(Nicht-)kanonische Nebensätze im Deutschen: Synchrone und diachrone Aspekte 9783110276527, 9783110276671

This diachronously and synchronously oriented study focuses not only on the creation of the “dass” sentence but also on

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German Pages 414 [412] Year 2012

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Table of contents :
Vorwort
1 Einführung
1.1 Fragestellung
1.2 Kanonische Konstruktionen
1.3 Nichtkanonische Konstruktionen
1.4 Satzfügung in der rezenten ,synchronen‘ Literatur
1.5 Nichtkanonische Nebensätze in der sprachgeschichtlichen Literatur
1.6 Gang der Untersuchung
1.7 Textgrundlage für die sprachgeschichtliche Untersuchung
2 Argumentrealisierende dass-Sätze
2.1 Einführung
2.2 Dass-Sätze im Gegenwartsdeutschen
2.2.1 Nachfeldstellung und das Problem der Basisposition von dass-Sätzen
2.2.2 Korrelatkonstruktionen
2.2.3 Vorfeldfähigkeit
2.2.4 Extraktionstransparenz
2.2.5 Selektion durch Präpositionen
2.2.6 Zusammenfassung
2.3 Dass-Sätze im älteren Deutsch
2.3.1 Nachfeldstellung
2.3.2 Korrelatkonstruktionen
2.3.3 Extraktionstransparenz
2.3.4 Selektion durch Präpositionen
2.3.5 Zusammenfassung
2.4 Hypothesen zur Entstehung der Konjunktion thaz
2.4.1 Entstehung aus der Konstruktion ,Diskurskatapher + Hauptsatz‘
2.4.2 Entstehung aus der Konstruktion ,Korrelat + asyndetischer Nebensatz‘
2.4.3 Entstehung aus dem Relativpronomen
2.4.4 Ein neues Szenario: Entstehung aus der Relativpartikel
2.5 Zusammenfassung
3 Nichtkanonische Argumentsätze
3.1 Einleitung
3.2 Verbzweitsätze im Gegenwartsdeutschen
3.2.1 Matrixrestriktionen
3.2.2 Art der Satzfügung: Parataxe oder Hypotaxe?
3.3 Weitere nichtkanonische Argumentsätze in den germanischen Sprachen
3.3.1 Argumentsätze mit Nullkomplementierer
3.3.2 Komplementierereingeleitete Verbzweitsätze
3.4 Zur Diachronie der asyndetischen Verbzweitsätze
3.4.1 Althochdeutsch
3.4.2 Mittelhochdeutsch
3.5 Zur Diachronie der asyndetischen Verbendsätze
3.5.1 Althochdeutsch
3.5.2 Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch
3.6 Analysen
3.7 Diachrone Entwicklungen
3.7.1 Junggrammatische Theorien
3.7.2 Haben asyndetische Argumentsätze eine Rolle bei der Entstehung des thaz-Satzes gespielt?
3.8 Zusammenfassung
4 Nichtkanonische ,Relativ‘sätze
4.1 Einführung
4.2 Die relativische Verberstkonstruktion
4.3 Die relativische Verbzweitkonstruktion
4.4 Relativische asyndetische Verbendsätze
4.5 Analysen
4.5.1 Asyndetische Verbendrelativsätze
4.5.2 Relativische Verbzweit- und Verberstkonstruktionen
4.6 Diachrone Aspekte
4.6.1 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus der relativischen Verbzweitkonstruktion?
4.6.2 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus dem asyndetischen Relativsatz?
4.6.3 Ein alternatives Szenario zur Entstehung des d-Verbendrelativsatzes
4.7 Zusammenfassung
5 Temporale da-Sätze: von der Korrelation zur Integration
5.1 Fragestellung
5.2 Althochdeutsche thō-Sätze
5.2.1 Periphere Stellungen
5.2.2 Vorfeldstellung?
5.2.3 Die korrelative Konstruktion
5.3 Mittelhochdeutsche dô-Sätze
5.3.1 Periphere Stellungen
5.3.2 Dô-Sätze und weitere unintegrierte Nebensätze im Prosalancelot
5.3.3 Kopfinterne Relativsätze
5.4 Bisherige Entstehungsszenarien
5.4.1 Wunder (1965) und Behaghel (1928)
5.4.2 Lenerz (1984)
5.5 Ein alternativer Vorschlag
5.5.1 Die Reanalyse des Subordinators dô
5.5.2 Die Reanalyse der dô-Sätze
5.6 Korrelative vs. integrative Gefüge im Frühneuhochdeutschen
5.7 Reanalyse vis-à-vis Grammatikalisierung
5.8 Zusammenfassung
6 Zusammenfassung
Literatur
Quellentexte
Sekundärliteratur
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(Nicht-)kanonische Nebensätze im Deutschen: Synchrone und diachrone Aspekte
 9783110276527, 9783110276671

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Linguistische Arbeiten

542

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Müller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Katrin Axel-Tober

(Nicht-)kanonische Nebensätze im Deutschen Synchrone und diachrone Aspekte

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027652-7 e-ISBN 978-3-11-027667-1 ISSN 0344-6727 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung entstand in zwei Stadien. Die Anregung, mich dem Thema Nebensätze und Subordination zuzuwenden, erhielt ich bereits im Jahre 2005 durch meine Tätigkeit als wissenschaftlichen Mitarbeiterin in dem von Marga Reis und Hubert Truckenbrodt geleiteten Projekt ‚Satzgefüge – Subordination – Parenthese‘ des Tübinger Sonderforschungsbereichs ‚Linguistische Datenstrukturen‘. Im Rahmen dieses Projekts erfolgten auch die ersten Vorarbeiten. Weiterentwickelt und fertiggestellt wurde die Arbeit dann während meiner Assistenzzeit in der Fachrichtung Germanistik an der Universität des Saarlandes. Dort wurde sie im Sommersemester 2009 an der Philosophischen Fakultät II als Habilitationsschrift eingereicht und angenommen. In all den Jahren habe ich von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in Tübingen, Saarbrücken und auf Tagungen wertvolle Hinweise und vielfältige Hilfe erhalten – es sind zu viele, um sie hier alle nennen zu können. Besonderer Dank gebührt Ulrike Demske für ihre Unterstützung und ihr Interesse an meiner Arbeit, den weiteren Gutachtern im Habilitationsverfahren, Marga Reis, Ingo Reich und Helmut Weiß für ihre hilfreichen Kommentare und Beobachtungen und last, but not least, Carsten für seinen fortwährenden liebevollen Beistand.

Inhalt

Vorwort .......................................................................................................... V 1

Einführung ............................................................................................. 1 1.1 Fragestellung .................................................................................. 1 1.2 Kanonische Konstruktionen ........................................................... 1 1.3 Nichtkanonische Konstruktionen ................................................. 10 1.4 Satzfügung in der rezenten ‚synchronen’ Literatur ...................... 17 1.5 Nichtkanonische Nebensätze in der sprachgeschichtlichen Literatur ........................................................................................ 25 1.6 Gang der Untersuchung ................................................................ 28 1.7 Textgrundlage für die sprachgeschichtliche Untersuchung .......... 30

2

Argumentrealisierende dass-Sätze ....................................................... 41 2.1 Einführung .................................................................................... 41 2.2 Dass-Sätze im Gegenwartsdeutschen ........................................... 44 2.2.1 Nachfeldstellung und das Problem der Basisposition von dass-Sätzen ................................................................ 44 2.2.2 Korrelatkonstruktionen .................................................... 48 2.2.3 Vorfeldfähigkeit................................................................ 56 2.2.4 Extraktionstransparenz ..................................................... 58 2.2.5 Selektion durch Präpositionen .......................................... 60 2.2.6 Zusammenfassung ............................................................ 60 2.3 Dass-Sätze im älteren Deutsch ..................................................... 61 2.3.1 Nachfeldstellung ............................................................... 61 2.3.2 Korrelatkonstruktionen ..................................................... 64 2.3.3 Extraktionstransparenz ..................................................... 74 2.3.4 Selektion durch Präpositionen .......................................... 83 2.3.5 Zusammenfassung ............................................................ 91 2.4 Hypothesen zur Entstehung der Konjunktion thaz ...................... 91 2.4.1 Entstehung aus der Konstruktion ‚Diskurskatapher + Hauptsatz’ ......................................................................... 91 2.4.2 Entstehung aus der Konstruktion ‚Korrelat + asyndetischer Nebensatz’ ............................................... 100

VIII 2.4.3 Entstehung aus dem Relativpronomen ........................... 104 2.4.4 Ein neues Szenario: Entstehung aus der Relativpartikel 106 2.5 Zusammenfassung ...................................................................... 121 3

Nichtkanonische Argumentsätze ........................................................ 127 3.1 Einleitung .................................................................................... 127 3.2 Verbzweitsätze im Gegenwartsdeutschen .................................. 128 3.2.1 Matrixrestriktionen ......................................................... 128 3.2.2 Art der Satzfügung: Parataxe oder Hypotaxe? ............... 134 3.3 Weitere nichtkanonische Argumentsätze in den germanischen Sprachen ................................................................................ 140 3.3.1 Argumentsätze mit Nullkomplementierer ...................... 140 3.3.2 Komplementierereingeleitete Verbzweitsätze ................ 143 3.4 Zur Diachronie der asyndetischen Verbzweitsätze ..................... 153 3.4.1 Althochdeutsch ............................................................... 154 3.4.2 Mittelhochdeutsch .......................................................... 166 3.5 Zur Diachronie der asyndetischen Verbendsätze ........................ 175 3.5.1 Althochdeutsch ............................................................... 175 3.5.2 Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch ................. 180 3.6 Analysen ..................................................................................... 183 3.7 Diachrone Entwicklungen .......................................................... 187 3.7.1 Junggrammatische Theorien .......................................... 187 3.7.2 Haben asyndetische Argumentsätze eine Rolle bei der Entstehung des thaz-Satzes gespielt? ............................. 189 3.8 Zusammenfassung . .................................................................... 192

4

Nichtkanonische ‚Relativ’sätze .......................................................... 195 4.1 Einführung .................................................................................. 195 4.2 Die relativische Verberstkonstruktion ........................................ 197 4.3 Die relativische Verbzweitkonstruktion ..................................... 207 4.4 Relativische asyndetische Verbendsätze .................................... 223 4.5 Analysen ..................................................................................... 230 4.5.1 Asyndetische Verbendrelativsätze ................................. 230 4.5.2 Relativische Verbzweit- und Verberstkonstruktionen ... 235 4.6 Diachrone Aspekte ..................................................................... 251

IX 4.6.1 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus der relativischen Verbzweitkonstruktion? ............................ 251 4.6.2 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus dem asyndetischen Relativsatz? ............................................. 257 4.6.3 Ein alternatives Szenario zur Entstehung des d-Verbendrelativsatzes.................................................... 263 4.7 Zusammenfassung ...................................................................... 265 5

Temporale da-Sätze: von der Korrelation zur Integration ................ 269 5.1 Fragestellung .............................................................................. 269 5.2 Althochdeutsche WKǀ-Sätze ......................................................... 5.2.1 Periphere Stellungen ...................................................... 5.2.2 Vorfeldstellung? ............................................................. 5.2.3 Die korrelative Konstruktion .........................................

273 273 284 287

5.3 Mittelhochdeutsche dô-Sätze ..................................................... 5.3.1 Periphere Stellungen ...................................................... 5.3.2 Dô-Sätze und weitere unintegrierte Nebensätze im Prosalancelot .................................................................. 5.3.3 Kopfinterne Relativsätze ................................................

301 301 309 316

5.4 Bisherige Entstehungsszenarien ................................................. 319 5.4.1 Wunder (1965) und Behaghel (1928) ............................ 319 5.4.2 Lenerz (1984) ................................................................. 320 5.5 Ein alternativer Vorschlag .......................................................... 326 5.5.1 Die Reanalyse des Subordinators dô .............................. 326 5.5.2 Die Reanalyse der dô-Sätze ........................................... 333 5.6 Korrelative vs. integrative Gefüge im Frühneuhochdeutschen .. 347 5.7 Reanalyse vis-à-vis Grammatikalisierung .................................. 355 5.8 Zusammenfassung ...................................................................... 358 6

Zusammenfassung .............................................................................. 363

Literatur ...................................................................................................... 375 Quellentexte ....................................................................................... 375 Sekundärliteratur ................................................................................ 379

1

Einführung

1.1

Fragestellung

Aspekte der Satzfügung stehen seit jeher im Mittelpunkt des Interesses der Grammatikbeschreibung und -theorie. Als die zentralen Satzfügungsarten gelten Subordination/Hypotaxe und Koordination/Parataxe. Diese Begriffe beziehen sich – je nach Theorie – primär auf formal-syntaktische oder auf interpretative Eigenschaften. Im Gegenwartsdeutschen (Gwd.) existieren allerdings sehr weit reichende Korrelationen zwischen der Geltung als Nebensatz auf interpretativer Ebene sowie informationsstrukturellen Eigenschaften auf der einen Seite und bestimmten formalen Eigenschaften auf der anderen Seite. Bereits die Junggrammatiker heben jedoch hervor, dass es zahlreiche Konstruktionsweisen gibt, in denen diese Standardkorrelationen durchbrochen sind. Solche ‚nichtkanonischen’ Nebensatztypen waren in früheren Sprachstufen sogar noch vielfältiger, ja ihnen wurde sogar häufig eine zentrale Rolle bei der Entstehung der kanonischen Nebensätze (z.B. beim dass-Satz oder beim pronominalen Relativsatz) beigemessen. In der vorliegenden Untersuchung geht es um synchrone und diachrone Aspekte von Nebensätzen mit nichtkanonischen Eigenschaften. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende, teilweise eng miteinander verzahnte Problembereiche: (i) Die Entstehung und Entwicklung der argumentrealisierenden dassSätze, (ii) argumentale und relative Nebensätze mit Verbzweit- oder Verberststellung, (iii) uneingeleitete (‚asyndetische’) Nebensätze und (iv) korrelative Adverbialsätze. Außerdem wird die Entstehung der Konjunktionen dass und da untersucht.

1.2

Kanonische Konstruktionen

Eine zentrale satzgrammatische Eigenschaft des Gwd. ist die sogenannte Verbstellungsasymmetrie. In der generativen Literatur wird seit der Analyse von den Besten (1983) 1 – ähnliche Vorschläge sind auch von Koster (1975) und Thiersch (1978) gemacht worden – angenommen, dass sich die Subjunk____________________ 1

Eine Vorversion des Beitrags von den Besten (1983) zirkulierte bereits seit dem Jahre 1977.

2 tion dass in der sogenannten COMP- oder C-Position befindet. Im Gwd. gibt es eine komplementäre Distribution zwischen der Basisgenerierung eines Komplementierers in C und der Verbbewegung: Die Basisposition des finiten Verbs befindet sich am Satzende (das Deutsche ist eine OV-Sprache). Wenn kein Komplementierer in C eingesetzt wird, bewegt sich das finite Verb obligatorisch in die C-Position. 2 In Deklarativsätzen wird außerdem in der Regel eine XP in die Spezifiziererposition von CP bewegt oder dort basisgeneriert, sodass Verbzweitstellung vorliegt. Im Gwd. muss man demnach die rechtsperiphere Position des Finitums in abhängigen Sätzen als die zugrunde liegende und die Zweit- bzw. Erstposition selbständiger Sätze als eine abgeleitete Position betrachten, vgl. (1)-a versus (1)-b. (1)

a. [CP dass die Sieben Zwerge das Schneewittchen verehren] b. [CP [Die Sieben Zwerge]i [C’[C verehrenk] [ ti das Schneewittchen tk ]]]

Die CP-Analyse setzt somit eine wesentliche Einsicht des topologischen Modells (s. Höhle 1986, vgl. bereits Erdmann 1886, Drach 1937) hierarchisch um, nämlich, dass der Komplementierer in Verbendsätzen 3 und das finite Verb in Verbzweit- bzw. Verberstsätzen dieselbe Position in der Struktur einnehmen:

____________________ 2 3

Eine Ausnahme bilden Nebensätze, die durch Interrogativ-, Relativ- oder Komparativphrasen in SpecC eingeleitet werden. Siehe hierzu unten. Der Terminus ‚Verbendsatz’ wird in der vorliegenden Arbeit für Sätze verwendet, deren finites Verb sich in situ befindet. Linear betrachtet können dem finiten Verb bestimmte Konstituenten im Nachfeld folgen. Valentin (1995: 30) schlägt daher vor, stattdessen den Terminus „Spätstellung“ zu verwenden. Dieser Begriff geht auf Behaghel (1932: 17) zurück, der von „Späterstellung“ spricht. Pasch et al. (2003: 95) argumentieren, dass man dennoch an dem in der Literatur verbreiteten Terminus Verbletzt- bzw. Verbendstellung festhalten sollte, „weil der Terminus ‚Spätstellung‘ ähnlich interpretationsbedürftig ist. Es muss in jedem Falle benannt werden, was auf das Finitum folgen kann und was ihm vorangehen muss, damit der Satz den betreffenden Namen zu Recht trägt“ (ibid.). Im älteren Deutsch war die Satzklammer noch nicht so stark ausgeprägt wie in der gwd. Standardsprache: Konstituenten waren häufiger ausgeklammert und bei periphrastischen Verbformen konnte das finite Verb aufgrund von sog. ‚Verb Raising’ (Oberfeldbildung) in größerem Umfang links von den infiniten Verben auftreten. Wenn es außer Frage steht, dass sich das finite Verb in den entsprechenden Beispielen strukturell betrachtet innerhalb des Verbalkomplexes befindet, werde ich im Folgenden auch dann den Terminus ‚Verbendstellung’ verwenden, wenn infinite Verben und/oder XPn nachfolgen. Falls die Oberflächenabfolge ambig ist und sich das finite Verb entweder in situ oder in C0 befindet, wird darauf extra hingewiesen.

3 (2)

a.

dass die Sieben Zw. das Schneew. LSK Mittelfeld b. Die Sieben Zwerge haben das Schneewittchen Vorfeld LSK Mittelfeld

verehrt haben RSK verehrt RSK

[LSK = linke Satzklammer; RSK = rechte Satzklammer]

Das Merkmal Verbendstellung gilt als prototypisches Nebensatzmerkmal. Zwar kommen dass-Verbendsätze auch als selbständige Sätze, als Hauptsätze vor, jedoch niemals in deklarativer Lesart (z.B. Altmann 1987, 1993). Für die Sätze in (3) liegt eine exklamative bzw. optative Interpretation nahe, eine deklarative ist eindeutig ausgeschlossen: (3)

a. Dass der grausame Wolf das Rotkäppchen fressen muss! b. Dass der tapfere Jäger das Rotkäppchen hoffentlich noch retten kann!

Daher wird das Merkmal Finitumvoranstellung als typisches Hauptsatzmerkmal betrachtet: Verbzweit- und Verberstsätze sind in der Regel selbständige Sätze. Allerdings gibt es eine Reihe von Ausnahmen im Bereich der Argument-, Relativ- und Adverbialsätze, auf die in der vorliegenden Arbeit immer wieder eingegangen werden wird. Ein weiteres kanonisches Merkmal von Nebensatzkonstruktionen ist, dass sie durch eine Subjunktion (ein C-Element) oder eine Relativ- bzw. Interrogativphrase eingeleitet werden: (4)

a. weil Hans Rosa nicht anruft, wenn er in Rom ist b. obwohl Hans immer angerufen hat früher c. während Rosa das nicht wusste damals (adaptiert aus Pasch et al. 2003: 68)

(5)

a. [der Mann,] den du dort siehst b. [dort,] wo es niemals regnet c. Was sich liebt, [neckt sich] d. [Sie fragt,] wer das gemacht hat (Pasch et al. 2003: 96, Bsp. 17a–d)

(Subjunktion) (Subjunktion) (Subjunktion)

(Relativpronomen) (Relativadverb) (Relativpronomen) (Interrogativpronomen)

Daten wie in (5) stellen ein Problem dar für Satzstrukturmodelle, welche die Generalisierung umsetzen, dass es eine komplementäre Distribution gibt zwischen der Finitumvoranstellung und der Basisgenerierung eines Komplementierers in C0. Denn Relativ- oder Interrogativpronomina sind phrasale Elemente, die nicht die C0-, sondern die SpecC-Position besetzen (vgl. auch die Diskussion in Reis 1985). Es wurde vorgeschlagen, dass in diesem Fall ein Nullkomplementierer in C steht, (6)-a, doch diese Analyse ist umstritten. In den Dialekten tritt häufig ein overt realisierter Komplementierer auf, (6)-b.

4 (6)

a. Der Jäger ahnt, [CP weri [C Ø ] ti das Rotkäppchen gefressen hat ]. b. I woaß ned [weri [C daß ] ti des dõa hot]. bairisch ich weiß nicht wer dass das getan hat (adaptiert aus Bayer 2001b: 15; Bsp. 1a, s. auch Bayer 1984)

Im heutigen Deutsch ist der putative Nullkomplementierer auf Sätze mit einleitenden Interrogativ-, Relativ- oder Komparativphrasen beschränkt. Gänzlich uneingeleitete (sog. ‚asyndetische’) Nebensätze mit Verbendstellung gibt es im Gegenwartsdeutschen nicht. Im älteren Deutsch ist dieses Phänomen jedoch bezeugt: Es gab asyndetische argumentrealisierende Sätze (Kapitel 3) mit Verbendstellung sowie asyndetische Relativsätze (Kapitel 4). Als ein weiteres kanonisches Merkmal von Nebensätzen möchte ich hier ganz prätheoretisch die interpretative Abhängigkeit nennen. Bereits Hermann Paul (1920: 294) hebt hervor: „Der Nebensatz hat die nämliche Funktion wie ein Satzglied, und es gilt daher auch von ihm dasselbe wie von jedem anderen Gliede in Bezug auf die Gliederung der ganzen Periode.“ Ein Phänomen, das in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss, ist die Argumentrealisierung. Es gibt zahlreiche Matrixprädikate, die eine Argumentstelle eröffnen, die durch ein propositionales Argument gesättigt werden kann oder muss. Die prototypischen Vertreter der argumentrealisierenden Sätze sind natürlich die deklarativen dass-Sätze. Daneben gibt es noch die durch die Subjunktion ob oder durch w-Phrasen eingeleiteten Interrogativsätze. Matrixprädikate, die argumentrealisierende Sätze selegieren, gehören häufig zur Gruppe der verba dicendi, verba sentiendi oder verba putandi: (7)

a. Die Sieben Zwerge teilen mit, dass sie das Schneewittchen verehren/ Ein Zwerg fragt, {ob jemand/ wer} von seinem Teller gegessen hat b. Das Schneewittchen sieht nicht, dass sie der bösen Stiefmutter die Tür geöffnet hat c. Die Stiefmutter glaubt, dass das Schneewittchen schöner ist als sie

Auch die Kernadverbialsatztypen sind insofern in den Matrixsatz interpretativ integriert, als dass sie an die Ereignisvariable in der Verbbedeutung geknüpft sind. Sie charakterisieren einen Vorgang oder Sachverhalt in Bezug auf zum Beispiel Temporalität, Kausalität oder Modalität: (8)

a. Als die Großmutter schwach war, sollte das Rotkäppchen ihr Kuchen und Wein bringen b. Weil die Großmutter schwach war, sollte das Rotkäppchen ihr Kuchen und Wein bringen c. Das Rotkäppchen sollte die Großmutter stärken, indem es ihr Kuchen und Wein brachte

Bei Relativsätzen besteht ein restriktives oder explikatives Verhältnis zu einem Antezedens im Matrixsatz:

5 (9)

a. Den Weg, den du gehst, werde ich auch gehen (Lehmann 1984: 48, Bsp. 16) b. Die Möbel, die übrigens keiner will, tun wir auf den Sperrmüll (Pasch et al. 2003: 535, Bsp. 48)

Die gerade erwähnten Beobachtungen haben eine syntaktische Basis. Reis (1997) expliziert allgemein die Subordination als syntaktische Unselbständigkeit, d.h. als Abhängigkeit von einer durch den Bezugssatz gegebenen lizenzierenden Instanz. Bei Reis & Truckenbrodt (2004) werden auch die Begriffe ‚subordinierter Satz’ und ‚Nebensatz’ verwendet. 4 In der vorliegenden Arbeit werden die drei Begriffe ‚unselbständiger Satz’, ‚subordinierter Satz’ und ‚Nebensatz’ synonym gebraucht. Nach Art der Lizenzierung und dem syntaktischem Verhalten unterscheidet Reis drei Klassen von Nebensätzen (s. auch Reis & Truckenbrodt 2004): Integrierte Nebensätze sind durch den verbalen Kopf (= Vb) des Bezugssatzes lizenziert (und zwar im Sinne von Haider 1995). Nach Haider (1995) muss man unterscheiden zwischen direkter und indirekter Lizenzierung. Komplement- und Adverbialsätze sind direkt lizenziert. Komplementsätze beziehen sich auf das Thetaraster von Vb, Adverbialsätze auf die Ereignisvariable. 5 Indirekte Lizenzierung liegt dagegen zum Beispiel bei extraponierten Relativsätzen vor. Hier besteht eine strukturelle Lizenzierung durch Vb und eine Identifikationsbeziehung zur Antezedens-NP des Relativsatzes. Auch Nebensätze als Teil von Korrelatkonstruktionen (z.B. Ich bedauere es, dass du nicht kommen kannst; ich freue mich darüber, dass du kommst) sind hier einzuordnen. Zusammenfassend schlägt Reis (1997: 128) die folgende Taxonomie unselbständiger (bzw. subordinierter Sätze/Nebensätze) vor:

____________________ 4

5

Reis (1997) verwendet den Begriff ‚Nebensatz’ nur in den Fügungen ‚relativ’ und ‚absolut unintegrierte Nebensätze’. Von ‚integrierten Nebensätzen’ ist nicht die Rede. Stattdessen werden hier die Termini ‚Gliedsätze’ bzw. ‚Gliedteilsätze’ verwendet. Reis & Truckenbrodt (2004) sprechen bei letzterer Gruppe auch von ‚integrierten Nebensätzen’. Dieser Redeweise schließe ich mich an. Wöllstein (2008: Kap. 1) subklassifiziert ‚Subordinationsstrukturen’ in ‚subkategorisierte Sätze’ und ‚Adverbialsätze’. Beide Subklassen teilen das Merkmal der Unselbständigkeit. Jedoch seien subkategorisierte Sätze syntaktisch dependent und Adverbialsätze nicht syntaktisch dependent. Bei Haider (1995) sind dagegen auch Adverbialsätze in gewissem Sinn strukturell dependent, denn sie sind durch den Bezug zur Ereignisvariable strukturell lizenziert.

6 (10)

unselbständige Sätze lizenziert durch Vb direkt 1. Gliedsätze

nicht-lizenziert durch Vb indirekt 1. (lizenziert durch Sb bzw. ?) Gliedteilsätze Nebensätze

Komplement-S.

Adjunkt-S.

subkat. daß-Sätze

Adverbial-S.

ob-/w-Sätze ... ... (Reis 1997: 128, Bsp. 21)

r-unintegriert a-unintegriert Relativ-S.

freie daß-S.

Vergleichs-S. aV2-S. ... ...

weiterf. NS nichtrestr. NS ...

Ich bin bislang nur auf die kanonischen Nebensatztypen eingegangen. Diese sind von Vb direkt oder indirekt lizenziert (Spalten 1–3). Die nichtkanonischen Typen (Spalten 4 und 5) werden im nächsten Abschnitt behandelt. Die kanonischen Nebensätze können in matrixsatzinternen Argumentbzw. Adjunktpositionen auftreten. Sie verhalten sich wie Satzglieder oder Satzgliedteile. Ein klassischer Test für Gliedsatzstatus ist die Vorfeldfähigkeit: Die Nebensatztypen, die direkt von Vb lizenziert sind, also Komplement- und Adverbialsätze, können ins Vorfeld gestellt werden, vgl. (8)-a und (8)-b oben und (11): (11)

Dass sie das Schneewittchen verehren, teilen die Sieben Zwerge mit/ {Ob jemand/ wer} von seinem Teller gegessen hat, fragt ein Zwerg

Die Vorfeldfähigkeit ist ein hinreichendes und notwendiges 6 Kriterium für Gliedsatzstatus. Auch Mittelfeldstellung ist bei Komplement- und Adverbialsätzen möglich. Bei Komplementsätzen ist diese Stellungsoption jedoch sehr marginal: (12)

?? Du kannst ihr doch, daß Peter in Paris ist, nur dann erzählen, wenn ... (Reis 1997: 129, Bsp. 25)

Bausewein (1990: 180f.) und Oppenrieder (1991: 295-310) nehmen an, dass die Mittelfeldstellung bei Komplementsätzen ganz ausgeschlossen ist. In der Literatur werden aber immer wieder Originalbelege angeführt, und zwar sowohl für Objekt- als auch für Subjektsätze: ____________________ 6

Wie Reis (1997: 130) anmerkt, muss man allerdings von Fällen wie es scheint, dass ... absehen. Außerdem können hindernde Umstände wie zum Beispiel ein obligatorisches es-Korrelat vorliegen.

7 (13)

a. Rudi, um, daß er nicht eifersüchtig war, zu beweisen, brachte ihn an den Tisch. (K. Mann; zit. nach Breindl 1989: 177, Bsp. 3-80) b. Von den Berliner Freunden degoutiert, merkte, daß der junge Engländer schön war, Rut plötzlich. (K. Mann; zit. nach Breindl 1989: 178, Bsp. 3-82) c. Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist. (Wittgenstein Tractatus 2.0211; zit. nach Breindl 1989: 177, Bsp. 3-80)

Im unmarkierten Fall treten Objekt- und Subjektsätze im Nachfeld auf. Damit unterscheiden sie sich von nichtsatzförmigen Argumenten: Objekt-DPn sind in der Regel nicht extraponierbar, und Subjekt-DPn in sehr eingeschränktem Umfang: (14)

a. Du kannst Peter erzählen, dass Maria in Paris ist b. *Du kannst Peter erzählen die Neuigkeit

(15)

a. Ihn wird ärgern, dass Maria in Paris ist b. *Ihn wird ärgern die Neuigkeit c. ?Es sind aufs Podium getreten die Kanzlerin und der Außenminister

Bei manchen Matrixprädikaten kann (oder muss) im Mittelfeld ein Korrelat/Platzhalter stehen, wenn das Argument satzförmig realisiert ist und im Nachfeld steht: (16)

a. Peter wird (es) bedauern, dass Maria in Paris ist. b. Peter wird (es) ärgern/beunruhigen, dass Maria in Paris ist.

Auch hierin unterscheiden sich argumentrealisierende dass-Sätze (wie auch subkategorisierte ob-/w-Sätze) von nichtsatzförmigen Argumenten. Diese können zwar auch rechtsversetzt werden, diese Konstruktion hat aber andere informationsstrukturelle und diskursfunktionale Eigenschaften (s. Averintseva-Klisch 2009 für einen Überblick) und ist daher kontextuell viel restringierter als die Platzhalterkonstruktion bei satzförmigen Ergänzungen: (17)

Ich mag ihn1 überhaupt nicht, den Otto1. (Averintseva-Klisch 2009: 37, Bsp. 57a)

Zwar weisen somit Argumentsätze im Vergleich zu nichtsatzförmigen Argumenten besondere (= nichtkanonische) Eigenschaften auf, trotzdem sollte man sie im Vergleich zu den anderen Nebensatztypen, die ja alle auch unmarkiert im Nachfeld stehen können bzw. müssen, nach wie vor zu den kanonischen Nebensätzen rechnen. Die Nachfeldstellungsmöglichkeit an sich liegt innerhalb der Gesamtgrammatik des Deutschen begründet. Die Tatsache, dass die Mittelfeldstellung nur sehr marginal ist, mag auch auf Perfor-

8 manzfaktoren wie etwa die Vermeidung von ‚Centre Embedding‘-Effekten (Bayer 1995: 53) zurückführbar sein. Aus typologischer Sicht argumentiert Inaba (2007), dass CP-Komplemente universal rechts vom Verb stehen. Dies folge aus einer sprachübergreifenden Restriktion, dass das Matrixverb und der Kopf der vom Verb selegierten CP in dieselbe Richtung selegieren müssen. Die in kopffinalen Sprachen auftretenden präverbalen Komplementsätze mit finalem Komplementierer haben, wie er argumentiert, gar keinen CPStatus. Da die CP somit stets linksköpfig ist, kann auch das die CP regierende Matrixverb nur nach rechts selegieren. Wenn diese Hypothese stimmt, dann würden die deutschen Argumentsätze auch aus sprachvergleichender Perspektive ein kanonisches Verhalten zeigen. Adverbialsätze scheinen im Hinblick auf matrixinterne Stellungsmöglichkeiten weniger Beschränkungen zu unterliegen als Argumentsätze. Wie aus (8)-a und (8)-b ersichtlich, sind auch die (Kern-)Adverbialsätze vorfeldfähig. Im Nachfeld können Adverbialsätze ebenfalls stehen. Auch Mittelfeldstellung scheint möglich zu sein: (18)

a. Er hat, als es geklingelt hat, nicht geöffnet. b. Sie ging, weil sie ihn schon kannte, gerne zu ihm. (Pittner 1999: 307, Bsp. 201a, 202a)

Altmann (1981: 304) beschäftigt sich mit der Frage, warum bei Adverbialsätzen die Mittelfeldstellung viel unmarkierter ist als bei Komplementsätzen. Er argumentiert, dass dies daran liege, dass Adverbialsätze, die ja keine obligatorischen Argumente sind, als Parenthesen interpretiert werden können. Pittner (1999: 305) wendet ein, dass auch Adverbialsätze mit Komplementstatus ohne weiteres im Mittelfeld stehen können. Sie gibt jedoch kein Beispiel. Meines Erachtens kann sich das Argument nur auf die sogenannten ‚ergänzenden wenn-Sätze’ (Fabricius-Hansen 1980) beziehen. Diese können in der Tat auch das Mittelfeld besetzen: (19)

Die Großmutter würde sich, wenn das Rotkäppchen kommt, sehr freuen

Pittner (1999: 305) geht mit Rückgriff auf Schindler (1990: 171) davon aus, dass Adverbialsätze im Mittelfeld sowohl parenthetisch als auch nichtparenthetisch sein können. Bei parenthetischer Verwendung kann ein Adverbialsatz nicht im Skopus der Negation oder einer Gradpartikel im Matrixsatz liegen: (20)

a. Sie ging nicht – als es klingelte – zur Tür (*, sondern als es klopfte). b. Sie ging nicht (als es klingelte) zur Tür (*, sondern als es klopfte). c. Sie ging nicht, als es klingelte, zur Tür (, sondern als es klopfte). d. Sie ging nicht, als es klingelte, zur Tür (*, sondern als es klopfte). (Schindler 1990: 171)

9 Wenn – wie in (20)-a und -b – Adverbialsätze durch Gedankenstriche oder Klammern abgetrennt sind, ist nur eine parenthetische Lesart möglich. In diesem Fall kann der Adverbialsatz nicht im Skopus der Negation stehen. Bei Gebrauch von Kommata ist sowohl eine parenthetische Lesart möglich, bei der der Adverbialsatz nicht von der Negation affiziert ist, (20)-d, als auch eine nichtparenthetische, bei der der Adverbialsatz im Skopus der Negation steht, (20)-c. Wie Pittner (1999: 305) ausführt, sind Adverbialsätze im Mittelfeld nicht so häufig parenthetisch, als dass das Parentheseargument den deutlichen Unterschied zu Komplementsätzen erklären könnte. Sie sieht den Grund darin, dass bei Subjekt- und Objektsätzen das Einleitungselement (dass oder ob) keinen Aufschluss darüber gibt, ob es sich um einen Subjekt- oder Objektsatz handelt, während bei den Adverbialsätzen das Einleitungselement die semantische Beziehung des Adverbialsatzes zum Restsatz anzeigt. Relativsätze können entweder adjazent zu ihrem Antezedens im Vor- oder Mittelfeld stehen 7 oder im Nachfeld auftreten. Kanonische Nebensätze sind nicht nur syntaktisch, sondern auch informationsstrukturell bzw. prosodisch integriert. Nach Brandt (1990) (s. auch Reis 1997: 128) ist es bei Gliedsatzgefügen möglich, dass nur eine informationsstrukturell relevante Fokus-Hintergrund-Gliederung vorliegt: (21)

Ich hab erfahren, daß nun PEter sauer ist

Wie Reis (1997: 128) anmerkt, ist entscheidend, dass kanonische (d.h. integrierte) Gefüge prinzipiell mit einem Fokus auskommen können. Insbesondere, wenn der Nebensatz lang ist, wird das Gefüge jedoch oft in mehrere Intonationsphrasen zerlegt. Pittner (1999: 201) hebt hervor, dass Adverbialsätze häufig eine eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung aufweisen und durch deutliche Pausen vom Matrixsatz abgegrenzt werden können, was sich aus ihrem Status als Adjunkte ergebe. Allerdings bleibt unklar, ob die Realisierung mit deutlichen Pausen nicht vor allem bei der parenthetischen Verwendung die Regel ist, die sie erst an späterer Stelle erwähnt. Insbesondere aus der Literatur zu weil-Sätzen ist bekannt, dass kanonische Adverbialsätze im Skopus von Matrixoperatoren (z.B. von der Negation, oder von Gradpartikeln) stehen können (Küper 1991: 139, Uhmann 1998: 124, Pittner 1999: 235): ____________________ 7

Wenn das Antezedens ausgeklammert ist, können Relativsätze auch im Nachfeld adjazent zum Antezedens positioniert sein. Allerdings ist die Ausklammerung von DPn im Gwd. markiert (s.o.): (i) ?? Es wird gleich auf die Bühne kommen ein berühmter Autor, der sein neues Buch vorstellt.

10 (22)

Es ist möglich, daß er nicht zu spät gekommen ist, weil er verschlafen hat. (Uhmann 1998: 124, Bsp. 59)

Bei dem Gefüge in (22) kann der weil-Satz im Skopus der Negation liegen, eine Lesart, die sich wie folgt paraphrasieren lässt: „Es ist möglich, dass es nicht zutrifft, dass der Grund dafür, dass er zu spät gekommen ist, sein Verschlafen war.“ Auf pragmatischer Seite korreliert bei kanonischen Nebensätzen mit syntaktischer Subordination die illokutive Unterordnung. Der Hauptsatz ist allein Träger von Indikatoren, die auf die Äußerung bezogen sind, und bestimmt die illokutive Geltung des gesamten Gefüges. Der Satzmodus des eingebetteten Satzes spielt keine Rolle (Brandt, Reis, Rosengren & Zimmermann 1992).

1.3

Nichtkanonische Konstruktionen

Bereits Sütterlin (41918: 391) hebt hervor: „Die drei Merkmale, die man gewöhnlich als Erkennungszeichen des Nebensatzes anführt – Endstellung des Verbs, Einleitung durch eine unterordnende Konjunktion (oder ein relatives Pronomen oder Adverb) und Unvollständigkeit des Sinns – treffen nicht immer zu.“ Kanonische Konstruktionen weisen alle die im letzten Abschnitt dargestellten Eigenschaften auf: Auf formal-syntaktischer Seite ist das nicht nur die Endstellung des finiten Verbs sowie das Vorhandensein einer subordinierenden Konjunktion bzw. Relativ-/Interrogativphrase, sondern auch die syntaktische Einbettung in den Matrixsatz als Satzglied oder Satzgliedteil. Dem, was Sütterlin als ‚Unvollständigkeit des Sinns’ bezeichnet, entspricht wohl nach modernerem Theoriestand der Bezug auf das Thetaraster bei Subjektund Objektsätzen bzw. auf die Ereignisvariable bei Adverbialsätzen sowie auf ein Antezedens bei Relativsätzen. Darüber hinaus sind kanonische Nebensatz- bzw. Subordinationsmerkmale die informationsstrukturelle Integriertheit und die illokutive Unterordnung. Es gibt im Gwd. in der Tat zahlreiche Nebensatzkonstruktionen, bei denen eines oder mehrere der genannten Merkmale fehlen. Diese Nebensatztypen werden in der vorliegenden Arbeit als ‚nichtkanonisch’ bezeichnet bzw. als ‚Diskrepanz-’ oder ‚Mismatchfälle’ (s. auch Reis & Truckenbrodt 2004). Die beiden letzteren Begriffe tragen dem Rechnung, dass man in einem modularen Grammatikmodell erwarten würde, dass es sehr viel weitreichendere Korrelationen von Subordination sowohl mit phonologischen und weiteren syntaktischen Eigenschaften (insbesondere mit der Verbstellung) als auch mit

11 interpretativen Effekten gibt, als es bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein hat. 8 Zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel die da-Sätze und die adversativen während-Sätze: (23)

a. Da die Dahlien ganz schwarz sind, (/) hat es Frost gegeben (\). b. Es hat Frost gegeben (/), da die Dahlien ganz schwarz sind (\). (adaptiert aus Pasch et al. 2003: 397, Bsp. 61a, b; (/) und (\) signalisieren steigende bzw. fallende Tonhöhenkontur)

(24)

Während man vor 50 Jahren noch einen erheblichen Teil des Einkommens für Nahrung und Kleidung aufbringen musste, schlägt heute vor allem das Wohnen teuer zu Buche. (Pasch et al. 2003: 727)

Dass bei da-Sätzen syntaktische Integration vorliegt, ist augenfällig: DaSätze sind vorfeldfähig, wie Beispiel (23)-a zeigt. Es handelt sich um syntaktisch eingebettete Sätze, um Gliedsätze. 9 Anders als weil ist jedoch das kausale da ein ‚nichtpropositionaler Konnektor‘ (Pasch et al. 2003: 397). Wie Pasch et al. argumentieren, kann sich in (23) da nicht auf den propositionalen Gehalt des Matrixsatzes beziehen, weil dann die entsprechende Konstruktion semantisch nicht wohlgeformt wäre (dass die Dahlien ganz schwarz sind, ist nicht der Grund dafür, dass es Frost gegeben hat). Stattdessen verknüpfe es die Bedeutung des von ihm eingeleiteten Satzes mit der Äußerungsbedeutung des Matrixsatzes inklusive dessen epistemischen Modus. In (23) sei der epistemische Modus der des Urteils, d.h. der Annahme, dass der vom externen Konnekt bezeichnete Sachverhalt ein Faktum ist. Mit dem Bezug auf den epistemischen Modus werde ausgeschlossen, dass die Proposition des subor____________________ 8

9

Worauf hier nicht eingegangen werden soll, sind koordinative Strukturen mit nichtkanonischen Merkmalen. Vgl. zum Beispiel Reich (2009) zur sogenannten asymmetrischen Koordination im Gwd. Zumindest ist die Vorfeldstellung nach traditioneller Lehrmeinung ein hinreichendes Kriterium für Satzgliedstatus. Allerdings zeigen Axel & Wöllstein (2009) und Reis & Wöllstein (2010), dass bei Gefügen mit scheinbar im Vorfeld stehenden Verberst-Konditionale wie Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch gar keine Vorfeldstellung (und damit keine echte Vorfeldfähigkeit) des VerberstKonditionals ist die Katze gesund vorliegt, sondern dass dieser unintegriert ist und einen Verberst-Deklarativsatz (freut sich der Mensch) zum Bezugssatz hat. Wenn man annimmt, dass gewisse Adverbialsätze Verberst-Bezugssätze haben können, dann wirft das auch ein neues Licht auf präfinite da-Sätze wie in (23) oder adversative während-Sätze wie in (24). Wie Reis (mündlicher Hinweis) betont, müsste untersucht werden, ob es auch in diesen Fällen Evidenzen für eine solche Verberst-Bezugssatzanalyse gibt. Ist das der Fall, dann wären auch diese Adverbialsatztypen syntaktisch unintegriert.

12 dinierten Satzes und die der übergeordneten Satzstruktur zu einer komplexen Proposition integriert würden. Weitere nichtpropositionale Konnektoren sind wo, zumal oder adversatives während. Pasch et al. heben hervor, dass man, da bei diesen Subjunktoren kein Homomorphismus zwischen syntaktischer und semantischer Struktur vorliege, im Lexikon ausweisen müsse, „ob ein Subjunktor vollständig propositional (wie z.B. indem) oder nichtpropositional (wie da) oder nur in bestimmten Lesarten nichtpropositional ist (wie z.B. während)“ (ibid.). Die Bedeutung einer durch eine nichtpropositionale Subjunktion eingeleitete ‚Subjunktorphrase’ könne nicht im Skopus eines Funktors aus der Bedeutung des Bezugssatzes liegen. Konstruktionen wie die folgenden sind semantisch abweichend, weil da- und adversative während-Sätze nicht im Skopus des Matrixinterrogativoperators stehen können: (25)

a.

?

Glaubst du nicht, dass Hans gekommen ist, da er sich von der Veranstaltung Vorteile erhoffte? b. ?Glaubst du nicht, dass Susi beliebt ist, während Peter gemieden wird? (Pasch et al. 2003: 398, Bsp. 62a, b)

Das andere Extrem bilden Nebensatzkonstruktionen, die zwar syntaktisch, prosodisch/ informationsstrukturell, interpretativ und illokutiv unintegriert sind, aber die nebensatztypische Verbendstellung aufweisen. Das ist zum Beispiel bei den sogenannten weiterführenden Nebensätzen der Fall, auf die hier nur kurz eingegangen wird, weil sie in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt werden (vgl. Helbig 1980, Peyer 1997, Brandt 1990, Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997, Holler 2005 zum Gwd. und Holly 1988 und DemskeNeumann 1990 zur Sprachgeschichte): (26)

Um 9 Uhr schlief das Kind ein, woraufhin die Eltern fortgingen/was alle erleichterte/welcher Umstand die Eltern sehr beglückte. (Reis 1997: 127, Bsp. 13b)

In der Taxonomie von Reis (1997), vgl. (10), gehören die weiterführenden Nebensätze zu den Typen, die nicht von Vb lizenziert sind. Sie sind für den Bezugssatz syntaktisch völlig entbehrlich und erfüllen keine ‚offene Forderung’ weder vom Kopf des Bezugssatzes noch von einem Antezedenten (ibid.: 127). Distributionell findet das seinen Niederschlag darin, dass diese Nebensatztypen in der Regel nicht vorfeld- und mittelfeldfähig sind und im Nachsatz auf die Glied(teil)sätze folgen. Der Bezugssatz und der weiterführende Nebensatz haben jeweils eine eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung und bilden damit separate Informationseinheiten im Sinne von Brandt (1990). Auch illokutiv verhalten sie sich wie selbständige Sätze und können zum Beispiel Performativanzeiger beinhalten: (27)

a. Sie haben versagt, weshalb ich Ihnen hiermit kündige.

13 b. Peter ist kurzsichtig, was ja eigentlich niemand stört, weshalb er aber wohl öfters unsicher wirkt. (Reis 1997: 128, Bsp. 20a-b)

Zu den absolut unintegrierten Nebensätzen gehören auch bestimmte Adverbialsatztypen: (28)

a. Peter muß dem Mann geglaubt haben, weil er (nämlich) seither Ute meidet. b. Peter ist geduldig, wogegen Petra vor Ungeduld zergehen konnte. c. Das Wetter war auch nicht das beste, so daß ich schließlich zu Hause blieb. (Reis 1997: 127, Bsp. 14a-c)

Reis (1997) diskutiert nur die unintegrierten Adverbial- und Relativsatztypen, die nachgestellt sind. Es gibt auch un- bzw. teilintegrierte Adverbialsatztypen, die vorangestellt werden können (oder müssen). Syntaktisch manifestiert sich die Unintegriertheit darin, dass diese Sätze bei deklarativem Bezugssatz vor dem Vorfeld auftreten. Bei Verberstsatztypen (z.B. bei Entscheidungsinterrogativ- oder bei Imperativsätzen) als Bezugssatztypen kann oder muss ein resumptives Pro-Adverb im Bezugssatz fehlen. (29)

a. b. c. d. e.

Ob es regnet oder schneit, wir machen die Radtour. Wo er auch hinfährt, er hat immer schlechtes Wetter. Wenn es auch wehtut, Sie sollten sich impfen lassen. Wenn es dir auch schwer fällt, entspann dich! Wenn es auch schwer ist: Sollte man nicht lieber ganz aufs Rauchen verzichten? f. Wenn Sie mich fragen, das sollte man gut abwägen. g. Wenn ich ehrlich bin: Ich habe gar kein Abitur. h. Bevor du dich aufregst: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. (Pasch et al. 2003: 264, Bsp. 1a–h)

Wie Pasch et al. (2003: 74) ausführen, sind diese ‚Subjunktorphrasen’ nicht nur syntaktisch desintegriert, sondern stellen auch lediglich „eine lose inhaltliche Beziehung zur nachfolgenden Satzstruktur her“. Im Falle der ‚Irrelevanzkonditionale’ 10 in (29)-a–e werde ein Kontext spezifiziert, der die Geltung des in der nachfolgenden Satzstruktur ausgedrückten Sachverhalts nicht beeinflusst. Im Falle der ‚Illokutionskonditionale’ 11 in (29)-f–h werde dage____________________ 10 11

Zu Irrelevanzkonditionale vgl. auch Zaefferer (1987, 1991) und d’Avis (2004). Der Ausdruck ‚Illokutionskonditional’ ist unglücklich gewählt. Wie aus Paschs et al. (2003: 264) eigenem Beispielmaterial ersichtlich, können auch andere Adverbialsatztypen wie zum Beispiel bevor-Sätze, (29)-h als ‚Illokutionsneben-

14 gen die kommunikative Funktion dieses Sachverhalts relativiert. Problematisch an den Ausführungen von Pasch et al. ist, dass sie nicht erwähnen, dass unter bestimmten Bedingungen ‚Illokutionskonditionale’ im Vorfeld ihres Bezugssatzes stehen können: (30)

Wenn Sie mich fragen, sollte man das gut abwägen.

Dabei handelt es sich um echte Diskrepanzfälle: Ähnlich wie bei den oben erwähnten da-Sätzen korreliert die syntaktische Integriertheit nicht mit semanto-pragmatischer Integriertheit. Die Frage, unter welchen Bedingungen Sprechaktadverbialsätze syntaktisch integriert verwendet werden können, wird in Pittner (2000) diskutiert. Pasch et al. (2003) nennen nur die ‚Irrelevanz-’ und ‚Illokutionskonditionale’ als Beispiele für linksperipher desintegrierte ‚Subjunktorphrasen’. In der häufig zitierten Studie von König & van der Auwera (1988) wird jedoch gezeigt, dass auch bestimmte Konditionale (und Konzessivsätze), die nicht ‚metakommunikativ’ sind, desintegriert auftreten können (vgl. auch Vandergriff 1997, Auer 1997): (31)

a. Wenn ich die Bilanz der letzten Jahre zog, es blieb ein Plus. b. Wenn du mitkommen willst, ich habe nichts dagegen. c. Wenn das mein Hund wäre, er bekäme keinen Zucker. d. Wäre ich in Paris, ich würde zum Louvre gehen. (König & van der Auwera 1988: 112, Bsp. 25; 114, Bsp. 28; 114, Bsp. 30; 116, Bsp. 36)

König & van der Auwera argumentieren, dass die desintegrierte Stellung dann möglich sei, wenn das Antezedens und das Konsequens getrennt assertierbar sind: In dem Satzgefüge in (31)-a bestehe kein unmittelbarer Bezug zwischen dem, was jeweils wörtlich in Antezedens und Konsequens ausgedrückt werde, deswegen lägen hier auch getrennte Assertionen vor. Getrennte Assertierbarkeit liege auch dann vor, wenn eine (direkte oder indirekte) anaphorische Bezugnahme auf das Antezedens vorhanden sei wie in (31)-b, c, oder wenn das Konditionalgefüge im Konjunktiv stehe wie in (31)-d. Im letzteren Fall werde die konditionale Abhängigkeit zwischen Antezedens und Konsequens durch den Modus angezeigt und müsse nicht noch durch die Wortstellung signalisiert werden (ibid.: 114). Dabei wird jedoch nicht immer deutlich, welchen Status diese Faktoren haben, das heißt, ob sie die Desin____________________ sätze’ fungieren. Pittner (1999: 337) argumentiert zwar, dass bevor- oder ehe-Sätze mit Sprechaktbezug in der Tat eher eine konditionale (bzw. finale) Bedeutung hätten, sie führt aber auch zahlreich Beispiele für kausale weil-/da-Sätze, konzessive obwohl-Sätze, finale damit/um-Sätze usw. an (ibid.: 337–363). Der von ihr verwendete Terminus ‚Sprechaktadverbiale’ ist daher passender.

15 tegration ermöglichen, begünstigen oder erzwingen. Das Gefüge in (31)-c wird als ein Beispiel für getrennte Assertierbarkeit bei anaphorischer Bezugnahme angeführt, gleichzeitig steht es jedoch auch im Konjunktiv. Im Indikativ scheint mir das Beispiel kaum akzeptabel zu sein (vgl. ??Wenn das mein Hund ist, er bekommt keinen Zucker). Bei Beispiel (31)-b handelt es sich um eine Art ergänzenden wenn-Satz (genauer: um einen sog. Präpositionalobjektsatz), in dem das Korrelat den anaphorischen Bezug leistet. 12 Im Althochdeutschen (= Ahd.) und Mittelhochdeutschen (= Mhd.) nahmen Adverbialsätze systematisch eine desintegrierte Position ein, und zwar auch dann, wenn eindeutig keine getrennte Assertierbarkeit vorlag, sodass es sich ganz klar um Diskrepanzfälle im oben definierten Sinne handelte: (32)

a. do der brutegoum chom, die tumben magide sprachen zu den wisen: ... (Wiener Physiologus XVII, 2) b. Da sie fur den sal kamen, er stunt von sym roß. (Lancelot 132, 26)

Auf der anderen Seite gibt es im Gwd. Nebensatzkonstruktionen, welche die hauptsatztypische Verbstellung aufweisen, jedoch interpretativ integriert sind. Hierunter fallen Verbzweitsubstitute für argumentrealisierende dassSätze sowie Verberstsubstitute für konditionale wenn-Sätze: (33)

a. Er sagte, er sei krank gewesen. ĸ(UVDJWHdass er krank gewesen sei. b. Besteht er die Prüfung, freuen wir uns. ĸWenn er die Prüfung besteht, freuen wir uns. (adaptiert aus Helbig & Kempter 1976: 11, Bsp. 1,1a)

Wie Helbig & Kempter (1976: 11) ausführen, sind die fraglichen Konstruktionen „syntaktisch vom übergeordneten Satz abhängig und in diesen übergeordneten Satz eingebettet.“ Dass es sich um abhängige und nicht um selbständige Sätze handelt, steht außer Frage. Umstritten ist jedoch, ob in der Tat syntaktische Einbettung vorliegt. Wie Reis (1997) argumentiert, verhalten sich argumentrealisierende Verbzweitsätze syntaktisch weder wie Hauptsätze noch wie eingebettete dass-Sätze. Da sie stets Substitute von dass- (und begrenzt wenn-) Sätzen in ‚assertiv’ definierbaren Kontexten sind, müsse man sie als lediglich semantisch lizenziert betrachten. Anders als dass-Sätze sind sie syntaktisch keine Komplemente des Matrixverbs. Sie seien lediglich teilintegriert und nicht Schwestern von V0, sondern an VP adjungiert. Die Thetarollensättigung erfolge somit auf nichtstruktureller Basis. Argumentrealisie____________________ 12

Solche wenn-Sätze können auch nicht mit dann linksversetzt werden: *Wenn du mitkommen willst, dann habe ich nichts dagegen. (in der intendierten Lesart)

16 rende Verbzweitsätze sind stets nachgestellt, sie kommen nicht im Vor- oder Mittelfeld 13 vor. Aufgrund ihres besonderen syntaktischen Status können sie nicht mit dass-Sätzen koordiniert werden. In prosodisch/informationsstruktureller Hinsicht verhalten sie sich jedoch wie integrierte Strukturen. Bereits Helbig & Kempter (1976: 12) kommen zu dem Schluss, dass die Intonation die uneingeleiteten Strukturen als Nebensätze charakterisiere: Auf keinen Fall sinkt die Melodie nach dem 1. Teil des Satzgefüges vollständig ab (kein Vollschluss in der Intonation, nicht terminal), sondern verbleibt weiterweisend auf halber Höhe (Halbschluß, progrediente Intonation). Vielfach haben Haupt- und Nebensatz (vor allem bei Objektsätzen) nur ein kommunikatives Zentrum und eine Hauptbetonte: [...] (2) Er glaubt, es gibt eine Möglichkeit. (Helbig & Kempter 1976: 12)

Auch Reis (1997) hebt hervor, dass argumentrealisierende Verbzweitsätze in die Fokus-Hintergrund-Gliederung ihres Bezugssatzes integriert sind und damit eine Informationseinheit im Sinne von Brandt (1990) bilden. Anders als die argumentrealisierenden Verbzweitsätze sättigen die Verberstkonditionale natürlich keine Thetarolle des Matrixverbs. Dennoch liegt, wie Helbig & Kempter (1976: 12) argumentieren, nicht nur bei den Subjektund Objektsätzen, sondern auch bei den Konditionalsätzen eine semantische Abhängigkeit vor: „es handelt sich bei den uneingeleiteten Nebensätzen entweder um einen Inhalt oder um einen Umstand (meist: Bedingung), die nur dann verständlich werden, wenn sie auf den übergeordneten Satz bezogen werden“ (ibid.). Wie aus (33)-b ersichtlich, sind Verberstkonditionalsätze offenbar vorfeldfähig. Sie scheinen Gliedsatzstatus zu haben. In Reis & Wöllstein (2010) und Axel & Wöllstein (2009) wird jedoch argumentiert, dass es sich um desintegrierte Strukturen handelt, die an Verberstbezugssätze adjungiert sind. Auch in semantischer und informationsstruktureller Hinsicht gibt es zahlreiche Unterschiede zu den kanonischen wenn-Konditionalen, auf die hier allerdings nicht eingegangen werden soll, da diese Konstruktion in der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt wird. Darüber hinaus gibt es relativische Konstruktionen mit Verbzweitstellung: (34)

a. Dinge gibt’s, die gibt’s gar nicht! b. Ich kenne einen Mann, der wohnt in einem Hausboot. c. Es gibt Menschen, die sind mit nichts zufrieden. (b und c aus Brandt 1990: 49, Bsp. 77, 78)

Dieses Phänomen wurde in jüngerer Zeit in den Arbeiten von Gärtner (2001, 2002) ausführlich untersucht (s. auch Endriss & Gärtner 2005; Ebert, Endriss ____________________ 13

Es sei denn, sie sind von einem Nomen abhängig.

17 & Gärtner 2007). Gärtner verficht – wie Reis (1997) für die Verbzweitargumentsätze – die Hypothese, dass diese Konstruktionen semantisch lizenziert sind. Formal-syntaktisch lägen parataktische Konstruktionen vor, was seinen Niederschlag nicht nur darin finde, dass die relativische Konstruktion die hauptsatztypische Verbstellung aufweist, sondern auch darin, dass das initiale d-Pronomen kein Relativ-, sondern ein Demonstrativpronomen ist und folglich auch nicht durch unstrittige Relativpronomina (z.B. welch-) ersetzt werden kann. Die prosodischen Eigenschaften sind jedoch nicht die von parataktischen, sondern von hypotaktischen Strukturen. Gärtner (2001: 98) führt aus, dass dem relativischen Satz keine finalen Grenzmarkierungen vorangehen können. Er müsse prosodisch in den Matrixsatz integriert werden: (35)

Das Blatt hat eine Seite, (/) die ist ganz schwarz (Gärtner 2001: 98, Bsp. 1a)

(/) könne durch einen hohen Grenzton, ‚continuation rise’ oder durch ähnliche Mittel zur Markierung nichtfinaler Grenzen realisiert werden. Mit der prosodischen Integriertheit korreliert eine restriktive Interpretation: Würde man Satz (35) wie eine parataktische Folge zweier selbständiger Sätze interpretieren, wäre das Ergebnis pragmatisch nicht wohlgeformt, weil dann ausgedrückt würde, dass das Blatt nur eine Seite hat. Lediglich die Interpretation, in der das Blatt eine Seite hat, auf die die Restriktion im zweiten Satz zutrifft, ist wohlgeformt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass es im Gwd. die unterschiedlichsten Diskrepanzfälle gibt. Eine Gruppe von Konstruktionen weist ein (oder mehrere) formal-syntaktische Merkmal(e) von subordinativen Gefügen auf, verhält sich aber in interpretativer, informationsstruktureller und illokutiver Hinsicht wie Hauptsatzkonstruktionen. Bei einer weiteren Gruppe liegt mindestens ein formal-syntaktisches Merkmal von Hauptsatzkonstruktionen vor, dennoch besteht jeweils ein gewisser Grad an semantischer, informationsstruktureller und illokutiver Unterordnung.

1.4

Satzfügung in der rezenten ‚synchronen’ Literatur

Zu Subordination und Satzfügung allgemein gibt es eine reichhaltige Literatur. Der Fokus in der vorliegenden Untersuchung liegt natürlich auf Arbeiten speziell zum Deutschen. Literatur zu anderen Sprachen bzw. übereinzelsprachliche Studien sollen hier nur berücksichtigt werden, wenn sie für das in

18 der vorliegenden Arbeit behandelte Thema der nichtkanonischen Nebensätze relevant sind. 14 Fabricius-Hansen (1992) entwickelt eine Taxonomie unselbständiger Sätze, in der in Anlehnung an die Prototypentheorie unterschieden wird zwischen einem Kernbereich und weniger zentralen Varianten. Eine typische Eigenschaft von Nebensätzen sei, dass sie abhängig und unselbständig sind und „erst mit einem Hauptsatz zusammen in einen Ganzsatz eingehen können“ (ibid.: 466). Unstrittige Subordination liege dann vor, wenn ein Satz formal als abhängig gekennzeichnet ist und sowohl in intonatorischer, syntaktischtopologischer und semantischer Hinsicht in den Obersatz integriert ist. Semantische Abhängigkeit kann in der Argumenthaftigkeit in Bezug auf den Obersatz bestehen (Argument-Subordination). Eine weitere Möglichkeit ist, dass sich der Untersatz wie ein Operator verstehen lässt, der auf eine im Obersatz ausgedrückte Proposition wirkt, oder der semantisch im Geltungsbereich eines im Obersatz enthaltenen Operators steht (OperatorSubordination). Operator-Subordination liegt also typischerweise bei Adverbialsätzen vor. Im letzten Abschnitt habe ich mit Rückgriff auf Haider (1995) und Reis (1997) stattdessen davon gesprochen, dass sich Adverbialsätze auf die vom Verb eröffnete Ereignisvariable beziehen. Eine dritte Möglichkeit ist, dass der Untersatz die Referenz eines im Obersatz enthaltenen Ausdrucks (mit)determiniert. Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 2250ff.), die ihre Klassifikation der Nebensätze nach Graden der Subordination auf den Vorschlag von Fabricius-Hansen stützen, führen aus, dass Nebensätze kompositional voll integriert seien, wenn sie als Teile von Propositionsausdrücken oder als Teile von Teilen von Propositionsausdrücken zu verstehen sind. Bei unstrittiger Subordination liegt nach Fabricius-Hansen ferner eine pragmatische Unterordnung vor: Der Nebensatz besitze kein illokutives Potential (ibid.: 468). Fabricius-Hansen nennt zwei marginale ‚Varianten’ der Subordination, die ihrerseits wieder verschiedene Nebensatzkonstruktionen umfassen. Zum einen appositive Relativsätze und weiterführende Relativsätze, zum andern Nebensätze mit Hauptsatzwortstellung (Verberst, Verbzweit). Im ersteren Fall liege semantisch-pragmatische Unintegriertheit vor, im zweiten Fall handele es sich um Hauptsätze, die semantisch-pragmatisch wie prototypische Nebensätze fungieren. Diese Kriterien entsprechen im Wesentlichen denen, 15 die auch ich in den letzten beiden Abschnitten zur Charakterisierung ____________________ 14 15

Das sind vor allem Arbeiten im Rahmen der Grammatikalisierungstheorie. Problematisch daran ist, dass Fabricius-Hansen auch unintegrierte Adverbialsätze (z.B. Irrelevanzkonditionale) zum zweiten Fall zu zählen scheint, sie werden jedenfalls unter derselben Überschrift (= Fall E: ‚Hauptsätze, die semantischpragmatisch wie prototypische Nebensätze fungieren’) diskutiert. Bei diesen

19 der ±kanonischen Nebensatzkonstruktionen verwendet habe. Was gerade auch aus diachroner Sicht interessant ist, ist, dass auch Extrapositions- und Korrelatkonstruktionen in Fabricius-Hansens Prototypenschema Abweichungen von der Variante prototypischer Unterordnung darstellen. Auf dieses spezielle Problem gehen auch Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 2251) ein und merken an, dass bei ‚korrelativer Subordination’ ein geringerer Grad an Integriertheit vorliege als bei dem nichtkorrelativen Pendant. Wenn man in dem korrelativen Satzgefüge in (36) den Nebensatz weglässt, bleibt der Obersatz ein grammatisch vollständiger Satz: (36)

a. Ich bezweifle es, daß er morgen kommt. b. Ich bezweifle es. (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 2251)

Im ‚Handbuch der deutschen Konnektoren’ (Pasch et al. 2003: 230) wird der Begriff ‚Subordination’ auf unkonventionelle Weise definiert: „Eine Einheit subordiniert einen Satz, wenn sie von diesem Letztstellung seines finiten Verbs verlangt.“ Verbletztauslösende Elemente werden auch ‚Subordinatoren’ genannt. Darunter fallen neben den Ausdrücken, die traditionell als ‚subordinierende Konjunktionen’ bezeichnet werden, auch Interrogativpronomina sowie Relativpronomina und -adverbien. Sätze, die durch Subordinatoren eingeleitet werden, bezeichnen die Autoren auch als Subordinatorphrasen. Pasch et al. (ibid.) räumen ein, dass diese Definition „angesichts dessen, dass traditionell unter der Subordination ein Verfahren verstanden wird, bei dem ein Satz in Abhängigkeit von einem anderen Satz gebracht wird, als unzureichend erscheinen“ mag. In der Tat ist diese Begrifflichkeit gewöhnungsbedürftig, immerhin ist es auch möglich, Sätze, die durch Subordinatoren eingeleitet werden, frei zu verwenden: (37)

a. Ob Peter wohl noch kommt? b. Wenn ich nur wüsste, wo ich meine Brille hingelegt habe. (Pasch et al. 2003: 97)

Pasch et al. (2003: 233) sprechen in diesem Fall von einer ‚syntaktisch selbständigen Subordinatorphrase’. Der Begriff ‚Subordinator’ wird also lediglich gleichbedeutend mit ‚Verbletztauslöser’ verwendet. Er bezieht sich nur auf einen Aspekt der internen Syntax des Nebensatzes und nicht auf das Verhältnis zwischen Neben- und Hauptsatz. Ein problematischer Aspekt dieser Taxonomie wird ersichtlich, wenn man die Ausführungen der Autorinnen ____________________ Konstruktionen liegen aber formal keine Hauptsatz- sondern Nebensatzmerkmale (eine satzeinleitende Konjunktion, Verbendstellung) vor. Außerdem sind, wie Fabricius-Hansen (ibid.: 474) selbst erwähnt, diese Sätze teilweise semantisch relativ unintegriert.

20 und Autoren zu Subordination vs. Einbettung betrachtet. Anlehnend an Lehman (1984: 146f., s.u.) gehen sie davon aus, dass ein eingebetteter Satz eine Konstituente des Bezugssatzes ist und in ihm eine syntaktische Funktion ausübt (ibid.: 239). Subordinatoren, welche die von ihnen regierte Satzstruktur in den übergeordneten Satz einbetten, werden bei Pasch et al. ‚Einbetter’ genannt. Subordinatoren, welche Satzstrukturen einleiten, die nichteingebettet sind, heißen ‚Postponierer’ (ibid.: 241). Zu den ‚Einbettern’ gehört zum Beispiel die Konjunktion dass bei Komplementsätzen, zu den Postponierern die komplexe Konjunktion sodass oder Relativphrasen, die weiterführende Nebensätze einleiten. Durch Postponierer eingeleitete Sätze können nicht ins Vorfeld gestellt werden: (38)

a. *Sodass ich kommen kann, habe ich morgen keinen Arzttermin. b. *Weswegen ich nicht kommen kann, habe ich morgen einen Arzttermin. (Pasch et al. 2003: 241)

Pasch et al. behaupten, dass es keine 1:1-Beziehung zwischen Subordination und Einbettung gebe. Verberst- und Verbzweitsätze sind bei Pasch et al. (2003: 241) nicht subordiniert. Die Autoren verweisen jedoch darauf (ibid.: 241ff.), dass zum Beispiel argumentrealisierende Verbzweitsätze und konditionale Verberstsätze eingebettet sind. Dagegen ist einzuwenden, dass der Einbettungsstatus dieser Konstruktionen durchaus umstritten ist. Wie in Kapitel 3 dargelegt werden wird, zeigt Reis (1997), dass argumentrealisierende Sätze zahlreiche Kriterien für Einbettungsstatus nicht erfüllen. 16 Reis & Wöllstein (2010) bestreiten, dass Verberstkonditionalsätze vorfeldfähig sind. Sie schlagen für Gefüge wie Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch eine Analyse vor, der zufolge es sich um zwei parataktisch verbundene Verberst____________________ 16

Pasch et al (2003: 244) verweisen auf Reis’ (1997) These, dass bei argumentrealisierenden Verbzweitsätzen keine Einbettung vorliegt, und wenden ein: „Reis nimmt Einbettungsbeschränkungen bei Verbzweitsätzen [...] als Argument dafür, [...] nicht von syntaktischer Abhängigkeit – Einbettung – zu sprechen, sondern allein von semantisch-pragmatischer. Da die syntaktische Funktion – insbesondere als Komplemente und Supplemente – für Verbzweit- und Verberstsätze jedoch im Wesentlichen semantisch und strukturell fundiert ist, sehen wir keine Notwendigkeit, die aufgezeigten Beschränkungen auf den Begriff der Einbettung durchschlagen zu lassen“ (ibid.). Der Ansatz von Reis ist hier allerdings nicht richtig wiedergegeben: Auch Reis geht davon aus, dass ein gewisser Grad an formal-syntaktischer Abhängigkeit besteht: So ist der Verbzweitsatz an die Matrix-VP adjungiert und bildet mit dem Matrixsatz zusammen eine Fokus-Hintergrund-Gliederung. Was aber den syntaktischen Einbettungsstatus (= Gliedsatzstatus) und die syntaktische Komplementhaftigkeit angeht, so zeigt Reis anhand einer Reihe von Diagnostika, dass beides bei argumentrealisierenden Verbzweitsätzen gerade nicht vorliegt (s. Kapitel 3).

21 sätze handelt (s. auch Axel & Wöllstein 2009). Diese Arbeiten legen nahe, dass Sätze mit Verbbewegung grundsätzlich nicht einbettbar sind. Wenn dies korrekt ist und es sich durch weitere Studien bestätigt, dass bei solchen angeblichen ‚embedded root phenomena’ 17 gar keine Einbettung vorliegt, dann gibt es anders als Pasch et al. behaupten in der Tat eine Korrelation zwischen ‚Nicht-Subordination’ (d.h. Nicht-Verbletztstellung nach ihrer Definition) und Nicht-Einbettbarkeit. Auf der anderen Seite führen Pasch et al. (2003: 245) Beispiele an für subordinierte Sätze, die nicht eingebettet sind. Das ist zum Beispiel bei den durch Postponierer eingeleiteten Sätzen wie in (38) der Fall. Wie oben erwähnt, sind Postponierer ja gerade so definiert, dass sie einen Satz einleiten, der nicht eingebettet ist. Jedoch führt das Vorgehen, den ± Einbettungsstatus eines Satzes auf die Eigenschaften des Subordinators zurückzuführen, nur teilweise zum Erfolg: Zwar ist es richtig, dass es Konjunktionen und Relativphrasen (z.B. wohingegen, weshalb) gibt, die stets uneingebettete Sätze einleiten, jedoch gehen Pasch et al. nicht darauf ein, dass durchaus auch einige Konjunktionen sowohl eingebettete als auch nichteingebettete Sätze einleiten können. Wenn zum Beispiel leitet sowohl kanonische, eingebettete Konditionalsätze als auch uneingebettete Irrelevanzkonditionale wie in (29)-a–e ein. Außerdem kommen adverbiale Konjunktionen wie wenn, weil, damit usw. in sogenannten Sprechaktadverbialsätzen vor. Es ist also keine hinreichende Bedingung für eingebettete Sätze, dass sie durch einen ‚einbettungsfähigen’ Subordinator eingeleitet werden. Da die Autoren zudem davon ausgehen, dass dies auch keine notwendige Bedingung ist – sie klassifizieren ja wie gerade erwähnt auch argumentrealisierende Verbzweitsätze und Verberstkonditionale als eingebettete Sätze – ist es fragwürdig, Subordinatoren anhand dieses Merkmals zu klassifizieren. In generativen Ansätzen zum Deutschen standen lange lediglich Komplementsätze und die kanonischen Adjunktsätze (d.h. Relativsätze und Kernadverbialsätze), also Sätze mit Einbettungsstatus, im Mittelpunkt des Interesses (z.B. Stechow & Sternefeld 1988, Haider 1994, 1995, Haumann 1997, Inaba 2007). Viel diskutiert wurden auch Korrelatkonstruktionen bei Komplementsätzen (Zimmermann 1983, Pütz 21986, Cardinaletti 1990, Müller 1995b, Sudhoff 2003). 18 Reis (1997) entwirft den ersten umfassenderen Vor____________________ 17

18

Der Begriff ‚root’ (‚Wurzel’) bzw. ‚root clause’ (Wurzelsatz) geht zurück auf Emonds (1970). Wurzelsätze sind Sätze, die durch keinen weiteren Satzknoten dominiert werden. Das entspricht ungefähr dem, was in traditioneller Terminologie als ‚selbständiger Satz’ bezeichnet wird. Das gilt zum großen Teil auch für andere Sprachen. Unter den nichtintegrierten Typen haben lediglich appositive Relativsätze (Emonds 1979, Demirdache 1991) auch in der generativen Literatur viel Beachtung gefunden. Haegeman (1984, 1985, 1991, 2003) beschäftigt sich darüber hinaus in einer Reihe von Arbeiten mit

22 schlag, wie verschiedenste nichteingebettete Nebensätze syntaktisch zu analysieren sind. Dabei bezieht sich bei Reis – anders als bei Pasch et al. – der Begriff ‚Subordination’ wie im traditionellen Sinn auf das Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz. Subordination wird definiert als Abhängigkeit von einer durch den Bezugssatz gegebenen Lizenzierungsinstanz. Sätze, die intern lizenziert sind, sind integriert (= eingebettet), solche, die nicht intern lizenziert sind, sind unintegriert (= uneingebettet). Hauptsätze sind weder abhängig noch eingebettet, also nicht subordiniert. Wie im letzten Abschnitt erwähnt, klassifiziert Reis (1997) Nebensätze (bzw. unselbständige/subordinierte Sätze) nach dem Grad der Integriertheit. Ein graduelles Konzept von Subordination (bzw. von Koordination– Subordination) wird auch in funktionalen bzw. in Grammatikalisierungsansätzen zugrunde gelegt. Dennoch gibt es eklatante Unterschiede: Bei Reis gibt es kein Kontinuum der Satzfügungsarten, sondern eine diskrete UnterVFKHLGXQJ]ZLVFKHQ+DXSWVlW]HQ>íDEKlQJLJíHLQJHEHWWHW@XQG1HEHQVltzen [+ abhängig, ± eingebettet] einerseits und zwischen absolut unintegrierten, relativ unintegrierten und integrierten subordinierten Sätzen andererseits. Diese Subordinationsgrade sind syntaktisch basiert: Komplementsätze zum Beispiel sind integriert, sie sind Schwestern vom Matrixverb V0, während relativ unintegrierte Nebensätze (z.B. argumentrealisierende Verbzweitsätze) an VP adjungiert und absolut unintegrierte lediglich an die Matrixsatzprojektion (= FP in Anlehnung an Haider 1993) adjungiert sind: (39)

FP FP …

CP a-unintegrierte Nebensätze

VP ...

VP VP V0

CP r-unintegrierte Nebensätze (CP/VP) Satz/Sätze im Nachfeld

(Reis 1997: 138, Bsp. 65)

____________________ unintegrierten (bzw. teilintegrierten) Adverbialsätzen im Englischen. Auch eine Relativierungsstrategie ohne Einbettung, das sogenannte korrelative Diptychon, wurde in zahlreichen generativen Arbeiten analysiert (s. Kapitel 5 für einen Literaturüberblick).

23 Die Unterscheidung zwischen relativ und absolut unintegrierten Nebensätzen erfordert eine Feindifferenzierung des Bereichs, der traditionell als ‚Nachfeld’ bezeichnet wird. Reis unterscheidet zwischen dem eigentlichen ‚Nachfeld’, das Glied(-teil)sätzen vorbehalten ist, und einem weiter rechts liegenden ‚Nachstellungsfeld’, in dem die relativ unintegrierten Nebensätze stehen. Ganz rechts werden die absolut unintegrierten Nebensätze platziert. Sie besetzen das ‚Schlussstellungsfeld’: (40)

[

Bezugssatz Sb:

]

ŒVORFELD LSK MITTELFELD RSK NACHFELDŇ NACH-STELL’GŒ SCHLUSS-STELL’G Œ

Gliedsätze

Gliedsätze

Gliedsätze r-Nebensätze a-Nebensätze nichtadjaz. Gliedteilsätze

(Reis 1997: 129, Bsp. 22)

Reis geht von einem modularen Grammatikmodell aus. Mit dem unterschiedlichen syntaktischen Status korrelieren jeweils Eigenschaften aus weiteren Modulen wie etwa weitere formale, informationsstrukturelle oder illokutive Eigenschaften: So kann zum Beispiel nur aus einer CP, welche die Schwester von V0 ist, extrahiert werden. Weder bei relativ noch bei absolut unintegrierten Sätzen ist das möglich. Relativ unintegrierte Sätze unterscheiden sich von absolut unintegrierten dadurch, dass sie in die Fokus-Hintergrund-Gliederung des Bezugssatzes integriert werden können und außerdem illokutiv untergeordnet sind. Funktionale bzw. Grammatikalisierungsmodelle zur Satzfügung (Foley & van Valin 1984, Haiman & Thompson 1984, Lehmann 1988, Matthiessen & Thompson 1988, Raible 1992 u.v.a.m.) basieren nicht auf der Annahme einer modularen Grammatik. Es gibt keine diskreten Subordinationsgrade, sondern ein Kontinuum auf multifaktorieller Basis: Bei Haiman & Thompson (1984) wird ‚Subordination’ kompositional gefasst, und zwar als eine Bündelung von verschiedenen Parametern, die sich jeweils auf einen anderen Aspekt des Verhältnisses zweier Sätze, die im Diskurs adjazent sind, beziehen. Morphosemantische Eigenschaften werden in Grammatikalisierungsmodellen vorrangig betrachtet. Eine genaue syntaktische Analyse bleibt oft aus, was auch damit zusammenhängt, dass die Einzelsprachen sehr stark unter typologischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Es wird nicht angenommen, dass die betrachteten Eigenschaften aus unterschiedlichen Modulen stammen und dass sie systematisch miteinander korrelieren. Außerdem ist der Satzfügungsbegriff (‚Clause Linkage’) in diesen Modellen oft weiter gefasst, indem auch textuelle Satzverknüpfung miteinbezogen wird. Ein Verdienst dieser Modelle ist, dass hier schon früh die Unterscheidung zwischen Einbettung und bloßer Subordination in die Diskussion eingebracht wurde (Huddleston 1984: 379f., Hopper & Traugott 1993). So schlägt Leh-

24 mann (1988) in Anlehnung an Foley & van Valin (1984, Kap. 6) das folgende Integrationskontinuum (= ‚hierarchical downgrading’) vor: (41)

parataxis independent clauses

embedding adjoined clauses

correlative diptych

medial clause

conj. part.

governed clause

(Lehmann 1988: 189) [conj. part. = conjunct participle]

Am linken Rand des Kontinuums steht die Verbindung zweier unabhängiger Sätze wie in folgendem englischen Beispiel: (42)

I was trimming a boomerang, there you came up. (Lehmann 1988: 183, Bsp. 1)

Der Begriff des adjungierten Satzes in Lehmanns Modell stimmt nicht mit der generativen Terminologie überein. Lehmann bezieht sich hierbei mit Rückgriff auf Hale (1976) auf einen speziellen Typ der Satzfügung zweier Sätze, der zum Beispiel im Walbiri vorkommt, bei der ein Satz durch eine Subjunktion eingeleitet wird, aber stets eine periphere Position in Bezug auf den Hauptsatz einnimmt und weder in den Hauptsatz eingebettet werden kann, noch eine syntaktische Funktion in ihm innehat (Lehmann 1988: 185). Adjunktsätze in generativer Terminologie können dagegen sehr wohl eingebettet sein, das ist sogar die Regel. So gibt es den übereinzelsprachlich weit verbreiteten Typ des eingebetteten Relativsatzes, der zumindest traditionell als Adjunkt (zu N’ oder NP oder einer funktionalen Projektion in der Nominalphrase) analysiert wird. Ebenso verhalten sich die Kernadverbialsätze in der Regel wie Gliedsätze, was man im Deutschen und in anderen germanischen Verbzweitsprachen zum Beispiel daran sehen kann, dass sie in SpecC stehen können. Lediglich Adjunktsätze, die an die Matrix-CP adjungiert sind (wie etwa weiterführende Nebensätze in dem Ansatz von Reis 1997 oder das sogenannte ‚korrelative Diptychon’) sind nicht eingebettet. Als dritten Satzfügungstyp nennt Lehman das sogenannte korrelative Diptychon, eine Relativierungsstrategie, die zum Beispiel im Lateinischen verbreitet war: (43)

[quei ager ex privato in publicum commutatus est], de eo agro siremps lex esto. ‚Any land that has been converted from private into public, to such land the law shall apply in the same way.’ (CIL, I2, 585; zit. nach Lehmann 1988: 184, Bsp. 4)

Beim korrelativen Diptychon ist der Relativsatz nicht in den Hauptsatz eingebettet. In generativen Ansätzen wird angenommen, dass er an die Haupt-

25 satz-IP bzw. -CP adjungiert ist. Der relative Kopf ist in dem Relativsatz selbst enthalten (= quei ager in (43)). Diese Relativierungsstrategie kam auch im älteren Deutsch vor, wie in Kapitel 5 gezeigt werden wird. Weiter rechts auf dem Kontinuum liegt der ‚medial clause’, auf diesen Subordinationstyp soll hier aber nicht eingegangen werden. Einen noch stärkeren Einbettungsgrad hat das sogenannte ‚participium coniunctum’: (44)

L. Petrosidius aquilifer ... pro castris [fortissime pugnans] occiditur. ‚L. Petrosidius, the colour-bearer, is killed in front of the camp fighting most bravely’ (Caes. B.G. 5, 37, 5; zit. nach Lehmann 1988: 184, Bsp. 7)

Am stärksten eingebettet sind Lehmann zufolge Sätze, die regiert werden. Typischerweise handelt es sich um Objektsätze, die vom Matrixverb regiert werden, wie in dem folgenden lateinischen Beispiel: (45)

Telebois iubet [sententiam ut dicant suam]. ‚He orders the Teleboans to give their opinion.’ (Pl.Am. 205 ; zit. nach Lehmann 1988: 184, Bsp. 8)

Die Unterschiede zum generativen Ansatz sind evident: Dort gibt es keine Einbettungsgrade, sondern nur eine binäre Opposition zwischen [+ eingebetWHWHQ@ XQG >í HLQJHEHWWHWHQ@ 6lW]HQ :UGH PDQ GDV 0RGHOO YRQ +DLGHU (1995) und Reis (1997) aufs Lateinische übertragen, wären das ‚participium coniunctum’ und der Komplementsatz beide gleichermaßen eingebettet. Außerdem wären beide direkt lizenziert: das ‚participium coniunctum’ durch den Bezug auf die Ereignisvariable des Verbs occidere, der Objektsatz dadurch, dass er die Thetarolle des Verbs iubere sättigt.

1.5

Nichtkanonische Nebensätze in der sprachgeschichtlichen Literatur

Die Themen Satzfügung und nichtkanonische Nebensätze spielen auch in der sprachgeschichtlichen Literatur eine zentrale Rolle. In der Grammatikalisierungsliteratur wird in der Regel angenommen, dass das Parataxe-Hypotaxe-Kontinuum eine diachrone Dimension hat. König & van der Auwera (1988) greifen die graduelle Satzfügungstypologie von Lehmann (1988) auf, um die syntaktische Integration bestimmter Adverbialsatztypen im Deutschen und Niederländischen zu beschreiben (s. Kapitel 5). Lehmann (1984: 378ff.) befasst sich mit der Entstehung und Grammatikalisierung von Relativsätzen im Ahd. Günthner (1996) entwickelt ein Gramma-

26 tikalisierungsszenario für die jüngeren Diachronie der weil-V2-Sätze und Leuschner (2006) eines für Konzessivsätze. Die Hypothese einer diachronen Entwicklung der Hypotaxe aus der Parataxe wurde bereits im 19. Jahrhundert propagiert. Der Begriff ‚Parataxis’ stammt von Thiersch (31826), der sich mit der Grammatik des Altgriechischen befasst hat. Die Junggrammatiker waren die ersten, die konkrete Entwicklungsszenarien für die Entstehung der Nebensätze propagierten. Eine Theorie, die auch heute noch als Standardtheorie gilt, ist, dass sich die Konjunktion dass aus dem Demonstrativum (Nom./Akk. des Neutrums) entwickelt hat, und zwar aus einer parataktischen Fügung, in der es kataphorisch am Ende des Vorgängersatzes stand. Durch eine Verschiebung der Satzgrenze mit Übertritt von das in den Folgesatz habe sich der subordinierte dass-Satz entwickelt (Ich weiß das: er kommt > Ich weiß, dass er kommt) (z.B. Behaghel 1877, 1928: 130, Paul 1920: 241). Ähnliches wurde auch für Adverbial- (Erdmann 1874, Bd. I) und Relativsätze (Tomanetz 1879, Behaghel 1928: 766) vorgeschlagen. Auf diese Szenarien wird in den folgenden Kapiteln an verschiedenen Stellen eingegangen werden. In der junggrammatischen Literatur wurde immer wieder auch auf nichtkanonische Nebensatztypen hingewiesen. Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Nebensätze mit Hauptsatzwortstellung ein relativ frühes Stadium der Nebensatzentwicklung widerspiegeln, da sie parataktischer seien als ihre Pendants mit Verbendstellung. Tomanetz (1879) unterscheidet in seiner Studie zu den Relativsätzen in der ahd. Übersetzungsliteratur des 8. und 9. Jahrhunderts zwischen Relativsätzen mit der ‚Wortstellung des Nebensatzes’ (ibid.: 56) und solchen mit der ‚Wortstellung des Hauptsatzes’ (ibid.: 65). Er ist ein Verfechter der Parataxe-zu-HypotaxeHypothese und geht davon aus, dass die Relativsätze ursprünglich Verbzweitstellung aufwiesen. Anders als Delbrück kann Tomanetz (1879: 102) „nicht daran glauben, dass unsere jetzige WStllg. des NS. ursprünglich die des HS. war und der HS. von ihr zu seiner jetzigen abgewichen sei.“ In anderen Worten, er wendet sich gegen die Annahme, dass das Indogermanische eine Verbendsprache war. Da somit auch das Germanische die Verbzweitstellung ererbt habe und es gemäß der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese ursprünglich nur Hauptsätze gegeben habe, sei die Verbendstellung im Nebensatz das innovative Muster auf dem Weg zur Entwicklung hypotaktischer Strukturen: Es ist nun eine bekannte Tatsache, dass unsre jetzige WStllg. [= Wortstellung, K.A.-T.] im NS. ursprünglich identisch war mit der des HS.; natürlich, weil es ursprünglich überhaupt keine NS. sondern nur HS. gab, und diese wahrscheinlich unsere WStllg. des HS. hatten [...]. (Tomanetz 1879: 82)

27 Paul (1920: 189) argumentiert, dass für die Genese des d-Verbendrelativsatzes eine asyndetische relativische Konstruktion (wie in Gegen Frankfurt liegt ein Ding über, heißt Sachsenhausen, Goe. 8, 40, 4; zit. nach ibid.) ausschlaggebend war. Diese Entstehungstheorie wird in Abschnitt 4.6.2 skizziert und diskutiert. In junggrammatischen Studien und in den einschlägigen Grammatiken wird darüber hinaus die besondere Stellung von uneingeleiteten Nebensätzen erkannt. In den Grammatiken wird diesen Nebensatztypen in der Regel jeweils ein separater Paragraph gewidmet (vgl. Erdmann 1874: Bd. I: 177–198, Erdmann 1886: 169–172 zur indirekten Rede ‚ohne Conjunction’, Paul 1920: 171f., 176f. zu dem Phänomen der ‚Verba sentiendi und dicendi’, die einen scheinbar unabhängigen Satz als Obj. zu sich nehmen können und Behaghel 1928: 543f., 605–608 zu ‚konjunktionslosen Behauptungssätzen’ (= argumentrealisierende Verbzweit- und Verbendsätze) bzw. Erdmann 1874, Bd. I: 98f., 101f., Erdmann 1886: 188f., Paul 1920: 276f. und Behaghel 1928: 543f. und 781 zu konjunktionslosen Bedingungssätzen). Ein weiteres Konzept, das für das Phänomen der nichtkanonischen Nebensätze von Bedeutung ist, ist das der ‚Mischung’ (Behaghel 1928: 772– 775). Laut Behaghel (ibid.: 773) gehen Relativsätze manchmal „Mischungen mit hypothetischen Sätzen ein, wobei stets der Nebensatz aus der relativen, der Hauptsatz aus der hypothetischen Fügung stammt“: (46)

der ez aber in ein fiwer wirfet, ez reget sich niendert ‚wenn es aber jemand in ein Feuer wirft, regt es sich keineswegs’ (Berth. v. R. I, 375, 37; zit. nach Behaghel 1928: 774)

Auf solche ‚konditionalen Relativsätze’ wird in Kapitel 5 eingegangen. Hermann Paul spricht nicht von ‚Mischung’, sondern von Kontamination: Unter Kontamination verstehe ich den Vorgang, daß sich zwei sinnverwandte Ausdrucksformen gleichzeitig in das Bewußtsein drängen, so daß infolge davon eine Mischung der beiden entsteht [...] Paul (1920: 392)

Allerdings ist unter den Phänomenen, die er als Beispiel nennt, keine der hier behandelten nichtkanonischen Nebensatzkonstruktionen enthalten. In jüngerer Zeit greift jedoch Näf (1979: 276) das Konzept der Kontamination auf und spekuliert, dass uneingeleitete, argumentrealisierende Sätze mit Verbendstellung in Notkers Consolatio (s. Abschnitt 3.4.1) auf eine Kontamination zwischen einem daz-Satz (mit Verbendstellung) und einem ‚Inhaltssatz’ mit Verbzweitstellung zurückzuführen sein könnten.

28

1.6

Gang der Untersuchung

In der vorliegenden Arbeit können natürlich nicht alle in den letzten Abschnitten angesprochenen Konstruktionen behandelt werden. Die Darstellung beschränkt sich auf einige repräsentative Gefügetypen. In der Übersicht in 1.3, die natürlich keinesfalls vollständig ist, ist deutlich geworden, dass es Diskrepanzfälle gibt im Bereich von prima facie Komplementsätzen, bei relativischen Konstruktionen sowie bei den Adverbialsätzen. In den Kapiteln 3 bis 5 wird aus diesen drei Gruppen je ein Diskrepanzfall näher betrachtet. In Kapitel 2 wird jedoch zunächst ein kanonischer Nebensatztyp behandelt, nämlich der argumentrealisierende dass-Satz. Auch dieser Nebensatztyp hat, wenn man ihn mit nichtsatzförmigen Argumenten vergleicht, eine wesentliche ‚nichtkanonische’ Eigenschaft, denn anders als bei nichtsatzförmigen Argumenten ist die Nachfeldstellung beim dass-Satz das unmarkierte Muster. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, ob nachgestellte dass-Sätze im Gwd. syntaktisch die Eigenschaften von Komplementen haben, wie sich die Komplementationsstruktur sprachgeschichtlich entwickelt hat und wie die Konjunktion dass entstanden ist. Kapitel 3 widmet sich vor allem uneingeleiteten argumentrealisierenden Sätzen: Anders als im Gwd. gab es im älteren Deutsch nicht nur uneingeleitete argumentrealisierende Sätze mit Verbzweit-, sondern auch solche mit Verbendstellung. Die Eigenschaften dieser beiden Konstruktionen im Ahd. und Mhd. werden zunächst aus synchroner und dann aus sprachgeschichtlicher Perspektive beschrieben. In Kapitel 4 geht es um relativische Konstruktionen mit Hauptsatzwortstellung. Im älteren Deutsch muss man zwei Konstruktionen unterscheiden: relativische Sätze mit Verberststellung und Argumentauslassung und relativische Verbzweitsätze, wie wir sie auch noch im Gwd. vorfinden. Beide Konstruktionen sind zudem in einer Variante bezeugt, in der sie durch die Konjunktion und eingeleitet werden. Der Fokus liegt auf den folgenden Fragen: Stehen der Verberst- und der Verbzweittyp in einer synchronen und/oder diachronen Beziehung? Haben diese nichtkanonischen Nebensatzkonstruktionen tatsächlich eine zentrale Rolle bei der Entstehung des kanonischen durch ein d-Pronomen eingeleiteten Relativsatzes gespielt, wie es von Verfechtern der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese propagiert wurde? In Kapitel 5 stehen die Adverbialsätze im Vordergrund: Am Beispiel der (temporalen) da-Sätze wird aufgezeigt, wie sich die eingebettete Adverbialsatzkonstruktion aus der korrelativen Relativkonstruktion entwickelt hat und die Konjunktion da aus dem Relativadverb da hervorgegangen ist. Kapitel 6 enthält die Zusammenfassung.

29 In den letzten Abschnitten wurden verschiedene formal-syntaktische und semanto-pragmatische Eigenschaften von Subordinationsstrukturen dargelegt, die in der umfangreichen Forschungsliteratur zu den kanonischen und nichtkanonischen Nebensatztypen im Deutschen immer wieder diskutiert werden. In sprachgeschichtlichen Untersuchungen sind nicht alle dieser Eigenschaften gleich zugänglich. Syntaktische Eigenschaften wie die nebensatzinterne Verbstellung oder die Positionierung in Relation zum Bezugssatz lassen sich auch in schriftlichen Texten leicht untersuchen – ebenso lexikosyntaktische Merkmale wie das Vorhandensein bestimmter Satzeinleiter (z.B. Komplementierer, adverbiale Subjunktionen, Relativpronomina oder Relativpartikeln), der Gebrauch von Korrelatsausdrücken oder die Rektion durch bestimmte Matrixprädikatklassen. Diese Charakteristika spielen in jedem Kapitel eine mehr oder weniger große Rolle. Dagegen können informationsstrukturelle Eigenschaften aufgrund der fehlenden prosodischen Evidenz wenn überhaupt nur indirekt erschlossen werden. Dasselbe gilt zum Teil für semantische Eigenschaften: Ob ein Relativsatz oder eine relativische Konstruktion als restriktiv oder nicht-restriktiv einzustufen ist, lässt sich bei schriftlichen Daten auch unter Einbeziehung einer Analyse des Kontexts nicht immer eindeutig bestimmen. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass in sprachgeschichtlichen Untersuchungen keine konstruierten Daten zur Verfügung stehen. Für die Analyse mancher gegenwartsdeutscher Nebensatztypen wurde zum Beispiel untersucht, ob sie im Skopus der Negation oder von Fokuspartikeln im Bezugssatz stehen können. In sprachgeschichtlichen Korpora sind solche speziellen Beispielklassen oft nicht auffindbar, was natürlich nicht bedeuten muss, dass die entsprechenden Konstruktionen ungrammatisch waren, sondern einfach darauf zurückzuführen sein kann, dass sie generell niederfrequent sind und daher nur bei umfangreicheren Textmengen überhaupt bezeugt sind. Eine Konstruktion, die im Gwd. in der Schriftsprache eher selten vorkommt, ist die lange Extraktion aus dass-Sätzen. Gerade dieses spezielle Phänomen spielt aber in der grammatiktheoretischen Diskussion um die syntaktische Analyse von extraponierten Argumentsätzen eine wichtige Rolle. In diesem Fall ist aber, wie sich in Kapitel 2 zeigen wird, die Datenlage im älteren Deutsch glücklicherweise recht günstig, was damit zusammenhängen mag, dass die Schriftsprache in früheren Sprachstufen der gesprochenen Sprache näher stand, als dies heute der Fall ist. Bei gwd. Beispielen, die aus der Sekundärliteratur entnommen sind, wird die Quelle stets angegeben. Allerdings sind die Beispiele zum Teile ohne Kennzeichnung leicht verändert worden (z.B. durch die Einfügung oder Weglassung von syntaktischen Klammern, durch Spuren oder Indizierungen oder durch Hervorhebungen). Auch in den sprachgeschichtlichen Beispielen (s. auch 1.7) wurden teilweise Klammern und Spuren hinzugefügt oder Hervorhebungen durch Fett-/Kursivdruck durchgeführt.

30

1.7

Textgrundlage für die sprachgeschichtliche Untersuchung

Es liegt auf der Hand, dass für syntaktische Studien vornehmlich Prosatexte herangezogen werden sollten. Für das ahd. Stadium gibt es keine große Auswahl an umfangreichen Prosatexten. 19 Insbesondere stellt es ein Problem dar, dass die einzigen längeren Prosaquellen, die in Frage kommen, Übersetzungstexte sind, wobei sich allerdings im Hinblick auf die Textgestaltung und Übersetzungsqualität bzw. Vorlagennähe große Unterschiede ergeben. In der vorliegenden Untersuchung wurden aus dem 8. und 9. Jahrhundert die Isidorübersetzung (= Isidor), die Monseer Fragmente 20 (= Monseer Fragmente), der ahd. Tatian (= Tatian) und aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Notker Labeos Übersetzung und Kommentar von Boethius’ Schrift De consolatione philosophiae (= Notker Boethius I–V ) herangezogen. Detaillierte Anmerkungen, welche Herausforderungen diese Übersetzungstexte jeweils an die Methodologie der ahd. Syntaxforschung stellen, finden sich in Fleischer (2006) (vgl. auch Axel 2007: Kap. 1) und sollen hier nicht wiederholt werden. An dieser Stelle sei nur so viel erwähnt: Die Qualität der ahd. Isidorübersetzung gilt als herausragend. Gerade auch die Sytnax ist in weiten Teilen unabhängig vom Latein. Wie Schlachter (2009: 230) am Beispiel der Verbstellung in dhazs-Sätzen zeigt, gilt dies sowohl für die Textabschnitte, in denen der Übersetzer aus dem Alten Testament zitiert, als auch für die argumentativen Passagen. Beim Tatian ist für Wortstellungsstudien unbedingt zu beachten, dass bei der Übersetzung nach dem Prinzip der Zeilentreue mit dem Lateinischen verfahren wurde. Die Neuedition von Masser (1994) spiegelt die strukturellen Eigenheiten der Handschrift Cod. Sang. 56 in den entscheidenden Punkten wider, indem der Text „entsprechend der Handschrift zweispaltig und gemäß der exakten Zeilenentsprechung des in der linken Textspalte enthaltenen lateinischen Tatiantextes und der in der rechten Textspalte eingetragenen ahd. Übersetzung geboten“ (Masser 1994: 13) wird. In der vorliegenden Arbeit wird in den Tatianbeispielen die Zeilenbrechung durch ‚ʜ ’ wiedergegeben. Die Belege sind nach der Handschriftenseite (nicht wie bei Dittmer & Dittmer 1998 und Axel 2007 nach der Editionsseite) und Zeilennummer zitiert. Wie die syntaktischen Studien von Masser (1997) und Dittmer & Dittmer (1998) zeigen (siehe auch Fleischer, Hinterhölzl & Solf 2008), hat das Bemühen um eine zeilengetreue Wiedergabe auf die Wortstellung in der Übersetzung in der Tat einen Ein____________________ 19 20

Vgl. Haubrichs (21995) für eine umfassende Darstellung der ahd. Denkmäler aus v.a. literaturwissenschaftlicher Perspektive. Die Monseer Fragmente enthalten auch ein bairisches Isidorfragment, das nicht berücksichtigt wurde.

31 fluss ausgeübt, es „kann eine nichtdeutsche Wortstellung mit sich führen“ (Dittmer & Dittmer 1998: 23). Was schließlich Notkers Werk angeht, so gilt es im Großen und Ganzen als „relativ unabhängig von fremder Syntax“ (Wehrli 1980: 112). Manthey (1903: 5) findet sogar, dass Notker der beste ahd. Übersetzer war, Kartoschke (32000: 197) spricht von einer „Ausnahmeerscheinung in der gesamten älteren Geschichte der deutschen Literatur“. Notkers Version der Consolatio geht zudem weit über eine reine Übersetzung hinaus und enthält ausgedehnte Kommentarpassagen. 21 Mit Näf (1979) liegt eine wegweisende Arbeit zur Wortstellung in der Consolatio vor. Ein weiteres ahd. Denkmal, das in der vorliegenden Arbeit herangezogen wurde, ist Otfrids Evangelienbuch. Dies ist der ahd. Text, dessen Syntax am ausführlichsten untersucht wurde. Zu erwähnen sind vor allem die monumentale zweibändige Syntax von Oskar Erdmann (1874) und die Untersuchung von Wunder (1965) zum Nebensatzrepertoire. Das Evangelienbuch hat gegenüber den bereits genannten ahd. Quellen den Vorteil, dass es sich um eine sehr freie Übersetzung handelt mit zahlreichen Abweichungen von der biblischen Vorlage. Haubrichs (1996) beschreibt die translative und narrative Technik des ‚karolingischen Gelehrten’ wie folgt: Was ist Otfrid als Übersetzer? Was ist Otfrid als Erzähler? Es ist keine neue Einsicht, daß Otfrid keine wörtliche Übersetzung im Sinne etwa des ‚Tatian’ beabsichtigte. Er geht in seiner Abweichung vom überlieferten heiligen, als inspiriert geltenden Text auch noch erheblich weiter, als ihn die Umsetzung der Vorlage in Verse ohnehin verpflichtete. Eigenständige oder unter dem Einfluß von theologischer Kommentarliteratur stehende Erweiterungen, nachdrückliche stilistische und rhetorische Variation, Unterdrückung auch durchaus essentieller Erzählelemente mitten innerhalb der übersetzten Stücke, Kontamination weit auseinanderliegender Partien der biblischen Vorlage, all das kommt vor und umschreibt ein erhebliches Maß an Freiheit, das sich Otfrid gegenüber dem überlieferten göttlichen Wort gestattet. (Haubrichs 1996: 44)

Ein Problem liegt natürlich darin, dass es sich um gebundene Sprache handelt und dass syntaktische Gegebenheiten durch die Metrik und den Endreim beeinflusst sein können. Die Otfridbelege (Wiener Codex) sind nach der neuen, handschriftennahen Edition von Kleiber (Hg.) (2004) zitiert. ____________________ 21

Was die lat. Textpartien des Cod. Sang. 825 angeht, die in der vorliegenden Arbeit – wenn bei den jeweiligen Belegen vorhanden – in einer separaten Zeile zitiert werden, so gilt es zudem zu beachten, dass Notker nicht einfach den Text der ihm zur Verfügung stehenden Consolatio-Handschriften aus dem St. Galler Scriptorium wiedergegeben hat, sondern den lat. Text modifizierte, indem er Wörter, Phrasen und Teilsätze umstellte (vgl. hierzu Näf 1979: 58–61). Auch die Verbstellung wird nicht selten verändert.

32 Welche Editionen für die anderen ahd. Texte herangezogen wurden, kann man dem Literaturverzeichnis entnehmen. Dort finden sich auch jeweils Hinweise zur Zitierweise der Belege. Die ahd. Belege werden in der Regel mit Glossierungen und Übersetzungen dargeboten. Die systematische Erforschung der mhd. Prosasyntax steht erst am Anfang. In der älteren Grammatikographie wurden Prosatexte kaum herangezogen. Weil man sich hauptsächlich am Textkanon der Mediävistik orientierte, stand vor allem die oberdeutsche Dichtung der hochhöfischen Zeit im Mittelpunkt (vgl. hierzu auch Wegera 2000: 1305, Prell 2001: 1ff.). 22 Die früheren Auflagen der Paul‘schen Mittelhochdeutschen Grammatik enthalten zwar ein ausführliches Quellenverzeichnis, das auch Prosatexte umfasst, dennoch stammen die meisten Beispiele aus der Dichtung. Das gilt auch für den Syntaxteil, der seit der 23. Auflage (1989), die von Peter Wiehl und Siegfried Grosse bearbeitet wurde, auf den Untersuchungen von Ingeborg Schöbler basiert. Auch in der 23. Auflage bleibt jedoch „[d]ie Prosaliteratur des Hochmittelalters (Predigten, Chroniken, Sach- und Kanzleitexte) [...] noch immer unberücksichtigt, da die bisher vorliegenden Einzeluntersuchungen nicht die Auswertung für eine gestraffte Darstellung erlauben“ (Paul 1989). Daran hat sich auch in der 24. Auflage (Paul 241998) nichts geändert, gerade der Syntaxteil weist nur unwesentliche Überarbeitungen auf. Erst die 25. Auflage (Paul 252007) bringt eine wesentliche Neuerung, denn diese basiert teilweise auf Ergebnissen, die im Rahmen von Arbeiten zu einer neuen großen wissenschaftlichen Grammatik auf der Basis mhd. Handschriften durchgeführt wurden. Der von Heinz-Peter Prell bearbeitete Syntaxteil „unterscheidet sich erheblich von den entsprechenden Teilen der vorangegangenen Auflagen“ (ibid.: VII). Für die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Fragestellung ist vor allem relevant, dass die Abschnitte über die Satzarten (Beginn von Kapitel VI) sowie die Kapitel zur Wortstellung (Kapitel VII) und zu den komplexen Sätzen (Kapitel VIII) fast ganz neu sind. Insbesondere diese neuen Abschnitte beruhen auf Untersuchungen, denen ein den gesamten mhd. Zeitraum umfassendes elektronisches Prosakorpus zugrunde liegt, das verschiedene Sprachlandschaften und Textsorten umfasst. Dieses Prosakorpus ist ein Teil des elektronisch verfügbaren Basiskorpus aus dem sog. ‚Bochumer (Gesamt)korpus’. Auf die für unsere Fragestellungen relevanten Er____________________ 22

Die Grammatik von Michels (51979, Erstauflage 1900) basiert vornehmlich auf poetischen Denkmälern. Michels führt zwar eine recht große Zahl an Prosatexten und Urkunden als Quellen an, jedoch werden diese bei der Auswertung kaum berücksichtigt. Die ‚Mittelhochdeutsche Grammatik’ von Weinhold (21967, Erstauflage 1877) enthält keinen Syntaxteil. Was in der Grammatik von Mettke (71993, Erstauflage 1964) unter den Stichworten ‚Syntax’ bzw. ‚Satzlehre’ dargelegt wird, solle man laut Prell (2001: 3, Fn. 9) besser mit Stillschweigen übergehen.

33 gebnisse wird in den folgenden Kapiteln an verschiedener Stelle hingewiesen. Mit Prell (2001) liegt die erste umfassende korpusbasierte 23 Studie zur mhd. Syntax vor. Allerdings beschäftigt sich Prell nur mit dem ‚Elementarsatz’. Komplexe Sätze werden nicht betrachtet. Für den Forschungsstand in diesem Bereich gilt nach wie vor: Am dünnsten gesät sind Untersuchungen zum mhd. komplexen Satz, insbesondere zur Struktur und Entwicklung des Satzgefüges; hierzu geben auch die gängigen Handbücher kaum Auskunft. (Prell 2001: 5)

Als Textgrundlage für die mhd. Teile der vorliegenden Arbeit wurden Ausschnitte aus 20 Prosatexten herangezogen, die unterschiedlichen Sprachlandschaften und Textsorten angehören. Ausschnitte aus diesen Prosatexten sind auch Teil des elektronischen Bochumer Korpus. Die folgende Übersicht enthält die Kurztitel, unter denen die Texte in der vorliegenden Arbeit zitiert werden, die Zuordnung zu einer von sieben Sprachlandschaften, die zeitliche Einordnung (2.12. = 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, 1.13. = 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts usw.) sowie einen Verweis auf die benutzte Edition (Die Literaturnachweise finden sich in der Bibliographie am Ende der Arbeit):

____________________ 23

Das Korpus besteht – wie das in der 25. Auflage der paulschen Grammatik verwendete elektronische Korpus – aus einem Teil der im Bochumer Basiskorpus enthaltenen Prosatexte.

34 bairisch Wiener Physiologus

2.12.

Maurer (1967)

St. Pauler Predigten

1.13.

Whisnant (1978)

Bartholomäus

2.13.

Pfeiffer (1863)

bairisch-alemannischer Übergangsraum Speculum ecclesiae

2.12.

Mellbourn (1994)

David von Augsburg: Traktate

2.13.

Pfeiffer (1845/1962)

Baumgarten geistlicher Herzen

1.14.

Unger (1969)

Züricher Predigten

2.12.

Wackernagel (1876/1964)

Trudperter Hoheslied

1.13.

Menhard (1934)

Lucidarius (G)

1.13.

Dittrich (1940)

Nikolaus von Straßburg: Predigten

1.14.

Pfeiffer (1845/1962)

alemannisch

west-mitteldeutsch/mittelfränkisch Lilie

2. 13. Wüst (1909)

Amtleutebuch St. Brigiden

2.13.

Buyken & Conrad (1936)

west-mitteldeutsch/rheinfränkisch-hessisch Salomons Haus

2.13.

Adrian (1846)

Mitteldeutsche Predigten

2.13.

Grieshaber (1842)

Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 1.14.

Pfeiffer (1845/1962)

Oxforder Benediktinerregel

1.14.

Sievers (1887)

Jenaer Martyrologium

2.13.

Wilhelm (1928)

Berliner Evangelistar

1.14.

Feudel (1961)

Evangelienbuch Beheim

1.14.

Bechstein (1867/1966)

1.14.

Schröder (1871)

ostmitteldeutsch

ostfränkisch Christine Ebner

35 Wie bereits erwähnt, wurden nur Ausschnitte aus diesen Texten untersucht, und zwar jeweils die ca. ersten 40 Seiten aus der Edition. 24 Die Seitenzahlen kann man den Literaturnachweisen entnehmen. Texte, die kürzer sind als 40 Seiten, wurden vollständig aufgenommen. Der Grund, warum auf Editionen zurückgegriffen wurde, liegt darin, dass das digitalisierte Bochumer Korpus, das auf Handschriften basiert, nicht frei zugänglich ist und auch mir nicht zur Verfügung stand. Die Beispiele sind in der Regel unter der Angabe der Seiten- und, wo vorhanden, der Zeilennummer zitiert. Es wurde nur jeweils die Zeile angegeben, in der der Beleg beginnt. 25 Der Vorteil von Editionen liegt darin, dass der interessierte Leser die Belege nachschlagen kann und so die Ergebnisse einfacher überprüfbar sind. Ein gravierender Nachteil ist aber, dass anders als im Falle des Ahd. die Editionen der mhd. Denkmäler im Ruf stehen, nicht sehr handschriftennah zu sein (z.B. Wegera 2000: 1304). Das gilt jedoch vor allem für die Lesetexte der hochhöfischen Epoche, während in den meisten Editionen der mhd. Prosatexte die ‚normalisierte’ Kunstsprache (wenn überhaupt) eine weit geringere Rolle spielt. Auch Prell (2001: 14, Fn. 29) stellt fest: „Die meisten – nicht alle! – Editionen mhd. Prosatexte sind, auch wenn sie älteren Datums sind, recht handschriftennah.“ Hinzu kommt, dass die Syntax durch etwaige Eingriffe sicher weniger stark betroffen ist als etwa die Morphologie. Ein Phänomen, das sich jedoch gerade bei der Untersuchung der Satzfügung als problematisch erweisen könnte, ist die Interpunktion. In den meisten Editionen ist eine ‚moderne‘ Interpunktion eingefügt worden, was zu Präjudizierungen in Bezug auf die Satzgrenzen führen kann (Prell 2001: 15, Fn. 30). Kern (1988) geht sogar soweit, zu vermuten, dass eine eindeutige Zuordnung der Satzgrenzen der Eigenart der mhd. Texte gar nicht gerecht wird. Prell (2001: 15, Fn. 30) wendet jedoch ein, dass dies – wenn überhaupt – nur für die Verssprache gilt und „mit Blick auf die mhd. Prosa so nicht zu übernehmen ist“. Diesen Eindruck kann ich nach Auswertung der Text(ausschnitte) für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit (bei der ich die Interpunktion in den Editionen ignoriert habe) bestätigen. Nur äußerst selten finden sich Abfolgen von Sätzen wie in folgendem Beleg aus Salomons Haus, bei der nicht zu entscheiden ist, ob der Bezugssatz des da-Satzes (da vnser herre virschit. andem fronen crvce) der vorangehende Satz (Daz ... irshrakin.) oder der nachfolgende Satz (div svnne ... finster.) ist. Bei dem Beleg aus dem Berliner Evangelistar legt die Interpunktion in der Edition nahe, dass der do-Satz ____________________ 24 25

Dabei handelt es sich natürlich nicht um ‚Normalseiten’, denn die Anzahl der Wörter, die auf eine Seite passt, variiert von Edition zu Edition. Auch bei den ahd. Belegen, wird nur die Zeilennummer zu Beginn des Belegs angegeben. Bei den ahd. Beispielen wird, wenn vorhanden, zusätzlich die entsprechende lat. Passage zitiert, allerdings ohne Angabe der Zeilennummer.

36 dem Hauptsatz nachgestellt ist, er könnte jedoch auch vor den abhängigen Verbzweitsatz dy tage wurden irfullit daz sy gebar vorangestellt sein. (47)

a. Daz bezeichenit daz alle creatvre irshrei. vnde irshrakin. da vnser herre virschit. andem fronen crvce. div svnne wart finster. der mane virwandelde sich. (Salomons Haus 447) b. Sundir iz geschach do sy do waren, dy tage wurden irfullit daz sy gebar. (Berliner Evangelistar 4, 34; Lk 2, 6)

Man könnte einwenden, dass insbesondere die Editionen aus dem 19. Jahrhundert für grammatische Untersuchungen unbrauchbar sind. In der vorliegenden Arbeit liegt jedoch die Hauptlast der Argumentation auf Daten aus neueren und vertrauenswürdigeren Editionen. An keiner Stelle wären die Ergebnisse anders ausgefallen, wenn auf die Daten aus den alten Editionen völlig verzichtet worden wäre. 26 Abgesehen von den obigen Texten wurden auch die ersten 140 Seiten des sogenannten Prosalancelot aus dem ersten Band der Edition von Kluge (1948ff.) untersucht. Kluges Edition basiert auf der ersten (bis auf eine Lücke) vollständig erhaltenen Handschrift (Heidelberg, Codex Pal. germ. 147), die nach 1455 entstanden ist, aber einen deutlich älteren Sprachstand aufweist (Steinhoff (Hg.) 1995, Bd. II: 764f.). Es handelt sich bei diesem ersten deutschen Prosaroman um eine Übersetzung einer altfranzösischen Romantrilogie, die um 1225 abgeschlossen wurde. Man geht davon aus, dass eine erste Übersetzungsphase schon bald nach Abschluss des französischen Originals um 1250 angesetzt werden muss, denn das älteste Fragment stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die genauen Entstehungsbedingungen des mhd. Textes sind jedoch umstritten. Während Kluge (1963: XI–XXIII) und Steinhoff (1995 (Hg.), Bd. II: 764ff.) davon ausgehen, dass die Übersetzung, wenn auch diskontinuierlich, direkt aus dem Französischen erfolgte, stellt Tilvis (1957, 1972) aufgrund der von ihm identifizierten Niederlandismen die Hypothese auf, dass es eine verschollene mittelniederländische Zwischenstufe gab. In jüngerer Zeit setzt sich jedoch wieder die Meinung durch, dass die Übersetzung aus dem Altfranzösischen erfolgt sein muss: So argumentiert ____________________ 26

Eine Ausnahme ist möglicherweise das Schwesterbuch von Christine Ebner. In Abschnitt 3.3.2 werden zahlreiche Beispiele mit argumentrealisierenden Verbzweitsätzen aus diesem Text zitiert und die Matrixprädikatrestriktionen untersucht. Allerdings ist gerade dieses Phänomen im Mhd. häufig und auch in anderen Texten, die uns in qualitativ hochwertigen Editionen vorliegen wie z.B. dem Prosalancelot, so robust bezeugt, dass auch in diesem Fall die Argumentation nicht in kritischer Weise auf den Daten aus Christine Ebner fußt. In ähnlicher Weise gilt das auch für die relativischen Verbzweitkonstruktionen in Kapitel 4, wo ebenfalls recht häufig auf Daten aus diesem Text verwiesen wird.

37 Hennings (2001), dass dem mittelhochdeutschen Text die kaum beachtete und bislang ungedruckte Handschrift der Pariser Nationalbibliothek BN fr. 751 am nächsten steht. Wie die Niederlandismen zu erklären sind, darüber kann auch Hennings nur spekulieren und vermutet, dass die mhd. Übersetzung durch einen im mittelrheinischen Gebiet ansässigen Niederländer erfolgt sein könnte (für eine alternative Erklärung vgl. Rothstein 2007). Der große Abstand zwischen der mutmaßlichen Textentstehung und dem Einsetzen der Überlieferung ist der Grund, warum der Prosalancelot nicht in das Korpus für die entstehende neue Mittelhochdeutsche Grammatik aufgenommen wurde. Da es sich jedoch um den einzigen großen weltlichen und vom Latein unabhängigen Prosatext handelt, bildete der Prosalancelot schon vielfach die Basis für syntaktische Untersuchungen (z.B. Schieb 1970, 1972, 1978a zu verschiedenen Nebensatztypen, Betten 1980 zur Satzkomplexität allgemein, Keinästö 1986, 1990 zu Infinitivkonstruktionen, Müller 2001 zur Negation, Fleischer 2010 zur Abfolge der Personalpronomina). Was etwaige übersetzungssyntaktische Einflüsse aus dem Französischen angeht, kommt bereits Schieb (1972: 168) aufgrund von Stichprobenuntersuchungen zu dem Schluss, dass „[a]uf die Syntax der Nebensatzgestaltung [...] die französische Vorlage keinen einengenden Einfluss ausgeübt zu haben scheint“. In der obigen Übersicht sind die Texte verschiedenen Zeiträumen (‚Jahrhunderthälften’) zugeordnet. Für die vorliegende Untersuchung spielt die diachrone Subgliederung jedoch keine Rolle. An keiner Stelle wurde der Frage nachgegangen, ob bzw. welchen Wandel eine bestimmte Konstruktion innerhalb der mhd. Periode durchlaufen hat. Wo diachrone Fragestellungen eine Rolle spielen, ist die Betrachtung viel ‚globaler’. Zum Beispiel zeigt sich bei der Untersuchung der uneingeleiteten Verbzweitargumentsätze, die ab mhd. Zeit zweifelsfrei nachweisbar sind, dass diese in den Texten aus allen hier untersuchten Zeitabschnitten belegt sind und dass sie weitestgehend nach denselben Matrixprädikaten auftreten wie im Gwd. Das heißt, es liegt nahe, dass bei dem Phänomen diachrone Kontinuität vorliegt (wobei man, um ganz sicher zu gehen, auch frühneuhochdeutsche (frnhd.) und neuhochdeutsche (nhd.) Texte auswerten müsste). Die externe Syntax der mhd. dô-Sätze unterscheidet sich dagegen von der im Gwd.: In den Texten aus allen hier untersuchten Zeitabschnitten der mhd. Periode nimmt dieser Nebensatztyp stets eine periphere Position in Bezug auf den Matrixsatz ein. Die mhd. dô-Sätze verhalten sich in diesem Punkt wie ihre ahd. Pendants. Trotzdem liegt anders als bei den Verbzweitargumentsätzen keine diachrone Kontinuität vor, denn im Gwd. können die da-Sätze, wie in Abschnitt 1.3 gezeigt, zum Beispiel das Vorfeld ihres Matrixsatzes besetzen. Dieser sprachliche Wandel vollzog sich jedoch erst in der frnhd. Periode und kann nur in einem frnhd. Korpus nachvollzogen werden. Bei keiner der hier untersuchten Fragestellungen gibt es

38 Hinweise darauf, dass sich innerhalb der mhd. Periode ein syntaktischer Wandel in der Satzfügung vollzogen hat. In der Übersicht sind die Texte unterschiedlichen Sprachlandschaften zugeordnet. Dies dient dazu, den Leser darauf einzustellen, dass die Belege vor allem im Bereich der Lautung bzw. Orthographie sehr stark variieren. Eine Auswertung nach dialektgeographischen Gesichtspunkten ist nicht erfolgt. Die hier im Vordergrund stehenden Phänomene (daz-Sätze, Verbzweitargumentsätze, relativische Verbzweitkonstruktionen, dô-Sätze) sind in allen Sprachlandschaften bezeugt. Variation gibt es lediglich bei Teilbereichen – etwa variiert wie in den rezenten Dialekten das Inventar an Relativpartikeln –, diese Variation spielt aber für die Argumentation keine Rolle. Bei den dô-Sätzen variieren die Texte in Bezug auf die Frage, ob im Bezugssatz stets ein korrelatives Pro-Adverb verwendet wird, oder ob dieses auch fehlen kann (s. Kapitel 5). Hierbei könnten dialektgeographische Faktoren eine Rolle spielen, außerdem könnten sich auch die Textsorte und etwaige lateinische Vorlagen auf diese Variation auswirken. Doch ist dies für die grammatiktheoretische Analyse der Konstruktion nicht von Bedeutung, da in der vorliegenden Arbeit argumentiert wird, dass die Konstruktionen mit und ohne Korrelat strukturell identisch sind. Die hier untersuchten Prosatext(ausschnitte) gehören unterschiedlichen Textsorten (z.B. Predigt, Bibelübersetzung, Arzneibuch usw.) an, die sich grob den folgenden Bereichen zuordnen lassen (vgl. auch Betten 1987b zu Textsorten im Mhd.): Die Mehrheit der 21 Texte gehört zum religiös/biblischen Bereich. Daneben sind Texte aus dem Bereich der weltlichen Sachprosa enthalten (Physiologus, Lucidarius, Bartholomäus) sowie zwei Rechtstexte (Amtleutebuch St. Brigiden, Oxforder Benediktinerregel). Für die hier untersuchten Fragestellungen ist vor allem wichtig, dass sowohl Texte mit ausgedehnten narrativen und diskursiven als auch solche mit argumentativen Passagen enthalten sind. Die relativische Verbzweitkonstruktion tritt typischerweise in narrativen Passagen auf. Narrative Passagen begünstigen das Vorkommen von argumentrealisierenden Verbzweitsätzen, da verba dicendi typische Matrixprädikate für diese Konstruktion darstellen. Dô-Sätze sind in der mhd. Prosa generell sehr häufig, jedoch gibt es Texte, in denen sie (zumindest in den hier untersuchten Abschnitten) gar nicht oder kaum bezeugt sind, nämlich im Bartholomäus und in den beiden Rechtstexten (Amtleutebuch St. Brigiden, Oxforder Benediktinerregel). Das liegt daran, dass diese Texte kaum präteritale Passagen enthalten (dô-Sätze sind fast immer präterital). Daz-Sätze dagegen sind in allen Texten belegt. In der vorliegenden Arbeit ist eine gewisse Textsortenvielfalt vor allem deshalb wichtig, um sicherzustellen, dass genug Beispielmaterial für die relevanten Konstruktionen enthalten ist. Es geht nicht darum unterschiedliche ‚Prosastile’ zu be-

39 schreiben, indem zum Beispiel die Frage untersucht wird, welche syntaktischen Konstruktionen in welchen Textsorten häufig sind. Ein Problem, das auch syntaktische Untersuchungen betrifft, ist, dass es auch im Mhd. kaum autochthone Texte gibt. Selbst bei Texten, die keine Übersetzungen aus dem Lateinischen sind, ist der Einfluss des Lateinischen einzukalkulieren, denn „die Produzenten der vor allem geistlichen Prosa sind gebildete Kleriker, die neben dt. auch und in der Regel häufiger lat. schreiben“ (Wegera 2000: 1309). Die Verfasser und Schreiber verfügen somit über einen lateinischen Bildungshintergrund. In der älteren Grammatik wurde die Hypothese vom lateinischen Einfluss im Mhd. und Frnhd. vor allem bei der Ausbildung der Satzklammer (d.h. der absoluten Endstellung des finiten Verbs) diskutiert (Maurer 1926: 179ff., Behaghel 1932: 307). Diese These konnte inzwischen widerlegt werden (Fleischmann 1973, Stolt 1964). Wie auch Prell (2001: 10) anmerkt, fehlen „sehr wünschenswerte Spezialuntersuchungen“ zu dem Thema. Für speziell die Textsorte der lateinischmhd. Parallelurkunden kommt jedoch Schulze (1975: 194) zu dem Schluss: „Die auf Grund der Entstehungsgeschichte der mhd. Urkunden und der im 13. Jh. noch ungebrochenen Vorherrschaft lateinischer Schriftlichkeit naheliegende Abhängigkeit deutscher syntaktischer Erscheinungen vom Lateinischen hat sich nicht bestätigt.“ In der vorliegenden Arbeit kann der lateinische Einfluss nicht systematisch untersucht werden. Bei jedem Phänomen wird aber zumindest abgesichert, dass es auch in der autochthonen Literatur vorkommt und teilweise auf entsprechende Sekundärliteratur zur Dichtung verwiesen. Fast alle der hier behandelten Phänomene sind auch schon in den ahd. Texten bezeugt. In diesem Fall wird meist ein Vergleich mit der lateinischen Vorlage miteinbezogen. Wie bereits erwähnt, hat in der externen Syntax der dô-Sätze (und anderen Adverbialsatztypen) in frnhd. Zeit ein gravierender Wandel stattgefunden, der in Kapitel 5 anhand einer Untersuchung des elektronischen Bonner Frühneuhochdeutschkorpus quantitativ nachvollzogen wird. Auf die Zusammensetzung dieses Korpus wird kurz in Abschnitt 5.6 eingegangen.

2

Argumentrealisierende dass-Sätze

2.1

Einführung

Argumentrealisierende dass-Sätze wie in (1) gehören im Gwd. ohne Zweifel zu den häufigsten Nebensatztypen überhaupt: (1)

a. b. c. d.

