesen Witz einbindet. Denn, so Freud, der Witz ist eine Sache der Ökonomie und des Aufschubs.111 Freud bezieht den Genuss des Witzes auf eine infantile Regung, in welcher der Vergleich „innerhalb des Ich“, „innerhalb des Anderen“ und zwischen dem Ich und dem anderen112 die Situation des Spiegelstadiums aktualisiert. Ein isoliertes Zeichen ohne Beziehung, wie das ‚R‘ im Bild Villa R, diese unhaltbare Stellung eines isolierten Signifikanten, schiebt alle wohl geübte, serialisierte Zeichenbestimmung, die einem Wissen unterliegt, als Witz auf und zwingt den Betrachter, das Zeichen auf der Ebene des Lauts nachzuvollziehen und damit intermediale und sinnendifferenzielle Kurzschlüsse zwischen verschiedenen Realitätsbezügen zu entzerren – das heißt, so Luhmann, ‚die Codes umzuprogrammieren‘, sie werden szenisch entzerrt. Damit ist aber noch nichts über die leibliche und körperliche Umorganisation des Genießenden gesagt. Denn der Zuschauer ist jetzt Teil des Kunstwerks geworden. Der Betrachter wird dazu verleitet, den gesehenen Laut und den Anfangsbuchstaben z.B. des Wortes Rot zu verschieben und somit akustische Phänomene, die im Bild gerade substituiert werden, einzuführen. Der Buchstabe wird im glücklichen Wortsinn lautmalerisch, wo er doch auch eigentlich nur Ornament sein kann, im unglücklichen Fall wird das Bild zum Ort hysterischer Besetzung, es wird sprechendes Bild, schließlich Filmbild, und immunisiert sich gegen den Witz der Medieninkompatibilität. Als Ornament hat der heterotope Buchstabe genau diese Rekursivfunktionen, die Schleifen und Drehungen angenommen, die eine Funktionalisierung und Abstraktion des Sphärischen einleitet. Das deterritorialisierte Zeichen verursacht eine Krise, die in der Ökonomie des Universaldesigns und des ‚Neu‘ unzulässig ist: eine Glaubwürdigkeitskrise, die den sofortigen Einbruch der Verdeckungen des Todes und der Entdeckung der Endlichkeit aller Medialitäten zur Folge hat: eine Verführung, die, nach der Definition von Baudrillard, den Ausschluss des Dritten bewirkt und also die systemische Beziehung der Zeichen in der medialen Moderne ohne den Imperativ einer gesellschaftlichen Introjektion/Zensors zu denken wagt.113 Klee setzt den Witz dagegen, denn nur das Subjekt, weil es zum Aufschub des Genusses fähig ist, kann Lachen und im Lachen vergesellschaftet es sich kurzschlüssig wieder. 111
Ebd., S.323. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Frankfurt am Main 1981, S.34 u. S.96. 113 Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, a.a.O., S.184. 112
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Die Darstellung der Krise der inflationären Selbsthervorbringung des Zeichens hat, so Pöggeler, Heidegger als das eigentliche Verdienst Klees attestiert.114 Freilich begleitet Klee in dieser Hinsicht stets ein tragischer Zug, der, anders als Luhmann das für den „repräsentativen Maler dieses Jahrhunderts“, Picasso, konzediert, über die Ironie hinaus auf das Reale zielt, dessen Einspruchsinstanz, der Körper, auf seine eigene permanente Selbsthervorbringung angewiesen ist. Körperzeichen und Zeichenkörper mediieren sich unentwegt, ohne außerhalb einer hysterisierten Inflation auf ihr Produziertsein eingehen zu können. Schon Benjamin ging an Klees Engel der barocke, allegorische Gestus des Wissens im sprechenden Bilde auf. Denn das hysterisierte Bild kann, wie die theatrale Szene, nicht anders, als beständig seine ausgeschlossene Abschließung, die in seinem verfehlten Anfang liegt, todestriebdynamisch zu affirmieren. Der Anfang selbst ist aufgrund der Plötzlichkeit des Bildes, seines Ereignischarakters, innerhalb der Szene nicht zu thematisieren. Die Tragödie spielt sich selbst, solange nicht das Register gewechselt wird. Klee sieht sich gezwungen, das Zeichen als dessen Selbsthervorbringung im Bild als Laut erscheinen zu lassen.115 Beispielhaft findet man diese Sinneninversion im Bild Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber (1922). Insgesamt ist zu konzedieren: Es fehlt eine von außen kommende (dritte) Autorität, die eine Entscheidung zwischen Musik und Kunst legitimiert und das Opfer auf sich nimmt. Die von Heidegger bis Derrida als Ambivalenz von Ruf und Gabe der phoné charakterisierten Selbstbeziehungen unterlaufen die Stellung des souveränen Subjekts, indem sie auf dessen eigene Bildwerdung in Form der Personalisierung hinweisen. Ihre Emblematik ist folglich die der Maskierung und des Theatralischen. Es entgeht keinem Betrachter der frühen Grafiken Klees, dass hier die Personen sich reckend und krümmend aus einer Art Verpuppung, ihrer Hauthülle, herausarbeiten wollen, es aber nur um den Preis einer wie in einer Zwiebel eingeschlossenen endlosen Verhüllung vermögen. Wenn sie sich selbst wählen wollen, müssen sie sich in ihrem Werk rückvermitteln. Wenn unter dem Zeichen alles und jedes austauschbar geworden ist, wie unter dem ontosemiologischen Leitmedium des Geldes, dann lässt sich gerade die Antinomie der ursprünglichen Selbstreflexivität des Subjekts durch das Zeichen nicht darstellen. Das Zeichen, das weiß man nicht erst seit Peirce, unterdrückt systematisch den Aspekt der Performativität respektive des Ereignisses, den Klee systematisch protegiert.116 Den performativen Aspekt verlegt Klee auf eine Darstellung der 114 Jean Baudrillard: Von der Verführung, München 1992. Sowie im Verhältnis zum eingeschlossenen
Ausschluss des anderen Ralf Bohn: Verführungskunst. Politische Fiktion und ästhetische Legitimation. Wien 1994. 115 Otto Pöggeler: Bild und Technik. Heidegger, Klee und die moderne Kunst. München 2002. 116 „Während das konkrete Zeichen des allegorischen Bildes im strengen Sinne allein der Absicht dient, jenen abstrakten Begriff sinnfällig zu machen, auf den es verweist, also ganz und gar aufgeht in
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Interpunktion und auch mathematischer Zeichen bzw. auf Elemente, die Barthes prägnant „Textperformatoren“117 nennt. Das dyadische Zeichen und die Rede vom Signifikanten macht es sich, so Derrida, alles in allem betrachtet ein wenig zu leicht. Der Widerstand, denn im Grunde genommen gibt es immer Widerstand, besitzt nicht mehr dieselbe Form. Man hat den Eindruck, daß von nun an ein Theater diesen Widerstand programmiert oder in Szene setzt, das heißt auch die Replik, den Befehl zu ändern, zu streichen, zu korrigieren, zu überschreiben oder zu löschen. Der Text ist uns wie in einem Schauspiel gegeben, unverzüglich.118
Klees Figuren setzen den Charakter permanenter Unfertigkeit, Halbheit und verspielter Unbestimmtheit hinzu. Es sind Individuen, Organmaschinen, die ihre Eigenstörung als Selbstbewegung thematisieren, die ihr Subjektsein unermüdlich proben, Archivare eines unerschöpflichen Fundus an Masken und Kostümen, Seiltänzer zwischen den Welten, niemals entschieden, niemals autoritär. Klee demonstriert die Verschiebung von einer theologischen in eine semiologische Ordnung, indem er nicht entscheidet, sondern auf Zeit spielt. Vergessen wir nicht: Das Ereignis der Epiphanie der Malerei ereilt ihn am Vorabend des Ersten Weltkriegs erst im Alter von 35 Jahren. Jochen Hörisch hat eine solche Wendung zur ontosemiologischen Selbstbeziehung treffend bei Heidegger diagnostiziert: „So ‚verwindet‘ Heidegger die abendländische Onto-Theo-Logik, die einen Herrn des Seins und der Sprache als gründenden Grund hypostasieren mußte, um begründete Identität überhaupt denken zu können, zugunsten einer Ontosemiologie, die nur dem einen differenten Ereignis nachdenkt: Daß Sein als Zeit verfaßt ist und deshalb die ontologische Differenz von Sein und Seiendem zeitigt, ist das diskursive Ereignis.“119 Derrida hat an der Geste der Buchstäblichkeit des Buchstabens sowohl die Genauigkeit als auch die Materialität zu bedenken gegeben. Aber nicht, „weil sie eine physische oder sinnlich wahrnehmbare (ästhetische) Substanz oder sogar Materie wäre, sondern weil sie der prosaische Ort des Widerstandes gegen jede organische und ästhetische Totalisierung, gegen jede organische Form ist.“ Das Wirken (Werk) dieser Funktion, allererst lebensfähig wird durch die Bedeutung, für die es einsteht, zeigt sich die Res picta des Emblems existent vor aller Bedeutungsentdeckung, lebensfähig auch ohne den Sinnbezug, den die Subscriptio namhaft macht. Grundlage dafür ist der Wirklichkeitscharakter des im emblematischen Bilde dargestellten.“ Arthur Henkel und Albrecht Schöne (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst. Stuttgart 1996, S.XV. 117 Vgl. Derrida, Maschinen Papier, a.a.O.: „Die Performatizität schließt also im Prinzip, in ihrem ureigenen Moment, jede maschinenhafte Technizität aus.“ (S.38) „Die Exemplarität im allgemeinen, das ist die schwierige Hochzeit von Ereignis und Schreibmaschine.“ (S.129) 118 Roland Barthes: Der Geist des Buchstabens. In: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt 1990, S.109. 119 Jochen Hörisch: Das Sein des Zeichen und die Zeichen des Seins. Marginalien zu Derridas Ontosemiologie, S.42. Vorwort in: Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls. Frankfurt am Main 1979, S.198.
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des Buchstabens „leistet sowohl der schönen Form als auch der Materie als substantieller und organischer Totalität Widerstand“.120 Wenn Klee unter Einbeziehung der phoné als Dichter und nicht als Maler bezeichnet werden muss, der Zeit seines Lebens zwischen den Professionen des Musikers, des Grafikers, des Malers, des Dichters abwägt, dann unterstützt er die These von der ontischen Unablösbarkeit des Werks. Klee trägt dem Husserl’schen Argument Rechnung, Körperfühlbarkeit als grundlegendes Phänomen einer intentionalen Widerständigkeit zu beschreiben.121 Heidegger hat, was Klee einer mystischen Erleuchtung gleich in seiner Tunisreise literarisch überhöht, die Entscheidung der Zeit, von Kants Begriff der „Einbildungskraft“122 aus abgeleitet. Damit ist der Bogen von der frühromantischen Kunsttradition mit ihrem exponierten Ironie- und Kritikbegriff, dem Benjamin die wortmächtigste Untersuchung123 gewidmet hat, zur postmodernen Kritik am Ideologiecharakter des Zeichens, wie sie Baudrillard ausgesprochen hat, geschlagen.124 Stimme als Gabe, Gabe als Magie, Magie als Kraft, Kraft als Fetisch, Fetisch als Zeichen, Zeichen als toter Körper – so lauten die begrifflichen Konvertierungen Baudrillards. In der Kette dieser Konvertierungen wird das Paradigma der Gabe von Mauss,125 Bataille126 und Derrida127 zu retten versucht. Die Autorität der Gabe ist versiegt. Was Heidegger zunächst nur der Dichtung zutraute, nämlich als Stimme einer unverstellten Selbstpräsenz aufzutreten, traute er in der Zeichenkunst der Genesis Klee am ehesten zu, nämlich die in der Kunst anwesend gewesene Gabe in einer „Anamnese der Genese“ (Adorno) umzuleiten, wie sie die Interpretation 120
Derrida, Maschinen Papier, a.a.O., S.127. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, a.a.O., S.22. 122 Martin Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. Frankfurt am Main 1973, S.181: „Wenn die transzendentale Einbildungskraft als das reine bildende Vermögen in sich die Zeit bildet, d.h. entspringen läßt, dann gibt es vor der oben ausgesprochenen These: die transzendentale Einbildungskraft ist die ursprüngliche Zeit, kein Ausweichen mehr.“ 123 Walter Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. GS Bd. I, Frankfurt am Main 1980, S.78. „Denn der Wert des Werkes hängt einzig und allein davon ab, ob es seine immanente Kritik überhaupt möglich macht oder nicht. Ist diese möglich, liegt also im Werke eine Reflexion vor, welche sich entfalten, absolutieren und im Medium der Kunst auflösen läßt, so ist es ein Kunstwerk.“ 124 Als einen der wichtigsten ‚Nachfolger‘ der Klee’schen Vorarbeiten sieht Dobbe hier Cy Twombly. Sie folgt dabei der Argumentation Derridas: „Deutlicher nämlich als die Sprache, so die Grundüberlegung, zeigt vor allem die Schrift die Unablösbarkeit des Sinns vom sinnlichen Erscheinen und das heißt zugleich die Notwendigkeit einer Reflexion auf die medialen Bedingungen der Möglichkeit einer prozessualen Sinngenese an. Traditionell – von Platon bis ins 20. Jahrhundert – gegenüber der Sprache als sekundär, als nachträglich abgewertet, könnte gerade die Schrift zum Paradigma eines Vergleichs avancieren, der für die Malerei Cy Twomblys die zeitlichen Implikationen von Linie und Farbe im Schrift-Bild bedenken will.“ Dobbe, Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes, a.a.O., S.331. 125 Marcel Mauss: Gabentausch. In: Soziologie und Anthropologie. Frankfurt am Main 1989. 126 Georges Bataille: Die Aufhebung der Ökonomie. München 1985. 127 Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit Geben 1. München 1993. 121
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des Klee’schen Engels durch Benjamin erfahren hat.128 Versiegt aber die Gabe, so Sartres Argument, so ist man auf die Introjektion der gesellschaftlichen Aufgabe des Einzelnen verwiesen. Diese Entscheidung durch die Gesellschaft nennt Sartre Praxis. Und genau in diesem Moment entfernt sich Klee von der klassischen Künstlerpersönlichkeit und wird zu einem Arbeiter. Solange die unaufhebbare Differenz von Stimme (Musik) und Bild (Malerei) durchgearbeitet werden kann, braucht/kann die Schuld nicht in einem Dritten gehortet zu werden. Zur Schuldabwehr gibt der Klee’sche (wie Sartre’sche) Wahlspruch von 1938 „nulla dies sine linea“129 als Zauberspruch eine Antwort.
I.5.
EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT
Als Paul Klee im Juli 1926 in Dessau mit Kandinsky sein Künstlerhaus bezog, schien die Sache entschieden. Gropius war klar geworden, dass die freie Kunst gegenüber der angewandten für sozialrevolutionäre Aspekte nicht eingespannt werden konnte, wie später die Röhren der Junkers-Werke in die Schraubstöcke der Metallwerkstatt. Spätestens seit seiner ‚Flucht‘ nach Ägypten und der verspäteten Rückkehr entschloss sich Klee, den Verhältnissen ein Ende zu machen, auch weil seine ökonomische Lage sich nach der Inflation wieder erholt hatte. Hannes Meyer, der nach Gropius die Kommerzialisierung der Ausbildung am Bauhaus noch verstärken musste, wurde von Klee von der bevorstehenden Kündigung informiert, hatte selbst unter der Hand auch schon andere Pläne. Weiterzumachen kam Klee als „Sclaverei allzu bitter zum Bewußtsein. Ich will darüber nicht das alte lamentierende Lied singen, es kann ja auch nicht mehr lang so weiter gehn. Hannes Meyer ist schon orientiert. Es trifft ihn weniger, als es bei der Kündigung, die ich im Herbst vornehme, die Stadt treffen wird. Er selbst klammert sich auch nicht so sehr ans Bauhaus, wie ich sah, hat andere Aussichten genug.“130 Zwar gab es am Bauhaus eine Abteilung für Wandmalerei, die der Architektur 128 Gershom Scholem: Walter Benjamin und sein Engel. In: Zur Aktualität Walter Benjamins, Hg. Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 1972. 129 Vgl. Suter, Paul Klee, a.a.O., S.220ff. Es handelt sich um die Eintragung eines Plinius-Zitats in den Werkkatalog 1938 zwischen den Nummern 365 und 366. 130 Klee, Briefe, Bd. II, a.a.O., S.1121, vom 15.5.1930. Die Schwierigkeiten mit seiner Rolle am Bauhaus traten jedoch schon früher auf und betrafen sowohl die Bezahlung – 1926 wollte Gropius unter dem Druck des Magistrats von Dessau den hauptamtlichen Lehrkräften 10 Prozent ihres Gehaltes einbehalten, worauf Klee und Kandinsky sich erbost verweigerten. Andererseits sahen gerade die ‚Künstler‘ ihre Stellung in stetiger Gefahr. Vgl. Jürgen Glaesemer: Paul Klee Handzeichnungen II 1921-1936, Bern 1984, S.90ff. und S.156f.
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dienlich war, freie Malerei aber, wie sie Klee lehrte, das bleibt selbst dem Kollegen Schlemmer nicht verborgen,131 stellte von Beginn an Klees Berufung in ein abseitiges Licht. Je mehr das Argument der angewandten Kunst unter dem Einnahmedruck industrieller Fertigung in industrialisiertes Design und Zweckgebundenheit der Funktion drängte, umso mehr machte sich Klee über den sozialethischen Kapitalismus mit der Darstellung seiner anökonomischen Formensprache lustig. Design für alle, dieses Argument war zu sehr Alibi und spielte mit der Einheit der Bedürfnisse und der Industrialisierung ihrer Befriedigung, ging aber letztlich nicht an die Produktivinstanzen selbst heran. Es kam, was kommen musste, die Ausbildung am Bauhaus fiel der Industrialisierung zum Opfer, der sie sich andiente. Entscheidend für das Selbstverständnis Klees war, dass er die ökonomischen ‚Fakten‘ an den Designanspruch im Zuge der allmählichen Konkretion der billigen Funktion für alle – als Eingeständnis des Status quo der Konsumökonomie – nicht akzeptierte. Von jeher in seinen Karikaturen ironisch veranschlagt, greift Klee zu parodistischen Formen, die seinem Telos der Offenheit, dem Humor und der „Doppelcodierung“132 seines Habitus‘ entsprachen. Das zeigt nicht nur, wie reflektiert Klee seiner Situation am Bauhaus gegenüberstand, sondern auch, dass er die Idealität der Zwecke als Form fetischistischer Ideologie auslegte, deren positiver Kulturauftrag zwar nicht zu leugnen, am ehesten im Experiment aber widerstreitend offen zu halten war. Die Forderung nach dem immer wieder Neuen, der auch die Erneuerungsbewegung der Bauhüttentradition unterlag und die Grundfunktion von Warendesign ist, nimmt Klee zum Anlass, seine Kunst der individuellen Sinngebung als rückwärtsgewandt zu protegieren. Wir haben mit Luhmann gesehen, wie Klee parallel gegen den Abstraktionszwang auf die Vorgeschichte der Produktion rekurriert – einerseits, wie Haxthausen zeigt,133 indem er seine Bilder künstlich mit Patina aufwertet, andererseits dadurch, dass er in der Verfallsdarstellung die Ewigkeit des Kunstwerks in Beziehung zur Zeitlichkeit des Materialwertes bringt. Klee huldigt nicht dem Programm romantischer Ruinenkunst, sondern bindet, trotz aller isolationistischen Tendenzen, die er zum Programm um seine „Unberührbarkeit“ am Bauhaus erhob, den anderen in seine Kunst ein. Die Unfertigkeit des Bildexperiments koinzidiert mit der Unfertigkeit des Subjekts. Das Subjekt muss sich von dem Bild, das es von sich macht, befreien. So etwas wie eine negative Assoziation des Alterns, gemäß der Ästhetik des Dorian Gray, kann nur von der Idee einer idealen Bestimmung des Schönen als Maske aufkommen. „Die Tragödie des Alters ist nicht, daß man alt ist“, so lässt Oscar Wilde 131 Charles W. Haxthausen: Zwischen Darstellung und Parodie: Klees „auratische“ Bilder. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd.1. Bern 2000, S.21. 132 Ebd., S.25. 133 Ebd., S.24f.
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 69
Lord Henry sprechen, „sondern daß man jung ist.“134 Noch die Form des Bonmot verkennt die in Sprache versetzte Kurzlebigkeit glücklicher Ästhetik. Der Bezug auf die Endlichkeit der Werkabschließung steht im Kontrast zur Unendlichkeitsfunktion der prospektiven Selbstannäherung Klees. Körperkult und neurotische Hygiene, wie das Dorian-Gray-Symptom, zeugen von narzisstischer Einbehaltung135 und antizipieren Sterblichkeit in dem Maße, wie sie sie zu vertuschen suchen, gewinnen aber in diesem Widerstreit Lebendigkeit. Klees Skepsis gegenüber den vorschnellen Antworten und Verschiebungen ist von frühester Jugend an in seiner Zeitvorstellung disponiert. „Klee teilte den zu seiner Zeit herrschenden Glauben an die Kunst als Mittel intersubjektiver Kommunikation nicht.“136 Wie jede seismographische Seele verlangt er für seine Arbeit eine teleologische Stillstellung, die es ihm gestattet, sein eigenes Werden zu verfolgen. Diese Seismik verlegt sich auf die Stimme. „Ich schien mir charakterschwach, wenn ich der Stimme im Innern mehr Gehör schenkte als den äußeren Geboten. Kurz, ich sollte ein Mensch werden vor allem, die Kunst würde dann draus folgern“,137 so der Klee von 1898. In der Bestimmung des Menschen durch die Natur des Widerstreits wird der Anthropozentrismus des Ichs zwischen Intuition und Exaktheit rissig, auf einen „Pluralismus von Bewußtseinsschichten“138 zurückgeführt. So wie der Mensch noch nicht in seiner Zeit, so ist Klee noch nicht in seiner Profession angekommen. „Zuoberst die Kunst des Lebens, dann als idealer Beruf: Dichtkunst und Philosophie, als realer Beruf: die Plastik und zuletzt in Ermangelung einer Rente: die Zeichnungskunst (Illustration).“139 Und schließlich der lichte Moment: „Das Wort Selbstkritik taucht ein erstes Mal auf. Dann philosophiere ich über den Tod, der gutmacht, was im Leben nicht zum Abschluß gelangt. Die Sehnsucht nach dem Tod, nicht als Vernichtung, sondern als Streben nach der Vollkommenheit.“140 Nietzsche-Lektüre eines 22-Jährigen klingt hier nach, aber auch, dass das Medium der Selbstvermittlung noch nicht gefunden ist, der genealogische Streit zwischen Können und Wollen ist lange noch nicht zum Stilprinzip medialisiert. Medialisierung heißt Aushalten der Mitte, nicht kommunikative Vermittlung. Klee ist also von Geburt an väterlicher- und mütterlicherseits mit Musik infi-
134 Wilde,
Dorian Gray, a.a.O., S.255.
135 Harth/Gieler, Psychosomatische Dermatologie, a.a.O., S.52: „Das klinische Bild des Syndroms ist
diagnostisch dabei durch Symptome der körperdysmorphen Störung, des mit narzisstischer Regression verbundenen sozialen Rückzugs und der Verleugnung persönlichkeitsstrukturierender Reifung charakterisiert. Lifestylemedikamente werden oftmals eingenommen, um diesem Ziel näher zu kommen.“ 136 Haxthausen, Zwischen Darstellung und Parodie, a.a.O., S.24. 137 Paul Klee, Tagebücher 1898 – 1918, a.a.O., Nr. 66, S.35. 138 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.149. 139 Klee, Tagebuch, a.a.O., 1901, Nr. 137, S.59. 140 Ebd., Nr. 143, S.61.
70 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
ziert.141 „Nur zur Musik habe ich stets gut gestanden“,142 notiert er in Hinblick auf seine problematischen Versuche mit dem Zeichnen, der Plastik, dem Malen, dem Radieren. Grohmann sieht diese Beziehung zur Musik, insbesondere was den Akt der Notation betrifft, verstärkt auch noch in der Weimarer Zeit: „Alles was Klee an Musik in sich hat, baut er als Fundament in seinen Versuch einer bildkünstlerischen Formlehre ein.“143 Das Vorbild der Musik, deren Kulturvorsprung Klee bei jeder Gelegenheit unterstreicht, ist geradezu die theoretische Basis seiner vom Elementaren sich entwickelnden kunstpädagogischen Lehre: ihr Credo ist das Spurlose, schuldfreie Verklingen, ihre Gewalt der mathematisierte Schalldruck, den kein Ohr verschließt. Klees Hinwendung zur Malerei ist auch Ausflucht in ein Gebiet, von dem er glaubt, dass es als unterentwickeltes noch am leichtesten entwicklungsfähig wäre. Die Suche verfängt sich zunächst noch in „nervöse[n] Herzaffektionen.“144 Man kann das als Folge einer Überanstrengung in der Arbeit und schlechtes Essen einer ärmlichen Künstlerexistenz in München abtun. Die Rastlosigkeit ist aber Ausdruck eines suchenden Glaubens an die Kraft der eigenen Bestimmung, in einer Zeit, in dem es zwar Anrufungen, aber keine Genies mehr gibt. Klee war ein unendlich geduldiger Meister darin, den Spagat ins Endlose zu spreizen und diese körperliche Deformation von Anspruch und Darstellung karikierend zu bannen. Tod als Vollkommenheit – das meint die geduldige Arbeit des in sich Hineinhörens. So krümmt sich der arbeitende Körper wie in der Zeichnung Gewaltsamer Tod (1912). Zuhören ist nichts, was sich über Zeichen realisieren lässt. Es ist eine Weise Sinn zu verleihen, in der Weise, wie der Mythos Sinn verleiht.145 In dieser Hinsicht ersetzt der Begriff ‚Arbeit‘ den der ‚Kommunikation‘. Eco hat sich für eine Begrenzung der Kompetenz des Zeichens bezüglich der Subjektfunktion ausgesprochen. Da das Subjekt der Äußerung mit seinen Eigenschaften und Einstellungen von den Aussagen vorausgesetzt wird, muß es als Element des übermittelten Inhalts gelesen oder interpretiert werden. Jeder andere Versuch, eine Betrachtung des Subjekts in den semiotischen Diskurs einzuführen, würde die Semiotik eine ihrer „natürlichen“ Grenzen überschreiten lassen. Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß manche semiotischen Untersuchungen diese Schwelle überschreiten, die Semiotik zur Erforschung der kreativen Aktivität eines mit der Semiose befaßten Subjekts machen und dabei dieses Subjekt nicht als phänomenologisches transzendentales Ich, sondern als „Tiefen“-Subjekt im freudschen Sinn verstehen.146
141
Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.26. Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 52, S.63. 143 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.159. 144 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 135, S.59. 145 Umberto Eco: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. München 1987, S.23. 146 Roland Barthes, Mythen des Alltags. Frankfurt am Main 1980, S.85ff. 142
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 71
Abb. 10 ∞ Paul Klee: Gewaltsamer Tod, 1912
Es ist bemerkenswert, dass Klee der Idee des personalisierten Körpers in seinen Abbildungszyklen den Körper als funktionales Zeichen gegenüberstellt. Der Körper scheint in einer Verpuppung als Zeichen für einen anderen gefangen, möchte aber doch ein Zeichen für sich selbst sein. Die Metamorphose ist noch nicht vollzogen – die zweite Geburt noch nicht angebahnt. Klee folgt mit der Idee der zweiten Geburt dem Natur- und Kulturbegriff der Stasen des Selbstbewusstseins Schellings.147 In der Romantik wird diese Idee nicht fortgeführt, aber sie taucht, über Kierkegaard vermittelt, in der Darstellung der Genealogie des Subjekts bei Sartre wieder auf. Es ist eine der uneingestandenen Prämissen des späten Sartre, dass die erste Geburt durch einen Akt der Setzung sich von der Bestimmung durch den anderen lossagen muss, um seine Freiheit zu erlangen. Aber nicht Autarkie und Autonomie prägt diese zweite Geburt, sondern Personalisierung, die introjizierte Ersetzung des konkreten anderen durch alle anderen, die Gesellschaft. Erst dann kann die Körper-Bild-Trennung reflektiert werden, Introjektion heißt, Transformation des Bildes in innere Stimme. Sartre hat die ödipale (autarkisierende) Bestimmung der Freiheit, die er in Das Sein und das Nichts proklamiert, in der Kritik der dialektischen Vernunft revidiert, und auch Klee wird spätestens in seiner zweiten Münchner Zeit das Eigenbrödlerische seiner selbstgesetzten ‚Freiheit‘ erkennen. 147 Eco, Semiotik, a.a.O., S.399f., auch S.402: „Die Semiotik behandelt die Subjekte der semiosischen Akte in derselben Weise: entweder lassen diese sich in Kategorien semiotischer Systeme erfassen oder sie sind – für diese Betrachtungsweise – nicht existent.“
72 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
1948 verteidigt Sartre seine ästhetischen Vorstellungen von der engagierten Literatur, indem er sie zu einer ‚engagierten Malerei‘ ins Verhältnis setzt. Engagierte Literatur bezieht sich auf Dinge und Sachen und nicht auf eine sekundäre (politische) Bedeutung von Zeichen. Das heißt, Literatur – wie jede Kunstgattung – umgeht das Reich der Zeichen und taucht in das Reich der Dinge oder Handlungen ein, die natürlicherweise in der Literatur die Bedeutungen von Handlungen und die Zeichen als Handlungsweisen sind. Das ist die Bedeutung von ‚engagiert‘. Der Künstler soll sich nicht als Dekorateur eines prostituierten Innenlebens aufführen, fordert Sartre. Für das bloß Repräsentative – den Bildungsroman des 19. Jh. noch vor Augen – ist das in der Repräsentation erstarrte Zeichen nur Bestätigung eines ebenso erstarrten Subjekts. Im Gegensatz dazu steht diejenige Kunst, die gegenüber dem Leser wie dem Betrachter den Standpunkt eines kontinuierlichen Arbeitsvollzugs anbietet. Nicht Genuss, sondern Lust ist ihr Metier. „Mit einem Wort, der Leser ist sich bewußt, daß er zugleich enthüllt und schafft, schaffend enthüllt, durch Enthüllen schafft. Man darf ja nicht glauben, daß Lektüre ein mechanischer Vorgang ist und daß die Zeichen so auf den Leser einwirken wie das Licht auf einer fotografischen Platte.“148 Sartre kann an Klee den modernen, engagierten Künstler erkennen. „Größe und Irrtum Paul Klees“, so Sartre, „beruhen auf seinem Versuch, eine Malerei zu machen, die zugleich Zeichen und Gegenstand ist.“149 Mit dieser These präzisiert er das Problem des Körper-Bild-Widerstreites anders als Merleau-Ponty, nicht in einem synästhetischen Leibbegriff, sondern in einem gesellschaftlichen Produktionsverhältnis, das sowohl in der Dichtung als auch in der Malerei von einem ‚Ausfließen‘ der Individualität in Gesellschaft bedroht ist und deswegen einen artistischen Widerstand formuliert. Sibylle Krämer hat auf den Aspekt des Ausfließens in Schrift hingewiesen. Eine Schrift ist somit ein notationales Medium, welches im Unterschied zum dichten, zum piktoralen Medium mit Lücken bzw. Leerstellen arbeitet. Es ist diese Art von ‚LeerstellenSichtbarkeit‘, die im Zusammenspiel von Disjunktivität und Differenziertheit entsteht, auf die sich unser Ausdruck ‚Zwischenräumlichkeit‘ bezieht. Dadurch wird eine Modalität von Sichtbarkeit eröffnet, die wir als ‚Syntax-Visualität‘, als ‚Strukturbildlichkeit‘ beschreiben können. Diese sei nun, im Unterschied zur ‚piktoralen Ikonizität‘ traditioneller Bilder, die ‚notationale Ikonizität‘ der Schrift genannt.150 148
Natürlich ohne sie zu kennen. Schelling entwickelt diesen Begriff der zweiten Geburt („2te Potenz“) am methodischen Begriff der Inversion, vor allem in: Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesungen WS 1820/21. Bonn 1969. Er beginnt die Vorlesungen mit dem Problem der Initiation einer Ganzheit, die ihre Ausschließungen einschließen muss. Wie von Schelling zu Lavater und damit zu Klages wichtiger Schrift Handschrift und Charakter (1917) und darüber hinaus eine Adaption der Linienproblematik bei Worringer führt, erläutert Bonnefoit, in: Von der Bedeutung der Schlangenund Zick-Zacklinie in Klees Kunsttheorie, a.a.O., S.52ff. 149 Jean-Paul Sartre: Was ist Literatur?, Reinbek 1990, S.39. 150 Ebd., S.14.
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 73
Auf diesem Weg der begrenzten Abhebung des Ausfließens entwickelt Klee sein Prinzip der inversen Linie. Der Personalisierung Klees kommt im Hinblick auf die Darstellung der Selbsthervorbringung als Möglichkeit einer zweiten Geburt besondere Bedeutung zu. Denn unter Personalisierung versteht Klee die Überschreitung der narzisstischen Realität (Autonomie) der Zeichen auf ihre Strukturbildlichkeit (kosmologische Natur) hin und somit die Ausfüllung der „Leerstellen-Sichtbarkeit“ im Stil. Der technischästhetische Widerstand, den das Zeichnen bietet, wird ethisch, transformiert das Kunstkönnen (den Realismus) in ein Kunstwollen, das heißt, eine Stilistik. Über die zögerliche Professionalisierung Klees ist viel dem literarisierten Tagebuch zu entnehmen: Die Emanzipation der Künste, die Erarbeitung der Menschwerdung, als müsse man seine Geburt auf einem zweiten Weg noch einmal bestreiten, die Ausprägung eines persönlichen Stils und die Wahl eines geeigneten Widerstandes, in dem dieser zum Ausdruck kommt, sind die Themen des Tagebuchs bis etwa 1912. Klee betrachtet auf seiner ersten italienischen Reise ein elfjähriges Mädchen: „Man konnte lernen, die Schönheit nur in der Wahrheit des Ausdrucks zu sehen. Man konnte ersehen, daß ein Talent Dinge vorausfühlt, die es später erst etwa erleben kann, wobei zustatten kommt, daß die stärksten Gefühle die primitiven sind. Die Zukunft schlummert im Menschen und muß nur erwachen. Werden kann sie nicht. Deshalb kennt auch ein Kind den Eros.“151 Zweimal geboren werden, dass heißt, die Gabe der Geburt für sich selbst rechtfertigen. Diese Erweckung aus dem Äußeren nennt Sartre Personalisierung: das Einverständnis mit dem Körper als Objekt des Genießens, eine Art Mimetik mit allen anderen Menschen, die eben auch nicht über die Einheit verfügen, die sie als Bild zu verkörpern glauben. Im Juni 1902 schreibt Klee, schon etwas sicherer im Umgang mit seiner Selbstsuche: „Die Hauptsache ist jetzt auch nicht, frühreife Dinge zu malen, sondern selbst Mensch zu sein oder doch zu werden. Die Kunst, das Leben zu meistern, ist die Grundbedingung zu allen weiteren Äußerungen, seien es jetzt Malereien, Plastiken, Tragödien oder Musiken. […] Daß dies nicht durch ein paar Leitsätze geschieht, sondern wie Natur wächst, ist klar.“152 Die Anerkennung von Natur verlangt den Eintritt in die Ökonomie des Begehrens und somit die Anerkennung des Opfers. Zwar ist, was wir werden, „teilweise vom Mutterleib an schon vorhanden, schicksalsmäßig bestimmt“,153 aber der Eintritt in den eigenen Ursprung verheißt auch die Reinvestition der Autonomisierung. Doch die sekundäre Selbstgabe ist abermals opferpflichtig – diesmal ödipal, inzestuös in der Selbstbespiegelung im eigenen 151
Sybille Krämer: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift. In: Sybille Krämer, Horst Bredekamp (Hg.), Bild – Schrift – Zahl. München 2003, S.163. 152 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr.411/412, vom 3.6.1902, S.129. 153 Ebd.
74 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Werk. „Jetzt beginnen gefährliche Momente, wo mich die Natur verschlucken will, ich bin dann gar nichts mehr, aber ich habe den Frieden.“154
Abb. 11 ∞ Paul Klee: Mutter und Kind, 1939
So zeichnet Klee organische Vexierbilder, in denen die Linie mediale, metamorphotische Funktionen besetzt – als Sehwege mit allegorischer Verweisungskraft. Symbolisch ist dieser Gedanke etwa in Mutter und Kind (1939). Sartre hat diese Widerständigkeit der Linie zwischen Ausdruck und Form bei Giacometti wie folgt beschrieben: „Wie geht es jedoch an, sie [die Person, das Modell; R.B.] auf die Leinwand zu bannen, ohne sie mit Linien zu umreißen? Läuft sie nicht Gefahr, in die Leere zu zerplatzen wie ein an die Meeresoberfläche heraufgeholter Tiefseefisch? Eben nicht: die Linie bedeutet eine aufgehaltene Flucht, stellt ein Gleichgewicht zwischen Außen und Innen dar.“155 Während bei Giacometti die Linie eine Passivität gegenüber der realen Begrenzung darstellt, ist die Linie bei Klee eine aktive Entgrenzung, die sich in der Entgrenzung aber vor sich selbst schützen muss, indem sie sich in einen sphärischen Hintergrund, der ganz malerisch, kosmisch ist, 154 155
Ebd., S.133. Sartre, Die Gemälde Giacomettis, a.a.O., S.282.
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 75
einschreibt. Die Linie betritt die Szene, kann man bei Klee sagen, um den Inzestsog der zweiten Geburt abzuwehren. Diese Abwägung des Widerstandes zwischen der befreiten Grenze und der begrenzten Befreiung macht die Austarierung der ‚gemalten Zeichnung‘ und den eigentlichen Stil der Klee’schen Darstellung aus. In der ambivalenten Bestimmung deutet sich eine Parade der Linearität des Sprechens (und der Buchstaben) gegen die Funktion des Bildes an, von der wir gesagt haben, dass sie sich auf die allegorische Synchronität elementarer Beziehungen stützt. Das Bild ist eine Art Rebus, ein Sprachdenkbild, wie Freud es in der Funktion des Traums erkennt, das erscheinen kann, wenn es seine endogene Widerständigkeit an sich selbst zwischen Sichtbarkeit und Zurücknahme als Rätsel darzustellen vermag.156 Das meint Freud mit dem großen, dritten Philosophem der Traumdeutung, der „Rücksicht auf Darstellbarkeit“ ausdrücken zu wollen. In dieser Haltung – dem Vernehmen des Rätsels – und der Selbstentäußerung als einem Vernehmen-füreinen-anderen vollzieht sich die Geburt der Gesellschaft und ereignet somit sich jener Vorgang der Personalisierung, von dem Sartre als zweiter Geburt spricht. Es bleibt eine omphalische Bindung, die gegenüber der ersten Geburt einen wesentlichen Vorteil besitzt: Sterblichkeit kann im Werk, insbesondere im Kunstwerk ausgehalten werden, weil die Person in monadischer Einheit durch dieses Werk mit dem Werk aller anderen verbunden ist. Es gilt nun, das Bild wieder auf seinen monadischen, szenischen Ursprung zu reduzieren: „Ich lerne ganz von vorn“, schreibt der schon akademisch ausgebildete Klee 1902, „ich beginne zu formen, als ob ich nichts wüsste von aller Malerei. Denn ich habe ein ganz kleines unbestrittenes Eigentum entdeckt: eine besondere Art der dreidimensionalen Darstellung auf der Fläche. […] Ein fliegender Mensch! […] Ich bin mein Stil.“157 Das Eigentümliche besteht darin, die Elemente synchron auf der Fläche gleichsam wie Buchstaben Nebeneinander in eine Handlungsperspektive zu fügen, also einen gestaffelten Bühnencharakter zu inszenieren. Auf dieses Eigentum hin kann Klee das Recht auf schuldfreie Produktion ableiten. Das hindert ihn nicht, weiterhin zunächst ganz profan von der Musik und von den 156
Sigmund Freud: Die Traumdeutung. Frankfurt am Main 1984, S.234f. „Der Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre geführt, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwert anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. […] Die richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. […] Ein solches Bilderrätsel ist nun der Traum, und unsere Vorgänger auf dem Gebiete der Traumdeutung haben den Fehler begangen, den Rebus als zeichnerische Komposition zu beurteilen. Als solche erschien er ihnen unsinnig und wertlos.“ Insbesondere beschäftigt sich Freud hier auch mit dem von Herbert Silberer eingebrachten Begriff der ‚Funktionalität‘. Zwischen symbolischem und funktionalem Moment besteht die Tauschform der Inversion. 157 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 425, vom 22.6.1902, S.134.
76 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Klavierstunden seiner Frau seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. „Die Musik hat oft getröstet und wird oft trösten, wenn es sein muß.“158 Aber das Andere ist das Eigene geworden, ohne in Gebrauchsgrafik oder Illustration zu verfallen und ohne sexuelle Sublimierung, die die „Monstren der Perversion“159 gebiert. Bei aller „Abneigung gegen die Fortpflanzung“160 erarbeitet sich Klee in einer Art erotischer Epigenese. Das geschieht zunächst klassisch, über den Akt der Allegorese. Die Allegorie im Barocken Verständnis ist die Übertragung der Schrift ins Leben, in ein nebeneinander der Techniken. Klee bemüht für seinen Begriff des Werdens den der Entfaltung. Das Gewordene kann als Gewordenes nur werdend sein, wenn es sich von dem, was es hervorbringt, nicht gänzlich löst. Aus „Mutter Natur“, aus „mütterlicher Hand“161 entsteht eine Klee wohl vertraute Nähe zur Goethe’sche Ursprungsform.162 Eine Zeit lang kratzt Klee seine Figuren aus geschwärzten Glasscheiben, als wäre das Bildgeben kein Akt der Beschmutzung und Verdeckung, sondern ein Akt der Lichtung und Entfaltung. Das, wovor die Künstler Angst haben, die weiße Leinwand, das weiße Blatt Papier, stellt in Wirklichkeit den Endzustand der Kunst dar: das entschuldete Bild – ganz im Gegensatz zur Schuldekstase des Schwarzen Quadrats von Malewitsch – ist weiß, die alte Farbe des Todes, die Farbe der reinen Vollendung. Klee testet in dieser Zeit unentwegt Techniken. Die Radierungen arbeiten mit einem Negativ, die Hinterglasbilder mit einer Schwarzgrundierung (m[ein] Vater, 1906), bei den Zeichnungen wird dagegen der Blattgrund so lange bearbeitet und bemalt, bis er den Zustand eines alten Pergaments erreicht und seine Designhygiene verliert. Damit geht die Produktionsvorgeschichte, das Gedächtnis der Dinge, in das Werk ein. „Also heißt es jetzt: „Es werde Licht.“ So gleite ich langsam hinüber in die neue Welt der Tonalitäten“,163 schreibt Klee 1905 während des langen Berner Zwischenaufenthaltes, als er an den Hinterglasbildern seine Entdeckungen macht:
158
Ebd., Nr. 429, S.135. Ebd., Nr. 170, S.67. 160 Ebd., Nr. 538, S.157. 161 Ebd., Nr. 633, S.186. 162 Zwischen Klees und Beuy’ Kunstauffassung gibt es einige Gemeinsamkeiten, insbesondere auch, was die Darstellung der Lemniskate bzw. des Möbiusbandes betrifft. Zum Problem der Urpflanze als eines „niemals fertigen Organismus“ (S.117) vgl.: Volker Harlan: Die Dynamik der Urpflanze, wie Klee, Goethe und Beuys sie sahen. In: Paul Klee trifft Joseph Beuys. Ein Fetzen Gemeinschaft. Ostfildern 2000, (Ausstellungskatalog Museum Schloß Moyland). 163 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 632, 185. Auch Nr. 757, S.207 (1906): „Ich habe es erreicht, die ‚Natur‘ direkt in meinen Stil umzusetzen. Der Begriff Studie ist überholt. Alles wird Klee sein, ob nun zwischen Eindruck und Wiedergabe Tage liegen oder nur Momente. […] Die Produktion braucht dann nicht zu stocken, nie mehr. Natürlich wird ein Dualismus fürs erste nicht ganz zu vermeiden sein. Ob ich auch einmal auf farbigem Gebiet einmal so weit komme? Jedenfalls ist ein Bann mehr gebrochen, und zwar der schwerste, der härteste, den es für den Künstler gibt.“ 159
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 77
Das Mittel ist nicht mehr der schwarze Strich, sondern der weiße. Der Grund ist nicht Licht, sondern Nacht; daß die Energie eine aufhellende ist, entspricht dem Vorgang in der Natur. Es ist dies wohl ein graphisch-malerischer Übergang. Malen will ich nicht, aus bescheidener Vorsicht!164 Immer mehr drängen sich mir Parallelen zwischen Musik und bildender Kunst auf. Doch will keine Analyse gelingen. Sicher sind beide Künste zeitlich, das ließe sich leicht nachweisen. Bei Knirr165 sprach man ganz richtig vom Vortrag eines Bildes, damit meinte man etwas durchaus Zeitliches: die Ausdrucksbewegungen des Pinsels, die Genesis des Effektes.166
Abb. 12 ∞ Paul Klee: m Vater, 1906
Wenn die Synthese gelingt, dann ist das Zeichen in seiner zeitlich-räumlichen Disponibilität komplettiert, dann werden die verstreuten Elemente und Figuren als Szenifikationen, Produktionsgeschichte lesbar. Doch Klee drängt nicht auf Identität, sondern spricht von „Analyse“. Erst die Analyse führt auf die Ursprünglichkeit der Kunst in Analogie zur Natur. Diese gilt es bildimmanent durchzuführen: allegorisch im Sinne des synchronisierenden Rebus, in dem die versprengten Dinge und Halbdinge sich zum Sinn fügen müssen, oder funktional, in der Bewegung der gestischen Linie, die sich wie die Geste einer Handlung auf ein Außen des Bildes/der Szene beziehen kann. Dieses Außen, das der Körper in einer Äußerung als Leibraum konstituiert, vollzieht sich außerhalb des Bildes, in der Praxis. Otto Pöggeler hat mit einem anthropologischen Hinweis auf die Analysen Klees reagiert, den er, in Absetzung von Heideggers Anthropologiekritik, folgender 164
Ebd., Nr. 632, S.185.
165 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.30: „Klee beginnt […] im Oktober 1898 sein dreijähriges Studium
in München und arbeitet auf Rat des Akademiedirektors Ludwig Löfftz bei Heinrich Knirr.“ Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 640, S.187.
166
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Überlegung Klees aus dem Jahre 1912 entnimmt. Es gibt nämlich noch Uranfänge von Kunst, wie man sie eher in ethnographischen Sammlungen findet oder daheim in seiner Kinderstube. Lache nicht, Leser! Die Kinder können es auch und es steht Weisheit darin, daß sie es auch können! Je hilfloser sie sind, desto lehrreichere Beispiele bieten sie uns, und man muß auch sie schon früh vor einer Korruption bewahren. Parallele Erscheinungen sind die Arbeiten der Geisteskranken.167
Die Analyse bei Klee ist keine der Elemente, sondern eine der Vorgeschichte des Bildes. Diese aber besteht in der Aufhebung der Bannung des lauteren Phantasiestromes in Schrift. Schrift als Vorgeschichte des Bildes führt auf den ambivalenten Charakter des Stimmbildes zurück. Kinder und Geisteskranke sind von den Bannungskonventionen befreit, indem sie die Zuordnung der Sinne zu den Entäußerungen nicht anerkennen und auf eine monadische Synästhesie verweisen. In welche kulturgeschichtliche Situation ist Klees Arbeit einzuordnen? Eine Darstellung des Ursprungs der Kunst aus dem Geist des Designs führt auf das barocke Konzept einer mathesis universalis, eines sich selbst hervorbringenden, doppelt codierten Programms, das, nach Leibniz, keine Außenposition zulässt. Ähnliche Hinweise liefert Pape, mit dem Verweis auf die Sichtbarkeitsmetaphorik, die der ‚fensterlosen Monade‘ inhärent ist.168 Die Idee der einschließenden Ausschließung, der immanenten Logik der Vergesellschaftung hat Sartre in seiner Kritik der dialektischen Vernunft bewogen, aus dem reinen Zeichen, der Zahl, eine Theorie der Verhältnissetzung von Subjekt und Gesellschaft, bzw. von Ich und anderem zu entfalten. Damit bindet er die Zahl (Eins, Element der Elementarhypothese) an die ideelle Einheit des Körpers in einer sozialen Gruppe. Sie wird hier nicht nur deshalb thematisch, weil Klees Kritik des Zeichens sich in der Ambivalenz von konventionalisiertem Sinn und subjektivem Stil positioniert und der Kontingenz des Zeichens im Diskurs misstraut, sondern weil Klees Naturbegriff nicht im Gegensatz zur Kunst, sondern in Analogie zu ihr als Modus des Werdens (als automaton, Serialität) gedacht ist. Kunst dient dazu, ein ganzer Mensch unter Menschen zu werden, das heißt die Stasen von Individuum, Subjekt und Person zu vollziehen. Sartres Versuch zielt ebenfalls nicht mehr auf logische Schematisierung, sondern auf performative Szenifikation; verbleibt, wie der Versuch Klees, auf der Widerstand sichernden Folie des anthropomorphen Bildes, in der Gewissheit, dass das mediale Dritte nur phantasmatisch sich aus dem Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft stiehlt. Welche Einheit aber ist ‚Gesellschaft‘? Bei Klee ist stets zu bedenken, dass er von der Raum konstituierenden und 167
Ebd., (1912), Nr. 905, S.276 und Pöggeler, Bild und Technik, S.234.
168 Helmut Pape: Die Unsichtbarkeit der Welt. Eine visuelle Kritik neuzeitlicher Ontologie. Frankfurt
am Main 1997, S.163ff.
I. 5. EINE ZWEITE GEBURT WIRD ANGEBAHNT 79
bannenden Linie kommt, also von der Grafik und Schriftspur. Erst spät wendet er sich der Farbe, der Fläche und der Malerei zu. „Daß er sich in dem entscheidenden Augenblick selbst realisiert“,169 so Kierkegaards Hinweis auf das Problem des Sohnesopfers bei Abraham, kann gemäß der lutherischen Setzung nur über die dämonische Entfremdung zur eigenen Stimme erfolgen. Kierkegaard hat diese Situation der Selbstbeziehung in seiner Darstellung Furcht und Zittern eingehend analysiert, indem er den ganz Anderen (göttliche Stimme) durch die Szenifikation des Sohnesopfers realisiert. Abraham muss sich zwischen Werk (Sohn) und Idealität (Stimme) entscheiden. Das Erscheinen der Stimme ist (in Abraham) nicht sagbar, nicht zu ‚vergesellschaften‘. Wird das „letzte Wort“ darüber gesprochen, stirbt der Held, „ehe er stirbt“.170 Der Held der vorpersonalen Selbstbeziehung stirbt also zweimal (Narzissmus und Ödipalität – Autonomie und Autarkie), muss deswegen auch zweimal geboren werden, einmal im Werk, das zweite Mal als Person. Statt göttlicher Gabe verstrickt er sich in die gesellschaftlichen Widerstände. Dass er existiert, macht ihn noch nicht zum Menschen, erst sein Engagement, die Wahl seines Widerstandes bestimmt ihn dazu. In diesem Sinne sind Bilder Häutungen. „Was auch das Geschlecht vom anderen lernt, das eigentliche Humane lernt kein Geschlecht von einem vorangegangen. In dieser Hinsicht beginnt jedes Geschlecht primitiv [von neuem].“171
169
Sören Kierkegaard: Furcht und Zittern. Hamburg 1992, S.109. Ebd., S.109. 171 Ebd., S.113. 170
80 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
I.6.
ERSTE SZENIFIKATION: VON DER EINBILDUNG ZUR SICHTBARKEIT
Die Szenifikation, die sich der Balance des Übergangs zwischen Hören und Sehen widmet, spielt im märchenhaften Wald der Vorgeschichte des Subjekts, in dem das Imaginäre noch dämonisch und die Realität noch in tausend Fragen zerfällt. Stellen wir uns folgendes Gedankenexperiment vor: Setzt man ein Kind in dunklem Wald aus, so wird es aufgrund des Bildausfalls in einer halluzinatorischen Allegorese alle Schemen des Waldes in Teufelsgestalten,172 „Hexen, Kobolde, Trolle usw.[,]Mißgeburten“173 verwandeln, um seine Blickkompetenz zu wahren, und als identifizierendes Wissen den amorphen Nebeln anbefehlen. In Halluzinationen gewinnen Gespenster funktionale Dominanz, sind nicht fassbar und also böse. Als Gespensterwesen annoncieren sie die Gefahr des imaginär-realen Differenzverlustes. Denn der märchenhaft ‚dunkle Wald‘ hat kein Gedächtnis, er ist Reservat zeichenloser Aktualität. Die Missgeburten sind funktionaler Ausdruck einer Wahrnehmung, die auf halbem Wege zur Erkenntnis stecken bleibt.174 Die szenische Voraussetzung des dunklen Waldes soll ja eben die Enteignung einer nicht autorisierten Referenzordnung sein. Zugleich ist der Wald aber auch Ausdruck ungeschiedener Sinnesleistung, die erst ein „Palast aus Abstraktionen“175 und als Folge davon Fähigkeiten der Übertragung konturiert. Es droht ein Ausfließen des Körpers in die Welt, eine organische Durchmischung, „weil die Dinge und mein Körper aus dem gleichen Stoff gemacht sind.“176 Angstausbruch (1939) und hört Stimmen (1938), aber auch eine Vielzahl früherer Bilder zeigen diesen durchmischten, partialisierten Körper, der in seine Organbestandteile zerfällt und in dem Medium Papier wie in einem See unterzugehen droht. Man kann das Kind im Moment seiner Auflösung nicht durch ein Außen der Angst in einen reflektierenden Zustand versetzen, denn es beginnt nun ein hemmungsloses ‚Fotografieren‘: jeder Ast, jede Wurzel werden zu einem Bild geformt, das dem Auge die Macht zurückgeben soll, die es in der Konstitution der Weltverhältnisse besitzt. Beginnt man aber, die Welt im Dunkel zu entdecken, so 172 Rudolf Heinz: Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit. In: Psychoanalyse und Philosophie, Jb. 5. Düseldorf 2005, S.106. 173 Kierkegaard, Furcht und Zittern, a.a.O., S.99. 174 Zur Verschiebung der freudianischen Begriffe ‚Unbewusstes‘ und ‚Bewusstsein‘ auf die Sartre’schen Begriffe ‚Wahrnehmen‘ und ‚Erkennen‘ siehe Rudolf Heinz: Jean-Paul Sartres existentielle Psychoanalyse. Korrektur der Metapsychologie und narzißmustheoretische Antizipation. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Bd. LXII/1. Wiesbaden 1976. 175 Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt am Main 1994, S.24. 176 Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist, a.a.O., S.17.
I. 6. ERSTE SZENIFIKATION: VON DER EINBILDUNG ZUR SICHTBARKEIT 81
kann man mit dem Archiv der Fotografie wenig anfangen. Auf den Bildern selbst wäre nur das Sichtbare, in der Einbildungskraft des Kindes nur das Bildliche repräsentiert. Jetzt beginnt Malerei, die Flüchtigkeit festzuhalten. Die Welt muss vom Kind aus Spuren erfunden werden. Das Kind ist Angst, insofern das Ich und das IchAndere ineinander zu stürzen drohen und damit die öffnende ‚Lichtung‘ der Mitte zwischen den Extremen des Masochismus und Sadismus unhaltbar wird. Gleichsam kataton steht das Kind in Todesangst aufgelöst.
Abb. 13 ∞ Paul Klee: Angstausbruch, 1939
Abb. 14 ∞ Paul Klee: hört Stimmen, 1938
Was passiert, wenn die Halluzinationen der Gespenster einer fortschreitenden Angstaffektion übermächtig werden und das Kind die Urheberschaft dieser Erscheinungen nicht mehr kontrollieren kann? In diesem Moment scheint alle Gefahr der Selbstauflösung von der Projektionsfläche, der schwarzen Leinwand (Innen-Außen-Identität) des Waldes auszugehen, während das Kind selbst sich in Tränen auflöst, um den Bildern keine Spiegelfläche zu bieten und um den halluzinatorischen Ausfluss körperaffin zu objektivieren. Das Kind wird vor Angst zerfließen, um mit seiner Dekonstitution auf die Konstitution der Chimären und Gespenster mimetisch zu reagieren: Identifikation mit dem Aggressor, der es selbst ist. Selbstverständlich ist die Geschichte so konstruiert, dass der Wald keine Antwort gibt –
82 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
braucht man erst Drachen, um Siegfried das Fürchten zu lehren? Braucht man erst Märchenvögel, um den Ruf der Selbstgewissheit zu finden: „Danke, liebes Vöglein, für deinen Rath: gern folg’ ich dem Ruf.“177
Abb. 15 ∞ Paul Klee: ich hab’s gehört, 1938
Dem Kind wird man die Angst nicht lehren müssen, weil es um die Nachträglichkeit eines jeden Dritten weiß und um die Gefahr, die ihm droht, wenn der Andere als Zweiter (Stimme) sich weigert, beizustehen, das heißt, wenn Dinge nicht versichernd begriffen werden. Beim Kind im Wald erleben wir die Verschiebung von Wahrnehmungsgefahr in eine Triebgefahr. Ersterer hilft eine Flucht, erst für die zweite stellt sich kein motorischer Ausweg. Der Körper antwortet mit Herzrasen und -klopfen. Noch ist das Kind in der Angst fixiert. Wenn auch Weinen als Selbstopfer nicht hilft – und es hilft nicht –, vollzieht sich reflexhaft eine eigenartige Geste der Selbstkonstitution: Das Kind beginnt zu singen oder zu pfeifen. Das Erscheinen des Ursprungs von Klang als Musik wird zum fordernden Echo gegen inzestuös drohende Indifferenz. So bildet sich eine erste Körperdifferenzierung, das ‚hündische‘ Kind hört Stimmen (1938). Das von allen guten Geistern verlassene Kind wird in einer Parade der Selbsthervorbringungen die Kontingenz von Tonalität setzen; pfeifen und singen im Walde, die Rhythmisierung des Körpers beginnt – so wie die Erstellung 177
Richard Wagner, Nibelungen, Siegfrieds Antwort auf die Stimme des Waldvogels.
I. 6. ERSTE SZENIFIKATION: VON DER EINBILDUNG ZUR SICHTBARKEIT 83
der ersten Gegenstände des Menschen – behauene Steine – ganz Rhythmus sind. Hier, im rhythmischen Schlag des Steins, dort im rhythmischen Klang wird eine erste Ordnung gesetzt, auf deren Grund das Gedächtnis zurückgerufen werden kann.178 Wo ein Gedächtnis ist, ist auch eine artikulierte Zeit – Aufschub (Luhmann) der drohenden Inzestfusion mit Natur. „Wir müssen deshalb in jedem Augenblick Musik komponieren, um zu überleben, zu empfinden.“179 Die Musik, die im Moment der drohenden Selbstauflösung den Einbruch von Zeitlichkeit im Raum markiert, ist die Parade gegen inflationäre Bildgespenster des Waldes, gegen das Rauschen des Sirenengesangs.180 Einbildungskraft und Zeit beginnen in Tausch zu treten. So beginnt der Kampf gegen kollabierende Einbildungskraft auf der Ebene der Unterscheidung von Sehen und Hören mit der Konstitution einer Abtragung der faktischen Kraft der Sichtbarkeit wider das Außen im Geburtsschrei. Die Zeit des ‚Singens im Walde‘ markiert nicht chronographisch, sondern seriell. Die Musik ist zunächst eine Maschine, die Ordnungen intendiert. Wird die Ordnung rückvermittelt gehört, beginnt die organische Binnendifferenzierung – ich habs gehört (1938). Was aber, wenn die Besprechung/Beschreiung der Gespenster als Initiative einer Autosuggestion nicht gelingt – was in der Natur der Sache liegt, einem Schweigen im Walde? Das Sich-selber-singen-Hören ist erst der vorletzte und zugleich erste Ausweg aus der Angstsituation, der Selbstauflösungsdrohung, die immer mit einer Auflösung der Welt einhergeht. Der letzte Ausweg ist das Gedächtnisopfer zur ultimativen Körperrettung: Ohnmacht und schließlich, wie bei Wagners ewigem Kinde, Siegfried, der Schlaf, der eine zweite Geburt nach Tagesanbruch initiiert, worauf die Triade eins, zwei, drei neu durchlaufen werden muss. Bei Siegfried handelt es sich dann um eine geradezu psychotische Verdopplung in Brünnhilde, der Wiederaufnahme des weiblichen Blicks, jetzt aber im Status der Dauer und des prachtvoll prangenden, gerüsteten Bildes. Bis zur Zahl Drei und damit zur vollen Präsenz des Gedächtnisses selbst gelangen die Menschen nicht, so Lacan, „weil nämlich die Zahl Drei niemals für sie vollständig integriert, sondern nur artikuliert ist. Die fundamental animalische Duellsituation bleibt nicht minder in einer bestimmten Zone überwertig, und zwar in der des Imaginären, und eben in dem Maße, wie der Mensch dennoch zu zählen vermag, kommt letztlich das zustande, was wir ei178 Vgl. André Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt am Main 1995, 284. „Schon in den frühesten Entwicklungsstadien bestand eine der operativen Merkmale der Menschheit in den Anwendungen oft wiederholter rhythmischer Schläge. Diese Operation markiert sogar als einzige den Eintritt des Australanthropus in die Menschheit, denn sie hat als Spuren die Choppers aus zerschlagenen Geröllsteinen und die polyedrischen Kugeln hinterlassen, die durch ausdauerndes Hämmern entstehen.“ Leroi-Gourhan bezieht sich dann auf die Entdeckung des „Rhythmus des Laufens und des Gehens“, die der „Zeitvorstellung die Priorität vor der des Raumes“ gibt (S.391). 179 Serres, Die fünf Sinne, a.a.O., S.168. 180 Ebd., S.167.
84 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
nen Konflikt nennen.“181 Wie Brünnhilde Siegfried, so findet das Kind im Wald, siehe Hänsel und Gretel, den Rückweg über alle gehorteten Bilder des Hexenschatzes. Genug des Märchenhaften. Die zweite, rettende Geburt ist die des Sich-selbsthören-Könnens als buchstäbliche Sichtbarkeitstechnik, d.h. der Innen-AußenDifferenzierung. Einbildungskraft bannt sich als Partialisierung, Protoform des Bildes, die im Grunde eine szenische Koordinierung darstellt. Drittenbeglaubigungen fallen auch hier immer noch aus. Der Selbstkonstitutionsvorgang, das spürt Klee, ist nicht im Rettenden der Malerei, sondern in der (tachistischen) Zeichnung begründet. Diese retroaktive Bestimmung von Ursache und Wirkung als Effekt ist der ursprüngliche Graphismus, der ganz Ausdruck eines Widerstandes im Außen ist. Im Wald genügt schon das Spuren der eigenen Schritte als Zeichnung. Die Bildüberwertigkeit hängt an der Nabelschnur der Schriftspur. Wie Ariadnes Faden führt die Schriftlinie nicht in das Labyrinth hinein, sondern aus ihm heraus. Fassen wir die Stasen der Szenifikation zusammen und übersetzen wir sie zurück: 1. Phase: Die Trennung des Kindes von den Medien des anderen. (Aussetzung im Wald) 2. Phase: Die Angst des reinen Bei-sich-selbst-Seins. Angst davor, nicht wieder an Kommunikation anknüpfen zu können. (Begehren des anderen) 3. Phase: Wuchernde Halluzination. Gespensterwesen. (Penetration) 4. Phase: Innen-Außen-Indifferenz. Autonomisierung der Einbildungskraft. Aggressivität und Bilderkrieg. Angstaffektion als Tabula rasa der Realität. Ineinander von Imagination und Realität in der ‚Barbarei‘ des Heulens. Die Realität, die mich nicht rettet, muss zerstört werden, um einer anderen Platz zumachen – hier begegnen wir dem Faschismus, aber auch der Autodestruktion der Sklerose und der Paranoia. 5. Phase a: Angst-Ohnmacht. (Weiblicher Höhepunkt) 5. Phase b: Rhythmisierung/Organisierung der Affekte: Pfeifen im Walde, Gesang. Rhythmus als erster medialer Akt (neben dem strammen Marschieren). Konstruktion von Eigenzeit, serialisierte Bewegung, Tanz.182 (Männlicher Höhepunkt) 6. Phase: Mediale Moderation von Bild und Einbildungskraft. Innen: Stimme, Außen: Bild. Körper als Basismedium der Orientierung wölbt sich in die Welt. Erste Drittenreferenzen als objektivierte Zeit- und Zeichenreflexion 181
Jacques Lacan: Die Objektbeziehungen. Das Seminar Buch IV. Wien 2003, S.283.
182 Zu beobachten im Slapstick: Die zappelnden Helden des Vaudeville und die angesichts der eksta-
tischen Grotesken in Ohnmacht fallenden Mütter, Schwiegermütter und Töchter. Die Ohnmachten verschwinden mit der Einführung des Tonfilms. An ihre Stelle tritt Tanz und Gesang: die Revue, The Jazz Singers, Singing in the rain etc. spielen mit dem Ton als Mittel der Bilddisziplinierung. Dann Dialog-Film als Hochzeit von Bild und Ton.
I. 6. ERSTE SZENIFIKATION: VON DER EINBILDUNG ZUR SICHTBARKEIT 85
7. Phase:
des Kindes im Wald: Fußspuren, dem Mond folgen, auf den Tag warten, einen Trampelpfad finden. (Kopfschwangerschaft und Sachbeziehungen) Übertragung (Mimesis) der Differenz von Hören und Sehen auf Umwelt und Medientechnik, zunächst in Schriftspuren als Disziplinierung des imaginären Tones im Bild, schließlich im technisierten, realistischen Bild. Film/Internet-Universaltauschmaschinen. Rhythmus als Dekor, Rücksturz in die Unendlichkeit als heldische Bewährungsprobe (Opferversicherung, Zählen (Geld) als Zukunftssicherung) der IchKonstitution.
Nicht zufällig hat der Maler der Angst, Max Ernst, den Selbstkonstitutionsvorgang immer auch mit der drohenden Trennung des Kindes von der Mutter reflektiert. Ohne Mutter löst sich die Welt des Kindes auf, weil die Mechanismen der Selbstkonstitution nicht als Gedächtnis gefestigt sind, zum Beispiel im Bild Mutter mit Kind im nächtlichen Wald (1953). Der Anfang der Ichbildung, das zeigt die Szenifikation des ‚Kindes im Wald‘, ist durch einen opfervollen Kreislauf ausgelöst: phantasieren – einbilden – sehen – hysterisierte Rückbildung der Phantasie. Den Kreislauf durchbricht die Stimme als singulares Moment von Andersheit. Auf einen realen anderen hin, der die Rückkehr in die Welt versichert, wird das Medium dieses Überganges erst zur Sprache: ein Ich, das meine eigene Andersheit (Stimme) ist, das soll der konkrete andere werden. Von nun an muss man die Übersetzung durch eine äußere Übertragung problematisieren: Dem Ich gegenüber konstituiert sich die Realität nicht im bloß akustischen, sondern in der Ordnung der Musik oder der Sprache. Das Hören bleibt sonst ein Sich-selbstHören, letztlich ist es der Anklang, den die Stimme findet, der das Hören gegenüber dem Sehen in eine stabile Phase bringt. Der Buchstabe als Spur komplettiert die Sphäre der Leiblichkeit, indem er die Maschine der Binnendifferenzierung wieder ökonomisiert und auf die Abwesenheit im Bild verweist, auf die phoné, die ich bin. Aber im Buchstaben ist die universelle Vergesellschaftung schon durchlaufen. So müsste nach Klee der Buchstabe buchstäblich, nämlich als Spur des Bildes, und das Bild als mediale Spur des Körpers gedeutet werden. Das kann etwa mit den Arbeiten Angstausbruch (1939) und Vorhaben (1938) gezeigt werden – Arbeiten, die zunächst die Selbstauflösung (Rückkehr in den anorganischen Zustand) und dann die Grenzbestimmung Innen-Außen als Zeichen-Körper-Grenze bestimmen. Die Setzung der Sinnendifferenz in Vorhaben konstituiert ein Außen, dessen Ordnung zunächst in keiner Weise raum-zeitlich organisiert ist (rechte Bildseite). Vielmehr haben wir es mit einer Narbe des Schreckens zu tun, der ersten Geburt (Urtrauma). Alles, was mir ‚gehorchen‘ soll, muss als Wahrnehmungsobjekt gegeben
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sein, gemäß der Umwandlung des Triebobjekts in ein Wahrnehmungsobjekt, über das ich verfügen kann (linke Bildseite), das also die Möglichkeit gelingender Todesbannung präsentiert, ohne den Tod repräsentieren zu müssen. Die Membran beider Bildseiten nimmt ein menschliches Profil ein. Etwas vom dieser Membran hat Freud im Fort-Da-Spiel zur Anschauung gebracht. Er ist aber in Jenseits des Lustprinzips nicht auf die Vokalisation und Rhythmik des „o-o-o-o“,183 des „Fort“ und des „a-a-a-a“, des „Da“ eingegangen. Zweifellos handelt es sich bei Freuds Darstellung aber um eine akustisch-rhythmisch begleitete Bild- und Vorstellungsbannung, da das Wahrnehmungsobjekt immer ein (aggressives) Außen darstellt, dass durch das selbstaffizierte Hören und das Medium des Fadens184 in seine Schranken verwiesen werden kann.
Abb. 16 ∞ Paul Klee: Vorhaben, 1938
So verhält es sich auch mit jenen Bildern, die der Mensch zeichnend aus sich entlässt: Es sind zunächst einmal nur versichernde Ausdrucksspuren seiner lebendigen, immer unfertigen Existenz, ein instrumentalisierter Körperausfluss – ganz im Gegensatz zur Blickfalle der Fotografie.185 Das Schriftprimat hat keine repräsentati183
Freud, Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S.127.
184 Varianten des Fadenmotivs gibt es im Märchen Hänsel und Gretel. Hier sind es ‚digitale‘ Brotkrumen
bzw. Steinchen, die den verlorenen Geburtsvorgang (Tod der Mutter) und die Abschaffung der Stiefmutter (Verbrennung der Hexe/Leiche) in die zweite Geburt (Kollaboration mit dem Vater und Tausch der Mutter in das Universalmedium Geld (Schtz der Hexe). 185 Virilio beschreibt ein Kinderspiel von Lartigue, das diesen zur Fotografie verführt hat: „Ich schloß die Augen halb und ließ nur einen kleinen Schlitz offen, durch ihn betrachtete ich intensiv das, was ich sehen wollte. Dann drehte ich mich dreimal um die eigene Achse und glaubte so das Angeschaute
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ve, sondern eine aufschiebende Funktion gegenüber dem Blick und dem Einbruch des Dritten in die Dualität. Hier nun gibt es zum ersten Mal liquide, disponible Zeit, so Derrida unter Darstellung der Heidegger’schen Kant-Auffassung bezüglich der reinen Einbildungskraft: „In der Tat ist das ‚angeschaute Werden‘ an ihm selbst und ohne sinnlichen empirischen Gehalt das reine Sinnliche, das formale Sinnliche, frei von sinnlicher Materie. Ohne diese Entdeckung hätte eine Kopernikanische Wende“ zur reinen Sinnlichkeit der Zeit als Einbildungskraft nicht stattfinden können.186 „Das proprius, das in allen Diskursen über die Ökonomie, die Sexualität, die Sprache, die Semantik, die Rhetorik und so weiter vorausgesetzt wird, wirft seine absolute Grenze nur in der sonoren Repräsentation zurück.“187 Bilder zu malen heißt dann nicht, Bilder hervorzubringen, sondern Einbildungskraft und damit den Bannungswiderstand des Außen (und somit Klangverwehungen) zu moderieren. Denn was schon sichtbar ist, lohnt nicht der Mühe der Malerei, so Klee. Das Sichtbar-Machen ist Bannung der Einbildungskraft, die, wenn sie gelingt, sich als Schriftphonematik artikuliert, nämlich in einem Aufschub und einer rhythmischen Skansion von Sichtbarkeit. Rudolf Heinz hat den Vorgang des Zusammenspiels von Urtrauma und Urphantasma wie folgt begründet: Das Hören als intrauterines Phänomen setzt sich gegen das Außen, den „Angstgrund“ des drohenden Verlust[es] des Repräsentationsverhältnisses insgesamt, Ausfall der Vor-stellung, des Vor-sich-hin-Stellens, im Abgang des raum-zeitlichen Dispositionssubstrats dinglicher Selbstdoublierung, psychoanalytisch gesagt: in fortwährender Urverdrängung (das ist Verdrängung der Vorstellung, des Signifikanten), in perenner Entsperrung, der Aufhebung der „barre“ (Lacan) zwischen Signifikant und Signifikat.188
Damit ist die kulturdiagnostische Richtung Klees, vom Klang zur Musik und von der Zeichnung zur Malerei, aufgezeigt. Die Vorzeitigkeit des intrauterinen Hörens als Mimesis des mütterlichen Herzschlags189 und das ‚Singen im Walde‘ als Parade wider den Zwang der Wahrnehmungsobjektivierung, sind primäre Ereignisse, die auf Effekte beim anderen zielen. Damit sind sie als solche der Rücksicht auf Darstellbarkeit verpflichtet. Das hilft dem einsamen Kind im Wald nicht weiter, dennoch bezieht es sich mit seiner physiologischen Inszenierung der Angst auf diesen anderen, der, wenn er abwesend eingefangen zu haben. Ich dachte, es wäre mir in die Falle gegangen und ich könnte es beliebig lange behalten, und zwar nicht nur das Gesehene, sondern auch Gerüche und Geräusche.“ Paul Virilio: Ästhetik des Verschwindens. Berlin 1986, S.11. 186 Jacques Derrida: Ousia und gramme. In: Randgänge der Philosophie. Wien 1999, S.69. 187 Jacques Derrida: Tympanon. In: Randgänge der Philosophie. Wien 1999, S.20. 188 Heinz, Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit, a.a.O., S.103. Heinz erarbeitet darüber hinaus die präsemiotische Begriffsbannung der ideologischen Dimension der Semiologie auf, führt die Zeichen auf das Körper-Ding respektive das Innen-Außen-Verhältnis zurück. 189 Ebd., S.104.
88 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
ist, sich im Effekt der Medialität für mich als Bild konstituiert. Das schreiende Kind wird rasch der Stimme (dem eigenen anderen), nicht aber dem Blick die aktive Rolle in der Verfügung über die Mutter zuordnen. Der reale andere soll zunächst nur den Status eines verfügbaren oder sich entziehenden Dings (Fort-Da) haben. Es ist nach der vorangegangenen Szenifikation nicht schwer, die Situation des Übergangs, als Rückgang eines Teils der modernen Malerei zum infantilen Gestus, nachzuvollziehen. Die nur halb zu sich kommenden, vampiristischen Missgeburten, die nach dem Ersten Weltkrieg die expressionistischen Leinwände nicht nur der Kinos, sondern auch der Malerei bevölkern und die durchaus beredt von der Sprachlosigkeit einer untergegangenen Epoche zeugen,190 werden im Gesang des Tonfilms untergehen.191 Sicher ist es ein Zeichen für die Stase der Personalisierung Klees, dass seine frühen Radierungen fast ausschließlich duellhafte Zweierbeziehungen als sadistische oder masochistische Akte thematisieren. Voltaires Roman Candide ist dafür das Vorbild. Operation (1908) zeigt diesen Vampirismus deutlich. Aber auch die gesamte Bildreihe verweist auf die Körperopferstrategie und die Loslösung von Körperteilen, wie sie Voltaire auf ziemlich drastische Weise in beißendem Spott gegen den Materialismus seiner Zeit richtet. So weit, dass wir Klee als Maler bezeichnen können, sind wir in den Jahren um die Jahrhundertwende noch nicht. Klee übt sich intensiv und geduldig, um dann von der anatomischen Genauigkeit des antikisierend naturalistischen Körpers auf die Handlungen dieses Körpers, von dort auf die Personalität zu schließen. Im Tagebuch führen keinerlei Hinweise auf irgendeine Art von Ablenkung von der zielstrebig-ausdauernden Arbeit, außer dem regelmäßigen Besuch von Theater und Konzert, quasi der institutionellen Szenifikation des Schrift-Bild-Überganges. Die Kontrolle seiner Grafiken geschieht durch vergleichende Kritik und Schulung an Ensor, Kubin und sicher an Dürer und Callot, den großen Kupferstechern und Grafikern. Vielfältig und intensiv sind parallel die immer wissbegierigen Analysen von Musik und Literatur. Jetzt, nachdem der Grund der ersten Geburt in der Differenz von HörenSehen als zweiter Geburt angelegt ist, müssen wir versuchen zu verstehen, wie Klee sich aus der Linie der Musik in die Tonalität des Bildes übersetzt und wie der Einbruch des anderen und die Statuten des Signifikanten die Autarkisierung seiner frühen, einsamen Berner Jahre aufhebt und seine Personalisierung in der Zeit des Blauen Reiters beginnt, ihn das werden lassen, was er zu sein nur fühlt. Es geht um die Inszenierung und Archivierung eines Widerstandes im Wald der kulturellen 190 Vgl. Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt am Main 1984. 191 Vgl. Corinna Müller: Vom Stummfilm zum Tonfilm. München 2003.
89
Professionen. Dieser Übergang ist das Werdende, von dem Klee im Hinblick auf den Stil spricht. Erst um 1910 arbeitet sich Klee aus seinem Stadium der experimentellen Grafik heraus und schließt sich der Gemeinschaft seiner Münchener Malerfreunde an. Denn mit der Malerei ist nicht so sehr die Umstellung einer Technik oder die bloße Colorierung von Zeichnungen gemeint, sondern die Anwendung der Farbe als Medium des Grundes – ‚Wald‘, Sphärisches wird der sichernden Linie entgegengesetzt und es bildet sich die szenische ‚Lichtung‘ zwischen Fläche und Linie. Das geschieht etwa zur selben Zeit, wie die Linie sich von der grafischen Grenzbestimmung löst und eine offene Form wird, eine Fiktion als Gestalt, die den Betrachter zwingt, die Formen in der Schwebe zu lassen, sie nicht im Begriff, diesem ‚dritten Klang‘ abzuschließen. Im persönlichen Stil der Linie ist der autorisierende Begriff nicht mehr sichernde Spur, sondern regrediert in Sphärischem. Damit schlägt Klee ein neues Kapitel auf, das, so will es der von ihm inszenierte Mythos, mit der Reise nach Tunis offiziell besiegelt wird.
I.7.
