Artikelwörter im Deutschen: semantische und pragmatische Aspekte ihrer Verwendung 9783111677590, 9783484302679

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 181 [184] Year 1991

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Table of contents :
Vorwort
1 Methodisch-theoretische Vorüberlegungen
1.1 Kleine Wörter mit großer Wirkung
1.2 Artikelwörter (Artikellosigkeit): Eine Klassifizierung
1.2.1 Die traditionelle Einteilung
1.2.2 Die erweiterte Klasse der Artikelwörter: Referenzkoordinatoren und Quantoren
1.2.3 Abgrenzung von Pronomina und Terminologie
1.2.4 Pro und contra "Nullartikel": Überlegungen zur Artikellosigkeit
1.3 Methodische Überlegungen
1.3.1 Untersuchungsbasis: Mehr als Belege
1.3.2 Sprecher-Hörer-Räsonnements
1.3.3 Zweckorientierung: Belange des Deutschen als Fremdsprache
1.4 Theoretische Probleme
1.4.1 Ein plausibles und lehrreiches Modell
1.4.2 Zur Abgrenzung von gängigen Artikeltheorien
1.4.3 Semantisch und/oder pragmatisch bedingte Artikelverwendungen und Artikelbedeutungen
1.4.4 Konzeptuelle Verschiebungen: Probleme mit der verwendeten Beschreibung
1.4.5 Signalisieren
1.4.6 Exkurs: Substantivklassifizierung
2 Bestimmtheit
2.1 Referenz: Eine erste Annäherung
2.1.1 Linsky: Die Handlung Referieren
2.1.2 Heringer: Referieren — Meinen — Denotieren
2.1.3 Searle: Referenz und Identifizieren
2.2 Identifizieren: Nähere Explikationen zum Referenzbegriff
2.2.1 Strawson und Tugendhat: Raum-zeitliche Lokalisierung
2.2.2 Searle: Erläuterungen zum Prinzip der Identifikation
2.2.3 Hawkins: Lokalisieren statt Identifizieren
2.2.4 Die Einzigkeitspräsupposition bei Singular-NPs mit Definitartikel
2.2.5 Einzigkeit oder Inklusivität bei Plural-NPs mit Definitartikel?
2.2.6 Familiarity (Bekanntheit, Vertrautheit)
2.2.7 Zusammenfassung
2.3 Bestimmtheit und Spezifität
2.3.1 Wimmer: Kommunikationshistorische Bestimmtheit von Gegenstän- den — Referenzfixierung
2.3.2 Donellan: Attributive und referentielle Verwendungen
2.3.3 Spezifische und nichtspezifische Verwendungen
2.3.4 Zusammenfassung
2.4 Referenz als kooperative Handlung
2.4.1 Fritz: Referenzklärungssequenzen
2.4.2 Clark/Wilkes-Gibbs: Konversationelles Modell der definiten Referenz
2.4.3 Zusammenfassung
2.5 Überlegungen zum gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner
2.5.1 Der Annahmenturm
2.5.2 Quellen des gemeinsamen Wissens
2.5.3 Rahmen
2.5.4 Hawkins: Rahmenwissen
2.5.5 Ebert: Reflexion der Kommunikationssituation
2.6 Zusammenfassung
3 Koordinatoren definiter Referenz und Quantoren
3.1 Der Definitartikel als Signal für "En-passant-Referenz"
3.1.1 Vorüberlegungen
3.1.2 Verwendungsweisen des Definitartikels
3.1.3 Verschmelzungen und Vollformen
3.1.4 Zwei Paradigmen des Definitartikels in Dialekten
3.1.5 Rahmenzeichen und Umfeidzeichen in der deutschen Umgangssprache
3.1.6 Reduzierungen und Betonungen (Vollformen). Zum Demonstrativartikel der
3.1.7 Der Platz der Reduzierungen (Verschmelzungen) im Paradigma des Definitartikels
3.1.8 Kontrastive und emphatische Betonungen
3.1.9 Zusammenfassung: Das inhomogene Paradigma des Definitartikels
3.2 Der Demonstrativartikel dieser
3.2.1 Abgrenzung durch dieser
3.2.2 Verwendungen, die den Demonstrativartikel ausschließen
3.2.3 Verwendungen, die den Definitartikel ausschließen
3.2.4 Neuere Untersuchungen zum Demonstrativartikel
3.2.5 Distanzierung von nicht-episodischem Dauerwissen. Problematisierung der Referenz
3.2.6 Definitartikel und Demonstrativartikel als stilistische Alternativen bei fehlender Relevanz der Abgrenzung
3.2.7 Der kontrastiv betonte Demonstrativartikel
3.2.8 Zusammenfassung
3.3 Der Possessivartikel
3.3.1 Terminologie
3.3.2 Possessive Relationen
3.3.3 Inhärente und etablierte Possessivität (Seiler) vs. alienable und nichtalienable Possessivität (Ebert)
3.3.4 Der Possessivartikel im Bereich des Definitartikels. Richtigstellungen von desorientierenden Bemerkungen
3.3.5 Rahmenfestlegung mit Hilfe des Possessivartikels
3.3.6 Der Possessivartikel im Spannungsfeld zwischen restriktivem Adjektiv und Definitartikel
3.3.7 Der Possessivartikel bei reverbalisierbaren Verbalsubstantiven
3.3.8 Zusammenfassung
3.4 Totalitätsartikel: Beispiel alle
3.5 Quantoren: Der Indefinitartikel als Numerale
3.5.1 Neuere Argumente zum numeralen Charakter von ein
3.5.2 Grimm: Kriterien zur Unterscheidung von unbestimmtem Artikel und Numerale ein
3.5.3 Harweg: Die Opposition Grundzahlwort/Indefinitartikel auf verschiedenen Anzahlstufen
3.5.4 Hawkins' Exklusivitätsbedingung und eine revidierte Version
3.5.5 Der Indefinitartikel bei Kontinuativa
3.5.6 Zählbarkeit ist immer im Spiel
3.5.7 Zusammenfassung
3.6 Exkurs: 6 Typen artikelloser Substantivverwendungen
3.6.1 Kontinuative Verwendungen
3.6.2 Artikellose Plural-Verwendungen
3.6.3 Metasprachliche Verwendungen
3.6.4 Eigennamen und Artikellosigkeit
3.6.5 Lexikalisierte artikellose Verwendungen
3.6.6 Syntaktisch bedingte Artikellosigkeit
3.7 Ein exemplarischer kontrastiver Überblick über partikuläre Artikelverwendungen
3.7.1 Singular-NPs
3.7.2 Plural-NPs
4 Zur generischen Verwendung der Artikelwörter
4.1 Generische Besonderheiten
4.1.1 Methodische Konsequenzen
4.1.2 Grundcharakter und unterschiedliche Typen generischer Verwendungen
4.1.3 Die Kontextabhängigkeit generischer Interpretationen
4.1.4 Hawkins: Einheitliche Betrachtung der Funktionen des Definit- und Indefinitartikels in partikulären und generischen Verwendungen
4.2 Referenzkoordinatoren und generische Deutungen
4.2.1 Der Definitartikel vor NPs im Singular
4.2.2 Der Definitartikel vor Plural-NPs
4.2.3 Demonstrativ-, Possessiv- und Totalitätsartikel
4.2.4 Zusammenfassende Betrachtung der "generischen" Verwendung der definiten Artikelwörter
4.3 Der Indefinitartikel und generische Deutungen
4.4 Artikellose Plural-NPs und generische Deutungen
4.5 Generische Verwendungen der Artikelwörter. Abschließende Überlegungen
5 Zusammenfassung
Literatur
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Artikelwörter im Deutschen: semantische und pragmatische Aspekte ihrer Verwendung
 9783111677590, 9783484302679

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Linguistische Arbeiten

267

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Hansjörg Bisle-Müller

Artikelwörter im Deutschen Semantische und pragmatische Aspekte ihrer Verwendung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

Für Ulla Müller

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bisle-Müller, Hansjörg : Artikelwörter im Deutschen : semantische und pragmatische Aspekte ihrer Verwendung / Hansjörg Bisle-Müller. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Linguistische Arbeiten ; 267) NE:GT ISBN 3-484-30267-4

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 Methodisch-theoretische Vorüberlegungen 1.1 Kleine Wörter mit großer Wirkung 1.2 Artikelwörter (Artikellosigkeit): Eine Klassifizierung 1.2.1 Die traditionelle Einteilung 1.2.2 Die erweiterte Klasse der Artikelwörter: Referenzkoordinatoren und Quantoren 1.2.3 Abgrenzung von Pronomina und Terminologie 1.2.4 Pro und contra "Nullartikel": Überlegungen zur Artikellosigkeit . . 1.3 Methodische Überlegungen 1.3.1 Untersuchungsbasis: Mehr als Belege 1.3.2 Sprecher-Hörer-Räsonnements 1.3.3 Zweckorientierung: Belange des Deutschen als Fremdsprache . . . . 1.4 Theoretische Probleme 1.4.1 Ein plausibles und lehrreiches Modell 1.4.2 Zur Abgrenzung von gängigen Artikeltheorien 1.4.3 Semantisch und/oder pragmatisch bedingte Artikelverwendungen und Artikelbedeutungen 1.4.4 Konzeptuelle Verschiebungen: Probleme mit der verwendeten Beschreibung 1.4.5 Signalisieren 1.4.6 Exkurs: Substantivklassifizierung 2 Bestimmtheit 2.1 Referenz: Eine erste Annäherung 2.1.1 Linsky: Die Handlung Referieren 2.1.2 Heringer: Referieren — Meinen — Denotieren 2.1.3 Searle: Referenz und Identifizieren 2.2 Identifizieren: Nähere Explikationen zum Referenzbegriff 2.2.1 Strawson und Tugendhat: Raum-zeitliche Lokalisierung 2.2.2 Searle: Erläuterungen zum Prinzip der Identifikation 2.2.3 Hawkins: Lokalisieren statt Identifizieren 2.2.4 Die Einzigkeitspräsupposition bei Singular-NPs mit Defmitartikel . 2.2.5 Einzigkeit oder Inklusivität bei Plural-NPs mit Defmitartikel? . . . 2.2.6 Familiarity (Bekanntheit, Vertrautheit) 2.2.7 Zusammenfassung 2.3 Bestimmtheit und Spezifität 2.3.1 Wimmer: Kommunikationshistorische Bestimmtheit von Gegenständen — Referenzfixierung 2.3.2 Donellan: Attributive und referentielle Verwendungen 2.3.3 Spezifische und nichtspezifische Verwendungen 2.3.4 Zusammenfassung 2.4 Referenz als kooperative Handlung

ix l l l l 2 3 4 6 6 6 8 11 11 12 14 16 18 19 25 25 25 25 26 26 26 27 28 29 31 33 34 34 34 36 38 40 40

VI

2.4.1 Fritz: Referenzklärungssequenzen 2.4.2 Clark/Wilkes-Gibbs: Konversationelles Modell der definiten Referenz 2.4.3 Zusammenfassung 2.5 Überlegungen zum gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner . . . 2.5.1 Der Annahmenturm 2.5.2 Quellen des gemeinsamen Wissens 2.5.3 Rahmen 2.5.4 Hawkins: Rahmenwissen 2.5.5 Ebert: Reflexion der Kommunikationssituation 2.6 Zusammenfassung

3 Koordinatoren definiter Referenz und Quantoren 3.1

Der Definitartikel als Signal für "En-passant-Referenz" 3.1.1 Vorüberlegungen 3.1.2 Verwendungsweisen des Definitartikels 3.1.3 Verschmelzungen und Vollformen 3.1.4 Zwei Paradigmen des Definitartikels in Dialekten 3.1.5 Rahmenzeichen und Umfeldzeichen in der deutschen Umgangssprache 3.1.6 Reduzierungen und Betonungen (Vollformen). Zum Demonstrativartikel der 3.1.7 Der Platz der Reduzierungen (Verschmelzungen) im Paradigma des Definitartikels 3.1.8 Kontrastive und emphatische Betonungen 3.1.9 Zusammenfassung: Das inhomogene Paradigma des Definitartikels . 3.2 Der Demonstrativartikel dieser 3.2.1 Abgrenzung durch dieser 3.2.2 Verwendungen, die den Demonstrativartikel ausschließen 3.2.3 Verwendungen, die den Definitartikel ausschließen 3.2.4 Neuere Untersuchungen zum Demonstrativartikel 3.2.5 Distanzierung von nicht-episodischem Dauerwissen. Problematisierung der Referenz 3.2.6 Definitartikel und Demonstrativartikel als stilistische Alternativen bei fehlender Relevanz der Abgrenzung 3.2.7 Der kontrastiv betonte Demonstrativartikel 3.2.8 Zusammenfassung 3.3 Der Possessivartikel 3.3.1 Terminologie 3.3.2 Possessive Relationen 3.3.3 Inhärente und etablierte Possessivität (Seiler) vs. alienable und nichtalienable Possessivität (Ebert) 3.3.4 Der Possessivartikel im Bereich des Definitartikels. Richtigstellungen von desorientierenden Bemerkungen 3.3.5 Rahmenfestlegung mit Hilfe des Possessivartikels 3.3.6 Der Possessivartikel im Spannungsfeld zwischen restriktivem Adjektiv und Definitartikel 3.3.7 Der Possessivartikel bei reverbalisierbaren Verbalsubstantiven . . .

40 41 43 43 43 44 46 47 48 49

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3.4 3.5

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3.7

3.3.8 Zusammenfassung 96 Totalitätsartikel: Beispiel alle 97 Quantoren: Der Indefinitartikel als Numerale 100 3.5.1 Neuere Argumente zum numeralen Charakter von ein 100 3.5.2 Grimm: Kriterien zur Unterscheidung von unbestimmtem Artikel und Numerale ein 102 3.5.3 Harweg: Die Opposition Grundzahlwort/Indefinitartikel auf verschiedenen Anzahlstufen 105 3.5.4 Hawkins' Exklusivitätsbedingung und eine revidierte Version . . . . 106 3.5.5 Der Indefinitartikel bei Kontinuativa 110 3.5.6 Zählbarkeit ist immer im Spiel 114 3.5.7 Zusammenfassung 116 Exkurs: 6 Typen artikelloser Substantivverwendungen 116 3.6.1 Kontinuative Verwendungen 116 3.6.2 Artikellose Plural-Verwendungen 118 3.6.3 Metasprachliche Verwendungen 120 3.6.4 Eigennamen und Artikellosigkeit 120 3.6.5 Lexikalisierte artikellose Verwendungen 121 3.6.6 Syntaktisch bedingte Artikellosigkeit 121 Ein exemplarischer kontrastiver Überblick über partikuläre Artikelverwendungen 124 3.7.1 Singular-NPs 124 3.7.2 Plural-NPs 128

4 Zur generischen Verwendung der Artikelwörter 4.1 Generische Besonderheiten 4.1.1 Methodische Konsequenzen 4.1.2 Grundcharakter und unterschiedliche Typen generischer Verwendungen 4.1.3 Die Kontextabhängigkeit generischer Interpretationen 4.1.4 Hawkins: Einheitliche Betrachtung der Funktionen des Definit- und Indefinitartikels in partikulären und generischen Verwendungen . 4.2 Referenzkoordinatoren und generische Deutungen 4.2.1 Der Definitartikel vor NPs im Singular 4.2.2 Der Definitartikel vor Plural-NPs 4.2.3 Demonstrativ-, Possessiv- und Totalitätsartikel > 4.2.4 Zusammenfassende Betrachtung der "generischen" Verwendung der definiten Artikelwörter 4.3 Der Indefinitartikel und generische Deutungen 4.4 Artikellose Plural-NPs und generische Deutungen 4.5 Generische Verwendungen der Artikelwörter. Abschließende Überlegungen

133 133 133 133 136 . 137 137 137 143 145 148 151 152 154

5 Zusammenfassung

156

Literatur

159

IX

Vorwort Mit meiner Untersuchung semantischer und pragmatischer Aspekte der Verwendung von Artikelwörtern im Deutschen verlasse ich eingetretene Pfade der Artikelforschung. Neu an meiner Betrachtung der Artikelwörter ist nicht, daß ich dem gemeinsamen Wissen der Kommunikationsteilnehmer eine zentrale Rolle zuschreibe und Artikelwörter als eine Art metakommunikativer Signale verstehe. Hier haben schon Karen H. Ebert und John A. Hawkins wesentliche Vorarbeiten geleistet. Ich habe aber zum ersten Mal in der Artikelforschung ein theoretisches Modell und ein methodisches Vorgehen entwickelt, bei denen Bedeutungen und Deutungen (also semantische und pragmatische Aspekte) innerhalb einer kommunikativen Handlung betrachtet werden, die ich Koordination des gemeinsamen Wissens nenne. Sprecherintentionen dürfen dabei nicht aus dem Blick verloren werden, denn sie liegen zwar kommunikativ relevant nur im gemeinsamen Wissen vor, aber sie bestimmen für den Sprecher/Schreiber die Auswahl der Artikelwörter im Rahmen einer gewählten Beschreibung entscheidend mit. Als "geistige Nahrung" unverzichtbar waren nicht wenige Autoren. Besonders hervorheben möchte ich — ohne daß ihre Werke im Text näher diskutiert würden und unmittelbaren Einfluß auf einzelne Thesen gehabt hätten — Wittgenstein, Quine und Habermas. Genauso unverzichtbar wie das von Hans-Jürgen Heringer immer vorexerzierte Beispiel, daß eigenes, auch unkonventionelles Denken immer besser ist als Literatur- und Methodengläubigkeit. Ihm gilt auch mein besonderer Dank für die kritische Begleitung meiner Forschungsarbeit. Danken möchte ich außerdem Prof. Wellmann für seine Verbesserungsvorschläge für die Endfassung und Prof. Brekle, der als Mitherausgeber der LA den Veröffentlichungsvorschlag von Prof. Heringer unterstützte und mir weitere nützliche Literaturhinweise gab.

Augsburg, März 1991

l 1.1

Artikelwörter im Deutschen: Methodischtheoretische Vorüberlegungen Kleine Wörter mit großer Wirkung

Bertrand Russell hat während des 1. Weltkriegs im Gefängnis seine "Theory of Descriptions" weiter ausgebaut und sich trotz der widrigen äußeren Umstände nicht von der Beschäftigung mit dem bestimmten Artikel abbringen lassen: "I would give the doctrine of this word if I were 'dead from the waist down' and not merely in prison." (1919/1975:167). Andere Philosophen wie Moritz Schlick (1933-34/1986) haben sich zwar nicht so enthusiastisch dem Studium des bestimmten Artikels wie Russell gewidmet, aber ihm doch in gelegentlichen Bemerkungen eine überragende geistesgeschichtliche Wirksamkeit zugeschrieben. Auf der in der deutschen Sprache gegebenen Möglichkeit, alles durch die Setzung eines Artikels zu substantivieren, beruhe die ganze Metaphysik. Sprachen ohne diese Möglichkeit seien "von vornherein von ganz groben philosophischen Verwirrungen verschont." (S.138). Wolfgang Stegmüller (1960:171f.) hat sogar behauptet, daß der bestimmte Artikel eine Qualität besitze, die in das Gebiet der Ethik gehöre und politisch wirksam sein könne. Diese Qualität sei "negativwertig" dadurch, daß sie die Einstellung erzeuge, dort wo der bestimmte Artikel verwendet werde, "werde in eindeutiger Weise nur über einen einzigen bestimmten Gegenstand gesprochen." Die "Fallstricke" des bestimmten Artikels führten zu "metaphysischen Systemkonstruktionen" wie der von dem einen Seienden: "Und wenn man, [...], weiter bedenkt, daß monistische und phantheistische Einheitslehren gewöhnlich auch für das zwischenmenschliche Zusammenleben irgendeine Art von GanzheitsaufFassung propagieren, die dann zu einer philosophischen Rechtfertigung von Diktaturen führt, so wird daraus ersichtlich, daß der bestimmte Artikel neben seinen tüchtigen Leistungen auf dem Gebiet der Metaphysik unter Umständen auch eine ganz ansehnliche politische Aktivität entfalten kann." Ähnlich enthusiastische Beschwörungen der Kraft des Definitartikels finden sich bei Bruno Snell (1975:205ff.), Heinrichs (1954:241), Friedrich Kainz (1972:231f.) und einigen anderen Autoren, deren Begeisterung der Leser/die Leserin hoffentlich übernimmt, wenn er/sie im folgenden auch einmal knochentrocken in die Probleme der Verwendung von Artikelwörtern im Deutschen eingeführt wird. Dabei gilt es vor allem einmal, den Blick über den bestimmten Artikel hinaus zu richten und zu sehen, daß dieser Artikel noch eine ganz ansehnliche Zahl von Verwandten hat. Allerdings ist diese Verwandschaft immer noch umstritten.

1.2

Artikelwörter (Artikellosigkeit): Eine Klassifizierung

1.2.1 Die traditionelle Einteilung In der traditionellen Grammatik gelten nur der und ein als Artikel. Auch in der neueren sprachwissenschaftlichen Literatur findet sich noch diese Einteilung, allerdings meistens erweitert um die Nullform (vgl. Brinkmann 1971, W. Fleischer 1967, Harweg 1969, Admoni 1982). Heidolph (1984) zählt sogar nur der als Artikel. Der bestimmte und der unbestimmte Artikel rücken auch bei den Autoren ins Zentrum des Interesses, die die Artikel

und die Pronomina der traditionellen Grammatik als eine Wortart sehen oder zumindest zwischen beiden starke Gemeinsamkeiten entdecken. So plädiert Bentzinger (1976:51) für eine gesonderte Beschreibung der Artikel, obwohl er Artikel und Pronomina als eine Wortart betrachtet (vgl. auch Flämig 1984, Moskalskaja 1983). Für Baumann (1970:146) sind Possessiva und Demonstrativa artikelwertige Ausdrücke, aber die eigentlichen Artikel sind der kataphorische (der) und der anaphorische Artikel (ein). Als Argument muß meist herhalten, daß die Artikel der und ein "ganz frei von beliebigen konkreteren Nebenbedeutungen" seien (Admoni 1982:129), aber auch aus "Gründen des praktischen Sprachunterrichts" (W. Fleischer 1967:139) wird für die traditionelle Einteilung Stellung genommen. 1.2.2

Die erweiterte Klasse der Artikelworter: Referenzkoordinatoren und Quantoren

Boost 1938 ist m.W. der erste Germanist, der die traditionelle Wortklasse Artikel erweitert, indem er den "hinweisenden" (der, welcher), "einführenden" (ein), "unterscheidenden" (dieser), "besitzanzeigenden" (mein) und "fragenden" (welcher) Begleiter des Substantivs unterscheidet (S.46-54). Glinz (1952/1968:291f.) machte innerhalb der umfassenden Klasse der Hinweiswörter einen Unterschied zwischen "Größenhinweisen" (der, dieser, jeder, u.a.) und "Größenumrissen" (ein, kein, mein, u.a.). Den größten Einfluß hatte aber in der Germanistik wohl Vater 1963 (=1979a), der von einer Gesamtklasse Artikelwörter ausging, die auch alle traditionellen Pronomina umfaßte, die einen 1C zum Substantiv bilden. Strukturalistische Verfahren wie Umstell-, Weglaß- und Ersatzproben führen zu dieser neuen Klasse von Artikelwörtern (vgl. auch Grimm 1971, Kallmeyer 1974). Vater 1979b verwendet statt des Begriffs "Formklasse Artikel" die neue Terminologie "Determinantien" und spricht das erste Mal das Problem der Zuordnung von ein zu den "Determinantien" an. In den folgenden Arbeiten (Vater 1982a, 1984abc, 1985ab, 1986a) unterscheidet Vater Determinantien und Quantoren als Teilklasse der Modifikatoren Vater (1984b) hält eine Dreiteilung für möglich: Determinantien (der, dieser, jener, derjenige, derselbe, mein), Totalisatoren (alle, jeder, beide) und Quantoren (ein, manch, einige, mehrere, viel, wenige, etc.). Vater (1985a:41-46) gliedert die Totalisatoren in die Gruppe der Quantoren ein, die dann außerdem noch Partitivquantoren (einige, manche, viele, ...) und Numeralia enthält, wobei letztere wiederum unterteilt werden in Kardinalia (ein, zwei, drei, ...) und Ordinalia (erst- , zweit-, .. ,).1 Diese Einteilung scheint mir aus semantischen Gründen nicht haltbar zu sein. Vater gibt, was die Ordinalia anbelangt, zu, daß diese anscheinend "an der Nahtstelle" zwischen Quantoren und Adjektiven anzusiedeln seien, wenn sie nicht überhaupt als "reine A mit quantifizierenden Eigenschaften zu werten sind." (S.46). Da wir uns im Rahmen dieser Arbeit nicht näher mit den Partitivquantoren und den Ordinalia beschäftigen, soll uns dieses Problem nicht weiter interessieren. Es geht mehr darum, die Einordnung der Totalisatoren abzulehnen, da diese eindeutig im Rahmen der definitien Referenz zu behandeln sind, wie wir später noch belegen werden. Totalisatoren setzen die kommunikative Water (1986a:24) bringt einen tabellarischen Überblick über die Klassifizierung der deutschen Artikelwörter (Determinantien) bei verschiedenen Autoren. Hierbei wird deutlich, daß eine starke Übereinstimmung (9 von 14 Werken) nur bei 11 Lexemen gegeben ist, insgesamt aber 35 Elemente in den einzelnen Klassifizierungsversuchen genannt werden.

Bestimmtheit der Referenten, die sie totalisierend quantifizieren, bereits voraus. Damit ergibt sich für uns eine Gruppe von Artikelwörtern, die mit Problemen der definiten Referenz zu tun hat (der, dieser, mein und die Totalisatoren), während auf der anderen Seite Quantoren wie ein stehen, die es nur mit Quantifizierung bzw. quantifizierender Referenz zu tun haben. Wir werden der, dieser, mein und alle als Referenzkoordinatoren besonders genau hinsichtlich ihrer Bedeutungsunterschiede untersuchen und deshalb einen Schwerpunkt unserer Arbeit auf die Klärung grundsätzlicher Fragen der definiten Referenz legen. Da der und ein die häufigst gebrauchten Artikelwörter sind (vgl. Meier 1978:202-205; Militsch 1976:715-719)2 und im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion stehen, werden wir natürlich einen weiteren Schwerpunkt auf die Klärung grundsätzlicher Fragen der allgemeinen Artikeltheorie legen, die die unterschiedlichen Funktionen der erwähnten Artikelwörter betreffen. 1.2.3

Abgrenzung von Pronomina und Terminologie

Nach Vater (1986a:27f.) stellen sich zwei Probleme: 1. Possessiva seien ihrer Distribution nach Determinantien, ihrer Funktion nach aber Proformen für eine NP. Diese Frage werde ich in einem späteren Kapitel noch genauer diskutieren. 2. Alle Artikelwörter könnten ohne das Kern-N vorkommen, nämlich in ellipitischen NPs. Und hier ist Vater sicher zuzustimmen, daß nicht immer klar zu entscheiden ist, ob nun eine elliptische NP mit erhaltenem Artikelwort oder ein Pronomen vorliegt. Ich werde mich aber mit diesem Problem in der vorliegenden Arbeit nicht beschäftigen. Terminologisch schließe ich mich im übrigen an Heringer/Kellerbauer (1984) an und unterscheide Definitartikel (der), Indefinitartikel (ein), Possessivartikel (mein), Demonstrativartikel (dieser) und — abweichend von Heringer/ Kellerbauer — Totalitätsartikel (alle). Daß die lateinischen Begriffe nicht immer genau das treffen, was wir später 2

Militsch 1976 hat bei Stichprobenuntersuchungen an Texten aus 5 Subsprachen insgesamt 25000 Substantive untersucht (allerdings nur Nominalphrasen ohne Adjektive). Dabei stellte sich heraus, daß der Definitartikel die eindeutig "höchstfrequente Form der Verbindung des Substantive mit einem Determinativ" ist. Der Indefinitartikel tritt relativ selten auf. Der 0-Artikel (ohne indefinite Pluralformen) steht in der Häufigkeit zwischen Definit- und Indefinitartikel. Andere Artikelwörter wurden nicht untersucht. Meier 1978 legte ein Korpus von über 250000 Wörtern Text zugrunde. Dabei untersuchte er "Gegenstandserwähnungen" unterschiedlichster Art, beschränkte sich also nicht auf die traditionellen Artikel. Die "Rangreihe der Gegenstandserwähnungen nach ihrer sprachlichen Form" (insgesamt 100%) sieht folgendermaßen aus (S.203): 1. Substantiv mit Definitartikel im Singular 22,7% 2. Personalpronomen im Singular 13,8% 3. Substantiv im Singular ohne Artikel 9,8% 4. Substantiv im Sing, mit Indefinitartikel 6,4% 5. Substantiv im Plural ohne Begleitwort 5,9% 6. Substantiv im Plural mit Definitartikel 5,6% 7. Personalpronomen im Plural 5,0% 8. Substantiv im Singular mit Possessivart. 4,2% 9. Substantiv im Sing. m. Art.-Präp.-Verschm. 3,5% Demonstrativartikel und Possessivartikel im Plural liegen im Frequenzbereich von 0,7%-2,1%. Totalisatoren wie jeder liegen sogar unter 0,7%. Die Schwerpunktlegung auf Probleme der definiten Referenz läßt sich also von der Vorkommenshäufigkeit her rechtfertigen.

als semantische bzw. pragmatische Funktionen der Artikelwörter kennenlernen, ist nicht weiter störend. Auch ein Terminus wie "Futur" kann beibehalten werden, ohne deshalb die Forschung oder den Sprachunterricht zu behindern. Zuviel terminologische Neuerung könnte im Gegenteil zur Verwirrung beitragen. 1.2.4

Pro und contra "Nullartikel": Überlegungen zur Artikellosigkeit

Ein Problem bleibt noch nachzutragen: der Nullartikel. Für das "Fehlen" eines Artikelwortes vor einem Substantiv oder einer NP finden sich in der Literatur verschiedene Bezeichnungen: "Artikellosigkeit" (Hoffmann 1967, Brinkmann 1971, Flämig 1984, Flückiger-Studer 1983), "Fehlen des Artikels" (Flämig 1984), "Weglassung des Artikels" (Jarnatovskaja 1981, Moskalskaja 1983), "Ausbleiben des Artikels" (Brinkmann 1971), "Fortfall des Artikels" (Brand 1969), "Kennzeichnung Null" (Brinkmann 1971), "Nullform" (Moskalskaja 1971, Vater 1979a, Gladrow 1979 und Jarnatovskaja 1981), "0-Det" (Vater 1979b) und "Nullartikel" (Brand 1969, Bentzinger 1976, Gladrow 1979, Helbig/Buscha 1980, Grimm 1983, Zhou 1985). Die Mehrfachnennung einiger Autoren zeigt, daß für Substantive ohne Artikelwort nicht nur eine artikellose Verwendungsweise angenommen wird. Brinkmann (1971:52) unterscheidet deutlich zwei Fälle: "Schichten des Substantivs, die sich gegenüber dem Artikel spröde verhalten" und "bestimmte syntaktische Verwendungen des Substantivs, die sich ganz oder teilweise dem Artikel entziehen." Brand (1969:150) sieht den Nullartikel auf nicht teilbare Substantive und auf Idiome beschränkt und lehnt eine Unterscheidung zwischen Fortfall des Artikels und Nullartikel aus praktischen Erwägungen (automatische Übersetzung) ab. Andererseits spricht sie auch vom Nullartikel im Plural als Ersatz für den unbestimmten Artikel. Bei Flämig (1984:592f.) wird "Artikellosigkeit" für Stoffnamen und Abstrakta angenommen. Der Gegensatz determiniert/indeterminiert gilt als neutralisiert. "Fehlen des Artikels" sei charakteristisch für funktionale Stilarten wie Zeitungsüberschriften, Befehle und feststehende Wendungen. Gladrow (1979:75) sieht eine "Nullform" als Pluralvariante von ein und einen "Nullartikel", der merkmallos gegenüber den merkmalhaften der und ein ist. Bei Lexikalisierungen gibt es keine Opposition Determination/Indetermination, also auch keinen Nullartikel. Moskalskaja 1971 unterscheidet eine 0-Formi bei Nichtbezogenheit, also bei rein begriffsmäßiger Artikelverwendung des Substantivs, und eine O-Formj bei Unbestimmtheit. Beide Formen gelten als Nullartikel. Davon zu trennen ist die "Weglassung des Artikels" als stilbedingte Variante ohne Oppositionsverhältnis zum bestimmten Artikel (S.223f.). Bei der Nullform des unbestimmten Artikels sei das Fehlen des Artikels im Gegensatz dazu "sinnhaltig" (S.198). Wir wollen im weiteren folgende Substantivverwendungen ohne Artikelwörter unterscheiden:3 1.

(1) Ich esse gerne Fisch. (Kontinuativer Gebrauch) (2) Ich habe einfach wieder Hoffnung bekommen. (3) Sie sehen in dieser Richtung nur Wald.

3

TJmfangreichere Listen finden sich u.a. bei Jarnatovskaja (1981:116f.), die 25 Fälle unterscheidet, oder bei Helbig/Buscha (1980:335ff.), die allerdings die zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten in 4 übergeordnete Verwendungen eingliedern.

2.

(4) Ich hatte gestern Spaghetti gegessen. (Plural) (5) Vor jedem Eingang stehen Ordner.

3.

(6) Wie lautet der Plural von "Fahrrad"'! (Metasprache)

4.

(7) Helmut hat angerufen. (Eigennamen)

5.

(8) Er geht bald zu Bett. (Lexikalisierung)

6.

(9) Ich komme mit Frau. (Artikelellipse) (10) Boris Becker ließ Ball und Schläger fallen.

Da wir erst in einem späteren Kapitel dieses Konzept näher erläutern, sollen hier noch einmal kurz die wesentlichen Argumente für und gegen ein besonderes Artikelwort "Nullartikel" wiedergegeben werden. Vater (1979a:36f.) hebt von der Ausdrucksseite her die besondere Wirkung auf die Adjektivdeklination im Dativ Singular und Plural hervor, die bei der Nullform des Artikels zu beobachten sei (vgl. zu dieser syntaktischen Begründung auch Heringer 1970:210f.). Dieses Argument würde allerdings keine weitere Differenzierung zulassen, sondern für alle artikellosen Substantive gelten. Vater 1979b führt drei Gründe für die Annahme eines 0-Det an (die Argumente liegen implizit auch den Darstellungen von Moskalskaja 1971 und Gladrow 1979 zugrunde): 1. Ein 0-Det stehe in Opposition zu anderen Determinantien. 2. Ein 0-Det stehe in komplementärer Distribution mit ein. 3. Ein 0-Det sei mit anderen Determinantien bei gleicher Bedeutung austauschbar, z.B. bei generischer Artikelverwendung (S.12f.). Sadzinski (1978:28) nennt den Begriff "Nullartikel" irreführend, besonders bei der Konfrontation mit artikellosen Sprachen und schlägt für den Plural eine Artikel-Ellipse vor, schließt diese aber für Funktionsnomen, Eigennamen und Stoffbezeichnungen aus. Flükkiger-Studer (1983:136f.) kritisiert, daß der Nullartikel ein nicht mit Sinnesorganen wahrnehmbarer Artikel sei und trotzdem dessen Vorhandensein behauptet werde. Auch der Ausdruck, der Artikel "fehle", sei "ungünstig", da der Eindruck entstehe, die NP sei "defektiv". Sie plädiert deshalb für den Terminus "Artikellosigkeit", da er weniger Konnotation von Mangel enthalte. Wesentlich scheint mir, daß die Befürworter des Nullartikels Unterschiede bezüglich der Artikellosigkeit unserer Beispiele (1)-(10) machen würden. Ein Nullartikel wird nur da angenommen,wo er sinnhaltig ist, also in Opposition zu anderen Artikelwörtern steht. In idiomatischen Verwendungen und funktionalen Stilarten wird dies ausgeschlossen. Bei Gladrow und Moskalskaja werden zusätzlich verschiedene Formen des Nullartikels unterschieden. Ich halte das ganze Vorgehen für fragwürdig (vgl. auch die Glosse von Löbner 1986). Entweder gehen wir von einem rein syntaktischen Kriterium aus und machen keine weiteren Unterschiede — dann wäre "Nullartikel" eine rein terminologische Festlegung ohne weitere Bedeutung —, oder wir messen die Artikellosigkeit an ihrer Wirkung, ihrer Sinnhaltigkeit. Dann müßten wir aber mindestens sechs verschiedene Nullartikel annehmen, denn die Kontrastverhältnisse zu den anderen Artikelwörtern sind in unseren sechs Beispielen jeweils unterschiedlich. Die einfachste Lösung ist aber, wir gehen von der Artikellosigkeit von Substantiven aus und führen die unterschiedlichen Kontrastverhältnisse auf die Deutung der Substantive bzw. Idiome zurück. Und Beispiele wie (9) und (10) lassen

sich als Artikel-Ellipsen erklären. Die Artikelwörter sind dann im einzelnen danach zu beurteilen, was sie im Kontrast zur Artikellosigkeit und den anderen Artikelwortern leisten. Wo sie nichts leisten können, werden sie nicht gebraucht. Ein Nullartikel hat bei solchem Vorgehen keinen Platz. Wir werden deshalb im folgenden vom "artikellosen Substantiv" oder vom "Substantiv ohne Artikel" sprechen, um auch terminologisch klarzumachen, daß wir da nichts ansetzen, wo nichts wahrzunehmen ist.

1.3

Methodische Überlegungen

1.3.1

Untersuchungsbasis: Mehr als Belege

Die meisten Monographien über Artikelwörter legen Belegsammlungen zugrunde, um die Authentizität der Beispiele zu sichern (so Kodier 1954, Hu 1980, Zhou 1985). Weitergehend wird die Berücksichtigung des belegten Gesamttextes als fortschrittlichstes Stadium der Artikelforschung hervorgehoben (Schendels 1981:324). Im folgenden wird deutlich werden, daß die von mir verfolgte Schwerpunktlegung auf selbstkonstruierte Einzelsätze oder selbstkonstruierte Mikrotexte (besonders einfache dialogische Texte) für mein Vorgehen Vorteile hat. Das gemeinsame Wissen von Sprecher und Hörer weist über den Makrotext hinaus und läßt sich nicht einfach belegen. Insofern liegt mit meiner Untersuchungsweise ein noch fortgeschritteneres Stadium der Artikelforschung vor. Eine zu starke Fixierung auf eine empirische Absicherung der Untersuchung wäre vorerst noch der Flexibilität meiner Überlegungen hinderlich. Die Unterscheidung von mündlichen und schriftlichen Texten spielt dabei nicht eine entscheidende Rolle, aber es gibt Aspekte des mündlichen Sprachgebrauchs (genauer: des mündlich-dialogischen Sprachgebrauchs), die ihn dafür prädestinieren, als Untersuchungsobjekt für die Artikelverwendung zu dienen. Die Situationsgebundenheit der Äußerung und die unmittelbare Interaktion von Sprecher und Hörer (der seinerseits sofort wieder zum Sprecher werden kann), ermöglichen es, Probleme der Artikelverwendung und -interpretation umfassender zu behandeln. Den Vorteil der Schwerpunktlegung auf mündliche Konversationen werden wir insbesondere bei unserer Untersuchung der definiten Referenz verdeutlichen können (vgl. dazu auch Clark/Wilkes-Gibbs 1986). Bei unserem Rückgriff auf das gemeinsame Wissen von Sprecher und Hörer sind auch die üblichen strukturalistischen Verfahren genauso wenig ausreichend wie mögliche Fragetests — was nicht bedeutet, daß auf sie völlig zu verzichten wäre.4 1.3.2

Sprecher-Hörer-Räsonnements

Eine Lösung für unsere methodischen Probleme bietet m.E. die Anwendung einer Art "Gricescher" Räsonnements, wie sie Heringer (1983 und 1988b) in anderem Zusammen4

Zu möglichen Fragetests vgl. Zhou (1985:118), Sadzinski (1978:98 f.), Searle (dt. 1983:45 u. 134), Conrad 1976 und allgemein Strecker (1986:88 ff.). Zu den von Vater (1963/1979a:10, 14ff., 38ff.) systematisch angewendeten strukturalistischen Verfahren wie Umstell-, Weglaß- und Austauschproben finden sich auch bei anderen Autoren nähere Überlegungen (Zhou 1985:10, Sadzinski 1978:37 ff., Winkelmann 1978:8 ff.). Während die Umstell- und Weglaßproben vor allem der Ermittlung der Syntagmenstruktur dienen, sollen durch Austauschproben die Bedeutungevarianten der Artikelwörter festgestellt werden. So zeige sich, daß in bestimmten Bedeutungsbereichen verschiedene Artikelformen äquivalente Funktionen aufwiesen, wie bei NPs im generischen Sinn (Winkelmann 1978:9).

hang erprobt hat. Heringer (1988b:741) sieht darin "gute Mittel, um aus einheitlichen globalen Bedeutungshinweisen die einzelne Deutung herzuleiten." Dabei werden zuerst die einzelnen möglichen Deutungen dargestellt, woraus dann die Bedeutung konstruiert wird. Dieses Konstrukt muß sich bewähren, wenn gezeigt werden soll, wie aus der gleichen Bedeutung, die einzelnen Deutungen hergeleitet werden. Daß die Form solcher Räsonnements und die Perspektive aus der sie zu erfolgen haben, noch nicht ganz klar sind (vgl. Heringer ebd.) hält uns nicht davon ab, ihre praktische Verwertbarkeit zu demonstrieren. Ein paar Hinweise sind aber noch wichtig: Die Räsonnements sind hypothetisch und sollen keiner psychischen Realität beim Hörer oder Sprecher entsprechen. Aber sie sollen plausibel sein und für den Mithörer/Mitleser nachvollziehbar (vgl. Heringer 1988b:746 und 1983:125). Falsch wäre es auch zu meinen, "der Hörer fange bei jeder Äußerung wie ein Rechner an, alle Verständnismöglichkeiten durchzurechnen. Entscheidend ist, daß die Partner einer Kommunikation schon von bestimmten Voraussetzungen ausgehen, die erst durch die Kommunikation widerlegt werden müßten, damit sie zu einer Revision dieser Annahme bereit wären; und weiter, daß im Verlauf der Kommunikation weitere Annahmen, Einschränkungen der Vorannahmen gebildet werden, von denen die Partner selbstverständlich ausgehen. Darum brauchen sie nicht über alle möglichen Verständnisse zu räsonieren, und nur wenn es dick kommt, werden sie bereit sein, ein Verständnis zu revidieren." (Heringer 1983:125). Mein Verfahren ist also folgendes: Ich versuche von einzelnen Deutungen der Artikelverwendung in verschiedenen Situationen und Sprechakten zu einer Grundbedeutung, einer prototypischen Deutung zu kommen. Dabei lasse ich mich von den in der Forschungsliteratur genannten Grundverwendungsweisen leiten, was mein Vorgehen erleichtert. Ich zeige dann, daß diesen Verwendungsweisen bzw. diesen Deutungen (und einigen mehr) eine Grundbedeutung der einzelnen Artikel Wörter zugrunde liegt. Was ist nun bei Räsonnements der vorgeschlagenen Art zu berücksichtigen? Der Linguist sollte die Überlegungen des Hörers und des Sprechers hinsichtlich ihrer gegenseitigen Annahmen simulieren, wobei es normalerweise methodisch einfacher ist, in die Hörerrolle zu schlüpfen, der man als Mithörer ja sowieso nahesteht. Aufgrund des vom Hörer angenommenen gemeinsamen Wissens wird dieser eine Deutung der Sprecheräußerung, in unserem Falle speziell der betreffenden Nominalphrasen, versuchen. Wenn der Linguist nun durch Austausch oder Weglassung des verwendeten Artikelwortes bei gleichbleibenden Annahmen über das gemeinsame Wissen oder bei veränderten Annahmen über das gemeinsame Wissen bei gleichbleibender Artikelverwendung zu neuen Deutungen der NP kommt, wird es ihm möglich sein, zu Deutungen der verwendeten Artikelwörter zu kommen. Von diesen Deutungen wird der Linguist zu hypothetischen Grundbedeutungen kommen, die er dann wieder mit Hilfe von Sprecher-Hörer-Räsonnements überprüft. Was dabei im Augenblick am wenigsten helfen würde, wäre ein schematisches Vorgehen, wie es in strukturalistischen Untersuchungen von Vater (1963/1979a) und von Hansen (1986) schon vorexerziert wurde. Ich halte die methodisch nicht so streng reglementierte Vorgehensweise bei unseren Räsonnements gerade für eine Stärke, die hilft, die Räsonnements plausibler zu machen, da sie spontaner wirken, und die verhindert, daß durch zu starke Einteilung und Klassifizierung der Beispielsätze Ergebnisse schon vorprogrammiert werden. Dies gilt notgedrungen nicht nur für die Untersuchung an sich, sondern auch für die Darstellung, da ja die Plausibilität meiner Argumente letztlich meine einzige Rechtfertigung ist. So finden

8 sich Räsonnements, die einer Simulation von Sprecher-Hörer-Interaktionen nahekommen, neben solchen, die eigentlich nur eine linguistische Reflexion beinhalten, und solchen, bei denen der Hörerlinguist seine Überlegungen anstellt. Dabei enthalten die Räsonnements auch Überlegungen, wie Kontext und Konsituation, ja das gemeinsame Wissen insgesamt, aussehen müßten, damit ein sinnvolles Verständnis der jeweils verwendeten NP möglich ist.5 Die Darstellung der Räsonnements ist immer möglichst knapp gehalten und stellt eine Art Resümee oder Ausschnitt aus viel umfangreicheren Räsonnements dar, die der Untersuchung der Artikelbedeutung dienten.

1.3.3

Zweckorientierung: Belange des Deutschen als Fremdsprache

Meine Methode wird auch bestimmt durch den besonderen Zweck der Untersuchung. Arbeiten, die der philosophischen Problemlösung, der Erforschung des Erstspracherwerbs oder der automatischen Übersetzung dienen, müssen andere Methoden zugrunde liegen als einer Arbeit, die sich Belangen des Deutschen als Fremdsprache verpflichtet fühlt. Eine Arbeit, die explizit diesen Anspruch erhebt, ist die Habilitationsschrift von HansJürgen Grimm aus dem Jahre 1983 "Untersuchungen zum Artikelgebrauch im Deutschen" (gekürzt und verändert veröffentlicht 1986). Da eine umfassende Darstellung der Artikelproblematik unter dem Aspekt des Deutschen als Fremdsprache nach Grimm bis dahin gefehlt habe, wollte die Grimmsche Untersuchung diese Lücke schließen und die "linguistischen Gesetzmäßigkeiten", die dem Artikelgebrauch im Deutschen zugrunde liegen, aus grammatischer und kontrastiver Sicht beschreiben (S.2). Grimm (1983:26-28) faßt 3 Klassen von Artikelverwendungen zusammen: a.) "Der Artikel ist Signal für bestimmte semantische Beziehungen im engeren oder weiteren Sinne, d.h. er übt semantische und/oder kommunikativ-pragmatische Funktionen aus." (Evtl. auch Signal für grammatische Beziehungen). (S.26) b.) "Der Artikel ist Reflex einer bestimmten grammatischen Konstruktion ohne deutlichen semantischen und/oder kommunikativ-pragmatischen Hintergrund." (S.27) c.) "Der Artikel steht aufgrund einer innersprachlichen Konvention ohne systematische semantische bzw. kommunikativ-pragmatische oder grammatische Grundlage." (S.28) Ohne uns bereits auf diese Einteilung definitiv festzulegen, scheint sie uns doch von beträchtlichem heuristischem Wert. Es ist sinnvoll, zuerst einmal die unter b) und c) fallenden Beispiele auszugliedern und uns bei der Suche nach Regularitäten auf a) zu konzentrieren. Um zu verdeutlichen, was mit Beispielen, die unter b) und c) fallen, gemeint ist, werden kurz einige der von Grimm genannten angeführt: Grammatisch-bedingte Artikelverwendungen wie - die Koordination mehrerer Substantive: (11) Elbe und Oder sind schiffbare Flüsse, aber: 'Kontext und Konsituation sind nur im Rahmen des gemeinsamen Wissens relevant. Ich untersuche also nicht Sätze in vorgegebenen Kontexten und Situationen und deren angeblich objektive Wirkung, sondern zeige, welche Annahmen über das gemeinsame Wissen (auch kontextuelles und situatives Wissen) zu welchen Deutungen der untersuchten NPs führen und wie der Austausch der Artikelwörter diese Deutungen ändert.

(12) Die Elbe ist schiffbar. - bestimmte Adverbialkonstruktionen: (13) Der Kurs beginnt nächstes Frühjahr. aber: (14) Der Kurs beginnt im nächsten Frühjahr. - bestimmte Prädikativkonstruktionen: (15) Er wird als Vorsitzender bestätigt, aber: (16) Er ist der neue Vorsitzende der LPG. - bestimmte andere grammatische Konstruktionen: (17) Die Brücke hat eine Länge von 200 Metern, aber: (18) Die Länge der Brücke beträgt 200 Meter. Konventionalisierte Artikelverwendungen - bei einigen Eigennamen: (19) Ungarn und die Schweiz nehmen an der Messe teil. (20) Was wünscht du dir zu Weihnachten! - in gewissen Phraseologismen: (21) Das Schiff sticht in See. (22) Er ist zehn Jahre zur See gefahren. - in gewissen Funktionsverbgefügen: (23) Er bringt damit seine persönliche Meinung zum Ausdruck. (24) Er brachte seinen Gegenspieler zu Fall (S.28f.). Ich werde also Beispiele wie diese nicht zum zentralen Punkt meiner Untersuchung machen, sondern nur von Fall zu Fall in meine Überlegungen miteinbeziehen, wobei sich beim einen oder anderen Beispiel zeigen wird, daß es durchaus mit einer kommunikativpragmatischen Erklärung erfaßbar ist. 3 Fragen stehen dabei im Vordergrund der Auswahl der Artikelverwendungen: 1.) Welche Artikel Verwendungen bereiten Deutschlernern besonders große Probleme? 2.) Welche Artikelverwendungen sind wenig oder nicht bearbeitet? 3.) Welche Artikelverwendungen eignen sich für eine "modellartige linguistische Beschreibung"? (S.2f.). Die drei von Grimm aufgeworfenen Fragen zur Auswahl der Artikel (-Verwendungen) werden von mir folgendermaßen beantwortet:

10

1.) Konventionalisierte und lexikalisierte Verwendungen machen zwar nach Tests von Grimm (1983:32ff. u. 1985) Deutschlernern die größten Schwierigkeiten, sind aber dann leichter zu beherrschen, wenn sie als Besonderheiten erkannt werden. Im Vordergrund muß also eine klare Darstellung der nicht-konventionaliserten und nicht-lexikalisierten Artikelverwendungen stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Deutschlerner mit sogenannten artikellosen Muttersprachen deshalb mit allen Verwendungen große Probleme haben, weil in den meisten Darstellungen nur der zu enge Kernbereich der traditionellen Artikel beschrieben wird. Die Funktionen des Definitartikels können aber z.B. nur im Zusammenhang mit dem Demonstrativ- und Possessivartikel plausibel beschrieben werden. Und über Demonstrativ- und Possessivartikel (bzw. Äquivalente) verfügen auch die sogenannten artikellosen Sprachen. 2.) Damit ist auch klar, daß besonders die Berücksichtigung von bisher wenig beschriebenene Artikelwörtern wie dem Demonstrativ-, Possessiv- und Totalitätsartikel stärker in den Vordergrund rücken muß. 3.) Eine modellartige Beschreibung wird einerseits die Funktionen der von uns so genannten Referenzkoordinatoren der, dieser, mein und alle und andererseits die Funktionen des Indefinitartikels (=Numerale) ein und der Artikellosigkeit umfassen müssen. Die große Schwäche der Untersuchung von Grimm ist also, daß er nur den Definitartikel, den Indefinitartikel und die Artikellosigkeit berücksichtigt und damit gerade nipht die Probleme ausländischer Deutschlerner bei der Artikelverwendung erfassen kann. Gerade beim Definitartikel spielt die mögliche Ersetzbarkeit durch den Possessiv- und den Demonstrativartikel eine große Rolle. Und erst unter Berücksichtigung eines größeren Netzes kontrastierender Artikelwörter wird es möglich, die Funktionen der einzelnen Artikelwörter richtig einzuschätzen. Damit will ich nicht sagen, daß alle Artikelwörter von gleicher Relevanz sind, sondern, daß man die Funktionen der Wortart Artikel nicht dadurch erforschen kann, daß man sich von vornherein auf die traditionell als Artikel geltenden Artikelwörter beschränkt. Eine "modellartige linguistische Beschreibung" sollte gerade die Austauschbedingungen der einzelnen Artikelwörter berücksichtigen, und das kann sie nicht, wenn austauschbare bzw. eintauschbare Artikelwörter außer acht gelassen werden. Ich lehne auch Grimms These ab, daß man in einer DaF-orientierten Studie nicht auf sprachvergleichende Beobachtungen verzichten könne. Gerade der Test von Grimm belegt ja die Auffassung von Zepic (1987:332), daß das "grammatische System weniger interferenzanfällig ist und daß sich die meisten Fehler auf die Ignoranz der Lernenden sowie die komplizierte innere Organisation des Systems und nicht auf den Einfluß einer anderen Muttersprache zurückführen lassen; daß die Fehler also intralingual und nicht interlingual sind." Die besonderen Schwierigkeiten von Sprechern artikelloser Muttersprachen sind also auf das fehlende Wissen und die fehlenden Fertigkeiten, mit gewissen Artikelwörtern umzugehen, zurückzuführen. Räsonnements über das gemeinsame Wissen ermöglichen Sprechern aller Sprachen einen gleichwertigen Zugang zu den Verwendungsbedingungen und dem Funktionsgefüge der Artikelwörter. Reflexionen über das gemeinsame Wissen von Kommunikationspartnern führen auch von Anfang an über ein rein an normativen Regelbeschreibungen orientiertes Sprachlernen hinaus. Wie diese Reflexionen im Unterrichtsalltag im einzelnen auszusehen haben, ist eine Frage, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden kann. Traditionelle Einsetzübungen, wie sie Götze (1984) anbietet, sind aber sicher keine

11

Lösung. Ohne Räsonnements geht nichts. Sprachlerner haben auch ein größeres Bedürfnis nach Sprachreflexionen, als ihnen Lehrwerkautoren und Arbeitsblätter verfassende Lehrer offensichtlich unterstellen. Und wenn Ehnert (1984:136) den DaF-Lernern zunächst ein Interesse an einem geschlossenen System der Artikelfunktionen und einer "Diskussion der Beschreibungschwierigkeiten" abspricht, so sollte dies nicht dazu verführen, vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen. Nur besteht der Wald nicht aus kunstvollen auswendig zu lernenden Regelformulierungen, sondern aus von plausiblen Räsonnements ableitbaren Regelhy p ot hesen. Quasthoff (1986) fordert auch die Berücksichtigung der Rolle von nicht-sprachlichen und "semisprachlichen" Wissensbeständen im Fremdsprachenunterricht. Dabei wird auch auf die Bedeutung von kommunikativen Mitteln verwiesen (1986:248). Ebenso hebt Piepho (1990) die Bedeutung von formalen und inhaltlichen Schemata bei Verstehensprozessen hervor und sieht die "Anwendung dieses Wissenspotentials und seine ständige Erweiterung durch Übung und Reflexion" als "eine wesentliche Dimension des Fremdsprachenunterrichts." (Piepho 1990:127). Bernhard Grünbecks "Beobachtungen zum unterschiedlichen Gebrauch von bestimmtem und unbestimmtem Artikel in deutschen und französischen Textkörpern" (1977) machen deutlich, wie sehr bei der Verwendung des deutschen Definitartikels stärker an "außersprachliche Kenntnisse appelliert" und der "Bezugsrahmen" viel weiter gefaßt wird als bei Verwendung des französischen Definitartikels (1977:100). Orientierung an Belangen des Deutschen als Fremdsprache heißt deshalb, daß die Rolle der deutschen Artikelwörter bei der Signalisierung der kommunikativ relevanten Wissensbestände untersucht werden und dieses metakommunikative Wissen selbst thematisiert werden soll. Die im Deutschen als Fremdsprache zu berücksichtigende interkulturelle Prägung des gemeinsamen Wissens verlangt zur Orientierung des Deutschlerners ganz besonders eine klare Darstellung des für Deutschsprachige relevanten Wissens und der verständnissichernden Bedeutung von Metakommunikation. Dies wird schon in meinem methodischen Vorgehen berücksichtigt.

1.4 Theoretische Probleme 1.4.1

Ein plausibles und lehrreiches Modell

Ich will im folgenden von einem Kommunikationsmodell ausgehen, für das es keine Möglichkeit der Falsifikation bzw. Verifikation gibt (vgl. Keller 1977:2-4). Eine Korrespondenz zwischen Modell und Objekten gibt es nur in eingeschränktem Maße, da die Einheiten und Sachverhalte des Objektes Erfindungen des Modells sind. "Ein solches Modell zeigt uns Aspekte, Hinsichten auf, unter denen sich der Gegenstand betrachten läßt mit Aussicht auf Erkenntniszuwachs. Grob gesagt, gibt ein Modell keinen Aufschluß darüber, wie sich die Sache verhält, sondern zeigt, wie man die Sache betrachten kann, oder regt an, die Sache so zu betrachten." (Keller 1977:2f.) Kriterien, nach denen ein "philosophisches Modell" dieser Art einem anderen vorzuziehen wäre, sind nach Keller: das Modell muß plausibel und lehrreich sein. D.h. ein Modell kann auch trotz falscher Aussagen diesen Kriterien genügen, und damit funktionstüchtig sein. Außerdem sind beide Kriterien voneinander unabhängig, ein Modell kann plausibel sein, aber nicht lehrreich, und umgekehrt. Keller weist darauf hin, daß damit nicht dem Subjektivismus Tür und Tor geöffnet ist; denn lehrreich heißt nicht "ich kann etwas lernen", sondern "man kann etwas lernen", und

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plausibel muß das Modell für die sein, an die ich mich mit meinem Modell wende: Wissenschaftler und Laien, in unserem Fall Linguisten und Deutschlerner.6 Um noch einmal auf den Begriff lehrreich zurückzukommen: lehrreich schließt lehrbar und lernbar mit ein, berücksichtigt also die praktische Anwendbarkeit des Modells. Einen Vorteil dieser philosophischen Modelle und ihrer Kriterien zeigt Keller noch auf: "Wenn man das eine Modell für wahr hält, so muß man das andere für falsch halten, für plausibel und lehrreich kann man sie vielleicht beide halten. Und darüber hinaus noch hoch erfreut feststellen, daß das eine Modell Einsichten eröffnet, nach denen sich im Rahmen des anderen nicht einmal fragen läßt und umgekehrt." (ebd. S.4) So sind auch die "Griceschen" Räsonnements, mit deren Hilfe wir den Bedeutungen der Artikelwörter nachspüren wollen, nicht als Modell einer wirklich so ablaufenden SprecherHörer-Interaktion anzusehen, sondern als Hilfsmittel, um den Gebrauch der Artikelwörter verständlich zu machen. Ob die Räsonnements, wie ich sie zeige, plausibel und lehrreich sind, hat der Leser zu entscheiden. Er hat auch zu entscheiden, ob meine Theorie plausibler und lehrreicher ist als andere Artikeltheorien.7

1.4.2

Zur Abgrenzung von gängigen Artikeltheorien

Im folgenden soll kurz umrissen werden, in welcher Weise sich mein theoretisches Konzept von anderen Artikeltheorien abhebt. Damit soll das Augenmerk auf die wichtigsten Grundgedanken gelenkt werden, die für das Verständnis meiner Ausführungen entscheidend sind. Nicht beabsichtigt ist eine Kritik anderer theoretischer Ansätze. Es geht mir an diesem Ort nicht darum, die Überlegenheit meiner Betrachtungsweise durch eine detaillierte Auseinandersetzung mit gängigen Theorien zu belegen, sondern es geht mir um die Schärfung der Aufmerksamkeit des Lesers für die Grundgedanken meiner Darlegungen in den folgenden Abschnitten und Kapiteln. Deshalb sollen thesenartig wichtige Gegenüberstellungen vorgenommen werden. 1.) Statt von der Aktualisierung oder Determinierung eines Begriffes auszugehen, konzentrierte ich mich auf Probleme der Koordination des S-H-Wissens zur Sicherung der gemeinsamen Referenz. Nicht der "Übergang von der Bezeichnung eines Begriffes zur Bezeichnung einer real vorhandenen Entität" (Winkelmann 1978:23), nicht der Weg von der virtuellen zur aktualisierten Bedeutung interessiert mich, sondern die S-H-Kooperation, die bei der Deutung einer NP entscheidend ist. Also untersuche ich, inwieweit Artikelwörter als Hilfsmittel zur Koordination von S-H-Annahmen dienen, und nicht, wie sie eine bereits vollzogene "wirkliche Bezeichnung" (Coseriu 1975:263) signalisieren oder gar diese Bezeichnung bewirken. Ich konzentriere mich auf die Untersuchung der Rolle der Artikelwörter bei der S-H-Interaktion und nicht auf die Untersuchung der Transformation von Einheiten der Langue in Einheiten der Parole. (Zur Aktualisierungstheorie vgl.: Christophersen 1939:54ff., Hoffmann 1967:14f., Kaznelson 1974:45-51, Coseriu 1975, Win6

Zu den Linguisten zähle ich (natürlich) auch Lehrbuchautoren und DaF-Lehrer, was allerdinge im letzten Fall deutlich macht, daß der Begriff "Wissenschaftler" mehr im Sinne von "Fachkenner" zu verstehen ist. Es geht natürlich auch nicht darum, daß das Modell, so wie es in dieser Arbeit vermittelt wird, für Laien plausibel sein muß. Eine didaktische Aufbereitung ist natürlich unerläßlich. 7 Methodisch-theoretische Überlegungen ähnlicher Art finden sich bei Neurath (1935), Stegmüller (1976), Kahn (1976/1978) und Strecker (1977,1979).

13 kelmann 1978:22ff., Gladrow 1979:53f., Birkenmaier 1979:17ff., Weydt 1984:345fF., Zhou 1985:11-42 und besonders ablehnend Rogger 1954:341ff.). 2.) Statt der "Charakterisierung der Rolle des Substantivs im Text" (Gladrow 1979:58) interessieren mich die Hinweise zur Referenzkoordination. Gemeinsames Wissen statt bloßer Text — damit wird die veränderte Schwerpunkt legung am besten charakterisiert. Referenz wird als gemeinsame Aufgabe von S und H verstanden und nicht als rein arbeitsteiliger Prozeß, bei dem der Sprecher signalisiert, von welchem Gegenstand die Rede ist, und der Hörer diesen Gegenstand zu identifizieren hat. Es geht also um mehr als den bloßen Hinweis auf die wesentlich kommunikative Bestimmtheit eines Gegenstandes. Dabei setze ich nicht einfach ein Spannungsfeld von Bestimmtheit und Unbestimmtheit oder von Thema- und Rhemawert voraus, sondern untersuche die Verwendung der Artikelwörter, ohne von vornherein oppositionelle Funktionen anzunehmen. Referenzkoordination und Quantifizierung werden nicht als gegensätzliche, sondern als unterschiedliche Aufgaben betrachtet. Insofern soll auch nicht die Determinierung durch Vor- oder Nachinformationen als festgelegter Maßstab dienen, wie dies die textgrammatisch fixierte Vorgehensweise Weinrichs verlangt. (Zu textgrammatisch orientierten Untersuchungen, zur Artikelopposition und zur nominalen Kategorie 'Determination' vgl.: Schwyzer 1936, Boost 1956:66ff., Schneider 1959:54ff., Kramsky 1968 u. 1972, Weinrich 1969, 1974 und 1982, Moskalskaja 1971 und 1983, Kallmeyer 1974, Brand 1976, Sadzinski 1978, Gladrow 1979, Friedmann 1980, H. Fleischer 1982, de Knop 1986:159ff.). 3.) Statt logischen Operatoren, die der Transformation von Designatoren in Denotatoren (analog zur Aktualisierungstheorie!) dienen (vgl. Grimm 1983) nehmeich Referenzkoordinatoren und Quantoren an, die Hinweise zur Koordination von S-H-Annahmen geben. Nicht ein internalisiertes Regelsystem soll die Artikelwahl steuern, sondern die aktuellen und vergangenen Kommunikationserfahrungen — und damit die gegenseitigen Annahmen über die Effektivität der Artikelwörter hinsichtlich der Koordination der Referenz oder der Quantifizierung — sollen als Maßstab gelten. Wenn wir davon ausgehen, daß jede Kommunikation "Experimentalcharakter" hat (Keller 1987:105), dann folgt daraus, daß die individuelle Sprache jedes Sprechers Hypothesencharakter hat. "Meine Kompetenz von heute ist das Ergebnis all der Kommunikationsversuche, die ich Zeit meines Lebens durchgeführt habe oder miterlebt habe." (Keller 1987:107). Damit können wir auch Probleme erfassen, die durch Sprachwandel oder Varietäten entstehen. So sind z.B. Verschmelzungen bzw. Reduzierungen von Artikelwörtern im Rahmen einer Theorie des gemeinsamen Wissens von S und H zu erfassen, das nicht auf internalisiertes Regelwissen reduzierbar ist. (Zu logischen Operatoren und allgemein transformationsgrammatischen Theorien vgl.: Ebert 1971a, Bellert 1974, Isenberg 1974, Hlavsa 1975, Winkelmann 1978, Grimm 1983; kritisch Wimmer 1979:66ff. und Keller 1987). 4.) Ein Kennzeichen der meisten transformationellen Theorien ist auch die einseitige Betonung der Tatsache, daß "die Wahl zwischen indefinitem bzw. Nullartikel und definitem Artikel abhängig vom Wissen und von der gemeinsamen Vertrautheitsbasis der kommunizierenden Individuen" sei (so Ebert 1971a:6). Aber so einfach funktioniert die Artikelverwendung nicht. Die Wahl der Beschreibung ist abhängig vom gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner, aber ob ein Sprecher den Defmitartikel oder den Indefinitartikel verwendet, hat zuerst einmal nur mit der beabsichtigten Referenz zu tun. Wenn das gemeinsame Wissen für alles gut sein soll, wird es zur Irrelevanz verurteilt.

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Intentionen des Sprechers sind zuerst einmal da, egal welches Wissen der Hörer teilt. Anders sieht es natürlich mit den wirklichen Alternativen zum Definitartikel aus, dem Demonstrativ- und dem Possessivartikel. Hier erfolgt der Einsatz vor allem abhängig vom gemeinsamen Wissen. Aber wieder wird das gemeinsame Wissen nur unter Berücksichtigung der verwendeten Beschreibung ausschlaggebend. (25) Gib mir bitte den Brief \ (26) Ich habe gestern das Auto repariert. (27) Na, wie hat das Bier geschmeckt? Selbst wenn ich als Sprecher in (25) annehme, daß das Hörerwissen nicht ausreicht, um den verlangten Brief zu identifizieren, kann ich nicht einfach den Indefinitartikel einsetzen, da ich ja einen für mich bestimmten Brief will. Die Alternative zu (25) kann also nur eine ausführlichere Beschreibung sein. In (26) werde ich genauso unwillig den Indefinitartikel einsetzen, wenn ich dem Hörer mitteilen will, daß ich mein Auto repariert habe, oder das Auto, das vor mir steht, auch hier bietet sich an, die Beschreibung zu erweitern, bzw. den Possessiv- oder den Demonstrativartikel einzusetzen. Und in (27) müßte ich selbst überlegen, was ich eigentlich meine, sollte ich den Indefinitartikel einsetzen. Auch hier kann nur eine präzisierende Beschreibung weiterhelfen bzw. ein anderes Artikelwort, das die beabsichtigte definite Referenz markiert.

1.4.3

Semantisch und/oder pragmatisch bedingte Artikel Verwendungen und Artikelbedeutungen.

Nach Grimm (1986) läßt sich der Artikelgebrauch durch die "generelle Annahme semantischer Merkmale" (S.29), die ihn steuern, angemessen beschreiben. Kommunikativpragmatische Faktoren spielen bei Grimm im Gegensatz zu Flämig (1984) nicht eine wesentliche Rolle. Bevor wir dieses Problem näher diskutieren, wollen wir kurz eine begriffliche Abgrenzung vornehmen. Nach Keller (1975) gilt: "Die Theorie der Kenntnisse, die nötig sind, um zu wissen, was man mit einem Ausdruck sagen kann, ist die Semantik dieses Ausdrucks." Und auf der anderen Seite: "Die Theorie der Kenntnisse, die nötig sind, um zu verstehen, was ein Sprecher mit dem, was er gesagt hat, gemeint hat, ist die Pragmatik dieser Äußerung" (S.22 f.). Als semantische Kenntnisse gelten die Kenntnisse der Gebrauchsregeln von sprachlichen Ausdrücken und als pragmatische Kenntnisse die Kenntnisse über die Welt, Gewohnheiten des Gesprächspartners, Regeln und Prinzipien des Schließens, frühere Äußerungen etc. (S.23). Ohne damit einer starren Trennung der 2 genannten Bereiche das Wort zu reden, möchte ich die Unterscheidung von Bedeutung und Deutung eines Ausdrucks als gleichwertig ansehen. Für die Artikelverwendung heißt dies folgendes: Wenn der Sprecher unter Berücksichtigung des gemeinsamen Wissens von S und H bei einer konkreten Äußerung seine Artikelentscheidung trifft, muß er gleichzeitig über eine Hypothese über die Artikeldeutung verfügen, die mit der des Hörers übereinstimmt. Es geht dabei für den Hörer nicht einfach darum, das einzelne Artikelwort in der betreffenden Äußerung richtig zu deuten, sondern die gesamte verwendete Nominalphrase. Die kann er aber nur richtig deuten, wenn er die Bedeutung des betreffenden Artikelwortes und der anderen Bestandteile der NP kennt. Vielleicht sollten wir besser sagen: wenn er in der Lage ist, die Artikelwörter in Übereinstimmung mit dem Sprecher zu gebrauchen bzw. zu verstehen. Wenn

15 die Bedeutung eines Wortes sein "Leistungspotential in der Kommunikation" ist (Keller 1975:18), so gilt es, zwischen der Leistung des Artikelwortes und der Leistung der gesamten Nominalphrase zu unterscheiden. Die gesamte Nominalphrase muß gedeutet werden, wobei pragmatisches Wissen entscheidend ist. Die Kenntnis der Bedeutungen der verwendeten Nominallexeme und der Artikel führt allein nicht viel weiter. D.h. auf der Seite der verwendeten Beschreibung kommen wir mit einer rein semantischen Erklärung nicht voran. Und die Artikelverwendung hängt nicht so von der Beschreibung ab, daß diese ein bestimmtes Artikelwort erzwingen könnte. Vielmehr kommt es darauf an, welchen kommunikativen Effekt der Sprecher beim Hörer erzielen möchte, und dazu muß er alle Bereiche des gemeinsamen Wissens mit berücksichtigen, damit er weiß, ob er den beabsichtigten Effekt überhaupt erzielen kann. Trotzdem kann der Sprecher davon ausgehen, daß auch der Hörer nach der gleichen Verwendungsregel für das betreffende Artikelwort handelt (auch wenn er sie nicht formulieren kann). Diese Verwendungsregeln wollen wir aufdecken und zeigen, daß sie nicht verwechselt werden dürfen mit den Verwendungsbzw. Deutungsregeln für die ganze Nominalphrase, bei der die verwendete Beschreibung eine wesentliche Rolle spielt. Entscheidend für den Einsatz eines Artikelwortes sind die möglichen Deutungen der gesamten NP, d.h. pragmatische Faktoren steuern letztlich die Artikelverwendung. Aber die möglichen Deutungen sind auch abhängig von der Bedeutung der Artikelwörter, also von semantischen Faktoren, nur eben nicht so, daß die Bedeutung eines Artikelwortes notgedrungen zu einer Deutung unabhängig von pragmatischen Faktoren führen würde. Das Verhältnis von Bedeutung und Deutung ist kein starres. Die Bedeutung als das Leistungspotential eines Wortes in der Kommunikation (Keller) ist nicht ein für allemal objektiv fixiert. Erstens ist sie in der kommunikativen Realität nur über Problemlösungs- und Bedeutungshypothesen der Sprachteilhaber gegeben. D.h. zweitens, daß ein Sprachteilhaber seine Hypothesen korrigieren wird, wenn die tatsächliche Leistung nicht den Hypothesen entspricht (vgl. Keller 1987:105ff.). Er wird also nicht nur die einzelne Verwendung bzw. Deutung in Frage stellen, sondern bei ständigem Scheitern eine neue Hypothese über die grundlegenden Verwendungs- bzw. Deutungsmöglichkeiten eines Wortes, also dessen Leistungspotential, aufstellen. Erfolgreiche Verwendungen bzw. Deutungen stabilisieren die Problemlösungs- und Bedeutungshypothese des Sprachteilhabers. Mißerfolge fördern neue Einschätzungen. Natürlich kann auch der Sprecher ein Wort ungeschickt verwenden bzw. der Hörer ein Wort ungeschickt deuten, aber die Häufung der Fehlversuche, also der Mißverständnisse, führt zu grundsätzlichen Korrekturen. Und die grundsätzlichen Korrekturen führen in der Praxis zu einem veränderten Einsatz des Wortes und damit zu veränderten Deutungen, bzw. die bei immer mehr Hörern veränderten Deutungen zwingen den einzelnen Sprecher zu veränderten Verwendungen. Schließlich wird sich die Bedeutungshypothese des Sprachteilhabers dem veränderten Gebrauch anpassen.8 Der Linguist muß seine Regelhypothese an der Beobachtung der kommunikativen Realität orientieren. Seine Bedeutungshypothesen, d.h. seine Hypothesen über das Leistungspotential, helfen ihm, die einzelnen Verwendungen zu deuten. Seine Regelhypothese ist Schwankungen unterworfen, genauso wie sich das Objekt seiner Hypothese ändert 8

Damit wird Sprache also dynamisch gesehen. Die Bedeutung des Defmitartikels z.B. steht nicht ein für allemal fest, sondern ist Resultat der Kommunikationspraxis und -Reflexion, was sich etwa bei Reduzierungen und Verschmelzungen zeigt. Keller (1987) ist im,übrigen nur Ausgangspunkt für meine Überlegungen. Eine Auseinandersetzung mit seiner Auffassung ist hier nicht beabsichtigt.

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und nicht für immer starr gegeben ist. Meine S-H-Räsonnements berücksichtigen diese Aspekte. Artikeltheorien, die ihr Hauptaugenmerk auf die Mechanismen der Umwandlung von Designatoren in Denotatoren oder von virtuellen Lexemen in aktualisierte Lexeme richten, stellen die Artikelwörter ins kommunikative Abseits. Wenn der Linguist aber die kommunikativen Probleme zwischen Sprecher und Hörer in den Vordergrund rückt und nicht die Probleme, die wegen einer idealisierten Langue entstehen, wird er den Artikelwörtern koordinative Aufgaben zuschreiben und nicht transformative. Die Semantik der Artikelwörter läßt sich dann letztlich nur unter Berücksichtigung der pragmatischen Funktionen angemessen erfassen.

1.4.4

Konzeptuelle Verschiebungen: Probleme mit der verwendeten Beschreibung

Nunberg (1979:148) führt einige Beispiele für Polysemie an, die nicht auf unterschiedliche Konventionen zurückzuführen sind (wie Land auf Nation und Grund); sondern offensichtlich auf verschiedenen Konzeptionen ein- und desselben Lexems aufbauen (Übersetzung von mir): (28) Das Fenster war zerbrochen. (Fensterglas) (29) Das Fenster wurde zugenagelt. (Fensteröffnung) (30) Die Zeitung wiegt 5 Pfund. (Die Publikation) (31) Die Zeitung feuerte John. (Verleger) (32) Das Hühnchen pickte den Boden auf. (Vogel) (33) Wir aßen das Hühnchen in Bohnensauce. (Fleisch) (34) Der Stuhl war zusammengebrochen. (Stuhl-token) (35) Der Stuhl war in den Salons des 19. Jahrhunderts sehr verbreitet. (Stuhl-type) (36) Das Buch wog 5 Pfund. (Buchexemplar) (37) Das Buch wurde abgelehnt. (Inhalt) (38) Wir haben die Nachrichten vom Radio. (Medium) (39) Der Radio ist kaputtgegangen. (Apparat) (40) Frankreich ist eine Republik. (Nation) (41) Frankreich hat eine sehr mannigfaltige Topographie. (Region) (42) Das Spiel ist schwer zu lernen. (Regeln) (43) Das Spiel dauerte eine Stunde. (Aktivität) (44) Eitelkeit ist ein Laster. (Die Eigenschaft, eitel zu sein) (45) Seine Eitelkeit überraschte meine Freunde. (Die Ausprägung seiner Eitelkeit)

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Nunberg geht davon aus, daß es in diesen Fällen keine Grundbedeutung gibt, von der die anderen abzuleiten wären, sondern daß grundsätzlich verschiedene Referenzmöglichkeiten bestehen. Ich möchte hier auf seine Begründung der "referring function" nicht näher eingehen, sondern nur seine Schlußfolgerungen festhalten: "We conclude then that there are virtually no words (except a few proper names) for which we can 'give the meanings'; while we can be assured that only one of the uses of the word can be conventional, we have no empirical grounds for saying which use it is, since exactly the same pattern of use could be generated under any of several analysis." (S.174). Die Konsequenz ist, daß die Idealisierungen einer Langue unhaltbar sind. Ein Sprecher muß immer das Wissen seines jeweiligen Partners mitreflektieren und kann nicht einfach von festen Bedeutungen ausgehen. "It follows that any real community, when we say that the meaning of a verb is indeterminate, we mean that it is collectively indeterminated, that they could not decide." (S.I76). Dies ist nach Nunberg aber kein Problem für die Kommunikationsteilnehmer: "We do not have to know what a word names to be able to say what it is being used to refer to." (S.177) Wir wollen die Schlußfolgerungen von Nunberg nur so weit berücksichtigen, als sie für die Erklärung der Artikelverwendung von Bedeutung sind. Und hier stellen sie ein gewichtiges Argument dar gegen alle Theorien, die von identifizierenden oder nicht identifizierenden Beschreibungen ausgehen, statt das gemeinsame Wissen der jeweiligen Kommunikationsteilnehmer zu reflektieren. Im folgenden Kapitel wird dazu noch einiges zu sagen sein. Vorerst wollen wir noch auf ähnliche Überlegungen von Bierwisch (1983) eingehen, der die von Nunberg beschriebene Erscheinung "konzeptuelle Verschiebung" nennt (S.79): (46) Die Schule spendete einen größeren Betrag. (Schule\: Institution) (47) Die Schule hat ein Flachdach. (Schule^: Gebäude) (48) Die Schule macht ihm großen Spaß. (Schule^: Ensemble von Prozessen) (49) Die Schule ist eine der Grundlagen unserer Zivilisation. (Schule^: Institution als Prinzip) Die Beziehungen zwischen den einzelnen Varianten lassen sich nach Bierwisch folgendermaßen gliedern: a) Prinzip (Schule4, Schulei), b) Lokalität (5cnu/e2, Schulei), c) Prozeß (Sc/iu/ea, Schulei). Eine Verschiebung zwischen "Lokalität" und "Prinzip" läßt sich nach Bierwisch u.a. auch bei den folgenden Wörtern feststellen: Universität, Museum, Gericht, Parlament, Ministerium, Theater, Oper, Börse, Bank, Versicherung, Kirche, etc. Andere mögliche konzeptuelle Verschiebungen sind die zwischen "Information" und "Informationsträger" (Buch, Roman, Novelle, Theorie, Vorwort, Kapitel, Zeitung, etc.) oder "Aufführung" und "Niederschrift" (Symphonie, Oper, Overture, Drama, Lied, Tanz, Schlager, etc.). Weitere mögliche Verschiebungen sind m.E. die zwischen Einzelding und Material/Substanz (Hähnchen, Ente, Glas, etc.), die sich mit der Unterscheidung zwischen Individuativa und Kontinuativa deckt, oder zwischen Produzent und Produkt (Goethe, Eco, Hinnenkamp, etc.), bei der es sich aber um eine eindeutige einseitige Verschiebung handelt. Grundlegende Verschiebungen, die bei allen Substantiven möglich sind, sind die zwischen "token" und "type", partikulärer und genereller Verwendung, "use" und "mention".Es geht mir hier nicht darum, eine möglichst umfassende Liste vorzulegen, sondern nur darum, zu

18 verdeutlichen, daß bei der Interpretation von Nominalphrasen wesentlich mehr berücksichtigt werden muß, als in der linguistischen Literatur üblich ist. Für die Untersuchung der Artikelverwendung heißt das nicht, daß wir prinzipiell alle möglichen Varianten untersuchen müssen, aber daß wir klären müssen, welche Rolle die einzelnen Artikelwörter bei den konzeptionellen Verschiebungen spielen, wenn sie überhaupt einen Einfluß auf entsprechende Verschiebungen haben. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die Beurteilung einer Artikelverwendung von der jeweiligen konzeptuellen Interpretation des verwendeten Nomens abhängt: (50) Ich nehme das Schweineschnitzel. (51) Ich muß noch auf die Bank. (52) 'Auto'klingt gut. (53) Er nimmt ein Holz. In (50) und (51) ist die Bestimmtheit des Referenten auch dann gesichert, wenn ein Restaurant 100 einzelne Schweinschnitzel verkaufen kann oder in der betreffenden Stadt 10 Banken mit mehreren Filialen ansässig sind, da die konzeptuelle Verschiebung auf den Typ oder die Institution alle Interpretationsprobleme löst. Anders herum könnte man sagen, daß die Verwendung des Definitartikels dem Hörer eine solche Verschiebung nahelegt. Wenn ein bestimmtes Schweineschnitzelexemplar im gemeinsamen Wissen von S und H nicht vorhanden ist, bleibt eben nur die Typ-Interpretation. In (52) deutet die artikellose Verwendung für den Hörer auf eine "mention"-Verwendung hin, was das Prädikat alleine nicht leisten würde. Und in (53) erleichtert die Verwendung des Indefinitartikels die Verschiebung auf ein materielles Einzelding Golfschläger, falls der Satz in einem/einer entsprechenden Kontext/Konsituation geäußert wurde. 1.4.5

Signalisieren

Während vielfach davon gesprochen wird, daß der Definitartikel ein Wort oder einen Begriff determiniere, ja sogar einen Gegenstand identifizieren könne, hat schon Caro (1897:3) hervorgehoben, daß es die Funktion des Definitartikels sei "ein seiendes überhaupt als bestimmt gedacht zu kennzeichnen". Strawson betont (1950/1963), daß der bestimmte Artikel als Signal für eine eindeutige Beziehung funktioniere und keine Behauptungsfunktion habe. Oomen (1977:54) markiert den Unterschied deutlich. Der bestimmte Artikel "leistet also nicht Identifikation, sondern kündigt sie nur an" (vgl. auch Halliday/Hasan 1976:71). Die Redeweise von der Signalisierung hat sich mittlerweile am meisten durchgesetzt (z.B. Moskalskaja 1983:177, Helbig/Buscha u.a.). Grimm (1983:91) rechtfertigt im Zusammenhang mit dem Indefinitartikel "den wenig präzisen Ausdruck" damit, daß er nicht jedesmal entscheiden will, "ob die Artikelwörter die Quantifizierung selbst vornehmen oder ob sie eine (im Kontext vorausgegangene oder durch die Substantivsemantik gegebene) Quantifizierung nur aufnehmen, ohne selbst die Funktion der eigentlichen Quantifizierung auszuüben." Ich werde im folgenden den Begriff "signalisieren" nicht näher analysieren, sondern als "wenig präzisen" Ausdruck hinnehmen, der gegebenenfalls durch eine präzisere Redeweise ersetzt wird. Aber entscheidender scheint mir das zu sein, was hinter dem Verb folgt: Was

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signalisiert, bestimmt etc. der Artikel bzw. ein Sprecher mit dem Artikel? Anders gesagt ist es m.E. nicht die entscheidende Frage, ob der Definitartikel die Identifikation selbst leistet oder nur ankündigt, sondern ob die Leistung oder Ankündigung tatsächlich in der Identifikation besteht. 1.4.6

Exkurs: Substantivklassifizierung

Die Berücksichtigung der Semantik der Substantive und einer entsprechenden Klassifizierung ist in der Literatur über Artikelwörter fast durchgängig eine Selbstverständlichkeit, wenngleich über das Maß dieser Berücksichtigung unterschiedliche Auffassungen bestehen. Während z.B. Brand (1976), Gladrow (1979), Vater (1979a) und Zhou (1985) die Klassifizierung der Substantive für grundlegend für ihre Untersuchungen halten, ist Grimm (1983) skeptischer und lehnt es etwa ab, die Semantik der Substantive bei konfrontativen Untersuchungen "durchgängig" zum Vergleichskriterium zu machen (S.70 f.). Ein Sonderfall ist Ebert (1971ab), die im kritischen Anschluß an Quine verschiedene Referenzarten unterscheidet, statt einfach Substantive zu klassifizieren. Eine Vorunterscheidung findet sich bei allen Autoren: Eigennamen werden von der Untersuchung ausgegrenzt oder extra behandelt. Bei den übrigbleibenden Appellativa richtet sich der Schwerpunkt der Diskussion auf die Differenzierung von Abstrakta und Konkreta und von Kontinuativa und Individuativa. Die meisten Autoren lehnen dabei eine Unterscheidung von Abstrakta und Konkreta ab, teilweise so vehement wie schon vor fast 100 Jahren Caro (1897:11): "Also fort bei der Lehre vom Artikel mit den logischen Termini abstrakt und konkret; sie erklären nichts und dienen zu nichts, als noch ein paar Paraphrasen in die Grammatiken einzuführen." (Ähnlich ablehnend: Hoffmann 1967:75, Vater 1979a:50, Zhou 1985:45 ff.). Allerdings findet sich auch eine Berücksichtigung der Einteilung bei Gladrow (1979), der Abstrakta, Eigennamen und Unika von seiner Untersuchung ausklammert, bei Moskalskaja (1983) und bei Ebert (1971ab), die Abstrakta, Eigennamen und Unika unter dem Oberbegriff "singuläre Referenz" zusammenfaßt. 1. Unika Unika werden außer bei den erwähnten Autoren besonders bei Brand (1976) und bei Grimm (1983) als eigene Klasse näher behandelt. Wir gehen davon aus, daß angebliche Unika wie Sonne, Erde, Papst, Mond etc. entweder als Eigennamen zu verstehen sind (Erde) oder nur in bestimmten häufigen Verwendungen ihre Bezeichnung als Unika rechtfertigen. Insofern unterscheiden sie sich in nichts von Substantiven wie Chef, Präsident etc. die in vielen Kommunikationsabläufen genauso als Unika verwendet werden können. Löbner (1985) unterscheidet "functional, relational, and sortal concepts." Damit berücksichtigt er, daß ein Lexem unterschiedlich verwendet werden kann. Die funktionalen und relationalen Begriffe können zusätzlich nach der Zahl ihrer Argumente unterschieden werden. Für uns besonders interessant sind die funktionalen Begriffe, die nach Löbner "inherently unambiguous" sind und den Indefinitartikel nur bei Hervorhebung der bloßen Existenz eines Referenten zulassen. Löbner trennt dabei FCls (one-place functional concepts) und FC2s (two-place functional concepts). Bei FCls werden Gegenstände einer gegebenen "Situation" zugewiesen. Bei FC2s werden Gegenstände Gegenständen in einer gegebenen Situation zugewiesen. Die Klassifizierung Löbners steht vor demselben Problem wie Grimm mit seiner UnikaKlassifizierung. Es geht eigentlich um mögliche Verwendungen von Nomina, nicht um

20 im Lexikon festgelegte Bedeutungen. Insofern scheint es mir sinnvoller, Probleme der Verwendung von Nomina im Rahmen einer Theorie des gemeinsamen Wissens von S und H statt im Rahmen einer semantischen Klassifizierung zu untersuchen. 2. Abstrakta Im Duden 4 (1973:147) findet sich eine Gliederung der Abstrakta, die Substantive für menschliche Vorstellungen, Handlungen, Vorgänge, Zustände, Eigenschaften, Verhältnisse oder Beziehungen, Wissenschaft und Künste sowie Maß- und Zeitbegriffe umfaßt (vgl. auch Erben 1980:135). Leisi (1975:27f.) dagegen zählt Vorgänge, Eigenschaften und Relationen "als Dinge dargestellt" nicht zu den Abstrakta. Explizit zählt er z.B. die Nomen Reise, Friede, Wurf, Schlaf, Nähe und Musik zu den Konkreta. Die Untergliederung der Abstrakta zeigt, daß sich der Abstraktabegriff stark auf ontologische Kriterien stützt, was bei Lyons (1983:73-75) mit der Aufteilung in Entitäten erster, zweiter und dritter Ordnung, sowie Substantiven erster (Konkreta) und zweiter wie dritter Ordnung (Abstrakta: Substantive für Ereignisse, Prozesse, Zustände, Situationen, Gründe, Propositionen, Theoreme) deutlich zum Ausdruck kommt. Eine Darstellung verschiedener Definitionen des Terminus "Abstraktum" soll diesen Befund erhärten. Laut Duden (S. 147) sind Abstrakta "Substantive, mit denen etwas bezeichnet wird, was nicht gegenständlich ist, sondern was gedacht ist (Begriff)." Diese Einschätzung der Abstrakta als Begriffsbezeichnungen treffen auch W. Schmidt (1977:113), Jung (1980:243) und Erben (1980:135f.). Eichler/Bünting (1978:49) definieren umfassend und doch nicht aufhellend genug: "unter Abstrakta faßt man alle diejenigen Nomina zusammen, die geistige Konzepte über Erscheinungen in der Welt (Vorgänge, Zustände, Eigenschaften, Beziehungen), gedanklich Existierendes und Gefühlsregungen und -werte 'auf die Begriffe bringen'." Also einerseits sollen Abstrakta von Erscheinungen in der Welt und andererseits von geistigen Konzepten über diese Welt abhängen. Begriffe sollen diese Erscheinungen und Konzepte "widerspiegeln" (Jung), und Substantive wiederum sollen diese Begriffe bezeichnen (so explizit Schmidt). Erben präzisiert diese ontologisch inspirierten Definitionen mit Hilfe (auch) linguistischer Begriffe und sieht in Abstrakta Umsetzungen von Prädikaten. Bei Franck (1962) wird dieser Aspekt deutlicher formuliert und die eigentliche Leistung der Abstrakta darin gesehen, "Wörter für Satzinhalte zu sein". (S.138) Abstrakta gelten als "syntaktische Wörter" (ebda. S.97), eine Auffassung, die auf Porzig (1965) zurückgeht, der übrigens eine Zweiteilung in Konkreta und Abstrakta ablehnt. Brinkmann 1950 betont ebenso den Aspekt der menschlichen Rede und sieht die Bedeutung des Abstraktums darin, "daß es nicht Erscheinungen benennt, die unabhängig von der menschlichen Rede da sind (Personen, Gegenstände, Vorgänge), sondern eine Satzaussage in der Gestalt des Substantivs aufnimmt." Als Beispiel führt er (54) an (54) Der Vater ist krank —> die Krankheit des Vaters. und fährt fort: "Abstrakt ist die Krankheit des Vaters so wenig wie der Zahnschmerz, der den Befallenen zum Zahnarzt treibt. Das Satzwort — wie man statt Abstraktum für diese Bildungen sagen sollte — wird erst abstrakt, wenn es von der Person absieht, die den Zustand oder den Vorgang erlebt: wenn etwa die Medizin von der Krankheit schlechthin redet und die Krankheiten zu ordnen versucht." (S.68). Brinkmann nimmt im übrigen, wie aus der Definition schon ersichtlich, Vorgänge von den Abstrakta aus.

21

Neben ontologischen Kriterien finden sich also auch semantische und syntaktische Kriterien, aber keine der angeführten Definitionen verzeichnet operationalisierbare sprachliche Kriterien, die es uns ermöglichen würden, die Klasse der Abstrakta klar abzugrenzen. So ist natürlich die allgemeine Brauchbarkeit der Unterscheidung von Abstrakta und Konkreta in Frage gestellt. Brinkmanns Ansatz weist aber auf einen Aspekt hin, der bei der Untersuchung generischer Singular-NPs mit dem Definitartikel noch eine Rolle spielt: Abstrakta sind dadurch Abstrakta, daß von einer partikulären, gegenstandgebundenen Verwendung abgesehen wird, ebenso wie nicht partikulär verständliche Konkreta mit dem Definitartikel im Singular generisch interpretiert werden, d.h. abstrahiert werden. (55) Das Auto ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Das Konkretum Auto wird abstrakt verwendet, da von einer partikulären Verwendung abgesehen wird. 3. Kontinuativa und Individuativa9 Wir wollen uns vorerst an die Definition von Quine (1960/dt. 1980) anschließen: "Ausdrücke wie 'Wasser', 'Schuhzeug' und 'Rot' [...] besitzen die semantische Eigenschaft des kumulativen Bezugs: jede Summe von Teilen, die Wasser sind, ist selbst Wasser." (S.166). Dabei gilt das Substantiv als verantwortlich für die Abgrenzung: "Der Gegensatz liegt in den Termini und nicht im Stoff, den sie benennen." (ebd.) Terminologisch werde ich im folgenden zwischen Individuativa und Kontinuativa unterscheiden.10 Als syntaktische Kriterien gelten allgemein der mögliche Gebrauch mit Zahlwörtern und Artikelwörtern wie alle, viel, einige etc. für Zählbarkeit und viel, mehr und etwas für Nicht-Zählbarkeit. Danach werden Kontinuativa und Individuativa als Klassen festhalten (vgl. auch Vater 1979b:5). Künne (1975:174) formuliert nun eine wichtige Änderung der Klassifizierungsmethode: Individuativa und Kontinuativa seien "strenggenommen nicht Bezeichnungen für verschiedene Klassen von Substantiven, sondern für verschiedene Verwendungsweisen von Substantiven." Und Vater kritisiert "die starre Einteilung" in Dingwörter (Individuativa) und Massewörter (Kontinuativa) und versucht, weiter zu differenzieren. Manche Substantiva forderten eine Gliederung (Haus), manche ließen eine Gliederung zu (Freude). Ob Substantive auch eine Gliederung ausschlössen, läßt Vater noch offen. Aber er gibt die Verbindbarkeit mit ein als mögliches Kriterium an (1979a:58, Anm. 7). Eine umfassende Kritik der Individuativa/Kontinuativa-Klassifizierung findet sich bei Ware 1975. Pluralfähigkeit gilt ihm nur als grober Indikator. Als entscheidende Kriterien 9

Die sogenannten Kollektiva werden von mir als "grammatische Einheitsform für Vielheitsinhalte" (Wellmann 1969:64) den kontinuativen oder individuativen Verwendungen zugeordnet. Auch bei Wellmann wird letztlich nicht klar, welchen Sinn das Festhalten an einer eigenen Klasse Kollektiva haben sollte. Interessant ist, daß die Funktion der Kollektiva mit Definitartikel im Singular der von Individuativa mit Definitartikel im Plural gleichkommt. Es geht in beiden Fällen um die Gesamtmenge und nicht die einzelnen Bestandtteile. Wenn "das Gebirge" mit "Schnee bedeckt" ist, heißt dies noch lange nicht, daß alle Berge des Gebirges mit Schnee bedeckt sind. 10 Die klassischen Definitionen zur Unterscheidung von Kontinuativa und Individuativa gehen auf Jespersen 1936 (thing-words und mass-words) und Christopherson 1939 (unit-words und continuate-words) zurück. In der TYanformationsgrammatik hat sich die Unterscheidung von count-nouns und mass-nouns (Gleason 1966, Chomsky 1965/dt. 1978) bzw. [izählbar] als Merkmal durchgesetzt. Nach Jespersen sind mass-words Wörter, "which do not call up the idea of any definite thing, having a certain shape or precise limits." (S.114). Und Christopherson definiert ähnlich: "A continuate word represents something apprehended as continuous and extending indefinitely in space and time." (S.26).

22

zählt die Verwendbarkeit mit "enumeratives" (a, many, few, one, u.a.) und "amassives" (much, little, less). (S.376f.) Ware unterscheidet vier Gruppen (S.381ff.): 1.) Normalerweises Vorkommen als mass-noun (Kontinuativum), aber auch möglich als count-noun (Individuativum). 2.) Normalerweises Vorkommen als count-noun, aber auch möglich als mass-noun. 3.) Gleiches Vorkommen als count-noun wie als mass-noun. 4.) Nur Vorkommen als count-noun oder als mass-noun. Eine Tilgungstheorie lehnt Ware ab und plädiert stattdessen für eine Theorie von zwei Gebrauchsweisen ("words with double life"), die einerseits Wörter mit Dominanz einer Rolle und andererseits Wörter mit gleichwertigen Rollen unterscheidet (S.384). Eine primitive Gleichsetzung von sprachlichen Konventionen und entsprechender Welteinteilung nach Zählbarkeit und Nicht-Zählbarkeit weist Ware zurück: "We follow the linguistic conventions of our language without necessarily having corresponding commitments about counting or measuring." (S.387). Weder die Unterschiede in der Welt noch unsere Auffassung von der Welt bestimmten also letztlich die angenommene Unterscheidung. Prinzipiell stünden zwei Arten der Weltbetrachtung zur Verfügung, wobei die sprachlichen Konventionen nicht notwendigerweise in kommunikativen Intentionen zum Ausdruck kämen. Teilweise sei auch die Frage, ob man über Stoffe oder Dinge rede, nicht angebracht. "We can respond to a request for the candy without knowing whether the speaker is individualizing or amassing." (S.391). Im Falle eines solchen "communicative gap" sei auch ein Verstoß gegen die Akzeptabilität möglich. Wobei Ware hier wiederum ein mögliches Kriterium zur Wortunterscheidung sieht. Wenn die kommunikative Lücke nicht akzeptabel ist, könnten zwei unterschiedliche Wörter vorliegen. Letztlich aber sei keine scharfe Linie zwischen mass-nouns und count-nouns zu ziehen, da sowohl die Möglichkeit eines "communicative gap" als auch ein Unterschied zwischen grammatischer Unterscheidung und semantischer Bedeutung nicht auszuschließen sei. Folgende Zwischenergebnisse sollen festgehalten werden: 1.) Es gibt keine letztgültigen sprachlichen Kriterien zur Unterscheidung von Individuativa und Kontinuativa. 2.) Es gibt keine Substantivklassen Individuativa und Kontinuativa, die unabhängig von den jeweiligen Verwendungsweisen der Substantive festlegbar wären. 3.) Es ist nicht immer eindeutig zu klären, welche Verwendungsweise vorliegt. ad 1) Mögliche Kriterien zur Unterscheidung von Individuativa und Kontinuativa wären Pluralfähigkeit und die Verbindbarkeit mit ein für Individuativa bzw. die Verbindbarkeit mit etwas oder mehr für Kontinuativa. a.) Verbindbarkeit mit ein: In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, daß ein Attribut mit mehr oder weniger jedem Substantiv verbindbar ist. (56) Er hat einen fürchterlichen Hunger. (57) Sie verkaufen einen Wein, der in der ganzen Welt berühmt ist. (58) Ein ohrenbetäubendes Geschrei brach aus. Weder Hunger noch Geschrei sind aber pluralfähig, und werden auch üblicherweise als Kontinuativa betrachtet, da sie sich auch mit etwas und mehr verbinden lassen. Wein

23 ist pluralfähig, aber nur in der Bedeutung von Sorten, was den "double-lifeu-Charakter deutlich macht. Die Verbindbarkeit mit ein muß also unabhängig von Attribuierung und Emphase gesehen werden. Die obligatorische Setzung von ein ist ein Kriterium, um dies zu garantieren, denn in den obigen Beispielsätzen ist ein durchwegs fakultativ bzw. akommunikativ. (59) Ich kaufe morgen ein neues Eisen.

In der Bedeutung Golfschläger ist ein obligatorisch. In der Bedeutung von Metall ist ein akommunikativ, sofern Eisen nicht auf eine Eisensorte bezogen wird, b.) Pluralfähigkeit: (60) Ich hätte gern noch etwas Erdbeeren. (61) Ich esse eine Erdbeere. (62) Ich esse viele Erdbeeren. (63) Er hat nicht nur ein Unrecht begangen. (64) ? Er hat Unrechte begangen. (65) Am Montag beginnen die Ferien. (66) ? In diesem Jahr habe ich drei Ferien. Erdbeere ist eindeutig ein Individuativum, aber "Erdbeeren" in der kontinuativen Verbindung "etwas Erdbeeren" widerspräche dem Pluralkriterium. Unrecht kann nicht in den Plural gesetzt werden. Aber "Unrecht" ist in unserem Beispielsatz eindeutig ein Individuatum. Pluralia tanta wie Ferien passen nicht in unsere Klassifizierung, sie sind nicht zählbar. Die Pluralfähigkeit scheint also ein wirklich nur sehr grober Indikator für unsere Unterscheidung von Individuativa und Kontinuativa zu sein, c.) etwas: Wie unser Beispielsatz (60) zeigt, ist die Verwendung von etwas im Singular zu trennen von einer möglichen etwas-Verwendung im Plural. Wir beschränken uns also auf den Singulartest mit etwas. (67) * Sie verkauft etwas Tisch. (68) Sie verkauft etwas Fleisch. (69) * Sie trinkt etwas Glas Wein. (70) Sie trinkt etwas Wein. (67) und (69) sind eindeutig abweichende Äußerungen, in die wir nur unter ganz besonderen kommunikativen Bedingungen einen Sinn bringen könnten. Die Verbindbarkeit mit obligatorischem ein und die Verbindbarkeit mit etwas sind also mögliche Indikatoren für die Unterscheidung von Individuativa und Kontinuativa. Dabei gilt folgendes Schema: Allerdings bleibt zu beachten, daß zur Feststellung, ob ein obligatorisch oder fakultiv gebraucht ist, pragmatische Überlegungen unabdingbar sind. Ein ungelöstes methodisches Problem bleibt auch noch, daß ein einerseits als Kriterium zur Unterscheidung von

24 Abbildung 1:

(Sg.) Individuativum (Sg.) Kontinuativum

obligator, ein

etwas

+ -

+

Kontinuativa und Individuativa dient und andererseits die Einsetzung von ein abhängig von der individuativen Verwendung eines Nomens ist. ad 2) Eisen kann sowohl Individuativum als auch Kontinuativum sein. Das gleiche gilt für Glas und viele andere Stoffnamen. Auch viele Tiernamen wie Fisch und Abstrakta wie Recht, können sowohl als Individativum als auch als Kontinuativum erscheinen. Eine Substantivklassifizierung, die es auf feste Klassen im Bereich der Langue abgesehen hat, müßte mit einer Unzahl von double-life-words auskommen, und die Festlegung von Substantivklassen wäre bei einer so großen Zahl von Homophonen fragwürdig. Die Unterteilung in individuative und kontinuative Gebrauchsweisen scheint mir hier ein brauchbarer Ansatz zu sein. ad 3) Teilweise fällt die Entscheidung schwer, welche Gebrauchsweise vorliegt. Vor allem, wenn durch die Verwendung des Definitartikels sowohl die ein- als auch die etwasVerbindung durch die kommunikative Situation ausgeschlossen sind. Evtl. ist dann eine Unterscheidung kommunikativ überflüssig. (71) Er hat mir den Kaffee ins Gesicht geschüttet. (72) Ich habe den Glauben aufgegeben. Ob in (71) kumulativ vom Stoff Kaffee oder individuativ von der einzelnen Tasse Kaffee die Rede ist, spielt kommunikativ keine Rolle. Auch bei (72) ist nur wichtig, daß klar ist, von welchem Glauben die Rede ist. Ob eine kontinuative oder individuative Verwendung vorliegt, ist eine Fragestellung, die ins Leere greift.

25

2

Bestimmtheit

2.1

Referenz: Eine erste Annäherung

2.1.1

Linsky: Die Handlung Referieren

Wir wollen den Gebrauch der Sprache durch Sprecher einer Sprache untersuchen und nicht das Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem. Referenz soll als Handlung beschrieben werden. Einer der ersten, der sich umfassend mit dieser Aufgabe beschäftigt hat, war Linsky, der klar feststellte, "that it is the user of language who refer and make references and not except in a derivative sense, the expression which they use in so doing." (1967/1973:116). Zwar hatte schon Strawson (1950/dt. 1974) in der Auseinandersetzung mit Bertrand Russell hervorgehoben, daß es nicht Ausdrücke seien, die "nennen" (mention) oder "bezeichnen" (refer), vielmehr können man "Ausdrücke gebrauchen, um dies zu tun," (S.91) aber Linsky hat die Handlung "Referieren" klarer in den Vordergrund gestellt. Die Frage, auf wen sich die Phrase "der so-und-so" beziehe, sei im allgemeinen eine seltsame Frage. Man könne normalerweise fragen: "Wer ist der Präsident der USA?" oder "Auf wen beziehen Sie sich?", aber nicht "Auf wen bezieht sich die Phrase 'der Präsident der USA'?" (vgl. Linsky 1967:117). Die Frage nach der Referenz von Phrasen könne nur als Paraphrase einer Frage nach der Referenz verstanden werden, sonst sei die Frage nach der Referenz von Ausdrücken sinnlos. In Zukunft wollen wir, wenn wir "referieren" verwenden, darunter das verstehen, was Linsky hier beschrieben hat. Referenz ist eine Handlung, die glücken oder fehlschlagen kann. 2.1.2

Heringer: Referieren — Meinen — Denotieren

Heringer (1974) hat in seiner "Praktischen Semantik" klare begriffliche Abgrenzungen vorgenommen: "Mit Referieren oder Referenz meint man das Beziehen auf Gegenstände, von denen wir reden." (S.129f). Und das Verhältnis von Denotation und Referenz wird dann präzise gefaßt: " Ein Ausdruck denotiert einen Gegenstand G genau dann, wenn von G wahr behauptet werden kann. Da man, um etwas von G wahr zu behaupten, auf G referieren muß, ist das Referieren Voraussetzung für das Denotieren." Damit wird Denotation als die Beziehung eines Ausdrucks zu einem Gegenstand in einer Referenzhandlung beschrieben. Es gibt keine Denotation ohne Referenz. Die zweite Abgrenzung erfolgt wie bei Linsky gegenüber "meinen": "Ich kann nämlich G meinen, aber auf H referieren, wenn ich abweichend referiere. Beim Referieren ist irgendwie schon an einen Partner gedacht." Referieren ist "ein sprachliches Handlungsmuster. Deshalb ist das Meinen irgendwie die Grundlage des Referieren. Man kann zwar abweichend referieren oder das Referieren kann mißlingen, aber weder kann man abweichend meinen noch kann das Meinen mißlingen. Man meint eben, was man meint. Ich meine erst einmal für mich allein, ob ich verstanden werde oder nicht." (S.130)1 1

Linsky grenzt "to refer" von "to mean" ab: "[...] refering to someone is an action; meaning someone ist not an action. As an action it can be right or wrong fur one to perform. Thus it can be wrong of you to refer to someone; but not wrong of you to mean someone. It can be important or necessary that you refer to someone, but not important or necessary that you mean someone. One can intend to refer

26

2.1.3

Searle: Referenz und Identifizieren

Eine der umfassendsten Analysen der Referenz als Sprechakt legt Searle (1969/dt. 1983: 114-149) vor. Allerdings beschränkt Searle seine Analyse der Referenz auf die singulare bestimmte Referenz und die kategorische (nicht-hypothetische) Referenz. Zu den zwei üblichen Axiomen der Referenz, dem Axiom der Existenz und dem der Identität, fügt Searle das Axiom der Identifikation hinzu: "Wenn ein Sprecher auf einen Gegenstand verweist, dann identifiziert er diesen Gegenstand abgesondert von allen anderen Gegenständen für den Zuhörer, oder ist in der Lage, dies auf Verlangen zu tun." (S.125). Dieses Axiom stelle eine Tautologie dar, da es letztlich nur eine Explikation des Begriffs der Referenz gebe. Diese Explikation ist aber entscheidend, um die Untersuchung definiter Referenz voranzutreiben: Definite Referenz ist untrennbar mit Identifizierung verbunden. Im folgenden wird deshalb zuerst einmal zu klären sein, was unter Identifizierung genauer zu verstehen ist. Identifizierung dient nur als vorläufiger Hilfsbegriff, um zum Kern dessen, was ich unter definiter Referenz verstehe, vorzudringen.

2.2

Identifizieren: Nähere Explikationen zum Referenzbegriff

In der lingustischen Literatur wird der Begriff identifizieren mit wenigen Ausnahmen ziemlich unreflektiert verwendet. Identifizieren können heißt bei Zhou (1985:16 f.) Gegenstände kennen bzw. wissen, um welche Gegenstände es sich handelt. Oomen (1977:34) erklärt Identifizierbarkeit mit "auffindbar" durch den Hörer. Bei Reed (1982:15 f.) wird Identifizierbarkeit abhängig gemacht von Einzigkeit und von entsprechend verfügbarem Wissen. Bei Sadzinski (1978:58) ist von einer "begrifflich referentiellen" Identifizierung die Rede, während Moskalskaja (1983:176) davon ausgeht, daß "der gemeinte Gegenstand für den Hörer" durch entsprechende Referenzanweisungen identifiziert wird. Eine genauere Diskussion des Begriffes findet sich in der sprachphilosophischen Literatur bei Strawson 1959/dt.l972, bei Searle 1969/dt.l983 und bei Tugendhat 1976. 2.2.1

Strawson und Tugendhat: Raum-zeitliche Lokalisierung

Strawson 1959/dt.l972 verwendet nach eigenen Angaben identifizieren in "mehreren verschiedenen, aber nah miteinander verwandten Weisen". Identifizieren ist sowohl Sprecher- als auch hörerbezogen. Wenn man sich z.B. mit der Verwendung eines Ausdrucks mit einem bestimmten Artikel auf ein Einzelding beziehen wolle, könne man sagen, man "beziehe sich identifizierend" ("makes an identifying reference") auf ein Einzelding. Wenn ein Sprecher sich identifizierend auf ein Einzelding beziehe und ein Hörer das Einzelding identifiziere, könne man auch sagen, "der Sprecher identifiziere das betreffende Einzelding." (S.18). Die Redeweise, daß ein Sprecher identifiziere, ist also letztlich eine abkürzende Redeweise für das Zusammenwirken von Sprecherreferenz und Höreridentifizierung. Die Identifikation von Einzeldingen stütze sich letztlich "auf die Möglichkeit, die einzelnen Dinge, von denen wir sprechen, in einem einheitlichen Raum-Zeit-System zu lokalisieren." (S.47). Und alle Dinge, die direkt lokalisiert werden können, können auch direkt to someone, but not intend to mean him." (S.120).

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identifiziert werden, ohne Umweg über die Rede von anderen Einzeldingen (S.57). Materielle Körper sind dabei grundlegend gegenüber Zuständen, Prozessen, Ereignissen und Beschaffenheiten, deren unabhängige Identifizierung nur beschränkt möglich ist (S.67 ff.). Grundsätzlich gibt es 3 Bedingungen, die zu erfüllen sind, damit ein Sprecher ein Einzelding identifizieren kann (in der oben erläuterten abkürzenden Redeweise): 1. Es muß ein Einzelding geben, auf das sich der Sprecher bezieht und das 2. der Hörer als das vom Sprecher gemeinte ansieht. 3. Die Identität des Einzeldings des Sprechers und des Hörers muß gegeben sein (S.232f.). Notwendig ist deshalb auch, daß der Sprecher eine identifizierende Beschreibung anführen kann, allerdings muß diese Beschreibung nichts über die Beschaffenheit eines Dings aussagen (S.234). Schließlich unterscheidet Strawson (S.238) noch die Identifizierung eines Einzeldings, die "eine zur Identifikation dieses Einzeldings hinreichende empirische Tatsache" (also deren Kenntnis) verlangt, von der Identifizierung eines Universale, die nur Sprachkenntnis voraussetzt. Tugendhat (1976:403f.) leistet im Anschluß an Searle (1969) eine Präzisierung des Identifizierungsbegriffs, wenn er meint, daß Identifizierung sich von bloßer Spezifizierung vor allem dadurch unterscheidet, daß die Frage "welches von allen ist gemeint" auf der untersten Ebene beantwortet sei, also nicht mehr wiederholt werden könne. Wir können also eine begriffliche engere Identifizierungsauffassung bei Tugendhat feststellen, es geht ihm nicht wie Strawson um den ganzen Prozeß des Herausstellens, Beschreibens und Feststeilens, welches Objekt gemeint ist, sondern nur um den letzten Akt, bei dem keine zusätzliche Verständnisfrage mehr möglich ist. Letztlich würde dies dann wohl der umgangssprachlichen Bedeutung von Identifizierung nahekommen, die Strawsons "Wiedererkennen" in etwa entspräche. Der Gegenstand ist so genau eingegrenzt, daß der Hörer ihn ohne weitere Rückfragen identifizieren kann: Nicht einfach im Sinne von Beim-Sehen-Wiedererkennen, sondern im Sinne von: auf Grund der exakten Lokalisierung müßte es dieser Gegenstand sein. Wenn wir Tugendhats Rahmen der raumzeitlichen Lokalisierung nicht als einzig möglichen Rahmen ansehen, sondern nur als ein besonders klares exemplarisches Modell betrachten, können wir das Prinzip, daß der zu identifizierende Gegenstand so genau eingegrenzt sein muß, daß keine Hörerrückfragen mehr nötig sind, als grundlegend ansehen. Die Frage "Welches von allen ist gemeint?" ist auf der untersten Ebene im Rahmen eines bestimmten Diskurses zwischen zwei oder mehr bestimmten Kommunikationspartnern beantwortet.

2.2.2

Searle: Erläuterungen zum Prinzip der Identifikation

Für Searle (1969/dt.l983) bedeutet Identifizierung durch den Hörer, "daß kein Zweifel und keine Unklarheit im Hinblick darauf bestehen dürfen, worüber genau gesprochen wird." D.h., die Frage "was?" im Sinne von "Ich weiß nicht, wovon du sprichst" muß beantwortet sein. Identifizierung sei aber nicht gleichzusetzen mit Herausfinden, welcher Gegenstand gemeint sei, im Sinne der polizeilichen Identifizierung (S.133). Wenn aber alle Fragen beantwortet sind, müßte eine quasi-polizeiliche Identifikation möglich sein, auch wenn sie nicht erforderlich ist. Searle geht auf diesen Zusammenhang leider nicht

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ein. Für die Identifikation ist nach Searle ein identifizierende Beschreibung erforderlich, deren Grenzfälle reine Demonstrativa oder reine Beschreibungen wären. (Normalfall sei eine Mischung der beiden). Die Identifikation könne zwar durch den Sprecher auch ohne identifizierende Beschreibung erfüllt werden, aber nicht garantiert werden (S.134f.). Searle geht also offensichtlich (im Gegensatz zu Strawson und Tugendhat) davon aus, daß eine Hörer-Identifizierung nur mit Hilfe einer Beschreibung vollzogen werden kann. Allerdings wird das Prinzip der Identifikation nicht von einer vorhandenen identifizierenden Beschreibung abhängig gemacht: es genügt, wenn der Sprecher eine solche auf Verlangen nachliefern kann (S.138). Alles was Searle zu der Sprecherfähigkeit sagt, identifizierende Beschreibungen auf Nachfrage liefern zu können, wird unwichtig, solange er nicht klärt, wie ein Hörer einen Gegenstand ohne diese Beschreibung identifizieren kann. Außerdem erklärt Searle nicht, wie eine identifizierende Beschreibung aussehen muß, damit sie die Identifikation eines Gegenstandes durch den Hörer garantieren kann (vgl. zur Kritik an Searle auch Wimmer 1979:84 ff. und Dobnig-Jülich 1977:22 ff.). Einerseits hält Searle Identifizierung auch ohne (richtige) identifizierende Beschreibung für möglich, andererseits kann sie nach Searle aber nur durch eine identifizierende Beschreibung garantiert werden. Nun könnte dieser Gedankengang durchaus hilfreich sein, aber dann müßte Searle die Begriffe "identifizieren" und "identifizierende Beschreibung" anders erklären, als er es getan hat. So bleibt die banale Schlußfolgerung aus Searles Ausführungen: Es ist möglich, auf Grund von zutreffenden Beschreibungen Gegenstände zu identifizieren, aber es ist auch möglich, ohne zutreffende Beschreibung einen Gegenstand zu identifizieren. Warum dann die Identifizierung nur durch identifizierende Beschreibungen gewährleistet sein soll, erklärt Searle nicht. Wir werden in einem späteren Abschnitt sehnen, daß das Problem, das Searle aufwirft, nur dadurch gelöst werden kann, daß man von dem Gedanken des Zutreffens von Beschreibungen total abgeht und stattdessen das in den Vordergrund rückt, was Searle mit "Nachliefern einer Beschreibung" meint. Nur darf dann eine einseitig sprecherbezogene Sichtweise den Blick für das Wesentliche nicht verstellen: Beschreibungen müssen ausgehandelt werden.

2.2.3

Hawkins: Lokalisieren statt Identifizieren

Hawkins schlägt im Rahmen der Behandlung des Definitartikels vor, statt allgemein von der Identifizierbarkeit eines Referenten nur von der Lokalisierbarkeit eines Referenten in einer von Sprecher und Hörer geteilten Menge auszugehen. Identifizierbarkeit wäre dann ein Sonderfall, der nur bei demonstrativer Referenz verlangt wäre. Bei definiter Referenz werden nach Hawkins (1978:167) folgende Sprechakte vom Sprecher ausgeführt: "He (a) introduces a referent (or referents) to the hearer; and (b) instructs the hearer to locate the referent in some shared set of objects [...]; and he (c) refers to the totality of the objects or mass within this set which satisfy the refering expression."2 2

Um diese Sprechakte erfolgreich durchzuführen, sind folgende Bedingungen zu erfüllen: "(1) Set existence condition: the speaker and hearer must indeed share the set of objects that the definite

referent is to be located in.

(2) Set identifiability condition: the hearer must be able to infer either from previous discourse or from the situation of utterance which shared set is actually intended by the speaker. (3) Set membership condition: the referent must in fact exist in the shared set which has been inferred.

29

Das Verb to locate ist bei Hawkins nicht klar definiert, wie C. Lyons (1980:84) zurecht bemerkt. Aber egal, ob wir uns für die Interpretation to place oder to find entscheiden, es ändert nichts daran, daß Hawkins den Schauplatz der Auseinandersetzung nur verschoben hat. Statt eines Referenten muß jetzt ein shared set identifiziert werden, innerhalb dessen der Referent zu lokalisieren ist. Identifiziert werden muß also nach wie vor etwas. Leider bietet Hawkins kein Modell, um zu zeigen, wie die einzelnen Mengen auseinandergehalten werden. Was er bietet, ist nur eine Unterscheidung verschiedener Arten von shared sets, die den einzelnen Gebrauchstypen des bestimmten Artikels zugeordnet werden können. Außerdem geht Hawkins von einer sehr engen Auffassung des Begriffs Identifizieren aus, die offensichtlich mit Tugendhats Auffassung von demonstrativer Identifizierung gleichzusetzen ist (Tugendhat 1976:404). Eine große Schwäche von Hawkins besteht darin, daß er die Lokalisierung eines Referenten davon abhängig macht, daß das shared set einen Referenten enthält, der der gegebenen Beschreibung entspricht. So steht Hawkins trotz neuer. Terminologie ganz konservativ auf dem Standpunkt, daß Referenz letztlich davon abhängt, ob eine Beschreibung dem Referenten zukommt. Bei Beschreibungen kommt es aber in Wirklichkeit nur darauf an, ob die Beschreibung das nötige Identifikationswissen des Hörers anspricht, also erfolgreich ist. "Wenn es einer Gruppe von Gesprächspartnern gelingt, mit dem Ausdruck 'der König von Frankreich' auf den Präsidenten von Ghana zu referieren, dann ist an ihrem Reden - wenn man sich von sprachnormerischen Absichten freigemacht hat - nichts Fehlerhaftes." (Keller 1975:91). Mit der Lokalisierung in einem shared set überwindet Hawkins aber die zu enge Vorstellung von einer Lokalisierung in einem raumzeitlichen System und weist so den Weg zu einem umfassenderen Verständnis von Identifizierung bzw. Lokalisierung. 2.2.4

Die Einzigkeitspräsupposition bei Singular-NPs mit Definitartikel

Schon Frege betont in den "Grundlagen der Arithmetik", daß zur Bestimmung eines Gegenstandes durch einen Ausdruck mit Definitartikel wie "der größte echte Bruch" zwei Voraussetzungen erfüllt werden müssen: "1) daß unter diesen Begriff ein Gegenstand falle; 2) daß nur ein einziger Gegenstand unter ihn falle." (zit. nach Angelelli 1967:163). Angelelli hebt in seiner umfangreichen Untersuchung hervor, daß in der Mehrheit der Texte von Frege beim Definitartikel die Implikation von "existence" und "uniqueness" erwähnt werde (S.164). Einen direkteren Einfluß auf die linguistischen Untersuchungen zur Artikelverwendung hat bis heute die "Theory of Descriptions" von Russell. Dabei spielen die ontologischen Festlegungen Russells weniger eine Rolle als seine Behauptung, daß der bestimmte Artikel, wenn er korrekt gebraucht werde, Einzigkeit (uniqueness) impliziere. Einzigkeit ist nach Russell das entscheidende Kriterium bei der Unterscheidung von definiten und indefiniten Beschreibungen: "The only thing that distinguishes 'the so-and-so' from 'a so-and-so' is (4) Set composition conditions: (i) there must be any other objects in the shared set satisfying the descriptive predicate in addition to those referred to by the definite description, i.e. there must not be fewer linguistic referents referred to by the definite description than there are objects in the shared set; and (ii) the number of linguistic referents referred to by the definite description must not exceed the number of objects of the appropriate kind in the shared set; and (iii) the hearer must either know or be able to infer that the intended object has the property that ist used to refer to it in the descriptive predicate." (S.168).

30

the implication of uniqueness." (Russell 1919/1975:176). Auch die Strawsonkritik, daß bei Äußerung einer definiten NP Einzigkeit nur vorausgesetzt, aber nicht behauptet werde, spielt nicht die entscheidende Rolle. Viele Kritiker von Russell greifen mißverständliche Formulierungen auf und machen daran ihre Kritik fest. So streitet Strawson mit Recht ab, daß der Ausdruck the table in dem Satz (1)

The table is covered with the books.

nur dann verwendet werden könne, wenn es einen und nur einen Tisch gebe (Strawson (1950/1963:178). Strawson macht deutlich, daß die Einzigkeitspräsupposition schon definitorisch untrennbar mit der Referenzhandlung verknüpft ist: "It is indeed tautologically true that, in such a use, the phrase will have an application only in the event of there being one table and no more which is being referred to, and that it will be understood to have an application only in the event of there being one table and no more which it is understood as being used to refer to." (S.I78). Keller (1975:50) geht aus von dem Beispiel der definiten Referenz auf eine Schreibmaschine (2) Die Schreibmaschine ist kaputt. und präzisiert die Kritik an Russell: "Wer auf genau eine Schreibmaschine referiert, [...], präsupponiert, daß es mindestens eine Schreibmaschine gibt, nämlich die, von der er redet, aber er schließt damit nicht aus, daß noch andere Schreibmaschinen existieren." Kritik dieser Art läßt sich leicht entgegnen, wenn es nicht darum geht, eine exegetische Russell-Interpretation vorzunehmen, sondern den Kern der Einzigkeitsbedingung (-präsupposition, -behauptung) zu verteidigen. Die naheliegende Entgegnung ist die, daß andere Gegenstände, auf die die gleiche Beschreibung zutrifft, nicht in einem bestimmten Rahmen existieren, d.h. die Einzigkeitsbedingung wird "territorial" beschränkt. So schlägt Grannis (1972) vor, den relativen Charakter von uniqueness zu berücksichtigen. Nur im Rahmen des gemeinsamen Wissens von Sprecher und Hörer lasse sich die Einzigkeitsbedingung sinnvoll vertreten. Einzigkeit des Referenten existiere nur innerhalb einer gegebenen Diskurswelt. Der Sprecher lade den Hörer ein oder fordere ihn auf, an der "conspiracy of uniqueness" teilzunehmen. Der bekannteste neuere Versuch dieser Art ist die schon erwähnte Lokalisierungstheorie von Hawkins, die bei definiten Singular-NPs von der Einzigkeit eines möglichen Referenten innerhalb einer von Sprecher und Hörer geteilten Menge und bei definiten Plural-NPs vom Bezug auf alle pragmatisch möglichen Referenten ausgeht: "This property of the definite article to refer to all the objects or alle the mass in the pragmatically limited domain of quantification, whereupon the sentence as a whole makes some claim about these objects, I shall refer to as 'inclusiveness'." (Hawkins 1978:161). Wer auf eine Schreibmaschine referiert, um unser Beispiel noch einmal aufzugreifen, geht also davon aus, daß nur eine Schreibmaschine in einem "shared set" existiert, auf die (nach Hawkins) die Beschreibung zutrifft. Wenn ein Arzt nach einer ernsten Verletzung meines rechten Arms sagt: (3) Der Ulnaris-Nerv ist abgerissen.

31 dann habe ich nicht die geringste Ahnung, was der Ulnaris-Nerv ist, aber ich kann davon ausgehen, daß er ein uniker Bestandteil meines Arm-frames ist (Hawkins 1984:653 f.). Trotzdem gibt es einige Beispiele, die auch gegen die Einzigkeit eines Referenten innerhalb solcher frames oder shared sets sprechen. Lyons (1980) und Shanon (1981) haben solche Beispiele diskutiert. Wenn in einem Raum mit drei Türen nur eine geöffnet ist, kann ohne weiteres auf die geöffnete Tür mit (4) Schließ die Türl referiert werden, und wenn zwei Salzstreuer auf dem Tisch stehen, ist (5) Würdest du mir bitte den Salzstreuer geben? völlig angemessen, obwohl beide Verwendungen gegen die Einzigkeitsbedingung zu verstoßen scheinen. Hawkins sieht in den beiden Äußerungen Kurzformen von (6) Schließ bitte die offene

Tür!

und (7) Würdest du mir bitte den mir am nächsten stehenden Salzstreuer geben? Nun stellen aber diese — nach Hawkins marginalen — Beispiele und die von Hawkins (1984: 654) gegebene Lösung die Bedingung des Zutreffens der Beschreibung auf einen Referenten in Frage. Dagegen sichert die Lösung von Hawkins anscheinend die Inklusivitätsbedingung. Auch ein Beispiel, das nach Vater (1984b:210· f.) nicht mit Inklusivität zu erfassen ist, würde darunter fallen: (8) Paul hat sich den Arm gebrochen. Wir können hier genauso den Arm als Kurzform für den rechten Arm auffassen. Nur wären allgemein weitere Bedingungen dafür zu formulieren, wann solche Kurzformen angebracht sind, und wann nicht. Auf jeden Fall muß das Zutreffen der Beschreibung von der in der definiten NP gegebenen Beschreibung gelöst werden und in einen weiteren Rahmen gemeinsamen Wissens gestellt werden. Dann bieten sich auch Lösungen für (3)-(5) an, wie sie Shanon vorschlägt: Frames dienen dazu einen Referenten als Typ unik festzulegen, auch wenn mehrere spezifische Referenten in der Realität in Frage kommen (vgl. dazu 2.5.3).

2.2.5

Einzigkeit oder Inklusivität bei Plural-NPs mit Definitartikel?

Hawkins lehnt den Begriff uniqueness als zu eng ab, da er nur für Singular-NPs verwendbar sei und außerdem nur die Singularität des Individuativums die Referenz unik mache. Teil der Bedeutung des Definitartikels könne die Einzigkeit eines Referenten nicht sein (1978:158). Für Plural-NPs mit Definitartikel gelte der Bezug auf alle Referenten einer pragmatisch beschränkten Menge. (9) Fred brought the wickets in after the game of cricket. Bei der in Frage kommenden Menge von Toren seien von der Referenz alle Tore eingeschlossen (1978:160f.).

32 Versuche, die Verwendung des Definitartikels im Singular und im Plural einheitlich zu erklären, gibt es schon lange. So hat Vater (1979a:71) von "abgrenzender Gesamtheit" gesprochen und die "situationsgebundene oder relative Gesamtheit" als häufigste Verwendung des Definitartikels angesehen (vgl. auch Fleischer 1967 und Bentzinger 1976). Neuere Arbeiten in dieser Richtung, die nicht mehr direkt auf Vater aufbauen, sind Oomen (1977) und Flückiger-Studer (1983). Ottmar Werner (1978) nimmt für sich in Anspruch als erster eine Singular- und Pluralverwendung des Definitartikels umfassende Erklärung mit Hilfe des All-Quantors vorgelegt zu haben. Der Definitartikel ist "primär ein All-Quantor und sekundär verweist er u.U. auf Referenzpunkt-Relationen zum Sprechort, zur Sprechzeit, zum gesprochenen Text, soweit sie zu ergänzen sind." (S.226f.). In einem Nachtrag präzisiert Werner seine These. Der Definitartikel wird als "präsupponierter 'all'-Quantor" gesehen (S.234). Die Beispiele von Werner scheinen ihm rechtzugeben: (10) Die Häuser von Paul sind zu verkaufen. (11) Ich kenne die neun bayerischen Städte. Nun lassen sich aber leicht andere Beispiel finden, die Werners These widerlegen (vgl. dazu auch Burton-Roberts 1981, van Langendonck 1979): (12) Die Blumen im Garten wurden durch den Regen arg beschädigt. (13) Die Fensterscheiben des Hochhauses sind bei der Explosion zerstört worden. Nicht alle Blumen müssen zerstört worden sein, es ist durchaus möglich, daß ein großer Teil der Blumen im Garten überlebt hat. Auch in unserem Hochhaus sind vielleicht einige Fenster ganz geblieben. Van Langendonck (1979:34) spricht deshalb von "quasi-totality" und macht die All-Quantifizierung von kontextuellen und situativen Faktoren und/oder Weltwissen abhängig. Eine andere Konsequenz zieht Bur ton-Roberts (1981:193f.). Er sieht keine Referenz auf die einzelnen Elemente einer Menge, sondern nur eine Referenz auf die Menge als Ganzes. Damit die Aussage über die Menge wahr bleibe, müßte sie mindestens auf zwei Elemente aus der Menge zutreffen. Burton-Roberts hält es deshalb für möglich, auch auf Plural-NPs die Einzigkeitsbedingung anzuwenden: "Might not uniqueness be generalizable after all to definite plural and mass terms, if these were regarded as references to sets/masses (over and above their membership) which are pragmatically unique?" (S.194). Wir wollen uns insofern Burton-Roberts anschließen, als wir auch bei Plural-NPs von einer Referenz auf Mengen als Ganzes ausgehen. Allerdings lehnen wir die Vorstellung ab, daß das Zutreffen der Aussage auf mindestens zwei Elemente allgemein genüge, um sie wahr zu machen. Wenn an einem Hochhaus hundert Fenster zu putzen waren, kann eine Fensterputzfirma nicht einfach, nach dem sie zwei Fenster geputzt hat, melden: (14) Wir haben die Fenster des Hochhauses geputzt. Ich schlage deshalb vor, normalerweise von einer überwiegenden Zahl von Elementen einer Menge auszugehen, auf die die jeweilige Aussage zutreffen müßte — abhängig von den Umständen der jeweiligen Äußerung. Dabei spielen Relevanzüberlegungen eine wesentliche Rolle: Kann der Sprecher alle Elemente gemeint haben? Wie groß ist das Minimum an Elementen der Menge, um den Intentionen des Sprechers zu genügen? Festzuhalten

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bleibt auf jeden Fall, daß für S und H nur die Menge als Ganzes, aber nicht die Prozentzahl der betroffenen Elemente oder die spezifischen Elemente dieser Menge bestimmt ist bzw. sind, d.h. genauer gesagt, daß die Bestimmtheit der Menge als ganze mit Hilfe des Definitartikels signalisiert wird.

2.2.6 Familiarity (Bekanntheit, Vertrautheit)3 Christopherson hat bei der Untersuchung des Definitartikels im Englischen den Begriff "familiarity" verwendet: "The article the brings it about that to the potential meaning (the idea) of the word is attached a certain association with previously acquired knowledge, by which it can be inferred that only one definite individual is meant. This is what is understood by familiarity." (Christopherson 1939:72). Der Sprecher muß in jedem Fall entscheiden, ob er glaubt, daß der verwendete Ausdruck beim Hörer die richtige Assoziation hervorruft und damit eine Verständnisbasis gegeben ist. Die Vertrautheit mit dem Gegenstand muß dabei nicht sehr eng sein: "Our 'familiarity' with the object denoted may be very slight; the important thing is that the word is felt to stand for one definite individual". Auch bei Eigennamen müsse unser Wissen über das bezeichnete Individuum nicht sehr groß sein, aber wir wüßten, daß nur ein besonderes Individuum gemeint ist (S.73). Der Indefinitartikel sei neutral in Bezug auf familiarity (S.74). Hawkins (1978:99f.) kritisiert eine Bemerkung von Christopherson, daß der Definitartikel beim Hörer das Bild des Gegenstandes hervorrufe, an den der Hörer denke (Christopherson 1939:28), und meint, daß nach Erwähnung eines Buches mit der anschließenden NP der "Autor des Buches" solch ein Bild nicht hervorgerufen werden könne, wenn der Autor dem Hörer nicht bekannt sei. Mir scheint aber, daß die wesentliche Aussage Christophersons darin besteht, daß er eben eine exakte Kenntnis von einem Gegenstand nicht voraussetzt, was sein Verweis auf die Eigennamenverwendung belegt. Nach Hoffmann (1967) ist der Begriff der Familiarität ein "allgemeingültiges und in allen Sprachen gleich brauchbares Instrument." Die Familiarität im weiteren Sinne schließe S und H sowie den außersprachlichen Kontext ein und bedeute "Vertrautheit des Hörers mit dem bezeichneten Objekt." (S.23). Wenn bei Verwendung des bestimmten Artikels das bezeichnete Objekt faktisch nicht bekannt sei, also durch den Kontext noch nicht individualisiert, so könne der Sprecher trotzdem "so tun, als sei das Objekt bereits bekannt", da jede Verwendung des bestimmten Artikels diese Bekanntheit voraussetze (S.24). Grannis (1972) hebt m Anlehnung an Christopherson hervor, daß nur die Bekanntheit für den Hörer für die Verwendung des bestimmten Artikels entscheidend sei. Und er geht noch weiter, indem er zeigt, daß das entscheidende Kriterium die Sprechererwartungen über das Hörerwissen sind. Wenn meine Katze davongelaufen ist, werde ich zu meiner Frau sagen: 3

Behaghel (1923:39-49) untergliedert die Möglichkeiten der "Aufnahme von bekannten Größen" (S.39) durch die Verwendung des bestimmten Artikels, in dem er Einzelanaphora (im besonderen Einzelfall bekannte Größen) und allgemeine Anaphora (allgemein bekannte Größen) unterscheidet. Mit der mittelbaren Einzelanaphora und der allgemeinen Anaphora hebt er schon Erscheinungen hervor, die später u.a. bei Christopherson (implicit textual oder situational basis) und Hawkins (associative anaphora, larger situation use) besonders intensiv diskutiert werden. Das Substantiv mit dem bestimmten Artikel "verkörpert einen Begriff, der mit vorher ausgesprochenen Vorstellungen (Nachbarvorstellungen) verknüpft ist und durch sie in der Seele des Sprechenden hervorgerufen wird." (S.41).

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(15) Hast du die Katze gesehen? zu meinem Nachbarn: (16) Haben sie meine Katze gesehen? und zu Fremden auf der Straße: (17) Haben Sie eine Katze gesehen? "In all three cases, the cat is the same and my knowledge about the cat is the same. It is, rather my expectations about my listener's knowledge about the cat that appear to have decisive bearing on my use of the, my, and a." (S.284). Während bei Christopherson vor allem deutlich wird, daß der Hörer nur so viel wissen muß, daß die für die definite Referenz verwendete NP für einen ganz bestimmten Gegenstand steht, ohne diesen Gegenstand näher kennen zu müssen, stehen bei Grannis bereits die alternativen Artikelwörter mit im Blickpunkt und damit die Möglichkeiten, den Sprechererwartungen bezüglich des Hörerwissens Ausdruck zu geben. Es ist natürlich auch anzunehmen, daß S eine Ausdehnung der Beschreibung in Betracht zieht und so nicht gezwungen ist, einen anderen Artikel zu verwenden. (15a) Haben Sie die Katze gesehen, die vor etwa zwei Minuten hier aus dem Haus rausgelaufen istf 2.2.7

Zusammenfassung

Wir sind von einer einseitig sprecherorientierten Auffassung von Referenz ausgegangen und haben uns dabei auf Probleme der definiten Referenz konzentriert. Wir haben gesehen, daß das zu enge Konzept der Identifizierung von Gegenständen durch raumzeitliche Lokalisierung überwunden werden kann und muß. Die shared-sets von Hawkins zeigen in die Richtung unserer weiteren Überlegungen. Einzigkeit oder Inklusivität in einem bestimmten Rahmen und Familiarität — also Miteinbeziehung des Hörerwissens — sind bisher nicht als theoretische Grundlage zur Untersuchung der Artikelwörter ausreichend. Es gilt daher im folgenden insbesondere, das Konzept der gemeinsamen Rahmen und der Bestimmtheit von Gegenständen über eine Sprecher-Hörer-Interaktion klarer auszuarbeiten.

2.3

Bestimmtheit und Spezifität

2.3.1

Wimmer: Kommunikationshistorische Bestimmtheit von Gegenständen — Referenzfixierung

Wimmer (1976; 1977; 1979) hat auf Heringer und Linsky aufbauend die Referenzhandlung detaillierter beschrieben. Nach einer Klärung der umgangssprachlichen Verwendung von "bezugnehmen" definiert er: "Auf etwas Referieren ist ein Sprechakt, in dem ein Sprecher mit Hilfe eines Ausdrucks oder mehrer sprachlicher Ausdrücke auf einen bestimmten Gegenstand Bezug nimmt." (1979:9). Ich übernehme im folgenden Wimmers weiten Begriff von Gegenstand. Sowohl feste Körper als auch Körper in anderen Zuständen, Handlungen, Situationen, Orte, Zeitpunkte, Zeichen etc. zählen als Gegenstände, sowie alle Dinge, über die man mit Hilfe

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von Abstrakta spricht. "Alle Dinge, von denen man umgangssprachlich sagen kann, daß sie etwas sind, sollen Gegenstände genannt werden." (Wimmer 1979:13). Damit ist natürlich keine ontologische Festlegung getroffen, es geht nur um Gegenstände der Kommunikation. Wimmer hebt in seiner Definition den Bezug auf einen bestimmten Gegenstand hervor und erläutert diese Bestimmtheit: "Die Bestimmtheit eines Gegenstandes ist nicht eine Eigenschaft der Gegenstände selbst." Sie sei vielmehr eine "Funktion des Kommunizierens über diesen Gegenstand" (S.14). Die Bestimmtheit des Gegenstandes wird durch 4 Fragen festgelegt (S.91ff.): 1. Wieviele Gegenstände sind es? 2. Welcher Art ist der Gegenstand? 3. Wo ist der Gegenstand? 4. Welcher Gegenstand ist es? Entscheidend ist dabei Frage 4, in der die anderen 3 Fragen kulminieren. Diese direkte Frage nach der Bestimmtheit eines Gegenstandes wird indirekt beantwortet. Die Beweislast - und hier kollidiert Wimmers Ansicht mit der von Searle - liegt nicht einfach beim Sprecher: "Ein Gegenstand kann in einer Kommunikation normalerweise dann und solange als referentiell bestimmt gelten, wie seine Bestimmtheit nicht aufgrund vermuteter Mißverständnisse oder anderer kommunikativer Probleme explizit in Frage gestellt wird." (S.106). Gegenstände sind also kommunikativ bestimmt, aber es gibt "kein absolutes Maß dafür, wann ein Gegenstand als hinreichend genau bestimmt zu gelten hat, und auch keinen unabhängig von Regeln der gegenseitigen Verständigung zu begründenden Maßstab für die Bestimmtheit von Gegenständen." (Wimmer 1977:119). Die entscheidende Rolle spielen häufig für diese Bestimmtheit "kommunikationshistorisch gleiche oder ähnliche Erfahrungen" der an einer Kommunikation Beteiligten. (Wimmer 1979:107). Die Bestimmtheit des Gegenstandes wird also zum Dreh- und Angelpunkt der ganzen Referenzhandlung. Und diese Bestimmtheit ist von der intersubjektiven Anerkennung abhängig, ohne daß die Identifizierbarkeit im Rahmen raumzeitlicher Koordination gesichert sein muß, und zwar in dem Sinn, daß ein Gegenstand als bestimmt gilt, solange diese Bestimmtheit nicht von einem an der Kommunikation Beteiligten in Frage gestellt wird. In diesem Zusammenhang stoßen wir dann auf den Begriff "Referenzfixierung" ("fixing the reference"), den Wimmer von Kripke (1972/dt.l981) übernommen hat. Weder eine zutreffende Beschreibung noch direkte Identifikation sind notwendig, um auf einen Gegenstand zu referieren. Was Kripke in Auseinandersetzung mit der Beschreibungstheorie bei der Eigennamenverwendung als neues "Bild" entwickelt hat, wird von Wimmer (1979) zu einer allgemeinen Referenztheorie ausgebaut. Die Theorie der Referenzfixierung bedeute, "daß es in dem durch die sprachlichen Regeln abgesteckten Rahmen die Sprecher selbst sind, die bestimmte Gegenstände ihrer Umwelt in ihrer kommunikativ relevanten Existenz produzieren." (S.110). Als paradigmatischer Fall von Referenzfixierung gelten "Namengebungsakte", die der Festlegung von Eigennamen dienen (S.112ff.). Weitere Referenzfixierungsakte sind "Benennungsfestlegungen" (S.114f.; S.122), die normalerweise fach-, sonder- und gruppensprachliche Geltung haben, z.B. "Tiere dieser Gattung heißen ...". Außerdem führt Wimmer noch "okkasionelle Referenzregelungen" (S.llSf.; S. 122) an, die vor allem unter Kommunikationspartnern wichtig seien, die eng miteinander vertraut sind oder zumindest einige relevante Kommunikationsgeschichten gemeinsam haben. Die okkasionellen Festlegungen gelten aber nicht unbedingt über die aktuelle Situation der Festlegung hinaus. Sie können später wiederaufgenommen werden, was aber evtl. zu Störungen in der Kommunikation führen könnte. Möglich ist m.E. aber auch, daß okkasionelle Festlegungen

36

schließlich zu dauerhaften Bezeichnungen werden, daß sie also langfristig unter bestimmten Kommunikationspartnern erfolgreich sind. Wimmer übernimmt von Kripke den Ausdruck "fester Designator" (rigid designator), um die festgelegten Bezeichnungsausdrücke terminologisch zu fassen. Im Gegensatz zu Kripke (1972/dt.1981:59) geht Wimmer aber nicht davon aus, daß der feste Designator einen Gegenstand fest bezeichnet. (Es handelt sich auch um eine schlampige Redeweise bei Kripke, die seinen sonstigen Ausführungen nicht entspricht.) "Feste Designatoren sind Ausdrücke, mit denen sich Sprachteilhaber [...] in allen möglichen Welten immer auf ein- und denselben Gegenstand beziehen." (Wimmer 1979:118). Bei der Verständigung mittels fester Designatoren (S.127ff.) ist es nicht notwendig, daß alle an der Kommunikation Beteiligten mit dem Referenten die gleichen Beschreibungen verbinden, ja nicht einmal, daß sie auch nur eine einzige Prädikation über den durch feste Designatoren bezeichneten Gegenstand machen können. Wimmer (1979:136) stellt für die Verwendung von festen Designatoren eine Maxime im Sinne von Grice auf: "Verwende feste Designatoren so, daß du die damit verbundene Einführung von Gegenständen in die Kommunikation jederzeit rechtfertigen kannst". Diese Maxime erinnert natürlich an die Identifikationsbedingungen von Searle, in der ebenfalls von einer Leistung auf Rückfrage die Rede ist. Nur geht es bei Searle darum, eine identifizierende Beschreibung nachzuliefern, während bei Wimmer die Nachkonstruktion der Referenzakte im Vordergrund steht, bzw. des Referenzfixierungsaktes. Die Kommunikationspartner müssen sich klar darüber sein, was der Referent ihrer Bezugnahme ist. Im Notfall müssen sie in der Lage sein, die Grundlage dieses Klarseins zu rekonstruieren. Ich möchte diese Rekonstruktion aber nicht auf die Fälle von Referenzfixierung begrenzen, sondern allgemein davon ausgehen, daß ein Gegenstand nur dann als bestimmt gelten kann (identifiziert, lokalisiert), wenn S und H eine gerneinsame Grundlage in ihrer Kommunikationsgeschichte haben, auf die sie immer zur Sicherung der Referenz zurückgreifen können. Jede Beschreibung hängt von den kommunikativen Erfahrungen der Kommunikationsteilnehmer ab, und je mehr gemeinsame Kommunikationsgeschichte die Teilnehmer einer Kommunikation teilen, umso leichter ist die Verständigung. Es ist sinnlos, darüber zu streiten, ob die NP der verdammte Faschist in (18) Wo ist der verdammte Faschistl auf irgendeinen zutrifft, solange nicht klar ist, ob die Kommunikationsteilnehmer eine gemeinsame politische Kommunikationsgeschichte haben. Mit einem leicht abgewandelten Quine-Satz könnten wir sagen: Referenz ist Unsinn, es sei denn, man relativiert sie auf eine Kommunikationsgeschichte. Die gemeinsame Kommunikationsgeschichte tritt an die Stelle des raumzeitlichen Koordinatensystems.

2.3.2

Donellan: Attributive und referentielle Verwendungen

Einen sehr engen Begriff von Referenz vertritt Donellan, der mit seiner Unterscheidung von attributiven und referentiellen Kennzeichnungen in den letzten zwei Jahrzehnten die linguistische und sprachphilosophische Diskussion über definite Referenz entscheidend beeinflußt hat: "Ein Sprecher, der eine Kennzeichnung in einer Behauptung attributiv verwendet, sagt, etwas über denjenigen oder dasjenige aus, der oder das so-und-so ist, wer oder was, das

37 sein mag. Auf der anderen Seite verwendet ein Sprecher, der eine Kennzeichnung in einer Behauptung referentiell verwendet, die Beschreibung zu dem Zweck, seine Zuhörer in die Lage zu versetzen, denjenigen oder dasjenige herauszugreifen, über den oder das er redet, und er sagt etwas, über diese Person oder diesen Gegenstand aus." (1966/dt.1985:184, vgl. auch Donellan 1968 und 1978). Wir wollen diese Unterscheidung anhand der von Donellan gegebenen Beispielsätze näher erläutern: (19) Wer ist der Mann, der einen Martini trinkt*! (20) Der Mörder von Smith ist wahnsinnig. Zu (19): Auf einer Party fällt mir ein Mann auf, der ein Glas in der Hand hat. Wenn ich Informationen über diesen Mann wünsche, verwende ich die Kennzeichnung referentiell, d.h. unabhängig davon, was der Mann tatsächlich trinkt, beziehe ich mich auf den von mir gemeinten Mann. Wenn ich aber weiß, daß (nur) ein Mann Martini trinkt und ich diesen Mann kennenlernen möchte, unabhängig davon, welcher Mann es ist, dann verwende ich die Kennzeichnung attributiv. Im ersten Fall steht also fest, daß ich einen ganz bestimmten Mann im Auge habe, und im zweiten Fall, daß ich den Mann suche, der wirklich Martini trinkt. Insofern ist m.E. auch das Fragewort wer? unterschiedlich verwendet. Einmal werden nähere persönliche Daten zu einem bestimmten Mann gesucht, und zum anderen wird zu einer Prädikation der spezifische Referent gesucht. Wir sind also im attributiven Fall einen Schritt zurück bzw. nähern uns der genauen Identifizierung von einer anderen Seite. Zu (20): Smith ist auf grauenhafte Weise umgebracht worden. Wenn ich den Mörder kenne und (20) äußere, so ist die Verwendung der Kennzeichnung referentiell. Wenn ich aber nicht weiß, wer der Mörder ist, so verwende ich "der Mörder von Smith" attributiv, d.h. unabhängig davon, wer der Mörder von Smith ist, halte ich den Täter für wahnsinnig. Donellan (1966/dt.1985:190ff.) hebt hervor, daß die Unterscheidung referentiell/attributiv nicht entscheidend von der Meinung des Sprechers abhängt, ob die Beschreibung zutrifft, auch wenn es wahrscheinlich sei, daß ein Sprecher daran glaubt, daß seine Beschreibung angemessen sei: "Ob eine Kennzeichnung referentiell oder attributiv verwendet ist oder nicht, ist im allgemeinen eine Funktion der Intentionen des Sprechers in einem bestimmten Fall." (S.199). Donellan sieht darin keine syntaktische oder semantische, sondern eine pragmatische Zweideutigkeit. Deutlich wird, was Donellan meint, wenn er diesen Zusammenhang von Sprecherintention und attributiver/referentieller Verwendung weiter erläutert: "Eine Kennzeichnung kann attributiv verwendet werden, auch wenn der Sprecher glaubt, daß ein bestimmter Gegenstand oder eine bestimmte Person die Beschreibung erfüllt, und sie kann referentiell verwendet werden, ohne daß eine solche Meinung vorhanden ist." (S.202). Ich kann also "der Mann, der einen Martini trinkt" äußern und diese Beschreibung referentiell verwenden, auch wenn ich persönlich glaube oder weiß, daß in seinem Martiniglas eine Medizin ist. Ein Grund dafür könnte sein, daß ich annehme, daß mein Gesprächspartner davon ausgeht, daß der von mir gemeinte Mann einen Martini trinkt. Wichtig ist, daß ich beabsichtige, daß mein Gesprächspartner erkennt, daß ich einen auch für ihn bestimmten spezifischen Mann meine, und daß ich erwarte, daß er auch verstehen kann,

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wen ich meine (vgl. Donellan 1968:21 Iff.). Ich kann also nicht irgendeine Beschreibung verwenden, sondern muß meine die Zuhörer betreffenden Erwartungen miteinbeziehen. So ist mit Donellan (1968:214) festzuhalten, "that the intention to refer to something in using a definite description is a complex intention involving expectations regarding one's audience." Daß der Hörer jeweils in die Überlegungen einbezogen werden muß, zeigt, daß Donellans intuitives Plädoyer für eine pragmatische Ambiguität auch argumentativ untermauert werden kann. Mit Donellan 1978 wollen wir die Unterscheidung von referentiellen und attributiven Verwendungen noch einmal präzisieren: "The referential/ attributive distinction and the presence or absence of speaker reference should be thought of as based on such intentions of the speaker towards his audience or lack of them — not on whether the speaker believes or does not believe about someone or something that he or it fits the description." (S.50). (Vgl. kritisch dazu Searle 1979/dt.l982, Kripke 1985 und Tugendhat 1976:407-424)

2.3.3

Spezifische und nichtspezifische Verwendungen

Nach Karttunen (1972) ist Spezifität nur "eine Sache der Domäne von Quantifikatoren" (S.190; vgl. dazu auch Hawkins 1978:203ff.). Trotzdem hätten sich die Termini "spezifisch/ nichtspezifisch" als "ganz nützlich erwiesen und richten keinen Schaden an, vorausgesetzt, sie werden relativ aufgefaßt und nicht als Bezeichnungen für indefiniten Nominalphrasen inhärente absolute Eigenschaften." (S.194). Nach Hawkins (1978:212) besteht der wesentliche Unterschied zwischen Spezifität und Nichtspezifität in folgendem: "In specific reading the speaker has a particular, included, referent in mind. The identity of this referent will generally be arbitrary for the hearer unless indentifiability can be guaranteed despite the indefiniteness of the reference. In a non-specific interpretation the identity of the included referent will be arbitrary for both speaker and hearer. Which of the potential referents is included and which is excluded is indeterminate." Dagegen steht die zurückhaltendere Auffassung von Oomen (1977:97): "[-f SPEZ] heißt nicht, daß der Sprecher den Gegenstand identifizieren kann, nur der Hörer nicht. Es heißt vielmehr, daß zumindest der Sprecher, meist aber auch der Hörer weiß, daß kein beliebiges Element gemeint ist, sondern ein bestimmtes." Oomen führt auch drei Verwendungen von indefiniten NPs an (S.103): Beim nichtspezifischen Gebrauch wird über Gegenstände geredet, "von denen typische Merkmale benannt werden, die der Sprecher aber als individuell existierend noch gar nicht kennt [...]." Beim spezifischen Gebrauch wird entweder über Gegenstände geredet, "von deren individueller Existenz der Sprecher weiß, auch wenn er diese Gegenstände nicht unmittelbar identifizieren kann, [...]", oder über Gegenstände, "die der Sprecher identifizieren kann, beim gegenwärtigen Stand des Gesprächs aber (noch) nicht definit beschreiben möchte [...]." (Vgl. zu [±spezifisch] auch Bach 1968, Dahl 1970, Bierwisch 1972, Grannis 1973, Bellert 1974, Isenberg 1974, Reed 1980; Grimm 1983:141-143, Zhou 1985:122, die beide an Oomen anschließen; Heidolph 1984:272f., Hartmann 1978 und 1980). Wir können also sowohl beim spezifischen als auch beim nichtspezifischen Gebrauch zwei mögliche Deutungen unterscheiden. Beim partikulären nichtspezifischen Gebrauch entspricht eine Deutung der von nichtspezifischem irgendein. Diese Deutung ist auch Voraussetzung für den Einsatz des Indefinitartikels in generischen Sätzen bzw. für eine

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generische Deutung von indefiniten NPs mit ein; was aber nicht impliziert, daß irgendein in generischen Sätzen einsetzbar wäre! Irgendein hat immer die Deutung "irgendein einzelner partikulärer Gegenstand": (21) Kannst du mir mal schnell einen Kugelschreiber geben! H wird zwar S keinen kaputten Kugelschreiber geben, was er auch bei irgendein nicht tun würde, aber H weiß, daß es S allein um einen Gegenstand geht, der ein funktionsfähiger Kugelschreiber ist, ohne weitere Anforderungen zu stellen. (22) Unsere Firma sucht gerade eine neue Sekretärin. Hier wäre der Einsatz von irgendeine wohl nicht angebracht. Die Firma stellt Anforderungen an die neue Sekretärin, die von S nicht explizit genannt werden, ist also nicht bereit, jede Sekretärin einzustellen, die sich bewirbt. Bei spezifischem Gebrauch kann S entweder den Referenten selbst bestimmen, aber will oder kann ihn nicht so beschreiben, daß H ihn auch identifizieren kann, oder S kann den Referenten selbst nicht identifizieren, weiß aber, daß ein besonderer Gegenstand existiert, auf den er das Prädikat bezieht. Der erste Fall ist bei (23) gegeben: (23) Ich bringe auf die Party morgen eine gute Freundin von mir mit, wenn es dir recht ist. S weiß, von welcher Freundin er redet, er meint eine ganz bestimmte Person. Hier trifft Hawkins' Behauptung zu, daß S an einen besonderen Referenten denkt ("has ... in mind"). Ganz anders ist es bei (24): (24) Klaus hat eine Wohnung gemietet, aber ich weiß nicht wo. S kann die Wohnung nicht raum-zeitlich lokaliseren, aber er weiß, daß eine bestimmte Wohnung existiert, die Klaus gemietet hat. Ann Reed (1980:15) nennt als Minimalbedingung für spezifische Referenz bei Indefmita "a fixed reference in the world". Ich möchte diese festgelegte Referenz als zumindest prinzipielle Lokalisierbarkeit in einem räum-zeitlichen Bezugssystem ansehen. Der Referent muß weder von S noch von H raum-zeitlich lokalisiert werden können, aber S weiß, daß er prinzipiell lokalisierbar ist, daß er also im Rahmen eines raumzeitlichen Bezugssystems fest fixiert existiert oder existiert hat. Dieses raum-zeitliche Bezugssystem kann natürlich auch rein fiktiv sein. Nicht-spezifische Verwendungen von indefiniten NPs können partikulär sein, aber auch als Ausgangspunkt für generische Verschiebungen dienen. Partikulär ist eine nicht-spezifische NP, wenn das ihr zugeschriebene Prädikat als allein gültig für einen einzigen Gegenstand erachtet wird. Dagegen ist die Verwendung generisch, wenn das Prädikat für jeden Gegenstand der genannten Art zutrifft. Während es also bei der Unterscheidung von spezifischen und nicht-spezifischen Verwendungen darauf ankommt, ob ein Gegenstand als raum-zeitlich fixiert gilt, geht es bei der Unterscheidung von partikulären und generischen Verwendungen darum, ob das Prädikat nur auf einen einzigen Gegenstand der betreffenden Art "zutrifft" oder nicht. Wir können jetzt schon die Brücke schlagen zu den attributiven bzw. referentiellen Verwendungen. Offensichtlich gibt es verschiedene Arten von Bestimmtheit. Grundlegend ist die Unterscheidung, ob etwas nur für den Sprecher bestimmt ist, oder ob etwas

40

für Sprecher und Hörer gemeinsam gestimmt ist. Bei der referentiellen Verwendung einer definiten NP muß S an einen bestimmten partikulären Gegenstand denken, der für ihn und H raum-zeitlich lokalisiert ist, bei der spezifischen Verwendung einer indefiniten NP genügt es, daß S weiß, daß der Gegenstand raum-zeitlich fixiert ist. Er muß ihn aber nicht selbst lokalisieren können. Bei der attributiven Verwendung ist der Referent nicht-raumzeitlich lokalisiert, aber kommunikativ bestimmt, so daß für S und H trotzdem klargestellt ist, von welchem Gegenstand S spricht. Bei der nicht spezifischen Verwendung ist nur klar, von was für einem Gegenstand S spricht, aber der Gegenstand gilt weder als raum-zeitlich fixiert noch als kommunikativ für S und H bestimmt. 2.3.4

Zusammenfassung

Um den Kreis zu schließen: Bei referentiellen wie bei spezifischen Verwendungen meint der Sprecher einen bestimmten Gegenstand, aber im referentiellen Fall ist dieser Gegenstand auch für den Hörer bestimmt. Die attributive Verwendung einer definiten NP unterscheidet sich von der referentiellen Verwendung nur durch die Art der Kommunikationserfahrung, auf die die Bestimmtheit zurückzuführen ist. Dagegen ist bei der nichtspezifischen Verwendung überhaupt kein Gegenstand für irgendjemand bestimmt. D.h. die Trennung von attributiven und referentiellen Verwendungen basiert auf völlig anderen Kriterien als die von spezifischen und nichtspezifischen Verwendungen. Für die Entscheidung, welcher Artikel zu verwenden ist, sind beide Unterscheidungen letztlich nicht relevant, sondern nur die Frage, ob es sich um S-H-Bestimmtheit handelt. Und diese Bestimmtheit wird nicht durch ein raumzeitliches Koordinatensystem gesichert, sondern durch die gemeinsame Kommunikationsgeschichte von Sprecher und Hörer. Wie die gemeinsame Kommunikationsgeschichte relevant werden kann, werde ich in den nächsten Abschnitten deutlich machen.

2.4

Referenz als kooperative Handlung

2.4.1

Fritz: Referenzklärungssequenzen

Fritz (1982:149-204) schließt offensichtlich an Strawson an, wenn er unter Identifizierung eine Sprecherhandlung versteht: "Unter Identifikation bzw. singular identifizierender Referenz versteht man im Rahmen der Referenztheorie jede Teilhandlung von Behauptungen und anderen sprachlichen Handlungen, mit der angegeben wird, über welchen Gegenstand die Behauptung oder dergleichen gemacht wird." Fritz geht aber dann in einer dialogischen Betrachtungsweise von einem erweiterten Identifizierungsbegriff aus: "Ein Sprecher A hat einen Gegenstand für einen Partner B identifiziert, wenn B weiß, über welchen Gegenstand A redet." (S. 153). Dabei handelt es sich nicht nur um eine terminologische Festlegung, sondern durch die Miteinbeziehung des Sprecher-Hörer-Wissens um eine wichtige Richtungsbestimmung. Fritz weist darauf hin, daß die Kriterien, die ein Sprecher anwendet, oder die Fragen, die er stellt, um einen Gegenstand von einem anderen zu unterscheiden und mit anderen in Zusammenhang zu bringen, mit denen des Hörers übereinstimmen müssen, wenn dieser erfolgreich verstehen will, was der Sprecher meint. Deshalb versucht Fritz "durch die Untersuchung von Referenzklärungssequenzen nicht nur den Aufbau von WissensKonstellationen, sondern auch die Prinzipien der Verwendung von referierenden Ausdrük-

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ken überhaupt" zu erhellen (S.153). Das vorausgesetzte Wissen (Identifikationswissen) dient dem Sprecher zur Orientierung bei der Wahl eines Ausdrucks, der geeignet scheint, dieses Wissen anzusprechen (S.155). Wichtig ist, daß es nicht darum geht, daß der Ausdruck von sich aus soviel deskriptiven Gehalt hat, daß er die Identifizierung von sich aus sichert. Sonst wären erfolgreiche Referenzhandlungen wie in (25) nicht möglich: (25) Hast du das Dings mitgebracht? Du weißt schon. (S.156) Wenn die Identifikation nicht sofort gelingt, sind Dialogmuster (Referenzklärungssequenzen) der folgenden Art gefragt: (26) A : Kannst du das Ding mal n bißchen zur Seite stellen. Das stört mich nämlich. B : Was? A : Wenns mich so genau ankuckt. B : Den Apparat! Da. (rückt das Mikrophon weg). (S.156) Für unsere Zwecke ist es besonders wichtig, solche Referenzklärungssequenzen genau zu betrachten. Die Beschreibung eines Gegenstandes ist für die Artikelverwendung nicht entscheidend, denn nicht der Artikel wird bei fehlendem Verständnis verändert, sondern eine neue Beschreibung wird nachgeliefert — evtl. auch durch den Hörer. Wichtig ist auch die Unterscheidung einer Referenz im strengen Sinn (H weiß, über welchen Gegenstand S redet) und einer "Huckepack-Referenz" (S.158), die eine Spielart von Strawsons "relative identification" ist. In Einführungssituationen wird diese Art von Referenz ständig verwendet. Der Hörer kann im Verlauf des Gesprächs Wissen ansammeln und so zu einer genauen Bestimmung des Gegenstandes kommen. (27) Ich erzähle Euch heute eine Geschichte von einem Mann namens Saul. Rückfragen wie (28) Wer ist dieser Mann, von dem du erzählst! können im Prinzip nur durch Fortfahren in der Erzählung gelöst werden, und so wie der Sprecher (A) den Mann mit "dieser Mann" "relativ zur Geschichte identifizieren kann", "kann in B als 'den Mann in der Geschichte' identifizieren." (S.158). 2.4.2

Clark/Wilkes-Gibbs: Konversationelles Modell der deßniten Referenz

Clark/Wilkes-Gibbs (1986) (vgl. auch Clark/Schaffer 1987, Gibbs 1987 u. 1988, Isaacs/ Clark 1987) schlagen als Alternative zum traditionellen Modell der definiten Referenz, das sie als literarisches Modell (literary model) bezeichnen, ein konversationelles Modell (conversational model) vor, das sich in wesentlichen Punkten vom bisherigen Modell unterscheidet. Vier stillschweigende Idealisierungen, die das literarische Modell enthalte, seien dann nicht mehr haltbar: 1. Eigennamen, definite Beschreibungen wie "der Mann mit dem Schnurrbart" oder Pronomen sind Standardtypen bei definiter Referenz. 2. Der Sprecher verwendet die N P, um dem Hörer zu ermöglichen, den Referenten eindeutig im Rahmen des gemeinsamen Wissens zu identifizieren. 3. Der Sprecher genügt dieser Intention allein durch die Verwendung dieser NP. 4. Der Ablauf des ganzen Prozesses wird allein vom Sprecher kontrolliert.

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In mündlichen Konversationen verwenden Sprecher aber nicht nur feststehende NPs, sondern verändern NPs, ziehen Beschreibungen zurück, ersetzen sie durch treffendere und machen all dies nicht nur aufgrund eigener Einsicht, sondern auch deshalb, weil der Hörer sein Unverständnis einer gegebenen Beschreibung mitausdrücken kann. So ergibt sich eine Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Bestimmung der Referenten, indem die verwendeten Beschreibungen im Laufe der Konversation optimiert werden. S und H versuchen, die gegenseitige Annahme zu sichern, daß H die Referenz von S verstanden hat, bevor S und H in ihrer Konversation fortfahren. Diese gemeinsame Gewißheit, daß S und H in ihrer Referenz übereinstimmen, wird durch einen Akzeptierungsprozeß gesichert, der Präsentation und ihre Akzeptierung umfaßt. Das "conversational model" ist so wesentlich ein "collaborative model". In dieser Zusammenarbeit versuchen Sprecher und Hörer, den nötigen Aufwand möglichst zu minimalisieren, was Clark/Wilkes-Gibbs das "principle of least collaborative effort" (S.26) nennen. Dieses Prinzip bedeutet nicht einfach, daß die kürzeste NP zu verwenden ist, die den Referenten eindeutig im Kontext spezifiziert: "Least collaborative effort predicts that references can be made with (a) nonstandard, nonliterary noun phrases, (b) with ones the speaker believes are not adequate in context, and (c) with devices that draw adressees into the process." (S.27f.). Sprecher und Hörer müssen eine Perspektive finden, unter der sie den Referenten betrachten, die sie auch gemeinsam akzeptieren können. Und es hängt von den Gegenständen und den Konversationsteilnehrriern ab, ob dies eine allgemein übliche Perspektive (Beschreibung) ist, die keinerlei zusätzlichen Aufwand erfordert, oder ob erst eine gemeinsame Perspektive gefunden werden muß. Allgemein gilt für die definite Referenz in mündlichen Konversationen das "principle of mutual responsibility": "The participants in a conversation try to establish, roughly by the initiation of each new contribution, the mutual belief that the listeners have understood what the speaker meant in the last utterance to a criterion sufficient für current purposes." (S.33) Auch wenn dies Prinzip in anderen Sprachverwendungen so nicht gültig ist, ist es doch sinnvoll, es als Richtschnur zur linguistischen Beurteilung von Nominalphrasen zu verstehen. In schriftlichen Texten, die sich an eine allgemeine Leserschaft wenden, muß der Schreiber eine Beschreibungsperspektive wählen, die möglichst allgemein zugänglich ist, und einem bestimmten durchschnittlichen Bildungsniveau entsprechen. Aber dem Anpassungsprozeß ist er auch dann ausgesetzt. Er wird mißverständliche oder anstößige Formulierungen ausfiltern, wird auf Rezensionen oder Leserbriefe reagieren und evtl. erst in mündlichen Diskussionen herausfinden, wo Korrekturen angebracht sind. Diese Überlegungen gelten natürlich nicht nur für definite NPs, sondern auch für andere Textelemente, aber für uns entscheidend ist die Überlegung, welche Rolle die Artikelwörter bei diesen Anpassungsprozessen spielen — unabhängig davon, ob jetzt eine direkte Sprecher-Hörer-Zusammenarbeit oder nur eine distanzierte von Schreiber und Leser vorliegt. Die Rolle der Artikelwörter könnte bei der definiten Referenz im Bereich der Koordination von Sprecher- und Hörerannahmen über den möglichen Referenten und bei der nicht-defmiten Bezugnahme im Bereich der Quantifizierung liegen.

43

2.4.3

Zusammenfassung

Definite Referenz ist keine einseitige Sprecherangelegenheit, der auf der anderen Seite eine rein interpretierende Identifizierung durch den Hörer gegenüberstünde, sondern definite Referenz setzt die Kooperation von Sprecher und Hörer voraus und ist nur als kooperative Handlung umfassend beschreibbar. Zur Sicherung der gemeinsamen Bestimmtheit von Gegenständen ist das Design der verwendeten Nominalphrasen entsprechend zu koordinieren. Entscheidend sind dabei die gegenseitigen Annahmen über das gemeinsame Wissen.

2.5

Überlegungen zum gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner ··

2.5.1 Der Annahmenturm Ich gehe davon aus, daß das für die Kommunikation von S und H relevante Wissen ihr gemeinsames Wissen ist. Dieses gemeinsame Wissen ist keine Durchschnittsmenge, sondern ich sehe darin "das gegenseitige Auftürmen von Annahmen" (Heringer 1977:100). Die Annahmen beruhen auf der Kommunikationserfahrung der Kommunikationsteilhaber. Gemeinsames Wissen ist also kommunikationsgeschichtlich aufgebaut (ebd. S.104). Zwar hat jeder nur sein eigenes Wissen, aber trotzdem ist gemeinsames Wissen möglich. "Es ist deshalb möglich, weil Hypothesen über das Wissen und das Bewußtsein anderer Teil meines eigenen Wissens und Bewußtseins sind, und weil das für jeden anderen auch gilt. Ich habe nicht B's Wissen oder Bewußtsein. Es ist nicht so, daß ein Teil von B's Wissen auch mein Wissen ist, sondern mein Wissen enthält das, was ich weiß, was er weiß! Und das widerum ist mein Wissen, nicht seines!" (Keller 1975:107; zum gemeinsamen Wissen vgl. auch Krome 1979:107-125). Das gegenseitige Auftürmen von Annahmen kann in einen infiniten Regreß münden, der jede Kommunikation unmöglich machen würde. Wir können beginnen mit: S weiß, daß p H weiß, daß p S weiß, daß H weiß, daß p H weiß, daß S weiß, daß p S weiß, daß H weiß, daß S weiß, daß p usw. Abkürzende Schreibweisen dafür wurden des öfteren vorgestellt (z.B. Keller 1975:103, Anm. 7). Clark/Marshall (1981:18)'geben eine S-bezogene bzw. -bezogene Definition: S weiß, daß S und H wechselseitig wissen, daß p. (A knows that A and B mutually know that p.) Ob die verschiedenen Stufen des Annahmenturms wirklich relevant sind, entscheidet sich bei jeder Kommunikation, aber es ist wohl nicht so, daß man in Alltagskommunikationen viele Stufen benötigt. Clark/Marshall (1981:11-21) sprechen vom "mutual knowledge paradox", das darin bestehe, daß S eine infinite Menge von Bedingungen wie oben zu erfüllen habe, aber dies in Beispielen wie der definiten Referenz in einer begrenzten Zeit durchführe.

44 Clark/Marshall versuchen, über bestimmte Grundannahmen von S und H und das "mutual knowledge induction schema" zu einer Lösung dieses Paradoxes zu kommen. Ich halte das Paradox aber in der Kommunikationspraxis für ein Scheinproblem, das sich dadurch erledigt, daß kommunikationsgeschichtlich die Annahmen der Sprachteilhaber immer aufs Neue auf die Probe gestellt werden. Insofern genügt uns als allgemeine Definition des nötigen Wissens von S bzw. H eine modifizierte Variante von Clark/Marshalls Definition: S (H) nimmt vorläufig an, daß S und H wechselseitig annehmen, daß p. 2.5.2

Quellen des gemeinsamen Wissens

Wir unterscheiden mit Heringer (1984a:5-ll) Dauerwissen und Laufwissen. Dauerwissen muß in der aktuellen Kommunikation aktiviert werden: "Aktivierung des gemeinsamen Wissens kann man sich vorstellen wie laufende Buchführung, die ständig auf der Höhe des kommunikativen Geschehens ist." (S.8). Dieses aktivierte Wissen wird Bestandteil des Laufwissens, das für das Verständnis allein relevant ist. Aktiviert werden das generische Wissen (semantisches Wissen, allgemeines Weltwissen) und das episodische Wissen, das als gemeinsames Wissen über früheres Geschehen den Kommunikationsteilhabern allein oder einer umfassenderen Gruppe (wie Familien) zu eigen ist. Zusätzlich nehmen wir noch einen dritten Bestandteil des Dauerwissens an, spezifisches Wissen, worunter nicht-episodisches Wissen zu verstehen ist, das nicht in generischen Sätzen formulierbar ist. Außer diesen drei Quellen des Laufwissens, die über Aktivierung erschlossen werden, wird das Laufwissen durch das kontextuelle und das situationeile Wissen gespeist (reines Wahrnehmungswissen). Episodisches Wissen ist konspiratives Wissen von S und

Abbildung 2: Dauerwissen

Aktivierung

Laufwissen

episodisches Wissen relevantes gemeinsames spezifisches Wissen Wissen generisches Wissen

Speicherung

situation. Wissen

kontext. Wissen

H (oder weiteren Mitwissern) über bestimmte Geschehnisse, das am leichtesten durch entsprechende kontextuelle oder situationelle Auslöser mobilisiert wird. (29) Weißt du noch? Damals in Malta ist uns immer der/dieser Hund nachgelaufen.

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(30) (Ankunft in Malta:) Ob wir den/diesen Hund wiedersehen? S und H teilen ein konspiratives Wissen über ein bestimmtes Geschehen, das das Wissen um einen spezifischen Gegenstand umfaßt. Der Rahmen Malta lost die Aktivierung des nötigen episodischen Dauerwissens aus. Episodisches Wissen ist gespeichertes Laufwissen. Laufwissen benötigt auch seinerseits wieder aktiviertes Dauerwissen. Nur wechseln die Bestände im Dauerwissen und werden immer auf den neuesten Stand gebracht. So kann Wissen über Gegenstände in bestimmten Rahmen für eine gewisse Zeit gespeichert werden und danach über andere Beschreibungen in anderen Rahmen weiter gespeichert werden, oder es gibt gleichzeitig mehrere mögliche Schlagwörter in unterschiedlichen Rahmen, die den Zugriff erleichtern. Aber immer wirkt sich die aktuelle Kommunikation auf die Bestände im Dauerwissen aus. Zum generischen Wissen gehören die Kenntnis der Lexembedeutungen, grammatisches Wissen, pragmatisches Wissen (etwa über Konversationsmaximen) und allgemeines Weltwissen. Das allgemeine Weltwissen ist nur in generischen Sätzen formulierbares Wissen. Damit entspricht es dem generic knowledge von Hawkins (1978:123f.). So kann die Beziehung zwischen "trigger" und "associate" in (31) Ich war gestern auf einer Hochzeit. Die Braut war bildhübsch. generisch dargestellt werden durch "auf einer Hochzeit gibt es eine Braut". Dagegen ist nach Hawkins keine assoziative Verbindung zwischen einem "trigger" Auto und einem "associate" Hund im folgenden Satz möglich: (32) Der Mann fuhr in einem Auto an unserem Haus vorbei. Der Hund bellte fürchterlich. Es besteht kein allgemeines Weltwissen, nach dem in Autos immer Hunde sind. Allgemeines Weltwissen und semantisches Wissen decken sich sehr oft. Trotzdem scheint es uns notwendig, einen Unterschied beizubehalten, auch wenn er nicht immer zum Tragen kommt. Nur in fachwissenschaftlichen Diskursen dürfte sich z.B. die Kenntnis der Bedeutung (d.h. des Gebrauchs) von "Ahorn" mit dem Wissen über die biologischen, ökologischen u.a. Funktionen des Ahorns decken. Spezifisches Wissen ist spezielles Wissen über die Kommunikationspartner, die möglichen spezifischen Referenten der jeweiligen Bezugnahme und die möglichen spezifischen Rahmen. Besonders die Gruppenzugehörigkeit der Kommunikationspartner ("community membership" nach Clark/Marshall 1981) ist von Bedeutung, da daraus auch Schlüsse über das spezifische und allgemeine Weltwissen des Partners gezogen werden können. Auch spezifisches Wissen über Beschreibungsgewohnheiten, Referenzfixierungen, Eigennamenverwendungen und spezielle Lexembedeutungen (Lexemverwendungen) spielt eine Rolle. (33) Also, ich warte auf dich um 4.00 Uhr in der Bibliothek. Wenn zwei Studenten sich mit diesem Satz verabschieden, ist es wichtig, daß sie voneinander wissen, zu welchem Fachbereich sie gehören und damit, in welcher Bibliothek sie sich normalerweise aufhalten. Am einfachsten ist das Problem der Referentenbestimmung zu lösen, wenn beide Studenten zum gleichen Fachbereich gehören und von einander wissen, daß sie sich meist nur in ihrer Fachbereichsbibliothek treffen. Dagegen wäre generisches Wissen ausreichend in (34):

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(34) Ich habe mich während meines Unistudiums meist nur zum Schlafen in die Bibliothek gesetzt. Es ist völlig irrelevant, in welcher Teilbibliothek S war. Das Lexem Unistudium initiiert einen Rahmen, der den Typ Bibliothek unik als Element umfaßt und so eine ausreichende Referentenbestimmung ermöglicht. Episodisches Wissen wäre angesprochen, wenn z.B. zwei Arbeiter in einer Bibliothek irgendeiner Institution ein Mädchen kennengelernt hätten und sich später an "diese Bibliothek" erinnerten. Eine Episode diente als Rahmen, um den Referenten zu bestimmen. Kontextuelles Wissen ist Laufwissen, das den unmittelbaren Kontext einer Äußerung umfaßt. Schwierig ist es zu sagen, wo die Grenze dieses Kontextes ist. Das Problem zeigt ein Beispiel wie das von Chafe (1976:40f.) aus dem Roman "The case of the midwife toad" von Arthur Koestler, in dem auf Seite 13 von einem Brief in der Jackentasche einer Person die Rede ist, auf dessen Adressierung erst auf Seite 118 mit "the note" referiert wird. Ob man jetzt von kontextuellem Wissen oder von episodischem Dauerwissen sprechen soll, ist eine Frage, die man zwar nicht einfach mit dem Hinweis auf die zwischen Antezedens und Anaphora liegende Zahl der Wörter, Zeilen oder Seiten lösen kann, aber bei der man doch tendenziell die Antwort in dieser Richtung suchen muß. Wichtig ist, daß kontextuelle Information in beiden Richtungen (anaphorisch und kataphorisch) gegeben sein kann. Situationelles Wissen ist die Kommunikationssituation betreffendes Wahrnehmungswissen, und zwar nicht nur in Bezug auf die besprochenen Gegenstände, sondern in Bezug auf alle Gegenstände und Geschehnisse, die wahrgenommen, d.h. gesehen, gehört, gerochen und gefühlt werden können. Und dies umfaßt natürlich auch die Wahrnehmung der Kommunikationspartner und ihrer Persönlichkeit, was dann wiederum den richtigen Zugang zum benötigten spezifischen, generischen oder episodischen Wissen erleichtert. 2.5.3

Rahmen

In verschiedenen Forschungsbereichen werden seit den siebziger Jahren verstärkt Wissensmodelle diskutiert, die vor allem im Hinblick auf Verstehensprozesse entworfen wurden (vgl. dazu Heringer 1984b, Auer 1986). Scripts (Schank/Abelson 1977) beschreiben konventionalisierte Handlungs- und Ereignisabläufe als Standardfolgen. So umfaßt ein Script Ins Restaurant gehen das Wissen, daß man in einem Restaurant von einem Kellner bedient wird, eine Speisekarte bekommt, nach dem Essen die Rechnung bezahlt etc. Dabei werden natürlich nicht spezifische Einzelgegenstände erfaßt, sondern Typen, die im Rahmen des Scripts eindeutig bestimmt sind. Frames (Minsky 1977) gelten als mehr "objektorientiert" (Quasthoff) oder "statisch" (Heringer) und setzen sog. "Default"-Annahmen voraus, mit denen prototypische Verhältnisse so lange unterstellt werden, bis sie durch neue Informationen revidiert werden müssen. Schemata umfassen sowohl scripts als auch frames und können am besten als "situativ revidierbare, dynamische Strukturen" (Auer 1986:25) verstanden werden, die nicht ein für allemal gegeben sind, sondern auch im Zusammenhang einer Interaktion variiert werden können. Wichtig sind dabei die Verfahren der Kontextualisierung (vgl. Gumperz 1982:130ff. und Auer 1986:24ff.). Die Teilnehmer an einer Interaktion konstituieren Kontext, indem sie über Kontextualisierungshinweise ("contextualization cues") Schemata aus dem Hintergrundwissen verfügbar machen.

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Wir wollen für unsere weitere Untersuchung folgende terminologische Festlegungen treffen: Mit "Rahmen" wollen wir Hilfsmittel bezeichnen, die Sprecher und Hörer bei der Bestimmung von Referenten zur Verfügung stehen. Solche Rahmen können kontextuell oder situationell gezogen werden (der relevante Kontext bzw. der relevante Situationsausschnitt) oder im Dauerwissen gespeichert sein. Der Begriff Rahmen macht deutlich, daß definite Referenz ohne Koordinatensystem nicht möglich ist: es geht darum, mögliche Referenten einzurahmen und über Rahmen zu binden. Analog zu unseren verschiedenen Wissensarten unterscheiden wir episodische Rahmen (z.B. ruft ein bestimmter Ort eine Assoziation an ein bestimmtes Ereignis hervor, das spezifische Referenten umfaßt), spezifische Rahmen (wie München: das Patentamt; oder Fritz: sein Hund), mit denen spezifisches Wissen über spezifische Referenten gespeichert werden kann und generische Rahmen, die Typen als Referenten enthalten und schematisch organisiert sind. Nur diese Rahmen, die Typen enthalten, sollen im folgenden als Scripts, Frames oder Schemata bezeichnet werden. Was die Artikelverwendung betrifft, soll im nächsten Kapitel der Zusammenhang zwischen Artikelverwendung und Mobilisierung von Wissen näher untersucht werden. Vorerst wollen wir unsere Vorstellung von Rahmen- und Referentenbestimmung noch genauer von Hawkins' Lokalisierungsmodell abgrenzen. 2.5.4

Hawkins: Rahmenwissen

Hawkins (1978; 1984) betont, daß bei Verwendung des Definitartikels eine Identifizierung des Referenten nicht immer nötig sei, und leitet daraus ab, daß' nur seine Lokalisierungstheorie alle Verwendungen des Definitartikels erklären könne. Hawkins versucht dann zu zeigen, daß nur gemeinsames Wissen über die pragmatische Menge (pragmatic set), in der der gesuchte Referent zu lokalisieren ist, für S und H immer erforderlich ist, aber kein spezifisches Wissen über den Referenten. Zwar gebe es auch Verwendungen, bei denen spezifisches Wissen verlangt wird, aber das Entscheidende sei, daß nur das erforderliche Rahmenwissen (Wissen über pragmatic sets) der Bedeutung des Definitartikels inhärent sei. D.h., daß das Wissen über die Einzigkeit eines Gegenstandes in einem gemeinsamen Rahmen ausreichend für die Referentenbestimmung sei. Für einen großen Teil der Verwendungen des Definitartikels im Deutschen ist die Darstellung von Hawkins zutreffend. Aber sie betrifft eben nur die Verwendungen, bei denen generische Rahmen aktiviert werden. So ist bei (31) das Wissen, daß auf einer Hochzeit normal nur eine betroffene Braut anwesend ist, genügend, um den Referenten zu bestimmen. Aber dies gilt nicht für alle Rahmen. In (32) ist spezifisches Wissen über den möglichen Referenten wichtig, um die Referenz zu sichern. "Der Hund" kann zuerst mal sowohl einen Hund im vorbeifahrenden Auto, als auch einen Hund im betreffenden Haus denotieren, wie Kitis (1987:93) zurecht hervorhebt. Ein allgemeiner Rahmen Auto mit einem uniken Element Hund bietet sich aber kaum an, weshalb Hawkins den Satz für fragwürdig hält. Ein generischer Rahmen Haus mit einem uniken Element Hund ist aber sehr wohl vorstellbar. Nur kann spezifisches Wissen über das betreffende Haus und den Sprecher diese Interpretation ausschalten, wenn nämlich der Sprecher keinen Hund besitzt. Nun mag man das noch als spezifisches Rahmenwissen ansehen, ohne daß spezifisches Wissen über den Referenten notwendig ist. Sollte H aber wissen, daß S einen Hund besitzt, dieser Hund aber zur Äußerungszeit mit einem Sohn bei Bekannten ist, so

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wäre die über den generischen Rahmen mögliche Interpretation ausgeschlossen. Es gilt also, prinzipiell festzuhalten, daß bei nicht-generischen Rahmen sehr wohl Wissen über die möglichen Referenten erforderlich ist, da diese Rahmen eben nicht einfach Typen als Elemente enthalten, sondern auf spezifische Gegenstände bezogen sind. Außerdem gibt es Rahmen, die nicht im Dauerwissen gespeichert sind, sondern beim Kommunikationsakt gezogen werden und eine enge, direkte Identifizierung verlangen. Beim Zeigen mit dem Finger dient der gezogene Rahmen nur dieser direkten Identifizierung, und bei anaphorischen, koreferentiellen Verwendungen wird ein Antezedens eindeutig identifiziert. Alle diese Rahmen gleichzusetzen, scheint mir nicht sinnvoll. Natürlich ist es richtig, wie Hawkins bemerkt, daß Einzigkeit nur innerhalb einer pragmatischen Begrenzung einen Sinn macht, aber deshalb ist es noch lange nicht richtig, die Unterschiede bei dieser Begrenzung einfach als nebensächlich abzutun, d.h. als nur für die einzelne Deutung der NP, aber nicht für die Bedeutung des Definitartikels relevant. Welche Unterschiede zwischen den einzelnen Rahmen bei den üblicherweise unterschiedenen Verwendungsweisen nun tatsächlich relevant sind, werden wir im folgenden Kapitel klären. 2.5.5

Ebert: Reflexion der Kommunikationssituation

Ebert (1971a:166) bezeichnet den Artikel im Föhring (Friesischer Dialekt) als "Indikator [...] für die Art und Weise wie die Referenz hergestellt werden soll." Die Hinweise, die der Artikel dem Hörer gibt, seien jedoch nur selten "desambiguierend und notwendig" für die Bestimmung des Referenten. Die Informationen, die der Artikel dem Linguisten oder einem tatsächlichen Hörer liefere, seien "vornehmlich extrakommunikativer Art." (S.167). Die Artikel zählten "zu einer Metasprache für die Einordnung von Äußerungen in die Sprechsituation." In den Artikeln manifestiere sich "ein 'metasprachliches Begleitbewußtsein', eine ständige Reflexion der Kommunikationssituation." Bei den Hörervoraussetzungen für die Verwendung der Definitartikel im Föhring unterscheidet Ebert (S.176ff.) zwischen sprechaktunabhängigem -Wissen, nämlich lexikalischem und enzyklopädischem Wissen, und sprechaktspezifischem B-Wissen, das für einen nicht am Kommunikationsvorgang beteiligten Beobachter entweder 1) nicht rekonstruierbar oder 2) rekonstruierbar sei. An A-Wissen könne nur mit dem -Artikel, an B2-Wissen nur mit dem D-Artikel angeknüpft werden. An B l-Wissen dagegen könne mit dem A- oder D-Artikel angeschlossen werden. Ohne die für die Dialektverwendung relevante Einteilung von Ebert zu übernehmen, scheint mir doch in ihrer Vorgehensweise der günstigste Zugang zum Verständnis der Artikelwörter zu liegen. Die defini.ten Artikelwörter geben nach meiner vorläufigen Hypothese Hinweise auf die Art des gemeinsamen Wissens, das nötig ist, um einen Referenten kommunikativ zu bestimmen. Die nicht-definiten Artikelwörter, wie der Indefinitartikel ein, dienen der Quantifizierung. Ich lehne also erstens die Auffassung ab, daß es wesentlich vom gemeinsamen Wissen von S und H abhänge, ob der Definit- oder der Indefinitartikel verwendet werde, also zwischen beiden Artikeln eine Art Oppositionsverhältnis bestehe. Zweitens verzichte ich auf die schablonenhafte Art der Zuordnung der Artikelwörter zu bestimmten Wissensvoraussetzungen wie bei Ebert. Das relevante gemeinsame Wissen steht nicht einfach fest, sondern muß erst koordiniert werden. Und die Artikelwörter sind nicht die einzige Möglichkeit, um das gemeinsame Wissen zu koordinieren. Deshalb sind Formulierungen, daß an eine bestimmte Wissensart nur mit dem einen Artikel und an

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eine andere Wissensart nur mit dem anderen Artikel angeknüpft werden könne, desorientierend. Wenn Kontext, Konsituation oder Konvention genügend Hinweise enthalten, um das gemeinsame Wissen zu koordinieren, können durchaus unterschiedliche Artikelwörter eingesetzt werden. Insofern gibt es eine mehr negative Bedingung für den Einsatz der Artikelwörter: Artikelwörter, die den Hörer auf eine falsche Fährte locken, dürfen nicht eingesetzt werden. Der Einwand von Gruse (1980:314) und Klein (1980:153) gegen Hawkins, daß der Sprecher nur dann auf den Indefinitartikel zurückgreife, wenn er den Definitartikel nicht verwenden könne, weist in diese Richtung. Der Einsatz eines Artikelwortes rechtfertigt sich also nicht einfach mit der Bedeutung dieses Artikels, sondern auch mit der zu erwartenden Deutung durch den Hörer. Dabei spielt der Kontrast zu anderen Artikelwörtern eine wichtige Rolle. Nicht nur die Bedeutung des verwendeten Artikelwortes ist wichtig für die Deutung durch den Hörer, sondern ebenso die Nichtverwendung anderer Artikelwörter. Daß der Sprecher ein Artikelwort vorzieht, heißt also noch nicht, daß es das einzig mögliche ist, sondern nur, daß es die Deutung im Vergleich zu anderen Artikelwörtern zumindest nicht erschwert.

2.6

Zusammenfassung

Der Schwerpunkt lag bisher auf der Untersuchung der definiten Referenz. Diese Schwerpunktlegung ist gerechtfertigt, da die Funktionen der untersuchten Artikelwörter — mit Ausnahme des Indefinitartikels — nur über ein klares Konzept definiter Referenz erfaßbar sind. Sogar die Funktion des Indefinitartikels kann so deutlicher erhellt werden. Definite Referenz wird von mir als kooperative Handlung von Sprecher und Hörer verstanden, bei der es darum geht, durch Koordinierung des gemeinsamen Wissens von S und H die gemeinsame Bestimmtheit von Gegenständen zu sichern. Die hörerunabhängigen Intentionen des Sprechers dürfen dabei nicht mit der S-H-abhängigen Referenzhandlung verwechselt werden. Spezifische Intentionen sind über ein raum-zeitliches Koordinatensystem prinzipiell erfaßbar. Dagegen ist die gemeinsame Bestimmtheit von Gegenständen nur über gemeinsame Wissensrahmen zu sichern. Zu unterscheiden sind dabei situatives und kontextuelles Laufwissen und episodisches sowie spezifisches und generisches Dauerwissen. Ein Gegenstand gilt dabei prinzipiell solange als bestimmt, so lange diese Bestimmtheit nicht in Frage gestellt wird. Die gemeinsame Bestimmtheit ist also immer nur vorläufig unterstellt. Die Kooperation von Sprecher und Hörer ist unabdingbar permanent. Einen festen Grund für die gemeinsame Bestimmtheit von Gegenständen außerhalb der Kommunikation gibt es nicht.

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3

Artikelwörter im Deutschen: Koordinatoren definiter Referenz und Quantoren

Ich werde im folgenden exemplarisch das Funktionsgefüge der Artikelwörter im Deutschen untersuchen. Dabei stehen auf der einen Seite Koordinatoren definiter Referenz (Referenzkoordinatoren) und auf der anderen Seite Quantoren. Als Beispiel für Referenzkoordinatoren dienen der Definitartikel der, der Demonstrativartikel dieser, der Possessivartikel sein (mein etc.) und der Totalitätsartikel alle. Als Beispiel für Quantoren wird der Indefinitartikel ein zugrundegelegt. In einem Exkurs gehe ich zusätzlich auf artikellose NPs ein. Ein kontrastiver Überblick über partikuläre Verwendungen der genannten Artikelwörter schließt meine Untersuchung ab. Im Kapitel 4 diskutiere ich dann gesondert Artikelverwendungen in generisch verwendeten/gedeuteten Sätzen.

3.1

Der Definitartikel als Signal für "En-passant-Referenz"1

3.1.1

Vorüberlegungen

Zwei Überlegungen führen vorerst zu einer neuen Sicht des Definitartikels: 1. Die Koordination des Sprecher- und Hörerwissens, d.h. der "gemeinsamen Unterstellungen" (Habermas 1981) von Sprecher und Hörer, darf nicht zu umfangreich ausfallen, da die Klarstellung dessen, worüber ich etwas aussagen will, ja immer nur einen Teil einer Äußerung ausmacht. Definite Beschreibungen sollten daher möglichst knapp gehalten sein. Das Prinzip der Ökonomie verlangt eine Abkürzung von umständlichen Querverweisen und Umschreibungen: Ohne lange Rede soll für den Hörer klargestellt sein, worüber gesprochen wird. Eigennamen sind ein ideales Mittel dazu. Sie funktionieren bei eingespielten Kommunikationspartnern ohne größere Probleme bei der Referentenbestimmung. Referenzfixierungen sind nicht auf Eigennamen beschränkt, aber es muß die Möglichkeit geben, ohne solche Fixierungen die Koordination der gemeinsamen Unterstellungen zu sichern. Dazu muß die Koordination thematisiert werden. Der Thematisierung der Koordination des gemeinsamen Wissens dienen die Referenzkoordinatoren. 2. Die Referenzkoordinatoren übernehmen unterschiedliche Koordinationsaufgaben. Der ohne Kommunikationsstörung und ohne wesentliche Änderung des kommunikativen Effektes mögliche Einsatz des Definitartikels bei vielen normalerweise artikellos verwendeten Eigennamen läßt vermuten, daß der Definitartikel in Fällen problemloser Wissenskoordination verwendet werden kann. Als typischer Fall könnten die abstrakt-situativen Verwendungen gelten, bei denen es durch entsprechende Schemaeinordnungen zu einer problemlosen Referentenbestimmung kommt. 3.1.2

Verwendungsweisen des Definitartikels

Im folgenden sollen diese zwei Thesen anhand der bei Vater und Hawkins beschriebenen Verwendungsweisen für den Definitartikel näher erläutert und überprüft werden. Vater (1984abc) unterscheidet im Anschluß an Hawkins (1978) anaphorische (anaphoric uses), assoziativ-anaphorische (associative-anaphoric uses), deiktische (visible situation uses), a

Der Begriff "en-passant" für problemloses Referieren findet eich bei Auer (1981). Dort ist auch die Rede davon, daß die Referenz "unproblematisch" verlaufe.

51 unmittelbar-situative (immediate situation uses) und abstrakt-situative (larger situation uses) Verwendungen 1. Anaphorische und Kataphorische Verwendungen Wir beginnen mit einigen Beispielen sogenannter anaphorischer Referenz oder Koreferenz, bei denen es um die Wiederaufnahme einer Antezedens-NP mit Indefinitartikel durch eine NP mit Definitartikel geht. Unsere Beispiele umfassen wie üblich (vgl. Vater 1984 ab, Grimm 1983, Zhou 1985) anaphorische NPs mit gleichem Nomen wie die Antezedens-NP, referenzidentische Nomen (nicht nur Synonyme), teilreferenzidentische NPs und schließlich Nominalisierungen, denen kein nominales Antezedens vorausgeht. (1) In meinem Zimmer steht ein Stuhl. Und auf dem Stuhl liegt deine Brieftasche. (2) Wir hatten ein fürchterliches Hotelzimmer. Und das Loch hatte uns unser Reisebüro als komfortabel beschrieben. (3)

Tausende von Bienen umschwirrten den Baum. Nach einer Stunde entfernte sich der Schwärm. Nur einige Bienen blieben zurück.

(4) Ich bin gestern nach München gefahren. Die Fahrt dauerte 2 Stunden. Üblicherweise werden Beispiele wie (1) bis (3) so behandelt, daß die Funktion der indefiniten NP als die der Einführung eines Referenten angesehen wird. Die Funktion der definiten NP im Nachfolgesatz ist dann die Wiederaufnahme bzw. der Rückverweis auf die vorhergehende NP. Anders ausgedrückt: mit beiden NPs wird auf den gleichen Referenten verwiesen. Eine derartige Interpretation scheitert natürlich bei (4), da mit dem Vor-Satz keine Referenz auf eine Fahrt verbunden ist. Aber auch bei den Sätzen (1) bis (3) scheint mir die traditionelle Interpretation nicht ausreichend zu sein. Insbesondere bei (3) zeigt sich, daß die nähere Bestimmung des Referenten erst nach der definiten NP erfolgt und eine totalisierende Referenzidentität ausschließt. Allgemein ist bei der Verwendung der vorausgehenden indefiniten NP der Referent nur für den Sprecher bestimmt, während er bei der definiten NP für Sprecher und Hörer bestimmt ist. Ganz abgesehen von Fällen der Verwendung indefiniter NPs in fiktiven Texten ("Es war einmal ein König"), bei denen man auch beim Sprecher keinerlei referentielle Bestimmtheit voraussetzen muß. Nach Wimmer (1979:157f.) schafft sich ein Sprecher mit der Verwendung indefiniter NPs wie in unseren Beispielen "die Möglichkeit, bestimmte Gegenstände in die Gegenstandswelt seines Textes einzuführen; er bildet beschreibend einen Hintergrund aus, der als Folie für eine nähere referentielle Bestimmung von Gegenständen dienen kann." Die Einführung eines Gegenstandes erfolge erst "im Zusammenspiel mit anaphorischen Wiederaufnahmen." (S. 158). Ich halte die Feststellung von Wimmer für nicht weitgehend bzw. präzise genug. Beispiele wie (4) zeigen, daß es um mehr geht. Der Sprecher muß die vorgesehene definite NP so gestalten, daß die Referenz für den Hörer nachvollziehbar ist. Ist die in der definiten NP enthaltene Beschreibung alleine nicht ausreichend, so muß der Hörer auf das gemeinsame Wissen von Sprecher und Hörer zurückgreifen können. Der beiden gemeinsame Kontext, der die definite NP umgibt, ist ein möglicher Informationslieferant. Es geht also bei den Antezedens-NPs oder VPs nicht um die Einführung eines neuen Referenten, sondern um vorausgehende zusätzliche Beschreibungen eines später für S und H mit einer definiten NP beschriebenen Referenten, also eigentlich um die Hinführung zu einem kommunikativ

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bestimmten Referenten. Ob dabei der Referent der definiten NP schon einmal mit einer indefiniten NP vom Sprecher gemeint war oder nicht, spielt nicht die entscheidende Rolle. Genausowenig kommt es auf den Umfang und die Präzision der Beschreibung an. (5) Es war einmal ein Auto. Das Auto hatte rote Ohren. Das Auto, um das es sich handelt, ist das, das einmal war. Die bloße Existenzbehauptung ist in rein fiktiven Texten also hinreichend, um die kommunikative Bestimmtheit zu sichern. Nun fällt auf, daß in den Beispielsätzen (1) bis (5) der Demonstrativartikel dieser ohne Änderung des kommunikativen Wertes eingesetzt werden kann. Offensichtlich wird also die Bestimmtheit über weitere im Prätext liegende Beschreibungen nicht speziell durch den Defmitartikel gesichert. (1) bis (5) sind nur sinnvoll verständlich, wenn der Prätext zur näheren Beschreibung der mit den definiten NPs denotierten Gegenständen dient. Das grundlegende Verstehensprinzip der Textkohärenz läßt keine andere Möglichkeit zu. Insofern ist die Koordination der Referenz für S und H problemlos. Der Kontext läßt nur eine kohärente Interpretation zu. Ein besonderer Verweis auf kontextuelles Wissen ist nicht erforderlich; denn ohne den Prätext ist nicht zu klären, worauf S mit der definiten NP referieren könnte, wenn die Kohärenz des Textes erhalten werden soll. Dieselben Überlegungen gelten für kataphorische Verwendungen wie in (6) und (7): (6) Das Auto, das ich gestern gekauft habe, ist schon kaputt. (7) Ich habe jetzt das Buch gelesen. Du weißt schon welches, deine Freundin hat es mir empfohlen. Erst der Posttext ermöglicht H die Bestimmung des Referenten. Ohne die Einbeziehung des Posttextes steht H vor einem Rätsel. Insofern ist ein besonderer Verweis auf den Kontext nicht nötig. Auch der Demonstrativartikel würde bei kataphorischen Verwendungen nicht primär dem Verweis auf den Kontext, sondern auf episodisches Wissen dienen, das durch den Posttext zugänglich wird. Die Referenz kann also bei (6) und (7) problemlos vollzogen werden. Der Definitartikel kann genau deshalb zum Einsatz kommen. Und im Falle der anaphorischen und kataphorischen Verwendungen ist die Problemlosigkeit der Referenz eine Folge der besonderen kontextuellen Bedingungen, die nur eine textkohärente Interpretation zulassen. (Vgl. auch 3.2.6) Bei (8) wäre der Demonstrativartikel nicht ohne weiteres möglich, da der Kontext nicht dazu dient, die Referenz auf einen spezifischen Referenten zu sichern, sondern über allgemeines Wissen eine attributive Referenz klarzustellen. (8) Mit der Frau, die als nächste hereinkommt, tanze ich. Die nächste Person ist in einem gegebenen Rahmen immer kommunikativ bestimmt, auch wenn erst die Zukunft erweisen wird, wer es spezifisch ist. Alle Superlative garantieren genauso über unser allgemeines Sprachwissen die problemlose Bestimmung des Referenten. Ein besonderer Verweis auf den Kontext wäre in solchen Fällen sogar störend. 2. Assoziativ-anaphorische Verwendungen2 2

Um die Bestimmtheit zu sichern, muß der Hörer die richtigen Brücken zum kontextuellen Wissen schlagen. H. H. Clark 1977 hat eine Taxonomie solcher Brücken vorgeschlagen. Neben Brücken bei sog. direkter Referenz (Identität, Pronominalisierung, Epitheta und Mengenzugehörigkeit), die relativ problemlos sind,

53 Assoziativ-anaphorische Verwendungen verlangen die Bestimmung eines Antezedens, zu dem Brücken nur über Dauerwissen geschlagen werden können. Dies kann über allgemein verfügbare Rahmen (frames oder scripts) geschehen oder über nur im episodischen oder spezifischen Wissen gespeicherte Rahmen, die oft nur den Kommunikationsteilnehmern zugänglich sind. (9) Nachdem Klaus das Haus betreten hatte, ging er sofort in die Küche. (10) Otto konnte nicht kommen, weil er noch den Hund versorgen mußte. (11) Als ich vorgestern in München war, habe ich den Hund wiedergesehen. (12) Ich wollte damals einen Nagel in die Wand schlagen und habe mir dabei mit dem Hammer auf den Finger geklopft. Der Hörer von (9) wird die im Prätext gelieferten Element miteinbeziehen, die ihm bei der Bestimmung des Referenten von "die Küche" helfen können. Häuser haben Küchen, Einfamilienhäuser haben normalerweise eine Küche bzw. Wohnungen haben eine Küche, deshalb ist die Lokalisierung des Referenten in dem Haus, das Klaus betreten hatte, nicht nur eine mögliche Lösung, sondern die am problemlosesten zu verwirklichende. Das Verständnis ist gesichert, die Kohärenz der gesamten Aussage ist gegeben. Welche Küche der Sprecher in dem in Frage kommenden Haus nun spezifisch meint, wird durch das aktivierte Schema Haus nicht geklärt. Solche Schemata sind am leichtesten und allgemeinsten verfügbar, da sie auf eine sehr allgemeine gemeinsame Kommunikationsgeschichte zurückgreifen, die alle Sprecher einer Sprache und Teilhaber an einer Kultur normalerweise teilen, sofern man von einer annähernd gleichen Grundsozialisierung von Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft ausgehen kann. Bei (10) kann schematisches Wissen nur zur ungefähren Orientierung dienen. H braucht zusätzliches Wissen. Natürlich kann H aus dem Kontext entnehmen, daß der Hund irgendetwas mit Otto zu tun hat. Aber erst spezifisches Wissen über Otto präzisiert, welche Position das Element Hund im Rahmen Otto einnimmt: Es ist der Hund von Otto. Und nur wenn S und H dieses spezifische Rahmenwissen teilen, ist die Referentenbestimmung gesichert. Spezifische Rahmen sind also da wichtig, wo generische Rahmen die möglichen Referenten nicht selbstverständlich enthalten. Nicht alle Menschen haben Hunde. Bei (11) nehmen wir an, daß auch Rahmen spezifischer Art versagen. Wenn eine deiktische Verwendungsweise auch nicht in Frage kommt, dann ist die einzige Lösung die, von einem im gemeinsamen episodischen Wissen verankerten spezifischen Hund auszugehen, der als Referent von "den Hund" dienen könnte und im gemeinsamen episodischen Rahmen Aufenthalt in München als unikes spezifisches Element enthalten ist. Der Definitartikel ist nur deshalb gerechtfertigt, weil im speziellen Fall von S ein generischer oder spezifischer Rahmen München mit einem uniken Element Hund nicht in Frage kommt und wir unterstellen, daß S nach dem gemeinsamen Wissen von S und H keinen eigenen Hund besitzt, der als spezifischer Referent in Frage kommen könnte (bzw. das H keinen eigenen Hund besitzt). So ist die Problemlosigkeit der Referenz aufgrund des gemeinsamen Wissen von S und H gesichert. untersucht Clark Brücken bei sog. indirekter Referenz durch Assoziation oder durch Charakterisierung. Diese indirekte Referenz entspricht in etwa den schon erwähnten assoziativen Anaphora und setzt wie diese allgemeines Wissen voraus, das nicht nur semantisches, sondern auch pragmatisches Wissen umfaßt.

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Bei (12) enthält das Skript Einen Nagel in die Wand schlagen auch die Elemente Hammer und Finger. Allerdings ist die im Skriptwissen enthaltene Elementzahl bei Finger größer als l, insofern ist nur der Referent von "mit dem Hammer" eindeutig durch das Skriptwissen bestimmt. Dabei genügt es, daß für S und H dieser Referent als der Hammer, der verwendet wurde, bestimmt ist. Anders liegt der Fall bei "auf den Finger". Wenn wir die 5 Finger der den Hammer haltenden Hand ausschließen, stehen immer noch 5 Finger zur Wahl. Da aber die Zahl der Finger überschaubar ist, und zudem der dem Nagel nächstliegende Finger (wohl der Zeigefinger) als wahrscheinlichster Referent in Frage kommt, ist die Bestimmtheit des Referenten problemlos gegeben. Da außerdem auch noch auf den direkt am Nagel liegenden Daumen normalerweise mit der Beschreibung "Daumen" referiert wird, ist auch diese Alternative auszuschließen. Es geht also bei der Bestimmtheit der Referenten nicht darum, daß nur einer quasi-objektiv der verwendeten Beschreibung entspricht, sondern daß die verwendete Beschreibung hinreichend ist, um den für S und H normalerweise einzig wahrscheinlichen Referenten zu bestimmen. S muß nicht einmal mehr wissen, um welchen Finger es sich wirklich gehandelt hat, es könnte durchaus auch der Ringfinger gewesen sein, aber wenn dies aufgrund von Irrelevanz nicht mehr im Wissen von S verankert wäre, würde es natürlich auch keine Rolle im gemeinsamen Wissen spielen. Sollte H sich aber zufälligerweise an den Fall erinnern und S darauf hinweisen, daß es sich um den Ringfinger gehandelt habe, so ändert das an der Ausgangslage nichts. Wenn S mit "auf den Finger" referiert, will er ja nicht spezifizierend auf den Ringfinger, kleinen Finger oder Zeigefinger bezugnehmen, sondern schlicht und einfach auf den Finger, der normalerweise in Frage kommt. Und diese Referenz ist unproblematisch aufgrund der Wahrscheinlichkeit, daß der Zeigefinger gemeint ist und der offensichtlichen Irrelevanz einer Fehlinterpretation. Man könnte auch sagen, daß zusätzlich ein Skript Sich auf den Finger schlagen vorliegt, in dem nur ein uniker Typ Finger und kein Verweis auf einen spezifischen Finger enthalten ist. 3. Deiktische und unmittelbar-situative Verwendungen Wir wollen nun Beispiele betrachten, bei denen das kontextuelle Laufwissen in den Hintergrund gedrängt wird gegenüber situationellem Laufwissen. Weitere Untergliederungen betreffen die Art der Inanspruchnahme von Dauerwissen. Bei den rein deiktischen Verwendungen (visible situation uses) spielt das Dauerwissen nur insofern eine Rolle, als es zum Verständnis der Wortbedeutungen gebraucht wird, bei den unmittelbar-situativen (immediate situation) und den abstrakt-situativen Verwendungen (larger situation uses) ist Dauerwissen unverzichtbar. Mit dieser Unterscheidung widersprechen wir Hawkins 1978, der die rein deiktischen Verwendungen in den "immediate situation use" eingliedert, da in beiden Fällen der Hörer angewiesen werde, den Referenten in der Äußerungssituation zu lokalisieren (S.114f.) und weder allgemeines noch spezifisches Wissen (in unserer Terminologie weder generisches oder spezifisches noch episodisches Wissen) benötige (S.120f.). Wir wollen unsere Auffassung anhand der folgenden Beispiele erläutern. (13) Das Buch gehört mir! (Das Buch liegt vor S und H auf dem Tisch.) (14) Mach bitte die Tür zu! (H betritt durch die offene Tür das Zimmer von S.) (15) Kann ich bitte den Salzstreuer haben? (S und H sind beim Essen) Bei (13) liegt eine rein deiktische Verwendung vor, wenn z.B. S und H beide auf ein Buch blicken, von dem bisher nicht die Rede war, aber S vielleicht meint, daß H das im

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Blick der beiden liegende Buch an sich nehmen will, und H die Aufmerksamkeit von S bemerkt. Stehendes Rahmenwissen ist nur insofern erforderlich, als es um eine negative Rahmenauswertung geht. Es liegt keine Dauerrahmen vor, dessen Elemente von "das Buch" betroffen wären. In der gegebenen Äußerungssituation ist die Referenz aber völlig problemlos, sofern S und H gegenseitig davon ausgehen können, daß sie dasselbe Buch betrachten. Eine zusätzliche Zeiggeste ist nicht erforderlich, aber möglich. Wichtig ist, daß das von den Blicken von S und H erfaßte Buch als bewußtseinspräsentestes Element eine problemlose Referenzkoordination ermöglicht, da der situative Rahmen eindeutig ist. Natürlich könnte bei (13) auch eine andere, nicht-deiktische Interpretation möglich sein, wenn wir die Äußerungssituation ein wenig anders annehmen. Aber wir wollen den Einfluß von besonderem Dauerwissen hier einmal ausschließen. Bei (14) tun wir uns mit einer solchen Trennung schwerer. Einerseits ist die Tür für S und H sichtbar, andererseits ist diese Sichtbarkeit keine Voraussetzung für die Bestimmung des Referenten, denn im Rahmen Zimmer ist das Element Tür als Typ eindeutig enthalten. Nur wenn zwei Türen im betreffenden Zimmer offen wären, würde die deiktische Interpretation relevant. Der Hörer muß also den in der entsprechenden Situation angemessenen Rahmen wählen, um den S-intendierten Referenten zu bestimmen. Die Wahl setzt von beiden Kommunikationsteilnehmern Kooperations-bereitschaft voraus. Und das heißt, H kann erwarten, daß S das Element Tür meint, das in der gegebenen Situation erfaßbar ist. In diesem Fall wäre bei zwei offenen Türen die Tür zu wählen, durch die H gekommen ist, da dies die naheliegendste Interpretation wäre. Die Tür wäre durch den Rahmen Ein Zimmer betreten eindeutig identifiziert. Daß die Bestimmtheit durch Dauerwissen, auch bei scheinbar deiktischer Verwendung gesichert werden kann, zeigt sich noch deutlicher bei (15). Selbst wenn zwei oder drei Salzstreuer für alle sichtbar auf dem Tisch stehen, ist der Definitartikel brauchbar, ohne daß durch eindeutiges Zeigen einer hervorgehoben werden müßte, da das Skript essen auch ein Element Salzstreuer umfaßt. Mit "den Salzstreuer" würde so auf den Salzstreuer referiert, der eben beim Essen immer auf dem Tisch steht. Eine Spezifizierung ist nicht relevant. Das Beispiel zeigt auch, daß Meinen eben nur "irgendwie" die Grundlage von Referieren ist. Denn welchen Gegenstand hat S gemeint? Den Typ? Gewollt hat er einen Salzstreuer, der auf dem Tisch steht. Aber welchen er mit "den Salzstreuer" gemeint hat, wird er selbst nicht wissen.3 Anders liegt der Fall bei (16): (16) Der Salzstreuer gehört mir. Wenn jetzt nicht gesichert ist, daß nur ein Salzstreuer auf dem Tisch steht, wäre die Referenz ohne zusätzliches demonstratives Zeigen auf den gemeinten Salzstreuer oder zumindest gemeinsames Erfassen des Salzstreuers durch Blickkontakte nicht nachvollziehbar. (17) Paß bitte auf den Tisch auf! (S zum durch das Zimmer gehenden H) (18) Vorsicht vor dem Hund] (19) Füttern Sie die Schlange nicht! (Aufschrift an einem Glaskäfig) 3

Diese Metakommunikation ist im Normalfall auch überflüssig, da es genügt, daß S meint, was er sagt — und was er sagt, ist hier für H unproblematisch.

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Hawkins meint, daß in solchen Fällen weder Sichtbarkeit des intendierten Referenten noch spezifisches oder allgemeines Wissen erforderlich sei. Bei (17) könnte der Hörer blind sein, aber trotzdem wissen, daß er auf einen Tisch vor ihm im Zimmer aufpassen soll. Was Hawkins vernachlässigt, ist, daß H über sein Schemawissen den Referenten klar bestimmen kann, denn das Schema Zimmer umfaßt als unikes Element den Typ Tisch. Bei (17) und (18) ist zwar Sichtbarkeit ebenfalls keine Bedingung, aber ohne allgemeines Wissen geht es nicht. Das gemeinsame Wissen von S und H sichert die Referenz. In Gärten werden oft Hunde gehalten, also ist eine Aufschrift an einem Gartentor wie in (17) eindeutig auf den Hund bezogen, der in diesem Garten herumläuft. In Glaskäfigen im Schlangenhaus des Tierparks erwartet H Schlangen. Die Art des Aufklebers ist ihm auch vertraut, so daß er sie auf den Inhalt des Glaskäfigs bezieht. Aber eben dieses allgemeine Weltwissen wird ihn davon abhalten, bei einem Aufkleber wie (20) Ein Klinikbett für den Sozialministerl Norbert Blüm im Glaskäfig zu suchen. 4- Abstrakt-situative Verwendungen Der typischste Fall problemloser Referenz tritt bei den abstrakt-situativen Verwendungen auf, da sie trotz fehlender kontextueller Bezüge oder deiktischer Hinweise mit einer dem Ökonomieprinzip verpflichteten minimalen Beschreibung auskommen. Nach Hawkins (1978:115f.) können die Einwohner eines Dorfes von "the church" oder "the pub" reden und damit auf die Kirche bzw. das Wirtshaus des Dorfes referieren, ohne daß diese Gegenstände für die Kommunikationsteilnehmer während der Äußerung sichtbar sein müßten. Genauso können zwei Engländer, die sich vorher nie getroffen haben, "the Prime Minister" und "the Queen" verwenden, und jeder Erdbewohner kann mit "the sun" und "the moon" auf unsere Sonne und unseren Mond bezugnehmen, ohne daß Kommunikationsprobleme auftreten. Nach Hawkins spricht der Sprecher in diesen Fällen das Wissen des Hörers über Entitäten an, die im Rahmen der nicht-unmittelbaren weiteren Äußerungssituation (larger situation of utterance) existieren. Diese "larger situations" können von unterschiedlicher Größe sein, und ihr Orientierungspunkt ist oft die unmittelbare Sprechsituation. Aber wenn z.B. ein Engländer in einem fremden Land mit "the Prime Minister" im Gespräch mit einem anderen Engländer referierte, könnte nach Hawkins nur das Ursprungsland des Gesprächsteilnehmers als Orientierungspunkt dienen und nicht die unmittelbare Gesprächssituation. Der Sprecher müßte deshalb kontextuell sicherstellen, daß ein Mißverständnis nicht auftreten kann. Hawkins unterscheidet zusätzlich zwischen abstrakt-situativen Verwendungen, bei denen Sprecher und Hörer spezifisches Wissen über den/die Referenten teilen (also z.B. das spezifische Wirtshaus kennen, von dem die Rede ist) und abstrakt-situativen Verwendungen, bei denen der Hörer nur über sein generisches Wissen den in Frage kommenden Referenten bestimmen kann (kleine Dörfer haben oft nur ein Wirtshaus). Die Unterscheidung zwischen unmittelbar-situativen und abstrakt-situativen Verwendungen ist irgendwie "dubios", wie Gruse (1979:312) zurecht bemerkt. Aber vielleicht wäre es besser zu sagen, daß die scharf gezogene Grenze dubios ist, zu der Hawkins' Unterscheidung der verschiedenen Wissensvoraussetzungen der beiden Verwendungen führt. Es scheint mir eher ein fließender Übergang vorzuliegen, solange der Orientierungspunkt die unmittelbare Sprechsituation ist. Ein zusätzliches Problem tritt auf, wenn sich als weiterer Orientierungspunkt die Herkunft der Kommunikationspartner anbietet. Hier kann

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sowohl die örtliche, regionale oder nationale Herkunft, wie auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation oder Gruppe eine Rolle spielen. Bei unterschiedlicher Herkunft (Gruppenmitgliedschaft) spielt zusätzlich die Frage eine Rolle, ob der Sprecher oder der Hörer als Orientierungspunkt dienen soll. (21) Hast du schon gehört? Der Oberbürgermeister ist verhaftet worden. (22) Der Hauptbahnhof wird nächstes Jahr renoviert. (23) Die Braut soll früher in einem Nachtclub gearbeitet haben. Wenn S in Augsburg (21) äußert und H und S Augsburger sind, so dürfte H als den Referenten von "der Oberbürgermeister" den Oberbürgermeister von Augsburg bestimmen. Das präpositionale Attribut "von Augsburg" ist überflüssig, da im gemeinsamen Wissen von S und H zwar nicht unbedingt der spezifische Referent Dr. Menacher gespeichert ist, aber der generische Rahmen Großstadt das unike Element Oberbürgermeister enthält und deshalb in Augsburg bei einer Unterhaltung von zwei Augsburgern die vorgeschlagene Interpretation zuerst einmal die naheliegendste ist. Bei (22) liegt der Fall nicht anders. Wenn S und H in Augsburg miteinander sprechen und beide Augsburger sind, ist es unnötig, extra vom "Hauptbahnhof in Augsburg" oder vom "hiesigen Hauptbahnhof" zu sprechen. Der Referent läßt sich auch mit (22) mühelos bestimmen. Und bei (23) kann die Referenz ebenso en passant vollzogen werden, solange es sich nicht um eine Doppelhochzeit handelt. Der Rahmen Hochzeit, der beiden Kommunikationsteilnehmern, die auf einer Hochzeit anwesend sind, wohl bewußt ist, enthält eindeutig ein Element Braut, so daß eine exaktere Beschreibung nicht benötigt wird. Die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn unterschiedliche Orientierungspunkte mit einander konkurrieren, sind nicht mit Hilfe einer besonderen Auslegung des Defmitartikels zu lösen, sondern nur mit einer für den Hörer klareren Beschreibung bzw. dem Einsatz eines anderes Artikelwortes, z.B. des Possessivartikels. Der gültige Rahmen muß irgendwie deutlich gemacht werden. Es führt uns bei der Beschreibung der Bedeutung des Definitartikels nicht weiter, wenn wir Ebert (1971a:84) folgend davon ausgehen, daß der Hörer das dem Definitartikel folgende Nomen bei einer nicht-generischen Interpretation "auf das ihm nächstliegende bekannteste Exemplar der genannten Gattung" zu beziehen habe. Solange weder Sprechort, noch Sprecher oder Hörer prinzipiell als Bezugspunkt vorgehen, wie Ebert bei ihrer Dialektuntersuchung (1971a:84fF.) gezeigt hat, bringt uns der Hinweis auf den Grad der Proximität nicht voran. Wenn bei (21) S ein Augsburger, H ein Hamburger und der Sprechort Augsburg ist, könnte zwar nach dem Kumulationsprinzip der OB von Augsburg als Referent vorgezogen werden, aber dies hat nichts mit der Bedeutung des Definitartikels zu tun, sondern es ist als ein allgemeingültiges Interpretationsprinzip zu verstehen, daß der Referent gewählt wird, für den die meisten Argumente sprechen (vgl. Pause 1984 und Heringer 1988:41f.). 5. Hierarchie der Verwendungsweisen? Gruse (1979) stellt die These auf, daß es zwischen den verschiedenen Verwendungstypen eine hierarchische Abstufung gibt. Anaphorische bzw. anaphorisch-assoziative Verwendungen nähmen den höchsten Rang ein, gefolgt von unmittelbar-situativen und abstraktsituativen Verwendungen (S.312).

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So können wir bei einem Besuch in St. Paul's, London, folgende Äußerung hören: (24) I hear you were at York Minister last week. Did you visit the towerl Mit "the tower" wird nach Hawkins auf den Turm von York Minister referiert und nicht auf den Turm von St. Paul's. Dagegen werde — so Gruse — bei der folgenden Äußerung "the tower" vom Hörer auf den Turm von St. Paul's bezogen: (25) That's the choir over there. Have you visited the, tower yet? Im Aufenthaltsraum eines Hotels in London schließlich werde der Satz (26) Have you visited the tower yet? von einem Hörer wohl auf den Tower von London bezogen. Quasthoff (1978) stellt ein ähnliches Prinzip auf ("von innen nach außen"), nach dem der unmittelbare Kontext einer defmiten NP immer Ausgangspunkt einer Interpretation ist, die bis zum "weiten Feld des Sprecher-Hörer-Wissens" führen kann, um erfolgreich zu sein. Allerdings ergänzt Quasthoff dieses Prinzip dahingehend, daß der Hörer immer zuerst den Rahmen (die Kategorisierung) wähle, der den Referenten notwendig beinhalte (S.158). (27) Das Kind schrie. Die Schwester nahm es hoch. Da der Rahmen Krankenhaus das Element Schwester notwendig umfasse, werde dieser Rahmen gegenüber dem Rahmen Familie, der das Element Schwester nur fakultativ umfasse, vorgezogen. Sowohl Gruses als auch Quasthoffs Prinzipien sind interessant für das Verständnis allgemeiner Rezeptionsmechanismen, aber sie tragen nichts zum Verständnis der Artikelbedeutung bei. Welche Konsequenzen die Verwendung des Definitartikels wirklich hat, sollen die folgenden Beispielsätze zeigen. (28) Steuererhöhungen und Kürzungen der sozialen Ausgaben! Die Politik hat eindeutig versagt. (29) Der Neandertaler war nicht stumm. Der steinzeitliche Mensch hatte Sprechorgane. (30) Mein Freund läßt seine Kinder machen, was sie wollen. Wir sind da anders. Wir sagen den Kindern schon mal, wo's lang geht. (31) Ich war gestern im Dom. Aber ich wäre lieber nicht in die Kirche gegangen. (32) Er ist jetzt 60 Jahre alt geworden. Und er hatte schon immer Angst vor dem Alter. In (28) ziehen wir eine nicht-anaphorische Interpretation vor. "Die Politik" denotiert die Politik in der BRD im allgemeinen und nicht nur die spezielle Politik der Steuererhöhungen und Sozialausgabenkürzungen. In (29) geht es um den steinzeitlichen Menschen insgesamt, nicht nur um den Neandertaler. Bei Bezug auf das Antezedens "Neandertaler" wäre der Demonstrativartikel angebracht, um die anaphorische Referenz zu sichern. Und bei (30) geht es um die Art des anaphorischen Bezugs. Die assoziativ-anaphorische Interpretation geht vor. Der Rahmen, den "wir" entwirft, ist stärker als die mögliche Koreferenz

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von "den Kindern" und "seine Kinder". In (31) denotiert "die Kirche" nicht den Dom, sondern ist auf das unike Typelement Kirche bezogen. Christen gehen im Rahmen ihres religiösen Lebens in Kirchen. So ist der Referenz von "die Kirche" für S und H klar bestimmt als "typischer Ort des Gesprächs mit Gott" oder ähnliches. Eine spezifische Referenz auf ein materielles Einzelding ist mit "die Kirche" in (31) nicht intendiert. Ebenso geht es in (32) nicht um die anaphorische Referenz auf das Antezedens "60 Jahre" (was mit "diesem Alter" oder durch kontrastierende Betonung des Definitartikels möglich wäre), sondern um den Bezug auf den Gegenstand Alter, der im Gegensatz zum Lebensabschnitt Jugend steht und im Rahmen menschliches Einzelleben unik bestimmt ist. Der Definitartikel signalisiert also m.E. nicht, daß eine der diskutierten Verwendungsweisen vorgeht, sondern daß der Hörer das gemeinsame nicht-episodische Dauerwissen bemühen muß, um den intendierten Referenten zu bestimmen, wenn nicht die übergeordneten Prinzipien der Textkohärenz und der Situationsangemessenheit von sich aus einen bestimmten Referenten erzwingen. Daß oft eine generische Interpretation notwendig werden kann, hängt damit zusammen, daß die genannten übergeordneten Prinzipien oft keine andere Wahl lassen. Es gilt bei der weiteren Untersuchung, klar zwischen diesen allgemeinen Interpretationsprinzipien und der speziellen Funktion des Definitartikels zu unterscheiden. Die Problemlosigkeit der Referenz, d.h. der Koordination des gemeinsamen Wissens, ist also dann gegeben, wenn entweder der Kontext bzw. die Konsituation nur einen bestimmten Referenten zulassen — falls ein kohärentes und situationsangemessenes Verständnis der jeweiligen Aussage gewährleistet werden soll — oder wenn über spezifisches oder generisches Dauerwissen der jeweilige Referent automatisch bestimmt ist. Während im ersten Fall der Definitartikel stehen kann, aber auch durch den Demonstrativartikel ersetzbar ist, muß im zweiten Fall der Definitartikel stehen, um den Rückgriff auf das nicht-episodische Dauerwissen zu markieren, da Kontext und Konsituation von sich aus keine problemlose Bestimmung des intendierten Referenten ermöglichen. 3.1.3

Verschmelzungen und Vollformen

Dietrich Hartmann (1978; 1980) hat Verschmelzungen des bestimmten Artikels mit Präpositionen untersucht und ist zu Ergebnissen gekommen, die seiner Ansicht nach die Annahme von zwei Paradigmen des bestimmten Artikels im Deutschen rechtfertigen. Hartmann geht davon aus, daß die sogenannten "weak forms" des bestimmten Artikels zwar als Ausgangspunkt von Verschmelzungen anzusehen sind, daß Verschmelzungen selbst aber nicht schwach sind (1980:167ff.). Der Gebrauch von Verschmelzungen sei "nicht allein durch das Moment der artikulatorischen Erleichterung, d.h. satzphonetisch" bedingt (S.169), sondern auch morphologisch, da neben Verschmelzungen auch Vollformen auftreten. Deshalb sei zu erwarten, "daß den Unterschieden in der Form Unterschiede auf der semantischen und/oder pragmatischen Ebene entsprechen." (S.172). (Vgl. auch Kohler 1977, Schaub 1979, Haberland 1985, Dedenbach 1987, Schellinger 1988). Nach einer ersten Trennung von generischen und "spezifischen" (partikulären) Verwendungen unterscheidet Hartmann (S.170f.) fünf "spezifische" Verwendungsweisen: anaphorische, kataphorische, deiktische Verwendung sowie Verwendungen bei "Unika in Räumen der sinnlichen Wahrnehmung" und bei "Unika in sozialen Räumen". Die ersten drei werden "aus analysepraktischen Gründen" als "anaphorische und deiktische", die anderen zwei als "nicht-anaphorische, nicht-deiktische Zeigeweisen" unterschieden (S.177). "Unika in

60 sozialen Räumen" entsprechen Hawkins "larger situation uses" und "Unika in Räumen der sinnlichen Wahrnehmung" entsprechen in etwa Hawkins' "non visible immediate situation uses" bzw. "associative anaphora". Hartmann belegt nun anhand von Korpusauswertungen, daß Verschmelzungen und Vollformen nicht nur formale Varianten sind, wie Vater (1979a:87ff.) behauptet,4 und kann anschließend zusammenfassen: "Vollformen des derArtikels werden als anaphorische und deiktische Elemente im definierten Sinne verwendet, Verschmelzungen in definiten Ausdrücken vor allem in nicht-anaphorischen Gebrauchsweisen. Daher müssen unter pragmatischen Aspekten Verschmelzungen und Vollformen des Artikels in nicht-festen Verbindungen als selbständige Paradigmen angesetzt werden." (S.lSOf.). (33a) Alfred arbeitet gerne im Garten. (33b) Alfred arbeitet gerne in dem Garten. Während bei (33a) nach Hartmann sowohl eine "spezifische" als auch eine nicht-spezifische (attributive) Lesart möglich ist, ist bei (33b) nur eine "spezifische" (referentielle) Lesart möglich, d.h. der Sprecher hat ein spezifisches Einzelding im Auge.

3.1.4

Zwei Paradigmen des Definitartikels in Dialekten

Ähnliche Unterschiede wie bei den Verschmelzungen lassen sich in verschiedenen Dialekten beobachten (vgl. Hartmann 1982; Heinrichs 1954; Ebert 1971ab) und in der Standardsprache bei der Entwicklung von schwachen klitischen Formen, die vollen Formen gegenüberstehen (s'Kind: das Kind), worauf vor allem Lange (1981) verweist. Da diese Untersuchungen entscheidende Erkenntnisse in Bezug auf die Artikelverwendung zumindest im gesprochenen Deutsch versprechen, wollen wir im folgenden einige Ergebnisse kurz wiedergeben. Hartmann (1982) kommt in der Untersuchung des Dialektes von Mönchengladbach zu zwei Artikel-Paradigmen:ein deiktischer Artikel de und ein nicht-deiktischer Artikel dyr, die als bestimmte Artikel Verwendung finden. Die folgende Übersicht (Abb. 3) nach Hartmann (1982:200) soll diese Ergebnisse verdeutlichen: Die Unterscheidung bei den spezifischen Verwendungen entspricht der bei den Verschmelzungen. Die zusätzlich untersuchten generischen Verwendungen finden eine gewisse Entsprechung in nicht-spezifischen Verwendungen wie "ans Telefon kommen", "ins Kino gehen" etc. Ebert (1971ab) hat zwei Paradigmen des bestimmten Artikels in einem nordfriesischem Dialekt untersucht und ähnliche Ergebnisse erzielt. Der -Artikel findet bei kumulativer und nicht-spezifischer Referenz sowie bei Referenz auf Unika (absolut oder situativ bzw. kontextuell mitgegeben) Anwendung. Der D-Artikel wird deiktisch, anaphorisch, kataphorisch und für den Bezug auf fernerliegende, weniger bekannte Gegenstände verwendet, hat also ein distanzierendes Element (vgl. zusammenfassend Ebert 1971a:196-198). 4

Brand (1972:18) sieht Verschmelzungen als indifferent gegenüber Bestimmtheit und Unbestimmtheit an: "Der enklitische Artikel ist ein reduzierter Artikel, der in Bezug auf Bestimmtheit und Unbestimmtheit indifferent ist, wenn auch die Entstehung aus dem bestimmten Artikel bei den neutralen Substantiven im Akkusativ morphologisch ganz deutlich ist." Auffassungen wie die von Brand deuten immerhin schon auf Funktionsunterschiede zwischen verschmolzenen und nichtverschmolzenen Formen hin. In den meisten gängigen Grammatiken und DaF-Lehrwerken ist von solchen Unterschieden leider keine Rede. Auch Engels neue "Deutsche Grammatik" von 1988 geht offensichtlich von einer gleichwertigen Verwendung aus (vgl. Engel 1988:704-706).

61

Abbildung 3: Beziehung zu Kontext oder Kotext sprachlicher o. situat. Kotext

+ _

+

3.1.5

Stand, dtsch.

zwei Artik. im Dial.

der

dar

der

dar

der

dar

der der der

de de de

präsupp. Kontext +

deiktisch anaphorisch kataphorisch

Referenzart

-

genetisch (Klassenbezug) genetisch (Begriffsbezug) generisch (Unika) spezifisch spezifisch spezifisch

Rahmenzeichen und Umfeldzeichen in der deutschen Umgangssprache

Lange (1981) untersucht klitische Zeichen in der deutschen Umgangssprache, die er als "Rahmenzeichen" von den nicht-klitischen "Umfeldzeichen" unterscheidet. Während Umfeldzeichen (die nicht reduzierten Pronomen und Artikel) verwendet werden, "um auf etwas zu referieren, worüber noch nicht kommuniziert wurde, was aber im Umfeld der Sprechsituation vorliegt und daher erschlossen werden kann", werden Rahmenzeichen wie n, m, er, s verwendet, "um auf Entitäten zu verweisen, von denen der Sprecher weiß, daß sie der Hörer ohne großen gedanklichen Aufwand, d.h. leicht, identifizieren kann, weil sie im für Sprecher und Hörer zuletzt geltenden Kommunikationsrahmen ausdrücklich vorgekommen sind." (Lange 1981:5f.). (33) Würden Sie bitte s-Fenster schließen? (34a) Otto ist zum Arzt gegangen. (34b) Otto ist zu dem Arzt gegangen, den du ihm neulich empfohlen host. (ebda.

S.8+16). In (33) und (34a) werden die Rahmenzeichen s und m unterschiedlich klitisiert, dienen aber dem gleichen Zweck, auf einen S-H gemeinsamen, schon bestehenden Kommunikationsrahmen zu verweisen. Bei (34a) würde etwa die Äußerung im Familienkreis auf den Arzt verweisen, der im Kommunikationsrahmen der Familie enthalten ist, also wahrscheinlich auf den Hausarzt, oder es ist überhaupt kein spezifischer Bezug vorgesehen. Dagegen würde das nicht-klitische "dem" in (34b) spezifisch auf eine im sprachlichen Umfeld erfaßte Person verweisen. Die von Lange erzielten Ergebnisse entsprechen also im wesentlichen den bei der Untersuchung von Verschmelzungen und Dialektartikeln gegebenen Befunden. Ich werde diese Befunde im größeren Zusammenhang des Problems der Reduzierungen und Betonungen des Definitartikels näher diskutieren.

62 3.1.6

Reduzierungen und Betonungen (Vollformen). Zum Demonstrativartikel der

Verschmelzungen sind zurückzuführen auf Reduzierungen und deshalb im Zusammenhang der Frage nach der Funktion von Reduzierungen und Betonungen zu betrachten. Dabei ist zu beachten, daß beide Erscheinungen immer relativ zu einem Standard zu sehen sind. Und wir müssen zwischen dem mündlichen Umgangsdeutsch mit seinen viel variantenreicheren und verbreiteteren Reduzierungen und Betonungen und dem schriftlichen Hochdeutsch unterscheiden, das hier wesentlich restringiertere und normiertere Artikelverwendungen enthält. Eine nur auf den mündlichen Sprachgebrauch, womöglich noch auf Dialekte oder umgangssprachliche Verwendungen reduzierte Artikelbetrachtung führt uns genausowenig weiter wie eine nur schriftliche Sachtexte analysierende Vorgehensweise. Nur eine Gesamtsicht kann den Gebrauch des Definitartikels im Deutschen erfassen, der eben nun einmal sehr widersprüchlich ist. Wer im Interesse eines homogenen, widerspruchsfreien Artikelparadigmas oder auch zweier in sich homogener Artikelparadigmen einen Teil des Sprachgebrauchs ausblendet, kann die kommunikativen Probleme und Chancen alltäglichen Artikelgebrauchs nur rudimentär erfassen. Wenn wir nun die Befunde im mündlichen Sprachgebrauch (ohne Dialekte) und im schriftlichen Sprachgebrauch vergleichen, sehen wir, daß sich die Frage der Verschmelzungen in normierterem Rahmen genauso stellt, daß aber phonetisch bedingte Reduzierungen (bis hin zu Klitisierungen) und nur phonetisch wahrnehmbare Betonungen fast total ausscheiden; wenn wir einmal von wissenschaftlichen oder literarischen Transkriptionen absehen. Schriftlich erfaßt sind eigentlich nur kontrastierende oder emphatische Betonungen mit Hilfe von Sperrungen, Kursivdruck, Fettdruck oder Unterstreichungen (in unserem Beispiel Fettdruck). (34) Das ist der Knüllen (35) Er bot ihr seinen Fernsther an. Aber den Apparat wollte sie nicht. Wie solche Betonungen zu erklären sind, werden wir noch weiter unten untersuchen. Wozu sie sicher nicht taugen, ist das Unterfangen, an ihnen die Unterscheidung von Demonstrativartikel der und Definitartikel der festzumachen. Diese Unterscheidung wird nun aber in der Literatur immer noch getroffen, wobei nicht klar ist, welche Art von Betonung eigentlich gemeint ist, wenn vom betonten Demonstrativartikel der gesprochen wird, der immer betont sei und nicht reduziert werden könne. (36a) Den Apfel hätte ich gern. Dedenbach (1987) geht hier wohl von einer nicht-kontrastierenden Betonung aus, denn sonst könnte sie nicht argumentieren, daß die Betonung unverzichtbar sei.1 Dedenbach übersieht, daß die initiale Position der nicht-nominativischen Form in ihrem Beispiel die Reduzierung behindert, und daß in nicht-initialer Position die Betonung schwächer ist bzw. ganz verschwinden kann, ohne daß der deiktische Charakter der Verwendung davon berührt würde (vgl. auch Gnutzmann 1975). (36b) Ich hätte gern den Apfel hier. L

Eine syntagmatisch kontrastive Betonung rechtfertigt nicht die Annahme eines eigenen Paradigmas, sondern dient vorerst mal nur der Sicherung der Aufmerksamkeit des Hörers.

63 (36) Wie schmeckt ihnen der ApfeP. Kohler (1977:229) bringt ein Beispiel mit akzentuiertem "Demonstrativartikel" in finaler Position: (37) Er geht zu der Hütte. Entweder liegt hier m.E. eine kontrastierende Verwendungsweise vor (zu der Hütte, nicht zu der anderen) oder es handelt sich einfach um die Vollform des Definitartikels [de:r], die Kohler akzentuiert erscheint, da er sie im Kontrast zu reduzierten Formen sieht. Kohler unterscheidet (37a) Er geht zu der Hütte. (Von der wir schon gesprochen haben; du weißt ja, welche ich meine.) (38) Er geht zur Hütte. (Angabe eines einmaligen Ortes, der keiner Spezifizierung bedarf, da Hörer und Sprecher in gleicher Weise vertraut sind.) Ich glaube nun, daß sich die Betonungsverhältnisse (nicht-kontrastiv) in der anaphorischen oder episodischen Verwendung von der deiktischen Verwendung in Bezug auf den Artikel überhaupt nicht, sondern nur in Bezug auf das Nomen "Hütte" unterscheiden,da im deiktischen Gebrauch "Hütte" nicht extra akzentuiert werden muß, weil der Referent durch das Zeigen schon hervorgehoben wird. Der Definitartikel ist in (37) nur im Vergleich mit (37a) betont, da er im Gegensatz zu (37a) in der Betonung dem folgenden Nomen gleichgestellt ist. Gegen die Annahme eines situationsbezogenen Demonstrativartikels der spricht auch, daß sowohl im anaphorischen bzw. episodischen wie auch im deiktischen Gebrauch der Demonstrativartikel dieser zur Verfügung steht, ohne daß irgendwelche Betonungsunterschiede zwischen den einzelnen Verwendungsweisen von dieser relevant wären. Für jede Vollform des nicht betonten Definitartikels ist der nicht betonte Demonstrativartikel einsetzbar, wenn der Verweis auf nicht-episodisches Dauerwissen ausgeschlossen werden soll — wie ich noch zeigen werde. Es liegt also kein Grund vor, zwanghaft am betonten Demonstrativartikel der festzuhalten, nur weil sich historisch der Definitartikel aus dem Demonstrativartikel der entwickelt hat. Und es gibt noch ein grundsätzliches Argument gegen eine zu starke Berücksichtigung von Betonungsverhältnissen. Die empirische Beschreibung der Betonungsverhältnisse und deren Zusammenhang mit semantischen Aspekten hat bis jetzt keinen wissenschaftlichen Stand erreicht, der es erlauben würde, die festgestellten Befunde zu einem alleingültigen Maßstab bei der Artikelunterscheidung zu machen. 3.1.7

Der Platz der Reduzierungen (Verschmelzungen) im Paradigma des Definitartikels

Die eben erwähnte historische Entwicklung zeigt uns aber etwas anderes, was für die Charakterisierung des Definitartikels hilfreich ist. Der Definitartikel ist durch Reduzierungen entstanden und wird weiter reduziert. Seinem Charakter nach ist er eben heute nicht mehr "emphatisch" (Kodier), sondern reduziert. Er hebt nichts hervor, sondern wird gerade da verwendet, wo auf selbstverständliche Weise definit referiert wird. Diese Reduzierung lief und läuft aber nicht gleichmäßig ab, sondern führt zu einem Paradigma, in dem auf der einen Seite Reduzierungen bis hin zu Verschmelzungen führen und andererseits Verschmelzungen in den gleichen Verwendungsweisen nicht möglich sind:

64

(39) Er geht ins Kino, (nicht-spezifisch) vs. Er geht in das Kino (am Moritzplatz). (40) Er geht in die Kirche (nicht-spezifisch), vs. Er geht »n die Kirche (am Moritzplatz). Reduzierungen (Verschmelzungen) haben also nur teilweise einen Platz im Artikelparadigma. Das führt dazu, daß Vollformen je nach Vorhandensein von reduzierten oder sogar verschmolzenen Formen unterschiedliche Funktionen ausüben können. Kompliziert wird alles noch dadurch, daß wenige Verschmelzungen standardisiert, aber viele möglich sind. Die Interpretation der Vollformen, sofern sie nicht kontrastiv oder emphatisch betont sind, hängt aber vom Vorhandensein oder Nicht Vorhandensein der Reduzierungsformen ab. (41) Die Kinder schauen immer durch das Fenster in unsere Wohnung rein. (42) Die Kinder schauen immer durchs Fenster in unsere Wohnung rein. (43) Du willst doch nicht auf dem Boden essen? (44) Du willst doch nicht aufm Boden essen? Wenn H die verschmolzenen Formen als gemeinsamen Standard ansieht, wird er (41), wenn die Äußerung im Zimmer des Sprechers erfolgt, wahrscheinlich als deiktische Verwendung ansehen. Er wird dann auch bei zwei vorhandenen Fenstern einen genaueren Hinweis erwarten, welches Fenster gemeint ist. Wenn er aber davon ausgeht, daß S im Bemühen, möglichst hochsprachlich zu formulieren, Verschmelzungen wie durchs nie über die Lippen kommen, kann er "durch das Fenster" auch nicht deiktisch verstehen, da eine ausreichende Referentenbeschreibung durch das Skript In ein Zimmer schauen mit dem uniken Typelement Fenster gegeben ist. Bei nicht-situativ geprägten Verwendungen können die gleichen Überlegungen relevant werden. (45) Er hat das Fenster in seinem Arbeitszimmer mit einer Alarmanlage gesichert, weil schon einmal ein Einbrecher durch das Fenster bei ihm eingestiegen ist. Wenn durch das die Vollform zu durchs ist, kann H die NP nur anaphorisch verstehen. Wenn aber die Verschmelzungsform ausgeschlossen ist, kann "durch das Fenster" auch wieder nicht-anaphorisch verstanden werden, da der Typ Fenster als Element des Skripts In eine Wohnung einbrechen eindeutig gegeben ist. D.h., der Einbrecher ist nicht unbedingt durch das jetzt gesicherte Fenster eingestiegen, ja womöglich sogar durch ein Fenster in einer früheren Wohnung. Nun ist durchs eine (außer im schriftlichen Deutsch) vergleichsweise standardisierte Form. Dagegen ist aufm eine wohl hochsprachlich weniger akzeptable Form, die H bei S nicht unbedingt voraussetzen kann. Wenn H also (43) hört, wird er die Interpretation als deiktische Verwendung nicht von vornherein favorisieren, sondern auch eine nichtdeiktische wie in (44) für möglich halten. Wenn H dagegen aufgrund seiner Einschätzung des Stils von S gute Gründe hat, daß S aufm sehr wohl in seinem Repertoire hat, könnte er davon ausgehen, daß S sich spezifisch auf den vor ihm liegenden Boden beziehen will und damit mit (43) die Qualität des besonderen Bodens in Frage stellt. Haberland (1985:103) unterscheidet drei Gruppen der Folgen von Präposition + Artikel: 1. Folgen, die nie verschmolzen werden.

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2. Folgen, die unter entsprechenden pragmatischen Bedingungen verschmolzen werden können, aber nicht müssen. 3. Folgen, die unter den entsprechenden pragmatischen Bedingungen immer verschmolzen werden müssen. Zur Gruppe 3 zählt Haberland nur am, ans, beim, im, ins, vom, und zur. Von Vorschlägen, für die anderen Gruppen sieht er ab, da es hier zum Teil auch um "eine Frage der stilistischen Präferenz" gehe (S.104). Bei Dedenbach 1987 finden sich interessante Ergebnisse einer Umfrage, die zeigen, daß native-speakers zu 100% nur vom und zur akzeptieren und in Fachtexten nicht einmal diese ausnahmslos. Ans wurde in Fachtexten nicht einmal von 75% akzeptiert. Dies zeigt, daß die Vollformen im hochsprachlichen Deutsch — auch wenn möglich — nur unter Vorbehalt als Pendants zu Reduzierungen angesehen werden können. Dabei stimme ich durchaus Haberlands These zu, daß eine Verschmelzung nicht eintritt, " wenn die eindeutige Referenz der berührten Substantivgruppe (NP) nicht selbstverständlich ist." (S.104). Die nicht-verschmolzene Form gilt also als die markierte Alternative, die nur verwendet wird, wenn der Sprecher bzw. Schreiber "eigens darauf aufmerksam machen will, daß die Eindeutigkeit der Referenz einer NP im weiteren sprachlichen Kontext zu suchen ist." (Ebenda). Ergänzend müßte man auch noch die Möglichkeit einer Referentenbestimmung im situativen Umfeld erwähnen. Das ganze Problem stellt sich aber in der Hochsprache nur bei einigen wenigen Folgen von Präposition + Artikel, für die bisher außerdem noch ein unklares und gerade deshalb störendes Normbewußtsein vorliegt, was zu Unsicherheiten in den Problemlösungs- bzw. Deutungshypothesen der Sprachteilhaber führt.6 3.1.8

Kontrastive und emphatische Betonungen

Kontrastive Betonungen des Defmitartikels überdecken sozusagen die ursprüngliche Funktion des Definitartikels, En-passant-Referenz (vgl. zu dem Begriff Auer 1981) zu signalisieren. Denn durch die Betonung wird gerade das Gegenteil signalisiert, daß nämlich die Abgrenzung von anderen Gegenständen für die Referentenbestimmung erforderlich ist. Ein allgemeiner Rahmen im Dauerwissen ist nicht verfügbar, mit Hilfe dessen der Referent zu bestimmen wäre. Damit deckt sich die Verwendungsweise des kontrastiv betonten Definitartikels mit der des kontrastiv betonten Demonstrativartikels. Die kontrastive Betonung hebt bei der die Selbstverständlichkeit der Referenz auf und verstärkt die Abgrenzung bei dieser. Da Akzentuierung Abgrenzung beinhaltet, wird die Abgrenzung thematisiert, was zu gleichen Deutungen bei der und dieser führt. (46) Ich möchte gern den/diesen Kugelschreiber nicht den anderen. (S zeigt auf einen Kugelschreiber). 6

Kohler (1979) weist auf die gegensätzlichen Tendenzen "motorischer Vereinfachung einerseits und auditiver Differenzierung anderseits" hin (S.37). Dabei spiele der "Kostenansatz für kommunikativen Mißerfolg" eine wesentliche Rolle. Interessant sei auch, daß offensichtlich beim Kommunizieren in der Unterschicht ein Bewußtsein für sprachliche Differenzierungen viel stärker fehle, was dazuführe, daß z.B. in Dialekten weitergehende satzphonetische Prozesse zu beobachten seien als in der Standardsprache (S.38). Auf der anderen Seite kann m.E. das stärkere Normbewußtsein bei den "Oberschichten" zu Übertreibungen bei der Differenzierung führen, die dann gerade zur Verwischung von kommunikativen Unterscheidungen führt — wie der Test von Dedenbach zeigt.

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(47) Ich weiß, sie haben mir gestern nachmittag einen Ordner gebracht. Aber den/ diesen Ordner suche ich nicht! In beiden Fällen unterstellt der Sprecher dem Hörer, daß dieser bei der Referentenbestimmung Probleme hat. In (46) unterstellt er, daß H dabei ist, die Referenz falsch zu verstehen, und in (47), daß H die vorausgehende Referenz falsch verstanden hat und S ihn deshalb jetzt korrigieren muß. Es gibt noch eine Möglichkeit, kontrastierende Betonungen zu interpretieren. Dabei muß der Hörer dem Sprecher unterstellen, daß dieser alternative Referenzen ins Spiel bringen möchte, was bei fehlender kontrastiver Betonung nicht möglich wäre. (48) Mit dem/diesem Bundeskanzler kann niemand mehr eine Wahl gewinnen.! (49) Bei der/dieser Lehrerin würde ich auch kein Deutsch lernen. Ein anderer Bundeskanzler, so will S sagen, könnte eine Wahl gewinnen, ohne damit zu erklären, ob eine andere Person existiert, auf die H die Referenz beziehen könnte. Und bei einer anderen Lehrerin, so versteht H (49) wäre der Deutschunterricht besser. Aber die spezifische Person, die die Lehrerrolle ausübt, ist untauglich. Aus der gleichen Verwendungsweise des kontrastiv betonten Definitartikels und des kontrastiv betonten Demonstrativartikels dieser läßt sich nicht ableiten, daß ein besonderer betonter Demonstrativartikel der besteht, denn das kontrastiv betonte der kann nur mit dem kontrastiv betonten dieser, aber nicht mit dem Demonstrativartikel dieser allgemein gleichgesetzt werden. Und man sollte die Funktion der kontrastiven Betonung nicht mit der des Artikels verwechseln. Emphatische Betonungen des Definitartikels verstärken die Einzigkeit des Referenten. Die Betonung zeichnet einen Gegenstand gegenüber allen anderen nach der Beschreibung in Frage kommenden so aus, daß durch dieses neue Design klar wird, daß es nur einen Gegenstand gibt, der als Referent in Frage kommt: (50) Das ist das Bien (51) Hier sehen sie die Sensation des Jahrhunderts*. 3.1.9

Zusammenfassung: Das inhomogene Paradigma des Definitartikels

Der Definitartikel läßt sich trotz der Ergebnisse der obigen Untersuchungen einheitlich beschreiben. Reduzierungen und Betonungen sind nur Varianten, die spezielle Deutungen verlangen. Die Grundbedeutung des Definitartikels wird davon nicht tangiert. Der Definitartikel wird verwendet, wenn eine Abgrenzung von bestimmten Annahmen dem Sprecher nicht nötig erscheint, da die Referentenbestimmung über das allen Sprechern einer Sprache oder Mitgliedern einer größeren oder kleineren Gemeinschaft verfügbare gemeinsame generische oder spezifische Wissen erfolgt oder der Kontext bzw. die Konsituation nur eine textkohärente und situationsangemessene Interpretation ermöglichen (auch mit Hilfe von Dauerwissen episodischer Art). Allerdings ist das einheitliche Paradigma des Definitartikels "durchlöchert". Man könnte von einem inhomogenen Paradigma sprechen. Denn teilweise wird wie bei den Verschmelzungen oder reduzierten Formen der Zugriff zum spezifischen oder generischen Dauerwissen durch eine besondere Artikelform markiert. In diesen Fällen gibt es die En-passant-Referenz nur noch bei den reduzierten

67

Abbildung 4: Problemlose Referenz Episodisches Dauerwissen (ED)

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Kontextuelles Laufwissen (KL)

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Situatives Laufwissen (SL)

Problemlose Referenz durch spezifisches oder generisches Dauerwissen Problemlose Referenz durch übergeordnete Prinzipien der Sinnkonstituierung wie Textkohärenz und Situationsangemessenheit

Formen. Die Vollformen zeigen an, daß nur kontextuelles oder situationelles Laufwissen bzw. episodisches Dauerwissen relevant ist. Es gibt aber im Hochdeutschen diese Paradigmenteilung nur rudimentär. Befunde in der Umgangssprache und bei Dialekten lassen sich nicht einfach aufs Hochdeutsche übertragen. Hier scheint es mir sinnvoller von einem, aber inhomogenen Paradigma zu sprechen.7

7

Löbner (1985) vertritt in vielem eine ähnliche Auffassung, insbesondere darin, daß er auch nur eine Bedeutung für alle Verwendungen des Definitartikels annimmt. Seine "non-ambiguity" aufgrund von "functional concepts" ähnelt meiner "Bestimmtheit durch gemeinsames Rahmenwissen". Allerdings legt Löbner den Schwerpunkt auf eine reine semantische Erklärung, die auf seiner Nomen-Klassifizierung aufbaut. Die Trennung von "pragmatic definites" und "semantic definites" ist nicht mit meiner Unterscheidung verschiedener Wissensbereiche gleichzusetzen, denn die Koordination des gemeinsamen Wissens wird nicht zum zentralen Punkt seiner Untersuchung. Die definiten Artikelwörter sind bei mir aber vor allem Koordinatoren des gemeinsamen Wissens und haben damit wesentlich eine pragmatische Funktion. Interessant ist Löbners Unterscheidung von "definiteness" und "determinedness" (S.303). Definitheit betrifft nur das Nomen mit dem Definitartikel, während Determiniertheit auf die Referenz der gesamten NP-Konstruktion abzielt. Dies deckt sich in etwa mit der Unterscheidung von kommunikativ gegebener Bestimmtheit und gemeinsamer raum-zeitlicher Lokalisierung.

68

Abbildung 5: Verteilung der Vollformen und der reduzierten (verschmolzenen) Formen des Definitartikels

ED

KL Vollform Vollform

S1

GD

Re du ;ie te Fo rm V oll or n

Re iu ;ie: te Fo rm V oll or: n

SL

Vollform

Problemlose Referenz durch spezifisches oder generisches Dauerwissen Problemlose Referenz durch übergeordnete Prinzipien der Sinnkonstituierung wie Textkohärenz und Situationsangemessenheit ED, SD, GD, KL, SL: wie Abb. 4

69

3.2

Der Demonstrativartikel dieser

Nach Vater (1979a:96-99) ist dieser nur innerhalb des Bereichs von der möglich, was in Vaters strukturalistischer Sicht heißt, daß dieser zwei Merkmale, nämlich "begrenzende Gesamtheit" und "Situationsbezogenheit", mit der teilt, während es gegenüber anderen Merkmalen von der indifferent ist. Damit sei auch dieser in den Teilbereichen der "situationsgebundenen Gesamtheit" mit der austauschbar, sofern nicht Identität signalisiert werden müsse. Zusätzlich verfüge dieser über das Merkmal "Nähe", was es besonders von jener unterscheide. "Nähe" könne bedeuten: a) in der Nähe des Sprechers oder b) unmittelbar vorerwähnt (S.97). Diese Auffassung findet sich bei fast allen Autoren, die zu unserer Problematik Stellung nehmen (vgl. Oomen 1977:55-66, Zhou 1985:141-147, u.a.). Der Demonstrativartikel findet anaphorische und deiktische Verwendung, setzt also kontextuelles und situationelles Wissen voraus. Damit kämen dem Demonstrativartikel nur die Verwendungsweisen zu, über die auch der Definitartikel verfügte. Der Unterschied würde in der Spezialisierung von dieser liegen, wovon auch abzuleiten wäre, daß nach unserem Sprachgefühl dieser einen stärkeren Verweis darstellte als der Definitartikel (vgl. Zhou 1985:142). Nun gibt es Darstellungen, nach denen dieser mit dem starktonigen der gleichzusetzen sei (Erben 1980:149), was nicht einfach damit zurückzuweisen ist, daß man Akzentuierung als Hervorhebung innerhalb eines Paradigmas ansieht (wie Vater 1979a:116), da es ja zuerst darum geht, wie dieses Paradigma aussieht. Ich habe diese Fragen schon teilweise im vorhergehenden Kapitel diskutiert und will mich deshalb bei meinen Überlegungen auf den Demonstrativartikel dieser beschränken. Und inwieweit ein starktoniges dieser sich von einem normalbetonten unterscheidet, soll uns erst interessieren, wenn wir den Gebrauch des normalbetonten dieser genügend geklärt haben. Wichtig ist, daß wir den Gebrauch des Demonstrativartikels wohl nur erklären können, wenn wir den Zusammenhang mit dem Gebrauch des Definitartikels deutlich erfassen.

3.2.1

Abgrenzung durch dieser

Einen Aspekt möchte ich aber an den Anfang meiner Untersuchung stellen: die kontrastierende Verwendung von dieser und jener (wobei uns jener hier nur als Oppositionsglied zu dieser interessiert). Dieser dient dem deiktischen Verweis auf Näherliegendes bzw. dem anaphorischen Verweis auf das Zuletztgenannte, und jener dient entsprechend dem Verweis auf Fernerliegendes bzw. auf das Zuerstgenannte. (52) Wir starten bei diesem Baum (hier), und das Ziel liegt bei jenem Baum (dort hinten). (53) Zuerst hat mir Klaus eine Flasche Montepulciano geschenkt, und dann ist Fritz mit einem billigen Lambrusco gekommen. Während wir diese Flasche sofort getrunken haben, haben wir jene (Flasche) von Klaus für einen schönen Abend zurückgelegt. Die Beispiele zeigen natürlich auch, daß die Verwendung von jener uns heute nicht mehr so leicht ins Ohr geht, wenn es in direktem Kontrast zu dieser verwendet wird. Aber wenn wir auch statt jener in (52) ein zweites dieser setzen würden (oder bei (53) den

70 Definitartikel), so bliebe doch für uns vorerst wesentlich: die Verwendung von dieser schließt irgendwie die Abgrenzung von etwas anderem mit ein. Auch wenn dieser alleine auftritt, denken wir uns irgendwie immer etwas mit wie "aber dieser nicht". (54) Geben Sie mir bitte diesen Kugelschreiber] (Nicht den anderen! Einen anderen nicht!) Diese Abgrenzung geht über die Opposition Näherliegendes/Fernerliegendes hinaus und zielt mehr auf ein grundsätzliches "Nur diesen — alle anderen derselben Art können Sie vergessen!". Nun gibt es aber noch eine Verwendung, die Erben (1980:228) als "persönlichen Abstand vom nebengenannten, meist wenig geachteten Individuum" bezeichnet (vgl. auch Fillmore 1972:156 und Auer 1984:636). Bei Thomas Mann findet sich im "Zauberberg" eine Äußerung, in der diese Verwendung thematisiert wird (Zitat nach Erben S.229): (55) Da hat nun dieser Herr Naphta — ich sage "dieser Herr", um anzudeuten, daß ich durchaus nicht unbedingt mit ihm sympathisiere, sondern mich im Gegenteil höchst reserviert verhalte ... Ich glaube, daß eine allgemeine Einschränkung auf eine etwas abschätzige Nebenbedeutung nicht gerechtfertigt ist. Wie die Distanzierung zu verstehen ist und auf was sie sich genau bezieht, kann durchaus sehr stark variieren. (56) Dieser Professor hat wieder angerufen. Er hat mir jetzt eine Telefonnummer gegeben. Weiß du wirklich nicht, wer das ist? Die Abgrenzung, die hier stattfindet, hat nichts mit persönlicher Antipathie zu tun, sondern beruht darauf, daß der Anrufer nicht einzuordnen ist. Jemand ruft an, meldet sich mit Professor, aber der Sprecher in (56) kann den Anrufer nicht ganz einordnen, von dem er dem Hörer Mitteilung macht. Er ist kein richtiger Teil ihres 'universe of discourse'. Die emotionale Distanziertheit in (55) könnte so verstanden werden, daß der entsprechende Referent nicht Teil der positiv-emotionalen Diskurswelt des Sprechers ist. Aber nicht jede distanzierende Verwendung von dieser muß emotional begründet sein. 3.2.2

Verwendungen des Definitartikels, die den Demonstrativartikel ausschließen

Ich werde so vorgehen, daß ich zuerst Verwendungen des Defmitartikels bringe, bei denen der Demonstrativartikel ausgeschlossen ist, und dann Beispiele für den Ausschluß des Definitartikels. "Ausgeschlossen" soll so verstanden werden, daß der Demonstrativartikel eine andere Interpretation erzwingen würde, als ich bei der Verwendung des Definitartikels annehme (und umgekehrt). Nach Hawkins (1978) und Vater (1984abc) ist der Demonstrativartikel bei abstraktsituativen und anaphorisch-assoziativen Verwendungen ausgeschlossen (vgl. auch Grimm 1987:38). (57) Wir treffen uns heute abend vor dem/diesem Rathaus. (58) Ich habe das Auto aufgemacht und gesehen, daß das/dieses Lenkrad kaputt war.

71

Hawkins 1978 sieht im Gegensatz zu Vater bei unmittelbar-situativen Verwendungen den Demonstrativartikel als nicht möglich an. Allerdings trägt Vaters Beispiel (1984:37) nicht zur Klärung bei: (59) Diese U-Bahn-Station ist vorübergehend geschlossen. (59) soll auf einem Schild am U-Bahn-Eingang (oben auf der Straße) stehen. Da man aber den Bereich der U-Bahn-Station auch als bis zum Straßeneingang führend ansehen kann, könnte das obige Beispiel auch zu den rein deiktischen zählen (visible situation use). So bleibt das von Hawkins gegebene Beispiel ("beware of the dog") auch im Deutschen treffend: (60) Warnung vor dem/diesem Hundl Wenn (60) auf einem Hinweisschild an einem Gartentor steht, wird der Demonstrativartikel wahrscheinlich keine Verwendung finden, da der Hund wohl nicht immer sichtbar ist. Nicht möglich (ohne Interpretationsänderung) ist m.E. der Demonstrativartikel auch in folgenden Fällen: (61) Er hat einen Mercedes und einen VW angeschaut. Schließlich hat er den/diesen VW gekauft. (62) Mein Vater ist zum Abendessen da. Nach 10 Uhr muß ich dann den/diesen Vater nach Hause bringen. Wenn ich vor einem Gegenstand stehe, auf den die verwendete NP zutreffen könnte, ich aber nicht auf diesen Gegenstand referieren will, werde ich normalerweise nicht den Demonstrativartikel verwenden: (63) Du sag mal, hast du den/diesen Hund schon gefüttert? Wenn ich vor meinem eigenen Hund stehen sollte und auf ihn referieren wollte, würde ich nicht den Demonstrativartikel benützen. So sind also auch Fälle zu berücksichtigen, bei denen der Sprecher zwar vor dem Gegenstand steht, den er meint, aber die Referenz nicht mit dieser erfolgt, um Irritationen auszuschließen. So werde ich, wenn ich vor der einzigen Kaffeemaschine von meiner Frau und mir stehe, in der folgenden Äußerung gegenüber meiner Frau den Definitartikel verwenden: (64) Hast du die/diese Kaffeemaschine

heute schon benutzt?

Sowohl bei (63) als auch bei (64) wird natürlich vorausgesetzt, daß ich diese Sätze gegenüber einer meine Lebensform teilenden Person äußere. Fremden Personen gegenüber wäre die Sachlage natürlich eine ganz andere. Wenn der Sprecher eine generische Interpretation beim Hörer voraussetzt, wird er beim nächsten Beispiel den Demonstrativartikel wohl auch nicht verwenden: (65) Ich liebe die/diese Frauen! Noch deutlicher wird das bei möglichen anaphorischen Interpretationen: (66) Ich war mit Zenzi und Gretl das ganze Wochenende zusammen. Ach, ich liebe die/diese Frauen!

72

Oder die genetische Interpretation soll nicht spezifiziert werden: (67) Die Fichte ist ein Nadelbaum. Und der/dieser Nadelbaum ist sehr anfällig für Umweltschäden.

3.2.3

Verwendungen des Demonstrativartikels, die den Definitartikel ausschließen

Da wir zuerst einmal jeder Äußerung eines Sprechers Sinn unterstellen, finden wir natürlich auch für alle beanstandeten dieser-Verwendungen eine mögliche Interpretation. Somit haben wir auch schon unsere Beispiele für den Ausschluß des Definitartikels. Es geht also letztlich darum, festzustellen, welche Auslegung bei Verwendung des Definitartikels und welche bei Verwendung des Demonstrativartikels wahrscheinlich ist. Es geht also nicht darum, daß das eine oder andere Artikelwort absolut ausgeschlossen wäre, sondern um das Verständnis, das für einen Hörer bei einer Äußerung mit einem bestimmten Artikelwort naheliegt. Wenn ich in (57) statt "Rathaus" "Frauenhaus" einsetze, wird dieser sofort plausibel und es wird verständlich, warum "vor diesem Rathaus" befremdend wirkt: Die Verwendung von dieser soll befremdend wirken. Im generischen Wissen eines deutschsprachigen Kommunikationsteilnehmers ist enthalten, daß jede Stadt ein Rathaus hat (Großstädte haben evtl. mehrere, die aber dann stadtteilspezifisch sind: das Rathaus von Köpenick). Durch die Verwendung des Demonstrativartikels wird vom Sprecher signalisiert, daß der Hörer annehmen könnte, daß der Sprecher über dieses Wissen nicht verfügt, bzw. daß auch der Hörer dieses Wissen nicht als selbstverständlich ansieht. Im Falle des Frauenhauses ist es sicher so, daß viele Sprecher der deutschen Sprache in ihrem Rahmen Stadt noch keinen Bestandteil Frauenhaus gespeichert haben. Wenn nun ein Sprecher davon ausgeht, daß er nicht von einem gemeinsamen Rahmenwissen ausgehen kann, das Frauenhaus als Element enthält, wird er den Demonstrativartikel wählen. Genau dieselben Überlegungen gelten entsprechend für assoziativ-anaphorische Verwendungen wie in (58). Wenn aber in (57) und (58) es sehr unwahrscheinlich ist, daß die Kommunikationsteilnehmer über einen Rahmen nicht verfügen, dann bleibt für H noch die Möglichkeit, die Äußerung von S als distanzierend bzw. abwertend zu interpretieren: "Vor diesem blöden Rathaus", "dieses dumme Lenkrad". Wir könnten auch sagen, daß blödes Rathaus und dummes Lenkrad nicht im gemeinsamen Rahmenwissen enthalten sind. In (60) ist ein ähnliches Räsonnement möglich wie in (57) und (58). Der durch die Umzäunung und das Hinweisschild gesteckte Rahmen enthält als potentielles Element auch einen Gegenstand Hund. Den Demonstrativartikel könnten wir als Hinweis verstehen, daß es sich um ein besonders gefährliches Exemplar der Gattung Hund handelt, das nicht so im gemeinsamen Rahmenwissen gespeichert ist: "Warnung vor diesem besonders gefährlichen Hund!" Wer es für zweifelhaft hält, daß Schilder mit einer Aufschrift wie in (60) aufgehängt werden, soll sich eine Variation von (60) vorstellen: (60a) Wir warnen alle Besucher vor diesem Chefl Wenn erzürnte Angestellte an die Tür des Vorstandsvorsitzenden ihrer Gesellschaft ein entsprechendes Schild angebracht haben, würden etwaige Besucher (60a) wohl so verstehen, wie wir für (60) vorgeschlagen haben: "Wir waren vor diesem besonders schlimmen

73 Chef!" Aber noch ein Aspekt kommt verstärkend hinzu. Nicht vor dem Chef allgemein wird gewarnt, sondern vor diesem ganz besonderen. Es könnte natürlich auch vor anderen Chefs gewarnt werden, aber das scheint nicht nötig. Der abgrenzende Aspekt, den wir anfangs hervorgehoben haben, wird hier wieder wichtig, um die Äußerung zu verstehen. In (61) spielt die Abgrenzung noch einmal explizit eine Rolle. Die Fragwürdigkeit einer Verwendung des Demonstrativartikels ist darauf zurückzuführen, daß das abgrenzende Moment, das in dieser enthalten ist, nicht mit dem vorhergenannten Mercedes in Verbindung gebracht werden darf, sondern nur zu verstehen ist im Zusammenhang mit einer Abgrenzung gegenüber einem anderen möglichen VW. Warum aber dann zuvor der Mercedes erwähnt wurde, ist nicht einsichtig. Hier scheint ein Verstoß gegen die Konversationsmaximen der Quantität und der Relevanz vorzuliegen. Wäre nur die Rede von einem VW gewesen, hätte dieser mit seiner abgrenzenden Bedeutung verwendet werden können. Im Notfall könnte aber trotzdem noch eine Interpretation, die "diesen VW" als abwertend betrachtet, einen Ausweg anbieten. (62) schließt bei Verwendung des Demonstrativartikels eine Abgrenzung gegenüber anderen Vätern zuerst mal aus, da mit "mein Vater" nur eine klar bestimmte Person gemeint sein kann. Trotzdem könnten wir (62) als eine abschätzige Bemerkung über den Vaters des Sprechers verstehen, da der Referent von "mein Vater" ja auch eine andere Person hätte sein können, wenn es das Schicksal anders mit dem Sprecher gemeint hätte. In (63) ist es klar, daß mit dieser nicht mehr mein Hund gemeint sein kann, da dies in die Domäne des Definitartikels fallen würde. Worauf immer ganz selbstverständlich referiert wird, kann nicht mit dieser in derselben Weise referiert werden. In (64) wird dies ganz deutlich. Dieser wäre nur möglich, wenn zwei Kaffeemaschinen als Referent in Frage kämen. Oder, was wir aber in unserem Beispiel nicht so angenommen haben, meine Frau und ich stünden vor einer fremden Kaffeemaschine bzw. unsere alte Kaffeemaschine wäre gerade durch eine neue ersetzt worden. (65), (66) und (67) sind dadurch zu erklären, daß bei der Suche nach passenden Referenten eine generische Interpretation beim Definitartikel leichter ist, da er gerne bei selbstverständlicher, über das generische Wissen abgesicherter Referenz verwendet wird. Wenn Abgrenzung mit ins Spiel kommt, ist also eine generische Interpretation nur noch spezifizierend möglich: "Diese besondere Art der Nadelbäume, die Fichte".

3.2.4

Neuere Untersuchungen zum Demonstrativartikel

/. Hawkins: Referentenidentifizierung

statt Lokalisierung

Hawkins (1978:149-159) grenzt die Verwendungsbedingungen des Demonstrativartikels von denen des Definitartikels im wesentlichen mit Hilfe der Gegenübersetzung "identifizieren vs. lokalisieren" ab (matching constraint vs. location constraint). Daraus resultiert auch, daß zwischen einer unzweideutigen und einer uniken Referenz unterschieden wird. Während bei Verwendung des Definitartikels der Referent nicht direkt erfaßt werden muß, sondern nur Einzigkeit bzw. Inklusivität in einem gegebenen Rahmen vorausgesetzt wird, ist es beim Demonstrativartikel umgekehrt. Einzigkeit wird nicht vorausgesetzt, aber der Referent muß direkt identifiziert werden. Man könnte es auch so formulieren: Wenn der Referent nicht direkt identifiziert werden kann, genügt die Identifizierung durch Einzigkeit in einem gegebenen Rahmen. Wenn Einzigkeit in einem solchen Rahmen nicht garantiert

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werden kann, muß der Referent direkt identifiziert werden. Aber schauen wir uns genauer an, was Hawkins vorschlägt. Folgende Sprechhandlungen vollzieht ein Sprecher bei Verwendung des Demonstrativartikels (Hawkins sieht selbst dabei von der Unterscheidung von this/that und these/ those ab; ich beziehe seine Ausführungen sofort auf den deutschen Demonstrativartikel dieser): a) er führt (einen) Referenten für den Hörer ein und b) weist den Hörer an, für diesen sprachlichen Referenten ein identifizierbares Objekt zu finden ("to match this linguistic referent with some identifiable object"), wobei Identifizierbarkeit entweder Sichtbarkeit in der Situation oder Bekanntheit aufgrund des vorhergehenden Diskurses bedeutet (S.152). Vier Anwendungsbedingungen müssen für eine erfolgreiche Identifizierung erfüllt sein (S.152f.): 1. Der Referent muß tatsächlich sichtbar oder durch Vorerwähnung bekannt sein. 2. Wenn sowohl in der sichtbaren Situation als auch im vorhergehenden Diskurs identifizierbare Objekte enthalten sind, die der Beschreibung genügen, muß es für den Hörer eindeutig sein, ob es der in der Situation sichtbare Gegenstand oder der vorerwähnte Gegenstand ist, der gemeint ist. 3. Wenn situativ oder im vorhergehenden Diskurs andere Gegenstände außer dem/den intendierten Referenten der verwendeten Beschreibung entsprechen, muß es eindeutig für den Hörer sein, welches die intendierten Gegenstände sind und welche nicht. 4. Der Hörer muß wissen oder in der Lage sein, abzuleiten, daß das Objekt, das der Sprecher intendiert, die Eigenschaft hat, die der Sprecher in der Beschreibung zum Referieren verwendet. Ich werde im folgenden zeigen, daß alle vier Bedingungen so nicht zutreffend sind, und damit auch deutlich machen, daß Hawkins eigentlich über die traditionellen Erklärungsversuche nicht hinauskommt. ad L: Die von Hawkins behauptete Einschränkung der Verwendbarkeit des Demonstrativartikels auf sichtbare und vorerwähnte Referenten läßt sich leicht widerlegen (und wird durch Beispiele von Hawkins teilweise selbst widerlegt). (68) Warum schreien diese Kinder so? (69) Ich kann diesen Lärm nicht mehr aushalten! In beiden Fällen muß bzw. kann der Referent (bzw. die Referenten) nicht sichtbar sein, sondern nur hörbar. Wahrnehmbarkeit wäre also auf jeden Fall als Kriterium passender als Sichtbarkeit.8 Aber nicht einmal Wahrnehmbarkeit ist notwendig. Wenn zwei Freunde A und B einen Spaziergang machen und A äußert (70) Vielleicht begegnen wir heute dieser Frau wieder! so muß für B diese Frau weder sichtbar bzw. hörbar sein noch in einem vorhergehenden Diskurs erwähnt worden sein. Es genügt, daß irgendwann einmal ein gemeinsames Erlebnis an diesem Ort stattgefunden hat, bei dem beide einmal eine Frau wahrgenommen haben (als gemeinsames Erlebnis), auf die A jetzt mit "dieser Frau" referiert. Die beiden 8

Löbner (1985:310f.) kritisiert das Kriterium der Sichtbarkeit in Zusammenhang mit Hawkins' "visible situation uses" und verweist darauf, daß andere Perzeptionen genauso möglich sind.

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Freunde müssen nicht einmal in der letzten Zeit darüber gesprochen haben, ja es besteht sogar die Möglichkeit, daß sie nie darüber gesprochen haben, sondern nur kopfschüttelnd und grinsend weitergegangen sind, weil sie z.B. eine äußerst dicke Frau in einem äußerst kurzen Minirock gesehen haben. Und daß irgendwann einmal ein Gegenstand gemeinsam wahrgenommen oder irgendwie im gemeinsamen episodischen Wissen verankert wurde, genügt nach Hawkins offensichtlich nicht, scheint mir aber die einzig erfolgversprechende Auslegung der Bedingung l zu sein. Die Begrenzung der Anwendbarkeit des Demonstrativartikels läßt sich auch in bezug auf die ausgegrenzten assoziativ-anaphorischen und abstrakt-situativen Verwendungen nicht halten: (71) Ich habe, als ich den Motor anlassen wollte, zuerst schon mal diesen (blöden) Zündschlüssel nicht ins Schloß gebracht! (72) Ich schlage vor, wir treffen uns heute abend vor diesem Glaspalastl (71) wird verständlich, wenn es sich bei dem Sprecher um einen Fahrschüler handelt, der seine erste Fahrstunde beschreibt und zeigen will, wie fremd ihm alles war und wie unbeholfen er sich benommen hat. Und für (72) genügt es, wenn der Sprecher annehmen kann, daß die Hörer wissen, was der Glaspalast ist. Vielleicht haben sie in der Zeitung etwas darüber gelesen, oder er ist ihnen sowieso sehr gut bekannt, aber der Sprecher drückt mit der Verwendung des Demonstrativartikels aus, daß er nicht davon ausgeht, daß der Referent von "diesem Glaspalast" ohne weiteres über das gemeinsame generische oder spezifische Dauerwissen bestimmt werden kann. Ein grundsätzlicher Einwand gegen die Bedingung l ergibt sich, wenn wir Nunberg (1978) folgen und das Problem der abgeleiteten Referenz miteinbeziehen. Stellen wir uns vor, A zeigt auf eine Zeitung, die B gerade liest, und sagt: (73) Diese Burschen haben mir heute gekündigt, oder (74) Diese Zeitung hat der Großvater meines Freundes gegründet. In beiden Fällen ist weder Sichtbarkeit noch Vorerwähnung des Referenten gegeben. Trotzdem ist die Verwendung des Demonstrativartikels adäquat. Diese Beispiele könnten also nur durch die geänderte Bedingung erklärt werden, daß Sichtbarkeit des Referenten oder des Demonstratums, von dem der Referent ableitbar ist, gegeben sein muß. Aber das wäre für die Beispiele (71) und (72) auch nicht hinreichend. ad 2. und 3.: Die Bedingungen müßten so umformuliert werden, daß angegeben wird, daß für den Hörer klar sein muß, welche Verwendungsweise gemeint ist, wenn die Beschreibung je nach Konzeption oder Verwendungsweise auf mehrere Referenten "zutreffen" könnte, bzw. daß für den Hörer klar ist, welcher von mehreren der Beschreibung entsprechenden Referenten einer Verwendungsweise in Frage kommt. Allerdings sagen diese Bedingungen noch nichts darüber aus, wie ein Referent für den Hörer eindeutig identifizierbar wird. Und das wäre gerade wichtig festzuhalten. ad 4·'· Die in 4. gegebene Bedingung kann dazu nichts leisten, da sie unzutreffend ist. Die Eigenschaft, die ein Sprecher in der Beschreibung anspricht, um auf einen Gegenstand zu referieren, muß dem intendierten Gegenstand nicht objektiv zukommen, was aber Hawkins offensichtlich annimmt. Es geht letztlich nur um das Design, das so sein muß, daß der

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Hörer daraus ableiten kann, welchen Gegenstand der Sprecher meint. Ob der Gegenstand aber die Eigenschaft hat, die der Sprecher in der Beschreibung anspricht, ist eine ganz andere Frage. (75) Diese Null kann doch nicht einmal bis 5 zählen! Wenn A so über eine Person spricht, muß diese Person nicht die schlechten Eigenschaften haben, die A ihm zuschreibt. Aber B muß erkennen, auf welche Person A mit "diese Null" referieren will. Also muß B annehmen, daß A davon ausgeht, daß B von dieser Beschreibung ableiten kann, wen A meint. D.h. A muß annehmen, daß die Wahrscheinlichkeit, daß B mit der gegebenen Beschreibung auf den intendierten Referenten kommt, größer ist, als daß B mit dieser Beschreibung auf einen anderen Referenten kommt. Ob die gemeinte Person die Eigenschaft hat oder nicht, ob A meint, daß diese Person diese Eigenschaft hat, oder B meint, daß diese Eigenschaft zutrifft, spielt letztlich keine Rolle. Die Beispiele, die Hawkins zur Begründung seiner Bedingung 4 gibt, zeigen noch einmal die Schwäche seiner ganzen Argumentation: (76) Pass me that goosh-injecting tyroid, will you? - What? That what? - Oh, didn't you know? That's a goosh- injecting tyroid. (77) I was watching my friend fixing a goosh-injecting tyroid the other day. And, my word, what a job he was having with this injectoid. - With this what? - Oh, didn't you know? A goosh-injecting tyroid ist just a special type of injectoid. In (76) verlangt der illoktionäre Typ von Sprechakt vom Hörer eine entsprechende direkte Identifikationshandlung. Wenn der Hörer nicht weiß, was ein goosh-injecting tyroid ist, kann er es auch nicht finden und den Referenten aus der Beschreibung ableiten. Aber wenn der Hörer z.B. gerade einen Gegenstand in der Hand hält, für den er keine Beschreibung kennt, wird er wahrscheinlich darauf schließen, daß dieser Gegenstand gemeint sein könnte. Mit der Verwendbarkeit des Demonstrativartikels hat das Problem aber nur zu tun, wenn wir diese Einschränkung vornehmen. Sonst wird die Referenz bei diesem Sprechakt mit jedem Artikelwort fehlschlagen. Der Kontext in (77) ist so, daß der Hörer auch ohne nähere Erläuterung annehmen kann, daß es sich bei "injectoid" um eine anaphorische Wiederaufnahme von "a gooshinjecting tyroid" handelt. Was so ein injectoid genau ist, ist eine ganz andere Frage. Aber mit der Verwendbarkeit des Demonstrativartikels hat dies überhaupt nichts zu tun. Was Hawkins eigentlich (gegen seinen Willen) beweist, ist, daß ein Hörer, auch ohne mit einer Beschreibung etwas anfangen zu können, über den Demonstrativartikel Schlüsse über die beabsichtigte Referenz anstellen kann. Wie solche Schlüsse ablaufen können, wird weiter unten noch gezeigt werden. 2. Clark, Schreuder, Buttrick: 4 Aspekte, der situativen Verwendung des Demonstrativartikels Ich möchte meine weiteren Überlegungen vorerst auf die sehr häufige situative Verwendung (Sichtbarkeit des Referenten bzw. des Demonstratums) des Demonstrativartikels einschränken. Dabei soll das über diesen Bereich hinaus gültige "principle of optimal design" von Clark, Schreuder und Buttrick (1983) als Orientierung dienen: "The speaker designs his utterance in such a way that he has good reason to believe that the addressees can readily and uniquely compute what he ment on the basis of the utterance along the

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rest of their common ground." (ebda. S. 246). Für den Adressaten der Äußerung heißt dies, daß er annehmen kann, daß er genug Informationen bekommen hat und deshalb die Sprecherintention herausfinden kann. Entscheidend ist, daß die gemeinsame Basis nicht irgendein Wissen ist, sondern nur das Sprecher und Hörer gemeinsame Wissen, wie ich es weiter oben diskutiert habe. Clark, Schreuder und Buttrick haben uns anhand einiger psycholinguistischer Experimente gezeigt, daß unterdeterminierte Referenz (durch nicht-eindeutige Beschreibung oder nicht-eindeutiges Zeigen) nicht zum Scheitern der beabsichtigten Referenz führen muß. Welche Bedingungen dazu beim Demonstrativartikel erfüllt sein müssen, will ich am Beispiel eines der Experimente deutlich machen. Studenten an der Stanford University wurde ein Bild von Ronald Reagan und seinem damaligen Budgetdirektor Stockman gezeigt. Der Interviewer zeigte das Bild der Hälfte der Studenten mit der Frage l ("You know who this man is, don't you?") und der anderen Hälfte mit der Frage 2 ("Do you have any idea at all who this man is?"). Bei Frage l stellte sich heraus, daß fast alle Studenten als beabsichtigten Referenten Reagan wählten, während bei Frage 2 kein einziger der Studenten spontan Reagan als Referenten wählte. Nun hatte Buttrick als Interviewer zurecht angenommen, daß die Studenten bei Frage l Reagan nennen würden und bei Frage 2 eher zu Stockman tendierten. Diese Voraussetzungen haben offensichtlich die Studenten in ihrer Antwort mitreflektiert. Unter der in der Frage ausgedrückten Voraussetzung, daß die Studenten den Referenten gut kennen, kamen die Studenten zu einem anderen Schluß als unter der Voraussetzung, daß sie den Referenten nicht kennen. Der Hörer einer demonstrativen NP reflektiert also mit, welche Präsuppositionen des Sprechers mit der entsprechenden Äußerung verbunden sein könnten. Dies gilt natürlich für alle definiten NPs. In den anderen Experimenten wurden weitere Aspekte dieser Hörer-Räsonnements deutlich (meine Beispiele sind nicht immer bis ins Detail diesen Experimenten entnommen, aber geben sie inhaltlich entsprechend wieder): Perzeptuelles Hervorstechen (perceptual salience): Wenn z.B. mehrere Blumen auf einem Bild zu sehen sind, wird diejenige am wahrscheinlichsten als Referent der NP "diese Blume" gewählt, die sich am deutlichsten dem Auge aufdrängt durch Position, Farbe, Größe etc., unter Berücksichtigung aller anderen Aspekte des gemeinsamen Wissens. Sprecher ziele: Wenn mir jemand ein Bild mit verschiedenen Objekten zeigt und mich fragt, was ich von "diesem Geschenk für X" halte, so wird meine Wahl des Referenten auch davon abhängen, wer X ist und wie ich ihn einschätze. D.h. wenn X ein sehr sportlicher junger Mensch ist, werde ich eher dazu neigen, ein Sportgerät oder Sportkleidung als Referenten anzunehmen. Wenn X aber ein Kind ist, das gerade gehen lernt, wird ein anderes Objekt wahrscheinlich. Alles natürlich unter der Voraussetzung, daß die Frage ernst gemeint ist und der Schenker sich keinen Spaß mit dem Beschenkten erlauben will. Das gemeinsame Wissen wird natürlich auch in diesem Fall bemüht. Es kommt also darauf an, daß ich mitreflektiere, wie der Frager X einschätzt und wie er mein Wissen über X beurteilt etc. Das perzeptuelle Hervorstechen von Gegenständen genügt allein nicht. Sprecherbehauptungen: Wenn der Hörer die Sprecherbehauptung nicht richtig versteht, wird er auch Schwierigkeiten haben, den geeigneten Referenten zu finden. (78) Dieser Typ sollte mehr essen. (79) Dieser Typ ist wie mein Onkel.

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Wenn A auf zwei Männer zeigt (einer dünn und einer dick), wird B mit (78) relativ wenig Probleme haben, den Dünnen als Referenten zu identifizieren, da er die Behauptung richtig versteht. Bei (79) aber muß er den Onkel kennen oder zumindest eigene Informationen haben, um den intendierten Referenten zu finden. Wenn ein Sprecher also ohne Berücksichtigung solcher Aspekte des gemeinsamen Wissens eine NP benützt, wird die Referenz mit großer Wahrscheinlichkeit fehlschlagen. Bei allen Verwendungen des Demonstrativartikels werden also die genannten 4 Aspekte relevant: Präsuppositionen des Sprechers, wahrnehmungsmäßiges Hervorstechen, Sprecherziele und Sprecherbehauptungen. Aber alle diese Aspekte sind nur zu verstehen über das gemeinsame Wissen der Kommunikationspartner. Der Hörer muß in seine Räsonnements alle Aspekte miteinbeziehen und den Referenten wählen, für den es die meisten Argumente gibt. Aber ich habe noch nicht geklärt, was die Verwendung des Demonstrativartikels letztlich von der des Definitartikels unterscheidet. Welche Räsonnements muß der Hörer abweichend vom Definitartikel miteinbeziehen, welche ausschließen? Die von Clark, Schreuder und Buttrick genannten Aspekte können auch bei NPs mit dem Definitartikel relevant werden, also noch nicht allein eine Erklärung für die Verwendung des Demonstrativartikels bieten. S. Auer: Indexikalitätsmarker In der Ethnomethodologie wurde die These aufgestellt, daß die Kommunikationsteilnehmer in alltäglichen Konversationen ihren Kontext (Äußerungsrahmen) selbst produzieren und verändern, und nicht nur den gegebenen Kontext (Außerungsrahmen) reflektieren (vgl. Auer 1987). Auer (1981) hat die Funktion des Demonstrativartikels in deutschen Konversationen von dieser These ausgehend untersucht. Er machte zuerst drei empirische Beobachtungen: 1. Der Demonstrativartikel tritt häufig in sogenannten Referenzierungssequenzen auf (eine mindestens zweigliedrige Sequenz von "turns"), bei denen Referenz nicht "en passant" verläuft, sondern mit "mehr Aufwand als gewöhnlich" (S.304). 2. Der Demonstrativartikel tritt fast ausschließlich in Referenzierungssequenzen auf, die auch vom Referierenden initiiert sind. 3. Bei fremdinitiierten Reparaturen wird ein zuvor verwendeter Definitartikel durch den Demonstrativartikel ersetzt. Die Unzulänglichkeit eines referentiellen Ausdruckes kann zwar auch durch andere Mittel, z.B. Pausen, angezeigt werden, aber der Demonstrativartikel stellt nach Auer das vermutlich wichtigste Mittel für den Referierenden dar, "um einerseits seine eigene Unsicherheit bezüglich der Suffizienz des fraglichen referenziellen Ausdrucks (und also des Vorwissens des Rezipienten) zu zeigen und andererseits diesen zur Stellungnahme zu motivieren." (S.307). Mit dem Demonstrativartikel weist also der Sprecher den Rezipienten auf die "Unzulänglichkeit" einer Sprecheräußerung hin und problematisiert sie damit. Auer verwendet dafür den Terminus "Indexikalitätsmarker". Indexikalitätsmarker sind also als eine Art "Achtungl-Gefahrenstellel-Schilder" zu verstehen (Auer ebda. S. 308), die vor möglichen Verständnisschwierigkeiten warnen. Auer greift nun im Gegensatz zur traditionellen Anapher-Theorie mit ihrem feststehenden Kontext auf einen "dialektisch-reflexiven" Kontextbegriff (S^ 308) zurück. Wenn ein tatsächlicher Vorläufer im gegebenen Kontext nicht vorhanden ist, können Sprecher trotzdem "die dem Demon-

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strativartikel dies-inhärente Verweiskraft auf etwas Naheliegendes, Vorerwähntes" für ihre Zwecke ausnützen: "Sie spielen mit ihr, sie 'tun so, als ob' X der Verweis auf eine andere Textstelle zur Ergänzung der für sich alleine möglicherweise unzureichenden referentiellen Beschreibung/Benennung hilfreich sein könnte. Durch die Divergenz zwischen Kontextverweiskraft und tatsächlichem sprachlichen Kontext erhält die demonstrative Artikelform ihre indexikalitätsmarkierende Kraft. Indem er ein dies- verwendet, spielt der Sprecher auf ein möglicherweise vorhandenes, aber nicht tatsächlich erwähntes gemeinsames Vorwissen an und gibt ihm dadurch kontextuelle Relevanz: d.h. er produziert immer dann, wenn die problematisierte Referenzierung durch die Bestätigung des Rezipienten als gelungen ausgewiesen worden ist, gesichertes gemeinsames Wissen, einen Teil des 'universe of discourse', d.h. Kontext." (S.309). Auer (1984) präzisiert die Aufgabe des Demonstrativartikels gegenüber der des Definitartikels: "The speaker underlines that what he or she says verbally is not enough and that additional information has to be taken from the context. It is not the fact such contextualization is not necessary when the definite article is used, which constitutes the interactional meaning of dieser in this case, but the fact that such a necessity is 'pointed to' by the speaker by the use of the demonstrative." (Auer 1984:636). Auer weist noch auf eine Besonderheit des deutschen Demonstrativartikels dieser hin. Er sei nicht verwendbar, wenn die NP kein Korrelat im gemeinsamen Wissen der Kommunkationspartner habe.

3.2.5

Distanzierung von nicht-episodischem Dauerwissen. Problematisierung der Referenz.

Ich glaube, daß ich mit diesen von Auer vorgelegten Ergebnissen eine gute Grundlage habe, um zu einer plausiblen Darstellung der Grundbedeutung von dieser zu kommen. Nötig dazu ist allerdings, daß ich den unscharfen Kontextbegriff von Auer durch meine Analyse des gemeinsamen Wissens der Kommunikationsteilnehmer und der dort verfügbaren Rahmen ersetze. Ein (von mir in die Standardsprache gesetztes) Beispiel von Auer soll als Ausgangspunkt dienen: (80) A : Was hast du denn gelesen? B : Ja, diesen Aufsatz von dem Olsen. A : Was ist denn das für einer? Ach so - von dem habe ich immer noch nichts mitbekommen. B problematisiert die Referenz durch die Verwendung von dieser, und A erkennt diese Problematisierung und kann dadurch seine eigene Frage "Was ist denn das für einer?" schließlich beantworten. Daß etwas problematisch ist, reicht dazu aber nicht aus, denn vom Problem komme ich nicht automatisch zur Lösung. Auer schlägt vor, die Divergenz von Kontextverweiskraft und tatsächlichem sprachlichem Kontext als indexikalitätsmarkierende Kraft zu nutzen. Aber es bleibt die Frage, wie kann diese Kraft den richtigen Weg weisen. Ich schlage folgendes Hörerräsonnement von A vor: "Wenn B die Bestimmung des Referenten als Problem darstellt, weil er weiß, daß seine Beschreibung unzureichend ist, muß es irgendetwas anderes geben, was mir hilft, den richtigen Referenten zu finden. D.h. es muß etwas sein, was den Referenten von allen anderen möglichen Referenten unterscheidet. Es muß etwas sein, was ihn für mich und für B unterscheidet. Der Referent muß also irgendwie gegenüber den anderen hervorstechen. Der Aufsatz muß also ein be-

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sonderer sein, ein wichtiger, vielleicht sehr schwieriger oder auch sehr einfacher, dummer. Aber irgendwie muß es ein Merkmal geben, das mir hilft, ihn herauszufinden." Ich werde also die von Clark, Schreuder und Buttrick aufgezeigten Aspekte demonstrativer Identifizierung mit in meine Überlegungen einbeziehen. Entscheidend dabei scheint mir dabei der Hinweis auf etwas Herausragendes und die von den Kommunikationspartners geteilten Präsuppositionen zu sein. Meine These ist folgende: Der Demonstrativartikel wird verwendet, wenn es auf die Abgrenzung von anderen möglichen Referenzen ankommt. Entscheidend ist, daß andere mögliche Referenten im gemeinsamen Wissen vorhanden sind und daß sich der gemeinte Referent von diesen anderen für den Hörer unter Berücksichtigung des gemeinsamen Wissens mit dem Sprecher deutlich unterscheidet und der Hörer diesen Unterschied als relevant ansehen kann. Der Unterschied muß nicht aus der verwendeten Beschreibung ableitbar sein, bzw. die Beschreibung muß den Unterschied nicht reflektieren. Die Funktion als Indexikalitätsmarker oder Signal für Referenzschwierigkeiten ist durch die Abgrenzungsaufgabe vorgezeichnet. Über die im gemeinsamen Dauerwissen verankerten nicht-episodischen Rahmen funktioniert Referenz unproblematisch, da die Referenten über die Rahmen automatisch bestimmt sind, dagegen zerschlägt die Abgrenzung diese Bestimmtheit und verlangt zusätzliche Identifizierungsanstrengungen. Wir können also auch sagen: Wenn ein Sprecher die Abgrenzung thematisiert, geht er davon aus, daß die Referenz problematisch ist, bzw. wenn die Referenz problematisch ist, muß der Sprecher die Abgrenzung thematisieren. Die Distanzierung von generischem oder spezifischem Dauerwissen, von den gespeicherten Rahmen oder darin enthaltenen Elementen kann, wie ich gezeigt habe, auf verschiedene Weise verstanden werden. Die Deutungspalette reicht von emotionaler, abwertender Distanzierung bis zur Kennzeichnung von Nicht-Vertrautheit mit im spezifischen oder generischen Dauerwissen verankerten Elementen. Dabei können sich verschiedene Deutungen überlagern: (81) Herr Schmid hat angerufen! - Ich kenne diesen Herrn Schmid nicht. (82) Im Vorzimmer wartet ein Vertreter auf sie. - Ich weiß, aber ich habe keine Lust, mit diesem werten Herrn zu reden. (81) und (82) enthalten sowohl einen anaphorischen Verweis auf die Antezedens-NP als auch einen Ausdruck der Nicht-Vertrautheit (81) mit bzw. der abwertenden Distanzierung (82) von dem ins Spiel gebrachten Referenten. Ähnliche Überlagerungen finden sich bei (61) und (62) und einigen anderen Beispielen, die ich diskutiert habe. Auf die besondere Kommunikationsgeschichte von S und H zurückzuführendes Wissen wird wie in (70) durch die Aktivierung des episodischen Wissens für die Referentenbestimmung relevant. Der Demonstrativartikel muß verwendet werden, wenn der Sprecher die Gefahr sieht, daß der Hörer in den falschen Wissensbereichen suchen sollte. (83) Ich komme mit diesen Kindern. Hier will S den Eindruck vermeiden, daß er mit den eigenen Kindern kommt. Mit dem Definitartikel wäre diese Interpretation naheliegend gewesen. So sucht H aber nach Referenten im gemeinsamen episodischen Wissen, wenn eine deiktische oder anaphorische Interpretation ausgeschlossen ist. Deiktische Verwendungen müssen oft besonders gekennzeichnet werden, um Mißverständnisse auszuschließen:

81 (84) Gib mir bitte diese Drittel (2 Brillen liegen auf dem Tisch.) Bei Verwendung des Definitartikels könnte H, wenn S seine eigene Brille auf den Tisch gelegt hat, zuerst mal davon ausgehen, daß S die ihm gehörende Brille verlangt. Der Demonstrativartikel grenzt aber genau von dieser naheliegenden Interpretation ab und markiert eine deiktische Verwendungsweise, die die Brille von S als Referent ausschließt, da er auf diese mit dem Definit- oder Possessivartikel referiert hätte. Dieses Räsonnement funktioniert natürlich nur, wenn S und H das gemeinsame Wissen teilen, daß die Brille von S auch auf dem Tisch liegt und H diese identifizieren könnte. Vor allem bei generischen Verwendungen, bei Wiederaufnahmen durch Hyperonyme und bei Abstrakta als NP-Kernen wird der Demonstrativartikel als anaphorisches Signal wichtig. Deutlich wird dies bei (67) und — eingeschränkt — bei (66), das allerdings auch emotional aufwertend generisch interpretiert werden kann: "Diese tollen, schönen Frauen, die es auf der Welt gibt." Eindeutig wird die definite Referenz also auch durch den Demonstrativartikel nicht immer. Die Verbindung von anaphorischer Wiederaufnahme mit der Abgrenzung von einer über allgemeines oder spezifisches Weltwissen gesicherten Interpretation zeigt sich in (85) und (86): (85) ... hat auch im Mittelpunkt der Politik gestanden, die wir im Amt als Bundeskanzler vertreten haben. Die Bundesrepublik hat durch diese Politik den Ruf gewonnen und gestärkt ... (Anzeige der SPD, SZ vom 2.6.89). (86) .. .daß die 'Falken' in der Führung wieder allein das Sagen haben. In der Trauer über die Toten und Verletzten mischt sich bei der Bevölkerung ohnmächtige Wut über das, was diese Politiker dem eignen Volk angetan haben. (AZ vom 5.6.89). Um zu verhindern, daß der Rezipient die NP "die Politik" auf die gesamte Politik der BRD beziehen könnte, wird der abgrenzende Demonstrativartikel verwendet. Der spezifische Rahmen BRD oder der generische Rahmen Staat, die die spezifischen bzw. typisierten uniken Elemente Politik, Ökonomie, Kultur etc. enthalten, kommen so nicht zur Geltung. Der anaphorische Bezug zu der vorerwähnten besonderen Politik der früheren Bundeskanzler wird hergestellt. Genauso kann (86) erklärt werden. Er geht nicht um die chinesischen Politiker als Gruppe insgesamt, sondern um die vorerwähnte spezielle Gruppe der 'Falken', auf die Bezug genommen wird. Mit dem Definitartikel würde der Rahmen China abgerufen, der die chinesischen Politiker als Gruppe unik umfaßt, bzw. das Schema Staat mit dem typisierten Element Politiker. Auch (31 a) und (32a) belegen, daß der Demonstrativartikel über den Hinweis auf kontextuelles (anaphorisches) Wissen die Referentenbestimmung ermöglicht. Die Abgrenzung von nicht-episodischem Dauerwissen wird thematisiert. S referiert im Gegensatz zu (31) auf den vorerwähnten Dom und im Gegensatz zu (32) über die Antezedens-NP auf das Alter von 60 Jahren: (31a) Ich war gestern im Dom. Aber ich wäre lieber nicht in diese Kirche gegangen. (32a) Er ist jetzt 60 Jahre alt geworden. Und er hatte schon immer Angst vor diesem Alter.

82

3.2.6

Definitartikel und Demonstrativartikel als stilistische Alternativen bei

fehlender Relevanz der Abgrenzung Nun lassen sich aber bei konkreten Individuativa fast nur Beispiele anaphorischer Verwendungen finden, bei denen der Demonstrativartikel offensichtlich ohne irgend eine Änderung der kommunikativen Wirkung durch den Definitartikel ersetzt werden kann: (87) Ich habe gestern ein Buch bei ihnen gekauft, mußte aber leider zuhause feststellen, daß dieses Buch beschädigt ist. (88) Helmut kommt gleich mit einem schüchternen Mädchen vorbei. Vielleicht kannst du dich ein bißchen um dieses Mädchen kümmern. Hier hat die Verwendung des Demonstrativartikels nur stilistische Gründe. Ansonsten hätten Demonstrativ- und Definitartikel die gleiche kommunikative Wirkung. Trotzdem handelt es sich um eine normale, wenn auch nicht markante prototypische Verwendung des Demonstrativartikels. Denn es geht auch hier um die Abgrenzung von gemeinsamem nicht-episodischem Dauerwissen. Nur ist diese Abgrenzung in den genannten Beispielen nicht relevant, da das Prinzip der Textkohärenz die Referenzidentität mit dem Antezedens sowieso erforderlich macht. So sind Definitartikel und Demonstrativartikel rein stilistische Alternativen (dieser ist stärker), wenn es um anaphorische Wiederaufnahmen geht, die schon durch den Zwang zu einer kohärenten, sinnstiftenden Interpretation gesichert sind. 3.2.7

Der kontrastiv betonte Demonstrativartikel

Wenn der Demonstrativartikel kontrastiv betont wird, wird die durch die Verwendung des Demonstrativartikels signalisierte Abgrenzung besonders hervorgehoben. Die kontrastive Betonung ist stärker als die nur verdeutlichende Betonung, die sich phonetisch kaum von der normalen Betonung von dieser unterscheidet. Dieser ist nicht reduzierbar wie der wobei die Bedeutung von dieser auch mit einer Reduzierung nicht vereinbar wäre. Die kontrastive Betonung verlangt ein anderes Räsonnement als die verdeutlichende oder normale Betonung: (84) Gib mir bitte diese Brille\ (89) Gib mir bitte diese Brille\ Während in (84) S nur deutlich macht, daß H berücksichtigen sollte, daß noch eine andere Brille in Frage kommen könnte, aber nicht davon ausgeht, daß H einen anderen Referenten wirklich in Betracht zieht, signalisiert S mit (89) gerade, daß er H unterstellt, daß dieser ohne die kontrastive Betonung die Referenz falsch verstehen würde. Deshalb ist die kontrastive Betonung auch nur anwendbar, wenn der Referent anaphorisch oder deiktisch zu bestimmen ist. Die kontrastive Betonung kann nicht zwischen im Dauerwissen gespeicherten Elementen abgrenzend wirken, da dort Elemente nur unik über Rahmen gespeichert sind. Sie kann nur gegenüber vom Hörer textuell (Antezedens) oder situativ wahrnehmbaren möglichen Referenten erfolgen.

83 Abbildung 6: Problematisierung der Referenz

Episodisches Dauerwissen (ED)

Kontextuelles Laufwissen (KL)

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