Der Jäger sagt, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat Der Jäger weiß, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat Der Jäger ist entsetzt, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat Das beste war aber, dass der Jäger den Wolf danach gleich im Brunnen versenkt hat e. Den Jäger wundert, dass das Rotkäppchen alleine durch den Wald gegangen ist

Bei einer bestimmten Gruppe von Matrixprädikaten kann das deklarative propositionale Argument nicht nur als dass-Satz, sondern auch als uneingeleiteter, als asyndetischer Satz mit Verbzweitstellung realisiert werden: (2)

a. Der Jäger sagt/glaubt, der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen b. Das beste wird sein, der Jäger versenkt den Wolf im Brunnen

Reis (1997) argumentiert, dass argumentrealisierende Verbzweitsätze Nebensätze sind, sie sind syntaktisch subordiniert. Sie sind jedoch nicht im gleichen Maße in ihren Bezugssatz integriert wie dass-Sätze. Während dassSätze strukturell vom Bezugssatzprädikat (V, A usw.) lizenziert sind, sind Verbzweitsätze semantisch-pragmatisch lizenziert. Es handelt sich nach Reis dabei um einen Fall von nichtstruktureller Thetarollenzuweisung, ein Mechanismus, der auch bei weiteren, unabhängigen Phänomenen angenommen werden müsse. Dass argumentrealisierende Verbzweitsätze nichtkanonische Eigenschaften haben, liegt auf der Hand. Auf ihr syntaktisches Verhalten im Gwd. und ihre diachrone Entwicklung wird im folgenden Kapitel näher eingegangen. In diesem Kapitel soll es dagegen um argumentrealisierende dass-Sätze mit Verbendstellung gehen, v.a. um solche in Objektfunktion (Subjektsätze werden nur passim behandelt). Argumentrealisierende dass-Sätze gelten gemeinhin als Prototyp einer Nebensatzkonstruktion, was sich zum Beispiel auch darin zeigt, dass sie im Vergleich zu subkategorisierten Verbzweitsätzen weniger Beschränkungen aufweisen. In Reis (1997: 129–131) werden eine ganze Reihe von diagnostischen Kriterien für Glied- bzw. Komplementsatzstatus aufgeführt und es wird

42 demonstriert, dass subkategorisierte dass-Sätze diese im Unterschied zu Verbzweitsätzen alle erfüllen. So erlauben sie neben Nachfeld- auch Vorfeldund marginal Mittelfeldstellung: (3)

a. Daß Peter in Paris ist, kann ich ihr doch erzählen/beunruhigt mich. b. ??Du kannst ihr doch, daß Peter in Paris ist, nur dann erzählen, wenn ... (Reis 1997: 129, Bsp. 24, 25)

Wie Reis (ibid.: 130) ausführt, ist Vorfeldfähigkeit ein hinreichendes Kriterium für Gliedsatzstatus. Dasselbe gilt für Mittelfeldfähigkeit, wobei sich bei den dass-Sätzen das Problem ergibt, dass die Mittelfeldstellung nur sehr marginal möglich ist. Die Grammatikalität hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bayer (1995: 53) führt etwa einen Performanzfaktor an: Der dass-Satz muss kurz genug sein, um ‚Centre Embedding’-Effekte zu vermeiden. Dennoch muss man festhalten, dass ein dass-Satz grundsätzlich auch im Mittelfeld stehen kann. Im unmarkierten Fall befinden sich dass-Sätze im Nachfeld. Dass es sich dabei um ‚echte’ Nachfeldstellung handelt und nicht etwa um Schlussfeldstellung (s. Abschnitt 1.4), kann man nach Reis (1997: 130) zum Beispiel daran sehen, dass postverbale dass-Sätze zusammen mit der VP topikalisiert werden können, was nur bei Gliedsätzen möglich ist (Haider 1995): (4)

a. Geglaubt, daß Ute ihn betrügt, hat Peter diesem Mann ganz sicher. b. Diesem Mann geglaubt, daß Ute ihn betrügt, hat Peter ganz sicher. (Reis 1997: 127, Bsp. 17a, b)

Außerdem stehen subkategorisierte dass-Sätze immer vor den absolut unintegrierten Nebensätzen wie z.B. den weiterführenden Relativsätzen, die das Schlussfeld besetzen (Reis 1997: 130): (5)

Maria hat Susi erzählt, dass Peter in Paris ist, worüber diese sich sehr gefreut hat

Aufgrund dieser Beobachtungen kommt Reis zu dem Schluss, dass dassSätze im Gegensatz zu argumentrealisierenden Verbzweitsätzen Gliedsatzstatus haben. Auch wenn dass-Objektsätze unter den Nebensätzen gemeinhin als ‚prototypische’ Vertreter gelten, so weisen sie doch im Vergleich zu nichtsententialen Konstituenten eine Reihe von nichtkanonischen Eigenschaften auf: Sie treten nur sehr marginal in der kanonischen Objektposition links vom Verb auf, d.h. im Gegensatz zu nichtsententialen Konstituenten werden sie nahezu obligatorisch extraponiert. Sie treten häufig in Verbindung mit einem Korrelatsausdruck im Mittelfeld auf. Stehen dass-Objektsätze in vorangestellter Position vor dem finiten Verb, so ist umstritten, ob sie überhaupt das Vorfeld

43 (= SpecC) besetzen. Alternativ wurde vorgeschlagen, dass es sich hierbei um eine Art Linksversetzungskonstruktion handelt. Neben diesem Vorschlag gibt es auch Arbeiten, in denen nichtnachgestellte dass-Objektsätze in eine leere NP- oder DP-Hülle eingebettet sind. Auf all diese und weitere nichtkanonische Eigenschaften wird in den nächsten Abschnitten eingegangen werden, und zwar sowohl aus synchron-gegenwartssprachlicher als auch aus diachroner Perspektive. In dem letzten Drittel dieses Kapitels (Abschnitt 2.4) steht dann die Entstehung der argumentrealisierenden dass-Sätze und des Komplementierers dass im Vordergrund. Dabei wird sich zeigen, dass sich manche der nichtkanonischen Eigenschaften auf die Entstehung dieses Satztyps zurückführen lassen. Die Lehrmeinung ist, dass der dass-Satz im Deutschen aus einer parataktischen Konstruktion hervorgegangen ist. Dieses Parataxe-zu-HypotaxeSzenario lässt sich an den nhd. Beispielen in (6) verdeutlichen. Ausgangspunkt ist eine Sequenz aus zwei Hauptsätzen. Am Ende des ersten Hauptsatzes steht das Demonstrativpronomen das, das kataphorisch auf den Inhalt des zweiten Hauptsatzes verweist. Aus dieser Konstruktion hat sich, so die Annahme, durch Übertritt von das über die Satzgrenze ein komplexer Satz entwickelt bestehend aus einem Haupt- und einem Argumentsatz, der nunmehr durch die Konjunktion dass eingeleitet wird. (6)

0DULDVDJWGDV(VUHJQHWĺ0DULDVDJWGDVVHVUHJQHW

Bei dem Standardszenario gibt es, wie im Folgenden argumentiert werden wird, eine Reihe von empirischen und konzeptuellen Problemen. In diesem Kapitel wird daher eine neue Hypothese vorgestellt und argumentiert, dass sich der argumentrealisierende dass-Satz aus einer Korrelatkonstruktion entwickelt hat, in der (vor)ahd. thaz als Relativpartikel fungierte. Im Gegensatz zum Standardszenario werden in dem neuen Ansatz die folgenden Fragen getrennt betrachtet: Erstens, die Entstehung der Konjunktion dass (d.h. einer Kopfkategorie) aus dem Demonstrativpronomen das (d.h. einer Phrasenkategorie). Zweitens, die Entstehung der Komplementationsstruktur, in der der dass-Satz die Schwester des Matrixverbs ist. Die Untersuchung gliedert sich wie folgt: Abschnitt 2.2 widmet sich der Syntax von dass-Sätzen im Gwd. Zunächst wird der Status von nachgestellten dass-Sätzen betrachtet und verschiedene Basisgenerierungsansätze vorgestellt. Weiterhin wird diskutiert, welche Glied- und Komplementsatzeigenschaften sich bei diesem Satztyp nachweisen lassen. In Abschnitt 2.3 werden die verschiedenen Diagnostika für Komplementsatzstatus (z.B. Extraktionstransparenz, Kombinierbarkeit mit Präpositionen) auf dass-Sätze im Ahd. und Mhd. angewandt. Dies alles mündet in Abschnitt 2.4.4 in einem neuen Vorschlag zur Entstehung des dass-Argumentsatzes im Deutschen. Zuvor werde ich in den Abschnitten 2.4.1 bis 2.4.3 darlegen, dass das Standardsze-

44 nario und zwei weitere in der Literatur propagierte Szenarien aus empirischen und konzeptuellen Gründen problematisch sind.

2.2

Dass-Sätze im Gegenwartsdeutschen

2.2.1 Nachfeldstellung und das Problem der Basisposition von dass-Sätzen Die syntaktische Analyse von Satzgefügen mit dass-Komplementsätzen ist umstritten. Ein Problem liegt auf der Hand: Das Deutsche ist eine OVSprache, d.h. das Verb regiert kanonisch nach links. Da dass-Sätze nur marginal in der kanonischen Objektposition links vom Verb stehen können und sich stattdessen in der Regel im Nachfeld befinden, stellt sich die Frage, wie Satzgefüge mit nachgestellten dass-Sätzen zu analysieren sind. Traditionell wird davon ausgegangen (z.B. Stechow und Sternefeld 1988, Sternefeld 2006, Bd. I: 410–416), dass dass-Sätze in der kanonischen Objektposition im Mittelfeld basisgeneriert sind und durch Rechtsbewegung ins Nachfeld gelangen: (7)

weil Maria [V’ [V’ tk sagt ]

[CP dass es regnet ]k ]

Haider (1995: 266) argumentiert hingegen, dass die Beobachtung, dass extraponierte Argumentsätze im Nachfeld transparent für Extraktion sind (wenn das Matrixverb Brückeneigenschaften hat), zeige, dass sie in dieser Position basisgeneriert sind: 1 (8)

a. Weni glaubst du, daß Hans ei besucht hat? b. Wemi hat der Mann versucht, der dort steht, [ei die Brieftasche zu stehlen]? (Haider 1995: 256, Bsp. 25a & 266, Bsp. 48)

____________________ 1

Haider (1994, 1995) geht davon aus, dass Rechtsbewegung grundsätzlich nicht möglich ist. Dies folge aus dem von ihm propagierten ‚Branching Constraint’: (i) Branching Constraint (BC): The (extended) projection line is left associative. Der Branching Constraint schließt aus, dass rechts-assoziative Strukturen grammatisch sind. Für alle Knoten, die von einem Knoten auf der Projektionslinie direkt dominiert werden, gilt, dass der vorangehende Knoten den nachfolgenden Knoten c-kommandiert. Damit sagt der BC u.a. voraus, dass basisgenerierte rechtsassoziative Strukturen wie in (ii)-a und (ii)-b ausgeschlossen sind: (ii) a. *[XP [XP –– ] –– ] links verzweigend XP-Bewegung b. *... [XP [ –– ei –– ] ZPi ] (adaptiert aus Haider 1995: 246, Bsp. 1a, c)

45 In der Bewegungsanalyse ist der dass-Satz im Nachfeld adjungiert (In der Regel wird angenommen, dass Adjunktion an V’, vgl. (7), oder an VP vorliegt). Adjunktsätze sind aber – wie man aus unabhängigen Kontexten weiß – nicht transparent für Extraktion. In der Tat ist, worauf auch Bayer (1996: 188) hinweist, seit Ross (1967) bekannt, dass Extraposition zu einer ‚eingefrorenen’ (‚frozen’) Struktur führt, aus der nicht extrahiert werden kann: (9)

a. Which bed did you sleep in several times? b. *Which bed did you sleep several times in? (Bayer 1996: 188)

Dieser Effekt tritt aber gerade bei langer w-Bewegung aus putativ extraponierten CPn im Deutschen und Niederländischen nicht ein, wie bereits von de Haan (1979) und Koster (1987) bemerkt. Büring & Hartmann (1995) wenden ein, dass die Basisgenerierungsanalyse inkorrekterweise voraussage, dass alle Nebensätze transparent für Extraktion sein müssten. Dies weist Haider (1995: 256) damit zurück, dass Schwesternschaft mit V und damit L-Markierung zwar eine notwendige Bedingung für Extraktionstransparenz sei, aber keine hinreichende. Eine zusätzliche notwendige Bedingung sei, dass das Verb Brückeneigenschaften haben müsse. Die Extraktion aus dem Subjektsatz in (10)-b sei ausgeschlossen, da überraschen kein Brückenverb sei. 2 (10)

a. Weni glaubst du, daß Hans ei besucht hat? = (8)-a b. *Weni überrascht dich, daß Hans ei besucht hat? (Haider 1995: 256, Bsp. 25a, b)

Ähnlich wie Haider (1994, 1995) geht auch Bayer (1996, 1999) davon aus, dass Argumentsätze im Nachfeld keine Adjunkte, sondern Komplemente von V sind. Er verweist nicht nur auf den universell gültigen ‚frozen effect’ von Ross (1967), der andernfalls im Deutschen angesichts von Daten wie in (10)a außer Kraft gesetzt sein müsse, sondern auch darauf, dass es möglich ist, eine w-Phrase aus einem dass-Komplementsatz zu extrahieren, der nicht direkt vom Wurzelsatz, also vom maximal übergeordneten Satz, sondern von einem weiteren dass-Satz eingebettet wird:

____________________ 2

Überraschen habe nur dann Brückeneigenschaften, wenn es mit einem expletiven Subjekt gebraucht werde. Dann sei auch Extraktion aus dem Subjektsatz möglich: (i) Weni hat *(?es ) dich denn überrascht [daß sie dort ei angetroffen hat ]? (Haider 1995: 256, Bsp. 26a)

46 (11)

Wiei hast du gemeint [CP ei [C’ daß [IP sie gesagt hat [CP ei [C’ daß [IP der Karl ei das Bild gemalt hat ]]]]]] (Bayer 1996: 188, Bsp. 4)

In der Annahme, dass Argumentsätze durch Rechtsbewegung ins Nachfeld gelangen, muss man davon ausgehen, dass die Extraktion der w-Phrase vor der Extraposition erfolgt. In komplexen Fällen wie in (11) würde das heißen, dass hier zyklische w-Bewegung mit nachfolgender Extraposition der CP, die ja die Ausgangsdomäne der Extraktionsbewegung ist, in eine rechte A-barPosition vorliegt. Dies führt dazu, dass eine A-bar-Spur in eine A-bar-Spur eingebettet ist. Somit liegt ein Fall von ineinander verschachtelten Spuren vor. In Fanselow (1993) und Müller (1995a: Kapitel 6) wird jedoch unabhängige Evidenz diskutiert, dass Spuren desselben Typs nicht ineinander verschachtelt sein können. Weil die Bewegungsanalyse diese und weitere konzeptuelle und empirische Probleme mit sich bringt, argumentiert Bayer (1996) dafür, dass die ‚Extraposition’ von CPn ein Fall von ‚argument shift’ im Sinne von Hoekstra (1987) sei. Hoekstra schlägt vor, dass die niederländische OV-Struktur die Abfolge V–CP erlaube, wenn die Spur der CP, die in der Position von O basisgeneriert und dann extraponiert wird, gelöscht wird. In späteren Arbeiten argumentiert Bayer (1999, 2001a) – allerdings vornehmlich anhand von Daten zu je-Sätzen aus dem Bengali – dafür, dass postverbale Komplementsätze in situ basisgeneriert sind und vom Verb als rechte Schwester theta-markiert werden können. Dies setzt allerdings voraus, dass man die universelle Gültigkeit von Bakers (1988) Universal Theta Role Assignment Hypothesis in Frage stellt, die besagt, dass Argumente, die dieselben syntaktischen Rollen tragen, dieselbe zugrunde liegende syntaktische Relation haben. Auch Webelhuth (1992) plädiert für den Basisgenerierungsansatz. Extraktion aus der postverbalen Position sei möglich, da die Sätze dort theta-regiert sind und im Sinne von Chomsky (1986) keine Barrieren überschritten werden: (12)

satzfinaler Komplementsatz [CP ... [VP ... V CP]] Ђ (adaptiert aus Webelhuth 1992)

Webelhuth (1992: 94) postuliert das sogenannte Sentence Trace Universal, das besagt, dass Sätze nur DP-Spuren binden können, d.h. Spuren mit der kategorialen Spezifikation [+N, –V]. Dies erkläre den Datenkontrast in (13) und (14): Das Verb glauben subkategorisiert neben einer CP auch eine DP. Deshalb kann der dass-Satz topikalisiert werden. Dagegen subkategorisiert sich

47 ärgern keine DP, daher kann der dass-Satz nicht im Mittelfeld basisgeneriert und topikalisiert werden. (13)

a. Ich glaube [das] b. Ich glaube [daß Hans krank ist] c. Dass Hans krank ist, glaube ich [DP e] (Webelhuth 1992: 103, Bsp. 100G–102G)

(14)

a. *Ich ärgere mich [das] b. Ich ärgere mich [daß Hans krank ist] c. *Daß Hans krank ist, ärgere ich mich [DP e]. (Webelhuth 1992: 105f., Bsp. 127G–129G)

Denn die Position im Mittelfeld ist in Webelhuths Theorie abgeleitet und keine Theta-Position. In dieser Position ist der Satz ein Adjunkt und daher ist keine Extraktion möglich: (15)

*Wen hast du [daß Maria t liebt] geglaubt (Webelhuth 1992: 108, Bsp. 142G)

Wenn Komplementsätze topikalisiert werden oder im Mittelfeld auftreten, dann müssen sie eine Kette mit einer leeren DP bilden, die durch ein lexikalisches Element lizenziert ist, (13)-c, (14)-c. Ähnlich wie Webelhuth geht auch Bayer (1995, 1996, 1999) davon aus, dass argumentrealisierende dass-Sätze im Mittelfeld in eine NP eingebettet sind: (16)

Als Hans [VP seiner Schwester [NP [CP daß er krank sei ]] sagte ] waren alle schon weg. (Bayer 1996: 192, Bsp. 10)

Die Struktur [VP [CP C ...] V] sei ausgeschlossen. Bayer argumentiert, dass das Verb ein CP-Argument nur auf seiner nichtkanonischen Seite (also rechts) regieren kann. Wenn die CP an der Oberfläche links steht, also in der kanonischen Objektposition, dann s-selegiert es zwar eine CP, aber es lizenziert nicht CP als Kategorie. Kategorial selegiert wird eine NP. Die NP-Hülle wird – mit Rückgriff auf Webelhuth (1989, 1992) – durch ein [+ N]-Merkmal des Komplementierers dass erzeugt. Das bedeutet auch, dass der dass-Satz syntaktisch kein Komplement von V ist, sondern von N. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch argumentrealisierende dass-Sätze kein kanonisches Verhalten zeigen. Obwohl das Deutsche eine OV-Sprache ist, treten sie bevorzugt im Nachfeld auf. Es gibt Evidenzen,

48 dass sie in dieser Position basisgeneriert sind. 3 Auch aus diachroner Perspektive (s.u.) scheint diese Annahme plausibel.

2.2.2 Korrelatkonstruktionen Ein weiteres Problem ist, dass bei Nachfeldstellung des dass-Satzes im Mittelfeld des Matrixsatzes ein Korrelat auftreten kann. Korrelate spielen eine wesentliche Rolle in der diachronen Entwicklung der argumentrealisierenden dass-Sätze. Aus diesem Grund sollen die verschiedenen Korrelatkonstruktionen im Gwd. in diesem Abschnitt ausführlich diskutiert werden.

Platzhalter versus Proform Reis (1997) argumentiert, dass das Auftreten mit einem echten Platzhalter (zu Proformen und Bezugselementen s.u.) ein hinreichendes Kriterium für Komplementstatus ist. Nachgestellte argumentrealisierende dass-Sätze können mit dem Platzhalter es im Mittelfeld des Bezugssatzes verbunden sein. Bei der Verbzweitvariante und den sogenannten ‚freien dass-Sätzen’ ist das nicht möglich: (17)

a. Hans hat (es) geglaubt, dass Maria in Paris ist. b. Uns solle (es) eigentlich beunruhigen, daß Peter Nägel beißt. (Reis 1997: 129, Bsp. 26b)

(18)

a. Hans hat (*es) geglaubt, Peter geht dahin zu Fuß. b. Fritz ist (*es) ... blöd, daß er kommt. (Reis 1997: 139, Bsp. 17a & 133, Bsp. 44)

Reis nimmt an, dass bei der Platzhalterkonstruktion der Platzhalter und assoziierte Satz per Kettenbildung verbunden sind. Jedoch gibt es in der Literatur ____________________ 3

Ein weiterer Verfechter des Basisgenerierungsansatzes für Komplementsätze im Deutschen ist Inaba (2007). Er geht sogar noch weiter und ordnet dies in einen typologischen Zusammenhang ein: CP-Komplemente, so seine Hypothese, erscheinen universal rechts vom Verb. Inabas typologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die in kopffinalen Sprachen auftretenden präverbalen Komplementsätze mit finalem Komplementierer gar keinen CP-Status haben. Dies sei auf eine sprachübergreifende Eigenschaft zurückzuführen, dass das Matrixverb und der Kopf der vom Verb selegierten CP in derselben Richtung selegierten. Im Rahmen eines neueren, auf zyklischem Spell-out basierenden generativen Linearisierungsmodells erklärt Inaba dies dadurch, dass nur CPn (nicht aber DPn) eine eigene Spell-out-Domäne bildeten.

49 hierzu unterschiedliche Analysen. Die bestehenden Analysen lassen sich in zwei Klassen aufteilen (s. auch Sudhoff 2003: 79): (i) Analysen, in denen das Korrelat, nicht aber der Nebensatz das syntaktische Argument des Matrixausdrucks ist; (ii) Analysen, in denen Korrelat und Nebensatz Repräsentation eines syntaktischen Arguments sind, das oberflächenstrukturell diskontinuierlich realisiert wird. Die erstere Analyse wurde in früheren Arbeiten verfolgt. Sie wurde u.a. von Hartung (1964) vorgeschlagen, der annimmt, dass in Konstruktionen mit Komplementsätzen in der Argumentposition ein abstraktes demonstratives, kasustragendes Element DemS generiert wird, während der Nebensatz an dieses Element adjungiert wird. In einer späteren Ableitungsstufe wird DemS als das oder als ein Bezugsnomen realisiert oder bleibt phonetisch leer. Wenn der eingebettete Satz einer Permutation unterliegt, die ihn ins Nachfeld der Matrixkonstruktion rückt, kann DemS auch durch das Pronomen es vertreten werden. Problematisch an Hartungs Analyse ist, dass Nebensätze immer Adjunktstatus haben, und zwar unabhängig davon, ob im Matrixsatz ein overt realisiertes Korrelat vorhanden ist oder nicht. Die Annahme, dass der dassSatz bei nicht realisiertem Korrelat Adjunktstatus hat, lässt sich dadurch widerlegen, dass (bei bestimmten Matrixprädikaten) aus dem dass-Satz lang extrahiert werden kann, was nach Huangs (1982) Condition on Extraction Domains bei Adjunktsätzen ausgeschlossen sein sollte. Abgesehen von dem Problem, dass in Hartungs Analyse korrelatlose und korrelathaltige Konstruktionen uniform behandelt werden, 4 besteht ein weite____________________ 4

Eine abgeschwächte Form von Adjunktionstheorien sind solche, in denen nur argumentrealisierende Nebensätze, die in Verbindung mit overten Korrelaten auftreten, Adjunkte sind. Diese Auffassung wurde von Bennis (1987) vertreten. Seine Analyse wurde fürs Niederländische entwickelt und später aufs Deutsche übertragen. In Konstruktionen mit dem Korrelat ndl. het oder dt. es besetzt demnach das Korrelat die Argumentposition (= Schwester von V0) und wird durch das Matrixverb thetamarkiert. Der assoziierte Nebensatz sei dagegen an V’ adjungiert. Sein Adjunktstatus ist der Grund, warum Extraktion in diesem Fall ausgeschlossen ist. Diese Annahme wird gemacht, um die Extraktionstransparenz des Nebensatzes erklären zu können: Würde der Nebensatz links vom Verb basisgeneriert und extraponiert, so befände er sich in einer Adjunktposition. Das heißt, sein syntaktischer Status wäre derselbe wie in der Konstruktion mit Korrelat, und Extraktion sollte daher ungrammatisch sein. Sudhoff (2003: 83) kritisiert die Annahme als ad hoc, dass nominale und sententiale Argumente unterschiedliche Basispositionen haben. Jedoch ist diese Annahme auch von anderen Autoren gemacht worden (z.B. Bayer 1995, 1996, 2001a; Haider 1992, 1994, 1995), die weitere Evidenzen diskutieren. – Ein ähnliches Modell wie Bennis (1987) schlägt Cardinaletti (1990) vor. Sie postuliert drei verschiedene Analysen, und zwar eine für Konstruktionen ohne Platzhalter-Element, eine für Konstruktionen mit Platzhalter und faktiven Matrixverben und eine für Konstruktionen mit

50 rer Nachteil auch darin, dass zwischen unterschiedlichen Arten von Korrelaten (Platzhaltern vs. Proformen) nicht unterschieden wird. Dass eine solche Unterscheidung jedoch auch syntaktisch relevant ist, hat, wie unten dargelegt werden wird, die jüngere Forschung gezeigt. Dass der Nebensatz an das Korrelat adjungiert ist, mag die korrekte Analyse für die Proformkonstruktion sein, nicht aber für die Platzhalterkonstruktion. In einem jüngeren generativen Ansatz von Zimmermann (1993) – Vorläufer finden sich in Zimmermann (1983, 1984) – werden Nebensatzeinbettungen von Nominalphrasen dominiert, die entweder phonetisch leer sind oder deren Determinierer ein Platzhalter-es enthält. Der Nebensatz ist hier an die DP adjungiert. Dadurch lässt sich erklären, warum Extraktion blockiert ist. Die CP ist direkt an den Platzhalter adjungiert, 5 wodurch beide zusammen das Argument realisieren und vom Matrixverb eine Theta-Rolle zugewiesen bekommen: 6 (19)

DP DP

CP

D’ D0 es

Sudhoff (2003: 87–93) schließt sich Zimmermann an und schlägt vor, dass das Platzhalter-es kategorial als D0-Kopf zu analysieren sei. Allerdings argumentiert er gegen den Adjunktstatus des Nebensatzes. Dagegen spreche, dass CPn, die mit Platzhalter-es auftreten, nicht weglassbar seien und in semantischer Hinsicht den wesentlichen Teil der Argumentphrase konstituier____________________

5 6

Platzhaltern und nichtfaktiven Matrixverben. Im ersten Fall analysiert sie den Nebensatz als Komplement, wobei Cardinaletti sich nicht festlegen will, ob die Basisposition rechts oder links von V ist. Bei den platzhalterhaltigen Konstruktionen habe der Nebensatz – hier schließt sie sich Bennis an – Adjunktstatus, wobei sie allerdings argumentiert, dass die Adjunktionsposition nicht V’ sei, sondern IP. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Theorien von Bennis (1987) und Cardinaletti (1990), vgl. Fn. 4. Auch in der Analyse von Müller (1995b) wird das Platzhalter-es als syntaktischer Kopf analysiert, allerdings als N0. Der Nebensatz ist jedoch kein Adjunkt, sondern das Komplement von N0. Müller geht außerdem davon aus, dass Konstruktionen mit Platzhalter-es und komplexen Nominalphrasen (z.B. die Tatsache, dass) identisch analysiert werden.

51 ten. Der Platzhalter trage lediglich die Kasusmerkmale, die an sententialen Konstituenten nicht realisiert werden können. Statt von einem Adjunktionsmüsse man von einem Komplementationsverhältnis zwischen D0 und CP ausgehen. Sudhoff (2003: 87) beruft sich dabei auf Steube (1992), die eine ähnliche Analyse für restriktive Relativsätze im Deutschen vorschlägt. Die Struktur einer DP mit Satzkomplement kann sowohl für dass-Sätze in Subjekt- als auch in Objektfunktion angenommen werden. Allerdings gilt sie nur für Konstruktionen, in denen ein echtes Platzhalter-es auftritt. Bereits in Pütz (21986), der ersten umfassenden Beschäftigung mit Korrelatkonstruktionen im Deutschen, wird argumentiert, dass bei es in Verbindung mit einem Nebensatz zwischen der Verwendung als echtem Korrelat (fortan: Platzhalter) und als anaphorische Proform unterschieden werden muss. Im Folgenden soll anders als bei Pütz der Begriff Korrelat bzw. korrelativ als prätheoretischer Überbegriff für Platzhalter und anaphorische Proformen verwendet werden. Wie Sudhoff (2003) mit Rückgriff auf Pütz (21986) ausführt, kann bei bestimmten Matrixprädikaten ein Platzhalter-es überhaupt nicht gesetzt werden. Anders als beim Verb bedauern, (20)-a, kann z.B. beim Verb behaupten, (20)-b, in einem Satz mit weitem Neuinformationsfokus (also z.B. in einer Antwort auf die Frage „Was ist denn los?“) kein es auftreten: (20)

[Was ist denn los?] a. Ich glaube, dass Fred es bedauert, dass Wilma wegfährt. b. Fred bedauert es, dass Wilma wegfährt. (Sudhoff 2003: 61, Bsp. 18a)

(21)

[Was ist denn los?] a. *Ich glaube, dass Fred es behauptet, dass Wilma wegfährt. b. *Fred behauptet es, dass Wilma wegfährt. (Sudhoff 2003: 61, Bsp. 18b)

Pütz (21986: 70) hat als erster darauf hingewiesen, dass die Ursache dafür, dass in (21)-b kein Platzhalter-es stehen darf, in den Eigenschaften des Matrixverbs zu suchen ist, denn abgesehen von der Wahl des Matrixverbs sind die Sätze in (20) und (21) identisch. Entsprechend führt Sudhoff (2003: 61f.) aus, dass es zwei komplementäre Klassen von Matrixprädikaten gibt, den bedauern-Typ und den behaupten-Typ, die sich hinsichtlich der Grammatikalität eines Platzhalter-es in Sätzen mit weitem Neuinformationsfokus unterscheiden. Zum bedauern-Typ gehören neben bedauern „Verben wie abwarten, aufgeben, aushalten, begrüßen, bewundern, ertragen, genießen, hassen, hinnehmen, lieben, überlassen, verdanken und viele weitere“ (ibid.). Zur Klasse des behaupten-Typs gehören „ankündigen, befehlen, befürchten,

52 beobachten, beschließen, denken, empfehlen, feststellen, finden, glauben, hören, sagen und vermuten“ (ibid.). Seit Pütz (21986) – s. neuerdings auch Sudhoff (2003) – ist bekannt, dass im Matrixsatz auch bei solchen Matrixprädikaten ein es auftreten kann, die gar kein Platzhalter-es erlauben. Allerdings ist dies nur in bestimmten Kontexten möglich, nämlich dann, wenn der Inhalt des relevanten Nebensatzes entweder vorerwähnt oder aus bereits Gesagtem bzw. der Kommunikationssituation ableitbar ist (Sudhoff 2003: 64). Wenn man den Kontext von Sätzen wie in (21) in diese Richtung verändert, dann sind sie nicht mehr ungrammatisch: (22)

[Wer behauptet denn, dass Wilma wegfährt?] a. Ich glaube, dass Fred es/das behauptet, (dass Wilma wegfährt). b. Fred behauptet es/das, (dass Wilma wegfährt). (adaptiert aus Sudhoff 2003: 64, Bsp. 25a)

(23)

[Barney hat behauptet, dass Wilma wegfährt]. a. Nein, ich glaube, dass Fred es/das behauptet hat, (dass Wilma wegfährt). b. Nein, Fred hat es/das behauptet, (dass Wilma wegfährt). (adaptiert aus Sudhoff 2003: 64, Bsp. 25b)

Wie Sudhoff ausführt, induziert in (22) das Erfragen einer von dem Argumentsatz verschiedenen Konstituente die Anaphorizität des es: Nur Fred kann in der Antwort als neue Information gelten. Einen ähnlichen Effekt hat die Korrektur einer Konstituente des Vorgängersatzes wie in (23): Zum Äußerungszeitpunkt des Argumentsatzes muss dessen Inhalt bereits als gegeben betrachtet werden. Die Aufgabe des es besteht in beiden Fällen darin, einen Teil des sprachlichen Kontexts in unveränderter Form wieder aufzunehmen und zur Hintergrundinformation eines neuen Satzes zu machen. Es handelt sich somit um die Proform es bzw. um anaphorisches es und nicht um einen Fall von Platzhalter-es. Im Unterschied zum Platzhalter-es kann das anaphorische es durch das ersetzt werden, (22) und (23). Nebensätze, die zusammen mit Proform-es auftreten, sind grundsätzlich weglassbar, vgl. (22) und (23), was zeigt, dass es sich nicht um Komplementsätze im eigentlichen Sinn handeln kann. Die entsprechende Kontextgestaltung ist eine notwendige Vorbedingung für den Gebrauch von anaphorischem es. Grundsätzlich kann bei adäquater Kontextgestaltung anaphorisches es bei allen Verben mit satzförmigen Komplementen auftreten, egal ob sie zum bedauern- oder zum behaupten-Typ gehören. Eine Ausnahme bilden lediglich Verben wie weigern, die alternativ zur sententialen keine nominale Realisierung ihres Komplements zulassen. Sudhoff (2003) analysiert den dass-Satz in der Proform-Konstruktion mit Rückgriff auf Pütz (21986) als basisgeneriertes, quasi-explikatives Rechtsad-

53 junkt zur Matrix-CP, während er im Falle der Platzhalterkonstruktion annimmt, dass der dass-Satz als Komplement der Platzhalter-DP im Mittelfeld basisgeneriert wird und durch Rechtsbewegung ins Nachfeld gelangt. Dass die Unterscheidung der beiden es-Typen bei Pütz (21986) in der Literatur außer bei Sudhoff (2003) kaum Beachtung gefunden hat, stellt eine Erschwernis für den Umgang mit der rezenten Forschungsliteratur zum Platzhalter- bzw. Korrelat-es dar. Denn es muss nun im Einzelfall geprüft werden, ob bei den jeweils besprochenen Daten kontextuell ausgeschlossen werden kann, dass nicht stattdessen Proform-es vorliegt. Auch Reis (1997) geht auf dieses Problem nicht ein. Zwar gilt ihre Generalisierung, dass Platzhalter-es ein hinreichendes Kriterium für Komplementsatzstatus ist, nach wie vor, jedoch ergibt sich nun die Aufgabe, bei den historischen Daten genau zu kontrollieren, ob auch tatsächlich die Platzhalter- und nicht die Proformverwendung vorliegt. In den Basisgenerierungsansätzen für dass-Sätze im Nachfeld wurde bislang nicht berücksichtigt, dass es verschiedene Konstruktionen mit Korrelaten gibt. Die Platzhalter- und Bezugselementkonstruktion wird bei Haider (1995: 262f.) gleichförmig analysiert und als sogenannte ‚P-dependent clauses’ behandelt (vgl. zu diesem Kritikpunkt auch Reis 1997: 131, Fn. 14). Es ist noch unklar, wie die syntaktische Beziehung zwischen dem Platzhalter und der CP in den Basisgenerierungsansätzen zu analysieren ist. Diese Frage kann auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden. Es sei daran erinnert, dass der Ausgangspunkt unserer Beobachtungen war, dass bei Reis (1997) das Vorkommen mit echten Platzhalterelementen als hinreichendes Kriterium für Komplementsatzstatus gilt. Reis (ibid.: 131) geht dabei von der traditionellen Auffassung aus, dass der Platzhalter ein Expletiv ist und mit dem extraponierten Satz, welcher der referierende Ausdruck ist, per Kettenbildung verbunden ist. In den Ansätzen von Zimmermann (1993) und Sudhoff (2003) ist der dass-Satz in einer Platzhalterkonstruktion kein Komplement vom Matrixverb V, sondern das Adjunkt bzw. Komplement in einer NP bzw. DP, die ihrerseits das Komplement von V ist. 7 Wenn in den Abschnitten zur Diachronie die Rede von den Komplementeigenschaften von dass-Sätzen ist, dann spielt es keine Rolle, ob man diesem Ansatz folgt oder nicht. Selbst wenn dass-Sätze in Platzhalterkonstruktionen 8 nicht ____________________ 7

8

In traditioneller Terminologie handelte es sich somit um ‚Gliedteilsätze’. Die Schulgrammatik macht keinen Unterschied zwischen Sätzen, die Adjunkte oder Komplemente zu Nomina sind. In beiden Fällen würde man von Attributsätzen bzw. von Gliedteilsätzen sprechen. Man beachte, dass nach Sudhoff (2003) im Gegensatz zu z.B. Müller (1995b) auch bei den prinzipiell platzhalterfähigen Matrixverben (also bei den Verben des bedauern-Typs) sogar dann eine (leere) DP vorhanden ist, wenn der Platzhalter gar nicht overt realisiert ist (s.u.).

54 Komplement von V, sondern von N oder D sind, stellt dies einen höheren ‚Grammatikalisierungsgrad’ dar als die Adjunktionskonstruktion, aus der die dass-Sätze sehr wahrscheinlich hervorgegangen sind (s. Abschnitt 2.4.4). Denn diese teilt Eigenschaften mit der Proform-Konstruktion, in der der dass-Satz nur Gliedteilsatzstatus hat. In diesem Fall bekommt lediglich das Korrelat eine Thetarolle zugewiesen. Wenn wir also etwa die Frage stellen, ob thaz-Sätze im Ahd. Komplementsatzeigenschaften haben, dann ist damit gemeint, ob sie sich zielsprachlich verhalten, wobei offen gelassen wird, ob für bestimmte zielsprachliche Konfigurationen angenommen werden muss, dass die thaz-Sätze nicht unmittelbar von V eingebettet werden.

Zu Korrelaten bei Präpositionalobjektsätzen Die Grammatik von Korrelaten bei sog. Präpositionalobjektsätzen unterscheidet sich in einigen Punkten von der ‚normaler‘, d.h. ‚nichtpräpositionaler‘ Argumentsätze. Wie Breindl (1989) gezeigt hat, ist bei Präpositionalobjektsätzen zu unterscheiden zwischen Matrixprädikaten, die das sogenannte ‚BezugselementGliedteilsatz’-Muster selegieren und solchen, die das ‚Platzhalter-Gliedsatz’Muster selegieren. Es ist eine offene Forschungsfrage, ob das ‚Bezugselement-Gliedteilsatz‘-Muster syntaktisch gleich wie die Proform-Konstruktion bei ‚nicht-präpositionalen‘ Argumentsätzen zu analysieren ist (vgl. Sudhoff 2003: 92f.) oder nicht. Nach Breindl sind echte Platzhalter unakzentuiert und kommen daher auch als Reduktionsformen vor (z.B. draus statt daraus), (24). Bei manchen Prädikaten sind Platzhalter obligatorisch vorhanden, (25)-a, oder fehlen obligatorisch, bei vielen sind sie aber fakultativ, (25)-b. Der Platzhalter ist schwächer akzentuiert als andere im Matrixsatz auftretende DPn oder PPn. Wenn überhaupt eine Akzentabstufung innerhalb der Pro-PP vorhanden ist, so ist der präpositionale Teil leicht stärker hervorgehoben als der pronominale Teil. Der Platzhalter und der Nebensatz sind per Kettenbildung miteinander verbunden, was bedeutet, dass der Nebensatz Gliedsatzstatus hat. (24)

Eine beeindruckend starke Frau, und, die eigentliche Überraschung nachher am privaten Tisch, eine sehr menschliche Frau, die keinen HEHL daraus/draus macht, daß sie die Unterstützung und Freundschaft braucht, Autonomie und wechselseitige Abhängigkeit. (Breindl 1989: 162, Bsp. 3-32a/32b)

(25)

a. Wenn wir uns ein Bild von der Art der Elementarteilchen machen wollen, können wir nämlich grundsätzlich nicht mehr *(davon) absehen, daß wir durch physikalische Prozesse von ihnen Kunde erlangen.

55 b. Ihr ist vielmehr ein Buch gelungen, das den Leser (dazu) zwingt, die Ereignisse zu verfolgen, als gingen sie ihn nichts an. (Breindl 1989: 157, Bsp. 3-22, 3-23)

Bei den gwd. Präpositionalobjekten kann die Pro-PP nur fehlen, wenn die CP extraponiert ist, also wenn sie und die assoziierte CP nicht adjazent auftreten. Wenn die CP im Mittelfeld oder im Vorfeld steht, muss die Pro-PP overt realisiert sein: (26)

a. Ich habe mich [PP darüber ti ] gefreut/gewundert/geärgert, [CP dass du kommst ]i. b. Ich habe mich [PP Ø ti] gefreut/gewundert/geärgert, [CP dass du kommst ]i c. Ich habe mich [PP darüber [CP dass du kommst]] gefreut/gewundert/geärgert. d. *Ich habe mich [PP Ø [CP dass du kommst]] gefreut/gewundert/geärgert. e. [PP Darüber [CP dass du kommst]], habe ich mich gefreut/gewundert/geärgert. f. *[PP Ø [CP dass du kommst]], habe ich mich gefreut/gewundert/geärgert. (adaptiert aus Sternefeld 2006, Bd. I: 358–360)

Sternefeld (2006, Bd. I: 358ff.) argumentiert, dass bei Präpositionalobjektsätzen das Matrixverb eine PP subkategorisiert, die eine CP enthält. Das Pronominaladverb kann getilgt werden, aber nur dann, wenn die PP nicht bewegt wurde und somit im Rektionsbereich des Verbs steht. Das erklärt, warum bei Vorfeld- und Mittelfeldstellung die Pro-PP immer overt vorhanden ist. Alternativ zur Tilgungsoperation könne man auch annehmen, dass eine optional leere PP selegiert wird, also eine PP mit leerem Kopf. Dass die CP nicht im Vorfeld stehen kann, müsse dann darauf zurückgeführt werden, dass die PP mit leerem Kopf für die Topikalisierung, nicht aber für die Extraposition eine Insel ist. Die Topikalisierung der PP mit leerem Kopf könne man durch ein generelles Verbot der Bewegung von Phrasen mit unsichtbarem lexikalischen Kopf ableiten, für das es unabhängige Evidenzen gebe. Dass die Mittelfeldstellung ungrammatisch ist, könne damit zusammen hängen, dass bestimmte finite CPn nicht im Mittelfeld stehen können. Was bislang kaum beachtet worden ist, ist, dass sich Genitivobjektsätze im Gwd. parallel zu Präpositionalobjektsätzen verhalten. Auch hier muss bei Topikalisierung das Korrelat overt vorhanden sein, während es bei Extraposition der CP im Mittelfeld nicht stehen muss. Allerdings ist es sehr schwierig, die Akzeptabilität der Daten mit Topikalisierung einzuschätzen, da Genitivobjektsätze im Gwd. generell einen sehr markierten Konstruktionstyp darstel-

56 len 9 und die Voranstellung den Markiertheitsgrad sozusagen noch weiter erhöht: 10 (27)

a. Wir sind uns (dessen) bewusst, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben b. *(Dessen), dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, sind wir uns bewusst

Man könnte hier analog zu den Präpositionalobjektsätzen argumentieren, dass Prädikate wie bewusst sein, eine DP subkategorisieren, deren Kopf leer ist bzw. unter Rektion getilgt werden kann.

2.2.3 Vorfeldfähigkeit Die Vorfeldfähigkeit ist ein klassisches Kriterium für Gliedsatzstatus. So argumentiert etwa Reis (1997), dass argumentrealisierende Verbzweitsätze u.a. deshalb keine Gliedsätze sind, weil sie nicht vorfeldfähig sind. Bei dassSätzen, also der kanonisch(er)en Variante, scheint Vorfeldfähigkeit gegeben zu sein: (28)

Dass der böse Wolf das Rotkäppchen gefressen hat, hat der Jäger gleich gewusst

Allerdings ist die Analyse von Satzgefügen mit vorangestellten dass-Sätzen umstritten. Berman (1996) schlägt mit Rückgriff auf Oppenrieder (1991) vor, dass initiale dass-Sätze in Subjekt- und Objektfunktion linksversetzt auftreten und das resumptive Pronomen getilgt wird. 11 Diese Tilgung ist fakultativ, d.h. das resumptive Pronomen das kann auch overt realisiert werden: ____________________ 9

10

11

Wie Primus (1999) argumentiert, ist die Genitivrektion im Gwd. unproduktiv, da es weder neuere verbale Entlehnungen noch produktive Wortbildungsmuster gibt, die einen Genitiv fordern. Bei vielen Matrixverben, die Genitivobjekte subkategorisieren, kommt noch hinzu, dass alternativ auch häufig ein Präpositionalobjekt möglich ist, sodass bei propositionaler Realisierung des Objekts alternativ auch ein Präpositionalobjektsatz auftreten kann (z.B. sich dessen/daran erinnern, dass ...; sich dessen/damit rühmen, dass ...). Es handelt sich eigentlich um eine spezialisierte Form eines Vorschlages von Koster (1978), wonach in Verbzweitsätzen generell Linksversetzung in Kombination mit Topik-drop vorliege. Diese generalisierte Form der Linksversetzungsanalyse scheitert aber fürs Deutsche daran, dass es Elemente gibt, die vor dem finiten Verb in SpecC auftreten, und nicht linksversetzt sein können wie etwa das Vorfeldexpletiv es oder Objektspronomina (z.B. ihn, ihm, ihnen). Für diese Elemente gibt es gar keine resumptive Proform, die getilgt worden sein kann.

57 (29)

a. Daß die Erde rund ist, (das/NOM) hat ihn gewundert. b. Daß die Erde rund ist, (das/ACC) hat er nicht gewußt. (Berman 1996: 10, Bsp. 40, 41)

Sehr problematisch an dieser Analyse ist, dass dass-Sätze in Subjekt- und Objektfunktion auch im Mittelfeld vorkommen können: (30)

a. Als Hans [VP gestern [VP seiner Schwester [daß er krank sei] sagte ]] waren alle schon weg. (Bayer 1995: 53, Bsp. 10) b. weil ich [daß Maria den Jungen liebt] geglaubt habe. (Webelhuth 1992: 108, Bsp. 104G)

Da dass-Sätze in der VP-internen Objektposition stehen können, stellt sich die Frage, warum sie dann nicht auch wie nichtsententiale Argumente aus dieser Position topikalisiert werden können. Wenn Berman recht hat, dass initiale argumentrealisierende dass-Sätze immer linksversetzt sind, müsste dies aus irgendeinem Grund ausgeschlossen werden. Einen möglichen Grund nennt sie aber nicht, denn sie geht davon aus, dass Mittelfeldstellung bei sententialen Argumenten – abgesehen von infiniten Sätzen und freien Relativsätzen – generell ausgeschlossen ist, obwohl sich sporadisch solche Belege finden und sich Beispiele konstruieren lassen, die nicht völlig unakzeptabel sind. Wie in Abschnitt 2.2.1 erwähnt, wenden sich Webelhuth (1992) und Bayer (1996) gegen die Annahme, dass bei präfiniten dass-Sätzen die CP wie ein nichtsententiales Argument aus ihrer VP-internen Basisposition im Mittelfeld nach SpecC topikalisiert wurde. Stattdessen gehen sie davon aus, dass in diesem Fall eine leere DP- bzw. NP-Hülle vorhanden ist. Das heißt, topikalisierte dass-Sätze verhalten sich anders als nichtsatzförmige Satzglieder, insofern sie bei Voranstellung (Mittelfeld, Vorfeld) ein Mehr an Struktur aufweisen als bei der Nachfeldstellung. Im diachronen Teil des vorliegenden Kapitels soll auf die Vorfeldfähigkeit nicht eingegangen werden. Denn in Korpusdaten sind vorangestellte dassSätze nur selten bezeugt. In den ahd. und mhd. Prosatexten steht dabei der thaz/daz-Satz bei Voranstellung immer in einer Art ‚Linksversetzungskonstruktion’ links vom Vorfeld und wird im Vorfeld durch ein Demonstrativpronomen wiederaufgenommen, das den vom Matrixverb geforderten Kasus trägt (in den folgenden Beispielen ist das der Akkusativ und Genitiv): (31)

a. thaz ír ni sit zi fráuili · thaz zéigot iu thiz bílidi dass ihr NEG seiet zu frevelhaft das-AKK zeigt euch dieses Bild ‚dass ihr nicht zu stolz sein sollt, das zeigt euch dieses Beispiel’ (Otfrid IV 11, 44)

58 b. Táz sie uéste sínt . táz máchôt tiu uuârheit. dass sie fest sind das-AKK macht die Wahrheit. ‚dass sie unerschütterlich sind, das macht die Wahrheit’ (Notker Boethius I 8, 17) (32)

a. 'D]HUPLWǕLQHQLYQJHUQk]rHU]HKLPLOHYĤU GD]XHǕWLQLWV/XFDV, (Speculum ecclesiae 68, 16) b. Daz got den menschen erlost mit im selber, niht mit einem engel, daz tet er vmb funf dinch: (Baumgarten geistlicher Herzen 225, 2)

(33)

a. Daz wir mit der waren rivwe vz vnsern svnden ersten, des vræwet er sich siben-valtichlichen (Baumgarten geistlicher Herzen 207, 14) b. Daz wir uns alsô geheften an daz wirdig verdienen unsers herren Jêsu Kristi, daz wir lidig werden aller schulde, des helfe uns got. (Nikolaus von Straßburg 269, 26) c. Vnd daz uns daz widervar. dez helfe uns der vater. (Mitteldeutsche Predigten 58)

Dieses Muster lebt auch noch im Frnhd. fort. Es wird selbst nach dem Aufkommen der Vorfeldstellung noch häufig realisiert und ist auch im Gwd. noch gebräuchlich. Die Vorfeldstellung findet nach Behaghel (1929 :417) erst in frnhd. Zeit Verbreitung, erst dann sei ein „vorrücken der nichtverwendung des [resumptiven; K.A.-T.] pronomens” zu verzeichnen. Die Voranstellung von dass-Sätzen tritt in den ahd. und mhd. Texten allerdings insgesamt mit einer sehr geringen Frequenz auf. Dass die Vorfeldstellung im Ahd. und Mhd. nicht belegt ist, muss nicht bedeuten, dass sie ungrammatisch war. Dass das ‚Linksversetzungsmuster’ präferiert wurde, kann auch mit stilistischen Faktoren zusammenhängen oder darauf zurückzuführen sein, dass es in diesen Sprachperioden auch bei vorangestellten Relativ- und Adverbialsätzen noch sehr gebräuchlich war (vgl. Kapitel 5).

2.2.4 Extraktionstransparenz Dass Extraktionstransparenz wie in (34) ein hinreichendes Kriterium für Komplementsatzstatus (und damit auch für Gliedsatzstatus ist), wurde bereits in der Diskussion um die Basisposition von argumentrealisierenden dassSätzen deutlich. (34)

a. Wohin glaubt ihr, daß die Reise t geht? b. Wen würdest du sagen, dass man t als nächstes ansprechen sollte? (Reis 1997: 130, Bsp. 28a, b)

59 Im Deutschen gibt es dialektale Unterschiede: Extraktionsdialekte sind vor allem die südlicheren Dialekte. Extraktion betrifft nicht nur w-Phrasen, sondern auch ‚normale’ XPn. In letzterem Fall spricht man von langer Topikalisierung. Die gängige Annahme ist, dass Extraktion sukzessiv-zyklisch erfolgt mit SpecC als Zwischenlandeposition: Wohini glaubt ihr, t'i daß die Reise ti geht?. Reis (1997: 130) verweist in diesem Zusammenhang auf die sogenannte Condition on Extraction Domains von Huang (1982), die besagt, dass nur aus strikt regierten Domänen extrahiert werden kann. Dass diese Bedingung auch im Falle der deutschen Extraktionsdialekte gelten muss, sieht man, so Reis, daran, dass Extraktion nur aus subkategorisierten Sätzen (v.a. aus dassSätzen, marginal aber auch aus ob-/w-Sätzen) möglich ist. Aus nichtsubkategorisierten Sätzen (z.B. aus Adverbialsätzen einschließlich der sogenannten ‚freien dass-Sätze’ und Relativsätze) kann nicht extrahiert werden. Dies zeige, dass „daß-Sätze auch im syntaktischen Sinn Komplemente sind” (Reis 1997: 130). Natürlich gilt es aber zu beachten, dass ‚Extraktionstransparenz’ zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für Komplementsatzstatus ist. Eine weitere Bedingung ist, dass das Matrixprädikat Brückeneigenschaften hat. Es gibt experimentelle Untersuchungen darüber, für welche Prädikate dies im Gwd. zutrifft (z.B. Featherston 2004). Laut herrschender Forschungsmeinung ist im Gwd. Extraktion sowohl aus Objektals auch aus Subjektsätzen grundsätzlich möglich (Lühr 1988, Haider 1993, Haider 1995, Sabel 1996: 284 u.v.a.m.), wobei natürlich jeweils zusätzliche Bedingungen erfüllt sein müssen (Brückeneigenschaften des Matrixprädikats, Nachfeldstellung bei finiten Objekt- und Subjektsätzen, Abwesenheit eines Platzhalter-es bei Objektsätzen 12 usw.). Für die Grammatikalität von Extraktionsstrukturen spielt auch die Art der extrahierten Phrase eine Rolle: Wie bereits Andersson & Kvam (1984: 67) bemerken, wird Adjunktextraktion besser bewertet als Objektextraktion und diese wiederum besser als Subjektextraktion, und zwar beziehen sie sich sowohl auf die w-Extraktion als auch auf die lange Topikalisierung. 13 Die Akzeptablitätshierarchie Adjunkt > Objekt > Subjekt wurde in jüngerer Zeit auch durch Featherston (2005) für die lange Topikalisierung aus dass-Sätzen ____________________ 12

13

Dagegen führt Haider (1995: 256) aus, dass bei (nichtfiniten und finiten) Subjektsätzen überraschenderweise die lange Extraktion einer w-Phrase nur möglich ist, wenn ein Platzhalter-es vorhanden ist: (i) Weni hat *(es) dich denn überrascht [dort ei anzutreffen]? (ii) Weni hat *(?es) dich denn überrascht [daß sie dort ei angetroffen hat]? (Haider 1995: 256, Bsp. 26a, b) Subjektextraktion sei, so Andersson & Kvam (1984), bei langer Topikalisierung sogar ganz ausgeschlossen und nur bei w-Bewegung möglich.

60 experimentell bestätigt. Darüber hinaus können auch Prädikative extrahiert werden (Lühr 1988).

2.2.5 Selektion durch Präpositionen Als ein weiteres Indiz dafür, dass subkategorisierte dass-Sätze im Gwd. Komplementsätze sind, führt Reis (1997: 130) an, dass sie außer mit Nomina, Verben und Adjektiven auch mit Präpositionen vorkommen, vgl. (35). Dies sei ein hinreichendes Kriterium für Komplementstatus, denn ein „modifizierendes bzw. explikatives, appositives, weiterführendes Verhältnis zu P(Projektionen) scheidet schon aus semantischen Gründen aus” (ibid.). (35)

... bis daß der Tod uns scheidet/ ohne daß eine Zahlungsaufforderung ergeht (Reis 1997: 130, Bsp. 29)

In der Standardsprache subkategorisiert außer bis und ohne auch die Präposition statt einen dass-Satz. Neben einem dass-Satz (bzw. einer infiniten CP) subkategorisieren diese Elemente – wie für Präpositionen typisch – DPKomplemente: (36)

a. [PP Bis Montag ] bleibt er hier b. [PP Ohne Angst ] ging er nach Hause c. [PP Statt einer Woche ] blieb er zwei

In der traditionellen Grammatik werden diese Elemente, wenn sie Sätze einleiten, als Konjunktionen bezeichnet. Wie jedoch Sternefeld (2006, Bd. I: 202) ausführt, ist es problematisch, sie der Kategorie C (Komplementierer) zuzuordnen, denn typische Komplementierer wie dass oder ob können – wie auch Determinatoren in der DP – nicht iteriert werden, was man bei den bis dass, ohne dass, statt dass-Fügungen in diesem Fall aber annehmen müsste. Umgangssprachlich tritt dass auch bei z.B. nachdem und trotzdem hinzu. Im Unterschied zu bis, ohne und statt sind hier DP-Komplemente nicht möglich, weil das Komplement dem schon in P inkorporiert ist (Sternefeld 2006, Bd. I: 202). In den Dialekten gibt es noch eine Reihe weiterer satzeinleitender Elemente mit dass (s. Abschnitt 2.3.4).

2.2.6 Zusammenfassung Auf der einen Seite verhalten sich argumentrealisierende dass-Sätze im Gwd. wie nichtsatzförmige Argumente. Denn sie erfüllen verschiedene Eigenschaften für Glied- und Komplementsatzstatus. In manchen Varietäten sind sie

61 nach bestimmten Matrixprädikaten transparent für die lange w-Extraktion bzw. lange Topikalisierung. Bei Nachfeldstellung können bzw. müssen sie je nach Matrixprädikat mit einem echten Platzhalterelement (= es) verbunden werden. Sie treten nicht nur in V-, sondern auch in P-Projektionen auf. Diese Kriterien lassen sich, wie in den nächsten Abschnitten gezeigt werden wird, auch im Falle historischer Korpusdaten gut überprüfen. Auf der anderen Seite gibt es einen wesentlichen Unterschied zu nichtsatzförmigen Argumenten: Bei dass-Sätzen ist die Nachfeldstellung unmarkiert, ja sogar die präferierte Stellung. Die Extraktionstransparenz spricht dafür, dass sie anders als nichtsatzförmige Argumente rechts von V basisgeneriert sind. Die Basisgenerierungshypothese für nachgestellte dass-Sätze ist auch aus diachroner Sicht konzeptuell attraktiv, wie sich im sprachgeschichtlichen Teil dieses Kapitels herauskristallisieren wird.

2.3

Dass-Sätze im älteren Deutsch

2.3.1 Nachfeldstellung Nachfeldstellung ist im Gwd. die mit Abstand am häufigsten realisierte Stellungsoption für argumentrealisierende dass-Sätze. Dasselbe trifft auch für die älteren Sprachstufen zu. Nur wenn die rechte Satzklammer besetzt ist wie in den folgenden ahd. und mhd. Beispielen, kann allerdings ausgeschlossen werden, dass der dass-Satz nicht im Mittelfeld steht: (37)

a. endi er sculut bichennen dhazs uuerodheoda druhtin mih sendida‫ގ‬ under soll bekennen dass Heeres Herr mich sandte ‚und er soll bekennen, dass der Herr des Heeres mich sandte’ et cognoscetis quia dominus exercituum misit me‫ގ‬ (Isidor III, 8, He 11, 3) b. thô her gihorta thaz archelaus ʜ richisota In iudeon ... da er hörte dass Archelaus regierte in Judäa ‚als er hörte, dass Archelaus in Judäa regierte ...’ audiens autem quod archelaus ʜ regnar& In iudŠa ... (Tatian 41, 30)

(38)

a. das all sin lút wonten das er dott were, (Lancelot 3, 13) b. Man hat gelrUQDQGHPKHLOLJHPĊwangelio, daz hirte warn in dem lante, (Speculum ecclesiae 11, 25)

62 Wie bereits in Abschnitt 1.4 dargelegt, unterteilt Reis (1997) den topologischen Abschnitt, der traditionell als ‚Nachfeld’ bezeichnet wird, in das eigentliche Nachfeld und in einen Bereich für nachgestellte und schlussgestellte Nebensätze. Nebensätze, die nachgestellt sind, sind die ‚relativ unintegrierten’ Nebensätze wie etwa argumentrealisierende Verbzweitsätze. Schlussgestellte Nebensätze sind nach Reis die ‚absolut unintegrierten’ Nebensätze wie zum Beispiel weiterführende Relativsätze. Ab welcher Sprachstufe es Evidenzen für diese Feingliederung des traditionellen Nachfelds gibt, ist noch nicht untersucht worden. Auch bei den argumentrealisierenden dassSätzen in obigen Beispielen bleibt zunächst offen, welchen Integriertheitsgrad sie aufweisen. Es ist genau das Ziel der vorliegenden Untersuchung, herauszufinden, ob bzw. ab wann sich die rechts vom Verbalkomplex auftretenden dass-Sätze wie Komplementsätze verhalten. Erst wenn dies gezeigt ist, wäre nach Reis (1997) die Redeweise korrekt, dass diese Sätze das Nachfeld im engeren Sinn besetzen, denn Komplementeigenschaften beweisen eindeutig, dass die entsprechenden Sätze syntaktisch integriert sind und daher nicht rechts vom Nachfeld stehen, also weder nach- noch schlussgestellt sind. In der vorliegenden Untersuchung werde ich die Begriffe ‚Nachfeldstellung’ und ‚nachgestellt’ im traditionellen Sinne für alle abhängigen Sätze verwenden, die rechts vom Verbalkomplex ihres Bezugssatzes auftreten. Im Gwd. sind bei argumentrealisierenden dass-Sätzen mindestens zwei Konstruktionen zu unterscheiden, nämlich solche mit und ohne Korrelat. Insbesondere bei den Präpositionalobjektsätzen gibt es Evidenzen für phonetisch leere Korrelate, in diesem Fall in Form einer leeren PP. Die leere Variante ist nur bei Nachstellung des Nebensatzes möglich, also wenn das Korrelat im Mittelfeld steht. Steht der Präpositionalobjektsatz im Vorfeld, dann muss das Korrelat overt realisiert werden. Wie oben in Abschnitt 2.2.2 gezeigt wurde, verhalten sich Objektsätze von Matrixverben mit Genitivrektion analog. Es wurde daher argumentiert, dass auch in diesem Fall ein leeres Korrelat (DP) vorhanden ist, auch wenn dieses bei Nachstellung des dass-Satzes nicht overt realisiert werden muss. Gerade in älteren Sprachstufen liegt der Verdacht nahe, dass, auch dann, wenn kein overtes Korrelat vorhanden ist, eine Korrelatkonstruktion noch verbreiteter gewesen sein könnte als im Gwd.: (39)

[ Øj ] [CP

thaz ...

]j 14

Erstens gibt es Evidenzen, dass sich die eigentlichen dass-Komplementsätze aus einer Korrelatkonstruktion entwickelt haben, vgl. Abschnitt 2.4.4. Zweitens gab es gerade im Ahd. noch mehr leere Elemente (z.B. Nullsubjekte, ____________________ 14

Zur Abgrenzung von syntaktischer Bewegung werden Superskripte zur Kennzeichnung von Ko-Indizierung benutzt.

63 Axel 2005, 2007: Kap. 6, Axel & Weiß 2011) und phonetisch leere ProAdverbien bei korrelativen Adverbialsätzen (vgl. Kapitel 5)). Im Ahd. existierten noch nicht so viele Prädikate wie im Gwd., die einen Präpositionalobjektsatz regierten. Stattdessen war die Genitivrektion noch weiter verbreitet. Bereits Paul (1920: 244) bemerkt, dass im Ahd. bei Verben, die den Genitiv regieren, das Korrelat nicht overt sein muss. Er verweist auf den folgenden Beleg mit dem Verb ZXQWDUǀQaus dem Tatian: (40)

Inti uuvntorotun thaz her lazz&a In templo. und wunderten dass er ließ in Tempel ‚und sie wunderten sich, dass er im Tempel verweilte’ & mirabantur quod tardar& ipse in templo. (Tatian 27, 23)

Bei vielen Verben war im Ahd. (bei nichtsententialem Objekt) Genitivrektion möglich oder erforderlich, gleichzeitig sind auch diese Verben häufig mit thaz-Objektsätzen ohne Korrelat belegt. Einen guten Überblick über die Verhältnisse in Otfrid gibt Erdmann (1874, Bd. I). Bei den Verben VLK VFDPƝQ und WKDQNǀQ wird dem Themaargument bei nichtsententialer Realisierung Genitiv zugewiesen (ibid.: 173, 179), bei sententialer Realisierung steht der thaz-Satz häufig ohne Korrelat: (41)

a. Thiu quena sún uuas drágenti ióh sih harto scámenti die Frau Sohn war tragend und sich sehr schämend tház siu scolta in élti · mit kiĔde gan in hénti dass sie sollte in Alter mit Kind gehen in Hand ‚die Frau war schwanger mit einem Sohn und schämte sich sehr, dass sie in ihrem Alter mit einem Kind im Arm gehen würde‘ (Otfrid I 4, 85) 15 b. Fáter quad thir thánkon · mit uuórton ioh mit uuérkon Vater sagte dir danke mit Worten und mit Werken thaz thu émmizen io fóllon irfúllis minan uuíllon dass du immer je voll erfüllst meinen Willen ‚ „Vater“, sagte er, „ich danke dir mit Worten und Werken, dass du meinen Willen zu jeder Zeit vollkommen erfüllst“ ’ (Otfrid III 24, 92)

Müller & Frings (21959: 33ff.) untersuchen die Subkategorisierung von einigen „Verben des Sagens, Denkens und Glaubens im weitesten Sinne“ im Tatian, bei Otfrid und Notker sowie in weiteren ahd. Texten. Manche sind mit Akkusativ- und manche mit Genitivrektion belegt, einige regieren beide Kasus. Bei einem propositionalen Argument sieht man die Kasusrektion natürlich nur, wenn ein Korrelat overt vorhanden ist. Nur Genitivrektion ist bei ____________________ 15

Vgl. z.B. auch Otfrid III 11, 21.

64 den Verben githenken ‚denken’, JLHLQǀQ ‚übereinstimmen’, KRJƝQ‚bedenken, beherzigen’, JLKRJƝQ‚gedenken, erinnern’‚ gihuggen ‚gedenken, bedenken’, jehan ‚bekennen’, bijehan ‚bekennen’, bikennen ‚erkennen’ PDQǀQ ‚mahnen’, irrihtan ‚errichten, bekehren’‚ VFXOGLJǀQ ‚beschuldigen’, gisuuerren ‚schwören’, VXXƯJDQ ‚schweigen’, ILUVXXƯJDQ ‚verschweigen’, giuuahan ‚erwähnen’ und uuƗnen ‚wähnen, meinen’ belegt, Akkusativ- und Genitivrektion bei den Verben thenken ‚denken’, bikennen ‚erkennen’, firsagen ‚verweigern, leugnen’ und firstantan ‚verstehen, begreifen’. Es wurde argumentiert, dass die Alternation zwischen Akkusativ und Genitiv mit unterschiedlichen Bedeutungen bzw. mit aspektuellen Eigenschaften korreliert (z.B. Donhauser 1990). Allerdings ist noch nicht untersucht worden, ob dies auch für den Fall der Realisierung mit einem propositionalen Themaargument assoziierten akkusativischen bzw. genitivischen Korrelate gilt. ‚Dativobjektsätze’ wie in (42) sind nur sehr selten bezeugt und weisen dann in der Regel ein overtes Korrelat auf. (42)

nu uolget temo daz er SRĊWD ist . taz er selbo ist . alde nun folgt dem dass er Poet ist dass er selbst ist oder neist NEG.ist ‚nun folgt auf das, dass er ein Poet ist, dass er selbst ist oder nicht ist’ (Ni 557, 27; zit. nach Müller & Frings 21959: 42)

Dass im Ahd. und Mhd. ein phonetisch leeres Korrelat vorliegt, kann auch bei im Nachfeld stehenden thaz/daz-Objektsätzen mit akkusativregierenden Matrixverben (oder bei Subjektsätzen) nicht ausgeschlossen werden. Wir wissen lediglich, dass im Gwd. – anders als möglicherweise bei Präpositionalobjektsätzen – nicht immer ein (leeres oder overtes) Korrelat vorhanden ist, denn hier können ‚Akkusativobjektsätze’ ohne Korrelat topikalisiert werden und es kann aus ihnen extrahiert werden, wenn das Matrixverb ein Brückenverb ist. Daher müssen in den folgenden Abschnitten weitere Diagnostika überprüft werden, die Aufschluss über den Status der thaz/daz-Sätze geben.

2.3.2 Korrelatkonstruktionen Im Ahd. sind Korrelate bei argumentrealisierenden thaz-Sätzen verbreiteter als im Gwd. Das könnte daran liegen, dass es, wie im letzten Abschnitt erwähnt, noch weit mehr Matrixprädikate gab, die oblique Objekte regieren. Bei Genitivrektion ist es selbst im Gwd. der Fall, dass die Verwendung eines Korrelats in Form des Demonstrativpronomens unmarkiert ist: 16 ____________________ 16

Das liegt daran, dass es von dem Pronomen es keine Genitivform mehr gibt.

65 (43)

a. Er war sich dessen bewusst, dass er einen Fehler gemacht hatte b. Wir vergewissern uns dessen, dass wir keinen Fehler gemacht haben

Bereits im Ahd. war bei Genitivrektion die Verwendung eines Korrelats fakultativ, wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde. Doch es gibt auch eine Vielzahl von Belegen, bei denen ein Korrelat – meist in Form des Demonstrativpronomens – overt vorhanden ist, wie die folgenden Belege illustrieren. Im Gegensatz zum heutigen Deutsch regieren im Ahd. zum Beispiel noch die Verben biginnan ‚beginnen’ und JLEHWǀQ,bitten, beten’ den Genitiv: (44)

a. Oh dhes sindun unchilaubun iudeoliudi dhazs sunu endi aber dessen sind ungläubig Judenleute dass Sohn und heilac gheist got sii, heiliger Geist Gott sei ‚aber die Judenleute glauben nicht, dass der Sohn und der Heilige Geist Gott seien’ Sed hinc isti filium et spiritum sanctum non putant esse deum (Isidor IV, 1, He 13, 10) thes bigínnes · thaz thu géba bringes ࡴҕ b. O%ғa thu wenn du dessen beginnst dass du Gabe bringest ‚wenn du damit beginnst, eine Opfergabe zu bringen’ (Otfrid II 18, 19) c. Fóne díu íst tés not . táz tér gót summum von dem ist dessen Notwendigkeit dass der Gott summum bonum nesî . dér natûrlicho îeht úngelîh íst summo bono . bonum NEG.sei der natürlich irgendwie ungleich ist summo bono ‚deshalb ist es notwendigerweise der Fall, dass der Gott nicht das höchste Gut ist, der seiner eigenen Natur nach vom höchsten Gut verschieden ist’ Quare quod a summo bono diuersum est . sui natura . id summum bonum non est . (Notker Boethius III 157, 1)

Fleischmann (1973: 164, Fn. 132) hat aus Wunders (1965) Angaben errechnet, dass bei Otfrid „von 734 thaz-Sätzen 253 (ca. 30%) einen meist pronominalen Hinweis (thaz, thes, iz, es ...) im vorausgehenden Satz haben“. 17 Johnk (1979: 362) zählt insgesamt 271 Belege. Fleischmann (1973: 164), der sich der Theorie von Müller & Frings (21959) anschließt, der zufolge sich die Konjunktion thaz aus dem Korrelat in Form des Demonstrativpronomens im Neutrum (Akk./Nom.) durch Verbschiebung der Satzgrenzen entwickelt hat (s. 2.4.1), argumentiert, dass die Verwendung von thaz bei Otfrid darauf zurückzuführen ist, dass die Satzgrenzen im Vers im Gegensatz zur gesproche____________________ 17

Diese Zahlen schließen allerdings neben Objekt- und Subjektsätzen auch Konsekutivsätze mit ein. Finalsätze und einige weitere Typen sind dagegen nicht berücksichtigt.

66 nen Sprache abrupter markiert seien, sodass in Otfrid noch ein alter Sprachzustand konserviert sei, als die beiden Sätze noch kein Satzgefüge bildeten und thaz noch keine Konjunktion war, sondern eben das Korrelat im vorangehenden Satz. Dies spreche dafür, dass die Entstehung der thaz-Sätze nur unwesentlich vor der ahd. Zeit liege (ibid.: 166). Diese Überlegung lässt allerdings die Frage offen, warum nach dem postulierten Übertritt des Korrelats aus dem ersten in den zweiten Satz und der damit vollzogenen Entstehung der Konjunktion thaz wieder ein demonstratives Korrelat im ersten Satz häufig verwendet wurde, und zwar häufiger als im Gwd. Die relativ hohe Frequenz von Korrelaten thaz bei Otfrid könnte auch auf metrische Erfordernisse zurückführbar und darin begründet sein, dass diese Elemente gutes Füllmaterial sowohl für Senkungen als auch für Hebungen bietet. Das erklärt jedoch noch nicht, warum die Konstruktion im Ahd. generell ziemlich produktiv war: Auch in Notkers Consolatio sind immerhin 93 daz-Sätze mit einem Korrelat assoziiert, und zwar wie bei Otfrid mit den unterschiedlichsten Typen von Matrixverben (Johnk 1979: 362). Selbst in der mhd. Prosa werden Argumentsätze im Bezugssatz noch „sehr oft durch ein Korrelat vertreten“ (Prell 2001: 34; Hervorhebung im Original). Auch im Mhd. ist Genitivrektion nicht nur bei Matrixprädikaten belegt, die noch im Gwd. noch den Genitiv regieren wie zum Beispiel gedenken, (46)-e, sondern auch bei solchen, die inzwischen einen anderen Kasus oder ein Präpositionalobjekt regieren: 12. Jahrhundert (45)

a. :LUJHUHQDEHUGHǕGD]YQǕGLYPHQQLǕJLQYQGHUWDQǕLQ (Züricher Predigten 15, 62) b. 0LWGLǕHQGLnJLQǕXOOHQZLUGHǕZHUGHQHUPDQRWGD]ZLUDUPHQPHQQHǕchen DOOHXQǕHU ǕLQQD ]HGHUPLQQDXQǕHUǕKHUUHQJHUQHcheren. (Züricher Predigten 32, 46)

13. Jahrhundert (46)

a. Ich glaub des wol das sie me gutes von mir hab gehöret dann ich wirdig sy; (Lancelot 51, 22) b. ‘QĤHQZHQHWGHVQLFKWGDVLFKVLHHUGRWHt hab ‫ތ‬ (Lancelot 72, 1) c. In dirre werlte waeren wir des gewis, daz ein irdischer cheiser … in vnser hvs chomen solte, (St. Pauler Predigten 35, 14) d. daz sie des dunchet, daz ir der lîp aller sî ersworn (Bartholomäus 133, 2)

67 e. Ich inbin dez nit wirdic daz ich ime sinen svhrimin 18 ... getorste rvrin. (Salomons Haus 444) f. Geloubit ir des daz unsir herre uch gehelfen moge. so dut sin gebot. (Mitteldeutsche Predigten 14) g. Nu gedenke des petir daz ich dir gut was in deme gartin. da du malcho daz ore abesluge (Mitteldeutsche Predigten 33) h. Er newolde des nit gestaten daz der heilige lib das heilige vleis fulte in der erden (Mitteldeutsche Predigten 34)

14. Jahrhundert (47)

a. und des sollin sie alle zyt warten, weder iz sy ummez oder merrunge, daz iz ummer mit dem dage geendet werde. (Oxforder Benediktinerregel 23, 4) b. Iedoch getruwen wir des daz den susteren in meslichen steden gnugen sollen einir ieclicher sunderliche eine cogele und eynen rog, (Oxforder Benediktinerregel 30, 4) c. ich inbyn des nicht wirdik, daz ich mich nydir boyge (Berliner Evangelistar 3, 31; Mk 1, 7) d. wustet ir des nicht daz ich an den dyngen muste syn (Berliner Evangelistar 9, 21; Lk 2, 49)

Die Verwendung eines genitivischen Korrelats war offenbar wie auch im Ahd. nicht obligatorisch. In den Züricher Predigten ist zum Beispiel das Matrixverb helfen mit und ohne Genitivkorrelat bezeugt: (48)

a. 'DXRQ ELǕFKLUPXQǕ XQǕLU KHUUH LKHǕXǕ FKULǕWXǕ YQGH KHOIXQǕ GD] ZLU LPH DOǕRJLGLHQHLQLQGLǕLPHOLEH (Züricher Predigten 31, 82) b. YQGH>ǕL@YQǕGHǕǕXOQKHOIHQGD]ZLUKLHDOǕRJHOHEHQGD]ZLUZLUdic werden daz wir ]LUJQR]ǕFKHIWHKDUQDFKPXJLQFKRPLQ (Züricher Predigten 31, 13)

Beim adjektivischen Prädikat wirdec/wirdic tritt in manchen mhd. Prosatexten das genitivische Korrelat des auf (z.B. in Salomons Haus, (46)-c, und im Berliner Evangelistar, (47)-c), in anderen ist dagegen kein overtes Korrelat bezeugt: (49)

a. Der bischof sprach, her wêre wol wirdig daz brôt zu ezzene, 19 (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 10, 40)

____________________ 18 19

schuochriemen ‚Schuhriemen’ Bei diesem Beleg liegt allerdings kein daz-Satz vor, sondern ein infiniter Argumentsatz.

68 „Herre, ich inbin nicht wirdec daz du în gêst undir mîn dach ...“ (Evangelienbuch Beheim 21; Mt 8, 8)

Dass Korrelate (v.a. in Form des Demonstrativums thaz, thes, vgl. (50)) im Ahd. häufiger verwendet werden als im Gwd., ist ein Grund, warum in der Literatur oft angenommen wurde, dass die Entstehung der Komplementsätze erst kurz vor Beginn der schriftlichen Überlieferung abgeschlossen war. (50)

ER tháhta odo uuila tház · thaz er ther er dachte vielleicht das dass er der ‚er dachte vielleicht, dass er der Türhüter war’ (Otfrid II 4, 7)

dúriuuart Türhüter

wás · war

Selbst im Mhd. ist die Verwendung des akkusativischen Korrelats daz verbreiteter als im Gwd. Bei einem Großteil der folgenden Sätze wäre der Gebrauch eines unfokussierten demonstrativen Korrelats im Gwd. markiert: 12. Jahrhundert (51)

'RGLHGD]JHǕDKLQGD]GHUJRWLǕǕXQPLWǕRWLZHUOLFKHPǕLJQXIWH]HKLPHOHZ࢓r, do ZQGHURWLQǕLǕRJHWDQLUFKUHIWH (Speculum ecclesiae 69, 18)

13. Jahrhundert (52)

a. und ich sprech das mit aller warheit das wir im als guter truwen schuldig sint als unsselber (Lancelot 74, 6) b. Ich weiß das wol das er nymer keins tages noch keins nachtes sicherlichen schlaffen mag. (Lancelot 70, 13) c. der das sprechen wil das ich lúge gesaget hab oder falsch, (Lancelot 48, 11) d. =ĤGHPHHLUVWHPHVRVH]ZLULQGHZLOOHQGDWGDWPDQ]ZHQHPH\VWHUHGLH vorderere genant sind, alre yairliis keysen sal YDQGHQDPEWOĤGHQ (Amtleutebuch St. Brigiden 49) e. ,QGH VĤOHQ tQ GDW VDJHQ GDW VL JHELHGHQ GHQ DPEWOĤGHQ GLH LU DPEW verdeynt haint, (Amtleutebuch St. Brigiden 51) f. Dv inkennis daz wol. daz dv svndic bist. dar vmbe so irkenne ovch daz dar ane. wie groz otmvdikeit daz si. daz ... (Salomons Haus 424) g. v͑۷ ǕDzWHGD]GD]PDQǕLHELQZRFKLQYDǕWLWYRURǕtirn. (Jenaer Martyrologium 1) h. vnd do verstvont er daz daz er daran enkeinen zwifel wolt haben (Mitteldeutsche Predigten 45)

69 14. Jahrhundert (53)

a. Wæistu daz, daz ez niht ein chlæin dinch si, (Baumgarten geistlicher Herzen 192, 2) b. Ir sönt daz wizzen, daz man lôn verdienet mit allen den dingen, diu ... (Nikolaus von Straßburg: Predigten 280, 25) c. aber der vatter verhangte daz, daz im der fröden nie ein tropfe ze helfe kam. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 292, 13) d. und bekenne daz daz sie sorge intfangen hat der sicher selen (Oxforder Benediktinerregel 16, 19)

Bereits im Ahd. sind auch schon Präpositionalobjektsätze belegt, (54). Allerdings ist dieser Satztyp viel seltener als im Gwd., denn viele Verben, die im Gwd. ein Präpositionalobjekt subkategorisieren, regieren im Ahd. noch den Genitiv. (54)

… thaz uuír uns uuarten thánana dass wir uns hüten davor thaz súht ni derre uns méra schade uns mehr dass Krankheit NEG ‚dass wir uns davor hüten, dass die Sünde uns mehr schade’ (Otfrid III 5, 5)

Müller & Frings (21959: 46) zitieren sogar zwei Beispiele aus Notkers Psalmen, bei denen das Pronominaladverb nicht overt realisiert ist. Sie argumentieren, dass Belege wie in (55)-b und (56)-b die Vorläufer von Fügungen wie ich bin (davon) überzeugt, dass ... darstellen, da beide Matrixverben in anderen Kontexten mit einem (nichtsatzförmigem) Präpositionalobjekt belegt sind (WKƗUD]XR WKUHXXHQ ‚damit drohen’, (55)-a, und WKƗUDQD UHKW KDEƝn ‚daran/darin Recht haben‘, (56)-a): (55)

sie daz funden . darazuo in got treuta . ... sie das fanden dazu ihnen Gott drohte ‚sie (Adam und Eva) fanden das, womit Gott ihnen gedroht hatte’ (Np 90, 1; zit. nach Müller & Frings 21959: 46)

(56)

a. tarana habest tu reht daran hast du Recht ‚darin hast du Recht’ (Nb 169, 22 [182, 9]; zit. nach Müller & Frings 21959: 46) b. irteile ube ih recht habe . daz ih daz keloubo urteile ob ich Recht habe dass ich das glaube daz ih nesieho das ich NEG.sehe iudicia causam meam

daz das

70 ‚urteile, ob ich Recht darin habe, dass ich das glaube, was ich nicht sehe’ (Np 73, 22; zit. nach Müller & Frings 21959: 46)

Auch im Mhd. sind Präpositionalobjektsätze bezeugt: 13. Jahrhundert (57)

a. wir cherten allen vnsern vliz darzv, daz wir in vlizchlichen enpfiengen (St. Pauler Predigten 16, 9) b. GLHǕLQWGDzu geǕH]LWGD 20 ǕLH GLHPHQLǕF hi)n be-||(warin. (Lucidarius (G) 102) c. Daz ime nivt dar ane genvgete. daz er din vader was. (Salomons Haus 425)

14. Jahrhundert (58)

a. LFK KDQLYFK HUZHOW YQG KDQ LYFK GDU ]Y࢓ JHVetzet, daz ir get vnd wucher bringet, (Baumgarten geistlicher Herzen 433, 23) c. Wir süllen ouch unser begirde und unser minne twingen dar zuo, daz wir in minnende werden von allem herzen, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 262, 19) d. Und kêrest aber dich alsô wêning dar zuo, daz diu gnâde des sacramentes niuwen über lang ein tröpfelin in dîn herze vellet, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 284, 26) e. wan di teilhaftikeit des lîdenes unses herren enlît nit an deme enphengnisse der erbesunde, sundern iz lît hirane, daz ein mensche mit bekentnisse und mit grôzer minne kêre ûffe daz lîden unses herren. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 19, 13)

In manchen Texten ist bei bestimmten Matrixprädikaten sowohl die Variante mit overtem Korrelat (Pro-PP) als auch die Variante ohne Korrelat bezeugt, (59) vs. (60). Es ist möglich, dass wir hier bereits die von Breindl (1989) beschriebene moderne Platzhalterkonstruktion beobachten, für die ja die Fakultativität des Korrelats charakteristisch ist. (59)

a. dar nach flize dich. daz die gnade werde gemerit. andime herzen. (Salomons Haus 436) b. daz machtv dar ane provin. daz von der vberflvzzekeit siner gvde. alle svndere gereiniget sint. (Salomons Haus 438) c. daz mac man dar ane merken. vnde provin. daz er siner frvnde herze twingit vnde inpengit. (Salomons Haus 439)

____________________ 20

daz in den Hss. A,B

71 (60)

a. so flize dich. daz din herze reine sie. (Salomons Haus 424) b. Her nach so salt dv proven vnde merken. Daz salomon daz gezimbere hat gemath. vffe silberine svle. (Salomons Haus 421)

Was angesichts der Häufigkeit des demonstrativen Korrelats auch bei ‚nichtpräpositionalen’ Argumentsätzen überraschend ist, ist, dass bereits in den Texten des 8. und 9. Jahrhunderts auch das schwachtonige Pronomen iz verwendet wird, (61). Im Isidor und im Tatian finden sich zwar jeweils nur ein entsprechender Beleg (bei beiden ist das Korrelat gegen die Vorlage eingefügt), bei Otfrid dagegen eine ganze Reihe. (61)

a. hear saar after nu ... eu izs archundemes, hier sogleich danach nun euch es-AKK demonstrieren dhazs ir selbo christ ist chiuuisso got ioh druhtin. 21 dass er selbe Christ ist gewiss Gott und Herr ‚hier sogleich danach wollen wir es euch zeigen, dass er selbst, Christus, gewiss Gott und Herr ist’ deinde quia idem deus et dominus est ... demonstremus. (Isidor III, 1, He 4, 6) b. thanne furstant& ir iz . thaz ih iz bin. dass ich es bin dann versteht ihr es-AKK ‚dann erkennt ihr es, dass ich es bin’ tunc cognosc&is. quia ego sum. (Tatian 216, 28) c. giuuisso ságen ih iz iu · thaz man sie nénnit thar gewiss sage ich es-AKK euch dass man sie nennt dort zi thíu zu dem ‚wahrhaftig sage ich es euch, dass man sie dort dazu zählt’ (Otfrid III 22, 50) d. Éigun sie iz bithénkit · thaz VtOODEDࡆ ҕ in ni uuénkit · dass Silbe ihnen NEG fehlt haben sie es-AKK bedacht ‚haben sie es bedacht, dass ihnen keine Silbe fehlt‘ (O I 1, 23)

Es stellt sich die Frage, ob es sich bei diesen frühen Vorkommen um ein echtes Platzhalter-es oder lediglich ein anaphorischem es handelt. Anders ausgedrückt, es geht darum, herauszufinden, ob sich die Matrixprädikate wie die gwd. Verben des bedauern-Typs verhalten oder wie die des behaupten-Typs. Um ____________________ 21

Vgl. Abschnitt 3.2.2 und Axel (2007: 103, Fn. 83) zur ungewöhnlichen Verbstellung in diesem dhazs-Satz.

72 das entscheiden zu können, müsste man prüfen, ob iz jeweils in einem Satz mit weitem Neuinformationsfokus auftritt. Ist das der Fall, dann könnte man annehmen, dass sich in diesem frühen Stadium schon ein echtes Platzhalteres entwickelt hat. Tritt iz nur in Sätzen auf, in denen der Inhalt des relevanten Nebensatzes entweder vorerwähnt oder aus dem bereits Gesagtem bzw. der Kommunikationssituation ableitbar ist, lässt sich ein anaphorischer Bezug für iz konstruieren. Wenn aber keine positive Evidenz für unzweifelhaftes Platzhalter-iz vorhanden ist, bleibt offen, ob diese Konstruktion im Ahd. schon existierte. Wie bereits Erdmann (1874, Bd. II: 87) aufzeigt, deuten in Otfrid die akkusativischen Pronomina iz und thaz „oft nicht auf ein vorher erwähntes Subst., sondern entweder auf die in einem anderen Satz erhaltene Tätigkeit desselben Verbum, bei dem sie stehn, hin“. Er (ibid.: 88) erwähnt sogar, dass bei Verben der Rede und Mitteilung (und ähnlichen Verben) „eine für uns überflüssige Rückdeutung durch i‫ ٘א‬auftritt. Solche Verwendungen belegen eindeutig, dass iz auch als anaphorische Proform verwendet wurde. Problematisch ist, dass sich bei Korpusbelegen die Kontextgestaltung nicht kontrollieren lässt, wie das bei konstruierten Daten der Fall ist, bei denen man ja gemeinhin – so auch Sudhoff (2003) – den Fragetest anwendet, um sicher zu stellen, dass der Antwortsatz weiten Informationsfokus hat. Im Isidor, Tatian, Otfrid und in Notkers Consolatio sind nach meiner Zählung insgesamt ca. 20 Belege mit akkusativischem izs/iz zu finden, das mit einem dhazs- (thaz-, daz-) Satz assoziiert ist. 22 In keinem Fall tritt der iz-enthaltende Satz diskursinitial auf, was ein recht sicheres Indiz für weiten Informationsfokus wäre. Bei allen Belegen ist ein anaphorischer Bezug nicht auszuschließen, bei der großen Mehrheit liegt er sogar sehr nahe. So ist zum Beispiel in dem Isidor-Beleg in (61)-a der Inhalt des dhaz-Satzes („dass Christus Gott und Herr ist“) in der Überschrift HEAR QUIDHIT UMBI DHAZS CHRISTUS GOT ENDI DRUHTIN IST (Isidor III, He 4, 1) vorerwähnt. Bei dem Tatianbeleg in (61)-b geht es in den vorangehenden Bibelversen (Joh 8, 12–27) um die Identität und Selbstaussage Jesu. Bei dem Otfridbeleg, (61)-d, wird im vorausgehenden Diskurs bereits auf die Prüfung der Versfüße und damit auf die im thaz-Satz erwähnte metrische Ordnung Bezug genommen. Ähnliches ließe sich für jeden der oben erwähnten 20 Belege argumentieren. In den mhd. Texten ist die Datenlage nur teilweise umfangreicher. Lediglich auf den ersten 140 Druckseiten des Prosa-Lancelot kommen akkusativisches oder genitivisches es 23 oder seine Reduktionsformen bei das-Sätzen immerhin 21mal vor, und zwar bei den Prädikaten arnen, bitten, dârzu brin____________________ 22 23

Darüber hinaus enthalten diese Texte Belege mit infinitem Nebensatz. Diese wurden hier nicht berücksichtigt. Im Mhd. liegt im Akkusativ und Genitiv Kasussynkretismus vor.

73 gen, 24 bezûgen, (62)-a, brûfen und bewern, frô sîn, fur wâr haben, gnâden, glauben, nemen, schweren, sehen, thun, sagen, undanck sagen, understên, vertragen, wênen, (62)-b, wißen (vgl. auch Schieb 1972: 182f.): (62)

a. das ich es wil bezugen off synen lip mit dem mynen das ich han gesehen und gehort das ... (Lancelot 11, 4) b. Man went es auch wol da er yczunt ist, das er noch ein groß herre werde. (Lancelot 45, 33)

Die entsprechenden gwd. Prädikate lassen kein Platzhalter-es zu, wie man leicht überprüfen kann, indem man jeweils ein Beispielsatz konstruiert, bei dem weiter Neuinformationsfokus vorliegt. In den weiteren hier untersuchten Prosatexten ist das schwache Pronomen iz/es bei Objektsätzen nur sehr sporadisch bezeugt: (63)

a. und raden wir iz, daz in dissen virzig dagen iren lib huden mit aller reinikeide (Oxforder Benediktinerregel 27, 10) b. Dô gebôt her sînen jungeren daz si iz nîmant sagiten, daz her Jhêsus Christus wêre. (Evangelienbuch Beheim 40; Mt 16, 20)

Häufiger wird das schwache Pronomen nur bei Subjektsätzen verwendet: (64)

a. wande iz kvmit dicke also. ... daz sin herze wird inpengit. zv gode. (Salomons Haus 427) b. Unde iz geschach, do sente Elyzabeth horte Mariam gruz, daz sich daz kint in irme lybe vrouwete (Berliner Evangelistar 3, 10; Lk 1, 41)

Da in schriftlichen Quellen eine Unterscheidung zwischen dem Platzhalter und der anaphorischen Proform nur sehr schwer zu treffen ist und die Belegzahlen bei Objektsätzen für es insgesamt eher schmal ist, soll die Frage, ab wann es einen eindeutigen Nachweis für Platzhalter-es gibt, hier nicht weiter verfolgt werden.

____________________ 24

Vgl. hierzu auch Paul (1919: 244, § Anm. 2): „Ungehörigerweise wird zuweilen dem Verb ein es vorangeschoben, wo der davon abhängige daß-Satz nicht Subj. oder Obj. ist (vgl. die folgende Paraphrasen): ... wenn es Ihnen denn so sehr daran liegt, daß sie nun doch ernannt werden.“

74 2.3.3 Extraktionstransparenz Das wahrscheinlich sicherste Indiz für Komplementsatzstatus ist die Extraktionstransparenz: Konstruktionen, bei denen eine w-Phrase oder eine ‚normale’ XP aus einem thaz-Satz extrahiert wurde, bieten laut Huang (1982) Evidenz, dass der zweite Satz das syntaktische Komplement des ersten ist. Adjunktsätze sind dagegen nach allgemeiner Annahme Extraktionsinseln. Sowohl die lange w-Extraktion als, wenn auch viel seltener, die lange Topikalisierung sind bereits im Ahd. bezeugt (s. auch Axel & Kiziak 2007). Wir betrachten zunächst die frühen Prosatexte aus dem späten 8. und dem beginnenden 9. Jahrhundert. Im Isidor ist kein Beleg überliefert. Dies ist jedoch nicht weiter erstaunlich, da die Zahl der selbständigen Ergänzungsinterrogativsätze im Isidor insgesamt nicht sehr hoch ist (23 Belege, die elliptischen Belege nicht mitgerechnet) (vgl. Petrova und Solf 2009). In den Monseer Fragmenten ist diese Zahl zwar noch niedriger (14 auswertbare – d.h. nicht zu fragmentarische – Belege), jedoch sind darunter immerhin zwei beinahe vollständig überlieferte Beispiele für lange w-Extraktion: (65)

a. huuaz uuellet ir daz ih · iu tuoe · 25 was-AKK wollt ihr dass ich euch tue-KONJ ‚was wollt ihr, dass ich für euch tue?’ quid uultis ut faciam uobis? (Monseer Fragmente XIV, 24; Mt 20, 32) b. Inu huuenan meinit · ir · daz ih sii INT.PART wen-AKK meint ihr dass ich sei ‚wer meint ihr, dass ich sei?’ Uos autem quem me esse dicitis: (Monseer Fragmente XXXVIII, 1; St. Augustini Sermo)

Gegen diese frühen Belege könnte der Einwand formuliert werden, dass es sich nicht um eine native, sondern um eine übersetzungs- bzw. lehnsyntaktische Konstruktion handelt: In der entsprechenden lateinischen AcIKonstruktion in (65)-b steht ebenfalls die w-Phrase vor dem regierenden Verb, obwohl sie das Objekt des regierten Verbs ist. Die Annahme von Übersetzungssyntax würde auch erklären, warum die ahd. w-Phrase in (65)-b akkusativischen Kasus trägt statt nominativischen, wie es bei Vorliegen einer Extraktionskonstruktion, bei der die extrahierte w-Phrase den Kasus vom eingebetteten Verb zugewiesen bekommt, zu erwarten wäre. In der Glossierung in (65)-a wird huuaz als Akkusativ ausgewiesen. Das wäre der Kasus, der nach der Extraktionsanalyse (huuazi uuellet ir t'i daz ih iu ti tuoe) zu er____________________ 25

Die Kursivierungen in den Belegen aus den Monseer Fragmenten kennzeichnen in der Ausgabe von Hench (1890) rekonstruiertes Material.

75 warten wäre, denn das Verb tuon regiert den Akkusativ. Angesichts des Belegs (65)-b könnte man jedoch argumentieren, dass der Übersetzer nicht deshalb den Akkusativ gesetzt hat, weil sein deutsches Sprachvermögen die Syntax der w-Extraktion umfasste, sondern aus dem rein mechanischen Grund, dass der lateinische Akkusativ quid nachgeahmt wurde. 26 Dasselbe Argument könnte auch bei Beleg (66) vorgebracht werden, der zwar nur bruchstückhaft überliefert ist, bei dem aber noch erkennbar ist, dass die w-Phrase im Akkusativ steht. Auch hier könnte der Kasus sowohl durch das Lateinische motiviert sein als auch durch das Ahd.: Zwar ist das abhängige Verb nicht überliefert, jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die deutsche Übersetzung von lat. dimittare ein Verb war, das den Akkusativ regierte, z.B. das Verb forOƗ]DQ. (66)

Huuederan uuellet daz *** barraban · odo LKnjVDQ der welchen-AKK wollt dass Barabas oder Jesus der xЙ۷Ѹ‫ټټټ‬ Christus ‚wen wollt ihr, dass ich begnadige, Barrabas oder Jesus, der Christus?’ quem uultis dimittam uobis, barraban an iesum qui dicitur christus? (Monseer Fragmente XXIV, 29; Mt. 27, 17)

Gegen die Annahme von reiner Übersetzungs- bzw. Lehnsyntax spricht allerdings, dass in Belegen wie (65)-b die AcI-Konstruktion nicht einfach mechanisch übertragen wurde, sondern im Deutschen statt des Infinitivs ein finiter Satz realisiert wurde, der durch die Konjunktion daz eingeleitet wird. Bei akkusativischen w-Phrasen ist auch nicht vollständig auszuschließen, dass es sich um eine völlig andere Konstruktion handelt, und zwar um eine, die in nhd. Übersetzung folgendermaßen lauten würde: Was/Von was wollt ihr, dass ich es euch tue?. Bei dieser Konstruktion liegt keine Extraktion der w-Phrase vor, sondern die Objektstelle im dass-Satz wird durch ein anaphorisches Pronomen besetzt. In den ahd. Beispielen ist kein anaphorisches Pronomen overt verhanden, man könnte allerdings spekulieren, dass es durch pro-drop ausgelassen wurde: (67)

huuazi uuellet ir [daz ih iu proi tuoe] ·

Diese Analyse würde voraussetzen, dass im Ahd. Objekt-drop möglich war, was sich allerdings nicht nachweisen lässt. Lediglich Subjektpronomina mussten im Ahd. des 8. und 9. Jahrhunderts nicht overt realisiert werden, wenn sie sich in post-finiter Position befanden (Axel 2005, 2007: Kapitel 6, ____________________ 26

Rein morphologisch betrachtet könnte huuaz natürlich auch ein Nominativ sein. Das wäre jedoch weder durch die Übersetzungssyntax- noch durch die Extraktionshypothese zu erklären.

76 Axel & Weiß 2011). Ein entsprechender Beleg mit overtem anaphorischem Pronomen findet sich in Otfrid, 27 wobei hier das durch das anaphorische Pronomen wiederaufgenommene Element keine w-Phrase, sondern eine nichtinterrogative XP ist: (68)

Then qued& iĚ ... thaz er si drúhtin unser den sagt ihr dass er sei Herr unser ‚von dem sagt ihr, dass er unser Herr sei’ (Otfrid III 18, 43) nach Joh 8, 54: quem vos dicitis quia deus noster est

Eine ähnliche Analyse hatte wohl Blatz (31896, Bd II: 978) im Sinn, denn er fasst zusammen: Ist das Frageglied Subjekt, so kann es auch durch grammatische Rektion mit dem regierenden Verb als Objekt verbunden werden, zunächst als Akkusativ, z.B. Wen lesen wir, daß dem Moses erschienen ist? (statt: Wer lesen wir, daß erschienen ist?) – dann mittels v o n, gewöhnlich unter Wiederholung des Fragegliedes durch ein Pronomen, z.B. Von wem lesen wir, daß er dem Moses erschienen ist? – Von wem sagte ich, daß er der Entdecker des Sauerstoffes gewesen ist? Diese Umschreibung des Fragegliedes mittels v o n überträgt sich sodann auch auf die Fälle, in denen das Frageglied nicht Subjekt ist, z.B. Von welchen Gemälden will er denn, daß ich mich darauf berufen soll. (Blatz 31896: 978)

Auch bei Otfrid gibt es Belege, bei denen die Kasuseigenschaften so sind, wie sie nach einer Extraktionskonstruktion zu erwarten wären. In Beleg (69)a steht die w-Phrase im Nominativ, wie es aufgrund der Kopulakonstruktion im thaz-Satz zu erwarten ist. 28 In (69)-b ist aufgrund des Kasussynkretismus von waz nicht zu entscheiden ist, ob Nominativ, wie nach der Extraktionsanalyse zu erwarten, oder Akkusativ vorliegt. ____________________ 27

28

Vgl. hierzu auch Behaghel (1928: 551): „Eine weitere Stufe der Entwicklung war es, daß man dem Nebensatz das gemeinhin fehlende Subjekt oder Objekt verlieh“. Behaghel führt hierfür (ibid.: 550) u.a. folgende Belege an: „T. 122, 3 thie mannes sun quementi wanis thu thaz er fundi giloubon? (verumtamen filius hominis veniens putes invenit fidem in terra), O. III 18, 43 then quedet ir, thaz er si druhtin unser“. Der Beleg ist keine direkte Übersetzung eines Bibelverses, sondern Teil einer längeren Paraphrase von Mt 16, 13 quem dicunt homines esse filium hominis? ‚Was sagen die Menschen, wer der Menschensohn ist’ bzw. ‚Wer sagen die Menschen, dass der Menschensohn ist?’. Hier kommt im Übrigen übersetzungssyntaktischer Einfluss allein schon deshalb nicht in Frage, weil bei der lateinischen AcI-Konstruktion die w-Phase im Akkusativ steht, in dem ahd. Beleg jedoch im Nominativ.

77 (69)

a. uuer quédent sie theih 29 sculi sín · wer sagen sie dass-ich solle sein ‚wer sagen sie, dass ich sein müsse?’ (Otfrid III 12, 8) b. uuaz uuánist thaz er uuérde ? was wähnst dass er werde ‚was glaubst du, dass er werde’ nach Lk 1, 66: Quid, putas, puer iste erit ... (= Marginalie) (Otfrid I 9, 39)

Im Tatian sind ebenfalls eine Reihe von w-Extraktionen belegt, und zwar sowohl Argumentextraktionen, (70), als auch Adjunktextraktionen, (71): (70)

a. uuenan uuollet ir thaz ih 30 íu forlázze, ʜ barrabban wen wollt ihr dass ich euch begnadige Barrabas oda then heilant oder den Heiland ‚wen wollt ihr, dass ich begnadige, Barrabas oder den Heiland?’ Quem ergo uultis dimittam uobisʜ barabban an ihesum (Tatian 310, 30) b. inti uuemo uuanu íh tház íz gilih sí und wem glaube ich dass es gleich sei ‚und wem glaube ich, dass es (= das Reich Gottes) gleiche?’ & cui simile esse existimabo illud. (Tatian 109,15)

(71)

uuár uuili thaz uuir garauuemes ... wo willst dass wir bereiten ‚wo willst du, dass wir bereiten ...?’ ubi uis paremus ... (Tatian 272, 8)

5F

Im Spätahd. sind w-Extraktionen in Notkers Werken bezeugt, was auch für die Nativität der Konstruktion spricht, denn Notker gilt gemeinhin als der beste ahd. Übersetzer. In machen Belege aus der Consolatio, z.B. (72)-a, ist gar keine direkte lateinische Entsprechung vorhanden, da sie aus dem Kommentar- bzw. Paraphraseteil stammen. ____________________ 29

30

Problematisch ist, dass bei der Form theih in dem Beispiel auch das Relativpronomen ther oder die Relativpartikel the und enklitisches ih vorliegen könnte. Behaghel (1928: 549) führt das Beispiel unter den dass-Sätzen an. Auch Wunder (1965: 236) geht davon aus, dass bei Otfrid III 12, 8 eine Verschmelzung mit der Konjunktion thaz vorliegt. In der Edition von Masser (1994) steht ich. Dabei handelt es sich um einen Fehler, wie man leicht durch Abgleich mit dem elektronischen Faksimile (http://www.ecodices.unifr.ch/de/list/one/csg/0056) herausfinden kann.

78 (72)

a. uuélên uuéhsel múgen uuír chéden . dáz tîe welchen Wechsel vermögen wir sagen dass die lîdên.? erleiden-KONJ ‚von welcher Veränderung vermögen wir zu sagen, dass diese sie durchmachen?’ (Notker Boethius IV 216, 1) b. Uuélih chád si daz stíur-rûoder sî . … welches sagte sie dass Steuerruder sei ‚welches sagte sie, dass das Steuerruder sei ….?’ Quibus ait illa gubernaculis mundus regatur. (Notker Boethius III, 172, 11)

Insbesondere die Vorkommen bei Otfrid, bei denen die Kasuseigenschaften von einem potentiellen lateinischen Vorlagensatz abweichen, und die Belege bei Notker sprechen für die Nativität der Konstruktion. Die Tatsache, dass auch in den Monseer Fragmenten Extraktionen durchaus belegt sind, obwohl die Zahl von Ergänzungsinterrogativsätzen insgesamt nicht hoch ist, lässt sich darauf zurückführen, dass bestimmte lateinische Konstruktionen den Gebrauch der Extraktion im Deutschen begünstigen, weil dadurch eine möglichst vorlagengetreue Übersetzung hergestellt werden kann. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Behaghel, der darüber hinaus noch darauf verweist, dass in den nhd. Mundarten die Konstruktion immer noch gebräuchlich ist: Diese Verschränkung stammt nicht aus der Fremde, wie schon ihr Vorkommen in der Mundart beweist; ihr Auftreten ist aber zweifellos begünstigt worden durch das Vorbild lateinischer Verschränkungen, die den Akk. und Infin. enthalten (Socrates, quem scimus Athenis vixisse); so erklärt sich das ungemein häufige Vorkommen der Fügung bei Lessing. (Behaghel 1928: 551)

Seine Hypothese zur Entstehung und Entwicklungsgeschichte der Konstruktion skizziert Behaghel (ibid.: 551f.) wie folgt: Ursprünglich sei das regierende verbum declarandi als Schaltsatz (Parenthese) in den Satz eingeschaltet worden, aus dem sich später der dass-Satz entwickelt habe. Diese Konstruktionsweise sei unter anderem in folgendem Beleg aus den MüllenhoffScherer‘schen Denkmälern bezeugt: der, chit man, vara uber daz rota mere. Für diese Hypothese spreche auch, dass Belege auftreten, bei denen die formale Unterordnung des zukünftigen Nebensatzes noch nicht vollzogen sei, wie etwa bei folgenden Belegen von Luther: welchs mich dünckt kein schwermer verstehet, was meinestu, wil aus dem Kindlin werden. In einer zweiten Stufe habe man dann die gesamte Fügung als „Einheit empfunden und nun auch formal die Verbindung zwischen Verbum und dem Rest des Satzes hergestellt“. Damit meint Behaghel sicherlich, dass eine subordinie-

79 rende Konjunktion (dass) eingefügt wurde. Diese Hypothese zur Entstehung ist nach modernem Theoriestand nicht überzeugend, da sie einen radikalen Reanalyseschritt involviert, im Zuge dessen sich der Gastgebersatz der Parenthese von einem selbständigen in einen unselbständigen Satz entwickelt. Darüber hinaus sind die Belege von Luther, die ein spätes Zeugnis über ein Stadium ablegen sollen, bei dem es noch keine formale Unterordnung gab, sehr unterschiedlich: Der Beleg aus dem Lukasevangelium lässt sich parallel zu dem ahd. Beleg aus den Müllenhoff-Scherer‘schen Denkmälern als parenthetische Konstruktion analysieren, bei dem die V1-Parenthese meinestu nach der w-Phrase in den Wirtssatz eingeschoben ist: was [meinestu] wil aus dem Kindlin werden. Damit bezeugt er kein weiteres Stadium. Bei dem anderen Beleg ist eine Parentheseanalyse nicht naheliegend, da VerbzweitParenthesen (mich dünckt) statt Verberst-Parenthesen (dünckt mich) oder soParenthesen (so dünckt mich) in der Regel nicht auftreten. Da es auch im Frnhd. sporadisch noch asyndetische Verbendobjektsätze gab (vgl. Kapitel 3), liegt es nahe, den Beleg als einen Fall von Extraktion aus einem solchen asyndetischen Satz mit möglicherweise einem Nullkomplementierer zu analysieren, wobei hier nicht wie in den oben diskutierten Belegen eine interrogative w-Phrase extrahiert wurde, sondern eine relative und der übergeordnete Satz entsprechend ein Relativnebensatz ist und kein selbständiger wInterrogativsatz: 31 (73)

welchsi mich dünckt [t'i kein schwermer ti verstehet]

Wenn diese Analyse korrekt ist, dann bieten derartige Beispiele keine Evidenz für einen Zwischenschritt, sondern sind schon echte Extraktionsdaten. Neben der w-Extraktion ist auch die sogenannte lange Topikalisierung seit dem Ahd. bezeugt, wie die folgenden Beispiele belegen: (74)

a. Thar quád man thaz tho uuári · fihuuuíari dort sagte man dass dann wäre Viehweiher ‚dort sagte man, dass damals ein Viehweiher war’ (Otfrid III 4, 3)

____________________ 31

Die Extraktion des Relativpronomens oder Fragepronomens in einen abhängigen Satz scheint im Mhd., Frnhd. und Nhd. recht gebräuchlich zu sein: z.B. Sage alles, was du glaubst, daß ihm ein Sohn sagen muß (Lessing; zit. nach Blatz 1896: 930). Weitere Belege sind in Blatz (31896: 930f.), Behaghel (1928: 548f.), Paul (1919: 319–321, 1920: 321) zitiert, wobei allerdings nicht alle Belege einschlägig sind, da z.T. auch solche angeführt werden, bei denen im dass-Satz ein anaphorisches Pronomen vorhanden ist und also keine Extraktion vorliegt.

80 b. Ióh spílogérnêr chád man dáz er uuâre. und mutwilliger sagte man dass er wäre ‚und mutwilliger sagte man, dass er war’ Ac pronus in petulantiam referebatur. (Notker Martianus Capella 101, 14; zit. nach Eilers 2003: 108)

Was die Matrixprädikate angeht, so handelt es sich vornehmlich um verba dicendi (TXHGDQVDJƝQ) sowie um das Verb wellen, die auch noch im heutigen Deutsch gute Brückeneigenschaften aufweisen. In den mhd. Texten sind ebenfalls w-Extraktionen in den Übersetzungen der oben bereits erwähnten Bibelstellen belegt. So wird Mt 27, 17 im Evangelienbuch für Matthias Beheim wie in (75)-a wiedergegeben. (75)

„Wen wolt ir daz ich ûch lâze: Barraban. odir Jhêsum der geheizen ist Christus?“ (Evangelienbuch Beheim 66; Mt 27, 17)

Im Berliner Evangelistar variiert die Übersetzung von Mt 16, 13 und Mt 16, 15 zwischen einer Relativ- und einer Extraktionskonstruktion, vgl. (76)-a vs. (76)-b. Bei Lk 18, 41 wird eine Extraktionskonstruktion gebraucht, vgl. (76)c. (76)

a. ‘wen sprechen dy lute der des menschen sun sy?‘ 32 (Berliner Evangelistar 133, 22, Mt 16, 13) b. ‘waz sprechit ir daz ich sy?’ (Berliner Evangelistar 133, 25, Mt 16, 15) c. ‘waz wiltu das ich dir tu?’ (Berliner Evangelistar 18, 18, Lk 18, 41)

Auch außerhalb der Bibelsprache sind lange Extraktionen bzw. lange Topikalisierungen bezeugt: (77)

a. welche wenent ir das edeler under uch zwein sy, (Lancelot 94, 21) 33 b. Zu dißem geriecht wurden diße gesaczt ... die sie wönden das yn recht darzu keme. (Lancelot 120, 17) 34

____________________ 32

33 34

Im Evangelienbuch für Matthias Beheim (Bechstein 1867/1966) findet sich als Übersetzung von Mt 16, 13 und Mt 16, 15 dagegen jeweils eine AcI-Konstruktion: „Wen sprechin di lûte sîn des menschin sun?“ (ibid.: 39) und „Abir ir, wen sprechit ir mich sîn? (ibid.: 40). Vgl. auch Schieb (1972: 201). Ein ähnlicher Beleg ist Lancelot 119, 39. Vgl. auch Schieb (1972: 210).

81 c. war vmbe wenistv. wolde er. daz dv in vader namedes. vnde dv sin kind weres. (Salomons Haus 425) d. Die tugent wil ich, daz dû ouch lernest von Jêsu Kristô. (David von Augsburg: Traktate 340, 12)

Es gibt im Lancelot auch Belege, in denen der abhängige Satz nicht durch die Konjunktion daz, sondern wie in Beleg (75)-b aus dem Berliner Evangelistar durch ein Relativ- oder Interrogativpronomen eingeleitet wird. In diesem Fall liegt natürlich keine Extraktion vor, denn das Pronomen fungiert als Subjekt oder Objekt des Verbs im abhängigen Satz. (78)

a. Das ist auch wol recht das der man dem allerbest getruwe den yn duncket der yn lieb hab. (Lancelot 89, 29) 35 b. Sagent mir was irselb wollent was ich herumb thun. (Lancelot 72, 8) 36

Auf die Konstruktion wird auch in Blatz (31896: 978) hingewiesen. Er zitiert neben mhd., (79)-a, auch frnhd. und nhd. Beispiele, bemerkt aber, dass das Phänomen im Nhd. „ziemlich veraltet” (ibid.) sei. (79)

a. Wër wænestû dër ëz sage dëm Bernære? (Gedicht von der Schlacht vor Rabene (Ravenna); zit. nach Blatz 31896: 979) b. Wer meinestu wol, der ein Mitleiden mit deiner armen Seel und ihrer Verdammnus haben werde? (Simpl.; zit. nach Blatz 31896: 979) c. Was wollen Sie, das noch geschehen soll? (Schill.; zit. nach Blatz 31896: 979)

Zu Schillers Zeiten wurde – wie im heutigen Deutsch – die Konjunktion dass von dem Relativpronomen das orthographisch unterschieden. Im Ahd. und Mhd. war das noch nicht der Fall. Das führt dazu, dass Belege mit dem Interrogativpronomen waz wie in (65)-a, (69)-b und (76)-c ambig sind: Entweder handelt es sich um eine Relativsatzkonstruktion, in der der abhängige Satz durch das Relativpronomen im Neutrum Akkusativ eingeleitet wird, oder um eine Extraktionskonstruktion, bei der der abhängige Satz durch die Konjunktion dass eingeleitet wird. Trotzdem gibt es im Mhd. auch unambige Belege für die Extraktionskonstruktion (vgl. z.B. die oben zitierten Belegen aus Beheims Evangelienbuch und dem Prosalancelot). ____________________ 35 36

Vgl. auch Schieb (1972: 209f.). Vgl. auch Schieb (1972: 200).

82 Behaghel (1928: 549) zitiert eine Reihe weiterer mhd. Belege mit langer Extraktion bzw. langer Topikalisierung, bei einigen ist eine Relativsatzanalyse ebenfalls ausgeschlossen: (80)

a. wie wildu daz ich tuo (Trist. 8446; zit. nach Behaghel 1928: 549) b. wer wiltu waenen, daz du sis (Eraclius 3235; zit. nach Behaghel 1928: 549) c. tiefe mentel wit sach man daz si truogen (Kutr. 333, 2; zit. nach Behaghel 1928: 550)

Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass im Mhd. aus daz-Sätzen extrahiert werden konnte. 37 Was das Frnhd. angeht, gibt es eine ganze Reihe von Beispielen in Luthers Bibelübersetzung. Die Bibelstellen, die bereits im Ahd. Extraktionen enthalten, werden auch bei Luther durch Extraktionskonstruktionen übersetzt (Behaghel 1928: 549). In der Sekundärliteratur (Ebert et al. 1993: 484, § S 318) werden darüber hinaus einige Belege mit vornehmlich langer Topikalisierung auch aus autochthonen Texten zitiert, die zweifelsfrei nachweisen, dass die Konstruktion auch im Frnhd. nativ und produktiv war. Nhd. Belege für lange w-Bewegung und lange Topikalisierung werden bei Behaghel (1928: 549) und Paul (1919: 320f.) angeführt. In Lessings Werken finden sich besonders viele Beispiele. Andersson & Kvam (1984: 104–107) schließen aus den Belegsammlungen von Paul und Behaghel, dass die Konstruktion ab etwa 1830 seltener wird, denn die jüngsten Belege sind aus Auerbach, Nestroy, Rückert und Storm. Es lasse sich nicht nachweisen, dass der Rückgang im 19. Jahrhundert auf normative Bestrebungen zurückzuführen sei. Im Gegenteil: Die sprachpflegerische Literatur habe die Konstruktion sogar befürwortet. Deswegen gehen die Autoren davon aus, dass die Marginalisierung der Konstruktion in der Standardsprache ein spontaner Vorgang ist. Zusammenfassend kann man festhalten, dass in allen Sprachstufen, auch schon im Ahd., Extraktionen aus dass-Sätzen bezeugt sind. Zwar sind insbesondere bei den ahd. und mhd. Belegen nicht alle gleich beweiskräftig – in manchen Fällen können übersetzungs- bzw. lehnsyntaktische Einflüsse nicht ausgeschlossen werden, außerdem kam es durch eine alternative Relativkon____________________ 37

Daneben lässt sich – wie für das Ahd. – die alternative Konstruktion mit resumptivem Pronomen nachweisen: (i) Ouch ist ein tier unte heizzit Einhurno. uon deme zellit Physiologus, daz iz suslich gislâhte habe. (Physiologus 10) (ii) Des manen ich uch das irs thúnt off uwer koniglich truwe (Lancelot 100, 3) (vgl. auch Schieb 1972: 191) (iii) und all uwer sorg was, den ir gebent, das sieß nicht ennemen woltent (Lancelot 62, 22) (vgl. auch Schieb 1972: 213)

83 struktion teilweise zu Ambiguitäten –, jedoch sind auch für diese Sprachstufen bereits eindeutige, unambige Extraktionskonstruktionen nachweisbar. Für den Status des thaz/daz-Satzes zeigt dies zweierlei: Erstens muss er der Condition on Extraction Domains (Huang 1982) zufolge schon im Ahd. im Rektionsbereich des Verbs stehen, also ein Komplementsatz im strikten Sinn sein. Wenn man nicht wie Büring (1995) und Büring & Hartmann (1995) davon ausgeht, dass die Extraktion vor der Extraposition erfolgt, bedeutet dies, dass der thaz/daz-Satz rechts von V0 basisgeneriert wird und das schon seit ahd. Zeit: (81)

VP 9‫މ‬

XP V

CP

thaz … Zweitens bietet die Extraktionskonstruktion Evidenz dafür, dass bereits im Vorahd. thaz, das sich ja nach gängiger Meinung aus dem Nominativ/Akkusativ Neutrum des Demonstrativpronomens thaz entwickelt hat, als Kopf reanalysiert worden war: (82)

a.

b. CP Spec thazi

CP C‫ڡ‬

ĺ

C ... ti ...

Spec

C‫ڡ‬ C thaz



Denn unter der Annahme, dass w-Extraktion (bzw. lange Topikalisierung) sukzessiv zyklisch erfolgt und die dargestellten Daten keine Fälle von ‚long movement’ im strikten Sinn sind (s. Lutz 1995: 25), muss die SpecC-Position als Zwischenlandeplatz zur Verfügung stehen, d.h. daz muss die C und nicht die SpecC-Position besetzen.

2.3.4 Selektion durch Präpositionen Fleischmann (1973: 178, 203), der anhand einschlägiger Grammatiken einen Überblick über die Diachronie der ‚Partikelverbindungen’ mit dass gibt, bemerkt, dass es im Ahd. noch keine zweiteiligen Fügungen aus Präpositionen

84 mit thaz-Sätzen gab. Es seien nur in thiu thaz, QƗKWKLXWKD]und unz thaz thaz belegt und diese seien als Relativkonstruktion zu analysieren. Für unsere Fragestellung sind diese Fügungen nicht einschlägig. Verbindungen mit thaz bieten nur dann mögliche Evidenz für den Komplementsatzstatus des thazSatzes, wenn thaz unmittelbar auf eine Präposition folgt. Bei Fügungen des Typs P + Dem.PronINSTR + thaz (LQWKLXWKD]QƗKWKLXWKD]) bzw. des Typs P + Dem.PronAKK + thaz (unz thaz thaz) liegt es nahe, den thaz-Satz als Attribut (bzw. als Adjunkt) zum Demonstrativpronomen zu analysieren, wobei zunächst offen bleibt, ob es sich, wie von Fleischmann postuliert, um einen Relativsatz handelt oder um einen Konjunktionalsatz. 38 Fleischmanns Einschätzung ist nicht ganz richtig: Zwar sind im Ahd. Fügungen aus P+thaz-Satz selten, es sind aber durchaus Belege nachweisbar. In den hier untersuchten Texten findet sich in Notkers Consolatio, also im Spätahd., die Fügung ƗQH GD] (wörtlich: ‚ohne dass’) in exzeptiver Bedeutung (‚außer’, ‚als wenn’), (83)-a. Behaghel (1928: 135) zitiert darüber hinaus einen Beleg für die Fügung fure daz in temporaler Bedeutung aus Notkers Psalmen, (83)-b. 39 (83)

a. Tîe nîeht ánderes ze_demo tôde nebráhta . ... Âne dáz die nichts anderes zu.dem Tod NEG.brachte ohne dass sîe uuâren gerárte nâh mînemo síte sie waren erzogen nach meiner Sitte ‚denen nichts anderes den Tod brachte, als dass sie nach meiner Sitte erzogen waren ...’ Quos nihil aliud detraxit in mortem. ... Nisi quod uidebantur instituti nostris moribus. (Notker Boethius I 16, 22)

____________________ 38

39

Sternefeld (2006, Bd. I: 202) argumentiert, dass im Gwd. die ‚Konjunktion’ nachdem der Kategorie P angehört, dessen DP Komplement dem in P inkorporiert ist. Entsprechend wäre dann die Fügung nachdem dass, die im modernen Standarddeutschen umgangssprachlich möglich ist (Sternefeld 2006, Bd. I: 202, Bsp. 22b), als P + dass-Komplementsatz zu analysieren. Die Frage ist noch offen, ab wann diachron von einer Inkorporation auszugehen ist. Das ab ca. 1300 nachweisbare nach dem daz hat sich zudem wahrscheinlich nicht aus ahd. QƗKWKLX thaz entwickelt. Weitere Belege aus Martianus Capella und dem Psalter (Belegstellen nach der Ausgabe von King (Hg.) (1979) bzw. Tax (Hg.) (1979, 1981): Notker Martianus Capella I 34,7; Notker Psalter 18 57, 23; Notker Psalter 53 184, 26; Notker Psalter 70 249, 15; Notker Psalter 93 348, 8f.; Notker Psalter 113 426, 8 u.v.a.m.).

85 b. fure daz er einest mih zuo imo zoh, vor/für dass er einmal mich zu ihm zog ‚seit er mich einmal zu ihm zog’ (Notker Psalter, N. II 15, 25; zit nach Behaghel 1928: 135)

In einer viel früheren Quelle, nämlich der Exhortatio (nach (802)), ist die Fügung unzi daz (Handschrift A) belegt (s. Behaghel 1928: 135 und 323, Müller & Frings 21959: 39f.). 40 Behaghel und Müller & Frings sehen in ihr eine Verkürzung aus unzi thaz daz 41, das in der Handschrift B auftritt: (84)

a. ... uuanta eo unzi daz iuuer eogaliher ... (Exhort., Hs. A; adaptiert aus Müller & Frings 21959: 40) b. ... uuuanta eo unzi daz thaz iuuer eogaliher the selpun weil je bis das dass euer jeglicher den selben galaupa sinan fillol kalerit za farnemanne ... Glauben seinen Sohn lehrt zu vernehmen ‚weil jeder von euch, solange er seinen Sohn lehrt, denselben Glauben zu verstehen ...’ quia donec unusquisque vestrum candem fidem filiolum suum ad intellegendum docuerit (Exhort. Hs. B; adaptiert aus Müller & Frings 21959: 39)

Für die Fügung unzi thaz kommen daher zwei Analysen in Frage: Entweder der thaz-Satz ist ein Komplement der Präposition, d.h. es handelt sich um die parallele Struktur zum verbalen Fall. Oder es liegt dagegen eine DP 42 mit leerem Kopf als Komplement von P vor. Motiviert wird letztere Analyse dadurch, dass statt des Leerelements auch das overte Pronomen thaz belegt ist. 43 Die thaz-CP ist somit kein Komplement von P, sondern quasi-explikativ ____________________ 40 41

42

43

Unz az im Tatian (Tatian 119, 2) geht nach Behaghel (1928: 323) wohl auf unz thaz zurück. Es ist „schwerlich aus untaz + unz gemischt“ (ibid.). Aus gwd. Sicht ist es erstaunlich, dass die Präposition unzi ein nominales Komplement (= thaz) nehmen kann, denn sie entspricht von der Bedeutung dem gwd. bis, das nur mit Präpositionalphrasen (z.B. bis zum Ufer) vorkommt. Wie in Paul (252007: § S67) vermerkt, ist es bei dem im Mhd. aufkommenden bis der Fall, dass pronominales daz als Komplement fungieren kann, obwohl nichtpronominale Ergänzungen ausgeschlossen sind. Die Frage, ob es im Ahd. überhaupt schon eine DP-Struktur gab (vgl. die Diskussion in Demske 2001), spielt für die vorliegende Argumentation keine Rolle. Wenn man von dieser Analyse ausgeht, müsste man die Annahme, dass das Pronomen phonetisch leer sein kann, mit der Einschränkung versehen, dass nur das akkusativische Pronomen nicht overt realisiert werden muss. Bei Präpositionen, die den Instrumental regieren, ist das Pronomen immer overt. – Statt einer Analyse

86 auf das leere DP-Komplement bezogen. 44 Vortheoretisch formuliert dies auch Behaghel (1928: 134): Zu den Fällen, wo der Satz mit daz den Inhalt eines vorausgehenden, substantivierten neutralen Pronomens veranschaulicht, gehören ferner die Sätze, in denen sich daz an eine Präposition anschließt, wo also ursprünglich das Pronomen daz und die Konjunktion daz zusammenstießen, so daß aber eines der beiden daz unterdrückt wurde: auf daß = auf das, daß. (Behaghel 1928: 134)

Die Analyse des dass-Satzes als Adjunkt zum demonstrativen Teil schlägt auch Weiß (1998: 34) für entsprechende Fügungen im heutigen Bairischen vor: (85)

a. durch des daß’a des scho keent hod, is’s eam laichda gfoin b. fia des daß’a des scho keent hod, is’s eam gor ned laichd gfoin c. no dem daß’a des keent hod, is’s eam laichda gfoin (Weiß 1998: 43, Bsp. 16a–16c)

Es gibt im Ahd. noch mehr Fügungen mit Präpositionen, die sowohl in zweials auch in dreigliedriger Form überliefert sind. So weisen Müller & Frings (21959: 38–46) daraufhin, dass in Notkers Psalter sowohl die Fügung thuruh thaz thaz als auch die Fügung thuruh thaz belegt ist. An einer Stelle findet sich in der St. Galler Handschrift die dreigliedrige Form und in der Wiener Handschrift die zweigliedrige. Auch wenn dagegen ƗQHGD]und fure daz bei Notker nur in zweigliedriger Form überliefert sind, so kann auch in diesen beiden Fällen nicht ausgeschlossen werden, dass die zugrunde liegende Struktur leeres nominales Komplement enthält und der daz-Satz keinen Komplementstatus hat. Im Mhd. ist eine größere Anzahl an Fügungen aus P + daz-Satz belegt. 45 Für die hier behandelte Fragestellung sind aber nur solche Belege einschlägig, bei denen das ‚Erstglied’ eindeutig die Kategorie P hat. Bei der Fügung ê daz, (86), ist das z.B. nicht der Fall, denn ê war im Mhd. polyfunktional, es war sowohl Adverb als auch Präposition und konnte darüber hinaus auch schon als Konjunktion verwendet werden.

____________________ 44 45

mit Nullpronomen könnte man auch eine Tilgungsoperation in Erwägung ziehen. Die Beantwortung dieser Frage ist für die Argumentation jedoch nicht relevant. Wie dies genau zu analysieren ist, muss hier offen bleiben. Generell wächst die Zahl mehrgliedriger Subjunktionen im Mhd. stark an. Prell (2001: 46) kommt anhand seiner Korpusuntersuchung zu dem Ergebnis, dass vor 1250 lediglich 2,6% aller subjunktionaler Einleitungen mehrgliedrig sind, nach 1250 jedoch immerhin 10,2%.

87 (86)

,QGHLǕHOELQ ODǕWLUYLHODOOL]PDQFKYQne. ê daz der heilige CKULǕWLQGLǕH werlt chôme. (Speculum ecclesiae 7, 23)

Da daz im Mhd. auch zu Konjunktionen hinzutreten konnte, die aus Adverbien abgeleitet sind, vgl. etwa die Fügungen sît daz und nu(n) daz (Paul 252007: § S 173, Nr. 10 und 11 sowie § S 180, Nr. 4), lässt sich bei der Fügung ê daz nicht entscheiden, ob ê hier überhaupt eine Präposition ist. Im mhd. Korpus sind jedoch auch Fügungen mit (eindeutigen) Präpositionen belegt, die im Ahd. nicht vorkommen wie z.B. biz daz, durch daz, ûf daz, daneben seltener auch unz daz und hinz daz: 46 (87)

a. EL]GDWPDQYHVSHUHOĤLW LQGHUNLUFKHQ]Ĥ6HQWKH%U\GHQ (Amtleutebuch St. Brigiden 50) b. biz daz si gestarkite in der gotis minne. (Mitteldeutsche Predigten 27) c. EL]GD]KHǕWDUE (Jenaer Martyrologium 9) d. biz daz si hie geligent (Baumgarten geistlicher Herzen 194, 27) e. biz daz si gebar iren êrstin gebornen sun (Evangelienbuch Beheim 10; Mt 2, 25)

(88)

a. durch das die jungfrauw die in dem lack ist myn sy (Lancelot 143, 33) b. Durch daz du da iles zu dem hymmelschen lande, (Oxforder Benediktinerregel 40, 4)

(89)

a. vffe daz din herze deste starker werde. zv sime lobe. (Salomons Haus 425) b. uf daz sy dy frucht yn nemen. (Berliner Evangelistar 28, 15; Mt 21, 34) c. ûf daz irfullit worde daz gesprochin ist (Evangelienbuch Beheim 11; Mt 2, 23)

(90)

unz daz er an dem kriuze starp eines schentlîchen tôdes (Nikolaus von Straßburg: Predigten 281, 28)

(91)

hinz daz du in och vindest in dem tempel dinez herzen. (Mitteldeutsche Predigten 55)

____________________ 46

In der Mittelhochdeutschen Grammatik (Paul 252007: § S 173 und §§ S 176f.) sind die folgenden Fügungen aus (unambigen) Präpositionen + daz angegeben: temporales unz (daz), biz (daz), bidaz und kausales fur daz, umbe daz sowie kausales und finales durch daz und ûf daz. Bis auf bidaz sind alle in den hier untersuchten Prosatexten belegt.

88 Während biz daz in den hier untersuchten Prosatexten immer nur zwei- bzw. eingliedrig auftritt und auch in den einschlägigen Grammatiken nur in dieser Form diskutiert wird, gibt es neben durch daz auch Evidenzen für durch daz daz. In der Mittelhochdeutschen Grammatik (Paul 252007: 429) wird ein entsprechender Beleg aus ‚Des Minnesangs Frühling‘ angeführt. Auch in den hier untersuchten Prosatexten ist die Fügung bezeugt: (92)

a. durch daz daz Ǐine pine deǏte lengir were. (Jenaer Martyrologium 18) b. durch daz daz unse herre, der alle kint macht, sine gnade an der sicher suster wyrke. (Oxforder Benediktinerregel 17, 7) c. daz sy ym dyneten durch daz daz sy en icht drungen. (Berliner Evangelistar 13; 7; Mk 3, 9)

Entsprechend ist auch statt dem zweiteiligen ûf daz die dreiteilige Fügung ûf daz daz belegt: 47 (93)

a. XIGD]GD]GYࡈLFKWZHQHVGD] (Jenaer Martyrologium 30) b. uf daz daz sy in fregenten (Berliner Evangelistar 4, 3; Joh 1, 19)

Man kann in der Fügung biz daz bereits einen mhd. Repräsentanten für die Konstruktion ‚P + daz-Komplementsatz’ sehen. Dass die dreiteilige Fügung biz daz daz nicht belegt ist, ist jedoch kein starkes Argument hierfür, denn das könnte auch einfach Zufall sein. Was schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass biz bereits im Mhd. auch ohne daz einen Nebensatz einleiten kann: (94)

a. biz sie aber wider qvamen. (Salomons Haus 429) b. biz der almehtigot di stat uerfluchte. (Mitteldeutsche Predigten 22) c. EL]XQVHEĤGHQZHLGHUNĤPHQW (Amtleutebuch St. Brigiden 50) d. biz man ses wochen zu ostern hat (Oxforder Benediktinerregel 23, 1) e. biz wir der selben sach bechomen (Baumgarten geistlicher Herzen 206, 11)

____________________ 47

Auch die Fügung ‚Präposition + Demonstrativum im Instrumental + daz-Satz’ lebt im Mhd. fort: (i) Ã'LQNLQW0DULDǕROKHL]]HQ,HVYVKHLODQW YRQGLYGD]HUǕLQOvYWHJHKHLOHt hat XRQDOOLQLUǕXQWLQ.‘ (Speculum ecclesiae 16, 25)

89 f.

biz her di scharen gelîze. (Evangelienbuch Beheim 36; Mt 14, 22) g. biz die priolin sprach: ... (Christine Ebner 14, 11)

Dasselbe gilt auch für das ältere unz: Neben der Fügung unz daz ist im Mhd. auch unz alleine als Nebensatzeinleitung bezeugt. Die beiden Varianten trifft man sogar innerhalb von Texten an: (95)

a. unze GD]ǕLFKJRWXELUǕLHUEDUPRWH (Speculum ecclesiae 38, 30) b. unze wir daz zit habin (Speculum ecclesiae 42, 2)

(96)

a. vnz er daz ovch derbi lerneti (Mitteldeutsche Predigten 37) b. vnz daz ez im ovch von got wurde (Mitteldeutsche Predigten 44)

In traditioneller Terminologie würde man davon sprechen, dass biz und unze im Mhd. bereits als Konjunktionen grammatikalisiert sind. In generativen Ansätzen wurde dagegen argumentiert, dass das gwd. bis oder ohne auch in der Verwendung als Nebensatzeinleiter der Kategorie P angehören (z.B. Pittner 1999. 212–215 48, Neubrand & Tseng 2000, Sternefeld 2006, Bd. I: 202). Dass diese nebensatzeinleitenden Präpositionen sowohl mit als auch ohne dass auftreten, könnte man darauf zurückführen, dass sie sowohl eine ganze CP als auch lediglich eine VP als Komplement nehmen können. Aus diachroner Perspektive würde man annehmen, dass die reduzierte Struktur mit dem VP-Komplement auf die Reanalyse einer Struktur mit einem CPKomplement mit leerem Kopf zurückgeht: (97)

PP P

PP CP

ĺ

P

VPfinit

C Ø

Alternativ könnte man annehmen, dass eine solche Reanalyse gar nicht stattgefunden hat und dass Präpositionen wie bis noch im Gwd. eine CP mit leerem Kopf (neben der Variante mit overtem Kopf) selegieren. Für welche Analyse man sich auch entscheidet, es ist immer ein CP-Komplement invol____________________ 48

Genauer gesagt spricht Pittner (1999: 215) von einer „Mischkategorie aus PP und CP“.