DIE ERFINDUNG DES WIDERSTANDES
Fassen wir die bisherige Untersuchung zusammen: Lacan hat im Spiegelstadium gezeigt, dass ‚ich‘ mich zwar im Spiegelbild repräsentiert finde, dass es aber notwendig ist, die Totalität meines Körpers im Spiegelbild als defizitär zu erkennen – defizitär wie die Erkenntnis des konkreten anderen Menschen. ‚Ich‘ ist nicht mit dem Bild von sich identisch. Also beginnt das ‚ich‘ eine Koalition mit dem anderen in mir: phoné als Schriftspur erscheint. Wir haben daraus gefolgert, dass der Zugang zur Linie in der Biographie Klees die Bildung eines Binnenwiderstandes protegiert, der verhindert, dass die Produktionsinstanz der Einbildungskraft, die auf Totalisierung drängt, zu übermächtig wird und die Instanzen des Ich sich kurzschließen – was dann den vollständig vom Vater aus bestimmten Durchmarsch der Musik bedeuten und damit die Personalisierung („Menschwerdung“, so Klee) blockieren würde. Es kommt darauf an, auch die innere Stimme widerständig zu halten (Blockade Abrahams – so Kierkegaard). Jetzt gilt es zu zeigen, wie der narzisstisch duale Binnenwiderstand in der Auseinandersetzung mit den grafischen und malerischen Techniken sich dennoch verkörpern kann, d.h. wie die Linie zum persönlichen Stil wird und wie der Stil zur Bildung der Persönlichkeit beiträgt, ohne dass die Last der Schuld einem
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autorisierenden Dritten aufgebürdet wird, kurz, es gilt, das Wechselverhältnis von Ich und Gesellschaft darzulegen, das keinen Ursprung hat. „Der Ursprung ragt bei Klee in die Gegenwart hinein, die physikalische Zeit wird eine ontologische. Der Ursprung geschieht immer wieder und ist nicht nur Anfang, sondern zugleich Entwicklung, Verwandlung, Metamorphose.“192 Wenn aber alles im Werden angeschaut wird, ist eine Drittenposition obsolet. Sie wird erst als Phantasma der Selbstrepräsentation funktional notwendig, nämlich als Konstanz der Ich-Bildung (Personalisierung). An Stelle des Gabencharakters setzt Sartre, gemäß einer Tradition, die bei Kant beginnt und die Heidegger in seinem Werk Kant und das Problem der Metaphysik thematisiert, nicht Einbildungskraft, sondern Produktivkraft schlechthin.193 Sartres Auffassung ist bekannt: Die im Design der Zeichen fluide Schuld muss in einer materialistischen Wende als das Produktionsunbewusste (medialer Widerstand) kritisch analysiert werden. Die Dinge an sich, so Sartre in einer antiphänomenologischen Wende, gibt es nicht. Jedes Ding ist eine Manifestation menschlichen Begehrens am Widerstand der Materie. Die Aufdeckung der Schuldübertragung bestimmt Sartre in einer Psychoanalyse der Sachen. Das in der Kapitalökonomie verdinglichte Begehren veranlasst Sartre, alle Bestimmungen des Gabencharakters, die göttlichen Ursprungs sind, zurückzuweisen. Für ihn ist die Gabe ein Ausdruck der immer schon vorhandenen und verdeckten Produktionsnot. Die Gabe ist ein sozial nicht zu platzierendes Korrelat schuldfreier ‚Natur‘ – die konstitutive Fiktion von Gesellschaftlichkeit. Diese Fiktion aber konstituiert einen Widerstand (im Imaginären) und schafft einen Spielraum der Freiheit. Die Freiheit bei Sartre hat so immer etwas theatralisches und hysterisches, etwas, was sich als dramatische Selbstbeziehung in Szene setzt. Denn das freie Subjekt ist nur im Verhältnis zur Gesellschaft frei. Von dieser Freiheit bleibt beim späten Sartre das Engagement, die Erfindung eines Widerstandes. Der Sartre’sche Freiheitsbegriff deckt sich mit dem Ursprungsbegriff, den Grohmann bei Klee entdeckt. Ursprung ist nicht Anfang, sondern Spaltung/Entfaltung, Arbeit, Bewegung, Produktion von Darstellbarkeit und Entbindung einer Fiktion als Moment der Freiheit von der Natur. Gehen wir Schritt für Schritt vor. Sartre spricht zunächst in Von der Berufung zum Schriftsteller194 von einem natürlichen Interesse, die künstlerischen Erscheinungen, die sich auf ein „Nichts“ beziehen, an eine Genealogie zu knüpfen. Denn die künstlerische Begabung, sofern sie eine Zusprechung ist, bezieht sich auf die „negativen Tätigkeiten“, die „nicht durch positive Gegebenheiten, organische Konstitution oder Bewußtseinsinhalte erklär[t]“ werden können.195 Dem Kunstwerk geht es, im Gegensatz zu den alltäglichen Dingen, darum, die Vorgeschichte der Verdinglichung als fiktionalen Prozess des Vorbehalts der Schuldverschiebung zu präsentieren. 192
Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.184. Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, a.a.O., S.87. 194 Jean-Paul Sartre: Von der Berufung zum Schriftsteller. GW Bd. 4, Reinbek 1986, S.112. 195 Ebd., S.115. 193
I. 7. DIE ERFINDUNG DES WIDERSTANDES 91
„Nein“, so Sartre entschlossen, „ich glaube nicht an Begabung. Das bedeutet nicht, daß jeder beliebig zu jeder beliebigen Zeit beschließen kann zu schreiben. Sondern daß die Literatur wie die Homosexualität einen virtuellen Ausweg darstellt, den man in bestimmten Situationen findet und der in andren nicht einmal erwogen wird, weil er von keinerlei Hilfe wäre.“196 So muss die Frage gestellt werden, ob die Klee unterstellte Gabe nicht eine Unterstellung von Schuld darstellt, denn zweifellos ist Klee im landläufigen Sinne eine Begabung. Die frühesten Skizzen lassen es ahnen und die Mutter berichtet davon. Wir haben nicht den geringsten Anlass, daran zu zweifeln. Aber würden wir einen genetischen Aspekt der Begabung erwägen, wir hätten ihn eben in der Musik und nicht der Malerei zu suchen: seit einigen Generationen ist die Familie der Klees der Musik verbunden. Die Malerei ist eine Not, ein „virtueller Ausweg“, eine Gegengabe. Sartre unterstellt Oscar Wilde an gleicher Stelle (abgesehen von der Homosexualität, die eine Abwehr des Genetismus und der sexuellen Produktivkraft ist) etwa den Ästhetizismus als erfundene Abwehr-Verweigerung.197 Im Ästhetizismus hebt die Abwehr sich selbst auf, indem sie die Fiktion für wahr hält. Kunstwerke einschließend, spricht Sartre von Sachverhalten (état des choses), die im Kunstwerk Dinglichkeit und Fiktionen in Verbindung bringen. Fazit: Die Musik als Ausweg bietet (wie der Ästhetizismus bei Wilde) für Klee keinen Widerstand. „Aber selbst bei den engagiertesten Schriften müßte man noch erklären, warum man gewählt hat, auf dem Umweg über das Nicht-sein auf das Sein einzuwirken.“198 Die Erklärung: Nur über den Umweg der Technik der Fiktionalisierung entgeht man der konfrontativen, narzisstischen Selbstabschließungs-Paranoia, d.h. einer Technik der Abtrennungen, Elementarisierungen und der gleichzeitigen Serialisierung, also einer dramatischen Maschinität: So maschinenhaft und opferdelirant wie Sheakespeares Hamlet. Behalten wir im Blick, dass Klee, selbst wenn er sich dazu durchringt, den Widerstand der Malerei zu wählen und gleichzeitig unendlich aufzuschieben, dennoch ein Meister der Techniken wird. ‚Sichtbar machen‘ heißt, die Produktionsvorgeschichte und die Mechanik der Gesellschaftsmaschine ihres verhüllenden Designs und ihrer neutralisierten Tauschvorgänge im Zeichen zu entkleiden, anders gesagt, die Techniken beleuchten die im Sinnentausch abgespaltenen Opferderivate. „Ein Sturm weht vom Paradiese her“199 – dieser beziehungsreiche Satz Benjamins verortet die Schuld geschichtlicher Barbarei in dem Realisierungszwang der Technik und ihrer idealen Vision, der Wissenschaft. 196
Ebd. Ebd. 198 Ebd., S.116. 199 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. GS I, Frankfurt am Main 1980, S.697f. „Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen.“ 197
92 I. WAHL DES WIDERSTANDES: VOM HÖREN ZUM SEHEN
Sartres Formulierungen zielen auf den gleichen Sachverhalt, indem er zwei Bedingungen der künstlerischen Tätigkeit voraussetzt: Die erste ist die des nahe liegenden Auswegs, der Eröffnung eines biographisch zugängigen Horizonts. „Die zweite Bedingung ist, daß der [literarische] Ausweg von jedem Schriftsteller [Künstler; R.B.] neu gefunden und gewollt werden muß, als wenn niemand vor ihm jemals auf die Idee gekommen wäre zu schreiben. Denn die Lösung ist nicht in den Dingen eingeschrieben, und die Situation ähnelt der Natur beim Experiment des Physikers: sie sagt nein oder sagt gar nichts.“200 Im Begriff des erfundenen Widerstandes finden wir den Akt der zweiten Geburt und den des Engagements, die eine Freiheit zur Gesellschaft ist. Es nützt nichts, zu sagen, die Freiheit sei eine Bedingtheit der Gesellschaft, solange die Gesellschaft in ihrer Produziertheit nicht erkannt ist. Diesen Weg, den der Einzelne über die Dualität, die Triade, die Gruppe, das Kollektiv usw. in die Personalisierung gehen muss, werden wir nachzuzeichnen haben. Denn kommt es uns allen nicht gerade recht, dem Faschismus die Krankheit Klees in die Schuhe zu schieben und damit irgendeine Schuld des harmlos heiteren Werks Klees zu leugnen? Bei Klee scheint die Sache exemplarisch: im Kern stößt man auf ein meditatives Vernehmen. Von Anfang an ist Klee das, was er ist, aber er ist es weder für sich noch für einen anderen. Es bedarf einer Idealisierung der Malerei, der er sich annähert und von der er sich abstößt, um das Sich-Zuhören nach außen zu bringen. Die Lancierungen der Tagebücher sind diesbetreffend eindeutig. Bezüglich des ‚Triebs‘ zum organischen Abschluss hat Barthes auf den Unterschied von Hören und Zuhören aufmerksam gemacht, wobei nur Letzteres die Existenz eines anderen Menschen im ‚auditiven Blick‘ einschließt. „Hören ist ein physiologisches Phänomen; zuhören ein psychologischer Akt.“201 Barthes unterscheidet im neutralen Geräusch erstens Indizien und zweitens Signale von Zeichen, die dem Sog des Entzifferns entgegenkommen. Die dritte Ebene des Hörens, die Bereitschaft zum Dialog, bezieht sich nicht nur auf die Existenz des Akustischen, sondern auf die des Schweigens (und somit Zuhörens). Das Zuhören ist ein aufschiebender psychologischer Akt, der das Begehren des anderen akzeptiert. Nimmt man die „akustische Verschmutzung“ aus, so begründet das Zuhören den „eigentliche[n] Sinn für Raum und Zeit“202 als Zwischenwelt der menschlichen Begegnung: das kann auch anthropologisch beglaubigt werden. „Das operatorische Charakteristikum der Menschheit ist gerade das dauernd wiederholte rhythmische Schlagen, wovon die Hacker aus Steinsplittern und die vielflächigen gehämmerten Kugeln zeugen: Durch den Rhythmus tritt das voranthropische Geschöpf in die Menschheit der Australanthropen ein.“203 Durch den Rhythmus bezieht sich der 200 Sartre,
GW, 4, a.a.O., S.116. Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.249. 202 Ebd., S.250. 203 Ebd., S.252. 201
I. 7. DIE ERFINDUNG DES WIDERSTANDES 93
Einzelne im szenischen Sinne auf eine konstellative Beziehung zur Gemeinschaft, wie ja Musik gemeinschaftsbildend wirkt. Das Zuhören in diesem Sinne ist die Technik des Menschen. Deswegen ist es schwer, der Musik überhaupt einen fiktionalen Status zuzuweisen. Denken wir an die Geräusche in einem Film. Wenn wir sie im Kino hören, können wir nicht identifizieren, ob sie synthetisch oder natürlich sind. Jeder Pistolenschuss im Kino ist immer ein realer Pistolenschuss – prinzipiell gibt es nicht so etwas wie einen ‚zweidimensionalen‘ Pistolenschuss, an dem die Fiktion zweifelsfrei erkannt werden kann. „Man sieht, daß der durch das System Stimme – Gehör phänomenal vermittelte Selbstbezug des Subjekts im Element der Idealität stattfindet, was eine Privilegierung gerade dieses Elements nach sich zieht: des Innen gegenüber dem Außen, der Seele gegenüber dem Körper, des Gewissens gegenüber der Leidenschaft.“204 Das Primat der inneren Stimme sichert das Vorrecht des Hörens vor dem des Sprechens. Denn das ursprüngliche (intrauterine) Hören ist physiologisches Hören (Herzschlag etc.). Wenn nun von außen der Ton ans Ohr dringt, beginnt die Konfusion. Sie wird im Schrei des Neugeborenen kompensiert. Da aber die Gabe der Stimme in die Leere des Zuhörens ausfließt, kann man sie von außen nur im passiven Vernehmen erfahren. Als orphische sieht sie ebenso wenig nach hinten – kann über ihre Produziertheit berichten –, wie der Engel der Geschichte Benjamins nach vorne sieht. Mit einigem Recht ist zu behaupten, dass es Klee um die Darstellung der inneren Klänge, der Klänge der Natur geht. Das gelingt durch eine Inversion sprach- und musikstigmatisierter Technik. Dazu dient das Prinzip der malerischen Rhythmisierung, dessen beispielhafter Ausdruck im Bild Ad Parnassum (1932) erreicht wird – einem nicht grundlos von Klee zitierten ägyptologischen Symbol vom Aufstieg und Abstieg des menschlichen Lebens. Die Musik erst ist der Glücksfall der restlosen Rückverwandlung des „Schlags der Stimme“205 in eine andere Ökonomie. Sie hat kultischen Charakter und schafft den gesellschaftlichen Corpus. Es gibt eigentlich keine Wissenschaft der Musik, die nicht auch Soziologie ist.206 Ihr Gewaltpotential ist jedoch durch die Partialisierung ihrer Schläge (Töne) wie durch einen harmonischen Automatismus – ihrer Mathematik – vollständig verdeckt. Die Widerstandslosigkeit der Musik ist zugleich auch Potential ihrer zerstörerischen Wirkung. Es ist sicher, dass Klee sich bis zur Zeit der Tunisreise, also als 34-Jähriger, noch weigert, Maler zu sein, dass er in seinem mehrfach überarbeiteten Tagebuch ein offizielles Ereignis wählt, um sich durch ein Außen bestimmen zu lassen. Klee lässt 204 Michael Wimmer: Verstimmte Ohren und unerhörte Stimmen. In: Das Schwinden der Sinne. Hg. Dietmar Kamper und Christoph Wulf, Frankfurt am Main 1984, S.123. 205 Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme. München 1998, S.22. Göttert bezieht sich auf die platonische Erklärung. 206 Wimmer, Verstimmte Ohren und unerhörte Stimmen, a.a.O., S.132. Wimmer bezieht sich auf Adornos Anstrengung, die „utopische Funktion von Musik zu retten“.
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sich auf ein Spiel mit den Widerständen ein. Man kann daraus folgern, dass es für Klee zu wenig Probleme gibt, zu wenig Arbeit und zu wenig Schuld – es gibt zu wenig Personalisation. Doch nun sehen wir die Gefahr: Gibt es schon innerhalb der Kunst für Klee zu wenig Widerstand, so ist die werdende Natur in sich überhaupt nicht als widerständig zu denken. Denn wie könnte das, was sich selbst notwendig hervorbringt, in einen Möglichkeitsbereich eintreten? Natur kann sich nicht selbst spielen. Jetzt wird klar, was in Klee vorgeht: Die Möglichkeitsperspektive des vielfach talentierten Klee hemmt als Widerstandslosigkeit die Entscheidungsnot. Es ist nun nicht schwierig zu bestimmen, worin die Erfindung der Abwehr besteht: Sie besteht darin, die Angst vor dem widerstandslosen Ausfließen im Bild zu bannen – gerade nicht in der Musik. Denn hier ist das Ausfließen – man denke nur an Wagners Kunst – konstitutiv.207 Es ist nicht überraschend, dass für die Bestimmung eines ‚Klee‘ nicht eine individuelle, malerische Handschrift, wie bei van Gogh oder Cezanne, entscheidend ist, sondern eine intellektuelle Fragmentierung der Zeichen und eine dagegen kontrastierte, endlose Linie. Die Linien verlieren sich nur, um an einer anderen Stelle wieder in das Bild einzutreten, so als durchstoßen sie die Bildebene wie den Spiegel eines Sees, als kämen sie aus dem Jenseits des Bildes in ein Diesseits der Repräsentation, wie etwa auch das Bild Spiel auf dem Wasser (1935) zeigt. Hier ist gegenüber dem Bild Angstausbruch der Körper schon ganz in die Spiegelhaut der Bildoberfläche eingegangen. Blumenberg hat von einer Sanktionsmacht platonischer Mimesisvorstellung gesprochen, die – mit Leibniz – den nachahmenden Gestus idealisierender Kunst in einen Möglichkeitsbereich menschlicher Kreation übersetzt. Mit Bezug auf diese spätestens den „Surrealismus“ prägende „ontologische Formel“ sieht Blumenberg das Inszenarium der Befreiung von der Antike vollzogen. „Das Werk bezieht sich nicht hindeutend auf ein anderes, ihm vorgehendes Sein, sondern es ist originär in seinem Seinsanteil an der Welt des Menschen. Ein neues Bild ist ein einmaliges Ereignis, eine Geburt, die das Weltbild, wie es der Menschengeist erfaßt, um eine neue Form bereichert.“208 207 Heidegger zitiert das Aus- und Überfließen der Gabe mit dem Gedicht von C. F. Meyer, Der römische Brunnen. In: Der Ursprung des Kunstwerks. Stuttgart 1978, S.35. Es gibt aber noch einen anderen bemerkenswerten Topos des Ausfließens, und zwar den der Bildbannung des Schweißtuchs der Hl. Veronika. Nach Matthäus 9,19ff. ist Berenice die unablässig menstruierende Frau, die symbolisch vom Gottessohn durch die Bannung eines Bildes geheilt wird, und zwar, indem sie empfängt. Die Szene ist also das Gegenbild der unbefleckten Empfängnis, die durch das Ohr erfolgt. „Will sie erfolgreich herrschen, so muss die Christuskirche Bildbeweise beibringen, und kann dabei, weil es um Geburt und Zeugung geht, die Frau nicht aussparen. Will die Kirche Inkarnation repräsentieren, kommt sie um Blut und Empfängnis, um Sexualität und ihre Folgen, um die Differenz der Geschlechter und um deren sofortige Verwischung nicht mehr herum.“ (Wolfgang Hagen: Veronica on TV. Ikonographien im Äther – Baraduc... Beckett. In: Albert Kümmel-Schnur, Jens Schröter (Hg.): Äther. Ein Medium der Moderne. Bielefeld 2008, 283. 208 Hans Blumenberg: ‚Nachahmung der Natur‘. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen
I. 7. DIE ERFINDUNG DES WIDERSTANDES 95
Abb. 17 ∞ Paul Klee: Spiel auf dem Wasser, 1935
Diese Geburt des Bildes ist bei Klee ein Nachvollziehen der Geburt, dem Werden der Natur vergleichbar. In der Mimetik geht es jedoch um den zeugenden Akt, also die Vorgeschichte der Geburt. Mimesis ist Genesis ohne Telos. Blumenberg begründet mit einem Hinweis auf die aristotelische Nachahmungslehre209 den Übergang zur Technik. Dass es in der Antike nicht zu den theologischen Konflikten führt, die das „Teufelszeug“ der Technik noch bis in Leonardos Zeiten begleiten, liegt in der aristotelischen Naturauffassung des Menschen. „Was man die ‚Welt des Menschen‘ nennen wird,“ also der Entwurf auf Möglichkeit hin und das damit unterstellte Freiheitspotential, „gibt es hier im Grunde nicht.“ Der Mensch „vollbringt, was die Natur vollbringen würde, ihr – nicht sein – immanentes Sollen. Techné und Physis sind gleichsinnige Konstitutionsprinzipien, das eine bewirkt von außen, was das andere von innen zustande bringt.“210 Das Wollen orientiert sich am Können, so wäre mit Worringer der antike Stoizismus zu charakterisieren. Das antike Kunstwerk ist notwendig still gestellte, idealisierte Natur, es hat quasi seinen kultischen Zwangscharakter noch nicht abgelegt. Im Gegensatz dazu bestimmt sich der Flaschentrockner Duchamps allein durch seinen Übertragungsscharakter außerhalb der Natur im Gesellschaftszusammenhang. Menschen. In: Ders.: Ästhetische und metaphorologische Schriften. Frankfurt am Main 2001, 11. So ist es nicht zunächst der Automatismus, der die Vereinnahmung Klees für den Surrealismus verständlich macht, sondern die „vollkommene Erfindung […], unbeeinflusst von Vernunft oder der äusseren Welt empirischer Erfahrungen“. Glaesemer, Paul Klee Handzeichnungen II, S.95, Zitation: Alfred H. Barr jr.: Paul Klee. Vorwort im Katalog der Klee-Ausstellung. Museum of Modern Art New York, 1930, S.8. 209 Ebd., S.26f. 210 Ebd., S.27.
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Übertragung, das ist aber gerade die Natur der Technik als Möglichkeit ihrer Praxis. Während Natur so gedacht wird, dass ihr der Aufschub von ihr selbst fehlt, ist es Technik, die einen ruckweisen Aufschub (Schock) prozessualisiert. Das Ready Made ist ein genuin technisches Kunstobjekt, dessen artifizielle Realität sich auf der Ebene seiner Erkenntnisvollzüge bestimmt. Der museale Raum wird zum szenischen Möglichkeitsraum, Kunst Inszenierung. Wenn die Naturanschauung den Menschen integriert, dann ist es die Technikanschauung, die das Menschliche des Menschen, die menschliche Natur – Wahl des Widerstandes – zur Anschauung bringt. Klees Technik ist in Wahrheit, nach Blumenberg, der Versuch, den antiken Kunstbegriff als Analogie zur Natur in eine Welt zu verlegen, deren Naturzusammenhang technisch gesprengt ist. Die versprengten Elemente, darin folgt er Benjamins Fokus im Trauerspielbuch, müssen als vergesellschaftete szenisch und allegorisch versammelt werden, da sie letztlich in einem Kosmos monadisch verbunden sind. In der Szene begrenzt sich der ausufernde Möglichkeitsbereich. Es gilt, den Widerstand Klees gegen den repräsentationslogischen Akademismus – Antikenfaszination, die ihn in Rom überfällt – anders zu verstehen, als er unterstellt wird. Klee sieht sehr genau, dass die menschliche Natur in der Technik ein Mittel bereit hält, die Bewusstwerdung selbst als das spatium imaginarum zwischen der „Triebnatur“ des Menschen und der natura naturans phasenweise zu nähern: Es gilt aber nicht Techniken als solche, sondern deren inneres Programm, die Vermittlung der Möglichkeiten, darzustellen. Hier folgt, so Blumenberg weiter, Klee nicht mehr der antiken Tradition, sondern analogisiert die erstere Naturbeziehung mit der zweiten, der modernen, selbstorganisatorischen. „Das normative Prinzip der Ökonomie ist eine Idee des menschlichen Geistes für seine Leistungen, nicht für die Produktionen der Natur.“211 Anders gesagt: Selbstorganisationen verlagern das Autorisierungspotential des Dritten. Klee spricht dialogisch von einer „Zwiesprache mit der Natur“.212 „Der Künstler ist Mensch, selber Natur und ein Stück Natur im Raume der Natur.“213 Nimmt man die Logik der Sätze beim Wort, dann ist die Raumgebung zwischen Natur und dem Menschen (Szene) das unterscheidungslogische Kriterium der Selbstbeziehung zwischen Mensch und Künstler. Die Eröffnung eines Zeit-SpielRaumes erlaubt dem Künstler eine Derhythmisierung. Wenn die Auflösung der Mimesis, „der Identität von Sein und Natur“, wie sie Blumenberg historisch nachzeichnet, die Überzähligkeit/Fiktivität oder das „mehr als“214 präsentiert, dann will das Kunstwerk „nicht mehr nur etwas bedeuten, sondern es will etwas sein.215 Was es aber so sein will, dass Natur nicht ihm äußerlich bleibt, kann 211
Ebd., S.41. Klee, Wege des Naturstudiums, a.a.O., S.67. 213 Ebd. 214 Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.889. 215 Blumenberg, Nachahmung der Natur, a.a.O., S.45. 212
I. 7. DIE ERFINDUNG DES WIDERSTANDES 97
es nur in einer Versammlung (Ökonomie) der gegensätzlichsten Elemente. Nicht an zufällige, automatische Zerstreuung wie im Surrealismus ist Klees Experimentieren ausgerichtet, sondern an sprachlicher Brechung der Idee des Bildraumes, der nicht mit sich selbst identischen Dinge. Der Mensch seziert das Ding und veranschaulicht sein Inneres an Schnittflächen, wobei sich der Charakter des Gegenstandes ordnet nach Zahl und Art der notwendigen Schnitte. Das ist die sichtbare Verinnerlichung, teils durch das Mittel des einfach scharfen Messers, teils mit Hilfe feinerer Instrumente, welche die materielle Struktur oder materielle Funktion klar vor Augen zu bringen vermögen.216
so Klees Formel für die Technisierung des Bildlichen. Als Mensch unter den Blicken des Künstlers, konstituiert sich ein Handlungs- und Möglichkeitsraum. „Es wandelt sich nur je nach der Einstellung des Menschen in Bezug auf seine Reichweite innerhalb dieses Raumes die Zahl und die Art der zu begehenden Wege, sowohl in der Produktion als in dem damit verbundenen Naturstudium.“217 Die Abschließung schließt sich nur in der Ausschließung des Dritten ab, das heißt, sie schließt sich nur zum Schein ab, indem sie sich vom Ideal aus ein fiktives Opfer wählt, um nicht in der Idealität inzestuös zu versteinern, wie die griechische Plastik. Den szenischen Raum der Begegnung der Elemente, der keinen Seh-, sondern einen Blickraum darstellt, belegt Klee mit dem ursprünglich akustischen Begriff: „Resonanzraum“.218 Der Resonanzraum ist ein „Gleichnis zum Werke Gottes“.219 Gleichnis zum Werk des ganz Anderen ist er aber in Bezug auf den kollektiven Charakter der anderen: „Die Einheit kann nämlich nur dann als allgegenwärtige Realität einer sich total auflösenden Serialität auftauchen, wenn sie jeder in seinen Beziehungen eines Dritten affiziert, die er zu den anderen unterhält und die eine der Strukturen seiner Existenz in Freiheit bilden“220 – so Sartre, nachdem er die Unzulänglichkeit seines auf duale Beziehungen reduzierten Freiheitsbegriffs in Das Sein und das Nichts erkannt hat. Die Freiheit schafft sich im Produkt der Arbeit den Resonanzraum, den das Individuum mit den anderen verbindet und zugleich trennt, den Raum der Membran, den Raum der Medialitäten. Sartre sieht, dass die Gesellschaft eine Folge der inneren Dualität des Menschen ist. Das heißt, das Dritte, das Zeichen/die Medien, sofern beides immer im Kollektiv auftaucht, muss medial unabschließbar gedacht werden, um nicht den Rückfall der narzisstischen Starre, 216
Klee, Wege des Naturstudiums, a.a.O., S.68. Ebd., S.67. 218 Ebd., S.68. 219 Ebd., S.70. 220 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.392. Die Übersetzungen der Texte Sartres schreiben den Anderen (Menschen) stets mit Versal-A. Ich unterscheide zwischen dem (großen) Anderen (Gott, die phoné, die Gesellschaft etc.) und zwischen dem kleinen anderen (dem konkreten Subjekt, das mir als anderer gegenübersteht). 217
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von der es befreit, zu provozieren. Das Zeichen kursiert im Gegensatz zum Werk, ist niemandes Eigentum. Nur weil es niemanden und allen gehört, thematisiert es sich als Drittes. Heidegger hat die Position des Dritten als maßgeblich für die rückwirkende Bestimmung der Serialität gedacht. In Die Frage nach dem Ding heißt es: „Erst vom Dritten her wird das vormalige Eine das erste und das vormalige Andere das zweite, wird eins und zwei, wird aus dem ‚und‘ das ‚plus‘, wird die Möglichkeit der Stellen und Reihe.“221 Blumenbergs Befreiungsbewegung von klassischer Mimesis kann durch das poetische Wort geschehen, so das zentrale Argument seit Leibniz und im Geiste Lessings – vor der modernen Bildkunst: „Der Dichter findet sich in der Lage Gottes vor der Erschaffung der Welt angesichts der ganzen Unendlichkeit des Möglichen, aus der er wählen darf; darum ist – und nun kommt die erstaunlichste Formulierung, die man sich in unserem Zusammenhang erwünschen könnte! – die Poesie eine Nachahmung der Schöpfung und der Natur nicht nur in dem Wirklichen, sondern auch in dem Möglichen.“ 222 Sartre liefert ein Argument für die nachträgliche Konstitution der Gesellschaft, einer solchen, die sich als Gesellschaft aus der Sicherheit der Privation her begreift. Jeder im Theater ist vor jeder Replik einer Szene, die er für skandalös hält, in Wirklichkeit durch die serielle Reaktion der Nachbarn bedingt; der Skandal ist der andere als Grund einer Serie. Aber sobald es zu den ersten Äußerungen des Skandals kommt, das heißt zu den ersten Handlungen dessen, der für die anderen handelt als anderer als er selbst, schaffen sie die lebendige Einheit des Saals gegen den Autor, lediglich weil dieser erste, durch seine individuelle Einheit, für jeden in der Transzendenz diese Einheit realisiert.223
Adorno, der gewiss nicht alle Argumente Sartres teilt, pflichtet ihm bezüglich des Klee’schen Engagements bei. Paul Klee, der in die Diskussion über engagierte und autonome Kunst hineingehört, weil sein Werk écriture par excellence, seine literarischen Wurzeln hatte und ebenso wäre, wenn es diese nicht gäbe, wie wenn es sie nicht aufgezehrt hätte – Paul Klee hat im ersten Weltkrieg oder kurz danach Karikaturen gegen den Kaiser Wilhelm als unmenschlichen Eisenfresser gezeichnet. Aus diesen ist dann – es wäre wohl genau nachzuweisen – im Jahr 1920 der Angelus novus geworden, der Maschinenengel, der von Karikatur und Engagement kein offenes Emblem mehr trägt, aber beides weit überflügelt. Mit rätselhaften Augen zwingt der Maschinenengel den Betrachter zur Frage, ob er das vollendete Unheil verkünde oder die darin verkappte Rettung. Er ist aber, nach dem Wort Walter Benjamins, der das Blatt besaß, der Engel, der nicht gibt sondern nimmt.224
221 Martin Heidegger: Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen. In: Martin Heidegger, GA Bd. 41, Frankfurt am Main 1962, S.75. 222 Blumenberg, Nachahmung der Natur, a.a.O., S.43. 223 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.371. 224 Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur III. Engagement. Frankfurt am Main 1971, S.135.
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II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
II.1.
ZWEITE SZENIFIKATION: IM BLICK DES ANDEREN
Mit der Ambivalenz der Medien-Gabe und der des Zeichens hat Klee die privative und gesellschaftliche Perspektive der Konstitution eines Widerstandes, der zugleich (szenisch) Abwehr und Anziehung ist, in den Blick genommen. Der Buchstabe als arbiträres Zeichen – sichtbare Unsichtbarkeit der Stimme – manifestiert als Balancierstange den Grad der Freiheit wie der Verfügung über die Stimme.225 Derrida erklärt: „Die Buchstäblichkeit des Buchstabens situiert diese Materialität nämlich nicht so sehr deshalb, weil sie eine physische oder sinnlich wahrnehmbare (ästhetische) Substanz oder sogar Materie wäre, sondern weil sie der prosaische Ort des Widerstandes gegen jede organische und ästhetische Totalisierung, gegen jede organische Form ist.“226 Derridas Hinweis auf eine Argumentation von Paul de Man nimmt die Widerständigkeit („force des résistance“) für alle ‚Buchstäblichkeit‘ an, nicht aber für die Linie der (individuellen) Handschrift. Dabei kommt der Bedeutung ‚Materie‘ im Sinne einer ‚manuellen‘ Sekretion eine ebenfalls ambivalente Struktur zu, die in den Aggregationen flüssig (Tinte) und fest (Stilus) sich auf dem Papier vereinigen. Instrument dieser Vereinigung ist die Hand. Die buchstäbliche Ordnung figuriert in erster Linie typo-logisch,227 sie hat ihr malerisches Moment im Ausdruck der Handschrift. Auf diese Handschrift als Bildunterschrift wird in der Kleeforschung kaum Bezug genommen, obwohl sie oft integraler Bestandteil gerade derjenigen Werke ist, die sich weniger dem Malerischen als dem Zeichnerischen verpflichten. Im Nachklang der Moderne, etwa bei Twombly, ist Handschrift im Bild nichts Außergewöhnliches. Klees Selbstpräsenz im Bild, dessen Revitalisierung, schafft die Schrift-Linie. Sie artikuliert das vielfältige Netz der Beziehungen zur Materie und theoria. Ursprünglich für das Problem der Allegorese 225 Vgl. Bernhard Marx: Balancieren im Zwischen. Zwischenreiche bei Paul Klee. Würzburg 2007. Marx gibt insbesondere weitere Hinweise auf die Selbstreflexionen Klees, z.B. die Lektüre von Machs Analyse der Empfindungen 1905 (S.34). 226 Derrida, Maschinen Papier, a.a.O., S.127. 227 Barthes, Der Geist des Buchstabens, in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O. Barthes weist auf die Ursprungslosigkeit der Metapher des Buchstabens hin, dessen Lineatur die Spur dieser Ursprungslosigkeit verwahrt. Der Buchstabe ist die Besetzung eines Anfangs im Diskurs. Er fordert den Leser heraus. Ganz anders in der „ideographischen Kultur“ des Orients. Hier ist „die Linie das, was zwischen Schrift und Malerei liegt, ohne daß sich das eine auf das andere beziehen ließe.“ (S.109)
100 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
formuliert, durchzieht der Gedanke, Materie sei eine jederzeit ablösbare Elementarität des Körpers, die Argumentationsstruktur von de Man, so Derrida: Es gibt da, am Werk, eine Widerstandskraft ohne materielle Substanz. Diese Kraft beruht auf der trennenden, zerstückelnden, zerbrechenden, zergliedernden und sogar disseminalen Macht, die de Man dem Buchstaben zuschreibt. Einem Buchstaben, dessen trennende, desorganisierende, zergliedernde anorganische Kraft nicht nur die Natur affiziert, sondern auch den eigenen Körper (body) – als organisierte organische Totalität.228
Der Wunsch nach Selbstdarstellung des produktiven Ausflusses markiert sich in der Unterscheidung von anorganisch und organisch am Begriff der Elementarität, des Zerstückelten einerseits, des in der Zerstückelung (der Zeit) Versammelten andererseits. Das Flüssige nämlich lässt sich nur schwer stückeln. Das Zeichen ist die Form des Automatismus einer solchen Elementarität, die sich durch die Wertung des anderen (Medialisierung) verflüssigt. Was für den Buchstaben und die Spur der Linie gilt, gilt auch im Bereich der Akustik: Auf den ersten Blick scheint es einfach für die Stimme, sich von der Sprache zu lösen: zu singen ohne Text. Doch es merkt jeder, daß die gewonnene Autonomie sich gerade der Abstinenz verdankt und in der Negation der Sprache von dieser abhängig bleibt. Anstatt mehr zu werden, fehlt ihr etwas: die Sprache. Wird die Stimme dagegen selbst ersetzt durch ein Instrument, gewinnt sie an Gegenwärtigkeit.229
Die Frage der Bestimmung des Instruments wird zur Frage der Verdichtung und Spaltung der Materialität, kurz: der Maschinisierung als einer quasiorganischen Abständigkeit: „Wie wir sahen, löste sich die Stimme in dem Moment von der Spur der Schrift, als sie supplementiert wurde vom Instrument.“230 Die Supplementierungen von Stimme und Schrift werden zu Musik und Bild – das Flüssige wird diskret. Die philosophischen Probleme der Bestimmung von Stimme/Musik tauchen in der Bestimmung von Farbe und Materie von Russell und Wittgenstein exemplarisch auf: Ist die Farbe eine Eigenschaft der Materie, ist die Farbe die Materie oder ist die Farbe ein Phänomen der Subjektivität? Handelt es sich um ein Signal, um ein Zeichen oder gar um den Rand der Auflösung einer Elementarität, die keine Relationalität, sondern eine Seinsweise manifestiert? 231 Die Farbe kennt, wie das Sehen eigentlich keine Grenze: Die Farbe, in deren Bann Klee in Tunis fällt – „die Farbe hat 228
Jacques Derrida: Maschinen Papier. Das Schreibmaschinenband und andere Antworten. Wien 2001, S.128. 229 Wimmer, Verstimmte Ohren und unerhörte Stimmen, a.a.O., S.127. 230 Ebd., S.131. 231 Das Phänomen der Farbe ist in der Phase der Zusammenarbeit von Russell und Wittgenstein der beständige Prüfstein einer vom Sein abgelösten elementaren Phänomenalität, hinter der erst später die korrespondierende Eigenschaft erkannt wird. Über die Schwierigkeiten der analytischen Bestimmung der „ontologische Phänomenalität“ der Farbe berichtet zum Beispiel noch Pape, Die Unsichtbarkeit der Welt, a.a.O., S.68f.
II. 1. ZWEITE SZENIFIKATION: IM BLICK DES ANDEREN 101
mich“ –, ist die Weise, in der das Sehen sich eröffnet, die Farbe ist ein Ausfl ießen über die Dinge hinweg. Die Frage, die vor dem Hintergrund der Dynamik der Farbe gestellt wird, betrifft auch das Schweigen: „ob der Preis, den man für den völligen Zusammenbruch des Zeichens zu zahlen hätte, nicht zu hoch wäre“.232 Durch welches Instrument hindurch muss die Farbe gebrochen werden, damit sie in der Diskretion der Malerei erscheint? Was ist der Widerstand der Malerei? Wenn wir uns vor Augen führen, dass eine technische Repräsentation des Sprechens und Hörens ohne Umweg über das Auge erst seit etwas mehr als 130 Jahren realisiert werden kann, dann verstehen wir das Interesse der Psychoanalyse, die Erscheinungen der Anwesenheit der Stimme ohne Anwesenheit des Menschen als technische Realität mit Halluzinationen233 zu vergleichen. Der Phonograph und das Telephon wie die elektrische Kraftanlage werden zu ersten Metaphern der Psychoanalyse, die sich in einer Bewegung szenifizieren will, die dem Traum und den Imaginationen vorbehalten war, und sie werden zu Metaphern der Gesellschaft, die sich in ‚Feldern‘ zu organisieren beginnt. Die wichtigste Umwälzung der Physik des 19. Jh. ist die der Auflösung der Materie in den Feldbegriff. Es kommt zu einer Art Rückverwandlung der sichtbaren Elemente in einen akustischen Äther, dem Freuds Modell von der heilenden Kraft der Stimme voll entspricht. „Die einfache Bewegung kommt uns banal vor. Das zeitliche Element ist zu eliminieren. Gestern und morgen als Gleichzeitiges. Die Polyphonie in der Musik kam diesem Bedürfnis einigermaßen entgegen. Ein Quintett wie in Don Giovanni steht uns näher als die epische Bewegung im Tristan“,234 so schreibt Klee 1917 in einer Zeit, in der die gleichgültig-langweilige Soldatenexistenz nach Abwechslung sucht. Was aber tatsächlich in Klees Überlegungen zum Ausdruck kommt, in dieser krisenhaft bewegten Zeit, ist die Frage der menschlichen Organisationsformen (Militär, zivile Gesellschaft, Familie etc.) in Bezug zur instrumentellen Organisation (Maschinen, Medientechnik, Zeichen). Klee fasst die Tendenzen unter den Begriff der Genesis. „Die Genesis als formale Bewegung ist das Wesentliche am Werk.“235 Damit enthebt er das Gedächtnismoment der Exklusivität von Schrift und verschiebt es auf den Naturprozess respektive auf den der menschlichen Natur, der Technik als Manifestation der Produktion. Ist es doch nachgerade unmöglich, etwas, was ständig im Werden ist, festzuhalten, wenn man es nicht in einem anderen Medium realisiert. Das Bild wird – ganz gegen seine ursprüngliche Intention – zum Speicher von Bewegung und Gleichzeitigkeit (Gestus des Futurismus) und nicht mehr zum Speicher eines Augenblicks.236 Damit übernimmt das szenische Bild die Funktion prozessualer 232 Wimmer, Verstimmte
Ohren und unerhörte Stimmen, a.a.O., S.133.
233 Siehe Kittlers Darstellung der Gespenstergeschichten von Schillers Geisterseher bis E.T.A. Hoffmann,
in: Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin 2002, S.131ff. 234 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 1081, S.382. 235 Ebd., Nr. 943, S.321. 236 Martina Dobbe setzt den Einsatz dieser medialen Funktion des Bildes mit der „medienästhetischen
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Aufzeichnungen, es wird deskriptiv, es wird Plan, Karte, Entwurf, Diagramm, Maschinenskizze, Feld und anatomisches Lehrbuch der menschlichen Existenz, ohne aber, wie etwa bei Pollock, auf den semantischen Wert zu verzichten. Klee fragt sich, in welcher Gesellschaft sich die elementaren Einheiten/Subjekte nach dem Krieg in einer enthierarchisierten Form organisieren können. Je bewegter die Gesellschaft, umso dringlicher wird die Frage ihrer Elementarität: Aus welchen Elementen ist die Gesellschaft zusammengesetzt: aus Subjekten, Personen oder Ereignissen, in denen die Körper als mediale Knoten wandeln? Als zentrales Moment der Genealogie der gesellschaftlichen Beziehungen setzt Klee die deskriptive, inversive aber auch vektorielle Linie ein. „Die Linie! Meine Linien von 1906/7 waren mein Ureigentum. Aber ich mußte sie doch unterbrechen, es droht ihnen irgendein Krampf, schließlich gar das Ornament. Kurz, ich unterbrach erschreckt, obwohl sie tief in mir gefühlt saßen.“237 Wenig später berichtet Klee von der momentanen Lösung, die er an der Selbstständigkeit der Linie bei van Gogh und Ensor entdeckt. „Überhaupt zeigt sich mir hier ein Weg ins Absatzgebiet für meine Linie. Ich finde aus der Sackgasse des Ornaments, wo ich mich 1907 eines Tages befand, endlich hinaus!“238 Es ist der Beginn der Personalisierung, den Klee durch „psychische Improvisation“ und experimentelle Abwehr sogleich wieder destabilisiert. Klee befreit die Linie von ihrer Formbestimmung, die Linie bekommt Inversionscharakter. Das Innen wird vom Außen nicht mehr abgegrenzt, sondern dient einer freien Entfaltung. Die Linie wird amorph, offen, Gestaltgrenze und nicht Formgrenze. Klee macht dafür endlich die Öffnung seiner narzisstischen Technikmanie in Sprache verantwortlich. „Hier liegt eine neuschöpferische Möglichkeit längst vor, welche nur seinerzeit durch die Ängstlichkeit des Isoliertseins unterbrochen worden war. So wird meine reine Persönlichkeit zu Wort kommen, sich in größerer Freiheit befreien können.“239 Diese klarsichtig geäußerte Neuansetzung wird ab 1908 stabilisiert. Die Linie wird zum grundlegenden technischen Instrument der Darstellung der Beziehungen der anderen untereinander. Die Linie ist der Ort der Bewegung. Sehen wir uns zunächst den Zustand der Elemente der Gesellschaft an. Jean Baudrillard hat (bereits 1968) darauf hingewiesen, dass es im Übergang von der unreinen zur reinen Übertragung zu einem „Aufeinanderprallen der Realität der Gegenstände und der Irrealität der Bedürfnisse“ kommt.240 Wenn nämlich Besonderung der Malerei Poussins“ an. Dobbe, Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes, a.a.O., S.140. 237 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 831, S.239. 238 Ebd., Nr. 842, S.242. 239 Ebd., S.242f. 240 Jean Baudrillard: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt am Main 1991, S.14.
II. 1. ZWEITE SZENIFIKATION: IM BLICK DES ANDEREN 103
die grundlegende Gestaltung von Gesellschaft sich als technische zahlen- und zeichenbasiert konstituiert – dazu gehört die Planung ebenso wie der Bau und der Betrieb der Produktionseinheiten –, konstituiert sich auch ein wissenschaftliches System programmatischer Technologie, in der die sprachlichen Zeichen oder die sinnlichen Ausweise eigens die „Unreinheit“ als interpretatorische Unschärfe wieder einführen müssen, so wie man ‚reine‘ Statistiken mit Grafiken zu Texturen modelliert. Baudrillard mahnt an, dass die Technologie „im Unterschied zur Sprache, kein stabiles System“ ist.241 Zur Stabilisierung dient das Beziehungsverhältnis von Design und technischem Produkt, d.h. das Warenverhältnis, als ein System der Stabilisierung von Instabilität, das im Design wiederum in die zeichenbezogene Ambivalenz von Design (gebrauchsbestimmter Formgebung) und künstlerischer Gestalt zerfällt. Baudrillard gelangt zu der These, „dass im Gegensatz zur Sprache das System der Gegenstände wissenschaftlich nur dann beschrieben werden kann, wenn es als Ergebnis einer ununterbrochenen Interferenz eines praktischen und eines technischen Systems betrachtet wird.“242 Anders gesagt – diese Aussage ließe sich von Heideggers Technikbegriff ebenfalls ableiten –, ist Technik ein Mittel der Moderierung des Unbedingten in der Zeit. Sie sorgt dafür, dass die Bedürfnisse sich als Gegenwart einer Praxis realisieren. Die Technik ist die Realität. D.h. sie organisiert das Werden. Baudrillards Theorie, die 1968 noch ohne Nennung des Design- und Medienbegriffs auskommt, will eine Ökonomie der gestalteten, industriellen Objekte soziologisch beschreiben, das heißt, er zielt auf eine Beschreibung der Realität in Bezug auf eine Gestalt der Gesellschaft. Sie will zwei unterschiedliche ökonomische Bereiche miteinander verknüpfen: den der Technisierung und den der Gestaltung, und daraus eine Genealogie der Gesellschaft ableiten. Die Problematik, so Baudrillard, besteht darin, dass man beide Bereiche, den der Sprache/Schrift und den der Realität, unter der strukturellen Größe des Zeichens miteinander in Beziehungen setzen will, ohne zugleich die ideologische Struktur des Zeichens wie auch die des Strukturbegriffs zu hinterfragen, mit der die Nähe der Dinge zugleich auf Distanz gehalten wird.243 Es müsste, so Baudrillard, ein System der Beschreibung geben, das nicht systemimmanent aus jenen Strukturen und Partikeln besteht, die das System hervorbringt. Genau hier kommt die Ambivalenz des Zeichenbegriffs bei Klee, sein Schwanken zwischen Bild und Ding, das Sartre als Klees eigene Darstellung der Engagiertheit entdeckt, ins Spiel. Dazu müssen die Zeichen, die Klee verwendet, in gewisser Weise privat sein. Sie sind es aber nicht qua Form, sondern sie sind es qua Genesis, d.h. in statu nascendi oder im statu descendi. In spezifischem Sinne sind sie ahistorisch oder asynchron – der Wirklichkeit, nicht der Realität verpflichtet. 241
Ebd., S.17. Ebd. 243 Baudrillard hat diese Kritik später vor allem in Der symbolische Tausch und der Tod nachgeholt. 242
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Jedenfalls wählt Klee, um die Verschiebung im Werden zu zeigen, das Medium der Linie. Dies Linie hierarchisiert nicht den Signifikanten über das Signifikat, sondern sagt etwas über die Genesis von Elementarität aus. Es gibt noch einen weiteren Einwand gegen die semiologische Reduktion. Er stammt ebenfalls von Baudrillard und knüpft 1972 an seine Kritik des Systems der Warendinge an. Dabei geht es Baudrillard nicht darum, die Semiologie als sezierende Methode wissenschaftlicher Begrifflichkeit in Frage zu stellen, sondern darum, die ideologische Konstruktivität der Repräsentation des Zeichens für eine tautologische Wissenschaft aufzudecken. Wenn Zeichen nur auf Zeichenhaftes referieren, wird Wissenschaft fetischistisch. Auch die Unzeitlichkeit Klees besteht darin, mittels außer Kraft gesetzter Zeichen den Zeichen auf den Grund zu gehen – sie also keinesfalls zu fliehen, sondern sie in ihrer Auflösung zu sehen. Klee sah sich selbst als Zuhörer der Klänge menschlicher Beziehungen. „In welchem Kreis Klee auch gegenwärtig war, er verharrte in seiner Zurückgezogenheit. Nicht daß er es gewollt hätte; er konnte nicht anders; er lebte in einer anderen Welt und sah durch die Dinge hindurch.“244 Baudrillard macht noch auf ein drittes Problem in der Fetischisierung des Zeichens aufmerksam, nämlich der Verdrängung (Abstraktion) der in der Zeichengenese manifestierten Kollektivität. An anderer Stelle haben wir gesehen, daß bei einer Sammlung weder die Natur der Gegenstände noch ihr symbolischer Wert von Wichtigkeit ist, sondern etwas, das genau dazu da ist, all dies gleichzeitig mit der Realität der Kastration beim Subjekt zu verleugnen, nämlich die Systematizität des kollektiven Zyklus, in dem der kontinuierliche Übergang von einem Terminus zum anderen dem Subjekt hilft, eine geschlossene und unverletzbare Welt zu weben, in welcher der (wohlgemerkt perversen) Wunscherfüllung nichts im Wege steht.245
Bei Klee werden Zeichen- zu Sachbeziehungen mit performativem Ausdruck. Sartre hat, vermutlich in Unkenntnis des Spätwerks Klees, nicht gesehen, dass dieser zwar daran interessiert war, das Zeichen als Prozess in das Bild einzuführen, es aber nicht konkurrierend mit den Dingen, sondern als vektoriellen (deiktischen) Brückenkopf zur Genealogie szenischer Vergesellschaftung zu gebrauchen, ihnen also ein allegorisches Moment unterzuschieben. Dabei geht es wesentlich darum, in der unendlichen Linie andere Elementarhypothesen zu entwickeln als die, die das Zeichen vorgibt. Wesentlich am Fetischismus ist die Transformation der Gebrauchsfunktion in eine Vorstellungsfunktion. Je instabiler die Gesellschaft, umso stärker der Fetischismus – je stärker der Fetischismus, umso militanter die Gesellschaft. In diesem Sinne sind alle 244
Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.25. Jean Baudrillard: Fetischismus und Ideologie: die semiologische Reduktion. In: Objekte des Fetischismus. Hg. J.-B. Pontalis, Frankfurt am Main 1972, S.323. 245
II. 1. ZWEITE SZENIFIKATION: IM BLICK DES ANDEREN 105
medientechnischen Surrogate (Handy, Armbanduhr, Kleidung) fetischistisch, Dinge, deren Transformationen unter ästhetischen Bedingungen stattfinden. Die Funktion des künstlerischen Bildes besteht darin, die Resonanz zwischen Gebrauchswert und Fetischwert zu artikulieren. Das Bild steht als noch offenes mit allen anderen Bildern in Verbindung, d.h. es ist eine monadologisch gedachte Einheit, in der jedes Bild eine ‚Falte der Natur‘ darstellt – und kein ‚Riss im Sein‘, keinen abgelösten entkörperlichten Opferstoff. Bildlichkeit ist die Hyperfetischisierung, die mit ‚Natur‘ gleichgesetzt wird, die ‚Mode aller Moden‘. Begründen wir dies näher aus der Sicht der Gestaltpsychologie. Piaget und Inhelder haben auf die Unterscheidung von Einheit und Wahrnehmung in der Entwicklung des Kindes aufmerksam gemacht.246 Die Gegenstandstheorie, die Gestalttheorie, die Theorie der Ganzheiten,247 die monadischen Modelle, die Bestimmung des Ereignisses als Phänomen248 etc., die mit der Idee der Gestalt ein sinnliches Ereignis als Elementarhypothese annehmen, abstrahieren von der Kontinuität des Seins, müssen die Isolation ihrer Elemente ohne mediale Bestimmung begründen, wenn sie nicht in den Regress Russells von unendlich größeren Mengenbestimmungen bzw. unendlich partialisierten Untermengen geraten wollen. Deshalb führt man für das Zahlzeichen eine ordinative Medialität ein, die nicht wieder die Zahl, sondern die Zählung ist: 1., 2., 3., ... kurz, die kardinale und die ordinale Bestimmung des Zeichens (das gilt nicht nur für die Zahl), ist ein Code mit Sinn, Eins als Einheit somit auslegbar: handelt es sich um eine Materie oder um ein Ereignis, das in der Zahl als Zählung sich bestimmt und aufschiebt? Für die Entwicklung des Kindes gilt es, diesen Automatismus der Partialisierung und der Kontinuierung zu bestimmen. Die „Richtungsdualität“249 der Subjektgenese, die Piaget diagnostizieren muss, beruht auf einer Trennung von reversiblen Additionsmerkmalen und synthetischen Verschmelzungen, von denen die magischen, animistischen und anthropomorphen den Mangel an Begründungskompetenz des Kleinkindes ausblenden, indem es alle Elemente mit allen Zeichen in Verbindung treten lassen kann, ohne auf kausale Konsistenz der Kräfte zu achten. Die strukturale Semiologie hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie für die ‚katastrophischen‘ In- und Deflationen, also für den Genetismus der Zeichen, 246
Jean Piaget/Bärbel Inhelder: Die Psychologie des Kindes. München 2004, S.57. „Die Wahrnehmungsstrukturen sind grundsätzlich unumkehrbar, irreversibel, insofern sie auf einer probabilistischen Ausbildungsweise beruhen, die im Bereich der Feldeffekte offenkundig ist.“ 247 Siehe dazu auch die historische Darstellung von Anne Harrington: Die Suche nach der Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-AgeBewegung. Reinbek, 2002. 248 Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek 1982, S.316. 249 Piaget/Inhelder, Die Psychologie des Kindes, a.a.O., S.58.
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kaum Beschreibungskategorien aufzuweisen hat, und wenn, dann entstammen sie der Ethnologie und beziehen sich auf wilde, magische Zeichen, die ihre Diskretheit noch nicht durchgesetzt, sich noch nicht vom Körperbezug und vom szenischen Ritual abgelöst haben. Alles, was nicht den Beschreibungskategorien einer familialen Generativität gehorcht, ist die Katastrophe des Zeichens. Es bedarf der nachvollziehbaren Trennung des Imaginären von Realität als distanzierende Sphären von Körper, Leib und Welt, um den Trennungsschmerz im Zeichen aufzuheben. Denn das Zeichen soll die durch das fehlende Opfer disparierten Beziehungen wieder versammeln. Die Phänomenologie hat den Kern dieser Gegenstandsbestimmung des Phänomens auf der Grundlage von Abstraktionen und Klassifizierungen betrieben.250 Husserl muss – parallel zur Logik Russells –, um Selbstbegründungsschleifen zu vermeiden, immer wieder auf Klassifizierungen und Kategorialisierungen zurückgreifen, um die Reinheit der Phänomene als Einheit zu sichern, die für ein Subjekt elementare Ganzheiten sein sollen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich die unendliche Mühsal vorzustellen, mit der Husserl und die Gegenstandsschulen seiner Zeit darauf drängen, das universalisierte Ich in einem fundamentalen Akt aufgehen zu lassen und den Ursprung des Bewusstseins quasi in statu nascendi zu beobachten. Sartre unterscheidet hier schon radikal zwischen der Selbstbeobachtung und dem Erkennen des anderen als einer unabschließbaren Gestalt: „Was hat uns diese lange Kritik eingetragen? Bloß dieses: meine Beziehung zum anderen ist zunächst und von Grund aus ein Verhältnis zwischen Sein und Sein, nicht zwischen Erkennen und Erkennen.“251 Kurz, der Fehler, den man macht, ist der, davon auszugehen, dass es einen Menschen gibt, dass der Körper eine Einheit darstellt, wo er doch ein Seinfür-andere ist. Es ist angebracht, die Szene, die Sartre für die Geburt der Personalisierung gestaltet, nochmals genauer auf die Eintrags- und Austragsstellen zu untersuchen. Wir werden zeigen, dass der Sprung vom Hören ins Sehen und retour den Status einer phänomenologischen, immanenten Elementarhypothese hat, die die Erfahrung vermittelt, dass das Ereignis dieses Sinnenübergangs stets durch ein Opfer infiziert ist und dass die Spur des Opfers die Einheiten untereinander sozialisiert. Die Identifikation des Opfers geschieht über die Anerkennung von Schuld. Das Subjekt situiert sich durch diese Abweichung, die es von der Bewegung seiner Totalisierung differiert. Zwischen den Sinnen, die sich aufgrund der Verdinglichung im anderen verkörpern und damit von vornherein eine Synästhesie unwahrscheinlich machen, liegt eine unüberwindliche Differenz, die nur dadurch kaschiert werden kann, dass z.B. das Hören die Stimme des anderen in mir wird (Zensor und 250 Vgl. Dieter Münch: Intention und Zeichen. Untersuchungen zu Franz Brentanos und zu Edmund Husserls Frühwerk. Frankfurt am Main 1993, S.83. 251 Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S.327.
II. 1. ZWEITE SZENIFIKATION: IM BLICK DES ANDEREN 107
gesellschaftliches Wertesystem, Kantischer Imperativ), während das Sehen stets ein zwischen den Subjekten vergleichbares Außen konstituiert. Wenn wir also die These belegen wollen, dass Klee mit der inversen Linie das Problem des Sinnenübergangs und somit der Vergesellschaftung im Bild selbst thematisch macht, müssen wir den Ort der Anerkennung der Schuld, einen positiven Ort des Widerstandes aufsuchen. Dieser Ort ist nun der Körper selbst, insofern er sich seiner Bildwerdung bewusst wird: Scham als Schuld. Verlagern wir also die Probleme der Kontinuierung von Elementarität im Bild auf die analoge der Entwicklung der Personalisierung, insofern jeder innerhalb der Gesellschaft ein Bild von sich wird und somit in der Schuld des anderen seine defiziente Totalität den Blicken preisgibt. Damit kommen wir zur Szene, die uns Sartre als Ort der Schuldübernahme präsentiert. Zwanzig Jahre nach den Ausführungen in Das Sein und das Nichts erst gelingt es Sartre, in der Kritik der dialektischen Vernunft auch das Problem der Personalisierung und der Institutionalisierung der Sachbeziehungen zu analysieren, und zwar ausgehend von der existentiellen Ambivalenz der menschlichen Arbeitsprodukte.252 Die Szene, von der Sartre in einer Art Gedankenexperiment ausgeht und die uns auch zur Vorgeschichte der Symptomatik Klees führen wird, hat die rhetorische Form einer Parabel. Es ist von der berühmten und vielfach interpretierten Treppenhausszene in Das Sein und das Nichts die Rede. Man vergisst, über die vielen Mythen, die diese Szene begleiten, dass sie in Wirklichkeit nur auf wenigen, im philosophischen Kontext verstreuten Sätzen basiert, die das Bild suggerieren, ein zentrales Motiv vor Augen zu haben, dass den eher abstrakten Text über die Fundamentalgestalten der Genealogie des Subjekts durchwebt. Die Zitierfähigkeit, das heißt die mythische Verdichtung, mag ihre Konsumtauglichkeit unterstellen. In den Sartre-Renaissancen erweist die Szene sich als eine verschwenderische Maschine, die den Interpreten immer neue Ansichten entlockt. In der Tat handelt es sich um einen Akt der szenografischen Präparation innerhalb eines philosophischen Textes, der um sinnliche Darstellung buhlt. Sartre hat diese literarische Attitüde früh durchschaut und als seinen Stil inszeniert. In der Analyse der Personalisation Genets und Flauberts verschreibt er sich ganz der Deduktion dieser Philosophie in der Maske der Literatur. Worauf in der Auslegung dieser Szene, soweit ich sehe, nicht hingewiesen wird, ist der Übergang von Blick und Akustik. Ihm vor allem gilt unser Interesse.
252 Vgl. den Exkurs über Arbeit und Gruppe bei Jean-Paul Sartre von Christoph Weismüller. In: Rudolf Heinz: Kainsmale. Animationen zu einer unzeitigen Philosophie der Arbeit. Düsseldorf 2008, S.131ff.
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„Man begegnet dem anderen, man konstituiert ihn nicht.“253 „Das bedeutet zunächst, daß die Vielheit der ‚anderen‘ nicht eine Ansammlung, sondern eine Ganzheit ist.“254 „Das empirische Bild, das die Heidegger’sche Auffassung am besten symbolisieren würde, ist nicht das des Kampfes, sondern das der Mannschaft.“255 Der andere ist eine Gegebenheit, die die Transzendierbarkeit der Welt ist. Der Mensch unter Menschen – das ist das phänomenologische Ereignis, von dem Sartre berichtet. Der Andere, als dieser immanente, universalisierte ganz Andere, das ist der Widerstand zwischen Mensch und Ding, aber als transzendierter. Und, wichtig: Da der ganz Andere eine Ganzheit ist, hat er keinen Körper, er muss sich diesen (institutionellen, dinglichen) Körper als Leib schaffen. Um an der Schuld teilzuhaben, muss ihm geopfert werden. Nur als Anderer meiner selbst bin ich der Schöpfer meines Leibes. Was ist aber dann der eigene Körper? Offenbar ist es notwendig, dass im Akt der Subjektivierung der eigene Körper zu Gunsten des Leibes substituiert/geopfert wird. Was unterscheidet dann die Erschaffung eines Zeugs von der Erschaffung eines Leibes? Zunächst, dass der Leib des Menschen eine positive Ganzheit ist, während alle Dinge und der Körper nur funktionell-organische Elementarhypothesen bleiben. Man kann sagen, die Totalisierung des Körpers wird durch den Blick des anderen zum Leib. Nun zur Szene: „Nehmen wir an, ich sei aus Eifersucht, aus Neugier oder lasterhafterweise so weit gekommen, mein Ohr an eine Tür zu legen oder durch ein Schlüsselloch zu spähen. Ich bin allein.“256 (Hören oder Sehen?!) „Das bedeutet, daß hinter dieser Tür ein Schauspiel als ‚zu sehen‘ geboten wird, eine Unterhaltung als ‚zu hören‘. Die Tür und das Schloss sind Hilfsmittel und Hindernisse zugleich.“257 „Jetzt habe ich Schritte im Vorsaal gehört: man sieht mich.“258 (Sehen gegen Hören!) „[…] hier bin ich über das Schlüsselloch gebeugt; plötzlich höre ich Schritte. Ein schauderhaftes Schamgefühl nimmt von mir Besitz; jemand hat mich gesehen. 253 Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., 334. Nochmals der Hinweis: Die ältere Übersetzung von Das Sein und das Nichts schreibt den ‚anderen Menschen‘ mit einem Versal-‚A‘. Ich übertrage diese Schreibweise der Übersichtlichkeit wegen in: Der andere Mensch (klein ‚a‘) und: das (ganz) Andere (groß ‚A‘). Vgl. dazu auch das Vorwort von Vincent von Wroblewsky in: Jean-Paul Sartre, Entwürfe für eine Moralphilosophie. Reinbek 2006, S.20, der auf die Schwierigkeit der Übertragung aus dem Französischen hinweist. Hinzu kommt, dass die Ableitungen des ‚Anderen‘ bei Lacan differenzierter sind als bei Sartre. Sprachlich geht es jeweils um das Problem der absoluten Metapher, das sich im ‚Anderen‘ (Name-des-Vaters) ausdrückt. 254 Ebd., S.337. 255 Ebd., S.330. 256 Ebd., S.345. 257 Ebd., S.346. 258 Ebd., S.347.
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Ich richte mich auf, ich suche den Korridor mit den Augen ab: es war blinder Alarm. Ich atme auf. […]“ (Hören wider Sehen) „Wenn ich dagegen daran festhalte, werde ich doch mein Herz klopfen hören, werde ich auf das geringste Geräusch, auf das leiseste Knacken der Treppenstufen spannen.“259 (Hören wider Hören). So weit die wenigen Zeilen der Ellipse – wenige Zeilen in einem fast 800-seitigen Buch, die es erlauben, die Konstitution des Menschen und der Dinge als eine Folge der Erscheinung des ganz Anderen (Geräusch), sofern er sich im „leisesten Knacken der Treppenstufen“ aus einer „düstere[n] Ecke im Korridor“260 ankündigt, zu verstehen. Mit dem Geräusch kündigt sich der andere, der Entdecker meiner voyeuristischen Stellung als Anderer, als Vertreter von Anstand und Moral, Vertreter des Gesetzes, das Gesetz als Widerstand an. Das Geräusch impliziert eine intentionale, keine gerichtete Weise des Vernehmens.261 Das Geräusch zeichnet sich dadurch aus, dass es als Unsichtbarkeit das Sichtbare ankündigen kann und also Gabencharakter hat, obwohl der Andere (Instanz der Moral) hier mit dem anderen (der möglicherweise ein Geräusch verursacht) nicht identisch zu sein braucht, ja, dass der andere (Individuum) im Anderen (Instanz des Ich) repräsentiert ist und dass beide das Verhältnis eines Teils zum Ganzen bilden. Das Geräusch ist einer Ganzheit, der Blick, präziser die Erscheinung, einer Elementarität zuzuordnen. Sartre thematisiert mit Absicht den Blick in der sinnlichen Erscheinung eines Geräuschs, das die Welt durchdringt und die Funktion hat, den Voyeur in die Welt zurückzuholen. Sartre spricht nicht davon, dass der Verursacher des Geräuschs real erscheint, etwa als Bewohner eines Hotelzimmers, der zufällig in das Treppenhaus tritt und die ungehörige, voyeuristische Stellung mit Schimpf und Schande überzieht. Er spricht nur davon, dass das Bewusstsein meiner Opfer-Situation in dem Moment erscheint, wo das Hören in ein Sehen umschlagen könnte. Und es schlägt deshalb um, weil der Voyeurismus und die Scham, die der Entdeckung folgen, die Pole ein und derselben Bewegung sind, weil der Voyeur im Unbewussten über das (pornografische) Objekt hinaus auf seine eigene Entdeckung zielt. Das Sichtbare zielt auf seine Depotenzierung im Sich-selbst-Vernehmen. Die Scham, das Erröten und das Herzklopfen sind deiktische Male des Genießens einer Ordnung des Widerstandes: Das bin ich als Anderer für einen anderen, das ist mein Leib! Die Trennung und die 259
Ebd., S.367. Ebd., S.350. 261 Fritz Lang hat in seinem Film M. Eine Stadt sucht einen Mörder, wohl zum ersten Mal in der Tonfilmgeschichte, durch die Asynchronie von Ton und Bild die Spannung einer Triebgestalt dazustellen versucht. Er bezieht sich damit eben nicht auf das von der Polizei vertretene Gesetz, sondern auf das Gesetz des Realen, den Sadismus des Mörders, der gefasst wird dadurch, dass ein Blinder ihn erkennt und ihm ein Zeichen auf den Rücken malt. Es ist das Pfeifen (im Walde) des Mörders, die Rhythmisierung des ‚Triebes‘, sowie eben dieses ‚Mal‘, das ihn verrät. 260
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Wiedervereinigung, die Beherrschung des Körpers als ein Objekt des Anderen, das ist es, worum die Szene kreist. Es ist das Urphänomen der immanenten Transzendenz der Gesellschaft als Phänomen der Abstraktion. Der Zusammenhang mit der Klee’schen Sklerose ist schnell hergestellt. Erröten ist ein immanent malerischer Akt, der der Sichtbarmachung des Realen im Menschen dient; dass er in der Lage ist, die Verdinglichung zugleich zu sein als auch zu dementieren. Das Erröten ist der Versuch, die Totalisierung des Körpers binnenökonomisch zu forcieren, und zwar als Effekt der Schuldübernahme der eigenen Defizienz. Das Erröten ist eine Aussage des Anderen für den anderen – Totalisierung und Partikularisierung in ein und derselben Bewegung. Das Erröten gehört nicht ins Reich der Zeichen, sondern ins Reich der Produktion. Man könnte es eine virtuelle Organbildung nennen, die ihrer Verdinglichung und damit einem Symptomcharakter entgeht, indem sie sich nach außen wendet. Die Scham ist eindeutig: Ich bin ein Objekt meines Sehens geworden, aber ich bin zurückgekehrt und jetzt erfasse ich mich als durch den anderen konstituiert, als den, der ich durch ihn bin. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, im Erröten eine feine Annonce der Objektwerdung der Haut zu erkennen, die sich in der Sklerose Klees dann tödlich steigern wird. Der Voyeurismus war der Diebstahl der Lust des anderen, die Entdeckung ist der Genuss der Selbstpräsenz, aufgrund der Tatsache, dass ich es genieße, das Objekt des anderen als Objekt meiner selbst zu sein. Dieser Zwischenzustand ist nur möglich, wenn die Kreuzung der Lemniskate meine eigene Grenze bildet. Die Topologie des Treppenhauses ist die einer Lemniskate. Für den Moment meiner voyeuristischen Selbsterkenntnis ist die Stimme des anderen negiert, die sich im Knacken so drohend lustvoll wieder bemerkbar macht. Halten wir fest: das Andere und der andere verfehlen sich im Erröten insofern, als im Erröten einer Stimme (Geräusch) mit visuellen Mitteln geantwortet wird. Diese Verfehlung ist das Angsterfüllte des Phänomens der „schauderhaften Scham“. Als akustische Annonce ist das Herzklopfen doch zu leise – zuerst ringt der Voyeur nach Worten, bevor er sich ertappt wieder in der Welt der anderen einfindet. Emphatisch gesagt: der Mensch ist seine eigene Verfehlung. Doch die Interpretation geht weiter. Nicht nur, dass ich die einzigartige Möglichkeit erreiche, im Genießen meine eigene Objektheit und meine Subjektivität zu kreuzen. In der Entdeckung werde ich als ein Objekt in seiner triebhaften Unbewusstheit (Neugier) erfasst, und ich erkenne, unter der Fuchtel der Beschimpfungen oder des leise mahnenden Kopfschüttelns (nehmen wir an, dass die Concierge mich ertappt – oder ein Passant des Treppenhauses), dass der in die Szene einbrechende Dritte (sei er nun real oder virtuell herbeigewünscht) seinerseits ein Objekt des Gesetzes (Anstandes) wird, das er vertritt. Sein magisches Schimpfen könnte mir etwa verraten, dass er ebenfalls nicht ganz Herr seiner selbst ist. Seinerseits zitiert er das moralische Gesetz herbei, um die Ordnung wiederherzustellen. Dadurch, dass der
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einbrechende Dritte selbst zum entsetzten Objekt wird, kaschiert er die Verifikation seiner möglichen Selbstauflösung, die er an mir (dem Voyeur) wahrnimmt. Die Entrüstung des eintretenden Zweiten ist seine Art, den entdeckenden Blick gegen den voyeuristischen Blick abzugrenzen. Es ginge aber auch andersherum: er solidarisiert sich mit mir und will seinerseits einen Blick durch das Schlüsselloch werfen. Dann verbündet er sich schamlos mit mir auf der Ebene des Genießens. Stets jedoch handelt es sich um einen Zweiten als Vermittler eines Dritten, der nicht erscheint, einen Repräsentanten von Gesellschaft, der immer eine Fiktion ist. Doch gehen wir, wie Sartre, davon aus, dass mein Verhalten den Verursacher des Geräuschs zum Träger des Gesetzes (Polizei oder Zensor) macht. Wie wir sehen, zeigt die Scham eine Aufhebung der Subjektivität für einen anderen an. Und erst hier, nicht schon im Einbruch des anderen, konstituiert sich der kreuzende Kreislauf von Lust und Genuss vollständig, der ich als Voyeur, als Blick bin. Sichtbarkeit macht schuldig, indem sie den anderen in seiner Andersheit zum Ding erklärt. Aber genau das ist es, was der Voyeur jenseits jedes billigen ‚Voyeurismus‘ beabsichtigt. Es geht ihm bei aller Heimlichkeit um seine Entdeckung. Dazu muss er aber selbst das Szenische des Treppenhauses erfassen.
Abb. 18 ∞ Paul Klee: Aktiv, Passiv, Medial, die drei Fälle zusammengefaßt. (Aus: Beiträge zur Bildnerischen Formenlehre, Vorträge im Wintersemester 1921/22, Ausschnitt aus Blatt 146)
Die Vollständigkeit der Sinnendifferenziertheit der Szene zu erkennen, ist bisherigen Interpreten entgangen, da sie sich auf die synästhetische Formulierung des Blicks als
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irgendeiner sinnlichen Erscheinung, insofern er auch Blinden zugänglich sein muss, festgelegt haben. Es geht Sartre aber um die Differenz eines äußeren und inneren Kreislaufs, in dem der Narzissmus durch die Vergesellschaftung (Echo, das Knacken der Treppenstufen) gebannt wird. Der Genuss ist die Einsicht, auf eine ganz direkte Weise am Anderen teilzuhaben: Da es (immer) unmöglich sein wird, den Tod unendlich aufzuschieben, kann ich ohne Reue genießen, gibt es das Genießen als Aufschub des Aufschubs und steht der andere mir auch als Knecht zu Diensten. Demgegenüber, aber auf der gleichen Bahn der Lemniskate, zwingt die Lust, sich beständig an einem ‚Dennoch!‘ des Todesaufschubs abzuarbeiten und die instrumentelle Deformation des Körpers aufrechtzuerhalten. Dieses ‚Dennoch‘ repräsentiert Sartre nicht durch den realen Einbruch des anderen Menschen, der zufällig die Treppe herunterkommt und mich in der verfänglichen Situation sieht, sondern er repräsentiert es durch den großen Anderen, das Gesetz, die Moral, die es nicht gutheißen kann – die Gründe hat uns Lacan verdeutlicht –, die Wahrnehmungslust auf die Trieblust zu reduzieren und damit Realität und Gemeinschaft als Ganzheit des Anderen aus dem Blick zu verlieren. Der Aufbau der Sartre’schen Analyse ist dazu angetan, den Aspekt der sinnendifferentiellen Kontingentierung des Ichs zu bestätigen. Wie kann jemand, der in seiner voyeuristischen Pose gänzlich zum Blick wird, in die Realität der menschlichen Beschränktheit zurückfinden und in ein und demselben Akt zugleich sich erfinden? Sartre zeigt, dass es sich um eine doppelte Bewegung handelt: um die Verdopplung meiner selbst als Anderen, die sekundär ist, und um die Verdopplung des anderen als Objekt und Subjekt der Lust, die die primäre Funktion des Gesetzes oder eines anderen pragmatischen Widerstandes garantiert. In dieser Doppelung der Inversion262 und Reflexion begegnet sich das Individuum als Objekt, was es ihm ermöglicht, sich selbst als Subjekt zu erfahren, aber als Subjekt, das sich im Bilde seiner selbst für und durch einen anderen personalisiert. Damit Lust sich als Realität manifestiert und damit ein provisorisches Genießen des virtuellen Todes als Faszination am Ding vorbehalten wird, kreuzen sich die Wege des Subjekts und des Körpers unentwegt, indem sie sich möbiushaft verfehlen. Wenn die Verfehlung nicht stattfindet, wenn der Körper auf sich selbst als seine eigene Verdinglichung trifft (und nicht auf die Knechtschaft des anderen und der Dinge), dann erst kommt es zum Symptomausweis des Körpers. Der Körper mahnt dann seine Dingheit umso mehr an, als er nicht mehr widerständig disponieren kann. Das Schlüsselloch entspricht 262 Zur Darstellung des Inversionsbegriffs in der Frühromantik, insbesondere bei Schelling, siehe Ralf Bohn: Transversale Inversion. Symptomatologie und Genealogie des Denkens in der Philosophie Robert Musils. Würzburg 1988, S.53ff. Und: Zur Grundfigur der Inversion siehe Manfred Frank/ Gerhard Kurz: Ordo Inversus. Zu einer Reflexionsfigur bei Novalis, Hölderlin, Kleist und Kafka. In: Geist und Zeichen. Heidelberg 1977.
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einem solchen Widerstand: abschließend und doch transparent. Es geht darum, zu zeigen, dass Krankheit eine Art der Offenlegung der immer schon stattfindenden binnenproblematischen Opferthematik und deren Schuldabschiebung in die Dinge darstellt, die nur dann gesühnt werden kann, wenn das Subjekt die Möglichkeit der Sachbeziehung zu sich selbst aufrechterhält. Diese narzisstische Ablösung geschieht durch das der Arbeit enthobene Genießen, das immer eine Akzeptanz des Anderen gelten lässt. Die ganze Bewegung des Voyeurs wird in der Tat nur dann neurotisch, wenn das Gesetz ihm keinen Widerstand liefert. Der Voyeur muss sich fetischistisch seinen eigenen Widerstand erschaffen, wie der Maler sein erotisches Sujet. Es geht dem Voyeur wie dem Maler in seiner Leidenschaft darum, als Anderer erblickt zu werden, als der, der er ist. Eine solche Andersheit für einen anderen zu repräsentieren ist die ontologische Funktion des Bildes. Sartre richtet den Inversionspunkt in einem Bruch der Aufmerksamkeit ein: „ein leisestes Knacken der Treppenstufe.“ Die Technisierung der szenografischen Situation, die Sartre im Text nicht erklärt, besteht in der Implementierung eines erweiterten Dingbezugs. Voyeurismus im öffentlichen Raum ist die Herbeirufung des Anderen: Polizei und Psychiatrie lassen im Zweifel nicht lange auf sich warten, Treppenhäuser sind Orte der Kreuzung von Privatheit und Öffentlichkeit. Beispielhaft auch die Exposition des ‚Schlüssellochs‘: Sie besteht darin, meinen Körper vor dem Schlüsselloch in die richtige Stellung zu bringen, so wie der Laborant sich vor einem Mikroskop und der Astronom sich vor seinem Fernrohr in Stellung bringt. Immer handelt sich es um einen Diebstahl des Blicks. Man kann sich vorstellen, dass der voyeuristische Blick ebenfalls durch gewisse eindeutige ‚Geräusche‘ hinter der Zimmertür veranlasst worden ist. Nun wissen wir, was in diesem Treppenhaus wirklich geschieht, nämlich die Intonation des Rufes nach einem ganzheitlichen Anderen (dem Gesetz des Anstandes), in dem der Mangel des Einzelnen aufgehoben ist, in dem die Technik nichts anderes ist als die Erzwingung eines Widerstandes, als Verortung der Schuld in der Gesellschaft zur Anerkenntnis einer zweiten Geburt: Ich bin es, der sowohl Mensch als auch Ding sein kann. Ich bin es, der den Anderen ruft. Damit aber wird das Narzisstische zum Mittel einer Übertragungsleistung, die darin besteht, einen Mangel in einen Gewinn (die transzendierte Allgegenwart des Gesetzes der Vernunft) zu transformieren. Das genau ist das Wesen der Technik: es besteht nicht nur in der Umsetzung des Wunsches in eine Realität, sondern auch in der Ablösung dieser Umsetzung vom Hier und Jetzt des konkreten anderen Menschen in die magische Evokation des medialen Anderen, Technik ist Schuldverortung. „Die gegenständlichen Mittel der Technik enthalten und offenbaren während ihres Gebrauchs immer mehr und andere Möglichkeiten, als zur Zeit ihrer Planung und Herstellung bezweckt war. Die technischen Mittel besitzen einen Überschuss an Handlungsmöglichkeiten, der
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erst während ihres Gebrauchs zum Vorschein kommt.“263 Mit dieser Handhabung der Technik als einer Form der Herausforderung der Ganzheit des Anderen (der Objektivität der Produktion), verweist Technik sowohl auf szenische Möglichkeit als auch auf den ihr inhärenten Waffencharakter, die Verdinglichung der Gesellschaft. Die Kulisse der Architektur des Treppenhauses ist im technischen Sinne wesentlich für den Aufklärungsgehalt der Szene. Die Erkenntnis daraus ist die Folgende: Die Elementarität des Ichs ist das Resultat einer Spaltung, die ich im Gegensatz zum Ding bin, was mir durch die Andersheit meiner selbst, die Sinnendifferenz (Sehen-Hören) vermittelt ist. Das Knacken ist der Einbruch des (ganz) Anderen als Ebene der Realität eines sozialen Verhaltens, das sich von selbst versteht: Es gehört sich nicht, durch Schlüssellöcher zu spionieren. Der andere ist in seiner Andersheit zu respektieren. Beim unangekündigten Knacken ist die subkutane Versicherung, dass der andere sich so verhält, wie ich es erwarte, vorausgesetzt. Stellen wir uns nur eines jener einfachen Pariser Hotels vor, in denen Sartre zu wohnen pflegte. Ein kleines Treppenhaus, sechs oder sieben Etagen und in jeder Etage fünf oder sechs Zimmer. Kein Fahrstuhl. Die Chance, vor einer Zimmertür entdeckt zu werden in der Passage dieses öffentlichen Raumes, ist beträchtlich. Das Treppenhaus ist der Ort der Begegnung der anderen, nicht so öffentlich, dass man sich bei einem kleinen Vergehen nicht schämen müsste, aber so öffentlich, dass die passageren Personen zu Bekannten werden können und ich mich zum Gespött der Leute mache, die mich regelmäßig treffen und meinen Namen kennen. Das Treppenhaus ist also die technische Maschine der Vergesellschaftung und somit der Mutterkörper des Gesetzes. Das genau ist die Ebene der Inszenierung und der wahrscheinlichen Zufälligkeit, die den Voyeur protegiert. Sartre nennt das ein Zeichen, das zwischen der Gestalt in einem hodologischen Raum und einer Totalisierung in „einer rein zahlenmäßigen Determination“264 flottiert. Das Treppenhaus ist die designierte Technik der zufälligen aber notwendigen Begegnung, kurz, es ist ein szenisches Protomedium. Was wir herausgearbeitet haben, sind die Techniken der Inszenierung, die Bewegungen, mittels derer es Sartre gelingt, die Kurzschlüssigkeiten des Zeichens und des philosophischen Satzes zu entsperren. Eben darum handelt es sich bei einer möglichen philosophischen Betrachtung der Medialität: die Vermehrung eines „bestimmten Gedankens“,265 „woraus wieder ersichtlich ist, daß der Sinn, die Spiele des Sinns, seine Abschaffung und seine Wiederkehr nie etwas anderes sind als eine 263 Johannes Rohbeck: Technik – Kultur – Geschichte. Eine Rehabilitierung der Geschichtsphilosophie.
Frankfurt am Main 2000, S.124. Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S.376. 265 Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.211. 264
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Frage nach der Stellung.“266 Bei Klee gibt es ein Bild, die Puppe auf der Treppe (1922), das diesen Sinn der Stellung als Frage des inneren Gleichgewichts anschaulich wiedergibt.
Abb. 19 ∞ Paul Klee: die Puppe auf der Treppe, 1922
In der Architektur des Treppenhauses ist Vergesellschaftung als Tauschort präsent. Man vergleiche etwa die repräsentativen Treppenhäuser des Barock, deren Aufgabe es ist, eine Genealogie der Macht und der Stufen der Gesellschaft zu demonstrieren, und solche in einer Mietskaserne, deren Aufgabe es ist, eine Struktur der bloßen Zimmernummern und der Stockwerke zu präzisieren. Funktional betrachtet handelt es sich um Analogien der Passagen der Kultivierung. Im Treppenhaus wird der andere respektiert unter der Voraussetzung, dass das Private und das Öffentliche sich hier kreuzen. Und noch ein anderes drückt sich in der Architektur aus: Szenologisch betrachtet trägt sich am szenischen Ort die Sinnendifferenz als Leiblichkeit aus. Es spielt keine Rolle, ob das Bild, das uns Sartre liefert, in literarischer oder in malerischer Gestalt erscheint. Wesentlich ist die Szenifikation, in der der Widerstreit der Sinnendifferenz im Wechselspiel von Körper und Raum für einen anderen erscheint, so dass der anthropologische Zusammenhang der Szene über die Definition von Raum- und Zeitereignis hinaus von Anfang an die Dimension eines ‚Gesellschaftsspiels‘ hat, das nicht an die künstlerischen oder medialen Professionen gebunden ist, sondern im archaischen Zustand der gesellschaftlichen Praxis verbleibt, deren offensichtlichster Ausweis der Gestus ist. 266
Ebd., S.213.
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II.2.
UNENDLICHE ENDLICHKEIT ALS MONADISCHE SZENE
Die Furcht, die Scham, die Knechtschaft sind „Reaktionen unter dem Blicke des anderen“.267 Erröten dagegen ist Ausdruck eines Innendrucks: des Anderen. In der Parabel Sartres initiiert ein Geräusch den Einbruch dieses Anderen, der keinen Körper hat. Die Frage ist nicht zu beantworten: handelt es sich um innere Bilder oder um innere Stimmen, die den Glauben an den Anderen manifestieren? In unserem Zusammenhang sehen wir keine Notwendigkeit, eine Entscheidung zu hysterisieren – im Gegenteil, die Unentschiedenheit manifestiert sich als Szene, in der die Frage nach dem ‚eigentlichen‘ Bild und der ‚eigentlichen‘ Stimme jeweils nur im semantischen Bezug gesetzt werden kann. Aber diese Setzung, diese Semiose stellt eben nicht die Frage nach der Introjektion des Gesetzes und dem Ort der Abwehr. Doch schon in der griechischen Tragödie wird deutlich, wozu die Szene professionalisiert: der Ort der Unentscheidbarkeit schafft eine Konfusion zwischen Gesetz und Schicksal. Die Szene ist der agonische Ort des Ereignisses. Das Gesetz ist wie die Genesis unableitbar, da sie sich szenisch ereignet. Sartre stellt ebenso wie Klee die Requisiten und die Ausstattung zur Verfügung. Das ist nicht wenig. Das Gesetz/die Moral evoziert den Zensor – der Andere. Er ist im privatistischen Genuss voyeuristischer Lust herausgefordert, als Widerstand, als ‚Verbot‘. Wenn Sartre diese Herausforderung in einer performativen Szene darstellt, dann wählt und bezieht er sich auf diese inexistente Andersheit. Die Szene präsentiert den Anderen, sie repräsentiert ihn nicht. Die Kulisse des Treppenhauses, der konkrete Raum zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen ist unabdingbarer Bestandteil der Szene, die die Öffnung der Ganzheit der Gesellschaft und ihre ‚Spürbarkeit‘ begünstigt. So gesehen wird das Treppenhaus, die Architektur (warum nicht die Malerei?) auch zu einer Sache der Psychoanalyse, will sie nicht in einen nichtintentionalen Kraft- oder Triebbegriff und in die Topologie der Kausalitäten zurückfallen. Die Psychoanalyse der Sachen ist eine notwendige Bewegung der Psychoanalyse als Kritik der Prozesse der Vergesellschaftungen. Wie geht nun Sartre an die inhärenten, performativen Relationsbeziehungen einer Szene heran? Wir fragen das im Hinblick auf die inexistente Andersheit und deren Reversion im Klee’schen Stilbegriff. Es zeigt sich nämlich, dass sowohl Sartre als auch Klee auf das Problem der Unendlichkeit der Beziehungen von Ganzheiten und Teilen zu sprechen kommen, das auf der Ebene kultivierter Elementarhypothesen, Zeichen (Buchstaben, Interpunktionen) und Zahlen, als moderiert angesehen wird. Für die Malerei, so der Klee des Bauhauses, können diese Übergänge nicht so einfach entwickelt werden, auch wenn man sie in einen sphärischen Grund und in konkrete, 267
Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S.356.
