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German Pages 174 Year 2014
Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.) Zwischen offenem Magazin und Inszenierung
Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.)
Das Schaudepot Zwischen offenem Magazin und Inszenierung
Dokumentation der Fachtagung »Die Ordnung der Dinge: Das Schaudepot«. Die Tagung fand am 4. März 2010 in Bregenz im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Relaunch. Das Museum neu denken« statt, die das Vorarlberger Landesmuseum anlässlich seiner inhaltlichen und baulichen Neukonzeption in Zusammenarbeit mit der Museumsakademie Joanneum und dem Institut für Kunst im Kontext, UDK Berlin, organisierte.
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© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung der Autoren und der Rechteinhaber urheberrechtswidrig. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektroni-
Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Irina Wedlich, Vorarlberger Landesmuseum Bregenz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1616-3
Inhalt
Vorwort | 7
DAS S CHAUDEPOT IM HISTORISCHEN UND MUSEOLOGISCHEN K ONTEXT
Wissenschaftliche und künstlerische Taxonomien
Überlegungen zum Verhältnis von Schausammlung und Schaudepot Michael Fehr | 13 Ordnung versus Theatralik?
Überlegungen zu den Raum- und Strukturprinzipien der Wunderkammer Gabriele Beßler | 31 Schaumöbel und Schauarchitekturen
Die Geschichte des Ausstellens als Museumsgeschichte Bettina Habsburg-Lothringen | 49
DAS S CHAUDEPOT IN DER PRAXIS
Schaudepots – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit Andrea Funck | 67 Das Schaumagazin Übermaxx des Übersee-Museums Bremen Wiebke Ahrndt | 83 Das Historische Museum Luzern als Schaudepot Alexandra Strobel | 95 Das Schaumagazin der Focke-Museums Bremen Frauke von der Haar | 105 Die Objekte lesen, wie wir Bücher lesen…
„Wunderkammern-Wunderkisten“ im Jugend Museum Schöneberg Petra Zwaka | 117 Die Sammlung als Museumsfundament
Das Schaudepot des neuen Vorarlberger Landesmuseums Tobias G. Natter | 135 Die Ordnung der Dinge: das Schaudepot – Resümee der Diskussionen Michaela Reichel | 157 Die Autoren dieses Bandes | 169
Vorwort
Als im Jahr 2006 parallel zu meinem Amtsantritt als Direktor des Vorarlberger Landesmuseums die Entscheidung fiel, das alte Museumsgebäude in Bregenz durch einen Neubau zu ersetzen, begann für das Haus ein weitreichender Transformationsprozess. Eine Jahrhundertchance tat sich auf, das Museum neu zu entwickeln, gewohnte Strukturen aufzubrechen und Inhalte und Präsentationsweisen auf der Höhe der Zeit zu verändern. Seit dem Startschuss bin ich gemeinsam mit meinem Team in der Verantwortung, für ein regional verankertes Haus ein neues Konzept zu entwickeln, das sich auch mittel- und längerfristig als tragfähig und umsetzbar erweist. Grundsatzfragen zu zentralen Funktionen der Institution Museum im 21. Jahrhundert wurden dabei immer drängender. Der Umgang mit einer historisch gewachsenen Sammlung, der Wandel museologischer Präsentationsformen, die Rolle Neuer Medien und die geänderten Erwartungen des Publikums bilden in diesem architektonisch und inhaltlich vielschichtigen Prozess zentrale Bezugsfelder. Im Laufe der diskursiven Projektentwicklung, die von vornherein betont netzwerkorientiert angelegt war, stellten wir fest, dass viele der aufgeworfenen Fragen im Umfeld verwandter Museen im In- und Ausland nicht weniger ausführlich besprochen wurden, aber nicht immer waren die dabei gefundenen Antworten zufriedenstellend. Um einen offenen Diskurs lege artis sicherzustellen, entschlossen wir uns, eigene Grundsatzüberlegungen, individuelle Weichenstellungen und anstehende Probleme öffentlich zu machen und auf breiterer Basis im Rahmen einer internationalen Fachtagung zu diskutieren. Gemeinsam mit dem Institut für Kunst im Kontext an der Universität der Künste in Berlin und der Museumsakademie Joanneum Graz (im Rahmen eines forMuse-Forschungsprojektes) entstand die Idee zu einer dreitei-
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ligen Tagungsreihe Relaunch: Das Museum neu denken. Ihrem Aufbau liegt das von mir für das Landesmuseum verantwortete neue Konzept zugrunde, das auf drei räumlich annähernd gleichwertigen Ausstellungsebenen mit Schaudepot, Schausammlung und Sonderausstellungen drei unterschiedliche Zugänge zu seinen Beständen und Inhalten bieten will. So fokussiert die Tagung die Grundthemen: 1. Die Ordnung der Dinge: Das Schaudepot 2. Mit Dingen erzählen: Die Schausammlung 3. Mit Dingen argumentieren: Die Wechselausstellung Mittlerweile können wir auf die erste Tagung zurückblicken, die im März 2010 stattfand. Von dem starken und überregionalen Interesse an dieser Veranstaltung waren wir positiv überrascht. Ich glaube nicht, dass wir einer Fehlinterpretation erliegen, wenn wir das Interesse als Indiz dafür lesen, wie sehr die Präsentationsform Schaudepot in den letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Von Seiten der Tagungsteilnehmer erreichte uns die Bitte, die Referate jeweils im Anschluss an die Einzeltagungen so zeitnah wie möglich zugänglich zu machen. Diesem Wunsch kommen wir gerne nach. Die hier nun nachzulesenden Referate und Diskussionen verfolgten die Absicht, die Idee des Schaudepots/Schaulagers/begehbaren Magazins unter historischen und funktionalen Gesichtspunkten zu reflektieren. Untersucht wurde, wann und warum museale Magazine als eigene Funktions- und Bauteile von Museen entstanden, in welchem Verhältnis sie zu den übrigen Formen der musealen Aufbewahrung bzw. des Vorzeigens standen und stehen, nach welchen Kriterien Objekte in ihnen geordnet wurden/werden können und wie der gegenwärtige Trend, die Magazine zu öffnen und Schaudepots einzurichten, museologisch einzuordnen ist. Die regen Diskussionen bei dieser Tagung unterstrichen den Bedarf und die Dringlichkeit, solchen Themen ein Forum zu bieten. Die fehlende begriffliche Klarheit zwischen Schaudepot, Schaumagazin und begehbarem Depot wurde ebenso evident, wie die unterschiedlichen, oft sehr pragmatischen Beweggründe, warum Schaudepots eingerichtet wurden und werden. Uns war wichtig, neben grundsätzlichen museologischen Überlegungen auch Beispiele aus der Praxis vorzustellen. Diese Gliederung in methodisch-theoretische Grundsatzreferate und praktische Erfahrungsberichte
V ORWORT | 9
strukturiert auch diesen Band und soll für die beiden folgenden Veranstaltungen im Herbst 2010 und Frühjahr 2011 beibehalten werden. Für das Gelingen der Tagung ist vielen zu danken. Mein erster Dank geht an die beiden Kooperationspartner Dr. Bettina Habsburg-Lothringen, Graz, und Prof. Dr. Michael Fehr, Berlin. Sie brachten zu ihrem enormen Fachwissen und anerkannter Expertise ein freundschaftlich-kollegiales Interesse an den Veränderungen in Bregenz ein. Ohne die beiden wäre das Projekt schon im Vorfeld um nachhaltige Diskussionsrunden ärmer gewesen. Entscheidend für den unmittelbaren Ertrag der Tagung waren die Referentinnen und Referenten. Ihrem Engagement und ihrer Bereitschaft zu offenem Austausch gilt unser aller Dank: Neben den bereits genannten Dr. Habsburg-Lothringen und Prof. Fehr sind das Prof. Dr. Wiebke Ahrndt (Bremen), Gabriele Beßler M.A. (Stuttgart), Dipl. Rest. Andrea Funck (Stuttgart), Alexandra Strobel lic. phil. (Luzern), Dr. Frauke von der Haar (Bremen) und Petra Zwaka (Berlin). Sie berichteten über ihre Erfahrungen mit Schaudepots und diskutierten offen spezifische Probleme und potentielle Schwierigkeiten in Zusammenhang mit diesem Ausstellungsformat. Im Haus gilt mein besonderer Dank jenen Mitarbeiterinnen des Vorarlberger Landesmuseums, die trotz knapper Ressourcen und großer Arbeitsbelastung, die Organisation und Durchführung der Tagung sicherstellten. Stellvertretend für alle seien namentlich Mag. Irina Wedlich, Presseabteilung, und Mag. Silvia Gross, Publikumsbetreuung, genannt. Die größte Last aber ruhte auf den Schultern von Dr. Michaela Reichel, der verlässlichen und umsichtigen Projektleiterin der inhaltlichen Neukonzeption, die auch an der Schnittstelle von Museum und Baugeschehen einen unverzichtbaren Beitrag leistet. Last but not least und weil wir zum Zeitpunkt der Tagung bereits „obdachlos“ waren, danke ich nicht weniger herzlich der Hypo Landesbank Vorarlberg, in deren Räumen wir die Tagung abhalten konnten. Tobias G. Natter Direktor Vorarlberger Landesmuseum
Das Schaudepot im historischen und museologischen Kontext
Wissenschaftliche und künstlerische Taxonomien Überlegungen zum Verhältnis von Schausammlung und Schaudepot M ICHAEL F EHR
In Museen, die ältere Schausammlungen zeigen, die abgelegenen Wissensgebieten gewidmet sind oder die aufgrund der spezifischen Interessen ihrer Begründer oder Betreiber konventionellen Erwartungshaltungen nicht entsprechen, ist immer wieder ein gänzlich anderes Verhalten der Besucher zu beobachten als in Häusern, die auf den letzten Stand der Vermittlungstechniken gebracht sind. So lassen sich die Besucher solcher Museen häufig viel intensiver auf die jeweiligen Exponate ein, lesen, was immer an Erklärungen angeboten wird, diskutieren häufig mit ihrer Begleitung vor den Exponaten und sind meistens dankbar, wenn vom Museumspersonal weitere Erläuterungen gegeben werden. Anlass für die ausgesprochene Neugier, mit der sich die Besucher offensichtlich in diesen Museen bewegen, scheinen aber nicht nur deren eigentümliche Bestände zu sein, sondern die Modi ihrer Präsentation. Generalisierend gesprochen ist hier typisch, dass die Exponate in solchen Museen ganz im Vordergrund stehen, häufig in unerwarteten Kombinationen auftreten, nicht, kaum oder zuweilen auch über die Maßen inszeniert sind, keine oder „alte“ Medien eingesetzt werden und meistens eine sehr große Anzahl von Objekten zur Anschauung kommt. Im Vergleich zum aufgeräumten oder stilisierten Anstaltscharakter modernisierter Häuser muten diese Museen daher wie Schatz- und Wunderkammern an und scheinen schon als Ensemble ihren Besuchern zu signalisieren,
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dass sich in ihnen bisher nicht Beachtetes entdecken lässt und eigene Erfahrungen machen lassen. Gleichwie, ob dies nun tatsächlich möglich ist oder nur vermutet wird: In jedem Fall bemerkenswert bleibt die Haltung der Besucher solcher Museen, die hier weniger als Zuschauer und Rezipienten, sondern eher als Forscher und Sammler auftreten und damit eine Haltung gegenüber den Exponaten einnehmen, die in vielerlei Hinsicht der der Personen entspricht, die diese Museen aufgebaut haben und betreiben. Nun lässt sich diese forschende Haltung der Besucher neuerdings auch in Museen beobachten, die neben einer Schausammlung über ein Schaudepot, also über Räume verfügen, in denen ganze Sammlungen mehr oder weniger systematisch geordnet ohne ausführliche Vermittlungs- und Erklärungsangebote gezeigt werden. Dabei finden hier nicht nur Kenner bestimmter Sachgebiete Material, das sie in den Schausammlungen vermissen, sondern vertiefen sich häufig auch ‚normale‘ Besucher in die Bestände und wenden sich einzelnen Sammlungsstücken in einer Weise zu, wie dies in Schausammlungen eher selten zu beobachten ist. Wenn nun viele Schaudepots aus dem Motiv entstanden, die Einrichtung oder den Bau eines Depots politisch durchsetzen zu können, so hat ihre relativ hohe Akzeptanz beim Publikum dazu geführt, dass sie zunehmend als eine andere Form der Schausammlung neben den traditionellen, auf Narrativen aufbauenden Präsentationen wahrgenommen und immer öfter gezielt eingerichtet werden. Gerade da, wo beide Formen der Sammlungspräsentationen in einem Haus zu verzeichnen sind, ergibt sich damit die Frage, welche Leistungen der einen und der anderen Form der „Hängung“ zugesprochen bzw. welche Erwartungen im Hinblick auf ihre Nutzung durch die Museumsbesucher mit ihnen jeweils verbunden werden. Da es zu diesem Thema keine empirischen Daten gibt, kann diese Fragestellung nur durch eine qualitative Untersuchung angegangen werden. Die folgenden Überlegungen sollen dazu einen Einstieg bieten.
I. Museen sind auf den Umgang mit Dingen spezialisierte Einrichtungen und vermögen daher Wirklichkeit am besten da zur Anschauung zu bringen, wo ihre Realitätskonstruktionen auf Dingen oder Phänomenen aufbauen kön-
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nen, die Dingcharakter annehmen oder sich als Dinge definieren lassen.1 Anders gesagt: das Museum ist eine Einrichtung, die auf der Reichweite menschlicher Sinne aufbaut und ihre spezifischen Dimensionen reflektiert. Immer da, wo Phänomene, wie zum Beispiel im mikro- oder makroskopischen Bereich, diese Dimensionen überschreiten oder es um Phänomene geht, für die, wie zum Beispiel bei der Radioaktivität, Menschen überhaupt keine sensorischen Fähigkeiten haben, gerät auch das Museum an seine Grenzen. Doch ist dies kein neues oder auf Naturwissenschaften und Technik beschränktes, sondern ein für Museen charakteristisches Problem. Denn in Museen geht es immer darum, anhand von mehr oder weniger begrenztem Material etwas zu veranschaulichen und zu bedeuten, das über das, was es als Material selbst ist, mitunter weit hinausgeht. Nimmt man hinzu, dass auch beim Umgang mit Phänomenen außerhalb der Reichweite menschlicher Sinne oder bestehenden Wissens nahezu alle Methoden und Arbeitsweisen darauf abzielen, diese in irgendeiner Weise anschaulich zu machen, also aus dem Umgang mit Dingen entwickelt wurden, so bleiben ältere museale Präsentationen, die Wissen nicht nur repräsentieren, sondern als definierte Ensembles Wissen sind, ein Modell dafür, wie sich das Potential des Museums als Ort, an dem Wissenschaft im Wortsinne erfahren und verstanden werden kann, erneut entfalten lässt.
II. Ältere wissenschaftliche Präsentationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die entsprechenden Objekte in bestimmter Weise geordnet, also bearbeitet vorzeigen. Diese Bearbeitung umfasst Betrachtungen, Unterscheidungen, Beschreibungen und Beobachtungen der ins Auge gefassten Dinge2 und
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Deshalb fällt der gesamte Bereich des so genannten immateriellen Erbes (intangible heritage) typischerweise (bis jetzt) mehr oder weniger aus dem Blickwinkel der Museen. Vgl. dazu: Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: „From Ethnology to Heritage: The Role of the Museum“, SIEF Keynote, Marseilles 2004, http:// www.nyu.edu/classes/bkg/web/SIEF.pdf.
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Vom wissenschaftlichen, künstlerischen und praktischen Arbeiten unterscheidet sich die Musealisierung wie auch immer erworbener Gegenstände vor allem da-
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führt schließlich zu ihrer Zusammenstellung in einer Sammlung. Die Sammlung ist die Integration der Gegenstände mit den aus dem Umgang mit ihnen gewonnenen Erfahrungen und ergibt sich im Prinzip aus einem wiederholten zirkulären oder rekursiven Schluss, der sich schematisch etwa so skizzieren lässt: Sammlungen entstehen über Deutungen der Wirklichkeit, aufgrund derer Gegenstände oder bestimmte Eigenschaften an ihnen wahrnehmbar werden; insoweit gehen diese Deutungen den Sammlungen voraus und legitimieren sie (deduktives Prinzip). Andererseits lassen sich Deutungen nur anhand von Gegenständen entwickeln und über deren Sammlung stabilisieren – und insofern gehen die Sammlungen den Deutungen der Wirklichkeit voraus und legitimieren sie (induktives Prinzip). Daraus folgt, dass Sammlungen einen strukturell selbstevidenten Charakter haben. Denn sie sind Objekt-Zusammenstellungen, die aufgrund von Deutungen zustande kommen, die sich an den gesammelten Objekten selbst legitimieren. Oder, anders formuliert: Das Sammeln ist ein dialektischer Prozess, der seine Synthese in der bestimmten Ordnung findet, die mit der Sammlung hergestellt wird.
durch, dass sie als Fragmente aus der Wirklichkeit erhalten und weitere physische Operationen an ihnen ausgeschlossen werden. Dazu werden sie zunächst magaziniert, konserviert und inventarisiert, also aus dem lebensweltlichen Kontext wie dem Wirtschaftskreislauf im Prinzip ein für alle Mal herausgenommen und als Gemeingüter bewahrt. Im nächsten Schritt werden die Dinge ästhetisiert, was hier nichts anderes bedeutet, als dass sie ohne lebensweltlichen Bezug (so zum Beispiel auch nicht als Waren) betrachtet und auf Dauer in diesem Status gehalten werden. Diese Ästhetisierung oder, in den Termini des historischen Materialismus ausgedrückt: diese Verdinglichung der Dinge bewirkt ihre konzeptionelle Konservierung als Objekte. Und diese wiederum ist die Voraussetzung für den nächsten Schritt der Musealisierung: die Möglichkeit ihrer Reflexion im Sinne eines sapere aude, in der an ihnen nicht zuletzt die Urteilskraft selbst erprobt werden kann. In jedem Fall ist eine solche (theoretisch mehrdimensionale) Reflexion die Grundlage für die letzte Operation der Musealisierung, bei der mit den Objekten neue und immer wieder andere Zusammenhänge konstruiert werden können, da sie dabei nicht physisch verändert, sondern nur symbolisch bearbeitet werden. Vgl. auch: Fehr, Michael: „Stichwort Museum“, in: Kritische Berichte, 04.2008, S. 75-78.
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Geordnete Sammlungen sind zur Anschauung gebrachtes Wissen, Theorien im ursprünglichen Sinne des Wortes. Etwas sinnvoll ordnen und anordnen zu können heißt, das Geordnete zu begreifen und zu verstehen. In der Ordnung einer Sammlung sind Erkenntnisprozess und Anschaulichkeit auf das Engste miteinander verwoben. In der Ordnung nimmt Wissen eine Gestalt an. Es konkretisiert und legitimiert sich als eine Ordnung von Zeichen, die lesbar sind und kommuniziert oder sogar, wie in der von Giambattista della Porta entwickelten und von Paracelsus niedergeschriebenen Signaturenlehre, für in der Wirklichkeit auffindbar gehalten werden können. Dabei liegt es nahe, Ordnungen zu finden, die die Wirklichkeit im Ganzen zu erfassen und als Wissen zu organisieren vermögen und zugleich dessen ganze Fülle (totum) aus einem gemeinsamen Ursprung (unum) erklärbar machen. Eine universelle Ordnung, eine Ordnung, die durch teilen und zusammenfügen ein Ganzes begreifbar machen und in einem Wissensgebäude integrieren kann, ist daher das Ideal jedes Ordnungsprozesses. Doch bleibt das Wissen immer begrenzt und jede Ordnung ein künstlich geschaffener Zusammenhang, eine bildliche Gestalt, die an die Stelle der Kontexte tritt, aus denen die gesammelten Gegenstände stammen.
III. Wenn auch heute nach einer Weltformel3 gesucht und das von Leibniz imaginierte Projekt eines Theaters der Natur und Kunst4 neuerdings im Internet vermutet wird, so ist doch die Einsicht unabweisbar, dass es so viele Ordnungen wie unterschiedliche Erkenntnisinteressen und Sammlungsstrategien gibt; und weiterhin, dass Ordnungen immer nur über ein begrenztes Leistungsspektrum verfügen, also einige Gegenstände besser, andere weniger gut und weitere möglicherweise überhaupt nicht in einen sinnstiftenden Zusammenhang bringen können. Entsprechend bemisst sich der Wert einer Ordnung an der Anzahl unterschiedlicher Gegenstände, die sie im Sinne der
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Vgl. dazu: Wilber, Ken: „A Theory of Everything. An Integral Vision for Business, Politics, Science and Spirituality“, Boston: Shambhala Verlag 2000, oder die Versuche im Rahmen von CERN.
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Vgl. Bredekamp, Horst: „Die Fenster der Monade“, Berlin: Akademieverlag 2004.
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Regeln, die für ihr Procedere aufgestellt wurden, organisieren kann, und zeichnet sich Wissenschaft gegenüber anderen Versuchen des Weltverstehens dadurch aus, dass sie den Anspruch verfolgt, systematische Ordnungen zu entwickeln, die sich zumindest für bestimmte Wissensgebiete als stabil erweisen, praktisch anwendbar sind und allgemeine Anerkennung finden. Gemeinsames Merkmal aller wissenschaftlich-systematischen Ordnungssysteme ist, dass sie auf der Definition von Typen aufbauen, also die Diversität der Phänomene vor allem im Vergleich verschiedener Arten wahrnehmen und von der Individualität einzelner Gegenstände abstrahieren. Weiterhin kennzeichnet systematische Ordnungen, dass sie die Interferenz zwischen verschiedenen Gegenständen nicht darstellen können und deren Kontexte gewöhnlich ignorieren. Abstraktionsleistung, Reduktionen und Fokussierungen waren aber ein wesentliches Merkmal der modernen wissenschaftlichen Arbeit, über die althergebrachte Ordnungen, zumal die christliche Schöpfungsordnung aufgebrochen und in Frage gestellt wurden. Doch riefen genau diese Eigenschaften systematischer Klassifikationen5
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Unabhängig von ihrer Vielzahl und unabhängig auch von dem, auf was sie sich beziehen, haben Ordnungen jeweils eine bestimmte Struktur, die sich aus ihren Prämissen und ihren Regeln ergibt. Die wichtigsten wissenschaftlichen Ordnungstypen mit komplexen Strukturen sind: Hierarchien, Bäume, Paradigmen und Facetten. Bei Hierarchien und Bäumen werden Gegenstände in Gruppen und Untergruppen unterteilt, wobei als Regel gilt, dass jede Untergruppe alle Merkmale der Gruppe, aus der sie hervorgeht, enthalten muss. Das heißt, es wird bei Hierarchien und Bäumen immer von einer Ganzheit oder einem Ursprung ausgegangen, aus denen sich auf dem Wege einer systematischen, dichotomischen Differenzierung über die Bildung von Gruppen und Untergruppen, die wiederum in Untergruppen unterteilt werden können, in einem theoretisch letzten Schritt der Platz eines konkreten, individuellen Gegenstands bestimmen lässt, der nicht mehr unterteilt werden kann. Die wichtigsten gemeinsamen Eigenschaften von Hierarchien und Bäumen bestehen darin, dass ihre Einheiten realen Entitäten entsprechen und sie – nicht zuletzt aufgrund ihres bildlichen Charakters – die ganzheitliche Wahrnehmung eines bestimmten Untersuchungsfeldes sowie unter Umständen das Erschließen von unbekannten Einheiten ermöglichen. Der wesentliche Unterschied zwischen hierarchischen und baumartigen Ordnungsstrukturen besteht vor allem in einer weiteren Regel, die nur
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wiederum Kritik hervor, in deren Folge verschiedene wissenschaftliche
für Hierarchien gilt: dass ein eindeutiges verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Gruppe und Untergruppe gegeben sein muss. In beiden Fällen setzt die Entwicklung entsprechender Ordnungen allerdings einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über das Untersuchungsfeld und seine Einheiten voraus, der da, wo er nicht gegeben ist oder wo wesentliche Einheiten oder ihre Aspekte außer Acht gelassen wurden, zum Zusammenbruch des gesamten Ordnungssystems führen kann. Andererseits können bei Hierarchien und baumartigen Ordnungsstrukturen auch unbekannte Einheiten dargestellt bzw. erschlossen werden. Es lässt sich, insbesondere bei Bäumen, auch die Entfernung zwischen verschiedenen Einheiten und ihre Häufigkeit veranschaulichen. Der wesentliche Nachteil beider Ordnungsformen besteht darin, dass sie auf einem one way flow of information aufbauen. So spielt für den Sinn und die Wirkungsmacht dieser Ordnungsformen eine entscheidende Rolle, was in der Fachterminologie als first cut, also als erste grundlegende Entscheidung bezeichnet wird. Gerade die Naturwissenschaften, und hier vor allem die biologische Systematik, bieten ein Beispiel, wie aufgrund unterschiedlicher Unterscheidungskriterien mehr oder weniger verschiedene Ordnungen des Pflanzenund Tierreichs, die zum Teil noch nebeneinander bestehen, entwickelt werden konnten. Dieses Problem kann auch mit paradigmatischen Ordnungen nicht gelöst werden, die im Übrigen als die Kombination von zwei hierarchischen Strukturen verstanden werden können, mit deren Hilfe Gegenstände definiert werden können. Paradigmatische Ordnungen haben die Form einer zweidimensionalen Matrix, in die Gegenstände nach jeweils zwei verschiedenen Attributen eindeutig eingeordnet werden können, wobei es auch zu Gruppenbildungen kommen kann. Im Unterschied zu Hierarchien und Bäumen müssen hier zwischen den einzelnen Gegenständen allerdings keine Beziehungen bestehen. Paradigmatische Ordnungen können daher nur bedingt zu Erklärungen herangezogen werden, doch erlauben sie das Erkennen von Mustern, da mit ihrer Hilfe das Vergleichen unterschiedlicher Gegenstände vereinfacht und systematisiert werden kann. Die vierte klassische Ordnungsstruktur wird als Facettenklassifikation bezeichnet. Sie ist mit der paradigmatischen Ordnung verwandt. Ihre wesentlichen Vorteile gegenüber den anderen Ordnungen bestehen darin, dass sie eine offene, heuristische Form des Ordnens ist, also keine vollständige Kenntnis des Unter-
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Disziplinen entstanden, die sich explizit den komplexen Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen Phänomenen widmeten bzw. sie zu ergründen versuchten, sodass wir es heute gleichermaßen mit analytischen wie synthetischen wissenschaftlichen Ansätzen bzw. Disziplinen zu tun haben, die entsprechend unterschiedliche Daten sammeln.
IV. In der Geschichte der Sammlungen und Museen reflektiert sich die Geschichte der Ordnungsversuche nicht nur in exemplarischer Weise, vielmehr waren die Museen nachgerade der Schauplatz, an dem bis vor einigen Jahrzehnten ihr Widerstreit ausgetragen wurde und die unterschiedlichen Fassungen musealer Präsentationen – zum Teil zeitgleich in verschiedenen Abteilungen der Häuser – zur Anschauung kamen. Als wichtigste Wendepunkte dieser Geschichte lassen sich die Auflösung der nach der Idee des Macrocosmos in Microcosmo aufgebauten Schatz- und Wunderkammern und Naturalienkabinette benennen, deren Bestände in den systematisch angelegten Sammlungen der Museen aufgingen sowie, im nächsten Schritt, die Aufteilung der Museen in Sammlungen und Schausammlungen, also einen internen, der Forschung vorbehaltenen und einen auf das Publikum orientierten Bereich und schließlich der Trend zur Aufteilung der Museen in Schausammlungen und Magazine, in dem sich der Umgang mit den
suchungsfelds voraussetzt, sondern sich einem wachsenden Kenntnisstand anpassen lässt, und dass sie darüber hinaus mit drei oder mehr Dimensionen der Klassifikation umgehen kann. Die Facettenklassifikation kann keine genealogischen oder sonstigen Beziehungen zwischen einzelnen Gegenständen darstellen, ist also rein deskriptiv und dient am besten zur Organisation von vorhandenem Wissen, dessen systematische Analyse sie voraussetzt. So wird bei ihrem Aufbau von grundsätzlich frei definierbaren, doch begrenzten Zahlen allgemeiner Grundkategorien ausgegangen, nach denen die betrachteten Gegenstände analysiert werden. Diese Kategorien werden aus dem Untersuchungsfeld bzw. anhand der Gegenstände entwickelt und in einem offenen Format notiert. Ein wesentlicher Nachteil der Facettenklassifikation besteht darin, dass es schwierig ist, sie zu visualisieren. Doch findet sie vor allem in elektronischen Datenbanken weit verbreitete Anwendung.
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Sammlungen nach dem Stand ihres aktuellen Ausstellungs- und Marktwerts reflektiert. Im Zuge dieses jüngsten Trends werden quer durch alle Museumssparten immer häufiger nicht mehr Sammlungen, sondern vor allem einzelne Sammlungsstücke gezeigt, denen paradigmatische Bedeutung, besondere Anschaulichkeit oder ein wie auch immer begründeter Sensationswert zugemessen wird. Dabei wird nicht nur deutlich, dass die Museen ihre Funktion als Orte der aktuellen Wissensproduktion weitgehend verloren haben; vielmehr tritt hier als Konsequenz dieser Entwicklung zu Tage, dass die Museen in immer größerem Umfang vor dem Hintergrund eines unabhängig von ihnen bestehenden, allgemeinen und in Medien veröffentlichten Wissensbestands agieren, der ihre jeweiligen Bestände zuweilen bei Weitem überschreitet.6 Das heißt: In dem Maße, wie die Sammlungsbestände medial verfügbar werden, können sie über ihre Abbildung auf andere Sammlungen bezogen und im Vergleich mit ihnen einem erneuten Ausleseprozess unterworfen werden.7 In diesem neuen, virtuellen Zusammenhang können sich mitunter ganze Sammlungen als redundant erweisen, andererseits aber einzelne Sammlungsstücke womöglich größere Bedeutung erlangen, als ihnen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang zugemessen wurde.8
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In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch eine große Rolle, dass, wie eingangs skizziert, die Wissensproduktion zunehmend in Feldern stattfindet, die sich der unmittelbaren Anschaulichkeit entziehen, und den Museen nur geringe Mittel zur Verfügung stehen, ihre Sammlungen auszubauen. Darüber bewirkt die Tatsache, dass das wissenschaftliche Personal in den Museen radikal abgebaut wurde bzw. zunehmend mit Management-, Marketing- und Geldbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt ist, eine fatale Beschleunigung dieses Phänomens.
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Dieser Prozess beginnt spätestens mit der Veröffentlichung von Sammlungen in Katalogen.
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Solche Stücke werden dann zu einem so genannten Highlight erklärt und besonders herausgestellt. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich einmal mehr die besondere Stellung der Kunstmuseen. Denn sie beherbergen durchgängig Unikate und nicht, wie die Museen anderer Sparten, Exemplare von Typen, die, abgesehen von Holotypen, gegebenenfalls auch anderswo aufzufinden wären. Auch herrscht in Kunstmuseen weitaus deutlicher als in anderen Häusern das Star-Prinzip, weil hier Qualitätskriterien ins Spiel kommen, die zumal bei Naturalia allenfalls unter sekundären Gesichtspunkten, wie zum Beispiel ihrem Er-
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Der Trend zur Auflösung der in den Sammlungen manifesten Ordnungen und zur Vereinzelung der ausgestellten Objekte macht deren Verständnis von zusätzlichen Informationsangeboten abhängig, denen nun die Aufgabe zukommt, sie in den entsprechenden, außerhalb der Museen etablierten, virtuellen Kanon aller vergleichbaren Objekte oder ganzer Wissensgebiete einzuordnen. Haben hier die vielfältigen Vermittlungsprogramme wie die mehr oder weniger aufwändigen szenographischen Museumsgestaltungen ihre Wurzeln, so bleibt die Wahrnehmung der vereinzelten Objekte dennoch fast immer recht widersprüchlich: Denn weil das so genannte Highlight typischerweise ohne den Kontext präsentiert wird, aufgrund dessen es überhaupt nur einen besonderen Status beanspruchen kann, wird es letztlich gerade durch sein Herausstellen zu einem Belegexemplar eines bestimmten Typus abgewertet und gewissermaßen als ein Bild seiner selbst medialisiert, mithin nicht mehr betrachtet, sondern, wie Prominente in anderen Zusammenhängen auch,9 nur noch beobachtet.10 Damit werden die Museen unversehens, aber zwangsläufig zu einer Art von Show-Room rekonfiguriert, in denen es allerdings weniger um ein Verstehen, denn um ein Bewundern der Exponate gehen kann.
V. Für den Wahrnehmungsprozess macht es einen grundsätzlichen Unterschied, ob Bilder, also ausschließlich für die Anschauung gemachte Objekte, oder Dinge, die keinen Bildcharakter haben, wahrgenommen werden. Denn weil in und mit Bildern eine Wahrnehmungsleistung formuliert (und
haltungszustand, anwendbar sind, bei massenhaft hergestellten Artefakten jedoch prinzipiell keine und wenn, dann in der Regel vor allem aufgrund ihres Seltenheitswerts, eine Rolle spielen. Eine Konsequenz aus dieser Einsicht ist, dass Häuser mit solchen Beständen nicht auf Einzelobjekte setzen, sondern die Einmaligkeit ihrer Bestände im Ganzen herauszustreichen versuchen. 9
Vgl. dazu: Franck, Georg: „Die Ökonomie der Aufmerksamkeit“, München Wien: Carl Hanser Verlag 1998.
10 Dass sich zu Highlights stilisierte Exponate nicht mehr betrachten lassen, liegt natürlich auch daran, dass dies angesichts des Gedränges des Publikums und der Sicherheitsmaßnahmen schon rein physisch nicht mehr möglich ist.
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womöglich reflektiert) wird, können sie immer sowohl betrachtet wie beobachtet werden: Betrachte ich ein Bild,11 dann bin ich an seiner Botschaft interessiert und nehme, was ich sehen kann, als eine anschauliche Mitteilung über einen realen oder fiktiven Tatbestand wahr, die womöglich mein Handeln beeinflussen kann. Beobachte ich dagegen ein Bild, dann spielt zwar das, was es ist und zeigt, eine Rolle, doch richtet sich mein Interesse primär auf die Art und Weise, wie das, was es zeigt, zur Anschauung gebracht ist, wie es aufgrund welcher Eigenschaften seine spezielle Bedeutung entfalten kann oder wie es im Rahmen des Zusammenhangs, in dem es erscheint, wirkt. Nehme ich also, wenn ich ein Bild sehe, immer zugleich wahr, dass und wie jemand etwas zur Anschauung gebracht hat, so liegt es dagegen bei Dingen ohne Bildcharakter – seien diese nun Artefakte oder Naturalien – zu allererst bei mir zu entscheiden, ob ich diese Dinge überhaupt als Anschauungsobjekte wahrnehme und wenn, wie ich sie betrachte und für welchen Zusammenhang ich sie einsetze. Das heißt, angesichts von Objekten ohne Bildcharakter muss ich selbst die Wahrnehmungsleistung erbringen, die in Bildern – wie immer – schon erbracht ist. Im Hinblick auf den musealen Kontext bedeutet dies, dass alle Museen, die keine Bilder12 zeigen, zu allererst vor der Aufgabe stehen, den Anschauungscharakter ihrer Sammlungsgegenstände konstituieren und sichern zu müssen. Dies wird in der Regel durch eine äußere Rahmung erreicht, bei der die Gegenstände unter Bedingungen gestellt werden, die ihren praktischen oder sonstigen Gebrauch oder ihren unmittelbaren Rückbezug auf
11 Gemeint sind hier Gegenstände, die materiell, primär dem Augensinn zugänglich, artifiziell und relativ dauerhaft sind. Vgl. Sachs-Hombach, Klaus: „Konzeptionelle Rahmenüberlegungen zur interdisziplinären Bildwissenschaft“, in: Ders. (Hg.): „Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden“, Frankfurt: Suhrkamp Verlag 2005, S. 12 ff. 12 Das Tafelbild gilt hier als Normalfall, auch wenn nicht alle Bilder Tafelbilder sind. Vgl. dazu Stoichita, Victor I.: Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, München: Fink Verlag 1998. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das Sammeln und Vorzeigen von Bildern in Museen eine vor allem von Repräsentationsbedürfnissen getriebene, historisch gewachsene Konvention ist, die die ältere Funktion der Museen bzw. ihrer Vorformen als Orte der Wissenschaft und des Studiums zunehmend verdrängt.
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ihren vormaligen Kontext verhindern.13 Gewährleistet ein solcher Rahmen, dass ein Gegenstand nun ganz für sich, als ‚Ding an sich‘, betrachtet werden kann, so nimmt er ihm jedoch zugleich auch alle Bedeutung und macht ihn verfügbar – für Zuschreibungen, durch die der Gegenstand in einen im Prinzip beliebigen Kontext gestellt und zu einem Sinnbild für eben diesen Kontext werden kann. Wenn bei Bildern Dargestelltes und Darstellung immer in einem Medium auftreten und insoweit nicht voneinander unterschieden werden können, so sind im Unterschied dazu bei einer Ausstellung von Dingen diese immer von Darstellung (Zuschreibung, Hängung) unterscheidbar, auch wenn diese Darstellung notwendig immer zusammen mit ihnen wahrgenommen wird. Diese grundsätzliche Unterscheidungsmöglichkeit begründet den besonderen Reiz der Präsentation von Dingen und kann sowohl als eine Chance als auch als ein Problem verstanden werden: Als eine Chance, weil ich mir angesichts der mehr oder weniger losen Beziehung zwischen dem Ding und seiner Zuschreibung immer auch eine alternative Darstellung zumindest vorstellen, es also anders deuten und in einen anderen Zusammenhang als den jeweils gegebenen einordnen kann; und als ein Problem, weil ein solches gedankliches Durchspielen alternativer Möglichkeiten entweder Wissen voraussetzt, aufgrund dessen ich das Ding anders deuten oder einordnen könnte, oder mir die Möglichkeit eingeräumt würde, über die Beschäftigung mit dem Ding mir entsprechendes Wissen aneignen zu können. Doch gerade dies schließt die äußere Rahmung nicht nur aus Betriebsgründen,14 sondern auch symbolisch aus und verhindert damit, dass die Dinge in
13 Das heißt, der äußere Rahmen grenzt primär aus und steht ansonsten in keiner Beziehung zu dem eingeschlossenen Gegenstand. Das klassische Beispiel dafür ist natürlich der isoliert auf einen Sockel und unter einen Glassturz gestellte Gegenstand. 14 „Das Museum provoziert zu allererst sprachlose Bewunderung, und außerdem bietet es nicht die Möglichkeit, sich anschauend so auf ein Bild einzulassen, wie es das Bild eigentlich verdient. Schon aus Betriebsgründen des Museums [ist es] ausgeschlossen, im Anblick des Originals [zum Beispiel, d. Verf.] einen Text über ein Bild zu verfassen. [...] Ist also das Museum als Ort des Originals eine Institution des Fetischismus, indem es – ganz unvermeidlicherweise – die Aura des physikalisch einmaligen Artefakts kultiviert und die Leistung des Bildes jeglichem intellektuellen Zugriff entzieht?“ Imdahl, Max: „Die Zeitstruktur in
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die konzeptionelle Verfügungsmacht der Besucher geraten und von ihnen möglicherweise gegen die Museumsidee gedeutet werden könnten.