90 viert, entweder als Zwischenschritt oder als Endstadium. Das heißt, wenn im Mhd. biz und unze alleine (d.h. ohne daz) als Nebensatzeinleiter vorkommen, dann muss entweder synchron ein CP-Komplement vorliegen oder in einem vorausgehenden Stadium vorhanden gewesen sein. Die alte dreiteilige Struktur mit nominalem Komplement und daz-Adjunktsatz muss durch eine Struktur mit daz-Komplement abgelöst worden sein. Im Frnhd. sind schließlich noch mehr Präpositionen in Verbindung mit dass-Sätzen belegt. Neben denen ins Mhd. und teilweise ins Ahd. zurückreichenden Fügungen vmb daß, dur(ch) daß, uf daß, bis daß treten neue ‚P+daßKonstruktionen’ auf. Eine Innovation stellt zum Beispiel die Fügung anstatt 49 daß dar. Anders als im Gwd. kann im Frnhd. daß auch fehlen. Darüber hinaus ist – wie im Gwd. – auch ein infinites Komplement möglich (Behaghel 1928: 72f.). Da es bei den daß-losen Varianten unstrittig sein dürfte, dass eine Komplementationsstruktur vorliegt, ist es äußerst wahrscheinlich, dass dies auch für die daß-haltige Variante gilt. Die Präposition anstatt ist demnach im späten Frnhd. neben einer DPGen für eine daß-CP subkategorisiert und, je nach Analyse, entweder für eine finite und infinite CP mit leerem Kopf oder für eine finite und infinite VP. Eine weitere Präposition, die bereits im Frnhd. neben einem finiten daß- auch ein infinites zu-Komplement subkategorisierte, ist ohne (Behaghel 1924: 336; Ebert et al. § S 135, § S 188). Zusammenfassend kann man festhalten, dass bereits in älteren Sprachstufen dass-Sätze nicht nur als ‚Erweiterungen’ von Verben auftreten, sondern auch von Präpositionen. Für das Gwd. hat Reis (1997) argumentiert, dass in ‚P+dass-Satz-Konstruktionen’ der dass-Satz das Komplement von P sein muss, da ein attributives oder quasi-explikatives Verhältnis aus semantischen Gründen ausgeschlossen werden kann. In den älteren Sprachstufen ist die Situation jedoch etwas komplizierter. P+thaz-Konstruktionen lassen sich bis in die ahd. Zeit zurückverfolgen, sind aber hier noch sehr selten. Es dominiert der Typ P+Dem.Pron.+thaz-Satz. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass bei den overt zweigliedrigen Fügungen strukturell entweder ein Demonstrativpronomen phonologisch getilgt wurde oder dass eine DP mit leerem Kopf vorliegt. Die ‚Nullvariante’ ist nur bei akkusativregierenden Präpositionen (unzi, thXUXKƗQH) bezeugt. Erst in mhd. Zeit gibt es Evidenzen dafür, dass dass-Sätze nunmehr als Komplement von P vorliegen können. Exponenten dieser Entwicklung sind zum Beispiel unz und bis, die auch früh schon ohne daz einen Nebensatz einleiten konnten. Im Frnhd. weitet sich die Zahl von Präpositionen mit sententialem Komplement weiter aus. ____________________ 49

Anstatt war im Frnhd. bereits als Präposition grammatikalisiert (d.h. der nominale Teil war in den P-Kopf inkorporiert) und trat mit einem genitivischen DPKomplement auf.

91 2.3.5 Zusammenfassung Thaz-Sätze mit Objektfunktion sind im Ahd. und Mhd. in syntaktischen Konstruktionen belegt, die hinreichende Kriterien für eine Komplementationsstruktur darstellen. Insbesondere w-Extraktionen sind schon im Ahd. nachweisbar, was zeigt, dass sich bereits die aus gwd. Sicht kanonische Struktur entwickelt hatte, in der der thaz-Satz das Komplement von V ist. Daneben sind korrelative Konstruktionen bezeugt. Die Platzhalterkonstruktion, die ebenfalls eine Komplementationsstruktur voraussetzt, lässt sich jedoch auch noch im Mhd. nicht sicher nachweisen. Es dominieren Fügungen mit demonstrativem Korrelat, in denen der thaz/daz-Satz höchstwahrscheinlich als quasi-explikatives Adjunkt zu analysieren ist. Diese Struktur ist auch bei präpositionalen Fügungen bezeugt, doch treten schon relativ früh thaz-/dazSätze auch als Komplemente von Präpositionen auf. Für diesen Beispieltyp findet man im Ahd. zwar noch keine unambigen Belege, ab mhd. Zeit ist er jedoch eindeutig nachweisbar. Was darüber hinaus den Status von thaz selbst angeht, so zeigen die Extraktionsdaten eindeutig, dass dieses Element, obwohl pronominalen Ursprungs, bereits als Kopf reanalysiert worden ist.

2.4

Hypothesen zur Entstehung der Konjunktion thaz

2.4.1 Entstehung aus der Konstruktion ‚Diskurskatapher + Hauptsatz’ Die Lehrmeinung ist, dass sich der Komplementierer dass (ahd. thaz) aus dem Akkusativ/Nominativ Neutrum des Demonstrativpronomens der/die/das (ahd. ther/thiu/thaz) entwickelt hat. Diese Entwicklung wird immer wieder als ein Beispiel für ein typisches Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario diskutiert. Die Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese besagt nicht nur, dass in der sprachgeschichtlichen Entwicklung hypotaktische Satzverbindungen später auftreten als parataktische Satzverbindungen, sondern auch, dass sich hypotaktische Strukturen aus parataktischen entwickelt haben. Letztere Hypothese haben zum Beispiel die Junggrammatiker vertreten. Sie waren auch die ersten, die einige konkrete Vorschläge für die Entstehung der Kerntypen von Nebensätzen entwickelt haben, u.a. auch für die thaz-Sätze. Auch in generativen Arbeiten wurden die Daten, welche die Junggrammatiker gesammelt und im Sinne der Parataxe-Hypotaxe-Hypothese interpretiert haben, aufgegriffen. Die zentrale Annahme ist hier, dass subordinierte Sätze das Resultat einer Reanalyse von Konstruktionen mit zwei syntaktisch nebengeordneten Sätzen sind. Dabei wird häufig angenommen, dass sich Satzgrenzen verschoben ha-

92 ben und dass bestimmte lexikalische Konstituenten als Komplementierer bzw. Subordinatoren reanalysiert oder rekategorisiert wurden. Das Standardszenario, das bereits von den Junggrammatikern postuliert wurde, ist in (98) bis (100) illustriert. Demnach hat sich die Konjunktion dass aus einer demonstrativen Diskurskatapher entwickelt. Dieses Szenario geht gleichzeitig davon aus, dass die hypotaktische Satzverbindung, in der die Konjunktion dass einen Gliedsatz einleitet, aus einer ursprünglich parataktischen Satzverbindung hervorgegangen ist. Ich folge der Darstellung in Wunder (1965: 255ff.), entsprechende Überlegungen finden sich in Behaghel (1877, 1928: 130), Paul (1920: 241), Müller & Frings (21959), Horacek (1957), Fleischmann (1973: 18ff.), Ebert (1978: 26), Lenerz (1984: 57–58), Heine & Kuteva (2002: 107), Dorchenas (2005), Szczepaniak (2009) u.v.a.m. Ausgangspunkt ist ein Stadium, in dem zwei Hauptsätze (= HS) vorhanden sind, wobei jedoch der zweite zwar nicht formal-syntaktisch aber doch interpretativ vom ersten abhängig ist. Wunder spricht davon, dass der erste Satz den zweiten zum ‚Inhalt’ habe wie etwa in dem Otfridbeleg in (98) illustriert, den man Wunders Argumentation entsprechend wie folgt übersetzen sollte: ‚Er verkündete: Er wollte es’. (98)

a. [HS ... ] [HS b. NXQGWҥࡆ LPӑࡆ er verkündete ihm er ‚er verkündete ihm: Er wollte es’ (Otfrid I 25, 10)

... iz es

] uuólta wollte

Parallel gibt es im Ahd. aber auch schon Konstruktionen, bei denen im vorangehenden Satz ein kataphorisches Pronomen auftritt, (99). Befürworter der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese sehen darin ein erstes Anzeichen für ein Abhängigkeitsverhältnis. (99)

a. [HS .... thaz] [HS ... ] sálida untar iĔ uuas b. ioh gizálta in sar tház · thiu und erzählte ihnen gleich das die Seligk. unter ihnen war ‚und er erzählte ihnen sogleich das/Folgendes: Die Seligkeit war unter ihnen’ (Otfrid II 2, 8)

Es bleibt allerdings in der Regel unklar, ob es sich dabei lediglich um eine semantisch/pragmatische bzw. kommunikative Form der Unterordnung oder um eine Form der syntaktischen Subordination handelt. Auf diese Problematik wird meist nicht explizit eingegangen. Allerdings wird häufig suggeriert, dass der nachfolgende Satz noch formal selbständig sei. So erläutert z.B. Wunder (1965: 255), dass thaz auf den Satzinhalt des zweiten Satzes vorauszeige. Beispiel (99) wäre demnach wie folgt zu übersetzen: „Und er erzählte

93 ihnen sogleich das/das Folgende: Die Seligkeit war unter ihnen“. In diesem Fall wäre thaz eine Diskursanapher, der zweite Satz eine Hauptsatz und strukturell bestünde kein Unterschied zu der Konstruktion in (98), zumindest was die Struktur der Satzfügung angeht. Allerdings ist es natürlich der Fall, dass durch die Verwendung von thaz ganz regulär strukturelle Theta-RollenSättigung stattfindet, während in Konstruktionen wie in (98) die Theta-Rolle des Verbs kunden über die Satzgrenzen hinweg, also nichtstrukturell gesättigt werden muss. Weiterhin gilt zu beachten, dass im Rahmen des Parataxe-zuHypotaxe-Szenarios die beiden Konstruktionen, auch wenn sie zeitgleich auftreten (sowohl (98) als auch (99) sind etwa bei Otfrid belegt), unterschiedlichen Alters sein müssen. Die Konstruktion mit dem Pronomen thaz wird als jüngere Konstruktion angesehen, als eine wesentliche Neuerung in der graduellen Entwicklung hin zu echt hypotaktischen Strukturen. Darüber hinaus ist im Ahd. noch eine dritte Konstruktion belegt, bei der sich thaz an der Spitze des Folgesatzes befindet. Dabei handele es sich – so die gängige Argumentation – um ein echt subordinatives Gefüge: Der Satz mit initialem thaz wird als echter Nebensatz (= NS) angesehen und thaz der Status einer echten subordinierenden Konjunktion zugesprochen. (100) a. [[HS .... ] [NS thaz ... ]] b. DRúhtin [SࡃV irkánta · thaz er mo uuár zalta Herr Christus erkannte dass er ihm Wahrheit erzählte ‚der Herr Christus erkannte, dass er ihm die Wahrheit erzählt hatte’ (Otfrid II 12, 11)

In fast allen Arbeiten wurde die Argumentation auf die oben zitierten (oder auf ähnliche) Otfridbelege aufgebaut. 50 Der Grund hierfür ist, dass das Evangelienbuch ein Gedicht ist, das einem metrischen Schema folgt. Insbesondere die Position der Zäsur (in den Otfridbeispielen durch ‚\’ markiert; ‚/’ steht für den Zeilenumbruch), die jede Zeile in zwei Halbzeilen aufteilt, wurde als zentrales Diagnostikum für Fragen der Satzfügung herangezogen. In den meisten Fällen folgt thaz auf die Zäsur, was gemeinhin als Beleg dafür angesehen wird, dass der Übertritt schon im Vorahd. stattgefunden hat (z.B. Müller & Frings 21959): ____________________ 50

Lühr (2004) führt Daten aus dem altsächsischen Heliand an, die gegen das traditionelle Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario sprechen. Sie argumentiert, dass im Heliand die Setzung oder Nichtsetzung eines Korrelats strengen Regeln folgt: Zum einen ermöglicht ein Korrelat Verben, die aufgrund ihrer Bedeutung eigentlich keinen dass-Satz zulassen, einen solchen Anschluss. Wenn jedoch von der Verbsemantik her ein dass-Satz möglich ist, ist das Korrelat fakultativ. Ausgeschlossen ist es, wenn ein AcI-Verb vorliegt. Dies spreche gegen die Hypothese einer bloßen Verschiebung eines demonstrativen das vom Hauptsatz an die Spitze des Nebensatzes.

94 (101) ,Kғ quad er infúalta · thaz ғKHVXXer mih U~DUW‫ܤ‬ā ich sagte er fühlte dass jemand mich berührte ‚ „ich“, sagte er, „habe gefühlt, dass jemand mich berührt“ ’ (Otfrid III 14, 35)

Das traditionelle Erklärungsmodell wird von Lenerz (1984: 57f., 100–104) aufgegriffen und in einem frühen generativen Modell implementiert. Die Konjunktion dass sei durch eine „diachrone Re-Interpretation“ des am Ende des vorangehenden Satzes stehenden Pronomens das entstanden: (102)

NPi das

S' d-/wØ

Comp daß

S

(Lenerz 1984: 102, Bsp. 99)

Lenerz (1984: 101f.) führt aus, es sei „durch das Vorhandensein der unabhängig motivierten Position COMP erklärt, an welche Stelle daß > das übertreten“ kann. Unabhängig motiviert sei die Position zum Beispiel dadurch, dass es „schon vor der Entstehung der uns bekannten nebensatzeinleitenden Konjunktionen in den Vorstufen der rezenten germanischen Sprachen Partikeln gegeben zu haben [scheint; K.A.-T.], deren Funktion im wesentlichen in der Einleitung eines eingebetteten Satzes“ bestand. Als Beispiel nennt er u.a. got. -ei. Auch wenn Lenerz die traditionelle Auffassung teilt, dass nämlich die Konjunktion dass ursprünglich ein Satzglied des vorausgehenden Satzes war, so wendet er sich doch gegen die Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese, allerdings aus sehr grundsätzlichen Überlegungen. Lenerz verweist (ibid.: 72) darauf, dass im Deutschen Haupt- und Nebensätze die gleiche zugrunde liegende syntaktische Struktur aufweisen. Auch die Verbstellung biete kein formales Unterscheidungskriterium, da es, wie er (ibid.: 70f.) an Beispielen erläutert, auf der einen Seite inhaltlich untergeordnete Sätze mit Verbzweitstellung gebe, auf der anderen Seite auch selbständig verwendete Sätze mit Verbendstellung.

Das Verbstellungsproblem Eine generative Adaption des traditionellen Szenarios findet sich auch bei Roberts & Roussou (2003: 117ff.). Allerdings geht es hier um die Entstehung der englischen Konjunktion that, für die jedoch die gleiche Entstehungsge-

95 schichte vorgeschlagen wurde wie für das deutsche dass. Roberts’ & Roussous Vorschlag soll hier auch deswegen kurz skizziert werden, um zu zeigen, dass es sich bei der Lehrmeinung keineswegs um eine veraltete Theorie handelt, sondern dass sie auch in rezenten Arbeiten immer wieder aufgegriffen wird. Roberts & Roussou skizzieren die Reanalyse – mit Rückgriff auf Kiparsky (1995) – wie folgt: (103) a.

IP

b.

IP

IPi

V

CP pronoun

VP V

VP

IP

pronouni

(Roberts & Roussou 2003, 116, Bsp. 72)

Die Autoren führen aus (ibid.:117), dass die Struktur in (103)-a eine Adjunktion einer IP (an wahrscheinlich die vorangehende IP) darstellt, die häufig mit einem koreferentiellen Pronomen (that) im Hauptsatz assoziiert ist. Diese Struktur ähnele der Struktur, die man in ‚clitic-doubling-Konstruktionen’ finde: Ein pronominales Element füllt die Komplementposition und ist mit einer Argument-DP in einer peripheren Position assoziiert. Der Syntaxwandel bestand darin, dass sich ein adjungierter Satz in einen Komplementsatz entwickelt hat. Der Wandel sei ein Beispiel für strukturelle Vereinfachung: Ein ehemals abhängiger Adjunktsatz wird zum Komplement, sodass die Adjunktionsstruktur [IP IP CP ] zugunsten einer Kopf-Komplementstruktur aufgegeben wird (= [V' CP]). Dieser Wandel lasse sich als ein Beispiel für die Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese interpretieren, und zwar in dem Sinn, dass ein ehemals vom Matrixprädikat unabhängiger Satz von einem Matrixprädikat abhängig wird. Diese Interpretation von Roberts & Roussou ist allerdings eine engere Version der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese als diejenige, die in den ‚traditionellen’ Arbeiten (vgl. die Junggrammatiker und später Wunder 1965, Fleischmann 1973 etc.) vorgebracht wurde. Denn bei Roberts und Roussou ist der zweite Satz, aus dem der that-Satz entsteht, vor dem Wandel bereits ein unselbständiger Satz: Er ist subordiniert und adjungiert an den ersten Satz, an den ‚Matrixsatz’. Auch wenn dies in den ‚älteren’ Ansätzen nicht immer explizit gemacht wird, so ist doch meist davon die Rede, dass der zweite Satz lediglich inhaltlich untergeordnet sei, formal-syntaktisch aber als Hauptsatz anzusehen sei. Dies entspricht auch der Annahme der Grammatikalisierungstheorie, dass in solchen Fällen ein Übergang von der Diskurs- zur Satzgrammatik stattgefunden habe.

96 Weiterhin führen Roberts & Roussou (2003: 117) aus, dass bei Struktur (103)-a eine Nähe zu der Konstruktion mit Korrelat-it vorliege, die im Gegenwartsenglischen noch bei bestimmten Prädikaten möglich ist: (104) I know/regret it [that John is a liar]

Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass der Nebensatz in (104) durch den Komplementierer that eingeleitet wird. In (103)-a ist der adjungierte Satz dagegen uneingeleitet. Dieser Unterschied, dem die Autoren keine weitere Beachtung schenken, macht ein zentrales Problem deutlich: Wenn der zweite Satz uneingeleitet war, was wies ihn dann als Nebensatz aus? Bei Roberts & Roussou wäre das lediglich die Tatsache, dass er adjungiert war. Worauf sie nicht eingehen, ist die Frage der Verbstellung. Dieser Aspekt ist jedoch insbesondere für das Deutsche und dessen Sprachgeschichte zentral, weil sich hier seit jeher eingeleitete und uneingeleitete Sätze durch die Verbstellung unterscheiden. 51 Roberts & Roussou illustrieren den Wandel an Beispiel (105)-a und Behaghel (1928: 130) an Beispiel (105)-b : (105) a. I think that [the earth is roXQG@ĺ,WKLQN>WKDWWKHHDUWKLVURXQG@ b. LFKK|UHGDVHUNRPPW ĺLFKK|UHGDVVHUNRPPW [das Material in runden Klammern, wurde von mir, K.A.-T., ergänzt]

Wie man an Behaghels Beispiel leicht erkennen kann, kann man den putativen Wandel mit gwd. Material kaum illustrieren: Ergänzt man nämlich den minimalen Satz durch z.B. eine adverbiale Bestimmung, vgl. (106), dann wird sofort folgendes Problem deutlich: Der entstehende dass-Satz (rechts vom Pfeil) muss Verbendstellung haben. Das würde erfordern, dass die parataktische Struktur (links vom Pfeil) ebenfalls Verbendstellung aufweist. Dies führt zu Ungrammatikalität, da es im Gwd. keine uneingeleiteten Verbendsätze gibt. (106) a. ,FKK|UHGDVHUPRUJHQNRPPWĺ,FKK|UHGDVVHUPRUJHQNRPPW b. ,FKK|UHGDVHUNRPPWPRUJHQĺ ,FKK|UHGDVVHUNRPPWPRUJHQ

Das Verbstellungsproblem wird nur in manchen Arbeiten thematisiert. Müller & Frings (21959: 14) führen aus: ____________________ 51

Für das Altenglische wird die Frage der Verbstellung bei der Entstehung von that in den meisten Arbeiten überhaupt nicht diskutiert, obwohl sich auch die altenglische Grammatik teilweise wie eine Verbzweitgrammatik verhielt und sich Haupt- und Nebensätze in einem gewissen Umfang auch in den möglichen Verbstellungsmustern unterschieden, wenn auch die Verbstellungsasymmetrie nicht so stark ausgeprägt war wie im Ahd.

97 Auch nhd. lebt dieser Wandel vom Demonstrativpronomen zur Konjunktion noch fort, jedoch stets verbunden mit der Verschiebung des Verbum finitum aus der gewöhnlichen Zweitstellung in die Endstellung: glauben kannst du das: ich werde es nie vergessen; glauben kannst du, daß ich es nie vergessen werde.

Sie verweisen darauf, dass im Ahd. die Verbstellung noch variabler war und geben (ibid.: 13f.) verschiedene Beispiele aus Otfrid, deren Verbstellungsmuster Lenerz (1984: 58) wie folgt zusammen fasst: (107) a. (i) [HS ... thaz [NS X Vfin ... X ... Vfin ... (ii) [HS ... thaz [NS X ... Vfin (iii) [HS ... thaz [NS b. (i) [HS ... [NS thaz X Vfin ... (ii) [HS ... [NS thaz X ... Vfin ... Vfin (iii) [HS ... [NS thaz X ... (Lenerz 1984: 58; X = XP)

]] ]] ]] ]] ]] ]]

(V-Zweitstellung) (V-Späterstellung) (V-Endstellung) (V-Zweitstellung) (V-Späterstellung) (V-Endstellung)

Wenn man sich jedoch die Daten bei Müller & Frings (21959) ansieht, wird klar, dass es sich bei den Verbstellungsmustern um Oberflächenabfolgen handelt. So zitieren sie u.a. (ibid.: 13) folgenden Beleg aus Otfrid: (108) thaz ér hiar uuard biscóltan dass er hier wurde beschimpft ‚dass er hier beschimpft wurde’ (Otfrid III 19, 13)

Dieser Beleg ist strukturell als Verbendsatz zu klassifizieren, bei dem lediglich eine Umstrukturierung innerhalb des Verbalkomplexes stattgefunden hat, im Zuge derer das finite Verb durch sog. ‚Verb-Raising’ ins Oberfeld gelangt ist. Diese Art der Oberfeldbildung ist in zwei- und mehrgliedrigen Verbalkomplexen auch noch in der Gegenwartssprache auf dialektaler Ebene möglich und tritt bei drei- oder mehrgliedrigen Verbalkomplexen sogar noch in der Standardsprache auf. Auch wenn nichtverbale Konstituenten rechts vom finiten Verb stehen, folgt daraus nicht, dass das finite Verb strukturell in einer medialen funktionalen Position stand. Im Ahd. war es in größerem Umfang als in der gwd. Standardsprache möglich, Konstituenten zu extraponieren, und zwar nicht nur adverbiale Bestimmungen und Nebensätze, sondern auch Argumente, v.a. Subjekte (s. Axel 2007: 131ff.). Manchmal war es der Fall, dass dadurch das finite Verb an der Oberfläche in Zweitposition erschien. Wie allerdings Axel (2007: Kapitel 2) in Auseinandersetzung mit Analysevorschlägen von Schlachter (2004) und Weiß (im Erscheinen) argumentiert, gibt es keine ausreichende Evidenz für echte, strukturelle Verbzweitstellung im Nebensatz. Die fraglichen Belege lassen sich durch Extraposition, Oberfeldbildung (d.h.

98 ‚verb raising‘) oder ‚verb projection raising‘ erklären, also durch Phänomene, für deren Existenz es unabhängige Evidenzen gibt. Darüber hinaus führen Müller & Frings (21959) Beleg (109) aus Otfrid mit einem postfiniten Subjekt im thaz-Satz. Auch wenn Subjektextraposition auch in den ahd. Prosatexten bezeugt ist (vgl. Axel 2007: 131ff.), könnte in diesem Fall diese Wortstellung auf einen extragrammatischen Faktor zurückzuführen sein, und zwar auf den Endreim: Durch die postverbale Positionierung des Subjekts heilant wird erreicht, dass sich heilant mit inbant reimt. (109) then líutin deta mári den Leuten tat kund tház iz uuas ther héilant · ther inan thes séres inbant dass es war der Heiland der ihn des Leides entband ‚er tat den Leuten kund, dass es der Heiland war, der ihn von dem Leid erlöst hatte’ (Otfrid III 4, 47)

Wenn man die Verbzweitstellung im eingeleiteten Satz als produktiven Verbstellungstyp ansieht, ergibt sich überdies das Problem, dass man eine Erklärung dafür finden müsste, warum dieser Verbstellungstyp im Laufe des Ahd. verloren geht, denn bei Notker finden sich kaum noch entsprechende Beispiele. Im Gwd. ist sie, wenn überhaupt, nur in der Umgangssprache möglich (vgl. Kapitel 3). Für die Entstehung der thaz-Sätze heißt dies, dass alle Evidenzen dafür sprechen, dass dieser Satztyp von vorneherein durch strukturelle Endstellung gekennzeichnet war. Sowohl in der traditionellen Entstehungstheorie als auch in ihren generativen Adaptionen bedeutet dies, dass es in der Ausgangskonstruktion einen (overt) komplementiererlosen Verbendsatz gegeben haben muss, aus dem sich der thaz-Satz entwickelt hat. In der traditionellen Version wird dabei eher davon ausgegangen, dass dieser Verbendsatz ein Hauptsatz war. Selbständig verwendete uneingeleitete Verbendsätze sind aber im Ahd. selten. Der einzige Text, in dem eine substantielle Anzahl von Belegen anzutreffen ist, ist Otfrid, wobei sich hier das Problem ergibt, dass in diesem Text der relativ hohe Anteil an Endstellung des finiten Verbs auch durch den Endreim ausgelöst worden sein kann. In den Prosatexten ist die Verbstellungsasymmetrie zwischen eingeleiteten und uneingeleiteten Sätzen grosso modo bereits etabliert (Axel 2007: Kapitel 2), auch wenn natürlich immer wieder Ausnahmen bezeugt sind (vgl. Schlachter 2004, 2009 zum ahd. Isidor, Lötscher 2009 zu Otfrid). Wunder (1965) und viele andere haben behauptet, dass die postulierte diachrone Entwicklung von thaz im Ahd. noch synchron auffindbar ist: „In einem synchronisch festgestellten sprachlichen Zustand kann sich die historische Entwicklung widerspiegeln” (ibid.: 255). Das trifft nur zum Teil zu,

99 denn die uneingeleiteten Hauptsätze mit Verbendstellung, die für einen wesentlichen Schritt im Entstehungsprozess im Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario konstitutiv sind, lassen sich nicht in dem Umfang nachweisen, wie häufig postuliert. Die Vertreter der traditionellen Theorie zur Entstehung der Konjunktion thaz müssten also argumentieren, dass in vorahd. Zeit, als sich die Konjunktion entwickelt hat, die Verbstellungsasymmetrie noch nicht vollständig herausgebildet war. Diese Argumentation wird zwar in der Regel nicht explizit angeführt, lässt sich aber häufig zwischen den Zeilen lesen. Sie kann natürlich nicht widerlegt werden. Es gibt allerdings neuere Forschungsergebnisse, vor deren Hintergrund die Plausibilität dieser Hypothese zumindest etwas abgeschwächt wird: Wie v.a. Eythórsson (1995, 1996) ausführt, ist die Verbbewegung im Germanischen älteren Ursprungs als gemeinhin angenommen.

Die Reanalyse des Pronomens Lenerz, dessen Modell innerhalb der REST-Theorie angesiedelt ist, also vor der Entwicklung der X-bar-Theorie, geht davon aus, dass das Korrelat direkt in die COMP-Position übertritt. In Roberts’ & Roussous (2003) Modell in (103) ist that nach dem Übertritt immer noch ein Pronomen, also ein XPElement. Wie die Autoren (ibid.: 117) selbst einräumen, muss zusätzlich noch erfasst werden, dass das korrelative Pronomen nach der strukturellen Vereinfachung (also der Reanalyse des adjungierten Satzes zum Komplement wie in (103) skizziert) als Komplementierer reanalysiert worden ist. Für die Reanalyse eines XP-Elements in SpecC zu einem Kopfelement in C gibt es unabhängige Evidenz: Analoges wurde für die Entwicklung der Relativpartikel that vorgeschlagen (Longobardi 1994; Roberts & Roussou 2003: 118f.). Worauf Roberts & Roussou allerdings nicht eingehen, ist das Problem, dass bereits der erste Schritt, also der Übertritt des Pronomens über die Satzgrenze problematisch ist. Denn in der Struktur nach dem Übertritt (rechts des Pfeils in (103) oben) ist das Pronomen nicht lizenziert. Es sättigt keine Argumentstelle des Prädikats und kann in dem entstehenden that-Komplementsatz kein Komplement sein. Das heißt, es kann sich nicht um eine Reanalyse im klassischen Sinne handeln. Denn dies würde voraussetzen, dass sowohl die Struktur vor als auch nach der Reanalyse jeweils grammatisch korrekt aufgebaut ist. Harris & Campbell fassen den Vorgang der Reanalyse wie folgt zusammen:

100 the conditions necessary for reanalysis to take place are that a subset of the tokens of a particular constructional type must be open to the possibility of multiple structural analyses, where one potential analysis is the old one and the other potential analysis is the new one (Harris & Campbell 1995: 72)

Dabei gilt natürlich, dass sowohl die alte als auch die neue Analyse mit den Regeln der Grammatik konform sein müssen. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die klassische ‚Übertrittstheorie’ zur Entstehung der Konjunktion dass und ihre generative Adaptionen in vielen Punkten problematisch sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Versionen der Übertrittstheorie besteht in der Frage, ob der Satz, aus dem sich der dass-Satz entwickelt, ursprünglich ein Hauptsatz (Parataxe-Hypotaxe-Hypothese) war oder ein asyndetischer Nebensatz. Gegen erstere Hypothese spricht zum einen, dass die Herabstufung eines Hauptsatzes zum Nebensatz ein sehr radikaler Reanalyseschritt wäre, der einen Wandel in verschiedenen Bereichen involviert. Auf semanto-pragmatischer Ebene muss sich die kommunikative Gewichtung sowie die Informationsstruktur radikal geändert haben. An formal-syntaktischen Eigenschaften muss sich die Verbstellung gewandelt haben und natürlich die syntaktische Beziehung zwischen den beiden Sätzen. Bei beiden Hypothesen ergibt sich das Problem, dass das Pronomen nach Übertritt über die Satzgrenze in dem neuen Gastgebersatz, der ja ursprünglich auch ohne das Pronomen eine vollständige und grammatikkonforme Struktur aufgewiesen haben muss, keine Argumentstelle sättigen kann.

2.4.2 Entstehung aus der Konstruktion ‚Korrelat + asyndetischer Nebensatz’ Im letzten Abschnitt wurde argumentiert, dass die Hypothese, dass sich der Komplementierer thaz durch Übertritt des Pronomens thaz über die Satzgrenze entwickelt hat, eigentlich nur plausibel ist, wenn der zweite Satz, aus dem sich der thaz-Satz entwickelt hat, schon vor dem Übertritt ein Nebensatz mit struktureller Verbendstellung war, denn Endstellung ist der native und produktive Verbstellungstyp, der sich in Ahd. thaz-Sätzen nach dem putativen Übertritt systematisch nachweisen lässt. Somit stellt sich aber die Frage, warum in diesem uneingeleiteten Nebensatz das finite Verb nicht in die leere C0-Position bewegt wurde. An dieser Stelle ist ein weiteres Phänomen relevant: Im Ahd. – und auch in späteren Sprachstufen des Deutschen – gab es uneingeleitete Sätze mit

101 Verbendstellung, die als Relativsätze fungierten. Der folgende Beleg aus Otfrid wird oft als Beleg für einen solchen ‚asyndetischen’ Relativsatz zitiert (Erdmann 1874, Bd. I, Maurer 1880, Behaghel 1928: 745, Wunder 1965: 252, Pittner 1995, Dal 31966: 198): (110) a. in dróume sie in zélitun · then uueg [ Ø sie fáran scoltun ] in Traume sie ihnen erzählten den Weg sie fahren sollten ‚im Traum erzählten sie ihnen den Weg, den sie nehmen sollten’ (Otfrid I 17, 74)

Lenerz (1985: 109) schlägt vor, dass in diesen Relativsätzen die Relativpartikel gelöscht wurde oder in Form eines Ø-Komplementierers ohne phonologische Matrix vorliegt. Die Existenz eines solchen putativen Nullkomplementierers in ahd. Relativsätzen veranlasst Lenerz zu der Hypothese, dass in Verbendsätzen, die nach dem Verb ZƗQHQ auftreten und dessen Argumentstelle sättigen, (111)-a, ebenfalls ein Nullkomplementierer vorliegt. 52 Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass noch weitere Matrixverben belegt sind (s. etwa quedan in (111)-b), was zeigt, dass man das Phänomen nicht als Idiosynkrasie eines einzigen Verbs wegerklären kann (s. Kapitel 3). uuánu [ Ø ir nan irknáh& ] wähne ihr ihn erkennet ‚ich glaube nicht, dass ihr ihn erkennt’ (Otfrid IV 16, 25) b. Quádun tho thie líuti · [ Ø er únrehto sagten dann die Leute er unrecht ‚die Leute sagten, er habe unrecht getan’ (Otfrid III 4, 35)

(111) a. ni

NEG

dati ] täte

Den asyndetischen Relativsätzen wurde in jenen Theorien, die den Ursprung des deutschen Relativpronomens der, die, das in einem Korrelat des Hauptsatzes sehen, zentrale Bedeutung zugemessen (s. Kapitel 4). Die Theorie, dass der Komplementierer dass aus dem Korrelat das entstanden ist, ist analog zur dieser Relativsatztheorie zu sehen. Trotzdem wurde im Gegensatz zu den Relativsätzen die Rolle von ‚asyndetischen’ Objekt- oder Subjektsätzen nicht explizit diskutiert. Stattdessen wird im traditionellen Szenario ange____________________ 52

Lenerz (1984: 113) wendet allerdings ein, dass im Mhd. wænen einige auffällige Eigenschaften hat, die nahe legen, dass es seinen verbalen Charakter verloren hat und eher als eine Art Satzadverb oder Partikel angesehen werden sollte wie etwa gwd. bitte oder danke. Hierzu ist zu sagen, dass, selbst wenn wænen im Mhd. als Partikel grammatikalisiert worden ist, diese Analyse nur für einen Teil der Belege in Frage kommt (s. auch Kapitel 3). Hinzu kommt, dass ahd. ZƗQHQ (mhd. wænen) nicht das einzige Verb ist, das mit uneingeleiteten Argumentsätzen belegt ist (vgl. Kapitel 3). Ein Beispiel mit dem Verb quedan findet sich in (111)-b.

102 nommen, dass der Satz, aus dem sich der thaz-Objekt- bzw. Subjektsatz entwickelt hat, ursprünglich ein Hauptsatz war. Auch Lenerz geht nicht auf die Frage ein, ob es nicht eben Sätze wie (111) mit putativem Nullkomplementierer waren, aus denen sich die thaz-Sätze entwickelt haben. In seinen Ausführungen zur postulierten Reanalyse (Lenerz 1984: 57f., 100–104) spricht er davon, dass thaz in die COMP-Position übertritt, für deren Existenz es unabhängige Evidenz gebe. Dass es auch Sätze gab, bei denen in der COMPPosition ein Nullkomplementierer stand, wird nicht erwähnt. Lenerz bezieht sich auf Müllers & Frings’ (21959) Ergebnis, dass die (Oberflächen-)Verbstellung variabel war und skizziert die Verbstellungsmuster in einem Diagram (s. oben (107)). Ein möglicher Nullkomplementierer kommt auch hier nicht vor. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse von Delbrück (1904, 1919) und Diels (1907). Im Gegensatz zu den in Abschnitt 2.4.1 genannten Arbeiten, in denen angenommen wird, dass die Entwicklung der Konjunktion in die vorahd. oder ahd. Zeit selbst fällt, ist es nach Delbrück (1919: 22) „wahrscheinlich, daß die Konjunktion daß bereits in urgermanischer Zeit in weitem Umfange verwendet worden ist. Die Übereinstimmung des Gebrauchs in den verschiedenen Dialekten ist zu groß, als daß sie auf Zufall beruhen könnte“. Delbrück (1904: 239, 1919: 29) nimmt an, dass es im Urgermanischen zwei Arten von Argumentsätzen gab 53: (i) solche, die durch die Partikel *-ei, die noch im Gotischen nachweisbar ist, eingeleitet wurden und (ii) solche, die nicht durch eine Konjunktion eingeleitet wurden. Er nennt letzteren Typ auch ‚parataktisch’. Der uneingeleitete Typ sei im Urgermanischen wahrscheinlich nach Verben des Sagens, Wähnens und Wollens möglich gewesen. Die Evidenzen, die er anführt, sind, dass im Altisländischen (in der Edda) uneingeleitete Sätze nach dem Prädikat hyggja ‚denken’ belegt sind sowie im Angelsächsischen, Altfriesischen und Ahd. nach *kweþan ‚sagen, sprechen’. Die Tatsache, dass entsprechende Belege im Gotischen fehlen, sei wahrscheinlich auf „literarische Gründe“ zurückzuführen. Delbrück (1904: 239) geht nämlich davon aus, dass die Verwendung einer Konjunktion die „feierlichere und darum schriftgemässere“ Ausdrucksweise war. Ihr Nichtvorhandensein in den überlieferten gotischen Texten lasse nicht den Schluss zu, dass der konjunktionslose Typ „nicht vorhanden war“. Diels (1907) führt noch einen weiteren möglichen Grund an, der überzeugender ist: In der ahd. Übersetzungsliteratur fehlten Belege für konjunktionslose Argumentsätze, weil in den lateinischen Vorlagen jeweils eine Konjunktion vorhanden war und die Übersetzer in Bezug auf dieses Merkmal eine vorlagengetreue Übersetzung anstrebten. Dieses Argument lässt sich aufs Gotische ____________________ 53

Wobei es nicht auszumachen sei, welche Konstruktionsweise älteren Ursprungs ist (Delbrück 1904: 239).

103 übertragen, denn die gotische Bibelübersetzung ist sehr vorlagengetreu gestaltet. Die Hypothese, dass der asyndetische Argumentsatz eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des thaz-Satzes gespielt hat, wird in Kapitel 3 diskutiert und zurückgewiesen. Eine weitere Hypothese wurde von Delbrück vorgeschlagen: Er misst dem Gotischen ei eine zentrale Bedeutung bei der Entstehung von dassKomplementierern bei, und argumentiert, dass sich der Übertritt des korrelativen Pronomens an die Spitze des Nebensatzes nicht nur im Hochdeutschen, sondern schon im Gotischen vollzogen hat: Nach meiner Ansicht wurde schon in der urgermanischen Zeit eine Konjunktion *ei angewendet, deren relativischer Sinn aus der indogermanischen Zeit übernommen war. Mit ihr wuchs das ursprünglich dem Hauptsatz angehörige *þat zu einer Einheit zusammen, und durch *þatei wurde schon in der urgermanischen Zeit das alte *ei teilweise verdrängt. In den Dialekten außer dem Gotischen verschwand ei vollständig und von þatei ging die letzte Silbe verloren. (Delbrück 1919: 25) Endlich sei noch die Ansicht der älteren Grammatik erwähnt, der H. PAUL sich anschließt, wie am bequemsten aus dem Artikel daß in seinem Wörterbuch zu ersehen ist. Danach lautete die Periode ich sehe daß es regnet ursprünglich ich sehe das: es regnet. Ich könnte, wie aus der der obigen Darstellung hervorgeht, dieser Auffassung beitreten, finde aber unrichtig, daß sie sich auf das Hochdeutsche beschränkt und von dem gotischen ei nicht redet, das doch vor þatei da war, und durch dieses erst allmählich verdrängt worden ist. (ibid.)

Übersetzt man diese Ausführungen in modernere, generative Theorie (mit einer Unterscheidung in Spezifizierer- und Kopfpositionen, die es in dem von Lenerz (1984) zugrunde gelegten REST-Modell noch nicht gab) kann man die Entwicklungsschritte wie folgt modellieren: (112) a. [CP ... þat ] [CP [ei] ...] ĺ HS NS b. [CP [C þatei ] ... ] ĺ NS

[CP … ] [CP [C þatei ] ... ] HS NS [CP [C þat] ... ] NS

Problematisch ist, dass der Wandel in (112)-a eigentlich zwei Reanalysen auf einmal umfasst: Zum einen die Reanalyse der Satzgrenze mit dem Übertritt des Pronomens, zum andern die Reanalyse des Pronomens (XP) als Komplementierer (X0). Wenn man stattdessen argumentiert, dass das Pronomen zunächst in die SpecC-Position übertritt, (113), dann ergibt sich wiederum das in der Auseinandersetzung mit Roberts & Roussou (2003) bereits angesprochene Problem, dass das Pronomen in dem Nebensatz syntaktisch nicht lizenziert ist.

104 (113) a. [CP ... þat ] [CP [C ei] ... ] ĺ [CP ... ] [CP þat [C ei ] ... ] HS NS HS NS ĺ[CP [C þatei] … @ĺ [CP [C þat] ... ] b. [CP þat [C ei ] … ] NS NS NS

Wie aus dem Zitat von Delbrück ersichtlich, ist got. -ei zunächst eine relative Partikel. Wenn eine Relativsatzkonstruktion bei der Entstehung der þat/thazSätze eine zentrale Rolle spielt, dann ergeben sich alternative Hypothesen. Zwei verschiedene Szenarien, denen zufolge sich dass-Argumentsätze aus Relativsatzkonstruktionen entwickelt haben, werden im nächsten Abschnitt diskutiert.

2.4.3 Entstehung aus dem Relativpronomen Als alternatives Szenario wurde vorgeschlagen, dass sich der dass-Satz aus einem freien Relativsatz entwickelt hat und dass entsprechend die Konjunktion thaz aus dem Relativpronomen thaz hervorgegangen ist. Horacek (1957: 422f.) diskutiert diese Möglichkeit mit Bezug auf gotische Daten. Ausgangspunkt der Entwicklung seien Sätze des folgenden Typs: (114) hausideduþ þatei qiþan ist. hörtet das gesagt ist (Mt 5, 38; zit. nach Horacek 1957: 422)

Horacek führt aus, dass der þatei-Satz synchron sowohl als ein freier Relativsatz analysiert werden könne (‚ihr hörtet, was gesagt worden ist’) als auch als ein Komplementsatz (‚ihr hörtet, dass gesagt worden ist’). Im ersten Fall sei þat ein Pronomen gefolgt von der Relativpartikel ei, im zweiten Fall sei þatei eine Konjunktion. Sie behauptet, dass aus diachroner Sicht die letztere Konstruktion aus der ersteren hervorgegangen ist. Die Annahme einer Reanalyse des Relativpronomens in einem freien Relativsatz ist möglich, weil im Gotischen – wie auch in weiteren altgermanischen Sprachen – freie Relativsätze nicht wie im heutige Deutsch durch ein Relativpronomen mit w-Anlaut eingeleitet wurden, sondern durch das ‚demonstrative‘ Relativpronomen (im Gotischen gefolgt von der Relativpartikel ei). Daten wie der von Horacek angeführte gotische Beleg finden sich auch in ahd. Quellen, (115). Wie die Paraphrasen veranschaulichen, ist bei dem Tatianbeleg jeweils sowohl die Lesart möglich, bei der thaz ein Relativpronomen ist wie auch die Lesart, bei der es eine Konjunktion ist. (115) ther der

heilant Heiland

thô da

gisehenti sehend

ʜthaz

her spâhlihho antlingita ʜ das/dass er vernünftig antwortete

105 quad Imo. sagte ihm ‚der Heiland, als er sah, was/dass er vernünftig geantwortet hatte, sagte zu ihm’ ihesus autem uidens ʜ quod sapienter respondiss& ʜ dixit illi (Tatian 210, 3)

Entsprechende Belege findet man auch im Mhd.: (116) a. Hi wart daz irvullit daz unsir herre gesprochin hate. (Mitteldeutsche Predigten 14) b. Die ebdissen sal auch daz mirken daz von den aposteln gescriben ist (Oxforder Benediktinerregel 30, 24)

Dieses Szenario hat gegenüber dem im letzten Abschnitt beschriebenen den Vorteil, dass keine Verschiebung der Satzgrenze und kein radikaler Wandel des zweiten Satzes vom Haupt- zum Nebensatz angenommen werden muss: thaz ist auch in der Relativsatzkonstruktion eine Konstituente des zweiten Satzes 54 und letzterer ist auch vor der Reanalyse ein Nebensatz. Was sich geändert hat, ist lediglich, dass das Pronomen zum Komplementierer rekategorisiert und dass der zweite Nebensatz, der ursprünglich ein Adjunktsatz war, als Komplementsatz reanalysiert wurde. Allerdings gibt es auch hier ein Problem: Es muss nämlich die Bedingung erfüllt sein, dass das Verb des Folgesatzes ein fakultatives Akkusativobjekt selegierte, wie das bei DQWOLQJǀQ der Fall war. Genauer ausgedrückt scheint uns aus gwd. Perspektive dieser Reanalyse-Schritt deshalb plausibel, weil im Gwd. beim Verb antworten in der nhd. Übersetzung des Nebensatzes in (115) das interne Argument nicht syntaktisch realisiert ist. Ob das im Ahd. auch möglich war, kann man ohne Grammatikalitätsurteile durch Muttersprachler nicht mit Sicherheit beantworten. In jedem Fall würde das bedeuten, dass die ____________________ 79F

54

Horacek (1957) geht allerdings davon aus, dass wiederum das Relativpronomen ursprünglich dem ersten Satz angehörte und von dort in den zweiten Satz übertrat. Sie paraphrasiert dies in Bezug auf das in (115) zitierte gotische Beispiel wie folgt: „‚Ihr hörtet das: Gesagt ist worden ...’“, woraus „über die Sinngebung“ „‚Ihr hörtet das, was gesagt worden ist ...’“ (ibid.: 423) geworden sei. Diese Entwicklung setzt ebenfalls eine radikale Verschiebung der Satzgrenzen und eine Herabstufung des zweiten Satzes vom Haupt- zum Nebensatz voraus. Dieses Entstehungsszenario für das d-Relativpronomen ist jedoch umstritten. Alternativ wurden auch Szenarien diskutiert, in denen das Relativpronomen schon immer dem Nebensatz angehörte (vgl. Lenerz 1984). Für die Frage, wie der Komplementierer thaz entstanden ist, ist diese Problematik zunächst irrelevant. Denn Horaceks Annahme, dass das Relativpronomen als Komplementierer rekategorisiert wurde, ist eine separate, eigenständige Hypothese, die unabhängig davon ist, wie zunächst das Relativpronomen entstanden ist.

106 syntaktischen Kontexte, in denen diese putative Reanalyse überhaupt stattfinden konnte, stark eingeschränkt waren.

2.4.4 Ein neues Szenario: Entstehung aus der Relativpartikel 55 Thaz als Relativpartikel Im Folgenden soll ein Szenario diskutiert werden, bei dem die im letzten Abschnitt diskutierten Schwierigkeiten nicht auftreten. In diesem neuen Szenario entsteht der dass-Satz aus einem Nebensatz. Die Konjunktion geht auf das Pronomen zurück, jedoch gehört es von vorneherein dem Nebensatz an, aus dem der dass-Satz hervorgeht. Es hat somit kein Übertritt über die Satzgrenzen, keine Verschiebung der Satzgrenzen stattgefunden. Eine zentrale Rolle bei dem hier propagierten Szenario spielt die folgende ahd. Belegklasse, die generell kaum Beachtung gefunden hat 56 und deren mögliche Rolle bei der Entstehung der Konjunktion dass bislang noch gar nicht in Erwägung gezogen worden ist: (117) a. nist

níaman thero fríunto niemand derer Freunde thaz mír zi thiu gihélfe THAZ mir zu dem verhelfe ‚Es ist niemand unter meinen Freunden, der mir dabei hilft’ (Otfrid III 4, 23) b. Nist búrg thaz sih gibérge · thiu sténtit ufan bérge NEG.ist Stadt THAZ REFL verberge die steht auf Berg ‚keine Stadt ist, dass sie sich verberge, die auf einem Berg steht = Es gibt keine Stadt, die auf einem Berg steht und sich verbirgt’ (Otfrid II 17, 13) c. Wer íst quad híar untar íu · thaz mih wer ist sprach hier unter euch THAZ mich ginénne zi thíu ernenne zu dem ‚ „wer ist der“, sprach er, „unter euch, der mich dafür erklärt?“ ’ (Otfrid III 18, 3) NEG.ist

In diesen Belegen kann thaz kein Pronomen sein, denn die Bezugsphrasen sind jeweils keine Neutra, sondern Maskulina oder Feminina. Das heißt, es muss sich um eine Verwendung von thaz als Relativpartikel handeln. Die ____________________ 55 56

Eine kondensierte Version dieses Unterkapitels ist als Axel (2009b) erschienen. Vgl. aber Behaghel (1928: 145), Erdmann (1874, Bd I: 157f.).

107 folgenden Belege sind ähnlich gestaltet, doch weisen sie nicht die Form thaz auf, sondern theiz: (118) a. Frágetun se thuruh nót · uuer ther uuári theiz gibót fragten sie durch Not wer der wäre der?/dass-es gebot ‚sie fragten ungestüm, wer derjenige sei, der es befohlen hatte’ (Otfrid III 4, 39) b. Nist untar uĔs theiz thúlte · thaz uĔsih iaman skélte NEG.ist unter uns der/dass-es dulde dass uns jemand schelte ‚es ist keiner unter uns, der es duldet, dass uns jemand beschimpft’ (Otfrid III 19, 3)

Es scheint zunächst nahe zu liegen, die Form theiz in den Beispielen auf das Relativpronomen ther oder die Relativpartikel the und enklitisches iz zurückzuführen. Das ist die Analyse, die Wunder (1965: 352) für die beiden Otfridbelege annimmt. Allerdings ist theiz in Otfrid auch in unabhängigen Kontexten belegt. Bei den übrigen 74 Belegen liegt jeweils eine Verschmelzung aus der subordinierenden Konjunktion thaz + iz vor (s. auch Wunder 1965: 237). Das spricht dafür, dass auch in den Belegen in (118) the eine ‚Nebenform’ von thaz ist, allerdings nicht von der Konjunktion, sondern von der Relativpartikel. Behaghel (1928: 145) beschreibt die Konstruktionen in (117) als eine Mischung aus Relativ- und Konsekutivsätzen, Erdmann (1874, Bd. I: 157) dagegen spricht im Falle von (117)-a nur von einem ‚Folgesatz’ und setzt diesen Beleg gleich mit Belegen des folgenden Typs: sint theso Xাmahti · tház er iz firuuórahti sind diese Gebrechen THAZ er es verschuldete-KONJ ‚die Krankheit ist nicht eine solche, dass er sie selbst verschuldet hätte’ (Übersetzung von Erdmann 1874, Bd. I: 157) (Otfrid III 20, 9)

(119) ni

NEG

Problematisch an dieser Gleichsetzung ist, dass bei den Beispielen (117)-b und -c im Gegensatz zu Beleg (119) im thaz-Satz das Subjektpronomen fehlt. Zwar war das Ahd. eine partielle Nullsubjektsprache, jedoch waren Nullsubjekte nur in post-finiter Stellung lizenziert und traten daher bis auf wenige Ausnahmen in Nebensätzen mit Verbendstellung kaum auf (Axel 2005, Axel 2007: Kapitel 6). Als Alternative liegt es nahe, thaz als eine Relativpartikel zu analysieren wie das engl. that: 57 58 ____________________ 57

In der klassischen Analyse des that-Relativsatzes von Pesetsky (1982) wird der Index des Nulloperators auf den Komplementierer selbst übertragen (Opi thatĺ thati). In ähnlicher Weise schlägt Rizzi (1990) vor, dass that in C0 das Merkmal

108 (120) [CP Opi [C´ [C thaz ][ ti mir ziu thiu gihelfe ]]]

Diese Analyse erhält indirekt Bestätigung durch die folgenden Daten: (121) a. Zi erist frágeta er bi tház · thaz er es hártos insáz · zu erst fragte er bei dem THAZ er es-GEN sehr befürchtete ‚zuerst fragte er nach dem, was er so sehr befürchtete’ (Otfrid IV 21, 3) b. Wanta állaz thaz sies thénkent · sie Õࡆ zҕ al mit sie es alles mit denn alles THAZ sie-es-GEN denken góte uuirkent · Gott wirken ‚denn alles, auf das sie sinnen, wirken sie mit Gott’ (Otfrid I 1, 105) c. … mit iu sáman auur drínku mit euch zusammen wiederum trinke níu uuaz thaz iu iz líche · in mines fáter riche THAZ euch es gefalle in meines Vaters Reiche Neues ‚… trinke ich wiederum mit euch zusammen ein neues Getränk, das euch gefallen mag, im Reiche meines Vaters’ (Otfrid IV 10, 7) d. ther man ist nú untar iu der Mann ist nun unter euch thaz sínu uuort giméinent · uuaz thisu uuérk zeinent THAZ seine Worte meinen was diese Werke bezeichnen

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[+pred] trägt. In beiden Ansätzen nähern sich die Eigenschaften von that denen eines Pronomens an. Partikel-Relativsätze gibt es auch noch in einigen heutigen Dialekten (s. Fleischer 2005 für einen Überblick). Ausführlich diskutiert wurde v.a. der bairische woRelativsatz. In der ersten generativen Analyse zum bairischen wo-Relativum von Bayer (1984) wird eine Tilgungsoperation angenommen. Die Motivation für diese Annahme ist die komplexe Distribution von wo-Relativsätzen. Dieser Konstruktionstyp ist im Bairischen nur möglich, wenn das ‚leere’ Relativpronomen im Kasus mit dem Bezugsnomen kongruiert oder die Form eines Nominativs hat. Da im Fem. Sg. und im Pl. in allen drei Genera die Nominativ- und Akkusativformen synkretisch sind, können in diesen Fällen auch akkusativische Relativpronomina „leer“ sein. Diese Beobachtung spricht, so argumentiert Bayer, dafür, dass es gerade kein leeres Relativpronomen gibt, sondern dass das Phänomen durch die Tilgung eines Relativpronomens zu beschreiben ist. Allerdings stellt sich hierbei das Problem, auf welcher Ebene die Tilgung erfolgt. Wie Sternefeld (2006, Bd. I: 387) ausführt, kann dies kein rein phonologischer Prozess sein, da ja die Kasusmerkmale nicht getilgt („erased“) werden dürfen. Was das Ahd. angeht, ist bei allen überlieferten Belegen das „leere“ Relativpronomen ein Nominativ. Die Anzahl der Belege ist aber viel zu gering, um daraus eine Distributionsrestriktion abzuleiten.

109 ‚der Mann ist nun unter euch, dessen Worte euch das verleihen werden, was diese Taten andeuten’ (Otfrid I 27, 51) e. So uuér quad untar íu si · thaz er súntiloser sí so wer sagte unter euch sei THAZ er sündenlos sei ‚ „Wer“, sagte er, ist unter euch, der ohne Sünde ist?“ ’ (Otfrid III 17, 39)

Kelle (1869: 602) sieht in thaz in Beleg (121)-e das Pronomen. Diese Analyse kann allerdings nicht richtig sein, denn es gibt keine Argumentstelle, die das Pronomen sättigen könnte: Statt durch das Relativpronomen wird die syntaktische Leerstelle in (121) jeweils durch ein Personalpronomen gesättigt. Diese Relativierungsstrategie ist gewissermaßen das ‚overte’ Pendant zu der in den Belegen in (117): Statt durch eine Spur, (122)-a, wird die Variable im Relativsatz durch ein resumptives Pronomen angezeigt, (122)-b. 59 (122) a. [CP Opi [C´ [C thaz ][ ti mir ziu thiu gihelfe ]]] = (120) b. [CP Opi [C´ [C thaz] [er esi hárto insáz ]]]

Resumptive Relativsätze sind auch noch in einigen modernen deutschen Dialekten gebräuchlich. Im Zürichdeutschen werden Relativsätze analog zu den ahd. Belegen in (121) konstruiert, lediglich die Relativpartikel ist anders: Statt dass wird hier wo verwendet: (123) a. de Bueb, wo mer *(em) es Velo versproche händ der Bub WO wir ihm-DAT ein Rad versprochen haben ‚der Bub, dem wir ein Rad versprochen haben’ b. Frau, won i von *(ere) es Buech übercho ha die.Frau wo ich von ihr-DAT ein Buch bekommen habe ‚die Frau, von der ich ein Buch bekommen habe’ c Das deet isch de Typ, won i geschter *(sini) WO ich gestern seine das da ist der Typ Fründin verfüert han. Freundin verführt habe ‚das da ist der Typ, dessen Freundin ich gestern verführt habe’ (aus Salzmann 2006a: 18, Bsp. 1c–e)

____________________ 59

Bereits Erdmann (1874, Bd. I: 133) hat diese Relativierungsstrategie präzise erfasst: „Man kann sagen, dass hier die Functionen des Relativpronomens geteilt sind: die formale Verbindung mit dem Hauptsatze übernimmt die manigfach gebrauchte Conjunction tha‫ݤ‬, die Andeutung des einzelnen gemeinsamen Gegenstandes im Nebensatze (wie bei selbständiger Anfügung [...]) das persönliche Pronomen er (es, i‫ݤ‬, sîn)“.

110 Wie Salzmann (2006a: 18) ausführt, tritt im Zürichdeutschen das Resumptivpronomen in der Zugänglichkeitshierarchie von Keenan & Comrie (1977), (124), abwärts von Dativobjekten sowie bei Possessiva auf. Salzmann gibt jeweils ein Beispiel mit einem Dativobjekt, Präpositionalobjekt und Possessivum, allerdings keines mit einem Genitivobjekt, was wahrscheinlich daher rührt, dass es im Zürichdeutschen kaum mehr Verben gibt, die ein Genitivobjekt selegieren. Bei Subjekten und Akkusativobjekten sind resumptive Relativsätze ungrammatisch. (124) SU > DO > IO > OBL > GEN > OCOMP (Keenan & Comrie 1977: 66) SU = ‚subject’, DO = ‚direct object’, IO = ‚indirect object’, OBL = ‚major oblique noun phrase’, GEN = ‚genitive/possessor’, OCOMP = ‚object of comparison’

:LH6XĔHU  EHPHUNWJLEWHV6SUDFKHQLQGHQHQVRZRKOHLQÃNRnventioneller’ als auch ein resumptiver Relativsatz bei sämtlichen Kategorien und Satzgliedfunktionen realisiert werden kann, als auch Sprachen, in denen bei bestimmten Kategorien oder Funktionen ein konventioneller Relativsatz nicht möglich oder umgekehrt ein resumptiver ausgeschlossen ist. Das Zürichdeutsche fällt in die zweite Gruppe: Die konventionelle, d.h. die nichtresumptive Strategie, ist in oben genannten syntaktischen Kontexten (bei Dativ-, PP-Objekt und Possessivum) ausgeschlossen, bei Subjekten und Akkusativobjekten dagegen obligatorisch. Was die Datenlage im Ahd. angeht, so sind nur sehr wenige Belege überliefert. Bei Otfrid sind an unstrittigen Belegen nur die vier in (121) bezeugt. Bei diesem Material kann man aber immerhin erkennen, dass neben Genitivobjekten und Possessiva die resumptive Strategie auch bei Subjekten vorkam, (121)-c. Bei Subjekten war allerdings auch ein partikeleingeleiteter Relativsatz ohne Resumptivum möglich, wie die Belege in (117) und (118) zeigen. Die Frage, ob bei Genitivobjekten und Possessiva die Resumptiva ebenfalls weglassbar waren, lässt sich nicht beantworten. Aus typologischer Perspektive ist aber gezeigt worden, dass bei Sprachen, die bei direkten Objekten zwischen der resumptiven und nichtresumptiven Strategie alternieren, die resumptive Strategie bei obliquen und bei Präpositionalobjekten häufig obligatorisch ist. Dies ist z.B. im Yiddischen, (125) 60, Hebräischen, Irischen und Walisischen der Fall (Suñer 1998). (125) a. mentshen vos a shlang hot (zey) Menschen C eine Schlange hat sie ‚Menschen, die eine Schlange gebissen hat’ b. es iz geven a melamed, vos es iz es ist gegeben ein Lehrer C es ist

gebisn direktes Objekt gebissen *(im) zeyer shlekht ihm sehr schlecht

____________________ 60

Die Beispiele sind aus Suñer (1998) adaptiert (und mit deutschen Glossen und Übersetzungen versehen). Suñer hat sie Prince (1990) entnommen.

111 gegangen. obliques ‚Subjekt’ gegangen ‚es war einmal ein Lehrer, dem es sehr schlecht ging’ c. dos iz oykh a shlekhte krenk, die gelt vos das ist auch eine schlechte Krankheit die Gelder C *(zeyer) har hot fun zey sores. Possessiv ihr Besitzer hat von sie Sorgen ‚es ist auch eine schwere Krankheit, (nämlich) die Gelder, deren Besitzer Sorgen durch sie hat’ (Suñer 1998: 338, Bsp. 10, & 339, Bsp. 19, & 341, Bsp. 29)

Bei (nichtobliquen) Subjekten ist die resumptive Strategie häufig ungrammatisch (z.B. im Irischen und Walisischen, vgl. Suñer 1998: 342). Das Yiddische erlaubt dagegen wie das Ahd. beide Strategien. Neben den gerade beschriebenen nichtresumptiven und resumptiven Relativsätzen ist die Relativpartikel thaz in Otfrid und weiteren Denkmälern 61 auch bei einem präpositionalen Antezedens bezeugt: (126) a. in mína zungun thíono · in meiner Zunge diene ouh in ál gizungi · in thíu thaz ih iz N~QQLÚ THAZ ich es könne auch in jeder Zunge in der ‚(dass ich) in meiner Sprache diene, auch in jeder Sprache, in der ich es vermag’ (Otfrid I 2, 41)

Die Fügungen in thiu thaz, mit thiu thaz und QƗKWKLXWKD](= P + Demonstrativpronomen im Instrumental + thaz-Satz) können auch als eine Art komplexer Subordinatoren zur Einleitung von temporalen Adverbialsätzen verwendet werden. Auch hier ist thaz als Relativpartikel zu analysieren (Fleischmann 1973: 203). In Abschnitt 2.3.4 wurde argumentiert, dass auch bei präpositionalen Fügungen mit einem fakultativen akkusativischem Demonstrativpronomen (z.B. unzi (daz) thaz) der thaz-Satz ein Adjunktsatz sei. Auch hier kann thaz als Relativpartikel analysiert werden. Für das Altenglische erwähnt Allen (1977: 102) (s.u.), dass die Relativpartikel þæt v.a. bei Antezedenten im Neutrum und nach Zeitangaben verwendet wurde. Dazu passt auch der ahd. Gebrauch von thaz in den präpositionalen Fügungen, denn hier ist das Antezedens, der relative Kopf, der Akkusativ oder Instrumental des Demonstrativpronomens im Neutrum. ____________________ 61

Vgl. auch: (i) soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo so wie man zu Recht seinem Bruder (beistehen) soll, auf dass er mir genauso tue, ... (Straßburger Eide)

112 Bei Otfrid und im Tatian sowie in weiteren ahd. Texten ist die Relativpartikel thaz nach Temporalausdrücken als Antezedenten belegt (s. auch Harbert 2007: 439): (127) after thero ziti thaz er suohta ʜ fon then magin nach der Zeit THAZ er ersuchte von den Weisen ‚der Zeit entsprechend, die er von den Weisen erfahren hatte’ secundum tempus quod exquisierat ʜ a magis, (Tatian 41, 12)

Der Gebrauch von daz als Relativpartikel bei Temporalangaben lebt noch in mhd. Zeit fort: 62 87F

(128) a. und der im vil geschadet hatt von den zyten das er was uberwunden an dem urlage. (Lancelot 2, 20) b. GD]ZLULHPLULQYQǕLUPHgimvote heigiQGHQWDNGD]XQǕJRWLUORǕWH (Züricher Predigten 29, 11) c. manich tvsint mensch wart von in bechert vntze vf den tach, daz in beiden lonen wolt der almehtige got ir arbeit. (St. Pauler Predigten 12, 8) d. H]LǕWKĤWHGHUDFKWHWDJJRWHVGD]KHJHERUQZDUW (Jenaer Martyrologium 1) e. ... v͑۷ von dem malHGD]KHǕHFKFHQLDUDOWZDVEL]DQǕLQKXQGHUǕWHLDUDO eine was in dem walde. (Jenaer Martyrologium 3) f. Der keisir Octavianus der zu rome was in den geziten daz unsir herre geborn wart von sancte marien (Mitteldeutsche Predigten 30) g vnde die lange arbeit. die er leit. von dem male daz er geboren wart. (Salomons Haus 443) h. Und von der zît daz er enpfangen wart, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 281, 28)

Selbst im Nhd. gibt es Fügungen, in denen dass als Relativpartikel verwendet wird (vgl. Curme 21952: 202): (129) das letzte Mal, daß ich ihn sah (Curme 21952: 202)

____________________ 62

Ein weiteres Beispiel wäre die Fügung die wîle daz, bei der sich die Relativpartikel daz an den adverbialen Akkusativ die wîle anschließt (Paul 252007: 406) und die (neben die wîle und und die wîle so, s. auch Ferraresi und Weiß 2011) die Vorläuferkonstruktion unserer heutigen kausalen Subjunktion weil war.

113 Vergleicht man die Verhältnisse im Ahd. mit denen in den heutigen deutschen Dialekten, so kann man feststellen, dass sie durchaus nicht atypisch sind. Wie Fleischer (2004, 2005) aus detaillierten Untersuchungen zu einer ganzen Reihe deutscher Dialekte schlussfolgert, finden sich häufiger unflektierte Partikeln (mit oder ohne weitere Elemente) als Relativpronomina, die eher für die Standardsprache kennzeichnend sind. In den höheren Positionen auf der Zugänglichkeitshierarchie von Keenan & Comrie (1977) trete häufig eine unflektierte Partikel 63 allein auf, in den tieferen Positionen dagegen, und zwar vor allem in der OBL-Position, meist eine Partikel in Verbindung mit einem (von einer Präposition abhängigen) Pronomen oder einem sonstigen resumptiven Element. Das Phänomen, dass in pronominal eingeleiteten Relativsätzen zusätzlich eine Relativpartikel vorhanden ist, ist auch in anderen ahd. Texten belegt. Im Tatian z.B. sind zahlreiche Relativsätze überliefert, bei denen die Partikel the zum Pronomen ther/thiu/thaz hinzutritt (= [CP theri [C´ [C the] [... ti ... ]]]). Allerdings betrifft das hier auch die höheren Positionen auf der Zugänglichkeitshierarchie. Bei präpositionalen Fügungen ist die Relativpartikel thaz bezeugt (z.B. in thiu thaz, QƗKWKLXWKD]). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es im Ahd. eindeutige Evidenzen für die Existenz der Relativpartikel thaz gibt.

Die Reanalyse der Relativpartikel thaz als Komplementierer Da es Evidenzen dafür gibt, dass thaz im Ahd. vor allem in der Varietät Otfrids von Weißenburg neben seiner unstrittigen Verwendung als demonstratives bzw. relatives Pronomen und Konjunktion auch als Relativpartikel belegt ist, liegt ein alternatives Szenario für die Entstehung der Konjunktion nahe, das auch aus komparativ-typologischer Perspektive Bestätigung findet. Es liegt auf der Hand, dass sich die Relativpartikel durch Reanalyse des Relativpronomens entwickelt hat: ____________________ 63

So verweist Fleischer (2005: 182) auf die Beobachtung von Wiese (1917: 71), dass in gewissen ostfränkischen und bairischen Dialekten Relativsätze mit einer Partikel eingeleitet werden, die dem standardsprachlichen dass entspricht. Fleischer hat hierfür in seinen binnendeutschen Quellen zwar keine Belege finden können, er führt jedoch entsprechende Belege aus dem Pennsylvania-Deutschen an: (i) der Mann, ass der Schtorkipper is der Mann dass der Ladenbesitzer ist (Haag 1982: 225) (ii) es Kaendi ..., ass er geguckt hot defor das Bonbon dass er geschaut hat dafür (Haag 1982: 226) Hier kann jedoch die Interferenz des Englischen eine Rolle gespielt haben.

114 (130) a.

b. CP 6SHF&‫މ‬ĺ thazi C ... ti ...

CP 6SHF&‫މ‬ Opi C thaz

… ti …

Der Übergang von Relativ- oder Interrogativpronomina zu Komplementierern ist für zahlreiche Sprachen beschrieben worden (z.B. lat. quod, franz. que, poln. co griech. opou/ pou und oti, persisch ke, vgl. auch Lehmann 1995: 1213–1215 für weitere Beispiele). Auch in den heutigen deutschen Dialekten gibt es zahlreiche Relativpartikeln, die aus interrogativen/relativen Pronomina hervorgegangen sind (z.B. nordbair. wos/jiddisch vos, moselfränk./ostfränkisch/niederalemannisch wo, vgl. Fleischer 2004, 2005). 64 Man kann nun annehmen, dass in vorahd. Zeit solche durch thazeingeleiteten Relativsätze quasi-explikativ zu einem korrelativen Pronomen im vorausgehenden Satz auftraten. Im Bengali und im Japanischen gibt es einen Typ der Nomenmodifikation, der diesen Schritt exemplifiziert: (131) a. chele-Ta e kOtha jane na *(je) baba aSbe this story knows not C father come will boy-CL ‚the boy does not know it that his father will come’ (Bayer 2001a: 21, Bsp. 10) b. [rokugatu no sue ni kaette-kuru toiu] hanasi wa June GEN end TIME return-come COMP story TOP kiite-imasita keredo ... heard-had but ‚I heard the story (that) (she) would be coming back at the end of June, but ...’ (Matsumoto 1997: 136, Bsp. 1)

____________________ 64

Was hier nicht beantwortet werden kann, ist die Frage, wie in einem vorangegangenen Schritt das Relativpronomen ther/thiu/thaz, vgl. (130)-a, entstanden ist. Bei den oben beschriebenen Theorien von Horacek (1957) und Erdmann (1874, Bd. I) wurde jeweils davon ausgegangen, dass sich das dRelativpronomen durch Übertritt des im vorausgehenden Satz kataphorisch gebrauchten demonstrativen Korrelats über die Satzgrenze entwickelt hat. Diese Übertrittstheorie ist allerdings nicht die einzige Theorie. Alternativ wurde vorgeschlagen (z.B. Lenerz 1984), dass sich das Relativpronomen aus einem anaphorischen Pronomen entwickelt und somit immer schon Teil des entstehenden Relativsatzes war und kein Übertritt über die Satzgrenzen stattgefunden hat. Vgl. auch Kapitel 4.

115 Wie Bayer (2001a) ausführt, steht in dem bengalischen Satz (131)-a die jeCP nicht in einer A-Position, sondern die A-Position wird durch eine korrelative ‚dummy-NP’-besetzt (= e kOtha). Statt einer komplexen ‚dummy NP’ könne als Korrelat auch ein monomorphematisches Pronomen wie ta oder das demonstrative Pronomen eta auftreten. Das Korrelat sei kasus- und thetamarkiert, der je-Satz werde durch Koindizierung mit kOtha lizenziert, wobei je als allgemeiner Relativierer fungiere ähnlich wie im Englischen such that. Der Relativsatz spezifiziere somit den Inhalt der ‚dummy NP’. Im Japanischen komme eine ähnliche Konstruktion vor (ibid. 21, Fn. 1): In dem Beispiel (131)-b liege ein semantisch ähnlicher relativer Kopf vor, wie im Bengalischen gebe es einen speziellen Relativierer bzw. Komplementierer, nämlich toiu. Der einzige Unterschied bestehe darin, das im Japanischen Sätze nicht extraponiert sind. Die Konstruktion im Bengalischen lässt sich wie folgt analysieren: (132) dummy NP1 V0 [CP OP1 ...]1 (adaptiert aus Bayer 2001a: 22, Bsp. 11)

Wie Lühr (2008) argumentiert, muss eine ähnliche Struktur auch im ProtoIndo-Europäischen vorgelegen haben: that-clauses in Proto-Indo-European […] were adjoined and not embedded […] they were apparently originally relative clauses connected to a reference word. (Lühr 2008: 156)

Überträgt man dieses auf das Vorahd., so würde man hier aufgrund der Evidenzen in den überlieferten ahd. Texten vermuten, dass als Korrelat statt der ‚dummy NP’ in der Regel das Pronomen thaz auftrat. Neben thaz sind auch im Ahd. substantivische Fügungen in der Funktion einer ‚dummy NP’ belegt. Bei Otfrid und Notker ist zum Beispiel die DP thaz thing/das ding bezeugt (vgl. auch Müller & Frings 21959: 50). 65 Der Relativsatz wurde durch die Relativpartikel thaz eingeleitet, (133)-a. Wenn man nun annimmt, dass das Korrelat nicht immer overt realisiert werden musste, sondern als (evtl. kontextuell lizenziertes) Nullpronomen auftreten konnte (als Objekt- oder Subjektpro), dann liegt das folgende Reanalyseszenario nahe.

____________________ 65

(i) Ni dróst& iuih in thiu thíng thaz íagilih ist édiling (Otfrid I 23, 45) (ii) XUFKXQGHGHURXXDUKHLWHVHOEHURV\QDJRJĊGHVGLQges . daz Christes chomen sol (Np 79, 1; zit. nach Müller & Frings 21959: 50)

116 (133) a.

b. CP

CP CPj

CP

… VP

DPj

OP C'

DP

V'

pro C0 thaz

... t …

V

CP 66 thaz …

Eine solche Reanaylse wird auch von Bayer (2001a: 21) für das Bengali postuliert. 67 Paul (101995: 145) beschreibt diesen „wichtige[n] Schritt zur Erzeugung komplizierter Gebilde“ als einen Vorgang, durch den „das Objektverhältnis auf einen Satz übertragen wurde“. Voraussetzung ist, dass man annimmt, dass die Thetamarkierung in einer gegebenen Sprache nicht parametrisch festgelegt ist, sondern von der phrasenstrukturellen Konfiguration und einer lexikalischen Eigenschaft des involvierten Kopfs abhängt. Denn ____________________ 66

67

In dieser Struktur wird der dass-Satz in nichtkanonischer Position als rechte Schwester von V basisgeneriert. Somit unterstützt das hier propagierte diachrone Szenario die Basisanalyse, die – wie in Abschnitt 2.2.1 dargelegt – von einer ganzen Reihe von Autoren auch fürs Gwd. anhand von synchroner Evidenz verfochten wird. Schon in der Ausgangsstruktur (133)-a ist der quasi-explikative thaz-Relativsatz im Nachfeld basisgeneriert und an die Matrix-CP rechtsadjungiert. Eine ähnliche Struktur schlägt Sudhoff (2003: 100f.) in Anlehnung an Pütz (21986) für die gwd. Proform-Konstruktion (z.B. dass Fred vielleicht das/es behauptet, dass …) vor, wobei in seiner Analyse der dass-Satz kein Relativsatz ist. Wie in Kapitel 5 ausführlich gezeigt wird, waren Relativsätze ursprünglich nicht eingebettet. Es gibt Evidenzen, dass einst das korrelative Diptychon die primäre Relativierungsstrategie war, bei der der Relativsatz in einer peripheren Position rechts- oder linksadjungiert zur Matrix-CP basisgeneriert wurde. Wobei jedoch Bayer davon ausgeht, dass die ‚deletion’ der ‚dummy NP’ und die Reanalyse des Relativoperators in einem Schritt erfolgten. Außerdem argumentiert Bayer dafür, dass die ‚dummy NP’ durch die Reanalyse nicht komplett getilgt wird, sondern dass ihr Objektmerkmal nicht von der Tilgung betroffen ist ( ... F1 V0 [CP C0 ...]1). Die Präsenz dieses Objektmerkmals (= F) erkläre, warum der jeSatz nicht nach links bewegt werden kann (Scrambling, Topikalisierung), denn dies führe zu einer Cross-over-Verletzung. Aus demselben Grund könne auch im Gwd. ein dass-Objektsatz nicht über ein koindiziertes Korrelat-es im Mittelfeld topikalisiert werden (Bayer 2001a): (i) [Daß Peter nicht kommt]1 habe ich (*es1) gewußt t1. (Bayer 2001a, Endnote 18, Bsp. (i))

117 nach der Reanalyse, vgl. (133)-b, weist ja das Verb die Theta-Rolle der rechtsstehenden CP zu, die nicht in der ‚kanonischen’ Rektionsrichtung liegt. Dieses neue Szenario hat folgende Vorteile: Es gab keine radikale Reanalyse der Satzgrenzen, denn thaz gehörte sowohl vor als auch nach der Reanalyse dem Nebensatz an. Es fand kein radikaler Wandel im Status des entstehenden thaz-Objekt/Subjekt-Satzes statt: Dieser war auch vor der Reanalyse ein Nebensatz. Was sich geändert hat, war lediglich, dass er vom Adjunktsatz zum Komplementsatz wurde. Das neue Szenario findet darüber hinaus indirekte Bestätigung durch die komparative Evidenz, dass sich in zahlreichen indoeuropäischen Sprachen Komplementierer aus Relativ- bzw. Interrogativpronomina entwickelt haben. Die bislang herrschende Lehrmeinung, dass sich die Konjunktion thaz aus dem Demonstrativpronomen (Neutr., Nom./Akk.) entwickelt hat, müsste nach dem hier propagierten Szenario revidiert werden: Die Konjunktion thaz hat sich aus der Relativpartikel thaz entwickelt, die ihrerseits aus dem Relativpronomen (Neutr., Nom./Akk.) hervorgegangen ist. Das Relativpronomen ist aus dem Demonstrativpronomen entstanden.

Die Entwicklung der Konjunktion that im Englischen Im Englischen werden Komplementsätze durch die Konjunktion that eingeleitet, die kognat zum deutschen dass ist. Wie bereits erwähnt, ist nach gängiger Forschungsmeinung auch im Englischen die Konjunktion durch Übertritt des Korrelats that über die Satzgrenzen entstanden (I think that: the earth LVURXQGĺ,WKLQNWKDWWKHHDUWKLVURXQG, vgl. Mitchell 1985, Bd. II: 14, Allen 1977: 126, Roberts & Roussou 2003: 118, van Gelderen 2004: 89–92). Hierbei ergeben sich im Wesentlichen dieselben Probleme wie oben für das (Vor-)Ahd. beschrieben. Wenn man jedoch die Hypothese aufrechterhalten will, dass die deutsche Konjunktion dass aus der Relativpartikel hervorgegangen ist, sollte sich dies auch aufs Englische übertragen lassen. Im Gegensatz zum Deutschen ist im heutigen Englisch that nicht nur Pronomen und subordinierende Konjunktion, sondern auch Relativpartikel: (134) a. Peter said that (Pronomen) b. Peter said that the earth is round (Konjunktion) c. The man that corrupted Hadleyburg and other stories (Relativpartikel)

Wie im Deutschen, so ist auch im Englischen die Konjunktion þæt (Allen 1977: 125– 128) bereits in den frühesten überlieferten Texten belegt. Die Hypothese, dass das englische þæt ebenfalls durch eine Reanalyse der Relativpartikel entstanden ist, wäre nur dann plausibel, wenn es bereits im Altenglischen Evidenzen dafür gab, dass þæt als Relativpartikel verwendet wer-

118 den konnte. Es wird immer wieder behauptet, dass die historische Entsprechung von partikeleingeleiteten Relativsätzen im Englischen die þeRelativsätze waren (Allen 1977: 75–76). In der Tat war þe die mit Abstand häufigste altenglische Relativpartikel, sie trat entweder allein auf oder in Kombination mit dem demonstrativen Pronomen (se þe, vgl. ahd. therde). Jedoch ist auch þæt als Relativpartikel durchaus belegt: (135) a. Se Haelend him saede ÿaet ÿaet he sylf wiste the Savior him said that that he self knew ‚The Savior said to him that which he knew himself) (Alc.P.XII.178) b. Ond ÿaet seolfe waeter, ÿaet heo ÿa and the self water-NEUTR.ACC.SG. that they the baan mid ÿZRJRQ guton in aenne ende ÿDHUH bones with washed poured-out in one end the-GEN cirican church-GEN ‚And poured out the water that they washed the bones in at one end of the church’ (Bede II.2 p.184.3) c. Ða for he forÿ bi ÿaem scraefe then went he forth by the-NEUTR.DAT.SG cave-NEUTR.DAT.SG ÿaet he oninnan waes that he within was ‚Then he1 went forth by the cave that he2 was within’ (Sweet CP p.197.12) d. Nu is se tima ÿaet deos woruld is now is the time-MASC.NOM.SG that this world is gemaencged mid meanigfealdan mane confused with many evils ‚Now is the time that this world is confused with many evils’ (Wulf.V.24) (a –d zit. nach Allen 1977: 102, Bsp. 80–82, 103, Bsp. 83)

Insgesamt betrachtet wurde nach Allen (1977: 102) die Relativpartikel þæt nur eingeschränkt verwendet, am häufigsten war sie in Relativsätzen, deren Antezedenten neutrales Genus hatten wie in (135)-a–c und bei Relativsätzen, deren Köpfe temporale Bedeutung hatten, (135)-d. Wenn als relativer Kopf das Indefinitpronomen eall ‚all-’ auftrat, wurde fast immer þæt gesetzt: (136) Sawla nergend se us eal fogeaf ÿaet we on lifgaÿ soul’s savior who us all gave that we on live ‚soul’s savior, who gave us all that we live on’ (Ex. Gnomic 135; zit. nach Allen 1977: 103, Bsp. 86)

119 Die Beobachtung Allens, dass relatives þæt bei neutralem Kopfnomen häufig ist, mag die Frage beantworten, warum þæt und nicht þe als Argumentsatzsubjunktion reanalysiert wurde. Auch im Altenglischen war es der Fall, dass argumentrealisierende þaet-Sätze häufig das Korrelat þæt im Hauptsatz aufwiesen, vgl. (135)-a. Das deutet darauf hin, dass als ‚dummy-NP’ in der Struktur vor der Reanalyse typischerweise das Pronomen þæt auftrat. Da es sich um ein Neutrum handelte, wurde in diesem syntaktischen Kontext die Relativpartikel þaet präferiert. Dass die Konjunktion þæt relativischen Ursprungs ist, legen auch Belege mit der Form þætte 68 nahe, die Allen (1977: 128) zufolge in den älteren Texten, die vor dem 10. Jahrhundert entstanden sind, auftreten: (137) a. Ða eode he eft Iohannes to ÿam geat-wearde & gespraec, then went he later John to the gate-keeper and spoke ÿaette he Petrus infor-lete that he Peter let-in ‚and then he, John, went and spoke to the gate-keeper, in order that he let Peter in’ (Ver. I. 68) b. Nu ic wilnige ÿaette ÿoes spraec stigge on ÿaet now I will that this discourse rise in the ingeÿonc ÿaes leorneres mind of-the learner ‚Now I will that this discourse rises in the mind of the learner’ (Cp p. 23.16) (Allen 1977: 128, Bsp. 165–166)

Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten, wie þætte aus dem Pronomen entstanden sein könnte: Entweder die Reanalyse des Pronomens þæt zu einer Relativpartikel in C erfolgte nach dem Verlust der Partikel þe in C oder aber das Pronomen in SpecC wurde zunächst zusammen mit der Partikel als C0Element reanalysiert und der ‚Partikelteil’ ging danach durch phonologische Reduktion verloren. 69 Die Tatsache, dass in den frühen altenglischen Texten in Relativsätzen in der Tat die zweisilbige Form þætte belegt ist, spricht für das zweite Szenario. Dass in den alten Texten þætte auch außerhalb von Relativsätzen als Konjunktion in argumentrealisierenden Sätzen belegt ist, kann man darauf zurückführen, dass die Reanalyse der Relativpartikel als Komplementierer erfolgte, bevor der ‚Partikelteil’ te durch phonologischen Schwund verloren ging. Der nichtrelative Komplementierer þætte weist also mit der te-Silbe noch einen Reflex seines relativischen Ursprungs auf. ____________________ 68 69

Wie Allen (1977: 129) argumentiert, liegt in der Form þætte eine Assimilation des anlautenden Konsonanten von þe an den auslautenden Konsonanten von þæt vor. Vgl. auch Roberts & Roussou (2003: 119, Bsp. 79).

120 Delbrück (1904: 207) argumentiert, aengl. þaet, afr. thet, as. that und ahd. thaz zeigten „eine solche übereinstimmung ihrer anwendung, dass es unnatürlich wäre, für jede der genannten conjunctionen besonderen ursprung anzunehmen“. Im Altisländischen und Altschwedischen gab es die Konjunktion at. Er rekonstruiert daher (ibid.: 211) die nordisch-westgermanische Konjunktion *þat. Wenn diese Hypothese richtig ist, dann fällt die Entwicklung der Komplementierer nicht in die einzelnen Tochtersprachen wie oben für das Ahd. und Altenglische angedeutet, sondern ist älter. Die Schlussfolgerung Delbrücks ist jedoch nicht zwingend: Die Tatsache, dass im Ahd. und Altenglischen parallele Konstruktionstypen belegt sind und diese in der oben beschriebenen Weise synchron die notwendigen Zwischenschritte in einem diachronen Reanalyseszenario repräsentieren, wäre auch mit der Hypothese zu vereinbaren, dass sich die Konjunktion in den Tochtersprachen kongruent entwickelt hat. Eine ähnliche Situation wie im Altenglischen bestand im Gotischen: Hier konnten Komplementsätze entweder mit der einfachen Partikel ei oder mit der komplexen Fügung þatei bestehend aus dem Nom./Akk. Neutrum des Demonstrativpronomens und der Partikel ei eingeleitet werden: (138) a. qiþa izwis ei ni fraqisteiþ mizdon seinai I-tell you that not they-will-loose treasure their (Matt. 10: 42; zit. nach Harbert 2007: 416, Bsp. 6.76b) b. qiþanuh þan ist þatei ‫ڝ‬D]XK saei afletai qen, said-and then is that whoever who might-divorce woman gibai izai afstassais bokos give her divorcement book (Mark. 5: 31; zit. nach Harbert 2007: 416, Bsp. 6.76d)

Sowohl þatei als auch ei konnten auch Relativsätze einleiten. Die Relativpartikel ei allein wurde v.a. dann verwendet, wenn der relative Kopf eine Temporal- oder Modalangabe war (Harbert 2007: 439): (139) a. fram þamma daga ei hausidedum from the day that we-heard (Col. 1: 9; zit. nach Harbert 2007: 439, Bsp. 6.102a) b. þamma haidau ei Jannes jah Mambres andstoþun Moseza in-the manner that Jannes and Mambres resisted Moses (2 Tim. 3: 8; zit. nach Harbert 2007: 439, Bsp. 6.102b)

Got. þatei ist sehr wahrscheinlich aus der Verbindung aus dem Pronomen þata und der Relativpartikel ei hervorgegangen durch Übertritt des Pronomens aus der SpecC in die C0-Position (Longobardi 1978, Ferraresi 2005). Für die nichtrelativische Konjunktion kann man annehmen, dass sie wie das ahd. thaz und das aengl. þæt(te) durch Reanalyse der Relativkonstruktion (mit einem

121 phonologisch leeren relativen Antezedens und einem explikativen Relativsatz) zu einer Komplementkonstruktion entstanden ist. Wir können somit zusammenfassend festhalten, dass die Hypothese, dass die ahd. Konjunktion thaz aus der Relativpartikel hervorging, die ihrerseits auf eine Reanalyse des Relativpronomens zurückgeht, sowohl angesichts synchron-innerahd. Evidenzen als auch komparativer Evidenzen aus dem Altenglischen und dem Gotischen plausibel erscheint. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich sogar für das bengalische je rekonstruieren.

2.5

Zusammenfassung

Dieses Kapitel widmete sich den dass-Sätzen in Objektfunktion. Auf den ersten Blick scheint dieser Satztyp in einer Abhandlung über nichtkanonische Nebensätze fehl am Platze zu sein. Es ist in der Tat der Fall, dass dass-Sätze, insbesondere solche in Objektfunktion, innerhalb der generativen Grammatik neben den ‚normalen’ Relativsätzen gewissermaßen als prototypische Vertreter von Nebensätzen gelten. Vergleicht man jedoch im Deutschen die Syntax von Objektsätzen mit der von nichtsententialen Objekten, dann ergeben sich eklatante Unterschiede: So treten Objektsätze kaum in der kanonischen Objektposition links vom Verb auf, sondern stehen fast immer im Nachfeld. In einer Reihe von Arbeiten wurde vorgeschlagen, dass sie in dieser Position als Komplemente von V in nichtkanonischer Rektionsrichtung basisgeneriert sind, was auch aus sprachgeschichtlicher Perspektive plausibel erscheint. Eine weitere Besonderheit ist, dass sententiale Objekte häufig in Kombination mit einem Korrelat auftreten. Dabei gibt es nach Pütz (21986), Zimmermann (1993) und Sudhoff (2003) mindestens zwei verschiedene Konstruktionsweisen, nämlich die echte Platzhalter- und die Proformkonstruktion. Der Test zur Abgrenzung zwischen dem eigentlichen Korrelat-es und der Proform (es oder das) erfordert, dass das Satzgefüge weiten Neuinformationsfokus hat. Aber nicht nur die Analyse von nachgestellten dass-Objektsätzen ist umstritten, sondern auch die von vorangestellten. So verficht Berman (1996) die Hypothese, dass dass-Objekt-/Subjektsätze, wenn sie vor dem vorangestellten finiten Verb erscheinen, nicht im Vorfeld, sondern weiter links in einer Art Linksversetzungskonstruktion stehen und dass im Vorfeld ein resumptives Pronomen vorliegt, das durch Topik-Drop getilgt worden ist. Wenn man dieser Analyse zustimmt, dann würde sich auch hier ein wesentlicher Unterschied zur Syntax nichtsententialer und sententialer Objekte ergeben, denn erstere sind natürlich ‚vorfeldfähig’. Es gibt jedoch eine Reihe von Einwän-

122 den gegen diese Analyse. Ein wesentliches Gegenargument ist, dass Bermans Analyse dem nicht Rechnung trägt, dass argumentrealisierende dass-Sätze unter bestimmten Umständen auch im Mittelfeld stehen können. Zwar ist diese Stellungsoption selten, aber sie ist nicht gänzlich ausgeschlossen, wie auch Originalbelege zeigen. Das Kriterium der Vorfeldfähigkeit erweist sich aus sprachgeschichtlicher Perspektive ohnehin nicht als besonders hilfreich, weil die konkurrierende Konstruktion, bei der der dass-Satz links vom Vorfeld steht und im Vorfeld durch ein overtes resumptives Demonstrativpronomen wiederaufgenommen wird, im älteren Deutsch sehr verbreitet war. Im Ahd. und Mhd. war dies die einzige belegte Konstruktion bei Voranstellung, die Vorfeldstellung (d.h. die Konstruktion ohne Resumptivum) entwickelt sich erst im Frnhd. Da auf der einen Seite die Voranstellung bei argumentrealisierenden dass-Sätzen ohnehin wesentlich seltener vorkommt als die Nachstellung und auf der anderen Seite auch im Bereich adverbialer und relativer Subordination im Ahd. und Mhd. das resumptive Muster vorherrschte, kann aus der fehlenden Evidenz für Vorfeldstellung nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Stellung ungrammatisch und dass thaz/daz-Objektsätze im älteren Deutsch keine Gliedsätze waren. Ein Phänomen, das in der Diskussion um die (externe) Syntax eine zentrale Rolle spielt, ist die Extraktionstransparenz. Wenn ein argumentrealisierender dass-Satz von einem Matrixverb mit Brückeneigenschaften subkategorisiert wird und im Nachfeld steht, dann kann v.a. in süddeutschen Varietäten aus ihm eine w-Phrase oder eine ‚normale’ XP extrahiert werden. Dies ist eines der Hauptargumente dafür, dass argumentrealisierende dass-Sätze im Nachfeld als Komplemente von V basisgeneriert sein müssen. Im Gwd. treten dass-Sätze nicht nur als Komplemente von Verben auf, sondern auch von Nomina, Adjektiven und Präpositionen. Es wurden hier nur Konstruktionen mit Präpositionen näher betrachtet. Fügungen des Typs P+dass-Satz bieten ein sicheres Indiz für den Komplementstatus des dassSatzes, da – anders als etwa bei Nominalerweiterungen durch dass-Sätze – ausgeschlossen werden kann, dass es sich lediglich um eine attributive bzw. quasi-explikative Konstruktion handelt. Die diachrone Untersuchung gliederte sich in zwei Teile. Im ersten Teil wurde untersucht, ab wann es Evidenzen dafür gibt, dass argumentrealisierende dass-Sätze Gliedsatz- und Komplementeigenschaften haben. Aus diachroner Sicht ist diese Frage deshalb so brisant, weil Korrelatkonstruktionen in den älteren Sprachstufen häufiger waren als im Gwd. Die verschiedenen Theorien zur Entstehung der dass-Sätze bzw. der Konjunktion dass wurden im zweiten Unterabschnitt des diachronen Teils behandelt. Was die Entwicklung der Komplementeigenschaften angeht, so wurden zunächst dass-Sätze im Nachfeld betrachtet. Im Ahd. und Mhd. treten in diesem Fall im Mittelfeld noch in größerem Umfang demonstrative Korrelate

123 auf als im Gwd. Es wurden neben Verben mit Akkusativrektion auch solche mit Genitiv- und mit präpositionaler Rektion untersucht. Trotz der ingesamt relativ hohen Frequenz von Korrelaten, gibt es Evidenzen, dass bereits im Ahd. bei Präpositionalsätzen die Korrelat-PP (das Pronominaladverb in traditioneller Terminologie) im Mittelfeld fakultativ ist. Das gleiche gilt für das Korrelat bei Genitivobjektsätzen. Neben demonstrativen Korrelaten ist bereits im Ahd. vereinzelt iz im Mittelfeld von Matrixsätzen mit nachgestellten Argumentsätzen belegt. Hierbei stellte sich jedoch heraus, dass es zumindest bei den Objektsätzen bei den meisten Vorkommen kontextuell nahe liegt, iz als anaphorische Proform zu analysieren. Eine sichere Unterscheidung zwischen Proform- und Platzhalter-iz kann in korpusbasierten Studien jedoch nur schwer getroffen werden. Daher bleibt es ungewiss, ob sich im Ahd. oder Mhd. die Platzhalterkonstruktion bereits entwickelt hatte. Als weiterer auf diachrone Daten anwendbarer Test für Komplementsatzstatus wurde untersucht, ab wann dass-Sätze in Verbindung mit Präpositionen auftreten. Die Konstruktion ‚P+thaz-Satz’ ist, wenn auch selten, schon im Ahd. belegt. Wesentlich häufiger kommt hier der Typ ‚P+Dem.Pron.+thaz-Satz’ vor. Es wurde argumentiert, dass bei den scheinbar zweigliedrigen Fügungen strukturell entweder ein Demonstrativpronomen phonologisch getilgt ist oder dass eine DP mit leerem Kopf vorliegt. Erst in mhd. Zeit gibt es Evidenzen dafür, dass daz-Sätze tatsächlich Komplemente von P sein können. Ein Beispiel hierfür sind die Präpositionen unz und bis, die auch relativ früh schon ohne daz einen Nebensatz einleiten können. Im Frnhd. vergrößert sich die Zahl von Präpositionen, die ein satzförmiges Komplement selegieren können. Zuverlässige Evidenz für eine Komplementationsstruktur liefern Extraktionsdaten. Bereits im Ahd. sind Beispiele mit w-Extraktion und langer Topikalisierung belegt. Allerdings sind insbesondere unter den ahd. und mhd. Belegen auch solche, bei denen übersetzungs- bzw. lehnsyntaktische Einflüsse nicht ausgeschlossen werden können. Außerdem gab es eine alternative Relativkonstruktion, die in manchen Fällen zu Ambiguitäten führte. Die (unambigen) Extraktionsdaten belegen aber, dass ‚Akkusativ’objektsätze bereits im Ahd. Komplementstatus hatten. Sie wurden in nichtkanonischer Position als rechte Schwester von V basisgeneriert. Eine Ausweitung ihrer Distribution, im Zug derer sie auch als Komplemente von Präpositionen fungieren konnten, fand jedoch, wie erwähnt, erst in mhd. Zeit statt. Im zweiten diachronen Teil wurden verschiedene in der Literatur propagierte Entstehungsszenarien für die Konjunktion thaz diskutiert und schließlich eine neue Hypothese vorgeschlagen. Es besteht Einigkeit darüber, dass sich der Komplementierer dass (ahd. thaz) aus dem Akkusativ/Nominativ Neutrum des Demonstrativpronomens der/die/das (ahd. ther/thiu/thaz) entwickelt hat. Eine gängige Hypothese ist, dass dass aus dem demonstrativem

124 Korrelat bzw. einer demonstrativen Diskurskatapher entstanden ist. Zwei Typen dieses Szenarios sind zu unterscheiden: In dem einen Typ, der v.a. in der philologischen Literatur verbreitet war, ist der Ursprung eine im engeren Sinne parataktische Satzverbindung, in der der Satz, aus dem der thaz-Satz hervorgegangen ist, ursprünglich ein Hauptsatz war, der nicht formal-syntaktisch, wohl aber interpretativ vom ersten abhängig war, insofern das kataphorische Pronomen thaz im Vorgängersatz auf ihn verwies. Es wurde argumentiert, dass die Katapher häufig am Satzende des Vorgängersatzes stand, was dazu führte, dass sie in den nachfolgenden Satz übertreten und dort als satzeinleitende Konjunktion fungieren konnte. Gegen dieses Szenario lassen sich sehr viele Einwände vorbringen, ein Hauptproblem besteht darin, dass sehr radikale Reanalyseschritte angenommen werden müssen (z.B. eine Reanalyse eines selbständigen Satzes nicht nur zu einem abhängigen, sondern sogar zu einem Komplementsatz) und dass die Verbstellungsfakten dagegen sprechen. Der zweite Typ von Szenario ist auch ein ‚Parataxe-Hypotaxe’-Szenario, aber im viel schwächeren Sinne: Hier wird ebenfalls argumentiert, dass sich der Komplementierer thaz durch Übertritt des Pronomens thaz über die Satzgrenze entwickelt hat. Doch der ‚zweite’ Satz, aus dem der thaz-Satz hervorgegangen ist, war schon vor dem Übertritt ein Nebensatz, und zwar ein uneingeleiteter, ein asyndetischer Nebensatz. Diese Auffassung wird v.a. in generativen Arbeiten vertreten, die allerdings zum größten Teil die Entwicklung des englischen that beschrieben haben. Demnach war der Satz, aus dem der that-Satz hervorgegangen ist, adjungiert, also bereits ein abhängiger Satz. Unklar bleibt der Status der Satzeinleitung. Da overt kein Komplementierer vorhanden ist, müsste man eigentlich annehmen, dass ein Nullkomplementierer in C0 stand. Auf diese Frage wurde jedoch bislang nicht eingegangen. Im vorangehenden Hauptsatz stand ein Korrelat in Form des demonstrativen Pronomens that. Durch eine Reanalyse der Satzgrenze und des Adjunktstatus des nachfolgenden Satzes sei das Pronomen in den nachfolgenden Satz übergetreten und dort als Kopf reanalysiert worden. Problematisch an diesem Ansatz ist, dass es sich bei dem ersten Schritt (Übertritt des Pronomens) um keine Reanalyse im klassischen Sinne handeln kann, denn that/thaz saturiert keine Argumentstelle des Prädikats in dem nachfolgenden Satz. Letzteres Problem ergibt sich auch in einem weiteren Typ von Szenario, wonach die Konjunktion thaz aus dem Relativpronomen thaz in einem freien Relativsatz hervorgegangen ist. Dieses Szenario ‚funktioniert’ nur in den Fällen, in denen das Verb im nachfolgenden Satz eine fakultative Ergänzung subkategorisiert, sodass vor der Reanalyse der Satz auch ohne overt realisierte Ergänzung grammatisch ist und nach der Reanalyse thaz als freies Relativpronomen die Argumentstelle overt füllt.

125 Weil sich die bisherigen Ansätze alle als problematisch erwiesen, wurde in der vorliegenden Arbeit ein alternatives Szenario vorgeschlagen, in dem ein Beispieltyp eine zentrale Rolle spielt, der bislang in der Literatur in diesem Zusammenhang noch keinerlei Beachtung gefunden hat, und zwar Relativsätze, die durch den Komplementierer/die Relativpartikel thaz eingeleitet werden. Dass dies der ‚Missing Link’ in der Entstehungsgeschichte der Konjunktion dass sein könnte, ist auch aus dem Grund plausibel, da ja im Englischen, wo die gleiche Homonymie zwischen dem (kognaten) Pronomen that und dem Komplementierer that besteht wie beim deutschen das und dass, ebenfalls diese Form der Relativpartikel (that) existiert und zwar seit altenglischer Zeit. Im Ahd. treten entsprechende Daten bei Otfrid auf, und zwar in zweierlei Form: als Relativsätze, die durch die Partikel thaz eingeleitet werden und in der Argumentposition ein resumptives Personalpronomen aufweisen, und als Relativsätze, die durch die Partikel thaz eingeleitet werden und über kein resumptives Pronomen verfügen. Es scheint unumstritten, dass die Relativpartikel thaz aus einer Reanalyse des Pronomens (Phrase zu Kopf) hervorgegangen ist. Sobald dieser Schritt erfolgt ist, ist es nicht verwunderlich, dass die satzinterne Argumentposition durch ein resumptives Pronomen gefüllt werden kann, denn der relative Satzeinleiter sättigt nach der Reanalyse nicht mehr die Argumentstelle des Verbs. Die argumentrealisierenden thaz-Sätze haben sich allerdings aus dem nichtresumptiven Typ entwickelt: Der thazSatz war ursprünglich (d.h. im Vorahd.) ein quasi-explikativer Relativsatz, der an die Matrix-CP adjungiert war und mit einer ‚dummy’ NP bzw. einem Pronomen, das auch als Nullpronomen vorliegen konnte, koindiziert war. Die Variante mit dem Nullpronomen wurde dann als Komplementationsstruktur reanalysiert: (140)

= (133) CP

CP CPj

CP

… VP

DPj

OP C'

DP

V'

pro C0 thaz

... t …

V

CP thaz …

Der entscheidende Vorteil dieses neuen Szenarios besteht darin, dass es keine radikale Reanalyse der Satzgrenze gab, denn thaz gehörte sowohl vor als auch nach der Reanalyse dem Nebensatz an. Außerdem hat sich der Status des entstehenden argumentrealisierenden thaz-Objektsatzes nicht so radikal

126 gewandelt wie in dem klassischen Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario, denn dieser war auch vor der Reanalyse ein Nebensatz. Was sich geändert hat, war, dass er vom Adjunktsatz zum Komplementsatz wurde. Wenn man dieses neue Szenario akzeptiert, dann muss die bislang herrschende Lehrmeinung revidiert werden: Zwar gilt nach wie vor, dass sich die Konjunktion thaz aus dem Demonstrativpronomen (Neutr., Nom./Akk.) entwickelt hat. Es gab jedoch einen entscheidenden Zwischenschritt in Form der Relativpartikel thaz: Die Konjunktion thaz hat sich aus der Relativpartikel thaz entwickelt, die ihrerseits aus dem Relativpronomen (Neutr., Nom./Akk.) hervorgegangen ist. Das Relativpronomen aber ist aus dem Demonstrativpronomen entstanden.

3 Nichtkanonische Argumentsätze

3.1

Einleitung

Im Gwd. subkategorisieren eine Reihe von Matrixprädikate neben einem dass-Satz mit Verbendstellung auch einen uneingeleiteten Verbzweitsatz: (1)

a. Der Jäger sagt, der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen b. Der Jäger glaubt, der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen c. Es wäre besser gewesen, das Rotkäppchen wäre nicht vom Weg abgekommen

Es steht außer Frage, dass es sich hierbei um einen nichtkanonischen Nebensatztyp handelt, denn es liegt eine Divergenz zwischen den formalen und interpretativen Eigenschaften vor. Die Verbzweitstellung und (damit einhergehend) die Abwesenheit einer subordinierenden Konjunktion sind formale Charakteristika, die für Hauptsätze typisch sind. Auf der anderen Seite erfüllen die Verbzweitsätze die für eingebettete Nebensätze typische Funktion, die Argumentforderung des Matrixprädikats zu sättigen. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, gibt es im Gwd. eine komplementäre Distribution zwischen der Basisgenerierung eines Komplementierers in C und der Verbbewegung: Die Basisposition des finiten Verbs befindet sich am Satzende, denn das Deutsche ist eine OV-Sprache. Wenn kein Komplementierer in C eingesetzt wird, bewegt sich das finite Verb obligatorisch in die CPosition: (2)

[CP [C Hati] der Wolf das Rotkäppchen gefressen ti ]?

Eine Ausnahme bilden Nebensätze, die durch Interrogativ- oder Relativphrasen in SpecC eingeleitet werden (vgl. auch die Diskussion in Reis 1985). 1 Die Verbstellungsasymmetrie hat sich bereits im Ahd. weitgehend ausgebildet (Axel 2007). Jedoch gab es im älteren Deutsch noch Typen von Argumentsätzen, die durch keinen overten Komplementierer eingeleitet wurden und deren finites Verb in struktureller Endposition verblieb: 2

____________________ 1 2

Nach Weiß (2001) sind jedoch solche Konstruktionen nur scheinbare Ausnahmen. In diesem und den folgenden Beispielen aus dem älteren Deutsch ist der abhängige Satz jeweils durch Klammern gekennzeichnet.

128 (3)

a. Uuânest tu [ dehéin mûot keuéstenôtez . mít rédo ába wähnst du irgendein Gemüt gefestigtes mit Verstand von stéte eruuékkêst . únde iz príngêst ûzer sînero stílli ]? es bringst-KONJ aus seiner Ruhe Stelle erschütterst -KONJ und ‚glaubst du, dass du den Geist, der mit fester Vernunft in sich gefasst ist, aus dem Zustande seiner Ruhe verdrängst?’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 75) Num mentem coherentem sibi firma ratione amouebis a VWDWX SURSUL‫ܗ‬ quietis? (Notker Boethius II 90, 25) b. ich waen [die tugende hie ze lande tiuwer ist und fremde]. (Berthold I 58, 3; zit. nach Maurer 1926: 188)

Aus gwd. Sicht handelt es sich dabei um eine nichtkanonische Konstruktion, denn die Generalisierung, dass die Verbstellungsasymmetrie mit der An/Abwesenheit eines Komplementierers korreliert, ist hier durchbrochen. Die abhängigen Verbzweitsätze, d.h. die Vorläufer der gwd. Konstruktion in (1), sind ab mhd. Zeit eindeutig bezeugt, (5). Ob diese Konstruktion bereits im Ahd. existierte, lässt sich, wie im Folgenden argumentiert werden wird, nicht sicher belegen. (4)

a. GD]ǕHLWXQǕǕDQWHSDXOXǕYQGHFKLW>H]JLǕFKHKHLQPRPHQWR@ (Züricher Predigten 30, 72) b. Da sprach Claudas, [das wolt er gern thun]. (Lancelot 10, 27) c. Wir wænen dicke, [wir sîn vol genâden] (David von Augsburg: Traktate 338, 5) d. daz man wont [si wer tœt] . (Christine Ebner 41, 28)

In der junggrammatischen Literatur wurde argumentiert, dass zwischen der asyndetischen Verbend- und Verbzweitkonstruktion ein Ableitungszusammenhang besteht. Ich werde jedoch in dem vorliegenden Kapitel zeigen, dass die beiden Konstruktionen verschiedene Eigenschaften haben.

3.2

Verbzweitsätze im Gegenwartsdeutschen

3.2.1 Matrixrestriktionen Einen Überblick über die Matrixprädikate, die einen Verbzweitsatz selegieren, gibt Reis (1997: 123). Demnach handelt es sich um Sagensprädikate (z.B. sagen, (1)-a, behaupten, erzählen, angeben), (doxastische) Einstel-

129 lungsprädikate (z.B. glauben, (1)-b, hoffen, meinen, finden) sowie um Präferenzprädikate (z.B. das beste/besser/lieber sein, (1)-c, vorziehen). Meinunger (2004: 315), der neben Reis (1997) weitere Sekundärliteratur (Helbig & Kempter 1976, Butulussi 1991, Romberg 1999) in Bezug auf die Matrixprädikatrestriktionen ausgewertet hat, führt zusätzlich noch die mit evidentiellen Prädikaten verwandten Wahrnehmungsverben (ahnen, bemerken, entdecken, erfahren, erkennen, feststellen usw.) an. Eine recht feinkörnige Einteilung findet sich in Helbig & Kempter

(1976: 25–31): (5)

a. Verben des Sagens und Mitteilens: antworten, behaupten, bemerken, berichten, bestätigen, sagen, unterstreichen, wissen lassen, zugeben, ... b. Verben des Wollens und Hoffens: hoffen, verlangen, wollen, wünschen, ... c. Verben des Veranlassens und Aufforderns: anempfehlen, belehren, bitten, empfehlen, überreden, überzeugen, verlangen, ... 3 d. Verben der Wahrnehmung und des Fühlens: ahnen, bemerken, entdecken, erfahren, erkennen, feststellen, finden, herausbekommen, hören, merken, sehen, spüren, ... e. Verben des Denkens und Erkennens: annehmen, argumentieren, begreifen, berechnen, beschuldigen, sich besinnen, beweisen, denken, einsehen, fürchten, glauben, meinen, überlegen, unterstellen, verstehen, voraussetzen, wissen, ...

In dieser Klassifizierung sind sozusagen die beiden Reis‘schen Gruppen ‚Sagensprädikate’ und ‚Einstellungsprädikate’ noch in Subklassen gegliedert, was sich für den Umgang mit historischen Korpusdaten als hilfreich erweist. Grundsätzlich gilt, dass die Verwendung eines Verbzweitsatzes stets fakultativ ist. Wie Auer (1998) anhand von Korpusuntersuchungen zeigt, wird die Verbzweitvariante in der gesprochenen Sprache häufiger realisiert als in der geschriebenen, wobei „diese Tendenz für die einzelnen Verben aber in sehr unterschiedlichem Maß gilt“ (ibid. 6). Alternativ ist immer eine Realisierung als dass- (oder wenn-) Satz möglich: (6)

a. Der Jäger sagt, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat b. Der Jäger glaubt, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat c. Es wäre besser gewesen, wenn das Rotkäppchen nicht vom Weg abgekommen wäre

Bei faktiven sowie bei inhärent negativen Prädikaten ist die Verbzweitvariante ausgeschlossen (Wechsler 1991: 182, Reis 1997: 123, Meinunger 2004: 316): ____________________ 3

Bei diesen Matrixverben muss im abhängigen Satz eine Modalverbperiphrase verwendet werden (Maria befiehlt, Peter solle abwaschen/*wäscht ab). Auf dieses Phänomen wird weiter unten eingegangen.

130 (7)

a. *Der Jäger bedauert/findet heraus/ist entsetzt/hat vergessen, der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen b. *Der Jäger hat verhindert, eine schreckliche Tragödie passiert

Möglich ist lediglich die Doppelpunktlesart, wie etwa bei folgendem Beispiel mit dem Semi-Faktivum wissen: (8)

Ich weiß: er fährt nach München

Weitere Faktiva, die keine echte abhängige Verbzweitkonstruktion erlauben, sind zum Beispiel ignorieren, bedauern, sich wundern, überrascht sein (Truckenbrodt 2006, Romberg 1999). Die sogenannte Doppelpunktkonstruktion (s. Reis 1997: 123), die in Truckenbrodt (2006: 296) auch als ‚HalfStatement-Lesart’ bezeichnet wird, zeichnet sich dadurch aus, dass immer zwei separate Fokus-Hintergrund-Domänen vorliegen. Das heißt, bei Prädikaten, die lediglich die Doppelpunktlesart zulassen, kann der argumentrealisierende Verbzweitsatz nicht in die Fokus-Hintergrund-Gliederung des Matrixsatzes integriert werden: (9)

a. *Ich habe schon lange gewusst, er hat einen Fehler gemacht b. Ich habe schon LANGE gewusst: Er hat einen FEHLer gemacht

Beim Prädikat wissen ist noch zu beachten, dass wie bei verba emotiva (z.B. bedauern, beklagen) und bei anderen Faktiva wie zum Beispiel feststellen die Möglichkeit eines verbum-dicendi-Gebrauchs gegeben ist (vgl. Reis 1977: 150, Bausewein 1990: 110f./122, Oppenrieder 1991: 235, Butulussi 1991: 118, Romberg 1999: 42): (10)

a. Der Jäger wusste, das Rotkäppchen ??ist/sei überfallen worden b. Der Jäger bedauerte/beklagte, das Rotkäppchen ??ist/sei überfallen worden

Den verbum-dicendi-Gebrauch kann man paraphrasieren als ‚zu sagen wissen’ bzw. ‚mit Bedauern sagen’ usw. In dieser Verwendung ist die Verwendung des Konjunktiv I stark präferiert, wie auch aus den Beispielen in (10) ersichtlich wird. Das ist nicht überraschend, wenn man sich die Situation in dass-Sätzen anschaut. Wenn eigentlich faktive bzw. semi-faktive Verben einen dass-Satz einbetten, dann ist sowohl der Indikativ als auch der Konjunktiv möglich. Nach Wichter (1978: 151), Thieroff (1992: 251ff.) und Lohnstein (2000: 101) tritt aber ein Bedeutungsunterschied auf: Bei Verwendung des Indikativs ist nur die faktive Lesart, bei Verwendung des Konjunktivs nur die nichtfaktive Lesart (also die verbum-dicendi-Lesart) möglich: (11)

a. Jochen stellt fest, dass seine Zigarre verschwunden ist. b. Jochen stellt fest, dass seine Zigarre verschwunden sei. (Lohnstein 2000: 101, Bsp. 34)

131 Bei der verbum-dicendi-Lesart ist auch die Konstruktion mit einem echten abhängigen Verbzweitsatz möglich, bei der faktiven bzw. semi-faktiven Lesart dagegen nur die mit der Doppelpunktkonstruktion. Bei Gewissheitsprädikaten (klar sein, feststehen, voraussetzen) kommt nur die Doppelpunktlesart frei vor, (12), während die Konstruktion mit einem ‚kanonischen’ Verbzweitsatz, der in die Fokus-Hintergrund-Gliederung des Matrixsatzes integriert werden kann, wenn überhaupt, nur marginal möglich ist. (12)

a. Es ist klar: er KOMMT. – ? Es ist klar, er KOMMT. b. Da stand für mich FEST: MAX lügt. – ?? Da stand für mich fest, MAX lügt. (Reis 1997: 123, Bsp. 3a, b)

Gewissheitsprädikate lizenzieren keinen Konjunktiv, was es, wie Reis (1997: 123, Fn. 4) ausführt, schwer macht, die Doppelpunktkonstruktion von der uns interessierenden Konstruktion mit ‚echten’ abhängigen Verbzweitsätzen zu unterscheiden. Denn bei der Doppelpunktlesart ist der Konjunktiv nicht lizenziert: (13)

a. *Hans verSICHert: Er komme SOfort. b. *Von allen wird beTEUert: Die Kinder seien UNschuldig.

Das heißt aber nicht, dass es keine anderen scheinbar ‚freien’ Verwendungen des Konjunktivs gibt. Auf dieses Phänomen wird weiter unten eingegangen. Die Abgrenzung gegenüber der direkten Rede fällt dagegen leicht. Als Diagnostikum auch in historischen Daten kann man neben dem Konjunktiv die Verschiebung der deiktischen Kategorien Person, Ort und Zeit und die ‚epistemische Distanz’ (Plank 1986) heranziehen. Unter letzterem Phänomen versteht man die Ersetzung des Imperativs durch Modalverben (Kommen Sie! ĺ er soll kommen). Wie Truckenbrodt (2006: 298) zeigt, ist nicht nur die Konstruktion mit einem echten abhängigen Verbzweitsatz, sondern auch die Doppelpunktinterpretation ausgeschlossen, wenn das Matrixprädikat negiert ist: (14)

*Es ist NICHT wahr: Peter hat GEWONNEN (es ist NUR wahr, dass Peter gut ABGESCHNITTEN hat) (Truckenbrodt 2006: 298, Bsp. 72)

Als weitere problematische Prädikatklasse sind die Präferenzprädikate zu nennen. Wie Reis (1995: 64ff., 1997: 124, Fn. 5) ausführt, erlauben diese anders als die bereits erwähnten Prädikate, die Verbzweitsätze selegieren, ein es-Korrelat, alternieren teilweise mit wenn-Sätzen und erlauben Extraktionen

132 ohne Initial-Gap-Restriction und V2 Route Restriction: 4 (15)

Dorthin ist (es) besser, du gehst zu Fuß. (Reis 1995b: 76)

Darüber hinaus behauptet Frank (1998: 21), dass Verbzweitsätze nach Präferenzprädikaten häufig eine eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung aufweisen. Selbst bei Prädikat(klassen), die grundsätzlich die ‚echte’ Verbzweitvariante (d.h. nicht lediglich die Doppelpunktkonstruktion) erlauben, müssen noch zusätzliche Bedingungen erfüllt sein. So ist die Realisierung des propositionalen Arguments als asyndetischer Verbzweitsatz nicht möglich, wenn die entsprechenden Matrixprädikate negiert sind oder eine negative Bedeutung haben (s. bereits Blümel 1914: 99): (16)

a. *Der Jäger sagt/glaubt nicht, der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen b. *Das beste wird nicht sein, der Jäger versenkt den Wolf im Brunnen c. *Das Rotkäppchen streitet ab, es hat einen Fehler gemacht

Reis (1997: 122) argumentiert, dass Verbzweitprädikate ‚vermittelte Assertionen’ als Argument nehmen. Demnach fixierten sie eine zur aktualen Welt alternative Glaubens-/Sagens-/Präferenz-Welt des zugehörigen Subjekts, in der die abhängige Proposition als wahr beansprucht werde. Bei negiertem Bezugssatz sei die Wahrheit der abhängigen Proposition lediglich präsupponiert, sodass keine vermittelte Assertion vorliege. Romberg (1999: 56) geht anhand der Beispiele in (17) und (18) ausführlich auf Reis’ Erklärung der Negationsrestriktion ein. (17)

a. *Hans sagt/glaubt nicht, Peter geht nach Hause. b. *Hans bezweifelt, Peter geht nach Hause. (Romberg 1999: 56, Bsp. 12, 13)

In Beispielen wie in (17) wird keine Assertion des Einstellungssubjekts wiedergegeben, denn es wird ja gerade zum Ausdruck gebracht, dass das Subjekt die Wahrheit der Komplementproposition nicht behauptet bzw. die Proposition nicht für wahr hält. Romberg (1999: 56, Fn. 95) weist daraufhin, dass in Fällen wie in (18), in denen ein negatives Prädikat negiert wird, die Verbzweitstellung nicht aktzeptabel ist, obwohl dem Subjekt (Hans) eine assertive Einstellung zugeschrieben wird: ____________________ 4

Eine weitere Klasse von Prädikaten, für die behauptet wurde, dass sie lediglich die Doppelpunktinterpretation zulassen, sind adjektivische Prädikate (Reis 1997). Die Bedeutung des Adjektivs spielt dabei keine Rolle, was nach Reis (2002: 10) dafür spricht, dass es sich hierbei um eine rein syntaktische und nicht um eine semantische Einschränkung handelt.

133 (18)

*Hans bezweifelt nicht, Peter geht nach Hause

Romberg vermutet, dass dies schlicht damit erklärt werden könne, dass die Nichtakzeptabilität des Verbzweitkomplementsatzes bei bezweifeln lexikalisch ist und auch bei Satznegation erhalten bleibe. Wie in Abschnitt 3.3.2 argumentiert werden wird, gibt es Evidenzen, dass diese lexikalische Beschränkung im älteren Deutsch nicht bestand. Ulvestad (1955) führt Korpusdaten an (insgesamt 41 Sätze aus 17 Büchern), die zeigen, dass die Negationsbeschränkung nicht absolut ist. In Butulussi (1991: 120–127) werden diese Korpusdaten ausgewertet. Butulussi nennt drei Bedingungen, unter denen der Matrixsatz negiert sein kann. Der Matrixsatz ist interrogativisch, imperativisch oder enthält ein Modalverb: (19)

a. Glauben Sie nicht, ich fürchtete mich vor der süßen Last. b. Freilich solltest du nicht denken, dieser gute Glaube sei eine Entschuldigung oder ... c. Ich will nicht sagen, ... kein Erwachsener halte sich an diese Regeln. (Butulussi 1991: 121f., Bsp. 79, 80, 81)

Außerdem verweist Butulussi (1991) darauf, dass in Ulvestads Belegen mit negiertem Matrixverb die Verbzweitsätze alle im Konjunktiv stehen. Sie räumt allerdings ein, dass man nicht den Schluss ziehen könne, dass der Konjunktiv nach negierten Sätzen im heutigen Deutsch obligatorisch ist, da ja Ulvestads Belege alle aus schriftlichen literarischen Texten stammen, die zwischen 1947 und 1951 erfasst wurden. Generell scheint es der Fall zu sein, dass in Verbzweitsätzen der Konjunktiv häufiger gebraucht wird als in Verbendsätzen. Butulussi führt einen Hinweis aus der Dudengrammatik (DUDEN 4 1984: § 283) an, wonach Zählungen ergeben hätten, dass durch dass- bzw. w-Fragen eingeleitete Sätze durchschnittlich einen Indikativanteil von 35–40 % aufweisen. Dagegen sei der Indikativ in der Verbzweitvariante „nicht üblich” (ibid.). Statt Der Kanzler erklärte, er ist zu weiteren Verhandlungen bereit, sei nur üblich Der Kanzler erklärte, er sei zu weiteren Verhandlungen bereit. Butulussi (1991: 123) kommt zu dem Schluss, dass „die Häufigkeit des Vorkommens des Konjunktivs im K-Satz [Komplementsatz; K.A.-T.] enorm wächst, wenn darin keine einleitende Konjunktion daß vorkommt”. Daraus könne man schließen, dass in solchen Fällen der Konjunktiv die Funktion der satzeinleitenden Konjunktion dass übernehme. Auch Oppenrieder (1991: 180) spricht davon, dass der Konjunktiv als Einbettungsmerkmal fungiere. Während Butulussi lediglich beobachtet, dass bei Ulvestads Daten mit negiertem Matrixsatz ausschließlich Konjunktiv im Verbzweitsatz verwendet wird, geht Meinunger (2004: 318) weiter und behauptet auf der Basis von int-

134 rospektiven Daten, dass der Konjunktiv eine notwendige Bedingung dafür ist, dass die genannten Verben trotz Negiertheit einen Verbzweitsatz zulassen: (20)

a. ?/* Glauben Sie nicht, ich fürchte mich vor der süßen Last. b. ?/* Freilich solltest du nicht denken, dieser gute Glaube ist eine Entschuldigung. (Meinunger 2004: 318, Bsp. 10’a, 11‘a)

Darüber hinaus beobachtet Meinunger (2004: 318), dass alle negierten Beispiele von Butulussi (1991) als Matrixverben verba dicendi bzw. kognitive Verben aufweisen. Semi-Faktiva wie etwa wissen, herausfinden, beweisen kommen nicht vor. Außerdem hebt Meinunger (ibid.: 319) hervor, dass die negierten Matrixsätze in Butulussis Daten keine kanonischen indikativischen Sätze seien. Es handele sich stets um Interrogativ- und Imperativsätze oder um eingebettete (also illokutionslose) Sätze. Selbst bei formal indikativischen Sätzen sei die Matrix nicht als Assertion sondern stets als Befehl zu interpretieren, eine bestimmte Überzeugung aufzugeben. Meinunger kommt daher zu dem Schluss, dass die alte Generalisierung, dass die Negation die Selektion eines Verbzweitsatzes blockiere, nach wie vor gültig sei. Lediglich durch konjunktivischen bzw. subjunktivischen Modus sei diese Beschränkung teilweise aufhebbar. Meinunger führt aus, dass generell nur einfache Assertionen argumentrealisierende Verbzweitsätze erlauben. Dies sei besonders gut bei semi-faktiven Matrixprädikaten zu beobachten, da diese ohnehin keinen Subjunktiv (Konjunktiv) im abhängigen Satz erlauben: (21)

a. *Wissen Sie, die Gruberova kommt/käme/komme nicht mehr zum F’’’? b. *Finde mal heraus, Edita singt/sänge noch einmal eine Mozartoper! (Meinunger 2004: 319, Bsp. 17, 18)

Alle Beschränkungen legen nahe, dass die Verbzweitsätze eindeutig Substitutcharakter haben.

3.2.2 Art der Satzfügung: Parataxe oder Hypotaxe? Die asyndetische Fügungsweise und die Verbzweitstellung mögen den Eindruck erwecken, dass es sich um eine parataktische Verbindung handelt. Liegen also lediglich zwei aufeinander folgende Hauptsätze vor? Dass dies nicht die korrekte Analyse sein kann, liegt auf der Hand. Anders als bei der sogenannten Doppelpunktkonstruktion (s. Reis 1997: 123) und anders als im Falle direkter Rede sind Verbzweitsätze wie in (1) in die Fokus-HintergrundGliederung ihres Bezugssatzes integrierbar:

135 (22)

Der Jäger sagt, das Rotkäppchen LEBT

In extremer Form wird die Parataxe-Hypothese von den Besten (1983: 87f.) vertreten, der davon ausgeht, dass asyndetische Verbzweitsätze Wurzelsätze sind. Wie Reis (1997: 125) ausführt, läuft diese These darauf hinaus, dass es sich um Zitate redewiedergebender Wurzelsätze handeln müsse, die wie sonstige Zitate eingesetzt werden, denn die Bezugsprädikate seien beliebig tief einbettbar: (23)

a. Als Peter sich endlich dazu herabließ uns mitzuteilen, er werde kommen, ... b. Als Peter sich endlich dazu herabließ uns mitzuteilen „er werde kommen“, ... c. [vgl. Als Peter schließlich “Du Idiot“ sagte, ...] (Reis 1997: 125, Bsp. 10a, b)

Man kann zunächst einwenden, dass die Möglichkeit der Verwendung von Konjunktiv I in argumentrealisisierenden Verbzweitsätzen, vgl. (23)-a, dagegen spreche, dass es sich um Zitate handelt. Aber ist der Konjunktiv I wirklich ein Indiz für syntaktische Abhängigkeit? Dies ist nicht der Fall. Der Konjunktiv I ist ein Signal von Redewiedergabe und als solches vom Matrixprädikat zu lizenzieren. Wie jedoch Reis (1997: 124) zeigt, handelt es sich im Kern nicht um eine syntaktische Lizenzierungsbedingung. Daten wie in (24)-a mit Verberstparenthesen und Fälle eindeutig selbständiger Verbzweitsätze, die zur Redewiedergabe dienen, (24)-b, zeigen dies: (24)

a. Dort liege glaubt sie ein großes Problem. (Reis 1997: 125, Bsp. 6a) b. Man möge sie endlich mit diesem Unsinn in Ruhe lassen, schälte sie die Kartoffeln weiter. (Breindl 1989: 233; zit. nach Reis 1997: 125, Bsp. 9)

Auch wenn sich bei näherer Betrachtung herausstellt, dass der Konjunktiv kein Argument gegen den Bestens Parataxe-Hypothese ist, so führt Reis (1997: 126) dennoch an, dass die Tatsache, dass argumentrealisierende Verbzweitsätze auch nach Einstellungsprädikaten auftreten können, ein Gegenargument sei. Denn diese Prädikate erlaubten weder ein Zitatkomplement im engeren Sinne, (25)-a, noch sei es möglich Einstellungsinhalte in Form selbständiger Verbzweitsätze wiederzugeben, (25)-b. Fälle wie in (25)-b würden immer als Redewiedergabe im engeren Sinne interpretiert, d.h. der kursivierte Satz gibt nicht den Glaubensinhalt wieder. (25)

a. *Als Peter schließlich glaubte „Du bist schlauer als er“ … b. Peter glaubt an das Gute im Menschen. Petra helfe seiner Mutter, ... (Reis 1997: 126, Bsp. 11a)

136 Ein weiteres Problem für die Zitathypothese ist, dass Verbzweitargumentsätze nur nachgestellt auftreten. Sie können anders als dassSätze nicht im Vorfeld oder im Mittelfeld des Bezugssatzes stehen, eine Beschränkung die es bei Zitaten nicht gibt (Reis 1997: 126, 139f.): (26)

a. Jederi möchte gern glauben, eri sei unheimlich beliebt. (Reis 1997: 139, Bsp. 69a) b. *Eri sei unheimlich beliebt, möchte jederi gerne glauben. (Reis 1997: 139, Bsp. 69b) c. *Jederi möchte, eri sei unheimlich beliebt, gerne glauben.

Um die positionelle Distribution von abhängigen Verbzweitsätzen zu untersuchen, muss man auf Bindungsdaten wie in (26) zurückgreifen, denn nur so kann ausgeschlossen werden, dass kein Fall mit einer unintegrierten finalen Verberstparenthese vorliegt (Reis 1997: 139, Fn. 23): (27)

Er kommt, glaube ich. (Reis 1997: 139, Fn. 23)

Die parenthetische Lesart kann auch dadurch ausgeschlossen werden, dass man einen Fokusakzent auf dem ‚Matrix’subjekt realisiert: (28)

a. Wer glaubt, dass er kommt? b PEter glaubt, er kommt. c. *Er kommt, glaubt PEter d. Dass er kommt, glaubt PEter.