II. 2. UNENDLICHE ENDLICHKEIT ALS MONADISCHE SZENE 117
linierte Figuren aufteilt. Es genügt nicht, alles Geschehen einer bloßen Praxis zu unterstellen, oder gar von der Selbststeuerung gesellschaftlicher Systeme zu sprechen, um deren Automatismus zu betonen. Die Lösung der Übergänge von Endlichkeit und Unendlichkeit hat Leibniz im Bild fensterloser Monaden verortet, an denen sich die ganze Welt entfaltet, und deren Grenze einzig dadurch zum Ausdruck kommt, welche Erscheinung in welchem Kontext erscheint. Leibniz kehrt die Problematik um, in der er von einer unendlichen Endlichkeit ausgeht. Wenn alles mit allem verbunden ist, bedarf es keiner Ausblicke in Andersheiten. Die Andersheit/der Andere ist dann eine Falte meines eigenen Wesens. Wie aber kommen dann die Illusionen der Partikularitäten, etwa in Form von Bildern, Zahlen, Zeichen zustande, die einen Dritten suggerieren? Deleuze hat sich auf diesen Sachverhalt des Entzugs der monadischen Einheit durch Abstraktion bei Leibniz und Klee bezogen, um die Analyse der inversiven Ausdruckslinie bei Klee voranzutreiben. Darauf werden wir jetzt zu sprechen kommen – auch um das Problem der Vergesellschaftung und Personalisierung mit Sartre im Hinblick auf Klees Stilisierung weiter zu erörtern. Es geht darum, zu zeigen, wie sich Klee vor den elementaren Verdinglichungen und den Schuldabschließungen und Opferabtrennungen in eine Kosmogonie rettet, ohne in die Falle der partikularischen Abschließung oder einer transzendentalen Totalisierung zu laufen – sofern man das monadologische Prinzip nicht als Totalisierung, sondern Universalisierung im Modus des Werdens versteht. Klees Lösung liegt jetzt nahe: Er rettet Bildlichkeit szenisch, d.h. er inszeniert die Übergänge auf Grundlage einer einheitlichen Welt, die im Gesamtwerk, nicht im einzelnen Bild sich erfüllt, weil im Prinzip (nicht allerdings in der Praxis des unendlichen Experimentierens mit Techniken) jedes Bild das Gesamt der Möglichkeiten offenbart, insofern Stil sich nur in der Gesamtheit des Werks bestimmen lässt. Das Treppenhaus, das die technische Vermittlung von Ich und Anderem als Andersheit des anderen vermittelt, kann z.B. nicht zum Zeichen degradiert werden, da das Treppenhaus den Status eines Mutterkörpers annimmt. Der andere, der mich im Namen des Anderen vor dem Schlüsselloch entdeckt hat, ist dagegen ganz Körper des Gesetzes, ganz ‚Name des Vaters‘. Der Voyeur ist derjenige, der das moralische Gesetz empfängt und es als Widerstand erfährt, somit Sohn dieser Szenerie, deren Tochterstatus meine Scham ist (der raumeinnehmende Leib), insofern die Scham die Herausforderung des Allgemeinen durch die Individualität anzeigt. Ich schäme mich meines Objektseins, d.h. ich erkenne es an. Die Szenologie lässt sich hier auf eine Genealogie zurückführen. Eine Auslegung der Architektur in der Szene unterschlägt Sartre. Er unterschlägt die kompromittierende Zeugung der Subjektivität als ein Objekt – die Personalisierung des Voyeurs –, die sich dadurch ereignet, dass er das moralische Gesetz übertritt, es empfängt und anerkennt. Die Übertragung der Empfängnis und damit das Rätsel
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der zweiten Geburt wird sinnendifferentiell durch den Übergang vom aggressiven Blick auf das regressive Hören markiert. Noch eine Unterlassung: Sartre schlägt aus der Potenz des Treppenhauses etwa gegenüber der Heidegger’schen Brücke268 kein Kapital. Denn das Treppenhaus entspricht jener spiralförmigen Selbstbezüglichkeit, die sich als Subjektivität endlos aber endlich verfehlt und die die Baumeister der Renaissance (Leonardo) in den Doppelwendeltreppen als dreidimensionale Lemniskate ausgeführt haben. Jede szenische Darstellung hat also etwas von einem Räderwerk, einer Maschine, insofern sich hier zwei kreisende Bewegungen übertragen: die organische und die mechanische, die Gesten und die Körper. Bei Sartre ist die Unterschlagung Ausprägung seines Stils: Die Literatur gegen die Philosophie, die unendliche Linie gegen das Apodiktische der Vernunft: nulla dies sine linea. In der Szene gibt es nur Faltungen, Intensitäten. Deleuze nennt sie Inflexionen. Die Inflexion ist, wie die im Akt der Präreflexion vorgängig gedachte Inversion – eine Bewegung ohne Drittenbezug. So entfaltet das Kind seine Sprache, ohne die geringsten grammatischen Regeln zu kennen. Es ist die Sprache, die sich als Subjektivität entfaltet, es ist die Szene, die die Gesellschaft situiert. Die Inflexion, weil sie ihre Geschlossenheit ohne Drittenelement behauptet, spielt sich (wie die Inversion, die ein frühromantisches Konzept ist) nicht in einer Dreidimensionalität ab. Kein (dritter) Gegenstand gibt der Falte eine räumliche Funktion und Bedeutung. Die Inflexion ist eine Falte der Fläche, die der Fläche unvermittelt ihren Raum in der Begegnung verschafft. Man darf vielleicht sagen, und das trifft sicher für den Barock zu, sie ist Kulisse. Es macht keinen Sinn, die Fläche zu durchstoßen, wie Lucio Fontana269 das in seinem Konzept der geschlitzten Bilder getan hat. Die Fläche wird in der Durchstoßung nicht zum Raum, weil auch die Hand, die das Messer führt, ein Teil der Inflexion der Urschicht ist. Das heißt die Inflexion, die Leibniz als barocke Denkfigur kultiviert, kennt nicht den Einbruch eines Dritten. Die Inflexion ist das Absolute, aber als Falte, und die Falte ist das Differentielle der Monade. Sie verhält sich paradox, wie eines der unendlichen Treppenhäuser von Escher. Deswegen ist die Inflexion als Integration eine zentrale Figur der mathesis universalis, des Leibniz’schen Universalismus, der ganz aus sich selbst schöpft und nichts ausschließt. Deleuze bezieht sich in der Darstellung der Inflexion auf die Linie Klees. „Das ideale genetische Element der variablen Krümmung oder der Falte ist die Inflexion. Die Inflexion ist das wirkliche Atom, der elastische Punkt, ist das, was Klee als das genetische Element der aktiven, spontanen Linie hervorhebt.“270 Ebenso wie die inversive Linie Klees, so arbeitet auch die Linie bei Leibniz mit tangentialen 268
Heidegger, Bauen Wohnen Denken, a.a.O., S.146. Lucio Fontana: Räumliches Konzept, 1960, Köln, Wallraf-Richartz-Museum. 270 Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt am Main 2000, S.29. 269 Vgl.
II. 2. UNENDLICHE ENDLICHKEIT ALS MONADISCHE SZENE 119
Beziehungen, die ein Wissen ohne Bezug ermöglichen. Die Integralfunktion ist ein Näherungsautomatismus, der die Diskretheit der Zahlen qualitativ entzaubert. Wenn es bei Leibniz nicht zu einer expliziten Dialektik kommt, dann, weil er die Opponenten von Einheit und Dichte der Zahlen szenisch verklammert. Sartre hat diese Aufweichung der Dialektik auch der Kontingenztheorie Merleau-Pontys vorgeworfen.271 Leibniz jedenfalls zielt in der Aufweichung der Dialektik und des absoluten Wissens auf eine Grammatologie, eine mathesis, nicht auf eine taxonomia.272 Wenn es also eine Genealogie einer Szenologie gibt, dann darf diese weder durch einen Anfang noch durch ein Ende markiert sein.273 Infolgedessen, das zeigt uns das Theater, muss die Szene in einen Körper eingebettet sein, der sich als Mutterkörper präsentiert, mit allen Verbrämungen, Bordüren und szenografischen Mitteln ausgestattet, die das Ausfließen der Theatralität in die Realität verhindern. Im Barock konstituieren sich diese Setzungen als protokollarisch genau einzuhaltende Regeln, die im Disegnio durch Intendanz und einen festes Concettismo bestimmt sind – man denke an die Strenge des Spanischen Hofzeremoniells. Im Concettismo sind alle heutigen kommunikativen und konzeptuellen Designfunktionen vorgeprägt. Wie Leibniz sich auf die Inflexion des monadischen Universums festlegte, eines fensterlosen Universums, denn es benötigt kein Außen, so legt sich Klee auf die absolute Linie fest: die Linie ist absolut, aber es kommt darauf an, in welcher Gesellschaft und welcher Kombinatorik sie erscheint und in welchem Winkel man ihr begegnet: sie ist eine unendliche Endlichkeit – wer will schon sagen können, wo eine Szene anfängt und wo sie aufhört? Ist nicht Versailles unter Ludwig XIV. ein Gesamtkunstwerk, deren Theatralität in der Angst figuriert, dass die Macht nicht legitimiert ist, dass sie seit der Fronde sich beständig gegen die Hofgesellschaft behaupten muss?
271 Lévy argumentiert gegen Sartres strenge Dialektik von Imagination und Realität in seiner Frühschrift Das Imaginäre: „Verbaut man sich so nicht den Weg zu der einzigen Sache, die zählt, nämlich jenem Fleisch der Welt, halb An-sich, halb Für-sich, das das wirkliche Wahre ist und mit dem wir alle zu schaffen haben? Verschließt man sich nicht jener ‚dritten Ordnung‘, die weder die der Sachen noch die der Seelen ist, sondern jenes Dazwischen, jene Kante, auf der die ‚Philosophen des Innen und des Außen‘ balancieren, denn ‚das Innere kehrt sich nach außen‘ und umgekehrt – und zwar dank eines unerbittlichen Bandes zwischen den beiden Ordnungen, die ein Sartre-Anhänger getrennt haben würde?“, Lévi, Sartre, a.a.O., S.256. 272 Vgl. die Diskussion dieser Begriffe bei Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt am Main 1978, S.110: „Aber im strengen Sinne verstanden, ist die mathesis eine Wissenschaft der Gleichheiten, also der Zuweisungen und der Urteile; sie ist die Wissenschaft der Wahrheit. Die taxonomia ihrerseits behandelt Identitäten und Unterschiede; sie ist die Wissenschaft der Gliederung und der Klassen, Sie ist das Wissen von den Wesen.“ 273 Vgl. Ralf Bohn: Versteckspiel. Ecksteine einer Genealogie der Szenifikation. In: Ralf Bohn/ Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Ereignis. Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie. Szenografie und Szenologie Bd.1, Bielefeld 2009, S. 61ff.
120 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Abb. 20 Allgemeine Ordnungswissenschaft (Aus: Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge)
Sieht man eine Linie genau auf sich zukommen, so sieht man nur einen Punkt. Klees Außenbeziehungen sind in der Tat auf die Linie und die Fläche beschränkt, denn wenn die Welt eine natürliche und einheitliche ist, ist die Trennung von Innen und Außen nur eine der Phantasmatik des Volumens der Dinge. An ihrer statt ereignet sich die Malerei als eine vollständig inflexible Fläche, die wir Bildlichkeit genannt haben und die das Sein in die Wirklichkeit verlängert. Durch die Dinge hindurchzusehen, heißt nicht, ihre inneren Qualitäten, sondern den Prozess ihrer Produktion und Konsumation, ihrer Körperablösung aufzudecken, zu verstehen, dass die Produktion ihre Objekte niemals vollständig ablöst, sondern dass sie durch das Band der Vergesellschaftung beständig mit den Körpern, die sie entlassen, verbunden sind. Denn alles ist mit allem verbunden und verdankt sich und gründet sich auf die Intensitäten eines Werdens, auf die permanente Verschiebung einer virtuellen Opfersubstanz. Das Bild hat keinerlei Geheimnis, das nicht durch es selbst entschlüsselt werden kann, wenn man die Trennung von Innen und Außen in die Ordnung der involutiven Linie aufhebt. Wenn es aber kein Innen-Außen gibt, dann ist die Scham des Bildes das Eingeständnis eines hoffnungslosen Versuchs, mich selbst als ein Ding von Außen anzusehen. Sowohl bei Leibniz als auch bei Klee bleibt ein Vorbehalt gegenüber der Totalität der Monade, jedoch aus unterschiedlichen Gründen: Klee wittert mit dem Abschluss des Bildes die Abschließung von Innen und Außen und somit die Inkommunikabilität eines totalisierten Formkörpers. Diese Abschließung soll die Bildunterschrift aufschieben. Leibniz verhindert die Abschließung und den Inzest der Monade, indem er das Universum auf zwei Dimensionen reduziert. In beiden Ansichten wird der Einbruch des Dritten als unlauteres Gesetz angesehen, etwas, das die Selbstbeziehung zum Paradoxon macht: Gott, der einmal die Weltmaschine angeworfen hat, greift in sie nicht mehr ein. Der Einbruch des Dritten in dem Moment, in dem der Barock die
II. 2. UNENDLICHE ENDLICHKEIT ALS MONADISCHE SZENE 121
Vielfalt der Wissenschaft entdeckt, wird zu Gunsten eines immanenten Gesetzes der Kräfte verabschiedet, von denen man erst spät entdeckt, dass ihre Szene das Feld ist. Klee profitiert von der konfrontativen Konstellation der Elemente: indem er der Linie keinerlei Wissen und keinerlei Zentrum zuordnet, indem er Bildelemente verschiedenster Kontexte synchronisiert. Anders als bei Kandinsky gibt es bei Klee keine Bestimmung des Cartesianischen Punktes, wie Deleuze zeigt.274 Das ist nicht nur seltsam, sondern Paradox: Die Linie bei Klee ist die Zeit als Gegenstand. Die Zeit der Kinesis überwindet die Relativität der Anschauungen und die Vorstellung, so Pape, es bedürfe nur der richtigen, das heißt genialen Stellung des Künstlers und Wissenschaftlers im Kosmos, um die Wahrheit der Welt erfassen zu können. „Für Leibniz wird mit diesem Schritt die Suche nach der richtigen Perspektive zu einem methodologischen Gebot, weil sie als Ordnung auf der mittleren Ebene der natürlichen Phänomene die Verbindung zwischen ontologischer Tiefenstruktur und physikalischer Theorie herstellt.“275 Klees ontologischer Bezug richtet sich darauf, die „mittlere Ebene“ als monadische Fläche zu entfalten, ohne sie in die Realität eines Raumes sich überschneidender Dinge zu stabilisieren. Das Fehlen perpektivischer Tiefe erfordert einen sich von den Figuren ablösenden sphärischen Hintergrund und eine gewisse Transparenz der Figuren. Dies gibt der Szene etwas Maschinelles, Zwanghaftes. Raulet hat die Intention einer Selbstbeziehung von Kunst und Geschichte, von Ereigniszeit und Zeit des Ereignisses, in Zusammenhang mit der „Ästhetik des Produzenten“276 als Versuch einer Wiederentdeckung verstanden. Ist doch in der modernen Gesellschaft der Produzent im Produkt nicht mehr sichtbar. Auf seine Spur hin wäre die Grenze der Linie und ihre ornamentale Funktion zu diskutieren. Das Ornament ist ja eigentlich die Verweigerung einer Elementarität. „Denn das Ornament stellt selbst eine technisch bearbeitete Natur dar“,277 die auf utopische Erfüllung der Ungleichzeitigkeit von Natur und Technik wartet. Flieht Klee die Krise des Ornaments, dann ist damit zweierlei gewonnen: Eine fiktionale Identität von Natur und Technik wird abgewehrt – Technik wird zur Natur des Menschen, und: die graphischen und malerischen Techniken sind nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern eigenständige, experimentell (szenisch) zu sichernde Ausdrucksarbeit. Das erlaubt es uns, die Klee’schen Bilder nicht im symbolischen, sondern genealogischen 274
Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.29.
275 Pape, Die Unsichtbarkeit der Welt, a.a.O., S.163 und S.202. Pape zeigt, dass die Vermengung von
visuellen Argumenten in der Ontologie bei Leibniz zu Antinomien führt, aufgrund deren der durch das Denken (theoria) kritisierte sinnliche Vorgang auf beiden Seiten (nach Klee: der Optik und der Kosmologie) nicht als ‚rein‘ nachgewiesen werden kann. 276 Gérard Raulet: Natur und Ornament. Zur Erzeugung von Heimat. Darmstadt 1987, S.11. 277 Raulet, Natur und Ornament, a.a.O., S.40.
122 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Sinne zu deuten. Die Natur ist nicht, wie die Leibniz’sche Monade unterstellt, sich selbst genug: Nicht nur das Leben in Praxis zu meistern, sondern greifbar innerlich zu gestalten und einen möglichst entwickelten Punkt dabei einzunehmen. Daß dies nicht durch ein paar Leitsätze geschieht, sondern wie Natur wächst, ist klar. Ich wüsste auch keine solchen Leitsätze zu finden. Es wird sich eine Weltanschauung von selbst ausbauen; welche Richtung die deutlichste Spur abgibt, hängt nicht allein vom Willen ab, sondern wird, teilweise vom Mutterleib an schon vorhanden, schicksalsmäßig bestimmt werden. […] Ich hoffe immer, daß Echtheit des Wollens mehr Hemmung für mich sei als mangelndes Können.278
Klee nimmt mit dieser schon 1902 gemachten Bemerkung nicht nur die von Worringer annoncierte Differenz einer ontogenetischen gegenüber einer historischen Kunstlehre vorweg, er vertritt hier auch das Modell einer ontologischen Entfaltung dessen, was im Ursprung schon angelegt ist – einem Ursprung, der mit jedem neuem Bild aufs Neue den Widerstand thematisieren wird, den er als endlicher mit der Unendlichkeit verbindet. Deleuze, so haben wir gehört, spricht mit ausdrücklicher Rücksicht auf die Verwandtschaft von Klee und Leibniz von der Linie als Falte, der eine „Abschließungsoder Schließungsbedingung“279 eigen ist, die jedoch unter Ausschluss des Dritten sich selbst abzuschließen hemmt. Die Falte umhüllt sich selbst, sie ist nicht, wie im Design der Dinge, die Verhüllung eines anderen, nämlich der Unreinheit der Produktion und ihrer Opfermarge. In Beziehung auf Leibniz spricht Deleuze von einer Hülle, die kein Außen der Abschließung benötigt, weil sie alles hat, was sie ist. Sie muss nun ihr eigener Grund (Form, Gestalt) sein. Deleuze: Wenn Heidegger sich bemüht, die Intentionalität als eine empirische Bestimmung des SubjektWelt-Verhältnisses zu überwinden, betont er, daß die Leibniz’sche Formulierung der fensterlosen Monade ein Weg dieser Überwindung sei, da das Dasein immer schon bereits geöffnet sei und keine Fenster benötige, durch welche ihm eine Öffnung zukäme. […] Die Abschließung ist die Bedingung des Seins für die Welt. Die Abschließungsbedingung gilt als die unendliche Öffnung des Endlichen: sie ‚repräsentiert auf endliche Weise die Unendlichkeit‘ .280
Genau eine solche, nach Abschließung drängende Aufschließung stellt die versammelnde Szene dar. Denn sie schließt sich nicht wirklich ab, sondern fordert alle Elemente des Sinns zu theatralischer Öffnung heraus. Denn wie das Design die Hülle der unendlichen Verweisungen der Zeichen versammelt, so verbindet die Falte, das heißt, die Hereinrenkung der „dritte[n] Dimension in die Fläche“ – so Klee präzise und eindeutig –, die Ebene der Produktion und der Lust mit der Ebene der Konsumation und des Genießens, als Bewegung zum und vom Tod. 278
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 411/412, 3.6.1902, S.129. Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.41. 280 Ebd., S.47f. 279
123
Die Welt und das Ich sind im Bilde der „mittleren Ebene“ nicht länger getrennt. „Ich bin mein Stil“281 – so Klees Markierung der Atmung des Bildes zwischen Abund Aufschluss. Das heißt aber auch: Klee produziert sich, indem er produziert. Wir sehen, wie Klee in einer Zeit, die auf die Überwindung der Trennung von Ornament und Funktion, von Natur und Technik ausgeht, ein Konzept der Kunstidentität entwickelt, das nicht nur den Fortschritt ethisch moderiert, sondern ihn programmatisch rückverortet. Wie Leibniz nämlich die Falte sich als göttlich dadurch denkt, dass er ihr die inhärente Struktur eines göttlichen Programms unterschiebt, so denkt Klee seine Beziehung zur Natur in einer Bildlichkeit, in der souveräne Erfahrung einen unendlichen Grund mit der Präzision einer unendlichen Linie konstelliert. Man kann in dieser Hinsicht von einer Sprachbildung, einer programmatischen Bildsprache Klees sprechen. Wenn die Sprache als Stil durchgeformt ist, malt es sich gleichsam wie von selbst, denn in der Sprache trifft sich das Individuelle (Stil) mit dem Allgemeinen (Struktur/mathesis): „Ich lerne ganz von vorn, ich beginne zu formen, als ob ich nichts wüsste von aller Malerei. Denn ich habe ein ganz kleines unbestrittenes Eigentum entdeckt: eine besondere Art der dreidimensionalen Darstellung auf der Fläche. […] Hereinrenke die dritte Dimension in die Fläche.“282 Im immanenten Sinne stellt sich damit der Andere als eine programmatische Größe dar, eine Formel, in der der Einzelne zu den anderen Einzelnen in ein Verhältnis tritt, von dem ausgehend der Begriff ‚Eigentum‘ erst Sinn macht. Wir werden sehen, dass bei Sartre diese Intensitäten der Gesellschaft nicht von der Anzahl der Individuen abhängig sind, sobald deren Zahl drei überschreitet.
II.3.
EIN SEILTANZ: VON DER ZEICHNUNG ZUR MALEREI
Fassen wir die philosophische Problematik zusammen, die Klee in den frühen Jahren dokumentiert, als er die „Hereinrenkung der dritten Dimension in die Fläche“ als einen persönlichen Stilzug erkennt. Wir stehen immer noch vor dem Problem, dass Klee nicht weiß, ob die innere Stimme, die ihn ruft, tatsächlich seine ist, ob das Ich der „soufflierten Rede“283 eine 281
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 425, S.134. Ebd. 283 Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S.259. 282
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Spaltung oder Verdopplung darstellt, die die Instanz des anderen/Anderen zu einem Teil seiner selbst deklariert. Die Logik dieses Problems ist Kern der Bewusstseinsund Medienphilosophie, die Husserl in den Abhandlungen über die Intentionalität gelöst zu haben meinte, wie Sartre 1939 noch euphemistisch verkündet.284 Es handelt sich um das phänomenologische Problem der Primordialität des Ereignisses vor dem Phänomen einer „‚transzendentalen Erfahrung‘, die konstituierend, das heißt, die gleich jeder Intentionalität in einem erzeugend und offenbarend, aktiv und passiv wäre“.285 Ohne den Einsatz des Zeitparameters (Einbildungskraft), das war die Korrektur, die Heidegger gegenüber Husserl veranlasste, ist die Identität meiner Nichtidentität in der Gabe der Stimme nicht als meine zu beglaubigen. Die Stimme sperrt und konstituiert als Sperrung der Identität (Ich) das Sein des Bewusstseins, ob als ‚Einbildung‘ oder ‚Einflüsterung‘. Von daher sieht Sartre sich veranlasst, die Identitäten von zwei Seiten zu erfassen: Das Sein des Ich (großen Anderen, moi) und das ich (je), verweisen nicht mehr transzendental, sondern als Gesellschaftsverhältnis in den Praxisbeziehungen aufeinander. Die materialistische Wende des Idealismus in den todesmimetischen Dingbeziehungen286 kann doch nur auf der Vermittlungsebene der vergesellschafteten Produktion angemessen beschrieben werden. Man könnte jetzt unterstellen, Sartre weicht damit das Primat der narzisstischen Grundlegung auf und stärkt die Rolle des anderen – weit gefehlt. Ihm gelingt, in der Kritik der dialektischen Vernunft, der Nachweis, dass die Struktur der Gesellschaft ebenfalls aus der elementaren Selbstbeziehung, das heißt aus der Störung der narzisstischen Elementarität, der in Arbeit geratenden Nicht-Ganzheit des Körpersbildes aufscheint, und zwar so, dass der Narzissmus in eine Bewegung der Autonomisierung, d.h. Personalisierung (Überwindung des Freud’schen ÖdipusKomplexes) überführt wird: das aber ist der Prozess, in dem das Nichts der Totalität der Gesellschaft in meine ‚innere‘ Stimme transformiert und der Drittenbezug internalisiert wird. Es ist diese Internalisation/Rückverkörperung, die nicht nur die Vergesellschaftung ermöglicht, sondern auch die Gefahr heraufbeschwört, dass ich die Gesellschaft bin: d.h. alle Fragen der Macht narzisstisch korrumpiert. Der transzendentale Bezug, den der Kantische Begriff der Vernunft immer ableitungslos als Vermögen hingestellt hat, wird gesellschaftlich rückgebunden, so dass er sprachlichen Charakter bekommt. Dieser sprachliche Charakter, so haben wir zeigen können, bedarf 284 Jean-Paul Sartre: Eine fundamentale Idee der Phänomenologie Husserls: die Intentionalität. In: Ders.: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931-1939. Frankfurt am Main 1982, S.31ff. 285 Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S.242. 286 Dies das Programm der „Revision des Todestriebs“ und seine Anwendung auf die hemmungslos und zugleich mediengehemmten Produktions-Konsumations-Verhältnisse von Rudolf Heinz. In: Ders.: Todesnäherungen. Düsseldorf 2007. Die Verortung überschießender ‚Energien‘ als pathologische Ereignisse, körperliche Gegenmaßnahmen und anzeigende Aufklärung ihrer jederzeit ‚unmöglichen‘ Stabilität gleicht einem Seiltänzer, der beständig in Bewegung sein muss, um nicht vom Seil zu stürzen, oder dem Blick, von dem man nicht sagen kann, dass er je ein Bild in seiner Totalität erfasst hat.
II. 3. EIN SEILTANZ: VON DER ZEICHNUNG ZUR MALEREI 125
nun einer professionellen Rückveräußerung in Form einer Autonomisierung, eines Anteils am Sprachbildungsprozess selbst. Es kommt zu einem oszillierenden Arrangement zwischen Ich und Gesellschaft mit wechselseitigen gewalthaften oder szenischen Übertretungsrefugien, die Foucault mit dem Begriff Heterotopie287 belegt hat und die vom Körper aus bespielt werden. Bei Klee macht sich die ‚quasitranszendentale Sprachbildung‘ durch einen ganz klar definierten Gegensatz bemerkbar: den von elementarem Experiment und Szenifikation, von Produktion und Widerstand dagegen. Klee wie Sartre entwickeln den Arbeitsbegriff des Künstlers vom Körper aus. Sartre erklärt: „Wenn das Gegebene die Intention nicht erklären kann, so muß diese gerade durch ihr Auftauchen einen Bruch mit dem Gegebenen, was es auch immer sein mag, herbeiführen.“288 Dieser Bruch ist als Innehalten vor dem angestrebten Ziel oder als ethische Bestimmung des Ästhetischen durch Kierkegaard in die Philosophiegeschichte aufgenommen worden, wie sie durch Heidegger als Technik der Gesellschaft in ihrer Ambivalenz dargestellt wurde, mit der Tendenz, dass das Experiment der Werthandlungen (Szene) in der Technik zum Programm eines automatisierten Entschuldungsmomentes gerinnt. Das „Abstandgewinnen zum Gegebenen“ ist eine „Einklammerung des Gegebenen.“289 Exakt das ist aber auch die Funktion der Szenifikation: die Repräsentation einer magisch herbeizitierten, aber z.B. als Bild abständig vorgestellten Möglichkeit. Wir sehen, wie das Ziel Klees mit dem kreisenden Weg identisch wird, es gerinnt zum funktionalen Phänomen.290 Jetzt wird auch die Ambivalenz des Sartre’schen Freiheitsbegriffs deutlich. Der Begriff sagt nämlich weniger etwas über die liberté im politisch-sozialen Sinne, als etwas über die Dispositionen des Todestriebs aus: Die Freiheit – hier exemplarisch die ‚Kunst‘ – kann nur in der abständigen Zugänglichkeit des Dings eintreten, und zwar so, dass – von welcher Seite auch immer man Telos und Aufschub angeht – die Einklammerung (néantisation) den Weg einer fiktiven (experimentell-szenischen) Möglichkeit eröffnet. „Wir sind frei, wenn das Letzte, durch das wir uns, was wir sind, verkünden lassen, ein Ziel ist, das heißt kein reales Daseiendes wie dasjenige, was bei den von uns gemachten Voraussetzungen unsern Wunsch erfüllen wird, sondern ein Objekt, das noch nicht existiert.“291 Dadurch, 287
Michel Foucault: Die Heterotopien. In: Die Heterotopien. / Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Frankfurt am Main 2005, S.30: „All diese Utopien, durch die ich meinen Körper hinter mir ließ, haben ihr Vorbild, ihren Ursprung und ihren allerersten Anwendungsbereich in nichts anderem als meinem Körper.“ – „Der Körper ist der Nullpunkt der Welt, der Ort, an dem Wege und Räume sich kreuzen. Der Körper selbst ist nirgendwo.“ (S.34) 288 Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S.606. 289 Ebd. 290 Vgl. Freud, Die Traumdeutung, a.a.O., S.410ff. Und eine ausführliche Darstellung zum Silberer’schen Funktionalismus: Rudolf Heinz: Somnium Novum. Zur Kritik der psychoanalytischen Traumtheorie, Vol.1. Wien 1994, S.63ff. 291 Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S.612.
126 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
dass die dritte Dimension, nämlich Zeit (also die Parameter von Klang, Rhythmus und Musik) und nicht Räumlichkeit in das Bild ‚hineingerenkt‘ ist, ist das Ziel in der Fiktionalität der Möglichkeit erreicht und zugleich aufgehoben. Es kann nicht übersehen werden, dass die Idee einer der Natur analogen Darstellung des Werdens von Anfang an die Aufhebung des (physikalischen) Raumes bedeutet, also in der Illusion einer Bildlichkeit manifestiert ist, die jeden euklidischen Bezug leugnet und zu der spezifisch traumartigen Darstellung führt. Der Trick, den Klee anwendet: Er wählt sich kein reales Objekt zum Ziel, sondern ein virtuelles: die Genesis der Malerei selbst.
Abb. 21 ∞ Paul Klee: Der Seiltänzer, 1923
Der Balanceakt, den Klee in den Radierungen zwischen dem geraden, dem deformierten und dem zerstückelten Körper ausführt, betrifft ganz konventionell das Schwanken zwischen Grafik und Malerei, das ein Balancieren zwischen dem Formlos-Organischen und dem Geformt-Anorganischen ist, etwa in der Darstellung Der Seiltänzer (1923) meisterhaft ausgeführt. Der Raum ist hier als Hintergrund
II. 3. EIN SEILTANZ: VON DER ZEICHNUNG ZUR MALEREI 127
durch die Kreuzung zweier Linien annihiliert. Die Verstiegenheit des Denkraums ist durch einen Seiltänzer emblematisch markiert, der ebenso in der Luft schwebt, wie das Seil. Die eine Fiktion bedingt die andere, sie werden grundlos und überwinden so die Möglichkeit des Abgrundes: Gefahrlos wie in einem schwerelosen Raum schreitet der Seiltänzer traumwandlerisch auf einem Gesicht, das nur gerade eben so durch wenige Linien kenntlich ist: Kinn, kleiner Mund, schräge Linie als Nase, ein winziger Kreuzungspunkt als Auge – oder doch alles bloß Einbildung? An gleicher Stelle, an der Klee die Erfahrung der Suspendierung der dritten Dimension in der Zeit-Linie notiert, träumt er sich selbst. „Ich träume sogar davon. Träume mich. Träume mich selber zu meinem Modell. Projiziertes Ich. Erwachend erkenne ich die Wahrheit. Ich liege kompliziert, aber flach, am Leintuch haftend. Ich bin mein Stil.“292 Zunächst sahen wir die Gefahr, dass Klee allein Konsument des Gehörten und Geträumten sei: ein Empfänger der guten Gaben, die ihm in die Wiege gelegt sind. Die künstlerischen Ausdrucksformen, die den jungen Klee ästhetisch sozialisieren, sind mehr oder weniger Verschriftungen einer soufflierten Rede, die in der Kunst praktikabel und akademisch geworden ist und den Ruf nach Weimar rechtfertigt. Das Design tut ein Übriges, um zwischen dem konstruktiven Ornament und den Zeichen zu vermitteln. Die Avantgarde entgeht nicht einer Trivialisierung und Fragmentierung ihrer Ideen in im Moment der Ablösung vom Signifikat.293 Ebenfalls trivial gesagt: Klee ist in München an dem Platz, wo man die Lauscher aufstellt und den ernsthaften Arbeitseifer des jungen Außenseiters durchaus zur Kenntnis nimmt. Die Gabe ist auch gesellschaftlicher Natur und wird durch die künstlerischen Institutionen unterstützt. Das Wesentliche der Herausarbeitung aber geht von Klee selbst aus. Klee setzt sich von Beginn seiner künstlerischen Neigungen davon ab, bloß ein Glückspilz seiner Gaben zu sein, das heißt, er negiert den genetischen Gabenbegriff. Man muss arbeiten, man muss sich die Gabe der Geburt in einem zweiten Schritt rückaneignen. Klee möchte seinem eigenen Stil und den akademischen Moden nicht unterworfen sein. Damit tastet er sich an die Spiegelbedingungen von Maler, Motiv, Bild, Betrachter und Kritik heran. Die Energie zur Arbeit ist weniger eine Kraft, als eine Wechselwirkung, die von seinen äußeren Widerständen angefacht werden 292
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 425, S.134. Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S.240: „Sich um den subjektiven Ursprung der arithmetischen Gegenständlichkeiten und Werte zu bemühen, heißt hier, zur Wahrnehmung, zu den Wahrnehmungsganzheiten, zu den Mannigfaltigkeiten und Totalitäten zurückzusteigen, die darin sich in vor-mathematischer Organisation darbieten. Dieser Rückgang auf die Wahrnehmung und auf die Tätigkeiten des Kolligierens und des Zählens gibt durch seinen Stil der damals [zu Husserls Zeit der Logischen Untersuchungen I; R.B.] geläufigen Versuchung dessen, was man mit einem sehr vagen Begriff als ‚Psychologismus‘ bezeichnet, nach.“ 293
128 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
muss. Klee wartet lange. Die Empfängnis der Natur jedenfalls findet durch das Ohr statt.294 Der Blick fixiert, das Ohr empfängt. Klees Techniken sind deswegen so virtuos, weil sie sich niemals dem Pragmatismus der malerischen Geste aussetzen, sie sind beiläufig, sowohl das Ergebnis von Artistik als auch das von Erfahrung. Wir werden jetzt der Idee der Zeitlichkeit des Bildes als Folge der Aufhebung der dritten Dimension mit Sartre folgen und wählen damit eine kunstphilosophische Vorgehensweise, um zu dokumentieren, dass die Fragen Klees eingebettet waren in die nach Natur und Genesis des Menschen. Wir denken weiterhin daran, Licht in die Umstände der Klee’schen Krankheit und das Krankheitsbild zu bringen. Denn auch die Krankheit ist ein szenischer Ort. Wieder liefert Sartre das erkenntniskritische Rüstzeug zu einer ontosemiologischen Kritik als Psychoanalyse der Sachen. Sartre hat die ‚materialistische‘ Wende als notwendig dafür angesehen, die Praxis der Handlungen nicht im ‚idealistischen‘ Bewußtsein zu fixieren, sondern sie, gemäß den Einsichten Freuds, auf ein widerstreitendes Prinzip hin zu entwerfen. „Wir setzen die Bewußtheit nicht als Ursprung der Handlung an, sondern sehen darin ein notwendiges Bestandstück der Handlung selbst.“295 Von diesem performativen Ansatz aus geht er wie Klee von einer Untrennbarkeit der aus dem Körper entlassenen Dinge und Zeichen aus, insofern sie Produkte/Opferderivate einer Handlung sind und von daher als Sachbeziehungen das Reale der Beziehung der Subjekte untereinander archivieren. Nur dann allein versteht man, daß die Erkenntnis nicht Erkenntnis von Vorstellungen, sondern praktische Erkenntnis von Dingen ist; dann kann man die Widerspiegelung als irreführendes und unnützes Vermittlungsgebilde ausschalten. […] Die Wahrheit aber ist die, daß die Subjektivität weder alles noch nichts ist; sie bildet nur ein Moment des objektiven Prozesses (der Verinnerlichung der Äußerlichkeit), und zwar ein Moment, das sich unaufhörlich aufhebt, um ebenso unaufhörlich immer wieder ins Spiel zu treten.296
„Das Sehen des Malers ist eine fortwährende Geburt“,297 so Merleau-Ponty. „Diese Philosophie, die noch zu schaffen ist, sie beseelt den Maler, zwar nicht, wenn er Ansichten über die Welt äußert, sondern im Augenblick, da sein Sehen zur Geste wird, wenn er, wie Cézanne sagt, ‚im Malen denkt.‘“298 Raum-Körper-Beziehung wird zur Beziehung leiblicher Intensitäten. 294 Christoph Hoffmann: ‚Der Dichter am Apparat‘. Medientechnik, Experimentalpsychologie und Texte Robert Musils 1899-1942. München 1997, S.226: „Seit den Zeiten der Kirchenväter und bis weit ins Mittelalter ist man nämlich, vor die Aufgabe gestellt, das Unerklärliche zu erklären, auf die naheliegende Lösung verfallen, daß die jungfräuliche Empfängnis des Gottessohnes durch das Ohr Marias erfolgt sei, und zwar, wie es bei Johannes von Damaskus heißt, ‚durch das Anhören der Verkündigung des Engels‘.“ Erst ab dem Mittelalter beginnen literarisierte Formen der Verkündigung. 295 Jean-Paul Sartre: Marxismus und Existentialismus. Versuch einer Methodik. Reinbek 1971, S.29. 296 Ebd., S.31. 297 Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist, a.a.O., S.21. 298 Ebd., S.31.
II. 3. EIN SEILTANZ: VON DER ZEICHNUNG ZUR MALEREI 129
Wir haben schon gesagt, dass der Idee der Szenifikation als Vorzustand technischer Realität in den Werken Klees eine große Rolle zukommt. Viele der Titel leiten an, die Betrachtung in gesprochene Geschichten zu übersetzen. „Im theatralischen Unlesbaren, in der Nacht“, so Derrida über Artaud – und es können damit auch die sphärischen Hintergründe der Bilder Klees angesprochen sein – „die dem Buch vorausgeht, ist das Zeichen noch nicht von der Kraft geschieden. Es ist noch nicht ganz Zeichen, in dem Sinne, wie wir es verstehen, es ist aber auch kein Ding mehr, das wir nur im Gegensatz zum Zeichen denken können.“299 In Bezug auf diese Einschränkung der Ideologie des Zeichens und der Praxis des körpergerechten Designs behauptet Klee die Ereignishaftigkeit seiner Malerei: Die Malerei ist ein Vorspiel der Verwertung von Zeichen, die den Zeichen ihre allegorische Freiheit, die sie zu mehrdeutigen Handlungsträgern statt zu eindeutigen Wissensträgern macht, zurückgibt. Dazu noch einmal Derrida: Die Vernunft entbirgt sich somit selbst. Die Vernunft ist, sagt Husserl, der Logos, der sich in der Geschichte erzeugt. Er durchquert das Sein im Hinblick auf sich selbst, in der Ab-Sicht, sich selbst, das heißt als Logos, sich zu erscheinen, sich selbst zu benennen und sich selbst zu hören. Er ist Sprechen als Selbstaffektion: ist das Sich-selbst-sprechen-Hören. [Die] Schrift als Geschichte der Vernunft [wird beständig auf ihren eigenen Ursprung hin in Frage gestellt].300
Inwieweit ist also der Begriff von Größe und Irrtum Klees, den Sartre in der Darstellung der Ambivalenz von Zeichen und Dingen bei Klee feststellt, gerechtfertigt? War es tatsächlich Klees „Größe und Irrtum“,301 wie Sartre meint, das Zeichen in die Malerei aufgenommen zu haben, oder war es die List der Erkenntnis, sich das Zeichen zunutze zu machen, um nicht mit den Dingen kollaborieren zu müssen? Alles deutet darauf hin, dass Klee das Wesen des Zeichens schon als eine von den Dingen unabhängige Selbstbeziehung erkannt hat. Sartre bestimmt: „Der Maler will keine Zeichen auf seine Leinwand malen, er will ein Ding schaffen.“ Dann folgt die einschränkende Anmerkung: „zumindest im Allgemeinen. Größe und Irrtum Paul Klees beruhen auf seinem Versuch, eine Malerei zu machen, die zugleich Zeichen und Gegenstand ist.“302 – Wir fügen hinzu, Zeichnung und Malerei sind bei Klee als Vorzustände verschränkt. Klee geht es um die Erlösung der Wirklichkeit aus dem 299 Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S.292. „Europa lebt aber aus dem Ideal dieser Trennung von Kraft und Sinn als Text.“ Baudrillard, Die semiologische Reduktion, a.a.O., S.324. „Die Zeichen aber sind nur dazu da, um aus dem Körper, nach einer langen spezifischen Verfälschungsarbeit, einen vollkommenen Gegenstand zu machen, in dem nichts mehr von dem wirklichen Arbeitsprozeß des Körpers durchscheint (die Arbeit des Unbewußten oder die physische und gesellschaftliche Arbeit): diese lange Abstraktionsarbeit und was sie in ihrer Systematizität verleugnet und zensiert, macht den Reiz jener fetischistischen Schönheit aus.“ 300 Derrida, Die Schrift und die Differenz, a.a.O., S.255. 301 Sartre, Was ist Literatur?, a.a.O., S.14. 302 Ebd.
130 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Reich der Realität, die nur mittelbar vom Ding geprägt ist. Es ist nicht das Ding, sondern die durch es repräsentierte Schuld der Sinnendifferenz und Elementarität des anderen, der mir in der Defizienz eine Bildes erscheint. Sartre sieht nicht, dass bei Klee ein fundamentaler Unterschied zwischen Zeichnen und Malen gemacht wird, der aber gleichzeitig und parallel präsentiert wird und im Bild nicht Raum, sondern Zeit, d.h. Intensität erzeugt. Das Urteil, das Sartre vermutlich mangels Unkenntnis eines großen Teils des Werkes von Klee fällt, trifft nur dann zu, wenn man nicht sieht, dass die Übergänge von Rhythmus, Klang, Musik, Spur, Zeichen, Buchstabe, Lineatur, Linie, Form, Gestus bei Klee in allen Phasen thematisiert werden, so dass tatsächlich jedes Bild (wir nehmen die technisch-experimentellen Nebenwege aus) als monadische Form von Ausdruckswillen insgesamt zur Erscheinung kommt. Dieser Versuch ist eben kein Irrtum, sondern von Klee planvoll inszeniert und in allen Phasen dokumentiert und penibel archiviert. Es handelt sich dabei nicht um ein Archiv der Dinge, sondern um ein Archiv der Ereignisse. Noch bevor sich Klee nach München begibt, um seinen Weg zu versuchen, hören wir diese Sätze: „Nur das Verbotene freute mich. Zeichnungen und Schriftstellerei. Als ich ein schlechtes Examen bestanden hatte, fing ich in München das Malen an.“303 Und ein wenig später (August 1899) bezüglich des Begehrens (nicht nur der Malerei) schreibt der 20-Jährige, bevor er sich bei von Stuck über die akademischen Techniken unterrichten lässt: „Ich wollte nur das Mysterium kennenlernen. Die Persönlichkeit des Weibes war innerhalb gewisser Grenzen unwesentlich.“304
II.4.
DIE ZWEITE GEBURT – DER MALER IM BILD
Zurück noch einmal zur Parabel des Treppenhauses. Das Es der Freud’schen Topik spielt die Rolle einer Concierge, eines zufällig eintretenden, das Gesetz oder den Anstand vertretenden Dritten. Es ist konsequent, sich eine weibliche Person vorzustellen, die das Knacken der Stufe auslöst, um einer Fehlinterpretation zu entgehen. Ein Mann hätte sich zum Komplizen des Voyeurs machen können und die hämische Tirade über Ehre, Gesetz und Anstand wäre unhaltbar geworden. Das Gesetz, als Unbewusstes des kleinen, gebückten Voyeurs, ist das implizite Telos des Widerstandes der pornografischen Überschreitung. Denn der Porno ist absolut unerotisch, wenn 303 304
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 63, S.33. Ebd., Nr. 42, S.73.
II. 4. EINE ZWEITE GEBURT – DER MALER IM BILD 131
er eine gewisse Nähe überschreitet. Über die distanzierenden erotischen Funktionen gibt die Parabel keine Auskunft. Sartre wahrt Anstand. Er zielt auf die Verwandlung des Blicks in eine ethisch fundierende Handlung. Doch der ertappte Voyeur handelt nicht – wie könnte er auch gegenüber einer resoluten Concierge, dieser Institution der Pariser Muttergottheit, sich in Ausflüchte stürzen? Sein Körper handelt: das Reale antwortet dem Gesetz mit Scham und Erröten. Ein Treppenhaus hat viele Türen, aber kaum Wege zur Flucht. Die verhinderte Ausflucht ist körpermotorisch im Syndrom der Errötung, einer Erhöhung des Kreislaufs, der Herzfrequenz und einer Verengung der Blutgefäße ausgedrückt. Aber die Blockade der Ausflucht gibt mehr, als es in der Szene den Anschein hat. Die blockierte Flucht ist der blockierte Aufschub und keineswegs der blockierte Triebgenuss. Hier wird evident, dass es dem Voyeur um die Erfahrung der Blockade, um die Konstituierung eines Widerstandes geht, der das hemmungslose Bildvergnügen bannt. Es genügt nicht, sich den Voyeurismus zu verbieten: man muss den Spruch des Verbots herausfordern. Die Konfrontation, die das Spiel erotischer Verführung manifestiert, soll sich im mittleren Zustand stabilisieren (dem Bild). Der erotische Genuss zielt auf Dauer, der voyeuristische auf Finalisierung. Die ethische Funktion zeigt, was sie ist: Sie behindert den Durchmarsch in den Fortschritt der Verdinglichung. Aber was ist eine blockierte Verdinglichung anderes als eine gefaltete Fläche, die sich zum Architekturalen verdichtet? Die Wahl des Treppenhauses als Ort des Voyeurismus dient der Entdeckung. Denn der Reiz des Spiels besteht darin, dass man im Treppenhaus entdeckt werden kann, weil das Treppenhaus der öffentliche Ort eines Hauses ist. Doch diese primäre Ebene der Diffusion wird durch eine Ebene der Komprimierung der Szene verdeckt: der Blick durch das Schlüsselloch manifestiert sich nicht als Bild. Denn der Voyeur, der sich zum Objekt seiner Begierden macht, weiß nichts von seinem Wunsch, entdeckt zu werden. Konfrontativ stehen sich Lust und Genuss gegenüber, und, um sich nicht gegenseitig in die Extreme hochzuschaukeln, tauschen sie an einem bestimmten Punkt ihre Instanzen aus: der blockierte Körper entlädt sich in der Scham, das übertretene Gesetz entlädt sich in einer Schimpftirade (oder nur in einem bösen Blick), die den Voyeur tiefer trifft als sein lächerlicher, pornografischer Genuss. Die Auseinandersetzung mit der Concierge bedeutet die Reaktivierung des Körpers in der Szene. Das Gesetz, das die Begierden stabilisiert und das in der Regel abstrakt auf den Körper einwirkt, muss in der Szene direkt evoziert werden. Hier tritt die Rolle der Concierge in den Vordergrund – Repräsentation eines Körpers, der sich an das Gesetz verdingt: die Regeln des Hauses, die Schlüsselgewalt und die Skansionen zwischen den öffentlichen und privaten Ökonomien, die das Haus beherbergt, liegen in ihrer Hand. Nicht Räume an sich, sondern Öffnungen, Verschließungen, Übergänge realisieren sich im Treppenhaus.
132 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Das Gesetz ist also einerseits das Es des Körpers, andererseits aber auch die Gespaltenheit des Ich in eine subjektive und eine personale, d.h. vergesellschaftete Gestalt. Das Es ist die Ankündigung eines Daseins in einem Geräusch. Denn das Geräusch wird vom Körper vernommen, es muss nicht als Signal erkannt werden. Sartre gibt keinen Hinweis darauf, dass tatsächlich eine Person erscheint, die den Voyeur seiner Absichten entlarvt. Plötzlich wird der sehende Körper zum hörenden, seine gesamte leibliche Disposition organisiert sich um. Das Subjekt genießt diese Tauschmöglichkeit so sehr, das es nichts sehnlicher wünscht, als selbst diese Instanz des Anderen zu sein. Die Idee, dass Malerei weder in der Referenz des Zeichens, noch in der Repräsentation des Symbols, weder in der Gleichheit, noch in der Ähnlichkeit begründet liegt, hat Foucault verdeutlicht. Mittels der Gleichheit wird sichtbar gemacht, durch den Unterschied hindurch wird gesprochen. […] Wesentlich ist, daß das sprachliche Zeichen und die visuelle Darstellung niemals mit einem Schlag gegeben sind. Immer werden sie durch eine Ordnung hierarchisiert, die entweder von der Form zum Diskurs oder vom Diskurs zur Form geht. Dies ist das Prinzip, dessen Souveränität Klee gebrochen hat, indem er in einem ungewissen, umkehrbaren, schwebenden Raum (zugleich Blatt und Leinwand, Fläche und Masse, kariertes Heft und parzellierte Erde, Geschichte und Karte) die Komposition der Figuren und die Syntax der Zeichen möglich machte. […] Vielmehr verschränken sich das System der Repräsentation durch Ähnlichkeit und das System der Referenz durch Zeichen zu einem einzigen Gewebe. Dazu müssen sie sich in einem ganz anderen Raum begegnen als dem des Tafelbildes.305
Die szenischen Beziehungen des Sehens und der Sichtbarkeit, des Imaginären und des Realen, haben Sartre an Klee und Kandinsky gleichermaßen fasziniert: die initiierende Befreiung vom Bild als Gesetz der Sichtbarkeit. Was ist denn der Voyeur anderes, als der durch die Visualität blockierte Wunsch nach Rückkehr in die Sphäre des Oralen? Klee hat in dieser Hinsicht eine szenische Welt erfunden, in der auf der Grundlage der Körperdarstellung, die Visualität beständig von der Erkenntnisform differiert, weil die arbiträren Zeichen grafisch, performativ, und die malerischen Dispositionen zeichenhaft aufgelöst werden: das ‚U-Boot‘ im Bild Insula dulcamara (1938) – ist das ein Symbol, ein Zeichen oder ein Mal? Viele Elemente bekommen die Gestalt einer Chiffre, deren programmatische Umcodierungen sich auf die Szene des Bildes wie auf das Gesamtwerk beziehen lassen. Diese Differenzsetzung von Zeichen und Mal (wir gehen auf den Aufsatz Benjamins noch ein) erlaubt es, von einer Ebene der Bildlichkeit zu sprechen, in der das Werden, die Differenz von imaginärer und realistischer Sphäre, antagonistisch, nicht aber dialektisch markiert wird. Klee und Kandinsky spürten sehr wohl, daß es nicht mehr darum geht, zu malen, was eine äußere Person sieht und was sich ereignet, sondern darum, etwas zu malen, das uns selbst be305
Michel Foucault: Dies ist keine Pfeife. Berlin 1983, S.26f.
II. 4. EINE ZWEITE GEBURT – DER MALER IM BILD 133
stimmt; und zwar vollständig und in der Relativität der Dinge. Das ist eine große malerische Entdeckung. Der klassische Maler und der sozialistische Realist malen die Welt, als ob sie sich nicht darin befänden. Die Anstrengung des zeitgenössischen Malers besteht darin, andre teilnehmen zu lassen, indem er selbst teilnimmt; sich in die Leinwand zu werfen, damit wir mit ihm zusammen hineingeworfen werden.306
Die Malerei wird zur existentiellen Technik. Der Voyeur will das gleiche Kunststück vollbringen: In der Scham macht er sich zum Bild, um seine Erkenntnis auf eine Visualität, auf ein ‚Gesehen-Werden‘, einen Exibitionismus zu beziehen. Nur so kann er seine Objektheit in Beziehung zu einem anderen bannen. Um nicht zum Symptom zu gerinnen, muss das Bild körpermimetisch abgetragen werden. Doch erkennt der andere dieses Vorspielen der Bildlichkeit an oder reduziert er den Voyeur auf ein Objekt der Triebe? In dieser Hinsicht ist es wichtig, dass sowohl das Körperbild als auch das Gedächtnisbild (der Concierge) rasch verblassen. Eine Concierge ist zwar keine Psychoanalytikerin, aber man schätzt ihr Taktgefühl und ihre Verschwiegenheit – im Gegensatz zur modernen Überwachungskamera, die selbst die Rolle eines unerbittlichen Voyeurs spielt, den man mit einem Aufzeichnungsgerät koppeln kann. Vor dieser Paralyse der Blicke bewahrt die Akustik der knackenden Stufe. Die moderne Malerei spiegelt nichts – sie macht das Subjekt zu ihrer Sache. So steht die Malerei zwischen Musik und Literatur. „In der Malerei, in der Musik tritt das Sein leichter zutage. In der Literatur“, so Sartre, „arbeiten wir mit Zeichen. Wir beziehen uns also auf Objekte, die nicht sind. Das Buch ist nicht wichtig, wichtig ist, was bezeichnet wird. Das voraussetzend, kann man keine ‚Revolution‘ unternehmen, die das Zeichen abschafft: man würde die Welt abschaffen. Wenn man das Zeichen verinnert, schreibt man Poesie.“307 Sartre lanciert, wie später Foucault am Medium der Malerei (vor allem bei Klee, Kandinsky, Magritte), seine Kritik der Dialektik von Zeichen und Ding am Begriff der Psychoanalyse der Sachen. Das Anwesende und das Abwesende, die Wahrnehmung und die Erkenntnis, die Lust und der Genuss sind nie zugleich zu erfassen, sie verweisen einander, wie Gedächtnis und Bewusstsein und sind infolgedessen nur zeitlich darstellbar.308 Moderne Malerei ist keine Frage des Ausschlusses, des Abstrakten oder Konkreten, sondern sie erlaubt die Kalibrierung der ontosemiologischen Differenz als Freiheit einer Praxis durch die Technik gewisser Abgrenzungen und Rahmungen. Damit nähert sich Klee dem von Foucault in Hinblick auf die Praxis des Zeichens thematisierten Begriff der „Aussage“ an.309 306
Sartre, Was kann Literatur? GW 4, a.a.O., S.60. Ebd., S.61. 308 Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1981, S.126. Foucault nennt das Zeichen hier eine „Existenzfunktion“, die daraus folgt, dass „es eine Aussage gibt“. (S.123) das Zeichen ist die Manifestation von Beziehungen und insofern ein ‚Nichts‘ (neànt). 309 Ebd., S.123. „Dennoch sind, auch hier, die Dinge nicht so einfach, und der Sinn, den man einem 307
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Der Narziss muss sich am Objekt des Begehrens so verlieren, wie der Voyeur an den Partialsinn des Hörens: er muss von seiner Isolation durch den Anderen Kenntnis nehmen, weil er selbst Teil dieses Anderen ist. Dieser Vorgang ist elementar: Im Bild erfährt das Ich seine Differenz, die ihm der Ermöglichungsgrund für seine Abstoßung von seinem Körperselbst ist, dadurch, dass es sich befähigt sieht, das Bild von seinem Körperbild zu unterscheiden. Ich bin kein Bild. Die Wende dieser Formel füllt die Sklerodermie aus: du kannst dein Bild sein! In dieser Situation erfährt die Abtrennung vom Spiegelbild eine Metamorphose: weil sie weder Zeichen noch Ding wird, erobert sich die Motivwelt Klees die Bildlichkeit. Klee durchkreuzt mit seinen monadisch-allegorischen Tableaus die Trennung von „sprachlichen Zeichen und […] visuelle[r] Darstellung“, die „niemals mit einem Schlag gegeben sind“. Dadurch wird die Gespaltenheit des Subjekts in der Synchronizität des Bildes als szenischer Ablauf darstellbar. Klee bricht das Prinzip der dialektischen Präsenz von Ding und Zeichen, indem er in einem ungewissen, umkehrbaren, schwebenden Raum (zugleich Blatt und Leinwand, Fläche und Masse, kariertes Heft und parzellierte Erde, Geschichte und Karte) die Komposition der Figuren und die Syntax der Zeichen möglich machte. Schiffe, Häuser, Männchen sind zugleich erkennbare Formen und Schriftelemente. Sie stehen oder bewegen sich auf Wegen oder Kanälen, die wie Zeichen zu lesen sind. […] Und am Knotenpunkt dieser Figuren und dieser Zeichen taucht immer wieder der Pfeil auf – das Zeichen, dessen ursprüngliche Ähnlichkeit wie eine graphische Onomatopöie wirkt, und die Figur, die einen Befehl formuliert.310
Während das Zeichen aber alles opferlos zu tauschen behauptet, indem es die Dinge verdeckt, indem es sich auf die Körper der Dinge aufpfropft, behauptet die Allegorie, den Rücktausch der Dinge so inszenieren zu können, als würden sie vom anorganischen wieder in den organischen Zustand zurückversetzt. Die Allegorie verweist auf eine Beziehung der Ansichten vom Menschen, als wären sie durch den Tod hindurchgegangen, wie die zerstückelten und sich im Medium ihres Blutes findenden Organteile, wie in manchen Bildern Klees, etwa in der Skizze Blutende Augen (1915) zu sehen ist.311 Klees allegorische Beziehung, das sind die Masken seiner gestischen Körper, die mit verrenkten Stellungen wie die erstarrten Leichen von Pompeji den Augenblick Ausdruck wie ‚die Existenz der Zeichen‘ geben muß, verlangt eine Erhellung. Was will man sagen, wenn man sagt, daß es Zeichen gibt und daß es genügt, daß es Zeichen gibt, damit es eine Aussage gibt? Welchen besonderen Status will man diesem ‚es gibt‘ einräumen?“ 310 Foucault, Dies ist keine Pfeife, a.a.O., S.25 u. S.26. Einen solchen unerbittlichen Pfeil stellt die Concierge dar, die in ihrem allegorischen Geräusch repräsentiert ist wie die Richtungskraft in einem Pfeil. 311 Vgl. Walter Benjamin: Der Ursprung des deutschen Trauerspiels. GS Bd. I, Frankfurt am Main 1980, S.407. „Im Weltbild der Allegorie also ist die subjektive Perspektive restlos einbezogen in die Ökonomie des Ganzen“, die für Benjamin sich in der Beziehung von Mensch, Ding und Zeichen vom Tode aus, also von der Mimesis an Natur offenbart.
II. 4. EINE ZWEITE GEBURT – DER MALER IM BILD 135
des Todes zu erkennen geben. Der Tod ist immer der Tod des anderen. Die Nähe zu Dürer, zu den Kupferstechern des Dreißigjährigen Krieges, allen voran Callot, ist spürbar. Die frühen grafischen Arbeiten versuchen ihre Gestalten als das darzustellen, was sie sind: Körper, die durch den Tod hindurch ihr Leben organisieren. Tatsächlich sieht Klee in dieser Zeit, um 1900, die Kläglichkeit seiner Bemühungen, die ihn der Musik wieder näher bringen. „Zeitweise sank ich ganz in Bescheidenheit zusammen, wollte Illustrationen für Witzblätter machen. Später würde ich dann immer noch die eigenen Gedanken illustrieren können. Was bei solcher Bescheidenheit herauskam, waren mehr oder weniger raffinierte technisch-graphische Experimente.“312
Abb. 22 ∞ Paul Klee: blutende Augen, 1915
Wie also arbeitet Klee sich aus der Isolation des Narzissmus heraus? Nicht alle Treppenhäuser sind so lebhaft wie die von Paris und an nicht allen Orten ist die Concierge die Überbringerin göttlicher Nachrichten oder teuflischer Verwünschungen, wenn mal wieder die Miete nicht kommt. Wann ereignet sich der ‚Knackpunkt‘ – die „Erfindung des Widerstandes“ bei Klee? Die abstrakte Kunst, die, ausgehend von Kandinsky, sich vom endlichen Begriff der Realität und der Repräsentation entfernt, wird zugleich „autonomer und damit immer unreduzierbarer“.313 Wie kann Klee sich dieser Bewegung entgegenstellen? Vieles deutet darauf hin, dass die Beziehung zu Lily, also der Einbruch der Geschlechterdifferenz, Klees Person neu situiert. Denn die Beziehung zu Lily ist aufgrund der gesellschaftlichen Diskrepanz zwischen der Münchner Bürgerstochter und dem mittellosen Künstler ein hinreichend legitimierter Widerstand. 312
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 105, S.50.
313 Jean-Paul Sartre: Alle Künste sind realistisch. Yves Buin im Interview mit Sartre, März/April 1964.
GW Bd. 4, Reinbek 1986, S.62.
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Das intensive Aktstudium des jungen Klee314 ist zwar nicht ohne erotischen Reiz, entfernt sich aber mit zunehmender Könnerschaft und entdeckt die Lehre der Anatomie. Der Blick ist nicht erotisiert. Klee durchdringt zwei Ökonomien: die der Triebe und der Generativität, die der Ökonomie und der organischen Maschinität. Beide zielen auf Separation und sind doch völlig ineinander verknotet, weil die Bewegung selbst immer ein Widerstand in sich ist. Satirisch bis zur Karikatur erscheinen die Frauen- und Männerkörper wie auf dem Seziertisch des Anthropologen. „Dementsprechend hat sich die Sinnlichkeit des abgebildeten Körpers derjenigen des ‚Bildkörpers‘ unterzuordnen.“315 Die Geschlechterdifferenz darf entgegen der Triebvorstellung nicht auf Fusion hinauslaufen, was zweifellos mit der Konversion des Sexuellen im Zeichen disponiert wird. Das Androgyne, Hermaphroditische des Jugendstils, die Fusion von Linie und Ornament, von Technik und Natur, die romantische Gotik – dagegen wehrt sich Klee. Die Faszination, die die Antikensammlung auf der italienischen Reise auf ihn ausübt, wird zwar zu Studienzwecken nach 1905 noch hochgehalten. Das Kunstideal aber wird ein anderes. Der Todessog der Fusion von Natur und Technik erleidet seinen Aufschub zunächst im Aufschub der Professionalisierung als Maler, wird aber, nachdem Klee die Sicherheit der Beziehung zu seiner späteren Frau spürt, ganz auf die Entsublimierung der Sexualität bezogen: die Sexualität ist nun nicht ein Trieb, sondern eine zirkulare Ökonomie, die im Ästhetischen als Ethischem disponibel ist. So erscheint als ‚Concierge‘ am Ende und am Anfang die Geliebte „als Mutter des neuerstandenen, des sittlichen Mannes“.316 Aspekte der Zeugung und der Vaterschaft, also Signifikationen eines Ursprungs werden auf die zweite Geburt im Werk verschoben. Sie klingt in dem an, was Foucault im Hinblick auf Velasquez die personale Repräsentation des „Malers im Bilde“ genannt hat. Die Initiation einer epigenetischen Entwicklung, die als romantisches Motiv der Sprachmächtigkeit des Menschen à la Humboldt durchbricht, hat Florian Britsch auf die Genese des Subjekts aus der sinnendifferentiellen Geschlechtsbeziehung abgeleitet. Allerdings sieht Britsch in Klees frühen Arbeiten einen zwanghaften Platonismus: „Es ist die daraus abgeleitete Vorstellung einer im Künstler modellhaft vorweggenommenen Synthese der Geschlechter, aus der sich später weit über Klee hinaus die in die Abstraktion gesetzten Hoffnungen speisen sollen.“317 Symptomatisch für die Darstellung des Malers im Bilde wird die Sublimierung des weiblichen Geschlechts 314 Klee widmet sich ausführlich dem Aktstudium: „Wie der Mensch, so hat auch das Bild Skelett, Muskel und Haut. Man kann von einer besonderen Anatomie des Bildes sprechen.“ Tagebuch, a.a.O., S.241. 315 Florian Britsch: Von der anatomischen Sektion zum abstrakten Bildkörper. Paul Klees Anatomie der Aphrodite im Kontext. In: Gewalt und Geschlecht. Bilder, Literatur und Diskurse im 20. Jahrhundert. Köln 2002, S.61. 316 Ebd., S.68 und Klee, Tagebuch a.a.O., Nr. 173. 317 Britsch, Von der anatomischen Sektion zum abstrakten Bildkörper, a.a.O., S.73.
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vom Manne aus als Antizipation der Mutterschaft. Der Mann wünscht sich die Funktion der Frau unter dem Aspekt der Ausklammerung der Zeugung. Vermöge einer Synthese von (männlicher) Zeugungs- und (weiblicher) Gebärfähigkeit glaubt er [Klee; R. B.] sich in die Lage versetzt, den ersehnten Zustand kosmischer Harmonie gleichsam in einem parthenogenetischen Akt allein aus sich selbst neu zu erschaffen, ohne Beteiligung (und potentiellen Widerstand) eines weiblichen Gegenübers. Er wird – mit Novalis gesprochen – befähigt, „von innen heraus die Welt zu gebären“.318
Freilich, die frühen Tagebuchaufzeichnungen des 20- und 21-Jährigen Klee sind gesättigt mit erotischen und sexuellen Infantilismen und den Reizklängen der Großstadt München, wie noch Thomas Mann sie im Dr. Faustus beschreiben konnte. Aber die Reflexionen sind durchsetzt mit Einsichten in Oberflächlichkeit: anders als mit schamhafter Ironie und der scharfen Feder der Karikatur kann Klee nicht reagieren. Das Abenteuer der Menschwerdung, dem er sich verschreibt, hat mit der technischen Sexualität als bürgerlicher Antikonvention, wie sie die Boheme praktiziert, nichts zu tun. Nahe den Intentionen Klees liegt Britsch mit dem Motiv der „Mutterwerdung“ als „alternative[m] Konzept“ der Selbsthervorbringung, einer unbefleckten Empfängnis. „Sie“, die Ganzwerdung, „vollzieht sich vielmehr im Bild der Rückkehr in den mütterlichen Schoß, als Wiederherstellung eines imaginären Zustands narzisstischer Vollkommenheit, der ebenfalls das Versprechen der eigenen ‚Fruchtbarkeit‘ einschließt.“319 Aber der Narzissmus kann nur bis zum Ersten Weltkrieg bei Klee als dominierend angesehen werden, so lange, wie er nicht instrumentell über seinen Stil verfügen kann. Wir finden eine komplexe Beziehung unterschiedlicher Subjektivitätsstasen teilweise parallel in der Entwicklung Klees bis etwa 1912 (Candide-Zyklus). Ab 1908 schon verwirft er die akademischen Lösungen und beginnt sich auf das Problem der Bildlichkeit zu konzentrieren. In den späten Kriegsjahren ist der Narzissmus durchgearbeitet und in das abgesicherte Denk-Bild verlagert. Die verzerrten Anatomien und Organitäten können jetzt ingenieurmäßig aufeinander bezogen werden. Die Geschlechterdifferenz verlagert sich als Maschinenpersiflage in die Technik, etwa auch der Hintergrund- und Vordergrund-Kontrastierung als die für Klee bis in die späten zwanziger Jahre dominierende Bildtechnik. Ranke-Graves schreibt präzise von einer „erfreuenden Qual“, die in dieser Kontrastierung wohnt. „Wenigstens wusste er, daß sein Bildnis ihm treu bliebe, was immer auch geschehe“ – so die bürgerliche Gedächtnisdurchdringung der Fixierung auf das Sichtbare. Im Mythos besticht die dialektische Genauigkeit der unmöglichen Liebe von Hören und Sehen in den Allegoresen von Echo und Narkissos. 318 319
Ebd., S.75. Ebd.
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Während sich Narkissos mit dem Dolch erlöst und damit die Wunde der Linie thematisiert, tränkt sein Blut als Farbspur den Urgrund der Erde. Aus der Verbindung von Spur und Grund entspringt die Narzisse als Blume, aus der ein Balsam „gegen Ohrenkrankheiten“ destilliert wird.320 Der Mythos szenifiziert die Autonomie vom Anderen als Autonomie der Sinne. Narkissos, am idealen Medium seines unberührten Spiegels, von der Vollkommenheit seines Bildes fasziniert, versteinert zum vollendeten Menschen. Vom Ding her, ruft Echo zurück. Was so ideal sich gibt, wird von Klee zerstört, indem er in den Spiegel des Wassers seinen Zeichenstift taucht: Das Bild verschwindet, das Werden erscheint im Namen der eigenen malerischen Gesetzgebung als Klees persönlicher Ausdruck.
II.5.
VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE
Wenn „die Stimme […] ein Parasit des Körpers“321 ist, ist sie das Andere des anderen. Eine solche Stimme des Anderen darzustellen, soll der Malerei gelingen. Wenn man die Wahrheit des Anderen erfassen will, muss man von den ontologischen Ganzheiten zu den Ganzheiten der Communitas fortschreiten. In der Communitas, so Victor Turner, begegnen wir [...] dem Paradox, daß die Communitaserfahrung zur Communitaserinnerung wird – mit dem Ergebnis, daß Communitas, indem sie versucht, sich historisch zu reproduzieren, selbst eine Sozialstruktur entwickelt, in der anfänglich freie und innovative Beziehungen zwischen sozialen Personen umgeformt werden. [...] Wird diese Communitas oder comitas jedoch institutionalisiert, so wird die neugefundene Eigenart per Gesetz nur wieder in ein neues System universalistischer Rollen und Ränge umgemünzt, deren Inhaber die eigene Individualität einer Regel unterwerfen müssen.322
Den Begriff der Liminalität (Turner), also der Schwellenerfahrung, die das Paradoxale ausmacht, gilt es analytisch aufzulösen, und zwar so, dass in den Bildern Klees zwischen Zeichen und Ausdruck die Mediatisierung als eine Szenifikation der Vergesellschaftung (so der Sartre’sche Begriff der Communitas) im Übergang zur Personalisierung wählbar wird. Anders gesagt, das Bild parallelisiert die individuelle 320 Vgl. Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. Reinbek 1985, S.260. 321 Jean-Lou Rivière: Das Vage der Luft. In: Das Schwinden der Sinne. Hg. Dietmar Kamper und Christoph Wulf, Frankfurt am Main 1984, S.103. 322 Victor Turner: Das Liminale und das Liminoide in Spiel, ‚Fluß‘ und Ritual. In: Ders.: Vom Ritual zum Theater, a.a.O., S.73.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 139
und die gesellschaftliche Produktion als Erfahrung, und zwar als ‚unvordenkliche‘, in der keinerlei Erinnerungsreste aufgegriffen werden. In diesem Sinne umgeht Klee die paradoxale Struktur des Individuellen-Allgemeinen durch einen Rückgriff auf Formen, die wir nachträglich archaisch (unerinnerbar) nennen können. Das Bild der in Handlung aufgelösten ästhetischen Form, das Changieren, Balancieren, Kalibrieren, Invertieren, hat Klee häufig mit dem Motiv des Fisches, aber auch mit dem des menschlichen Körpers im Wasser dargestellt, z.B. in fauler Fisch als Symbol (1939). Der ‚Faule Fisch‘ ist Symbol von Unfruchtbarkeit, er kann sein Element nicht wechseln, ist nicht auf der Erde wie in der Luft zu Hause. Im Medium der Malerei strebt Klee die Einführung einer medialen Grenze zwischen grafischem Zeich(n)en und malerischem Ausdruck (Geste) an. Es deutet sich das Paradigma der Postmoderne an: es gibt kein Außen mehr, Realität erzeugt sich selbst.
Abb. 23 ∞ Paul Klee: fauler Fisch als Symbol, 1939
Was in der Welt der Zeichen mühelos gelingt, eine Kultur der Erinnerung, zerstört der Mythos in seiner strukturalen Exotik. „Kunst ist ein Schöpfungsgleichnis“323 – sie schafft das Neue, indem sie einer ästhetisch-ethischen Utopie ihren Widerstand, nicht ‚faul‘, sondern arbeitsam entgegensetzt. Während die Welt der Zeichen unendlich proliferiert, arbeitet der Künstler sparsam und verschwiegen – so wie der Mythos nur das sagen kann, was er verschweigt, weil es sich um das Unsagbare handelt. „Die 323
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 1008, S.354.
140 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Natur kann sich Verschwendung in allem erlauben, der Künstler muß bis ins letzte sparsam sein. Die Natur ist beredt bis zum Verworrenen, der Künstler sei ordentlich verschwiegen.“324 Klee verwendet für die Bewegung seines Programms der Anthropogenese des Menschen „nach der Natur“ das Bild des Blutkreislaufs. Der im Herzen zusammengehende Blutstrom ist osmotisch als unendliches Möbiusband, unendliche Lemniskate gedacht, wie wir sie weiter oben schon als Bestimmung unendlicher Endlichkeit eingeführt haben. Der Unterschied zur Reise des Helden, dem zirkulären Grundkonzept moderner Medienmythologie, ist signifikant.325
Abb. 24 ∞ Paul Klee: Blutkreislauf. Faksimiletafel IV/23b (Aus: Paul Klee, Unendliche Naturgeschichte)
Das Symbol des rhythmisch arbeitenden Herzens ersetzt im postmodernen Sinne die moderne Linearität der Naturgeschichte. Für Klee sind Geburt und Tod nicht getrennt, denn vielleicht ist der Tod nur eine zweite Geburt. Vielleicht gibt es im Diesseits auch einen Tod, der unsere Geburt ist. Denn das Diesseits gibt in monadischer Totalität alles – aber nicht alles auf einen Schlag. Die Linie setzt kein Datum, wie der ideale Punkt, den Klee, im Gegensatz zu Kandinsky, als reine Imagination abtut. Die Linie ist dem „Menschentier“ als „Uhr aus Blut“326 gegeben. Klees Distanz in religiösen Fragen steht seine Bewunderung für die Diesseitigkeit aller Erscheinungen gegenüber, die als Werdende erfahren werden sollen. Wer diesseits 324
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 857, S.247.
325 Joseph Campell: Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt am Main 1999. Die in den fünfziger
Jahren des 20. Jh. erschienene vergleichende Mythenstudie gibt bis heute das Standardmodell des Hollywooddrehbuchs vor, in dem die zirkuläre Reise des Helden seine personalisierende Selbstbegegnung ausschließt, indem er den Makel seines Ursprungs flieht. 326 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 938, S.320.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 141
nicht fassbar ist, wohnt noch lange nicht im Jenseits. Klee bezieht die Genesis auf die Linie als liminale Mitte, als „Messbares“, die „Tonalität“ auf die „Gewichtsfrage“ und „Farben“ auf „Qualitäten“.327 Diese formalen malerischen Mediationen sind jedoch in der Tätigkeit der Komposition der Linie als einem nicht per se unmalerischen Ausdruckselement untergeordnet, wie etwa die Darstellung Zusammenhang einer Waldstelle (1935) zeigt. Das Blatt ist ganz und gar vom Rhythmus, vom Ritual des Zeichnens durchdrungen. Hier handelt es sich nicht um die Reproduktion einer Erinnerung, sondern um die ‚seismisch‘ funktionale Aufzeichnung eines gestischen Ereignisses.
Abb. 25 ∞ Paul Klee: Zusammenhang einer Waldstelle, 1935
Klees Versuch der Forcierung moderner Kunstauffassung, die er in seinem zu einiger Bekanntheit gelangten Vortrag von 1924 sprachlich absolviert, wählt als Gleichnis der kompositorischen Ganzheit den Baum – mit seinen drei Teilen, Wurzel, Stamm und Krone –, der in seinem Urzustand schon ganz Baum, dessen Samengestalt aber nichts über seine zeitliche Erscheinung aussagt – so wie die Sprache ihre eigene Artikulation nicht formulieren kann. „Das liegt an der Mangelhaftigkeit des Zeitlichen in der Sprache. Denn es fehlt uns hier an Mitteln, eine mehrdimensionale Gleichzeitigkeit synthetisch zu diskutieren,“328 so Klee präzise. Insofern ist 327 328
Klee, Über die moderne Kunst, a.a.O., S.74. Ebd., S.73.
142 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
der Baum selbst die absolute Analogie des Werdens, da er nie das ist, was er ist. Er ist kein Ding, sondern eine werdende, sich selbst produzierende, organische Natur. Er hat Teil an der Ganzheit der Natur, er schafft zu sich selbst Distanz. Adorno hat im Zeitverhältnis der Malerei, wie Klee sie versteht, für ein „Raumgefühl“ votiert, das weniger „im visuellen Bereich“ als im „akustischen“ der Musik angesiedelt sein soll, „daß man etwas aus dem Raum heraus sich einfallen lasse; nicht etwas beliebiges im Raum, das gegen diesen indifferent wäre.“ Adorno hat dabei die Tradition der Architektur von Loos bis zum Bauhaus kritisch im Blick. Seine Anzeige wendet sich gegen den Funktionalismus. „Analog muß der Musiker seine Melodien, und mittlerweile ganze musikalische Strukturen, aus der Zeit, dem Bedürfnis, sie zu organisieren, erfinden.“329 So verdichten sich unter dem Aspekt einer holistischen Zeitdarstellung Architektur, Malerei und Musik als agonische Szenen gegen ihre Funktions- und Zweckbestimmung und werden zu Gleichnissen der Bildung von Gesellschaft. Nicht darauf, dass die künstlerischen Techniken gegen ihre Auflösung in Werk- und Kunstzusammenhang immun werden, zielt Klee ab, sondern wie Adorno markiert er eine Versöhnung von Natur und Technik im Mythos, insofern der Mythos sich auf die szenische Zurücknahme des rechnenden Zeit- und des messenden Raumbegriffs bezieht. Im Sinne Adornos klärt das Bild über seine eigene Unaufgeklärtheit im gesellschaftlichen Zusammenhang auf, nämlich darüber, dass es Bilder gibt, nämlich die Dialektik der Aufklärung. Klee spricht von Genesis, die sich im Zustand ihrer Entfaltung hält – „daß die Schöpfung heute kaum schon abgeschlossen sein könne“.330 Gegen die Intention seiner Linie setzt Klee eine realistische und bis ins Pedantische formale Technik – „Gebilde, die abstrakte Konstruktionen heißen mögen.“331 So heißt es bei Klee, in Übereinstimmung mit Adorno: Was den sogenannten räumlichen Künsten längst gelang, was auch die zeitliche Kunst der Musik mit klingender Prägnanz in der Polyphonie schuf, dieses simultane, mehrdimensionale Phänomen, das dem Drama zu seinen Höhepunkten verhilft, kennen wir auf dem wörtlichdidaktischen Gebiet leider nicht. Der Kontakt der Dimensionen muß hier außerhalb eintreten; nachträglich.332
Typisch für Klee: das zeitliche Nacheinander wird zu einem Beieinander. Erst als mehrdimensionale können die Konstruktionen „den tönenden Namen Komposition“333 tragen. 329 Theodor W. Adorno: Funktionalismus heute. In: Ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt am Main 1979, S.119. 330 Klee, Über die moderne Kunst, a.a.O., S.82. 331 Ebd., S.79. 332 Ebd., S.73. 333 Ebd., S.81.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 143
Das Gleichnis des Baumes enthüllt aber noch ein weiteres Motiv: das des „Philosophen“, zu dem der Künstler drängt, „ohne es gerade zu wollen“,334 indem er in der Widerständigkeit von Wurzel und Krone die Bedrängnis des Menschen gegenüber den Dingen (Regression und Flucht) versinnbildlicht. Reflexionslogisch ist Klees Metapher menschlicher Genealogie, die er in der Zirkulation des Blutkreislaufs anatomisiert, gar nicht fassbar. Die Logik der Reflexion, die eine Logik des Abbildlichen, des Stellens ist, muss in eine Logik der Inversion mutieren. Es soll künstlerisch gezeigt werden, dass die Inversion als Vorgeschichte der Reflexion vorausgeht.335 Das wird im zentralen Gedanken seiner Argumentation für moderne Kunst deutlich. Die Schöpfung ist für ihn ein monadischer Vorgang, der zwar unabgeschlossen ist, aber in jedem seiner Momente alle Möglichkeiten enthält. Die Welt ist „in dieser ausgeformten Gestalt“, in der sie „vorbildlich“ erscheint, „nicht die einzige aller Welten!“336
Abb. 26 ∞ Paul Klee: Innenräumlich – außenräumlich, um 1930/31 (51) (Aus: Begriffliches zur Gestaltungslehre)
Wenn Klee fordert, „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen“ weiter zu schreiten und in die Zukunft einer Vergangenheit zu schauen, totalisiert er nicht nur den Begriff des zeitlichen Werdens in der Musil’schen Idee vom Möglichkeitsmenschen, sondern transformiert Genesis in Genealogie. Deswegen ist die monadische Weltsicht immer 334
Ebd., S.82.
335 Vgl. Bohn, Transversale Inversion, a.a.O. Dieses Vorausgehen meint eine Epoche in der Erklärung
der Bildung des Selbstbewusstseins. Historisch entfaltet sich die Inversion aus den Problemen der unendlichen Reflexion. Reflexion und Inversion bedingen einander. 336 Klee, Über die moderne Kunst, a.a.O., S.82.
