Indefinitheit und Textkohärenz: Entstehung und semantische Strukturierung indefiniter Nominaldetermination im Altitalienischen 9783110925838, 9783484523364, 3484523360

The subject of this extensive corpus-based study is the distribution and the functional role played by a total of 22 ind

218 109 24MB

German Pages 486 [488] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
0. Vorbemerkung
1. Einführung: Verschriftlichung und Nominaldetermination in der Romania
1.1 Zur Verschriftlichungsproblematik und zeitlichen Verortung der Untersuchung: frühe italoromanische Zeugnisse
1.2 Untersuchungen zur romanischen Artikelentstehung
1.3 Nominaldetermination und Textkohärenz: Forschungsgegenstand und Fragestellung
2. Referenz und Indefinitheit: Theoretische Grundlagen
2.1 (Satz-)Semantische Beschreibungsansätze von Referenz und Bedeutung (in-)definiter Nominalsyntagmen
2.2 (In-)Definitheit im Text: «novelty» vs. «familiarity»
2.3 Artikel und (Text-)Linguistik
2.4 (In-)Definitheit, grammatische Struktur und Typologie
Zusammenfassung
3. Empirische Basis, Untersuchungsgegenstand und Untersuchungskategorien
3.1 Die Texte und die Textsortenproblematik
3.2 Die untersuchten Indefinita
3.3 Die Untersuchungskategorien
Zusammenfassung
Indefinita, Nicht-Determination und Nicht-Referentialität (Generizität - Prädikativität)
4.1 Generizität als referenzsemantische Kategorie
4.2 Markierung generischer Referenz in älteren romanischen Sprachstufen und im modernen Italienischen
4.3 Generische Referenz in den untersuchten Texten
Zusammenfassung
4.4 Indefinita in prädikativer Funktion
Zusammenfassung
4.5 Distribution und Funktion der Nicht-Determination
Zusammenfassung
5. Indefinita und Negativität
5.1 «Negative polarity», «negative concord» und der «Jespersen-Zyklus»
5.2 Die italienischen Verhältnisse
Zusammenfassung
6. Spezifizität und Nominaldetermination
6.1 Spezifizität als sprachliche Kategorie
6.2 Spezifizität: Romanische Artikelentstehung und Indefinita im modernen Standarditalienischen
6.3 Spezifizität als lexikalisches Merkmal alttoskanischer Indefinita
Zusammenfassung
7. Indefinitheit und Zählbarkeit
7.1 Kurzer Forschungsüberblick: Zählbarkeit und Nominalklassifikation
7.2 Quantifizierung und Aktualisierung: Zählbarkeit in typologischer Perspektive (1)
7.3 Der unbestimmte Artikel als Zählbarkeitsindikator – gegen ein Artikelparadigma
7.4 Zählbarkeit und Nominaldetermination in diachronischer Perspektive
7.5 Die Indefinita in den Texten im Zusammenhang mit Zählbarkeit und Substantivklasse
Zusammenfassung
8. Zusammenfassung der Ergebnisse: Die Indefinita als Kohärenzträger zwischen Determination und Apprehension
8.1 Fragestellung, empirische Basis, theoretische Grundlagen und Ausgangsthese der Arbeit
8.2 Teilergebnisse der einzelnen Kapitel
8.3 Ergebnis: Nominaldetermination und Nominalklassifikation im indefiniten Bereich im Romanischen
Recommend Papers

Indefinitheit und Textkohärenz: Entstehung und semantische Strukturierung indefiniter Nominaldetermination im Altitalienischen
 9783110925838, 9783484523364, 3484523360

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER HOLTUS

Band 336

ELISABETH STARK

Indefinitheit und Textkohärenz Entstehung und semantische Strukturierung indefiniter Nominaldetermination im Altitalienischen

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 2006

Gedruckt mit Unterstützung der Kurt Ringger-Stiftung, Mainz, und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 13: 9783-484-52336-4 ISBN 10: 3-484-52336-0

ISSN 0084-5396

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Unternehmen der K. G. Saur Verlag GmbH, München http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck: ΑΖ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Inhalt

Vorwort

IX

ο. Vorbemerkung ι.

ι

Einführung: Verschriftlichung und Nominaldetermination in der Romania ι. ι Zur Verschriftlichungsproblematik und zeitlichen Verortung der Untersuchung: frühe italoromanische Zeugnisse 1.2 Untersuchungen zur romanischen Artikelentstehung 1.3 Nominaldetermination und Textkohärenz: Forschungsgegenstand und Fragestellung

6 7 16 29

2. Referenz und Indefinitheit: Theoretische Grundlagen 2.1 (Satz-)Semantische Beschreibungsansätze von Referenz und Bedeutung (in-)definiter Nominalsyntagmen 2.1.1 Nominaldetermination und Aktualisierung 2.1.2 Nominaldetermination und Quantifizierung 2.2 (In-)Definitheit im Text: «novelty» vs. «familiarity» 2.3 Artikel und (Text-)Linguistik 2.4 (In-)Definitheit, grammatische Struktur und Typologie 2.4.1 Typologischer Überblick 2.4.2 Markierungsmöglichkeiten von (Nicht-)Determiniertheit und (In-)Definitheit in der Diachronie Zusammenfassung

35 38 41 44 48 55 59 60 63 69

3. Empirische Basis, Untersuchungsgegenstand und Untersuchungskategorien 3.1 Die Texte und die Textsortenproblematik 3.1.1 Narrative Texte I: Die Novellensammlungen 3.1.2 Narrative Texte II: Die historiographischen Texte 3.1.3 Expositorisch-argumentative Texte 3.2 Die untersuchten Indefinita 3.2.1 Die Indefinita vom Lateinischen zum Italienischen Etymologie

72 73 79 82 85 89 97

V

3-2.2

Die Indefinita vom Lateinischen zum Italienischen Funktionen 3.3 Die Untersuchungskategorien 3.3.1 Die Unterscheidung zählbar - nicht-zählbar und die Klasse des Kernsubstantivs 3.3.2 Die interne Struktur des Nominalsyntagmas 3.3.3 Die syntaktischen Funktionen 3.3.4 «Spezifizitätsindikatoren» 3.3.5 Die Position des Nominalsyntagmas in Proposition, Satz, Text Zusammenfassung 4. Indefinita, Nicht-Determination und Nicht-Referentialität (Generizität - Prädikativität) 4.1 Generizität als referenzsemantische Kategorie 4.2 Markierung generischer Referenz in älteren romanischen Sprachstufen und im modernen Italienischen 4.3 Generische Referenz in den untersuchten Texten Zusammenfassung 4.4 Indefinita in prädikativer Funktion 4.4.1 Überblick über prädikative Nominalsyntagmen in den Korpustexten 4.4.2 Prädizierende und spezifizierende Kopulakonstruktionen 4.4.3 Kopulakonstruktionen und Textkohärenz Zusammenfassung 4.5 Distribution und Funktion der Nicht-Determination 4.5.1 Nicht-Determination in älteren Sprachstufen romanischer Sprachen und im modernen Standarditalienischen 4.5.2 Nicht-Determination und ihre Distribution in den Korpustexten Zusammenfassung

101 106 106 110 113 116 122 125

127 128 136 141 148 149 151 157 165 168 169 172 178 187

5. Indefinita und Negativität 5.1 «Negative polarity», «negative concord» und der «JespersenZyklus» 5.2 Die italienischen Verhältnisse 5.2.1 Ältere romanische Sprachstufen und modernes Standarditalienisch 5.2.2 Indefinita und negative Kontexte in den Texten 5.2.3 «Negative polarity» und «negative concord» im Korpus . . Zusammenfassung

199 204 213 221

6. Spezifizität und Nominaldetermination 6.1 Spezifizität als sprachliche Kategorie

225 226

VI

190 193 198

6.2 Spezifizität: Romanische Artikelentstehung und Indefinita im modernen Standarditalienischen 6.3 Spezifizität als lexikalisches Merkmal alttoskanischer Indefinita 6.3.1 Die Indefinita mit Spezifizitätsindikatoren 6.3.2 Die Indefinita in «Nicht-Spezifizitäts-Kontexten» 6.3.3 Indefinita, (Nicht-)Spezifizität und Textkohärenz Zusammenfassung 7. Indefinitheit und Zählbarkeit 7.1 Kurzer Forschungsüberblick: Zählbarkeit und Nominalklassifikation 7.2 Quantifizierung und Aktualisierung: Zählbarkeit in typologischer Perspektive (1) 7.3 Der unbestimmte Artikel als Zählbarkeitsindikator gegen ein Artikelparadigma 7.4 Zählbarkeit und Nominaldetermination in diachronischer Perspektive 7.4.1 Nominaldetermination und Apprehension: Zählbarkeit in typologischer Perspektive (2) 7.4.2 Apprehensionskodierungen im Romanischen 7.5 Die Indefinita in den Texten im Zusammenhang mit Zählbarkeit und Substantivklasse 7.5.1 Überblick über Nominalsyntagmen mit «mass-denoting nouns» und Abstrakta in den Korpustexten 7.5.2 Lexikalische Klasse und Determination - der Status der Zählbarkeitsunterscheidung in den Korpustexten . . . 7.5.3 Zählbarkeit und Argumentfähigkeit - Nominalklassifikation im Satz Zusammenfassung 8. Zusammenfassung der Ergebnisse: Die Indefinita als Kohärenzträger zwischen Determination und Apprehension 8.1 Fragestellung, empirische Basis, theoretische Grundlagen und Ausgangsthese der Arbeit 8.2 Teilergebnisse der einzelnen Kapitel 8.3 Ergebnis: Nominaldetermination und Nominalklassifikation im indefiniten Bereich im Romanischen

VII

232 242 243 256 273 285 289 289 297 301 305 306 313 321

322 328 334 343

347 347 351 362

Anhang: Tabellen

365

Bibliographie

433

Register Sachregister Personenregister

465 465 476

VIII

Vorwort

Die vorliegende Arbeit stellt die leicht überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Wintersemester 2002/2003 v o n der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt zunächst den Gutachtern der Arbeit, vor allem Prof. Dr. Wulf Oesterreicher, der das Entstehen der Arbeit durch seine stete Gesprächsbereitschaft und kritischen Anregungen entscheidend unterstützt hat, weiterhin Prof. Dr. Thomas Krefeld, Prof. Dr. Elisabeth Leiss und Prof. Dr. Konrad Ehlich. Sie alle haben nicht nur als Gutachter, sondern vor allem als Sprachwissenschaftler durch ihre Forschung vieles zu dem jetzt Vorliegenden beigetragen. Unverzichtbar waren darüberhinaus wertvolle Hinweise und Anregungen von zahlreichen Kollegen aus der Romanistik, vor allem des Institutes für Romanische Philologie München, aber auch aus dem germanistischen Bereich und der theoretischen Linguistik sowie, die Textauswahl betreffend, aus der romanistischen Literaturwissenschaft. In mancherlei Vorträgen und Kolloquien hatte ich die Möglichkeit, meine theoretischen Annahmen, die Korpusproblematik und die grundlegenden Thesen der Arbeit zu diskutieren und gelegentlich zu revidieren, und dafür möchte ich an dieser Stelle stellvertretend für andere Prof. Carmen Dobrovie-Sorin, P D Dr. Claudia Gerstner-Link, Prof. Dr. Klaus von Heusinger, Prof. Dr. Daniel Jacob, Prof. Dr. Georg Kaiser, Prof. Dr. Ulrich Wandruszka, Dr. Andreas Dufter und Dr. Daniel Hole danken. Besonders herzlich danke ich auch Prof. Dr. Wolf-Dieter Stempel für sein allzeit unterstützendes Interesse und seine geduldige Diskussionsbereitschaft seit vielen Jahren. Das Entstehen der Arbeit wurde in entscheidender Weise durch den Bayerischen Habilitationsförderpreis begünstigt, der mir Freiraum schuf zum ruhigen Denken, für die Auswertung und intensive Analyse der einzelnen Belege und nicht zuletzt für die Redaktion des Textes. Sein Erscheinen in der jetzigen Form haben zahlreiche Menschen und Institutionen gefördert, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin: Prof. Dr. Günter Holtus für die Aufnahme in die Reihe, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und der Kurt Ringger-Stiftung für die Gewährung großzügiger Druckbeihilfen, Dr. Natascha Pomino, Claudia Cammarana, Roberta Di Salle und Frauke Samland von der Freien Universität Berlin für die geduldige Mitarbeit an der Druckfassung und Dr. Ulrike Dedner und Norbert

IX

Alvermann vom Max Niemeyer Verlag für die professionelle und allzeit freundliche Begleitung bei der Erstellung der Druckfassung und der Drucklegung. Zuletzt und zuallererst möchte ich meiner Familie und meinen Freunden danken, die stets Verständnis und Geduld für die besondere Situation einer Habilitierenden fanden und mir immer zur Seite stehen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Berlin, im Februar 2006

X

Elisabeth Stark

ο.

Vorbemerkung «Umana cosa e aver compassione degli afflitti: e come che a ciascuna persona stea bene, a coloro e massimamente richesto Ii quali giä hanno di conforto avuto mestiere e hannol trovato in alcuni; fra' quali, se alcuno mai n'ebbe bisogno ο gli fu caro ο giä ne ricevette piacere, io sono uno di quegli» (Boccaccio, Decameron, Proemio).

Als Pietro Bembo 1525 in seinen Prose della volgar lingua - ganz im Geiste des humanistischen imitatio-Konzcpts - Giovanni Boccaccio als sprachliches Vorbild für die Prosa und Francesco Petrarca als Vorbild für die Dichtkunst etabliert, wird Boccaccios Decameron für lange Zeit das Modell standarditalienischer Erzählkunst. Damit entscheidet Bembo die questione della lingua, die im italoromanischen Raum stets hauptsächlich eine Frage der Standardisierung der literarischen Sprachform war, für das Florentinische des 14. Jahrhunderts. Diese Festschreibung auf eine Varietät in einer bestimmten zeitlichen Ausprägung liegt dem bekannten Phänomen zugrunde, daß Kenntnisse des zeitgenössischen Standarditalienischen in der Regel für einen ersten sprachlichen Zugang zu den Klassikern des Trecento, insbesondere zu den Werken der Tre Corone Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio und Francesco Petrarca, ausreichen. Demgegenüber konfrontieren etwa altfranzösische Dichtung oder mittelhochdeutsche und frühneuhochdeutsche Texte auch Muttersprachler der entsprechenden Sprachen mit großen lautlichen, graphischen, morphologischen, lexikalischen und syntaktischen Problemen, die ein Textverständnis «auf den ersten Blick» so gut wie unmöglich machen. 1 Ein vollständiges Textverstehen umfaßt nun allerdings weit mehr als die einfache Zuordnung von Inhalt und Form einzelner sprachlicher Zeichen, die den Text konstituieren. 2 Weder Kohärenz, also der sinnvolle «Zusammenhang, [die, E.S.] semantischpragmatische Integration von Teilen in ein Ganzes», 3 noch Texthaftigkeit sind im Grunde genommen inhärente Eigenschaften sprachlicher Objekte, sondern das Ergebnis kognitiver Operationen von Textproduzent wie -rezipient. 4 Vollständiges Textverstehen hängt zusammen mit verschiedenen sprachlichen und außersprachlichen Text(produktions)kategorien. 5 In dieser Konzeption stehen

1 2

3 4

5

C£ dazu zuletzt Vincent 2000,739s. Wie das komplexe Modell von Petöfis «Text-Struktur-Welt-Struktur-Theorie», ein elaboriertes und auf einer eigenen zeichentheoretischen Konzeption basierendes Textproduktions- und Textanalysemodell, zeigt. Cf. Petöfi 1973. Conte 1988,133. Cf. dazu Stark 2001a. Diese Auffassung steht in enger Verbindung mit einer grundlegenden Arbeit zum Text- und Kohärenzbegriff, der programmatischen terminologischen Synthese von Hatakeyama/Petöfi/Sözer von 1985.

1

die Sprachverwender und ihr Zugang zu sprachlichen Objekten im Vordergrund. Es ist im wesentlichen zu unterscheiden zwischen Konnexität und Kohäsion

als

sprachlichen Texteigenschaften, welche die ausdrucksseitige und die semantischthematische Kohärenz im obigen Sinne umfassen, und Kohärenz

als Beschrei-

bungskategorie für die einem Text durch den Rezipienten zugeordnete «Textwelt». 6 Kohärenz als Eigenschaft der «Textwelt» betrifft die Gesamtbedeutung, die der Rezipient einem Text entnehmen kann und zu der er unter Umständen im Rekurs auf teilweise nicht explizit im Textausdruck enthaltene Informationen gelangt. Dieser Begriff von Kohärenz

ist als relational im Zusammenhang mit

dem rezipierenden Subjekt aufzufassen. Kohärenz in diesem Sinne ist schließlich noch zu unterscheiden von der Interpretierbarkeit,

welche die Abgeschlos-

senheit und Kontinuität einer der Textwelt entsprechenden außersprachlichen Sachverhaltskonfiguration (dem «Textkorrelat») betrifft. B e i dem einleitenden Zitat aus dem Decameron

handelt es sich um den er-

sten Satz der Novellensammlung, der am Beginn einer kurzen Reflexion über die tröstende und belehrende Wirkung von Erzählungen steht. Interpretierbarkeit und Kohärenz des Proemio im oben beschriebenen Sinne sind ohne Kenntnis der im Trecento vorhandenen außertextlichen Wissensbestände, der aktuellen lebensweltlichen Bedingungen seines Verfassers Boccaccio und dessen Publikums durch einen heutigen Leser kaum zu erfassen. 7 D e r unmittelbare grammatische und semantische Zusammenhang (Konnexität und Kohäsion)

der einzelnen sprachlichen Elemente, die dieses Zitat

konstituieren, ist dagegen aufgrund der oben erwähnten morphonologischen Kontinuität der Sprachmittel im italoromanischen Sprachraum auf den ersten Blick derart unproblematisch, daß die große sprachliche Leistung Boccaccios gar nicht wahrgenommen wird, wenn man irrigerweise von der damaligen diskurspragmatischen Situation eines florentinischen Autors absieht. Boccaccio führt in diesem ersten Satz verschiedene Gesprächsgegenstände, Konzepte und Personen ein und nimmt sie teilweise wieder auf. D a b e i muß er ihren unterschiedlichen referenzsemantischen Status - vorläufig zu benennen etwa mit generisch, nicht-spezifisch,

definit und indefinit - für den Leser deutlich markieren,

also Konnexität und Kohäsion herstellen als Voraussetzung für Kohärenz.

Eine

Hauptschwierigkeit besteht nun darin, daß sich Boccaccio mit diesem Proemio und den dort enthaltenen philosophischen Betrachtungen in einer zu seiner Zeit hauptsächlich in Latein versprachlichten Diskurstradition

bewegt. Sprachliches

Vorbild für die Herstellung referentieller Kontinuität im Text ist ihm damit eine Sprache ohne Nominaldeterminanten und mit einem anderen pronominalen System, welche Neueinführung und Wiederaufnahme von Textreferenten in paradigmatischer Weise signalisieren könnten.

6 7

Cf. Hatakeyama/Petöfi/Sözer 1985,58. Cf. das zentrale und unerläßliche Konzept der Rekontextualisierung nach Oesterreicher 1998. 2

Die folgende Untersuchung will zeigen, daß die Alternanz und Distribution von Nicht-Determination einerseits - etwa bei umana cosa, conforto, piacere und Determinanten wie alcuni, alcuno, uno sowie zahlreichen weiteren andererseits bei nominalen Elementen, die neue Textreferenten einführen, alles andere als zufällig ist und in älteren wie zeitgenössischen Texten zuallererst dem Aufbau einer kohärenten Textwelt dient. Die funktionale Ausdifferenzierung des Paradigmas dieser Nominaldeterminanten und nominalen Pronomina stellt im Prozeß der Verschriftlichung und des Ausbaus des Vorläufers der heutigen italienischen Standardsprache einen wesentlichen Faktor dar. D e r Versuch, das Paradigma der indefiniten Nominaldeterminanten und Pronomina in seiner funktionalen Entwicklung vom 13. bis zum 16. Jahrhundert nachzuzeichnen, geschieht dabei stets im Bewußtsein, daß einzelne Daten vergangener Sprachstufen keine direkte Einsicht in historische Sprachzustände geben können, sondern daß historische Sprachwissenschaft an der Schnittstelle einer Vielzahl philologischer und linguistischer Arbeitsbereiche neben genauer empirischer Arbeit erst durch Interpretation der Daten eine echte Erkenntnis liefern kann. 8 D a b e i ist die Rekontextualisierung

des Einzeltextes im Sinne einer adäquaten Berücksichtigung

etwa des Grades der Literalität einer Sprachgemeinschaft, der vorhandenen Diskurstraditionen und ihrer varietätenlinguistischen Situierung zentral, um in einem gleichsam «makrotextuellen» ersten Schritt einzelsprachliche Strukturen im aktuellen Text als durch vielerlei außersprachliche, diskurstraditionelle und sprachliche Faktoren bedingt und mehr oder weniger markiert zu verstehen. 9 In einem zweiten Schritt muß aber auch bedacht werden, daß Textsorten bzw. Diskurstraditionen in pragmatischer Hinsicht «kompositer Natur» 1 0 sind. Eine Diskurstradition wie eine Predigt beispielsweise enthält neben einer A n r e d e an die Gemeinde auch narrative oder argumentative Anteile und wird sicherlich einen mehr oder minder großen Anteil an «wiederholter Rede», also an Zitaten

8 9

10

Ct dazu Ashby 1991,8; Oesterreicher 2001a. Cf. dazu die methodologischen Reflexionen von Renzi 2000 und Vincent 2000 zur geplanten synchronen Grammatik des fiorentino antico, «ItalAnt». In bezug auf die interne Historizität einzelsprachlicher Systeme, also auf deren varietätenlinguistisch zu beschreibende Architektur (cf. dazu Oesterreicher 1988), sind nicht-selbständige Indikatoren der Textphorik (Artikel oder allgemein Determinanten) außerhalb der diatopischen Dimension bei varietätenlinguistisch markierten Versprachlichungsstrategien eigens erwähnt worden. Es ist aber davon auszugehen, daß Distributionsunterschiede in den einzelnen Texten und Epochen vor allem diskurstraditionell bedingt sind, entweder auf Textsortenebene (cf. Kapitel 3.1) oder innerhalb einzelner Texte etwa auf der Ebene der verschiedenen Darstellungsformen und -kategorien. Insofern ist die entstehende romanische Nominaldetermination unter Umständen eng mit der schriftlichen Distanzsprachlichkeit in Verbindung zu bringen, vor allem, wenn mit der expliziten Signalisierung von Referenzbezügen über den Einzelsatz hinaus (kataphorisches Potential, Spezifizität, ct Kapitel 2 und 3) argumentiert wird. Allerdings muß dies im Grunde im Bereich des Spekulativen verbleiben, so daß die untersuchten Sprachwandelerscheinungen in ihrem ersten Entstehen weder dem Distanz- noch dem Nähebereich zugeordnet werden sollen, cf. dazu auch Jacob/Kabatek 2001, IXss. Oesterreicher 1997, 31, in Rekurs auf Stempel 1972; cf. dazu ausführlicher Kapitel 3.1.

3

aus anderen Texten aufweisen. Die unterschiedliche Distribution einzelsprachlicher Merkmale in einem Text kann also durch unterschiedliche «Darstellungskategorien» 11 oder Darstellungsformen bedingt sein. 12 Es ist eine Reflexion der pragmatischen Bedingtheit einzelsprachlicher Strukturen vonnöten, die die Wahrscheinlichkeit der bewußten Wählbarkeit einzelner sprachlicher Elemente durch die Sprecher in Abhängigkeit von ihrer Versprachlichungsabsicht aufzeigt. Der Schreiber eines Textes hat primär die Rezipierbarkeit seines Werkes im Auge. Z u beachten ist hierbei die abnehmende Kode-Gebundenheit der einzelnen Ebenen sprachlicher Strukturierung von der Phonem- bis zur Textebene 13 - die freilich auch keine genuine Ebene der einzelsprachlichen Strukturierung mehr ist. Dies meint die wahrscheinlich abnehmende Determiniertheit sprachlicher Einheiten und ihrer Kombination durch Sprachregeln. Z u erwarten ist, daß Elemente der Textgestaltung, die erst auf Textebene zueinander in Opposition stehen und ihre Funktionalität erst im Text entfalten, dem den Text im Hinblick auf eine glückende Rezeption produzierenden Schreiber bewußter verfügbar und bewußter einsetzbar sind als beispielsweise phonotaktische Restriktionen. 14 Die Untersuchung wird also zur genauen Nachzeichnung der geschichtlichen Entwicklung der Indefinita im Alttoskanischen erstens eine Vielzahl quantitativer korpusbasierter Daten erheben, aber immer auch Einzelbelege zur qualitativen Auswertung dieser Daten diskutieren, den diskurstraditionellen Charakter der Korpustexte dabei stets berücksichtigend. Dies geschieht zur unverzichtbaren breiten empirischen Absicherung der behaupteten Entwicklungsschritte bzw. -Stadien in einem zentralen romanistischen Problembereich, nämlich demjenigen der Entstehung und Grammatikalisierung von Nominaldetermination, die immer auf mehr als zufällig in Texten gefundenen Einzelbelegen mit unsicherem Status beruhen sollte. Die Untersuchung wird die einzelnen Daten weiterhin im Rückgriff auf neuere semantische, textlinguistische, grammatikalisierungstheoretische und sprachtypologische Modelle und Theorien zur Referenz und Nominaldetermination nach einer großen Zahl einzelner struktureller Analysekriterien in ihrer Funktion und Distribution in den Texten untersuchen, die Ergebnisse nicht nur präsentieren, sondern anhand dieser Theorien interpretieren und dabei interessante, z.T. gänzlich neue Vorschläge zum Verstehen der damaligen und heutigen Datenlage formulieren. Dadurch enthält sie wertvolle Hinweise auf eine je geringe oder große auch diachrone Anwendbarkeit aktueller Theorien, mögliche Ansatzpunkte zu deren Revidierung und umgekehrt eine sinnvolle Interpretation des Datenmaterials, das nicht um seiner selbst erhoben wird. Dabei wird das Nachzeichnen von möglichen, allmählich sichtbar werdenden und

11 12

13 14

Stempel 1964. Wie etwa die Ergebnisse in Stempel 1964 zur Satzverknüpfung im Altfranzösischen zeigen, die in narrativen Passagen von Erzählerbericht anders ausfällt als in direkter Rede bzw. gegebenenfalls sogar vom Redegegenstand abhängen kann. Cf. Jakobson 1971. Cf. dazu auch Koch 1987,57SS.

4

auch typologisch relevanten großen Entwicklungssträngen an keiner Stelle die grundsätzliche Tatsache des niemals unmittelbar kausal konzipierbaren Sprachwandels aus dem Blick verlieren. Sprecher bzw. Schreiber verwenden Sprache nämlich stets in unterschiedlichen außersprachlichen, medialen, diskurstraditionellen und individuellen Konstellationen und sind so die Autoren im Wortsinn nicht von grob vereinfachenden «Wandelpfaden», sondern von einzelnen Ausdrucksvarianten, die erst durch eine Einbeziehung ihrer möglichst umfassend beschriebenen nicht-zielgerichteten Geschichtlichkeit ein realistisches Bild von Sprache in ihrem Werden und Sich-Verändern ergeben.

5

ι.

Einführung: Verschriftlichung und Nominaldetermination in der Romania

Die vorliegende Arbeit hat eine möglichst vollständige Erfassung der Distribution und der Funktion von insgesamt 22 indefiniten Determinanten und Pronomina in neun alttoskanischen Prosatexten aus einem Entstehungszeitraum von etwa 250 Jahren zum Gegenstand. Sie beschreibt die semantische und funktionale Entwicklung der einzelnen indefiniten Elemente vom Lateinischen zum Neuitalienischen und diskutiert die zentralen (referenz-)semantischen und grammatischen Kategorien der Indefinitheit, Generizität, Spezifizität und Zählbarkeit, um durch eine besondere Berücksichtigung der textuellen Dimension (Kohärenz) schließlich die Frage der Artikelgrammatikalisierung in den romanischen Sprachen im Bereich der Indefinitheit anhand einer neuen typologisch relevanten Erklärung zu beantworten. Diachrone Fragestellungen zu sprachinternem Wandel in der Romania, die auf einzelnen detaillierten Erhebungen zu möglichst synchronen Sprachzuständen beruhen sollten, 1 haben einen erheblichen methodischen Vorteil, der bei näherer Betrachtung jedoch einige Fallstricke birgt, welche nur durch genaue systematische konzeptuelle wie terminologische Klärungen und Abgrenzungen erkannt und umgangen werden können. Die romanischen Sprachen sind seit Jahrhunderten in einer Vielzahl von Diskurstraditionen belegt, ebenso wie ihre Ursprungssprache, das Lateinische. Die Kontinuität der Ausdrucksmittel vom Latein zu den romanischen Sprachen, zumindest in einem panromanischen Kernbereich, 2 spiegelt sich in der traditionellen italienischen Bezeichnung lingue neolatine für die romanischen Sprachen wider 3 und ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht in bezug auf die einzelnen Sprachsysteme 4 sicherlich ein Faktum. Aus der Sicht der Sprachbenutzer, also auf parole- oder Rede-Ebene, sind jedoch weder diese Kontinuität noch die romanische Ausgliederung und die allmähliche Bewußtwerdung der Differenz zum Lateinischen selbstverständlich, im Gegenteil. Die konkrete Aktualisierung eines Sprachsystems - und mehr liegt der wissenschaftlichen Betrachtung niemals unmittelbar vor - manifestiert immer gleichzeitig Sprachstrukturelles und Diskurstraditionelles und ist eingebun-

1

2

3 4

Z u prinzipiellen Fragen des Sprachwandels und der Berücksichtigung der Sprachgeschichte und Geschichtlichkeit der Sprache cf. Coseriu 1974 und Oesterreicher 1988. C£ etwa zum romanischen Lexikon Stefenelli 1992. Cf. etwa Tagliavini 6 i972. Cf. Coseriu 1952.

6

den in außersprachliche Gegebenheiten, die den einzelnen Sprechakt bestimmen. Dabei sind die außersprachlichen und diskurstraditionellen Faktoren den Sprachbenutzern mit hoher Wahrscheinlichkeit zugänglicher und bewußter als die im strengen Sinne grammatischen Strukturen und Regularitäten. 5 In den letzten zwanzig Jahren sind in der Forschung verstärkt Fragen der medialen und diskurstraditionellen Aktualisierung einer Einzelsprache im Zusammenhang mit verschiedenen historischen Phänomenen in den Vordergrund der theoretischen Diskussion gerade innerhalb der Romanistik getreten. Sie werden für die Gesamtheit der folgenden Überlegungen und Befunde den sprachtheoretischen Bezugspunkt bilden.

ι. ι

Zur Verschriftlichungsproblematik und zeitlichen Verortung der Untersuchung: frühe italoromanische Zeugnisse

Auf grundlegenden sprachtheoretischen Klärungen und Kategorien Eugenio Coserius 6 aufbauend haben Peter Koch und Wulf Oesterreicher in zahlreichen Arbeiten immer wieder die Notwendigkeit der Unterscheidung bestimmter Aspekte menschlicher Sprache(n) (man vergleiche etwa den Saussure'schen Begriff des langage) bei der Beschreibung einzelner sprachlicher Phänomene betont. Diese sollen nun in einigen Punkten, welche für das im folgenden Darzustellende von fundamentaler Bedeutung sind, kurz umrissen werden. Sprachliche Phänomene enthalten erstens immer eine universelle Ebene menschlicher Sprechtätigkeit, wenn es etwa um die Bezugnahme auf Außersprachliches bzw. die Schaffung einer kohärenten Textwelt und die Zuschreibung von Eigenschaften geht (Referenz und Prädikation) oder um Verfahren der Kontextualisierung und der Kontaktaufnahme mit einem Rezipienten etc. 7 Zweitens liegen alle sprachlichen Äußerungen stets als Ausprägungen einer historischen Einzelsprache 8 und in einer Diskurstradition 9 vor. Der historische Aspekt menschlicher Sprachen schlägt sich also gleichzeitig in der stets wandelbaren Gestalt einzelner Sprachen als kulturell gebundener Sprechtechniken und

5

6 7 8 9

Einen dem Sprachbewußtsein der Benutzer zugänglicheren und daher auch leichter bewußt den eigenen Ausdrucksbedürfnissen anpaßbaren Bereich stellen sicherlich das Lexikon bzw. die Lexikon-Einheiten mit außersprachlich-enzyklopädischer Bedeutung dar. Cf. z.B. Coseriu 1981,35-40. Cf. dazu genauer z.B. Coseriu 1988b. A l s «Gefüge historisch gewordener Techniken», Oesterreicher 1998,11. Werden Diskurstraditionen auch als jeweils teilweise korrelierend mit bestimmten «Redekonstellationstypen» im Sinne von Steger et al. 1974 verstanden, liegt jeder sprachlichen Handlung ein konventionalisierter Anteil zugrunde, auch wenn sich verschiedene Redekonstellationen hinsichtlich der Wahlmöglichkeit der sprachlichen Mittel, der Abfolge der einzelnen Sprechakte etc. zweifellos unterscheiden, cf. dazu bereits die Beobachtung und Beschreibung des «Generizitätspostulat» menschlicher Rede bei Stempel 1972,175, c£ auch Luckmann 1997.

7

in davon unabhängigen und weitgehend pragmatisch bestimmten und bestimmbaren Mustern von einzelnen Äußerungen in Situationen nieder. Diskurstraditionen sind verstehbar als «normative, die Diskursproduktion und Diskursrezeption steuernde, konventionalisierte Muster der sprachlichen Sinnvermittlung». 10 Es handelt sich um historisch gewachsene Konventionen von Diskursen/Texten, um Regularitäten im Bereich von Gattungen, Textsorten, Stilen etc., die über Einzelsprachliches hinausgehen." Diskurstraditionen basieren auf Diskursregeln, die neben universalen Sprechregeln und einzelsprachlich-spezifischen Sprachregeln 1 2 jeder konkreten Äußerung zugrundeliegen. Mit dem Terminus Diskurs, der im folgenden durch Text ersetzt wird, ist die dritte Realisierungsebene sprachlicher Phänomene angesprochen, die «konkrete und einmalige Manifestation des Sprachlichen im jeweiligen Sprechen [...], also die

individuelle,

aktuelle Ä u ß e r u n g » . I m Gegensatz etwa zur romanistischen MündlichkeitsSchriftlichkeits-Forschung 14 wird jede zusammenhängende und als komplexe Sprechhandlungseinheit abgeschlossene Ä u ß e r u n g unabhängig von ihrer medialen Realisation im folgenden als Text bezeichnet, um diese eigentliche Ebene sprachlicher Realisation 1 5 in den ihr eigenen Dimensionen der Kohärenz und vor allem intratextuellen Referentialisierung, die im folgenden im Vordergrund stehen sollen und die allen sprachlichen Äußerungen über den Satz hinaus eignen, mit einem einheitlichen Terminus erfassen zu können. 1 6 Jedes sprachliche Datum liegt in der unmittelbaren Anschauung nur in dieser einmaligen, individuellen Form vor. Auf die Systeme der historischen Einzelsprachen und Diskurstraditionen, aber auch auf die Ebene des Universalen kann erst nach sorgfältiger methodologischer Reflexion und aufgrund geeigneter statistischer Evidenzen geschlossen werden (cf. Kapitel 3). Texte sind bezüglich ihrer medialen Erscheinungsform immer entweder graphisch oder lautlich, also phonisch realisiert. Dies hat mit ganz bestimmten pragmatischen Kommunikationsbedingungen zu tun, die in Kulturen, die über beide mediale Realisierungsformen verfügen, die Wahl von Schrift- oder Lautkommunikation steuern. 17 Texte unterscheiden sich aber auch in ihrer

10

11 12 13 14 15 16 17

Konzeption,

Zur Situierung der Diskurstraditionen im sprachtheoretischen Modell Coserius cf. insbesondere Koch 1 9 8 7 , 3 0 S S . , dort auch Fußnote 24; cf. weiterhin Oesterreicher 1 9 9 7 , 20, und Oesterreicher 2 0 0 1 b , 1 5 6 7 : «Diskurstraditionen sind Kristallisationen von Redekonstellationen». Zur Kategorie Muster als «Organisationsformen des sprachlichen Handelns» und ihrer Relevanz für eine die Zweckgebundenheit sprachlichen Handelns berücksichtigende Analyse cf. Ehlich 1991. Cf. insbesondere Koch 1 9 8 7 , 1 2 5 S S . , und Koch 1 9 9 7 . Cf. zu diesen Regeln und Normen im einzelnen Koch 1 9 8 7 , 4 7 S S . Oesterreicher 1998,11, Hervorhebungen im Text. Cf. insbesondere die Diskussion in Koch 1 9 8 7 , 7 9 S S . Cf. Hartmann 1971. Cf. dazu Stark 2001a. Vor der Erfindung des Telephone war z.B. schon eine geringe räumliche Entfernung der Kommunikationspartner ausreichend, um, völlig unabhängig von Inhalt und weiteren Kommunikationsfaktoren, das schriftliche Medium für die Übermittlung einer Botschaft zu verwenden. Tatsächlich ist es insgesamt wohl zutreffend, daß die 8

im «Modus der Verbalisierung» 18 eines Sachverhalts, wobei die Wahl bestimmter Versprachlichungsstrategien in Abhängigkeit von bestimmten Kommunikationsbedingungen den Eindruck von «kommunikativer Nähe» oder aber von «kommunikativer Distanz» zwischen den Kommunikationspartnern entstehen läßt. 19 Schließlich kann für ganze Kulturen und Sprachgemeinschaften ein unterschiedlicher Grad von Oralität bzw. Literalität festgestellt werden, 20 in quantitativer 21 wie qualitativer Hinsicht, also bezogen auf den konzeptionellen Status phonischer und graphischer Kommunikationsergebnisse. 22 Für unsere Thematik ist an die tragende Rolle eines erstmals in größerer Zahl lesenden (Laien-)Publikums zu erinnern, dessen Existenz ab Ende des 13. Jahrhunderts in der Romania sicherlich (auch) zu einem starken Anstieg der schrift- und distanzsprachlichen Produktion in der Volkssprache geführt hat.23 Diachrone Fragestellungen im Hinblick auf die medialen und konzeptionellen Entwicklungen in einer oder mehreren Sprach- und Kulturgemeinschaften sehen sich mit zwei Prozessen konfrontiert: mit dem Prozeß der Verschriftung von bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nur phonisch auftretenden Idiomen (er betrifft das neu zu etablierende Verhältnis von Phonie und Graphie) und mit dem Prozeß der Verschriftlichung als «Entwicklung einheitlicher lautlicher, morphosyntaktischer, und lexikalischer Regeln [...] durch Konsolidierung der einzelsprachlich-kontingenten Sprachregeln der Distanz». 24

18 19

Entscheidung für graphischen oder phonischen Realisationsmodus durchaus von der Kommunikationshaltung beeinflußt wird; cf. Koch 1987,91. Oesterreicher 1998,11. Zur Unterscheidung von medialer vs. konzeptioneller Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit cf. bereits Ludwig Söll 31985 und dann vor allem die Ausarbeitung des Konzepts in Koch 1987, Kapitel 3, und Koch/Oesterreicher 1985 und 1990. Die relevanten Kommunikationsbedingungen sind der Öffentlichkeitsgrad, die raum-zeitliche Nähe der Kommunikationspartner, der Grad ihrer Vertrautheit, der Grad ihrer emotionalen Beteiligung, der Grad der Situations- und Handlungseinbindung von Kommunikationsakten, der Referenzbezug zur Sprecher-on'go, der Grad der kommunikativen Kooperation zwischen den Kommunikationspartnern, der Grad der Dialogizität und der Spontaneität, auch der Themenfixierung. Entsprechende Versprachlichungsstrategien können untersucht werden nach der Einbeziehung der außersprachlichen Kontexte, nach dem Planungsaufwand, der Vorläufigkeit und der aggregativen bzw. integrativen Gestaltung der einzelnen Aussagen, z.B. bei der Verbindung mehrerer Propositionen in komplexen Sätzen, cf. etwa Raible 1992. Cf. dazu insgesamt Koch/Oesterreicher 1990, 9-13. Dabei steht die beobachtbare große Affinität von Nähetexten zum phonischen und von Distanztexten zum graphischen Realisationsmodus nicht im Widerspruch zur prinzipiellen Unabhängigkeit von Medium und Konzeption, cf. etwa Oesterreicher 1993,269SS.

20 21

22 23 24

Cf. dazu Koch 1987, io6ss. A l s «Anteil der graphischen Realisierung an der Gesamtheit der Kommunikationsprozesse», z.B. relativ zur Gesamtgesellschaft, aber auch relativ zum einzelnen Kommunikationsakt; cf. Koch 1987,107. Cf. dazu auch Selig 2001,239. Cf. dazu Selig 2001,242. Zur Typisierung von Verschriftlichungsprozessen cf. Koch/Oesterreicher 1994,596s.

9

Mit dem Eindringen der romanischen Volkssprachen in neue Diskurstraditionen, die zum Teil bisher dem Latein vorbehalten waren oder auch ganz neu entstanden, wurden an diese auch bestimmte strukturelle Anforderungen gestellt. Die bloße Verschriftung eines Idioms bedeutet noch nicht automatisch, daß dieses in jeder bestehenden Diskurstradition einer Sprach- und Kulturgemeinschaft eingesetzt werden kann. Konkret geht es bei Verschriftlichungsprozessen gerade nicht um die Transkodierung von Phonischem in Graphisches, sondern um das Verfassen von Texten nach Kriterien der Kohärenz, Vollständigkeit und Abgeschlossenheit, was vor allem im Sinne einer semiotischen Autonomie von der unmittelbaren Äußerungssituation als typisches Merkmal der Distanzsprachlichkeit gilt.25 Konzeptionelle Schriftlichkeit (= Distanzsprachlichkeit) zeichnet sich insbesondere «durch einen nahezu ausschließlich mit sprachlichen Mitteln hergestellten Typ von Textkohärenz aus [...] Besondere Bedeutung kommt hier einer planungsintensiven Textphorik zu». 26 Für die folgenden Untersuchungen zeichnen sich bereits die beiden zentralen Bereiche der universal gültigen speziellen Äo/iärenzanforderungen an konzeptionell schriftliche Texte und deren jeweils einzelsprachlichen Niederschlag in bestimmten «Textverweisungssystemen» durch Nominaldeterminanten ab. 27 Dabei ist der Zusammenhang zwischen dem Entstehen neuer Diskurstraditionen in einer Sprachgemeinschaft und einzelsprachlichen Strukturveränderungen zwar naheliegend, aber nicht zwingend. 28 Das skizzierte System zur mehrdimensionalen Beschreibung konkreter sprachlicher Äußerungen erlaubt es nun, spezifische historische Situationen von Sprachgemeinschaften differenziert zu erfassen, und zwar, gewissermaßen in einer Top-Down-Perspektive, immer nur zunächst über die diskurstraditionellen Konstellationen der einzelnen Kulturen zu den einzelnen Entwicklungsstadien der grammatischen und lexikalischen Systeme. Quellen zur Erfassung einzelsprachlicher Strukturen sind zu allen Zeiten, darauf wurde bereits hingewiesen, konkrete Texte, und bis in die neuere Zeit hinein auch nur graphisch fixierte Texte. Das Auftreten und eben auch das Nicht-Auftreten von sprachlichen Ein-

25 26 27

28

Cf. dazu genauer Oesterreicher 1993,276. Koch/Oesterreicher 1994,590. Dies fällt insgesamt unter den Begriff des intensiven Ausbaus eines Idioms in Rekurs auf die sprachsoziologische Terminologie von Heinz Kloss, cf. Kloss 2 1978 und die A n wendung auf die Verhältnisse im italoromanischen Sprachraum durch Krefeld 1988. Cf. Koch 1997,57s. Zum Sprachwandelphänomen der «Markierungsveränderungen» einer sprachlichen Einheit bezüglich ihrer varietätenlinguistischen Markierung cf. Oesterreicher 2001a, der nachdrücklich auf die notwendige Berücksichtigung von Entwicklungen in Diskurstraditionen, im Varietätenraum und im jeweiligen Kommunikationsraum der Sprachgemeinschaft hinweist, cf. Oesterreicher 2001a, 233f. D a die diskutierten indefiniten Nominaldeterminanten in varietätenlinguistischer Hinsicht als vor allem diskurstraditionell variable, aber selbst nicht unbedingt diastratisch oder diaphasisch eindeutig markiert einzuordnen sind (außer natürlich bezüglich ihrer morphophonologischen Ausprägung in der im italoromanischen Raum omnipräsenten diatopischen Perspektive), wird vor allem die Dimension des diskurstraditionell bedingten Sprachwandels im folgenden im Vordergrund stehen.

10

heiten u n d K o n s t r u k t i o n e n in d e n e i n z e l n e n T e x t e n sind stets ein D a t u m d e r «parole d e r Texte», 2 9 das nicht unmittelbar mit d e n Verhältnissen im Sprachsystem gleichgesetzt w e r d e n darf. T e x t e z e i g e n i m m e r nur die N u t z u n g v o r h a n d e ner S t r u k t u r e n und sagen noch nichts direkt ü b e r d e n tatsächlichen Stand des Systems aus. 30 F ü r die f o l g e n d e n U n t e r s u c h u n g e n k a n n festgehalten w e r d e n : «Um diesbezüglich wirkliche historische Erkenntnis zu gewinnen, darf man allerdings nicht einfach bei den Erscheinungen in einzelnen Textvorkommen stehen bleiben, denn deren sprachliche Formen und Funktionen besitzen ihren historischen Ort> ja allein in einem Feld von kommunikativ-diskursiven Bedingungszusammenhängen. Empirische Textmaterialien sind also jeweils zu transzendieren, also auf sprachgeschichtliche, diskursgeschichtliche und varietätenlinguistisch abzusichernde wissenschaftliche Beschreibungen . Dieser Punkt ist methodologisch entscheidend: Eine Interpretation von Textvorkommen ist methodisch unvermeidlich, weil es gerade nicht um Datierungen oder Erstbelege auf der Textebene geht». 3 ' D i e Interpretation

d e r im f o l g e n d e n dargestellten B e s c h r e i b u n g d e r e i n z e l n e n

T e x t v o r k o m m e n w i r d d a b e i w i e d e r auf m i n d e s t e n s drei E b e n e n stattfinden müssen: A u f übereinzelsprachlicher, e v e n t u e l l universaler E b e n e bezüglich der K a t e g o r i e n der R e f e r e n t i a l i s i e r u n g und K o h ä r e n z h e r s t e l l u n g im Text, auf einzelsprachlicher b e z ü g l i c h des S y s t e m s bzw. e n t s t e h e n d e n S y s t e m s (italo-)romanischer N o m i n a l d e t e r m i n a t i o n und auf T e x t e b e n e für d e n e i n z e l n e n Text. A u ß e r d e m k ö n n e n einzelne statistische B e f u n d e T e x t s o r t e n i n d i k a t o r e n 3 2 sein o d e r a b e r für einzelne T e x t e in stilistischer Hinsicht wichtig. D i e (varietätenlinguistische) M a r k i e r u n g einzelner E l e m e n t e k a n n aus d e m V o r k o m m e n in e i n e m k o n k r e t e n Text noch nicht erschlossen w e r d e n . G i l t dies prinzipiell, so u m s o m e h r für Texte, die f r ü h e o d e r gar früheste (schriftliche) Z e u g n i s s e einer Sprache darstellen und/oder darüber hinaus literarischen C h a r a k t e r s sind, also in f o r m a l e r Hinsicht einer b e s o n d e r e n Stilisierungsabsicht (Versrede, rhetorischer ornatus etc.) u n t e r w o r f e n sind. 3 3 Fragen der varietätenlinguistischen Markierung und der

diskurstradi-

tionellen P r ä g u n g sprachlicher P h ä n o m e n e in T e x t e n d e r älteren r o m a n i s c h e n S p r a c h s t u f e n e r f o r d e r n z u ihrer K l ä r u n g eine k u r z e S k i z z i e r u n g d e r Verhältnisse in d e n frühesten (italo-)romanischen S p r a c h d e n k m ä l e r n . B e z ü g l i c h ihrer Stellung im k o n z e p t i o n e l l e n K o n t i n u u m zwischen k o m m u n i k a t i v e r N ä h e und k o m m u n i k a t i v e r D i s t a n z verhalten sich die f r ü h e s t e n r o m a n i s c h e n T e x t e überraschend einheitlich: E s handelt sich in der R e g e l u m religiöse G e b r a u c h s t e x t e und Predigten, a b e r a u c h schon u m geistliche D i c h t u n g , 3 4 u m juristische und

29 Darauf hat Wolf-Dieter Stempel bereits 1964 klar hingewiesen; cf. Stempel 1964,287. 3° Cf. Stempel 1964,27, und Sabatini 1968,352. 31 Oesterreicher 2001a, 239. Speziell auf die italoromanischen Verhältnisse und dort auf Kohärenzfragen bezogen entspricht dies in etwa den methodologischen Reflexionen in Giovanardi/Pelo 1995,68. 32 Cf. Stempel 1964,36, und Kapitel 3.1. 33 Cf. dazu auch Oesterreicher 1997,33s. 34 Cf. dazu etwa Stempel 1972,592 und 595s.

II

administrative Gebrauchstexte, 35 neben profaner Dichtung im altfranzösischen und altokzitanischen Bereich (chansons de geste, Troubadourlyrik). Die Texte gebrauchssprachlicher Art sind dabei häufig konzeptionell eher anspruchlos - oft liegt sogar hauptsächlich eine Transkodierung vom phonischen ins graphische Medium vor. 36 Allgemein müssen die Schreiber und Autoren früher längerer Texte ihre nicht-lateinische Volkssprache, im italoromanischen Bereich lange Zeit mit der Bezeichnung volgare, nicht nur einfach erstmals in ein anderes Medium übertragen (Prozeß der Verschriftung), sondern sie verfügen vor allem auch noch nicht über distanzsprachliche Modelle der Vertextung in der Volkssprache. Geeignete Vertextungsmodelle fehlen entweder, weil alle etablierten Diskurstraditionen, zumindest diejenigen der kommunikativen Distanz mit aufwendigen Versprachlichungsmustern, bis dato dem Latein vorbehalten waren, oder weil manche Diskurstraditionen erst mit der Verschriftung und Verschriftlichung der Volkssprachen entstehen. Die Verfasser früher romanischer Texte verfügen also maximal über ein lateinisches Modell der Verschriftung, das zur phonographischen Darstellung der romanischen Sprachen nur bedingt geeignet ist, und über lateinische distanzsprachliche Diskurstraditionen. Das allmähliche Eindringen des volgare in diese Distanzsprachlichkeit erweitert die seit der Ausgliederung der romanischen Sprachen bestehende Diglossie von Latein im Bereich der kommunikativen Distanz und (fast ausschließlich) der medialen Schriftlichkeit und den romanischen Volkssprachen im Bereich kommunikativer Nähe und medialer Mündlichkeit 37 bis zum 14. Jahrhundert in der Italoromania zu einer

35

36

37

Cf. Stempel 1972,591s.: Es existiert eine frühe eigenständige romanische Urkundenprosa mit den kastilischen fueros, dem altokzitanischen Lo Codi aus dem 12. Jahrhundert etc. Für die italoromanische «Vorausbauphase» nach Krefeld 1988, die noch keine kontinuierliche italoromanische Schriftlichkeit begründet, sind etwa die Placiti campani - 960 - , die Iscrizione di San demente - Ende des 11. Jahrhunderts - , die Formula di confessione umbra - 1075-1080 - , das Conto navale pisano - 1080-1130 - zu nennen. Z u terminologischen Präzisierungen cf. Koch 1 9 8 7 , 9 4 S S . Ganz klar liegt dies etwa bei den Zeugnisformeln der Placiti oder auch der Formula di confessione umbra vor. Im Bemühen um eine klare mediale und konzeptionelle Klassifikation dieser frühesten romanischen Zeugnisse schlägt Peter Koch (cf. Koch 1993) vier Typen vor: erstens die «oralite mise par ecrit», zweitens Listen, drittens die «scripturalite ä destin vocal» und viertens Texte im Spannungsbereich von Volkssprache und Latein mit metasprachlichen oder metakommunikativen Aussagen. Insofern ist die diskurstraditionelle Charakterisierung dieser Teil-Texte als Ausdruck von Diskurstraditionen in einzelnen Idiomen noch problematisch, was allerdings für die im folgenden näher untersuchten und wesentlich später entstandenen alttoskanischen Texte dann nicht mehr gilt. Bezüglich der traditionellen Unterscheidung der Darstellungsform nach Versrede vs. Prosa ist auffällig, daß frühe romanische Prosatexte lediglich als konzeptionell eher nähesprachlich oder eben als Gebrauchstexte vorliegen, während elaborierte und literarische Distanzsprachlichkeit zunächst in gebundener Rede stattfindet. Außerhalb der Galloromania begegnen uns demnach die romanischen Volkssprachen zunächst in nur wenigen funktionellen Domänen eines eher mittleren Ausbaugrades, extensiv wie intensiv. Zum Faktor Versrede vs. Prosa bei der Analyse einzelner sprachlicher Strukturen cf. Stempel 1964,39s. Cf. auch Selig 1993, 14s. - Mit Coseriu 1978 kann etwa ab dem 6. Jahrhundert von 12

T r i g l o s s i e . 3 8 D i e s e s E i n d r i n g e n d e s volgare

in d i e D i s t a n z s p r a c h l i c h k e i t ist m i t

e i n e r M a r k i e r u n g s v e r s c h i e b u n g d e r v e r s c h r i f t l i c h t e n volgari a u f d e m k o n z e p t i o nellen K o n t i n u u m in R i c h t u n g D i s t a n z s p r a c h l i c h k e i t z u erfassen.39 In I t a l i e n e r s c h e i n t i n s b e s o n d e r e s c h o n a b d e r z w e i t e n H ä l f t e d e s 12. Jahrhunderts mit e i n e m M a l , vor allem v e r b u n d e n mit d e m N a m e n G u i d o Favas aus B o l o g n a u n d s e i n e n l a t e i n i s c h e n u n d b e r e i t s e r s t m a l s a u c h in volgare W e r k e n z u r ars dictaminis40

verfaßten

eine sehr elaborierte italoromanische Kunstpro-

sa ( n e b e n d e r e b e n f a l l s s e h r u m f a n g r e i c h e n G e b r a u c h s p r o s a i n s b e s o n d e r e i m ö k o n o m i s c h e n u n d juristischen B e r e i c h ) , 4 ' w a s sich w o h l d u r c h die E x i s t e n z der ober- und mittelitalienischen städtischen K o m m u n e n und einer kulturell interessierten und g e b i l d e t e n L a i e n o b e r s c h i c h t , die politisch ü b e r z e u g t , unterhalten und unterwiesen w e r d e n wollte,42 erklären l ä ß t 4 3 D i e s e frühen elabor i e r t e n T e x t e e n t s t e h e n in e i n e r q u a n t i t a t i v u n d q u a l i t a t i v a u ß e r h a l b d e s K l e r u s zunächst nur bedingt literalen Kultur mit einer h o h e n A n z a h l an

«illetterati»44

o h n e B e h e r r s c h u n g des graphischen Mediums. E i n Teil der im f o l g e n d e n anal y s i e r t e n T e x t e e n t s t e h t d a n n a l l e r d i n g s a u c h g e n a u in d e r Z e i t d e r E i n f ü h r u n g des B u c h d r u c k s o d e r k u r z danach, die die Literalität der europäischen und da-

einem genügend großen A b s t a n d romanischer Idiome zum Lateinischen, also von einer vollzogenen Ausgliederung der romanischen Sprachen, gesprochen werden. Z u m Diglossie-Begriff cf. Ferguson 1959 und die Diskussion bei Selig 1992,7SS., und Koch/ Oesterreicher 1994,596, die die von Ferguson beschriebene Funktionstrennung zwischen einer «high-variety» und einer «low-variety» mit konzeptioneller Schriftlichkeit vs. konzeptioneller Mündlichkeit nahezu gleichsetzen. Z u r diglossischen Situation in der Romania bis 1200 cf. Raible 1993,231SS., und die frühen einsichtigen Beobachtungen in S a b a t i n i 1968,324SS. 38

39 40

Cf. K o c h 1988c, 200. D e r im Humanismus zu beobachtende Wiedereinbruch des Lateinischen in die Distanzsprachlichkeit zwischen 1350 und 1450 spielt auch bei der Auswahl der analysierten Texte eine Rolle und wird an entsprechender Stelle, Kapitel 3.1, reflektiert werden. Cf. Oesterreicher 1993, 272. Cf. dazu genauer Koch 1987, vor allem Kapitel 1 zum weiteren Einfluß der Bologneser ars dictaminis im romanischen R a u m , cf. auch Koch 1999 und K a b a t e k 2000. Diese Kunstprosa tritt von A n f a n g an mit rhetorischer Schulung und dem Bewußtsein ästhetischer Kategorien, beeinflußt vor allem auch durch die Rettorica (1260-1266) des Brunetto Latini, auf.

41

C f . R a i b l e 1993,234SS.