Auch dieser Datenkontrast bietet Evidenz, dass Verbzweitsätze im Gegensatz zu dass-Sätzen nicht vorfeldfähig sind. Die Beobachtung, dass Verbzweitsätze nicht in bezugssatzinternen Positionen vorkommen können, insbesondere nicht im Vorfeld, zeigt, dass diese Sätze keinen Gliedsatzstatus haben (Reis 1997: 138). Reis argumentiert darüber hinaus, dass abhängige Verbzweitsätze auch keine syntaktischen Komplemente im engeren Sinne sind. Dagegen spreche, dass sie nicht mit dassSätzen kombinierbar sind und dass sie zwar in N-/V-/A-Projektionen, nicht aber in P-Projektionen vorkommen: (29)

a. *Wenn Hans glaubt, Peter ist dumm und daß Anna schlau ist, ... b. Die Idee/Illusion/Hoffnung, er könne damit reich werden, beflügelt ihn. c. ... bis dass der Tod euch scheidet/ *bis der Tod scheidet euch. (Reis 1997: 140, Bsp. 75, 74, 73)

Auf der anderen Seite bieten Bindungsdaten wie in (26) ein äußerst stichhaltiges Argument gegen die Parataxe-Hypothese, denn – abgesehen von be-

137 stimmten modalen Kontexten – kann Bindung nicht über Satzgrenzen hinweg erfolgen. Dass ‚Condition-C’-Effekte auftreten und multiple w-Fragen möglich sind, zeigt, dass das Matrixsubjekt den Verbzweitsatz c-kommandiert (Truckenbrodt 2007: 1): (30)

a. *Eri glaubt, Hansi ist gescheit. b. Wer glaubt, Maria hat was gekauft? (Truckenbrodt 2007: 1, Bsp. 6b, c)

Um was für eine Art der Satzfügung handelt es sich nun? Die Daten sprechen dafür, dass die abhängigen Verbzweitsätze auf der einen Seite weder Gliednoch Komplementsatzstatus haben, auf der anderen Seite liegen auch keine Wurzelsätze vor. Reis (1997) argumentiert, dass argumentrealisierende Verbzweitsätze Nebensätze sind. Sie seien eindeutig syntaktisch subordiniert. Sie sind jedoch nicht in gleichem Maße in ihren Bezugssatz integriert wie dassSätze. Während dass-Sätze strukturell vom Bezugssatzprädikat (V, A usw.) lizenziert sind, sind Verbzweitsätze semantisch-pragmatisch lizenziert. Es handelt sich nach Reis dabei um einen Fall von nichtstruktureller Thetarollenzuweisung (s. auch Frank 2000), ein Mechanismus, der auch bei weiteren, unabhängigen Phänomenen angenommen werden muss. Ausgehend von dem Vorschlag von Haider (1995), der dafür argumentiert, dass Argumentsätze rechtsadjazent zu V0 basisgeneriert werden, vgl. die vereinfachte Struktur in (31), argumentiert Reis dafür, dass Verbzweitsätze stattdessen an VP rechtsadjungiert sind, vgl. (32). (31)

V' V0 …

CP

gesagt

(32)

dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat

VP VP

CP

.... gesagt der Wolf hat das Rotkäppchen gefressen

Will man die traditionellen Begriffe Parataxe bzw. Hypotaxe auf argumentrealisierende Verbzweitsätze anwenden, so würde Reis’ Analyse bedeuten, dass diese Konstruktion kein Fall von Parataxe ist: Der Verbzweitsatz ist kein selbständiger Satz. Dennoch ist er ‚parataktischer’ als der dassKomplementsatz. Die argumentrealisierenden Verbzweitsätze im Deutschen wurden in der sprachübergreifenden Literatur auch unter dem Stichwort ‚em-

138 bedded root phenomena’ behandelt (Hooper & Thompson 1973). Diese Redeweise ist, wie aus der Diskussion in Abschnitt 3.1.1 klar geworden sein sollte, nicht ganz korrekt, denn die deutschen Verbzweitsätze verhalten sich weder wie eingebettete Sätze, wie Komplementsätze im engeren Sinne, noch wie Wurzelsätze. Betrachtet man das Phänomen aus komparativ-germanischer Perspektive, so ist festzuhalten, dass (mindestens) zwei Typen von abhängigen Verbzweitstrukturen zu unterscheiden sind (vgl. Vikner 1995: Kapitel 4, de Haan 2001: 3, Heycock 2006): abhängiges Verbzweit ohne Komplementierer und mit Komplementierer. Erstere Konstruktion kommt außer im Deutschen auch noch im Friesischen vor, das ebenfalls eine Verbzweitsprache mit OVWortstellung ist (de Haan 2001: 4): (33)

a. Ik hoopje (*dat) it giet goed my dy. friesisch I hope that it goes well with you b. It is better (*dat) do giest nei hûs ta. friesisch it is better that you go home (de Haan 2001: 4, Bsp. 2a, c)

In den Beispielen in (33) kann wie bei den deutschen Pendants kein Komplementierer auftreten. Das Bild wird jedoch dadurch verkompliziert, dass es im Friesischen bei Einstellungs- und Sagensprädikaten auch abhängige Verbzweitsätze gibt, die mit eingeleiteten, also mit dat-Verbzweitsätzen, alternieren: (34)

Der waard ferteld, (dat) there was told that (de Haan 2001: 33, Bsp. 71a)

it skip the ship

wie was

juster fergien. yesterday wrecked

Hierbei existieren jedoch dialektale Unterschiede: Es gibt sogar einen friesischen Dialekt, in dem die Verbzweitvariante wie im Deutschen nur bei Abwesenheit des Komplementierers dat realisiert werden kann. De Haan argumentiert, dass diese Verbzweitsätze, egal ob sie mit oder ohne Komplementierer realisiert werden, syntaktisch gänzlich unintegriert sind. Er diskutiert eine Reihe von Indizien (ibid.: 12–21), von denen ich hier nur diejenigen erwähne, die sich direkt mit den oben diskutierten deutschen Daten vergleichen lassen. De Haan beschäftigt sich ausführlicher nur mit den dat(bzw. omdat-)Verbzweitsätzen. Er erwähnt jedoch (ibid.: 34), dass in den Fällen, bei denen alternativ auch die dat-lose Variante möglich ist, letztere Variante dieselben Eigenschaften hat. Daher gehe ich davon aus, dass sich die ±dat-Verbzweitsätze in Bezug auf die folgenden Kriterien parallel verhalten: Im Gegensatz zu ihren deutschen Pendants erlauben die friesischen ±datVerbzweitsätze wie in (34) keine Variablenbindung aus dem (vermeintlich) übergeordneten Satz, bilden eine eigene Intonations- und Informationseinheit

139 und sind nur eingeschränkt iterierbar (d.h. der ‚Matrix’satz muss strukturell ein Wurzelsatz sein). Was die nichtvorhandene Extraktionstransparenz und die positionelle Beschränkung auf die Nachstellung angeht, verhalten sie sich parallel zu den deutschen Pendants. Aufgrund all dieser Indizien für syntaktische Unintegriertheit schlägt de Haan (ibid.: 22) eine parataktische Analyse vor, bei der der argumentrealisierende Verbzweitsatz mit dem ‚Matrix’satz koordiniert ist: Beide CPn werden jeweils von einem Knoten E dominiert. Die beiden E-Knoten sind wiederum Töchter eines Mutterknotens E: (35)

E E

E

CP1

CP2

V1/2

dat/omdat- ... V1/2 ...

(de Haan 2001: 22, Bsp. 55a)

Abgesehen von diesem unintegrierten Typ gibt es jedoch im Friesischen wie im Deutschen nach Sagens- und Einstellungsprädikaten auch einen integrierten Verbzweittyp, der dann obligatorisch ohne Komplementierer realisiert wird (de Haan 2001: 34). Das Beispiel in (36)-a kann, so de Haan, ohne intonatorische Pause zwischen den beiden Sätzen und mit einer FokusHintergrund-Gliederung gelesen werden. In diesem Fall sei Variablenbindung möglich, (36)-b. 5 (36)

a. Pyt sei, [hy soe op’e THID Pyt said he would on time b. Eltsenieni sei, [hyi soe op’e hei would on everyonei said (de Haan 2001: 34, Bsp. 72-a, 73)

wêze]. be THID

time

friesisch wêze]. be

friesisch

Neben dem Friesischen gibt es auch Sprachen, die nur abhängige Verbzweitsätze mit Komplementierer zulassen. Auf dieses Phänomen wird im nächsten Abschnitt eingegangen. ____________________ 5

De Haan geht nicht darauf ein, wie die integrierten Verbzweitsätze syntaktisch an den Matrixsatz anzubinden sind. Man könnte spekulieren, dass eine parallele Struktur wie im Deutschen vorliegt, aber dies müsste erst durch weitere Forschung näher untersucht werden. De Haan zeigt weiterhin, dass die Integriertheit der Verbzweitsätze es erlaube, diese mit einem negierten Matrixprädikat zu verbinden und zieht auch hier mit Rekurs auf Heycock (2006) eine Parallele zum Deutschen. Die Grammatikalität von Heycocks Beispiel (Er sagte nicht, er sei fertig) ist jedoch fraglich (s.o. zur Negationsrestriktion im Gwd.).

140

3.3

Weitere nichtkanonische Argumentsätze in den germanischen Sprachen

3.3.1 Argumentsätze mit Nullkomplementierer Im Englischen ist es ebenfalls möglich, einen Komplementsatz asyndetisch an den Matrixsatz anzubinden. Die gängige Analyse ist, dass hier entweder ‚Complementizer drop’ oder ein Nullkomplementierer vorliegt. Allerdings ist die Nullvariante nicht nach allen Matrixprädikaten akzeptabel. (37)

a. Mary said/hoped/believed Ø Peter hat finished school b. *Mary regretted/was convinced/ Peter had finished school

Es besteht in der Forschung keine Einigkeit darüber, wie die Distribution des Nullkomplementierers hergeleitet werden kann. In einer frühen Arbeit argumentiert Stowell (1981), dass die Lizenzierung des Nullkomplementierers dem Empty Category Principle unterliege: Die Verwendung des Nullkomplementierers ist nur grammatisch, wenn er vom Matrixprädikat richtig (‚properly’) regiert wird. Pesetsky (1995) schlägt eine alternative Analyse vor: Der Nullkomplementierer sei ein Affix, das sich an einen lexikalischen Kopf anhängen müsse. In Kontexten, in denen ein Nullkomplementierer nicht möglich sei, liegt dann entweder eine Verletzung des Head-MovementConstraints vor und/oder die Spur ist nicht richtig regiert. 6 Allein schon die deskriptiven Fakten sind schwer zu fassen. Folgende Faktoren spielen eine Rolle: Es gibt, wie bereits erwähnt, Matrixprädikatrestriktionen (z.B. Erteschik-Shir 1973, Hegarty 1992, Stowell 1981), denn zunächst muss man unterscheiden zwischen Verben (und evtl. anderen Kategorien), die prinzipiell keinen Nullkomplementierer erlauben und solchen, die grundsätzlich mit einem Nullkomplementierer vorkommen können. Bei letzteren kann jedoch nicht in jedem Fall die Nullvariante realisiert werden. Es gibt bestimmte Kontexte, welche die Verwendung des Nullkomplementierers blockieUHQ YJOGHQhEHUEOLFNLQ%ǂVNRYLü /DVQLN 'LHV sind Extrapositions-, Pseudo-Cleft-, Right-Node-Raising-, Gapping- und Topikalisierungskontexte: ____________________ 6

%ǂVNRYLü  /DVQLN   UHYLGLHUHQ 3HVHWVN\V $QVDW] LQGHP VLH $IILJLHUXQJ durch Affix-Hopping ersetzen. Der konzeptionelle Vorteil liegt darin, dass durch diese Modifikation das Konzept der Rektion keine Rolle mehr spielt, was den Zielen des minimalistischen Programms entspricht. Außerdem argumentieren die Autoren, dass in ihrem Ansatz die empirischen Fakten besser erklärt werden können, insbesondere die Tatsache, dass der Nullkomplementierer in der GappingKonstruktion, (38)-d, nicht lizenziert sei.

141 (38)

a. *It seemed at that time [CP C [IP David had left]]. b. *What the students believe is [CP C [IP they will pass the exam]]. c. *They suspected and we believed [CP C [IP Peter would visit the hospital]]. d. *Mary believed Peter finished school and Bill [CP C [IP Peter got a job]]. e. *[CP C [IP John likes Mary]] Jane didn’t believe. (%ǂVNRYLü /DVnik 2003: 529, Bsp. 3)

Es soll hier nicht dargestellt werden, ob bzw. auf welche Weise die verschiedenen Theorien zur Nullkomplementiererlizenzierung die Daten in (38) erNOlUHQ VGLH'LVNXVVLRQLQ%ǂVNRYLü /DVQLN )UGLHKLHUEHKDQGHlte Fragestellung ist ein weiteres Faktum relevant: Der Nullkomplementierer ist blockiert, wenn in dem abhängigen Satz eine XP topikalisiert wurde: (39)

a. She believed (that) he would never let her down b. She believed *(that) never would he let her down

Die Topikalisierung in Nebensätzen wird seit Hooper & Thompson (1973) als ein Paradebeispiel für ein sog. ‚embedded root phenomenon’ angesehen. Die gängige Analyse ist, dass in (39)-a CP-Rekursion vorliegt (z.B. Iatridou 1991, Authier 1992, Iatridou & Kroch 1992 u.v.a.m.). Diese Analyse wurde auch auf solche germanischen Verbzweitsprachen angewandt, bei denen eingeschränkt Verbzweitstellung im komplementierereingeleiteten Satz möglich ist. Auf dieses Phänomen wird im folgenden Abschnitt eingegangen. Das Englische ist keine Verbzweitsprache. Nullkomplementierer kommen jedoch auch in sog. asymmetrischen Verbzweitsprachen vor, die dadurch gekennzeichnet sind, dass es eine komplementäre Distribution zwischen der Präsenz eines Komplementierers (bzw. einer relativen/interrogativen wPhrase) und der Verbvoranstellung gibt. Im Schwedischen und Dänischen kann wie im Englischen der Komplementierer bei bestimmten Matrixprädikaten ausgelassen werden: (40)

Jag tror (att) han inte vinner i morgon. I think (that) he not wins tomorrow ‚I think that he will not win tomorrow’ (Holmberg & Rijkhoff 1998: 91, Bsp. 58)

(41)

a. Hun sagde [CP at [IP vi ikke she said that we not b. Hun sagde [CP [IP vi ikke she said we not (Vikner 1995: 85; Bsp. 54c, d)

skulle should skulle should

købe buy købe buy

schwedisch

denne this denne this

bog ]] dänisch book bog ]] dänisch book

Man beachte, dass das Dänische und Schwedische keine generalisierten Verbzweitsprachen sind, d.h. eingeleitete Sätze (meist Nebensätze) zeigen in der Regel keine Verbzweitstellung (s. Abschnitt 3.2.2 für einige Ausnah-

142 men). Dass das finite Verb anders als im Deutschen in eingeleiteten Sätzen nicht am Ende erscheint, ist darauf zurückzuführen, dass diese Sprachen VOSprachen sind. Im Gwd. können deklarative Komplementsätze nicht durch einen Nullkomplementierer eingeleitet werden. Die parallele Konstruktion zu den Beispielen in (40) und (41) ist ungrammatisch: (42)

Ich denke *(dass) wir dieses Buch nicht kaufen sollten

Wenn kein overter Komplementierer vorhanden ist, muss Verbbewegung stattfinden, was in dem oben ausführlich beschriebenen Typ des abhängigen Verbzweitsatzes resultiert: (43)

Ich denke, wir sollten dieses Buch nicht kaufen

Problematisch sind abhängige Relativ- und w-Interrogativsätze, da ja Relativphrasen bzw. Interrogativphrasen die SpecC- und nicht die C-Position besetzen. Wenn man annimmt, dass in diesen Fällen ein Nullkomplementierer in C steht, wäre die Komplementarität zwischen der Präsenz eines Komplementierers in C und der Verbbewegung nicht durchbrochen (s. aber die Diskussion in Reis 1985): (44)

Ich weiß nicht [CP wasi [C Ø] er für das Auto ti bezahlt hat]

Im Gegensatz zum Standarddeutschen ist es in einigen Dialekten möglich, den Komplementierer in diesem Fall overt zu realisieren: (45)

a. I woass it wieviel dass er für des Auto zahlt hät alemannisch (Bayer & Brandner 2008: 87, Bsp. 2) b. I frog-me, fia wos dass-ma an zwoatn Fernseher braucht. bairisch (Bayer & Brandner 2008: 88, Bsp. 3a) c. West duu öpper, wi lang daß di walt beschtenna wörd? südthüringisch (Bayer 2004: 61, Bsp. 5)

Solche sogenannten ‚Doppel-COMP-Effekte’ sind bereits im Ahd. bei Relativsätzen belegt und ab mhd. Zeit auch bei abhängigen Interrogativsätzen: (46)

a. Iógiuuelihhemo therde habet ʜ uuirdit jedwelchem ther-REL.PART hat wird ‚jedem, der hat, wird gegeben werden’ Omni enim habenti ʜ dabitur & abundauit (Tatian 263, 11) b. [CP theri [C de] ... ti ...]

(47)

a. Dise ding sol man merken: wie der heilige engel gesant wart zu unser vrowen, wie daz si unsen herren inphing von dem heiligen geiste, und wie

gigeban gegeben

143 daz si in maget getrug und mait gebar, und wie daz he an dem achten tage besniten wart und zu dem êrsten mâle sîn blut gôz. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 3, 14) [C daz] ... ti ...] b. [CP wiei

In den rezenten Dialekten gibt es auch Relativsätze, die durch einen relativen Nullkomplementierer eingeleitet werden. Allerdings ist das Phänomen äußerst selten. Fleischer (2004, 2005), der eine große Zahl von Dialektgrammatiken ausgewertet hat, hat lediglich im Nordniederdeutsch-Schleswigschen Evidenzen für diesen Typ gefunden (s. auch Abschnitt 4.5.1). Im Englischen sind Nullrelativsätze dagegen auch in der Standardsprache in bestimmten syntaktischen Kontexten möglich, ja sogar sehr gebräuchlich. Die Nullvariante ist nur bei restriktiven Relativsätzen möglich, und nur dann, wenn es sich um einen Objektrelativsatz handelt und wenn das Kopfnomen und der Relativsatz adjazent sind: (48)

a. The child [CP Op that [IP was visiting Alexis t]] was lost. b. *The child [CP Op C [IP was visiting Alexis t]] was lost.

(49)

a. The child [CP Op C [IP Alexis was waiting for t]] was lost. b. *The child was lost [CP Op C [IP Alexis was waiting for t]]. (%ǂVNRYLü /DVQLN%VSa, d)

Die Standardannahme ist, dass Relativ- und Komplementsätze nicht von demselben C-Element eingeleitet werden (z.B. Lasnik & Saito 1992, Rizzi 1990). Nullrelativsätze im älteren Deutsch werden im folgenden Kapitel behandelt.

3.3.2 Komplementierereingeleitete Verbzweitsätze In den germanischen Sprachen gibt es nach Vikner (1995) zwei Typen, die overt komplementierereingeleitete Sätze mit Verbzweitstellung erlauben: Solche, in denen dieses Phänomen nur in eingeschränkten syntaktischen Kontexten auftritt (‚limited embedded verb second’), und solche, in denen die Verbzweitstellung generalisiert ist (‚generalized embedded verb second’). Zur letzteren Gruppe gehören das Isländische und Yiddische. Auf diese Sprachen soll hier nicht näher eingegangen werden, da es unstrittig ist, dass das Deutsche auch in früheren Sprachstufen über kein generalisiertes Verbzweit verfügte.

144 Zur ersteren Gruppe gehören das u.a. das Dänische, Faröische, Norwegische, Schwedische und Friesische. 7 Sie erlauben eingebettetes Verbzweit nach manchen Matrixprädikaten (Vikner 1995: 65ff.): 8 (50)

a. Vi ved at Bo har ikke læst denne bog we know that Bo has not read this book ‚We know that Bo hasn’t read this book’ (adaptiert aus Vikner 1995: 67, Bsp. 3b) b. Pyt sei dat hy hie my sjoen Pete said that he had me seen ‚Pete said that he saw me’ (adaptiert aus de Haan & Weerman 1986: 84, Bsp. 25)

dänisch

friesisch

Das Dänische, Norwegische, Schwedische und Friesische zeigen Ähnlichkeiten in der Distribution von abhängigem Verbzweit bei overtem Komplementierer (Heycock 2006): In allen Sprachen gibt es Matrixprädikatrestriktionen, wobei es keine 1:1-Entsprechung zwischen den Sprachen gibt in Bezug auf die Frage, welche Matrixprädikate genau abhängige Verbzweitsätze zulassen (Vikner 1995: 70–72). Gemeinhin wird angenommen, dass es sich bei den Verbzweitfähigen Verben um eine Unterklasse der sog. Brückenverben handelt, die lange Extraktion aus ihrem Komplementsatz erlauben. Bei negativen Verben (wie zweifeln, leugnen oder bedauern) können Verbzweitsätze nicht verwendet werden, ebenso nicht bei Verben mit Irrealis-Komplementsätzen. Selbst bei prinzipiell Verbzweitfähigen Matrixprädikaten ist die Verbzweitvariante nicht lizenziert, wenn diese Prädikate modalisiert oder negiert sind. Außerdem ist die Verbzweitvariante ausgeschlossen, wenn der Komplementsatz topikalisiert ist. Abhängiges Verbzweit tritt nicht auf in Adjunktsätzen (mit einigen Ausnahmen) und Subjektsätzen (Iatridou & Kroch 1992). Nach herrschender Forschungsmeinung wird das Phänomen als ein Fall von CP-Rekursion analysiert (s. z.B. Platzack 1986 fürs Schwedische, de Haan & Weerman 1986 und Iatridou & Kroch 1992 fürs Friesische, Vikner 1995 und Iatridou & Kroch 1992 fürs Dänische). Es gibt jedoch auch alternative Vorschläge. So propagiert de Haan (2001), wie im letzten Abschnitt dargelegt, fürs Westfriesische eine parataktische Analyse. In der CP____________________ 7

8

Eingebettetes Verbzweit bei overtem Komplementierer gibt es zudem noch in zumindest einer Varietät des Faröischen (vgl. den Überblick in Vikner 1995: 65ff.). Außerdem ist es nach Zwart (1997) in der niederländischen Umgangssprache möglich. – Fürs Friesische wurde von de Haan (2001) gezeigt, dass die Zahl der Matrixverben, die CP-Rekursion lizenzieren, noch geringer ist als die, die abhängige uneingeleitete Verbzweitsätze selegieren können. Der Terminus Brückenprädikat ist, wie auch Vikner (1995: 70, Fn. 7) anmerkt, unglücklich gewählt, denn eigentlich wird er für Matrixprädikate verwendet, aus deren Komplementsätzen lang extrahiert werden kann.

145 Rekursionsanalyse nimmt der overte Komplementierer als Komplement eine weitere CP. Auf diese Weise kann die Analyse aufrechterhalten werden, dass sich genau wie im uneingeleiteten Verbzweitsatz das finite Verb in C (und zwar im tieferen C-Kopf) befindet und die initiale XP in SpecC. Wie Heycock (2006) zusammenfasst, zeigen die germanischen Sprachen interessanterweise ein unterschiedliches Verhalten im Hinblick auf die Frage, ob ein overter Komplementierer erforderlich ist, wenn im abhängigen Satz Verbzweitstellung vorliegt. Die festlandskandinavischen Sprachen, aber nicht das Friesische (s.o.), verhalten sich wie das Englische, (51), und fordern in diesem Fall einen overten Komplementierer, wie das dänische Beispiel in (52)-b zeigt. Wenn dagegen kein Verbzweit vorliegt, kann der Komplementierer ausgelassen werden, (52)-a. (51)

a. She believed (that) he would never let her down. b. She believed *(that) never would he let her down. (Heycock 2006: 199, Bsp. 62a,b)

(52)

a. Hun sagde (at) vi ikke skulle she said (that) we not should ‚she said that we shouldn’t buy this book.’ b. Hun sagde ??(at) vi skulle ikke she said (that) we should not ‚she said that we shouldn’t buy this book.’ (adaptiert aus Vikner 1995: 85, Bsp. 54a,b)

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Heycock wirft daher die Frage auf, warum im Festlandskandinavischen und Englischen in diesem Fall CP-Rekursion erforderlich ist. Warum verhalten sich diese Sprachen nicht wie das Deutsche? 9 Nach derzeitigem Forschungsstand gibt es darauf noch keine Antwort. In der Studie von Freywald (2008; vgl. auch Freywald 2009) wird gezeigt, dass es auch im Deutschen dass-Sätze mit Verbzweitstellung gibt. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass im Gwd. die Finitumvoranstellung in dass-Sätzen ungrammatisch ist. Allerdings kommt Freywald aufgrund ihrer Untersuchung gesprochen-sprachlicher Daten, vgl. (53), zu der Auffassung, dass solche Konstruktionen unter bestimmten Bedingungen auch gegenwartssprachlich grammatisch lizenziert sind. Sie präsentiert Belege aus dem Archiv für Gesprochenes Deutsch (AGD) sowie selbst zusammen getragene Hörbelege. ____________________ 9

Selbst wenn man hierfür eine Erklärung fände, bliebe immer noch zu beantworten, warum unter der Annahme, dass eine Art COMP-Tilgung stattfindet, der höhere CKopf nur auf LF und nicht auch auf PF getilgt wird? In Bezug auf die letztere Frage räumt Heycock ein, dass möglicherweise gar keine PF-Tilgung vorliege, sondern dass man von der Existenz eines Nullkomplementierers ausgehen müsse.

146 (53)

a. dazu kommt AUCH, dass manche der OBERflächenbeschichtungen – silikonharzfarben, dispersionsfarben – enthalten organische BEImengungen, und das in kombination ist ein gefundenes fressen, buchstäblich, für die mikroorganismen (Deutschlandfunk, Interview, 12.11.2004; zit. nach Freywald 2008: 247, Bsp. 2) b. das liegt einfach DAran, dass KINder, die hiv-infiziert sind, stellen keinen markt für die pharmaindustrie DAR (Deutschlandfunk, 14.07.2004; zit. nach Freywald 2008. 248, Bsp. 4)

Betrachtet man die Daten in (53), dann könnte man einwenden, dass die Verbzweitstellung nach dass nur dann möglich ist, wenn auf die Konjunktion eine ‚schwere’ Konstituente folgt, was nahe legen würde, dass es sich um ein Performanzphänomen handelt: In (53)-a folgt auf die Konjunktion dass eine DP, die durch eine Parenthese ‚erweitert’ ist, in (53)-b eine DP, die durch einen Relativsatz modifiziert ist. Freywald wendet sich gegen die Performanzhypothese und präsentiert Daten, bei denen keine ‚schwere’ Konstituente in der entsprechenden Position vorliegt: (54)

a. das wesentliche ist DAran ja daß der regisseur sitzt UNten und sieht mich von kopf bis ZEH (AGD, RIAS, Diskussionsrunde, 1962; zit. nach Freywald 2008: 248, Bsp. 5) b. ich weiß dass herr LAACK hat eine STIFtung gegründet (ARD, Talkshow Sabine Christiansen, 06.08.2006; zit. nach Freywald 2008: 246, Bsp. 3)

Freywald führt aus, dass bei dieser Konstruktion mehr Möglichkeiten zur Informationsstrukturierung gegeben sind als in der kanonischen Variante mit Verbendstellung. Die Position rechts von dass ist wie das Vorfeld in uneingeleiteten Verbzweitsätzen eine designierte Topikposition. Das heißt, es ist möglich topikale nicht-subjektivische Konstituenten in diese Position zu versetzen: (55)

aber ich hab MANCHmal, an manchen stellen den eindruck, dass HIER steht der poeta doctus dem dichter im WEG (Deutschlandfunk, Diskussionsrunde, 20.10.2004; zit. nach Freywald 2008: 253, Bsp. 16)

Damit kann man diese Konstruktion zu den ‚embedded root phenomena’ rechnen. Abgesehen von Belegen mit ‚normaler Topikalisierung’ wie in (55) präsentiert Freywald auch Daten, bei denen auf den Komplementierer eine linksversetzte Konstituente oder ein ‚Hanging Topic’ folgt. Freywald legt dar, dass das Phänomen bei dass-Sätzen in jeglicher syntaktischer Funktion (Subjekt, Objekt, Prädikativ, Attribut) auftritt. Der dass-Satz

147 ist immer nachgestellt. Die Matrixausdrücke sind semantisch restringiert: Sie sind stets nichtnegierend/unnegiert, nichtfaktiv und nichtinterrogativ. Typisch sind Prädikate der Meinungsäußerung oder -begründung bzw. der Feststellung wie auch Prädikate der Sinneswahrnehmung und einstellungsbezogene bzw. wertende Ausdrücke. Was die informationsstrukturellen Eigenschaften angeht, so beobachtet Freywald, dass der Matrixsatz in der Regel einen reduzierten Informationsgehalt aufweist. Die Matrixsätze sind auf gliedernde, epistemische, evidentielle Information reduziert und übernehmen Diskursfunktionen. Der dass-Satz ist stets assertiert. Sie kommt daher zu dem Schluss, dass es sich bei den dass-Verbzweitsätzen nicht um eine subordinative, sondern um eine parataktische Verknüpfung handele, in der dass kein Komplementierer in C ist, sondern eine weiter links stehende Konnektorposition besetzt: (56)

S CP1 dass

CP2

(Freywald 2008: 276, Bsp. 67)

Nach dieser Analyse wäre die Komplementarität zwischen der Präsenz eines Komplementierers und der Verbendstellung nicht durchbrochen, denn dass besetzt ja gar nicht die C-Position. Man müsste – wie bei den abhängigen uneingeleiteten Verbzweitsätzen – argumentieren, dass die Thetarollenzuweisung nichtstrukturell erfolgt. Freywalds Analyse ähnelt der, die de Haan (2001) für die friesischen datVerbzweitsätze vorgeschlagen hat. Sie diskutiert alternative Analysemöglichkeiten. Insbesondere argumentiert sie dagegen, den für die festlandskandinavischen Sprachen und für das Friesische entwickelten CPRekursionsansatz für das Deutsche zu übernehmen, da in diesem Modell der dass-Satz weiterhin einen subordinierten Status hat, was ihrer Meinung nach den besonderen informationsstrukturellen und funktionalen Eigenschaften wie auch der Stellungsfestigkeit (Beschränkung aufs Nachfeld) nicht gerecht wird. Insgesamt betrachtet ist die Forschungslage zu Verbzweitargumentsätzen und ‚embedded root phenomena’ aus komparativer Sicht ungenügend: Es ist nicht klar, welche Eigenschaften die komplementierereingeleiteten Argumentsätze im Festlandskandinavischen und Friesischen mit den deutschen dass-Verbzweitsätzen teilen oder ob sie sich in wesentlichen Punkten unterscheiden, sodass nicht zu entscheiden ist, ob sie grundsätzlich verschiedene oder parallele Analysen erhalten sollen. Wie erwähnt, unterscheiden sich selbst schon die festlandskandinavischen Sprachen untereinander in wesentli-

148 chen Punkten. Da allein die empirischen Fakten nur teilweise geklärt sind, ist es praktisch unmöglich, entsprechende Daten aus dem älteren Deutsch komparativ adäquat einzuordnen. Was das Ahd. angeht, schlägt Suchsland (2000) vor, dass bei den folgenden Hildebrandsliedbelegen CP-Rekursion vorliege: (57)

a. [CP dat [CP Hiltibranti [C' hættij [Vmax mîn dass Hildebrand hieße mein b. [CP dat [CP dûi [C' habêsj [Vmax hême ti dass du habest zu.Hause (Suchsland 2000: 361, Bsp. 12, 14)

fater ti tj ]]]] Vater hêrron gôten tj ]]]] Herren guten

Wie Axel (2007: Kap. 2) detailliert nachweist, gibt es im Ahd. eindeutige Evidenz für die Grammatikalität von Subjektextraposition. Deshalb kommt für Beleg (57)-a eine alternative Analyse in Frage, in der sich das finite Verb in situ befindet und das Subjekt PƯn fater extraponiert ist. Im Falle von (57)-b tritt aber sowohl eine relativ leichte Lokaladverbphrase als auch das Objekt postfinit auf, sodass die Extrapositionsanalyse unplausibel erscheint. Im Isidor ist u.a. ein dhazs-Satz mit Oberflächen-Verbzweit und postfiniten Pronomina belegt sowie ein Fall mit einem postfiniten Satzadverb (= chiuuisso): (58)

a. endi dhu uueist [dhazs uuerodheoda druhtin sendida und du weiß dass Heeres Herr sandte mih zi dhir]‫ގ‬ mich zu dir ‚und du weißt, dass der Herr des Heeres mich zu dir sandte’ et scies quia dominus exercituum misit me ad te‫ގ‬ (Isidor III, 9, He 12, 6) b. hear saar after nu ... eu izs archundemes, hier sogleich danach nun euch es-AKK demonstrieren dhazs ir selbo christ ist chiuuisso got ioh druhtin. dass er selbe Christ ist gewiss Gott und Herr ‚hier sogleich danach wollen wir es euch zeigen, dass er selbst, Christus, gewiss Gott und Herr ist’ deinde quia idem deus et dominus est ... demonstremus. (Isidor III, 1, He 4, 6) = Kap. 2, Bps. (61)-a

Weiß (im Erscheinen) analysiert solche Fälle durch V-nach-T-Bewegung. Eine ähnliche Analyse wird in Schlachter (2004) verfolgt. 10 Axel (2007: Kap. ____________________ 10

Schlachter (2009) identifiziert verschiedene Gruppen von fehlendem Oberflächenverbend in dhazs-Sätzen im Isidor. Neben den Belegen, die bei ihr – wie auch in Axel (2007) auf Extraposition oder Verb Projection Raising zurückgeführt werden (und die nur teilweise in der Wortstellung der lateinischen

149 2) argumentiert gegen eine Analyse mit Verbbewegung und schlägt vor, CPRekursion in Betracht zu ziehen. In (58)-a stellt sich das zusätzliche Problem, dass die Verbstellung, d.h. die postfinite Positionierung der Pronomina parallel zum Lateinischen realisiert ist. Wenn wir trotzdem davon ausgehen, dass es sich um eine genuin ahd. Konstruktion und nicht um Übersetzungs- bzw. Lehnsyntax handelt, lässt sich feststellen, dass die auftretenden Matrixprädikate bei den Isidor- und Hildebrandslieddaten (ähnliche Belege finden sich auch im Tatian) denen entsprechen, die auch in den modernen CPRekursions-Varietäten (z.B. im Dänischen und Faröischen) diese Konstruktion lizenzieren (vgl. die Diskussion in Vikner 1995: 65-67, 80-87, s. auch Hulk & van Kemenade 1995: 237 für das Altfranzösische). Angesichts der rezenten Ergebnisse von Freywald (2008) zur gesprochenen Sprache im Gwd. stellt sich nunmehr natürlich die Frage, ob sich die ahd. Daten mit dem von ihr besprochenen Phänomen parallelisieren lassen und somit als Alternative eine parataktische Analyse in Frage käme. Insgesamt ist aber die Evidenzlage zu spärlich, um sicher beurteilen zu können, welche grammatische Konstruktion hinter den erwähnten Isidor- und Hildebrandslieddaten steckt. Auch im Mhd. war Extraposition häufiger und nicht so stark restringiert wie in der gwd. Standardsprache. Hinzu kommt, dass bei periphrastischen Verbformen häufig ‚Verb Raising’ (Oberfeldbildung) stattfand, sodass das finite Verb vor dem infiniten Verb (bzw. den infiniten Verben) auftrat: (59)

Ich sprich ouch, daz der mensche almuosen mag geben in die helle und inz vegefiur (Nikolaus von Straßburg: Predigten 278, 27)

Bei dem Beleg in (59) stehen zwei Konstituenten vor dem finiten Verb, sodass keine V-nach-C-Bewegung vorliegen kann. Das finite Verb muss sich ____________________ Vorlage folgen) – diskutiert sie auch ausführlich Identifikationssätze mit Kopulakonstruktionen. Außer (58)-b gibt es noch zwei weitere entsprechende Belege im Isidor (dhazs ir ist got ioh druhtin (Isidor III, 2 ; He 5, 15), dhazs iesus ist druhtin (Isidor VI, 2; He 32, 15). Schlachter argumentiert, dass sich die Kopula in diesen Fällen nach v0 bewegt hat. Es gibt insgesamt zu wenig Daten, um beurteilen zu können, ob die CP-Rekursionsanalyse, die parataktische Analyse von Freywald (2009) oder Schlachters Analyse mit V-nach-v-Bewegung angemessener ist. Gegen letztere spricht, dass zumindest bei den drei Isidorbelegen vor der finiten Kopula jeweils nur eine Konstituente steht. Wenn Kopulaverben V-nach-vBewegung unterliegen, würde man erwarten, dass auch Belege mit mehreren präfiniten Konstituenten bezeugt sind. Schlachter (2004: 245) erwähnt zwar entsprechende Fälle (z.B. dhazs ir chihoric uuari gote (Isidor V, 9; He 28, 21), weist aber selbst daraufhin, dass hier wiederum auch eine Extrapositionsanalyse (wie in Axel 2007 vorgeschlagen) in Frage kommt.

150 innerhalb des Verbalkomplexes im Oberfeld befinden und die koordinierten PPn (in die helle und inz vegefiur) ausgeklammert sein. Daher ist auch bei Belegen wie dem folgenden eine Analyse mit CP-Rekursion bzw. V-nach-CBewegung in einer parataktischen Konstruktion wie bei Freywald (2008) nicht zwingend, das finite Verb könnte sich wie in (59) im Oberfeld befinden und die postfinite PP extraponiert sein: (60)

ez wêre denne, daz er wolte varn über mer, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 274, 13)

Wenn man die Möglichkeit der Extraposition und der Oberfeldbildung (wie auch sog. Verb Projection Raising) einkalkuliert, kommt für fast alle mhd. Belege, in denen das finite Verb in einem daz-Satz linear betrachtet in Zweitposition steht, ein Analyse mit Vfin in situ (bzw. mit Vfin im Oberfeld) in Frage. Dennoch sind durchaus auch vereinzelt Belege bezeugt, die den gwd. Daten von Freywald zu ähneln scheinen. Sie zitiert (ibid. 279) selbst den folgenden Beleg aus Lötscher (1998): (61)

daz seiste zeichin ist daz alliz daz zustorit was und forkaldit an der sele und an libe, daz wirdit gesamenit in Got und alzumale inprant an gotlicher minne. (Meister Eckhardt: Paradisus 113, 17; zit. nach Lötscher 1998: 6, Bsp. 6b)

In den folgenden Belegen geht dem finiten Verb im daz-Satz eine linksversetzte Konstituente bzw. ein ‚Hanging Topic’ 11 voran: (62)

a. Man liste hiute ein ewangelium, [daz Symôn der pharisêus der luot unsern herren in sîn hûs]. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 282, 17) b. Ir sult wizzen, [daz die heiligen engele und die heilige schrift und die heiligen lêrer, die munderen wol die sêle und erwecken si] (Herman von Fritzlar 17, 13)

Freywald (2008) führt entsprechende Daten aus dem Gwd. an. In (63)-a liege eine Linksversetzungskonstruktion vor, in (63)-b eine ‚Hanging-Topik’Konstruktion: 12 ____________________ 11 12

Vgl. Abschnitt 5.5.2 für eine Unterscheidung der beiden Konstruktionen. Freywald (2008) geht davon aus, dass bei der Linksversetzungskonstruktion die dislozierte Phrase und das resumptive d-Pronomen adjazent sein müssen. Nach Frey (2005) kann bei der Linksversetzungskonstruktion das resumptive Pronomen unter Umständen auch nicht adjazent auftreten (s. die Diskussion in Abschnitt 5.5.2). Das heißt, in Freys Taxonomie könnte es sich unter Umständen auch bei Beispiel (63)-b Linksversetzung handeln.

151 (63)

a. das ist verschieden, wir sagen SCHON – mag das schon SEIN, daß die FLÜCHTlinge, die sagen schon mehr ... sankt NIKolaus (AGD, Dialog, Itzehohe, 1961; zit. nach Freywald 2008: 254, Bsp. 17) b. da muß ich sagen daß DIE leute die sich über herrn LEIBholz [äh äh] herrn leibholz STAUnen und meinen er hätte was fundemental neues gesagt . entweder lesen die keine ZEItung oder wissen nicht was in BONN und in düsseldorf und sonstwo in gewerkschaftszentralen oder auch an kirchlichen hochschulen diskuTIERT wird (AGD, Südwestfunk 1, Diskussionsrunde, 1971; zit. nach Freywald 2008: 254, Bsp. 18)

Im Gwd. sind solche Belege fast ausschließlich in der gesprochenen Sprache zu finden (Freywald 2008). Dass die Konstruktion im Mhd. auch in geschriebener Sprache bezeugt ist, ist nicht überraschend, wenn man sich vor Augen hält, dass damals die Opposition zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit generell schwächer ausgeprägt war als heute (z.B. Wegera 2000). Bei Hermann von Fritzlar ist eine alternative Konstruktion mit Linksversetzung im daz-Satz bezeugt. Bei folgendem Beleg findet CP-Rekursion statt, und zwar anders als bei den oben diskutierten Daten aus dem Dänischen und Friesischen in ‚overter’ Form, indem nämlich der Komplementierer (in den Beispielen hervorgehoben durch Fettdruck) in der tieferen CP overt realisiert wird: (64)

Ir sult wizzen, daz alle di lêrer di dâ vrevelîchen predigen daz unser vrowe in erbesunden enphangen sîe, daz si nicht vollekomen wîsheit haben; (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 19, 26)

Diese Konstruktion wird bei Freywald (2008) nicht diskutiert, sie scheint meines Erachtens aber auch im Gwd. in der Umgangssprache möglich zu sein: (65)

Ihr müsst wissen, dass alle Wissenschaftler, die uns weismachen wollen, dass Frauen technisch weniger begabt sind als Männer, dass die immer noch den alten Vorurteilen nachhängen

In den mhd. Texten sind weiterhin daz-Sätze mit einem Anakoluth bezeugt: (66)

a. $ELULFKVDJH€FKGD]HLQvFOLFKPĤ]LFZRUWGD]GLO€WHZHUGHQVSUHFKLQ PĤ]HQVLUHGHZLGHUJHELQYRQLPHLQGHPWDJHGHVJHULFKWHV (Evangelienbuch Beheim 30; Mt 12, 36) b. Und sönt wizzen, daz er in dem êrsten ougenblicke dô er enpfangen wart, dô bekante er in eime schouwende waz er lîden solte mit spotte, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 281, 17)

152 c. Diz sprichet her, daz ein prister, der was ein grôz herre, und der hate unserre vrowen gelobet zu dinen des âbendes und des tages, und her bat si des daz si ime hulfe daz her nummer von gote gescheiden wurde. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 20, 2)

Dass der daz-Satz in Beispiel (66)-b abgebrochen wird, ist nicht erstaunlich, denn auf die Konjunktion folgt eine indefinite DP (ein grôz herre) gefolgt von einer durch und eingeleiteten relativischen Verbzweitkonstruktion (und der hate unserre vrowen gelobet zu dinen des âbendes und des tages, und her bat si des daz si ime hulfe daz her nummer von gote gescheiden wurde). Wie in Kapitel 4 argumentiert werden wird, sind relativische Verbzweitsätze nicht einbettbar, es handelt sich um parataktische Konstruktionen, die zusammen mit ihrem Antezedens weder im Mittelfeld noch im Vorfeld ihres Bezugssatzes auftreten können. Das heißt, es ist weder möglich solche Sätze in einen daz-Verbend- noch in einen daz-Verbzweitsatz einzubetten, was den Abbruch des daz-Satzes erklärt. Im Frnhd. sind ebenfalls Fälle mit Verbzweitstellung im dass-Satz überliefert. In der Frnhd. Grammatik findet sich folgender Hinweis: 13 Während der ganzen frnhd. Zeit begegnen Fälle, wo man aus der Konstruktion eines Satzgefüges, besonders eines komplizierten Satzgefüges, herausbricht. Häufig ist der Übergang zur Hauptsatzwortstellung; vgl. folgende einfache Fälle aus Luther: [...] Jch bin ewer Zeuge / das / wenn es müglich gewesen were / jr hettet ewer Augen ausgerissen / vnd mir gegeben Gal. 4, 15 (1545). (Ebert et al. 1993: 484)

____________________ 13

Bei dem in der Frnhd. Grammatik zitierten Luther-Beleg steht nach der Konjunktion das ein wenn-Satz. Das finite Verb befindet sich nicht in Zweit-, sondern in Drittposition, denn auf den Adverbialsatz folgt zunächst das Subjektpronomen jr. Diese Drittstellung ist ebenso typisch für Adverbialsätze mit selbständigen Bezugssätzen. Wie in Abschnitt 5.6 gezeigt werden wird, treten Adverbialsätze erst im Laufe der frnhd. Periode im Vorfeld ihres Bezugssatzes auf. Auch im Mittelfeld konnten sie nicht stehen. Wenn Adverbialsätze einen ihrerseits abhängigen Satz wie etwa einen daz-Satz modifizierten, so wurde der Adverbialsatz rechts von der Konjunktion platziert. Die ältere Abfolge wäre also: Jch bin ewer Zeuge / wenn es müglich gewesen were / das jr ewer Augen ausgerissen / vnd mir gegeben hettet. Dass Luther den wenn-Satz bereits rechts von das platziert, kann damit zusammenhängen, dass in der frnhd. Periode Adverbialsätze zunehmend die bezugssatzinternen Modifiziererpositionen ‚eroberten’ (insbesondere das Vorfeld, aber auch Positionen im Mittelfeld). Jedoch war anscheinend die Konstruktion noch nicht gefestigt, was dazu führte, dass Luther in besagtem Beispiel aus der Konstruktion herausbricht und statt der Verbendstellung in die Verbdrittstellung verfällt.

153 Ähnliche Fälle sind auch im Nhd. bezeugt: (67)

a. er ließ mich bedeuten, daß wenn ich nicht verfolgt würde, sollte ich nur ruhig sein (Goe. 43, 147, 27; zit. nach Paul 1920: 379f.) b. worauf er denn sagte, daß wenn Seine Exzellenz es zufrieden wären, so würde sich die Königin meiner bedienen (Goe. 44, 295, 7; zit. nach Paul 1920: 380)

Bei den Belegen, die in den Grammatiken zitiert werden, folgt in der Regel ein Adverbialsatz auf die Konjunktion dass. Gerade wenn schwere Konstituenten wie Adverbialsätze und dergleichen auf die Konjunktion folgen, können auch Performanzfaktoren eine Rolle gespielt haben. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die ahd. und mhd. Daten mit Zweitstellung im thaz/daz-Satz nur schwer einzuordnen sind. Zunächst ist problematisch, dass viele Belege mit linearer Zweitstellung in Bezug auf die zugrunde liegende Verbstellung ambig sind. Die Belege, bei denen sich das finite Verb eindeutig nicht in situ befindet, sind selten. Deshalb ist es auch kaum möglich zu beurteilen, ob eine Analyse mit CP-Rekursion, mit V-nachT-Bewegung oder ein parataktische Analyse, wie sie Freywald (2008) fürs Gwd. vorschlägt, adäquater ist. Hinzu kommt, dass es sich insbesondere dann, wenn ‚schwere’ Konstituenten involviert sind, um ein Performanzphänomen handeln kann.

3.4

Zur Diachronie der asyndetischen Verbzweitsätze

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit asyndetischen Verbzweitsätzen im älteren Deutsch. Im nächsten Abschnitt stehen dagegen asyndetische Verbendsätze im Mittelpunkt. Dabei sollen die folgenden Fragen behandelt werden: Ab wann sind uneingeleitete argumentrealisierende Verbzweitsätze belegt und sind ihre grammatischen Eigenschaften im älteren Deutsch vergleichbar mit denen ihrer gwd. Pendants? Aus der junggrammatischen Literatur ist bekannt, dass es im Ahd. den Typ des uneingeleiteten Verbendargumentsatzes gab. Hat dieser dieselben Eigenschaften wie der Verbzweittyp oder unterscheidet er sich in wesentlichen Punkten? Wie sehen entsprechend die Analysen für die beiden Typen aus? Welche Rolle hat der asyndetische Verbendtyp bei der Entstehung des kanonischen Typs, also des dass-Verbendsatzes gespielt? Die Beantwortung dieser Fragen ist natürlich direkt relevant für das Leitthema der vorliegenden Arbeit, nämlich für das Problem, welchen Status die sogenannten Diskrepanzfälle haben, d.h. die

154 Fälle bei denen die kanonische Entsprechung von nebensatztypischen formalsyntaktischen Merkmalen und semantisch-interpretatorischen Merkmalen (in diesem Fall handelt es sich dabei um die Argumentsättigung bzw. Thetarollenzuweisung) durchbrochen ist.

3.4.1 Althochdeutsch Die diachrone Entwicklung von uneingeleiteten Argumentsätzen fasst Erdmann wie folgt zusammen: E i n f a c h e A n fü g u n g o h n e C o n j u n c t i o n ist im Gotischen nicht belegt. Vom Ahd. an ist sie ziemlich häufig. Im Ahd. und Mhd. tritt dabei – ebenso wie in unverbundenen Absichtssätzen – bisweilen das Verbum ans Ende; im Nhd. ist dies nicht mehr üblich, und der Satz hat kein äußeres Zeichen der Abhängigkeit. Auch der Conjunctiv ist nicht der Abhängigkeit des Satzes wegen gesetzt, sondern seines unsicheren Inhaltes wegen; (Erdmann 1886: 169)

In den ahd. Hauptprosatexten (Isidor, Monseer Fragmente, Tatian) aus dem späten 8. und 9. Jahrhundert ist die Zahl der uneingeleiteten argumentrealisierenden Sätzen sehr gering. Wie Diels (1907: 195) argumentiert, lässt sich das darauf zurückführen, dass es sich bei diesen Denkmälern um mehr oder weniger vorlagengetreue Übersetzungen handelt. Da jedoch in den lateinischen Ausgangstexten die asyndetische Fügungsweise bei argumentrealisierenden (finiten) Sätzen praktisch nicht vorkommt, ist es nicht überraschend, dass auch im ahd. Zieltext die konjunktionale Einleitung (durch thaz) vorherrscht. Das gilt auch für andere Typen von uneingeleiteten Sätzen. So sind auch Verberstkonditionale in den drei Texten nicht belegt. 14 Im Isidor findet sich kein einziger Beleg für einen uneingeleiteten, argumentrealisierenden Satz, im Tatian kein eindeutiger, d.h. keiner bei dem direkte Rede ausgeschlossen werden kann. Meist kann man daran, dass keine Personenverschiebung stattgefunden hat, erkennen, dass es sich um direkte Rede handelt: (68)

thô dann Inti und

frag&un sie Inan. ʜ fragten sie ihn her quad ni er sprach NEG

uuaz was bin, bin

nu nun

bist bist

thu du

helias ʜ Elias

____________________ 14

Wie Ruhfus (1897: 132, Fn. § 59) in Bezug auf den Tatian bemerkt, liegt es „an der natur einer sich eng an das lat. anschließenden übersetzung, dass bedingungssätze ohne conjunction mit dem verbum an erster stelle nicht vorhanden sind“.

155 ‚da fragten sie ihn: „Was nun? Bist du Elija?“ Und er sprach: „Ich bin es nicht.“’ & interrogauerunt eum,ʜ quid ergo helias es tú. ʜ & dixit non sum. (Tatian 47, 11)

Einzig die Texte der Monseer Fragmente enthalten einige Belege, bei denen direkte Rede nicht in Frage kommt, jedoch steht hier das finite Verb nicht an zweiter, sondern an späterer Stelle (vgl. Abschnitt 3.4.1). In Notkers Consolatio aus spätahd. Zeit sind einige Beispiele belegt, was nicht verwundert, da dieser Text weit über eine Übersetzung hinausgeht. Die größte Zahl an Belegen findet sich allerdings bei Otfrid. Bei den Consolatio- und Otfridbelegen stellt sich die Frage, welche Verbstellungsmuster auftreten. Gibt es Evidenz, dass in diesen Texten das historische Pendant zu den abhängigen Verbzweitsätzen im Gwd. überliefert ist? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. In der Consolatio treten drei Klassen von Belegen auf, in denen das finite Verb an der Oberfläche in Zweitstellung erscheint. Der erste Typ ist in Bezug auf die zugrunde liegende Verbstellung ambig. In Belegen wie (69) befindet sich rechts vom finiten Verb uuolti ein Nebensatz. Dies ist kein Indiz dafür, dass Linksbewegung des Verbs stattgefunden hat, denn Nebensätze, v.a. Komplementsätze, stehen auch im Ahd. in der Regel im Nachfeld, sodass sie auch rechts vom Finitum erschienen, wenn sich dies in der Basisposition am Satzende befände. In den Belegen in (70) folgen auf das finite Verb jeweils lateinische Syntagmen, für die ebenfalls Nachfeldstellung angenommen werden kann, insbesondere im Falle (70)-b, wo eine ganze lateinische Infinitivgruppe rechts vom Verb steht. (69)

Ér chît [ ter scriptor uuólti . er sagt der Schreiber wollte-KONJ ‚er sagt, der Schreiber habe gewollt, dass ...’ (Notker Boethius I 56, 23)

dáz … ] dass

(70)

a. Sî uuólta [ er cháde . ad bonum ]. sie wollte er sagte-KONJ ad bonum ‚sie wollte, dass er „ad bonum“ sagt’ (Notker Boethius I 38, 1) b. Sî uuólta [ er châde . se hominem in deo deum esse ]. sie wollte er sagte-KONJ se hominem in deo deum esse ‚sie wollte, dass er „se hominem in deo deum esse“ sagt’ (Notker Boethius I 38, 27) c. Íh uuólta [ si ráhtî incidentes questiones ]. ich wollte sie erörterte-KONJ incidentes questiones ‚ich wollte, dass sie die ‚incidentes questiones’ erörtert’ (Notker Boethius V 232, 3) d. álso er nû chît . [ ér uuíze . alde neuuíze fortunam wie er nun sagt er wisse oder NEG.wisse fortunam

156 instabilem ]. instabilem ‚wie er nun sagt, dass er die ‚fortunam instabilem’ kenne oder nicht kenne‘ (Notker Boethius II 74, 9)

Bei der zweiten Belegklasse handelt es sich um ‚Objektsätze’, die von Nomina abhängig sind. Es finden sich in der Consolatio zwei Belege, in denen sich das finite Verb oberflächlich in Zweitstellung befindet, in einem Fall tritt als Kopfnomen lougen ‚Verleugnung’ auf (als Teil einer prädikativen Konstruktion lougen uuesen), im anderen Fall ]XƯXHO. (71)

a. Tés nemág áber nehéin lóugen uuésen . [ íz nesî . es NEG.sei dessen NEG.kann aber kein Leugnen sein únde íz nesî úrspríng álles kûotes ] . und es NEG.sei Ursprung alles Gutes ‚Aber daß es existiert und gleichsam die Quelle aller Güter ist, läßt sich nicht leugnen’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 131) Sed quin existat . sitque hoc ueluti quidam fons omnium bonorum . negari nequit. (Notker Boethius III 152, 9) b. Sô gót tiu tíng ríhtet chád si . mít témo nágele dero wenn Gott die Dinge richtet sprach sie mit dem Steuer der gûoti . únde siu állíu râmênt ze_dero gûoti . íst tánne Güte und sie alle zielen zu der Güte ist dann zuîuel . [ síu nesîn uuíllig tes ríhtennes ]? NEG.seien willig des Richtens Zweifel sie ‚Wenn Gott, sprach sie, alles ... durch das Steuerruder der Güte lenkt und wenn … ebenso alle Wesen aus natürlichem Trieb zum Guten eilen, kann man dann daran zweifeln, daß es sich freiwillig lenken lasse …?’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 155) Cum deus inquit iure credatur omnia gubernare clauo bonitatis . eademque omnia sicuti docui . ad bonum naturali intentione festinent . num dubitari potest . quin uoluntarie regantur? (Notker Boethius III 174, 22)

Diese Beispiele sind aus gwd. Sicht überraschend, denn im Gwd. gibt es zwar auch nominale Matrixprädikate, die abhängige Verbzweitsätze selegieren, es gilt aber wie auch bei den verbalen die Beschränkung, dass diese nicht negiert bzw. ‚negativ’ sein können (Reis 1997): (72)

a. Der Glaube, die Erde sei flach (Heycock 2006: 194, Bsp. 53) b. *Der Zweifel, die Erde sei flach

157 Bei genauerer Betrachtung steht jedoch auch bei den Beispielen in (71) die Zweitstellung in Frage. Bei dem postfiniten Material handelt es sich in beiden Fällen um Prädikativa, in (71)-a um eine prädikative komplexe DP, in (71)-b um ein prädikatives Adjektiv mit Komplement. In der gwd. Standardsprache können (nichtsatzförmige) Prädikativa kaum mehr ausgeklammert werden, 15 in den ahd. Texten finden sich aber durchaus Belege (vgl. Bolli 1975 zur Consolatio): (73)

dóh ír nóh sínt líumendîg . doch ihr noch seiet berühmt ‚obwohl ihr noch berühmt seid’ (Notker Boethius II 103, 11)

Selbst in den heutigen Dialekten ist diese Konstruktion noch möglich, wie folgende bairische Daten mit einem ausgeklammerten Objektsprädikativ belegen: (74)

a. und deis håut ghoaßn de „Biariknecht“ und das hat geheißen die „Biariknechte“ b. i hå(n) hoaßn Franz Zipfmpfeinning ich habe geheißen Franz Zipfenpfenning (Patocka 1997: 355)

Bei der dritten Klasse von Belegen handelt es sich um drei Beispiele, in denen indikativische Objektsätze und ein Subjektsatz nach den Verben ZƗQHQ and thunken 16 auftreten: (75)

a. Íh uuâno [ dû gehúgest uuóla . dáz … ] ich wähne du erinnerst-IND gut dass ‚ich glaube, du erinnerst dich gut, dass ...’ Meministi ut opinor . (Notker Boethius I 26, 27) b. Íh uuâno [ dû betrúge dia fortunam ] ich glaube du betrogst-IND die Fortuna ‚ich glaube, du betrogst die Fortuna‘ Dedisti ut opinor uerba fortunŠ (Notker Boethius II 65, 15) c. Míh túnchet áber . [ fórhta tûot tir uuê ] . Leid mich dünkt aber Furcht tut-IND dir ‚mich dünkt, das Staunen quält dich’

____________________ 15 16

Allerdings hat Zahn (1991: 225) nachgewiesen, dass in gesprochener Sprache auch prädikative XPn ausgeklammert werden können. Zu den Anhebungseigenschaften des Verbs thunken vgl. Demske (2008).

158 Sed ut uideo . stupor oppressit te . (Notker Boethius I 13, 14)

Diese Beispiele sind überraschend, da beide Verben bei Notker und in anderen ahd. Texten normalerweise konjunktivische Argumentsätze selegieren und zwar sowohl uneingeleitete konjunktivische Sätze mit Verbendstellung (s. Abschnitt 3.4.1) als auch konjunktivische thaz-Sätze. 17 Behaghel (1928: 605) schlägt vor, die Beispiele in (75) mit unerwartetem Indikativ als Fälle einer Doppelpunktinterpretation zu analysieren (z.B. Míh túnchet áber fórhta tûot tir uuê ĺ‚Mich dünkt (Folgendes): Die Furcht bereitet dir Leid’). In der Tat enthalten alle drei Beispiele Matrixsubjekte in der ersten Person. Im Falle von Matrixsubjekten in der dritten Person könnte man eindeutig entscheiden, ob direkte Rede vorliegt oder nicht, denn bei indirekter Rede müsste das abhängige Pronomen ebenfalls in der dritten Person stehen. In der ersten Person sind sie jedoch in der Tat ambig. In Notkers Consolatio gibt es nur einen Beleg, der unambig Zweitstellung des Verbs aufweist (also Vfin in C) 18 und der nicht in die vorgestellten drei Klassen fällt. Das Matrixprädikat ist zweifeln ein ‚negatives’ Verb, das negiert ist. Im Gwd. kann diese Prädikat – auch wenn es nicht negiert ist – keinen Verbzweitsatz selegieren: (76)

a. Íh nezuîuelôn óuh . [ tû nemúgîst iz keléisten ] . du NEG.vermögest -KONJ es leisten ich NEG.bezweifle auch ‚Ich zweifle auch nicht, dass du es zu vollbringen vermagst’ Nec dubito . quin possis efficere. (Notker Boethius IV 186, 8) b. *Ich bezweifele (nicht), du kannst das leisten

Abhängige Verbzweitsätze nach negiertem zweifeln sind vom Mhd. bis ins Nhd. hinein belegt. Sie bieten, wie in Abschnitt 3.1.1 argumentiert wurde, keine Gegenevidenz für die Hypothese, dass auch die Verbzweitsätze in früheren Sprachstufen ‚vermittelte Assertionen’ im Reis‘schen (1997) Sinne wiedergeben. Problematisch ist nur, dass wir in Notkers Consolatio keine ____________________ 17

18

Der Verbmodus in von thunken selegierten Komplementsätzen wird in Schrodt (2004: 190), Behaghel (1928: 588) und Erdmann (1874, Bd. I: 191) diskutiert und der Modus nach ZƗQHQ in Furrer (1971: 145) in Bezug auf Notkers Consolatio, und in Erdmann (1874, Bd. I: 191) und Wunder (1965: 240, 259) in Bezug auf Otfrid. Bei dem Beleg steht das Infinitum rechts vom Finitum, dazwischen steht ein Pronomen. Diese Stellung ist ein eindeutiges Indiz für Verbbewegung. Oberflächenabfolgen des Typs Vfin—XP—Vinfin können im Ahd. auch durch sog. ‚Verb Projection Raising’ zustande kommen, bei einer intervenierenden pronominalen XP kann dies jedoch ausgeschlossen werden (vgl. Santorini 1993 fürs Jiddische, Pintzuk 1999 fürs Altenglische).

159 Evidenzen für einen kanonischen Verbzweitfall nach unnegierten verba dicendi sentiendi usw. finden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Evidenzlage in Notkers Consolatio für die Existenz argumentrealisierender Sätze mit abhängiger Verbzweitstellung sehr dürftig ausfällt. Der ahd. Text, der die weitaus größte Zahl an asyndetischen Argumentsätzen aufweist, ist Otfrid. 19 Allerdings ist es bei dieser Quelle sehr schwierig, aus den Daten Aussagen über die Grammatikalität von Verbstellungsmustern abzuleiten, da diese durch extragrammatische Faktoren, insbesondere durch den Endreim (evtl. auch durch das Metrum) beeinflusst sein können. Als Matrixprädikate treten am häufigsten ZƗQHQ ‚wähnen, glauben’ und quedan ‚sagen, sprechen’ auf. An diesen beiden Verben soll im Folgenden exemplarisch dargestellt werden, welche Schwierigkeiten sich bei den Otfriddaten ergeben. Oberflächlich betrachtet scheint die Verbstellung eine große Variation aufzuweisen. In Otfrid sind nach meiner Zählung 44 Belege mit asyndetisch angeschlossenen Argumentsätzen nach quedan enthalten. Das stimmt grob mit dem Ergebnis von Erdmann (1874, Bd. I: 177, 191) überein, der von ca. 50 Belegen spricht. Für asyndetische Nebensätze nach dem Verb ZƗQHQhabe ich 24 Belege gefunden (Erdmann 1874, Bd. I: 177, 191 spricht von ca. 30). 20 Diese Belege lassen sich jeweils in drei große Klassen einteilen, die sich im Hinblick auf die Analyse der strukturellen Verbstellung unterscheiden: Bei der ersten Klasse ist die Oberflächenwortstellung stark ambig und das finite Verb kann entweder in C stehen (also nach links bewegt worden sein) oder sich in situ befinden. Dies ist bei solchen Oberflächenabfolgen der Fall, in denen vor dem finiten Verb genau eine (oder gar keine) XP auftritt und in denen kein postfinites Material vorhanden ist oder in denen etwaige postfinite Konstituenten syntaktischen Kategorien angehören, die häufig ausgeklammert sind. ____________________ 19 20

Siehe auch Erdmann (1874, Bd. I: 177f., 186, 190–195), Wunder (1965: 239–254) und Lenerz (1985: 112-114) für Beispiele. Bei Wunder (1965: 24f. ) finden sich höhere Zahlen (68 Fälle von asyndetischen Argumentsätzen nach quedan, 34 nach ZƗQHQ). Das liegt daran, dass Wunder auch Fälle mit parenthetischen inquit-Formeln einrechnet (z.B. In tód, quad, ni gigíangin, O II 6, 15) wie auch Belege, bei denen nach einem zum Matrixsatz adjazenten thaz-Satz oder asyndetischen Satz ‘freie’ Konjunktivsätze folgen (ibid.: 240, Fn. 3) wie etwa bei folgender gwd. Sequenz: Der Präsident sagt, er trete morgen zurück /dass er morgen zurücktrete. Er werde eine Pressekonferenz einberufen. Er werde aber die Amtsgeschäfte noch einen Monat weiter führen. Solche Belege wurden hier nicht mitgezählt, denn wenn im Gwd. der Konjunktiv auch ‚unselbständig’ verwendet werden kann, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dies auch im Ahd. möglich war.

160 Das sind insbesondere CPn und PPn, aber auch Infinitivgruppen (z.B. AcI, ze+Gerundium): (77)

(XP)–Vfin 21 quátun [ iz ni 22 zámi ] ziemte-KONJ sagten es NEG ‚sie sagten, es zieme sich nicht’ (Otfrid I 9, 20)

(78)

(XP)–Vfin–CP/PP 23 a. Sie quédent [ er giuuúagi · thaz ... ] sie sagen er erwähnte-KONJ dass ‚sie sagen, er erwähnte, dass ...’ (Otfrid II 18, 11) b. Sie uuántun [ druhtin méinti er sinan sláf zeinti ] 24 sie wähnten Herr meinte-KONJ er seinen Schlaf zeigte-KONJ ‚sie glaubten, der Herr habe gemeint, dass er seinen Schlaf anzeige’ (Otfrid III 23, 47) c. quádun [ ni gisuíchi · nub er then líut bisuichi ] sagten NEG aufhörte KONJ NEG-ob er das Volk hinterging-KONJ ‚sie sagten, er lasse nicht davon ab, das Volk zu hintergehen’ (Otfrid III 15, 44)

(79)

(XP)–Vfin–Infinitivgruppe 25 EĚ quad [ man gihórti · uuéinon theso dáti ] diese Taten-AKK. PL er sprach man hörte-KONJ weinen ‚er sprach, man hätte weinen hören auf diese Weise (wie die Frauen beim Kindermord in Bethlehem weinten)’ (Übersetzung nach Kelle 1881: 70) (Otfrid I 20, 27)

CPn, adverbiale PPn und Infinitivgruppen treten auch in der gwd. Standardsprache noch häufig extraponiert auf. Im Ahd. war jedoch die Extraposition von XPn generell häufiger und in Bezug auf die syntaktische Kategorie und Funktion der betroffenen Phrase liberaler. Insbesondere sind prädikative ____________________ 21

22 23

24 25

Weitere Belege des Typs (XP)–Vfin mit quedan: Otfrid I 8, 21; Otfrid III 24, 45; Otfrid IV 20, 17 (allerdings mit Subjektauslassung). Kein Beleg mit ZƗQHQ. Die Negationspartikel ist als proklitischer Kopf zum finiten Verb zu analysieren (s. Jäger 2008). Weitere Belege des Typs (XP)–Vfin–CP/PP mit quedan: Otfrid II 5, 22; Otfrid II 18, 11; Otfrid III 18, 31; Otfrid IV 8, 13; Otfrid IV 13, 22 (zwei ausgeklammerte PPn). Weitere Belege mit ZƗQHQ: Otfrid I 22, 11; Otfrid III 23, 47; Otfrid IV 18, 5; Otfrid V 10, 15. Hier liegt als Nebensatz zweiten Grades ein asyndetischer Verbendsatz vor. Dieses Phänomen wird im nächsten Abschnitt behandelt. Kein Beleg mit ZƗQHQ.

161 XPn und Subjekte (insbesondere in passivischen Konstruktionen) nicht selten extraponiert, 26 ja sogar Belege mit Objektextraposition sind in unabhängigen Kontexten bezeugt (s. die Daten in Lenerz 1984: 129, 170ff., Schrodt 2004: 217ff., Axel 2007: Kap. 2). Das heißt, selbst die folgenden Daten sind ambig: Entweder es liegt wie bei den gwd. asyndetischen Argumentsätzen V-nachC-Bewegung vor, oder die postfiniten Konstituenten sind extraponiert: (80)

(XP)–Vfin–prädikative XP 27 thu quist [ thu 28 uuéses auur 29 gót ] du sagst du seist aber Gott ‚du sagst aber, du seist Gott’ (Otfrid III 22, 45)

(81)

(XP)–Vfin–Objekt-XP 30 ni uuán ih [ imo brústi · grozara NEG wähne ich ihm mangelte-KONJ großer ‚ich glaube, es hat ihm an großer Angst nicht gefehlt’ (Otfrid II 4, 36)

aĔgusti ] Angst-GEN

Es gibt in Otfrid nur drei Belege, bei denen im asyndetischen Satz das finite Verb dem infiniten Verb vorangeht (in (82)-a, b treten zwischen den beiden Verbteilen Konstituenten auf, sodass einfache Oberfeldbildung ausgeschlossen ist): 31

____________________ 26 27

28 29

30 31

Ein Verbendsatz mit Subjektextraposition ist in (82)-b zitiert. Weitere Belege des Typs (XP)–Vfin–prädikative XP nach quedan: Otfrid I 5, 70; Otfrid III 5, 12 (mit Subjektauslassung und Objektsprädikativ); Otfrid IV 18, 10; Otfrid IV 19, 70. Kein Beleg nach ZƗQHQ. Kleiber (Hg.) (2004, Bd. I, 2: 226): thu übergeschrieben. Hier erscheint neben der prädikativen NP got auch noch der Adverbkonnektor auur postfinit (vielen Dank an Helmut Weiß für den Hinweis). Solche Konnektoren wurden auch im Ahd. in der Regel nicht extraponiert, was dafür spricht, dass in dem Beleg V-nach-C-Bewegung stattgefunden hat. Weitere Belege des Typs (XP)–Vfin–Objekt-XP nach quedan: Otfrid I 19, 21 (postfinites Adverb + Objekt). Nach ZƗQHQ: Otfrid II 4, 36. Wobei auch hier nicht mit hundertprozentiger Sicherheit angenommen werden kann, dass in der Tat V-nach-C-Bewegung stattgefunden hat, denn es existierte auch im Ahd. bereits das Phänomen des sog. ‚Verb Projection Raising’ bzw. der ‚Interfeldbildung’ (Dittmer & Dittmer 1998, vgl. auch Robinson 1997, Axel 2007: Kap. 2).

162 (82)

(XP)–Vfin–...–Vinfin 32 a. quad [ mán sia mohti scíoro · firkóufen filu díuro ] verkaufen viel teuer sagte man sie vermochte- KONJ rasch ‚er sagte, man vermochte sie (= die Salbe) leicht sehr teuer zu verkaufen’ (Otfrid IV 2, 22) b. Quad [ uúrtin thanne indániu · thiu óugun iro scóniu ] sagte wurden-KONJ dann aufgetan die Augen ihre schöne ‚sie sagte, es wurden dann ihre schönen Augen aufgetan’ (Otfrid II 6, 19) c. Er quád [ ni mohti uuérdan ] · er sagte NEG vermochte-KONJ werden ‚er sagte, es könnte nicht geschehen’ (Otfrid III 6, 21)

Wenn Pronomina oder Satzadverbien postfinit auftreten, muss V-nach-CBewegung erfolgt sein: (83)

a. quad [ uuárin líob joh suázi · man barabbán in liazi sagte war-ihnen lieb und süß man Barrabas ihnen ließe ‚sie (= die Menge) sagte, es sei ihnen lieb und willkommen, dass man Barrabas ihnen überlasse’ (Otfrid IV 22, 16) b. Ih uuánu [ thu sis réhto · thésses mannes knéhto ] ich wähne du seist zu.Recht dieses Mannes Diener ‚Ich glaube, du bist in der Tat der Diener dieses Mannes’ (Otfrid IV 18, 8)

Während es in Otfrid nur wenig unambige Evidenz für asyndetische Nebensätze mit V-nach-C-Bewegung gibt, finden sich wie bei Notker unstrittige Belege für asyndetische Sätze mit Verbendstellung. In den folgenden Beispielen tritt mehr als eine XP vor dem finiten Verb auf, sodass man davon ausgehen muss, dass sich das Verb in seiner Basisposition am Satzende befindet. (84)

XP–XP–...–Vfin... a. Quádun tho thie líuti · [ er únrehto dati ] sagten dann die Leute er unrecht täte ‚die Leute sagten, er habe unrecht getan’ (Otfrid III 4, 35) b. uuánu [ sie oh thaz rúzin · waz síe ... ] sie ... wähne sie auch das beweinten-KONJ was ‚ich glaube, sie beweinten auch das, was sie ...’ (Otfrid IV 26, 6)

____________________ 32

Weitere Belege des Typs (XP–)Vfin–...Vinfin bei quedan: Otfrid IV 2, 22. Kein Beleg bei ZƗQHQ.

163 c. Wanu [ íagilih tho ílti · thuruh thio spatun zíti ] wähne jeder dann eilte- KONJ durch die späten Zeiten ‚ich glaube, jede beeilte sich, weil es schon so spät war‘ (Otfrid V 4, 11)

Bei quedan und ZƗQHQ tritt in asyndetischen Sätzen „sehr überwiegend“ Konjunktiv auf (Erdmann 1874, Bd. I: 177, § 298; Erdmann 1886: 169, § 199). Das entspricht den Verhältnissen bei der thaz-Satz-Variante, denn auch in diesem Fall steht nach ZƗQHQ immer der Konjunktiv und nach quedan bei der Mehrheit der Belege (Wunder 1965: 240). Legt man die gwd. Verhältnisse zugrunde, dann ist der Konjunktiv ein sicheres Indiz dafür, dass keine Doppelpunktkonstruktion vorliegt. Das soll aber nicht heißen, dass es im Ahd. nicht auch scheinbar unselbständige Verwendungsweisen des Konjunktivs gab. Wie im Gwd. konnte auch ein selbständiger Satz, in den eine Verberstparenthese (eine inquit-Formel wie quad (häufig mit Subjekt-drop)) eingeschoben ist, im Konjunktiv stehen: (85)

a. In tód quad ni gigíangin · thoh siu tharazúa fiangin fingen-KONJ in Tod sagte NEG gingen-KONJ obwohl sie dazu ‚in den Tod, sagte sie (= die Schlange), würden sie (= Adam und Eva) nicht gehen, auch wenn sie (beim Apfel) zugriffen’ (Otfrid II 6, 15) b. Gilíh quad, uurtin thánne · góton Göttern gleich sagte würden-KONJ dann ‚sie würden dann, sagte sie (= die Schlange), den Göttern gleich’ (Otfrid II 6, 21)

Wunder (1965: 241) kommt zu dem Schluss, der asyndetische Konjunktivsatz sei seinem Wesen nach eine indirekte Rede im engen Sinne. Wie die direkte Rede wird die indirekte oft von einem Einleitungswort [...] eingeführt oder wird ein solches in sie eingeschoben; allerdings scheint es Otfrid nicht möglich zu sein, den Umfang der ind. Rede allzusehr auszudehnen – es sei denn er setzt von neuem ein inquit-Wort. (Wunder 1965: 241)

In Otfrid sind ca. 17 Beispiele mit abhängigen asyndetischen Sätzen im Indikativ nach verba declarandi/dicendi (kunden, gisagen, zellen, gizellen) und verba sentiendi (gieinot birun, gilouben, irkennen, wizzan (nur 1. PS: weiz)) belegt (vgl. Erdmann 1874, Bd. I: 185, § 312, Wunder 1965: 250f.). 33 Das ____________________ 33

Wunder (1965: 251) erwähnt noch Belege nach Verben des ‚Machens’ wie duan, geban, wenken, waltan sowie nach dem Verb werdan. Bei diesen Beispielen ist aber nicht eindeutig, ob der asyndetische Satz eine Argumentstelle sättigt.

164 Matrixprädikat wizzan selegiert immer den Indikativ, 34 und zwar sowohl in eingeleiteten als auch in uneingeleiteten Sätzen. 35 (86)

a. ih uueiz [ iz gót uuorahta ] · ich weiß es Gott wirkte ‚ich weiß, Gott fügte es’ (Otfrid I 1, 80) b. ih uueiz [ thu es ínnana bist ] · ich weiß du es-GEN inwendig bist ‚ich weiß, es ist dir bekannt’ (Otfrid II 8, 48)

Die Verbmodusdistribution entspricht der in thaz-Sätzen. Nach Schrodt (2004: 187) wird in abhängigen Sätzen der Konjunktiv „zur Bezeichnung der syntagmatischen Abhängigkeit“ eingesetzt. Die dependente Modussetzung sei immer dann möglich, wenn „das Semantem des Hauptsatzprädikats das Inhaltsgeschehen nicht als tatsächlich präsupponiert oder impliziert“ (ibid.: 184). Wenn die abhängige Proposition den Wahrheitswert „unbestimmt“ trägt, ist dependente Konjunktivsetzung möglich. Das ist zum Beispiel bei nonfaktiven Verben der Fall. Entsprechend steht bei Verben des Denkens und Vermutens wie thenken, thunken oder ZƗQHQ der Konjunktiv. Verba dicendi können dagegen in Schrodts System sowohl faktiv als auch non-faktiv verwendet werden. Nonfaktiv sind sie nur in der lokutiven Lesart. In der lokutiven Lesart ist der „Sachverhalt dem Sprecher selbst nicht zugänglich, sondern wird nur über die Perspektive der ihn aussprechenden Person gesehen“ (ibid.: 188). In der deklarativen Lesart habe eine mit dem Sprecher (außer in der 1. Person) nicht identische Person einen Sachverhalt in Worte gefasst, der auch dem Sprecher zugänglich ist. Wie Schrodt (2004: 188, vgl. auch 1983) darlegt, korrelieren mit diesen Lesarten teilweise zwei Subgruppen von Aussageverben: „Imperfektive Verben der Lautäußerung“ (des Typus „sprechen“, typische Vertreter sind quedan und sprehhan) und „[u]rsprüngliche Aussageverben mit perfektiver Aktionsart und einer Valenzpsition für den Aussageinhalt“ (des Typus „sagen“, typische Vertreter sind sagen, jehan, zellen, UHGLǀQUHGLQǀQ, kunden). Während bei ersterer Gruppe in der Regel der Konjunktiv verwendet wird, steht bei zweiter Gruppe bei nichtmodalisiertem Matrixsatz der Indikativ.

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35

Erdmann (1874, Bd. I: 188, § 317) erwähnt eine mögliche Ausnahme, bei der ein asyndetischer Indikativsatz nach wizzan mit einem konjunktivischen Satz koordiniert wird (Otfrid IV 1, 23). Weitere asyndetische Fälle: Otfrid I 27, 69; Otfrid III 24, 96; Otfrid IV 17, 3; Otfrid IV 27, 5; Otfrid V 5, 5; Otfrid V 10, 9.

165 Bei wizzan liegt in Otfrid teilweise eine Oberflächenwortfolge vor, die gegen Verbbewegung spricht, (86). Es gibt jedoch auch Belege mit linearer Verbzweitstellung: 36 (87)

a. Giuuisso uuízit ir tház · [ themo díufele ist iz gárauuaz ] . gewiss wisst ihr das dem Teufel ist es bereitet ‚gewiss wisst ihr das: dem Teufel ist es bereitet’ (Otfrid V 20, 101) b. Ih uueiz [ thie boton rí&un, · so thaz árunti REL.PART die Nachricht ich weiß die Boten rieten gidátun … ] taten ‚ich weiß die Boten, die die Nachricht gebracht hatten, rieten …’ (Otfrid I 27, 69)

In (87) könnte eine ‚Doppelpunktlesart’ bzw. ‚Half-Statement-Lesart’ vorliegen. Für das gwd. wissen hat Truckenbrodt (2006: 299) argumentiert, dass abhängiges Verbzweit bei diesem (semi-)faktiven Verb nur in der ‚HalfStatement-Lesart‘ möglich ist. Bei den Otfridbelegen handelt es sich immer um die semi-faktive und nicht um die verbum dicendi-Lesart. Auch bei indikativischen Verbzweitsätzen nach anderen Matrixprädikaten kann die Doppelpunktlesart nicht ausgeschlossen werden. Die Indikativbelege sind somit keine sichere Evidenz für die Existenz der abhängigen Verbzweitkonstruktion im engeren Sinne. In Bezug auf die Verbstellung in asyndetische Sätzen bei Otfrid kommt man zu folgendem unbefriedigenden Ergebnis: Bei quedan und ZƗQHQ sind eine Vielzahl von Oberflächenabfolgen belegt, von denen einige (zum Teil mehrfach) ambig sind, wenn man die Möglichkeit einer liberaleren Extrapositionsoperation (aber auch ‚verb raising’ und ‚verb projection raising’, vgl. Fn. 31) einkalkuliert. Bei den weiteren Matrixverben asyndetischer Sätze scheinen dieselben Verhältnisse zu herrschen, was man unschwer erkennen kann, wenn man sich die Daten bei Wunder (1965: 239–254) ansieht. Hinzu kommt, dass die Wortstellung bei Otfrid insgesamt viel variabler ist als in der Prosa, was sich auf die metrische Gliederung und v.a. auf den Endreim zurückführen lässt. Das heißt, auch bei den Belegen, die aus grammatischer Sicht kaum ambig sind und in denen V-nach-C-Bewegung stattgefunden haben muss (z.B. bei postfiniten Pronomina, mehrfachen XPn), ergibt sich das Problem, dass man nicht sicher davon ausgehen kann, dass die Wortstellung nicht letztlich das Resultat extragrammatischer Faktoren ist. Quantitativ vorherrschend sind bei Otfrid im asyndetischen Argumentsatz die Belege mit ____________________ 36

In (87)-a muss sich das finite Verb in C befinden, weil ein Pronomen postfinit auftritt. (87)-b dagegen ist ambig und das finite Verb kann sich entweder in C oder in situ befinden.

166 Nachzweitstellung. Dazu passt auch, dass bei Notker als einzige unambige Stellung im asyndetischen Verbendsatz die Verbendstellung auftritt. Insgesamt ist also für die Existenz des Verbzweitargumentsatzes im Ahd. keine sichere Evidenzbasis vorhanden. Ob er sich im Ahd. bereits entwickelt hat, darüber kann man somit nach derzeitigem Forschungsstand keine Aussage treffen.

3.4.2 Mittelhochdeutsch Im Gegensatz zum Ahd. gibt es im Mhd. unambige Belege für die Existenz des abhängigen Verbzweitsatzes. In den hier untersuchten Texten enthalten vor allem der Prosalancelot und das spätmhd. Schwesternbüchlein von Christine Ebner zahlreiche Belege: (88)

a. Da sprach Claudas, [ das wolt er gern thun ] (Lancelot 10, 27) b. Und Claudas sprach, [ er deth es gern ], (Lancelot 10, 21) Da sprach die frauw, [ sie enwúst es selbs nit wie ]. (Lancelot 15, 22) d. Als dann ir freunde sprachen, [ sie solt etwaz lazzen gen ], (Christine Ebner 9, 9) e. daz man wont [ si wer tœt ]. (Christine Ebner 41, 28) = (4)-d

Auch in weiteren Texten ist die Konstruktion bezeugt: (89)

a. GD]ǕHLWXQǕǕDQWHSDXOXǕYQGHFKLW[ H]JLǕFKHKHLQPRPHQWR ] (Züricher Predigten 30, 72) b. Wir wænen dicke, [ wir sîn vol genâden ] = (4)-c (David von Augsburg: Traktate 338, 5) c. Ā‫׀‬Ǐǣɗҡľ̲͑٪ȍľՓľфľǣΎҡɗѸ̲ǣ͑Ǐɗ͑ľф̲ľ͑ǏËȍľɗҡ٫‫ل‬ (Jenaer Martyrologium 13)

Ungefähr die Hälfte der hier untersuchten Texte enthält zumindest vereinzelte Belege dieses Typs, wobei die Matrixprädikate denen entsprechen, die auch noch im Gwd. Verbzweitsätze selegieren können: St. Pauler Predigten (sprechen, wizzen), Lucidarius (G) (sprechen), Bartholomäus (sprechen), David von Augsburg (wænen), Jenaer Martyrologium (sagen, sprechen), Salomons Haus (gelouben, bejehen, prôven, sagen, sprechen, wizzen), Mitteldeutsche Predigten (ze verstênde geben, sprechen, wizzen), Nikolaus von Straßburg (dunken, mir wêre lieber, wizzen), Oxforder Benediktinerregel (wizzen).

167 Anders als im Ahd. gibt es in den hier untersuchten Prosatexten keine Evidenz für die Existenz des asyndetischen Verbendsatzes. Daher gehe ich davon aus, dass sich auch in Belegen wie in (89)-a, die grundsätzlich ambig sind in Bezug auf die Verbbewegung (d.h. ambig zwischen V in C und V in situ, in letzterem Fall müsste die PP in momento extraponiert sein), das finite Verb in C befindet und damit auch strukturell betrachtet Verbzweitstellung vorliegt. (90)

[CP ezj [C JLǕFKHKHi ] tj in momento ti ]

Dass der Prosalancelot und das Schwesternbüchlein eine große Anzahl von Belegen enthalten, hängt sicher damit zusammen, dass diese Texte ausgedehnte narrative Passagen beinhalten. In den Predigten zum Beispiel sind auch argumentative Passagen enthalten, und selbst in den narrativen Passagen finden sich eher weniger Belege, denn dort wird wohl nach dem Vorbild des Neuen Testaments in der Regel auf direkte Rede zurückgegriffen: (91)

a. Alsô sprichet ouch sant Johannes, gotes zart: »spreche wir daz wir niht sünde haben, sô betriege wir uns selben.« (David von Augsburg: Traktate 336, 35) b. Dô antwurte unser herre den sünen unde sprach: »ir enwizzent wes ir bittent: ...« (Nikolaus von Straßburg: Predigten 261, 12)

Diese Ergebnisse stimmen mit denen von Prell (2001) überein, der ebenfalls ein Korpus von 20 Prosatexten untersucht hat, die sich zu ca. der Hälfte mit den hier herangezogenen decken und die aber auch die frühmhd. Periode (Wiener Notker) stärker miteinbeziehen. Prell (2001: 28) kommt zu dem Schluss, dass die „indirekte Rede [= argumentrealisierende Verbzweitsätze; K.A.-T.] in den untersuchten Texten nicht vor der 2. Hälfte des 13. Jhs., dann aber mit deutlich erhöhter Frequenz (21 Belege) und vor allem in erzählenden Texten (BucKön [= Buch der Könige; K.A.-T.] 7, HmFri [= Hermann von Fritzlar: Heiligenleben; K.A.-T.]) 6 Belege)“ vorkomme. Der Verbmodus sei stets Konjunktiv I oder II, wobei letzterer in den meisten Texten wie auch in der gesprochenen Sprache der Gegenwart vorgezogen werde. Von argumentrealisierenden Verbendsätzen ist bei Prell (2001) nicht die Rede, sodass man wohl davon ausgehen kann, dass sie auch in seinem mhd. Korpus nicht bezeugt sind. Wie die obigen und die folgenden Beispiele illustrieren, sind im Lancelot und bei Christine Ebner unterschiedliche Matrixprädikate belegt. Sowohl Objekt- als auch Subjektsätze treten auf: (92)

a. Disew fraw sprach, [ sie wer siben jar alt ]. (Christine Ebner 1, 19)

168 b. und wont, [ sie wer ein gans ] (Christine Ebner 14, 11) (93)

a. wann es alle die welt ducht, [ es were ein tieff mere ], (Lancelot 21, 14) b. Wanne ez waz vor einem peurlin getraumet, [ ez stüende ein pachoven an der selben stat ], (Christine Ebner 3, 33) c. mir hat heint getraumt, [ ez kœm ein schœner jungeling zu mir ... ] (Christine Ebner 21, 10) d. und dauht mich, [ er tet dir gutlicher danne mir ]. (Christine Ebner 18, 17) e. Dem wart kunt getan, [ ez solt siner eniclin ainez kumen zu unser samenung ]. (Christine Ebner 37, 15)

Bei vielen Belegen steht im Argumentsatz der Konjunktiv, in diesen Fällen kann eine Doppelpunktinterpretation ausgeschlossen werden. In der Mhd. Grammatik (Paul 252007: 400–401, § S 158) werden unter der Rubrik ‚Uneingeleitete abhängige Sätze’ bei ‚indirekter Rede‘ nur konjunktivische Sätze aufgeführt. Über die Verbstellung findet sich keine Anmerkung. Die zitierten Belege, die größtenteils aus gebundener Sprache stammen, weisen alle Verbzweitstellung auf bis auf zwei Beispiele nach wænen aus dem Nibelungenlied (ich wæn ez tagen welle (NL 2122, 2); zit. nach ibid.) und Iwein (ich wæn sî rehte tâten (Iw 2400); zit. nach ibid.), wobei letzterer noch zusätzlich dadurch aus dem Rahmen fällt, dass er indikativisch ist. Erdmann beobachtet, dass sich im Mhd. asyndetische Verbend- und asyndetische Verbzweitsätze in Bezug auf den Verbmodus unterscheiden: Conjunctiv in Nebensatzstellung ziemlich selten: Iw. 1628 ich waene, sie in kurzer vrist ein unbillîche sache wol billîch gemache. 1740. 2160 ich vürhte, ez mir niht wol ergê; in der Wortsellung selbständiger Sätze (Verb an zweiter Stelle) recht häufig für beide Conjunctive belegt, aber stets mit Bewahrung des Zeitunterschiedes […] Iw. 3951 der lewe wânde, er wære tôt. Iw. 14 si jehent, er lebe noch hiute. (Erdmann 1886: 170)

Dass sich das Phänomen im Mhd. auf konjunktivische Sätze beschränkt, ist also nicht ganz richtig: Bei der Verbendvariante ist der Indikativ sogar präferiert. Allerdings findet sich in den hier untersuchten Prosatexten auch bei putativ abhängigen Verbzweitsätzen sporadisch der Indikativ:

169 (94)

Ich weiß wol, [ thunt ir das das ich uch geraten han, so 37 hilffet uch noch got und erbarmet sich uber uch ]. (Lancelot 46, 20)

Allerdings gilt wie bei den ahd. Belegen, dass bei indikativischer Verbform und Verbzweit ohne prosodische Evidenz grundsätzlich eine Ambiguität zwischen der Doppelpunktlesart und der ‚echten’ abhängigen Verbzweitlesart besteht. Bei faktiven und semi-faktiven Prädikaten wie wissen wurde fürs Gwd. argumentiert, dass generell nur erstere Lesart möglich ist. Dass der Indikativ bei abhängigem Verbzweit insgesamt seltener belegt ist als der Konjunktiv, liegt wahrscheinlich daran, dass Matrixverben wie wizzen, die auch in der daz-Variante indikativische Sätze selegieren, viel seltener vorkommen als etwa verba dicendi wie sprechen oder sagen. Im Mittelhochdeutschen Wörterbuch sind beim Matrixverb wænen neben konjunktivischen eine ganze Reihe von indikativischen Verbzweitbelegen aus der Dichtung zitiert, z.B.: (95)

a. ich wâne, [ er sprach iˌ ] (Genes. fundgr. 18, 30) b. ich wêne, [ ich wil in gesaten ] (L. Alex. 4048 W) c. ich wâne, [ ich smilze als der snê ] (En. 279, 2 E) d. ich wæne wol, [ si was sîn wîp ] (Iw. 237) e. ich wæn doch, [ diust ein künegîn ] (Parz. 150, 2) (Bsp. 96a–e zit. nach Benecke, Müller & Zarncke, 1861, Bd. III: 497)

Die Matrixverben mit nachgestellten argumentrealisierenden Verbzweitsätzen, die auf den ersten 140 Druckseiten des Lancelot belegt sind, verteilen sich in der Klassifikation von Helbig & Kempter (1976) wie folgt (siehe auch Schieb 1972: 176f.): (96)

a. Prädikate des Sagens und Mitteilens: sprechen (48mal), sagen (1mal), clagen (1mal), schweren (1mal) b. Prädikate des Wollens und Hoffens: ņ c. Prädikate des Veranlassens und Aufforderns: bevelhen (1mal), zu râte werden (1mal); d. 3UlGLNDWHGHU:DKUQHKPXQJXQGGHV)KOHQVņ e. Prädikate des Denkens und Erkennens: wissen (1mal), wânen (1mal).

____________________ 37

Hierbei handelt es sich um einen abhängigen Satz, bei dem der V1-Konditionalsatz (thunt ... han) im ‚Vorvorfeld’ steht und das Resumptivum so im Vorfeld, also um eine Variante von Verbzweit (bzw. V in C). Siehe auch Kapitel 5.

170 Diesen Klassen nicht zuordenbar sind die negativen Prädikate geleuckenen (1mal) und zwyfeln an (1mal). Bei Christine Ebner ergibt sich folgendes Bild: (97)

a. Prädikate des Sagens und Mitteilens: sprechen (19mal), kunt tun (2mal), sagen (1mal), ze verstên geben (2mal), verjechen (1mal), geloben (3mal) b. Prädikate des Wollens und Hoffens: willen hân (1mal) c. Prädikate des Veranlassens und Aufforderns: enbieten (1mal), heizen ‚befehlen’ (1mal), râten (1mal) d. Prädikate der Wahrnehmung und des Fühlens: traumen (2mal), dunken (1mal) e. Prädikate des Denkens und Erkennens: denken, dô für haben (3mal), (1mal), gedenken (1mal), itweizen ‚vorhalten, rügen‘ (2mal), mainen (1mal), vorhten (1mal), wênen (9mal), zîhen (2mal).

Nach diesen Matrixprädikaten treten, wie oben erwähnt, als asyndetische Sätze nur Verbzweitsätze auf, Verbendsätze sind nicht belegt. Wenn man diese Matrixprädikate mit den Matrixprädikaten vergleicht, die auch im Gwd. Verbzweit selegieren können, so fällt auf, dass es eine große Übereinstimmung gibt. Es gibt lediglich drei Belegklassen, bei denen die mhd. und gwd. Verhältnisse divergieren. Zum einen handelt es sich um Prädikate des Veranlassens und Aufforderns, also um deontische/‚imperativische’ Prädikate (Truckenbrodt 2006: 288): (98)

sie bevalh im ..., [ er wurde des nehsten sonnetags ritter ]; (Lancelot 128, 13)

(99)

a. *Sie befahl ihm, [ er wird/werde/würde Krankenpfleger ] b. *Sie befahl ihm, [ er gibt/gebe/gäbe das Geld zurück ]

Wie die gwd. Beispiele in (99) nahelegen, ist diese Fügung heute nicht mehr möglich. Zwar findet sich im mhd. Lancelot nur ein eindeutiger Beleg und bei Christine Ebner überhaupt keiner, doch wie man der Mhd. Grammatik entnehmen kann (Paul 252007: 401f., § S 158) ist das Phänomen auch noch in anderen mhd. Texten verbreitet: (100) man gebôt dem herzogen Adelgêre, alse lipe im wære lîp unt êre, [ er chôme sciere ze Lâteran, der chaiser wolte mit im rede hân ]. (‚er solle schnell kommen, der Kaiser wolle mit ihm reden’) (Kaiserchronic 6820; zit. nach Paul 252007: 401)

Der Grund dafür, dass die Konstruktion im Mhd. grammatisch war, wird wohl in vielen Fällen damit zusammenhängen, dass der Konjunktiv noch eine

171 andere Semantik hatte als heute. 38 Auch in daz-Sätzen tritt der Konjunktiv in Kontexten auf, in denen im Gwd. eine Modalverbperiphrase verwendet werden muss: 39 (101) Und sin gesellen, die vil nahe hungers dot waren, die sprachen zu im [ das er die burg offgebe ]. ‚Und seine Gefährten, die dem Hungertod schon sehr nahe waren, die sagten zu ihm, dass er die Burg aufgeben solle’ (Lancelot 9, 35)

Als alternative Konstruktion konnte bereits seit mhd. Zeit auch ein Verbzweitsatz mit Modalverb (soln, wellen) verwendet werden. In dem spätmhd. Text von Christine Ebner findet sich ausschließlich diese Variante, hier sogar außer bei Verben des Veranlassens und Aufforderns noch bei dem Matrixprädikat willen hân, das ebenso wie erstere Verben als Satzkomplement alternativ auch einen Kontrollinfinitiv mit ze selegieren kann. (102) a. Der teufel tet ir grozez lait: er riet ir, [ sie solt auz dem closter kumen ], (Christine Ebner 12, 11) b. Da gehizen sie [= die Zisterzienseräbte; K.A.-T.] in [= die Frauen von Engelthal; K.A.-T.], [ sie wolten in irer gehorsam sein ]. (Christine Ebner 7, 9) c. da enbot uns bischof Nyclaus von Regenspurg, [ er wolt die hochzit hie sin ]. (Christine Ebner 27, 6) d. daz ich willen han, [ ich wolle mein ere auf geben und wolle zu diser samenung komen ], (Christine Ebner 5, 1)

Im Gwd. tritt die parallele Konstruktion auf: Bei deontisch/imperativischen Prädikaten (Truckenbrodt 2006: 288) kann nur ein Verbzweitsatz selegiert werden, wenn eine periphrastische Verbform mit einem Modalverb verwendet wird: (103) a. Sie befahl ihm, [ er solle/soll das Geld zurückgeben ] b. Maria bittet Peter, [ er soll/solle das Geld zurückgeben ]

Überraschender aus gwd. Sicht sind Verbzweitsätze nach negativen (zwyfeln an) bzw. negierten Matrixprädikaten. Im Gwd. sind negierte Matrixverben nur unter besonderen Umständen möglich, und zwar in nichtassertiven Konstruktionen. Bei den Belegen in (104) und (105) enthält zwar der negierte ____________________ 38 39

Sporadisch finden sich jedoch auch indikativische Belege, vgl. (98). Die Konkurrenz von Konjunktiv und Modalverbfügungen in Wunschsätzen im älteren Deutsch wird in Lühr (1994) behandelt.

172 Matrixsatz jeweils ein Modalverb. Unter dieser Bedingung kann unter Umständen auch noch im Gwd. ein Verbzweitsatz stehen. In den gwd. Übersetzungen der fraglichen mhd. Beispiele ist das jedoch nicht möglich: 40 (104) a. ir enkónnent des nicht geleuckenen, [ ir hant fast sere wiedder mich mißethan ]. (Lancelot 103, 31) ‚Ihr könnt nicht abstreiten, daß ihr Euch schwer gegen mich vergangen habt’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 288, 17) b. *Ihr könnt nicht abstreiten, ihr habt euch schwer gegen mich vergangen (105) a. ir dörfftent wenig daran zwyveln, [ ir wurdent ein gut man ]. (Lancelot 124, 23) ‚brauchtet Ihr auch gar nicht zu zweifeln, daß Ihr ein vortrefflicher Mensch werdet’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 345, 2) b. *Ihr brauchtet gar nicht (daran) zu zweifeln, [ ihr werdet ein vortrefflicher Mensch ]

Was zudem überraschen mag, ist, dass in (105)-a ein Präpositionalobjektsatz mit Verbzweitstellung vorliegt. Wie in Reis (1997) ausgeführt wird, ist ein es-Korrelat bei gwd. Verbzweitsätzen nicht möglich, sie verweist jedoch auf die Möglichkeit, dass bei Präpositionalobjektsätzen mit Verbzweitstellung ein Korrelat auftritt. Dies zeigen auch die Korpusbelege bei Breindl (1989) und folgende Internetbelege: (106) a. Ich hatte fest damit gerechnet, [ er würde nun endlich durchdrehen ], http://shesarebel.myblog.de/shesarebel/page/1416955/Kapitel-1-5; eingesehen am 6.10.2011 b. hat der Täter also gewußt oder damit gerechnet, [ er werde im Rausch eine bestimmte Straftat begehen ], so wird er wegen dieser, und nicht wegen V. bestraft http: //www.rechtslexikon24.net/d/vollrausch/vollrausch.htm; eingesehen am 6.10.2011

Prinzipiell ist also das Auftreten eines da(r)-Korrelats auch aus gwd. Sicht nicht überraschend. Problematisch scheint jedoch auf den ersten Blick zu sein, dass als Matrixverben ‚negative’ Prädikate (geleuckenen, zwyfeln) auftreten, die im Gwd. keinen Verbzweitsatz mehr selegieren können. Bei negativen Prädikaten handelt es sich nach Reis (1997) nicht um eine ‚vermittelte’ Assertion, denn das ____________________ 40

Die Konstruktion tritt nicht nur im Prosalancelot, sondern noch in weiteren mhd. Prosatexten auf: (i) daz er daran enkeinen zwifel wolt haben im weri gegeben daz ... (Mitteldeutsche Predigten 45)

173 Einstellungssubjekt erhebt keinen Wahrheitsanspruch auf die abhängige Proposition. Wie Romberg (1999: 57) ausführt, liegen jedoch bei negierten negativen Matrixprädikaten wiederum vermittelte Assertionen vor (vgl. 3.1.1). Deshalb sind die mhd. Daten durchaus mit der Hypothese verträglich, dass die Semantik-Pragmatik des abhängigen Verbzweitsatzes diachron konstant ist. Überraschend ist vielmehr, dass im Gwd. negierte negative Prädikate keine Verbzweitsätze mehr selegieren können. Romberg führt als mögliche Erklärung an, dass die Nichtaktzeptabilität schlichtweg lexikalisch bedingt sein könnte. Unter dieser Perspektive ist die Distribution von abhängigem Verbzweit im älteren Deutsch nicht so stark lexikalisiert wie im Gwd. Parallele Fälle zu den Lancelot-Beispielen in (105) sind bis in die nhd. Zeit belegt: 41 (107) a. Ich zweifle nicht, [ er werde Ihnen in der Welt Ehre ... machen ] (Thom Jones 4, 156; zit. nach Paul 1920: 179) b. ich will nicht zweifeln, [ er werde sich der Nachsicht ... würdig zeigen ] (Wi. 27, 169; zit. nach Paul 1920: 179) c. da er nicht zweifelte, [ sein Sohn werde sie doppelt tief ins Wasser führen ] (G. Keller 6, 326; zit. nach Paul 1920: 179)

Einen etwas anders gelagerten Fall stellen die folgenden beiden Lancelotbelege dar. (108) a. da von enkunde man yn nicht licht entwenden, [ er vollekeme es ye ] (Lancelot 36, 18) ‚hätte man ihn nicht leicht davon abhalten können, es auch zu vollbringen’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 109, 2) b Er kam mit so großer macht das er das nicht enthalten mocht, [ HUIĤUXEHU die mure anderhalp so schwinde, das ... ] (Lancelot 65, 28) ‚Er kam mit solcher Wucht, daß er es nicht vermeiden konnte, über die Mauer auf die andere Seite zu fliegen’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 189, 17)

Auch hier liegen negierte negative Matrixverben vor. Jedoch würde man in parallelen Fällen im Gwd. statt eines finiten Satzes eher einen Kontrollinfini____________________ 41

Bei den nhd. Beispielen steht das abhängige Verb im Konjunktiv. Generell ist es so, dass auch im Gwd. in der Verbzweitvariante häufiger Konjunktiv steht als in der dass-Variante. Es wäre möglich, dass die Verwendung des Konjunktivs bei negativen Verben einen begünstigenden Einfluss auf die Selektion eines abhängigen Verbzweitsatzes bei solchen Verben ausgeübt hat, die in unnegierter Form keinen Verbzweitsatz selegieren können.

174 tiv verwenden. Das heißt, bei diesen Beispielen wäre auch schon die dassVariante etwas markiert: (109) a. Man konnte ihni nicht davon abhalten, ??dass eri es vollbrachte/¥es zu vollbringen b. ??Eri konnte es nicht vermeiden, ??dass eri über die Mauer flog/¥über die Mauer zu fliegen

Schieb (1972: 178) führt auch die folgenden beiden Belege als Beispiele für ‚Feststellungssätze’ mit ‚Hauptsatzwortstellung’ an: (110) a. ‘Ist das ware’, sprach sie, ‘so wer mir sere leyt [ ich were gewunt ], wann mirs durch uwern willen geschah da Claudas einen schlag gegen uch gemeßen hett. (Lancelot 89, 18) ‚»Wenn das wahr ist«, sagte sie, »so täte es mir sehr leid, wenn ich nicht verwundet worden wäre, denn Ihr seid es, um dessentwillen es mir zugestoßen ist, als Claudas einen Schlag auf Euch gezielt hatte. ...«’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 251, 27) b. Ich enweiß auch nicht wie mirs kómet, [ ich han hut myner fynde ein michel teyl funden ] (Lancelot 69, 4) ‚Ich weiß nicht, was mir noch bevorsteht, ich habe heute erfahren, daß ich viele Feinde habe’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 197, 28)

Wie aus Steinhoffs Übersetzung ersichtlich, liegt im ersten Fall kein Argumentsatz vor. Ich were gewunt ist nicht negiert, sodass das Gefüge in der angeblichen Argumentsatzlesart die folgende Bedeutung hätte: ‚Es täte mir sehr leid, dass ich verwundet bin/wäre’. Das ist aber kontextuell ausgeschlossen. Das Ganze ist eine Art Exzeptivsatzkonstruktion, deren Bedeutung sich in etwa paraphrasieren lässt als ‚es täte mir sehr leid, außer ich sei verwundet worden’ = ‚Wenn ich nicht verwundet worden wäre, täte es mir sehr leid’. Eine ähnliche Konstruktion (mit der Partikel denn/dann) lebt noch bis in die nhd. Zeit fort (Paul 1920: 179 § 394): (111) Erhält man nichts, man bringe denn was hin. (Goe., Tasso 596; zit. nach Paul 1920: 179 § 394)

Solche ‚adverbialen’ Verbzweitsätze sind nicht das Thema des vorliegenden Kapitels. Der Beleg in (110)-b beinhaltet gar keinen argumentrealisierenden Verbzweitsatz. Zusammenfassend kann man festhalten, dass im Mhd. Verbzweitargumentsätze bis auf wenige Ausnahmen in denselben syntaktischen und lexikalischen Umgebungen aufzutreten scheinen wie im Gwd.

175

3.5

Zur Diachronie der asyndetischen Verbendsätze

3.5.1 Althochdeutsch Wie in Abschnitt 3.3.1 diskutiert, gibt es kaum unambige Evidenz für den abhängigen Verbzweitsatz im Ahd. Der einzige Text, in dem einige putative Beispiele belegt sind, ist Otfrid, wo jedoch die Wortstellung durch extragrammatische Faktoren beeinflusst sein kann. Dagegen ist ein weiterer Nebensatztyp auch in Prosatexten zweifelsfrei belegt: der uneingeleitete abhängige Verbendsatz. Im Gwd. können – wie in Kapitel 1 erwähnt – komplementiererlose Sätze keine Endstellung mehr aufweisen, hier gilt die Generalisierung, dass Komplementierer und Verbbewegung in komplementärer Verteilung stehen: (112) a. Der Jäger sagt, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat/habe b. Der Jäger sagt, der Wolf hat/habe das Rotkäppchen gefressen c. *Der Jäger sagt, der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat/habe

Um so überraschender ist es, dass im Ahd. die Endstellung belegt ist, ja Diels (1907: 194) kommt sogar zu dem Schluss, dass „die indirekte Rede da, wo sie uns zuerst entgegentritt, sehr deutliche Kennzeichen der Nebensatzstellung trägt”. Was die Prosatexte des 8. und 9. Jahrhundert angeht, so findet sich bei Isidor und Tatian kein eindeutiger Beleg, jedoch einer im Monseer Matthäus. Dieser weist allerdings mit suohhen ein Matrixverb auf, das in den anderen Quellen in dieser Konstruktion nicht belegt ist: (113) enti sohhitun · [ sie inan kafengin ] und trachteten sie ihn fingen-KONJ ‚und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen’ et quaerentes eum tenere (Monseer Fragmente XV, 1; Mt 21, 46)

Die meisten Beispiele trifft man bei Notker an. Als Matrixverben sind belegt: wƗQHQ quedan, wellen und dunchen 42. Als Verbmodus im abhängigen Satz tritt fast nur der Konjunktiv auf. Auch Furrer (1971: 144, Fn. 159) kommt zu dem Ergebnis: „Indikativ bei konjunktionslosen eindeutig untergeordneten Nebensätzen fehlt bei N beinahe ganz”. (114) a. Tû uuânest du wähnst

[ síh sich

tiu die

fortuna Fortuna

hábe-KONJ uuíder díh habe wider dich

____________________ 42

Bei dunchen fungiert der abhängige Satz im Gegensatz zu den anderen Verben als Subjektsatz.

176 keuuéhselôt ] gewechselt ‚du glaubst, das Glück habe sich dir gegenüber gewandelt’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 131) Tu putas fortunam erga te esse mutatam . (Notker Boethius II 44, 17) b. Uuânest tu [ daz kólt tíurera sî . únde díu wähnst du das Gold teurer sei-KONJ und die gesámenôta mánegi des scázzes . tánne die ménnisken ]? gesamte Menge des Schatzes als die Menschen ‚glaubst du, dass das Gold und die gesamte Menge des Schatzes kostbarer ist als die Menschen?’ ‚Was gilt mehr an ihnen, das Gold oder die Masse des angehäuften Geldes?’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 65) Aurumne . ac uis congesta pecuniŠ? (Notker Boethius II 77, 3) c. Uuânest tu [ dehéin mûot keuéstenôtez . mít rédo ába wähnst du irgendein Gemüt gefestigtes mit Verstand von stéte eruuékkêst . únde iz príngêst ûzer sînero stílli ]? es bringst-KONJ aus seiner Ruhe Stelle erschütterst -KONJ und ‚glaubst du, dass du den Geist, der mit fester Vernunft in sich gefasst ist, aus dem Zustande seiner Ruhe verdrängst?’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 75) Num mentem coherentem sibi firma ratione amouebis a VWDWX SURSUL‫ܗ‬ quietis? (Notker Boethius II 90, 25) = (3)-a d. Uuânest tû [ dáz nîehtes túrftîg néist . máhte dúrftîg wähnst du was nichts-GEN bedürftig NEG.ist Macht-GEN bedürftig sî ]? sei-KONJ ‚… glaubst du, daß etwas, dem nichts mangelt, der Macht entbehre?’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 121) An tu arbitraris . quod nihilo indigeat . egere potentia? (Notker Boethius III 142, 30) 43 (115) Táz uuólta íh [ tû dar míte châdîst ]. das wollte ich du damit sagtest-KONJ ‚das wollte ich, dass du damit gesagt hättest’ (Notker Boethius III 147, 27) (116) a. Mír dúnchet mir dünkt

[ íh ich

nû séhe fólle-uuémon . méndi únde Jubel-GEN und nun sehe-KONJ voll.sein

____________________ 43

Ähnlich: Notker Boethius I 25, 2.

177 uréuui . állero fertânero sélda ]. 44 Freude-GEN aller Verbrecher Haus ‚Ich glaube, die verruchten Werkstätten der Frevler vor mir zu sehen, wie es ihnen wogt von Jubel und Freude’ (Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 21969: 27) Uidere autem uideor nefarias officinas sceleratorum . fluctuantes gaudio lŢtitiaque . (Notker Boethius I 30, 21) b. Mír dúnchet [ íh iz séhe ] chád ih . mir dünkt ich es sehe-KONJ sagte ich ‚„Mich dünkt, ich sehe es“, sagte ich’ Uideor mihi intueri quidem ueluti tenui rimula . (Notker Boethius III 142, 18)

Darüber hinaus sind, wie in Abschnitt 3.3.1 gezeigt, zahlreiche ambige Belege des Typs ‚XP-Vfin+ CP/Infinitivgruppe/PP’ usw. überliefert. In der Consolatio sind zwar nur ca. ein Dutzend Fälle dieser konjunktivischen asyndetischen Nebensätze belegt (einschließlich der Fälle mit ambiger Wortstellung (= V in C/ V in situ)). Weitere eindeutige Belege finden sich jedoch in anderen Texten des Autors (z.B. Martianus Capella, Kategorien) und in zahlreichen anderen ahd. Denkmälern, wie man der Übersicht in Diels (1907) entnehmen kann. Bei Otfrid trifft man auch, wie bereits in Abschnitt 3.3.1 angedeutet, auf zahlreiche Belege mit der Oberflächenabfolge XP–XP– ...–Vfin …, bei denen naheliegt, dass sich strukturell das finite Verb in situ befindet, wobei wiederum zu beachten ist, dass in diesem Denkmal extragrammatische Faktoren die Verbstellung beeinflusst haben könnten: 45 46 (117) a. Ih uuán [ er therero dáto · híntarquami thráto ] sehr ich wähne er derer Taten erschräke- KONJ ‚ich glaube, er war über diesen Vorfall sehr bestürzt’ (Otfrid II 12, 3)

____________________ 44 45

46

Vgl. zu diesem Satzgefüge auch Eilers (2003: 49f.). Man beachte, dass es im Ahd. in beschränktem Umfang Verbdrittphänomene gab, d.h. Fälle, in denen mehr als eine Konstituente vor dem vorangestellten finiten Verb auftrat (Tomaselli 1995, Axel 2007: Kap. 4). Bei vielen Belegen kommt eine Verbdrittanalyse jedoch nicht in Frage, da das involvierte präfinite Material in unabhängigen Kontexten in keiner Verbdrittstruktur belegt ist. Weitere Belege des Typs XP–XP–....–Vfin ... bei quedan: Otfrid I 8, 23; Otfrid I 9, 13; Otfrid II 6, 6; Otfrid II 6, 18; Otfrid II 9, 53; Otfrid II 14, 97; Otfrid III 2, 7; Otfrid III 3, 7; Otfrid III 4, 35; Otfrid III 17, 27; Otfrid III 26, 2; Otfrid IV 6, 43; Otfrid IV 15, 44; Otfrid IV 18, 22; Otfrid IV 19, 30; Otfrid V 13, 13. Bei ZƗQHQ: Otfrid I 11, 21; Otfrid I 27, 11; Otfrid I 27, 21; Otfrid II 4, 38; Otfrid II 6, 42; Otfrid III 4, 21; Otfrid IV 2, 11; Otfrid IV 16, 25; Otfrid IV 21, 10; Otfrid IV 26, 6; Otfrid V 7, 28; Otfrid V 9, 31; Otfrid V 21, 10.

178 b. Ther uuízod gibiutit grázzo · [ man sinan fíant hazzo ] das Gesetz gebietet ernsthaft man seinen Feind hasse- KONJ ‚das Gesetz gebietet ernsthaft, dass man seinen Feind hasse’ (Otfrid II 19, 11) c. Quádun [ iz so zámi · [er sinan námon nami ] 47] Namen nähme-KONJ sagten es so ziemte- KONJ er seinen ‚sie sagten, es sei angemessen, dass er seinen Namen erhalte’ (Otfrid I 9, 13)

Bei den asyndetischen Sätzen lässt sich in Otfrid noch eine weitere Besonderheit feststellen. Es gibt einige Belege, in denen im asyndetischen Satz Subjekt-drop auftritt: (118) a. quádun [ ni gisuíchi · nub er then líut bisuichi ] sagten NEG aufhörte KONJ NEG-ob er das Volk hinterging-KONJ ‚sie sagten, er lasse nicht davon ab, das Volk zu hintergehen’ = (78)-c (Otfrid III 15, 44) c. ih uueiz [ es uuírdig ni uuuard … ] ich weiß es-GEN würdig NEG wurde ‚ich weiß, er war dessen nicht würdig ...’ (Otfrid IV 22, 1)

Dieses Phänomen ist im Ahd. nur bei Otfrid und im Hildebrandslied belegt. In den anderen ahd. Texten aus dem 8. und 9. Jahrhundert, insbesondere in den Prosatexten ist bei der Lizenzierung von pro-drop eine ausgeprägte Haupt-/Nebensatzasymmetrie zu verzeichnen (Eggenberger 1961), die in Axel (2005, 2007: Kap. 6) darauf zurückgeführt wird, dass Subjekt-pro nur lizenziert wird, wenn es von den Kongruenzmerkmalen des finiten Verbs ckommandiert wird. Dies ist nur in Sätzen mit V-nach-C-Bewegung der Fall, also typischerweise in (uneingeleiteten) Hauptsätzen. Diese Lizenzierungsbedingung ist in den asyndetischen Verbendsätzen nicht immer erfüllt: So steht in Beleg (118)-b das finite Verb eindeutig in situ. Man könnte spekulieren, dass es sich um kontextuell lizenziertes pro-drop handelt. Im Altisländischen gab es pro-drop v.a. bei Nebensatzsubjekten, die mit dem Matrixsubjekt koreferent waren (Sigurðsson 1993). Diese Analyse scheint jedoch für die prodrop-Fälle im asyndetischen Satz bei Otfrid ausgeschlossen zu sein, denn das Phänomen tritt auch bei Subjektwechsel auf, wie die Belege in (118) zeigen. Ein weiteres interessantes Phänomen ist, dass bei manchen asyndetischen Sätzen bei Otfrid Negationsanhebung (NEG-Raising) zu beobachten ist (Erdmann 1874, Bd. I: 181, Wunder 1965: 245). In den folgenden Beispielen hat die Negation Skopus über den Argument- und nicht über den Matrixsatz: ____________________ 47

Dieser Beleg enthält noch einen zweiten, von zeman abhängigen asyndetischen Verbendsatz.

179 (119) a. ni

wán ih, [ imo brústi grozara ángusti ] . = (81) wähne ich ihm gebräche KONJ großer Angst ‚ich glaube, es hat ihm an großer Angst nicht gefehlt’ (Otfrid II 4, 36) b. ni uuánu [ si ouh thes tháhti · thaz siu sie NEG wähne sie auch des-GEN dächte- KONJ das sie sie thára brahti ] . dorthin brächte- KONJ ‚ich glaube nicht, dass sie auch daran dachte, sie dorthin zu bringen’ (Otfrid III 11, 10) NEG

Aus gwd. Sicht ist es überraschend, dass asyndetische Sätze überhaupt nach negierten Matrixprädikaten vorkommen können. Das spricht dafür, dass es sich bei den ahd. Daten nicht um die Vorläufer unserer heutigen abhängigen Verbzweitsätze handelt, sondern um eine andere Konstruktion, auch wenn, wie in (119)-a, das finite Verb an der Oberfläche in Zweitstellung steht. Lenerz (1985: 113) zieht in Erwägung, dass es sich bei den ZƗQHQBelegen gar nicht um Fügungen aus einem Matrix- und asyndetischen Nebensatz handelt, sondern um Hauptsätze mit einem eingeschobenen Satzadverb. Vor allem im Mhd. habe wænen einige auffällige Eigenschaften (vgl. auch Paul 252007: 401, § S 158), die nahelegen, dass es seinen verbalen Charakter verloren hat und eher als eine Art Satzadverb oder Partikel angesehen werden sollte wie etwa gwd. bitte oder danke. In den hier untersuchten mhd. Prosatexten ist diese Verwendung nicht bezeugt. Lediglich in VerberstParenthesen ist ZƗQHQbelegt. (120) a. we sal den finden, wenes du, den Got verluset? (Lilie 9, 34) b. Wi manich wenes tu is ge west, (Lilie 3, 30)

Für das Ahd. kommt eine solche Analyse jedoch nicht in Frage, da das ahd. ZƗQHQ in den oben besprochenen Belegen nicht immer in derselben Person steht. Bei grammatikalisierten Partikeln wie bitte oder danke (jeweils 1. Ps.) oder parenthetischen Formeln wie schwäbisch-alemannisch scheint’s (3. Ps.) scheint das jedoch typischerweise der Fall zu sein. Hinzu kommt natürlich, dass ahd. ZƗQHQ, mhd. wænen, nicht das einzige Verb ist, das mit uneingeleiteten Argumentsätzen belegt ist. Ein häufig belegtes Matrixverb ist auch quedan. Wunder (1965: 239–252) führt noch zahlreiche weitere Matrixprädikate aus Otfrid an. Weiterhin vermutet Lenerz (1985: 113), dass bei ZƗQHQ auch eine Rolle gespielt haben könnte, dass statt eines thaz-Satzes ein Infinitivkomplement selegiert werden konnte. Es sei möglich, dass im Ahd. die asyndetische Verbendstellung dadurch zustande komme, dass die Sprecher den finiten Satz wie ein infinites Komplement konstruieren. Auch bei dieser

180 Erklärung ist problematisch, dass sie nicht bei allen Prädikaten greift: Beim Matrixverb quedan kann keine Interferenz durch ein infinites Komplement vorliegen. 48

3.5.2 Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch In den hier untersuchten mhd. Prosatexten kommen keine uneingeleiteten Verbendargumentsätze vor. Jedoch finden sich in Wörterbüchern, Grammatiken und in weiterer Sekundärliteratur an einigen Stellen Hinweise, dass dieser Nebensatztyp auch noch im Mhd. existierte (Horacek 1964; Benecke, Müller & Zarncke 1861, Bd. III, 495ff.). Die meisten Belege finden sich in der Dichtung. Der argumentrealisierende Satz steht entweder im Indikativ, (121), oder, wenn auch selten, im Konjunktiv, (122): (121) a. ich waen [ dich mangen wurf verbirt ]. (Parz. 212/12; zit. nach Horacek 1964: 153) b. ich wæne [ si rehte tâten ] (Iw. 95) c. ich wæn [ si beide tôren sint ] (Walth. 220, 30) d. ich wæn [ nie ingesinde grœˌer milte ie gepflac ] (Nib. 42, 4) e. ich wæn [ man iu gebettet hât ] (Parz. 242, 13) f. ieh wæn [ er sîne wîsheit ûˌ Pegases urspringe nam (Trist. 4728) (b–f zit. nach Benecke, Müller & Zarncke 1861, Bd. III: 497) (122) a. ich wânde [ ez der künec waere, der mich strîtes niht verbaere ]. (Parz. 701/9) b. ich waene [ ie man sô vil gestrite ]. (Parz. 265/6) (a & b zit. nach Horacek 1964: 155, 153)

Die Aufstellung in Bernecke, Müller & Zarncke (1861, Bd. III: 495ff.) suggeriert, dass bei der uneingeleiteten Verbendstellung immer der Indikativ steht, wenn das Matrixverb wænen im Präsens steht. Das ist nicht ganz korrekt, wie der Parzivalbeleg in (122)-b und die von Erdmann (1886: 170) zitierten Belege zeigen. Dennoch bestätigt die Materialsammlung bei Horacek (1964) und Benecke, Müller & Zarncke (1861, Bd. III: 495ff.) Erdmanns Ge____________________ 48

Zwar ist quedan im Ahd. mit einem AcI belegt, jedoch handelt es sich dabei um eine lehnsyntaktische Konstruktion (Speyer 2001, Schrodt 2004: 79).

181 neralisierung, dass bei uneingeleiteten Verbendsätzen der Indikativ vorherrscht, während bei den Verbzweitpendants der Konjunktiv häufiger ist. Wie im Ahd. bei Otfrid, so trifft man auch noch in der mhd. Dichtung auf Subjektauslassungen in von wænen selegierten daz-losen Verbendsätzen. Wie Benecke, Müller & Zarncke (1861: 496) anmerken, ist das Phänomen anders als im Ahd. auf den Fall beschränkt, dass das Subjektpronomen des Matrixund das des abhängigen Satzes koreferent sind: (123) a. jâ wând ich, [ ergetzet wære ] (Parz. 177, 5) b. dâ wande ich [ stæte fünde ] (Hartm. l. 14, 16) c. ich wânde [ mich ir næhte ] (büchl. 1, 105) d. si wânden [ niht pflegen kunden ] (Bit. 10. a.) (a–d zit. nach Benecke, Müller & Zarncke 1861, Bd. III: 496)

In Wolframs Parzival ist wænen das häufigste Matrixverb, das einen asyndetischen Verbendargumentsatz selegiert. Horacek (1964: 153) kommt zu dem Ergebnis, dass in den von ihr untersuchten umfänglichen Ausschnitten aus diesem Denkmal die auf ich wæne (bzw. wæne ich) folgenden Fälle von Verbend 35% der uneingeleiteten indikativischen 49 und konjunktivischen Sätze ausmachen. 50 Dies stehe in scharfem Gegensatz zur Häufigkeit der Verbendstellung in uneingeleiteten Sätzen allgemein (also auch in selbständigen Sätzen), deren Gesamtdurchschnitt bei 10% liege (Horacek 1964: 153). Das zeigt, dass die Endstellung nach wænen nicht allein auf die speziellen sprachlichen Gegebenheiten in der Dichtung (Reim, Metrum) zurückgeführt werden kann. Allgemein gilt natürlich, dass in der mhd. Dichtung im Vergleich zur Prosa relativ häufig gegen die Verbzweitregel verstoßen wird. So bemerkt Horacek abgesehen von einigen Fällen mit präfiniten Pronomina, sei

____________________ 49

50

Horacek (1964: 153) bezeichnet alle auf wænen folgenden indikativischen Sätze als ‚Hauptsätze’ und unterscheidet zwischen ‚Hauptsätzen’ mit Verbzweitstellung (z.B. Parz. 374/23 ich waene, [ ir meint den vremden gast]; zit. nach ibid.) und solchen mit Verbendstellung (Parz. 212/12 ich waen [ dich mangen wurf verbirt ]; zit. nach ibid.). Bei den übrigen 65% handelt es sich um konjunktivische und indikativische Verbzweitfälle: (i) ich waene, [ ir meint den vremden gast ]. (Parz. 374/23) (ii) ich waene [ ir ellen sî verzagt ] . (Parz. 120/22) (zit. nach Horacek 1964: 153)

182 die Späterstellung des Verbums, d. h. Stellung als drittes oder späteres Glied im Aussagesatz in lebendiger deutscher Sprache wie in der Neuzeit so auch im Mittelalter nicht üblich. Wo sie dennoch auftritt, muß sie als „nicht erlaubte“ Späterstellung bezeichnet werden [...]. In prosaischen Texten des deutschen Mittelalters läßt sich diese unsprachgemäße Fügeweise nur ganz selten nachweisen, etwa in formelhafter Ausdrucksweise oder unter Einfluß des Lateinischen in der Predigtübersetzung [...]. In der Poesie dagegen findet die verbale Schlußstellung bevorzugte Anwendung, freilich in unterschiedlichem Maße […]. (Horacek 1964: 65f.)

In Hartmanns Iwein ist der Kontrast zwischen der Seltenheit der uneingeleiteten Verbendstellung in selbständigen und in den von wænen abhängigen Sätzen noch deutlicher: Man beachte, dass nach Horacek (1964: 104f.) im Iwein in nichtabhängigen Sätzen das finite Verb nie in Endstellung verbleibt außer an einer einzigen Stelle (Vers 6065f. swer guoten boten sendet, sînen vrumen er endet.; zit. nach ibid.), die aber als Sprichwort kenntlich gemacht sei (Vers 6064 der alte spruch der ist wâr; zit. nach ibid.). Dagegen gibt es zahlreiche Fälle von Verbendstellung nach wænen wie in (121)-b, c. Horacek (1964: 154) kommt daher zu dem Schluss: “Es sieht fast aus, als hätten die Dichter [Wolfram und Hartmann; K.A.-T.] diese Wortstellung als normal empfunden.” Trotzdem sieht sie die Konstruktion (ibid.) als „Regelverstöße“ an, worunter sie Wortstellungsmuster versteht, die in der Prosa nicht vorkommen und die in der Dichtung aus Reim- oder Versgründen gewählt werden und/oder zu bestimmten formkünstlerischen Zwecken eingesetzt werden (ibid.: 159). Die uneingeleiteten Verbendsätze nach ih wæne etwa dienten zur sprachlichen Charakterisierung bestimmter Figuren, sie kennzeichneten eine „ ‚unhöfische‘ Ausdrucksweise“ (ibid.: 154). Wenn man allerdings in Betracht zieht, dass es, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt, auch in den ahd. Prosatexten, in denen solche dichterischen Zwecke keine Rolle gespielt haben dürften, Belege für uneingeleitete Verbendargumentsätze gibt, so erscheint es fraglich, ob diese Konstruktion tatsächlich als „nicht erlaubt“, also „unsprachgemäß“ (s. obiges Zitat) bzw. als grammatisch unlizenziert eingestuft werden kann. 51 Hinzu kommt, dass die Einschätzung, dass in der mhd. Prosa keinerlei entsprechende Belege auftreten, nicht ganz korrekt ist. Maurer (1926: 188f.) und Behaghel (1928: 606, 707) zitieren die folgenden mhd. und frnhd. Belege: (124) a. ich waen [ die tugende hie ze lande tiuwer ist und fremde ]. (Berthold I 58, 3)

____________________ 51

Auch wenn bei wænen sowohl die Verbzweit- als auch die Verbendvariante von der Grammatik lizenziert sind, kann trotzdem die Distribution dieser Wortstellungen in der Dichtung durch formkünstlerische Faktoren gesteuert sein.

183 b. sie sprachen [ iz gerne taeten ] (Diemer 133, 11) c. vnde bydde gerne, [ se yd my wyllen vorgeven ] (R. V. 1398) d. wolle bitten, [ Er obbemelten Herrn Obristen anspreche ] (Khevenhüller 285) e. da ihr aber vermeintet, [ unter acht oder 14 tagen solchs nicht geschehen mochte ], so ... (Spangenberg 166) f. nit vermeint, [ sy ein solche vertrewlichkeit zu mir sötzen und tragen sollten ]; (Ulrich Krafts Reisen 5, 26) g. Hinwider sagt der andere, [ seine erzelte klag durchaus also war seye ]. (Kirchhoff, Wendunmuth I, 95) h. dieweil du schreibst, [ du so durst hast ] (Paumgartner 107, 19) i. sy wol, [ das schrepfen vir nichts ist ] (Paumgartner 110) (a, f, g zit. nach Maurer 1926: 188f., b–e nach Behaghel 1928: 700, h & i nach Behaghel 1928: 606)

Wie aus den Belegen klar ersichtlich, ist das Phänomen nicht auf das Matrixverb wænen beschränkt, was zeigt, dass es sich nicht um eine lexikalische Idiosynkrasie eines einzelnen Verbs handelt. Wie Beleg (124)-f nahelegt, kann das Matrixprädikat auch negiert sein. Anders als bei den Verbzweitargumentsätzen muss nach Verben des Bittens und Befehlens auch in frnhd. Zeit im abhängigen Satz offenbar keine Modalverbperiphrase verwendet werden, vgl. (124)-d und (124)-i. In dieser Hinsicht scheinen sich die asyndetischen Verbendsätze wie daß-Sätze zu verhalten.