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in Gefahr, in der Universalisierung des abbildenden Zeichens und seiner logischen Bezüge aufzugehen und den Bezug zum Körper und zur Opferökonomie zu verlieren. Hier in der monadischen Welt, nahe dem Ursprung, nahe der Gefahr,337 „wer möchte da als Künstler nicht wohnen?“338 Entsprechend der Möglichkeitsperspektive will Klee den Menschen zeigen, „wie er auch sein könnte“. Wenn man aber die Zeichen in den Möglichkeitsbereich führt, dann taugen sie nicht mehr zu Verweisungen auf eine Realität, die nicht da ist, sondern zu Simulationen einer szenischen Welt, mit ihrer je eigenen Wirklichkeit: zu einer bildlichen Szene. Eine solche Möglichkeitsdarstellung, die sich nicht auf das Sichtbare, sondern auf die innere Dramatik des Menschen richtet, benennt Klee mit dem Begriff „Weltanschauung“.339 Weltanschauung hat hier nichts mit einem ideologischen Blick oder einer totalisierenden Ansicht zu tun. Weltanschauung meint die Anschauung der Welt aus einer Perspektive der Bildlogik als einer Logik des szenischen Spiels, die auch Klees vielfältige Beziehungen zu Theater und Oper reflektiert. Um aber diese Unterscheidung zwischen Welt und Spiel machen zu können, bedarf es eben der Thematisierung der Gesellschaft für sich selber, denn kein Bild existiert ohne den anderen, der mich zum Bild macht. Ohne diese (anthropologische) Vorgeschichte der Verdinglichung, der Ablösung und der transformierten Rückaneignung der Dinge (ohne deren Opfermarge) gibt es kein Bild – das haben wir mit Lacan und Sartre zeigen können. Kann es nicht sein, dass Klee die Moderne, wie sie durch Kandinsky auf die Spur der Abstraktion gesetzt wurde, einfach überholt? Denn die Abstraktion kann nur so weit getrieben werden, wie sie sich in Linie, Tonalität und Farbe auflöst, was mit Fontana, Malewitsch und Yves Klein oder Rothko etwa vollzogen worden ist. Und die Kompositionen können nur so weit vorangetrieben werden, wie ihre Motive und Perioden als polyphon identifizierbar bleiben. Wird die Komplexität überschritten, zerfällt die Polyphonie in Rauschen – sichtbar geworden etwa an den Drippings von Hartung bis Pollock und hörbar in einigen Musikstücken von Cage. Es fehlt hier das Gefühl dafür, dass jede individuelle Produktion letztlich sich aus den szenischkathartischen Momenten des gesellschaftlichen Feldes speist. Cage ohne Konzertsaal ist wie Pollock ohne Leinwand weder rezipierbar noch reproduzierbar. Klee kann „eine Freiheit [einklagen; R.B.], die lediglich ihr Recht fordert, ebenso beweglich zu sein, wie die große Natur beweglich ist.“340 Subjektivität in der Kunst wird Ausdruck einer Gesellschaft – Klee benennt die ungebildete, noch ausstehende 337 Vgl. Martin Heidegger: Wozu Dichter? In: Ders.. Holzwege. Frankfurt am Main 1980. Heideggers ambivalente Stellung gegenüber der modernen Technik als aufschiebende und zugleich wegschiebende Instanz ist hier unübersehbar. „Die Gefahr besteht in der Bedrohung, die das Wesen des Menschen in seinem Verhältnis zum Sein selbst angeht, nicht aber in zufälligen Fährnissen. […] Vielleicht ist jede andere Rettung, die nicht von dort kommt, wo die Gefahr ist, noch im Unheil.“(S.290f.) 338 Klee, Über die moderne Kunst, a.a.O., S.83. 339 Ebd., S.84. 340 Ebd., S.83.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 145
Ganzheit eines Volkes –, die in dem großen Experiment des Bauhauses tatsächlich bis in die Realität der Postmoderne stilbildend wird. „Wir begannen da“, am Bauhaus, „mit einer Gemeinschaft, an die wir alles hingeben, was wir haben.“341 Aber diese Gemeinschaft ist nicht bloß da, sie ist als eine sich bildende im Prozess: das Bauhaus als Versuchsstation der Ästhetik der Nachmoderne, hat aber hier noch ihr Telos, von dem die Postmoderne sich verabschiedet. Was 1923 – im Jahr der Inflation, als Klee sein Testament Über die moderne Kunst schreibt – als Gemeinschaftswerk aller am gestalterischen Prozess beteiligten gedacht war, zerfiel viel zu schnell in inkommensurable Strukturen, in denen Klee sich kaum mehr heimisch fühlen konnte. Die monadische Weltsicht, die Gropius als mittelalterliche Bauhütten-Simulation gegenüber den Kapitalgebern fingiert hatte, zerfällt „innerhalb der Gesellschaft“ in „mehrere inkommensurable Diskursgattungen […], von denen keine zur Umschrift aller anderen imstande ist“. Allein „das Kapital“ und also das reinste der Zeichen, die Zahl „zwingt […] den anderen ihre Regeln auf.“342 Ist Klee also in Wirklichkeit ein barocker Maler, der die Moderne als einen idealistischen Umweg bezeichnen würde? Die Frage der Umschrift und Übertragbarkeit des Sinns gegenüber den Sinnen, der Übersetzung und Übertragung der Privatsprachen ist die zentrale Frage des barocken Gegensatzes von katholischer Einheitskirche und protestantischer Subjektverantwortung – sie wird im Theatralischen nachgespielt. Die Perspektiven werden nicht vereinheitlicht, sondern dramaturgisch aufeinander bezogen. Der barocke Ästhetizismus rekurriert auf die sowohl theologische wie imperialistisch virulente Sprachenvielfalt mit einem paradoxen Konzept, der mathesis universalis, für die Leibniz die Ambivalenzen einer ästhetischen Befreiung in Kauf zu nehmen bereit ist.343 Die mathesis dient dem Zweck, alles, was in der sich öffnenden Welt des Abendlandes als Andersheit performativ einbricht, in den monadologischen Diskurs der Mathematik zu übersetzen. In ihm ist die Realität als Konstruktion eines harmonium mundi vorgedacht – exakt also in den (von Kandinsky entliehenen) Begriffen von Konstruktion und Komposition. Das Leibniz’sche Unternehmen hat nicht nur psychotische Dimensionen, es beharrt darauf, die Funktion der untergehenden abendländischen Einheit zur neuen Geltung unter der Universalsprache der Mathematik zu versammeln, die gleichfalls theatralisch wie paradox wird, indem sie sich technisch realisiert: Rechenmaschinen und Automaten. Wir erkennen aber sogleich die Abweichung: Leibniz tut sich schwer mit dem Bereich der Qualitäten, der nach Klee der Malerei erst den Status sichert, in Konkurrenz zur Natur treten 341
Ebd., S.85. Jean-François Lyotard: Streifzüge. Gesetz, Form, Ereignis. Wien 1989, S.134. 343 Pape, Die Unsichtbarkeit der Welt, a.a.O., 144f.: „So wird die Monadologie, obgleich konstruiert mittels einer Fülle visueller Metaphern und Vergleiche, paradoxerweise zu einer anti-visuellen Ontologie: Wenn ihre ontologische Verallgemeinerung der geometrischen Struktur der Seherfahrung in eine vor und unabhängig von aller Erfahrung gegebene Struktur gelingt, kann das Sehen keine wesentliche Funktion für die Erkenntnis dessen haben, was ontologisch wirklich ist.“ 342
146 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
zu können. Die Schwierigkeiten der Implikation solcher Zahlenphänomene, die zugleich Dinge als auch Zeichen sind, stören den Modus der Wirklichkeitsbestimmung. Bezeichnenderweise wird die Farbe, wie wir gesagt haben, stets als Argument gegen eine mathesis universalis, gegen eine Welt, in der alles durch Zahlen konvertierbar ist, philosophisch in Stellung gebracht. Anders gesagt, die Mathematik lässt sich nur grundlegen, wenn die paradoxe Selbstbeziehung des Zeichens auf sich selbst, der Menge, die sich selbst als Element enthält, wie es bei Russell heißt, gelöst ist.344 Das aber geht nur, indem man entweder auf Ontologie verzichtet oder den Menschen selbst zur Zahl erklärt. Wenn Frege fragt, was ist das, die Zahl Eins, dann fragt er im Grunde danach, was das sei: ein Mensch. Genau dieser statistische Versuch der Qualifizierung gesellschaftlicher Zustände, so werden wir mit Sartre argumentieren, sagt nichts über die Gesellschaft, sehr viel aber über die Mathematik aus, die von der Gesellschaft hervorgebracht wird, und zwar unter dem Opfer inkummensurabler Sinnendifferenz. Eine Gesellschaftstheorie kann entweder diese Opferdiskussion als Unabschließbarkeit der Mathematik oder als ihre unberechtigte Anwendung auf gesellschaftliche Formationen diskutieren, um zu zeigen, dass die Abschließung ihr eigenes Gelingen beständig programmatisch aufschiebt und ihrer sinnlichen Rückeroberung im Design ihr Überleben verdankt. Wie die Theoretiker der Simulation suggerieren, „könnte wohl die logisch-mathematische Formalisierung, deren weltlicher Arm heute die informative Numerisierung und Symbolisierung ist, Leibniz’ Traum einer mathesis universalis vollenden.“345 Eine solche Tauschlogik macht aber nur dann Sinn, sprich eine universale Medialität, wenn die Zeitlogik in der Simulation selbst ausfällt, nämlich die Unterscheidung zwischen Telos und Ende, wie sie Benjamin, so Raulet, gerade hinsichtlich der Unterscheidung von magischem Ereignis und wissenschaftlicher Erfahrung gemacht hat. Erst in diesem Widerstreit der Konstruktivität der zahlengenerierten Simulation (es gibt keine perfekte Simulation, sonst wäre sie die Wirklichkeit) und dem Schock der Endlichkeit des Körpers bewahrt die sinnliche Paralleloption davor, ganz in den Kosmos des Visuellen abzustürzen. Die Welt wird nur noch Oberfläche, nur noch ein Leichentuch mit Faltungen, und zwar wider „die Fähigkeit, ins Innere des Objekts einzudringen“, was „den sicheren, selbstsicheren Status des Subjekts in Frage stellt“.346 Diese Welt ohne Tiefe verschiebt also ihr Außen an die äußerste Grenze, die ihr Innerstes markiert: die Wirklichkeit als Evidenz. Die Rede von der vollstän344 Initiation des Problems der Selbstbeziehung ist, wie bereits bemerkt, für Russell und Wittgenstein der mediale Selbstwert der Farbe. Ist sie eine Eigenschaft oder eine Substanz? Welcher onto-phänomenalen Struktur gehört sie an? Bertrand Russell: Probleme der Philosophie. Frankfurt am Main 1967, S.10f. 345 Gérard Raulet: Positive Barbarei. Kulturphilosophie und Politik bei Walter Benjamin. Münster 2004, S.185. 346 Ebd., S.177.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 147
digen Simulation, wie sie die mathesis universalis behauptet, bleibt ein rhetorisches, genauer ein metaphorisches Objekt der ‚idealen Gesellschaft‘. Auf die Lücke der Argumentation hat Klee mit seiner programmatischen Zeichenverschiebung aufmerksam gemacht. Um es in der Theorie Freuds zu sagen: Es ist die drohende Totalisierung, die selbst den Abwehrmechanismus der Subjektivität als Widerstand erzeugt, also der permanente Widerspruch zwischen Idealbild und Bildlichkeit selbst. Es ist nur die Frage, ob die Einsetzung eines fiktiven Telos, eines Vektors im geschichtlichen oder im künstlerischen Maßstab geschieht. In der Absicht, vom Oberflächlichen der Simulation sich abzuheben, wechselt Klee das Register vom Visuellen zum Ontologischen, von der Repräsentation zur permanenten Selbstaufklärung und Definalisierung: „Auf diesem [optisch-physischen] Weg wurden ausgezeichnete Bilder der von der Luft gefilterten Oberfläche des Gegenstandes gewonnen und damit die Kunst des optischen Sehens ausgebaut, gegenüber welcher die Kunst des Betrachtens und des Sichtbarmachens unoptischer Eindrücke und Vorstellungen vernachlässigt zurückblieb.“347 Jeder Schnitt, so Klee in Wege des Naturstudiums, tut nur so, als ob er vom Äußeren auf das Innere schließen lässt.348 In Wirklichkeit ist diese Differenz selbst eine Illusion. Das Konzept Klees läuft auf Vermittlung „kosmischer“ Gemeinschaft in eine intersubjektive Gemeinschaft, „Erde/Geschöpf“, hinaus. Beide Vergesellschaftungsformen werden explizit als „nicht optische Wege“ vorgestellt,349 können aber ontologisch wie subjektlogisch als beharrend statisch und als auflösend dynamisch begriffen werden. Klee zielt, wie Sartre in der Kritik der dialektischen Vernunft, auf eine gesellschaftliche Begründung der mathematisierten/abstrakten Formen ab, indem er erklärt, was eine Eins und was dagegen ein einzelner Mensch sei. Gibt es das: einen Menschen? Wenn es Sartre konkret um die Genese und Kritik des Zahlbegriffs geht – wir werden das gleich ausführlich erörtern, geht es Klee um die Genese eines Zeichens, insofern es sich um das ablösbare Element einer Körperextension handelt. Die Analität von Zahl und Zeichen auf das Reale des Körpers zurückzubeziehen, treten Sartre und Klee an. Wie also sich Abschließung zugleich gründet und aufschiebt, kann nur innerhalb der Dialektik von Subjekt und Gesellschaft als Vorgang der Personalisierung des einzelnen Subjekts gezeigt werden. Diese Personalisierung zu sein und sie subjektiv wieder in Bewegung zu bringen, dient das Produktionsphantasmas Klees: „Ich bin mein Stil.“
347
Klee, Wege des Naturstudiums, a.a.O., S.67.
348 Siehe den anschaulichen Aufsatz von McCloskey, der demonstriert, dass die vorwissenschaftliche,
mittelalterliche, intuitive Impetus-Theorie letztlich an einem Mangel empirischer Begründung leidet, der bei heutigen studentischen Probanden wieder zu reflexartigen Denk- und Anschauungszwängen führt. Michael McCloskey: Impetustheorie und Intuition in der Physik. In: Newtons Universum. Spektrum der Wissenschaften. Heidelberg 1990, S.18-27. 349 Klee, Wege des Naturstudiums, a.a.O., S.68 u. S.69.
148 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Abb. 27 ∞ Paul Klee: Synthese von äußerem Sehen und innerem Schauen, 1923. Schema zum Aufsatz „Wege des Naturstudiums“.
Suchen wir also zunächst den Ort der mathematischen Simulationen auf. Oswald Wiener hat in einer präzisen Darstellung der Übergangsphänomene zwischen Vorstellung und Realität darauf hingewiesen, dass die Mangelstruktur der mathesis universalis, wie sie von Gödel dargelegt worden ist, im Grunde auf dem Mangelbegriff des Zeichens beruht, wie er in der Ontologie Sartres ausgewiesen wird. „Die Spezifität des jeweiligen Nichtvorhandenseins […] ist eine Eigenschaft von Zeichen.“350 Was Sartre in seiner Frühschrift zum Imaginären als duale Dialektik von An- und Abwesenheit in der imaginär-reellen Differenz markiert, kann, laut Wiener, nur einer Propädeutik antizipierter Realität des Zeichens entspringen. Erst die spätere Kritik Sartres an dessen eigenen Konzepten, die er unter anderem in seinen Ausführungen zur Sachbeziehung der Malerei darstellt, lässt die Kritik Wieners, die für den frühen Sartre berechtigt ist, in einem anderen Licht erscheinen. Wiener meint nämlich in einer Moderation mehrwertiger Dialektik (nach Gotthard Günther) physiologische Übergänge in der dualen Dialektik ausmachen zu können, so nämlich, dass „sich das Vorstellen großer Teile des Sensoriums bediene und bedienen müsse, oder jedenfalls daß eine sehr weitgehende, im afferenten Apparat rea350 Oswald Wiener: Vorstellungen. In: Heute ist Morgen. Über die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion. Bonn 2000, S.311.
II. 5. VORSTUDIEN ZUR POSTMODERNE 149
lisierte ‚funktionale Äquivalenz‘ zwischen Vorstellen und Wahrnehmen bestehe“.351 In der Darstellung Wieners, die sich auf Experimente Kosslyns352 beruft, wird von einer „vierten Coordinate“ eines Raumes gesprochen, in dem die Vorstellung durch die Realität verdrängt wird, in dem also die Möglichkeitsperspektive unter der Kraft einer (technischen) Realitätsmacht eindampft. So scheint „das Vorgestellte durch einen qualitativ verschiedenen, widerstreitenden sinnlichen Reiz verdrängt zu werden und auch letzteren zeitweilig zu verdrängen“.353 Um was für einen Reiz kann es sich handeln, der widerstreitend und zugleich verdrängend ist? Es kann sich doch nur um die Funktion einer Selbstfühlbarkeit handeln, mithin also um ein Stimmenphänomen, das zugleich die Phänomenalität eines ‚Sehens‘ (im Sinne des blinden Sehers, Teiresias) einnimmt; Vernehmen, das sieht, indem es die Sichtbarkeit verdrängt. In der Malerei verhält es sich nun so, dass die Dimension des Malens selbst die Verdrängung des Imaginären durch die Realisierung des Werkes leistet, das (Vorstellungs-)Bild verstellt das Sichtbare. Die im Bild erzeugte Realität, die ein Gleichnis für die Erzeugung von Realität überhaupt darstellt, ist metaphorisch auf Wirklichkeit als Bild bezogen. Das heißt, die bildende Kunst schafft nicht bloß eine Differenz zwischen Realität und Wirklichkeit, sie schafft überhaupt erst das Reale der Realitätskonstitution, indem sie die Drängung verdrängt. Die Malerei ist diejenige Produktion, in der die Konstitution von Realität zugleich die Realisierung des Subjekts als Person bedeutet. In diesem Sinne lässt sich vom Realen der Malerei sprechen. In der Tat ist dann der werdende Maler im Bilde und der Betrachter in der Funktion eines ‚blinden‘ Sehers, das heißt eines Sehers, der die ontologische Wirklichkeit des anderen als dessen Realität vernehmen kann. Genau das entspricht der Befreiung von der Machtpolitik der Ästhetik des Barocks, in der es gilt, jemand anderem von sich selbst ein Bild aufzuzwingen und jemand anderen sich selbst fremd zu machen, also die Konzeption der Verführung, die ein Spiel der Macht, und nicht der demokratischen Formen ist.354 Mit dem Barock 351 Ludwig Wittgenstein: Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47. Frankfurt am Main 1991, S.315. 352 Wiener, Vorstellungen, a.a.O., S.334. 353 Ebd., S.334. 354 Baudrillard, Von der Verführung, a.a.O. Baudrillards Ausführungen sind der Idee verpflichtet, dass die Dualität des Zeichens identisch mit den „Duellbeziehungen der Verführung“ (S.16) ist, aber einer legalisierten Verführung durch die in den Zeichen gezähmte Weiblichkeit. „Die Verführung müßte eher als eine Herausforderung an die Existenz der Ordnung der Verführung selbst betrachtet werden.“ (S.63) „Darin liegt die Unabwendbarkeit der Herausforderung, und daher muß man ihr begegnen: denn sie eröffnet gewissermaßen eine verrückte Beziehung, die von der in der Kommunikation und im Tausch höchst verschieden ist: eine über unsinnige Zeichen führende Duellbeziehung, die aber von einer Grundregel und deren geheimer Beachtung geleitet wird.“ (S.114) Die Grundregel ist einem geheimen „Pakt“ verpflichtet, der niemals ausgesprochen werden darf. – Es ist nicht schwer, die Verbindung zu Klee und zu der Herausforderung herzustellen, die der „erfundene Widerstand“ der Malerei bedeutet, in der die Zeichen auf eine höchst logische, aber verrückte Weise diszipliniert werden.
150 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
entsteht eine Art der virtuell-intelligiblen Kriegsführung, in der Herrschaft über die Imaginationen ausgeübt wird, unterstellend, diese Imaginationen seien Eigentum eines Subjekts. Das kann nur geschehen, wenn die Zeichen in einer privativen Disposition gehalten werden, das werden sie als Allegorie, zu deren Entschlüsselung das Wissen des Kundigen notwendig ist. Deswegen der Hang des Barocks zur Kunst der Illusion, zum Spiel der zwei- und dreidimensionalen Übergänge, zur Bedeutung des Treppenhauses, der Metamorphosen und der optischen Experimente, der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Taxonomien. Es bleibt angesichts der heutigen, zahlenbasierten Ästhetisierung des Widerstandes (Mathematik als absolut nichtwiderständige Sphäre) eine Frage offen: Kann man das Spiel zwischen Bildkörper und Körperbild auch mit der Einheit der Zahl spielen? Oder aber fällt hier das Problem des Liminalen aus und wird der Andere, die Gesellschaft zur abstraktifizierten Ware? Entsprechen sich das radikale Zeichen, die Zahl und das radikalisierte Körperbild, das Symptom?
II.6.
MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS
Ein Bekenntnis zur Malerei geht für Klee, das betont er selbst immer wieder, von der grafischen Linie aus. Dem Malerischen kommt die Aufgabe zu, einen sphärischen Ort, die Offenheit einer Szene zu halten, zugleich aber eine Versammlung zu organisieren. Das Malerische ‚verzeitigt‘ das hygienisierte Weiß des Malgrundes. Oft wählt Klee Materialabfälle, grobes Leinen oder Stoffreste, um sich von der schuldproliferierenden Reinheit zu distanzieren. Der Malgrund soll seine Schuldspuren nicht verbergen. Die Produziertheit der Dinge aus dem Begehren des anderen soll nicht unterschlagen werden. Es geht Klee um das Werden der Darstellung menschlicher Produktion. Die Realität der Produktion ist in die Physiognomie, in die Faltungen des Körpers eingeprägt. Die Haut ist Filter und Film, „elastische und formlose Membran, wie ein elektromagnetisches Feld“.355 In ihr zeichnen sich die Widerstände des Lebens weniger ein, als dass sie viel mehr dieser Widerstand ist. Während das Pergament noch eine Haut ist, ist der Papyrus entfaltete und geflochtene Natur. Was für die Faltungen der Physiognomie gilt, gilt auch für die Handschrift, die erst seit dem Barock sich verflüssigt und Buchstaben zu Gunsten der Wort- und Satzglieder kontinuiert. Aus einer Linie können virtuell unendliche Variationen an 355
Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.127.
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 151
Sinn delektiert werden. „Die Welt ist eine Virtualität, die sich in den Monaden oder Seelen aktualisiert, aber auch eine Möglichkeit, die sich in der Materie oder den Körpern realisieren muß.“356 Folglich ist es richtig, wenn dem Körper als Ort des Einspruchs die Rolle zugebilligt wird, das Reale auszudrücken, dass heißt im Lacan’schen Wortsinne, das Reale zu sein. Deleuze präzisiert im Hinblick auf Leibniz: „Nicht der Körper realisiert, sondern im Körper wird etwas realisiert, wodurch der Körper selbst real oder substantial wird.“357 Die Malerei ist eine Tätowierung, die das Werden anzeigt, das heißt, es handelt sich, wie beim Erröten, um ein Sich-Zeigen der Haut, jenes Argument, mit dem Cezanne das Weiß der Leinwand stehen lässt, sich gegenüber ihm nicht restlos verschuldet. Dass der Künstler ‚sich ausdrückt‘, ist bei Klee die wörtlich zu nehmende Wendung einer Stempeltechnik, die sowohl durch den Pinselduktus, durch den Bleistift, als auch durch das Kohlepapier hindurch erfolgt. ‚Etwas durch etwas anderes hindurch ausdrücken‘ – diesen Sachverhalt bezeichnet im Wortsinne die Allegorie. Allegorie bedeutet ‚anders Sagen‘ im Sinne des Umwegs über eine Fiktion: denn wie sollte der Körper von sich selbst sagen, wenn er dieses Sagen nicht in einem anderen ausdrücken könnte? Die choreographische Selbstaussage, die mit einer nachdrücklichen Markierung der Spiel-, Bild- und Theaterrahmung einhergeht, grenzt immer an das Problem der Hysterisierung. Die Hysterisierung besteht darin, zu zeigen, dass es weder ein Außen noch ein Innen gibt, sondern nur die Beziehung zwischen meinem Körper und den Körpern der anderen. Die Hysterie ist das Projekt der Maschinisierung einer Szene. ‚Jemandem eine Szene machen‘ meint, die Ausdrucksfähigkeit selbst als Widerstand zum Ausdruck zubringen.358 Der Stilus, der durch das Kohlepapier hindurch die Kohle ausdrückt, verhindert zusätzlich eine Berührung des Malgrundes, wie der Pinsel und der Stift, die dem Maler einen winzigen Aufschub zu den Dingen verschaffen, um sich des allergischen Selbstbefalls der Hysterisierung zu erwehren. Hysterie und Hygiene sind somit ein und dieselbe Dynamik der Selbstbezüglichkeit des Ausdrückens, in der die Widerständigkeit als Membran der Haut sich erzeugt. Aus medizinischer Perspektive kann gesagt werden, dass der Therapeut das Symptom mittels eines (historisch) „organisierende[n] Bewußtseins“359 in ein Zeichen verwandelt und so das Verhältnis Realität/Imagination spaltet, das im Symptom ‚nur‘ als funktionale Selbstbeziehung, ‚einfältig‘ präsent ist. Dieses ‚nur‘ bestimmt aber die Wahrheit der Verhältnisse: weil Selbstbeziehung nicht ohne medialen Widerstand am ande356
Ebd., S.170. Ebd., S.171. 358 Vgl. Bohn, Versteckspiel, a.a.O., S.69ff. Insbesondere geht es um die verzweifelte Hysterisierung einer Vaterschaft ohne Sohnesdrohung. Anschaulich ist dieses Problem im Theaterstück/Film von Edward Albee/Mike Nichols: „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe?“. 359 Roland Barthes: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988, S.212. 357
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ren Körper (sadistisch) realisiert werden kann, kann diese Wahrheit allein in einer symptomatischen, wenn man will, neurotischen, masochistischen Diktion erfolgen. Entsprechend bedarf das Symptombild, wie Freud mit Silberer sagt, einer funktionalen Lesart – eine der Ausdruckssubstanz, nicht der symbolischen Beziehungen. Nicht nur in Bezug auf die pathologische Dimension entspannt sich die Situation durch Einbeziehung eines phantasmatisch organisierten Dritten, die mediale Membran als Illusion der Teilhabe des anderen mit den anderen am Anderen, was in der Hermeneutik Sartres das individuelle Allgemeine (Idiot de la famille – so der mehrdeutige Titel der Sartre’schen Flaubert-Studie) genannt wird. Die Membran ist Ausdruckssubstanz, nicht Substanz, mit der etwas ausgedrückt wird: Sie ist Körper, wie auch, im Medienwesen, Körpersubstitut, also Leiblichkeit. Hier wird klar, dass die Mediatoren keine Eigenständigkeit, keine Drittheit sind, sondern Bild und Körper, Tableau und Image. Die Wahl des Ausdrucksmediums Malerei spielt in besonderer Weise auf die Haut als Ausdruckserscheinung an, insofern sie den widerstreitenden menschlichen Handlungen, Bewegungen und Entwicklungen eine offene Ganzheit verleiht. Dieser Zusammenhang fundiert die folgende These: Sklerodermie ist nicht nur eine allergene Krankheit der Haut (Organhäute), sondern – in Bezug auf den Realitätszwang des Faschismus – eine privatistische Nachspielung der Aneignung der Selbstbeziehung am eigenen Körper. Die Schnittfläche dieser Faltungen ist Spiel der Verwerfungen (1938), die auf dem ‚kathartischen Blatt Papier‘ das herausarbeiten, was an ihm Telos menschlicher Arbeit war: ein abstraktes Hygieneprodukt, dessen Ursprung die Hautoberfläche des anderen Körpers ist. Als quasi entschuldete Sphäre umgehen Medien, was sie sollen, den anderen in ein Verhältnis zu setzen. Sie schieben das Problem der Schuld dem Maler zu, der es mit dem Betrachter teilt. Eine Semiose von Körper und Bild, Ethik und Ästhetik, muss sich einer Reihe differenzierender Begriffe widmen: Symptom, Soma, Syndrom, Agonie, Mal. Diese medizinisch-diagnostischen Begriffe, eine Art Pathosemiologie, stehen zur qualitativen Kritik dann an, wenn die proliferierende Schuld an einer Stase sich der Weitergabe verweigert. Deleuze verwendet in Bezug auf die Weitergabe die Begriffe „Superjekt“ (nach Whitehead) und „Objektil“.360 Unter Objektil wird ein Objekt „ohne Form“ verstanden, dem eine „reine Funktionalität“ eignet, also eine Art fraktaler oder holografischer Operator. Deleuze weist mit diesem Begriff auf die moderne, systemischfluide Objektheit hin, die, wie der McGuffin von Hitchcock, in jeder Szene und in der Hand jedes Protagonisten seine Funktion ändert und die Bedingungen der Szene umprogrammiert. Dies ist eine
360
Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.35 und S.36.
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 153
sehr moderne Konzeption des technologischen Gegenstandes: sie verweist nicht mehr auf die Anfänge des industriellen Gegenstands: sie verweist nicht mehr auf die Anfänge des industriellen Zeitalters, als die Idee des Standards noch einen Schein an Wesen wahrte und ein Gesetz der Konstanz auferlegte („von den Massen und für die Massen produzierter Gegenstand“), sondern auf unsere heutige Situation, wo die Fluktuation der Norm die Permanenz eines Gesetzes ersetzt, sobald der Gegenstand durch Variation seinen Platz in einem Kontinuum einnimmt, sobald Produktionstechnik oder numerisch gesteuerte Maschinen die Prägung ersetzen.361
Abb. 28 ∞ Paul Klee: Spiel der Verwerfungen, 1938
Hier spricht nicht mehr der Körper des Gesetzes, der als Höhenstimme aus dem Sartre’schen Treppenhaus durch ein Knacken mit Schimpf und Schande das Eingeständnis der Triebdispositionen einklagt, es ist die eigene Selbstaffektion, die als Einspruch/Pathos des Körpers die realen Ordnungen enthüllt. Das Knacken der Treppenstufen, das Sartre als den repräsentierten Eintritt der Concierge in der Szene bestimmt, wird zur hysterischen Selbstaffektion, die die Szene umprogrammiert. ‚Krankheit‘ als Ausdruck fehlenden Drittenbezugs ist eine Form der ‚Umprogrammierung‘: im Falle des Voyeurs drückt sie sich in einer gesteigerten Angstaffektion, Selbstfühlbarkeit aus. Das Problem ist, dass der Dritte eine konstitutive Fiktion der Beziehung des Einzelnen zur Gemeinschaft darstellt, die in der Regel durch den Waren- und den Zeichenkörper dispensiert wird, was er umso mehr kann, als Waren und Zeichen als Automaten personalen Charakter annehmen, ohne immer so charmante allegorische Puppen zu sein, wie sie E.T.A. Hoffmann im Sandmann zeichnet. Es gibt also den Dritten nicht, aber es gibt seine konstitutive Fiktion, derart, dass der Andere sich wieder nur als der Einzelne institutionalisieren kann: Wie also soll die Selbstaffektion überhaupt Darstellung sein? Sie kann das ja nur, indem sie 361
Ebd., S.35.
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den Körper selbst zur Aufzeichnungsfläche von Andersheit macht: ein Tick, eine Neurose, ein Hautpathos, die Weigerung, weiterhin die Schuld ins Unendliche zu verschieben, sie waffentechnisch zu horten. Die Umprogrammierung wirkt als Instrumentalisierung des Körpers. Karl Grebe, der mit Klee musiziert hat, beschreibt den Ausdrucks Klees beim Geigespiel, d.h. der Rück-Verkörperung des Instruments: Bei Klee war das Geigen mit einer seltsamen Steigerung des Auges verbunden, deren Herkunft schwer zu umschreiben ist. Wenn Zuhörer sagten, in seine Augen steige beim Musizieren ein gefährlicher oder drohender Ausdruck, so wurde bei einigem Vorbehalt doch damit irgendwie die Richtung bezeichnet, aus der diese Erscheinung kam. Dieser physiognomische Tatbestand allein genügte, um zu bewirken, daß Mitspieler wie Zuhörer sich der Musik gegenüber zusammennahmen, er verbot von vornherein die Einstellung, als handele es sich hier um die dilettantische Nebenbeschäftigung eines Malers, als würde hier aus dem bloßen Bedürfnis nach Abwechslung und Entspannung musiziert.362
Die Selbstinstrumentalisierung (als Musiker und Maler) ist eine Falte. „Ich bin mein Stil“ ist mit der Aussage „Ich bin Gott“363 identisch: es meint, ich bin der Schöpfer meiner selbst, weil ich es immer schon in meinem Körper war, weil ich selbst mein Drittenbezug bin. Ich bin/werde mein Programm. Klee folgt hier wieder frühromantischen Konzeptionen, auch wenn sie ihm nicht explizit bekannt sind. Die frühromantische Subjektphilosophie versteht unter Stil die Einbindung des Universellen ins Individuelle. Die Überzeugung der Frühromantik ist, dass der transzendente Grund der Formen und Regeln „sich nicht in die Immanenz des Bewußtseins auflösen lasse“.364 Folglich muss das Unsagbare im Sagbaren als dessen Andersheit erscheinen. Was für Klee der Klang des Bildes, das ist für die philosophische Poetik der frühen Romantiker die „Allegorie“, das bedeutet, nach griechischem Wortursprung anderswie reden und anderes sagen, als man (es) meint. Man meint das Absolute und sagt das Relative. Darum, […], gilt es, das Relative so sagen, daß im Gestus des Sagens das Gesagte zugleich vernichtet wird, als das nicht Vermeinte. Das geschieht durch die Ironie. Sie ist kein Thema des Sagens, sondern ein Stil-Zug der Rede.365
Man muss nun aber sehen, dass dieses andere, auf das sich die Allegorie bezieht, wenigstens ab dem Barock die personale Rückverortung des Abstrakten und des Toten meint. Allegorie ist eine Verkörperung dessen, was im Menschlichen selbst abstrakt ist: Geist, Justiz, Gerechtigkeit, Zeit, Wissenschaft – alle diese Sachbeziehungen erhalten im Barock ihren Körper zurück, den ihnen die Rationalität genommen hat 362 Karl Grebe: Paul Klee als Musiker. In: Paul Klee und die Musik. Katalog Kunsthalle Frankfurt. Berlin 1986, S.206. 363 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr.155, S.64. 364 Manfred Frank: Stil in der Philosophie. Stuttgart 1992, S.62. 365 Ebd., S.62f.
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und der noch nicht die Schwelle des Warenkörpers angenommen haben. Der gesamte Zug des Barocks besteht in der Verlebendigung dessen, was der Krieg, die Pest, der Zerfall des Glaubens an fragmentierten Lebenszusammenhängen übrig gelassen hat. Und der Höhepunkt der Animation ist das Theater als Staatsschauspiel. Nun umgibt die Bildwelt Klees ohne Zweifel ein ironischer, oft humoresker Stilzug, der zwischen automatisierten und allegorischen Körpern, zwischen organischen und zerstückelten Körpern schwankt. Ironie ist der in die Vergeblichkeit der Selbsthervorbringung verwandelte Widerstand, der das Unsagbare als anderes herausfordert. Klee nutzt die Technik der Ironie, um das Paradoxon der autonomen Selbstbeziehung in wohl abgehobener Setzung ‚aufzuheben‘. „Sonst wird’s wie früher. Gewaltsam in der Brust verschlossener Kummer. Auf engem Ausweg heiseres Lachen. Zum Bersten. Und ich sage wieder, dies Lachen erhebe allein über das Tier.“366 „Ich bin mein Stil“ heißt auch, ich bin nur Stil, nur die Andersheit meiner selbst. In diesem Sinne sind die Stilmerkmale der Klee’schen Bilder Gesten der Schöpfung, der Selbstrestitution, der Personalisierung. Sie sind da, ohne anwesend zu sein. „Klees göttliche Selbstinthronisation bedeutet, dass sein Kunstkosmos neben Gottes Schöpfung tritt. Klee ahmt nicht die Schöpfung, er ahmt den Schöpferakt nach. Zum Universum Gottes verhält sich Klee allegorisch. Zu nichts bezieht er Stellung, alles, was er berührt wird, Teil der Welt, bekommt Existenz, ist da.“367 Klee war nicht im theologischen Sinne religiös und schon gar nicht mystisch. Klees Immunisierung gegen Kritik ist, wie die gegen den Vorwurf der Stillosigkeit und Verzettelung seines Werkes, Teil seiner programmatischen Selbstinszenierung und sozial genau kalkuliert.368 Weltfernheit ist seine „ökonomische Taktik“.369 Sie lanciert die Isolation des Subjekts als methodische „Universalisierung der Kunst“370 und zielt auf das ungestörte Experiment, die frühromantische Gleichung von Kunst und Leben als Produktionsgemeinschaft zu realisieren. So rettet die Kunst, was in der Welt schon längst verloren gegangen ist, das Ideal gelebter Einheit. Es gilt, was Hans Ulrich Reck in der Ambivalenz des Bildes entdeckt, nämlich dass der Betrachter das in ihm selbst Unbekannte der Stimme des Künstlers zuordnet, oder der musealen Szene zuordnet. Ambivalenz wird durch die Notwendigkeit definiert, Bilder immer auf zwei verschiedene Ordnungen zu beziehen: das Bekannte und das Unbekannte, die visualisierten Bedeutungen und eine vage Faszination, daß Wirklichkeitsräume als Bildräume ausgestaltet werden können, daß also, was existiert, 366
Paul Klee: Gedichte. Zürich 1980, S.35. Gregor Wedekind: Kosmische Konfession. Kunst und Religion bei Paul Klee. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd. 1. Bern 2000, S.235. 368 Vgl. Otto Karl Werckmeister: Sozialgeschichte von Klees Karriere. In: Paul Klee, Kunst und Karriere, a.a.O. 369 Wedekind, Kosmische Konfession, a.a.O., S.236, nach Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 605, S.180. 370 Ebd., S.236. 367
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Erklärungskraft nicht kraft Anwesenheit, sondern erst durch projektive Selbstentäußerung der Phantasie entfaltet. Die Materialität der Zeichen korrespondiert also diesem differentiellen Zwang der Imagination und erschöpft sich keineswegs in ihrer physikalischen Vorhandenheit. Je stärker die Ordnung der Zeichen im Sinne der Ambivalenz auftritt, umso stärker wendet sich die Referentialität der Zeichen nach innen und wird Gegenstand einer Selbstreflexion von Referenzansprüchen. Gerade die Autonomisierung der Zeichen auf der Ebene ihrer selbstreferentiellen syntaktischen Anordnungen belegt, daß diese keineswegs zur Abkopplung von Wirklichkeit führen, sondern umgekehrt erst als aus der Wirklichkeitsmacht der Imagination hervorgehende, sekundäre Besetzungen der Bedeutungen mit imaginativen Zeichen Sinn machen.371
In einem nicht unbeträchtlichen Umfang spiegelt sich im Klee’schen Werk die kulturkritische Situation seiner Zeit wieder, die zwischen Abschaffung und Restitution des Körpers schwankt, um nicht – wie die Körper in Voltaires Candide – beständig zerrissen zu werden.372 Schwer setzt Klee wie in Alphabet II (1938) seine eigene Körpersprache dagegen. Reck setzt auf einen heilsamen Schrecken, indem er die Barbarei der Kunst373 als antizipierte Katastrophe gegenüber den perfekten designten Waren- und kosmetisch bearbeiteten Menschenkörpern gelten lässt. Als Entzugsform des Willens zur Macht „kann Kunst nicht verstanden werden als Zeigen von etwas, sondern nur als Katastrophe selbst. Kunst setzt ihre Wunden selber, ist die Katastrophe, der Akt des Katastrophischen, nicht ihre Darstellung.“374 Die Gefahr, der der ‚Künstler im Bild‘ sich angesichts des Körperkultes aussetzt, ist nicht von der Hand zu weisen. Barbarei bedroht den Künstler von beiden Seiten, in der Depotenzierung seiner Subjektivität und in der Verdinglichung seines Werks. Klee empfiehlt in Wege des Naturstudiums einen „nicht optische[n] Weg“.375 Er bezieht sich auf die Linie als einen Vektor im Feld der Ereignisse.
371
Hans Ulrich Reck: Kunst als Medientheorie. München 2003, S.52f.
372 Heidegger hat die Schließung dieser Seinsfuge und die damit schon vorausgesetzte Unmöglichkeit
der Stellung des Subjekts in der Unabschließbarkeit des ästhetischen Programms des deutschen Idealismus kritisiert. Er stellt folgende, Schellings Freiheitsschrift zugeordnete Oppositionen fest: „Natur / Geist, Nicht Ich / Ich, Reales / Ideales, Objekt / Subjekt, Seyn / Seiendes, Ding / Vernunft, ‚Grund‘ / ‚Existenz‘“. Martin Heidegger: Schellings Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809). Tübingen 1971, S.134. Diese durchgehende Rissigkeit des Menschen übertragen Voltaire und Klee im Candide-Zyklus auf den Körper zurück. So liest man bei Voltaire folgende an gewisse Kupferstiche von Callot gemahnende Beschreibung im Angesichts der „besten aller Welten“: „Frohgemut ging Candide am nächsten Morgen spazieren. Da begegnete er einem kranken Bettler, einer wahren Lazarusfigur. Schwären bedeckten seine Haut; sein Blick war erloschen, die Nasenspitze weggefault: dazu hatte er einen schiefen Mund, kohlschwarze Zähne und eine heisere Stimme, die mehr gurgelte, ja röchelte, als dass sie sprach. Zudem plagte ihn ein heftiger Husten, wobei er bei jedem Anfall einen Zahn ausspie.“ Voltaire, Candide oder der Optimismus, Wiesbaden 2006, S.35. 373 Vgl. Bazon Brock: Bildersturm und stramme Haltung, Texte 1968 bis 1996. Dresden 2002, S.25. Brock widerspricht der Ansicht Warnkes, den Bilderstrum für abgeschlossen anzusehen. „Thematisch ist der heutige Bilderkrieg in dem Streit um das Realismus-Problem auszumachen.“ 374 Reck, Kunst als Medientheorie, a.a.O., S.57. 375 Klee, Wege zum Naturstudium, a.a.O., S.68.
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 157
Abb. 29 ∞ Paul Klee: Alphabet II, 1938
Die ideale Linie ist die gedachte Verbindung zwischen zwei Orten oder zwei Ereignissen. Die wirkliche Linie, im Gegensatz zu Kandinskys realer Linie, ist die Falte. Die Linie stabilisiert eine Differenz, sie gibt keine Richtung, sie schließt nicht ab. Bei Kandinsky heißt es: „So ist der geometrische Punkt in unserer Vorstellung die höchste und höchst einzelne Verbindung von Schweigen und Sprechen. Deshalb hat der geometrische Punkt seine materielle Form in erster Linie in der Schrift gefunden – er gehört zur Sprache und bedeutet Schweigen.“376 Der Linie, dem zweiten „Urelement der Malerei“,377 kommt bei Kandinsky nur sekundäre Funktion zu. Kandinsky entwickelt die Linie als dialektische Negation des Punktes, und zwar in der metaphorischen Inversion des Klangs (dem rhetorischen Schweigen) in Sichtbarkeit hinein. Die geometrische Linie ist ein unsichtbares Wesen. Sie ist die Spur des sich bewegenden Punktes, also sein Erzeugnis. Sie ist aus der Bewegung entstanden – und zwar durch Vernichtung der höchsten in sich geschlossenen Ruhe des Punktes. Hier wird der Sprung aus dem Statischen in das Dynamische gemacht. Die Linie ist also der größte Gegensatz zum malerischen Urelement – zum Punkt. Sehr genau genommen kann sie als ein sekundäres Element bezeichnet werden.378
In Wirklichkeit handelt es sich bei der Linie, so die gegensätzliche Auffassung Klees, nicht um einen dynamischen Punkt, sondern um die ursprüngliche Schöpferkraft, der der Punkt nur insofern entspricht, als Kraft, wenn sie sich realisiert, die 376 Wassily Kandinsky: Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. Bern 1983, S.21. 377 Ebd., S.20. 378 Ebd., S.57.
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Membran des Subjekts durchstoßen muss, um als „ökonomischer Widerstand“ zu erscheinen. Der Punkt ist die verletzende Frontalität der Linie. Der Punkt ist der sekundäre Ort des Durchstoßens einer monadischen Membran durch eine Linie, die ihrerseits der ‚Kniff‘ einer unendlichen Fläche ist. Vermöge der monadischen Weltsicht existiert der Punkt für Klee nicht. Kandinskys geometrisch-cartesianische Ausführungen werden von Klee existentiell umgedeutet. Klee geht es nicht um eine physikalisch-geometrische Grundlegung, sondern um eine ontologische Hypothese des Weges der Subjektivität. So sind es bei Kandinsky verschiedene, „von außen kommende Kräfte, die den Punkt zur Linie verwandeln“,379 während die Linie bei Klee das membranartige, organisch/organisierende Prinzip der Widersprüche selbst darstellt. Die erste Funktion der Linie ist die, ein einheitliches Negat des Raumes und der Bewegung zu sein. Schon bei Hegel ist die erste Funktion die des Raumes und die Negation des Raumes der Punkt.380 Der Raum entfaltet sich im Punkt aber als Linie (und diese als Fläche). Der Punkt ist quasi eine Linie von vorne oder hinten betrachtet, also eine ideale Linie, die von einem Subjekt durchkreuzt wird. Dem Punkt kommt lediglich eine hypothetische, irreale Eigenschaft zu. Linie und Flächen sind keine Punktmengen.381 Der Punkt ist eine Abstraktion, er ist weder Anfang noch Ursprung von etwas. Der Punkt als ein zeitlicher bestimmt die Zeit als „totale Negativität“, welcher Hegel den Begriff „Ort“382 zueignet. Die Positivität einer szenischen Welt ist gemeint, in der die „Reflexionsbestimmung von Kraft“ nichts „Fremdes und Zufälliges, von außen in sie Gebrachtes“ ist.383 Die Szene als Ort versammelt die zum Raum sich verdichtenden Kräfte, die unendlich relationale Vektoren sind. So ist ein Planet im Raum nicht als Punkt aufzufassen, sondern ganz modern als ‚Schwerefeld‘. Hegel richtet sich gegen das Apriori eines Kantischen Raum-Zeit-Begriffs, in welchem die Dinge im Raum platziert werden und somit den Ort und die Gegenwart verdrängen. Er konzipiert also den relativistischen Begriff der Einstein’schen Physik vor. Die Dinge, so konnte man mit Kant sagen, substituieren den Raum, wie der Signifikant das Signifikat. Ein Mensch, der einen Raum betritt, entfaltet ihn jedoch zur Zeit. „Die Einheit der Materie, das kleinste labyrinthische Element, ist die Falte, nicht der Punkt, der nie ein Teil, sondern immer nur das einfache Ende einer Linie ist.“384 Während also der Punkt bei Kandinsky „durch eine äußere Kraft in Bewegung 379
Ebd.
380 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Hamburg
1991, §256, S.207. Ebd., §259, S.212. 382 Ebd., §260, S.212. 383 Ebd., §261, S.214. 384 Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.16. 381
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 159
gebracht“385 als Linie erscheint, ist er bei Klee diese Kraft selbst. Unschwer ist hier die Fortführung des monadologischen Dilemmas von Leibniz zu erkennen: Die statischen Visualisierungen sind außer Stande, die ontologische Struktur der Welt zu erfassen, wenn unter Visualisierung nicht selbst die Theatralisierung der Welt verstanden wird. Statt dem Idealismus von Elementaritäten zu huldigen, realisiert Leibniz ein Programm provisorischer Differential-Rechnungen, die nicht exakt, aber beliebig genau Beziehungen an bestimmten Zeitpunkten betrachten, und steht damit am Anfang eines Paradigmenwechsels in der Physik. Der Verzicht auf die Exaktheit (Elementarität) ist die Geburtsstunde der modernen Wissenschaft. Die Linie als Kurve im Raum ist in Wirklichkeit ein Spiel mit der Zeit. Während die Dinge der Natur keinen Punkt setzen, finalisiert der Mensch Dinge aus fiktiven Punktmengen. Als Realität wird diese Gestaltabschließung durch die Zahl geleistet, insbesondere auch durch das abzählbare Geld manifestiert. Der Zahl wird im Tausch die elementare Punktualität eines Werts zugeschrieben.386 Im Tausch selbst werden Zeit und Raum wieder zu fiktiven Punkten reduziert, ein Chronometrischer Tanz (1940). Was wäre nun, wenn man das gesellschaftliche Feld in solcher Wechselbeziehung dächte wie das der elektromagnetischen Welle in der modernen Physik? Der Mittelpunkt der Tauschform ist „nicht als materiell zu nehmen; denn das Materielle ist eben dies, seinen Mittelpunkt außer sich zu setzen.“387 Mit dieser gegen Newtons Kraftmechanik gerichteten relativen Bestimmung des Kraftbegriffs durch Hegel kommt auch der Linie eine relative Bestimmung innerhalb der Szene des Bildes zu. Hier ist nichts mehr von der geometrischen Einfachheit übrig, mit der der
385
Ebd., S.29. Vgl. Alfred Sohn-Rethel: Das Geld, die bare Münze des Apriori. Berlin 1990. Sohn-Rethel zielt auf eine Ableitung von Verstandeskategorien aus dem Warenkörper, respektive aus der durch Mathematik vermittelten Idee des reinen, tauschbaren, partikularisierten (zählbaren) Warenkörpers, der die Grundlage der Ableitbarkeit von Verstandeskategorien überhaupt ist. Wenn Sartre von der Einheit der Zahl und der Einheit des personalisierten Subjekts als Körper innerhalb einer sozialen Beziehung (Gruppe) ausgeht, die sich dem je einzelnen Ding gegenüber sieht, dann geht Sohn-Rethel von der Ware als einer Tauscheinheit aus. „[...] aber das Neuartige und das spezifisch Geschichtsmaterialistische an der hier vertretenen These ist, daß solche reinen Formabstraktionen nicht ursprünglich Resultate des Denkprozesses, sondern Produkte des Gesellschaftsprozesses sind.“ (S.17) Sartre wahrt, im Gegensatz zu Sohn-Rethel, die Einsicht, dass die Elementarhypothese nicht in der Ware, sondern schon im Gegensatz zur Andersheit (Unbewusstheit) und dem transzendierten anderen des Kollektivs auftritt, dass also jedes Subjekt in sich seine Zugehörigkeit zur Gruppe als eine Negation empfindet, die es selbst in seiner Tauschbarkeit als ideales Bild vom anderen bestätigt findet. Die Ableitung aus einem geschichtsphilosophischen Kontext und nicht gerade aus dem Kontext der Herstellung von reflexiven Blicken scheint dann zumindest honoriert zu werden, wenn Sohn-Rethel darauf insistiert, dass das gemünzte Geld das erste industriell gefertigte Zeichen sei, auf dem das Bildnis (Kopf ) und die Zahl zwei Seiten ein und derselben Sache (Münze) sind. Die Münze ist nicht mehr Bildkörper, sondern Zahlenbild. 387 Hegel, Enzyklopädie, a.a.O., §262, S.215. 386
160 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
physiologisch begründete Cartesianismus Kandinskys388 die Elemente zueinander in Beziehung setzt. Die Idee der Linie löst bei Klee die Grenze der Elementarhypothesen auf. Die unabschließbare, inversive Linie ist für Klee stilbildend, insofern sie die Abschließung der Gestalt dem Betrachter offen lässt und Verbindung mit dem Körper (der Unabschließbarkeit) des anderen aufnimmt.
Abb. 30 ∞ Paul Klee: chronometrischer Tanz, 1940
Die Linie wird zum Repräsentanten des vernehmenden Subjekts, zu einer schweigenden und zugleich klangbildenden Linie, die den Rhythmus von Imago und Imagination markiert. Der ganz Andere, so haben wir gesagt, sei ja ursprünglich der Rhythmus der Objektivierung des Subjekts, die Weise, wie es über andere zu sich selbst ins Vernehmen treten kann. Die Gestalt muss, wie im Bild Aus [nach] dem Traum erwachend (1932), aus den unendlichen Linienbeziehungen in die Endlichkeit erwachen.
388
Deleuze, Die Falte, a.a.O., S.29.
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 161
Abb. 31 ∞ Paul Klee: aus [nach] dem Traum erwachend, 1932
Anstatt eine Entwicklung des Subjektiven aus der Geometrie heraus zu stabilisieren,389 dringt Klee darauf, aus der Unreinheit der Nebenbezüge und der Relativitäten, den groben, gealterten, verdreckten Strukturen des Leinens, die Schwerefelder einer zeitlichen Linie sichtbar zu machen, so wie Eisenspäne als minimale Vektoren ein Magnetfeld sichtbar machen. Die doppelte, sich selbst zurücknehmende Bewegung formuliert ihre Kritik im „soziopolitischen und psychodynamischen Feld, also in einem erweiterten biografischen Rahmen“,390 wie Regine Prange nachgewiesen hat. In ihrer ausführlichen Studie geht sie davon aus, dass zeichentheoretische Deutungen hinsichtlich der Bestimmung einer romantischen „Idee der Einheit von Zeichen und Gestalt“ als „ästhetisches Gesetz“ einer kalligraphischen Vereinigung von Bild und (sprachlichen) Zeichen – den Experimenten Klees – nicht gerecht werden. In diesem Zusammenhang bezieht sie sich auch auf die Hinweise Foucaults, die Klees Arbeit als Aufhebung des „Prinzips der Trennung von figürlicher Darstellung und sprachlicher Referenz“391 389 Vgl. zur Bedeutung der Pädagogik Klees am Bauhaus bei Werckmeister (Sozialgeschichte von Klees Karriere, a.a.O.): „Obgleich Klee sich mit der subjektiven Neubestimmung seiner Kunstpädagogik aus den institutspolitischen Verwicklungen am Bauhaus heraushalten wollte, konnte er seine Lehrtätigkeit immer weniger mit seiner Kreativität vereinbaren und begann seine Mitarbeit am Bauhaus als Belastung statt als Bestätigung zu empfinden.“ (S.59) Werckmeister weist in diesem Zusammenhang auf die von der Kritik inszenierten Attestierungen, die Klee als inkommensurables Genie lancieren, das aus dem Milieu des ‚Surrealen‘ seine Kraft schöpft. Klee war durchaus nicht glücklich mit dieser Positionierung, die ihm jedoch wesentliche Verkaufserfolge bescherte. 390 Regine Prange: Das utopische Kalligramm: Klees „Zeichen“ und der Surrealismus. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd. 1. Bern 2000, S.204. 391 Prange, Das utopische Kalligramm, a.a.O., S.206.
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verstehen wollen. Foucault sieht die historisch seit Descartes vollzogene Trennung von Ähnlichkeit und Gleichheit bei Klee aufgehoben. Denn die Trennung in solche strukturale Ideologien scheitert an der Verwebung von Genesis und Geltung. Die Darstellung einer „Gleichzeitigkeit von Zeichen und Figur“392 als Rettungsphänomen zeigt Klees Fortschrittlichkeit. Die „Trennung zwischen Buch und Bild, Schrift und Darstellung“393 wird moderiert. So „stellt sich der Sachverhalt dar: Die Versöhnung von Bild und Zeichen wie von Figur und Grund ist die historische Leistung des neuzeitlichen künstlerischen Bildes und sie ist es, die im utopischen Kalligramm als hieroglyphische Synthese, im primitivistischen Gewand einer voroder ausserkünstlerischen Zeichenrepräsentation, konserviert wird.“394 Wenn also bei Klee die Linie thematisch wird, dann im Sinne des Hegel’schen Ort- und Masseverhältnisses und im Sinne des Lewin’schen gesellschaftlichen Feldes, als „Entäußerung von psychischer Belastung“, in der „Stil und Leben eins werden“.395 Damit eröffnet sich mit der Linie, die nicht zur versöhnenden Form sich fügt, der Blick auf „ihre dialektische, begriffliche Qualität“,396 so Prange. Der „antagonistische Widerspruch“ in Kunst397 wird für Klee am Dessauer Bauhaus als problematisch empfunden, nachdem er in Jahren harter Arbeit und guter Erfolge verdrängt worden war. Das ursprüngliche Problem zwischen Ornament und Linie, Gebrauchsillustration und eigenständiger Kunst holt ihn jetzt lebenspraktisch ein. Die allmählich durch das große Pensum des Werkes sich nach außen bildende Personalisierung muss sich mehr und mehr der Öffentlichkeit stellen, hat aber politisch und kunstpädagogisch in Dessau spätestens unter Hannes Meyer nichts mehr zu vermelden.398 Die Umformung von einer „kulturell statt existentiell artikulierten Selbstbestimmung als moderner Künstler“399 regrediert in der späten Bauhaus-Zeit, kann aber eine Weile noch durch ordentliche Verkaufserfolge kompensiert werden. Doch das ist nicht das Ziel der Klee’schen Arbeit, obgleich sie für solche praktischen Erleichterungen des Lebens durchaus empfänglich ist. Weil die Linie als Falte kritisch die Zäsuren der Dinge und Zeichen aufhebt, lässt sie sich auf die frühromantische Idee der Vollendung beziehen. Wenn, wie Benjamin schreibt „im frühromantischen Sinne […] der Mittelpunkt der Reflexion die Kunst, nicht das Ich [ist]“,400 so invertiert Klee in seiner Linie die Verhältnisse: es gibt gar 392
Prange, Das utopische Kalligramm, a.a.O., S.206. Ebd., S.207. 394 Ebd., S.208ff. 395 Ebd., S.210, Zitation: van der Velde, Die Linie ist eine Kraft. 396 Ebd., S.211. 397 Ebd., S.213. 398 Vgl. Werkmeister, Sozialgeschichte von Klees Karriere, a.a.O., S.58. 399 Ebd., S.48. 400 Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik, a.a.O., S.39. 393
II. 6. MALEREI UNTER EINSATZ DES KÖRPERS 163
keinen Mittelpunkt mehr, insofern Ichbildung und Kunstproduktion am gleichen Objekt erfolgen. Das Wechselverhältnis von Grund, Raum, Bildlichkeit und Linie, Ich und Stil erhebt sich kritisch noch gegen das frühromantische Kunstverständnis. Das ist bei Klee nicht explizit, aber bei Benjamin schon auf die Moderne gewendet, wenn dieser für die Frühromantiker behauptet: „Die Reflexion konstituiert das Absolute und sie konstituiert es als ein Medium.“401 Das Medium ist keine echte, ablösbare Dritteninstanz. Das Medium bleibt dem szenischen Ausdruck des personalisierten Bildes als dessen dämonischer Verwerfung verhaftet, ist im alten Sinne Ausdruck ohne Körper, Geist, Gespenst, Dämon, Bild für einen anderen.
Abb. 32 ∞ Paul Klee: Heroische Bogenstriche, 1938
Abb. 33 ∞ Paul Klee: Der graue und die Küste, 1938
Wenn es gilt, dass „Klee das verdrängte des neuzeitlichen Bildes an die Oberfläche treibt, indem er Bildlichkeit als Kompromissbildung zwischen Zeichen und Abbild, Fläche und Raum sichtbar und potentiell verstehbar macht“,402 dann wäre auf den Körper des Menschen im Verhältnis zur ‚Weltanschauung‘ seines Bildes zu verweisen, das er von sich als Bild gewinnt. Das Heraus- und Hereinspringen in ein Bild, die gleichsam ikonologische und existentiell-ontologische Auffassung vom Werk, verdeutlicht u.a. die Differenz der beiden Bilder Heroische Bogenstriche (1938/1) und Der graue und die Küste (1938/J5). Klee zeigt die Ikonisierung des 401 Ebd., S.37. Vgl. auch Prange, Das utopische Kalligramm, a.a.O., S.215: „Die nur der Reflexion zugängliche Aufspaltung der Linienqualität wird negiert.“ 402 Prange, Das utopische Kalligramm, a.a.O., S.215.
164 II. VOM KLEINEN ICH ZUM GROSSEN ANDEREN
Geigenbogens als Notate seiner Bewegung, Musik und Bild, grafischen und ikonografische Darstellung schlagen um. In beiden Bildern werden die Linienbögen zu Fischmäulern, das heißt zu Vexierfiguren von Wasser und Land und damit zu Grenzfiguren des imaginär-realen Übergangs. Das Medium ist die Kritik des Übergangs. Eine der als „Fischmäuler“ identifizierten Inversionsfiguren schnappt nach einer Person, dem unentschieden ‚grauen‘ Maler, der sowohl im Profil als auch in der Frontalansicht figuriert. Reflexionslogisch steht dafür Klees Eigenart der schielenden Augendarstellung. Die Reflexion blickt sich in dieser inversen Stellung selbst an. Foucaults apokalyptische Wette darauf, „daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“,403 bekommt 1938 bei Klee eine konkrete, auch begrifflich zu fassende Gestalt. Die Vexierfiguren lassen im Übrigen auch eine Bestimmung des Blattgrundes nicht mehr zu. Klee, der der Verführung des reinen Schweigens als auch des leeren Blattes nicht unterlag, sondern immer das Gesetz seiner produzierten, abgeleiteten Hygiene und abgesperrten/immunisierten Geburt durchschaute, wollte diese Produziertheit des Grundes durchleuchten. In Freuds Hemmung, Symptom und Angst „wird das weiße Blatt Papier zum Körper der Mutter, zumindest solange man mit Feder und Tinte darauf schreibt. […] Das Papier bleibt für uns im Grunde oft der Grund des Grundes, die Figur des Grundes, vor deren Hintergrund (fond) sich die Figuren und Buchstaben abheben.“404 Sartre hat dargelegt, dass die Aufhebung des Grundes sich auf zwei Weisen vollzieht: man ironisiert das Gesetz und betrachtet den anderen als ebenso besessen vom Gesetz wie man selbst, oder man gibt der Scham der Selbsterkenntnis eine Chance und hebt die Schranke zwischen Körper und Bild auf. Mit der Diagnose der Restitution des Körpers als einer Falte und Linie haben wir die Konstitution des großen Anderen übersprungen, der ja von der Verfallenheit des Körpers dispensieren soll, indem das Ich in der Gesellschaft seine zweite Geburt erlebt, dadurch dass es das Opfer der Arbeit auf sich nimmt. Der Grund des Grundes ist nun der ‚Körper der Gesellschaft‘, mit allen seinen partikularisierten, abstrakten Sach- und Dingkonnotation. Spätestens seit Lewin und Luhmann kann man den Begriff der ‚Gesellschaft‘ nicht mehr naiv verwenden. Wir müssen ihn szenisch einholen. Das heißt, hier schon müssen wir fragen, warum sich das ‚unzeitgemäße‘ Werk Klees in der Gesellschaft behauptet, die durchaus die Möglichkeit hat, es als Kinderkram oder Krankheit hinzustellen – was fallweise und dann konkret im Faschismus geschieht. Anders gefragt, wie steht es mit der Programmatik der Aussagesysteme von Kunst, Gesellschaft und Krankheit, d.h. mit ihren je fiktionalisierten Elementarhypothesen und -skansionen? Prosaisch formuliert: Wie muss Gesellschaft verfasst sein, um sich in den Bildern Klees erkennen zu können? 403 404
Foucault, Die Ordnung der Dinge, a.a.O., S.462. Derrida, Maschinen Papier, a.a.O., S.235.
165
III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
III.1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN IN DIE SZENE
Klee wächst im geborgenen Milieu der Berner Provinz in einer gebildeten Kleinbürgerfamilie im Reich der Musik auf. Wir werden an Sartres Studie über die Entdeckung der Wörter erinnert: ein kleines, etwas autistisches Kind, das in seiner Abschirmung den faszinierenden Reiz des Verführers und die Faszination eines in sich geschlossenen, von Anfang an vollständigen Menschen vereint. Die Faszination der Geschlossenheit und der Totalisierung des kleinen ‚Genies‘ bedeutet schon, den kleinen Mann mit einer theatralischen Stellung zu versehen. Der Körper ist nicht genug. Er wird zum Ort der Projektionen, die sich als gute Wünsche auf ihm absetzen. All das wird man nicht offiziell beschrieben finden, sondern aus dem Wunsch, dem Kind diese heile Welt und diesen ganzen Körper zu lassen, inszenieren. Was bleibt dem kleinen Paul übrig, als sich einen Widerstand gegen die heile Welt zu erfinden. „Genie gibt es nicht: es ist die schamhafte Kühnheit des Nichts; er, der kleine Färber, existiert und kennt seine Grenzen: als vernünftiger Kerl möchte er nur den Riss flicken.“ Und etwas vorher: „Es ist zu spät, zu zeigen, zu früh, zu erschaffen; der Maler ist in die Hölle verbannt.“405 Was Sartre in den grobschlächtigen, gleichwohl durchtriebenen Tintoretto hineinfabuliert, gilt auch für Klee: die Geburt in der Gesellschaft ist schon vollzogen, es gilt jetzt, sie sich anzueignen. Der kleine Klee ist sein eigenes Nichts, dem er seine Erfindung entgegensetzen muss: Meine Welt gegen die bereits fertige da draußen. Eingefangen in das Spiel der Zeichen und der abstrakten Ordnung der Musik, die bei Klee die Qualität des väterlichen Gesetzes hat, verdrängt im kleinen Paul nichts das Begehren, sich selbst durch einen Widerstand zu erarbeiten, den die Musik nicht bietet. Während Sartre schreibt, „die Sätze leisteten mir genauso Widerstand wie die Dinge“,406 hören wir so etwas vom kleinen Paul nicht. Er genießt die Musik, aber er genießt sie nicht als Gabe, sondern als Widerstandslosigkeit. Denn der Vater ist schwach. Doch im musikalischen Genuss muss der Widerstand schon angelegt 405 406
Sartre, Tintoretto, a.a.O., S.266 und S.265. Sartre, Die Wörter, a.a.O., S.29.
166 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
sein und zwar in einer Revolte gegen die Flüchtigkeit der musikalischen Zeit, dem Verlangen, ihr ein Bild/Gedächtnis abzutrotzen. Die ‚Bildlichkeit‘ ist zweifellos ihre saturnalische Chronosphäre, die der aufeinander bezogenen Töne und Akkorde, ihr inniger Kontakt mit der mathematischen Logik. Die Musik, das ist das Maß, das davor zurückschreckt, Sein zu sein. „Ausgehend von der Einsicht, daß ‚Zeit‘ im Rahmen der Naturwissenschaften keine eigene Entität wie etwa die Erde oder deren Gravitationsfeld ist, sondern nur eine ökonomische Sprechweise für den Vergleich von Ereignissen“,407 setzt Klee die musikologische Zeit in Szene. Die Einflüsse, die sich kulturtechnisch und -historisch geltend machen, sind der Medienzirkus des ausgehenden 19. Jahrhunderts: die Geste, das Theater, die Maske, das Spiel, schließlich die Welt der Oper – alle diese performativen Ereignisse werden zum ersten Mal nachvollziehbar. Zeit lässt sich im Phonografen wie im Kinematografen archivieren. Dagegen das Bild: Es ist Bauplan, Blaupause oder Landkarte, es zeigt Gleichzeitigkeiten. Die Transformation ins Bild macht Sinn: der musikalischen Phantasie einer pietistischen Welt ist eine Markierung zu geben, die dem sich entwickelnden Ich Substanz verleiht: die Ordnung der Musik wird in Bildlichkeit umprogrammiert: entweder wird sie thematisch, wie bei Strauss, oder motivisch, wie bei Wagner. Wieweit Klee wissentlich das Amalgam aus idealistischer Philosophie und überheblicher Wissenschaftlichkeit durchschaut, zeigt sich 40 Jahre später am eigenen Sohn, Felix Klee, dem Paul von der Malerei abrät und über die Schule des Bauhauses (Felix war 14-jährig der jüngste Schüler) eine Karriere als Dramaturg eröffnet. Als Maler hätte Felix stets im Schatten der Linie von Paul gestanden: Von der Malerei zur Inszenierung: das heißt, den Widerstand in den Grund zu verlagern, aus dem er kommt, dem hysterischen Körper, dem Körper als Aussage für einen anderen, der Rhythmisierung, der Geste. Doch nichts unterscheidet das kleinbürgerliche Theater Klees von dem Theater aller anderen. Es gibt keine Zeugnisse, die auf eine Besonderheit Klees schließen lassen. Also wird man sich auf die Sachen stürzen, die das Leben des jungen Paul stabilisieren. „Es handelt sich um die Übertragung der gesellschaftlichen Kontrolle auf den Bereich des Irreduziblen“,408 sagt Sartre. Nur eine unscheinbare Schuld oder eher Verpflichtung gegenüber der väterlichen und mütterlichen Gabe und gegen die oft von Klee berichtete Willenlosigkeit des Vaters, so als sehe er in ihm, den willenlos Empfangenden, Instrument einer musikalischen Dynastie. Der Ruf der Musik hält die schöne Pyramide des Wohlklangs der Berner Gemeinschaft zusammen, kommt aber zunächst nicht zu Sprache. Man spielt Musik. Die „Totalisierung durch die Zeichen“,409 das musikalisch Mathematische ist es, was Klee einerseits auf 407 Peter Janisch: Die Protophysik der Zeit. Konstruktive Begründung und Geschichte der Zeitmessung.
Frankfurt am Main 1980, S.189. Baudrillard, Fetischismus und Ideologie, a.a.O., S.332. 409 Ebd., S.333. 408
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 167
professionell routinierte Distanz zur Musik bringt. Hier gibt es keine Probleme, die der Aufzeichnung im Tagebuch würdig sind, weil Klee seine Fähigkeit zu hören und zu spielen sehr kritisch bewertet. Es ist die Kritik eines Fachmannes. Andererseits lässt sich die Verdeckung der Gaben- und Opfersituation im Reich der tönenden Zeichen nicht länger kaschieren. Die Musik nimmt, was sie gibt. Sie ist Herr (respektive natürlich Mutterkörper) im Hause der Klees. Malerei ist also das würdige Instrument eines erfundenen Widerstands, einer Gegengabe und Bannung der vom Vater willenlos ererbten Gabe, Musik dagegen ist geradezu inzestuös. Das Zeichnen/ die Malerei trägt bei Klee von Anfang an die Idee der Genesis des Ichs. Die Linie ist Zeugung und ein Zeugnis der Person Paul Klee. In dieser Zeugenschaft fehlt noch ein schwankendes Drittes: die Farbe, genauer, das ‚entschieden Malerische‘. Soweit es die Auskünfte der Briefe und Tagebuchaufzeichnungen zulassen, erkennen wir, dass die Hinwendung zur Malerei über die Zeichenkunst durch die Mutter protegiert wird. Aber auch hier legt der Vater dem kleinen Paul keine Steine in den Weg. Das aber rechtfertigt, von ‚Erfindung‘ zu sprechen: Der kleine Paul ist fasziniert von dem, was sein Körper hervorzaubert, ohne dass er es mit dem Recht der Arbeit erwirbt: die frühe Faszination der Phantasie – die Sache in mir, die ungefragt gibt –, davon zeugt allerdings eine Reihe von Spuren im Werk und den Aufzeichnungen – ihr will er sich opfern. Nicht seinerseits darf das Bild einen konsumierenden Betrachter zum Opfer seines Blicks machen. Das Bild muss den Widerstand thematisieren. An Klees früher Übung in der Landschaftsmalerei ist dieser Widerstand nicht zu bemerken. Die Brechung der Repräsentation des Bildwerkes und der Opfervorbehalt geschehen erst später, in der Kristallisation eines Stils, der das visuelle Werk von seiner Erkenntnisebene trennt. Die Erscheinung des Bildwerkes bleibt bei Klee deswegen auf eine konventionelle, manchmal sogar altmeisterliche, patinierte kleinformatige Ausführung beschränkt, die den Status einer Konzeptskizze hat und manchmal, aus Höflichkeit oder Verkaufsinteresse, auch in einem mittelformatigen Ölgemälde ausgeführt wird. Mit gleichem Staunen für die Unabschließbarkeit der Gestalt steht Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen vor dem Phänomen der Vexierfiguren. Ihre Logik, der Wittgenstein lange und intensiv in seinem Werk nachgeht, erschließt sich über eine allmählich durch die neuen Wahrnehmungstechniken übertragbar gemachten Erkenntnisbesetzungen, die dann von den Künstlern der Moderne, Klee, Escher und vor allem auch Dali aufgegriffen werden. Die paradoxe Figur des Vexier- oder Inversionsbildes ist das Objekt, aufgrund dessen der Beobachter die Aktivität des Blicks und die Formationen des Bildes als physiologische Unabschließbarkeit vergegenwärtigen kann. Es demonstriert die irreduzible Psychologik und schafft ein semiologisches Wissen von der Unterscheidung Wahrnehmen-Erkennen. Die Ebene der Bildlichkeit ist gleichsam gegen das Bild
168 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
um 90 Grad gedreht. Das Vexierbild ist eine Membran, die das Erkennen von Wahrnehmung ermöglicht – es bildet die bivalente Grundtendenz der Linie Klees. Die Ansicht des kleinen Paul scheint uns nur zu verständlich: Alle Bilder sind im Sinne der ursprünglichen Musik, der Imaginationen Inversionsbilder, aber nicht, weil sie als solche bestimmt werden, sondern weil das Werden das ist, was Ich aus ihnen mache und Ich werde, was sie auch mir machen. Es findet eine gegenseitige Semantisierung von Bild und Körper statt. Im Inversionsbild sollen die Dinge quasi ohne Schuld nicht im Bild, sondern im Betrachter entstehen. Denn es ist offensichtlich, dass diese Werke Maschinen sind, deren Bedeutung etwas ist, was ich ihnen verleihen muss, damit sie zu Bildern werden. Wie wäre es, wenn sich der kleine Paul der Erfindung dieser szenischen Maschinen, der Erfindung dieser Widerständigkeiten widmen würde? Das Schema, das er hier entdeckt, füllt sich jedoch nicht mit zwei bestimmten Bedeutungen, wie das in der strengen Vexierung festgelegt ist, sondern mit möglichen Bedeutungen. Zwischen Gestalt und Form und zwischen den Linien als Gruppierungen schafft Klee eine offene Szene, eine Szene als Offenheit. Denn seinerseits muss der Betrachter nun auch den Rahmen des Bildes als Raum der Bildlichkeit abschreiten. Zu dieser Entgrenzung des Bildes dient die Bildunterschrift. Ihre spezifische Funktion ist die eines ästhetischen ‚Leiturteils‘ im Möglichkeitsraum der Kunst. Die Bildunterschrift setzt Klee exemplarisch in Betrachtung seiner eigenen Werke. Klee bestimmt, so haben wir gehört, seine Bildtitel erst in nachträglicher Betrachtung. „[…] es stellt sich heraus, dass sie, die Analytik des Urteils es ist, die, in ihrem Rahmen, erlaubt, das Formalitätsersuchen, den Gegensatz des Formalen und Materiellen, des Reinen und Unreinen, des Eigentlichen und Uneigentlichen, des Innen und Außen zu bestimmen. […] Ein Rahmen ist im wesentlichen zusammengesetzt und deshalb zerbrechlich, das ist das Wesen oder die Wahrheit des Rahmens.“410 Der kleine Paul hört den Bildern mehr zu, als dass er sie sieht, und wenn er sie sieht, dann erkennt er in ihnen etwas anderes als das, was die Konvention vorgibt. Das ‚Leiturteil‘ ist auch eine Verführung zum Widerspruch, das den Betrachter auffordert, dem Bild kritisch gegenüber zu stehen, also auf seine Stimme/Urteil zu hören, denn das Urteil muss vom eigenen Anderen aus gesprochen werden, um als solches Geltung zu erlangen. Den Bildern zuzuhören, das ist nichts Außergewöhnliches bei einem Kind. Außergewöhnlich aber, dass Klee uns davon in seinem Tagebuch an einigen, wenigen Stellen teilhaben lässt, so dass es wahrscheinlich ist, dass er sie später als bedeutsam reflektiert hat. In der inszenierten Ordnung des Tagebuchs sind diese Hinweise strategisch platziert. Sie scheinen für die Attitüde des in sich geschlossenen, monadischen Körpers, der seine Aufgeschlossenheit durch die Unabschließbarkeit, also die Unvollständigkeit 410
Derrida, Die Wahrheit der Malerei, a.a.O., S.94.
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 169
seiner selbst signalisiert, geradezu provoziert. Im Näheren handelt es sich um Hinweise auf hypnagogische Fähigkeiten (freie, nicht duale Gestaltbildungen). Wir wollen kurz auf diese strategischen Winke Klees eingehen, bevor wir uns auf der anderen Seite der philosophischen Intention des frühen und des späten Wittgenstein in der Frage der Abschließbarkeit der Logik und des Wissens widmen, die stets eine Frage der elementaren, eindeutigen Bedeutung der logischen Zeichenfunktion und der Grundlage der Zahl im Verhältnis zu ihrer Erscheinung ist. Hinter diesen beiden Modellen – der exakten, sich abschließenden Wissenschaft vor Planck und Boltzmann, der Eineindeutigkeit der Zahl – und der künstlerischen Inversion als Zweideutigkeit verbirgt sich die mehrdeutige Dramatik des Signifikantentheaters: die Bestimmung dessen, was ich (als meine innere Stimme) bin: ein Mensch in der Gesellschaft von Menschen. Es ist also mit gutem Grund anzunehmen, dass die kriselnde Beziehung des kleinen Paul zur Mathematik in der Schule eine Angst vor eindeutiger Bestimmung ist. Der Hintergrund dieser tiefgreifenden, intellektuellen Krise liegt in dem um 1890 um sich greifenden Gefühl der endgültigen Abschließung der Wissenschaften, die Galilei, Descartes, Kepler und Newton begründet und im Wesentlichen auf visuellen, optischen und mechanischen Paradigmen aufgebaut haben. Es galt nur noch einige Stellschrauben in der Bestimmung des Mediums des Lichts und der molekularen Bewegung zu justieren und die irregulären Maxwell’schen Gesetzmäßigkeiten zu disziplinieren: Arbeiten, die von Max Planck und Ludwig Boltzmann durchgeführt werden, dann aber zu ganz anderen als abschließenden Ergebnissen führen. Bezeichnenderweise waren es die eigentlich neutralen Medialitäten selbst, das Licht als Träger der Sichtbarkeit, der Raum als konstante Leere, die nun geisterhaft zu spuken begannen. Die positivistische Behauptung, mit der Einbeziehung gewisser durch Maxwell erfolgter Operatoren könne auch bald das letzte mechanistisch gedachte Problem (das des elektro-magnetischen Übergangs) zumindest der Physik gelöst werden, verband sich allerdings auch mit dem klammen Gefühl einer Frage des ‚Danach‘ der Wissenschaft: folgt nach ihrer Vollendung nur noch ihre technischingenieursmäßige Durchgestaltung? Offensichtlich war die Abschließung zugleich auch ein Todesurteil für das Subjekt: Man muss den Fortschritt wollen, aber man darf ihn nicht zum Ziel führen. Diese teleologisch begründete Angst beschleicht also den kleinen Paul. Also gilt es auch aus der Musik auszubrechen. Wir haben in unserer Argumentation noch eine Rechnung offen: Sie betrifft das Verhältnis von Design und Mathematik in ihrer ganzen gesellschaftlichen Produktionstherapeutik. Die Idee der Vollständigkeit und der Abschließbarkeit gerät ganz konkret in der ziemlich bornierten Frage Freges nach der philosophischen Bedeutung des Begriffs ‚Eins‘ in Konfusion. Offensichtlich muss das Bild der Zahl Eins in eine ontologische Rahmung gesetzt werden, die durch die Zahl selbst nicht beschrieben werden kann, so die Rache der Ontologie, die von Aristoteles her die
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Einheit(en) des Seins als Anwesenheit denkt. Die Frage „Was ist die Zahl Eins?“ ist eine ontologische, keine mathematische. Die physische Anwesenheit einer Zahl kann nicht als solche gedacht werden. Wir stoßen hier direkt in das Zentrum jener von Klee in Wege des Naturstudiums gemachten ‚Weltanschauung‘ vor, vor deren technischer Abschließungsdrohung Heidegger so eindringlich warnt. Dabei ist es je schon das partialisierte technische Objekt, das die Kontingenz der Ontologien mit der Frage verknüpft, die sicher Frege noch im Blick hatte: Die Frage nach der Bestimmung der Zahl Eins kann nur gelöst werden, wenn die Bestimmung der ontischen Stellung eines einzelnen Menschen (innerhalb der Gesellschaft der Menschen) möglich war. Anders ausgedrückt: Die je gegenwärtige Problemneigung von Mathematik ist die Darstellung einer idealen, demokratischen (weil reversiblen), universalisierten Gesellschaft.411 Aber diese demokratische Bildung der Gesellschaft nach den Regeln der Mathematik (ein Mensch, eine Stimme) erweist sich als prekär, wenn man sie wirklich ernst nimmt: eine Gesellschaft, ein Führer. Das Funktionieren der Demokratie hängt also davon ab, in welcher Weise die Wissenschaft sich in vorläufiger Technik diszipliniert und im Design dem Menschen andient. Günter Figal hat in der fundamentalontologischen Wende des frühen Heidegger das Grundproblem dieser ontosemiologischen Differenz präzisiert: Bei aller Kritik an Aristoteles bleibt Heidegger auch hier in den von Aristoteles vorgegebenen Bahnen. Der „Seinscharakter“ des faktischen Lebens soll, mit Aristoteles gesagt, das „Eine“ sein, auf das hin die vielfältigen Möglichkeiten, das Seiende auszusagen, ausgesagt werden. Doch Heidegger nimmt den aristotelischen Gedanken auf, um Aristoteles zu überbieten: Die Frage nach dem Einen, das für die vielfältige Verwendung des Ausdrucks „seiend“ leitend ist, zielt nicht mehr nur auf das in der Sprache manifeste Seinsverständnis. Die Frage ist darüber hinaus für verschiedene philosophisch ausgearbeitete Ontologien von Bedeutung. Die Ontologie des faktischen Lebens soll mehr als nur Ontologie sein; von Anfang an ist sie als Ontologie der Ontologien oder, wie es dann in Sein und Zeit heißt, als „Fundamentalontologie“ konzipiert.412
Ich wähle nicht das Zitat, das Klee auf den 5.3.1898 datiert und das seine Beziehung zur Musik auf einen kurzen Nenner bringt: „Ich sang sogar und wünschte mir eine 411 Vgl. Ralf Bohn, Zahl, Zeichen, Zeit ..., a.a.O. Im Engeren hat Bruno Latour diese These der Interdependenz zwischen Naturwissenschaften und Gesellschaft in Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005 diskutiert. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass jede Gesellschaftsform ihre eigene Mathematik hat, dass aber die Diskussion und Darstellung mathematischer Probleme durchaus etwas mit dem Organisationsgrad und -stand der Beziehung der Subjekte untereinander zu tun hat und in welcher Weise sie ihre teleologischen und epistemologischen Projekte zu objektivieren versuchen. Bense hat dafür das Wort vom „Stil in der Mathematik“ geprägt. Für die Physik gilt dabei, dass gegenwärtig jede große Vereinigungstheorie im Grunde noch ein theologisches Ideologem darstellt, unter welchem technische Experimente theoretische Möglichkeiten realisieren, die wiederum aber erst einmal sozial kreditiert, also mit Forschungsgeldern und institutionellen Mitteln unterstützt werden müssen, man denke nur an den Forschungsetat des Genfer CERN. Jedenfalls ließe sich mit der ‚großen Vereinigung‘ ein opferloser Tausch von Masse und Energie projektieren – zumindest theoretisch. 412 Günter Figal: Heidegger als Aristoteliker. In: Heidegger und Aristoteles. Heidegger Jahrbuch 3, Freiburg/München 2007, S.65.
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 171
Stimme als Brücke zur Musik.“413 Die Aussage bezieht sich zu deutlich auf die Differenz von Ruf (instrumenteller Musik) und Stimme (Gesang). Der Gesang, es sei denn, er erfolgt als Chorus, ist nicht der Ruf. Aber hat Klee mit der Stimme den Ruf gemeint, der ja gerade nicht zur Sprache kommt – auch wenn wir wissen, dass er seine Tagebucheintragungen später mit literarischem Engagement schrieb und aufbereitete? Das scheint zu konstruiert. Ich wähle auch nicht die Darstellungen der mathematischen Schwächen, die dem Schüler Klee doch zu schaffen machen – woraus folgt, dass seine Beziehung zur Abstraktion sehr gering ausgeprägt ist und vielleicht alles, was abstrakt erscheint, nur elementar genannt werden muss – was ihm die Krise der abgeschlossenen, väterlichen Welt vor Augen geführt hätte. Ich wähle ein etwas unverfänglicheres Zitat, das mit der Hypothese zusammenhängt, Klee habe mit der Figur-Grund-Konstellation Inversionsprobleme ausgemacht, die es ihm erlaubten, die Gewalt einer jeden Elementarhypothese zu umgehen.414 Allerdings ist der Preis für die Aufgabe der Elementarität ein gleitend monadischer Analogiezauber, der als Widerstreit der Vexation ebenso wenig entschieden werden kann wie das Paradoxon des lügenden Kreters. Ich wähle folgende szenische Beschreibung Klees: „Böse Geister, die ich zeichnete (drei bis vier Jahre) bekommen plötzlich wirkliche Gestalt. Ich suchte Schutz bei der Mutter und klagte ihr, die Teufelchen guckten zum Fenster herein (vier Jahre).“415 Man stelle sich diesen naiven Realismus vor: Gezeichnete Geister – ein Widerspruch – Zeichnen selbst ist geisterhafte Tätigkeit. Der kleine Paul weiß noch nicht, woher das Zeichnen kommt. Und da man es nicht weiß, sind die Geister böse, weil sie sich der Frage nach ihrem Ursprung widersetzen. Dann macht sich das auf dem Papier halluzinierte plötzlich selbständig, denn wenn es über seinen Ursprung verfügt, warum dann nicht auch über das Leben? Der Ausweg aus dieser infantilen Nervosität, die nichts Auffälliges hat: Regression in die Mütterlichkeit, die dunkle, bilderlose Bauchhöhle. Statt aber hier Schutz zu finden, tauchen die Gespenster plötzlich aus dem Jenseits der fensterlosen Schutzhülle wieder auf, nämlich in der Einbildungskraft des kleinen Paul, eines Fremden in mir, gleichwohl aber nach außen projiziert wird. Das alles ist dem kleinen Paul wie jedem Kind unheimlich: sollte irgendetwas von ihm Besitz ergriffen haben? Diese Disposition des Unheimlichen und Phantastischen, des ganz Anderen in mir, das die Stimme ist, bleibt Klees ursprünglicher Widerstand sowohl in als auch vor der Malerei. Der kleine Paul malt nicht Dinge der Außenwelt ab. Durch den Stift hindurch fließen die Bilder vielmehr bruchlos in die Welt, und je mehr sie fließen, umso stärker wird der Wunsch, diesen Fluss zu begrenzen, Malerei als Widerstand zu situieren und dann: sie an der Körpergrenze selbst aufzuhalten. 413
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 57, S.28. Piaget/Inhelder, Die Psychologie des Kindes, a.a.O., S.66. 415 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 10, S.16 414 Vgl.