VI. Äußere Rahmungen sind eine jüngere Form musealer Präsentation, die, wie schon erwähnt, zunehmend an die Stelle der Ausstellung von Sammlungen treten und deren innere Rahmung aufbrechen. Innere Rahmungen knüpfen an bestimmten Eigenschaften der Gegenstände an. Sie ergeben sich in der einfachsten und zugleich leistungsfähigen Form gewissermaßen intuitiv aus dem Sammeln von Gegenständen. Denn das Sammeln setzt die Definition zumindest eines bestimmten Kriteriums voraus, das an den ins Auge gefassten Gegenständen als gemeinsam erkannt wird. Für den Umgang mit diesen und weiteren Gegenständen bedeutet dies, dass sie sowohl während des Sammelprozesses wie bei späterer Wahrnehmung nicht länger für oder ‚an sich‘ betrachtet, sondern darauf hin untersucht werden, ob sie das gesetzte Kriterium erfüllen, wobei von allen anderen Eigenschaften der Gegenstände mehr oder weniger explizit abgesehen wird. Aus diesem Umgang resultieren Formen der Ordnung und Anordnung, die eine volle Konzentration auf die Gegenstände und ihre Zusammenstellung unter dem Gesichtspunkt des gewählten Kriteriums ermöglichen, also ihrerseits alles ausblenden, was den Vergleich der Sammlungsobjekte erschweren könnte. Systematische Sammlungen treten daher vorwiegend in Form von Reihen oder einfachen geometrischen Mustern, also in einem bildlichen Modus in Erscheinung, der als formaler Zusammenschluss der Gegenstände einfach durchschaut, erweitert oder ergänzt werden kann und im Prinzip unabhängig von einer äußeren Rahmung besteht. Das Risiko solcher Sammlungen besteht aber in ihrer Fokussierung auf ein Kriterium. Denn sobald andere oder zusätzliche Kriterien an ihnen wahrgenommen werden sollen, wirkt die innere Rahmung über ein Merkmal wie ein Korsett und können solche Sammlungen einem neuen oder anderen Erkenntnisinteresse nicht mehr entsprechen.
Poussins „Mannalese“. Fiktion und Referenz“, in: Michael Fehr/Stefan Grohé (Hg.): Geschichte, Bild, Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum, Köln: Wienand Verlag 1989, S. 181.
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Äußere und innere Rahmungen sind in unterschiedlicher Weise prekär. Sie werden deshalb häufig kombiniert, um den Anschauungscharakter der Gegenstände und bestimmte Zuschreibungen in jedem Fall zu sichern. Doch kommt es dabei fast zwangläufig zu einer Dynamik, die aus ihrem unterschiedlichen Charakter als abschließende bzw. offene Form resultiert und immer wieder Umbauten der Schaumöbel und Schauarchitekturen erzwingt. Unabhängig davon haben beide Formen des Rahmens den großen Nachteil, dass sie Beziehungen zwischen unterschiedlichen Gegenständen nicht zur Anschauung bringen können. Hier nun setzen die Versuche an, über Tableaus und Dioramen, Stil- und Periodenräume oder szenographische Gestaltungen Zusammenhänge zu konstruieren und anschaubar zu machen. Und in diesen Zusammenhang gehören auch die Versuche, den Nachteilen permanenter Schausammlungen durch ihre Verflüssigung in so genannten Szenenwechseln oder durch ihre komplette Abschaffung bzw. ihren Ersatz durch temporäre Ausstellungen zu entgehen. Doch lässt sich auch mit diesen Konstruktionen das Grundproblem allen Ausstellens von Dingen in der Regel nicht lösen: dass Dinge festgelegt werden müssen, damit sie zu Anschauungs- und Erkenntnisgegenständen werden können, wobei sich immer wieder erneut die Frage stellt, wie Objekte sich so vorzeigen lassen, dass einerseits das an ihnen und über sie akkumulierte Wissen und ihre Einordnung in bestimmte Wissensgebäude zur Anschauung gebracht werden kann, sie andererseits aber als Objekte, die geordnet und denen etwas zugeschrieben wurde, erfahrbar bleiben können.
VII. Wenn es nun ein Merkmal jüngerer Museumsgestaltungen ist, dieses Problem einerseits durch das Verdrängen physischer Exponate und andererseits durch Computer gestützte, so genannte interaktive Kommunikationsangebote zu überspielen (die in Wahrheit ja selten mehr als wählbare Programme sind, die nur rezipiert werden können), so ist zu beobachten, dass künstlerische Auseinandersetzungen mit Sammlungen und Ordnungen im musealen Kontext sich generell dadurch auszeichnen, dass sie gerade die handgreiflichen, wissenschaftlichen Techniken und Methoden und die althergebrachten Darstellungsformen sowie, nicht zuletzt, die musealen Räume zum Ausgangspunkt ihrer Strategien nehmen. Dabei setzt die künstleri-
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sche Arbeit an allen vermeintlich neuralgischen Aspekten des Sammelns, Ordnens und der Veranschaulichung an und versteht es, sie durch ihre gezielte Affirmation erneut produktiv und zugleich reflektierbar zu machen. Das heißt, für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Museum ist in vielen Fällen typisch, dass sie die Museen als Orte der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung, des konkreten Handelns und der buchstäblichen Aufstellung von Theorien zu thematisieren versucht, also, aufs Ganze gesehen, es unternimmt, dem Museum die menschliche Dimension zurück zu gewinnen. Dieser Ansatz ergibt sich natürlich aus dem handgreiflichen Charakter der künstlerischen Arbeit selbst, doch folgt er zugleich der Einsicht, dass die eigentümliche Stärke des Museums vor allem aus der Möglichkeit resultiert, sich hier unmittelbar mit Versuchen zu konfrontieren, der Kontingenz des Wirklichen Herr zu werden und die Welt zu begreifen – und sich nicht nur etwas darüber erzählen zu lassen. Mit anderen Worten: Eine aufgeklärte museologische Arbeit wird nicht den Versuch unternehmen, aus dem Museum ein Medium zu machen, sondern, ausgehend von seinem grundsätzlich analogen und auf das Analoge beschränkten Charakter, mit anagogischen Mitteln Wege zu Phänomenen und Einsichten zu finden versuchen, die sich dem unmittelbaren Erleben entziehen. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Museum, mit dem Sammeln, dem Ordnen und Zurschaustellen kann dafür eine wichtige Quelle sein, auch wenn viele entsprechende Arbeiten polemischen oder ironischen Charakter haben. Denn, wie immer sie angelegt sind, so machen sie doch eines klar: Der prekäre Charakter von zu Anschauungsobjekten gemachten Gegenständen kann nur im immer wieder und erneut ausgeübten Wechsel zwischen Betrachten und Beobachten aufgehoben werden und in dem Maße zu Einsichten und Erkenntnissen sowohl über die Bedeutung der einzelnen Objekte als auch der Sammlungen und den Umgang mit ihnen führen, wie diese verschiedenen Wahrnehmungsweisen bewusst vollzogen, das heißt aber, als
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sich wechselseitig bedingende Wahrnehmungsleistungen wiederum selbst beobachtet werden.15
15 Am Beispiel der Ready-mades von Marcel Duchamp ist dies womöglich am besten nachzuvollziehen. Denn die Ready-mades verweigern durch die Art ihrer Aufstellung – und nicht erst durch ihre Dekontextualisierung und ihre Ausstellung im Museum – den praktischen Gebrauch in den Funktionen, zu deren Erfüllung sie hergestellt wurden: Der Flaschentrockner hängt, das Fahrrad-Rad ist frei drehbar auf einem Schemel montiert, der Kleiderhaken ist am Boden befestigt und das Pissoir-Becken umgekehrt auf einen Sockel gestellt. Ganz abgesehen von der dadaistischen Polemik, beziehen die Ready-mades ihre andauernde systemsprengende Potenz daraus, dass sie ihre Verdinglichung im musealen Kontext unterlaufen, indem die Gegenstände schon durch die Art ihrer Aufstellung entfunktionalisiert sind und dies als Eingriff des Künstlers erkennbar ist. Die Ready-mades können daher eben so wenig allein auf ihre Eigenschaften als Industrieprodukte reduziert, wie andererseits den Kunstobjekten zugeschlagen werden, denn sie sind ja nichts als Industrieprodukte, die lediglich praktisch funktionslos gemacht wurden. So wird beispielsweise der Flaschentrockner durch das Aufhängen zwar praktisch unbrauchbar, doch bleibt, weil er dabei nicht materiell verändert wird, seine Eigenschaft als Arbeitsmittel nicht nur erkennbar, sondern wird in dem Maße, wie sie aufgrund der Präsentation nicht eingelöst werden kann, thematisch: Der hängende Flaschentrockner verlangt nach einer Erklärung. Diese kann aber nur darin bestehen, seine Funktion, Flaschen zu trocknen, zu bestimmen. Das heißt, gerade die ästhetische Wahrnehmung des hängenden Flaschentrockners bringt seine nicht-ästhetische, seine praktische Funktion zum Vorschein, und eben dadurch wird verhindert, dass er nur als ästhetisches Objekt wahrgenommen werden könnte. Ähnliches gilt, um ein weiteres Beispiel zu nennen, für das Pissoir-Becken. Dessen Funktion als Instrument muss die ästhetische Betrachtung notwendig rekonstruieren, gerade weil es Duchamp nicht im Sinne seiner praktischen Bestimmung, sondern umgekehrt und als „Springbrunnen“ ausgestellt hat. So mündet die Betrachtung der Ready-mades eben nicht in eine „Reflexion auf das bloße Dingsein des Dings“ (Imdahl), sondern vielmehr in der Frage nach dem Sinn des künstlerischen Eingriffs. Da dieser Eingriff rational nur mit dem Zweck erklärt werden kann, den Gegenstand außer Funktion zu setzen, bleibt der Betrachtung nichts als eine Reflexion eben dieses Außer-Funktion-Setzens, die eine Rekonstruktion der Funktion des Gegenstandes notwendig mit einschließt. Man könnte auch sagen: In
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Literatur Bredekamp, Horst: „Die Fenster der Monade“, Berlin: Akademieverlag 2004. Fehr, Michael: „Müllhalde oder Museum – Endstationen der Industriegesellschaft“, in: Michael Fehr/Stephan Grohé (Hg.): Geschichte, Bild, Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum, Köln: Wienand Verlag 1989, S. 182-194.
der Reflexion der Ready-mades als ästhetischen Objekten entwickelt sich ihr Charakter als Arbeitsmittel zwangsläufig neu; damit aber wird der Betrachter veranlasst, sie selbst als Arbeitsmittel zu nutzen, sich also selbst ihnen gegenüber geltend zu machen, etwa indem er sie – oder andere Gegenstände – in anderer Weise außer Funktion setzt und ihnen in anderen Zusammenhängen eine Funktion zuweist und damit als Gebrauchswerte erhält. Mit anderen Worten: Duchamps Ready-mades sind nicht auf das Museum als Ort ästhetischer Wahrnehmung angewiesen und können daher seine Sockel-Funktion dazu nutzen, Bedingungen, die außerhalb des Museums liegen, für die ästhetische Rationalität relevant zu machen. Vgl. Fehr, Michael: „Müllhalde oder Museum – Endstationen der Industriegesellschaft“, in: Michael Fehr/Stephan Grohé (Hg.): Geschichte, Bild, Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum, Köln: Wienand Verlag 1989, S. 182-194. Jüngere Beispiele für künstlerische Strategien, die die grundlegenden musealen Ordnungsformen reflexiv werden lassen sind zum Beispiel: (Radikalisierung des Sammelns nach einem Kriterium): Broodthaers, Marcel: „Toile noire avec oeufs blancs“, 1965/66; Sandfort, Bernhard: „Das Museum der Fragen“, 1980 ff; (Radikalisierung des äußeren Rahmens): Distel, Herbert: „Schubladenmuseum, 1970-77, Museen der Museen: Sammlung Ludwig“, 1975, Filliou, Robert: „Museum auf dem Kopf“; (Radikalisierung des inneren Rahmens): Badura, Michael: „Klumpenmuseum“, 1970, und „Bleiprobensammlung“, 1971; (Rekontextualisierung von Sammlungen/einzelnen Objekten): Haacke, Hans: „Manet-Projekt“, 1974; Spoerri/Plessen: „Musée Sentimental“, 1988 ff; (Anwendung wissenschaftlicher Methoden am vermeintlich Ungeeigneten/Entwicklung neuer Sammlungsstrategien): Liptow, Hilmar: „Mein van Gogh-Museum“, 1980-1990; Dion, Mark: „Thames-Dig“, 2003; (Wörtlich nehmen von Ordnungssystemen): Dion, Marc: „Arche“, 2001.
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Fehr, Michael: „Stichwort Museum“, in: Kritische Berichte, 04.2008, S. 7578. Franck, Georg: „Die Ökonomie der Aufmerksamkeit“, München Wien: Carl Hanser Verlag 1998. Imdahl, Max: „Die Zeitstruktur in Poussins „Mannalese“. Fiktion und Referenz“, in: Michael Fehr/Stefan Grohé (Hg.): Geschichte, Bild, Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum, Köln: Wienand Verlag 1989, S. 167-181. Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: „From Ethnology to Heritage: The Role of the Museum“, SIEF Keynote, Marseilles 2004, http://www.nyu.edu/ classes/bkg/web/SIEF.pdf. Sachs-Hombach, Klaus: „Konzeptionelle Rahmenüberlegungen zur interdisziplinären Bildwissenschaft“, in: Ders. (Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt: Suhrkamp Verlag 2005, S. 1120. Stoichita, Victor I.: Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, München: Fink Verlag 1998. Wilber, Ken: A Theory of Everything. An Integral Vision for Business, Politics, Science and Spirituality, Boston: Shambhala Verlag 2000.
Ordnung versus Theatralik? Überlegungen zu den Raum- und Strukturprinzipien der Wunderkammer G ABRIELE B ESSLER
E INE AHNUNG Dass wir überhaupt so etwas wie eine unmittelbare Anschauung einer historischen Kunst- und Wunderkammer haben, ist als einem der wenigen dem Augsburger Kaufmann Philipp Hainhofer zu verdanken. Bei seinem Besuch der im letzten Drittel des 16. Jh. gegründeten Münchner Kammer hält er 1611 in seinem Reisetagebuch fest: „Oberhalb der Stallung ist die Kunst Cammer, in die man durch doppelte Türen und einen kleinen Vorraum eintritt. Im Vorraum hängen Konterfeis etlicher geborner Narren und Närrinen. Darin werden jenseits eines mit 4 Türen versehenen Gätters gangweise, in den vier Theilen der Welt aufgereihte Tische sichtbar [...]. Noch im Vorraum steht ein viereckiger, bemalter Tisch, der an vier Seiten zu öffnen ist. Darin viererlei Instrumente, die man alle zusammen erklingen lassen kann. An dem Gätter hängt ein ziemlich großes, flach in Holz geschnittenes Paradeyss mit vielen schönen Tieren [und in einem Anflug eines damals leider noch wenig ausgebildeten konsvervatorischen Bewusstseins fügt er hinzu:] ist schad, dass manns nit mit einem glass bedeckht – [die Verf.]. Auf derselben Seite hängt auch eine gar große Schildkröte und oberhalb des Gätter steht eine Hydra mit 7 Köpfen, 2 Händen, 4 Füssen und 4 Schwänzen, ich glaube sie ist nachgemacht. Geht man durch das Gätter zum ersten Gang hinein, so ist dort ein Gestell
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mit gerissenen und in Kupfer gestochenen geometrischen, mathematischen, architektonischen Kunst-Büchern und auch anderen Inhalts, dazu etliche Holzschnitte von Bildern und Landschaften. […] Auf einem Tisch: ein korallener Bacchus auf dem Triumphwagen und drumherum tanzende Satyrn, unter dem Tisch ein Kalbskopf mit zwei Mäulern und 4 Augen, doch hat jeder Kopf nur zwei Ohren.1 […] Neben allen Tischen und in den Fenstern hängen von allerhand Meistern gemalte Bilder: Portraits von historischen Persönlichkeiten und Dichtern, und in der Reihe darüber solche von Päpsten und großen Potentaten...“2 Es folgt die Beschreibung von versteinerten Meergewächsen, exotischen Teppichen und Geschirr, korallenen Grotten, Zähnen von Walfischen oder der weiland der Herzogin Jacoba von Jülich gehörenden Pantoffeln – und vieles mehr. Schließlich bemerkt Hainhofer: „In der Wand ein gar großer Spiegel wie ein Kasten, worin man fast alles in der Kunstkammer Befindliche, sich selbst und auch andere daneben sehen kann.“3 Abbildung 1: Venezianischer Spiegel (16. Jh.) aus der Kunst- und Wunderkammer, Schloss Ambras. © Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlungen Schloss Ambras
1
Häutle, Christian: „Die Reisen des Augsburgers Philipp Hainhofer“ in: Zeitschrift des historischen Vereins Schwaben und Neuburg, 8.1881, S. 84f.
2
Ebd., S. 86.
3
Ebd., S. 95.
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I NS V ERHÄLTNIS
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SETZEN
Durch dieses seltene Zeugnis vermittelt sich etwas vom so wesentlichen Raum-Eindruck einer Kunst- und Wunderkammer – von dem, was gesammelt, und wie es formal ‚ausgestellt‘ wurde, nämlich offen einseh-, ja geradezu greifbar. Durch Hainhofers Rezeption erkennen wir, wie viele unterschiedliche Dinge numinos miteinander verknüpft einen eigenen Kosmos kreieren: einen Mikrokosmos im Makrokosmos. Dies ein immer wieder bemühtes, aber darum nicht weniger das adäquate Bild einer Wunderkammer, wie wir uns dank Hainhofer überzeugen können, führen wir uns etwa die Dimensionen vor Augen oder den Umstand, dass stets das große Ganze auch im Kleinen fokussiert wird: Da ist die nach den bekannten Erdteilen strukturierte Anordnung von Tischen mit unzähligen Exponaten unterschiedlichen Zuschnitts und Materials darauf und darunter, die übereinander hängenden Bilder an den Wänden bis hin zum Miniatur-Paradies – und schließlich der Zerrspiegel, der all die Vielheiten im Auge des Betrachters bündelt. Wenn wir auch den dieser Zurschaustellung zugrundeliegenden Plan nicht mehr werden vollständig entschlüsseln können, so belegt doch der Spiegel eindrucksvoll die kommunikative Struktur der Präsentation. Er ist es, der die Dinge und den erzählenden Betrachter für uns zueinander ins Verhältnis setzt. Durch Hainhofers Worte erhalten wir eine ungleich tiefere Ahnung von der Urform einer nordalpinen Wunderkammer als etwa durch das ebenfalls überkommene zeitgenössische, ca. 6.000 Objekte umfassende Inventar Johann Baptist Ficklers; faktisch eine zweifellos ebenso wichtige Quelle, weil sie uns etwa darüber informiert, dass in der Münchner Kunstkammer ungefähr 60 Tische aufgestellt waren. Dieses Zeitzeugnis aber blendet die eigentliche Präsentation und die so wesentliche Raumwahrnehmung vollkommen aus! So viel ist immerhin gewiss: auch wenn die Münchner Herzöge weniger als zum Beispiel die mediceischen – die mit der Uffizien-Tribuna zeitgleich eine sehr viel planvoller aufeinander abgestimmte Rauminszenierung initiierten – eine, so der Literaturwissenschaftler Wolfgang Braungart, „Einheit von Gelehrsamkeit und Forschung, Naturbeherrschung und imperialer Selbstdarstellung in Sammlungs-Architektur“ umsetzten, so haben wir es
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hier wie dort mit einer „gebaute[n] universaltropische[n], mikrokosmisch vollständige[n] Ordnung“ zu tun.4 Es sind jene eben diese Ordnung konstituierenden emblematischen Beziehungsgeflechte, die die historischen Wunderkammern zu äußerst komplexen räumlichen Projektionen von Weltvorstellungen machten. Annäherungsversuche durch die Forschung der letzten Jahrzehnte misslangen besonders dann, wenn die Universalität und Enzyklopädik – ein zur Entstehungszeit aktueller Begriff – der Wunderkammer anhand von feingliedriger Systematik skelettiert oder in bestimmte Sammlungsbereiche zerlegt wurde. Es liegt ja auch nahe, dass uns nach der Aufklärung der Blick auf die einstige universelle Systematik verstellt ist und als Widerspruch in sich erscheinen lassen muss. Kein Ding oder Bild umschreibt seither emblematisch definierte Zwischen-Räume, sondern die Sprache. Nicht zuletzt sprachliche Zuordnungen waren es auch, die seit dem 18. Jh. zur Ausbildung spezialisierter Museen führten, die dadurch mitnichten als Fortsetzung der Wunderkammern zu sehen sind, sondern als deren „Zerfallsprodukt“.5 Bei der Annäherung an die Wunderkammer ist also immer mitzudenken, dass eine diametral andere Weltvorstellung einen entsprechend differenten Umgang mit „Ordnung“ zur Folge hatte.
T HEATRUM Dennoch zählt der Arzt Samuel Quiccheberg mit seiner 1565 erschienen Schrift „Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi ..“6 nicht nur zu den Pionieren der Museumstheoretiker (im Übrigen ein Naturwissenschaftler wie all seine Nachfolger, die sich bis ins 17. Jh. auf diesem Felde umtaten), sondern gilt auch als Chronist zeitgenössischer Wunderkammern. Von der Theorie zur Praxis klaffte seinerzeit allerdings noch eine große Lücke, denn der in seinem Traktat entworfene Idealplan für ein „theatrum sapientiae“
4
Braungart, Wolfgang: „Die Utopie der Kunstkammer“, in Wolfgang Braungart: Die Kunst der Utopie. Vom Späthumanismus zur frühen Aufklärung, S. 113.
5
Legge, Astrid: Museen der anderen ‚Art‘. Künstlermuseen als Versuche einer alternativen Museumspraxis. Dissertation, RWTH Aachen 2000, S. 5.
6
Quiccheberg, Samuel: Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi .., München 1565.
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sollte in dieser Form nie realisiert werden, während einige der darin formulierten Usancen durchaus mancherorts Realität waren. Ein Dokumentalist der Münchner Verhältnisse jedenfalls war der seit 1559 im Dienste des Münchner Herzogs stehende Kustode nicht. Orientiert an dem Vorbild des Italieners Giulio Camillo und dessen „L’idea del theatro“ (1550 publiziert) schwebte Quiccheberg für die Zurschaustellung einer idealen Sammlung die „tektonische Assoziation eines Amphitheaters“7 vor, was zumindest auf eine grundsätzliche und inzwischen verbreitete Vorliebe für großräumige Präsentationsarchitekturen verweist. Abbildung 2: Giulio Camillo: Entwurf eines Theatro della Memoria, aus: L’Idea del Theatro, 1550
Mit der amphitheatralischen Form stand er jedoch im Gegensatz zu Camillo, der einen Tholos vorsah. Dessen Entwurf eines theatrum della memoriae (das wahrscheinlich nur als Holzmodell umgesetzt wurde), belegt gleichwohl eine Komprimierung auf einen einheitlich-überschaubaren Raum und den unverstellten Blick auf, in diesem Fall, emblematische Bilder; arrangiert entsprechend den sieben Segmenten der bekannten Planeten. Dadurch, dass der Betrachter gewissermaßen in der Orchestra – dem antiken Tanzplatz der Musen – steht, umgeben ihn die Ränge gleichsam als Welt, die sich aufbaut „von den spirituellen Grundlagen der Schöpfung
7
Roth, Harriet: Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat ‚Inscriptiones vel Tituli‘, Akademie Verlag, Berlin 2000, S. 261.
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aufwärts zum Mikrokosmos, der menschlichen Sphäre mit ihren Seelenkräften, ihrer Körperlichkeit, ihren Tätigkeiten der Selbsterhaltung und schließlich ihren produktiven Tätigkeiten, so dass jede Stufe eines Planetensegments andere Bedeutungen annahm, die wiederum durch mehrere Bilder ausgedrückt wurden“8, so die Beschreibung des Medienwissenschaftlers Peter Matussek. Auf der Bühne agiert also vorerst der Betrachter selbst. Quiccheberg griff die Theateridee grundsätzlich auf, sah seinerseits aber einen „großen, mit Bögen errichteten, ovalen Bau in der Form einer Wandelhalle“ vor, „von der Art, die die Einheimischen selbst in Basiliken […] Umgänge nennen, von hohen Stockwerken auf den vier Seiten gebildet“. Wegen der solchermaßen in den vier Himmelsrichtungen einsehbargebündelten Hallen, wollte Quiccheberg seinem theatrum „nach einer anderen Methode auch de[n] Namen Amphitheater beigeben“9. Fünf Sammlungsabteilungen, jetzt unterschiedlicher Dinge anstatt Bilder, sollten sich darin verteilen. Von einer zunächst ebenfalls zugrundliegenden planetarischen Ordnung à la Camillo rückte er zugunsten einer eher praxisorientierten, irdischen ab. Theoretisch sieht die Ordnung der Sammlungsabteilungen in Quicchebers Traktat so aus: Die 1. Klasse umfasst den Herrscher und sein Reich – ausgehend von der Geschichte des Christentums. Einseh- oder ablesbar in Form von Genealogien, Familienportraits usw., außerdem: Städteansichten, Weltkarten, Dokumente von Kriegen wie von festlichen Umzügen, Abbildungen von Tieren sowie Modelle von Gebäuden und Fahrzeugen. Die 2. Klasse beinhaltet Antiken und zeitgenössische Bildwerke aus Holz, Marmor, Ton und Erz. Kleinteilige Gold- und Silberschmiedearbeiten und Uhrwerke, handwerkliche Arbeiten aus Holz, Edelstein, Glas und Textilien. Handwerkszeug, Apparate und Gerätschaften, Münzen, Medaillen berühmter Männer und Frauen, Kupferdruckplatten. Die 3. Klasse vereinigt die drei Naturreiche: das Animalische, Vegetabile und Mineralogische. (Nass- und Trocken-)Präparate und lebensechte
8
Matussek, Peter: „Der Performative Turn: Wissen als Schauspiel“, in: Fleischmann, Monika/Reinhard, Ulrike (Hg.): Digitale Transformationen; Heidelberg Berlin 2004, S. 93; s.a. http://www.peter-matussek.de/Pub/A_57.html.
9
Roth, Harriet: Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat ‚Inscriptiones vel Tituli‘, Berlin: Akademie Verlag 2000, S. 261.
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Nachbildungen, Skelette, Tierfragmente, künstliche Körper usw.; einheimische und exotische Pflanzen – systematisch gegliedert. Früchte – getrocknet, als Seidenstickerei oder aus Metall gegossen sowie alle Holzgattungen, metallische Stoffe sowie deren Nachbildung, kostbare Steine, wie Marmor, Bodenproben, Farben und Farbstoffe sowie „chemisch relevante Wasser und Säfte“. In der 4. Klasse: Musikinstrumente und „mathematische“ bzw. astronomische Geräte sowie Uhren, dann Schreib- und Malutensilien, u.a. Fluggeräte, Spiele, technische Arbeitsmittel (z.B. für Fischfang), handwerkliche Instrumente, Waffen und Kleidung „ausländischer Völker“ sowie wertvolle Kleidungs- und Schmuckstücke der herzoglichen Familie (!) bzw. ihrer Vorfahren (von Puppen getragen). Die 5. Klasse legt Eckpunkte für eine Kunstsammlung fest, mit Tafelbildern, Ölgemälden, Aquarellen und besonderen Kupferstichen sowie genealogische Tafeln, Portraits berühmter Männer (der Wissenschaften) und Wappen. Die Abteilung umfasst Teppiche und Stickereien sowie schließlich Inschriften mit Sentenzen und Sinnsprüchen [sie waren beispielsweise bereits in den Studioli des 15. Jh. als Motti Teil eines ausgeklügelten Bildprogramms üblich]. Auf die Kunstkammer unmittelbar, aber separiert folgen sollten lt. Quiccheberg eine Bibliothek, eine Druckerei, eine Drechselwerkstatt, eine Gießerei und eine Prägestätte, schließlich ein Labor – womit er wiederum die schon in Italien eingeführte Praxis von Sammeln und Forschen aufgreift; sie sollte sich in vielen der nachfolgenden Wunderkammern durchsetzen. Die Einteilungen des Münchner Kustoden zeugen von ersten groben (Zu-)Ordnungskriterien, aber diese laufen noch der Realität der Kunstkammern des 17. Jh. weitestgehend voraus – sind also nicht allgemeingültig. Immerhin ist von einer weitgehend offenen Präsentation der Sammlungsabteilungen – wahrscheinlich überwiegend auf Tischen und an den Wänden – auszugehen, was sich als eines der wenigen Details mit Hainhofers Beschreibungen der real existierenden Münchner Kunstkammer deckt: eine theatrale Präsentation also, im Sinne einer sich zum Betrachter hin öffnenden Bühne oder, vielleicht besser, einer „Arena“ mit dem arrangierten Kosmos der Dinge. „Das Theater besitzt alle […] Möglichkeiten der
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Dramaturgie und Inszenierung, die Quiccheberg faszinieren […]“10. Dies ist zweifellos einer der Hauptaspekte, die auch andere realisierte Wunderkammern jener Zeit, sei es Ambras oder Dresden bis zu den Kammern niederrangiger Fürsten- bzw. Bürgerhäuser, auszeichnen.
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Im Gegensatz zu Hainhofers Schilderung einer existenten Wunderkammer spiegelt sich in Quicchebergs Theorie eine tiefer gehende Strukturierung der Sammlung und ihrer Präsentation. Erkennbar wird wohl eine Einteilung nach Gattungen. Aber differenzierendere Nomenklaturen, wie „Artificialia“ und „Naturalia“ als die beiden heute so vertrauten begrifflich gefassten Kammer-Hauptpfeiler, die ähnlich wie auch „Scientifica“ oder „Exotica“ die grobe Ordnung einer Wunderkammer zu umschreiben suchen, kamen erst 1680 durch Johann Daniel Major, seinem Nachfolger in Sachen Museumstheorie auf. Und doch werden sie in der Forschung auch den frühen Strukturen übergestülpt – in Verkennung der Realität. Erst Horst Bredekamp brachte eine zeitadäquate Reihung ein: „Naturform – antike Skulptur – Kunstwerk – Maschine… Diese Viererkette kann als ideale Ordnung jenes Sammlungstypus gelten […], dem die Spezialsammlungen ideell verpflichtet waren: der zwischen ca. 1540 und 1740 vorherrschenden, enzyklopädisch angelegten Kunstkammer. Jedes Mineralienkabinett, jede Bildergalerie und jedes Antiquarium war an der Kunstkammer als Gegenüber und herausfordernder Stimulanz orientiert.“11 Diese nur knapp differenzierende Viererkette lässt sich sowohl in Hainhofers Beschreibung als auch in Quicchebergs Entwurf ablesen! Auch die immer wieder beschworene Materialunterscheidung ist – wahrscheinlich mit Ausnahme von Ambras (um 1570) – viel seltener als vielfach vermutet in den Wunderkammern selbst zum Tragen gekommen. Stattdessen diente sie besonders in den Inventaren (die übrigens oftmals Nachlassinventare waren) als Systematisierungsversuch, also dazu, Dinge
10 Roth, Harriet: Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat ‚Inscriptiones vel Tituli‘, Berlin: Akademie Verlag 2000, S. 261. 11 Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube, Berlin: Wagenbach Verlag 1993, S. 33.
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überhaupt zu identifizieren – unabhängig davon, ob es sich um solche für fürstliche oder gleichzeitig existierende patrizische Einrichtungen handelte.
O RDNUNGSMODULE In der 5. Abteilung der „Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi“ (in den sogen. „Disgressiones“) sind hier und da als Aufbewahrungs- bzw. Präsentationsmöbel „Ledlein“, Kästen, Schachteln und etliche Arten von offenen Repositorien, also Regale genannt – aber auch Schreine und Schränke. Letztere hat man sich wohl am ehesten als miniaturisierte Architekturen vorzustellen, etwa in Gestalt eines Triumphbogens nach antikem Vorbild. Die Zeit der „Ledlein“, also Truhen, indessen war mit dem Aufkommen der Kunst- und Wunderkammern (wir sprechen von der Zeit zwischen 1560 bis ca. 1650) weitgehend vorbei; kennzeichneten diese doch mittelalterliche Schatzkammern und die darin solchermaßen verschlossen aufbewahrten Pretiosen. Schon die Realität in München sah ja offenbar anders aus. Andernorts griffen ganz allmählich neben Tischen und „Taffeln“ offeneinsehbare Schränke oder Repositorien bzw. Almare als „Konkretisierer“ von Sammlungsgruppen oder für kleinere Dinge Platz. Die Häufung, ja Konzentration von sogenannten „Cästen“, wie speziell in Ambras, wird aber eher eine Ausnahme gewesen sein und lässt keinen automatischen Rückschluss auf die Dominanz dieser Möbel in allen unmittelbar nachfolgenden Kammern zu. So setzte Rudolf II. in Prag – Neffe des AmbrasGründers Ferdinand II. von Tirol – in seiner um 1580 gegründeten Kunstkammer auf dem Hradschin (immerhin die größte und bedeutendste ihrer Zeit) beispielsweise wieder mehr auf Tische (und übrigens auch Truhen); dafür gab es verhältnismäßig wenig Almare. Während Schränke, geschlossene zumal, als Bewahr- und Ordnungsmodule erst im Zuge der aufkommenden „Schrankordnung“ (mit Beginn des 18. Jh.) mit der gleichzeitigen Einführung von Taxonomien eine Rolle spielen sollten, hatten solche in den italienischen Studioli des 15. Jh. eine andere Bewandtnis gehabt. In diesen, meist in die Wand eingelassenen, oftmals mit außen aufgebrachten, illusionistischen Intarsien versehenen Schränken, wurden solche Dinge verborgen gehalten, die für das bildnerische Gesamtprogramm des Raumes inadäquat waren. Erst in dieser zweiten Schicht – jenseits von Trompe l’œil-Landschafts- oder Stadtsilhouetten –
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kamen mit dem Öffnen greifbare Dinge und Kostbarkeiten bar jeglicher Systematik ans Licht.
Z UGANG Wunderkammern waren zwar sicher keine im heutigen Sinne öffentlich zugänglichen Sammlungen, aber esoterisch und abgeschlossen – wie etwa die Kammer Rudolfs II. – waren die wenigsten. Es galt ja schließlich Macht und Wissen nach außen zu repräsentieren. So stand etwa die Kammer der Landgrafen von Hessen-Kassel ab dem 17. Jh. ebenso jedem Interessierten offen, wie die Münchner. Hainhofer berichtet allerdings, dass die Besuchsmöglichkeiten eingeschränkt wurden, nachdem viele Objekte abhanden gekommen waren.
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ZWEITE
AHNUNG
Es gibt glücklicherweise die Gelegenheit, eine unmittelbare Anschauung vom Anfang und Endpunkt der Wunderkammerentwicklung zu erhalten – sogar in situ. In der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Sie dokumentiert, wie in einem Hohlspiegel, den geschilderten theatralen Anfang bzw. Höhepunkt bis zum „geordneten Rückzug“ der einstigen Weltbildinszenierungen. Die Hallenser Kammer ist 1995 am originalen Ort, mit dem weitgehend erhaltenen Mobiliar und den ursprünglichen Exponaten wieder eingerichtet worden. Annähernd so, wie sie fast 160 Jahre nach der Münchner (nämlich 1735) der Kustode Gottfried August Gründler als Sammler, Naturforscher und Künstler in der Nachfolge des Gründers und pietistischen Pastors Gotthilf August Francke eingerichtet hatte. Das Ergebnis war bzw. ist insofern bemerkenswert, „schuf er doch in außergewöhnlicher Personalunion ein in sich geschlossenes, installatives Gesamtkunstwerk“, das sich gleichermaßen an einem traditionellen „ästhetischen Programm und an einer zukunftsträchtigen Repräsentation von Wissen orientiert“.12 Seit der Wiedereinrich-
12 Beßler, Gabriele: Wunderkammer – Weltmodelle von der Renaissance bis zur Kunst der Gegenwart, Berlin: Reimer Verlag 2009, S. 146.
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tung der Kammer vermögen die Betrachter – u.a. nach Raumverkürzung, mit veränderter Deckenhöhe, Hinzufügung weiterer Repositorien und überschaubarer Dezimierung der Objekte – dem mutmaßlich ursprünglichen Erscheinungsbild recht nahe zu kommen: Sie treten ein in ein lebendiges Modell für das „In-der-Welt-sein“ ein – analog zu Camillos Tholos, wo sich die gedachten Ränge des Theaters als Welt um den Betrachter erhoben. Wohl nirgendwo sonst ist die Verklammerung des mikro- mit dem makrokosmischen Weltbild, der Totalen mit dem Detail anschaulicher nachzuvollziehen als in Halle. Abbildung 3: Matthias Beckmann: Kunst- und Naturlienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle, Zeichnung, 2006, © VG-Bildkunst
Abbildung 4: Geöffneter Animalienschrank in der Kunst- und Naturalienkammer. Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/B M 0500, Fotograf: Klaus E. Göltz
In sensibler Wahrnehmung des langgezogenen Raumgrundrisses im Dachgeschoss des ehemaligen Waisenhauses hatte Gründler für die ca. 4.700 gesammelten Objekte einst 16 verglaste Repositorien mit verschließbaren Unterschränken anfertigen und so einbauen lassen, dass der teils dämmrige, teils helle Lichteinfall optimal genutzt wurde; dies um nicht nur die in den
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Schränken separierten und zwischenzeitlich spezifizierten Sammlungsbereiche einigermaßen erkennen zu können, wie Mineralien oder Seepflanzen, oder auf der gegenüberliegenden Seite Artificialia oder Exotica usw., sondern auch die jeweils von ihm selbst bemalten, illusionistischen Bekrönungen oben an den Schränken: die bildlichen Abbreviaturen der jeweiligen Inhalte – damals wie heute wieder. Kontrastierend dazu hingen und hängen bzw. stehen/standen an den Wänden und in der Mitte des Raumes u.a. Gemälde, Kupferstiche, präparierte Tiere, Knochen, vier riesige Landschaftsmodelle sowie zwei Weltensysteme (geo- und heliozentrisch). Und genau mit diesen offenen Arrangements geht der Blick zurück auf den Anfang, auf die 200 zuvor entstandenen nordalpinen Wunderkammern, in die Zeit, als Dinge einem inhärenten Bildprogramm gehorchend, symbolisch verbrämt, offen im Raum präsentiert wurden. Gleichzeitig aber wird auch die nachfolgende Phase nachvollziehbar, in welcher die in enzyklopädischer Allumfassenheit, Kunst und Natur unhierarchisch abbildenden Dinge aus dem Raum differenziert in Schränke transferiert wurden. Diese hier ablesbare Trennung von Naturwissenschaft und Kunst ließ die einstigen Wunderkammern, diese Bühnenräume dreidimensionaler Bedeutungsvernetzungen, in Vergessenheit geraten. Von unschätzbarem Rang ist die Hallenser Wunderkammer also deshalb, weil hier die Zäsur, die jene Amnesie herbeigeführt hat, fassbar wird: die Schranktüren bzw. ihre Scheiben sind gleichsam das Scharnier, das die Weltbilder trennt – in die Welt der (sprachlichen) Ordnung (z.B. Naturalia nach Linné) diesseits und die der einstigen universellen Systematik jenseits.
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TURN
Eine konzeptuelle Anknüpfung an das frühneuzeitliche theatrum sapientiae oder theatrum memoriae ist am ehesten durch eine ganzheitlich-räumliche Herangehensweise möglich – ganz im Sinne des spatial und noch mehr des performative turn. Zur Unterstützung dieser These soll hier ein künstlerisches Beispiel aus der Gegenwart folgen. Auch dabei geht es um eine kommunikative Auseinandersetzung von Raum und Ding mit Betrachter/Zuschauer/Sammler. Es ist die Wandelskulptur „Paradies“ des Kölner Künstlers Boris Nieslony.