3.6

Analysen

Wie oben ausführlich argumentiert, ist die Evidenzlage für abhängige Verbzweitsätze im Ahd. nicht eindeutig. Ab mhd. Zeit ist diese Konstruktion auch in der Prosa belegt. Die Matrixverben sind weitgehend dieselben wie im Gwd. Ab mhd. Zeit ist zudem das Phänomen nachweisbar, dass bei bestimmten Matrixverben der Verbzweitargumentsatz ein Modalverb (meist sollen) enthält, was neben der Personen- und teilweise Tempus- und Modusverschiebung für einen hohen ‚Grammatikalisierungsgrad’ spricht. Im Gwd. sprechen insbesondere Bindungsdaten und die Möglichkeit einer Realisierung des Gesamtgefüges mit nur einer Fokus-Hintergrund-Gliederung für einen teilinte-

184 grierten Status (Reis 1997). Diese Evidenzen sind in historischen Korpora nicht rekonstruierbar: Die Kontexte für Bindung sind so speziell – sie erfordern einen Quantor im Matrixsatz –, dass sie kaum auftreten. Zu prosodischen Evidenzen hat man, wenn überhaupt, nur höchst indirekten Zugang. Da jedoch in den oben erwähnten Punkten paralleles Verhalten zum Gwd. vorliegt und fast alle Belege auch im Gwd. mit einer abhängigen Verbzweitkonstruktion übersetzt werden können, ist es legitim für die Belege im älteren Deutsch dieselbe Analyse vorzuschlagen wie in Reis (1997) fürs Gwd. propagiert, vgl. (125)-a. Historische Korpora bieten keine negative Evidenz. Das heißt, man kann zum Beispiel nicht erkennen, nach welchen Matrixprädikaten die Verwendung eines Verbzweitsatzes ungrammatisch ist. Allerdings wurde aus der Diskussion oben deutlich, dass auch bereits im Mhd., also in der Sprachstufe, in der die ersten unambigen Belege in der Prosa auftreten, (fast) nur Matrixprädikate belegt sind, die auch noch im Gwd. abhängige Verbzweitsätze selegieren können. Das spricht dafür, dass diese Konstruktion die gleichen semantisch-pragmatischen Eigenschaften hat wie im Gwd. und zur Wiedergabe ‚vermittelter Assertionen’ verwendet wird. Dass Verbzweitsätze anders als im Gwd. im älteren Deutsch auch nach negierten negativen Prädikaten belegt sind, ist kein Gegenbeispiel, sondern, wie ausführlich argumentiert wurde, sogar zu erwarten. (125) a.

VP VP ... sprachen

CP sie solt etwas lazzen gen

b. Als dann ir freunde sprachen, [ sie solt etwaz lazzen gen ]; (Christine Ebner 9, 9)

= (88)-d

Die asyndetischen Verbendsätze haben keine gwd. Pendants. Was die Matrixprädikate angeht, so sind im Ahd. XXƗQHQund quedan sehr prominent, in der mhd. Dichtung v.a. die Fügung wæn ih (ih wæn). Die sporadischen Belege aus der mhd. und frnhd. Prosa, die in der Sekundärliteratur angeführt werden, zeigen jedoch, dass das Phänomen nicht auf diese Matrixprädikate beschränkt war. Auf den ersten Blick scheinen die Matrixprädikate dieser Konstruktion sich vollständig mit denen der abhängigen Verbzweitkonstruktion zu überlappen, auch bei letzterer sind Verben des Sagens und Mitteilens sowie Verben des Denkens und Erkennens häufig anzutreffen. Eine genauere Analyse des Belegmaterials hat jedoch einige Unterschiede zu Tage gefördert:

185 Sowohl im Ahd. als auch im Mhd. kann das Matrixprädikat bei Verbendsätzen auch negiert sein, bei Otfrid gibt es eine Reihe von Fällen mit NEGRaising. Damit verhalten sich die Verbendsätze analog zu dass-Sätzen und anders als die Verbzweitsätze. Verbendsätze sind auch nach Semi-Faktiva wie wizzen belegt. Wenn nach Semi-Faktiva die (indikativische) Verbzweitvariante auftritt, dann können wir aufgrund der gwd. Verhältnisse vermuten, dass es sich nicht um einen teilintegrierten, abhängigen Verbzweitsatz, sondern um eine Doppelpunktkonstruktion handelt. Im Mhd. ist deutlich zu beobachten, dass sich Verbend- und Verbzweitargumentsätze im Hinblick auf die Präferenz des Verbmodus unterscheiden. Während erstere nicht nur konjunktivisch, sondern häufig auch indikativisch sind, findet man bei letzteren fast ausschließlich konjunktivische Belege. Bei Matrixprädikaten des Befehlens und Bittens tritt ab spätmhd. Zeit beim Verbzweitargumentsatz systematisch eine periphrastische Konstruktion mit einem Modalverb im abhängigen Satz auf. Bei der asyndetischen Verbendvariante dagegen sind bis in die frnhd. Zeit entsprechende Beispiele ohne Modalverb belegt. Ein weiterer Unterschied ist, dass das Phänomen des Subjekt-drops im Mhd. auf die Verbendvariante beschränkt ist. Auch wenn es nach derzeitigem Forschungsstand noch unklar ist, wie diese Art von Subjekt-drop zu analysieren ist, spricht dieser Unterschied dafür, dass es sich bei den abhängigen Verbend- und Verbzweitargumentsätzen um zwei grundlegend verschiedene Konstruktionen handelt. In Bezug auf die Verbstellung, auf die weniger restringierte Verwendung von Matrixprädikaten (insbesondere keine Negationsrestriktion), auf die Möglichkeit bei bestimmten Matrixverben einen indikativischen Satz zu selegieren, auf die Möglichkeit nach Verben des Befehlens und Bittens auf die Modalverbperiphrase zu verzichten, verhalten sich die asyndetischen Verbendsätze somit vergleichbar mit den thaz/daz-Sätzen. Daher liegt die Annahme nahe, dass hier ein Nullkomplementierer vorhanden ist. Diese Analyse ist, wie eingangs gezeigt wurde, auch für manche Typen overt uneingeleiteter Argumentsätze in modernen west-germanischen Sprachen vorgeschlagen worden. V'

(126) a. V0

CP C0

… wæni …

ti

Ø

XP die tugende hie ze lande tiuwer ist

186 b. ich waen [die tugende hie ze lande tiuwer ist und fremde] = (124)-a (Berthold I 58,3; zit. nach Maurer 1926: 188)

Für die modernen germanischen Sprachen, in denen Argumentsätze durch einen Nullkomplementierer eingeleitet werden können (z.B. Englisch, Dänisch, Schwedisch), ist gezeigt worden, dass diese Konstruktion (neben natürlich Matrixprädikatrestriktionen) nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Zum Beispiel ist die Nullvariante ausgeschlossen, wenn der Argumentsatz vorangestellt (‚topikalisiert’) ist. Auch im älteren Deutsch sind Beispiele wie in (127) nicht belegt: (127) [Ø die tugende hie ze lande tiuwer ist und fremde] wæn ih. (konstruiertes Beispiel)

Darüber hinaus gibt es in besagten Sprachen Faktoren, die sich begünstigend auf die Verwendung des Nullkomplementierers auswirken. Zum Beispiel wird im Englischen die Nullvariante v.a. bei kürzeren Matrixsätzen realisiert. Die Daten aus dem älteren Deutsch weisen auch überwiegend relativ kurze, unkomplexe Matrixsätze auf. Häufig bestehen diese nur aus einem Subjekt und Verb (z.B. HUFKƯWXXƗQHVWWXLKZ ne). Wie aus (126) ersichtlich, handelt es sich bei der hier angenommenen Analyse um eine Komplementationsstruktur. In Kapitel 2 wurde ausführlich dargelegt, welche syntaktischen Diagnostika es für die Satzkomplementation gibt. Ein hinreichendes, wenn auch kein notwendiges Kriterium ist die Extraktionstransparenz. Diese Kriterium erfüllen thaz-Sätze schon in ahd. Zeit. Es stellt sich die Frage, ob es auch Evidenzen gibt, dass aus der uneingeleiteten Variante extrahiert werden konnte. In der Tat findet man putative Belege bereits im Ahd.: (128) a. Táz uuólta íh [ tû dar míte châdîst ] das wollte ich du damit sagtest-KONJ ‚das wollte ich, dass du das damit gesagt hättest’ (Notker Boethius III 147, 27) b. Tázi … [CP t'i [C' tû ti dar míte châdîst ]]

= (115)

(129) a. uuaz wanist [ thémo irgange ... ] · was wähnst-2.SG dem ergehe ‚was glaubst du, dass dem geschieht ...?’ (Otfrid V 21, 10) b. uuazi … [CP t'i [C' ti thémo irgange ... ]]

Der Otfridbeleg ist allerdings aufgrund der möglichen extragrammatischen Einflüsse auf die Wort- und Verbstellung nicht sehr beweiskräftig.

187 Da hier dafür argumentiert wurde, dass sich die asyndetischen Verbendund Verbzweitsätze nicht nur in Bezug auf die Oberflächenverbstellung, sondern auch im Hinblick auf ihre syntaktische Integration zum Matrixsatz und im Hinblick auf die Struktur der linken Peripherie (± Nullkomplementierer) fundamental unterscheiden, gehe ich nicht davon aus, dass die beiden Konstruktionen in einer diachronen Beziehung zueinander stehen. Es ist auch nicht plausibel, dass sich die hypotaktische Verbend- aus der parataktischeren Verbzweitvariante entwickelt hat. Von den Junggrammatikern wurden andere Ansichten vertreten. Diese sollen im nächsten Abschnitt diskutiert werden.

3.7

Diachrone Entwicklungen

3.7.1 Junggrammatische Theorien In der junggrammatischen Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, in welchem synchronen und diachronen Verhältnis die asyndetischen Verbzweitund Verbendsätze stehen. Behaghel (1928: 606) argumentiert, dass der Verbend- dem Verbzweittyp zeitlich nachfolgt und aus diesem als eine Art Mischtyp abgeleitet wird: Der Aussagesatz hat die Wortstellung der abhängigen Rede: hier ist eine unmittelbare Zurückführung auf parataktische Verknüpfung nicht möglich; die junge Erscheinung ist das Ergebnis einer Mischung aus dem eben behandelten Typus I [= Verbzweitargumentsatz; K.A.-T.] und den gleichwertigen daß-Sätzen […]. (Behaghel 1928: 606)

Wie ich jedoch im letzten Abschnitt ausführlich dargelegt habe, ist die Einschätzung, dass die Verbendvariante eine junge Erscheinung darstellt, nicht richtig: Sie ist bereits im Ahd. belegt. Es gibt darüber hinaus keine Evidenz, dass sie jünger ist als die Verbzweitvariante. Letztere ist in den Hauptprosatexten nicht belegt, lediglich bei Otfrid, einer Quelle, die im Hinblick auf Wort- und insbesondere Verbstellung (Stichwort: Endreim) nicht sehr beweiskräftig ist, finden sich mögliche Beispiele. Was könnte Behaghel zu dieser Fehleinschätzung der Datenlage veranlasst haben? Die Antwort ist einfach: Das Festhalten an der Parataxe-Hypotaxe-Hypothese. Wie er selbst bemerkt, kann der Verbendtyp natürlich nicht als parataktische Konstruktion angesehen werden (denn Behaghel vertritt die Ansicht, dass die Verbzweitstellung im Hauptsatz sehr alten Ursprungs ist). Seine Hypothese, dass sich der uneingeleitete Verbendsatz als Mischtyp aus dem dass-Satz und Verbzweitargumentsatz entwickelt hat, ist nach heutiger Theorieauffassung

188 nicht haltbar. Außerdem konnte oben gezeigt werden, dass sich die beiden Nebensatztypen in Bezug auf die möglichen Matrixprädikate, Verbmoduspräferenz und weitere Phänomene unterscheiden, was in der ‚Mischtheorie’ nicht zu erwarten ist. Behaghel wendet sich damit gegen die Auffassung von Diels (1907), dass der Verbendtyp älteren Ursprungs sei. Diels argumentiert explizit gegen die unter Junggrammatikern sehr populäre Parataxe-Hypotaxe-Hypothese. Er hebt zunächst hervor, dass der Verbzweitargumentsatz keine parataktische Verbindung darstellt. Er stellt in Bezug auf folgenden Beispielsatz (130) Herr Prof. Lenbach sagte, die Bilder im Keller brauchen nicht aufgehoben zu werden, da kann ich mir nehmen. (Diels 1907: 194)

fest, dass bei dieser Art der ‚indirekten Rede’ keine einfache Parataxe vorliege, vielmehr schließe „der Aussagende [...] ein augenblickliches Kompromiß zwischen der Erinnerung an die gehörten Worte und einer in der gebildeten Sprache feststehenden und alten Ausdrucksweise“ (ibid.: 194; Hervorhebung im Original). Er bemerkt, dass man sich von der Wortstellung nicht täuschen lassen dürfe und weist auch auf das Problem der Personenund Tempusverschiebung hin. Außerdem betont er, dass in der ahd. Prosa zunächst der Verbendtyp auftrete: Die indirekte Rede folgt heute in der Stellung der Worte durchaus der direkten. So ergab sich ein Schein des Rechts, von „Parataxe” zu reden. Diese Auffassung wird aber hinfällig durch die Tatsache, daß die indirekte Rede da, wo sie uns zuerst entgegentritt, sehr deutliche Kennzeichen der Nebensatzstellung trägt [...]. Wir hätten also eine spontane Entwicklung von der Parataxe zum Nebensatz und wieder zur Parataxe, oder von einer nicht weiter erklärten Hypotaxe zur Parataxe. Beides wird man verwerfen müssen. (Diels 1907: 194)

Der asyndetische Verbendtyp sei durch die „mechanische Zerstörung einer ursprünglichen vorhandenen Einleitung“ (ibid.: 197) entstanden. Diels nimmt an, dass sich der Verbzweit- aus dem Verbendtyp entwickelt hat und zwar in Analogie zur Hauptsatzwortstellung. Dies sei dadurch möglich geworden, dass die ‚Zerstörung’ der Konjunktion den „Nebensatzcharakter verdunkelt hat“ (ibid.). Er geht also anders als Behaghel davon aus, dass die Verbzweitaus der Verbendvariante hervorgegangen ist. Diese Theorie trifft der gleiche Einwand wie die von Behaghel, dass nämlich beide Konstruktionen so unterschiedliche grammatische Eigenschaften aufweisen, dass nicht angenommen werden kann, dass sie in einer diachronen Beziehung zueinander stehen. Stattdessen muss man annehmen, dass der asyndetische Verbend- und Verb-

189 zweitsatz zwei grundverschiedene Konstruktionen sind, die sich getrennt voneinander entwickelt haben. Wie der Verbzweittyp entstanden ist, lässt sich kaum feststellen. Die interne Struktur bedarf keiner weiteren Erklärung, denn sie ist ja identisch zu der selbständiger Verbzweitsätze mit V-nach-C-Bewegung und XP-nach-SpecCBewegung. Die Herausbildung der externen Syntax, wie sie in der Analyse von Reis (1997) vorgeschlagen wird, nämlich Adjunktion an VP, scheint auf den ersten Blick nicht spektakulär zu sein. Als problematischer erweist sich jedoch die Frage, wie in einer solchen Konstruktion die Thetarollensättigung stattfindet. Reis argumentiert, dass es im Gwd. auch noch weitere Fälle von nichtstruktureller Thetarollensättigung gibt. Auf die diachrone Dimension dieses Mechanismus kann hier nicht eingegangen werden. Wie im letzten Abschnitt erwähnt, erklärt Diels die Entstehung des asyndetischen Verbendsatzes durch einen ‚mechanischen Schwund’ (ibid.: 198) der satzeinleitenden Konjunktion, deren Form uns nicht überliefert ist. Ich kann mich dem soweit anschließen, als ich davon ausgehe, dass bei dem Nullkomplementierer synchron zwar keine phonologischen Merkmale vorhanden sind, wohl aber andere grammatische Merkmale. Dieser Nullkomplementierer, der nicht vollständig in grammatischem Wettbewerb mit dem overten Komplementierer thaz steht, da sein Auftreten wesentlich restringierter ist, ist zwar noch bis in die frnhd. Zeit sporadisch belegt, muss dann aber irgendwann vollständig verdrängt worden sein: Im Gwd. existiert er nicht mehr. Die Frage, was zu diesem Verlust geführt haben mag, ist schwer zu beantworten. Im folgenden Kapitel wird gezeigt werden, dass sich bei den Relativsätzen eine ähnliche Entwicklung vollzogen hat: Auch hier ging die Nullrelativpartikel verloren. Es handelt sich also offenbar um ein allgemeineres Phänomen.

3.7.2 Haben asyndetische Argumentsätze eine Rolle bei der Entstehung des thaz-Satzes gespielt? Die asyndetischen Argumentsätze in den modernen germanischen Sprachen werden häufig als späte Reflexe eines ursprünglich parataktischen Stadiums angesehen, als Argumentsätze noch nicht syntaktisch subordiniert waren. So führt etwa Helgander mit Bezug auf die uneingeleiteten Argumentsätze im Gegenwartsenglischen und -deutschen aus: It is generally assumed that this stage [i.e. das parataktische Stadium, als es lediglich eine logische, aber keine syntaktische Unterordnung gab; K.A.-T.] is reflected by a pattern which is still frequent in many languages: […] E[nglish] I know he will come. […] G[erman] Ich wusste, er wollte nicht kommen. (Helgander 1971: 34; Hervorhebung im Original)

190 Wie ich ausführlich dargelegt habe, ist die Parallelisierung der beiden Argumentsatztypen aus theoretischer Sicht fragwürdig, denn der englische Typ enthält nach gängiger Forschungsmeinung einen Nullkomplementierer, während der deutsche Typ auch strukturell betrachtet komplementiererlos ist, was – da das Deutsche eine asymmetrische Verbzweitsprache ist – dazu führt, dass sich der Argumentsatz abgesehen vom Fehlen des Komplementierers auch noch in Bezug auf die Verbstellung von einem Hauptsatz unterscheidet. Eine interessante Beobachtung zum Verhältnis der thaz-Sätze und der uneingeleiteten Verbendargumentsätze im Ahd. findet man bei Diels (1907), der argumentiert, dass man auch die Situation im Gotischen einbeziehen müsse. Diels beschäftigt sich zunächst vor allem mit der Frage, nach welchen Matrixprädikaten im Ahd. die „indirekte Rede“ belegt ist, ein Phänomen, das er als einen „Nebensatz zur Ausführung gewisser Verben“ (ibid.: 197, Hervorhebung im Original) definiert. In moderne Terminologie übersetzt heißt das nichts anderes als uneingeleitete Argumentsätze (Objekt- und Subjektsätze) des oben diskutierten Typs. 52 Im Unterschied zu der damals herrschenden Forschungsmeinung ist sich Diels durchaus dessen bewusst, dass diese Sätze im Ahd. keine Hauptsätze sind, sondern Nebensätze. Er betont ja, „daß die indirekte Rede da, wo sie uns zuerst entgegentritt, sehr deutliche Kennzeichen der Nebensatzstellung trägt“ (ibid.: 194). Es handele sich nicht um eine parataktische, sondern um eine hypotaktische Satzfügung. Diels macht eine interessante Beobachtung: Die Matrixverben, die im Ahd. (neben thaz/dazSätzen) mit der ‚indirekten Rede‘ belegt sind, sind dieselben (entweder im etymologischen Sinn oder im Hinblick auf ihre Bedeutung), auf die im Gotischen ein ei-eingeleiteter Satz folgt. Bei Matrixverben, auf die im Ahd. stets ein thaz/daz-Satz und keine ‚indirekte Rede’ folgt, werden die abhängigen Sätze im Gotischen statt durch einfaches ei durch þatei eingeleitet: Erdmann hat seltsam geirrt, wenn er (DS. I. 169) die indirekte Rede des Ahd. in Gegensatz zum gotischen Gebrauch stelle, der die Anfügung ohne Partikel nicht kenne. Gerade das Gotische weist uns den Weg, denn der Unterschied der dazSätze und der indirekten Rede im Ahd. entspricht einigermaßen dem got. der þateiund ei-Sätze. Aus Delbrücks Sammlungen (PBB. XXIX 207ff.) wird dies sofort klar: ei herrscht [...] bei zielstrebigen Verben: bandwjan „durch Zeichen auffordern“, andbeitan, bidjan, anabiudan, faurbiudan, (ni letan), gameljan, merjan „predigend auffordern“, qiþan „befehlen“, biswaran, wiljan, wilja ist, munan, so kjan , saiσan usw. (Diels 1907: 196f.; Hervorhebung im Original) In Sätzen mit potentialem Optativ herrscht ei, wie D. [Delbrück; K.A.-T.] nachweist, nach ZƝnjan, þugkjan, (hugjan). qiþan hat wenigstens ei c. ind. [mit Indika-

____________________ 52

Außerdem schließt das Phänomen Diels Auffassung nach auch noch bestimmte Finalsätze mit ein, ein Problem, auf das hier nicht eingegangen werden soll.

191 tiv, K.A.] in sicheren Fällen nach sich, ei c. opt. [mit Optativ, K.A.-T.] scheint dagegen zu fehlen. (ibid.: 197)

Diese Beobachtung veranlasst Diels zu der Hypothese, in den gotischen uneingeleiteten Nebensätzen sei „das ei ebenso geschwunden wie in den Relativsätzen und den Sätzen mit þatei“. Diese Vorgänge lassen sich folgendermaßen veranschaulichen: (131) got. a. [CP [C þatei] ... ] b. [CP [C ei ] ... ]

ĺ[CP [C þat] ... ] ĺ[CP [C ] ... ]

ahd. a. [CP [C thaz ] ... ] b. [CP [C ] ... ]

Dies würde erklären, warum die zweite Gruppe von Verben, die Diels erwähnt, nämlich die mit potentialem Optativ (wênjan ‚wähnen, meinen’, þugkjan ‚dünken’, hugjan ‚denken’) sowie qiþan ‚spechen, sagen’, fast identisch ist mit den Verben, die im Ahd. und Mhd. noch asyndetische Verbendargumentsätze selegieren. Diels nimmt an, dass es sich um einen rein mechanischen Schwund handele und dass diese Annahme „aus unserer Kenntnis der außergotischen Lautgeschichte weder bewiesen noch widerlegt werden“ (Diels 1907: 198) könne. Statt davon auszugehen, dass die Konjunktion komplett ‚geschwunden‘ ist, könnte man aus neuerer, grammatiktheoretischer Perspektive auch argumentieren, dass lediglich die phonologischen Merkmale der Konjunktion getilgt worden sind: (132) [CP [C ei ] ... ] ĺ>CP [C Ø ] ... ] Ø = phonetisch leerer Komplementierer

Damit wäre Diels’ Hypothese ein Vorläufer der oben diskutierten Nullkomplementiererhypothese. Das bedeutet aber auch, dass sich der (overt) uneingeleitete Argumentsatz aus einer eingeleiteten Variante entwickelt hat und steht im Gegensatz zu Delbrücks Auffassung, dass es nicht zu entscheiden ist, ob im Germanischen die eingeleitete oder uneingeleitete Variante älter ist (Delbrück 1904: 239). Wie bereits in Kapitel 2 angedeutet, könnte man spekulieren, dass sich der kanonische thaz-Verbendsatz aus dem asyndetischen Verbendsatz entwickelt hat, der heute nicht mehr existiert. Ausgangspunkt wäre demnach eine Struktur gewesen, in der der Argumentsatz durch den Nullkomplementierer eingeleitet wird und am Ende des Matrixsatzes das Korrelat thaz stand. Der häufig zitierte Otfridbeleg in (133) könnte auf diese Weise analysiert werden. 53 ____________________ 53

In den Arbeiten, in denen dieser Beleg zitiert wird, wird jedoch in der Regel angenommen, dass der zweite Satz formal-syntaktisch noch ein Hauptsatz war (vgl. gwd. ,und er erzählte ihnen sogleich das/Folgendes: Die Seligkeit war unter ihnen’) trotz der Endstellung des finiten Verbs. Die einzige generative Arbeit, die

192 (133) a. ioh gizálta in sar tház · thiu sálida und erzählte ihnen sogleich das die Seligkeit untar iQࡾ uuas unter ihnen war (Otfrid II 2, 8) b. [CP ioh gizálta in sar tházi] [CP Ø WKLXViOLGDXQWDULQࡾXXas]i

Man müsste nun argumentieren, dass in einem nächsten Schritt eine Reanalyse der Satzgrenzen stattgefunden hat, im Zuge derer das Pronomen thaz über die Satzgrenzen übergetreten ist. Wie jedoch in Kapitel 2 in Auseinandersetzung mit der Parataxe-Hypotaxe-Hypothese diskutiert wurde, ist ein solcher Reanalyseschritt ‚radikaler’, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, denn gleichzeitig muss ja auch noch das Pronomen als Kopf reanalysiert worden sein, sodass es in der neuen Struktur die C-Position besetzt, in der vor der Reanalyse der Nullkomplementierer stand. Ich habe stattdessen dafür argumentiert, dass sich die Konjunktion thaz aus der Relativpartikel thaz entwickelt hat, welche ihrerseits aus dem Relativpronomen thaz hervorgegangen ist. Die Reanalyse ‚XP zu X0‘ hat also schon innerhalb der Relativsatzkonstruktion stattgefunden. Eine Verschiebung der Satzgrenzen hat demnach nicht stattgefunden.

3.8

Zusammenfassung

Dieses Kapitel widmete sich den uneingeleiteten und anderen nichtkanonischen Argumentsätzen. In den modernen germanischen Sprachen gibt es verschiedene Typen von ihnen: Im Englischen etwa existieren Argumentsätze, die durch einen Nullkomplementierer eingeleitet werden ähnlich wie die sogenannten Nullrelativsätze. Im Gwd. dagegen ist dieser Typ ungrammatisch. Es gibt in deklarativen Argumentsätzen keinen Nullkomplementierer, der die C-Position besetzt. Daher findet auch bei argumentrealisierenden Sätzen Vnach-C-Bewegung (und Füllung der SpecC-Position) statt, sodass man den Typ des argumentrealisierenden Verbzweitsatzes erhält. Obwohl dieser Typ die wurzelsatztypische Verbstellung aufweist, ist er dennoch syntaktisch un____________________ sich mit der Entstehung der Nebensätze beschäftigt, ist Lenerz (1984). Lenerz argumentiert zwar dafür, dass die Konjunktion thaz aus dem korrelativen Pronomen thaz entstanden ist. Er geht jedoch auf die Analyse des ‚zweiten’ Satzes (also des Satzes, aus dem der thaz-Satz hervorgegangen ist) nicht explizit ein. In Lenerz (1985) wird jedoch zumindest die Nullkomplementiererhypothese für asyndetische Verbendsätze erwogen.

193 selbständig. Das beweisen vor allem Bindungsdaten. Außerdem kann er – anders als echt parataktische Konstruktionen – in die Fokus-HintergrundGliederung seines Bezugssatzes integriert werden. Überraschenderweise sind im älteren Deutsch asyndetische argumentrealisierende Verbendsätze überliefert. Ich habe argumentiert, dass diese Konstruktion wie der ‚englische Typ’ einen Nullkomplementierer in C enthält. Da die Verbstellungsasymmetrie bereits im Ahd. ausgebildet war, führte dies anders als im modernen Englischen dazu, dass sich dieser oberflächlich betrachtet asyndetische Typ von selbständigen Sätzen (und vom asyndetischen Typ ohne Nullkomplementierer) durch die Verbstellung unterschied. Der Typ des asyndetischen Verbendargumentsatzes ist v.a. im Ahd. belegt (hier insbesondere bei Notker und bei Otfrid), aber auch im Mhd. Sogar noch im Frnhd. finden sich sporadische Belege. In den hier untersuchten mhd. Prosatexten sind allerdings keine entsprechenden Beispiele überliefert. In der Sekundärliteratur werden jedoch Beispiele hauptsächlich aus der Dichtung diskutiert. Der asyndetische Verbzweitargumentsatz dagegen ist im Ahd. nicht zweifelsfrei nachweisbar. Putative Belege treten fast nur bei Otfrid auf, einem Denkmal, in dem die Verbstellung durch extragrammatische Faktoren, insbesondere durch den Endreim, beeinflusst worden sein kann. In den mhd. Prosadenkmälern sind dagegen zahlreiche Beispiele überliefert. Der Verbend- und der Verbzweittyp haben unterschiedliche grammatische Eigenschaften. Dies spricht dagegen, sie in einen diachronen Zusammenhang zu setzen, wie es in junggrammatischen Theorien vorgeschlagen wurde: Weder hat sich der Verbzweit- aus dem Verbendtyp entwickelt noch umgekehrt der Verbend- aus dem Verbzweittyp. Die Unterschiede betreffen v.a. Matrixprädikateigenschaften sowie den präferierten Verbmodus im abhängigen Satz: Der Verbzweittyp tritt auch im älteren Deutsch nicht bei negierten Matrixprädikaten auf, beim Verbendtyp sind jedoch sogar Fälle mit NEG-Raising belegt. Im Mhd. ist beim Verbendtyp fast nur Indikativ belegt, während beim Verbzweittyp der Konjunktiv vorherrscht. Nur beim Verbendtyp findet sich im Mhd. Subjektauslassung. Es wurden daher für die beiden Konstruktionen zwei verschiedene Analysen vorgeschlagen: Der Verbendtyp im älteren Deutsch hat die gleiche externe Syntax wie der thaz-Satz: Er ist das Komplement von V (in nichtkanonischer Rektionsrichtung). Da es keine Hinweise dafür gibt, dass der Verbzweittyp im älteren Deutsch andere grammatische Eigenschaften hatte als heute, habe ich die Analyse von Reis (1997) übernommen, in der die Verbzweit-CP im Nachfeld basisgeneriert wird und an die Matrix-VP adjungiert ist. Schließlich wurde noch die Frage diskutiert, ob der durch den Nullkomplementierer eingeleitete Verbendsatz eine Rolle bei der Entstehung des thazSatzes gespielt haben könnte. Man könnte eine Variante der klassischen

194 Übertrittstheorie erwägen, wonach in der Ausgangskonstruktion am Ende des Hauptsatzes das korrelative Pronomen thaz stand und mit einem nachgestellten, abhängigen nullkomplementierereingeleiteten Satz assoziiert war. Der Vorteil gegenüber dem traditionellen Szenario besteht darin, dass in der Ausgangskonstruktion der zukünftige thaz-Satz bereits ein Nebensatz war. Trotzdem beinhaltet auch dieses Szenario eine radikale Reanalyse der Satzgrenze. Deshalb ist das in Kapitel 2 vorgeschlagene neue Szenario, in dem der thazArgumentsatz aus einer Relativkonstruktion mit der Relativpartikel thaz entstanden ist, nach wie vor konzeptuell attraktiver.

4

Nichtkanonische ‚Relativ’sätze

4.1

Einführung

Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit relativischen Sätzen, deren linke Satzperipherie nichtkanonische Eigenschaften aufweist. Im älteren Deutsch begegnen uns scheinbare Relativsätze, in denen das finite Verb nicht in Endstellung, sondern am linken Satzrand steht. Dabei sind zwei Typen zu unterscheiden, nämlich relativische Verberst- und Verbzweitsätze, wie die folgenden mhd. Belege illustrieren. (1)

a. Darnach ist ein tier heizit Panthera … (Wiener Physiologus II, 1) b. indem selben lande ist ein tier heizet Manticorti. (Lucidarius (A) 13, 20) c. Er nam einen guldenin kopff, stunt vor im, (Lancelot 57, 12) d. Ez waz ein swester, hiez Alheit von Trochaw, (Christine Ebner 10, 17)

(2)

a. Ein ander tier ist, daz heizzent die Chrieche Hinam. (Wiener Physiologus VI, 1) b. indem lande ist ein tier daz heizet Cocrota, (Lucidarius (A) 13, 6) c. In der marcken von Galla und von der Mynnren Brytanien warn zwen konig by alten zyten, die waren gebrudere von vatter und von mutter (Lancelot 1, 1) d. Ez waz ein kint in einem dorf ze Entenberg, daz sagt vil kunftiger ding, (Christine Ebner 20, 3)

Die Beispiele in (1) und (2) unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf die Verbstellung. Die Verberststellung in (1) kommt dadurch zustande, dass im Gegensatz zu (2) kein satzeinleitendes Pronomen vorhanden ist. Im Hinblick auf die Verbstellung verhalten sich die beiden relativischen Konstruktionen wie Wurzelsätze: Das Finitum befindet sich jeweils am linken Satzrand. Jedoch hat das Gefüge nicht die Semantik einer parataktischen Konstruktion. Der zweite Satz scheint wie ein normaler Verbendrelativsatz interpretiert zu werden, indem er die Referenz des relativen Kopfs/des Bezugsnomens ein-

196 schränkt. So wird in den Belegen keine Einzigkeitsimplikatur ausgelöst. 1 In anderen Worten: In (1)-d und (2)-d etwa wird nicht ausgesagt, dass es im Kloster Engelthal nur eine einzige Schwester bzw. im Dorf zu Entenberg nur ein Kind gab, sondern dass es an diesen Orten nur eine Schwester bzw. ein Kind gab, für die die Restriktion im zweiten Satz zutrifft. Es gibt also in diesen beiden Fällen einen prima facie ‚Mismatch’ zwischen den syntaktischformalen Eigenschaften, die typisch für parataktische Konstruktionen sind, und der interpretativen Eigenschaft der Restriktivität, die typisch für hypotaktische Konstruktionen ist. Daher ist es gerechtfertigt, in beiden Fällen vortheoretisch von nichtkanonischen Nebensätzen zu sprechen, denn semantisch betrachtet scheinen sich die fraglichen Konstruktionen wie Nebensätze zu verhalten. In der älteren Literatur wurde der Verbersttyp manchmal mit (putativ) asyndetischen Relativsätzen wie in (3) in Beziehung gesetzt: (3)

a. Tho líefun sár so thu uuéist thie [ inan mínnotun méist ] dann liefen gleich wie du weißt die ihn liebten am.meisten ‚da liefen sofort diejenigen los, wie du weißt, die ihn am meisten liebten’ (Otfrid V 5, 3) b. daz in saehe die [ er in herzen truoc ] (Nib. 134, 1; zit. nach Behaghel 1928: 761)

Die Klammern in (3) geben eine Analyse wieder, die in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts weit verbreitet war. Demnach gehörte das demonstrative Pronomen (thie, die) jeweils dem Matrixsatz an, was bedeutet, dass der Relativsatz asyndetisch angeschlossen ist: Er wird weder durch ein Relativpronomen noch durch eine Relativpartikel eingeleitet. Anders jedoch als bei den asyndetischen Sätzen in (1) steht das Verb wie bei einem kanonischen, eingeleiteten Relativsatz in Endstellung. Auch bei diesem Typ würde es sich demzufolge um einen nichtkanonischen Nebensatz handeln, denn wie im Gwd. galt weitestgehend bereits in ahd. Zeit, dass die Anwesenheit eines Komplementierers (bzw. einer subordinierenden Relativ-/Interrogativphrase) und die Finitumvoranstellung komplementär verteilt waren (Axel 2007). Relativische Verberstsätze wie in (1) gibt es im Gwd. nicht mehr. Auch der Typ des asyndetischen Verbendrelativsatzes existiert im Gwd. nicht mehr, zumindest nicht in der Standardsprache. Nur der Verbzweittyp besteht auch im Gwd. fort. Dieses Phänomen wurde in jüngerer Zeit insbesondere in den Arbeiten von Brandt (1990) und Gärtner ____________________ 1

Wie allerdings Endriss & Gärtner (2005: 199, Fn. 6) anmerken hängt die Stärke dieses Effekts mit weiteren Faktoren zusammen. Sie verweisen auf ein ‚narratives‘ Beispiel von Heim (1988: 31), bei dem keine Einzigkeitsimplikatur ausgelöst wird: (i) There once was a doctor in London. He was Welsh.

197 (2001, 2002) behandelt (s. auch Endriss & Gärtner 2005, Ebert, Endriss & Gärtner 2007): (4)

a. Apfeldorf hat viele Häuser, die stehen leer. (Endriss & Gärtner 2005: 196, Bsp. 2c) b. Das Blatt hat eine Seite, die ist ganz schwarz. (Ebert, Endriss & Gärtner 2007: 416, Bsp. 1a)

Für jede der drei gerade erwähnten nichtkanonischen relativischen Konstruktionen wurden in der Sekundärliteratur Parataxe-Hypotaxe-Szenarien vorgeschlagen, in denen die jeweilige nichtkanonische Konstruktion die Ausgangskonstruktion in der Entwicklung des kanonischen Verbendrelativsatzes darstellen. Diese Szenarien werden am Ende des Kapitels diskutiert (Abschnitt 4.6). Ziel des vorliegenden Kapitels ist es zu zeigen, dass diese Entstehungsszenarien empirisch nicht haltbar sind. Grundlage für die Argumentation ist eine möglichst detaillierte Beschreibung der synchronen Eigenschaften der drei Konstruktionen im Ahd. und Mhd. (Abschnitte 4.2 – 4.4). Der empirische Teil mündet in einen theoretischen Teil, in dem Analysen für die drei Konstruktionen vorgeschlagen werden (Abschnitt 4.5). Diese Analysen bilden die Basis für die Auseinandersetzung mit den in der bisherigen Literatur propagierten diachronen Theorien (Abschnitt 4.6).

4.2

Die relativische Verberstkonstruktion

Die diachrone Entwicklung der Verberstrelativsätze fasst Schieb zusammen: Die Konstruktion taucht im Frühmittelhochdeutschen auf, erreicht ihre größte, aber nie sehr starke Verbreitung in frühneuhochdeutscher Zeit [...], um erst im 19. Jahrhundert zu verschwinden. Dem höfischen Mittelhochdeutsch scheint sie weniger zugesagt zu haben. K. Held 1903, S. 107, vermutet Kontinuität über die Volkssprache, in der Literatursprache tauchen überhaupt nur sporadische Fälle auf. (Schieb 1978b: 517)

Eine ähnliche Chronologie zeichnet Paul (101995: 140): „Die Konstruktion wird gegen den Ausgang des Mittelalters häufiger als früher.“ Schiebs Einschätzung, dass erst im Frühmhd. Belege auftreten, ist möglicherweise nicht ganz korrekt. Im Tatian finden sich sehr sporadisch Belege: 2 ____________________ 2

Belege wie in (i) sind nicht einschlägig: Die Konstruktion mit satzinternem Personalpronomen beschränkt sich auf die Dichtung, sodass ihr Status als

198 (5)

jungo ʜ folgeta imo uuas giuuatit mit sabanu Junges folgte ihm war bekleidet mit Leinen Adulescens autem quidam ʜ sequebatur eum amictus sindone (Tatian 299, 11) Ã9QGHVZDUHLQ-X࢑QJOLQJGHUIROJHWHMPQDFKGHUZDUPLW/LQZDGEHNOHidet’ (Lutherbibel 1546, Mk 14, 51) in theru ziti sagetun ʜ imo b. uuarun thar sume az ʜ waren dort INDEF bei in der Zeit sagten ihm iro fon galileis. thero ʜ bluot pilatus misgita ʜ mít von Galiläern deren Blut Pilatus mischte mit ihren bluostrun Opfern Aderant autem quidam. ʜ ipso in tempore nuntiantes ʜ illi de galileis. quorum ʜ sanguinem pilatus miscuit ʜ cum sacrificiis eorum; (Tatian 162, 17) ‘ES waren aber zu der selbigen zeit etliche dabey, die verNX࢑ndigeten jm von den den Galileern, welcher blut Pilatus sampt jrem opffer vermischet hatte.’ (Lutherbibel 1546, Lk 13, 1) a. sum

INDEF

Dass die Konstruktion im Ahd. nur spärlich belegt ist, kann auch damit zusammenhängen, dass sie aufgrund ihrer besonderen informationsstrukturellen Eigenschaften (s. unten) hauptsächlich in narrativen Textpassagen zur Einführung von Diskursreferenten verwendet wird. In Notkers Consolatio etwa sind die entsprechenden Kontexte kaum vorhanden. Bei Otfrid wären bei der Wiedergabe von Bibelversen an vielen Stellen die kontextuellen Bedingungen erfüllt, jedoch wird hier die konkurrierende Verbzweitkonstruktion mit dPronomen verwendet. In der Übersetzungsprosa kommt schließlich noch erschwerend hinzu, dass asyndetische Varianten generell (also etwa auch beim Argumentsatz, s. Abschnitt 3.3.1) gemieden werden, was man wohl darauf zurückführen kann, dass in den lateinischen Vorlagen jeweils satzeinleitende Pronomina bzw. Konjunktionen vorhanden sind. Bereits im Spätahd./Frühmhd. ist die Beleglage umfangreicher. Im Physiologus etwa sind einige Belege enthalten – und zwar sowohl in der ahd. Prosafassung als auch in der Wiener Prosa 3: ____________________ 150F

3

natürlichsprachliche Konstruktion zweifelhaft ist. (i) Einan kuning uueiz ih, Heizsit her Hluduig, (Ludwigslied) einen König kenne ich, heißt er Ludwig. In dem Lateinischen Physiologus, den Maurer (1967) in seiner Ausgabe wiedergibt, lautet die Entsprechung zu Beispiel (7)-a: Est et animal, quod dicitur panthera (lat. Physiologus 2, 1). Auch bei den anderen Belegen liegt im Lateinischen häufig ein passivischer pronominal eingeleiteter Relativsatz vor. Das spricht dafür, dass es sich im deutschen Physiologus um eine genuin deutsche Konstruktion handelt und nicht etwa um Übersetzungs- bzw. Lehnsyntax. Wobei natürlich zu beachten ist, dass „sehr verwickelte Verhältnisse in den Vorlagen“

199 (6)

In demo mere ist einez, heizzet serra, (Ahd. Physiologus Z. 104)

(7)

a. Darnach ist ein tier heizit Panthera … = (1)-a (Wiener Physiologus II, 1) b. ... unt singint ein vil scone sanch, heizzit musica. (Wiener Physiologus V, 2) c. da vindit er eine wurze, heizit Mandragora. (Wiener Physiologus VIII, 2)

Ein weiterer mhd. Text, der zahlreiche relativische Verberstkonstruktionen aufweist, ist der um 1300 entstandene Lucidarius (A), wie auch Karg (1930) in einer detaillierten Studie nachweist. 4 (8)

a. da bi lit ein lant heizet Bizathe. (Lucidarius (A) 16, 24) b. in deme lande ist ein gegene heizet Dalmatica. (Lucidarius (A) 15, 27)

Sporadische Belege trifft man auch im Prosalancelot und im spätmhd. Schwesternbüchlein von Christine Ebner an: (9)

a. Er nam einen guldenin kopff, stunt vor im, = (1)-c (Lancelot 57, 12) b. kam inn geritten in ein groß wiesen, lag vor der burg zu Gaune. (Lancelot 50, 24) c. das sie theten was sie hieß ein ritter, was sin nefe (Lancelot 23, 31)

(10)

Ez waz ein swester, hiez Alheit von Trochaw, (Christine Ebner 10, 17)

= (1)-d

Im Vergleich zu den relativischen Verbzweitsätzen wird die Verberstkonstruktion jedoch in den einzelnen Texten wesentlich seltener reali-

____________________

4

anzusetzen sind und man nicht „‚die‘ lateinische Quelle der Wiener deutschen Prosa vorlegen“ kann (Maurer 1967: VIII). Dass die Konstruktion nativ ist, zu diesem Schluss kommt auch Schulze (1975: 151) in ihrer Untersuchung lateinischdeutscher Parallelurkunden. Auch in den Urkunden entspricht der relativischen Verberstkonstruktion meist ein pronominal eingeleiteter Relativsatz. Allerdings trifft das nur auf die um 1300 entstandene Fassung A zu, denn, wie Gärtner (1981: 160) bemerkt, weist insgesamt „[D]ie reiche Lucidarius-Überlieferung nun aber keineswegs ein einheitliches Bild auf, was die RS-Typen betrifft.“

200 siert, 5 sodass ich auf Belegmaterial aus der Sekundärliteratur zurückgreifen muss, um ein größeres Inventar an Beispielen zu erhalten, an denen die grammatischen Eigenschaften untersucht werden können. In der Sekundärliteratur sind unter den Stichworten ‚Apokoinukonstruktion’, 6 ‚hiez’Konstruktion bzw. ‚asyndetische Parataxe’ in der Tat zahlreiche weitere mhd. und frnhd. Belege aus Dichtung und Prosa zitiert. Die folgenden Beispiele stammen aus den Grammatiken und Untersuchungen von Tobler (1872), Behaghel (1928), Paul (101995, 1920) und Ebert et al. (1993): (11)

a. die uuoren in ein lant, heizet Egyptus (Exod. 86, 2) b. er zoch uz ein mezzer, was schone unde wonnesam (Salm. u. Mor 183, 2) c. nach ir vil manig denstman in ritterlicher wete, vier schare, waren wunnesam (Salm. u. Mor. 12, 3) d. daz man dar ein riche krone brachte, was durchliuhtet gar, (Wolfd. D VII, 94, 3) e. der was herre eine liutes, heizet Ammon (Diemer 144, 5) f. si heten wol gelesen an einem buoch, heizet Cato (Oest. Rchr. 16 097) g. da kam er an der stund in ainen sal, was wunnenclich, (Friedr. v. Schw. 93) h. wir sahen bi dem viure ein tierli, was gehiure (Boner 43, 67) i. was zog er auß der taschen? ein mezzer, was scharf und spitz (Uhl., Volksl. 168, 4) j. das sach auf einem wasen vier starcker ochsen grasen, hetten gar schöne horen (Hans Sachs, Fabeln u. Schwänke Nr. 87, 3) k. und faßt ein stein, war groß und wüst (Froschm. III, 3, 8, 328) l. un en Käm’ hat er mich geschickt, war so’n preußschen (Reuter 8, 54)

____________________ 5 Eine Ausnahme bildet der Lucidarius (A). Doch hier ist die relativische Verberstkonstruktion weitestgehend auf Formen des Verbs heizen beschränkt, was Karg (1930) dazu veranlasst von der ‚hiez-Formel’ bzw. dem ‚hiez-Satz’ zu sprechen. Die hier herangezogenen Prosatexte und die Belege aus der Sekundärliteratur zeigen, dass außer heizen noch eine ganze Reihe weiterer Verben häufig in der Konstruktion belegt sind. 6 Vgl. Gärtner (1969) zur Apokoinukonstruktion allgemein bei Wolfram von Eschenbach.

201 m. machte mir meine Mutter ein schönes Hofkleid, war rosenfarb (G. XXXIX,75) (a–m zit. nach Behaghel 1928: 504) (12)

a. mit zühten si ze hûse bat ein frouwe saz darinne (Nibelungenlied) b die worhte ein smit hiez Volcân (Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg) c. dar inne sach er glitzen von kolen rot ein glut wart auf sein fallen ‚... die auf sein Fallen wartete‘ (H. Sachs) (a–c zit. nach Paul 101995: 140)

(13)

Gegen Frankfurt liegt ein Ding über, heißt Sachsenhausen (Goe. 8, 40, 4.) (zit. nach Paul 1920: 189)

(14)

a. es wardt auch gefangen der hertzog von Burguny und herre Hans Putzukards und auch ein herre was genant Centumaranto (Schiltberger 5) b. Sie fiengen ain edelman, hies Kontz von Riethain (Rem 223) (a, b zit. nach Ebert et al. 1993: 444)

(15)

eismâls dâ im engegen kam ein swacher esel, was nicht kluoc (Boner 51, 9; zit. nach Tobler 1872: 260)

Was die satzinternen grammatischen Eigenschaften angeht, kann man Folgendes beobachten: Im relativischen Verberstsatz treten häufig Zustandsverben auf wie (allen voran) heizen, aber auch VƯQZHVHQOLJHQ. Der relativische Satz weist Verberststellung auf, also V-nach-CBewegung: (16)

Er nam einen guldinen kopff, [ [C stunti ] vor im ti ]

Man mag einwenden, dass viele Belege ambig in Bezug auf die zugrunde liegende Verbstellung sind. Wie erwähnt, ist die Konstruktion fast ausschließlich bei einer relativ kleinen Gruppe von Verben zu finden, die sich entweder mit einem Subjekts- (VƯQ ZHVHQ) oder Objektsprädikativ (heizen) verbinden oder die eine lokale Präpositionalphrase als Ergänzung nehmen (ligen). Phrasen in all diesen syntaktischen Funktionen werden im Mhd. und sogar noch im Frnhd. nicht selten ausgeklammert: (17)

a. „ir scult wesen fruot, so die Natrun.“ (Wiener Physiologus XI, 5)

202 b. ob er die sternen gesihit, die der heizent Virgilie (Wiener Physiologus XXIV, 3) c. ob ime danne der stanch chumet ze dere nasun (Wiener Physiologus I, 3)

Wenn eine periphrastische Verbform vorliegt, kann man an der Abfolge Finitum vor Infinitum (V1 > V2) erkennen, dass V-nach-C-Bewegung stattgefunden hat: (18)

a. sum jungo folgeta imo, was1 giwatit2 mit sabanu = (5)-a b. von einem slangen was1 gebunden2 (Überschrift einer Fabel bei Boner; zit. nach Tobler 172: 260f.) c. von einer wisel wart1 gevangen2 (Überschrift der Fabel 45 bei Boner; zit. nach Tobler 172: 260)

Allerdings muss eingeräumt werden, dass im älteren Deutsch, wie auch heute noch in den meisten Dialekten, auch in zweigliedrigen Verbalkomplexen häufig ‚Verb Raising’ (d.h. Oberfeldbildung) stattfand: (19)

die mit ubilen siten sint1 bivangin2 (Wiener Physiologus V, 6)

Eindeutige Indizien für Verbbewegung bieten jedoch Belege mit postfinitem Material, bei denen Ausklammerung ausgeschlossen ist, wie etwa bei folgendem Beispiel, in dem die Gradpartikel ouch postfinit erscheint: (20)

so heizet ein lant, lit ouch da (Diemer 140, 4; zit. nach Behaghel 1928: 504)

Da es also Belege mit ausgelassenem ‚Relativpronomen’ gibt, in denen eindeutig V-nach-C-Bewegung stattgefunden hat, können wir nach Ockhams Rasiermesser davon ausgehen, dass dies auch bei den prinzipiell ambigen der Fall ist. Außerdem spricht die Tatsache, dass in den modernen germanischen Sprachen verwandte Konstruktionen mit zumindest prima facie identischer Semantik und Informationsstruktur möglich sind – nämlich die relativischen Verbzweitsätze – und bei denen die V-nach-C-Bewegung außer Frage steht, dafür, dass das auch bei den hier behandelten Belegen im älteren Deutsch der Fall ist. Was die interne Syntax der relativischen Konstruktion angeht, so ist noch eine weitere Frage zu beantworten: Wie analysiert man die Argumentlücke? Welches syntaktische Konstruktion steht dahinter? Auf dieses Problem wird in Abschnitt 4.5.2 ausführlich eingegangen. V-nach-C-Bewegung ist ein typisches Wurzelsatzphänomen. Dass es sich um eine parataktische Konstruktion handelt, lässt sich durch Beobachtungen zur externen Syntax bestätigen:

203 Der relativische Satz steht stets im Nachfeld. Er tritt niemals adjazent zu einem Bezugsnomen im Mittel- oder Vorfeld des ‚Matrix’satzes auf. Damit unterscheidet er sich deutlich vom kanonischen Verbendrelativsatz, der Einbettungsstatus (bzw. Gliedteilsatzstatus) hat, und daher nicht auf die Nachfeldposition beschränkt ist. Als Antezedenten sind neben Subjekten auch Objekte belegt: (21)

a. ich habe ain pfannen, hat keinen stil (Uhl., Volksl. 722, 5; zit. nach Behaghel 1928: 504) b. [Und han dabei auch in eim stifel] ein wiltpret, wil ich euren gnaden schenken (Keller, Fastnachtsp. 60, 16; zit. (mit Ergänzung) nach Naumann 1915: 33) c. ich hab ein sünt ist wider euch (H. Sachs; zit. nach Paul 1920: 189) d. Ich weiß einen baum, ist sein vol (Rollenhagen I, 2, XI, 81; zit. nach Paul 1920: 189) e. die hatte ein Kleid an, war feuerfarb (Goe. 8, 74, 9; Paul 1920: 189) f. von einem slangen was gebunden = (18)-b (Überschrift einer Fabel des Boner; zit. nach Paul 1920: 189)

In den hier untersuchten Prosatexten hat der Hauptsatz immer deklarativen Satzmodus. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, können parataktisch angeschlossene Sätze nicht im Skopus eines matrixsatzinternen Interrogativ- oder Imperativoperators stehen. Allerdings wurde in der Sekundärliteratur ein Beispiel aus Wolframs Parzival diskutiert, bei der sich eine relativische Verberstkonstruktion an einen Ergänzungsinterrogativsatz anschließt: 7 (22)

wër was ein man lac vor dëm Grâl (Wolfram; zit. nach Paul 1920: 189)

Weder in den hier herangezogenen Quellen noch in der Sekundärliteratur trifft man Belege an, bei denen der Bezugssatz ein eingebetteter Satz ist. Im Physiologus kann man einen interessanten distributionellen Unterschied zwischen relativischen Verberstkonstruktionen und kanonischen, pronominal eingeleiteten Relativsätzen beobachten. Während erstere nur dann verwendet ____________________ 7

In dem Beleg ist die Verwendung des indefiniten Artikels beim Antezedens ungewöhnlich. Paul (1920: 189) übersetzt dieses Beispiel wie folgt: „wer war ein Mann, der vor dem Grale lag“. Doch in der nhd. Übersetzung wird deutlich, dass das Antezedens eigentlich definit sein muss, wie das zum Beispiel in der Übersetzung von Kühn (Hg.) (1968: 759) der Fall ist: „Wer war der Mann, der vor dem Gral lag?“. Weil der Beleg auch im Hinblick auf die Form des Antezedens aus dem Rahmen fällt, sollte man ihm kein großes Gewicht einräumen.

204 werden, wenn das Bezugsnomen im Hauptsatz steht, können letztere auch Bezugsnomina modifizieren, die sich in eingebetteten Sätzen befinden. Wie in Abschnitt 4.3 argumentiert wird, steht die Partikel der/da nur in kanonischen Relativsätzen. Wenn sie – wie in (23) – vor dem finiten Verb auftritt, ist das ein eindeutiges Indiz, dass sich das finite Verb in situ befindet: 8 (23)

So der Struz legin scol siniu eier, so wartet er an den himil, ob er die sternen gisihit, die der heizent Virgilie. (Wiener Physiologus XXIV, 3)

Die Hauptsatzbezüglichkeit deutet ebenfalls daraufhin, dass es sich bei der Verberstvariante um eine parataktische Konstruktion handelt. Aus dem Gwd. ist bekannt, dass nichtintegrierte Sätze hauptsatzbezüglich sind. Das kann man zum Beispiel beobachten, wenn man weil-Sätze mit Verbendstellung und Verbzweitstellung vergleicht. Während erstere sowohl Haupt- als auch Nebensatzbezug erlauben, sind letztere immer hauptsatzbezüglich: (24)

a. Uli sagt, dass Peter ausziehen soll, weil er nicht genügend Platz hat b. Uli sagt, dass Peter ausziehen soll, weil er hat nicht genügend Platz

Beispiel (24)-a hat zwei Lesarten: Es wird entweder ausgesagt, dass Uli sagt, dass Peter ausziehen soll, weil er selbst nicht genügend Platz hat (= Hauptsatzbezug) oder dass Uli sagt, dass Peter ausziehen soll, weil Peter nicht genügend Platz hat (Nebensatzbezug). Beispiel (24)-b kann dagegen nur so interpretiert werden, dass Uli selbst nicht genügend Platz hat, es muss Hauptsatzbezug vorliegen. Für eine parataktische Analyse spricht auch, dass am linken Satzrand des relativischen Verberstsatzes die koordinierende Konjunktion unde auftreten kann, wie folgende Belege aus dem Physiologus und aus dem Jenaer Martyrologium illustrieren: (25)

a. Ouch ist ein tier unte heizzit Einhurno. (Wiener Physiologus III, 1) b. So ist ouch ein ander tier unte heizit Onager (Wiener Physiologus VII, 1) c. Ein ander tier ist in dem mere unt heizet Sarra (Wiener Physiologus X, 1) d. Ein vogil ist unde heizit Perdix, Rephuon (Wiener Physiologus XXIII, 1)

____________________ 8

Bei dem Relativsatz die der heizent Virgilie handelt es sich strukturell um einen Verbendsatz. Im Mhd. war es nicht ungewöhnlich, dass Objektsprädikative oder auch andere Ergänzungen ausgeklammert wurden. Vgl. auch den Hauptsatz in Beleg (23), bei dem das Akkusativobjekt (siniu eier) ausgeklammert ist.

205 e. Ave ist ein tier und heizit Castor, Piber (Wiener Physiologus XVI, 1) (26)

v͑۷ ouch eine wietwe quam zv‫ܜ‬ɗ̲v͑۷ hatte ein einig Ǐwin (Jenaer Martyrologium 9)

Dass die Verbendkonstruktion in manchen Texten mit der unde+Verberstkonstruktion alterniert, hat in der Literatur bislang keine Beachtung gefunden. Man könnte spekulieren, dass es sich um keine native Konstruktion handelt, da im lateinischen Text häufig ebenfalls die Konjunktion et auftritt. Aber das ist keineswegs immer der Fall. Bei folgendem Beleg aus dem Tatian allerdings könnte die Verbstellung und die Verwendung von inti durch vorlagengetreues Übersetzen bedingt sein, sodass nicht zu entscheiden ist, ob es sich um eine native Konstruktion handelt: (27)

uuas thar ouh sum uuitua ʜ In thero burgi Inti Stadt und war dort aber INDEF Witwe in der Imo ihm ihm (Tatian 201, 2) vidua autem quædam erat ʜ In ciuitate illa & ueniebat ad eum ‚Es war aber eine Widwe in der selbigen Stad, die kam zu jm,’ (Lutherbibel 1546, Lk 18, 3)

quam zi kam zu

Dass es sich bei den mhd. Belegen aus dem Physiologus um eine genuin deutsche Fügung handelt, dafür spricht auch, dass in den modernen germanischen Sprachen eine Konstruktion möglich ist, in der allerdings auf die koordinierende Konjunktion ein d-Pronomen folgt. In der Literatur wurde sie nur fürs Niederländische beschrieben (Zwart 2003, den Dikken 2005): (28)

a. Ik ken iemand, en die D-WORT ich kenne jemand, und (Zwart 2005: 59, Bsp. 1a) b. Er bestaat een ezel, en die kan es besteht ein Esel und D-WORT kann (Zwart 2005: 59, Bsp. 1b) c. Er waren twee jongens op het there were two boys on the hadden geen zwembroek aan. had no swim-trunks on (den Dikken 2005: 703, Bsp. 26a)

heeft hat

een tafel. niederl. einen Tisch

zijn staart seinen Schwanz strand (en) beach and

In den spätmhd. Prosatexten ist diese Konstruktion auch bezeugt:

oplichten. aufrichten die D-WORT

206 (29)

a. dan ein patriarche was zu Indiâ, und der saz in ein schif (Herman von Fritzlar: Heiligenleben 25, 27) b. In der czit waz Jhesus vortribende eynen tuvil unde der waz stum. (Berliner Evangelistar 30, 10; Lk 11, 14)

Den Dikken (2005: 703, Fn. 14) schließt aus dem Material von Gärtner (2001), dass die Konstruktion im Gwd. nicht möglich ist. Das scheint jedoch nicht uneingeschränkt der Fall zu sein. Zumindest zur Einleitung von Märchen, Fabeln usw. wird sie auch noch im Gwd. verwendet, wie die InternetBelege 9 in (30) belegen. 10 (30)

a. Es war einmal ... ein Drache und der hatte es besonders auf Bruchzahlen abgesehen, (http: //www.ph-linz.at/staff/boe/didaktik1/Bruchrechnen.html, eingesehen am 20.09.2008) b. Es war einmal ein Kaufmann und der hatte sechs Kinder, die jüngste Tochter wurde nur »das schöne Kind« genannt. (http: //www.echthoerbuch.de/makepge.php?rsl_rewritepar=1370/booknr/ 5677/Die+Sch%f6ne+und+das+Tier, eingesehen am 5.10.2008) c. Es war einmal, 1998, eine böse böse [sic], schwarz-liberale Bundesregierung und die beabsichtigte einen wahrlich üblen Schurkenstreich gegen ihre Untertanen: http: //www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15724/1.html, eingesehen am 5.10.2008)

Zusammenfassend kann man folgende Ergebnisse festhalten: Was die interne Syntax der relativischen Verberstkonstruktion angeht, muss man davon ausgehen, dass V-nach-C-Bewegung vorliegt. In Bezug auf die externe Syntax haben wir beobachtet, dass es sich um eine parataktische Satzfügung handeln muss. Wie diese genau zu analysieren ist, wird im nächsten Abschnitt durch einen Vergleich mit der overten Variante ermittelt.

____________________ 9 10

Die Treffer sind das Ergebnis einer Google-Suche mit der Suchanfrage „Es war einmal“ + „und der hatte“. Die Belege (30)-a und -b stammen aus neu erfundenen, nicht aus bekannten, tradierten Märchen. Trotzdem kann man natürlich in Frage stellen, ob es sich im Gwd. um ein produktives Muster handelt. Es ist gut möglich, dass der Verfasser des Märchens einen antiquierten Stil nachahmen wollte und die Konstruktion sozusagen formelhaft übernommen hat, um diesen ästhetischen Effekt zu erzielen. Das gilt auch für den Beleg aus der Kolumne einer Online-Zeitung in (30)-c.

207

4.3

Die relativische Verbzweitkonstruktion

In der bisherigen Literatur wurde die relativische Verberstkonstruktion, die unter den Stichworten ‚Apokoinukonstruktion’, ‚hiez’-Konstruktion bzw. ‚asyndetische Parataxe’ behandelt wurde, nicht in Beziehung zu Konstruktionen wie in (31) gesetzt, die seit ahd. Zeit belegt sind. 11 Vor allem bei Otfrid und im Tatian finden sich eine Reihe von Beispielen. (31)

a. Hiar ist knét einer · ni uuéiz ih uuiht es híar mer mehr hier ist Knabe einer NEG weiß ich etwas es-GEN hier ther drégit hiar in sinan nót · finf gírstinu brot der trägt hier in seiner Not fünf Gersten-ADJ Brote ‚hier ist ein Knabe – mehr weiß ich darüber hier nicht – der trägt hier für seinen Bedarf fünf Gerstenbrote’ (Otfrid III 6, 27) b. Ein búrg ist thar in lánte · thar uuarun ío ginánte eine Burg ist dort im Lande dort waren je erkoren Hús inti uuénti · ]ӏ édilingo Hénti Haus und Wände zu Adligen-GEN Händen ‚eine Stadt (= Bethlehem) liegt dort in dem Land, da waren einst das Haus und die Wände als das Eigentum Adliger erkoren’ (Übersetzung in Anlehung an Kelle 1881: 207) (Otfrid I 11, 23)

Bei den beiden Otfridbelegen kann man deutlich sehen, dass Verbbewegung stattgefunden hat, denn der postfinite Bereich enthält eine ganze Reihe von Konstituenten inklusive schwachen Adverbien wie io und hiar sowie in (31)- b auch das infinite Verb. Bei solchem Material ist ausgeschlossen, dass Ausklammerung vorliegt und das finite Verb in situ steht. Erscheint lediglich eine prädikative Phrase postfinit, so kann man auch bei Otfrid und in den anderen ahd. Texten nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass V-nach-CBewegung stattgefunden hat, denn prädikatives Material konnte auch rechts vom Verbalkomplex, also in ausgeklammerter Position erscheinen, wie Belege des folgenden Typs nahelegen: (32)

a. tház ir uueset gótes kind · dass ihr seiet Gottes Kinder ‚dass ihr Gottes Kinder seid’ (Otfrid II 19, 19)

____________________ 11

Die einzige Ausnahme ist Karg (1929, 1930), der sich allerdings weitestgehend auf relativische Verberst- und Verbzweitkonstruktionen mit dem Verb heizen (daher sein Terminus hiez-Konstruktion) beschränkt.

208 b. frageta oba ther man uuari galileus fragte ob der Mann wäre Galiläer ‚er fragte, ob der Mann Galiläer sei’ interrogauit si homo galileus ess& (Tatian 307, 10) c. oba thin ouga uuirdit luttar wenn dein Auge wird einfältig ‚wenn dein Auge einfältig ist’ si fuerit oculus tuus simplex. (Tatian 69, 22)

Auch Erdmann bemerkt, dass sich die Verbstellung in den Belegen in (31) von der in kanonischen Relativsätzen unterscheidet. In letzteren befänden sich auch bei Otfrid – trotz des Endreimschemas – das finite Verb in Nachzweitstellung, häufig sogar in absoluter Endstellung: Von den ausgebildeten Relativsätzen sind diese lockeren Anfügungen durch die Wortstellung deutlich geschieden; nur sehr selten tritt in einem wirklich abhängigen Relativsatze das Verbum vor anderen Bestimmungen direct an das relative Pronomen: V, 23, 54 thiz scal io sîn thes githîg, ther wilit werden sâlîg (Reim!). ,,,WKLHKDOWHQWZRUWPvQD‫ݤ‬QLIRUDKWrQVLHWKHQZrZRQXQGJDQ]vereinzelt ist der Fall, dass in einem durch relatives Adv. eingeleiteten Satze das Subject hinter das Verbum tritt: H. 7 rihti pedî mîne, thâr sîn drûtâ thîne. (Erdmann 1874, Bd. I: 125) Erstens nämlich bildet im ahd. [sic] die Verschiedenheit der W o r t s t e l l u n g eine [...] Kluft zwischen den erwähnten, bisweilen auch mit ther eingeleiteten selbständigen Sätzen und den abhängigen relativen Nebensätzen. In diesen nämlich übt das an ihrer Spitze stehende ther keinen Einfluss auf die Stellung der Worte; das Subjekt bleibt bei Otfrid, auch wenn es nicht in dem Pronomen enthalten ist, mit ganz vereinzelten Ausnahmen [...] vor dem Prädicatsverbum stehn [sic], häufig treten auch andere Satzteile vor dasselbe, und in einer grossen Zahl von Fällen ist das Verbum nach der in allen Nebensätzen allmählich herrschend werdenden Regel ganz an das Ende des Satzes gestellt. (Erdmann 1874, Bd. I: 49; Hervorhebung im Original)

Auch in der ahd. Prosa ist die Konstruktion belegt, zumindest im Tatian, (33). Im Isidor, den Monseer Fragmenten und in Notkers Consolatio finden sich keine zweifelsfreien Beispiele. (33)

tuomo uuas In sumero burgi ʜ ther niforhta got Richter war in INDEF Stadt der NEG. fürchtete Gott Iudex quidam erat In quadam ciuitate ʜ qui deum non timebat (Tatian 200, 31) ‚Es war ein Richter in einer Stad, der furchte sich nicht fur Gott,’ (Lutherbibel 1546, Lk 18, 2)

a. sum

INDEF

209 man uuas otag. ʜ ther habeta sculdheizon. Mann war reich der hatte Schuldheiß homo quidam erat diues. ʜ qui habebat uilicum (Tatian 175, 21) ‚Es war ein reicher Man, der hatte einen Haushalter,’ (Lutherbibel 1546, Lk 16, 1) c. uuas thar súm rihtari thes sun ʜ uuas sioh in war dort INDEF Richter dessen Sohn war krank in capharnaum Kapernaum & erat quidam regulus cuius filius ʜ infirmabatur capharnaum., (Tatian 90, 10) ‚VNd HV ZDU HLQ .R࢑QLJLVFKHU des Son lag kranck zu Capernaum.’ (Lutherbibel 1546, Joh 4, 47)

b. sum

INDEF

In zwei der zitierten Belege weicht die Verbstellung in der relativischen Konstruktion von der der Vorlage ab bzw. ist unabhängig von der Vorlage: In (33)-a tritt das finite Verb anders als im lateinischen Relativsatz vor das Objekt got. In (33)-c wird die Verbform infirmabatur durch eine Fügung aus Kopula und Adjektiv übersetzt, wobei die Kopula links vom Adjektiv (also in Zweitstellung) erscheint. Wenn sich im lateinischen Text an einen existentiellen bzw. präsentativen Hauptsatz statt eines Relativsatzes eine Partizipialfügung anschließt, dann wird diese Fügung im Tatian in der Regel in der deutschen Übersetzung übernommen: (34)

uuas sum man dar ʜ drizog inti ahto íar habenti ʜ ín INDEF Mann dort dreißig und acht Jahre habend in war sinero unmahti. seiner Krankheit erat autem quidam homo ibi. ʜ triginta octo annos habens ʜ in infirmitate sua. (Tatian 135, 6) ‚ES war aber ein Mensch daselbs, acht vnd dreyssig jar kranck gelegen.’ (Lutherbibel 1546, Joh 5, 5)

Weil Partizipialfügungen im lateinischen Tatian häufig vorkommen, ist die Zahl der relativischen Verbzweitkonstruktionen nicht sehr groß. Wiederum könnte man einwenden, dass in den Tatianbelegen in (33) aufgrund der liberalen Ausklammerungsmöglichkeiten die Verbstellung ambig ist zwischen V in situ und V in C. Dieser Einwand ist grundsätzlich richtig. Jedoch spricht die Tatsache, dass die Belege dieselben informationsstrukturellen Eigenschaften zu haben scheinen wie die relativischen Verbzweitkonstruktionen in späteren Sprachstufen, bei denen die V-nach-CBewegung außer Frage steht, dafür, dass es sich tatsächlich auch bei den Tatianbelegen um die fragliche Konstruktion handelt. Man beachte etwa, dass in

210 Luthers Übersetzung jeweils relativische Verbzweitsätze verwendet werden, wie man aus den oben zitierten Beispielen entnehmen kann. Auch im spätahd. Physiologus sind relativische Verbzweitsätze belegt, wie die folgenden Beispiele illustrieren: (35)

a. ‹In› demo uuazzere Nilo ist einero slahta natera, diu heizzit idris un ist fient demo korcodrillo. (Ahd. Physiologus Z. 49) b. ‹In› demo mere sint uunderlihu uuihtir, diu heizzent VLUHQĊunde onocentauri. (Ahd. Physiologus Z. 55)

Im Mhd. ist die Beleglage wesentlich umfangreicher. Da die relativischen Verbzweitkonstruktionen auch innerhalb einzelner Texte in hoher Frequenz belegt sind, muss anders als bei der Diskussion der relativischen Verberstsätze nicht auf Belege aus der Sekundärliteratur zurückgegriffen werden. Das Material, worauf sich die folgende Diskussion stützt, stammt hauptsächlich aus vier Prosatexten, nämlich aus dem Wiener Physiologus, dem Lucidarius, dem Prosalancelot und aus Christine Ebners Schwesternbuch. In diesen Texten ist jeweils eine recht große Anzahl von Belegen enthalten. Auch in zahlreichen weiteren Prosatexten des mhd. Korpus finden sich jedoch sporadische Belege: (36)

a. Vor gotes gebvrte in der alten ê was ein wissage, der hiez Ysaias. (St. Pauler Predigten 14, 9) b. Datze rome was ein apgot bei heidenischer herscheft; der riet stvrm vnd vehten, wi si div lant dwingen solten, (St. Pauler Predigten 49, 7)

(37)

Galliênus der het einen friunt, der het daz getwanch sô vaste, daz er aller geswollen was (Bartholomäus 153, 5)

(38)

dat einre hande luden sind, die heizen ypocrite, (Lilie 8, 3)

(39)

a. KHWRXIWHHLQLVNĤQLJLVNLQWGD]KDWWHKHYRQJRWHLUEHWLQ. (Jenaer Martyrologium 11) b. YQࡃalǏo Ǐazte man Ǐente iulian& uf ein rat von Ǐcharfin iǏinen daz stunt uf zwen ǏĤOHQ. (Jenaer Martyrologium 13) c. ein kint wart da lebending daz wos ertrunkin. (Jenaer Martyrologium 19) d. GRTXDPHLQLU]Yࡈ ir der hiez didim (Jenaer Martyrologium 28)

211 (40)

a. ... vnde nam da eine witewen zu wibe. di was wip des kunigis ptolomei vnde hiz cleopatra (Mitteldeutsche Predigten 30) b. do ginc er in ein munster. do ein abgot inne was der hiz astaroth. (Mitteldeutsche Predigten 36)

(41)

a. Ez ist ein geistlîchiu kraft in dem menschen, diu gît allen lîplîchen krefte ir werke. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 265, 10) b. dâ stuont an von eineme herren, der was als erbarmeherzig, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 265, 26) c. sô kunt er zuo einen menschen, der lît an dem tôde, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 277, 34) d. Als ob ein frowe wêre, diu hête einen lieben sun, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 292, 3)

(42)

a. »her ist eines kunges sun, der sitzit ûf einer burg die niman gewinnen mag.« (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 24, 22) b. Dâ solde eines kunges sun hôchzît haben, der hiz Dyonîsius und Belata; (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 24, 24)

(43)

a. In der czit gynk Jhesus und sach eynen menschen der waz blynt geborn. (Berliner Evangelistar 37, 18; Joh 9, 1) b. Dô wart ime brâcht einer der hatte den tûfil (Evangelienbuch Beheim 29; Mt 12, 22)

Wie im letzten Abschnitt aufgezeigt, trifft man im Wiener Physiologus auf einige Fälle von relativischen Verberstkonstruktionen (mit und ohne unde). Daneben kommt jedoch auch die Verbzweitvariante mit initialem overten dPronomen vor: (44)

a. Ave ist ein tier, daz heizit Helphant. (Wiener Physiologus VIII, 1) b. Ein ander tier ist, daz heizzent die Chrieche Hinam. (Wiener Physiologus VI, 1) = (2)-a

Bei diesen Belegen ist deutlich, dass diese Art der Satzfügung – semantisch betrachtet – Nähe zur Hypotaxe aufweist. Zwar zeigt der zweite Satz Hauptsatzwortstellung (Verbzweit), wir können ihn jedoch kaum als selbständigen Satz interpretieren. Selbständige Sätze werden in der Regel nicht-restriktiv interpretiert. 12 Die folgende gwd. Sequenz wäre in den meisten Kontexten pragmatisch unakzeptabel: ____________________ 12

Aus diesem Grund wird zur Unterscheidung von restriktiven vs. appositiven Relativsätzen auch häufig der sog. Hauptsatztest angewandt.

212 (45)

# Aber es gibt ein Tier. Das heißt Elefant.

Der selbständige Satz Das heißt Elefant wird bevorzugt nichtrestriktiv gelesen. Durch das Indefinitum im ersten Satz wird in der Regel eine Einzigkeitsimplikatur hervorgerufen. Beides zusammen führt in diesem Fall zu pragmatischer Unvollständigkeit. 13 Akzeptabler ist das Gefüge, wenn der zweite Satz restriktiv interpretiert wird. Im Gwd. kann diese Lesart sowohl bei einem kanonischen Verbendrelativsatz als auch bei einem relativischen Verbzweitsatz 14 vorliegen: (46)

a. Aber es gibt ein Tier, das Elefant heißt b. Aber es gibt ein Tier, das heißt Elefant

Ich gehe davon aus, dass es sich bei den oben zitierten Belegen aus dem Physiologus um dieselbe Konstruktion handelt wie bei dem gwd. Beispiel in (46)-b. Das Gleiche gilt für die oben angeführten ahd. und mhd. Beispiele, deren Zwischenstatus (zwischen Hauptsatz und Relativsatz) ja bereits in der Literatur des 19. Jahrhunderts erkannt wurde. 15 Im Physiologus kann man deutlich einen distributionellen Unterschied zwischen relativischen Verberst- und Verbzweitsätzen auf der einen und Konstruktionen mit der Partikel der, da (in den folgenden Beispielen in Fettdruck) auf der anderen Seite erkennen: Während die ersteren beiden Konstruktionen bei einem indefiniten Bezugsnomen stehen, modifizieren letztere definite Bezugsnomina, (47). (47)

a. Same tete unser trehtin, der heilige Christ, der der heizzet Lewe von dem Davidis chunne. (Wiener Physiologus I, 4) b. „Inen slaferot nieht, noch er neslafet, der da behuotet Israhel.“ (Wiener Physiologus I, 6) c. Von den tieren, die der heizzent Sirenes et Onocentauri, so sprichit der vorsage Esayas unt chut: ... (Wiener Physiologus V, 1)

____________________ 13

14

15

Dies ist allerdings stark kontextabhängig. Wie ein anonymer Gutachter anmerkt, kann es nichtrestriktive Lesarten geben, die allerdings markiert sind, zum Beispiel in einem Kontext, in dem es um Tiergattungen geht, die nacheinander eingeführt werden: (i) Im Stall gibt es ein Tier. Das heißt Ziege. Und es gibt ein weiteres Tier. Das heißt Kuh. In der Sekundärliteratur wurde argumentiert, dass es sich bei relativischen Verbzweitsätzen streng genommen nur um eine scheinbar restriktive Lesart handelt. Auf dieses Problem wird weiter unten eingegangen. Manche der ahd. Beispiele sind allerdings ambig zwischen der restriktiven und nichtrestriktiven Lesart (s. auch unten die Diskussion zum Prosalancelot).

213 d. Man scol miden die lere, die der zalte ‹A›rrius unte ... (Wiener Physiologus XVII, 12)

Ich gehe davon aus, dass sich in Sätzen mit der Relativpartikel der/da das Verb in situ befindet und dass etwaige postfinite XPn ausgeklammert sind, auch wenn es sich um Prädikativa oder andere Ergänzungen handelt. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten, wo die Partikel stehen kann: Entweder es handelt sich um eine Relativpartikel im echten Sinn. Dann würde sie wie das bairische wo als Komplementierer in C0 basisgeneriert. Oder es handelt sich syntaktisch noch um ein reguläre AdvP, die im Mittelfeld basisgeneriert wird. In beiden Fällen ist ausgeschlossen, dass V-nach-C-Bewegung stattgefunden hat. Die Alternation zwischen relativischen Verbzweitkonstruktionen mit indefinitem Antezedens ohne Partikel und Verbendrelativsätzen mit definitem Antezedens und mit Partikel 16 findet sich nicht nur im Physiologus, sondern in zahlreichen weiteren Texten. Sie ist ein typisches Kennzeichen für die mhd. Prosa: (48)

a. Ditze buoch dihte ein meister der hiez Bartholomêus, (Bartholomäus 127, 11) b. dâ von chumt daz vieber daz dâ heizet terciana, (Bartholomäus 129, 13)

(49)

a. Da sprach einer der heiz kayphas. man sal in todin. (Salomons Haus 446)

____________________ 16

Die Relativpartikel der, dir bzw. dar, da (< ahd. thƗr, thar) wird im Mhd. hauptsächlich in Subjektrelativsätzen verwendet, in denen sich das finite Verb an der Oberfläche in Zweitstellung befindet (also: Rel.-Pron.Su.–Vfin–...), während sie in Objektrelativsätzen, in denen das finite Verb an dritter (Rel.-Pron.Obj.–Su.– Vfin–...) oder späterer Stelle auftritt in der Regel nicht eingesetzt wird: (i) „'D]KLPHOUvFKHLVWJOvFKHLPHVHQILVNRUQHGD]HLQPHQVFKHJHQĤPHQ hât und gesêwit in sînen ackir: ...“ (Evangelienbuch Beheim 33; Mt 13, 31) Diese Distribution lässt sich noch bei Luther nachvollziehen (Lühr 1985: 37f., Ebert et al. 1993: 445, § 264). Ähnliche Verhältnisse lagen im Ahd. vor (Tomanetz 1879). Tomanetz und Lühr kommen zu dem Schluss, dass die Partikel v.a. dann gebraucht wird, wenn die Verbstellung innerhalb des Relativsatzes den Status als Nebensatz nicht deutlich macht. Da das Relativpronomen homonym ist mit dem Demonstrativpronomen kann es sich bei der Wortkette ahd. ther/thiu/thaz–Vfin (bzw. frnhd. der/die/das–Vfin) sowohl um einen Haupt- als auch um einen relativen Nebensatz handeln. Durch den Gebrauch der Partikel wird angezeigt, dass es sich um einen Relativsatz handelt. – Zur ahd. Relativpartikel thƗr vgl. auch Diels (1906: 180ff.).

214 b. er det daz holz houwin an dem berge der da heizit libanus. (Salomons Haus 417) (50)

a. »herre, dô ist ein wandernde man, der wêre gerne her în, und ist gar ein êrlîch man gestalt.« (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 10, 22) b. Diz bewîsete her an eime heiligen bischove wol. der dô ein reine kûsch man was, (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 9, 31)

(51)

a. Do waz eyn mensche, der waz sych gewest achte und dryzik jar. (Berliner Evangelistar 24, 13; Joh 5, 5) b. Unde do luden sy abir vor sich den menschen der do blynt waz gewesyn (Berliner Evangelistar 38, 21; Joh 9, 24)

(52)

a. Und dô JvQJHQ ]Ĥ LPH YLOH VFKDUHQ GL hatten mit en stummen, lamen, blinden, cranken und andere vile (Evangelienbuch Beheim 38; Mt 15, 30) b. dô sach her zwêne brûdere, Sîmônem der da heizet Pêtrus und Andrêam sînen brûder, (Evangelienbuch Beheim 13; Mt 4, 18) c. Vatir unsir der da bist in den himelen. (Evangelienbuch Beheim 17; Mt 6, 9)

Nach Admoni (1990: 129) fungiert die Partikel „als zusätzliche Markierung der Relativpronomina“ (s. auch Prell 2001: 50f.). Im Evangelienbuch für Matthias Beheim ist ein weiterer syntaktischer Kontext bezeugt, in dem systematisch ein Relativsatz mit Partikel realisiert wird. Es handelt sich um Konstruktionen, in denen der Relativsatz im Skopus eines Operators in einer Vergleichskonstruktion steht: (53)

a. Daz rîche der himele ist glîch eime vorborgen schatze in dem ackere, den da vorbirget der mensche der en vindet, (Evangelienbuch Beheim 34; Mt 13, 44) b. Abir ist glîch daz rîche der himele eime menschen eime koufmanne der da sûchit gûte margarîten. (Evangelienbuch Beheim 34; Mt 13, 45)

In diesem syntaktischen Kontext kann auch im Gwd. kein relativischer Verbzweitsatz verwendet werden, und zwar auch dann nicht, wenn das Antezedens indefinit ist: (54)

a. Wer in dem Elend dieses Lebens keine Philosophie besitzt, gleicht einem Mann, der bloßen Kopfes in einem Platzregen spazierengeht. (Claude Tillier)

215 b. *Wer in dem Elend dieses Lebens keine Philosophie besitzt, gleicht einem Mann, der geht bloßen Kopfes in einem Platzregen spazieren.

Ein weiterer mhd. Text, in dem zahlreiche Verbzweitrelativsätze belegt sind, ist der Lucidarius (G). Auch in dem um 1300 entstandenen Lucidarius (A), in dem sehr viele relativische Verberstkonstruktionen enthalten sind (s. Abschnitt 4.2), ist sporadisch die Verbzweitvariante bezeugt: 17 (55)

a. da bi sint lute die hant nith houbetes, wen die ΎԳǣľ͑Ѹҡ͑ҡɗ͑͑ĀľфȍѸľٍ́͑ (Lucidarius (A) 12, 10) b. da bi sint lúte die heizent Armarspi oder Monoculi. (Lucidarius (A) 12, 5) (vs. Verberst: da bi sint lúte heizen Ciclopes. (Lucidarius (A) 12,7)

In den ältesten Bruchstücken dieses ältesten deutschen Volksbuchs, in den Göttinger Fragmenten, ist nur die Verbzweitvariante bezeugt: (56)

a. Indem pa-||rady‫ܖ‬ǕHǕSULQJLWHLQ| ... | brunne da rinnínt vz || vier wazzir. (Lucidarius (G) 185) b. ,QGHULǕWHLQZXUPGHUKHL]LWǕROLIYJD (Lucidarius (G) 313) c. Da bi iǏt ein inǏula div heizit Ǐardinia (Lucidarius (G) 311)

Während in den Göttinger Fragmenten (Lucidarius (G)) nur die Verbzweitvariante vorkommt, alternieren in der Berliner Handschrift (Lucidarius (A)) die Verberst- und Verbzweitkonstruktion wie die folgende Gegenüberstellung zeigt:

____________________ 17

Außerdem auch die kanonische Verbendvariante: (i) da bi sint wib die ze einem male funfzen kint ge winnent. (Lucidarius (A) 12, 4)

216 Dittrich (1940: 212–219) (Göttinger Fragmente)

Heidlauf (1915: 10, 11–18) (Leiths.: Berlin mgo 26)

'DU QDK OLW HLQ OƗt || (alli)r nahis daz heizit india daz lant heizit nah einíme wazzire daz ଢhei||(zit) indus daz Ǖpringit vzir einime berge der heizit FDFDǕus daz wazzir || (rin)nit ǕYQGHU andaz rote mere. IndD]ODQWLǕWPYOLFK zekominne ... In inGLD LǕW HLQ LQǕXOD div hei-||(zit ଢW aprobanes da rinnet daz mer vmbe da ligint inne zehin burge.

da nach lit ein lant aller nahest, daz heizet India. daz lant heizet nach enime wassere daz heizet Indus. daz springet uz eineme berge heizet &D࢛casus. daz wasser rinnet sunder in das Rote mer. indaz lanth ist mĤOLFK]HFĤPHQH in India ist ein ynsula heizet Taprobanes, dar unbe rinnet daz mer. da inne ligent zehin burge.

[Hervorhebungen von mir, K.A.-T.]

Schröder (1995: 35) geht davon aus, dass die Verbzweitkonstruktion in den Göttinger Fragmenten sprachlich älter ist. Im Lucidarius (G) gibt es eine systematische Alternation zwischen Relativsätzen und relativischen Verbzweitkonstruktionen: Wenn ein definites Antezedens vorliegt, dann wird der kanonische Verbendrelativsatz realisiert. Dass das finite Verb in diesem Fall in situ steht, kann man wiederum daran erkennen, dass eine Relativpartikel (da, der) ins Mittelfeld eingefügt wird: (57)

a. ǕRGD]ORFKGD]d(a) heizit || GUDFKHHQGHJHQLPLWǕREULFKHWGD]ZD]]LU (Lucidarius (G) 167) b. Nv || ǕDJHPLUYRQGH__PHWHLOHGD]GDKHL-||]LWDǕLD (Lucidarius (G) 181) c. nu Ǐage mir von deme drittin teile) || daz da heizit affrica. (Lucudarius (G) 269)

Ein weiterer Text, der zahlreiche relativische Verbzweitkonstruktionen enthält, ist der Prosalancelot. Wie im Physiologus und Lucidarius gibt es auch hier relativische Verbzweitkonstruktionen, die auf eine Existential/Präsentativkonstruktion im Hauptsatz folgen und restriktiv interpretiert werden: (58)

warn zwen konig by alten zyten, die waren gebrudere von vatter und von mutter (Lancelot 1, 1) = (2)-c

Auch bei diesem Beleg würde, soweit man das als gwd. Sprecher beurteilen kann, eine rein parataktische Lesart mit zwei aufeinander folgenden Hauptsätzen zu pragmatischer Unvollständigkeit führen.

217 Wie im Gwd. muss bei indefinitem Antezedens und putativ restriktiver Lesart kein relativischer Verbzweitsatz verwendet werden. Der kanonische Verbendrelativsatz ist ebenfalls belegt: (59)

Die history sagt uns fur war das ein konig was in Yrlant der ein gut man was, (Lancelot 20, 2)

In scharfem Gegensatz dazu stehen Konstruktionen des folgenden Typs: (60)

a. der im fast wol stunt uff synem schönen hare, das was kruselecht und liecht als ein golt. (Lancelot 91, 4) b. Da namen sie den ritter den die frauw gesprochen hett, der was des konig Bohortes magk gewesen (Lancelot 88, 11) c. was im ein groß wunde geschlagen, die blut fast sere. (Lancelot 83, 1)

Hier liegt jeweils keine restriktive Interpretation vor. In (60)-a wird auf das Haar des Subjekts Bezug genommen. Die restriktive Lesart kann man aufgrund des Weltwissens, dass jeder Mensch nur einen Haarschopf besitzt, ausschließen. In (60)-b geht ein restriktiver kanonischer Verbendrelativsatz voran. Schieb (1978a) bezeichnet die durch d-Pronomina ‚eingeleiteten’ Sätze als ‚Attributsätze’. Das ist jedoch fragwürdig, denn sowohl syntaktisch wie auch semantisch verhalten sich diese Konstruktionen wie Hauptsätze. Der einzige ‚Grund’, solche Konstruktionen als Nebensatzkonstruktionen einzuordnen, liegt offenbar darin, dass sie in der Ausgabe von Kluge durch Kommata abgetrennt sind. 18 Möglicherweise haben auch Konstruktionen wie die folgenden Schieb dazu veranlasst, einen sehr weiten Attributsatzbegriff anzunehmen: (61)

a. Da ergreiff er die kind beyde, die lagen in zweyn wiegen off eim seumer, und sprach, (Lancelot 17, 25) b. ‘Gott behut uch da vor’, sprach der ritter, der was genant Banin, ‘das ir uns dheyne hant gethan noch fúrbas enmúßent thun!’ (Lancelot 7, 31)

Auch hier ist vom Kontext klar, dass jeweils eine nichtrestriktive Lesart vorliegt: Im Satz vor (61)-a werden die beiden Kinder bereits in den Diskurs eingeführt (und begegent im die frauw mit yren zweyn kinden) und von mehr ____________________ 18

Ähnlich geht auch Ravetto (2006, 2007) in ihren Untersuchungen zum ‚falschen Relativsatz’ (‚false relative’) im Frnhd. vor. Aus diesem Grund sind ihre Ergebnisse teilweise unbrauchbar.

218 als diesen beiden Kindern ist nicht die Rede. In (61)-b ist der Ritter ebenfalls schon lange vorher in den Diskurs eingeführt und der Satz der was genannte Banin gibt nur eine Zusatzinformation. Problematisch an diesen Konstruktionen ist, dass der Satz, der das Antezedens enthält, nach dem d-PronomenVerbzweitsatz fortgeführt wird. Das heißt, man kann nicht einfach davon ausgehen, dass zwei Hauptsätze aufeinander folgen. Es ist möglich, dass es sich um parenthetische Konstruktionen handelt, die man im Gwd. wie folgt wiedergeben kann: (62)

a. Da ergiff er beide Kinder – die lagen (übrigens) in zwei Wiegen auf einem Lasttier – und sagte ... (Steinhoff (Hg.) 1995: 55, 10: „Da ergriff er die beiden Kinder, die in zwei Wiegen auf einem Lasttier lagen“) b. ‚Möge Gott Euch davor bewahren’, sagte der Ritter– der hieß (übrigens) Banin – ‚dass Ihr uns Verrat angetan habt oder noch antun werdet.’ (Steinhoff (Hg.) 1995: 29, 1: „»Möge Gott Euch davor bewahren«, sagte der Ritter, der Banin hieß, »daß Ihr uns Verrat angetan habt oder noch antun werdet.«“)

Bei nichtrestiktiver Lesart gibt es keinen ‚Mismatch’ zwischen Syntax und Semantik. Der fragliche Satz kann auf beiden Ebenen einfach als Hauptsatz analysiert werden. Diese Fälle sind daher für das in der vorliegenden Arbeit behandelte Thema nicht relevant. Dasselbe Phänomen tritt natürlich auch in manchen ahd. und in weiteren mhd. Texten auf. Eindeutig nichtrestriktive Fälle wurden daher nicht in die Diskussion mitaufgenommen. Im Lancelot sind eine ganze Reihe von Beispielen wie in (63) belegt, die im Gwd. entweder durch einen relativischen oder einen selbständigen Verbzweitsatz wiedergegeben werden können. Wie unten ausführlicher gezeigt werden wird, unterscheiden sich die beiden Konstruktionsweisen im Gwd. prosodisch: Im ersteren Fall liegt am Ende des ersten Satzes ein hoher Grenzton (/) vor, (64)-a, im zweiten Fall ein finaler Grenzton (\), (64)-b. (63)

Er saß off ein starck roß und was wol gewapent und hett ein glene in syner hant, die was kurcz und groß, ... (Lancelot 65, 22)

(64)

a. Er saß auf einem starken Ross und war gut bewaffnet und hatte eine Lanze in seiner Hand, (/) die war kurz und schwer, ... b. Er saß auf einem starken Ross und war gut bewaffnet und hatte eine Lanze in seiner Hand (\). Die war kurz und schwer, ...

In diesem Fall ist auch eine rein ‚parataktische Lesart’ (64)-b, möglich, da eine separate Interpretation des ersten Satzes nicht zu pragmatischer Unvollständigkeit führt. Ich gehe trotzdem davon aus, dass solche Beispiele in der Schriftsprache (also ohne prosodische Evidenz) im Mhd. grundsätzlich ambig

219 waren und auch eine Lesart als relativische Verbzweitkonstruktion zuließen, denn es gibt ja, wie oben gezeigt, unambige Evidenz für die Existenz letzterer Konstruktion in Form von Beispielen, bei denen die ‚parataktische’ Lesart aufgrund pragmatischer Unvollständigkeit ausgeschlossen werden kann. Als grundsätzlich ambig zwischen der rein ‚parataktischen’ und der ‚relativischen’ Lesart würde ich außer (63) zum Beispiel auch die folgenden Belege einstufen: (65)

a. das der konig Bohort vertreib eynen ritter uß sym lande, der hett ein andern ritter zu tod erschlagen, wann er hielt das strengst gericht .... (Lancelot 17, 12) b. Sie was off ein rivier geseczt, die was geheißen die Loire, und die burg hieß Aranirs. (Lancelot 78, 10) c. wann sie was by alten zyten gewest eins princen der was genant Carrock (Lancelot 28, 20) d. und begegent im ein man zu fuß, der leite ein pfert an syner hant, das sere múde was (Lancelot 36, 28)

Für das Gwd. wurde ein Beispieltyp mit Verbend- bzw. Verbzweitstellung diskutiert, der dem Lancelotbeleg in (63)-d sehr ähnlich ist: (66)

a. Ich traf einen Bauern, bei dem ich mich nach dem Weg erkundigte. (Brandt 1990: 42 Bsp. 35, mit Rückgriff auf Jung 1971: 81) b. Ich traf einen Bauern, bei dem erkundigte ich mich nach dem Weg. (Brandt 1990: 49, Bsp. 80)

Brandt (1990: 40) verwendet in ihrer Beschreibung der Relativsatztypen im Gwd. sowohl die Unterscheidung ‚restriktiv/nichtrestriktiv’ als auch die Unterscheidung ‚einschränkend/nichteinschränkend’. Sie vertritt die Auffassung, dass in (66)-a ein restriktiver Relativsatz vorliege, der aber semantisch nicht einschränkend sei, insofern die Extension des Begriffs der Bezugsgröße nicht eingeschränkt werde. Holler (2005: 16f.) wendet ein, dass die Sichtweise, dass es restriktive Relativsätze gebe, die semantisch nichteinschränkend sind, die semantische Natur des Konzepts der Restriktivität nivelliere. Die vermeintlich nichteinschränkende Lesart solcher Relativsätze mit indefinitem Bezugsnomen wie in (66)-a sei gerade die nichtrestriktive Lesart und der Satz sei schlichtweg ambig. Die nichtrestriktive Lesart werde offensichtlich, wenn man den von Brandt selbst propagierten Hauptsatztest anwende: (67)

Ich traf einen Bauern. Bei dem erkundige ich mich nach dem Weg.

220 Sog. weiterführende Verbendrelativsätze wie in (66)-a sind auch im Frnhd. und Nhd. belegt, wie die folgenden Beispiele aus Behaghel (1928: 772) zeigen: (68)

a. da stuonden edel knappen vor, die in nach sime rehte enpfiengen wünnecliche (Wig. 22, 21; zit. nach Behaghel 1928: 772) b. Burkard verfertigte manches Dutzend gelehrter lateinischer Verse, mit denen jedoch die Nachwelt verschont geblieben ist (Eckehart 438; zit. nach Behaghel 1928: 772)

Holler geht nicht auf die relativische Verbzweitkonstruktion wie in (66)-b ein. Meiner Einschätzung nach sind hier ebenfalls beide Interpretationen möglich. Anders als bei der ambigen Konstruktion mit einem Verbendrelativsatz liegt jedoch bei nichtrestriktiver Lesart ein normaler Hauptsatz vor. Das heißt, Beispiel (66)-b in nichtrestriktiver Lesart ist identisch mit (67). Diese Lesart habe ich oben als ‚parataktische’ Lesart bezeichnet. Gärtner (2001: 98) definiert die gwd. relativische Verbzweitkonstruktion über die Intonation. Er spricht von der ‚integrated verb-second construction’ (IV2), die dadurch gekennzeichnet sei, dass ihr keine finalen Grenzmarkierungen vorangehen können. Stattdessen müsse der IV2-Satz prosodisch in den Matrixsatz integriert werden, (69). (/) könne durch einen hohen Grenzton, ‚continuation rise’ oder durch ähnliche Mittel zur Markierung nichtfinaler Grenzen realisiert werden. (69)

a. Das Blatt hat eine Seite, (/) die ist ganz schwarz b. Bei den Büchern sind welche, (/) die gehören mir nicht (adaptiert aus Gärtner 2001: 98, Bsp. 1a, 2a)

In schriftlich fixierter Sprache hat man, wenn überhaupt, nur höchst indirekten Zugang zu prosodischer Information. Man kann also die prosodische Integriertheit nicht als Kriterium heranziehen. Wie jedoch Gärtner (2001) ausführt, korreliert mit der prosodischen Integriertheit die restriktive Interpretation. Letztere soll uns als Kriterium dienen, um die relativische Verbzweitkonstruktion von der nichtrestriktiven Hauptsatzkonstruktion abzugrenzen. Die einschlägigen Beispiele im älteren Deutsch stimmen in allen anderen überprüfbaren grammatischen Eigenschaften mit der von Gärtner fürs Gwd. definierten ‚integrierten Verbzweitkonstruktion’ überein, sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie sich auch prosodisch gleich verhalten haben. Man kann also drei Klassen von Belegen unterscheiden: (i) die hier nicht relevante nichtrestriktive Hauptsatzkonstruktion, (ii) die restriktive relativische Verbzweitkonstruktion und (iii) die Verbzweitkonstruktion, die sowohl

221 die restriktive ‚relativische Verbzweit-’ als auch die ‚normale‘ rein parataktische Lesart 19 zulässt. Wie lassen sich nun die drei Klassen auseinander halten? Für uns sind nur Belege von Belang, welche die restriktive Lesart zulassen (also ii oder iii). Die Lesart ergibt sich natürlich jeweils aus dem Kontext, wie oben für die Beispiele in (61) illustriert, doch es gibt eine Reihe von grammatischen bzw. lexikalischen Indikatoren (vgl. Brandt 1990: 39ff.): Wenn als Bezugsnomen bzw. Antezedens ein deiktisches Pronomen, ein Eigenname, ein Unikum, ein Pronomen der 1. oder 2. Person vorliegen oder die Determinierer dieser, jener (als Artikel oder Pronomen) auftreten, ist die restriktive Lesart ausgeschlossen. Diese Generalisierung ist nicht ohne Ausnahme. Zum Beispiel führen Gärtner & Endriss (2005: Bsp. 27) folgenden Beleg an, der trotz einem definiten Antezedens restriktiv interpretiert wird: (70)

Im Sommer gab es plötzlich diesen Moment (/), da klappte einfach alles (Gärtner & Endriss 2005: 203, Bsp. 27)

Wenn in einer Bezugs-NP die Determinierer und Pronomina derjenig-, kein-, wer/was, jed-, niemand, jemand vorhanden sind, ist der nachfolgende Satz restriktiv (Brandt ibid.) . Auf die Determinierer und Pronomina 0, der, ein-, einig-, manch-, solch-, viel-, all-, auf Kardinalia, Ordinalia und Possessiva können grundsätzlich ambige Relativsätze folgen, wobei es vom Weltwissen, Kontext usw. abhängt, ob tatsächlich Ambiguität vorliegt. Bei Beleg (60)-a etwa tritt zwar ein Possessivum auf, die restriktive Lesart ist aber, wie oben argumentiert, durch das Weltwissen ausgeschlossen. In dem spätmhd. Text von Christine Ebner findet sich eine große Anzahl von Belegen aus allen drei Klassen. Es ist jedoch nicht immer einfach zu entscheiden, in welche Klasse ein Beleg fällt. Bei den Belegen in (71) mit prädikativer Bezugs-NP ist wohl tatsächlich nur die restriktive Lesart möglich, weil jeweils nicht die Lesart intendiert sein kann, dass es im Kloster Engelthal nur eine Schwester gab usw. Auch bei den Belegen in (72) hängt es vom Welt- und Kontextwissen ab, ob eine Einzigkeitsimplikatur zu einer pragmatisch akzeptablen Interpretation führen würde. In die Beurteilung von (72)-a fließt das Wissen mit ein, ob sich in den Burgen in der Regel mehrere ‚Edelmänner’ aufhielten. Ähnliches ließe sich bei (72)-b und -c problematisieren. ____________________ 19

Nach Gärtner (2001) hat auch die relativische Verbzweitkonstruktion eine parataktische Syntax (s.u.). Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die Interpretation (und Prosodie) von der normaler Hauptsatzsequenzen (also von ‚reiner‘ Parataxe) unterscheidet.

222 (71)

a. Ez waz ein fraw, die hiez Alheit von Herspruk, (Christine Ebner 15, 26) b. Ez waz ein prediger der waz einer frawen gar getrew. (Christine Ebner 13, 17) c. Ez waz ein kint in einem dorf ze Entenberg, daz sagt vil kunftiger ding, (Christine Ebner 20, 3) = (2)-d d. In den selben ziten do waz ein dinstman, der waz ein teutscher herre und hiez her Conrat von Lauffenholtz (Christine Ebner 4, 30)

(72)

a. Ez saz ein edel man ze Schonberg auf der burge, der ward als siech daz im niemant daz leben gehiez. (Christine Ebner 4, 3) b. Ez saz ein reicher pfaff ze Vilseck, der hiez Ulschalk, der waz manig jar ein grozer offener sunder gewest, (Christine Ebner 3, 24) c. Sie het ein swester, die hiez Kungund, (Christine Ebner 9, 4)

Bei folgenden Belegen ist meines Erachtens die parataktische Lesart neben der ambigen zweifellos möglich: 20 (73)

a. Da gab er ir ein rotterin auf den wek, die hiez Alheit: (Christine Ebner 1, 17) b. Sie enpfingen einen bruder, der hiez bruder Herman (Christine Ebner 2, 32) c. Wanne ez waz vor einem peurlin getraumet, ez stüende ein pachoven an der selben stat, da stund ein herre vor, der het ein kotzen an und speist allez lant da von. (Christine Ebner 3, 33) d. da sah sie auf den indersten esten zwen vogel, die waren als grozz als die welischen tauben und heten auch ir gestalt, (Christine Ebner 16, 36)

Unambige nichtrestriktive Verbzweitsätze, die unserer Argumentation zufolge Hauptsätze sind, finden sich auch zahlreich. Ein Beispiel wäre der Satz der waz manig jar ein grozer offener sunder gewest, der sich an die restriktive relativische Verbzweitkonstruktion in (72)-b anschließt. Ein paralleler Fall liegt in (74)-a (die ging úber ein cleyn bach) vor. In (74)-b ist das Antezedens ein Eigenname:

____________________ 20

Das gilt teilweise auch für die oben zitierten ahd. und mhd. Belege. Einige von ihnen sind ambig und lassen auch eine ‚parataktische’ Lesart zu.

223 (74)

a. Da reyt der konig uber eyn cleyn brúcken, die von hurden was gemacht, die ging uber ein cleyn bach, (Lancelot 6, 2) b. Ein swester hiez Peters von Birkensee, die waz lang priolin gewesen und het groz arbeit in der gehorsam gehabet. (Christine Ebner 31, 35)

Betrachtet man die Hauptsätze der ‚echten’ relativischen Verbzweitkonstruktion, dann fällt auf, dass diese häufig eine präsentative Funktion haben. Mit Firbas (1975) kann man auch von dem Phänomen des ‚existence/appearance on the scene’ sprechen. Typische Verben sind intransitive Existenz- oder Erscheinungsverben wie sein, kommen, erscheinen, sich zeigen, eintreffen oder ein transitives Erscheinungsverb, „zu dessen Bedeutung die Existenz oder Erscheinung des Objekts als Teilkomponente gehört, z.B. haben, sehen, finden, treffen, kennen, entdecken“ (Brandt 1990: 43). Auch in frnhd. Zeit sind relativische Verbzweitkonstruktionen in bestimmten Textsorten häufig belegt (vgl. auch Ravetto 2006, 2007): Der Typus mit Zweitstellung findet sich häufiger im Dialog, in Predigten und in Chroniken, dagegen kaum in der Kanzlei- und Geschäftssprache. (Ebert et al. 1993: 445)

4.4

Relativische asyndetische Verbendsätze

Neben den asyndetischen Verberstrelativsätzen sind seit ahd. Zeit auch uneingeleitete relativische Verbendsätze überliefert: (75)

a. Enti aer ant uurta demo DEM-DAT.SG und er antwortete ‚und er antwortete dem, der zu ihm sprach’ at ipse respondens dicenti sibi ait : (Monseer Fragmente VII, 24; Mt 12, 48) b. enti quad za dem dar · DEM-DAT.PL dort und sprach zu ‚und er sprach zu denen, die dort waren’ et ait his qui erant ibi : (Monseer Fragmente 23, 10; Mt 26, 71) c. Inti quad thendar umbi und sagte DEM.DAT.PL-REL.PART herum ‚und er sagte zu denen, die dabeistanden’ & ait circum stantibus (Tatian 301, 7)

zaimo sprah zu.ihm sprach

uuarun waren

stuontun: standen

224 Für diese Belege ist charakteristisch, dass sie ein Demonstrativpronomen enthalten. Man kann an Beispielen wie (75)-c leicht erkennen, dass es sich um eine native Konstruktion handelt, denn die (rekonstruierte) lateinische Vorlage ist hier anders gestaltet: Sie weist zwei Pronomina auf, das Demonstrativpronomen his und das Relativpronomen qui. Die deutsche Konstruktion ist in der Literatur auf zwei Weisen analysiert worden: Zum einen wurde argumentiert (z.B. Erdmann 1874, Bd. I: 128f., Leirbukt 1971, Janko 2002: 69), dass das Demonstrativum kein Relativpronomen sei, sondern ein korrelatives Pronomen, das dem Hauptsatz angehört. Der Vorteil dieser Analyse liegt darin, dass sich dadurch einfach erklären lässt, warum die Demonstrativpronomina in dieser Konstruktion den Kasus tragen, der vom Matrixverb regiert wird. Der Relativsatz wäre in diesem Fall ein asyndetischer Satz. Zum anderen wurde behauptet, dass die Kasuseigenschaften kein sicheres Kriterium darstellen (Helgander 1971: 136–181, Lenerz 1984: 63–68, 100116, Pittner 1995). Lenerz (1984) argumentiert, die Tatsache, dass in anderen syntaktischen Kontexten keine asyndetischen Relativsätze (bzw. in generativer Terminologie: Null-Relativsätze) belegt sind, spreche dagegen, dass das Pronomen ein korrelatives Pronomen sei. Die Kasuszuweisung (bzw. ‚Kasusattraktion’) ist nach Harbert (1992, vgl. in Folge auch Pittner 1995) das Ergebnis einer Strategie im Falle konfligierender Kasusforderungen. Die Strategie, die dann verfolgt wird, operiert auf der Kasus- bzw. Obliqueheitshierarchie (Nominativ > Akkusativ > Dativ > Genitiv usw.), wobei im Konfliktfall der Kasus gewählt wird, der in der Hierarchie höher liegt. In diesem Modell sind also Belege wie in (75) keine asyndetischen Sätze. Es muss hier nicht entschieden werden, welche Theorie die adäquatere ist. Entscheidend für unsere Argumentation sind nur Beispiele, bei denen außer Frage steht, dass ein asyndetischer Relativsatz vorliegt. Erdmann (1874, Bd. I: 125, s. auch Naumann 1915: 40) behauptet, dass es sich bei folgenden Otfridbelegen, deren relativer Kopf ein Personalpronomen der ersten und zweiten Person ist, um asyndetische Relativsätze handelt: (76)

a. thaz bin íh giloubi mír · ih hiar spríchu mit thír . das bin ich glaube mir ich hier spreche-1.SG mit dir ‚das bin ich selber, glaube mir, der ich hier mit dir spreche’ (Otfrid II 14, 80) b. Heil thu quádun sie [ғSࡃF · thu thérero liuto kúning Heil du sagten sie Christus du derer Leute König bist-2.SG bist ‚heil du, sagten sie, Christus, der du der König des Volkes bist’ (Otfrid IV 22, 27)

225 Problematisch ist, dass man bei diesen Belegen nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es sich überhaupt um Relativsätze handelt, denn bei Otfrid steht das Finitum aufgrund des Endreims auch in Hauptsätzen manchmal in Endstellung, sodass man die Belege auch als nichtkomplexe Hauptsatzkonstruktionen auffassen könnte (gwd. ‚ich spreche hier mit dir’; ‚du bist der König des Volkes’). Allerdings spricht für Erdmanns Auffassung, dass auch in andern Quellen, in denen die Verbstellung nicht durch extragrammatische Faktoren beeinflusst ist, die parallele Konstruktion belegt ist, (77)-a. Sie ist selbst noch in mhd. Zeit weit verbreitet (Paul 252007: 367), (77)-b. (77)

a. Fater unsir du/ in himile bist. (Notker, Psalter Y; zit. nach Tomanetz 1879: 4) b. nû gêt zv‫ ޡ‬ir iuncvфΎԳՓľn, ir dâ nie mit girde gekusten ‚die ihr niemals mit Begehren geküsst habt‘ (Trudp HL 11, 5f.; zit. nach Paul 252007: 367)

Doch auch wenn man annimmt, dass es sich bei den Otfridbelegen in der Tat um Relativsatzkonstruktionen handelt, ist die Analyse, dass es sich dabei (und bei den mhd. Belegen) um den asyndetischen Typ handelt, nicht die einzig mögliche. 21 Das Personalpronomen könnte sich auch in der SpecCPosition des Relativsatzes befinden, (78), deren Kopf entweder leer ist bzw. einen Nullkomplementierer enthält, oder, wie in (79), in manchen ahd. Denkmälern durch eine Relativpartikel besetzt werden kann. Dafür würde das von Erdmann selbst in einigen anderen Kontexten angeführte Argument sprechen, dass das Personalpronomen und der Relativsatz nie durch die Zäsur getrennt werden. (78)

[CP thui [C Ø ] [ ti thérero liuto kúning bist ]]

(79)

a. uue iu scriberin Inti pharisei ʜ lichezera, irde weh euch Schreibern und Pharisäer Heuchler ihr-REL.PART dezemot ʜ minzun Inti dilli ʜ ... verzehnt Minze und Dill ‚weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr verzehnt die Minze und Dill’ Vae uobis scribe & pharisei ʜ hypochritæ qui decimatis ʜ mentam & an&um (Tatian 245, 10) b. [CP iri [C de] [ ... ti … ]]

Auch bei Belegen, bei denen der relative Kopf ein Personalpronomen ist, ist somit nach derzeitigem Forschungsstand nicht klar, ob der Relativsatz tat____________________ 21

Das Personalpronomen stünde dann im Kopf einer DP, in welche ein asyndetischer Relativsatz eingebettet ist (Helmut Weiß, mündliche Mitteilung)

226 sächlich asyndetisch angeschlossen ist. Aus sprachübergreifender Sicht spricht gegen die Asyndese-Hypothese, dass zumindest in den germanischen und romanischen Sprachen und laut de Vries (2002: 226) möglicherweise in jeder Sprache appositive Relativsätze durch ein overtes Relativum eingeleitet werden müssen. Es sind jedoch, anders als von Lenerz (1984) behauptet, in der Tat Beispielklassen belegt, bei denen es außer Frage steht, dass sie jeweils einen asyndetischen Relativsatz beinhalten. Wenn kein Demonstrativum, sondern etwa eine volle Nominalphrase auftritt, ist es eindeutig, dass der Relativsatz uneingeleitet ist. Solche Belege sind in der Übersetzungsprosa selten, vgl. jedoch (80) aus dem Tatian. Bei Otfrid finden sich jedoch eine ganze Reihe von Beispielen, (81). (80)

... fundun man cireneum ʜ quementan fon thorf ʜ in namen fanden Menschen Cireneum kommend von Dorf in Namen simon hiez ʜ Simon hieß ‚sie fanden einen vom Dorf kommenden Menschen, aus Kyrene, der mit Namen Simon hieß’ Inuenerunt hominem cireneum ʜ uenientem de uilla nomine simon (Tatian 313, 2)

(81)

a. EĎlu thisu rédina · uuir híar nu scribun óbana alle diese Rede wir hier nun schrieben oben ‚dieser Vorfall, von dem wir hier nun oben geschrieben haben’ (Otfrid II 4, 103) b. mit themo brúnnen thu nu quíst · mit dem Brunnen du nun sprichst ‚mit dem Brunnen, von dem du nun sprichst’ (Otfrid II 14, 44) c. in dróume sie in zélitun · then uueg sie fáran in Traum sie ihnen erzählten den Weg sie fahren scoltun sollten ‚im Traum nannten sie ihnen den Weg, den sie nehmen sollten’ (Otfrid I 17, 74)

In den zitierten Beispielen steht das finite Verb immer in absoluter Endposition. In fast allen Belegen geht mehr als eine Konstituente voran, sodass man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen kann, dass sich das Verb in situ befindet. In (81)-c liegt sogar eine periphrastische Verbform vor mit der Abfolge Infinitum vor Finitum. Allerdings kann man, wie mehrfach erwähnt, bei Otfrid nicht ausschließen, dass der Endreim die Verbendstellung hervorgerufen hat. Doch selbst im Mhd. und sogar noch im Frnhd. sind sporadisch entsprechende Beispiele überliefert. Die Belege beschränken sich nicht nur auf

227 den umstrittenen ‚Kasusattraktionstyp’ mit d-Pronomen wie in den ahd. Beispielen in (75), sondern umfassen auch den Typ mit einem vollem DPAntezedens wie in den ahd. Belegen in (80) und (81). Es muss jedoch eingeräumt werden, dass die Belege schon im Mhd. sehr selten sind. In den hier herangezogenen mhd. Prosatexten habe ich lediglich im Prosalancelot und im Prosateil der Lilie einen Beleg gefunden: (82)

a. die trúwe, ich uch schuldig bin (Lancelot 105, 34) b. Die bladere umbe den stammen steint, beceichent die wort die der gerechte man sprichet, (Lilie 7, 29)

In der Sekundärliteratur werden jedoch weitere Belege aus der Dichtung diskutiert, die bis in die frnhd. Zeit reichen: 22 (83)

a. daz in saehe die er in herzen truoc (Nibel.) = (3)-b b. der grôzen sûl, dâ zwischen stuont (Pz. 589, 23; zit. nach Erdmann 1886: 51) c. vor der schoene erschrâken die, zuo der tavelrunde sâzen (Er. 1736; zit. nach Erdmann 1886: 51) d. daz ich iu gedanket hân des, ir mir guotes hânt getân (Iw. 1747; zit. nach Erdmann 1886: 51) e. danck im auch von meinet wegen seines manchfeltigin grues, er mir hat durch dich enpietten lassen (Michel Behaim 122; zit. nach Ebert et al. 1993: 444) f. den ersten fisch du fehist, den nym (Luther, Freiheit 36; zit. nach Ebert et al. 1993: 444)

Gärtner (1981: 157) ist der Auffassung, dass zumindest der umstrittene Typ mit Demonstrativum und Kasusattraktion im Mhd. noch „ganz gewöhnlich“ ist. Allerdings zeigten die Varianten der Schreiber, dass „diese Konstruktionen in den jüngeren Handschriften nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert werden“ (ibid.). Er verweist auf ein Beispiel aus Hartmanns Iwein (ed. Lachmann/Wolff), bei dem der Schreiber von D nach nhd. Gesichtspunkten korrigiere: (84)

der bewíst in des (dez daz D, daz acprz) er suochte. (Iwein V. 988; zit. nach Gärtner 2001: 157)

____________________ 22

Vgl. auch Dal (31966: 198), die feststellt: „Gelegentlich findet sich der ältere Typ aber bis in die nhd. Zeit hinein“.

228 Im Allgemeinen wird in der Literatur betont, dass solche asyndetischen Relativsätze im Mhd. selten sind. Sie werden in der Regel in einen diachronen Zusammenhang mit den ahd. Beispielen gebracht. Erdmann (1886: 51) und Neckel (1900: 26) sprechen von ‚Resten’ des ahd. Gebrauchs. Dass die Auslassung des ‚Relativs’ auch im Mhd. grundsätzlich noch möglich war, nehmen auch Steinthal (1860: 173f.) und Benecke, Müller & Zarncke (1854, Bd. I: 319) an, wohingegen in der Mittelhochdeutschen Grammatik betont wird, dass es den uneingeleiteten Relativsatz „als Typ innerhalb des Mhd.“ nicht mehr gebe (Paul 252007: 407). Was die frnhd. Periode angeht, so kommen Ebert et al. (1993: 444) zu dem Schluss, dass der Typ im 14.–16. Jahrhundert vereinzelt auftrete und danach untergegangen sei. Eine weitere Belegklasse, bei der außer Frage steht, dass ein asyndetischer Relativsatz vorliegt, sind die folgenden interrogativischen Spaltsatzkonstruktionen (Erdmann 1874, Bd. I: 126f.): (85)

a. uuér ist thes hiar thénke · wer ist dessen hier denke ‚Wer ist es/derjenige, der hier daran denkt?’ (Otfrid III 16, 30) b. uuaz úngifuaro thinaz íst · so úngimacho ríuzist bitterlich beweinst was Unglück-GEN.PL deines ist so ‚was unter allem Unglück ist das deinige, das du so sehr beweinst? (Übersetzung Erdmann 1874, Bd. I: 126) (Otfrid V 7, 20)

Hier gibt es kein overtes Material, das als Relativpronomen in Frage käme. Es liegt in (85)-a zumindest overt noch nicht einmal ein Antezedens vor. Im Gwd. muss ein relativsatzexternes Antezedens (ein relativer Kopf) in Form eines prädikativen Pronomens realisiert werden: ‚Wer ist es/derjenige, der hier daran denkt?’. Zusammenfassend kann man festhalten, dass es im Ahd. und, wenn auch möglicherweise residual, in späteren Sprachstufen unambige Evidenz für den uneingeleiteten Verbendrelativsatz gab. Dies ist ein Gegenbeispiel für die Generalisierung, dass die Finitumvoranstellung und der Komplementierer (bzw. nebensatzeinleitende Relativ-/ Interrogativphrasen) komplementär verteilt sind, es sei denn man nimmt an, dass diese Sätze durch einen Nullkomplementierer in C eingeleitet wurden. Betrachtet man die Hauptsätze der unambig uneingeleiteten Verbendrelativsätze, fällt auf, dass auch bei dem unzweifelhaften Fall mit einer vollen NP als Antezedens häufig Demonstrativa oder Definita belegt sind, z.B. (81)-a,b, wobei es zu beachten gilt, dass im Ahd. der definite Artikel noch nicht (voll) entwickelt war (Demske 2001).

229 Darüber hinaus trifft man bei Otfrid auch eine ganze Reihe von Beispielen an, bei denen ein negatives Indefinitum als Antezedens fungiert, und zwar insbesondere in Spaltsatzkonstruktionen: (86)

a. Nist mán nihein in uuórolti · thaz sáman al NEG.ist Mensch keiner in Welt das-AKK zusammen alles irságeti sagte-KONJ ‚es gibt niemanden auf dieser Welt, der das alles erzählen könnte’ (Otfrid I 17, 1) b. Nist mán thoh er uuólle · thaz JXPLVJӏ NEG.ist Mensch obwohl er wolle die Menschheit gizélle . al 23 ganz zähle ‚es ist niemand, der, wenn er auch wollte, alle die berühmten Helden namhaft machen könnte’ (Übersetzung Kelle 1881: 255) (Otfrid I 3, 21) c. Níst uúiht suntar uuérde · in thiu ɬ‫ ׀‬gót uuolle NEG.ist etwas abgesondert werde in dem es Gott wolle ‚nichts ist, das abweichend geschehen könnte, wenn Gott es will’ (Übersetzung nach Erdmann 1874, Bd. I: 127) (Otfrid I 5, 63)

Als Hauptsätze kommen nicht nur Deklarativ-, sondern auch Interrogativsätze vor (s. auch (85)): (87)

ist íaman hiar in lánte · es íuuauuiht thoh firstánte . ist jemand hier in Lande es-GEN etwas doch verstehe ‚ist jemand hier im Lande, der davon doch etwas versteht?‘ (Otfrid I 17, 24)

Die Lücke im Relativsatz ist häufig das Objekt, kann aber auch das Subjekt sein, (88) (vgl. auch (86)). Der relative Kopf und die Lücke im Relativsatz müssen in Bezug auf die syntaktische Funktion/Kasus nicht übereinstimmen. 24 ____________________ 23 24

Kleiber (Hg.) (2004, Bd. I, 2: 176) : al übergeschrieben. Die beiden Belege in (88) werden auch bei Erdmann (1874, Bd. I: 127) als asyndetische Relativsätze angeführt. Der folgende Beleg ist umstritten. Zwar steht in der Ausgabe von Erdmann & Wolff (Hg.) (61973: 221) das Relativpronomen thaz, in der Neuedition von Kleiber (Hg.) (2004) jedoch das lokale Adverb WKƗU und keine Relativum: (i) ioh si slíumo thar irgáb · thaz dréso thar in íru lag und sie sofort dort hergab den Schatz dort in ihr lag ‚sie sie gab sofort den Schatz heraus, der in ihr (= auf ihrem Schoß) lag’ (Otfrid V 4, 24)

230 (88)

a. Thiz uuíb ouh thaz hiar sítota · si iz al dieses Weib auch das-AKK hier verrichtete sie es alles irsúachit habeta durchsucht hatte ‚diese Frau auch, die das hier verrichtete, sie hatte es alles durchsucht’ (Otfrid V 7, 11) b. Thie fúriston thiz gisáhun · es hárto hinarquámuN die Fürsten dies-AKK sahen es-GEN sehr erschraken ‚die Obersten, die dies sahen, erschraken sehr darüber’ (Otfrid IV 4, 71) b. gesehen den jâmer, unz an dise vrist an manegem ie geschehen ist. (Iw. 6347; zit. nach Erdmann 1886: 51)

In der Regel sind der relative Kopf und der asyndetische Relativsatz oberflächenadjazent (s. Erdmann 1874, Bd. I: 127), es gibt aber auch sporadische Gegenbeispiele, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass dies eine notwendige Bedingung für die Konstruktion ist: (89)

thaz sélba sie imo ság&un · sie híar bifóra zelitun das selbe sie ihm sagten sie hier bevor erzählten ‚sie sagten ihm dasselbe, was sie vorher erzählt hatten’ (Übersetzung Erdmann 1874, Bd. I: 127) (Otfrid IV 16, 46)

Asyndetische Verbendsätze sind nicht auf das Nachfeld beschränkt. Sie kommen zum Beispiel auch adjazent zu einer topikalisierten Konstituente im Vorfeld oder einer linksherausgestellten Konstituente im Vorvorfeld vor, (82)-b, (83)-f. Weiterhin kann man beobachten, dass alle asyndetischen Relativsätze restriktiv sind.

4.5

Analysen

4.5.1 Asyndetische Verbendrelativsätze Für die asyndetischen Verbendrelativsätze liegt die Analyse nahe, dass diese von einem leeren relativen Komplementierer eingeleitet werden. Ich übernehme diese Analyse sowohl für die ahd. Daten als auch für die jüngeren (einschließlich der frnhd.), auch wenn in jüngeren Sprachstufen das Phänomen nur noch residual vorkommt. (90)

a. [ CP OPi [C Ø ] sie ti faran scoltun ]

231 b. in droume sie in zelitun then uueg sie faran scoltun (Otfrid I 17, 24) = (81)-c (91)

a. [ CP OPi [C Ø ] du ti fehist] b. den ersten fisch du fehist, den nym (Luther) = (83)-f

Wie im letzten Abschnitt erwähnt, kann auch eine Subjektlücke vorliegen. Zumindest für das Ahd. sind entsprechende Daten belegt: (92)

a. [ CP OPi [C Ø ] ti thaz hiar sitota ] b. Thiz uuib ouh thaz hiar sitota (Otfrid V 7, 11) = (88)-a

Man mag einwenden, dass solche Daten gegen die Nullrelativ-Analyse sprechen. Downing (1978) zufolge gilt die typologische Generalisierung (= D4), dass die Nullrelativstrategie ungrammatisch ist, wenn die Lücke das Subjekt ist. Wie de Vries (2002: 37) ausführt, trifft das für einige germanische Sprachen zu, kann aber auf keinen Fall generalisiert werden. Es gebe sogar Sprachen, in denen in diesem Fall die Nullrelativierung als ‚Hauptstrategie’ verwendet wird (vgl. auch Lehmann 1984: 84f.). In der generativen Literatur ist das (moderne) Englisch die germanische Sprache, deren Nullrelativsätze am meisten Beachtung gefunden haben, und hier gilt die Beschränkung auf Objektlücken: (93)

a. Peter fell in love with the pretty girl he met at the party b. *Peter fell in love with the pretty girl asked him for a cigarette at the party

In sehr informeller Umgangssprache (Quirk et al. 1985: 1250) werden jedoch Nullrelative mit Subjektlücken verwendet ebenso wie in den Dialekten, wie die folgenden Daten aus einer Dialektstudie belegen: (94)

a. there’s nobody [Ø does that now] (Herrmann 2003: 35, Bsp. 21) b. and he put in the paper about these sheep [Ø would live under t' snow] (Herrmann 2003: 36, Bsp. 33)

De Vries (2002: 163) kommt in seiner typologischen Studie zu dem Schluss, dass Subjekt-Nullrelativsätze in manchen Sprachen aus Parsinggründen ausgeschlossen sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass sie im älteren Deutsch möglich waren, da damals durch die relativ reiche Kasusmorphologie nicht so große Interpretationsprobleme entstanden sind. Sprachübergreifende Studien haben gezeigt, dass es eine Korrelation gibt zwischen der syntaktischen/semantischen Funktionshierarchie und anaphorischen Skalen (s. die Zusammenfassung in de Vries 2002: 163f.): Je tiefer die

232 Funktion der Lücke in der Hierarchie (grob: Subjekt > direktes Objekt > Präpositionalobjekt) angesiedelt ist, desto expliziter ist die Anapher (grob: Ø < Relativpartikel < Relativpronomen). Im Ahd. sind sogar Angaben in Form von Präpositionalphrasen als Lücken belegt, (95). Adjunkte befinden sich in der Hierarchie sehr weit unten. (95)

In selben uuórton er then mán · tho then ériston giwán ࡴҕ in selben Worten er den Menschen dann den ersten gewann ‚mit denselben Worten, durch die er den ersten Menschen gewonnen hatte’ (Otfrid II 5, 23)

Smits (1989) hat die Generalisierung aufgestellt, dass in Relativsätzen die COMP-Position nur leer sein kann, wenn stattdessen auch eine relative Komplementiererpartikel verwendet werden kann. Im Englischen etwa kann statt eines Nullrelativums auch die Relativpartikel that gebraucht werden. Auch das Ahd. bestätigt die Generalisierung. In der Tat alternieren die Nullrelativsätze in Otfrid mit partikeleingeleiteten Relativsätzen. Das ist besonders deutlich bei den Spaltsatzkonstruktionen mit Indefinita zu sehen. Diese werden recht häufig durch die Relativpartikel thaz eingeleitet (s. Abschnitt 2.4.4): 25 (96)

a. … nist nihéinig siner drút NEG.ist kein Seinen-GEN Vertrauter thes állesuuio bigínne · dessen anders beginne ‚es ist kein Freund unter den Seinen, der es auf andere Weise beginnt’ (Otfrid V 19, 3) b. nist níaman thero fríunto NEG.ist niemand derer Freunde thaz mír zi thiu gihélfe THAZ mir zu dem verhelfe ‚Es ist niemand unter meinen Freunden, der mir dabei hilft’ (Otfrid III 4, 23) = Kap. 2, Bsp. (117)-a

____________________ 25

Neben der Partikel thaz gibt es möglicherweise auch Evidenz dafür, dass Relativsätze in Spaltsatzkonstruktionen in Otfrid auch durch die Relativpartikel the eingeleitet werden konnten: (i) Nist untar ùns theiz thulte · (Otfrid III 19, 3) NEG.ist unter uns REL.PART-es dulde Nach Wunder (1965: 352f.) ist unklar, ob der Beleg eine Kombination aus der Partikel thaz + Pronomen iz oder aus the + Pronomen iz enthält. Im Tatian sind Spalt- und Sperrsätze mit der Relativpartikel the belegt (z.B. Tatian 125, 5; Tatian 131, 11). Darüber hinaus sind im Tatian, bei Otfrid und in vielen anderen Denkmälern auch Spalt- und Sperrsätze mit dem d-Relativpronomen belegt, also in der Variante, die in der heutigen Standardsprache die einzig mögliche ist.