172 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Das Kind versetzt sich in die Dinglichkeit hinein: Ist denn auch der Wald der Dinge durch eine solche innere, gespenstische Kraft beherrscht? Könnte man ihre Stimme hören? In unserem Fall handelt es sich darum, dass der kleine Paul ein inzestuöses Begehren nach der Mutter als das Begehren aller Dinge ansieht, bei der Mutter Schutz zu suchen. In Wirklichkeit trennt mich von den Dingen nur die Tatsache, dass diese immobil sind: aber siehe, auch das ist nur scheinbar, denn die Maschinen, die man aufzieht, die Garnrolle, die man hinter sich herzieht, alle diese Dinge sind der Bewegung fähig. Und weil sie ein Bild von sich abgeben, weil sie produziert sind, müssen sie durch ein geheimes Begehren nach ihrer Mutter geleitet sein, das in ihrem Inneren waltet und nach außen drängt. Dadurch, dass auch die Dinge geboren werden, werden sie dem kleinen Paul menschlich. Wer wagt ihm zu widersprechen und zu behaupten, die Dinge seien unbedingt? Nur ich selbst, so der kleine Paul in seinen Gedanken, weiß nicht, wer sich durch mich hindurch ausdrückt. Aber die Dinge wissen es hohnlachend. Es ist ihre Natur, sich vom Ursprung emanzipieren zu können. Diese spielerisch gestellten ontologischen Fragen untersucht jedes Kind mit dem Ziel, einen Ursprung und einen kausalen Zusammenhang zu finden, der es ihm ermöglicht, sich als Herr über die Natur der Dinge (und der Stimme) aufzuschwingen. Auch wenn Klee uns nicht den Gefallen schenkt, die Geschichte durch einen ‚Abgesang‘ aufzulösen, also die Gespenster in einem anderen Sinn zu bannen als in dem der Vision, so ist doch ihre Aufnahme ins Tagebuch ein Indiz dafür, dass er sich seine, zum Zeitpunkt der Notation bestehende Not vor Augen führt. Auch der Abschnitt 16 des Tagebuchs spricht noch von dieser Inversion: „Im Traum überfielen mich oft Vaganten. Ich wusste mir aber stets dadurch zu helfen, daß ich vorgab, selber ein Vagant zu sein. Das half bei den Kollegen stets (etwa sieben Jahre).“416 Hier ist der Vagant (Vagabund) eine Allegorie der Unentschiedenheit, der Diffusion ins Formlose. Dem Überfall des Traums wird das funktionale Bild des Überfalls in Persona zugeordnet. Die Lösung: selber Vagant sein; heißt, von außen eine Bestätigung seines Vagantentums zu erhalten; Identifikation mit dem Aggressor, um ihm keinen Widerstand zu bieten. Das gelingt dem kleinen Paul durch ein Bekenntnis, müsste aber noch besser dokumentiert werden. Ein Zeugnis des Vagantentums wäre eine Urkunde, ein unterschriebenes Dokument, eine Unterzeichnung, die wir oben eine Handschrift, eine Bildunterschrift nannten. Sie fehlt hier, wie die Musik in dem Zitat über die Gespenster. Ein Vagant mit einem Ausweis wäre zumal auch keiner mehr. Im Alter von neun Jahren bricht dann die Lösung hervor. Nachdem Klee einige Male auf seine ersten zeichnerischen Versuche eingegangen ist, hält er in der Tagebucheintragung 27 folgende Lösung der hypnagogischen Überfälle fest, die das 416
Ebd., Nr. 16, S.17.
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 173
noch unausgebildete Ich und die Realitätsverhältnisse stabilisieren. Er nennt diese Lösung bizarr und meint damit einen Fetischismus, mit dem es gelingt, ohne den Umweg über ein kollektiviertes Zeichenverhältnis einen inneren Ausdruck zu bannen und zugleich aufzuheben. Die Aufhebung/Aufbewahrung geschieht wie folgt: Im Restaurant meines Onkels, des dicksten Mannes der Schweiz, standen Tische mit geschliffenen Marmorplatten, auf deren Oberfläche ein Gewirr von Versteinerungsquerschnitten zu sehen war. Aus diesem Labyrinth von Linien konnte man menschliche Grotesken herausfinden und mit dem Bleistift festhalten. Darauf war ich versessen, mein „Hang zum Bizarren“ dokumentierte sich (neun Jahre).417
Ohne besondere Absicht bezeichnet Klee nicht nur die Bannung der Grotesken, die in die Realität eindringen, und zwar als versteinerte Dinge (Echo gegen Narziss!) – was ganz deutlich die Absicht erklärt, sie wieder lebendig werden zu lassen, und zwar als gebannte, nicht als Sachen, die den kleinen Paul überfallen. Das heißt, die versteinerten Dinge müssen gewissen methodischen Ritualen unterworfen werden. Hier handelt es sich um das Ritual, Querschnitte als Profile in, wenn auch bizarre, Ansichten zu transformieren. Punkte werden zu Linien umgebildet, ja, wir haben es oben gesagt, Punkte sind nur Linien mit Draufsicht, denen man im Profil begegnen muss, um sie aus der Starre in eine Bewegung zu überführen. Das haben wir an den späteren Bildern Klees bemerkt. Es gibt eine besondere Technik, die dem Kubismus entstammt, so die Ansicht von Regine Prange, 418 Profile über die Erstarrung des Kristallinen419 – Marmor ist kristalliner Kalk – in Ansichten zu verwandeln. Doch der kunsthistorische Verweis auf den Kubismus macht nur Sinn, wenn die Formel des Kubismus selbst, Schnittflächen simultan zu zeigen, als Umorganisation von Gestalt in Richtung auf ihre simultane Wahrnehmung gedacht wird. Das heißt aber, die durch die Kinetik des Blicks und die menschliche Bewegung gegebene Synthese des Wissens – etwa das Umschreiten einer Skulptur im Museum – als Realisierung gleichsam physiologisch rückwärts zu durchschreiten. Im Nachzeichnen der bizarren Figuren wird sowohl die Bewegung als auch die Reversion möglich, weil der Gegenstand sich als profilierter, gespaltener im Zustand der Elementarität anbietet. Der kleine Paul Klee bemerkt: Zeichnen ist eine Technik, mittels derer man die innere Stimme (Querschnitt) der versteinerten Dinge lebendig machen kann. Zugleich zeigt es in barocker Manier, wie ein Subjekt aus verschiedenen Sichtweisen zusam417
Ebd., Nr. 27, S.20. Prange, Das utopische Kalligramm, a.a.O., S.216. 419 Ebd., S.210 und Richard Hoppe-Sailer: Pflanze und Stein. Zum Metamorphosebegriff bei Paul Klee und Joseph Beuys. In: Paul Klee trifft Joseph Beuys, a.a.O., S.90ff. 418
174 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
mengesetzt sein kann und dass ihm das Sehen zu seiner Qualifikation nicht genügt. Das Sehen, als ein Ausfluss des Körpers, muss manisch und manuell in den Griff zu bekommen sein. An dieser sezierenden Schnitttechnik versucht sich Klee, typisch dafür die asymmetrische Frontalität der Gesichtsorgane, etwa in dieser Kopf versteht die Gleichung nicht (1939).
Abb. 34 ∞ Paul Klee: dieser Kopf versteht die Gleichung nicht, 1939
Klee erlöst die Gestalten aus der Gewalt ihrer Gestaltbindung. „Die gute Gestalt ist ein Zufallstreffer, der in sich zu brechen nicht umhinkommt. Einzige Chance dagegen, den Augenblick des Zutreffens und des Nichtbruchs zu hypostasieren: so die dubiose Leistung der Gestalttheorie. Der gestaltkonstitutive Hypostasierungsvorgang nämlich kann nicht nicht Gewaltanwendung sein – man kennt ja hoffentlich zur genüge die Faschismusdurchdringung der Gestaltlehre.“420 Neben diesem Hinweis auf das, was der Hysterisierung, dem unabschließbaren Abschließungswillen, politisch folgt, bliebe noch der Profilschock zu bestimmen. Er besteht darin, dass Klee seine Bilder nicht in eintauschbare Bedeutungen einklagen kann, denn in ihnen bleibt die Semiose in der Schwebe: Klee gibt das organischosmotische vor, um dann, wie am Tisch des Onkels, seine feinen Linien durchzupausen. Wer auch immer sie auf eine bestimmte Konstellation von Zeichen festlegt, der tut das nicht mehr im Namen Klees, sondern in seinem eigenen Namen, enteignet also die Freiheit in eine „Freiheit-für-mich“, wie jemand, der die Sternbilder mit Namen belegt und von da an gezwungen ist, sie in diesen Namen zu erkennen. Klees Grotesken der Bannung geben auch noch einen Hinweis auf die Klang420
Rudolf Heinz: Oedipus complex. Zur Genealogie von Gedächtnis. Wien 1991, 116f.
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 175
dimension. Sie betrifft den Akt der Lektüre, das „Herausfinden“ der Gestaltbezüge aus dem Marmorlabyrinth. Der Ariadnefaden aus diesem Labyrinth ist ein Erlesen des „Terrors der Unsichtbarkeit“ ins kontinuierliche Hören. Wie das Lesen von Buchstaben darauf hinausläuft, den „die Unsichtbarkeit besetzenden Ursprung[] der Sicht“421 einzuklagen, mithin aus den Bildern Stimmen abzuleiten, so thematisiert die offene Linie die Stimme als Bannung der Ursprungskategorie. Jetzt beginnen die Erfindungen: der kaum gebannte Ursprung des Werdens zeigt sich in Klees Bildwelten. Rudolf Heinz scheint in mythogenetischer Hinsicht einem Organdefekt auf der Spur zu sein: „mangelhafte[] Koordinierung von Hören und Sehen“.422 Als Form der kleinen Paranoia, die solche halluzinatorischen Nachzeichnungen begleiten, wird man diesen Aspekt bei Klee keinesfalls als pathologisch bewerten dürfen. Die pathologische Dimension ist aber in dem Moment sehr nahe, in dem der Ausfluss der Bilder inflationär wird, d.h. der gesellschaftliche Widerstand in ein gesellschaftliches Erfordernis verwandelt wird. Wenn sich ein solch produktiver Charakter wie Klee statt in die Musik ins Reich der Zeichnung verliebt, heißt es, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, die moderne Kunst sei eine Erfindung einiger weniger Künstlergenies. Die moderne Kunst ist Symptom und Auszeichnung unmittelbarer Reaktion auf die Veränderung der gesellschaftlichen Produktion als Produktion von Gesellschaft (Communitas). Es wäre keine weit hergeholte These, zu behaupten, der Organdefekt sei in der paradoxalen Differenz von Produktionsmaximierung bei gleichzeitigem Konsumationsverbot zu finden. Es geht, post festum gerade in der Postmoderne von Fontana über Pollock, Wols bis Twombly,423 erst recht in der modernen Performance-Kunst, um den Durchstich der Leinwand namens Körperhülle, um zu zeigen, dass es kein Außen gibt, dass die Welt sich ihre Widerstände und Faltungen selbst zu schaffen hat, die sie vor ihrer vollständigen Sinnlehre und Implosion bewahren. In dieser Hinsicht hat Panofsky angemerkt, dass es dem Barock unmöglich war, die glatten Wandfassaden der frühen Renaissance zu ertragen.424 Dem Menschen im Gefolge von Adolf Loos 421
Ebd., 31. Ebd., 85. 423 Dobbe macht die Tendenz der Befreiung der Linie nach der Befreiung der Farbe im historischen Überblick seit der Querelle des Anciens et des Modernes einsichtig: „Dabei konnte deutlich werden, daß die Errungenschaften der Moderne – die Befreiung der Linie von den Aufgaben der Formumschreibung und Gegenstandsbezeichnung, die Autonomisierung der Zeichnung als selbständiges Element der Malerei, die Neudefinition der Linie als bewegter, spontaner, offener Strich, die Freisetzung des Gestischen im Sinne der informellen Abstraktion – für beide Maler, für Pollock wie für Twombly, verbindlich sind.“ Dobbe, Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes, a.a.O., S.242f. 424 Erwin Panofksy: Was ist Barock? Hamburg, 2005, S.95. „Zusammenfassend gesagt ist der Barock nicht der Niedergang, geschweige denn das Ende dessen, was wir das Renaissancezeitalter nennen. In Wirklichkeit ist er der zweite große Höhepunkt dieser Epoche und gleichzeitig der Beginn eines vierten Zeitalters, das ‚Moderne‘ – mit großem M – genannt werden kann. Er ist die einzige Phase 422
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und den Reinigungsriten des Bauhauses wird das umstandslos zugemutet – ein Indiz für die Disziplinierung der Phantasie und ihre Konzentrierung auf die apparativen Waren- und Mediengaben, die das Bauhaus gleichfalls protegiert: Erst erlöst man die Architektur von Pomp und Zierrat, dann schleust man die Dinge in Form von Möblierung und Fetischware wieder ein und opfert sie so im gleichen Moment in dem man sie befreit. Man wüsste jetzt nur zu gerne, worauf die unscheinbare Abweichung Klee’scher Individualität beruht, die so drängende Produktionsenergien zu bannen vermag. Sind es tatsächlich nur die oszillierenden Inversionen und Vexationen – Figurationen, die dem Narzissmus ein gewisses zirkuläres szenisches Spiel erlauben? Walter Benjamin hat in einer kleinen Miszelle eine Antwort auf die Frage nach der Entwicklung der Geschichte der Marmorplatte vom „dicksten Mann der Schweiz“ gegeben, die keineswegs zufällig die Marmorierung solcher Tischplatten in Restaurants enthüllt. Listigerweise ist nämlich das Lesen mit dem Essen verwandt. Was dem kleinen Paul im „Restaurant seines Onkels“ zustößt, dass passiert dem exilierten Benjamin in einem Pariser Bistro beim Frühstückskaffee. Und was nimmst du mit diesem Kaffee nicht alles zu dir: den ganzen Morgen, den Morgen von diesem Tag und manchmal auch den verlorenen des Lebens. Hättest du als Kind an diesem Tische gesessen, wieviele Schiffe wären nicht über das Eismeer der Marmorplatte gezogen. Du hättest gewußt, wie es auf dem Marmara-Meere aussieht. Den Blick auf einen Eisberg oder ein Segel hättest du einen Schluck für den Vater und für den Onkel und einen für den Bruder genommen. Wie schnell und hygienisch geht es zu: du trinkst; du tunkst nicht, du brockst nicht ein. Verschlafen greifst du nach der Madeleine im Brotkorb, brichst sie und merkst nicht einmal, wie es dich traurig macht, sie nicht teilen zu können.“425
Die gleiche Szene wie bei Klee. Hier führt sie zum Resümee der Aufhebung im dreifachen Hegel’schen Wortsinne. Die anale Hypnagogie, die umherschweifende Phantasie wird im Tausch gegen Schnelligkeit und Hygiene zur Entdeckung trauriger Einsamkeit. Das ‚Aufgehobene‘ als nachahmendes Erleben wird zum Rest einer ökonomisierten Wiederholung – statt Umarbeitung im Gedächtnis – entwertet und sozial gesichert. Empfindung von Einsamkeit ist der Preis, den man für die hygienisierte Phantasie eines ungelebten Lebens zahlen muss. Man wird an den Film von Buñuel, Der diskrete Charme der Bourgeoisie, erinnert, in der eine Gruppe saturierter Großbürger sich niemals zum Essen treffen kann, weil der Film (der Regisseur/ Buñuel selbst) einen nichtigen Grund zum Anlass nimmt, die intendierte Absicht zu verhindern und das Telos der Bilder zu brechen. Sichtbarkeit statt Verköstigung. der Renaissancekultur, in der diese Kultur ihre inneren Widersprüche überwand, nicht indem sie sie einfach ausglättete (wie es das klassische Cinquecento tat), sondern indem sie sie bewusst erfasste und in eine subjektiv emotionale Energie umwandelte, mit allen Konsequenzen dieser Subjektivierung.“ 425 Walter Benjamin: Denkbilder. GS IV, Frankfurt am Main 1980, S.375f.
III. 1. DIE PRIMÄRE DISPOSITION: DAS AUSFLIESSEN 177
Eine sehr subtile Anklage auf den Fraß der Bilder.426 Auf Schrift hin gesagt; wird Schrift nicht gelesen, so schafft sich Schrift darin selber, abgedriftet in die Immunität der reinen Ideen hinein, ab. Lektüre, Lesen, Auflesen, Ernten, Verzehren ist nämlich nichts anderes als die Vernichtung des Sichtlichkeitskriteriums an Schrift zugunsten der (Wieder)Entnahme des Sprechens/Hörens darin als des die Unsichtbarkeit besetzenden Ursprungs der Sicht. Lektüre eo ipso demnach Stimmenhören, Transit des Terrors der Unsichtbarkeit ins Sprechen/Hören hinein.427
Abb. 35 ∞ Paul Klee: gefesseltes Medium, 1939
Nicht genug dieser hypnagogischen Halluzination, von der Klee und Benjamin sich gleichermaßen fesseln lassen – wörtlich dargestellt in der Zeichnung Gefesseltes Medium (1939). Vom eigenen Anderen her den Bildbildungszwang zur regulieren, gilt es das technische Regulativ zu professionalisieren und zu extrovertieren: die Stimme wird in der Zeichnung nach außen verlagert. 1908 notiert Klee, nachdem er in die Falle des Ornamentalen zu laufen droht und die Linie als Andersheit der „Ölmalerei“ entdeckt: „Dieses ‚Nichts‘ gegenständlich lesen (Marmortische im Restaurant meines Onkels), figürlich machen und durch Licht- und Schattengestaltung verdeutlichen. Vorausgegangen war ein gegebener Grundton, der nun da und dort auf der ganzen 426 427
Luis Buñuel: Der diskrete Charme der Bourgeoisie, Frankreich/Italien/Spanien 1972. Heinz, Oedipus complex, a.a.O., S.30.
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Fläche restiert. Das Bild ist fertig.“428 Freilich, fertig ist hier nichts, nur aufgeschoben scheint die normalpathologisierte Psychosendrohung, die im Übrigen von Max Ernst in seinen Frottagen meisterhaft in ihrem Bannungsübergang dargestellt worden ist. Die Wahrnehmung als „Nichts“ verwandelt Klee sowohl in der Vexation als auch in der Szene zu einer syndromischen Maschine, in der der Produktionsfluss der Phantasie über die Technik in ein experimentelles Spiel eintreten kann. Klees Bilder sind szenisch steuerbare Maschinen, wie die Maschinen von Tanguy. Gerade dieses „mehr als“ der Maschinität, so Bazon Brock, kennzeichnet die Notwendigkeit, bei der Orientierung auf Systeme stets auch deren Umwelt mitzukennzeichnen, außer der Sache auch ihren Kontext […] Genau dieses ‚mehr als‘ zeichnete die Arbeit in den Bauhütten und am Bauhaus aus (mehr als Bauen, nämlich Gottesdienst; mehr als Anstreichen, nämlich Lebensgestaltung), wohingegen generell die Moderne des 20. Jh. im Unterschied zu der des 18. Jh. stolz deklarierte, daß sie ihr Geschwätz von gestern nicht interessiere, daß das Ende der Geschichte gekommen sei, daß ökologische Zusammenhänge bestenfalls gespenstische Fiktionen, aber nicht planungsrelevante Faktoren darstellten.429
Wenn das Sichtbarkeitskriterium im Bilderfinden den Ursprungsgeist des ‚mehr als die Summe seiner Teile‘ bannt, wie das Singen im Walde die Gegenbannung der hypertrophen Einbildungskraft realisiert, dann müsste das unendliche Vernehmen des kleinen Paul und der Tiefsinn des späten Benjamin gegen die Immunisierung der von Außen in den Leibraum eintretenden Idee des fremden Gastes430 sich richten. Bei Klee finden wir schnell eine Problematisierung der Bannung von Mathematik nicht nur in der Schule, sondern denkwürdigerweise in seiner Bestallung zum Zahlmeister in der Spätphase des Ersten Weltkriegs, die einiges mathematisches Talent (und Angst) und die Fähigkeit, lesbar zu schreiben, verlangt. Anders gesagt, es ist die Gefahr der unendlichen, tödlichen Proliferation der reinen Zahl, des reinen Körpers, die die Bannungsmodalitäten des Bildes hypertrophiert. Dagegen hilft zunächst das szenische Theater der allegorischen Konstellationen, denn alle Figuren dieses Theaters sind bereits durch den Tod hindurchgegangen und dramatisieren den Aufstand der Geister, die sie erschaffen haben. Insgeheim müssen die niemals abschließbaren Werke im Zahlenverzeichnis als Gegenbannung nochmals fixiert werden. Das koinzidiert mit dem geradezu buch428
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 827, S.237f. Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.887. 430 Hans-Dieter Bahr: Die Sprache des Gastes. Eine Metaethik. Leipzig 1994, S.460ff. Bahr bezieht sich auf das Schweigen am Ende der Rede, das sich als Geheimnis der Bedeutsamkeit überhaupt zeigt. Die innere Stimme als Gast wird in solchen Gesprächspausen spürbar. Von Klee wird häufig als von einem aufmerksam Schweigenden gesprochen, dem man beim stillen Denken zuhören konnte. Grohmann spricht von einer orientalischen „Bedächtigkeit und Sparsamkeit des Sprechens“. „Der Eindruck verstärkte sich, wenn man mit ihm sprach oder mit ihm Bilder ansah. Das einzelne Wort stand oft für einen ganzen Satz, ein Satz oft für ein Gleichnis, wie es der bilderreiche Orient kennt.“ Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.64. 429
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halterischen Interesse des Klee’schen Werkverzeichnisses. Bannung der schuldhaften Verdinglichung im offenen Bild und Bannung der Offenheit in der Ordnung der Zahl. Vielleicht ist es nur ein Aperçu der Weltgeschichte, dass den Meistern der gotischen Bauhütte gelang, sowohl den Geist der Zahl und der mathematischen Proportionen431 als auch die Konvertibilität von Glaube und Geld, diese beiden universellen Konversionsmedien, miteinander im Ablasshandel zu verschalten. Die Verschaltung von Geld und Zahl im Begriff der Vernunft erscheint heute, wie SohnRethel dargelegt hat, als Tranzendentalsubjekt in Form intersubjektiver Korrelation.432 Das Bauhüttenprogramm des Bauhauses, das so jäh in den Funktionalismus abstürzt, knüpft nahtlos an das Realismusproblem des Mittelalters und die beginnende Herrschaft der Elementarität der Zahl an. Im Bauhaus geschieht das nicht im historischen, sondern im sozialen Prozess, in der Darstellung der Fliehkräfte von Kunst und Universaldesign als die Kategorien der Balance der Abständigkeit zum todesfaszinierenden Ding, die sich unter Einfluss des faschistisierten Bürgertums und einer in Dienst genommenen Technik zum Spagat zerreist. Aber noch der Blaue Reiter und insbesondere Feininger sind diesen Kathedraltugenden verpflichtet: Kathedrale als monströse, diaphane Klang- und Lichtmaschine, die sich ob ihrer inneren Akustik weigert, ein Ding zu sein, und so zum göttlichen Prinzip erhoben wird. Die Räderuhr ist das Ergebnis dieser maschinellen Organisation.433 Gropius’ Forderung nach einer „optischen Dichtung“ nimmt sich eher rührend aus. Die Gabe der inneren Stimme bedarf der professionalisierten Dosierung, wie sie die berühmte ökonomische Formel Klees zusammenfasst: „Die Natur kann sich Verschwendung in allem erlauben, der Künstler muß bis ins letzte sparsam sein.“434 Nun könnte man einfach mit der Plattitüde kontern, die Exzentrizität sei Vorbedingung einer künstlerischen Natur, die sich damit aus dem ökonomischen Kreislauf herausnimmt, um als besonderer Wert in ihn eintreten zu können. Das Argument wäre aber eher umzukehren. Weil die Realität der Zeichenwelt ihre Selbstabschließung beständig aufschieben muss, erscheinen Künstlerbiographien als willkommene Effekte grenzüberschreitender Systembedingungen. So hat Sartre es eben schon beim ‚Genie‘ Tintorettos beglaubigt, ein Genie, das sich ganz aus der Ignoranz der Venezianer nährt, die den Spiegel ihres Abstiegs nicht wahrhaben wollen. Klee setzt auf das Mittel der Szenifikation und der Inszenierung. Klees invertierte Satire richtet sich auch gegen sich selbst und gegen seine, wie leicht festgestellt werden kann, konstruierte Stilisierung als Künstler, um damit strategisch die 431 Vgl. Bohn, Zahl, Zeichen, Zeit ..., a.a.O. Solche Übergangsprobleme zwischen abstrakter Zahl und konstruktiver Proportion tauchen verstärkt im Kathedralbau nach dem 14. Jh. (Beauvais) auf. 432 Hörisch, Kopf oder Zahl, a.a.O., S.216. 433 Vgl. Martin Burckhardt: Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt am Main 1997, S.40ff. 434 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 857, S.247.
180 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Absonderlichkeit seines Empfangsorgans für ein Großbürgertum interessant zu machen. Die Konzeptualisierung seiner Lebensarbeit, die Strenge seines Lehrprogramms lassen für den Klee des Bauhauses alle Verunsicherung über die Wahl des Widerstandes als gelöst erscheinen. Im Kern läuft das Interesse Klees auf Erfahrung der Unabschließbarkeit eines Bildes wie eines Menschen hinaus. Die Privation dieser Erfahrung ist ganz konkret auf den gescheiterten Versuch der Abschließbarkeit mathematischer Logik zu übertragen. Wir wollen das im nächsten Abschnitt in Angriff nehmen, weil uns der Einbruch der Ästhetik und des Vexierbildes beim späten Wittgenstein, der durch den Todesstoß, den Gödel der mathesis universalis bereitet, motiviert war, zu einer besseren Einsicht in den strukturellen Faschismus – die Paranoia einer absoluten, unvermittelten Abschließung – führt. Es ist eine der Selbstverständlichkeiten der Moderne, dass sie sich um eine Idee des Zeichens der Zahlheit herumgedrückt hat – von Ausnahmen wie Spengler435 und Musil einmal abgesehen – und beständig Zahl mit Geld verwechselt.436 Wir möchten aber doch wissen, gegen was der erfundene Widerstand Klees sich im Kern richtet: gegen den Vater, gegen das Ornamentale, gegen das absolute Zeichen, gegen die ästhetische Hygienisierung, also gegen alles das, worin sich die Idee der Zahl behauptet? Denn eines ist sicher: mit dem Terminus ‚Einbildungskraft‘, respektive ‚Phantasieproduktion‘, regrediert unsere Analyse auf dem biologistischen Niveau einer ‚Triebkraft‘, die sich dem dialektischen Sachverhalt ebenso wenig nähert, wie die Begriffe von Genie und Kreativität. Wir müssen das Problem der überbordenden, die Körperhülle sprengenden Einbildungskraft also von der anderen Seite, von den gesellschaftlichen Bedingtheiten und Widerständen her begreifen. Dieser Widerstandsraum findet in der Arbeit Klees seinen Ausdruck und manifestiert sich als Werk. Solche Bedingtheiten zeigen sich ganz konkret in der Anschauung, die man dem Begriff der Zahl und eben auch der Anzahl der Subjekte, ihrer gruppentheoretischen Abschließung und ihrer überfließenden Unendlichkeit zuordnet. Die Probleme der Zahl und der Vergesellschaftung sind identisch, insofern sie einen Wunsch nach offener Abschließung generieren. 435 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte.
München 1969, S.71ff. Spengler beginnt sein Werk mit einer Kritik am Aristotelischen Zahlbegriff und verbindet Mathematik mit der kulturellen Organisation. Er fragt nach einem ‚Stil in der Mathematik‘. „Eine Zahl an sich gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt mehrere Zahlenwelten, weil es mehrere Kulturen gibt.“ (S.79) Zur Stilistik der Zahl vgl. Bohn, Zahl, Zeichen, Zeit …, a.a.O. und Rudolf Heinz: Stil als geisteswissenschaftliche Kategorie. Problemgeschichtliche Untersuchungen zum Stilbegriff im 19. und 20. Jahrhundert. Würzburg 1986, S.49ff. Dort auch weiteres zum Stilbegriff in der Mathematik, insbesondere bei Max Bense. 436 So auch bei Hörisch: Kopf oder Zahl, a.a.O. Dort auch reichhaltiges Material zur Metaphorik des Geldes im Christentum. Den Zusammenhang von Musik und Mathematik hat Friedrich Kittler jüngst in breit angelegten Studien aufgenommen: Ders.: Musik und Mathematik I. Hellas 1: Aphrodite. München 2006.
181
Was ist das also, so fragt 1884 Frege naiv: die Zahl? Danach werden wir die Sartre’sche Frage wieder aufnehmen: Was ist das eigentlich, die Ganzheit des Anderen, die Gesellschaft – respektive die Ganzheit des Einzelnen – die Personalisierung als Verkörperung?
III.2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL
Im Pädagogischen Skizzenbuch, das 1924 zum ersten Mal erscheint, kommt Klee verschiedentlich auf die Darstellung der Lemniskate zu sprechen, hauptsächlich zur Illustration organischer Abläufe. Sowohl in der Bewegung des Blutkreislaufs als auch bei der Darstellung der Entwicklung der Natur scheint das Prinzip des Kreislaufs437 einem Perpetuum mobile sich annähern zu wollen. Mit der Lemniskate ist das Prinzip einer opferlosen Ökonomie vorgestellt, wie es Escher in vielfacher Weise durch Reduktion der Raumdimension auf die Fläche variiert hat. Auch Klee setzt auf Reduktion des Tiefenraums und auf Versammlung von Ungleichzeitigkeiten. Der von Deleuze dargestellte Zusammenhang zwischen Klee und einem monadologischen Konzept, den Antinomien der mathesis universalis und dem ‚Hereinrenken der dritten Dimension‘, beleuchtet die mathematischen und logischen Probleme Klees. Es geht Klee nicht um eine Formalisierung der Malerei, ist doch im barocken, die Moderne intonierenden Kunstanspruch die Sprengung der klassischen Raumdimension nicht neu. Klee ist durch die Aufdeckung der Produktionsverhältnisse motiviert, weil das Produkt ein Widerstand des anderen ist. Wie und unter welchen Bedingungen ist es möglich, den gleitenden Strom der Bildgebung in die Ökonomie eines Bildes einzubringen, so dass der Widerstand technischer Übertragung minimal bleibt? Damit ist die Verhältnisbestimmung von Serialität/Automatismus und diskreter Zeichenhaftigkeit – vermeintlich reine Medialität – angesprochen. Die bestimmenden Elementarordnungen, die sich bei Klee kreuzen, sind die des Bildes, des Zeichens und der Zahl. Der musikalische Ton wird selten angesprochen, da – ungeachtet der Notation (Zeichen) – der Ton (Sound) keine Disparationen hat, sondern als ‚inneres Geräusch‘ die Bewusstseinsvorstellung (ich) ununterbrochen begleitet –
437
Paul Klee: Pädagogisches Skizzenbuch. Frankfurt am Main 1981, S. 49.
182 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
wie Wagner das eingangs des Rings exemplifiziert hat.438 Bildlich gesprochen geht es um eine Gliederung der Aufmerksamkeit wie des Kontinuums der Naturproduktion in Elementaritäten, durch die das menschliche Vermögen des Aufschubs (Technik) ökonomisierbar wird. Wie soll das ‚Zahlhafte‘ an der Zahl, das ‚Szenische‘ am Bild markiert werden? In den Darstellungen der Lemniskate sind weder Eintrag noch Austrag bezeichnet, die die Ökonomie der Beziehungen erklären. Es geht Klee um einen osmotischen Austausch, der im Bild die Funktion einer sich selbst affizierenden Grenze/ Haut bezeichnet. Die Entwicklungen laufen stets kreuzungs- und störungsfrei ab, weil die Bewegung ständig zu sich selbst zurückkehrt, jedoch stets ein wenig zum Ausgangsmoment verschoben. So entsteht aus der geschlossenen Lemniskate eine traversale Bordüre, eine Art unendliches Unendlichkeitszeichen. Klees Genealogie spielt sich als Metamorphose einer endlichen Bewegung in einer unendlichen Ökonomie ab. Die Elementarhypothese eines Bildes wird durch ein szenisches Gleiten nihiliert. In einer Skizze, deren Zentrum Klee mit dem Organ des Herzen symbolisiert, soll ein Kreuzungspunkt, der zwei Bewegungen oder zwei Ströme (Kräfte) organologisch verbindet, nicht nur einen Sinnenübergang, sondern den unendlichen Ur-Sprung des endlichen Subjekts bezeichnen. Es kommt in dieser pädagogischen Darstellung zu einer Reduktion der Linien auf einen organisch ausgedehnten Kreuzungspunkt. Das Bild Zeichensammlung (1924) zeigt solche Kreuzungspunkte. Der Punkt, so haben wir bei Hegel verstanden, ist die Negation des Raumes, insofern er die Neutralisierung von Kräften als Ort darstellt. Der Punkt ist virtuelle Größe. Hegel weist auf eine bei Newton problematische Art der Summation und Differenzierung der zentripedalen und zentrifugalen Kräfte in der Gravitationsdarstellung hin, auf die schon Kant aufmerksam gemacht hat. Die Kräfte Newtons sind imaginäre ‚Rechenpositionen‘, die es erlauben, die Gravitation zu visualisieren, ohne den Begriff der Kraft selbst grundlegen zu müssen.439 Newton geht es nur darum, eine Übereinstimmung seiner Zahlen mit den beobachtbaren, empirischen Bewegungen zu erzielen. Es wird von Vornherein vorausgesetzt, dass Zahlen der Garant dieser fiktiven Identität sind, denn selbstverständlich stehen die Planeten weder still, noch ist ihre Bewegung absolut kontinuierlich. Im gleichen objektiven Zusammenhang, in dem Newton seine Koordinaten benutzt, benutzt Klee das Organ des Herzens als virtuelle Kraftquelle. Es ist nicht wichtig, woher die Kraft kommt und wohin sie geht, da die Kraft die absolute Metapher selbst ist. So muss 438 Eine ausführliche Analyse gibt Christoph Weismüller anhand der Bühnenanweisungen Wagners. Christoph Weismüller: Die Geburt der Szene aus dem Geiste der Musik. Ein Beitrag zur Theorie der Szenografie am Beispiel von Richard Wagners Vorspiel zum Rheingold. In: Bohn/Wilharm (Hg.), Inszenierung und Ereignis, a.a.O., S.45ff. 439 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Karl-Norbert Ihmig: Hegels Deutung der Gravitation. Eine Studie zu Hegel und Newton. Frankfurt am Main 1989.
III. 2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL 183
verstanden werden, dass das Herz keineswegs ein geschlossener ‚Druckkreislauf‘ ist, sondern die Medialität des Kreislaufs der sich neutralisierenden Kräfte. Damit setzt sich Klee von einer Kausalbestimmung der Kraft und von ihrer durch Hegel erfahrenen Umsetzung ab,440 denn die Beziehung, die die Metapher stiftet, ist keine kausale, sondern eine mediale, genauer eine ontosemiologische. In der Figur der in den Raum ausgreifenden, den Raum bildenden Organologie ist das Modell von szenischer Darstellung mitgedacht. Die Szene löst den virtuellen Punkt wieder in die unterschiedlichen Kraftbeziehungen auf und zeigt, dass die Neutralisierung nicht jenen Anteil an Kraft mitbedenkt, der im mathematischen Punkt zum Verschwinden gebracht wird. Der Selbstbezug von Organität im Bild besteht darin, die Bewegung einer in den Raum greifenden Differenzierung der Kräfte medial zu bündeln. D.h. Klee denkt die Beziehungen der Elemente als Konstellation von Ladungsfeldern, die er, wie Hertz das für elektrische und elektromagnetische Felder demonstriert, mit gewissen Gravitationslinien (Pfeilen) verdeutlicht. Das Besondere dieses Ineinandergreifens von Bild und Feld liegt in der Möglichkeit, Elementarität, ja physikalische Materialität nicht mehr statisch denken zu müssen. Für die Physik der vorletzten Jahrhundertwende erlöst der Feldbegriff vom Elementenbegriff und führt damit vor, das Zahlen virtuelle Relationsbeziehungen bezeichnen. Anders als Kandinsky hält Klee nicht am Prinzip der idealen, geometrischen Beziehung von Elementformen fest. Sein Zeicheninventar ist amorph, organisch. In den Zuständen des Feldes erhält der Raum gleichsam seine ‚Färbung‘. Die theoretische Durchdringung der Bildwelten Klees hat erst aus Sicht der Postmoderne dazu geführt, sich mit dem Problem seiner systemischen, relativistischen Bildtechnik auseinanderzusetzen. Nicht nur Heidegger war in den frühen sechziger Jahren der Meinung, Klee sei überhaupt noch nicht entdeckt. Der Grund, warum die Abschwörung vom Ideal der Newton’schen Mechanik und der cartesianischen Raumvorstellung – im Gegensatz zu Kandinsky – in Klees Intention lag, kann in seiner existentiellen Umdeutung der Ästhetik gesucht werden, wie sie Adorno thematisiert hat.441 Klees Bildobjekte sind ästhetische Performationen von Handlungsbeziehungen: sie bedeuten nicht, sondern sie handeln. Wir sehen, dass es 440
„Die Kraft ihrer überflüssigen Bestimmtheit entkleidet ist das Kausalgesetz.“ Hegel, Jenenser System II, S.63, zitiert nach Ihmig: Hegels Deutung der Gravitation, a.a.O., S.52. 441 Theodor W. Adorno: Kierkegaard. Frankfurt am Main 1986. Adorno arbeitet das Problem des möglichen Übergangs von Verzweiflung und kritischem Zweifel heraus, als Akzeptanz der Todestriebdialektik gegen den Versuch ihrer idealistischen Überwindung. Die ästhetischen Gegensatzpaare Adornos in der Kierkegaardkritik sind mit denen Klees nahezu identisch (Innen – Außen, Konstellation – Sphäre, Vernunft – Opfer). „Das letzte Wort der existentiellen Dialektik ist der Tod, und mit Grund hat Heidegger Kierkegaards Existieren als Sein zum Tode interpretiert, mag immer Kierkegaard solches Sein als Verzweiflung von sich weisen. […] Es ist das Nicht-Sterben-Können als negative Ewigkeit.“ (S.119) Im Gegensatz dazu Klee, der die Existenz von der Geburt her begreift, und dessen Körperbefall im Herbst 1935 die Reversion zum Tode als Todesambivalenz anzeigt.
184 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Klee nicht darum geht, das Zeichen zu eliminieren, sondern darum, das Opfer seiner Performanz wieder einzuklagen. In diesem Zusammenhang wundert es nicht, wenn die Mathematik als Grenze der Abstraktion – „ganz Geist, ganz Idee, eben ganz Gedanke“442 – als logische Möglichkeit der absoluten Metapher hinterfragt werden muss. Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Wollen und dem mathematischlogischen Können. Genau dazwischen lanciert Klee den Aufschub seiner Denkbilder: Maschine und Szene. Denn die Vollendung der Mathematik (Determinismus) wäre das Ende der Welt. Aus diesem Geist heraus ist zu verstehen, dass die Grundlegungsarbeit Russells und Wittgensteins sich als logische und nicht als mathematische verstand. Denn es besteht ein technischer Gegensatz zwischen Mathematik und Logik: die erste rechnet, die zweite handelt (im Sinne der Darstellbarkeit von ‚Aussagen‘). Klee hatte an konkreten mathematischen oder nur geometrischen Fragen kaum Interesse. Dennoch ist es für unsere Darstellung bedeutsam, dass er sich ab 1931 in einer persönlich kritischen Situation, mit Hilfe einer Wendung zum Formalismus, von außen zu spiegeln versucht. Will Grohmann veranlasst das zu einer höchst aufschlussreichen Aussage: „Grohmann deutete 1934 jene ‚starke Durchbildung der logischen und rationalen Kräfte‘ als eine Folge von Klees ‚kompensatorische[m] Verhältnis zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten‘. Ohne die ‚tiefgründige Beschäftigung mit mathematischen Fragen‘ wäre seiner Meinung nach bei Klee vermutlich die Fähigkeit zu gestalten erkrankt‘.“443 Das Bild Spiegel Kanon (auf 4 Ebenen, 1931) ist aus dieser Epoche der Konstruktionen. Grohmanns Begriff der ‚Kompensation‘ lässt sich im psychoanalytischen Sinne als Inversion der in den zwanzigerJahren wissenschaftlich dominierenden Frage nach dem absoluten Bild wie nach der absoluten Mathematik interpretieren, die Freud 1907 bereits in Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘ angesprochen hat. Dort geht es um den Gegensatz von Mathematik und Malerei im Fall einer neurotischen Störung, bei der sich die Hinwendung zur Mathematik als Abwendung genetischer Produktion offenbart. „Als Ablenkung vom sexuellen genießt die Mathematik den größten Ruf.“ – „Man könnte sagen, die wissenschaftliche Motivierung diene der unbewußten erotischen zum Vorwand, und die Wissenschaft habe sich ganz in den Dienst des Wahnes gestellt.“444 Auf Klee angewandt hieße das, das steinerne Relief der Schreitenden (Gradiva) als In-sich-Widerspruch zwischen fortschreitender Produktion und in Stein gebanntem Fortschreiten als leeres Zählen/Rechnen zu erkennen. Die tiefgründige Beschäftigung mit mathematischen Fragen ist – wie die 442
Klee, Beiträge zur bildnerischen Formenlehre, a.a.O., S.235. Glaesemer, Paul Klee, Handzeichnungen II, S.225. Zitation: Will Grohmann: Paul Klee. Handzeichnungen 1921 – 1930. Potsdam-Berlin 1934, S.5. 444 Sigmund Freud: Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘. Frankfurt am Main 2003, S.73f. 443
III. 2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL 185
Disziplinierung der Musik – ein Ort der Justierung überbordender Einbildungskraft, dass heißt, Ort der Sammlung auseinanderstrebender Feldintensitäten. Deren Signum ist in den Bildern Klees der auseinandergesprengte menschliche Körper, oder, anders formuliert, der verdinglichte Leib. Klee betont häufiger das Problem der richtigen senkrechten Schnitte in den horizontalen Strom der Zeit. Mit Benjamin werden wir hören, dass die Differenz von senkrechtem Schnitt und horizontalem Schnitt den Unterschied zwischen Malerei und Zeichnung/Plan/Grafik begründet.
Abb. 36 ∞ Paul Klee: Spiegel Kanon (auf 4 Ebenen), 1931
In der Tat sind die geometrischen (und eben nicht mathematisch-formalen) Konstruktionen Klees in der Episode von 1931 von der Art unendlicher Spiegelungen. Sie tragen zur Lösung des Problems nichts bei, sie sind die Bildbannung des Problems. Klee stellt sich zu diesem Zeitpunkt die Frage, wie kann in einem Prozess unendlicher Metamorphosen überhaupt eine Gestalt festgestellt werden und wie kann man diese Gestaltbildung im Bild-Schnitt festhalten und zugleich in Bewegung bringen? Wenn es gelingt, eine vollständige Formalisierung (Abstraktion) der Mathematik durchzuführen, war damit das Problem der reinen Übersetzbarkeit der Realität in einen formalen Determinismus gelungen, das heißt die Spiegelung und Verdopplung der Welt in Bild und Abbild ohne Verlust erreicht. Gelingt diese Formalisierung (mathematikimmanent) nicht – Gödel hat diesen Traum platzen lassen –, dann gilt weiterhin die Vermutung, dass alles, was existiert, in einem unendlichen, metamorphotischen Kreislauf zirkuliert und die Funktion des Bildes nicht die sein kann, etwas abzubilden, sondern nur, etwas aufzuschieben, nicht räumlich, sondern zeitlich.
186 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Man trennt einen Teil des Zeitstroms der Handlungen ab und untersucht in einem begrenzten Zeitraum das Verhalten der Linien: Dies markiert das szenische Bild. Das Bild ist sozusagen ein Zeit-Handlungsexperiment, kurz: Theater. Beleuchtet man die von der Wahrnehmungspsychologie im engeren Sinne definierte Geschichte der Vexierfiguren, so stößt man sehr schnell auf ihre bedeutsame Aufnahme beim Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen, der sich – so seine Äußerungen über Gödel – von Hilbert und Russells Traum nicht so recht lösen kann. Nachdem Wittgenstein in Wien durch Kenntnis der Schriften Russells sich von seinen musischen Neigungen (!) verabschiedet, der Mathematik und den logischen Problemen Freges zuwendet, die Russell in Erfüllung der Leibniz’schen Idee einer mathesis universalis in Angriff genommen hatte, geht er, irritiert durch den Gödel’schen Beweis, schließlich zu ästhetischen, genauer wahrnehmungsphysiologischen Fragestellungen über. Wittgenstein versuchte anfangs, die Grundlegung der Mathematik von zwei Seiten in die Zange zu nehmen: von Seiten der Erscheinungen und von Seiten der logisch wahren Handlungen. Wahre Erscheinungen sind die Basis wahrer Handlungen. Was ist aber eine wahre Erscheinung, wenn sie sich von ihrer Subjektivität gelöst hat, anderes, als eine logische Formalisierung? Andererseits aber ist die Mathematik so lange nicht rein, wie das Begehren ihres Abschlusses offen ist. Ist der Abschluss im Hilbertprogramm445 geschafft, besitzt man potentiell ein Instrument, ethisches Handeln und ästhetisches Urteilen objektiv auf seine Folgen hin zu bestimmen. Dass Ethik selbst den realen Vorbehalt gegen den Universalismus der mathesis universalis darstellt, nämlich eine Möglichkeitsperspektive ist, das geht Wittgenstein erst sehr viel später auf und ist keineswegs eine Einsicht, die aus Gödels genialem Beweis gewonnen wird. Indem Gödel beweisen kann, dass es „unmöglich [ist], die Widerspruchsfreiheit eines Systems der Arithmetik innerhalb dieses Systems der Arithmetik zu beweisen“,446 macht er das von Hilbert ausgerufene Programm einer nichtintuitionistischen Grundlegung der Mathematik – eine Art narzisstischer Zwangsneurose der Identitätssetzung – postmodern ziellos, setzt es dem Spiegelcharakter von Mathematik und Wahrnehmung aus. „Das Hilbertprogramm – die Tilgung sämt445
Zur Einführung der Problematik der Grundlegungsversuche der Mathematik bei Wittgenstein siehe Rebeccea Goldstein: Kurt Gödel. Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker: München 2006, S.90ff. „Sowohl Gödel als auch der frühe Wittgenstein wenden sich […] gemeinsam gegen die Positivisten und ihre Berufung auf das Diktum des antiken Sophisten, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Beide Männer postulieren eine fundamentale Unvollständigkeit, die das Maß des Menschen sei.“ (S.194) 446 Ebd., S.137f.: „Die Mathematik, erklärte Hilbert, sei ein Spiel, das nach bestimmten einfachen Regeln gespielt werde, mit bedeutungslosen Zeichen auf dem Papier. Seine Anregungen, ein Gebiet der Mathematik nach dem anderen zu formalisieren, und zwar ausgehend von dem grundlegenden Gebiet der Zahlenlehre, wurde Hilbertsches Programm bzw. Hilbertprogramm genannt.“
III. 2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL 187
licher Intuitionen aus der Mathematik – zielt insbesondere auf unsere intuitiven Vorstellungen über das Unendliche ab; da wir endliche Geschöpfe sind, ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich diese Intuitionen von Anfang an als besonders problematisch erwiesen.“447 Es wird ja von Gödel nur gezeigt, dass es eine Mathematik, die nicht mehr „wahrgenommen“ wird, begründungslogisch nicht geben kann, ungeachtet der Tatsache, dass eine operative Pragmatik der Rechenkunst von Maschinen jede sinnlich nachvollziehbare Darstellung längst überschreitet – aber um den Preis ihrer Sinnlichkeit. Solange man bloß rechnet, kann man sich jede Art Ungenauigkeit leisten. Gödels Satz wirkt also für die Mathematik als Befreiung. Befreit von der Aufgabe, sich abschließen zu müssen, explodiert sie in der technischen Umsetzung der Rechenmaschinen. Begonnen hatte das Problem der Wiederaufnahme der mathesis universalis bei Frege zunächst am Problem der Elementarhypothese, nämlich bei der Frage, was eigentlich die Zahl 1 ist (nicht, was sie bedeutet). Dieses Problem der Elementarhypothese war uns schon bei der Bestimmung der Gestalt und ihrer Übersummativität (‚das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile‘) begegnet. Klee hat die Vorbehalte gegen eine tödliche Abschließung mit der Problematik einer Anschlussoption an den Ruf begründet. Also darf das Bild (oder die Mathematik oder das Leben) nicht vollendet werden, ja, man muss sich der Einsicht stellen, dass überhaupt noch niemals ein Bild vollendet worden ist. Anders gesagt ist das Bild der Ausweis der Endlichkeit des Menschen am Unendlichen. Und dennoch: die Bilder könnten eines Tages gegen unsere Intention auferstehen und ihr Recht auf Einheit einklagen, sie könnten Realität werden. Kein Wunder also, dass in der Hygiene-Hypertrophie um den Wiener Kreis der Positivisten, der über Otto Neurath und Rudolf Carnap auch mit dem Bauhaus in Verbindung stand, Funktionalisierung und Formalisierung zum Ausdruck der Finalisierung von Wissenschaft wurde. Frege also stellt etwas profaner die Frage nach dem Sein der Zahl und damit nach der möglichen Reinheitsüberbietung. Russell hat diese Frage Freges aufgenommen, um die Einheit von ‚Zahlenstelle‘ und ‚Zahlheit‘, von Ordinalzahl und Kardinalzahl anzugehen. Deswegen kommt es zu den immensen mengentheoretischen Konvertierungen, die Russell eine erweiterte Sicht der Algebra eröffnen. Auch Russell muss immer wieder auf aprioretische Gruppierungen (Elementarhypothesen) zurückgreifen, in deren Folge sich Kollektive, Gruppen, Mengen, Klassen usw. immer wieder als unabschließbar erweisen, weil die abstrakte Zahl mit der logischen Klasse symbolischer Operatoren immer wieder eine Spaltung der Selbstbeziehung erfährt. Wir werden bei Sartre exakt dieses, explizit die Zahlentheorie berührende Problem auf die Unabgeschlossenheit (sozialer) Kollektive angewendet sehen – haben also hier den direkten Übergang zwischen Gesellschaft, Subjektverständnis und 447
Ebd., S.164.
188 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Mathematik berührt. Um die Rückübersetzung des einschließenden Ausschlusses von Andersheit – struktureller Faschismus und Krankheit – geht es uns ja in erster Linie, wenn wir auf die Funktion der Haut zu sprechen kommen; d.h. einer Affirmation der gesellschaftlichen Schuldordnung im personalisierten Subjekt. Als Fazit bleibt: Es gibt einen wissenschaftlich gut dokumentierten Zusammenhang zwischen der absoluten Mathematik und der Logik der Vergesellschaftung. Das bekannte Russell’sche Paradoxon ist der sinnfällige Ausdruck der Problematik der Hierarchisierung, die später in der Computerisierung der Mathematik ein unschätzbarer Vorteil sein wird. Es gibt keine Menge aller Mengen, die sich selbst als Element enthält. Die Unbeweisbarkeit dieses Satzes zu beweisen war Gödels Absicht. Gödel folgert seinen Satz für reine axiomatische Systeme, solche Systeme, die durch „nicht-bedeutungstragende Zeichen“,448 also durch „reine“ mechanische Regeln gebildet werden. Die Schlussfolgerung des eleganten, zugleich hochkomplexen Beweises Gödels antwortet denn auch nicht identitätslogisch mit Verifikation oder Falsifikation, sondern mit einer generellen Offenheit: „Es gibt einen wahren, aber unbeweisbaren Satz, der innerhalb des Systems ausgedrückt werden kann, wenn das System konsistent ist.“449 Das heißt, auf gut deutsch: die Mathematik ist gezwungen, mindestens eine ihrer Aussagen als metaphysisch zu erkennen, nämlich jene, die die Intuition ihrer Abschließungsarbeit abschließt. Leibniz hatte aus der monadischen Einheit der Welt gefolgert, dass die Abschließung der Mathematik unmittelbar ihr Abbild sei. Klee wiederum hat allein am Gestaltproblem gesehen, dass die Abschließung eigentlich schon da ist, und das man sie in den Faltungen des absoluten, monadischen Universums (der Natur) nur involuntieren kann, wie in einem Buch, das eigentlich eine gefaltete Fläche ist: eine Seite, die man aufdeckt, verdeckt eine andere. Ein Bild, das man malt, macht sich schuldig gegenüber der Realität und dem Nabel der Welt, den es verdeckt. Diese Schuld kann nur in der Transparenz des Bildes auf ein Reales hin aufgehoben werden. Dieses Restreale ist aber die Öffnung des Menschen zu seiner ihm zukommenden Selbstbeziehung, die für ein Außen inkommensurabel ist. Leibniz wie Klee sind sich darin einig, dass das Problem vermieden werden kann, wenn man die InnenAußen-Differenz bloß als eine regulative Idee, eine praktische Konvention ansieht: in Wirklichkeit gibt es ein Innen so wenig wie eine Abschließung. Tatsächlich ist das Bild nichts außerhalb der Welt, sondern ganz in ihr und zwar so ‚in‘ ihr, wie der Schein der ‚inneren‘ Selbstbeziehung selbst nur eine Involution des Außen darstellt. In Wirklichkeit gibt es nur eine Welt, in der die Bezeichnungen Innen-Außen am besten durch die Begriffe ‚endlich‘ und ‚unendlich‘ ersetzt werden. Alle Drittenpositionen 448 Ebd., 449
S.188. Ebd., S.132.
III. 2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL 189
als ‚Außen‘ sind konstitutive Phantasmen, die dazu dienen, das Werden gleichsam zu portionieren und die Gewalt einer jeden Elementarhypothe, zu entschulden. Die Pointe dieser Überlegung: Es ist just die Befreiung vom Diktat der Formalisierung (die bei Nikolaus von Oresme beginnt und bis Newton vermittelt wird), die es der Rechenkunst erlaubt, ins Unendliche (also Ungenaue) medial die Realität technisch (also vorläufig) zu visualisieren und zu simulieren. So erweist sich der Computer als ‚geniale‘ Medien- und Bildmaschine, deren formale Präzision niemals über den Umstand hinwegtäuschen sollte, dass er sich nicht selbst initiieren kann. Was uns in Bezug auf die Krankheit Klees und die Entzerrung der im Herzen der Theorie verankerten Semiose im Symbol der Lemniskate interessiert, wird durch einige offen zu Tage tretende psychopathologische Züge in Gödels Leben mit den Begriffen Verfolgungswahn und Privation gekennzeichnet. Es handelt sich um die Introversion, also die vom Imaginären auf den Körper umschlagende Resemiotisierung der Fehlstelle eines Außen, als das sich das Subjekt zur Rettung seiner selbst einsetzt. Anders gesagt, die Psychosomatik ist der reale Ausdruck des Subjekts als einer in Realität (der Zeichenkonvertibilität) ausgesparten Möglichkeit von Selbstbeziehung (Inzestabwehr). Im Falle der Hautkrankheit bleibt ja das Außen funktional der wesentliche Ort der Aussage des Innen. Bei Klee liegen die Dinge komplizierter als beim immer sonderlicher und pathologischer reagierenden Gödel, den der alltägliche Todestrieb als „Amoklauf der Vernunft“450 befällt. Selbst beim befreundeten Einstein lösen Gödels Pathologien Befremden aus. Gödels Sätze spiegeln sich auf düstere Weise in dem Kernproblem der Psychopathologie wieder: So wie die Widerspruchsfreiheit eines formalen Systems nicht mit den Mitteln des Systems selbst nachgewiesen werden kann, so läßt sich auch unsere Rationalität – unsere geistige Gesundheit – nicht mit unserer Rationalität selbst nachweisen. Wie kann eine Person, die innerhalb eines Systems von Glaubenssätzen funktioniert – darunter auch von Glaubenssätzen über Glaubenssätze –, sich außerhalb dieses Systems begeben, um in Erfahrung zu bringen, ob es vernünftig ist? Wenn das gesamte System von Wahnvorstellungen befallen wird, einschließlich der kognitiven Schlußregeln, wie kann man sich dann durch logisches Denken von dem Wahn befreien?451
Die Frage nach dem Sein lässt sich eben nur als Frage und als Frage nach der Unmöglichkeit des Abschlusses auch der Geschichte darstellen. Denn das Sein kann nicht einerseits Vergessen worden sein, andererseits aber völlig ahistorisch sein. Das ist die Grundthese der Kritik, die Adorno gegen Heidegger in Vorlesungen 1960/61 ausführt. Adorno wendet sich gegen die Vorherrschaft des Ontologischen, die gerade450 451
Ebd., S.164. Ebd., S.207.
190 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
zu eine „Allergie gegen das Seiende überhaupt“ darstellt. Der Grund für die Abwehr alles Seienden kann im Verlassen des Registers der Idealität gemindert werden, „indem die Erinnerung daran, daß unsere Existenz von körperlicher Arbeit abhängig ist, daß sie von körperlicher Arbeit eigentlich lebt“, wach gehalten wird. Insgesamt sei die Fundamentalontologie eine Art „manische[], ja bis zum Paranoiden gesteigerte[] Anstrengung […] irgendwie in glühenden Schuhen sich zu Tode zu tanzen“.452 Präziser lässt sich das Verhältnis, das Adorno zwischen Arbeit und Unendlichkeit und dem Taumel der Sozialisierung thematisiert, kaum fassen, zumal Adorno deutlich anspricht, dass Heidegger eine Sprache intendiert, „die den Ursprung fingiert“.453 Dagegen setzt Adorno eine „andere Instanz“,454 nämlich den die Mythologie des Unbedingten aufklärenden dialektischen Einspruch, der allerdings „tilgt gerade den Bildcharakter des Bewußtseins“.455 Weit gefehlt, Adorno aber an dieser Stelle einen Ikonoklasmus vorzuwerfen, stellt Adorno das Szenische gegen das Abbildliche. Denn der Mythos als Szene offeriert seine Aufklärung, indem er eben im Medium der Sprachhandlung erscheint. Das Heterogene, Soziale, was sich der Abschließung nicht fügt, wird zum erotischen Objekt der Reinheit.456 Der Sadismus der Reinigung und die Eliminierung des Unreinen sind faschistisch besetzt. Denn die Reinigung offenbart die „Unfähigkeit der Homogenität, in sich selbst ein Motiv zu finden, ihre Existenz zu fordern und durchzusetzen.“457 Die Wut der faschistischen Reinigung richtet sich so letztlich in einer masochistischen Wendung gegen die Wahl eines Widerstandes. Sie wird das, was sie auszutreiben vorhatte, eine totalitäre Formel religiösen Genießens, in der der Führer der Bewegung die heterotope Position Gottes einnimmt: Totalisierung von Realität ohne mediale Verluste. Der Faschismus beachtet nicht den fiktionalen Charakter des Anderen. Die ethische Perspektive ist die: Nicht weil das Leben nicht unendlich ist, ist es sinnlos, sondern nur weil das Leben endlich ist, ist es in jedem seiner konkreten Momente unendlich voll mit Brechungen an Sinn. Die Serialität dieser Sinnebenen bestimmt sich bei Klee im Stil. 452 Ebd., S.206. Offenbar steigerte sich Gödel selbst in einen Wahn, der das systematische Miss- und Selbstmissverständnis seines Beweises betraf, den Gödel keineswegs als Unvollständigkeitsbeweis der Mathematik verstand. „August Bick hat mir [Olga Taussky-Todd; R.B.] eine amüsante Bemerkung Furtwänglers [Gödels Lieblings-Mathematikprofessor in Wien; R.B.] über Gödels Ergebnis mitgeteilt. Als Gödel einen seiner Anfälle von Verfolgungswahn hatte, sagte er angeblich: ‚Ist seine Krankheit eine Folge des Beweises der Nichtbeweisbarkeit, oder ist seine Krankheit eine notwendige Voraussetzung für die Beschäftigung mit solchen Fragen?‘“ (S.293) 453 Theodor W. Adorno: Ontologie und Dialektik. In: Nachgelassene Schriften Abt. IV, Bd. 7, Frankfurt am Main 2002, S.102 u. S.104f. 454 Ebd., S.231. 455 Ebd., S.251. 456 Ebd., S.333. 457 Georges Bataille: Die psychologische Struktur des Faschismus. München 1978, S.22f.
III. 2. ELEMENTARHYPOTHESEN: EIN BILD, EIN ZEICHEN, EINE ZAHL 191
In einem Vortrag von 1930 ist Wittgenstein auf seine Position genauer eingegangen. Wittgensteins Stoßrichtung galt in der Jugend einem ungeheuren wissenschaftshistorischen Optimismus, der alles Unreine verdrängt und der in verschiedenen Ausprägungen den Wiener Kreis durchzieht – das betrifft den Empiriokritizismus von Mach ebenso wie die ästhetische Hygiene bei Adolf Loos.458 Ein Buch, das alles Wissen der Welt versammelt, enthielte nicht einen ethischen Satz. „Und das, worauf ich hinaus will“, so Wittgenstein, „ist, daß in diesem Buch nichts stehen würde, was wir als ethisches Urteil, als ein Urteil der Ethik bezeichnen würden, noch irgendetwas, das zu einem solchen Urteil logisch führen müßte. Es würde natürlich alle relativen Urteile enthalten und alle wahren Sätze der Wissenschaft, ja alle wahren Sätze überhaupt, die zu bilden möglich sind.“459 Wenn Ethik nicht im Wissen aufgeht, dann ist sie „übernatürlich“.460 Damit ist kein irgendwie magischer Zusammenhang gemeint, sondern der Umstand, dass die ethische Position immer ein Handeln darstellt, das in der Praxis niemals vollkommen gerechtfertigt werden kann, das man aber provisorisch, im ästhetischen Experiment, auch wieder zurücknehmen dürfe. Ich habe gesagt: soweit es sich um Tatsachen und Sätze handelt, gibt es nur relativen Wert, nur relativ Gutes, Richtiges usw. Bevor ich fortfahre, möchte ich das in einem einfachen Beispiel darstellen: Der richtige Weg ist derjenige, welcher zu einem willkürlich vorbestimmten Ende führt; und es ist uns allen ganz klar, daß es sinnlos wäre, vom richtigen Weg zu sprechen, außer im Zusammenhang mit einem solchen vorbestimmten Ziel.461
Bei Klee drückt sich die Angst einer Bedrohung des Sinns durch die Finalisierung der Gestalten aus. Sowohl das Versiegen der geschenkten ‚Einbildungskraft‘ als auch die Überbordung, das Ausfließen, generieren den Zwang, die Einbildungskraft noch einmal in eine größere Kraft einzubetten. Die Gegenreaktion auf diese Angst ist im Positivismus zu spüren. In Adolf Loos’ Tiraden existiert ein Hass auf das Unreine, Vorläufige, Bedächtige, das die effektive Realisierung stört. Dieser Hass trägt schon den Keim des faschistischen Scheiterns in sich. Der Hass als Angst gewendet lernt aus dem Scheitern, sich zu vermitteln. Genau diese Bewegung vermittelter 458
Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 1980, S.333.
459 „Hygiene“ ist denn auch eine Hauptvokabel für das Unternehmen der Säuberung der Wissenschaft
von metaphysischen Resten bis hin zum Hilbert-Programm. Kann das aber wundern, wenn man sich ein spätbürgerliches Wohnzimmer der KuK-Zeit ansieht? Braucht ein immer komplizierteres Leben nicht ein immer einfacheres Denkdesign? Der wuchernde Ästhetizismus der Gründerzeit und des Fin de Siècle hatte praktisch alle Aufzeichnungsflächen imperialistisch erobert und sehnte sich nach neuen utopischen und virtuellen Feldern, die sich ihm nur noch medial erschließen. Nicht mehr Flächen sind durch Symbole, sondern Medien durch Zeichen zu besetzen. Keine zwei Begriffe verdeutlichen die Situation so genau, wie die Neueinführung des physikalischen Äthers und die Wucherung des spiritistischen ‚Mediums‘ um die Jahrhundertwende. 460 Wittgenstein, Ethik, a.a.O., S.79f. 461 Ebd., S.80f.
192 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Unmittelbarkeit, von Aufdeckung und Verhüllung, von ästhetischer und ethischer Anschauung bildet die Hefe, mit der das Bauhaus die Prinzipien der Gestaltung gemäß den Regeln seiner gesellschaftlichen Probleme überdenkt. Mit dieser Ableitung könnten wir nun der von Sartre intendierten Absicht folgen, Mathematik als eine Abstraktion des Sozialen – des Ichs inmitten der anderen und seiner Dinge – zu markieren, ohne auf die Gewalt und den Entschuldungskörper einer Drittenposition zurückgreifen zu müssen. Klären wir aber zuvor die Frage, in welcher konkreten sozialen Situation sich Klee am Bauhaus befand und wie deren Institutionalisierung einen gewissen Stil in der Produktgenerierung beförderte.
III.3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE DER GESELLSCHAFT
Klees Vergesellschaftung am Bauhaus geschieht nicht zufällig, sondern in konkreter Auseinandersetzung mit der Produktionshaltung und dem Handeln dieser kleinen, exotischen Gruppe und mit ihren jeweils fiktionalisierten Serien. Eine der widerständigen Serien betrifft das Ornament als ‚Symbol‘ der Unentschiedenheit. Klees Nähe und Distanziertheit gegenüber dekorativen Darstellungen hat Jenny Anger in mehreren Arbeiten aufgegriffen.462 In ihnen wird ersichtlich, wie Klee die Konstruktion seiner Biographie durch nachträgliche Inszenierung als Abwehr gegen Angriffe seitens einiger seiner Kritiker aufbereitete. Die Abwehr des Dekorativen ist nicht unbegründet. Zwar ist die Hochzeit des Dekorativen seit dem Fin de siècle abgeebbt, dennoch gilt München als Stadt des Kunstgewerbes. Klee erhielt von dort und von den Delauneys vielfache Anregungen zu ornamentalen und dekorativen Versuchen. Es muss nicht eigens betont werden, dass der Reiz des Experimentellen und der Grenzbestimmung vor allem in grafischen und maltechnischen Fragen es Klee oft erlaubte, seine eigenen Werke zu ironisieren. Und wirklich liegen zwischen den freien Farbkompositionen und den Inversionszeichnungen Welten, obwohl die Bilder vielleicht zur gleichen Zeit auf der Staffelei gestanden haben. Klee wollte sich durchaus nicht einer offiziellen, motivisch zentrierten Manier andienen. Der Name Klee sollte – gleich in welcher Technik – für Wahrhaftigkeit bürgen. Die Linie als 462 Jenny Anger: Der dekorative Klee. In: Kunst und Karriere. Beiträge
Schriften und Forschungen zu Paul Klee. Bd.1. Bern 2000.
des int. Symposions in Bern.
III. 3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE 193
Spur (Durchdruck einer Spur des Kohlepapiers) wie die Verwendung von Zeichen (Pfeilen, Herzen, Buchstaben etc.) wird ebenso zur formellen Handschrift der Klee’schen Arbeiten, wie die allegorisch-szenische Komposition der Elemente und der ironische Bildtitel auf einer strengen Satzlinie. Den Angriffen gegen eine kunstgewerbliche „Verweiblichung“, wie sie Loos gegenüber dem Ornament 1908 aggressiv behauptet,463 stellen Klee und einige seiner Mitstreiter, vor allem sein Generalvertreter Goltz und Zahn, der 1920 eine erste Monographie in Zusammenarbeit mit Klee verfasste, den Orientalisten Klee vor, der in einer mystischen Erscheinung (Tunisreise) von der Grafik zur Malerei gefunden hat. Mit dem Orientalischen war dann das Ornament als transzendente, religiöse Figur ebenso gebannt wie das Motiv der Unendlichkeit. Die ‚moderne‘ Konstruktion einer ‚orientalischen‘ Kunstbiographie, die das Mystische und Kosmische der Klee’schen Personalisierung verkaufte, stand im Einklang mit der von Gropius fingierten Bauhüttentradition und der neuesten kunstpsychologischen Untersuchung.464 Nicht der Logik des Werks zu folgen, war eine Einlassung mit den Verhältnissen des Kunstmarktes, die Klee auch dem Bauhaus zu schulden meinte. „Arbeitsresultate als stilreine Repräsentanten einer einheitlichen Werkidee herzustellen“, wie Brock in seinem Aufsatz drastisch über die Verfälschungen der frühen Bauhausintention durch die Ulmer Schule deutlich macht, stand Klee fern.465 Anger schreibt: Wollte Klee wirklich sein Einkommen sichern, blieb ihm nur, die Dekoration aufzugeben. Dies war aber beileibe nicht einfach. Es genügte nicht, einfach nur die dekorativen Elemente aus seinen Gemälden und Aquarellen wegzulassen, da sich das ‚Dekorative‘ wahrscheinlich nicht nur auf die Werke, sondern auch auf seine Person bezog. Dies heißt nun aber, dass er seine Gesamterscheinung ändern musste, wollte er diesen Einkommensausfällen aus dem Weg gehen und sich eine berufliche Existenz in Deutschland aufbauen.466
Am einfachsten war es, in einer Übergangsphase zunächst (auch rückwirkend) jede Anspielung der Bildtitel auf Dekoration, Ornamentik und Abstraktion zu tilgen. Denn selbst Abstraktionen stehen im Verdacht, als Ornament gedeutet zu werden. Aus diesem Grund beginnt Klee mit einer dezidierten Personalisierung seiner Intentionen. 463
Ebd., S.241. Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.885. Hier wäre auch wieder auf die zeitgenössische Darstellung in Worringers Formprobleme der Gotik zu verweisen, die die Linie in genau diesem Gegensatz von nordisch und orientalisch untersucht: „Die primitive Ornamentik ist Beschwörung des von der fortschreitenden geistigen Orientierung noch nicht gemilderten Grauens vor der zusammenhanglosen Umwelt, und es ist klar, dass der fortschreitenden geistigen Orientierung ein Abflauen dieses starren abstrakten Charakters der Kunst, dieses Beschwörungscharakters der Kunst parallel läuft.“ (a.a.O., S.174) 465 Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.884. 466 Anger, Der dekorative Klee, a.a.O., S.247. 464
194 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Man stellt sich natürlich die Frage nach dem Verhältnis der Reinigungsorgie, die etwa Loos vorschwebte, und der Beschäftigung mit dem Femininen im Dekorativen, das in Kriegszeiten verächtlich als ‚französische Manier‘ interpretiert wurde. Das Ornament thematisiert angeblich die Grenze zwischen dem Reinen und Unreinen, ja, es ist an ihm, die funktionale Selbstbeziehung der Spur eines utopischen Willens zu formulieren, der noch keinen Gegenstand gefunden hat. Ornament verweist immer auf das nicht zum Bewusstsein Gelangen einer (Selbst-)Beziehung. Hier will der Wille mehr, als er kann. In diesem Zusammenhang ist überhaupt auf die Notwendigkeit von Bildtiteln zu verweisen, die den Möglichkeitsspielraum des Ornamentalen einschränken sollen. Denn der Titel bezeichnet nicht das Bild, sondern er bezeichnet eine mögliche entschiedene Haltung, die man vor dem Bild einnehmen kann. Das heißt, er ist eine ethische Konstruktion, beispielhaftes Urteilen. Die im Titel ironisch thematisierte Möglichkeitsperspektive zeigt die Wandlungsfähigkeit, die Klee im Umgang mit seinen Kritikern – niemals ohne Humor – einnahm. Zugleich zeugen die Wandlungsfähigkeit und die Variationsbreite seiner Arbeiten von einer virtuosen Kenntnis der Funktionen bildnerischer Technik und Steuerbarkeit der an ihr vollzogenen Autorschaft. Klee drängt das Bild von der ‚unbewussten‘ Selbstbeziehung auf die Erkenntnisebene und entgeht so dem ‚Terror des Ornaments‘. Klee und seine Mitstreiter verstanden es geschickt, eine Propaganda des mystischen Bezugs mit emblematischen Detailkenntnissen und mythologischer Raffinesse zu verbinden. Kurz, Klee zeigt sich in Sachen Marketing auf einem hohen Niveau, ohne den Seiltanz der Selbstinszenierung aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen. Klees Interesse für die Klasse der Weberei, die vornehmlich von Frauen besucht wurde, und die Übernahme des Elementarunterrichts nach dem Abgang von Muche 1927, nachdem er wohl vorher schon intensiven Kontakt mit den Weberinnen aufgenommen hatte, blieb aufgrund von Vorsicht dem Ornamentalen gegenüber lange unentdeckt.467 Sicher lag Klee auch weniger das dekorative Interesse am Herzen als die experimentelle Möglichkeit, quasi mit Metatexturen in die Welt des Klangs zurückzukehren, der er sich in der Farbe nicht zu sicher war. Denn die Weberei, wie die Musik, ist eine angewandte Form der Mathematik.468 So hat etwa Kristeva auf den Zusammenhang von Text und Gewebe aufmerksam gemacht, um die Transparenz eines Mediums für die Durchlässigkeit von Zeichen zu betonen. Mittels des Gewebes (der Leinwand oder der vielfach anderen Untergründe, mit denen sich Klee auseinandersetzt) wird die realitätsbildende Kraft der Zeichen relativiert. Das Gewebe bildet die weibliche, ornamentale Grenze zum Zeichen: es ist Signifikat, das als Signifikant gelesen werden kann. Von daher ist die vor allem „nationale“ 467
Ebd., S.249.
468 Den Zusammenhang hat Ellen Harlizius-Klück:Weberei als Episteme und Genese der deduktiven
Mathematik. Berlin 2004, dargestellt.
III. 3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE 195
Kritik an Klees ‚infantil-dekorativer Degeneration‘ unter der Vormundschaft der Neuen Sachlichkeit als neuer Volksaufgabe – so Adolf Loos – einerseits berechtigt, andererseits wird auf die dialektische Position des Ornaments, wie das Raulet etwa mit Hinweis auf deren utopische Funktion unterstützt, nicht eingegangen. Man will nicht sehen, dass das Ornament ein Übergangsobjekt darstellt, das seine Bildlichkeit nicht an sich selbst hat. Am Ornament ist nämlich wesentlich, dass es eine Utopie als noch nicht realisierte Gegenwart ausdrückt und somit den Vorbehalt der Realisierung in sich ontologisch aufnimmt, es hat präscriptualen Charakter, es eröffnet ein Feld. Die Aufgabe des Ornaments ist es, Ausdruck zu sein, ohne Ding oder Repräsentant zu werden. Von hier aus wäre Klees kritisch-ironische Rolle am Bauhaus bis zu Hannes Meyers Vorbehalten der freien Kunst gegenüber zu bewerten. Während nämlich die Linie die Nachträglichkeit des Ursprungs als Spur sichert, so sichert das Ornament das Vorlaufen in eine zukünftige Realität. Ornament wie Linie sind Elemente der Synchronisation von Möglichkeiten. Dass man in einer Zeit der medialen Allgegenwart der gegenwärtigen Zukunft es als Exotismus und Mangel empfinden muss, etwas nicht direkt dem voyeuristischen Blick auszustellen, sorgt seit Loos und bis heute für den schlechten Ruf des Ornaments. Dinge, die nicht umstandslos realisiert und im technischen Prozess gebannt werden, sind Hemmungen des Fortschritts. Eben in diesem Sinne werden die Ornamentalisten von Loos kritisiert. Dass daraufhin ohne utopische Vision die Dinge sich beginnen im Kreise und immer schneller zu drehen und Gegenwart Zukunft absorbiert, liegt nicht im Blick der Kritiker des Ornamentalen. Hier hat auch das Bauhaus sich auf die Seite der Geschichtslosen geschlagen. Der Exorzismus des Unreinen, Anderen, Exotischen unter Loos widerspricht sich selbst. Baudrillard hat gerade das Fehlen von Andersheit für die ökologische Gewalt der Selbstabschließung verantwortlich gemacht. Hier und im Funktionalismus drückt sich vor allem die Gewalt der abgeschlossenen Gestalt als revolutionäre Attitüde aus: das Proletariat will hier und jetzt nicht mehr auf die Realisierung seiner Wünsche warten – von denen man ihm aber erst erklären muss, das es welche hat, so Baudrillard. Bis man bemerkt, dass der Nazismus alle Reinigungsprozeduren auf die Spitze treibt, ist es zu spät. Wir müssen auf eine weitere soziale Kategorisierung zu sprechen kommen, die Bazon Brock bezüglich der Hinwendung des Bauhauses zu einer designorientierten Produktion erörtert. Brock unterscheidet zwischen der Fraktion, der es in einem avantgardistischen Überbietungskonzept darum geht, eine reine Produktwelt gemäß den Zwecken der Benutzer zu erstellen, die über ihre Zwecke gar nichts wissen, bevor diese ihnen in der Werbung469 aufgeprägt werden – und der Fraktion der Künstler 469
Womit dann der Werbung die ornamental-dekorative Funktion zukommt, also der Zweck, den
196 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
oder Kunsthandwerker im Sinne der Bauhüttentradition, die untereinander ihre persönlichen Erfahrungen austauschen und an der Produkt-/Werkvollendung nur insofern interessiert ist, als sie damit Sinnlichkeitsdarstellung zum Einbehalt ihrer Selbstkonstitution erstellt. Klee sah diese Fraktionierung des Lehrkörpers am Bauhaus als ärgerlich, aber auch notwendig an.470 Denn die „künstlerische Synthese“ sollte mit der „sozialen Synthese“ so in Widerstreit geraten, dass sie nicht autoritär in einer totalisiert.471 Mit der im Design intendierten Zweckorientierung kommt jenes Gespenst des Kausalismus und der antizipierten Finalisierung wieder zum Vorschein, das der Weltanschauung Klees von einer kosmogonischen Morphologie so widerstrebt. Die Bildung des Teams oder Kollektivs, wie Brock sagt, findet darin ein gemeinsames Interesse, als es die Zwecke überhaupt erst seziert, nach denen ein Werk eine Funktion einnehmen kann. Das heißt, die offene Gestalt als monadische (Un-) Ganzheit bedingt immer wieder eine Zirkulation innerhalb dieser Fraktion, die durch gelegentliche Ausstellungen des Bauhauses ihr ‚re-entry‘, so würde Luhmann sagen, bestimmt. Wir erinnern uns des McGuffin von Hitchcock: die spezifische Funktion einen Gegenstandes, zum Beispiel das Feuerzeug in Der Fremde im Zug oder der Ring im Ring der Nibelungen bestimmt sich erst in der Hand des Benutzers und der Zweck ist durchaus offen. Ja, es zeigt sich sogar, dass der diskursive Reichtum eines Objekts davon abhängt, nicht einem Zweck zu folgen, sondern eine perverse Struktur des Genießens zu ermöglichen, also einer Befreiung vom Zwang, nützlich zu sein, so Benjamins Zauberformel für den Surrealismus. Die Zauberformel der Überdeterminierung aber ist zugleich die der neurotischen und fetischistischen Besetzung. Bekanntlich weigert sich der Neurotiker, ein Objekt nach den Regeln seiner vorgegebenen Bestimmung zu gebrauchen, weil er den Instanzen ihrer Verkündigung (den Ordnungen der Signifikanten, dem Design, der Reklame) kein Vertrauen schenkt bzw. deren unhintergehbare Schuldverstrickung nur um den Preis eines masochistischen Organverschlusses, Konsumstreiks, Hungerstreiks auszuhalten gedenkt. Das Selbstopfer ist Sache des neurotisch-zwanghaften Helden, der damit auf die Unlösbarkeit der Intention eines reinen Zweckes hinweist. Hochdifferenzierte abstrakte Produkte benötigen aus diesem Grunde immer raffinierteres Design, um verlässliche Sinngenese schuldverdeckend zu leisten. Am geradlinigsten geschieht das, indem man die Ursachen bestimmt, eine ZweckMoment der Annonce des Wunsches und der Erfüllung im Produkt so deutlich, aber auch so minimiert wie möglich zu halten. Deswegen die beständige Versicherung der Werbung, sie hätte eine kommunikative Funktion. In Wahrheit ist diese Funktion darauf beschränkt, ihre eigene dekorative Subsistenz beständig zu verleugnen und in den Kategorien des ‚Neu‘ und der ‚Aktualität‘ als Spur des Verschwindens der Utopie zu präsentieren. Gleichzeitig wird damit die innere gesellschaftliche Funktion der Entzerrung der faschistischen Unbedingtheiten angezeigt – womit ja überhaupt die ganze schwindelnde Akrobatik als medialer Imperialismus der partialisierten Produktivität in den westlichen Gesellschaften moderiert werden kann. 470 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.61. 471 Ebd., S.62.
III. 3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE 197
Mittel-Kausalität aufbaut und die Schuld der Unreinheit einem Ursprung zuschiebt. Utopische Möglichkeitspositionen dagegen sind äußerst kritisch zu bewerten – sie wandern in die ‚entarteten‘ Sicherheitszonen der Kunstproduktion. Das Ästhetische ist nicht deswegen gewaltfreier, weil es ‚nur‘ aus Zeichen besteht, die die Schwere der Materialität zurückdrängen, sondern weil es die Potentialität der Wirkungen und Wertsetzungen dem anderen überlässt und so die Schuld im Diskurs zirkulieren lässt, statt sie setzend zu horten. „Nur wer dem anderen zugestehe, daß er sich immer auch entziehe, könne jener Totalität widerstehen, die zum Totalitarismus führe.“472 Die Zirkulation im Team, statt ihrer zwecksetzenden Bestimmung, war im Programm des Bauhauses von Gropius gewünscht. Wüsste man eine materialistische Praxis473 auf die Fraktionen des Bauhauses abzubilden, käme man zu einem erstaunlichen Ergebnis: Innerhalb der Entwicklung des Bauhauses und der Epochen der beiden (eine vielleicht zulässige Vereinfachung Brocks) Fraktionen ‚Künstler‘ und ‚Designer‘ kommt es zu unterschiedlichen Strategien der Ontologisierung bezüglich der Abschließung von Kollektiv bzw. Werk. Das Werk spiegelt nämlich den Zustand des Kollektivs respektive der Gruppe wider, deren Ideen man sich anschließt. Soviel Autorschaft und auch soviel mathesis muss auch im Design noch sein. Brock greift historisch auf den Begriff der Übersummenhaftigkeit der Gestalttheorie zurück, der das oben benannte mengenlogische Problem Russells bezüglich der Grundlegung der Zahl ästhetisch fasst. Er versteht es, die Entwicklung des 472 Pöggeler, Bild und Technik, a.a.O., S.183. Nach einer Aussage von Lévinias, der sich damit einer Vorstellung von der grundsätzlichen Vernünftigkeit des Verstehens widersetzt. 473 Es gibt, von Gropius’ Gründungsprogramm ausgehend, keine wirklich immanente Theorie der Gestaltung, was innerhalb der Designgeschichte eine schwere Hypothek darstellt. Denn dadurch erscheint der Designer zwar einerseits produktiv, aber es gibt keinerlei Möglichkeit, das Motiv der Produktionsverdeckung als Designwillen designtheoretisch aufzuklären. Geht man aber davon aus, dass der Konsument in erster Linie nicht auf Erfüllung der Zwecke, sondern auf Restitution des Begehrens aus ist, also darauf, die Kette der metonymischen Operationen im Konsum nicht abreißen zu lassen, dann muss man die Behauptungen eines souveränen Subjekts leugnen, das auf den Zweck und die ‚objektive Information‘ abzielt. Das industrielle Design stellt innerhalb dieser rekursiven Ökonomie die Position der Fetischisierung, Aufhebung der Todestriebambivalenz im Ding dar. Der ästhetische Faktor ist Genuss auf Grundlage dieser Verdeckung/Aufhebung, nicht auf Grundlage von Schönheit – was alle Arten der Perversion zulässt. Bei Gropius ist diese Verkennung der eigentlichen Tätigkeit des Designers symptomatisch: „Jeder normale Mensch hat die gleichen Organe, mit denen er die Umwelt wahrnimmt und erfährt. Von größter Bedeutung ist die Tatsache, daß der Sinneseindruck von uns selbst ausgeht, nicht von dem Objekt, das wir sehen. Wenn wir erst die Natur dessen, was wir sehen, und die Art, wie wir es sehen, verstehen, werden wir mehr wissen über die möglichen Wirkungen künstlerischer Gestaltung auf unser Fühlen und Denken.“ Walter Gropius, Architektur, a.a.O., S.32. Dieser profane, empirisch verbrämte Psychologismus ist außer Stande, die gesellschaftliche Verstrickung von Universaldesign und seiner Aussetzungen in Kunst als Teil der ontosemiologischen Ökonomie zu sehen. Böse gesagt, koppelt Gropius – und er ist nicht der Einzige – die Kategorien des Ethischen und des Ästhetischen in genau der strukturellen Manier, die den Faschismus protegiert. Das darf eingestanden werden, gerade weil Gropius über jeden Zweifel in seiner Gesinnung erhaben ist und gegen den reinen Funktionalismus wie gegen den Nationalsozialismus Partei ergreift. Es ist die gesellschaftliche Praxis des Bauhauses, die die rechtskonservativen Kräfte angreifen, weniger die Produkte selbst.