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Abbildung 5: Boris Nieslony: „Das Paradies“, wandelbare Installation, hier Variante über zwei Ebenen im KunstRaum Wunderkammer, Stuttgart, 2005, Foto: Gabriele Beßler, © VG Bildkunst
Die sich über mehrere Ebenen erstreckende, seit 1980 immer weiter ergänzte Skulptur/Installation ist im Ausstellungszusammenhang stets nur als Fragment zu sehen. Und doch kulminieren in diesen vom Künstler selbst arrangierten Ausschnitten die theoretischen, skulpturalen und visuellen Betrachtungen des täglichen Lebens. Die Skulptur hatte ursprünglich ihren Ausgangspunkt in einer Versuchsanordnung: von der Ebene eines Tisches ausgehend wuchs/wächst ein sich ständig erweiternder Organismus über Stufen in den Raum. Das ausgewählte, sichtbare Fragment einer jeden Ebene ist immer „Träger momentaner Bedeutung“, so Nieslony. Im „Paradies“ brechen sich Analogien Bahn sowohl zur Wirkungsweise des Gehirns mit seinen neuronalen Strukturen als auch zu den Netzwerken von Computer und Medien, Theorien der Schichtung, insbesondere veranschaulicht in den Wechselwirkungen zwischen Symbol und Materie sowie Materie und Gestalt, zur Gravitation von Bild und Begriff. Die sichtbaren Objekte sind gleichsam die Fruchtkörper eines sich jenseits des Visuellen fortsetzenden Mycels. Es steht inzwischen ein Fundus materiellen Vokabulars zur Verfügung, das sich rein mathematisch zu unzählbaren Varianten verknüpfen ließe. Aber auch durch das unmittelbar sichtbare „Paradies“ navigiert das Auge auf der Suche nach immer neuen Bedeutungskonglomeraten. Die Präsenz von Spulen, Spiegeln und Spangen in dieser gestuften Versuchsanordnung erinnern an ein alchemisti-
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sches Labor und ihre Kombination mit Artefakten an eine Momentaufnahme eines sich ständig wandelnden, erneuernden Prozesses. Abbildung 6: Boris Nieslony: „Das Paradies“, wandelbare Installation, Detail, Präsentation im KunstRaum Wunderkammer, Stuttgart, 2005, Foto: Gabriele Beßler, © VG Bildkunst
Als Performancekünstler interessiert Nieslony die Korrelation von Körper und Raum und, durch etliche erkenntnistheoretische Recherchen unterfüttert, jene von Bild und Raum: „Als Bild bezeichne ich jedes Ereignis, jede Situation, jeden Moment eines zeitlichen Ablaufs, der ein Analogon gleich welcher Art, gleich welchen Mediums erstellt.“ In Nieslonys variabler Installation spiegelt sich der „Kommunikationsbegriff mit seiner Bedeutung für Raumkonzepte, verweist er doch auf die Wechselseitigkeit von Struktur und Handlung (Anthony Giddens): „Raum vermittelt sich strukturell dem Handelnden als etwas Kommuniziertes; der Handelnde kommuniziert über die räumlichen Strukturen, erschließt sie durch die Bereitstellung von (auch materieller) Kommunikationsinfrastruktur und produziert räumliche Bezüge dadurch täglich neu“.13 13 Verklärung, Vernichtung, Verdichtung: Raum als Kategorie einer Kommunikationsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, XIV. Tagung des Arbeitskreises
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Zu den verstetigten Fassungen von Nieslonys Paradies-Organismus gehören theoretische Unterpfande – wiederum durchaus nicht zufällig in Tradition zur enzyklopädischen Wunderkammer und ihren oftmals angrenzenden Bibliotheken. Das eine ist die sogenannte „Schwarze Lade“ bzw. „Perforum“, wo Bücher, Schriften, Fotos, Zeugnisse und Herleitungen von Begrifflichkeiten Platz finden, wie sie das „Paradies“ als Labor des Blicks ausgrenzen. Die weitere Verzweigung des untergründigen Mycels des Wissens, Abteilung bildnerische und sprachliche Materialität, verbirgt sich in einer Art Kunstkammerschrank/Kabinett, worin sich jedoch an Stelle von Objekten, Bilder und Schriften befinden: im sogenannten „Anthroprognostischen Tafelgeschirr“. Bei Bedarf entfaltet sich der äußerlich monolithische Kubus und fördert unzählige Laden und Fächer zutage. In ausgesuchter Ordnung finden sich darin Reflexionen über menschliche Erkenntnisprozesse und darüber, wie es zu dieser oder jener Haltung kommt bzw. wie Wahrnehmung durch Wissen beeinflusst wird: Nieslony vereinte im „Tafelgeschirr“ Druckwerke, Schriften und persönliche Gedanken, die aus Lektüre und Beobachtung resultieren. Bilder und Texte liefern, analog zum „Paradies“ und den Dingen, Bausteine für ein frei kombinierbares System.
„K LARE T RENNUNG VON O BJEKT UND I NTERPRETATION “ 14 – D EPOT VERSUS S CHAUSAMMLUNG /W UNDERKAMMER UND M USEUM In Nieslonys „Paradies“ wird besonders ein Aspekt der Wunderkammer erkennbar, der hinsichtlich musealer Neukonzeptionen relevant ist: Die sichtbaren bzw. sichtbar zu machenden Dinge – die vielfältigen eines Mehrspartenmuseums allemal – sind Ausdruck einer vorangegangenen Handlung und bringen in individuell und aktuell arrangierten Kontexten
Geschichte + Theorie (AG+T), 27.2.-2.3.2003, Zusammenfassung v. Alexander Geppert et. al., S. 5, s.a. http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/ pdf/2003/042-03.pdf 14 Natter, Tobias G.: VLM Neu - Das museologische Konzept zur inhaltlichen und baulichen Neupositionierung des Vorarlberger Landesmuseums, Bregenz 2006, S. 9.
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neue Bedeutungszusammenhänge hervor. Neben dem Wissen um ihre zeitgebundene (einstige) Funktion der Dinge ist es diese Potenz, von der Besucher eines zeitgemäßen Museums Kenntnis erhalten sollten. Wenn intendiert, wären es vor allem die Kommunikationsstrukturen historischer Wunderkammern, die sich anzueignen lohnten – sie sind heute aktueller denn je. Diese holistischen Inszenierungen sind allerdings nur mit und in einer Schausammlung (im Sinne einer überschaubaren Bühne, im räumlichen Kontext) denkbar. Ein „Schaudepot/-lager“ usw. – und sei es auch noch so einsehbar – scheint jedenfalls am weitesten vom Wunderkammer-Gedanken entfernt. Stattdessen kann ein Depot gewissermaßen für das Mycel stehen, aus dem sich der Fruchtkörper Schausammlung (oder welcher Begriff auch immer adäquat erscheint) speist. Auf diesen untergründigen Humus mit all seinen Verzweigungen aber ließe sich weitgehend virtuell zurückzugreifen: Ein Touchscreen ermöglichte den Besuchern den Zugriff auf eine Datenbank und damit auf konkrete Informationen zur Identifikation der Dinge, zur Datierung usw. Im virtuellen Depot ließe sich somit die mögliche Tragweite des Wissens jenseits des Schauens ausloten. Das einzelne Ding würde als Bild extrahiert und so vielleicht gar von allen Seiten betrachtet werden können. Gleich, ob es sich dabei um ein Exponat der „Schausammlung“ oder einer Sonderausstellung oder um ein im aktuellen SchauZusammenhang verzichtbares, aber dennoch optisch relevantes Objekt handelt. Im virtuellen Depot wäre gleichsam die Ordnung der Sammlung verankert – wie in einem Inventar. In der Schausammlung aber sollten die Dinge gleichsam haptisch fassbar (d.h. räumlich-dreidimensional präsent) und vernetzbar, der Betrachter durch ihre Inszenierung im höchsten Maße affiziert sein. Wenn es gelänge, mit theatralischen Anleihen einer Wunderkammer den Erwerb von Wissen mit einer Ästhetik der Anschauung in Einklang zu bringen, wäre es auch zu Giulio Camillo und einer nunmehr individuell zugespitzten „Ordnung […], die den Geist aufmerksam erhält und das Gedächtnis erschüttert“15 nicht weit. Für ein Haus mit einer „universal“ angelegten Sammlung würde das allerdings bedeuten, aus einem Museum erst einmal wieder eine terra in-
15 Matussek, Peter: Der Performative Turn: Wissen als Schauspiel, in: Fleischmann, Monika/Reinhard, Ulrike (Hg.): Digitale Transformationen; Heidelberg Berlin 2004, Anm. 10.
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cognita zu machen, den Besuchern also zu suggerieren, Neuland zu betreten und eine substanziell andere Form der Wahrnehmung überhaupt erst (wieder-)entdecken zu können. „Man hat es“, so ein Fazit des Architekturkritikers Wolfgang Pehnt hinsichtlich der Architekturgeschichte, „keineswegs mit einer zielstrebigen Entwicklungsrichtung zu tun, die ein für allemal zu einer sauberen Scheidung der Epochen und Techniken geführt hätte. Sondern es handelt sich um Pendelbewegungen, bei denen Werte wie das geschlossene Gesamtbild, die Einheitlichkeit der Wirkung plötzlich wieder im Kurs steigen, nach vielen Jahren, in denen die Sezierer und Analytiker das Sagen hatten. Wie nennen wir diese abermalige Wendung? Ein englischsprachiger Begriff muss her, wenn die Sache ernst genommen werden soll, wie in iconic turn, spatial turn oder linguistic turn. Benennen wir es mit einem Begriff, den es in der alternativen Medizin schon gibt: holistic turn, die Wende zur ganzheitlichen Betrachtung und Erscheinung.“16
Literatur Beßler, Gabriele: Wunderkammer – Weltmodelle von der Renaissance bis zur Kunst der Gegenwart, Berlin: Reimer Verlag 2009. Braungardt, Wolfgang: Die Kunst der Utopie. Vom Späthumanismus zur frühen Aufklärung, Stuttgart: Metzler 1989. Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube, Berlin: Wagenbach Verlag 1993. Häutle, Christian: „Die Reisen des Augsburgers Philipp Hainhofer“ in: Zeitschrift des historischen Vereins Schwaben und Neuburg, 8.1881, S. 1-205. Legge, Astrid: Museen der anderen ‚Art‘. Künstlermuseen als Versuche einer alternativen Museumspraxis. Dissertation, RWTH Aachen 2000. Matussek, Peter: Der Performative Turn: Wissen als Schauspiel, in: Fleischmann, Monika/Reinhard, Ulrike (Hg.): Digitale Transformationen; Heidelberg Berlin 2004, S. 90-95.
16 Pehnt, Wolfgang: „Ein Ende der Wundpflege“, in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 19.11.2008; s.a. http://schlossdebatte.de/?p=301.
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Natter, Tobias G.: VLM Neu – Das museologische Konzept zur inhaltlichen und baulichen Neupositionierung des Vorarlberger Landesmuseums, Bregenz 2006. Pehnt, Wolfgang: „Ein Ende der Wundpflege“, in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 19.11.2008; s.a. http://schlossdebatte.de/?p=301. Quiccheberg, Samuel: Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi .., München 1565. Roth, Harriet: Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat ‚Inscriptiones vel Tituli‘, Akademie Verlag, Berlin 2000. Verklärung, Vernichtung und Verdichtung: Raum als Kategorie einer Kommunikationsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, XIV. Tagung des Arbeitskreises Geschichte + Theorie (AG+T), 27.2.-2.3.2003, Zusammenfassung von Alexander Geppert et al., s.a. http://www.ahfmuenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2003/042-03.pdf
Schaumöbel und Schauarchitekturen Die Geschichte des Ausstellens als Museumsgeschichte B ETTINA H ABSBURG -L OTHRINGEN
Schaumöbel und Schauarchitekturen: Wie beeinflussen sie die Bedeutung und Wirkungsweise von Objekten? Wie korrespondieren Schränke bzw. Vitrinen und Architektur in den unterschiedlichen Disziplinen mit den jeweils vorherrschenden Ordnungs- und Denksystemen? Taugen Möbel und Räume als Merkorte für die abstrakten Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens und die Entwicklung einzelner Disziplinen? Welches Selbst- und Institutionenverständnis der Verantwortlichen legen Schaumöbel und Raumkonzepte nahe? Was an Rezeptionsverhalten, Habitus, Aneignungsund Wahrnehmungsweisen schließlich, was an Machtanordnungen und rituellen Praktiken geben sie für welche Öffentlichkeiten vor? Es sind grundlegende museologische Fragen wie diese, die sich auftun, wenn man sich mit historischen und gegenwärtigen musealen Präsentationsmöbeln und Ausstellungsarchitekturen befasst. Die folgenden Ausführungen sind der untrennbaren Verbindung von Präsentationsgeschichte und Museumsgeschichte gewidmet: Die Geschichte der Schaumöbel und -achitekturen ist eine des Museums. Gehen wir zurück zu den Anfängen: Ab dem 15. Jahrhundert entstanden in ganz Europa Kunst- und Wunderkammern, Naturalien- und Raritätenkabinette als Orte des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Vermittelns. Aristokraten und Gelehrte versammelten in diesen Gegenstände, deren Kostbarkeit sich, relativ unabhängig vom Gebrauchswert, aus ihrer Exklusivität, einer besonderen künstlerischen Beschaffenheit, einer außergewöhnlichen oder bizarren Erscheinung schöpfte. Bis in das 17. Jahrhundert
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waren diese Kunst- und Wunderkammern dabei Konglomerate aus Künstlerischem, Technischem und Natürlichem: An Graphiken und Gemälde, Bücher und Texte antiker Autoren reihten sich Landkarten und Skulpturen, Mumien und Musikinstrumente, wertvolle Textilien, Schmuckstücke und Gefäße. Neben den Büsten bedeutender Persönlichkeiten aus Papiermaché und religiösen Kultgegenständen schichteten sich astronomische und mathematische Instrumente, Automaten und Münzen, verzierte Waffen und Totenurnen, Stadtmodelle und Arzneien. Die Natur war in Form getrockneter Pflanzen, gebleichter Muscheln und aufgespießter Insekten gegenwärtig. Sie überraschte mit Magensteinen, Tierzähnen und Bergkristallen, mit Adlerkrallen und Hirnschalen. Besonderen Gefallen rief auch die mit den Entdeckungsfahrten ins Bewusstsein geratene, neue Welt der außereuropäischen Naturen und Kulturen hervor. Von dort gelangten ausgestopfte Vögel und lackierte Reptilien oder die Statuetten fremder Götter in die Sammlungsräume, um dort als gegenständliche Zeugen bis dahin ungeahnter Existenzen und Realitäten zu wirken. Nicht nur die in späteren musealen Präsentationen als notwendig bzw. zwingend angenommene räumliche Trennung von Kunst, Technik und Natur blieb in den Kunst- und Wunderkammern ungeachtet, auch eine in den folgenden Jahrhunderten vorgestellte, unüberwindbare Opposition von Realität und Fiktion schien in ihnen wenig von Belang.1 In dieser Üppigkeit und Vielseitigkeit waren die Kunst- und Wunderkammern Spiegel der Welt, die man im komplexen Gesamtzusammenhang vermutete und als Bühnen und Archive des Universums anlegte, einen möglichst vollständigen Mikrokosmos zur Untersuchung der Welt bereitzuhalten. Die räumliche Umsetzung dieser Archive geschah je nach Ort und Zeit alles andere als einheitlich und bewegte sich zwischen dem Extrem einer spartanisch-kargen Stätte des zurückgezogenen Studiums und dem einer prachtvoll-repräsentativen Lokalität. Abbildungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen häufig geschlossene Räume, deren Gesamtwirkung durch die Anzahl und das Arrangement der Objekte in, auf und außerhalb
1
Vgl. zu den Kunst- und Wunderkammern: Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin: Wagenbach Verlag 2000; Grote, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Opladen: Leske und Budrich Verlag 1994.
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der Möbel, die Schaumöbel und Schränke selbst sowie die fallweise dargestellten Sammler und Besucher gleichermaßen bestimmt wurde. Bezüglich der Objektpräsentation erstaunt heute oft die Dichte, in der die Ausstellungsstücke vielfach auf engstem Raum gedrängt wurden. Bildliche Darstellungen lehnten zuhauf an den Wänden oder tapezierten vom Fußboden bis zur Decke reichende Flächen. Gegenstände fanden sich frei im Raum stehend, auf Tische gelegt oder hingen wie beispielsweise große Tierpräparate von der Decke, gern in der Nähe thematisch entsprechender Regale und Kredenzen, Schränke und Truhen, die entlang der Wände oder im Raum positioniert zur Präsentation und/oder Verwahrung der Sammlungsstücke dienten. War für viele frühe Kammern der freie Zugang zu den auf Tischen und in Regalen gezeigten Objekten bezeichnend gewesen, dienten die speziell entwickelten Schränke auch dazu, Zugang bzw. Einsicht gezielt zu verhindern und die Objekte durch eine im Inneren diffizile Struktur zu ordnen. Dem entsprechend beschreibt Anke te Heesen2 den oft reich verzierten Kabinettschrank als ein zentrales Möbel, auf dem, in dekorativer Weise angeordnet, größere Gegenstände lagen, während im Inneren kleinformatige Objekte in Schubladen und Fächern, mechanisierten Laden und Geheimfächern verwahrt werden konnten. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts trat neben den Kabinettschrank das „Repositorium“ – ein häufig gebrauchter Begriff, der Schränke, Regale und Abstelltische gleichermaßen bezeichnen konnte. In Abbildungen aus dem 18. Jahrhundert scheinen die Objekte zugunsten einer repräsentativen, dekorierten, mit Malerei und Bildhauerei ausgestalteten Architektur zunehmend zurückgedrängt. Die kleinteilig gegliederten Repositorien im prunkvollen architektonischen Rahmen verbargen ihre Inhalte weitgehend, das Universale der Sammlungen spiegelte sich nicht mehr in der Darbietung von Einzelobjekten, sondern in der Darstellung allegorischer Figuren. Der Sammlungsraum im 18. Jahrhundert glich, wie Robert Felfe darlegt, einer Bühne bzw. einem Theaterraum, in dem Mensch und Raum keine Einheit mehr bildeten.3
2
Vgl. te Heesen, Anke: „Vom Einräumen der Erkenntnis“, in: Anke te Heesen, Anette Michels (Hg.): Auf \ Zu. Der Schrank in den Wissenschaften, Berlin: Akademie Verlag 2007, S. 92.
3
Vgl. Felfe, Robert: „Umgebender Raum – Schauraum. Theatralisierung als Medialisierung musealer Räume“, in: Helmar Schramm/Ludger Schwarte/Jan Laz-
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Welches Selbstverständnis der Sammler und Betreiber spricht nun aus den erhaltenen Darstellungen der Kunst- und Wunderkammern und wie lässt sich ihr Verhältnis zum Publikum charakterisieren? Die Kunst- und Wunderkammern bedeuteten für die Besucher nicht nur eine Begegnung mit Objekten, sondern auch mit den Sammlern selbst. Diese traten als Gastgeber und Führer durch ihre Sammlungs- und Studienräume in Erscheinung, konnten mit den komplizierten Mechanismen im Innern der Schränke umgehen und schützten ihre teils fragilen Stücke vor den „unwissenden Händen“ des Publikums4. Die Sammler des 16. und 17. Jahrhunderts waren zudem vor allem Experten und Lehrer. Sie, und oft nur sie, kannten die Bedeutungen und Geschichten des Ausgestellten, das nicht für das selbständige und zufällige Entdecken im Vorbeigehen bereitet war. Entsprechend treten sie in erhaltenen Dokumenten immer wieder mit Zeigestock bewaffnet auf, deuten und erklären, besprechen und kommentieren mit lebhaften Gesten ihre Sammlungsstücke. Nach Stefan Siemer5 kam diese Vermittlungsarbeit dabei nicht nur den Besuchern zugute. Die Sammler nutzten die Anwesenheit interessierter und gleichgesinnter Experten, wissender und erfahrener Kollegen, um ihre eigenen Beobachtungen und Erkenntnisse zu diskutieren und die Ergebnisse des Austauschs als wichtigen Impuls zur Fortführung der eigenen Forschungsarbeit einzusetzen. Beginnend im späten 17. Jahrhundert scheint sich die Attraktivität der Kunst- und Wunderkammern in ganz Europa unwiederbringlich zu verlieren. Sie wurden aufgelöst, ihre Abteilungen auseinander genommen, weil ihre Objektbestände unvollständig, deren Zusammensetzungen unmotiviert und die Ordnungen disziplinlos erschienen. Man wollte die angesammelten Gegenstände nach neuen Prinzipien systematisieren und sie in die im 18. und 19. Jahrhundert in ganz Europa entstehenden öffentlichen naturwissenschaftlichen, historischen, technischen, kunstgewerblichen und ethnographischen Museen überführen. Was war geschehen? Es ist ein neues Welt-
darzig (Hg.): Theatrum Scientarium: Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert, Berlin: Walter de Gruyter Verlag 2003, S. 242. 4
Vgl. te Heesen, Anke, wie Anm. 2.
5
Vgl. Siemer, Stefan: „Die Erziehung des Auges. Zur Darstellung und Erfahrung von Natur in naturhistorischen Sammlungen der frühen Neuzeit“, in: www. kunsttexte.de – E-Journal für Kunst- und Bildgeschichte 1/2001, S. 2ff.
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bild, es ist die Moderne, die sich fordernd ankündigt, mit ihr die Vorstellung einer Welt des oberflächlich Sichtbaren und einer auf dieser Basis systematisch zu vergleichenden und zu beschreibenden Wirklichkeit. Den bestimmenden Impuls dieser Entwicklung gab eine junge, selbstbewusste Wissenschaft. Wiederum überzeugt von der Möglichkeit einer Annäherung an eine für alle verbindliche Wahrheit, gründete sich diese neue Wissenschaft auf den Gebrauch von Beobachtungs- und Messinstrumenten. Ihre Vertreter wollten sich mit dem Betrachten, Vergleichen und Analysieren weniger Dinge bescheiden, lernten einheitlich zu messen und zu berechnen, empirische Daten in neutrale Bezeichnungen, in ihrer Semantik beständige Zeichen zu transkribieren, immer auf der Suche nach Identitäten und Unvereinbarkeiten, nach allgemein gültigen Gesetzen. Dabei schlossen sie das Hörensagen, Geschmack und Geruch wie andere, in nüchterner und eindeutiger Form nicht zu fassende Kategorien konsequent aus. Die neuzeitlichen Wissenschaftler wollten gesicherte Strukturen etablieren, in die jedes Individuum integrierbar wäre, endlich Ordnung schaffen, vollständig und endgültig den Überblick der Wirklichkeit garantieren, die bald zur Gänze berechnet und am Ende kalkulierbar sein sollte. Diese neue Sicht der Welt zeigte sich im Museum deutlich: Für das Naturmuseum wurde Carl von Linné zum namhaften Protagonisten des Übergangs vom früh-neuzeitlichen Ort des Staunens und Experimentierens hin zu dem des wissenschaftlichen Erforschens dort konzentrierter Naturobjekte. Er verwies die Fabelwesen und Monstren der Sammlungen und schuf ein neues System des Regelhaften, Typischen und Ordnungsbelegenden für das Tier- und Pflanzenreich, das, wie Daniela Kratzsch6 es beschreibt, unter seinen Zeitgenossen zur Annahme führte, dass Gott die Welt zwar geschaffen, erst Linné sie aber geordnet habe. Fortan bestimmten ausladende Säle das Museum und die Annahme, dass wenige Forschergenerationen ausreichen würden, alle Natur darin zu versammeln. Auch die museale Präsentation von Kunst- und Kulturgeschichte spiegelte die Entwicklungen der Wissenschaften: In kunsthistorischen Museen trat an die Stelle ästhetischer Bewertungskriterien und des Wunsches nach
6
Vgl. Kratzsch, Daniela: „Natur in der Schublade“, in: Bodo-Michael Baumunk/Jasdan Joerges (Hg.): 7 Hügel_Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts, Bd. 2: Dschungel – Sammeln, Ordnen, Bewahren: Von der Vielfalt der Natur zur Kultur der Natur, Berlin: Henschel Verlag 2000, S. 104.
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optisch attraktiven Gesamtszenarien ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert die entwicklungsgeschichtlich orientierte Auswahl repräsentativer Werke mit dem Ziel eines enzyklopädischen Überblicks. Wissenschaftler interessierten sich nun für Komposition, Farbe und Lichtführung als Ausdruck künstlerischer Qualität, für Epochen, Schulen und die geographische Herkunft der Werke, welche die Abfolge der Räume bestimmen sollten. In den Geschichtsmuseen, die mit den Nationalstaaten im 19. Jahrhundert zu ihrer ersten Blüte gelangten, suchten Wissenschaftler die historischen Überreste entsprechend der modernen Idee der Meta-Erzählung neu zu strukturieren. Aus schriftlichen Quellen und gegenständlichen Zeugnissen sollte ein geschlossenes Bild des historischen Weltgeschehens offenbar werden, in Ursache und Wirkung miteinander verbundene Episoden bei genauer Betrachtung einen universalen und zielgerichteten Plan zu erkennen geben. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurde in historischen Ausstellungen auf diese Weise der Eindruck erweckt, dass die Vergangenheit nicht nur rekonstruierbar und in Texten objektiv beschreibbar, sondern mittels etikettenbestückter Objekte in seriellen Präsentationen auch faktisch darstellbar wäre.7 Anders wurden zur Darstellung volks- und völkerkundlicher Themen häufig ensembleorientierte Darstellungsweisen genutzt, die sich durch das weitgehende Fehlen chronologischer, typologischer, material- oder funktionsbezogener Systematisierungen sowie sprachlicher Kommentare auszeichneten und einen malerischen Eindruck einer Epoche entwerfen sollten.8
7
Vgl. Deneke, Bernward/Kahsnitz, Rainer (Hg.): Das kunst- und kulturwissenschaftliche Museum im 19. Jahrhundert. Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Passau: Prestel Verlag 1977; Fliedl, Gottfried (Hg.): Die Erfindung des Museums. Anfänge der bürgerlichen Museumsidee in der Französischen Revolution, Wien: Turia und Kant Verlag 1996; Joachimides, Alexis: Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880-1940, Dresden: Verlag der Kunst 2001; Mai, Ekkehard: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens, München: Deutscher Kunstverlag 1986; Graf, Bernhard/Möbius, Hanno (Hg.): Zur Geschichte der deutschen Museen im 19. Jahrhundert 1789-1918, Berlin: G+H Verlag 2006.
8
Vgl. Foerster, Cornelia: „Zwischen malerischen Präsentationen und historischer Dokumentation. Darbietungsformen, in: „Geschichtsmuseen des 20. Jahrhunderts“, in: Museumskunde 60/1995, S. 88ff.
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Für Natur, Kunst und Geschichte gleichermaßen wurden tempelartige, überzeitliche, zeitresistente Architekturen mit immensen Baumassen, ausladenden Treppenhäusern und großzügigen Kuppeln über zentralen Rotunden errichtet, auf die bis heute als die zentralen Charakteristika klassischer Museumsarchitektur Bezug genommen wird. Die Architekturen des 19. Jahrhunderts waren als würdevolle Rahmen für Ruhm, Größe und Fortschritt erdacht, auf Dauer angelegt, nicht aber auf Erweiterung. Für die zentralen Lichthöfen und die sie umgebenden großzügigen Ausstellungsräume waren Wechsel oder Expansion nicht vorgesehen. Und die Innenraumgestaltung? Die Aneignung der Welt in enzyklopädischer Form basierte auf der Vorstellung eindeutiger Kategorien und Klassen. Wie Hanno Möbius beschreibt, mussten sich diese mit dem rasanten Wissenszuwachs im 19. Jahrhundert bewähren. Immer neue Forschungserkenntnisse führten zur Ausdifferenzierung der Wissenschaften und in den Museen zu einer enormen Anhäufung von Belegen. Es tauchten Spezialgebiete mit eigener Fragestellung auf, und mit ihnen der Zweifel an der Möglichkeit, die Welt in Sälen, seien diese noch so groß, je fassen zu können.9 Eine Folge der stetig wachsenden Sammlungen war die sich in den Architekturen und Möblierungen zwangsläufig widerspiegelnde Abtrennung der Sammlungsdepots von den Ausstellungsräumen: Der klassische Sammlungs- und Präsentationsschrank des 18. Jahrhunderts, der im oberen Teil mit Glas versehen und im unteren Drittel mit einem durch Türen geschützten Stauraum ausgestattet war, wurde im Museum des 19. Jahrhunderts zur Vitrine, die ausgewählte Objekte der Natur, der Geschichte, der Völkerkunde und des Kunstgewerbe gleichermaßen in sich aufnahm und sich von ihren architektonischen Hintergründen zusehends unabhängig machte. Aus dem geschlossenen Schrank der Kunst- und Wunderkammer entwickelte sich also ein transparentes Depot, das die Objekte preis-, und ihre wissenschaftlich motivierte Ordnung in überblickender Betrachtung zu erkennen gab.10 Für einen Gutteil der Objekte, deren Aufbewahrung, Schutz sowie
9
Vgl. Möbius, Hanno: „Konturen des Museums im 19. Jahrhundert (17891918)“, in: Bernhard Graf/Hanno Möbius (Hg.): Zur Geschichte der deutschen Museen im 19. Jahrhundert 1789-1918, Berlin: G+H Verlag 2006, S. 14.
10 Vgl. te Heesen, Anke: „Geschlossene und transparente Ordnungen. Sammlungsmöbel und ihre Wahrnehmung in der Aufklärungszeit“, in: Gabriele Dürbeck/Bettina Gockel/Susanne B. Keller (Hg.): Wahrnehmung der Natur. Natur
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Bearbeitung durch die Wissenschaftler entstanden Depots und Labore, die, für das Publikum ohnehin nicht zugänglich, damit auch nicht auf Vermittlung hin angelegt werden mussten. Parallel zur wissenschaftlich motivierten Ordnung der Objekte in den Vitrinen wurde in den Museen dieser Zeit eine weitere Präsentationsform gepflegt. In den Naturmuseen kamen zur planmäßig aufgespießten und in sich ruhenden Natur anschauliche Zusammenstellungen von Dingen in Ensembles zum Einsatz: Dioramen. Diesen entsprechend wurden zu den industriellen Mustersammlungen, systematischen ethnologischen oder militärhistorischen Präsentationen rekonstruktive Tableaus und Themenräume entwickelt. Die Kunst wurde in Stilräumen mit Gemälden, Skulpturen und Kunstgewerben sinnfällig kombiniert, mit farbigen Wandbespannungen, Wand- und Deckenmalereien sowie plastischen Darstellungen ausstaffiert oder mit Blumenarrangements und passenden Möbeln dekoriert.11 Wie entwickelte sich indes das Selbst- und Institutionenverständnis der Museumsverantwortlichen? Mit dem Ausbau und der Diversifizierung des Museumswesens wurde der private Sammler zum Wissenschaftler im Museumshintergrund und der Staat zum Träger einer in mehrerlei Hinsicht „nützlichen“ Institution. Die Erforschung von Natur, Kunst und Geschichte und der Austausch darüber spielten sich nun hinter den Kulissen ab. Ziel der wissenschaftlichen Museumsarbeit war, den Erkenntnisstand der Disziplinen voranzubringen und die eigene Leistungsfähigkeit für das Publikum zu dokumentieren. Die Staaten und weitere öffentliche Trägerinstitutionen wollten mehr: mit Geschichte, Kunst, Natur und Technik Identitäts- und Orientierungsangebote bereitstellen, instrumentelles Wissen zur positiven Entwicklung von Landwirtschaft, Handwerk sowie Industrie und Sachwissen zur Alltagsbewältigung anbieten – sich selbst feiern. Wie Sharon McDoland ausführt, bezeugten die umfangreichen, wohlgeordneten Darstellungen, die propren Vitrinen- und Schubladenpräsentationen im prunkvollen architektonischen Rahmen eine kulturelle, moralische und technologische Überlegenheit der Museumsträger; und die Fähigkeit der Museumsverantwortlichen, Kontrolle, gleich ob über Natur, Geschichte oder andere
der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800“, Dresden: Verlag der Kunst 2001, S. 31f. 11 Vgl. Möbius, Hanno, wie Anm. 9, S. 19.
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Völker, auszuüben.12 Innerhalb der Disziplinen etablierte sich das Museum insofern als mächtige Instanz, als seine Verantwortlichen die Bedeutung und den Interpretationsrahmen, gleich ob für Kunst, historische Überreste oder Zeugnisse der Natur, fortan mitbestimmen sollten. Aus dem Besucher wurde im Museum das anonyme Publikum. Die oft genannte Öffentlichkeit, mit der die neuen Museen gern assoziiert werden, war erwartungsgemäß keine richtige. Zwar vergrößerte sich die Zahl jener, die Museen besuchte, weite Teile der Bevölkerung blieben aber außen vor.13 Eintrittsgelder, beschränkte Öffnungszeiten, Bekleidungsvorschriften folgten dem Modell: Einlass und persönliche Begleitung nur durch den Sammler. An die Stelle der lebendigen Vermittlungstradition der Kunstund Wunderkammern und der Möglichkeit zur Teilhabe am wissenschaftlichen Austausch trat im Museum das Sehen. Die gläsernen Schaumöbel gaben ihr Inneres ohne Vorbehalte und Einschränkungen preis und machten die Objekte sichtbar. Sie hielten die Betrachter aber gleichzeitig auf Distanz, wenn diese von außen oder oben, vom scheinbar privilegierten, weil den Überblick erlaubenden Standpunkt aus auf eine geordnete und geschlossene Welt blickten. Die Anschaulichkeit der klaren Gliederungen und eindeutigen Ordnungen objektivierte – so Sharon McDonald14 – die wissenschaftlichen Erkenntnisse für das Publikum, machte sie glaubwürdig, zwingend wahr, nicht hinterfragbar. Relativität und Zeitgebundenheit der Wissenschaft waren für das Publikum der Museen im 19. Jahrhundert kein Thema. Während die systematische Darstellung einen Vergleich zwischen Entwicklungen und Objekten provozierte, luden die ensemblehaften Darstellungen dieser Zeit dazu ein, die thematisch verbundenen Objekte im und ausschließlich im vorgegebenen Kontext zu interpretieren: eine Vereindeutigung im Sinne der Dekodierbarkeit und Merkbarkeit der Inhalte, die das Publikum aber die Mehrdimensionalität der Objekte vergessen ließ.15
12 Vgl. McDonald, Sharon: „Museums, national, postnational and transcultural identities“, in: www.le.ac.uk/ms/museumsociety.html – Museum and Society 1/2003, S. 3. 13 Vgl. Grasskamp, Günter: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums, München: C.H. Beck Verlag 1991, S. 18ff. 14 Vgl. McDonald, Sharon, wie Anm. 12, S. 3f. 15 Vgl. Möbius, Hanno, wie Anm. 9, S. 19.
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Eine maßgebliche Neuerung erfuhr die Museumsarchitektur und -gestaltung in den 1920er und 1930er Jahren mit einer Wendung ins SachlichFunktionale. Nach Frank Maier-Solgk16 entwickelte sich die Museumsarchitektur, vom Repräsentationsmittel zum Instrument, indem sie auf das Zitieren antiker Architekturen und damit auf große inhaltliche Gesten, absolute Gestaltungslösungen und den Anspruch ewiger Gültigkeit verzichtete. Sie wurde geschaffen um zu zeigen, zu genießen und zu studieren. Michaela Giebelhausen17 beschreibt die Eröffnung des Museum of Modern Art 1929 als Geburtsstunde des White Cube und als dominante Innovation im Bereich der Kunstpräsentation bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Inneren sollten nun nüchterne Räume, weiße Wände, monochrome Böden, funktionale Decken und flexible Lichtlösungen einen durchgängig-neutralen Wahrnehmungsrahmen im Dienst der Kunstwerke und ihrer Vergleichbarkeit garantieren. Die Distanzierung der Objekte von einer möglicherweise vorgegebenen Architektur unterstützten temporäre, adaptierbare, freistehende Präsentationsmodule, die es erlaubten, unabhängig von gegebenen Rahmenbedingungen die Aufmerksamkeit des Publikums auf bestimmte Werke oder Teilaspekte zu organisieren.18 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde eine breite Demokratisierungswelle der Kultur zum sichtbaren Thema in der Museumsarchitektur und Ausstellungsgestaltung. Mit dem in den 1970er Jahren eröffneten Centre Pompidou wurde architektonisch wie konzeptionell ein neuer Maßstab gesetzt und der ehrfurchtgebietende museale Präsentationsort als Ort der Kultur im weiteren Sinn, der Produktion, des Sammelns, der Vermittlung, des Konsums – mitsamt Cafe, Restaurant, Bibliothek, Kino und Konzertraum – neu definiert.19 In den Ausstellungsräumen zeigte sich die Demokratisierung der Kultur in einer weitgehenden Didaktisierung ab den
16 Vgl. Maier-Solgk, Frank: „Die neuen Museen“, Köln: DUMONT Literatur und Kunst Verlag 2002, S. 11ff. 17 Vgl. Giebelhausen, Michaela: „ Museum Architecture: A Brief History“, in: Sharon McDonald (Hg.): A companion to Museum Studies“, Oxford: Wiley Blackwell Verlag 2006, S. 231ff. 18 Vgl. Staniszewski, Mary Anne: The power of display. A history of exhibition installations at the Museum of Modern Art, Cambridge: The MIT Press 2001, S. 4ff. 19 Vgl. Giebelhausen, Michaela, wie Anm. 17, S. 233.