42

Cf. K o c h 1987 und 1988; cf. dazu auch die syntaktischen Untersuchungen von D a r d a n o 1992 und Dardano/Trifone 1995. E s begegnen didaktische Prosaliteratur und reine Unterhaltungsliteratur, allerdings diese immer auch mit enzyklopädischen Tendenzen; cf. Stempel 1972, 594, und von M o o s 1997,315s. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die vorliegenden längeren Prosatexte des D u e c e n t o und Trecento als Texte auftreten, die nur oder hauptsächlich z u m Lesen bestimmt waren. Distanzsprachlichkeit ist in Produktion und Rezeption nun auch auf einem sehr hohen Niveau medial schriftlich realisiert, der Literalitätsgrad der spätmittelalterlichen Gesellschaft steigt insgesamt spürbar an, cf. Stempel 1972,588SS. Cf. auch den Vergleich zu mittelalterlichen europäischen Gesellschaften bei Selig 1993, 14s., die hierfür den Terminus der «Oligoliteralität» verwendet. Cf. zu begrifflichen Differenzierungen K o c h 1987,110s.

43

44

13

mit auch der italienischen Kulturgemeinschaft ganz entscheidend verändert. 45 Konzeptionell sind die frühen längeren italoromanischen Zeugnisse4® insgesamt als frühe und früheste Belege italoromanischer Verschriftung immer auch gleich Ergebnisse von Verschriftlichung und extensivem wie intensivem Ausbau, einer Verschriftlichung, die überdies auch zu einer diskurstraditionellen Ausdifferenzierung innerhalb der Lyrik, Narrativik oder der Historiographie führt. 47 Während längere italoromanische Texte im Vergleich zu anderen Bereichen der Romania mit zwei bis drei Jahrhunderten Verspätung auftreten, zeigen sie sich dann sowohl diatopisch 48 als auch diskurstraditionell fast mit einem Schlag reich differenziert und konzeptionell stark distanzsprachlich geprägt. Mit dem Toskanischen, genauer dem Florentinischen, liegt außerdem ein Idiom vor, das im Vergleich zu den anderen italoromanischen Varietäten etwas später, dann aber diskurstraditionell und intensiv rasch und umgreifend ausgebaut wird. 49 Es kommt spätestens mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der daraus resultierenden auch politisch gewichtigen Stellung von Florenz zur Ausbildung kommmerzieller und juristischer Sachprosa, aber eben auch zur frühesten ästhetisch-literarisch hochentwickelten Sprachform Italiens, dem dolce stil nuovo. Außerdem ist mit Brunetto Latini der zweite wichtige volkssprachliche Rhetoriker der Italoromania neben Fava ein Florentiner, dessen Bedeutung auch für den intensiven Ausbau des Florentinischen nicht überschätzt werden kann, 50 in seinen rhetorischen Schriften theoretisch, in seinen gerade in Florenz überaus beliebten und zahlreichen volkssprachlichen Versionen lateinischer Texte, den volgarizzamenti, auch praktisch. Genau diese volgarizzamenti treiben die Herausbildung einer elaborierten florentinischen Kunstprosa entscheidend voran, bis die Werke der Tre Corone Dante Alighieri (1265-1321), Giovanni Boccaccio (1313-1375) und Francesco Petrarca (1304-1374) in eigenständigen auch diskurstraditionell originalen Werken in fiorentino antico die erste Ausbauphase des

45

46

47

48

49 50

Cf. dazu McLuhan 1967. Z u verzeichnen ist allerdings in ganz Europa schon ab dem späten 13. Jahrhundert eine «Literaturexplosion», von Moss 1997, 313, nach Hugo Kuhn, die die Literalität auch vor Einführung des Buchdrucks entscheidend vorangetrieben hat; cf. dazu insgesamt von Moss 1997. Der Buchdruck als wesentlicher Standardisierungsfaktor darf aber natürlich nicht vernachlässigt werden. Die sich nach Krefeld 1988 in einer polyzentrischen «Ausbauphase I» zusammenfassen lassen (Anfang des 13. bis Ende des 14. Jahrhunderts). Cf. dazu genauer Kapitel 3.1. Zum grundsätzlichen Zusammenhang von Verschriftung und Verschriftlichung und einer kulturellen Ausdifferenzierung in vielen Bereichen cf. genauer Koch 1 9 8 7 , 1 0 5 S S . Spezifisch in diesem Kontext ist für zahlreiche diatopische Varietäten der Italoromania die Bindung des Ausbaus an eine ganz bestimmte Gattung oder Diskurstradition, cf. im allgemeinen dazu Oesterreicher 1 9 9 8 , 1 8 , und speziell zur italoromanischen Situation Krefeld 1988, 750. Im Gegensatz zu den ersten noch vereinzelten Ausbauansätzen treten die Bologneser Mundart und die später entstehende oberitalienische koine padana in mehreren verschiedenen Diskurstraditionen auf. «Polyfunktionalität, verbunden mit großer Quantität», Krefeld 1 9 8 8 , 7 5 2 . Cf. hierzu die Bemerkungen bei Krefeld 1 9 8 8 , 7 5 2 , und die Beobachtungen bei Pfister 1978.

14

Florentinischen abschließen. Neben der Perfektion genuin volkssprachlicher Diskurstraditionen beispielsweise vom Novellino bis zum Decameron und in der Lyrik Dantes und Petrarcas entsteht mit Dantes Commedia ein Werk mit einer völlig eigenständigen diskurstraditionellen Stellung, und mit dem Convivio liegt in der Italoromania erstmals «geisteswissenschaftliche» Prosa auf extrem hohem Reflexionsniveau im volgare vor. A n diese Ausbauphase schließt sich dann eine erste «Überdachungsphase» an (vom Ende des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts), 51 an deren Ende mit den Prose von Pietro Bembo (1525) auch der letzte hier analysierte Text zu situieren ist. In dieser Phase läßt sich, zumindest in literarischen Diskurstraditionen, die unaufhaltsame Verbreitung des Modells und damit auch der Varietät der Tre Corone im italoromanischen Sprachraum beobachten. 52 In der aufkommenden questione della lingua,53 also in dem Streit über die literarische Dachsprache italienischer Literatur, der die wesentliche Auseinandersetzung des sogenannten umanesimo volgare des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts darstellt, eignen sich die Werke der Tre Corone, dann auch verbreitet durch den aufkommenden Buchdruck, in ausgezeichneter Weise zu der typisch humanistischen Kanonisierung, die in Pietro Bembos Prose della volgar lingua 1525 stattfindet. Damit sind die Weichen für den weiteren Ausbau des fiorentino antico zu einer alle funktionellen Domänen, auch die der Nähe, umfassenden italienischen Dachsprache gestellt. Es stellt sich vor diesem Hintergrund nun insgesamt die Frage, wie das einzelsprachliche Inventar altflorentinischer indefiniter Nominaldeterminanten in jeweils konkreten Texten beeinflußt wird erstens durch universale Regeln der menschlichen Sprechtätigkeit, zweitens durch diskurstraditionelle Gegebenheiten und drittens durch mögliche, damit zusammenhängende Interferenzen mit weiteren einzelsprachlichen Systemen, vor allem dem Lateinischen. 54 Bevor

5"

Cf. Krefeld 1988,752SS. Toskanisierungstendenzen sind ab Ende des 14. Jahrhunderts in verschiedenen regional unterschiedlich gelagerten Texten zu verzeichnen, die Überarbeitung wichtiger literarischer Werke in Richtung auf eine stärkere sprachstrukturelle Anpassung an das florentinische Modell spricht eine deutliche Sprache (man vergleiche etwa die Arcadia von Sannazaro 1504, den Orlando furioso von Ariost 1521 etc.) Cf. Krefeld 1988,753. 53 Cf. dazu Hall 1942, Vitale 2 I978, Bruni 1984, Serianni/Trifone 1993. 54 Z u m französischen oder okzitanischen Einfluß auf frühe italoromanische Texte cf. Dardano 1992,188s. Z u m Einfluß der lateinischen Historiographie auf Villani etc. cf. GiovanardiyPelo 1995,78s., und Kapitel 3.1. Entlehnungen sind aber auch in derartigen historischen Konstellationen nicht zwingend notwendig; cf. dazu Koch 1987,305s., und Koch/Oesterreicher 1994,592; cf. außerdem zu den Verhältnissen im Althochdeutschen in Kontakt mit Latein und dem Altisländischen mit Griechisch und den fehlenden Parallelen in der Nominaldetermination Leiss 2000, z.B. 160. Es sei an dieser Stelle auch auf frühe Überlegungen hingewiesen, das vermehrte Aufkommen von Nominaldetermination in (spät-) lateinischen Texten habe mit Übersetzungen aus dem Griechischen zu tun, cf. Selig 1992,20s. Wenn frühe schriftsprachliche Texte auf sprachstruktureller Ebene beträchtliche A b weichungen vom zeitgleich geschriebenen Latein aufweisen, wie Raible 1985 und im Detail Selig 1992 für den Bereich der Nominaldetermination gezeigt haben, nämlich vor allem in juristischen Texten von 600 n. Chr. bis zu ersten echt volkssprachlichen 52

15

diese Fragestellung im einzelnen vorgestellt wird, soll zunächst der Stand der Diskussion zur Nominaldetermination im Romanischen kurz zusammengefaßt werden, mithin der sprachsystematische Problembereich, in dem sich unser Untersuchungsgegenstand situiert.

ι .2

Untersuchungen zur romanischen Artikelentstehung

Das in dieser Arbeit zentrale Problem der Nominaldetermination, genauer der erstmaligen Einführung eines Elementes in die Textwelt durch sprachliche Indikatoren, gehört hinsichtlich der Interpretierbarkeit eines Textes zu den Regularitäten der Bezugnahme auf die außersprachliche Welt, also der Referentialisierung, die im Falle kommunikativer Distanz wie bei den untersuchten Texten maximal sprachlich vorgenommen wird unter hauptsächlich sprachlicher Kontextualisierung. Innertextlich gehört es dagegen zur semantischen Ebene der Textwelt mit den ihr zugehörigen Textreferenten, die durch ganz bestimmte Determinanten mit einer genau zu beschreibenden Bedeutung markiert werden. Die anklingende textuelle Auffassung von Referentialisierung bzw. deren Indikation durch nominale Determinanten verweist auf deren Zusammenhang mit Textkohärenz bzw. Textkohäsion, womit zwei grundlegende Phänomene der allgemein menschlichen Sprechtätigkeit aufgerufen sind. Die im Zentrum des Interesses stehende sprachsystembezogene Dimension der Nominaldetermination55 betrifft funktional gesehen den Vorgang der Aktualisierung, also den Umstand, daß durch Determination eines nominalen Elementes dieses aus seiner Virtualität als Lexikoneinheit heraustritt und zur Bezeichnung außersprachlicher Referenten (oder jedenfalls textueller Refe-

Exemplaren eine fast modern-romanisch anmutende Determinantenhäufung, so ergibt sich die Frage, wie ein solches Untersuchungsergebnis bewertet werden soll. D i e Schreiber haben die offensichtlich diskurspragmatisch bestehende und außersprachlich motivierte Notwendigkeit des eindeutigen Referenzbezugs im Text strukturell durch überdurchschnittliche Verwendung von im System angelegten Möglichkeiten der Nominaldetermination gelöst (cf. dazu insbesondere Raible 1985,52SS.). D i e s geschieht in hochspezialisierten ursprünglich lateinischen Diskurstraditionen. D e r e n Auswahl als vorgeblich gut geeignetes «Beobachtungsfeld für die Entwicklung des Systems der lateinischen Determinanten» (Raible 1985,61) ist genau wegen des starken Einflusses der Diskurstradition und der in ihr enthaltenen Versprachlichungskonventionen eher fraglich. Z u m Einfluß des Lateinischen auf die französische Prosageschichtsschreibung cf. Stempel 1987,726s. Auffällig ist der in der französischen Historiographie des 13. und 14. Jahrhunderts zu verzeichnende «pedantische Rückverweis» im Text durch le dessus diet (Stempel 1987,727), der funktional parallel zur engen anaphorischen Verflechtung der von Selig 1992 analysierten juristischen Texte zu sein scheint und dem determinantenlosen (Klassisch-)Lateinischen ja gerade nicht entspricht. 55

Z u einer immer noch nützlichen terminologischen Übersicht über die hauptsächlich verwendeten Konzepte, die mit Determination bezeichnet werden, c£ Seiler 1978,306s. Wie bei Seiler wird im folgenden Determination ebenfalls hauptsächlich auf den nominalen Bereich bezogen, ohne damit ausschließen zu wollen, daß Determinationsverhältnisse auch in verbalen Syntagmen etc. vorliegen.

16

renten) in einer konkreten Aussage verwendet werden kann. 56 Mit Hansjakob Seiler kann die Determination im nominalen Bereich unterteilt werden in die die R e f e r e n z eines aktualisierten nominalen Elements festlegende «Spezifizierung» 57 und die das Konzept des nominalen Prädikats näher beschreibende «Charakterisierung». 58 Aus der Tatsache, daß in zahlreichen Sprachen (etwa Chinesisch) jedes nominale Element ohne (overte phonologische, morphologische oder lexikalische) Determinationssignale

in jeder beliebigen syntaktischen

Funktion auftreten kann, ergibt sich bereits, daß die Unterscheidung in virtuelle vs. aktualisierte nominale Elemente nicht in allen Sprachen immer obligatorisch oberflächenstrukturell markiert wird. Der explizite Ausdruck der Dimension der Spezifizierung bzw. Nominaldetermination in diesem Sinne ist also wohl nicht empirisch universal. Im folgenden wird der Terminus nation nur im Sinne der Seilerschen Spezifizierung

Nominaldetermi-

verwendet, also nur für die

Funktion von Determinanten in diesem engeren Sinne. 59 Diese heben sich von den «Charakterisierern» (etwa adjektivischen Attributen) vor allem durch das Vorkommen in begrenzten Paradigmen, fehlende Graduierbarkeit und Obligatorizität in bestimmten syntaktischen Funktionen und Positionen, insbesondere bei Artikeln, ab. Ausdrucksseitig wird die Nominaldetermination im prototypischen Fall von Indikatoren der (In-)Definitheit 60 geleistet, in den romanischen Sprachen also beispielsweise von einem Artikel, Demonstrativum oder Numerale. 61 Morphologisch einigermaßen selbständige «Spezifikatoren» im Seilerschen Sinne werden im folgenden als Determinanten

bezeichnet 6 2 und bilden

kein homogenes Paradigma; sie werden möglicherweise in mehrere Gruppen unterschieden werden müssen je nach Stellungseigenschaften, Kompatibilitäten untereinander etc 63 Dabei dürfte eine zu genaue Klassifizierung gerade in einem Stadium noch wenig verschriftlichter Idiome ohne Normierung auf dem Weg zu modernen Artikelsprachen im Einzelfall nicht nur schwierig, sondern bei noch mangelnder Paradigmatisierung der einzelnen Elemente auch von zweifelhaftem Erkenntniswert sein.

56 57 58

59

60 61

62

63

Cf. Coseriu 1955. Cf. Seiler 1978,319: «Specification is thus determination of reference». Cf. Seller 1978,319: «Characterization is thus determination of a concept». Z u m Verhältnis und dem theoretischen Status dieser beiden Subdimensionen cf. Seiler 1978, 318 und 320SS. S o auch bei Selig 1992,26, Fußnote 65 (und anders als beispielsweise bei Raible 1982, der hauptsächlich Phänomene der «Charakterisierung» untersucht), die ebenfalls diese terminologische Konvention wählt. Cf. auch so ähnlich bereits Lyons 1977, vol. 2,454. Cf. genauer Kapitel 2. Cf. in etwa mit dieser terminologischen Regelung auch Longobardi 2001a, Abschnitt 3.1. Z u terminologischen Implikationen von Determinanten und verwandten Termini cf. Kolde 1996,34s. Im folgenden wird vor allem in R e k u r s auf Selig 1992 der Terminus Determinante(n) gewählt. Cf. genauer Kapitel 3.2; cf. dazu weiterhin K r i f k a 1989, 22s., Zamparelli 2000 zur genauen syntaktischen Beschreibung der Struktur von Nominalsyntagmen, und zum Deutschen insbesondere Vater 2 I979-

17

Artikel als grammatikalisierte Indikatoren von (In-)Deflnitheit64 und in vielen syntaktischen Funktionen obligatorische Begleiter nominaler oder nominalisierter Elemente im Satz sind nun bei der Entwicklung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen eine genuin romanische «Erfindung», eine neue grammatische Kategorie (ähnlich wie das Konditional als neues Tempus). 65 Diese grammatische Kategorie läßt sich von anderen nominalen Determinanten differenzieren durch ihre Obligatorizität in bestimmten syntaktischen Funktionen bei bestimmten Klassen von Substantiven, durch ihre Fixierung auf eine bestimmte Position und durch den nicht möglichen prädikativen Gebrauch, allgemein durch die Nicht-Möglichkeit, eine syntaktische Funktion ohne weitere Elemente allein zu besetzen. 66 Latein besitzt keine eigene nicht-flexivische grammatische Kategorie speziell zum Ausdruck der Aktualisierung (Determination) nominaler Elemente, obwohl in vulgär- und spätlateinischen Texten ein vermehrtes Auftreten demonstrativer Elemente zu verzeichnen ist.67 Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, «weshalb [...] in den romanischen Sprachen die Nominaldetermination als solche obligatorisch geworden [...] [ist], was sie im Lateinischen nicht war».68 Dabei liegt es nahe, die «obligatorification» 69 der Nominaldeterminanten mit anderen sprachstrukturellen Veränderungen in den romanischen Einzelsprachen im Vergleich zum lateinischen System in Verbindung zu bringen. Traditionelle Erklärungsversuche sehen denn auch die allmähliche Grammatikalisierung der Artikelvorläufer zu obligatorischen Determinanten erstens als Kompensation des Abbaus der klassisch-lateinischen Nominalflexion, welche die syntaktisch und (rollen-)semantisch unverzichtbaren Informationen vor allem des

64

65

66 67

68 69

Der Prozeß der Grammatikalisierung kann als eine «Zunahme an grammatischem Charakter» einer Form verstanden werden. Dies umfaßt eine Vielzahl einzelner Prozesse paradigmatischer und syntagmatischer Natur, die mit Lehmann 1985 als «attrition», «paradigmaticity», «obligatorification», «condensation», «coalescence» und «fixation» (cf. Lehmann 1985,309, und Heine et al. 1991,18s.) bezeichnet werden können. Die grammatische Funktionalisierung ursprünglich fakultativer und semantisch komplexer Elemente führt außerdem ggf. zum semantischen «bleaching», das Grammatikalisierungsprozesse begleiten kann; cf. die Bemerkungen bei van Kemenade/Vincent 1997, 21. Cf. dazu auch Selig 1992,200, die die Neuheit dieser Kategorie als geeignetes Gegenargument gegen eine einfache Einpassung der Artikelentstehung in den allgemeinen typologischen Wandel vom synthetisch kodierenden klassischen Latein zu den eher analytisch kodierenden romanischen Sprachen anführt. Cf. Himmelmann 2001, aber auch bereits Seiler 1978,313s. Cf. hierzu vor allem Selig 1992, speziell zu den Verhältnissen in der Peregrinatio Aegeriae, in welcher der Determinantengebrauch signifikant ansteigt mit anaphorischer Hauptfunktion von ipse und vor allem zunächst kataphorischer Funktion von ille, und zu einem Überblick über die Entwicklung vom klassischen Latein zu den romanischen Sprachen, cf. auch Nocentini 1990. Werner 1998,381. Cf. die Grammatikalisierungsparameter von Lehmann 1985, die sich sämtlich auf die Artikelentstehung im Romanischen anwenden lassen.

18

Kasus und von Genus und Numerus eines nominalen Elementes enthielt. 70 Maria Selig? 1 zeigt aber eindeutig anhand ihrer Untersuchungsergebnisse zu den spätlateinischen Nominaldeterminanten, daß der Flexionsabbau vor allem bei der syntaktisch zentralen Unterscheidung in Subjekt (Nominativ) und direktes Objekt (Akkusativ) Substantive wie Demonstrativa als Artikelvorläufer gleichermaßen betrifft. So greifen dann auch komplexere Erklärungsversuche wie beispielsweise die notwendige Indikation des präverbalen topikalen und daher referenzsemantisch im Regelfall definiten Elementes (welches schließlich zum Subjekt grammatikalisiert wird) durch nominativisch markierte Determinanten bei einer positionstypologischen Umstrukturierung von S X V (Subjekt - Ergänzung - Verb) zu « T V X » 7 2 (topic - Verb - Ergänzung) nicht. Das vermehrte Auftreten von pränominalen Genus- und Numerusindikatoren, teils zusätzlich zu immer noch funktionierenden Flexionssuffixen in der Substantivdeklination, teils zumindest im phonischen Medium als einzige Träger grammatischer Information, 73 kann aber in typologischer Perspektive zumindest bezüglich der Position als konsistente Entwicklung betrachtet werden. Im Übergang der romanischen Sprachen von der klassisch-lateinischen synthetischen zur romanischen analytischen Kodierungsweise vieler grammatischer Kategorien entspricht die Kodierung von Genus und Numerus durch agglutinierende pränominale Morpheme (ähnlich wie die Kodierung von syntaktischen Funktionen zumindest teilweise durch Präpositionen) dem neuen romanischen Sprachtypus. 74

70

So zahlreiche Arbeiten seit Raynouard, cf. dazu z.B. Schmitt 1987 und den kurzen Forschungsüberblick bei Selig 1992, 23s. Zu nennen sind auch die Arbeiten Gustave Guillaumes (cf. Bibliographie), der durch die Aufgabe der klassisch-lateinischen Deklination den Ausdruck eines «nom en puissance», also einer virtuellen Lexikoneinheit, ermöglicht sah, der eine Aktualisierung im obigen Sinne, also die Signalisierung eines «nom en effet», nötig machte; in neuester Zeit hat Werner 1998 darauf hingewiesen, daß die grammatikalisierte Artikelkategorie im Gegenteil eher eine (notwendige, aber wohl nicht hinreichende) Bedingung für romanischen Kasusabbau ist insofern, als sie bei komplexen Nominalsyntagmen deren Phrasenstatus (Aktualisierung) und deren syntaktische Funktion indiziert, cf. insbesondere Werner 1998,409s. Selig 1992,83, kann nicht zugestimmt werden bezüglich der weniger zentralen Rolle der Genusinformation - diese ist einmal in textueller Hinsicht ein entscheidender Kohäsionsträger, da auch über das Genus ana- oder kataphorische Bezüge zwischen vollen lexikalischen Nominalsyntagmen und koreferentiellen Pronomina hergestellt werden, und zweitens bezüglich der Nominalklassifkation ein unverzichtbares Markierungsmittel; cf. dazu Stark 2001a, 638s., und Kapitel 7.4.

71

C f . Selig 1992,83SS.

72

Cf. etwa Vennemann 1974. Cf. dazu bereits die Beobachtungen von Bodo Müller 1975,57-89. Cf. Selig 1992,24 und 87 und die dort angeführte Literatur, vor allem Harris 1978. Zu den Termini analytisch und synthetisch cf. die Definitionen in Vennemann 1982: Synthese/Analyse gehören zu den formalen, genauer den morphophonologischen typologischen Parametern: «Unter Synthese verstehe ich die prozeßmorphologische Ableitung einer Form (nämlich eines Stammes oder eines Wortes) aus einer oder mehreren anderen. Der Gegenbegriff ist Analyse», Vennemann 1982,330, Hervorhebungen im Text.

73 74

19

In positionstypologischer Sicht 75 entwickeln sich die romanischen Sprachen (das Rumänische gerade im nominalen Bereich nur mit Einschränkungen) vom linksdeterminierenden OV-Typus, also Sprachen mit der Abfolge Modifikator Kopf, 76 zu rechtsdeterminierenden VO-Sprachen. Wenn das funktionale Element in einem Nominalsyntagma als Kopf angesehen wird («DP-Hypothese», cf. Kapitel 2.4 und 3.2), so hat sich mit der Grammatikalisierung der Nominaldeterminanten im nominalen Bereich die Modifikator-Kopf-Reihenfolge des klassischen Lateinischen (SOV, lexikalischer Stamm und dann grammatische Informationen kodierendes Suffix) genau zu der romanischen Kopf-ModifikatorReihenfolge (SVO, Determinante vor Substantiv mit Attributen) umgekehrt 7 7 Diese These wird vor allem von Lorenzo Renzi 78 formuliert, der die Aufgabe der flexivischen Kodierung von Genus-Numerus-Kasus chronologisch nach die Artikelentstehung und allmähliche Grammatikalisierung als Anpassung an die neuen positionstypologischen Verhältnisse verlegt. Er sieht im Lateinischen ein im Vergleich zum linksdeterminierenden Urindoeuropäischen typologisch nicht konsistentes System: 79 Zwar muß ein bereits reduziertes Suffixparadigma der Nomina festgestellt werden, aber es liegen auch schon Präpositionen als Kasusanzeiger vor. 80 Die Artikel entstünden dann als pränominale Kasusanzeiger komplementär zu Präpositionen nach Renzi, also vor allem im Subjekt oder Objekt, wo keine Präpositionen die syntaktische Funktion anzeigen können 81 was positionell zum neuen Typ paßt. 82 D a ß positionstypologisch beschreibbare Veränderungen und eine vermeintlich konsistente Entwicklung ganzer Sprachfamilien allerdings nicht unmittelbar und übereinzelsprachlich verallgemeinernd

75

76 77

78 79 80 81

82

Für eine kurze Zusammenfassung der grundlegenden Beobachtungen bei Greenberg 1966; cf. Selig 1992,88s. In der Formulierung von Vennemann 1974 «Operand - Operator». Cf. dazu insbesondere die Arbeiten von Winfried P. Lehmann und Theo Vennemann (cf. Bibliographie), die die Greenbergschen empirischen implikativen Universalien zu Regularitäten diachroner Entwicklungen in Einzelsprachen ausbauen und den Zusammenhang einzelner Stellungsregularitäten im Sinne von typologischer Konsistenz zu quasi-automatischen Entwicklungsgesetzen verallgemeinern. Cf. insbesondere Renzi 1992 in Rückgriff auf Renzi 1987. Cf. dazu aber Oesterreicher 1989. Cf. Renzi 1992,166. Daraus leitet Renzi auch die bis heute im Rumänischen geltende und in allen älteren Sprachstufen der Romania frappierende Alternanz von Präposition und Artikel her. Cf. Renzi 1992, 167s., der auch eine explizite Parallele zur Kodierung der Person/Numerusinformation im verbalen Syntagma durch präverbale Subjektsklitika zieht, cf. Renzi 1992, 170s. - was beispielsweise von Vincent 1997 abgelehnt wird mit dem Hinweis auf die bestehende romanische Asymmetrie zwischen Subjekts- und Objektsklitika etc., cf. dazu Vincent 1997,163s. Überlegungen, die die Kodierung von syntaktischen und/oder semantischen Kasus durch Position und Präpositionen anstatt durch pro Kasus je verschiedene Flexive als markiertheitstheoretisch «natürlicher» und ikonischer ansehen und aus diesem Grund als den Motor der romanischen Artikelentstehung, sollen in unserem Zusammenhang nicht weiter diskutiert werden, cf. dazu die Ausführungen in Selig 1992,93-97.

20

im Zusammenhang mit der Ausbildung einzelner grammatischer Kategorien in Verbindung gebracht werden dürfen, zeigen beispielsweise die germanischen Sprachen, vor allem Deutsch, welches die grundlegende OV-Topologie beibehält, aber dennoch seit dem Althochdeutschen vermehrt Nominaldeterminanten verwendet und heute eine Artikelsprache ist.83 Eher im Sinne der «Kompensationshypothese» entwickeln Nigel Vincent und Ans van Kemenade die These, daß (hauptsächlich definite) 84 Nominaldeterminanten als topi'c-Anzeiger fungieren, wenn die auch in diskurspragmatischer Hinsicht wichtigen Kasus (zur Signalisierung des meist topikalen Subjekts durch den Nominativ o.ä.) aufgegeben werden. 85 Nominaldeterminanten kennzeichnen in dieser Sichtweise ein topikales präverbales Feld und treten dort vorgeblich mit neuen topikalen, aber bezüglich ihrer syntaktischen Funktion nicht gekennzeichneten Verbargumenten auf (Subjekte sind ja durch Person- und Numeruskongruenz immer schon als solche erkennbar). 86 Artikelentstehung und Fixierung der Satzgliedfolge spielen in dieser Hinsicht auch zusammen, allerdings nicht auf der Ebene grammatischer Relationen, sondern auf der Ebene der Informationsstruktur. Dies paßt alles teilweise zu den Beobachtungen in frühen Stadien romanischer Sprachen, nicht aber zu den Daten in Selig. Z u erwähnen ist im vorliegenden Zusammenhang schließlich der wichtige Beitrag von Joszef Herman, der auf die rektionsbedingte Übereinstimmung aller Elemente eines Nominalsyntagmas im klassischen Latein aufmerksam macht, die vor allem durch die Ergänzung der morphologischen Kategorien Genus und Numerus durch die sechs klassisch-lateinischen Kasus zur eindeutigen Zuordnung zusammengehöriger Elemente auch bei positioneller Entfernung im Satz

83 84

85

86

Cf. dazu im einzelnen Giusti 1 9 9 3 , 4 6 S S . , und Leiss 2 0 0 0 . Cf. dazu van Kemenade/Vincent 1997, 20, die explizit eine davon unabhängige und spätere Entwicklung des unbestimmten Artikels konstatieren. Topic soll verstanden werden im Sinne von Aussagegegenstand, cf. Gundel 1977 und Stark 1997; Subjekte sind als grammatikalisierte topics im unmarkierten Fall Gegenstand der Prädikation, cf. Givön 1976, Comrie 1988. Cf. dazu insbesondere Vincent 1997. Vincent 1997 ordnet dabei die voneinander unabhängigen, aber typologisch gleichermaßen konsistenten Entwicklungen der Artikelgrammatikalisierung und der Entstehung klitischer Pronomina im Romanischen der typologischen Veränderung vom nichtkonfigurationalen und dependent-marking Latein zu den konfigurationalen und head-marking romanischen Sprachen mit deutlicher Subjekt-Objekt-Asymmetrie zu, cf. Vincent 1997,149s.; cf. Kapitel 2.4. Ähnlich ist die Argumentation bei Ramat 1984 oder Rosen 1994, die Nominaldeterminanten als iopic-Anzeiger in dem Moment als notwendig erachten, in dem die Serialisierung fixiert wird und neu funktionalisiert zur Anzeige syntaktischer Funktionen und daher nicht mehr zur Anzeige diskurspragmatischer Oppositionen zur Verfügung steht. Zu dieser Funktion im klassischen Latein cf. die Untersuchungen in Rosen 1994, die recht eindrucksvoll belegen kann, daß tendenziell satzinitiale Stellung Definitheit, postverbale oder satzfinale Indefinitheit kodieren - dies wird vor allem aber bereits von Blazer 1979 und 1980 bestritten.

21

(welche laut Herman außerordentlich oft vorkommt)8"7 entscheidend beiträgt. Eine Aufgabe der Kasusanzeige in diesem Sinne führt zu einem Kohäsions- bzw. Konnexitätsverlust - ganz unabhängig von der syntaktischen Rolle der Kasus auf Satzebene, - welcher durch die Entstehung einer obligatorischen Serialisierung, eines relativ starren «Adjazenzgebotes» im Nominalsyntagma und eben einer syntaktischen Kategorie Artikel als hauptsächlichem Träger der morphologischen Kategorien des gesamten jeweiligen Nominalsyntagmas an einer gleichbleibenden Position aufgefangen wird. Die relative Chronologie betreffend muß jedoch unterstrichen werden, daß die allmähliche Fixierung aller Glieder eines Nominalsyntagmas in direktem Kontakt zueinander ab dem 2. Jahrhundert einem flexionellen Kasusabbau vorangeht, nicht folgt. Einen Zusammenhang im Hinblick auf Verschiebungen im Ausdruck nominaler Kohäsion stellt Herman nicht her. Die Untersuchungsergebnisse bei Selig zur Frühphase romanischer Artikelgrammatikalisierung zeigen nun, daß keine der Annahmen oder Voraussagen der unterschiedlichen Erklärungsansätze, die vermehrten Determinantengebrauch als Kasusersatz beim Subjekt oder direkten Objekt (typologische Ansätze) oder bei semantisch markierten Rollen, also bei indirektem Objekt oder in Adverbialen (markiertheitstheoretische Ansätze) postulieren, bestätigt werden können. 88 Selig verzeichnet vielmehr einen recht gleichmäßigen Gebrauch der Demonstrativa in Determinantenfunktion in allen untersuchten syntaktischen Funktionen. 8 ? Festzuhalten bleibt nach Forschungslage allerdings, daß die ersten Artikelokkurrenzen nicht verstärkt im präverbalen topic- oder gar Subjektsbereich, sondern im postverbalen Bereich liegen. 90 Die mangelnde Übereinstimmung von theoretisch postuliertem und tatsächlichem Auftreten der spätlateinischen Nominaldeterminanten führt Selig auf die Tatsache zurück, daß alle diese Erklärungsversuche «nicht die primären semantischen Merkmale der Artikelvorläufer, Definitheit und Indefinitheit» 91 als ursächlich für deren Verwendung als romanische Nominaldeterminanten se-

87

88 8t)

90

91

Cf. Herman 1990a, 335. Ca. 20-30% der Nominalsyntagmen in klassischen Texten bis Tacitus sind davon betroffen, was sich auch noch für den erzählerischen Teil des Satyricon von Petronius sagen läßt, nicht aber für die dort enthaltenen Passagen direkter R e d e von Trimalchio und seinen Freunden, die noch maximal 4 % Hyperbata aufweisen, cf. Herman 1990a, 332s. D i e Peregrinatio Aegeriae weist immerhin noch 1 1 % nicht kontiger Nominalsyntagmen auf, diese enthalten dann allerdings fast ausnahmslos ein anaphorisches Element wie autem, ergo oder id est. Cf. Selig 1992,98s. Diese Ergebnisse entsprechen allerdings nicht denen von Rosen 1994, welche in den Confessiones von Augustinus eine deutliche Präferenz für Nominaldetermination im postverbalen Bereich feststellt. Cf. Rosen 1994,142SS. Cf. dazu auch Blazer 1980,299, noch für das Altfranzösische. D i e s widerspricht d e m B e f u n d in Vincent 1997 für die Peregrinatio Aegeriae, der allerdings nicht konsequent in prä- und postverbalen Bereich differenziert und dessen Ergebnisse insgesamt noch genauerer Interpretation bedürfen, cf. Vincent 1997,161s. Cf. dazu aber unten, Kapitel 2 und 7.

22

hen, sondern «vielmehr die sekundären Merkmale Kasus, Genus und Numerus, die durch die Kongruenzphänomene innerhalb des lateinischen Nominalsyntagmas mit den primären Merkmalen der Determinanten amalgamiert sind».92 Selig weist auch auf die entscheidende Inkongruenz einer rein morphematischen Argumentation zur Erklärung der Artikelentstehung hin: Wenn in einer Frühphase der absoluten Fakultativität von Nominaldetermination, also in den von Selig untersuchten spätlateinischen Texten vor allem des 4. bis 8. Jahrhunderts, Nominaldeterminanten auftauchen, setzte deren angeblich rein morphematische Funktionalisierung eine Desemantisierung und Paradigmatisierung der einzelnen Elemente voraus, die in dieser Phase, die einer Grammatikalisierung von Nominaldetermination allenfalls vorausgeht, noch nicht angenommen werden kann. Wenn Determinanten in dieser Phase vermehrt eingesetzt werden und sich allmählich aus der heterogenen Klasse der pränominalen Determinanten ein Artikelparadigma herausbildet, also ganz bestimmte Determinanten immer häufiger auftreten, 93 dann gerade aufgrund ihrer spezifischen Semantik 94 im Paradigma nominaler Determinanten, die sich später dann hauptsächlich auf die Anzeige von (In-)Definitheit bzw. Zählbarkeit beschränken wird. Insgesamt gelangt Selig selbst zu einer multifaktoriellen Erklärung der Artikelentstehung im Romanischen: Die explizite Signalisierung von (In-)Definitheit im Lateinischen durch Demonstrativa und indefinite Quantoren und das Numerale unus wird in den von Selig untersuchten Texten ausgeweitet, bis sie im Bereich der Spezifizität obligatorisch wird. In diesem Prozeß der Ausdehnung der Anwendungskontexte verliert sich die ursprünglich «fokalisierende», 95 die Aufmerksamkeit des Rezipienten steuernde Wirkung der expliziten (In-)Definitheitskennzeichnung durch Nominaldeterminanten, und sie erhält nun den referenzsemantischen Wert spezifisch. Grammatikalisiert wird also die nominale (In-)Definitheitskennzeichnung, und als Folge daraus werden die Artikelvorläufer zu Artikeln de-fokalisiert. 96 Dies ist unter anderem aus der Tatsache ersichtlich, daß zunächst gerade vor allem minimal kontinuierliche Textreferenten mit später anaphorischen Determinanten (vor allem ipse und bei «definiten

92 93

94

95 96

Selig 1992,79. Wenn es um eine pränominal-agglutinierende Anzeige des Kasus ginge, würden sich dafür alle möglichen Determinanten, auch possessive, alle möglichen Quantoren etc. eignen, cf. auch Kapitel 2.4 und Selig 1992,79s. Z u m Problem der angenommenen «relativen Merkmallosigkeit» bei Selig 1992,81,0! Kapitel 2.4 und 7.2. Cf. Selig 1992,117s. Cf. Selig II8SS. und 178SS.: «Die eigentliche Innovation in der lateinisch-romanischen Entwicklung war die Grammatikalisierung der (In)Definitkennzeichnung, die durch die Ausweitung der Kennzeichnung in neue Verwendungsgebiete und die Frequenzerhöhung des Determinantengebrauchs eingeleitet wurde. A l s Konsequenz für das Determinantenparadigma ergab sich daraus die Obligatorik der (In)Definitdeterminanten zumindest im Bereich der spezifischen Nennungen und die De-Fokalisierung der nichtemphatischen (In)Definitdeterminanten», Selig 1992,179.

23

Erstnennungen» kataphorisches ille) gekennzeichnet werden. 97 Als indefinit oder definit gekennzeichnet werden vor allem in den untersuchten narrativen Texten, und das wird für unsere späteren Analysen von großer Bedeutung sein,98 wichtige Textreferenten der Textwelt: zentrale Orte, Zeitpunkte oder Protagonisten der Erzählungen im Zusammenhang mit ihrer thematischen Kontinuität bzw. Diskontinuität, und zwar durch ein ganzes Bündel von (In-)definitdeterminanten, aus dem sich die späteren Artikel erst allmählich herauskristallisieren. 99 Dadurch wird eine gewisse Reliefbildung erreicht, speziell die explizit als neu eingeführten Protagonisten stehen an «Scharnierstellen» der Texte und gliedern diese so in einzelne thematische Abschnitte. 100 Selig weist dabei die Funktionen der Textgliederung durch gehäuften Determinantengebrauch der konzeptionellen Schriftlichkeit, die der Sicherung anaphorischer Bezüge und der Fokussierung wichtiger Textreferenten eher (auch) der konzeptionellen Mündlichkeit zu, was zu diskutieren sein wird. Sie sieht die Ausweitung der Verwendungskontexte spätlateinischer Determinanten als grundlegend für deren Grammatikalisierung als romanische Artikel an, also die diskurspragmatisch motivierte Verwendung von einzelsprachlichen Elementen in ganz bestimmten Diskurstraditionen, 101 wobei sie eine sekundäre morphematische Nutzung der Nominaldeterminanten nicht gänzlich ausschließt. Allerdings versteht Selig unter (In-)Definitheit durchgehend «(Nicht)Identifizierbarkeit» bzw. textuelle Neuheit (vs. textuelle Bekanntheit) von Textreferenten, ein Wert, der den frühen Nominaldeterminanten nicht hauptsächlich zugeschrieben werden kann (cf. Kapitel 2.4 und 7.4). 102

97

98

Dies im Widerspruch zu den Befunden von Nocentini 1990 zur Peregrinatio Aegeriae, der ipse und ille zumindest teilweise vor allem bei thematisch kontinuierlichen, kontextuell bekannten Textreferenten sieht, cf. Nocentini 1990,146s. Möglicherweise ist in diesem Text eine frühe Grammatikalisierung bzw. Funktionalisierung der Artikelvorläufer mit ihrem in der Romania an sich erst späteren kontextuellen Wert zu verzeichnen. Nocentini selbst sieht allerdings den Ausgangspunkt der Artikelgrammatikalisierung im Romanischen bzw. die verstärkt auftretenden Nominaldeterminanten von Anfang an als Indikatoren informationsstruktureller Kategorien bei Fixierung der Serialisierung, ähnlich wie bei Thompson 1978, cf. Nocentini 1990,156s. Auch wenn Selig 1992 bezüglich der vorgeblichen Nähe der narrativen, aber eben medial schriftlichen Texte zur gesprochenen Sprache nur bedingt zuzustimmen ist - bei medial schriftlichen Erzähltexten sind im Gegenteil die hauptsächlichen Verfahren der Referentialisierung und der Kohärenzherstellung andere als in nähesprachlichen, zumal medial mündlichen, cf. Selig 1992,18,138s. und die abwägenden Bemerkungen 190SS.

99 Cf. dazu insbesondere Selig 1992,177-185. Auch Pestelli-Gori 1944/45,35, macht entsprechende Beobachtungen zum Gebrauch des bestimmten Artikels in der Commedia. Leiss 2000 zeigt ganz entsprechend für das Altisländische eine solch textuelle Fokussierung durch den bestimmten Artikel. 100

Cf. Selig 1992,141.

101

Cf. vor allem Selig 1992,196SS. So erklären sich auch die Schwierigkeiten, die Selig bei einer funktionalen Erklärung der Artikelentstehung im Romanischen wenigstens teilweise auch über informationsstrukturelle Regularitäten hat, cf. dazu genauer Selig 1992, 201-209: Wenn eine zunehmend fixierte und syntaktisch funktionalisierte Serialisierung der Satzglieder

102

24

Inwieweit die vermeintlich «primären semantischen M e r k m a l e » der A r t i k e l v o r l ä u f e r im c h r o n o l o g i s c h e n S i n n e tatsächlich die A n z e i g e v o n (In-) D e f i nitheit b e t r e f f e n u n d i n w i e w e i t ein an d e n m o d e r n e n A r t i k e l s p r a c h e n orientiert e r I n d e f i n i t h e i t s b e g r i f f in d e r L a g e ist, d i e s e m a n t i s c h e n u n d f u n k t i o n a l e n V e r s c h i e b u n g e n in d e r F r ü h p h a s e d e r r o m a n i s c h e n N o m i n a l d e t e r m i n a t i o n z u e r k l ä r e n , w i r d z u d i s k u t i e r e n sein im Z u s a m m e n h a n g mit n e u e s t e n T h e o r i e n z u r A r t i k e l g r a m m a t i k a l i s i e r u n g u n d A r t i k e l f u n k t i o n (cf. K a p i t e l 2.4). B e r e i t s d i e E r g e b n i s s e zur E n t w i c k l u n g d e r A n z e i g e d e r syntaktischen

Funktionen

in d e n

m o d e r n e n r o m a n i s c h e n S p r a c h e n z e i g e n ja, d a ß d i e N o m i n a l d e t e r m i n a n t e n d a b e i g a r k e i n e R o l l e spielen. I03 D i e s g e s c h i e h t n ä m l i c h ü b e r P o s i t i o n u n d P r ä p o sitionen, d e r e n N u t z u n g i m R o m a n i s c h e n n u n w i e d e r völlig im E i n k l a n g mit d e n s k i z z i e r t e n E r k l ä r u n g s a n s ä t z e n steht. W i c h t i g b l e i b e n o d e r w e r d e n die D e t e r m i n a n t e n u n s e r e s E r a c h t e n s a l l e r d i n g s zur p r ä n o m i n a l e n I n d i k a t i o n d e r l e x i k a lischen K a t e g o r i e Genus u n d d e r m o r p h o l o g i s c h e n , g r a m m a t i s c h d e t e r m i n i e r t e n K a t e g o r i e Numerus,

im i n d e f i n i t e n B e r e i c h i n s g e s a m t z u r I n d i k a t i o n d e r

Zähl-

barkeit (uno vs. P a r t i t i v ) , w o r a u f S e l i g in ihrer D i s k u s s i o n s p r a c h s y s t e m i n t e r n e r

deren informationsstrukturellen Status als kontextuell gegeben (eher präverbal) und kontextuell neu (eher postverbal bzw. gegen Äußerungsende) nicht mehr unmittelbar ausdrücken kann und (In-)Definitheit hauptsächlich kontextuell als gegeben vs. neu interpretiert wird, könnten (In-)Definitheitssignale vor allem bei markierten Serialisierungsmustern (also indefinite Nominaldeterminanten bei markiert präverbal versprachlichten neuen Referenten, definite bei markiert postverbal versprachlichten gegebenen Referenten) einfach dazu verwendet werden, (In-)Definitheit im Sinne von Neuheit vs. Gegebenheit eindeutig zu markieren. Seligs Untersuchungsergebnisse bestätigen diese einfache Kompensationshypothese nun aber nicht direkt. Es treten, ganz im Gegenteil, ab einem bestimmten Zeitpunkt definite Determinanten präferiert mit präverbalen Subjekten auf und entsprechend kann auch kein verstärkter Einsatz von indefiniten Determinanten mit präverbalen, aber kontextuell neuen Subjekten festgestellt werden. Möglicherweise greifen Serialisierungsfixierung und verstärkter Determinantengebrauch aber in etwas indirektererWeise ineinander: Wenn die Serialisierung grammatikalisiert ist, kann sie nicht nur nicht mehr der informationsstrukturellen Gliederung im obigen Sinne dienen, sondern auch nicht mehr der spezifischen Fokus-Hintergrund-Gliederung (cf. Jacobs 1988; beide informationsstrukturellen Gliederungen sind voneinander zu unterscheiden, was Selig 1992 leider weder inhaltlich noch terminologisch tut; cf. Selig 1992, 2o6ss.), die häufig durch abweichende Serialisierung markiert wird (also kontextuell neue Referenten im markierten Fall dann doch beispielsweise präverbal). In diesen Umgebungen könnten nach Selig dann die Artikelvorläufer, wieder ähnlich wie bei ihrer frühen anaphorischen oder fokalisierenden Verwendung im Grunde übercharakterisierend, einen zentralen gegebenen (und typischerweise definiten) bzw. neuen und zu fokussierenden (und typischerweise indefiniten) Referenten hervorheben. Die kontextuelle Übercharakterisierung führte schließlich zu einer Umdeutung der Nominaldeterminanten als definit und indefinit im Sinne von bekannt - unbekannt. 103

Mit Ausnahme insbesondere des Rumänischen, das die Unterscheidung Nominativ/ Akkusativ vs. Genitiv/Dativ allerdings auch nicht immer am Artikel festmacht, sondern am jeweils ersten Element eines Nominalsyntagmas, unabhängig von dessen Kategorie, cf. etwa: casa acestui vecin vs. casa vecinului acesta, beide 'das Haus dieses Nachbarn'. 25

Erklärungsversuche kaum eingeht. Dies wird einen zentralen Punkt unserer Argumentation darstellen (cf. Kapitel 2.4 und Kapitel 7). 104 Der kurze Abriß von Seligs multifaktorieller Erklärung der romanischen Artikelentstehung betrifft die spätlateinischen und frühromanischen Verhältnisse, die aufgrund der Quellenlage zu rekonstruieren sind. Seligs Beobachtungen betreffen ein Stadium, in dem die Nominaldetermination auf jeden Fall noch fakultativ ist. Zu beachten sind in unserem Zusammenhang aber auch spätere Grammatikalisierungsstadien sowie die Verhältnisse in den modernen romanischen (Standard-)Sprachen. Gerade bei der weitergehenden Entwicklung der Nominalsyntagmen in den einzelnen romanischen Sprachen muß nämlich differenziert werden bezüglich der spezifischen Ausprägung des Determinantenparadigmas und der Obligatorizität der Nominaldetermination. Sie ist sicher am ausgeprägtesten im Französischen, weit weniger im Spanischen und Italienischen, möglicherweise am schwächsten im (gesprochenen) Rumänischen. I0 5 Bezüglich der semantischen Klasse der determinierten oder nicht determinierten Substantive in frühesten und frühen romanischen Texten ist eine gleichmäßige Ausdehnung der Nominaldetermination von belebten und konkreten Textreferenten auf Substanzen, Stoffe und Abstrakta zu verzeichnen; 106 bezüglich der grammatischen Binnenstruktur des gesamten Nominalsyntagmas unterbleibt sie zunächst bei Nominalsyntagmen im Plural bzw. bei attribuierten Nominalsyntagmen; 107 bezüglich der Referenzart der betreffenden Nominalsyntagmen ist die von Selig festgestellte Präferenz für spezifische Textreferenten 1 0 8 voll und ganz zu bestätigen. 109 Insbesondere wird in frühen Stadien der Artikelgrammatikalisierung fast ausschließlich singularische Zählbarkeit bei Konkreta durch indefinite Nominaldeterminanten markiert. Bezüglich der syntaktischen Funktion kann ein frühes vermehrtes Auftreten von Nominaldeterminanten mit Subjekten (indefinites un allgemein eher postverbal), erst später im postverbalen

104

Cf. auch die Diskussion der Numeruskategorie für die Generalisierung der Nominaldetermination in den romanischen Sprachen bei Werner 1998. 5 Wobei auffälligerweise eine Korrelation von phonischer Schwächung der substantivischen Flexion und der Artikelgrammatikalisierung zu verzeichnen ist. In bezug auf die Numerusindikation wird darauf neuerdings wieder hingewiesen, etwa von Delfitto/Schroten 1991. 106 So z.B. auch in der Commedia Dantes für den Gebrauch des bestimmten Artikels, cf. Pestelli-Gori 1944/45. Zur morphologischen Unterscheidung in zählbare vs. nichtzählbare Nominalsyntagmen cf. Kapitel 7. 107 So etwa zum Altfranzösischen bei Heinz 1982, zum Altspanischen bei Santana Herrara 1982. 108 Cf. Givon 1981. Zum Germanischen und der Kategorie der «Referenzmarkierung» im Sinne von determiniert, also referentiell als Grammatikalisierungsursache für Artikel bei Abbau der morphologischen Kasus cf. Philippi 1997 und unten die Ausführungen zu Leiss 2000. 109 Cf. hierzu die Ergebnisse von Blazer 1979 und 1980, Heinz 1982, Elvira 1994, auch von Pestelli-Gori 1944/45 zur Commedia, die Nulldetermination unter Negationsskopus und nach Vergleichspartikeln feststellt, typische nicht-spezifische Kontexte, cf. Haspelmath 1997 und Kapitel 6. 10

26

Bereich mit Objekten und am spätesten in prädizierenden Satzgliedern wie Attribut oder Prädikativ festgestellt werden. 110 Beschrieben wird aber auch ein frühes eher postverbales, nicht-satzinitiales Auftreten von altfranzösischen Artikeln. 111 Reinhard Meisterfeld geht mit seinen Überlegungen zur Entstehung speziell des unbestimmten Artikels in den romanischen Sprachen von diesen wichtigen distributionellen Daten aus, wenn er in einem ersten Schritt drei Phänomenbereiche der referenzstiftenden Mittel des Sprechens identifiziert, nämlich «Gestaltapprehension», Umfelder der Rede 1 1 2 und einzelsprachliche Determinanten, und die «sprachlichen Mittel der Gestaltapprehension» folgendermaßen benennt: «als allgemeines Verfahren der Einzelsprachen bei der nominalen Quantifizierung, als nominale Klassifizierung und als kategorielle Zuweisung einer Nominalgestalt». 113 Die Determination eines Nomens ist im klassischen Latein entweder durch die verschiedenen «Umfelder» der Rede gewährleistet oder unterbleibt einfach: «Die Gegenstände des täglichen Bedarfs werden im allgemeinen nicht als Individuen identifiziert, wenn man sie kauft, anwendet, reinigt, verzehrt u.ä. U n d wenn jemand sagt, er habe etwas gesehen, gekauft, gefunden, verlangt, gesucht, dann bezieht er sich im Normalfall einfach auf ein Exemplar der Gattung ohne Individualität»."4

Indefinite Determination leistet dann im Lateinischen entsprechend eine «explizite Entdeterminierung», die die Nicht-Identität mit vorerwähnten oder anderweitig identifizierbaren und identifizierten Referenten signalisiert." 5 Mögliche Identität verschiedener Vertreter einer Klasse oder Menge untereinander bzw. das explizite Anzeigen von Nicht-Identität findet zunächst nur bei Individuabilia

110

111

Cf. die Ergebnisse in Heinz 1982 und Chaurand 1991; so zum Spanischen auch Lapesa I973.499SS. Cf. etwa Blazer 1980, 301SS. Sie sieht zwar durchaus einen Zusammenhang mit der Fixierung der Serialisierung und dem Verlust ihrer diskurspragmatischen Funktion vom Lateinischen zum Altfranzösischen, lehnt es aber ab, die D e terminanten als direkten Ersatz der angeblichen lateinischen topologischen (In-)Definitheitsmarkierung einzuordnen, welche sie als wesentlich weniger systematisch ansieht als die topologische Hervorhebung thematisch wichtiger Textelemente - die vermeintliche Hauptaufgabe der Artikelsetzung im Altfranzösischen. Sie greift vor allem Thompsons (1978) Hypothese an, derzufolge eine Fixierung der Serialisierung die (In-)Definitheitskennzeichnung durch explizite Elemente notwendig macht. Thompson geht ebenfalls von einem ursprünglichen semantischen Wert der Nominaldeterminanten [+definit] - [-definit] aus und sieht diesen, ähnlich wie Selig 1992, als ursächlich für das vermehrte Auftreten mit beispielsweise wenig erwartbaren und deshalb explizit zu kennzeichnenden präverbalen nicht-gegebenen oder postverbalen bekannten Textreferenten an. Nominaldeterminanten hätten also von A n f a n g an vor allem informationstrukturellen Wert und nur indirekt mit dem Kasusabbau zu tun, ähnlich wie bei Vincent 1997 argumentiert.

112

Cf. Coseriu 1955.

113

M e i s t e r f e l d 2000,305.

115

Meisterfeld 2000,313; Hervorhebung E.S. Cf. Meisterfeld 2000,316ss.