198 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Bauhauses als institutioneller Form in dieser Spannung deutlich zu schildern. Nicht nur, dass das Bauhaus die historische Entwicklung in Deutschland unmittelbar institutionell erträgt (die Umzüge von Weimar nach Dessau und nach Berlin), es bildet in sich die Abspaltung des Designs von Kunst so ab, dass die Aufklärung darüber tatsächlich nicht an den Werken respektive Experimenten, sondern am Verhalten der handelnden Personen zum Ausdruck kommt: als verwirklichten die Subjekte sich unter den spezifischen Gesetzen einer Idee ihrer Institutionalisierung und Personalisierung. 1. Die Fraktion der Kunststifter/Designer unter dem Stilwillen der Serialisierung der Funktion, das heißt der Ablösbarkeit von der losen Gruppe in autonome Produktion (Auftragskünstler/Architekt) und Produkte: hier ist der den Zusammenhalt der Gruppe bedingende andere die extensionale, industrielle Form: Waren, die partikuliert und meist namenlos auf den Markt kommen. Wir haben es mit der von Blumenberg angemerkten Evolution des Mimesisbegriffs zu tun: Es kommt zu einer Produktionsabbildung der personalisierten Gruppe, zum industriell gefertigten, dass heißt modularen Design. Ihre ekzeptionierten Vertreter werden später Le Corbusier und dann die Ulmer Schule für Gestaltung. 2. Die Fraktion der Künstler/Experimentatoren und dilletierenden Empiriker, zu denen Klee zu zählen ist, die als Andersheit die Individualität des Geistes, so Gropius, der ebenfalls zu dieser Fraktion zählt, aus sich selbst und in der sinnlichen Unmittelbarkeit ihrer Begegnung her ermitteln. Dialogisch oder im seminaristischen Diskurs, rekurrieren die Mitglieder dieser losen und unorganisierten Gruppe mimetisch immer wieder auf die eigene Ursprungserfahrung, durch die sie sich negativ mit den anderen verbunden sehen. Lobbyarbeit innerhalb des Bauhauses oder nach außen lässt sich damit schwer verknüpfen. Die ‚Fraktion im Geiste‘ kommt dadurch gegenüber der ‚Fraktion im Ding‘ in eine politisch defensive Position. Die heute mühsam revidierte Abspaltung von Kunst und Design in der Hochschulausbildung hat damit im Bauhaus einen, wenngleich nicht den ersten, institutionellen Grund. Brocks Unterscheidung ist, von Gropius’ Integrationskraft aus betrachtet, unmissverständlich: In der Tat ist also der moderne Künstler im Unterschied zum Kunstschöpfer/Creator ex nihilo eine Entsprechung zu den Mitgliedern der Kathedral-Bauhütten oder zum Teamworker Gropius’schen Zuschnitts. Ähnlich wie die Einheit der Täterrollen im Begriff des Künstlers, läßt sich die Einheit von Erleben und Handeln als Tun und die Einheit der Tätigkeitsfelder als System beschreiben. Dafür gehen wir wieder von einer alltäglich aktivierten Differenz von Ganzheit und Summe der Teile aus. Das Ganze sei mehr als die Summe der Teile.474
Wichtig und überzeugend in der Darstellung Brocks ist der Umstand, dass das System der Vermittlung auf körperliche Erfahrung gegründet ist und nicht ohne die soziologische Szenifikation zustande kommt. Die Erfolgsgeschichte hat auf selt474
Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.889.
III. 3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE 199
same Weise demonstriert, dass die Momente der Vergesellschaftung nicht objektiv, sondern durch die Widerstände bedingt sind, die sie in der Arbeit als notwendige Differentialität der Körperkräfte erschafft. In Bezug auf den Begriff der Barbarei versteht man also durchaus die Konzeption beider Bauhausfraktionen: Abschaffung der Dinge und Spuren, die sich bleischwer auf den Körper legen (Ergonomie), und Körperabschaffung selbst als Aufgehen im Kollektiv. Die eine Fraktion erträumt sich den ewigen Genuss der arbeitsenthobenen Menschheit, also das Jenseits des Todes; die andere richtet ihr Paradies im Diesseits einer von Natur aus totalisierten Menschwerdung (diskursive Gesellschaft) ein. Damit werden die Gruppierungen des Bauhauses exemplarisch für die des produzierenden Menschen. Sartre weist darauf hin, dass es durchaus einen Unterschied macht, vom Anderen als Kollektivsubjekt und von der Gruppe der anderen (dem Kollektiv der Einzelsubjekte, die je für sich andere sind) zu sprechen.475 Die erste Fraktion unter der späteren Leitung von Hannes Meyer ist ein Kollektiv, das seinen Selbstzusammenschluss durch eine von außen kommende Idee (Zweck) entwickelt, während die zweite (Gropius, Klee – und davon schon abgespalten das ‚Singularum‘ Itten) sich konstituiert im Vorstadium der losen Gruppe mit der Selbstdarstellung in fragmentierter, collagierter Zusammensetzung, vereint im Moment ihrer initialen Selbstbestimmung. Gruppe, Kollektiv, Partei, so sind die „Weltorte“476 zu bezeichnen, die sozialpragmatisch von Sartre identifiziert werden. Entsprechend sind die Extroversionen: Werk, Gestell und Programm. Die Linie Klees ist, wie im Blatt Dynamik nachbarlicher Gruppen (1929), der Indikator jeweiliger Elementarbeziehungen – eine Art Diagrammatik gesellschaftlicher Positionen. Im Gefolge der strategischen Überlegungen von Gropius weist Brock auf die für unsere Ohren negativen Konnotationen des Begriffs „Kollektiv“ im Zuge der politischen Auseinandersetzung der zwanziger und dreißiger Jahre hin. Ihm entgeht nicht die objektive Funktion, die dieser Begriff in der später von Sartre angemahnten Differenzierung, zwischen dem Gestalt- und dem Feldbegriff einerseits und dem Gruppen- bzw. Partei- oder Systembegriff anderseits, leistet. Wir werden gleich zeigen, dass Sartre mit dem Übergang von der Gruppe zum Kollektiv nichts weiter anspricht als eine Lösung des mengentheoretischen Russellparadoxons auf der Ebene des praktisch inerten Feldes des szenischen Bildes. Ja, Sartre beschäftigt sich ausgiebig mit den Fundamentalproblemen der Mathematik, und zwar in soziologischer 475 Sartre denkt hier natürlich keine Ursprungsbeziehungen. Zerfall und Bildung von Gruppen sind wechselseitig: „Wer könnte versichern, das Kollektiv sei der Gruppe vorausgegangen. […] Wir setzen die logische Vorrangigkeit des Kollektivs aus dem einfachen Grunde, weil die Gruppen, soweit es uns die Geschichte lehrt, sich als seine Bestimmungen und seine Negationen bilden. Anders gesagt, sie überschreiten es und bewahren es auf.“ (Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.373) „Alles wird klar, wenn wir die Nicht-Gruppierten situieren, die sich durch ihre Ohnmacht gegenüber der Gruppe, die sie entdecken, als Kollektiv erkennen.“ (S.372) 476 Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.884.
200 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Hinsicht und ausgehend von der These, dass der Andere – die Gesellschaft – eine sich niemals totalisierende Ganzheit ist. Zum Beispiel wird die Architektur bei Sartre nicht nur als Unternehmen ohne anthropologische und ontologische Aufklärung, wie etwa Heidegger sie auch in Bauen Wohnen Denken477 fasst, angesehen. Im Paradigma des Treppenhauses szenifiziert sie sich ausdrücklich zu einer Stätte existentieller Selbstbestimmung, die zwischen meinem Körper und dem Körper der anderen systemisch rückvermittelt ist.
Abb. 37 ∞ Paul Klee: dynamik nachbarlicher Gruppen, 1929
In Sartres Kritik der dialektischen Vernunft zeigt sich wie sonst nirgends die positive und negative Bestimmung des Gedankens der „Gestaltung für Menschen“ als „Gestaltung der Menschen“, und zwar als serielle, heute würde man sagen, statistische Individualität. Dieser späte Entwurf Sartres kann als bewusste Absetzbewegung von Heidegger gedeutet werden, insofern hier die dualen, narzisstischen Dispositionen aufgebrochen werden, ohne auf eine Transzendenz oder ontologische Bestimmung zu verweisen. Sartre erweitert das Reich der Beziehungen auf Dinge nicht nur im Begriff der Sache, er versucht in der Begehrensmanifestation des anderen auch jene Andersheit zu verifizieren, die vorgeblich jeder der anderen als seine Privation be477 Heidegger, Bauen Wohnen Denken, a.a.O., S.148. „Unser Denken ist freilich von altersher gewohnt,
das Wesen des Dinges zu dürftig anzusetzen. Dies hatte im Verlauf des abendländischen Denkens zur Folge, daß man das Ding als ein unbekanntes X vorstellt, das mit wahrnehmbaren Eigenschaften behaftet ist. Von da aus gesehen, erscheint uns freilich alles, was schon zum versammelnden Wesen dieses Dinges gehört, als nachträglich hineingedeutete Zutat.“
III. 3. BAUHAUSFRAKTIONEN: DAS UNVERMITTELBARE 201
greift – das Ich gegen das Bild, das ich von mir in den Dingen ablöse. Erst darin, so glaubt er, ließe sich die stabile Fiktion einer Drittenposition auflösen. Diese ist zunächst nur der imaginierte Zustand der Gesellschaft, und zwar als regulative Idee einer Idealität. Klee selbst hat die Gruppenbeziehung nicht nur im Hinblick auf die allegorische und synchronische Versammlung thematisiert. Ihm gilt der Begriff des Stils als Bestimmung der Grenze, an der das Subjektive seine Personalisierung erfährt und die Schuld des Bildes in der Gesellschaft zirkulieren kann. Solche gesellschaftlichen Beziehungsräume lassen sich sehr oft am Begriff ‚Gruppe‘ bei ihm festmachen, wie im Bild dynamisch polyphone Gruppe (1931), in dem die punktierten Orte und die Linie als Manifestationen von zeitlichen Beziehungen gelten können. Kurt Lewin etwa hat zur gleichen Zeit spielende Kinder mit der Filmkamera auf dem Pausenhof beobachtet und hat unter feldtheoretischen Gesichtspunkten ihre Verteilung als soziologische Gestaltganzheit eines inszenierten Lebensraums beschrieben.
Abb. 38 ∞ Paul Klee: dynamisch-polyphone Gruppe, 1931
Um den Zusammenhalt einer organischen Gruppe zu konzipieren, greift Sartre auf den inneren Zusammenhang zwischen dem Blick als der dialektischen Konstitutionsbedingung von Subjektivität und der personalen Beziehung des Subjekts auf einem verdinglichten Feld zurück. Die Strategie der Personalisierung als regulative Idee besteht darin, dass das Subjekt selbst die Position des Gesetzgebers einnimmt, ohne zugleich die fatalen Folgen zu übernehmen, die mit einer Gottesposition anstehen. Blumenberg hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser cartesianische
202 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Standpunkt immer ökonomisch reduziert ist, um die Begründungsdefizienz gegenüber dem, was dem Subjekt vorausgeht – also die gesamte Sphäre des Ontischen – auffangen zu können. Der Drittenstandpunkt ist in den anonymisierten anderen, dessen ‚in-dividueller‘ Teil ich selbst bin, die Gesellschaft übergegangen, auch die des anderen Anderen, als der ich mir im Binnenverhältnis des Sich-selbst-Hörens erscheine. Das Gesellschaftsverhältnis ist demgemäß ein Teil-Ganzes-Verhältnis, dem zahlenlogische Überlegungen so zugeordnet werden, dass die Mathematik, respektive die Logik eine Objektivität der gesellschaftlichen Beziehungen, setzen zu können vermeint – und zwar genau dann, wenn die Beziehungen der Individuen untereinander nicht mehr generationssexuell erkannt sind, sondern über Sachbeziehungen vermittelt sind.478 Dass die Logik in Verstandeskategorien selbst Resultat der Vergesellschaftungsform ist, macht sozusagen die konstitutive Reinigungsform einer Gesellschaft aus, deren individuierte Selbstbegründung durch sie selbst hindurchgegangen ist, nämlich als abstrakt-industrielle Produktion. Die erste generative Epoche einer dialogischen Subjektivität hat uns nur das Binnenverhältnis des Subjekts erklärt: seine Forderungen, sein Begehren, sein Widerstand gegen die hemmungslose Erfüllung, kurz, seine Arbeit in der Welt. Auch wenn wir die Treppenhausgeschichte über Sartres Intention hinaus strapaziert haben, war es sicher, dass die Andersheit des Voyeurs seine Andersheit war – ein unbewusstes Genießen der Selbstverdinglichung, die durch das Gesetz, das von außen eindringt, als Stimme des Anderen, legitimiert worden war; dass also das Gesetz nicht bloß ein Gespenst ist, sondern die Repräsentation des (moralischen) Seins der anderen als Andere. Der Widerstand des Gesetzes – Einbruch des Anderen als sinnendifferentieller Affekt – erlöst von der Unbedingtheit des voyeuristischen Genusses und annonciert eine dialektische Tauschmöglichkeit. In diesem Sinne ist die Stimme (des Gesetzes) ein Organ des Anderen. Das Gesetz manifestiert nämlich auch mich als Totalisierung der Andersheit. Ich bin nicht nur Teil der Gesellschaft, ich bin ihre monadologische Totalität. Als Teilhaber an übersubjektiver Andersheit bin ich der durch das Gesetz eingeschlossen Ausgeschlossene, was der Gesellschaft ihre fundamentale Stabilität verleiht. Klee stellt nun die Schuldfrage als ‚Zweckbestimmung‘ der Kunst, d.h., was leistet/ist Kunst in Beziehung auf Öffentlichkeit respektive Gesellschaft und die gesellschaftlichen Chiffrierungen, und zwar, ohne dass das Werk sich als Autorität des Dritten (Gabe, Genie) aufspielt? Die Antwort ist nicht überraschend: Kunst produziert unter der Maxime der Minimierung der Schuld, indem sie den Körper als osmotische Grenze (Widerstand) thematisiert, sie versucht nicht, Schuld zu verdecken oder abzuschaffen. Von einem Einbruch des Dritten und einer Abstoßung desselben zu Zwecken des Widerstandes (Masochismus vs. Sadismus) konnte in der Treppenhausszene nicht wirklich die Rede sein, weil der ‚reale andere‘ nicht erschien. Wenn er zum Beispiel 478 Vgl. vor allem die Argumente Sohn-Rethels zur Zahlentheorie und Geldtheorie, in: Sohn-Rethel,
Das Geld, die bare Münze des Apriori, a.a.O., S.23ff.
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in Gestalt der Concierge wirklich als Ursache des Knackens erscheint, erst dann wird aus dem Anderen eine Verkörperung, aber auch nur dann, wenn die Concierge sich selbst als Bild des Gesetzes (der Hausordnung in diesem Fall) erkennt. Wesentlich an der Darstellung Sartres ist die Tatsache, dass die Gesellschaft als Kollektiv kein Bild von sich entwickelt und dass es zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen zur Gruppenbildung nur kommt, wenn als fehlende Ganzheit das Phantasma des Dritten realisiert wird. Das Wissen des praktisch inerten Feldes als anderes Wissen aufzuklären, tritt Sartre an. Er löst damit die ganze Kaskade der unbewussten, gesellschaftlichen Beziehungen. Wenn es eine positive Instanz der Drittenvermittlung gibt, dann ist diese Instanz der Körper, der auf die Unvermittelbarkeit, die Unmöglichkeit eines realen Dritten hinweist. Das genau aufzuweisen ist dem Klee’schen Versuch der Körperrückvermittlung zu unterstellen.
III.4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG UND WIDERSTAND
Um die folgenden Ausführungen Sartres, die das ontosemiologische Verhältnis des Daseins in der Gesellschaft schrittweise darstellen, zu verstehen, müssen zwei Interessen vorangestellt werden: Das erste gilt dem Versuch, das Zeichen und die Zählbarkeitsbeziehung (Serialität) als Gestaltbannung („mehr als“) zu erklären und die Technik dieses Bannungsprozesses als Profession des Waren-Designs zu unterstellen. Dazu organisiert Sartre Serialität im Ausgang einer Szenifikation, die nicht nur Metapher, sondern funktionale Form ist. Die Szenifikation öffnet die Designverhüllungen, sie macht für einen Moment sichtbar, wie der Prozess von Vergesellschaftung sich von den Dingen als Praxis/Szene ablöst. Sartre bezieht sich nicht auf ein Designobjekt im klassischen Sinne, sondern auf eines, das eine Sachbeziehung auch zwischen Subjekten organisiert, hier konkret auf einen Autobus. Das zweite Interesse neben der Entdichtung des Übergangs vom Individuellen zum Kollektiven besteht im Rückverweis auf den Symptomkomplex der Klee’schen Sklerose. Für wen und für was stellt die neurodermitische Krankheit Klees eine Szenifikation dar, insofern gemeint sein soll, dass in der Krankheit ‚Differenzen‘ produziert werden, die vermeiden wollen, in den problematischen Horizont der Autorität eines unterschobenen Dritten respektive Designverschlusses einzutreten?
204 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Vorausweisend: Die Szene der Krankheit stellt sich als Verschluss der Vergesellschaftung im Sog der Enteignung durch ein Subjekt dar. Krankheit ist somit der gelingende, reale Verweis auf misslingende, d.h. fiktionale Semiosen, oszilliert also ‚hysterisch‘ zwischen der Darstellung einer Fiktion und der Fiktion von Darstellung. Die entsprechende psychotische Option, das Fiktive für das Reale zu halten, kommt somit der ‚sozialen Krankheit‘, dem Faschismus zu. Sich vom faschistischen Telos abzugrenzen und nicht zugleich autoritär auf die ‚irreale‘ Semiose zu verweisen, macht die Darstellung der Darstellungsverweigerung, der Klee’schen Produktionshysterie nach 1937 aus. Kommen wir zunächst vorgreifend auf den Symptomkomplex zu sprechen. Das Symptom muss, was es setzt, zugleich verdecken: es verdichtet und verschiebt. Im Falle Klees bezieht sich die Szene des Symptomkomplexes und der Krankheitsverlauf auf die Körper- respektive Organgrenzen, die Verhärtung der Haut, denn so, wie die Haut den Körper öffnet und schließt, so öffnet und schließt die Szene (die Begegnung der Subjekte in der Praxis der Gesellschaft, die kommunikativen Tauschformen) die Gestaltganzheit der Communitas. Klees Position im Kollektiv dieser symptomatischen Zeichen ist die, zu zeigen, dass die Herrschaft des Zeichens den Zuspruch des Dritten evoziert und damit die im Narzissmus gehütete, vorgeblich schuldlose Produktion sowohl stört als auch phantasmatisch ermöglicht. Dazu ist es unabdingbar, dass der Nazismus die Macht des Körpers über die Zeichen demonstriert. Diesen Kampf von Körper, Bild und Zeichen trägt die Sklerose aus. Das macht sozusagen den wissenden Charakter der Krankheit aus – wenn sie nicht bloß ein zufälliges Schicksal sein soll. Wie sehr noch Klee gegen diesen Widerstreit anzukämpfen vermochte, zeigt die geradezu manische Zeichenwut: „Er ließ beinah medial, mitunter ganze Serien und Folgen von Zeichnungen entstehen, die einzig der Regungen der Hand folgend, das Innere, das Unterbewusste zu transkribieren vermochten.“479 Mittlerweise hat sich die Deutung der neurodermitischen Autoimmunkrankheiten auf dem neuesten psychotherapeutischen Stand der medikamenösen ‚Desensibilisierung‘ des hysterisierten Körpers auch mit dem Anteil des Gesellschaftlichen am Subjekt eingelassen. Das heißt, die schicksalhafte Bestimmung ist zu Gunsten einer ganzen Aggregation von (historischen) Wirkungszusammenhängen aufgegeben worden, in der, grob gesagt, die Haut sich als Schutzschild gegenüber den gesellschaftlichen Erfordernissen verhärtet. Es kommt zu einer Selbstimmunisierung. 479 B. Ostendorf, B. Maiburg, M. Schneider: Sklerodermie und Paul Klee: Metamorphose von Leben und Kunst? Zeitschrift für Rheumatologie, Band 63, Heft 4, 2004, Steinkopff Verlag 2004, S.324. Die Darstellung folgt noch teilweise falschen Fährten in Bezug auf das klinische Bild Klees, das erst von Suter vollständig untersucht und in wenigen, aber entscheidenden Punkten korrigiert worden ist – so zum Beispiel der Umstand, dass Klee bis zum Tod eine freie Beweglichkeit der Finger behielt und dass der grobe Malgestus keineswegs den Umständen der Krankheit zu verdanken ist. Die Beendigung des Violinspiels geht ebenfalls allein auf einen Rat des Arztes zurück, nicht auf den Verlust der Fähigkeit zum Musizieren als solcher.
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 205
Alle neurophysiologischen Untersuchungen der Progressiven Systemischen Sklerose (PSS) Klees, die von Castenholz und Suter sind sicher die ergiebigsten, gehen von einer äußeren Irritation aus, die die Krankheit auslöst. Die Genealogie, die wir im Zusammenhang mit Sartres Darstellung des phantasmatischen Dritten und Klees strukturell-genetischem anderen Anderen entfalten, geht davon aus, dass eine Indifferenz zwischen der Funktionalität des strukturellen Faschismus (Abschließungs- und Totalisierungsbegehren und der Widerstand dagegen) und des historischen Faschismus (von d’Annunzio bis zum Nationalsozialismus) mit seinem spezifischen Realisierungszwang, der Abschiebung des Unreinen, der Aufhebung der Subjektivität, Klee zum Äußersten der Körper-Bild-Identifizierung treibt. Thetisch formuliert: Klee nimmt das Inversionsdenken der ontosemiologischen Kopplung nicht mehr in den erfundenen, sondern in den realen Widerstand des Körpers auf und beweist damit den Gehalt des strukturellen Faschismus: den Widerstand gegen die mediale Ebene intersubjektiver Vermittlung im Terror der Totalisierung, also die unvermittelte Verschiebung einer sexuell partiellen Triebgefahr in eine Wahrnehmungsgefahr, um sie am Ort der Wahrnehmung nichten zu können, mit allen masochistisch-sadistischen Komplexionen, von denen uns die Psychoanalysen berichten. Es handelt sich bei der Sklerose nicht um eine Schuldabwehr, sondern um eine Abwehr der osmotischen Produktion zur Minimierung auch noch der geringsten Körperabsonderung als Ding, in deren Folge paradoxerweise der Körper selbst als Ding erstarrt. Präziser auf Klee hin gesagt, ist zu verstehen, dass Bilder im Sinne von Tableaus je schon immer ‚Entartungen‘ der Praxis darstellen, vermöge derer sie eine, wenn auch minimalisierte, Schuld am anderen darstellen, indem sie die Stimme des Anderen in den Stand des Bildes stellen – was Heidegger treffend als Technik des Gestells beschreibt. Es ist die Insinuierung der Schuld (ontologisch also die Aufdeckung der Endlichkeit und der Phantasmatik des Widerstandes), die die Praxis des Handelns in die kollektive Organisation einer Partei (der Nazis) treibt, die nun die Schuldsubstanz (den noch so kleinen Aufschub der Realisierung) ausschließt und sie einem anderen unterlegt, von dem aus das Kollektiv sich als Gruppe definiert (Gott, Gesetz, Natur, Kosmos bzw. ‚das Volk‘). Die Praxis einer Partei als Drittenrepräsentanz des Anderen (die Nazis, die Kommunisten, die Techniker usw.) läuft darauf hinaus, in einer abschließbaren Gestalt der Solidarität mit dem anderen das ganz Andere zu realisieren: Der Grund aber, weswegen sich das Kollektiv (stalinistisch oder nazistisch) abschließt, ist der, dass es seiner Schuld bewusst bleiben muss, um seinen Körper als Widerstand zu opfern, und deswegen die Abschließung medial sowohl propagandistisch proklamiert als auch kriegsmäßig betreibt. Der Faschismus kämpft also immer gegen sich und die anderen für eine völlige Identität von Produktion und Konsumation, in der für einen Dritten (die Seinseigenart des Bildes) keinerlei Platz ist. Jetzt zur Darstellung, die Sartre wählt:
206 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Wie in der Treppenhausszene erlaubt uns Sartre, mit einer kleinen Szenifikation die Verhältnisse der Auf- und Abschließung von Gesellschaft zu überschauen. Wieder ist die Architektur der Szene von wesentlicher Bedeutung. Sartre wählt diese Szene auch, um nach Das Sein und das Nichts in seinem zweiten theoretischen Hauptwerk Kritik der dialektischen Vernunft die Beziehung des Subjekts mit anderen Subjekten soziodynamisch und politisch erfassen zu können, das heißt, er überschreitet die bourgeoise Formel der narzisstischen Stabilisierung auf den impliziten Dritten hin, der Medialisierung, der leiblich und tauschvermittelten Verfasstheit von vergesellschafteter Arbeit, Produktion und Handlung. Im Übergang von der ungegliederten, zufälligen Gruppe zum Kollektiv ereignen sich nämlich alle jene Vermittlungsgegebenheiten, zu denen wir unzulässigerweise immer den Plural die Medien gebrauchen, wo vorher nur von dem Blick und dem Gesetz die Rede war. Die Medien vermitteln und vereinzeln zugleich und sind so die Binnenstabilität der Gesellschaft. Erinnern wir uns daran, dass Sartre im Treppenhaus nur ein Knacken vernommen hat, eine minimale akustische Differenz. Die reale Erscheinung eines Dritten, der die Synthese des Voyeurs aufbricht, war nur als Möglichkeit erwogen worden. Das Knacken ist zunächst, wie das Erwachen, eine Selbstaffektion, so wie das Imaginäre sich auch nicht in meinem Kopf abspielt, sondern die Selbstaffektion des Körpers als einer äußeren Sache bezeichnet. Denn ‚in meinem Kopf‘ spielt sich nur das ab, was ein ‚Außen‘ affiziert und zugleich affektiert. Das heißt, das Subjekt schreitet zur Phase technischer Vermitteltheit, in die es durch die Entdeckung der Rhythmisierung des Raumes als Zeitlichkeit eingetreten war. Es entdeckt die Vorläufigkeit des Dritten als eingeschlossenen Ausgeschlossenen. Gleichzeitig öffnet Sartre sich hin zu einer Dialektik der Mehrwertigkeiten, deren Negationsbeziehungen Möglichkeitsbeziehungen sind. Deswegen lassen sich die kollektiven Beziehungen nur bis zum Schema der Trinität bezeichnen, bevor sie sich serialisieren und wieder als szenisch-dramatische Gruppenbeziehungen oder als institutionelle Größen (der Dritte als Verfassung, als Architektur, als Programm der Partei, die nach ihrer Konstitution die Revolution wieder bei eins beginnen lässt und so fort) abgebunden werden. Es geht Sartre darum, das Nichts als konkrete Andersheit vorläufig aufschiebend im gesellschaftlichen Prozess zu erkennen und vor der vollständigen Fusion mit den Körpern der anderen (Stalinismus, Nazismus) zu bewahren. Es geht nicht um einen Hegel’schen oder Marx’schen Idealismus des geschichtlichen Prozesses. Es geht darum, eine unüberschreitbare Schwelle des Privaten gegen das Kollektiv, also eine Genese des Bewusstseins des politischen Menschen zu konstruieren Es geht hier darum, den individuellen Einsatz der Stimme als syndromischen Diskurs des Dritten (der Andere in mir) zu bewahren, der Klee in die Position bringt, die Stimme der Produktion von Bildlichkeit überhaupt zu erheben. Ich zitiere erneut die Stelle dieser Kundgebung:
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 207
Jeder im Theater ist vor jeder Replik einer Szene, die er für skandalös hält, in Wirklichkeit durch die serielle Reaktion der Nachbarn bedingt; der Skandal ist der andere als Grund einer Serie. Aber sobald es zu den ersten Äußerungen des Skandals kommt, das heißt zu den ersten Handlungen dessen, der für die anderen handelt als Anderer als er selbst, schaffen sie die lebendige Einheit des Saals gegen den Autor, lediglich weil dieser erste, durch seine individuelle Einheit, für jeden in der Transzendenz diese Einheit realisiert.480
Die fiktive oder bezeugte Einheit des Einzelnen schafft die implizite Konstitution der Gesellschaft als eines, nach Luhmann, Lewin und Heider könnte man sagen, aufgeladenen, gerichteten „Feldes“,481 das unter dem Einbruch des Rufers von der passiven Gruppierung in den aktiven, kollektiven Zustand umschlägt und sich gegen die Realität (etwa eines skandalösen Ensembles oder eines skandalösen Stücks) richtet. Die passive Gruppe ist keine politische Gruppe (Partei), weil sie das Bewusstsein ihrer transzendenten Einheit nicht begreift. Anlass der szenologischen Beschreibung ist ein alltäglicher Skandal. Was ist ein Skandal? Naiv etymologisch prägen sich die Begriffe: ein Ärgernis im Sinne von ‚unerhört‘ oder ‚unglaublich‘. Weniger naiv erinnern diese Begriffe an das Kierkegaard’sche Ärgernis: Abraham kann nicht sprechen, weil es nichts zu sagen gibt. Er bleibt stumm vor Gott angesichts der Forderung, den Sohn zu opfern und damit die Drittenperspektive (seine Selbstüberschreitung in der Zeugung) aufzugeben. Kierkegaard verzeichnet diese Perspektive als ästhetische, es ist die des „zufälligen Einzelnseins“. Die Ästhetik ließ zu, ja forderte das Schweigen des Einzelnen, wenn er durch Schweigen einen anderen retten konnte. Dieses bereits beweist hinreichend, daß Abraham nicht innerhalb des Bereiches der Ästhetik liegt. Sein Schweigen geschieht keineswegs, um Isaak zu retten, wie überhaupt seine ganze Aufgabe, Isaak um seinet- und Gottes willen zu opfern, der Ästhetik ein Ärgernis ist; denn sie kann wohl verstehen, daß ich mich selbst opfere, aber nicht, daß ich einen anderen opfere um meiner selbst willen. Der ästhetische Held war stumm. Die Ethik verurteilte ihn indes, weil er stumm war, kraft seines zufälligen Einzelnseins. Sein menschliches Vorauswissen war es, das ihn bestimmte zu schweigen.482
Wenn „das Lindernde an der Rede ist, daß sie mich in das Allgemeine übersetzt“483, dann steht Abraham für das Paradox: als Einzelner484 vor Gott zu stehen. Die Frage der Vaterschaft, also des ersten Signifikanten, wird hier thematisiert. Kierkegaard geht es darum, zu zeigen, so der Trinitätsgedanke, dass das (protestantische) Christentum den einzelnen „Mensch vor Gott“485 stellt, ihn aber zugleich 480
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.371. Sartre lernt die Gestalttheoretiker und auch Lewins Feldbegriff, der für seine frühe Ästhetik maßgebend ist, im Zuge seiner Husserl-Studien in Berlin 1933 kennen. 482 Sören Kierkegaard: Furcht und Zittern. Hamburg 1992, S.105. 483 Ebd., S.106. 484 Ebd., S.112. 485 Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode, a.a.O., S.81. 481
208 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
nicht der Vergesellschaftung berauben darf: „Wenn man das In-der-MöglichkeitHerumirren vergleichen wollte mit dem Vokallallen eines Kindes, dann ist das Fehlen der Möglichkeit wie ein Stummsein.“486 Das Zusammenvorhandensein des absoluten Einzelnen und des seriellen Kollektiven ist das Ärgernis respektive der Skandal, der, so Kierkegaard und Sartre in gleicher Metapher, als „Pfahl im Fleische“487 die Perspektive der Selbstbestimmung beherrscht. Man kann das Nichts der Sprache nicht sagen. Man kann nur unendlich, serialisiert darüber sprechen. Es ist also in erster Linie der Übergang von der Eins zur Zwei, der in der archaischen Gesellschaft problematisiert wird. In der Drei ist der Übergang als solcher dann schon technisiert, also wiederholbar gemacht und institutionell. Die Szenen sind dann nicht mehr immanent, sondern reflexiv vergesellschaftet und institutionell gesichert. Die Sinnendifferenzen sind in sich seriellen Medien-Übergängen verantwortet, das gilt gerade auch bei der Setzung eines transzendentalen Dritten. Man bemerkt die Körperlichkeit dieses In-sich-Widerstandes zur Gesellschaft auch in den Klee’schen Tagebüchern nur zu deutlich, wenn er davon spricht, sich als bildender Künstler aus der Allgemeinheit herauszuarbeiten, während er in der Musik geradezu eine Pathetik der Versenkung ins Kollektiv betreibt. 1902 tauchen dann die ersten Annoncen der Drittenposition, funktional abgebildet auf Malerei ,auf – wie bei Sartre eine theatralische Choreografie der Wiederholbarkeit der Eins und der Zwei: „Hereinrenke die dritte Dimension in die Fläche.“488 – schon diese Schleife in der Satzform ohne Subjekt zeigt die Funktionalisierung an, die auch in der seltsam dualen Inversion der Personalisierung bestimmt wird: „Ich bin mein Stil.“489 Und eine Tagebuchseite vorher war gleich die Aufgabe der narzisstischen Vereinzelung und die Anbindung ans Kollektiv angemahnt: „Du Individuum, das niemandem dient, Du zweckloses! Schaffe dir Zwecke: Spiele, täusche dich und andere, sei Künstler.“490 Der Künstler als Skandal, der Künstler als Ärgernis. Seltsam genug, dass von Seiten der Eltern nirgends ein Widerstand gegen den Hungerberuf des Kunstmalers formuliert wird. Auf der anderen Seite ist Lily, die Münchener Bürgertochter, genau diesen Anfeindungen ausgesetzt. Klees Vermählungsabsicht ist einer langen Latenzzeit ausgesetzt. Anfangs gibt es privatistische Rückfälle: „Selbstlehrling“ zu sein, zwischen „Physis“ und „Psyche“. Und nochmals deutlich: „Das dritte“ dieser Körper-GeistVermittlung „ist, bescheidener und unwissender Selbstlehrling […], ein winziges 486
Ebd., S.36. Ebd., S.68. 488 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 425, S.134. 489 Ebd., S.134. 490 Ebd., Nr. 422, S.133, 487
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 209
Ich.“491 Konsequenzen daraus, Symptome stellen sich als Mangel an Widerstand ein. Bluthusten, „Gehörleiden“ und Todessehnsucht.492 Was Klee in dieser Phase seiner Biographie fehlt, ist eine Künstlerfreundschaft, wie sie später in Kandinsky erwächst. Die daraus hervorgehenden institutionellen Bindungen in München, dann am Bauhaus fundieren seine gesellschaftliche Anerkennung. Aber die Wunde wird nicht heilen, der Selbstlehrling, dem die Stimme das Geschenk der widerstandslosen künstlerischen Existenz macht, bleibt in der negativen Privation befangen. „Die eigentliche Situation der ‚Existenz‘, gleichzeitig nach vorwärts leben und nach rückwärts denken‘ zu müssen“,493 ist paradox. Auch der fortschrittlichste Poduzent wird sich darin entschuldigen, dass seine Realisierungen die geschichte begründen, der sie sich historisch verdanken. Bei Klee ist das nicht von der Hand zu weisen, wenn er etwa die Mühsal bei der raffinierten Ätzung einer Radierung beschreibt. Oder wenn er Lily mal wieder um seltenes Material aus München bittet, um neue Techniken zu erfinden. Klee arbeitet nicht gegen das Ärgernis an, er transzendiert es. Das ist mehr als Ironie und Kritik, wie Blumenberg vermutet: Während der Mensch ganz dem hingegeben scheint, sich in der metaphysischen Tätigkeit der Kunst seiner originären Potenz zu vergewissern, stellt sich unvermutet im Geschaffenen eine Ahnung des Immer-schon-Daseienden ein, als ob es ein Produkt der bloßen Natur sei. Ich denke an ein in der Bewußtheit seiner Antriebe so paradigmatisches Lebenswerk wie das von Paul Klee, an dem sich zeigt, wie im Spielraum des frei Geschaffenen sich unvermutet Strukturen kristallisieren, in denen sich das Uralte, Immer-Gewesene eines Urgrundes der Natur in neuer Überzeugungskraft zu erkennen gibt.494
Hier setzen wir nun Sartres szenografische Kompetenz ein, um zu erläutern, was es mit der Produktion der Serialisierung, der Kollektivierung, der Zahl und des Designs auf sich hat, deren Widerstand in der Malerei Klees, wie Blumenberg gezeigt hat, als technische, als experimentelle Vorläufigkeit überwunden zu werden verspricht. Denn ohne den Widerstand droht der Durchmarsch der (Bild-)Geburt in den Tod. Sartre thematisiert zunächst die Drittenposition als eine, die aus der Serie heraustritt, eine Signifikanz vor dem Eintritt des Signifikanten. In der Privation der Selbstheit ohne Selbst konstituiert sich zunächst eine Gruppe, deren Zweckbestimmung nicht in einer äußeren Motivation, sondern in einem je inneren Interesse liegt. In diesem Sinne charakterisiert Sartre die Situation, in der jeder „nur durch seinen Körper als solchen 491
Ebd., Nr. 430, S.136. Ebd., Nr. 435, S.137, Datierungen um den Juli 1902. 493 Liselotte Richter, im Nachwort zu Kierkegaards Die Krankheit zum Tode, a.a.O., S.133. 494 Blumenberg, Nachahmung der Natur, a.a.O., S.45f. 492
210 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
isoliert“ ist, mit einem Satz Prousts: „Jede Person ist sehr einsam.“495 Etwas unpathetischer dazu ist die Erklärung, dass die Einsamkeit eine gemeinsame Einsamkeit ist, womit gesagt ist, dass, etwa beim jugendlichen Klee, das konstruierte Image des ‚einsamen Genies‘, der Wille zur Einsamkeit, einen Arbeitsprozess darstellt, weil man nicht einsam geboren werden kann. Die Konstruktion der Einsamkeit gehört im Tagebuch Klees schon immer zum Bereich der Erfindung des Widerstandes. Klee kollektiviert sich letztlich am Bauhaus nur als Lehrender, und man mag spekulieren, ob nicht der Entzug der Lehre, der Rückgabe der zweiten Geburt, unmittelbarer als der Faschismus, mit dessen Gewalt er konfrontiert ist, die körperliche Katastrophe des Gabeneinbehalts aufstaut und als Symptom verdinglicht. Die Sklerose wäre dann nicht nur eine Überbietungsabwehr des historischen Faschismus, sondern zugleich eine Demonstration der Unmöglichkeit der Schuldverschiebung ohne den anderen. So aber, dass Schuld selbst die Beziehung zum anderen als eine sprachlich-dialogische gründete. Sartre holt in der Kritik der dialektischen Vernunft die missglückte, weil a priori definierte Setzung von Freiheit, wie er sie in Das Sein und das Nichts bestimmt hatte, in die Relativität der praktischen Beziehungen zurück.496 Es muss nicht nur in der Entwicklung Klees auf einen Mechanismus des Opfers von Einsamkeit hingewiesen werden. „Oder, wenn man will, die Isolierung des Organismus als Unmöglichkeit, sich mit den anderen in einer organischen Totalität zu vereinigen, offenbart sich durch die erlebte Isolierung hindurch als provisorische Negation der Wechselbeziehungen zu den anderen durch einen jeden.“497 Die absolute Differenz bleibt, auf Klees Körperbild und Körperabbildung hin gesagt, problematisch. „Die Isolierung des Organismus als“ Faktizität des Körpers wird in der glücklichen Verlobung mit Lily Stumpf 1902, im Jahr der schon kultivierten Einsamkeitsbekundungen, relativiert. Die Einsamkeit dient offiziell dazu, 495
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.273f. Sartre scheut sich an dieser Stelle nicht, seinen Freiheitsbegriff von Das Sein und das Nichts zu revidieren, indem er die Freiheit, die dem Subjekt gegebene Wertsetzung, von der inneren Dualität auf eine gesellschaftliche überträgt. So ist die vielfach missverstandene Reversion lediglich als Konsequenz der Erkenntnis zu verstehen, dass nach der Darstellung der Genese des Subjekts, in der das Subjekt sich einem realen anderen gegenüber situiert, die Darstellung der vorgängigen Introjektion sich dieser gesellschaftlich, dinglich sowie zeichenhaft situierten Andersheit erst nachträglich versichern kann. Genau das hatten die Frühromantiker mit dem Begriff der (zeitlichen) Inversion der Epochen des Denkens erfasst. Damit das Subjekt sich hat, muss es sich vorher als anderer (Spiegel; Ideal-Ich) setzen. Als sich setzend erfasst es sich als von den anderen gesetzt, insofern die gemeinsame Andersheit (die Bedingung des Kollektivs) transzendiert ist. Die Inversion ist die Reversion der Transzendenz. Sartre geht dieser Bewegung in Marxismus und Existentialismus unter dem Begriff der regressiv-progressiven Methode nach. „Allein diese Lösung ermöglicht es, die Totalisierungsbewegung auf das Wirkliche zu gründen: die Dialektik muß im Verhältnis der Menschen zur Natur, zu den ‚Ausgangsbedingungen‘ und in den Beziehungen der Menschen untereinander gesucht werden. Hier entspringt die Dialektik als Ergebnis der Entwurfskollisionen.“ Sartre, Marxismus und Existentialismus, a.a.O., S.81. 497 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.273. 496
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 211
in einer Zwiesprache mit der Natur, die Bedingung für die kollektive Synthese von Werk und Gesellschaft zu etablieren: die Bildsprache konstituiert sich in der Arbeit des Widerstandes gegen ihre Funktion als innere Zwiesprache. Die andere Seite der ambivalenten Natur des Selbstverhältnisses spricht nicht von Autarkie, sondern von Pluralität, da jeder von Beginn an „seinem Nebenmann den Rücken zuwendet“,498 indem er immer gleichzeitig mehrere Gruppenbeziehungen aktualisiert. Der Negation des Ichs in der zufälligen Gruppe entspricht die Negativität aller Gruppenmitglieder untereinander, die mengenlogisch eine Gruppe bilden, in der sie wechselseitig autonom sind. Die Gesellschaft ist die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element erkennen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich das Russell-Paradoxon in der Gruppentheorie Sartres abbildet. Denn Sartre behauptet, dass die Logik einer Gesellschaft, im Sinne einer Ab- und Ausschließungsdialektik, ihre mathematische Problematik ist, die sie als objektiv und logisch behauptet. Dass Mathematik das Abbild der Beziehungen der Subjekte untereinander in einem sprachlichen Kollektiv ist, war schon Alfred Sohn-Rethel am abstrakten Geldtausch, also an der Abstraktion des Schuldkörpers aufgegangen. Salopp gesagt: Jede Gesellschaft hat die Mathematik, die ihrer Gruppenorganisation entspricht, gemäß derer sie sich gegenseitig verschuldet und somit körperlich respektiert. Wir haben weiter oben angemerkt, das die Mathematiker selbst von einem Stil in der Mathematik499 sprechen – dem Stil Newtons, dem Stil Leibnizens, dem Stil Hilberts, ganz unverfänglich ist sogar von einem deutschen Stil die Rede. Gödel wird als Stilbruch bezeichnet: das einsame, paranoische Genie, das allen anderen den Rücken zuwendet. Nun wollen wir endlich die Szene benennen, in der die Implikationen aufeinander treffen, die aus der Wahl der dualen Einsamkeit herausführen: Eine Gruppierung von Personen auf der Place Saint-Germain wartet an der Haltestelle vor der Kirche auf den Autobus. […] Diese Personen kümmern sich nicht um einander, reden sich nicht an und beachten einander im Allgemeinen nicht; sie existieren nebeneinander um den Haltepfosten herum. […] Für jedes Mitglied der Gruppe, die auf den Autobus wartet, ist die Großstadt ja als praktisch-inerter Komplex gegenwärtig […] in dem es eine Bewegung auf die Austauschbarkeit der Menschen und des Werkzeugkomplexes hin gibt. […] Denn die getrennten Menschen bilden eine Gruppe, insofern sie alle von demselben Bürgersteig getragen werden, der sie vor den Autos schützt, die über den Platz fahren, insofern sie um dieselbe Haltestelle gruppiert sind usw. Und vor allem darin bilden diese Individuen eine Gruppierung, daß sie ein gemeinsames Interesse haben, das heißt, daß sie, als organische Individuen getrennt, eine Struktur ihres praktisch-inerten Seins gemeinsam haben, von dem sie außen vereinigt werden. […] In dem Maße jedoch, wie der Autobus die gegenwärtigen Benutzer bezeichnet, konstituiert er sie in ihrer Austauschbarkeit: jeder wird nämlich durch den sozialen Gesamtkomplex als mit seinen Nachbarn vereinigt hervorgebracht, insofern er ihnen streng identisch ist.500 498
Ebd., S.274. Max Bense: Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik. Hamburg 1948. 500 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.273-276. 499
212 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
Im Zusammenhang mit der Szenifikation der Gruppe ‚Autobusbenutzer‘ ist es eigentlich banal, den Begriff der Serialität einzuführen, denn jedes der Individuen der Gruppe hat beinahe wie selbstverständlich, um den inerten Gruppenkomplex zu wahren, eine imaginäre Nummer gezogen, die es als ein bestimmtes Mitglied der Gruppe präzisiert, nach der Regel, dass der, der als Erster an die Haltestelle kommt, als erster einsteigen darf. Sartre verwendet viel Zeit darauf, den Zusammenhang zwischen Gruppe, Serialität und den entsprechenden metamathematischen Dispositionen zu erläutern. So bezeichnet die Nummer hier die Funktion einer Ordinate und nicht die Gesamtheit der Wartenden als Anzahl (Menge), die sich in unregelmäßigen Abständen vermehrt. Erst diese kardinalen Verfassung, die aus der Gruppe eine sich ihrer Gemeinsamkeit bewusste Menge macht, nämlich das Kollektiv, erlaubt den neutralen Begriff der Gruppe arithmetisch zu besetzen. „Kein Begriff kann von der Serie gebildet werden, weil jedes Glied durch seinen Platz in der Reihenfolge seriell ist, das heißt durch seine Alterität, insofern sie als unreduzierbar gesetzt ist. Das kann man in der Arithmetik an der einfachen Betrachtung der Zahl als Begriff und als serielle Wesenheit sehen.“501 Die Zahl weiß nichts von ihrem Nachbarn. Das Wissen des Anderen zu lernen und zu lehren, das ist ursprüngliche Aufgabe der Mathematik, es ist keine Rechenaufgabe.502 Sartre bestimmt die urbanen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht aus den familialen Expansionen einer bourgeoisen Gesellschaft (wie Freud), oder den deutschen, professoralen Wissenshierachien (wie Heidegger), sondern urban aus den Vereinzelungen eines Individuums, das vom anderen privatistisch getrennt ist, das heißt, aus der Struktur des industriell narzisstischen Arbeitsprozesses. Im Schatten der Unendlichkeit und der Immanenz der „Ordnungsnummern“,503 die jedem Wartenden eignen, kommt ein diskursives Problem selbst ohne die geringsten algebraischen Kenntnisse nicht auf. Man orientiert sich nicht abstrakt, sondern am Verhalten des Nachbarn. Aber Sartre wäre nicht Schriftsteller, würde er nicht sein Beispiel in einer funktionalen Option anschlussfähig halten. Zweckentsprechend schafft der anonyme Tausch von Geld und Ware (Zahl und Zeichen) die Negation aller Individuen, die ihre Existenz auf die doppelte Zahlenfunktion von austauschbarer Arbeit und nicht austauschbarem Körperkonsum ordinal und kardinal realisieren, ohne ein explizites Wissen davon erlangen zu müssen (respektive zu können).504 Körper und Konsumgegenstand fallen im Zeichen als Elementarereignis zusammen, so Baudrillard. Sartre definiert: „Die Serie ist eine Seinsweise der Individuen in Bezug auf einander und auf das gemeinsame Sein.“505 501
Ebd., S.280. Heidegger, Die Frage nach dem Ding, a.a.O., S.70f. 503 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.280. 504 Das macht die Tragik des Versuchs von Sohn-Rethel aus: den Tausch- und den Gesellschaftszusammenhang materialistisch und historisch zu begründen. 505 Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.283f. 502
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 213
Zurück zur Autobushaltestelle. Solange der Autobus alle Wartenden aufnehmen kann, bleibt der Status der Gruppe mengenlogisch unverändert. Ihre Einheit ist die Beziehung zu einem Gegenstand, „dem Bus“, der gleich kommen wird.506 Der Bus bildet die szenische Rahmung für das Zeitbild, in dem die Gruppe sich bildet. Gleichzeitig ist der Bus eine Alterität, etwa mit festgelegten und teilweise ebenfalls durchnummerierten Sitzplätzen, die der Gruppe einen korrespondierenden Sinn geben. Das heißt, im Bus ist die Gruppe schon vorgedacht. Der Bus ist damit technisch im Begriff seiner Aufgabe. Wenn die beiden alternierenden Gruppen – die Wartenden und die Menge der Sitzplätze – aufeinandertreffen, kann es aufgrund der Kardinalität der ‚Elementarhypothese Bus‘ zu einer Thematisierung der Serialität kommen, die implizit geregelt wird: die Letzten der Warteschlange dürfen den Bus nicht mehr betreten, weil der Bus voll ist. Sie werden die Ersten einer neuen Gruppe; die Jüngeren der Gruppe überlassen den Älteren die Sitzplätze, was ebenfalls einer zahlentechnischen Orientierung entspricht. In jeder dieser Implikationen wird die „Vernunft der Serie“507 den Gruppenstatus als solchen nicht kollektivieren, das heißt, wird sich der Prozess der Szenifikation der Individuen untereinander nicht als Selbstabbildung lösen, die Ordinalität bleibt weiterhin ein transzendenter, stummer Mechanismus. Der Dritte erscheint nicht. Sehen wir nun auf die expliziten Faktoren, die aus der Szene hervortreten, wenn die Serie auf die Gruppe stößt und diese wiederum auf den Dritten, der sie zum Kollektiv formt, in dem sie schließlich Partei ergreifen können: Serie, Gruppe, Kollektiv, Partei. Die Faktoren sind strukturalistisch an die Bedingung des leeren Platzes bzw. des fehlenden Platzes geknüpft, wenn die Korrelation von Menschen und Dingen auftritt. Der Autobus hat, sagen wir, 9 Plätze – 10 Wartende steigen ein. Einer erhebt mit Gewalt Anspruch auf einen Platz. Die Gewalt kann darin bestehen, dass er den Blick einer älteren Person erträgt, die stehen muss, was den Blick aller anderen Fahrgäste auf diesen Akt lenkt. Die Schuld bestimmt diesen ‚gewaltbereiten‘ Einzelnen als Subjekt, alle anderen augenblicklich als ein Kollektiv, das Partei ergreift. Dabei bedarf es nicht eines einzigen Wortes und nur einer passiven Handlung, die darin besteht, eine kleine Regel zu übertreten, so dass sich das Kollektiv auf sie als ein unausgesprochenes, gemeinsames Drittes beruft. Es handelt sich bei der Schuld um ein Moment der Verschiebung, in dem die Regel: ‚Jüngere haben den Älteren ihren Platz zu überlassen‘ vielleicht nur aus Gedankenlosigkeit übertreten wird. Die Blicke der Fahrgäste verraten jetzt die Explizitheit der Regel. Der Einzelne kontert den Blick: „Es ist Aufgabe der ‚Autobusse‘, genügend Sitzplätze zur Verfügung zu stellen. Die Dinge selbst sind Schuld. Die Serialisierungspotenz des Autobusses (Frequenz der Busse, Größe der Busse) ist ebenso nicht hinreichend 506 507
Ebd., S.279. Ebd., S.284.
214 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
wie die Sachkompetenz der Verkehrsgesellschaft. Auch können die anderen schuld sein. Warum gehen nicht einige zu Fuß?“ Jedenfalls zeigt sich in diesem Moment der Beziehung der inkontingenten Korrelation zwischen Dingen und Menschen Schuld nicht als körperlicher Gewalt und ist doch eine an die Existenz des Körpers gebundene Kategorie der Verschiebung, wie sie etwa im Kinderspiel ‚Die Reise nach Jerusalem‘ eingeübt wird. Die Musik spielt so lange, wie die Kinder um die Stühle herumlaufen. Wenn sie abbricht, setzen sich alle. Da aber immer ein Stuhl weniger als Kinder vorhanden ist, scheidet eines aus, das in der Reise nach Jerusalem geopfert wird. Ziel des Spieles ist, zu vermitteln, dass nur die nichtserielle, fehlende Elementarposition Eins (ohne Ordinate) das unendliche Spiel der sozialen Beziehungen am Leben erhält, so wie das ‚leere Feld‘ die strukturale Bewegung ermöglicht, die ich selbst für mich einnehmen kann. Wenn man von der Einzigartigkeit des Kunstwerks spricht, ist es genau das, was Klee vermeiden will: den Tod des Spiels um den Preis der Illusion der Vollständigkeit des Ichs respektive der Abbildung/Verdopplung von Realität. Die Klee’sche Zeichnung ist in diesem Sinne die szenische Thematisierung einer fehlenden Stelle in der Gesellschaft der entfalteten Subjektbezüge, die durch die Transzendenz des Zeichens hindurch manifestiert wird. Die seriellen, industriellen, zeichenhaften, also die pluralen (urbanen) Erscheinungsweisen von Dingen und Menschen sind als Kollektive einer, wie Sartre sagt, „falschen Wechselseitigkeit“ unterworfen, weil ein Ding im Zeichen sich kollektiv vertreten lassen kann. Hören wir die Definition: Ich nenne Kollektiv die doppelsinnige Beziehung eines materiellen, anorganischen und bearbeiteten Gegenstands zu einer Vielheit, die in ihm ihre Exterioritätseinheit findet. Diese Beziehung definiert einen sozialen Gegenstand und schließt einen doppelten Sinn ein (falsche Wechselseitigkeit), weil ich ebenso den anorganischen Gegenstand als eine von einer seriellen Flucht untergrabene Materialität erfassen wie die totalisierte Pluralität als außerhalb ihrer materialisierte gemeinsame Forderung im Gegenstand begreifen kann.508
Ausgehend von dieser faktoriellen Besetzung des Dings (1. Sache, 2. Bild des Begehrens des anderen, 3. Phantasma der unmöglichen Totalisierung) ist es ein Leichtes, den strukturalen Zeichenbegriff, der etwa bei Levi-Strauss ursprünglich aus der Beziehung der Mitglieder einer (archaischen) Gruppe entwickelt wird, theoretisch wieder auf die Gruppenbeziehungen anwendbar zu machen – etwa, wie bei Raulet, von der ‚Unbewusstheit‘ ornamentaler Ästhetik auf eine utopische Ethik zu schließen. Das heißt, auf dieser Ebene der nicht mehr animistischen Beziehung begreift sich der bearbeitete Gegenstand als kollektiver Körper, der zu meinem Körper in 508
Ebd., S.287.
III. 4. DRITTE SZENIFIKATION: VERGESELLSCHAFTUNG 215
Beziehung treten kann, unter der Voraussetzung, dass die (falsche) wechselseitige Einheit durch die seriellen Relationen bestimmt wird, die nicht in Einheit (im Unendlichen) abschließbar sind. Die Funktion der Zahl ist es, genau solche glücklichen (gerechten) Relationen zwischen Dingen und Menschen technisch zu erzeugen, ohne sie abzuschließen, gleichwohl aber die Illusion des Abschlusses aufrecht zu halten. In unserem Beispiel kommt es darauf an, zu sehen, dass die Gruppe der Wartenden und die Gruppe der anorganischen Gegenstände/Einheiten namens „Autobus“ sich durch die Zahl der Sitze nur dann mit Sinn füllt, also explizit wird, wenn die Serialitäten nicht identisch sind, wenn ein Sitzplatz fehlt, aber auch wenn ein Sitzplatz zu viel ist, der das Problem der Wahl aufwirft, also eventuell mit imaginären Serialitäten konkordiert: immer am Fenster und immer in Fahrtrichtung sitzen etc. Dann erst beginnt die Kommunikation in Funktion einer Dritteninstanzforderung dramatisch zu werden. Der Ruf nach dieser Instanz bedeutet zugleich eine Gewalt über die Serialisierungen hinweg, und einen Aufruf, diese Gewalt hinauszuschieben.509 Man kann sich eine lebhafte Diskussion der Blicke und Worte im Autobus vorstellen, insofern der Autobus wie das Treppenhaus ein Ort ist, an dem der Status von Öffentlichkeit und Privatheit gegenüber Dritten nicht eindeutig ist: Hat stets der Fahrer das letzte Wort? Der Klee’sche Stilzug besteht darin, Möglichkeit offen zu halten und damit den Dritten nicht als Entscheidungsinstanz zu provozieren, eine Instanz, die in jedem Fall ungerecht (schuldverhaftet und gewalthaft) wäre, weil ihre gesellschaftliche Konstitution auf nicht bewusste Beziehungen gesellschaftlicher Körper und Serien gründet, die ebenfalls Möglichkeits- oder Moralbeziehungen sind. Wenn diese Gewalt sich nicht artikuliert, kann der Busfahrer, der z.B. durch eine Uniform als anderer einer anderen Serie gekennzeichnet ist, eine höhere Instanz in seinem Namen einklagen, also die konkrete Körperbeziehung auf eine technische Sachbeziehung ableiten, d.h. im Namen der Verkehrsgesellschaft für die Einhaltung der Regeln sorgen. Ich beharre in Bezug auf Klee und gegen Kandinskys Intention auf dieser strukturalen, Luhmann sagt, codierten Disposition mindestens zweier Serien in Tableau 509 Diese Bestimmung von Sinn liegt der berühmten kleinen Geschichte von Raymond Queneau unter
dem Titel Stilübungen zugrunde, die eine Begebenheit in dem zur literarischen Metapher gewordenen Autobus S zum Inhalt hat. Sartre dürfte diese Stilübungen aus dem Jahre 1947 mit Sicherheit gekannt haben. Während aber Queneau als Stil die rhetorisch möglichen Formen einer Episode durchexerziert und damit auf die Drittenposition des Schriftstellers und seine stilistischen Möglichkeiten hinweist, verstehen Sartre (und Klee) unter Stil eben nicht eine aus einer Gemeinschaft abgeleitete Praxis als Form, also eigentlich Manier, sondern eine zwischen Allgemeinheit und Individualität divergierende Serialität. Klees Stil ist deshalb nicht ein ihm eigener ‚genialischer‘ Zug, sondern eine individuelle (unteilbare) Möglichkeit, das Allgemeine zu sagen respektive zu produzieren. Sein Stil ist das Aufzeigen der Bedingungen der menschlichen Produktion, nicht die Variation menschlicher Produkte, wie sie Queneau als Stilübungen versteht. Wenn Sartre nach Queneau als Topos seiner Szenifikation den Autobus wählt, dann mag das vielleicht auch im Wortsinne des ‚Omnibusses‘ gemeint sein.
216 III. VON DER PERSONALISIERUNG ZUR GESELLSCHAFT
und Image. Im Durchgang durch das Tableau des Bildes bekommt die Partitur des Subjekts Paul Klee für einen Moment z.B. durch den Buchstaben, einen akustischen Wert, der als sinnvoll verstanden wird, weil er einer anderen Serie (Poesie, Literatur, Stimme) angehört. Das Zeichen als ‚glückliche‘ Serialität zweier Serien erscheint nur vor dem Hintergrund einer theoretischen, das heißt virtuellen Vollständigkeit als „Abwesenheit“.510 „Einen Sinn, der notwendig und einzig aus der Stellung hervorgeht“,511 konstituiert ein Negat der virtuellen Ordnungsbeziehungen und Kraftlinien, das der Strukturalismus das symbolische Feld genannt hat. Lacan hat die Meinung vertreten, dass das Unbewusste „weder individuell noch kollektiv, sondern intersubjektiv“512 disponiert sei, indem es die möglichen Anschluss-, das heißt Kreuzungsoptionen verwahrt, die an sich durch die „Abwesenheit“ der Vollständigkeit bestimmt sind. Schon aufgrund der seriellen Dispositionen der Gleichheits- und Ähnlichkeitsbeziehungen, der Linie und der Bildtitel, ist den meisten Bildern Klees ein serielles Konzept eigen, deren topologisches Feld der virtuelle Handlungsrahmen der serialisierten Versuchsreihen ist, und das heißt, der Raum der künstlerischen Praxis überschreitet die szenische Realität der Einzelelemente wie der Einzelwerke poetologisch und verhindert die deutende Gewalt eines Dritten.
510
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.288. Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus? a.a.O., S.15. 512 Ebd., S.37. 511
217
IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
IV.1.
FASCHISMUS UND KRANKHEIT: VERKÖRPERUNG DES ANDEREN
Sartre präzisiert die kollektive Bestimmung des Subjekts in der Welt der Medien als die ausgezeichnete Beziehung von „Abwesenheit als meine Verbindungsweise mit dem anderen“.513 Klee thematisiert dies immer wieder, indem er die Deutungsinitiative durch Pfeile, Kreuze, Buchstaben etc. und durch die Bildtitel als Einladung an einen Abwesenden, durch das Fehlen einer übergeordneten Instanz der Erkenntnis, begreift. Er durchkreuzt die serialisierte Erkenntnis, die stets vorgängige Ordnung des Wissens, indem er an die Möglichkeit des Wahrnehmens appelliert. Ich erinnere an den schielenden Blick des Engels der Geschichte (Angelus Novus, 1920), der mit einem Auge den Betrachter und mit dem anderen die von rechts kommenden Ereignisse fixiert. Schielen ist Ausdruck der Reflexion, Beugung des Organs auf seinen Blinden Fleck hin (internalisierte Drittenposition). Das Schielen ist bei den Figuren Klees ein gestisches Körperzeichen, das auf die Zweidimensionalität der Welt verweist. Das Bild ist ‚zweidimensional‘. Rudolf Heinz hat hinsichtlich der Fehlstellung der Augen in psychopathologischem Zusammenhang von einem Zwang zur Bildwerdung gesprochen. Das Schielen ist nichts als es selbst, ganz einfach: das Bild(flächen)phantasma, sprich: der Schein des Selbstseins der Vermittlung selbst als Allproduzent, an ihrem Ende als der Schein-bild-licher Totalität. […] Und das gnädige Bild bedeutet dann: ‚Siehe, ich gebe dir, was ich nicht habe, damit du es selbst wirst‘. Versteht sich, daß es den Zwischensatz (‚was ich nicht habe‘) verschluckt hat, so daß ich diese Ganzrestriktion nicht hören konnte.514
Vom Verständnis der Abwesenheit-als-Bild kann überhaupt Bildlichkeit aus dem Kollektiv der Gegenständlichkeit heraustreten und als Bildlichkeit zum Bannungsort (Heiligenbild) der Kollektivität werden: Der Sinn ist das Heilige, das zugleich als Gesellschaftliches transzendiert ist. Das heißt, das Symbolische ist als Bild ausdrücklich, indem es die Welt der Bilder von der Welt der praktischen Handlungen und 513
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.290. Rudolf Heinz: Schief und Scheel. Propädeutikum zu Bild und Strabismus. In: Hans Belting, Dietmar Kamper (Hg.), Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion. München 2000, S.235. 514
218 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Arbeit trennt und in Kunst als szenischem Möglichkeitsbereich der Symbolbildung heiligt. Was geschieht, wenn dieser Bannungsort sich nicht vom Körper ablöst, wenn es keine Bilder gibt? Diese Frage zielt sowohl auf die Ableitung der Bilder aus der Einbildungskraft des anderen („gibt, was er nicht hat“), wie auf die Problematik der Sklerodermie („gibt, was er ist“). Folgende These ist zu wagen: Was an Körpermalen von der Schamesröte bis zu den Hautaffektionen auftritt, stellt eine Antinomie zwischen Bildgabe und Paranoia eines revidierten Drittenbezugs zur Schau. Wenn es eine (dritte) Position außerhalb des ‚Systems‘ gäbe, dann wäre sie nur innerhalb der Paranoia der dreidimensionalen Welt möglich. Da aber die Welt nach Klee monadisch (gefaltet) ist, ist nur das Bild in seiner Bildlichkeit wahr. Bilder, die eine perspektivisch dreidimensionale Welt illusionieren, mit der Verdeckung von Körpern arbeiten, verbleiben innerhalb der Paranoia eines Austritts. Wir sind hier an einem Punkt angelangt, der uns auf das erste Problem, auf das wir im Zusammenhang mit der Stimme gestoßen sind, zurückführt. Wir sprachen von der Einforderung der Subjektivität gegen die sich massiv einbildende Bilderflut im dunklen Wald, die ein Kind dort in Angst versetzt und die es durch das „Singen im Walde“ als rhythmisierte Ordnungssetzung (Sartres ‚Serialisierung‘) zu kontern sucht. Die Einbildungen werden als ‚böse Bilder‘ auf die Schatten des Waldes übertragen. Diese Semantisierung des Dunklen ist die Arbeit der Paranoia, die eine ordnende Partialisierung leisten soll, was sie nicht kann und wozu schließlich die Stimme (Singen im Walde) zu Hilfe genommen wird. Wir hatten angemerkt, dass die Angst aufgrund einer drohenden Selbstauflösung aufkommt: Diese Angst hat ihre Wahrheit darin, dass tatsächlich alle Semantisierungen Projektionen sind, dass die Welt bis zu einem gewissen Grade, sobald sie sich in Zeichen auflöst, eine praktische Illusion darstellt. Wir hatten auch gesagt, dass Klee diese Einbildungskraft nicht zu bannen, sondern den Strom als Produktionsereignis in der Linie zu halten versucht, wie es die Szene am Marmortisch seines Onkel augenfällig gemacht hat, bevor sie in das gesellschaftliche Reich der Konvention übertritt. Die normalerweise von den Zeichenrealitäten gebannte Einbildungskraft kollabiert im undinglichen, dunklen Wald, wenn sie nicht zuletzt durch die interiore, serielle Ordnung der Musik aufgefangen wird. Auch hier begreifen wir das Prinzip der strukturellen Serialität. Weil in einem dunklen Wald die Abwesenheit eine geschlossene, reale Totalität darstellt, gibt es nicht die Möglichkeit einer symbolischen Abwesenheit, wie sie jede Wahrnehmung als meine signifiziert: die Potenz, die Gruppe der Wahrnehmungen in einer transzendenten Gestalt abzuschließen und mich selbst als Herr und Knecht der unabschließbaren Abgeschlossenheit zu verifizieren. Eine solche transzendierte Gestalt will nun der Faschismus realisieren, der die latente Gewalt der Bildwelt als einigende, einzigartige und einheitliche Politik betreibt: der Faschismus handelt sofort und unbedingt, indem er die bedingte und
IV. 1. FASCHISMUS UND KRANKHEIT: VERKÖRPERUNG DES ANDEREN 219
aufgeschobene Bannungskraft solcher Bilder als entartet außer Kraft setzt, die die Illusion der Einheitlichkeit der Welt stören – einer spezifisch nationalsozialistischen (oder stalinistischen) Einheitlichkeit. Insofern kollidiert das Schuldbewusstsein Klees gegenüber einer ‚plattgeschlagenen‘ Welt mit der Offenbarung, die der Faschismus extremisiert: in der Tat sind alle Bilder ‚Entartungen‘ – aber solche einer strukturellen Antinomie, einer paranoischen Rettung der Welt in Medien. Damit findet sich der Klee des Exils in die Lage eines im Wald ausgesetzten Kindes versetzt, das sich dem historischen Faschismus nur entziehen kann, indem es die furiose Produktion seiner späten Jahre – sozusagen das Abschütteln der Bilder – nur noch an sich selbst bannen kann: als Stimme des Widerstandes wird der Körper zu seinem letzten Bild – bezeichnenderweise auch in dem Moment, in dem die Stimme/Musik, das Musizieren ärztlich untersagt wird. Das im Wald ausgesetzte Kind, aber auch jeder Erwachsene fürchtet nichts so sehr, wie das Fehlen der Abwesenheit, das Bei-sich-Sein der Stimme, das so verlässlich die endlose Kette kontingenter Wahrnehmungen skandiert. Es ist die Angst des strukturellen Faschismus, eine Komponente des Todestriebes, dass eines Tages die Bilder in ihrer sequentialisierten Organisation (siehe die Inszenierung der Reichsparteitage) die Herrschaft an sich reißen könnten: Filmbilder. Dieser Angst muss der Faschismus zuvorkommen, indem er die Herrschaft über die Ästhetiken totalisiert. Kein Bild, keine Geste, die nicht der Zensur unterliegt, bevor sie sich zur Serie automatisiert; Bannung jedes Körpers, der nicht dem Bilde des Faschismus entspricht. Sartre, durch das Radio medientechnisch sozialisiert, spricht noch von der Furcht vor der Radiostimme, ist doch im Radio das Abwesende ganz anwesend, derart dass das Kollektiv sich um die Stimme von de Gaulle oder von Hitler versammelt, weil es nicht möglich ist, die Stimme des anderen Anderen als Widerstand öffentlich zu vernehmen. Heute noch ist etwa eine Empörung bei einer Radiosendung eine magische Demonstration der unverbundenen Verbindung mit allen anderen Hörern. Die Empörung kommt ja beim Sender nicht an, dennoch macht es Sinn, den Apparat anzuschimpfen. Die individuellen Reaktionen werden zwar unmittelbar hervorgerufen wie die freien Reaktionen des Individuums, aber es kann sie unter Einwirkung des Kollektivs nur hervorbringen, insofern sie in sich selbst laterale Totalisierungen der Serialität sind (Empörung, ironisches Lachen, ohnmächtige Wut, Faszination, Begeisterung, Bedürfnis, mit anderen in Verbindung zu treten, Skandal, Kollektivangst usw.).515
Das Radio ist, wie der Autobus, ein Medium (Drittensurrogat), das die immanente Transzendenz der Vergesellschaftung leistet, ohne sie zu thematisieren. 515
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, a.a.O., S.293.
220 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Die Magie der Kollektivangst tritt dann hervor, wenn die Auflösung des Einzelnen in der Gesellschaft, beispielsweise im Krimi, im Drama, explizit ist. Sartre ist die Darstellung dieser Wechselwirkung von technisch präziser Sendung und konfliktreichem Sendeinhalt eine eigene Anmerkung wert, die hier ganz zitiert werden soll, weil sie uns über die Angst Klees vor der Totalität derjenigen aufklärt, die dabei sind, die Andersheit vollständig zu eliminieren, indem sie einerseits die Welt auf ihre ästhetische Erscheinung reduzieren, andererseits nichts als die vermittlungslose Produktionskonsumation (Krieg) durchführen. Von der unhaltbaren Mitte aus führt der Faschismus seinen Zweifrontenkrieg. Nichts wäre unsinniger als dem Faschismus Irrationalität vorzuwerfen. Er ist die Konsequenz einer Rationalisierung und Ökonomisierung unter Anwendung der fortschrittlichsten Techniken: So würde die Welt aussehen, wenn technische Inkompetenz und inkontingente Serien sie nicht beständig subversiv und partikulär daran hinderten, ihre organische Abschließung zu feiern. Die Kollektivangst, insofern sie sich als serielles Verhalten bei einem isolierten Hörer [einer Radiosendung; R.B.] äußert, tritt auf, wenn eine Sendung gewagt oder schockierend erscheint. Die Angst ist hierbei die Angst vor der Wut oder der Angst der anderen, sie ist heiliger Schrecken, denn sie ist die Angst, daß diese Worte im unbestimmten Medium der Serialität ausgesprochen worden sind, und sie ist auch die Angst im Medium des Anderen, der Hörer dieser Worte gewesen zu sein. Diese Anderen in mir verurteilen diesen Moment der Rezeptivität da, wo durch meine Individualität eines praktischen Organismus diese Worte hier, in diesem Zimmer, existiert haben. Die Alterität verurteilt in mir meine persönliche Realität, der andere fällt ein Urteil über den Gleichen.516
Versuchen wir zu verstehen, wie Sartre die Angst an zwei Gegebenheiten bindet: Erstens ist die Angst an ein ‚Medium als Serialität‘ gebunden, derart, dass das Radiomedium die heterogene, vereinzelte, zufällige Gruppe in ein Kollektiv verwandelt, in dem der Einzelne, anders als im Theater, sich selbst gegenübersteht: und zwar im Moment des heiligen Schreckens, dass er sich mit Hilfe dieses magischen Instruments aus dem Kollektiv entbunden fühlt, dem er als anderer doch angehört. Das Medium ist das außer sich gesetzte Andere: die heilige Stimme. Es ist die Realität dieser Doppelbindung, das heißt, die Realität des ambivalenten Telos der medialen Serialität, das die Angst initiiert. Es handelt sich – nach Sartre – um den Schrecken der Freiheit. Jetzt könnten wir sagen, dieser Schrecken ist unabhängig vom Inhalt der Sendung jedes Mal vorhanden. In der Tat, bei den Pionieren des Radios, der halluzinierten Rede, der ersten Telefonstimme, der Laterna Magica etc. zeigt sich, dass Medien immer auch gespenstische Schreckensorte sind. E.T.A. Hoffmann hat in seinen „Gespenstergeschichten“517 der Epoche der technischen Medieninventionen 516
Ebd. E.T.A. Hoffmann: Der Magnetiseur. Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund des von Franz Anton Mesmer eingeführten ‚Kults‘ der magnetischen Therapie, einer der wechselvollen Vorgeschichten 517
IV. 1. FASCHISMUS UND KRANKHEIT: VERKÖRPERUNG DES ANDEREN 221
ein Denkmal gesetzt. In ihnen werden sie mit Hexenkunst und Teufelszauber in Verbindung gebracht und der Begriff ‚Medium‘ zielt eindeutig auf Realisierung einer Andersheit, die geisterhaft, automatisch erscheint: Engel, von dem man nicht weiß, ob er die Botschaft verkündet oder ist. Zweitens sehen wir, dass nach einer Phase der Einübung in den Schrecken, der Schocks und Magie der Gewalt, bestimmte Sendungen Angst erzeugen sollen: die Angst ist demnach ein Effekt der Aufdeckung medientechnischer Teufelsaustreibung, sprich, der therapeutische Gegenzauber der massenweisen Verbreitung des Radiogerätes. Man erinnere sich nur der immer wieder aufkommenden Angst vor den Strahlen dieser Apparate, zuletzt der Mobiltelefone. Es kommt also auf die Subtilität der Balance von technischer und designhafter Medialisierung an. Letztere wird in den Horror-, Grusel- und Kriminalstücken als gebannte, das heißt designhaft instrumentalisierbare Todesangst vorstellig: die individuierten Indizien werden durch den Polizeiapparat in kollektive Zeichen (Motiv und Sinn) gebannt, so dass der geheime Wunsch des Einzelnen, sich aus der Kollektivität zu entfernen – also genau das Problem des privat individuierten Radiohörers oder Fernsehzuschauers – programmatisch therapiert wird. Angst als Entwöhnung und Entzauberung ist kein Defekt irgendeiner schockhaften Erinnerung; sie ist die szenische Aufdeckung der Vergesellschaftung, die sich an ein Objekt heftet. Es gilt der Satz, dass die Angst die Wahrheit der Dinge in ihrer ontosemiologischen Zerrissenheit präsentiert. Damit ist Folgendes gekennzeichnet: Jeder Gegenstand, insofern er für einen anderen die Kollektivität und die Freiheit als ein und dasselbe Moment bezeichnet, der also das Universaldesign der ästhetisch-ethischen Beziehungen in seiner ökonomischen Bedingtheit der Ambivalenz des Todestriebes unterstellt, ist an ein Medium des Anderen gebunden. Das ist keine Unterstellung, die die technischen Bedingtheiten der modernen Medien gegenüber alten ausspielt, sondern ein Hinweis darauf, dass die spezifische Angst als allgemeine Furcht kein Opfer, sondern einen Gewinn ausspielt, der ihr in Form eines Aufklärungsgehaltes über reale Sachverhalte der abstrakten Vergesellschaftung zukommt, die durch die moderierende Wirkung des Universaldesigns die Extreme – der Kollektivismus versus Vereinsamung – unwahrscheinlich werden lässt. Wir müssen die vorliegenden Hinweise auf die Krankheit Klees, so gut es die Schlüssigkeit der Unterlagen erlaubt, als Moment einer Flucht aus der Angst und als Moment der Wahrheit der Malerei verstehen lernen. Die Wahrheit der Malerei besteht ganz profan darin, kein Ding in seiner Gespaltenheit produzieren zu wollen. Das heißt, der Maler weiß von der Gefahr solcher Produktionen, die sich an ihrer Produktionsverdeckung eines Tages rächen könnten. Klee zielt auf eine der Psychoanalyse im ausgehenden 18. Jh. Vgl. Bohn, Technikträume und Traumtechniken, a.a.O., S.147ff.
222 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Totalität: die des szenischen Bildes. Das Hereinrenken der dritten Dimension bedeutet auch die Ausblendung des Dritten als einer immanenten Transzendenz und damit die Verstreuung des gesellschaftlichen Zeichen- und Wissenszusammenhangs von traditioneller Abbildlichkeit. Was heißt das also, ausgehend von der Widerständigkeit der Malerei, zu behaupten, die Sklerose sei eine Flucht aus dem Bild in ein körperliches Mal? Es heißt doch, darzustellen, dass selbst der Bildvorbehalt vor dem Ding, (angesichts der faschistischen Realisierung des Bildes – die Vision für die Sache selbst zu halten) strukturell nicht ausreicht, mein Bild, das ich bin, im Bild, das ich von mir zeichne („ich bin mein Stil“) gewaltlos zu vermitteln. Es gibt kein Bild ohne Körper – die Frage ist, ob es einen Körper ohne Bild gibt, respektive einen anderen, der mit seinem Bilde vollkommen identisch wäre, ein heiliger Körper. Diesem heiligen Körper der Kunst, der gibt, was er ist, stellt die Krankheit Klees nach. Hans Suter hat in seiner jüngst erschienenen, umfänglichen Studie über Paul Klee und seine Krankheit die „Vermutungsdiagnose ‚Sklerodermie‘ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als medizinisch zutreffend für den von 1935 bis zu seinem Tod diagnostizierten Symptomkomplex festlegen können. Noch präziser: Klee ist an der „seltensten und zugleich schwerstverlaufenden Form dieser autoimmunen Bindegewebskrankheit, an der so genannten ‚diffusen Form der Systemsklerose‘“518 im Juni 1940 gestorben. Suter korrigiert damit die von Gabriele Castenholz in ihrer Dissertation Die Progressive Systemische Sklerose gemachte Vermutung, es könnte sich auch um ein „Overlap-Syndrom“, der gegenüber der Sklerose weiter gefassten MischKollagenose, namens „Mixed-Connective-Tissue-Disease (MCTD)“519 handeln. Für unseren Zusammenhang spielt die bannende medizinische Benennung nur insofern eine Rolle, als Castenholz aufgrund von Fotografien und der Malweise des späten Klee vermutet, dass, wie häufig in der Sklerodermie, die Beweglichkeit der Hand und der Finger eingeschränkt war und damit der mit breiten schwarzen Strichen strukturierte Bildaufbau zu erklären sei. Suter macht aufgrund von früheren Aussagen Lily Klees und vor allem Felix Klees glaubhaft, dass dies nicht der Fall war. Klees „Finger wurden nicht dicker, blieben unversehrt und uneingeschränkt beweglich. […] Das feine Zeichnen war dem Künstler nach der Aussage des Sohnes bis zuletzt möglich.“520 Allerdings war Paul Klee von ärztlicher Seite aufgetragen worden, auf das anstrengende Geigenspiel zu verzichten. Der behandelnde Arzt Dr. Gerhard 518
Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.238.
519 Castenholz, Die Progressive Systemische Sklerose, a.a.O. Zusammenfassend S.106f. und abschlie-
ßend S.139. Vgl. auch Suter zu Castenholz Ausführungen, in: Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.98ff. 520 Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.59 und S.78.
IV. 1. FASCHISMUS UND KRANKHEIT: VERKÖRPERUNG DES ANDEREN 223
Schorer „verordnete“ schon zu Beginn der mit einem außerordentlichen Schub eintretenden Krankheit, Oktober/November 1935, „völlige körperliche Schonung“.521 Suters vor allem in medizinischer Hinsicht detailreich recherchierte Arbeit, die sich auf Aussagen von Zeitzeugen sowie die brieflichen und noch auffindbaren diagnostischen Unterlagen stützt, kann als Abschluss der Anamnese der Krankheit Klees verstanden werden. Die Arbeit vermeidet eine Überbetonung der Ursachenforschung, deren Vermutungen vom unsachgemäßen Gebrauch giftiger Farben und Lösungen beim malen bis zu den Spätfolgen der Lackierarbeiten an Flugzeugen im Ersten Weltkrieg reichen.522 Eine strukturelle Anamnese der Genese, geschweige denn eine Reflexion des metonymischen, medizinischen Blicks ist, so Suter ausdrücklich, der philosophischen bzw. psychoanalytischen Arbeit überlassen. Dennoch ist zu betonen, dass Suters Interesse an einer Genealogie der Krankheit als ein zu entschlüsselndes System von Zeichen- und Symptomkomplexen dort entfacht wird, wo von einer „fehlgeleiteten Immunabwehr“523 im Sinne der diagnostizierten Autoimmunisierung die Rede ist. Die vorsichtigen Spekulationen kreisen konkret um den Bereich eines auf sich selbst angewendeten Widerstandes. Der Vergleich zu van Gogh wird mehrfach, wenn auch mit gänzlich anderem Krankheitshintergrund, bemüht. So sind neben den Vermutungen auf toxikologische Ursachen, die nicht erhärtet werden können, die „seelischen Erschütterungen Klees in Bezug auf die Schicksalsschläge und die Erkrankung stark“ zu werten.524 Durchgängig wird nicht nur bei Suter auf die Verfemung der Person Klees und seines Werkes durch die Nationalsozialisten und die innere Emigration in seine „eigentliche Heimat“ Bern eingegangen. Von der auslösenden Erkrankung im Sommer 1935 – „Bronchitis, Lungenund Brustfellentzündung“ – bis zu einem „kurzfristigen Ausschlag“, der vermutlich fälschlich als „schwere Masern“525 diagnostiziert wird, berichtet Suter ohne Bestimmung eines sklerodermitischen Hinweises. Im April 1936 beginnt Klee, wenn auch unter fiebrigem, allgemein schwachem Zustand, wieder zu malen. Lungenund Herzprobleme begleiten seinen Zustand. Diesen Abschnitt der Krankheit rechnet Suter noch zu den Einflüssen, die den Verlauf der Sklerodermie – neben den Schicksalsschlägen – beeinflusst haben sollen, zumal Klee bis vor diesem Zeitpunkt von außerordentlich robuster Gesundheit war. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit 521 Ebd., S.39. „Dass das Geigenspiel nicht wegen der Hände aufgegeben werden musste, sondern wegen der damit verbundenen körperlichen Anstrengung, geht aus der Feststellung von Lily Klee hervor.“ (S.101f.) 522 Vgl. zur toxischen Genese der Sklerodermie: Castenholz, Die Progressive Systemische Sklerose, a.a.O., S.126 und Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.88f. 523 Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.92, in einem Kommentar zu Michael Reiner. 524 Ebd., S.93. 525 Ebd., S.39.