233 (97)

a. Búrg nist thes uuénke · noh bárn thes Stadt NEG.ist dessen entbehre noch Menschenkind dessen io githénke . je gedenke ‚Es gibt keine Stadt, die sich dem entzieht, und auch keinen Menschen, der darauf jemals bedacht ist’ (Otfrid I 11, 13) b. Nist búrg thaz sih gibérge · thiu sténtit ufan bérge NEG.ist Stadt THAZ REFL verberge die steht auf Berg ‚keine Stadt ist, dass sie sich verberge, die auf einem Berg steht = Es gibt keine Stadt, die auf einem Berg steht und sich verbirgt’ (Otfrid II 17, 13) = Kap. 2, Bsp. Bsp. (117)-b

Die parallele Alternation ‚Nullrelativum/thaz’ lässt sich bei den interrogativischen Spaltsätzen beobachten: (98)

a. uuér ist thes hiar thénke · (Otfrid III 16, 30) = (85)-a b. Wer íst quad híar untar íu · thaz mih wer ist sprach hier unter euch THAZ mich ginénne zi thíu ernenne zu dem ‚ „wer ist der“, sprach er, „unter euch, der mich dafür erklärt?“ ’ (Otfrid III 18, 3) = Kap. 2, Bsp. (117)-c

Auch in den Varietäten, in denen der ahd. Tatian verfasst ist, alternieren die sehr sporadisch belegten unambigen asyndetischen Relativsätze mit solchen, die durch die Relativpartikel the eingeleitet werden. Wie oben gezeigt wurde, sind asyndetische Relativsätze selten auch noch im Mhd. und Frnhd. belegt. Gibt es in diesen Sprachstufen noch partikeleingeleitete Relativsätze? Die Relativpartikel the ist nur in ahd. Zeit überliefert, thaz überlebt nur in sehr speziellen Konstruktionen (z.B. nach Temporalausdrücken als Antezedens wie in der im vil geschadet hatt von den zyten das er was uberwunden an dem urlage (Lancelot 2, 20), vgl. auch Abschnitt 2.4.4). Im Mhd. ist, wenn überhaupt, die Partikel und gebräuchlich (vgl. auch Ferraresi & Weiß 2009), sporadisch auch so, das sich in frnhd. Zeit verbreitet. Luther etwa, der, wenn auch selten, asyndetische Relativsätze benutzt, verwendet auch so-Relativsätze: (99)

sol der Keiser alle Ketzer, [so solchs mit Gott dem Vater, Son, heiligem Geist und der Christenheit in aller Welt halten], verbrennen, tödten oder veriagen, auch die in Jndien, Persien, und in gantzem Orient. (Luther: Wider das Papsttum zu Rom 123; zit. nach Baldauf 1983: 182)

234 Wie im letzten Abschnitt erwähnt, sind asyndetische Relativsätze nach der ahd. Periode nur noch sehr selten belegt. Es stellt sich die Frage, ob es sich um residuale Konstruktionen handeln könnte, die man synchron nicht mit den Relativpartikeln und und so in Verbindung bringen sollte, sondern diachron mit den Partikeln the und thaz. Diese Frage lässt sich nicht entscheiden. Der von Smits (1989) postulierte Zusammenhang zwischen der Relativpartikel und dem leeren Komplementierer würde aber erklären, warum in der gwd. Standardsprache keine asyndetischen Relativsätze mehr möglich sind, denn hier gibt es den Typ des partikeleingeleiteten Relativsatzes nicht mehr. Auf dialektaler Ebene ist die Situation anders: Hier sind Relativpartikeln weit verbreitet, wobei jedoch Fleischer (2004, 2005), der eine große Zahl von Dialektgrammatiken ausgewertet hat, lediglich im NordniederdeutschSchleswigschen Evidenzen für den asyndetischen Verbendtyp gefunden hat. (100) Ween dor weer Een, Ø 26 dor wenn da war einer, da (Fleischer 2005, Bsp. 38)

nich wull nicht wollte nordniederdeutsch-schleswigsch

Betrachtet man Smits (1989) Generalisierung aus diachroner Perspektive, dann könnte die synchrone Korrelation ‚Relativpartikel – Nullrelativum’ auf einen Grammatikalisierungszyklus des Typs (Pronomen > Partikel > Ø) zurückgehen. Dies würde erklären, warum es keine Sprachen gibt, die lediglich über die Null- und die pronominal eingeleitete Variante und nicht gleichzeitig auch über die Partikelvariante verfügen. Die (unstrittigen) asyndetischen Relativsätze bei Otfrid und im Tatian sowie die in der Sekundärliteratur angeführten Belege aus der mhd. und frnhd. Periode sind alle restriktiv, was aus komparativer Perspektive zu erwarten ist, denn in den germanischen (und romanischen) Sprachen können Appositiva nicht durch das Nullrelativum eingeleitet werden. Anders als bei den asyndetischen Verberstsätzen und bei den durch ein dPronomen eingeleiteten Verbzweitsätzen ist der Hauptsatz beim Verbendtyp nicht auf den deklarativen Satzmodus beschränkt und das Antezedens kann sowohl definit als auch indefinit sein. Außerdem steht der asyndetische Verbendsatz nicht immer im Nachfeld, sondern kann z.B. topikalisierte oder linksversetzte Konstituenten modifizieren. Dies alles spricht dafür, den asyndetischen Verbendsatz mit dem kanonischen eingeleiteten Verbendsatz zu parallelisieren, was durch die Nullpartikelanalyse gewährleistet wird. ____________________ 26

Fleischer argumentiert, dass hier ein Null-Relativsatz vorliegen muss, der durch eine Kombination aus Ø und da (dor) eingeleitet wird. Dass da alleine als Relativpartikel fungiert, könne deswegen ausgeschlossen werden, weil die Partikel da in den zu diesem Dialekt ausgewerteten Materialen immer nur in Kombination mit einem weiteren Element vorkomme.

235 4.5.2 Relativische Verbzweit- und Verberstkonstruktionen Will man die relativische Verbzweitkonstruktion analysieren, muss man sich zunächst die Frage stellen, ob das initiale d-Pronomen ein Relativ- oder ein Demonstrativpronomen ist. In älteren Sprachstufen sind, wie im letzten Abschnitt gezeigt, teilweise Relativpartikeln verbreitet. Bei den relativischen Verbzweitkonstruktionen im älteren Deutsch ist der partikeleingeleitete Typ nicht belegt, was gegen die Relativpronomenhypothese spricht. In den heutigen Dialekten ist der Partikelrelativsatz der vorherrschende Typ (s. Fleischer 2004, 2005 für einen Überblick). Im Zürichdeutschen weisen kanonische Relativsätze sogar obligatorisch die Partikel wo in C0 auf. Wie Gärtner (2001: 136f.) bemerkt, kann die relativische Verbzweitkonstruktion nicht durch diese Partikel eingeleitet werden. Es muss stattdessen ein d-Pronomen verwendet werden, obwohl d-Pronomina in diesem Dialekt gar nicht als Relativa fungieren können: (101) a. Ich han en Fruend wo bi de Simens [sic] schafft. b. *Ich han en Fruend dae bi de Simens [sic] schafft. c. Ich han en Fruend dae schafft bi de Siemens. (Gärtner 2001: 136, Bsp. 74d, 74c, 74a)

Wie Gärtner (2001: 134) weiterhin argumentiert, ist es im modernen Standarddeutsch nicht möglich, dass starke Demonstrativa (dieser, diese, dieses) oder w-Relativa (welcher, welche, welches bzw. was, wo) die relativische Verbzweitkonstruktion (= integrierte Verbzweitsätze in seiner Terminologie) einleiten: (102) a. *Es gibt Fragen, (/) welche haben keine Antwort. b. *Es gibt Fragen, (/) diese haben keine Antwort. (vgl. Gärtner 2001: 134, 72a, b)

Gärtner argumentiert, dass diese Pronomina ausgeschlossen sind, weil der relativischen Verbzweitkonstruktion eine parataktische Satzfügung zugrunde OLHJHLQGHUHLQ3DUDWD[HNRSIʌƒGLHÃ0DWUL[¶-CP in Spezifikatorposition und die relativische CP in Komplementposition nehme. Dieser Kopf trage ein Merkmal REL und ändere die Spezifikation [+demonstrativ] auf dem schwachen Demonstrativum im Spezifizierer seines Komplements (also in dem relativischen Verbzweitsatz) hin zu [+relativ]. Eine notwendige Bedingung für letztere Operation sei jedoch, dass eine morphologische Überlappung bzw. ein Synkretismus bestehe: Im Gwd. werden nur die schwachen d-Pronomina der, die, das, da(?) sowohl als Demonstrativa als auch als Relativa verwendet. Die Daten aus dem älteren Deutsch bestätigen diese Hypothese: Auch hier sind in der relativischen Verbzweitkonstruktion keine starken Demonstrativa oder Formen von welcher belegt. Letztere verbreiten sich ohnehin erst

236 in frnhd. Zeit (Ebert et al. 1993: 446). Im älteren Deutsch konnten relativische Verbzweitkonstruktionen durch das d-Pro-Adverb dâ(r), dar bzw. durch mehr oder weniger grammatikalisierte Fügungen aus d-Pro-Adverb und Präposition (z.B. dar ane) eingeleitet werden. (103) a. Er hett ein roßbare thun bringen, da wolt er synen sun off gefuret hann. (Lancelot 70, 26) b. 'DELLǕWHLQLQǕXODGDLQQHLǕWHLQKRO]GD]KHL]LWHEHQ. (Lucidarius (G) 324) c. 2YFKǕLQWPDQLJHODQWGDLQQH || ǕLQWYLOJUR]LYORFKLU (Lucidarius (G) 370) d. Do stunt in der stat ein sul dar ane betite man einin got der hiz mars. (Mitteldeutsche Predigten 13) e. alsô daz der gute man slouf in ein steinruzzen, dô lag ein lewe inne, (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 8, 8) f. Mir ist kunt getan, mein freunt vom Kungstein der hab ein closter gestift, da sein so heilig leut innen, und sunderlich han ich ein mumen dar innen da tut got so grozze wunder mit. (Christine Ebner 4, 35)

In manchen Belegen – z.B. in (103)-e aus dem Heiligenleben von Hermann von Fritzlar oder in (103)-f aus dem Schwesternbüchlein von Christine Ebner – liegt sog. ‚preposition stranding’ vor, ein Phänomen, das auch in Hauptsätzen belegt ist: (104) da kom ez in einen leumunt von, daz die leut sprachen, ez wer ein weissag. (Christine Ebner 10, 23)

Auch im Gwd. kann das lokale Demonstrativum da relativische Verbzweitkonstruktionen einleiten: (105) Ich war in einem Land, da kostet das Bier ein Vermögen (Gärtner 2001: 103, Bsp. 10a)

Gärtner (2001: 103) argumentiert, dass dies zeige, dass im Gwd. das dPronomen im relativischen Verbzweitsatz kein Relativpronomen sei, denn statt da wird als lokales Relativum im Gwd. wo verwendet: (106) Es gibt Länder, wo/*da das Bier ein Vermögen kostet.

Allerdings scheint das gwd. Datum in (105) zunächst gegen Gärtners Hypothese zu sprechen, dass nur Pronomina in der relativischen Verbzweitkonstruktion auftreten können, die sowohl als Demonstrativa als auch als Relativa verwendet werden können. Jedoch kann man argumentieren, dass zumindest im älteren Deutsch dâ(r) in der Tat als reguläres Relativadverb fungierte. Im Lancelot ist zwar schon wo als Relativadverb belegt, (107),

237 doch herrscht das demonstrative dâ noch vor, (108)-a. Bei Christine Ebner findet sich nur demonstratives dô, (108)-b. (107) Alweg zu hochgezitt hort der konig hRFKPHVVH]XGHPWKĤPYRQGHUVWDWZR er was. (Lancelot 134, 37) (108) a. und an derselben statt da er dot bleib wart zuhant ein herlich kirch gemacht fur sin sele, (Lancelot 16, 15) b. Sie stunde bei der tür do man die steinin stig in die kirchin get, (Christine Ebner 16, 25)

Das Antezedens und die relativische Verbzweitkonstruktion müssen nicht adjazent sein. Im folgenden Beleg befindet sich ersteres im Vorfeld, letztere ist nachgestellt: (109) Ein swester het wir die hiez Kungunt von Eystet, (Christine Ebner 16, 23)

Was die externe Syntax des relativischen Verbzweitsatzes angeht, fällt zunächst auf, dass dieser in der Regel nachgestellt ist. 27 Es gibt jedoch Ausnahmen: (110) Do ging ein leienswester, die waz ir gastmeisterin, dreie stund zu ir und sprach, ... (Christine Ebner 19, 13)

Gärtner (2001: 101) zeigt fürs Gwd., dass relativische Verbzweitkonstruktionen nicht adjazent zu ihrer Bezugs-DP im Mittelfeld (oder Vorfeld) auftreten können, sie müssen ins Nachfeld extraponiert werden: (111) a. *Ich höre, dass jemand, der heißt Wolf-Jürgen, der Königin vorgestellt wurde. b. Ich höre, dass jemand der Königin vorgestellt wurde, der heißt WolfJürgen. (Gärtner 2001: 100, Bsp. 4b, a)

Aus der Tatsache, dass in mhd. und frnhd. Texten vereinzelt Beispiele wie in (110) belegt sind, kann man aber nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass die externe Syntax der Konstruktion in diesen Sprachstufen anders war als heute. Denn es ist möglich, dass bei den Fällen im älteren Deutsch parenthetische ____________________ 27

Zwar ist in vielen Fällen wie in (109) die rechte Satzklammer nicht besetzt, doch man kann wohl davon ausgehen, dass der relativische Verbzweitsatz im Nachfeld steht.

238 Konstruktionen mit nichtrelativischen Verbzweit‚hauptsätzen’ vorliegen. Das ist auch noch im Gwd. möglich: 28 (112) a. Dann kam ein Verwandter – der hat übrigens auch in Bremen studiert – zu Besuch ins Krankenhaus. b. Ich höre, dass jemand – der heißt übrigens Wolf-Jürgen wie ich – morgen der Königin vorgestellt werden soll.

Alles in allem gilt, dass auch im älteren Deutsch relativische Verbzweitkonstruktionen in der Regel auf ihren Bezugssatz folgen. 29 Gärtner (2001, 2003) hat herausgearbeitet, dass das Antezedens von relativischen Verbzweitsätzen ein weitskopiges Indefinitum sein muss. Man kann dies deutlich an den folgenden Beispielen sehen: (113) a. Hans möchte einen Fisch fangen (/), den er essen kann. b. *Hans möchte einen Fisch fangen (/), den kann er essen. c. Hans möchte einen Fisch fangen (/), der taucht gerade. (Gärtner 2001: 119, Bsp. 44a–c)

Durch den im Relativsatz bereitgestellten Kontext in (113)-a muss das Indefinitum eine unspezifische Lesart haben, was dazu führt, dass kein relativischer Verbzweitsatz angeschlossen werden kann, (113)-b. In (113)-c dagegen ist der Kontext so gestaltet, dass das Indefinitum weiten Skopus über das Modalverb nimmt. In diesem Fall ist die relativische Verbzweitkonstruktion möglich. Aus den sprachgeschichtlichen Daten kann man keine negative Evidenz gewinnen. In anderen Worten, aus den Daten ist nicht ersichtlich, ob Konstruktionen wie (113)-b früher auch ungrammatisch waren. Ich kann lediglich festhalten, dass ich keine Belege gefunden habe, in denen ein volitives Verb Skopus über ein Indefinitum nimmt, welches als Antezedens zu einer relativischen Verbzweitkonstruktion fungiert. Entsprechende Beispiele mit kanonischen Verbendrelativsätzen lassen sich leicht finden: ____________________ 28

29

Vgl. auch Blühdorn (2007: 292): „Nichtrestriktive anaphorische V2-Sätze [...] können dagegen auch unmittelbar nach ihrem Antezedens parenthetisch eingefügt werden und so in Kontaktstellung im Vorfeld oder im Mittelfeld gelangen: (14a) Der findige Kriminalrat von Sumerau – der hatte Jacobi schikaniert, wo er nur konnte – war das Haupt der Truppe. (18b) Müllers sind aus einem wichtigen Grund – den haben sie mir allerdings erst viel später erzählt – vorzeitig aus dem Urlaub zurückgekehrt.“ Schieb (1978a: 15) hat auf den ersten 140 Druckseiten des Lancelot 51 Verbzweitattributsätze gezählt, die durch ein d-Pronomen eingeleitet werden. 40 davon sind dem Bezugssatz nachgestellt. Diese 40 Fälle beinhalten zum größten Teil relativische Verbzweitkonstruktionen. Jedoch hat Schieb auch Fälle mit eindeutig nichtrestriktiver Lesart miteingerechnet, die in der vorliegenden Arbeit als Hauptsätze mit anaphorischem Pronomen analysiert werden.

239 (114) ich wil faren in ein solche stat da man mir wol glauben sol und da man gern myne bethe horen sol (Lancelot 99, 19)

Im Gwd. muss das DP-Antezedens eines relativischen Verbzweitsatzes ein im Sinne der Diskursrepräsentationstheorie (Kamp & Reyle 1993) ‚zugängliFKHV¶ §ZHLWVNRSLJHV ,ndefinitum sein (Gärtner 2001, Gärtner 2002, Endriss & Gärtner 2005): (115) a. Ich kenne eine Frau, die besitzt ein Pferd. b. *Ich kenne keine Frau, die besitzt ein Pferd. c. *Ich kenne jede Frau, die besitzt ein Pferd. (Endriss & Gärtner 2005: 198, Bsp. 8a–c)

Weitere Determinierer, die im Gwd. mit relativischen Verbzweitkonstruktionen kompatibel sind, sind einige, mehrere und Ausdrücke wie ein paar und eine Menge. Nicht möglich sind alle, die meisten und wenige (Gärtner 2001: 115). Gärtner beobachtet, dass erstere Determinierer genau denen entsprechen, die bei Fodor & Sag (1982) zur Bildung ‚referentieller Indefinita’ benutzt werden. Die lizenzierenden Indefinita müssen nach Gärtner in ihrem ‚Matrix’satz maximalen Skopus haben, was impliziert, dass sie einen Diskursreferenten bereitstellen, der zugänglich ist, nachdem eine DRSKonstruktion auf den ‚Matrix’satz angewandt worden ist. In anderen Worten, relativische Verbzweitkonstruktionen werden parallel zu satzübergreifender Anaphorik analysiert, was dafür spricht, sie syntaktisch als parataktische Konstruktionen zu analysieren. Wiederum ergibt sich das Problem, dass wir aus den historischen Daten nicht schließen können, bei welchen Antezedenten relativische Verbzweitkonstruktionen nicht lizenziert waren. Auch hier kann lediglich festgestellt werden, dass die vorliegenden Daten nur die Determinierer sum- (nur im Ahd.) und ein-, zwei- usw. enthalten. Belege mit definiten Determinierern habe ich von vorneherein ausgeklammert und argumentiert, dass nur dann, wenn eine restriktive Lesart möglich ist, überhaupt eine relativische Verbzweitkonstruktion vorliegen kann. Bei nichtrestriktiver Lesart wurde ja oben argumentiert, dass es sich schlichtweg um einen selbständigen Satz handelt, dessen Vorfeld eine satzübergreifende Anapher in Form eines Demonstrativums enthält. Zusammenfassend illustrieren Endriss & Gärtner (2001: 196) die Eigenschaften von relativischen Verbzweitsätzen im Gwd. an den beiden folgenden minimalen Beispielquartetten: (116) a. Das Blatt hat eine Seite (/), die ganz schwarz ist b. # Das Blatt hat eine Seite (\), die ganz schwarz ist c. Das Blatt hat eine Seite (/), die ist ganz schwarz

240 d. # Das Blatt hat eine Seite (\). Die ist ganz schwarz (117) a. b. c. d.

Apfeldorf hat viele Häuser (/), die leerstehen Apfeldorf hat viele Häuser (\), die leerstehen Apfeldorf hat viele Häuser (/), die stehen leer Apfeldorf hat viele Häuser (\). Die stehen leer

(Endriss & Gärtner 2005: 196, Bsp. 1a–d und 2a–d) (/) = Nichtfinale prosodische Grenzmarkierung, d.h. beide Teilsätze werden als eine intonatorische Einheit realisiert. (\) = Finale prosodische Grenzmarkierung, d.h. Teilsätze sind (weitgehend) autonom.

Der nachgestellte Verbendsatz in den a-Beispielen wird üblicherweise als restriktiver Relativsatz bezeichnet und derjenige in den b-Beispielen als nichtrestriktiver bzw. als ‚appositiver’ Relativsatz. Dagegen liegen in den dBeispielen schlichtweg zwei selbständige Verbzweitdeklarativsätze vor. Die relativische Verbzweitkonstruktion verbindet mit den selbständigen Deklarativsätzen die hauptsatztypische Verbstellung. Mit den restriktiven Relativsätzen teilt sie neben der intonatorischen Integriertheit die interpretatorische Eigenschaft der Restriktivität: (116)-a und -c werden nicht so verstanden, dass das Blatt nicht mehr als eine Seite hat, was pragmatisch unakzeptabel ist. Dagegen ist genau dies in (116)-b und (116)-d der Fall. Hier wird ausgedrückt, dass das Blatt nur eine Seite hat und dass diese schwarz ist. Der pragmatische Effekt entsteht durch eine Horn-Skala-Implikatur, die auftritt, nachdem der erste Teilsatz verarbeitet worden ist. Die Tatsache, dass diese Implikatur in (116)-c nicht entsteht, ist ein Argument dafür, dass die relativische Verbzweitkonstruktion auch syntaktisch nicht vollständig selbständig ist. In paralleler Weise wird in (117)-b und -d zum Ausdruck gebracht, dass Apfeldorf absolut betrachtet viele Häuser hat, während (117)-a und (117)-c nur so verstanden werden können, dass Apfeldorf viele leerstehende Häuser hat, wobei keine Aussage über die absolute Anzahl von Häusern getroffen wird. Die intonatorische Integriertheit ist eine notwendige Voraussetzung für die restriktive Lesart der Verbzweitvariante. Wie Endriss & Gärtner (2005: 197) zeigen, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: (i) Relativische Verbzweitsätze folgen unmittelbar auf eine nichtfinale prosodische Grenzmarkierung, und (ii) sie dürfen nicht gegenüber dem unmittelbar vorangehenden Satz(-fragment) parentheseartig abgestuft sein wie in folgendem Beispiel: (118) Die Apfeldorfer haben viele Häuser – die stehen heute leer – gebaut. (Endriss & Gärtner 2005: 197, Bsp. 4d)

Dieses Beispiel kann nur nichtrestriktiv interpretiert werden und bringt dann zum Ausdruck, dass Apfeldorf absolut betrachtet viele Häuser hat.

241 Die prosodische Integriertheit von relativischen Verbzweitkonstruktionen korreliert informationsstrukturell damit, dass sie mit dem Gesamtsatz eine Informationseinheit im Sinne von Brandt (1990) bilden (Gärtner 2001, Endriss & Gärtner 2005: 97). Nach Brandt ist eine Informationseinheit definierbar als eine Fokus-Hintergrund-Gliederung. Dies erklärt auch, dass fokussensitive Partikeln wie sogar ihr Assoziatum innerhalb des relativischen Verbzweitsatzes haben können, was angesichts der parataktischen Konstruktionsweise überraschend ist: (119) Ich kenne sogar Leute, die lesen CHOMskys Bücher. (Gärtner 2001: 110, Bsp. 23a)

Gärtner (2001) schlägt die folgende Analyse vor: (120) a. [ʌ3 [CP1 Das Blatt hat eine Seite ] [ʌ¶ʌƒREL [CP2 die ist ganz schwarz ]]] b. ʌ3 ʌ'

CP1 ʌƒREL

CP2 [= IV2]

Ø (Gärtner 2001:105, Bsp. 15)

,Q*lUWQHUV$QDO\VHVWHKWʌIUSDUDWDNWLVFK6SHF&32 muss durch ein schwaches Demonstrativum besetzt werden, was sich durch eine RektionsanfordeUXQJYRQʌƒREL kodieren lässt. Das Merkmal REL ändert die Spezfikation auf dem d-Pronomen von [+demonstrativ] nach [+relativ]. Was bei Gärtner (2001) nicht herausgearbeitet wird, sind – außer der Beobachtung, dass lediglich eine Informationseinheit im Sinne von Brandt (1990) vorliegt – die spezifischen informationsstrukturellen Eigenschaften der Konstruktion. Endriss & Gärtner (2005: 424) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007: 424) argumentieren, dass Konstruktionen mit relativischen Verbzweitsätzen bestimmte Eigenschaften mit präsentativen Strukturen teilen, die für das Englische von Lambrecht (1988) analysiert wurden: (121) Once upon a time, there was an old cockroach who lived in a greasy paper bag. (Lambrecht 1988: 322, Bsp. 16)

In diesem Satzgefüge wird nach Lambrecht im Matrixsatz ein neuer Diskursreferent eingeführt, der bei Endriss & Gärtner (2005) als Prä-Topik bezeichnet wird. Dieser Diskursreferent fungiert gleichzeitig als ‚Aboutness-Topic’ (nach Reinhart 1981) im relativischen Satz. Lambrecht (1988: 332) argumen-

242 tiert, dass solche präsentativen Konstruktionen minimale Verarbeitungseinheiten (‚minimal processing units’) konstituierten, was sie von einer Abfolge selbständiger Sätzen unterscheide. In einigen Varietäten des Englischen könne die enge Beziehung der beiden Sätze durch sog. ‚präsentationelle Amalgamstrukturen’ (Lambrecht 1988) – auch ‚contact clauses‘ genannt – realisiert werden: (122) a. There was a farmer had a dog. b. I have a friend in the Bay area is a painter. (Lambrecht 1988: 319, Bsp. 10) c. There’s one woman in our street went to Spain last year. (den Dikken 2005: 694, Bsp. 3a)

Die deutsche Satzfügung mit einem relativischen Verbzweitsatz zeichnet sich, wie schon Lambrecht bemerkt, durch eine ähnlich ungleich verteilte Informationsgewichtung aus (vgl. Endriss & Gärtner 2005: 209): Der ‚Haupt’satz sei eher informationsarm, was in zwei Eigenschaften zum Ausdruck komme: Zum einen stammten die Prädikate oft aus einer Gruppe „Existenz anzeigender Prädikate“ wie haben, sein und kennen, deren genaue Beschreibung sich jedoch als schwierig erweise. Der relativische Verbzweitsatz stellt dagegen das ‚informationsstrukturelle Zentrum’ (Prince 1981) dar. Zum anderen zeigt die relativische Verbzweitkonstruktion verschiedene Grade von Unvollständigkeit, was im Grenzfall zu Unakzeptabilität führt: (123) a. Unter den Zuschauern waren welche, (/) die kamen freiwillig. (Gärtner 2001: 112, Bsp. 32a) b. # Unter den Zuschauern waren welche. (\) Die kamen freiwillig. (Gärtner 2001: 113, Bsp. 32d)

Wie Ebert, Gärtner & Endriss (2007: 424) argumentieren, können Gefüge mit relativischen Verbzweitsätzen nicht gut als Antworten auf fokusinduzierende Fragen fungieren: (124) a. Was gibt es in Apfeldorf? b. # (Apfeldorf hat) viele Häuser, (/) die stehen leer (Ebert, Endriss & Gärtner 2007: 424, Bsp. 28a,b)

Die pragmatische Unakzeptabilität sei darauf zurückzuführen, dass das mit dem Hauptsatz installierte (Prä-)Topik und der relativische Verbzweitsatz nicht gemeinsam fokussiert sein können. Dagegen sei (124)-b sehr gut geeignet als Antwort auf die Frage Erzähle mir etwas über (die Häuser in) Apfeldorf, weil dadurch dem ‚Haupt’satz topikaler Status zugewiesen werde. Aus all diesen Beobachtungen ziehen Gärtner & Endriss (2005) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007) den Schluss, dass in Satzgefügen mit relativischen Verbzweitsätzen nicht nur die beiden CPn eng miteinander verbunden sind

243 und eine Informationseinheit bilden, sondern auch, dass die ‚Haupt’satz-CP als Topik fungiere und die ‚relativische’ CP als Kommentar: ʌ3

(125) CP1

ʌ'

ʌƒREL CP2 [Das Blatt hat eine Seite]T Ø [die ist ganz schwarz]C (Ebert, Endriss & Gärtner 2007: 428, Bsp. 41)

CP1 ist somit relativ zu CP2 topikal. Innerhalb von CP2 greift ein schwaches Demonstrativum in SpecCP2 eine (prä-)topikale DP wieder auf, die in CP1 etabliert wird. Während in Gärtner (2001) argumentiert wird, dass es sich dabei um ein ‚weitskopiges’ Indefinitum handelt, wenden Gärtner & Endriss (2005: 45, Bsp. 47) das Kriterium der ‚Topikfähigkeit’ an: Die Klasse der Quantoren, die außergewöhnlich weiten Skopus nehmen können, decke sich mit der der topikfähigen Quantoren. Topikfähige Quantoren sind zum Beispiel ein oder viele nicht aber Ausdrücke wie etwa jeder, die meisten, höchstens drei, wenige, fast alle, keine. Topikfähige Konstituenten können in der Regel auch linksversetzt werden. In der informationsstrukturellen Analyse von Endriss & Gärtner (2005) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007) wird die Quantorenrestriktion auf zwei Faktoren reduziert: (i) auf die Topikfähigkeit des Quantors und (ii) auf seine Eigenschaft, die informationsstrukturbasierte Bestimmung von Restriktor und Nukleus zu erlauben. Gärtner (2003) illustriert das knapp an folgendem Beispiel: (126) [ Mariaj kam herein. ] [ Am Fenster stand eine Fraui ]H%, [ diei/*j pfiff ein Lied ] (Gärtner 2003: 4, Bsp. 3)

Wie Gärtner (2003) ausführt, nimmt der Quantor eine Frau das gesamte (topikalische) Material im Matrixsatz in den Restriktor und wendet dies dann auf den Kommentar, den relativischen Verbzweitsatz die pfiff ein Lied an. Bedingung (i) schließt alle nicht zugänglichen Antezedenten aus. Bedingung (ii) sorgt dafür, dass Definita nicht möglich sind, da diese keine informationsstruktursensitiven Quantifikationsdomänen zulassen. Die Restriktivität in Konstruktionen wie Apfeldorf hat viele Häuser, die stehen leer sei somit nur eine scheinbare, sie ergebe sich aus der Reinterpretation als Viele Häuser in Apfeldorf stehen leer.

244 Die Analyse von Ebert, Endriss & Gärtner (2007) ähnelt einer Analyse, die den Dikken (2005) für die oben erwähnten ‚präsentationellen Amalgamstrukturen’ vorschlägt, die u.a. im Belfast- und Appalachian-English möglich sind (das Subjektpronomen she in S2 ist eingeklammert, weil es fakultativ ist): (127)

TopP S1

Top' Top

there’s one woman in our street

S2

Ø (she) went to Spain last year

(den Dikken 2005: 698, Bsp. 14)

Den Dikken schlägt vor, diese Analyse auch auf die deutschen relativischen Verbzweitkonstruktionen anzuwenden. Wie jedoch Endriss & Gärtner (2005: 216) einwenden, verhalten sich die beiden Konstruktionen nicht in allen Punkten gleich. Die englische Amalgamkonstruktion erlaube auch die Quantoren a few und nothing, was bei der deutschen relativischen Verbzweitkonstruktion nicht möglich ist: (128) a. There are very few would credit what I have done. (Sheridan; zit. nach den Dikken 2005: 696, Bsp. 9b) b. There is nothing can be done about it (Endriss & Gärtner 2005: 215, Bsp. 59b; zit. nach Engdahl 1997: 60)

Ebert, Endriss & Gärtner (2007) argumentieren, dass in der CP1 ein PräTopik etabliert wird, auf das in der CP2 durch ein schwaches Demonstrativum anaphorisch Bezug genommen wird, wobei dieses Demonstrativum innerhalb von CP2 als Topik fungiert. Den Dikken führt aus, dass in der englischen Amalgamkonstruktion (und damit auch, wie er behauptet, in der deutschen relativischen Verbzweitkonstruktion) die CP1 dazu diene, einen Fokus einzuführen, der als Anker für die CP2, also für den Kommentarsatz, diene, der zusätzliche Information über den Anker bereitstelle: Thus, the anchor (i.e. the individual introduced in the first clause about which supplementary information is provided by the second clause) functions as a focus within a topic clause whose function is precisely to set up a focus for the comment clause to specify or restrict. The subject of the comment clause […] is [often] dropped, in line with the general tendency in Belfast English to drop the subject in topic-comment structures. (den Dikken 2005: 698)

245 Den Dikkens Ausführungen verstehe ich so, dass der Kommentarsatz (S2) intern keine (bzw. nicht notwendigerweise eine) Topik-Kommentar-Gliederung aufweist und vollkommentarisch sein kann. Das ±overte S2-Subjekt muss keinen Topik-Status haben. Anders kann man sich wohl nicht erklären, warum auch negative Indefinita und Quantoren wie a few in der Amalgamkonstruktion auftreten können, also Elemente, die nicht topikfähig sind. Gärtners et al. und den Dikkens informationsstrukturelle Analyse sind zwar auf makrostruktureller Ebene gleich, unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die Mikrostrukturierung im Kommentarsatz: Während ich den Dikkens Ausführungen so interpretiert habe, dass S2 vollkommentarisch ist (bzw. sein kann), steht bei Ebert, Endriss & Gärtner (2007) in SpecCP2 ein Topik in Form des schwachen Demonstrativums. Es ist zu vermuten, dass der Unterschied mit den unterschiedlichen Satzstrukturen des Englischen und des Deutschen zusammenhängt. Eine Rolle könnte spielen, dass das deutsche Vorfeld (SpecC) als Zielposition für Topikalisierung (A-bar-Bewegung) potentiell in jedem Satz mit kanonischer Hauptsatzstruktur (sprich mit V-nachC-Bewegung) bereitsteht. Im Englischen wird eine CP mit einer A-barPosition in einem kanonischen Satz nicht projiziert, sie ist nur in speziellen Konstruktionen (in Interrogativen und anderen Subjekt-VerbInversionskontexten) vorhanden. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Analysen betrifft den funktionalen Kopf. Den Dikken (2005: 708) hebt hervor, dass das Label ‚Top’ in seiner Analyse keinesfalls austauschbar sei. Auf makrostruktureller Ebene seien relativische Verbzweitkonstruktionen und kanonische Satzkoordinationen parallel zu analysieren, insofern als beide eine Struktur beinhalten, in der der zweite Satz das Komplement eines funktionalen Kopfes ist, dessen maximale Projektion den ersten Satz in seiner Spezifikatorposition beherberge. Trotzdem sind die beiden Konstruktionen interpretativ unterschiedlich, wie sich leicht an dem oben eingeführten Apfeldorf-Beispiel zeigen lässt: (129) a. Apfeldorf hat viele Häuser (/), die stehen leer. b. Apfeldorf hat viele Häuser (\), und die stehen leer.

Nur beim relativischen Verbzweitsatz liegt eine (scheinbar) restriktive Lesart vor. Den Dikken argumentiert, dass eben die Natur des funktionalen Top°Kopfes dafür verantwortlich sei: Dieser Kopf habe die Eigenschaft, dass er seinen Komplementsatz als Kommentarsatz identifiziere, wobei ein Kommentarsatz sich dadurch auszeichne, dass er Informationen über den Fokus des Satzes in SpecTop (also den Topiksatz) bereitstelle. Dagegen habe der funktionale Kopf in regulären Koordinationsstrukturen (z.B. ‚&’, or ‚Conj’) nicht die Eigenschaft, dass er das zweite Konjunkt als Kommentar zum ersten Konjunkt identifiziere. Während also in Topik-Kommentar-Konstruktionen der relativische Verbzweitsatz systematisch dazu diene, eine Subkonstituente

246 des ersten zu spezifizieren oder zu restringieren, sei eine Spezifkations- oder Restriktionsbeziehung bei regulären Koordinationen nicht vorhanden. In Gärtners (2001) und Eberts, Endriss’ & Gärtners (2007) Analyse hat der funktionale Kopf kein solches informationsstrukturelles EtiNHWWGHQQʌVWHKW OHGLJOLFK IU SDUDWDNWLVFK $OOHUGLQJV WUlJW ʌ GDV 0HUNPDO REL. Gärtner (2001) argumentiert, dass das Merkmal eine Rektionsanforderung ausübe, dass SpecCP2 durch ein schwaches Demonstrativum gefüllt sein müsse. Während also in Gärtner (2001) ausgeführt wird, dass REL die Merkmalspezifikation auf dem schwachen Demonstrativ in SpecCP2 von [+demonstrativ] nach [+relativ] ändere, wird in den neueren Arbeiten von Ebert, Endriss & Gärtner (2007) auf diese Operation nicht mehr eingegangen, obwohl auch hier das Merkmal erhalten bleibt. 30 Durch dieses Merkmal unterscheiden sich jedoch auch in den Ansätzen von Gärtner (2001) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007) relativische Verbzweitsätze von regulären Koordinationen. Bei den relativischen Verbzweitkonstruktionen im älteren Deutsch sind keine grammatischen Eigenschaften belegt, die sich von denen der gwd. Pendants unterscheiden, sodass man davon ausgehen kann, dass hier strukturelle Kontinuität vorliegt. Ich übernehme die von Ebert, Endriss und Gärtner (2007) vorgeschlagene Analyse, da diese speziell fürs Deutsche entwickelt wurde und nach derzeitigem Forschungsstand, wie erwähnt, relativische Verbzweitkonstruktionen und die englischen Kontakt- bzw. Amalgamkonstruktionen nicht vollständig gleichförmig behandelt werden sollten: ʌ3

(130)

ʌ 

CP1

ʌƒREL

CP2

[Ein ander tier ist]T Ø [daz heizzent die Chrieche Hinam]K

Für die relativische Verberstkonstruktion schlage ich die parallele Analyse vor. Wie oben ausführlich gezeigt, teilt diese Konstruktion wesentliche Eigenschaften mit der d-Verbzweitvariante, insbesondere was die Restringiertheit der Antezedenten (auf bestimmte Indefinita) angeht. Außerdem ist eine Gemeinsamkeit, dass in beiden Fällen meist ‚informationsarme’ Hauptsätze ____________________ 30

Die Autoren führen nicht explizit aus, wie in dem neuen Ansatz die Restriktion auf schwache d-Pronomina abgeleitet wird. Bei Endriss & Gärtner (2005: 210) findet sich jedoch ein Hinweis: Die informationsstrukturelle Analyse erfordert es, dass in SpecCP2 ein anaphorisches Demonstrativpronomen steht, das einen Topikwechsel anzeigt (vgl. Diessel 1999: 96).

247 vorliegen. Die Verberstvariante scheint allerdings stärker ‚idiomatisiert’ zu sein, denn im relativischen Satz tritt, wie ich gezeigt habe, bevorzugt eine relativ kleine Gruppe von Verben auf. Es stellt sich natürlich die Frage, wie die Argumentauslassung zu analysieren ist. Ein Vorschlag findet sich bei Karg (1929: 58, Fn. 1), der eine Analyseoption von Frings (mündliche Mitteilung) referiert, wonach bei der relativischen Verberstkonstruktion (= hiez-Formel in Kargs Terminologie) „viel„vielleicht ein Rest jenes alten subjektlosen Gebrauchs eines finiten Verbums sich erhalten habe“ (ibid.). In moderner Terminologie würde man von Subjekt-pro-drop sprechen. Dagegen spricht allerdings zunächst die Chronologie des Phänomens der relativischen Verberstkonstruktion mit Argumentauslassung, das ja im Ahd. noch selten war und sich erst im Laufe der mhd. Zeit, nach Paul (101995: 140) sogar mit dem Ausgang der mhd. Periode, verbreitet hat. Subjekt-pro-drop ist jedoch nach gängiger Auffassung desto häufiger, je weiter man in der Sprachgeschichte zurückgeht. 31 Schwerer wiegt die Tatsache, dass die Argumentlücke bei der relativischen Verbendkonstruktion auch das Objekt betreffen konnte. Da die Konstruktion hauptsächlich mit Zustandsverben auftritt, ist zwar die Lücke im Relativsatz meist das Subjekt. Dies scheint jedoch keine notwendige grammatische Bedingung zu sein, da, wenn auch sporadisch, auch transitive Verben vorkommen, bei denen dann auch eine Objektlücke vorliegen kann: (131) a. cham in ainen walt, nannt man des teufels weg (Fuet., Lanz. 107; zit. nach Behaghel: 1928: 504) b. [Und han dabei auch in eim stifel] ein wiltpret, wil ich euren gnaden schenken (Keller, Fastnachtsp. 60, 16; zit. (mit Ergänzung) nach Naumann 1915: 33) = (21)

Außerdem unterliegt, wie in Axel (2005, 2007: Kap. 6, Axel & Weiß 2011) gezeigt, (referentielles) Subjekt-pro-drop im Ahd. der syntaktischen Lizenzierungsbedingung, dass pro vom finiten Verb in C0 c-kommandiert werden muss. Deshalb gibt es kaum Fälle von pro-drop in kanonischen Nebensätzen, in denen sich das finite Verb ja in der Regel in situ befindet. Was aber durch diese Bedingung auch ausgeschlossen wird, ist präfinites pro in SpecC: (132) a. *[CP pro [C wasi] giuuatit ti mit sabanu] b. sum jungo ʜ folgeta imo uuas giuuatit mit sabanu ... INDEF Junge folgte ihm war bekleidet mit Leinen Adulescens autem quidam ʜ sequebatur eum amictus sindone

____________________ 31

Die Häufigkeitsentwicklung könnte jedoch ein Artefakt sein, wenn man bedenkt, dass, wie oben erwähnt, die Textsorten, in der die Konstruktion präferiert auftritt, ab mhd. Zeit häufiger vorkommen.

248 (Tatian 299, 11) = (5)-a 9QGHVZDUHLQ-X࢑QJOLQJGHUIROJHWHMPQDch, der war mit Linwad bekleidet’ (Lutherbibel 1546, Mk 14, 51)

Wenn die Annahme korrekt ist, dass Subjekt-pro im Deutschen nur durch ckommandierende Kongruenzmerkmale lizenziert bzw. identifiziert werden konnte, müsste also bei der relativischen Verbendkonstruktion die folgende Konfiguration mit postfinitem pro vorgelegen haben: (133) *[CP [C wasi ] pro giuuatit ti mit sabanu]

Dann stellt sich aber die Frage, warum keine XP-nach-SpecC-Bewegung (sprich Vorfeldbesetzung) erfolgte. Zwar gab es in allen Sprachstufen das Phänomen des Verberstdeklarativsatzes. Wie jedoch Önnerfors (1997) zeigt, zeichnet sich die Konstruktion im Gwd., (134), dadurch aus, dass sie vollkommentarisch ist, d.h. keine Topik-Kommentar-Gliederung aufweist. (134) a. Ja, dachte ich, das machste. Hab ich ihr ganz frech noch en Kuß gegeben, nicht. b. (Überhaupt stehen die [...] Tübinger auf sowas.) Sprach die Künstlerin hinterher erfreut-verwundert: … (gekürzte Korpusbelege zit. nach Önnerfors 1997: 1, Bsp. 1:1, 1:2)

Die relativische Verberstkonstruktion ist aber ganz eindeutig nicht vollkommentarisch. 32 Wesentlich plausibler ist die Annahme, dass hinter der relativischen Verberstkonstruktion das Topik-drop-Phänomen steckt. Für das Gwd. lässt sich Topik-drop anhand der Beispiele in (135) illustrieren. Es kann sowohl Objekt- als auch Subjektargumente betreffen (außerdem auch adverbiale Bestimmungen etc., s. Brandner 2004). Topik-drop beschränkt sich übereinzelsprachlich auf die höchste Spezifiziererposition eines Wurzelsatzes (Rizzi 1994). Im Gwd. können satzinitiale Konstituenten als Null-Topiks realisiert werden, wenn ein prominenter Diskursreferent vorhanden ist: (135) a. [A: Was ist mit den Hausaufgaben?] b. [A: Was ist mit Peter?]

B: __ Hab’ ich schon erledigt. B: __ Kann erst später kommen.

Bereits in den ahd. Quellen finden sich in der Tat Belege mit prima facie Erststellung im Deklarativsatz, die den gwd. Fällen von Topik-drop sehr ähn____________________ 32

Die Typen von Verberstsätzen, die insbesondere im Ahd. auftreten, werden – wie Axel (2007: Kap. 3) argumentiert – ab mhd. Zeit teilweise durch Konstruktionen mit Vorfeld-es bzw. mit Quasiargument/Argument-es ersetzt, sodass diese archaischen deklarativen Verberstkonstruktionen nichts mit den relativischen, die ja noch bis in die frnhd./nhd. Zeit belegt sind, zu tun haben können.

249 lich sind. So fehlt etwa in Beleg (136) aus Otfrids Evangelienbuch das Subjektpronomen. Es handelt sich um eine Frage-Antwort-Sequenz in wörtlicher Rede. Das ausgelassene Subjektpronomen ist in der Frage vorerwähnt, sodass die pragmatischen Vorbedingungen für eine Topik-drop-Analyse erfüllt wären. (136) (Gilóubist thu ... thiu minu uuórt ellu . ‚Glaubst du all meine Worte?‘) sint drúhtin quad si fésti · in mines hérzen brusti sind Herr sagte sie fest in meines Herzen Brust ‚ „ sind, Herr,“, sprach sie, „im Innern meines Herzens eingeprägt“ ’ (Otfrid III 24, 33f.)

Im Allgemeinen wird angenommen (vgl. Huang 1984 fürs Chinesische und Sigurðsson 1989 fürs Festlandskandinavische), dass bei der Topik-dropKonstruktion satzinitial ein (phonetisch leerer) Operator in der obersten Spezifizierer-Position des Satzes steht, der eine Variable in der A-Position bindet. 33 Für das Deutsche würde das bedeuten, dass diese Konstruktion im Einklang mit der Verbzweitregel steht und Sätze wie in (135) nicht etwa als Verberst-, sondern als Verbzweitsätze zu analysieren sind: (137) [CP OPi [habj] ich schon ti erledigt tj ]

Ich gehe davon aus, dass bei den relativischen Verbendsätzen im älteren Deutsch dieselbe Konstruktion vorliegt: (138) a. [CP Opj [C wasi ] tj giuuatit ti mit sabanu b. [CP Opj [ nannti] man tj den teufels weg ti

] ]

= (132) = (131)-a

Im Gwd. ist Topik-drop immer fakultativ. Das Topik kann alternativ durch ein Demontrativpronomen oder -adverb (der, die, das; dort) overt realisiert werden. Wenn also die Topik-drop-Analyse für die relativische Verberstkonstruktion zutrifft, die dann strukturell betrachtet eine reguläre Verbzweitkonstruktion darstellen würde, würde man erwarten, dass es auch eine overte Variante dazu gibt. Diese Erwartung bestätigt sich natürlich: Es handelt sich um die hier ausführlich behandelte relativischen Verbzweitkonstruktion. Für alle hier untersuchten Texte gilt: Wenn die relativische Verberstkonstruktion bezeugt ist, ist auch die Verbzweitvariante mit dPronomen belegt. Es scheint sich also um eine echte syntaktische Alternation zu handeln. ____________________ 33

Für eine Alternative zur Annahme einer Operator-Variablen-Struktur vgl. Cardinaletti (1990).

250 Auch im Gwd. gibt es stark grammatikalisierte Konstruktionen, für die eine Topik-drop-Analyse vorgeschlagen wurde. So hat Reis (1995a) diese Analyse für integrierte Verberstparenthesen in Erwägung gezogen (aber dann verworfen): (139) a. Dieses Buch sollte Max lesen, glaube ich/sagt er b. Dieses Buch sollte Max, glaube ich/sagt er, lesen c. … [Ø [glaubti [er ti ]]] … (Reis 1995a: 65, Bps. 84b)

Solche Verberstparenthesen gibt es seit ahd. Zeit (vgl. Schwerdt 2000, Axel & Kiziak 2007). Auch bei den englischen Kontaktkonstruktionen liegt Argumentauslassung vor. Den Dikken (2005: 698 Fn. 7) zieht mit Rückgriff auf Henry (1995) eine Parallele zu Konstruktionen wie See my sister, (she) always wants anything going im Belfast-Englisch. Wie Henry (1995: 134) zeigt, muss in letzteren Konstruktionen das ausgelassene Subjekt nicht koreferentiell mit einem Element des vorangehenden (makrostrukturellen) Topiks sein.: (140) a. See Mary, (I) can’t stand her perfume. b. You know Bill, (you) couldn’t find him on a Friday afternoon if you tried. (Henry 1995: 134, Bsp. 87, 88)

Henry argumentiert, dass es sich bei dem Nullsubjekt somit nicht um eine Variable handeln kann, sondern es sei davon auszugehen, dass es ein Pronomen sei und wie reguläre Pronomina mit einem Element außerhalb seines Trägersatzes koindiziert werde. Das Nullsubjekt sei eine Art ‚root null subject’, eine Form der Subjektauslassung, die nach Rizzi (1991) in manchen Nicht-pro-drop-Sprachen möglich ist. Daher könne im Belfast-Englisch das Subjekt nicht ausgelassen werden, wenn es eingebettet ist: (141) a. *See John, I know never helps his mother. b. *You know your sister, I hope sent me a postcard from her holiday. (Henry 1995: 134, Bsp. 89b, 90b)

Bei den relativischen Verberstsätzen im älteren Deutsch konnten jedoch, wie erwähnt, auch Objekte ausgelassen werden. Deshalb ist die Topik-DropAnalyse, (142), der ‚root null subject’-Analyse vorzuziehen.

251 ʌ3

(142)

ʌ 

CP1

ʌƒREL [kam inn geritten in ein groß wiesen]T

CP2

Ø [OPi lag ti vor der burg zu Gaune]K

Allerdings bleibt offen, warum im Gwd. Topik-Drop in der relativischen Verbzweitkonstruktion nicht mehr möglich ist. Eine Variante ist die unde-Verbendkonstruktion, die bereits im frühmhd. Physiologus und in weiteren mhd. Texten auftritt. Man kann und als die Le[LNDOLVLHUXQJGHV3DUDWD[HNRSIHVʌEHWUDFKWHQ VDXFKGHQ'LNNHQ Fn. 14 fürs Niederländische): ʌ3

(143)

ʌ 

CP1

ʌƒREL [So ist ouch ein ander tier]T

CP2

Ø [OPi heizit ti Onager]K

Ich habe dafür argumentiert, dass die relativische Verberstkonstruktion strukturell eng mit der relativischen Verbzweitkonstruktion verwandt ist. Obwohl es sich um eine prima facie asyndetische Konstruktion handelt, hat sie mit dem uneingeleiteten Verbendrelativsatz strukturell nichts gemeinsam. Letzterer ist eine kanonische Relativsatzkonstruktion, sozusagen die Nullvariante des partikeleingeleiteten Relativsatzes, der in den älteren germanischen Sprachen wie auch in den heutigen deutschen Dialekten weit verbreitet ist.

4.6

Diachrone Aspekte

4.6.1 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus der relativischen Verbzweitkonstruktion? In manchen Arbeiten wurde der relativischen Verbzweitkonstruktion eine zentrale Rolle bei der Entstehung des kanonischen Verbendrelativsatzes bei-

252 gemessen und diese als weiteres Beispiel für das weit verbreitete Parataxezu-Hypotaxe-Szenario diskutiert. Johansen (1935: 37) sieht als die wesentliche Eigenschaft von Konstruktionen wie „Es war einmal ein König. Der hatte eine schöne Tochter“ oder „Ich habe einen Schwager – der hat sich vor kurzem ein Grundstück gekauft“ die ‚determinative’ Bedeutung an. Das sei ein entscheidender Unterschied zu Fügungen wie „das ist das Lamm, das trägt der Welt Sünde“ (Behaghel 1928: 766), aus denen Behaghels (ibid.) Meinung nach der durch ein d-Pronomen eingeleitete Relativsatz (fortan: d-Relativsatz) hervorgegangen ist. Johansen (1935: 38) ist sich darüber im Klaren, dass die relativische Verbzweitkonstruktion im Deutschen und in den skandinavischen Sprachen sehr stark restringiert ist. Trotzdem hält er es für möglich, dass sich die Konstruktion zu einer echten Relativkonstruktion weiter entwickelt hat: Den echten Relativsätzen besonders nah stehen Verbindungen wie „es gibt viele, die glauben tatsächlich das“; von hier aus ist der Sprung zu Verbindungen wie „es gibt (nur) wenige, die glauben tatsächlich das“ nicht mehr weit. Diesen letzten Endpunkt hat aber die Entwicklung weder im Deutschen noch in den skandinavischen Sprachen erreicht. Die zweiten Sätze der hier behandelten Hauptsatzverbindungen können sich nicht auf negierte oder bloss vorgestellte Grössen beziehen. Fälle wie „gibt es Leute, die glauben das?“ oder „wir nehmen an, es gibt Leute, die glauben das“ können nur als sprachwidrig empfunden werden. Der Übergang von „es gibt viele, die ...“ zu „es gibt nicht viele, die ...“ ist aber nicht nur denkbar, sondern hat auch – wenigstens einmal – in der Wirklichkeit stattgefunden. (Johansen 1935: 39)

In letzterem Punkt verweist Johansen auf die englischen Kontaktkonstruktionen, die bei Shakespeare, Bacon und Chaucer häufig sind. Er geht davon aus, dass Fälle wie „There is an idle banquet attends you“ (ibid.:42) aus parataktischen Fügungen wie „Es gibt Leute, die ...“ (ibid.: 38) hervorgegangen sind. Wie Ebert, Endriss & Gärtner (2007) bemerkt auch Johansen, dass im Englischen – und zwar schon im Mittelenglischen – die Matrixquantoren nicht so stark restringiert sind wie im Gwd. (oder Skandinavischen). Vielmehr ließen die Daten den Rückschluss auf die folgende Entwicklungssreihe zu: „There is an idle banquet attends you – There is some among you have beheld me fighting – there is many have committed it – there’s few or none do know me – I shall be content with any choice tends to God’s glory“ (ibid.: 42f.). Bei den englischen „Relativverbindungen“, so Johansen (1935: 45), sei es jedoch nicht möglich, dass eine konkret-determinative Verbindung vorliege (d.h. ein definites Antezedens), doch er führt aus: „Eine Weiterentwicklung von einer abstrakt-determinativen Verbindung aus wie ‚niemand, der ...‘ etwa über ‚alle, die …‘ zu einer konkret-determinativen Verbindung wir ‚diejenigen (bestimmten) Personen, die ...‘ liegt aber wie man wohl ohne weiteres zugeben wird, durchaus im Bereich des Möglichen.“ (ibid.) Worauf Johansen über-

253 haupt nicht eingeht, ist das Problem, dass im Deutschen ja nicht nur eine Ausweitung der möglichen Antezedenten stattgefunden haben muss, sondern auch ein Wandel der Verbstellung hin zu Verbend. Wenn der kanonische Relativsatz aus der relativischen Verbzweitkonstruktion hervorgegangen ist, dann muss relativsatzintern die Verbbewegung verloren gegangen sein. Zifonun (2001), die ebenfalls argumentiert, dass syntaktisch desintegrierte Formen wie relativische Verbzweitsätze in bestimmten Fällen die historische Basis für die syntaktisch integrierten Formen sein können, weist auf dieses Problem hin. In einer Sequenz von zwei Sätzen S1 und S2, von denen der erste das Bezugsnominal und der zweite ein darauf bezogenes anaphorisches Pronomen enthält, ist [d]er für die Reanalyse von S2 als Relativsyntagma entscheidende Schritt [...] auf der semantischen Ebene anzusetzen und besteht darin, dass S2 restriktiv mit Bezug auf den in S1 artikulierten Nukleus zu verstehen ist. Die syntaktischen Zeichen der Subordination – wie etwa im Deutschen die Nebensatzstellung – können später ausgebildet werden. (Zifonun 2001: 15)

Ein ähnliches Szenario wie Johansen und Zifonun skizziert Lehmann (1984): Indogermanisch *so-/to- dient auch in germanischen Sprachen, etwa im althochdeutschen ther oder altenglischen VƝ, als Relativpronomen in postnominalen RSen. Diese könnten auf dieselbe Weise wie der homerische hȩ-RS als nachgestellte RSe entstanden sein. Man vergleiche etwa (5) mit (6). (5) inti was sum arm betalari ginemnit Lazarus, ther lag zi sinen turun. (Tat. 107, 1) AHD “Es war aber ein armer Bettler, genannt Lazarus, der lag vor seiner Tür.” (6) thu ni giloubtus minen wortun, thiu thar gifultu werdent in iro ziti. (Tat. 2, 9) AHD “du glaubtest nicht meinen Worten, die da erfüllt werden zu ihrer Zeit.” Anders als im hó-Satz, ist mit dem Übergang von (5) zu (6), vom selbständigen Satz zum RS, ein klarer struktureller Unterschied assoziiert, nämlich die Verbstellung. Obwohl also der Nachsatz in (5) zweifelsfrei ein Hauptsatz ist, kann er doch semantisch einem RS äquivalent sein, da er als nachträgliche Attribution fungiert. (Lehmann 1984: 375)

Lehmann (ibid.) wendet jedoch ein, dass, auch wenn dieses Szenario insgesamt eine plausible Erklärung für Genese des d-Relativsatzes im Germanischen biete, die Kasusevidenzen dagegen sprechen, wobei er sich hierbei auf das oben diskutierte Phänomen bezieht, dass im Ahd. das d-Pronomen den Kasus tragen kann, der im Hauptsatz gefordert wird. 34 ____________________ 34

Allerdings ist, wie in Abschnitt 4.4 diskutiert wurde, in der Literatur umstritten, welche Beweiskraft die Kasusgegebenheiten haben. Es gibt auch Ansätze, in denen

254 Problematisch an dem Szenario ist, dass es sich dabei sozusagen um eine Rückentwicklung handelt, denn nach gängiger Auffassung herrschte im Protogermanischen (wie auch im Indoeuropäischen) im Hauptsatz die Verbendstellung vor. Die Entwicklung der systematischen V-nach-C-Bewegung in den Tochtersprachen ist ein pangermanisches Phänomen (Kiparsky 1995). Für die Tochtersprachen, die sich zu asymmetrischen Verbzweitsprachen entwickelt haben wie zum Beispiel das Deutsche, ergibt sich als plausibelstes Szenario, dass die Innovation der V-nach-C-Bewegung von vorneherein auf Wurzelsätze beschränkt war. Der demonstrative Verbendrelativsatz muss sich in vorahd. Zeit entwickelt haben, denn er ist seit Beginn der ahd. Überlieferung belegt. Das Gleiche gilt für die V-nach-C-Bewegung im Wurzelsatz. Es gibt keinerlei Evidenzen dafür, dass die Verbreitung der V-nach-CBewegung vor der Genese des d-Relativsatzes stattfand. Wie Harbert (2007: 436) argumentiert, ist sogar davon auszugehen, dass es sich beim dRelativsatz um ein protogermanisches Phänomen handelt, da das Altenglische, Ahd., Altsächsische wie das Gotische über auf dem demonstrativen Paradigma (zurückgehend auf den indogermanischen Pronominalstamm *to-) basierende Relativpronomina verfügen. Unabhängig von dem Verbstellungsproblem erscheint es vor dem Hintergrund von Gärtners (2001, 2002), Gärtners & Endriss‘ (2005) sowie Eberts, Endriss & Gärtners (2007) Arbeiten zum Gwd. aus theoretischer Sicht ohnehin nunmehr fragwürdig, ob sich die Verbend- tatsächlich aus der relativischen Verbzweitvariante entwickelt haben kann, zeigen doch seine Ergebnisse, wie hochgradig spezialisiert die parataktische Konstruktion im Hinblick auf die Wahl des Antezedens, auf Prosodie und Informationsstruktur usw. ist. Im Ahd. sind sowohl der demonstrative Verbendrelativsatz als auch die relativische Verbzweitkonstruktion belegt. Daher kann man nicht entscheiden, welche der beiden Konstruktionen älter ist. Es stellt sich daher die Frage, ob es eine verwandte Konstruktion gibt, die zunächst tatsächlich nur in der parataktischen Verbzweit- belegt ist und bei der erst später die Verbendvariante hinzutritt. Einschlägig könnten bestimmte Arten von Adverbialsätzen sein, denn zumindest im Gwd. gibt es Fälle unter den Kausal- und Konzessivsätzen, die sowohl Verbend- als auch Verbzweitstellung erlauben. Interessanterweise ist bereits bei den ahd. wanta-Sätzen diese Art der Verbstellungsvariation zu beobachten (z.B. Gering 1876, Robinson 1993, Robinson 1997: 112–119 zum Isidor; Dittmer & Dittmer 1998: 122f. zum Tatian, Schrodt 2002). Bei Nachstellung des wanta-Satzes variiert die Verbstellung zwischen Verbend und Verbzweit, vgl. (144)-a vs. (144)-b, bei Voranstellung ist nur Verbendstellung möglich. ____________________ Kasusattraktion über Strategien zur Kasuskonfliktvermeidung abgeleitet werden.

255 (144) a. abuh scalc ʜ alla sculd uorliez thir ʜ uuanta thu mih bati 35 böser Schalk alle Schuld erließ dir weil du mich batest serue nequam ʜ omne debitum dimisi tibi ʜ quoniam rogasti me; (Tatian 159, 23) ‚Du Schalckknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, die weil du mich batest.‘ (Lutherbibel 1546, Mt 18, 32) ih in imo ther b. therder In mir uuonet ʜ Inti der-REL.PART in mir wohnt und ich in ihm der uuahsmon. ʜ uuanta uzzan mih ʜ nimugut birit ʜ mihilan trägt große Frucht denn ohne mich NEG.könnt ir niouuiht duon. ihr nichts tun qui man& In me ʜ & ego In eo hic fert ʜ fructum multum ʜ quia sine me ʜ nihil potestis facere. (Tatian 283, 11) ‚Wer in mir bleibet, vnd ich in jm, der bringet viel frucht, Denn on mich NX࢑nd jr nichts thun.’ (Lutherbibel 1546, Joh 15, 5) 182F

Gärtners (2001ff.) Analyse lässt sich auf die wanta-Verbzweitsätze übertragen, wenn man annimmt, dass wanta GHQ3DUDWD[HNRSIʌOH[LNDOLVLHUHQNRQnte. Bei der Verbendvariante steht wanta stattdessen in C. Im Laufe der Sprachgeschichte des Deutschen entwickeln sich neue kausale Konjunktionen, eine davon ist weil. Weil ist aus einer komplexen Fügung hervorgegangen. Im Ahd. findet man die Fügung GLDZƯODVR, im Mhd. GLHZƯOHGD]und GLH ZƯOH XQG, wobei so, daz und sogar und jeweils als Komplementierer zu analysieren sind, welche die C-Position besetzen und damit Verbendstellung auslösen. Im Mhd. ist die Bedeutung noch weitgehend temporal, nur in „sehr beschränktem Umfang und spät“ kann (al) die wîle (daz)“ (Paul 252007: 423) kausale Sätze einleiten: (145) a. sô wil ich als mære daz übel tuon alse daz guote und wil niht guotes tuon, die wîle ez mich niht hilfet (Berthold I, 4, 33; zit. nach Paul 252007: 423) b. alle die wile daz unser houbet ist ufgevarn, so ist das zimmeliche rede daz die gelieder nochvarent irme houbte (Tauler, Pred. 85, 7; zit. nach Paul 252007: 423)

Wie aus (145)-a ersichtlich, ist im Mhd. auch einfaches GLH ZƯOH mit Verbendstellung belegt, wobei man spekulieren kann, dass es zunächst noch phra____________________ 35

Dittmer & Dittmer (1998: 122f.) argumentieren, dass die Verbstellung in beiden Tatianbelegen eine genuin deutsche Stellungsoption widerspiegele, da sie jeweils gegen die Vorlage realisiert wird. In (144)-a wurde das Subjektpronomen präfinit eingesetzt und das Objektpronomen umgestellt. In (144)-b dagegen ist das Subjektpronomen in postfiniter Position eingefügt und niouuiht umgestellt worden.

256 salen Status hatte und von einem Nullkomplementierer begleitet wurde, der die C-Position besetzte ([CP die wîle [C Ø]]), und dass es erst im Laufe der mhd. Periode selbst als Kopfelement in C reanalysiert wurde (= [CP [C (die) wîle]]). 36 Im Nhd. kommt bei weil neben der Verbend- eine Verbzweitvariante auf. Weil zeigt damit die gleiche Syntax, die das ältere wanta bereits im Ahd. aufweist. Anders als bei wanta kann man bei weil jedoch sehen, dass die Verbend- der Verbzweitvariante diachron vorangeht. Es ist nach derzeitigem Forschungsstand unklar, wie sich die Verbzweitvariante entwickeln konnte. Nach Gärtners Analyse würde weil GHQ3DUDWD[HNRSIʌOH[LNDOLVLHUHQWeil ist sozusagen im Baum ‚nach oben’ geklettert und aus der C- LQGLHʌ-Position übergetreten: (146) a. [CP1 ... ] b. [ʌP [CP1 ... ]

[CP2 [C weil] ... ] [ʌ [ʌ weil ] [CP2 ... ]]]

(ältere Konstruktion) 37 (jüngere Konstruktion)

Der Fall zeigt, dass die parataktische Konstruktion nicht in jedem Fall die historisch primäre ist, und das wirft Zweifel auf, ob ein solcher Rückschluss im Falle des d-Verbendsatzes gezogen werden darf, wo wir bereits im ältesten Deutsch sowohl die Verbend- als auch die Verbzweitvariante überliefert finden. Was in dem Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario nicht berücksichtigt wird, ist, dass im Ahd. noch andere Typen von Relativsätzen belegt sind, insbesondere der partikeleingeleitete und der asyndetische Relativsatz. Der partikeleingeleitete Typ existierte auch im Gotischen. Während Lührs (2004) und Harberts (2007) These, dass es bereits im Protogermanischen den d-Relativsatz gab (s. Abschnitt 4.6.3), nicht der traditionellen Forschungsmeinung entspricht und in der Regel davon ausgegangen wurde, dass es sich bei der Entwicklung des demonstrativen Typs um eine relativ junge Erscheinung handelt, 38 wird dem partikeleingeleiteten Typ häufig ein größeres Alter beigemessen. Lehmann (1984) etwa geht explizit davon aus, dass es ihn schon im Urgermanischen gab. Vergleicht man den partikeleingeleiteten Typ im Ahd. mit der relativi____________________ 36

37 38

Was die externe Syntax angeht – also das Verhältnis zum Hauptsatz – so lässt sich beobachten (s. Kapitel 5), dass im Frnhd. Adverbialsätze, einschließlich der weilSätze, in satzinternen Modifiziererpositionen stehen können und damit Gliedsatzstatus haben. Zur externen Syntax von Verbendadverbialsätzen im älteren Deutsch vgl. Kapitel 5. Vgl. z.B. Dal (31966: 198): „Die germanischen Relativpronomina haben sich erst spät entwickelt, und die verschiedenen Sprachen haben verschiedene Mittel zum Ausdruck der relativen Beziehung geschaffen. Das Westgerman. besitzt von der ältesten Überlieferung an sowohl Relativpartikeln wie relative Pronomina, aber die Partikeln spielen in der deutschen Schriftsprache eine unbedeutende Rolle.“

257 schen Verbzweitkonstruktion, fällt auf, dass es bei ersterem keine Restriktionen in Bezug auf das Antezedens gibt. Wie erwähnt, verwirft Lehmann die Hypothese, dass sich im Germanischen das Relativpronomen der, die, das aus dem Anaphorikum entwickelt hat und schlägt stattdessen vor, dass der d-Relativsatz aus einer Konstruktion mit nachgestelltem Attribut hervorgegangen ist. Das alternative Szenario ist ziemlich komplex (s. Abschnitt 4.6.2), hier spielt nunmehr der asyndetische bzw. partikeleingeleitete Relativsatz eine zentrale Rolle. Aber auch in dem alternativen Szenario kommt an einer Stelle die relativische Verbzweitkonstruktion zum Tragen: Nachdem sich der Typ von Relativsatz entwickelt hatte, in dem das Pronomen noch Matrixsatzkasus trägt (z.B. sandida mih ... zi dheodom dhemDat euwih biraubodon (Isidor) 39), liege eine aus syntaktischer Sicht ‚suboptimale’ Lösung vor, da die Lücke im Relativsatz und somit die syntaktische Funktion des Relativpronomens nicht markiert sei: Gerade im Althochdeutschen liegt es nahe, daß es [das Demonstrativum bzw. dRelativpronomen; K.A.-T.] diese Funktion auch noch übernimmt. Denn erstens bietet es durch seine weitgehend intakte Flexion die morphologischen Voraussetzungen dazu. Zweitens ist es funktionell unnötig, daß es mit dem Bezugsnomen im Kasus kongruiere, da es schon in Genus und Numerus mit ihm kongruiert. Und drittens gibt es schon das syntaktische Vorbild der [...] mittels eines Anaphorikums angeschlossenen Nachsätze wie (11). (11) ingegin liofun imo zehen man riobe, thie gistuonton ferro (Tat.111, 1) – “Entgegen AHD liefen ihm zehn aussätzige Männer, die blieben in Ferne stehen”. (occurrerunt ei decem viri leprosi, qui steterunt a longe) (Lehmann 1984: 380)

Als Beispiele für die ‚mittels eines Anaphorikums angeschlossenen Nachsätze“ nennt Lehmann (1984) an verschiedenen Stellen (z.B. ibid.: 375) relativische Verbzweitkonstruktionen.

4.6.2 Entstehung des d-Verbendrelativsatzes aus dem asyndetischen Relativsatz? In manchen junggrammatischen (und in der Folge auch in generativen Arbeiten) wurden Szenarien skizziert, in denen der Typ des asyndetischen Relativsatzes eine zentrale Rolle bei der Genese des d-Relativsatzes spielt. So bemerkt etwa Hermann Paul: Um die Entstehung des Rel. aus dem Dem. zu begreifen, müssen wir ausgehen von GHUVRJHQDQQWHQ.RQVWUXNWLRQਕʌઁțȠLȞȠ૨>@GLHLP$KGXQG0KGQLFKWJDQ]

____________________ 39

Übersetzung: ,sandte mich zu den Völkern, die euch beraubten’.

258 selten ist, auch später noch vorkommt. Bei derselben kann sich ein Satz dem andern logisch unterordnen, so daß man denselben durch einen Rel.-Satz wiedergeben kann, vgl. wër was ein man lac vor dëm Grâl (wer war ein Mann, der vor dem Grale lag) Wolfram, Gegen Frankfurt liegt ein Ding über, heißt Sachsenhausen Goe. 8, 40, 'DVਕʌઁțȠLȞȠ૨JHVHW]WH*OLHGPX‰GDEHL|IWHUVYHUVFKLHGHQH.DVXV vertreten, wiewohl es nur zu dem Vorausgehenden konstruiert ist, vgl. [...] ich hab ein sünt ist wider euch H. Sachs, Ich weiß einen baum, ist sein vol Rollenhagen I, 2,XI, 81, die hatte ein Kleid an, war feuerfarb Goe. 8, 74, 9, von einem slangen was gebunden Überschrift einer Fabel des Boner [...] Wird auf diese Weise ein 'HP3URQRGHU$GYਕʌઁțȠLȞȠ૨JHVHW]WVRKDEHQZLUGLH(QWVWHKXQJGHV5HO vgl. ahd. thô liefun sâr thie nan minnotun meist Otfrid, mhd. ih bin dër hie tôt gelît, ahd. thu giangi thara thu uuoltos Otfrid, mhd. si funden in dâ ër lac. Von unserm jetzigen Standpunkte aus würden wir sagen, daß GDVDOVਕʌઁțȠLȞȠ૨JHVHW]WH*OLHG Dem. und Rel. zugleich vertritt. (Paul 1920: 189f.)

Problematisch an diesen Ausführungen ist, dass der unterschiedliche Status von asyndetischen Verbendsätzen und asyndetischen Sätzen mit Finitumvoranstellung nicht erkannt wird. Paul subsumiert beide unter dem Begriff ‚Apokoinu’ (das gleiche Vorgehen findet sich auch z.B. in Erdmann 1886: 51) und spricht von ‚logischer Unterordnung’, was suggeriert, dass er den fraglichen Sätzen keinen Nebensatzstatus einräumt. Schon im Ahd. war die Verbbewegung in selbständigen, uneingeleiteten Sätzen sehr stark generalisiert (Axel 2007), sodass zum einen der Typ des angeblichen asyndetischen Verbersthauptsatzes (vgl. mhd. wër was ein man lac vor dëm Gral, Wolfram) aufgrund der Verbstellung nicht als Gliedsatz hätte reanalysiert werden können, und zum anderen ein angeblich parataktisch angereihter Hauptsatz (vgl. mhd. ih bin dër hie tôt gelît) nicht Verbendstellung hätte aufweisen können. Aus letzterem Grund habe ich für letzteren Fall die Analyse vorgeschlagen (s. auch Pittner 1995), dass der zweite Satz durch eine phonetisch leere Relativpartikel (= Ø) eingeleitet wurde. Es handelte sich also bei den asyndetischen Verbendsätzen schon seit dem Ahd. um subordinierte Sätze. Damit hat kein Übergang von der Parataxe zu Hypotaxe stattgefunden. Wie in diesem Kapitel ausführlich dargelegt wurde, unterscheiden sich der asyndetische Verbend- und Verbersttyp nicht nur in der Verbstellung, sondern in weiteren, wichtigen Eigenschaften: Der Verbersttyp tritt bevorzugt nach präsentativem Hauptsatz 40 mit indefinitem Antezedens auf. Der Verb____________________ 40

Vor diesem Hintergrund ist der Parzivalbeleg (wër was ein man lac vor dëm Gral, Wolfram) von Paul unglücklich gewählt, denn es ist für die Konstruktion sehr untypisch, sich mit einem interrogativischen Hauptsatz zu verbinden. Ich habe in den hier herangezogenen Quellen keinen weiteren Beleg dieser Art gefunden und auch in der mir bekannten Sekundärliteratur sind keine entsprechenden Beispiele zitiert.

259 endtyp dagegen ist häufig mit einem definiten Antezedens bezeugt. Es ist ein breites Spektrum an Hauptsatzkonstruktionen belegt (z.B. kanonische nichtpräsentative Verbzweitsätze, Spaltsatzkonstruktionen mit deklarativem Hauptsatz, Spaltsatzkonstruktionen mit interrogativem Hauptsatz usw.). Darüber hinaus weisen die beiden Typen eine unterschiedliche Chronologie auf: Während der Verbendtyp im Ahd. häufig ist und später nur noch vereinzelt auftritt, ist der Verbersttyp vor allem in mhd. und teilweise noch in frnhd. Texten verbreitet. Die grammatischen Eigenschaften und die diachrone Entwicklung sprechen dafür, dass der Verbersttyp eine Variante der relativischen Verbzweitkonstruktion ist, und nicht mit dem Verbendtyp ‚verwandt’ ist. Will man die Genese des d-Relativsatzes untersuchen, muss man die beiden Typen strikt auseinander halten. Im nächsten Abschnitt werden Szenarien diskutiert, in denen der asyndetische Verbendtyp der Ausgangspunkt für die Entwicklung des d-Relativsatzes war, im übernächsten Abschnitt dann ein Szenario, bei dem der asyndetische Verbersttyp eine zentrale Rolle spielte.

Entstehung aus dem Verbendtyp Der asyndetische (und partikeleingeleitete) Verbendrelativsatz spielt eine zentrale Rolle in dem Szenario von Lehmann (1984: 374f., 378–383). 41 Lehman behauptet, wie bereits erwähnt, dass sich das d-Relativpronomen aus dem „Anaphorikum“ entwickelt habe, wobei sich diese Entwicklung vom Germanischen zum Ahd. in zwei Stufen durch Kombination verschiedener Mechanismen des grammatischen Wandels (Reanalyse und Grammatikalisierung) vollzogen habe: Stufe 1: Aus dem Urgermanischen sei der Typ des postnominalen Relativsatzes ererbt worden, der uneingeleitet war oder durch den optional vorhandenen Subordinator the eingeleitet wurde (z.B. mit themo brunnen thu nu quist (Otfrid II 14, 44) 42, then weg, th’er faran wolle (Otfrid) 43). Außerdem gab es im Ahd. die Möglichkeit, einfache Attribute mit Hilfe des Demonstrativums postnominal anzuschließen (Ih meinu sancta Mariun, kuningin thia ____________________ 41 42

43

Siehe auch die Zusammenfassung auf: http: //www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/personal/lehmann/ling/wandel/Analog&Gramm&Reanal.html. Übersetzung Lehmann (1984: 379): „mit dem Brunnen, von dem du jetzt sprichst’. Dieser Beleg und die Belege in diesem und dem folgenden Absatz sind nach Lehmann (1984: 374f., 378–383) zitiert. Die Stellenangaben der Tatianbelege beziehen sich auf die Ausgabe von Sievers (1892/1964). Übersetzung Lehmann (1984: 379): „den Weg, den er fahren wollte”. Der Beleg ist bei Lehmann nicht ganz korrekt wiedergegeben, er lautet eigentlich: then weg sie fáran scoltun (O I 17, 74), s. Kapitel 2, Beleg (110).

260 richun (Otfrid I 3, 31) 44; ich bim Gabriel thie azstantu fora gote (Tatian 2, 9) 45). 46 Die letztere Möglichkeit sei analogisch auf die Relativsätze als komplexe Attribute übertragen worden, wobei der Subordinator weiterhin optional blieb (sandida mih ... zi dheodom dhem euwih biraubodon (Isidor 11, 5 [= Kap. III, 8, He 10, 18]) 47; gisah ther heilant ... iungiron ... then-de her minnota (Tatian 206, 2) 48). Das Demonstrativum sei in diesem Stadium noch keine Konstituente des Relativsatzes. Die Konstruktion könne aber – besonders bei Fehlen des Subordinators the – als Relativkonstruktion mit attractio relativi interpretiert werden. Stufe 2: Voraussetzung für den weiteren Entwicklungsschritt sind, wie oben in Abschnitt 4.6.1 erwähnt, die relativischen Verbzweitkonstruktionen (ingegin liofun imo zehen man riobe, thie gistuontun ferro (Tatian 111, 1) 49). Lehmann (1984: 380) spricht davon, dass es sich um durch ein Anaphorikum angeschlossene Nachsätze handele, die ‚textsemantisch’ wie Relativsatzgefüge fungierten. Diese Konstruktion sei ebenfalls aus dem Germanischen ererbt. In Analogie zu dieser Konstruktion werde das Demonstrativum in der Relativkonstruktion, die Ergebnis der ersten Stufe war (die Kasusattraktionskonstruktion), nunmehr als Konstituente des Relativsatzes interpretiert und im Kasus entsprechend flektiert (sê mîn sunu den ih gachôs (Monseer Matthäus]) 50). Es habe also eine ‚Gliederungsverschiebung’ bzw. ‚Reanalyse’ stattgefunden, denn das Demonstrativum sei ja vom Hauptsatz in den Relativsatz übergetreten (Stufe 1 nach Stufe 2). Innerhalb von Stufe 2 sei eine Satzreihe in ein Satzgefüge übergegangen, indem nämlich aus dem selbständigen Nachsatz (thie gistuontun ferro) ein subordinierter Satz wird. Gleichzeitig sei die Wahl des anaphorischen Ausdrucks, welcher in einer Satzreihe ____________________ 44 45 46

47 48 49 50

Übersetzung Lehmann (1984: 378): „ich meine die heilige Maria, die mächtige Königin“. Übersetzung Lehmann (1984: 379): „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht“. Lehmann (1984: 379) führt aus, dass es sich bei dem Tatianbeleg um eine mit dem Determinator angeschlossene Partizipialkonstruktion handelt. Wie Zifonun (2003: 73, Fn. 9) bemerkt, ist dies jedoch eine Fehlanalyse, da azstantu nicht das Partizip Präsens sei, sondern die 1. Ps. Sg. von azstantan: „Es wird also (wohl nach dem lat. Vorbild qui adsto) im Relativsatz bei Relativierung der Subjektstelle ohne Subjektspronomen einfach das Verb in die erste Person gesetzt, insofern liegt hier bereits eine voll ausgebildete Relativkonstruktion vor.“ Übersetzung Lehmann (1984: 379): „sandte mich zu den Völkern, die euch beraubten“. Übersetzung Lehmann (1984: 379): „sah der Heiland den Jünger, den er liebte“ Übersetzung: „Entgegen liefen ihm zehn aussätzige Männer, die blieben in der Ferne stehen“. Übersetzung Lehmann (1984: 380): „Sieh, mein Sohn, den ich erwählt habe“.

261 frei ist, auf das demonstrative Pronomen bzw. Relativpronomen eingeschränkt worden, was einen Fall von Grammatikalisierung darstelle. Problematisch an diesem Szenario ist die Hypothese, dass das Relativpronomen aus dem Hauptsatz in den entstehenden Relativsatz übergetreten ist. Dieser Schritt involviert eine radikale Reanalyse der Satzgrenze. Wie bereits bei der Diskussion um die Entwicklung der Konjunktion dass argumentiert (s. Kapitel 2), ist ein Szenario, in dem der Nebensatzeinleiter von vorneherein dem Nebensatz angehört, aus konzeptionellen Gründen vorzuziehen. Ein weiterer Einwand betrifft die Annahme Lehmanns, dass dieser Schritt in Analogie zur relativischen Verbzweitkonstruktion erfolgte. Welche Rolle Analogie bei syntaktischem Wandel spielt, ist eine höchst strittige Frage. In einem alternativen Szenario, das sehr verbreitet ist, wird angenommen, dass der d-Relativsatz aus einer Fügung von zwei Hauptsätzen entstanden sei, bei der am Ende des ersten Hauptsatzes ein kataphorisches Demonstrativum stand, das auf einen zweiten asyndetisch angeschlossenen Hauptsatz verwies (z.B. Erdmann 1874, Bd. I: 130), Tomanetz 1879, Paul 1920: 189, Behaghel 1928: 766, Dal 31966: 198, Helgander 1971: 136–181, Wunder 1965: 252, u.v.a.m.). Eine generative Weiterentwicklung dieses Szenarios schlägt Pittner (1995) vor. Sie diskutiert den folgenden bei Behaghel (1928: 761) zitierten mhd. Beleg aus dem Nibelungenlied: (147) a. daz in saehe die [ __ er in herzen truoc ] b. daz in saehe __ [ die er in herzen truoc ] (adaptiert aus Pittner 1995: 5, Bsp. 6a,b)

Pittner argumentiert, dass diese Konstruktion strukturell ambig sei: Entweder sei das Demonstrativum die nominativisch, stehe am Ende des Hauptsatzes und der Relativsatz sei asyndetisch, (147)-a, oder es sei akkusativisch und stehe in der SpecC-Position des Relativsatzes, welcher dann keinen relativen Kopf im Hauptsatz aufweise, also ein sogenannter ‚freier’ Relativsatz sei, (147)-b. Das von Pittner zitierte Beispiel stammt aus dem Mhd., sie vermutet aber, dass es ähnliche Beispiele auch im Ahd. gab. In der Tat kann das hier bestätigt werden. Bei dem folgenden Otfridbeleg kann ebenfalls das Pronomen thie entweder dem Hauptsatz- (bei asyndetischem Nebensatz) oder dem Nebensatz (bei kopflosem Hauptsatz) angehören (vgl. auch Erdmann 1874, Bd. I: 128 für weitere Beispiele): 51

____________________ 51

Allerdings spricht möglicherweise die Tatsache, dass die Zäsur vor thie steht, dafür, dass thie zum Nebensatz gehört.

262 (148) Tho líefun sár so thu uuéist · thie [ inan mínnotun méist ] dann liefen gleich wie du weißt die ihn liebten am.meisten (Otfrid V 5, 3) = (3)

Pittner argumentiert, dass es im Ahd. asyndetische Relativsätze gab. Dieser Nebensatztyp habe sich wie folgt entwickelt: Ursprünglich seien diese Sätze durch eine Relativpartikel in C0 eingeleitet worden, die dann aber verschwunden sei, sodass eine oberflächlich asyndetische Verbindung entstand. Im vorausgehenden Hauptsatz habe das Antezedens/der relative Kopf gestanden, (149)-a, später sei dann auch am Satzende häufig ein Korrelat in Form eines Demonstrativpronomens aufgetreten, welches den relativen Kopf wiederholt habe, (149)-b. Die SpecC-Stelle im asyndetischen Relativsatz war durch ein Nullpronomen besetzt, die C-Position war nach dem Schwund der Partikel leer. Der entscheidende Schritt sei der in (147)-c/c‘ wiedergegebene: Das (einstige) (kor)relative Pronomen sei schon Teil der Relativsatzes, trage aber noch den im Matrixsatz geforderten Kasus. Das Phänomen dieser sog. Kasusattraktion erklärt sie dadurch, dass das Pronomen nach dem Übertritt in den Relativsatz zunächst den Matrixsatzkasus beibehält, bevor es vollständig als Relativpronomen reanalysiert wird, (149)-d. (149) a. NPi [proi … b. NPi correlative pronouni [ proi … c. NPi [(cor)relative pronouni (proi) c.' NPi [(cor)relative pronouni d. NPi [relative pronouni … (Pittner 1995: 220, Bsp. 32a–d)

Der Vorteil an Pittners Szenario gegenüber dem der Junggrammatiker (gefolgt von Dal 31966: 198, Wunder 1965: 252) ist, dass der asyndetische Satz in der Ausgangskonstruktion, (149)-b, eindeutig als subordinierter Satz analysiert wird, indem nämlich angenommen wird, dass in C0 eine leere Partikel stehe. Somit ist auch die Verbstellungsasymmetrie erklärt. Es handelt sich nicht um ein Parataxe-zu-Hypotaxe-Phänomen. Jedoch gibt es auch problematische Aspekte: Zunächst ist der Übertritt des Pronomens über die Satzgrenzen aus theoretischer Sicht fragwürdig, da dies eine radikale Reanalyse der Struktur voraussetzt. Pittner rechtfertigt sich damit, dass eine parallele Entwicklung bei der Entwicklung des thazArgumentsatzes stattgefunden habe. Wie in Kapitel 2 ausführlich dargelegt wurde, sieht sich dieses Szenario allerdings in egal welcher genauen Ausprägung mit schwerwiegenden Einwänden konfrontiert. Ein weiteres schwerwiegendes Gegenargument ist, dass der asyndetische Typ außer im älteren Ahd. in den germanischen Sprachen/Dialekten kaum verbreitet ist. Wie Harbert (2007: 436) ausführt, ist er insbesondere im Goti-

263 schen und Altenglischen nicht belegt. Trotzdem sei der d-Relativsatz der Haupttyp im Gotischen, Altenglischen, Niederländischen (und Deutschen).

Entstehung aus dem Verbersttyp Dass der Verbersttyp eine Rolle bei der Entstehung des d-Relativsatzes gespielt hat, wird nur von Autoren behauptet, die ihn irrtümlicherweise als eine Variante des asyndetischen Verbendsatzes ansehen (z.B. Paul 1920: 189f.). Wie oben argumentiert, ist die Parallelisierung empirisch nicht haltbar. Selbst wenn man davon ausgehen könnte, dass es sich bei den beiden asyndetischen Varianten um dasselbe Phänomen handelt, wäre dieses Szenario ebenfalls mit den im letzten Abschnitt diskutierten Einwänden konfrontiert.

4.6.3 Ein alternatives Szenario zur Entstehung des d-Verbendrelativsatzes? In den letzten Abschnitten wurde gegen die Hypothese argumentiert, dass der d-Relativsatz aus der relativischen Verbzweit-/erst-Konstruktion hervorgegangen ist, wie auch gegen die Hypothese, dass der Typ des asyndetischen Verbendsatzes bei der Genese eine zentrale Rolle spielte. Zu demselben Schluss kommt auch Lühr (2004) auf der Basis einer Untersuchung der Relativ- und Hauptsatzkonstruktionen mit satzeinleitendem Demonstrativum im altsächsichen Heliand: Das Regelsystem, das hinter der Distribution „Relativsatz oder Hauptsatz mit Demonstrativum in Spitzenstellung“ steht, ist also relativ kompliziert. […] Auf keinen Fall hat es sich vor unseren Augen sozusagen erst im Westgermanischen entwickelt. Ebensowenig wie bei den daß Sätzen kommt man also bei den Relativsätzen mit der Annahme einer simplen Umfunktionierung von Hauptsatzelementen zu Nebensatzelementen weiter, will man eine Ratio für den Gebrauch von Demonstrativpronomina als Relativpronomina in der Westgermania finden. (Lühr 2004: 176)

Lühr betont außerdem, dass aufgrund der Situation im Gotischen und Altnordischen davon auszugehen sei, dass die Verwendung des Demonstrativums als Relativum urgermanischen Alters sei. Auch Harbert (2007: 436) wendet sich gegen die verbreitete Annahme, dass sich dieser Typ erst in den germanischen Tochtersprachen entwickelt hat: the particular form of relative pronouns in the early languages would seem to point back to a common inheritance; the fact that OE, OHG, OS and GO [Altenglisch, Althochdeutsch, Altsächsisch und Gotisch; K.A.-T.] all agree in having relative pronouns based on the demonstrative paradigm (as opposed to the interrogative pa-

264 radigm found in Latin, for example) followed (optionally or obligatorily) by complementizers, suggests that this is a common pattern inherited from the parent language. There is no evidence for the “growth” of relative pronouns within GMC [Germanic; K.A.-T.] proper. (Harbert 2007: 436)

Wenn der d-Relativsatz in der Tat so alt wäre, dann stellt sich die Frage, ob wir in den Tochtersprachen überhaupt noch Evidenzen für ein mögliches Geneseszenario finden können. Am plausibelsten erscheint mir die Annahme, dass das Relativpronomen aus dem Relativsatz selbst kommt und nicht vom Hauptsatz in den Relativsatz übergetreten ist. An einer anderen Stelle präzisiert Harbert (2007: 434), dass das gemeinsame Erbe der germanischen Tochtersprachen in dem Relativsatztyp bestehe, der durch ein Pronomen in Kombination mit einer Relativpartikel eingeleitet wird. Dieser Typ findet sich etwa im Gotischen (sa + ei), Altenglischen (se + þe), Altsächsischen und Ahd. (ther + the). Die gotische Partikel ei ist etymologisch nicht verwandt mit den Partikeln, die man im Westgermanischen findet (þe/(da)t), sodass man Harberts Meinung nach nicht davon ausgehen kann, dass eine bestimmte Konstruktion aus dem Protogermanischen ererbt wurde, sondern lediglich das Muster. Ich illustriere unten ein mögliches Entwicklungsszenario anhand der ahd. Daten. Das ist nur exemplarisch gedacht, denn Harberts Argumentation, dass der pronominale Relativsatz zum protogermanischen Erbe gehört, ist überzeugend. Wenn man davon ausgeht, dass der partikeleingeleitete Relativsatz älteren Ursprungs ist, ist folgendes Szenario denkbar: Beim partikeleingeleiteten Relativsatz wird die Leerstelle nicht overt angezeigt. Eine Variante ist der resumptive Relativsatz. Resumptive Pronomina sind Demonstrativ- oder Personalpronomina, welche die Leerstelle im Relativsatz besetzen (de Vries 2002: 62). Sie unterliegen keiner A-bar-Bewegung. Resumptiva unterscheiden sich von freien anaphorischen Pronomina dadurch, dass sie durch einen w-Operator gebunden werden. Resumptive Relativsätze sind im Ahd. belegt, allerdings nur mit der Relativpartikel thaz bei Otfrid (vgl. Abschnitt 2.4.4): (150) Wanta állaz thaz sies thénkent · sie Õࡆ zҕ al sie es alles denn alles THAZ sie-es-GEN denken góte uuirkent · Gott wirken ‚denn alles, auf das sie sinnen, wirken sie mit Gott’ (Otfrid I 1, 105) = Kap. 2, Bsp. (121)-b

mit mit

Weiter verbreitet ist die Relativpartikel the. Diese Relativpartikel kommt in zwei unterschiedlichen Konstruktionen vor, und zwar mit und ohne dPronomen ther. Im Tatian sind beide Konstruktionen belegt:

265 (151) a. Iógiuuelihhemo therde habet ʜ uuirdit gigeban jedwelchem der-REL.PART hat wird gegeben (Tatian 263, 11) = Kapitel 3, Bsp. (46)-a b. uuanta der fater ʜ suliche suochit de dar beton inan denn der Vater solche sucht REL.PART PART beten ihn ‚denn der Vater sucht solche, die ihn anbeten’ Nam & pater ʜ tales quaerit. qui adorent eum. (Tatian 132, 23)

(151)-a und (150) sind strukturell ähnlich. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das Pronomen in (151)-a w-Bewegung unterlaufen hat und die SpecC-Position besetzt: (152) [CP theri [C de] ... ti ... ]

Wenn die Partikel the ‚verloren’ geht, dann ist das Ergebnis der dRelativsatz, wie wir ihn im Gwd. kennen. In den oberdeutschen Denkmälern ist dieser Zustand bereits im Ahd. erreicht, denn hier ist keine Relativpartikel the bezeugt.

4.7

Zusammenfassung

Dieses Kapitel widmete sich drei verschiedenen Typen von nichtkanonischen ‚Relativ’sätzen: relativischen Verberstsätzen mit Argumentauslassung, relativischen Verbzweitsätzen und asyndetischen Verbendrelativsätzen. Die relativischen Verberstsätze sind sporadisch im Ahd. belegt, häufiger aber erst ab frühmhd. Zeit. Die Verberststellung ergibt sich aus V-nach-CBewegung. Der ‚Hauptsatz’ ist häufig informationsarm, nicht selten ist er präsentativ. Würde man ihn zum Beispiel in einem Gefüge wie In demo mere ist einez, heizzet serra (Ahd. Physiologus Z. 104) isoliert interpretieren, wäre das pragmatisch unakzeptabel. Bei dieser Konstruktion besteht somit eine Diskrepanz zwischen dem hauptsatztypischen Verbstellungsmuster (Verberst) und der ‚hypotaktischen’ Interpretation. Was die externe Syntax der Konstruktion angeht, gibt es Indizien für eine parataktische Satzfügung: Der Verberstsatz steht stets im Nachfeld. Am linken Satzrand kann die koordinierende Konjunktion unde auftreten. Sein Bezugssatz ist immer ein selbständiger Satz mit deklarativem Satzmodus. Das Antezedens ist in der Regel indefinit. Was die interne Syntax angeht, wurde argumentiert, dass die Argumentlücke durch Topik-Drop zustande kommt. Gegen eine pro-dropAnalyse spricht, dass auch Objekte betroffen sein können.

266 Es wurde gezeigt, dass die relativische Verbzweitkonstruktion, die ebenfalls seit ahd. Zeit belegt ist, sehr ähnliche Eigenschaften aufweist. In diesem Fall liegt ebenfalls eine Diskrepanz zwischen der formal-syntaktischen Eigenschaft der V-nach-C-Bewegung und der interpretatorischen Eigenschaft der (zumindest scheinbar) restriktiven Semantik vor. Auch aus informationsstruktureller Sicht scheint eine Nähe zum Verbersttyp zu bestehen, insofern die Hauptsätze häufig, wenn auch nicht immer, präsentativ sind. Der einzige Unterschied zum Verbersttyp scheint darin zu bestehen, dass die SpecCPosition durch ein d-Pronomen besetzt wird. Außerdem ist die Wahl des Verbs im relativischen Verbzweitsatz offenbar ‚freier’: Der Verbersttyp ist fast ausschließlich mit Zustandsverben wie heizen, sîn, wesen oder ligen belegt. Beim Verbzweittyp sind diese Verben auch häufig, jedoch findet man nicht selten auch transitive Verben usw. Dass sich die beiden Konstruktionen in den meisten Eigenschaften vergleichbar verhalten, spricht dafür, sie (makrostrukturell) gleich zu analysieren. Ich habe die von Gärtner (2001ff.) für die gwd. relativische Verbzweitkonstruktion entwickelte und von Ebert, Endriss & Gärtner (2007) modifizierte parataktische Analyse übernommen, in der der ‚Hauptsatz’ der 6SH]LIL]LHUHUXQGGHU1HEHQVDW]GDV.RPSOHPHQWGHV3DUDWD[HNRSIHVʌREL ist. Auch wenn auf syntaktischer Ebene eine parataktische Konstruktion besteht, liegt auf informationsstruktureller Ebene Integriertheit vor. Der Gesamtsatz bildet eine Informationseinheit im Sinne von Brandt (1990). In der neueren informationsstrukturbasierten Analyse von Ebert, Endriss & Gärtner (2007) fungiert dabei die ‚Hauptsatz’-CP als Topik und die relativische CP als Kommentar. Das d-Pronomen nimmt anaphorischen Bezug auf einen Diskursreferenten, der in der Hauptsatz-CP (als ‚Prä-Topik’) eingeführt wird, es fungiert innerhalb des relativischen Satzes als Topik. In der älteren Literatur wurde die relativische Verberstkonstruktion häufig mit den ‚asyndetischen Nebensätzen’ parallelisiert. Als ‚asyndetisch’ wurde sie deswegen bezeichnet, weil satzinitial kein d-Pronomen auftritt. Streng genommen ist aber auch die relativische Verbzweitkonstruktion ‚asyndetisch’, denn Gärtner (2001) konnte (zumindest) fürs Gwd. überzeugend zeigen, dass das d-Pronomen kein Relativ- (und damit keine Nebensatzeinleitung), sondern ein Demonstrativpronomen ist. Die asyndetischen Verbendrelativsätze, die im Ahd. verbreitet waren und vereinzelt noch bis in die frnhd. Zeit belegt sind, weisen darüber hinaus völlig andere grammatische Eigenschaften auf: So kommen als Antezedenten auch Definita und negative Indefinita vor, die Hauptsätze sind nicht auf den deklarativen Satzmodus beschränkt und der Relativsatz besetzt nicht immer das Nachfeld. Dieser Nebensatztyp verhält sich in wesentlichen Punkten so wie die kanonischen eingeleiteten Verbendrelativsätze. Die nächstliegende Analyse ist, dass er durch ein Nullrelativum eingeleitet wurde.

267 Die relativische Verbzweitkonstruktion spielt in diversen ‚ParataxeHypotaxe-Szenarien’ eine zentrale Rolle. Problematisch daran ist, dass in diesen Szenarien die Verbstellung einen radikalen Wandel von Verbzweit zu Verbend durchläuft. Es wäre plausibler, wenn sich in den asymmetrischen Verbzweitsprachen die Verbbewegung nie auf die Nebensätze ausgedehnt hätte. Außerdem spricht die Beobachtung, dass die relativische Verbzweitkonstruktion sehr spezifische Eigenschaften hat im Hinblick auf die Informationsstruktur und auf die Wahl des Antezedenten dagegen, dass sich aus ihr der kanonische d-Verbendrelativsatz entwickelt hat.

5

Temporale da-Sätze: von der Korrelation zur Integration

5.1

Fragestellung

Im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels steht ein Nebensatztyp, der in den vorherigen Kapiteln noch keine Beachtung gefunden hat, nämlich der Adverbialsatz. 1 Im Rahmen dieser Arbeit kann allerdings exemplarisch nur ein Subtyp der Adverbialsätze untersucht werden, und zwar Adverbialsätze, die durch den Subordinator da (ahd. WKǀGKXR) eingeleitet werden, der ursprünglich temporale Bedeutung hatte: (1)

a. Dhuo ir himilo garauui frumida, dhar uuas ih ; da er Himmel-GEN.PL Ausstattung erschuf dort war ich Quando praeparabat cľ‫́ܟ‬os aderam ; ‚als er die Austattung der Himmel erschuf, war ich da’ (Isidor II, 2, He I, 2) b. Da syn meister das sah, er wonde yn begriffen zwuschen syne arme. (Lancelot 40, 8)

Im älteren Deutsch war WKǀG{der am häufigsten verwendete temporale Subordinator. Erst im Laufe des 15. Jahrhundert und 16. Jahrhunderts wird. frnhd. da/do zunehmend von als zurückgedrängt (Ebert et al. 1993: 456). Wie im heutigen Deutsch so traten auch im älteren Deutsch Temporalsätze häufig in vorangestellter Stellung auf. Anders als im heutigen Deutsch war jedoch – wie bei dem ahd. Isidor- und mhd. Prosalancelotbeleg in (1) – die Stellung links vom Bezugssatzvorfeld das kanonische Muster. Die Belege reichen, wie in den nächsten Abschnitten ausführlich dargelegt werden wird, von der ahd. bis in die mhd. und sogar frühe frnhd. Periode. 2 In Bezug auf die ____________________ 1

2

Das Phänomen der linksperipheren Adverbialsätze wurde auch in Axel (2002, 2004) behandelt. Einige zentrale Gedanken, Argumente und Daten wurden bereits dort diskutiert. Bei dem vorliegenden Kapitel handelt es sich aber trotz der Fokussierung auf die da-Sätze um eine beträchtliche empirische Ausweitung und theoretische Weiterentwicklung. Das Stellungsverhalten vorangestellter Adverbialsätze im Ahd. und in späteren Sprachstufen wurde in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder diskutiert, und zwar sowohl in primär deskriptiven Studien (z.B. Starker 1883, Kracke 1911, Behaghel 1929, Werbow 1953, Horacek 1957, 1964, Müller & Frings 21959, Schieb 1970, Fleischmann 1973, Lötscher 1998 u.v.a.m.) wie auch in theoretischeren Arbeiten aus Grammatikalisierungs- (König & van der Auwera 1988) und generativer Perspektive (Knaus 1995, Axel 2002, 2004). – Das gleiche

270 externe Syntax zeigen die Adverbialsätze im älteren Deutsch somit ein nichtkanonisches Verhalten: Anders als nichtsatzförmige adverbiale Bestimmungen sind sie nicht vorfeldfähig, sondern besetzen eine periphere Position. Im Gwd. ist die Prä-Vorfeldstellung nur bei bestimmten Adverbialsatztypen mit besonderen semanto-pragmatischen Eigenschaften möglich bzw. erforderlich, wie etwa bei ‚wenn ... auch’-Konzessivsätzen, (2)-a, bei Konditionalsätzen im Konjunktiv II, (2)-b, bei sog. Irrelevanzkonditionalen, (2)-c, oder bei Sprechaktadverbialsätzen, (2)-d (vgl. Baschewa 1983, König 1986, 1992, König & van der Auwera 1988, Vandergriff 1997, Pittner 1999, d’Avis 2004 u.v.a.m.). (2)

a. Wenn er auch kein großer Romancier ist, seine lyrischen Texte sind wunderbar b. Wenn ich in Wien lebte, ich würde jeden Tag ein Kaffeehaus besuchen c. Selbst wenn ich ein Millionär wäre, einen Porsche würde ich nicht fahren wollen d. Wenn ich sie berichtigen darf: durch die Reform werden nur 49 Millionen eingespart

Im Gwd. leitet da kausale Nebensätze ein: (3)

Da die Dahlien ganz schwarz sind, hat es Frost gegeben. (Pasch et al. 2003: 397, Bsp. 61a)

Das Hauptaugenmerk in diesem Kapitel liegt auf der sprachgeschichtlichen Entwicklung der externen und internen Syntax von da-Sätzen. Im Gwd. verhalten sich da-Sätze syntaktisch wie ganz normale adverbiale Gliedsätze, was man vor allem daran erkennen kann, dass sie wie in (3) bei Voranstellung im Vorfeld ihres Bezugssatzes stehen. 3 Allerdings gibt es bei da-Sätzen im Gwd., wie Pasch et al. (2003: 397ff.) ausführlich darlegen, eine Diskrepanz zwischen syntaktischer Integriertheit auf der einen Seite und semantischer Desintegriertheit auf der anderen Seite. 4 Anders als weil ist das kausale da ____________________

3

4

Phänomen ist für ältere Sprachstufen weiterer germanischer und romanischer Sprachstufen mit Verbzweitcharakteristika beschrieben worden, wie etwa für das Altenglische (vgl. Stockwell & Minkova 1991, Kiparsky 1995: 157), für das Mittelniederländische (van der Horst 1981), das Altfranzösische (Vance 1997: 65, Kaiser 2002: 69f.) und für das Altspanische (Fontana 1993: 167). Es gibt Hinweise, dass kausale da-Sätze nicht nur semantisch, sondern auch prosodisch desintegriert sind. Die informationsstrukturellen Eigenschaften von Gefügen mit kausalen da-Sätzen werden in Brandt (1989) untersucht. In Axel & Wöllstein (2009) und Reis & Wöllstein (2010) wird allerdings argumentiert, dass nicht in jedem Fall die oberflächensyntaktisch präfinite Stellung von Adverbialsätzen relativ zum Bezugssatz strukturell als Vorfeldstellung (d.h. SpecC-Besetzung) zu analysieren ist. Die Autorinnen argumentieren, dass bei

271 ein ‚nichtpropositionaler’ Konnektor (ibid.). Wie Pasch et al. argumentieren, kann sich der da-Satz in (3) nicht auf den propositionalen Gehalt des Matrixsatzes beziehen, weil dann die entsprechende Konstruktion semantisch nicht wohlgeformt wäre (dass die Dahlien ganz schwarz sind, ist nicht der Grund dafür, dass es Frost gegeben hat). Stattdessen verknüpfe es die Bedeutung des von ihm eingeleiteten Satzes mit der Äußerungsbedeutung des Matrixsatzes inklusive dessen epistemischen Modus. In (3) sei der epistemische Modus der des Urteils, d.h. der Annahme, dass der vom externen Konnekt bezeichnete Sachverhalt ein Faktum ist. Mit dem Bezug auf den epistemischen Modus werde ausgeschlossen, dass die Proposition des subordinierten Satzes und die der übergeordneten Satzstruktur zu einer komplexen Proposition integriert werden. Pasch et al. heben hervor, dass, da bei diesen Subjunktoren kein Homomorphismus zwischen syntaktischer und semantischer Struktur vorliege, im Lexikon ausgewiesen werden müsse, „ob ein Subjunktor vollständig propositional (wie z.B. indem) oder nichtpropositional (wie da)“ sei. Im Gwd. ist als die Kernverwendung der Konjunktion da die Einleitung von kausalen Nebensätzen wie in (3) anzusehen. Die ursprüngliche Bedeutung ist jedoch temporal: Der ahd. Subordinator WKǀ/dhuo war homonym mit dem temporalen Adverb WKǀ/dhuo ‚da, dann, damals, darauf, ...‘. Die ursprüngliche temporale Bedeutung tritt im Gwd. lediglich bei der Verwendung als Relativadverb zu Tage, die allerdings archaisierend wirkt: (4)

a. Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten (Titel eines Theaterstücks von Peter Handke)

____________________ Gefügen mit präfiniten Verberstkonditionalen wie Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch, der Verberstkonditionalsatz (ist die Katze gesund) unintegriert ist und einen Verberst-Deklarativsatz (freut sich der Mensch) zum Bezugssatz hat. Es ist eine offene Forschungsfrage, ob diese Analyse auf die kausalen da-Sätze (und evtl. auch auf andere Adverbialsatztypen) ausgedehnt werden sollte. Dass das Stellungsverhalten von da-Sätzen womöglich nur eine Pseudo-Integriertheit widerspiegelt, dafür spricht nicht nur die semantische und prosodische (s. Kapitel 1, Fn. 3) Desintegriertheit, sondern auch ein syntaktisches Indiz (Marga Reis, mdl. Mitteilung): Da-Sätze im Gwd. sind nicht linksversetzbar. Das gilt jedoch nicht für ihre temporalen Vorläufer im Ahd., Mhd. und Frnhd. Die Entwicklung des kausalen da ist eine sprachgeschichtlich junge Erscheinung. Inwiefern der semantische Wandel der temporalen zur kausalen Bedeutung, der auch bei anderen Subjunktionen (z.B. bei weil und nachdem) gut belegt ist (Fritz 22006: 150), bei epistemisch-kausalem da mit einer syntaktischen Sonderentwicklung einhergeht, ist nicht Thema dieses Kapitels, das sich nur dem temporalen da widmet.

272 b. Aber die Zeit, da er seine Ziele im Handstreich zu erreichen pflegte, ist vorbei. (aus „In Frankreich beginnt die Zeit der Reformen“ von Axel Veiel, Berliner Zeitung, 18. Juni 2007)

In diesem Kapitel wird nur die Entwicklung der temporalen da-Sätze behandelt. Der Wandel zur kausalen Konjunktion ist eine sprachgeschichtlich junge Erscheinung, die sich erst in nhd. Zeit systematisch vollzogen hat (vgl. Arndt 1960). Vor dem 17. Jahrhundert findet sich da/ do „mit kausaler Färbung“ nur in vereinzelten Fällen (Ebert et al. 1993: 475). Das mag vielleicht für den am Gwd. interessierten Leser unbefriedigend sein. Es gibt jedoch Hinweise, dass sich der syntaktische Wandel, der hier am Beispiel der temporalen daSätze aufgezeigt wird, nämlich die Entwicklung der Adverbialsatzkonstruktion aus einer Relativkonstruktion, bei vielen Adverbialsubjunktionen (z.B. auch bei als (< ahd. al + Vǀ), nachdem, weil) in paralleler oder ähnlicher Weise vollzogen hat. Das temporale da mag zwar im Gwd. marginal sein, seine syntaktische Entwicklung im älteren Deutsch ist aber durchaus typisch und seine Vorgängerkonstruktionen sind seit ahd. Zeit so häufig bezeugt, dass sie sich für eine diachrone Untersuchung in besonderer Weise eignen. Abgesehen von der externen Syntax von da-Sätzen soll, wie schon angedeutet, auch auf Aspekte der internen Syntax eingegangen werden, insbesondere auf die Frage, wie die Konjunktion da entstanden ist. Ähnlich wie die Konjunktion dass, die etymologisch auf das Demonstrativpronomen Nom./Akk. Neutrum zurückzuführen ist, geht da auf das temporale Adverb da (ahd. WKǀ) zurück. Hier soll die Hypothese verfolgt werden, dass die Verwendung als Relativadverb einen entscheidenden Zwischenschritt auf dem Weg zur konjunktionalen Verwendung darstellt. Der Gang der Untersuchung gliedert sich wie folgt: Im nächsten Abschnitt (5.2) wird das Stellungsverhalten von WKǀ-Sätzen in den ahd. Prosatexten untersucht. Zunächst werden nur Gefüge mit selbständigen Deklarativsätzen als Bezugssatz betrachtet, in einem weiteren Schritt jedoch auch Gefüge mit ihrerseits abhängigen Bezugssätzen und mit (selbständigen) interrogativischen Sätzen, denn diese syntaktischen Kontexte bieten sehr gute Indizien für den Grad der Unintegriertheit der WKǀ-Sätze. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welchen syntaktischen Status der Subordinator WKǀim Ahd. hatte. War er noch ausschließlich phrasal oder gibt es bereits Indizien, dass eine Reanalyse zu einem C-Element (Subjunktion) erfolgt war? Eine zentrale Rolle bei der Diskussion der ahd. Daten spielt auch ein Vergleich mit Relativkonstruktionen, insbesondere mit einer Relativierungsstrategie, die in den alten indogermanischen Sprachen verbreitet war: das sogenannte ‚korrelative Diptychon’. Abschnitt 5.3 widmet sich den dô-Sätzen im Mhd. Auch hier werde ich zunächst die Distribution dieses Nebensatztyps in der mhd. Prosa eingehend

273 beschreiben. Danach konzentriert sich die Untersuchung auf den Prosalancelot, da dieser Text eine Reihe von Konstruktionen bezeugt, deren externe Syntax in bestimmten Punkten denen der dô-Sätze ähnelt: Irrelevanzkonditionale, konditionale Relativsätze und kopfinterne, d.h. freie welchRelativsätze. In Abschnitt 5.4 werden verschiedene Theorien zur Entstehung der daSätze diskutiert. Diesem Thema hat sich sowohl die junggrammatische als auch die generative Literatur gewidmet. In der Diskussion dieser Ansätze wird sich herauskristallisieren, dass bislang zwei Aspekte nicht konsequent auseinandergehalten worden sind: Zum einen die Entwicklung der Konjunktion da, also ein zentraler Aspekt der internen Syntax des da-Satzes. Zum andern die Frage der Integration des da-Satzes in seinen Bezugssatz, ein zentraler Aspekt der externen Syntax. In Abschnitt 5.5 werden daher zwei Reanalyseschritte getrennt behandelt: die Reanalyse von da zu einem CElement und die Reanalyse des da-Satzes zu einem eingebetteten Satz, einem Gliedsatz. Abschnitt 5.6 widmet sich schließlich der diachronen Entwicklung des Stellungverhaltens von da/do-Sätzen im Frnhd. Es wird gezeigt, dass sich die Vorfeldfähigkeit erst in dieser Sprachperiode herausbildet und die PräVorfeldstellung wie in (1) komplett verdrängt. Der Wandel in den Oberflächenabfolgen wird als Reflex des zugrunde liegenden Wandels von da/doSätzen hin zu eingebetteten Sätzen interpretiert. In einem weiteren Schritt wird die Distribution der da/do-Sätze mit der anderer Adverbialsatztypen verglichen. Abschließend soll der Frage nachgegangen werden, ob die Entwicklungslinien durch einen Grammatikalisierungsansatz erfasst werden können.

5.2

Althochdeutsche WKǀ-Sätze

5.2.1 Periphere Stellungen In den ahd. Texten kann man beobachten, dass WKǀGKXR-Sätze bei Voranstellung in der Regel nicht im unmittelbar präfiniten Bereich ihres Bezugssatzes stehen, sondern weiter links. Das heißt, zwischen dem Adverbialsatz und dem vorangestellten finiten Verb tritt eine weitere Konstituente auf, sodass im Bezugssatz ein Verbdritteffekt herbeigeführt wird (= WKǀ-S–XP–Vfin) (s. auch Axel 2002, 2004). Dies ist in (5) anhand einiger Isidorbelege illustriert:

274 (5)

a. Dhuo ir himilo garauui frumida, dhar uuas ih ; da er Himmel-GEN.PL Ausstattung erschuf dort war ich (Isidor II, 2, He I, 2) = (1)-a b. Dhuo ir sih selban aridalida endi scalches farauua da er sich selben erniedrigte und Knechts Gestalt infenc, uuordan uuardh chihoric untazs zi dode. annahm geworden wurde gehorsam bis zu Tode ‚als er sich selbst erniedrigte und die Gestalt eines Knechts annahm, wurde er gehorsam bis zum Tode’ quando exinaniuit se ipsum et formam serui accipiens, effectus est oboediens usque ad mortem. (Isidor III, 9, He 11, 14) c. dhuo ir ĊUGKD stedila uuac, mit imu uuas ih ihm war ich da er Erde-GEN Fundamente wog mit dhanne al dhiz frummendi‫ގ‬ dann all dieses verrichtend ‚als er die Erdfundamente auslotete, verrichtete ich all dies mit ihm zusamment’ TXDQGR DSSHQGHEDW IXQGDPHQWD WHUUĊ FXP HR HUDP cuncta componens‫ގ‬ (Isidor II, 2, He 1, 6)

Bei der linksperipheren Stellung von vorangestellten WKǀ-Sätzen gegenüber ihren Bezugssätzen handelt es sich, wie sich problemlos nachweisen lässt, um ein natives Wortstellungsmuster. Sowohl in den älteren, stärker an der lat. Vorlage orientierten Prosatexten (Monseer Fragmente, Isidor) als auch in den spätahd. Texten Notkers trifft man Adverbialsätze in WKǀ-S –XP–Vfin-Stellung an, und zwar nicht nur in Satzgefügen, deren Wortstellung weitgehend parallel zur lat. Vorlage verläuft, sondern auch in solchen, deren Wortstellung in entscheidender Weise von der Vorlage abweicht. In dem Isidorbeispiel (5)-a steht das lokative Adverb dhar präverbal, das Subjektpronomen ih wurde gegen die Vorlage postverbal eingefügt. (Die beiden anderen Isidorbelege in (5) folgen der Vorlage (effectus est – uuordan uuardh, cum eo eram – mit imu uuas)). Das Beispiel (6) aus Notkers Consolatio stammt aus dem Kommentarteil und hat daher keine lat. Entsprechung. (6)

Tô sî sîa dés ferspráh . tés sî bemâlôt uuás fóne . da sie sie dessen versprach dessen sie angeklagt war von boetio . díu defensio uuás iuditialis . Boethius die Verteidigung war gerichtlich ‚Als sie (= Fortuna) sich dafür verantwortete, wofür sie von Boethius angeklagt war, war die Verteidigung gerichtlich‘ (Notker Boethius II 103,28)

275 Im Tatian ist dagegen die periphere Stellung vorangesteller WKǀ-Sätze 5 in der Regel vorlagengetreu realisiert, wobei die unmittelbar präfiniten Konstituenten (the samaritani und antuuvrtenti in (7)) denen in der lateinischen Vorlage (samaritani und respondens) entsprechen: (7)

a. tho sie zi imo quamun ʜ the samaritani batun inan ʜ thaz da sie zu ihm kamen die Samariter baten ihn dass her dar uuonati er dort wohnte-KONJ ‚als sie zu ihm kamen, baten die Samariter ihn, dass er dort wohnen sollte’ Cum uenissent ergo ad illum ʜ samaritani. rogauerunt eum ʜ ut ibi maner& (Tatian 134, 12) b. tho ther heilant furstuont ʜiro githanca, antuuvrtenti ʜ quad da der Heiland verstand ihre Gedanken antwortend sprach ziín zu.ihnen ‚als der Heiland ihre Gesinnung erkannte, antwortete er und sagte zu ihnen’ & cum cognouiss& ihesus ʜ cogitationes eorum. respondens ʜ dixit ad illos., (Tatian 89, 19)

Bei Otfrid ist ein häufiges Verbstellungsmuster, das im Bezugssatz realisiert wird, nicht die Dritt-, sondern die Endstellung: (8)

ThΎܑ‫ܓ‬ uns uuard thiu sálida so frám · er sélbo in thesa da uns wurde die Seligkeit so nahe er selbst in diese uuórolt TXƗࡴҕ Welt kam ‚als uns das Glück zuteil wurde, kam er selbst auf diese Welt’ (Otfrid II 10, 7)

Das muss man auf den Einfluss des Endreims (fram – quam) zurückführen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass sich dieses Wortstellungsmuster in der Prosa (fast) nicht findet. In Notkers Consolatio schließlich steht nach vorangestelltem Gǀ-Satz in der Regel ein korrelatives Adverb im Vorfeld des Bezugssatzes, ein Phänomen, auf das weiter unten eingegangen wird. Ab und zu fehlt jedoch die Wiederaufnahme im Bezugssatz, wie in dem bereits diskutierten Beleg (6). In allen hier untersuchten ahd. Prosatexten sind also WKǀ-Sätze links vom Vorfeld ihres Bezugssatzes belegt, sodass im Bezugssatz Verbdrittstellung

____________________ 5

Vgl. auch Betten (1987a) zur Distribution des Konnektors WKǀim Tatian.

276 vorliegt. 6 Dies ist ein ungewöhnliches Wortstellungsmuster. Zwar wird gemeinhin angenommen, dass im Ahd. auch Verbdrittphänomene, die durch nichtsatzförmige Konstituenten ausgelöst werden, qualitativ vielfältiger und quantitativ häufiger sind als im Gwd., jedoch handelt es sich bei den Phänomenen, die traditionell behandelt werden, um Fälle, bei denen das verbdrittauslösende Element zwischen der ‚eigentlichen’ Vorfeldkonstituente und dem finiten Verb steht. Hierunter fallen insbesondere die Datenklasse mit intervenierenden Personalpronomina (XP–Pron–Vfin...) (z.B. Lippert 1974, Tomaselli 1995, Axel 2007: Kap. 4) wie auch die Belege mit intervenierendem Satzadverb (z.B. XP–giwisso–Vfin ...), wobei, wie in Axel (2007: Kap. 4) argumentiert wird, letztere durchaus als Vorgängerkonstruktionen entsprechender Fälle im Gwd. betrachtet werden können. Darüber hinaus stellen, wie sich im nächsten Abschnitt herauskristallisieren wird, die WKǀ-Sätze Material dar, das nur in peripheren Stellungen am linken Satzrand überliefert ist und niemals in eindeutig satzinternen Positionen auftritt. Außerdem lässt sich für die durch Adverbialsätze induzierte Drittstellung eine komplett andere diachrone Entwicklung rekonstruieren als für die anderen Verbdrittphänomene, ist sie doch auch noch im Mhd. weit verbreitet und sozusagen die kanonische Position für diesen Nebensatztyp. Dass die ahd. WKǀ-Sätze eine periphere Position relativ zu ihrem Bezugssatz einnehmen, zeigen auch Belege des folgenden Typs: (9)

Íh uuíle dés suîgen . dô dû uuéiso uuúrte . dáz tíh tie ich will dessen schweigen da du Waise wurdest dass dich die hêrosten in íro flíht nâmen . Höchsten in ihre Obhut nahmen ‚ich will darüber schweigen, dass dich die hervorragendsten Männer in ihre Obhut nahmen, als du zum Waisen wurdest’ Taceo quod desolatum parente . cura te suscepit summorum uirorum . (Notker Boethius II 62, 29)

Hier steht der dô-Satz links vom Komplementierer des abhängigen Satzes, den er modifiziert. Im Gwd. ist diese Stellungsvariante kaum möglich: Adverbialsätze, die ihrerseits abhängige Bezugssätze modifizieren, müssen nachgestellt werden, wie es in der gwd. Übersetzung von (9) der Fall ist. Lediglich bei Verwendung eines resumptivem Adverbs wäre das entsprechende Satzgefüge einigermaßen akzeptabel: (10)

a. *Ich will darüber schweigen, als du zum Waisen wurdest, dass dich die hervorragendsten Männer in ihre Obhut nahmen

____________________ 6

Eine Ausnahme bilden die Monseer Fragmente. Hier gibt es nur einen vorangestellten duo-Satz, der weiter unten diskutiert wird.

277 b. ?? Ich will darüber schweigen, als du zum Waisen wurdest, dass dich dann die hervorragendsten Männer in ihre Obhut nahmen

Die Prä-Komplementierer-Stellung ist bei Notker auch noch bei weiteren Adverbialsatztypen belegt (z.B. bei temporalen Vǀ-Sätzen und bei konditionalen ube-Sätzen). 7 Auch in den mhd. Prosatexten trifft man, wie unten gezeigt wird, auf zahlreiche Belege. Man beachte, dass nichtsatzförmige Konstituenten im Ahd. in der Regel nicht in der Position links von einem abhängigen, komplementierereingeleiteten Satz auftreten. Das Phänomen bleibt auf Nebensätze beschränkt. Diese ungewöhnliche Stellung verstößt gegen das von Chomsky (1986: 6) formulierte Prinzip, dass an eine maximale Projektion nur dann adjungiert werden kann, wenn es sich um ein Nicht-Argument handelt. Ähnliche Belege sind aber auch fürs irische Englisch (McCloskey 2004) und Französische (Laporte 2008) diskutiert worden. Insbesondere bei eingebetteten Interrogativen als Bezugssätzen können in diesen Sprachen Adverbialsätze links vom Komplementierer bzw. von der nebensatzeinleitenden wh-Phrase stehen: 8 (11)

a. He asked me when I got home if I would cook dinner. (McCloskey 2004: 16, Bsp. 57a) b. Je [VP me demande [CP quand tu étais jeune [CP où tu habitais ]]] ‚I wonder when you were young where you lived’ (Laporte 2008: 2, Bsp. 4a)

Weitere Evidenzen, dass Adverbialsätze im Ahd. syntaktisch unintegriert waren und eine Position am äußersten linken Rand ihres Bezugssatzes besetzten, bieten Belege aus dem Tatian, in denen Adverbialsätze links von Satzparti____________________ 7

8

Entsprechende Belege finden sich auch in der älteren Prosa, zumindest im Tatian, wenn auch mit vorlagengetreuer Wortstellung. Auch in der Dichtung sind einige Beispiele bezeugt (z.B. Ludwigslied 33f., Otfrid III 24, 85). – Vgl. auch Müller & Frings (21959) und Kracke (1911) für weitere ahd. und mhd. Belege. Kiparsky (1995: 158) führt einen entsprechenden Beleg aus dem Altenglischen an. Wie oben erwähnt, können auch noch im heutigen Deutsch und Englisch (vgl. hierzu McCloskey 2004) Adverbialsätze in gewissem Umfang an selegierte CPn adjungiert werden. McCloskey (2004: 9ff.) weist daraufhin, dass seines Erachtens Chomskys (1986: 6) Adjunktionsverbot nur für Adjunktionen intendiert war, die syntaktische Bewegung involvieren und nicht für basisgenerierte Adjunktion. Dann würden die ahd. Adverbialsatz–COMP–Fälle kein Problem mehr darstellen: Wie im Folgenden argumentiert werden wird, kommt für das Ahd. eine Analyse, bei der der Adverbialsatz in einer satzinternen Modifiziererposition basisgeneriert und nach links (oder rechts) bewegt wird, aus unabhängigen Gründen nicht in Frage. In minimalistischer Theorie (Chomsky 1995) spielt die Unterscheidung zwischen basisgenerierter Adjunktion und aus Bewegung abgeleiteter Adjunktion jedoch keine Rolle mehr (McCloskey 2004: 9f.).

278 keln wie der Interrogativpartikel inu/eno auftreten. Zwar sind WKǀ-Sätze in dieser speziellen Belegklasse nicht bezeugt, wohl aber konditionale thanneund ibu-Sätze (Axel 2007: Kap. 4): (12)

a. thanne ih iuuuih santa ʜ uzzan seckil ...ʜ eno uuas íu dann ich euch sandte ohne Sack ... INT.PART war euch iouuiht thes uuan etwas dessen mangelnd ‚als ich euch ohne Geldsack aussandte ... hattet ihr an etwas Mangel?’ quando misi uos sine saccolo ...ʜ numquid aliquid defuit uobis (Tatian 282, 1) b. Inti oba ir heilez& ekkorodo íuuara bruoderʜ eno INT.PART und wenn ihr grüßt nur eure Brüder nituont thaz heidane man NEG.tun das heidnische Menschen ‚und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, tun das die Heiden nicht auch?’ Et si salutaueritis fratres uestros tantum.ʜ nonne & ethnici hoc faciunt. (Tatian 66, 11)

Die Partikel eno ist im Tatian ihrerseits links von linksherausgestellten (nichtsatzförmigen) Konstituenten belegt: (13)

a. eno ʜ

unsar euua tuomit siu unser Gesetz-FEM richtet sie ‚richtet denn unser Gesetz einen Menschen?’ numquid ʜ lex nostra iudicat hominem (Tatian 213, 13) b. [unsar euua]i ... siui ENO

man Menschen

Dass Adverbialsätze noch weiter links (vor der Interrogativpartikel) stehen, zeigt, dass sie eine Position am äußersten linken Rand der C-Domäne einnehmen (s. Axel 2007: Kap. 4). Wenn man annimmt, dass satztypmarkierende Partikeln in der ForceProjektion stehen, welche nach Rizzi (1997) die höchste Projektion in der CDomäne darstellt, dann muss man wohl davon ausgehen, dass die Adverbialsätze in (12) links von Force in einer sozusagen extra-sententialen Position basisgeneriert und an die oberste Satzprojektion adjungiert sind: 9 207F

____________________ 9

Man beachte allerdings, dass nach Rizzi (1997) phrasale Adjunktion ausgeschlossen sein sollte. Er würde wahrscheinlich argumentieren, dass die ahd. Adverbialsätze in einer eigenen Projektion am äußersten linken Rand stehen. Allerdings geht Rizzi auf die Syntax der Satzfügung überhaupt nicht ein. In Rizzi (2004: 5) wird jedoch auf eine Analyse von Chomsky (2004) verwiesen, wo die Möglichkeit einer basisgenerierten Adjunktion von Relativsätzen angenommen wird.

279 (14)

[ForceP [CP thanne ih iuuuih santa uzzan seckil ...] [ForceP eno uuas íu iouuiht thes uuan]]

Auch wenn WKǀ-Sätze nicht in Satzgefügen mit eno-Interrogativsätzen überliefert sind, kann man wohl annehmen, dass sie dieselbe Position besetzen, wie die Adverbialsätze in (12). Dass Adverbialsätze im Ahd. eine Position am äußersten linken Rand ihrer Bezugssätze einnehmen, dafür sprechen auch sehr überraschende Daten, bei denen sie links von koordinierenden Konjunktionen (also links von der KOORD-Position im topologischen Modell von Höhle (1986)) auftreten. Bei Beleg (15)-a aus dem Monseer Matthäusevangelium steht ein Konditionalsatz links von der koordinierenden Konjunktion enti ‚und’, die am linken Rand des deklarativen Bezugssatzes mit Verbzweitstellung steht (vgl. auch Starker 1883: 2, Rannow 1888: 16). Entsprechend ist in (15)-b aus dem Isidor ein Konzessivsatz links von der Konjunktion oh ‚aber’ platziert. 10 Die gleiche Konstruktion weist Kölbing (1873) für das Altenglische und Altnordische nach. (15)

a. Enti ibu daz hus sii uuir dich · enti iuuuer fridu · und wenn das Haus sei würdig und euer Friede quuimit ubar daz KnjV kommt über das Haus ‚und wenn das Haus würdig ist, kommt euer Friede über das Haus’ et si quidem fuerit domus digna, ueniat pax uestra super eam. (Monseer Fragmente II, 2; Mt 10, 13) b. Dhoh christus in dhes fleisches liihhamin sii dauides doch Christus in des Fleisches Körper sei Davids sunu. Oh ir ist chiuuisso in dhemu heilegin gheiste got Sohn aber er ist gewiss in dem heiligen Geist Gott ioh druhtin. und Herr ‚auch wenn Christus in seinem sterblichen Körper der Sohn Davids ist, so ist er dennoch im Heiligen Geist gewiss Gott und Herr’ Qui dum idem christus secundum carnem sit filius dauid. In spiritu tamen dominus eius et deus est. (Isidor III, 7, He 9, 21)

Auch im Mhd. finden sich noch Belege für diese ungewöhnliche Wortstellung:

____________________ 10

Starker (1883:2) zitiert noch einen entsprechenden Beleg aus dem Wessobrunner Gebet: (i) dô dâr niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo, / enti dô uuas der eino almahtîco cot.

280 (16)

a. Egêas, kumistu daz du mich wilt nemen von deme krûze, und des enmacht du nicht tun; (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 9, 4) b. Kumt abir eyn sterkerre unde ubir wyndit den, und nymet her ym alle syne wapen in den KHUNĤQHZD]XQGHV\QHQURXSF]XVWURXZHWKHU (Berliner Evangelistar 30, 21; Lk 11, 22) ‚Wenn aber ein Stercker vber jn kompt, vnd vberwindet jn, so nimpt er jm seinen Harnisch, darauff er sich verlies, vnd teilet den Raub aus.‘ (Lutherbibel 1545; Lk 11, 22) c. Und dô daz irfullit was, und dô wart her offinbârunge gesetit von dem dunre (Evangelienbuch Beheim 5; 3. Vorrede)

Zusammenfassend kann man festhalten, dass im Ahd. eine ganze Reihe von Belegklassen überliefert sind, die zeigen, dass Adverbialsätze einschließlich der WKǀ-Sätze syntaktisch unintegriert sind. Dennoch scheinen sich die WKǀSätze, soweit man das beurteilen kann, interpretativ von ihren gwd. Pendants nicht zu unterscheiden: Wie die heutigen als-Sätze charakterisieren auch die WKǀ-Sätze einen Vorgang und/oder einen Sachverhalt hinsichtlich Temporalität. Dieser temporale Bezug kann auch durch Zeitangaben in Form von zum Beispiel Präpositionalphrasen hergestellt werden. Im Tatian etwa finden sich häufig temporale Präpositionalphrasen, deren NP-Komplement durch einen Infinitiv/ein Gerundium oder einen Relativsatz modifiziert ist, und zwar insbesondere dann, wenn in der lat. Vorlage kein Adverbialsatz (z.B. kein cumSatz) steht: (17)

a. Inti al thiu menigi uuas thes folkes ʜ ûzze b&onti und all die Menge war des Volkes draußen betend In thero ziti thes rouhennes. in der Zeit des Räucherns ‚und die ganze Menge des Volks war draußen und betete unter der Stunde des Räucherns.’ ‚& omnis multitudo erat populi ʜ orans foris hora Incensi,’ (Tatian 26, 15) b. quimit ther herro thes scalkes ʜ In themo tage theher kommt der Herr des Knechts in dem Tag REL.PART-er niuuanit ʜ Inti in theru ziti theher ni.uueiz NEG.wähnt und in der Zeit REL.PART-er NEG.weiß ‚Der Herr des Knechts wird kommen an dem Tag, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht weiß’ uenit& dominus serui illius ʜ in die qua non sperat ʜ & hora qua ignorat (Tatian 259, 23)

Bei präpositionalen Fügungen besteht kein Zweifel, dass diese in einer matrixsatzinternen Modifiziererposition lizenziert sind. Bei Adverbialsätzen ist

281 dies jedoch, wie ich ausführlich argumentiert habe, im älteren Deutsch sehr wahrscheinlich nicht der Fall. 11 Trotzdem sind sich die beiden Fügweisen semantisch sehr ähnlich: In beiden Fällen liegt ein semantischer Bezug zur Ereignisvariablen des Bezugssatzprädikats vor. Haider (1995: 262) argumentiert, dass im Gwd. Adverbialsätze direkt lizenziert sind, da sie mit der Ereignisvariablen des Bezugsprädikats identifiziert werden. Syntaktisch haben Adverbialsätze im Gwd. Gliedsatzstatus, sodass sie – anders als ihre ahd. Vorläufer – vorfeldfähig sind. Es stellt sich die Frage, wie die ahd. Adverbialsätze trotz ihres syntaktisch unintegrierten Status den Bezug zur Bezugssatzereignisvariable herstellen können. Eine Möglichkeit ist, dass bei solchen Konstruktionen matrixsatzintern ein overtes oder phonologisch leeres Korrelat in Form eines Pro-Adverbs vorlag. Auf diese Frage wird weiter unten eingegangen. Neben vorangestellten finden sich in den ahd. Prosatexten 12 und bei Otfrid auch nachgestellte WKǀ-Sätze. In den folgenden Belegen ist im Bezugssatz jeweils der Verbalkomplex overt besetzt, sodass man eindeutig erkennen kann, dass der WKǀ-Satz rechts vom Verbalkomplex, d.h. im Nachfeld seines Bezugssatzes steht: (18)

a. Dhiz uuard al so chidaan ziuuare, dhuo titus dieses wurde alles so getan wahrhaftig da Titus after dheru christes passione quham nach der Christi Passion kam ‚dies wurde alles wahrhaftig so getan, als Titus nach der Passion Christi kam’ Post passionem igitur christi uenit titus (Isidor V, 8, He 27, 18) b. Inu ni larut ir · huuaz dauid teta · duo · inan INT.PART NEG last ihr was David tat da ihn hun garta enti dea mit imo uuarun · hungerte und die mit ihm waren ‚habt ihr nicht gelesen, was David tat, als ihn und die bei ihm waren hungerte?‘ Non legistis quid fecerit dauid, quando esuriit et qui cum eo erant : (Monseer Fragmente IV, 6; Mt 12, 3)

____________________ 11

12

Adverbialsätze treten in den ahd. Quellen sporadisch auf eine XP folgend im präfiniten Bereich ihrer Bezugssätze auf (= XP–Adverbialsatz–Vfin...). Hierbei kann es sich allerdings um eine parenthetische Verwendung handeln. Dasselbe gilt wohl für die sehr vereinzelten Fälle, bei denen Adverbialsätze im Mittelfeld ihres Bezugssatzes auftreten (vgl. Kracke 1911). Im Tatian sind nachgestellte WKǀ-Sätze nur dann belegt, wenn im Bezugssatz eine Zeitangabe steht, an die sie sich relativisch anschließen. Auf diese Beispiele wird unten eingegangen.

282 c. álso herculi geskáh . tô ér den vuúrm sláhen sólta . wie Herkules geschah da er den Wurm schlagen sollte dér grece héizet ydra . der griechisch heißt Hydra ‚wie es Herkules erging, als er die Schlange töten sollte, die auf Griechisch Hydra heißt’ (Notker Boethius IV 211, 21)

Häufiger ist es der Fall, dass der Verbalkomplex nicht overt besetzt ist, wie in Beleg (19) aus dem Tatian. Diese Belegklasse ist grundsätzlich ambig: Der Adverbialsatz könnte sowohl im Mittelfeld als auch im Nachfeld stehen. Letztere Analyse ist aber sehr viel wahrscheinlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass auch bereits im Ahd. Nebensätze in der Regel extraponiert vorkamen. (19)

Fater meinida dhar sinan sun, dhuo ir chiminnan Vater meinte dort seinen Sohn da er geliebten chneht nemnida, jungen.Mann benannte ‚Der Vater meinte da seinen Sohn, als er den geliebten jungen Mann benannte’ Pater filium dilectum puerum uocat, (Isidor IV, 8, He 18, 20)

Selbst bei Belegen, in denen unambig Nachfeldstellung vorliegt, ist es jedoch beinahe unmöglich, Schlüsse auf den Integrationsstatus des WKǀ-Satzes zu ziehen. Genauer gesagt, stellt sich die Frage, an welche Bezugssatzprojektion er adjungiert ist: Eine Adjunktion an VP käme einem hohen Integrationsgrad (sprich: Gliedsatzstatus) gleich, bei Adjunktion an CP wäre er unintegriert. Fürs Gwd. hat Reis (1997) eine Subgliederung der topologischen Domäne vorgeschlagen, die traditionell unter dem Begriff ‚Nachfeld’ zusammengefasst wird. Im ‚echten Nachfeld’ stehen bei Reis nur Glied- bzw. Gliedteilsätze, während teil- und unintegrierte Nebensätze, wie zum Beispiel die sogenannten weiterführenden Nebensätze, im Schlussfeld stehen. Welche Position die ahd. WKǀ-Sätze einnehmen, ist schwer zu beantworten. Zum einen gibt es noch keine systematischen Untersuchungen zur ahd. Nachfelddomäne, aus denen man Rückschlüsse ziehen kann, ob man bereits für das Ahd. eine entsprechende Subgliederung annehmen sollte. Zum anderen sind die Kriterien, die Reis zur Unterscheidung der im echten Nachfeld stehenden von nachoder schlussgestellten Nebensätzen im Gwd. anwendet – etwa ±eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung, ±Vorkommen des Nebensatzes im Skopus von Matrixquantoren – auf historische Daten kaum anwendbar. Mit einer Ausnahme: Sporadisch trifft man insbesondere bei Notker Belege an, in denen ein nachgestellter Gǀ-Satz im Skopus eines Interrogativsatzoperators steht,

283 vgl. (20). Das spricht dafür, dass dieser Nebensatztyp stärker integriert war als etwa die gwd. weiterführenden Nebensätze, die immer außerhalb des Skopus solcher und anderer Matrixoperatoren stehen (Reis 1997). 13 (20)

Uuás íh in dîen uátôn . tô íh tir hálf crúnden tîa war ich in den Verfassungen da ich dir half ergründen die tóugeni dero naturŢ … ? Verborgenheit der Natur ‚War so meine Haltung, meine Miene, als ich mit dir der Natur Geheimnisse erforschte, …?’ (Übersetzung Übersetzung Gegenschatz & Gigon (Hg.) 2 1969: 15) 7DOLVKDELWXVWDOLVXXOWXVHUDWFXPULPDUHUWHFXPVHFUHWDQDWXUĊ" (Notker Boethius I 19, 23)

Auch in den mhd. Texten sind nachgestellte dô-Sätze im Skopus von Interrogativoperatoren bezeugt: (21)

a. Waz verdienete er, dô er daz tet? (Nikolaus von Straßburg: Predigten 281, 13) b. und ich spriche waz unserme herren sîn lîden swêrôte, war umbe er nit stürbe dô er ein kint was (Nikolaus von Straßburg: Predigten 289, 12) c. »Was dô Kristus nit mit dem vatter ein, dô er an dem kriuze stuont?« (Nikolaus von Straßburg: Predigten 291, 22) d. „Habit ir nicht gelesin waz Dâvîd tet, dô en hungirte und di mit ime wâren? ...“ (Evangelienbuch Beheim 29; Mt 12, 3)

Es stellt sich die Frage, was dies über die externe Syntax der ahd. und mhd. WKǀG{-Sätze verrät. Wie oben argumentiert, spricht die Beobachtung, dass die WKǀG{-Sätze bei Voranstellung nahezu ausnahmslos links vom Vorfeld ihres Bezugssatzes auftreten, dafür, dass sie sozusagen ‚bezugssatzextern’ an die CP adjungiert sind. Es liegt nahe, dies auch für nachgestellte WKǀ-Sätze anzunehmen. ____________________ 13

Es gibt auch im Gwd. Typen von Nebensätzen, die stets bezugssatzextern stehen und für die man annehmen muss, dass sie an die Bezugssatz-CP adjungiert sind (z.B. sodass-Sätze, weiterführende Nebensätze). Diese Nebensatztypen können nicht im Skopus eines Interrogativoperators stehen. In den folgenden Beispielen umfasst der Skopus der Fragebedeutung nicht den zweiten Teilsatz: (i) Warum präzedieren nun gleiche Kerne im gleichen äußeren Magnetfeld mit unterschiedlicher Frequenz, so daß mehrere Resonanzlinien entstehen? (MK1 Bild der Wissenschaft, Februar 1967, S. 133; zit. nach Pasch et al. 2003: 436, Bsp. 14).

284 Dass nachgestellte WKǀ-Sätze im Skopus von Bezugssatzoperatoren stehen können, könnte ein Indiz dafür sein, dass im Bezugssatz ein stummes korrelatives Adverb steht, mit dem sie assoziiert sind. Auf Fälle mit overten korrelativen Adverbien wird in Abschnitt 5.2.3 eingegangen.

5.2.2 Vorfeldstellung? Es ist seit Langem bekannt, dass die Verbzweitregel bereits im Ahd. weitgehend etabliert war (z.B. Behaghel 1932: 11, Näf 1979: 114, Dittmer & Dittmer 1998, Axel 2007). Wie in Axel (2007, 2009a) ausführlich argumentiert wird, war nicht nur die Verbstellungsasymmetrie (d.h. generalisierte V-nachC-Bewegung bei fehlendem Komplementierer bzw. Subordinator) schon ausgebildet, sondern auch die Besetzung der SpecC-Position folgte in weiten Teilen bereits dem gwd. Muster: Die SpecC-Position – bzw. das ‚Vorfeld’ in topologischer Terminologie – war bereits Landeplatz für Operatorbewegung (d.h. für wh-Bewegung, Topikalisierung im engeren Sinne und für die Voranstellung fokussierter XPn) sowie für sogenanntes ‚Stylistic Fronting’ (Fanselow 2002, 2003) bzw. ‚Formal Movement’ (Frey 2004). Lediglich ein in SpecC basisgeneriertes, expletives iz/es ist noch nicht belegt. Dieses Element entwickelt sich erst in mhd. Zeit (Seefranz-Montag 1983), sodass die gwd. Vorläufer von Konstruktionen mit Vorfeld-es im Ahd. typischerweise als Verberstsätze realisiert werden (Axel 2007: Kap. 3). Eine etwas anders geartete Frage ist es, inwieweit Nebensätze im Ahd. bereits in der SpecC-Position ihres Bezugssatzes belegt sind. Diese Frage ist deshalb von spezieller Natur, weil sie nicht primär die Syntax der SpecCPosition betrifft, sondern die (externe) Syntax der einzelnen Nebensatztypen. Genauer gesagt geht es darum, ob der jeweils zur Debatte stehende Nebensatztyp überhaupt in bezugssatzinternen Modifizierer- bzw. Adjunktpositionen basisgeneriert werden bzw. in solche hineinbewegt werden konnte. Nur wenn dies der Fall war, handelte es sich um echte Glied- bzw. Gliedteilsätze. Die Vorfeldfähigkeit ist ein klassischer Test für Gliedsatzstatus. Im Gwd. sind Temporalsätze wie alle Kernadverbialsatztypen mit Verbendstellung vorfeldfähig. In Axel (2002, 2004) wird jedoch bestritten, dass dies auch für die ahd. und mhd. Adverbialsätze galt. Dieser Hypothese hat sich Lötscher (2005) angeschlossen, sie wurde jedoch von Schrodt (2004: 211f.) fürs Ahd. teilweise in Frage gestellt. Im Folgenden soll nun die Distribution speziell der WKǀ-Sätze genau untersucht werden. Gibt es im Ahd. Belege, in denen ein WKǀ-Satz unmittelbar links vom finiten Verb des Bezugssatzes auftritt?

285 In den Monseer Fragmenten ist in der Tat ein duo-Satz in diesem Muster belegt, (22)-a. Weitere Beispiele finden sich im Tatian 14 und bei Otfrid: (22)

a. Duo mor gan uuarth · ken gun in sprahha · alle dea da Morgen wurde gingen in Besprechung alle die herostun biscoffa HQWLǜ dea furistun · dero liuteo · ersten Bischöffe und die höchsten der Leute ‚als es Morgen geworden war, hielten alle Hohenpriester und die Ältesten des Volks einen Rat’ Mane autem facto, consilium inierunt omnes principes sacerdotum et seniores populi (Monseer Fragmente XXIII, 21; Mt 27, 1) b. tho siu thiu gisah uuas gitruobit ʜ In sinemo uuorte. da sie die sah war bestürzt in seinem Wort ‚als sie die sah, war sie über seine Rede bestürzt’ quæ cum uidiss& turbata est ʜ In sermone eius. (Tatian 28, 12) [ғSࡃV in galiléa quam · ward thaz tho mári … c. THo da Christ in Galilea kam wurde das dann bekannt ‚als Christus nach Galilea kam, wurde das bekannt ...’ (Otfrid III 2, 1)

Im Isidor fehlen entsprechende Belege: Bei Voranstellung des dhuo-Satzes steht hier immer eine weitere Konstituente vor dem finiten Verb des Bezugssatzes. Auf den ersten Blick scheinen Belege wie in (22) zu zeigen, dass die ahd. WKǀ-Sätze vorfeldfähig waren. Wie ich jedoch bereits in Axel (2002, 2004) argumentiert habe, sollten diese Belege anders analysiert werden. Da im Ahd. die Verberststellung in Deklarativsätzen noch weiter verbreitet war als im Gwd., kann nicht ausgeschlossen werden, dass Adverbialsätze, wenn sie unmittelbar vor dem finiten Verb ihres Bezugssatzes auftraten, einen Verberstsatz als Bezugssatz hatten, statt im Vorfeld eines Verbzweitsatzes zu stehen. In der Tat zeigen die Bezugssätze in den Beispielen in (22) die typischen Eigenschaften von Verberstdeklarativen. In (22)-a ist das finite Verb im Bezugssatz ein Bewegungsverb. Die Tatsache, dass das Subjekt rechts von der Ergänzung in sprahha auftritt, spricht dafür, dass es extraponiert ist. ____________________ 14

Weitere Tatianbelege mit ‚Verberstnachsätzen’ bei vorangestellten WKǀ-Sätzen sind z.B.: tho her quam zi deru menigi ʜ gisah her thie buochera ʜ suochente mit in (Tatian 147, 3) [parallel zur lat. Vorlage]; tho her thisiu quad ʜ scamatun sih alle ʜ sine genginsachon. (Tatian 164, 28) [parallel zur Vorlage]; tho iz aband uuard ʜ quad ther herro thes uuingarten ʜ sinemo ambahte. (Tatian 178, 17) [parallel zur Vorlage]; tho thie quamun thiedar umbi ʜ thia einliftun zit quamun ʜ Intfiegun suntringon phenninga (Tatian 178, 23) [parallel zur Vorlage]; inti tho her ingieng in thaz hus ʜ foraquam inan der heilant quedenti (Tatian 150, 15) [parallel zur Vorlage].

286 Subjektextraposition trifft man bei den ahd. Verberstdeklarativen sehr häufig an, insbesondere in den Monseer Fragmenten und im Tatian, (23) 15. (23)

a. Argengun dhuo uz pharisara gingen dann aus Pharisäer ‚die Pharisäer gingen hinaus’ Exeuntes autem pharisaei, (Monseer Fragmente IV, 30; Mt 12, 14) b. giengun thô zuo gotes engila gingen dann zu Gottes Engel ‚Gottes Engel kamen da hinzu’ Et ecce angeli accesserunt (Tatian 50, 30)

Der Tatianbeleg in (22)-b zeigt, dass die deutsche Verberststellung (uuas gitruobit) auch gegen die Vorlage (turbata est) realisiert wird, was dafür spricht, dass es sich um ein natives Verbstellungsmuster handelt. Bei dem Beleg in (24) liegt im Bezugssatz eine passivische Konstruktion vor. Gegenüber der lateinischen Vorlage ist die Abfolge von finitem Verb und Partizip invertiert. Dieses Phänomen ist im Tatian sehr häufig anzutreffen, und zwar auch in Sätzen, denen keine Adverbialsätze vorangehen: (24)

Inti uuard gitruobit und wurde betrübt ‚und der König war betrübt’ Et contristatus est rex. (Tatian 116, 21)

ther der

cuning König

Die Annahme, dass es sich bei der präfiniten Stellung der Adverbialsätze nicht um Vorfeldbesetzung, sondern um Voranstellung vor einen Verberstdeklarativsatz handelt, bietet auch eine Erklärung dafür, warum bei Notker entsprechende Beispiele kaum mehr belegt sind: Bei Notker ist auch in unabhängigen Kontexten die Verberststellung in Deklarativsätzen sehr selten (Näf 1979: 139–142). Daher ist es auch nicht überraschend, dass Verberststellung nach vorangestellten Gǀ-Sätzen bei Notker lediglich bei interrogativischen (oder imperativischen) Bezugssätzen vorkommt: (25)

Tô du da du dáz das

rîchesto uuâre . geskáh reichster warst geschah tîn mûot írti? deinen Geist trübte-KONJ

tír îeht dir etwa

ángestliches . ... Ängstliches

____________________ 15

Bei den beiden Belegen steht das Subjekt jeweils rechts von der Verbpartikel, was zeigt, dass es extraponiert worden ist.

287 ‚als du am reichsten warst, ergriff dich nicht etwa die Angst ..., die deinen Geist trübte?’ Inter illas abundantissimas opes . numquamne confudit animum tuum anxietas concepta …? (Notker Boethius III 120, 4)

Eine Ausnahme stellt folgender Beleg dar, wobei hier jedoch auffällt, dass die deutsche Verbstellung im Bezugssatz (Kebôt er …) der lateinischen (Edixit …) folgt: 16 (26)

Cum uero decreuisset regia censura . opilionem atque gaudentium ire in exilium . ob innumeras multiplicesque fraudes. Tô óuh ter chúning opilionem únde gaudentium hîez táz lânt rûmen úmbe mánige . únde mánigfalte íro úndríuua . Cumque illi nolentes parere . tuerentur sese defensione sacrarum нdium . Únde sîe ze_chîlechûn flíhende . daz kebót uuéren neuuóltîn . Compertumque id foret regi . Únde demo chúninge dáz ze_uuízenne uuúrte . Edixit . uti insigniti notas frontibus pellerentur . ni recederent rauenna urbe . infra prescriptum diem . Kebôt er . sîe nerûmdin rauenna . êr démo tágedínge . dáz er ín légeta . dáz man sie únder óugôn zeichendi . únde sô gezéichende . uertríbe. ‚als aber der König Opilio und Gaudentius hieß, wegen ihrer zahlreichen und mannigfaltigen Betrügereien das Land zu verlassen, und sie ins Heiligtum (wörtlich: in die Kirche) fliehend das Gebot nicht befolgen wollten, und dem König das zugetragen wurde, gebot er, dass man sie unter den Augen zeichnen (= brandmarken) und die so Gezeichneten vertreiben solle, wenn sie Ravenna nicht vor dem festgesetzten Tag, den er ihnen auferlegt hatte, verließen. (Notker Boethius I 23, 8)

Da im Ahd. bei selbständigen Deklarativsätzen sowohl die Verberst- als auch die Verbzweitstellung ein produktives Wortstellungsmuster darstellen, ist es nicht überraschend, dass beide Verbstellungstypen auch in den Bezugssätzen von Adverbialsätzen (und damit auch von WKǀ-Sätzen) auftreten, wenn man annimmt, dass letztere syntaktisch unintegrierte Nebensätze waren.

5.2.3 Die korrelative Konstruktion Im Isidor weisen einige der von dhuo-Sätzen modifizierten Hauptsätze ein korrelatives Adverb auf, entweder ebenfalls in Form von dhuo oder in Form eines anderen Adverbs wie zum Beispiel dhanne. Das korrelative Adverb ist sowohl bei Voranstellung als auch bei Nachstellung des Nebensatzes bezeugt, wobei es häufig gegen die lateinische Vorlage eingefügt wird: ____________________ 16

Allerdings ist in der althochdeutschen Übersetzung das Subjektpronomen gegen die Vorlage realisiert und postfinit positioniert.

288 (27)

a. dhuo ir ĊUGKD stedila uuac, mit imu uuas ih da er Erde-gen Fundamente wog mit ihm war ich dhanne al dhiz IUXPPHQGL‫ގ‬ dann all dieses verrichtend (Isidor II, 2, He 1, 6) = (5)-c b. Dhuo saar dhar after araughida dhea zuohaldun PRO-ADV gleich dort danach offenbarte der Nachwelt sine chiburt in fleische, dhuo ir quhad: ... seine Geburt in Fleische da er sagte ‚Gleich darauf offenbarte er der Nachwelt seine Geburt im Fleische, als er sagte: ...’ rursus futuram eius in carne natiuitatem ostendens subiecit dicens: … (Isidor V, 3; He 23, 18)

Wie aus (27)-a ersichtlich steht bei Voranstellung des dhuo-Satzes das korrelative Adverb nicht immer am Satzeingang (d.h. im Vorfeld) des Bezugssatzes, was zeigt, dass diese Art der Satzfügung nicht mit der ‚Linksversetzung’ eines Adverbialsatzes, wie wir sie aus dem Gwd. kennen, gleichgesetzt werden kann: (28)

a.

?

Als er die Erdfundamente auslotete, da habe ich das mit ihm zusammen gemacht b. *Als er die Erdfundamente auslotete, mit ihm habe ich dann das zusammen gemacht

Korrelative Adverbien kommen nicht nur bei dhuo-Sätzen vor, sondern auch bei Adverbialsätzen, die durch andere Subordinatoren eingeleitet werden. In dem folgenden Beleg ist ein Vǀ-Satz mit dem korrelativen Adverb dhuo im Bezugssatz assoziiert: (29)

Got so ir erist mannan chifrumida ..., dhuo setzida inan PRO-ADV setzte ihn Gott wie er zuerst Menschen erschuf in siin paradisi in sein Paradies ‚Gott, als er zunächst den Menschen erschaffen hatte, setzte ihn in sein Paradies’ Deus cum hominem fecisset ..., posuit eum in paradiso (Isidor 488)

In den Monseer Fragmenten sind bei duo-Sätzen, die ohnehin insgesamt nur in sehr geringer Zahl bezeugt sind, keine korrelativen Adverbien belegt. Der Tatian enthält zwar eine ganze Reihe von WKǀ-Sätzen, die Verwendung eines korrelativen Adverbs im Bezugssatz bleibt jedoch die Ausnahme:

289 (30)

a. thó PRO-ADV

uuas war

sambaztag tho then Samstag da den

leimon Teig

t&a ʜ tat

ther der

heilant. Heiland ‚es war Sabbat, als der Heiland den Teig machte’ erat autem sabbatum quando lutum fecit ʜ ihesus. (Tatian 221, 17) b. thothe erstigun sine bruoder ʜ tho ersteig her úf. da-REL.PART aufstiegen seine Brüder PRO-ADV aufstieg er hinauf ‚als seine Brüder hinaufgegangen waren, da ging er auch hinauf’ ut autem ascenderunt fratres eius ʜ tunc & ipse ascendit (Tatian 166, 11)

Bei thanne-Sätzen wird häufiger (gegen die Vorlage) ein Korrelat gesetzt, (31)-a. 7Kǀals Korrelat wird nicht nur bei WKǀ-Sätzen, sondern zum Beispiel auch bei sǀ-Sätzen verwendet, (31)-b: (31)

a. Inti thanne her cumit ʜ thanne thuingit her uueralt und dann er kommt PRO-ADV bezwingt er Welt sunton Sünden ‚und wenn er kommt, dann bezwingt er die Welt von den Sünden’ & cum uenerit ille ʜ argu& mundum de peccato (Tatian 287, 3) b. So hér tho bilan zisprehhanne ʜ tho quad her zí PRO-ADV sprach er zu als er da aufhörte zu.sprechen ‚als er aufgehört hatte zu sprechen, da sagte er zu Simon’ YWFHVVDXLWDXWHPORTXLǥʜ dixit ad simonem., (Tatian 55, 13)

fon von

simone Simon

Bei Notker schließlich sind zahlreiche Satzgefüge mit Gǀ-Sätzen belegt, deren Bezugssätze ein korrelatives Adverb enthalten. Insbesondere bei Voranstellung des Temporalsatzes ist die Verwendung des Korrelats häufig anzutreffen: 17 215F

____________________ 17

Weitere Belege mit Korrelat nach vorangestelltem Gǀ-Satz in Notkers Consolatio: II 51, 11; II 85, 13; II 94, 16; II 102, 29; III 131, 28; IV 199, 14; IV 200, 1; IV 228, 11; IV 230, 1; V 232, 9; V 236, 9 usw. Bei keinem dieser Belege findet sich im Lateinischen ein korrelatives Adverb. Vgl. auch Handschuh (1964: 91), die hervorhebt, dass im Lateinischen in diesen Fällen keine resumptive Struktur vorliegt: „Die Korrelation mit dô hat nie eine Entsprechung in der Vorlage“ (ibid.).

290 (32)

a. Tô ín sînes tôdes lusta . dô téta er ímo dáz da ihn seines Todes gelüstete PRO-ADV tat er ihm das sámo so ze_êron . daz er ín lîez uuéllen den tôd. ebenso so zu Ehren dass er ihn ließ wählen den Tod ‚als er (= Nero) sich nach seinem (= Senecas) Tod gelüstete, da machte er ihm gleichsam das zu Ehren, dass er ihn den Tod selbst wählen ließ’ (Notker Boethius III 131, 28) b. Tô dû náchet kebóren uuúrte . dô nám íh tíh nácheten da du nackt geboren wurdest PRO-ADV nahm ich dich nackten ‚als du nackt geboren wurdest, habe ich dich nackt aufgenommen’ Cum produxit te natura nudum ex utero matris . suscepi te nudum (Notker Boethius II 48, 29)

Diese Art der korrelativen Satzfügung hat indoeuropäische Wurzeln und gehört damit zu den archaischen Zügen des Ahd. Der Bezug der altgermanischen zu den altindoeuropäischen Sprachen wird auch von Kiparsky (1995) hervorgehoben: A second major characteristic of Indo-European syntax, best preserved in Sanskrit, Hittite, and Old Latin, was that finite subordinate clauses were not embedded but adjoined [...] By this I mean that subordinate clauses were not internal constituents of sentences in argument or modifier positions, at any level of structure but were rather positioned at their right or left periphery […] [W]ith certain clause types, such as relative clauses, a correlative pronoun appears obligatorily (albeit subject to pro-drop [...]) in the argument/modifier position of the main clause. (Kiparsky 1995: 155) Even though complementizers and embedding have developed by the time of earliest Germanic there is still residual evidence for the adjoined structures in these languages. (Kiparsky 1995:157)

Die ‚residuale Evidenz’, von der Kiparsky in dem Zitat spricht, besteht zum Beispiel darin, dass im Altenglischen (genau wie im Ahd.) Adverbialsätze eine linksperiphere Stellung einnehmen, und zwar bei selbständigen und abhängigen Bezugssätzen. Man kann annehmen, dass in den ahd. Fällen ohne overtes Korrelat eine stumme adverbiale Proform vorhanden ist, wie in (33) skizziert. 18 ____________________ 18

Man muss allerdings davon ausgehen, dass im Gegensatz zum overten Korrelat das stumme Korrelat im Bezugssatz nicht nach SpecC bewegt werden kann. Ansonsten würde man erwarten, dass viel häufiger oberflächenstrukturelle Adverbialsatz– Vfin-Abfolgen, die dann als Adverbialsatz–proi–Vfin–...ti...-Abfolgen zu analysieren wären, aufträten und dass somit die Bezugssätze nicht die für Verberstdeklarativsätze charakteristischen Beschränkungen aufwiesen.

291 (33)

[[Dhuo ir himilo garauui frumida] [ dhar uuas ih pro]]

Wie auch Kiparsky bemerkt, wurde insbesondere im Falle adverbialer Relativsätze in den alten indoeuropäischen Sprachen das Korrelat häufig aufgrund von pro-drop nicht overt realisiert. Die ahd. Prosatexte verhalten sich durchaus unterschiedlich: Während sich bei den dhuo-Sätzen im Isidor die Fälle mit und ohne overtes Korrelat ungefähr die Waage halten, sind im Tatian bei WKǀ-Sätzen nur wenige Korrelate bezeugt. Innerhalb der traditionellen CP-Analyse gäbe es keine echte Alternative zu der Annahme, dass die Adverbialsätze an die oberste C-Projektion des Bezugssatzes adjungiert sind, wie in (34) für Beispiel (5)-a illustriert. Dies ist auch die Analyse, die Kiparsky (1995, 1996: 166f.) für entsprechende Daten aus dem Altenglischen vorschlägt. (34)

[CP [Dhuo ir himilo garauui frumida] [CP dhar uuas ih pro]]

Geht man mit Rizzi (1997) von einer feinstrukturierten C-Domäne aus, so muss man aufgrund der oben erwähnten peripheren Stellung vor enoInterrogativsätzen wohl annehmen, dass die linksperipheren WKǀ-/dhuo-Sätze links von der Force-Projektion basisgeneriert werden. Kiparsky (1995) zieht eine Parallele zwischen den altgermanischen Adverbialsätzen und Relativsätzen. 19 Für das Ahd. ist das in der Tat gerechtfertigt, denn es lässt sich nachweisen, dass der Kernbereich sententialer adverbialer Modifikation durch adverbiale Relativsätze geleistet wird. Wie bereits in Kapitel 4 angesprochen, existieren im Altgermanischen einschließlich dem Ahd. verschiedene Typen von Relativsätzen: Neben einem älteren Typ, der allein durch eine Relativpartikel (im Ahd. the, seltener thaz) eingeleitet wird, gibt es bereits den heute vorherrschenden pronominalen Typ. Beim pronominalen Typ kann aber sowohl im Altenglischen als auch im Ahd. (zumindest in manchen Dialekten) zusätzlich die Relativpartikel the/de vorhanden sein: (35)

a. Inti gebet themo ʜ therde und gebt dem der-REL.PART ‚und gebt es dem, der zehn Pfund hat’ & date illi ʜ qui hab& X. mnas. (Tatian 265, 23) b. [CP theri [C de] ti zehen mnas habet ]

zehen mnas habet zehn Pfund hat

____________________ 19

Zu relativen Adverbialsätzen im Altgermanischen vgl. auch Haudry (1973), Fischer (1992: 295) und Bianchi (1999: 98ff.).

292 Genau dieses Phänomen ist auch bei ‚Adverbialsätzen’ überliefert: Im Tatian finden sich vereinzelte Belege, bei denen auf den adverbialen Subordinator die Relativpartikel the folgt: (36)

a. ío unz then tag ʜ thodo 20 ingieng In thia arca je bis den Tag da-REL.PART einging in die Arche noe Noah ‚bis an den Tag, an dem Noah in die Arche hineinging’ usque ad eum diem ʜ quo Introiuit In arcam noe (Tatian 257, 4) b. In themo tage tho loth uzgieng ʜ fon sodomis. regenota in dem Tag da Loth ausging von Sodoma regnete fiur Feuer ‚an dem Tage, da Lot aus Sodom wegging, regnete es Feuer’ qua die autem exiit loth ʜ a sodomis. pluit ignem (Tatian 257, 15) 218F

Allerdings ist, wie der Beleg in (36)-b zeigt, die Verwendung von the fakultativ. Die Annahme liegt nahe, dass in (36)-b eine Nullpartikel vorliegt: (37)

a. [CP thǀi [C do] ... ti ... ] b. [CP thǀi [C Ø] ... ti ... ]

Man beachte, dass nicht nur solche Belege überliefert sind, bei denen ein nachgestellter Adverbialsatz eine Bezugssatz-PP/DP modifiziert, vgl. (36), 21 sondern auch solche mit vorangestelltem Adverbialsatz und ± overtem korrelativen Pro-Adverb: 219F

(38)

a. thothe erstigun sine bruoder ʜ tho ersteig her úf. da-REL.PART aufstiegen seine Brüder PRO-ADV aufstieg er hinauf (Tatian 166, 11) = her úf. = (30)-b b. thode intfieng ʜ ther heilant then ezzih ʜ quad Heiland den Essig sprach da-REL.PART empfing der ‚als der Heiland den Essig genommen hatte, sprach er ...’ Cum ergo accepiss& ʜ ihesus ac&um ʜ dixit (Tatian 317, 32)

____________________ 20 21

Bei do handelt es sich wiederum um eine assimilierte Form der Relativpartikel de, vgl. Sievers (1892/1964: 472). Dieser Fall findet im Nhd. seine Entsprechung in temporalen Relativsätzen wie in (i): (i) die Stunde, da wir nichts voneinander wussten = (4)-a

293 Die Relativpartikel the ist in den oberdeutschen Quellen nicht überliefert. Im Tatian tritt sie relativ häufig auf, bei den adverbialen Relativsätzen wird sie jedoch nur in Ausnahmefällen overt realisiert. 22 Man kann jedoch annehmen, dass sie in den anderen Fällen als ‚Nullkomplementierer’ trotzdem vorhanden ist. Die interne und externe Syntax des Satzfügungstyps, auf den sich Kiparsky in obigem Zitat bezieht, ist in Haudry (1973) unter dem Stichwort ‚korrelatives Diptychon’ genauer beschrieben, wobei sich Haudry sowohl mit den alten indoeuropäischen Sprachen auseinander setzt als auch mit den germanischen. Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit normalen ‚Argumentrelativsätzen’, sondern auch mit (relativen) Adverbialsätzen. Bianchi (1999, 2000) greift Haudrys Überlegungen auf und beschreibt sie anhand von Baumstrukturen. Haudrys Hauptziel ist es, gegen die weit verbreitete Annahme zu argumentieren, dass das Protoindoeuropäische lediglich parataktische Strukturen kannte, aus denen sich dann in den attestierten Tochtersprachen durch Grammatikalisierungsprozesse hypotaktische Fügungen entwickelt hätten. Stattdessen vertritt er die Hypothese, dass die ursprüngliche Form das korrelative Diptychon ist. Er beschreibt die globale Struktur des korrelativen Diptychons anhand von lateinischen Beispielen. (39)

[CP [DP Quibus [NP diebus ]]i Cumae liberatae sunt obsidione ], which days-ABL Cuma released was from the siege ... Tib. Sempronius ... prospere pugnat ] [[ isdem diebus ]i ... T.S. wins a victory the same days-ABL ‚T. S. won a victory in the same days in which Cuma was released from the siege’ (Livius 23, 37, 10; zit. nach Haudry 1973; Klammern, Glossierung und Übersetzung von Bianchi 2000: 54, Bsp. (2))

Die korrelative Konstruktion besteht aus zwei Sätzen, nämlich aus dem Hauptsatz und einem abhängigen Satz, wobei letzterer an der linken, vgl. (39), oder an der rechten Peripherie 23 des Hauptsatzes steht. Die Teilsätze ____________________ 22

23

Bei den Belegen in (38) kann sich auf die overte Realisierung fördernd ausgewirkt haben, dass in den Relativsätzen jeweils (in Nachahmung der Wortstellung in der Vorlage) massiv Extraposition stattgefunden hat, sodass das Mittelfeld kein overtes Material mehr enthält. Durch die overte Realisierung der Partikel wird verhindert, dass die Sätze an der Oberfläche dieselbe Wortstellung wie selbständige 9HUE]ZHLWVlW]H KDEHQ ĺ tho intfieng ʜ ther heilant then ezzih ‚da erhielt der Heiland den Essig’). Vgl. auch Diels (1906: 182f.), der zeigt, dass ähnliche Faktoren (Haupt-/Nebensatzdifferenzierung usw.) auch bei der ±overten Realisierung der Relativpartikel thar eine Rolle spielen. Ob es in der Tat rechtsperiphere korrelative Relativsätze gibt, ist allerdings umstritten (s.u.).

294 enthalten jeweils eine Konstituente, das relative und das korrelative Element, die – grob betrachtet 24 – koreferent sind und durch spezifische Determinierer eingeleitet werden. Das NP-Komplement kann wie in (39)-a in beiden Teilsätzen realisiert sein oder jeweils ausgelassen werden. Wie aus (40) ersichtlich handelt es sich um eine Relativierungstrategie mit internem relativen Kopf. Das relative Element wird in der Regel an den linken Satzrand des abhängigen Satzes bewegt. Die Makrostruktur analysiert Bianchi wie auch Kiparsky (1995) als Adjunktion des abhängigen Satzes an den Hauptsatz: 25 (40)

IP CP

[DP quibus [NP diebus ]i ... ti (Bianchi 2000: 5, Bsp. (3))

IP

[DP iisdem [NP diebus ]] ...

De Vries (2002: 2, 145–150) und Bhatt (2003b) fassen die übereinzelsprachlichen Eigenschaften der korrelativen Relativkonstruktion zusammen: Es gibt keinen ‚externen Determinierer’ und der korrelative Relativsatz ist eine CP. Er enthält in der Regel ein Relativpronomen, das den Kasus trägt, der von seinem Verb (also vom Relativsatzverb) gefordert wird. Wenn es – wie in dem lateinischen Beispiel (40) – ein internes Kopfnomen gibt, das den relativen Determinierer begleitet, dann trägt dieses relativsatzinternen Kasus. In der Regel liegt – wie in (40) – overte wh-Bewegung vor. Nach Bhatt (2003b: 5) gilt jedoch, dass die Form der Relativphrase davon abhängt, wie in der gegebenen Sprache Relativphrasen in kopfexternen Relativsätzen gebildet werden: Neben Relativpronomina bzw. -determinierern können auch spezielle Relativmarker (vgl. das ahd. Beispiel (41)) zum Einsatz kommen. Im Mat____________________ 24

25

Bianchi (1999: 86) weist daraufhin, dass bei den korrelativen Relativsätzen im Hindi Quantifikation vorliege, wie Srivastav (1991), Dayal (1995) und Grosu & Landman (1998) zeigen. Vgl. auch Fn. 31. Dass der Relativsatz in der korrelativen Konstruktion in der matrixperipheren Position basisgeneriert wird, wird u.a. von Donaldson (1971), Lehmann (1984), Keenan (1985), Andrews (1985) und Srivastav (1991) vertreten. Dieser Analyse zufolge ist zwar die Semantik der Konstruktion ähnlich wie beim adnominalen Typ, die Syntax jedoch ganz unterschiedlich. Eine andere Hypothese ist, dass der korrelative Relativsatztyp auch syntaktisch mit dem adnominalen vergleichbar ist: Er wird in adnominaler Position basisgeneriert und dann in eine linksperiphere Adjunktposition bewegt (Verma 1966, Subbarao 1984, Bhatt 2003a). Erstere Hypothese ist aus diachroner Perspektive plausibler. Vgl. auch de Vries (2002: 146) und Lipták (2009) für einen Literaturüberblick.

295 rixsatz gibt es eine Argumentposition, die syntaktisch durch eine DP gefüllt ist und die entweder phonologisch leer sein kann, wenn in der gegebenen Sprache pro-drop möglich ist, oder die ein (definites oder universales) Demonstrativ- /Personalpronomen ist. Bhatt (2003b: 5) merkt an, dass die Form des Korrelats der Weise (bzw. einer der Weisen) entspricht, wie in der gegebenen Sprache Anaphorizität ausgedrückt werden kann: Neben einem Demonstrativ- oder Personalpronomen kann das auch ein spezielles korrelatives Pronomen sein. Das Korrelat trägt den im Matrixsatz geforderten Kasus. Wenn es – wie in (40) – eine volle korrelative Nominalphrase (= iisdem diebus in (40)) gibt, weist diese ebenfalls den im Matrixsatz geforderten Kasus auf. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die syntaktische Desintegration beim korrelativen Relativsatz mit einer appositiven Semantik einhergeht. Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: „correlatives seem to be more like restrictive relatives than appositive ones“ (Lipták 2009: 8). 26 Bianchi (1999, 2000) weist daraufhin, dass es auch im Germanischen Evidenzen für die Existenz des kopfinternen Relativsatzes gibt. Sie verweist auf mhd. Belege mit sogenannter inverser Attraktion, die in Pittner (1995) zitiert sind. Entsprechende Beispiele sind auch im Ahd. überliefert (vgl. auch Behaghel 1928: 756), wie der folgende Otfridbeleg zeigt: (41)

Altan níd theih redota · … alten Hass-AKK REL.PART-ich redete ther si uns léid in uuara · leid in Wahrheit der-NOM sei uns ‚der alte Hass, über den ich gesprochen habe …, sei uns wahrhaftig ein Greuel’ (Otfrid H 135f.)

Bei dieser Belegklasse trägt der relative Kopf den Kasus, der vom Prädikat des Relativsatzes gefordert wird. So regiert das ahd. Verb UHGǀQden Akkusativ, entsprechend steht DOWDQ QƯG im Akkusativ, obwohl auf Hauptsatzebene das Subjekt der Relativierung unterzogen wird. Es gibt für diese Belegklasse grundsätzlich zwei Analysen: Entweder man argumentiert, dass es sich um den hier behandelten korrelativen Relativsatztyp handelt, der naturgemäß kopfintern ist ([[RS [Altan níd]i theih ti redota …] [HS ther si uns léid in wara ]]), sodass der Akkusativ zu erwarten ist. Oder man nimmt an, dass der in den modernen germanischen Sprachen kanonische kopfexterne Relativsatztyp vorliegt. Dann müsste der externe relative Kopf DOWDQ QƯG, der durch einen durch die Partikel the eingeleiteten Relativsatz modifiziert ist, linksversetzt sein. Allerdings bleibt es dann rätselhaft, warum die linksversetzte Konsti____________________ 26

Siehe aber Fn. 31 für eine weitere von Grosu & Landman (1998) vorgenommene Feindifferenzierung.

296 tuente $OWDQQƯGakkusativischen Kasus trägt. Man müsste annehmen, dass es sich um eine Art ‚hängenden Akkusativ’ (s. Bianchi 2000: 68) parallel zum sogenannten nominativus pendens handelt. Hier soll der ersten Analyse der Vorzug gegeben werden, nicht nur, weil sich auf diese Weise die Kasusgegebenheiten besser erklären lassen, sondern auch, weil dadurch eine einheitliche Analyse einer ganzen Reihe von Phänomenen ermöglicht wird. Denn diese Analyse lässt sich zum Beispiel direkt auf die ahd. WKǀ-Sätze (und andere adverbiale Relativsätze) übertragen und bietet damit eine Erklärung dafür, warum diese sich nicht wie eingebettete Sätze verhalten, sondern nur in matrixperipheren Positionen anzutreffen sind. Anders als im Lateinischen gibt es bei dem ahd. Beispiel in (41) keinen relativen Determinierer, stattdessen aber eine Relativpartikel, die overt (als the) (Lehmann 1984: 379) oder phonologisch leer realisiert wird. Damit folgt der korrelative Relativsatz in den altgermanischen Sprachen (vgl. Lehmann 1980, Garrett 1994, Hock 1991) dem folgenden allgemeinen Schema: (42)

[[RS [ Rel. NP]i + Rel.Partikel/Ø … ti ...] [HS … korr. Pron/Ø … ]]

In den modernen germanischen Sprachen herrscht der kopfexterne Relativsatz vor. Dennoch gibt es zumindest appositive Relativsätze, die kopfintern sind und mit einem overten Kopfnomen in der Relativphrase eingeleitet werden: (43)

a. John belongs to the International Terrorist Fraternity, which organization has been accused of plotting mass murder. (McCawley 21988: 420; zit. nach Holler 2005: 33, Bsp. 50a) b. „In de ban van de ring“, welk boek van Tolkien „in the spell of the ring” which book by Tolkien zeer populair is, is verfilmd. very popular is has.been filmed ‚„The lord of the rings”, which book by Tolkien is very popular, has been filmed.’ (de Vries 2004: 193, Bsp. 1b) c. Hans wollte wissen, wen Maria gewählt hat, welche Frage sie ihm nicht beantwortete. (Holler 2005: 33, Bsp. 52a)

Anders als im Englischen und Niederländischen ist im Deutschen der appositive, kopfinterne Relativsatz mit komplexen Kopfnomen auf ein prädizierendes Antezedens beschränkt (vgl. Holler 2005: 33). De Vries (2002) kontrastiert den (kopfexternen) postnominalen und den (kopfinternen) Relativsatz anhand der folgenden englischen Paraphrasen: (44)

a. Jack never reads books (which) I recommend to him.

297 b. [Which books I recommend to him] Jack never reads them. (de Vries 2002: 2, Bsp. 8a, d)

Nichtappositive Relativsätze sind im Gwd. immer kopfextern. Die einzige Ausnahme bilden freie Relativsätze des folgenden Typs: (45)

Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

Anders als im Gwd. werden freie Relativsätze im Ahd. und Mhd. nicht durch w-, sondern durch d-Pronomina eingeleitet. Freie Relativsätze konnten nicht nur eine universell quantifizierende Lesart 27 haben, sondern auch eine definite: (46)

a. thiethar fon obana quam ʜ ther ist ubar der-REL.PART von oben kam der ist über ‚derjenige, der von obenher kam, der ist über alle’ Qui desursum uenit. ʜ supra omnes est., (Tatian 57, 17) b. ‚herre, den du lip hast, der ist sych.‘ (Berliner Evangelistar 40, 6; Joh 11, 3)

alle. alle

Auch im Gwd. gibt es freie Relativsätze mit definiter Interpretation, jedoch werden hier sog. ‚halbfreie’ Relativsätze mit der-/die-/das(jenig-) als Kopf (Zifonun 2001: 57) bevorzugt, eine Konstruktion, die erst ab mhd. Zeit belegt ist: a.

?

(47)

Ich habe getroffen, wen du beschrieben hast (in der Lesart: ‚denjenigen (bestimmten) x, den du beschrieben hast, habe ich getroffen’) b. Ich habe denjenigen getroffen, den du beschrieben hast

(48)

Diz daz wir nu gesagit han daz ist ein groz bezeichinvnge disses herin tagis (Mitteldeutsche Predigten 22)

Auch die Mehrheit der ahd. WKǀ-Sätze lässt sich als freie Relativsätze mit definiter Lesart analysieren. Im Gwd. gibt es kein temporales Relativadverb mehr, das freie Relativsätze mit definiter Lesart einleiten kann. Wann wird nur mit universell quantifizierender Lesart verwendet: 28 26F

____________________ 27 28

Vgl. Lühr (1998) zu verallgemeinernden Relativsätzen im Ahd. Der Gebrauch von wann als Relativadverb ist im Gwd. kaum möglich, denn „das temporale Interrogativum wann wird in RS nicht verwendet, statt dessen werden die Subjunktoren als, wenn gebraucht“ (Zifonun 2001: 78): (i) der Tag, als der Regen kam (ii) die Stunden, wenn sie schlief (Zifonun 2001: 78, Bsp. 19)

298 (49)

a. Wann immer sie ihn fragte, begleitete Hans seine Nichte Maria b. *Wann sie eingeschult wurde, begleitete Hans seine Nichte Maria

Das englische when verhält sich in diesem Punkt anders (s. Abschnitt 5.5.1). Die vorangestellten ahd. WKǀ-Sätze lassen sich parallel zu den ahd. Argumentrelativsätzen wie in (46)-a als freie Relativsätze analysieren. Anders als jedoch die gwd. freien Argumentrelativsätze wie in (45) sind die ahd. WKǀ-Sätze stets unintegriert. Analysiert man Gefüge mit WKǀ-Sätzen als korrelatives Diptychon, 29 ergibt sich folgende allgemeine Struktur: (50)

[CP [CP WKǀi [C the/ Ø ] … ti ... ] [CP «WKǀ/thanne/pro ... ]] 30

____________________ 29

30

Wie Bhatt & Lipták (2009) zeigen, wird auch im Hindi-Urdu und Ungarischen die korrelative Relativierung nicht nur zur Abstraktion von Individuenvariablen benutzt, sondern auch von Zeit-, vgl. (i), Orts- und Gradvariablen. (i) ja mE kamre-me ghus-aa, tab Mona gaa rahii when I room-IN enter-PFV.MSG then Mona sing PROG.F thii be.PST.FSG ‚When I entered the room, Mona was singing.‘ (ibid.: 345, Bsp. (3d)) Nach herrschender Forschungsmeinung ist der korrelative Relativsatz an eine sententiale Projektion adjungiert, wobei es von den einzelsprachlichen Gegebenheiten abhängt, ob es sich hierbei um eine CP oder IP handelt (Lipták 2009: 12). Da ich davon ausgehe, dass im Ahd. sowohl Haupt- als auch Nebensätze CP-Projektionen waren (vgl. Axel 2007), nehme ich Adjunktion an CP an. Außerdem sprechen die in 5.2.1 erwähnten Evidenzen für Adjunktion an CP. Wie ein anonymer Gutachter anmerkt, ist für die da-Sätze im älteren Deutsch aufgrund ihrer peripheren Stellung auch der auf Haegeman (1991) zurückgehende ‚radical orphanage‘-Ansatz zu überdenken. Diese Analyse gilt jedoch nur für die Typen von Adverbialsätzen, die Haegeman (2002, 2003, siehe auch bereits Haegeman 1984, 1991) als periphere Adverbialsätze bezeichnet und die sich in ihrer internen Syntax u.a. dadurch auszeichnen, dass sie eine komplette C-Domäne (inklusive der für die illokutive Kraft verantwortlichen Force-Projektion) aufweisen, was sich u.a. darin niederschlägt, dass sie bestimmte ‚main clause phenomena‘ (wie satzinterne Topikalisierung) erlauben. Was die externe Syntax angeht, so werden diese peripheren Adverbialsätze an die Bezugssatz-CP adjungiert (z.B. Haegeman 2002: 327). Im Unterschied zu den hier diskutierten korrelativen temporalen Relativsätzen gibt es bei Haegemans peripheren Adverbialsätzen aber kein bezugssatzinternes Korrelat, d.h. sie sind komplett desintegriert. Das zeigt sich u.a. darin, dass sie nicht im Skopus von Matrixoperatoren (z.B. Negation, Interrogativoperator) stehen können und eine Variable in einem peripheren Adverbialsatz nicht von einem Quantor im Bezugssatz gebunden werden kann. Man beachte, dass zwar nach Haegeman auch bestimmte durch eigentlich temporale Subjunktionen wie while eingeleitete

299 Weil im Gwd. der kopfinterne Relativsatz nur noch sehr eingeschränkt möglich ist, ist uns diese Konstruktionsweise der historischen Daten fremd. Das adverbiale korrelative Diptychon in (51)-a lässt sich nur unzureichend durch die nhd. Paraphrase in (51)-b wiedergeben, weil, wie gerade erwähnt, wann in definiter Lesart nicht verwendet werden kann: (51)

a. thothe erstigun sine bruoder ʜ tho ersteig her úf. = (38)-a b. *wann seine Brüder hinaufgestiegen waren, dann stieg er auch hinauf

Es gibt Sprachen, die sowohl über die postnominale als auch über die korrelative Relativierungsstrategie verfügen. Im Lateinischen waren neben dem korrelativen Typ wie in (39) auch postnominale Relativsätze möglich: (52)

ex iis rebus quas gerebam from those-ABL things-ABL which-ABL did-1SG ‚from those things which I did you understood’ (Cic. De Sen. 22; zit. nach Bianchi 2000: 55, Bsp. 4)

intellegebatis understood-2SG

Bei der postnominalen Relativierungsstrategie wird häufig ein Relativpronomen benutzt, das in einer relativsatzinternen Argument- oder Adjunktposition basisgeneriert wird und durch wh-Bewegung an den linken Satzrand (SpecC) gelangt. Wenn lediglich eine Relativpartikel vorhanden ist, so wird seit Chomsky (1977) angenommen, dass in SpecC ein leerer Operator steht. Beim korrelativen Relativsatz gibt es keine ‚Lücke’: Der relative Kopf (= WKǀ) ist relativsatzintern und die relative ‚Lücke’ im Hauptsatz ist durch das Korrelat gefüllt: Das hauptsatzinterne ±overte Pro-Adverb ist nicht der relative Kopf, sondern das Korrelat. Nachgestellte WKǀ-Sätze sind jedoch vermutlich anders zu analysieren. Bei Nachstellung des WKǀ-Satzes liegt es nahe, das hauptsatzinterne ±overte ProAdverb als relativen Kopf zu analysieren.

____________________ Adverbialsätze zu den peripheren Adverbialsätzen zu rechnen sind, diese haben dann aber nicht die kanonische temporale Lesart, sondern eine adversative o.Ä. (vgl. auch dt. während). Die hier diskutierten WKǀG{-Sätze weisen dagegen die kanonische temporale Interpretation auf. Außerdem können sie, wie oben anhand der ahd. und mhd. Beispiele in (20) und (21) gezeigt, bei Nachstellung als im Skopus eines bezugssatzinternen Interrogativoperators liegend interpretiert werden. Hinzu kommt, dass in der vorliegenden Arbeit die WKǀG{-Sätze als temporale Relativsätze analysiert werden, in denen WKǀG{ ein Operator ist, der nach SpecC bewegt wird. Dieselbe Analyse schlägt Haegeman (2010) für engl. when vor (vgl. Abschnitt 5.5.1) und argumentiert ausführlich, dass in Sätzen mit Operatorbewegung nicht die für die peripheren Adverbialsätze charakteristischen ‚main clause phenomena‘ auftreten.

300 Srivastav (1991) zeigt in ihrer wegweisenden Studie zu den Relativsätzen im Hindi, dass sich nachgestellte Relativsätze von den vorangestellten des korrelativen Typs unterscheiden, insofern sie kopfextern und nicht kopfintern sind. Auch semantisch gibt es im Hindi zumindest einen Unterschied: Die vorangestellten, korrelativen Relativsätze im Hindi sind ‚maximalisierend’, 31 die nachgestellten restriktiv. Aus diesem Grund können nachgestellte Relativsätze nicht als rechtsadjungierte (oder nach rechts bewegte) Korrelative analysiert werden. In der Tat verfügen das Hindi und zahlreiche weitere Sprachen wie zum Beispiel das Sanskrit, das Avestische und das Marathi (und – wie oben erwähnt – das Lateinische), neben der korrelativen über eine sekundäre kopfexterne, postnominale Relativierungsstrategie (de Vries 2002: 235). Bei der postnominalen Strategie verbinden sich das Kopfnomen und der Relativsatz in einer höheren nominalen Projektion. Dagegen sind korrela____________________ 31

Traditionell wird nur zwischen ‚restriktiven’ und ‚nichtrestriktiven/appositiven’ Relativsätzen unterschieden. Grosu & Landman (1998) plädieren dafür, die zweiteilige Typologie durch eine dreiteilige abzulösen, die zusätzlich ‚maximalisierende’ Relativsätze umfasst. Restriktive Relativsätze werden mit der Kopf-NP intersektiv gedeutet und tragen zur Restriktion des Determinierers bei, nichtrestriktive (appositive) Relativsätze modifizieren die gesamte relative KopfNP, d.h. sie beschränken die Referenz einer definiten NP. Maximalisierende Relativsätze gibt es auch im Englischen in Form von Gradrelativsätzen: there in (i) erzwingt eine Lesart als Gradrelativsatz (de Vries 2005): (i) John looked at the mice that there were in the cage. (de Vries 2005: 9, Bsp. 12) Solche maximalisierende Relativsätze modifizieren nicht den relativen ‚Kopf’. Dieser wird stattdessen innerhalb des Relativsatzes interpretiert, wo er eine Gradvariable einbringt. Auf Satzebene erfolgt eine Maximalisierungsoperation. Die Interpretation ist nicht im herkömmlichen Sinne restriktiv: Wie de Vries (ibid.) ausführt, werde mit der Äußerung von (i) nicht impliziert, dass es eine Gruppe von Mäusen gibt, die nicht im Käfig ist, sondern es wird ausgedrückt, dass die gesamte Menge an Mäusen in der Diskursdomäne im Käfig ist. Der Relativsatz enthält eine Gradvariable, die maximalisiert wird. Es gibt zwei Diagnostika für eine maximalisierende Semantik: Zum einen gibt es Restriktionen in Bezug auf den externen Determiner (z.B. the, every, a few, aber nicht some, few, no). Zweitens ist Stacking nicht möglich. Maximalisierung findet man somit auch in Konstruktionen, bei denen es keine Evidenz für eine Gradinterpretation gibt. Aus typologischer Perspektive kann man beobachten, dass korrelative Relativsätze maximalisierend oder restriktiv sein können. Im Hindi werden die korrelativen Relativsätze maximalisierend interpretiert: (ii) [jo laRke KhaRe hai], ve/sab/*kuch/*adhiktam lambe haiN WH boys standing are those/all/*few/*most tall are lit. ‘Which boys are standing, they/all/*few/*most are tall.’ (Grosu & Landman 1998: 164, Bsp. 5)

301 tive Relativsätze eine Ebene weniger tief eingebettet als nominalisierte Relativkonstruktionen: Sie sind direkt dem Bezugssatz untergeordnet. Im Falle der WKǀ-Sätze stellen sich aus diachroner Sicht die folgenden Fragen: Wenn es sich in der Tat ursprünglich um eine relativische Konstruktion handelte, wie hat sich daraus eine Adverbialsatzkonstruktion entwickelt bzw. wie ist die adverbiale Subjunktion da entstanden, wie wir sie im Gwd. kennen? Wenn mit dem korrelativen Diptychon ursprünglich nur eine unintegrierte Fügung vorlag, wie ist daraus der Typ des adverbialen Gliedsatzes hervorgegangen? Diese und weitere Fragen sollen in den nächsten Abschnitten beantwortet werden.

5.3

Mittelhochdeutsche dô-Sätze

5.3.1 Periphere Stellungen Behaghel (1929) beobachtet, dass in mhd. Texten vorangestellte Adverbialsätze fast nie direkt vor dem finiten Verb ihres Bezugssatzes auftreten, wohingegen das Verbdrittmuster (mit und ohne korrelatives Adverb) sehr häufig sei. Dasselbe Ergebnis findet sich in zahlreichen Arbeiten aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert, die sich mit der Wortstellung in der mhd. Dichtung und Prosa auseinandersetzen (z.B. Pieritz 1912: 40ff. & 91ff. zu König Rother und dem St. Trudperter Hohenlied; Schulze 1892: 13–44 & 43 und Horacek 1957, 1964 zum Parzival und Iwein, Fassbender 1908: 24ff. zu Bertholds Predigten, Lötscher 2005 zur mhd. und frnhd. Prosa und Dichtung). In dem frühmhd. Physiologus sind dô-Sätze bei Voranstellung in der Tat ausschließlich in einer peripheren Position links vom Bezugssatzvorfeld belegt. Im Bezugssatz steht in der Regel ein korrelatives Adverb – meist ebenfalls in der Form von dô: (53)

a. Do der alte Jacob sinen sun gesegenote und gewihte, do chod er: .., (Wiener Physiologus I, 2) b. duo er gisach daz menniskin chunni mit tiefelen biswichiniz , duo fuor er fone himile mit deme suozin stanchi siner fleischafti und irlost unsich von deme tiefale. (Wiener Physiologus II, 5)

Es findet sich auch ein Beleg ohne Korrelat, wobei hier wie bei den ahd. Beispielen sehr deutlich wird, dass sich die externe Syntax adverbialer Nebensätze im Mhd. von denen im Gwd. unterscheidet, denn im Gwd. wäre die entsprechende Fügung ungrammatisch:

302 (54)

do der brutegoum chom, die tumben magide sprachen zu den wisen: ... (Wiener Physiologus XVII, 2)

Die mhd. Texte verhalten sich in letzterem Punkt unterschiedlich: Zum einen gibt es Texte, in denen im Bezugssatzvorfeld zwar häufig (= dô-S–Pro-Adv– Vfin), aber nicht immer ein korrelatives Adverb steht (= dô-S–XP–Vfin). 32 Das sind neben dem Physiologus das Speculum ecclesiae, der Lucidarius (G), David von Augsburg, das Jenaer Martyrologium, Nikolaus von Straßburg, Hermann von Fritzlar, das Evangelienbuch für Beheim und Christine Ebner: 33 34 12. Jahrhundert: Speculum ecclesiae, Lucidarius (G) (55)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. 'RHULQHLQLǕWDJHǕXRQGHPJRWLǕULFKHǕHLWHGRǕprach er zԮ‫ܜ‬in: ... (Speculum ecclesiae 8, 9) b. 'RǕLGDUFKRPLQGRYXQGLQǕLDOǕRHULQJHǕHLWKrWH (Speculum ecclesiae 12, 13)

____________________ 32

33 34

Als korrelatives Adverb nach vorangestelltem dô-Satz tritt meist ebenfalls dô auf. Prell (2001: 37) spricht von der „Korrespondenz polysemer Elementarsatzeinleitungen, die ein ganz charakteristisches Merkmal mhd. Prosa ist und in erster Linie nach dem Muster ‘do-Nebensatz – do-Hauptsatz’, aber auch bei anderen Partikeln auftritt“. [Hervorhebung im Original] Keine vorangestellten dô-Sätze enthalten der Bartholomäus, das Amtleutebuch St. Brigiden und die Oxforder Benediktinerregel. Lötscher (2005) beschäftigt sich mit funktionalen Faktoren bei dieser grammatischen Variation. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in der Versdichtung das Muster ohne korrelatives Adverb bei Adverbialsätzen allgemein (also nicht nur bei dô-Sätzen) häufiger verwendet wird als in Prosatexten, was er auf den Umstand zurückführt, „dass in der Versdichtung der Satzbau stark vom Versbau beeinflusst ist. Die Teilsatzgrenzen richten sich in der Regel wenn möglich nach den Versgrenzen“ (ibid.: 365f.). Bei Prosatexten sei dagegen das Muster ohne korrelatives Adverb vor allem in Texten häufig, die adressatenorientiert gestaltet sind und der Rhetorik gesprochener Sprache näher stehen. Dies sei zum Beispiel in Predigten und erbaulichen Schriften der Fall, nicht aber in Fachtexten, was erkläre, warum im Physiologus und Lucidarius dieses Muster in den von Lötscher untersuchten Abschnitten nicht bzw. kaum belegt sei. Behaghel (1929: 406) argumentiert, dass die Verteilung des Musters mit und ohne Korrelat regional verschieden ist. Lötschers (2005: 363, Fn. 16) Ergebnisse bestätigen das nicht. Auch die vorliegenden Resultate zu den dô-Sätzen weisen nicht in diese Richtung. Für die vorliegende Argumentation ist die Frage, welche Faktoren sich auf die Verteilung der beiden Muster auswirken, nicht von Belang. Wie weiter unten gezeigt werden wird, ist die zugrunde liegende syntaktische Analyse identisch.

303 (56)

dô-S–XP–Vfin a. 'RHUIYUHLQHQWRWHQJLHGHQJH]LNWHHUPLWǕLQHm rocke, (Speculum ecclesiae 29, 7) b. Do er do GLHPRUWOLFKHQYLQǕWHUGXUFKSUDFKPLWFKUHIWLJLPOvHKWHDOǕHHLQ HLǕOLFK UΤbâr unĀľ daz do GLH KHOOHǕFKkU GLH XELOQ WvHXHO HUǕkKHQ GHǕ HUFK{PLQǕLYLOKDUWHXQde YUkJWLQYLOkQJLǕWOLFKHQHLQDQdir ... (Speculum ecclesiae 59, 8)

(57)

dô-S–Pro-Adv–Vfin Do er waz dri-||zic iar alt do wart ľф ॿ‫׀‬ľĀ̲ǏËΎɗфǏ́ǣɗ͑‫ل‬ (Lucidarius (G) 141)

(58)

dô-S–XP–Vfin GRǕLHGRJHǕD਌ӏ৆KLQ>z]|(e welhin notin ds tivuel ଢkom von) || der gotis krefte. YQࡃ irkanton do in welhin [er]|(LQǕLHJRWEHKDOWHQKHWLGDYRQ) || viengin ǕLHGD ]HGHUǕWDWLQJRWLVPLQQH (Lucidarius (G) 32)

13. Jahrhundert: David von Augsburg, Jenaer Martyrologium (59)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Dô Abrahâm sîn opher bereitet hête, dô kômen die vogele unde sâzen dar ûf (David von Augsburg: Traktate 313, 14) b. Dô künec Jôsaphât in vride was, dô bûwete er stete und veste bürge (David von Augsburg: Traktate 316, 16)

(60)

dô-S–XP–Vfin Dô Marîâ unserm hêrren sîn houbet begôz und sîne vüeze mit der edeln salben, daz verkêrte man ir unde grisgramete ûf sî (David von Augsburg: Traktate 334, 28)

(61)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. do KHǕFKROGHGHQDEJRWDQEHWLQGRǕSLHWHKHDQGD]DQWOL]GHVDEJRWHV (Jenaer Martyrologium 1) b. GRKHGULFHQLDUDOWZDVGRǕFKĤZHWHKHGLHZHUWY͑۷нӕ̲‫׀‬Ԯ‫ܜ‬Ë́ΎǕWHUH (Jenaer Martyrologium 2) c. do KHGD]ǕDFKGRZDUIKHGD]EXFKQLHGz. (Jenaer Martyrologium 3)

(62)

dô-S–XP–Vfin a. GRǕLHZDUWYRQGHPHULFKWHUHJHǕlagin. v͑۷DQGD]IĤUJHZRUILQGD] HQǕFKDGHWLUQLFKW (Jenaer Martyrologium 2) b. YQࡃdo man in zԮ‫ܜ‬gerichte brachte in dem wege tet he vil zeichine. (Jenaer Martyrologium 9)

304 14. Jahrhundert: Nikolaus von Straßburg, Hermann von Fritzlar, Evangelienbuch Beheim, Christine Ebner (63)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Und dô sant Paulus bekêret wart, dô zöugte sich im unser herre (Nikolaus von Straßburg: Predigten 263, 10) b. Und dô er erwachtete, dô hette er ez für einen troum (Nikolaus von Straßburg: Predigten 265, 37) c. Und dô er an dem kriuze starp, dô fuor sîn sêle hin abe und lôste sîne friunde, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 267, 8)

(64)

dô-S–XP–Vfin '{HUGD]ZD]]HU]LHUWHGD]ZDVG{HUVLQHQMXQJHUQGLHIH]HZXRVFKĤ]GHP wazzer. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 298, 20)

(65)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Dô her den here sach vor sich gên, dô sprach her zu den di bî ime stunden: ... (Hermann von Fritzlar, Heiligenleben 6, 18) b. Dô daz sente Andrês hôrte, dô ging her selber zu ime willeclîchen ûffe den market (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 7, 1)

(66)

dô-S–XP–Vfin Dô der lîcham und di sêle vereinet wurden, in dem selben puncte sô 35 was der heilige geist dâ und benam den aneval der erbesunden und vertilgete di daz si lîp noch sêle nie berurte. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 18, 8)

(67)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Und dô her wandirte bi dem mere Galilêê, dô sach her zwêne brûdere, (Evangelienbuch Beheim 13; Mt 4, 18) b. Und dô her gevastete vîrzek tage und vîrzik nacht, dar nâch hungirte en. (Evangelienbuch Beheim 13; Mt 4, 2)

(68)

dô-S–XP–Vfin a. 8QGG{KHUVDFKYLOHGHU3KDULVrLXQGGHU6DGXFrLNĤPHQ]ĤGHUWRXIHKHU VSUDFK]Ĥen: ... (Evangelienbuch Beheim 12; Mt 3, 7)

____________________ 35

In dem Beleg liegt sogar Verbviertstellung vor: Der do-Satz steht ganz links außen, die PP in dem selben puncte ist linksversetzt und wird durch resumptives so im Bezugssatzvorfeld wiederaufgenommen.

305 b. Und dô si inwec geschîden, seht 36 der engil des herren irschein Jôsêph in dem slâfe und sprach: ... (Evangelienbuch Beheim 11; Mt 2, 13) c. Und dô Hêrôdes sach daz her betrogen wDV YRQ GHQ NĤQLJHQ KHU LVW HU]FĤUQHWVrUH (Evangelienbuch Beheim 11; Mt 2, 16 ) d. 8QGG{-KrVXVJHWRXIWZDUW]ĤKDQWJvQFKHU€IYRQGHPZD]]HUH (Evangelienbuch Beheim 12; Mt 3, 16) (69)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Da die leute ir heiligez leben vernamen, da gaben sie in an bet allez dez die bedorften an allen sachen, (Christine Ebner 2, 27) b. Da er vernam dises closters heilikeit und sinen grozen leumunt, do warde er so sere entzunt an sinem hertzen von gotlicher minne, (Christine Ebner 4, 33)

(70)

dô-S–XP–Vfin a. Da die naturlih sunne auf ging, die warf irn schin in die stern: (Christine Ebner 16, 33) b. Da nu die zit kome daz got irs leidens ein ende wolt machen, nach vesper sand sie balde nach der priolin, (Christine Ebner 23, 30)

Wie die Belege aus Christine Ebner zeigen, gibt es auch Texte aus der spätmhd. Periode, in denen ein korrelatives Adverb nicht systematisch verwendet wurde. Bei Christine Ebner hat die Temporalkonjunktion die Form da. Im Mhd. hat sich das temporale dô mit dem lokalen (Relativ)adverb dâ, dâr vermischt (Paul 252007: 414), eine Entwicklung, die sich nach Wolf (1978) bereits im Nibelungenlied nachweisen lässt. Zum andern gibt es Texte, in denen nach vorangestellten dô-Sätzen im Bezugssatzvorfeld stets ein korrelatives Adverb steht (zumindest in den hier untersuchten Ausschnitten). Zu dieser Gruppe gehören die Züricher Predigten, die St. Pauler Predigten, das Trudperter Hohelied, die Lilie, Salomons Haus, die Mitteldeutschen Predigten, der Baumgarten geistlicher Herzen und das Berliner Evangelistar: 12. Jahrhundert: Züricher Predigten (71)

dô-S–Pro-Adv–Vfin 'RLUGHUHQJLOHLQǕYQJHKLH]GRDQWZUWHǕLHLPHDOǕYǕ (Züricher Predigten 21, 29)

____________________ 36

Hier steht zusätzlich noch eine Interjektion am linken Satzrand des Bezugssatzes.

306 13. Jahrhundert: St. Pauler Predigten, Trudperter Hoheslied, Lilie, Salomons Haus, Mitteldeutsche Predigten (72)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Do adam geviel vnd eva sin wip, do mvse alle sin afterchvnft ... siner vngehorsam engelten (St. Pauler Predigten 17, 18) b. Do er sin selbes vergaz vnd ungehorsam wart sinem schepfaere, do wart er aller eren verstozen (St. Pauler Predigten 26, 16)

(73)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. dô er gegarwet wart niun manôde, dô leite in widere in [ir] der heilige geist. (Trudperter Hoheslied 132, 21) b. dô ich in sorgin geinch dô uvndin mich die wahtentin purgâre, (Trudperter Hoheslied 165, 3) c. unde dô er in hiez daz er sibin stunt sibinzich stunde uirgebe. dô was daz pette wol gebouwen. (Trudperter Hoheslied 214, 15)

(74)

dô-S–Pro-Adv–Vfin 'ĤGHUYLHQWKRUGHLQGHPSDUDGLVHGDWLPHGDWDUPH ZLYHFKLQ 37 zuiveliche antwrde, du lahte he sich an die offenbare lugene. (Lilie 9, 18)

(75)

dô-S–Pro-Adv–Vfin da dv dine almvse gebe. vnde din gebet spreche. da brachte ich ez vor got indaz himelriche.. (Salomons Haus 424)

(76)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Do dis alles bereit waz vnd an bappir geschriben waz. Do stuont im dennoch vs ein wening ze machende an einem ende daz ünser lieben frovwen zuo gehorte. (Mitteldeutsche Predigten 44) b. vnd do diu hôchgezit ain ende nam do fuoren si wider dannan. (Mitteldeutsche Predigten 48)

____________________ 37

‚Weiblein‘

307 14. Jahrhundert: Baumgarten geistlicher Herzen, Berliner Evangelistar (77)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Do der mensche da vil, don moht er niht wider gewunnen werden nivwan mit dem, daz ob im waz. (Baumgarten geistlicher Herzen 225, 7) b. GRGLHIX࢑r die ivden gefułrt wurden, do vragt mans, ob si Ihesum Cristum predigten, (Baumgarten geistlicher Herzen 226, 16)

(78)

dô-S–Pro-Adv–Vfin a. Do dy jungern waren wek gegangen, do kundegete Jhesus unde saite den scharen von Johanni: ... (Berliner Evangelistar 2, 12; Mt 11, 7) b. Do den sente Petir sach, do sprach her czu Jhesum: ... (Berliner Evangelistar 6, 27; Joh 21, 21)

Im Mhd. war das Repertoire an Subordinatoren noch nicht so vielfältig wie im Nhd. (vgl. auch Wolf 1978). Daher dient die Verwendung eines korrelativen Adverbs auch zur semantischen Differenzierung. Zwar ist dô das mit Abstand häufigste korrelative Adverb, jedoch werden zum Ausdruck der Vorzeitigkeit (d.h. wenn die Nebensatz- vorzeitig zur Hauptsatzproposition ist) auch die Adverbien darnâch (vgl. auch (67)-b) oder sider (in den Beispielen durch Fettdruck hervorgehoben) verwendet: (79)

a. Dô dû uns gelêrtest in dîner stille biz an drîzic jâr alle die volkomenheit, der ein mensche bedarf sich selben ze rihten, daz iemen sich an neme, ander liute ze berihten, der noch selbe unverrihtet ist, als der boum der ê birt, ê er bekomen sî: dar nâch gienge dû her vür under die liute lêrenne und ougenne, war umbe dû komen wære in dise werlt: (David von Augsburg: Traktate 343, 24) b. Unde do her gevast hatte virczik tage unde virczik nacht, dor noch do 38 hungerte en. (Berliner Evangelistar 20, 16; Mt 4, 2)

(80)

Do er dar quam sider waren si da mit einander. dru iar vnde datin manige zeichin. (Mitteldeutsche Predigten 25)

In den hier untersuchten Prosatextausschnitten sind lediglich zwei dô-Sätze bezeugt, die dem finiten Verb im Bezugssatz unmittelbar vorangehen. Der eine Beleg stammt aus dem Prosalancelot (s.u.), der andere aus dem Berliner Evangelistar: ____________________ 38

Bei dem Beleg liegt Verbviertstellung vor, da das Pronominaladverb dor noch linksversetzt ist und durch resumptives do wiederaufgenommen wird.

308 (81)

Do Jhesus diz horte, wundirte her sich unde sprach ... (Berliner Evangelistar 12, 16; Mt 8, 10)

Auch bei anderen Subordinatoren finden sich nur äußerst selten entsprechende Belege: (82)

YQࡃ ouch die wile daz he weUOWOLFKZDVǕFKHLQKHDQPDQLJHQWĤJHQGLQ (Jenaer Martyrologium 4)

Ebenfalls sehr selten sind dô-Sätze (und andere Adverbialsätze) im Mittelfeld: (83)

sîn tôt wêr, dô er êrst geborn wêre, als kreftig gewesen uns zerlœsende, (Nikolaus von Straßburg: Predigten 292, 32)

Wie im Ahd. zeigt sich auch im Mhd. die Unintegriertheit der dô-Sätze in ihrem Stellungsverhalten relativ zu ihrerseits abhängigen Sätzen: Man trifft nicht selten auf Belege, in denen der dô-Satz auch in diesem Fall seinem Bezugssatz vorangeht, sodass er links von der Konjunktion oder nebensatzeinleitenden Phrase erscheint: 39 (84)

a. 'D] ZDUHQǕLQHJHQDGHGRQHKHLQJRGZDǕ ZDQHUHLQHGD]HUYQǕDOOHQ daz er warb. GD]ZLUJRWHǕFKLQWǕLQ (Züricher Predigten 17, 31) b. daz was grôzer dô der tieuuil den mennisken an den grunt der helle gezogen hete, daz in GHUJRWLVJHZDOWVvQHVXQGDQFKHVKHUZLGĊU€I]ΎԳËȍ (Trudperter Hoheslied 173, 26) c. wan an dem lesen wir also. Do daz kind iesus cristus zwelf iâr alt wart. daz do herre Joseph vnd Maria gotez muoter ze ainer osteron mit dem kinde iesu cristo fuoren hinz ierusalem. nach der gewonhait dez hochziticlichez tagez. (Mitteldeutsche Predigten 48) d. So singit man dan allvia. daz bezeichenit. da vnser here prediende wart. daz sie ime danach volgetin. (Salomons Haus 444) e. Man schrîbet von sente Bernharte dô her tôt was, daz her erschein eime heiligen munche; (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 19, 32)

____________________ 39

Mit der linksperipheren Stellung von Adverbialsätzen vor ihrerseits abhängigen Sätzen hat sich Lötscher (1998) unter dem Gesichtspunkt der Irregularität bzw. Regularität von syntaktischen Mustern auseinandergesetzt. Er führt dieses Wortstellungsmuster auf eine ‚periphere’ syntaktische Regel zurück, die nicht von der Kerngrammatik abgedeckt ist. Wie jedoch Axel (2002) argumentiert, ist die Hypothese von der ‚peripheren Regel’ bei dieser Konstruktion nicht haltbar.

309 f.

Unde iz geschach, do sente Elyzabeth horte Mariam gruz, daz sich daz kint in irme lybe vrouwete (Berliner Evangelistar 3, 10; Lk 1, 41)

Bei manchen Belegen tritt im Mittelfeld des abhängigen Satzes ein (overtes) korrelatives Pro-Adverb auf, vgl. (84)-c. Auch diese Konstruktion ist natürlich nicht auf dô-Sätze beschränkt, sondern findet sich auch bei anderen Adverbialsatztypen, insbesondere bei Konditionalsätzen: (85)

a. ... XQWHǕHLWHLPǕZHQQHHUGD]Jr]]HGD]HUGHǕrXYLJLQW{GLǕPԮΒǏľ ľфǏҡľф¡ɗ͑. (Speculum ecclesiae 6, 28) b. Daz ist allen den geboten, die dîner liebe wellent wert sîn: swenne in vür geleit werde den tôt ze lîden oder dîn ze verlougen mit munde oder mit herzen oder mit süntlichen werken, daz sie allez daz lîden, daz in geschehe ze lîden an lîbe (David von Augsburg: Traktate 347, 4) c. Ich wæne des, swenne der geistliche mensch sich selben rehte durchsiht, daz daz ein alsô hôhiu gesiht sî nach dem nutze (David von Augsburg: Traktate 337, 40) d. ... daz er ir ein urkunde gebe, ob sie zum himel wer, daz sie ir bete gewert wurde. (Christine Ebner 35, 8)

Bei nichtsatzförmigen Konstituenten ist dieses Wortstellungsmuster nur sehr selten bezeugt. In dem hier herangezogenen mhd. Korpus habe ich lediglich einen einzigen Beleg gefunden: (86)

Der brief diutet alsus. Bartholomêus der maister, daz er uns an disem buoche gelêret hât, alliu diu dinch, diu er versuohte, daz si wâr sind ... (Bartholomäus 127, 17)

Neben der Voran- ist bei den dô-Sätzen auch die Nachstellung belegt. Auch in diesem Fall kann im Matrixsatz ein korrelatives Pro-Adverb stehen: (87)

'R ULKWH GHU JRWLǕ ǕXQ LU ǕWHSSKH GR HU LU KHU]H HUZDFKWH ]Y‫ ܜ‬dem wêge der KLPLOLǕchn heimôde. (Speculum ecclesiae 8, 16)

5.3.2 Dô-Sätze und weitere unintegrierte Nebensätze im Prosalancelot Unter den hier untersuchten mhd. Texten weist vor allem der Prosalancelot eine Vielzahl von aufschlussreichen Konstruktionen auf. Deshalb sollen die

310 Syntax der dô-Sätze 40 und vergleichend weitere Typen von unintegrierten Nebensätzen in diesem Text näher betrachtet werden. Auch im Prosalancelot werden vorangestellte dô-Sätze im Bezugssatzvorfeld häufig durch ein korrelatives Adverb wieder aufgenommen, (88), jedoch finden sich auch zahlreiche Belege ohne Korrelat, (89): (88)

a. Da Aramunt sah das im Claudas wiedersaget syner herschafft mit der Romer gewalt, da bestund er yn mit urlage, und hett zu hilff den konig Gaulen und alle syn macht. (Lancelot 1, 23) b. Da er sah das jhene by ußen yczo darinn waren, da reyt er in ir here mit synen rittern, (Lancelot 2, 29)

(89)

a. Da der truchseß Lyonel sah, er was húbsch und wust wol was er thun solt, er knyt vor yn und sprach: ... (Lancelot 55, 22) b. Da das Graiers gesellen sahen, die mit im geschworn hetten und meyneydig niht werden wolten durch synen willen und durch Lambegus affenheit, sie lieffen zu Phariene so sie allerbaldest mochten (Lancelot 82, 13) c. Da sie fur den sal kamen, er stunt von sym roß. (Lancelot 132, 26)

Ebenfalls bezeugt ist die Konstruktion, bei der ein Adverbialsatz – speziell für die dô-Sätze finden sich jedoch auf den ersten 140 Seiten keine Belege – einem seinerseits abhängigen Satz vorausgeht: (90)

a. Des wart die frauw erfert und hett angst, begriff er sie, das er ir laster mocht thun, (Lancelot 17, 5) b. Ir mogent auch allesampt wol sicher sin, wann er die macht gewinnet, das er uch allesampt uneret und dötet. (Lancelot 77, 24)

Auf den ersten 140 Seiten des Prosalancelot findet sich ein einziger Beleg, in dem ein dô-Satz unmittelbar vor dem finiten Verb des Bezugssatzes auftritt. In dem Beleg geht da die Verstärkungspartikel al voran (s. Abschnitt 5.5.1). (91)

und alda er synen jamer macht starck und groß, enwas er nicht wol sicher, (Lancelot 61, 3)

____________________ 40

Der temporale Subordinator hat im Prosalancelot die Form da. Dennoch soll hier weiterhin von dô-Sätzen die Rede sein, auch um eine Abgrenzung von den Lokalsätzen zu leisten.

311 Bei anderen Nebensatzeinleitern ist diese Wortstellung ebenfalls nur sehr sporadisch anzutreffen: (92)

a. (HHUGDUZHUWNXQGHNRPHQZDVHUGUĤPDOGDUQ\GHUJHVWRFKHQZDQQVLH waren all zu roß und er zu fuß. (Lancelot 8, 17) b. Als schier als sie hernyder kamen, dett Claudas syn knappen off den thorn und deth Banin groß ere und mynnet yn sere in sym herczen, wann er große kunheit und manige frömkeyt an im hatt gesehen. (Lancelot 10, 16) c. und wann das sie ritter mochten werden, wolt er sie ritter machen und yn ir lant alles wiedder geben. (Lancelot 25, 19)

Außer den in (91) und (92) zitierten vier Belegen ist dieses Wortstellungsmuster auf den ersten 140 Seiten nicht belegt. Wie eingangs erwähnt, ist auch in der älteren Literatur die Lehrmeinung zur sogenannten ‚Nachsatzgestaltung’, dass diese Wortstellung im Mhd. praktisch nicht bezeugt ist, was sich auch durch meine Untersuchung der Prosatexte bestätigt hat. Wie weiter unten gezeigt wird, verbreitet sich dieses Muster, das im Gwd. ja das kanonische Muster darstellt, erst in frnhd. Zeit. Erst dann bildet sich die Vorfeldfähigkeit systematisch heraus. Es stellt sich die Frage, welche Struktur sich hinter den sporadischen Belegen im Prosalancelot verbirgt. Steht der alda-Satz in der SpecC-Position seines Verbzweitbezugssatzes, (93)-a, oder ist er, wie ich bei den entsprechenden ahd. Belegen argumentiert habe, an die CP eines Verberstsatzes adjungiert, (93)-b? (93)

a. [SpecC [CP alda er synen jamer macht starck und groß] [C enwasi ] er nicht wol sicher ti ] b. [CP [CP alda er synen jamer macht starck und groß] [CP [C enwasi] er nicht wol sicher ti ]]

Anders als im Ahd. lässt sich Struktur (93)-b nur schwer rechtfertigen, da es im Mhd. – und insbesondere auch im Prosalancelot – kaum Evidenzen für deklarative Verberstsätze in unabhängigen Kontexten (also außerhalb der ‚Nachsatzdomäne’) gibt. Geht man dagegen von der Struktur in (93)-a aus, bleibt rätselhaft, warum sich der Typ des vorfeldfähigen Adverbialsatzes systematisch erst viel später, in frnhd. Zeit, durchzusetzen beginnt. Dass dieses Wortstellungsmuster in der Zeit davor nur sehr sporadisch belegt ist, spricht

312 für die Hypothese, dass Adjunktion an einen Verberstsatz vorliegt. 41 Dann könnte man die Marginalität des Musters Adverbialsatz + ‚Verberstnachsatz’ auf die Marginalität deklarativer Verberstsätze im Allgemeinen zurückführen. In diesem Punkt kann ich hier jedoch keine endgültige Entscheidung treffen. Bis auf eine Ausnahme treten somit alle vorangestellten dô-Sätze auf den ersten 140 Seiten in Prä-Vorfeldstellung auf. Im Prosalancelot sind außer den dô-Sätzen weitere Nebensatzkonstruktionen bezeugt, die syntaktisch unintegriert sind. Es handelt sich der Form nach um freie Relativsätze, die allerdings wie Konditionalsätze interpretiert werden, (94). Man beachte, dass freie Relativsätze im Mhd. anders als im Gwd. in der Regel noch nicht durch ein w-, sondern durch ein d-Pronomen eingeleitet werden. (Bei dem lokalen freien Relativsatz in (94)-b wird im Prosalancelot schon das w-Adverb wo verwendet.) Der Form nach sind solche Sätze Relativsätze, sie werden aber adverbial (als Konditionalsätze) interpretiert (s. Behaghel 1928: 773–775): (94)

a. ‘Der uch ein schnell pfert gebe und ein starckes, mocht ir ummer inzytt dar komen?’ (Lancelot 37, 27) ‚ »Wenn Euch jemand ein schnelles kräftiges Pferd gäbe, könntet Ihr dann noch zurechtkommen?«’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 111, 34) b. Wo yrn findet da ich bin, so solt yrn zihen verretery, (Lancelot 23, 21) ‚Wenn Ihr ihn trefft, wo ich dabei bin, so sollt Ihr ihm vorwerfen, er habe Verrat begangen’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 71, 21)

Der lokale freie Relativsatz in (94)-b kann auf den ersten Blick im Gwd. durch einen universell quantifizierenden freien Relativsatz übersetzt werden (‚Wo immer ihr ihn trefft, wo ich dabei bin, sollt ihr ihn dort des Verrats bezichtigen‘). Anders als jedoch diese gwd. Übersetzung weist das mhd. Gefüge kein lokales korrelatives Adverb auf, sondern so, was typischerweise in Konditionalgefügen anzutreffen ist. Außerdem scheint bei näherem Hinsehen eher eine existentielle Lesart vorzuliegen, die sich wie folgt paraphrasieren lässt: ‚Wenn ihr ihn irgendwo trefft, wo ich dabei bin, sollt ihr ihn des Verrats bezichtigen‘. 42 In anderen Worten, das Gefüge muss als sogenannter ____________________ 41

42

Das finite Verb trägt die proklitische Negation en. Im Ahd. war bei negierten Sätzen die Verberststellung noch häufig (Behaghel 1932: 12, § 1428, Axel 2007: Kap. 3). Dahinter verbirgt sich jedoch ebenfalls eine universell zu verstehende Aussage. Wie Sternefeld (2006, Bd. I: 394) für die entsprechende Konstruktion im Gwd. (z.B. Wer zusammen presst, was nicht zusammen passt, braucht sich nicht zu wundern) argumentiert, handelt es sich um eine Art Eselsatz wie in (i). Der

313 ‚konditionaler Relativsatz’ klassifiziert werden, was auch durch Steinhoffs (Hg.) (1995) Übersetzung zum Ausdruck gebracht wird. 43 Solche konditionalen Relativsätze sind auch mit interrogativischen Bezugssätzen bezeugt und stehen dann links von der im Bezugssatzvorfeld stehenden w-Phrase: (95)

‘der durch uwern willen alsus gewunt were, wie woltent irs im dancken?’ (Lancelot 89, 16) ‚»Und wenn jemand um Euretwillen so verwundet würde, wie würdet Ihr es ihm danken?«’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 251, 23)

Dieser Beleg könnte im Gwd. jedoch unter Umständen auch durch einen halbfreien Relativsatz wiedergegeben werden: ‚Wie wollt ihr es dem(jenigen) danken, der um Euretwillen so verwundet wäre?‘. Ein eindeutigeres Beispiel für den Typ des konditionalen Relativsatzes ist (94)-a: Hier gibt es im Bezugssatz gar kein korrelatives Pronomen, der Relativsatz ist mit gar keiner bezugssatzinternen Argumentstelle ‚assoziiert’. Das Bezugssatzprädikat ist das intransitive Verb komen, dessen einzige Argumentstelle durch ir gesättigt wird, welches aus syntaktischen und interpretatorischen Gründen nicht als Korrelat zum der-Satz fungieren kann. Konditionale Relativsätze sind nicht auf den Prosalancelot beschränkt, sondern finden sich in weiteren Texten des mhd. Korpus: (96)

a. Celidonia heizet ein chrût, der daz mulet unde den souch trîestunt trophet in daz ouge, dem wirt ez gesunt unde vil heiter; (Bartholomäus 145, 15) b. Swem der bouch geblæt ist oder dem daz wazerchalp wahsen wil, sô nim wahs unde milchsmalz unde ole, (Bartholomäus 153, 15) c. GHU YQV QX EDLGH YUDJHW ZHU GHV P LVWHUV JĤWH YQG FKXQVW YQGHU YQV ]ZDLQED]HUFKDQWVRPĤVWLFKVLFKHUOLFKHQVSUHFKHQ (Baumgarten geistlicher Herzen 197, 70) d. der unsers herren lîchamen, ein hostie, in tûsent stücke brêche, in eime ieglîchen stücke wêre got und mensche mit einander als gewêrlich, als er von dem tôde erstuont und als er geborn wart von mîner frouwen sant Marîen. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 294, 28) e. Aber di dâ geistlîchen schîn tragen und ein geistlîch herze, daz ist recht geistlîch leben. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 14, 4)

____________________ 43

Eselsatz bedeutet: „Jeder Farmer, der einen Esel besitzt, schlägt ihn“. (i) If a farmer owns a donkey, he beats it Zu nachgestellten Relativsätzen mit konsekutiver Interpretation vgl. Demske (2009).

314 Da eine konditionale Interpretation vorliegt, können solche Sätze auch mit unstrittigen Konditionalsätzen (z.B. mit Verberstkonditionalsätzen) koordiniert werden: (97)

weliche ire sider ire stille brichet, wirt siz wunden freveliche, sie muz ir buzze drumme lîden, (Oxforder Benediktinerregel 23, 17)

Der Typ des ‚konditionalen Relativsatzes’ 44 ist auch noch in den älteren Sprachstufen weiterer germanischer Sprachen belegt. Kiparsky argumentiert, dass dieses Phänomen Evidenz dafür biete, dass es unintegrierte Nebensätze gab, die peripher als Adjunkte zur Matrix-CP basisgeneriert wurden: Finally, that the adjoined clauses must be generated in any case independently of their function in relative/correlative structures is shown by the fact that they can appear even where there is no position in the main clause to extrapose from. In particular, adjoined clauses formally identical to relative clauses may appear unlinked to any argument/modifier position in the main clause, in which case they effectively function as if-clauses. (Kiparsky 1995: 157)

Man kann davon ausgehen, dass die dô-Sätze und ‚konditionalen Relativsätze’ in derselben linksperipheren Position basisgeneriert wurden. An dieser Stelle sind auch Belege des folgenden Typs relevant: (98)

Was die koniginne sprach, die jungfrauw sprach ein wort nicht; (Lancelot 14, 24) ‚Was die Königin auch sagte, die junge Frau sprach kein Wort.’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 47, 8)

Auch der was-Satz ist syntaktisch unintegriert – er tritt links vom Bezugssatzvorfeld auf – und wird adverbial interpretiert: ‚Ungeachtet dessen, was die Königin auch sagte, sprach die junge Frau kein Wort’. Solche sogenannten ‚Irrelevanzkonditionale’ sind auch in weiteren mhd. Texten bezeugt: (99)

a. Swie grôz der wê sî, er zegêt als balde. (Bartholomäus 139, 11) b. Wie klein diu buoze ist, si ist vollen kreftig für alle unser schulde. (Nikolaus von Straßburg: Predigten 284, 14)

____________________ 44

Weitere mhd. und frnhd. Beispiele werden in Lötscher (1992) diskutiert. Lötscher (ibid.: 168f.) argumentiert auch, dass „dieser konditionale Gebrauch von Relativsätzen seinerzeit eine grammatisch fixierte Verwendungsmöglichkeit und nicht nur pragmatisch zu begründende Variante darstellte“. – Vgl. auch Lühr (2007) zu konditionalen Relativsätzen in altfriesischen Rechtstexten.

315 Die Konstruktion gibt es auch im modernen Niederländischen und Deutschen: (100) a. Wat Joop ook koopt, Susanne vindt het what(ever) Joop NPI buys, Susanne regards it altijd mooi always beautiful (de Vries 2002: 57, Bsp. 82a) b. Wat voor bakker je ook opzoekt, witbrood what for baker you NPI visit, white.bread hij altijd. he always (de Vries 2002: 57, Bsp. 82b) c. Was sie ihm auch anbot, er war nicht zufrieden (Pittner 1999: 272, Bsp. 122b)

heeft has

De Vries (2002: 57) führt aus, dass der abhängige Satz in Bezug auf den Matrixsatz als adverbiale Bestimmung zu interpretieren ist. Das w-Wort was drücke jedoch die adverbiale Funktion nicht aus, sodass es sich nicht um die Pivot-Konstituente handeln könne. Er spekuliert, dass die Konstruktion eine unausgedrückte Präposition wie etwa engl. regardless enthalte. Nach derzeitigem Forschungsstand sei unklar, ob der abhängige Satz etwa in (100)-a als ‚regardless the question/issue/fact what Joop buys’ oder als ‚regardless (of) what [= the thing which] Joop buys…’ zu paraphrasieren sei. In ersterem Fall handele es sich um einen abhängigen Interrogativsatz, in letzterem Fall um einen freien Relativsatz. Es gibt noch eine weitere Konstruktion, in der Relativsätze in einer PräSpecC-Position positioniert werden können. Eine Möglichkeit ist, dass ein postnominaler Relativsatz zusammen mit seinem (externen) Kopfnomen links vom Vorfeld des Bezugssatzes auftritt, wobei es sich um eine Art Linksversetzungskonstruktion, bei der im Bezugssatz ein resumptives Pronomen (in der Regel ein d-Pronomen) auftritt, handelt: (101) a. Sin athem der ußer sim mund ging der scheyn als rot als ein blut (Lancelot 35, 11) b. Die glene die der ritter haben muß die ist langk und sticht, (Lancelot 121, 25)

Zwar ist es umstritten, ob linksversetze Konstituenten durch Bewegung in ihre periphere Position gelangen oder ob sie dort basisgeneriert werden (s. Abschnitt 5.5.2), doch gibt es eindeutige Evidenz, dass der postnominale Relativsatz auch zusammen mit seinem Kopfnomen in matrixinternen Positionen (Vorfeld, Mittelfeld) auftreten kann und damit Gliedteilsatzstatus hat:

316 (102) a. Und der win der im kopff bliben was fur dem konig under die augen und in den munt und in die nasen (Lancelot 57, 36) b. (LQQĤQQHGLHPLWLUNRPHQZDVOLHII]XLUXQGKHEHWHVLHZLHGGHURII; (Lancelot 44, 15) (103) a. Da kam der hohste ritter der under yn allen was, fur gesprungen (Lancelot 78, 7) b. Wir mußen uns in dißer wochen die angegangen ist darwert bereyten, (Lancelot 124, 26)

Bei den adverbialen dô-Sätzen gibt es keine Indizien dafür, dass sie allein vorfeld- und mittelfeldfähig waren. Daher muss man auch im Mhd. davon ausgehen, dass es sich wie im Ahd. um eine korrelative Konstruktion handelte. Auf den Unterschied zwischen der Linksversetzungs- und der korrelativen Konstruktion wird in Abschnitt 5.5.2 eingegangen.

5.3.3 Kopfinterne Relativsätze Im Prosalancelot und in weiteren mhd. Denkmälern sind Argumentrelativsätze mit internem Kopf bezeugt (siehe auch Abschnitt 5.5.2): (104) welch fremd ritter des tags allermeist gethan hett und den prise hett von dem jostieren, der trug des abendes, als die hoch tafelrund gesessen was, das erst geriecht fur; (Lancelot 115, 10) ‚derjenige fahrende Ritter, der am Tag den größten Erfolg gehabt und den Sieg im Tjostieren davongetragen hatte, der trug abends, wenn die hohe Tafelrunde Platz genommen hatte, das erste Gericht auf’ (Übersetzung adaptiert aus Steinhoff (Hg.) 1995: 319, 24)

Es handelt sich um eine Art freien kopfinternen Relativsatz, auch wenn diese Bezeichnung paradox erscheint (de Vries 2002: 49). Die Relativphrase wird in diesem Beispieltyp durch den Determinierer welch- eingeleitet. Im Gwd. können freie Relativsätze nicht durch solche ‚adnominalen Relativa’ (Zifonun 2001: 57) eingeleitet werden. Der welch-Satz steht am linken Satzrand seines Bezugssatzes. Was die Makrostruktur angeht, liegt entweder ein korrelativer Relativsatz vor wie in dem Hindi-Beispiel in (105)-a oder eine Art ‚hängender’ Relativsatz wie in dem niederländischen Beispiel in (105)-b. (105) a. [CP Jo laRke khaRe hai], ve lambe haiN.  REL  boys standing are DEM tall are lit. ‘which boys are standing, they are tall’ (adaptiert aus de Vries 2002 : 147, Bsp. 59)

317 b. Welke bakker zo’n grote winkel heeft which baker such.a big store has witbrood. white.bread (de Vries 2002: 48, Bsp. 71a)

(die) verkoopt (DEM) sells

Der Unterschied zwischen korrelativen und ‚hängenden’ Relativsätzen und die Frage, welchem Typ die mhd. Beispiele zuzuordnen sind, werden in Abschnitt 5.5.2 diskutiert. Natürlich können nicht nur nominale Argumente relativiert werden, sondern auch freie adverbiale Bestimmungen. Anders als im Gwd. sind im Ahd. und Mhd. die relativen Adverbien (z.B. temporales WKǀG{, (106), und lokales WKƗUGk) homonym mit ihren nichtrelativen Pendants. (106) a. und began das jargezytt als herlich als denselben tag da er gekrönt wart. (Lancelot 50, 10) b. wann yn nyman gekestigen kunde an demselben tag da yn der konig PDFKW]XULWWHUDOVXQVGDVEĤFKQRFKEHVFKHLGHQVROZLHGDVZHUH (Lancelot 53, 4)

Im Gwd. wird da kaum mehr als relatives Adverb verwendet (vgl. aber (4)), an seine Stelle tritt die Konjunktion als. In (106) handelt es sich bei dem da-Satz jeweils um einen postnominalen Relativsatz. Wenn man davon ausgeht, dass es wie bei den Argumentrelativsätzen auch bei den adverbialen Relativsätzen neben der postnominalen die korrelative Relativierungsstrategie gab, dann stellt sich die Frage, wie diese Konstruktion im Falle der dô-Sätze ausgesehen haben muss. Bei korrelativen Konstruktionen zeigen sprachübergreifende Daten, dass ein kopfinterner Relativsatz involviert ist. Das Resultat wäre also: [CP dôi [C ] ... ti ...]. 45 Was die externe Syntax angeht, müsste die relative CP an die Matrix-CP adjungiert sein. Matrixintern müsste ein korrelatives Pro-Adverb (z.B. dô) vorhanden sein, das entweder in seiner Basisposition im Mittelfeld auftritt, (107)-a, oder nach SpecC (ins Vorfeld) bewegt worden ist, (107)-b. Möglich wäre jedoch auch, dass das Korrelat gar nicht overt realisiert ist, (107)-c. (107) a. [CP [CP dôi [C ] ... ti ... ] b. [CP [CP dôi [C ] ... ti ... ] c. [CP [CP dôi [C ] ... ti ... ]

[CP ... dô ... ]] [CP dôi [C ] ... ti … ]] [CP ... pro ... ]]

____________________ 45

Anders als in manchen ahd. Dialekten sind im Mhd. nach nebensatzeinleitenden Adverbien wie dô keine Fälle mit nachfolgender Relativpartikel belegt.

318 Die Konstruktion in (107)-a ist bei dô-Sätzen mit deklarativem Bezugssatz im Mhd. kaum belegt, in den ahd. Prosatexten sind jedoch, wie im letzten Abschnitt gezeigt, solche Belege überliefert. Zahlreiche Beispiele für (107)-b und -c wurden oben bereits zitiert. In (108) wird Beispiel (89)-c mit der entsprechenden Analyse wiedergegeben. (108) [CP [CP Dai [C] sie ti fur den sal kamen ], [CP er stunt pro von sym roß ]]

Die dô-Sätze sind demnach relative Adverbialsätze. Ein Subjekt- oder Objektrelativsatz ist ein Relativsatz, in dem der relative Kopf die Subjektbzw. die Objektrolle innerhalb des Relativsatzes innehat. Entsprechend fungiert bei einem adverbialen Relativsatz der relative Kopf als – in der Regel lokale, temporale oder modale – adverbiale Bestimmung innerhalb des Relativsatzes (Smits 1989, de Vries 2002). Bei dem relativen Adverbialsatz in (108) wird ausgedrückt, dass es einen Zeitpunkt gab, an dem zwei Dinge passiert sind: Iwein und der Knappe kamen vor dem Palast an und der Knappe stieg vom Pferd ab. Die temporale adverbiale Bestimmung, die den gemeinsamen Zeitpunkt denotiert, ist der relative Pivot. Die adverbiale Bestimmung ist die relative Lücke im Relativsatz. Ich habe argumentiert, dass es im Prosalancelot im Bereich der Argumentrelativsätze neben dem postnominalen Typ (bzw. dem postnominalen und extraponierten Typ) auch Evidenzen für den kopfinternen Relativsatz gibt. Dies würde eine Analyse der adverbialen dô-Sätze wie in (107) und (108) skizziert rechtfertigen. Auf der anderen Seite könnte es auch sein, dass diese Struktur im Prosalancelot bereits überwunden ist, und stattdessen nebensatzintern die folgende Struktur vorliegt, in der dô ein C-Element ist: (109) [CP [CP [C da ] sie fur den sal kamen ], [CP er stunt pro von sym roß ]]

Auch diese Analyse ließe sich rechtfertigen. So gibt es im Mhd. (und bereits im Ahd.) natürlich unstrittige adverbiale Subjunktionen, die in C basisgeneriert werden, wie zum Beispiel ob ‚wenn, falls’: (110) Und ob der lip hatt mißsethan uff ertrich, da nymant on sunde mag geleben, herre, das múßestu also hiennehmen, das die arme sele nit ewiglich verdampnet sy. (Lancelot 13, 5)

Außerdem gibt es Evidenzen dafür, dass auch nichtrelativische Adverbialsätze in der linksperipheren Position links vom Bezugssatzvorfeld auftreten können. Bei dem Beleg in (110) steht der ob-Satz links vom Bezugssatzvorfeld. Wie kann man entscheiden, ob in (108) oder (109) die korrekte Analyse für die temporalen dô-Sätze im Prosalancelot skizziert ist? Aus den vorhan-

319 denen Evidenzen kann man keinen sicheren Schluss im Hinblick auf die zugrunde liegende Analyse der internen Syntax der dô-Sätze ziehen. Möglicherweise war diese Konstruktion auch für die Sprecher damals grundsätzlich ambig. Diese Ambiguität mag gerade die Reanalyse von dô (Relativadverb ĺ.RQMXQNWLRQ HUP|JOLFKWKDEHQ$XIGLHVHXQGZHLWHUH)UDJHQZLUGLQGHQ nächsten Abschnitten eingegangen.

5.4

Bisherige Entstehungsszenarien

5.4.1 Wunder (1965) und Behaghel (1928) Mit der Entstehung der Konjunktion WKǀhat sich bereits Wunder (1965: 51f.) beschäftigt. Er argumentiert, dass der Ausgangspunkt zwei Hauptsätze waren, von denen der erste das Adverb WKǀenthielt: Die Annahme, dass der WKǀ-Satz ursprünglich vorangestellt war, sei „wohl deswegen zwingend, weil man sich nur auf diese Weise die Entstehung eines NS vorstellen kann, der einem HS eine temporale Bestimmung bot“ (ibid.). Wunder gibt keine weiteren Erklärungen, ein Vorläufer dieser Theorie findet sich jedoch bereits bei Erdmann (1874, Bd. I: 46ff.). Man kann sich das Szenario durch die folgenden nhd. Paraphrasen verdeutlichen: (111) a. Da erschien Maria ein Engel. Er sagte zu ihr b. Als Maria ein Engel erschien, sagte er zu ihr

Würde man stattdessen davon ausgehen, dass der WKǀ-Satz ursprünglich nachgestellt war wie bei der Paraphrase in (112), dann, so argumentiert Wunder (ibid.: 52), könnte eine Folgebeziehung Teil der Interpretation sein, was aber nicht Teil der Semantik von WKǀGDist. (112) Maria erschien ein Engel. Da sagte er zu ihr

Bei Otfrid finden sich etwa gleich viele vorangestellte wie nachgestellte WKǀSätze. Wunders Meinung nach ist dies ein Verhältnis, dass es durchaus möglich macht, die Voranstellung als ursprüngliche Variante anzunehmen. Behaghel (1928: 110) dagegen beschreibt die Entstehung der subordinierenden Konjunktion auf genau die in (112) skizzierte Art. Er verweist dabei auf das folgende Otfridbeispiel: druhtin queman wolta, tho man alla worolt zalta (Otfrid I, 11, 55; zit. nach Behaghel 1928: 108). Hierbei handele es sich um eine parataktische Fügung, die wie folgt zu übersetzen sei: „«Der Herr wollte kommen, da zählte man alle Welt»“ (ibid.: 110). Wie Wunder (1965:

320 51, Fn. 25) einwendet, ist das Beispiel unglücklich gewählt, denn es enthält nicht wie postuliert einen Hauptsatz, sondern einen nachgestellten Nebensatz „mit verblaßter temp. Bedeutung“. Behaghel behauptet, dass neben solchen zweigliedrigen Verbindungen auch dreigliedrige eine Rolle gespielt hätten. Er verweist auf ein Beispiel aus dem altsächsischen Heliand, das in nhd. Übersetzung lautet: „«Andreas und Petrus verließen alles; da gingen sie am Gestade weiter; da fanden sie einen klugen Mann»“ (Behaghel 1928: 110). Wunder (1965: 52, Fn. 26) kritisiert daran, es sei „ungünstig, eine doppelte Entstehung einer Konjunktion anzunehmen“. Beide Ansätze sind aus theoretischer Sicht problematisch, denn sie involvieren radikale Reanalysen in sowohl der internen als auch der externen Syntax: Die Verbstellung innerhalb des WKǀ-Satzes muss von Verbzweit- in Verbendstellung übergegangen sein. Das Adverb WKǀ, also ein phrasales Element, muss sich zu einer Konjunktion gewandelt haben. Schließlich muss sich der ursprünglich selbständige WKǀ-Satz zu einem abhängigen Satz entwickelt haben.

5.4.2 Lenerz (1984) Lenerz (1984: 68) argumentiert im Rahmen eines generativen Ansatzes, im Falle der Adverbialsätze sei „[w]egen der funktionalen Ähnlichkeit mit Gliedsätzen und aufgrund der ursprünglich rein adverbiellen Bedeutung der betreffenden Konjunktionen [...] eine vergleichbare Entstehung wie bei daßSätzen anzunehmen“. Er ist ein Verfechter der ‚Übertrittstheorie’. Wie in dem klassischen Szenario, dem zufolge die Konjunktion dass durch Übertritt des Pronomens das aus dem vorangehenden Satz entstanden ist, ist seiner Meinung nach auch die „adverbielle Konjunktion [...] ursprünglich Satzglied des Matrixsatzes und wird durch den folgenden Nebensatz inhaltlich näher bestimmt“ (ibid.): (113) a. [HS ...

b. [HS ...

Adv.

[NS ... ]

...

]

]

...

]

[Konj. NS

(Lenerz 1984: 68, Bsp. 35a&b)

Zwar geht Lenerz nicht speziell auf die dô-Sätze ein, er illustriert jedoch den in (113) skizzierten Übertritt unter anderem an folgendem Beispielpaar mit sô:

321 (114) a. Parzivâl mit mannes wer/ het den prîs behalden sô, /si wâren sîner künfte vrô. (Pz. 694, 26; zit. nach Lenerz 1984: 68, Bsp. 33a) b. So schiere was der künec niht dan,/ Îsôt erwachete und Tristan. (Trist. 17627f.; zit. nach Lenerz 1984: 68, Bsp. 34a)

Das Beispiel in (114)-a soll die Ausgangskonstruktion vor der Reanalyse widerspiegeln: Aufgrund der Versgliederung wird angenommen, dass sô hier ein Adverb ist und am Ende des Hauptsatzes steht. In (114)-b befinde es sich dagegen an der Spitze des Nebensatzes und sei daher als adverbielle Konjunktion zu analysieren. Ein problematischer Aspekt der Übertrittstheorie ist augenfällig, wenn man sich die Analysen in (113) ansieht: Es wird vorausgesetzt, dass der Nebensatz syntaktisch integriert ist. Vor der Reanalyse in (113)-a ist er ein Gliedteilsatz, der das Adverb des Matrixsatzes „inhaltlich näher bestimmt“ (Lenerz 1968: 68). Nach der Reanalyse des Adverbs als Konjunktion liegt ein Gliedsatz vor: Der adverbiale Nebensatz ist dann syntaktisch in den Matrixsatz ebenso integriert wie nichtsatzförmige adverbielle Bestimmungen. Wie jedoch in den letzten Abschnitten ausführlich dargelegt wurde, ist der integrierte adverbiale Nebensatz eine sprachgeschichtlich junge Erscheinung, die sich im Ahd. und Mhd. noch nicht nachweisen lässt. Sie verbreitet sich erst in frnhd. Zeit (Abschnitt 5.6). Was Lenerz nicht beachtet, ist, dass der sôSatz 46 in (114)-b links vom Vorfeld des Matrixsatzes auftritt, das ja durch die NP Îsôt konstituiert wird. Das zeigt seinen unintegrierten Status, der nicht mit der Struktur in (113)-b übereinstimmt. Im Mhd. gibt es zwar eine Vielzahl von adverbiellen Konjunktionen, dennoch sind Adverbialsätze syntaktisch noch keine Gliedsätze. Wenn man die Entstehung der Adverbialsätze beschreibt, muss man also zwei Aspekte auseinander halten: (i) die Genese der adverbialen Konjunktionen, (ii) die Entstehung des adverbialen Gliedsatzes. Die beiden Phänomene fallen zeitlich nicht zusammen. Was (i) die Genese der adverbialen Konjunktion angeht, so muss man, wenn man Lenerz’ Übertrittsszenario, das vor der Einführung der X-barTheorie entstanden ist, nach modernem Theoriestand interpretiert, zusätzlich den Aspekt betrachten, ab wann bzw. wie der Übertritt vom Haupt- an die Spitze des Nebensatzes stattgefunden hat, und ab wann bzw. wie aus der XPeine X0-Kategorie entstanden ist. Dass diese beide Fragen zu unterscheiden sind, wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Gwd. der Subordinator wie sowohl phrasal – in abhängigen Interrogativsätzen – als ____________________ 46

Das Beispiel ist überdies unglücklich gewählt, denn der Satz mit sô am Satzeingang weist Verbzweitstellung auf, sodass es sich in diesem Fall wohl gar nicht um einen adverbiellen Nebensatz handeln kann.

322 auch nichtphrasal – als Konjunktion in Komplement- und marginal bei temporalen Adverbialsätzen 47 – vorkommt: (115) Hans erzählte, wie und wo er sich auf auf das Examen vorbereitet hat. (Zimmermann 1991: 117, Bsp. 10) (116) a. Hans erzählte, wie die Frau stolperte, (wie sie) mit dem Gesicht aufschlug, (wie sie) reglos liegenblieb und (wie) niemand ihr half. (Zimmermann 1991: 116, Bsp. 8) b. Wie er zur Tür eintrat, bemerkte er, dass eingebrochen worden war

Im Falle von Vǀist unstrittig, dass es bereits im Ahd. als Nebensatzeinleiter fungierte. In anderen Worten, in der weit überwiegenden Zahl der Belege ist es eindeutig der Fall, dass Vǀeine Konstituente des Nebensatzes ist: (117) So hér tho bilan zisprehhanne ʜ tho quad her zí simone SO er dann aufhörte zu.sprechen dann sprach er zu Simon ‚als er dann zu sprechen aufhörte, sagte er zu Simon’ Vt cessauit autem loqui.‘ ʜ dixit ad simonem., (Tatian 55, 13) = (31)-b

Wie bei den ahd./mhd. WKǀ-/dô-Sätzen ist es auch bei den modalen und temporalen Vǀ-Sätzen nicht immer entscheidbar, ob Vǀ eine phrasale Kategorie ist, die SpecC besetzt, oder eine Kopfkategorie (Subjunktion) in C0. Im Mhd. ist sô sporadisch auch als Relativsatzeinleiter bezeugt. In dieser Funktion ist es eindeutig C-Element: 48 246 F

(118) ich hete ir doch vil lihte ein teil geseit der vil grossen liebe so (C, die A) min herze an si hat (Rudolf von Rotenburg VII 2, 1f. (Liederdichter I, S. 384; zit. nach Paul 25 2007: 405))

____________________ 47 48

Vgl. Eggs (2006) zu wie als Temporalkonjunktion. Außerdem tritt Vǀ bereits im Ahd. in verallgemeinernden Relativsätzen auf, und zwar sowohl in Argument- als auch in adverbialen Relativsätzen. Auch hier liegt es nahe, das zweite Vǀals C-Element zu analysieren. (i) so ofto so dhea christes fiant dhesiu heilegun foraspel so oft so die Christi Feinde diese heiligen Prophezeiungen chihorant hören ‚immer wenn die Feinde von Christus diese heiligen Prophezeiungen hören’ quotiens inimici christi omnem hanc prophetiam ... audiunt, (Isidor V, 5; He 24, 21)

323 An einer anderen Stelle geht Lenerz (ibid.: 113) auch auf die Entstehung der temporalen Gǀ-Sätze ein. Er hebt hervor, dass sich diese in gleicher Weise wie die der lokalen WKƗU-Sätze vollzogen habe. Bei WKƗU/thǀ, die lautlich in nhd. da zusammenfielen, habe ein Übertritt aus der d-/w-Position [= SpecCPosition in neueren Theorien; K.A.-T.] in die COMP-Position stattgefunden. Konstruktionen mit Verbzweitstellung nach dâ bzw. dô wie in (119) repräsentierten das Ausgangsstadium: (119) a. ... ze Norwaege in der marke; dâ funden sie den degen (Nib. 739, 3; zit. nach Lenerz 1984: 113, Bsp. 126a) b. In der selben zîte dô was ir scif gegân … (Nib. 389, 1f.; zit. nach Lenerz 1984: 113, Bsp. 129c)

In diesen Belegen ist dâ bzw. dô noch Adverb, das – nach modernem Theoriestand – die SpecC-Position besetzt. Das finite Verb befindet sich in der CPosition: (120) a. [CP dâi [C Vfinj ] b. [CP dôi [C Vfinj ]

... ti ... tj] ... ti ... tj]

Was das globale Satzgefüge angeht, so liegen laut Lenerz’ Argumentation zwei Hauptsätze, also eine parataktische Fügung vor. Lenerz argumentiert, sobald im entsprechenden Teilsatz Verbendstellung vorliege wie in den folgenden bei Behaghel (1928: 96) zitierten Belegen, sei dâ als Konjunktion, als COMP-Element grammatikalisiert: (121) a. ... in dhea chiheizssenun lantscaf, dhar honec endi miluh springant, ... (Isidor 540f.; zit. nach Lenerz 1984: 113, Bsp. 126d) b. endlich kam der Tag, da die blaue Pagode eingeweiht werden sollte. (Wiel. 6, 282; zit. nach Lenerz 1984: 113, Bsp. 126f)

Bei Lenerz findet sich keine zeitliche Einordnung der Belege. Die Beispiele (119)-b und (121)-b stammen aus einem mhd. und einem nhd. Text, wie es nach der angenommenen Reanalyse zu erwarten ist (Adv. > Konj.; Verbzweit > Verbend). Im Falle von (119)-a vis-à-vis (121)-a dagegen ist ersteres Beispiel einem mhd. und letzteres einem ahd. Denkmal entnommen, was irreführend ist, denn Lenerz’ Argumentation zufolge müsste (121)-b aus (119)-a hervorgegangen sein. Zwar wird dies von Lenerz nicht explizit gesagt, doch muss man davon ausgehen, dass sich die Entwicklung des konjunktionalen Verbendadverbialsatzes schon in vorahd. Zeit vollzogen hat, denn bereits in den ahd. Quellen trifft man zahlreiche Beispiele für die Belegklasse in (121) an. Demzufolge müsste man argumentieren, dass Belege wie (119) Reflexe des ursprünglichen Stadiums sind, die sich bis in die nhd. Zeit erhalten haben, obwohl parallel schon seit ahd. Zeit die konjunktionale Verbendvariante

324 existierte. Diese Argumentation ist unproblematisch. Ein problematischer Aspekt wird jedoch augenfällig, wenn man sich mit Lenerz’ Analyse der Belegklasse in (121) befasst: (122)

X1 PP1

S d-/w-

COMP

S

Ø

dhari

honec endi miluh ti springant

[in dhea chiheizssenun lantscaf]i (Lenerz 1984: 113, Bsp. 128)

Nach damaligem Theoriestand wurde die COMP-Postion noch nicht in eine SpecC- und C0-Position untergliedert. Setzt man diese Unterscheidung voraus und übersetzt man Lenerz’ Szenario entsprechend, dann muss man davon ausgehen, dass dhar in (122) die SpecC-Position besetzt, vgl. (123), denn es handelt sich um eine Konstituente, die in einer X-bar-Position basisgeneriert und durch A-bar-Bewegung an den linken Satzrand gelangt ist, wie die Spuren in (122) zeigen. (123) [CP dhari [C ]

... ti ... Vfin]

Genau besehen beschreibt Lenerz somit lediglich die Entwicklung von Relativadverbien bzw. adverbialen Relativsätzen, nicht von adverbialen Konjunktionen und kanonischen Adverbialsätzen. Er argumentiert, dass die relativen Adverbien als subordinierende Konjunktion reanalysiert wurden und in die COMP-Position übergetreten seien. In Beispiel (121)-b zeige sich „die Umdeutung des da von der relativen Verwendung zur konjunktionalkonditonalen“ (ibid.: 112). Die Redeweise vom Übertritt nach COMP ‚passt’ nicht ganz zu der Analyse in (122), wo man sehen kann, dass auch das relative Adverb, das eine Spur im Satzinneren bindet, die COMP-Position besetzt. Ein positioneller Unterschied zwischen relativen Adverbien und adverbialen Konjunktionen lässt sich nur in Theorien erfassen, die zwischen Spezifikatorund Kopfpositionen unterscheiden. Dahinter verbirgt sich ein tieferliegendes Problem: Zu keiner Sprachstufe des Deutschen korreliert die Verbstellung mit dem X-bar-Status des Elements an der Satzspitze. In anderen Worten: Es gibt nebensatzeinleitende Elemente wie etwa interrogative oder relative Phrasen, die in SpecC stehen, und Nebensätze mit Verbendstellung einleiten (vgl. hierzu die Diskussion in Reis 1985). Dieses Phänomen stellt ein Problem dar für die in zahlreichen Satzstrukturtheorien nutzbar gemachte Generalisierung, dass die Finitumvoran-

325 stellung und die Basisgenerierung eines Komplementierers in C0 komplementär verteilt sind. Auch nach heutigem Theoriestand ist es nach wie vor umstritten, wie dem Problem beizukommen ist. Eine Möglichkeit ist, einen Nullkomplementierer in C0 zu postulieren. Wie oben gezeigt, sind im ahd. Tatian einige Beispiele mit Relativadverbien belegt, auf die die Relativpartikel the/de in C folgt. (124) ío unz then tag ʜ thodo ingieng In thia arca noe je bis den Tag da-REL.PART einging in die Arche Noah ‚bis an den Tag, an dem Noah in die Arche hineinging’ = (36)-a usque ad eum diem ʜ quo Introiuit In arcam noe (Tatian 257, 5)

Man könnte argumentieren, dass in den Fällen ohne overte Partikel eine phonologisch leere Relativpartikel vorliegt. Allerdings ist die Relativpartikel im Ahd. auf fränkische Quellen beschränkt, in den oberdeutschen Denkmälern ist sie nicht bezeugt. In den hier untersuchten mhd. Texten werden adverbiale Relativsätze niemals durch eine Kombination aus Relativadverb und -partikel eingeleitet, es ist immer nur ein einfaches Relativadverb vorhanden. 49 Lenerz schlägt somit vor, dass die adverbialen Verbendrelativsätze aus Hauptsätzen mit Verbzweitstellung entstanden sind, deren Vorfeld durch ein demonstratives Adverb besetzt war. Prinzipiell gilt, dass man die Entstehung des adverbialen Relativsatzes im Deutschen parallel zur Entstehung des pronominal eingeleiteten Argumentrelativsatzes beschreiben sollte, denn beide Relativsatztypen weisen die gleiche interne und externe syntaktische Struktur auf. Das ist bei Lenerz der Fall: Auch beim Argumentrelativsatz geht er davon aus, dass sich das Relativpronomen aus einem anaphorischen Demonstrativpronomen entwickelt hat, das an der Spitze des Folgesatzes stand: 247F

(125) a. [... NPi ...] [Demi ... ti ...] b. [... NPi ...] [Reli ... ti ...] (Lenerz 1984: 67, Bsp. 32)

Parataxe Hypotaxe

Lenerz (ibid.: 67) hebt als Vorteil dieses Szenarios hervor, dass anders als bei der konkurrierenden Theorie, der zufolge das Relativpronomen aus einem kataphorischen Pronomen entstanden ist, 50 das am Ende des ersten Satzes 248F

____________________ 49 50

Vgl. auch Weiß (1998, 2001) zu Nullkomplementiererkonstruktionen in modernen Dialekten. Diese Theorie wurde u.a. von Erdmann (1874, Bd. I: iii-xii), Helgander (1971: 136–181) und Pittner (1995) vertreten (vgl. auch Abschnit 4.6.2). Lediglich Helgander geht auch auf die Entwicklung der relativen Adverbialsätze ein und argumentiert, sie seien ebenfalls durch einen Übertritt des Adverbs entstanden, das ehemals dem Hauptsatz angehörte.

326 stand, keine Verschiebung der Satzgrenze angenommen wird. Auch in der vorliegenden Arbeit wurde an verschiedenen Stellen betont, dass eine Verschiebung der Satzgrenze einen sehr radikalen Reanalyseschritt darstellt, was diese Annahme konzeptuell unattraktiv macht. Was allerdings in Lenerz’ Argumentation inkonsistent bleibt, ist, dass er ja im Falle der adverbialen Konjunktion Vǀ die Übertrittstheorie propagiert, denn er argumentiert, dass Vǀ ursprünglich ein Adverb war, das dem Hauptsatz angehörte. Auch für die Entstehung der Konjunktion dass greift er auf die Übertrittstheorie zurück (s. 2.4.1). Zusammenfassend kann man festhalten, dass Lenerz’ Ausführungen zur Entstehung der adverbialen Relativsätze bzw. der Adverbialsätze in zweierlei Hinsicht problematisch sind: Zwar wird die Entstehung der adverbialen Konjunktionen nach damaligem Theoriestand abgeleitet, doch wird nicht auf die Entwicklung der externen Syntax von Adverbialsatzkonstruktionen eingegangen, insbesondere nicht auf das Problem, dass Adverbialsätze zunächst syntaktisch unintegriert waren. Bei dem Szenario für die Entstehung der Konjunktion Vǀ wird sogar vorausgesagt, dass der neu entstandene Adverbialsatz ein Satzglied des Matrixsatzes ist, was nicht mit den sprachgeschichtlichen Fakten übereinstimmt. Darüber hinaus wird bei der Entstehung der VǀSätze eine Version der Übertrittstheorie (die Konjunktion war ursprünglich ein Adverb des Hauptsatzes) angenommen, die konzeptuell unattraktiv ist, während bei den temporalen WKǀG{GD-bzw. lokalen WKƗUGk U GD-Sätzen argumentiert wird, dass sie aus relativen Adverbialsätzen entstanden sind, deren Relativadverb nicht aus dem Matrixsatz über die Satzgrenze getreten ist, sondern schon immer dem Teilsatz angehörte, aus dem sich der Adverbialsatz entwickelt hat.

5.5

Ein alternativer Vorschlag

5.5.1 Die Reanalyse des Subordinators dô Die Untersuchung der ahd. und mhd. WKǀ-/dô-Sätze hat gezeigt, dass sich hin zum Typ des adverbialen Gliedsatzes, wie wir ihn heute kennen, syntaktisch zwei Entwicklungen vollzogen haben müssen: Die Genese der Konjunktion da aus dem (Relativ-)Adverb da (mhd. dô, ahd. thǀ) und der Wandel von der unintegrierten korrelativen Satzfügung zu einer Einbettungsstruktur, in der der da-Satz ein Satzglied des Bezugssatzes ist. In diesem Abschnitt wird nur auf erstere Entwicklung eingegangen.

327 Wie eingangs erwähnt, werden da-eingeleitete Temporalsätze im Gwd. kaum mehr verwendet, sie hören sich antiquiert an. Etwas gebräuchlicher scheint noch die Verwendung von da als Relativadverb zu sein: (126) Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten ...

= (4)-a

Im Mhd. war der Gebrauch als temporales Relativadverb sehr verbreitet. Bei den Belegen in (127)–(129) ist es unstrittig, dass dô ein Relativadverb ist. Wie oben argumentiert wurde, ist thǀ/dô aber auch bei Voranstellung des Nebensatzes ursprünglich ein Relativadverb innerhalb eines korrelativen Relativsatzes. 12. Jahrhundert (127) a. ,Q GHQ ]LWHQ GR .ULVW JHERUQ ZDUW GR ZDǕ  OOLY GLY Zerlte gebrievet ze ]LQǕH (Speculum ecclesiae 24, 8) b. DQGLǕLme hivtigin tage. do er die helle zirbrach (Züricher Predigten 29, 13)

13. Jahrhundert (128) a. Nah mittem tage, do div svnne seick gegen ir sedele, do chom ein vngewitere, (St. Pauler Predigten 27, 6) b. … wand er ist eben her dem tag da vnser herre an geborn wart. (St. Pauler Predigten 5, 15) c. dc was der andere tach, dô got wazzer unde erde schied. (Trudperter Hoheslied 126, 19)

14. Jahrhundert (129) a. und in dem êrsten ougen blicke, dô er geschaffen wart (Nikolaus von Straßburg: Predigten 268, 14) b. und ist di leste zît dâ wir nu inne sîn. (Hermann von Fritzlar: Heiligenleben 3, 29) c. wan man in der czit do sie gast waz ir leben wol undervarn mocht. (Oxforder Benediktinerregel 33, 19) d. In der czit do Johannes in den benden horte dy werk Cristi, (Berliner Evangelistar 2, 5; Mt 11, 2)

In der relativen Verwendung mit Bezug auf ein Antezedens kann der dô-Satz im Frühmhd. und im Spätmhd. im Mittelfeld des Bezugssatzes erscheinen:

328 (130) a. Darvmbe wart er gemartert ...GD]HULQGHQǕHOEHQ]LWHQGRǕL in PDUWHURWHQGHQKLPHORIIHQǕDFKYQde GHQJRWHǕǕYQ]HǕLQHǕ YDWHU]HǕZHQ ǕWHQLP ze helfenne ... (Speculum ecclesiae 27, 7) b. wan man in der czit do sie gast waz ir leben wol undervarn mocht. (Oxforder Benediktinerregel 33, 19)

Es ist naheliegend, dass die (zunächst temporale) Konjunktion dô aus dem Relativadverb hervorgegangen ist: (131)

a.

CP

b.

SpecC dôi

C' C

CP SpecC

... ti ...

C' C dô

...

Es ist sogar möglich, dass der Übergang der temporalen Konjunktion über den Zwischenschritt der Relativpartikel erfolgte: (132)

a. SpecC dôi

CP

b. C'

CP SpecC OPi

C ... ti ...

c. C' C dô

CP SpecC

...