27

statt und entspricht somit einer verdeckten Klassifizierung."6 Die spätlateinische Wahl des Zahlwortes für 'eins' 117 als hauptsächlichen «Entdeterminierer» bietet sich dann an, die Existenz eines Elementes einer in der Regel vorerwähnten Menge 1 1 8 impliziert die Existenz weiterer Exemplare einer Menge (dies gilt nicht für definite Nennungen und weniger für pluralische Nominalsyntagmen, cf. Kapitel 7). Unus kann natürlich zunächst in seiner Bedeutung als Zahlwort mit der Bedeutung 'eins' (im Kontrast zu zwei, drei etc.) verwendet werden. 11 ^ In dieser Verwendung kann es zur «Lösung einer Gestalt aus einem Kontinuum» 120 kommen, so daß der entsprechende Referent als «konturiert» und damit leicht referenzfähig qua Zählbarkeit klassifiziert wird. Gemeinsam ist allen diesen Verwendungen die neue explizite Klassifikation des Nominalsyntagmas als zählbar und die Apprehension eines Referenten als «partikulären Vertreter der Klasse der konturierten Gegenstände». 121 Wesentlich ist vor allem die Feststellung, daß das lateinische Verfahren der Entdeterminierung nicht dasjenige ist, das die Funktion des späteren romanischen Artikels beschreibt. Unus bzw. seine romanischen Fortsetzer treten, wahrscheinlich mit bis zu 200 Jahren Verspätung, der expliziten Definitheits- bzw. Determiniertheitskennzeichnung im Spätlateinischen und Frühromanischen zur Seite als referenzstiftendes Mittel, freilich nicht im Sinne einer einfachen binären Opposition. Verweisen Demonstrativa und spätere definite Artikel auf die «Umfelder der Rede», aus denen sich die Identifizierbarkeit des gemeinten Referenten für den Hörer ergeben können muß, sagt der unbestimmte Artikel (bzw. in manchen romanischen Sprachen die unbestimmten Artikel) in dieser Hinsicht einfach nichts aus. 122

Cf. Meisterfeld 2000,318s. Es kann also keine Rede davon sein, daß unus maximal merkmallos im Sinne von indefinit sei, wie Selig 1992, 115s., behauptet - es ist im Gegenteil merkmalhaltig als Numerale und entwickelt seinen indefiniten Wert, genau wie ille den nur definiten, erst später. 118 Cf. Meisterfeld 2000,321; dies entspricht einer möglichen Definition von Spezifizität bei indefiniten Nominalsyntagmen (cf. Eng 1991 und Kapitel 6), so daß die Beobachtungen von Selig 1992 auch dadurch ihre Erklärung finden. Der unbestimmte Artikel wird auch in Presslich 2000 als Markierer einer «komplexen Teil-Ganzes-Relation» gesehen; insgesamt ist die dort enthaltene Skizze der Artikelentstehung im Romanischen, die weitgehend auf Leiss 2000 aufbaut, wenig konsistent, cf. Stark 2002b. "9 Cf. Meisterfeld 2000,322s. 120 Meisterfeld 2000,325. 121 Meisterfeld 2000,328. 122 Cf. dazu die immer wieder beobachtete funktionale und auch morphologische Asymmetrie in einem vermeintlichen Artikelparadigma, die schon Coseriu 1955, insbesondere aber Hawkins 1978 festgestellt hat; cf. Kapitel 2 und Kapitel 7. 116 117

28

ι .3

Nominaldetermination und Textkohärenz: Forschungsgegenstand und Fragestellung

Die bisherigen Überlegungen zur Manifestation von Sprachlichem auf universaler, historischer und individueller Ebene, zu Diskurstraditionen und zum Textbegriff und dem zentralen Textualitätsmerkmal der Kohärenz und in historisch einzelsprachlicher Perspektive zu Verschriftlichungsprozessen und Sprachwandelphänomenen speziell in Bezug auf die romanische Realisierung der Nominaldetermination führen nun zum eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, der die beiden historischen Ebenen der Diskurstraditionen und der Einzelsprache im Hinblick auf die universal-sprachlichen Prozesse der Referentialisierung und der Kohärenzherstellung zusammenführt. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, frühe und früheste italoromanische, genauer alttoskanische bzw. altflorentinische Texte in ihrer Textgestalt unter Konzentration auf die genannten zwei zentralen Phänomene, nominale Indefinitheit und Textkohärenz, zu untersuchen. Im Gegensatz zu den meisten bisher vorliegenden Untersuchungen zur Entstehung und Ausdifferenzierung einzelsprachlicher, insbesondere romanischer Paradigmen der Referentialisierungsmittel wird dabei die referenzsemantische Kategorie der Indefinitheit im nominalen Bereich in den Vordergrund gerückt, die in den heutigen romanischen Sprachen durch ein kategoriell und funktional außerordentlich ausdifferenziertes Paradigma nominaler Determinanten und pronominaler Ausdrücke realisiert werden kann. Im einzelnen werden 22 verschiedene indefinite nominale Elemente in ihrer Distribution in den Texten anhand von 33 verschiedenen Untersuchungskriterien beschrieben (insgesamt 8.606 Einzelbelege). Die untersuchten Indefinita sind alle indefiniten nominalen Elemente, die ein Substantiv alleine aktualisieren können oder pronominal vorkommen und sich gegenseitig in der gleichen syntaktischen Position ausschließen, 123 also alcuno, certo, cosa, diverso,124 der Partitiv/ 25 persona (als Pronomen), punio, qualche, qualcosa, qualcuno, qualsiasi (auch qualsisia), qualsivoglia,roba,die -unque-Reihc (qualunque,chiunque), uno, veruno, ergänzt durch nessuno, niuno, niente, nullo. Außerdem werden pro Text 100 Nominalsyntagmen im Singular und im Plural ohne explizite Determinante analysiert.

123 124

125

Cf.Longobardi 2001b, 335. Certo und diverso sind die einzigen, die nach uno vor Ν oder einem attributiv erweiterten Ν auftreten können, sie sind aber wegen Verschiebungen im Bereich der Spezifizität aufgrund ihrer Semantik wichtig. Untersucht wird in diesem Fall nur ihr alleiniges Auftreten vor N. Die Terminologie wird von den Arbeiten von Renzi und Rohlfs übernommen, die immer von articolo partitivo sprechen; bei Schwarze 2 I995 wird undifferenziert von partitivem Artikel und Teilungsartikel gesprochen; zur Entstehung und der Begründung einer Übernahme der traditionellen Terminologie cf. Kapitel 7.

29

Die Distribution der nominalen Indefinita in den Texten soll Aufschluß geben über ihre (textuelle) Funktion, 126 und von da ausgehend soll dann eine Erklärung für die allmähliche Grammatikalisierung der Nominaldetermination im Romanischen überhaupt, diesmal aus dem Blickwinkel der Indefinitheit, angestrebt werden. Dabei wird anders als beispielsweise bei Selig den einzelnen Determinanten zunächst kein spezifischer Wert zugeschrieben, um Zirkularität zu vermeiden. 127 Für die im folgenden im einzelnen genannten neun untersuchten Texte und vor allem deren Autoren gilt nun das in Abschnitt i.i Gesagte: Bei der Versprachlichung eines komplexen Sachverhalts geht es für Produzent wie Rezipienten immer hauptsächlich um die Frage der Einführung und Wiederaufnahme von Ereignissen, daran beteiligten Personen, Schauplätzen etc., also um die Herstellung und Bewahrung der Textkohärenz. Z u einem Zeitpunkt, zu dem in anderen Gebieten der Romania bereits seit längerem volkssprachliche künstlerische (Erzähl-)Texte vorliegen (Ende des 12./Anfang des 13. Jhds), treten erstmals auch italoromanische Autoren aus dem Schatten der lateinischen Tradition heraus und begegnen den Schwierigkeiten der Kohärenzherstellung in noch wenig verschriftlichten Idiomen, die natürlich auch noch kaum eigene Textsortenkonventionen und Diskurstraditionen im distanzsprachlichen Bereich ausgebildet hatten. Eine der frühesten italoromanischen Erzählsammlungen stellt das anonyme Novellino dar, der älteste analysierte Text. Sehr rasch entsteht dann im Trecento in der Toskana, speziell in Florenz, eine außerordentliche literarische Produktion, die für alle Zeiten die italienische Literatursprache bestimmen wird. Eine darauf basierende explizite Selektion und systematische Normierung der späteren Standardvarietät auf der Grundlage der Werke der Tre Corone Dante, Boccaccio und Petrarca mit sprachsoziologischen und auch sprachstrukturellen Auswirkungen bis zum heutigen Tage erfolgt endgültig erst mit den Prose della volgar lingua (1525) von Pietro Bembo, weshalb dieser Text als spätester expositorischer Text den untersuchten Zeitraum abschließt. Bei der Suche nach der funktionalen Ausdifferenzierung des Paradigmas indefiniter Nominaldeterminanten in alttoskanischen Texten wird so der Einfluß expliziter Normierungsbestrebungen ausgeschlossen, wobei implizite Imitation vorliegender Modelle und eben auch ein Einfluß lateinischer Diskurstraditionen nie ganz

126

127

Cf. dazu Meisterfeld 2000,315: Die Beschreibung eines Paradigmas umfaßt auch die Merkmale seiner Funktion. Die Erklärung, daß lateinische fakultative Determinanten zu Artikeln werden, weil sie artikelhaft merkmallos sind, also nur definit - indefinit, ist im Grunde keine. Definit und indefinit werden außerdem als Merkmale von Nominaldeterminanten praktisch vorausgesetzt, insbesondere bei unus, cf. Selig 1992,115s. Unus ist klassisch-lateinisch ein Numerale und gehört nicht in das Paradigma der nominalen Indefinita, cf. dazu beispielsweise Orlandini 1981 und 1983. Z u m methodologischen Vorgehen «von der funktionalen Detailanalyse der Ausdrücke» zur «Kategorisierung» cf. auch Redder 1990,2S.

30

a u s g e s c h l o s s e n w e r d e n k a n n . D a s f o l g e n d e S c h a u b i l d gibt e i n e n Ü b e r b l i c k ü b e r die untersuchten Texte: 1250-1350

1350-1450

1450-1550

Novellensammlungen

II Novellino (anonym), 1280-1300 (27.029 Wörter, 4.599 verschiedene Lemmata)

II Decameron (Giovanni Boccaccio), zum Großteil nach 1348 entstanden (269.588 Wörter, 17.646 verschiedene Lemmata)

II Novellino (Masuccio Salernitano), 1440-1475/76 (135.102 Wörter, 14.100 verschiedene Lemmata)

Historiographische Texte

Nuova Cronica (Giovanni Villani) 1308-1348 (481.607 Wörter, 20.507 verschiedene Lemmata)

Ricordi di Giovanni di Pagolo Morelli (Giovanni Morelli) 1393-1411 (372.628 Wörter)

Istorie fiorentine (Niccolö Machiavelli) 1519 bis 1525 (147.424 Wörter, 11.017 verschiedene Lemmata)

Expositorischargumentative Texte (Philosophie, Sprachreflexion, Gesellschaftsbeschreibung und -kritik)

II Convivio (Dante Alighieri) 1304-1307 (73.236 Wörter, 6.731 verschiedene Lemmata)

I Libri della famiglia (Leon Battista Alberti) die ersten drei 1433/34 i n Rom, das letzte Buch 1436/37 oder 1440 entstanden, 1475/1476 endgültig zusammengestellt 128 (118.638 Wörter, 13.190 verschiedene Lemmata)

Prose della volgar lingua (Pietro Bembo) entstanden spätestens ab 1512, erschienen 1525 (67.590 Wörter, 6.789 verschiedene Lemmata)

Schaubild i: Die untersuchten Texte D i e T e x t e e n t s t a m m e n nicht n u r d r e i v e r s c h i e d e n e n J a h r h u n d e r t e n , u m in historischer P e r s p e k t i v e e i n z e l s p r a c h l i c h e V e r s c h i e b u n g e n in d e r t o s k a n i s c h e n b z w . florentinischen

V a r i e t ä t bis B e m b o b e o b a c h t e n z u k ö n n e n , s o n d e r n sie sind a u c h

d r e i v e r s c h i e d e n e n « T e x t s o r t e n » i m w e i t e r e n S i n n e z u z u o r d n e n : E s h a n d e l t sich u m N o v e l l e n s a m m l u n g e n , historiographische T e x t e , o f t strukturell stark narrativ, a b e r nicht fiktiv, u n d « e x p o s i t o r i s c h - a r g u m e n t a t i v e » T e x t e n i c h t - n a r r a t i v e n u n d nicht-fiktionalen C h a r a k t e r s . D i e B e a c h t u n g relativer H o m o g e n e i t ä t a u c h b e z ü g lich d e r in d e n T e x t e n z u e r w a r t e n d e n D i s k u r s r e g u l a r i t ä t e n e r l a u b t , V e r ä n d e r u n -

128

Zur Zeit des Humanismus fehlen in Italien weitgehend wichtige expositorische Texte in der Volkssprache, daher ist in dieser Textsorte eine Lücke für die Zeit von 1350 bis 1450 zu verzeichnen; immerhin liegen zwischen Alberti und Bembo noch weitere 50-75 Jahre. Cf. Petronio 1992,180.

31

gen auf dieser ebenfalls historischen Ebene menschlicher Sprache zu beschreiben, eventuell in Interdependenz mit sprachstrukturellen Verschiebungen. I2 9 Die beiden zentralen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit sind die folgenden: 1. Die Erfassung der Distribution der einzelnen indefiniten Determinanten bzw. Pronomina in den Texten anhand von insgesamt 33 aus der Forschungsliteratur herausgearbeiteten und durch eigene Befunde ergänzten Einzelkategorien, die jeweils auf die Funktion der Indefinita hinweisen. Ich nenne hier nur die folgenden Stichworte: Eigenschaften des Kernsubstantivs, relative Position zu diesem und Struktur des Nominalsyntagmas, syntaktische Funktion und Position des Nominalsyntagmas im (Teil-)Satz, Position im Satzgefüge und Kookurrenz mit bestimmten Topikalisierungskonstruktionen und aspektuell markierten Verben, Sensitivität für typische Kontexte von Spezifizität bzw. Nicht-Spezifizität, thematische Relevanz und kataphorisches Potential des Textreferenten etc. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk der Erfassung der textsortenspezifischen Ausdifferenzierung nominaler Indefinitheit unter Berücksichtigung der einzelnen Autoren und der thematischen Besonderheiten der Texte. 2. Die Beschreibung der semantischen und funktionalen Entwicklung der einzelnen indefiniten Elemente vom Lateinischen zum Neuitalienischen unter besonderer Berücksichtigung von Etymologie und neuitalienischer Spezialisierung, also etwa bei alcuno als Kompositum aus lat. aliquis [-spezifisch] und lat. unus [neutral] zu alcuno [-spezifisch] bzw. [negativ] im Alttoskanischen und alcuno in negativem Kontext 'kein' im Singular im Neuitalienischen. Im einzelnen wird zunächst in Kapitel 4 der Zusammenhang von verschiedenen Determinanten und Nicht-Determination mit (referenz-)semantischen Kategorien wie Generizität und Prädikativität, in Kapitel 5 die Entstehung negativer Bedeutung bei einzelnen Indefinita und in Kapitel 6 vor allem die Spezialisierung zahlreicher Indefinita bezüglich der Kodierung von Spezifizität und Nicht-Spezifizität untersucht, bevor in Kapitel 7 die Sensitivität der Indefinita, und zwar insbesondere der unbestimmten Artikel uno und del für Zählbarkeit, diskutiert

I29

Aus Gründen der relativen Vergleichbarkeit der gewonnenen Daten nicht nur in diatopischer, sondern auch diskurstraditioneller Hinsicht ist der zentrale altflorentinische Text, die Commedia Dantes, nicht in das Analyseschema aufgenommen worden. Mit der Commedia liegt ein textsortentypologisch höchst problematischer Text vor (cf. dazu Buck 1987,32s.), der in den kommenden Jahrhunderten gerade nicht zur Ausbildung einer eigenständigen Diskurstradition führte, so daß diskurstraditionell vergleichbare Texte fehlen. Außerdem ist die Commedia in gebundener Rede verfaßt, während alle anderen Texte Prosatexte sind - dies kann ein Faktor sein, der die statistischen distributionellen Befunde der einzelnen nominalen Indefinita beeinflußt. Ein kurzer Überblick über die reinen Vorkommenszahlen in Commedia und Convivio zeigt dennoch bis auf eine für einen Text dieser Größe verhältnismäßig geringe Anzahl von alcuno kaum nennenswerte Unterschiede - zumindest Dante als Autor macht die Wahl nominaler Indefinita offensichtlich nicht oder wenig von Diskurstraditionen abhängig.

"3° Cf. dazu Kapitel 2 und 6.

32

wird.' 31 Dabei ist die Verteilung der Belegtexte auf drei aufeinanderfolgende Zeiträume zentral, die sich abzeichnende Entwicklungen relativ genau zu lokalisieren erlaubt. Kapitel 8 wird die Einzelergebnisse unter besonderer Berücksichtigung der textuellen Dimension für die Ausdifferenzierung des italienischen Paradigmas nominaler Indefinita und der Frage der Artikelgrammatikalisierung in den romanischen Sprachen im Bereich der Indefinitheit in einem Überblick zusammenstellen. Nach der Vorstellung der theoretischen (Kapitel 2) und empirischen (Kapitel 3) Grundlagen der Arbeit werden so in vier Kapiteln mit je einem thematischen Schwerpunkt unterschiedliche distributionelle und funktionale Aspekte der alttoskanischen Indefinita diskutiert. Dabei wird jeweils zuerst ein kurzer Überblick über den Stand der theoretischen Diskussion und über bereits vorliegende Forschungsaussagen zu den Verhältnissen in anderen romanischen Sprachen bzw. Sprachstufen gegeben, bevor die Verhältnisse im Alttoskanischen vor dem Hintergrund der referierten Theorien und Modelle und der bisher vorliegenden empirischen Ergebnisse detailliert beschrieben werden. Daraus ergeben sich dann in den einzelnen Kapiteln in der Regel notwendige Modifikationen einzelner Forschungsaussagen. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Einzeldiskussionen wird abschließend in Kapitel 8 eine neue und überblicksartige Beschreibung und Erklärung nominaler Indefinitheit in mittelalterlichen toskanischen Texten geliefert, die auch auf andere romanische Sprachen übertragen werden kann. Die Arbeit ist in der Auseinandersetzung mit theoretischen, aber auch empirischen diachronischen und typologischen Arbeiten zum Bereich «Nominalreferenz und (In-)Definitheit» entstanden, ohne selbst formallogische Darstellungen zu enthalten. Sie verbleibt zunächst absichtlich auf einer reinen Beschreibungsebene, um erst in Kenntnis der genauen Daten Schlüsse auf funktionale und typologische Regularitäten zu ziehen und diese dann zu einer möglichen Modellierung der indefiniten Nominaldetermination in diachroner Hinsicht und einer notwendigerweise modifizierten Konzeption der Kategorie (In-)Definitheit auszuweiten. Es wird sich zeigen, daß innerhalb der Dimension der Nominaldetermination die Artikel- und Pronominafunktionen bzw. die in ihnen ausgedrückte Kategorie nominaler Indefinitheit nicht universal für alle Sprachen und Sprachstufen einheitlich definiert werden können, sondern je nach Grammatikalisierungsstand und Inventar nominaler Kategorien, ausdrucksseitig wie inhaltlich-funktional, unterschiedlich gefaßt werden müssen, woraus sich eine Typologisierungsmöglichkeit von Sprachen ergibt, die die Veränderungen vom Lateinischen zum Romanischen teilweise in einem neuen Licht erscheinen läßt.

131

Dies geschieht in Auseinandersetzung mit der typologischen Studie von Haspelmath 1997 und den neueren Hypothesen zu Artikelentstehung von Leiss 2000 und Meisterfeld 2000 und den in 1.2 erwähnten Positionen zur romanischen Artikelentstehung.

33

Die ausführliche Beschreibung eines wesentlichen und bisher zu wenig systematisch berücksichtigten Zwischenstadiums bei der Grammatikalisierung indefiniter romanischer Nominaldeterminanten kann gerade durch die Fokussierung auf unterschiedliche Aspekte der nominalen Indefinitheit die verschiedenen Funktionsbereiche eines äußerst komplexen Paradigmas aufzeigen. Dabei wird die ursprüngliche und bis heute wenig modifizierte hauptsächliche Leistung indefiniter romanischer Artikel, nämlich die Nominalklassifikation im weiteren Sinne, gleichzeitig als grundsätzliches Movens ihrer Grammatikalisierung und als diskurstraditionell unterschiedlich nutzbares Bedeutungspotential dieses Kernbereichs indefiniter Nominaldeterminanten im Romanischen im grundsätzlichen Unterschied zum Lateinischen nachgewiesen.

34

2.

Referenz und Indefinitheit: Theoretische Grundlagen

Die sprachliche Bezugnahme auf (außersprachliche) Entitäten ist traditionell als Referenz1 bezeichnet worden; eine der universalen Aufgaben der Sprecher ist entsprechend die Referentialisierung als ein wesentlicher Aspekt menschlicher Sprechtätigkeit. Im Gegensatz zu frühen Bemühungen, in der Regel sprachphilosophisch motiviert, diese Referentialisierung in einzelnen Äußerungen adäquat zu beschreiben in Bezugnahme auf die reale Existenz des Sprechers und der von ihm sprachlich bezeichneten Entitäten, hat die Diskussion um Referenz, Denotation und Bedeutung sprachlicher Zeichen und konkreter sprachlicher Äußerungen spätestens ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts gezeigt, daß die reale oder fiktive Existenz und Beschaffenheit der bezeichneten Entitäten für das Funktionieren sprachlicher Kommunikation und genauer für die Regularitäten sprachlicher Referenz und Koreferenz gar keine unmittelbare Rolle spielen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Definition des Referenzkonzeptes unabhängig von der wahrgenommenen außersprachlichen Wirklichkeit. Auch die in der vorliegenden Arbeit eingenommene diachrone Perspektive fordert einen Referenzbegriff, der prinzipiell unabhängig ist von der unmittelbaren außersprachlichen Wirklichkeit, gleichzeitig aber der Konzeptualisierung der Elemente der außersprachlichen Wirklichkeit in der Textwelt durch Sprecher und Hörer als zentralem kognitiven Prozeß eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Kategorie Nominaldetermination zuschreibt. Vorläufig soll deshalb Referenz als Bezugnahme durch den Sprecher auf Entitäten des Textkorrelats, als sprachliche «Herstellung eines Gesprächsgegenstandes» 2 verstanden werden. Dies ist semantisch zu unterscheiden von der Einführung von Textreferenten auf der innertextuellen Ebene der Textwelt als einer Ebene «zwischen Sprache und Welt» nach Katshuhiko Hatakeyama, Jänos

1

2

Z u einem kurzen terminologischen Überblick sowie zu Termini wie Denotation und Sinn cf. Lyons 1977, vol. 1,174SS. Im folgenden werden nur die im Haupttext definierten Konzepte und Termini in der dort dargelegten Art und Weise verwendet werden. Cf. die Forsgren'schen «objets construits par le discours», die, obwohl der außersprachliche Gegenstand unter Umständen derselbe ist, zwei unterschiedliche Gestalten haben, in seinem Beispiel: Servez-moi de l'eau, s'il vousplait! - Void une eau desallerante, nachForsgren 2 0 0 1 , 1 7 6 . Cf. auch die folgende Aussage:«[...] les referents sont d'abord ä considerer ontologiquement comme un produit, sur la base du sens conventionnel preconstruit, de l'activite des communicants, et par lä comme des objets de discours», Forsgren

2001,184.

35

Petöfi und Emel Sözer, in etwa im Sinne von zeitgenössischen Diskursrepräsentationstheorien. 3 Nominale Referenz in diesem Sinne wie auch die Einführung und Wiederaufnahme von Textreferenten sind jeweils nur vollständigen Nominalsyntagmen zuzusprechen. 4 Nominale Referenz ist beschreibbar als Bezugnahme auf eine Entität oder eine Klasse bzw. Menge von Entitäten mithilfe von Nominalsyntagmen. Die Bedeutung eines Nominalsyntagmas besteht dagegen erstens im deskriptiven Gehalt des Kernsubstantivs und seiner Attribute, der eine Identifikation des Referenten oder der Referentenmenge durch den Hörer ermöglichen muß. Dabei ist die Intension eines sprachlichen Ausdrucks (die Menge wesentlicher Eigenschaften für seine Anwendbarkeit) von der Extension (die Menge der Entitäten, auf die er korrekterweise zu beziehen ist)5 zu unterscheiden. Im folgenden bezieht sich der Terminus Menge auf die Menge möglicher Referenten eines Substantivs, also auf seine Extension. Die Mengenzugehörigkeit ist damit extensional definierbar über die Auflistung aller Mengenelemente, intensional über die gemeinsamen Eigenschaften aller Elemente. 6 Die mögliche extensionale Bezugnahme eines Lexems auf eine bestimmte Entität wird auch als seine Denotation bezeichnet. Beide Aspekte der Bedeutung eines substantivischen Ausdrucks sind am Referenzprozeß des Nominalsyntagmas beteiligt (die Identifikation der gemeinten Referenten durch den Hörer erfolgt natürlich auch mithilfe des deskriptiven Gehalts), auch wenn Bedeutung und Referenz grundsätzlich unterschiedliche semiotische Aspekte sprachlicher Zeichen betreffen, wie schon Gottlob Frege gezeigt hat. 7

3

4

Cf. Hatakeyama/Petöfi/Sözer 1 9 8 5 ; cf. hierzu genauer auch Heim 1 9 8 3 , 1 6 4 S S . , und Kapitel 2.2. Z u der terminologisch unsauberen, aber üblichen und daher auch im folgenden angewendeten Regelung, statt von referierenden Sprechern auch von referierenden sprachlichen Ausdrücken u.ä. zu sprechen, cf. Lyons 1977, vol. 1,177, in Bezug insbesondere auf die Arbeiten von Linsky.

5

Cf. L y o n s 1977, vol. 1,154SS.

6

Cf. Lyons 1 9 7 7 , vol. 1, 1 5 8 S S . Z u r aktuellen Diskussion um Mengen, Arten oder Eigenschaftskonzepte als Denotationen von Substantiven und (nicht-determinierten) Nominalsyntagmen cf. die Publikationen von Gregory Carlson, Gennaro Chierchia und Veerle van Geenhoven in der Bibliographie. Diese Diskussion ist im vorliegenden Zusammenhang nur von untergeordneter Bedeutung und wird daher nicht ausführlicher dargelegt. Cf. auch Lyons 1977, vol. 1,181,197SS., Heinz 1982,21s. «If they [die Lexeme einer Sprache, E.S.] have denotation, their denotation will determine their reference when they are employed in referring expressions. But they do not have reference as lexemes (i.e. as vocabulary-items [...])». Lyons 1977, vol. 1,208. - Cf. in diesem Zusammenhang auch die wichtige Bemerkung bei Heinz 1982: «Die Funktion der referenzanzeigenden Determinierung durch den Artikel und seine Äquivalente ist nicht ableitbar aus der Spezifizierung, etwa in dem Sinne, daß durch fortschreitende Spezifizierung eine kontinuierliche Einschränkung der Referenzmöglichkeiten schließlich zu dem Grenzfall gelange, in dem nur mehr der Bezug zu einem bestimmten Referenten möglich wäre». Heinz 1982, 21, Hervorhebung im Text. Cf. weiterhin die Überlegungen bei Heinz 1 9 8 2 , 2 3 .

7

36

Die Bedeutung von Nominaldeterminanten als Bestandteile eines Nominalsyntagmas ist nun schwieriger zu beschreiben: Sie besitzen selbst natürlich keine (außersprachlichen) Referenten, sondern leisten, gegebenenfalls auch durch ihre bloße Abwesenheit, semantisch den Bezug von Substantivdenotationen auf Textreferenten. Ihre Bedeutung wird unseres Erachtens geeigneterweise im Zusammenhang mit dieser Funktion in einem textorientierten semantischen Modell beschrieben. Bezüglich der Funktion der Nominaldeterminanten, den Bezug von Substantivdenotationen bzw. des deskriptiven Gehalts des Nominalsyntagmas zu aktualisieren und dadurch einen Textreferenten herzustellen, muß grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Determinationsprozessen unterschieden werden: zwischen der Anzeige von Determiniertheit vs. Nicht-Determiniertheit hauptsächlich im Sinne von Aktualisierung einerseits und der Anzeige von (In-)Definitheit als textueller semantischer Kategorie (neu vs. bekannt) andererseits. Dies ist erforderlich, um die oft übersehene Funktionsänderung von Nominaldeterminanten von ihrem ersten Auftreten bis zu ihrer vollständigen Grammatikalisierung, bei der sie häufig so gut wie keine formalen Änderungen erfahren, nachzeichnen zu können. In unserem Zusammenhang erweist sich so die Annahme von zwei Determinationsleistungen der (in)definiten Nominaldeterminanten als zentral, ohne die weder die Kategorie der (In-)Definitheit überhaupt verstanden noch eine den historischen Verhältnissen wirklich adäquate Interpretation der Determinationsverhältnisse geleistet werden kann. Vermutlich leisten Nominaldeterminanten zu Beginn ihrer Grammatikalisierung nämlich häufig eine einfache Aktualisierung des jeweiligen Substantivkonzeptes, machen ein Nominalsyntagma referenzfähig, während ihr Wert als Texteinführungs- und Wiederaufnahmesignal von Textreferenten keine ursprüngliche semantische Kategorie von Nominaldetermination, sondern eine sich aus ihrer übergeneralisierenden Verwendung ergebende sekundäre ist, die auch nicht in allen Sprachen der Welt als grammatische Kategorie angenommen werden darf. Im Bemühen um eine adäquate und möglichst vollständige Beschreibung der Funktionen der indefiniten Nominaldeterminanten in unseren Texten müssen relevante Forschungsaussagen zur Kategorie der (In-)Definitheit und ihrer hauptsächlichen ausdrucksseitigen Träger, den Artikeln, resümiert und im Hinblick auf ihre Eignung zur Erfassung der lateinischen, alttoskanischen und modernen romanischen referenzsemantischen Verhältnisse im Nominalsyntagma diskutiert werden. 8 Dabei wird terminologisch von der Referenzart im Sinne von generisch

Da in den letzten dreißig Jahren einige wichtige Monographien zu Referenz und Nominaldetermination erschienen sind, die z.T. sehr ausführliche Forschungsüberblicke und -diskussionen enthalten, sei an dieser Stelle für eine breitere Darlegung der Forschungstradition verwiesen auf Oomen 1977, Hawkins 1978,13s., 99-106, in Bezug darauf, aber auch zu anderen Beschreibungen der Artikelbedeutung Selig 1992,107-126, Schwarz 1979, Thrane 1980, Kleiber 1981a, Wilmet 1986, 52-72, Corblin 1987, Heim 1988, Heim 1991, Chesterman 1991, 10-40, 181-205, v o n Heusinger 1997 und Lyons 1999. Cf. auch die Bibliographie von Kolde 1996 zur Nominaldetermination. Speziell

37

(Referenz auf die Gattung) vs. partikulär (Referenz auf Einzelexemplare oder Teilmengen) auf der einen und spezifisch vs. nicht-spezifisch (nur im Bereich partikulärer Referenz) auf der anderen Seite gesprochen. Hierbei handelt es sich um mögliche referenzsemantische Lesarten von Nominalsyntagmen, die in den modernen europäischen Artikelsprachen nur selten durch Determinanten explizit angezeigt werden. Dem steht die (In-)Definitheit als semantische Eigenschaft von ganzen Nominalsyntagmen, die nun aber mit bestimmten morphosyntaktischen Eigenschaften (Art der Determination) einhergeht, gegenüber. Schließlich wird bei den unmarkierten Ausdrucksmitteln der (In-)Definitheit, im Italienischen il vs. uno/del, in Anlehnung an die Forschungstradition von bestimmtem vs. unbestimmtem Artikel und Partitiv gesprochen, 9 obwohl die Annahme eines Artikelparadigmas als den sprachlichen Gegebenheiten inadäquat abgelehnt werden wird.

2.1

(Satz-)Semantische Beschreibungsansätze von Referenz und Bedeutung (in-)definiter Nominalsyntagmen

Nominaldetermination soll als referentielle und quantitative, also extensionale Determination von Nominalausdrücken 10 aufgefaßt werden, wobei die adäquate Beschreibung von Bedeutung und Funktion der Nominaldeterminanten in unterschiedlichster Art und Weise konzipiert worden ist. Definitheit und Indefinitheit sind fundamentale Kategorien, die in Sprachen mit grammatikalisierter Nominaldetermination zwingend zum Ausdruck gebracht werden. 11 Definitheit und Indefinitheit können dabei morphosyntaktische Eigenschaften eines Nominalsyntagmas (als definit bzw. indefinit markierte Nominalsyntagmen, z.B. durch Determinanten, Affixe, Serialisierung etc.) oder semantische Eigenschaften eines Nominalsyntagmas bezeichnen. (In-)Definitheit als semantische Kategorie bzw. ihre einzelnen Bestandteile besitzen unterschiedliche Relevanz für verschiedene grammatische Systeme, während Determiniertheit universal entweder nominal oder verbal zum Ausdruck gebracht wird. Da im untersuchten Sprachzustand des Italienischen bzw. Alttoskanischen morphologisch oder grammatisch markierte (In-)Definitheit (durch Determinanten) mit der semantischen zusammenfällt, werden entsprechend markierte, aber auch interpretierbare Nominalsyntagmen als definit oder indefinit (hierunter fallen dann auch die nicht-determinierten) bezeichnet, wobei sowohl die Markierung als auch der semantische Wert des einzelnen Nominalsyntagmas gemeint sind.

9

10 11

zu verschiedenen Typen definiter Nominalsyntagmen und ihrer Diskussion in der Literatur cf. Krämsky 1972, van der Auwera 1980 und Lyons 1999. Die Nennform ist dabei immer das häufigste Allomorph des Maskulin Singular bzw. Plural für ein ganzes Lemma mit allen morphologischen Formen; bei un allerdings der besseren Lesbarkeit und Analogie zu alcuno etc. willen uno, cf. auch Kolde 1996,33s. «Spezifizierung» nach Seiler 1978, cf. Kapitel 1.2. Cf. etwa Heim 1988, Heim 1991, Lavric 2001,15.

38

Dies schließt nicht aus, daß die Artikel bzw. ihre Vorläufer und die anderen näher untersuchten indefiniten Nominaldeterminanten über die Anzeige von (In-)Definitheit hinaus noch weitere spezielle Bedeutungsanteile besitzen, was anhand ihrer Distribution in den Texten im einzelnen gezeigt werden soll. Die Artikel haben in Sprachen mit grammatikalisierter Nominaldetermination einen Sonderstatus inne insofern, als sie in bestimmten syntaktischen Positionen und mit bestimmten Substantivklassen obligatorisch geworden sind und über die Markierung von (In-)Definitheit hinaus nichts anderes zu leisten scheinen (cf. Kapitel 2.3). Worin aber besteht nun genau der semantische Wert von (in)definit? Ist er eindeutig und für alle Sprachen und Sprachstufen bestimmbar oder verbergen sich, wie für unsere Fragestellung und im Gegensatz zu vielen Arbeiten zur nominalen (In-)Definitheit angenommen, mindestens zwei Determinationsaspekte hinter der Dichotomie definit - indefinit? Intuitiv einsichtig ist zunächst eine Unterscheidung der beiden Nominalsyntagmen in den folgenden beiden Äußerungen nach der Identifizierbarkeit des (Text-)Referenten für den Rezipienten der Äußerungen: (1) L'uomo entro nel bar. (2) Urt uomo entro nel bar.

Treten dieselben Nominalsyntagmen dagegen in anderen syntaktischen Funktionen als dem Subjekt oder Objekt auf, scheint eher die Opposition Inklusivität im Sinne von 'alle (in der Äußerungssituation relevanten) sind gemeint' vs. Exklusivität im Sinne von 'nicht alle sind gemeint' vorzuliegen: (3) Pietro e l'uomo. (4) Pietro e urt uomo.

Der semantische Unterschied zwischen den beiden Nominalsyntagmen l'uomo und un uomo läßt sich also je nach ihrer syntaktischen Position über Identifizierbarkeit und Inklusivität beschreiben, wobei keine Eigenschaft allein alle fraglichen Verwendungskontexte dieser Nominalsyntagmen zu erfassen erlaubt. 12 Identifizierbarkeit darf allerdings nicht im Sinne der Identifizierbarkeit eines tatsächlich existierenden Referenten verstanden werden' 3 und erweist sich möglicherweise als das problematischere Konzept, soweit sie nicht als anaphorische Identifizierbarkeit oder besser «familiarity» aufgefaßt wird (cf. Kapitel 2.2). Jedenfalls muß angesichts der bisher diskutierten Verhältnisse in vielen Sprachen ein übereinzelsprachlich einheitliches Konzept von (In-)Definitheit zunächst aufgegeben oder zumindest eine komplexe, komposite Merkmalsstruktur definiter und indefiniter Nominalsyntagmen angenommen werden.

12 13

Cf. dazu die Diskussion in Lyons 1999,13SS. Cf. dazu neuerdings wieder von Heusinger 2002.

39

Bestimmte Okkurrenzen nominaler Syntagmen scheinen außerdem trotz Determinante gar keine Referenz zu leisten - etwa prädikative und attributive Nominalsyntagmen. Tatsächlich führt ein Satz wie (5) Mein Vater ist ein Pfarrer.

zwar auf der Ebene der Textbedeutung zwei Textreferenten ein, auf der Ebene des außersprachlichen Textkorrelats aber nur einen (meinen Vater), dem über die Eigenschaft, mein Vater zu sein, hinaus noch eine zweite Eigenschaft (Pfarrer zu sein) zugeschrieben wird. Nominalsyntagmen, die auf der Ebene des Textkorrelats kein Bezugsobjekt, sondern eine Eigenschaft besitzen, sollen daher im folgenden als nicht-referentiell bezeichnet werden, alle anderen als referentiell·, der Unterschied liegt also auf der Ebene der Referenz, nicht auf der Ebene der Bedeutung, auch nicht der Determinantenbedeutung. Um die dann freilich rein syntaktisch und höchstwahrscheinlich nur einzelsprachlich konzipierte Definitheit oder Indefinitheit von Nominalsyntagmen zu testen, wird in der Literatur, allerdings mit relativ großen Einschränkungen, 14 auf den sogenannten «definiteness effect» hingewiesen, der im engeren Sinne (DE) Umgebungen betrifft, in denen nur entweder definite oder indefinite Nominalsyntagmen zugelassen sind, und im weiteren Sinne auch die sogenannte «definiteness restriction» umfaßt, also Umgebungen, in denen indefinite Nominalsyntagmen bevorzugt sind (etwa Existenzaussagen, Maßangaben, Vergleiche etc.).'5 Definite (oder «starke») Nominalsyntagmen wären nach diesem Test solche mit bestimmtem Artikel, mit Demonstrativa und Possessiva, während nicht-determinierte oder etwa mit engl, some quantifizierte (= «schwache» 16 ) beispielsweise indefinite wären. Ein gemeinsames referenzsemantisches Merkmal der nach diesem Test definiten Nominalsyntagmen wäre dann, daß ihre Extensionen Individuen und sie selbst in diesem Sinne Individuenterme sind und nicht Mengen von Mengen. 17 Allerdings kann leicht nachgewiesen werden, daß es eine unterschiedlich große einzelsprachliche Toleranz der genannten syntaktischen Umgebungen für definite und indefinite Nominalsyntagmen gibt, die den Test im Sprachvergleich nur bedingt verwendbar machen (es kann nämlich nachgewiesen werden, daß im Italienischen im Unterschied zum Englischen, aber auch beispielsweise zum Französischen, nach existentiellem c'e durchaus

14

15

16 17

Zur begrenzten praktischen Anwendung des «definiteness effects» cf. Lyons 1999, 16s. Cf. etwa die englischen Sätze Is there a dictionary in the house? vs. ?/s there the dictionary in the house? Der Ausdruck «definiteness effect» stammt ursprünglich wohl von Safir 1982, cf. Reuland/ter Meulen 1987, auch zu einem Überblick über die Erklärungen von D E und D R bei Milsark 1977, Barwise/Cooper 1981, Heim 1988 cf. Reuland/ter Meulen 1987, 1-6, Comorovski 1995, Zucchi 1995, Lyons 1999, Kapitel 6, Zamparelli 2000, Kapitel 5. Cf. dazu auch Lyons 1999,236SS., 241SS. Cf. dazu erstmals Milsark 1977. Nach Heim 1991,52455.

40

auch definite Nominalsyntagmen auftreten können). 18 Dies gilt auch für die älteren italienischen Sprachstufen, so daß die etablierten, rein distributionellen Tests zur Bestimmung des Wertes nominaler (In-)Definitheit im folgenden nicht angewendet werden können. D a ß nominale Indefinitheit übereinzelsprachlich häufig ähnliche oder identische Distributionsrestriktionen (etwa Kookkurrenz von expletiven Subjekten und indefiniten Nominalsyntagmen im gleichen Satz, Schwierigkeiten, indefinite Nominalsyntagmen in Subjekts - oder topic-Position zuzulassen etc.) zeitigt, soll aber durchaus als Hinweis auf die auch syntaktische Relevanz nominaler (In-)Definitheit als grammatischer Kategorie festgehalten werden.' 9

2. ι. ι Nominaldetermination und Aktualisierung Im Bemühen um eine allgemeingültige Bestimmung der Artikelfunktion bzw. der Funktion nominaler Determination greift Eugenio Coseriu 1955 auf das Bally'sche Konzept der Aktualisierung zurück. 20 Danach leitet Nominaldetermination allgemein über vom Begrifflichen zum Gegenständlichen, sie dient also der Ermöglichung nominaler Referenz im konkreten Sprechen. 21 Aktualisiert wird der Begriffsinhalt des Substantivs mit allen eventuellen attributiven Erweiterungen in Artikelsprachen durch ein spezielles Element, die Nominaldeterminante, die selbst nichts mehr zur Denotation (allenfalls zur Quantifizierung) des nominalen Ausdrucks beiträgt. Die reine Aktualisierung kann der generischen Referenzart zur Seite gestellt werden und wird in der Regel durch den bestimmten Artikel geleistet. 22 «Diskrimination» meint demgegenüber dann den «geteilten Bezug», 23 mit Coseriu die partikuläre Referenz; typische «Diskriminatoren» können Numeralia sein. Im Unterschied zu früheren Ansätzen wird hier die Opposition aktualisiert (referentiell, «bezeichnungsfähig») - nicht-aktualisiert (nicht-referentiell, Benennung eines Begriffs im Sprachsystem) 24 als die primäre

18

20

21 22 23 24

La Fauci/Loporcaro 1997,13. Cf. auch c'e un gatto in giardino -c'e il gatto in giardino ohne Akzeptabilitäts- oder Intonationsunterschiede nach La Fauci/Loporcaro 1997,44. Cf. dazu genauer La Fauci/Loporcaro 1997,23SS., 28, auch zu tatsächlich bestehenden strukturellen Unterschieden zwischen definiten und indefiniten Nominalsyntagmen in derartigen Existenzaussagen, die aber an der Oberfläche nicht sichtbar sind und daher im folgenden keine Berücksichtigung finden. Es besteht wohl ein wichtiger Zusammenhang zwischen HABERE als Auxiliar in Existenzaussagen und dem Vorliegen des DE wie im Französischen (il y a) und ESSERE und der Absenz eines eindeutig sichtbaren DE in Existenzsätzen wie im Italienischen (c'e),cf. La Fauci/Loporcaro 1997, 28. Dennoch kann D E als syntaktisches Phänomen mit einigen Präzisierungen und Modifikationen auch für das Italienische angenommen werden, cf. La Fauci/Loporcaro 1997,44SS. Cf. Reuland/ter Meulen 1987, is. Cf. Bally 4 I905. Ganz ähnlich die in Guillaumes Arbeiten beschriebene Überführung eines «nom en puissance» in ein «nom en effet». Wobei der Referenzbegriff nicht näher definiert wird, cf. Laca 1988. Cf. Kapitel 4. Mumm 1995,427. Etwa parellel zur ΤΟΚΕΝ-ΤΥΡΕ-Opposition, cf. hierzu auch Heinz 1982,43.

41

referentiell relevante in Bezug auf Nominalsyntagmen angenommen, gefolgt von der Opposition generisch-partikulär. Nur für letzteres ergibt sich auf einer unteren Ebene eine echte Opposition zwischen definit bzw. genauer spezifisch (bei Coseriu «individuiert») und indefinit bzw. genauer nicht-spezifisch («partikularisiert»). Innerhalb der Diskrimination, also bei Indizierung partikulärer Referenz, sind «Quantifizierung» (Festlegung des Umfangs der Referenzmenge für die Prädikation, auch durch bloße Pluralisierung), «Selektion» (tatsächliche Auswahl der Referenzmenge für die Prädikation) und als letzter Schritt bei der Festlegung des Referenzbezugs «Situierung» (etwa durch deiktisch verwendete Demonstrativa) zu unterscheiden. Die nun im vorliegenden Zusammenhang zentrale «Selektion» umfaßt die «Individuierung» (vor allem wieder durch den bestimmten Artikel, der in dieser Perspektive also zwei zentrale voneinander zu unterscheidende Funktionen besitzt) und die «Partikularisierung» (vor allem durch den unbestimmten Artikel, der als «Partikularisator» nur diese Hauptfunktion besitzt und nur auf dieser Ebene mit dem bestimmten in Opposition steht). Interessant ist in diesem Modell die Merkmallosigkeit des bestimmten Artikels: Er kann sowohl reiner «Aktualisator» als auch «Individuator» sein, ist also merkmallos bezüglich der Selektion, während der unbestimmte Artikel [+Selektion] anzeigt. Diese explizite Selektionsleistung soll als Hinweis auf seine ursprüngliche Funktion und die Ursachen seiner Grammatikalisierung festgehalten werden. Insgesamt können diese Unterscheidungen in drei wesentliche Oppositionen zusammengefaßt werden, die die Referenzart betreffen und noch nichts direkt über die Bedeutung der Nominaldeterminanten aussagen: Die grundlegende referenzsemantische Opposition zwischen aktualisiert vs. nicht-aktualisiert (referentiell vs. nicht-referentiell)·, die Opposition zwischen generisch und partikulär, und die Opposition zwischen spezifisch und nicht-spezifisch; lediglich die erste Opposition besitzt in Artikelsprachen mit voll grammatikalisierten Artikelsystemen ein allerdings nicht eindeutiges (da häufig mit Argumenthaftigkeit interagierendes) ausdrucksseitiges Korrelat, nämlich das Unterbleiben einer expliziten Determination im nicht-aktualisierten Fall in manchen syntaktischen Umgebungen. 25 Alle drei Oppositionen besitzen aber häufig nicht mehr als den Status einer Lesart definiter oder indefiniter Nominalsyntagmen. In Sprachen ohne voll grammatikalisierte Artikelsysteme wie dem Lateinischen und den frühen romanischen Sprachstufen kann aus dem reinen Unterbleiben expliziter Nominaldetermination ohne Einbeziehung weiterer syntaktisch-distributioneller Kriterien nicht ohne weiteres auf die Referenzart des jeweiligen Nominalsyntagmas geschlossen werden. Die Unterscheidung in spezifische vs. nicht-spezifische Interpretation von Nominalsyntagmen 26 betrifft im wesentlichen eine Unterscheidung in «ein be-

25 26

Z u einer einleuchtenden Diskussion des Status' nicht-determinierter Nominalsyntagmen in Artikelsprachen cf. bereits Heinz 1 9 8 2 , 2 4 S S . , und Kapitel 4 . 5 . Zur Geschichte der Terminologie cf. Ioup 1 9 7 7 , 2 3 4 .

42

stimmtes X» und «irgendein X», also die Unterscheidung in bestimmte und nicht-variierende Referenz in der Textwelt (etwa, aber nicht notwendigerweise immer, durch Bekanntheit des Referenten für den Sprecher) und beliebige oder variierende Referenz. Tatsächlich ergeben sich innerhalb der partikulären Interpretation nominaler Ausdrücke, und dies für definite wie indefinite,27 unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten bezüglich ihrer Referenzart: (6) Ich möchte ein Auto kaufen.

Nichts in dieser Äußerung weist darauf hin, ob ein bestimmtes oder irgendein Auto als außersprachliches Korrelat des Nominalsyntagmas ein Auto intendiert ist; auf der Ebene der Textwelt ist mit ein Auto jedenfalls ein neuer Textreferent eingeführt worden. Der Unterschied zwischen einem bestimmten (spezifische Interpretation) und irgendeinem (nicht-spezifische Interpretation) Referenten, auf den der deskriptive Gehalt des Nominalsyntagmas zutrifft, ist in den seltensten Fällen ein Effekt der Bedeutung des betreffenden Nominalsyntagmas, speziell einzelner Nominaldeterminanten, selbst. Es sind vielmehr, zumindest in den modernen indoeuropäischen Artikelsprachen, der Kontext, vor allem die Bedeutung des Prädikates für seine Argumente, aber auch die interne Struktur des Nominalsyntagmas oder die Anwesenheit bestimmter Operatoren wie der Negation in der betreffenden Äußerung, die den Unterschied in der Interpretation der fraglichen Nominalsyntagmen bedingen. 28 Es geht hier dann grosso modo um die Kontextabhängigkeit einer Propositionsinterpretation, die in den beiden Fällen unterschiedlich gelagert ist, worin sich die Nähe zu pragmatisch bedingten Unterschieden andeutet, die den Artikelbedeutungen im engeren Sinne wohl nicht zugeschrieben werden dürften. Dies gilt allerdings wieder nur für bestimmte Sprachen bestimmter Grammatikalisierungsstufen. Die Opposition spezifisch - nicht-spezifisch und die verwandte Opposition dem Sprecher bekannt - nicht-bekannt29 kann ausdrucksseitig nämlich sehr wohl für den Gesamtbereich nominaler Indefinitheit relevant sein. Beide Oppositionen werden in den Sprachen der Welt in diesem Bereich

Anders als in den meisten Arbeiten zur Referenzsemantik und Artikelbedeutung soll in der vorliegenden Arbeit die Opposition spezifisch - nicht-spezifisch auch im definiten Bereich angenommen werden, obwohl sie häufiger bei indefiniten Nominalsyntagmen relevant ist, cf. etwa Hat John die Frau seiner Träume in seinem Urlaub getroffen? Nach Lyons 1999,167. Cf. auch von Heusinger 1997,15. Obwohl die Frau seiner Träume natürlich nur einen Textreferenten in der Textwelt betrifft, hat dieses Nominalsyntagma je nach Interpretation ein oder kein eindeutiges Korrelat in der dem Text entsprechenden außersprachlichen Sachverhaltskonfiguration. Z u einer rein pragmatischen Konzeption des Spezifizitätsbegriffes als Interpretationsmöglichkeit aller Arten von Nominalsyntagmen cf. Groenendijk/Stokhof 1981. 28 Cf. zum Beispiel Fodor/Sag 1982. Z u den sogenannten «opaken Kontexten» cf. Frege 6 i986, Quine i960 und Kapitel 6. Z u r angeblichen Ambiguität des unbestimmten Artikels cf. Kasher/Gabbay 1976, auch, aber ohne abschließendes Ergebnis, Heim 1991, 517-522, und Y e o m 1998,54. 29 Cf. Kapitel 6. 27

43

häufig morphologisch oder lexikalisch markiert. 30 In diachroner Hinsicht ist häufig zu beobachten, daß Nominaldetermination überhaupt zunächst oder bevorzugt nur in bestimmten spezifizitätssensitiven Kontexten auftritt. 31 Daher sind die genannten Kontexte auch und gerade für eine möglichst vollständige Beschreibung von Distribution und Funktion verschiedener (alt)italienischer Nominaldeterminanten von Interesse. Gerade in einem Stadium nicht vollständig abgeschlossener Grammatikalisierung von Nominaldetermination wird so die Hypothese plausibel, daß Spezifizität und teilweise auch Bekanntheit für den Sprecher als Bedeutungsanteile einzelner indefiniter Nominaldeterminanten eine größere Rolle spielen, als dies für die modernen Artikelsprachen angenommen werden kann; wir werden sehen, daß gerade in Texten aus dem von uns näher betrachteten Zeitraum Spezifizität ein entscheidendes Merkmal der Bedeutung indefiniter Nominaldeterminanten sein kann. Textsyntaktisches und daher wesentliches Korrelat des Unterschiedes ist aber wohl ein unterschiedliches kataphorisches Potential des Nominalsyntagmas ein Auto in Beispiel (6) - bei spezifischer Interpretation kann beispielsweise mit Es ist der drei Jahre alte Passat meines Nachbarn fortgefahren werden, bei nicht-spezifischer nicht. 32

2.1.2 Nominaldetermination und Quantifizierung Quantifizierende Analysen der Artikelfunktionen, die in unserem Zusammenhang für das Verständnis der (ursprünglichen) Leistung der romanischen Nominaldeterminanten Entscheidendes beitragen können, gehen vor allem auf die Arbeiten von Bertrand Russell 33 zurück. Unabhängig von Fragen des tatsächlichen Bezugs eines sprachlichen Ausdrucks auf eine Entität in der außersprachlichen Welt entwickelt Russell seine Theorie der Kennzeichnungen («definite descriptions»), also definiter Nominalsyntagmen im Singular, die mindestens aus einem Kernsubstantiv und dem bestimmten Artikel bestehen. Die Bedeutung des bestimmten (und auch des unbestimmten) beinhaltet danach eine Existenzassertion. 34 Kennzeichnungen referieren nach Russell nicht direkt, sondern

Cf. dazu auch den Überblick in Lyons 1999,174SS., und die Beschreibungen derartiger Phänomene in Farkas 2002,237SS., speziell im Türkischen in von Heusinger 2002. Z u den Verhältnissen in Kreolsprachen cf. etwa Bickerton 1981. 31 Cf. Kapitel 1.2 und Kapitel 6. 32 So etwa bereits bei Karttunen 1976, Ioup 1977 u.a. Cf. auch die Diskussion um «referentielle» vs. «nicht-referentielle» indefinite Nominalsyntagmen bei Russell, Strawson, Chastain u.a., übersichtlich dargestellt in Heim 1988,33SS. Tatsächlich wird, beispielsweise in den Arbeiten von Talmy Givon, der oben erläuterte semantische Unterschied auch häufig mit der Opposition referentiell - nicht-referentiell beschrieben,Termini, die im vorliegenden Zusammenhang allerdings nur im Hinblick auf nominale Argumentphrasen mit einem Objekt/Individuum im Textkorrelat vs. prädikativ oder attributiv gebrauchte Nominalsyntagmen ohne einen derartigen Referenten im Textkorrelat verwendet werden. 33 Cf. vor allem Russell 1905. 3i Demgegenüber schreiben vor ihm Frege 6 i986 ([1892]) und nach ihm Strawson 1950 dem bestimmten Artikel lediglich den Ausdruck einer Existenzpräsupposition zu. 30

44

sind ihrer Bedeutung nach zu beschreiben als Konjunktionen von Propositionen. Nach Russell ist ein Satz wie der durch ihn berühmt gewordene (7) Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig.

semantisch eine Konjunktion von drei Propositionen: (7') Es gibt einen König von Frankreich. (7") Es gibt nur einen König von Frankreich. (7"') Dieses Individuum ist kahlköpfig,35

Entsprechend hängt der Wahrheitswert (mit Frege als Referenz einer Proposition, aber im Unterschied zu ihm unabhängig von der außersprachlichen Wirklichkeit) von (7) dann nur von den Wahrheitswerten von (7'), (7") und (7"') ab. Die erste Bedeutungskomponente, die Existenzbedingung im weiteren Sinne, scheint nun in der logischen bzw. formal-semantischen Diskussion zumindest bei Russell für explizit determinierte Nominalsyntagmen überhaupt eine Bedeutungskomponente darzustellen, während der uns vor allem interessierende semantische Unterschied zwischen definiten und indefiniten Nominalsyntagmen in der zweiten Bedeutungskomponente, der Einzigkeitsbedingung bei definiten Nominalsyntagmen im Singular, gesehen wurde, aus der sich pragmatisch eine Identifizierbarkeitspräsupposition für definite Kennzeichnungen ergeben kann. 36 In zahlreichen Fällen basiert die Identifizierbarkeit des Referenten der Kennzeichnungen nämlich vor allem auf seiner Einmaligkeit in der Kommunikationssituation: Ein Nominalsyntagma wie l'uomo scheint zu implizieren, daß nur einer und damit alle möglichen Referenten der Denotation von uomo in einem bestimmten kommunikativ relevanten Bereich gemeint sind im Unterschied zu un uomo, das diese Implikation nicht zwingend aufweist. Diese Formulierung für den unbestimmten Artikel enthält den für uns wichtigen Hinweis auf den engen Zusammenhang zwischen Nominaldetermination und Quantifizierung.

35

Äußerungen mit Kennzeichnungen können diesen Ansätzen zufolge bezüglich ihrer Bedeutung jedenfalls relativ problemlos beschrieben werden mit Existenzassertion wie bei Russell (in affirmativen, nicht-intensionalen Kontexten) und pragmatischer (und damit gegegebenenfalls aufhebbarer) Existenzpräsupposition wie bei Frege und Strawson, wobei die Existenzannahme in diesem Falle möglicherweise auf einer (konventionellen) Implikatur beruht. Cf. die Zusammenfassung bei Lyons 1999,256s. Darstellung nach Lyons 1 9 9 9 , 2 5 5 . Zur prädikatenlogischen Darstellung cf. auch Heim 1991,488.

36

Die Einzigkeitsbedingung für definite Nominalsyntagmen muß unter Umständen mit einer wichtigen Einschränkung kontextueller Art versehen werden: Das kontextuell jeweils salienteste Referenzobjekt kann definit gekennzeichnet werden, cf. dazu genauer von Heusinger 1997. Vor allem in zukunftsbezogenen oder rein hypothetischen Aussagen erlaubt es so die semantische Beschreibungskategorie der (jeweils von der Salienzstruktur des Kontextes abhängigen) Inklusivität, weniger problematisch als die früher angenommene Einzigartigkeit der Referenten singularischer definiter Nominalsyntagmen, die Bedeutung des bestimmten Artikels unabhängig von der Identifizierbarkeit eines (noch nicht oder überhaupt nicht existierenden) Referenten zu beschreiben (etwa in l'uomo che sposerö un giorno sara biondo). Für eine ausführliche Nachzeichnung der Diskussion cf. Lyons 1999,258SS.

45

Seit Russell kann die Leistung von Nominaldeterminanten prädikatenlogisch als Quantoren dargestellt werden, die Variablen binden. 37 Die Bedeutung des unbestimmten Artikels ist etwa bei Russell einheitlich mit dem Existenzquantor 3 beschrieben worden. 38 Genauer erfolgt die Beschreibung der Bedeutung indefiniter Nominalsyntagmen mit dem unbestimmten Artikel mit dem Existenzquantor 3 und einer Variablen χ («es gibt mindestens ein Element χ im Bereich y, für das gilt z») 3 ? Die Beschreibung definiter Nominalsyntagmen mit dem bestimmten Artikel erfolgt mit dem Allquantor V und einer Variable χ («für alle Elemente χ aus dem Bereich y gilt z» 4 °), auch mit dem Iotaoperator ι zusammengefaßt. 41 Das heißt insgesamt, daß die Leistung von bestimmtem und unbestimmtem Artikel formallogisch als Quantifizierung, als Spezifizierung von Mengen gesehen wird. 42 Der Existenzquantor, der als logisches Element wohl in

37 38

39

40 41 42

Cf. dazu von Heusinger 1 9 9 7 , 4 S S . «Existential quantifiers [...] form expressions denoting at least a minimal, non-zero amount or number of the quantified expression» (Gil 2 0 0 1 , 1 2 7 6 ) . Zu Deutungen, die auch dem bestimmten Artikel Ambiguität zuschreiben in Rekurs auf Donnellans ( 1 9 6 6 ) Unterscheidung in referentiellen vs. attributiven Gebrauch des bestimmten Artikels und die Zuweisung derartiger Unterscheidungen zum Gebiet der Pragmatik cf. Heim 1 9 9 1 , 4 9 7 - 5 0 5 . Cf. dazu Heim 1991, 514, auch Corblin 1987, der un als einfachen Existenzquantor beschreibt und ansonsten bezüglich seines genauen Zahlwertes als «quantifiant sousspecifie» bezeichnet - es bedeutet weder 'genau eins' noch 'mindestens eins'. Cf. genauer Heim 1 9 9 1 , 5 0 9 . Cf. dazu von Heusinger 1 9 9 7 , 3 8 S S . In der «Theory of Generalized Quantifiers» (TGQ) von Barwise/ Cooper 1981 wird die prädikatenlogische Analyse natürlichsprachiger Äußerungen kritisiert insbesondere in Bezug auf die Quantifizierungsleistung von Determinanten, die sich nicht auf den Existenz- und Allquantor reduzieren lassen. Quantoren sind nach Barwise/Cooper 1981 ganze Nominalsyntagmen, die in ihnen enthaltenen Determinanten alleine genügen nicht, um die Quantifizierung auszudrücken. Quantoren bestehen also aus einer Determinante und einem Mengenausdruck, der den Bereich der Qualifikation angibt, so daß beispielsweise ein Satz wie Manche Menschen sind sterblich mit dem Quantor manche Menschen folgendermaßen paraphrasiert werden kann: «Die Menge der Elemente, die die Eigenschaft haben, sterblich zu sein, ist nicht leer». Die in der Verbalphrase geleistete Prädikation wird damit als «Denotation» des Quantors insgesamt angesehen, der Quantor denotiert die Untermenge, für die er den Wahrheitswert wahr erzielt. Determinanten bzw. die Bedeutungen von Determinanten sind mithin anzusehen als Funktionen von Substantivdenotationen (Mengen) zu Denotationen von Nominalsyntagmen. Barwise/Cooper unterscheiden verschiedene Gruppen von Determinanten je nach ihrem Verhalten in Kopulasätzen der Form Det Ν ist ein Ν oder Det Ν sind N. Ergibt sich eine Tautologie (Alle Menschen sind Menschen), sind die Determinanten «positiv stark», ergibt sich ein Widerspruch (Kontradiktion: Kein Mensch ist ein Mensch), sind die Determinanten «negativ stark»; hängt der Wahrheitswert des Satzes vom jeweiligen «Modell», dem Diskursuniversum ab (Manche Menschen sind Menschen - ist wahr, wenn die Menge der Menschen nicht leer ist), sind die Determinanten «schwach». Cf. hierzu die kritischen Ausführungen von Heim 1991, 5 2 8 s . Tatsächlich tragen diese Erklärungsversuche der unterschiedlichen Distribution von definiten und indefiniten Nominalsyntagmen wenig zum Verständnis des Wesens von (In-)Definitheit bei und werden daher nur kurz erwähnt. Zu einer einleuchtenden Alternative, nämlich definite und indefinite Nominalphrasen sowie Pronomina einheitlich als modifizierte Epsilonterme (also weder als Quantoren 46

keiner natürlichen Sprache eine eineindeutige ausdrucksseitige Entsprechung besitzt, 43 ist aber in den Sprachen der Welt eng verbunden mit dem Ausdruck des Singulars und/oder eben der Indefinitheit, etwa gerade durch den aus dem Numerale 'eins' entstandenen unbestimmten Artikel. In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist John Hawkins semasiologischer Versuch, den Wert von bestimmtem und unbestimmtem Artikel 44 in einem semantisch-pragmatischen Ansatz zu ermitteln, wobei die Existenz etwaiger Referenten der fraglichen Nominalsyntagmen irrelevant sein soll. Der bestimmte Artikel fungiert danach als pragmatische Instruktion, den Referenten der Kennzeichnung in einem bestimmten, pragmatisch definierten «location set», in einer Lokalisierungsmenge (Sprecher und Hörer zugänglich und vom Hörer als das Gemeinte identifizierbar) zu lokalisieren: Er signalisiert, daß in der entsprechenden Menge die darin enthaltene Totalität aller Entitäten, die dem deskriptiven Gehalt des Kernsubstantivs und eventueller attributiver Erweiterungen entsprechen, gemeint ist. «Inclusiveness» ist so der zentrale Teil der Bedeutung definiter Nominalsyntagmen - damit können beispielsweise dann auch definite pluralische Nominalsyntagmen erfaßt werden. Je nachdem, welcher Art die jeweilige Lokalisierungsmenge ist, können verschiedene Arten von Definitheit erklärt werden. 45 Der unbestimmte Artikel signalisiert nun dagegen entweder überhaupt keine Lokalisierung oder «exclusiveness»: In der gemeinten Menge sind auch noch andere Objekte enthalten, auf die der deskriptive Gehalt zutrifft. 46 Insgesamt läßt sich die Bedeutung des unbestimmten Artikels in quantifikationeller Hinsicht für moderne Artikelsprachen wohl ausreichend mit dem (eine neu eingeführte Variable bindenden und außerhalb des Nominalsyntagmas befindlichen) Existenzquantor beschreiben, während die Einzigkeit in manchen Beispielen als skalare Implikatur und die Nicht-Einzigkeit in anderen als prag-

« 44

45

46

noch als variablenenthaltende deskriptive Ausdrücke) zu konzipieren mit jeweils einem Epsilonoperator als einer Auswahlfunktion, die jeder Menge eines ihrer Elemente zuordnet und somit daraus einen «Repräsentanten» bestimmt, cf. von Heusinger 1997. Auf diese Konzeption wird im folgenden nicht mehr im Detail eingegangen, obwohl sie einen wesentlichen (kon)textuellen Aspekt von Nominaldetermination und (In-) Definitheit durch das Prinzip der «Salienz» integriert. Cf. Gil 2001,1276s. Ausgehend von englischen Belegen, mit dem Risiko, einzelsprachliche Daten zu verallgemeinern. Darin enthalten ist die wichtige Erkenntnis, daß quantifizierende Nominalsyntagmen jeweils nur über einen bestimmten, von der Äußerungssituation jeweils abhängigen Individuenbereich quantifizieren, cf. Heim 1991,505. Cf. dazu in Anwendung auf die romanische Artikelentwicklung Selig 1992,107-114. In einer an den Grice'schen Implikaturen orientierten Präzisierung seines ursprünglichen Ansatzes schreibt Hawkins im übrigen dem bestimmten Artikel Existenz- und Inklusivitätsimplikation zu und die konventionelle Implikatur, daß ein «location set» (oder nun «pragmatic set», «P-set») existiert, in dem Existenz und Inklusivität gelten, während der unbestimmte Artikel nur konversationell Existenz und Nicht-Inklusivität impliziert (die Zugehörigkeit zum «P-set» ist auch nur eine konversationelle Implikatur und kann aufgehoben sein). Z u Kritik bzw. Präzisierung des Modells cf. Kleiber 1983a, Musella 1994, Lyons 1999,262-265.

47

matische Bedingung etwa der Art «Vermeide den unbestimmten Artikel, wenn du den bestimmten verwenden kannst» 47 analysiert werden können. Damit hat der unbestimmte Artikel anders als der bestimmte und vor allem anders als echte Quantoren keinen expliziten mengentheoretischen Bedeutungsanteil mehr. Diesen kann er auf dem Grammatikalisierungsweg vom Numerale zum Artikel verloren haben.

2.2

(In-)Definitheit im Text: «novelty» vs. «familiarity»

Paul Christophersen etabliert 1939 zunächst nur für das Englische die «familiarity theory» der Artikel, nach welcher der bestimmte Artikel dem Hörer signalisiert, daß Hörer und Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung, die den bestimmten Artikel enthält, mit dem gemeinten Referenten bereits vertraut sind und der Hörer den Referenten deshalb identifizieren kann - ein pragmatisch ausgerichteter Beschreibungsversuch. Neben der wesentlichen Beschränkung seiner Ausführungen auf nur eine Einzelsprache besteht unser Interesse an seiner Arbeit vorrangig in der Tatsache, daß Christophersen kein funktionales Paradigma bestimmter - unbestimmter Artikel annimmt, in welchem die beiden Elemente in unmittelbarer Opposition zueinander stehen würden. Der unbestimmte Artikel ist für ihn der Artikel der «unity» und neutral bezüglich der «familiarity». Die einzige echte funktionale Opposition sieht Christophersen wie Coseriu in der Opposition determiniert vs. nicht-determiniert. 48 Definitheit wäre demnach also Vertrautheit von Sprecher und Hörer mit dem gemeinten Referenten oder Textreferenten, und zwar unabhängig von der außersprachlichen Referenz der jeweiligen Nominalsyntagmen. Diese oder, weniger problematisch, die Identifizierbarkeit® kann sich aus der Vorerwähnung des gemeinten Referenten (auch durch einen mit ihm durch Kontiguität verbundenen Referenten), aber auch aus seiner Anwesenheit in der konkreten Kommunikationsituation, aus dem gemeinsamen Wissen von Sprecher und Hörer über den Referenten oder aus dem in einer Sprachgemeinschaft gültigen Allgemeinwissen ergeben, gegebenenfalls auch aus der im fraglichen Nominalsyntagma durch Attribution enthaltenen Information. 50 Die Funktion des unbestimmten Artikels besteht demgegenüber nicht unmittelbar in der Anzeige von Nicht-Identifizierbarkeit, sondern wieder in der Partikularisierung einzelner referenzfähiger Einheiten. Allerdings kann Indefinitheit auch als Neuheit im Text, also als Unmöglichkeit des anaphorischen Bezugs auf bereits vorhandene Textreferenten 51 defi-

47 48 49 50 51

Heim 1991,515. Cf. dazu Chesterman 1991,12ss. Cf. die gut nachvollziehbare Darstellung in Lyons 1999,5s. Cf. dazu die zusammenfassende Darstellung in Lyons 1999,3-13. Indefinitheit als Neuheit im Text, als Unmöglichkeit des anaphorischen Bezugs auf bereits vorhandene Textreferenten gilt im strengen Sinne freilich nur für durch Nominaldeterminanten indizierte Indefinitheit von Nominalsyntagmen. Indefinite Pronomi-

48

niert w e r d e n . In A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e r quantifikationellen D a r s t e l l u n g des unbestimmten A r t i k e l s entwickelt Irene H e i m nämlich ihre B e s c h r e i b u n g d e f i n i t e r u n d i n d e f i n i t e r N o m i n a l s y n t a g m e n in d e n « F i l e C h a n g e S e m a n t i c s » , die eine semantisch wesentliche U n t e r s c h e i d u n g v o n A r t i k e l n einerseits und Q u a n t o r e n andererseits einführen. Explizit quantifizierte w i e every man o d e r many people

Nominalsyntagmen

fallen nicht einfach unter die Interpretations-

regeln für definite und indefinite N o m i n a l s y n t a g m e n , denn insbesondere indefinite

N o m i n a l s y n t a g m e n v e r h a l t e n sich b e z ü g l i c h ihres K o r e f e r e n z v e r h a l t e n s

o d e r d e s V e r h a l t e n s in B e z u g a u f b e s t i m m t e a n a p h o r i s c h e R e l a t i o n e n e i n e r s e i t s wie «rigide D e s i g n a t o r e n » , also E i g e n n a m e n , andererseits wie A l l q u a n t o r e n , dann w i e d e r w i e Existenzquantoren, allerdings mit idiosynkratischem Skopusverhalten etc.52 D a h e r gibt H e i m

für N o m i n a l s y n t a g m e n mit u n b e s t i m m t e m

A r t i k e l und nicht-determinierte Nominalsyntagmen, also nach ihrer Terminologie indefinite, die o b e n k u r z dargestellte traditionelle quantifikationelle A n a l y s e k o m p l e t t auf. A u c h f ü r d e f i n i t e N o m i n a l s y n t a g m e n l e h n t sie e n t s p r e c h e n d e i n e quantifikationelle A n a l y s e ab.53

52 53

na können durchaus auch anaphorisch aufeinander und auf ein- und denselben Textreferenten b e z o g e n sein, cf. There is somebody who is responsible for it, and that SOMEBODY is he oder That boy sitting near the fire wants some food. WHO is he?, Bhat 2000,374, Hervorhebungen im Text. D i e s kann damit erklärt werden, daß Indefinitheit auf pronominaler E b e n e einen Informationsmangel indizieren kann, der außersprachliche Eigenschaften der Korrelate von Textreferenten betrifft, weniger ihre bloße A n bzw. A b w e s e n h e i t in der Textwelt. So können textuell definite Elemente (etwa deiktisch identifizierte wie in den obigen Beispielen) in anderer Hinsicht durchaus als nicht-identifizierbar oder neu gekennzeichnet sein: «The non-verbal information that the interrogative or indefinite pronouns indicate as lacking may not be available even when the object is pointed out with the help of a demonstrative pronoun», Bhat 2000, 375· Cf. hierzu etwa beispielsweise H e i m 1988,210-223. Cf. genauer Heim 1988,226ss. So wird dann auch die A n n a h m e einer Allquantifizierung oder der Inklusivität als semantisches Merkmal definiter Nominalsyntagmen von Heim explizit abgelehnt, cf. Heim 1988,236SS. D e m g e g e n ü b e r werden anders determinierte oder quantifizierte Nominalsyntagmen, etwa solche mit alle oder jeder oder keiner, die im Unterschied zu Nominalsyntagmen mit dem unbestimmten Artikel eindeutig und in einheitlicher A r t und Weise skopussensitiv sind, auch von Heim als quantifizierend beschrieben. Cf. hierzu genauer Heim 1988,263-268. Z u m Nachweis, daß jeder Ν nicht in der gleichen Weise definit ist wie der Ν cf. auch Heim 1991,527. In Rückgriff auf die in der generativen Literatur entwickelte Theorie zum Skopusverhalten von Quantoren konzipiert H e i m hierfür die R e g e l des «Quantifier Construal» ( Q C ) : Grundsätzlich wird diese «quantification rule» in der logischen Form durch eine B e w e g u n g des Quantors von seiner ursprünglichen Stelle unter Hinterlassens einer Spur, also einer v o m Quantor zu bindenden Variable, dargestellt (zu einer zusammenfassenden Darstellung c f van Eijck i99i,48oss.). So gelangt Heim zu zwei verschieden zu interpretierenden Gruppen von NP: quantifizierte Ausdrücke auf der einen und definite bzw. indefinite Nominalsyntagmen auf der anderen Seite. Während letztere einfach Information zu bereits vorhandenen Variablen oder neue Variablen im aktuellen «file» einführen, eröffnen quantifizierte Nominalsyntagmen zunächst ein neues «Unterfile» mit einer neuen Variable, führen dort gegebenenfalls alle im «restrictive term» auftretenden weiteren Variablen ein und binden diese dann alle durch den

49

Heims Arbeit ist auf die Verhältnisse im modernen Standardenglischen bezogen, so daß die dort angenommenen Artikelfunktionen bzw. deren modellgebundene Beschreibung nicht automatisch für die Interpretation der uns interessierenden alttoskanischen Daten herangezogen werden dürfen. Heims Auseinandersetzung mit den oben referierten Positionen liefert aber wertvolle Einsichten in die beiden möglichen Bestimmungen nominaler (In-)Definitheit, quantifikationell oder (kon)textuell. Die Heimschen «File Change Semantics» (FCS) entstehen auf der Grundlage der «familiarity theory» von Christophersen 54 und Lauri Karttunens «Diskursreferenten». 55 Nominalsyntagmen bzw. die durch sie transportierte Information werden dabei vor allem hinsichtlich ihres Beitrags zur Entfaltung von Information in Texten gesehen, im Rahmen einer kontextsensitiven dynamischen semantischen Theorie, 56 die im vorliegenden Zusammenhang als die geeigneteste erscheint zur Erfassung des Zusammenwirkens von Nominaldetermination und Textkohäsion und letztlich Kohärenz in Sprachen mit voll grammatikalisierter Nominaldetermination. A n dieser Stelle muß jedoch wieder die beschränkte Aussagekraft des Modells für Sprachen ohne oder für Sprachen mit allmählich entstehender Nominaldetermination festgehalten werden. Um die Schwierigkeiten des traditionellen außersprachlichen Referenz- und Koreferenzbegriffes und seine nur in einem gewissen Kernbereich zutreffende, ansonsten geringe Interdependenz mit Nominaldetermination zu umgehen 57 entwickelt Lauri Karttunen seinen Begriff der «discourse referents». Karttunen geht es dabei um rein innersprachlich anzusehende Einheiten, die der Verteilung von indefiniten und definiten Nominalsyntagmen im Text zugrundeliegen; seine «discourse referents» sind in etwa mit den Koindizierungsregeln der ge-

Quantor, welcher den Rest des Satzes als seinen «nuclear scope» besitzt. Ein Satz wie Every satyr who loved a nymph kissed her (dieses Beispiel und seine Analyse nach van Eijck 1991,486) führt im eröffneten «Unterfile» zunächst die Variablen satyr (χ) und nymph (y), ein mit dem «restrictive term» χ loved y, every bindet beide Variablen, und der «nuclear scope» χ kissed her erlaubt eine anaphorische Beziehung von her auf y, da her im Skopus des Quantors every steht, und y in seinem «restrictive term» (cf. etwa Heim 1 9 8 8 , 3 4 1 - 3 6 4 . Dazu, auch mit einer kritischen Diskussion, cf. van Eijck 1 9 9 1 , 486). D a unsere Indefinita in ihrer Distribution und Funktion noch nicht eindeutig in Artikel und Quantoren einteilbar sind und diese Einteilung für Elemente wie qualche oder certo auch wenig sinnvoll ist, wird die semantische Beschreibung von Quantoren in Diskursrepräsentationstheorien im folgenden nicht weiter berücksichtigt. 54 Zur Wiederaufnahme von Christophersens Konzept in den «File Change Semantics» von Irene Heim cf. ausführlich Heim 1 9 8 8 , 2 9 8 S S . 55 Zur expliziten Auseinandersetzung mit Karttunen cf. Heim 1 9 8 8 , 2 4 9 - 2 6 3 . 56 Cf. etwa das folgende Zitat: «Consider a device designed to read a text in some natural language, interpret it, and store the content in some manner, say, for the purpose of being able to answer questions about it. To accomplish this task, the machine will have to fulfill at least the following basic requirement. It has to be able to build a file that consists of records of all the individuals, that is, events, objects, etc., mentioned in the text and, for each individual, record whatever is said about it». Karttunen 1 9 7 6 , 3 6 4 . 57 Z u einer ausführlichen Diskussion traditioneller, auf Koreferenz beruhender Beschreibungsansätze cf. Heim 1988, Kapitel 1.

50

nerativen Grammatik vergleichbar und erheben keinerlei Anspruch auf außersprachliche Existenz der Referenten oder genaue Koreferenz. Sie sind in allen «discourse representation theories» beschrieben als Variablen enthaltend, die mit Prädikaten (dem deskriptiven Gehalt eines Nominalsyntagmas) assoziiert sind und die durch bestimmte Interpretationsregeln einen Wert zugeschrieben bekommen. 58 Probleme für die semantische Beschreibung bereitete in der Vergangenheit vor allem die wahrheitswertbasierte Analyse von Propositionen mit indefiniten Nominalsyntagmen im Text, die in sinnvollen anaphorischen Bezügen (ohne Koreferenz, zumindest ohne eindeutig bestimmbare außersprachliche Referenz) zu Pronomina auch außerhalb ihres Skopus stehen können, wie im folgenden Beispiel: (8) Wenn ein Farmer; einen Esel- hat, schlägt er; ihn^

Die Karttunen'sehen Diskursreferenten (hier und im folgenden Textreferenten) haben daher gar nichts mit außersprachlicher Referenz zu tun, sie sind konzipiert als referentielle Indizes auf der Ebene der logischen Form (der semantischen Repräsentation sprachlicher Ausdrücke). Wenn Nominalsyntagmen prinzipiell als Variablen enthaltend analysiert werden, die gebunden werden können von Operatoren oder Quantoren, sind die Koindizierungsprobleme des Beispiels (8) relativ leicht lösbar nach den bestehenden oder modifizierten Koindizierungsregeln der generativen Grammatik, die auf alle Nominalsyntagmen im Text angewendet werden, 60 ohne das Konzept von tatsächlicher Koreferenz im Sinne von Referenz auf den gleichen außersprachlichen Referenten strapazieren zu müssen. 6 ' Die von Heim explizit eingeführte wichtige Modifikation ist dabei die Ausdehnung der Koindizierungsregeln auf die Ebene des Textes, so daß Quantorenbindungen und Koindizierungen auch über Satzgrenzen hinweg möglich werden. 62

58

59

60 61 62

Verschiedenen, in jüngerer Zeit immer wichtiger werdenden semantischen Beschreibungsansätzen entsprechend sind Substantive mit ihren Attributen zunächst einmal als Prädikate aufzufassen, die mittels funktionaler Elemente innerhalb (oder auch außerhalb) der Nominalphrase einzelnen Objekten zugeschrieben werden (cf. etwa Russell 1905, Bach 1968, Vater 1984; cf. insgesamt auch die Darstellung bei Lavric 2001, 8ss.) können. Komplexe Nominalsyntagmen, insbesondere Kennzeichnungen, sind so formal darstellbar als bestehend aus einer Variablen und einem Prädikat, das eine über diese Variable operierende Funktion ist. Dieses Prädikat ist der deskriptive Gehalt eines Nominalsyntagmas, seine Bedeutung unabhängig von der Referenz, und diese ist intensional als eine Reihe von Merkmalen und extensional als die Menge der Objekte, die diese Merkmale gemeinsam haben, beschreibbar (also die Denotation). Die Beispiele zeigen im übrigen auch, daß die von Selig 1992 angenommene inhärente Spezifizität von anaphorischen Nennungen nicht zutrifft, cf. Selig 1992, m s . Heims 1988 detaillierte Auseinandersetzung mit Problemen der semantischen Beschreibung dieser sogenannten «donkey sentences» in Bezug auf Geach 1962 findet sich in Heim 1988, Kapitel 1.2., 44-121. Cf. dazu genauer Heim 1988,13iss. Cf. dazu genauer dann Heim 1988,315-320. Cf. etwa Heim 1988,139.

51

Um das Auftreten von definiten und indefiniten Nominalsyntagmen im Text und deren Interpretation zu erklären, entwickelt Heim nun ihre «file-card»-Metapher: Textrezeption als semantische Interpretation sprachlicher Ausdrücke im Zusammenhang ist danach als ständiges updating, also Aktualisieren eines files, einer Akte oder einer Kartei, vorstellbar. Jeweils neu hinzukommende sprachliche Ausdrücke sind in einer Ebene der logischen Form darstellbar, und ihnen wird nach bestimmten Interpretationsregeln und Akkomodationsregeln ein «file change potential» zugeordnet. 63 Die Ebene der «file cards» ist dabei wieder als Ebene zwischen Sprache und Welt vorstellbar, die mit der Referenz auf außersprachliche Sachverhalte nichts zu tun hat. 64 Ähnlich wie bei der von Hans Kamp entwickelten «Discourse Representation Theory» (DRT)65 geht es also um die Deutung syntaktischer Strukturen (und den ihnen entsprechenden Strukturen in der logischen Form) auf der semantischen Ebene der Diskursrepräsentationen bzw. der «file cards». Die (extensional) semantische Interpretation der logischen Form sprachlicher Ausdrücke geschieht folgendermaßen: Files besitzen ein «satisfaction set» (verstanden im Sinne ihrer Wahrheitswertbedingungen: 66 die darin enthaltenen Elemente, also Variablen, Prädikate, Quantoren und andere Operatoren, 67 ihre Reihenfolge, Relationen) und einen Definitionsbereich (Zahl der Elemente im file und ihre Reihenfolge). 68 Wahrheit oder Falschheit sind kontextabhängig konzipiert. Es bestehen für Formeln als Einheiten der logischen Form «Felicity-» und «Truth-Conditions», unter denen Formeln «felicitous» bzw. «true» sind.69 Wenn etwa der Kontext und das Modell, auf das die Formeln zu beziehen sind, nicht für alle eingeführten Variablen tatsächlich Referenten enthalten (ungefähr auf unserer Ebene des Textkorrelats, sind die Formeln nicht automatisch falsch oder ohne Wahrheitswert, sondern zunächst einfach «infelicitous» (die Frage nach dem Wahrheitswert stellt sich dann nicht) 70 . So löst Heim das Problem des zum Zeitpunkt der Äußerung nicht-existierenden Königs von Frankreich bzw. das Problem der nicht für alle Nominalsyntagmen im Text anwendbaren referentiellen Interpretation. Definite und indefinite Nominalsyntagmen enthalten in FCS also beide in der logischen Form gleichermaßen eine Variable (und ein Prädikat), die gebunden werden kann durch außerhalb der Nominalsyntagmen lokalisierte Operatoren, und zwar immer dann, wenn sie neu im «file» ist.7' Die textuelle Leistung der Artikel (gezeigt anhand des modernen Standardenglischen) besteht bei Heim 63

64

65 66 67 68

70

τ

Cf. Heim 1988, Kapitel 3; zum genauen Formalismus und den einzelnen Regeln cf. Heim 1988,131-190. Cf. H e i m 1 9 8 8 , 3 9 6 s .

Cf. dazu Kamp 1981, Kamp/Reyle 1993. Cf. dazu genauer Heim 1988,162-168. Cf. genauer Heim 1988,153SS. Cf. Heim 1983,170s., und Heim 1988,152-168, und Heim 1988, Kapitel 3. Cf. beispielsweise Heim 1988, 3 1 2 , mit Bezug auf die «Novelty-Familiarity-Condition». Cf. genauer Heim 1988,331. Und dies gilt auch für sogenannte «accommodated definites» wie zum Beispiel his 52

nur n o c h in ihrer F u n k t i o n als E i n f ü h r u n g s - bzw. W i e d e r a u f n a h m e s i g n a l , 7 2 o h n e e i g e n e B e d e u t u n g im S i n n e d e r s e m a n t i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n . H i e r interessant w i r d d e r t e x t u e l l e n K o n z e p t i o n e n t s p r e c h e n d d i e w i c h t i g s t e «Felicity C o n d i t i o n » f ü r d i e K o n s t r u k t i o n d e r «files», d i e s o g e n a n n t e « E x t e n d e d - N o v e l t y - F a m i l i a r i t y - C o n d i t i o n » . D i e s e k a n n f o l g e n d e r m a ß e n p a r a p h r a s i e r t w e r d e n : «For e v e r y indefinite, start a n e w card. F o r e v e r y definite, u p d a t e an o l d card». 7 3 D i e W a h r h e i t s w e r t b e d i n g u n g e n f ü r P r o p o s i t i o n e n m i t indefiniten und d e f i n i t e n N o m i n a l s y n t a g m e n sind also u n t e r s c h i e d l i c h . 7 4 S o k a n n die O p p o s i t i o n z w i s c h e n b e s t i m m t e m u n d u n b e s t i m m t e m A r t i k e l bzw. d e f i n i t e n u n d i n d e f i n i t e n N o m i n a l s y n t a g m e n in S p r a c h e n mit v o l l g r a m m a t i k a l i s i e r t e r N o m i n a l d e t e r m i n a t i o n a u s r e i c h e n d b e s c h r i e b e n w e r d e n . 7 5 Indefinite N o m i n a l s y n t a g m e n als n e u hinzuk o m m e n d e K a r t e n k ö n n e n in d e r l o g i s c h e n F o r m nicht mit b e r e i t s b e s t e h e n d e n K a r t e n k o i n d i z i e r t w e r d e n ; definite N o m i n a l s y n t a g m e n m ü s s e n i h r e m deskriptiv e m G e h a l t e n t s p r e c h e n d ( w e l c h e r b e i d e f i n i t e n N o m i n a l s y n t a g m e n im U n t e r s c h i e d z u i n d e f i n i t e n in d e r l o g i s c h e n F o r m i m p l i z i e r t ist) mit b e r e i t s existierend e n K a r t e n k o i n d i z i e r t w e r d e n . 7 6 D a m i t sind N e u h e i t o d e r B e k a n n t h e i t k e i n e

father in Every man hates his father, et Heim 1988,376SS., woraus sich dann die Lesart mit engem Skopus des definiten Nominalsyntagmas problemlos ableiten läßt. Wichtig im Zusammenhang mit den verschiedenen Schwierigkeiten, die eine rein quantifikationelle oder referentielle Interpretation (in)definiter Nominalsyntagmen immer begleitet haben, z.B. die Frage der Substituierbarkeit koreferentieller Nominalsyntagmen in «opaken Kontexten», ist jedenfalls die erfolgte Trennung von deskriptivem Gehalt eines Nominalsyntagmas und der quantifizierenden Quelle, die seine Variable binden kann, als zwei unabhängige semantische Komponenten, cf. van Geenhoven 1998,94. 72

73

74

" 76

Cf. etwa: «But the revision [von vorangehenden quantifikationellen Analysen der Indefinita, E.S.] will be more drastic than to let indefinites change from existential into universal quantifiers under certain conditions: I am denying that they have any quantificational force on their own at all. What appears to be the quantificational force of an indefinite is always contributed by either a different expression in the indefinite's linguistic environment, or by an interpretive principle that is not tied to the lexical meaning of any particular expression at all» Heim 1988,122, Hervorhebung E.S. Heim 1983,168. Die genaue Formalisierung findet sich in Heim 1988: «For ρ to be felicitous w.r.t. F it is required for every NP l in ρ that (i) if NPj is [-definite], then i e D o m (F); (ii) if NP; is [+definite], then a) i e D o m (F), and b) if NPj is a formula, F entails NP;». (Heim 1988,369s.). Z u Beschreibungsproblemen im Bereich der Definitheit (beispielsweise für Kennzeichnungen in absoluten Romananfängen u.a.) und deren Lösung über Akkomodationsregeln cf. Heim 1988,370-384, Lyons 1999,270. Cf. dazu genauer, auch für eine Verlagerung der «existential closure» von der Ebene der logischen Form auf die Ebene der Wahrheitswertbedingungen Heim 1988,333SS. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang nicht von vorrangigem Interesse und wird daher im folgenden keine Rolle mehr spielen. Cf. dazu Heim 1988,276. Heinz 1982 kommt in Auseinandersetzung mit dem Konzept der Aktualisierung zu einem den «File Change Semantics» sehr ähnlichen Konzept von Definitheit, wenn sie schreibt: «Ein einmal in einem Text präsentiertes Nominalsyntagma ist im Prinzip in allen folgenden Re-präsentierungen 'definit', solange es denselben Referenzbezug 53

pragmatischen Konzepte mehr, sondern rein formale Kategorien der Ebene der «file cards». Bestimmter und unbestimmter (und Null-)Artikel sind also lediglich Instruktoren, neu eingehende Information entsprechend des aktuellen «files» zu verarbeiten - sie haben selbst keine andere Bedeutung, und die Vertrautheit des Hörers mit Referenten der außersprachlichen Welt spielt bei ihrem Auftreten im Text keine Rolle. So können Artikel auch in nicht-referentiellen Positionen wie dem Prädikativ oder die Koindizierung von indefinit -nicht-spezifisch interpretierbaren Nominalsyntagmen mit definiten Personalpronomina wie im Beispiel (8) problemlos semantisch interpretiert werden. Anders als in den quantifikationellen Analysen verhalten sich nach diesem Beschreibungsansatz Nominalsyntagmen mit dem unbestimmten Artikel gegenüber Nominalsyntagmen mit dem bestimmten Artikel auf der Ebene der semantischen Interpretation annähernd spiegelbildlich. Sie bekommen außerdem nun auch positive Eigenschaften zugeschrieben: Sie unterliegen, erstens und vor allem, der «Novelty Condition»: Sie führen immer einen neuen Textreferenten ein. Sie haben weiterhin keine «Descriptive Content Condition», ihr deskriptiver Gehalt ist nicht bereits in der logischen Form impliziert. Ihre Textreferenten müssen dabei jedoch aus der Menge der Referenten sein, die durch den deskriptiven Gehalt des Nominalsyntagmas denotiert wird, ansonsten stehen sie bzw. die durch sie eingeführten Variablen den verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten offen. Definitheit und Indefinitheit werden so über zwei semantische Eigenschaften definiert, die beide auf dem Konzept der «familiarity» beruhen. 77 «Familiarity» im Sinne von «Enthaltensein im aktuellen file» ist also die modellinterne Konzeption von Definitheit als Identifizierbarkeit\ Inklusivität wird, wie jede quantifikationelle Analyse von bestimmtem und unbestimmtem Artikel, explizit aufgegeben. Aufschlußreich ist bei diesem Ansatz insgesamt, neben der symmetrischen Konzeption von (In-)Definitheit, die Behandlung von Nicht-Determination, der nun anders als in den Aktualisierungstheorien ein spezifischer textueller Wert, und zwar Indefinitheit, zugeschrieben wird. D a ß NichtDetermination keine explizite Quantifizierungsleistung sein kann, liegt auf der Hand. Daß sie aber nur in Systemen voll grammatikalisierter Nominaldetermination einen so genauen Wert wie indefinit erhalten kann, scheint ebenfalls plausibel zu sein und soll uns daran hindern, die Heim'schen (und Kamp'schen) Ansätze direkt auf Texte einer anderen Grammatikalisierungsstufe anzuwenden, obwohl die textuelle Konzeption dieser Ansätze für den Umgang mit konkreten Vorkommen von Nominaldeterminanten eine unverzichtbare Beschreibungskategorie in die Diskussion von nominaler (In-)Definitheit eingebracht hat.

77

besitzt». Heinz 1982,33. Der Nachsatz wird nur dann erforderlich, wenn Definitheit mit dem Referenzbezug verknüpft wird, was in den F C S ja vermieden wird. Cf. auch Heim 1988,402.

54

2.3

Artikel und (Text-)Linguistik

Im letzten Abschnitt wurde nominale (In-)Definitheit (fast) ausschließlich an der Markierung von Nominalsyntagmen mit bestimmtem und unbestimmtem Artikel festgemacht. In der Diskussion um Nominaldetermination, Referenz und (In-)Definitheit spielen in der Tat Artikel eine zentrale Rolle, von denen erst in grammatikalisierten Systemen von Nominaldetermination ab einem bestimmten Obligatorizitätsgrad gesprochen wird. In dem von uns untersuchten Paradigma alttoskanischer Indefinite spielt der neuitalienische unbestimmte Artikel uno natürlich bereits eine wichtige Rolle (cf. dazu Kapitel 7.3 und 7.4), muß aber in seiner Funktion und Distribution im Vergleich zu den anderen Indefinita im Text genau analysiert werden. A n dieser Stelle soll nun die semantische Bestimmung der nominalen Kategorie (In-)Definitheit verlassen und die Wortart Artikel als hauptsächliches Ausdrucksmittel dieser Kategorie (neben den Pronomina) näher betrachtet werden. Artikel 7 8 werden in typologisch ausgerichteten Arbeiten aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Erstens stellen sie eine wesentliche Möglichkeit dar, (In-)Definitheit oder auch allgemeiner Nominaldetermination a u s z u d r ü c k e n , w a s zu einer Klassifizierung einzelner Sprachen je nach dem morphologischem Status und dem Inventar der Artikelwörter führt. 80 Zweitens sind sie als eine grammatische Kategorie definiert als obligatorisch gewordene Elemente in einzelnen Sprachen, die sich übereinzelsprachlich stets aus Demonstrativa bzw. Numeralia herleiten. 81 So sind sie auf jeden Fall grammatische Elemente, Funktionswörter, und nur in einer kleinen Anzahl von Sprachen vertreten (insbesondere den westeuropäischen; in den meisten der Artikelsprachen auch etwa erst seit dem Mittelalter) 82 . Eine große Zahl der Sprachen Europas, die zum «Standard Average European» zusammengefaßt werden können aufgrund bestimmter gemeinsamer syntaktischer Merkmale 83 und zu denen viele romanische Sprachen zusammen mit Deutsch als Kernbereich gehören, besitzen einen bestimmten und einen unbestimmten Artikel, was unter den Sprachen der Welt eine Besonderheit darstellt.84 Daraus ergibt sich unmittelbar ein Argument

78

79

80

81 82 83 84

Z u einem grammatikographischen Überblick über die philosophische und sprachwissenschaftliche Artikeldiskussion, auch in terminologischer Hinsicht, von der A n t i k e bis in die siebziger Jahre cf. Krämsky 1972,13SS., 18-29, Kolde i996,33ss.,Lavric 2001, i6ss. Cf. vor allem Krämsky 1972, der dies durch die Artikel neben anderen Phänomenen wie Serialisierung im Satz und Prosodie gewährleistet sieht. So k o m m e n sie als eigenständige lexikalische Elemente oder Klitika oder gar nur als A f f i x e vor. Z . B . so bei G r e e n b e r g 1978. Cf. hierzu Himmelmann 2001,831. C£ Kolde 1996,30s. C£ dazu neuerdings Haspelmath 2001. Im einzelnen handelt es sich um Deutsch, Englisch, Niederländisch, Norwegisch, Schwedisch, dann Bretonisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Rumänisch, Sardisch, Spanisch, außerdem Albanisch, Griechisch und Ungarisch, ergänzt um Islän-

55

gegen die Annahme eines Artikelparadigmas: Bestimmter und unbestimmter Artikel treten im Sprachvergleich nur sehr selten gemeinsam auf. Die in unserem Zusammenhang ja zentrale diachronische Perspektive, aber auch der Sprachvergleich, sehen sich immer der Schwierigkeit gegenüber, Artikel von anderen Elementen als eigene Wortart abzugrenzen und insbesondere innerhalb der großen Gruppe der Nominaldeterminanten als eigenständige Kategorie zu identifizieren. 85 Diskutiert wird, neben ihrer Obligatorizität in bestimmten syntaktischen Umgebungen, 86 meist noch ein Kriterium: Artikel treten stets nur in Nominalsyntagmen und niemals alleine auf, und sie besitzen dort eine feste Position. Beobachtungen zu den typischen Kontexten von Artikeln können wertvolle Hinweise liefern für die Einrichtung entsprechender Untersuchungskategorien, deren Analyse es dann erlauben würde, etwa auf den Artikelstatus von uno zu schließen (cf. Kapitel 3.3). Prinzipiell ist aber die Frage, ab wann Nominaldeterminanten Artikelstatus und eine Sprache entsprechend Artikelsprachenstatus besitzen, fast unmöglich mit eindeutigen trennscharfen Kriterien oder Vorkommenshäufigkeiten zu beantworten. Ein wichtiger Indikator für die Grammatikalisierung von Nominaldetermination und die Entstehung einer Artikelkategorie scheint in jedem Falle eine gewisse beobachtbare Regelmäßigkeit in der Determinantenverwendung (Obligatorizität in immer vergleichbaren Kontexten in bestimmten Texten/Textsorten u.ä.) darzustellen. 87 Unbestimmte Artikel aus dem Zahlwort eins sind in der Regel die einzigen Artikel im Bereich der Indefinitheit und im Unterschied zu Numeralia auch nicht (kontrastiv) akzentuierbar. Da Numeralia allerdings nicht akzentuiert sein müssen, bestehen bei Identität des Numerales eins und des unbestimmten Artikels auf der segmentalen Ebene (im Singular) Zweifel hinsichtlich seiner eigenständigen Existenz. 88 Pluralisierbarkeit nach dem (häufigsten) morphologischen Muster für nominalen Plural wie beispielsweise im Spanischen (uno - unos etc.)

8s 86

disch, Irisch, Wallisisch, neben Baskisch, Maltesisch und Bulgarisch mit nur einem bestimmten Artikel; cf. Haspelmath 2001, 1494. Nach Dryer 1989 besitzen nur etwa ein Drittel aller Sprachen einen Artikel und weniger als 8% einen bestimmten und unbestimmten Artikel. Cf. dazu Krämsky 1972,33. Artikel sind in den meisten Artikelsprachen obligatorisch in ganz bestimmten syntaktischen Kontexten: mit Superlativen, mit durch Relativsätze erweiterten Nominalsyntagmen und mit bestimmten Substantivklassen in Argumentpositionen. Große einzelsprachliche Variation besteht demgegenüber im Auftreten von Artikeln mit Eigennamen, in Appositionen und Prädikativen, in Kombination mit Demonstrativa und Possessiva, mit Substantiven im Negationsskopus und in Koordinationen. Zum Argumentbegriff cf. Kapitel 2.4. Cf. genauer Himmelmann 2001, 832. Z u den in den romanischen Sprachen nicht vorkommenden innerphrasalen «linking articles» cf. Himm e l m a n n 2001,834s.

87

88

Cf. Leiss 2000, 69SS., die beispielsweise zeigen kann, daß im Altisländischen und im Gotischen Artikel zwar selten, in ganz bestimmten Kontexten dafür aber durchaus obligatorisch verwendet werden, so daß diesen Sprachen nicht, wie häufig geschehen, der Artikelsprachenstatus aberkannt werden darf. Cf. dazu Kapitel 7.3.

56

gäbe dann etwa einen deutlichen Hinweis auf eine eigenständige Existenz des unbestimmten Artikels, aber auch sein Vorkommen in Kontexten von NichtSpezifizität und Generizität und im Prädikativ, da die explizite Zahlangabe in diesen Kontexten kaum eine Rolle spielen dürfte. Darüberhinaus wäre eine funktionale Abgrenzung der Artikel von anderen Determinanten, 89 und zwar über eine spezifische differierende, am besten komplementäre Distribution von Artikeln und anderen Determinanten, wünschenswert. Gerade für Texte aus Übergangsperioden wie den in der vorliegenden Untersuchung herangezogenen kann eine derartige komplementäre Distribution allerdings sinnvollerweise noch nicht angenommen werden, so daß alle analysierten Elemente und ihr Vorkommen in den Texten zunächst unter der Bezeichnung Nominaldeterminanten (und Pronomina) diskutiert werden, bevor nach der Analyse ihrer Distribution verschiedene Untergruppen innerhalb der indefiniten Nominaldeterminanten identifiziert werden. Bestimmte und unbestimmte Artikel bilden funktional gesehen kein Paradigma. 90 Die explizite Signalisierung von Definitheit ist Aufgabe des bestimmten Artikels, während dem unbestimmten nicht die explizite Signalisierung von Indefinitheit zugeschrieben werden kann - dafür genügt die Abwesenheit eines explizit definit markierten Elementes. Insbesondere die oben kurz dargestellten quantifikationellen Analysen von nominaler (In-)Definitheit bzw. den Artikeln stellen diese einander funktional nicht unmittelbar gegenüber. Daraus und aus der unterschiedlichen Distribution von definiten und indefiniten Nominalsyntagmen im Satz ergibt sich die Annahme, daß definite und indefinite Nominaldeterminanten, also auch bestimmter und unbestimmter Artikel, zwei unterschiedliche Positionen im Nominalsyntagma besetzen. 91 Allerdings haben vor allem textlinguistisch ausgerichtete Arbeiten 92 immer wieder eine Symmetrie von nominaler Definitheit und Indefinitheit bezüglich des textuellen Verhaltens von verschieden determinierten Nominalsyntagmen postuliert. Bestimmter und unbestimmter Artikel bzw. definite und indefinite Nominalsyntagmen stehen funktional überhaupt nur in Bezug auf Texteinführung vs. Textfortführung von Textreferenten in Opposition zueinander, 93 und so sind sie etwa in den

89

Z u r Abgrenzung von Demonstrativa und bestimmten Artikeln in B e z u g auf Hawkins

90

Cf. dazu bereits Moravcsik 1969 und Kapitel 7.3. Cf. dazu kurz zusammengefaßt Lyons 1999,41-45 und 282-321. Z u einem Überblick über weitgehend ältere textlinguistische Aussagen zu den Artikeln cf. Engerer 1992. Cf. so bereits A l o n s o 1951a, 185SS. Ebenfalls in oberflächenstruktureller Ausrichtung analysiert Weinrich 1969 die Funktion des definiten Artikels (im Deutschen, später auch im Französischen) als verweisend auf Vorinformation, also anaphorisch, die des indefiniten Artikels als verweisend auf nachfolgende Information, also kataphorisch. In dieser Sichtweise steuern textinterne Referenzrekurrenzen die Markierungen von Definitheit und Indefinitheit sowie Verfahren der Pronominalisierung. Cf. auch bereits Palek 1968, Isenberg i 9 7 i , C o l e 1973.

1978 cf. H i m m e l m a n n 2001,833SS. 91 92

93

57

Heim'sehen «File Change Semantics» dann ja auch konzipiert. Während definite Nominalsyntagmen (auch) anaphorisch verwendet werden, haben indefinite Nominalsyntagmen ein kataphorisches Potential, sie können in der Regel nicht anaphorisch verwendet werden. Tatsächlich schlägt sich die Erscheinung totaler oder partieller Referenzrekurrenzen im Text, deren Identifikation auch teilweise auf der Bedeutung der Prädikation und auf außersprachlichen Wissensstrukturen beruht, 94 in Sprachen mit grammatikalisierter Nominaldetermination ausdrucksseitig in Artikelselektion und Pronominalisierung nieder. Es handelt sich meist um Beziehungen vollständiger Koreferenz, also den tatsächlichen Bezug auf den gleichen außersprachlichen Referenten,' 5 teilidentische Referenzbeziehungen 96 oder referentielle Beziehungen zwischen den Referenten von Nominalsyntagmen, die in einer Kontiguitätsbeziehung stehen (Rekurrenzen einzelner semantischer Merkmale). 9 7 Insbesondere für den unbestimmten Artikel und sein Bedeutungsspektrum bzw. seine Funktion ist die textuelle Perspektive auch noch in anderer Hinsicht wesentlich. So kann mit einiger Plausibilität angenommen werden, daß indefinite Nominalsyntagmen mit spezifischer Interpretation als in der Textwelt verankert beschreibbar sind.98 In der Tat ist Spezifizität als eine Art des Referenzbezugs wohl ganz generell auch über die diskurssemantische Verankerung als Gegebenheit im weitesten Sinne beschreibbar 99 und zwar anaphorisch über einen

Μ Cf. Bellert 1970, Bosch 1983,1985, Conte 1986 u.a. 95 Ein Mann - der Mann, bei Harweg 1968 «Text-Identitäts-Substitution» oder bei Isenberg 1971 «explizite Referenz». Dies muß nicht unbedingt mit Koindizierung auf der Ebene der logischen Form (cf. Kapitel 2.2) zusammenfallen, cf. etwa Kopulakonstruktionen wie Peter ist ein Schüler, der mich viel Kraft gekostet hat. In den Diskursrepräsentationstheorien führt ein Schüler durch den unbestimmten Artikel automatisch einen neuen Text- bzw. Diskursreferenten ein, obwohl sich in außersprachlicher Hinsicht sowohl Peter als auch ein Schüler auf den gleichen Referenten beziehen. 96 Die Kinder - einige davon. 97 «Text-Kontiguitäts-Substitution» bei Harweg 1968 oder «implizite Referenz» bei Isenberg 1971. Harweg 1968 entwirft insgesamt ein komplexes Modell textinterner «Substitutionsbeziehungen» auf der Basis von totaler oder partieller Koreferenz nominaler Elemente, deren oberflächenstrukturellen Ausdruck er als textkonstitutierende «ununterbrochene syntagmatische Substitution» bezeichnet. Nominalsyntagmen sind danach unterteilbar in «Substituenda», also Ausdrücke, deren Referenz unabhängig vom Vortext feststellbar ist und die andere nicht ersetzen, mit ihnen nicht koreferent sein können (vor allem indefinite Nominalphrasen), und «Substituentia» mit den gegenteiligen Eigenschaften (beispielsweise Personalpronomina als typisch definite Nominalsyntagmen - neben weiteren Unter- und Mischklassen). 98 Cf. etwa Εης 1991, Lavric 2001 oder von Heusinger 2002. s9 Cf. Lavric 2001,191-198. Genauer beschreibt von Heusinger in seinen Arbeiten indefinite Nominalsyntagmen als indizierte Epsilonterme: «a book: ε;Χ [book(x)]», von Heusinger 2002,264, wobei der Epsilonoperator als Auswahlfunktion interpretiert wird, der ein Element einer Menge zuordnet. Indefinita können so einheitlich beschrieben und Spezifizität als «referentielle Verankerung» dargestellt werden, indem der Index des Epsilonoperators als von verschiedenen Diskurselementen gebunden dargestellt wird

58

Bezug zu einem bereits gegebenen Textreferenten und kataphorisch durch die Möglichkeit, an der Spitze einer anaphorischen Kette zu stehen. 100 Nicht alle indefiniten Nominalsyntagmen besitzen ein derartiges kataphorisches Potential: Ihre Referenten können, müssen aber nicht wiederholt bezeichnet werden. Dies ist ein wesentlicher Unterschied in der textuellen Funktionsweise verschieden determinierter indefiniter Nominalsyntagmen und soll, wie im ersten Teil des folgenden Zitates formuliert, an dieser Stelle festgehalten werden: «Kataphorische NPs wären somit in ihrer überwältigenden Mehrzahl indefinit [...]; indefinite NPs wiederum ließen sich rest- und ausnahmslos einteilen in zwei Gruppen: - die kataphorischen, das wären jene indefiniten NPs, deren Referent im Folgetext wiederaufgenommen wird [...]; - und die nicht-kataphorischen, also alle jene indefiniten NPs, bei denen sich die Präsenz des Referenten im Text auf diese eine Nominalphrase beschränkt. O b eine solche Einteilung der indefiniten NPs [...] tatsächlich sinnvoll ist, muß stark bezweifelt werden. Denn schließlich gibt es meines Wissens kein wie immer geartetes linguistisches oder pragmatisches Phänomen, das mit der so verstandenen Opposition Katapher / Nicht-Katapher innerhalb der Gruppe der indefiniten NPs in irgendeiner Form korreliert». 1 0 1

D a ß ganz im Gegenteil zum zweiten Teil des Zitats das kataphorische Potential eines indefiniten Nominalsyntagmas entscheidend mit der Wahl der jeweiligen Determinante korreliert ist (ein eindeutiges «linguistisches Phänomen»), und dies nicht nur in unseren Texten, sondern als allgemeine Regularität bestimmter Sprachstufen bei der Ausbildung von Nominaldetermination als grammatischer Kategorie angenommen werden muß, 102 wird im Verlauf dieser Arbeit gezeigt werden.

2.4

(In-)Definitheit, g r a m m a t i s c h e Struktur und T y p o l o g i e

Nach der funktionalen Diskussion der einzelsprachlichen Kategorie Artikel sollen nun im Sprachvergleich mögliche Positionen und Ausdifferenzierungen des Paradigmas der Nominaldeterminanten und der nominalen Indefinita dargelegt werden. Unser Interesse besteht dabei im Erkennen bestimmter Korrelationen einzelsprachlicher Eigenschaften, das zu einer Typologie von Sprachen nach der Strukturierung ihrer Nominalsyntagmen führen kann. Auf dieser Grundlage sollen schließlich die Unterschiede zwischen dem Lateinischen ohne gramma-

100

101 102

(«William didn 't see a book» wird im spezifischen Fall etwa als «->See(william, ε kerx [book(x)]» oder als «-.See(william, e w U l l a m x [book(x)])», im nicht-spezifischen Fäll als «—>3i See(william), EjX [book(x)])», nach von Heusinger 2002,262, wiedergegeben. Zu diesen Eigenschaften spezifischer indefiniter Nominalsyntagmen cf. Kapitel 2.1.3 und Kapitel 6. Lavric 2001,203, Hervorhebung E.S. Cf. etwa die Beobachtungen von Comrie zum Türkischen und Persischen in Lyons 1999, 204; cf. auch Givon 1995,347SS., der die Gleichung indefinit = kataphorisch ablehnt und auf die komplexe und differenzierte Markierung von wichtigen, topikalen Referenten im Gegensatz zu anderen hinweist.

59

tikalisierte Nominaldetermination und den romanischen Sprachen mit Artikelkategorie herausgearbeitet werden. Wird die explizite Signalisierung von (In-)Definitheit durch sprachliches Material wie Determinanten oder Affixe in der Sprachbeschreibung an eine strukturelle Position gebunden, wie etwa im generativen Rahmen an die Besetzung des funktionalen Kopfes D in der DP,103 die dann eine Nominalphrase als Komplement nimmt,104 setzt sie das Vorhandensein ebendieser strukturellen Position zumindest in den Ausdrücken voraus, die eine solche explizite Signalisierung ihrer (In-)Definitheit benötigen, um in ganz bestimmten Funktionen im Satz und der Verbalphrase auftreten zu können. Zählbare Nominalsyntagmen im Singular etwa benötigen in zahlreichen Sprachen, auch in den romanischen, eine solche explizite Signalisierung ihrer (In-)Definitheit, wenn sie als Argumente105 des Prädikates auftreten, während sie in anderen syntaktischen Funktionen (etwa als Attribute oder Prädikative) ohne eine derartige Markierung auskommen.106 Dieser strukturelle Gegensatz zwischen Nominalsyntagmen in Argumentposition und anderen ist ein Kennzeichen eines Typs von Sprachen, dem andere gegenübergestellt werden können, welche Nominalsyntagmen zum Beispiel ohne feste interne Serialisierung ihrer Elemente und ohne eine eigene strukturelle Position zur expliziten Signalisierung von Definitheit in allen möglichen syntaktischen Funktionen und Positionen zulassen.107 Die Beschreibung der Determinationsverhältnisse im Nominalsyntagma und ihre Interaktion mit anderen grammatischen Phänomenen wie Serialisierung und kategorieller Füllung ganz bestimmter syntaktischer Funktionen erlaubt eine anschauliche Konzeptualisierung der typologischen Veränderungen, die sich in den romanischen Sprachen im Vergleich zum Lateinischen ergeben haben.108 2.4.1 Typologischer Überblick Die Sprachen der Welt können nach mehreren miteinander korrelierenden Eigenschaften ihrer Nominalsyntagmen verschiedenen Typen zugeordnet werden.109 Relevante Eigenschaften in diesem Sinne sind insbesondere die explizite Signalisierung von (In-)Definitheit, zumindest in bestimmten syntaktischen Positionen, Konfigurationalität, die Existenz von Klassifikatoren, von morpho-

103

Oder deren Spezifiziererposition wie nach Lyons 1999. Cf. Lyons 1999, dort insbesondere Kapitel 8. 105 Verstanden als Prädikatargument, dem je eine eindeutige thematische Rolle zugewiesen wird, cf. etwa Haegeman 2 I994,39s. 106 Cf. dazu etwa Longobardi 2001a, Abschnitt 3.2. I0 ? Cf. Gil 1987, Lyons 1999. 108 G a n z ähnlich trägt Lehmann 1 9 9 1 der unterschiedlichen internen Organisation und Linearisierung nominaler Ausdrücke im klassischen Latein und den späteren romanischen Sprachen terminologisch dadurch Rechnung, daß er für das erstere nur von «nominal group», (noch) nicht von «nominal phrase» spricht. 109 S o etwa bei Lyons 1999 in Rekurs auf Gil 1987. Cf. dazu etwa in diesem Sinne auch Chierchia 1998, Longobardi 2001a und Longobardi 2001b. 104

60

logischem Numerus und einer grammatischen Kategorie Zählbarkeit bei Nominalsyntagmen. 110 Sprachen können nominale (In-)Definitheit in bestimmten syntaktischen Positionen immer obligatorisch explizit durch Artikel o.a. markieren (wie Französisch) oder auch nur nominale Definitheit (wie Ungarisch), oder gar keine expliziten obligatorischen Nominaldeterminanten besitzen (wie Japanisch). Nicht alle Sprachen besitzen demnach (In-)Definitheit im Sinne von Identifizierbarkeit qua textueller (Nicht)Gegebenheit als explizit und an vielen Positionen obligatorisch signalisierte Kategorie, welche sich so in den Artikelsprachen als eine grammatische, als ein Grammatikalisierungsergebnis referenzsemantischer Kategorien fassen läßt. 111 Definitheit wird sinnvollerweise als grammatisch-strukturelle Kategorie nur in den Sprachen anzunehmen sein, in denen sie offen markiert werden kann oder muß. Indefinitheit besteht dann entweder im Fehlen von grammatischer Definitheit (zum Beispiel durch Nicht-Besetzung einer bestimmten strukturellen Position, daher sind nicht-determinierte Nominalsyntagmen in Artikelsprachen per default indefinit) oder aber im Besetzen einer anderen strukturellen Position als derjenigen für definite Determinanten. 112 (In-)Definitheit ist so gesehen eine Frage der internen syntaktischen Strukturierung des jeweiligen Nominalsyntagmas und kein semantischer Wert der Nominaldeterminanten selbst." 3 Sprachen, in denen Nominalsyntagmen nie explizit als (in-)definit markiert werden, besitzen in der Regel Numeralklassifikatoren, keine konfigurationale Struktur der Nominalsyntagmen, 114 keinen obligatorisch realisierten morphologischen Numerus und entsprechend auch keine Unterscheidung in zählbare und nicht-zählbare Nominalsyntagmen. Dies konstituiert den Typ I, dem etwa das Japanische angehört, welches außerdem auch keine personale Verbalflexion (Subjekt- oder Objektkongruenz) oder gar Personalpronomina aufweist. Typ II wird

110 111

112 113

114

Cf. dazu kritisch Löbel 1993. Lyons' Grammatikalisierungskonzept ist folgendermaßen skizziert: «It is generally the case that grammatical categories are not direct expressions of the semantic/pragmatic concepts which they can be said to be the grammaticalizations o£ When a concept comes to be represented grammatically it takes on a new life, with the result that the grammatical category created is not limited to expressing that concept. The original concept is likely, however, to continue to be the prototypical value of the grammatical category, so that the category can still be seen as expressing that concept in its central uses. This is what makes it possible to speak of the category as synchronically the grammaticalization of the concept». Lyons 1999,276. Cf. dazu die Diskussion in Lyons 1 9 9 9 , 2 9 8 S S . Wie auch etwa bei Heim 1988 angenommen, cf. Kapitel 2.2. Cf. dazu genauer Lyons 1999,290. Im Sinne einer internen hierarchischen Struktur; alle Arten von Nominalsyntagmen sind also syntaktisch in jeder Position möglich und besitzen daher wahrscheinlich die gleiche nicht-hierarchische syntaktische Struktur, außerdem sind adnominale Determinanten, Quantoren und Adjektive in fast jeder Serialisierung möglich wie nach Herman 1990a beispielsweise im klassischen Latein.

61

durch das (klassische) Latein repräsentiert. Dieses hat keine Kategorie D 1 1 5 im Nominalsyntagma, was daran zu sehen ist, daß Argumentphrasen nicht bezüglich ihrer (In-)Definitheit markiert werden müssen. Es besitzt auch keine Artikel, wohl aber morphologischen Numerus und distinkte Deklinationsklassen, also eine mögliche Signalisierung von Zählbarkeit bzw. genauer von «Nominalklassifikation» im weiteren Sinne," 6 und auch immer definite Personalpronomina bzw. Subjektkongruenz in der Verbalphrase und nicht-obligatorische Subjektpersonalpronomina. 117 Die romanischen Sprachen als Vertreter des Typs III zeichnen sich dagegen durch eine obligatorische Signalisierung der (In-)Definitheit von Nominalsyntagmen in bestimmten syntaktischen Funktionen, konfigurationale Nominalsyntagmen, die weitgehende Abwesenheit von Klassifikatoren und den obligatorischen Ausdruck von Numerus bzw. Zählbarkeit aus, außerdem durch die Existenz von Personalpronomina. Damit haben die romanischen Sprachen gegenüber dem (klassischen) Latein eine neue (funktionale) grammatische Kategorie im Nominalsyntagma ausgebildet, die als Kategorie DllS bezeichnet werden kann und bei komplexen Nominalsyntagmen in der Regel mit der Ausbildung des bestimmtem Artikels einhergeht. 119 Genauer begleitet die Entstehung des bestimmten Artikels 1 2 0 die Entstehung einer funktionalen grammatischen Kategorie D, verstanden als «Definitheit», im Nominalsyntagma, die Argumentphrasen auszeichnet und im definiten Fall zum Beispiel durch den bestimmten Artikel (oder positionsgleiche Demonstrativa etc.) explizit ausgedrückt ist. Demgegenüber geht die (davon unabhängige) Entstehung des unbestimmten Artikels aus dem Numerale 'eins' mit der Entstehung einer anderen funktionalen Kategorie, etwa einer «CardP» 121 oder «NumP», einher. Es entsteht damit ein bestimmter struktureller Ort der nicht-flexivischen Quantifizierung bzw. der Nominalklassifikation, dessen alleinige oberflächenstrukturelle Besetzung durch indefinite Nominaldeterminanten und Quantoren bei Absenz explizit definiter Determinanten Indefinitheit und in

115

116 117

118 119

120

121

Nach A b n e y 1987 «determiner» als Kopf der D P oder nach Lyons 1999 «definiteness». Cf. dazu genauer Kapitel 7. Wobei im Falle eines Nullsubjekts («pro») dieses immer definit ist im Unterschied etwa zum Japanischen. Zur strukturellen und funktionalen Abhängigkeit der Entwicklung von (klitischen) Personalpronomina aus ille und der Entstehung einer Artikelkategorie in den romanischen Sprachen cf. auch Vincent 1997. Cf. etwa Lyons 1999,322SS., und insbesondere Vincent 1997. Cf. dazu genauer Lyons 2000,233-239, und Gil 1987,262s., zu Ausnahmen, Übergangstypen etc. Z u genau diesem Gegensatz zwischen klassisch lateinischer und romanischer NP aus kategorialgrammatischer Sicht cf.Wandruszka 1997,64s. Cf. auch bereits Herman 1990a, der die strengen Reihenfolgebeziehungen in der romanischen N P im Unterschied zu lateinischen Nominalsyntagmen unmittelbar mit der Artikelentstehung und Artikelgrammatikalisierung in Verbindung bringt. Cf. insgesamt Kapitel 7.4. Übereinzelsprachlich bekanntermaßen in der Regel aus Demonstrativa, deren «semantic bleaching» als Grammatikalisierungsteilprozeß also noch nicht allein zur Entstehung der Artikelkategorie als ganzer ausreicht, cf. so etwa Lyons 2000,229. Cf. dazu insbesondere Lyons 1999,330s.

62

erster Linie je nach Art der Determinante oder des Quantors Zählbarkeit oder Nicht-Zählbarkeit signalisiert. Es entsteht allgemein eine intern hierarchisch strukturierte Nominalphrasenstruktur mit Kontiguitäts- und Obligatorizitätsanforderungen an die einzelnen Elemente. Sprachen der Welt unterscheiden sich allgemein nicht nur in den ausdrucksseitigen Mitteln, Nominaldetermination anzuzeigen, sondern auch darin, welche referenzsemantischen und semantischen Kategorien sie in welchen Oppositionen markieren. Wenn Determiniertheit/Indeterminiertheit im Unterschied zu (In-)Definitheit als universale Kategorie angenommen wird, kann diese durch freie Morpheme (oder ein Pol durch freie Morpheme, der andere klitisch), durch klitische Elemente, über die Flexion oder über prosodische Mittel markiert werden. 122 (In-)Definitheit als (Nicht-)Identifizierbarkeit steht dagegen in engem Zusammenhang mit der Serialisierung und muß nicht in allen Sprachen explizit markiert werden. Sprachen können bezüglich der Determiniertheit auch bei der reinen Markierung einer nicht-generischen Referenzart stehenbleiben, ohne weiter nach Gegebenheit oder Neuheit partikulärer Referenten zu differenzieren. Nur in echten Artikelsprachen sollte (In-)Definitheit als grammatisch relevante Kategorie angenommen werden.

2.4.2 Markierungsmöglichkeiten von (Nicht-)Determiniertheit und (In-)Definitheit in der Diachronie Indefinitheit im Sinne von Nicht-Identifizierbarkeit («novelty») kann im Italienischen außer durch den unbestimmten Artikel auch durch andere Nominaldeterminanten oder Pronomina explizit ausgedrückt werden. In vielen Fällen genügt einfach die Abwesenheit explizit definiter Nominaldeterminanten, um ein Nominalsyntagma als indefinit zu markieren: (9) tre uomini (10) i/questi tre uomini

Diese Beispiele zeigen deutlich, daß Abwesenheit definiter Nominaldeterminanten Indefinitheit im Sinne von Nicht-Identifizierbarkeit signalisieren kann und entsprechend auch in unsere Untersuchung miteinbezogen werden muß. 123 Indefinitheit im Sinne einer expliziten Quantifizierungs- oder Klassifizierungsleistung ('eines von den X ' etc.) hängt dagegen mit der Anwesenheit eines quantifizierenden oder klassifizierenden Elementes zusammen. Die Signalisierung von (In-)Definitheit im Sinne von (Nicht-)Identifizierbarkeit qua textueller Bekanntheit/Neuheit muß nicht oder nicht ausschließlich durch Determinanten am

122

123

C t K r ä m s k y 1972. Cf. dazu kritisch die A n m e r k u n g e n in Leiss 2000,199s., die zurecht auf die unstrukturierte Aufzählung bei Krämsky verweist, der jegliche Hierarchisierung und Signalisierung etwaiger Korrelationen zwischen den einzelnen Ausdrucksmitteln der Sprachen fehlt, so daß sie in typologischer Hinsicht also allenfalls als «Rohmaterial» verwendbar ist. Cf. dazu die auf das Englische bezogene Argumentation bei Lyons 1999,33SS.

63

betreffenden Nominalsyntagma selbst erfolgen, und sie kann auch mit weiteren grammatischen Phänomenen neben der hierzu oft genutzten Serialisierung interagieren. Demgegenüber scheint die (In-)Deflnitheit von Verbargumenten, speziell von Objekten, im Sinne von (Nicht-)Inklusivität bzw. (Nicht-)Determiniertheit eine genuine Markierungsleistung der Nominaldeterminanten darzustellen und in diachroner Hinsicht als Erklärungsgrundlage für die Entstehung eines unbestimmten Artikels zu dienen. (Nicht-)Determiniertheit kann in den Sprachen der Welt beispielsweise durch Kasus-Alternanz (häufig Akkusativ oder ein spezieller Objektmarker für definite vs. Partitiv und Abwesenheit eines Objektmarkers für indefinite Objekte wie etwa im Finnischen 124 ) und Aspektmarkierung angezeigt werden, wobei sich die Alternanz in aller Regel auf «Gesamtheit vs. Teilmenge» reduzieren läßt, im Sinne einer quantitativen Opposition.'25 Im Zusammenhang mit der Grammatikalisierung von Nominaldetermination und der Frage nach der Motivation der Entstehung einer grammatischen Kategorie wie derjenigen der Artikel erweist sich die semantische Opposition von Gesamtheit vs. Teilmenge bzw. Konturiertheit vs. Nicht-Konturiertheit als die grundlegende. 126 Diese Opposition kann dabei verstanden werden als Opposition im Bezug auf die gesamte durch das Substantiv denotierte Menge und damit eventuell auch auf das Konzept selbst oder aber auf ein Einzelexemplar aus dieser Menge oder auf einen (bekannten oder unbekannten) Teilausschnitt. 127 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist nun die Hauptargumentation von Elisabeth Leiss in Bezug auf die germanischen Sprachen in die Diskussion miteinzubeziehen: Aus dem Vergleich mit dem artikellosen, aber ein ausgebautes System von Verbalaspekten und morphologischen Kasus 128 besitzenden Russischen mit Artikelsprachen wie dem modernen Standarddeutschen folgert sie, daß die (In-)Definitheitsmarkierung im Sinne einer Determiniertheitsmarkierung des direkten Objektes im Falle des Russischen durch die Aspekt- und Kasusopposition, im Falle des Deutschen durch die Opposition nicht-determiniert - bestimmter Artikel geleistet wird. I2 9 Die Totalität des Vorganges ist einmal am Verb und einmal am Objekt-Nominalsyntagma markiert, so daß in dieser

Cf. dazu Barbera 1999. Cf. auch Lyons 1999,200s. 126 Cf. Leiss 2000,244: «Lexeme wie Haus, Baum oder Bleistift sind dadurch charakterisiert, daß sie den Standpunkt des Betrachters als außerhalb des durch das Vorstellungsbild aufgerufenen Gegenstands lokalisieren. Dadurch wird der Gegenstand als Ganzes wahrnehmbar dargestellt. Das Merkmal der Ganzheit ist mit dem der Konturiertheit eng verbunden». 127 Cf. etwa Leiss 2000,196. 128 Perfektiv - imperfektiv in Kombination mit Akkusativ bzw. perfektiv mit Akkusativ - Genitiv. " 9 Cf. Leiss 2000,12s.: Ich habe Holz gespalten, vs. Ich habe das Holz gespalten. Z u den Verhältnissen im Kasus- und Aspektsystem der germanischen Sprachen, insbesondere zur relevanten Alternanz von Akkusativ und Genitiv und zum früheren germanischen Verbalaspekt cf. genauer Leiss 2000,17-21. 124

125

64

Perspektive Verbalaspekt (kombiniert mit einem hinreichend differenzierten morphologischen Kasussystem) und Nominaldetermination die gleiche Funktion zu erfüllen scheinen:' 30 «Aspekt und Artikel sind Realisierungen ein und derselben grammatischen Funktion. Diese Funktion wird im einen Fall vom Nomen, im anderen Fall vom Verb realisiert, wobei die unmittelbare syntaktische Umgebung von den Deflnitheits- bzw. Aspektualisierungseffekten profitiert. Man könnte diese Funktion wortartenneutral als die grammatische Kategorie der Totalität/Nichttotalität bezeichnen. Ob dieselbe Funktion verbal oder nonverbal realisiert wird, hängt von der unterschiedlichen Setzung der grammatischen Parameter in der jeweiligen Einzelsprache ab. Das Vorhandensein des Artikels oder des Aspekts ist das Ergebnis einer grundlegenden Weichenstellung in einer Sprache, was die Realisierung der Totalität/Nichttotalität betrifft, mit weitreichenden Folgen für den gesamten, darauf basierenden Bau der Grammatik».' 31

Leiss geht bei der Funktionsbestimmung sehr weit insofern, als sie Artikel und Aspekt als die grundlegenden Referenzmittel der menschlichen Sprache ansieht mit der Aufgabe:' 32 «Referenz auf ein TOKEN bzw. ein PERZEPT».'33 Beide leisten eine bestimmte Perspektivierung auf Entitäten oder Ereignisse, wobei zunächst die grundlegende Opposition von «singulär, als Einheit oder Ausschnitt konturiert» und daher referenzfähig' 34 vs. «reines Konzept» durch Determinierung für ersteres (mit dem stets zuerst auftretenden bestimmten Artikel bei Aspekt- und/oder Kasusabbau) markiert wird. Diese Markierung beruht unseres Erachtens auf dem quantifikationellen Aspekt von (In-)Definitheit, und zwar auf dem Merkmal der Inklusivität für definite Determinanten. Genauer verleiht die explizite Determination eines Substantives seinem potentiellen Referenten zunächst immer das Merkmal der Begrenztheit, der Konturiertheit.' 35 Markiert wird laut Leiss zuerst Determiniertheit: «Signalisierung der Transformation eines Konzepts in ein Perzept»,' 36 aus welcher sich Identifizierbarkeit sekundär ergeben kann.' 37 Artikel leisten in diesem Stadium primär die Signalisierung von möglicher Referenz, wobei die tatsächliche Identifikation des gemeinten Referenten erst im Zusammenspiel mit anderen sprachlichen Kategorien (Round Kontext, Attribution, Informationsstruktur) erfolgt.' 38 Für die germanischen Sprachen beobachtet Leiss nun eine zeitliche Koinzidenz von Abbau des Verbalaspekts, Kasusreduktion und Entstehung einer Artikelkategorie, zumindest

•3° Zu einem Überblick über verwandte Ansätze in der theoretischen und typologischen Forschung cf. Leiss 2000,238SS. 131 Leiss 2000,14. 132 C£ Leiss 2000, 250. 133 Leiss 2000,256. 134 Cf. Leiss 2000,254s. 135 Cf. Leiss 2000,202SS. 136 Leiss 2000,265. Perzept ist hier verstehbar als Referent, nicht konkret als wahrnehmbares Objekt - Perzept im Leiss'schen Sinne bezieht sich also durchaus auch auf (aktualisierte) Abstrakta etc. 137 Cf. dazu Leiss 2000,220s. 138 C£ mit recht ähnlicher Argumentation bereits Givon 1978a, 301SS.

65

im Bereich des bestimmten Artikels.139 Leiss

behauptet allgemein, daß D e -

terminanten zunächst immer postverbal beim internen A r g u m e n t zu erwarten sind. S o l l t e n i h r e A n n a h m e n a u f d e n r o m a n i s c h e n B e r e i c h ü b e r t r a g b a r sein, m ü ß t e ein erstes A u f t r e t e n d e r f r ü h e n l a t e i n i s c h e n D e t e r m i n a n t e n ille u n d ipse i m p o s t v e r b a l e n B e r e i c h f e s t g e s t e l l t w e r d e n . 1 4 0 A u c h f ü r u n s e r e T e x t e soll d e r f ü r D e t e r m i n a t i o n b e s o n d e r s r e l e v a n t e p o s t v e r b a l e B e r e i c h bzw. d i e M a r k i e r u n g d e s j e w e i l i g e n i n t e r n e n A r g u m e n t s k o n t i n u i e r l i c h in die U n t e r s u c h u n g e n einbezogen werden. F ü r die r o m a n i s c h e n S p r a c h e n m u ß auf j e d e n Fall s p e z i e l l f ü r d e n B e r e i c h der Indefinitheit eine wichtige E r g ä n z u n g der Leiss'schen Ü b e r l e g u n g e n erfolg e n : D i e K l a s s i f i k a t i o n e i n e s S u b s t a n t i v s bzw. e i n e s N o m i n a l s y n t a g m a s als zählbar o d e r nicht-zählbar

als k o g n i t i v e G r u n d l a g e d e r n o t w e n d i g e n R e f e r e n z f ä h i g -

k e i t ist u n s e r e s E r a c h t e n s in d i e s e m K o n t e x t g r u n d l e g e n d . I n d e n r o m a n i s c h e n S p r a c h e n v e r l i e r t sich i m U n t e r s c h i e d z u d e n g e r m a n i s c h e n S p r a c h e n j a nicht e i n e a s p e k t u e l l e O p p o s i t i o n i m V e r b a l b e r e i c h , 1 4 1 s o n d e r n d a s S y s t e m d e r «nom i n a l e n K l a s s i f i k a t i o n » d u r c h d i e lateinische D e k l i n a t i o n (cf. g e n a u e r K a p i t e l 7). W e n n d e r B e z u g a u f e i n e n V e r t r e t e r b z w . e i n e n M e n g e n a u s s c h n i t t d e r d u r c h das Substantiv denotierten M e n g e von E l e m e n t e n durch eine Nominaldetermin a n t e m a r k i e r t w e r d e n soll ( B e g r e n z t h e i t d e s B e z u g s ) , d e r e n A b w e s e n h e i t d a n n e n t w e d e r d e n B e z u g auf d i e g a n z e M e n g e b z w . nur d a s d u r c h das S u b s t a n t i v

139

•4

141

Z u einer kurzen Zusammenfassung cf. Leiss 2 0 0 0 , 2 3 S S . So tritt im Althochdeutschen eine regelrechte «Artikelexplosion» (Leiss 2 0 0 0 , 1 8 5 ) im Bereich postverbaler (Genitiv-, dann aber auch Akkusativ-) Objekte auf, als das Aspektsystem des Althochdeutschen seine Stabilität verliert (welches Determiniertheit nach perfektiven Verben durch den Akkusativ, Nicht-Determiniertheit dagegen durch den Genitiv anzeigen konnte, während allein die Imperfektivität Nicht-Determiniertheit der Objekte markierte). Es bildet sich ein neues System heraus, in dem der bestimmte Artikel vor einem Akkusativobjekt Begrenztheit, seine Abwesenheit entsprechend Nicht-Begrenztheit und seine Anwesenheit vor einem Genitivobjekt Partitivität, also etwa eine klar begrenzte Teilmenge, signalisiert. Die explizite Partitivität ergibt sich also aus Determination und Kasus im Gegensatz zur Opposition «Begrenztheit - Nicht-Begrenztheit», die nur durch Determination vs. Nicht-Determination markiert wird - eine mögliche Erklärung für den A b b a u des verbalen Genitivs im Deutschen und das Auftreten des unbestimmten Artikels ein (cf. Leiss 2 0 0 0 , 1 9 1 ) , der sich in dieser Perspektive einmal mehr in engem Zusammenhang mit Quantifikation, genauer der Coseriu'schen «Quantifizierung» zeigt (zu einer Ubersicht über die zeitlichen Verhältnisse in den germanischen Sprachen cf. Abraham 1 9 9 7 , 4 7 ) . Dies wird zwar durch die Ergebnisse in Blazer 1 9 7 9 , Renzi 1 9 9 2 (in seinen Beobachtungen zum Artikelgebrauch in der Parodie der Lex Salica; cf. Renzi 1992,171.) und Rosen 1994 bestätigt, durch die Ausführungen in Vincent 1997 und van Kemenade/Vincent 1997 allerdings widerlegt. Nach den Ergebnissen von Selig 1992 tritt ille jedoch im Unterschied zu ipse tatsächlich zunächst eher postverbal mit «definiten Erstnennungen» auf und erhält erst später auch anaphorischen Wert. Z u diesem kritischen Punkt cf. Abraham 1 9 9 7 , 4 3 . Die romanischen Sprachen bewahren ja gerade in narrativen Texten im zentralen System der Vergangenheitstempora durchaus die Aspektopposition perfektiv - imperfektiv, das Italienische etwa in der Opposition passato remoto - imperfetto, was auch in den narrativen und historiographischen Texten unseres Korpus' deutlich vorliegt. Zur stabilen Aspektopposition im Toskanischen cf. auch Ambrosini i 9 6 0 und 2 0 0 0 . 66

denotierte Konzept selbst signalisiert, so genügt im Grunde dafür ja zunächst eine Nominaldeterminante (beispielsweise der Vorläufer des bestimmten Artikels). Dies ist, wie beschrieben, die Markierung von Determiniertheit über die «Umfelder der Rede», die neben Aspekt und Kasus nun auch die ursprünglich deiktischen Nominaldeterminanten ausdrücken können. Das Auftreten des unbestimmten Artikels und später auch des Partitivs ist dagegen unseres Erachtens motiviert durch deren ursprüngliche Quantifizierungsleistung: Der unbestimmte Artikel indiziert durch seine ursprüngliche Bedeutung als Numerale Zählbarkeit (in Opposition zum Partitiv), und damit Konturiertheit, was im zusammenbrechenden Deklinationsparadigma des Lateinischen (dort etwa durch Genus- und Numerusoppositionen) 142 nicht mehr gewährleistet ist. Die explizite Klassifizierung von Nominalsyntagmen bezüglich ihrer Zählbarkeit ist eine neue, mit dem Abbau des lateinischen Deklinationssystems in Verbindung stehende grammatische Kategorie romanischer Nominalsyntagmen. 143 So ist der unbestimmte Artikel weder funktional noch zeitlich mit dem bestimmten Artikel in einem Paradigma unterzubringen - seine Grammatikalisierung erfolgt vielmehr erst, nachdem der bestimmte Artikel seine Determinierungsfunktion regelmäßig ausübt. Verweisen Demonstrativa und spätere definite Artikel auf die «Umfelder der Rede», aus denen sich die Begrenztheit des gemeinten Referenten für den Hörer ergeben können muß, sagt der unbestimmte Artikel in dieser Hinsicht einfach nichts aus. Sekundär kann aus diesen Verhältnissen dann eine semantische Kategorie (In-)Definitheit, wie in den modernen Artikelsprachen beobachtbar und als (Nicht-)Gegebenheit bzw. (Nicht-)Neuheit faßbar wie in D R T und FCS, entstehen. Dies vollzieht sich, wenn auch in klaren Determiniertheits-Umgebungen wie der initialen iopic-Position oder bei anaphorischem Bezug, also redundant in gewisser Hinsicht, der bestimmte Artikel gesetzt wird. In derartigen Umgebungen ist durch informationsstrukturelle Gegebenheiten (der topi'c-Referent ist im unmarkierten Fall eine begrenzte Entität wie auch ein bereits eingeführter Textreferent) die Determiniertheit der betroffenen Nominalsyntagmen sowieso klar. Der Erwerb der informationsstrukturellen Bedeutung «bekannt» durch den bestimmten Artikel hängt außerdem in aller Regel mit einer Verfestigung der Serialisierung zusammen, die dann zur Markierung der syntaktischen Funktionen genutzt wird, was Kasusendungen überflüssig macht. 144 Der unbestimmte Artikel behält in den romanischen Sprachen Französisch und Italienisch dagegen seine ursprüngliche Klassifizierungsfunktion (zählbar) bei, weitet aber seine Verwendungskontexte ebenfalls aus. Nominaldeterminanten leisten also

142

143 144

Cf. dazu Meisterfeld 1998 und 2000 und Kapitel 7. Außerdem verliert sich ja auch der lateinische partitive Genitiv (aquae - de l'eau), der funktional durchaus mit dem neu entstehenden Partitiv im Französischen und Italienischen parallelisiert werden kann. Nach Kupferman 1979,3. Wie Selig 1992 nimmt also auch Leiss 2000 den Verlust der Kasusflexion als Folge der Artikelgrammatikalisierung an und nicht umgekehrt.

67

in unterschiedlichen Stufen ihrer Grammatikalisierung Unterschiedliches: Der bestimmte Artikel hat zu Beginn seines Auftretens den Wert Begrenztheit oder Totalität, 145 später dann erst Bekanntheit im Sinne von «familiarity», womit seine späte bzw. moderne Funktion eher auf der Textbedeutungsebene angesiedelt werden muß. Damit stellen sich die bisher als unvereinbar und relativ unvermittelt nebeneinander stehenden Bedeutungskategorien von (In-)Definitheit in diachroner Perspektive als verbunden heraus, ja als zwei auf- und auseinanderfolgende Stadien der Artikelentstehung bzw. der Grammatikalisierung von Nominaldetermination. Leiss baut auf diesen beiden unterschiedlichen Bedeutungskategorien sogar eine kleine Sprachtypologie auf. Sie unterscheidet «hypodeterminierende» und «hyperdeterminierende» Sprachen, welche beide Nominaldeterminanten aufweisen, sie aber unterschiedlich einsetzen. 146 Während hypodeterminierende Sprachen (Artikel niemals mit generischer Interpretation) eher dem synthetischen Typ mit variabler Verbstellung und informationsstrukturell einsetzbarer Serialisierung angehören und eine weniger stark ausgeprägte Nominal- als vielmehr Verbaldetermination (also Aspekte) haben, liegen die Verhältnisse bei hyperdeterminierenden Sprachen genau umgekehrt. Diese sind eher analytisch, haben eine feste V-2-Stellung, die Serialisierung indiziert syntaktische Funktionen und die Nominaldetermination ist stärker ausgeprägt als die Verbaldetermination (also Artikel, keine Aspekte). 1 4 7 Joseph Greenberg identifiziert 1978 insgesamt drei Stufen der Artikelgrammatikalisierung, bezogen allerdings nur auf den bestimmten Artikel, die an dieser Stelle ebenfalls kurz vorgestellt und im Verlauf der Arbeit auch im Zusammenhang mit der Leiss'schen Typologisierung immer wieder erwähnt werden. In «stage I» besitzt danach der bestimmte Artikel bereits sein anaphorisches Potential wie in den «hyperdeterminierenden Sprachen». Es ist unseres Erachtens durchaus sinnvoll, erst in diesen Sprachen von Artikeln als obligatorischen Elementen zu reden (anders als Leiss), obwohl die «hypodeterminierenden Sprachen» als Vorstufe ja wertvolle Hinweise auf die ursprüngliche Funktion der Nominaldeterminanten liefern. 148 In Greenbergs «stage II» markieren die Artikel partikuläre Referenz, fehlen also in generischen Kontexten, obwohl hier bereits

145 146

147

148

Cf. Leiss 2000,258s. Dies ist nur im Sinn von «Propensitäten, d.h. [von, E.S.] zu spezifischen Kodierungsformen» (Leiss 2000,237s.) zu verstehen. « und lassen sich auch nicht als unterschiedliche Parametersetzungen einordnen. Das zeigt das Beispiel der Kreolsprachen, in denen sich sowohl der Artikel als auch der Aspekt herausgrammatikalisiert [sie!]». Leiss 2000,238. Cf. Leiss 2000, 22ÖSS. Dort findet sich auch die Diskussion um «Sichtbarkeit» oder «Unsichtbarkeit» von sprachlichen Kategorien, auf die im folgenden nicht weiter eingegangen werden soll, die aber durchaus Relevanz für die Zuordnung einer Sprache zum einen oder anderen Typ haben können. Greenberg 1978,62, verweist selbst auf ein den hypodeterminierenden Sprachen ähnliches Vorstadium zu «stage I», in dem Artikel die Klassifikationsaufgaben des früheren Genus zu übernehmen scheinen, was unserer Hauptthese genau entspricht, cf. Kapitel

7· 68

von «hyperdeterminierenden Sprachen» im Leiss'schen Sinne gesprochen werden muß (auch im Prädikativ, in Vokativen etc.), wobei in einem frühen Stadium nur spezifisch interpretierbare Nominalsyntagmen explizit determiniert werden (Determination noch nicht im Negationsskopus), in einem späteren dann auch nicht-spezifisch

interpretierbare. 1 4 ' Determinierte Nominalsyntagmen sind die

Regel, nicht-determinierte die Ausnahme. In «stage III» sind die Artikel schließlich reine Substantivmarker geworden und treten obligatorisch mit allen A r t e n von Substantiven in allen syntaktischen Kontexten und unabhängig von deren Referenzart auf, so daß ihrer A n - und Abwesenheit kein (referenz-)semantischer Wert mehr zugeschrieben werden kann. Beide Typologisierungsansätze stellen den Bereich nominaler Definitheit in den Vordergrund, können aber unseres Erachtens in Teilen durchaus auch auf die Verhältnisse rund um den unbestimmten Artikel bzw. seine Vorläufer übertragen werden. Greenbergs Klassifikation umfaßt dabei eine größere funktionale Bandbreite der Nominaldeterminanten als die Leiss'sche und identifiziert die einzelnen Stadien aufgrund genauer differenzierter syntaktischer Verwendungskontexte. Leiss betont den textuellen Aspekt der Distribution (Vordergrund - Hintergrund), Greenberg den referenzsemantischen (keine Artikel zunächst in nicht-spezifischen,

generischen oder prädikativen Kontexten). Beide Aspekte

sind für uns zentral und sinnvollerweise bei der Untersuchung von Distribution und Funktion nominaler Indefinita zu kombinieren. Daher soll diese grobe Typologisierung von Sprachen aufgrund der Verhältnisse in ihrer Nominaldetermination im folgenden als Folie dienen, vor der das System der alttoskanischen Indefinita beschrieben und bezüglich seiner Grammatikalisierungsstufe verortet werden wird.

Zusammenfassung Bei der Funktionsbeschreibung von Nominaldeterminanten muß zwischen der Bezugnahme auf Entitäten des Textkorrelats, also Referenz, und der Einführung von Textreferenten in derTextwelt als einer semantischen Ebene zwischen Sprache und Welt durch Nominalsyntagmen bzw. deren Determinanten unterschieden werden. Diese zweite Ebene betrifft die Bedeutung eines Nominalsyntagmas, welche seinen deskriptiven Gehalt (Bedeutung des Kernsubstantivs und der Attribute) und die Bedeutung bzw. Funktion seiner Determinanten umfaßt. Nominalsyntagmen sind in Sprachen mit grammatikalisierter Nominaldetermination entweder definit oder indefinit, wobei nominale (In-)Definitheit entweder quantifikationell als Inklusivität vs. Exklusivität oder textuell als (Nicht-)Identifizierbarkeit bzw. «familiarity» vs. «novelty» von Textreferenten bestimmt werden kann.

Cf. G r e e n b e r g 1978, 62SS.

69

Referenzsemantisch muß zwischen Determiniertheit und Nicht-Determiniertheit und entsprechend referentiell vs. nicht-referentiell (etwa bei Coseriu und den Aktualisierungstheorien), dann zwischen generisch (Referenz auf die Gattung) und partikulär (Referenz auf Einzelexemplare oder Teilmengen) und spezifisch und nicht-spezifisch unterschieden werden. (In-)Definitheit ist demgegenüber zu sehen als semantische Eigenschaft von ganzen Nominalsyntagmen, die mit bestimmten morphosyntaktischen Eigenschaften (Art der Determination) einhergeht. Erst auf der Ebene der konkreten einzelsprachlichen Determinanten, insbesondere der Artikel als in bestimmten syntaktischen Umgebungen obligatorisch gewordenen und ortsfesten Determinanten, wird schließlich von bestimmtem vs. unbestimmtem Artikel gesprochen. Strukturell kann für diese Determinanten, einzelsprachlich durchaus unterschiedlich, je eine besondere Position im Nominalsyntagma angenommen werden (etwa der Kopf der D P für den bestimmten, der Kopf einer NumP o.ä. für den unbestimmten Artikel). Lediglich in textlinguistischer Perspektive bilden bestimmter und unbestimmter Artikel ein Paradigma, da sie sich durch ihr anaphorisches («familiarity») bzw. kataphorisches Potential gegenüberstehen. Ansonsten ist die Kategorie der nominalen Indefinitheit in den meisten referenzsemantischen Arbeiten zur Nominaldetermination zumeist negativ bestimmt als Nicht-Inklusivität oder NichtIdentifizierbarkeit. Sprachen unterscheiden sich nach der obligatorischen Determination ihrer Nominalsyntagmen hinsichtlich ihrer (In-)Definitheit, wobei verschiedene Eigenschaften miteinander korreliert sind. In typologischer Hinsicht steht so das Lateinische mit einer Singular-Plural-Unterscheidung, fehlender obligatorischer Nominaldetermination, Nicht-Konfigurationalität und kaum ausgeprägter Zählbarkeitsunterscheidung den romanischen Sprachen mit Singular-PluralUnterscheidung, obligatorischer Nominaldetermination in bestimmten Argumentphrasen, Konfigurationalität und ausgeprägter Zählbarkeitsunterscheidung gegenüber. Diachron ausgerichtete neuere Arbeiten zur Entstehung der grammatischen Kategorie der Nominaldetermination und des Artikels zeigen die besondere Leistung der expliziten Nominaldetermination im Zusammenhang mit dem Verlust anderer grammatischer Kategorien auf (insbesondere des verbalen Aspekts oder der Nominalklassifikation durch eine ausdifferenzierte Deklination) und erlauben es, die Entstehung einer expliziten Nominaldetermination im indefiniten Bereich mit der universalen Notwendigkeit der Quantifizierung bzw. der Kodierung der Apprehension, genauer der Nominalklassifikation insbesondere nach der «Nominalgestalt» der intendierten Referenten, in Verbindung zu bringen. So gesehen geht der quantifikationelle Aspekt der Nominaldetermination nach Definitheit und Indefinitheit ('alle' vs. 'nicht alle, aber einer/einige') dem textuellen (bekannt vs. neu) in diachroner Hinsicht voran. Es muß also unbedingt die Leistung von Nominaldeterminanten in entstehenden Determinationssystemen von der Leistung voll grammatikalisierter definiter und indefiniter Nominaldeterminanten unterschieden werden. Es erweist sich insgesamt, und besonders für diachron ausgerichtete Studien wie die vorliegende, als notwendig, 70

ein einheitliches Konzept von (In-)Definitheit unabhängig von Sprachtyp und Grammatikalisierungsstufe aufzugeben und in der Übergangsphase zwischen hypodeterminierenden und hyperdeterminierenden Sprachen bzw. in einer relativ frühen Phase des Greenbergschen «stage II» die funktionale Ausdifferenzierung des Determinantenparadigmas genau zu untersuchen.

71



Empirische Basis, Untersuchungsgegenstand und Untersuchungskategorien

Nachdem in Kapitel 2 die theoretischen Grundlagen anhand einzelner Beschreibungsansätze zur Erfassung nominaler (In-)Definitheit präsentiert worden sind, sollen nun vor der Präsentation der Ergebnisse die untersuchten Texte, Indefinita und die relevanten Beschreibungskategorien ihrer Distribution im einzelnen vorgestellt werden. Dabei gilt als argumentativer Hintergrund das in Kapitel 1 Gesagte: Primäres Vorkommen menschlicher Sprache ist der Text, 1 und Texte sind qua Generizitätspostulat 2 immer gleichzeitig diskurstraditionell geprägt und Ausdruck individueller Sprachverwendung der Autoren. Erst die Berücksichtigung dieser Tatsachen ermöglicht eine adäquate Interpretation quantitativer Befunde, wie sie in den Folgekapiteln als Basis für Rückschlüsse auf historische einzelsprachliche Bedingungen angeführt werden. Vor allem Daten der älteren Sprachstufen sind immer nur in einzelnen Texten verfügbar und nur als solche verwertbar; Hypothesen auf dieser Datengrundlage bleiben in ihrer Aussagekraft beschränkt, da sie nicht mit der Sprachkompetenz von Muttersprachlern abgeglichen werden können. Das Fehlen von Daten in einem Korpus, die mit angenommenen Entwicklungen möglicherweise inkompatibel sind, sagt außerdem noch nichts über deren (Nicht-)Existenz aus.3 Allerdings können die Übereinstimmung der Datenlage mit deduktiv gewonnenen Annahmen über Entwicklungen oder auch die Übereinstimmung der Daten in mehreren (verwandten) Sprachen und Epochen, schließlich die dokumentierte und aus unabhängigen Gründen theoretisch angenommene Korrelation von zwei oder mehreren Phänomenen in den Korpustexten zur Plausibilität der jeweiligen Hypothesen entscheidend beitragen. 4 Daher werden die gewonnenen Daten sowohl bezüglich ihrer Provenienz und ihrer Kookkurrenz als auch vor dem Hintergrund bereits vorliegender Theorien und Beobachtungen zu Entwicklungen im Bereich der Nominaldetermination (cf. Kapitel 2) genau reflektiert. Das zugrundegelegte Textkorpus aus insgesamt neun Texten der älteren italoromanischen, genauer toskanisch-florentinischen Sprachstufen bis zur ersten Normierungsbemühung mit Pietro Bembos Prose della volgar lingua (1525)

1 2

3 4

Cf. Hartmann 1971. Cf. Stempel 1972. Cf. hierzu insgesamt Barra Jover 2001. Cf. in diesem Sinne etwa Barra Jover 2001,183.

72

enthält nicht nur durchgehend recht umfangreiche Texte (von ca. 30.000 Wörtern im Novellino bis zu fast 500.000 in Villanis Cronica), sondern auch für die italienische Sprachgeschichte fast ausnahmslos zentrale Texte. Diese lassen sich nach Gattung und Entstehungszeit in je drei Textsorten bzw. Textgruppen und je drei Zeiträume einteilen, was eine diachronische Betrachtungsweise des Bereichs nominaler Indefinitheit ebenso ermöglicht wie die Berücksichtigung einer eventuellen Beeinflussung der jeweiligen einzelsprachlichen Befunde durch diskurstraditionelle Faktoren. Ein systematischer Zusammenhang von Gattung/ Textsorte und der Distribution und Funktion der einzelnen Indefinite wird dabei nicht von vorneherein angenommen; das Korpus soll zunächst lediglich den Ansprüchen einer relativ großen und historisch bei aller Konzentration auf die älteren Sprachstufen recht breit gestreuten Datenmenge bei größtmöglicher diatopischer Homogenität und diskurstraditionell einigermaßen repräsentativer Auswahl der Korpustexte genügen, wobei die Historizität von Diskurstraditionen kontinuierlich zu berücksichtigen ist.5

3.1.

Die Texte und die Textsortenproblematik

Die neun der Untersuchung zugrundeliegenden Korpustexte lassen sich in etwa in drei zeitliche Abschnitte einordnen, die insgesamt vom ersten Auftreten elaborierter florentinischer Kunstprosa in der «Ausbauphase I» bis zum Abschluß der «Überdachungsphase I» durch Bembos Prose zu situieren sind.6 Damit wird das im Zentrum des Interesses liegende sprachliche Phänomen, der Ausdruck nominaler Indefinitheit, praktisch vom Beginn seiner schriftlichen Dokumentation an bis zu seiner erstmaligen Normierung bzw. Kodifizierung beobachtet, in enger Korrelation zu den jeweiligen diskurstraditionell relevanten Gegebenheiten und Veränderungen. Die Auswahl der Korpustexte erklärt sich aus dem Bemühen, Techniken der Referentialisierung und Kohärenzherstellung fast von Beginn der Verschriftlichung eines Idioms an in zwar bereits sehr elaborierten, aber noch nicht an expliziten Normierungen orientierten Texten aufzuzeigen. Damit werden funktionale Veränderungen der einzelnen nominalen Indefinite im Vergleich zu ihren lateinischen Etyma bzw. funktional äquivalenten Entsprechungen und ihrem neuitalienischem Wert in einer Zeit beobachtet, die sprachsoziologisch genau an der Schnittstelle der Emanzipation des Italoromanischen vom Lateinischen und seiner Konservierung durch die Festlegung des (literarischen) Standards auf das Altflorentinische mit weitgehender Kontinuität bis zum modernen Standarditalienischen zu situieren ist.7

5 6 7

Cf. dazu insbesondere Oesterreicher 2001b, 1570. Cf. Krefeld 1988 und Kapitel 1.1. Die neun Texte wurden in drei in der Bibliographie angegebenen elektronischen Korpora analysiert, so daß die in den Korpora zugrundegelegten Ausgaben automatisch für die vorliegende Untersuchung herangezogen werden mußten. Eventuelle Eingriffe

73

Die erste Gruppe der Korpustexte stammt aus dem Zeitraum vom Ende des 13. bis Anfang des 14. Jahrhunderts; die drei Texte sind zwischen 1250 und 1350 entstanden {Novellino, Villanis Nuova Cronica, Dantes Convivio). Distanzsprachliche narrative, historiographische und sogar philosophisch-poetologische Sachtexte als Indikatoren eines recht weitgehenden Ausbaus dokumentieren in elaborierter Kunstprosa die erfolgreiche Verschriftlichung des Florentinischen, was für den Novellino noch eingeschränkt, für Dante und auch Villani sicher gilt. Die zweite Gruppe der Texte entsteht in etwa zwischen 1350 und 1450 und liegt damit bereits in der (frühen) «Überdachungsphase I» (vom Ende des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts).8 Es handelt sich um Boccaccios Decameron, Morellis Ricordi und Albertis Libri della famiglia, womit bezüglich ihrer präzisen Entstehungszeit und auch ihrer Wirkungsgeschichte recht unterschiedliche Texte zusammengeschlossen sind, die aber dennoch jeweils als Repräsentanten der drei betrachteten Textsorten und ihres Jahrhunderts gelten können. Vor allem der mit Petrarca erstarkende Humanismus erschwert im Quattrocento die Produktion volkssprachlicher Sachprosa, weshalb mit Morelli und Alberti zwei diskurstraditionell recht eigenständige Texte in diese zweite Gruppe aufgenommen wurden. Der letzte betrachtete Zeitraum erstreckt sich von 1450 bis 1550; in dieser Zeit entstehen Masuccios Novellino, Machiavellis Istorie fiorentine und Bembos Prose. Der Text des Neapolitaners Masuccio belegt, zwar inhaltlich radikalisiert, aber sprachlich und strukturell recht eindeutig dem Modell Boccaccios folgend, die Strahlkraft der Tre Corone im italoromanischen Raum über die geographischen Grenzen der florentinischen Varietät hinaus. Zusammen mit dem Venezianer Bembo ist Masuccio im Unterschied zu den anderen Autoren kein Toskaner, aber sprachlich stark epigonal, wie Bembo (was bei diesem ja Programm ist), so daß die Herkunft dieser beiden die lexikalische und funktionale Ausprägung des Paradigmas der nominalen Indefinita nicht nachweisbar beeinflußt hat. Dies werden auch die Ergebnisse in den einzelnen Kapiteln bestätigen. Die betrachteten drei Zeitabschnitte sind damit zwar jeweils von der Mitte eines Jahrhunderts bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts angesiedelt, erhalten in den Tabellen und der Argumentation aber der Kürze wegen dennoch die etwas ungenauen Bezeichnungen Trecento für den ersten, Quattrocento (abgekürzt: Quattroc) für den zweiten und Cinquecento (abgekürzt: Cinquec) für den dritten Abschnitt. Da in allen drei betrachteten Zeiträumen die narrativen fiktionalen Texte jeweils deutlich früher als die historiographischen und die ex-

der Herausgeber in die Orthographie etc. mußten somit in Kauf genommen werden, um die umfangreichen quantitativen Untersuchungen durchführen zu können. Die fast 9 . 0 0 0 Einzelbelege wurden im Tabellenkalkulationsprogramm L O T U S in eine zweidimensionale Matrix eingetragen, die die unten im einzelnen vorgestellten Untersuchungskategorien enthält. Pro Kategorie wurde das Vorliegen bzw. Fehlen des Merkmals (z.B. Singular) verzeichnet. 8

C f . K r e f e l d 1988,752SS.

74

p o s i t o r i s c h - a r g u m e n t a t i v e n T e x t e e n t s t e h e n , sind d i e s e B e z e i c h n u n g e n lediglich f ü r die N o v e l l e n s a m m l u n g e n e t w a s i r r e f ü h r e n d (das Decameron e t w a in u n s e r e m Quattrocento).

liegt s o

Z u r besseren Übersicht über die zeitliche und

t e x t s o r t e n b e z o g e n e G r u p p i e r u n g d e r K o r p u s t e x t e hier a b s c h l i e ß e n d n o c h m a l s Schaubild i: 1250-1350

1350-1450

1450-1550

Novellensammlungen

II Novellino (anonym), 1280-1300 (27.029 Wörter, 4.599 verschiedene Lemmata)

II Decameron (Giovanni Boccaccio), zum Großteil nach 1348 entstanden (269.588 Wörter, 17.646 verschiedene Lemmata)

II Novellino (Masuccio Salernitano), 1440-1475/76 (135.102 Wörter, 14.100 verschiedene Lemmata)

Historiographische Texte

Nuova Cronica (Giovanni Villani) 1308-1348 (481.607 Wörter, 20.507 verschiedene Lemmata)

Ricordi di Giovanni di Pagolo Morelli (Giovanni Morelli) 1393-1411 (372.628 Wörter)

Istorie fiorentine (Niccolö Machiavelli) I 5 i 9 b i s 1525 (147.424 Wörter, 11.017 verschiedene Lemmata)

Expositorischargumentative Texte (Philosophie, Sprachreflexion, Gesellschaftsbeschreibung und -kritik)

II Convivio (Dante Alighieri) 1304-1307 (73.236 Wörter, 6.731 verschiedene Lemmata)

I Libri dellafamiglia (Leon Battista Alberti) die ersten drei 1433/34 in Rom, das letzte Buch 1436/37 oder 1440 entstanden, 1475/1476 endgültig zusammengestellt 9 ( I i 8.638 Wörter, 13.190 verschiedene Lemmata)

Prose della volgar lingua (Pietro Bembo) entstanden spätestens ab 1512, erschienen 1525 (67.590 Wörter, 6.789 verschiedene Lemmata)

Schaubild i: Die untersuchten Texte

N a c h d e m die z e i t l i c h e G r u p p i e r u n g ( h o r i z o n t a l ) d e r K o r p u s t e x t e b e r e i t s e r l ä u tert w u r d e , w i r d n u n ihre t e x t s o r t e n b a s i e r t e G r u p p i e r u n g ( v e r t i k a l ) d a r g e l e g t . E i n e U n t e r s u c h u n g e i n z e l s p r a c h l i c h - s t r u k t u r e l l e r G e g e b e n h e i t e n , die orientiert ist a n D i s k u r s t r a d i t i o n e n o d e r T e x t s o r t e n , e r w e i s t sich g e r a d e b e i diac h r o n i s c h e n F r a g e s t e l l u n g e n als ä u ß e r s t sinnvoll, d a d i e V e r f a s s e r v o n T e x t e n in d e r F r ü h z e i t d e r r o m a n i s c h e n S c h r i f t l i c h k e i t sich e h e r als P r a k t i k e r e i n e r D i s -

9

Zur Zeit des Humanismus fehlen in Italien weitgehend wichtige expositorische Texte in der Volkssprache, daher ist in dieser Textsorte eine Lücke für die Zeit von 1350 bis 1450 zu verzeichnen; immerhin liegen zwischen Alberti und Bembo noch weitere 50-75 Jahre. Cf. Petronio 1992,180. 75

kurstradition denn als Schreiber einer bestimmten historischen Sprachvarietät begriffen haben. 10 Verschiedene diachron angelegte Studien zur Entstehung und Entwicklung grammatischer Kategorien in frühen romanischen Texten zeigen immer wieder die entscheidende Relevanz diskurstraditioneller Faktoren. 11 Auf der anderen Seite stellt gerade das sinnvolle Gruppieren einzelner Texte mit großer historischer Distanz zur Gegenwart eine außerordentliche Schwierigkeit dar, 12 abgesehen von der kontroversen Diskussion um die Existenz und Klassifikation von Textsorten in der Sprachwissenschaft' 3 überhaupt. Nicht nur die Abwesenheit zeitgenössischer Klassifikationsvorschläge, sondern auch die aus moderner Perspektive extreme Mischung von Wirkintentionen und Darstellungsformen, ganz abgesehen von inhaltlicher Heterogenität (prodesse und delectare, didaktische Ansprüche auch in völlig fiktiven, bisweilen frivolen Texten, Vers neben Prosa etc.), 14 machen Klassifikationsanstrengungen, die sich an existierenden Gattungs- oder Textsortenmodellen orientieren, fast unmöglich. 15 Z u beachten ist außerdem die Tatsache, daß exemplarische Texte zwar eine j ahrhundertelange Wirkung haben können, aber keine eigene Gattungstradition begründen und alleine stehen bleiben können (berühmtestes Beispiel ist wohl Dantes Commedia). Diskurstraditionen existieren auf verschiedenen Ebenen menschlicher Sprechtätigkeit, zunächst einmal als Klassen von Textgattungen («Diskursuniversen» wie z.B. Literatur, Wissenschaft etc.) - gerade diese sind nun aber im Mittelalter noch nicht deutlich getrennt, insbesondere nicht im Bewußtsein der Schreiber. Weiterhin sind Diskurstraditionen präsent als Textgattungen selbst, einmal als «klassifikatorische Konstrukte» (Textsorten),dann auch als «historisch beschreibbare, im Bewußtsein der Sprecher/Schreiber verankerte Normen». 16 Diskurstraditionen umfassen schließlich auch einzelne Sprechakte, Sprechaktfolgen oder Formeln als konventionalisierte Versatzstücke einzelner Textsorten (Es war einmal..., avenne che etc.). In einer anderen Perspektive sind Diskurstraditionen selbst stets komposit. 17 Wolf-Dieter Stempel spricht statt von Textsorten als Klassifikationsziel und -einheit sprachwissenschaftlicher Beschreibung von Texten und Diskursen daher allenfalls von Komponentensorten, deren Ausprägung und Kombinations-

10 11

12

13

14 15

16 17

Cf. dazu K o c h 1988b, 343. So etwa Jacob 2001,170: «El g e n e r o y su constelaciön discursiva tienen mäs incidencia en el empleo de una forma que el mero factor cronologico [...] D e esta manera se deprende que el estudio empirico de la evolucion gramatical debe tener en cuenta la situation pragmätica de cada g i n e r o y cada texto». Z u m Problem der Gattungsbestimmung und -Identifikation gerade im romanischen Mittelalter cf. allgemein Jauss 1972. Cf. dazu die Beiträge in Gülich/Raible 1972, Gülich/Raible 1975 sowie die entsprechenden Abschnitte in Vater 1992, Kapitel 5. Cf. dazu im einzelnen Jauss 1972,108s. Z u r Gattungsproblematik im romanischen Mittelalter und den Gattungsbezeichnungen cf. auch Frank 1997 und Selig 1997. Cf. Wilhelm 2001,468s. Cf. Oesterreicher 1998 in einem Rückgriff auf Stempel 1972.

76

möglichkeit historisch-traditionelle Fakten und damit wandelbar sind und vor allem verschiedene Varianten von Textklassifikationen zulassen je nachdem, welche Komponente(nsorte) für die jeweilige Klassifikation dominant herangezogen wird: «Anstatt von Textsorten ist daher zunächst von Text- bzw. Kommunikationsfcomponentensorten zu reden, die durch Kombination Textsorten konstituieren können und sich im Einzeltext manifestieren. [...] Von hier aus gesehen lassen sich Textsorten als historisch festgelegte, konventionalisierte Verbindungen von Komponentensorten begreifen, die über die jeweilige Textsorte hinausreichen und somit verschiedene und verschieden weit reichende Anschlußmöglichkeiten im Rahmen eines historischen Inventars von Textsorten aufweisen. Es ist darum auch möglich, unterschiedliche Textsorten auf Grund gleicher Komponenten zusammenzuordnen, ein Unternehmen, das freilich, um sinnvoll zu sein, Einsicht in die Relevanz des betreffenden Kriteriums innerhalb der Hierarchie der Komponenten voraussetzt».' 8

Wesentliche Komponentensorten sind nach Stempel etwa Komponenten der Rezeption, verschiedene Darstellungsformen (direkte Rede vs. Erzählerbericht u.ä.), 1 ' auch einzelne Formeln und Sprechakte, weniger der jeweilige Textgegenstand, 20 also Komponenten der Textpragmatik und Textsyntax, weniger der Textsemantik oder -thematik.21 Ganz ähnlich etwa Friedemann Lux: «Formal läßt sich eine Textsorte beschreiben als eine Kombination von Merkmalen [...] aus Klassifikationsdimensionen, die nach den drei semiotischen Grundaspekten des Textes (Abbildung von Welt, kommunikative Funktion, Eigenstruktur) gruppiert sind».22

Textklassifikationskriterien im Sinne der Stempel'schen Komponentensorten werden idealiter nach dem jeweiligen Ziel der Klassifikation ausgewählt, wenn ihre Relevanz für das jeweilige Beschreibungsziel bzw. die Relevanz der einzelsprachlichen Erscheinungen für die Text(sorten)klassifikation plausibel gemacht werden kann. Dieses nur auf den ersten Blick zirkuläre Vorgehen erscheint zunächst problematisch, erweist sich aber gerade für Texte der älteren Sprachstufe mit äußerst wandelbaren Gattungskonstellationen als sinnvoll und möglicherweise einzig gangbar.2^ Für die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehende Kategorie der Referentialisierung in Texten und der Einführung und Wiederaufnahme zentraler, aber auch marginaler Textreferenten, wird nun angenommen, daß sie in enger Verbindung zur «Gesamtvorstellung», der «komplexen Informationsstruktur [...], die in einer bestimmten Kommunikationssituation für eine bestimmte Zuhörerschaft sprachlich vermittelt werden soll»,24 und zur kommunikativen

18

20

Stempel 1972,176SS., Hervorhebungen im Text. Cf. Stempel 1972,176. C£ Stempel 1972,177.

21

Z u dieser prinzipiellen Gliederung textueller Aspekte cf. Stark 2001a.

22

Lux

23

Z u m Gattungswandel cf. im einzelnen Wilhelm 2001,471SS., cf. auch bereits Stempel

24

Klein/von Stutterheim 1992,67; «Gesamtvorstellung» bleibt ein vager Terminus und

1981,273.

1972,178s.

77

Funktion von Texten (Textpragmatik) stehen. Es existieren also unterschiedliche Typen «referentieller Bewegung», welche wiederum die «Eigenstruktur» des Textes, also seine interne Syntax, prägen. 2 5 D i e Klassifikationskriterien der in einem Text enthaltenen «Gesamtvorstellung»,

also seiner hauptsächlichen

inhaltlichen Komponenten und ihrer Anordnung, dann der Modalität der Themenbehandlung

und der Funktion des Textes im Kommunikationsprozeß nach

E g o n Werlich 26 und die Eigenstruktur des Textes (also Kategorien der Sprechsituation, Erzählhaltung, Darstellungsformen 2 7 , Vers- und Prosaanteile, die in Texten eng mit «Hauptstruktur», dem Vordergrund, und «Nebenstruktur», dem Hintergrund 2 8 , erläuternden Beschreibungen, untergeordneten Sprechakten etc., korrelieren) werden daher zur Klassifikation der neun untersuchten Texte unseres Korpus herangezogen. Damit sind der Klassifikation sowohl textinterne (inhaltsseitig: Textgegenstand, Textthematik und Modalität der Themenbehandlung, und ausdrucksseitig: Eigenstruktur, also Textsyntax) als auch textexterne Klassifikationskriterien (kommunikative Funktion, Textpragmatik) zugrundegelegt. Werlich unterscheidet fünf Texttypen 2 9 in A b h ä n g i g k e i t von der M o d a lität der Themenbehandlung und der v o m Sprecher intendierten Modalität der R e z e p t i o n durch den Hörer, nämlich deskriptiv, narrativ, expositorisch, argumentativ und instruktiv. 30 Diese Klassifikation ist zwar etwas einseitig produzentenorientiert und integriert die Rezipientenerwartungen nur ungenügend; dennoch eignet sie sich gut zur Kategorisierung der recht heterogenen Korpustexte nach textinternen Kriterien, welche der Analyse leichter zugänglich sind als

umfaßt die Gesamtheit der inhaltlichen Komponenten eines Textes, aber auch deren Anordnung und funktionale Bezogenheit aufeinander wie z.B. die einzelnen Argumentationsschritte in einem Gerichtsurteil in Bezug auf den vorher geschilderten Tatbestand u.a. Textgegenstand und kommunikative Funktion des Textes sind sinnvollerweise nicht ganz getrennt zu betrachten, ähnlich wie bei Werlich 1975, da die Modalität der Darstellung eines Sachverhaltes je nach Charakter des Sachverhaltes mit je unterschiedlichen kommunikativen Zwecken korreliert. 25 Cf. dazu genauer Klein/von Stutterheim 1992,81-90. 26 Zur wiederholten und theoretisch sicherlich berechtigten Kritik an einer hauptsächlich auf kognitiven Fähigkeiten basierten Texttypologie cf. bereits D e Beaugrande/Dressler 1981 und Sabatini 1999,142; Werlich 1975 beruft sich in der Tat auf eine an mentalen menschlichen Fähigkeiten ausgerichtete Klassifikation seiner fünf Texttypen, was nicht näher diskutiert werden soll. Zur funktionalen Klassifikation unserer Korpustexte eignen sich seine fünf Typen unabhängig von ihrer theoretischen Fundierung, was im folgenden gezeigt wird. 27 Cf. dazu Stanzel "1987. 28 Cf. dazu bereits Weinrich 1964, dann systematisch Hopper 1979. Zur Ausweitung der ursprünglich rein narrativen «Vordergrund-Hintergrund-Unterscheidung» auf verschiedene Textsorten cf. Klein/von Stutterheim 1992,72SS. 29 Eine der eigentlichen Textsortenklassifizierung übergeordnete Ebene, vergleichbar etwa den pragmatisch fundierten Brinker'schen «Grundtypen thematischer Entfaltung» in Brinker 1985. 30 Nicht diskutiert wird im folgenden die problematische Kategorie der vermeintlich eindeutig typenindizierenden «thematischen Textbasis» und die Bedingtheit der fünf Texttypen durch angenommene grundlegende arttypische kognitive Prozesse, cf. Werlich 1975,28ss. und 39-43.

78

die tatsächlichen pragmatischen Umstände der jeweiligen Textproduktion und -rezeption. 3 ' Deskriptive Texte nach Werlich zeichnen sich durch eine dominant lokale Textstrukturierung aus (z.B. eine Landschaftsbeschreibung), narrative durch eine dominant temporale (z.B. eine Erzählung), expositorische durch eine dominant analytische (explizit explikatorische Sequenzen wie in Lehrbüchern), argumentative durch eine dominant dialektische (die Relationen zwischen Konzepten kontrastiv problematisierend wie in wissenschaftlichen Abhandlungen) und instruktive schließlich durch eine dominant enumerative Textstrukturierung (eine Aneinanderreihung von einzelnen Handlungsanweisungen wie in Kochrezepten). Die neun Korpustexte werden im folgenden vor allem aufgrund ihrer Zuordnung zu den Werlich'sehen Texttypen in drei nun näher erläuterte Gruppen zusammengefaßt und im einzelnen vorgestellt. Bezüglich ihrer oberflächenstrukturellen Vertextung sind alle neun Texte hauptsächlich Prosatexte, die allerdings in unterschiedlichem Ausmaß Passagen in gebundener Rede enthalten (vor allem natürlich das Convivio, aber auch das Decameron). Vorkommen von Indefinita in gebundener Rede sind in der vorliegenden Untersuchung prinzipiell nicht berücksichtigt worden, um eine etwaige Beeinflussung ihrer Distribution durch Reim oder Versmaß auszuschließen. 32 Ähnliches gilt für Passagen «wiederholter Rede»; vor allem Bembo belegt seine Ausführungen in den Prose häufig mit Zitaten aus Petrarca oder Boccaccio, die nicht in die Statistik eingeflossen sind, aber gegebenenfalls einzeln diskutiert werden (etwa um Bembos metasprachliche Argumentation nachzuzeichnen und zu kommentieren).

3. ι. ι Narrative Texte I: Die Novellensammlungen Die dargestellte Gesamtvorstellung in den drei analysierten Novellensammlungen 33 ist im eigentlichen Sinne keine geschlossene; es geht ja um einzelne Erzählungen verschiedener herausragender Ereignisse ohne Postulat der tatsächlichen Existenz des Dargestellten (Fiktion), mit (Decameron) oder ohne Rahmenhandlung (anonymer Novellino und Novellino von Masuccio). Die Modalität der Themenbehandlung ist dagegen eindeutig narrativ, mit seltenen expositorischen oder gar argumentativ-instruktiven Passagen (etwa der Autorenrede in Prolog und Epilog oder moralisierenden Kommentaren). Bezüglich ihrer Eigenstruktur bieten alle drei Novellensammlungen die typisch narrative Folge von Erzählerbericht (auktorialer Er-Erzähler bzw. einzelne von einem der-

31 32

33

Cf. dazu Oesterreicher 1998. Cf. hierzu auch die bekannte Tatsache, daß innerhalb der Romania gerade die italienische Versdichtung auch in einzelsprachlich-varietätenlinguistischer Hinsicht sprachstrukturelle und lexikalische Besonderheiten aufweist, cf. z.B. Wilhelm 2001,473. Z u m Novellenbegriff und zur Novelle im romanischen Mittelalter cf. Jacobs/Gier 1991.

79

artigen eingeführte Erzählerfiguren im Decameron) und szenischer Darstellung mit (meist dialogischer) Personenrede. Die früheste florentinische, anonym verfaßte Novellensammlung ist der Novellino oder Libro di novelle e di bei parlar gentile (so der Titel der ältesten Handschrift, um 1300, im Kern sind die Novellen wohl 1280-1300 entstanden) oder Le cento novelle antiche (Titel der Erstedition 1525), eine Sammlung von 99 meist kurzen Erzählungen zahlreicher Subgattungen (Exempel, Vita, Legende etc.) und einem Proemio mit dem Ziel des delectare, bei immer vorhandener und explizit thematisierter didaktischer Intention 34 (Umfang: 27.029 Wörter, 4.599 verschiedene Lemmata). Hauptsächlich dient der Novellino wohl zur Unterhaltung eines profanen, wahrscheinlich höfischen Publikums, aber auch von Kaufleuten, Händlern etc.35 Die Quellen der einzelnen Novellen sind recht heterogen: klassisch-lateinisch, mittellateinisch, provenzalisch, hauptsächlich französisch, sicher z.T. auch mündlich überliefert, aus unterschiedlichsten Textsorten: antike Biographien, fabliaux, vidas, dem höfischen Roman, der äsopischen Fabel etc. 36 Thematisch werden zufällige Begegnungen unter Adligen, geistreiche Bemerkungen, Liebesabenteuer, Abenteuer verschiedenster Art aneinandergereiht. So kann die Novellensammlung inhaltlich durchaus als summa der bevorzugten zeitgenössischen erzählerischen Themen gesehen werden, wobei sich die einzelnen Erzählungen in der Regel durch ihre Kürze auszeichnen. Der Novellino ist im Florentiner Dialekt verfaßt und hatte insgesamt entscheidenden Einfluß auf die nachfolgende abendländische Novellistik, weit über den italoromanischen Raum hinaus.37 Bezüglich Gesamtvorstellung, Modalität der Themenbehandlung und Eigenstruktur gilt das für alle drei Novellensammlungen Festgestellte, wobei der Novellino der weitaus kürzeste aller analysierten Texte und relativ arm an szenischer Darstellung (Personenrede, Dialogen) ist. Für alle Zeiten modellbildend geworden ist das Decameron (hauptsächlich ab 1348 verfaßt, Erstdruck 1471) von Giovanni Boccaccio (1313-1375), eine Sammlung von 100 Novellen, eingebettet in eine Rahmenhandlung und eingerahmt von Prolog und Epilog (Umfang: 269.588 Wörter, 17.646 verschiedene Lemmata, also etwa zehnmal so groß wie der anonyme Novellino und doppelt so umfangreich wie Masuccios Novellino). Die Themenbereiche, die Boccaccio präsentiert, umfassen alle Aspekte menschlichen Lebens, insbesondere Glück und Unglück, Amouren, Anekdoten um Ingeniosität und Täuschung, in einer bereits nachmittelalterlichen Abkehr von moralisierenden Tendenzen, obwohl das Bemühen, möglichst viele Aspekte zeitgenössischen und vergangenen Erzählens und Wissens systematisch zu erfassen, scheinbar noch auf die mittelalterliche

34

Cf. dazu im einzelnen vor allem das Proemio, cf. dazu Marti 1987,603, cf. auch Petronio

35

Wie der Einleitung zur ersten Novelle zu entnehmen, cf. Petronio 1992,56. Zur Überlieferungsgeschichte im einzelnen cf. Jacobs/Gier 1991,107s. Cf. Jacobs/Gier 1991,112.

1992,57· 36 37

80

Neigung zum (belehrenden) Kompendium verweist,38 ähnlich wie im Novellino oder auch im Convivio. Vor allem die erstmals vollendet durchgeführte konsequente Entfaltung der Rahmenhandlung und das sich daraus ergebende Spiel unterschiedlicher Sprech- und Erzählsituationen und Darstellungsperspektiven machen das Decameron zu einem Erzählmodell für Generationen nachfolgender Autoren, nicht nur in Italien. Die Hypotexte zu den einzelnen novelle, die wiederum ein auch die einzelnen Ursprungsgattungen betreffendes breites Spektrum von Anekdoten, Viten, Exempla etc. umfassen, liegen teilweise in arabisch-orientalischen Erzählungen, vor allem aber in mittelalterlicher narrativer und religiöser Literatur vornehmlich lateinischer, französischer oder okzitanischer Sprache.39 Insgesamt steht hier eindeutig bereits ein stark ästhetisiertes delectare im Vordergrund, möglicherweise als «einzig verbleibende funktionale Dimension» des Decameron.4° Ohne jeden Zweifel unterschreiben kann man auch das Urteil Giuseppe Petronios, wonach im Decameron «die allmähliche Herausbildung einer italienischen Kunstprosa im 13. und 14. Jahrhundert zu einem vorläufigen Abschluß» 4 ' kommt. Daher muß unbedingt die stark distanzsprachliche und außerdem latinisierende Tendenz seiner Syntax, vor allem was die Serialisierung der Satzglieder und überhaupt die Komplexität der Perioden angeht, berücksichtigt werden. Erkenntnisse über die Distribution und Funktion der einzelnen Indefinita im Decameron sind mit diesen Einschränkungen zu betrachten und zunächst ohne jeden Rückschluß auf die Verhältnisse im Bereich der damaligen florentinischen Nähesprache zu interpretieren. Wie bei den anderen analysierten Texten werden in der Untersuchung ausschließlich die Prosapassagen berücksichtigt. Auch das Decameron ist bezüglich der Modalität der Themenbehandlung ein eindeutig narrativer Text; dabei müssen für die zugrundeliegende Gesamtvorstellung die oben erwähnte außerordentliche Breite narrativer Stoffe beachtet werden und die durch die Eigenstruktur signalisierte radikale Ästhetisierung. Die Eigenstruktur des Textes wird geprägt durch die gestaffelte Erzählsituation durch die Rahmenhandlung (relativ großer Anteil von szenischer Darstellung und Personenrede); außerdem enthält das Decameron lyrische Anteile (ballate) und argumentative Autorenrede in Prolog und Epilog sowie in der Einleitung zum vierten Tag in der ersten Person. In der zweiten Hälfte des Quattrocento tritt mit Masuccio Salernitano (eigentlich: Tommaso Guardati, 1410-1475) der Verfasser der wichtigsten Novellensammlung des volkssprachlichen Humanismus in Neapel auf. Mit seinem Novellino legt er fünfzig Novellen vor, die wohl ab 1440 verfaßt und 1475-76 untereinander verbunden wurden (Erstdruck 1476). Das Werk ist ähnlich wie das Decameron thematisch gegliedert (in fünf Teile: üble Gewohnheiten der

38 39 40 41

Cf. dazu etwa Küpper 1 9 9 3 , 5 6 S S . Zum Decameron als gattungsbegründend cf. auch Jauss 1972,123. Küpper 1993, 79; cf. zu seiner Deutung der Gesamtstruktur und insbesondere der Autorenrede in der «conclusione dell'autore» Küpper 1 9 9 3 , 7 8 S S . Petronio 1992,141.

81

Kleriker, Streiche gegen Eifersüchtige, Fehler der Frauen, Tragisches und Komisches, Lob der Fürsten) und mit Vorreden und Widmungen und am Ende moralischen Kommentaren versehen (Umfang: 135.102 Wörter, 14.100 verschiedene Lemmata). Sprachlich mischen sich neapolitanische Lexikoneinheiten mit einer ansonsten recht reinen toskanischen und stellenweise etwas latinisierenden Morphologie und Syntax. Stilistisch ist der Einfluß Boccaccios unmittelbar spürbar. Trotz der meridionalen Herkunft Masuccios weichen Form und Distribution der einzelnen Indefinita nicht signifikant von den anderen Texten ab, so daß sein Novellino die Reihe florentinischer Novellensammlungen bezüglich dieses sprachlichen Aspektes problemlos abschließen kann. Inhaltlich ist Masuccios Novellino stark an Boccaccios Decameron angelehnt, allerdings werden die einzelnen Episoden sehr viel drastischer geschildert und gewertet. Dies kommt vor allem in der Polemik gegen den Klerus und in einer dezidiert misogynen Haltung zum Ausdruck. Die Modalität der Themenbehandlung bleibt auch hier narrativ, stark an Boccaccio angelehnt. Die Eigenstruktur des Textes stellt sich wieder als Wechsel aus Erzählerbericht (auktorialer Erzähler) und szenischer Darstellung (Personenrede) und auktorialen Kommentaren dar.

3.1.2 Narrative Texte II: Die historiographischen Texte Nach ihrer Thematik lassen sich Villanis Cronica, Morellis Ricordi und Machiavellis Istorie fiorentine alle in die Gruppe der im weiteren Sinne historiographischen Texte einordnen. 42 Die Gesamtvorstellung der historiographischen Texte betrifft Ausschnitte aus der historischen Realität der Autoren bzw. aus der Geschichte der Menschheit und, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, ihrer Stadt, Florenz. Die Historiographie der Stadt Florenz, die Giovanni Villani (ca. 1276-1348) und Niccolö Machiavelli (1469-1527) explizit und Giovanni di Pagolo Morelli (1371-1444) eher implizit (zumindest derTitelgebung nach) leisten, spielt für die politische wie literarische Geschichte Italiens eine zentrale Rolle. 43 Die Kernsubstantive derTextbenennungen weisen dabei auf strukturell-formale und funktionale Unterschiede hin, auf unterschiedliche Rezeptionsmodalitäten und Verbindungen zu unterschiedlichen Diskurstraditionen - von der mittelalterlichen Chronik 44 (Cronica) über die kaufmännische Memoirenliteratur (Ricordi) bis zur expliziten und auch inhaltlich schon deutlich neuzeitlichen Historiographie (Istorie) 45 Die Modalität der Themenbehandlung ist bei allen drei Texten dominant narrativ; allerdings sind insbesondere bei Morelli und

Zum Begriff der Historiographie cf. Gumbrecht 1986 und Rüsen 1986, der Historiographie in Bezugnahme auf Gumbrecht 1986 als «narrative Verflüssigung monothetischen Wissens über die Vergangenheit in polythetische Prozesse des Erzählens, in denen die Vergangenheit zur Gegenwart wird» definiert, Rüsen 1986,41. 43 Cf. hierzu die einleitenden Bemerkungen bei Link-Heer 1987,1068s. 44 Z u m Verhältnis von Vers und Prosa und dem Zusammenhang mit dem Authentizitätsanspruch in der mittelalterlichen französischen Historiographie cf. Stempel 1987. 45 Cf. dazu die Bemerkungen bei Ferroni 1991, vol. 2,56s. 42

82

Machiavelli auch argumentative Anteile zu konstatieren. Die Eigenstruktur der Texte prägt fast durchgehend der Erzählerbericht (auktorialer Ich-Erzähler, der mehr oder weniger stark hinter das Berichtete zurücktritt), selten durchsetzt mit Personenrede. Zentraler historiographischerText des Trecento ist Giovanni Villanis Nuova Cronica (1308-1348). Diese Cronica ist in erster Linie, auch in ihrer anhaltenden Nachwirkung als erste umfassende Chronik von Florenz im volgare,46 eine Stadtchronik Florenz', auch und gerade weil sie als Weltchronik angelegt ist und «christliche und heidnische Mythologie, Turmbau zu Babel, Trojastoff, matieres de Bretagne, karolingische[n] Sagenkreis, astrologisches, geographisches und anderes zeitgenössisches Wissen zu einer großen Kompilation»47 zusammenfügt (Umfang: 481.607 Wörter, 20.507 verschiedene Lemmata, damit der weitaus umfangreichste Text des Korpus'). Florenz wird bei Villani genealogisch als Tochter Roms etabliert, woraus sich seine besondere fama ableitet. Neben der Erzählung in «universalistisch-christlich-'mittelalterliche[m]' Grundton» 48 etwa von religiösen Mirakeln und Legenden (insbesondere in den ersten sechs Büchern vom Turmbau zu Babel bis zum Ende der italienischen Stauferherrschaft 1265) liefert Villani eine erstaunlich modern-realistisch anmutende Schilderung des Florenz' seiner Zeit, mit großem Detailreichtum, auch in den statistischen Angaben über Einwohnerzahlen, den Haushalt der Stadt etc. (vor allem in den zweiten sechs Büchern, die die Florenzer Stadtgeschichte bis zum Tode Villanis berichten).49 Dabei bleibt er im Ganzen noch in der mittelalterlichen Aneinanderreihung einzelner als kontingent erlebter Ereignisse verhaftet. Villanis Chronik entspricht den eingangs festgestellten Merkmalen dieser Textgruppe bezüglich Gesamtvorstellung (die weitaus umfassendste), Modalität der Themenbehandlung (narrativ) und Eigenstruktur (Erzählerbericht, auktorialer Ich-Erzähler, der sich sehr stark zurückhält) in exemplarischer Weise. Im Quattrocento begegnen hauptsächlich lateinisch verfaßte humanistische historiographische Werke, wie etwa die berühmten und rein auf Florenz bezogenen Historiarum Florentini populi libri XII von Leonardo Bruni (geschrieben 1415-1444). 5 0 Für unsere Forschungszwecke einigermaßen schwierig gestaltete sich die Suche nach einem volkssprachlichen historiographischen Text auf Florentinisch und thematisch auf Florenz bezogen. Im Quattrocento entsteht jedoch in Florenz vor allem im kaufmännischen Ambiente eine große Anzahl von Schriften im Florentiner volgare, die zum Hausgebrauch innerhalb der Kauf-

46 47 48 49

50

Cf. dazu Link-Heer 1987,1079 und 1088. Link-Heer 1987,1079. Link-Heer 1987,1126. Cf. dazu ausführlicher Link-Heer 1987, io8oss.,speziell auch zur Frage des noch typisch mittelalterlichen Aneinanderreihens einzelner Ereignisse, welches einem bereits quasineuzeitlichen Bewußtsein einer chronologisch-kausalen Kontinuität des Florentiner Bürgertums und der Stadt insgesamt gegenübersteht, die Villanis Werk von echten mittelalterlichen Chroniken mit rein kontingenter Ereignis-Reihung abhebt. Cf. dazu Link-Heer 1987,1088-1097.

83

mannsfamilien die Erfahrungen und Werte ihrer Verfasser und deren Vorfahren bewahren und tradieren wollten, also im weiteren Sinne hinsichtlich ihrer kommunikativen Funktion durchaus als narrativ-historiographisch eingeordnet werden können. Häufig wurden sie wie Tagebücher Tag für Tag verfaßt und reihen kurze Erzählungen und Erinnerungen, also narrative Passagen, meist über wichtige Familienereignisse wie Geburten, Hochzeiten und Tod aneinander; gerade bei den Florentiner Kaufleuten erscheinen aber auch politische Ereignisse der Stadtgeschichte, 51 moralische Reflexionen und Ermahnungen, also argumentative und instruktive Passagen. Der bedeutendste elektronisch aufbereitete, 52 auch umfangreichste Text dieser Libri difamiglia sind die Ricordi des Giovanni di Pagolo Morelli, zwischen 1393 und 1411 entstanden, 1718 erstmals gedruckt (Umfang: 372.628 Wörter). Der Text besteht aus drei Teilen: Zunächst wird die Geschichte der Familie Morelli berichtet, dann allgemein die Problematik der Waisen und die Notwendigkeit der richtigen Erziehung dargelegt, und schließlich werden Ereignisse aus der Geschichte der Stadt Florenz neben hauswirtschaftlichen Erörterungen dargeboten, alles in narrativem bzw. expositorischem Duktus mit didaktischer Komponente. Adressaten der Ricordi sind in erster Linie die Familienmitglieder 53 Typisch für die Libri difamiglia im Unterschied zu historiographischer Literatur im engeren Sinne ist das zeitgleiche Dokumentieren der Ereignisse, die also nicht im Rückblick zusammengefaßt und gedeutet werden wie große Teile der in Villani oder Machiavelli berichteten Geschehnisse. Dennoch ist allen drei Texten die kommunikative Funktion der narrativen Vermittlung (und auch Deutung) historischer Geschehnisse und die vorwiegend narrative Modalität der Themenbehandlung zu eigen, auch die vorherrschende Darstellungsform des Erzählerberichts, 54 so daß sich alle drei Werke textpragmatisch, textstrukturell und textthematisch zu einer Textgruppe zusammenfassen lassen. Morellis Bericht über die Geschichte seiner Familie und seiner Stadt Florenz ist der am direktesten persönlich geprägte; die Gesamtvorstellung des Textes ist eindeutig durch den Erzähler Morelli perspektiviert, der sich in eine Reihe mit seinen Ahnherren stellt und quasi als Lehrmeister künftiger MorelliGenerationen versteht. Der Textgegenstand ist mithin insgesamt wesentlich eingeschränkter als bei Villani oder auch Machiavelli. Der auktoriale Ich-Erzähler tritt sehr häufig auf, Personenrede kommt eher selten vor.

51 52

53 54

Cf. hierzu genauer Cicchetti/Mordenti 1984,1146SS. Ähnlich zentral, aber zum Zeitpunkt der Untersuchung in keinem elektronischen Korpus zugänglich, wäre vielleicht noch das Diario fiorentino von Luca Landucci, das die Zeit von 1450 bis 1516 umfaßt und Ereignisse der Stadtpolitik und auch des Familienbetriebes relativ monoton immer mit Datumsangabe aneinanderreiht; vor allem die wenig elaborierte narrative Struktur dieses Textes hat den Ausschlag für Morelli gegeben. Z u den kaufmännischen Libri difamiglia cf. genauer Cicchetti/Mordenti 1984. Die Libri difamiglia folgen in ihren rein berichtenden Passagen häufig sogar deutlich den Chroniken, cf. Cicchetti/Mordenti 1984,1146 und 1150s.

84

Niccolö Machiavellis Istorie fiorentine sind vom Auftragsdatum, dem 8.11.1519, bis Mai 1525 entstanden und erstmals 1532 erschienen (Umfang: 147.424 Wörter, 11.017 verschiedene Lemmata - der mit Abstand kürzeste historiographische Text). Sie haben, zusammen mit seinen anderen Werken, vor allem dem Principe, dazu beigetragen, ihn als Wegbereiter oder sogar Begründer einer modernen Historiographie zu sehen. Machiavelli berichtet einzelne Ereignisse der Geschichte Italiens und der Stadtgeschichte von Florenz als Exempla, allerdings jeweils unter ganz bestimmten theoretischen und ideologischen Vorannahmen, wobei er sich der nurmehr relativen Relevanz der einzelnen früheren Geschehnisse für aktuelle (politische) Fragen unter dem Gesichtspunkt der jeweils veränderten Verhältnisse bewußt ist.55 In den Istorie, die ursprünglich hauptsächlich die Medici-Ära bis zum Zeitpunkt der Abfassung zum Thema haben sollten (ab 1434), dann in den insgesamt acht Büchern aber nur bis zum Tode Lorenzos de' Medici (1492) reichen, werden in Rückgriff auf die humanistischen Historiographen in den ersten vier Büchern die Geschichte Florenz' und Italiens vom Niedergang des Römischen Imperiums und der Stadtgründung an bis 1434, dem Jahr der Machtergreifung Cosimos de' Medici, danach vor allem die Geschichte von Florenz von 1434 an bis zum Tode Lorenzos erzählt. Machiavelli präsentiert die erzählten Geschehnisse aus der neuen Perspektive machtpolitisch zu analysierender Ursache-Wirkungs-Relationen, gerade auch im Hinblick auf seine als prekär und von Fremdherrschaft bedroht erlebte Gegenwart der Stadt. Ideologisierung und Wertung von Ereignissen und Personen legt Machiavelli dabei in aller Regel einzelnen Figuren in den Mund; die Istorie sind also bezüglich der Erzählsituation eine Mischung aus auktorialer Erzählung und durchaus szenisch dargestellten Passagen mit fiktiven Dialogen bzw. Monologen einzelner zentraler historischer Figuren. 56 Die Gesamtvorstellung ist auch hier ein geschichtlicher Ausschnitt, der als Gegenstand expositorischer Passagen im Text durchaus problematisiert wird; narrative und expositorische Modalität der Themenbehandlung im Wechsel schreiben dem Text innerhalb dieser Textgruppe eine Sonderstellung zu, und der auktoriale Ich-Erzähler (Eigenstruktur) läßt seine Meinung durchaus auch in Personenrede von historischen Persönlichkeiten (meist monologisch) formulieren.

3.1.3 Expositorisch-argumentative Texte Die dritte Textgruppe umfaßt drei untereinander sowohl thematisch als auch (eigen)strukturell äußerst verschiedene Texte, die für ihr Jahrhundert jeweils von entscheidender Bedeutung waren und inhaltlich u.a. alle drei die Sprachenproblematik, die sogenannte questione della lingua, thematisieren bzw. sogar zum Hauptgegenstand (Bembo) machen. Sie sind lediglich bezüglich der

55 56

Cf. dazu ausführlicher Link-Heer 1987,1 IOISS. Cf. zu diesem Verfahren im einzelnen Link-Heer 1987, ioo8ss.

85

dominierend expositorisch-argumentativen Modalität der Themenbehandlung zusammenzufassen, denn alle drei erörtern philosophische, rechtliche oder philologische Fragen in der Volkssprache, wobei sie Konzepte einführen und erklären (vor allem Dante im Convivio), aber auch kontroverse Fragen erörtern und eindeutig Stellung beziehen (die dialektische Themenbehandlung ist bei Alberti und B e m b o stärker ausgeprägt und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der dort gewählten Dialogform). Ein äußerliches Kennzeichen dieser Textgruppe ist der im Vergleich zu den narrativen Texten geringe und in sich recht homogene Textumfang (zwischen 70.000 und 120.000 Wörtern). E t w a zwischen 1304 und 1307 (Erstdruck 1490) verfaßt Dante Alighieri (1265-1321) das Convivio im Exil, ein explizit didaktisch 57 ausgerichtetes Gastmahl des Wissens, in ursprünglich 15 Teilen geplant und unvollendet in vier Teilen (Einleitungskapitel und drei «trattati» zur Erläuterung von drei Kanzonen) vorliegend (Umfang: 73.236 Wörter, 6.731 verschiedene Lemmata). Das Convivio versteht sich zunächst metapoetisch als Kommentar (Selbstbezeichnung sposizione)

zu Dantes Kanzonen; es erörtert allerdings, weit darüberhinausge-

hend, in enzyklopädischer Absicht eine Vielzahl komplexer mittelalterlicher Themenbereiche wie den vierfachen Schriftsinn, die Verherrlichung der Weisheit etc. sowie Dantes persönliche Hinwendung zur Philosophie. 58 Es repräsentiert einen der frühesten Versuche, ein umfassendes philosophisch ausgerichtetes Werk in der Volkssprache, dem florentinischen volgare, zu verfassen, um ihre Eignung für Sachprosa zu demonstrieren. Dabei wird die Sprachwahl und auch die Prosaform im ersten Traktat selbst ausführlich reflektiert und gerechtfertigt, was zusammen mit den entsprechenden Passus aus dem allerdings lateinischen Traktat De vulgari eloquentia ein zentrales Dokument des Standes der Sprachreflexion und Dantes auch theoretischer Überwindung der exklusiv lateinischen Schriftlichkeit im Mittelalter darstellt. Die Gesamtvorstellung dieses Textes zu bestimmen, erweist sich als problematisches Unterfangen; intendiert war sicherlich eine enzyklopädisch angelegte Reflexion der wesentlichen Themen im Trecento. D a s Convivio ist bezüglich der Modalität der Themenbehandlung und der intendierten kommunikativen Funktion wohl am ehesten den expositorischargumentativen Texten zuzuordnen, 5 9 es ist eindeutig nicht fiktional und nicht narrativ. Die Eigenstruktur präsentiert sich als durchgehende Erörterung hauptsächlich philosophischer Themen in der ersten Person. 60

57

58 59 60

Dantes ausdrückliche Intention ist es, die kulturtragende aristokratische und bürgerliche Oberschicht, ausdrücklich auch die Frauen, zu bilden und zu sittlichem Verhalten zu führen. Zu Dantes Intention und der hybriden Kombination aristotelischer Anthropologie und christlicher «Mahlsbildlichkeit» cf. Kablitz 2001. Cf. auch Ferroni 1991,178: «con uno stile argomentativo ed espositivo». Zur Bedeutung der von Dante eigentlich verurteilten Rede in der ersten Person und den Implikationen von Dantes Rechtfertigung dazu über ihren Nutzen für die anderen durch Belehrung im zweiten Kapitel des ersten Traktats cf. Kablitz 2001, insbesondere

31-45· 86

Im Zeitalter des Humanismus ragt Leon Battista Alberti (1404-1472) aus Genua als umfassend gebildeter und vielfältig interessierter Künstler und Schriftsteller unter den volkssprachlich tätigen Autoren heraus. In unserem Zusammenhang ist er wichtig als Verfasser der vier Bücher über die Familie. Es handelt sich um ein humanistisches Traktat mit dem Namen I Libri della famiglia (die ersten drei Bücher sind nach Aussagen des Autors 1433-34 in Rom, das letzte Buch erst 1436-37 oder 1440 entstanden, Umfang: 118.638 Wörter, 13.190 verschiedene Lemmata). Dieses Werk ist dialogisch gehalten, abgesehen von einem Prolog und einer Widmung im dritten Buch und kurzen, die Szene jeweils einleitend umreißenden, auktorialen Passagen in der ersten Person. Es entwickelt wichtige Themenbereiche des Humanismus (etwa das Zusammenspiel von individuellem Glück, persönlicher Tugend und öffentlichem Ansehen und Nutzen in der Freundschaft in Buch IV), zentriert um die Rolle der Familie als einer sozialen Einheit, in der persönlicher Nutzen und öffentliches Wohl ineinander übergehen. Sprechsituation ist ein Gespräch in Padua in den letzten Lebenstagen des Vaters, Lorenzo, um den sich seine Söhne Battista und Carlo und verschiedene weitere Verwandte, vor allem die Hauptredner Lionardo, Giannozzo und Adovardo, versammeln und als Protagonisten verschiedener Positionen die Argumentation entwickeln. Dabei werden humanistische Fragestellungen und Argumentationsformen und aktuelle zeitgenössische kaufmännische Themenbereiche miteinander kombiniert, so daß eine gewisse inhaltliche Nähe zu Teilen der Morellischen Ricordi festgestellt werden kann. Interessant ist schließlich insbesondere Albertis Verteidigung der Volkssprache in der Widmung zu Beginn des dritten Buches: 61 Seine metasprachlichen Überlegungen betreffen die A b setzung von der exklusiven und im Humanismus wiedererstarkten lateinischen Schriftlichkeit und erlauben somit, ihn zwischen Dantes Convivio und Bembos Prose auch in dieser thematischen Hinsicht einzuordnen. Wie das Convivio für das Trecento stellen die Libri della famiglia Albertis einen Höhepunkt der expositorischen Prosaliteratur in volgare für das Quattrocento dar. Die Libri della famiglia teilen mit den anderen beiden Texten dieser Gruppe eindeutig die expositorisch-argumentative Modalität der Themenbehandlung und mit Bembos Prose die dominant dialogische Eigenstruktur. Damit sind sie in unserem Korpus der bezüglich verschiedener gattungsrelevanter Komponentensorten am stärksten mit jeweils anderen Texten der zweiten und dritten Textgruppe verbundene Text (thematisch und diskurstraditionell mit den Ricordi des Morelli, rein inhaltlich mit dem Convivio und den Prose, formal als erster humanistischer Dialog in der Volkssprache mit den Prose). Entscheidend für die questione della lingua, die Streitfrage bezüglich einer einheitlichen Literatursprache in Italien, sind die Prose della volgar lingua des Venezianers Pietro Bembo (1470-1547) gewesen (entstanden spätestens ab

61

Welches lange Zeit unter dem Namen Agnolo Pandolfini unabhängig von den anderen dreien zirkulierte und 1723 erstmals gedruckt wurde; alle vier Bücher erscheinen zusammen erst 1844.

87

1512, erschienen 1525; Umfang: 67.590 Wörter, 6.789 verschiedene Lemmata). Dieses in drei Büchern organisierte, hauptsächlich dialogische und explizit metasprachliche Werk des «umanesimo volgare» bestätigt die Literaturfähigkeit der florentinischen Varietät des Trecento. Basis hierfür sind die Prosa Boccaccios und die Verskunst Petrarcas, die im Sinne des humanistischen imitatio-Prinzips für alle Zeiten Vorbild für literarisches Schreiben sein sollten. Nach Bembo ist mit ihnen der Gipfelpunkt literarischen Schreibens in der Volkssprache überhaupt erreicht und die volkssprachliche Varietät des Florentinischen des Trecento würdig geworden, allgemeinverbindliche Literatursprache zu sein. Ganz entsprechend schreibt Bembo selbstverständlich in der von ihm favorisierten Varietät, trotz seiner nicht-florentinischen Abstammung. Das dritte Buch enthält eine normative Grammatik der Volkssprache, hauptsächlich dargelegt anhand der sprachlichen Gestaltung der volkssprachlichen Werke Boccaccios und Petrarcas. Im Zusammenhang mit den Prose sind im Hinblick auf die Analyse zwei Dinge anzumerken: Erstens enthalten sie überdurchschnittlich viele dialogische Passagen und sind bezüglich der Sprechsituation mit den Libri della famiglia zu vergleichen. Die Sprechsituation konstituiert ein Dialog zwischen Guiliano de' Medici, Federico Fregoso, Ercole Strozzi und Carlo Bembo, Sprachrohr und Bruder des Autors, welcher 1502 im Hause von Carlo Bembo in Venedig stattgefunden haben soll und die wesentlichen Positionen zur questione della lingua präsentiert. Zweitens stellen sie den einzigen durchgehend metasprachlichen und metapoetischen Text des Korpus dar und enthalten zahlreiche wörtliche Zitate aus den kanonisierten Werken, die, falls sie Indefinite enthalten und deshalb diskutiert werden, als solche in unserer Datensammlung eigens gekennzeichnet sind. Keinerlei Berücksichtigung finden Vorkommen von Indefinite in Passagen von (in der Regel zitierter) gebundener Rede. Die Gesamtvorstellung der Prose betrifft ausschließlich die questione della lingua, als Problem der humanistischen Literaturreflexion und auch als Problem der tatsächlichen (normativen) Sprachbeschreibung im dritten Buch. Die Modalität der Themenbehandlung ist dominant expositorisch-argumentativ, wobei die argumentativen Anteile in den ersten beiden Büchern, die rein expositorischen im dritten Buch in den Vordergrund treten. Innerhalb eines Werkes und einer Sprechsituation stehen so theoretische Diskussion und Anfänge einer Kodifizierung nebeneinander, was ein Grund für den seltsamen gattungstechnisch entschieden unspezifizierten Titel Prose gewesen sein mag. Die Eigenstruktur des Textes zeigt sich dominant dialogisch mit kurzen einleitenden Anmerkungen des Autors zur dargestellten Sprechstituation in der ersten Person, die wie bei Alberti zurückdatiert ist und daher narrative Züge im einleitenden Erzählerbericht und den den Dialog strukturierenden kurzen inquit-Formeln enthält. Bei aller thematischen, funktionalen und strukturellen Unterschiedlichkeit der neun ausgewählten Korpustexte soll im folgenden die oben dargelegte Gruppierung nach drei Textgruppen und drei Zeiträumen zugrundegelegt werden, unter weitestgehender Berücksichtigung der Eigenheiten des einzelnen Textes. Die Analyse der statistischen Verteilung der Indefinite im Einzeltext, nach Text88

g r u p p e n und Zeitabschnitten erlaubt es dann, bei signifikanten A b w e i c h u n g e n in K o r r e l a t i o n z u d e m einen o d e r a n d e r e n F a k t o r s o w o h l idiosynkratische als a u c h textgruppen- o d e r z e i t r a u m g e b u n d e n e B e s o n d e r h e i t e n als solche z u identifizieren, u m möglichst a u s s a g e k r ä f t i g e D a t e n für die einzelsprachlichen C h a r a k t e r i stika des Florentinischen des j e w e i l s b e t r a c h t e t e n Z e i t r a u m e s z u erhalten.

3.2

Die untersuchten Indefinita

D i e in dieser A r b e i t untersuchten Indefinita 6 2 s t a m m e n nur aus d e m nominalen B e r e i c h und verhalten sich e n t w e d e r p r o n o m i n a l o d e r als E l e m e n t e , die ein Substantiv alleine aktualisieren k ö n n e n als N o m i n a l d e t e r m i n a n t e n im w e i t e r e n Sinne, in d e r Position [ _ N ] n p o d e r a u c h [ N _ ] n p bei N a c h s t e l l u n g d e r D e t e r m i nante, nicht o d e r j e d e n f a l l s nicht ausschließlich in d e r Position [ D e t _ N ] N P o d e r [ N _ D e t ] N p . 6 3 E i n e E r w e i t e r u n g d e r j e w e i l i g e n N o m i n a l s y n t a g m e n durch A t t r i bute aller A r t ist natürlich nicht ausgeschlossen u n d wird sogar in ihrer W e c h s e l w i r k u n g mit der A u s p r ä g u n g d e r N o m i n a l d e t e r m i n a t i o n diskutiert w e r d e n ; F u n k t i o n u n d Distribution v o n Indefinita nach einer N o m i n a l d e t e r m i n a n t e w i e certo in un certo uomo sind nicht untersucht w o r d e n . D i e Indefinita bilden ein P a r a d i g m a insofern, als sie sich in der g l e i c h e n s y n t a k t i s c h e n Position g e g e n s e i t i g a u s s c h l i e ß e n 6 4 und, z u m i n d e s t im Singu-

62

63

64

Die sich nur in nicht-gebundenen Prosapassagen, nicht in Zitaten und nicht in idiomatisierten Strukturen wie Phraseologismen, Funktionsverbgefügen, idiomatischen Verbgefügen finden, wobei auch hier die diachronische Perspektive im Einzelfall zu Entscheidungsschwierigkeiten führt (cf. etwa das im Altflorentinischen hochfrequente, heute nicht mehr gebräuchliche aver nome für 'heißen', das weit verbreitete und heute etwas eingeschränktere Fehlen von Determinanten in Präpositionalsyntagmen, z.T. heute idiomatisiert etc.). Zum Problem der D P vs. NP-Analyse : Möglicherweise sind die Verhältnisse zwischen funktionalem Kopf D und dem N-Komplement im Nominalsyntagma und sprachspezifisch in Abhängigkeit auch von der syntaktischen Position des entsprechenden Syntagmas im Satz unterschiedlich; Abneys (1987) Analyse ist also nicht ohne weiteres auf andere, vor allem auch die romanischen Sprachen zu übertragen (cf. dazu genauer Giorgi/Longobardi 1991,198-205). Außerdem weisen gerade die Texte der ersten Gruppe (Ausbauphase I) bezüglich der Nominaldetermination noch derartig viele Unterschiede zum modernen Standarditalienischen auf, daß plausiblerweise eventuelle Grammatikalisierungsvorgänge im nominalen Bereich als noch nicht abgeschlossen gelten können (eine funktionale Kategorie D entsteht also möglicherweise erst, cf. Lyons 1999 in Kapitel 2). Um wichtige deskriptive Beobachtungen auch über größere Zeiträume hinweg nicht durch voreilige und z.T. dem Gegenstand inadäquate theoretische Festlegungen zu verhindern, wird weiterhin, wie schon bisher, einfach von Nominalsyntagma gesprochen (Abkürzung traditionell NP, ohne weitere theoretische Implikationen; cf. eine ähnliche Vorgehensweise in Lehmann 1991,204s., Lyons 1999, 44), obwohl die Veränderung von artikellosen zu Artikelsprachen durchaus mit der Ausbildung einer funktionalen D-Kategorie in Verbindung gebracht wird, cf. Kapitel 2.4. Für eine Analyse der Artikel als Köpfe aus kategorialgrammatischer Sicht cf. auch Wandruszka 1997,615s. Ausnahmen sind lediglich un qualche X und un certo X, die allerdings in unseren Texten noch so gut wie nicht auftreten und nicht in die Analyse aufgenommen worden sind. 89

lar, 6s auch nicht mit definiten Nominaldeterminanten kompatibel sind (mit Ausnahme von uno, das dann allerdings in der Analyse nicht berücksichtigt wurde und in l'uno fast ausschließlich in Opposition zu altro als «identity pronoun», Identitätspronomen, fungiert); außerdem sind sie in der Bedeutung, die sie als indefinite Determinante besitzen, im Prädikativ ausgeschlossen (im Gegensatz etwa zu molto etc.). 66 Im folgenden wird für das gesamte Syntagma, in dem die Indefinita als Determinanten oder auch alleine pronominal auftreten, der rein deskriptive Terminus Nominalsyntagma, der im Unterschied zu Nominalphrase keine Implikationen bezüglich der prinzipiellen syntaktischen Typik romanischer Sprachen enthält, 67 verwendet. Alle Indefinita, die ein Substantiv aktualisieren und ein Nominalsyntagma also z.B. argumentfähig machen, werden mit Selig 1992 in Rückbezug auf Seiler 1978 als Nominaldeterminanten (_det in den Belegen und Tabellen) bezeichnet, ohne Festlegung auf Artikelstatus beispielsweise von uno oder dem dazu häufig komplementär distribuierten alcuno, da alle untersuchten Texte in der Zeit vor der erstmaligen Standardisierung und Kodifizierung der italienischen Literatursprache liegen, für welche eine vollständige Grammatikalisierung der Determinanten noch nicht angenommen werden kann. 68 Alle betrachteten Elemente bilden ein funktionales Paradigma dadurch, daß sie eine Determination des betreffenden Nominalsyntagmas bezüglich seiner Indefinitheit leisten. 69 Die oberflächenstrukturell mögliche identische Position, die gemeinsame funktionale Leistung der Indefinitheitsmarkierung und die (fast durchgehende) Inkompatibilität der von uns untersuchten Indefinita miteinander im Nominalsyntagma erlauben die einheitliche Kategorisierung als indefinite Nominaldeter-

65 66

67

68

69

Die allermeisten auch im Plural; zu certo und diverse s.u. Die Differenzierung in sich gegenseitig ausschließende «Artikelwörter» und «Spezifikatoren», die sich für das moderne Italienisch in Bezug auf die Position [_N]NP beispielsweise bei Schwarze 2 i995,3 iss., findet, erübrigt sich für den Bereich der nominalen Indefinitheit, da auch uno und der Partitiv, obwohl bei Schwarze als «Artikelwort» klassifiziert, wie die anderen «Spezifikatoren» auch nicht mit den sogenannten «Präartikeln» (cf. Schwarze 2 i995,34s) tutto, ambedue, entrambi und ambo kombinierbar sind. Cf. dazu Lehmann 1 9 9 1 , 2 0 4 S S . , und zu einer ganz ähnlich begründeten terminologischen Entscheidung Gerstner-Link 1 9 9 5 , 1 5 . Zur Schwierigkeit, «Artikel» als grammatische Kategorie in früheren Sprachstufen anzusetzen und ein entsprechend beschränktes Paradigma zu untersuchen, cf. auch Selig 1992,26s. D a darüber hinaus vor allem der unbestimmte Artikel uno immer wieder auch als Quantor angesehen wird, und zwar auch für moderne Artikelsprachen (cf. etwa für das Deutsche die Arbeiten von Vater, für das Italienische Renzi 3 i 9 9 i , 357), ist für den Bereich der nominalen Indefinitheit eine strenge Trennung in echte «Artikelwörter» und Quantoren nicht sinnvoll (cf. zum Deutschen insbesondere Vater 1984, 26ss.), zumal in diachroner Betrachtung. Quantor ist strenggenommen eine semantische Kategorie, keine morphologische oder syntaktische (cf. dazu genauer Gil 2001,1281s.; cf. auch Lyons 1977, vol. 2,454s.). In unserem Fall ist der enge Zusammenhang zwischen Quantifizierung und Ausdruck der Indefinitheit insbesondere im Falle von uno auch in synchroner Hinsicht zentral, schwächer, aber auch deutlich nachweisbar beim Partitiv. Cf. hierzu insgesamt Kapitel 7.

90

minanten. Innerhalb dieser Kategorie läßt sich eine Gruppe, nämlich hauptsächlich die Indefinite alcuno, nessuno, niuno, nullo, punto, veruno, neben qualsiasi und qualunque, durch mögliche Distanzstellung zum Nominalsyntagma bzw. durch Postposition relativ zum substantivischen Kern des Nominalsyntagmas als Untergruppe aussondern (cf. Kapitel 5). Zu unterscheiden sind diese Elemente zusammen mit den anderen diskutierten nominalen Indefinita wiederum von Quantoren, die auch prädikativ auftreten, Possessiva vorangehen oder folgen können und eher adjektivähnlichen Status haben (etwa molto); diese Quantoren werden aufgrund ihrer distributionellen Eigenschaften und der damit korrelierten Kombinationsfähigkeit mit definiten Determinanten von der Untersuchung ausgeschlossen. Außerdem kommen einige der untersuchten Lemmata auch pronominal vor, während andere nur pronominal auftreten (_pro). Im modernen Standarditalienischen besetzen die untersuchten Elemente höchstwahrscheinlich unterschiedliche strukturelle Positionen, auch je nach Position und Funktion des betreffenden Nominalsyntagmas im Satz. 70 Diese strukturell-topologische Eingrenzung wird weiterhin ergänzt durch die semantisch-funktionale. (Nominale) Indefinitheit wird nach der Diskussion in Kapitel 2 im Vergleich zu nominaler Definitheit zunächst ex negativo als semantische Eigenschaft von Nominalausdrücken im Sinne einer Nicht-Identifizierbarkeit und Nicht-Inklusivität des jeweiligen Referenten bzw. der potentiellen Referentenmenge verstanden. Daher können innerhalb dieses Bereichs sprachliche Ausdrücke mit der Funktion einer weitergehenden Quantifizierung oder Qualifizierung ausgeschlossen werden: 71 a) explizite Quantoren, auch im Prädikativ möglich, wie molto,poco etc. (sogenannte «mid-scalar quantifiers»; 72 entsprechend wurden auch Elemente wie quanto, tanto, alquanto etc. nicht berücksichtigt); b) Allquantoren wie ogni, tutto, die die gesamte Menge der Elemente der durch das Substantiv denotierten Menge bezeichnen, also ebenfalls explizit quantifizieren und einen Bedeutungsanteil über die reine Texteinführung hinaus besitzen; 73 c) sogenannte «Identitätspronomina» und verwandte

70

71 72

73

Cf. Zamparelli 2000; zur möglichen Position unserer Indefinita cf. insbesondere die Schaubilder auf den Seiten 145 bzw. 204 in Zamparelli 2000, die den meisten untersuchten Indefinita alle drei angenommenen Kopfpositionen seiner verschiedenen Ebenen in der NP ermöglichen; zurückhaltender aber Bernstein 2001, 24. Die Diskussion in Giusti 1993,112-121, scheint ein einheitliches Paradigma unserer Indefinita nahezulegen; zur Sonderstellung von uno cf. Kapitel 7. Cf. Haspelmath 1997,1 iss. Cf. auch Lyons 1999, 33; für das moderne Standarditalienische cf. Renzi 3 i 9 9 i , 359s. Z u m typologischen Überblick cf. Gil 2001,1277. Qualche, nicht mit dem bestimmten Artikel kombinierbar, hat in manchen Kontexten durchaus eine «mid-scalar quantifierFunktion» (ti parlerd fra qualche giorno etc.), in anderen ist es allerdings einfach eine (nicht-spezifische oder spezifische) indefinite Determinante und kann im Unterschied zu den anderen «mid-scalar quantifiers» und Numeralia nie prädikativ auftreten: Hai qualche libro da prestarmi?. Daher ist es in die Untersuchung miteinbezogen worden (cf. auch die parallelen Beobachtungen von Flaux 1997,52, zu frz. quelque im Singular). Zur ganz unterschiedlichen syntaktischen Distribution der Allquantoren etwa bei ne-

91

D e t e r m i n a n t e n (z.B. altro, die per se w e d e r definit n o c h indefinit sind u n d sow o h l m i t d e f i n i t e n als a u c h i n d e f i n i t e n N o m i n a l d e t e r m i n a n t e n v e r b u n d e n werd e n k ö n n e n ; s e m a n t i s c h v e r w a n d t sind d i e e b e n f a l l s nicht b e r ü c k s i c h t i g t e n tale, quale etc.); 7 4 d ) « g e n e r i c p r o n o u n s » w i e man, uomo,

persona,75

s o w e i t sie die

G e s a m t h e i t d e r i m K o n t e x t r e l e v a n t e n P e r s o n e n g r u p p e b e t r e f f e n u n d also sem a n t i s c h d e n A l l q u a n t o r e n n a h e s t e h e n . D i e s o g e n a n n t e n « n e g a t i v e n Indefinit e » nessuno/niuno,

niente, nullo

(cf. K a p i t e l 5 ) b e z e i c h n e n z w a r im E n d r e s u l t a t

k e i n e T e i l m e n g e , s o n d e r n d i e l e e r e M e n g e e i n e r K l a s s e X (zur s e m a n t i s c h e n u n d p r a g m a t i s c h e n A n a l y s e v o n N e g a t i o n cf. K a p i t e l 5), s t e h e n a b e r d i a c h r o n in e n g e m Z u s a m m e n h a n g mit d e n s o g e n a n n t e n «negative polarity alcuno

o d e r veruno

Indefinita» wie

u n d s o l l e n d a h e r b e z ü g l i c h ihrer D i s t r i b u t i o n g l e i c h s a m als

K o n t r a s t f o l i e f ü r d i e E n t w i c k l u n g d i e s e r I n d e f i n i t a in d e n T e x t e n in d i e A n a l y s e miteinbezogen werden. D i e f o l g e n d e a l p h a b e t i s c h e L i s t e n e n n t alle n a c h d i e s e n K r i t e r i e n selegiert e n L e m m a t a , g e g e b e n e n f a l l s d o p p e l t , w e n n sie als D e t e r m i n a n t e (_det) u n d pronominal (_pro) auftreten: Alcuno jiti, alcunojpxo, certo_det, certo_pro, chiunque_det, chiunquejpxo (mit Nebenformen cheunque und Nebenformen auf -unqua), cosajpxo, diverso_AeX, diverso_pro, nessuno_deX, nessunojpxo (mit Nebenformen wie nissuno), nientejiet, nientejpxo, niuno_det, niuno_pro (mit Nebenformen wie neuno), NULL_det, nullo_det, nullo jpxo, PART_det, persona_pro, punlo_dtl, puntojpro, qualche_det, qualchejpxo, qualcunojpxo, qualcosajpxo, qualsiasi_det (als einzig belegte Nebenform qualsisia), qualsivoglia_det, qualunque_det, qualunquejpxo (mit Nebenformen auf -unqua), robajpxo, uno_det, unojpxo, veruno_det, veruno jpxo. D i e s e A u f s t e l l u n g u m f a ß t alle w e s e n t l i c h e n n o m i n a l e n I n d e f i n i t a d e s m o d e r nen Standarditalienischen sowie des Alttoskanischen bzw. Altflorentinischen.76

74

75

76

Klitisierung oder im Prädikativ im Vergleich zu anderen (echt indefiniten) Quantoren cf. auch Giusti 1993,104s. Z u besonderen Stellungseigenschaften von altro im modernen Standarditalienischen, die ebenfalls eine andere Kategorie für diese Elemente bedingen als indefinite Nominaldeterminanten in unserem Sinne, cf. Giusti 1993, 115SS. Cf. dazu in Bezug auf das Französische, Italienische, Rumänische und Spanische van Peteghem 1999, auf das Deutsche, Französische und Spanische auch Lavric 2001,1027-1083. Gemeinsam ist diesen auf den ersten Blick indefiniten Elementen bei Kombination mit dem unbestimmten Artikel die Bezugnahme auf eine zu einer vorher genannten Teilmenge komplementäre Teilmenge und der Hinweis auf Denotationsgleichheit (Zugehörigkeit zur gleichen Gesamtmenge) der jeweils intendierten Referenten. , Ein Grenzfall in dieser Hinsicht ist sicherlich diverse, welches von Lavric 200 χ einerseits in die Nähe von distinto u.a. und dadurch auch etwa zu span, otro - lo mismo gestellt wird (cf. Lavric 2001, 1073-1076 und 1262-1276), andererseits aber nicht so deutlich wie die genannten «Heterogenität» als Merkmal besitzt und daher im folgenden gerade in seinem Zusammenspiel mit certo untersucht werden soll. Das von uns untersuchte persona_pro bezeichnet also stets eine unbekannte Person in der Bedeutung 'jemand'. Damit sind nämlich die beiden Vertreter des nach Renzi 3 i 9 9 i heutigen unbestimmten Artikels, uno und Partitiv (sowie Nicht-Determination, cf. Renzi 31991,364) einerseits, und alle «quantificatori intrinseci» nach Longobardi 3 i99i (in der dortigen Reihenfolge qualche, nessuno, alcuno, qualunque, qualsiasi, qualsivoglia, niente, nulla und chiunque\ 92

In den Texten nicht gefunden haben sich die bei Gerhard Rohlfs

erwähnten

nimo (aus lat. nemo für nessuno), certuni (ist laut DELI 7 7 auch erst 1664 erstmals belegt) und chichessia und verwandte. 78 Certo, kein Artikel und auch kein Quantor (und in eingeschränkterem Maße auch diverse), ist in den untersuchten Texten in der Regel noch allein in der Lage, ein Substantiv zu aktualisieren und ist heute noch dialektal alternativer Ausdruck für eine unbestimmte Menge, 7 9 also unstreitig eine Indefinitheit ausdrückende nominale Determinante bzw. ein Indefinitpronomen. Die Fälle, in denen certo und diverso, vor allem im Plural, eindeutig 'gewiß', 'sicher' bzw. 'verschieden', 'unterschiedlich' bedeuten, wurden in der Analyse natürlich nicht berücksichtigt. Die insgesamt 20 verschiedenen Lemmata (die in Klammern jeweils angegebenen und sehr selten auftretenden Nebenformen nicht mitgerechnet) werden ergänzt von Okkurrenzen des Partitivs del·, als Partitiv wird eine Okkurrenz von del nur dann untersucht, wenn sie eindeutig als indefinit eingestuft werden kann, also keine Verbindung der Präposition di und definitem Nominalsyntagma darstellt. Außerdem werden pro Text die jeweils ersten 200 (100 im Singular, 100 im Plural) Vorkommen nicht-determinierter Substantive analysiert, ohne zunächst zu berücksichtigen, ob das Auftreten nicht-determinierter Substantive in den jeweiligen Kontexten vom modernen Standarditalienischen abweicht oder nicht. 80 Nicht-determinierte Substantive bzw. Nominalsyntagmen ohne explizite Determinante (außer Eigennamen und Pronomina) werden in modernen semantischen Theorien wie D R T oder F C S als indefinit interpretiert; außerdem analysieren auch moderne italienische Grammatiken oder deskriptive Studien 8 ' Nicht-Determination als eine Form der Nominaldetermination mit einem ganz bestimmten und zum Beispiel zum Partitiv in Opposition stehenden funktionalen Wert. 82 D a der Nicht-Determination im Laufe der Untersuchungen in den einzelnen Kapiteln ebenfalls ein eigener Wert im Paradigma zugeordnet werden kann, wird sie auch als eigenes Lemma angesehen und gezählt; insgesamt sind nach dieser Redeweise also 22 Lemmata untersucht worden.

ausgenommen sind natürlich die dort auch erwähnten Allquantoren ciascuno, ognuno\ et Longobardi 3 1 9 9 1 , 6 4 7 ; in den Texten nicht gefunden wurde das dort auch erwähnte alcunche) andererseits des modernen Standarditalienischen in die Untersuchung einbezogen, ergänzt durch nominale Indefinite, die Rohlfs 1968 für die älteren Sprachstufen des Toskanischen bzw. Florentinischen anführt, also punto oder auch veruno für alcuno (punto auch für nessuno), uno_pro/persona (dies z.T. auch für nessuno, durch galloromanischen Einfluß) und roba/cosa für qualcuno bzw. qualcosa (cf. Rohlfs 1968, 213SS.).

DELI = Cortelazzo/Zolli 1999, cf. Bibliographie. 78 Cf. Rohlfs 1 9 6 8 , 2 1 5 S S . , 2 2 3 , 2 2 8 . ™ Cf. dazu Rohlfs 1968,119. 80 Zu Vor- und Nachteilen einer derartigen Vorgehensweise cf. Presslich 2000 und Stark 2 0 0 2 b . Auch die Feststellung von Kontinuität grammatischer Erscheinungen ist unseres Erachtens eine wesentliche Erkenntnis diachronischer Untersuchungen. 81 Wie etwa Schwarze 21995, Renzi 3 i99i oder Korzen 1996. 82 Nämlich nicht-spezifisch vs. spezifisch, cf. dazu genauer Kapitel 2.2 und Kapitel 6 sowie Kapitel 4.5 zur Frage der Existenz eines Nullartikels. 77

93

Von den Lemmata wurden (bis auf die Nicht-Determination) jeweils alle Belege pro Text analysiert, bis zu maximal 200 Belegen pro Lemma (dies betrifft vor allem die weitaus häufiger vorkommenden uno und alcuno, von denen die jeweils ersten 200 Belege analysiert worden sind). Insgesamt wurden 8.606 Belege analysiert. Tabelle 1 im Anhang zeigt die Verteilung der Indefinita in den neun Texten. D a b e i entsprechen höhere Vorkommenszahlen häufig einer größeren Textlänge (etwa für niuno oder nullo bei Villani oder Alberti, cf. Schaubild 1), weshalb in den folgenden Kapiteln immer auch Prozentzahlen (die jeweiligen Anteile der Vorkommen am Gesamtvorkommen pro Text bzw. Textgruppe) angegeben werden. Nicht belegt sind nach Tabelle 1: -

Im Novellino: certojpro, sunojpro,

chiunquejdet,

diversojdet

niente jdet, persona, puntojdet

qualchejpro,

und diversojpro,

und puntojpro,

nes-

qualchej&ei

und

qualcosa, qualcuno, qualsiasi, qualsivoglia, roba, verunojpro;

es

fehlen damit immerhin 9 von 20 Lemmata, auch der Partitiv ist mit gerade 4 Belegen selten. -

Im Decameron'. chiunquejdet,

nessuno_det und nessuno jpro (außer 2 Bele-

gen in gebundener Rede), niente_det, qualchejpro, siasi^, qualsivoglia, roba. D a s Decameron

qualcosa, qualcuno, qual-

weist gegenüber dem

Novellino

ein lexikalisch reicher ausdifferenziertes Inventar an Indefinita auf, lediglich nessuno fehlt (fast) ganz, außerdem fehlen qualcosa, qualcuno,

qualsiasi,

qualsivoglia und roba, also 6 Lemmata. -

In Masuccios Novellino·. certo_pro, chiunquejdet sojpro,puntojdet

und puntojpro,

qualchejpro,

und chiunquejpro,

diver-

qualcosa, qualcuno, qualsiasi,

roba;. komplett fehlen wieder nur 6 Lemmata, und darüberhinaus fällt im negativen Bereich das Nebeneinander von nessuno, niuno, niente und nullo auf. -

In der Cronica Villanis: diversojpro, qualchejdet

und qualchejpro,

ba, verunojdet

und verunojpro.

niente jdet, puntojiet

und

puntojpro,

qualcosa, qualcuno, qualsiasi, qualsivoglia, roÄhnlich wie beim Novellino fehlen über ein

Drittel der untersuchten Lemmata, nämlich 8, komplett, vor allem wieder die gesamten Komposita mit quale. Die Koexistenz von nessuno und niuno, von nullo und niente ist auch hier gegeben, mit etwas eindeutigeren Zahlen für die älteren und früher belegten niuno und nullo (cf. Kapitel 3.2.1). -

In den Ricordi Morellis: chiunquejdet no _det und nessunojpro, lunquejpro,

8

qualchejpro,

und chiunquejpro,

diversojpro,

nessu-

qualcosa, qualsiasi, qualsivoglia, qua-

roba. Insgesamt fehlen also nur 6 Lemmata; neben dem ersten

3 Vereinzelt finden sich aber bereits die Vorläufer der späteren lexikalisierten Zusammenrückungen, cf. etwa «[...] questa infermitä non muoi m'ha dimostrata la cagione del tuo male,la quale niuna altra cosa e che soperchio amore il quale tu porti a alcuna giovane, qual che ella si sia» (Boccaccio, 11,8).

94

Auftreten von qualcuno fällt insbesondere die völlige A b s e n z von nessuno auf, dessen Ursprung also möglicherweise nicht in Florenz liegt. 84 -

In den Istorie fiorentine von Machiavelli: certojpro, chiunque_deX und chiunque jpro, diversojpro, Partitiv, punto_det

nessuno_det und nessuno jpro, nientejdeX,

und puntojpro,

qualchejpro,

nullo_det,

qualcosa, qualsiasi,

roba,

veruno jdeX und veruno_pro. Damit fehlen bei Machiavelli insgesamt 7 Lemmata, darunter typisch altflorentinische Elemente wie punto und veruno, während entsprechend neuere auftreten wie qualcuno und qualsivoglia·, außerdem bestätigt das exklusive Vorkommen der Form niuno für das negative Indefinitum (und das Fehlen von nessuno) die Annahme, daß niuno die geniun florentinische Form ist. -

Im Convivio: chiunque_det

und chiunque jpro, diversojpro,

niente_det, niuno jpro, puntojdet

und puntojpro,

nessuno_det,

qualche_deX und qualche_

pro, qualcosa, qualcuno, qualsiasi, qualsivoglia, roba, veruno_det und veruno_pro. Wieder fehlen, wie bei den anderen drei frühesten Texten auch, 9 von 20 Lemmata, u.a. alle Komposita mit quale. -

In den Libri della famiglia von Alberti: certojpro, chiunque_det, niente_d&i, punto jdti

und puntojpro,

diversojpro,

qualsivoglia. Obwohl die Libri della

famiglia mit 118.638 Wörtern verschiedene Lemmata nur mit wenigen O k kurrenzen aufweisen, besitzen sie das lexikalisch differenzierteste Inventar an Indefinita; bis auf die ohnehin seltenen punto und qualsivoglia sind alle Lemmata vorhanden, wenn auch nicht in allen Verwendungsweisen. Wieder fällt auf, daß im negativen Bereich sowohl nessuno und niente als auch die älteren niuno und nullo vorkommen (freilich nur in einem Bruchteil der von niuno und nullo besetzten Fälle), und auch fast alle Komposita mit quale ganz anders als in dem etwa zeitgleich entstehenden Novellino von Masuccio und anders auch als in den später entstehenden Istorie fiorentine und Prose della volgar lingua. Bereits diese Übersicht weist auf einen Sonderstatus der Libri della famiglia hin, der sich später bestätigen wird. -

In den Prose Bembos: certojpro, chiunque_det, diversojpro, niente_det, nul/o_det, punto_det und puntojpro,

qualchejpro,

si, qualsivoglia, roba, verunojpro.

In drei Belegen verwendet B e m b o einen

qualcosa, qualcuno,

qualsia-

Plural von una (une), und zwar dann, wenn er verschiedene Wortformen einander gegenüberstellt - uno ist in diesem Fall als Teil der Kollokation l'uno - Valtro verwendet und besitzt einen zu altro analogischen Plural. Ansonsten ist uno im Korpus niemals im Plural belegt. Nicht vorhanden sind bei B e m b o damit 6 Lemmata. Ein kurzer Vergleich des Normierers B e m b o mit seinem Prosa-Vorbild Boccaccio zeigt dabei folgendes: Bei der kaum besetzten Reihe der gwa/e-Komposita entspricht

84

Laut Rohlfs 1968, vol.2,215, ist nessuno auf jeden Fall toskanisch, obwohl im Alttoskanischen die starke Konkurrenz von niuno festgestellt wird. Der Erstbeleg für nessuno ist laut DELI um ca. 1250 bei Giacomo Pugliese auf jeden Fall bei einem Nicht-Toskaner zu finden.

95

Bembos Sprachgebrauch demjenigen Boccaccios völlig und weicht von den zeitgenössischen Autoren Masuccio und vor allem Machiavelli ab. Anders als Boccaccio verwendet Bembo die älteren ρ unto und veruno nicht mehr, dafür manchmal nessuno, das bei Boccaccio fast ganz fehlt. Bembos Sprachgebrauch ist also nicht sklavisch an dem von ihm propagierten Prosamodell orientiert, sondern spiegelt eine Mischung aus dem zeitgenössischen Gebrauch und demjenigen des eminenten Erzählers der Tre Corone wider. Inwieweit Bembos Sprachgebrauch diskurstraditionell beeinflußt ist (narratives Modell, expositorisch-argumentativer Text, fast durchgehend dialogisch), werden Untersuchungen der folgenden Kapitel zeigen. Tabelle 2 im Anhang zeigt einen Überblick über alle Lemmata in den drei Zeitabschnitten und Textgruppen. Alcuno, certo, uno und, im negativen Bereich, niuno fallen als die häufigsten Lemmata auf, während die im modernen Standarditalienischen häufigen qualcosa, qualcuno, qualsiasi und verwandte und nessuno deutlich unterrepräsentiert sind. In allen Texten außerordentlich häufig sind außerdem selbstverständlich nicht-determinierte Nominalsyntagmen im Singular und Plural. Schließlich sind die starken Schwankungen bezüglich der Verteilung der einzelnen Lemmata auf die neun Korpustexte zu beachten. Im Trecento fehlen eine Reihe von Lemmata komplett: neben roba (taucht überhaupt nur zweimal bei Alberti auf) und punto (nur im Decameron und bei Morelli) finden sich (bis auf qualunque) nicht alle mit quale gebildeten Indefinita (die eine signifikante Rolle wiederum nur bei Alberti spielen mit jeweils den einzigen Belegen für pronominales qualche, qualcosa, qualsisiä). Prozentual kontinuierliche Entwicklungen stellen eine deutliche Zunahme bei alcuno, veruno_det, während Okkurrenzen von certo, chiunque, diverse _dti und nullo über die drei Zeitabschnitte hinweg deutlich zurückgehen. Häufig zeigen die Zahlen wegen abweichender Verhältnisse im Quattrocento keine einheitliche Tendenz (so etwa bei cosa, niente_pro, niuno, dem Partitiv, persona, qualunque_det), was durch die Besonderheiten der zusammengefaßten Einzeltexte (das Decameron und Alberti werden immer wieder eine auffallende Distribution einzelner Indefinita aufweisen) teilweise erklärt werden kann. Mit Quattrocento wird im vorliegenden Zusammenhang aber eben auch ein Zeitabschnitt bezeichnet, der für den Ausbau einer italoromanischen Varietät zur Standardsprache von entscheidender Bedeutung war (cf. Kapitel 1.1 und Kapitel 3.1), was beispielsweise am geradezu explosionsartigen Auftreten des zuvor nicht belegten qualche (vor allem bei Alberti, weniger auch den modern völlig geläufigen qualcosa und qualcuno) gesehen werden kann. Zu beachten sind weiterhin die recht stabilen Verhältnisse bei nessuno, dem Partitiv und uno über die Zeitabschnitte und Textgruppen hinweg (auch im Verhältnis von Determinante und Pronomen). Textgruppenspezifische Verteilungen zeigen sich bei cosa und persona und veruno, die alle in den Novellen eine ausgezeichnete Rolle spielen, während etwa qualche und qualunque_det in den expositorisch-argumentativen Texten (bzw. letzteres vor allem bei Alberti) außerordentlich wichtig sind. Certo und 96

chiunque scheinen an eine narrative Modalität der Themenbehandlung eher gebunden zu sein als an expositorisch-argumentative Texte, wobei die Zahlen stark durch die jeweils auffallenden Häufungen bei Villani beeinflußt werden; weiterhin sind diverso, niente_pro und niuno_det (mit Ausnahme Albertis) eindeutig häufiger in den Novellen und der Historiographie als in den expositorischargumentativen Texten. Nullo indiziert demgegenüber historiographische und expositorisch-argumentative gegenüber fiktiven narrativen Texten (vor allem durch Villani und Alberti). Insgesamt zeichnen sich für viele Lemmata durchaus distributionelle Tendenzen ab, die aber durch idiosynkratische Verhältnisse in ihrem Aussagewert häufig eingeschränkt werden müssen. Auffallend ausdifferenzierte Indefinit-Paradigmen weisen insbesondere Villani, das Decameron und Alberti auf, was für den letztgenannten Text besonders überrascht, da dieser zwar den längsten expositorisch-argumentativen, aber insgesamt nur den viertkleinsten Text darstellt. Die folgenden Kapitel werden die Distribution der Indefinita unter bestimmten thematischen Schwerpunkten genauer darlegen und interpretieren.

3.2.1 Die Indefinita vom Lateinischen zum Italienischen - Etymologie Die Mehrzahl der untersuchten nominalen Indefinita existiert im (klassischen) Latein noch nicht; romanische Fortsetzer haben lediglich unus (cf. Kapitel 7), aliquis unus (zu nicht-belegtem *alicunus, bis auf Rumänisch gemeinromanisch, zu alcuno), nullus und vereinzelte Bildungen mit -quam bzw. -cumque wie chiunque. Bei den anderen handelt es sich meist um romanische Komposita und Zusammenrückungen, die oftmals Reihen bilden und in ihrer funktionalen Auslastung im Altflorentinischen (und modernen Standarditalienischen) allenfalls mit derjenigen ihrer Kompositionsteile, soweit (Klassisch)-Lateinisch vorhanden, verglichen werden können. Seit Dante {DELL Erstbeleg 1294) belegt ist qualche, eine Zusammenrückung aus quale che (sia), die reihenbildend wirkt und funktionell einerseits mit den Indefinitpronomina qualcuno (DELI: Erstbeleg 1354) und qualcosa (DELI: Erstbeleg ca. 1400) zusammenzustellen ist, andererseits bezüglich ihrer Struktur auch mit den Quasi-Satzwörtern qualsisia (DELI: Erstbeleg 1472 bei Alberti; dies kann unser Korpus bestätigen), qualsiasi (DELI: Erstbeleg 1611) und qualsivoglia (DELI: Erstbeleg: 1476 bei Masuccio, dies kann das Korpus bestätigen). 85 Der erste Teil dieser Wortbildungen besteht aus dem Interroga-

85

Die Entscheidung, wann eine Zusammenrückung als Indefinitpronomen dieser Reihe angesetzt werden kann, hängt höchstwahrscheinlich von der Zusammenschreibung ab, die wiederum in den einzelnen Editionen unterschiedlich gehandhabt werden kann. Ein genaues Studium der überlieferten Handschriften würde sicherlich Aufschluß geben. Für unsere Fragestellung der funktionalen Auslastung der einzelnen Lemmata spielt dies jedoch eine untergeordnete Rolle; bei eindeutig pronominaler Lesart satzeinleitender qual si sia oder auch qual cosa sind diese Elemente als Indefinitpronomina in die Analyse mit aufgenommen worden.

97

tivum quale {DELI: Erstbeleg Ende des 13. Jahrhunderts im Novellino) aus lat. quale(m), was den übereinzelsprachlich äußerst häufigen etymologischen Zusammenhang von Indefinita und Interrogativa deutlich aufzeigt. Die untersuchten Indefinita in explizit negativen Kontexten sind außer nullus (italo)romanische Neubildungen hauptsächlich nach lateinischem Muster mit «negative absorption»: 86 nessuno aus angenommenem n(e) ips(e) unu(s) (DELI: Erstbeleg: 1250), das in unseren Texten weitaus häufigere niuno {neuno) aus ne(c) unu(s) (DELL. Erstbeleg Ende des 13. Jahrhunderts im Novellino·, als neun schon 1219)\niente {DELI: Erstbeleg im 13. Jahrhundert, im Novellino) soll ein spätlateinisches ne(c) ente(m) zugrundeliegen. Veruno {DELI: Erstbeleg um 1300 bei Dante) stammt aus vere unu(m) und ist von Anfang an hauptsächlich mit der negativen Bedeutung 'keiner' belegt; es ist seiner Etymologie nach kein Fall von «negative absorption». Altflorentinisch und modernes Standarditalienisch weisen noch eine weitere Reihe von Indefinita auf, die sich nach dem zweiten Wortbildungselement bilden läßt, nämlich die -unque-Serie, die in unseren Lemmata mit chiunque {DELI: Erstbeleg 1294 bei Brunetto Latini ) und qualunque {DELI: Erstbeleg 1219) vertreten ist. Chiunque wird auf *qui-unquam zurückgeführt, 87 das Element -unque kann aber auch aus einer nicht-klassischen Kreuzung von -unquam-Büdungen (unquam: 'jemals','manchmal') mit -cumque-Bildungen (Bedeutung 'wann auch', 'immer') herrühren (so etwa laut DELI bei ovunque aus ubiunquam für ubicumque)ß8 Lateinisches qualiscumque soll ebenfalls einen Ersatz des zweiten Elementes durch unquam nach dem Muster von chiunque erfahren und so qualunque ergeben haben. Z u erläutern sind schließlich noch die Etymologien der nicht-reihenbildenden certo und diverse und diejenigen der pronominal verwendbaren cosa, persona, punto und roba. Certo als Indefinitum ist seit 1293/94 bei Dante belegt (laut DELI) und stammt aus lat. certu(m), dem Partizip II zu cernere\ diverso liegt diversu(m) (Partizip II zu divertere) zugrunde, welches im Plural schon für lateinisches nonnulli/complures eingetreten ist {DELI: Erstbeleg 1332). Cosa ist seit 1294 bei Brunetto Latini belegt und stammt aus lat. causa(m)\persona aus lat. persona(m) findet sich seit 1219; punto ist laut DELI in seiner Funktion als indefinites Adverb (als Determinante wird es nicht erwähnt) erstmals 1353 bei Boccaccio belegt, vor seinem Erstbeleg als maskulines Substantiv mit der Bedeutung seines Etymons laX.punctu(m) (1364; die Korpusbefunde bestätigen dies).89 Roba {DELI: Erstbeleg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts) kommt von fränkisch rauba ('Rüstung', 'Gewand'). Bei der Mehrzahl der untersuchten Indefinita beobachten wir typische etymologische Strukturen, wie sie Martin Haspelmath im übereinzelsprachlichen

86

88 89

Cf. Haspelmath 1997,209s. Z.B. im DELI, 335. Cf. hierzu auch Rohlfs 1968, vol. 2,222s. Cf. DELI, 1286.

98

Vergleich für eine große Anzahl von Sprachen beschreibt. Allgemein konstatiert er für Indefinitpronomina Kompositionsmuster aus Substantiven, die 'Person', 'Ding' oder auch [+belebt] - [-belebt] bedeuten («ontological categories»),90 und einem formalen Element, einem «indefiniteness marker», welches die Distribution des jeweiligen Indefinitums indiziert. Paradebeispiel dafür ist das Englische mit seinen any- (-body) - some- (-body) und no- f-bodyJ-Reihen. Das Italienische und Altflorentinische weisen keine durchgehende Strukturierung des Indefinitparadigmas nach diesem Muster auf, es finden sich aber immerhin Ansätze wie etwa in qualc-uno vs. ne-uno bzw. ne-ss-uno. Indefinitpronomina sind also in der Regel komplexe Wortbildungen, die interrogative Elemente, «generic nouns» und/oder das Numerale 'eins' enthalten können. Umstritten ist, ob Indefinita von den entsprechenden Interrogativa (unter Umständen als Kompositionselemente wie lat. quale(m) / italoromanisch quale, mit Derivation oder auch einfacher Konversion) prinzipiell abgeleitet sind9' oder ob Indefinita, die mit einfachen Interrogativa formal identisch sind, in Fragekontexten zunächst einfach als Interrogativa zu interpretieren sind («as having only the denotation of an information gap as their meaning»)92 und ihre Interrogativfunktion per Implikatur entsteht oder durch zusätzliche Interrogativmarker angezeigt wird (wie z.B. bei lat. quis). Diachronisch liegt allerdings keine positive Evidenz für das Entstehen von Interrogativa aus Indefinita vor, eher im Gegenteil® (z.B. können Interrogativa im Laufe der Sprachgeschichte ihre indefinite Funktion wieder verlieren wie etwa lat. quis auf dem Weg zu den romanischen Sprachen)94. Indefinitpronomina entstehen wie Indefinitdeterminanten auch regelmäßig aus dem Numerale 'eins', 95 und auch unter unseren Indefinita finden sich neben der einfachen pronominalen Verwendung von uno als Indefinitpronomen und dem schon lateinischen *alicunus zu alcuno vier weitere Kompositionen mit uno: rein pronominales qualcuno, dann die negativen nessuno, niuno und veruno. In den Fällen der Indefinita in explizit negativen Kontexten finden sich Kombinationen von einer Negationspartikel (ne bzw. nec) und dem Numerale unus bzw. einem «generic noun» (entefm]), wobei übereinzelsprachlich zu differenzieren ist in Kompositionen aus einfacher Negationspartikel und Indefinitpronomen bzw. generic noun und solchen, die eine «negative scalar focus particle» enthalten - lat. nec bzw. neque ist sowohl Negationspartikel bei Koordination von negierten Sätzen bzw. Satzteilen ('und nicht','auch nicht') als auch skalare Fokuspartikel in der Bedeutung 'nicht einmal'. Hier liegt möglicherweise eine Erklärung für die ansonsten auffällige Etymologie von nessuno aus lat. ne ipse 90 91 92

Cf. Haspelmath 1997,21 ss. Wie etwa bei Haspelmath 1997 angenommen, cf. genauer Haspelmath 1997,25SS. Bhat 2000,365.

Μ Cf. dazu die Diskussion in Haspelmath 1997,174SS. 94 Zu reduplizierendem bzw. korrelativ gebrauchtem chi - chi und che - che cf. Rohlfs 1968, vol. 2,230s. 95 Cf. Givon 1981, Haspelmath 1997,183s.

99

unus: Ipse fungiert als skalare Fokuspartikel in dem Sinne, als es genau^6 den untersten Endpunkt einer pragmatischen Skala angibt ('nicht einmal genau einer'), was zusammen mit der Satznegation universale Negation ergibt ('nicht einmal genau einer' läßt den pragmatischen Schluß 'keiner' zu). Das seiner Etymologie nach nicht-negative veruno aus lat. ν ere unu(m) bedeutet ähnlich wörtlich 'in Wahrheit/tatsächlich (nur) einer' und ist möglicherweise ebenfalls den Indefinita aus Kompositionen mit «scalar focus particles», in der Regel 'sogar' und 'auch' oder 'mindestens', im negativen Fall 'nicht einmal' zur Seite zu stellen. Vere funktioniert auf jeden Fall als Verstärkung der 'Einheit', 'Einzelheit', was in negativen Kontexten wiederum zu der Bedeutung 'nicht einmal auch nur genau ein einziger' führen kann.' 7 Eine spezifische diachrone Quelle nominaler Indefinita ist weiterhin die Komposition bzw. Zusammenrückung interrogativer Elemente mit verbalen Elementen der Bedeutung 'wollen'. Auch im Italienischen findet sich dieser Typ, freilich eher marginal mit qualsivoglia, einem typischen und der usprünglichen Etymologie funktional voll entsprechenden «free-choice»-Element (cf. auch klassisch-lateinisches quivis oder quilibet).98 Qualsiasi und seine Varianten entspringen einem semantisch-pragmatisch verwandten," konzessiv-konditionalen Nebensatz der Bedeutung 'welches (auch immer) es sei' und sind in der Romania beispielsweise auch im Französischen (mit der -que-ce-soit-Reihe) vertreten. 100 Hierzu gehören auch die Bildungen auf -unque, lat. umquam, 'jemals' bzw. -cumque, 'immer', also qualunque und chiunque, da die konzessiv-konditionalen Nebensätze häufig ein temporales Adverb der Bedeutung 'jemals' oder 'immer' enthalten (cf. auch dt.: wer auch immer). Auch diese sind typische «free-choice»Indefinita, auch in ihrer ursprünglichen Bedeutung (konzessiv-konditionale Nebensätze versprachlichen eine für die Folge irrelevante Bedingung, woraus die Beliebigkeit des in der Protasis versprachlichten Sachverhaltes bzw. daran beteiligten Elementes folgt). Indefinitpronomina entstehen außerdem häufig aus «generic nouns», also Lexemen mit der Bedeutung 'Person', 'Ort', 'Ding' etc., durch einfache Konversion oder Komposition mit einem «indefiniteness marker». Auch unter den analysierten Lemmata finden sich entsprechend cosa, persona101, punto und roba in

96

Cf. hierzu Hofmann/Szantyr 1997 [1965], 211: «Soll die durch Kardinalia gemachte Zahlangabe als völlig genau hingestellt werden, so wird ipse beigefügt».

97

Cf. H a s p e l m a t h 1997,156SS. u n d 222-226, u n d K a p i t e l 6.

98

Zur genauen Rekonstruktion des Grammatikalisierungsprozesses cf. Haspelmath 1997,

99

Cf. dazu die Ausführungen in Haspelmath 1997,139. Cf. dazu Haspelmath 1997,135-140. Z u persona als explizit negatives Indefinitum cf. auch Rheinfelder 1928: persona wird mittellateinisch und französisch niemals generisch im Sinne von 'die A r t Mensch' gebraucht (65SS.); im Frz. gewinnt es immer mehr auch die Bedeutung 'Leute', 'Mensch' - von da aus entwickelt es sich dann zu 'niemand' mit ne (wie lat. nemo aus ne - hemo, cf. Rheinfelder 1928, 73 oben) über Verwendungen im Negationsskopus (vor allem solche ohne Determinante). Z u m Okzitanischen: Ähnlich wie im Italienischen ist in

134s· 100 101

100

indefinit-pronominaler Verwendung, wobei gerade in Texten älterer Sprachstufen und unvollständiger Artikelgrammatikalisierung die Abgrenzung zwischen einem nicht-determinierten und nicht-attribuierten indefiniten Nominalsyntagma etwa der Bedeutung 'eine Person' und einem Indefinitpronomen der Bedeutung 'jemand' oder auch 'niemand' oftmals problematisch bleibt.

3.2.2 Die Indefinita vom Lateinischen zum Italienischen - Funktionen Diachronische Untersuchungen im Bereich der Romanistik sind gleichermaßen mit der Möglichkeit, Belege für die Herkunftssprache der romanischen Sprachen, also des Lateinischen, vorliegen zu haben, und mit dem Nachteil, daß diese Belege in aller Regel nicht der Varietät bzw. den Varietäten des Lateinischen entstammen, aus denen sich die einzelnen romanischen Sprachen unmittelbar in unterschiedlichen Sprachkontaktsituationen entwickelt haben, konfrontiert. Es ist also einerseits nicht möglich, das ursprüngliche für die Italoromania anzunehmende vulgärlateinische Inventar nominaler Indefinita mit den Verhältnissen in den analysierten altflorentinischen Texten und dem modernen Standarditalienischen direkt zu vergleichen. 102 Andererseits sind sowohl die Texte der klassisch-lateinischen Überlieferung als auch die analysierten fast ausnahmslos einer extremen Distanzsprachlichkeit zuzuordnen, die sie konzeptionell grob vergleichbar macht, ganz abgesehen von dem Bewußtsein der (klassisch) lateinischen Verhältnisse bei den Schriftstellern des Trecento und des Humanismus (insbesondere wohl bei Dante, Boccaccio, Alberti, Bembo). Diese grobe diskurstraditionelle Kontinuität und allgemein die Bezogenheit der «verschiedene[n] Sprachformen innerhalb des lateinischen Varietätenraumes [...] auf die lateinische Standardsprache» 10 ' entschärfen die Problematik einer fehlenden einzelsprachlichen und varietätenbezogenen Kontinuität keineswegs, motivieren aber die Einbeziehung der klassisch-lateinischen Indefinita in die Diskussion der einzelnen Lemmata. Es liegen bisher hauptsächlich Untersuchungen zu den klassisch-lateinischen Indefinita vor, die in der Mehrzahl keine Fortsetzungen in den romanischen Sprachen erfahren haben. Außerdem muß stets beachtet werden, daß die klassisch-lateinischen «Entdeterminierer» auch funktional nicht das Gleiche leisten wie die späteren romanischen unbestimmten Artikel (cf. Kapitel 2.4.2 und 7.4). Daher soll im folgenden nur ein kurzer Überblick über die klassisch-lateinischen Verhältnisse gegeben werden, unter besonderer Berücksichtigung der Etyma und speziellen Funktionsbereiche der im einzelnen untersuchten altflorentinischen bzw. italienischen Indefinita.

102

103

mittelalterlichen Texten ein non-persona zu finden, das sich aber nicht durchsetzt, cf. Rheinfelder 1928,765s. Z u einer ausführlichen Reflexion dieser Problematik cf. Kapitel 1 und Selig 1992, 1-19. Selig 1992,5.

ΙΟΙ

Hofmann/Szantyr 1997 [1965] zählen neben dem zusammen mit ille schon als Artikel(vorläufer) ausgesonderten unus im wesentlichen folgende nominale lateinische Indefinita auf: quis hauptsächlich in Fragen, später wie aliquis auch in der Protasis, 104 aliquis [nicht-spezifisch], aber zunächst noch nicht unter Negationsskopus (erst in nachklassischer Zeit, dort dagegen nemo aus *ne-hemo und vor allem nullus aus *ne oinelos, nicht-klassisch zunächst auch wie romanisch nicht fortgesetztes nihil und als verstärkende Negationspartikel non verwendet, neben ausgestorbenem nequis und neuter),105 quisquam und verwandte und ullus als [nicht-spezifisch] in «negative polarity contexts» wie in Fragen, in der Protasis, im «standard of comparison» oder nach Negation, höchst [spezifisches] quidam, archaisches quispiam (ursprünglich [nicht-spezifisch]106) und vereinzelt nonnullus/nonnihil als spezifisch-bekannt und alle Kompositionen mit -vis, -libet und -cumque als «free-choice».1®7 Genauer untersucht Carmen Codoner die Distribution von nicht-spezifischem aliquis und quisquam auf der einen und von eher spezifischem quidam und quispiam auf der anderen Seite und sieht eine allmähliche Verschiebung der Vorkommen von Plautus, Terenz über Lucrez bis zu Cicero, die insbesondere ein Eindringen des ursprünglich nicht-spezifischen aliquis in negative Kontexte (vorher quisquam vorbehalten), umgekehrt das Auftreten von quidam in nicht-spezifischen Kontexten und das allmähliche Verschwinden von quispiam zugunsten von quidam betrifft. 108 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die detailreiche Studie von Anna Orlandini, die quisquam im klassischen Latein den reichsten Funktionsbereich zuschreibt (hauptsächlich in negativen Kontexten, möglich aber auch in neutralen Kontexten ohne Existenzpräsupposition und sogar mit Existenzpräsupposition. 109 Frühe Untersuchungen zum Vulgärlateinischen vermerken selbstverständlich den häufigen Gebrauch von unus in Determinantenposition 110 bei Plautus,

Speziell zur ursprünglich komplementären Verteilung von quis und aliquis cf. Mellet 1992. 105 Z u r Entstehung der klassischen und nachklassischen Negativa cf. auch Hofmann 3 i 9 5 i , 79s.; zu nulla statt nihil im Vulgärlateinischen cf. Väänänen 21981,127, und Kapitel 5. 106 Cf. Fugier 1983,256. 107 Cf. Hofmann/Szantyr 1997 [1965], 191-203. Sie erwähnen auch die nicht-klassische Verwendung von homo als «generic pronoun». 108 Aliquis findet sich zunächst in affirmativen Kontexten (nur in 3,5% der Fälle bei Plautus in Frage / Protasis, noch seltener in eine Negation enthaltenden Sätzen!); das Bild ist bereits ein wenig anders bei Terenz: 6,4 % negierte Protasis, 6,4% Negation, 4,2% Frage; bei Lucrez: 20% in der Protasis, 17,7% negiert, 6,6% in der Frage; bei Cicero sind schließlich nur noch 58% der aliquis-Okkurrenzen in affirmativen Kontexten zu finden (daneben ist ein Anstieg bis Tacitus vor allem in der Protasis zu verzeichnen, wo es dann allmählich zu einer Verdrängung von quisquam kommt bzw. zu einer Aufgabe der klaren Verteilung von aliquis auf positive, von quisquam auf negative Kontexte bei Cicero, cf. Codoner 1968,21). Quidam ist demgegenüber eindeutig spezifisch-bekannt zu interpretieren und kommt bei Plautus zunächst fast ausschließlich in affirmativen Sätzen vor, selten in der Protasis (2,3%) - ähnlich bei Terenz, etwas problematischer ist die Lage bereits bei Lucrez (quidam scheint seine Spezifizität zu verlieren). 109 Cf. Orlandini 1983. 110 Nach Hofmann 3 i 9 5 i ursprünglich mit der Bedeutung 'nur so', 'allein', also fokussierend, cf. Hofmann 3 i 9 5 i , 101. 104

102

Catull, auch Cicero u.a., mit zunächst starker Annäherung an die spezifische Funktion von quidam,in und dann seine Ausbreitung auch in nicht-spezifische Kontexte, also ganz parallel zu den übereinzelsprachlich immer wieder beobachteten Prozessen bei der Grammatikalisierung von Artikeln. 1 1 2 Eine häufig angeführte Belegstelle aus Cicero zeigt unus im Vergleichsterm (cf. Kapitel 3.3.4), also bereits in einer nicht-spezifischen Umgebung: «(mihi) qui sicut unus pater familias his de rebus loquor ('der ich wie ein Hausvater über diese Dinge spreche', Cicero, De oratore 1,132)». 1 1 3 Z u Entwicklungen im Paradigma vulgärlateinischer nominaler Indefinita finden sich nur wenige Bemerkungen. Veikko Väänänen sieht so beispielsweise die aussterbenden quidam, quisquam, quispiam, quivis, quilibet etc., die, wie wir gesehen haben, im klassischen Latein funktional ja durchaus unterschiedlich distribuiert waren, einerseits in Konkurrenz zum spezifischen certus (schon bei Cicero, Pro M. Claudio Marcello oratio, 16: «insolentia certorum hominum»),"4 andererseits zum nicht-spezifischen aliquis bzw. *alicunus.115 Nonnulli/complures werden durch diversi ersetzt (L. Caecilius Firmianus Lactantius, rhetor Africans, Divinae Institutiones, 4,27,17: «per diversas regiones»),116 während nullus und nemo in Konkurrenz zu nec unus / neque unus (woraus niuno entsteht) stehen (Peregrinatio Aegeriae 8,1: «ita ut nec unam habitationem habebat»).111 Für unsere Zwecke zunächst völlig ausreichend zeigt Selig innerhalb des klassisch-lateinischen Paradigmas nominaler Indefinita eine relativ klare Spezialisierung von quidam auf spezifische Verwendungsweisen auf, während unus hinsichtlich der Opposition spezifisch - nicht-spezifisch neutralisiert sei, 1 ' 8 und die mit ali- bzw. -cumque gebildeten vor allem auch pronominalen Indefinita (aliquis) neben quis, ullus, quilibet etc. in typisch nicht-spezifischen Kontexten auftreten. 1 1 ' Seligs Spezifizitätsbegriff entspricht dabei dem Unterschied zwischen einem beliebigen Element aus einer Klasse (nicht-spezifisch) und einem bestimmten, für den Hörer aber nicht identifizierbaren Element aus einer Klasse (indefinit-spezifisch). Etwas präziser und Hofmann/Szantyr in weiten Zügen entsprechend beschreibt Haspelmath eine Beschränkung der Indefinitpronomina auf -dam auf spezifisch-bekannte Referenten im Unterschied zu den ali-Komposita, die auch spezi^jcft-unbekannte Referenten bezeichnen und in verschiedenen typisch nicht-spezifischen Kontexten wie Fragen u.ä. vorkommen können; in

Cf. Hofmann 3 i 9 5 i , 102, und Väänänen 3 1981,119, Plautus, Truculentus, 250: «est huic unus servus indolentissimus», zitiert nach Väänänen 3 1981,119; dort finden sich auch bekannte Stellen aus der Vulgata. 1 1 2 Cf. etwa Greenberg 1978, Givon 1981, Selig 1992 und Kapitel 1.2 und 6. 113 Zitiert nach Pinkster 1988,144. 1 1 4 Zitiert nach Väänänen 3 1981,126. 115 So auch bei Kühner/Stegmann 3 I955,650. 116 Zitiert nach Väänänen 3 i 9 8 i , 127. 1 1 7 Zitiert nach Väänänen 3 1981,127. 118 Cf. Selig 1992, 112s.; anders zeigt Meisterfeld 2000,320s., daß in frühen lateinischen Belegen unus meist wie quidam eher spezifisch verwendet wird. " 9 Cf. Selig 1992,114s. 111

103

Fragen, der Protasis, unter indirektem Negationsskopus und als Vergleichsterm stehen bevorzugt Kompositionen mit -quam, im Negationsskopus Zusammensetzungen mit n-, und als sogenannte «free-choice»-Indefinita begegnen Indefinitpronomina

mit -vis und -libet. Haspelmath differenziert insgesamt stärker

als Selig innerhalb des Bereiches der

Nicht-Spezifizität.120

Insgesamt sind romanisch nicht fortgesetzt worden: aliquis alleine, nemo, nequis, neuter, nihil, nonnullus, nonnihil, quidam, quispiam, quisquam eine etymologische Beziehung der -unque-Reihe

(obwohl

mit dem zweiten Wortbildungs-

element angenommen werden kann), ullus und die Kompositionen mit -vis und -libet im «free-choice»-Bereich, so daß der Bereich des

Spezifisch-Bekannten

(vormals quidam) und der weite Bereich der Nicht-Spezifizität

und der «free-

choice»-Funktion (vormals verschiedenste Elemente der -quam und -vis-, -libetReihen etc., spätlateinisch hauptsächlich aliquis und aliquis unus) lexikalisch weitgehend neuorganisiert werden muß. Haspelmath hat bezüglich der Indefinitpronomina im modernen Standarditalienischen nun folgende funktionale Distribution festgestellt: Der Bereich der Spezifizität und der Bereich der Nicht-Spezifizität

bis zu den Funktionen Frage,

indirekter Negationsskopus und Protasis (cf. Kapitel 3.3.4) sei von qualche (und möglicherweise verwandten indefiniten Komposita bzw. Zusammenrückungen) besetzt (qualche selbst ist allerdings gar kein Indefinit-Pronomen), während die Reihe der explizit negativen Indefinita wie nessuno im Negationsskopus, aber auch in Fragen auftreten kann (nach Rohlfs bis in die Protasis hinein), 121 und im «standard of comparison», dem Vergleichsterm122 nita die -unque-Reihe

und als «free-choice»-Indefi-

fungiert. In Haspelmaths Darstellung haben sich so die

fünf funktional unterschiedenen Reihen von lateinischen Indefinitpronomina auf drei wesentliche Reihen im modernen Standarditalienischen reduziert. D a mit hätten sich Verschiebungen vor allem bezüglich der lateinischen

-quam-Rei-

he (jetzt noch im Vergleichsterm und neu in dem von den ausgestorbenen -vis-, Komposita alleine belegten «free-choice»-Bereich, der aber auch durch das neue, den alten Bildungen strukturell-semantisch entsprechende qualsivoglia etc. ausgefüllt wird), aber auch bezüglich der explizit negativen Indefinita ergeben, die im (klassischen) Latein nur im direkten Negationsskopus, nun auch im indirekten und mit positiver Bedeutung sogar in Fragen auftreten können. 1 2 3 Z u alcuno macht Haspelmath 1997 keine Angaben, obwohl es in etymologischer Beziehung zu den «//-Elementen des Lateinischen steht, ebenso wenig zu den neuen, mit qualche strukturell und mit den lateinischen -vw-/-/ifte/-Komposita semantisch-funktional verwandten qualsiasi bzw. qualsivoglia-Indefinita.

Über-

einzelsprachlich häufig finden sich außerdem Indefinitpronomina aus «generic

120 121 122 123

Cf. Haspelmath 1997,69. Cf. Rohlfs 1968, vol. 2,216. Nach Schwarze 2i995,683SS. Cf. zu diesen funktionalen Beschreibungen lateinischer und italienischer Indefinitpronomina die Darstellungen bei Haspelmath 1997,69s. 104

nouns» wie cosa, roba, persona12* häufig in Kontexten von «negative polarity» oder in negativen Kontexten (cf. Kapitel 3.3.4 und Kapitel 5); dies wird zu überprüfen sein. Die funktionale Distribution all dieser indefiniten Elemente in einer entscheidenden Zwischenstufe zwischen dem Lateinischen und dem modernen Standarditalienischen wird vor allem in Kapitel 6 anhand der Haspelmathschen Untersuchungskategorien dargestellt werden. Hinweise auf die altitalienische Distribution der Indefinite können auch den Bemerkungen in der Enciclopedia Dantesca, im Abschnitt «Aggettivo e pronome indefinito», entnommen werden. Offensichtlich kommen danach qualcuno und taluno nicht, qualche kaum vor, was unseren Beobachtungen zum Convivio entspricht. Erkannt ist dort weiterhin die negative Bedeutung von alcuno im Negationsskopus (wird als parallel mit nessuno und nullo beschrieben, während qualche immer positiv bleibt), und es wird eine Unterscheidung bezüglich der jeweiligen Quantifizierung von alcuno ('mehr als einer') und uno vorgenommen, die auch als Unterscheidung nichtspezifisch-spezifisch interpretiert werden könnte. 125 Nessuno und nullo können wie im modernen Standarditalienischen in affirmierten Sätzen mit positiver Bedeutung auftreten und werden sogar mit qualsiasi, also «free-choice»-Elementen parallelisiert - letzteres wäre eine Abweichung vom heutigen Gebrauch nach Haspelmath. Da außerdem im Alttoskanischen bereits formal die gleichen Lemmata wie bei Haspelmaths Untersuchung der modernen italienischen Indefinitpronomina vorliegen, die im Unterschied zum (klassischen) Lateinischen den (pragmatischen) Unterschied zwischen «Referent dem Sprecher bekannt» und «Referent dem Sprecher unbekannt» nicht durch eine eigene Reihe von Indefinita markieren, wird dieser Unterschied bei der Untersuchung der «Spezifizitätssensitivität» der alttoskanischen Indefinita nicht berücksichtigt. Selig stellt dagegen überraschenderweise einfach eine Kontinuität bezüglich der hauptsächlichen funktionalen Auslastung der Indefinita vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen fest, wenn sie formuliert: « Onus neutralisiert hingegen, wie der indefinite Artikel in den romanischen Sprachen, die Opposition und tritt sowohl bei spezifischen als auch bei nicht-spezifischen Nennungen auf». 126 «Präzisierend muß hinzugefügt werden, daß eine [...] De-Semantisierung nur bei den Vorläufern des definiten Artikels ille und ipse zu beobachten 1st».127

Es wird zu zeigen sein, daß diese Kontinuität in funktionaler Hinsicht keineswegs besteht, sondern beispielsweise die Neutralität der romanischen Fortsetzer von lat. unus eine eigene Neuerung ist, die mit Umstrukturierungen innerhalb des Paradigmas nominaler Indefinita in engem Zusammenhang steht (cf. Kapitel 6 und 7).

124 ,25 126 127

Cf. Haspelmath 1997,182s. Cf.Ambrosini 2 i984,190s. Selig 1992,112, Hervorhebung E.S. Selig 1992,115.

105

3-3

Die Untersuchungskategorien

Die im vorhergehenden Abschnitt vorgestellten 20 altflorentinischen nominalen Indefinita, ergänzt um Vorkommen nicht-determinierter Nominalsyntagmen und Vorkommen des Partitivs, werden in den neun Texten bezüglich insgesamt 33 verschiedener Kategorien untersucht, um ihre Distribution und vor allem ihre Hauptfunktionen in den Texten erfassen zu können. Diese Kategorien sind zum Teil überlappend (belebte Referenten sind etwa immer auch der Klasse der Konkreta zuzuordnen, cf. Kapitel 3.3.1; ein spezifizierender Relativsatz stellt immer ein Attribut dar, cf. Kapitel 3.3.2; Indefinita können in einem einzigen Beleg in mehreren «Nicht-Spezifizitätskontexten» gleichzeitig vorkommen, cf. Kapitel 3.3.4 etc.). Andere sind gegeneinander klar abgegrenzt; pro Beleg kann ein Indefinitum natürlich nur in einer syntaktischen Funktion auftreten (cf. Kapitel 3.3.3). Die Untersuchungskategorien sind dabei verschiedenen Arbeiten zu nominalen Indefinita, zur nominalen Referenz als Kohärenzphänomen oder zur Grammatikalisierung von Artikelsystemen entnommen und werden zum ersten Mal in einer Untersuchung in diesem Umfang zusammengestellt und angewendet. In verschiedenen Fällen wurden die in der Forschung vorgefundenen Kategorien durch weitere, für eine umfassende Beschreibung der Indefinita als notwendig erachtete ergänzt. Je nach Interessensschwerpunkt der einzelnen Forschungsarbeiten wurden bisher ganz unterschiedliche strukturelle, semantische oder auch syntaktische Eigenschaften der nominale Indefinita enthaltenden Nominalsyntagmen in den Vordergrund gestellt; selten wurde mehr als ein Aspekt (z.B. Zählbarkeit und Numerus oder syntaktische Funktion und Position des indefiniten Nominalsyntagmas) analysiert, noch seltener wurden Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aspekten hergestellt. Im folgenden werden die zugrundegelegten Untersuchungskategorien, stets im Zusammenhang mit ihrer Relevanz für einzelne Funktionsbereiche der nominalen Indefinita, dargelegt.

3.3.1 Die Unterscheidung zählbar - nicht-zählbar und die Klasse des Kernsubstantivs Die Klasse des Kernsubstantivs eines (nicht-)determinierten Nominalsyntagmas ist in Artikelsprachen, aber auch in Sprachen ohne grammatikalisierte Nominaldetermination, teilweise korreliert mit unterschiedlichen Determinationsmöglichkeiten bzw. -paradigmen. Die (semantische) Klassifizierung von Lexikoneinheiten, die sich meist implizit nach (außersprachlichen) Eigenschaften der entsprechenden Referenzklassen richtet, kann beispielsweise wie folgt vorgenommen werden. Lexikalische Klassen (Verben, Substantive, Adjektive) sind klassifizierbar nach:

106

«(a) temporal stability (rate of change over time); (b) concreteness (physicality); (c) compactness (degree of spatial scatter); (d) complexity (number of defining features)». 128

Danach können Substantive Denotate besitzen, welche relativ komplex, kompakt und vor allem «time-stable» sind. Die Gruppe der Substantive kann dann weiter unterteilt werden in Konkreta (denotieren Entitäten, die in Raum und Zeit existieren wie Fels oder Baum) vs. «temporale Substantive», deren potentielle Referenten nur eine zeitliche Existenz haben (Sonntag, Jahr) vs. Abstrakta, deren potentielle Referenten gar nicht über eine raum-zeitliche Existenz definiert werden können (Freiheit, Liebe, Größe).129 Alle Substantive sind in manchen Sprachen weiterhin einteilbar nach ihrer Zählbarkeit oder besser nach bestimmten Eigenschaften ihrer Denotate, was count nouns oder «entity-denoting nouns», Individualnomina («individual entities» wie man oder house) mass nouns oder «mass-denoting nouns», Massennomina («groups or unindividuated entities» wie sand, water, right, love) gegenüberstellt (cf. genauer Kapitel 7). 130 Diese lexikalischen Klassen (von Substantiven) sollen nicht als universal angenommen werden, wenn auch Konkreta wohl in jeder Sprache angesetzt werden können. 131 Dennoch sind in unserem Zusammenhang von höchster Relevanz zunächst die Zählbarkeit von Nominalsyntagmen im Zusammenhang mit «mass-denoting» vs. «entity-denoting nouns» (zur genaueren Unterscheidung und theoretischen Situierung dieser Opposition cf. Kapitel 7) und dann der Numerus (Singular oder Plural) des Kernsubstantivs bzw. des ganzen Nominalsyntagmas, da nominale Indefinitheit und Quantifizierung in logisch-semantischer Hinsicht in engstem Zusammenhang stehen. Die definite oder indefinite Determination eines Nominalsyntagmas hängt zunächst stets mit dessen Quantifizierung zusammen, da die mögliche Identität verschiedener Vertreter einer Klasse untereinander bzw. das explizite Anzeigen von Nicht-Identität die Gegliedertheit einer Menge in einzelne Elemente voraussetzt. Vor allem im indefiniten Bereich rund um den indefiniten Artikel aus dem Numerale 'eins' spielt diese Gegliedertheit eine große Rolle (dies gilt nicht für definite Nennungen und weniger für pluralische Nominalsyntagmen, cf. Kapitel 7). In diachroner Perspektive läßt sich beobachten, daß der unbestimmte Artikel und seine Vorgänger bzw. Konkurrenten und Komposita oder auch der Partitiv unmarkiert zunächst nur mit

128 129

130 131

Givon 1993,54. Dies erinnert stark an die Klassifikation von Substantivdenotaten nach «first-order entities» mit physikalisch faßbarer Existenz, «second-order entities» mit zeitlicher und beobachtbarer Existenz und nicht nur auf reine «Zeit-Bezeichnungen» beschränkbar und «third-order entities» ohne raum-zeitliche Existenz; zurecht hat Lyons 1977,443, darauf hingewiesen, daß Abstrakta in den beiden letzten Gruppen zu finden sind; cf. dazu Lyons 1977,442-447, in Rekurs auf Strawson 1959. Speziell zu außersprachlichen Eigenschaften abstrakter Referenten cf. auch Asher 1993. Z u weiteren Unterteilungen cf. Givon 1993,53-57· Cf. auch Löbel 1993. Cf. dazu bereits Lyons 1977,447, Allan 1980 und neuerdings Rijkhoff 2002.

107

Nomina einer bestimmten Klasse auftreten, so daß das Merkmal [zählbar] mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich ist für die Distribution nominaler Indefinitdeterminanten in unserem Korpus. In jedem Fall scheint (in unseren Sprachen) die Aktualisierung eines Substantivs im Nominalsyntagma mindestens die Angabe seiner Zählbarkeit (Pluralmorphem) und/oder seiner (In-)Definitheit zu erfordern (cf. Kapitel 7.2 und 7.4). Vor allem durch Nominaldetermination bei Nominalsyntagmen im Singular liegt im indefiniten Fall dann gleichzeitig die Klassifikation des Kernsubstantivs bzw. des ganzen Nominalsyntagmas als zählbar oder nicht-zählbar und die Apprehension eines Referenten als «partikulären Vertreter der Klasse der konturierten Gegenstände» 132 oder nicht vor. Zählbarkeit von Substantiven bzw. ganzen Nominalsyntagmen ist also eine klassenbildende Eigenschaft, die durch Nominaldeterminanten explizit angezeigt werden kann, wobei der einzelsprachlich je verschiedene Apparat der Quantifizierung bzw. Determination oftmals über die Grenzen einzelner lexikalischer Substantivklassen hinweg funktioniert. 133 Einen Problembereich für die dichotomische Aufteilung nominaler Lexikoneinheiten in zählbar bzw. genauer «entity-denoting» und nicht-zählbar bzw. «mass-denoting» (cf. Kapitel 7) stellen Abstrakta dar, deren Denotate ja keine «konturierten Gegenstände» sein können, aber auch nicht stoffartig sind.' 34 Entsprechend bleiben Abstrakta im Singular, auch im Plural, häufig nicht-determiniert, ohne daß ihre Denotate im Sinne der «mass-denoting nouns» nicht-teilbar, kumulativ etc. wären. Sie scheinen zum Teil eine eigene Determinationsklasse zu bilden, 135 was sich auch in diachronischen Untersuchungen zum Determinantengebrauch immer wieder zeigt. Im modernen Standarditalienischen verhalten sich Abstrakta zumindest teilweise als eigene Determinationsklasse; sie sind häufiger nicht-determiniert als konkrete «mass-denoting nouns». Daher besteht neben der Untersuchungskategorie [zählbar] auch eine Kategorie [konkret], [Zählbar] als Untersuchungskategorie bedeutet nur in diesem Zusammenhang «entitydenoting noun»; das Denotat des entsprechenden Kernsubstantivs besitzt im unmarkierten Fall die Eigenschaften der Nicht-Teilbarkeit und der Nicht-Kumulativität (wie macchina, cf. Kapitel 7.1). Gemeint ist also (noch) nicht Zählbarkeit als einzelsprachliche grammatische Eigenschaft von Nominalsyntagmen, da diese der vorliegenden Auffassung nach mit der Ausbildung des Systems der Nominaldetermination und nicht mit der Denotation einzelner Substantive unmittelbar zusammenhängt (cf. Kapitel 2.4 und 7.4). Innerhalb des Bereiches der Zählbarkeit spielt weiterhin die Opposition Singular - Plural eine zentrale Rolle für die Distribution indefiniter Nominal-

Meisterfeld 2000,328. •33 Cf. dazu Corbett 2000,85s. 134 Cf. dazu Wilmet 1989 und die Beiträge in Flaux/Glatigny/Samain 1996. 135 Sie sind bei Givön 1993 ja auch lediglich den Konkreta, nicht aber den «entity-denoting» Substantiven unmittelbar gegenübergestellt. 132

108

determinanten'3 6 bzw. auch die Morphologie mancher Indefinitpronomina. 137 So liegen im Bereich indefiniter nicht-spezifischer Referenzart im modernen Standarditalienischen im Plural im Gegensatz zum Singular zwei Determinationsmöglichkeiten vor (dei und Null). 138 Übereinzelsprachlich häufig ist das Fehlen explizit indefiniter Nominaldeterminanten im Plural zählbarer Substantive, 1 3 ' überhaupt verhalten sich der Plural zählbarer Nominalsyntagmen und der Singular nicht-zählbarer Nominalsyntagmen bezüglich Determination und Distribution, aber auch in semantischer Hinsicht,1'·0 in vielen Sprachen übereinstimmend. Auch der Zusammenhang zwischen Attribution und expliziter Nominaldetermination ist im Singular eher gegeben als im Plural. 14 ' Offensichtlich besteht die nicht-generische Lesart und nicht-definite Aktualisierung von Substantiven in Sprachen mit (teil)grammatikalisierter Nominaldetermination also hauptsächlich in der Indikation der (Nicht-)Zählbarkeit, im Singular explizit durch Nominaldeterminanten, im Plural morphologisch durch den Numerus. Der Zusammenhang von Verschiebungen im Ausdruck der (nominalen) Quantifizierung und Entstehung von Nominaldetermination als einzelsprachlicher grammatischer Kategorie ist gerade in jüngster Zeit immer wieder thematisiert worden und wird auch zentrales Thema dieser Arbeit sein (cf. Kapitel 6 und Kapitel 7). 142 Innerhalb der Klasse der «entity-denoting» Konkreta ist schließlich noch eine referenzsemantisch und textstrukturell wesentliche Unterscheidung zu machen, nämlich diejenige nach belebten und unbelebten Referenten.' 4 3 So haben die Ergebnisse in Selig 1992 zur Grammatikalisierung der Nominaldeterminanten im Spätlatein ergeben, daß Protagonisten der untersuchten Erzählungen, also belebte (und im Regelfall menschliche) 144 Referenten, bevorzugt determiniert und dadurch fokussiert werden.' 45 Dies ergibt sich aus ihrer zentralen Stellung in der Gesamtvorstellung vor allem narrativer Texte: Sie sind wesentliche

136

Cf. Chesterman 1991, I8ISS., Himmelmann 2001, genauer zum Italienischen Korzen

137

Chiunque/qualunque haben zum Beispiel keinen morphologischen Plural, während certi/diversi, auch alcuni in Singular und Plural unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen aufweisen, cf. genauer Kapitel 6 und Kapitel 7. Cf. Renzi 3 i99i,364. Cf. hierzu die Beobachtungen in Himmelmann 2001. Cf. etwa Krifka 1989,5 iss. Cf. Kapitel 3.3.2 und die detaillierte Studie von Korzen 1996. Cf. etwa Gil 1987, Meisterfeld 1998 und 2000, Barbera 1999, Leiss 2000, Presslich 2000. Cf. dazu auch Givon 1993: Konkreta werden dort unterteilt nach Belebtheit: animate (Fauna) vs. inanimate (Flora und Dinge!). Die inanimates sind unterteilbar nach artifactness: natural nouns (Gras) vs. artifacts (Haus), die animates in human vs. non-human, cf. Givon 1993,53-57. Prototypische belebte zentrale Textreferenten sind Menschen, in Einzelfällen und bestimmten Diskurstraditionen allerdings auch Tiere, so daß nicht mehr weiter differenziert wurde. Cf. Selig 1992,125s.

1996,496SS.

138 139 140 141 142

143

144

109

Inhaltselemente und daher im Text zu kennzeichnen, was auf einen weiteren die (Nicht-)Determination von Nominalsyntagmen beeinflussenden Faktor im Bereich des Kernsubstantivs hindeutet. Z u beachten ist in diesem Zusammenhang auch die wohl universale Affinität von topics, also Satz- und Textgegenständen, und belebten Referenten. 146 Ein belebter Referent ist ein wahrscheinlicherer Agens oder Experiencer oder Benefaktiv als ein unbelebter und auch ein wahrscheinlicherer Gegenstand einer Prädikation oder sogar eines ganzen Text(abschnittes), also ein topic; als solches muß er mit den in den jeweiligen Sprachen zur Verfügung stehenden Mitteln gekennzeichnet werden (topologisch, intonatorisch oder eben auch durch explizite Nominaldetermination). 147 Insgesamt ergeben sich dadurch folgende vier Untersuchungskategorien, die die (lexikalische) Klasse des Kernsubstantivs bzw. paradigmatische Eigenschaften des Nominalsyntagmas betreffen und jeweils als zutreffend bzw. nichtzutreffend in der Datenbank markiert werden: [zählbar] im Sinne von «entity-denoting» und [Singular] auf der einen und [konkret] und [belebt] auf der anderen Seite. Ergänzend wurde eine Kategorie [Konversion] eingeführt, um das obligatorische Auftreten von uno beispielsweise mit substantivierten Infinitiven als (Verbal-) Abstrakta (z.B. häufig im Convivio, Ε perö, con cid sia cosa che lo consentire e uno confessare, Convivio I., Kap. 2,10) als eine durch die (syntaktische) Kategorie und Klasse des Kernsubstantivs herbeigeführte Okkurrenz von Nominaldetermination beschreiben zu können.

3.3.2 Die interne Struktur des Nominalsyntagmas Die Distribution der einzelnen Indefinita wird bezüglich der internen Struktur des jeweiligen Nominalsyntagmas untersucht, also bezüglich möglicher Kookkurrenz mit Attributen (adjektivisch, nominal, präpositional oder als Relativsatz) und möglicher Postposition der Indefinita relativ zum lexikalischen Kern. Die interne Struktur des gesamten zu untersuchenden Nominalsyntagmas ist deshalb von zentralem Interesse, da allgemein als ein Kriterium für den Artikelstatus von Nominaldeterminanten gilt, daß diese in bestimmten syntaktischen Umgebungen obligatorisch sind, etwa bei Nominalsyntagmen, die durch Relativsätze erweitert sind. 148 Auf der anderen Seite erleichtert die Attribution bei-

146

147 148

Wie sie beispielsweise Givön 1995 auf der Grundlage zahlreicher älterer Arbeiten zum Thema herausgearbeitet hat. Cf. dazu Givön 1995,46SS. Cf. Himmelmann 2001,833, und zu den romanischen Sprachen Laca/Tasmowski 1994, die im Plural bei attribuierten Nominalsyntagmen generell den Artikel als grammatisch notwendig erachten. Z u m älteren Italienischen cf. auch die Beobachtungen bei Korzen 1996 zum Partitiv bei mit Relativsatz erweiterten Nominalsyntagmen im Singular, Korzen 1996,347SS., 350; zum Altspanischen und der Kookkurrenz von Artikel und attributivem Relativsatz cf. Santana Herrara 1982.

110

spielsweise im Prädikativ 14 ' das Fehlen expliziter Nominaldeterminanten auch in Sprachen mit voll grammatikalisierter Nominaldetermination. In seiner breit angelegten deskriptiven Studie zum Artikelgebrauch im modernen Standarditalienischen beschreibt l0rn Korzen das (fast) vollständige Fehlen von nicht-determinierten präverbalen Subjekten im Singular bei «entitydenoting nouns» und konkreten Substantiven, wobei nicht-determinierte, aber attribuierte Nominalsyntagmen eher auch präverbal auftreten und attribuierte Nominalsyntagmen im Plural weniger als nicht-attribuierte generisch oder quasi-generisch gelesen werden können: ( 1 1 ) Bambini scalzi giocano su un marciapiede

intermittente.150

Nicht anderweitig determinierte und nicht-attribuierte präverbale Subjekte und postverbale Objekte im Singular haben (außer in Funktionsverbgefügen u.ä.) in der Regel den Partitiv: (12) Linda rideva come un gallo. Deila geilte ci stava α guardare.1^1

was sich schon in älteren Sprachstufen angedeutet hat.' 52 Attribution verstärkt also im allgemeinen die Möglichkeit eines nicht-determinierten Nominalsyntagmas, in Argumentposition aufzutreten, wobei dieser Zusammenhang im weder Quantifizierung noch Identifizierung explizit anzeigenden Singular weit relevanter ist als im Plural. 153 Im Altfranzösischen sind explizit mit un determinierte indefinite Nominalsyntagmen relativ häufig attributiv erweitert.' 54 Diese diachrone Beobachtung weist auf den übereinzelsprachlichen Zusammenhang von Attribution, allgemeiner einem reichen deskriptiven Gehalt eines Nominalsyntagmas, und seiner spezifischen Interpretation hin (cf. Kapitel 6), welcher die allgemeine Relevanz von Attributen für das Auftreten expliziter Nominaldetermination in frühen Stadien der Artikelgrammatikalisierung verstehen läßt. Neben adjektivischen oder nominalen Attributen sind es insbesondere nicht-restriktive Relativsätze bzw. bei «un specifique» nach einer wichtigen Präzisierung Georges Kleibers «relatives specifiantes», die eine spezifische Lesart des determinierten Nominalsyntagmas geradezu erzwingen. Im Gegensatz zur mengentheoretisch beschreibbaren Opposition «restriktiv/appositiv» 155 (die Prädikation des Hauptsatzes betrifft die durch Attribution hergestellte Teilmenge der Substantivdenotate vs. betrifft die gesamte, zusätzlich attribuierte Menge) ermöglichen «relatives specifiantes» mit

Cf. etwa speziell zu den Verhältnissen im Prädikativ van Peteghem 1992 und Kapitel 4.4. Korzen 1996,255; cf. hierzu die Zusammenfassung von Korzens Kapitel 5, Korzen 1996, 252-256. •s' Korzen 1996,488. 152 Cf. Korzen 1996,340-350. 1 5 3 C£ hierzu Krenn/Merz 1974, Rindler-Schjerve 1983 und vor allem Korzen 1996,3375s., 341SS., 508s. •st Cf. Heinz 1982,88ss. •55 Cf. dazu Kleiber 1984, i8oss. 149

150

III

definitem Artikel die Identifikation eines Referenten wie in Uileve qui a triche α έίέ puni.156 Indefinit-spezifisches un und seine jeweiligen Äquivalente lassen nun aber die semantische Unterscheidung «restriktiv/appositiv» insbesondere mit solchen spezifizierenden Relativsätzen gar nicht zu. 157 Un ami que j'ai renconίτέ hier rtia insulte erweist sich gegenüber allen gängigen Testverfahren zur Unterscheidung von restriktiven und appositiven Relativsätzen als resistent 158 und läßt in jedem Falle nur spezifische Interpretation zu. «Relatives specifiantes» in diesem Sinne sind Relativsätze, die spezifizierende Prädikate enthalten, also Prädikate, die ihren Referenten als Beteiligten an einem raum-zeitlich identifizierbaren Vorgang oder in einer raum-zeitlich genau eingegrenzten Situation spezifizieren bzw. lokalisieren. 159 Wenn also bestimmte Indefinita präferiert mit derartigen Relativsätzen auftreten, kann fast unmittelbar auf ihre Funktion als «Spezifizitätsindikatoren» (cf. Kapitel 6) geschlossen werden. Schließlich bleibt noch eine topologische Besonderheit mancher Indefinita zu untersuchen: Alcuno, nessuno, niuno, nullo, veruno und auch qualunque, qualsiasi und verwandte 160 sind dem Kernsubstantiv und seinen attributiven Erweiterungen entweder voran- oder nachgestellt, außerdem können sie zum Teil auch in Distanzstellung zum Rest des jeweiligen Nominalsyntagmas auftreten (Quantorenfloating). Damit bilden sie bezüglich ihrer Distribution eine Untergruppe der Indefinita, in der überwiegenden Zahl der Fälle interessanterweise alle mit mehr oder weniger eindeutiger negativer Bedeutung und teilweise in Abhängigkeit vom Numerus (cf. Kapitel 5). Frequenz und Korrelation verschiedener Positionen mit anderen distributionellen und funktionellen Eigenschaften dieser Lemmata werden daher hauptsächlich in Kapitel 6 Gegenstand der Diskussion sein. Insgesamt existieren demnach drei Untersuchungskategorien die interne Struktur der Nominalsyntagmen betreffend: [attribuiert], Attribution durch ei-

•s6 K l e i b e r 1 9 8 4 , 1 8 0 .

Cf. dazu genauer Kleiber 1 9 8 1 b , 2 9 6 S S . , und Kleiber 1 9 8 4 , 1 8 6 s . So kann der Relativsatz im Unterschied zu L'ami que j'ai rencontre hier m'a insulte als Antwort auf die Frage Qui t'a insulte? weggelassen werden, was auf seinen appositiven Status hindeuten würde; Kommata oder Sprechpausen vor und nach dem Relativsatz sind aber eher ungewöhnlich (wenn auch nicht ausgeschlossen), was wiederum auf seinen restriktiven Status hindeuten würde. Cf. dazu genauer Kleiber 1984, i88ss. 159 Cf. Kleiber 1981b: «Nous avons appele relatives specifiantes [...] Celles qui comportent un predicat specifiant, c'est-ä-dire un predicat qui fournit des points d'ancrage spatiotemporels qui permettent de localiser un individu particulier non encore delimite. On reconnait les predicate specifiants des non specifiants en ce que les premiers entrainent Interpretation specifique d'un SN indefini avec l'article Un, alors que les seconds sont incompatibles avec une telle interpretation. Le predicat de J'ai rencontre une Taihitienne est ainsi specifiant, tandis que celui de Une Taihitienne est grande est non specifiant, puisqu'il interdit la lecture specifique». Kleiber 1 9 8 1 b , 3 0 4 , Hervorhebungen im Text. 160 w j e für diese beiden zum Beispiel bei Schwarze 2 I995, 43, angemerkt; Rohlfs und Longobardi 31991 äußern sich nicht zur Position der Indefinita, auch Schwarze nicht zu Stellungsbesonderheiten der Negativa wie nessuno etc., cf. Schwarze 2 i995,357-369. 157

158

112

nen [spezifizierenden Relativsatz], mögliche [Postposition] des Indefinitums. Diese drei Kategorien werden durch zwei weitere ergänzt, die die Interpretation des gesamten indefinit markierten Nominalsyntagmas betreffen: Wenn dem betreffenden Nominalsyntagma im ganzen die [Funktion eines Indefinitpronomens] zugeschrieben werden kann (z.B. alcuna cosa diejenige von qualcosa oder persona je nach Stellung diejenige von qualcuno oder nessuno, cf. Kapitel 5) oder es eindeutig [generisch] interpretiert werden kann (cf. Kapitel 4.3), ist das jeweils bei der Analyse der Einzelbelege festgehalten worden.

3.3.3 Die syntaktischen Funktionen Wesentlich für die Interpretation der funktionalen Auslastung der einzelnen Indefinite in den Texten ist ihr Auftreten in den einzelnen syntaktischen Funktionen. Diese Untersuchungsdimension fehlt in den wenigsten Arbeiten zur Nominaldetermination und gibt Aufschluß über das textsyntaktische und funktionale Profil der einzelnen Indefinite. Erwähnenswert ist zunächst die große Relevanz der bevorzugten syntaktischen Funktionen der Nominaldeterminanten für die Überprüfung des in der Forschung immer wieder postulierten Zusammenhangs von Kasusabbau im Lateinischen und romanischer Artikelentstehung (cf. Kapitel 1.2), was die Determinanten eher präverbal in Subjekt- bzw. topic-Position erwarten läßt, 161 während Studien zu älteren romanischen Sprachstufen Determination zunächst eher postverbal belegen können. 102 Allgemein von Interesse ist die syntaktische Funktion determinierter Nominalsyntagmen auch für die Identifikation des Grammatikalisierungsstadiums der Nominaldeterminanten. 163 Das Auftreten (indefiniter) Nominaldeterminanten im Prädikativ ist außerdem geradezu ein Definiens für deren Artikelstatus (da Nominaldetermination dann auch in nicht-referentieller Umgebung vorliegt, ihren ursprünglichen funktionalen Kontext also verlassen hat), und gleichzeitig ein Indikator für verschiedene Typen von Kopulakonstruktionen (cf. Kapitel 4.4.2). Im Zusammenhang mit der Leiss'schen Theorie der Entstehung einer Nominaldetermination (cf. Kapitel 2.4.2) ist die syntaktische Funktion und Position der determinierten Nominalsyntagmen von zentralem Interesse, da diese der Theorie zufolge zunächst im postverbalen Bereich angesiedelt und interne Argumente (Objekte oder Subjekte unakkusativischer Verben) sind.

161

162 163

Cf. etwa Renzi 1987,1992, Vincent 1997, van Kemenade/Vincent 1997; dagegen sprechen allerdings die Ergebnisse in Selig 1992, cf. dazu genauer Kapitel 1.2. Cf. etwa Blazer 1980, Combettes 1987, Rosen 1994, Harold 1995. Etwa nach Greenberg 1978, der Sprachen ohne obligatorische Nominaldetermination im Prädikativ oder in (präpositional gefüllten) Adverbialen (neben anderen Umgebungen wie dem Negationsskopus, cf. Kapitel 3.3.4) dem Grammatikalisierungsstadium II zuschreibt, also noch nicht dem Endstadium III mit voll grammatikalisierten Nominaldeterminanten als reinen Substantivmarkern, cf. Greenberg 1978,64SS.

113

Nominaldeterminanten sind also je nach Forschungshypothese in frühen Stadien der Grammatikalisierung bevorzugt präverbal (als iop;oAnzeiger und gerade nicht mit Subjekten) oder postverbal und dort dann vor allem mit Subjekten zu erwarten, allgemein eher mit den zentralen syntaktischen Funktionen Subjekt und Objekt, weniger mit Adverbialen, zumal präpositional gefüllten, kaum oder gar nicht mit prädizierenden syntaktischen Funktionen wie Prädikativen oder Attributen/Appositionen, in denen sie auch in modernen Artikelsprachen fehlen können (cf. Kapitel 4.4). 164 Ganz ähnliches gilt für die Ausbreitung des im Italienischen erst spät entstandenen und nicht vollständig grammatikalisierten Partitivs, der nur in bestimmten syntaktischen Funktionen auftritt und zu uno und Nicht-Determination in Opposition stehen kann (cf. Kapitel 4.5,6 und Kapitel 7). Auch im modernen Standarditalienischen hängen die Position 165 und die syntaktische Funktion eines Nominalsyntagmas mit seiner (obligatorischen) Determiniertheit und entsprechend seinem referentiellen Status zusammen. Präverbale nicht-determinierte und gleichzeitig nicht-attribuierte Subjekte sind beispielsweise kaum zulässig (cf. Kapitel 3.3.2), während Prädikative, Appositionen, Präpositionalsyntagmen, aber auch Aufzählungen, also die Koordination mehrerer funktional gleichwertiger Nominalsyntagmen, Nicht-Determination wie in zahlreichen anderen Sprachen auch recht problemlos zulassen. In synchroner Hinsicht besteht also in Artikelsprachen ein Zusammenhang zwischen Nominaldetermination und Argumentstatus 166 und Position eines Nominalsyntagmas, in diachroner zusätzlich einer zwischen Nominaldetermination und informationsstrukturellem Status des jeweiligen Textreferenten auf Satz- (bekannt vs. neu) und Textebene (Vordergrund - Hintergrund). Außerdem ist die generische vs. partikuläre Interpretation eines indefiniten Subjektes von der Verbklasse abhängig oder sind indefinit determinierte Objekte im Singular in älteren Sprachstufen im Gegensatz zu Subjekten lange Zeit nicht generisch interpretierbar (cf. dazu Kapitel 4.1), so daß auch in referenzsemantischer Hinsicht vor allem Subjektund Objektposition im Satz von zentraler Bedeutung sind. Daraus ergeben sich folgende Untersuchungskategorien: die primären syntaktischen Funktionen [Subjekt], [direktes Objekt], [indirektes Objekt], Adverbiale (differenziert nach den kategoriellen Füllungen [advNP,] [advPP], da Determinanten in Präpositionalsyntagmen übereinzelsprachlich häufig fehlen

164

165

166

Genau diese Verteilung zeigen die Ergebnisse in Heinz 1982 und Chaurand 1991 zu definiten Nominaldeterminanten im Altfranzösischen. Z u entsprechenden übereinzelsprachlichen Beobachtungen cf. Krämsky 1972, 74-89, Greenberg 1978, 64-69, Himmelmann 2001,839s. Prä- oder postverbal und damit beispielsweise außerhalb des Skopus oder im Skopus der Satznegation mit Auswirkungen für die semantische Entwicklung und Interpretation einzelner Indefinite, cf. Kapitel 5. Cf. hierzu auch Delsing 1993,28ss. und 60, der die obligatorische Determination von Nominalsyntagmen in Argumentfunktion, ein Artikelkriterium nach Himmelmann 2001,834s., auch im Zusammenhang mit der Angabe ihres Numerus sieht.

114

und am spätesten grammatikalisiert werden, und [PP mit senza], welches qua negatives Element bestimmte Kookkurrenzpräferenzen aufweist) und [Prädikativ], die sekundären [Attribut bzw. Apposition]. 1 6 7 Ergänzt werden diese Kategorien durch die Feststellung der [Koordination] indefiniter Nominalsyntagmen gleicher syntaktischer Funktion miteinander, was auch im modernen Standarditalienischen Nicht-Determination von Argumenten wie Nicht-Argumenten begünstigt. 168 Tabelle 3 im A n h a n g gibt eine Übersicht über die Verteilung der einzelnen untersuchten Lemmata auf die syntaktischen Funktionen. Die prozentuale Verteilung der Indefinita auf die einzelnen syntaktischen Funktionen im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Gesamtvorkommen zeigt Tabelle 4 im Anhang. Wenig überraschend finden sich zunächst die jeweils pronominalen Vorkommen der Lemmata und die rein pronominalen cosa, qualcosa, roba, etc. deutlich eher in primären syntaktischen Funktionen wie Subjekt oder Objekt als in anderen und als ihre determinativen Verwendungsweisen, wobei die negativen niente und punto, aber auch qualche, und die referentiell weniger topic-affinen (cf. Kapitel 3.3.1 und unten, Kapitel 3.3.5) cosa, qualcosa und roba (etwa im Unterschied zu persona oder qualcuno) stärker im Objekt als im Subjekt zu finden sind. Die seltenen indirekten Objekte mit prototypischerweise belebten Referenten verstärken diesen Eindruck noch; sie sind die hauptsächliche Domäne von chiunque, persona, qualche, qualunque und uno in pronominaler Verwendung. Explizit negative Determinanten (cf. Kapitel 5) wie nessuno, niuno,

nullo

oder veruno, aber auch die «free-choice-Elemente» (cf. Kapitel 3.3.4) qualsisia und qualsivoglia, treten im Subjekt häufiger auf als im Objekt, während sich für die anderen häufigen indefiniten Determinanten alcuno, certo, qualche,

qualun-

que und uno die erwartbare bevorzugte Okkurrenz im (direkten) Objekt zeigt (zwischen 2 % Unterschied zwischen Subjekt und indirektem Objekt bei qualunque und über 20% bei qualche). Ein Blick auf die nicht-referentiellen Funktionen Prädikativ und Attribut/Apposition zeigt wenig überraschend ein deutliches Überwiegen von Nicht-Determination, aber auch relativ hohe Zahlen etwa für uno, die auf seine fortschreitende Grammatikalisierung hindeuten könnten (cf. Kapitel 4.5). Adverbiale Präpositionalsyntagmen mit senza nehmen mit signifikanter Häufigkeit Nominalsyntagmen mit alcuno, nullo oder niuno als Komplemente; nominal gefüllte Adverbiale konstituieren sich meist aus niente, nulla oder Zeitoder Maßangaben mit qualunque oder uno (vor allem una volta, un giorno etc.). Präpositional gefüllte Adverbiale (außer mit senza) sind, neben dem direkten Objekt, für einen Großteil indefiniter Nominaldeterminanten die hauptsächliche Umgebung (weit weniger für pronominale Okkurrenzen), sogar in stärkerem Maße als etwa das Subjekt: Certo und chiunque, qualche, qualsivoglia,

167 168

qualunque

Zu Definition und Abgrenzung cf. Schindler 1990. Cf. Suomela-Härmä 1987,506s., Renzi 3 i99i, 419.

115

und veruno als Determinanten sind häufiger als im Subjekt oder Objekt, in extremem Maße diverso und niente, alcuno und uno immerhin noch häufiger als im Subjekt. Daß Präpositionalsyntagmen nicht einfach aufgrund der kategoriellen Füllung die bevorzugte Domäne von Nicht-Determination sind, wie in historischen und modernen deskriptiven Grammatiken durchgehend zu lesen, zeigt ein Vergleich der Unterschiede zwischen Okkurrenzen nicht-determinierter Nominalsyntagmen in Argumentposition und in präpositional gefüllten Adverbialen, gerade gegenüber den soeben beschriebenen Verhältnissen: Der quantitative Abstand zwischen den Okkurrenzen in AdvPP und Subjekt beträgt etwa 30%, zum direkten Objekt noch ca. 15%; an diese Zahlen reichen die Verhältnisse bei certo, qualsivoglia und qualunque (z.T. auch alcuno und qualche) leicht heran, die Zahlen bei diverso, niente und veruno übertreffen dies zugunsten der präpositional gefüllten Adverbialen noch. Anders, nämlich mit deutlicher Präferenz für Subjekt oder Objekt, verhalten sich die negativen nessuno,niuno,nullo,punto, aus unabhängigen Gründen der Partitiv (ist in präpositionaler Umgebung problematisch und insbesondere nach di gesperrt, cf. Kapitel 7.4 und 7.5). Auffallend ist die Tatsache, daß sich das im modernen Standarditalienischen eindeutig negative veruno von den übrigen explizit negativen Indefinite abweichend verhält (cf. dazu genauer Kapitel 5). 3.3.4 «Spezifizitätsindikatoren» Die oben in Kapitel 3.2.2 beschriebenen Hauptfunktionen nominaler Indefinita im Lateinischen und modernen Standarditalienischen orientieren sich im wesentlichen an einer von Haspelmath entworfenen «implicational map», welche die Hauptfunktionen von Indefinitpronomina in zahlreichen Sprachen beschreiben soll.169 Sie enthält semantische und pragmatische Funktionen, die anhand des syntaktischen Kontextes, in dem die Indefinita auftreten, identifiziert werden. Die Anordnung der einzelnen Funktionen der Indefinita orientiert sich am Auftreten der Indefinita in den einzelnen Sprachen, wobei nebeneinander angeordnete Funktionen als jeweils miteinander verwandt und auch gegebenenfalls durch einzelne Indefinita gemeinsam abgedeckt gelesen werden und keine diskontinuierlichen Funktionsbereiche der Indefinita vorgesehen sind:170

16

9 Zur kritischen Bewertung der Beschränkung auf neun Hauptfunktionen von Indefinita cf. Dahl 1999,665, der sie insgesamt aus ökonomischen Gründen zugunsten einer handhabbaren Überblicksdarstellung akzeptiert. Dem schließen wir uns auch im Blick auf die vorliegende Untersuchung an, trotz der kritischen Anmerkungen auch bei Diesing 1998, 294. Der Vorteil einer recht anschaulichen deskriptiven Darstellung einzelner Indefinitainventare bei Haspelmath 1997 bleibt u.E. aber dennoch bestehen und wird für die vorliegende Untersuchung genutzt.

170

Cf. dazu Haspelmath 1997, ab 68.

116

Dem Sprecher bekannt Spezifisch D e m Sprecher unbekannt Irreale Kontexte Protasis Fragen Nicht-spezifisch

«negative polarity»

Vergleichsterm Indirekte Negation Direkte Negation

«free-choice»' 7 ' Schaubild 2: Hauptfunktionen der Indefinite nach Haspelmath 1997,52

NDirekte Negation

Spezifisch bekannt -dam

Spezifisch unbekannt Ali-

Fragen

Indirekte Negation

Protasis -quam

Vergleichs term

Irreale Kontexte

Schaubild 3: «Implicational map» der Hauptfunktionen lateinischer Indefinite nach Haspelmath 1997,69

171

Da das Auftreten von «free-choice»-Indefinita vor allem mit der Modalität der Möglichkeit zusammenhängt, diese aber schlecht eindeutig in einer bestimmten syntaktischen oder semantischen Umgebung lokalisiert werden kann (so sind manche Imperative durchaus als Erlaubnis oder im Sinne einer Bedingung zu verstehen und dann mit «free-choice»-Indefinita kompatibel, als echte Befehle allerdings nicht, e t Chiedilo a qualunque uomo. Non ti capirä vs. TAiuta qualunque uomo, cf. Haspelmath 1997,49s.) und nur die klassisch-lateinischen -vw-/-/(£>er-Komposita eine eigene auf «free-choice» spezialisierte Indefinita-Reihe darstellen, wurde diese Funktion in unserer Untersuchung nicht eigens analysiert, obwohl sie etymologisch und distributioneil durchaus in die Beschreibung der -M/i·

unque Schaubild 7: «Implicational map» der Hauptfunktionen italienischer Indefinita nach Haspelmath 1997,70

Cf. Presslich 2000,163-176. 7° Cf. Presslich 2000,168. 69

239

Abgesehen davon, daß qualche kein Indefinitpronomen ist, fehlen die morphologisch damit zusammenhängenden Pronomina der qualcosa/qualcuno-Reihe in dieser Darstellung. Z u alcuno macht Haspelmath keine Angaben, obwohl es in etymologischer Beziehung zu den «/«'-Elementen des Lateinischen steht und vermutlich in funktionaler Opposition zu certo. Hier wäre auch die interessante funktionale Diskrepanz des modernen standarditalienischen alcuno im Singular als «negative polarity item» und seines morphologischen Plurals alcuni mit klarer Spezifizitätspräferenz (höchstens noch in irrealen Kontexten, nicht mehr in Kontexten des «scale reversal») zu berücksichtigen. 71 Leider fehlen ebenfalls die mit der -unque-Reihe heute funktional fast identischen Zusammenrückungen des Typs qualsiasi. Negative Indefinita können außerdem im Gegensatz zu Haspelmaths Aufstellung im modernen Standarditalienischen mit Einschränkungen auch in der Protasis vorkommen. 72 Zur Spezifizitätssensitivität der anderen modernen italienischen Indefinita finden sich vereinzelte Hinweise in der Forschung, die ebenfalls kurz referiert werden. D a ß certo wie seine semantischen und/oder formalen Äquivalente in anderen Sprachen aufgrund seiner Semantik ein direkter Spezifizitätsindikator ist, wurde bereits mehrmals erwähnt und auch teilweise durch die Ergebnisse zu seiner Distribution in den vorangehenden Kapiteln für die alttoskanischen Texte bestätigt. Das funktional certo direkt entgegengesetzte Element scheint nun qualsiasi (und seine Varianten) zu sein; als typisches «free-choice»-Element steht es zusammen mit der -unque-Rcihe am entferntesten von dem spezifischen (eventuell nur spezifisch-bekannten) certo auf der «implicational map», und zwar wenn es sich in einer bestimmten Position im Nominalsyntagma befindet. 73 Im modernen Standarditalienischen ist qualsiasi nämlich auch postnominal möglich, dann zumindest mit der Konnotation 'gewöhnlich','durchschnittlich','ohne besondere Eigenschaften', während es pränominal die Grundbedeutung 'irgendein' (mit Implikatur zur Allquantifikation) aufweist. 74 Da es in unseren Texten nur pränominal auftritt, können diese positionsbedingten Bedeutungsvariationen nicht nachgezeichnet werden. In pränominaler Stellung kann seine Bedeutung bzw. seine pragmatische Besonderheit im Gegensatz zu certo folgendermaßen beschrieben werden: «Specifically, using the expression 'a certain/specific/particular P' the speaker informs the hearer that there are other properties, above and beyond P, that are relevant in order to restrict the denotation enough to satisfy the goals of the conversation. Saying in Italian un qualsiasi Ρ [...] has exactly the opposite effect: it informs the hearer that there is no other relevant property that should be added to restrict the set Ρ any further and to satisfy the goals of the conversation». 75

71 72 73 74 75

Cf. dazu Korzen 1996,69s. Cf. etwa Longobardi 31991,667. Cf. zu eindeutig nicht-spezifischem qualunque und qualsiasi auch Renzi 3 I991,371. Cf. Zamparelli 2000,273. Zamparelli 2000,273s., Hervorhebungen im Text. In den Korpustexten kann qualsiasi,

240

Obwohl in diesem Zitat eher pragmatische Prinzipien anklingen, kann diese Beschreibung durchaus mit der oben skizzierten textuellen Konzeption von (Nicht-)Spezifizität in Einklang gebracht werden: Die «relevanten Eigenschaften über Ρ hinaus» müssen im Vortext oder in der Vorgeschichte der aktuellen Konversation verankert sein (der Sprecher muß mit ihnen vertraut sein), um die Wahl von certo bzw. die Nicht-Wahl von qualsiasi/qualunque im Einzelfall zu motivieren. Im Plural scheint certi in diesem Sinne noch stärker spezifisch zu sein als das auch spezifische alcuni im modernen Standarditalienischen, 76 so daß (Nicht-) Spezifizität im Sinne einer fehlenden (kon-)textuellen Verankerung auch Teil der lexikalischen Bedeutung mancher Indefinita im modernen Standarditalienischen zu sein scheint. So erklärt sich die Unmöglichkeit für chiunque/qualunque und qualsiasi, im Subjekt eines Satzes mit perfektiv markiertem Verb aufzutreten. Die Inkompatibilität von qualsiasi und Elementen der -unque-Reihe mit Perfektivität wird in der Forschung auf deren fehlende Existenzpräsupposition zurückgeführt, 77 was ja als eine semantische, wenn auch nicht ganz zutreffende Beschreibung von Nicht-Spezifizität verbreitet ist: (142) Chiunque/Qualsiasi tale affronto. (142') *Chiunque/*Qualsiasi fronto

studente/Qualunque

studente si sarebbe risentito, dopo un

studente/*Qualunque

studente si risenti, dopo un tale af-

Dies ist dagegen eine typische Umgebung für certo, wie sich zeigen wird. Uno ist im modernen Standarditalienischen in allen Kontexten von Spezifizität und Nicht-Spezifizität bis hin zum Negationsskopus möglich. 7 ? Renzi postuliert schließlich für den Plural indefiniter Nominalsyntagmen im modernen Standarditalienischen einen Unterschied in der Spezifizität, der allerdings nicht immer obligatorisch markiert sein muß: Während der Partitiv Plural dei in der Regel Spezifizität markiert (neben alcuni und certi),8° kann Nicht-Determination nur Nicht-Spezifizität markieren: (143) In una villa cosi sarebbe meglio tenere cani. (144) I bambini hanno ritrovato ?(dei) cani che avevamo perduto.8'

Im Singular besitzt Renzi zufolge der Partitiv del dagegen keinen eindeutigen Wert bezüglich der Opposition spezifisch - nicht-spezifisch,82

76

77 78 79 80 81 82

wie in Kapitel 3.2 dargelegt, auch noch alleine ein Substantiv aktualisieren; analysiert wurden in der vorliegenden Arbeit also nur Okkurrenzen mit qualsiasi ρ. Cf. etwa die Beispiele Certi imputati se la cavano sempre vs. Alcuni imputati se la cavano sempre bei Longobardi 3 i 9 9 i , 691. Cf. etwa Longobardi 31991,650. Nach Longobardi 31991,650. Cf. etwa Korzen 1996,63-70,272-277. Cf. Renzi 31991,374. Cf. auch Kapitel 7.4.2. Renzi 31991,364; cf. dazu insgesamt Renzi 31991,363-367. Cf. Renzi 31991,377.

241

6.3

Spezifizität als lexikalisches Merkmal alttoskanischer Indefinite

Nach dem oben Gesagten und den Überlegungen in Kapitel 3.3.4 ergeben sich für eine Situierung der alttoskanischen Indefinita bezüglich ihrer Spezifizitätssensitivität zahlreiche Untersuchungskategorien (im folgenden in eckigen Klammern; zu einer Übersicht über alle Indefinita und alle Untersuchungskategorien cf. Kapitel 3.2 und 3.3): A l s Indikatoren für Spezifizität werden immer wieder ein reicher deskriptiver Gehalt des Nominalsyntagmas, insbesondere nichtrestriktive (mit der Präzisierung Kleibers: spezifizierende) Relativsätze genannt ([attribuiert], [spezifizierender Relativsatz]; in den Tabellen als «Sp.Relsatz»). Daneben spielt die Position des Nominalsyntagmas im Satz eine Rolle, also etwa sein Auftreten in [Topikalisierungskonstruktionen] (in den Tabellen als «Top») oder als [Subjekt], sowie die [perfektive Markierung] (= «Perfasp.») des Prädikatskerns ohne [epistemische Modalisierung], Überhaupt sind spezifische Textreferenten eher im Textvordergrund zu erwarten, also im [Hauptsatz] und als Argumente eines [finiten Verbs] (= «finit»). Dem stehen bestimmte «Nicht-Spezifizitätsindikatoren» gegenüber, die in der Mehrzahl den «implicational maps» zugrundeliegen: [«world-creating predicates»] (in den Tabellen als «World-Cr») und [propositionale Prädikate] (= «Propos.») als verbale Indikatoren opaker Kontexte, weiterhin [irreale Kontexte] (Imperative, Futur; in den Tabellen als «Irr.Kon.»), [Frage(n)] (auch indirekte), [Protasis], [Vergleichsterm] (= «Vergleich»), und explizit negative Kontexte, nämlich [direkte Negation] (Satznegation durch non oder Negation eines Nominalsyntagmas durch senza in einem; in den Tabellen als «DirNeg») und [indirekte Negation], also Negation aus einem übergeordneten Satz in einen subordinierten Teilsatz (= «IndNeg»), Schließlich muß der kataphorische Aspekt von Spezifizität berücksichtigt werden, der sich im [kataphorischen Potential] des jeweiligen Nominalsyntagmas ausdrückt, vor allem dann, wenn es einen [zentralen Textreferenten] einführt. Im folgenden werden alle 22 Lemmata der vorliegenden Untersuchung nach diesen 18 Untersuchungskategorien in drei Abschnitten (also zuerst nach den genannten Spezifizitätskriterien, dann nach Kookkurrenz mit den «Nicht-Spezifizitätsindikatoren» und schließlich nach den textuellen Kriterien [kataphorisches Potential] und [zentraler Textreferent]) analysiert, wobei bestimmte etymologische oder in der Forschung diskutierte Affinitäten oder Oppositionen berücksichtigt und überprüft werden sollen (etwa qualche und die Komposita qualcosa etc. zusammen gegenüber uno und roba oder alcuno und qualsiasil qualunque im Gegensatz zu certo etc.). Es geht immer um die Analyse der alttoskanischen Indefinita im gesamten Funktionsfeld zwischen Spezifizität und Nicht-Spezifizität. Ziel ist dabei neben einer möglichst genauen Erfassung der Distribution der Indefinita auch eine Überprüfung der Relevanz und Interdependenz der einzelnen «(Nicht-)Spezifizitätsindikatoren» für die Spezifizitätssensitivität der Indefinita sowie eine abschließende Beurteilung der Relevanz 242

der Kategorie der Spezifizität für die Entwicklung des Paradigmas indefiniter Nominaldeterminanten im Alttoskanischen überhaupt.

6.3.1 Die Indefinita mit Spezifizitätsindikatoren Tabelle 55 im Anhang gibt zunächst einen Überblick über die Indefinita in den Korpustexten im Zusammenhang mit den Spezifizitätsindikatoren. Die interne Struktur der einzelnen Nominalsyntagmen zeigt nun erstens tatsächlich gewisse Affinitäten zu ganz bestimmten Determinanten: Attribuiert sind vor allem Nominalsyntagmen mit uno, certo und dem Partitiv (jeweils um die 50% aller Belege). Auch nicht-determinierte Nominalsyntagmen sind recht häufig attribuiert, im Singular etwas häufiger als im Plural (45,11 % vs. 43,89%, cf. dazu genauer Kapitel 4.5.2). Prozentual ähnlich häufig, allerdings mit jeweils viel geringerem Gesamtvorkommen, sind Nominalsyntagmen mit niente, qualsiasi, qualsivoglia (hier alle 5) und qualche attribuiert (etwa zwischen 40% und 50%), außerdem sind pronominale Okkurrenzen von certo, uno, punto, qualche (hier alle beide) und qualcuno durch Attribute erweitert (in jeweils etwa 50%-60% der Fälle). Alcuno als Determinante und Pronomen, qualunque, nessuno, niuno, nullo und veruno als Determinanten liegen recht einheitlich noch um die 30% aller Fällen mit Attributen vor, danach folgen cosa und diverso als Determinante (um die 20%). Attribuierte Nominalsyntagmen sind dagegen selten oder nie mit chiunque oder punto determiniert und haben auch sehr selten als pronominalen Kern diverso,nessuno, niente, niuno, nullo,persona, roba oder veruno. Spezifizierende Relativsätze als Attribute, die die Spezifizität des Nominalsyntagmas relativ eindeutig indizieren sollen, finden sich in signifikanter Häufigkeit mit certo und uno (um die 20%), gefolgt vom Partitiv (15,38%), und auffälligerweise vor allem mit chiunque (86,11%), cosa (68,91%) und qualunque (38,64%) als Pronomina. Weiterhin erreichen die doch relativ häufig attribuierten pronominalen alcuno (und daneben nun auch pronominales niuno) bei diesem Spezifizitätsindikator allenfalls noch 15%. Chiunque kann so also durch (spezifizierende, mit Einschränkungen; beachtenswert ist aber immerhin das passato prossimo im folgenden Beleg) Relativsätze erweitert werden und einen tatsächlich existierenden, aber beliebigen Textreferenten einführen: (145) lo ho dato mangiare ilmio, giä e molt'anni, α chiunque mangiar n'ha voluto, senza guardare se gentile uomo e ο villano [...] (Boccaccio 1,6).

Cosa kann als Kopf eines Nominalsyntagmas mit spezifizierendem Relativsatz spezifische im Sinne von ganz bestimmte Textreferenten einführen: (146) Ε quanto non so a voi se cosiforse intervenga, dirovvi cosa che non piu mi ramenta altrove averla detta, e holla in me molto osservata [...] (Alberti, IV, 8).

Der neue Textreferent ist hier gleichzeitig auch einer mit erheblichem kataphorischem Potential. Häufig sind die cosa erweiternden Relativsätze allerdings gerade nicht-spezifizierender Art, mit einem Verb im Konjunktiv und im Negationsskopus, wobei cosa eindeutig nicht-spezifisch bleibt:

243

(147) [• • •] eUi hanno invidia di me, ch'io giamai non dissi nefeci cosa che fosse disinore di voi ne del mio zio re Marco (Novellino, 65).

Relativ selten oder nie (unter 10%) treten mit spezifizierendem Relativsatz chiunque als Determinante, diverso (diesmal auch als Determinante), nessuno, niente, nullo,punto, qualche und veruno pronominal und als Determinante, persona (immerhin noch 10,84%), qualsiasi, qualsivoglia und roba und nun auch alcuno und niuno als Determinante (zwischen 5 und 8 % ) auf. Nicht-determinierte Nominalsyntagmen finden sich mit diesen eindeutigen Spezifizitätsindikatoren kaum (2,68% im Singular, 5,56% im Plural). Die Position im Satz als Spezifizitätsindikator zeigt nur sehr wenige Belege überhaupt in eindeutigen Topikalisierungskonstruktionen. Hier kommen vereinzelt alcuno, certo, nessuno, nullo, der Partitiv, qualunque und uno als Determinante, chiunque, niente, nullo und uno pronominal vor, prozentual gesehen überhaupt nur uno (und nessuno mit allerdings nur einem Beleg) in mehr als 2 % aller Okkurrenzen und niuno mit immerhin 5 Belegen: (38)83 Se la instabilita delle cose pud cosi, uno figliuolo d'uno prestantissimo e potentissimo re tradurlo in una si infima povertä e necessitä, ben sard in noi privati quanto ne'superiori da provedere a ogni fortuna (Alberti, 1,66).

Hier wird ein mit uno determiniertes indefinites Objekt-Nominalsyntagma vor das Verb gestellt und durch lo wiederaufgenommen - es handelt sich somit um eine Linksversetzung mit dem Effekt, den Satzgegenstand, das topic, hervorzuheben. 84 Dies ist bei indefiniten Nominalsyntagmen nur mit gewissen Einschränkungen möglich, da für den Hörer nicht-identifizierbare Referenten pragmatisch problematische Aussagegegenstände darstellen. Im obigen Beleg handelt es sich aber um ein generisch interpretierbares Nominalsyntagma oder auch um die Prädizierung eines bereits eingeführten Textreferenten - in beiden Fällen ist der Referent also doch als ein bestimmter oder eine bestimmte Spezies identifzierbar und daher das ihn bezeichnende Nominalsyntagma topikalisierbar. (148) Forse a' vecchi se ne permette alcuno, scacchi e tali spassi da gottosi, ma giuoco niuno senza essercizio e fatica a me pare che a' robusti giovani mai sia licito (Alberti, 1,60).

Giuoco niuno befindet sich im Vorfeld des der eigentlichen Prädikation (sia licito a' robusti giovani) übergeordneten Satzes (a me pare che) und ist dort eindeutig als topic hervorgehoben, wahrscheinlich um die absolute Ausgeschlossenheit eines derartigen Spieles zu unterstreichen. Selbstverständlich wird hier nicht ein spezifischer Textreferent eingeführt, wohl aber eine ganz spezifische Spezies von Spielen für robusti giovani nicht zugelassen. Bei der Betrachung der Subjektposition erweisen sich zahlreiche Indefinite als fähig, Subjekte zu determinieren oder als Pronomina in Subjektposition auf-

83

84

Dieser Beleg wurde bereits kommentiert und wird an dieser Stelle mit seiner ursprünglichen Zählung wiederholt. Cf. dazu genauer Stark 1997.

244

zutreten - nur chiunque_det, cosa, diverso, niente, qualche, qualcosa und roba liegen in weniger als 15% ihrer Okkurrenzen als Subjekte vor. Selten finden sich in unseren Korpustexten nicht-determinierte Nominalsyntagmen in Subjektposition (6,89% im Singular, 9,66% im Plural, mit überraschend geringem Unterschied zwischen Singular und Plural, cf. Kapitel 4.5.2 und 7). Die pronominalen Okkurrenzen der einzelnen Lemmata sind in Subjektposition immer relativ wesentlich häufiger als die Okkurrenzen als Determinante (zwischen etwa 20% und 40% Unterschied). Eine große Rolle für Subjekte spielen alcuno, certo und veruno, die sich bezüglich dieses Spezifizitätsindikators auffallenderweise fast identisch verhalten (etwa 18% als Determinante, etwa 60% als Pronomina). Darüber liegt insgesamt gesehen niuno (42,56% als Determinante, 68,16% als Pronomen bei vergleichbar hohen absoluten Vorkommenszahlen, cf. oben Beleg [148]). Relativ häufig im Subjekt sind weiterhin der Partitiv (35,04%) und persona (36,35%). Nullo und uno besitzen ähnliche Werte (als Determinante 31,88% bzw. 21,86%, als Pronomina 41,95% bzw. 42,55%). Es schließen sich chiunque als Pronomen mit 36,50% und qualunque als Determinante mit 16,66% und als Pronomen mit 39,66% an. Prozentual gesehen sehr häufig, aber absolut eher selten kommen nessuno (50% als Determinante, 65% als Pronomen),punto (alle beiden Belege), qualcuno (56,14%) und qualsiasi_det (1 von 2 Belegen, gegenüber nur 1 von 5 Belegen bei qualsivoglia) mit Subjekten vor. Die folgenden Belege aus den historiographischen Texten zeigen typische Vorkommen von uno, alcuno und nullo mit Subjekten. (149) [...] e intra gli altrifu quegli ch'ebbe nome Umberto, onde si dice che nacque la casa e progenia degli Umberti, e per suo nome fu nomata; e un altro barone ch'ebbe nome Lamberto, che si dice che discesono i Lamberti [...] (Villani, V, 1).

Hier führt uno in einer Präsentativkonstruktion postverbal einen wichtigen und höchst spezifischen Referenten ein, in einem attribuierten Nominalsyntagma mit spezifizierendem Relativsatz und in perfektiver Umgebung. (150) Ε cosi la morte fu sempre piü amica a' Fiorentini che niuno altro amico, e piü potente a salvargli che alcuna loro virtü (Machiavelli, III, 29).

Dieser Beleg zeigt alcuno mit einem attribuierten postverbalen Subjekt, nun im Vergleichstenn, einem typischen «nicht-spezifischen Kontext», allerdings durchaus in perfektiver Umgebung. Dennoch führt es zweifelsohne einen beliebigen Textreferenten ein, vermutlich mit sehr kurzer «Lebensdauer». Nullo fungiert schließlich als Subjekt hauptsächlich in der pronominalen Form nulla: (151) II Signore era uomo corraggioso, non credea che nulla il potesse (Morelli, IV, 967).

offendere

In diesem Beispiel befindet sich nulla als Subjekt präverbal, nicht in perfektiver Umgebung und auch nicht weiter attribuiert. Dagegen steht es in einem opaken Kontext nach einem Verb des Glaubens, und auch noch in indirektem Negationsskopus, wo es dennoch eindeutig positive Bedeutung besitzt - es liegt also Nicht-Spezifizität vor. Die Belege mit persona als Subjekt sind ähnlich in der Regel in «nicht-spezifizitätssensitiven Kontexten» zu finden:

245

(152) [•••] e simile verso la terra di Melazzo confosso e steccati, sicche non potea uscire ne entrare persona, se non per furto [...] (Villani, XII, 128).

Persona findet sich sehr häufig in dieser Kollokation (non potea uscire ηέ entrare persona), postverbal und unter direktem Negationsskopus. Neben niuno und nullo spielt nessuno als Subjekt eine verhältnismäßig wichtige Rolle unter den negativen Indefinita, wieder eher pronominal, aber gelegentlich auch als Determinante: (153) Come che molte altre cose di questa maniera si sarebbono potute tralasciar dallui senza biasimo, che nessuna necessitä lo strignea piü a scriverle che a non scriverle (Bembo, II, 5).

Nessuno steht in diesem Beleg nicht in einem opaken, aber auch nicht in einem perfektiven Kontext präverbal und ohne weitere Attribute - obwohl es natürlich keinen spezifischen Textreferenten einführen kann, scheint es dennoch gegenüber niuno (cf. Beleg [148]) und nullo eine höhere Affinität zu transparenten Kontexten zu haben. Die Wortbildungen mit quale sind in folgenden Belegen jeweils mit Subjekten dokumentiert: (154) Dolce gravita e infinitaprudenza, piena d'uno animo virilissimo e mansuetissimo, pure lo studio perö nostro e modo troverete ad aplicarvi a benivolenza non meno che qualsisia altra cosa molto giovarvi (Villani, XII,128).

Hier steht qualsisia im Vergleichsterm und besitzt entsprechend nicht-spezifischen Wert. Derart gestalten sich die meisten Belege mit qualunque im Subjekt. (155) Ilfante mio ha in se nove cose tali che, se qualunque e l'una di quelle fosse in Salamone ο in Aristotile ο in Seneca, avrebbe forza di guastare ogni lor vertu, ogni lor senno, ogni lor sanitä (Boccaccio, VI, 10).

Qualunque befindet sich hier (zu ergänzen ist qualunque delle nove cose) in der Protasis, einem anderen typischen nicht-spezifischen Kontext. Ähnlich finden sich die Belege für qualche im Subjekt in der Protasis oder sogar im direkten Negationsskopus. Qualcuno als Subjekt ist mit seinen wenigen Okkurrenzen ähnlich distributiert (cf. dazu genauer Kapitel 6.3.2): (156) Come chi ja la guardia la notte in sulle mura per la patria sua, se forse di loro qualcuno s'adormenta, costui non ha per male se'l compagno lo desta a fare il debito suo quanto sia utile alia patria [...] (Alberti, III, 311).

Bezüglich ihrer Stellung im Textvordergrund (als Argumente perfektiv markierter und finiter Verben, vorzugsweise im Hauptsatz) zeigen sich die stärksten Unterschiede zwischen den einzelnen Indefinita bei ihrem Auftreten in perfektiver Umgebung. Die meisten aller untersuchten Okkurrenzen sind im Hauptsatz zu finden, immer in mindestens 40% aller Belege eines Lemmas mit den Ausnahmen chiunque_det, diversojpro, punto, qualche_pro, qualcosa, qualcuno, verunojpio, die extrem selten sind. Außerdem fungieren sie als Determinante oder Pronomen in Argumentposition finiter Verben (immer in mindestens 70% der 246

Gesamtvorkommen eines Lemmas mit den Ausnahmen chiunque_det, qualcosa, qualsiasi_deX und roba, die wieder sehr selten sind). Dagegen zeigen sich wie gesagt erhebliche Unterschied bei der Kookkurrenz mit einem perfektiv markierten Verb. Hier sind nur certo (38,31 % bzw. 61,29%), diverso (41,43% bzw. 100%, bei wenigen Belegen) und uno (33,12% bzw. 26,60%) von einiger Bedeutung, gefolgt von der selteneren Nicht-Determination (24,68% der Singular-, 22,33% der Pluralbelege), niente (1 von 2 n/enie_det-Belegen, 20,69% der pronominalen Okkurrenzen), nullo (23,19% bzw. 10,40%), qualsivoglia als Determinante (1 von 5 Belegen), dem Partitiv (16,95%), niuno als Determinante (16,54%) und chiunque als Pronomen (18,06%), auch alcuno (16,29% bzw. 16,92%). Kaum eine Rolle (unter 10% der Belege) spielen chiunque als Determinante, cosa, nessuno, niuno als Pronomen, persona, punto, qualche, qualcosa, qualcuno, qualsiasi, qualunque, roba und veruno in perfektiver Umgebung. Eine Kombination der verschiedenen Spezifizitätsindikatoren erlaubt es nun, einzelne Indefinita aufgrund dieser Untersuchungskriterien bereits als eindeutig «spezifizitätsaffin», andere als «nicht-spezifitätsaffin» zu klassifizieren, während eine dritte Gruppe (hauptsächlich negative Indefinita und «free-choiceElemente») sich nicht eindeutig zuordnen läßt. Dabei muß beachtet werden, daß allein der Status als Indefinitpronomen die Wahrscheinlichkeit eines Lemmas, mit spezifizierendem Relativsatz oder als Subjekt aufzutreten, fast durchgehend (also bei alcuno, certo, chiunque, nessuno, niente, niuno, qualunque, uno und veruno im Vergleich mit den Determinanten, ohnehin bei persona und qualcuno) erheblich erhöht. Umso bemerkenswerter sind dann Befunde wie bei nullo, punto, qualche, qualcosa oder roba, die auch in pronominaler Verwendung keine Affinität zu den Spezifizitätsindikatoren zeigen. Sowohl certo, diverso und uno als auch in etwas geringerem Maße der Partitiv finden sich in attribuierten Nominalsyntagmen und, was noch wichtiger ist, häufig mit spezifizierenden Relativsätzen (diverso allerdings nicht), uno (zusammen mit nessuno) signifikant häufig in Topikalisierungskonstruktionen, und wieder alle vier genannten als Subjekte (1diverso in etwas geringerem Maße) und vorzugsweise in perfektiver Umgebung. Nicht-Determination ist etwas seltener mit Attributen und Perfektivität anzutreffen, aber eben nicht mit spezifizierenden Relativsätzen oder im Subjekt. In der Gruppe der negativen Indefinita und der «free-choice-Elemente», die ihrer Semantik nach natürlich keinen bestimmten Textreferenten einführen, wohl aber spezifisch im Sinne einer referentiellen Verankerung im Vortext (etwa durch Vorerwähnung des Kernsubstantives oder durch unmittelbaren Kontrast zu einem bereits eingeführten Textreferenten) sein können, zeichnen sich ganz unterschiedliche Tendenzen ab: Die negativen Indefinita haben beispielsweise eine Affinität zu attribuierten Nominalsyntagmen (allerdings nicht zu Nominalsyntagmen mit spezifizierenden Relativsätzen mit Ausnahme von niuno), niente sogar zur Perfektivität, aber niente spielt im Vergleich zu den anderen negativen Indefinita kaum eine Rolle im Subjekt. Nessuno und niuno kommen beide sogar in Topikalisierungskonstruktionen vor. Nessuno scheint außerdem eine Affinität 247

zu transparenten Kontexten zu haben (cf. Kapitel 6.3.2). Z u verweisen ist bereits hier auf ihre Bezeichnungsfähigkeit belebter Referenten im Unterschied mindestens zu niente, welche qua Belebtheit häufiger spezifisch bzw. topikal sind als nicht-belebte. Die «free-choice-Elemente» auf -unque und qualsisia/qualsivoglia sind bezüglich der bisher erörterten Kriterien nicht eindeutig einzuordnen (cf. den Ausschnitt aus Tabelle 55 als Tabelle 56 im Anhang). Chiunque jpxo und qualunque sind nach diesen Kriterien scheinbar zunächst eher als spezifisch einzustufen, da sie in attribuierten Nominalsyntagmen, mit spezifizierenden Relativsätzen, im Subjekt und chiunque sogar bevorzugt in perfektiver Umgebung auftreten - spezifisch dann natürlich nicht im Sinne von 'ein bestimmtes X'. D a ß immer noch 'ein beliebiges X ' den Wert der -wngue-Reihe darstellt, zeigt der folgende Beleg: (157) [...] per la qual cosa, essendo messer Torel di Stra per la sua nobilta per lo essercito conosciuto, chiunque udi dire «Messer Torello e morto» credette di messer Torel di Stra e non di quel di Dignes [...] (Boccaccio, X, 9).

Im Unterschied zu opaken Kontexten und «scale reversal contexts» existiert der mit chiunque eingeführte Textreferent aber in der Textwelt, und seine Variable ist auch nicht durch irgendeinen Operator lokal gebunden. Qualsiasi und qualsivoglia können attribuierte Nominalsyntagmen determinieren, allerdings nicht solche mit spezifizierenden Relativsätzen, und sie treten insgesamt selten, aber durchaus mit Subjekten und qualsivoglia auch in perfektiver Umgebung auf: (158) Per non dare alfatto piü longa dimora, la sequente notte per assai largo modo con la muglie dintorno a talfatto a ragionare incominciato, e ad ogn'ora de loro necessita facendo scuto, concludendo dicea che qualsivoglia inonesta cosa cautamente adoperata quasi come per non fatta tener si possea (Aberti, III, 311).

Qualsivoglia findet sich hier immerhin nach einem verbum dicendi, also in einem opaken Kontext. Qualcuno, punto als Pronomen und persona zeigen sich schließlich zwar teilweise attribuiert, aber selten oder gar nicht durch spezifizierende Relativsätze, häufig als Subjekte, aber nicht in perfektiver Umgebung; sie können somit nicht eindeutig als spezifizitätsaffin bezeichnet werden. Die Belege zeigen für diese Lemmata im einzelnen sogar eher eine Affinität zu typischen «nicht-spezifischen Kontexten» (cf. Kapitel 6.3.2). Recht eindeutige Präferenzen für nicht-spezifisch interpretierbare Nominalsyntagmen, immer mit kleinen Einschränkungen, haben nach den obigen bisher näher erläuterten Daten in Tabelle 55 im Anhang jedenfalls alcuno (noch relativ häufig im Subjekt), chiunque und cosa (als Pronomina jedoch relativ häufig mit spezifizierenden Relativsätzen), und auffallenderweise auch qualche (relativ häufig attribuiert), qualcosa (anders als qualcuno), roba, veruno (relativ häufig im Subjekt). Da das verstärkte Auftreten expliziter Nominaldetermination in perfektiv markierter Umgebung, insbesondere postverbal, nicht nur ein Spezifizitätsindi248

kator, sondern nach d e r A r t i k e l e n t s t e h u n g s h y p o t h e s e v o n Leiss auch ein Indik a t o r f ü r eine frühe P h a s e der A r t i k e l g r a m m a t i k a l i s i e r u n g ist und da a u ß e r d e m die O p p o s i t i o n v o n Perfektivität - Nicht-Perfektivität als A l t e r n a t i o n remoto - imperfetto

passato

hauptsächlich in narrativen T e x t e n zu v e r m u t e n ist, sollen

im f o l g e n d e n die Indefinita mit prä- o d e r postverbalen S u b j e k t e n («Subj.+präv.» bzw. «Subj.+post.») und p e r f e k t i v m a r k i e r t e n V e r b e n («Perfasp.») in den drei Z e i t a b s c h n i t t e n u n d d e n drei T e x t g r u p p e n g e s o n d e r t betrachtet w e r d e n (cf. die T a b e l l e n 57 und 58 im Anhang). 8 5 D i e drei f o l g e n d e n G r a p h i k e n , die auf den absoluten V o r k o m m e n s z a h l e n der einzelnen L e m m a t a in post- bzw. p r ä v e r b a l e n S u b j e k t e n basieren, sollen zunächst die prä- o d e r p o s t v e r b a l e Stellung d e r verschieden determinierten S u b j e k t e in d e n drei Z e i t a b s c h n i t t e n d o k u m e n t i e r e n : H i e r sind die A n t e i l e prä- und p o s t v e r b a l e r O k k u r r e n z e n in S u b j e k t e n für alle in d e r T a b e l l e 57 im A n h a n g e n t h a l t e n e n L e m m a t a in d e n drei Z e i t a b schnitten p r o 100 O k k u r r e n z e n dargestellt. Z u n ä c h s t z e i g e n die G r a p h i k e n allg e m e i n die stärkste lexikalische A u s d i f f e r e n z i e r u n g des g e s a m t e n P a r a d i g m a s im Q u a t t r o c e n t o und das F e h l e n v o n E l e m e n t e n w i e punto,

d e n meisten d e r