224 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
zu einer Spekulation: Ist die auslösende Ursache von der Krankheit selbst zu trennen oder ist sie Teil der Krankheit? Ist die Sklerodermie dann nicht ein Widerstand, eine Überreaktion, eben eine Autoimmunisierung gegen die initialisierende Symptomatik, die in dem plötzlichen Schock besteht, nicht mehr arbeiten zu können (nicht mehr ausstellen zu dürfen)? Reicht die allererste schwere Erkrankung, also die Körperrepräsentation, um das fein ausbalancierte System der ontologischen Ambivalenzen von Arbeit als Nichttotalisierung von Körper kaskadenförmig einbrechen zu lassen, und zwar mit einer Symptomatik des Organverschlusses? Diese Spekulation lässt sich auch auf den Einbruch des Nationalsozialismus anwenden: Ist der Nationalsozialismus nicht der prophylaktische Moment der Angst vor der Selbstauslöschung in der medialen Gesellschaft? Lieber also Aufgehen und Stärkung des Körpers im Volk, als völlige Auflösung in der Angst vor dem phantasmatischen Versagen der Medien als ‚Verkörperungen‘ des Anderen, Dritten? Dann wäre die Organverhärtung („Hart wie Kruppstahl“) nichts anderes als Form eines inneren Terrors, der zudem in öffentlicher Konkurrenz mit dem militärischen Imperialismus jener Jahre träte: je stärker der Körper, umso heiliger der Held. So müsste zunächst, so wie wir es getan haben, ein Zusammenhang zwischen Faschismus und Bild, genauer, mit der unvermittelten Realisierung des Begehrens in den Tod hinein und projektiv darüber hinaus, geklärt werden. Diese Unvermitteltheit (der faschistische, serialisierte Körper wird zu seinem Bild) bedroht die Existenz Klees, der er die Unvermitteltheit der Organabschließungen (Bindegewebsentwässerung, Panzerung) entgegensetzt. Die Krankheit wird somit Spiegel der Genese des Faschismus, nicht der Faschismus Ursache der Krankheit. Lesen wir den berühmten Tagebucheintrag vom Mai 1901: „Ich bin Gott. So viel des Göttlichen ist in mir gehäuft, daß ich nicht sterben kann. Mein Haupt glüht zum Springen. Eine der Welten, die es birgt, will geboren sein. Nun aber muß ich leiden vor dem Vollbringen.“526 Das Leiden bezog sich immer auf Klees experimentelle Versuche zwischen exakter Technik und Intuition bzw. Genie. „Genie ist Genie, ist Begnadung, ist ohne Anfang und Ende. Ist Zeugung. Genie schult man nicht, weil es nicht Norm ist.“527 Begnadung ist die Gabe der Zeit, die Sperrung des Todestriebs mit seiner Aussetzungstendenz, der Unverfügbarkeit der Geburt in einer Zeugung zur zweiten Geburt. Es sieht aus, als hätten Intuition und Wissenschaft die gleiche Richtung: Was nicht in Technik sich totalisiert – eine Vokabel, die im Artikel über die Exakten Versuche im Bereich der Kunst zentral ist, – überbrückt die Intuition. Keinesfalls aber führen Intuition und Exaktheit zur „Totalisation“.528 Man muss andersherum denken: Weil Intuition und Exaktheit, Kunst und Technik unvermit526
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 155, S.64. Klee, Exakte Versuche im Bereich der Kunst. In: Kunstlehre, a.a.O., S.89. 528 Ebd. 527
IV. 1. FASCHISMUS UND KRANKHEIT: VERKÖRPERUNG DES ANDEREN 225
telbar ambivalente Bewegungen sind, kann der Spagat und der Seiltanz zwischen Geburt und Tod glücken, also begnadet sein. Die ‚Mumifizierung‘ der Sklerodermie und die außerordentliche Arbeitsleistung sind nun ein- und dieselbe verzweifelte Differenzbewegung, um die alte Freiheit wiederzuerlangen. Doch nun geschieht das Entscheidende: die Erkenntnis, dass der Körper im Leiden keine Zeugung aus der Geburt, sondern aus dem Tod war. Weil Kunst und Technik eben nicht Hand in Hand gehen, sondern in entgegengesetzte Richtungen zerren, sind sie die beiden zusammenhängenden, sich niemals totalisierenden Kreisbewegungen der Lemniskate. Der Produktion der Natur (Geburt) entspricht der Todestrieb (Geburt vs. Tod) des Menschen. Das heißt, wenn sich die Totalisierung ereignet, hört das Werden auf und die Verdinglichung tritt als Tod ein. Von diesem Moment an eskaliert ein zweifaches Werden: ein geradezu manischer Widerstand gegen Verdinglichung als Verdinglichungsvorbehalt im Bild und ein ‚hysterischer‘, autoimmuner, mumifizierender und damit Verdinglichung vorwegnehmender Körper in der Krankheit, insofern die Krankheit versucht, den Tod mimetisch zu objektivieren, was sich in den Symptomen für einen anderen (den Arzt) zeigt. Die Krankheit zeigt sich selbst als Moment ihrer Abschaffung an. Die Sklerodermie ist die Entdeckung des Todes als ihn überholende Überwindung in der Selbstverdinglichung. Klee stirbt gleichsam als Bild, um nicht als Körper sterben zu müssen. Die Sklerodermie ist keine schicksalhafte Strafe oder Selbstbestrafung, sondern ein Sein für andere. In Klees ‚Fall‘ klärt sie die ontosemiologische Bestimmung von Technik und Kunst, von anorganischer und organischer Dynamik (Entropie) im Sinne des von Freud und Worringer angeregten Kulturmodels. Sie klärt den aktualen Durchmarsch des strukturellen und des historischen Faschismus durch den Tod hindurch in eine Welt jenseits des Todes, also in eine versteinerte Welt. Aufgrund dieser Zusammenhänge lautet unsere These: Die initiierende Krankheit (möglicherweise also nicht direkt die Sklerodermie) führt im Oktober/November 1935 zur Inversion des Geburtstraumas in das Todesphantasma und treibt damit die Abschließung der Todestriebökonomie symptomatisch und eskalierend voran. Zum ersten Mal ist Klee ernstlich erkrankt und zum ersten Mal ist er nicht gott-, sondern todgeweiht. In der Inversion greift dann die Autoimmunisierung als eine Einbalsamierung, Mumifizierung und Widerstandsabwehr Platz.529 Der Körper wird todesmimetisch (Identifikation mit dem Aggressor) zum letzten, heiligen Bild. 529 Man kann auf die ägyptische Mumifizierung verweisen. Dem Leichnam wird in einer Salzlake zunächst das Wasser entzogen, um ihn dann in Ölen und Salben zu versiegeln. Das wesentliche Anzeichen der Sklerodermie ist die Austrocknung des Bindegewebes, also der Haut und der organabschließenden Membranen, sodass der Flüssigkeitsaustausch zwischen den Organen behindert ist, was besonders wasserhaltige Organe, die Lunge etwa, angreift.
226 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Es besteht kein Grund, die Bilder der Krankheit anders zu betrachten als die Bilder der Kunst. Damit aber weichen wir vom klassischen Prinzip der Psychoanalyse Freuds ab. Uns interessiert, was der Körper des Erkrankten zu lesen aufgibt, indem er sich zur Sache macht. Allein so ist der Einsatz einer ontosemiologischen Bestimmung von Krankheit gerechtfertigt, in der die maskenhafte Bildwerdung des Grenzorgans Haut, seine totalisierende Abschließung und Verhärtung, die Idee der Ablösung des eigenen Anderen (der Stimme, der Gabe, der Intuition) sich für einen anderen präsentiert. Die neurodermitische Krankheit ist kein ‚Unfall‘ oder ‚Zufall‘. Die Körpertechnik der Aussage ist die der Symptombildung. Die Geduld und Gelassenheit, mit der Klee ‚äußerlich‘ seine Krankheit erträgt, lässt den Schluss zu, dass er sie als Exposition des Rätsels empfindet, das seine Bestimmung zur Malerei ihm selbst stellte, so dass von der Krankheit zum Tode nicht zuletzt Aufklärung über die Ökonomie des Todes verlangt werden sollte. Diese Bestimmung des Symptoms als Zeichen scheint die progressive Trennung der ontischen und der semiotischen Sphäre, wie sie als Auseinanderdrift von Technik und Kunst von Klee angesprochen wird, negativ dialektisch aufzuheben, und zwar an jenem Punkt, wo die Krankheit selbst ihr Telos zur totalisierenden Vereinigung nicht verhehlen kann. Für Klee war klar, dass der Tod eine Äußerung, aber kein transzendentales Außen sein wird. Von einer Ursachenbestimmung der Krankheit im medizinischen Sinne, als deren rettender Hinwegerklärung, kann hier nicht die Rede sein, sondern auf ihre Entzifferung im Kontext des Lebens von Paul Klee wäre zu verweisen – wie auf eine Inversion der Körper-Ding-Verhältnisse und somit auf eine Perversion des Zeichens: auf die Autoreferentialität, die allenthalben in der Serialität von Mathematik und Gesellschaft das Kontingente mit dem Inkontingenten vermittelt.
IV.2.
AUTONYMIE DER SKLEROSE
Es ist bemerkenswert, dass Suter in einem Kommentar selbst nur vorsichtig den Weg projektiert, den seine medizinisch-diagnostischen Betrachtungen bahnen – ausgehend von einem Symptomelement der Sklerodermie, der Versteifung der Gesichtshaut, die sich faltenlos, wie trockenes Pergament um den Schädel schließt und das Öffnen
IV. 2. AUTONYMIE DER SKLEROSE 227
des Mundes und das Schlucken von Nahrung schmerzhaft behindert.530 Fotografien Klees sowie Zeichnungen lassen zwar die Ent-Faltungen erkennen, nichts aber von den Mühen erahnen, die Klees Lebensgewohnheiten einschränken.531 Suter verweist auf das in der Schauspielkunst angelegte Maskenspiel, von dem der in griechischen Originaltexten belesene Klee genaue Kenntnis hat. Ein Gesicht ist bekanntlich durch die Physiognomie und die Mimik geprägt. Der Schauspieler kann mit dem Mienenspiel seelisches Erleben ausdrücken, sei es das eigene oder dasjenige der verkörperten Person. Setzt er eine Maske auf, verunmöglicht er ein Mienenspiel. Jede Maske ist starr. Der Schauspieler muss daher das Wesen der mit aufgesetzter Maske dargestellten Person durch die Stimme, durch die Sprache, durch Gebärden und durch sein Verhalten ausdrücken; in Analogie zur lateinischen Bezeichnung für Maske: ‚persona‘ – eigentlich wo ‚der Ton durchgeht‘ – von ‚personare‘ = hindurchtönen, laut verkünden (durch den Lippenspalt in der Maske hindurch verkünden).532
Diesen kulturphilosophischen Hinweis auf die Übertragung von Stimme und Bild eines anderen, durch den eigenen Körper und die Disposition göttlicher Stimme im menschlichen (das heißt dem Tode geweihten) Körper lässt Suter ohne weitere Kommentierung stehen. Vermutlich ist damit alles gesagt: die Personalisierung als letzte Epoche der Menschwerdung ist zugleich mit der Indifferenzierungsmimesis, der Selbstverdinglichung in Krankheit vorgezeichnet, so aber, dass nicht der Tod, sondern die Prozedur des Sterbens, ja, der Mumifizierung als philosophische Aufklärung strukturiert ist: als Sterbender bin ich die Andersheit meiner selbst. Tod bleibt ausgespart, als das, was sich jeder Bildlichkeit entzieht. Sichtbar wird die volle Präsenz des Sterbenlernens. In dieser Selbstdarstellung des Selbst verbirgt sich unschwer erkennbar der Anschluss an die frühe, sinnendifferentielle Problematik Klees, die sich der phoné der inneren Gabe im Medium der Andersheit, bannend versichert. Die Maskenbilder der grafischen Frühzeit Klees sind sofort präsent. Bezeichnend auch für die griechische Darstellung des ‚personare‘ (die Ableitung ist nicht gesichert), dass das Sprechen oft einem blinden Seher übereignet wird, so dass der Ausdruck der inneren Stimme sich der Entsetzung des Körpers (etwa durch hallizogene Dämpfe, Pilze etc.) verdankt. Die Tragödienmaske und die weiße Körperbemalung der archaischen Schauspieler sind die Insignien des sprechenden Toten, dessen, der, wie Orpheus, aus dem Jenseits zu sprechen in der Lage ist, von dort aber keinerlei Bild, nur Klage und Klang mitbringt. Entsprechend ist bei Klee der sklerotische Mund trocken, sprachlos 530
Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.105. Derrida kommt in einem Interview auf die Bedeutung des „Multimediums“ Papier und seiner ökonomischen Vorgeschichte zu sprechen. „Das Papier, Erbe des Pergaments aus Tierhaut, zieht sich zurück, reduziert sich, schrumpft unerbittlich zusammen, und zwar in dem Maße, in dem der Mensch älter wird – nun wird alles zu einem Einsatz von Verausgabung und Sparen, des Kalküls, der Geschwindigkeit, der politischen Ökonomie und, wie in Balzacs Roman, des ‚Wissens‘, des ‚Könnens‘ und des ‚Wollens‘.“ Derrida, Maschinen Papier, a.a.O., S.222. 532 Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.206. 531
228 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
und als Torwächter der Speise und der Inkorporation besonders problematisiert. Das per-sonare wird auf die ursprüngliche Schriftspur zurückgedrängt, so dass sich in der Symptomatik selbst der Widerstreit von Bild und Schriftbannung als das in Gang setzen der Subjektivitätsbewegung aufzeichnet. Das Bild selbst ist mehr als zeichenhafter Ersatz der Präsenz der Stimme, es ist die Maske der ‚Begabung‘ Klees. Zur gleichen Zeit (Oktober 1935), als der Arzt ihm das Musizieren untersagt, eröffnet sich die Möglichkeit, die eigentliche, sekundäre Funktion des Bildes unabhängig von der Stimmlichkeit zu produzieren, ohne es vom Körper abzulösen: er nimmt damit symptomatisch die performative Körperkunst der späten Moderne vorweg.533 Von diesem Moment an beginnen der Dialog mit dem Tod und die Antizipation der Mumifizierung. Die Verschiebung vom Zeichen auf das Symptom, eine aggressive Regression, bedeutet: Das Symptom ‚präsentiert‘ den Widerstand gegenüber der klassischen Logik der Repräsentation, es präsentiert die Nichtrepräsentierbarkeit, indem es sich auf die Nichtpräsenz des Todes bezieht. Der Tod ist nicht mehr als finaler Telos, als Ort oder Zeitpunkt verstanden, sondern als Gabe, die versiegt, ein Verklingen. Wir haben es hier mit einem Komplex des absoluten Zeichens zu tun, das die Repräsentation von Abwesenheit übersetzt: das absolute Zeichen kommt so nicht von seinem performativen Gestus, dem Körper los – genauer, der Körper verweist auf die Reduktion des Leibes als Körpergrenze. Während also das Zeichen sich auf eine abwesende ‚Präsenz‘ und die Klee’sche Hieroglyphe auf die Präsenz des Anderen bezieht, bezieht sich das Symptom auf seine eigene Präsenz. Ihm fehlt der Bezug zum Ding und somit zur gedächtnishaften Rückaneignung (Konsum), das heißt, das Symptom ist die Aufschubskompetenz zur inzestuösen Wiederholung. Das eben verändert die Klee’sche Perspektive völlig. Sie ist nun nicht mehr von der Geburt her zu denken (der Gabe) und auf eine zweite Geburt zulaufend (der Bildschöpfung), sondern das Leben ist eine Gabe des Todes, es ist dem Tode abgerungen. Erst jetzt wird dem Urtrauma ein enthüllendes Urphantasma 533 Vgl. Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2004, S.325. „Indem Menschen und Dinge gegenwärtig, als sie selbst erscheinen, erscheint die Welt als verzaubert. Das heißt, Verzauberung entsteht im Kern aus der Selbstreferentialität, als Befreiung von Verstehensleistungen, als Enthüllung der ‚Eigenbedeutung‘ von Menschen und Dingen.“ Für Klee gilt dann eine Selbstreferentialität zweiter Ebene: der Mensch erscheint in der Krankheit sich selbst als Ding. Hier kann nicht mehr von Entzauberung, sondern von Heiligung (Katharsis) (S.333) im Sinne der Überwindung des Todes durch den antizipierenden Vorgang der Krankheit (Märtyrertum) gesprochen werden. Wenn Fischer-Lichte unter Inszenierung die reflektierende Planung einer Aufführung (S.328) versteht, so gilt das zwar für Klees künstlerische Reflexion, nicht aber für die Krankheit. Der Begriff „Ansteckung“ (S.335) ist also nicht in der Übertragung auf ein Publikum zu verstehen, sondern als die Antizipation der Selbstbeobachtungsmöglichkeit. Jacques Rancière hat in seinem Aufsatz unter dem Titel Ist Kunst widerständig? (Berlin 2008) auf den Zusammenhang von Inszenierung und Kunst und (mit Deleuze und auf Nietzsche verweisend) auf den medizinischen Charakter von Kunst verwiesen: „Zu sagen, dass die Kunst widersteht, bedeutet also, dass sie ein ständiges Versteckspiel zwischen der Kraft der sinnlichen Äußerung der Werke und ihrer Bedeutungskraft ist.“
IV. 2. AUTONYMIE DER SKLEROSE 229
entgegengestellt.534 Denn der Tod, das ist etwas, was nur vom anderen erfahren werden kann, insofern ich in der Krankheit selbst der Ort des anderen bin. Gleichwohl beweist der Bericht Suters, dass das Symptom von medizinischer Seite her immer noch als Zeichen gelesen wird und nicht als eine selbstreflexive, funktionale Form, deren Inversivität die Fragen des Philosophen und Analytikers auf den Plan ruft. Bezüglich der Krankheit Klees haben wir es mit drei verschiedenen Epochen der Aufklärung der aggressiven Regression zu tun: 1. der Medizin, sie benennt das Symptom; 2. der Psychoanalyse, sie verschiebt das Symptom; 3. der Philosophie, sie kritisiert das Symptom. Man hat bei Klee viel darauf gesetzt, die Insignien des Todes buchstäblich in den Bildern wiederzuerkennen. Man findet davon so überraschend viele – Suters Analysen sind durchweg mit Bildmaterial belegt –, dass darin selbst wieder nur die Verführung im Werk gemeint sein kann. Der Tod im Bild ist eine Selbstbezeichnung des Bildes, keine Abbildung der Krankheit. Wir versuchen keine Übersetzung der Symptome in den Werken, sondern wollen den identischen, ambivalenten, analogischen Ursprung von Werk und Krankheit bei Klee und im Mal der Malerei selbst feststellen. Die Leitidee ist die folgende: Wenn die negative, barbarische Ästhetisierung der Politik, von der Bloch, Benjamin und andere, wie Raulet535 gezeigt hat, als Faschistisierung der Lebenswelt sprechen, als ‚Perversion‘ der künstlerischen Avantgarde auftritt, dann ist in Kunst selbst ein positiver barbarischer Kern angelegt. Tritt dieser Kern in den Lichtkegel eines unbedingten Realismus, beharrt auf derUnendlichkeit der Endlichkeit (der Genesisbezug des 1000-jährigen Reiches), dann kann auf der anderen Seite, auf der des sensiblen künstlerischen Subjekts, die Gefahr der Perversion nur im Selbstopfer (Katharsis) aufgehalten werden. Klee ist weit davon entfernt, dieses Opfer zu bringen, sondern stellt geradezu eine ‚Kriegsproduktion‘ dagegen: 534 Heinz, Todesnäherungen, a.a.O., S.87f. Die Begriffe gehen auf Lacan zurück. Der Begriff einer „Urverdrängung“ wird aber schon bei Freud relevant, und zwar hinsichtlich der Tatsache, dass das Unbewusste nicht (positiv) spricht. „Zur ersten Annäherung daran sei auf den einschlägigen LorenzerTitel Sprachzerstörung (sc. überhaupt Mediendispens) und -Rekonstruktion (sc. als Inbegriff von psychoanalytischer Therapie), ebenso auf Lacans psychosentheoretische Verschärfung: der ‚Signifikant‘ wird – bis zur ‚Verwerfung‘ – kassiert, und das ‚Signifikat‘ bleibt quasi unerlöst, verwiesen. Dasselbe folkloristisch: ‚Mir verschlägt es die Sprache‘, auch: ‚Mir bleibt die Spucke weg‘ (Mundtrockenheit als Sprechbeeinträchtigung, zudem: etwas nicht schlucken können, das heißt: die Erledigung durch Inkorporation entfällt).“ Der entsprechende „Konsumstreik“ bei Klee ist einschlägig: Ösophagusstenose – Verengung der Speiseröhre mit schmerzhaften Schluckstörungen. Felix Klee berichtet: „Mein Vater hatte oft mit dem Essen Mühe, denn die unelastisch gewordene Speiseröhre beförderte die feste Nahrung nicht mehr zum Magen. Wenn auch dieser Zustand periodisch unterschiedlich war, so muß mein Vater doch von Beginn seiner Krankheit bis zu seinem Tode fast fünf Jahre lang unsäglich darunter gelitten haben.“ Zitiert nach Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.63. Der Realzynismus dieser Symptomatik wird relevant, wenn man sich an Freuds Kieferkrebs erinnert. Sprechen und Essen, das geht nicht gleichzeitig. 535 Raulet, Positive Barbarei, a.a.O.
230 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
je anklagender die Krankheit als Sterblichkeitsdrohung das Nichtproduzieren anmahnt, umso manischer die Produktion als Sterblichkeitsausfluss. Kranksein heißt Vermeidung und zugleich Evozierung der Tragödie, dass, was immer man auch unternimmt, man doch am anderen schuldig wird, solange die Praxis des Bildes nicht vollständig in die Praxis der Gesellschaft eingegangen ist, das Bild sich als Auflösung der Illusion der Welt und ihres Drittendekrets behauptet, statt, wie im Faschismus, die Paranoia der Identität von Bild und Welt, ihre Unvermitteltheit zu protegieren. Und der Faschismus ist der Überzeugung, dass man die Welt dem Bilde anpassen muss, das man sich von ihr macht. In Bezug auf die strukturale Analyse hat Roland Barthes mit Hinweis auf Foucault von drei Möglichkeiten gesprochen, die das Symptom als Zeichen präsentieren kann. „Insofern das medizinische Zeichen auf die Beherrschung der Zeit der Krankheit abzielt, besitzt es einen dreifachen Wert oder eine dreifache Funktion: es ist anamnestisch, es sagt, was stattgefunden hat; es ist prognostisch, es sagt, was geschehen wird; und es ist diagnostisch, es sagt, was derzeit vor sich geht.“536 Das medizinische Zeichen beherrscht auf diese Weise die Funktion der Präsentation und entlockt der Krankheit eine sinnvolle „Syntax“ – so Barthes: „eigentlich heißt eine Krankheit lesen, ihr einen Namen verleihen.“537 Das medizinische Zeichen wird in seiner ontischen Zeitlichkeit gelesen. Es erscheint, um zu verschwinden. Suter ist mit der Benennung „diffuse Form der Systemsklerose“538 respektive: progressive systemische Sklerose eine überzeugende Benennung des Klee’schen Symptomenkomplexes, dieser sehr seltenen, schwersten Form der Sklerose, gelungen. Nun beschäftigt Barthes sich auch mit dem Problem der Übersetzung des Symptoms in Zeichen und deren Voraussetzung, dass sowohl Symptom als auch Zeichen zwei unterschiedlichen Systemen der Lesart von Differenzen angehören müssen, wenn es Benennung von Krankheit als solche überhaupt (differentialdiagnostisch) geben kann, als etwas, dessen Dingabständigkeit nicht gelingt. Die Übersetzungs-, genauer eben die Übertragungsproblematik besteht darin, dass das Symptom sich als signifikatives Singularum nur dann übertragen lässt, wenn es einer systematischen Syntax nicht fähig ist, wenn die Zeichen des Symptoms syndromhaft im Kreise des Körpers zirkulieren. Im Falle der Sklerose kommt zum Ausdruck, dass die Beziehungen der sinnlichen Organausbildung sich auf sich selbst beziehen: Der Blick, der sich im Schielen539 selbst sehen möchte, das Ohr, das sich im Tinnitus selbst hören möchte, das Gesicht, das sich im schamhaften Erröten als Selbstverdinglichung 536
Barthes, Das semiologische Abenteuer, a.a.O., S.213. Ebd., S.217. 538 Suter, Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.238. 539 Heinz, Schief und Scheel, a.a.O., S.236. 537
IV. 2. AUTONYMIE DER SKLEROSE 231
erfassen will. Für die Erfassung von Zeitlichkeit, der Sperrung des Lebens gegen den Tod, fehlt offenkundig ein solches Organ: Bewusstsein, als Erfassung des Daseins und der Präsenz, ist organologisch nicht präsent. Für diesen organologischen Defekt tritt die Einbildungskraft ein. Das Fehlen des Bewusstseins für sich selbst als Organdefekt wird durch die Spur des Syndroms ersetzt. Der Körper immunisiert als ganzer zum Organ, was besondern gut in hysterischen Ausprägungen zu beobachten ist, in der Weise, wie man ‚eine Szene macht‘. Suter schließt bei Klee eine cerebrale Störung aus. Man kommt vermutlich dem Organdefekt näher, wenn man sich die Ausgestaltung des Innenohrs mit der Spiegelfunktion von Gleichgewichtsorgan und Hörschnecke widmet, also das klinisch nachweisbare Koordinationsproblem mit dem Außen als einen Grund insbesondere für phobische Motive (Agoraphobie, Höhenangst) mit einbezieht. Das schamhafte Erröten, das Sartre uns als eine kleine Form der Bildwerdung des Körpers angeboten hat, ist ein Beispiel, dass kaum noch die Züge eines Symptoms der menschlichen Schuldablösung erahnen lässt. Die Scham ist ein Signifikant der Schuld. Das Erröten, das nicht evoziert werden kann, ist ein Syndrom, insofern es den Körper des Subjekts besetzt, nicht vom Subjekt veranlasst wird, sondern von einem Anderen (im genannten Fall, das Knacken, die Concierge, das Gesetz). Die Scham ist demnach ein Zeichen der Übertragung. Wie bei dem Weinen und dem Lachen, handelt es sich hier um Seinsweisen des Körpers als psychologische Geste – die Möglichkeit, seinen Körper als Instrument von einem Anderen benutzen zu lassen. Bezüglich des Syndroms wird Barthes genauer: Ich frage mich im Hinblick auf dieses Problem des Signifikats auch, ob es nicht in der medizinischen Semiologie Grenzfälle gibt, das heißt, ob sich nicht Zeichen finden lassen, die sozusagen auf sich selbst verweisen. Ich bin zufällig auf eine Krankheit gestoßen, die eine Art fortschreitender Pigmentdermatose ist; wenn ich nun richtig verstanden habe, so verweisen bei dieser Krankheit, die durch kleine Flecken auf der Haut hervortritt, diese Flecken auf nichts anderes als auf sich selbst; sie erfordert somit keinerlei Prozeß der Lektüre, Vertiefung oder Interpretation; die Krankheit wäre das Zeichen selbst. Vielleicht könnte man über die Tatsache philosophieren, daß die Hautkrankheiten immer nur auf eine Krankheit der Zeichen zurückzuführen sind. Träfe diese Art Hypothese […] zu, so hätte man hier das Äquivalent dessen, was man in der Linguistik als Autonymie bezeichnet – Autonymie, das heißt, das Zeichen weist auf sich selbst.540
Die Autonymie der Sklerose vereinigt sowohl den Apekt der Autoimmunisierung als auch den der Exhibition der Haut und aller Organhäute handelt. Es handelt sich um eine Symptomatik, die über die Unmöglichkeit der Einbehaltung der Ablösung der Zeichen vom Körper, sowie um deren künstlerischer Abstossung handelt. Der Körper kann nicht verweigern, sein Bild zu sein, er kann aber diese Negation auch nicht zeigen, außer an der ihn entstellenden Entfremdung der Hautsymptomatik. Die Sklerose ist weniger Zeichen als Bild. 540 Barthes,
Semiologie und Medizin, a.a.O., S.218.
232 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Gleich vorweg, hier geht es nicht um ein therapeutisches Konzept gegenüber sklerodermitischem Befall – vermutlich ist der medikamentöse Bio-Chemismus als in den Körper eingeführte Dinglichkeitsprovokation541 unüberbietbar. Dennoch sind ja psychogene Hauterkrankungen geradezu das Standardmodell der modernen therapeutischen Initiativen wider exogene Ursachen: Stress, chemische Aggressoren, aber auch Wahrnehmungen, die dem Körpergefühl enteignet sind, Traumata etc. Es geht darum, den spezifisch Klee’schen Ikonoklasmus und den der Malerei der Moderne als Widerstreit darzustellen. Wenn die Destruktion der Malerei im leeren bzw. aufgeschlitzten Bild endet, warum behauptet sie sich dann mit einer geradezu hysterischen Stürmigkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Und warum behauptet sie sich bei Klee mit einer Spitzenproduktion von 1253 Werken im Jahre 1939? Anders gefragt: warum sich nicht des eigenen Körpers bedienen, um ein für alle mal klarzustellen, dass das Bild die absolute Metapher der sinnendifferentiell nie gelingenden Körperkomplettierung ist? Die Haut bietet das Bild dieser offenen Abschließung. Sie verwahrt die Spur des Mangels.542 Die Autoimmunisierung zeigt sich transparent für das dekonstruktive Spiel der Zeichen. „Die Krankheit“, so Roland Barthes, „wird im Grunde als Person intelligibilisiert, die zunächst hinter der Haut in das Geheimnis des Körpers eingeweiht ist und Zeichen, Mitteilungen aussendet, die der Arzt empfangen und interpretieren muß, etwa so wie ein Seher entziffert: es handelt sich in Wirklichkeit um eine Mantik. Bleibt die letzte Frage: ist die heutige Medizin tatsächlich noch semiologisch?“543 Zurück zur These, dass die Sklerodermie nicht vom Zeichen, sondern vom Modus der Bildlichkeit aus zu diskutieren wäre. Walter Benjamin hat in Hinblick auf die Autonymie des Zeichens auf die Differenz von Mal und Zeichen bzw. Malerei und Grafik aufmerksam gemacht, indem er davon sprach, dass „eine Zeichnung, die ihren 541 Erstmals dargestellt von Suter sind Unverträglichkeitsreaktionen Klees auf bestimmte Medikamente, insbesondere zu Beginn der Krankheit: „Differentialdiagnostisch käme ein fleckförmiges ‚Arzneimittelexant‘ in Betracht, ein grossflächiger Ausschlag als Folge einer Überempfindlichkeit auf ein eingenommenes oder injiziertes Medikament. Solche Ausschläge sehen oft wie Masern, Scharlach oder Röteln aus.“ (Paul Klee und seine Krankheit, a.a.O., S.41) Wäre es möglich, dass die Injektionen als Affektion von innen gegen die von außen andrängenden Probleme reagiert hätte, sodass als Austragungsort der Innen-Außen-Reaktion die Organhäute abdichten? Dann wäre die Frage der chemischen Reaktion, also der Vergiftung zu klären. Lösen die zusätzlichen medikamentösen Reizungen des Körpers als ‚Zangenangriff‘ den Autoimmunisierungsprozess als Letztrettung aus? Der Zusammenhang von chemischen Reizungen und Hautpathologien kann nicht geleugnet werden. 542 Georges Didi-Hubermann merkt an, dass das Bild in der christlichen Kultur seit je immer nur eine um die Dimension des Lebens beraubte Person darstellen kann, in der die Hauthülle und das Bildnis zwei Markierungen des Todes als Verlust der Fülle darstellen. Jedes Bildnis wird wie die Leichenhülle zum leeren Grab. In: Ders.: Was wir sehen blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes. München 1999, S.19ff. 543 Barthes, Semiologie und Medizin, a.a.O., S.220.
IV. 2. AUTONYMIE DER SKLEROSE 233
Untergrund restlos bedecken würde, aufhören würde, eine solche zu sein“ – nämlich in Malerei überginge. „Die graphische Linie verleiht ihrem Untergrund Identität.“544 Die Eigenständigkeit der Medialität der Malerei drückt sich unter anderem durch die „Sphäre des Mals“ aus, deren Eigenheit darin besteht, hervorzutreten und nicht ,wie das Zeichen, eingegraben (graviert) zu werden.545 Benjamin gibt damit einen wertvollen Hinweis auf das Inversionsmoment von Geburt und Tod respektive den Gaben- und Schuldcharakter des ‚Geistes der Zeichen‘. Male, wie Wundmale oder aber auch das Erröten, deuten eben nicht nur auf die Beherrschung der Techniken der Zeit und der Präsenz durch Zeichen, sondern auf den Gedanken der Unablösbarkeit der Schuld. Dem fordernden Blick des anderen bleibt mein Körper ausgesetzt, als einer Hülle, die nicht Ich ist: ich bin nicht der, der Ich zu sein scheint; ich bin nicht für die Ästhetik, Löchrigkeit, Faltungen meines Körpers, meiner Hauthülle verantwortlich. Mein Körper ist eine Maske, die durch Kleidung, Uniformierung etc. demaskiert wird. Ich (das Sein der inneren Stimme) bin nicht sichtbar. Benjamin weiter, indem er den ontosemiologischen Übergang definiert: „Doch hat das Medium des Mals nicht allein diese zeitliche Bedeutung, sondern zugleich auch, wie es besonders im Erröten ganz erschütternd hervortritt, eine die Persönlichkeit in gewisse Urelemente auflösende. Dies führt wiederum auf den Zusammenhang zwischen Mal und Schuld.“546 Benjamins Hinweise führen auf das Wesen der Malerei, die Auszeichnung des Mediums durch ein ‚Zeichen‘, das seine Fläche vollständig besetzt und letztlich autonymisch das, was es bezeichnet verdrängt. Lässt sich dann nicht sagen, die aggressivste Form der Schuldakzeptanz in Rücksicht auf den Klee’schen Vorbehalt gegen Malerei und für Grafik, die ja in der Tat phänomenologisch schamhaft in den Untergrund des Mediums drängt und oft nur Raum für grafische Miniaturen nimmt, ist die Sklerose, aber als Erscheinung? Denn eines ist klar: die Sklerose ist keine Zeichnung, sie ist vollständig und im ganzheitlichen Organbefall ein Mal, ein Bild, ja, noch davor das von sich selbst gereinigte Bild, ein Palimpsest, ein ‚weißes Quadrat‘. Wenn man Simone de Beauvoirs Buch über das Alter liest, bekommt man einen Eindruck davon, dass die Krise zum Tod nicht nur in den Falten liegt, die sich unmerklich aber stetig in die Haut einzeichnen. In der sehr seltenen Sklerodermie wird der äußere Prozess der Alterung rückgängig gemacht. Darin besteht im Wesentlichen der Vorgang der Mumifizierung: die Haut spannt sich durch Austrocknung der Bindegewebe faltenlos um den Körper und schnürt schließlich die Organe ab. Es 544 Walter Benjamin: Über die Malerei oder Zeichen und Mal. GS Bd. II, Frankfurt am Main 1980, S.604. 545 Vilem Flusser: Die Schrift. Frankfurt am Main 1992, S.20: „Inschriften sind monumental, Aufschriften sind dokumentarisch.“ 546 Benjamin, Über die Malerei oder Zeichen und Mal, a.a.O., S.605.
234 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
geht, entgegen dieser Abschließung, um den Vorgang der Sichtbarmachung, der Entzerrung, der Entfaltung der Schuldökonomie, des Todestriebs zu Zwecken seiner synchronen Disponibilität, Umwandlung einer Triebgefahr in eine bannungsfähige Wahrnehmungsgefahr. Vornehmlich zwei Handlungsweisen kommen gegenüber der Schuldakzeptanz zum Tragen: Dankbarkeit und Scham. Schuld erscheint, wie wir in der Treppenhausgeschichte Sartres erfahren haben, nicht ohne Genuss: als Eingeständnis der Unmöglichkeit der Todesüberbietung wider die Arbeit der Lust. Es ist der Genuss der Erkenntnis des Todestriebes selber, der in den Bildwerken aufkommt. Auf der Ebene der Legitimation erscheint das ‚Erröten‘ als Zeichen der Scham und zugleich als gegen die Triebökonomie gerichtete Einsicht in die Unmöglichkeit, die Gabe des Lebens entschulden zu können. Die Krankheit Klees ist der manifeste Ausdruck von Scham, dem zugleich der hypertrophe Ausdruck der Dankbarkeit korrespondiert. Die Ökonomie von Gabe und Entschuldung bricht sich an der Körperoberfläche als maskenhafte Todesnachstellung, so ja die Rücksicht auf Darstellbarkeit der Krankheit, als Grenzfläche von zum Bild gewordener Stimme, eine Art MarsyasSyndrom: Musik, die im apollinischen Wettkampf auf Leben und Tod zum ablösbaren Bild wird.547 Soweit der auch musikwissenschaftlich relevante Anschluss an Klees jugendliche Professionalisierung als Rettung der reinen Präsenz von (absoluter) Musik in Grafik vorbehaltlich der Malerei, den wir durch die Tagebuchaufzeichnungen verifiziert finden. Krankheit ist selbst nicht Zauber, Magie oder Unlogik – im Gegenteil: sie inszeniert alle Syllogismen und Antinomien der sich universalisierend gebärdenden logischen Kompetenz kultureller Vergesellschaftung über Dingbildlichkeit. In der Traumdeutung hat Freud die Schuld gegenüber dem Tod des anderen mehrfach thematisiert: als Unmöglichkeit, eine Verpflichtung an den toten Körper zurückzugeben.548 Die Anzeige der Schuld kann nicht ohne reichhaltigere Belege stehen bleiben. Wir wollen dem nachkommen, indem wir zunächst kurz auf die anfangs dargelegten Überlegungen von Florian Britsch bezüglich der Deckung von Körper und Bild, deren wesentliche Differenzierung der Mythos des Orpheus szenifiziert, eingehen. Anschließend werden wir in kritischer Rücksicht die Frage der Schuldökonomie an einem neuropathologischen Fall der Scham differentialanalytisch mit den Ausführungen von Rudolf Heinz heranzugehen versuchen. Zum 547 Vgl. Ranke-Graves, Griechische Mythologie, a.a.O., S.66. Apollon, der den Wettkampf gewinnt, weil er auf seiner Leier singen und spielen zugleich kann, während Marsyas nur Flöte spielen kann, zieht Marsyas bei lebendigem Leib die Haut ab und nagelt sie an eine Tanne. Wesentlich im Mythos ist der Unterschied zwischen den Tönen der Leier, über die sich singen lässt, während die autoreferentiellen Töne der Flöte nicht von Sprache begleitet werden können. Dadurch ist Apollon in der Lage, zu spielen und die Götter zu preisen und wehrt damit die Selbstaffektion der Musik ab, die ja möglicherweise eine menschliche Erfindung ist. 548 Freud, Die Traumdeutung, a.a.O., S.211ff. (Träume vom Tod teurer Personen).
IV. 3. VIERTE SZENIFIKATION: PATHOGNOSTIK DES KÖRPERBILDES 235
Schluss diskutieren wir die Frage der Ökonomie im ontologischen Rahmen der von Heidegger anlässlich des Klee’schen Werkes gemachten Anmerkungen.
IV.3.
VIERTE SZENIFIKATION: PATHOGNOSTIK DES KÖRPERBILDES
Britsch bezieht sich in Klees Darstellung der Anatomie der Aphrodite von 1915 auf das „Phänomen des ‚versehrten Körpers‘“, das, wie Irmela Marei Krüger-Fürhoff ausgewiesen hat, für die Anatomie im Besonderen gilt: „Sie [Aphrodite; R.B.] fungiert gleichermaßen als (verdrängter und verleugneter) Ursprung des Schönen und als dessen immanente Bedrohung.“ Die Bedrohung ist sowohl funktional wie symbolisch zu besetzen: symbolisch, weil Frau als antiästhetisches Modell von Kunstschönheit gezeigt wird: „Blutig, schleimig und ‚formlos‘ lauerte dort die häßliche und abstoßende Kehrseite des schönen Ideals“549 – funktional ist die Bedrohung, weil im geöffneten Medienkörper wie in der Büchse der Pandora der ganze Skandal der Schuldhaftung der Geburt und der Makel der Sterblichkeit in Szene gesetzt wird. Die anatomische Öffnung beginnt beim ersten Strich, den der Grafiker (und eben nicht Maler) in das unschuldige weiße Blatt Papier ritzt. Benjamin hebt in Bezug auf die grafische Linie den Charakter der Verwundung ebenso deutlich hervor wie Derrida und Flusser. Die Spur der Schrift ist eine Pflügung des irdischen Mutterkörpers, eine Öffnung der Natur.550 Das Problem des versehrten Körpers beruht auf Penetration des Signifikanten, des anatomischen Skalpells in eine Membran, die als Fläche vorgestellt ist, weil sie nicht gibt, sie ist nicht ‚erhaben‘, ohne Erhebung. Die tote Fläche liegt weiß, produktions- und schuldverdeckt leichenhaft vor dem Grafiker. Auch hierfür hat Benjamin eine auf den ersten Blick konventionelle Erklärung. „Die graphische Linie ist durch den Gegensatz zur Fläche bestimmt; dieser Gegensatz hat bei ihr nicht nur visuelle 549
Britsch, Anatomie der Aphrodite, S.64. Flusser, Die Schrift, a.a.O., S.14f., und Heinz, Oedipus complex, a.a.O., S.17f. Heinz setzt vor dem Pflügen als Paradigma der Schrift eine frühere Archaik, die im Oedipus-Mythos verborgen ist: „Schein der Schriftarchaik: Die Urschrift macht der Füßeabdruck beim Gehen, die Spur. Indem diese Urschrift allererst schriftkonstitutiv in die Regie der Hand genommen wird, unterliegt diese wider ihre diffuse Alleinräumungspotenz – […] – zugleich dann der adaptierten Regularitätsdisziplin des Gehens/Fortgangs, bei dem die Arme und Hände ja bloß Balancefunktionen ausüben.“ Keine Frage, dass diese Balancefunktion im Seiltanz Klees noch lebendig ist. 550
236 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
sondern metaphysische Bedeutung.“551 Die Linie, so heißt es im Folgenden, „verleiht dem Untergrund Identität.“ Dadurch wird der Untergrund belebt. „Wolken und Himmel“ können so „bisweilen Prüfstein der Reinheit“ des Stils der Zeichnung sein.552 Man erinnere sich der wolkigen Engelsgestalten in Klees Spätphase, die beides, Linie und Fläche, Botschaft und Botschafter zu versöhnen suchen. In der Fläche soll Verwundung sich nicht abzeichnen, sondern ihre Belebung durch die grafische Linie erfahren. Medizinisch wäre von einer Lokalirritation zu sprechen. Doch offensichtlich ist diese ‚vivisezierende‘ Stellung des Grafikers zur Linie die des Phantasierenden, der, so Klees frühe Erinnerung, im Restaurant des Onkels vor einer Marmorplatte „aus diesem Labyrinth von Linien“ „menschliche Grotesken herausfinden und mit Bleistift festhalten“ kann.553 Während die Marmorplatte noch ein gewisses Entgegenkommen signalisiert und der kleine Paul nur Maieutiker der Natur ist, ist er es im Falle der weißen Fläche nicht, da die Fläche nicht als Natur, sondern als menschliches Produkt der Reinigung verstanden wird. Benjamin ist ebenfalls nicht frei von solchen a priori bilderschleichenden Hypnagogien, wie wir gezeigt haben. Offensichtlich ist die reine Fläche bivalent: Sie verdeckt die Spuren der Produktion, aber sie verführt, hypnagogisiert oder imaginiert ein Feld möglicher Einschreibungen, die ihre Reinheit beschädigen. Das Dilemma zwischen Unschuld und Produktion lässt sich lösen, indem man der Produziertheit als einer zweiten Natur zu einer zweiten Geburt verhilft. Klee bildet sozusagen die Vorgeschichte der Produktion von Reinigung und Flächigkeit ab, weniger in narrativer als in deskriptiver Weise, um auf eine Nachgeschichte – die Geschichte der Kunstwerkrezeption – zu verweisen. Das Werk schwebt zwischen Barbarei und Reinigung – was in der ästhetischen Produktion nur ökonomisch zu differenzieren ist. Diesbezüglich macht Benjamin auf den Unterschied zwischen Grafik (Zeichnung) und Malerei aufmerksam, Letztere setzt die Zurichtung der Fläche als ebenso ‚unschuldig‘ wie der Konsument die entschuldende Papierverpackung eines Warenkörpers. Die Malerei (bis Cezanne) behandelt die Malfläche nicht konstitutiv. Irgendjemand muss einmal das unschuldige Weiß der Fläche, die Reduktion ins Zweidimensionale, die Ordnung des Signifikats erst hergestellt und entschuldet haben. Auf der Grundlage dieser Schuld der Schuldverdeckung erst kann der Grafiker seine Figuren mit dem Seziermesser freilegen. Er verletzt nicht die Fläche, sondern gebiert, was durch sie verdeckt ist, er entzaubert ihr Design. Von dieser Offenbarung der vorgängigen Produktion (Reinigung) ist der junge Klee fasziniert. Mit der Möglichkeit der Schuldfreilegung beschäftigt sich die Dehnung und karikaturhafte Verzerrung der ‚menschlichen Designhülle‘, der Haut. 551
Benjamin, Über die Malerei oder Zeichen und Mal, a.a.O., S.603. Ebd., S.604. 553 Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 27, S.20. 552
IV. 3. VIERTE SZENIFIKATION: PATHOGNOSTIK DES KÖRPERBILDES 237
In seinem kurzen Text Malerei und Grafik legt Benjamin auf die Szenografie des Zeichners Wert, der im Gegensatz zum Maler die Zeichnung horizontal auf dem Tisch liegen hat. „Man könnte von zwei Schnitten durch die Weltsubstanz reden: der Längsschnitt der Malerei und der Querschnitt gewisser Grafiken. Der Längsschnitt scheint darstellend zu sein, er enthält irgendwie die Dinge, der Querschnitt symbolisch: er enthält die Zeichen.“ Und am Schluss des Textes markiert Benjamin den Satz: „Kandinskys Bilder: Zusammenfallen von Beschwörung und Erscheinung.“554 Für Klees grafische Darstellungen gilt, dass sie in der Auseinandersetzung mit Zeichen die Linie mit dem malerischen Hintergrund kontrastiert. Viele Werke vereinigen beide Schnitte, sie sind hybride Techniken zwischen Grafik und Malerei. Benjamin ist sich keinesfalls sicher, ob es sichbei dieser Unterscheidung von Quer- und Längsschnitt nicht um den Einfluss von Lesetechniken handelt, kommt aber dann doch darauf zu sprechen, dass nicht der „Befund“, sondern der „Geist“ des Gesagten entscheidend ist, wobei das eine Beschwörung (Begehren), das andere Erscheinung (Gabe) wäre. In den hybriden Bildtechniken Klees könnte das Schuldpotential ökonomisch evaluiert werden. Die metaphysische Verdunklung im Text Benjamins lässt ahnen, dass auf die Urgeschichte der Kunst in der Schrift, letztlich dem per-sonare, der Objektivierung des Sprachprozesses angespielt wird, den Klee aufzudecken gewillt ist – als einer der Ersten, die die ‚weiße Fläche‘ schon als Produktionsergebnis von Malerei ansehen. Die Zeichnung ist insofern eine Sprache, die aus der Fläche dringt und, anders als die Malerei, nicht wiederum den Schein der Tiefe forciert. Erst nach seiner grafischen Phase entdeckt Klee, dass die Dialektik beider Erscheinungen dem lebendigen Bild gerecht wird. Seine frühen grafischen Querschnitte sind jedoch Kritik der Malerei, ist doch schon Grundierung ein malerischer Akt, Design von hohen Graden. Das reflektionstheoretische Potential der Mutmaßungen Benjamins ist indessen nicht zu unterschätzen: meint doch das Bild sowohl die Wiedergabe der Frontalität der Erscheinung (Mal) wie auch die Möglichkeit einer Selbstansicht gleichsam im Profil (Graphem) und somit die Einnahme der Drittenposition – was ja, so Worringer, die besondere Stellung des Naturalismus und der Abstraktion in der altägyptischen Kunst ausmacht und was sich im Schielen der Figuren Klees anatomisch verifizieren lässt. Der Körper windet sich, wie jemand, der seinen eigenen Blick ansehen möchte, in Spiegeltricks, Inversionen und anatomischen Verzerrungen. Diese Idee der Einrenkung der dritten Dimension, die die Einrenkung des Dritten auf die Zeichenebene meint, ist vom Abgrund zwischen Zeichnung und Malerei motiviert. Auch hier geht es um den Hautwiderstand der Produktion. Das führt uns zu Klees Bild der Aphrodite. Sie ist nicht als Schönheit gezeigt, sondern als das instinkthaf554
Benjamin, Über die Malerei oder Zeichen und Mal, a.a.O., S.602f.
238 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
te des weiblichen Begehrens, das sie für den Mann (Geschlechtsinversion!) zu dem macht, was sie sein soll, nämlich makellos: Körper der Projektion. Es bleibt, im Sinne der Kunst, die sinnenästhetische Beschwörung ins Akustische zurück, „die Musik als ableitender Kanal“555 und somit die Reversion des Wahrnehmungsobjektes in ein sexualisiertes Triebobjekt, wie es das Flötenspiel im Marsyas-Mythos registriert. Die Unmöglichkeit der Archivierung ist im Mythos analog der Unmöglichkeit dargestellt, seine eigene Außensicht vorzunehmen, von sich ein Bild zu haben: dargestellt als das ins Licht (Apollon) Stellen der Haut, sozusagen das Grundtelos der Fotografie.556 Grund für eine solche selbstaffektive Darstellung ist der Ausfall des Drittenmoments, des anatomischen Bildes von sich. Dieser Bildmangel als Mangel im Bild macht beständig die fehlende Ganzheit des Körpers sichtbar und regrediert deshalb in Stimme. Jedes Bild realisiert eine „Entkörperlichung“.557 Die Bedrohung, die vom Bild ausgeht, ist nicht die der Krankheit, sondern die des gestohlenen Todes: der Körper könnte, wie im Don Giovanni der Komtur, selbst als Ding Gewordener aber unsterbliches/unerlöstes Gespenst/Bildkörperdoublierung erscheinen und das Telos des im Tod sich totalisierenden Körpers rauben. Also folglich soll der Bildkörper einerseits totalisiert sein, andererseits darf er nicht in die Idealität eines Dinges umkippen. Er sensibilisiert also eine Membran. Die Krankheit der Sklerodermie verdeutlicht in eklatanter Weise eine Verdinglichung dieser Membran zu Zwecken der Selbstansicht: „Ich bin mein Stil“, „die Farbe hat mich“ – Hautoberfläche, Illusion und Hereinrenkung des Dritten zugleich. Krankheit spricht in sich funktional in ihrer Ätiologie das Produktionsphantasma aus und bringt die magische Bannung im Bilde des Symptoms szenisch hervor. Die medizinisch-analytische Frage nach der Abkunft der Selbstdistanzierung im Symptomkomplex breitet Rudolf Heinz in einer fortführenden Alternative zur freudianischen Psychoanalyse namens Pathognostik aus. Unter pathognostischem Blick ist Krankheit gemäß dem adornitischen Begriff der ‚Anamnese der Genese‘ zu betrachten: sie spricht aus, was das Bild verschweigt. Immer noch ist vieles an Medizin kontrainjizierte Schuldverdeckung (Kosmetik) und nicht gerade eben Erkenntnisakzeptanz von Krankheit. Das hängt mit einem kausalitätskritischen Reflex der Krankheit als Zeichen zusammen, dem die Entwicklung der Psychotherapien im Allgemeinen sehr skeptisch gegenübersteht.558 555
Klee, Tagebuch, a.a.O., Nr. 84, S.46. Bernd Stiegler: Bilder der Photografie. Ein Album photografischer Metaphern. Frankfurt am Main 2006, S.121ff. 557 Lambert Wiesing: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt am Main 2005, S.32. 558 Vgl. Die Darstellung über den Beginn der magnetischen Therapie bei Franz Anton Mesmer. In: Stefan Zweig: Die Heilung durch den Geist. Mesmer, Mary Baker-Eddy, Freud. In: GW, Frankfurt am Main 1978. 556
IV. 3. VIERTE SZENIFIKATION: PATHOGNOSTIK DES KÖRPERBILDES 239
Unsere Aufgabe besteht darin, das autonyme Zeichen des Symptoms in ein korrelatives Signifikat einzubetten: dies kann aber nichts anderes meinen, als die gesellschaftliche Produktionsverdeckung, den Ort, von dem aus ein ‚reiner‘ Signifikant sich von seinem Signifikat lossagt, wieder ins Spiel zu bringen, d.h. die gesellschaftliche Konstitution, wie sie Sartre als Sachbeziehung herausgearbeitet hat, in die Analyse des Bilddilemmas einzubeziehen. Für die Situation Klees sind dabei drei Produktionsbereiche vordringlich zu untersuchen: das Design (Schuldverdeckung), die Kunst (Schuldaufklärung) und der Faschismus (Schuldabschaffung). Produktion (Arbeit) ist mit dem Aufschub von Sterblichkeit verbunden, erscheint immer in der Doppelung Ding (Entkorporierung) und Bild (Rekorporierung). Die Marge zwischen Ding und Bild ist gleichsam der phantasmatische Entschuldungsgewinn der Produktion. Widerstände gegen Produktion und (Bild-)Konsum gleichermaßen führen, je nach Befallsort der Krankheit, zu entsprechenden Körperannoncen: Bulimie, Dipsomanie, Anorexie, Sklerodermie etc. Zur Verdeutlichung des Verfahrens der Analyse der Produktionsverhüllung sei ein Fall geschildert, der erstens den Vorzug hat, eine ‚harmlose‘ Variante der Sklerose zu sein, zweitens in engster Korrespondenz zur existentiellen Darstellung des Errötens steht und drittens von großer szenischer Kraft ist. Zudem spielt die Szene dieses Falles selbst im Kontext von Kunst- und Designprofessionalisierung. Der Bezug zu Klee ist durch die Aufdeckung der magischen Produktionsbannung des Bildträgers, wie sie Klee vor allem in der Technik des schichtweisen Aquarellierens vorführt, gegeben: Wie stark lässt sich Leinwand bedecken oder patinieren, ohne sie zum Verschwinden zu bringen? Die Verwandtschaft von Bild und Krankheit liegt insofern vor, als das ‚moderne‘ Bild seine Produktion nicht verdeckt und vom Betrachter erarbeitet werden muss. Es ist nicht mehr ausschließlich ein Objekt des Genießens. Bei dem von Heinz gewählten Fall handelt es sich um eine pathologische Form des Errötens (!) im Gesicht eines Grafik-Designers (!), die – anders als der tödliche Befall Klees – mit der autoimmunen Hautaffektion neurotisch, gleichsam spielerisch (!), provokativ umgeht. Dadurch werden Einblicke in die Mechanismen der Krankheit deutlich, die in der autoaggressiven Gewalt der Sklerose hermetisch sind. Denn was klärt sich in der Sklerose auf, wenn wir sagen: Klee ist das Bild geworden, das er als absolute Sühne der Bildschuld, also Aufhebung der Gewalt der unberührten Fläche, niemals hat zeichnen oder malen können? Letztlich bietet die Sklerose ein grandioses Körperopfer als Gegengabe: den glatten, reinen, alterslosen und pergamentenen, mumifizierten Körper als Palimpsest, Rückgabe zur erneuten Einschreibung. So gesehen muss man mit Erschrecken feststellen, dass der Interpret der Klee’schen Krankheit die letzte Gabe Klees, das Testament annimmt und erfüllt. Vorbereitend einige Bemerkungen zu dem von Heinz klinisch-therapeutisch in vielfachem Zusammenhang erprobten Verfahren der Pathognostik mit ihrem beherz-
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ten philosophischen Theoriezugang, nicht zuletzt abgeleitet aus den Forderungen Sartres nach einer Psychoanalyse der Sachen.559 Dem besagten Fall, dargestellt in einem Artikel mit dem Titel Hautaffektion und Werbewesen,560 gehen einige Thesen nicht nur zum Problem der Psychopathologien und ihrem manifesten, organischen Befall voraus, die uns zunächst ins normalpathologische Refugium der Werbebild- und Zeicheninflation mit ihrem unerkannten Fetisch- und Hygienewesen, Abspaltung der Genesis, ‚Flachklopfen‘ der Welt, Forcierung des Genusses, Schamüberschreitung und Kosmetik führt. So einfach und oberflächig, wie die Sachverhalte hier der Anschauung halber eingeführt werden, sind sie indes nicht. Zunächst trägt ein (neurologisches) Symptom als körperliche Verdinglichung den Entschuldungscharakter von Dingen aus, medizinisch oftmals reduziert auf den Zeichencharakter, zumal dann, wenn es sich um partiellen Befall von Haut handelt. Aber schon in der Anorexie kann nur die Gestalt als Ganze (existentiell) als Symptom gewertet werden: das Ding, das der Körper ist. Krankheit selbst verweigert sich der produzierten Rücknahme als konsumierbares Ding, solange die Produktion selbst nicht goutiert ist. Eine Externalisierung des Körpers als Leib ist defizitär oder gar nach innen gestülpt. Ein Ding, das sich nicht ablöst, verzehrt sich selbst. Damit ist aber das Telos der Ökonomie unterbrochen, die ‚Absicht‘ des Symptoms erreicht: der schuldakkumulative Genuss verwandelt sich in einen „nicht-intentional[en] Gebrauchsstreik“.561 Die Anorexie zum Beispiel verlangt – häufig schubweise – die Anerkennung der Schuld der Produktion wie die ihrer Verdeckung. Dass damit zugleich Konsum als die Ultima Ratio der Produktion hypertroph wird und Schuld keineswegs abschafft, dürfte einsichtig sein. Man kann also behaupten, „daß der Grund der symptomatischen Gebrauchsverhinderung […] darin besteht, daß die Schuldverhältnisse der Produktion und auch der Zirkulation in der Konsumation aufreißen und die bestätigende Befriedigung/Lust eben hier in ein solches Mißverhältnis zu diesem totalisierenden Schuldaufriß tritt“562, zu dem eben auch Rationalität keine Lösung zu finden vermag. Entgegen der Annahme der Psychoanalyse handelt es sich nicht um eine Projektion von Schuld, diese würde auf eine letztlich magische Ursache zurückgeworfen, auf einen Gott, der gibt und nimmt, sondern um die Hermetisierung der Schuld in technischer Abspaltung von Dingproduktion selber. Die Dinge sind zunächst nicht einfach nur unschuldig da, wie das weiße Blatt Papier, 559
Vgl. einführend Rudolf Heinz: Lectiones pathognosticae. Institutionen einer Art kritischer Psychoanalyse. Düsseldorf 1999. 560 Rudolf Heinz: Pathognostische Studien III. Psychoanalyse – Krisis der Psychoanalyse – Pathognostik. Essen 1990. Darin: Eine alternativer Vorschlag zur psychoanalytischen Symptomauffassung, S.147. 561 Heinz, Eine alternativer Vorschlag zur psychoanalytischen Symptomauffassung,, a.a.O., S.147. 562 Ebd. Könnten wir hier nicht auch von der Krise des Kapitalismus als einer Krise der Selbsteinsicht in die Schuldverhältnisse sprechen – angesichts der Fetischisierung des reinen Kapitals?
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vor dem der Grafiker sitzt. Die Unschuld dieses Blattes ist schon ein Akt der totalisierenden Designhygiene und damit markiert mit der gesellschaftlichen Abhängigkeit wider das todestriebliche Autonomie- und Autarkiebegehren. Nun wird die Schuldproblematik in Krankheit deutlicher. „Krankheit, indem sie den Dingen die Unschuldsmaske herunterreißt“,563 protegiert den Körper als unmöglichen Unschuldsort, der in der Tat das einzige Ding ist, das Opfer und Gabe selbstthematisierend nicht nur wissen, sondern auch sein kann. Der Körper ist der Ort der ontosemiologischen Selbstthematisierung, von dem aus die Unschuld der Dinge zu behaupten geradezu lächerlich und grotesk ist. Mehr als diese Aufklärung des in sich widersprüchlichen Todestriebs der Ökonomie vermag Krankheit nicht zu leisten: darstellen, dass es nicht gelingt, ein unschuldiges Ding herzustellen, eine überirdische Aphrodite, die nur Bild, letztlich nur das Nichts der nicht-erhabenen weißen Fläche, in das sie sich zu hypnagogisieren hätte, ist: ein idealistisches, inzestuöses Phantasma, eine Schaumgeburt, ein Ideal, eine kantische Idee, ein Möbiusband. Nein, es folgt im gleichen Atemzug dem Konsumstreik eine „Selbstbestrafungsimmunisierung“,564 mit dem Imperativ, diese Wahrheit über die Dinge, das Reale, nicht wiederum selbst dem Konsum feilzubieten. Aus diesem Grund ist das Symptom der Autoimmunisierung also eine widerständige, akausal inszenierte Erkenntnisform des Grundwiderspruchs der ökonomischen Verhältnisse. Um eben nicht wieder in diese einzubrechen, muss Krankheit hermentisch sein. Ein szenografisches Programm, das sich nicht ablösen lässt, das sich nicht schuppt wie der Schorf einer Wunde, ist quasi der Blinde Fleck der Erkenntnis. „Zugespitzt gesagt, hat Krankheit keine Kausalgenese und in diesem Sinne keine Geschichte, vielmehr eine identische Binnenverfassung, eine innere Organisationsform.“565 In dieser Hinsicht ist das Symptom das Spiegelkorrelat des Status quo der Designwelten. Es bleibt im Symptom die Annonce, doch bitte den Körper in seinen sinnendifferentiellen Fugungen nicht zu vergessen – mit dem üblichen Eintritt der medizinischen Fürsorge und einem sekundären Krankheitsgewinn. Soweit der Umriss dessen, was an Dingschuld im Realen der Lemniskate des Klee’schen Lebens kursiert – anhand weniger pathognostischer Verschiebungen dargestellt. Nun zum Fallbericht aus zweiter Hand. Es handelt sich um einen Mann aus dem Werbewesen, der mit Hautaffektionen (klinisch: Rosacea erythematosa) die therapeutische Praxis von Rudolf Heinz betritt, die in der Werbebranche durch den „therapeutischen Umgang mit Reklameprofis“566 einen gewissen Ruf abseits der orthodo563
Ebd., S.148. Ebd., S.149. 565 Ebd. 566 Rudolf Heinz: Pathognostische Studien III, a.a.O., darin: Hautaffektionen und Werbewesen, S.153. Der Artikel ist ein in Briefform gehaltener Fallbericht an das Psychoanalytische Seminar 564
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xen Psychoanalyse genießt. Der vorstellige Reklameprofi hat es denn auch professionell mit den Phänomenen des hygienisierenden Bildes zu tun, wäre als industrieller Bildgestalter weniger mit dem Grafiker Klee, sondern mehr mit der unter Hannes Meyer vertretenen Berufsauffassung am Bauhaus vergleichbar. Designer arbeiten kollektiv und seriell, auch wenn sie ihrem Produkt die Marke des Prototypischen zueignen. Das, was sie dem Werbekunden reklamieren, ist die verlorene Form als plattgeschlagene metonymisch gleitende Neuwertigkeit. Werbung ist gleichsam das von anderswo geborgte Signifikat der fehlenden signifikativen Produktionsgeschichte. Wir bewegen uns bei der Darstellung dieser Profession auf die Klee’sche Gabenzone der Krankheitsökonomie zu, die Klee als ihre gefährlichste ansieht. Er nennt das verschiedentlich die Gefahr, als „Illustrator“ oder „Kunsthandwerker“ sein Brot fristen zu müssen, was einen nicht geringen Affront gegen den Broterwerb vieler Künstler (Walter Ruttmann, Man Ray, Rene Magritte, Andy Warhol) sowie die gesamte auch nothafte Kommerzialisierungsbewegung des Bauhauses darstellt. Klee kann sich der verpflichtenden Schuld seiner Gabe gewiss sein, unter dem Mantel freilich alimentierter Professoralität, die sich solchen Zöglingen widmet, die dann als Werbeknechte an den Plattitüden der Warenfront feilen und die grandiose Leistung der Todesverdeckung anders als militant vollziehen. Intuition, wie gesagt kann man nicht lehren und nicht lernen.567 Freie Kunst gegen angewandtes Design, so die Fraktionen des Bauhauses – Krankheit als kausalfreie Organisationsform fragt nicht nach dem Wert der Subjektivität, sondern nach der spezifischen Verdinglichungs- respektive Inszenierungskonstellation. Blickt man auf den Aspekt der Grenze zwischen der positiven Barbarei der Künstlerfraktion und der negativen der Zweckhygieniker, so wird die Krankheitszuschreibung je von der anderen Bauhaus-Fraktion durch die Beziehung zu den Sachen, die sie herstellen, benannt. Für Klee gilt, was Bloch und Benjamin zeitgleich als Strategie der Ästhetik gegen die Proklamation des je eigenen ‚Schönen‘ (Technik oder Natur) zu entwickeln versuchen: „Man müßte also den Standpunkt des Produzenten aufgeben zugunsten eines ‚Blicks aufs Produkt‘.“568 Ich kürze einiges von der Krankheitsvorgeschichte, wenn ich die Angehensweise von Heinz gegenüber dem Hautsymptom als beruflich bedingt charakterisiere. Das heißt, in der typischen Arroganz der Branche in ein Wespennest zu stoßen. Der eigentliche Zweck der Werbearbeit, die für den Fortschritt katalytische Funktion der Schuldabschließung und die Regulation der Glaubwürdigkeit569 (trotz oder geZürich und wurde dort mit den üblichen Diskretionen im WS 1987/88 auf Einladung von Pierre Passett zum Vortrag gebracht. 567 Klee, Exakte Versuche im Bereich der Kunst, a.a.O., S.88. 568 Raulet, Natur und Ornament, a.a.O., S.11. 569 Baudrillard, Das System der Dinge, a.a.O. Baudrillard bezieht sich auf die mütterliche Instanz des Gesprächs und der Präsenz des Bildes in der Werbung. „Das ist die Erklärung für die sehr reale Wirksamkeit der Werbung, die zwar nicht gemäß der Logik des Reiz-Reflex-Systems arbeitet, aber dennoch nach einer folgerichtigen Logik verläuft: nach der Logik des Glaubens und der Regression.“
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rade wegen der Kappung der Genesen), darf niemals Gegenstand der innerästhetischen Verhandlung von Werbung sein, sondern wird dort als praxisferne Theorie abgewehrt. In blinder Selbstverkennung ist so der Werbemensch das Stereotyp eines schöngeistigen Tatmenschen: Werbung wird bestenfalls szenografisch betreut, nicht aber philosophisch reflektiert. Der Werbeprofi kommt mit der als Rosacea klassifizierten Gesichtsrötung in die Praxis, um die Bildmaskierungen von sich ablösen zu lassen. Die annoncierte „Gesichtshautmimesis ans Reklamebild“ als „konsumatorischer Rückbezug“ beschreibt Heinz als Profilriss der Frontalität: „Inquisition hier des verletzten Bildtabus.“570 Sieht man sich die Zeichnung der Rosacea-Formation an, so kann man rekapitulieren, dass dem Werbemann das eigene Profil im Gesicht etwas ins Ohr zu flüstern scheint und damit Bildproduktion aufklärend auf „Stimmenhören“ offeriert.571
Abb. 39 „Bild 1, Stilisierung der Symptomformation der Rosacea nach dem Polaroidfoto.“ (Aus: R. Heinz, Hautaffektion und Werbewesen, a.a.O., S.164)
Die Hautaffektion, obwohl schuppend und errötend, klärt sich als das Ding auf, das, wider die Verbindlichkeit der Reklame, die Ambivalenz der Schuldentsorgung nicht nur verschwinden macht, sondern sie zugleich auch funktional aufdeckt. (S.207) „Alle, die an der beeinflussenden Macht der Werbung (das heißt der mass media im allgemeinen) zweifeln, haben die eigenartige Logik ihrer Wirksamkeit nicht begriffen. Es ist keine Logik der Thesen und des Beweises, sondern eine Logik der Fabel und des Mitspielens. Man glaubt nicht daran, und dennoch tut man mit.“ (S.205) 570 Heinz, Hautaffektionen und Werbewesen, a.a.O., S.154. 571 Ebd., S.155. Ich danke Rudolf Heinz für die freundliche Überlassung der Abbildungen.
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Reklame wird als ein inzüchtiges Geschäft außerhalb des Produktionszyklus, niemals Produktion der Dinge selbst, disqualifiziert. Heinz verkennt, bei aller in der Übertragung unterstellten Schadenfreude, die die aggressive Arroganz des Werbemannes kontert, nicht den höheren Wert der Krankheit. Diese besagt ja nichts anderes, als dass die schuldaustreibende Körpermanipulationsbranche mit den Bildsubjekten so umspringt wie die Krankheit mit ihrem Produzenten. Geradezu phobisch ist in der Werbung die Not, irgendwie mit Produktion in Verbindung gebracht zu werden. Der Begriff der ‚Kreation‘ ist ingeniös das Symbol für die Unfähigkeit, die Werbeidee als Produkt gelten zu lassen. Als eine Art Rache gegen die „mit Zeichenstiften und weißem Papier, mittels der simulatorischen Verbilderung der Dinge und der Körper restlos, rückstandslos, der Exkremente und der Leichen ledig, auf der hauchdünnen Nichts-angenäherten Allfläche“572 produzierenden Grafiker und Designer schlägt die Produktionsverdeckung des Immaculata-Papiers zurück. Nur allerdings am falschen Ding, dem Körper: ein desaströses Make up ästhetischer Inzucht. Immerhin zeigt sich die Rosacea-Rötung nicht einfach so, als unvermittelt wiederkehrendes Infantiltrauma. Es ist ihre aktuale Deplatzierung – hoffentlich als vorübergehendes Sinnenproblem von Sehen-Hören und Produktionsinitiation –, was sie so aufschlussreich für den Aspekt des travestischen Gebrauchs macht; aufschlussreich wie das ironische Spiel mit den Interpunktionszeichen und zerstückelten Körpern, das Klee betreibt und in das hinein er sich einzeichnet. Mit der klassischen Psychoanalyse kommt man da nicht weiter. Wie man es übertreibt mit der eigentherapeutischen Abständigkeit vom dauerlächelnden Werbestress – das wird nach der Frage des Erstbefalls der Rosacea verblüffend als Strategie der Selbstreinigung erklärt, um den „Körper als Ware in inverser Hysterie“573 zu occupieren. Dass dieses Vorgehen des Werbemannes doppelt inzüchtig ist und mit dem Ausfall des rettenden Dritten einhergeht, dürfte ohne alle pathologische Kenntnis einleuchten. Vor dem völligen, dann wirklich heiklen Psychosenkollaps bietet sich die Rosacea als „Scham, die sich selber schämt“574 an. Das Gesicht wird zur Reklamefläche, ohne dass hier die Medienbuchung storniert werden kann. Das Bild lässt sich vom Werbemann trotz aller Anstrengung nicht aus dem Gesicht waschen oder reiben – auch mit Kreativität nicht: das Aufsetzen einer Maske (oder Sonnenbrille) würde wie Hohn die Maskerade der Reklame demaskieren. Die Rosacea unterschlägt schlicht und einfach die In-sich-Spaltung von ästhetischer Produktion, den Dreck, den Abfall, die ästhetische Differenz als Restverdinglichung. 572 Ebd. Wobei es möglicherweise noch schlimmer für die betriebswirtschaftlichen Abteilungen der Agenturen ist: im Bereich der Media werden Leerflächen oder -zeiten verkauft. 573 Ebd., S.169. 574 Ebd., S.176.
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Die Maske fällt nicht ab, wird nicht Abfall. Der Patient beginnt nach Anleitung aus einem Buch (?) zu meditieren. Dabei geriet er hart an die Grenze einer Hyperventilationstetanie, nach deren Abklingen das Gesicht wie eine Rose zu blühen begann. […] Es folgt darauf die Polaroid-Aufnahme und die weiteren Bildereien. […] Allemal handelt es sich um eine vergebliche Austreibung – Schulddurchschüttelung, Schuldabschüttelung, Selbstgeburt: entschuldete Selbsthinterlassung und Schuldumhüllung (Epikalypse) in dinglichem Außen zugleich. Mittendrin aber storniert sich dieser Vorgang, bleibt schließlich am Austrittsort, dessen Fläche quer mit sich selbst bezeichnend, haften.575
Die Hinwendung des Analytikers zum Patienten auf dessen Purgationsbericht inszeniert Rudolf Heinz frontal: „Bilder haben ja wohl den Ehrgeiz, unseren schandbaren Körper gleichermaßen wie die vergänglichen Waren, die sie darstellen, zu überbieten; zu überbieten an Reinheit, Beständigkeit, Unberührbarkeit und dergleichen noblen Eigenschaften mehr.“576 Insofern wäre die versuchte Selbstreinigung (‚Einrenkung‘) eine inzestuöse Ökonomie der Selbstabschaffung, was Design durch das völlige Fehlen einer Signatur zum Ausdruck bringt. In einer Werbeagentur arbeitet das Kollektiv im namenlosen Team. Im Brainstorming werden jegliche kritische Regeln außer Kraft gesetzt. Es herrscht die freie Assoziation als Freiheit von der Assoziation. Die korrelierenden Serien laufen divergent. Die ursprüngliche ‚Idee‘ einer Kampagne etc. ist personal meist gar nicht zu verorten, was Diebstahl und Plagiat (Metonymien und Kommunikation werden hier selbstreferentiell) zur üblichen Kreativitätsmethode werden lässt. Überwertige Selbstpositionierung bleibt die rein äußerliche, schuldhaft besetzte Arroganz. Werbedesigner sind dauerscheinschwanger. Die undifferenzierte Vokabel für das Phantasma der produktionslosen Produktion ist Stress, die differenzierte zeigt sich eben in solchen Hautaffektionen wie der Rosacea. Im Sinne dieser Körperaffektion wird die „Psychoanalyse […] Hilfswissenschaft der Warenästhetik“– „Therapie als Reklame und Reklame als Therapie“.577 Aber ohne Reklame würde man in den Abgrund der Produktionsschuld starren und verschlungen. Die therapeutische Dringlichkeit des Patienten besteht in der Ablösung des Gesichtsbildes, dieser entlarvenden Maske. Die inzestuöse Mehrwerterpressung der Krankheit richtet der Patient als geldwerte Arroganz, sich selbst entschuldend, gegen den Analytiker. Man könne schließlich für sein gutes Geld sich das Copyright des Gesichtsbildes vom Psychoanalytiker abkaufen. Der Zusammenhang von Universaldesign und Therapie, nämlich der Schuldfortschaffung in einem Anderen (Medium) wird von Heinz wie folgt als therapeutischer Abschluss reklamiert: 575
Ebd., S.156. Ebd., S.157. 577 Ebd., S.166. 576
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Fehlt also nur in dieser allvorbildlichen Kon-Sequenz der therapeutische Abschlußakt, die Ablösung des reinen Bildes aus dem Hautsymptom, die mortale Medienmetonymie ins Bild. Dieses aber war von Anfang an schon als Sujet der Meditation und alles dazwischen meditativ-intermediär nichts anderes als seine Eigenherstellung. So etwas nennt man in der Branche, ernsthaft durchaus, Kommunikation.578
Für unseren Zusammenhang geht diese Branchenschelte gewiss in die richtige Richtung. Sie kann jedoch immer mit dem Gegenvorwurf rechnen, solche Psychopathologien seien ja doch irgendwie individuell und ihre Übertragung auf kulturphänomenale Größen unzulässig. Besser Reklame und Salben als Krieg und Mumifizierung. Man würde Freuds späte kulturphilosophische Einsichten damit sicher auch treffen wollen, meint aber etwas anderes, nämlich den auch innerhalb der Designausbildung besetzten Anspruch einer großen Idee, einer Idee von Kunst, mindestens von Kunsthandwerk. Wie die Dinge nicht erst seit dem späten Bauhaus liegen, kann aber mit der Verwissenschaftlichung der Ausbildung der Designer einerseits (seine Ingenieursausbildung), und der heute auf Programmierpraxis reduzierten Realtätigkeit dieser Kunsthandwerkansatz nur ganz randständig sich behaupten. Werbung ist ein industrielles Produkt, deren gelingende ‚Kommunikation‘ allein durch die Voraussetzung der Elementarhypothese des technischen Zeichens (Signals) als universales Tauschmedium garantiert wird – mit allen damit schon goutierten Opferderivaten an Sinnendifferenz, an Flächen, deren Herstellung der Prostitution des Ästhetischen vorausgeht: Es sind ja diese Flächen und Zeiten (Medienbuchungen), die ein vielfaches an Präsenzgeld kosten – die Grafik und das Design selbst sind marginale Ausgabenpositionen im Marketingbudget. Dennoch: ohne die Designarbeit würde die gesamte Sphäre der Produktion ins Kriegsmillieu abdriften – als solche Arbeit hilft sie katalytisch, dass der Riss zwischen den abstrakten Dingen und den Körpern auf Dauer nicht mehr zu kitten ist. Bezüglich der Medienvielfalt fehlt selbst schon ein ‚Design des Designs‘. Der Universalanspruch des Zeichens drückt sich in solcher ‚Rotlichtreklame‘, wie sie die Rosacea darstellt, aus. Diese Form der Reklamierung einer Einheit von Natur und „technisch bearbeitete(r) Natur“ verkennt, dass Heimat sich in der „Suche nach der Heimat symbolisch“ aufschieben muss. Als Aufschub quittiert die Symptomatik der Rosacea im ‚kranken‘ Bild allegorisch die doppelte Fetischqualitäten des Bildes und des Körpers als Ware.579 Wie steht es nun mit dem Übergriff des Universaldesigns auf Kunst, wenn Klee, der das Zeichen in die Kunst einführt, als derjenige gilt, der die Schuldprobleme des Bildes deutlich medialisiert? Man könnte das eine Kontrainjezierung, eine Impfung der Kunst nennen. 578 579
Ebd., S.170. Raulet, Natur und Ornament, a.a.O., S.12.
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Zunächst fehlt dem Werbebild die Signatur des Kunstbildes. Der RosaceaPatient flüchtet branchenüblich in das Reinigungsversprechen der ‚freien‘ Kunst hinein, wie es ja auch Praxis ist, dass Philosophen als Art-Directoren und Literaturund Kulturwissenschaftler als Werbetexter arbeiten. Sprechen wir diesen Fluchtort der Schuld an: Der Patient hatte die Angewohnheit, „aus Rheinufer-Unrat am Ufer Kunstobjekte zu fabrizieren, diese wenn möglich anzuzünden (oder besser noch zu beschießen); und dies in betrunkenem Zustand. Superexkulpative Ästhetisierung – ‚Verschönung‘, so sein eigener Ausdruck – selbst noch von Verfall; Todesweihe von bereits Totem.“580 Die weitere Analyse bestätigt: „zu viel Inzest, zu wenig Drittenausgleich, filiales Bild-Kamikaze“.581 Auch ein auf Nachfrage sogleich geträumter Traum kreist um den Unrat und die Dreckwegschaffung.582 Während der Patient allmählich Einsicht in die Unrast der Hygienehysterie und damit in seine Weiblichkeitsinversion gewinnt, ist die Trennung auf Kunst hin nicht zu vollziehen. Wir haben die diesbezüglich von Klee sehr ängstlich und pedantisch vorgenommenen Abgrenzungen in seiner Jugend von der Gebrauchsgrafik und am Bauhaus in Bezug auf die Webereiklasse zur Kenntnis genommen. Kann es sein, dass aus dieser Sicht der Vorwurf der Entartung doppelt trifft, wenn man sieht, wie sich die Nationalsozialisten des dekorativen Ornaments und des ‚deutschen‘ Kunsthandwerks, inklusive albarichhafter Waffenschmiedekunst, wieder annehmen? Verwandelt sich der Film unter Riefenstahl nicht in die Allegorien des Feuers, des Todes und des Gleichschritts von Propaganda-Reklame und Künstlichkeit zurück? Angesichts des Corporate Designs der NSDAP – ihr oberster Designer war Hitler – bleibt die Feststellung zu machen, hier habe das Universaldesign genau jene Selbstrettungshysterie entfacht, die dem heldischen Retter das ultimative Opfer abverlangt. Der Patient, dermaßen sensibilisiert, beginnt militant, sich mit Glaubersalz zu reinigen und ein totales Fasten anzustrengen.583 Mit dem Kunstausbruch kommt man fürs Erste also nicht weiter, wüsste man doch das Refugium der Kunst seit Warhol von dem der Reklame nicht mehr zu trennen. Der Patient äußert zwar, den frühen Wunsch gehabt zu haben, doch eigentlich eher Architekt oder Künstler geworden zu sein und damit dem „Dingoriginal versus Bildkopie“584 näher zu sein, kann aber nicht umhin, zu verstehen, dass diese Nähe umso stärker mit dem Konsumverbot belegt ist und als Anklage von Schuld unverstellt, ja wie prostituiert selbst sakral sich gegen die Reklame wendet. Die „Kunstüberlegenheit“ wird „zur Explosivität von 580
Heinz, Hautaffektionen und Werbewesen, a.a.O., S.158. Ebd., S.160f. 582 Ebd., S.161. 583 Ebd., S.163. 584 Ebd., S.173. 581
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Kunst: Ästhetikbombe“,585 die in sich ethisch, im Moment ihrer unabgeschlossenen Vollendung, ihres monadischen Provisoriums genusshafte Freundschaft mit den funktionellen Zuträglichkeiten des Alltags signalisiert. Das Atelier sei somit ein häufig genug ikonoklastisch heimgesuchtes Bombenversuchslabor für die Befreiung der Dinge von ihrem Fluch nützlich zu sein, wie Benjamin formuliert hat. Und das Atelier Klees ist in der Tat ein gut gesichertes Labor mit höchster Ausstattung. Die entsprechenden Koalitionen und Allianzen des Bauhauses sind in der Gründung der Ulmer Schule, die große Stücke auf ihre geisteswissenschaftliche Aufklärung hielt, schon pervertiert: Gestaltung, die sich dem Zweck der Ingenieurskunst und Wissenschaft zu opfern hat. Ästhetik wird mehr oder weniger sinnliche Mathematik, ganz dem Dienst der Gesellschaft und dem Anschluss an Ökonomie unterstellt. Der Kern ihrer industriellen Produktion, das Corporate Design, ist eine Spätform des Concettismo. Gropius nimmt das mit einigem Erschrecken während der Eröffnungsfeier der Ulmer Schule zur Kenntnis, wie Brock aufgezeigt hat.586 Nein, ganz vorweg wäre die Frage der „Signatur“587 zu klären, als der Einbruch des Dritten in die Differenz von Bild und Beobachter, und zwar so, dass sich der Künstler im Bilde als dieser Dritte selbst abständig beobachten kann. Malerei als Prozess des Werdens ist ja geradezu die entmilitarisierte Zone der allmählichen Selbstannäherung. Dagegen stehen immer noch solche Nebelbegriffe wie ‚Genie‘ oder ‚Kreativität‘, die das Dilemma des Produktionszwanges euphemisieren. An dieser Stelle können wir den Fallbericht auf unsere eigene Intention hin zuspitzen. Wie in Bild 2 der von Heinz dargestellten Profilselbstansicht der Rosacea ablesbar ist, handelt es sich um die in der Analyse durchgearbeitete und zum Stillstand gekommene Entmilitarisierung des Bildprogresses, der – überraschend ist das jetzt nicht mehr – zur ursprünglichen Sehen-Hören-Differenz zurückführt. Die Profile scheinen Ohren darzustellen, denen die Einflüsterung anzusehen ist – die das, was sie hören, gleichsam oszillographisch zu sehen geben. Dieser Dialektik entspricht die Abfolge der Bildgenres: Fotografie, Grafik, wahrscheinlich Gemälde oder Vergleichbares. Weggang zugleich vom Selbstportrait, vom Symptom als Ge585
Ebd., S.174. Brock, Eine schwere Entdeutschung, a.a.O., S.878f. Brock bezieht sich auf zwei Reden von Gropius, die dieser anlässlich der Eröffnung der Ulmer Schule 1955 gehalten hat. „Unüberhörbar gibt Gropius zu verstehen, daß die Zielsetzungen das eine seien, die Methoden, sie zu erreichen, ein anderes – zumal unter veränderten Rahmenbedingungen der technologischen Entwicklung und des wirtschaftspolitischen und sozialen Umfeldes. Vornehmlich in der zweiten Rede widerruft dann Gropius die vorgebliche oder erwünschte Kontinuität zwischen Bauhaus und Ulm. Er läßt die Ulmer ahnen, daß ihre Vorstellung von Kontinuität auf einer verfälschenden Rekonstruktion des Bauhaus-Konzeptes, und vor allem seiner Vorgehensweise, beruhe (in erster Linie in einer verfälschenden Hervorhebung des Begriffs Funktionalismus).“ 587 Heinz, Hautaffektionen und Werbewesen, a.a.O., S.175. 586
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dächtnisresiduum sowie vom ‚absoluten‘ Sehen hin zur Perspektive schließlich wiederum, also zum sich-sehend-machenden Sprechen/Hören – im letzten Bild werden die wieder abgewandten Profile entsprechend zu riesigen Flügelohren. […] Nicht zu vergessen hier auch, daß Hautsymptome am Gesicht nicht ohne Spiegel inspiziert werden können.588
Abb. 40 Bild 2, Profilselbstansicht (Aus: R. Heinz, Hautaffektion und Werbewesen, a.a.O., S.165)
Der Spiegel als ultimativer Ort der Bildlosigkeit des Ichs verweist auf die Stimme. Zugleich ist der Spiegel Höhepunkt der Hygiene, selbst Nichts. Die Symbiose von Narziss und Echo spielt mit der Camouflage unmöglicher medialer Selbstthematisierung und, so Lacan, Selbstidealisierung. Daraufhin ‚ent-faltet‘ sich das Gesicht Klees: glättet sich zur Spiegelhaut und entfaltet das letzte Geheimnis der Falte zeichenhafter Realität. Das Transparentwerden der Haut und die bis zuletzt gut beweglichen Finger sind die beiden Symptome der Progressiven Systemischen Sklerose, von denen Klee befreit ist. Die Krankheit gibt dem Betrachter, was sie dem Menschen Klee nimmt. Im Symptom geht „der eigentliche Sinn für Raum und Zeit“589 zugrunde. Die hier vorgestellte differentialdiagnostische Symptombeziehung der Rosacea des Werbeprofis (Grafik-Designer) und die Sklerose Klees (Künstler) in eine Ordnung der Distanz qualitativ abzuwägen, hieße, gemäß der therapeutischen Praxis, ihnen einen Ort der Aussage ihrer Produktionsbedingungen zu verschaffen, auf dass sie ablassen von der Frontalität und Produktionshemmung des Bildes, indem sie dieses in sich nicht nur szenifizieren, sondern den szenischen Widerstand für einen anderen 588
Ebd., S.172. Roland Barthes: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990, S.250. 589
250 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
öffnen. Therapeutisch geht es darum, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse als nicht minder schuldig wie rettend in ihren Ambivalenzen durchlässig zu machen. Dem Patienten ist Einsicht zu gewähren in den Affront des Aufklärungsgehaltes der Krankheit wider die gesellschaftliche Hypostasierung des Telos der Todesüberwindung im zukünftig perfekten Organab- und -anschluss der Dingmaschinen als Drittenabsolut. Die prekäre Lage entsteht dadurch, dass zwar mit den Produktionen, nicht aber mit dem Tod ein faustischer Handel getrieben werden kann. Das Behandlungsziel kann nicht Abschaffung von Schuld, gar ihre sadistische Verschiebung auf den anderen (der Faschismus ist Schuld, dass ...) sein, sondern die Auflösung der Bildfrontalität der Krankheit selbst, indem der Symptomkomplex auf einem szenischen Signifikat der Gesamtökonomie wieder ins Gleiten gebracht wird, das heißt ganz einfach – nach dem ursprünglich freudianischen Konzept – ‚zur Sprache kommt‘.