C' C dô



Der erste Reanalyseschritt ((132)-Dĺ(132)-b) hat sich, wie in Kapitel 1 argumentiert, in ähnlicher Weise bei thaz vollzogen, das sich von einem Pronomen zu einer Relativpartikel entwickelt hat. Im Gwd. gibt es einen Subordinator, der – zumindest, wenn man Dialektdaten einbezieht – synchron alle drei in (132) skizzierten Verwendungen kennt: Wo ist im Standarddeutschen sowohl lokales Relativadverb als auch kausale Konjunktion (z.B. Pasch et al. 2003, Pittner 2004): (133) a. Das Land, wo die Zitronen blühn (Pasch et al. 2003: 39) b. Wo du so schöne Zähne hast, solltest du sie aber beim Fotografieren öfter mal zeigen (Pasch et al. 2003: 729)

In einigen Dialekten 51 wird es darüber hinaus als Relativpartikel verwendet: ____________________ 51

Relativsätze, die durch einfaches wo eingeleitet werden, kommen zum Beispiel im Moselfränkischen, Ostfränkischen und Niederalemannischen (Fleischer 2005) wie auch im Bairischen (Bayer 1984) vor. Weiter verbreitet ist wo in Kombination mit

329 (134) Das isch e Fisch wò fliegt (Suter 31992: 165; zit. nach Fleischer 2005, Bsp. 27)

niederalemannisch

Es gibt keine syntaktische Kriterien, die eine Entscheidung ermöglichen, ob das nebensatzeinleitende dô in relativischen Konstruktionen im Mhd. noch in jedem Fall als Relativadverb oder als -partikel zu analysieren ist. Das ahd. WKǀist, wie in (36)-a oben gezeigt, im Tatian in Kombination mit der Relativpartikel the bezeugt. In diesem Fall muss WKǀ ein phrasales Element sein. Die Relativpartikel the gibt es im Mhd. nicht mehr, sodass aus der Beobachtung, dass dô niemals in Kombination mit der Relativpartikel auftritt, nicht der Schluss gezogen werden kann, dass es inzwischen in die C-Position übergetreten ist. Bei den ahd. thaz-Sätzen habe ich in Abschnitt 2.4.4 argumentiert, dass Fügungen mit fehlender Genuskongruenz eindeutig zeigten, dass thaz als Relativpartikel verwendet werden konnte. Dieses Kriterium ist bei adverbialen Fügungen natürlich nicht anwendbar. Nebensatzeinleitendes dô ist im Mhd. auch in Kombination mit der vorausgehenden Verstärkungspartikel al bezeugt: 52 (135) a. und alda er synen jamer macht starck und groß, (Lancelot 61, 3) ‚Als er da so heftig und lange klagte’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 175, 36) b. Diß hort die koniginn von Gaune alda sie in einer kamern was, (Lancelot 45, 35) ‚Das hörte die Königin von Gaune in einer Kammer’ (Übersetzung Steinhoff 1995: 135, 12)

Normalerweise wird davon ausgegangen, dass alda ein lokaler Konnektor ist. Während in (135)-b eine Interpretation als lokales Relativadverb möglich wäre (‚Dies hörte die Königin dort, wo sie in ihrer Kammer war’), kommt für (135)-a wohl nur eine temporale Interpretation in Frage. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die Verbindung mit al ein Indiz dafür sein könnte, dass temporales dô bereits zu einem Kopfele____________________

52

dem Relativpronomen der, die, das. Diese Konstruktion ist zum Beispiel im Mosel- und Ostfränkischen (Fleischer 2005) sowie im Bairischen möglich (Bayer 1984). Vgl. hierzu den Eintrag im Grimmschen Wörterbuch: „hervorzuheben ist die entschiedne neigung der deutschen, zumal hochdeutschen sprache auch partikeln mit all zusammenzusetzen. dahin gehört besonders also, welches seit seiner verkürzung in als eine grosze rolle spielt. in den räumlichen pronominalpartikeln allda, allwo, allher, allhier, alldort soll das vorangestellte all den raumbegrif verstärken“ (Grimm & Grimm 1854, Bd. I: 213). Abgesehen von lokalem da ist al auch bei temporalem da bezeugt, wie die Beispiele aus dem Prosalancelot belegen.

330 ment, einem C-Element, ‚abgeschwächt’ ist. Allerdings gibt es unabhängige Evidenzen, dass sich im Gegenteil al mit phrasalem Material verbindet. In (136)-a tritt es verstärkend zu dem Adverb da hinzu. In (136)-b und (136)-c verbindet es sich jeweils mit dem (lokalen) Relativadverb, und zwar einmal in einem Relativsatz mit externem Kopf (= Terrache), einmal in einem freien Relativsatz. (136) a. das er von synen schulden alda múst verliesen zum minsten ein reh, (Lancelot 40, 24) ‚daß ihm da seinetwegen mindestens ein Reh entgangen sei.’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 121, 1) b. Da nam die frauw beyde kint mit ir und reyt zu Terrache, alda Leonces von Paerne der kinde beyt biß er sie bespreche und gesehe. (Lancelot 90, 28) ‚Die Frau vom See nahm die beiden Kinder mit, um mit ihnen nach Terrache zu reiten, wo Leonces von Paerne darauf wartete, die Kinder zu sehen und zu sprechen.’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 255, 16) c. Sie lagen desselben nachtes alda sie des andern nachtes gelegen waren. (Lancelot 60, 2) ‚Sie übernachteten, wo sie auch die vorige Nacht geblieben waren’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 173, 19)

Daher kann auch in Beispielen wie (106) da (bzw. alda) phrasal sein. Interessanterweise ist es sogar bei manchen bestimmten Nebensatzeinleitern in den modernen germanischen Sprachen umstritten, ob es sich um Relativadverbien, Relativpartikeln oder um Subjunktionen handelt. Salzmann (2006b: 384) argumentiert, dass sich im Zürichdeutschen das angebliche phrasale wo anders verhält als andere adverbiale Relativa. Bei modalen und kausalen Relativsätzen kann die C-Position durch den Komplementierer dass besetzt werden: (137) a. de Grund, werum1 dass de Peter __1 z spaat choo isch b. D Art, wie1 dass de Peter s. Probleem __1 gglööst hät, hät mi beiidruckt. (Salzmann 2006b: 384, Bsp. 895a, b)

Die doppelte COMP-Besetzung ist auch bei Nebensätzen möglich, die durch das Interrogativadverb wo eingeleitet werden, kaum jedoch bei lokalen Relativsätzen: (138) a. Ich wäiss nöd, wo1 dass er __1 wont. b. De Ort, wo1 (??dass) er __1 wont1 will er niemertem verraate. (Salzmann 2006b: 384, Bsp. 897, 896)

Salzmann nimmt daher an, dass das lokale Relativum wo ein C-Element ist. Dies würde der Struktur in (132)-b entsprechen, die ich bei dô als möglichen

331 Zwischenschritt auf dem Weg zur subjunktionalen Verwendung vorgeschlagen habe. Andererseits gibt es eine ganze Reihe von adverbialen Subordinatoren, die der Lehrmeinung nach Subjunktionen (C-Elemente) sind und für die alternativ eine Analyse als Relativa vorgeschlagen wurde. Normalerweise wird wenn als adverbiale Konjunktion analysiert. Zaefferer (1991: 217) dagegen klassifiziert wenn-Sätze in einer sprachvergleichenden Arbeit als freie Relativsätze. Pasch (1991) spricht von einem ‚temporalen Relativpronomen’, dessen Antezedens entweder ein overtes Adverbial ist oder leer bleibt, wobei in letzterem Falle ein freier Relativsatz vorliege. Pasch argumentiert, dass wennSätze mit lokalen Relativsätzen zu parallelisieren seien (vgl. auch (dort), wo es regnet und auch dann, wenn es regnet, ibid.: 42). Pittner (1999: 251) hält diese Argumentation für nicht überzeugend und verweist darauf, dass das Verhältnis zu dem Adverb wann bei beiden Autoren unklar bleibt. Außerdem könne wenn, das keine temporale, sondern eine konditionale Bedeutung hat, im übergeordneten Satz keine Satzgliedfunktion zugeschrieben werden. Dieser Einwand ist überzeugend. Auch ich gehe aus diesem Grund davon aus, dass konditionale und kausale Subordinatoren nicht relativ sein können. Für das moderne Englisch wird in der Regel angenommen, dass where in jedem Fall, when nur in Konstruktionen mit relativem Antezedens und while in keinem Fall ein Relativadverb ist (s. den Literaturüberblick in Trotta & Seppänen 1998). De Vries (2002: 56) argumentiert dagegen, dass when auch in der Verwendung, die traditionell als subjunktional eingestuft wird, ein Relativadverb ist, wobei der relative Kopf im Bezugssatz nicht overt realisiert sei: (139) The doctor came when Judy broke her leg (de Vries 2002: 56, Bsp. 79)

Die Analyse der when-Sätze als freie Relativsätze geht zurück auf Geis (1970) und wurde in zahlreichen Arbeiten immer wieder aufgegriffen (s. den Literaturüberblick in Haegeman 2010: 596). Wie Haegeman (2010) ausführt, ist das Hauptargument für diese Analyse die Tatsache, dass Sätze wie in (140) die beiden in (140)-a/b explizierten Lesarten haben. (140) I saw Mary in New York when [IP she claimed [CP that [IP she would leave]]]. a. High construal: at the time that she made that claim b. Low construal: at the time of her presumed departure (Haegeman 2010: 596, Bsp. 1a,b)

Unter der Annahme, dass when ein temporaler Operator ist, der Bewegung unterliegt, unterscheiden sich die beiden Lesarten strukturell im Hinblick auf dessen Extraktionstiefe: In der ersten Lesart unterliegt when lediglich kurzer

332 Extraktion innerhalb des when-Satzes selbst, in der zweiten ist es aus dem Komplementsatz des when-Satzes lang extrahiert: (141) a. I saw Mary in New York [CP wheni [IP she claimed [CP that [IP she would leave]] ti]] b. I saw Mary in New York [CP wheni [IP she claimed [CP ti that [IP she would leave ti]]]] (Haegeman 2010: 596, Bsp. 2a, b)

Was while angeht, schlagen Geis (1970) und Trotta & Seppänen (1998) vor, dass es in temporaler Bedeutung stets ein Relativadverb ist 53 und lediglich in adversativer/konzessiver Bedeutung eine adverbiale Konjunktion. Solange dô noch rein temporal ist, kann man auch hier eine Relativkonstruktion nicht ausschließen. Die Verwendung als adverbiale Subjunktion wie in der Struktur in (132)-c war aber sicher eine Voraussetzung dafür, dass sich der semantische Wandel von der Temporal- zur Kausalsubjunktion vollziehen konnte. Denn bei Kausalsätzen ist nicht von einer relativen Struktur auszugehen. In einem Satz wie Der Doktor kam, weil/da Judith sich das Bein gebrochen hatte gibt es keine relative Lücke: Der Grund für das Kommen des Doktors ist nicht der Grund für Judiths Beinbruch (vgl. de Vries 2002: 56). Abgesehen von dem Problem, ob dô im Mhd. als Relativadverb oder Relativpartikel/-konjunktion zu analysieren ist, stellt sich die Frage, ab wann die relativische Konstruktion durch einen nichtrelativen Adverbialsatz abgelöst wurde. 54 Ab wann kann man davon ausgehen, dass sich die Struktur in (132)-c entwickelt hat? Sobald es Evidenz dafür gibt, dass die kausale Interpretation Teil der wörtlichen Bedeutung von da geworden ist, muss sich die Reanalyse zur adverbialen Konjunkton vollzogen haben. Abgesehen davon, dass auch dies festzustellen kein einfaches Unterfangen ist – man muss entscheiden, ab wann die lediglich implikatierte kausale Bedeutung Teil der wörtlichen Bedeutung geworden ist – liegt es aus diachroner Sicht nahe, dass aus dem temporalen Relativadverb dô zunächst die temporale Konjunktion dô entstanden ist. Die kausale Bedeutung beginnt sich erst spät, nämlich im 17. Jahrhundert (Ebert et al. 1993: 475) zu verbreiten. Ob dô nicht schon deutlich früher den Schritt zur subjunktionalen Verwendung vollzogen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. ____________________ 53

54

Ein Problem ist allerdings, wie Haegeman (2010: 596, Fn. 1) mit Rückgriff auf ältere Arbeiten anmerkt, dass es bei while die ‚tiefe‘ Lesart wie in (140)-b nicht gibt. Die Entwicklung der Konjunktion damit aus dem Relativadverb damit (< da + mit) wird in Schrodt (1988, 1992) diskutiert, wobei da in dieser Fügung auf das lokale Adverb (ahd. WKƗU) zurückgeht.

333 5.5.2 Die Reanalyse der dô-Sätze Im Gwd. verhalten sich die (kausalen) da-Sätze wie normale Satzglieder: Sie sind vorfeldfähig. Die (temporalen) WKǀdô-Sätze im Ahd. und Mhd. haben dagegen keinen Gliedsatzstatus. Sie sind syntaktisch unintegriert. Es muss sich also ein Wandel in der externen Syntax vollzogen haben, der von korrelativen, unintegrierten hin zu integrierten Sätzen führte. Wie in Abschnitt 5.2.3 argumentiert wurde, gab es im Ahd. noch Evidenzen für die Existenz des kopfinternen, korrelativen Relativsatztyps, der in den alten indoeuropäischen Sprachen verbreitet war: (142) [CP [CP [Altan níd]i theih ti redota …] [CP ther si uns léid in wara ]] vgl. (41)

Solche Belege mit ‚inverser Kasusattraktion’ sind auch noch im Mhd. bezeugt. In den hier untersuchten Prosatexten habe ich nur einen Beleg für diese Konstruktion gefunden, (143), jedoch wurden in der Literatur weitere Beispiele aus der Dichtung angeführt (Grimm 1866, Lenerz 1984, Pittner 1995, Harbert 2007: 423): (143) den steyn den dy muwerere vorsmeten der ist gemachet czu eyme eckesteyne? (Berliner Evangelistar 28, 26; Mt 21, 42) (144) a. den schatz den in ir vater lie der wart mit ir geteilet hie (Gregorius 635; zit. nach Harbert 2007: 423, Bsp. 6.83) b. den schilt den er vür bôt der wart schiere zeslagen. (Iwein 6722f.; zit. nach Lenerz 1984: 116, Bsp. 135b)

Grimm (1866) argumentiert, dass es sich dabei um ein natives Phänomen handeln muss, denn die Belege trifft man auch in der autochthonen Literatur an. Auch in den mhd. Beispielen liegt inverse Kasusattraktion vor: Die relativen Köpfe (den schatz, den schilt) tragen akkusativischen Kasus, was dem Kasus entspricht, der relativsatzintern zugewiesen wird. Das legt nahe, dass die relativen Köpfe jeweils eine Konstituente des Relativsatzes und nicht des Matrixsatzes sind. Wenn man das ahd. Beispiel in (142) mit dem mhd. in (143) und (144) vergleicht, fällt auf, dass in ersterem Fall eine Relativpartikel auf den internen Kopf folgt, im zweiten Fall ist ein d-Relativpronomen vorhanden. Das ist nicht überraschend: Während im Ahd. sowohl der pronominal als auch der partikeleingeleitete Relativsatz verbreitet war, ist im Mhd. nur ersterer bezeugt. Wie Bhatt (2005: 4) hervorhebt, haben sprachübergreifende Studien ergeben, dass beim korrelativen Relativsatz der relative Kopf in einer gegebenen Sprache auf dieselbe Weise markiert wird, wie der relative Kopf beim kopfexternen (d.h. adnominalen) Relativsatz. Wie gerade erwähnt, gibt es aber auch schon seit ahd. Zeit Belege für eingebettete, postnominale Relativsätze, ja es handelt sich dabei sogar um den

334 vorherrschenden Typ. In den folgenden Beispielen steht der postnominale Relativsatz jeweils adjazent zu seinem Antezedens im Vor- oder Mittelfeld, es war aber auch schon im Ahd. häufig der Fall, dass er extraponiert wurde. (145) a. Inti uuort thaz ir gihortut ʜ nist min und Wort das ihr hörtet NEG.ist mein ‚und das Wort, das ihr gehört habt, ist nicht mein’ Et sermonem quem audistis ʜ non est meus. (Tatian 280, 27) b. Inti cundan duon ʜ thaz thiu minna In theru du mih und verkünden tue dass die Liebe in der du mich minnotos ʜ in in si Inti ih ouh in in liebtest in ihnen sei und ich auch in ihnen ‚und ich tue kund, dass die Liebe, mit der du mich liebtest, in ihnen sei und ich in ihnen’ & notum faciam ʜ ut dilectio qua dilexisti me ʜ In ipsis sit & ego in ipsis (Tatian 293, 16) c. ih quidu íu. thaz nioman ʜ thero manno thie thar REL.PART ich sage euch dass niemand der Männer die giladote sint ʜ gicorot minero gouma. geladen sind schmeckt meiner Speise-GEN ‚ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen sind, mein Abendmahl schmecken wird’ dico autem uobis. quia nemo ʜ uirorum illorum qui uocati sunt ʜ gustauit cænam meam. (Tatian 206, 13)

Komparativ-diachrone Daten sprechen dafür, dass im Indoeuropäischen der kopfinterne, korrelative Typ älter ist als der postnominale (eingebettete) (z.B. Haudry 1973, Keenan 1985, Hock 1988, 1991, Garrett 1994, Kiparsky 1995). Außerhalb des indoarischen Zweigs ist er auch in anderen altindoeuropäischen Sprachen, z.B. dem Hethitischen, bezeugt. In den germanischen Sprachen jedoch ist erstere Relativierungsstrategie auf dem Rückzug. Auch im Ahd. finden sich nur noch wenige Beispiele des Typs in (142). Haudry (1973) argumentiert, dass sich der eingebettete Typ durch eine Reanalyse aus dem korrelativen entwickelt hat. Drei Entwicklungsstadien lassen sich dabei unterscheiden (vgl. Bianchi 1999: 91f., 2000 für die ‚Formalisierung’ von Haudrys Hypothesen): (146) a. [ b. [

[qui vir] ...] welcher Mann [vir qui ] ...] Mann welcher

[... is ... er [... is ... er

] ]

335 c. [

[vir ] [ qui ... ]] … (is) ... Mann welcher (er) (adaptiert aus Bianchi 2000: 56f., Bsp. 10-a–c, auf Haudry 1973: 155 zurückgreifend,)

Der ahd. Beleg in (142) ist ein Beispiel für Stadium (146)-b: Statt eines relativen Determinierers liegt die Relativpartikel the vor, sie folgt auf den relativen Kopf. Die Kasuseigenschaften zeigen, dass der relative Kopf eine Konstituente des Relativ- und nicht des Matrixsatzes ist. Im Lateinischen folgt auf den relativen Kopf vir das Relativpronomen qui. In den alten indoeuropäischen Sprachen (z.B. im Lateinischen) ging das Relativum zunächst dem relativen Kopf voran: qui vir, (146)-a. Die Inversion von relativem Determinierer und relativem Kopf wird in der Regel auf pragmatische Faktoren zurückgeführt (Lehmann 1984: 125). In der resultierenden Konstruktion, (146)-b, befindet sich der relative ‚Kopf’ am äußersten linken Satzrand der relativen CP und kann so als Konstituente des Hauptsatzes, als externer Kopf reanalysiert werden, (146)-c. Der korrelative Relativsatz ist zu einem Modifizierer des relativen ‚Kopfes’ geworden, und bei der Wortkette handelt es sich nicht mehr um einen Nebensatz, der an einen Hauptsatz adjungiert ist, sondern um eine Nominalphrase, die einen Relativsatz einbettet (Bianchi 2000: 56). Das korrelative Pronomen im Hauptsatz wird somit überflüssig. Bianchi (2000: 58) kritisiert an Haudrys Vorschlag, dass er zwei radikale Reanalysen involviert: Der NP-‚Kopf’ muss über die Satzgrenze übergetreten sein, er wurde aus dem Relativsatz ‚externalisiert’. Und die relative CP, die ursprünglich an den Matrixsatz adjungiert war, muss als Adjunkt zur Antezedens-NP reanalysiert worden sein. Bianchi (1999, 2000) argumentiert, dass unter der Kopfanhebungshypothese von Kayne (1994: Kap. 8) wesentliche Aspekte der diachronen Entwicklung von Relativsätzen in den alten indoeuropäischen und in den germanischen Sprachen besser erklärt werden können. Insbesondere müsse man so keine radikalen Reanalyseschritte postulieren. Die Frage, wie der eingebettete Relativsatz mit externem Kopf entstanden ist, ist somit umstritten. Selbst die modernen germanischen Sprachen kennen noch Relativsatztypen, die kopfintern sind, nämlich die sogenannten ‚freien’ Relativsätze: (147) a. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. b. Wie dit gedaan heeft, die krijgt straf. DEM gets punishment who this done has (de Vries 2002: 46, 64a)

Das Relativpronomen aus dem Indefinitstamm wer hat sich aus der ahd. Verbindung Vǀ K ZHUVǀentwickelt:

336 (148) Enti so huuer so in altare suerit ǜ und so wer so in Altar schwört ‚wer bei dem Altar schwört, das ist nichts’ Et quicumque iurauerit in altare, nihil est. (Monseer Fragmente XVII, 6; Mt 23, 18)

neo uuiht ist ǜ nichts ist

Dieselbe Konstruktion findet sich auch im Altenglischen. Hier trifft man auch auf Belege, bei denen eine Präposition vor dem ‚Kopf’nomen steht (Allen 1977: 113), was, wie Harbert (2007: 422) argumentiert, zeigt, dass es sich um einen kopfinternen Relativsatz handelt: (149) And to swa hwilcere leode swa we cumaÿwe cunnon we come we know and to so which-DAT people as ÿære gereord their language ‚and whichever people we come to, we know their language’ (Alc.Th. Vol. 2 p. 474. 2; zit. nach Allen 1977: 119, Bsp. 134)

Es gibt in den modernen germanischen Sprachen weitere freie Relativsatzkonstruktionen, die in verschiedener Hinsicht den korrelativen Relativsätzen des Hindi und denen der altindoeuropäischen Sprachen ähnlich zu sein scheinen und bei denen eine Entstehung aus diesem Relativsatztyp naheliegt. Wie de Vries (2002: 46–48) zeigt, existieren im Niederländischen nicht nur freie Relativsätze des Typs, den es auch im Deutschen gibt, sondern auch solche, die durch den relativen Determinierer welk- und eine Nominalphrase eingeleitet werden, (150). Zwar räumt de Vries ein, dass solche Konstruktionen etwas markiert seien, ungrammatisch seien sie jedoch nicht. (150) a. Welke onverlaat zoiets what miscreant such.a.thing (de Vries 2002: 47, Bsp. 67a) b. Welke onverlaat zoiets what miscreant such.a.thing (de Vries 2002: 47, Bsp. 67b)

doet, does, doet, does,

die DEM

die DEM

krijgt gets

straf. punishment

zal will

ik straffen. I punish

Der Typ mit internem Kopf ist auf den ersten Blick den korrelativen Relativkonstruktionen im Hindi sehr ähnlich: (151) [CP Jo laRke khaRe REL boys standing

hai], are

ve DEM

lambe haiN. = (105)-a tall are

Doch es gibt einige wesentliche Unterschiede zwischen den niederländischen Relativkonstruktionen und denen im Hindi und in anderen Sprachen, in denen die korrelative Strategie verbreitet ist: De Vries (ibid.: 47f.) hebt hervor, dass im Niederländischen das Demonstrativum im Bezugssatz satzinitial auf-

337 treten muss, während es beim korrelativen Relativsatz übereinzelsprachlich häufig in situ verbleibt. Meines Erachtens ist dies kein stichhaltiges Argument gegen eine Klassifikation der niederländischen Daten als korrelativen Relativsatz, denn die syntaktische Distribution des Korrelats kann durch unabhängige syntaktische Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Sprache gesteuert sein, die nichts mit der Relativierung an sich zu tun haben. Im Niederländischen könnte die Verbzweiteigenschaft es erzwingen, dass das Korrelat in die satzinitiale Spezifiziererposition bewegt werden muss. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch, dass im Niederländischen die kopfinternen Relativsätze syntaktisch in den Bezugssatz integriert werden können. In diesem Fall gibt es im Matrixsatz kein korrelatives Pronomen: (152) a. [[Welke onverlaat zoiets doet] krijgt straf.] b. [[Welke onverlaat zoiets doet] zal ik straffen.] (adaptiert aus de Vries 2002: 47, Bsp. 68a, b)

Ein weiterer Unterschied zum korrelativen Typ besteht nach de Vries (2002: 47) darin, dass im Niederländischen die putativ korrelativen Konstruktionen immer eine generische Lesart haben und niemals eine definite: (153) a. *Welke bakker hier op which baker here on b. *Welke bedelaar ik which beggar I geen geld. no money (de Vries 2002: 47, 70a, b)

de hoek the corner vandaag today

zit (die) heeft witbrood. is (DEM) has white.bread tegenkwam (die) gaf ik met (DEM) gave I

In Sprachen mit unstrittigen korrelativen Relativsätzen gibt es dagegen keine Beschränkung auf die generische Lesart. De Vries kommt daher zu dem Schluss, dass die scheinbar korrelativen Relativsätze im Niederländischen nicht mit dem korrelativen Typ im Hindi usw. gleichgesetzt werden dürfen. Vielmehr handele es sich um eine spezielle Art von Linksversetzung. Er spricht auch von ‚hanging free relative clauses’: Thus languages with a postnominal relative strategy allow for a strange type of internally headed free relatives that differ from correlatives and circumnominal relatives. (de Vries 2002: 50)

In den mhd. Prosatexten sind Beispiele belegt, die genau gleich konstruiert sind wie die niederländischen ‚hanging free relative clauses’. 55 Der Prosa____________________ 55

Im Gwd. kann welch- keine freien Relativsätze einleiten. Nach Zifonun (2001: 57) gilt folgende Generalisierung: „Verfügt eine Sprache über Relativa mit

338 lancelot enthält einige Belege, aber auch in anderen Denkmälern ist die Konstruktion bezeugt: 56 (154) a. welch man schalckeit mynnet und untrúwe der haßet sinselbs sele; (Lancelot 122, 32) ‚wer Bosheit und Verrat liebt, der haßt seine eigene Seele’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 339, 28) b. :HOFK ULWWHU KHUZLHGGHU GĤW GDV LFK XFK KLH JHVDJHW KDQ HU LVW ]X UHFKW geyn der welt geuneret und darnach geyn gott. (Lancelot 123, 3) ‚ein Ritter, der gegen das verstößt, was ich Euch jetzt vorgetragen habe, wird zu Recht von der Welt verachtet, und danach von Gott’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 339, 35) (155) a. Swelh ʜ wunde dâ mit gesalbet wirt, diu bedarf deheines phlasters mêre und hailet schierer danne iemen gelouben mach. (Bartholomäus 138, 5) b. Swelh wîp ir siechtuomes niht haben muge, diu neme myrren unde temper si mit dem sûge artymesien, (Bartholomäus 131, 31)

Im Bartholomäus erscheint der relative Determinierer als swelh, was zeigt, dass es sich um das verallgemeinernde Relativum handelt, das auf ahd. Vǀ K ZHOƯKVǀzurückgeht. In den in dieser Arbeit untersuchten Prosatexten sind nur generische Belege bezeugt, was für eine Analyse parallel zum Niederländischen spricht. Anders jedoch als im Niederländischen sind die mhd. Daten nie syntaktisch integriert: Sie stehen immer links vom Bezugssatzvorfeld, und der Bezugssatz enthält stets ein korrelatives Pronomen. Dies spricht eher für eine Vergleichbarkeit mit dem echt korrelativen Typ des Hindi usw. Man kann allerdings bei den historischen Daten natürlich nicht herausfinden, ob die integrierte Stellung ohne Korrelat ungrammatisch war. Die welchKonstruktion ist viel seltener als vorangestellte dô-Sätze, sodass man aus der Abwesenheit von integrativen Gefügen (sprich welch-Sätzen im Vorfeld) ____________________

56

adnominalem Grundcharakter [z.B. dt. welch-; K.A.-T.] und andere mit nominalem Grundcharakter [z.B. dt. wer, was; K.A.-T.], so werden in freien Relativsätzen diejenigen mit nominalem Grundcharakter verwendet.“ (i) *Welcher nicht arbeitet, soll auch nicht essen./ (ii) *Welches ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. (Zifonun 2001: 94, Bsp. 3) In dieser Relativkonstruktion kann welch- entweder determinierend verwendet werden wie in (154) und (155)oder pronominal wie in folgendem Beleg: (i) wylche ir diz versmet, antweder sie insal der buzzen underligen, obe wirt sie widerstrebig, man verdribe sie uzer dem clostere. (Oxforder Benediktinerregel 39, 6)

339 wenig schließen kann. Ebenso wenig kann man testen, ob Konstruktionen mit einer definiten Lesart möglich waren oder nicht. In Sprachen mit der korrelativen Relativierungsstrategie können in der Regel Konstruktionen mit mehr als einem relativen Kopf gebildet werden. In den mhd. Texten ist die Konstruktion bei Argumentrelativsätzen nicht bezeugt. Jedoch finden sich sporadisch Belege für multiple adverbiale Relativsätze: (156) Und dô siu daz öl in gôz: sô niuwent ein tröpfelin drin kam, sô wart ez vol; (Nikolaus von Straßburg: Predigten 276, 36)

Wie die dô-Sätze sind auch die welch-Sätze unintegriert links von ihrerseits abhängigen Bezugssätzen belegt. Das korrelative Pronomen, das anders als bei den adverbialen Sätzen stets overt realisiert wird, steht in diesem Fall im Mittelfeld: (157) Min vil lieben, ez waǕ JHZRQOLFK LQ GHU DOWHQ H ǕZHOK ZLE HLQ GHJHQNLQW JHE UHGD]ǕLǕLFKGDUEHWHGHUNLUFKHQYLHU]HFKWDJH (Speculum ecclesiae 33, 25)

Wie bei den freien der-Relativsätzen gibt es auch bei den welch-Sätzen Belege mit konditionaler Interpretation (s. auch Ebert et al. 1993: 40). In dem folgenden Beleg tritt der welch-Relativsatz (Wylche suster arbeidet …) links von einem Verberstkonditionalsatz (inkummet sie nit zu hant …) auf, wobei im Hauptsatzvorfeld wie bei Konditionalgefügen üblich sô als korrelatives Adverb steht: (158) Wylche suster arbeidet in der kuchenen ober imme kelre ober imme dineste ober imme garten ... und it da missedut obe zubrichit obe verluset: inkummet sie nit zu hant vor die ebdisse und vor die samenunge und buzzet iz irs dankes und virmelde ir missedat, und wirt iz von einer anderen gecundiget, so sal sie merre buzze liden. (Oxforder Benediktinerregel 25, 8)

Noch deutlicher ist die Unintegriertheit bei folgendem Beleg, der ebenfalls konditional interpretiert wird. Im Bezugssatz gibt es überhaupt kein Argument/kein korrelatives Pronomen, das mit dem welch-Satz assoziiert sein könnte. (159) Welch man das sprechen wil, der ich noch deweders han gethan, es sy dießer oder der, das wil ich allenthalben wieddersprechen als ich sol. (Lancelot 31, 16) ‚Wenn das jemand behaupten will, obwohl ich nichts dergleichen begangen habe, werde ich Widerspruch erheben, gleich wo und vor wem, denn das ist meine Pflicht,’ (Übersetzung Steinhoff (Hg.) 1995: 93, 21)

340 Auch in typologischen Arbeiten hat sich herausgestellt, dass es oft schwierig ist, einen korrelativen Relativsatz von einem linksversetzten eingebetteten Relativsatz zu unterscheiden. So kommt Keenan (1985: 165) zu dem Schluss: „in practice the distinction between correlatives and (dislocated) internal RCs [= relative clauses; K.A.-T.] is not always easy to make“. Die Nähe zwischen der korrelativen Konstruktion und speziellen Formen der Linksherausstellung bietet jedoch eine interessante Perspektive für die Entwicklung der dô-Sätze: Dies könnte der Ausgangspunkt für eine Reanalyse der einst korrelativen Konstruktion zu einer Linksversetzungskonstruktion sein. Ab ahd. Zeit bereits gibt es Evidenzen für Linksversetzungskonstruktionen bei nichtsatzförmigen Konstituenten (Axel 2007: Kap. 4). Allerdings ist nach derzeitigem Forschungsstand noch unklar, ob im Ahd. bereits dieselben Konstruktionen existierten wie im Gwd., wo zwischen zwei Typen von Linksversetzungskonstruktionen unterschieden wird. Einen detaillierten Überblick über die gwd. Verhältnisse gibt Frey (2004, 2005). Er unterscheidet mit Rückgriff auf Altmann (1981) zwischen der ‚deutschen Linksversetzung’ (fortan: LV) und dem ‚Hängenden Topik’ (fortan: HT). 57 Die beiden Konstruktionen haben die folgenden Eigenschaften: Bei der LV-Konstruktion liegt ein progredienter Tonhöhenverlauf auf der dislozierten Phrase und es gibt keine Pause zwischen dislozierter Phrase und Restsatz (angezeigt durch Ãĺµ LQ (160)). Das resumptive Pronomen ist immer ein schwaches dPronomen. Wenn die dislozierte Phrase eine NP ist, dann trägt sie denselben Kasus wie das d-Pronomen. Altman (1981) zufolge muss das Resumptivum im Vorfeld stehen, Frey argumentiert aber, dass es auch in einer designierten Topikposition im Mittelfeld stehen kann. Bei der HT-Konstruktion gibt es dagegen eine Pause zwischen dem HT und dem Rest des Satzes. Das Resumptivum kann entweder ein Personalpronomen, ein (schwaches oder starkes) d-Pronomen oder sogar ein übergeordneter Ausdruck in Form einer Nominalphrase sein, und es tritt entweder im Vor- oder im Mittelfeld auf. Wenn die dislozierte Phrase eine NP ist, dann ist sie entweder nominativisch (sog. nominativus pendens) oder trägt denselben Kasus wie die dislozierte NP: (160) a. 'HQ2WWRĺGHQPDg jeder b. ʜOttoʜ, ʜihn mag jederʜ (Frey 2005: 164; Bsp. 48a, b)

LV-Konstruktion HT-Konstruktion

Wie Frey (2005) bemerkt, kann man somit in geschriebener Sprache die beiden Konstruktionen nicht in jedem Fall sicher unterscheiden. Doch zeigen introspektive Daten, dass bei der LV-Konstruktion im Gegensatz zur HTKonstruktion bestimmte Konnektivitätseffekte auftreten, insbesondere ist es ____________________ 57

Der Begriff ‚Hängendes Topik’ entspricht dem ‚freien Thema’ bei Altmann (1981).

341 möglich, dass ein Element in der LV-Phrase durch ein Element des Folgesatzes gebunden wird (s. z.B. Vat 1981, Cinque 1983): (161) a. Seine1 )UDXĺGLHYHUZ|KQWMHGHU/LQJXLVW1 mit großer Freude b. *Seine1 Frau, sie verwöhnt jeder Linguist1 mit großer Freude (Frey 2005: 164, Bsp. 49a, b)

Als einen weiteren Konnektivitätseffekt, der bei der LV-, nicht aber bei der HT-Konstruktion beobachtet werden kann, führt Frey wiederum mit Rückgriff auf Vat (1981, Cinque 1983) die Inselsensitivität an: (162) a. *Seine1 Frau, ich schätze jeden Linguisten1, der sie verwöhnt b. Dieser Artikel, ich bewundere jeden Linguisten, der den/ihn versteht (Frey 2005: 164, Bsp. 50a, b)

Die entsprechenden Beispielklassen sind natürlich bei Korpusdaten kaum anzutreffen. Was das Ahd. angeht, so zeigt Axel (2007: Kap. 4), dass in den ahd. Hauptprosatexten die dislozierten Phrasen immer im Nominativ stehen, auch wenn das Resumptivum einen anderen Kasus trägt. Diese HTKonstruktion ist auch im Mhd. verbreitet. Wenn keine Kasus- und/oder Genuskongruenz zwischen dislozierter Phrase und Resumptivum vorliegt und/oder wenn das Resumptivum kein Demonstrativpronomen ist, ist ausgeschlossen, dass es sich um einen Vorläufer der LV-Konstruktion handelt (die dislozierte Phrase ist in den folgenden Beispielen jeweils durch Kursivierung und das Resumptivum durch Fettdruck hervorgehoben): (163) a. Jacobus den man da heizit unsirs herren bruder an den buchin von deme sult ir vernemen wer der were. (Mitteldeutsche Predigten 15) b. Die offgerichtge leitere daz ist unse leben in dirre werlde, (Oxforder Benediktinerregel 9, 29) c. Aber die ebdissen sie sal iz allez dun mit godes vorten (Oxforder Benediktinerregel 6, 14) d. „Der da gûten sâmen sêwit, daz ist des menschin sun. (Evangelienbuch Beheim 33; Mt 13, 37)

Bei den folgenden Belegen steht zwischen der dislozierten DP und dem Bezugssatzvorfeld jeweils noch ein sô/dô-Satz der seinerseits ein Resumptivum in Form eines Personalpronomens enthält: (164) a. aber laider uil liute so si ze der kirchen koment. da si got solten suochen. so lâzent si sich an ain rûnon. (Mitteldeutsche Predigten 53) b. Sumelîchiu wîp, sô si chindelîn gewinnent, sô zerbrestent si in der wambe. (Bartholomäus 132, 25)

342 c. Mathêus dô her von êrst daz êwangêlium in Judêa predigete, dô wolde her €IJrQ]Ĥ dem volke (Evangelienbuch Beheim 8, Vorrede des Hieronymus)

Im Mhd. sind jedoch auch Belege mit demonstrativem Resumptivum und Kasuskongruenz bezeugt: (165) a. disen tach den svlt ir hevt eren (St. Pauler Predigten 9, 17) b. den heiligen herren sancte philippum. den sult hute ane rufen (Mitteldeutsche Predigten 15) c. Den heiligen lichamen den volletrugen di apostoli. zu deme grabe. (Mitteldeutsche Predigten 34) d. Wande goldis unde silbirs unde andirs richtumes des hete siv so vile. des si des wande daz er ir nimmer widersten mohte. (Mitteldeutsche Predigten 30) e. Aber den kinden den sollen sie alle zuchteliche hude zu sezzen biz zu irme funfzehinden jare des alderes (Oxforder Benediktinerregel 38, 15)

Bei den Belegen in (165) könnte es sich um die LV-Konstruktion handeln, allerdings ist ja – wie oben erwähnt – die Kasuskongruenz nur ein notwendiges und kein hinreichendes Kriterium. Noch schwieriger zu klassifizieren sind Belege mit dislozierten adverbialen Bestimmungen oder Präpositionalobjekten, die durch ein Pro-Adverb wiederaufgenommen werden, denn hier kann man das Kriterium der Kasuskongruenz nicht anwenden: (166) a. v‫ޡ‬f dem selbem wege do bechom im dev gotes stimme (St. Pauler Predigten 11, 10) b. uz dem leime vnd vz der erde, da adam, der erste man, vz wart gebildet, dannen wart och div chvniginne himels vnd erde gebildet (St. Pauler Predigten 44, 4) c. zu deme selben grabe zu iosaphat do stet nu ein munster uil here. (Mitteldeutsche Predigten 35)

Frey (2004: 228) argumentiert in Bezug auf satzförmige und nichtsatzförmige Adverbiale im Gwd., dass Bindungsdaten zeigen, dass auch hier die beiden Konstruktionsweisen zu unterscheiden sind. (167) a. Wenn seine1 Großmutter glücklich ist, dann ist jeder1 Linguist glücklich b. *Ob sein1 Doktorvater erscheint oder nicht, so wird doch jeder Linguist1 kommen (Frey 2004: 228, Fn. 1, Bsp. a, d)

343 Die Bindungsdaten zeigen, dass sich wenn-dann-Konditionale, (167)-a, b wie LV-Konstruktionen verhalten und Variablenbindung erlauben, während Irrelevanzkonditionale des Typs ‚ob ... oder nicht’ (wie auch nichtsatzförmige ‚hängende Topiks’) keine Variablenbindung zulassen, (167)-b. Irrelevanzkonditionale sind in ihren Bezugssatz nicht syntaktisch integrierbar (d’Avis 2004), sie können nicht im Bezugssatzvorfeld stehen: (168) *Ob sie will oder nicht, muss sie zur Stimmprobe antreten

Linksversetzung dagegen ist nur möglich bei Phrasen, die auch im Vorfeld des Restsatzes stehen können. Hat nun die korrelative dô-Konstruktion im Mhd. mehr Ähnlichkeiten mit der HT- oder mit der LV-Konstruktion? Die fehlende Vorfeldfähigkeit spricht für eine Nähe zu ersterer Konstruktion. Dazu passt auch, dass bei korrelativen dô-Sätzen als Korrelat nicht nur das schwache d-Adverb dô auftreten, sondern auch z.B. volle Präpositionalphrasen oder Adverbphrasen: (169) 8QGG{-KrVXVJHWRXIWZDUW]ĤKDQWJvQc her ûf von dem wazzere, (Evangelienbuch Beheim 12; Mt 3, 16)

Auch bei den welch-Relativsätzen sind als Korrelate nicht nur schwache dPronomina, sondern zum Beispiel auch Personalpronomina bezeugt. Das heißt, auch in diesem Fall kann es sich nicht um die LV-Konstruktion handeln. (170) a. :HOFK ULWWHU KHUZLHGGHU GĤW GDV LFK XFK KLH JHVDJHW KDQ HU LVW ]X UHFKW geyn der welt geuneret und darnach geyn gott. (Lancelot 123, 3) =(154)-b b. Dâ von wil Galiênus, swer des gîrs chreul ouf sînem tisk habe, daz ime nehein gift geschaden mach. (Bartholomäus 156, 9)

Bei den mhd. linksperipheren Argumentrelativsätzen tritt das ‚Resumptivum’ bzw. Korrelat immer overt auf. Bei den adverbialen dô-Sätzen dagegen ist das, wie oben ausführlich dargelegt wurde, nicht immer der Fall. Außerdem ist auch in den mhd. Texten, in denen das korrelative Adverb häufig fehlt, wie etwa im Prosalancelot, die entsprechende Konstruktion bei nichtsatzförmigen Adverbialen nicht annähernd so häufig. In anderen Worten, die Verbdrittkonstruktion, die im Gwd. ungrammatisch ist, ist systematisch nur bei satzförmigen Adverbialen zu finden. Auch diese Fakultativität der overten Realisierung des korrelativen Adverbs bei den mhd. Adverbialsätzen spricht dafür, dass es sich um eine Art ‚hängende Topikkonstruktion’ handelt. Man beachte, dass auch bei den oben erwähnten gwd. Irrelevanzkonditionalen, bei

344 denen keine Variablenbindung erfolgen kann, kein wiederaufnehmendes Adverb verwendet werden muss: (171) Ob sie will oder nicht, sie muss zur Stimmprobe antreten

Ausgehend von diesen Beobachtungen schlage ich für die dô-Adverbialsätze folgendes Reanalyseszenario vor: Die Ausgangskonstruktion war eine Version des aus dem Indogermanischen ererbten Typs des ‚korrelativen Diptychons’, dessen externe Syntax wesentliche Eigenschaften mit der modernen HT-Konstruktion teilte. 58 Diese Konstruktion wurde als ein Fall von LV reanalysiert: (172) dô-Sätze:

korrelative Konstruktion ĺ LV-Konstruktion

Das Resultat war, dass die dô-Sätze (und die anderen Kernadverbialsatztypen) syntaktisch in den Bezugssatz integriert waren und somit im Vorfeld auftreten konnten. Die Verbreitung der Vorfeldstellung im Frnhd. wird im nächsten Abschnitt beschrieben. Erst nach der Reanalyse waren die Adverbialsätze adverbiale Gliedsätze, wie wir sie heute kennen. Will man explizieren, was genau sich strukturell bei der Reanalyse verändert hat, steht man vor dem Problem, dass die Analyse der ‚deutschen Linksversetzungskonstruktion’ sehr umstritten ist. Zwar suggeriert der Begriff ‚Linksversetzung’, dass die dislozierte Phrase durch Bewegung in ihre periphere Position gelangt ist, was auch erklären würde, dass nur Phrasen, die alternativ auch im Vorfeld stehen können, linksversetzt werden können. Dennoch argumentiert Frey (2004, 2005) für einen Basisgenerierungsansatz (s. auch Wiltschko 1997). Wenn die dislozierte Phrase auch bei der LVKonstruktion in ihrer peripheren Position als Adjunkt zur Matrix-CP basisgeneriert ist, wie unterscheidet sich dann diese Konstruktion von der korrelativen Konstruktion, die eine Nähe zur HT-Konstruktion aufweist? Frey (2004, 2005) schlägt vor, dass der Bereich, der topologisch als Vorfeld bezeichnet wird, in einem hierarchischen Satzmodell eine Kaskade von syntaktischen Projektionen und damit von Spezifiziererpositionen umfasst, welche die sogenannte C-Domäne bilden (vgl. Rizzi 1997 zur ‚split C hypothesis’). Bei der Linksversetzungskonstruktion sind zwei Projektionen aktiviert, die CPProjektion, die sich am äußersten linken Rand befindet, und die FinProjektion: 59 ____________________ 58 59

Oder möglicherweise sogar in Bezug auf die externe Syntax mit der HTKonstruktion identisch war. In einem früheren Ansatz hat Frey (2004) noch dafür argumentiert, dass die LVPhrase an die CP adjungiert ist. Die Beobachtung, dass bei der LV-Konstruktion nicht mehr als eine dislozierte Phrase auftreten könne (Frey 2005: 165), spreche jedoch gegen den Adjunktionsansatz.

345 (173) [CP Den Otto1 [FinP den1 [Fin´ mag2 [TopikP t1' jeder t1 t2 ]]]] (Frey 2005: 166, Bsp. 55)

In der LV-Konstruktion erhält die dislozierte Phrase ihre Kasus- und Thetalizenz durch Koindizierung mit dem Relativpronomen. Sie gehört somit zur Struktur des folgenden Satzes, denn sie bildet zusammen mit dem Resumptivpronomen eine syntaktische Kette. Dass die dislozierte Phrase in der LVKonstruktion strukturell in den Satz integriert ist, ist unstrittig. Neben Basisgenerierungs- (s. auch schon Wiltschko 1997) gibt es – auch in der rezenten Literatur – zahlreiche Bewegungsansätze (Grohmann 2000, Grewendorf 2002), die natürlich die Integriertheit voraussetzen. Bei der HT-Konstruktion ist es dagegen umstritten, ob das ‚hängende Topik’ integriert ist oder nicht. Frey (2005: 167) verweist darauf, dass Chomsky (1977) und Baltin (1982) fürs Englische, Grohmann (2003) fürs Deutsche und Englische und Benincà & Poletto (2004) fürs Italienische davon ausgehen, dass die HT-Phrase in einer Oberflächenposition, die syntaktisch in den Restsatz integriert ist, basisgeneriert ist. Grohmann (2003) argumentiert, dass im Deutschen das hängende Topik an CP adjungiert ist und mit dem Resumptivum in einer diskursanaphorischen Beziehung steht. Durch die Annahme einer lediglich diskursanaphorischen Relation ist auch erklärt, warum keine Konnektivitätseffekte auftreten. Frey (2005: 167) wendet jedoch ein, dass die prosodische Desintegriertheit dagegen spreche, dass es sich bei der HTKonstruktion überhaupt um ein satzgrammatisches Phänomen handele. 60 61 Welche Analyse erfasst nun besser die Eigenschaften der korrelativen Relativ- und Adverbialkonstruktion in den älteren Sprachstufen? Oben wurde argumentiert, dass die korrelative Relativ- und Adverbialkonstruktion im Mhd. einige Eigenschaften der HT-Konstruktion im Gwd. teilt. Es gibt jedoch ein Indiz, dass es sich bei der korrelativen Konstruktion um ein satzgrammatisches Phänomen handelt: Die Tatsache, dass der linksperiphere Nebensatz auch einen Komplementsatz als Bezugssatz nehmen kann, zeigt, dass er mit diesem eine strukturelle Einheit bildet: ____________________ 60

61

Prosodische Eigenschaften lassen sich bei historischen Daten nur schwer erschließen, zumal auch die Interpunktion kein sicheres Diagnostikum darstellt. Außerdem sind die prosodischen Eigenschaften von dislozierten Sätzen ohnehin anders als von dislozierten nichtsententialen Phrasen. Aus dem Gwd. ist bekannt, dass auch Sätze, die unstrittig syntaktisch integriert sind – insbesondere, wenn sie lang sind – eine eigene Fokus-Hintergrund-Gliederung aufweisen können. Wenn man annimmt, dass die HT-Konstruktion außerhalb des Bereichs der Satzgrammatik fällt, stellt sich das Problem, wie nichtnominativische HT-Phrasen ihren Kasus erhalten. Frey (2005: 168) verweist darauf, dass sich das Problem der Kasusmarkierung auch bei Fragmenten wie dem folgenden stelle: (i) Einen Kaffee, bitte!

346 (174) a. 'D] ZDUHQǕLQHJHQDGHGRQHKHLQJRGZDǕ ZDQHUHLQHGD]HUYQǕDOOHQ GD]HUZDUEGD]ZLUJRWHǕFKLQWǕLQ (Züricher Predigten 17, 31) = (84)-a b. Min vil lieben, ez waǕJHZRQOLFKLQGHUDOWHQHǕZHOKZLEHLQGHJenkint JHE UHGD]ǕL ǕLFKGDUEHWHGHUNLUFKHQYLHU]ech tage (Speculum ecclesiae 33, 25) = (157)

Wie Frey (2005: 167) für nichtsatzförmige dislozierte Phrasen zeigt, ist die HT-Konstruktion im Gwd. bei Komplementsätzen nicht möglich (lediglich in der LV-Variante ist das Ergebnis marginal grammatisch), was er als ein weiteres Indiz dafür anführt, dass keine satzgrammatische Integration vorliegt. (175) a. *Jeder glaubt, den Otto, dass ihn Maria liebt b. (?)Jeder glaubt den Otto, dass den Maria liebt (Frey 2005: 167, Bsp. 58b, c)

In Abschnitt 5.5.2 wurde eine Analyse für die korrelative Konstruktion vorgeschlagen, der zufolge der Nebensatz an die Matrix-CP adjungiert ist – ähnlich wie in Grohmanns (2003) Analyse der HT-Konstruktion bei nichtsatzförmigem Material. Die Analyse, dass beim korrelativen Relativsatz Adjunktion an die höchste sententiale Projektion vorliegt, hat eine lange Tradition (z.B. Donaldson 1971, Lehmann 1984, Keenan 1985, Srivastav 1991, Grosu & Landman 1998). Wenn wir annehmen, dass die LV-Konstruktion im Mhd. existierte und die Analyse von Frey (2005) anwenden, der zufolge die LV-Phrase einen hohen Spezifizierer in einer komplexen C-Domäne besetzt, dann kann man das Ergebnis der Reanalyse wie folgt explizieren: (176) [CP [CP dô ...]1 [FinP dô1 [Fin' Vfin2 [TopikP t1' ... t1 t2 ]]]]

Nach der Reanalyse ist der dô-Satz syntaktisch integriert, also ein Gliedsatz in traditioneller Terminologie. Wie nichtsatzförmige Phrasen kann er nicht nur in der Linksversetzungsposition am äußersten Rand der C-Domäne auftreten, sondern auch im eigentlichen ‚Vorfeld’, d.h. in dem Spezifikator, in dem nichtkontrastive temporale adverbiale Bestimmungen stehen, wenn sie nicht linksversetzt sind (= SpecFin in Freys Ansatz). Vor der Reanalyse besetzten die dô-Sätze keine Position im Restsatz, sie waren lediglich an die Matrix-CP adjungiert.

347

5.6

Korrelative vs. integrative Gefüge im Frühneuhochdeutschen

Die Reanalyse der vorangestellten dô-Sätze muss im Spätmhd. oder zu Beginn der frnhd. Periode erfolgt sein. Wie oben erwähnt, sind in den hier untersuchten mhd. Prosatextausschnitten fast keine Satzgefüge belegt, in denen ein dô-Satz unmittelbar vor dem finiten Verb des Bezugssatzes auftritt. Dieses Wortstellungsmuster verbreitet sich erst in der frnhd. Periode. Im Mhd. sind bei selbständigen deklarativen Bezugssätzen systematisch lediglich zwei Oberflächenmuster bezeugt: Das Muster, bei dem der dô-Satz links von seinem Verbzweitbezugssatz steht, der kein korrelatives Adverb aufweist, sowie das entsprechende Muster mit korrelativem Adverb im Vorfeld (sehr selten auch im Mittelfeld): (177) dô-S–XP–Vfin Da die naturlih sunne auf ging, die warf irn schin in die stern: (Christine Ebner 16, 33) = (70)-a (178) dô-S–Pro-Adv –Vfin Da die leute ir heiligez leben vernamen, da gaben sie in an bet allez dez sie bedorften an allen sachen, (Christine Ebner 2, 27) = (69)-a

Ich habe oben argumentiert, dass diese beiden Konstruktionen strukturell identisch sind bis auf den Unterschied, dass beim Muster (178) das korrelative Adverb overt realisiert ist und ins Matrixvorfeld bewegt wurde. Das zielsprachliche Muster, bei dem der dô-Satz syntaktisch integriert im Vorfeld seines Bezugssatzes auftritt, hat sich offenbar erst zu Beginn der frnhd. Periode herausgebildet. Um seine Verbreitung nachzuvollziehen, müsste man ein Korpus von frnhd. Texten analysieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann dies nur in Ansätzen geschehen. Das folgende Belegmaterial stammt aus dem digitalisierten Teil des Bonner Frühneuhochdeutschkorpus. Das digitalisierte 62 Korpus umfasst 40 Prosatexte unterschiedlicher Textsorte à jeweils 30 Normalseiten (mit je 300 Wörtern), die gleichmäßig auf vier Zeiträume und zehn Sprachlandschaften verteilt sind. Die vier Zeiträume umfassen je 50 Jahre und zwar die Abschnitte 1350– 1400, 1450–1500, 1550–1600 und 1650–1700. Die zeitliche Gliederung erlaubt es, diachrone Entwicklungen nachzuvollziehen. Zwar wurde das Bonner Frühneuhochdeutschkorpus, das neben den 40 digitalisierten noch zahl____________________ 62

Die Texte sind mit Wortklassenangaben und z. T. mit Formenbestimmungen annotiert, nach XML und HTML übertragen und über das WWW verfügbar gemacht. Sie sind nicht syntaktisch annotiert. Das heißt, bei syntaktischen Studien ist man nach wie vor auf Handarbeit angewiesen.

348 reiche weitere Texte umfasst, ursprünglich entwickelt, um die Flexionsmorphologie zu untersuchen, doch es hat sich erwiesen, dass das digitalisierte Kernkorpus durchaus auch für syntaktische Studien geeignet sein kann, und zwar dann, wenn höherfrequente Konstruktionen untersucht werden sollen: So hat sich z.B. Sapp (2011) mit der Abfolge der Verben in mehrteiligen Verbalkomplexen beschäftigt. Vorangestellte Sätze, die durch den Subordinator dô eingeleitet werden – der im Frnhd. als da/do erscheint – sind ohne Zweifel ein hochfrequentes Phänomen. Im (digitalisierten) Frühneuhochdeutschkorpus sind drei konkurrierende Muster bezeugt: 63 Neben den beiden eben erwähnten Mustern (do-S–XP–Vfin und do-S–Pro-Adv–Vfin), (179) und (180), sind anders als im Mhd. auch do-Sätze in der Position direkt vor dem finiten Verb des Bezugssatzes bezeugt (do-S–Vfin), (181). (179) do-S–XP–Vfin a. Do wir nue komen auf die Plintenpurg , die Junkchfrawn waren froleich, daz Sy zu meiner frawn gnaden solten faren, ... (Helene Kottanerin, Denkwürdigkeiten, mittelbairisch, Wien 1445–1452; 15, 24) b. do der küng Peleus die red vernam, er ward vor zorn entzünt, (Hans Mair, Troja, ostschwäbisch, Nördlingen 1392; 40, 11) (180) do-S–Pro-Adv–Vfin a. vnd do die lӕɝt erhorten das er vs was so samneten sich beidӕɝ cristen vnd haiden ... (Buch Altväter, schwäbisch, Stuttgart 14. Jahrhundert; 67, 11) b. 9QࡄGRODPHFKJHZDLUZDUWGDWKHV\QHࡄDOWYDGCHUVFKRVVHQKDGGHYQࡄQLHW eyn wild diere so wart he so zornich ... (Johann Koelhoff, Chronik, ripuarisch, Köln 1499; Blatt 9, 42) c. GD&KULVWXVDP&UHXW]HKLHQJGDVFKHPHWHQVLHVLFKVHLQHUIX࢑U3LODWRYQG NR࢑QQHQ-HVXPQLFKWQHQQHQ (Johannes Mathesius, Passionale, obersächsich, Leipzig 1587; Blatt 44, 29)

____________________ 63

Erfasst wurden alle vorangestellten do/da-Sätze mit selbständigen, deklarativen Bezugssätzen. Die überwiegende Mehrheit dieser Sätze ist eindeutig temporal. In den jüngeren Texten sind auch Belege mit putativ kausaler und sogar mit konditionaler Lesart (vgl. Ebert et al. 1993: 462) enthalten. Diese wurden mitgezählt. Der lautliche Zusammenfall mit dem lokalen da (mhd. dâ, ahd. WKƗU) bereitet keine Schwierigkeiten, weil lokale Relativsätze in der Regel nachgestellt sind. Insbesondere bei Voranstellung verbreitet sich ab dem 17. Jahrhundert das Relativum wo (Ebert et al. 1993: 448).

349 (181) do-S–Vfin a. Da nu got der here sach dat geyn van allen leuendigen dyngen Adam gelijch was sprach got. (Johann Koelhoff, Chronik, ripuarisch, Köln 1499; Blatt 8, 24) b. Da sich nun der Wind ein wenig geleget/ vnnd die Delphin mit hauffen VLFKVHKHQOLHVVHQYHUKRIIWHࡄZLUQDFKGLVHPZLGHUZHUWLJHQ:HWWHUEHssers zubekommem. (Leonhart Rauwolf, Beschreibung, schwäbisch, Lauingen 1582; 12, 3)

Auf die vier Zeitabschnitte verteilen sich die drei Muster wie folgt: 64

Abbildung 1: Oberflächenabfolgen bei vorangestellten do-Sätzen im Frnhd.Korpus

Wie aus der Grafik ersichtlich, ist das Oberflächenmuster do-S–XP–Vfin nur in den ersten drei Zeiträumen bezeugt. In den zehn Texten, die zwischen 1650 und 1700 entstanden sind, liegt die Zahl bei null Prozent. Im Gwd. ist dieses Muster ungrammatisch. Die Ergebnisse aus dem Frnhd.-Korpus legen nahe, dass es schon mit dem Ausgang der frnhd. Periode weitgehend ausgestorben war. In den zehn Texten aus dem Zeitraum 1350 und 1400 zeigen immerhin noch 6% aller vorangestellten do-Sätze dieses Muster. Dazu passt, dass es, wie oben gezeigt, in zahlreichen mhd. Texten belegt ist. In der Grafik fällt auf, dass das Muster do-S–Vfin vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Zeitraum sprunghaft ansteigt. Während es zwischen 1350 und 1400 nur in 1% der Fälle realisiert wird, sind es zwischen 1550 und 1600 und zwischen 1650 und 1700 85% bzw. 71%. Das Muster do-S–Pro-Adv–Vfin ist in den beiden früheren Zeiträumen das mit Abstand häufigste Muster. In den ____________________ 64

Zum Zeitpunkt der Auswertung war der Text Nr. 117 ‚Deo Gratias‘ (mittelbairisch, Wien) nicht online verfügbar. Daher basieren die Auswertungen für den Zeitabschnitt 1650–1700 jeweils auf neun (und nicht auf zehn) Texten.

350 beiden späteren Zeiträumen dagegen ist es nur das zweithäufigste Muster. Strukturell betrachtet kann sich hinter diesem Oberflächenmuster sowohl die archaische korrelative Konstruktion als auch die Linksversetzungskonstruktion verbergen. Gerade diese Oberflächenambiguität ist ja die Voraussetzung für das hier vorgeschlagene Reanalyseszenario. Wie oben argumentiert wurde, ist das Muster do-S–XP–Vfin ebenfalls eine Variante der korrelativen Konstruktion, bei der lediglich das korrelative Pro-Adverb nicht overt realisiert ist. Zwischen 1350 und 1400 sind nur die beiden unintegrierten Muster mit und ohne Pro-Adverb im Bezugssatz mit einiger Häufigkeit anzutreffen. Daher kann man annehmen, dass sich hinter dem Muster do-S–Pro-Adv–Vfin in diesem Zeitraum die korrelative Konstruktion verbirgt. Solange die doSätze noch keinen Gliedsatzstatus haben, handelt es sich nicht um eine Linksversetzungskonstruktion im engen Sinn. Daher ist es auch nicht überraschend, dass diese Sätze zusammen mit linksversetzten nichtsatzförmigen adverbialen Bestimmungen in einem Satz auftreten können: (182) und do der hof also waz gehalten zwen tag, an dem dritten tag do hiezz der küng für sich komen all fürsten und herrn (Hans Mair, Troja, ostschwäbisch, Nördlingen 1392; 9, 15)

Was wohl unstrittig ist, ist, dass sich hinter der Verbreitung des Musters doS–Vfin im Frnhd. die Verbreitung der zielsprachlichen Vorfeldstellung verbirgt. Zwischen 1650–1700 hat dieses innovative Muster das archaische unintegrierte Muster do-S–XP–Vfin komplett verdrängt. Dann muss auch das Muster do-S–Pro-Adv–Vfin als Linksversetzung eines Gliedsatzes analysiert werden. Was aus der Grafik auch ersichtlich ist, ist, dass die do-Sätze insgesamt an Häufigkeit verlieren. Während in den vier Texten aus dem Zeitraum 1350–1400 noch 321 vorangestellte do-Sätze bezeugt sind, sind es in den Texten aus dem Zeitraum 1650–1700 nur noch 24. Der Grund hierfür ist, dass temporale do-Sätze im Frnhd. durch als-Sätze verdrängt werden. Der ‚Frühneuhochdeutschen Grammatik’ zufolge wird temporales als erst im 15. Jahrhundert häufiger und drängt da/do im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts zurück (Ebert et al. 1993: 456). Die hier beschriebenen Entwicklungen betrafen nicht nur do-Sätze, sondern alle (Kern)adverbialsatztypen (also auch Kausal-, Konditionalsätze usw.). 65 Die folgende Grafik zeichnet die Verbreitung der drei Muster bei al____________________ 65

In Axel (2002) wird die Hypothese diskutiert, dass sich die Kategorie von Adverbialsätzen generell von CP zu PP gewandelt hat. In der generativen Grammatik wird seit Emonds (1985) immer wieder vorgeschlagen, dass Adverbialsätze der Kategorie P angehören (s. zum Deutschen auch Steinitz 1969, Gallmann 1990, Pittner 1999, Sternefeld 2006, Bd. I). Für die oben diskutierte

351 len vorangestellten Adverbialsätzen nach selbständigen, deklarativen Bezugssätzen nach. (Erfasst sind nur eingeleitete Verbendadverbialsätze. Verberstkonditionale und -konzessiva sind nicht enthalten. Auch die do-Sätze sind hier natürlich nicht mehr mitgezählt worden).

Abbildung 2: Oberflächenabfolgen bei vorangestellten Adverbialsätzen im Frnhd.-Korpus (ohne do-Sätze, ohne Verberstadverbialsätze)

Wenn man die Grafiken vergleicht, fällt auf, dass die wesentlichen Entwicklungslinien bei den do-Sätzen parallel zu den anderen Adverbialsatztypen verlaufen sind: Das Oberflächenmuster AdvS–Vfin, das strukturell als Vorfeldstellung des Adverbialsatzes zu analysieren ist, wird ebenfalls erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts häufiger, zwischen 1550 und 1700 ist es bereits das häufigste Muster. Dagegen nimmt das Muster AdvS–XP–Vfin, für das oben eine Analyse als basisgeneriertes Adjunkt zur Bezugssatz-CP vorgeschlagen wurde, stetig ab. Anders als bei den do-Sätzen ist es jedoch auch zum Ausgang der frnhd. Periode nicht völlig verschwunden: Zwischen 1650 und 1700 wird es immerhin noch bei zwei Prozent aller vorangestellten Adverbialsätze realisiert. Dabei handelt es sich ausschließlich um kontrafaktische Konditionale und Irrelevanzkonditionale, also um Adverbialsatztypen, die auch noch im Gwd. die unintegrierte Stellung erlauben bzw. fordern: (183) a. :HQQHUVRYLHONR࢑QWHYRQVLFKJHEHQDOVHULP.RSIIHKDWHVZD࢑UHVHLQHV gleichen nicht. (Christian Weise, Jugendlust, obersächsisch, Leipzig 1684; 88, 2)

____________________ Reanalyse der dô-Sätze als Linksversetzungskonstruktion ist die Frage der syntaktischen Kategorie von Adverbialsätzen nicht wesentlich.

352 b. -D ZHQQ GDV ZDKU ZD࢑UH LFK YHUVR࢑IIH QRFK KHXWH HLQH .XK XQG GUH\ .D࢑OEHUYRU)UHXGHQ (Christian Weise, obersächsisch, Jugendlust, Leipzig 1684; ؉؆‫ٍ؜‬،٧ (184) Zum Exempel ob man Catholisch/ Calvinisch/ oder Lutherisch sey/ ein jeder solle nur bey seinem Glauben pleiben/ darin er erzogen ist/ (Johann Rosenthal, ripuarisch, Wiederholung, Köln 165; 36, 22)

Wie bei den do-Sätzen ist auch bei den anderen Adverbialsatztypen das Oberflächenmuster AdvS–Pro-Adv–Vfin in der ersten Hälfte der frnhd. Periode am häufigsten. Lötscher (2005: 369) kommt aufgrund seiner Untersuchung einiger frnhd. Texte ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Muster AdvS–Vfin (er spricht von ‚integrativer Spitzenstellung’) „vor Mitte des 15. Jahrhunderts kaum vorkommt und erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer üblichen Konstruktion wird“. Er sieht jedoch darin keinen Reflex eines zugrunde liegenden grammatischen Wandels. Vielmehr handele es sich um einen pragmatischen Wandel, im Zuge dessen das Muster AdvS–Vfin, das „zumindest zu Beginn Signal einer gewissen stilistischen Modernität in Texten elaborierter Sprache“ war (ibid.: 370), „allmählich als stilistisch akzeptabel oder sogar positiv beurteilt wurde“ (ibid.). Die positive Beurteilung sei wiederum darauf zurückzuführen, „dass die grammatische Kohärenz als Qualitätskriterium zunehmend höher bewertet wurde als früher“ (ibid.), was seinen Niederschlag darin finde, dass das innovative Muster AdvS–Vfin anfangs vor allem in elaborierten Texten und kaum in einfacher Sprache vorkomme. Der Sprachwandel sei damit ein Ereignis, das sich zunächst auf der Ebene der pragmatischen Bewertung formal möglicher syntaktischer Ausdrucksvarianten vollzieht. Der Anstoß zu derartigen Umbewertungen kommt im Frühneuhochdeutschen letztlich aus Veränderungen der medialen Bedingungen des Sprachgebrauchs – Stichwort ›Verschriftlichung‹. Durch Usualisierung und Konventionalisierung wird der zuerst pragmatische, dann stilistische Wandel im Endeffekt zu einem grammatischen Wandel: Gewisse theoretisch mögliche syntaktische Muster werden im Laufe der Zeit in manchen Kontexten konventionellerweise nicht mehr oder neu anders bewertet, und dies kann als grammatische Regel interpretiert werden. (Lötscher 2005: 372)

Meines Erachtens kann Lötschers These vom pragmatisch-stilistischen Wandel nicht in allen Punkten überzeugen. Stilistische Variation kann nur dort eine Rolle spielen, wo es echte syntaktische Alternation gibt. Ein Beispiel wäre die Alternation zwischen dem Muster mit korrelativem Adverb (= AdvS–ProAdv–Vfin) und ohne (overtes) korrelatives Adverb (= AdvS–XP–Vfin), wie wir sie im Mhd. vorfinden. In diesem Fall wäre es denkbar, dass es stilistische Normen gibt, die ein Muster als qualitativ höherwertig einstufen. Das

353 ‚integrative’ Muster AdvS–Vfin ist jedoch eine echte Innovation, die ihren Ursprung in einem zugrunde liegenden Wandel haben muss. Denn es ist kaum denkbar, dass aus stilistischen Gründen ein Muster neu geschaffen wird, das vorher gar nicht existiert hat. Dass es sich um ein ‚theoretisch mögliches syntaktisches Muster’ handelt, kann keine Erklärung sein bzw. führt zu einem Zirkelschluss: Theoretisch möglich sind in einer Einzelsprache doch nur die Muster, die von deren Grammatik lizenziert sind. Selbst wenn man die unplausible Annahme macht, dass das ‚integrative’ Muster bereits im Mhd. und Ahd. grammatisch lizenziert war und nur aus stilistischen Gründen nicht realisiert wurde, ergibt sich das Problem, dass, wie gleich gezeigt wird, mit dem Aufkommen des integrativen Musters, noch weitere innovative Wortstellungsmuster erscheinen (z.B. Mittelfeldstellung eines Adverbialsatzes im dass-Satz) und andere zurückgedrängt werden (Voranstellung eines Adverbialsatzes vor einen abhängigen dass-Satz). Lötscher müsste argumentieren, dass all diese Veränderungen auf dieselbe stilistische Konvention zurückgehen. Es erscheint jedoch abwegig, dass für die Sprachbenutzer ein ‚stilistischer’ Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Oberflächenphänomenen bestand. Ein Zusammenhang ergibt sich nur durch die zugrunde liegende Grammatik: Nach der Reanalyse zu Gliedsätzen sind Adverbialsätze nicht nur vorfeld- sondern auch mittelfeldfähig. Was aus den obigen Abbildungen nicht ersichtlich ist, ist das gerade schon erwähnte Stellungsverhalten von do-Sätzen bei ihrerseits abhängigen Bezugssätzen. Wie im Mhd. sind auch im Frnhd. Gefüge bezeugt, in denen Adverbialsätze links von nebensatzeinleitenden Konjunktionen (meist dass) stehen: (185) a. ez schreibend auch die alten poeten, do der selb küng Eson also kom in alz grozz alter und do im alliu seiniu kraft also von der natur vergieng, daz in Medea, von der daz buch her nach vil sagt, mit irer zuberlich kunst widerbreht zu ainer vollkomener jugend, (Hans Mair, Troja, ostschwäbisch, Nördlingen 1392; 7, 17) b. Vnd das sult ir freilich wissen, da im der ErczBischoue dy. heilig kron auf sein haubt saczt vnd im die hielt, daz er das haubt als kreftikleichen aufhielt, (Helene Kottanerin, Denkwürdigkeiten, mittelbairisch, Wien 1445–1452; 27, 24) c. Es ist zwar jn nit frembd gewesen/ da der Herr so offt in gleichnissen zu jn JHUHGWYIIHLQHQ*HLVWOLFKHQVLQࡄVHLQHUZRUW]XJHGHQFNHQ (Johann Gropper, Gegenwärtigkeit, ripuarisch, Köln 1556; Blatt 13, 9) d. :LHLVWVQX࢓JOD࢑XEOLFKGDHUGDVHVVHQGHV2VWHUODPEV VRGDQQRFKDOOHUOHL Ceremonien erfordert/ vnnd fill geheimniß vnd anmanung an jm gegabt ) YROHQGHWGDVHUGDUQDFKVHLQ+\QVFKHLGHࡄHntlich vff ein blosse Figur beschlossen/ ... (Johann Gropper, Gegenwärtigkeit, ripuarisch, Köln 1556; Blatt 23, 12)

354 Diese Oberflächenabfolge findet man im Frnhd.-Korpus nur in Texten bis 1500. Danach tritt der do-Satz in der Regel im Nachfeld seines abhängigen Satzes auf: (186) 9QGGL‰([HPSHOLVWVRQGHUOLFKLQGHPIDOOWUR࢑VWOLFKGDVZLUVHKHQGDV*RWW GHQVFKZDFKJODXELJHQ3HWUXPQLFKWVLQFNHQOHVWGDHUVFKUH\HWYQQGKX࢑OIIH begeret. (Dietrich Veit, Summaria, ostfränkisch, Nürnberg 1578; Blatt 23, 30)

Eine innovative Konstruktion, die erst im späteren Frnhd. belegt ist, ist die Stellung im Mittelfeld des abhängigen Satzes. (187) LQQ ZHOFKHU YQJHVWX࢑PH GLH :HOOHQ GDV 6FKLII DXII DLQH YQG DQGHUH VH\WHQ dermassen geworffen/ vnd vns also gewieget haben/ das/ da wir vns nit mit IOHL‰DQJHKDOWHQZLUVFKZHUOLFKDQYQVHUQVWD࢑WWHQKHWWHQEOHLEHQP|JHQZLH HVGDQQHWOLFKHQEHJHJQHWGDVLHVLFKYEHUVHKHQYQG]X࢓IUH\JHODVVHQGDVVLH DO‰EDOGDXIIDOOHQYLHUHQDXIIGLHDQGHUHVH\WHQIDUHQPX࢑VVHQ (Leonard Rauwolf, Beschreibung, schwäbisch, Lauingen 1582; 15, 1)

Auch diese Innovation betrifft nicht nur die do-Sätze, sondern Adverbialsätze im Allgemeinen: (188) a. $X‰ $QOD‰ GHUR 7KHRORJLH VR VRWKDQH *R࢑WWHU YRUJHPDKOW GD‰ ZHQQ VLH DXII(UGHQJHZHVWPDQVLHPLW3UX࢑JOHQKD࢑WWHWRGVFKPHLVVHQVROOHQ (Gotthard Heidegger, Mythoscopia, osthochalemannisch, Zürich 1698; 41, 8) b. ... bedingte nur darbey/ daß so offt es das gemeine Beste erforderte/ er DXFKRKQHGHU.R࢑QLJLQ %HIHKO LQ (QJHOODQG ZLHGHU ]XUX࢑FN NRPPHQ PR࢑FKWH/ (Hiob Ludolf, Schaubühne, hessisch, Frankfurt/Main 1699; S. 3940, Spalte D, Z. 18) c. -VWVPX࢑JOLFKJHZHVHQGD‰GXYHUODQJWHU*DVWHKHGXGLH+HUEHUJHGLHVHU Welt einmahl noch recht mit Augen beschauet/ schon wieder abgefordert werdest? (Georg Göz, Leich-Abdankungen, thüringisch, Jena 1664; 195, 14) d. Diesen nun/ fragte der Pfaltzgrav/ ob er / wann 5XGROSKXV .H\VHU ZX࢑UGH ihn versichern NR࢑QWH GD‰ HU HLQHQ JQD࢑GLJHQ +HUUQ DQ LKP KDEHQ XQG VHLQHU7R࢑FKWHUHLQH]XU*HPDKOLQ HUODQJHQZX࢑UGH" (Sigmund von Birken, Spiegel, ostfränkisch, Nürnberg 1668; Seite 79, Spalte B, Z. 24)

Auch in der Frühneuhochdeutschen Grammatik findet sich der Hinweis: Vor allem im späteren Frnhd. steht der adverbiale Nebensatz nach der einleitenden Konjunktion des übergeordneten Satzes: ... kam der Corporal und commandierte ihn zu der Standarten auf die Wacht / damit / wann mein Hochzeiter fort włre / er

355 sich selbst mit mir ergołtzen kołnte. Courasche 1129. (Ebert et al. 1993: 484)

Das Aufkommen der Mittelfeldstellung bestätigt die Annahme, dass die Verbreitung des AdvS–Vfin-Musters auf Kosten des AdvS–XP–Vfin-Musters ein Oberflächenreflex eines zugrunde liegenden Wandels in der externen Syntax der do- und der anderen Adverbialsatztypen darstellt. Wenn, wie oben behauptet, diese Nebensätze als linksversetzte Gliedsätze reanalysiert wurden, dann ist es zu erwarten, dass sie nunmehr sowohl im Vorfeld als auch im Mittelfeld stehen können. Wie eingangs erwähnt entwickelt sich am Ende der frnhd. Periode die kausale Bedeutung. In den späten Texten des Frnhd.-Korpus finden sich putative Belege (allerding ist bei den meisten auch eine temporale Lesart möglich): (189) a. Da er aber auch keinen Eyngang kondte finden/ muste er mit grossem Verlust seines Volcks vnd Vnkosten vmbwenden. (Walter Ralegh, Amerika, hessisch, Frankfurt/Main 1599; 10, 32) b. Da wir auch nach dem Lauff der Sonnen/ oder nach dem Compaß wolten fahren/ fuhren wir ringsweiß herumb/ ... (Walter Ralegh, Amerika, hessisch, Frankfurt/Main 1599; 20, 9)

Nach herrschender Forschungsmeinung hat sich das kausale da aus dem temporalen dô (ahd. thǀ) entwickelt (z.B. Wunderlich & Reis 21901: 342f., Pfeifer 1989, Bd. I: 249f., Kluge 242002: 176). In der älteren Literatur ist manchmal auch argumentiert worden, dass es auf das lokale dâ (ahd. WKƗU) zurückgeht (z.B. Behaghel 1928: 99f.). Da sich die kausale Bedeutung erst im 17. Jahrhundert verbreitet, zu einer Zeit, wo der lautliche Zusammenfall schon sehr weit fortgeschritten war, mag die Frage hinfällig sein. Aus syntaktischer Sicht muss der temporale Subordinator der Vorgänger gewesen sein. Eine Voraussetzung für die Entwicklung der kausalen Bedeutung ist wohl, dass die relativische Konstruktion zugunsten einer echten Adverbialsatzkonstruktion mit einer adverbialen Subjunktion aufgegeben wurde. Dieser Schritt hat sich bei dem lokalen Subordinator dâ nicht vollzogen: Er leitete immer nur postnominale oder freie lokale Relativsätze ein und hatte stets den Status eines Relativadverbs. In dieser Funktion wird er im 17. Jahrhundert allmählich durch wo verdrängt.

5.7

Reanalyse vis-à-vis Grammatikalisierung

Die diachrone Entwicklung der drei Stellungsmöglichkeiten von vorangestellten Adverbialsätzen ist von König & van der Auwera (1988) auch aus

356 Grammatikalisierungsperspektive analysiert worden. Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, welche Kriterien es für die syntaktische Integration bestimmter Adverbialsätze in den modernen germanischen Sprachen gibt. In den germanischen Verbzweitsprachen gilt die Vorfeldstellung als deutliches Signal für die syntaktische Integration. Neben diesem integrativen Muster (= AdvS–Vfin) unterscheiden sie noch zwischen dem nichtintegrativen (= AdvS– XP–Vfin) und dem resumptiven Muster (= AdvS–Pro-Adv–Vfin). König & van der Auwera interpretieren die drei Muster – in Anlehnung an einen Aufsatz von Lehmann (1988) (s. Abschnitt 1.4) – als unterschiedliche Ausprägungen der Integriertheit subordinierter Sätze auf einem Kontinuum von Parataxe zu Einbettung, und sie behaupten, dass dieses Kontinuum die diachrone Entwicklung der Adverbialsätze wie auch der anderen Nebensätze widerspiegele: These three strategies are easily interpreted as positions on a continuum from parataxis to embedding […]. This continuum also has a diachronic significance. German and Dutch show how subordinate clauses have tended to develop from nonintegration to integration via resumption. (König & van der Auwera 1988: 127)

Wenn König & van der Auwera Recht haben, müssten sich demnach zumindest die folgenden beiden Entwicklungen bei den deutschen Adverbialsätzen (einschließlich der da-Satze) nachweisen lassen: Zum einen die Tendenz, dass die diachrone Entwicklung der deutschen Adverbialsätze von der Parataxe zur syntaktischen Einbettung führte: ‚from parataxis to embedding‘, zum anderen eine kontinuierliche Entwicklung vom nichtintegrativen Muster über das resumptive Muster (als Übergangsstadium) hin zum integrativen Muster. Problematisch an Königs & van der Auweras Argumentation ist Folgendes: Zu Beginn ihres Aufsatzes unterscheiden sie anhand des Gwd. zwischen nichtintegrativer (AdvS–XP–Vfin) und integrativer Wortstellung (AdvS–Vfin) bei Konzessiva und Konditionalen. Allerdings handelt es sich bei Adverbialsätzen, welche die nichtintegrative Wortstellung aufweisen, nicht um eine parataktische Beiordnung, denn die Adverbialsätze sind natürlich Nebensätze. Wenn sie nun postulieren, dass die diachrone Entwicklung von Parataxe zu Einbettung verlief, gehen König & van der Auwera also noch einen Schritt weiter. Sie implizieren damit, dass vor dem Stadium des nichtintegrativen Typs ein Stadium existierte, in dem es nur ein rein parataktisches Nebeneinander von selbständigen Sätzen gab. 66 Wie oben bei der Diskussion von ____________________ 66

In einem neueren Aufsatz (König 1992: 432) beschreibt König die Verdrängung des nichtintegrativen zugunsten des integrativen Musters über die Zwischenstufe des resumptiven Musters in den germanischen Sprachen als Grammatikalisierungsprozess unter dem Schlagwort „syntacticization of discourse“. Das Problem hierbei ist, dass man für das Deutsche auf keinen Fall annehmen kann, dass bei

357 Lenerz’ (1984) Ansatz dargelegt wurde, lässt sich dies bei den WKǀG{-Sätzen nicht nachweisen. Bereits im Ahd. waren die WKǀ-Sätze eindeutig formal durch die Verbend- bzw. Späterstellung und zumindest im Tatian sogar durch die sporadische Verwendung der einleitenden Relativpartikel the als Nebensätze gekennzeichnet. Selbst wenn man annimmt, dass das rein parataktische Stadium in die vorahd. Zeit fällt oder möglicherweise noch älter ist, bleibt das Problem, dass auch nach der Entwicklung der Nebensätze die postulierte Abfolge Nicht-Integration > Resumption > Integration durch die empirischen Fakten nicht gestützt wird, zumindest nicht, was die Entwicklung der deutschen Adverbialsätze angeht: Es gibt keine Evidenz dafür, dass es ein Stadium gab, in dem nur die nichtintegrative Stellung (dô-S/AdvS–XP–Vfin) möglich war oder zumindest deutlich dominierte. Wie oben gezeigt, ist bereits im Ahd. das Muster mit einem korrelativen Adverb (bzw. resumptiven Adverb in Königs & van der Auweras Terminologie) häufig belegt, und zwar auch schon in den Texten des späten 8. und des 9. Jahrhunderts. 67 Einen vorläufigen Höhepunkt hatte die Diskussion um die sogenannte Nachsatzgestaltung schon in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts genommen mit der Veröffentlichung von Starkers „Die wortstellung der nachsätze in den ahd. Übersetzungen“ (1883). Dieser hatte wie König & van der Auwera (1988) die These aufgestellt, dass sich die nhd. Stellung mit ‚Anfangsstellung’ des finiten Verbs im Nachsatz (= AdvS–Vfin) erst über ein Übergangsstadium entwickeln konnte, bei dem der Nachsatz durch eine anaphorische Partikel (= AdvS–Pro-Adv–Vfin) wiederaufgenommen wurde. Die ursprüngliche Form der Nachsatzgestaltung sei das Muster ‚AdvS–XP–Vfin’ gewesen. Tomanetz (1884) kritisiert dies und behauptet, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass letzteres Muster älter sei als jenes mit einer ‚anaphorischen Partikel’. Dieser Position schließt sich dann später Behaghel (1929: 404) an und bezeichnet Starkers Argumentation als „mißlungen“ und „abenteuerlich“. Bei dem Reanalyseszenario, das in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen wurde, gibt es lediglich zwei ‚Stadien’: Zum einen das ‚korrelative Stadium’ ____________________

67

nichtintegrativer Stellung des Adverbialsatzes zu seinem Bezugssatz zwei selbständige Sätze im Diskurs aufeinander folgen. Denn im Deutschen zeigte die interne Syntax der fraglichen Sätze – und zwar soweit man zurückblicken kann – schon immer die typischen Nebensatzeigenschaften (v.a. strukturelle Verbendstellung). Der Annahme, dass dies schon eine weitere Stufe in einem Grammatikalisierungsprozess darstellt und es vorher ein rein parataktisches Stadium gab, fehlt jede empirische Grundlage. Behaghel und die anderen Junggrammatiker, die sich mit der Nachsatzgestaltung auseinandersetzten, machten meist noch keinen Unterschied, ob es sich um Adverbial-, Relativ- oder Komplementsätze handelte. Aber auch Königs & van der Auweras (1988) These bezieht sich auf subordinierte Sätze allgemein.

358 (Ahd./Mhd.), das durch die Oberflächenabfolgen ‚dô-S/AdvS–XP–Vfin’ und ‚dô-S/AdvS–Pro-Adv–Vfin’ 68 gekennzeichnet ist. Strukturell betrachtet sind die beiden Muster identisch, sie unterscheiden sich lediglich in Bezug auf die Frage, ob das korrelative Pro-Adverb overt realisiert wird oder nicht. Zum andern das ‚Gliedsatzstadium’ (Frnhd.), für das die Abfolgen ‚do-S/AdvS– Vfin’ und ‚do-S/AdvS–Pro-Adv–Vfin’ charakteristisch sind. Strukturell betrachtet liegt bei letzterem Muster nunmehr ein linksversetzter do-Satz vor, der syntaktisch ebenso integriert ist, wie ein do- (oder sonstiger) Adverbialsatz im Vorfeld. Denn linksversetzt können nur solche Phrasen werden, die syntaktisch in den Restsatz eingebettet sind. Bei der Linksversetzungskonstruktion sind der herausgestellte Satz und das Pro-Adverb per Kettenbildung verbunden. Beim Reanalyseszenario gab es somit kein Übergangsstadium und damit auch kein Kontinuum. Voraussetzung für die Reanalyse war, dass die Abfolge ‚dô-S/AdvS–Pro-Adv–Vfin’ oberflächenambig war und sowohl als korrelative als auch als Linksversetzungskonstruktion analysiert werden konnte.

5.8

Zusammenfassung

Im Gwd. haben die Kernadverbialsatztypen Gliedsatzstatus. Adverbialsätze treten daher in bezugssatzinternen Positionen auf, insbesondere im Vorfeld. Temporale und kausale Adverbialsätze gehören zu den Kerntypen. Da-Sätze werden daher bei Voranstellung im Vorfeld positioniert. Obwohl diese Sätze semantisch betrachtet desintegriert sind, sind sie syntaktisch in ihren Bezugssatz integriert und verhalten sich wie Gliedsätze. Die da-Sätze waren ursprünglich temporale Nebensätze. Im Ahd. war WKǀ der häufigste temporale Subordinator, wesentlich häufiger als Vǀ, aus dem sich über die Verbindung DOVǀunsere heutige Konjunktion als entwickelt hat. Im Ahd. waren die WKǀ-Sätze, die häufig vorangestellt waren, syntaktisch nicht in ihren Bezugssatz integriert. In der bezugssatzinternen Modifiziererposition im Mittelfeld stand stattdessen ein korrelatives Pro-Adverb, das auch ins Vorfeld bewegt werden konnte. Bei Gefügen ohne Pro-Adverb ist es plausibel anzunehmen, dass ein phonologisch leeres Pendant in der entsprechenden Adjunktposition im Bezugssatzmittelfeld vorhanden war. Diese Analyse lässt sich dadurch rechtfertigen, dass die ahd. WKǀ-Sätze große Ähnlichkeiten mit dem sogenannten ‚korrelativen Diptychon’ aufwiesen, einer ____________________ 68

Wobei das Pro-Adv zumindest im Ahd. auch im Mittelfeld des Bezugssatzes auftreten konnte (= thΩ-S/AdvS–Vfin–...-Pro-Adv–...).

359 Relativierungsstrategie, die in den alten indoeuropäischen Sprachen sehr verbreitet war. Bei dieser Relativierungsstrategie handelt es sich um eine Form des kopfinternen Relativsatzes, der als basisgeneriertes Adjunkt zur höchsten Satzprojektion des Bezugssatzes zu analysieren ist und damit anders als der postnominale Relativsatz, der in den modernen germanischen Sprachen den kanonischen Typ darstellt, syntaktisch nicht in den Bezugssatz eingebettet ist. Im Bezugssatz steht eine korrelative Phrase, die – zumindest grob betrachtet – mit dem Relativsatz koreferent ist. Was die interne Syntax angeht, liegt es nahe, dass WKǀursprünglich ein Relativadverb war. In den ahd. Texten finden sich zahlreiche Belege, bei denen ein nachgestellter WKǀ-Satz eine temporale adverbiale Bestimmung des Hauptsatzes modifizierte. Auch bei Voranstellung gibt es Indizien, dass WKǀ im Ahd. noch als Relativadverb zu analysieren war. Zumindest im Tatian sind Kombinationen aus WKǀ und der Relativpartikel the bezeugt (=WKǀGHWKǀGR). Wie bei den durch therde eingeleiteten Argumentrelativsätzen kann man somit wohl davon ausgehen, dass WKǀ noch phrasal war und die SpecC-Position einnahm, während the die C-Position besetzte. Die Frage, ab wann anzunehmen ist, dass the von der SpecC- in die C-Position übergetreten ist und somit als Konjunktion grammatikalisiert wurde, kann hier nicht beantwortet werden, da keine Diagnostika für den ±Kopfstatus von mhd. dô formuliert werden konnten. Im Gwd. ist die Situation deshalb eindeutig, weil da kaum mehr als Relativadverb verwendet werden kann und die Konjunktion da keine temporale, sondern eine kausale Bedeutung hat. Am konzeptuell attraktivsten und mit der Analyse als korrelatives Diptychon konsistent ist die Annahme, dass WKǀaus dem Innern des Nebensatzes in dessen SpecC-Position bewegt wurde. Evidenzen für die Existenz dieses kopfinternen Relativsatztyps gibt es auch bei den Argumentrelativsätzen. So existieren im Ahd. und Mhd. noch Argumentrelativsätze, deren relativer Kopf den Kasus trägt, der vom Relativsatz- und nicht vom Matrixsatzprädikat gefordert wird. Interessanterweise treten auch im Mhd. noch kopfinterne Relativsatztypen auf, die im Gwd. nicht möglich sind: Im Prosalancelot und weiteren Texten sind ‚freie’ Relativsätze mit internem Kopf belegt, die durch den relativen Determinierer welch- gefolgt von einer XP eingeleitet werden. Was die externe Syntax angeht, so sind im Ahd. verschiedene Konstruktionen bezeugt, die zeigen, dass vorangestellte WKǀ-Sätze und weitere Adverbialsatztypen eine (sehr) periphere Position am linken Satzrand ihrer Bezugssätze einnahmen, was die Hypothese der basisgenerierten Adjunktion an die höchste Satzprojektion stützt: 7Kǀ-Sätze sind bei abhängigen Bezugssätzen links von der nebensatzeinleitenden Konjunktion belegt. Konditionalsätze (eingeleitet duch thanne und oba) treten im Tatian bei interrogativischen Bezugssätzen links von der Interrogativpartikel eno auf, die ihrerseits, wie in unabhängigen Kontexten bezeugt ist, linksherausgestellten nichtsatz-

360 förmigen Satzgliedern vorangeht. Im Monseer Matthäus und im Isidor trifft man sogar auf Konditional- bzw. Konzessivsätze, die links von koordinierenden Konjunktionen stehen. Auch in den mhd. Prosatexten zeigen dô-Sätze die Stellungseigenschaften von unintegrierten Sätzen. In ungefähr drei Viertel der hier untersuchten Prosatexte treten dô-Sätze recht häufig links von ‚Verbzweitnachsätzen’ auf, deren Vorfeld durch eine beliebige XP, meist jedoch durch das Subjekt, besetzt ist. Noch häufiger sind jedoch Gefüge, in denen im Bezugssatz (overt) ein korrelatives Pro-Adverb steht. Anders als im Ahd. steht dieses Pro-Adverb bei einem deklarativen Bezugssatz fast immer im Vorfeld des Bezugssatzes und folgt daher unmittelbar auf den vorangestellten Adverbialsatz. Die Konstruktion mit korrelativem Adverb ist in allen Texten, die vorangestellte dôSätze enthalten, bezeugt. Auch im Mhd. gibt es unabhängige Evidenzen für die Existenz einer linksperipheren Position, in der Nebensätze basisgeneriert werden konnten. So sind im Prosalancelot Nebensätze belegt, an deren Satzspitze das Relativpronomen der/die/das steht, das im Mhd. freie Relativsätze einleiten konnte, und die aber keine freien Argumentrelativsätze waren, da im Bezugssatz keine entsprechende relative Lücke vorhanden war. Daher können sie nicht aus einer bezugssatzinternen Argumentposition in ihre linksperiphere Position bewegt worden sein. Es muss sich also um einen Fall von linksperipherer Basisgenerierung handeln. Solche Konstruktionen werden konditional interpretiert. Darüber hinaus sind linksperiphere was-Irrelevanzkonditionale belegt. Diese Konstruktion ist auch im Gwd. noch unintegriert. Wie im Ahd. finden sich auch im Mhd. zahlreiche Beispiele, in denen Adverbialsätze, einschließlich der dô-Sätze, bei abhängigen Bezugssätzen links von der einleitenden Konjunktion stehen. Erst im Frnhd. ändert sich die externe Syntax der da/do-Sätze. Im Frnhd.Korpus lässt sich nachvollziehen, dass die do-Sätze zwischen 1350 und 1400 vereinzelt im Vorfeld bezeugt sind. In den Texten, die zwischen 1450 und 1500 entstanden sind, sind do-Sätze im Vorfeld schon recht häufig, ab spätestens 1550 ist dies mit Abstand das häufigste Stellungsmuster. Die Vorfeldstellung verdrängt die unintegrierte Stellung ohne Pro-Adverb im Bezugssatz. Dieses Muster findet sich am Ende der frnhd. Periode bei den do-Sätzen im Frnhd.-Korpus überhaupt nicht mehr. In diesem Punkt verhielten sich die doSätze demnach bereits zielsprachlich, auch wenn die schwerwiegende semantische Veränderung von der temporalen zur kausalen Bedeutung noch bevorstand. Ich habe dafür argumentiert, dass der syntaktische Wandel in der externen Syntax der do-Sätze aus einer Reanalyse der ursprünglich korrelativen Konstruktion zu einer Linksversetzungskonstruktion resultierte. Die Oberflächensyntax der beiden Konstruktionen ist sehr ähnlich. Was die Distribution der

361 linksperipheren Phrase (bzw. des linksperipheren Satzes angeht), unterscheiden sie sich jedoch in Bezug auf die Frage, ob diese auch in anderen Positionen auftreten kann. Nur bei der Linksversetzung kann die betroffene XP alternativ auch im Innern des Restsatzes stehen. Sobald die linksperipheren doSätze als linksversetzte Konstituenten realisiert worden sind, können sie daher alternativ auch im Vorfeld oder sogar im Mittelfeld ihres Bezugssatzes stehen. Die Mittelfeldstellung ist zwar wie im Gwd. marginal, doch interessanterweise lässt sich bei abhängigen Bezugssätzen beobachten, dass die aus dem Ahd. ererbte Stellung des Adverbialsatzes links von der nebensatzeinleitenden Konjunktion zugunsten der integrierten Stellung rechts von der nebensatzeinleitenden Konjunktion (oder noch tiefer im Mittelfeld) aufgegeben wird. In dem Grammatikalisierungsansatz von König & van der Auwera (1988) wird das korrelative Stadium als Übergangsstadium von einer gänzlich unintegrierten zu einer integrierten Struktur betrachtet. In dem hier propagierten Szenario gibt es nur zwei Stadien, denn die scheinbar unintegrierte Struktur ist lediglich eine Variante der korrelativen, in der das Pro-Adverb nicht overt realisiert ist. Dass es vor dem korrelativen Stadium ein Stadium mit rein parataktischer Fügeweise gab, dafür fehlt jegliche empirische Grundlage.

6

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wurden vor allem vier ‚Klassen’ von Nebensatzkonstruktionen aus synchroner und diachroner Perspektive betrachtet. Zunächst die argumentrealisierenden dass-Sätze, als Beispiel für eine kanonische Nebensatzkonstruktion, dann drei nichtkanonische Konstruktionen, nämlich uneingeleitete argumentrealisierende Sätze, relativische Sätze mit Vnach-C-Bewegung und asyndetische Relativsätze sowie korrelative da-Sätze. Somit waren Beispiele aus den drei Teilbereichen Argumentsätze, Relativsätze bzw. relativische Sätze und Adverbialsätze Teil der Untersuchung. Gerade die nichtkanonischen Konstruktionen spielen in den traditionellen Entstehungs- und Entwicklungsszenarien der Nebensätze eine zentrale Rolle und ein rekurrierendes diachrones Thema der Arbeit bildete somit die Auseinandersetzung mit den gängigen Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenarien. Es ist zu unterscheiden zwischen Konstruktionen, die nur im älteren Deutsch bezeugt sind und solchen, die auch noch im Gwd. möglich sind. Zu den in der vorliegenden Arbeit behandelten Nebensatzkonstruktionen, die sowohl im älteren Deutsch als auch im Gwd. möglich sind, zählen die dass-Komplementsätze, die argumentrealisierenden Verbzweitsätze und die relativischen Verbzweitsätze. In Kapitel 2 wurde aufgezeigt, dass auch im Gwd. dass-Argumentsätze im Vergleich zu nichtsatzförmigen Argumenten nichtkanonische Eigenschaften aufweisen: Sie treten im unmarkierten Fall rechts vom Matrixverb auf, also in einer Position, die nicht in der kanonischen Rektionsrichtung des Verbs liegt. In verschiedenen Arbeiten wurde argumentiert, dass die dass-Sätze in dieser Position als rechte Schwestern von V basisgeneriert sind. Dieser Analyse habe ich mich angeschlossen. Wesentliche Evidenz für diese Analyse bieten Extraktionskonstruktionen: Nach bestimmten Matrixprädikaten, den sogenannten Brückenprädikaten, können im Gwd. aus dass-Sätzen w-Phrasen oder ‚normale’ XPn extrahiert werden. Da Extraktion nach gängiger Lehrmeinung nur aus strikt regierten Domänen erfolgen kann, müssen die nachgestellten dass-Sätze als Komplemente des Matrixverbs analysiert werden. Diesen Komplementstatus hatten sie bereits im Ahd. inne, denn schon in den ahd. Denkmälern finden sich Beispiele für Extraktionskonstruktionen. Auch im Mhd. sind Extraktionen zweifelsfrei belegt. Daher sollten auch die ahd. thaz- und mhd. daz-Sätze als rechte Schwestern von V analysiert werden. Das in der vorliegenden Arbeit propagierte Entstehungsszenario bietet nun eine Erklärung dafür, wie es zu dieser syntaktischen Besonderheit gekommen ist: Die Komplementationskonstruktion geht auf die Reanalyse einer korrelativen Konstruktion zurück, in der sich das Korrelat in kanonischer Rektions-

364 richtung befand und die Thetarolle zugewiesen bekam. Der Nebensatz dagegen war lediglich adjungiert (s.u. für eine detaillierte Zusammenfassung). Die argumentrealisierenden Verbzweitsätze (Kapitel 3) sind zwar im Ahd. noch nicht zweifelsfrei belegt, im Mhd. finden sich jedoch zahlreiche Beispiele. Bis auf eine Ausnahme sind nur Matrixprädikate bezeugt, die auch noch im Gwd. diesen Satztyp lizenzieren. Da es keine Hinweise dafür gibt, dass der Verbzweittyp im älteren Deutsch andere grammatische Eigenschaften hatte als heute, wurde die Analyse von Reis (1997) übernommen. Reis geht davon aus, dass dieser Nebensatztyp semantisch lizenziert ist, da er stets als Substitut eines dass-Satzes in einem ‚assertiv’ definierbaren Kontext fungiert. Als syntaktische Analyse schlägt sie eine teilintegrierte Struktur vor, in der die Verbzweit-CP im Nachfeld an die Matrix-VP adjungiert ist. Die Thetarollensättigung erfolgt somit auf nichtstruktureller Basis. Die relativischen Verbzweitkonstruktionen (Kapitel 4) lassen sich bis in die ahd. Zeit zurückverfolgen. In der mhd. Prosa ist die Beleglage so umfangreich, dass erkennbar ist, dass die Konstruktion dieselben syntaktischen, semanto-pragmatischen und informationsstrukturellen Eigenschaften hat wie im Gwd. Daher wurde die von Gärtner (2001), Ebert & Gärtner (2005) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007) entwickelte Analyse übernommen, der zufolge der relativische Verbzweitsatz das Komplement des Parataxekopfs ʌLVW und der ‚Haupt’satz sein Spezifikator. Was die Informationsstruktur angeht, fungiert die ‚Haupt’satz-CP als Topik und die relativische CP als Kommentar. Auf der Mikroebene wird im Hauptsatz ein Prä-Topik eingeführt, das dann im relativischen Satz durch das initiale d-Pronomen anaphorisch wiederaufgenommen wird und dort den Status eines Aboutness-Topiks innehat. Zur Gruppe der Konstruktionen, die nur im älteren Deutsch vorkommen, gehören die asyndetischen argumentrealisierenden und relativischen Verbendsätze, die in den Kapiteln 3 und 4 behandelt wurden. Sie sind vor allem im Ahd. bezeugt und treten nur sehr vereinzelt in mhd. (und frnhd.) Texten auf. Es wurde dafür argumentiert, dass beide Satztypen durch Nullkomplementierer eingeleitet werden. Für diese Analyse gibt es komparative Evidenz: Die Nullkomplementiereranalyse wurde auch für einige ‚asyndetische’ Argument- oder Relativsatzkonstruktionen in den modernen germanischen Sprachen diskutiert. Im Falle der asyndetischen Verbendargumentsätze im Ahd. und Mhd. konnte gezeigt werden, dass sie andere grammatische Eigenschaften haben als die uneingeleiteten Verbzweitsätze im Gwd. Die Unterschiede betreffen vor allem die Matrixprädikate (insbesondere gibt es beim Verbendtyp offenbar keine Negationsrestriktion) und den Modus im abhängigen Satz (nur beim Verbendtyp ist im Mhd. relativ häufig der Indikativ bezeugt). Der asyndetische Verbendtyp weist insgesamt deutliche Parallelen zum thaz/daz-Satz auf, was für die Nullkomplementiereranalyse spricht. Auch die grammatischen Eigenschaften des asyndetischen Relativsatzes sind

365 vergleichbar mit denen der eingeleiteten Verbendrelativsätze, sodass auch hier die Nullkomplementiereranalyse gerechtfertigt ist. Allerdings konnte die Frage nicht beantwortet werden, warum es im Nhd. keine asyndetischen Verbendsätze mehr gibt. Pittner (1995) führt dies darauf zurück, dass im älteren Deutsch referentielle Nullsubjekte existierten. Allerdings sind auch zahlreiche asyndetische Relativsätze mit Objektlücken bezeugt. Außerdem spricht komparative Evidenz gegen einen solchen Zusammenhang: Das Englische verfügt sowohl über asyndetische Objektsätze als auch über asyndetische Relativsätze. Beide Phänomene werden nach herrschender Lehrmeinung als Nullkomplementiererkonstruktionen analysiert, doch ist das Englische keine Nullsubjektsprache. Für Relativsatzkonstruktionen hat Smits (1989) die sprachübergreifende Generalisierung aufgestellt, dass nur in Sprachen, die über Relativpartikeln verfügen, die asyndetische Variante möglich ist. In der Tat existierte der partikeleingeleitete Relativsatz nur im älteren Deutsch, nicht aber in der gwd. Standardsprache. Doch würde man erwarten, dass auf dialektaler Ebene die asyndetische Variante weiterbesteht, da hier Relativpartikeln sogar weiter verbreitet sind als Relativpronomina. Diese Erwartung bestätigt sich jedoch nicht. Eine weitere Konstruktion, die nur im älteren Deutsch bezeugt ist, ist der relativische Verberstsatz mit Argumentlücke. Wie in Kapitel 4 dargelegt wurde, teilt diese Konstruktion jedoch wesentliche Eigenschaften mit der relativischen Verbzweitkonstruktion, die durch ein d-Pronomen eingeleitet wird und die auch noch im Gwd. vor allem in der Umgangssprache gebräuchlich ist. Folgende Gemeinsamkeiten wurden herausgearbeitet: In beiden Fällen sind die Bezugssätze häufig präsentativ, als Antezedenten kommen nur ‚topikfähige’ Indefinita vor. Die Satzfügung ist parataktisch, was sich insbesondere darin niederschlägt, dass als Bezugssätze nur selbständige Sätze bezeugt sind, die immer deklarativen Satzmodus haben. Außerdem ist die relativische Konstruktion stets nachgestellt. Aufgrund dieser (und weiterer) Gemeinsamkeiten wurde die von Gärtner (2001), Ebert & Gärtner (2005) und Ebert, Endriss & Gärtner (2007) entwickelte makrostrukturelle Analyse für ‚integrated verb-second clauses’ im Gwd. auf die relativischen Verberstsätze im älteren Deutsch übertragen. Die Argumentlücke wurde in der vorliegenden Arbeit als Topik-Drop-Phänomen analysiert. Auch korrelative G{WKǀ/da-Sätze sind typisch für das ältere Deutsch. Im Nhd. sind da-Sätze syntaktisch in den Bezugssatz integriert. Die Verbreitung der Einbettungskonstruktion vollzieht sich während der frnhd. Periode. Doch auch im Gwd. gibt es noch Adverbialkonstruktionen, die unintegriert sind: Dabei handelt es sich vor allem um Irrelevanzkonditionale, bestimmte Konzessivsätze, kontrafaktische Konditionale und Sprechaktadverbialsätze. Die ‚Marginalisierung’ des unintegrierten Typs mit dem Resultat, dass nur sehr

366 spezielle Adverbialsatztypen den unintegrierten Status beibehalten, hat sich in der frnhd. Periode vollzogen. Aus diachroner Sicht hat sich gezeigt, dass die behandelten Problembereiche eng verzahnt sind, zumindest, was ihre Behandlung in der Forschungsliteratur angeht. Denn alle diese Satzfügungstypen wurden als Beispiel für die Hypothese angeführt, dass sich hypotaktische Konstruktionen aus parataktischen entwickelt haben. Ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist, dass die gängigen Parataxe-Hypotaxe-Szenarien empirisch entweder nicht haltbar sind oder nur unzureichend gestützt werden und/oder theoretisch-konzeptionell unattraktiv sind. Im Falle der dass- und der da-Sätze (Kapitel 2 und 5) wurden in der bisherigen Literatur Szenarien vorgeschlagen, die besagen, dass die Konjunktionen dass und da aus dem Demonstrativpronomen (Akk./Nom. Neutrum) bzw. dem temporalen Demonstrativadverb hervorgegangen sind. Allerdings unterscheiden sich die beiden Szenarien in einem wesentlichen Punkt: Während beim dass-Satz argumentiert wurde, dass das Demonstrativpronomen ursprünglich am Ende des ersten Satzes, also innerhalb des zukünftigen Hauptsatzes stand, wurde beim da-Satz mehrheitlich davon ausgegangen, dass das Demonstrativadverb an der Spitze des zweiten Satzes, also im entstehenden Nebensatz stand. Das liegt wohl daran, dass die Annahme einer kataphorischen Verwendung in der Ausgangskonstruktion beim Demonstrativpronomen das näher liegt als beim Demonstrativadverb da (ahd. WKǀ). Versucht man die gängigen Szenarien durch gwd. Paraphrasen wiederzugeben, erhält man folgendes Bild: (1)

0DULDVDJWGDV(VUHJQHWĺ0DULDVDJWGDVVHVUHJQHW

(2)

a. Da erschien Maria ein EngHO(UVDJWH]XLKUĺ Da (= als) Maria ein Engel erschien, sagte er zu ihr: ... b. Sie kamen zu jener Stunde an. Da legte ihr Schiff ab. ĺ6LHNDPHQDQ da (= als) ihr Schiff ablegte.

Das dass-Satz-Szenario ist problematischer, als es auf den ersten Blick scheint, da es zwei radikale Reanalysen in einem Schritt beinhaltet: die Reanalyse der Satzgrenze und die Degradierung des zweiten Satzes von einem selbständigen Satz zu einem Komplementsatz. Außerdem muss das Pronomen das, also eine XP-Kategorie, als Kopf, also als eine X0-Kategorie reanalysiert worden sein. Während letztere Annahme an sich unproblematisch ist, ergibt sich die Schwierigkeit, dass das Pronomen nach dem Übertritt im Folgesatz nicht lizenziert ist, da es dort keine offene Argumentstelle sättigt. Die Reanalyse der Satzgrenze und des Pronomens müssen also ebenfalls in einem Schritt erfolgt sein. Dass sich hinter dem Schritt in (1)-a so viele, teilweise radikale Reanalyseschritte verbergen, macht das Parataxe-zu-Hypotaxe-

367 Szenario konzeptuell unattraktiv. Auch die empirische Basis ist nicht ganz so überzeugend, wie oft in der Literatur suggeriert. Ein Problem ist zum Beispiel die Verbstellung. Da in der Zielkonstruktion der thaz-Satz Verbendstellung aufweist, muss auch in der Ausgangskonstruktion der zweite Hauptsatz ursprünglich ein Verbendsatz gewesen sein. Um argumentieren zu können, dass sich Reflexe dieser Ausgangskonstruktion noch im Ahd. nachweisen lassen, werden in der Regel Otfriddaten angeführt. Die Endstellung im Hauptsatz bei Otfrid kann jedoch sehr häufig auf den Endreim zurückgeführt werden. In der Prosa ist die Verbstellungsasymmetrie zumindest im Ahd. schon stark ausgeprägt. Trotzdem gilt natürlich, dass die Annahme, dass es im Vorahd. uneingeleitete selbständige Verbendsätze gab, mit der herrschenden Lehrmeinung übereinstimmt. Im Falle der Entstehung der Konjunktion da ist das Parataxe-zu-HypotaxeSzenario meist nicht so präzise ausbuchstabiert worden wie bei dass. Es gibt zwei Varianten, vgl. (2)-a und (2)-b. Wunder (1965) argumentiert, dass der da-Satz aus einer Sequenz zweier Hauptsätze entstanden sei, in der der zukünftige da-Satz dem zukünftigen Hauptsatz voranging. Da war in dieser Konstruktion ein am Satzeingang stehendes temporales Adverb. Höchst problematisch sind die Verbstellungsfakten, denn der Satz mit da (bzw. ahd. WKǀ) am Satzeingang muss sich von einem Verbzweit- zu einem Verbendsatz gewandelt haben. In der zweiten Variante ist da ein anaphorisches Adverb und bezieht sich auf eine Zeitangabe im vorherigen Satz. Auch in dieser Variante ergibt sich das gleiche Problem in Bezug auf die Verbstellung. Hinzu kommt in beiden Varianten, dass oft nicht präzisiert wird, wie der Übergang zur Konjunktion vonstattenging. Das einzig Plausible ist, dass er über den Zwischenschritt eines Relativadverbs erfolgte. In der vorliegenden Arbeit wurde stattdessen argumentiert, dass dass und da schon immer dem zukünftigen Nebensatz angehörten. Außerdem wurde dafür plädiert, die Entwicklung der internen und externen Syntax der beiden Konstruktionen jeweils getrennt zu betrachten. Was die externe Syntax angeht, ist in beiden Fällen die Ausgangskonstruktion vor der Reanalyse eine korrelative Konstruktion. Im Falle des dass-Satzes wurden bislang noch kaum beachtete Daten herangezogen, die belegen, dass das ahd. thaz wie das englische that auch als Relativpartikel verwendet werden konnte. Der Status als Relativpartikel steht bei diesen Daten außer Frage: In einer Beispielklasse liegt keine Genuskongruenz vor, in einer anderen ist die Argumentstelle bereits durch ein resumptives Personalpronomen gesättigt. Zwar sind diese beiden Beispielklassen nur bei Otfrid belegt, jedoch tritt die Relativpartikel thaz auch in weiteren ahd. und auch in mhd. Denkmäler nach Zeitangaben als Antezedenten auf. Dass bei Zeitangaben bevorzugt die kognate Partikel zu ahd. thaz verwendet wird, ist auch im Altenglischen der Fall, ein weiterer bevorzugter Kontext sind hier

368 Antezedenten mit neutralem Genus. Die ahd. Daten und die komparative Evidenz lassen die Spekulation zu, dass in vorahd. Zeit eine Relativsatzkonstruktion existierte, in der im Bezugssatz ein fakultativ realisiertes Korrelat stand (meist ebenfalls in der Form des Demonstrativpronomens thaz oder als eine Art ‚dummy NP‘), das mit einem nachgestellten Relativsatz, der durch die Relativpartikel thaz eingeleitet wurde, assoziiert war. Die Konstruktion mit nicht-overt realisiertem Korrelat wurde dann als Komplementationsstruktur realisiert. In der Zielstruktur ist der thaz-Satz ein Komplement in nichtkanonischer Position, da das Verb auch im Ahd. in der Regel nach links regiert. Die Analyse, dass dass-Sätze im Nachfeld als Schwestern von V in nichtkanonischer Position basisgeneriert werden, wurde auch fürs Gwd. in vielen Arbeiten propagiert. Dieselbe Annahme wurde auch fürs Bengali gemacht, das eine noch viel striktere OV-Sprache ist als das Ahd. oder Gwd. Im Bengali ist sogar bis in die heutige Zeit noch die Relativkonstruktion vorhanden (vgl. Bayer 1995, 1999, 2001a), wie sie in der vorliegenden Arbeit als Ausgangskonstruktion für die Reanalyse der vorahd. thaz-Sätze beschrieben wurde. Im Falle der da-Sätze habe ich argumentiert, dass die Ausgangskonstruktion ebenfalls eine korrelative Relativkonstruktion war. Allerdings war der Relativsatz in diesem Fall meist vorangestellt. Es handelte sich nicht um den in den germanischen Sprachen heute vorherrschenden Typ des postnominalen Relativsatzes, sondern um eine spezielle kopfinterne Relativierungsstrategie, das sogenannte korrelative Diptychon bzw. der korrelative Relativsatz. Diese Relativierungsstrategie war in den alten indoeuropäischen Sprachen verbreitet. In den altgermanischen Sprachen (Gotisch, Altenglisch, Altsächsisch, Ahd./Mhd.) ist sie bei den Argumentrelativsätzen zwar nur vereinzelt bezeugt, bei den adverbialen Relativsätzen ist sie jedoch zunächst der kanonische Typ. Beim korrelativen Relativsatz liegt keine Einbettungsstruktur vor, der Relativsatz ist keine Konstituente des Matrixsatzes. Daher kommt er auch nicht in matrixsatzinternen Argument- bzw. Adjunktpositionen vor. Da das Ahd. und Mhd. Verbzweitsprachen waren, manifestiert sich das im Falle des adverbialen WKǀG{-Satzes vor allem darin, dass er nicht im Vorfeld des Bezugssatzes bezeugt ist. Stattdessen wird er in einer linksperipheren Position basisgeneriert. Im Bezugssatz steht ein korrelatives Adverb, dessen Realisierung aber fakultativ ist. In den älteren ahd. Texten, insbesondere im Isidor, tritt das korrelative Adverb bei Voranstellung des WKǀ-/dhuo-Satzes noch im Mittelfeld auf. Im Spätahd. (bei Notker) und Mhd. besetzt es, wenn overt realisiert, bei deklarativem Bezugssatz fast immer das Vorfeld. Außer bei Haudry (1973) wurde in der Literatur kaum erkannt, dass die Haupttypen der altgermanischen Adverbialsätze als korrelative Relativsätze zu analysieren sind. Das liegt wahrscheinlich daran, dass anders als in den altindoeuropäischen Sprachen und in den Sprachen, die heute noch über diese Relativierungsstra-

369 tegie verfügen, das Relativpronomen bzw. -adverb und das Korrelat häufig homonym waren. Beide sind vom demonstrativen Stamm abgeleitet, der auf den indogermanischen Pronominalstamm *to- zurückgeht. Das dRelativpronomen ist der kanonische Typ im Gotischen, Altenglischen und auch noch im heutigen Deutsch und Niederländisch. Allerdings ist im heutigen Deutsch das d-Relativpronomen auf den kopfexternen Typ beschränkt, bei den kopfinternen Relativsätzen werden stattdessen w-Pronomina/Determinierer verwendet (was, wer/welch-). 1 Im Ahd. und zu weiten Teilen auch noch im Mhd. wurden nicht nur kopfexterne, sondern auch kopfinterne Relativsätze durch d-Relativpronomina/-adverbien eingeleitet. Das Gleiche galt für das Alt- und Mittelenglische. Das Resultat sind die typischen ‚Zwillingsformeln’ wie altenglisch se– se, þa–þa, þanne–þanne, þær–þær oder ahd. ther–ther, WKǀ–WKǀ, thanne–thanne, thƗr–thƗr usw. Beim korrelativen Relativsatz wird der Relativsatz als Adjunkt zur ‚Matrix’-IP bzw.- CP basisgeneriert. Im Deutschen behalten die WKǀ-/dô-Sätze diese externe Adjunktionsposition an CP bis in die frnhd. Zeit bei. Erst dann gibt es Hinweise darauf, dass diese Konstruktion durch eine Einbettungskonstruktion abgelöst wurde. Der auffälligste Oberflächenreflex dieses zugrunde liegenden Wandels ist die Innovation und Ausbreitung der Vorfeldfähigkeit. Ich habe dafür argumentiert, dass die Einbettungskonstruktion auf eine Reanalyse der korrelativen Konstruktion zu einer Linksversetzungskonstruktion zurückgeht, da die beiden Konstruktionen oberflächenambig waren. Auch in typologischen Studien wurde argumentiert, dass diese Konstruktionen eng verwandt sind (Keenan 1985). Was die externe Syntax angeht, hat sich somit die diachrone Entwicklung der dass- und da-Gefüge auf ähnliche Weise vollzogen: Während bei den dass-Gefügen die Herausbildung der Komplementationskonstruktion auf eine Reanalyse der Korrelatkonstruktion mit nachgestelltem thaz-Relativsatz zurückging, ist die Genese der Einbettungskonstruktion bei den da-Sätzen auf eine Reanalyse der korrelativen Konstruktion mit einem vorangestellten Adverbialsatz zurückzuführen, der ursprünglich ein kopfinterner adverbialer Relativsatz war. Auch in der internen Syntax gibt es Parallelen. Sowohl die adverbiale Subjunktion da als auch der Komplementierer dass sind durch die Reanalyse ei____________________ 1

Wobei kopfinterne Relativsätze, die durch eine Relativphrase mit overtem Kopfnomen und dem Relativdeterminierer welch- eingeleitet werden, im Deutschen sehr beschränkt sind und nur bei einem prädikativen Antezedens vorkommen (Hans wollte wissen, wann Marie nach Hause kommt, welche Frage sie ihm nicht beantwortete.). Im älteren Deutsch konnten auch die sog. freien Relativsätze des Typs Wer andern eine Grube gräbt, der fällt selbst hinein durch eine komplexe Relativphrase mit welch-Determinierer eingeleitet werden (= Welcher Schurke andern eine Grube gräbt, der fällt selbst hinein).

370 ner XP-Kategorie (Demonstrativpronomen, Demonstrativadverb) in SpecC zu einer X0-Kategorie in C0 entstanden. Im ersten Fall entstand als Zwischenschritt die Relativpartikel thaz. Ob auch beim WKǀ-/dô-Satz als Zwischenschritt eine temporale Relativpartikel anzunehmen ist, wie es für das zürichdeutsche wo argumentiert wurde, muss offen bleiben. Wie verhalten sich die hier propagierten Entstehungsszenarien zu der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese? In der vorliegenden Arbeit wurde dagegen argumentiert, dass sich der dass- und der da-Satz aus Hauptsätzen entwickelt haben. Es hat also kein Übergang von der Parataxe zur Hypotaxe im strengen Sinn gegeben. Dennoch ist in beiden Fällen die Zielkonstruktion nach der Reanalyse ‚hypotaktischer’ als vor der Reanalyse. Bei den dass-Sätzen wurde eine Relativsatzkonstruktion, also eine Adjunktionskonstruktion, durch eine Komplementationskonstruktion abgelöst. Der Nebensatz war ursprünglich nicht vom ‚Matrix’prädikat abhängig, in der neuen Struktur sättigt er eine Argumentstelle. Diese Funktion hatte in der Ausgangskonstruktion das Korrelat inne: Ihm wurde die Thetarolle zugewiesen. Auch in diesem Punkt gibt es eine Ähnlichkeit zu den da-Sätzen. In der korrelativen Konstruktion steht das korrelative Adverb in einer Beziehung zu der vom ‚Matrix’prädikat eröffneten Ereignisvariablen. Die oben erwähnten Parataxe-Hypotaxe-Szenarien stammen ursprünglich hauptsächlich aus der junggrammatischen Literatur. Auch in der Grammatikalisierungstheorie wurde propagiert, dass sich hypotaktische aus parataktischen Strukturen entwickelt haben: Im World Lexicon of Grammaticalization wird die junggrammatische Übertrittstheorie für die Entstehung des dass-Komplementierers im Deutschen, Englischen (that) und Faröischen (tadh) übernommen (Heine & Kuteva 2002: 106f.). Auch in älteren Arbeiten innerhalb des Grammatikalisierungsparadigmas wurde die alte Übertrittstheorie als ein typisches Beispiel für die Grammatikalisierung von Komplementierern diskutiert (z.B. Traugott 1972, Hopper & Traugott 1993: 185–189). Allerdings wenden Heine & Kuteva (2002: 107) ein: „So far, examples of a fully conventionalized grammaticalization have been found mainly in Germanic languages“. Das in der vorliegenden Arbeit propagierte Szenario bietet eine Erklärung hierfür: Die Besonderheit der germanischen Sprachen liegt darin, dass sie über dRelativpronomina verfügen. Bei der ‚Grammatikalisierung’ des Komplementierers fungiert nicht das Demonstrativum direkt sondern das Relativum, das wiederum auf das Demonstrativum zurückgeht, als ‚Quellmorphem’. Für den Grammatikalisierungspfad Relativum > Argumentsatzkomplementierer gibt es deutlich mehr komparative Evidenz (z.B. Lehmann 1995: 1213–1215, Heine & Kuteva 2002: 254f.) als für die Annahme, dass der Argumentsatzkomplementierer aus dem Demonstrativpronomen hervorgegangen ist.

371 Die Entwicklung von Adverbialsätzen im Deutschen und Niederländischen wird von König & van der Auwera (1988) im Rahmen des von Lehmann (1988) propagierten Grammatikalisierungskontinuums analysiert. Die Autoren nehmen an, dass das korrelative Stadium ein Übergangsstadium von einer gänzlich unintegrierten hin zu einer integrierten Struktur darstellt. In der vorliegenden Arbeit wurde stattdessen argumentiert, dass es nur zwei Stadien gibt und dass die scheinbar unintegrierte Konstruktion lediglich eine Variante der korrelativen darstellt, in der das Pro-Adverb nicht overt realisiert ist. Das ist auch besser mit den empirischen Fakten vereinbar, denn bereits im Ahd. sind korrelative Adverbien weit verbreitet. Es gibt keine Evidenz dafür, dass davor ein Stadium existierte, in dem keine korrelativen Adverbien verwendet wurden. Auf der anderen Seite gibt es selbst im Mhd. noch viele Texte, in denen das korrelative Adverb häufig nicht vorhanden ist. Auch die noch weitergehende Annahme, dass es einst ein Stadium mit lediglich einer parataktischen Fügeweise im engen Sinne (also eine Sequenz von Hauptsätzen) gab, ist reine Spekulation. In Kapitel 3 wurden nichtkanonische Relativsatzkonstruktionen behandelt. Im Gwd. gibt es relativisch interpretierte Sätze mit Verbzweitstellung und initialem anaphorischem d-Pronomen (z.B. Das Blatt hat eine Seite, die ist ganz schwarz). Es wurde gezeigt, dass sich diese Konstruktion bis in die ahd. Zeit zurückverfolgen lässt. Auch in diesem Fall wurde in der Literatur ein Parataxe-zu-Hypotaxe-Szenario vorgeschlagen. Es wurde spekuliert, dass die in syntaktischer Hinsicht parataktische Konstruktion mit Verbzweitstellung die ursprüngliche sei. Sie bilde die Basis für die Entwicklung des kanonischen Verbendrelativsatzes, der durch ein Relativpronomen, das aus dem Demonstrativstamm abgeleitet ist, eingeleitet wird. Die ‚Eingangspforte’ für diesen syntaktischen Wandel liege in der ‚hypotaktischen’ Interpretation, also auf semantischer Ebene. Der Verbstellungswandel (Verbzweit > Verbend) wird als sekundäre Erscheinung betrachtet. Dagegen lässt sich einwenden, dass es wesentlich plausibler ist, dass sich in den asymmetrischen Verbzweitsprachen die Verbbewegung nie auf die Nebensätze ausgedehnt hat. Die Nebensätze hätten demnach die aus dem Indoeuropäischen und Germanischen ererbte Basiswortstellung beibehalten. Außerdem hat die relativische Verbzweitkonstruktion sehr spezifische Eigenschaften im Hinblick auf die Informationsstruktur und auf die Wahl des Antezedenten, was dagegen spricht, dass sich aus ihr der kanonische d-Verbendrelativsatz entwickelt hat. In einer anderen Version der Parataxe-zu-Hypotaxe-Hypothese wird der relativischen Verberstkonstruktion mit Argumentauslassung des Typs Das Blatt hat eine Seite, ist ganz schwarz, die im Gwd. ungrammatisch ist, zentrale Bedeutung beigemessen. Sie wurde unter den Stichworten ‚Apokoinukonstruktion’ bzw. ‚asyndetische Parataxe’ häufig mit uneingeleiteten Verbendrelativsätzen des heute ebenfalls ungrammatischen Typs Das Blatt hat

372 eine Seite, ganz schwarz ist gleichgesetzt. In diesem Szenario ist die Entwicklung des d-Relativsatzes ähnlich verlaufen wie die des dass-Satzes. Es wird angenommen, dass das Relativpronomen auf ein kataphorisches Demonstrativpronomen zurückgeht, das in einer Sequenz aus zwei Sätzen vom ersten in den zweiten Satz übergetreten ist. Dass jedoch die im älteren Deutsch vorkommende ‚asyndetische’ relativische Verberst- und Verbendkonstruktion gleichgesetzt werden, ist nicht haltbar. Denn die grammatischen Eigenschaften unterscheiden sich beträchtlich: Der asyndetische Verbersttyp tritt bevorzugt nach präsentativem Hauptsatz auf, während beim Verbendtyp ein breites Spektrum an Hauptsatzkonstruktionen belegt ist (z.B. kanonische nichtpräsentative Verbzweitsätze, Spaltsatzkonstruktionen mit deklarativem Hauptsatz, aber auch Spaltsatzkonstruktionen mit interrogativem Hauptsatz usw.). Beim Verbersttyp ist das Antezedens stets indefinit, beim Verbendtyp sind auch definite Bezugsnomina bezeugt. Selbst wenn man, wie etwa Pittner (1995), davon ausgeht, dass der asyndetische Satz bei der angenommenen Reanalyse zum Verbend-, und nicht zum Verbersttyp gehörte, ist das Szenario wiederum aus konzeptionellen Gründen unattraktiv, da – wie beim traditionellen dass-Szenario – eine radikale Reanalyse der Satzgrenze erfolgt sein muss. Außerdem wird in jüngeren Arbeiten von Lühr (2004) und Harbert (2007: 436) argumentiert, dass der d-Relativsatz bereits im Protogermanischen existiert haben muss, denn sowohl das Altenglische, Althochdeutsche, Altsächsische und Gotische verfügen über aus dem Demonstrativparadigma abgeleitete Relativpronomina, auf die (teilweise fakultativ) eine Relativpartikel (d.h. ein Relativkomplementierer) folgt. Harbert nimmt an, dass letzteres Muster aus dem Protogermanischen in die Tochtersprachen vererbt worden sei. Damit ist auch die Verbstellung erklärt: Wenn beim Relativsatz eine Relativpartikel in C0 basisgeneriert wird, dann verbleibt zumindest in den Tochtersprachen, in denen es keinen satzmedialen Landeplatz gibt, das Finitum in seiner Basisposition. Dagegen, dass der asyndetische Relativsatz der Ausgangspunkt für die Entwicklung des dRelativsatzes war, spricht auch, dass er lediglich im Ahd. häufiger belegt ist. Im Gotischen und Altenglischen ist die Konstruktion nicht bezeugt (Harbert 2007: 436). Asyndetische Sätze standen auch in Kapitel 3 im Vordergrund, allerdings nicht relativische, sondern argumentrealisierende. Auch dieser nichtkanonische Nebensatztyp wurde verschiedentlich zur Bestätigung der Parataxe-zuHypotaxe-Hypothese herangezogen. So behauptet Helgander (1971: 34), dass Konstruktionen wie engl. I know he will come und dt. er sagte, er wollte kommen späte Reflexe eines Stadiums darstellen, in denen es noch keine syntaktische, sondern lediglich eine interpretative Unterordnung von Sätzen gab. Dagegen spricht, dass sich im ältesten Deutsch die argumentrealisierende Verbzweitkonstruktion gar nicht zweifelsfrei nachweisen lässt. Es gibt sogar

373 Hinweise darauf, dass der asyndetische Verbendsatz, der im Gwd. nicht mehr möglich ist, älteren Ursprungs ist. Insgesamt betrachtet hat sich ergeben, dass das Phänomen des Diskrepanzfalls, also die scheinbare Durchbrechung der Korrelation zwischen der Geltung als Nebensatz auf interpretativer Ebene auf der einen und bestimmten formalen Eigenschaften auf der anderen Seite, bei genauerer Analyse auch diachron kaum eine Rolle spielt. Bei den Nebensätzen mit Verbbewegung (relativische Verbzweit-/Verberstsätze, Verbzweitargumentsätze) liegt diachrone Kontinuität vor und die scheinbar abweichende interne syntaktische Struktur korrelierte seit jeher mit einer unintegrierten bzw. teilintegrierten externen Syntax sowie mit spezifischen semantischen Eigenschaften. Weiterhin ließ sich am Beispiel des dass-Satzes und der Adverbialsätze zeigen, dass kein gradueller Übergang zwischen Parataxe und Hypotaxe, zwischen Diskurs- und Satzgrammatik stattfand, sondern dass sich diskrete Entwicklungsschritte bzw. Reanalysen (Phrase zu Kopf, Adjunktion zu Komplementation, Korrelation zu Integration) vollzogen haben, wie es bei Annahme einer modularen Grammatikorganisation zu erwarten ist.

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____________________ 1

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____________________ 2

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Frühneuhochdeutsch Das Bonner Frühneuhochdeutsch-Korpus URL http://www.korpora.org/fnhd/ Quellenverzeichnis und Online-Zugang auf die digitalisierten Texte. [Lutherbibel 1546]

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