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1970er Jahren. In die objektbestimmten musealen Präsentationen hielten erklärende Texte und die Graphik ihren Einzug. Ein Bekenntnis zum Vermittlungs- und Bildungsauftrag der Institution Museum bezeugte auch die zumindest teilweise institutionelle Verankerung der Museumspädagogik, die es jedem Besucher, unabhängig von Herkunft, Bildung oder Geschlecht ermöglichen sollte, an dem im Museum vermittelten Wissen teilzuhaben. Ab den 1980er Jahren trat im Bereich der Kunst eine zitierfreudige und inszenierungslustige Architektur in Erscheinung, eine, die nicht mehr dienend und funktional sein wollte, sondern was da war kombinierte, ironisierte, brach und als erstes Ausstellungsobjekt die Aufmerksamkeit auf sich zog. Ab den 1990ern folgte die Museumsarchitektur im Wesentlichen zwei Trends: Zum einen war sie spektakulär und beeindruckte durch ungewöhnliche Fassaden, irreguläre Baukörper, teure und überraschende Materialien. Funktionalität schien hier oft zweitrangig. Zum anderen pflegten Architekten eine neue Einfachheit, entstanden Bauten, die funktional und reduziert durch schlichte Formen und Materialien und zurückgenommene Eleganz bestachen. In beiden Fällen waren diese Museumsarchitekturen bedeutungsvoll und großzügig: das in ihnen Gezeigte musste mit dem Raum in Beziehung treten, der Raum bestimmte die Wirkungsart der Objekte in neuer Weise mit.20 Blickt man auf die Präsentationssprachen ab den 1980er Jahren scheint die Geschichte bzw. Kulturgeschichte interessant, wo alternativ (und parallel) zum distanziert-aufklärerischen Präsentationspurismus der klassischen musealen Präsentationen und den didaktisierten Darstellungen der 1970er Jahre ein neuer Typ der inszenierten Ausstellung entstand, in der die Exponate nicht mehr zu rekonstruktiven Szenerien verbunden, sondern mit audiovisuellen Medien, Kunst, gestalterischen und architektonischen Maßnahmen zu selbstevidenten Ensembles arrangiert wurden. Hinter dieser Entwicklung stand eine neue Skepsis gegenüber all jenen Konstrukten, die die Anfänge des Museums so positiv begleitet haben: das Fortschrittsdenken und die großen geschichtsphilosophischen Konstruktionen, die Idee der einen Wahrheit, die klare Trennung von Traum und Wirklichkeit, Realität und Fiktion oder Hoch- und Populärkultur.21 Um die Rela-
20 Vgl. Maier-Solgk, Frank, wie Anm. 16, S. 13. 21 Vgl. Korff, Gottfried: „Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der ,alten‘ Bundesrepublik“, in: Alfons Bier-
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tivität und Fragwürdigkeit dieser Konstrukte, also mehr als das Objekt zu zeigen, bedurfte es mehr als nur wohlfeile Schränke: Natürlich wurden Vitrinen und Innenarchitekturen nach wie vor benötigt, um zu rahmen und zu schützen, zu ordnen, zu strukturieren, Parcours und Abläufe zu definieren. Möbel und Architektur gerieten aber zunehmend in die Funktion, den inhaltlichen Stoff auch interpretativ umzusetzen. Sie sollten einen Beitrag leisten, wenn es darum ging, Verfremdungen und Brechungen des Bekannten, Geschichte und Gegengeschichten zu inszenieren oder die Exponate in einer als gegenwärtig erkennbaren Struktur vorzuführen. Unterstützt wurden sie dabei von atmosphärischen Medien wie Farben, Tönen und Licht, die Stimmungen und so bestimmte Lesarten und Bedeutungszuschreibungen des Publikums provozierten. Die gebrochenen Geschichtsinszenierungen der 1980er Jahre haben einen Maßstab definiert, ihre Prinzipien wirken bis heute nach. Blickt man auf die Ausstellungen der letzten Jahre lässt sich festhalten: Vieles existiert parallel. Historische Präsentationsformen wie die der Kunst- und Wunderkammern sind eine fixe Bezugsgröße aktueller Ausstellungskonzeption und -gestaltung. Dauerausstellungen kommen gediegen klassisch daher oder geben sich, temporären Ausstellungen vergleichbar, thematisiert und inszeniert. Neue Professionen konzipieren und gestalten raumkompetent mit neuen Medien und Strategien. Es gibt, was es gab und mehr. Ich möchte abschließend kurz jene stark inszenierten, szenographierten Ausstellungen in den Blick nehmen, die in der Tradition der eben skizzierten Geschichtsinszenierungen der 1980er Jahre stehen und meiner Einschätzung nach am ehesten nennenswert Neues im Hinblick auf Schaumöbel und Schauarchitekturen mit sich bringen. In den letzten zehn Jahren sind abstrakte und gegenwartsbezogene Themen der Kultur- und Naturwissenschaften zunehmend zum Gegenstand von Ausstellungen in und außerhalb der Museen geworden.22 Die Herausforderung, gegenständlich schwer fassbare Themen in Ausstellungen zu
mann (Hg.): Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone: drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung. Versuch einer Bilanz und Standortbestimmung, Opladen: Vs Verlag 1996, S. 70. 22 Vgl. Habsburg-Lothringen, Bettina: „Was dem ‚bain des Risen‘ folgte. Ausstellungswirklichkeiten als Weltbilder“, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1/2007.
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visualisieren, ist dabei nicht ganz neu: durch „gläserne Menschen“, Fahrsimulatoren und begehbare Periodensysteme wurde schon früher versucht, wissenschaftliche und technische Innovationen verständlich zu machen und der Abstraktionstendenz in der Wissenschaft mit verständlichen Bildern zu begegnen. Gleich ob sich diese szenographierten Ausstellungen nun inhaltlich der Zukunft der Natur oder der Arbeit, der Gentechnik oder der Hirnforschung, der Gesundheit oder aktuellen Jugendkulturen, dem Klima- oder dem demographischen Wandel widmen, sie lassen sich dadurch charakterisieren, dass die traditionellen musealen Medien Objekt und Text – so es diese überhaupt gibt – nur noch gleichwertiger Bestandteil ihrer gestalterischen und künstlerischen Environments sind, die wesentlich durch Licht- und Klanginstallationen, Gerüche und Temperaturen, Tänzer und Schauspieler als lebende Ausstellungsprotagonisten, interaktive Elemente und mediale Angebote bestimmt werden. Im Hinblick auf die Frage nach der Entwicklung musealer Schaumöbel und Raumgestaltungen lässt sich festhalten: Für die begehbaren und benutzbaren (Erfahrungs-)Räume, die aus dem skizzierten Medienmix entstehen, braucht es keine Vitrinen. Mehr noch: sie sind tabu, wo sie die Betrachter auf Distanz halten und so ihr immersives Erleben stören könnten. Vitrinen sind auch dort nicht mehr notwendig, wo das Objekt Information und das Display Schaumöbel ist. Die Ausstellungsarchitektur nimmt mit neuen Funktionen im Rahmen dieser Ausstellungen neue Erscheinungsformen an: So ist sie häufig gleichwertiger Bestandteil der ganzheitlichen Bild- und Erfahrungsräume, die angelegt sind, als geschlossene, immersive Gegenwirklichkeiten die Intensität des Gezeigten zu steigern und das Publikum vorübergehend gänzlich in eine Darbietung einzubeziehen. Ebenfalls im Dienste der Immersion steht die Neutralisierung von Raum und Architektur. Für die Schaffung flexibler, atmosphärisch dichter und interaktiver Illusionsräume kann eine sich in den Vordergrund drängende Architektur, eigentlich jede Architektur, nur störend sein. Sie wird verdunkelt, in Farbe getaucht, zum Verschwinden gebracht und je nach Inszenierungsanforderung neu definiert. In einer weiteren Funktion unterstützt eine narrative, erzählende Architektur die Vermittlung der im Museum präsentierten Inhalte. Gutes Beispiel dafür ist nach wie vor das Jüdische Museum Berlin. Die Architektur „agiert“ hier als musealer Bedeutungsträger. Der schmucklos-nüchterne Baustil, der bewusste Verzicht auf standardisierte Raumformen, schräg wirkende Wände, tatsäch-
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lich ansteigende und geneigte Böden, spitze Winkel, perspektivische Verzerrungen und labyrinthische Gänge, fehlendes Licht, dramatische Wechsel von Hell und Dunkel, akustische Splitter aus dem Außenraum oder die gezielte Irritation des Gleichgewichtssinns provozieren Stimmungen, die mit den gezeigten Inhalten korrespondieren oder sie erfahrbar machen. Schließlich verliert die museale Architektur ihre Besonderheiten in einer weitreichenden Funktionserweiterung der Museen und einer Hybridisierung des Mediums Ausstellung: Die Integration von Cafes, Restaurants, Shops und Theatern in Museen sowie von Aquarien, Planetarien, Zoos und Kinos in Ausstellungen hat die Museums- und Ausstellungsarchitektur in der Weise verändert, dass sie sich nur noch bedingt von Shop- und ThemenparkArchitekturen unterscheiden lässt. Was sagen nun diese Entwicklungen über das Selbst-, Institutionen- und Publikumsverständnis der Verantwortlichen aus? Ausstellungen werden längst nicht mehr von Wissenschaftlern umgesetzt, die mit Objektverteilungsplänen bewaffnet Ausstellungsräume befüllen. Ausstellungen entstehen heute durch das Zusammenwirken vieler: Zu den Wissenschaftlern sind Kuratoren, Vermittler, Grafiker, Marketingfachleute, gegebenenfalls Museologen und Künstler und eine ganze Reihe bild- und raumkompetenter Professionen – vom bildenden Künstler bis zum Filmemacher – getreten, die das Medium Ausstellung auf der Basis ihrer vielfältigen beruflichen Sozialisationen und mit unterschiedlichen Rollenverständnissen als Schaufenster der Wissenschaft, als einen der Gesellschaft verpflichteten Ort der Bildung, als weiteres Freizeitangebot oder als räumlich-ästhetisches, künstlerisches Medium begreifen und umsetzen. Der Geschichte und dem Reglement der Institution Museum fühlen sich dabei viele Mitwirkende nur noch bedingt verpflichtet, und die Bedeutung gebende Macht der Institution wird ebenso kritisch hinterfragt wie die hergebrachten Rollen der Verantwortlichen und die des Publikums.
Literatur Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin: Wagenbach Verlag 2000.
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hunderts, Bd. 2: Dschungel – Sammeln, Ordnen, Bewahren: Von der Vielfalt der Natur zur Kultur der Natur, Berlin: Henschel Verlag 2000. Mai, Ekkehard: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens, München: Deutscher Kunstverlag 1986. Maier-Solgk, Frank: Die neuen Museen, Köln: DUMONT Literatur und Kunst Verlag 2002. McDonald, Sharon: „Museums, national, postnational and transcultural identities“, in: www.le.ac.uk/ms/museumsociety.html – Museum and Society 1/2003. Möbius, Hanno: „Konturen des Museums im 19. Jahrhundert (1789-1918)“, in: Bernhard Graf/Hanno Möbius (Hg.): Zur Geschichte der deutschen Museen im 19. Jahrhundert 1789-1918, Berlin: G+H Verlag 2006, S. 11-21. Siemer, Stefan: „Die Erziehung des Auges. Zur Darstellung und Erfahrung von Natur in naturhistorischen Sammlungen der frühen Neuzeit“, in: www.kunsttexte.de – E-Journal für Kunst- und Bildgeschichte im Netz 1/2001. Staniszewski, Mary Anne: The power of display. A history of exhibition installations at the Museum of Modern Art, Cambridge: The MIT Press 2001. te Heesen, Anke: „Geschlossene und transparente Ordnungen. Sammlungsmöbel und ihre Wahrnehmung in der Aufklärungszeit“, in: Gabriele Dürbeck/Bettina Gockel/Susanne B. Keller (Hg.): Wahrnehmung der Natur. Natur der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800“, Dresden: Verlag der Kunst 2001, S. 19-34. te Heesen, Anke: „Vom Einräumen der Erkenntnis“, in: Anke te Heesen, Anette Michels (Hg.): Auf \ Zu. Der Schrank in den Wissenschaften, Berlin: Akademie Verlag 2007, S. 90-97.
Das Schaudepot in der Praxis
Schaudepots – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit A NDREA F UNCK
Museen sind laut ICOM nicht auf Gewinn ausgerichtete, für das Publikum geöffnete, dauernde Einrichtungen im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung. Ferner haben sie zu Zwecken des Studiums, der Bildung und des Vergnügens die Aufgaben, zu sammeln, zu bewahren, zu forschen und auszustellen bzw. zu vermitteln. Um die satzungsgemäßen Aufgaben zu erfüllen, wählen Museen neben der bewährten Art – das Präsentieren ausgewählter Exponate in der musealen Ausstellung und das Lagern nichtgezeigter Objekte in Depots – auch seit kurzem eine neue Form der Präsentation, eine Verbindung von Lagern und Ausstellen: das Schaudepot. Doch was verbirgt sich hinter diesem Phänomen, für das sich in den vergangenen zehn Jahren mindestens 30 Museen in Deutschland, Österreich und der Schweiz entschieden haben? Vor dem Hintergrund der zahlreichen Schaudepot-Gründungen der letzten Jahre und der Tatsache, dass weitere in Planung sind, herrscht in Fachkreisen Unklarheit darüber, was Schaudepots in Abgrenzung zu musealen Ausstellungen und Depots eigentlich charakterisiert. Handelt es sich bei Schaudepots um Ausstellungen im „Storage-Stil“, wie die Bezeichnung vermuten lässt? Sind Schaudepots nicht vielmehr eine Mischung aus Präsentieren und Lagern? Oder lassen sich die satzungsgemäßen Aufgaben Bewahren, als vornehmliches Kennzeichen eines Depots und Ausstellen bzw. Vermitteln, als Merkmale einer Ausstellung, vielleicht gar nicht vereinen?
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Diese Fragestellungen boten den Anlass, sich dem Thema im Zuge einer Masterarbeit zu nähern. Ziel war es, Schaudepots im deutschsprachigen Raum in Abgrenzung zum musealen Ausstellen und Lagern zu charakterisieren sowie die unterschiedlichen Zielgruppen der neuen Präsentationsform zu definieren. Auf dieser Grundlage sollten ferner Vor- und Nachteile einzelner Schaudepot-Typen und mögliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Besucher abgeschätzt werden.
D EFINITION S CHAUDEPOT Unter dem Begriff Schaudepot versteht man im Allgemeinen eine, von den Museen selbst gewählte Präsentationsform, die von der schlichten Öffnung eines klassischen Depots für Besucher bis zur umfangreichen Inszenierung des Deponierens reicht. Neben dem Ausdruck Schaudepot werden in der Literatur und von den Museen selbst auch die Begriffe Schaumagazin, offenes Depot oder Schaulager verwendet. Im Zuge der Recherchen zeigte sich, dass es bisher keine ausführliche theoretische Aufarbeitung des Phänomens Schaudepot gibt. Vielmehr scheinen sich – entgegengesetzt des ersten Anscheins von Homogenität – viele verschiedene Arten von Schaudepots herausgebildet zu haben, je nach Gegebenheiten und Zielen der einzelnen Institutionen.
F RAGESTELLUNG UND U NTERSUCHUNGSMETHODE Da, wie einleitend aufgeführt, die Quellenlage nicht ausreichend ist, um eine Charakterisierung von Schaudepots vorzunehmen, sollte mit Hilfe einer Befragung der Verantwortlichen existierender Schaudepots, Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob die bestehenden Schaudepots Kennzeichen sowohl des Exponierens als auch des Deponierens aufweisen. Hierfür wurden zunächst die charakteristischen Merkmale von musealen Ausstellungen sowie von Depots herausgearbeitet, um bewerten zu können, ob bereits bestehende Schaudepots – wie es ihr Name suggeriert – Kriterien des Ausstellens sowie des Lagerns vereinen. Zu diesem Zweck wurden die Schaudepotleiter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach den Kennzeichen ihrer Schaudepots befragt. Die Experteninterviews
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sollten jedoch nicht nur Aufschluss darüber geben, ob die Schaudepots eine Mischung aus Ausstellen und Lagern darstellen, sondern sie erfassten auch inhaltliche Schwerpunkte, Ziele und Wünsche.
C HARAKTERISTISCHE K ENNZEICHEN EINER AUSSTELLUNG UND EINES D EPOTS Eine Ausstellung in einem Museum hat Merkmale, die sie als solche charakterisiert – ebenso ein Depot. Das Kennzeichen einer Ausstellung in einem (nicht kommerziellen) Museum ist, dass sie als sozialer Raum einen Ort der Kommunikation darstellt, in dem Begegnungen stattfinden. Daneben charakterisiert sie, dass Besucher zum Betrachten der Objekte und Studieren der Texte in der Regel frei umher wandeln können. Dabei wird die Ausstellungssituation von vier Elementen bestimmt: Sachverhalte (Botschaft), Vermittler (Sender), Ausstellung (Medium) und Besucher (Empfänger). Somit ist Ausstellen eine Form der Kommunikation zwischen dem Museum als sendende Instanz und dem Besucher als Empfänger der Botschaft. Das unterscheidet eine Ausstellung maßgeblich von einem Depot. Für ein Museumsdepot hingegen gilt generell, dass darin alle nicht ausgestellten oder verliehenen Exponate eines Museums gelagert und vor Schäden bewahrt werden. Ergänzend lassen sich weitere charakteristische Eigenschaften einer musealen Ausstellung und eines Depots definieren. Sie wurden in zehn Kategorien zusammengefasst und zum Gegenstand der Befragung.
I DEE /Z IEL Die Standards für Museen geben als eine der vier Kernaufgaben eines Museums die Bereiche Ausstellen und Vermitteln an. Dementsprechend verfolgen Museen die Absicht, mit Dauerausstellungen einen repräsentativen Querschnitt der eigenen Sammlung zu zeigen und in Wechselausstellungen weitere Themen vorzustellen sowie deren Inhalte zu vermitteln. Das Museumsdepot hingegen, als Ort der nicht-gezeigten Sammlung, hat im Wesentlichen die Aufgabe, die beherbergten Objekte über lange Zeiträume vor
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mechanischer Beschädigung, Staub, Licht, Insekten, Diebstahl, Wasserschäden u.a. zu schützen und sie in geordneter Form aufzubewahren.
Z IELGRUPPE / N Die Museen in Deutschland streben grundsätzlich mit ihren Ausstellungen an, alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten zu erreichen und zur aktiven Teilnahme an der Kultur zu ermutigen. Museumsdepots sind in der Regel nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
Z UGÄNGLICHKEIT Die Ausstellungsräume eines Museums sollten laut ICOM der Öffentlichkeit zu angemessenen, regelmäßigen Zeiten zugänglich sein. Da das Museumsdepot nicht für die Öffentlichkeit zu besichtigen ist, werden bei diesem natürlich auch keine allgemeinen Öffnungszeiten angegeben.
B ESUCHERBINDUNG Klassische Instrumente der Besucherbindung sind beispielsweise die Mitgliedschaft in einem Förderverein, öffentliche Veranstaltungen wie Führungen durch Ausstellungen, Lesungen oder Kurse. Daneben werden Interessenten durch Pressearbeit und Newsletter über die Aktivitäten in der Kultureinrichtung informiert und dadurch zu einem Besuch im Museum animiert. Dieses Merkmal trifft auf ein Museumsdepot nicht zu. Vielmehr versucht ein Museum, Besucher an die Ausstellungen zu binden, bzw. an die Institution im Gesamten.
R AUM -
BZW .
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Kennzeichen eines Museums ist das Vorhandensein verschiedener Räumlichkeiten mit unterschiedlichen Funktionen. So gibt es zum einen die Ausstellungsräume, in denen meist ein kleiner Teil der Sammlung gezeigt wird.
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Zum anderen benötigt ein Museum – wie bereits geschildert – Depots, in welchen alle Objekte, die ein Museum nicht öffentlich präsentiert, lagern oder Restaurierungswerkstätten, in denen sie bearbeitet werden. Daneben wird die Nutzung von Bibliotheken und Archiven angeboten. Das bedeutet, die Funktionen eines Museums spiegeln sich in der räumlichen Situation wider. So erfüllt eine museale Ausstellung im Wesentlichen die Funktionen des Ausstellens und Vermittelns. Trotzdem ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Museum aus räumlich getrennten Ausstellungs- und Depoträumen besteht.
O RDNUNGSKRITERIEN Die Objekte eines Museums sind in der Regel in Sammlungsgebiete eingruppiert, um damit eine Ordnung innerhalb der Sammlung zu schaffen und Zuständigkeiten festzulegen. Häufig spiegeln sich die Sammlungsgebiete in den Schausammlungen wider (z.B. archäologische Objekte, Textilien, Gemälde etc.). Verbreitet ist, in Dauer- sowie Sonderausstellungen Exponate verschiedener Sammlungsgebiete kombiniert zu präsentieren (z.B. Sonderausstellung zu einer geschichtlichen Epoche). Die Kennzeichen eines Depots hingegen sind, dass dort, wenn möglich, die Exponate nach konservatorischen und logistischen Merkmalen gelagert werden. Ästhetische Merkmale spielen in der Regel keine Rolle. So werden die Exponate häufig nach ihren Materialien in unterschiedlichen Räumen mit den jeweiligen Klimaanforderungen aufbewahrt. Zur optimalen Ausnutzung der Lagerflächen kann auch eine Einteilung nach Objektgröße bzw. Gewicht vorgenommen werden.
I NSZENIERUNG Unter einer Inszenierung versteht man eine Ordnung der Objekte nach ästhetischen Gesichtspunkten in einem Raum. Die Inszenierung beginnt mit der Verwendung von Vitrinen und Beleuchtung zur Präsentation der Exponate, der gezielten Auswahl von Vorhängen, Bodenbelägen, Wandfarben und Texttafeln bis zum Einsatz von szenographischen Mitteln, architektonischen Elementen, Räumen im Raum, Sitzgelegenheiten, Durchgänge, Ram-
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pen oder Soundeffekten. Im Gegensatz zu einer musealen Ausstellung bedarf es in einem Museumsdepot keiner Inszenierung. Der Grund hierfür ist, dass dort die Exponate gelagert werden und nicht für das allgemeine Museumspublikum zu besichtigen sind.
S CHUTZ VOR Z UGRIFF Die Exponate müssen innerhalb der Ausstellungen vor Zugriff, das heißt vor Beschädigung oder Diebstahl geschützt werden. Dies kann je nach Exponatgröße oder -beschaffenheit durch bauliche Maßnahmen wie Vitrinen oder Absperrungen (Geländer, Kordeln, Podeste), Alarmanlagen, aber auch durch Aufsichtspersonal erfolgen. Ein Museumsdepot muss selbstverständlich ebenfalls durch seine Gebäudestruktur die Exponate vor Zugriff schützen. Dies geschieht zunächst mit Hilfe von baulichen Maßnahmen (Sicherheitstüren und -schleusen, Alarmsicherung etc.). Die Objekte selbst müssen innerhalb der Depoträume in der Regel nicht mehr vor Zugriff geschützt werden, da die Zugänglichkeit beschränkt ist und jeder Nutzer normalerweise über ein so genanntes Besucherbuch verzeichnet wird. Die Folge hiervon ist, dass meist – abhängig von den räumlichen Gegebenheiten des Depots – offene Regale für die Lagerung der Exponate ausreichend sind.
M USEUMSPÄDAGOGISCHE ANGEBOTE Die Vermittlung stellt eine Kernaufgabe des Museums dar, denn durch sie wird der Kontakt mit der Öffentlichkeit hergestellt. Insbesondere museumspädagogische Programme laden dabei zum Dialog der Besucher mit den Objekten ein und stellen damit ein zentrales Element der musealen Vermittlung dar. Museumspädagogische Angebote sind unter anderem Führungen, Ausstellungsführer, Medienstationen, Audioguides und speziell ausgebildetes Personal. Diese Angebote werden innerhalb des Depots nicht benötigt.
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K ONSERVATORISCHE ANFORDERUNGEN Das Museum hat den Auftrag, Zeugnisse der Vergangenheit und der Gegenwart dauerhaft zu erhalten und für die Zukunft zu sichern. Das erfordert Maßnahmen der präventiven Konservierung in den Ausstellungen, wie die Klimatisierung des Ausstellungsraumes, wenn nötig auch der Vitrinen, die Reduktion oder den Ausschluss von Tageslicht und Schadstoffen. Merkmale der Maßnahmen sind, dass sie meist auf den ersten Blick für den Besucher nicht sichtbar sind (z.B. passive Klimatisierung in Vitrinensockeln, UV-Schutzfolien an den Fenstern), die Exponate aber trotzdem, auf lange Sicht ausgelegt, vor Schädigungen schützen. Sind die konservatorischen Anforderungen meist nicht vornehmliches Ziel einer musealen Ausstellung, so sind sie doch das wesentliche Kennzeichen eines Museumsdepots. Hier wirken sich – wie auch in der Ausstellung – zahlreiche Einflüsse aus der Umwelt auf das Gebäude (Naturgewalten, Zerstörung etc.), den Raum und somit auf den Erhalt der Exponate aus (Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Einflüsse durch Licht und Schadstoffe sowie Schädlinge). Im Depot sind außerdem Maßnahmen zum Erhalt der Exponate möglich, die in einer musealen Ausstellung nicht durchführbar sind. So können Objekte durch spezielle Verpackungen (Archivkartons, luftdichtes Einschweißen) oder Lagerung (liegende oder aufgerollte Textilien) vor Schädigung geschützt werden. Daneben wird man immer versuchen in einem Museumsdepot auf Grund seines schädigenden Einflusses (z.B. Ausbleichen von Farben, Risse durch Klimaschwankungen), auf Tageslicht zu verzichten.
AUSWAHL DER S CHAUDEPOTS
FÜR DIE
B EFRAGUNG
Diese charakteristischen Merkmale sollten, wie einleitend aufgeführt, abgefragt werden. Nachfragen beim Museumsbund, ICOM-Deutschland und dem Institut für Museumsforschung in Berlin ergaben, dass es bisher keine Aufstellung gibt, ob und wie viele Museen in Deutschland Schaudepots betreiben. Um dennoch möglichst viele Schaudepots für Interviews ausfindig zu machen, wurden zunächst Fachartikel nach Informationen zu Schaudepots ausgewertet. Dabei war festzustellen, dass in der vorhandenen Literatur meist nicht nur von Schaudepots in Deutschland berichtet wird, sondern
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auch aus Österreich und der Schweiz. Daneben wurden in einem weiteren Schritt Zeitungsmeldungen und Internetsuchmaschinen nach Berichten zu Schaudepots bzw. deren Homepages ausgewertet. Um das Thema einzugrenzen, wurden daraufhin nur Museen in die Befragung aufgenommen, die die Begriffe „Schaudepot“, „Schaumagazin“ und „Schaulager“ für ihre Einrichtung verwenden. 31 Museen wurden demnach in die genauere Untersuchung aufgenommen. Als erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass sich bisher vorwiegend Museen mit volkskundlichem, heimatkundlichem oder regionalgeschichtlichem Sammlungsschwerpunkt, Kunstmuseen und kulturgeschichtliche Spezialmuseen für die Einrichtung von Schaudepots entschieden haben. Naturkundliche Museen greifen hingegen weniger auf die Form des Schaudepots zurück; vermutlich auf Grund ihrer Studiensammlungen, die dem Schaudepot ähnlich sind. Von den 31 angeschriebenen Schaudepots sendeten 23 den ausgefüllten Fragebogen zurück. Drei Museen meldeten zurück, dass sie – entgegengesetzt der Recherchen – über kein Schaudepot verfügen. Fünf Museen gaben keine Antworten ab. Somit konnten 23 ausgefüllte Fragebögen für die weitere Auswertung verwendet werden.
E RGEBNIS Die Antworten der Umfrage wurden nun auf Kennzeichen des Ausstellens sowie des Lagerns untersucht. Dabei zeigte sich, dass nahezu alle Schaudepots eine Mischung aus Ausstellen und Lagern darstellen, da sie Kennzeichen sowohl des Deponierens als auch des Exponierens aufweisen. Zwei von 23 Schaudepots fehlten jegliche Merkmale des „Lagerns“. Ein Schaudepot wiederum wies kein Merkmal einer musealen Ausstellung auf. Bei der Auszählung fiel außerdem auf, dass die Schaudepots in unterschiedlicher Anzahl Kriterien des musealen Ausstellens und des Deponierens aufwiesen. Das bestätigt die Vermutung, dass es verschiedene Mischformen und somit Schaudepottypen gibt. Auf Grundlage der ausgewerteten Fragebögen wurde folgende Charakterisierung der Schaudepots in Abgrenzung zur Ausstellung und zum Depot vorgenommen: Schaudepottyp I (überwiegend Kennzeichen eines Depots), Schaudepottyp II (überwiegend Kennzeichen einer musealen Ausstellung) und Schaudepottyp III (ausge-
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wogene Kennzeichen beider), was zu jeweils unterschiedlichen Konsequenzen führt. So wird ein Schaudepot, das im Wesentlichen Merkmale eines Depots aufweist, Kennzeichen einer musealen Ausstellung, wie Besucherbindung oder Vermittlung, vermissen lassen. Dem entsprechend wird ein Schaudepot, das die Charakteristika einer musealen Ausstellung aufweist und somit viele Besucher hat, höheren Aufwand bzw. Kosten haben, die konservatorischen Anforderungen zu erfüllen. Neben den beiden Extremen liegen Schaudepots als Mischform dazwischen, die ebenfalls Vor- und Nachteile mit sich führen.
S CHAUDEPOTTYP I: D AS S CHAUDEPOT ALS „ BEGEHBARES D EPOT “ Bei diesem Typus handelt es sich um ein Schaudepot, das überwiegend die Kennzeichen eines Depots besitzt. Dem Besucher wird dadurch der Blick hinter die Kulissen ermöglicht, denn die Exponate sind nicht in eine Inszenierung eingebettet. In der Regel haben in diesen Schaudepots die konservatorischen Anforderungen eine vorrangige Bedeutung. Häufig sind die Objekte deshalb nach Materialien sortiert und/oder nach logistischen Aspekten (Größe, Gewicht). Sie können aber auch den fachspezifischen Sammlungsgebieten in der Sortierung folgen. Zu besichtigen ist dieser Schaudepottyp nur mit angemeldeten Führungen. Hierdurch dient er der Forschung als Grundlage, da Wissenschaftler und Studenten weitestgehend ungestört ihren Untersuchungen nachgehen können. Ferner ist es nicht die Intention der Betreiber, Besucher an das Schaudepot zu binden. Da es in einem Schaudepot solchen Typs keine didaktische Aufarbeitung gibt, liegt der museale Schwerpunkt auf der Schausammlung. Vorteile • Klimastabilität als Schutz für die Exponate; • Große Anzahl an Objekten kann besichtigt werden; dadurch kann der Besucher die Entwicklungsgeschichte bestimmter Objekte ablesen, zwischen unterschiedlichen oder auch ähnlichen Objekten vergleichen; • Geringere Kosten für die Reinigung und Instandhaltung der Exponate;
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Exponate können in speziellen Verpackungen gelagert werden; Geringere Kosten beim Bau und Einrichten des Schaudepots; Geringere Kosten im Unterhalt und für Personal; Keine Kosten und Mühen durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Marketing etc.; • Es wird in der Regel kein zusätzliches Depot benötigt. • • • •
Nachteile • Keine didaktische Aufarbeitung bzw. Informationen zu den Objekten; • Zusätzliche Kosten für museale Ausstellung; • Eingeschränkte Zugänglichkeit – keine Spontaneität für den Besucher; • Wiederholungsbesuche sind nicht zu erwarten; • Höhere Gefahr von Diebstahl, da die Exponate (meist) in offenen Regalen lagern; Aufsichtspersonal muss bei Führungen anwesend sein; • Eventuell versicherungsrechtliche Probleme auf Grund der ungeschützten Exponate; • Eventuell Schwierigkeiten mit der Finanzierung des Schaudepots, da für die Öffentlichkeit nicht uneingeschränkt zugänglich. Zielgruppen: Die Zielgruppen dieses Schaudepottyps I sind vorwiegend Wissenschaftler, Experten oder Studenten. Die Interessierten und Erholungssuchenden fühlen sich von diesem Schaudepottypus in der Regel weniger angesprochen, da es keine Zusatzinformationen zu den Objekten gibt. Vielleicht werden einige Personen dieser Gruppe ihre, beispielsweise durch eine öffentlichkeitswirksame Eröffnung, geweckte Neugier einmalig stillen. Daneben werden – nach sozialen Kategorien unterschieden – vermutlich eher Einzelpersonen oder Gruppen von Erwachsenen an den Führungen teilnehmen. Da sie sich meist nicht lange aufhalten, kaum Texte lesen und Ausstellungen rasch passieren, dürfte sie diese Schaudepotform ansprechen. Für Familien mit Kindern bzw. Schulklassen dürfte dieser Schaudepottypus nicht reizvoll sein, insbesondere weil interaktive Objekte fehlen und die offenen Regalsysteme große Disziplin erfordern.
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S CHAUDEPOTTYP II: D IE AUSSTELLUNG MIT „D EPOTCHARAKTER “ Das andere „Extrem“ sind jene Schaudepots, aus deren Antworten sich ergibt, dass sie wenige Merkmale des Lagerns, dafür aber umso mehr Charakteristika einer Ausstellung aufweisen. Um hierbei trotzdem einen Depotcharakter zu vermitteln, werden die Räume teilweise mit „depottypischen“ Lagersystemen eingerichtet, z.B. Planschränke, Hängegitter für Gemälde und Skulpturen. Die konservatorischen und logistischen Anforderungen sollten vorrangig sein. An erster Stelle steht, den Besuchern tieferen Einblick in verschiedene Themen zu gewähren, was durch Objektbeschriftungen, Begleittexte, gedruckte Ausstellungsführer u.a. ermöglicht wird. Daneben sind die Exponate nach Themengebieten oder ästhetischen Merkmalen sortiert und in Inszenierungen eingebettet. Durch regelmäßige, lange Öffnungszeiten wird vielen Menschen der Besuch ermöglicht – alle Zielgruppen sind erwünscht. Instrumente der Besucherbindung sind ebenfalls selbstverständlich. Vorteile • Zusätzliche Informationen zu den Exponaten; spricht viele Zielgruppen an; • Bindung der Besucher durch öffentliche Veranstaltungen, Führungen, Freundeskreis etc.; Chance erhöht sich, dass die Besucher wieder kommen; außerdem führt die stärkere Besucherbindung zu mehr ehrenamtlicher Arbeit und finanzieller Unterstützung (z.B. Spenden); • Inszenierung der Exponate ist spannend für Besucher; • Besucher können zwischen den Exponaten selbstständig umhergehen, da die Exponate in Vitrinen gezeigt werden; • Mehr Stiftungen/Schenkungen von Exponaten, da diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind. Nachteile • Hohe Kosten für das Museum durch klimastabilisierende Maßnahmen,
Reinigung, Personal und Diebstahlsicherung; • Höhere Belastung der Exponate durch dauernde Beleuchtung und wechselndes Klima; • Hohe Kosten für die Einrichtung, Vitrinen, Beleuchtung etc.;
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• Hohe Kosten für die didaktische Aufarbeitung, Informationen zu den Ob-
jekten etc.; • Der Besucher kann die Funktionsweise und Aufgaben eines Depots nicht
nachvollziehen; • Die aufwändige Präsentationsform macht ein „richtiges“ Depot erforder-
lich; • Konkurrenz zur Schausammlung.
Zielgruppen: Gruppen mit Kindern werden auf Grund der Inszenierung der Objekte Gefallen an diesem Schaudepottypus finden. Daneben fühlen sich sicher die „Interessierten“ und die Paare (ohne Kinder) angesprochen, denn diese bevorzugen es, eigenständig Informationen, wie Ausstellungsoder Objekttexte zu erhalten oder qualifizierte Führungen zu besuchen.
S CHAUDEPOTTYP III: S CHAUDEPOTS MIT GRÖSSTMÖGLICHER K OMBINATION AUS L AGERN UND AUSSTELLEN Als dritte Gruppe ist ein Schaudepottypus mit der größtmöglichen Kombination aus Lagern und Ausstellen definiert. Das bedeutet, bei diesem wurden ähnlich viele Kategorien als „Ausstellung“ und als „Depot“ gewertet. Die Kennzeichen dieser Gruppe sind nicht so deutlich, wie die der anderen beiden Schaudepottypen. Das dürfte insbesondere daran liegen, dass eben weder die Merkmale eines Depots, noch einer Ausstellung überwiegen. Vielmehr stellt jedes Schaudepot eine eigene Variante dar. Um Vor- und Nachteile des Schaudepottyps III aufzuzeigen, werden im Folgenden zwei mögliche Varianten vorgestellt. Unterschieden wird dabei anhand des Kennzeichens „Inszenierung“, da es sich um ein grundsätzliches Merkmal des Präsentierens handelt und somit an die These der Arbeit anknüpft.
S CHAUDEPOTTYP III A Der erste Typus ergibt sich durch die Vorgabe, Exponate in Inszenierungen einzubetten. Daneben werden bei diesem Typus die Objekte nach einer Mi-
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schung aus Ausstellungsthemen und konservatorischen Vorgaben sortiert. Ferner empfangen diese ihre Besucher nur mit angemeldeten Führungen. Die Bindung der Besucher wird bei diesem Typus dafür nicht verfolgt. Auch gibt es in diesem Schaudepottypus keine didaktische Aufbereitung der Exponate. Vorteile • Da es nur im Rahmen von Führungen zu besichtigen ist, kann das Depot die restliche Zeit regulär betrieben werden; • Keine Kosten für Instrumente der Besucherbindung; • Keine Kosten für didaktische Aufarbeitung der Exponate; • Geringe Kosten für klimastabilisierende Maßnahmen, da mit Führungen weniger Besucher kommen und der Zeitpunkt der Führungen wählbar ist. Nachteile Höherer Platzbedarf durch die Inszenierung; Höhere Kosten durch die Inszenierung; Weiteres Depot benötigt; Fraglich, ob Besucher öfter kommen, da keine zusätzlichen Angebote vorhanden.
• • • •
S CHAUDEPOTTYP III B Eine andere Kombination ergibt sich aus der Vorgabe, die Exponate nicht in eine Inszenierung einzubetten. Dieser Schaudepottypus hat regelmäßige Öffnungszeiten, weshalb auch die Bindung der Besucher und die didaktische Aufarbeitung erwünscht sind. Die Exponate sind, anders als bei Typ IIIa, nach konservatorischen Vorgaben sortiert. Vorteile • Kostengünstig und platzsparend; • Keine Kosten für zusätzliches Depot; • Keine Kosten für Inszenierung.
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Nachteile • Höhere Kosten für Instrumente der Besucherbindung; • Höhere Kosten für didaktische Aufbereitung; • Höhere Kosten für klimastabilisierende Maßnahmen durch höheres Besucheraufkommen; • „Normaler“ Depotbetrieb nur vor oder nach den Öffnungszeiten möglich. Zielgruppen: Mit dem Schaudepottypus III sollen alle Zielgruppen angesprochen werden, das bestätigt auch die Auswertung der Fragebögen. Je nach Kombination der Kennzeichen dürften sich jedoch unterschiedliche Personenkreise angesprochen fühlen. So werden sich insbesondere Kinder von einem Schaudepot, das auch didaktische Mittel bereitstellt, angesprochen fühlen.
F AZIT Schaudepots in Deutschland, Österreich und der Schweiz vereinen, wie mit Hilfe der Auswertung der 23 Fragebögen bewiesen, tatsächlich Merkmale des musealen Ausstellens und Lagerns. Allerdings zeigte sich bei dem Versuch einer Charakterisierung, dass sich nicht nur eine Kombination aus Exponieren und Deponieren bilden lässt, sondern es nahezu so viele Möglichkeiten wie Schaudepots gibt. Trotzdem lassen sich drei Typen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie den Auswirkungen auf die Zielgruppen herausarbeiten: Schaudepottyp I ist gekennzeichnet davon, dass es sich im Wesentlichen um ein reguläres Museumsdepot handelt – im Gegensatz zu diesem aber durch angemeldete Führungen für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Dieser Schaudepottypus zeigt dadurch „echte Depotarbeit“, wodurch von einem tatsächlichen Blick hinter die Kulissen gesprochen werden kann. Zielgruppen dieser Präsentationsform, die mit dem Begriff „begehbares Depot“ beschrieben werden kann, sind auf Grund fehlender museumspädagogischer Zusatzangebote überwiegend Wissenschaftler, Studenten oder Experten sowie Erwachsene als Gruppen oder Einzelpersonen. Vorteil dieses Typs ist, dass er, im Gegensatz zu den beiden anderen Schaudepottypen kostengünstig in der Einrichtung und dem Betrieb ist. Allerdings handelt es sich auf Grund dieser Merkmale vorrangig um ein Depot. Merkmale des musealen Ausstellens, insbesondere das Präsentieren, sind kaum oder gar
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nicht sichtbar. So sind die Zielgruppen relativ eingeschränkt, insbesondere für Kinder ist ein Besuch weniger geeignet. Daher stellt sich für diesen Depottypus die Frage, ob man ihn tatsächlich Schaudepot nennen sollte. Vielmehr bietet sich die Bezeichnung „begehbares“ oder „offenes Depot“ an. Bei Schaudepottyp II sind die Kennzeichen einer Ausstellung vorrangig, weshalb hier von einer „Ausstellung mit Depotcharakter“ gesprochen werden kann. So gibt es hier museumspädagogische Angebote. Ferner sind die Exponate inszeniert. Publikum, das an diesem Typus Gefallen findet, besteht aus Schulklassen, Familien mit Kindern sowie Personen, die Genaueres über die Objekte erfahren wollen. Nachteilig sind die hohen Kosten für die Einrichtung, den Betrieb sowie ein zusätzliches Depot. Daneben könnte dieser Schaudepottypus zu einer Konkurrenz für die Schausammlungen des Museums werden. Schaudepottyp III stellt die größtmögliche Mischung der Kennzeichen von Ausstellen und Lagern dar. Allerdings kann dies leicht dazu führen, dass Dinge auf der Strecke bleiben, was an zwei Varianten versucht wurde zu verdeutlichen. So handelt es sich bei Schaudepottyp IIIa um ein Depot mit inszenierten Objekten und didaktischen Angeboten, was eine breitere Öffentlichkeit und die Zielgruppen des Schaudepottypus II anspricht. Dafür ist der Besuch nur mit geregelten Führungen möglich. Außerdem wird auf Grund der kostenintensiven und der platzintensiven Präsentation ein zusätzliches Depot benötigt. Schaudepottyp IIIb zeigt seine Objekte wie Schaudepottypus I ohne Inszenierung, weist hingegen geregelte Öffnungszeiten auf. Vorteil hierbei ist, dass kein zusätzliches Depot benötigt wird. Die Zielgruppen ähneln denen des Schaudepottyps I. Aber darin liegt auch die Schwierigkeit bei diesem Typus – im Gegensatz zu den beiden vorherigen – können Zielgruppen weniger deutlich bestimmt werden. Ferner lässt die Mischung häufig Entscheidungskriterien vermissen. Es stellt sich die Frage, ob beispielsweise bei Schaudepottyp IIIa es überhaupt möglich bzw. sinnvoll ist, Objekte zu inszenieren, dafür aber keine didaktische Aufbereitung anzubieten. Somit birgt die größtmögliche Mischung aus Ausstellen und Lagern wie im Schaudepottyp III Chancen, aber auch Schwierigkeiten. In der Kombination steckt zwar die Möglichkeit, eine neue Form der musealen Vermittlung zu schaffen, allerdings handelt es sich dabei um eine feine Balance, die es auszutarieren gilt.
Das Schaumagazin Übermaxx des Übersee-Museums Bremen W IEBKE A HRNDT
E INLEITUNG Das Übersee-Museum ist ein Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde. Die Sammlungen datieren zurück bis ins 18. Jahrhundert, wobei zahlreiche ethnographische Sammlungen aus China, Ägypten und Amerika erheblich älter sind. Insgesamt umfasst die Sammlung mehr als 1,2 Mio. Objekte. Das Museum wurde 1896 in einem extra hierfür errichteten Gebäude gegründet. Seit der Erweiterung im Jahr 1911 wird es durch zwei 17 Meter hohe Lichthöfe geprägt, um die herum über drei Stockwerke Galerien angelegt sind. Das Haus hat eine Ausstellungsfläche von fast 10.000 qm. Als das Museum gegründet wurde, hatte Bremen keine Universität mit eigenen universitären Sammlungen, und im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen basiert es auch nicht auf der Raritäten- und Wunderkammer eines Herrscherhauses, ist Bremen doch eine Freie Hansestadt. Stattdessen richtete sich das Museum von Anbeginn an die allgemeine Öffentlichkeit. Die Idee war, die ganze Welt im musealen Mikrokosmos zu präsentieren, wobei der Fokus auf jenen Weltgegenden lag (und liegt), mit denen die Bremer Kaufleute Handel trieben. Daher war und ist das Übersee-Museum Teil von Bremens gelebter Identität und zugleich Spiegel dieser Identität als eine aufgeschlossene, international ausgerichtete Handelsstadt. Seit dem Jahr 2000 befindet sich das Museum in einem kontinuierlichen Prozess der Renovierung und Neukonzeption seiner Ausstellungen: Im Jahr
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2003 wurde „Ozeanien – Lebenswelten in der Südsee“ im ersten Lichthof eröffnet. 2006 folgte im zweiten Lichthof „Asien – Kontinent der Gegensätze“. In den neuen Ausstellungen werden die Sammlungen in einem interdisziplinären Konzept präsentiert: Natur, Kultur und Wirtschaft formen eine Einheit. Die neuen Ausstellungen sind nach Kontinenten, also geographisch gegliedert, innerhalb der einzelnen Ausstellungsbereiche werden Themen, nicht Regionen behandelt. Ende 2010 wird die nächste Dauerausstellung – „Erleben, was die Welt bewegt“ – eröffnet. Sie wird ein neues Zentrum, eine Art Nukleus, im Haus bilden. Hier stehen globale und kulturvergleichende Fragestellungen im Fokus. Behandelt werden die Themen Klimawandel, Kommunikation, Sex & Gender, Zeit, Menschenrechte, Migration und Weltwirtschaft. Anschließend werden die Ausstellungen zu Afrika und Amerika folgen. Im Jahr 2016 wird dieser Neustrukturierungsprozess abgeschlossen sein – dann beginnt das Museumsteam im Erdgeschoss vermutlich wieder von Neuem.
D AS S CHAUMAGAZIN – K ONSTRUKTION UND GENERELLES K ONZEPT Die handelskundliche Sammlung und einige Teile der naturkundlichen Sammlungen werden im Hauptgebäude, vor allem im Keller gelagert. Diese Magazine sind nicht öffentlich zugänglich. Ursprünglich stand ein stark sanierungsbedürftiges und schadstoffbelastetes Magazingebäude neben dem Museum. Es wurde in den 1990er Jahren abgerissen. An seiner Stelle wurde 1999 ein neues Schaumagazin gebaut, das sich das Museum of Anthropology in Vancouver/Kanada zum Vorbild genommen hat. Es wurde „Übermaxx“ getauft, denn das Museum teilt sich das Gebäude mit dem Cinemaxx Kino, eine Multiplex-Kinokette in Deutschland. Die Magazinbereiche sind L-förmig um das Kino herum angelegt. Obwohl Kino und Magazin als zwei baulich streng getrennte Teile konstruiert sind, wirken sie von außen wie ein Gebäude. Das Schaumagazin hat neun Geschosse, zwei davon unterirdisch, drei zugänglich für Besucher. Zunächst – und dies ist für die Museumsarbeit sehr wichtig – ermöglicht es dieses neue Gebäude, die Sammlungen in angemessener Weise zu lagern. Gleichzeitig erfüllt es aber zudem den Wunsch des Steuerzahlers, die Objekte, für deren Erhalt Steuergelder aufgewendet werden, auch sehen zu
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können. Allerdings war dieses Schaumagazin in den ersten Jahren seines Bestehens nur durch den Notausgang neben dem Kino zu betreten. Mit Hilfe einer großzügigen Spende im Jahr 2007 war es dem Museum möglich, eine Brückenverbindung zwischen dem Haupthaus und dem Schaumagazin zu schaffen. Nun kann man direkt und ohne erneut Eintritt zahlen zu müssen vom ersten Stock des Hauptgebäudes in die dritte Etage des Schaumagazins gelangen. In der völkerkundlichen Abteilung des Schaumagazins werden die Objekte nach Kontinenten und dann nach Regionen, manchmal nach Material und manchmal nach Sammlungskomplexen gegliedert präsentiert. So bekommen die Besucher einen realistischen Eindruck von Museumsdepots. Abbildung 1: Die völkerkundliche Abteilung des Schaumagazins, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Falls möglich werden alle Objekte derselben Art gemeinsam gelagert, um den Vergleich zwischen ihnen zu erleichtern. Da das Übersee-Museum rund 100.000 völkerkundliche Objekte mit einem starken Fokus auf Asien und Ozeanien besitzt, ist dies allerdings nicht immer möglich. Das meiste befindet sich hinter Glas, beleuchtet durch Neonlampen. Die Räume sind klimatisiert, um ein stabiles Klima zu gewährleisten. Ergänzend zu den Glasschränken gibt es Kommoden oder Unterschränke mit Schubladen so-
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wie Schränke mit vertikalen Schubern, die von den Besuchern geöffnet werden können. Dies ermöglicht eine bessere Platzausnutzung, empfindliche Objekte sind nicht die ganze Zeit dem Licht ausgesetzt, und die Besucher haben etwas zu entdecken. Die neuen Glasschränke sind staubdicht, so auch gegen Insektenbefall geschützt und haben eine zusätzliche Airsorb-Schublade, um das Mirkoklima im Schrank beeinflussen zu können. Jeder Schrank hat eine eigene Alarmvorrichtung. Zudem sind die öffentlich zugänglichen Bereiche videoüberwacht, wodurch Bewachungskosten reduziert werden. Somit dient das Schaumagazin nicht nur dem Erhalt der Objekte, sondern darüber hinaus haben Wissenschaftler, Besucher und die Museumsmitarbeiter einen leichten Zugang zu einem großen Teil der Sammlung. Wenn Gastwissenschaftler während ihres Aufenthaltes in Bremen mit einem bestimmten Objekt genauer arbeiten möchten, steht ihnen hierfür ein Gastwissenschaftlerraum mit Internetanschluss im selben Gebäude zur Verfügung. Somit müssen die Objekte nicht das Gebäude verlassen. Dies spart Zeit, denn hereinkommende Stücke müssen eine Stickstoffzelle passieren, was ein recht langwieriger Prozess ist. Da die handelskundliche Sammlung im Hauptgebäude untergebracht ist, wurden sowohl in der völkerkundlichen als auch in der naturkundlichen Abteilung des Schaumagazins einige thematisch passende Vitrinenbereiche eingerichtet, die den Besuchern einen Eindruck davon vermitteln sollen, dass das Übersee-Museum ein Mehrspartenhaus mit drei sehr unterschiedlichen Sammlungen ist. Die restlichen ca. 400.000 Pflanzen sind im geschlossenen Magazinbereich in der neunten Etage untergebracht. Um zur naturkundlichen Abteilung des Schaumagazins zu gelangen, müssen die Besucher eine weitere Brücke überqueren, über die sie auf die andere Gebäudeseite gelangen. Dazwischen befindet sich das Kino. Wenn man die Tür öffnet, sieht man zunächst die Schränke mit den vertikalen Schubern, in denen ein kleiner Teil der botanischen Sammlung zu sehen ist.
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Abbildung 2: Eine der handelskundlichen Vitrinen des Schaumagazins, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Abbildung 3: Die Botanikschränke der naturkundlichen Abteilung des Schaumagazins, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
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Die naturkundliche Sammlung ist nicht nach Kontinenten gegliedert, sondern folgt der in der Biologie üblichen Ordnung: Insekten, Fische, Reptilien, Vögel, Säugetiere usw. Während in der völkerkundlichen Sammlung nach Möglichkeit alle Objekte eines bestimmten Typs oder einer bestimmten Sammlung zusammen gezeigt werden, ist in der naturkundlichen Abteilung immer beispielhaft nur ein Exemplar einer Art zu sehen. Der größte Teil der Sammlung ist in den nicht-öffentlichen Bereichen untergebracht, die nur für Wissenschaftler – und in Ausnahmefällen für geführte Gruppen – zugänglich sind. Abbildung 4: Die naturkundliche Abteilung des Schaumagazins, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
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D AS S CHAUMAGAZIN –
DAS DIDAKTISCHE
K ONZEPT
Dank einer weiteren Spende wurde das Vermittlungskonzept des Schaumagazins nochmals überarbeitet und ergänzt. Aus diesem Grund hört man nun Musik und Tiergeräusche auf der Brücke zwischen den Gebäuden, um Neugierde zu wecken und die Besucher auf die andere Seite zu locken. Da viele der Besucher zu diesem Zeitpunkt schon mehr als eine Stunde im Museum verbracht haben, brauchen sie etwas, was sie anzieht, wenn sie sich der Brücke nähern. Da die meisten Besucher nur eine sehr vage Vorstellung von den Aufgaben eines Museums jenseits der Ausstellungstätigkeit haben, werden sie in den Eingangsbereichen der verschiedenen Stockwerke in die Arbeit der Museumsmitarbeiter eingeführt: Was und wie ein Museum sammelt, mit welchen Fragen über ein Objekt wir uns beschäftigen und warum die Magazine so aussehen, wie sie aussehen, wird erklärt. Es geht also darum, das System, das hinter dem Sammeln, Bewahren und Erforschen steht, zu erläutern. Das Übersee-Museum möchte auf diesem Wege einen Einblick in die Arbeit eines Museums als Archiv jenseits der Ausstellungstätigkeit geben. Nachdem das Schaumagazin 1999 eröffnet wurde, realisierte das Museum schnell, dass die Besucher sowohl hinter die Kulissen schauen als auch Erklärungen haben möchten, denn mit dieser Art von Vermittlung sind sie vertraut. Ohne Texttafeln fühlen sich viele Besucher allein gelassen und etwas verloren zwischen den präsentierten Objekten. Deshalb wird nun jede Unterabteilung des Schaumagazins durch einen kurzen Text eingeführt. Ferner finden die Besucher auf jeder Etage des Schaumagazins Terminals. Wenn sie die Inventarnummer eines bestimmten Objektes eintippen, erhalten sie weitere Informationen: In der völkerkundlichen Abteilung beispielsweise zur Datierung, Herkunft und zum Gebrauch des betreffenden Stückes. Bei den Tieren finden die Besucher den Artnamen auf Latein und Deutsch sowie Informationen über den Lebensraum und das Leben dieser Tierart. Manchmal gibt es auch Fotos von einem lebenden Tier derselben Art. In der naturkundlichen Abteilung sind nahezu alle Tiere und Pflanzen in den Terminals beschrieben. Bei der völkerkundlichen Sammlung gilt dies für eine wachsende Zahl von Exponaten. Die Besucher finden aber mindestens zu einem Objekt eines Typus pro Schrank weiterführende Informationen. Zudem können sie mit einem Audioguide herumgehen, bei dem es sich
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um einen PDA (Personal Digital Assistent, eine Art Taschencomputer) handelt, der in mobiler Form dieselbe Information liefert wie die Terminals. Abbildung 5: Terminal in der völkerkundlichen Abteilung des Schaumagazins, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Neben den üblichen Führungen durch Museumspädagogen werden gedruckte Karten angeboten, die der Besucher mit sich tragen kann. Sie enthalten eine persönliche Tour zu bestimmten Themen, wie z. B. „Federn in Kultur und Natur“ oder „Gifte im Tierreich“. Besondere Informationen für Kinder werden in Form von Entdeckerspielen vorgehalten. Solche Spiele finden Kinder zudem auf der Museums-Homepage, die so einen spielerischen Zugang zu den Sammlungen im Internet gewährt. Ein eher sinnlicher Zugang zu den Sammlungen wird über ein Soundsystem ermöglicht: Da die ausgestellten Tiere tot sind, versucht das Museum sie zumindest virtuell wieder lebendig zu machen. Wer wollte nicht schon einmal eine Klapperschlange klappern hören oder einigen Musikern in Gestalt von Gipsskeletten lauschen? Das Museum verfügt auch über eine wissenschaftliche Bibliothek mit rund 60.000 Titeln. Ein Lesesaal für Besucher und Studenten befindet sich im selben Gebäude wie das Schaumagazin und ist direkt von der Straße aus zugänglich. Leser können alle Bücher via Internet in den Lesesaal bestellen, ohne eine Eintrittskarte ins Museum kaufen zu müssen.
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Abbildung 6: Box mit Entdecker-Spielkarten für Kinder im Schaumagazin, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Von Zeit zu Zeit bietet das Museum auch Führungen für Schulkinder oder Biologiestudenten durch einige Teile des geschlossenen Magazins an: Da sich auf den Holzboxen, in denen die Insekten untergebracht sind, Glasdeckel befinden, stellt das in diesem Bereich kein Sicherheitsproblem dar. Da viele Objekte ansonsten eher offen gelagert werden, sind Führungen in den meisten der geschlossenen Depots für die allgemeine Öffentlichkeit nicht möglich.
D AS S CHAUMAGAZIN – B ACKSTAGE Das Schaumagazin ist mit seinen 2.500 qm nicht groß genug für die gesamte Sammlung. Daher gibt es zusätzliche, nicht-öffentliche Magazinbereiche, in denen sich unterschiedliche Ausstattungen befinden: In vielen Bereichen werden Kompaktusanlagen verwendet. In der völkerkundlichen Abteilung sind die Tablare je nach Bedarf individuell angeordnet und normalerweise nicht durch zusätzliche Glasdeckel geschützt. Darüber hinaus gibt es kleinere Räume für bestimmte Objektarten. Dies erleichtert die Kontrolle und, falls notwendig, die Ungezieferbekämpfung. Innerhalb dieser Räume stehen Glasschränke. Größere Objekte müssen manchmal auf den Schränken
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gelagert werden. Das Klima kann in einigen dieser Räume speziell gesteuert werden, wenn eine Objektgattung dies erfordert: Beispielsweise kann die Feuchtigkeit im Metallraum, die ansonsten im Gebäude um 55% zirkelt, gesondert gesenkt werden. Abbildung 7: Spezialschränke für Malereien, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Neben den regulären Schränken gibt es auch Lagersysteme, die sich stark an den speziellen Bedürfnissen bestimmter Objektgattungen orientieren. Dies gilt beispielweise für Hängesysteme für Gemälde. Nicht alles passt hinter Glas, weshalb den Besucher beim Betreten der Gänge der unterirdischen Geschosse große Buddhafiguren erwarten. Als hanseatisches Museum in einer alten Hafenstadt verfügt das Haus natürlich auch über eine große Bootssammlung – Modelle wie auch Originalboote. Für die großen Boote wurden besondere Lagerräume angelegt, die Fenster zur Straße und zur Eingangshalle des Kinos haben. Diese Fenster in die Museumssammlung wecken beim Betrachter die Neugierde auf das, was er beim Besuch des Schaumagazins entdecken kann.
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Abbildung 8: Besondere Lagervorrichtungen für Großobjekte, Foto: Gabriele Warnke, © Übersee-Museum Bremen
Das Historische Museum Luzern als Schaudepot A LEXANDRA S TROBEL
D AS
ALTE Z EUGHAUS WIRD ZUM H ISTORISCHEN M USEUM
Das Historische Museum Luzern wurde 1986 im alten Zeughaus des Kantons Luzern eröffnet. Es liegt mitten in der Altstadt Luzerns, direkt an der Reuss. Ursprünglich nutzte man das zwischen 1567 bis 1568 erbaute Gebäude auch als Korn- und Salzhaus. Gemäß Auftrag der Luzerner Regierung sammelt, dokumentiert, vermittelt und erforscht das Historische Museum Luzern kulturgeschichtliche und volkskundliche Kulturgüter aus dem Gebiet des Kantons Luzern und der Zentralschweiz. Träger des Museums ist der Kanton Luzern. Das Historische Museum ist ein typisches Allspartenhaus ohne außergewöhnliche Sammlungsgruppen. Den Grundbestand bildet die ehemalige Rüstkammer des Zeughauses mit Kriegsbeute-Objekten aus dem Mittelalter. Dazu kommen als wichtigste Sammlungsgruppen kirchliche Gemälde/Skulpturen/Antependien, liturgische Geräte, religiöse Volkskunst, kunstgewerbliche/handwerkliche/industrielle Produkte, Trachten und Textilien, Lithografien und Landkarten, Archäologie, Numismatik sowie eine umfangreiche Postkarten- und Theaterfigurensammlung.
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N EUEINRICHTUNG E NDE 2003
DES
H ISTORISCHEN M USEUMS
Das Historische Museum Luzern wurde Ende 2003 nach einer dreimonatigen Umbauphase neu eröffnet. Zwei Wettbewerbe mit je fünf eingeladenen Ateliers waren vorgängig ausgeschrieben worden. Der erste war ein städtebaulicher Wettbewerb. Er definierte die Lage des Museums in der Stadt und verbesserte mit dem Projekt der Luzerner Architekten Lüthi & Schmid den Auftritt im städtischen Raum. Entstanden sind ein neuer kleiner Platz, eine neue Fussgängerachse und ein kleines Bistro. Der zweite Wettbewerb unter Ausstellungsmachern lieferte die Grundidee für das neue Betriebs- und Gestaltungskonzept des Museums. Die Schweizer Firma Steiner Sarnen siegte und wurde mit der Ausarbeitung des bis heute bestehenden Betriebs- und Gestaltungskonzepts beauftragt. Das Betriebskonzept war dabei von entscheidender Bedeutung, denn ihm ordnete sich alles andere unter. Die Grundlage bildeten dabei folgende Hauptthesen: • Die Planung geht vom Publikum und nicht vom Museum mit seinen Be-
ständen aus. Darum sollen zuerst die Formen der Vermittlung definiert werden. Das bedeutet, dass sich auch die Gestaltung nach den Vorgaben der Vermittlung zu richten hat. • Nach vollendeter Neueinrichtung soll das Museum nicht fertig sein, sondern es soll so eingerichtet sein, dass man mit der Museumsarbeit beginnen kann. • Das seit 1986 im alten Zeughaus des Kantons Luzern untergebrachte Museum soll seine Geschichte weitererzählen. Es soll wieder ein Zeughaus werden, das heißt ein Lagerhaus mit moderner Infrastruktur. • Das Museum als Lagerhaus soll deshalb alle seine Aktivitäten in einem Begriff oder Bild zusammengefasst präsentieren. Dieser Begriff ist das „Depot“ und der Strichcode ist das neue Logo des Museums.
A LEXANDRA S TROBEL – DAS H ISTORISCHE M USEUM LUZERN
D AS H ISTORISCHE M USEUM L UZERN
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DEPOT
Jedes Museum ist ein Lager. Eine Ansammlung von vielen Gegenständen, die aufzubewahren und zu pflegen sind. Nur ein Bruchteil wird üblicherweise in einer Ausstellung der Öffentlichkeit gezeigt. Bei uns ist das Lager selbst zur Ausstellung geworden, in dem ganz verschiedenes Material aus der Kulturgeschichte des Kantons Luzern und der Zentralschweiz präsentiert wird – und zwar in einer Lagerordnung, die nicht auszeichnet, sondern alles ebenbürtig behandelt, wenn auch teilweise thematisch oder nach Objektgruppen angeordnet. Das Haus ist in drei Zonen eingeteilt: In das SCHAUDEPOT, das LAGER und das ZWISCHENLAGER. Das SCHAUDEPOT zeigt die öffentlich zugängliche Museumssammlung, im LAGER werden Objekte präsentiert, die nur mit einem unserer Schauspieler zugänglich sind, und das ZWISCHENLAGER ist für Sonderausstellungen reserviert. Abbildung 1: Eingang zum Schaudepot, Foto: Historisches Museum Luzern, © Historisches Museum Luzern
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Z ONE 1: D AS S CHAUDEPOT Das Schaudepot ist die frei zugängliche Museumssammlung mit Tausenden von Objekten. Highlights des Schaudepots sind Waffen und Rüstungen, barocke Bild- und Wandteppiche, Textilien, eine Guillotine, Objekte zum Tourismus, religiöse Volkskunst, kirchliche Objekte und archäologische Hinterlassenschaften. Im Schaudepot suchen sich die Besucher alles selbst zusammen. Wie in einem Lager sind alle Stockwerke, Gestelle, Abteile und Fächer systematisch durchnummeriert. Jedes Objekt bzw. jede Videostation besitzt einen eigenen Strichcode. Dieser erschließt die ganze Sammlung. Mithilfe eines kleinen Scanners kann der Strichcode eingelesen werden und die Informationen erscheinen dann in deutscher oder englischer Sprache auf dem Display. Es kann dabei zwischen detaillierten Objekterklärungen, thematischen Rundgängen oder kniffligen Fragespielen für Kinder ausgewählt werden. Bei genügend richtigen Quiz-Antworten erscheint auf dem Scanner-Display ein Zahlencode, den man am Tresor eingeben kann. Im Tresor liegt dann auf einem roten Samtkissen eine schöne mittelalterliche Münze (Kopie) bereit. Insgesamt stehen 60 Scanner zur Verfügung. Eine grosse Tafel informiert auf jedem Stockwerk über die 14 Scanner-Rundgänge und sieben Quiz-Parcours. Im Schaudepot gibt es auch eine Kinderspielecke, die rege genutzt wird. Fachführungen durch das Schaudepot für Erwachsene werden nur auf besonderen Wunsch durchgeführt. Für Kinder werden aber inzwischen neun interaktive Führungen mit Jugendguides angeboten, die durch alle Zonen des Museums führen.
Z ONE 2: D AS L AGER Bei der Vermittlung setzen wir auf sieben professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler. Wir sind überzeugt, dass die inszenatorischen Mittel des Theaters die Möglichkeiten des Museums ideal ergänzen. Das Lager ist der streng vertrauliche Bereich des Museums. Hier ist man nur mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin unterwegs, welche die Objekte anspielt, in historische Zusammenhänge und Geschichten
A LEXANDRA S TROBEL – DAS H ISTORISCHE M USEUM LUZERN
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Abbildung 2: Schaudepot mit dem Scanner erkunden, Foto: Historisches Museum Luzern, © Historisches Museum Luzern,
einbettet und so zum Leben erweckt. Dadurch bekommen die Besucherinnen und Besucher einen hautnahen Einblick in die Kulturgeschichte der Region Luzern. Die Theatertouren sind im Eintrittspreis inbegriffen. Sie finden fünf Mal täglich statt und dauern rund 45 Minuten. Sie sind speziell für diesen Ort geschrieben und inszeniert worden. Die Texte für die Theatertouren werden vom Direktor des Hauses und unserem Theaterpädagogen verfasst. Regie führt jeweils jemand aus unserem Schauspiel-Team oder ein externer Regisseur. Jährlich kommen drei bis vier neue Theatertouren dazu, die Themen der Sonderausstellungen und des Lehrplans aufgreifen oder als besondere Überraschungen für Kinder gedacht sind. Zurzeit bieten wir dreizehn Theatertouren an, fünf für Kinder von fünf bis zwölf Jahren und acht für Jugendliche und Erwachsene.
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K URZBESCHREIBUNG DER T HEATERTOUR „V IVE LA R ÉVOLUTION “ Ein verarmter Luzerner Bauer entrinnt nur knapp einer Bettlerjagd. Er flieht nach Frankreich und kommt als Schweizergardist am Hof von König Louis XVI. zu Ehren. Doch dann ist es vorbei mit dem Ancien Régime. Er gerät in den Sog der Französischen Revolution, und erlebt den Sturm auf die Bastille. „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ schreit das Volk, doch der Terror siegt. Er kehrt zurück nach Luzern, und auch hier geht alles drunter und drüber. Ein neues Zeitalter beginnt. Abbildung 3: Theatertour „Vive la Révolution, Ausschnitt, Foto: Historisches Museum Luzern, © Historisches Museum Luzern
Weitere Theatertouren für Jugendliche und Erwachsene: „Außer Rand und Band“, „Badefreuden“, „Ballade eines Zimmermädchens“, „Delizia mortale“, „Dresscode 2920“, „Calderon schreibt am Welttheater“, „Pilatus stürmisch, null Grad“.
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Theatertouren für Kinder: „Rostige Ritter auf Burg Schreckenstein“, „Flucht ins Pfefferland“, „Sagen, Spuk, Pilatusdrachen“, „Die spinnen, die Römer“. Während der Weihnachtszeit wird dieses Jahr zusätzlich „Marie und der Nussknacker“ gespielt.
Z ONE 3: D AS Z WISCHENLAGER Im Zwischenlager zeigen wir jährlich zwei Sonderausstellungen zu kulturellen Themen im weitesten Sinn. Wir recherchieren und produzieren die Sonderausstellungen selbst und achten darauf, regionale Partner und Ausbildungsinstitutionen in unsere Projekte mit ein zu beziehen. Die präsentierten Objekte stammen aus eigenen und fremden Beständen. Sie werden im gleichen Gestellsystem wie im Schaudepot und im Lager präsentiert, es wird jedoch flexibler gehandhabt. Wir legen großen Wert auf eine interaktive und sinnliche Inszenierung. Für die Konzipierung und Realisierung der Sonderausstellungen sind zwei interne und eine externe Kuratorin zuständig, die jeweils mit eigenen Gestaltern arbeiten. Zu den Sonderausstellungen wird neben einer speziellen Theatertour jeweils ein vielseitiges Rahmenprogramm angeboten. Bis Mitte März 2010 läuft die Ausstellung „Super8 – Amateurfilme im Heimkino“.
Z WISCHENBILANZ
NACH SECHS
J AHREN DEPOT
Unser Museum ist als DEPOT, das in drei Zonen unterteilt ist, die ganz unterschiedlich genutzt werden, ein Prototyp. In allen drei Zonen des DEPOTS wird das gleiche Gestellsystem verwendet, es wird aber unterschiedlich flexibel genutzt. Im SCHAUDEPOT können die Gäste selbständig die mit einem Strichcode versehenen Objekte und Videos erschließen. Im LAGER hingegen werden die Objekte mit einer Schauspielerin oder einem Schauspieler speziell inszeniert, zum Leben erweckt und in einen Kontext eingebettet. Im ZWISCHENLAGER schließlich werden im Rahmen der Sonderausstellungen Objekte aus den eigenen oder fremden Beständen präsentiert.
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Abbildung 4: Sonderausstellung „Super8 – Amateurfilme im Heimkino“, Foto Historisches Museum Luzern, © Historisches Museum Luzern
Die Begriffe DEPOT, SCHAUDEPOT, LAGER und ZWISCHENLAGER haben sich in der Bevölkerung nicht durchgesetzt. Man spricht weiterhin vom HISTORISCHEN MUSEUM und nicht vom DEPOT. Das Erkunden des Schaudepots mit dem Scanner in deutscher und englischer Sprache hat sich bewährt. Vor allem Kinder, Jugendliche und Familien, aber auch fremdsprachige Gäste schätzen diesen unkonventionellen Zugang zu den Objekten. Etwas mehr Mühe bekunden ältere Leute mit dem für sie unvertrauten Scanner und der eher kleinen Schrift auf dem Display sowie dem gänzlichen Fehlen von Texttafeln im Museum. Die Präsentation einer riesigen Auswahl an Objekten wird von den einen Besuchern kritisiert, während andere genau diese Fülle schätzen. Nicht optimal gelöst sind die konservatorischen und sicherheitstechnischen Aspekte bei der Objektpräsentation. Je nach Vitrine ist auch das Herausnehmen der Objekte bzw. das Reinigen eine ziemliche Herausforderung. Die Theatertouren im Lager sind sehr beliebt und fordern uns heraus, denn das Publikum will immer wieder neue Programme sehen. Das Inszenieren von drei bis vier neuen Theatertouren pro Jahr ist anspruchsvoll. 2009 fanden insgesamt 1041 Theatertouren statt, die von 281 Schulklassen und 769 Gruppen besucht wurden. Inzwischen hat sich unsere Theaterkompetenz herumgesprochen und wir bekommen von privaten und öffentlichen Institutionen Aufträge für das
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Inszenieren von Theatertouren auch außerhalb des Museums. Ursprünglich waren neben den Theatertouren keine anderen Vermittlungsangebote geplant. Aufgrund der Nachfrage haben wir unser Angebot mit Workshops, interaktiven Führungen und Events für alle Altersgruppen und Besuchersegmente ergänzt. Viel zur Attraktivität des Museums tragen auch unsere Sonderausstellungen bei, die sich immer wieder an ein ganz anderes Publikum wenden, in dem sie völlig verschiedene Themen aufgreifen. Bewährt hat sich hier die enge Zusammenarbeit mit vielen lokalen Partnern und Ausbildungsinstitutionen. Alle unsere Angebote haben seit der Neueinrichtung des Museums zu einer starken Verjüngung der Besucher geführt und den Familienanteil gesteigert. Das Museum wird inzwischen auch als regelmäßiger Ort für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und als Lokalität für stimmungsvolle Anlässe genutzt. Das Gestaltungs- und Betriebskonzept des Museums kommt bei einem Andrang von mehr als 200 Personen pro Tag an seine Grenzen. Pro Theatertour können aus Platzgründen nicht mehr als 25 Personen zugelassen werden und es stehen nur 60 Scanner zur Verfügung. Zudem ist bloß eine Person für den Betrieb des Hauses zuständig. Diese ist für die Kasse, den Shop, das Telefon und die Sicherheit verantwortlich. Bei den Scannern tauchen zudem sporadisch technische Probleme auf. In den nächsten Jahren muss man sich sicher mit der Evaluierung neuer Geräte beschäftigen. Die Besucherzahlen sind seit der Neueinrichtung im Jahr 2003 stetig gestiegen und haben 2009 zu einem Rekordjahr von rund 39 000 Besuchern geführt (+19% gegenüber 2008). Davon betrug der Anteil an Kindern, Schülern und Studierenden 37%. Das Ansteigen der Besucherzahlen ist einerseits sehr schön, schafft aber auch neue Herausforderungen. Denn die finanziellen und personellen Ressourcen sind knapp bemessen. Nichts desto trotz freuen wir uns auf neue Herausforderungen und versuchen unsere Angebote ständig zu optimieren.
Das Schaumagazin des Focke-Museums Bremen F RAUKE VON DER H AAR
S CHATZKAMMER S CHAUMAGAZIN Wer kennt ihn nicht, den Museumsbesucher, der verschämt fragt, was man denn so alles noch im Magazin an Schätzen lagern würde und ob es nicht für besonders interessierte oder auch engagierte Museumsfreunde die Möglichkeit gäbe, diese einmal besichtigen zu dürfen. Dahinter steht die nostalgische Rückbesinnung auf den verwunschenen Dachboden, den heute aufgrund der gestiegenen Mobilitätsansprüche kaum einer mehr hat, und die Vision vom Museumsmagazin als einer Schatzkammer. Der Entdeckerlust ihrer Besucher kommen deshalb immer mehr Museen entgegen, in dem sie, neben ihren ständigen Schausammlungen, die einer vorgegebenen Erzählweise folgen, der Freude am Stöbern und sich treiben lassen, abseits der vorgezeichneten Besucherführung, Raum geben. Schaumagazine mit unterschiedlich strukturierten Schwerpunkten und Organisationsformen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.
D IE M AGIE
DER
D INGE
Warum sprechen uns Dachböden, Magazine und deshalb auch Schaumagazine so sehr an? Was finden wir an den Dingen, die wir dort entdecken? Dinge spielen in unserem Leben eine große Rolle. War der eigene Besitz in
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früheren Zeiten vielleicht so übersichtlich, dass er in einen Beutel passte, so ist er heute manchmal so umfangreich, dass er seinem Inhaber zur Last fällt. Nicht nur unser Alltag ist durch eine Fülle von Dingen strukturiert, auch unsere Entwicklungsphasen sind an altersspezifische Dinge gekoppelt. Dinge begleiten nicht nur uns selbst, sondern natürlich auch andere. Sie geben uns daher auch Informationen über die Lebensumstände anderer Menschen, denen sie gehören oder gehörten. Dachböden und Magazine sind voll von Dingen, in denen sich Menschen wiedererkennen, die ihnen Anknüpfungspunkte für Heimat und Identität bieten, ihre Geschichte repräsentieren und ihnen die Möglichkeit bieten, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Bei etlichen Gelegenheiten hat das Focke-Museum die Erfahrung gemacht, dass die umfangreichen Bestände bei den Besuchern, bei einem Blick hinter die Kulissen, immer wieder eine große Verzauberung auslösen. Abbildung 1: Eingang Focke-Museum, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
E IN S CHATZ OHNE K AMMER Das Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte präsentiert sich mit seinen Dauer- und Sonderausstellungen nicht nur als das historische Museum der Stadt Bremen, es bildet mit seinen über
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130.000 Exponaten auch das Gedächtnis dieser Stadt. Weit über 100 Jahre haben viele Bremer Bürger und Familien durch Vermächtnisse, Schenkungen und gezielte Ankäufe, die sie dem Haus zur Verfügung gestellt haben, dazu beigetragen, dass eine reiche Sammlung zur Bremer Geschichte zusammengetragen werden konnte. Die Sammlungsbestände unterlagen dabei nicht nur wechselnden Sammlungsstrategien, sondern auch immer wieder unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten. Gegründet wurde das Focke-Museum vom Bremer Senatssyndicus Dr. Johann Focke (1848-1922). Er sammelte seit 1890 neben seiner Arbeit etliche Bremensien, mit denen er im Jahr 1900 das „Historische Museum“ eröffnete. Nach seinem Tod 1922 wurden die Sammlungen des im 19. Jahrhundert gegründeten Bremer Gewerbemuseums und des Historischen Museums 1924 im Focke-Museum vereinigt. Der Zusammenschluss sorgte nicht nur für ein weiteres Anwachsen der Sammlung, sondern auch für eine erste Professionalisierung und Trennung zwischen Schausammlung und Magazin. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Museumsgebäude zerstört. Zuvor hatte man den überwiegenden Teil der Sammlung ausgelagert und im Bremer Umland an verschiedensten Stellen in Sicherheit gebracht. Ihre Rückholung nach 1945 ins zerstörte Bremen konnte vorerst nur in Provisorien erfolgen. 1964 konnte ein Neubau des Landesmuseums nach Plänen der Architekten Heinrich Bartmann und Reinhold Kargel aus Darmstadt eingeweiht werden. Als „Museum im Park“ konzipiert, liegen ein Hauptgebäude und vier historische Häuser in einem insgesamt 4,5 Hektar großen Gelände und werden durch eine Gartenanlage miteinander verbunden. Der Bau des Hauptgebäudes bot zwar spürbar mehr Platz für die umfangreichen Schausammlungen. Dennoch war der Objektbestand kontinuierlich angewachsen und hätte spielend einen weiteren Bau füllen können. Neben den Magazinräumen gab es zusätzlich vielfältige Zwischenlagerungsorte mit klimatisch fragwürdigen Bedingungen: auf Dachböden, in Krematorien, in Kellern von Altenheimen, Bunkern oder Lagerflächen in Hafenspeichern. Diskussionen Anfang der 1990er Jahre über einen Umzug des FockeMuseums in die Bremer Innenstadt wurden aus Kostengründen verworfen. Stattdessen fasste man einen Ausbau am alten Standort ins Auge, der dann aufgrund des finanziellen Drucks in eine Sanierungsmaßnahme und Neupräsentation mündete. Nach der Neuordnung der Dauerausstellungen gab es für die unbefriedigende Magazinsituation noch keine Lösung. Für einen
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Magazinbau gab es keine finanziellen Spielräume. Stiftungen oder Sponsoren ließen sich nicht begeistern, in ein wenig prestigeträchtiges, nicht öffentlichkeitswirksames Projekt zu investieren.
E RHALTUNG
DURCH
P RÄSENTATION
Die rettende Lösung, um die notwendigen Gelder von Stiftungen und Unternehmen einwerben zu können, ging über das Ausstellen der gesammelten Schätze hinaus. Der dringende Wunsch zur Erhaltung führte über ihre Präsentation. „War für das Bewahren kein Geld da, also nicht für ein reines Magazin, wünschten wir uns nun für das Zeigen, das Ausstellen Geld. So machten wir aus der Not eine Tugend und setzten vor das ‚Magazin‘ die ‚Schau‘.“1 Vorläufer gab es bereits in unmittelbarer Nähe. Bereits 1999 eröffnete das Bremer Übersee-Museum in Hausgemeinschaft mit einem benachbarten Multiplexkino ein großes Schaumagazin, das sogenannte Übermaxx. Die Idee eines Schaumagazins für das Focke-Museum, das Erhaltung durch Präsentation gewährleistet, wurde tatsächlich für viele Stiftungen und Unternehmen derart interessant, dass es 1999 gelang, innerhalb eines Jahres die komplette Finanzierung für das Gebäude in Höhe von 4 Millionen Euro ohne die Hilfe der öffentlichen Hand zu bewerkstelligen. Die ebenfalls erforderliche Einrichtung und die vorbereitenden Maßnahmen konnten aus Haushaltsmitteln bestritten werden. Rund 1,6 Millionen Euro wurden hierfür aufgewendet. Ein großer Teil dieser Summe musste für die Bearbeitung der Sammlungen aufgebracht werden. Die schlechten Lagerungsbedingungen machten Schädlingsbekämpfung und Reinigung zwingend erforderlich. Darüber hinaus brachte die Neustrukturierung der bestehenden Magazine umfangreiche logistische Arbeiten mit sich.
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Christiansen, Jörg: „Transparenz im Museum – Beispiel Schaudepot“, in: Museumskunde Bd. 72/2007, S. 47.
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S CHÄTZE
Die Grundsteinlegung des Schaumagazins erfolgte am 2. März 2001. Der vom Bremer Architekten Gert Schulze entworfene kubusförmige Bau bot mit seiner aufwändigen Wandisolierung optimale Bedingungen für die Aufbewahrung der Sammlung. Ziel war es, einen großen Teil der Sammlung platzsparend unterzubringen und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Haupthaus für Besucher zugänglich zu machen. Abbildung 2: Kubus für das Schaumagazin, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
In drei der vier Stockwerke befindet sich das Magazin des Museums, zwei davon sind als Schaumagazin für Besucher zugänglich. Ein weiteres Stockwerk dient als Sonderausstellungsraum. Mit insgesamt 2.000 qm Fläche bietet der Kubus also 1.000 qm Schaumagazin, 500 qm für ein nichtzugängliches Magazin sowie weitere 500 qm Sonderausstellungsfläche. Die Planung des Schaumagazins sah vor, ohne Aufsichten auskommen zu wollen, so dass keine zusätzlichen Personalkosten entstanden. Das bedeutete, dass eine Wegführung gesucht wurde, die der Besucher selbständig erfassen kann und eine Präsentationsform erforderlich war, die den Schutz der Exponate gewährleistet. Aber nicht nur der Wirtschaftlichkeit, sondern
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auch der Praktikabilität im Umgang für Restauratoren und Wissenschaftler und der optimalen konservatorischen Lagerung sollte Rechnung getragen werden. Schnelles Finden einzelner Stücke, unkompliziertes Aus- und Einräumen, belastbare Regale mit verstellbaren Böden waren Wünsche, die neben größtmöglichem Schutz vor Licht und Luft im Vordergrund standen.
B REMENS G EDÄCHTNIS Abbildung 3: Alphabet. Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
Dem gegenüber standen, bei einem Schaumagazin fast zwangsläufig, auch die Besucherinteressen. Natürlich sollten sich die Besucher im neuen Magazin nicht nur zurechtfinden, sondern sich auch wohl fühlen. Ein Orientierungssystem sowie akustische, optische, ästhetische und mediale Anreize sollten sie idealerweise zum Verweilen, Entdecken, Stöbern und Ausprobieren animieren. Dieser Spannungsbogen war weder mit einer aufbereite-
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ten, systematischen Studiensammlung, noch mit der zum Beispiel nach Materialgruppen organisierten Systematik eines Magazins möglich. Vielmehr setzte sich das Museumsteam das Ziel, ein System zu entwickeln, das mit der Fülle der Objekte beim Besucher Staunen erzeugt und mit seiner Vielfalt dennoch in der Lage ist, assoziative Zusammenhänge herzustellen. Auf der Suche nach Anregungen für eine Ordnung der Dinge wurde auch der Bremer Hirnforscher Prof. Dr. Gerhard Roth befragt. Schließlich entschied man sich bei der Präsentation, der über 8.000 Exponate für eine alphabetische Anordnung, die in der Tradition der Enzyklopädisten steht und an die Programmatik des Musée Sentimental erinnert. „Wir wählten eine Gliederung, die auf das einfachste und neutralste Schema zurückgreift, die 25 Buchstaben des Alphabets. Diesen sind 25 bestimmte Tätigkeiten zugeordnet. Mit ihnen beziehen wir uns auf eine ganz alltägliche Erfahrungs- und Verständnisebene. Es wird damit betont, dass die Dinge nicht immer schon museal waren, sondern das sie aus dem Leben gegriffen sind.“
V ON „A“ WIE ANFANGEN ZU G RABE TRAGEN
BIS
„Z“
WIE
Unter „A“ wie Anfangen führt nicht nur ein Gemälde von 1790 den Lebenskreislauf vom Jugend- bis zum Greisenalter vor Augen oder erinnern Taufschale und Patengeschenk an den Beginn des Lebens, hier finden sich ebenfalls die Anfänge des Museums in Form der ersten Stücke, die ins Museum kamen, wieder. Auch der Buchstabe „B“ wie Bewahren gehört zu denen, unter dem sich mehrere Bedeutungen sublimieren lassen wie etwa aufbewahren und lagern. Gemeint ist aber ebenso das Restaurieren als eine im musealen Sinne bewahrende Tätigkeit. Hier findet sich eine erste kleinere Inszenierung, die anhand einer kleinen Restaurierungswerkstatt und einem sehr desolaten Exponat, die Bemühungen des Museums um den Erhalt von Objekten illustriert. In regelmäßigen Abständen akzentuieren weitere Inszenierungen die dichte Präsentation und bieten dem Auge Orientierung. Viele dieser inszenierten Bilder stehen in einem Sichtbezug zueinander, so dass das Auge sich daran jeweils festhalten kann. Unter dem Buchstaben „E“ wie Erfinden
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sind beispielsweise nicht nur technische Geräte aus dem Haushalt und Alltag wie Rasierapparate, Kühlschränke und Staubsauger, sondern auch ein Modell der in Bremen gebauten Weltraumstation zu sehen. Als zusätzliches Orientierungsprinzip weisen alphabetisch geordnete Leuchtbuchstaben den Weg durch die dichtgedrängte Vitrinen-Landschaft, die mitunter einer Kaufhauslandschaft gleicht. Sichtachsen von einem Raum in den nächsten verhindern bewusst, dass sich beim Besucher Beklemmungszustände einstellen. Abbildung 4: A wie Anfangen, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
Bei Kritikern des Bremer Schaumagazins entzündeten sich nach der Eröffnung die Diskussionen immer wieder an der Frage, ob es sich bei der Fülle von Inszenierungen überhaupt noch um ein Magazin handelt, sondern nicht vielmehr eine Ausstellung mit Magazincharakter. Diese Einschätzung mag durchaus zutreffen. Die jahrelange Erfahrung zeigt uns heute, dass die Besucher dieses Angebot in einem Museum, das ansonsten kaum mit den Mitteln der Inszenierung arbeitet, sehr positiv aufnehmen und sich nach dem
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Besuch des Schaumagazins nicht nur an die Fülle der Dinge, sondern eben explizit auch an die durch Inszenierungen vermittelten Bilder erinnern. Abbildung 5: E wie Erfinden, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
Im Fall des Tabakwarenladens, der für den Buchstaben „I“ wie Inhalieren steht, gelang es darüber hinaus, sämtliche Objekte zu diesem Thema auch in die Inszenierung zu integrieren, so dass ausnahmslos alle im Museum vorhandenen Exponate zum Thema Tabak nur hier versammelt sind. Auch andere Buchstaben wie beispielsweise das „N“ für Navigieren repräsentieren nur einen einzigen Sammlungsbereich, der hier in seiner Vielfalt und Üppigkeit erstrahlen kann. Dies gilt auch für den Buchstaben „S“ wie Spielen. Er macht deutlich, dass es notwendig werden kann, innerhalb einer Objektgruppe, Unterordnungen einzuführen. Hier entschied man sich für eine geschlechtsspezifische Trennung des Spielzeugs in Jungen- und Mädchenspielzeug. Angebote zum Spielen und Ausprobieren wie etwa eine in Gang zu setzende Modelleisenbahn, ein beleuchtetes Karussell im Bereich des Spielzeugs oder ein Sendeton von Radio Bremen wie auch eine Waage sprechen den Besucher bewusst an, tätig zu werden. Aktiv werden muss der Besucher auch, wenn er etwas mehr über die Geschichte, Herkunft oder Bedeutung der einzelnen Stücke im Schaumagazin erfahren will. Hier wird auf
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eine konventionelle Beschriftung verzichtet, stattdessen stehen den Besuchern insgesamt neun Terminals zur Verfügung, auf denen mittels Touchscreen alles verfügbare Wissen abgerufen werden kann. Abbildung 6: Touchscreen, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
Dafür wurden nicht nur die insgesamt 8.000 Exponate im Schaumagazin, sondern der gesamte Bestand des Focke-Museums in einem Zeitraum von drei Jahren digital erfasst. Gibt der Besucher die am Objekt stehende Nummer ein, so findet er eine Grundinformation zum ausgewählten Exponat. In 50 Prozent der Fälle ist zusätzlich ein Bild hinterlegt (leider ist nur pro Exponat ein Bild möglich) und bei 40 Prozent der Objekte, hierzu zählen unter anderem alle Highlights, ist auch ein längerer Hintergrundtext abrufbar. Darüber hinaus vermittelt ein akustischer Führer zu über 300 Objekten nicht nur Texte, sondern auch O-Töne und Hintergrundgeschichten. Mit dem Buchstaben „Z“ schließt im Untergeschoß die dichte Präsentation der versammelten Museumsschätze.
F AZIT Die Eröffnung des Schaumagazins im Bremer Focke-Museum liegt nunmehr sieben Jahre zurück. Zeit genug, um ein Resümee über Stärken und Schwächen von Konzept und Bau für Besucher, Wissenschaftler und Restauratoren ziehen zu können. Das im Focke-Museum entwickelte innovative Konzept kann noch immer als einzigartig in Europa bezeichnet werden. Auf zwei Etagen werden dem Besucher bislang verborgene Bestände des
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Museums zugänglich gemacht und auf Multimedia-Stationen erläutert. Dieses Angebot überzeugt nach wie vor. Wenngleich zu beobachten ist, dass nicht allen Besuchern die im Eingang ausgehängte Gebrauchsanweisung für das Magazin auffällt und so mancher erst nach einigen erläuternden Worten einer eben doch vor Ort präsenten Aufsicht das zugrunde liegende System erfasst. Der rhythmische Wechsel zwischen Fülle und Inszenierung fasziniert, und immer wieder ist zu beobachten, wie Besucher generationsübergreifend über wechselnde Exponate miteinander ins Gespräch kommen. Dies zeigt, dass das überzeugende Konzept auch zukünftig fortgeschrieben werden muss und die Buchstaben von A bis Z stufenweise mit Exponaten jüngerer Entstehungsdaten aufgefüllt werden müssen, um auch weiterhin allen Generationen einen assoziativen Anknüpfungspunkt bieten zu können. Als positiv erweist sich ferner, dass durch den direkten Zugang zu den Sammlungen die Museumsarbeit für Besucher transparenter wird. Gestiftete Objekte lassen sich hier für Besucher wiederfinden. Sie animieren damit zu weiteren Stiftungen an das Haus. Durch den Bau des Schaumagazins und seine Kompaktheit hat sich die Magazinsituation des Museums erheblich entspannt. Dabei wurde generell auf Textilien und Grafik verzichtet, um den Eindruck der Fülle nicht durch Verschlossenes wie Schubladen und Schränke zu zerstören. Dennoch konnte mehr als ein Viertel des Gesamtmagazinbestandes hier untergebracht werden. Neben einer Kompaktanlage, die sich über und unter einem Urnenfeld in der Rubrik „Z“ wie zu Grabe tragen befindet, trägt auch die Möglichkeit, etwas unter die Decke hängen zu können dazu bei, dass das Schaumagazin auch zukünftig noch Exponate aufnehmen kann. Aufgrund finanzieller Grenzen und ästhetischer Vorstellungen konnten nicht alle konservatorischen Vorgaben erfüllt werden. Die Restautoren hätten sich beispielsweise gewünscht, dass alle Exponate hinter Glas kommen. Staubdichtheit und Schadstofffreiheit der Vitrinen sowie maximale Kontrolle des Klimas konnten nicht hundertprozentig gewährleistet werden. Generell hätte in der Rückschau idealerweise ein noch größeres Augenmerk auf der Handhabbarkeit der Vitrinen und ihrer Einrichtung liegen können. Hier waren in der Planung immer wieder Kompromisse gefordert.
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Abbildung 7: Durchblick, Quelle: Focke-Museum, Foto: Sigrid Sternebeck, © Focke-Museum
Die besondere Stärke des Bremer Schaumagazins liegt neben der Attraktivität für die Besucher auch in der Übersichtlichkeit für die wissenschaftliche Bearbeitung. Alle Wände und Schränke sind zusätzlich zu den Exponaten nummeriert. Gemeinsam mit dem strukturierenden Buchstaben lässt sich jedes Exponat problemlos verorten. Vom Schreibtisch des Wissenschaftlers aus, kann so nicht nur der Standort festgestellt werden, sondern auch an der Vervollständigung der Hintergrundinformationen zu einzelnen Objekten gearbeitet werden. Auf diese Weise bietet das Schaumagazin nicht nur den Besuchern, sondern eben auch den Restauratoren und Wissenschaftlern einen Gewinn an Sichtbarkeit der Sammlung. Insgesamt überzeugt das Schaumagazin in seiner Funktion als Magazin, weil es Restauratoren und Wissenschaftlern Zugänglichkeit bietet und den Exponaten konservatorische Lagerbedingungen, die in manchem anderen Magazin zu suchen wären. Als Schaumagazin erfordert es wie jede andere museale Präsentationsform besondere Vermittlungsangebote, unterstreicht in Kombination mit Dauer- und Sonderausstellung den Reichtum, die Fülle und die Kapazitäten der Sammlungen des Focke-Museums als Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte.
Die Objekte lesen, wie wir Bücher lesen… „Wunderkammern-Wunderkisten“ im Jugend Museum Schöneberg P ETRA Z WAKA
Was haben ein menschliches Skelett und ein Staubsauger gemeinsam? Was verbindet das Gehörn eines Kudu-Bullen mit einer Schallplatte von den Monkeys? Was hat eine Gaslaterne aus der Zeit der Jahrhundertwende mit einem Foto von Rudi Dutschke zu tun? Auf den ersten Blick nichts, außer dass sie gemeinsam in einer Ausstellung des Jugend Museums Schöneberg versammelt sind. Die Ausstellung trägt den Titel „Wunderkammern-Wunderkisten“ und lässt ahnen, worauf die Macher hier hinauswollten. Ganz im Sinne der fürstlichen Schatzkammern, Kuriositätenkabinette und Wunderkammern der Renaissance, den Urahnen des Museums, wo einst Geheimnisvolles, Kostbares und Kurioses zusammengetragen wurde und zum Beispiel ein in Silber gefasstes Straußenei neben dem Milchzahn einer Heiligen lag, ein Meteorstein neben einem Riesenknochen, an der Decke ausgestopfte Krokodile und Haifische und in Glasvitrinen ein Kirschkern, in den 185 Köpfe geschnitzt waren1, ganz in diesem Sinne sollten die „Wunderkammern“ im Jugend Museum Neugierde wecken und Wissbegierde decken. Nur mit einem Unterschied: unsere Wunderkammern waren
1
Grote, Andreas (Hg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Opladen: Berliner Schriften zur Museumskunde, Bd. 10, 1994.
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nicht gedacht – wie einst – als Studienort für Fürsten und Könige, wohlhabende Bürger und Gelehrte, sondern für Kinder ab 9 Jahren im 20. Jahrhundert.
D AS J UGEND M USEUM S CHÖNEBERG Ein kurzer Exkurs in den Typus Kinder- und Jugendmuseum macht nachvollziehbar, warum wir uns entschieden haben, einen Teil unserer Museumssammlung auf diese Weise zu präsentieren. Das Jugend Museum versteht sich als ein Geschichtsmuseum für junge Menschen, experimentierfreudig, offen für die Altersgruppe zwischen 8 und 18 Jahren, mit einem wechselnden Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm2. Unser Haus fühlt sich den Ideen und Grundsätzen der Kinder- und Jugendmuseen verpflichtet, in deren Mittelpunkt das „Hands-on“-Prinzip (auch im Sinne des „Minds-on“) steht, das heute in vielen Museen als Bildungs- und Vermittlungsmodell diskutiert wird. 1995 haben wir dieses Haus mit dem Anspruch eröffnet, jungen Menschen über die Auseinandersetzung mit Geschichte zu einem Verständnis ihrer selbst und ihrer Umwelt zu verhelfen und sie zu ermutigen, Respekt gegenüber Menschen und Dingen und gegenüber sich selbst zu entwickeln. Aus diesen Diskussionen ging die Idee der „Wunderkammern“ hervor. Was uns vorschwebte war eine Präsentation, die mit unkonventionellen Methoden Kindern die Welt erklärt, die neugierig macht, aber nicht mit dem museumspädagogischen Zeigefinger belehrt, die ein Ordnungssystem hat und doch ein Ort mit Geheimnissen bleibt, die zum Sehen und Entdecken animiert und ungewöhnliche Fragen provoziert, aber nicht immer gleich eine Antwort parat hat.
2
Vgl. www.jugendmuseum.de.
P ETRA ZWAKA – DIE O BJEKTE LESEN ,
WIE WIR
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Abbildung 1: Blick in die Ausstellung „Wunderkammern – Wunderkisten“, Foto: Petra Zwaka, © Museen Tempelhof-Schöneberg
Über die Dinge die Welt zu entdecken und die Sprache der Dinge zu entziffern, setzte natürlich voraus, dass wir auch über eine entsprechende Sammlung verfügten. Nun ist es keineswegs so, dass alle Kinder- und Jugendmuseen – nur weil sie den Namen in sich tragen – auch eine Museumsammlung haben. Im Gegenteil – die meisten haben oft keine eigenen Bestände, „sondern sammeln Ideen und Themen, die sich mit den unterschiedlichsten Wissensgebieten auseinandersetzen: von den Naturwissenschaften bis zur Kulturgeschichte präsentieren sie alles, was Kinder interessiert“3. Das Jugend Museum war von Beginn an strukturell in die regionalgeschichtliche Arbeit des Bezirks eingebunden, denn es ist Teil des Schöneberg Museums, einem von 16 Berliner Regionalmuseen.
3
Vgl. Website des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendmuseen – www.bvkindermuseen.de.
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W EGSCHLIESSEN
ODER PRÄSENTIEREN ?
Als wir 1994 in die Stadtvilla umzogen mit dem politischen Auftrag, hier ein Jugend Museum aufzubauen, folgten nur wenig später auch die Museumsbestände des Regionalmuseums. Das alte Heimatmuseum war zugunsten der Entwicklung eines neuen Museumskonzeptes mit einem ausdrücklichen Angebot für junge Menschen aufgelöst worden. Die bislang in sieben kleinen Kabinetten dicht gedrängt gezeigten Bestände regionaler Alltagskultur hatten vorerst keine ausreichenden Präsentationsräume mehr. Wir standen vor der Entscheidung, entweder die Sammlung sofort in einem Depot verschwinden zu lassen, das nur für unsere Archivarin zugänglich sein würde oder eine Form zu entwickeln, die zumindest einen Teil der Objektbestände – nach historischen und funktionalen Gesichtspunkten geordnet – für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Zum Sammlungsbestand, der vor allem von regionaler Bedeutung und in seinem Umfang für ein mittleres Stadtmuseum durchaus ansehnlich ist, gehört unter anderem eine Fülle von Alltagsgebrauchsgut aus dem 19. und 20. Jahrhundert, das typisch für die Bestände städtischer Heimatmuseen ist. Diese haben vielfach ihren zeitlichen Ursprung an der Wende zum 20. Jahrhundert oder – wie im Fall von Schöneberg – nach dem Zweiten Weltkrieg zu Beginn der 1950er Jahre. Zu dieser Zeit wurde „Heimat“ wieder groß geschrieben, die Identitäten neu bestimmt und gestärkt. Nicht zuletzt der Strom von Heimatvertriebenen, Umsiedlern oder Flüchtlingen unterstrich den Wert von „Heimat“. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in dieser Zeit überall in Deutschland Heimatstuben und Heimatmuseen neu entstanden oder Heimatschauen ihrem Publikum den Schein von Heimeligkeit und Nähe bieten wollten. Die ersten Schöneberger Heimatschauen hatten denn auch solche Titel wie „Wir fahren so gemütlich“ oder „Trari, trara, die Post ist da!“ Entsprechend war auch die Sammlung zusammengesetzt: ein liebevoll zusammengetragenes Sammelsurium von bürgerlichem Hausrat, Mobiliar, Gegenständen der ländlichen und städtischen Arbeitswelt, Spielzeugen, Objekten der Schulgeschichte und vieles mehr. Teilweise sind die Objekte mit konkreten Erinnerungen und Lebensgeschichten von Menschen aus dem Bezirk verbunden, zum überwiegenden Teil aber ist ihre Provenienz nicht weiter bekannt.
P ETRA ZWAKA – DIE O BJEKTE LESEN ,
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Erst nach 1983 kamen im Zuge der neuen Geschichtsbewegung und einem Generationenwechsel bei den Leitern der Heimatmuseen neue Objekte hinzu, die aus umfänglichen Recherchen zur Industrie-, Gewerbe- und Stadtentwicklung, zur NS- und Nachkriegsgeschichte und zur Geschichte der Zuwanderung entstanden sind.
N EUGIERDE
WECKEN UND
S EHEN
LERNEN
Selbst entdecken, forschen und stöbern zu dürfen, erleichtert nicht nur den Zugang zu historischen Themen, sondern macht auch den Ort „Museum“ als Experimentierfeld für junge Menschen auf eine neue Weise attraktiv. Als wir 1997 die Ausstellung „Wunderkammern-Wunderkisten“ eröffneten, waren das Besondere und Ungewöhnliche an der Ausstellung nicht einzelne herausragende Exponate, sondern die Vielfalt der Objekte, die in 54 provisorisch wirkenden Transportkisten versammelt wurden. Sie waren nicht aufwändig und suggestiv inszeniert, sondern die Dinge wurden formal präsentiert und behutsam in Szene gesetzt. Die Objekte sind meist thematisch eingebunden, weil auch authentische Objekte „nicht für sich selbst als Zeichen (wirken)“, wie es der Museologe Friedrich Waidacher formuliert hat, sondern weil sie „Träger von individuellen Bedeutungen (sind), (die) in einen Kontext eingebunden werden (müssen), der es dem Publikum überhaupt erst möglich macht, die Aussagen zu verstehen, die mit ihnen verbunden sind.“4 Die Ausstellungsarchitekten5 entwickelten ein Präsentationskonzept, das den Betrachter dazu ermuntern wollte, die „Objekte zu lesen, wie wir Bücher lesen – um die Menschen und die Zeiten zu verstehen, die sie schufen, benützten und wieder ablegten“.6 Haushaltsgeräte, Mobiliar, Kleider, Stoffe, Spielzeug, Bücher, Gebrauchsprodukte aus ehemaligen Betrieben, Lehrmaterialien aus Schulen, Bekanntes und Merkwürdiges – viele dieser
4
Waidacher, Friedrich: „Vom Wert der Museen“, in: Museologie Online, 2. Jg., S. 6.
5
Schultz-Hagen, Peter/Muschelknautz, Johanna: www.zera-ausstellungen.de.
6
Lubar, Steven/Kingery, W. D.: „Introduction“. In: Lubar, S./Kingery, W. D. (Hg..): History from Things: Essays on Material Culture. Washington, London 1993: VIII-IX, zit. nach Friedrich Waidacher, a.a.O., S. 5.
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Dinge bergen Gebrauchsspuren ihrer Vorbesitzer, die wie ein Rätsel entschlüsselt werden können. Die Besucher sollten zu Benutzern der Ausstellung werden, um die alte Sprache der Dinge zu entziffern. Abbildung 2: Entdeckungen in der Ausstellung „Wunderkammern – Wunderkisten“, Foto: Petra Zwaka, © Museen Tempelhof-Schöneberg
Die dichte Präsentation von Alltäglichem und Kuriosem enthält vielfältige Angebote zum Selberforschen und Entdecken, zum Ausprobieren und Untersuchen. Medien werden eher sparsam eingesetzt. Eine transportable „Gebrauchsanweisung“ mit gezeichneten Symbolen und knappen Texten führt in die Ausstellung ein: „Fast alle Dinge sind echte Museumsstücke. Wir haben sie über eine lange Zeit gesammelt. Dabei haben uns viele Menschen geholfen, Erwachsene und Kinder. Sei behutsam, wenn du sie berührst!“ An anderer Stelle befindet sich eine Lupe, die zum genauen Hinsehen auffordert: „Schau Dir die Dinge genau an. Einige Gegenstände werden Dir vertraut vorkommen, andere wirst Du vielleicht komisch oder fremd finden. Mach Dir Notizen. Benutze dafür die Zettel am Ende dieses Heftes.“ Ein weiterer Bereich im Keller – räumlich getrennt von den „Wunderkammern“ – hat die Anmutung eines Magazins, das Muße und Forschersinn
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erfordert, aber auch viele Entdeckungen und neue Erfahrungen bereit hält. Wie in einem richtigen Museumsdepot sind die Originalobjekte hier in kleinen Kisten verwahrt, nach Themen geordnet, oft korrespondierend mit denen der Ausstellungsräume. Jede Archivkiste enthält eine Inventarliste, auf der – soweit bekannt – einige Kurzinformationen zu den einzelnen Sammlungsstücken gegeben werden. Die Liste soll aber auch eine Orientierung beim Rücksortieren geben. Die Objekte sind mit Inventarnummern versehen, so dass sie problemlos – nach „getaner Arbeit“ – den entsprechenden Archivkisten zugeordnet werden können. Schriftliche Dokumente und Fotos sind in Spezialhüllen aufbewahrt, filigrane Objekte mit Seidenpapier geschützt. Alles wie in einem richtigen Archiv. Karteikarten, nach Stichworten aus der Alltags- und Kulturgeschichte sortiert, helfen bei der Erschließung von Begriffen und historischen Zusammenhängen. Wer noch umfassender forschen will, findet eine weitere Liste mit Hinweisen darauf, wo man sonst noch forschen kann.
E IN G ANG DURCH
DIE
AUSSTELLUNG
Im ersten Raum stößt man zunächst auf Kisten, die ungewöhnliche Sammlungen zeigen. Hier geht es um die Transparenz des Sammelns und des Bewahrens und um die Frage, wie kommt ein Museum eigentlich zu seinen Objekten? Unter dem Titel: „Warum sammelt Herr M. Staubsauger?“ wird ein Arrangement von Staubsaugern aus mehreren Jahrzehnten gezeigt. In der Reihung der verschiedenen Modelle lassen sich Formen und Funktionen der alten Geräte in Ruhe studieren. Die Besucher erfahren aber gleichzeitig von der Leidenschaft des Sammlers und der Zusammenarbeit des Museums mit Herrn M., der nicht nur Staubsaugertypen aus den vergangenen Jahrzehnten sammelt, sondern auch Radioapparate und Elekrogeräte aller Art. In jeder Kiste gibt es einen Text, der kurz und informativ darüber Auskunft gibt, wie die Objekte ins Museum gelangt sind. Das Sammeln bzw. das Sichansammeln von Dingen in bestimmten Zusammenhängen ist auch das Thema in anderen Kisten. Die Kriterien, nach denen die Dinge gruppiert wurden, sind unterschiedlich gewählt. Während in den einen Kisten nach Objektgattungen geordnet wurde, erfolgte die Bündelung in anderen nach thematischen Kriterien. „Vor dem Müll gerettet – ein Hausmeister ruft das Museum an“ ist
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eine weitere Kiste, die voller Pflanzentafeln, physikalischer Instrumente und ausgestopfter Vögel ist. Wer aufmerksam beobachtet, entdeckt unter den ausgemusterten Schulmaterialien Gegenstände aus der deutschen Kolonialzeit, wie das Gehörn eines Kudu-Bullen oder einen afrikanischen Speer. Als die Schule – ein altes Reformgymnasium aus dem 19. Jahrhundert – vor ein paar Jahren modernisiert wurde, fiel auch das alte Unterrichtsmaterial dem Ausmisten zum Opfer. Der Hausmeister übergab dem Museum nicht nur die alten Lehrmaterialien, sondern auch die komplette Lehrerbibliothek, die ab 1890 aufgebaut worden war und nun nicht mehr genutzt wurde. „Ein Koffer voller Erinnerungen“ lautet die Überschrift von Kiste No. 3, in der ein abgenutzter Tenniskoffer mit verschiedenen Gebrauchsgegenständen aus der Zeit der 1930er bis 1950er Jahre zu entdecken ist. Der Koffer gehörte einer alten Dame, die darin persönliche Erinnerungsstücke, wie einen Tennisschläger, Stickzeug, eine Laubsäge, Reisehausschuhe sowie einen Rechenschieber bewahrt und sie dem Jugendmuseum zur weiteren Verwendung geschenkt hatte. Der Koffer steht stellvertretend für einen Sammlungsschwerpunkt der Regionalmuseen – das Sammeln privater Nachlässe. Viele Kinder wählen diesen Koffer, wenn es im Rahmen der pädagogischen Vermittlungsarbeit darum geht, Dinge auszuwählen, die sie mittels einer Theaterszene oder einer gestalterischen Aktivität zum Sprechen bringen wollen. Häufig stellen sie sich eine Situation vor, wie ein alter Mensch einen Koffer mit Erinnerungsstücken findet und sich in die längst vergangene Jugendzeit zurückversetzt fühlt. Offensichtlich weckt dieses private Sammelsurium verwahrter Erinnerung bei den Kindern Assoziationen zu den Schatzkästchen zu Hause, den eigenen oder denen der Eltern und Großeltern. „Was bleibt von den Menschen?“ fragen wir an anderer Stelle und regen mittels eines echten menschlichen Skeletts, einem tönernen Gefäß mit Asche aus der vor- und frühgeschichtlichen Zeit und der skelettierten Mäuseleiche in einer metallenen Falle zum Nachdenken an. Eine historische Aufnahme von 1910 stellt einen im privaten Kreis aufgebahrten toten Mann dar. Darunter ist die Totenmaske eines Prominenten angebracht. Im Wunderkisten-Archiv findet sich eine kleine Kiste zum Thema mit einer echten Urne, Todesanzeigen, Tierskeletten, einem richtigen Testa-
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ment und einem Leichenhemd. Insbesondere diese Kisten – die große und die kleine – ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Für viele Kinder ist der „Tod“ ein Tabu-Thema, das zur Welt der Erwachsenen gehört. Die Objekte geben Kindern die Möglichkeit, Fragen zu stellen, aber auch eigene Erfahrungen mitzuteilen. Wo wir größeren Informationsbedarf registrieren, wie zum Beispiel beim Thema „Tod“, bieten wir eine zusätzliche Vertiefungsebene an – das „Wissensarchiv“. Hier finden sich vielfältige Hintergrundmaterialien, in denen man Antworten finden könnte auf solche Fragen wie: Wo wurde man früher begraben? Wie wird man bestattet? Wie gehen andere Kulturen mit dem Tod um? Wir erzählen entlang der 54 Kisten auch die Geschichte der Region mit ihren lokalen Besonderheiten. Allerdings nicht chronologisch oder streng systematisch, sondern – ausgehend von den authentischen Objekten, die uns zur Verfügung standen – eher in Form eines begehbaren Handapparats. Da gibt es Kisten zur Baugeschichte – „Wie kommt das Licht in die Stadt?“ oder „Schnelle Wege“ neben solchen, die die heterogene Bevölkerungsstruktur des Stadtteils zu Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen. „Der feine Herr“, „Die feine Dame“, „Der Junge“, „Das Mädchen“ – vier reich bestückte Präsentationen, die sich zum Sittenbild einer bürgerlichen Familie aus dem Vorderhaus ergänzen, flankiert vom eifrigen Dienstmädchen in der Küche und kontrastiert mit den spärlichen Überresten der Alltagskultur der Hinterhausbewohner. „Warum gibt es so wenige Gegenstände von armen Leuten?“ fragen die Kinder oft. Die gezeigte Lumpenpuppe eines Arbeiterkindes wird zum Gesprächsanlass über die Lebensrealitäten von Kindern in früheren Zeiten. „Was im Museum gesammelt wird“ schreibt der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff, „sind dinghafte Zeitzeugen, die uns über die Vergangenheit in Kenntnis setzen. Das Museum sammelt Relikte, Dinge der Vergangenheit, um sie zu Dingen für uns, zu Informationsträgern zu machen. Dieser Doppelsinn steckt im Begriff Zeitzeuge: Das Museumsding gehört einer anderen Zeit an, bietet sich aber dem heutigen Betrachter face to face.“ 7
7
Korff, Gottfried: „Zur Eigenart der Museumsdinge“ (1992), in: Korff, Gottfried/Eberspächer Martina/Gudrun Marlene König/Bernhard Tschofen (Hg.): Museumsdinge – deponieren –exponieren, 2. Auflage, Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2007, S. 141.
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So wird ein Museumsding bei unterschiedlichen Betrachtern unterschiedliche Bilder und Empfindungen entstehen lassen, für verschiedene Zeiten Zeitzeuge sein. Das Ausgussbecken einer ehemaligen Arbeiterküche wird von den Kindern häufig als Blumenkübel identifiziert, weil es heute im Hof der Eltern als ebensolcher bepflanzt wird. Ein Grammophon aus den 1920er Jahren ruft Erstaunen hervor, weil es ohne Strom funktioniert. Der Rechenschieber wird mit Neugierde in die Hand genommen. Dass viele Schülergenerationen früher mit ihm auch rechnen mussten, ruft bei den Kindern ungläubiges Kopfschütteln hervor. Über die Dinge die Welt begreifen bedeutet auch, dass Brücken in die Gegenwart geschlagen werden und sich die Frage, was all diese Dinge mit uns heute zu tun haben, von selbst beantwortet.
ZU
OFFENHERZIG ?
Eine wiederkehrende Frage – insbesondere von Museumskollegen, die ähnliche Projekte im Sinn haben – ist, ob die freizügige Präsentation der originalen Objekte nicht Tür und Tor zu Diebstahl und Vandalismus öffne. Die Kinder von heute könnten diese alten Dinge doch gar nicht wertschätzen, da sie in einer Konsumgesellschaft aufwachsen, wo das einzelne Produkt nichts mehr bedeute und bei Verlust durch ein neues ersetzt werden könne. Um unsere jahrelangen Erfahrungen gleich vorwegzunehmen: Unser Problem war in den vergangenen Jahren nicht die mangelnde Wertschätzung der Kinder und Jugendlichen. Unser Problem war und ist die Sammelleidenschaft mancher Erwachsener, die nicht an sich halten können. Sie bedürfen manchmal einer besonderen Aufsicht. Die jungen Besucher begegnen den für sie oft fremden Ausstellungsexponaten eher mit Respekt. Für sie stellt sich die Frage der Wertigkeit der historischen Objekte in ganz anderer Weise. Der Tauschwert ist hierbei weniger von Interesse, was zählt ist, ob das Objekt wirklich „echt“, also keine Nachbildung ist. Für die Kinder ist in jeder Kiste deutlich erkennbar, welche Dinge berührt werden dürfen und welche warum hinter Glas geschützt verwahrt werden. Dies ist insbesondere bei biografischen Zeugnissen der Fall, die ihre Besonderheit vor allem aus dem Kontext beziehen. Die ungeschützte Präsentation solcher Dinge würde auch bei Kindern auf großes Unver-
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ständnis stoßen, da für sie ein Gegenstand oft um so schützenswerter wird, je mehr man über den früheren Besitzer weiß, wie zum Beispiel bei einer Kiste, die anhand nur weniger überlieferte Objekte die Geschichte einer Mordbrennerbande um 1810 erzählt. In einem kleinen Objektkasten ist die authentische Pfeife eines Bauern zu sehen, die zur Verhaftung des Räuberhauptmannes und seiner Gefährtin und schließlich zur letzten Verbrennung eines Verbrechers in Preußen führten. Abbildung 3: Entdeckungen in der Ausstellung „Wunderkammern – Wunderkisten“, Foto: Petra Zwaka, © Museen Tempelhof-Schöneberg
Für das Wunderkisten-Archiv haben wir eine Auswahl von Dingen getroffen, die wir noch mehrfach in unserem Archiv haben oder die uns aus der Bevölkerung immer wieder als Schenkungen angeboten werden. Selbstverständlich würden die Kinder in den Archivkisten nicht jene Zeugnisse finden, die für unsere Region wesentliche Grundlagen zur Erforschung der Stadtgeschichte bilden. Und auch nicht jene Objekte der Alltagsgeschichte, die mit uns bekannten biografischen Erfahrungen verknüpft sind und deshalb als „Unikate“ gelten können. Denn solche persönlichen Erinnerungsstücke fordern das Museum als öffentlichen Ort in besonderem Maße, da es Sammlungsstätte kollektiver historischer Erfahrungen und ihrer Interpretationen ist.
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Das offene Konzept der Ausstellung und seine Orientierung auf jugendliche Besuchergruppen stellen ohne Zweifel hohe Anforderungen an die Betreuung. Zum einen müssen die frei zugänglichen Archivkisten regelmäßig sorgfältig „gewartet“ werden, Verpackungen erneuert, Rücksortierungsfehler ausgeglichen und eventuell beschädigte Objekte repariert werden. Zum anderen sind Besuche von Schulklassen ausschließlich über die Buchung eines mehrstündigen Projekttages möglich. Die Offenheit der Lernsituation ist eines der qualitativen Merkmale der Ausstellungspräsentation. Die begleitenden Museums- und Theaterpädagogen gehen von den Interessen der Kinder aus und moderieren den Dialog mit den musealen Objekten. Jedes Kind kann entscheiden, ob es eine ganz Kiste oder auch nur ein Objekt „zum Sprechen“ bringen will. Entsprechend ausgestattete Werkstatträume für gegenständliche Tätigkeiten, Rollenspiele und Theater sowie mediale Formen der Aufbereitung bieten allen Kindern die Möglichkeit, ihre Beobachtungen und Erlebnisse in einer eigenen Präsentation zu fixieren.
T RANSFER
DER
E RFAHRUNGEN
Inzwischen haben wir die Wunderkammern um einige Kisten verringern müssen (seit 2005), heute sind es statt 54 noch 27 Kisten. Zum einen, weil wir Teile der Sammlung in neue Projekte integrieren wollten, zum anderen weil wir in den Räumlichkeiten andere Ausstellungen zeigen wollten. Aber das Prinzip der Kombination von „deponieren und exponieren“8, bei dem die Distanz des Betrachters gegenwärtig bleibt und nicht der Versuch unternommen wird, historischen Alltag „lebensecht“ zu rekonstruieren und vielleicht aus diesem Grunde eher zum Selberforschen animiert, haben wir bis heute in vielen unserer Ausstellungen beibehalten. Ein jüngstes Beispiel: Seit 2 Jahren arbeiten wir mit einer Ausstellung, die den Namen „Geschichtslabor“ trägt. Sie ist im Kontext eines dreijährigen Bundesmodellprojektes entstanden, in dem es um die Entwicklung methodischer Prinzipien zum historischen Lernen für Kinder geht.9 Im Mittel-
8 9
S. Anm. 7. Vgl. www.geschichtslabor.de – Bundesmodellprojekt Hands on History – „Geschichtslabor NR.01“: 1933-45 und „Geschichtslabor NR.02“: Berlin halb und halb (2007-2010, eingereicht vom Jugend Museum Schöneberg), gefördert im
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punkt steht hier eine siebenteilige Schausammlung von historischen Objekten, in diesem Fall ist das verbindende Kriterium die Zugehörigkeit zu einer historischen Epoche. Im Mittelpunkt des „Geschichtslabors NR.01“ stand die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust (1933-45). Abbildung 4: Entdeckungen in der Ausstellung „Geschichtslabor“, Foto: Petra Zwaka, © Museen Tempelhof-Schöneberg
In drei Schauräumen hatten die Kinder die Wahl für einen Einstieg in das Thema – zwischen leuchtenden Comicstrips an den Wänden oder originalen Objekten aus der Geschichte des NS und der Judenverfolgung in Vitrinen. Auf den ersten Blick waren das zwei voneinander unabhängige Angebote, die zunächst einmal neugierig machen sollten. Die Comics an den Wänden waren Bildgeschichten oder kleine Erzählungen, die jeweils den Einstieg in verschiedene thematische Einheiten bildeten, u.a. Ausgrenzung von Juden, Überleben im Versteck, Deportationen und Konzentrationslager, Widerstand in der NS-Zeit, Erziehung zum Krieg. Hier wurden aus einzelnen Bildern verschiedener Comics von bekannten Zeichnern wie z.B. Eric Heuvel („Die Entdeckung“) neu zusammenhängende Bildstrecken montiert. Jedes einzelne Bild war sparsam mit einer Bildunterschrift versehen. Wer Rahmen des Bundesprogramms „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“.
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mehr wissen wollte, konnte dann daneben ein Leseleporello mit erläuternden Texten finden. Am Ende jedes Textes konnte man dann weitere Symbole finden, die dann jeweils auf den Fundort im Archiv schließen ließen. Abbildung 5: Forschen im Depot des Geschichtslabors NR.01:1933-45, Foto: Peter Schulz-Hagen, © Museen Tempelhof-Schöneberg
Den Comicstrips gegenüber standen sieben Schausammlungen mit authentischen Alltagsobjekten und -dokumenten der Zeit, wie z.B. ein Schlagstock, ein Chanukka-Leuchter, ein Tschako, manchmal auch nur symbolhafte Dinge, wie einen Pflasterstein oder einen Eimer mit Sand. Wer aufmerksam war, konnte aber noch mehr entdecken, nämlich dass sich die meisten Dinge alle in den Comics wiederfinden ließen. So wurde rasch deutlich, dass sich hinter jedem authentischen Objekt oder Dokument eine Geschichte verbergen konnte, die es lohnt zu recherchieren. Und hier begann der eigentliche Forschungsauftrag für die Kinder, nämlich herauszufinden, welche Geschichte an dem ausgesuchten Objekt hängen konnte und wie diese historisch einzuordnen ist. Dafür gab es im benachbarten Raum ein Forschungsarchiv mit unterschiedlichen Materialdossiers, in denen man Dokumente finden konnte, Fotos, Lebensgeschichten, etc. Zur Orientierung diente ein Farben- und Nummerierungssystem.
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Der besondere Clou war ein geheimnisvolles Depot mit vielen weiteren Objekten, die angefasst und „echt“ untersucht werden durften. Hier wartete eine „Archivarin“, die auch gleich Kittel und Handschuhe bereithielt. Das „Geschichtslabor NR.02“ – die Ausstellung ist noch bis Ende des Jahres 2010 zu sehen – widmet sich unter dem Titel „Berlin halb und halb“ aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalls der deutsch-deutschen Geschichte. Ergänzt um weiteres Vertiefungsmaterial an den Wänden, in Archivkästen und in einem zusätzlichen Depot, bietet die Ausstellung ein ebenso forschendes Lernen wie eben beschrieben. Abbildung 6: In der Ausstellung Geschichtslabor NR. 02: Berlin halb und halb, Foto: Peter Schulz-Hagen, © Museen Tempelhof-Schöneberg
Allen Beispielen ist gemeinsam: • Das Entdecken und die Lust des Forschens • Das Antwortensuchen auf Fragen und Mutmaßungen • Auch der Frust des Scheiterns, wenn man in eine „Forschungssackgasse“
geraten ist. (In einem Interview, das mit einem Schüler im Rahmen der Evaluation des Modellprojektes gemacht wurde, war zu lesen: „Wir als Wissenschaftler sind hier nicht weitergekommen!“)
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AUSBLICK Die Tagung in Bregenz stellte die Frage, wie der gegenwärtige Trend, die Magazine zu öffnen und Schaudepots einzurichten, museologisch einzuordnen ist. Ich möchte versuchen, darauf aus der Perspektive eines Jugend Museums, das sich vorrangig der Vermittlung von Geschichte widmet, eine Antwort zu geben: Wenn man historische Ausstellungen für junge Menschen konzipiert, dann ist man vielleicht mehr als andere in der Pflicht, aufrichtig zu sein. Überinszenierte und suggestiv gestaltete Ausstellungen machen es den Kindern schwer, eine eigene Position zu finden. Authentische Objekte können zum Ausgangspunkt einer besonderen Erfahrung mit Geschichte werden, wenn ihnen der Raum gegeben wird, ihre verschiedenen Bedeutungsebenen und oft auch ihre Widersprüchlichkeit zu entfalten. „Die Widersprüchlichkeit von Nähe und Ferne […]“, wie es Gottfried Korff schon den 1980er Jahren formuliert hat, „ist das Problem, aber auch die Chance der Geschichtsdarstellung im Museum“.10 Im Schaudepot können die Kinder (und nicht nur diese) die Dinge als das wahrnehmen was sie sind: als historische Zeugnisse einer vergangenen Zeit, die ihnen fremd ist und die man befragen muss, wenn man nicht voreilig falsche Schlüsse ziehen will. Die Echtheit oder Authentizität der Dinge spielt dabei eine entscheidende Rolle. Auch unsere Ausstellungen bieten immer nur einen möglichen „plausiblen Zugang zur Geschichte“11. Genauso gut könnten wir oft die Dinge anders ordnen, die Dinge anders interpretierbar werden lassen. Entscheidend ist, dass stets so viel Raum bleibt, dass sich ein Dialog am Gegenständlichen entwickeln kann. Dieser kann auch mal in eine überraschende Richtung gehen, wie kürzlich bei einem 11jährigen im Geschichtslabor, als er eine Schreibmaschine aus den 1930er Jahren entdeckte und staunend seine Erkenntnis formulierte: „Mensch, da braucht man ja gar keinen Drucker! Die kann ja alles. “ Dieser gegenstandsgenauen Beobachtung eines Schülers soll eine Anmerkung von Walter Benjamin folgen, die er im Jahr 1930 bei einer Ausstellungsrezension geschrieben hat und die nicht besser das Selbstverständnis unserer Arbeit beschreiben könnte: „Quantität in Qualität verwandeln
10 Siehe Anm. 7 und 8 11 Ebd.
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ist die Parole, nicht gelehrter sollen sie (die Besucher) die Ausstellung verlassen, sondern gewitzter…“12
Literatur Grote, Andreas (Hg.): „Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800“, Opladen: Berliner Schriften zur Museumskunde, Bd. 10, 1994. Korff, Gottfried: „Objekt und Information im Widerstreit. Die neue Debatte über das Geschichtsmuseum (1984)“, in: Korff, Gottfried/Eberspächer Martina/Gudrun Marlene König/Bernhard Tschofen (Hg.): Museumsdinge – deponieren – exponieren, 2. Auflage, Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2007, S. 113-125. Korff, Gottfried: „Zur Eigenart der Museumsdinge“ (1992), in: Korff, Gottfried/Eberspächer Martina/Gudrun Marlene König/Bernhard Tschofen (Hg.): Museumsdinge – deponieren – exponieren, 2. Auflage, Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2007. Korff, Gottfried: „Der gesellschaftliche Standort der Heimatmuseen heute“, in: Joachim Meynert/Volker Rodekamp: Heimatmuseum 2000, Bielefeld: Regionalgeschichte Verlag 1998, S. 13-26. Lubar, Steven/Kingery, W. D.: „Introduction“, in: Lubar, S., & Kingery, W. D. (Eds.): History from Things: Essays on Material Culture. Washington, London 1993: VIII-IX. Schultz-Hagen, Peter/Muschelknautz, Johanna: www.zera-ausstellungen.de. Waidacher, Friedrich: „Vom Wert der Museen“, in: Museologie Online, 2. Jg., S. 1-20.
12 Benjamin, Walter, zit. nach G. Korff: „Der gesellschaftliche Standort der Heimatmuseen heute“, in: Joachim Meynert/Volker Rodekamp: Heimatmuseum 2000, Bielefeld: Regionalgeschichte Verlag 1993, S. 17.
Die Sammlung als Museumsfundament Das Schaudepot des neuen Vorarlberger Landesmuseums T OBIAS G. N ATTER
Das Vorarlberger Landesmuseum befindet sich in einer spannenden Phase der Transformation. Die Zeichen einer weit ausholenden und grundlegenden Neuausrichtung sind unübersehbar. Als am 4. Oktober 2009 die letztjährige Sommerausstellung des Museums zu Ende ging, galt der Konvoi der LKWs in den folgenden Tagen nur vordergründig der Auflösung einer vielbeachteten Großausstellung. Sie hatte Schnee als scheinbar bekanntes und alltägliches, aber doch immer wieder neues Phänomen in der bildenden Kunst untersucht. Schon bei der Vorbereitung der Schau hatte mir die Vorstellung gefallen, mit Schnee eine Metapher von Vergehen und Wiederkehr einzuführen, die im übertragenen Sinn auch für das Museum und seine aktuelle Verfasstheit gelten konnte. Das alte Landesmuseum war 1905 eröffnet worden. Gut hundert Jahre später setzte die Vorarlberger Landesregierung zu einer kulturpolitischen Großtat an und fasste als Museumsträger einen Grundsatzbeschluss, das in vielerlei Hinsicht längst veraltete Museum inhaltlich und baulich neu auszurichten.1 Diese für das Land Vorarlberg und seine Kunst und Kultur wichtige Entscheidung setzte ein mehrjähriges Projekt in Gang, das bauseitig derzeit die Phasen Bedarfsplanung, Machbarkeitsstudie, europaweiter Wettbewerb, Beauftragung des Büros cukrowicz nachbaur architekten, Ausarbeitung der Baupläne und Abriss des Altbaus durchlaufen hat. Damit
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Grundsatzbeschluss der Vorarlberger Landesregierung vom 13. März 2007.
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untrennbar verbunden geht die Entwicklung der neuen Inhalte Hand in Hand. Mit der doppelten Schließung von Schnee-Ausstellung und Museum passierte das Jahrhundertprojekt Landesmuseum Neu einen Meilenstein. Mit der Baustelleneinrichtung am Kornmarktplatz wurde nun erstmals auch im Stadtbild die Tragweite und Dimension des Neubaus in vollem Umfang „sichtbar“. Mit dem Abriss wurde ein „point of no return“ überschritten. Im Ausweichquartier am Bregenzer Stadtrand hingegen fanden nun erstmals seit vielen Jahrzehnten Personal und Sammlungen des Vorarlberger Landesmuseums wieder unter einem Dach zusammen. Abbildung 1: Simulation des Neubaus von Seiten des Bregenzer Kornmarktes, © cukrowicz nachbaur architekten zt gmbh
Mit dieser Zusammenführung und Nähe verbinde ich große Hoffnungen und halte sie bei der Aufgabe des Wieder(er)findens des Vorarlberger Landesmuseums Neu für einen Glücksfall. Mir persönlich scheint, dass kaum ein sichereres Fundament für die Neukonzeption gelegt werden kann, denn aus der detaillierten Kenntnis und prüfenden Auseinandersetzung mit der Sammlung heraus. Eine solche intime Vertrautheit halte ich für entscheidend, wenn es darum geht, die Neuausrichtung optimal zu verwirklichen. Unser Ziel ist es, sowohl methodisch auf der Höhe der Zeit als auch maßgeschneidert und individuell zu sein – gerade letzteres ein Kriterium, das Mu-
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seumskonzepten gerne dann fehlt, wenn sie allzu sehr externen Konsulenten überlassen werden.
O BJEKT – O RIGINAL – S AMMLUNG Bei meiner Berufung zum Leiter des Landesmuseums hatte ich in meinem Grobkonzept zur inhaltlichen Neuausrichtung mehrere Weichen gestellt, darunter solche im Sinn der ICOM-Museumsdefinition, etwa dass das Museum die klassischen Funktionen Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten stellt. Die Feststellung, dass das Vorarlberger Landesmuseum ein typisches Mehrspartenhaus mit langer Tradition und einem starken geografischen Bezug sei, ist eine Faktenbehauptung. Dass es in diesem Sinn ein Landesmuseum bleiben soll, schon weniger. Als inhaltlicher Projektleiter hatte ich in enger Abstimmung mit der Politik dafür geworben, dass sich das Landesmuseum Neu zur Gegenwart hin öffnet. Auf die Ausstellungs- und Sammlungspolitik bezogen heißt das, dass Kunst und Kultur nach 1945, die im Museum bislang kaum, und in der ständigen Präsentation gar nicht, vertreten waren, nun einen prominenten Platz erhalten sollen. Eine wichtige Weichenstellung betraf das Bekenntnis zum Original. „Im Mittelpunkt des VLM Neu und seiner Neukonzeption steht das Original. […] Es ist „Ausgangspunkt jeder ‚Reise in die Vergangenheit‘“.2 Die Behauptung, hinter der ich sehr stehe, dass das Museum ein Ort sei, an dem Geschichte mit Dingen erzählt wird, basiert auf dem Verständnis vom Museum als einem eigenen Medium sui generis mit spezifisch eigenen Kommunikations- und Funktionsweisen. Mehr als alles andere ist das Museum ein Ort der sinnlichen Erfahrung und intellektuellen Erkenntnis – gerade auch um in der heutigen Welt seine Zukunftsfähigkeit in der Kulturproduktion und -vermittlung zu erhalten. Anders als an einem Universitätsinstitut, verschieden von einem Archiv und unterschiedlich von einer Bibliothek ist im Museum das Objekt als materieller Träger des kulturellen
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Natter, Tobias G.: „Das museologische Konzept zur inhaltlichen und baulichen Neupositionierung des Vorarlberger Landesmuseums“, Bregenz, 17. November 2006, S. 9. s. auch http://www.vorarlberg.gv.at/pdf/vlm_heft.pdf.
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Erbes aus meiner Sicht im Museum im wörtlichen wie im übertragenen Sinn fundamental. Um nicht missverstanden zu werden: Auch Objekte erzählen aus sich heraus zunächst nichts. Aber das tun Wörter, gleich in welchem Medium, auch nicht. In den aktuellen Diskussionen zur gesellschaftlichen Standortbestimmung des Museums wird oft behauptet, das Original sei angesichts seiner technisch perfekten Reproduzierbarkeit obsolet geworden. Andere hingegen klammern sich am Objekt fest und geraten in Gefahr, es weniger als Manifestation zu befragen als fetischartig zu isolieren. Zu dieser für ein Museum existentiellen Auseinandersetzung ließe sich vieles sagen. Ein grundsätzlicher Aspekt scheint mir dabei gerade vor dem Hintergrund der Informationsgesellschaft bedeutsam: In einer zunehmend global agierenden Gesellschaft, die geprägt ist von scheinbar ubiquitären Verfügbarkeiten, generiert die Begegnung mit dem Original eine nicht reproduzierbare Qualität, auf die sich ein Museum auch im 21. Jahrhundert erfolgreich berufen kann. Mir erscheint nicht nur die Vergangenheit des Museums, sondern auch seine Zukunft vom Objekt her mitbestimmt. Anschaulichkeit, sinnliche Erlebbarkeit und Authentizität sind und bleiben Alleinstellungsmerkmale des Originals. Das Original verbürgt die Echtheit, ist als dinghaft-körperliche Erinnerung „begreifbar“ und verfügt über das Potential, auch heutige „Nutzer“ an jene Konstellationen heranzuführen, denen es seine Existenz verdankt. Das Vorarlberger Landesmuseum besitzt eine umfangreiche Sammlung. Für den Typus eines kulturhistorischen Museums charakteristisch ist sie breit angelegt und in der Tendenz weniger von herausragenden Einzelobjekten als durch Vielfalt und Breite gekennzeichnet. Die rund 150.000 Objekte, die seit der Museumsgründung 1857 zusammengetragen wurden, sind eine enorme Menge, die unterschiedlichste Sparten, Gattungen und Zeiten abbilden. Es fällt auf, dass derzeit über die Bedeutung einer Museumssammlung gerne dann diskutiert wird, wenn ihre „Unantastbarkeit“ bedroht ist. Sozusagen ex negativo also immer dann, wenn vor dem Hintergrund knapp werdender Budgetausstattungen die Idee auftaucht, ob zur Finanzierung des Museums einzelne Werke oder ganze Objektgruppen abverkauft werden dürfen/sollen/müssen. Die Meinungen gehen diesbezüglich – je nach Grundverständnis – weit auseinander. Manche – zu denen auch ich zähle – sehen in der Sammlung
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das Rückgrat des Museums, andere eine Rumpelkammer oder, etwas neutraler formuliert, einen Speicher von Gegenständen, die aus dem ökonomischen Kreislauf herausgefallen sind; nicht mehr als Relikte, das Museum als Friedhof. In der täglichen Praxis ist die Sammlung für viele Museumsmitarbeiter der Fundus, aus dem heraus sie sich für jenen Telbereich bedienen, den sie in den Ausstellungsräumen des Museums öffentlich machen. Deponieren und Exponieren mögen begriffliche Widersprüche sein, aber aus dieser Janusköpfigkeit lässt sich Kapital schlagen. Und das nicht nur, weil das erste oft anregende Voraussetzung für das zweite ist. Den antiken Göttern galt Janus als Gott des Anfangs und des Endes, er war Mittler zwischen Menschen und Göttern und fungierte als Vater aller Dinge. Wenn die Widersprüchlichkeiten von Deponieren und Exponieren, die im Museum doch eine Einheit ist, helfen kann, lineare Erzählstrukturen und geschlossene Geschichtsmodelle aufzubrechen, soll uns das nur recht sein.
D AS M ETATHEMA DES S AMMELNS Als das Land Vorarlberg den Startschuss für die inhaltliche und bauliche Neuausrichtung des Museums gab, herrschte Konsens darüber, dass ein Aufbruch in die Gegenwart nicht mehr aufschiebbar sei. Die Frage aber nach dem „Wie“ und dem „Wohin“ erwies sich als weit komplexer und strittiger. Es galt sich bewusst zu machen, dass, wie meist, der gegenwärtige Standort den Standpunkt bestimmt. In diesem Zusammenhang scheint es mir grundlegend hilfreich, die eigene Geschichte und zugrundeliegenden Leitideen zu thematisieren, Absichten in ihrer historischen Bedingtheit darzustellen und zeittypische Veränderungen sichtbar zu machen. Für das im 19. Jahrhundert gegründete Vorarlberger Landesmuseum ging es zunächst in damals üblicher Weise primär um das Sammeln und Bewahren von heimischem Kulturgut. In den Gründungsstatuten war dezidiert von der drohenden Abwanderung des materiellen Erbes in das (damals weit finanzstärkere) Ausland die Rede.3 Die
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Das Gefühl von kompensatorischer Rettung im Wettstreit von Modernisierung und Musealisierung prägte das 19. Jahrhundert tief. In den Gründungsstatuten des Museumsvereines heißt es zum Vereinsziel unter § 1: „Der Zweck des Ver-
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ursprünglichen Absichten haben sich verändert (und das Finanzgefälle erst recht). Entstanden ist eine Sammlung, die materieller Ausdruck dieser Veränderung ist und als solche auch lesbar gemacht werden kann. Das Landesmuseum war zunächst enzyklopädisch ausgerichtet mit einem Kultur-, Natur- und Technikschwerpunkt. Als später im Zuge der Ausdifferenzierung der Kulturlandschaft auch in Vorarlberg ein eigenes Landesarchiv, eine selbständige Landesbibliothek und eine „Vorarlberger Naturschau“ entstanden, übergab das Museum als Wiegengeschenk seine einschlägigen Bestände. Aus dem universalhistorischen Ansatz der Gründerzeit entwickelte sich ein kulturhistorisches Museum mit den Schwerpunkten provinzialrömische Archäologie, Kunstgeschichte, Geschichte und Volkskunde (heute empirische Kulturwissenschaften). Aber auch innerhalb dieser Schwerpunkte tun sich Defizite auf, die der (bildungs-)bürgerlichen Herkunft des Landesmuseums im 19. Jahrhundert und seiner spezifischen Repräsentation geschuldet sind. Aus diesem Grund ist die Sorge, dass die Logik der Sammlung die Geschichtsschreibung des Museums determiniere, nicht unberechtigt. Doch das muss es nicht zwangsläufig bedeuten. Aussparungen, blinde Flecken und bewusste Ausblendungen sind genauso Teil des Ganzen. Mir erscheint das eine wie die Kehrseite des anderen und verhält sich zueinander wie Vorder- und Rückseite ein und derselben Medaille. Und gerade zur Anwesenheit des Abwesenden haben zeitgenössische Kulturschaffende, mit denen das neue Landesmuseum in Form kuratorischer und künstlerischer Interventionen zusammenarbeiten will, spannende Ansätze entwickelt.4
eines geht dahin, eine Sammlung zu schaffen, welche Gegenstände enthalten soll, die in geschichtlicher, artistischer, naturhistorischer und technologischer Hinsicht merkwürdig und erhaltenswerth sind.“ S. Statuten des MuseumsVereines für Vorarlberg, Bregenz 1858. 4
Im Leitbild, das mein Team und ich mit Unterstützung des wissenschaftlichen Museumsbeirates entwickelt haben, bekennt sich das Museum ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden und der Integration von solchen Außenperspektiven.
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W IE SOLL DAS S CHAUDEPOT W AS WILL ES LEISTEN ?
ALS
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FUNKTIONIEREN ?
Ging es im 19. Jahrhundert primär darum, eine Sammlung aufzubauen, so steht heute ihre Interpretation im Vordergrund. Gleichzeitig werden Sammlungen immer größer. „Wir sind heute in der Tat mit einer kulturell-ökologischen Krise konfrontiert: Die modernen Medien und die gesamte Kulturindustrie produzieren einen zu großen Überfluss an kulturellen Artefakten, die durch die Macht der Natur nicht mehr in genügendem Maß zersetzt werden. Die Frage „Was bleibt?“ bekommt zunehmend eine klare Antwort: es bleibt zuviel. So werden die Museen heute mehr und mehr Orte einer kulturell-ökologischen Zensur. Ihre Funktion ist weniger, die zum Verschwinden verurteilten Artefakte der Vergangenheit zu retten, als vielmehr aus der Masse des sich anhäufenden kulturellen Mülls eine sinnvolle Auswahl zu treffen.“5 Eine Antwort auf diese Krise war die Öffnung der Depots. Das Konzept des „open storage“ tauchte im angelsächsischen Raum vor ca. vier Jahrzehnten auf. Die Öffnung geschah aus unterschiedlichen Beweggründen. Anfänglich ging es meist darum, neben jenen Dingen, die in angestammten Bereichen gezeigt wurden, vor allem der Fachwelt auch all das zu zeigen, was es eben auch noch gibt. Im Vorarlberger Landesmuseum verstehen wir das Schaudepot aber nicht als Notlösung, sondern als Einblick in die Struktur und Vielfalt der Sammlung und Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Die Vorstellungen, die mein Team und ich entwickelt haben, gehen dabei von der Tatsache aus, dass Landesmuseen grundsätzlich anders funktionieren als vergleichbare, aber primär ästhetisch normativ operierende Kunstinstitute. Beim Vorarlberger Landesmuseum handelt sich im Kern weder um eine fürstliche Sammlung mit entsprechenden Glanzlichtern, noch um ein reines Kunstmuseum, das tendenziell eher einem Starprinzip huldigt. In der Regel beherbergen Landesmuseen keine Mona Lisa und keine Saliera. Das mag ein Mangel sein, aber in dieser Differenz liegt auch die Herausforderung für einen museologisch eigenständigen, signifikant anderen Ansatz – gerade weil wir wissen, wie schwer es für landeskundliche
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Groys, Boris: „Sammeln, gesammelt werden. Die Rolle des Museums, wenn der Nationalstaat zusammenbricht“, in: Lettre International 33, 1996, S. 32.
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Sammlung heute ist, sich in der öffentlichen Wahrnehmung ohne Objekte mit ikonografischem Wiedererkennungswert durchzusetzen. Nicht zuletzt ist es dieser Andersartigkeit geschuldet, dass in einem kulturhistorischen Museum gemeinhin Wertvolles zwanglos neben scheinbar Wertloses treten kann und Wert und Wertbestimmung fragwürdig werden.
Abbildung 2: Die drei Ausstellungsgeschosse des neuen Vorarlberger Landesmuseums mit offenem Innenhof: (v. l.) Ausstellungsebene 1: Das Schaudepot, Ausstellungsebene 2: Die Schausammlung, Ausstellungsebene 3: Die Sonderausstellungen, © cukrowicz nachbaur architekten
Das neue Landesmuseum wird in den drei obersten Geschossen des Hauses über drei räumlich gleichwertige Ausstellungsgeschosse verfügen. Jedes soll Geschichte und Geschichten nach dem Motto „Drei Ebenen – drei Zu-
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gänge“ anders darstellen. Die Unterschiede ergeben sich im methodischen Ansatz, in der Inszenierung und Erzählstruktur. Jedes Stockwerk muss selbständig für sich funktionieren, gleichzeitig sind sie inhaltlich und gestalterisch aufeinander bezogen. Ein Aspekt der unterschiedlichen Aufbereitung liegt in der Art und Weise, wie mit der eigenen Sammlung umgegangen wird. Das Schaudepot arbeitet aus den eigenen Beständen, das darüberliegenden Geschoss in einem thematischen „Rundgang“ fallweise mit Leihgaben, das dritte Geschoss mit den Sonderausstellungen stark mit Objekten von außen. Damit verbunden sind auch unterschiedliche Zeithorizonte der Inszenierung und die Halbwertszeit der Präsentation insgesamt.6 Letztlich geht es um weniger „Festschreibungen“, sondern um Vielfalt und Multiperspektivität.
D AS ABC
UND DIE
O RDNUNGSMACHT
DES
M USEUMS
Im Schaudepot trifft das Publikum auf insgesamt 26 unterschiedliche Gruppen von in sich technisch und materiell homogenen Objekten. Sie können aus zwei, drei Dutzend bis hin zu mehreren hunderten Objekten bestehen. Sie werden weiter unten detailliert vorgestellt. Die Gliederung der Gruppen orientiert sich in Auswahl und Abfolge am ABC. Das Alphabet ist interessanterweise im Wissenschaftsbetrieb ein häufiges und historisch gut ableitbares Ordnungssystem. In den barocken Klosterbibliotheken etwa ist ein solches lettristisches System wiederholt zu finden. Im Ausstellungsbereich eines Museums hingegen kommt dieses Ordungssystem eher selten zum Einsatz. Eine Ausnahme, die im Rahmen der Fachtagung ausführlich vorgestellt wurde ist das Focke-Museum, Bremen7. Spannend ist auch die Lösung, welche die Museumslandschaft Hessen Kas-
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Dementsprechend sind auch die Unterschiede in Halbwertszeit und Umlaufgeschwindigkeit der Inszenierung. Siehe dazu Natter, Tobias G.: „VLM Neu. Das räumliche Ausstellungs- und Bespielungskonzept“, Bregenz: 14. August 2008, S. 6f.
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Von der Haar, Frauke: „Das Schaumagazin des Focke-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S 105-116.
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sel 2005 entwickelte. Dort wurde ein Museums-ABC entworfen, in dem die Buchstaben mit Funktionsweisen, Personen und Begriffen des Museums unterlegt wurden, von A wie Aufseher bis Z wie Zuschreibung. Als dezentrale Installation in den verschiedenen Häusern der weitläufigen Museumslandschaft Hessen Kassel konzipiert, gewährt es laut Eigenbeschreibung spielerisch und präzise einen Blick hinter die Kulissen der Institution und vermittelt „dem Publikum Einblicke in das Leben eines Museums jenseits der Oberfläche des Sichtbaren.“8 Anders als im Kasseler Museums-ABC geht es in Bregenz um Objektgruppen und die Ordnungsmacht des Museums. Für das Publikum wirkt die Gliederung einer Sammlung nach dem Alphabet wohl deutlich als willkürliche Setzung. Sie ist eine so sinnvolle, wie sinnlose Ordnung. Anstelle der Sparteneinteilung, wie sie im alten Museum mit je einem Stockwerk für Archäologie, Kunst und Volkskunde galt, tritt nun neu ein vermischter, interdisziplinärer Ansatz. Geschichte soll deutlich werden als etwas Gesetztes, Konstruiertes, das heute und im Rückblick entsteht. Das Museum will also bereits in seiner Präsentation Hilfestellung geben, zwischen der Faktizität der Objekte und ihrer Interpretation zu unterscheiden. Ist die gesellschaftliche Erwartung an das Museum als Ordnungsmacht legitim? Das Museum war und ist sui generis ein Ort der Ordnung(en) und Taxonomien. Die üblichen Ordnungsprinzipien, die stark dem Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts entnommen sind, müssen heute aber nicht mehr ausgestellt werden. Vielmehr können wir darauf aufbauen, damit spielen, sie thematisieren. Es gilt dem berechtigten Vorwurf entgegenzutreten: „Das Museum trifft immer eine Wahl, aber es verschleiert diese Wahl“.9 Wenn das neue Landesmuseum Einblicke gewähren will, wollen wir darin auch das Ausschnitthafte deutlich machen. Und mehr als das: Die Summe aller Einzelteile ergibt nicht das „Ganze“. Die Auswahl bleibt offen, das ABC Fragment, die Objekte austauschbar. Das ABC, wie es uns vorschwebt, soll den Sammlerblick adressieren. Indem die dem Alphabet entlehnte Ordnung sich den linearen Modellen der
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Siehe Museumslandschaft Hessen Kassel unter www.museum-kassel.de. Fliedl, Gottfried: „Im Museum. Essayistische Anmerkungen zu Geschichte und Funktion der Landesmuseen in Österreich“, in: Gedächtnis - Erinnerung – Identitäten. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 13, Heft 1/ 2002, S. 98.
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Wissenschaft doppelbödig verweigert, hat das Konzept fast etwas Dadaistisches, operiert mit dem Schauen und Staunen der Kunst- und Wunderkammer und durchbricht die stillschweigende Übereinkunft, dass das Museum ein Ort des Wissens und des Wissenserwerbs sein muss. Es soll die Besucher über die Entdeckerfreude mobilisieren. Nach den Erfahrungen des „Musée sentimental“ scheint mir der Satz von Walter Benjamin erst recht zu gelten, der über die Museumsbesucher meint: „Nicht gelehrter sollen sie die Ausstellung verlassen, sondern gewitzter.“10 Das gilt vor allem dann, wenn der Museumsbesuch ein besonderes, ein individuelles und nicht zuletzt auch unerwartetes Erlebnis sein soll.
Z UR
ARCHITEKTONISCHEN G ESTALTUNG UND MEDIALEN E RSCHLIESSUNG
Die Vielfalt der Objekte stellt an die Ausstellungsgestaltung große Anforderungen. Derzeit ist das Museumsteam gemeinsam mit dem Wiener Ausstellungsgestalter Martin Kohlbauer dabei, ein Präsentationsmöbel zu entwickeln, das ästhetisch den Raum bewältigt, die komplizierten klimatischen Anforderungen erfüllt und dabei die aktive Mitarbeit der Besucher anspricht, indem etwa Laden zu öffnen sind etc. Die Geschichte der Objekte findet – wer mag – in eigenen elektronischen Terminals. Angedacht ist zudem die Einrichtung einer thematisch auf das Schaudepot abgestimmten Bibliothek, die es dem interessierten Besucher erlaubt, sich eigenständig weiter zu informieren. Derzeit ist das Museumsteam mit der Ausarbeitung solcher Überlegungen beschäftigt. Ergänzend zu der den Schauwert betonenden Präsentation der Objekte könnten interaktive Elemente akustische und haptische Erfahrungen vermitteln. Sie ermutigen insbesondere jüngere Besucher zu einem explorativen Umgang mit den Dingen. Entscheidend wird es sein, die Sammlungsgeschichte in der eingangs beschriebenen Weise in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit auch textlich zu integrieren. Hier denken wir an großflächige typografische Lösungen mit Splittern aus den jährlichen Sammlungsberichten des Museumsvereins, aus Ankaufsprotokollen und ähnlichem. Die interne Sicht
10 Benjamin, Walter: „Bekränzter Eingang“, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. 11, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1982, S. 559.
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soll immer wieder durch Reaktionen und Stellungnahmen von außenstehenden Zeitgenossen relativiert werden. Von A bis Z Im Folgenden hier die Belegung der Objektgruppen von A bis Z. A „angelicamad“ Gezeigt werden 122 Druckgrafiken von und nach Angelika Kauffmann, die das Museum in seinen Anfangsjahren unmittelbar von den Erben der Künstlerin erworben hat. Für die englischen Zeitgenossen galt: „The whole world is angelicamad“.11 Die Popularität der Künstlerin schien grenzenlos und geschäftstüchtig arbeitete die Kauffmann damals mit den besten Kupferstechern ihrer Zeit zusammen. Sie war eine der Voraussetzungen, für die europaweit erfolgreiche Verbreitung ihres Werkes. In ihrer „Wahlheimat“ Vorarlberg ist sie bis heute ein wichtiges Thema und nicht zufällig besitzt das Landesmuseum die weltweit größte Kauffmann-Sammlung. B bauen Gezeigt werden Architekturmodelle zum neuen Bauen in Vorarlberg von den 1960er Jahren bis heute. Die scheinbar alemannische Mentalität des „schaffe, schaffe, Hüsle baue“ gepaart mit Kostenbewusstsein, gesundem Pragmatismus und handwerklicher Exzellenz begünstigte in Vorarlberg die Entstehung einer Architektur, die sich durch Einfachheit, Ressourcenfreundlichkeit, hohen Nutzwert und schlichte Eleganz auszeichnet. Ihren Anfang nahm die Entwicklung zu Beginn der 1960er Jahre, die heute internationale Anerkennung findet.
11 Der dänische Legationsrat Gottlob Friedrich Ernst Schönborn in einem Brief an Friedrich Gottlieb Klopstock, 1781.
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C Chränsle & Co Gezeigt werden 96 Trachtenhauben, die 2007 als Schenkung aus dem Nachlass der Bregenzer Trachtenforscherin Agnes Kinz an das Museum kamen. Chränsle, auch Kränsle geschrieben, ist ein Vorarlberger Dialektausdruck für Jungfernkrönchen, die zur Tracht getragen wurden und noch getragen werden. Gezeigt wird die Haubensammlung der 1939 verstorbenen Bregenzerin Agnes Kinz, die in einer Zeit entstand, als der Tracht unterschiedlichste ideologische Bedeutungen (Heimatschutz, Deutschvölkisches etc.) zu- und eingeschrieben wurden. D daheim Gezeigt werden Sitzmöbel, v. a. Sessel und Hocker aus der Möbelsammlung des Museums. „Daheim“ steht für „eingesessen“ und damit auch für Zuhause und Heimat – wo man sich „niederlässt“ bzw. sich hinsetzt, da lebt man auch. Die Schaustücke spannen einen Bogen von der Zeit um 1650 bis zur Gegenwart. Meist handelt es sich um anonyme Möbel, die wohl in Vorarlberg entstanden sind. E Zur Erinnerung Gezeigt werden Vorarlberger Touristensouvenirs. Mit dem aufkommenden Tourismus wuchs in Vorarlberg der Bedarf nach einschlägigen Erinnerungsobjekten. Die im Allgemeinen im Bereich des Kitsches anzusiedelnden Objekte sind ambivalent: Sie geben Auskunft über Eigendarstellung und Fremdwahrnehmung von Gast und Gastgeber. Persönliche Erinnerungsmomente sind verknüpft mit der Kommunikation von Klischees und Markenbildung, die globale Warenwirtschaft konterkariert den regionalen Bezug. F fremd? Gezeigt wird eine Fotoserie des Feldkircher Künstlers Nikolaus Walter.
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Der Feldkircher Fotograf Nikolaus Walter begann in den 1960er und 1970er Jahren, Bilder von Menschen und ihrer Lebenswelt zu machen, die damals als türkische und jugoslawische „Gastarbeiter“ bezeichnet wurden. „Fremd“ waren bzw. sind in Vorarlberg viele, die hier arbeiten und leben. Als fremd wurden bzw. werden sie angesehen und behandelt, als fremd empfanden und empfinden sie sich – in unterschiedlichem Maße und unterschiedlich lange – selbst. G gsi Gezeigt werden schmiedeeiserne Grabkreuze aus der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. „Gsi“ als Dialektausdruck für „gewesen“ wird anscheinend von den Vorarlbergern so beharrlich verwendet, dass sie außerhalb des Landes gerne als die „Gsiberger“ wahrgenommen werden. Im Schaudepot des Museums kommt „gsi“ als ironische Brechung und „Gewesen“ als Zeichen für Vergangenheit und Tod vor. H Himmel Gezeigt werden vor allem barocke Heiligenskulpturen. Die meisten Heiligenfiguren kamen bereits sehr früh – in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und um 1900 – an das Vorarlberger Landesmuseum. In dieser Zeit wurden zahlreiche Kirchen modernisiert und die alten Ausstattungstücke ins Museum „entsorgt“. I Ich Gezeigt werden die gezeichneten Selbstbildnisse des Dornbirner Künstlers Edmund Kalb. Kalb schuf hunderte von Selbstbildnissen. Immer wieder suchte er Zuflucht vor dem Spiegel, wenn er sich selbst mit Bleistift auf Papier darstellte. Die exzessive Beschäftigung mit dem eigenen Ich, die Einsamkeit der Selbstbefragung und die distanzlose Selbstvergewisserung machen ihn als Expressionisten und Ausnahmekünstler zu einer wichtigen Referenzfigur.
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J Jüdisches An dieser Stelle des Alphabets trifft das Publikum auf eine Leerstelle. In Hohenems existierte über mehrere Jahrhunderte eine jüdische Gemeinde, die 1938 endgültig zerstört wurde. Zwar kamen von Mitgliedern dieser Gemeinde immer wieder Zuwendungen an das Museum, aber heute findet sich im Museum kaum etwas, das an das eigene Gemeindeleben und seine Geschichte erinnert. K Kuh Gezeigt werden Tierglocken, vor allem von Kühen, aus dem 18. bis 20. Jahrhundert. Abbildung 3: Kuhglocken aus der Sammlung des Vorarlberger Landesmuseums, Foto: VLM, © VLM
Die Glocke der Leitkuh dient der Herde zur Orientierung, den Bauern erleichtert sie die Suche nach verirrtem Vieh. Im Museum stehen sie für Viehzucht, die für die Vorarlberger Bauern über Jahrhunderte bis heute wichtige Lebensgrundlage darstellt.
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L Luxus Gezeigt wird ein römischer Depotfund aus Brigantium, bestehend aus Terra Sigillata Gefäßen aus der Zeit Kaiser Domitians (81-96 n.Chr.). 1878 wurden bei einer Ausgrabung in Bregenz 110 Terra Sigillata Gefäße aus Südgallien, dem heutigen Südfrankreich gefunden. Wahrscheinlich war es das Warenlager eines Händlers. Die glänzend roten, teilweise reich verzierten Schalen und Teller standen nahezu unversehrt auf dem Stiegenabgang zu einem Keller, der seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. vermauert war. M Musterbücher Gezeigt werden Musterbücher der Vorarlberger Textilindustrie seit den 1820er Jahren. Abbildung 4: Musterbuch aus der Sammlung des Vorarlberger Landesmuseums, Foto: VLM, © VLM
Musterbücher, die als Vorlagensammlung, Werkdokumentation und Verkaufskatalog dienten, sind Zeugnisse für die ab dem frühen 19. Jahrhundert florierende Textilindustrie in Vorarlberg. Sie dokumentieren textiltechnische Verfahren, stehen für die Mannigfaltigkeit von Design und Stoffqualitäten und dokumentieren den Reichtum an Mustern, Formen und Farben. N Nachlass Gezeigt werden Ausschnitte aus dem Legat nach dem Bregenzer Maler Fritz Krcal.
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Als Vermächtnis seiner Witwe erhielt das Museum einen mehrere hundert Gemälde, Entwürfe und Zeichnungen umfassenden Nachlass des Bregenzer Malers Fritz Krcal, der dessen lange Schaffenszeit von der Neuen Sachlichkeit bis in die 1980er Jahre dokumentiert. O Obstler Gezeigt werden Glasobjekte zum Thema Schnaps. Streuobstwiesen prägen zwischen Bregenzer Wald und Rheintal seit Jahrhunderten die Landschaft. Unter Maria Theresia wurde die Abfindungsbrennerei eingeführt. Damit hat bis heute jeder, der Obstbäume besitzt das Recht, das Obst seiner Bäume zu Schnaps zu brennen. In diesem Zusammenhang entstand eine typische Trinkkultur zu der auch die kleinen Gläser und enghalsigen Schnapsflachen gehören. P prächtig Gezeigt werden barocke Messgewänder aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Über Jahrhunderte entstanden vor allem in Frauenklöstern prachtvolle Textilien für Sakralgewänder. Liturgie und Kunst stehen bei der Gestaltung der Kaseln, Rauchmäntel, Stolen und Manipel in einer engen Beziehung. Die luxuriösen Objekte spiegeln technisches Können und Handfertigkeit wider und verweisen auf die römisch-katholische Prägung des Landes. Q Qualität Gezeigt werden Zinnobjekte aus Vorarlberger Werkstätten. Die Tradition der Zinngießer in Vorarlberg begann Ende des 15. Jahrhunderts mit Melchior Kantengießer in Bregenz wurde im 16. und 17. Jahrhundert in Altenstatt, Bregenz und Feldkirch fortgeführt. Die Industrialisierung, die Gebrauchsgeschirr aus festerem und vor allem billigeren Materialien mit sich brachte, bedeutete das Ende für die große Verbreitung von Zinngegenständen.
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R Rundfunk Gezeigt werden Rundfunkgeräte aus unserer Sammlung, die das Museum 2010 von einem Privatsammler aus Dornbirn erwarb. Der Rundfunk erschloss durch seine Übertragungen erstmals allen Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit, an kulturellen, sportlichen oder historischen Ereignissen (Mondlandung) teilzuhaben und war damit ein bedeutender Faktor kultureller Demokratisierung. S Schwerzenbach’sche Schwertknaufsammlung Gezeigt werden mehr als tausend Schwertknäufe vom 14. bis in das 18. Jahrhundert. Die mehr als tausend Schwertknäufe wurden dem Museum von dem Bregenzer Sammler, passionierten (Amateur-)Archäologen und langjährigen Museumspräsidenten Carl von Schwerzenbach überlassen. Unter den vielen Objekten, die er an das Haus brachte, nimmt seine eigenwillige Sammlung eine herausragende Stellung ein. T Trumpf Gezeigt werden Spielkarten. Das Kartenspielen – auch das in Vorarlberg seit dem 18. Jahrhundert verbreitete Jassen – ist eine ambivalente Form, die Zeit tot zu schlagen: Für die einen ein vermeintlich zweckfreies Vergnügen, für andere eine sinnlose, ja gar gefährliche und daher verwerfliche Unterhaltung, bei der schon mancher Haus und Hof verloren hat. U Unrat Gezeigt wird eine spätrömische Brunnenverfüllung aus Brigantium. Auch die Römer produzierten große Mengen an Abfall, den sie entsorgen mussten. Etwa 150 Jahre lang – bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts – benutzen sie einen Brunnen in Bregenz-Steinbühl als Mülldeponie. Fast zweitausend Jahren später ist diese Brunnenverfüllung für Archäologen ein wahrer
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Schatz. Deutlich wird der Perspektivenwechsel: Vom Müll zum wissenschaftlichen Fundstück. V versorga Gezeigt werden Schachteln, Dosen, Kassetten und Truhen. Glaubt man dem Klischee vom „suberen Ländle“, spielt Ordnung im Leben der Vorarlberger eine große Rolle. „Versorga“ ist der Vorarlberger Dialektausdruck für „versorgen“ und steht gleichzeitig auch für „Aufbewahren“, „an einem sicheren Ort verstauen“. In der volkskundlichen Sammlung des 19. und 20. Jahrhunderts gehörten Dosen, Schachteln, Kassetten und Truhen zu den bevorzugten Sammelobjekten. W wunderlich Gezeigt werden Klosterarbeiten unter Glas, mehrheitlich aus dem 19. Jahrhundert. Abbildung 5: Klosterarbeiten aus Glas aus der Sammlung des Vorarlberger Landesmuseums, Foto: VLM, © VLM
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Sie sind Ausdruck einer tiefgreifenden Volksfrömmigkeit und Zeugen einer von Arbeit und Gebet geprägten klösterlichen Lebenswelt. Vielfach waren Nonnen Urheberinnen dieser dreidimensionalen Kreationen, die meist als Klosterarbeiten bezeichnet werden. X x-fach Gezeigt werden Textil-Druckmodeln vom 17. bis 20. Jahrhundert. Solche Druckmodeln, die aus Hartholz geschnitten sind, kamen beim textilen Handdruck zum Einsatz. Dank ihrer seriellen Wiederholbarkeit von Motiv und Muster konnten Rapport und Einzelmotive x-fach auf tausenden von Laufmetern wiederholt werden. Als „Archiv der Stoffgeschichte“ geben sie Einblick in die Technik des vorindustriellen und frühindustriellen Stoffdrucks in Vorarlberg. Y Ysop Gezeigt werden Kräuterbücher. In den ersten Jahrzehnten seiner Existenz trug das Museum eine umfangreiche Büchersammlung zusammen. Sie wurde jedoch bei Gründung der Vorarlberger Landesbibliothek mehrheitlich abgegeben. Die kleine Sammlung von Kräuterbüchern blieb dem Museum erhalten. Z zahla Gezeigt wird der 1986 zutage getretene Münzfund aus dem Schlösschen Sonderberg bei Götzis. Der Münzfund wurde dem Museum 2007 von seinem Museumsverein aus Anlass von dessen 150-jährigen Gründungsjubiläum geschenkt. Er war im Zuge von Umbauarbeiten 1986 im Schlösschen Sonderberg bei Götzis entdeckt worden. Die insgesamt 1267 Silbermünzen geben einen groben Überblick über das im Umlauf befindliche Geld am Ende des 17. Jahrhunderts.
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D AS S CHAUDEPOT IM K ONTEXT VON „D REI E BENEN – DREI Z UGÄNGE “ Das Vorarlberger Landesmuseum geht aktuell durch einen weitreichenden Prozess der Veränderung. Im Leitbild, das wir erarbeitet haben, gehen wir von den Herausforderungen eines zeitgemäßen Museums aus, das die Kontinuitäten und die Veränderungen in der Gesellschaft reflektiert: „Uns interessiert Vorarlberg als gewordene und werdende Kulturlandschaft.“12 In diesem Sinn kommt der Sammlung große Bedeutung zu. „Die Gegenstände im Sinne der bloßen Bewahrung einfach nur zu sammeln mag das Interesse eines Antiquars sein. Diese Gegenstände aber so zu erforschen, dass sie Geschichten und Geschichte erzählen, dass sie Zusammenhänge erhellen und diese in einen wissenschaftlichen Diskurs stellen, muss der Anspruch der Institution Museum sein.“13 Das Schaudepot ist für uns ein Weg, um über die Institution und ihre Autorenschaft Auskunft zu geben. Sein Mehrwert liegt darin, die Struktur der Sammlung sichtbar zu machen, Einblick in ihre Vielfalt zu geben und das Museum als Ort des Sammelns selbst zum Exponat zu machen. Auch wird es im Schaudepot einen Ort geben, wo aktuelle Neuzugänge laufend ausgestellt werden. Praktisch gesprochen rücken wir damit die Sammlung in den Vordergrund. Wir geben ihr ein eigenes Stockwerk und machen sie damit in der räumlichen und funktionalen Organisation des Hauses zur Basis für Geschichte und Geschichten in den beiden darüberliegenden Ausstellungsgeschossen. Das Schaudepot, so wie wir es planen, ist a priori Teil des Gesamtkonzeptes, wurde mit der grundlegenden Neuausrichtung entwickelt und funktioniert gleichwertig und im Austausch mit den beiden darüber liegenden Ausstellungsgeschossen. Das Schaudepot hat sich in der Museumswelt in den letzten Jahrzehnten als vielschichtiges Präsentationsformat profiliert. Dessen Potential aber scheint noch lange nicht ausgeschöpft. Vielmehr gilt die Aufforderung: „Man muss dem Schaudepot aber noch weiteres Leben einhauchen.“14 Die Weichenstellungen für das Vorarlberger Landesmuseum Neu, die ich mit
12 Siehe www.vlm.at/index.php/uber-uns. 13 Lenherr, Hans-Peter: Grußworte zum Bodenseesymposium 2006. 14 Max Hollein im Interview mit Brigitte Borchhardt-Birbaumer, in: Wiener Zeitung, Wien 03/04/2010.
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meinem Team und flankiert vom wissenschaftlichen Beirat des Museums erarbeitet habe und als Leiter verantworte, wollen dazu ein Beitrag sein.15 Im Dreiklang von Schaudepot, Rundgang und Sonderausstellung hoffen wir, dem Landesmuseum weit über den Bodenseeraum hinaus einen unverwechselbaren Charakter zu geben.
Literatur Benjamin, Walter: „Bekränzter Eingang“, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. 11, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1982. Fliedl, Gottfried: „Im Museum. Essayistische Anmerkungen zu Geschichte und Funktion der Landesmuseen in Österreich“, in: Gedächtnis – Erinnerung – Identitäten. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 13, Heft 1/2002, S. 88-121. Groys, Boris: „Sammeln, gesammelt werden. Die Rolle des Museums, wenn der Nationalstaat zusammenbricht“, in: Lettre International 33, 1996, S. 32-37. Natter, Tobias G.: „Das museologische Konzept zur inhaltlichen und baulichen Neupositionierung des Vorarlberger Landesmuseums“, Bregenz, 17. November 2006, s. a. http://www.vorarlberg.gv.at/pdf/vlm_heft.pdf. von der Haar, Frauke: „Das Schaumagazin des Focke-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S 105-116.
15 Ich danke in diesem Zusammenhang herzlich dem wissenschaftlichen Beirat des Museums. Die Möglichkeit mit ihm Grundsatz- und Einzelfragen der inhaltlichen Neuausrichtung jederzeit und offen zu diskutieren, hat uns sehr geholfen.
Die Ordnung der Dinge: das Schaudepot – Resümee der Diskussionen M ICHAELA R EICHEL
Die Diskussionen zum Schaudepot während der Tagung kreisten um grundsätzliche Fragen der Begriffsdefinition, historischen Ableitungen, der Funktion innerhalb des Gesamtkonzeptes von Museen und des Mehrwerts für den Besucher. Es handelt sich dabei um Fragestellungen, die bereits kurz nach der Einrichtung der ersten Schaudepots in der Literatur auftauchen und deren aktuelle Relevanz sich rasch durch die Alltagspraxis im Museum herauskristallisieren: Was macht ein Schaudepot zum Schaudepot? Was sind seine charakteristischen Eigenschaften? Wie muss man den Begriff schärfen, um für das Publikum berechen- und begreifbar zu sein? Wo liegen die Grenzen zur Ausstellung? Was kann das Schaudepot für das Museum und den Besucher leisten? Die Gründe, warum Museen Schaudepots einrichten, sind vielfältig – die Erwartung, die Besucher-/Besuchszahlen zu steigern, zählt jedoch nicht dazu. Eine wesentliche Rolle spielt hingegen die Haltung der Geldgeber, Mittel für Depotflächen nur zu genehmigen, wenn sich daraus ein Mehrwert für die Öffentlichkeit ergibt. Das Sichtbarmachen des Depotbestandes dient der Legitimierung gegenüber den Geldgebern. Andererseits wird darin eine Möglichkeit gesehen, die Vielfalt der Sammlungen zu zeigen, damit über sich als Institution Auskunft zu geben, den Besuchern die Objekte als eine Grundlage von Erkenntnisgewinn sichtbar zu machen und für das Museum als Ort der Forschung zu sensibilisieren. Der aktuell zunehmende Trend, Schaudepots einzurichten, wird auch als Reaktion auf eine Krise der Dauerausstellungen interpretiert, die ein Exodus an Objekten charakteri-
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siert:1 Schaudepots gelten nun als das, was früher die Schausammlung war – als mehrdimensional. Sie stellen einen Versuch dar, eine Identitätskrise der Museologie abzufangen. In einer Phase, da Themen in Ausstellungen immer abstrakter werden, soll transparent werden, was Kern und Identität des Museum ausmacht: die Struktur der Sammlung und das Museum als Ort des Sammelns. Für die Besucher liegt die Faszination von Schaudepots im Dachbodeneffekt, der Masse an Objekten, im Unvermittelten und damit Offenen. Der Mythos Depot und damit verbunden die Vorstellung vom Reiz des Verbotenen und Versteckten, von Exklusivität und vom Auffinden von Schätzen spielt wesentlich herein. Von etwas nachgeordneter Bedeutung scheint das Interesse an der gläsernen Wissenschaft zu sein, also jenen Arbeitsabläufen, die hinter den Kulissen stattfinden, wie Objektübernahme in eine Sammlung, Registrierung, Inventarisierung, wissenschaftlicher Bearbeitung und Restaurierung. Unabhängig von den Beweggründen lässt sich ein steigendes Interesse der Öffentlichkeit am Depotbestand feststellen.2 Andrea Funck definiert anhand zahlreicher Klassifikationsmerkmale wie Ziele, Zielgruppen, Zugänglichkeit, Besucherbindung, Raum- und Funktionskonzept, Ordnungskriterien, Inszenierung, Schutz vor Zugriff, Vermittlungsangebote oder konservatorische Standards mehrere Typen des Schaudepots. Das Spektrum reicht dabei vom „begehbaren Depot“ bis zur „Ausstellung mit Depotcharakter“.3 Bei den im Rahmen der Tagung prä-
1
Jenzen, Igor A.: „Spiel mit Grenzen – Die Neukonzeption des Sächsischen Museums für Volkskunde in Dresden“, in: Thomas Hengartner, Johannes Moser (Hg.): Grenzen und Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2006, S 579-586, hier S 583. Lord, Beth: „Representing Enlightment space“, in: Susan MacLeod (Hg.): Reshaping Museum space. Architecture, design, exhibitions, London: Routledge 2005, S 146-157, hier S. 153.
2
Keene, Suzanne (Hg.): Collection for people. Museum’s stored collections as a public resource. London: Institute of Archeology University College London 2008, S. 21.
3
Funck, Andrea: „Schaudepots zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010. S. 67-81.
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sentierten Schaudepots handelt es sich durchwegs um Typen, die in unterschiedlichem Ausmaß inszeniert wurden. Alle gehen dabei von dem Ansatz aus, dass ein Depot durch die Besucher „als Ganzes“ wahrgenommen wird, es nicht – im Gegensatz zur Ausstellung – um das Einzelstück geht und dass es sich dabei um ein eigenständiges Ausstellungsformat handelt.4 Weniger klar ist, in welchem historischen Kontext Schaudepots anzusiedeln sind und woher sie sich ableiten lassen: So sehen sich die einen in der Tradition der Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und frühen Neuzeit, indem sie die Selbstständigkeit des Besuchers beim Erkunden der Objekte hervorheben.5 Gabriele Beßler argumentiert hingegen, dass sich die Schaudepots mangels holistischer Inszenierung und grundsätzlich anderer darin wirksamer Kommunikationsstrukturen sehr weit von den Grundideen der Wunderkammern entfernen.6 Bettina Habsburg-Lothringen stellt durch die Analyse der Ausstellungsarchitektur die Unterschiede zwischen den beiden Ausstellungsformaten dar und weist auf die Wurzeln der Schaudepots im Museumsgedanken der Aufklärung und damit auf die Frage nach Ordnungssystemen hin.7 Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass Schaudepots trotz Objektdichte nichts mit den vollgestopften Vitrinen der Museen der Zeit um 1900 zu tun haben (wollen). Mit diesem Anspruch werden zwei
4
Vgl. dazu: Knell, Simon: “Introduction: the context of collection care“, in: Simon J. Knell (Hg.): Care of collections, London: Routledge 1994 S 1-11, hier S 9.
5
Vgl. dazu: „Bohlen, Celestine: Museums as walk-in closets: Visible storage opens troves to the public“, in: New York Times 6 May 2001. Jenzen, Igor A.: Spiel mit Grenzen – Die Neukonzeption des Sächsischen Museums für Volkskunde in Dresden, 2006, hier S. 583.
6
Beßler, Gabriele: „Ordnung versus Theatralik? – Überlegungen zu den Raumund Strukturprinzipien der Wunderkammer“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010. S. 31-48.
7
Habsburg-Lothringen, Bettina: „Schaumöbel und Schauarchitekturen. Die Geschichte des Ausstellens als Museumsgeschichte“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 49-64; vgl. dazu: Lord, Beth: „Representing Enlightenment Space“, in: S. MacLeod (Hg), Reshaping Museum Space, Routledge, 2005, S. 150.
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der grundlegenden Probleme von Schaudepots angesprochen: die Masse der Objekte und der Umfang der den Besuchern zu Verfügung gestellten Informationen. Mit diesen Grundfragen sieht sich jedes Museum konfrontiert, das sich nicht ausschließlich an Spezialisten wendet, was sich auch an dem Referenzprojekt für Schaudepots schlechthin, dem Museum of Anthropology der University of British Columbia, nachweisen lässt. Dort wurde, ausgehend von der Idee, Studenten den Zugang zur Sammlung so einfach wie möglich zu machen, 1976 ein Schaudepot eröffnet. Für die ursprüngliche Zielgruppe, vorwiegend Studenten und Wissenschaftler, funktionierte der Ansatz großer Objektdichte, bei gleichzeitig sehr geringer (Hintergrund-) Information, gut.8 Bereits interessierte Nicht-Spezialisten fanden sich damit jedoch nicht mehr zurecht. Hier zeigt sich exemplarisch die Diskrepanz zwischen in der Literatur formulierten Thesen, wie Schaudepots funktionieren, und den Beobachtungen in der Praxis: die einen gehen von der Überzeugung aus, große Objektmengen aktivierten die Besucher und bewirkten, dass diese sich aus Neugier und Entdeckungsfreude selbst die nötigen Informationen zusammensuchen. Auf diese Weise sollen ganz persönliche Zugänge zu den Objekten erarbeitet werden9 und es zu einem Demokratisierungsprozess im Museum kommen, der neue Besucherschichten erschließt.10 Praktiker hingegen berichten übereinstimmend, dass die Besucher einen Interpretationsrahmen wünschen, mit dessen Hilfe sie Objekte einordnen oder verbinden können.11 Hier setzen auch die Kritiker dieses Ausstellungsformates an, die darin keine Demokratisierung der Museen sehen, die der Öffentlichkeit als wahrer Besitzerin der Objekte, den Zugang
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Ames, Michael M.: Cannibal Tours and Glass Boxes: The Anthropology of Museums. Vancouver: UBC Press, 1992, S. 91.
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Lord, Barry/Dexter Lord, Gail (Hg.): Manual of Museum Exhibitions, Walnut Creek: Altamira Press 2001, S. 21.
10 Ames, Michael M.: Cannibal Tours and Glass Boxes, 1992, S. 96f.; Dilevko Juris/Gottlieb, Lisa: The Evolution of Library and Museum Partnerships: Historical antecedents, contemporary manifestations and future directions, Westport: Libraries Unlimited 2004, S 191. 11 Vgl. Henning, Michelle: Museums, media and cultural theory. Issues in cultural and media studies, Maidenhead: Open University Press 2006, S. 150.
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zu ihnen erleichtert,12 sondern sie als museale Umsetzung der aktuellen Lebenshaltung des Shoppens und Zappens, wo alles möglich und alles verfügbar ist, einschätzen. Der Vorwurf, dass sich Museen aus der Verantwortung, auch Interpretation zu bieten, stehlen, steht im Raum.13 Die Referenten der Tagung sind sich dieses Vorwurfs bewusst, ebenso wie der Gefahr, dass Besucher den grundsätzlichen Unterschied der beiden Ausstellungsformate mit hoher Objektdichte nicht erkennen: zum einen die in der Tradition der Museen der Aufklärung stehenden und sich mit grundsätzlichen Fragen der Ordnung14 beschäftigenden Schaudepots und zum anderen die Ausstellungen um 1900 mit ihrer Objektfülle und Welterklärungsanspruch. Aus diesen Gründen drehte sich der Großteil der Diskussionen an den beiden Tagen der Tagung um Fragen zur Vermittlung und Erschließung von Schaudepots. Die berichteten Alltagserfahrungen der Museologen mit Besuchern stimmten in wesentlichen Punkten überein:15 Der Besucher empfindet jede Art des Schaudepots als Inszenierung, da ein Dachbodenambiente erwartet wird (ausgenommen ist nur Typ I/Begehbares Depot nach Funck). Bereits Begriffe wie Depot oder Magazin wecken falsche Erwartungshaltungen und führen zu Verwirrung. Die Akzeptanz des Schaudepots durch die Besucher hängt stark von der inneren Struktur des Museums ab und von der Art, wie das Schaudepot in das Haus eingebunden ist. Bei Museen, die ein Schaudepot und eine Schausammlung haben, erscheint es wesentlich, zwischen beiden inhaltliche Verbindungen herzustellen, ohne sie zu überladen. So wird dafür plädiert, Führungen als cross-over zwischen Schausammlung und Depot zu konzipieren,
12 Thistle, Paul: „Visible Storage for the small museum“, in: Simon J. Knell (Hg.): Care of collections, London: Routledge 1994, S 187-196, hier S. 187. 13 Thistle, Paul: „Visible Storage for the small museum“, 1994, hier S. 191. 14 Fehr, Michael: „Wissenschaftliche und künstlerische Taxonomien. Überlegungen zum Verhältnis von Schausammlung und Schaudepot“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 13-30. 15 Bedauerlicherweise fehlen im deutschsprachigen Raum empirische Untersuchungen zum Besucherverhalten in Schaudepots.
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um die Besucherakzeptanz zu steigern. Querverweise innerhalb der verschiedenen Ausstellungsebenen erscheinen hingegen wenig zielführend. Das Schaudepot erfordert eine völlig andere Struktur der Darstellung, damit der Besucher nach eigenem Interesse Objektgruppen frei auswählen kann, ohne dass es zu Verständnisschwierigkeiten bzw. Informationsdefiziten kommt. Der Anspruch des Besuchers ergibt sich auch aus der Form der Präsentation. Im Gegensatz zum begehbaren Depot schaffen Schaudepots mit Ausstellungscharakter eine Struktur, deren Prinzip den Besuchern Orientierungs- und Decodierungshilfe gibt: die Objektgruppen folgen – wenig depothaft – dem Alphabet16 oder sind nach geographischen Räumen oder Material gegliedert. Unklarheit herrscht darüber, was die Besucher eigentlich wissen möchten: treibt sie ein gewisser Jagdinstinkt („Knöpfe, die da sind, müssen auch gedrückt werden“) oder möchten sie wirklich wissen, was sich hinter einer Inventarnummer verbirgt. Bei vielen steht nicht der Wunsch nach Detailwissen im Vordergrund, sondern jener, sich von der Sache an sich einen Begriff zu machen. Intensive Vermittlungsarbeit ist Voraussetzung damit das Schaudepot für den Besucher funktioniert.17 Diese Erkenntnis setzte sich auch bei Häusern durch, die zu Beginn davon ausgingen, dass Besucher sich selbstständig aus angebotenen Informationsebenen das gewünschte Wissen zusammensuchen.18 Gleichzeitig wird das Museum als Ort gesehen, an dem das Sehen erlernt und geschult werden kann – speziell im Schaudepot, wo es primär um Objekte gehen soll: Je mehr Texte, Filme oder interaktive Medien eingesetzt werden, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Publikum intensiv den Objekten widmet. Mit der Herausforderung, die
16 Von der Haar, Frauke: „Das Schaumagazin des Focke-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 105-116. 17 Vgl. dazu: Knell, Simon: „Introduction: the context of collection care“, 1994, hier S 9. 18 Vgl. dazu: Rebora, Carrie: „Curator’s Closet“, in: Simon J. Knell (Hg.): Care of collections, London: Routledge 1994 S 197-201, hier S 198ff. Heumann-Gurian, Elaine: “The Potential of Museum-Learning – The essential Museum“, in: Barry Lord (Hg.): The manual of museum learning, Walnut Creek: Altamira Press 2007, S 21-28, hier S. 28.
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gewünschten Informationen in einer Form zu liefern, die nicht die Objekte selbst in den Hintergrund drängt, gehen die Museen in unterschiedlicher Form um. Allgemein nimmt der persönliche Kontakt mit den Museumsmitarbeitern einen besonderen Stellenwert ein – Führungen sind ein wesentliches Instrument Besucher an Schaudepots heranzuführen. Das FockeMuseum ergänzt ein leicht durchschaubares Leitsystem und die inhaltliche Erschließung durch eine Datenbank, durch szenische Inszenierungen und Hands-on. Das Übermaxx bietet neben kurzen Einführungstexten und digitaler Recherchemöglichkeit Routenkarte, die entlang bestimmter Themen wie Federn in Natur und Kultur durch das Schaudepot leiten.19 Das Depot in Luzern erschließt seine Objekte durch digitale Informationen, die mittels Scanner abgerufen werden und durch Theaterführungen, seit einiger Zeit auch durch Workshops und interaktive Führungen.20 Um den Besuchern den Zugang zu erleichtern arbeitet das Jugendmuseum Schöneberg mit thematisch organisierten Objektkonvoluten und Zettelkästen.21 Einige Grundregeln werden überall eingehalten, so verschiedenartig die Vermittlungskonzepte sonst sein mögen: Es wird klar und präzise kommuniziert, was das Vermittlungsangebot beinhaltet und wie es funktioniert. Den Besuchern werden verschiedene Ebenen der Erschließung angeboten, um den Zugang frei zu gestalten und eine individuelle Abstimmung auf das Vorwissen oder Interesse zu ermöglichen. Die Informationen sind stark objektorientiert, müssen sich jedoch nicht immer auf das einzelne Objekt beziehen, sondern können Typen zusammenfassen. Die Information wird dann für einen Vertreter des Typus
19 Ahrndt, Wiebke: „Das Schaumagazin Übermaxx des Übersee-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.): Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 83-93. 20 Strobel, Alexandra: „Das Historische Museum Luzern als Schaudepot“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 95-103. 21 Zwaka, Petra: „Die Objekte lesen, wie wir Bücher lesen … WunderkammernWunderkisten“ im Jugend Museum Schöneberg“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 117-133.
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umfassend als pars pro toto gegeben. Zu wenig Vermittlung führt zu Orientierungslosigkeit, Frustration und Vandalismus. Schaudepotbesuche müssen besonders für Kinder mit einem konkreten Ziel verbunden sein. Wie die unterschiedlichen Vermittlungsangebote, abgesehen von Führungen, angenommen werden, muss mangels Datenmaterials offen bleiben. Eine Evaluierung, über den Wissenserwerb und auf welche Impulse die Besucher reagieren existiert bisher nicht. Gleichfalls unbeantwortet bleibt die Frage, wie die Besucher mit unterschiedlichen Lesarten und Benutzungsmöglichkeiten von Schaudepots, Dauer- und Sonderausstellungen umgehen. Ganz allgemein ist festzuhalten, dass das interaktive Angebot von Kindern und Jugendlichen gut angenommen wird. Bei Erwachsenen über 40 Jahren nimmt die Akzeptanz deutlich ab. Abschließend stand zur Diskussion, wie sich das geplante Schaudepot am Vorarlberger Landesmuseum22 in die Schaudepot-Landschaft einordnen lässt. Es ist, im Unterschied zu vielen anderen, von Beginn an integraler Bestandteil des Museumskonzepts und entsteht nicht aus der Notwendigkeit, Depotfläche schaffen zu müssen. Die Chance, es umfassend mit den beiden anderen Ausstellungsebenen zu verknüpfen, ist daher besonders groß und rückt es in die Nähe des (nie realisierten) Glengow Alberta Museum Calgary, dessen Konzept ebenfalls auf den mehrschichtigen Zugang zu den Sammlungen innerhalb eines Hauses setzte.23 Mit der Objektdichte, dem Wunsch, die Vielfältigkeit der Sammlungen zu zeigen und den Besuchern eine andere Perspektive auf die Objekte zu ermöglichen, stellt es in eine Reihe mit den anderen Schaudepots.24 Auch die Absicht, die Geschichtlichkeit der Sammlung deutlich zu machen, passt zu diesem Ausstellungsformat. Als „Leitsystem“ im Depot wurde, wie im Focke-Museum, das Alphabet gewählt. Die gewählten Begriffe funktionieren stark assoziativ und bewusst spielerisch. Die Verwendung von Dialektausdrücken führt
22 Tobias G. Natter: „Die Sammlung als Museumsfundament. Das Schaudepot des neuen Vorarlberger Landesmuseums“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 135-156. 23 Ames, Michael M.: Cannibal Tours and Glass Boxes, 1992, S. 93. 24 Cossons, Neil: „Rambling Reflections of a museum man“, in: Patrick Boylan (Hg.): Museum 2000 politics, people, professionals & profit, London: Routledge 1992, S 123-147, hier S 136.
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zu einem Mix aus Hoch- und Populärkultur und lässt es für die Besucher zu, auf unterschiedliche Weise in die Inhalte einzusteigen. Grundvoraussetzung ist, dass die Auflösung der Begriffe jeweils klar nachvollziehbar ist. Eine bewusst gesetzte Leerstelle in der Materialfülle beim Buchstaben J weist auf Lücken in der Sammlung, also auf Lebenswelten, die nicht vertreten sind, hin. Es geht auch darum, die Besucher dafür zu sensibilisieren, dass die Sammlungen des Museums trotz der Materialfülle nur einen kleinen Ausschnitt von Lebenswelten abbilden. Bei der Auswahl und Ordnung der Objektgruppen wird Wert darauf gelegt, den Bezug des Landesmuseums zu Vorarlberg und seinen Menschen deutlich zu machen. Das Serielle und die Fülle an Objekten dient auch als greifbarer Beleg, wie sich Geschichte über Jahrhunderte materialisiert. Diese Verschränkung zwischen Sammlungsgeschichte und Vorarlbergthemen bedingt, dass sich das Vorarlberger Schaudepot innerhalb der Funck’schen Typologie25 nicht klar zuweisen lässt, da dieser Aspekt in Schaudepots bisher keine Rolle spielte bzw. nicht als Ordnungskriterium herangezogen wurde.
Literatur Ahrndt, Wiebke: „Das Schaumagazin Übermaxx des Übersee-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 83-93. Ames, Michael M.: Cannibal Tours and Glass Boxes: The Anthropology of Museums, Vancouver: UBC Press 1992. Beßler, Gabriele: „Ordnung versus Theatralik? – Überlegungen zu den Raum- und Strukturprinzipien der Wunderkammer“, in: Tobias G. Natter, Michael Fehr, Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 31-48. Bohlen, Celestine: „Museums as walk-in closets: Visible storage opens troves to the public“, in: New York Times 6 May 2001.
25 Funck, Andrea: „Schaudepots zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010.
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Cossons, Neil: „Rambling Reflections of a museum man“, in: Patrick Boylan (Hg.), Museum 2000 politics, people, professionals & profit, London: Routledge 1992, S 123-147. Dilevko, Juris & Gottlieb, Lisa: The Evolution of Library an d museum Partnerships: Historical antecedents, contemporary manifestations and future directions, Westport: Libraries Unlimited 2004. Fehr, Michael: „Wissenschaftliche und künstlerische Taxonomien. Überlegungen zum Verhältnis von Schausammlung und Schaudepot“, in Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 13-30. Funck, Andrea: „Schaudepots zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 67-81. Habsburg-Lothringen, Bettina: „Schaumöbel und Schauarchitekturen. Die Geschichte des Ausstellens als Museumsgeschichte“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 49-64. Henning, Michelle: Museums, media and cultural theory. Issues in cultural and media studies, Maidenhead: Open University Press 2006. Heumann-Gurian, Elaine: „The Potential of Museum-Learning – The essential Museum“, in: Barry Lord (Hg.): The manual of museum learning. Walnut Creek: Altamira Press 2007, S. 21-28. Jenzen, Igor A.: „Spiel mit Grenzen – Die Neukonzeption des Sächsischen Museums für Volkskunde in Dresden“, in: Thomas Hengartner & Johannes Moser (Hg.): Grenzen und Differenzen. Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2006, S. 579-586. Keene, Suzanne (Hg.): Collection for people. Museum’s stored collections as a public resource, London: Institute of Archaeology University College London 2008. Knell, Simon: „Introduction: the context of collection care“, in: Simon J. Knell (Hg.), Care of collections, London: Routledge 1994, S. 1-11. Lord, Barry/Dexter Lord, Gail (Hg.): Manual of Museum Exhibitions, Walnut Creek: Altamira Press 2001.
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Lord, Beth: „Representing Enlightenment Space“, in: S. MacLeod (Hg), Reshaping Museum Space, London: Routledge, 2005, S. 146-157. Natter, Tobias G.: „Die Sammlung als Museumsfundament. Das Schaudepot des neuen Vorarlberger Landesmuseums“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 135-156. Rebora, Carrie: „Curator’s Closet“, in: Simon J. Knell (Hg.): Care of collections, London: Routledge 1994, S. 197-201. Strobel, Alexandra: „Das Historische Museum Luzern als Schaudepot“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 95-103. Thistle, Paul: “Visible Storage for the small museum“, in: Simon J. Knell (Hg.): Care of collections, London: Routledge 1994, S. 187-196. von der Haar, Frauke: „Das Schaumagazin des Focke-Museums Bremen“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 105-116. Zwaka, Petra: „Die Objekte lesen, wie wir Bücher lesen … „Wunderkammern-Wunderkisten“ im Jugend Museum Schöneberg“, in: Tobias G. Natter/Michael Fehr/Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.), Das Schaudepot. Zwischen offenem Magazin und Inszenierung, Bielefeld: transcript Verlag 2010, S. 117-133.
Die Autoren dieses Bandes
Prof. Dr. Wiebke Ahrndt studierte Ethnologie, Alte Geschichte sowie Urund Frühgeschichte in Göttingen, Bonn und an der University of California. Sie ist Spezialistin für Ethnologie des Alten Amerika. Sie arbeitete am Museum für Völkerkunde in Hamburg und am Museum der Kulturen in Basel. 1999 wechselte sie an das Überseemuseum in Bremen, das sie seit 2002 leitet. Als Professorin lehrt sie seit 2006 an der Universität Bremen im Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik. Gabriele Beßler M.A. studierte Kunstgeschichte und Archäologie in Frankfurt am Main und Köln. Sie war langjährige Lektorin beim Kölner DuMont Verlag und Journalistin für Printmedien sowie Hörfunk. Heute lebt und arbeitet Beßler als Kunstkritikerin, Publizistin und freie Kuratorin in Stuttgart. Sie initiierte zwischen November 2003 und April 2007 in Stuttgart das Ausstellungsprojekt „KunstRaum Wunderkammer“ (http://www. wunderkammer.de/) – ein ‚Labor‘ der intensiven Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und der Konstruktion von Weltmodellen. Prof. Dr. Michael Fehr studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Bochum und promovierte bei Max Imdahl über ein frühmittelalterliches Thema. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Bochum und an der GHS Universität Wuppertal (Lehrstuhl Ästhetik/Kunstvermittlung). 19872005 leitete er das Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen. Seit 2003 ist er Vorsitzender des Werkbundarchiv e.V., Berlin und seit 2005 Professor und Direktor des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin.
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Andrea Funck Dipl.-Rest. (FH), nach Ausbildung zur Holzbildhauerin an der Berufsfachschule für das Holzbildhauerhandwerk München studierte sie an der Fachhochschule Köln (CICS Cologne Institute of Conservation Sciences), Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft Restaurierung und Konservierung von Objekten aus Holz und moderne Materialien. Von 2007 bis 2010 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Museum München, zuerst in der Abteilung Chemie, dann als Projektkoordinatorin des Projektes Zentrale Schausammlung. Seit Frühjahr 2010 leitet sie die Restaurierung des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart. Dr. Bettina Habsburg-Lothringen studierte Geschichte und Deutsche Philologie. Sie beschäftigt sich seit dem Studium mit Fragen musealer Wirklichkeitskonstruktion und Konzepten zur Wissenschaftspräsentation. Nach ihrem Studium war sie zwei Jahre lang für ein Berliner Ausstellungsbüro tätig, seit 2005 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und seit Frühjahr 2010 Leiterin der Museumsakademie Joanneum Graz. Seit 2001 hat sie diverse Lehraufträge an den Universitäten Innsbruck und Klagenfurt sowie der FH Joanneum Graz inne und ist seit 2009 Mitglied des Museumsförderbeirats des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Dr. Tobias G. Natter studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Innsbruck, München und Wien. Nach drei Jahren im Historischen Museum der Stadt Wien war er fünfzehn Jahre an der Österreichischen Galerie Belvedere Wien tätig, zuletzt als Chefkurator. Daneben arbeitete er weltweit als Gastkurator, unter anderem für die Neue Galerie New York und zuletzt die Tate. Seit 2006 leitet er das Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz. Dr. Michaela Reichel studierte Vor- und Frühgeschichte sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften an den Universitäten Wien und Innsbruck. Nach ihrer Tätigkeit für das Bundesdenkmalamt Wien, das Germanische Nationalmuseum Nürnberg und das Kunsthistorische Museum Wien arbeitet sie seit 2008 am Vorarlberger Landesmuseum als Projektleiterin für das neue Museum.
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Alexandra Strobel lic. phil. ist seit 2005 Vizedirektorin und Kuratorin des Historischen Museums Luzern (Schweiz). Seit 2001 arbeitet sie auch als freiberufliche Ausstellungskuratorin, vor allem im Bereich OutdoorAusstellungen. Von 2000 bis 2003 war sie in verschiedenen Bereichen und Funktionen des Schweizerischen Nationalmuseums tätig. Sie studierte Allgemeine Geschichte, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Zürich. Nach dem Studium absolvierte sie eine Kulturmanagementausbildung im Stapferhaus Lenzburg (Schweiz). Dr. Frauke von der Haar studierte Volkskunde, Kunstgeschichte und Germanistik in Münster und Marburg. In der Folge war sie Lehrbeauftragte zur Frauenforschung in Marburg, Mitarbeiterin am Rheinischen Archivund Museumsamt in Brauweiler bei Köln, stellvertretende Museumsleiterin des Deutschen Klingenmuseums in Solingen, Leiterin des Grafschafter Museums im Moerser Schloss in Moer und, Leiterin der Abteilung Schienenverkehr im Verkehrszentrum des Deutschen Museums München. Seit 2008 leitet sie das Focke-Museum Bremen. Petra Zwaka ist seit 1991 Leiterin des regionalgeschichtlichen Verbundes der Museen Tempelhof-Schöneberg in Berlin. 1994 gründete sie als integralen Bestandteil des Schöneberg Museums das Jugend Museum, das sich als Ort lebendiger Geschichtsvermittlung für junge Menschen versteht – mit Mut zu experimentellen Vermittlungsmethoden. Das Herz des Jugend Museums ist die Ausstellung „Wunderkammern-Wunderkisten“, in der sich das Museum selbst zum Thema macht. Seit 2005 ist Petra Zwaka im Vorstand des europäischen Kindermuseumsverbandes „Hands on! Europe“.
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Andrea Rohrberg, Alexander Schug Die Ideenmacher Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide Oktober 2010, ca. 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1390-2
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