IV.4.
VOM BILD ZUR STIMME UND ZUM VERLORENEN URSPRUNG
Der Klee’sche Fall kann nicht als Begriff oder Auswirkung von „Stress“ oder äußeren „Konflikten mit dem Faschismus“ müde geredet werden. Die Sklerose ist nicht hysterische Verdeckung und Überbietung der Schuldverschiebung der zeichenverhafteten Reklamewelt einerseits und eines historischen Faschismus andererseits, so als gäbe es tatsächlich die Möglichkeit der ultimativen Verschiebung alles Unreinen in eine totalisierte Ästhetik. Die Sklerose Klees ist das Bild der noch einmal quergestellten, profilierten und eben nicht wie in der Reklame frontalen Erkenntnis der existentiellen Funktion des Bildes. Nach Benjamin bleibt das Klee’sche Bild im horizontalen, das Mal des Symptoms dagegen im senkrechten, malerischen Schnitt. Vorbehalte Klees gegen die malerische Ganzansicht bleiben im Körpereinbehalt. Denn das malerische, zudem noch reproduzierende Bild liegt in seiner ‚entarteten‘ Form (als Produktionsverhüllung) in der Linie eines strukturellen Faschismus, einer strukturellen Unbedingtheit. Klees Dilemma ist nun, mit dem Erstellen von Bildern in den historischen Sog der Ereignisse zu geraten, womit die Bivalenz der Situation nach 1935 deutlich wird: eine rasende Kriegsproduktion des Faschismus und dessen Anklage der Entartung an alles, was nicht den vollen,
IV. 4. VOM BILD ZUR STIMME UND ZUM VERLORENEN URSPRUNG 251
heldischen Körpereinsatz fusionierender Produktionskonsumation zeigt. Im Moment dieser Bivalenz tritt die initiierende Krankheit als erste Körperanmahnung auf, der das Musizieren als Stimmenort restringiert, andererseits nimmt Klee in einem hysterischen Produktionsfinale den Kampf erneut auf, so als müsste er den Faschismus mit seinen eigenen Kriegsmitteln der serialisierten Produktion überbieten. An beiden Fronten gibt Klee mehr als er hat. Was aber ist mit der Vorgeschichte: der Industrialisierung der Produktion und der des Designs am Bauhaus? Was ist mit Klees Widerwillen, nach seiner Ägyptenreise noch einmal an dieser Front vermittelnd zu arbeiten? Wir müssten selbst noch einmal die Vorgeschichte der Modernen Kunst wie des Faschismus im 19. Jh. durcharbeiten und würden dort auf jene frühromantischen Konzepte der Inversion und Reflexion, des Fragments, der Kritik und der Ironie treffen und nicht zuletzt der Schiller’schen Vision einer Pädagogik der ästhetischen Urteilskraft nachdenken können. Bei Klee wird von Anfang an deutlich, dass er die Grenze zwischen Grafik und Malerei außerhalb des Bildes in der Bildlichkeit ansiedelt und als Vorbehalt, wie Benjamin gesagt hat, gegen die produktionsverdeckende Durchstreichung der cartesianischen Möglichkeit des Bildes situiert. Es gibt bei Klee Aquarelle, die lasierend mit dem Grund spielen, es gibt Grundierungen, die lediglich altes oder zerfallenes Gewebe (Leinen, Stofffetzen, Holz) sind, es gibt zerstückelte Bilder und es gibt Zeichen auf Zeitungen, in denen die Zeichen-Grund-Beziehung offen gelassen wird. Korrelativ dazu gibt es die sezierende Linie, die den Grund aufbricht, umpflügt, befreit, selbst aber keine Form bildet. Selbst die späten Zeichnungen beziehen den Zeichengrund in eine offene, vielfach vexierbare, kristalline Linie ein. Die späten Engelsbilder umspielen Grenzen, sie schließen keine organisierten Gestalten ab. Immer gibt es so etwas wie den zugrunde gegangenen Grund und die Bewahrung seiner Spur. Immer wird nach Aufklärung der Vorgeschichte der Malerei, genauer, der Tafelmalerei mit ihrem voyeuristischen Fensterblick verlangt. Der hermetische Zeichenwert wird aufgebrochen, um der Magie des anderen Blicks, der ökonomischen Heterotopie des Wissens und der Erkenntnis experimentell und im Hinblick auf eine einbrechende Stimme, eines einbrechendes Zeichens, Gewähr zu geben. Eine detaillierte, existentielle und pathographische Untersuchung des nicht bloß fragmentarischen, sondern ontologisch sich aufschiebenden Bildes bei Klee, im Detail und unter kunstwissenschaftlichen Gesichtspunkten, muss noch geleistet werden. In welcher Hinsicht das geschehen kann, hat Otto Pöggeler an Dokumenten zu belegen versucht, die Heidegger sich von einer Aufklärung der Kunst der Moderne von Klee her versprach. Wir wollen uns dieser philosophischen Habilitation Klees wenigstens über einen kleinen Umweg – Heideggers Klee-Rezeption – nähern.
252 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Die letzte Form der Undurchsichtigkeit ist das weiße Blatt Papier, auf der allein noch die Allegorie der Metonymie Platz findet: der Engel. So liegt zwischen dem Engel der Geschichte und den späten Engeln der Jahre 1939/40 die radikale Inversion der Klee’schen Biographie: die Wendung des Blicks von der Geburt auf den Tod. Verhüllung und Enthüllung, Einschließung und Abschließung beherrschen die Strukturen seiner Darstellung, wie das Blatt Symptom, rechtzeitig zu erkennen (1935) zeigt, das während des ersten Ausbruchs der Krankheit gefertigt wird.590
Abb. 41 ∞ Paul Klee: Symptom, rechtzeitig zu erkennen, 1935
Roland Barthes berichtet in seiner kleinen Geschichte des Zuhörens von der entschuldenden und distanzierenden Funktion der Engel und verdeutlicht, was Klee die Verschiebung der Kunst „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen“591 nennt: Waren doch zunächst alle „Geräusche das direkte Material einer Mantik, der Kledonomantie“, in der Zuhören den Stimmen einen Raum noch nicht verwirklichter Möglichkeiten und damit der Schuldabständigkeit zugestand. Erst im Kollektiv der Religion, die sich „verinnerlicht“, wird Schuld als Freiheit von Realisierung ein Privativum. Man 590 Grohmann, Paul Klee, a.a.O., S.64. Engel müssten demnach Aufklärungsgestalten, Gespenster der Disposition des Dritten sein – so deklariert auch Perdita Rösch: „Genau darin liegt ihre Eignung als Verbindung zwischen ansonsten getrennten und unvereinbarten Bereichen, und genau dadurch eignen sie sich auch zur Darstellung von Sachverhalten, welche im Rahmen einer zweiwertigen Logik nicht vermittelbar sind. Engel können als das ‚Dritte in der Mitte‘ gesehen werden, als Spannungsfelder zwischen den Polen, als Repräsentanten einer die Polarität übersteigenden Ganzheit“. Dies., Die Hermeneutik des Boten, a.a.O., S.24. Es ist aber nicht zu unterschlagen, dass Engel eben phantasmatische Wesen sind, wie jede Drittenfigur überhaupt. Durch sie wird nichts gerettet, sondern nur getauscht. 591 Klee, Über die moderne Kunst, a.a.O., S.3.
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handelt nicht unmittelbar, sondern nach den Buchstaben des Gesetzes, nach deren Entbildlichung. Gesetz, Arbeit und Schuld konstituieren eine säkulare Gesellschaft. Die Urchristen lauschten noch äußeren Stimmen, denen der Dämonen und Engel; erst allmählich verinnerlichte sich das Objekt des Hinhörens so sehr, daß es zum bloßen Bewußtsein wurde. Jahrhunderte hindurch wurde dem Schuldigen, dessen Buße über das Eingestehen seiner Vergehen verlaufen mußte, eine öffentliche Beichte abverlangt.592
Wenn das „abgegrenzte, abgeschottete und gleichsam heimliche Zuhören […] den Schutz des Individuums […] vor dem Zugriff der Gruppe gewährleistete“,593 dient die Schuldepikalypse wie die Individualisierung dem gleichen Zweck: die Verschiebung in die Bahnen der ‚Kommunikation‘ zu lenken, und damit die Schuld wieder kursieren zu lassen. Die Psychoanalyse, so Barthes mit Blick auf Lacan, hat sich des Zuhörens mit dem Ziel genähert, sich der nichthistorischen „Ursprünge“ jener Individualität zu bemächtigen, die sich als Allgemeinheit des Individuellen positioniert hat, der Sprachen des Körpers, die das zuhörende Subjekt vertreten. Denn, so Barthes, das Zuhören ist ein aktiver Zugang zur Welt. „Man muß es wiederholen, das Zuhören spricht.“594 Es schafft seine eigene „Signifikanz“. Einem Musikstück von Cage zuzuhören, meint, jedem Ton zu einem nächsten, zu einer Grammatik des Hörens erst zu verhelfen, statt ihn, wie in einem klassischen Musikstück, als Teil einer Phrase zu identifizieren. „Indem sich das Zuhören dekonstruiert, veräußerlicht es sich und zwingt das Subjekt zum Verzicht auf seine ‚Intimität‘. Das gilt mutatis mutandis für viele andere Formen der modernen Kunst von der ‚Malerei‘ bis zum ‚Text‘; und dies ist natürlich mit Schmerz verbunden.“595 Das Sich-zuhören bleibt nichts desto trotz die Bedingung für Privation. In Barthes Ausführungen wird deutlich, dass das Zuhören am wenigsten das ist, was die technischen Medien daraus machen, ein akustisches Problem. Das Zuhören und das Vernehmen sind in erster Linie ethische Aktivitäten des Gewährenlassens. Das ist mit einem Widerstand gegen Produktion verbunden. Wenn beim Kind der „Angstgrund […] im drohenden Verlust des Repräsentationsverhältnisses“ besteht, „im Ausfall der Vor-stellung, des vor-sich-hinStellens, im Abgang des raum-zeitlichen Dispositionssubstrats dinglicher Selbstdoublierung“,596 und wenn die Parade wider die Dingauflösung im Wald darin besteht, die sich aufdrängenden, halluzinierten Gespenster zu bannen, wenn Klee in 592 Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.254. Zum engeren Begriff des psychoanalytischen Zuhörens vgl. auch Ingrid Riedel: Engel der Wandlung. Freiburg 2000. 593 Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.254f. 594 Ebd., S.262. 595 Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.263. 596 Heinz, Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit, a.a.O., S.103.
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diesem Wald der Symptome und des Todes nach 1936 noch einmal seine Raum-Zeit gebende Stimme findet, dann bildet sich eine besondere Nähe zu den Urkörpern ab. „Die Geburt mag dann so anmuten, als konzentriere sich in ihr die […] Nichtverlaut(bar)ung explosiv im Geburtsschrei, dem Signum des Elementenwechsels vom Wasser zur Luft. Im Vorgriff dazu gesagt, firmiert die Geburt, der Kindesaustritt, als Inbegriff von Epiphanie.“597 Das metonymischen Prinzip (Medienwechsel) und somit die Darstellung der Einsicht in die Vorgänge der Schuldverschiebung besteht also, wir haben es gezeigt, in der Trennung des Subjekts von seiner Personalität, d.h. in der Öffnung privativer Intimität. Dem Medienwechsel der ersten Geburt entspricht der Perspektivwechsel zum Tod in der zweiten. Was die Klee’sche Antizipation des eigenen Ursprungs aus dem Geist der Stimme angeht, haben wir Belege für die Gefahr dieser inzestuösen Rückwendung gesammelt. Insofern wäre „die Kunst, Bilder sprechen zu lassen“,598 die erst mit dem Tonfilm beginnt, das Ende der Kunst des Zuhörens, die z.B. die Fotografie noch lebendig hält. Bilder im metaphorischen Sinne eine Stimme zu verleihen, heißt, die inzestuöse Geburt lebendiger Bilder zu verhindern. Es geht darum, die Intimität der Geburt im anderen aufgehen zu lassen, ohne die Verfügung über das Produkt gänzlich an den anderen abtreten zu müssen. Die Geburt gegen den drohenden Verlust der Selbstdistanzierung rettet der ursprüngliche Ursprung des Kunstwerks. In dieser Idee sieht Heidegger, was im archaischen Drama das Sprechen durch die Maske des Toten hindurch meint. Heidegger fragt ungläubig zurück: „Ob es stimmt, was sie von Klee sagten,“599 dass dieser der letzte „Sinnbildner“ sei? Denn Heidegger sieht Klee nicht mehr in der Tradition einer künstlerischen Darstellung, der noch van Gogh und Cezanne zuzurechnen sind, sondern in der dem Zen ähnlichen Tradition der Entbergung des Ursprünglichen, das sich der Darstellung als Repräsentation entzieht, indem es das Produktivvermögen selbst ausstellt und als Ereignis szenifiziert. Wird aber Produktion selbst dargestellt, droht sogleich ein hysterisches Überfließen. Produktion als ausgestellte bedarf der Technik der Inszenierung – Klees Nähe und Vorliebe für Maschinendarstellung ist ebenso bekannt wie Heideggers Beschäftigung mit dem Verhältnis von Kunst und Technik. Gehen wir im Folgenden der Frage nach, warum Heidegger sich von Klee eine grundlegende Bestimmung des Ursprungs des Kunstwerks erwartete und warum, nach Pöggeler, der Plan, mit Klees Hilfe einen zweiten Teil des Ursprungs des Kunstwerkes zu schreiben, ein unabgeschlossenes Vorhaben blieb. Ein Grund dafür wäre in der 597
Ebd., S.104.
598 Paul Virilio: Die Kamera als Waffe und das Ende der Fotografie. Ein Gespräch mit H.-N. Jocks.
In: Kunstforum 172, September-Oktober 2004, S.66, zitiert nach Heinz, Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit, a.a.O., S.105. 599 Martin Heidegger: Die Kunst und das Denken. Protokoll eines Kolloquiums vom 18.5.1958. In: Martin Heidegger: GA Bd. 16, Frankfurt am Main 2000, S.552ff.
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Metonymie eines ersten Ursprungs, den Heidegger mit van Gogh anstrengt, in einem zweiten zu suchen. Denn es kann nicht Heideggers Interesse an Ontologie sein, moderne Kunst gänzlich anderes zu bewerten als ‚alte‘. Es könnte jedoch im Interesse Heideggers liegen, nach der Kehre die technischen Bedingungen der Kunst und ihre Hinwendung auf Produktion neu zu bewerten. Klee besitzt zwar den Vorzug, die Ursprünglichkeit der Malerei (ihr Produktions-, Arbeits- und Widerstandsmoment) selbst im Bilde aufgedeckt zu haben, während van Gogh sie im Gestus und Duktus gleichsam symbolisch verschlüsselte, aber die noch unentdeckte Größe des Klee’schen Gesamtwerkes wie seine Schwellenfunktion hin zur Postmoderne konnte in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jh. noch nicht mit Distanz von Heidegger in den Blick genommen werden. Das Werk Klees war in den 50er Jahren nur zu geringen Teilen und kaum im biographischen Zusammenhang bekannt. Das Motiv der Klee’schen Aufklärung besteht darin, im pädagogischen Sinne, also programmatisch, den Einbruch der Technik in die Kunst als etwas immer schon Gegebenes und nichts Artifizielles anzusehen. Es kommt darauf an, ob man Technik als progressive Form der Realisierung oder als Regression der Derealisierung einsetzt, d.h. auf welcher Ebene das Reale seiner eigenen Vollständigkeit, Perfektion und Abschließung widersteht. Deswegen ist die grafische Skizze der Technikentbergung näher; die Malerei andererseits eher eine Technik der verdeckenden, das heißt repräsentierenden Ursprungsthematisierung, die sich als Vorform von Design, also Abschließung kennzeichnet. Es gibt für Werbeprofis, so haben wir gehört, nichts Gefährlicheres als den Weißraum, bzw. definiert sich die Hochwertigkeit von Design daran, mit der Fläche als reiner Oberfläche umzugehen (Materialqualität und -gerechtigkeit). Heinz bringt das für den Zusammenhang des Schreckensortes der Repräsentationsauflösung auf den Punkt: Zur Näherung des thematischen Phänomens [Singen im Walde; Stimmen aus Unsichtbarkeit; R.B.] bleibt nichts anderes übrig als eine Art initiationshafter ‚Ontologisierung‘ des dazu scheinbar konträren ‚Ontischen‘, das es versteht, die eigenen Terrorextreme abzukappen und in sich so zu zerstreuen, daß die sie fundierende Angst nicht mehr erfahren wird – so ja die grandiose Leistung des Universaldesign.600
Dieser ökologischen Gesamtzusammenhang von Technik- und Produktionsaufdeckung ist es, den Heidegger mit dem Begriff des Ur-Sprungs als „Wahrheit des Seins“601 mit Klees Hilfe thematisieren wollte: den Ursprung so darstellen, dass er sich im Unbedingten der Technik, ihrer voreiligen Realität, szenisch als ‚Lichtung‘ sperrt. Denn Technik selbst ist nicht Fortschritt, sie schafft ihn in der Voreiligkeit ihrer selbst sogar ab, indem sie die Realisierung der Phantasmen einleitet. In Kunst kann 600 601
Heinz, Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit, a.a.O., S.112. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, a.a.O., S.93.
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diese Voreiligkeit/Vor-Läufigkeit der Technik gleichfalls mit technischen Mitteln, also ironisch, in der Versammlung von Gleichzeitigkeiten szenisch, experimentell problematisiert werden. Von der modernen Kunst ist keinesfalls zu verlangen, dass sie sich der Technik widersetzt, sondern dass sie mit differenzierter Technik den Blick ins Archaische dieser Techniken selbst wendet. Hegels Satz von der modernen Nachrangigkeit der Kunst, den Heidegger seiner Ursprungsfrage voranstellt,602 müsste inzwischen als Vorteil der Kunst gewendet werden. So bleibt Kunst dem Ursprung, nämlich der organisch-anorganischen Natur von Technik auf der Spur. Otto Pöggeler hat in seinen Hinweisen zu Heideggers Klee-Interesse Indizien für eine solche Ursprungsarbeit Heideggers gesammelt, sie jedoch nicht in der Weise auf den Technikbegriff, sondern direkt auf den Todesbegriff und damit auf die Krankheit Klees und das Spätwerk bezogen. Dennoch macht Pöggeler an Heidegger die Frage der drohenden Auflösung von Kunst in (Medien-)Technik fest, die Heidegger in seinem Münchner Vortrag von 1953 Die Künste im technischen Zeitalter vorgetragen hatte.603 Pöggeler konstatiert für den Heidegger von Sein und Zeit und den späten Klee eine Parallele, in der sowohl Heidegger als auch Klee sich zunächst als Scheiternde empfinden. Das geht aus einer Selbstsicht Heideggers hervor, als er nach der Rektoratsepisode 1935, zur Zeit der Konzeption der Kunstwerk-Vorträge, im gesellschaftlichen Abseits stand. Heidegger konnte sich damals nur auf van Gogh, nicht auf Klee berufen. In Sein und Zeit war jedoch die Bewegung zum Tode mit der Bewegung der Kunst (im Klee’schen Sinne) schon parallelisiert. „Sein und Zeit hatte im Vorlaufen zum Tod das Nichtigwerden der Selbstverständlichkeit des Seienden aufgewiesen und so das Seiende neu aus seinem Sein und dessen Wahrheit aufnehmen wollen.“604 Für ein in den fünfziger Jahren wieder erwachtes Interesse Heideggers an der Kunst der Moderne – Braque, Picasso und Klee, sowie die Vorläufer Cezanne und Gauguin – ist in erster Linie die Bestimmung des Dings als Verdichtung von Welt und Erde entscheidend. Dieser Hinweis folgt der Kritik Sartres, „Größe und Irrtum Paul Klees beruhen auf seinem Versuch, eine Malerei zu machen, die zugleich Zeichen und Gegenstand ist.“605 Sartres Irrtum besteht darin, zwar gesehen zu haben, welche Revolution sich mit Klee anbahnt, vermutlich aber nicht gewusst zu haben, welche entscheidende Differenz Klee zwischen der grafischen Technik und dem ‚Design‘ von Malerei macht. Mit dieser Differenzbestimmung ist es überhaupt erst möglich, ein ontosemiologisches 602
Ebd., S.92. Pöggeler, Bild und Technik, a.a.O., S.153. 604 Ebd., S.201. 605 Sartre, Was ist Literatur, a.a.O., S.14. 603
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Argument im Sinne der Todestriebdarstellung der Seinsverhältnisse zu thematisieren. Bei Klee ist nämlich die Malerei in sich selbst gebrochen und zeigt als Technikwollen, Derealisierung ihr Wirklichkeitsspiel. Diese Neubewertung der ‚archaischen‘ Technik in der Kunst ist Heidegger erst sehr viel später, nicht aber 1935, zur Zeit der Abfassung der Überlegungen über den Ursprung des Kunstwerks, klar geworden. Erst die späteren Überlegungen haben die Frage nach der Einheit des Werks als seiner Ursprünglichkeit mit der Frage nach der Wahrheit verknüpft, in der die Seinsvergessenheit überhaupt sich als metonymischer Streit zwischen Zeichen und Gegenstand, Riss wider die Gestalt, zeigen könne. „Der in den Riß gebrachte und so in die Erde zurückgestellte und damit festgestellte Streit ist die Gestalt.“606 Unter Gestalt versteht Heidegger einen Stillstand wider die Progression der Wissenschaft, in den Produkten der Technik. Technik stellt fest, d.h. sie realisiert Realität. Gestalt ist dagegen eine nicht ganz zu sich gekommene Realität, in ihr manifestiert sich Wirklichkeit. Wie Derrida später darlegt, kann in der Ökonomie beider Bewegungen (dem Realen) sowohl dem Zum-Stehen-Bringen wie auch der ‚Einbildung‘, ein Tausch verstanden werden, der einen Ursprung607 ausschließt. Dann hätte Heidegger sich allerdings auch auf das In-Bewegung-Bringen der Gestalt im konvertiblen Zeichen beziehen müssen und hätte damit Sartres Kritik an Klee als überholt disqualifizieren können. Denn das Dilemma und das Glück Klees besteht vereinfacht gesagt darin, die Wirklichkeit von der Realität substrahieren zu können. Dazu muss er sich auf die Vorgeschichte der Technik beziehen. Vermutlich subsumiert Heidegger den Zeichenbegriff im Ästhetikbegriff von Kunst, was die Ebene der modernen medialen Realisierungsvorbehalte eben nicht differenziert. Um genau diese Erweiterung der Kunst in Mediengesellschaften geht es Heidegger im Projekt eines zweiten Bandes seines Aufsatzes über den Ursprung des Kunstwerks. So gibt es im Hinblick auf Klee weder in der Bemerkung Sartres (und anders als in dessen Darstellung Giacomettis)608 noch bei Heidegger eine Sicht auf die Differenz von Zeichnung (Grafik) und Malerei, kurz es gibt keinen modernen, differenzierten Medientechnikbegriff, in dem die Vorgeschichte der Realität sich selbst darstellt. Obwohl doch Sartre die Produktion des Künstlers von den gesellschaftlichen Elementen und Serien her begreift. Das ist der Kern des Problems: Wie ist Kunst nicht als Zerfallsprodukt von Technik, sondern als Erkenntnis der Ursprünglichkeit der Ambivalenz des Menschen in der Gesellschaft zu verstehen. Derridas Einlassungen sind im Gegensatz zu der Auffassung Sartres und Heideggers von höchstem Interesse, weil sie auf Klees Krankheit zum Tode hindeuten und seine Produktion differenzieren. Derrida sieht nämlich, dass in der Kunst eine 606
Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, a.a.O., S.71. Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.12. 608 Sartre, Die Gemälde Giacomettis, a.a.O. 607
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innere Ökonomisierung der naturalistischen Selbstabschließung widersteht, sei es im Bild, in der Plastik oder im Theater: die szenischen Simulationen verweigern ihre Abschließung umso mehr, als sie ihr Produziertsein offenbaren. In diesem Sinne ist das Werk eine „Stiftung“,609 es nimmt und gibt zugleich. Derrida weist damit auf die Möglichkeit hin, die Gabe der Stiftung im Kontext des frühen Heidegger vom Tode aus zu „lichten“. Damit ist der von Heidegger angestrebte Kontext von Ding und Werk auf eine Dialektik der Bestimmung von Technik erweitert. Wahrheit und Technik sind somit zwei Seiten des Entbergens des Werkes, was Heideggers Begriffseinführung der griechischen techne 610 nahelegt. Noch heißt es aber zu Anfang des Aufsatzes Der Ursprung des Kunstwerkes: „Inwiefern geschieht in der Bestreitung des Streites von Welt und Erde die Wahrheit? Was ist Wahrheit?“611 Nicht auf die ontologische Bestimmung des Ent- und Verbergens des „dialektisch“612 vorgestellten Wahrheitsbegriffs, aus der die technische Funktion des Risses (Metonymie und damit technikplurale Medialität und Automatizität) und die stellende Funktion der Gestalt (Werk, Bild, Wort) resultiert, sondern auf das Vermittelnde der Kunst, Riss in der Kunst selbst, kommt es Heidegger an. Heidegger gibt zwei Definitionen vor: Die eine bezeichnet den Künstler „fast wie ein im Schaffen sich selbst vernichtender Durchgang“,613 was die Todesgefahr und damit den standhaltenden Widerstand vor dem Tode an Stelle der designhaftepikalyptischen Verdrängung hervorhebt. Damit ist eine Position gestärkt, in der der Künstler vom Werk doppelt bedroht ist: das Abgleiten in den Tod und das Abgleiten in profane Gestaltung, Produkt- oder Kommunikationsdesign. Der Künstler steht in der unerhörten Rolle des mahnenden Todesboten (Bote und Botschaft zugleich) wider die doch notwendige Medienablösung: Produzent und Konsument in einem. Indem er sich im Schaffen selbst abschafft, weist er auf die Schuldhortung der Ökonomie (ihren Waffencharakter) hin, den sie sich gerade wegen ihrer medialen Verschiebungs- und Verdeckungskompetenz leisten kann. Heidegger hat sich einmal über einen in schwarz-weiß gesendeten Fernsehbeitrag zu Klees Bildern, der in wohlmeinender Absicht ausgestrahlt wurde, entsetzt geäußert. Klee im Fernsehen ist der Tod der Kunst. Diese Anekdote macht deutlich, dass die mediale Vermittlung mit der Abstraktion der Technik nicht mehr lange wird schritthalten können. Irgendwann platzt die Bombe der nicht mehr sinnlichen Rückvermittlung – entweder individuell pathologisch oder kriegsmäßig. Genau hier widmet sich Heideggers Faszination den vom Tod gezeichneten Bildern Klees und der unmittelbaren Rahmung des Todes. Pöggeler spricht, mit Verweis auf 609
Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, a.a.O., S.86. Ebd., S.65. 611 Ebd., S.52. 612 Ebd., S.58. 613 Ebd., S.39. 610
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die Schöpferischen Konfessionen Klees, deren genaue Lektüre Heidegger anstrengt, davon, dass das „Zufällige, das verwesentlicht werden soll, […] auf die Hemmung der Genesis in den Form-Enden des Irdischen bezogen [wird]“.614 Die Hemmung der Genesis im Werk (die zweite, ‚stellende‘ Funktion von Technik) bringt nun gerade nicht das Werk zum Stehen, sondern führt im Umfeld eines hochtechnischen Übertragungskontextes zu einer Regression der Fortschrittsgeschichte, zur Aufdeckung ihrer Gesetze. Stellende Funktion der Technik heißt doch paradoxerweise bei Klee Gestaltung des Werdens, um überhaupt noch widerständig sein zu können. Ist von daher z.B. Klees Abneigung gegen den Film motiviert, der sich quasi widerstandslos im Werden produziert? Das aber heißt, der Fortschritt beginnt im Rhythmus seiner Stockungen zu marschieren, er militarisiert und maschinisiert sich nun erst recht als Versprechen opferloser Progression. Diesen medientechnischen Militarismus der Kunst hatte Hegel in der Prophezeiung der Stillstellung der Kunst nicht auf der Rechnung, die nun Heidegger gegen alle Unschuldsbehauptung mit Klee präsentiert. Offensichtlich hat Klee, wenn nicht über Nietzsches Wagnerrezeption, sehr genau den gesellschaftlichen Balanceakt der Kunstproduktion und ihres scheinheiligen Genie- und Intuitionskultes, der auf falscher Autonomie beruht, reflektiert. Dass Heidegger selbst in die ästhetische Falle des Faschismus getappt ist, hat er wohl spätestens mit seinen Nietzsche-Vorlesungen aufarbeiten wollen. Der Inzestgefahr des sich selbst Produzierens entgeht nur, so Sartre, wer die gesellschaftlichen Produktionsvorgänge als die Andersheit entlarvt, die als innere Stimme nicht Autonomie, sondern deren Widerstand zu erkennen gibt. Dazu gehört, was bei Heidegger immer zweifelhaft war, so Bourdieu, die Akzeptanz des anderen. Nietzsche hat an Wagner nur allzu deutlich zwischen der Gefahr des Marschierens615 und der Gefahr des Schwimmens,616 zwischen Militanz und Chaos, Ästhetik und Krankheit den richtigen Ton gesucht. „Wie? Wäre es wirklich die erste Tugend eines Vortrags, wie es die Vortragskünstler der Musik jetzt zu glauben scheinen, unter allen Umständen ein Hautrelief zu erreichen, das nicht mehr zu überbieten ist?“617 – so Nietzsche 614
Pöggeler, Bild und Technik, a.a.O., S.148. Friedrich Nietzsche: Nietzsche contra Wagner. In: SW Bd. 6, München 1980, S.418: „Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte Physiologie. – Meine ‚Thatsache‘, mein ‚petit fait vrai‘ ist, dass ich nicht mehr leicht athme, wenn diese Musik erst auf mich wirkt; dass alsbald mein Fuss gegen sie böse wird und revoltiert: er hat das Bedürfniss nach Takt, Tanz, Marsch […].“ 616 Ebd., S.421f.: „Die Absicht, welche die neuere Musik in dem verfolgt, was jetzt, sehr stark, aber undeutlich, ‚unendliche Melodie‘ genannt wird, kann man sich dadurch klar machen, dass man in’s Meer geht, allmählich den sicheren Schritt auf dem Grunde verliert und sich endlich dem Elemente auf Gnade und Ungnade übergiebt: man soll schwimmen.“ 617 Ebd., S.422. Man muss an die Kritik Bourdieus an Heidegger erinnern, die wir anfangs eingeflochten haben, dass nämlich Heideggers Denken durchaus sich einer bestimmten gesellschaftlichen, professoralen Ableitung verdankt, deren Zug es ist, genau diese Ableitungen zu kappen, nämlich der konservativen deutschen Gelehrtenkaste, die aber bei aller Nähe auf Distanz zum „Nihilismus“ der 615
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contra Wagner; der Begriff Hautrelief sagt alles über die spätere Pervertierung des Körperbildes durch den Nationalsozialismus. Unter den Notizen Heideggers findet sich ein zentraler Hinweis zu Klee, so Pöggeler. „Das Vorausdenken zu einem ‚Wandel‘ der Kunst bleibt nicht ohne Stütze. Von der Kehre als Einkehr in das Ereignis sagt Heidegger: ‚Die Zeichen dafür – ! Klee –‘. Die Kunst, die in diesen Wandel ‚im Sinne der Verwandlung des Seyns‘ gehört“ bleibt vom „polemischen“ Verdacht auf Metaphysik ausgenommen.618 Heidegger distanziert Klee vom metaphysischen Surrealismus und der Abstraktion ebenso wie von der gegenstandslosen Kunst.619 Denn Klee sei eine Ausnahmeerscheinung der Moderne, da er seine Kunst nicht auf ein außer ihr liegendes Telos entwirft – der Automatismus des Surrealismus, die Formalisierung der Abstraktion und das Absolute der Konkretion laufen dagegen auf solche Ziele auf. Heidegger verbindet den Verweis der Schöpferischen Konfession auf das biblische Buch Genesis mit der Jenaer Rede über die moderne Kunst und ihre Forderung einer ‚Schöpfung als Genesis‘. Er fasst diese Genesis als eine ‚un-endliche‘, die nicht ins Endlose ausläuft, sondern das Endliche auf eine bergende Mitte bezieht. Heidegger exzerpiert sich: ‚Im Herz der Schöpfung wohnen‘. Das Zufällige, das verwesentlicht werden soll, wird auf die Hemmung der Genesis in den FormEnden des Irdischen bezogen. Heidegger benutzt Klees Rede im Separatdruck von 1949 und fertigt sich dazu ein Register an, das von der Deformation bis zum Weg vom Vorbildlichen zum Urbildlichen führt.620
Den im frühen Aufsatz über den Ursprung des Kunstwerkes noch präzisierten dialektischen Thesen von Künstler und Werk, man könnte auch sagen, der Differenz von Produzenten- und Produktästhetik, entspricht nach der Kehre das Begriffspaar Ereignis – Ökonomie. Heidegger löst sich damit vom ästhetischen Zusammenhang der Kunstgeschichte und tritt in ihren ethischen Diskurs ein. Das ist der Augenblick, wo er, Pöggeler zufolge, Klee gegenüber Picasso den Vorzug gibt. „Picasso oder Klee, das war für ihn eine Entscheidung über die maßgeblichen Wege der Kunst. Die Richtung sollte Klee weisen.“621 Picassos Dekompositionen schienen Heidegger zu gewaltvoll bei aller Gewaltkritik. „Der Aufbau der Gestalten aus Dreiecksformen und anderen geometrischen Zugriffen verfüge über das Dargestellte und zeige die Macht des Künstlers. Was so Naziideologie gehen konnte. „Was indessen nicht heißt, daß Heideggers Denken nicht war, was es war: ein strukturelles Äquivalent auf ‚philosophischer‘ Ebene der ‚konservativen Revolution‘, deren andere Möglichkeit der Nazismus verkörperte, der, gemäß anderen Gesetzmäßigkeiten geschaffen, folglich für alle die wirklich unannehmbar war und ist, die ihn ausschließlich in der sublimierten Form, welche ihm die philosophische Alchimie verleiht, an- und wiedererkennen konnten und können.“ Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, a.a.O., S.133. 618 Pöggeler, Bild und Technik, a.a.O., S.148f. 619 Ebd., S.150. 620 Ebd., S.148. 621 Ebd., S.196.
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mächtig am Leben sei, der Zauber der Frauen, werde durch die Kunst gebrochen und beherrscht.“622 Bei Klee hingegen sei eine Betroffenheit vom Ereignis und dem Initial der Kunst zu spüren. Heidegger assoziiert für die Bilder Klees das Vorhandensein einer existentialen „Stimmung“. Er kommt damit auf seine Idee von Kunst und auf den Widerstreit von Genesis623 und Ökonomie zu sprechen, der für Klees Naturbegriff der unendlichen Endlichkeit, der „bergenden Mitte“, so entscheidend ist. Pöggeler stellt Klees Naturbegriff der Intention Heideggers gegenüber. Klee, so Pöggeler, bezieht „den Weg der Linie auf das Stehenbleiben und damit auf ein lebendiges Atemholen“.624 Heidegger versucht, den „Untergang als andere[n] Anfang“ im Sinne der Betroffenheit gelten zu lassen. Das griechische Wort opsis meint dieses Kommende des Sehens und das Fliehende der Erscheinung. In diesem Übergang in ein Außen der opsis wird die ontische Faktizität negiert – so erarbeitet sich Heidegger im „Katastrophenwinter 1942/43“ seine ontologisch fundierte Ästhetik. Sie entspricht dem Bild Eros (1923) von Klee und wird als Ereignis der ästhetisch-ethischen Differenz gegenübergestellt. Heidegger „stellt den ‚An-Blick‘ über die Bilder als ‚vorgegebenes Gegenüber‘ und symbolisiert das Finden des Anblicks durch zwei einander entgegenlaufende Pfeile: Wer vom Blick getroffen ist, kommt im Anblick zum Bild.“625 So einfach, wie Heidegger sich dieses ‚Innehalten‘ und ‚Wohnen in der Schöpfung‘ denkt, ist die Sache allerdings nicht. Schon gar nicht ist sie eine einfache Bewegung und Gegenbewegung, sondern sie sondert als Bewegung der Ökonomie der Lust und des Genusses in der Selbstbegegnung der Lemniskate eben jenes Ich ab, das sich das Recht nimmt, aus dieser Bewegung herauszutreten, die es selbst in der Mitte stabilisiert: Bewegung der Stillstellung in Bewegung – exzentriert in der szenischen Freiheit einer Fiktion, einer Fiktion, in der aber der reale Körper die Hauptrolle spielt. Dazu aber gehört, dass ich vom anderen angeblickt werde, dass ich ein Bild von mir abgebe, dass ich mich der Gesellschaft aussetze. 622
Ebd., S.202. Unter Einschränkung der Perspektive, die Heidegger an Picasso anlegt.
623 Martin Heidegger: Der Spruch des Anaximander. In: Holzwege. Frankfurt am Main 1980, S.338ff.
Heidegger schlägt die Auslegung von genesis und phthora als „Ankommen und Abgehen“ aus der Verborgenheit vor. Zur Kennzeichnung der ökonomischen Bindung der Genesis dient der Begriff chreon (S.361), der normalerweise mit ‚Notwendigkeit‘ übersetzt wird, von Heidegger aber im Sinne eines Überlassens/Übergebens gedeutet wird, was dem ökonomischen Begriff der ‚Aushändigung‘ (im Sinne eines Tauschprodukts) nahe kommt. „In die Hand geben, einhändigen und so aushändigen, überlassen, einem gehören. Solches Aushändigen aber ist von der Art, daß es das Überlassen in der Hand behält und mit ihm das Überlassene.“ Von diesem Begriff aus kommt Heidegger zur Übersetzung von brauchen/gebrauchen/nutzen und schließlich zum Genießen. „Das ‚genießen‘ meint erst in der abgeleiteten Bedeutung das bloße Verzehren und Schlürfen.“ (S.362) Das Genießen hält den Verbrauch auf, es verbraucht nicht, sondern wahrt das Gut im Sinne seiner Anwesenheit – eine wahrhaft artistische Ableitung der Ökologie des Genießens. Der Genuss ist nicht das, was er zu sein scheint, ein privatistisch unabhängiger. Auch Konsum ist letztlich Arbeit. 624 Pöggeler, Bild und Technik, a.a.O., mit Bezug auf Klees Schöpferische Konfession. 625 Ebd., S.157.
262 IV. FUSIONEN VON BILD UND KÖRPER
Die Krise der Sklerose, wenn sie als Befall nicht einfach nur Zufall,626 sondern Ereignis ist, ist das Inversionsbild der Unmöglichkeit, eine Gabe in ihrer Vergessenheit aufgehen zu lassen – eine Gabe ohne Schuld, in der die Kunst, nach Heidegger, genau dieses zu sagen hat: Es gibt ein Anderes der Ökonomie der Dinge und der Schuld, das aber bedingt ein anderes Sein, respektive natürlich – und diese bei Sartre und Adorno differenzierte Wende hat Heidegger nicht wirklich nachvollzogen – eine andere Gestalt der Vergesellschaftung. Solange es kein Vergessen der (Bild-)Gabe gibt, gibt es Schuld. Folglich muss das Bild als Bewahrer von Gedächtnis sich selbst ins Vergessen drängen. Das aber geschieht nur als Ereignis. Szenifikation ist die Inszenierung des Anderen als Ereignis, und zwar als Restwiderstand gegen Realität. Derrida greift in seiner Auslegung der anökonomischen Gabe auf den Stiftungsbegriff Heideggers in dessen Kunstwerk-Aufsatz zurück. Er zielt darauf, das Paradoxon der Gabe zu kennzeichnen: Eine Gabe, die auf Rückgabe verpflichtet, verkennt, dass die Gabe das Vergessen ihrer Selbst darstellt. Dabei können wir Heideggers Stellung zur Dichtung zunächst als eine Metapher sui generis für die Auflösung dieser Seinsvergessenheit interpretieren. Zunächst versieht Heidegger die Gabe der Stiftung mit folgenden Bestimmungen: Das Wesen der Kunst ist die Dichtung. Das Wesen der Dichtung aber ist die Stiftung der Wahrheit. Das Stiften verstehen wir hier in einem dreifachen Sinne: Stiften als Schenken, Stiften als Gründen und Stiften als Anfangen. Stiftung ist aber nur in der Bewahrung wirklich. So entspricht jeder Weise des Stiftens eine solche des Bewahrens. […] Was die Kunst stiftet, kann deshalb durch das Vorhandene und Verfügbare nie aufgewogen und wettgemacht werden. Die Stiftung ist ein Überfluß, eine Schenkung.627
Wenn im Sinne dieser Gabe ein Blatt Papier die Möglichkeit haben soll, ein Bild wie eine Dichtung zu stiften, so ist damit gemeint, dass das Anfängliche der Stiftung in der Gabe selbst zum Vergessen kommt, nämlich die gesellschaftliche Produktion, die sie ermöglicht. Die Epikalypse der Bewahrung ist nicht bloß so gemeint, dass die schuldhafte Vorgeschichte der Produktion des reinen Blattes abgespalten und vergessen wird (dagegen dient das Stiftungskapital der Erinnerung an den Stifter, nicht aber seiner vielleicht ungerechtfertigten Kapitalisierung), sondern, dass die Stiftung das in der Reinheit der Gabe angelegte als ein zukünftiges, von der Zukunft kommendes Wissen aufschiebt. Die Gabe ist demnach eine Technik, Zukunft herzustellen. So wie ja der Wert des Kunstwerks darin besteht, zeitlos zu sein, sich in der Betrachtung nicht aufzubrauchen. Man kann entweder ein Gedicht, 626
Klee, Schöpferische Konfession, a.a.O., S.64: „Eine Verwesentlichung des Zufälligen wird angestrebt.“ 627 Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, a.a.O., S.86.
IV. 4. VOM BILD ZUR STIMME UND ZUM VERLORENEN URSPRUNG 263
eine Zeichnung oder eine Malerei auf das Blatt setzen. Die Gabe des Blattes ist die Absorption eines Schuldgedächtnisses. Aus diesem Grund heraus ist das Blatt im modernen Sinne ein technisches Medium, das in Kunst thematisch wird, und zwar sowohl als Kritik der Produktionsvergessenheit, als auch in der Verweisungsfunktion seiner Immanenz innerhalb des gesellschaftlich technischen Gesamtzusammenhangs. Da bleibt kein Platz mehr für sentimentale Künstlerstilisierung. Wenn die Stiftung als Ereignis „Geschichte gründet“,628 kann das in Kunst nur der selbstgewählten Unabgeschlossenheit angerechnet werden, und zwar, dass ihr das Odeum ‚Kunst‘ aufgeprägt wird, also der Stiftung eines heterotopen Kontextes. Mit Derrida gesagt: die Gabe, die nicht der Schuld verpflichtet ist, entzieht sich den Tauschwertvorgängen (der Kommunikation; dem Wesen der Ökonomie, der Gegengabe) und damit der Schuld, indem sie Zeit kreditiert und Vergangenheit ausblendet. Alle schuldlosen Gaben sind zufällig, glücklich oder heilig, denn sie sind nicht wiederholbare Ereignisformen. Wenn man den Kontext der von Klee intendierten Verschiebung, als die dem „Werden“ zugrunde liegende „Bewegung“, im zeitlichen Sinne betrachtet, so fordert Klee, die zeitliche Investition des Malens mit der des Betrachtens in ein Tauschverhältnis zu setzen. In diesem Sinne korrespondiert das Bild mit dem stillgestellten Betrachter, denn die Klee’schen Chiffren haben die Kraft verloren, ein Gedächtnis zu sein. Da aber Erinnerungen Produktionsabspaltungen sind (sie fallen ein), sind die Chiffren Zeichen, die erst wieder vor dem Bild produziert werden müssen. Das Bild wird in Bewegung gefasste Zeit, denn „zeitlos ist nur der an sich tote Punkt“.629 Kandinsky hat wie Klee diese Beziehung zur Zeit und damit zur schuldhaften Dekompensation der unmittelbaren Präsenz direkt auf die Analogie von Musik und Malerei bezogen. „Z.B. hat die Musik die Zeit, die Ausdehnung der Zeit zur Verfügung. Die Malerei aber kann dagegen, indem sie den erwähnten Vorzug nicht besitzt, in einem Augenblick den ganzen Inhalt des Werkes dem Zuschauer bringen, wozu wieder die Musik nicht fähig ist.“630 Anders gesagt: Musik kann ihre Produziertheit nicht verleugnen. Sie erklingt nur, wenn sie sich produziert. Die Kunst der modernen Malerei zeigt, dass es ihr um die Verhinderung des drohenden Erreichens der Stillstellung geht. Sie will in der Anschauung ereignishaft produziert werden. Kandinskys Mittel dazu ist die Komposition, Klees Mittel die Szenifikation und die Inszenierung der Linie: Stillstellung wird gezeigt – aber im Werden, das meint aber auch, dass sie niemals gegenwärtig ist: sie bleibt ein Ereignis, ein Seiltanz. Klee gibt in den Schöpferischen Konfessionen einen Hinweis, der zunächst die 628
Ebd., S.89. Klee, Schöpferische Konfession, a.a.O., S.63. 630 Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, a.a.O., S.59. 629
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Urteile über den Gehorsam der Kunst bestätigen könnte: „Noch mehr, sie [die Kunst; R.B.] verhelfe dir, die Hülle abzulegen, dich auf Momente Gott zu wähnen.“631 Hört sich das nicht an wie die Vermeidung des Opfers auf Kosten des Gottes der Gabe? Geht die Hörigkeit so weit, dass sich der Hörige mit Gott verwechselt, so dass er meint, er sei der Ursprung der Gabe, würde sie aus sich selbst heraus stiften? Jürgen Wertheimer ist bezüglich der ‚Hörigkeit‘ auf eine „Otokritik“ Derridas eingegangen. „Der französische Semiotiker Jacques Derrida bezichtigt das Ohr speziell geradezu der potentiellen intellektuellen Unzucht. Er tut dies mit Blick auf Heideggers Begriff der ‚Hörigkeit‘, einer auch sexuellen Abhängigkeit, die Ausdruck für die verhängnisvollste Qualität des Ohrs und des Hörens ist, sein ‚unzüchtiger Aspekt‘, nämlich, eine Nähe und Intimität zum anderen vorzugeben, die der tatsächlichen Differenz zwischen den Wesen widerspricht.“632 Klee hat diesen Aspekt der gottesfürchtigen Hörigkeit gar nicht im Sinn. Die Pointe Klees ist, die Stimme als Andersheit in einem anderen Anderen, also entsymbolisiert, aber allegorisiert im invertierten Bild, auftreten zu lassen. Das erreicht er über den Umweg der Autosemiose. Im Bild spielt nämlich, wie Kandinsky zu Recht gegenüber der Musik als artifizieller Stimmlichkeit bemerkt, die Zeit keine Rolle. Das Bild ist praktisch nicht in der Zeit, es produziert sich selbst. Derrida schreibt in seiner Darstellung mit dem passenden doppeldeutigen Titel Falschgeld: „Allem Anschein nach und nach der gängigen Logik und Ökonomie kann man nur, metonymisch, das, was in der Zeit ist, austauschen, nehmen oder geben.“633 Klees Intention ist es, die Wiederbeschaffung der Zeit in seiner Bildkunst als Gabe dem Betrachter zu unterschieben. Er selbst hilft mit formalen und malerischen Mitteln. Wir erinnern uns: Das Vexierbild unterstellt nicht nur eine Bedeutung dem Betrachter. Indem dieser über die Vexation verfügt, rhythmisiert er den Raum im zeitlichen Wechsel der beiden/mehrfachen gleichberechtigten Bedeutungen des Bildes und wird so zum Bildner von (Ereignis-)Zeit. Der Betrachter stiftet den Sinn und ist in der Lage, seine Schuld mit der des Malers zu begleichen. Diese Selbstbestimmung des Betrachters ist aus der Pragmatik der Tauschoption und dem Prozess der Vergesellschaftung zu verstehen. Dem ‚Gehorchen‘ der Derrida’schen Otokritik setzt Klee das Zuhören im Sinne der von Barthes gemachten Unterscheidung von Hören und Zuhören entgegen. Das Zuhören „soll sich in einem intersubjektiven Raum entfalten, in dem ‚ich höre zu‘ auch heißt, ‚höre mir zu‘; was es erfaßt, um es zu verwandeln und endlos in das Spiel der Übertragung einzubringen, ist eine allgemeine ‚Signifikanz‘, die ohne die 631
Klee, Schöpferische Konfession, a.a.O., S.66. Jürgen Wertheimer: Hörstürze und Klangbilder. Akustische Wahrnehmung in der Poetik der Moderne. In: Über das Hören, Tübingen 1998, S.111. 633 Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.12. 632
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Bestimmung des Unbewußten nicht mehr denkbar ist.“634 Das Zeichen, indem es seiner selbstvergessenen Kontextualität entrissen ist, vergisst die Annullierung der Schuld seiner Kontextualität – das heißt, es schiebt sie635 ins Unbewusste – nichts anderes als die vergesellschaftete Produktion – ab. Wenn aber Klee selbst der einsame Beobachter seiner Bilder wird, der Buddha, den er in den Bauhaus-Zeiten inszenierte, bleibt dann der Ort der Entschuldung nicht auf der Schwelle zum Tausch stehen? Ist diese Stellung des nicht vollzogenen Tauschs nicht genau das, was seine Krankheit inszeniert? Die Annullierung der Schuld im Unbewussten ist, so Derrida, die Annonce eines aufgeschobenen Vergessens im „Anderen“, also eine metaphorische Verdichtung oder Hortung der Schuldsubstanz, die die Psychoanalyse nur durch eine besondere Stellung zur „Unabschließbarkeit“ des Hörens, „der freischwebenden oder gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ dekomprimiert.636 Eine solche dekomprimierende Zuhörerschaft, die die Dinge wieder in zeitliche Bewegungen überführt, wünscht Klee sich gegenüber seinen Bildern. Immer können wir jetzt sagen: „Achtung, Sie glauben, daß es Gabe gibt, Dissymmetrie, Generosität oder völlig nutzlose Verausgabung, aber der Kreis der Schuld, des Tausches oder des symbolischen Ausgleichs stellt sich wieder her nach den Gesetzen des Unbewußten; das ‚generöse‘ oder ‚dankbare‘ Bewußtsein ist bloß das Phänomen eines Kalküls und der List einer Ökonomie. Das Kalkül, die List und die Ökonomie sind in Wahrheit die Wahrheit dieser Phänomene. Aber eine solche Verschiebung affiziert in keiner Weise das Paradox, in das wir hier verstrickt sind, nämlich die Unmöglichkeit oder den double bind der Gabe: damit es Gabe gibt, darf die Gabe nicht erscheinen, sie darf nicht als Gabe wahrgenommen werden. Und mit Bedacht fügten wir hinzu: ‚sie darf nicht an-genommen, gewahrt oder bewahrt werden.‘637
Geburt, Krankheit und Tod lassen sich durch nichts eintauschen. Im Drama des Wahnsinns und im Syndrom einer privativen Symptomatik der „Selbsthermetisierung“638 wirkt das Zeichen aufklärend über den Zustand der gesellschaftlichen Verdrängung. Die autonom-zirkulare Kritik des Zeichens entschuldet sich auf der Stelle, im Körper als „Selbstbestrafungsimmunisierung“.639 Nicht Heidegger, sondern Derrida macht, wenn auch nur am Rande, auf diese Problematik der Klee’schen Blickstiftung aufmerksam. „Wer vom Blick getroffen ist, kommt im Anblick zum Bild“ – das meint erstens den Künstler, das meint zweitens den Gabencharakter der Kunst, das meint bei Klee drittens die Scham des 634
Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, a.a.O., S.249. Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.26f. 636 Dazu Joachim Küchenhoff: Sprache, Symptom, Unbewußtes – die Hörwelt der Psychoanalyse. In: Über das Hören, a.a.O., S.209f. Ebenso Barthes, Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S.257. 637 Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.27f. 638 Heinz, Ein alternativer Vorschlag zur psychoanalytischen Symptomauffassung, a.a.O., S.148. 639 Ebd., S.149. 635
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Errötens und die Sklerose der Bildwerdung. Wer vom Anblick des kranken Klee betroffen ist, gewinnt den Blick für die Problematik der Schuld einer im Blick nicht abgeschobenen Stimmengabe. „Denn das Vergessen der Gabe darf kein Vergessen im Sinne der Verdrängung sein.“640 Wir können drei Sichtweisen ausmachen, die mehr oder weniger an der Ambivalenz des Hören-Sehens orientiert sind. Die erste (gesellschaftliche), von Barthes und Sartre vertreten, knüpft die Gabe diesseitig an die Schuld und ihre mögliche Verschiebung in die Dinge und die Sichtbarkeit des Seienden hinein. Die Instanz dieser Verschiebung, das Medium, in der sie statthat, ist die Andersheit des anderen, das Kollektiv respektive die Sachbeziehungen. Die Gabe wird durch die Anonymität des anderen geteilt, aber bewahrt. Diese Sichtweise präferiert den Blick der Psychoanalyse. Die zweite (medientechnische) Position wird von Kandinsky vertreten. Hier ist die Kunst selbst dem Spiel der Metonymien ausgeliefert. In der neuesten Kunst wird dann gar nicht mehr nach Disziplinen, sondern nach Medien unterschieden. Die Kunst ist Medien-Theorie.641 Die Schuld kursiert unendlich in einem überhistorischen Bezugsrahmen, der die Wahrheit der Welt als Konsumationstravestie generiert. Schließlich die dritte (ökonomische) Position, von Heidegger und Derrida ins Spiel gebracht, mit dem Hinweis, das Unbewusste sei eine „vierte Dimension“,642 ein großes ‚Es‘. „Es gibt. Dementsprechend versuchen wir, auf das Es vorzublicken, das Sein und Zeit – gibt. Also vorblickend werden wir noch in einem anderen Sinne vor-sichtig. Wir versuchen, das Es* und sein Geben* in die Sicht zu bringen und schreiben das ‚Es‘ groß.“643 Wenn Derrida mit Blanchot davon spricht, „daß das Vergessen ein anderer Name des Seins ist“,644 thematisiert er damit die ontosemiologische Differenz im Sinne des Seins der globalisierten Vergesellschaftung. Aber Derrida gibt damit auch dem großen Es die Spur des Körpers zurück, aus dem sie verdrängt worden ist, seit die Schuld jenseits von Hören und Sehen in den Zeichen als Materie der Vergesellschaftung kursiert. Vergessen geht im Unbewussten nicht zugrunde. Sobald es Geldzeichen und zunächst Zeichen gibt, das heißt Differenz und Kredit, ist der oikos offen und kann nicht über seine Grenze herrschen. An der Schwelle ihrer selbst stehend, kennt die Familie nicht mehr ihre Grenzen. Das sind zugleich ihr ursprünglicher Verfall und die Chance für alle Gastfreundschaft. Es ist […] die Chance für die Gabe selbst: die Chance des Ereignisses.645 640
Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.28. So Recks These in Kunst als Medientheorie, a.a.O. 642 Derrida, Falschgeld, a.a.O., S.34. 643 Ebd., S.33. 644 Ebd., S.36. 645 Ebd., S.203. 641
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Klee, der als einer der Ersten den Zeichen die Möglichkeit garantiert als freie Gäste in die Szenerie eines künstlerischen Ereignisses einzutreten, geht es darum, die Immunität in ihrer Kommunität, den Mangel des fehlenden Dritten auszuhalten und seine Unbestimmtheit zu legitimieren. Kandinsky hat die Selbstaufklärungsverhüllung der Moderne im Gegensatz zu Klee begriffen, wenn er als Ziel des höheren, körperlosen Ausdrucks der Kunst die „Gesetze der inneren Notwendigkeit, die man ruhig als seelische bezeichnen kann“,646 auf die Logik der Formen hin abbildet. Aber er geht nicht auf die Selbstverschließung dieser Innerlichkeit als Abstraktheit ein, die nur wieder die alte Konkretion der Phantasmen rechnender Wissenschaften und ihrer technischen Realisierungen gebiert. „Als letzter abstrakter Ausdruck“, so Kandinskys irritierend drohendes Selbstmissverständnis, „bleibt in jeder Kunst die Zahl.“647 Der Automatismus der Zahl mahnt an das Serialisierte aller Kulte um die sich selbst produzierende Gesellschaft und an die göttliche Potenz der Zahl Eins. Gegen die Form solch rettender Phantasmatik setzt Klee die Inszenierung der Demontage technischer Gestalten. Die ethische Haltung des Lebens zu wahren und in der Serialität unabschließbarer Bilder zu vergesellschaften, war Klees Anliegen. Als Opfer einer außergewöhnlichen Familiengabe der Künste war ihm einsichtig, dass weder der erste noch der letzte Signifikant als solcher entschuldet, sondern Technik als In-sich-Widerstand ihrer Möglichkeit in Szene gesetzt werden muss, solange sie die Nähe zur Hand wahren kann.
646 647
Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, a.a.O., S.89. Ebd., S.134.
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270 INSZENIERUNG DES WIDERSTANDES
FIGAL, Günter: Heidegger als Aristoteliker, in: Heidegger und Aristoteles. Heidegger Jahrbuch 3, Freiburg/München 2007 FISCHER-LICHTE, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2004 FLUSSER, Vilem: Die Schrift. Frankfurt am Main 1992 FOUCAULT, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt am Main 1978 – Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1981 – Dies ist keine Pfeife. Berlin 1983 – Die Heterotopien. In: Die Heterotopien. / Der utopische Körper. ZweiRadiovorträge. Frankfurt am Main 2005 FRANK, Manfred / KURZ, Gerhard: Ordo Inversus. Zu einer Reflexionsfigur bei Novalis, Hölderlin, Kleist und Kafka. In: Geist und Zeichen, Heidelberg 1977 FRANK, Manfred: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und -interpretation nach Schleiermacher. Frankfurt am Main 1977 – Stil in der Philosophie. Stuttgart 1992 FREUD, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Frankfurt am Main 1981 – Die Traumdeutung. Frankfurt am Main 1981 – Jenseits des Lustprinzips. In: Sigmund Freud: Das Ich und das Es. Frankfurt am Main 1982 – Die Traumdeutung. Frankfurt am Main 1984 – Notiz über den ‚Wunderblock‘. In: GW XIV, Frankfurt am Main 1991 – Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘. Frankfurt am Main 2003 GLAESEMER, Jürgen: Paul Klee Handzeichnungen II 1921-1936, Bern 1984 GÖTTERT, Karl-Heinz: Geschichte der Stimme. München 1998 GOLDSTEIN, Rebecca: Kurt Gödel. Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker. München 2006 GREBE, Karl: Paul Klee als Musiker. In: Paul Klee und die Musik. Katalog Kunsthalle Frankfurt, Berlin 1986 GROHMANN, Will: Paul Klee. Stuttgart 1954 GROPIUS, Walter: Architektur. Wege zu einer optischen Kultur. Frankfurt am Main, 1982 HAGEN, Wolfgang: Veronica on TV. Ikonographien im Äther – Baraduc... Beckett. In: Albert Kümmel-Schnur, Jens Schröter (Hg.): Äther. Ein Medium der Moderne. Bielefeld 2008. HARLAN, Volker: Die Dynamik der Urpflanze, wie Klee Goethe und Beuys sie sahen. In: Paul Klee trifft Joseph Beuys. Ein Fetzen Gemeinschaft. Ostfilder 2000 HALIZIUS-KLÜCK, Ellen: Weberei als Episteme und Genese der deduktiven Mathematik. Berlin 2004 HARRINGTON, Anne: Die Suche nach der Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung. Reinbek, 2002 HARTH, Wolfgang / GIELER, Uwe: Psychosomatische Dermatologie. Heidelberg 2006 HAXTHAUSEN, Charles W.: Zwischen Darstellung und Parodie: Klees „auratische“ Bilder, in: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee. Bd.1., Bern 2000 HEGEL, G.W.F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Hamburg 1991 HEIDEGGER, Martin: Die Künste im Zeitalter der Technik. Vortrag. München 1953
LITERATURVERZEICHNIS 271
– Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen. GS Bd.41, Frankfurt am Main 1962 – Schellings Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809). Tübingen 1971 – Kant und das Problem der Metaphysik. Frankfurt am Main 1973 – Der Ursprung des Kunstwerks. Stuttgart 1978 – Hegels Begriff der Erfahrung. In: Holzwege. Frankfurt am Main 1980 – Wozu Dichter? In: Holzwege. Frankfurt am Main 1980 – Der Spruch des Anaximander, in: Holzwege. Frankfurt am Main 1980 – Bauen Wohnen Denken. In: Vorträge und Aufsätze. Stuttgart 2000 – Die Kunst und das Denken. Protokoll eines Kolloquiums vom 18.5.1958. GA Bd. 16, Frankfurt am Main 2000 HEINZ, Rudolf: Jean-Paul Sartres existentielle Psychoanalyse. Korrektur der Metapsychologie und narzißmustheoretische Antizipation. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Bd. LXII/1, Wiesbaden 1976 – Stil als geisteswissenschaftliche Kategorie. Problemgeschichtliche Untersuchungen zum Stilbegriff im 19. und 20. Jahrhundert. Würzburg 1986 – Pathognostische Studien II. Klang-Kallistik. Notizen zu Orpheus und der Schönheit von Musik. Essen 1987 – Pathognostische Studien III. Psychoanalyse – Krisis der Psychoanalyse – Pathognostik. Darin: Hautaffektionen und Werbewesen. Essen 1990 – Oedipus complex. Zur Genealogie von Gedächtnis. Wien 1991 – Somnium Novum. Zur Kritik der psychoanalytischen Traumtheorie. Vol. 1, Wien 1994 – Lectiones pathognosticae. Institutionen einer Art kritischer Psychoanalyse. Düsseldorf 1999 – Schief und Scheel. Propädeutikum zu Bild und Strabismus. In: Hans Belting, Dietmar Kamper (Hg.): Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion. München 2000 – Verlaut(bar)ung aus Unsichtbarkeit. In: Psychoanalyse und Philosophie. Jahrbuch 5, Düsseldorf 2005 – Todesnäherungen. Düsseldorf 2007 – Kainsmale. Animationen zu einer unzeitigen Philosophie der Arbeit. Düsseldorf 2008 HENKEL, Arthur / SCHÖNE, Albrecht (Hg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst. Stuttgart 1996 HOFFMANN, Christoph: ‚Der Dichter am Apparat‘. Medientechnik, Experimentalpsychologie und Texte Robert Musils 1899-1942, München 1997 HOPPE-SAILER, Richard: Pflanze und Stein. Zum Metamorphosebegriff bei Paul Klee und Joseph Beuys. In: Paul Klee trifft Joseph Beuys. Ostfilder 2000. HÖRISCH, Jochen: Das Sein des Zeichen und die Zeichen des Seins. Marginalien zu Derridas Ontosemiologie. In: Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen. Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls. Frankfurt am Main 1979 – Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main 1996 – Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien. Frankfurt am Main 2001 IHMIG, Karl-Norbert: Hegels Deutung der Gravitation. Eine Studie zu Hegel und Newton. Frankfurt am Main 1989 JANISCH, Peter: Die Protophysik der Zeit. Konstruktive Begründung und Geschichte der Zeitmessung. Frankfurt am Main 1980 KANDINSKY, Wassily: Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. Bern 1983 – Über das Geistige in der Kunst. Bern 2004 KAPP, Ernst: Grundlinien der Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Düsseldorf 1978 (Nachdruck der 1. Aufl., Braunschweig 1877). KIEKREGAARD, Sören: Die Krankheit zum Tode. Hamburg 1991
272 INSZENIERUNG DES WIDERSTANDES
– Furcht und Zittern. Hamburg 1992 KITTLER, Friedrich: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin 2002 – Musik und Mathematik I. Hellas 1: Aphrodite. München 2006 KLEE, Paul: Tagebücher 1898 – 1918. Hg. Felix Klee, Köln 1957 – Unendliche Naturgeschichte. Form und Gestaltungslehre Bd. II. Basel 1970 – Briefe an die Familie. Bd.1: 1893-1906, Hg. Felix Klee, Köln 1979 – Gedichte. Zürich 1980 – Pädagogisches Skizzenbuch. Frankfurt am Main 1981 – Über die moderne Kunst. In: Paul Klee, Kunst-Lehre. Leipzig 1987 – Beiträge zur bildnerischen Formlehre. In: Paul Klee, Kunst-Lehre. Leipzig 1987 – Schöpferische Konfession, in: Paul Klee, Kunst-Lehre. Leipzig 1987 KLEIN, Melanie: Das Seelenleben des Kleinkindes. Stuttgart 1991 KRACAUER, Siegfried: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt am Main 1977 – Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Frankfurt am Main 1984 KRÄMER, Sybille: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift. In: Sybille Krämer, Horst Bredekamp (Hg.): Bild – Schrift – Zahl. München 2003 KÜCHENHOFF, Joachim: Sprache, Symptom, Unbewußtes – die Hörwelt der Psychoanalyse. In: Über das Hören. Einem Phänomen auf der Spur, Tübingen 1998 LACAN, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint (1949). In: Schriften 1. Frankfurt am Main 1975 – Freuds technische Schriften. Das Seminar Buch I (1953-54). Weinheim 1990 – Encore. Das Seminar Buch XX (1973-1973). Weinheim 1991 – Die Ethik der Psychoanalyse. Das Seminar Buch VII (1959-1960). Weinheim 1996 – Die Objektbeziehungen. Das Seminar Buch IV (1956-1957). Wien 2003 – Die Bildungen des Unbewussten. Das Seminar Buch V (1957-1958). Wien 2006. LAPLANCHE, J. / PONTALIS, J.-B.: Das Vokabular der Psychoanalyse Bd. 1. Frankfurt am Main 1982 LATOUR, Bruno: Reassambling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory. Oxford 2005 LEROI-GURHAHN, André: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt am Main, 1995 LÉVY, Bernard-Henry: Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. München 2005 LUHMANN, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1997 LYOTARD, Jean-François: Streifzüge. Gesetz, Form, Ereignis. Wien 1989 – Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Wien 1993 – Idee eines souveränen Films, in: Der zweite Atem des Kinos. Hg. Thomas Elsaesser, Jean François Lyotard, Edgar Reitz. Frankfurt am Main 1996 MAUSS, Marcel: Gabentausch. In: Soziologie und Anthropologie. Frankfurt am Main 1989 MARX, Bernhard: Balancieren im Zwischen. Zwischenreiche bei Paul Klee. Würzburg 2007 MCKLOSKEY, Michael: Impetustheorie und Intuition in der Physik. In: Newtons Universum. Spektrum der Wissenschaften. Heidelberg 1990 MERLEAU-PONTY, Maurice: Das Auge und der Geist. In: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Hamburg 1984
LITERATURVERZEICHNIS 273
MOE, Ole Henrik: Paul Klee und die Musik. Einleitung zum Katalog der Kunsthalle Frankfurt 1986, Berlin 1986 MÜLLER, Corinna: Vom Stummfilm zum Tonfilm. München 2003 MÜNCH, Dieter: Intention und Zeichen. Untersuchungen zu Franz Brentanos und zu Edmund Husserls Frühwerk. Frankfurt am Main 1993 NIETZSCHE, Friedrich: Nietzsche contra Wagner. In: SW Bd. 6, München 1980 OKUDA, Osamu: Bild als Bühne. Die theatralische Raumgestaltung bei Paul Klee. In: Überall Theater. Katalog zur Ausstellung im Zentrum Paul Klee. Ostfildern 2007 OSTENDORF, B. / MAIBURG, B. / SCHNEIDER, M.: Sklerodermie und Paul Klee: Metamorphose von Leben und Kunst? Zeitschrift für Rheumatologie Band 63, Heft 4, 2004 PANOFSKY, Erwin: Was ist Barock? Hamburg 2005 PAPE, Helmut: Die Unsichtbarkeit der Welt. Eine visuelle Kritik neuzeitlicher Ontologie. Frankfurt am Main 1997 PIAGET, Jean / INHELDER, Bärbel: Die Psychologie des Kindes. München 2004 PÖGGELER, Otto: Bild und Technik. Heidegger, Klee und die moderne Kunst. München 2002 PRANGE, Regine: Das utopische Kalligramm: Klees „Zeichen“ und der Surrealismus. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd. 1., Bern 2000 QUENEAU, Raymond: Stilübungen. Frankfurt am Main 1973. RANCIÈRE, Jacques: Ist Kunst widerständig? Berlin 2008 RANKE-GRAVES, Robert von: Griechische Mythologie: Quellen und Deutung. Reinbek 1985 RAULET, Gérard: Natur und Ornament. Zur Erzeugung von Heimat. Darmstadt 1987 – Positive Barbarei. Kulturphilosophie und Politik bei Walter Benjamin. Münster 2004 RECK, Hans Ulrich: Kunst als Medientheorie. München 2003 RIEDEL, Ingrid: Engel der Wandlung. Freiburg 2000 ROHBECK, Johannes: Technik – Kultur – Geschichte. Eine Rehabilitierung der Geschichtsphilosophie. Frankfurt am Main 2000 RONDIN, Auguste: L’art, entretiens réunis par Paul Gsell. Paris 1931 RÖSCH, Perdita: Die Hermeneutik des Boten. Der Engel als Denkfigur bei Paul Klee und Rainer Maria Rilke. München 2009 ROSELT, Jens: Phänomenologie des Theaters. München 2008 RIVIÈRE, Jean-Lou: Das Vage der Luft. In: Das Schwinden der Sinne. Hg. Dietmar Kamper und Christoph Wulf, Frankfurt am Main 1984 RUSSEL, Bertrand: Probleme der Philosophie. Frankfurt am Main 1967 SARTRE, Jean-Paul: Kritik der dialektischen Vernunft. Theorie der gesellschaftlichen Praxis. Reinbek 1967 – Der Maler ohne Vorrechte. In: Porträts und Perspektiven. Reinbek 1971 – Die Gemälde Giacomettis. In: Porträts und Perspektiven. Reinbek 1971 – Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Reinbek 1982 – Eine fundamentale Idee der Phänomenologie Husserls: die Intentionalität. In: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931-1939. Frankfurt am Main 1982
274 INSZENIERUNG DES WIDERSTANDES
– Alle Künste sind realistisch. Yves Buin im Interview mit Sartre, März/April 1964. GW Bd. 4, Reinbek 1986 – Der Idiot der Familie. GW Bd. 5, Reinbek 1986 – Von der Berufung zum Schriftsteller. GW Bd. 4, Reinbek 1986 – Die Wörter. Autobiographische Schriften Bd. 1, Reinbek 1987 – Was ist Literatur? Reinbek 1990 SCHELLING, F.W.J.: Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesungen WS 1820/21. Bonn 1969 SCHOLEM, Gershom: Walter Benjamin und sein Engel. In: Zur Aktualität Walter Benjamins. Hg. Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 1972 SERRES, Michel: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt am Main 1994 SOHN-RETHEL, Alfred: Das Geld, die bare Münze des Apriori. Berlin 1990 SPENGLER, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 1969 SUTER, Hans: Paul Klee und seine Krankheit. Bern 2006 STIEGLER, Bernd: Bilder der Photografie. Ein Album photografischer Metaphern. Frankfurt am Main 2006 TEUBER, Marianne L.: Zwei frühe Quellen zu Paul Klees Theorie der Form. In: Paul Klee. Das Frühwerk 1883-1922. Ausstellungskatalog, München 1979 TURNER, Victor: Das Liminale und das Liminoide in Spiel, ‚Fluß‘ und Ritual. In: Ders.: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt am Main 2009. VIRILIO, Paul: Ästhetik des Verschwindens. Berlin 1986 – Die Kamera als Waffe und das Ende der Fotografie. Ein Gespräch mit H.-N. Jocks. In: Kunstforum 172, September-Oktober 2004 VOLTAIRE: Candide oder der Optimismus. Wiesbaden 2006 WEBER, Max: Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus. Bodenheim 1993 WEDEKIND, Gregor: Kosmische Konfession. Kunst und Religion bei Paul Klee. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd. 1., Bern 2000 WEISMÜLLER, Christoph: Das Humane der Globalisierung. Zur Objektivität von Narzißmus, Ödipuskomplex und Todestrieb. Düsseldorf 2004 – Die Geburt der Szene aus dem Geiste der Musik.Ein Beitrag zur Theorie der Szenografie am Beispiel von Richard Wagners Vorspiel zum Rheingold. In: Ralf Bohn/Heiner Wilharm (Hg.): Inszenierung und Ereignis. Beiträge zur Theorie und Praxis der Szenografie. Szenografie & Szenologie Bd. 1, Bielefeld 2009. WERCKMEISTER, Otto Karl: Sozialgeschichte von Klees Karriere. In: Kunst und Karriere. Beiträge des int. Symposions in Bern. Schriften und Forschungen zu Paul Klee, Bd. 1., Bern 2000 WERTHEIMER, Jürgen: Hörstürze und Klangbilder. Akustische Wahrnehmung in der Poetik der Moderne. In: Über das Hören. Tübingen 1998 WETZEL, Michael: Die Wahrheit nach der Malerei. München 1997 WIENER, Oswald: Vorstellungen, in: Heute ist Morgen. Über die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion. Bonn 2000 WILDE, Oscar: Das Bildnis des Dorian Gray. München 2004
LITERATURVERZEICHNIS 275
WIESING, Lambert: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt am Main 2005 WIMMER, Michael: Verstimmte Ohren und unerhörte Stimmen. In: Das Schwinden der Sinne. Hg. Dietmar Kamper und Christoph Wulf, Frankfurt am Main 1984 WITTGENSTEIN, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 1980 – Ethik. Abgedruckt in: Geheime Tagebücher 1914-1916. Hg. Wilhelm Baum, Wien 1991 – Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47. Frankfurt am Main 1991 WORRINGER, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Amsterdam 1996 (1908) – Formprobleme der Gotik. In: Ders.: Schriften Band 1, Hg. Hannes Böhringer, Helga Grebing und Beate Söntgen, München 2004. ZWEIG, Stefan: Die Heilung durch den Geist. Mesmer, Mary Baker-Eddy, Freud. In: GW, Frankfurt am Main 1978.
276
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABB.TITEL Paul Klee: Vorhaben, 1938, 126. Kleisterfarbe auf Papier und Jute; originale Rahmenleisten, 75,5 x 112,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.1 ABB.2 ∞ ABB.3 ∞ ABB.4 ∞ ABB.5 ABB.6 ∞ ABB.7 ∞ ABB.8 ∞ ABB.9 ∞ ABB.10 ∞ ABB.11 ∞ ABB.12 ∞ ABB.13 ∞ ABB.14 ∞ ABB.15 ∞ ABB.16 ∞ ABB.17 ∞ ABB.18 ∞
ABB.19 ∞
Bildlichkeit als Widerstand. Todestriebkonzeption und Widerstandsebene nach Freud, Lacan und Worringer (Diagramm des Autors) Paul Klee: Uebermut, 1939, 1251. Ölfarbe und Kleisterfarbe auf Papier und Jute; originale Rahmenleisten, 101 x 130 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: (Ohne Titel) Zweierlei Augenmass), um 1938. Kleisterfarbe und Aquarell auf Papier und Karton, 44,4 x 59,2 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: zur Gruppe geschlungen, 1930, 257. Feder auf Papier auf Karton; 28/27,5 x 46,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Todestriebkonzeption nach Klee im Sinne der monadischen Lemniskate (Diagramm des Autors) Paul Klee: II Das Ziel, mein Ziel!, 1918, 175. Feder auf Papier auf Karton, 28,8 x 21,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: Physiologische Analyse des Blutkreislaufes. Rein flüssig. IV/41 Aus: Unendliche Naturgeschichte Bd.II, a.a.O., S.101 Paul Klee: Anfang eines Gedichtes, 1938, 189. Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 48,3 x 62,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Die Zwitschermaschine, 1922, Wasserfarbe, Stift und Tinte, 41,3 x 20,5 cm Paul Klee: Gewaltsamer Tod, 1912, 88. Feder auf Papier auf Karton, 12,1/11,3 x 8,5/7,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: Mutter und Kind, 1939, 411. Bleistif auf Papier auf Karton, 43 x 27 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: m Vater, 1906, 23. Hinterglasmalerei, 31,8 x 29,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee Paul Klee: Angstausbruch, 1939, 27. Feder auf Papier auf Karton, 27 x 21,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: hört Stimmen, 1938, 425. Bleistift auf Papier auf Karton, 20,8 x 29,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: ich hab’s gehört, 1938, 448. Feder und Pinsel auf Papier auf Karton, 29,9 x 20,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: Vorhaben, 1938, 126. Kleisterfarbe auf Papier auf Jute; originale Rahmenleisten, 75,5 x 112,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: Spiel auf dem Wasser, 1935, 3. Bleistift auf Papier auf Karton, 17,9 x 27 cm, Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee: Aktiv, Passiv, Medial, die drei Fälle zusammengefaßt. Aus: Beiträge zur Bildnerischen Formenlehre, Vorträge im Wintersemester 1921/22, Ausschnitt aus Blatt 146. Paul Klee: die Puppe auf der Treppe, 1922, 204. Bleistift auf Papier auf Karton, 22,2 x 29 cm, Zentrum Paul Klee, Bern
ABBILDUNGSVERZEICHNIS 277
ABB.20 Michel Foucault, Schema aus: Die Ordnung der Dinge, a.a.O., S.108 ABB.21 ∞ Paul Klee: Der Seiltänzer, 1923, 121. Ölpause, Bleistift und Aquarell auf Papier auf Karton, 48,7 x 32,2 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.22 ∞ Paul Klee: blutende Augen, 1915, 107. Feder auf Papier auf Karton, 8 x 19/18,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.23 ∞ Paul Klee: fauler Fisch als Symbol, 1939, 764. Bleistift auf Papier auf Karton, 27 x 21,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.24 ∞ Blutkreislauf Faksimiletafel IV/23b Aus: Paul Klee, Unendliche Naturgeschichte, Bd. II, a.a.O., 111 Vgl. auch Beiträge zur bildnerischen Formenlehre, Blatt 93 ABB.25 ∞ Zusammenhang einer Waldstelle, 1935, 18. Kreide auf Papier auf Karton, 17,9 x 27,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.26 ∞ Paul Klee: Innenräumlich – außenräumlich, um 1930/31 51(aus: Begriffliches zur Gestaltungslehre, in: Das bildnerische Denken, Basel 1956, S.51) Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern ABB.27 ∞ Paul Klee: Synthese von äußerem Sehen und innerem Schauen, 1923. Schema zum Aufsatz „Wege des Naturstudiums“. ABB.28 ∞ Paul Klee: Spiel der Verwerfungen, 1938, 272. Kreide auf Papier auf Karton, 27 x 43,1 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.29 ∞ Paul Klee: Alphabet II, 1938, 188. Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 49 x 33 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.30 ∞ Paul Klee: chronometrischer Tanz, 1940, 133. Kreide auf Papier auf Karton, 29,7 x 20,2 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.31 ∞ Paul Klee: aus [nach] dem Traum erwachend, 1932, 304. Pinsel auf Papier auf Karton, 32,2 x 42,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.32 ∞ Paul Klee: Heroische Bogenstriche, 1938, 1. Kleisterfarbe auf Zeitungspapier und gipsgrundierter Platte, 72 x 52 cm ABB.33 ∞ Paul Klee: Der Graue und die Küste, 1938, 125. Kleisterfarbe auf Jute, 105 x 71 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee ABB.34 ∞ Paul Klee: dieser Kopf versteht die Gleichung nicht, 1939, 67. Kreide auf Papier auf Karton, 23,1 x 26,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.35 ∞ Paul Klee: gefesseltes Medium, 1939, 1157. Kreide auf Papier auf Karton, 39,7 x 31/32,2 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.36 ∞ Paul Klee: Spiegel Kanon (auf 4 Ebenen), 1931, 213. Feder auf Papier auf Karton, 31,4 x 47,7 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.37 ∞ Paul Klee: dynamik nachbarlicher Gruppen, 1929, 292. Bleistift auf Papier auf Karton, 21 x 32,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern ABB.38 ∞ Paul Klee: dynamisch-polyphone Gruppe, 1931, 66. Blei- und Farbstift auf Papier auf Karton, 31,9/31,1 x 48 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern ABB.39 „Bild 1, Stilisierung der Symptomformation der Rosacea nach dem Polaroidfoto.“ (Aus: R. Heinz, Hautaffektion und Werbewesen, a.a.O., 164) ABB.40 Bild 2, Profilselbstansicht (Aus: R. Heinz, Hautaffektion und Werbewesen, a.a.O.,165) ABB.41 ∞ Paul Klee: Symptom, rechtzeitig zu erkennen, 1935, 17. Bleistift auf Papier auf Karton, 17,9 x 27,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern